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German Pages 444 Year 2016
Historische Forschungen Band 114
Zwischen Konflikt und Kooperation Praktiken der europäischen Gelehrtenkultur (12.–17. Jahrhundert)
Herausgegeben von Jan-Hendryk de Boer Marian Füssel Jana Madlen Schütte
Duncker & Humblot · Berlin
Zwischen Konflikt und Kooperation
Historische Forschungen Band 114
Zwischen Konflikt und Kooperation Praktiken der europäischen Gelehrtenkultur (12.–17. Jahrhundert)
Herausgegeben von Jan-Hendryk de Boer Marian Füssel Jana Madlen Schütte Unter Mitarbeit von Annika Goldenbaum
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-14951-3 (Print) ISBN 978-3-428-54951-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84951-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Dieser Band versammelt die Beiträge zur Tagung „Europäische Gelehrtenkulturen (1100 – 1750). Praktiken, Positionen, Periodisierungen“, die vom 12. bis 15. November 2014 als Abschlusstagung des DFG-Netzwerks „Institutionen, Praktiken und Positionen der Gelehrtenkultur vom 13. bis 16. Jahrhundert“ an der Georg-AugustUniversität Göttingen stattfand. Den Autorinnen und Autoren danken wir für die Bereitschaft, ihre Beiträge für die Veröffentlichung bereitzustellen. Neben der Universität Göttingen als gastgebender Institution gilt unser Dank den Mitgliedern des DFG-Netzwerks und des DFG-Graduiertenkollegs „Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts“ für die Ausrichtung der Tagung, organisatorische Unterstützung und intensive Diskussionen. Für die großzügige Bereitstellung der finanziellen Mittel für die Publikation der Tagungsergebnisse ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung (ZMF) in Göttingen zu danken. Besonderer Dank gebührt Annika Goldenbaum, die uns mit Engagement und großer Präzision bei der redaktionellen Betreuung des Bandes unterstützte. Essen, Göttingen und Stuttgart, im Januar 2016 Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Jana Madlen Schütte
Inhaltsverzeichnis Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Jana Madlen Schütte Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Organisieren Florian Hartmann Die Anfänge der Universität Bologna. Rhetoriklehre und das studium in artibus im 12. und frühen 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Thierry Kouamé Zur institutionellen Wirkungsweise der Universitäten vom Pariser Typus in Frankreich und im Reich (13.–15. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Willem Frijhoff University, academia, Hochschule, college: Early modern perceptions and realities of European institutions of higher education . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jean-Luc Le Cam Vorlesungszettel und akademische Programme. Zur Rekonstruktion des akademischen Betriebs und Lebens jenseits der Lektionskataloge: das Beispiel des Helmstedter Rhetorikprofessors Christoph Schrader (Professur 1635 – 1680) . . .
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Streiten Jan-Hendryk de Boer Form und Formlosigkeit des Judenhasses. Kommunikationsweisen judenfeindlicher Traktate um 1500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Jana Madlen Schütte Konflikte und Konkurrenzen der Mediziner in den Fakultäts- und Rektoratsakten des 15. und 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Bernd Roling De asitia: Fortunio Liceti, Estêvão Rodrigues de Castro und die universitäre Aufarbeitung der Magersucht im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
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Inhaltsverzeichnis
Matthias Roick Der Jasager und der Neinsager. Zur Streitkultur der Humanisten am Hof der Aragonesen in Neapel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Disputieren Thomas Woelki Politikberatung aus dem Hörsaal? Die Disputationen des Angelo degli Ubaldi (1385 – 1394) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Ulrich G. Leinsle Disputationen in philosophischen Promotionsakten an der Jesuitenuniversität Dillingen im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Hanspeter Marti Die frühneuzeitliche Schuldisputation. Stand, Perspektiven und Probleme ihrer Erforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Repräsentieren Marcel Bubert Philosophische Identität? Sozialisation und Gruppenbildung an der Pariser Artistenfakultät im 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Daniela Rando ,Angewandtes‘ Wissen zum ,Handeln‘. Ein Test für Gelehrte des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Thorsten Schlauwitz Die Zierde der Stadt, der Stolz der Familie – Wissenskulturen im spätmittelalterlichen Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Jörg Schwarz Auf dem Weg in die res publica litteraria. Johannes Fuchsmagen (um 1450 – 1510) und die Gelehrtenkultur am Habsburgerhof im Zeitalter Friedrichs III. und Maximilians I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Yann Dahhaoui Saying almost the same thing many times. Excerpting and its consequences by example of the historiography of the feast of fools (1600 – 1900) . . . . . . . . . . . . 403 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
Zur Einführung Von Jan-Hendryk de Boer, Marian Füssel und Jana Madlen Schütte I. Ausgangspunkt: Quellen und Methoden in der Diskussion Der vorliegende Sammelband ist aus der Arbeit eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Wissenschaftlichen Netzwerkes zu „Institutionen, Praktiken und Positionen der Gelehrtenkultur vom 13. bis 16. Jahrhundert“ hervorgegangen, dessen Mitglieder die zugrundeliegende Tagung ausgerichtet haben. In diesem Rahmen haben jüngere und arrivierte Historikerinnen und Historikern seit 2011 gemeinsam ein Handbuch zu Quellen und Methoden der Universitätsgeschichte erarbeitet.1 Es stellt einzelne Quellengattungen, vom Verwaltungsschrifttum über Lehrwerke bis zu literarischen und materiellen Zeugnissen, artikelweise vor. Dabei werden jeweils die formalen Charakteristika, die Entstehungsbedingungen und Funktionen der jeweiligen Gattung erläutert und deren Transformationen im historischen Verlauf beschrieben. Außerdem werden bisherige Forschungsansätze vorgestellt und Möglichkeiten aufgezeigt, wie neuartige Perspektiven auf den jeweiligen Quellentyp eröffnet werden können. Der Sammelband erfüllt vor diesem Hintergrund nun eine doppelte Funktion: Einerseits ergänzt er das Handbuch, indem Fallanalysen einzelner Quellengattungen exemplarisch vorgeführt werden, und andererseits weitet er den Blick, indem die Entwicklung von Gattungen und institutionellen Bedingungen bis zum 18. Jahrhundert untersucht und auch solche gängigen Schemata und Kategorienmustern zuwiderlaufende Texte und Themen diskutiert werden, die im formalisierten Rahmen eines Handbuchs nicht adäquat behandelt werden können. Unter den vier leitenden Gesichtspunkten „Organisieren“, „Streiten“, „Disputieren“ und „Repräsentieren“ soll exemplarisch nachvollzogen werden, wie Texte, Textsorten, Themen und Inhalte sowie institutionelle und personale Bedingungen einander beeinflussen und durch ihre Relationen Dynamiken wie Beharrungen ins Werk setzen. Indem Beispiele aus ganz unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Kontexten untersucht werden, können Entwicklungslinien ausgemacht werden, die die vormoderne Universitäts- und Gelehrtengeschichte prägen.2 Anhand der Fallana1 Das Handbuch erscheint 2016 unter dem Titel „Universitätskulturen im Mittelalter: Quellen und Zugänge zur Institutions- und Wissensgeschichte (13.–16. Jh.)“. Als vergleichbares Nachschlagewerk für die frühe Neuzeit vgl. Rasche (Hrsg.), Quellen. 2 Vgl. als prägnante Synthesen zum Mittelalter Verger, Les gens de savoir; Kintzinger, Wissen wird Macht sowie Rexroth (Hrsg.), Kulturgeschichte.
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lysen wird gezeigt, dass spezifische Methoden auch solche Erkenntnisse aus den Quellen gewinnen können, die bisher durch die eingeschliffenen Arbeitsweisen verstellt waren. II. Praxeologische Zugänge zu Universität, Gelehrsamkeit und Wissenschaft Organisieren, Streiten, Disputieren und Repräsentieren bilden Schlüsselpraktiken der vormodernen Gelehrtenkultur und dienen den folgenden Beiträgen als einende analytische Klammer. Was für die meisten Sammelbände gilt, kann auch hier konstatiert werden: Nicht alle Beiträge fokussieren gleichermaßen auf die Leitkategorien, manche Kategorien überschneiden sich und nicht alle eint ein gleich konsequenter praxishistorischer Zugang. Dennoch eröffnet das praxeologische Analyseraster zahlreiche neue Zusammenhänge und Querverbindungen. Das Ergebnis stellt eine Werkschau gegenwärtiger Forschungen zu vormodernen Gelehrtenkulturen dar, die von einigen gemeinsamen Frage- und Methodenhorizonten ausgeht. Der Zugriff überwindet bewusst die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, endet jedoch ebenso konsequent um 1700, nicht um damit eine weitere Epochengrenze zu markieren, sondern einerseits, um ganz pragmatisch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Analysezeitraum des DFG-Netzwerkes im Wesentlichen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert strukturiert war, andererseits, um den komplexen Strukturwandel der Wissenskulturen im 18. Jahrhundert nicht bruchlos mit älteren Strukturen kurzzuschließen. Praxistheoretische Zugänge prägen die Universitäts- und Gelehrtengeschichte insbesondere der europäischen Vormoderne seit rund zwei Jahrzehnten.3 Die Erforschung der Praktiken des Wissens, der Wissenschaft und der Gelehrsamkeit aus der Nähe, d. h. im Labor, Hörsaal, Bibliothek oder Wunderkammer kann zudem als einer der wesentlichen Motoren einer historischen Praxeologie ganz allgemein gelten.4 Letztere hat in der jüngsten Zeit eine enorm intensivierte, Disziplinen übergreifende Diskussion erfahren, die einerseits in der Synthetisierung soziologischer Praxistheorien resultierte, andererseits in verstärkten Diskussionen innerhalb der Geschichtswissenschaft.5 Die Rede von den Praktiken ist zu einer ähnlichen Konjunktur gelangt wie in den 1980er und 1990er Jahren jene von den Diskursen. 3 Pickering (Hrsg.), Science as Practice and Culture; Bödeker/Reill/Schlumbohm (Hrsg.), Wissenschaft als kulturelle Praxis; Becker/Clark (Hrsg.), Little Tools of Knowledge; Zedelmaier/Mulsow (Hrsg.), Praktiken der Gelehrsamkeit; Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis; Clark, Academic Charisma; Smith/Schmidt (Hrsg.), Making knowledge; Holenstein/ Steinke/Stuber (Hrsg.), Scholars in Action. 4 Füssel, Lehre ohne Forschung?; zur Einordnung in die Entwicklung einer historischen Praxeologie vgl. Füssel, Praktiken historisieren; Füssel, Praxeologische Perspektiven; Haasis/ Rieske (Hrsg.), Historische Praxeologie. 5 Vgl. in Auswahl Schatzki/Knorr-Cetina/von Savigny (Hrsg.), Practice Turn; Hörning/ Reuter (Hrsg.), Doing Culture; Reckwitz, Grundelemente; Schmidt, Soziologie der Praktiken; Elias u. a. (Hrsg.), Praxeologie; Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien.
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Eine praxeologische Perspektive verspricht am konkreten Gegenstand der Gelehrtenkulturen jedoch einen analytischen Mehrwert auf mehreren Ebenen. Praktiken reproduzieren soziale Strukturen und Wissensbestände, und sie transformieren sie zugleich. Im Vollzug der Wiederholung jeder einzelnen Praktik ist sowohl Wandel wie Reproduktion enthalten, mit anderen Worten die Macht-Wissen Relationen, wie sie Pierre Bourdieu oder Michel Foucault analysiert haben, ebenso wie die produktiven Aneignungen, wie sie etwa Michel de Certeau, die Geschlechtergeschichte oder die postkoloniale Historiographie betonen.6 Eine Disputation kann Rollenmuster einüben und orthodoxe Lehrmeinungen bestätigen, sie kann potentiell aber auch neue Positionen entstehen lassen. Der Blick auf die Vollzugswirklichkeit der Praktiken eröffnet die Perspektive auf den Widerstreit von Norm und Praxis, auf Devianzen ebenso wie auf Konformität. Die praxeologische Perspektive überwindet damit festgefahrene Dichotomien. Neben Norm und Praxis – denn die Normen und Diskurse schaffen selbst soziale Wirklichkeit und sind nicht das Andere der Praktiken – gilt dies auch für die Gegenüberstellung von Mikro- und Makrogeschichten oder dem Verhältnis von Diskurs, Handlung und Materialität. Praktiken sind nicht einfach ein neues Wort für Handlungen, sondern können als „situierter Vollzug von Sprechakten und Handlungen im Zusammenspiel von Dingen und körperlichen Routinen von Akteuren“ begriffen werden.7 So relativiert sich auch die konfrontative Gegenüberstellung zwischen gelehrten Diskursen, Handlungen und materiellen Kulturen.8 Die materielle Dimension von Schriftlichkeit, Sammlungen, Kleidung9 oder Architektur10 ist für die Praxis der Gelehrtenkultur ebenso konstitutiv wie die körperlichen Dispositionen der gelehrten Akteure, ihre Sprache, ihre Gesten, mit einem Wort ihr Habitus11 und das tatsächlich vollzogene Reden und Handeln. Praktiken aus den Quellen zu rekonstruieren, bedeutet immer auf der Mikroebene anzusetzen, bei einer einzelnen Handlungssequenz, einem Konflikt, einer Vorlesung, einer Prozession oder einem Fest. Die Analyse verbleibt jedoch nicht im Kleinen, sondern arbeitet die großen Zusammenhänge klein, d. h. Themen wie Scholastik, Humanismus, Verschriftlichung, Bürokratisierung, Professionalisierung oder Disziplinendifferenzierung werden stets in konkreten Praktiken lokalisiert.12 Und schließlich hoffen wir mit dem Fokus auf die Praktiken der Wissenskulturen die oftmals getrennt behandelten Felder der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte bzw. der Institutionen- und Gelehrtengeschichte wieder stärker miteinander zu verschränken.13 Die Sozialge-
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Füssel, Praxeologische Perspektiven. Ebd., S. 26. 8 Zu den Diskursen vgl. den Überblick bei Jaumann (Hrsg.), Diskurse. 9 Hülsen-Esch, Gelehrte im Bild. 10 Friese/Wagner, Raum des Gelehrten. 11 Algazi, Scholars in Households; Algazi, Lebensweise. 12 Medick, Quo vadis, S. 88 – 90. 13 Vgl. zur Umsetzung dieses Anliegens vor allem die Publikationsreihen „Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (GUW)“ im Schwabe 7
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schichte der Wissensakteure und die Wissensgeschichte der gelehrten Inhalte zu trennen, würde nicht nur an der Historizität der vormodernen Lebenswelt vorbeigehen, sondern auch viel analytisches Potential preisgeben. Im Folgenden steht jedoch nicht die gesamte Vielfalt gelehrter Praktiken im Fokus, sondern vier ausgewählte Praxisfelder, die das Spannungsfeld von Konflikt und Kooperation aufspannen: Organisieren, Streiten, Disputieren, und Repräsentieren.14 Streiten und Disputieren hängen eng miteinander zusammen, der Streit bildet jedoch die umfassender Kategorie und die Disputatio nur eine besonders regelhafte Form des Streitaustrags.15 Ähnlich verhalten sich auch Organisieren und Repräsentieren, so eignet Praktiken des Organisierens, Administrierens, Klassifizierens und Ordnens immer auch eine symbolisch-repräsentative Dimension, während Repräsentation auf diverse Praktiken des Organisierens angewiesen ist.16 Die gewählten Felder sollten folglich nicht als zu strikt separiert gedacht werden. Mit dem Fokus auf Streitkulturen, Polemik, Distinktion und Gruppenbildung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten das Bild der europäischen Gelehrtenkultur erheblich verändert. Doch neben den nicht zu leugnenden agonalen Aspekten treten auch Formen der Zusammenarbeit zu Tage. Von den frühen Zusammenschlüssen der gelehrten Schwureinung zur Universität bis hin zu gemeinsamen Buchprojekten wie Enzyklopädien17 und von der gelehrten Gastfreundschaft18 bis zur Patron-Klient Beziehung werden diverse kulturelle Muster der Kooperation sichtbar. III. Organisieren, streiten, disputieren und repräsentieren: Die Beiträge Organisieren Der Titel dieser Sektion spielt mit dem Doppelsinn dieses Wortes: Zum einen kann es darauf verweisen, dass die Universität als Organisation sich in signifikanter Weise von ihrer Umwelt unterscheidet, indem sie intern in bestimmter Weise strukturiert ist und ihre Differenz gegenüber anderen sozialen Akteuren nach außen symVerlag, Basel und die Reihe „Education and Society in the Middle Ages and Renaissance“ im Brill Verlag, Leiden/Boston. 14 Die folgenden Literaturhinweise beschränken sich auf ein Minimum, da ausführliche Nachweise in den jeweiligen Beiträgen erfolgen. 15 Jürgens/Weller (Hrsg.), Streitkultur und Öffentlichkeit; Bremer/Spoerhase (Hrsg.), Gelehrte Polemik; Baumann (Hrsg.), Streitkultur; Laureys (Hrsg.), Die Kunst des Streitens; zu den Disputation vgl. Gindhart/Kundert (Hrsg.), Disputatio 1200 – 1800; Gindhart/Marti/Seidel (Hrsg.), Frühneuzeitliche Disputationen (im Druck). 16 Zu den symbolischen Ordnungen der mittelalterlichen Universität vgl. Destemberg, L’honneuer des universitaires; Hülsen-Esch, Gelehrte im Bild; zur Frühen Neuzeit vgl. Füssel, Gelehrtenkultur; Waquet, Respublica academica. Aus organisationssoziologischer Perspektive anregend vgl. Weick, Prozess des Organisierens; Baecker, Organisation als System. 17 Meier-Staubach (Hrsg.), Die Enzyklopädie. 18 Jancke, Gastfreundschaft.
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bolisch markiert; zum anderen bezieht es sich auf die Praxis des Organisierens von Wissensbeständen, die charakteristisch (nicht nur) für die vormoderne Gelehrtenkultur ist.19 Letztere erweist sich wiederum als ein Signum der Universität als Organisation, über das ihr eine besondere Rolle in Gesellschaft und Gemeinwesen zugewiesen wird. Florian Hartmann beschreibt die ars dictaminis als Lehr-, Kommunikations- und Repräsentationsform, die der gelehrten Laienschicht italienischer Kommunen des 12. Jahrhunderts dazu diente, die öffentliche Kommunikation zu regulieren. Überlieferte Musterbriefe sind keinesfalls als bloße Übungstexte zu sehen, vielmehr umreißen sie lebenspraktisch und in durchaus normativer Perspektive die Rolle des Lehrers und die Stellung der Diktatoren in der Kommune. Wie sich die Schüler um geeignete Lehrer bemühten, so war die Kommune Bologna daran interessiert, Studenten und deren Lehrer in die Stadt zu ziehen. Wissensbestände zu organisieren und sie darüber für die Belange der Kommune anwendbar zu machen sowie personale Gefüge zu strukturieren und ihnen so Dauer zu verleihen, erweisen sich als zwei zusammenhängende Praktiken, die am Übergang vom Schulmilieu des 12. zu der Welt der Universitäten des 13. Jahrhunderts stehen. Nach den Anfängen kommen mit dem Beitrag von Thierry Kouamé die Organisationsstrukturen der bereits etablierten Universitäten des 14. Jahrhunderts in den Blick. Als konstitutiv zeigten sich die verschiedenen Praktiken der Beratung, die Entscheidungen auf der Ebene der Fakultäten wie der gesamten Universität vorausgingen. Sukzessive wurden immer komplexere Formen der Beratung und Entscheidung entwickelt, die ebenso die hierarchische Binnenstruktur der Organisation zum Ausdruck brachten wie sie versuchten, über alle Interessengegensätze hinweg einen die Organisation stabilisierenden Konsens herzustellen. Die Durchsetzung des Mehrheitsprinzips in den Generalversammlungen der Magisteruniversität lässt sich so als Institutionalisierungsleistung verstehen, die die Einheit der Organisation und die Abgrenzung nach außen stärkte. War die Entscheidungsfindung mit den überkommenen Verfahren nicht möglich, wurde nach Mitteln gesucht, den Zwang des gemeinschaftlichen Verfahrens zu umgehen, um trotz der entgegenlaufenden Anliegen verschiedener Parteiungen personale oder institutionelle Lösungen zu finden, ohne die hierarchische Struktur und die Repräsentationsbedürfnisse der Beteiligten zu beschädigen. Willem Frijhoff betrachtet aus der Makroperspektive die institutionellen und organisatorischen Veränderungen des gelehrten Feldes in der frühen Neuzeit. Als prägendste Entwicklung stellt sich die Diversifizierung der Einrichtungen höherer Bildung heraus: Während sich die Universitäten selbst – entgegen dem Klischee – strukturell wie bezüglich der Formen und Inhalte der Lehre und Forschung erneuerten, traten mit den verschiedenen Kollegien, Akademien, Höheren Schulen und Gelehrtengesellschaften europaweit neue Organisationen auf den Plan, die mit den etablierten konkurrierten. Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Organisationsformen fällt nicht immer leicht, die Übergänge sind teilweise fließend. In der katholischen 19
Blair, Too Much to Know; Becker/Clark (Hrsg.), Little Tools of Knowledge.
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Welt setzten die überall gegründeten Jesuitenkollegien und Seminare den Universitäten entsprechende wissenschaftliche Standards durch; in der protestantischen Welt etablierten sich die Gymnasia academica als Zwischenformen, die curriculare Elemente der universitären artistischen und theologischen Fakultäten übernahmen, ohne die entsprechenden Rechte zu besitzen, ihren Studenten akademische Grade zu verleihen. Umgekehrt wurde zumal an den katholischen Universitäten nach wie vor auch solcher Unterricht erteilt, der demjenigen der Grammatikschulen entsprach. Mit den Akademien und Kollegien entstanden schließlich Orte wissenschaftlicher Innovation, die sich gezielt organisatorische Strukturen gaben, die sie von den Universitäten unterschieden. Jean-Luc Le Cam zufolge lässt sich der Unterricht an vormodernen Universitäten besonders gut anhand der Kreuzung dreier Quellengattungen rekonstruieren: Lektionskataloge, Vorlesungszettel beziehungsweise Rechenschaftsberichte und Programmschriften bieten aufgrund ihrer Entstehungsbedingungen sowie der Adressaten teils divergierende, auf jeden Fall jedoch einander ergänzende Einblicke in die universitäre Lehrpraxis. Am Beispiel des Helmstedter Rhetorikprofessors Christoph Schrader demonstriert Le Cam, welche Früchte eine akribische Rekonstruktion zeitigen kann, wenn sie einerseits Quellen aus der Feder eines Gelehrten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Kontextfaktoren miteinander in Verbindung bringt und diese andererseits vergleichend den Erzeugnissen anderer Gelehrter an die Seite stellt. Lektionskataloge etwa erweisen sich aufgrund ihres prospektiven Charakters als einigermaßen unsichere Grundlage, die mit Vorlesungszetteln und Rechenschaftsberichten abgeglichen werden muss. Weil Schrader ungewöhnlich skrupulös Buch geführt hat, stellt er geradezu einen Idealfall für eine exemplarische Untersuchung dar. Schrader erweist sich dabei, so zeigt Le Cam, nicht zuletzt als reflektierter Lehrer, der bestrebt gewesen ist, seine Studenten praxisnah auf ihren künftigen Karriereweg vorzubereiten. Streiten Streitigkeiten, Konflikte, Debatten, Dispute und Kontroversen können sowohl fortschrittsgenerierende als auch destruktive Funktionen haben und einen Veränderungsprozess ebenso in Gang setzen wie durch die Markierung von Grenzen die Zusammengehörigkeit einer sozialen Gruppe stärken.20 Sie sind daher nicht nur von Beginn an Bestandteil des akademischen Mit- und Gegeneinanders an der Universität, sondern auch im gelehrten Alltagsleben am Hof oder auf dem städtischen Markt anzutreffen.21 Die Beiträge von de Boer, Schütte, Roling und Roick nehmen diese unterschiedlichen Zugriffsweisen und Kontexte auf und stellen ihre verschiedenen Argumente, Akteure und Leitquellen vor. 20
Füssel/Rüther, Einleitung, S. 14. Einen Überblick über verschiedene Konflikttheorien bietet Bonacker (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Zur sozialen Gruppe siehe Oexle, Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft. 21 Vgl. z. B. Füssel, Rang, Ritual und Wissen; Laureys (Hrsg.), Die Kunst des Streitens.
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Jan-Hendryk de Boer nimmt mit dem Traktat eine Gattung in den Blick, die sich durch einen geringen Formalisierungsgrad bei hoher kommunikativer Wirksamkeit auszeichnet. Im Zentrum der Überlegungen steht die Funktion judenfeindlicher Traktate, die seit dem Spätmittelalter zu einem bevorzugten Medium christlicher Selbstvergewisserung und Abgrenzung gegenüber Juden wurden. Charakteristischerweise wird in judenfeindlichen Traktaten gelehrtes Wissen über jüdische Traditionen mit dem wiederum gefärbten Erfahrungswissen von Konvertiten über jüdische Gebräuche und Traditionen und einzelnen volkstümlichen judenfeindlichen Exempeln kombiniert. Als hate speech erlaubten es diese Texte den Christen, sich appellativ als Gemeinschaft gegenüber den Juden als den ausgeschlossenen Anderen zu entwerfen. Auch Jana Madlen Schütte wählt den Zugang über eine spezifische Quellengattung und stellt anhand von Beispielen aus den Leipziger Rektoratsakten und den Kölner und Wiener Fakultätsakten das Spektrum von Konflikten und Konkurrenzen der Universitätsmediziner dar. Dabei fragt sie nach den Möglichkeiten, die der Quellengattung Akten für die Selbstdarstellung der Mediziner zukommen, und macht drei zentrale Funktionen der Akten aus: die Dokumentar-, Kontroll- und Darstellungsfunktion. Die Mediziner nutzten die Akten nicht nur dazu, Rechenschaft über erfolgte Prüfungen oder geänderte Statuten abzulegen, sondern auch, um die Ergebnisse von Aushandlungsprozessen z. B. mit dem Landesherrn und Abgrenzungsbestrebungen gegenüber den nicht-akademischen Heilern festzuhalten. Zudem dienten die Akten den Medizinern zur Selbstinszenierung, indem sie errungene Erfolge und ausgefochtene Rangkonflikte dokumentieren und sie somit in der Erinnerung halten. Bernd Roling stellt einen Streit in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, den im frühen 17. Jahrhundert in Italien zwei prominente Mediziner ausgetragen haben, der Italiener Fortunio Liceti und der Portugiese Estêvão Rodrigues de Castro. Gegenstand des Streites war die Frage, ob ein Mensch zwei Jahre lang ohne Nahrung auskommen kann und welche Begründungen sich dafür finden lassen. Roling zeigt auf, dass die Debatte um die Totalabstinenz für die Art, wie akademische Kontroversen ausgefochten wurden, und damit für die universitäre Streitkultur Italiens in der frühen Neuzeit bezeichnend war. Liceti trug den Sieg nicht nur aufgrund seiner überzeugenderen Erklärung und seiner besseren philologischen Kenntnisse davon, sondern vor allem wegen seines gelehrten Netzwerks in Norditalien, das er durch Widmungsgedichte, Briefe und Dedikationen pflegte. Matthias Roick wendet sich dem Hof als Austragungsort humanistischer Streitigkeiten zu. Am aragonesischen Hof zu Neapel mussten die Humanisten einer Doppelrolle gerecht werden: Einerseits dienten sie als Diplomaten und Emissäre, andererseits leisteten sie einen Beitrag zur humanistischen Inszenierung des Königs, um Alfonsos Ansprüche auf Neapel zu legitimieren. Die Hauptakteure des neapolitanischen Humanismus waren die Kontrahenten Antonio Beccadelli und Lorenzo Valla und der mit Beccadelli verbündete Bartolomeo Facio. Während Valla auch Kritik an der Tradition zuließ, verkörperten Beccadelli und Facio einen konservativen
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Humanismus, der den Hof als hierarchisch strukturiert begriff. Für Roick erweisen sich die Kontroversen innerhalb des frühen neapolitanischen Humanismus als beispielhaft für intellektuelle Auseinandersetzungen, wie sie immer wieder in neuzeitlichen europäischen Gelehrtenkulturen zu finden sind. Disputieren Mit der Disputation widmet sich die dritte Sektion des Bandes einer Lehrform, die zu den wichtigsten der mittelalterlichen Universität gehörte. Als Ort der Wissensproduktion, der Einübung in den gelehrten Habitus, der symbolischen Repräsentation der Universität beziehungsweise der Fakultäten sowie als institutioneller Rahmen, in dem gelehrte Meinungsverschiedenheiten ritualisiert ausgetragen werden konnten, blieben dieser Veranstaltungstyp und die aus ihr hervorgegangenen Schriften bis weit in die frühe Neuzeit ein konstitutiver Faktor universitärer Wissenschaft, der in besonderer Weise im Umgang mit Wissen schulte. Die drei Beiträge nähern sich der Disputation gleichsam vom Rande her: Nicht die üblichen Verdächtigen, die Pariser oder Oxforder Theologen des späten 13. oder 14. Jahrhunderts, stehen hier im Zentrum. Behandelt werden vielmehr lange vernachlässigte Aspekte der Geschichte der Disputation, die erst in den letzten Jahren allmählich in den Blick der Forschung getreten sind. Thomas Woelki stellt mit dem Juristen Angelo degli Ubaldi einen Akteur in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, der vermeintlich als im Italien des 15. Jahrhunderts lebender Jurist disziplinär, zeitlich wie räumlich in der Gattungsgeschichte der Disputation nur eine marginale Stellung beanspruchen kann. Doch Woelki zeigt, dass Angelo degli Ubaldi die Gattung in seinem Sinne zu nutzen wusste. Regelmäßig schaltete sich Angelo mit seinen Disputationen in aktuelle politische Debatten ein. Das tagespolitische Geschehen wurde Ausgangspunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Auf diese Weise gelang es Angelo, in seine Disputationen Merkmale der Consilia und Traktate zu inkorporieren und so für sich als Legist eine Zuständigkeit als Experte für die Behandlung politischer Probleme in juristischen Kategorien zu reklamieren. Ebenfalls abseits der vermeintlichen Zentren des Disputierens bewegt sich der Beitrag von Ulrich G. Leinsle, der zeigt, dass die Promotionsakten der Jesuitenuniversität Dillingen eine aufschlussreiche Quelle für die Geschichte der Gattung im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert darstellen. Promotionsdisputationen erweisen sich als wesentliches Mittel der Selbstpräsentation der hohen Schule. Dass Disputationen über die disputierten Thesen hinaus verschriftet wurden, stellte eine Ausnahme dar. Umso glücklicher ist der Umstand, dass eine von Leinsle ausgewertete Dillinger Handschrift neben den Promotionsansprachen auch die Antworten der Disputierenden verzeichnet. Am Beispiel des Jacobus Pontanus, der seine Promotionsansprachen für die Publikation einem Gattungstransfer unterzog, wird deutlich, dass auch in der frühen Neuzeit die Disputation keinesfalls in bloßer Routine erstarrt war. Indem Pontanus seine Ansprachen zu Dialogen umarbeitete und seine Progym-
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nasmata veröffentlichte, bewies er vielmehr, dass die überkommene Praxis des Disputierens mit dem rhetorischen Ideal des Humanismus nicht unvereinbar sein musste. Eine überraschend persönliche Perspektive auf das Thema ,Disputation‘ wählt Hanspeter Marti, der seine eigenen Erfahrungen als Disputationsforscher zum Anlass nimmt, den Umgang mit den frühneuzeitlichen Gattungsbeiträgen in der Forschung theoretisch zu reflektieren. Statt sich auf einzelne bekannte Autoren zu fokussieren, unkritisch einer Vorstellung von der Aufklärung als Wasserscheide in der Universitäts- und Gelehrtengeschichte zu folgen oder sich die Perspektive von den Fortschrittsgeschichten beispielsweise der Naturwissenschaften diktieren zu lassen, plädiert Marti dafür, die verschiedenen Gattungen frühneuzeitlicher Gelehrtenliteratur serienmäßig unter Beachtung der jeweiligen institutionellen Entstehungskontexte auszuwerten. Frühneuzeitliche Dissertationen sind dabei mehr als nur der jeweilige Haupttext, sondern ein komplexes Gefüge symbolischer Praktiken, in denen sich Universitäten repräsentierten. Repräsentieren In der vormodernen Ständegesellschaft waren Rang und Status Gegenstand ständiger Repräsentationen. Nicht nur in theoretischen Diskursen wie dem Ius Praecedentiae wurden Rangordnungen hierarchisiert und systematisiert,22 sondern auch in der Praxis präsentiert und immer wieder neu bestätigt. Die Beiträge von Bubert, Rando, Schlauwitz, Schwarz und Dahhaoui beleuchten unterschiedliche Repräsentationsstrategien und -techniken Gelehrter an der Universität, in der Stadt und am Hof und fragen nach ihren Austragungspraktiken, dem zugrundeliegenden Wissen, der Rezeption und den Folgen für die zeitgenössische Wahrnehmung der Repräsentation. Marcel Bubert untersucht, wie die Pariser Artes-Magister im 13. Jahrhundert eine philosophische Identität ausbildeten, d. h. wie sie sich mit der Philosophie und der Gruppe der Artisten identifizierten. Diese Frage war umso dringlicher, da die Ausbildung einer philosophischen Identität von zahlreichen äußeren Faktoren behindert wurde. So wies die hierarchische Einteilung der Fakultäten den Artes die niedrigste Position zu, die einen Übergangsstatus zu den oberen Fakultäten bildete und im Vergleich zu diesen mit weniger Prestige verbunden war. Bubert kommt zu dem Schluss, dass die Entstehung einer kollektiven Identität weniger auf der Auseinandersetzung mit aristotelischen Schriften fußte, sondern vielmehr auf dem Bewusstsein der Bedeutung ihrer Lehrtätigkeit und der Abgrenzung gegenüber den anderen Fakultäten. Am Beispiel des Trienter Bischofs Johannes Hinderbach geht Daniela Rando der Frage nach, wie gelehrtes Wissen in praktisch angewandtes Wissen umgesetzt werden konnte. Seine zahlreichen überlieferten Randbemerkungen lassen sich nach Rando als Gespräch mit dem Text und mit sich selbst verstehen. Gelehrte wie Hinderbach verfügten nicht nur über Wissensinhalte, sondern auch über methodische 22
Vgl. Stollberg-Rilinger, Die Wissenschaft der feinen Unterschiede.
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Kompetenzen, die sie z. B. in Disputationen und Vorlesungen unter Beweis stellten. Durch ihr Wissen und ihre Kompetenzen suchten sie sich für eine Karriere in der Kirche, am Fürstenhof oder in der Stadtverwaltung zu empfehlen. Rando führt vor, wie sich anhand des an der Universität erworbenen Wissens, der Methoden und ihrer Arbeit an und mit Büchern das Handlungswissen der Gelehrten aufzeigen lässt. Thorsten Schlauwitz wendet sich in seinem Beitrag mit der Repräsentation von Nürnberger Gelehrtenfamilien einem städtischen Umfeld zu. Er fragt nach der Wertschätzung, die gelehrter Bildung entgegengebracht wurde, und untersucht konkret die Motive für ein Universitätsstudium und die an dieses gerichteten Erwartungen. Anhand von Stadtbeschreibungen wie panegyrischen und genealogischen Texten stellt er exemplarisch das spätmittelalterliche Nürnberg in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Schlauwitz kommt zu dem Ergebnis, dass die Hervorhebung einzelner studierter Familienmitglieder im Zusammenhang mit der zunehmenden Repräsentationsfunktion der Geschlechterbücher zu sehen ist. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für die Lobgedichte und Stadtbeschreibungen konstatieren, die immer häufiger einzelne Gelehrte oder die allgemein hohe Bildung der Nürnberger zum Thema machen. Jörg Schwarz richtet seinen Fokus auf die Gelehrtenkulturen am Hof und nimmt besonders den Habsburgerhof von Friedrich III. und Maximilian I. in den Blick. So ließen sich Ansätze einer Gelehrtenkultur bereits am Hof Friedrichs III. aufzeigen. Am Beispiel Johannes Fuchsmagens kann Schwarz nachzeichnen, wie sich die Merkmale eines Gelehrtenhabitus am Hof Maximilians I. entfalteten. Fuchsmagen war Diplomat am Hof Maximilians und beriet den Herrscher in allen Fragen, die die Universität, Wissenschaft und Bildung betrafen; er verfügte auch selbst über bedeutende Sammlungen und einen beeindruckenden privaten Buch- und Handschriftenbesitz. Schließlich zeugte der von ihm in Auftrag gegebene Teppich mit dem hl. Leopold und der Familie der Babenberger von seiner Verbundenheit mit dem Haus Österreich, dem er als bildungspolitischer Ratgeber zur Seite stand. Im Unterschied zu den vorherigen Beiträgern verfolgt Yann Dahhaoui eine andere Herangehensweise. Er geht von einem einzelnen Ereignis und einer einzelnen Quelle aus, um das Wissen um das spätmittelalterliche Narrenfest zu erforschen, dessen Rezeption er schließlich über mehrere Jahrhunderte verfolgt. Dahhaoui zeichnet nach, wie einige Zeilen aus einem Brief der Pariser theologischen Fakultät, in dem sie 1445 ein Verbot des Festes forderte, Ende des 17. Jahrhunderts zur standardmäßigen Beschreibung des Narrenfestes wurden. Praktiken des Exzerpierens, Kopierens und Übersetzens bewirkten die Transformation des Wissens aus dem ursprünglichen Kontext und hatten ihre Kanonisierung als Beschreibung eines vermeintlich allerorten gefeierten Festes zur Folge.
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Liste der Tagungsteilnehmer Mitglieder des Netzwerks de Boer, Jan-Hendryk, Essen Füssel, Marian, Göttingen Kintzinger, Martin, Münster Rexroth, Frank, Göttingen Rüther, Stefanie, Frankfurt Schirrmeister, Albert, Paris Schuh, Maximilian, Heidelberg Schütte, Jana Madlen, Stuttgart Steckel, Sita, Münster Wagendorfer, Martin, München/Wien Wagner, Wolfgang Eric, Münster
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Referenten und Gäste Behrens, Katharina, Göttingen de Boer, Kirstin, Göttingen Bölling, Jörg, Göttingen Bubert, Marcel, Göttingen/Münster Carmassi, Patrizia, Göttingen/Wolfenbüttel Dahhaoui, Yann, Lausanne Dümling, Sebastian, Göttingen Frijhoff, Willem, Amsterdam Gorochov, Nathalie, Paris Hartmann, Florian, Bonn/Aachen Hölscher, Steffen, Göttingen Imbach, Ruedi, Paris Knäble, Philip, Göttingen Kouamé, Thierry, Paris Le Cam, Jean-Luc, Brest Leinsle, Ulrich, Regensburg Marti, Hanspeter, Engi Mersch, Katharina, Göttingen Rando, Daniela, Pavia Roick, Matthias, Wolfenbüttel/Göttingen Roling, Bernd, Berlin Schlauwitz, Thorsten, Erlangen Schlotheuber, Eva, Düsseldorf Schönau, Christoph, Göttingen Schwarz, Jörg, München Schwinges, Rainer Christoph, Bern Woelki, Thomas, Berlin
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Die Anfänge der Universität Bologna. Rhetoriklehre und das studium in artibus im 12. und frühen 13. Jahrhundert Von Florian Hartmann I. Anfänge des studium in Bologna Die Anfänge der europäischen Universität italienischer Prägung liegen bekanntlich in Bologna und reichen zurück in die Zeit um 1100.1 Für die ältere, von der Rechtsgeschichte beeinflusste Forschung stand außer Frage, dass es die privaten Rechtsschulen waren, von denen die Universität Bologna ihren Anfang nahm.2 Doch Johannes Fried hat darauf hingewiesen, dass die Quellenbelege für diesen Gründungsmythos dünn und zudem quellenkritisch problematisch seien.3 Er hat dagegen die Aufmerksamkeit auf einen zwar bekannten, doch meist übergangenen Hinweis des in Bologna bis 1265 wirkenden Juristen Odofredo gerichtet:4 „Nam primo cepit studium esse in civitate ista [scil. Bononia] in artibus.“5 Nimmt man diesen Beleg ernst, dann müsste man auf der Suche nach den Anfängen der Bologneser Universität statt bei den Juristen bei den Artisten und dem studium in artibus nachforschen.6 Mit Blick auf die Anfänge der Universität in Bologna scheint es angezeigt, 1
Rüegg, Themen, S. 40. Das in Bologna bis heute behauptete Gründungsdatum der Universität als solcher im Jahr 1088 ist freilich eher ein Mythos, vgl. Grundmann, Ursprung der Universität, S. 40; Sorbelli, Bologna I; zu den unterschiedlichen Typen der durch Scholaren bzw. Magister in Bologna respektive Paris gegründeten universitates und zur späteren Verengung dieses Begriffes auf die Universität nach heutigem Wortverständnis vgl. MichaudQuantin, Universitas. 2 Dolcini, Studium, S. 478, dabei im Wesentlichen basierend auf Cencetti, Studium; vgl. auch Fasoli, Un’ipotesi; ähnlich auch noch Arnaldi, Origini; Rüegg, Themen, S. 30; Verger, Grundlagen, S. 59. 3 Die ersten Belege stammen aus der Feder des 1265 verstorbenen Rechtsgelehrten Odofredo, in Digest I. I. 6, Odofredus Bononiensis, Lectura super Digesto veteri; vgl. auch die Edition dieses Kapitels bei Kantorowicz/Smalley, Theologian’s View, S. 237 – 253, zitiert nach dem ND in: Kantorowicz, Rechtshistorische Schriften, S. 231 – 244, S. 238; vgl. Arnaldi, Origini, S. 102. 4 Fried, Werner von Bologna, S. 201; vgl. schon Hyde, Commune, S. 20, der die ersten Erinnerungen an das frühe Studium unter Werner 150 Jahre später als Mythos deutet, dessen historischer Kern kaum zu eruieren ist; zum aktuellen Forschungsstand über Irnerius/Werner sei verwiesen auf Mazzanati, Irnerio, mit weiterer Literatur; dort auch die erneut aufgegriffene und mit weiteren Argumenten untermauerte These, Irnerius/Werner sei Theologe gewesen. 5 Odofredus Bononiensis, Lectura super Digesto veteri, in Digest I. I. 6. 6 Vgl. so Fitting, Anfänge, S. 79 f.; vgl. Dolcini, Studium, S. 480.
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nicht weiter die wenigen Belege zum frühen Rechtsstudium zu durchleuchten, sondern die erheblich reicher sprudelnden Quellen zur Rhetoriklehre, auch zur notariellen Rhetorik, zu studieren. Auf Grundlage dieser Quellen soll im Folgenden die Vorgeschichte der Bologneser Universität betrachtet werden. „Nicht der Legist“, so folgerte nämlich Johannes Fried, „stand am Anfang der Notariatskunst in Bologna, sondern die Notare bereiteten den Boden, auf dem die Legistik in der Stadt aufblühen konnte“.7 Diese Notariatskultur hatte in Italien eine lange Tradition.8 Die laikalen Notare standen neben einer vornehmlich von der Geistlichkeit geprägten Buchkultur.9 Um 1100 bildete sich in den frühen Stadtkommunen eine von den intellektuellen Debatten im Rahmen des so genannten Investiturstreits beeinflusste rhetorisch-juristische Mentalität heraus.10 Neben den traditionellen antik-paganen Lehrinhalten, die an den Kathedralschulen vorherrschend waren, etablierte sich damals zunehmend eine Form der Rhetorik, die das kanonische Recht als argumentative Waffe anwandte. Kathedralschulen und ihre traditionellen Lehrmethoden, die von einem Teil der Forschung für die Ausgangspunkte der Universität gehalten werden, wurden durch eine vermehrt pragmatische Schulform mit rhetorisch-juristischer Ausrichtung ersetzt oder überflügelt.11 In diesem Umfeld entstanden in den Städten Oberitaliens Laienschulen, in denen das kanonische Recht neben das römische Recht und die Rhetorik gestellt wurde.12 Diese Vereinigung der beiden Rechte mit rhetorischen Studien ist von Ronald Witt als das Charakteristikum der entstehenden Kommunen bezeichnet worden. In diesen sei damals eine breite, alphabetisierte Laienschicht für die Debatten des Investiturstreits empfänglich gewesen und daher von Gregor VII. gezielt angesprochen worden.13 So seien es in Italien seit dem 12. Jahrhundert vorwiegend Laien gewesen, die die Kultur geprägt und die als Klientel der entstehenden Universität bereitgestanden hätten. Zum Verständnis der Ursprünge des studium in Bologna empfiehlt sich auf Grundlage dieser Forschungsentwicklungen also ein Blick auf die Rhetoriklehre und auf die Unterweisung der Notare. Die Frühgeschichte der Universität im 12. Jahrhundert soll deswegen im Folgenden anhand des studium in artibus nachgezeichnet werden. Glücklicherweise stehen mit den artes dictandi dafür wesentlich mitteilsamere Quel-
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Fried, Werner von Bologna, S. 199, unter Verweis auf Nicolaj, Cultura; so letztlich auch schon Cencetti, Origini, S. 249 f., mit dem Verweis auf eine „scuola notarile“, die ab etwa 1060 bestanden habe. 8 Grundlegend insgesamt Meyer, Studien; vgl. aber auch Keller, Tuscia; zum Aufstieg der Laiennotare in Italien vgl. Radding, Origins. 9 Witt, Latin Cultures. 10 Einen weit zurückgreifenden Überblick bietet Witt, Latin Cultures. 11 Vgl. Manacorda, Storia; Gualazzini, Ricerche; Santini, Università, bes. S. 140. 12 Zur Konkurrenz zwischen Kathedralschulen und Laienschulen vgl. Fasoli, Un’ipotesi; ähnlich auch noch Arnaldi, Origini, S. 110; Witt, Latin Cultures, S. 229 – 267. 13 Zur Einbindung der kommunalen Öffentlichkeit in die Debatten des 11. Jahrhunderts durch Gregor VII. vgl. Hartmann, Literal Reading.
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len zur Verfügung als für das Studium der Rechtswissenschaften im 12. Jahrhundert.14 Damit ist der Rahmen für meine folgenden Überlegungen abgesteckt. Ich möchte versuchen, unter Zuhilfenahme der artes dictandi die Organisation der Lehre sowie die Rolle der Lehrer in Bologna bis in die Anfänge der Universität zu beschreiben. Wo wurde gelehrt? Woher kamen die Lehrer? Wie definierte sich ihr Expertenstatus im Umfeld der kommunalen Gesellschaft? Einleitend ist allerdings eine Besprechung der wichtigsten Quellen, der artes dictandi, erforderlich, da diese eine besondere Herausforderung für die Interpretation darstellen. II. Ars dictaminis Traditionell wird die ars dictaminis als die Kunst des Briefschreibens definiert, weil die Mehrheit der Traktate (konventionell artes dictandi, Singular: ars dictandi) den Problemen der Briefredaktion gewidmet ist.15 Allerdings geht die Tragweite der ars dictaminis erheblich über das Briefwesen hinaus. Denn ihrem Anspruch nach sollten die artes dictandi die gesamte Praxis mittelalterlicher Kanzleien und des Notariats prägen oder bestimmen. Und nicht nur das: Sie beeinflussten auch fast das gesamte Spektrum der lateinischen Prosa und darüber hinaus die Formalisierung der Vulgärsprachen (zumindest in Bezug auf die rechtlich-administrative Sprache). Dies gilt insbesondere für jene Zeiten und Räume, in denen die ars dictaminis als die höchste Form der Rhetorik betrachtet wurde. Sie galt als universales Kommunikationsmedium, besonders im Italien des 13. Jahrhunderts. In erweiterter Definition ist demnach die ars dictaminis (wörtlich die Kunst des Komponierens) eine Kommunikationstheorie und -praxis, die im lateinischen Europa vom Ende des 11. bis zum späten 15. Jahrhundert die Form der öffentlichen und privaten lateinischen Kommunikation bestimmt und reglementiert hat. Kaum ein öffentliches Schreiben des 13. Jahrhunderts konnte die in der ars dictaminis vorgegebenen Regeln außer Acht lassen. Erfunden im Umfeld des Reformpapsttums im 11. Jahrhundert,16 entwickelte sich im 12. und 13. Jahrhundert zunächst in Oberitalien und schließlich in ganz Europa eine blühende Kultur der Brief-
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Missverständlich ist in der Hinsicht mancherlei Handbucheintrag; vgl. etwa Verger, Grundlagen, S. 60: „Im Laufe des 13. Jahrhunderts entwickelten sich im Schatten der juristischen Universitäten Bolognas auch andere Lehrgebiete. Schulen der artes liberales gab es gewiß vor 1220. Zur Ausbildung der Studenten, von denen viele zukünftige Juristen waren, gehörten Grammatik und Rhetorik in der schulmäßigen Lehre […].“ 15 Siehe für eine vergleichende Definition Camargo, Ars dictaminis, S. 17 f.; diese verengte Vorstellung von der ars dictaminis herrscht auch vor in der immer noch maßgeblichen Studie: Murphy, Rhetoric, S. 194 – 268; vgl. auch Richardson, Ars dictaminis; Lanham, Writing Instruction. 16 Hartmann, Enchiridion.
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lehren.17 Oberitalien war dabei das wichtigste Zentrum. Aus der Zeit bis ins 13. Jahrhundert haben sich europaweit Hunderte von artes dictandi in weit über 5000 Handschriften erhalten.18 Aufgrund einer unbefriedigenden Editionslage sind auch diese Zahlen leider kaum mehr als grobe Schätzungen. Eine ars dictandi besteht idealiter aus zwei Teilen: zunächst einer theoretischen Einführung mit Definitionen des Briefes und seiner partes, mit den Funktionen dieser einzelnen Briefteile und mit Ausführungen über argumentative Methoden oder über gesellschaftliche Strukturierungen, die ein dictator zu berücksichtigen habe; im Anschluss an diesen theoretischen Teil folgt regelmäßig eine Sammlung von Musterbeispielen, und zwar sowohl von vollständigen Briefen oder Mandaten als auch von Briefteilen.19 Später wurde diese prototypische Zweiteilung häufig aufgebrochen. Es existieren bloße Mustersammlungen ohne theoretischen Teil, die summe dictaminis, und – seltener – rein theoretische Traktate ohne Mustermaterial. Anders als bei den großen Summe Petrus de Vineas oder Richards von Capua, um nur die bekanntesten zu nennen, fanden die Mustersammlungen der oberitalienischen artes dictandi in der historischen Forschung wenig Beachtung.20 Das lässt sich leicht damit erklären, dass diese Briefe offensichtlich nicht authentisch, d. h. in der Form nicht verschickt worden sind und darüber hinaus nicht oder nicht nur von der hohen Politik und der epochalen Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst handelten, sondern in fiktiver oder fingierter Form Themen des kommunalen Alltags traktierten. Infolgedessen verzichtete insbesondere die Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts oft auf eine Edition oder gab allenfalls solche Musterbriefe heraus, die man für interessant hielt. Erst in der Forschung der vergangenen zehn Jahre zeigt sich hier ein Paradigmenwechsel.21 Gleichwohl sind wir noch weit davon entfernt, die Texte insgesamt überschauen zu können. Nach dieser knappen Einführung soll folgend auf der Grundlage vornehmlich jener Briefmuster, die wegen ihrer Alltagsthemen gerade nicht ediert wurden, ein Bild davon vermittelt werden, wie darin das Studium beschrieben wird. Vorab sind allerdings noch Überlegungen zum methodischen Umgang mit fiktiven Briefmustern anzustellen.22 17 Zu den oberitalienischen kommunalen artes dictandi vgl. Witt, Ars Dictaminis, S. 25; Witt, Italian Culture, S. 38; Orlandelli, Genesi, S. 346 f.; Camargo, Ars dictaminis, S. 20; Hartmann, Eloquence. 18 Als Bestandsaufnahme der bisher bekannten Werke und der einschlägigen Handschriften vgl. Worstbrock/Klaes/Lütten, Repertorium; Turcan-Verkerk, Répertoire; Polak, Letter. 19 Vgl. dazu Patt, Ars dictaminis; Constable, Structure; Hartmann, Funktionen. 20 Vgl. etwa aus der überreichen Literatur Schaller, Petrus de Vinea; Schaller, Kanzlei, Teil I; Schaller, Kanzlei, Teil II; Schaller, Thomas von Capua; Grévin, Rhétorique; vgl. auch die jüngeren Vorhaben, etwa Thumser, Thomas von Capua. 21 Vgl. etwa die Arbeiten von Turcan-Verkerk, Langue; Turcan-Verkerk, Ratio; TurcanVerkerk, Maître Bernard; darüber hinaus: Stella/Bartoli, Testi; sowie die Tagungsakten Grévin/Turcan-Verkerk, Dictamen; Høgel/Bartoli, Letters. 22 Vgl. dazu bereits Hartmann, Ars dictaminis.
Die Anfänge der Universität Bologna
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III. Methodisches zum Umgang mit Fiktionen Die Musterbriefe einer ars dictandi geben den Schülern idealtypische Beispiele, auf welche diese zurückgreifen können, wenn sie später im Dienste einer Institution öffentliche Schreiben aufzusetzen haben. In den Mustersammlungen wird darum in Bezug auf Absender und Empfänger ein breites Spektrum der Gesellschaft abgedeckt. So gibt es darin Schreiben von Kommunen an Päpste, Bischöfe und Grafen (und jeweils in die andere Richtung) oder von Päpsten an Kardinäle, Kommunen und Könige. Dass in den Mustersammlungen diese Briefe meist von den dictatores zu Lehrzwecken erfunden wurden, erkennt man unter anderem daran, dass Stil und Aufbau zu eng beieinander liegen, als dass hier je unterschiedliche Autoren am Werke gewesen sein können. Doch selbst wenn sich ein dictator diese Briefe ausdachte, durften sie dennoch schon ihrer Bestimmung nach nicht völlig weltfremd sein. Denn sie sollten ihrem Wesen zufolge als Muster dienen.23 Behandelt wurden Briefthemen, die im konkreten Fall zwar erfunden waren, aber doch so echt hätten sein können, dass sie als mögliches Muster für künftige Fälle fungieren konnten. So werden in den Briefen regelmäßig aktuelle politische Ereignisse geschildert, die sich, wo überprüfbar, sehr gut mit unserem Wissen aus der Geschichtsschreibung vereinbaren lassen. Allgemeine Beschreibungen der Gesellschaft oder der Verfassung in den Kommunen mussten den Empfängern ohnehin plausibel erscheinen, wollte der dictator nicht seine Autorität oder Glaubwürdigkeit in Frage stellen. So ist die Anzahl der Studentenbriefe in den artes dictandi regelmäßig auffallend groß, ihre inhaltliche Übereinstimmung dabei aber so frappierend, dass man nicht von zufällig ähnlichen Erfindungen, sondern eher von einer ähnlichen Wahrnehmung der gegebenen Umstände wird ausgehen müssen. Bemerkenswert ist an diesen Briefmustern die inhaltliche und thematische Homogenität.24 Wenn diese Briefe ein einheitliches Bild nicht nur von den gesellschaftlichen Umständen und der kommunalen Verfassung, sondern auch von Lehrern und Schülern in den Stadtkommunen zeichnen, dann wird man diese Beschreibungen, auch wenn sie in fiktiven Briefen erfolgen, für plausibel halten dürfen. Nach dieser Einführung in die Sammlungen von fiktiven, aber plausiblen Briefen aus den italienischen Kommunen und insbesondere aus Bologna kann ich mich an die Lektüre derjenigen Passagen aus den italienischen artes dictandi des 12. und 13. Jahrhunderts machen, die geeignet sind, meine einleitend formulierten Fragen zu beantworten. Wo wurde gelehrt? Wer waren die Studenten und woher kamen die Lehrer?
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So schon Haskins, Life, S. 4: „The models were written to be used; and the more closely they corresponded to the needs of the user the greater the popularity of the dictator and his manual.“ 24 Ebd., S. 5.
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IV. Lehre und Lehrer im Spiegel der italienischen artes dictandi Schon die Orte sind in der Forschung umstritten. Vermutet wurde eine Schule im Umfeld des Bischofs,25 andere postulieren private Schulen einzelner Lehrer26 oder gar eine „bürgerliche Schule in Bologna“.27 Unklar sind dabei nicht nur die Institution, sondern auch die Organisation, der Rahmen und die Lokalisierung, also die Frage, wer sich um die Bereitstellung der Schulräume bemühen musste. Waren dafür Lehrer, Schüler oder eine übergeordnete Institution verantwortlich?28 In der oberitalienischen Aurea Gemma findet sich ein beispielhafter Brief, in dem der dictator Albertus zur Lehre nach Bologna berufen wird.29 Darin heißt es: Dem herausragenden Lehrer Albert, durch göttliche Weisheit ausgezeichnet, an edler Sitte berühmt, entbietet sein niederster Schüler G die Unterwerfung eines Schülers. Der Ruf Deiner Weisheit und Rechtschaffenheit, verehrter Lehrer, der weit verbreitet ist und mir von vielen glaubwürdigen Menschen bestätigt wurde, mahnte mich und riet mir, Dir zu schreiben. Denn so wie ich es gehört habe, weiß ich aus eigener Erfahrung, dass Du aus edler Familie stammst, durch Weisheit erleuchtet und durch guten Lebenswandel geschmückt bist. Ich bitte Euch deshalb als wohlwollenden Lehrer demütig, in Eure Stadt zu kommen und im kommenden Winter mich mit 50 oder mehr Schülern zu unterrichten, die unter Pfandzahlungen sicherstellen, ein Jahr bei Dir zu bleiben und für Deine Bemühungen und Deine Lehre den geschuldeten Preis zu zahlen.30
Auf Grundlage dieser und vergleichbarer Musterbriefe hat schon Charles Homer Haskins erkannt, dass die Lehrer von den Studenten angeworben wurden und diesen dann verpflichtet waren.31 Haskins emendiert in diesem Briefwechsel vestram zu no-
25 Gaudenzi, Studio, S. 115 f.; Gualazzini, Origine, S. 98 – 100; ablehnend Cencetti, Studium, S. 812, Anm. 1; immerhin für möglich hält Worstbrock, Anfänge, S. 3, den Unterricht „an der Domschule“. 26 Wieruszowski, Barberini Collection, S. 334; so zuletzt auch Stella/Bartoli, Testi, S. 109. 27 Schmale, Bürgertum, S. 420; zur Kritik am Begriff der bürgerlichen Schule vgl. vor allem Krautter, Theorie des Briefes, S. 157, Anm. 13. 28 Worstbrock, Anfänge, S. 3. 29 Einen Überblick über die Inhalte der drei Briefsammlungen mit 45 Briefen bietet leider ohne Edition Holtzmann, Ars dictandi, S. 38 – 41. 30 [Anonym.], Aurea Gemma, fol. 61v: „Alberto doctori eximio divina sapientia referto morum honestate perspicuo G. scolarium infimus discipularem subiectionem. Tue sapientie ac probitatis fama, renovande (F.H.: venerande?) doctor, longe lateque diffusa a multis veridicis mihi relata me vehementer moniut ac tibi scribere persuasit et de fonte tue doctrine mellifluos haustus petere. Te namque nobili prosapia ortum, sapientia illuminatum, bonis consuetudinibus adornatum ut audivi in re cognovi. magistralem igitur benivolentiam ad vestram accedere urbem humiliter deprecor ac proxima hyeme cum L scolaribus vel eo amplius docere, qui dato pignore reddent te securum per anni spacium tecum permanere et tui laboris ac doctrine debita reddere.“ [Alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, von Florian Hartmann.] 31 Haskins, Artes dictandi, S. 177, der sich bezieht auf Manacorda, Storia, S. 202 – 204.
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stram und entstellt damit den Inhalt.32 Denn im fiktiven Antwortbrief nimmt Albertus den Ruf des Cremoneser Studenten mit folgenden Worten an: Wir haben Euren Brief, liebste Schüler, mit Freuden empfangen und wohlwollend gelesen. Seine Bitte würden wir mit großer Freude erfüllen, wenn wir es denn angemessen könnten. Also haben wir die Zahlung und die Zusage angenommen und haben uns vorgenommen, für ein Jahr in Bologna zu bleiben und das Studium kontinuierlich durchzuführen. Deswegen werden wir Euch, wie Ihr bittet, wie geliebte Söhne aufnehmen, wenn es Euch gefällt, zu mir zu kommen, und auch wie geliebte Söhne unterrichten […].33
Eine Gruppe wissbegieriger Studenten bittet einen Gelehrten namens Albertus, in seine Heimatstadt zurückzukehren, um sie dort zu unterrichten. Der angeschriebene Lehrer Albertus ist ganz offensichtlich eine Art Wanderlehrer, der mal hier und mal dort, damals ebenfalls auswärts unterrichtete und dann wegen seiner Qualität gezielt für das kommende Jahr nach Bologna gelockt werden sollte. Briefmuster dieser Art sind in den kommunalen artes dictandi verbreitet. Wenn die Lehrer also wanderten, dann mussten die Schüler gezielt bei einzelnen von ihnen anfragen. Entweder sie lockten ihn mit eigenen Mitteln in ihre Heimatstadt oder sie fragten nach dessen künftigen Engagements und reisten dem Lehrer hinterher.34 Studenten haben sich nach diesen Befunden bald vereint, um einen Lehrer anzuheuern, oder sie folgten diesem, um sich bereits geplanten studia anzuschließen.35 Wir erkennen also in diesen Strukturen des 12. Jahrhunderts bereits Vorläufer der Bologneser Studentenuniversitäten. Auf der anderen Seite mussten sich die Lehrer vertraglich binden. Da sie bezahlt wurden, konnten sie auch verpflichtet werden, fest an dem Ort zu bleiben.36 Der Bologneser Magister Hugolino Gosia beispielsweise hatte das lukrative Angebot der Kommune Ancona erhalten, dort das Amt des Podestà zu übernehmen. Trotz der damit verbundenen Ehre lehnte dieser jedoch mit der Begründung ab: 32 Haskins, Formulary, S. 203; Haskins, Artes dictandi, S. 175, Anm. 2; unkritisch so übernommen von Cencetti, Studium, S. 811; ebenso irrig Worstbrock, Anfänge, S. 3, Anm. 16, der diesem Briefwechsel entnimmt, dass „Adalbert ein Angebot Cremoneser Schüler ablehnt“. 33 [Anonym.], Oberitalienische Aurea Gemma, fol. 61v: „Nos per annum Bononie morari ac studium indesinenter regere proposuimus. Eapropter quod postulatis ad nos venire, vobis si libuerit ut clarissimos filios suscepimus et ut dilectos filios docebimus.“ 34 Vgl. Hugo von Bologna, Rationes dictandi prosaice, S. 83: „G doctorum precipue, morum probitate conspicuo, divina et humana sapientia predito, A solo nomine presbiter quicquid utriusque vite felicius […] Quapropter humiliter deprecor, quatinus mihi utrum studium in proxima hieme et ubi recturum vos speratis, si vestre˛ magistrali benivolentie˛ placet, per harum latorem litterarum dilecto vestro rescribatis.“ 35 Vgl. das Antwortschreiben zum vorangehenden Brief bei Hugo von Bologna, Rationes dictandi prosaice, S. 83: „A presbitero venerabili et in Christo amabili divina favente clementia siquidem est semper ad meliora proficere. […] Notum autem vobis sit, quod deo propicio vita comite in proxima ventura ieme Bononie studium regemus. Ad quod si volueritis accedere, sicut vestris litteris nobis sigificastis, vestre˛ utilitati omnibus quibus possumus pro posse insudabimus.“ 36 So etwa deutlich formuliert in [Anonym.], Oberitalienische Aurea Gemma, fol. 61v.
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Florian Hartmann Ohne die Zustimmung der Studenten, denen ich die Rechte lehre, denen ich rechtlich verpflichtet bin, denen ich vorstehe und unterstehe, wage ich nicht, mich zurückzuziehen. Ich werde also, mit Gottes Hilfe, nach Bologna zurückkehren und deren Willen freundschaftlich gehorchen und in diesen wie in anderen Angelegenheiten weitermachen, wie diese es mir auferlegen.37
Das Zitat ist unmissverständlich. Zwar steht er den Studenten als ihr Lehrer in gewisser Weise vor. Doch da diese ihn anstellen und bezahlen, trifft es auch zu, wenn er behauptet, ihnen zu unterstehen. Die Verpflichtungen der Studenten gehen allerdings über die reine Bezahlung hinaus: Seinem geliebten Lehrer P, überaus gelehrt im Glanz des Göttlichen und in der Kenntnis der gesamten Literatur, entbietet G, der ihm immer zu Dienst bereit ist, tiefe Verehrung und Liebe. Ihr sollt wissen, dass wir 100 Schüler sind, die gemeinsam aus dem Bach Eurer Quelle trinken und im kommenden Winter in der Kenntnis des Göttlichen unter Eurer Leitung unterwiesen werden möchten. Deswegen bitte ich Euch inständig, wenn es in Eurer Macht steht, zum Fest des Heiligen Michael nach Bologna zu kommen, um uns in der Euch von Gott verliehenen Wissenschaft zu unterweisen und dafür von uns großen Lohn zu erhalten.38
Die Antwort des Lehrers konkretisiert unser Wissen zur Lehre: P, Diener im Beruf des dictamen, wünscht seinem in aller Rechtschaffenheit lobenswerten geliebtesten Schüler I große Kenntnis der Literatur und Standhaftigkeit in der Liebe zur Wahrheit. Weil ich Dir und Deinen Kommilitonen immer und überall dienen und das mir von Gott geschenkte Wissen, wenn es denn überhaupt eines gibt, ausüben möchte, deswegen werde ich zu dem von Dir genannten Termin, wenn Gott will, nach Bologna kommen und meine Schüler so umsichtig unterrichten, dass sie nicht unverdient unter allen anderen Schülern der Philosophie als die besten erscheinen werden. Eines aber gibt es, um das ich Deine Voraussicht bitten möchte, nämlich, dass Du geeignete und passende Schulräume und ein Gasthaus finden möchtest, das fern von den Kneipen liegt.39
37 Boncompagno da Signa, Liber de obsidione Ancone, S. 54: „Absque sociorum licentia, quos iura doceo, quibus iure teneor, presum et subsum, recipere non auderem. Bononiam igitur, auxiliante Domino, revertar, ipsorumque voluntati, amicabiliter parebo, et procedam in hiis et aliis, prout michi consulere dignabuntur.“ 38 Magister Guido, Briefe, fol. 142r–142v: „Suo karissimo magistro P divinitatis fulgore ac omnium litterarum p[er]itia decenter edocto G sibi semper obedire paratus intime devotionis et amoris copiam […] Noveritis igitur nos esse C numero scolares, qui unanimiter de fontis vestri rivulo cupimus saciari et hieme futura sub vestri ferula pro divinitatis scientia conversari. Quius rei causa vos maxime deprecor, quatinus, si sedet vestro arbitrio, circa festum beati Michaelis Bononiam veniatis nos secundum scientiam a Deo vobis collatam docturi et a nobis magna munera suscepturi.“ 39 Ebd., fol. 142v–143r: „Responsiva eius: P dictaminum professionis minister suo dilectissimo socio I omni probitate laudando multarum litterarum peritiam et veri amoris constantiam. […] quoniam tibi tuisque sociis semper et ubique servire peropto et scientiam, si qua est, mihi a Deo collatam exercere cupio, ideo termino a te constituto deo volente Bononiam veniam socios meos sic provide docturus, quod inter ceteros phylosophie alumpnos excellentiores non immerito videbuntur. hinc est profecto, quod providentiam tuam plurimum
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Neben der Bezahlung des Lehrers hatten die Studenten demnach auch für die Bereitstellung der Unterrichtsräume zu sorgen. Ob das der Normalfall oder eine Ausnahme war, lässt sich leider auf Basis der derzeitigen Quellenlage nicht beurteilen.40 Entgegen den klaren Vorstellungen von Ernst Kantorowicz muss hier einstweilen noch einiges unentschieden bleiben.41 Noch wurde mit unterschiedlichen Formaten experimentiert. Private Schulen der Lehrer und Schulen, für deren Bereitstellung die Studenten verantwortlich waren, existierten auch in Bologna gleichzeitig. In den Schreiben der Studenten an ihren potentiellen Lehrer wird regelmäßig von der guten Bezahlung berichtet.42 Die Lehrer waren begehrt und zugleich abhängig von den Studenten, sowohl vertraglich als auch finanziell. Gleichwohl erscheinen sie in den artes dictandi durchweg als Personen höheren Standes. Nicht nur der erste dictator aus kommunalem Umfeld, Adalbertus Samaritanus, entstammte einer später adligen und einflussreichen Familie in Bologna. In Musterbriefen Hugos von Bologna werden magistri als nobiles bezeichnet,43 und Magister Bernhard unterrichtete im Kreise seiner Schüler diversos socios et nobiles viros.44 Boncompagno da Signa bezeichnet sich als Patenonkel des Grafen Guido Guerra,45 sein Zeitgenosse Guido Faba war mit dem Podestà Aliprand Faba verwandt.46 Die Parallelen zwischen den Lehrern des dictamen und den Juristen sind auffallend. So hat schon vor längerer Zeit Johannes Fried Ähnliches über den Stand der Bologneser doctores in der Rechtsschule konstatiert.47 Für die dictatores sind die Hinweise auf diese gehobene gesellschaftliche Stellung zahlreich. Berühmte Beispiele sind Bene da Firenze, der an den Hof Friedrichs II. berufen wurde,48 oder Boncompagno da Signa, der
deprecor, quatinus scolas aptas et idoneas invenire ac hospitium remotum a ganaeis presentialiter cupias.“ 40 Wieruszowski, Barberini Collection, S. 334; zuletzt so auch Stella/Bartoli, Testi, S. 109; so wird es auch in allen üblichen Handbüchern zum Beginn der Universität beschrieben, vgl. Verger, Grundlagen, S. 59. 41 Kantorowicz, Autobiography, S. 207: „Classes were held, in Bologna and elsewhere, in convents, churches, or chapels.“ 42 Vgl. generell ebenfalls Fried, Vermögensbildung, S. 53, auch zum Vermögen der Lehrer im 13. Jahrhundert am Beispiel eines Bologneser Professor artis grammatice im Jahr 1265. Generell konstatiert Fried ebd. eine große Spannbreite des Vermögens und der Verdienste: „Zu wirklich großem Reichtum gelangten wohl nur wenige Professoren.“ 43 Hugo von Bologna, Rationes dictandi prosaice, S. 82. 44 Bernardus Bononiensis, Epistole, Nr. 6, S. 16. 45 Boncompagno da Signa, Boncompagnus, I, 25,11. 46 Vgl. die Widmung bei Guido Faba, Dictamina rhetorica, S. 179: „[…] ad honorem atque laudem viri magnifici ac feliciter triumphantis domini Aliprandi Fabae, Bononiae potestatis.“ Vorbehalte gegen eine Verwandtschaft der beiden aufgrund der Namensgleichheit äußert Kantorowicz, Autobiography, S. 196, 202. 47 Fried, Entstehung, S. 18. 48 Vgl. Clark, Boncompagno da Signa, S. 95.
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im Gefolge des Podestà Hugolino Gosia in Ancona seine rhetorischen Fähigkeiten unter Beweis stellte.49 Lehrer und Schüler waren demnach in der Regel wohlhabend und das Geschäft mit der Lehre hatte sich etabliert. Auf der einen Seite konnten Lehrer in der Mitte des 12. Jahrhunderts davon gut leben, waren gefragt und umworben. Auf der anderen Seite waren Schüler bereit, für die Lehre in der Rhetorik, für die Notariatsausbildung und nicht zuletzt auch für die Unterweisung in den Rechten zu bezahlen. Die beginnende Universität in Bologna war zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Die Kommune Bologna sorgte sich um das Wohl der Studenten, wie ja nicht zuletzt an der Authentica Habita, dem Scholarenprivileg Friedrich Barbarossas, erkennbar wird.50 Und auch die Lehrer zeigten sich bemüht, die Zahl der auswärtigen Studenten in Bologna hochzuhalten:51 Dem unbesiegtesten und ruhmreichsten Herrn Friedrich durch Gottes Gnade allzeit erhabener Kaiser der Römer entbieten die Bologneser Magister der facultas divina Rol, Pe, Gan und Guidottus ihre konstante ehrfürchtige Unterwerfung und aufrichtige Treue. Weil Gott, in dessen Hand alle Macht und die gesamten Rechte der Königreiche liegen, Euch an die Spitze des römischen Reiches stellen und Euch mit heiligem Öl zu einem sehr heilbringenden Fürsten salben wollte, sodass Ihr als mächtiger Beschützer aller Christen und besonders der Kleriker und der Armen Christi und als deren gutmütiger Bewacher besteht, deswegen bitten wir Eure kaiserliche milde Majestät so demütig wir können, das Mandat Eurer Hoheit, das Ihr dem Podestà von Bologna neulich habt zukommen lassen und wonach die Scholaren aus Mailand, Brescia und Crema aus Eurer Stadt Bologna zu vertreiben sind, derart zum Heil und zum Wohlergehen Eurer Seele abzumildern, dass wenigstens die Kleriker zu Eurer Ehre und zu Eurem Dienst beim Studium verbleiben und zugunsten Eures Wohlergehens stetig Jesus Christus anbeten können.52
Dieser Brief fügt sich bestens in das politische Klima des Scholarenprivilegs. Doch anders, als man dem Scholarenprivileg unterstellt, geht es den hier zitierten 49
Boncompagno da Signa, Liber de obsidione Ancone. MGH, DD F I., Nr. 243; vgl. dazu Stelzer, Scholarenprivileg; zuletzt auch Bianchin, L’autentica „Habita“. 51 Vgl. auch die Warnung Guido Fabas an seine Studenten, Bologna nicht zu verlassen, zit. bei Kantorowicz, Autobiography, S. 201, mit der Edition ebd., S. 211: „Transferant itaque magistri vel scolares alibi, si possunt, gratia studiorum scientes quod nec docere poterunt nec doceri, sed errant sicut oves, nisi redeant ad ovile, conantes domini calcitrare contra stimulum, quod est durum, cum dona spiritus sancti presumunt minuere.“ Guido Faba, Rota nova, S. 5 f. 52 Magister Guido, Briefe, fol. 145r: „Quoniam Deus, in cuius manu sunt omnes potestates et universa iura regnorum, vos ad celsitudinis Romani imperii culmen voluit promoveri et suo sancto chrismate in tam saluberrimum principem consecrari, ut omnium christianorum et presertim clericorum et pauperum Christi potens protector ac benignus tutor existatis, idcirco imperatorie maiestatis clementiam prece, qua possumus, humiliter deprecamur, quatinus celsitudinis vestre mandatum Bononiensium potestati noviter iniunctum, ut scolares videlicet Mediolanenses Brixenses atque Cremenses de civitate vestra penitus expellantur, sic pro salute et remedio anime vestre nunc temperare dignemini, ut saltem clerici ad honorem et servitium vestrum valeant in studio remanere et pro incolomitate vestra Iesum Christum semper exorare.“ Vgl. zu dem Schreiben schon Campana, Lettera. 50
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vier Magistern nicht um die Wissenschaft, sondern um die Anwesenheit der Studenten @ und um Einnahmen, die man ihnen verdankte. Magister waren, folgt man diesem Brief, an Studenten interessiert.53 Kommunen waren bemüht, Studenten und Magister in die Stadt zu locken und dort zu halten. Im Jahr 1189 verpflichtete die Kommune ihre Magister unter Eid dazu, mit ihren studia in Bologna zu bleiben.54 Auch noch im 13. Jahrhundert war den Bolognesern bewusst, dass „der Rückgang der Studentenzahl auch eine ökonomische Krise zur Folge hatte“.55 Was für das 13. Jahrhundert belegbar ist, dürfte für das 12. Jahrhundert zu erschließen sein. Die knappen Hinweise in den artes dictandi legen diesen Schluss jedenfalls nahe. Aus dieser Motivation heraus erklärt sich möglicherweise auch die Genese des Scholarenprivilegs. Denn in Bologna spürte man die Notwendigkeit, die Studenten an sich zu binden. Zu sehr profitierte die Stadt von ihnen. So war es nach einem Briefmuster Guido Fabas der Podestà von Bologna, der sich für auswärtige Studenten in seiner Kommune einsetzte und den Bischof von Paris aufforderte, einen nach Paris geflohenen Schuldner zu verpflichten, seine Schulden bei den Studenten in Bologna zu begleichen.56 Der Podestà beteuert in diesem Zusammenhang, die Studenten ihrer Studien wegen wie Bürger Bolognas zu behandeln, und im Antwortschreiben lobt der Bischof von Paris den Umgang der Bologneser mit ihren Studenten.57 Man wird diese Haltung gegenüber den Studenten nicht allein mit der Liebe zur Wissenschaft erklären können. Die Kommune profitierte so erheblich von der Präsenz der zahlreichen Studenten, die aus der Ferne kamen, dass sie dafür auch bestimmte Gegenleistungen zu erbringen bereit war. Dennoch musste sie hinnehmen, dass ihr die Gerichtsbarkeit über die Studenten entglitt, die seit der Authen-
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Vgl., allerdings mit Belegen erst aus dem 13. Jahrhundert, Fried, Vermögensbildung, S. 38: „Der Lehrer war finanziell stark abhängig von den Studenten.“ 54 Zum Kampf zwischen der Kommune Bologna und der sich ausbildenden Universität vgl. Verger, Grundlagen, S. 59. 55 Steffen, Autonomie, S. 81; allerdings erst mit Belegen aus dem späteren 13. Jahrhundert. 56 Guido Faba, Dictamina rhetorica, Nr. 97, S. 40: „Venerabili in Christo patri et domino A. Dei gratia dignissimo Parisiensi episcopo, et reverendis fratribus domino B. Decano et capitulo universo tam sapientia quam honestate morum etomnimoda bonuitate laudandis U potestas et consilium civitatis Bononie salutem et promptum et devotum in omnibus famulatum.A. et B. Viri honorabiles et discreti, scolares Bononie commorantes sua nobis proposita querimonia monstraverunt, qualiter pro magistro P. Vestro clerico, dum esset Bononie in studio litterarum, in C. lib. parisiens (!) se principaliter obligarunt, quas in iudicio nunc coacti pro eo nostris mercatoribus persolverunt. Cum autem indignum sit et omni rationi contrarium, quod aliquis pro bonis mala recipiat, vel pro liberalitate iacturam, offensam pro gratia, vel iniuriam pro honore, vestram prudentiam multiplicatis precibus exoramus, quatenus prefatum clericum vestrum nostris scolaribus antedictis cogere velitis integraliter solvere pecuniam prelibatam; alioquin, cum scolares gratia studiorum pro civibus habeamus, ipsos curabimus indemnes per omnia conservare super rebus hominum terre vestre, quam cito potuerunt in nostris partibus inveniri.“ 57 Ebd., Nr. 98, S. 40.
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tica Habita von 1155 zwischen ihrem Lehrer und dem Bischof als Gerichtsherr wählen konnten.58 Zwar konnten sich deswegen die Studenten mit der Authentica Habita in Bologna dem Zugriff der Kommunen entziehen. Ihrer eigenen Kommune blieben die Studenten gleichwohl verpflichtet. Im Kriegsfall nämlich bedurften die Städte jeder erdenklichen Hilfe durch alle Stadtbewohner. Deswegen rief man bei drohender Belagerung durch einen Feind seine in der Ferne studierenden Stadtbewohner in die Heimat, damit diese bei der Verteidigung Hilfe leisteten.59 Die Belastungen der Studenten konnten also vielfältig sein. Doch waren sie den Kommunen immerhin so wertvoll und willkommen, dass diese alles daran setzten, sie in der Stadt zu halten. Dass auf der anderen Seite auch die im Studium zu gewinnenden Kenntnisse und Fähigkeiten anerkannt waren, ist unbestritten. Eltern und Verwandte brachten Geld auf, um ihre Zöglinge zum Studium zu schicken. Doch war es nicht nur der persönliche Vorteil der Studenten, der zu beachten war. Auch die Kommunen profitierten von dem Expertenwissen, das die Studenten dabei erwarben. Die Kommunen griffen auf solche Experten für ihre eigene Verwaltung und für ihr Schriftwesen zurück. Entsprechenden Wert legten sie auf die Fähigkeiten dieser Experten. Die Statuten von Viterbo bezeugen dies auf beredte Weise: Weil es dem gemeinsamen Nutzen aller dient, wenn der Magister Fratellus, unser Mitbürger, im Namen der Kommune Briefe verfasst, haben wir bestimmt, dass der Podestà und der camerarius verpflichtet sind, sechs Scheffel Getreide und ebenso viele Saum Wein als Lohn für dessen Arbeit zu zahlen […]. Als Gegenleistung soll der Magister Briefe, die ihm vom Podestà zum Diktat übergeben werden, für die Kommune so nützlich und schön verfassen, wie er es für angemessen hält, sodass die Schriftstücke unserer Kommune, die sich verbreiten und überall bekannt gemacht werden, zur Zierde der Stadt und zur Ehre des Notars gereichen. […] Weil es ebenso für den guten Ruf […] der Kommune von Viterbo in unserem Interesse liegt, über weise Männer zu verfügen, haben wir bestimmt, dass der Magister Fratellus von allen Steuern, Abgaben und Belastungen […] für immer befreit sei.60
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Vgl. Stelzer, Scholarenprivileg. Guido Faba, Dictamina rhetorica, Nr. 53, S. 21: „Cum nunc ad obsidionem terre nostre venire debeat cum infinita multitudine dominus imperator, te sicut decet, ad propria revocamus, ut sicut alii cives absentes faciunt, mora postposita revertaris ad defendendum civitatem nostram et res proprias et personas.“ 60 Ciampi, Vitterbo, III. 36/37, 506: „Cum comuni utilitati liceat omnibus expedire ut magister Fratellus civis noster dictet missivas et remissivas litteras pro Comuni, statuimus quod postestas et camerarius et unusquisque eorum in solidum teneantur dare et facere dari infra primos tres menses sui regiminis et officii VI mediales grani et totidem salmas puri vini pro mercede laboris suo. […] Et ipse magister litteras sibi ad dictandum comissas pro ipso Comuni a potestate vel iudice, (scribat) quam utilius et pulcrius extimabit, ut scripta Comunis nostri, que se diffuderint et publicent circumquaque, sint ad decus civitatis et notarii honorem. […] Item pro bono statu et augmento Comunis Viterbii, cum intersit nostra viros sapientes habere, duximus statuendum quod magister Fratellus predictus ab omni collecta, datione et exactione […] perpetuo sit immunis.“ Vgl. zu dem Zitat auch Donati, Lettere, S. 226 f. 59
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Kommunen waren also bemüht, solche Experten zu gewinnen. Es ist deswegen wohl auch symptomatisch, wenn eine der Maßnahmen Friedrich Barbarossas gegen die verfeindeten Kommunen Mailand, Brescia und Crema darin bestand, dass er den von dort kommenden Scholaren das Studium in Bologna verbieten ließ.61 V. Inhalt der Lehre: Rhetorik und das consigliare Die artes dictandi bezeugen, wie gut die Lehre besucht war, wie sehr sich die Kommune Bologna um das Wohlergehen der Studenten bemühte und wie angesehen die Lehrer waren. Sie dokumentieren überdies, dass bisweilen die Schüler schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts für die Bereitstellung der Schulräume und für die Beherbergung der Magister zuständig waren. Diese Magister waren oft Wanderlehrer. Sie wurden auf Zeit in bestimmte Städte zur Lehre berufen und waren den Studenten dort für die festgesetzte Zeit vertraglich verpflichtet. Wir erhalten auf der hier präsentierten Quellengrundlage also ein recht deutliches Bild von Form und Organisation der Lehre im Bologna des 12. Jahrhunderts. Bezeichnend ist dabei wohl auch der Umstand, dass es vornehmlich Quellen zur Rhetorik sind, die uns hier unterrichten, und weniger Quellen des Rechtsstudiums, die so lange im Fokus der Geschichtswissenschaft gestanden haben. Dieser Perspektivenwechsel deutet zweierlei an: Erstens wird unter Heranziehung der rhetorischen Lehrbücher unsere Quellenbasis erheblich bereichert und unser Blick auf die Herausbildung der Bologneser Universität daher geschärft. Und zweitens wird durch diesen Befund nochmals die bislang vorrangige Konzentration auf das Rechtsstudium unter Vernachlässigung der Artisten grundsätzlich in Frage zu stellen sein. Bezüglich der hier behandelten Fragen zur Organisation der Lehre geben die artes dictandi eher en passant Informationen preis. Ihr eigentlicher Zweck bestand natürlich in etwas anderem: Denn ausgeblendet habe ich die Frage, wozu das in den artes dictandi gelehrte Wissen eigentlich erforderlich war und worin es bestand. Dazu mit Blick auf die Gelehrten- und Expertenkulturen gewissermaßen im Ausblick ein paar abschließende Bemerkungen. Vergegenwärtigen wir uns das Umfeld in den Kommunen, wo die artes dictandi zu ihrer ersten Blüte kamen, dann wird erklärbar, dass sie primär die öffentliche Kommunikation in der kommunalen Politik zum Thema machten.62 Darum beschränkte sich das Wissen der dictatores nicht auf Stil und Rhetorik im engeren Sinn, sondern schloss die deliberative und symbolische Rede vor den kommunalen Gremien ein. Die dictatores wurden damit vorbereitet auf ihre Funktion als politische Berater. Das Consigliare im politischen Sinn war darum selbstverständlicher Bestandteil der Rhetoriklehren des 13. Jahrhunderts. Über Brunetto Latini, den gelehrten Lehrer Dantes, heißt es im 13. Jahrhundert, er sei ein 61
Magister Guido, Briefe, fol. 145r. Zur politischen Interaktion in den Kommunen vgl. jetzt Dartmann, Interaktion; zur politischen Sprache in den Kommunen im Besonderen Artifoni, Uomini; Artifoni, Orfeo; Artifoni, Prudenza; Artifoni, Oratoria politica; Giansante, Retorica. 62
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„dittatore del nostro comune“ und „cominciatore e maestro nel digrossare i Firentini“, Teil seiner Lehre sei das „sapere guidare e reggere la nostra repubblica secondo la politica“.63 Für Boncompagno da Signa war in seiner Rhetorica novissima der Orator ein „redekundiger, aufrichtiger und in der Beratung weitsichtiger kluger Mann“.64 Sein Expertentum bestand demnach auch in der politischen Beratung. Das Wissen dieser in der ars dictaminis geschulten Gelehrten wurde also, wenn man so will, anwendungsbezogen definiert und an seiner Pragmatik gemessen. Die Funktion bestand in der Indienstnahme für die Belange der kommunalen Politik. In dieser Pragmatik trat das rhetorische, argumentative Wissen der dictatores in Konkurrenz zu dem der Juristen. Mit Stolz berichtet der einflussreichste dictator Guido Faba, sein Studium der Rechtswissenschaft nach zwei Jahren abgebrochen zu haben, um sich der ars dictaminis zu widmen.65 Etwa zeitgleich stellt der Rhetoriklehrer Arsegino von Padova 1217 in seiner Quadriga rhetorisches Wissen über die stumpfe Juristerei. Das Expertenwissen der Rhetoren stand @ nach deren eigenem Urteil @ über dem der Juristen. Die dazu passenden Aphorismen stellte er gleich zur Verfügung: „Kein Recht ist von Gott so abgesichert, dass sophistische Beredsamkeit es nicht ins Wanken bringen könnte“, oder: „Oft geschieht es, dass eine falsche Sache durch die Gewandtheit eines Redners gestärkt wird.“66 Quellen und Literatur Quellen Ungedruckte Quellen [Anonym.:] Oberitalienische Aurea Gemma, Berlin, Deutsche Staatsbibliothek, MS Phill. 1732. Arseginus di Padova: Quadriga, Padua, Biblioteca Universitaria, Cod. 1182. Magister Guido: Briefe, Savignano sul Rubicone, Biblioteca dell’Accademia dei Filopatridi.
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Brunetto Latini, Li Livres dou Tresor; vgl. dazu auch Heinimann, Umprägung. Boncompagno da Signa, Rhetorica novissima, S. 257; URL: http://scrineum.unipv.it/ wight/index.htm, 3.1.9: „Orator est vir facundus, in inventione ingeniosus, in variationibus circumspectus, in pronuntiatione ornatus, honestus in moribus, providus in consiliis et inter varios negotiorum eventus astutus.“ 65 Guido Faba, Prologue to the Rota Nova, S. 211; Guido Faba, Rota nova, S. 6; zur Deutung Kantorowicz, Autobiography, S. 204. 66 Arseginus di Padova, Quadriga, fol. 165ra. 64
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Gedruckte Quellen Appelt, Heinrich (ed.): Monumenta Germaniae Historica: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 10,2: Die Urkunden Friedrichs I. 1158 – 1167, Hannover 1975. Bernardus Bononiensis: Multiplices epistole que diversis et variis negotiis utiliter possunt accomodari, ed. Virgilio Pini, Bologna 1969 (Bibliotheca di Quadrivium, 7). Boncompagno da Signa: Rhetorica novissima, in: Augusto Gaudenzi (ed.): Scripta anecdota antiquissimorum glossatorum, Bd. 2, Bologna 1892 (Bibliotheca iuridica medii aevi), S. 249 – 297. Boncompagno da Signa: Liber de obsidione Ancone, ed. Giulio C. Zimolo, Bologna 1937 (Rerum Italicarum Scriptores, nuova edizione ampliata e corretta, 6,3). Boncompagno da Signa: Boncompagnus, in: Virgilio Pini (ed.): Testi riguardanti la vita degli studenti a Bologna nel sec. XIII (dal Boncompagnus, lib. I), Bologna 1968 (Biblioteca di Quadrivium, 6). Brunetto Latini: Li Livres dou Tresor, ed. Paul Barrette/Spurgeon Baldwin, New York 1993. Ciampi, Ignazio (ed.): Cronache e Statuti della città di Viterbo, Florenz 1872. Guido Faba: Dictamina rhetorica, in: Ludwig Rockinger (ed.): Briefsteller und formelbücher [!] des eilften [!] bis vierzehnten Jahrhunderts, Bd. 1, München 1863 (Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte, 9), S. 185 – 196. Guido Faba: Prologue to the Rota Nova, ed. Ernst Kantorowicz, in: An „Autobiography“ of Guido of Faba, in: Ernst Kantorowicz: Selected Studies, New York 1965, S. 194 – 212; zuerst in: Mediaeval and Renaissance Studies 1 (1943), S. 253 – 280. Guido Faba: Rota nova, in: Virgilio Pini/Alphonsus P. Campbell (ed.): Magistri Guidonis Fabe Rota Nova ex codice manuscripto oxoniensi New College 255 nunc primum prodit, Bologna 2000 (Opere dei maestri, 9). Hugo von Bologna: Rationes dictandi prosaice, in: Ludwig Rockinger (ed.): Briefsteller und formelbücher [!] des eilften [!] bis vierzehnten Jahrhunderts, Bd. 1, München 1863 (Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte, 9), S. 53 – 94. Odofredus Bononiensis: Lectura super Digesto veteri, Lyon 1550.
Literatur Arnaldi, Giralomo: Alle origini dello Studio di Bologna, in: Augusto Vasina (Hrsg.): Le sedi della cultura nell’Emilia Romagna, Bd. 2: L’età comunale, Mailand 1984, S. 99 – 115. Artifoni, Enrico: Gli uomini dell’assembla. L’oratoria civile, i concionatori e predicatori nella società comunale, in: La predicazione dei frati dalla metà del ’200 alla fine del ’300, Spoleto 1995 (Atti del XXII Convegno internazionale, Assisi, 13 – 15 ottobre 1994), S. 141 – 188. Artifoni, Enrico: Orfeo concionatore. Un passo di Tommaso d’Aquino e l’eloquenza politica nelle città italiane nel secolo XIII, in: Letterio Mauto (Hrsg.): La musica nel pensiero medievale, Ravenna 2001, S. 137 – 149.
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Zur institutionellen Wirkungsweise der Universitäten vom Pariser Typus in Frankreich und im Reich (13.–15. Jahrhundert)* Von Thierry Kouamé In der mittelalterlichen Universität bezeichnete der Begriff congregatio die beratende Versammlung der Mitglieder. Aus Sicht des gelehrten Rechts impliziert der Gebrauch des Begriffs, dass es sich um eine Rechtsperson handelt: Die congregatio konstituierte sich nicht nur durch das Zusammenkommen ihrer Mitglieder, sondern schon alleine dadurch, dass sie als Institution Anerkennung gefunden hatte.1 In Paris befand sich die Lehrverwaltung in der Hand der universitas magistrorum et scolarium, die von den Professoren dominiert wurde, im Gegensatz zu Bologna, wo die Gemeinschaft der Studenten über die Hochschule bestimmte. Die Leitung der Universität lag im ersten Fall in der Hand der congregatio magistrorum, wobei die gewählten Amtsträger nur Beauftragte ihrer Kollegen waren. Neben den Generalversammlungen gab es noch Versammlungen der einzelnen Fakultäten und der Nationen. Diese congregationes speciales setzten die korporativen Interessen durch und behandelten Fragen rein beruflicher Art. Die Ausübung der Macht über die congregationes war auch von politischem Interesse. Ihre Entscheidungsverfahren dienten bei der Entwicklung der nordeuropäischen Universitäten als Vorbild. Modell gestanden haben die Pariser Institutionen sowohl für die englischen und schottischen Universitäten als auch für jene des Reiches.2 In Frankreich dagegen setzte sich im Gefolge der Toulouser Universitätsstatuten (1311 – 1329) eine gemischte Form durch, die für die Juristen Bologna und für die Artisten und Theologen Paris zum Vorbild hatte. Es handelt sich hier um Magisteruniversitäten, wobei die Magister jedoch ge* Der Autor dankt seinen Kollegen Prof. Dr. Lotte Kéry und Prof. Dr. Mathias Schmoeckel für die freundliche Korrektur der deutschen Fassung des Textes. 1 Diese Bedeutung wurde sowohl von den Glossatoren als auch von den Dekretalisten anerkannt, wie die Glosse des Johannes Bassianus zum ,Digestum vetus‘ bereits Ende des 12. Jahrhunderts [Gl. ad D., 3, 4] sowie der Kommentar des Vincentius Hispanus († 1248) zur ,Compilatio prima‘ [App. ad Comp. I, 1, 4, 1 = X, 1, 6, 1] zeigt; Michaud-Quantin, Universitas, S. 106. In seiner lectura zum ,Digestum vetus‘ erwähnt Odofredus († 1265) [Lect. ad D., 3, 4, 1] die congregationes der „Studenten, der Magister, der Händler, der Geldwechsler“ und verwendet den Begriff als Synonym für collegium, ebd., S. 107. Zur Theorie und Praxis der Repräsentation in den Kirchenversammlungen des Mittelalters siehe Miethke, Formen der Repräsentation. 2 Kouamé, La diffusion d’un modèle universitaire.
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meinsam mit den Jurastudenten, die gleichgestellt an den Generalversammlungen teilnahmen, die Verwaltung besorgten.3 In Frankreich orientierte sich allein die Universität Caen am Vorbild der Pariser Korporation.4 Es ist aber zu betonen, dass eine solche Übernahme keinesfalls bedeutet, dass alle Aspekte des Modells kopiert wurden; dies gilt besonders für die übermäßige Bedeutung, die den Artisten bei der Wahl des Rektors zukam. Die Anpassung des Pariser Systems an die anderen Magisteruniversitäten ging nämlich meist mit der Wahl des Rektors durch alle Fakultäten sowie mit der Etablierung eines Dekans an der Spitze der Artistenfakultät einher.5 Die Untersuchung der Wirkungsweise der Universitätsversammlungen hängt in starkem Maße von der Natur der zur Verfügung stehenden Quellen ab. Die allgemeinen Universitätsstatuten verraten wenig über die Entscheidungsverfahren und reichen kaum über Allgemeinheiten hinaus, die nichts über den tatsächlichen Ablauf der Debatten aussagen.6 Denn die Regeln, denen die Universitätsversammlungen unterlagen, sind in einem disparaten Ensemble von normativen Texten verstreut, welche nicht immer universitären Ursprungs sind und nur im Konflikt- oder Ausnahmefall explizit auf die congregationes verweisen.7 Die Hinweise, die man so erhält, sind häufig lückenhaft und sogar widersprüchlich, wenn sie sich auf unterschiedliche Kräfteverhältnisse bzw. auf unterschiedliche Stufen desselben Prozesses in der institutionellen Entwicklung beziehen.8 Schließlich kommt noch hinzu, dass ein großer Teil der Entscheidungsgepflogenheiten auf einer Art Gewohnheitsrecht basierte und deshalb allein durch eine Analyse der Protokolle der beschlussfassenden Sitzungen erfasst werden kann. Diese Dokumente haben jedoch zwei Nachteile: Sie enthalten zunächst eine Aneinanderreihung von Fakten, die es fast unmöglich macht, die Norm von der Ausnahme zu unterscheiden. Darüber hinaus sind sie in den Archiven der mittelalterlichen Universitäten nur selten zu finden, weil sie verloren gegangen oder erst gar nicht erstellt worden sind. Viele Manuskripte, auf schlechtem Papier geschrieben, sind zudem dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, wie die Bücher 3 Dies war der Fall in Cahors (1332), Poitiers (1431), Bordeaux (1441) und Nantes (1460). Die juristischen Universitäten in Orléans (1306) und Angers (1337) wurden auch von Doktoren des Rechts und Jurastudenten verwaltet. Dagegen richteten sich die Juristen in Montpellier (1289), Aix (1409), Valence (1452) und Bourges (1463) nach dem Modell von Bologna. 4 Roy, L’Université de Caen, S. 54. Diese Gründung, 1432 von einem englischen König ins Leben gerufen, stellte ganz klar die anglo-normannische Neuauflage der Universität Paris dar. 5 Dieses Amt wurde in folgenden Universitäten eingeführt: Prag (1368), Wien (1385), Köln (1388), Erfurt (1389), Heidelberg (1393), Leipzig (1409), St Andrews (1416), Löwen (1425) und Caen (1439). 6 Tournier, L’Université de Paris, S. 259 – 261. Diese unveröffentlichte Doktorarbeit ist bis heute die genaueste und vollständigste Untersuchung zur politischen Wirkungsweise der Pariser congregationes. 7 Der vorliegende Aufsatz wird immer wieder auf eine wichtige Quellensammlung verweisen: Denifle/Chatelain, Chartularium Universitatis Parisiensis (im Folgenden abgekürzt CUP). 8 Zur Auslegung der Universitätsstatuten siehe Courtenay, Legislation and Practice.
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der Artistenfakultät in Paris, die im 17. Jahrhundert noch existierten.9 Erhaltene Beispiele sind eher die Ausnahme und, wie in Löwen, dem Umstand zu verdanken, dass sich die Gelehrten selbst um die Pflege und Wiederherstellung der Protokolle ihrer Versammlungen kümmerten.10 Ein unvollständiges Register der derzeitigen Bestände zeigt, dass die Protokolle der Artistenfakultät insgesamt am besten erhalten geblieben sind.11 Dennoch decken die meisten Protokolle nur das 15. Jahrhundert ab, auch im Fall der ältesten Universitäten.12 Schließlich existieren nur sehr selten Parallelaufzeichnungen aus wenigstens drei Fakultäten.13 Glücklicherweise ist dies bei der Universität Paris der Fall: Einige Protokolle reichen bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts zurück.14 Die Pariser Universität ist demnach sowohl aufgrund der Vielzahl der verfügbaren Quellen als auch aufgrund ihres Prestiges der Modellfall für eine Untersuchung der beschlussfassenden Sitzungen in den Magisteruniversitäten. Um die institutionelle Wirkungsweise dieser congregationes zu verstehen, werden wir zunächst die konkrete Organisation der Debatten (I.) sowie die Modalitäten der Entscheidungsfindung (II.) vorstellen, da mit Hilfe einer Analyse der technischen Verfahren, die der Manipulation Tür und Tor öffnen, die Natur des Entscheidungsprozesses offengelegt werden kann. Abschließend kommen wir auf die zunehmenden Tendenzen zur Umgehung des Verfahrens zu sprechen, das als Indiz für die allmähliche Auflösung und das Ende des Modells angesehen werden kann (III.). I. Die konkrete Durchführung der Beratungen Der verfahrensrechtliche Rahmen, in dem sich die Beratungen abspielten, stellte kein formales Beiwerk dar: Die normativen Zwänge verweisen selbst im Falle der 9
Es handelt sich hier um ein Buch der Prokuratoren der französischen Nation und um ein weiteres der pikardischen Nation, die heute verloren sind; Jullien de Pommerol, Sources de l’histoire, S. 123 – 124, Anm. 14. Weitere Zerstörungen waren offensichtlicher, wie der Brand der Universitätsbibliothek in Löwen am 25. August 1914, durch den die Bände 4 und 5 der Acta Universitatis zu den Jahren 1474 bis 1522 verlorengingen; de Vocht, Inventaire des archives, S. 9, Anm. 2. 10 Diese Entscheidung vom 29. Februar 1508 betraf die ersten beiden Register (1432 – 1474) wegen ihrer Überalterung; Reusens, Actes ou procès-verbaux, Bd. 1, S. XVI. 11 So sind Protokolle der Fakultäten in Prag (seit 1367), Wien (seit 1385), Heidelberg (seit 1391), Köln (seit 1406), Erfurt (seit 1410), St Andrews (seit 1413) und Löwen (seit 1427) nachgewiesen. 12 Das paradoxeste Beispiel ist Oxford mit einem einzigen Register für die Jahre 1448 bis 1463. 13 Dies war im Besonderen der Fall für Wien mit seiner Artistenfakultät (seit 1385), Medizinfakultät (seit 1399) und theologischen Fakultät (seit 1396). 14 Hier sind Protokolle von Beratungen der folgenden Nationen nachgewiesen: der englischen (1333 – 1492), der französischen (1443 – 1456) und der pikardischen (1476 – 1484) sowie Register aus der Medizinfakultät (seit 1395) und der kanonistischen Fakultät (seit 1415). Für eine genaue Analyse der mittelalterlichen Archive der Universität Paris siehe Courtenay, The Registers; Verger/Vulliez, Cartulaires universitaires; und Vulliez, Textes statutaires.
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Missachtung auf die Machtbeziehungen, welche die Universität strukturierten. Zum besseren Verständnis ist es hilfreich, die verschiedenen Etappen einer congregatio von der Einberufung über die Tagesordnung, die Sitzordnung der Teilnehmer sowie den Ablauf der Beratungen bis hin zu ihrer Auflösung zu beschreiben. Die Einberufung einer Generalversammlung war häufig Gegenstand eines Konflikts, da ihr immer auch eine politische Dimension innerhalb der Universität zukam. In Paris musste der Rektor den Dekan der theologischen Fakultät persönlich über Datum, Ort und Tagesordnung der Versammlung informieren, wohingegen er die Dekane der höheren Fakultäten sowie die Prokuratoren der Nationen nur durch eine kurze Notiz in Kenntnis setzte. Letztere wiesen dann ihre Pedelle an, die Magister ihrer jeweiligen Korporation zu instruieren.15 Auch wenn es zwischen Rektor und Dekanen bis Mitte des 14. Jahrhunderts immer wieder zu Streit über Einzelheiten des Versammlungsverfahrens kam, so wurde die Verantwortung des Rektors in Bezug auf die Einberufung doch zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt.16 Obwohl der Rektor der Universität Paris ursprünglich nur Oberhaupt der Artistenfakultät war, besaß er allein das Recht auf Einberufung der congregationes generales.17 Für die Universitätsangehörigen hatte das Einberufungsverfahren große Bedeutung. Die Tagesordnung musste nicht nur im Sitzungsbescheid aufgeführt sein, sondern auch den Magistern zur Kenntnis gebracht werden; andernfalls konnten diese jegliche Beratung ablehnen oder die im Rahmen der Versammlung getroffene Entscheidung anfechten.18 In Paris scheinen die Magister erst am Vortag der Beratungen über die Diskussionspunkte informiert worden zu sein, selbst im Falle einer regulären Sitzung.19 Diese Praxis der kurzfristigen Mitteilung führte für viele Magister zu Termin15
Rashdall, The Universities, Bd. 1, S. 410 f. Laut dem Statut der normannischen Nation vom 12. Februar 1336 mussten die Magister von der Versammlung „in scolis suis, si dies fuerit ordinarie, et, si non, in domibus propriis“ informiert werden; CUP 2, Nr. 996, S. 455. 16 Mitte des 14. Jahrhunderts betonte der Eid der Artistenbakkalare, dass sich der Rektor nicht um eine Zustimmung des Dekans der theologischen Fakultät zu bemühen brauchte, sondern ihm nur die Einberufung und Tagesordnung zukommen lassen musste; CUP 2, Nr. 1185, § 16, S. 680. 17 Der Rektor musste jedoch auf die Bemühungen der Fakultäten und Nationen reagieren. So bedurfte es zur Einberufung einer Versammlung der Artistenfakultät eines gemeinsamen Antrages von mindestens drei Nationen; Kibre, The Nations, S. 108. 18 Am 1. Dezember 1443 lehnte die französische Nation der Universität Paris die Beendigung eines Streiks und die Wiederaufnahme der Predigten ab, da die Generalversammlung diesbezüglich nicht getagt hatte; Samaran/Van Moé, Liber procuratorum Nationis gallicanae, Sp. 11 f. In gleicher Weise weigerten sich am 22. Juni 1447 die theologische und die juristische Fakultät von Löwen, über eine wichtige Angelegenheit zu beraten, da diese nicht ordnungsgemäß in der Tagesordnung aufgeführt war; Van Hove, Actes ou procès-verbaux, Bd. 2, S. 84. 19 Tournier, L’Université de Paris, S. 272. Die Statuten der Universität zu Köln (1392) formalisierten diese aus Paris bekannte Praxis und betonten dabei, dass der Rektor diese Frist notfalls verlängern konnte; Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten, Bd. 2, S. 160 f., Anm. 3. Dieser Passus wurde von den Löwener Statuten fast Wort für Wort übernommen, ediert von Van Hove, Statuts de l’Université de Louvain, S. 619.
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schwierigkeiten und begrenzte die Teilnehmerzahl erheblich. Gleichzeitig war diese Praxis ein Mittel, um Machenschaften und Betrugsmanövern einen Riegel vorzuschieben; auch stellte sie sicher, dass das Geheimnis der Beratungen gewahrt blieb. Wurde die Teilnehmerzahl nicht für ausreichend gehalten, so konnte der Rektor den Beschluss aufschieben und eine Generalversammlung „per juramentum“ einberufen, das heißt, die Graduierten wurden aufgrund ihres Treueeides einberufen.20 Dieses Verfahren verpflichtete die Magister zur Anwesenheit, andernfalls machten sie sich eines Eidbruches schuldig. Sowohl die Dekane der Fakultäten als auch die Prokuratoren der Nationen konnten in gleicher Weise für ihre congregationes speciales vorgehen.21 In Löwen trug der Einberufungsbescheid, wenn wichtige Fragen in der Generalversammlung diskutiert werden sollten, den Vermerk „sub poena perjurii“ oder „in virtute sanctae obedientiae“ an Stelle von „per juramentum“; dies bedeutete, dass jegliches Fehlen mit einer Geldstrafe geahndet wurde.22 Es wäre sicherlich effizienter gewesen, ein verpflichtendes Quorum festzulegen, um eine gültige Entscheidung zu treffen. Dennoch scheinen nur einige theologische Fakultäten die Anwesenheit einer Mindestzahl von regentes gefordert zu haben, um spezielle Fragen zu diskutieren.23 Um sicherzustellen, dass die getroffenen Entscheidungen auch als gültig betrachtet wurden, legte das kanonische Recht im Gegensatz zum römischen Recht größeren Wert auf eine regelgerechte Einberufung der Versammlungen als auf die Erreichung eines Quorums. Die Dekretalen verfügten demnach, dass jede Entscheidung, an der nur ein Wähler nicht teilhatte, weil er nicht eingeladen worden war, in rechtlicher Hinsicht null und nichtig sei.24 Für die Kanonisten konnte gerade dieser Wähler der Inhaber der Wahrheit sein, dem alle anderen in ihrer Entscheidung gefolgt wären.25 20
Tournier, L’Université de Paris, S. 265 f. Woran der Prokurator der englischen Nation am 5. August 1403 keinen Zweifel ließ: „Verum est quod Nacio propter arduitatem facti et absenciam aliquorum antiquorum magistrorum volebat, quod ante congregacionem Universitatis convocarem adhuc Nacionem super eodem facto et quemlibet per juramentum.“ Denifle/Chatelain, Liber procuratorum Nationis anglicanae, Bd. 1, Sp. 864. 22 Van Hove, Actes ou procès-verbaux, Bd. 2, S. XII. 23 So schrieben die Statuten der theologischen Fakultät von Paris in der Mitte des 14. Jahrhunderts vor, dass die regentes neben der einfachen, jeweils am ersten Tag des Monats stattfindenden Versammlung auch über Ausnahmebewilligungen befinden konnten – „dum tamen in congregatione compareant due tertie magistrorum concorditer deliberantium; alias pro non factis et non conclusis acta habeantur“; CUP 2, Nr. 1189, § 51, S. 701. Dieser Passus wurde in den 1393 verabschiedeten Statuten der Kölner Fakultät übernommen; Gescher, Die Statuten der theologischen Fakultät, S. 91 f. Das Zwei-Drittel-Verhältnis orientierte sich an der Definition des Quorums im römischen Recht [D., 3, 4, 4]. 24 Michaud-Quantin, Universitas, S. 282. Das geht aus vier Kapiteln des Titels ,De electione et electi potestate‘ hervor [X, 1, 6, 28 und 34 bis 36]. 25 Dieses Prinzip basiert auf dem Inhalt eines Kapitels im ,Decretum Gratiani‘, dem zufolge sich die Konzilsväter in Nicea schließlich der Auffassung des heiligen Paphnutios angeschlossen hätten, nachdem letzterer überraschend zu den Beratungen dazugestoßen sei [Decretum Grat., D. 31, c. 12]. Diese Anekdote ist der ,Historia ecclesiastica‘ des Sokrates 21
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Sobald die Teilnehmer zusammengekommen waren, erfolgte die Diskussion nach einer strikten Tagesordnung, die in articuli gegliedert war, welche bisweilen auch noch untergeordnete puncta oder partes enthielten.26 Ein „articulus communis super supplicationibus et injuriis“ gehörte immer zum Programm; in diesem Rahmen konnten die Universitätsangehörigen Bittschriften und Beschwerden zum Ausdruck bringen sowie Anträge stellen.27 Bestimmte Sitzungen hatten sogar als einzigen Tagesordnungspunkt einen solchen Artikel. Eine einzige Angelegenheit konnte bisweilen mehrere aufeinander folgende Beratungen über verschiedene articuli im Verlauf einer oder mehrerer congregationes notwendig machen, wie die Vorbereitung einer universitären Gesandtschaft zeigt. Die erste Etappe bestand darin, die Generalversammlung einzuberufen, um über die Möglichkeit einer Gesandtschaft zu befinden. Waren alle einverstanden, so kam man erneut zusammen, um über die Zusammensetzung, die Auswahl der Gesandten, die Finanzierungsmöglichkeiten sowie die Empfehlungsschreiben zu diskutieren. Schließlich musste die congregatio generalis den Gesandten einen Eid abnehmen. Zumindest in dieser Hinsicht setzten die Mitglieder der Pariser Universität die thomistische Theorie der deliberatio in die Praxis um, indem man die verschiedenen Mittel zur Erreichung eines Zieles (deliberatio), danach die Auswahl des Besten (judicium) und schließlich den Versuch seiner Erlangung (deliberatio) diskutierte.28 Trotz der strikten Regeln, denen die Tagesordnung unterlag, kam es immer wieder zu Manipulationen des Beratungsablaufs: So reichte die Verkürzung einer congregatio aus, um einen regulär vorgemerkten Tagesordnungspunkt erst gar nicht zur Erwähnung kommen zu lassen. Im Fall der Universität Paris entschied sich beispielsweise der Rektor am 5. Oktober 1358 dafür, die Generalversammlung ,vor‘ und nicht ,nach‘ der gemeinsamen Messe, die im Kloster der Cordeliers stattfinden sollte, zusammenkommen zu lassen. Dies führte dazu, dass den Theologen keine Zeit blieb, an die Briefe zu gelangen, mit deren Hilfe sie vor Ablauf der gesetzten Frist gegen ein Urteil der congregatio Einspruch erheben konnten.29 Um an den Debatten teilzunehmen und vor allem ein Stimmrecht ausüben zu können, musste jede einberufene Person schwören, die Statuten und Privilegien der Universität zu respektieren und unter keinen Umständen das Beratungsgeheimnis zu verScholastikos († um 440) oder des Sozomenos († um 450) entlehnt, und zwar vermittelt durch Ivos von Chartres († 1116) ,Panormia‘ [III, 85]. 26 Zur Funktionsweise der Tagesordnung in den Pariser Versammlungen siehe Tournier, L’Université de Paris, S. 271 – 277. 27 In Paris war der articulus communis anscheinend eine vom Rektor formulierte individuelle Bittschrift, die dann vom Bittsteller persönlich vorgebracht wurde; Tournier, L’Université de Paris, S. 272, Anm. 66. In Löwen hingegen ging er auf das Rechtsprivileg der Universitätsmitglieder zurück, die der Gerichtsbarkeit des Rektors unterstellt waren; Reusens, Actes ou procès-verbaux, Bd. 1, S. XV. 28 Zur thomistischen Theorie der deliberatio siehe Sère, La compréhension médiévale. 29 Falls man der Version der theologischen Fakultät von 1359 Glauben schenken darf; CUP 3, Nr. 1246, § 33, S. 67.
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letzen.30 Die Universitätsangehörigen hatten auch in angemessener Kleidung zu den Versammlungen zu erscheinen: Magistralrobe für die Weltlichen und standesgemäße Kleidung für die Ordensmitglieder.31 In der Tat war das äußere Erscheinungsbild einer der Grundpfeiler der sozialen Repräsentation. Als symbolischer Ort der universitären Macht ermöglichte die Generalversammlung jeder Korporation, ihren Platz in der akademischen Hierarchie zu demonstrieren. Wie Predigten, Messen, Prozessionen und andere universitäre Zeremonien bot auch die Generalversammlung die Gelegenheit, die symbolische Ordnung der Korporation visuell zu repräsentieren. So wurde alles dafür getan, die Rangordnung der Fakultäten und der Nationen sowie der Magister auch räumlich abzubilden. Ein Memorandum der Pariser Theologen gegen die Vorrangstellung des Rektors Anfang 1359 hob hervor, dass der Platz der Magister in der Generalversammlung strikt von der Rangfolge der Fakultäten abhänge: Die Theologen saßen vor den Kanonisten, welche wiederum vor den Medizinern Platz nahmen, die ihrerseits vor den Artisten rangierten.32 Dasselbe Dokument macht deutlich, dass die Theologen während der feierlichen Universitätsmesse die rechte Seite des Chors in Beschlag nahmen, vor den Medizinern, während die Kanonisten die linke Seite besetzten, vor den Artisten. Dem ältesten Magister der Theologen stand der Ehrenplatz zu.33 Dieses Detail ist insofern wichtig, als die congregationes in der Regel direkt nach der Messe in der Kirche stattfanden. Die Sitzordnung der Magister innerhalb jeder Fakultät war auch nicht dem Zufall überlassen. So ist bekannt, dass für bestimmte Fakultätszeremonien die vorderen Bänke den ältesten Graduierten vorbehalten waren.34 Diese Anordnung entsprach im Allgemeinen der Hierarchie der akademischen Disziplinen. Auch das Auftreten in diesen Versammlungen war stark ritualisiert. Gemäß einem Zeremonial aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts trug der Pariser Rektor als Chef der Artistenfakultät die Beschlüsse der vier Nationen vor. Im Anschluß daran war die medizinische Fakultät an der Reihe, danach die kanonistische, schließlich die theologische Fakultät, um deren hierarchische Vorrangstellung zu demon-
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Tournier, L’Université de Paris, S. 287 f. Das Pariser Statut vom 3. Februar 1362 sah sogar vor, dass die Widerspenstigen nicht an der Abstimmung teilnehmen durften; CUP 3, Nr. 1258, S. 76. 32 CUP 3, Nr. 1246, § 3, S. 62: „Item et quod, cum ipsius Universitatis, videlicet facultatum theologie, decretistarum, medicorum et artistarum, fit congregacio, una[queque] facultas, prout in Universitate potior facultate alia reputatur, gradum sedendi potiorem habet et habere consuevit, v[idelicet pre magistris] Facultatis artium medici, pre medicis decretiste, pre decretistis theologi consueverint in sedibus [prioribus et] honorabilioribus [quam alii] sedere.“ Dieses Memorandum wurde zwischen Oktober 1358 und Januar 1359 zusammengestellt. Für eine ausführliche Analyse dieses Dokumentes siehe Verger, Rector non est caput universitatis. 33 CUP 3, Nr. 1246, § 20, S. 64 f. 34 Dies war gemäß dem Statut vom 12. Oktober 1340 Sitte in der theologischen und der kanonistischen Fakultät von Paris; CUP 2, Nr. 1040, S. 504. Die gleiche Praxis trifft man den Statuten vom 1. April 1389 zufolge allerdings auch in Wien an; Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität, Bd. 2, S. 100. 31
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strieren.35 Es kam jedoch dem Rektor zu, im Namen der gesamten Universität die abschließenden Bemerkungen vorzutragen.36 Innerhalb jeder Korporation äußerten die Magister in der etablierten Reihenfolge ihre Meinung, die Senioren vor den Junioren.37 Die Maßnahmen zur Reformierung der Pariser Universität durch Kardinal d’Estouteville (1452) sahen vor, dass die Entscheidungsfindung der Theologen geordnet und friedlich abzulaufen habe, dass niemand die Wahlentscheidung eines anderen unterbrechen dürfe, dass jeder die Reihenfolge des Auftretens respektieren solle und dass Fluchen mit Ausschluss aus der Versammlung zu ahnden sei.38 Allerdings verweist der Nachdruck, mit dem bei den universitären Reformbestrebungen die Regeln und Gebote betont wurden, eher auf zunehmende Abweichungen von den im Statut definierten Normen. Dennoch scheint ein recht striktes und auf Gewohnheit basierendes Protokoll den Modus des öffentlichen Auftretens in den Pariser congregationes reguliert zu haben. Dies wird am Beispiel des Memorandums der Theologen von 1359 deutlich, in dem es in einem mangelhaften Latein heißt, dass der Rektor vor einer Versammlung von sitzenden Magistern die Tagesordnung aufrecht stehend zu verlesen habe. Auch am Ende der Beratungen müsse der Rektor seine Schlussfolgerungen stehend vorbringen, wohingegen die Dekane der höheren Fakultäten dies im Sitzen tun könnten.39 Dieser zunächst schwer verständliche Text wird deutlicher, wenn man den Bericht über einen Konflikt liest, den die kanonistische Fakultät am 22. November 1431 mit einem ihrer Mitglieder austrug: Darin wird einem ehrwürdigen 66-jährigen Lizentiaten vorgeworfen, sich in unverschämter Art und Weise, nämlich mit bedecktem Kopf und sitzend, an den Dekan gewandt zu haben.40 Die aufrechte Haltung hatte also nichts Ehrenhaftes an sich. Vielmehr un35
Tournier, L’Université de Paris, S. 293. Im Februar 1454 löste der Versuch des Dekans der theologischen Fakultät, anstelle des Rektors die Schlusserklärung vorzutragen, einen Streik der Artisten sowie die Annullierung der irregulären Erklärung aus; Du Boulay, Historia Universitatis Parisiensis, Bd. 5, S. 589 f. 37 Wie Laurent Tournier betont, war hier nicht das Alter des Magisters entscheidend, sondern das Datum des Magisterabschlusses, das sein Dienstalter unabhängig von der Dauer der Professur bestimmte, siehe Tournier, Junior and Antiquior, S. 2 – 4. Bei den Sitzungen des Kollegiums der Rechtsfakultäten in Caen stimmten die dienstältesten Doktoren vor den jüngeren; Roy, L’Université de Caen, S. 96. 1385/6 forderte die Prager Artistenfakultät sogar, dass ihre Magister in den Generalversammlungen in der Reihenfolge des Zeitpunktes ihres Magisterabschlusses angehört wurden und nicht gemäß ihrem akademischen Grad. So sollte verhindert werden, dass ein Junior unter dem Vorwand, ein Bakkalar einer höheren Fakultät zu sein, vor einem Senior abstimmte; Monumenta Historica Universitatis, Bd. 1, S. 94. 38 CUP 4, Nr. 2690, S. 716. 39 CUP 3, Nr. 1246, § 4, S. 62: „Item et postquam rector, qui stando in pedibus in principio cujuslibet congregationis […] in presencia sedentium [magistrorum aliarum facultatum] […] et negotia propter que sunt evocati et congregati […] facultatum. Postmodum quod ipsarum facultatum […] prout in ipsa Universitate reperitur […] gradu et ordine potiori. Itaque rector […] autem Facultas med. […] Facultas theologie sedendo suas reddunt.“ 40 Fournier, La Faculté de décret, Bd. 1, S. 378 f. Dem unverschämten Greis wurde schließlich die Gnade der Fakultät und des Dekans zuteil, nachdem er eine seine Ehre wahrende Strafe erhalten hatte: dreifaches Bitten um Entschuldigung, unter Tränen und auf den Knien. 36
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terstrich sie die Achtung, die einfache Magister der Artes den Doktoren der höheren Fakultäten entgegenzubringen hatten, die als einzige das Privileg genossen, sitzend zu sprechen.41 Nach der Verkündung der Tagesordnung waren die Versammlungsteilnehmer dazu angehalten, getrennt zu beraten. Die Kirchen, in denen die Universitätsversammlungen abgehalten wurden, verfügten über Räumlichkeiten, die üblicherweise dieser oder jener Gruppe von Magistern für ihre Beratungen zugänglich gemacht wurden.42 Die meisten congregationes generales, die auf dem Pariser Modell basierten, bildeten faktisch die von den Fakultäten vorgegebene Aufteilung nach.43 Die Magister diskutierten innerhalb ihrer jeweiligen Korporation unter dem Vorsitz ihres Dekans oder Prokurators. Die Artistenmagister, die in einer höheren Fakultät studierten, stießen zu ihrer jeweiligen Nation der Artistenfakultät.44 Die Beratungen der französischen Nation konnten nach Provinzen organisiert sein, wenn es darum ging, zwischen zwei sich widersprechenden Bittschriften eine Wahl zu treffen.45 Die von Ritualen und komplexen Gewohnheiten geprägte konkrete Durchführung und Organisation der Beratungen spiegelte die symbolischen Hierarchien wider, welche die Welt der Universität strukturierten; gleichzeitig beeinflusste die ungleiche Machtverteilung innerhalb der Universität den Ausgang der Debatten in erheblichem Maße. II. Die Annahme gemeinschaftlicher Entscheidungen Unabhängig von der jeweiligen Versammlung traten die Kräfteverhältnisse im Moment der Beschlussfassung offen zum Vorschein. Deren Modus brachte die Werte einer Institution deutlicher zutage als die symbolische Darstellung ihrer Träger. Auch wenn im 14. Jahrhundert die Minderheit die Mehrheitsentscheidung endlich akzeptiert hatte, so verfügte sie dennoch über Mittel, die endgültige Beschlussfassung zu verzögern und sogar zu unterbrechen. Jeder articulus wurde für sich genommen zur Diskussion gestellt, so dass die Nationen und Fakultäten über jeden einzeln abstimmten, auch wenn sich zwei articuli 41 Auf dem Rand des Protokollbogens der beschlussfassenden Sitzung vom 22. November 1431 hat ein unbekannter Verfasser diese Präzedenzregelung, die die Fakultät nun im Konfliktfall beachten musste, wie folgt beschrieben: „Magister artium debet stare aperto capite coram dominis doctoribus trium superiorum facultatum.“ Fournier, La Faculté de décret, Bd. 1, S. 379, Anm. 1. 42 In der Kirche Saint-Julien-le-Pauvre in Paris nahmen die Prokuratoren der Nationen auf Stühlen Platz, die sich an den vier Ecken des Kirchenschiffes befanden; Rashdall, The Universities, Bd. 1, S. 411. 43 Dies war bes. in Wien, Erfurt, Löwen und Caen der Fall. Dagegen waren die Magister in den Generalversammlungen in Prag und Leipzig in Nationen eingeteilt. 44 Tournier, L’Université de Paris, S. 293. Wie die Pariser Theologen 1359 betonten, beriet sogar der Rektor mit seinen Kollegen unter dem Vorsitz des Prokurators seiner Nation; CUP 3, Nr. 1246, § 9, S. 63. 45 Talazac-Landaburu, La Nation de France, S. 30.
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auf dasselbe Thema bezogen.46 Je nach Frage, die hier zu erörtern war, bestand das Fazit entweder darin, einen negativen oder positiven Bescheid zu geben, oder aber darin, eine längere Stellungnahme vorzutragen, wobei das eine das andere nicht ausschloss. Innerhalb jeder Korporation mussten sich die Magister durch einen Mehrheitsbeschluss auf eine gemeinschaftliche Entscheidung einigen. An der Universität Paris bedurfte die Annahme eines Statuts einer Zwei-Drittel-Mehrheit.47 Diese Praxis ging auf den ersten Kanon des dritten Laterankonzils (1179) zurück, der eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Papstwahl eingeführt hatte.48 Zumeist blieb jedoch die Mehrheitsfindung innerhalb einer Nation oder Fakultät aufgrund des alten Prinzips der „major et sanior pars“ eine sowohl qualitative als auch quantitative Angelegenheit. Die Modalitäten der kanonischen Wahl waren 1215 durch den Kanon 24 des vierten Laterankonzils festgelegt worden, der die Bischofswahl regelte.49 Die Konzilsväter unterschieden drei reguläre Arten der Beschlussfassung: durch Abstimmung, Einsetzung eines Ausschusses oder spontane Einstimmigkeit. Das übliche Verfahren bestand in der unmittelbaren Abstimmung, um dabei die „major et sanior pars“ zu bestimmen: Nach anfänglichen Diskussionen bestimmte man drei Stimmenauszähler, die jeden Stimmberechtigten befragten und seine Entscheidung schriftlich festhielten. Dann wurde die Wertung der abgegebenen Stimmen vorgenommen: Man zählte sie (numerus) zwar, bewertete aber auch ihre Autorität und ihren Eifer (auctoritas, zelus), um das endgültige Ergebnis zu bestimmen.50 Die kanonistische Lehre maß sogar dem qualitativen Aspekt eine größere Bedeutung bei. Um die sanior pars gegenüber der major pars zu verteidigen, bezog sich Hostiensis († 1271) unmittelbar auf den Wortlaut des Kanons: „Es reicht nicht, dass dieser Teil 46
Tournier, L’Université de Paris, S. 295. Ein 1311 von den Oxforder Dominikanern geschriebener Bericht erwähnt die Existenz des Prinzips der qualifizierten Mehrheit in den Pariser Versammlungen: „Subscripta observantur in Universitate Parisiensi et multa alia utilia videlicet quod Universitas nichil potest statuere nisi ad statuendum consentiant due partes magistrorum in theologia et due partes singularium facultatum reliquarum.“ Rashdall, The Friars Preachers v. the University, S. 221. Allerdings ist diese Beschreibung fast Wort für Wort identisch mit der Bulle ,Quasi lignum vitae‘ (14. April 1255), nach der sich die Mitglieder der Bettelorden an die Gemeinschaftsentscheidung der Universität zu halten hätten – „dummodo due partes magistrorum theologice Facultatis et eodem modo due partes magistrorum singularium facultatum reliquarum, videlicet canonistarum, physicorum et etiam artistarum, suum super hoc voluerint prestare consensum“; CUP 1, Nr. 247, S. 284. Ende des 14. Jahrhunderts war die Zwei-Drittel-Mehrheit immer noch notwendige Vorbedingung für die Verabschiedung eines Statuts an der kanonistischen Fakultät; Fournier, La Faculté de décret, Bd. 1, S. 123. 48 Aimone-Braida, Il principio maggioritario, S. 214. Der c. 8 des zweiten Konzils von Lyon (1274) übertrug diesen Passus auf die Bischofswahlen; Gaudemet, Le gouvernement de l’Église, S. 66. 49 Gaudemet, Le gouvernement de l’Église, S. 62 f. Diese Regelung wurde in die Dekretalen aufgenommen [X, 1, 6, 42]. 50 Die ,Glossa ordinaria‘ zum ,Decretum Gratiani‘ hatte schließlich die von Simon von Bisignano († nach 1179) und Huguccio († 1210) vorgeschlagene Lösung übernommen, wonach der Gewählte mindestens zwei der drei Elemente der kanonischen Mehrheit auf sich vereinigen musste; Aimone-Braida, Il principio maggioritario, S. 249. 47
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am größten ist, wenn er nicht gleichzeitig auch der gesündeste ist, und umgekehrt; das beweist hier das Wörtchen et.“51 Der Originaltext enthielt dennoch seit der Zeit des Konzils auch die Variante „major vel sanior pars“.52 Trotzdem blieb die kirchliche Abstimmung uneindeutig und interpretationsbedürftig. Die Anerkennung der „major et sanior pars“ hing vom Urteil der anwesenden Magister ab, was zu Auseinandersetzungen führen konnte. Wenn sich dann eine Fakultät oder eine Nation wegen der Unstimmigkeiten zwischen den Magistern auf keine Schlusserklärung einigen konnte, verzögerte dies ebenfalls die abschließende Erklärung der Universität.53 Infolgedessen endeten längst nicht alle Generalversammlungen zwangsläufig mit Beschlüssen zu allen articuli der Tagesordnung. Nachdem sich alle Korporationen geäußert hatten, ließ der Rektor nach dem Prinzip der einfachen Mehrheit abstimmen, wobei jede Fakultät über eine Stimme verfügte. In Paris jedoch scheint sich das Mehrheitsprinzip nicht vor der Mitte des 14. Jahrhunderts durchgesetzt zu haben.54 Später war es dann möglich, die Stimmen der vier Nationen in der Artistenfakultät zu denen der drei höheren Fakultäten zu addieren, wodurch jede Nation dasselbe Stimmgewicht wie eine Fakultät erhielt. Die Wahl des Abstimmungsmodus war demnach von erheblicher Bedeutung für die endgültige Entscheidung. Wurde nach Fakultäten abgestimmt, so kamen die Mitglieder der Artistenfakultät zusammen auf ein Viertel der Stimmen. Votierten die sieben Korporationen getrennt, so verfügte die Artistenfakultät, die aus vier Nationen bestand, alleine über die absolute Mehrheit.55 In der Praxis scheint die Auswahl des Verfahrens vor allem von der Bedeutung der Tagesordnung abhängig gewesen zu sein. So am 8. Januar 1379, als die Pariser Universität auf Drängen des Königs über die umstrittene Wahl Papst Clemens’ VII. zu befinden hatte: Laut der Einleitung einer entsprechenden Erklärung votierten die sieben Korporationen in dem Fall getrennt, weil man verhindern wollte, dass auch nur eine von ihnen Schaden nehme oder sich ihrer Verantwortung für den Gemeinschaftsbeschluss entziehe.56 51 Henricus de Segusio, Summa aurea, Sp. 118 [,De electione et electi potestate‘, ,Qualiter facienda‘, no 13]: „Sic ergo non sufficit, quod sit major, nisi et sit sanior, et econverso, ut probat haec copula et hic posita.“ 52 Dies ist leicht feststellbar, wenn man die Originalversion des c. 24 – Alberigo, Conciliorum Œcumenicorum Decreta, S. 246 Z. 30 – mit der von den Dekretalen überlieferten Version vergleicht – Friedberg, Corpus Juris Canonici, Bd. 2, Sp. 89. 53 Tournier, L’Université de Paris, S. 294. 54 Zwar erkannte Alexander IV. in seiner Bulle ,Quasi lignum vitae‘ (1255) das Abstimmen nach Fakultäten offiziell an, doch änderte dies nichts an der notwendigen Einstimmigkeit der vier Korporationen; CUP 1, Nr. 247, S. 284. Am 28. Juni 1277 wurde ein Statut „per totam Universitatem, quatuor facultatibus hoc volentibus“ verabschiedet; CUP 1, Nr. 478, S. 563. Dagegen traf die Generalversammlung vom 6. Mai 1348 einen Beschluss auf der Grundlage einer Mehrheit von drei der vier Fakultäten; Denifle/Chatelain, Liber procuratorum Nationis anglicanae, Bd. 1, Sp. 116. 55 Für Entscheidungen auf der Grundlage der Statuten war die Mehrheit der vier Fakultäten und nicht die der sieben Korporationen vonnöten; Rashdall, The Universities, Bd. 1, S. 414. 56 CUP 3, Nr. 1616, S. 561: „Item, decrevimus unanimi consensu quod dominus rector in colligendo vota, quando determinandum erit, et concludendo, non concludat pro tribus (sicut
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Wenn eine Fakultät oder eine Nation einen Mehrheitsbeschluss kategorisch missbilligte und ihre vitalen Interessen bedroht sah, war es ihr möglich, eine „oppositio et appellatio“ zu formulieren und dadurch die Beratung zu unterbrechen.57 Die oppositio bestand darin, die Missbilligung der Mehrheitsmeinung offiziell zum Ausdruck zu bringen, was die gemeinsame Schlusserklärung verhinderte und die Beratungsphase verlängerte. Wurde die oppositio schließlich von den anderen Korporationen ignoriert, blieb noch die appellatio. Diese Berufung hatte eine aufschiebende Wirkung und erlaubte es, eine neue Versammlung einzuberufen. Dieses Verzögerungsmanöver nahm konkrete Gestalt an bei den Intrigen, die im Dezember 1443 gesponnen wurden, als die französische Nation sich mit dem Rest der Universität wegen einer Streikangelegenheit im Zwist befand.58 So konnte die appellatio eingebracht werden, sobald der Rektor die Schlusserklärung vorgetragen hatte, oder sogar präventiv für den Fall beschlossen werden, dass die anderen Korporationen die oppositio ignorieren oder über die bereits erfolgten Beschlüsse noch hinausgehen würden. Die Fakultät oder die Nation, die die „oppositio et appellatio“ vorbrachte, musste diese vor der congregatio generalis rechtfertigen; letzterer stand es dann offen, die oppositio bzw. appellatio zuzulassen oder abzulehnen.59 Diese Verschleppungstaktik hatte nicht zuletzt in der Machtstellung jedes Dekans und Prokurators ihren Ursprung, die diese dazu nutzen konnten, Gemeinschaftsentscheidungen zu blockieren, indem sie die Öffnung des Tresors mit dem großen Universitätssiegel verweigerten.60 Allerdings funktionierte diese Drohung nur, wenn der entsprechende Beschluss die Ausstellung eines öffentlichen Aktes erforderte, der die Entscheidung der Versammlung dokumentierte. Im Vergleich dazu war die „oppositio et appellatio“ ein wesentlich effizienteres Instrument der Verschleppung, weil sie potenziell für jegliche Art von Beschlussfassung eine Bedrohung darstellte. Das Pariser Verfahren ermöglichte also einer Minderheit, die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung zu blockieren. Solche Mechanismen waren jedoch vor allem dann wirkungsvoll, wenn das Ziel verfolgt wurde, die verschiedenen Lager zu Verfacit aliquando secundum quod potest per statutum, quando materia non est tam gravis et ponderosa), sed ita quod omnes sint contenti; in ista materia maxime ardua faciat consentire omnes facultates et nationes, ne una quidem, si fieri potest, dissidiente.“ 57 Zum Funktionieren dieses besonderen Verfahrens siehe Tournier, L’Université de Paris, S. 296 – 298. 58 Es handelt sich um den Beschluss vom 1. Dezember 1443; Samaran/Van Moé, Liber procuratorum Nationis gallicanae, Sp. 11 f. Der Streik, der seit Mitte August andauerte, hatte sich an der Besteuerung der für die Universität arbeitenden Handlanger durch den König entzündet. Die Streikbewegung endete schließlich am 8. Dezember; ebd., Sp. 12, Anm. 4. 59 So musste ein Vertreter der französischen Nation am 12. Februar 1451 das Einbringen einer „oppositio et appellatio“ drei Tage vorher durch ihren Prokurator vor der Generalversammlung begründen; Samaran/Van Moé, Liber procuratorum Nationis gallicanae, Sp. 404. 60 Rashdall, The Universities, Bd. 1, S. 415. Das Statut vom 12. März 1313 sah in der Tat vor, dass das große Universitätssiegel nur in Anwesenheit eines Vertreters jeder Fakultät dem gemeinschaftlichen Tresor entnommen werden durfte; CUP 2, Nr. 698, S. 158. Zur Beurkundung und Siegelung der Urkunden der Universität Paris siehe die Bemerkungen von Courtenay, The Registers, S. 33 – 40.
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handlungen zu bewegen. In der Tat wurden viele Berufungen durch einen Kompromiss beendet.61 Dieser Befund lädt dazu ein, sich mit dem obsessiven Konsensstreben in den congregationes auseinanderzusetzen. Das Streben nach Einstimmigkeit hatte mit einer juristischen Schwierigkeit zu tun. Man wollte die notwendige Einheit des gemeinschaftlichen Willens mit der Vielfalt der individuellen Meinungen in Einklang bringen. Durch eine Fiktion des römischen Rechts wurde der gemeinschaftliche Wille einer juristischen Person mit dem der Mehrheit gleichgestellt.62 Zwar ließ das Kirchenrecht zu, dass diese Rechtsfiktion die Meinungsvielfalt überdeckte,63 doch hing nach der kanonistischen Lehre alles von der Dringlichkeit ab: Galt es, eine kurzfristige Entscheidung zu treffen, so genügte die major pars, wie im Fall von Wahlen; andere Beschlüsse, die nicht der gleichen Dringlichkeit unterworfen waren, ließen längere Fristen zu, so dass das Ziel der Einstimmigkeit erreicht werden konnte.64 Ein Konsens war fast immer der Mehrheitsentscheidung vorzuziehen. Die Beschlussfassung an der Universität folgte diesem Prinzip: Das scheinbar strenge Verfahren der congregationes wurde flexibel, wenn es sich darum handelte, die Stimme der Minderheit anzuhören, besonders im Fall der Artistenfakultät, die die zahlenmäßige Mehrheit stellte. Es ging politisch nicht darum, schnelle Entscheidungen zu treffen, sondern größtmöglichen Konsens für gemeinschaftliches Handeln herzustellen. Dies stand im genauen Gegensatz zum System der Folgepflicht, das die Minderheit durch sozialen Druck dazu brachte, sich dem Mehrheitsbeschluss anzuschlie61 Zwischen 1429 und 1452 sind nur fünf Fälle bekannt, in denen der Konflikt mehrere Tage andauerte. In zwei dieser Fälle gelang es Nationen, die in der Minderheit waren, letztlich ihren Willen gegenüber der Mehrheit durchzusetzen; Tournier, L’Université de Paris, S. 298. 62 Die Zivilrechtler stützten sich, um diese zu konstruieren, auf zwei Fragmente des ,Digestum‘: „Quod major pars curiae effecit, pro eo habetur, ac si omnes egerint“ [D., 50, 1, 19] und „Refertur ad universos, quod publice fit per majorem partem“ [D., 50, 17, 160, 1]. Diese major pars entsprach nach Meinung der Glossatoren der zahlenmäßigen Mehrheit der anwesenden Mitglieder; Aimone-Braida, Il principio maggioritario, S. 230 f. 63 Dieses Prinzip wurde von den ersten Dekretisten akzeptiert, wie die Summe des Simon von Bisignano (v. 1177 – 1179) zeigt [Sum. ad Decretum Grat., D. 85, c. 1, Vis ,Ab omnibus fuerat electus‘]: „Idest a duabus partibus, nam omnes dicuntur facere quod due partes faciunt.“ Aimone-Braida, Summa in Decretum, S. 74, Z. 4 f. Anfang des 13. Jahrhunderts fand es Eingang in die ,Glossa ordinaria‘ [Gl. ord. ad Decretum Grat., D. 61, c. 13, Vo ,Civitatis‘]: „Unde cum totum capitulum facere videatur quod fit a majori parte capituli.“ Decretum Gratiani cum glossis, fol. 105va. Schließlich wurde dessen Bedeutung noch einmal von Panormitanus († 1445) unterstrichen, der diese Fiktion in seiner Quaestio ,Quoniam veritas‘ (1442) erwähnt: „Quod fit a saniori, jus fingitur esse factum a tota universitate […] tota ecclesia videtur facere quod major pars fecit […] ubi est major pars ibi praesumitur esse ecclesia.“ Gaudemet, Le gouvernement de l’Église, S. 210, Anm. 39. 64 Diese von Damasus († nach 1217) vorgenommene Unterscheidung wurde vor allem von den Dekretalisten präzisiert; Michaud-Quantin, Universitas, S. 278. Vincentius Hispanus bringt dies klar in seinem Kommentar zur Dekretale ,Cum omnes‘ Innozenz’ III. (1198 – 1216) zum Ausdruck [App. ad Comp. III, 1, 1, 1, Vo ,Constitutum‘ = X, 1, 2, 6]: „Facienda sunt ex necessitate, sicut alienationes, electiones, institutiones sufficit quod facit major pars […] in aliis, quae ex necessitate non geruntur, puta cum dividitur praebenda, nihil fieri potest, nisi omnes consentiant et constituere debent ut collegium, non tamquam singuli.“ Aimone-Braida, Il principio maggioritario, S. 241, Anm. 18.
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ßen.65 Dagegen ging es in den universitären Versammlungen, also in einer Welt, in der die wichtigsten Referenzen theologischer Natur waren, nicht nur um den Anschein einer Einheit, sondern um eine tatsächliche Einstimmigkeit, die dem Willen Gottes entsprechen sollte, dem ohnehin nichts verborgen werden konnte. III. Die Umgehung des Entscheidungsverfahrens Diesbezüglich gilt es, zwischen der Manipulation der Entscheidungsverfahren und den Praktiken, sich diesen zu entziehen, zu unterscheiden. Die Betrugsmanöver waren selbst Teil des Systems, wohingegen die Umgehung des Verfahrens zu seiner Abschaffung beitrug: Hier sind zum Beispiel die Magister-Kommissionen zu nennen, die am Rande der congregationes Entscheidungen trafen. Auch wenn es diese Kommissionen bereits ab dem 13. Jahrhundert gab, so nahm die Zahl solcher Gremien im Spätmittelalter zu: Sie übernahmen immer mehr die Oberhoheit über die Hochschule, und zwar zu Lasten der Versammlungen. Die Wahl der Beamten stellte eine Kollektivhandlung dar, die nicht aufgeschoben werden konnte.66 Ohne fähige Vertreter wäre die Korporation wie gelähmt gewesen. Deswegen vollzog sich die Nominierung der wichtigsten Beamten in den meisten Magisteruniversitäten auch in geregelteren Bahnen, wie etwa über die indirekte Abstimmung oder das Rotationsverfahren, und nicht über den Weg der herkömmlichen Beschlussfassung. Diese Ausnahmen wurden ohnehin vom kanonischen Recht vorgesehen. Der Pariser Rektor wurde von vier intrantes gewählt, die vorher von den Nationen der Artistenfakultät bestimmt worden waren.67 Die neugegründeten Universitäten, die dieses Auswahlprinzip übernahmen, vertrauten die Nominierung ihrer intrantes jedoch der Gesamtheit der Fakultäten und nicht nur der Artistenfakultät an.68 Die Prager Universität dagegen entwickelte ein komplexes System aus aufeinander folgenden Wahlkomitees, um den eigenen Rektor zu bestimmen.69 Zur Ver65 Elsener, Zur Geschichte des Majoritätsprinzips, S. 81 f. Das Konsensprinzip wurde auch als politische Waffe auf den Reichsversammlungen des Spätmittelalters benutzt; Schwedler, Formen und Inhalte. 66 Zu den Wahlen in den mittelalterlichen Universitäten und bes. in Paris siehe Gorochov/ Verger, Les élections. 67 Grundsätzlich dauerte die Wahl des Rektors durch die intrantes so lange, wie eine Kerze von einem Pfund braucht, um herunterzubrennen; Gorochov/Verger, Les élections, S. 128. Tatsächlich konnte aber die Benennung dieser intrantes sich ausdehnen, wie es die von Konrad von Megenberg gestörte Wahl von Oktober 1337 zeigt: Obwohl aus der Universität ausgeschlossen, legte Konrad unbedingten Wert darauf, an der Abstimmung teilzunehmen; Courtenay, Conrad of Megenberg, S. 109. 1444 und 1445 griff auch die französische Nation auf das System der intrantes zurück, um ihren Prokurator zu wählen, nachdem es Zwischenfälle beim Wahlvorgang gegeben hatte; Talazac-Landaburu, La Nation de France, S. 31. 68 Dies war der Fall in Wien, Köln und Löwen, Schwinges, Rektorwahlen, S. 19, sowie an der Universität Caen, Roy, L’Université de Caen, S. 57. 69 Die Nationen mussten vier Deputierte nominieren, welche selbst in der Versammlung sieben Personen bestimmten, die ihrerseits die fünf Wahlmänner des neuen Rektors aus-
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hinderung von Kampfabstimmungen, die das konsensbasierte Funktionieren der congregationes durcheinandergebracht hätten, verfügten viele Universitätsstatuten, dass die Posten nach vorher definierten Kriterien zu vergeben seien, wie etwa der nationalen oder akademischen Herkunft. In Erfurt wurde der Dekan der Artistenfakultät alternierend aus dem Collegium majus, dem Collegium Amplonianum und schließlich unter den weiteren regentes artium ausgewählt.70 Die Anwendung von unantastbaren Regeln der Repräsentation hatte zum Ziel, die Wählerschaft dem negativen Einfluss der konkurrierenden Gruppen zu entziehen. Zahlenmäßig begrenzte Wahlkomitees erleichterten die Wahl der Beamten und vermieden die Komplikationen, die bei einer Abstimmung in der Vollversammlung auftreten konnten. Diese Wahlen waren jedoch nicht die einzigen Gemeinschaftsentscheidungen, die vom ordentlichen Verfahren abwichen. Musste eine congregatio aufgrund eines Gutachtens über eine technische Frage befinden, konnte sie immer einige ihrer Magister damit beauftragen, einen Untersuchungsbericht anzufertigen. Bereits für die Mitte des 13. Jahrhunderts ist eine solche Arbeit in Kommissionen bezeugt. Diese Kommissare wurden als deputati bezeichnet und im Konsens bestimmt, also ohne reguläres Verfahren.71 Laut Statuten hatten sie jedoch keinerlei Entscheidungsbefugnis, und ihre Kollegen mussten ihren Vorschlägen erst zustimmen, damit sie Gültigkeit erlangten.72 Dennoch hatten die Versammlungen keinen großen Spielraum gegenüber den Entscheidungen dieser oft einflussreichen regentes.73 In Löwen beispielsweise wurden wichtige Angelegenheiten regelmäßig deputati aus den fünf Fakultäten anvertraut: Diese gemischten Kommissionen traten nach der congregatio zusammen, untersuchten den Fall und legten ihren Bericht in der nächsten Sitzung vor.74 In der Regel verabschiedete die Versammlung die Schlussfolgerungen dieses Berichts.75 Die Löwener Gelehrten wollten dieses Verfahren sogar auf die Mehrheit wählten; Schwinges, Rektorwahlen, S. 20 f. Auf dieses System beriefen sich die Wahlverfahren in Erfurt und Leipzig. 70 Wie es das Statut von 1439 vorschrieb; Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis, Bd. 1, S. 224. 71 Die Pariser Quellen verwenden ständig den Begriff „dare deputatos“; Tournier, L’Université de Paris, S. 299. In Caen wurden diese deputati – oftmals Fakultätsdekane – dazu berufen, dem Rektor in Fragen der Konfliktlösung beizustehen; Roy, L’Université de Caen, S. 60. 72 Ein gutes Beispiel ist hier die Universität St Andrews, wo am 5. Dezember 1508 ein Beisitzer des Dekans der Artistenfakultät den Vorschlag machte, eine Entscheidung im Rahmen der Kommission zu treffen: „omnes deputati consenserunt ad hoc sed dixerunt hoc non posse sortiri vim statuti nisi proponeretur in publica congregatione tocius Facultatis.“ Dunlop, Acta Facultatis, S. 290. 73 Die Pariser Magister, die am häufigsten diese Funktion innehatten, bildeten eine relativ begrenzte Gruppe, sowohl an der medizinischen Fakultät – Tournier, L’Université de Paris, S. 299 f. – als auch innerhalb der französischen Nation – Talazac-Landaburu, La Nation de France, S. 37. 74 Ihr Funktionieren wird sogar in den Statuten beschrieben; Van Hove, Statuts de l’Université de Louvain, S. 622. 75 Reusens, Actes ou procès-verbaux, Bd. 1, S. XIV.
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der Angelegenheiten, die die congregatio zu bewältigen hatte, ausweiten. So wurde am 23. Januar 1450 ein Kollegium von Beisitzern des Rektors gegründet; es bestand aus einem Vertreter jeder Fakultät und sollte die zahlreichen Bittschriften untersuchen, welche die Verteidigung der Universitätsprivilegien betrafen. Dieses Kollegium erhielt übrigens ein eigene Verordnung: Hier wurden Organisation, Kompetenzen und Verfahren festgelegt.76 Allerdings dauerte dieses Experiment einer permanent tagenden Kommission aufgrund von Beschwerden seitens mehrerer Fakultäten nicht länger als ein Jahr.77 Den Wahlkomitees und sonstigen Ad-hoc-Kommissionen wurde bestenfalls zeitlich begrenzte Macht zugestanden. Ganz anders gelagert war der Fall bei den Universitäts- oder Fakultätsräten, denen dauerhaft Macht übertragen wurde. Das Regieren durch Räte nahm im Reich immer stärker zu; die congregatio magistrorum wurde hier sogar als consilium bezeichnet.78 In Prag, der leibhaftigen alma mater unter den deutschen Universitäten, wurde die Verwaltung der Artistenfakultät bereits 1370 einem Rat anvertraut, der aus dem Dekan und vier gewählten regentes bestand.79 Dieses System wurde dann auf andere Universitäten übertragen. So entstand in Erfurt im 15. Jahrhundert ein Consilium secretum: Es umfasste den Rektor und zwei Vertreter jeder Fakultät, das heißt den Dekan und seinen Vorgänger.80 Eine solche Leitungspraxis, die die politische Bedeutung der Vollversammlungen reduzierte, betraf keineswegs nur die Neugründungen, die mit korporativen und partizipativen Traditionen brachen. Bereits in der alten Universität Paris findet man vergleichbare Räte, auch wenn konkrete Nachweise für eine solche Entwicklung erst in der Neuzeit auftauchen. Ein Beispiel ist die Curia rectoris: War diese zunächst ein Gericht in der Hand des Rektors, assistiert von den Prokuratoren und Dekanen, so erlangte sie im 17. Jahrhundert die Oberhoheit über die Pariser Hochschule.81 Nur wenig ist 76 Dies sind die Avisamenta reformacionis supplicacionum; Van Hove, Actes ou procèsverbaux, Bd. 2, S. 169 – 171. 77 Van Hove, Actes ou procès-verbaux, Bd. 2, S. XVII und 355. Sicher ist, dass die arbeitsintensiven Bittschriften systematisch vom Rektor und den Dekanen der fünf Fakultäten begutachtet wurden. 78 Auf diese Weise wurde die Generalversammlung in Prag, Wien, Erfurt oder Löwen bestimmt. Es kam vor, dass man anstelle des Wortes consilium das Wort concilium benutzte, aber die beiden Termini im mittelalterlichen Latein zu unterscheiden ist mitunter schwierig; Weijers, Terminologie, S. 69. 79 Das Statut vom 30. Dezember 1370 verfügte, dass vier regentes aus jeder der Nationen auszuwählen seien, um den Dekan während der Dauer seines Mandats bei seinen Verwaltungsverpflichtungen zu entlasten; Monumenta Historica Universitatis, Bd. 1, S. 78 f. Am 27. April 1387 wurde zusätzlich bestimmt, dass der Dekan ohne das Einverständnis dieser vier Magister nichts siegeln konnte – ebd., Bd. 1, S. 6 –, und am 28. August 1400 übertrug man ihnen die Aufgabe, dem Dekan alle Verstöße gegen die Statuten zur Kenntnis zu bringen – ebd., Bd. 1, S. 113 f. 80 Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis, Bd. 1, S. 206. 81 Rashdall, The Universities, Bd. 1, S. 405 f. Interessant ist, dass diese Curia rectoris Mitte des 15. Jahrhunderts manchmal auch Consilium rectoris genannt wurde; TalazacLandaburu, La Nation de France, S. 113, Anm. 6.
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über die Entstehung dieser Institution bekannt, eventuell ist sie aus der permanenten Kommission der Artistenfakultät hervorgegangen, deren Existenz selbst nicht ganz gesichert ist, deren Aufgabe es jedoch anscheinend war, zwischen zwei Versammlungen die laufenden Geschäfte zu führen.82 Wahrscheinlich führte der zunehmende Einfluss der Monarchie zu einer Konzentration der akademischen Macht.83 Je unabhängiger die Korporation vom Monarchen war, desto besser konnte sie der Einflussnahme von außen widerstehen. Da die deutschen Universitäten mehrheitlich von Fürsten gegründet worden waren, fiel ihnen dies besonders schwer. Dennoch erklärt nicht allein der Einfluss der Monarchie eine solche Entwicklung. Die oligarchischen Tendenzen in den Universitäten der Renaissance sind letztlich auf interne Veränderungen zurückzuführen. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts befand sich der repräsentative Charakter der congregationes in Auflösung: Die jüngsten Artistenmagister wurden nach und nach ausgeschlossen. Auch in diesem Punkt unterschieden sich die Universitäten des Reiches erheblich vom Pariser Modell. Seit 1366 war die Teilnahme an den congregationes der Prager Artistenfakultät denjenigen Magistern vorbehalten, die schon mindestens fünf Jahre an der Universität waren, davon zwei Jahre als regentes.84 In Löwen wurden am 13. August 1439 die Artistenmagister von der Generalversammlung ausgeschlossen, wenn sie weniger als drei Jahre im Amt waren oder seit weniger als zwei Jahren in Löwen unterrichteten.85 Die Universitätsräte wurden somit von der kleinen Gruppe der seniores magistri dominiert.86 Andere Universitäten führten einen numerus clausus ein. So wurde das consilium der Artistenfakultät in Erfurt auf zwanzig Mitglieder begrenzt, obgleich es 1431 bereits 37 und um 1450 70 regentes gab.87 Die Zahl der von der universitären Mitbestimmung augeschlossenen Magister stieg also beständig an, was zu Konflikten führte: 1458 schlug die Universität 82 Diese Kommission, die aus dem Rektor und den Prokuratoren der Nationen hätte bestehen müssen, war durch die Statuten der Artistenfakultät am 5. Dezember 1275 ins Leben gerufen worden; CUP 1, Nr. 461, S. 532. Sie hat in den Quellen jedoch sehr wenige Spuren hinterlassen; Rashdall, The Universities, Bd. 1, S. 405. 83 In Frankreich trugen die königlichen Reformen im 15. Jahrhundert dazu bei, eine strikte Anwendung des Pariser Modells in den Universitäten von ursprünglich gemischter Form durchzusetzen: Die nichtgraduierten Studenten in Orléans (1447) und Angers (1462) büßten so ihr Stimmrecht in den Generalversammlungen ein; Verger, Les universités françaises, S. 246. 84 Monumenta Historica Universitatis, Bd. 1, S. 93. Das Jahr der Abfassung des Statuts kann den Addenda entnommen werden. 85 Van Hove, Actes ou procès-verbaux, Bd. 2, S. 356. Es war in der Tat das Alter der Magister, das Probleme schuf, denn dasselbe Abkommen ermöglichte es den Lizentiaten und den Bakkalaren des Rechts, die bereits Artistenmagister waren, an den Generalversammlungen teilzunehmen. 86 Dies zeigt nicht zuletzt das Beispiel der Heidelberger Artistenfakultät; Ritter, Die Heidelberger Universität, S. 128 f. 87 Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis, Bd. 1, S. 222. Ein Statut von 1439 verfügte, dass dieses consilium acht Mitglieder aus dem Collegium majus, sechs aus dem Collegium Amplonianum und sechs von den restlichen regentes artium haben musste.
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Wien vor, den jüngsten Artistenmagistern das Stimmrecht in den Räten und Generalversammlungen vorzuenthalten. Die Wiener Junioren konnten jedoch einen Einspruch ihrer Fakultät und eine päpstliche Intervention erreichen. So mussten die höheren Fakultäten die zur Stimmabgabe notwendige Mindestamtszeit von sechs auf vier Jahre reduzieren.88 Ähnliche Probleme gab es in Erfurt und Basel, wo die Junioren seit 1464 eine Vergrößerung des Rates der Artistenfakultät forderten.89 Trotz dieser Proteste war es Ende des 15. Jahrhunderts an den Universitäten des Reiches üblich geworden, die meisten Artistenmagister aus den Exekutivräten auszuschließen.90 Zwar waren auch die früheren Korporationen nicht gegen solche Tendenzen gefeit, aber die Beständigkeit der korporativen Strukturen sowie das politische Gewicht der Artisten machten jegliche Reform vor dem 16. Jahrhundert unmöglich. Diese zunehmende Kluft zwischen den alten Universitäten und den Neugründungen unterstreicht eines der Hauptmerkmale des Systems: Die Universität Paris hielt am repräsentativen Charakter ihrer congregationes fest, weil die Abschaffung dieses Prinzips den komplexen Aufbau der Institutionen, auf dem die Oberhoheit der Artistenfakultät über die Hochschule beruhte, ad absurdum geführt hätte. Das Pariser Modell konnte letztlich die systematische Umgehung seiner Mechanismen zur Beschlussfassung nicht überleben, weil es zwischen dem Muster und diesen Mechanismen eine dialektische Beziehung gab. IV. Zusammenfassung Die Universitätshistoriker haben oft die Bedeutung des beginnenden 13. Jahrhunderts als Schlüsselperiode für die Entwicklung des westlichen Bildungssystems hervorgehoben. Zu dieser Zeit gründeten die Schulen in Paris und Oxford Magisterkorporationen, wohingegen Bologna sich als Studentenkorporation organisierte. Doch vernachlässigt diese historiographische Sichtweise den institutionellen Wendepunkt, den die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts darstellt und der vielleicht sogar wichtiger ist als das beginnende 13. Jahrhundert: In dieser Zeit wandelten sich die Korporationen zu Institutionen. Erfasst werden kann dieser Wandel durch eine Untersuchung der universitären congregrationes, denn ein solches Beratungs- und Entscheidungssystem ist nicht nur ein rechtliches Instrument, sondern es reflektiert ebenso die Machtbeziehungen unter den Beschlussfassenden wie auch ihre soziale Repräsentation. Im Laufe des 14. Jahrhunderts triumphierte in den Generalversammlungen der Magisteruniversitäten das Mehrheitsprinzip. Was bis dahin ein freiwilliger Fakultätenverband war, wurde nun zu einer geeinten Institution.91 Der Rektor der Pariser Ar88 Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität, Bd. 1,1, S. 180. Ein Universitätsrat, bestehend aus Senioren jeder Fakultät, wurde schließlich dennoch gebildet. 89 Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis, Bd. 1, S. 222 f. 90 Die Gründungsstatuten der Universität Tübingen (1477) sahen vor, dass die Vertretung der Artistenfakultät in der „plena congregatio“ der Hochschule auf den Dekan und vier regentes begrenzt blieb; Teufel, Universitas Studii Tuwingensis, S. 184. 91 Dies bedeutete für Paris, alle Konsequenzen aus der Erklärung vom 12. Juli 1281 zu ziehen, die Folgendes aussagte: „facta facultatum theologie, decretorum, medicine, et arcium,
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tistenfakultät übernahm, nicht zuletzt auch durch die Beilegung der letzten Unstimmigkeiten bezüglich der Einberufung der Generalversammlung, die Rolle eines unangefochtenen Oberhaupts der gesamten Universität. Diese Institutionalisierung, die nichts anderes war als der Ausdruck eines bestimmten Kräfteverhältnisses, stärkte die demographische und politische Machtstellung der Artisten. Die Universität Paris wies dadurch, dass sie jungen Artistenmagistern aus höheren Fakultäten zunehmend Macht übertrug, Ähnlichkeiten in ihrer Wirkungsweise mit den Studentenuniversitäten auf, welche von Studenten des Rechts geleitet wurden.92 Dies ändert nichts daran, dass sich im 14. Jahrhundert ein eigenes Beschlussfassungssystem für das Pariser Modell herausbildete, auch wenn dessen Interpretation keineswegs eindeutig war. Denn auf der einen Seite brachte das neue Verfahren eine Stärkung der vorhandenen Machtbeziehungen in der Universität mit sich; auf der anderen Seite verschonte es die etablierten akademischen Hierarchien. Die in diesen Ritualen zum Ausdruck kommende symbolische Repräsentation verortete die Artistenmagister unterhalb der Doktoren aus den höheren Fakultäten, ausgenommen die Artisten, welche die gesamte Universität vertraten. Dasselbe trifft für das effektive Funktionieren des Mehrheitsprinzips zu. Die universitas war zwangsläufig eine freiwillige Gemeinschaft, so dass die strikte Anwendung des Prinzips der absoluten Mehrheit dieses zerbrechliche Gebilde gefährdet hätte. Deshalb sah das System Möglichkeiten des Einspruchs sowie qualifizierte Mehrheiten vor, die es allen Teilen der Universität erlaubten, auf den endgültigen Beschluss Einfluss zu nehmen. Ein solches Entscheidungssystem, das auf dem „consensus omnium magistrorum“ beruhte, war nicht an der unmittelbaren Effizienz einer schnellen Beschlussfassung interessiert. Es suchte vielmehr nach einem politischen Gleichgewicht zwischen der Artistenfakultät und den höheren Fakultäten. Trotz der Krisen, die diese Universitäten durchlebten, war die Herrschaftspraxis der Artisten sicherlich subtiler, als es die vorliegenden Quellen erahnen lassen. Ein derart raffiniertes System war jedoch nur schwer zu exportieren, zumal es durch den Gegensatz zwischen Machtausübung und symbolischer Repräsentation von außen sprunghaft erscheinen konnte. Es begünstigte zudem jede Form institutioneller Blockade und stellte so seine Effizienz in Frage. Deswegen ist es wenig erstaunlich, dass die meisten neugegründeten Universitäten des Pariser Typus von der Mitte des 14. Jahrhunderts an versucht haben, dessen System zur Beschlussfassung zu umgehen. In der Tat konnten die Professoren es nicht länger ertragen, dass die Korporation von den Magistern geführt wurde, die über wenig Erfahrung und das geringste Ansehen verfügten. Das letzte Entwicklungsstadium dieses Prozesses gipfelte darin, die Oberhoheit über die Hochschule einer zahlenmäßig begrenzten Gruppe von Beamten anzuvertrauen, die sich auf die Geschäftsführung spezialisierte. Hierfür ist die Universität Löwen ein gutes Beispiel: Der alle sechs Monate wechselnde Rektor umgab sich mit einer Schar von Notaren, Buchhaltern und Anwälten, in quantum illa facta respiciunt privilegia Universitatis seu negotia, esse facta Universitatis.“ CUP 1, Nr. 505, S. 590. 92 Wie Rashdall bereits unterstrich; Rashdall, The Universities, Bd. 1, S. 409.
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die immer wieder in ihrem Amt bestätigt wurden.93 Zwar blieb die politische Ausrichtung der Universität unter der Kontrolle der congregatio magistrorum, aber die Ausführung der Beschlüsse lag nun in den Händen einer Gruppe von Technikern, die keine regentes und selten Magister waren und die gewissermaßen die Vorläufer einer künftigen Korporation, der Universitätsverwaltung, darstellten. Quellen und Literatur Quellen Aimone-Braida, Pier Virginio (ed.): Summa in Decretum Simonis Bisinianensis, Vatikanstadt 2014. Alberigo, Giuseppe u. a. (ed.): Conciliorum Œcumenicorum Decreta, Bologna 31973. Decretum Gratiani cum glossis, ad vetustorum exemplarium fidem novissime recognitum, Paris 1542. Denifle, Heinrich/Chatelain, Émile (ed.): Chartularium Universitatis Parisiensis, 4 Bde., Paris 1889 – 1897. Denifle, Heinrich/Chatelain, Émile (ed.): Liber procuratorum Nationis anglicanae (Alemanniae) in Universitate Parisiensi, Bd. 1, Paris 1894 (Auctarium chartularii universitatis Parisiensis, 1). Dunlop, Annie I. (ed.): Acta Facultatis Artium Universitatis Sanctiandree 1413 – 1588, Edinburgh 1964. Fournier, Marcel (ed.): La Faculté de décret de l’Université de Paris au XVe siècle, Bd. 1, Paris 1895. Friedberg, Emil (ed.): Corpus Juris Canonici, Bd. 2, Leipzig 1879. Gescher, Franz (ed.): Die Statuten der theologischen Fakultät an der alten Universität Köln, in: Hubert Graven (Hrsg.): Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388, Köln 1938, S. 43 – 108. Henricus de Segusio Cardinalis Hostiensis: Summa aurea, ad vetustissimos codices summa fide diligentiaque nunc primum collata, Venedig 1574. Jullien de Pommerol, Marie-Henriette: Sources de l’histoire des universités françaises au Moyen Âge. Université d’Orléans, Paris 1978. Monumenta Historica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, Bd. 1, Prag 1830. Rashdall, Hastings (ed.): The Friars Preachers v. the University, A.D. 1311 – 1313, in: Montagu Burrows (Hrsg.): Collectanea 2, Oxford 1890, S. 193 – 273. Reusens, Edmond (ed.): Actes ou procès-verbaux des séances tenues par le Conseil de l’Université de Louvain, Bd. 1, Brüssel 1903.
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University, academia, Hochschule, college: Early modern perceptions and realities of European institutions of higher education1 By Willem Frijhoff Gelehrtenkulturen, pratiques savantes, or cultural conventions of learning, the overarching theme of this volume, is a wide-ranging topic without clear-cut conceptual limits. Neither learning nor culture is a concept that is from itself limited by social, cultural or institutional definitions. Every definition is embedded in cultural and social conventions which mostly remain unspoken. Our first and natural reflex is to limit its scope to the world of university teaching and learning, be it only because that is its global self-perception: the university pretends to be universal, and to encompass and qualify all the regular forms of learning. It is, as sociologists name it, a greedy institution. This reflex has been internalized through several centuries of proclaimed equivalence between higher education and the world of learning, and by the pretensions of formal institutions to include, monopolize and control every form of learning, science, or Wissenschaft, in harmony with the requirements of the state. The scope of this text is to put into question that seemingly natural equivalence, embodied as it were in our scientific habitus, and to show that it is important, as well as legitimate, to widen the topic of higher education by changing the angle of view from an institutional approach to a social, cultural or functional view, one that indeed focusses on learning and on its subjects – teachers as well as students –, not on the university structures or its administration. The university is, in fact, an institution of major interest for learning, church and state. As such it has been protected not only by the church and the state itself but also by the learned body of its suppositi, and by the vigilant, sometimes self-proclaimed supervisors of the purity of the Republic of Letters. This must warn us to pay attention to dissenting voices, alternative movements and institutional substitutes, if not straightforward competitors, which altogether gave shape to the world of learning and scholarship, and quite often were also of a similar educational level. I shall limit my theme to the early modern period, for reasons that result from the topic itself, and the main accent will be on the Northern half of Europe.
1 This article was conceived as a synthesis of my earlier research on these topics. On several occasions it resumes passages from previously published articles. For the general background, cf. in particular Frijhoff, Patterns, and recently: Frijhoff, The University.
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I. Historiography: three phases in the research In order to understand what has happened in the world of higher learning as well as in that of its historians, we must first make a quick trip through historical practice. In the historiography of the European university roughly three phases may be distinguished. In the first phase, dominated by the history of ideas and the history of law, the university was, to quote a famous opening sentence formulated 35 years ago by Roger Chartier and Jacques Revel, above all considered as a ‘medieval and scholarly institution’ essentially devoted to the study of the arts, philosophy, theology and law.2 By then, pioneers of a new university history such as Lawrence Stone, Richard Kagan and Fritz Ringer had already proposed a threefold new angle of view, by turning towards the early modern and contemporary period, by introducing the students as the real motive for founding the university as a teaching body, and by using quantifying methods for the assessment of university attendance and student migration. This new paradigm shifted from the institution to the personnel, i. e., the teaching staff, but still more the student body; from intellectual history to social history; from an institutional point of view to a functional approach; and from an inward-looking perception to the role of ‘the university in society’, as the title of an influential collection of essays under the direction of Lawrence Stone proclaimed in 1974.3 During three decades this new paradigm has dominated the ‘history of the university in Europe’ – another title, this time of a highly official series of syntheses on university history from the very start to the present, that was set up at the demand of the Standing Conference of Rectors, Presidents and Vice-Chancellors of the European Universities itself, and realized under the general direction of Walter Rüegg, significantly a sociologist.4 Many of the titles of books and articles published in that period conjugated ‘university’ and ‘society’ in different ways.5 To quote only some of those who have shaped this new university history by their seminal studies, syntheses, or huge databases, allow me to mention pioneers such as Hilde De RidderSymoens for Belgium, Jacques Verger and Dominique Julia for France, Gian Paolo Brizzi for Italy, John Fletcher and Lawrence Brockliss in England, Notker Hammerstein, Konrad Jarausch and Rainer Christoph Schwinges for Germany – names of scholars of the late medieval and early modern period which every reader will be familiar with.
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Chartier/Revel, Université et société. Stone (ed.), The University; Kagan, Students and society. 4 Rüegg (ed.), A History. For the chronology of university foundations and the nature of the institutions, see the detailed information given in Jílek (ed.), Historical Compendium. 5 See, for instance: Julia/Revel/Chartier (ed.), Les Universités européennes; Pelorson, Les ‘Letrados’; O’Day, Education and Society; Frijhoff, La Société néerlandaise. Typical of this approach for the modern period: Roggero, Il sapere; Conze/Kocka (ed.), Bildungssystem und Professionalisierung. 3
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This second paradigm has started before the digital revolution. In fact it prevailed too early regarding the virtual possibilities of the digital approach for social research, including the cultural dimensions. However, because it relied heavily on quantitative methods it has in the course of the last decade finally come to benefit from digital data processing and gone into a new phase, that of the huge repertories of students and professors, no more simple lists of names, but complete, systematically created collective biographies. I name only the Repertorium academicum germanicum under the direction of Rainer Christoph Schwinges, or the huge databases of early modern students in Italy created by Gian Paolo Brizzi and his ASFE-team at Bologna, each collecting the names of tens of thousands of students, and similar databases for university professors all over Europe. The recently created European network of university databases Heloise is the intellectual host for these new data pools. Due to their technical perfection and their claim to completion within a clearly defined research proposal, they may well be considered as new primary sources for research.6 The functional approach typical for this second phase and the new interest in the early modern university has profoundly changed the methods for studying the history of universities, but at the same time opened the view of many scholars for dimensions of higher education and learning that went beyond the boundaries of social institutionalization. This third phase, in which university history has now settled, is therefore much more difficult to define: it turns toward non-institutional factors of social achievement, to the world of scholarly practice and certification by reputation, to the cultural dimensions of any form of higher education or of institutional life, to the biography of institutions and their members, to their perception, self-perception and representation, which are sometimes in conflict with those of the world outside or run counter to expectations and incite to create more adequate provisions, and so on.7 This third phase is not just a new variety of scholarship processed by the scientific evolution of the historical profession; it has strong roots in historical reality and representation itself. II. The university and its alternatives Indeed, the problem of the early modern universities and of those who wanted to provide their town or territory with similar institutions was that the university system went back to the united and unitary system of higher learning of the Middle Ages, where the privilege of conferring degrees was held by two authorities, the church and the sovereign. Yet, in the early modern period both were challenged by intellectual and institutional competitors, or subject to questioning, change, and dissension. Basically, this resulted in a hybrid system: on the one hand, there were the early modern universities, not only those founded in the Middle Ages but also the new foundations of the territorial princes wanting to ensure higher education in their territory 6
http://heloise.hypotheses.org/. See, for instance, Füssel, Gelehrtenkultur; Krug-Richter/Mohrmann (eds.), Frühneuzeitliche Universitätskulturen. 7
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under their own control. On the other hand, a growing series of initiatives was taken over and over again in matters of teaching, education and learning that escaped the formal criteria for a full-fledged old-style university, or tended to create alternative or competing institutions or networks. In fact, in the Middle Ages such alternatives abounded already. In traditional forms of university history they are normally not taken into account but we must consider them seriously for the history of higher education and learning. Medieval universities, except some highlights such as Paris, Bologna, Salamanca, Cologne or Oxford, singularized themselves not so much on the level of teaching as on that of its formal certification and its civil effect. Indeed, universitas referred in the later Middle Ages to a studium generale whose certificates had universal value within the Christianity and whose masters were consequently entitled to teach everywhere on the same footing – although in reality doctrinal discussions, regional networks and local preferences or opportunities could restrict that universal value effectively. Beside the formal universities, other studia (often called studia particularia) existed, either founded on a purely local or territorial level or established by the religious orders, i. e., the corporations entrusted with the transmission of learning in the arts, philosophy and theology. There always was much learning and often an important teaching programme in the old abbeys or the great convents of the religious orders, but most often limited to internal use, not really open to the citizenry. At any rate, such institutions could not boast of the title of a university because their teaching was not recognized within the whole Christianity. Yet, they are certainly among the most neglected educational instances of late medieval Christianity. One of the solutions adopted was a new vision of the university, not any longer based on medieval Christianity – as in a studium generale or a universitas magistrorum et scholarium which in final analysis was committed to the service of God and his earthly representatives and aimed at constructing international scholarship embedded in the supranational structures of the ecclesiastic community itself. Essentially, this new model imitated the classical and secular academia model that the scholars of Renaissance humanism had expounded and propagated. It was for the first time formally and concretely put forth at the foundation of Wittenberg University in 1502, the first university to proudly call itself academia – the Academia Vitebergensis – and as such, one that would soon launch a powerful reform movement of the university curriculum. It is exactly this formula that, for instance, the new Dutch university foundations embraced after 1575: they consistently called themselves academiae and refused to assimilate themselves to the traditional university ideal that continued to prevail in the Mediterranean countries and in the ancient institutions elsewhere in Europe. In fact, they tried to shape themselves as broadly laid out academic centres of learning and to make place for new approaches and specialities, such as oriental languages, botany, experimental physics, surgery, or modern history. As can be expected, the new university of Wittenberg and its successors found their inspiration in an ancient model, Plato’s Academy – founded in Athens in 387 B. C., nearly nineteen centuries earlier. In doing so, they proudly proclaimed that they belonged to a long-standing tradition. In fact, their claim to legitimacy as ‘orig-
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inal’ was founded precisely on this contradictory link with a prestigious tradition that predated contemporary academic innovations. Therefore, at the same time that they openly straddled arcane medieval scholasticism, they attached themselves to free inquiry and to those classical sources of learning that were drawn from Greek and Latin Antiquity. III. New types of colleges At the same time, another solution to the deficiencies of the traditional university was elaborated by the creation of autonomous colleges where humanist ideas of science and scholarship were promoted on a fresh basis. The most noted model is that of the collegia trilinguia, the Trilingual Colleges of Louvain, Paris, and Alcalà, founded as alternatives to the reluctant and conservative traditional universities. The best known Trilingual College is that of Louvain. It was founded in 1517 by Jerome Busleyden (ca. 1470 – 1517) for new ways of learning, represented by humanist philology in an Erasmian spirit. The Collège des lecteurs royaux or Collège Royal at Paris, now the Collège de France, was founded in 1530 by King Francis I (1494 – 1547) under the impulsion of his councillor Guillaume Budé (1468 – 1540). This royal foundation consisting of autonomous chairs (eventually linked up with the university) without a faculty structure or degree programme cultivated an open teaching programme and virtually free attendance. It quickly went beyond the ancient languages initially scheduled as teaching matters, incorporating also chairs of mathematics, medicine and law. Though basically conceived as a teaching institution, it became very soon a centre of advanced research. Its lecturers were closely linked to royal power, and indeed appointed by the king himself. Contrary to the statutes of the University of Paris, they could be of different religious persuasion. Some of them, like the Huguenot mathematician, logician and dialectician Petrus Ramus (Pierre de La Ramée, 1515 – 1572), killed during the St. Bartholomew Massacre, would prove to be real innovators of long lasting influence far beyond the frontiers of the realm. Much more than the regular university professors, he has shaped the new pedagogy of late sixteenth and early seventeenth century Europe.8 Beginning in the sixteenth century, a long series and indeed a huge variety of newly founded colleges, civic academies and learned societies were added to the formerly established humanist universities, themselves new versions of the medieval scholarship ideal rooted in a monopolistic conception of the unity of church and state. From humanist Italy, these higher or lower level institutions spread over Europe to a growing number of cities and states. Together with the new universities, these colleges, academies and societies developed new forms of scholarship, which by and large were assimilated by the universities still pretending to hold the monopoly of learning. In reality they were barely able to live up to it, the less so as most of the rising great urban centres of commerce, politics and civility, and several of the new political capitals were destitute of a university. It is true that Paris, Rome, Prague 8
Ong, Ramus; Hotson, Commonplace Learning.
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(1347) and Vienna (1365) are examples of the early commitment of a university to the social and cultural functions and the centrality of the capital in an ambitious territorial state with an active court life, ensuring the permanent presence of men of high culture. Copenhagen added itself in 1475 to the list, Dublin got the equivalent in 1592, and Edinburgh only in 1621, as the very last of the Scottish universities, but after the departure of the Scottish royal family to London. IV. Capital cities and commercial towns However, there could be many reasons for cities to be reluctant towards the foundation of a university. Think of the turmoil of student life, the fear for intervention of the intellectuals in public policy, or the refusal of a third force in the capital city, next to court and commerce. Some of the most important capital cities of the late Middle Ages and the early modern period long remained deprived of a university, such as late medieval Dijon and Brussels, and early modern The Hague, Berlin or Warsaw (though the royal city of Krakow enjoyed this privilege since 1364). In 1826, the old university of Ingolstadt-Landshut was transferred to the capital of Bavaria, Munich, where lectures in public administration had already started in the Kameral-Institut founded by the prince-elector in 1799. The same held for Budapest, where the university of Trnava (Tyrnau) was transferred in 1777, almost a century after its recovery from Turkish dominion (1686); for Madrid, where the university of Alcalá was transferred only in 1832; for Lisbon, that after several transfers in both directions lost its university from 1537 until 1911 to Coimbra; for Bucharest, which got its university in 1864; for Milan, where the foundation of a full university, as successor to an important Jesuit college founded in 1556 and a learned nineteenth-century Academy, took place in 1924, and for Stockholm, where besides minor colleges for medical, technical and commercial education, some of them going back to the seventeenth century, a high college was founded in 1877, and Stockholm University not before 1960. Beside these capital cities, many a rising commercial metropolis or political centre remained deprived of a full-fledged university and experimented with alternative solutions. That was the case of Antwerp, Amsterdam, Rotterdam, Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt, Berne, Rouen, Lyons, Lille, or Nancy, to name only those. Although in many of these cases a university was not far from home, in a neighbouring city, ensuring a capacity for professional education for the youngsters housed in the colleges of such a university or in the homes of citizens, for the actual presence of learning and the need for formation in the sciences in cities where the cultivated bourgeoisie or the educated professions looked eagerly for such opportunities, these institutions outside the city walls were not really useful in daily life. The intellectual bustle of university life was lacking. By and large, all these cities realized that the presence of an intellectual incentive in town was essential for social and even commercial or industrial innovation. Hence, they went to seek for alternatives.
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What on a closer look at urban history strikes most is indeed the capacity of these early modern cities to create appropriate alternatives to the university – alternatives fit for their particular position, the perceived interest in science and scholarship, and the requirements of urban life. Among these, first of all the urban colleges stand out, basically grammar schools but with specific links to the universities or having obtained the permission to confer certain degrees, mostly in the arts or theology, sometimes in law. The long range of intermediary institutions between the lower schools and the university started indeed with the colleges which, according to the countries concerned, took different shapes. In Paris, for instance, ever since the later Middle Ages a grand number of university colleges existed, some only as residential buildings. Several of them evolved into full-fledged secondary schools, testifying to the growing split between secondary and higher education.9 Other Paris colleges maintained a higher level of teaching in the arts and philosophy which made them institutional partners of the arts faculty. The almost exclusive focus on renowned universities, famous professors, and cutting-edge research in the older tradition of university history has obscured the importance of this median, much less spectacular or prestigious level of learning. Seen from the viewpoint of higher education, few research has been done on the numerous grand seminaries – or conciliar seminaries as they were often called in Southern Europe – set up everywhere in the Catholic countries (by far the great majority of the European population) for the formation of priests, after the Council of Trent (1545 – 1563) had made them compulsory for each bishopric. Not to speak of the educational initiatives of the new religious orders with their missionary spirit, especially active where universities were scarce or inoperative. The institutions of this median level have ensured the largely shared cultural standards that became characteristic of European civilization, even outside the core territories of traditional university-level training, in particular in the countries of Central and Eastern Europe. Whereas in quite a lot of older colleges theology was taught already in some degree, the religious orders of the Catholic Reformation set up new colleges provided with classes for higher level study in formal philosophy and theology – sometimes against the official doctrine of the university. This was for example the case of the Séminaire St. Magloire in Paris, founded by the Oratorians in 1661 and rapidly turned into an international refuge for Jansenist theology. As grammar schools, urban colleges could be huge, comprising between one and two thousand pupils in the early seventeenth century. New college buildings, often comprising a boarding school, arose everywhere within as well as outside the cities, irrespective of the presence of a university. In the Catholic countries of Western and Southern Europe, the highest classes of the most important Jesuit colleges and those of other teaching congregations, such as the collèges de plein exercice of France, for instance at Rouen, Lyons, La Flèche (Jesuits), or Juilly (Oratorians), overlapped the curriculum of the faculties of arts and theology, and prepared several hundreds of pupils for clerical 9
Compère, Les Collèges français.
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degrees. These classes assumed the role of a grand seminary that could also be, and often was indeed, an independent institution of higher education in a growing number of episcopal cities. In fact, even the minor seminaries, acting as local grammar schools, often held classes in philosophy and theology with quite a few students.10 V. Gymnasia academica and illustrious schools In the Protestant world, the same happened with regard to the formula of the gymnasium academicum.11 In the Holy Roman Empire this was sometimes just a fullyfledged grammar school with a semi-university superstructure, as at Hamburg (founded in 1613), but some others, including, for instance the Reformed gymnasium illustre at Bremen (1610), could be – or were at least by part of the community concerned perceived as – equivalent to a real university just lacking the graduation rights. This was, for confessional reasons, the case of the Calvinist Hohe Schule or academia at Herborn, founded in 1584 by count John VI ‘the Elder’ of Nassau-Dillenburg (1536 – 1606), the brother of William prince of Orange (1533 – 1584) who nine years earlier had founded Leiden university.12 A telling example is the founding history of Duisburg University. Duke William V ‘the Rich’ of Cleves (1516 – 1592), who from 1537 was for many decades the sovereign of a sizable bunch of duchies and counties in the Rhineland, had created in 1545 a gymnasium illustre in the capital of his duchy of Berg, Düsseldorf. In the course of the centuries this institution of higher education was enlarged with quite a number of professional chairs and schools in other arts and sciences. But soon, to fight Protestantism, a full-fledged university was needed. In 1559 the duke founded a gymnasium academicum in Duisburg, the capital of his duchy of Cleves, then at its cultural zenith. After harsh negotiations by his emissary at Rome, the humanist scholar and Hebraist Andreas Masius (1514 – 1573), he obtained two years later a papal bull for a studium generale, and the Emperor agreed in 1566. The existing Latin School of Duisburg was erected into a gymnasium academicum, in order to serve as the lower level of the university. But the confessional troubles in the duchy and the sickness of the duke prevented the development of the two institutions and soon both went to sleep. However, in 1632 the new Brandenburg government was credited with the desire to revive the university as a Reformed institution. In the meantime, the Landstände, i. e., the formal representatives of the local population, asked the Elector to realise a new Reformed university, and when this took too much time, they pushed him in 1636 to convert the local Latin school into a Reformed Illustrious School, i. e., a university without promotion rights. It was restored as a Calvinist gymnasium illustre in 1636, to be elevated at university level in 1654. It is important to look at the dates, because this 10 Julia, Aux sources; for the Protestant world, see Janse/Pitkin (eds.), Clerical and confessional identities. 11 Still useful is Goldmann, Verzeichnis der Hochschulen. 12 Menk, Hohe Schule Herborn.
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was the decade that saw the creation of a whole string of gymnasia academica in Germany and the other countries of Central Europe, and of Reformed illustrious schools in the neighbouring Netherlands. In other words, the initiatives of the prince were embedded in a cultural conjuncture that referred not so much to the court and princely politics as to the burgher community. It played much more with elements of local utility and interregional competition then with status or other symbolic dimensions. The Illustrious School of the duchy came into being under the impulsion of the city magistrate, interested in culture and in the professional education of preachers, teachers, lawyers, judges and physicians. They called precisely those professors who for intellectual reasons experienced difficulties in other places, such as Johannes Clauberg (1622 – 1665) and Christophorus Wittichius (1625 – 1687). Both came to Duisburg already in 1652. When two years later, in 1654, Frederick William of Hohenzollern, the ‘Great Elector’ (1620 – 1688), decided to create a full-fledged Reformed university in Duisburg, the professors were already present, students were matriculated, and courses in philosophy, theology and law were taught; in short, the whole infrastructure needed for a complete university existed.13 In fact, the cursus honorum of many university professors included a gymnasium academicum, college or illustrious school. In their self-perception, such institutions were barely inferior, if not quite similar to the formally erected universities. Obviously, during the first half of the seventeenth century Western Europe went through a cultural and scholarly makeover. It bustled of creations of learned schools, colleges and academies. Kings and princes as well as republics asserted their autonomy and their authority in matters of culture and education. They proved this not only by the erection of higher schools and universities, but, on a second stage, also by the creation of all sorts of learned societies or academies. Thus, in 1576 King Henri III of France (1551 – 1589) introduced in his court the Palace Academy, elaborating on a former private initiative that the king used for the elevation of court culture.14 This act may be considered quite characteristic of many similar forms of cultural agency in the early modern period. Beginning with the Platonic Academy or Accademia Fiorentina, connected with the court of Cosimo de’ Medici (1389 – 1464) and his grandson Lorenzo the Magnificent (1449 – 1492), first the Italian, then the French, and finally the German, Spanish and other learned Academies of Europe benefited from royal or princely protection and a formal acknowledgement.15
13
On Duisburg University: Geuenich/Hantsche (eds.), Zur Geschichte. Sealy, The Palace academy. 15 On the relation between universities and academies during the Renaissance, see Frijhoff, Patterns. On learned academies in a later period: McClellan, Science reorganized. 14
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VI. University foundation and legitimacy: the case of Leiden The upsurge of the higher education system was particularly clear in the Dutch Republic, where in actual fact neither the Pope nor the Emperor could intervene any more for new university foundations, although the Dutch Republic did not quit the Holy Roman Empire before 1648. Already during the later Middle Ages this had been a densely schooled society, in particular due to its high degree of urbanization and the subsequent efforts of city councils and spiritual groups, such as the Brethren of the Common Life for whom education was a key dimension of Christian life. But in spite of the flourishing of several semi-university level colleges in the Hanseatic towns, such as those at Deventer, Zwolle, Bois-le-Duc, Alkmaar or Utrecht, no local university had been founded, students going either to Cologne or to Louvain. The reshuffling of the Netherlandic bishoprics in 1559 – 1561 and the creation of a new university at Douay in 1559 – 1562 for the French-speaking subjects of the Spanish king revived the desire for a new university in the booming economy of the Northern provinces. Finally, in the first days of 1575 a university was founded at Leiden for the provinces of Holland and Zealand by the rebel government of William of Orange, but the status of the Academia Lugduno-Batava as a full, legitimately founded university long remained a disputed question, in particular in the international academic world, largely dominated by Catholic institutions authorized by Pope and Emperor. In order to assess the value of its own degrees – tough in the beginning most of the students preferred taking them at a renowned university during their grand tour in foreign countries like France and Italy – Leiden found the aid of Geneva, another academia with a semi-university status, whose degrees equally were subject to dispute. By recognizing each other’s graduations, the Dutch and Swiss authorities tried to take a firm position in the world of learning.16 But Geneva was too much a theological school, and the ambitions of the curators of Leiden University, critical towards the pretensions of the theologians, went much farther. Among them were in the first place the visionary nobleman Janus Dousa (1545 – 1604) and the shrewd secretary of the Leiden curators Jan van Hout (1542 – 1609), both literary gifted humanists and declared opponents of any form of Calvinistic theocracy, in civil government as well as at the university. They dreamt of a purely humanistic university in which not so much religion as wisdom was the core of teaching and learning. In their conception, philosophy and philology, the core disciplines of humanism, would play a steering role. The faculty of arts, traditionally subordinate to the three higher faculties of theology, law and medicine, would in the Dutch university therefore become itself an autonomous and major faculty of philosophy, liberal arts and mathematics, next to its three or four traditional sisters (theology, civil and canon law, and medicine), and on the same footing, not in a subordinate position as in the old university system. It is no coincidence that the star scholars recruited in foreign countries to enhance the reputation of Leiden Univer16
Heyer, Lettres patentes; Maag, Seminary or University?
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sity were essentially learned philosophers and philologists: Justus Lipsius (1547 – 1606), who soon returned to Catholicism and to Louvain, Joseph Justus Scaliger (1540 – 1609), and Claude Saumaise (or Salmasius, 1588 – 1653), both recruited in France, not as professors obliged to teach, but as academiae decus, according to the qualification the curators proudly wrote underneath their portrait in the great auditorium of the university. They had precedence over the professors and defended this priority position eagerly. We would call them now research professors. France was during many years the political ally of the Dutch Republic. It was probably the recognition of the Leiden degrees in philosophy and law by a particular privilege of the French King Henry IV (1553 – 1610) in January 1597, issued shortly before the Toleration Edict of Nantes (1598), which secured definitively the international status of the Dutch universities.17 It favoured at the same time the shift of its external image from a seminary for Reformed theology towards a more secular institution of higher learning, dominated by modern curricula in arts, medicine and law. Consequently, the Reformed Church itself became reluctant towards the theological formation provided by such a university; it founded its own theological college next to the faculty and recognized only its own examinations.
VII. Universities and illustrious schools Such distrust between the church, on the one side, and the university as a secular institution, on the other side, was typical for most of Europe. It contributes to explain the creation of a parallel teaching system including the many Catholic grand seminaries founded after the Council of Trent, and also quite a few Protestant colleges. Another tension, everywhere in Europe, was that between the university far away from home and the wish to control student life. It motivated the creation of residential colleges in the major university towns, but also the rise of a more or less dense parallel network of higher schooling, partly as an appendix to the grammar schools, partly by way of autonomous institutions. On the lower level of higher learning several forms of overlap blurred the pretended uniqueness of the university curriculum. Thus, many universities everywhere in Europe, especially the Catholic ones – which formed the bulk of the university system in spite of the major reputation of the Protestant universities as centres of modernity and learning – still comprised some lower classes of the grammar school, integrated in the arts faculty. But this included also a decidedly modern university as the Academia Lugduno-Batava at Leiden, where grammar school pupils from the tertia and higher classes were bound to matriculate as fullfledged students at the university – an obligation that has fooled many modern researchers who strolling through the matriculation registers often think to detect 10-year old geniuses on the university desks. The formula of autonomous semi-university schools was particularly fruitful throughout the German part of the Holy Roman Empire and bordering countries, such as the Netherlands and Switzerland, but also in Central and on the fringe of East17
For the sources and their analysis, see Frijhoff, La Société néerlandaise, p. 70.
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ern Europe, at the frontiers of confessional difference or dissent. Thus, after the first universities with a provincial monopoly had been founded at Leiden, Franeker and Groningen, many of the major towns of the Northern Netherlands tried to ensure a local form of higher learning by creating so-called illustrious schools, in all nine of that kind. This was a university level training school without graduation rights but often used as a first step in the university curriculum itself, including in the career strategy of university professors. Quite often it was the only teaching institution attended by a student before his graduation at a full-fledged university where he got just a formal matriculation for his degree. The mutual assistance between France and the Dutch Republic, that had helped to warrant the legitimacy of Leiden University, went both ways. Because of the Catholic university monopoly, the French Protestants had created by and large ten Calvinist semi-universities, called académies, of which those in Sedan (1599, originally in an independent principality connected with the house of Nassau in the Netherlands) and Saumur (1604) stood out for their genuine scholarship. These académies provided a full curriculum in theology but remained destitute of graduation rights other than the magister artium degree.18 Theology professors like the more liberal and irenic humanists John Cameron (1579 – 1625, a Scotsman), Louis Cappel (1585 – 1658) and Moïse Amyraut (1596 – 1664) at Saumur, or the more orthodox Pierre Dumoulin (or Molinaeus, 1568 – 1658) and Samuel Desmarets (or Maresius, 1599 – 1673) at Sedan, attracted many Reformed students from the Northern regions of Europe on their grand tour through France. At the suppression of the Sedan academy a couple of years before to the Revocation of the Edict of Nantes (1685), the Sedan professors Pierre Jurieu (1637 – 1713) and Pierre Bayle (1647 – 1706) found in 1681 shelter at Rotterdam, where their arrival motivated the revival of the moribund local Illustrious School. In fact, many ministers of the expatriate Walloon Church, and French speaking professors of Calvinist theology employed throughout Protestant Europe were products of these French académies. On the other hand, for the Huguenots in France, with their increasingly difficult position, the stands taken by the Dutch Reformed Church served as important guidelines. In 1620 their national synod in Alès had accepted the resolutions of the Synod of Dordrecht (1618 – 1619), and scholarly theological discussions, like those between the more orthodox school of Sedan and the slightly more rationalistic school of Saumur, were conducted with the active participation of Dutch professors.19
VIII. Colleges as semi-universities Although until today no synthesis has been written for the history of the European colleges similar to the numerous, major works on the history of the university in Europe, the college formula proved particularly useful for professional needs (priests, 18 19
Bourchenin, Les académies protestantes. Laplanche, L’Écriture; Kretzer, Calvinismus; van Stam, The Controversy.
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physicians, lawyers), for political minorities, and for persecuted groups looking for education abroad. Besides, just like a closed seminary, a college could more easily escape the constraints of formal university structures and intellectual orthodoxy that university teaching often required. The college formula was applied to the academies for the nobility, in particular in France and Italy but also in Germany, and continued on a later stage in the academies for military science and to technical schools throughout Europe, especially in the eighteenth century.20 It was similarly applied to the many Catholic institutions on the European continent founded for Irish, Catholic English or Scottish students or dissenters persecuted by the British crown, for Dutch students obliged to look for Catholic education abroad, and for a host of Oriental students who intellectually wanted to remain faithful to the Roman Catholic tradition; but also to the regions of Central and Eastern Europe that for a large range of reasons, political as well as confessional, had to remain destitute of fullfledged universities. Brasov in Rumania, Cluj-Napoca in Transylvania, Debrecen in Hungary, and Iasi in Moldavia, are examples of sixteenth and seventeenth-century semi-university colleges that filled in the intellectual gaps occasioned by the political or religious turmoil, the changes of ruler, or the impossibility to create permanent university structures. The semi-university formula flourished in fact in all the territories where new centres of culture and learning came up but where the authority to confer degrees was lacking or sometimes even deemed unnecessary. A clear case is Switzerland, where the only full-fledged university was that of Basle, founded in 1432 by the Roman Curia at the Council of Basle, renewed in 1452 by papal bull, and taken over by the city council at the Reformation of the town in 1532. As early as 1525, Huldrych Zwingli (1484 – 1531) created at Zürich a high school in arts and theology, to which chairs in other matters were added. In 1537, a humanist but Reformed academy was erected at Lausanne, at first for the arts and theology, to which in 1708 law was added. Geneva was a case in point, because as a city of the duchy of Savoy it had already received in 1365 a university charter from Emperor Charles IV (1316 – 1378), confirmed by the Pope in 1418, but these initiatives remained unrealized, and in 1559 the Genevan Republic, pushed by John Calvin (1509 – 1564), created a new, humanist university under the name Academia Genevensis. It had to make a fresh start and as early as 1567 the Genevan schola publica was endowed with chairs from all four faculties, just lacking the formal authorisation to call itself a university and to confer degrees. In order to counter this problem Geneva made use of a subtle stratagem. Passing over the real institutional status of this academy, the city counted on its reputation, and its perception as a full-fledged university by the students, the professors and most of the observers. Much more than many universities, such institutions, less hindered by an institutional straightjacket, could promote innovation. This was in particular the case of some of the
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Conrads, Ritterakademien.
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Dutch illustrious schools during the seventeenth century.21 Around 1600 the educational solution of a university-style academy had a rather informal start in the booming Zealand capital of Middelburg, which due to the Leiden university privilege for the joint provinces of Holland and Zealand had to remain deprived of a full university. It may not surprise that the first formal illustrious school of the semi-university type was created in 1631/1632 at Amsterdam, by then a bustling and rapidly growing commercial metropolis of about 130.000 inhabitants, although not a formal capital of any kind. The Amsterdam illustrious school was soon followed by others: for instance at Dordrecht, in 1636, under the mechanical mathematician Isaac Beeckman (1588 – 1637) who inspired the corpuscular theories of René Descartes (1596 – 1650); at Breda in 1646, where a profoundly innovating curriculum of theoretical and practical courses was proposed; and at Rotterdam, with refugee professors Pierre Bayle and Pierre Jurieu in 1681. In this type of institution characteristic of larger towns with an active, literate citizenship, an illustrious school served, in fact, a more diverse set of goals than the education of youth alone. It was the continuation – on an academic or semi-academic level – of earlier forms of private education for merchants, craftsmen, navigators, liberal professions and in general for whosoever wanted to be instructed in the liberal arts and sciences for purposes that went beyond the sheer usefulness of knowledge. It was, in brief, the major instrument for the constitution of a civic culture, which in turn would contribute to a new civic identity. That had been, at any rate, the main argument of the Amsterdam town regency in its lawsuit against Leiden University, which in 1631 tried to prevent the foundation of the Amsterdam illustrious school in order to preserve its provincial monopoly in higher education.22 Leiden lost the lawsuit. Indeed, Amsterdam regents argued that they not intended at all to found a full-fledged university as in Leiden, they only wished to provide ‘public lessons in philosophy and history’ for the benefit of the town’s own citizenry, students as well as adult burghers. According to the Amsterdam regents, all towns had the inalienable right to make their citizens happy by dispensing all those forms of teaching that could enhance their civic culture. A true city, they said, is concerned about its cultural welfare. At the opening of the Amsterdam athenaeum iIllustre, as the school was called, professor Caspar Barlaeus (1584 – 1648) resumed both his audience and the design of his professorship in the superb title of his inaugural discourse: Mercator sapiens – the merchant who is concerned about philosophy, the citizen who looks for true meaning. In our words: culture for value, and value for culture. That is what his new school stood for: civic, literate culture – academic learning in the new, broad, liberal sense. Amsterdam University was only founded in 1877, but in the same spirit, as a strictly municipal institution and in perfect continuity with the athenaeum illustre. Things were not different in the capital city of England. Around 1800, London was the biggest and most populous city of Europe, but a university, in the form of a University College, was not erected before 1826. The universities of the kingdom of Eng21 22
Frijhoff, L’École illustre. Frijhoff, Early Modern university.
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land were located at a fair distance of the capital, close enough for an advisory function but far away enough for not causing any nuisance to the commercial and courtly life of the capital. Yet, London was endowed with some forms of higher education, but specifically in professional modalities strictly adapted to the social and political functions of the capital, not for general education or scholarship. Thus, law was taught in the four Inns of Court, and other practical sciences could be learned on a more or less private level in different institutions, such as natural sciences in Gresham College, or pharmacy and medicine in the professional corporations. That was why Chief Justice Sir Edward Coke (1552 – 1634) called the capital city in 1612 ‘the third university of the realm’, because in his opinion, everything useful could be learned at London. In the newly accommodated monarchy of eighteenth-century tsarist Russia, another solution was experienced. Instead of establishing a university of Western type in his new capital St. Petersburg, Tsar Peter the Great (1672 – 1725) founded in 1724 an Academy of Sciences administered by his court and comprising three elements: i. e., a Western-European style learned academy, a full-fledged university, and a college for younger people. The three elements were in close interaction between each other, warranting the transfer of knowledge within the university system and between the generations as well. IX. Academies of learning Soon, academies, colleges and learned societies developed themselves as substitutes for the universities, and became centres of modernity and innovation, in quite a lot of cases as opposed to or in competition with the established universities themselves. One of the very first, the Accademia dei Lincei was established in 1603 in Rome by four learned citizens under the protection of Prince Federico Cesi (1585 – 1630), whereas the Accademia del Cimento (1657) in Florence enjoyed the protection of Grand Duke Ferdinand II de’ Medici (1610 – 1670) but originated in local interest in experimental science rooted in the circle of Galileo’s disciples. Learned academies were, almost per force, the fruit of private initiatives of scholars, backed up by a wealthy and culturally well informed patron or Maecenas. It was the Maecenas who warranted the existence and the continuity of the Academy and constituted its main symbolic capital, together with the publications or performances by its members. The prince, in turn, benefited from the reputation of the Academy for the glory of his reign and his person, and for the advancement of cultural life in his territory. This is quite clear in the case of the Royal Society for the Advancement of Knowledge in London which, though privately founded, in 1662 got a royal charter. In fact, this was not a royal foundation, because it proceeded from different regroupings of private scholars for the study and performance of Baconian experimental science, in Gresham College, at Oxford, in Wadham College, and even at a tavern. They united first, during Cromwell’s protectorate (1653 – 1659), in the so-called Invisible College, then in the Philosophers’ Society, and were finally placed under royal protec-
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tion. The other great academic creation of those years, the French Académie des Sciences, inserted into a coherent royal policy of creating learned bodies for the advancement of culture, followed another way. Apparently it came up as a creation ex nihilo by royal power. It was heavily invested with royal support and had to contribute substantially and permanently to the glory of the king’s reign. Yet even there private initiative had played a feeding role: the circle of the Minim Friar Marin Mersenne (1588 – 1648), for instance, like those of the brothers Pierre (1582 – 1651) and Jacques Dupuy (1591 – 1656) and other learned Parisians, much frequented by foreign scholars, prepared the soil for royal establishments. At least four reasons may explain the growing opposition between the university and the learned academies, in spite of the similarity of their name in the humanist conception. Firstly, the new scholarly bodies were not obliged to adhere to traditional scholastic rules of scientific reasoning; they could quickly and freely develop experiences and discoveries, and indeed an empirical and experimental habitus. Secondly, they were not bound to the established sciences and their hierarchy, but could proclaim themselves free to scrutinize formerly forbidden, secret, or still undefined domains of nature, culture, the spirit and reality, thus preparing the introduction of new sciences into the university’s curriculum once these had proven themselves empirically acceptable. Thirdly, whenever there was a formal teaching program, it was much less bound to or limited by rigid teaching methods. Finally, centuries-old forms of university organisation, hierarchy and sociability did not or much less apply to the new academies or colleges, the members of which could feel much more at ease to gather, discuss and investigate. Notwithstanding their self-perception and their pretension to be the true successors of the Ancients and of traditional university learning, in fact they prepared the society to come. Therefore, eventually a clear distinction imposed itself between the established universities as teaching bodies and many of the colleges and learned societies or academies as centres of experimentation and scientific research. Given the rivalling nature of their research, universities or colleges as centres of learning on the one hand and learned academies on the other hand menaced to overlap in functionality. Therefore an – initially unspoken – division of interests and research commitments came into being, between tradition and innovation, and between teaching and research. Take, for instance, the Academia secretorum naturae founded in the 1560 – 70s in Naples by the young physician Giambattista Della Porta (1535 – 1615). He was the author of an encyclopaedia of the natural sciences entitled Magia naturalis, sive de miraculis rerum naturalium, first published in 1558, and amplified unto 20 volumes in the edition of 1589. This new scientific approach was vested not in the transmission of tradition but in the search for new knowledge – in the autonomous discovery of the wonders of nature – whereas humanist philology and philosophy tended to take the prevailing texts themselves as the ultimate source of knowledge. The foremost defender of this new attitude was certainly Erasmus of Rotterdam (ca. 1466 – 1536), who, disillusioned about the capacity of the universities to renew themselves, looked for thematic innovation preferably outside the university, although he found-
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ed his scholarly prestige precisely on the excellence of his work within the traditional paradigms of university-bound scholarship in philology. Erasmus managed to master this dichotomy through the use of irony, and the creation of his own, personal form of a Republic of Letters next to the established university centres of learning and covering in fact almost the whole of Europe. In the long run this was to become the model for a new pan-European Republic of Letters gathering all the scholars of established reputation, either those who were university-bound and active in the academic professions or the free citizens proudly living from their capital and investing in scholarly research by themselves or by others. X. Faculties of arts and grammar schools In reality, the universities on the one side, and other institutions of higher learning, schooling, or professional knowledge on the other side, were most often much closer to each other than the discourse of university history and academic prominence wants to make us believe. For one, in the common representation of a medieval university in Europe, the academic level and even the quality of its teaching is largely overestimated. The great majority of the students, many of them much younger than their presentday colleagues, attended the arts faculty. But until the sixteenth century the faculties of arts functioned very much like present-day secondary schools, or were at best comparable with the high schools in the current USA educational system. It was only after the rise of the grammar schools (gymnasia, collèges, colegios, or Latin schools) as autonomous institutes, formally or actually separated from the established universities that the arts faculties, quickly reduced in numbers, became the schools for ‘higher’ education we are acquainted with. By and large, they started providing education at a level of learning that, by insisting on its legitimization by a scholarly approach or a scientific method, went beyond the customary values of explanation, imitation, repetition, and transmission of certified knowledge, finally involving some measure of free debate on the established wisdom or of autonomous research into the texts or other teaching matters. Still, many important early modern universities maintained much closer ties with the secondary level than we are accustomed with nowadays. Such could be the case of the colleges of the English universities, and it was quite typical for the extensive college infrastructure linked with the universities of Paris, Salamanca, Louvain, Cologne, Douay, or similar institutions with their paedagogia. A most interesting early modern example is that of the new all-encompassing educational environment of Prussian Halle, where at the end of the seventeenth century a professional Ritterschule (1680) and a new university (1694) were in 1698 completed by the Franckesche Stiftungen. Originally an orphanage, this was only meant for lower educational levels, yet it was equally founded in a new spirit of community service and interest for the state and in the eyes of foreign observers, who visited this educational unity as a tourist attraction, the whole city was a centre of institutional and intellectual innovation indeed. In broad, multi-layered and poly-functional college systems, such as
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those at Paris or Louvain, teachers could perform at several levels and in a plurality of institutions. The colleges themselves could fulfil different functions, respectively for residence, teaching, scholarship, or as a decisive element of the beneficial system, and, as many examples show, residence in such a college could be quite determining for a future career. XI. Conclusion: the birth of the intellectual In all, we may well state that the early modern university did barely resemble its medieval predecessor, and that the landscape of higher education had changed considerably. Quite clearly, the university’s renewal itself went not forcibly in the sense of a modernization: this emanated much more from the parallel developments in the global educational system, not to forget the evolution of scholarship in the social field and in the broader cultural environment. Whereas the old European university model split up into a plurality of national varieties of teaching institutions, mostly state-controlled or at any rate corresponding to national cultures, a new international body of informal research relations developed. Often referred to as the Republic of Letters (Respublica Litterarum), it brought together scholars, professionals, commissioned researchers, learned otiosi, committed merchants and magistrates, and other curiosi and virtuosi who shared a common passion for novelty and innovation through the study of science and letters.23 Teaching assignments aiming at a broad public, or other forms of adult education were sometimes at the heart of those societies, but their first commitment was to research and to the expansion of scientific knowledge as well as its diffusion outside of the university channels. By then, the intellectual in the modern sense of the word made his entry in European history. This evolution reached its first zenith in the third quarter of the seventeenth century, when two major societies for scientific research were founded, assembling intellectuals from within and outside the university system, i. e., the privately established English Royal Society for the Advancement of Knowledge (1662), and the French Académie des Sciences (1666), a State institution. They did perhaps not so much monopolize scientific research as impose themselves, in opposition to universities, as the supreme authority in the assessment of research excellence. One of the best examples of such an early modern intellectual is the Dutch diplomat, musician and scholar Constantine Huygens (1596 – 1687), the father of the well-known mathematician, astronomer and scientist Christian Huygens (1629 – 1695). Educated under private tutors, Constantine attended nevertheless Leiden University for a short moment. However, his broad knowledge came essentially from a wide variety of institutional and personal resources, and from his huge network. Few persons of his time would have had contact with so many people from so many differ23 Some major studies: Roche, Les Républicains; Daston, Ideal and Reality; Goodman, Republic of Letters; Masseau, L’Invention; Bots/Waquet, La République; Roche, Humeurs vagabondes.
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ent strata of society in his own country and abroad. As secretary of the Orange stadtholders he corresponded with the members of that princely house, as well as with diplomats, soldiers, and lower administrators; as a member of the Domain Council (responsible for the possessions and fortune of the Orange family) he spoke with architects and artists; as curator of the Illustrious School of Breda with professors; as a poet with poets; as a musician with musicians. Huygens is a perfect representative of the multilingual education and international culture that flourished among the elites aside from Latin-based university science.24 In his poems he shows his virtuosity in quite a lot of ancient and modern languages. Letters to and from members of the court and the stadtholder’s family are always in French, as well as almost all those to and from higher civil servants and patricians, particularly those of The Hague. Latin is found in his correspondence with scholars, unless they happened to be of French origin, like the Leiden professor André Rivet (1572 – 1651), or to have previously taught in a French-speaking country, like his colleague Fredericus Spanhemius (1600 – 1649), a Bavarian who had taught at Geneva. With Anna Maria van Schurman (1607 – 1678), the most learned woman of the Dutch Republic, able to speak a dozen ancient and modern languages, he also corresponded in Latin. However, the letters sent to Huygens by ordinary citizens, even those who must have been well trained in French or even Latin, were always written in Dutch. We might wonder whether some national linguistic awareness played already a role here.25 Next to the rise of public intellectuals such as the members of the Huygens kinship, the seventeenth century also saw the rise of a peculiar social novelty: i. e., the intellectuel frustré or ‘alienated intellectual’ – a university trained man (because unlike learned societies, the university was still reserved for a male audience, with only very few exceptions) unable to find a proper job due to the scarcity of positions in the particular field for which he had been prepared and who was, therefore, ready to violently reject the society that had spurned him. As Roger Chartier and Robert Darnton have shown, these alienated intellectuals would play a decisive role during the revolutionary decades of the latter part of the eighteenth century, especially in France, but elsewhere as well.26 In order to understand what happened in the world of learning we must therefore not limit ourselves to the old formulas and the traditional institutions, but take into account the whole market for education, knowledge and scholarship, the perception of its values and the broad range of its practices and rituals – in short, adopt a cultural stance instead of the institutional angle or a purely social viewpoint. That is exactly the meaning of the third phase in our research I mentioned at the start of this analysis.
24 Bachrach, Sir Constantine Huygens; Hofman, Constantijn Huygens; Gossey/Blom/Leerintveld (eds.), Return to sender; Joby, The multilingualism. 25 On multilingualism in the Dutch Republic, see Frijhoff, Multilingualism. 26 Chartier, Les intellectuels frustrés; Darnton, The Literary Underground.
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Vorlesungszettel und akademische Programme. Zur Rekonstruktion des akademischen Betriebs und Lebens jenseits der Lektionskataloge: das Beispiel des Helmstedter Rhetorikprofessors Christoph Schrader (Professur 1635 – 1680) Von Jean-Luc Le Cam I. Einführung: ein lange unbeachteter Quellenschatz und die Wiederaufnahme einer Baustelle Eine Untersuchung der Schulpolitik Herzog August des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel und des Schulinspektors Christoph Schrader hat mich zu der Entdeckung geführt, dass diese originelle Politik und die neu gegründete Institution der Generalsschulinspektion an der Universität Helmstedt entstanden sind.1 Um die Geschichte ihrer Genesis besser zu verstehen, habe ich es für notwendig erachtet, das geistige Milieu, die Bildung und die Gelehrtenpraxis der bildungsgeschichtlichen Akteure, die eine solche Schulreform konzipiert hatten, näher zu untersuchen.2 Mein besonderer Fokus lag dabei auf dem Inhaber des neuen Amts, dem Professor für Eloquenz oder Rhetorik, Christoph Schrader (1601 – 1680, Professur ab 1635). Im Verlauf meiner Forschungen bin ich auf zwei merkwürdige Quellen gestoßen: zuerst auf die sogenannten „Vorlesungszettel“ oder Rechenschaftsberichte, die die Universitätsprofessoren von Helmstedt bezüglich ihrer Tätigkeit an die Regierung sandten, dann auf Christoph Schraders außerordentliche Sammlung von akademischen Programmen, die von dessen gleichnamigem Sohn 1667 herausgegeben wurden.3 Die Vorlesungszettel waren zunächst sehr nützlich, um die Lücken in der Geschichte der Schulinspektionspraxis zu schließen: Da die Korrespondenz und die Berichte des Schulinspektors nicht vollständig überliefert worden sind, galt es, durch andere Dokumente zu beweisen, dass die Institution ohne Zäsur und regelmäßig funktionierte.4 Aber sie bildeten auch, in Kombination mit den akademischen Programmen und anderen Quellen, die Basis zu einer Rekonstruktion der Unterrichtstätigkeit eines Universitätsprofessors während seiner ganzen Karriere.
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Le Cam, Politique scolaire. Vgl. auch, auf Deutsch, Le Cam, Späthumanismus. 3 Schrader, Programmata. Über die Vorlesungszettel siehe unten Teil II. 4 Le Cam, Politique scolaire, S. 509. 2
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Das Material war so reichhaltig und spannend, dass ich diese Studie wohl weiter geführt habe, als es für mein eigentliches Thema notwendig gewesen wäre. Die Biografie zu Schrader und die Studie über seine Unterrichtstätigkeit an der Universität haben schließlich ein dickes Kapitel von rund 110 Seiten (von insgesamt 1071) gebildet.5 Also war diese Untersuchung, ursprünglich das Nebenprodukt einer Forschung über das Schulsystem und die Schulpolitik, zu einer selbständigen universitätsgeschichtlichen Studie geworden, etwa wie ein Buch im Buch. Leider ist dieser Teil der im Hinblick auf Quellen und methodische Fragen innovativen Arbeit weitestgehend unbemerkt geblieben; er wurde von der deutschen Universitätsgeschichte nicht rezipiert. Verschiedene Ursachen sind dafür verantwortlich. Zum ersten, der Unterschied der Strukturierung der jeweiligen historischen Forschungsbereiche in Deutschland und Frankreich: Im Gegensatz zu Frankreich behandeln deutsche Forscher, die sich für Universitätsgeschichte interessieren, selten auch die Schulgeschichte.6 Und sie erwarten nicht, Material für ihre Überlegungen in Arbeiten zu finden, die sie aufgrund ihres Titels für Beiträge zur historischen Pädagogik halten. Die zweite Ursache ist die sprachliche Barriere, die in den zwei letzten Jahrzehnten nicht niedriger geworden ist: Die französische Sprache und der Umfang des Buches haben den potentiellen Leser in Deutschland eher abgeschreckt, auch in Frankreich hat das Thema nur ein schmales Publikum gefunden. Aber ein gewichtiger Grund war wohl von Anfang an auch, dass die Universität Helmstedt, trotz ihrer Relevanz im 16. und 17. Jahrhundert und einer sehr guten Quellenlage, lange kein großes Interesse seitens der Forschung auf sich gezogen hat, denn die 1810 geschlossene Academia Julia kann sich nicht mehr um ihre Jubiläen und ihre eigene Geschichte kümmern. Außer einigen Wolfenbütteler Archivaren und Helmstedter Lokalgelehrten ist niemand da, um das Grab mit Blumen zu schmücken. In den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich zwar mit einer Reihe von grundlegenden Artikeln von Peter Baumgart über die Geschichte der Gründungsperiode der Universität die Lage etwas geändert.7 Aber sonst hat diese Universität nur das Interesse von wenigen Spezialisten erregt. So sind Arbeiten über einzelne Persönlichkeiten oder Disziplinen entstanden, wie z. B. über die ireni-
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Le Cam, Politique scolaire, S. 125 – 234. In Frankreich wird die Geschichte der Schulen von derjenigen der Universität nicht so streng getrennt wie in Deutschland, besonders in Bezug auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit. Universitätsgeschichte gehört z. B. zum Publikationsfeld der Referenzzeitschrift Histoire de l’éducation deren Themen sich über alle Aspekte der Erziehungsgeschichte erstrecken. Namhafte Spezialisten der Universitätsgeschichte gehören oder gehörten zum Redaktionskomitee dieser Zeitschrift (Jacques Verger, Dominique Julia, Willem Frijhoff, Bruno Belhoste), vgl. URL: histoire-education.revues.org. Es gibt aber auch in Deutschland einige Ausnahmen wie Jens Bruning oder Andreas Töpfer. 7 Sie sind jetzt verfügbar in Baumgart, Gesammelte Beiträge. Er hatte zuerst die Statuten der Universität herausgegeben, vgl. Baumgart/Pitz (ed.), Statuten. 6
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sche Theologie von Georg Calixt8 oder die Staatslehre von Arniseaus und Conring.9 Niemand hat jedoch in dieser Zeit die Quellen, von denen ich sprechen will, systematisch ausgewertet. Eine Wende stellte im Jahre 2006 die Entscheidung der Herzog August Bibliothek dar, auf Grundlage ihrer Helmstedter Sammlungen und der Wolfenbütteler Archive mehrere Forschungs- und Erschließungsprojekte um die Geschichte der ehemaligen Universität zu beginnen. Ein erstes Projekt hat sämtliche Vorlesungsverzeichnisse der Universität Helmstedt mit 27.000 Lehrveranstaltungen aus dem Zeitraum zwischen 1581 und 1810 auf einem Internetportal zur Verfügung gestellt.10 Dann sind die sogenannten „Vorlesungszettel“ und Rechenschaftsberichte der Professoren aus drei Zeiträumen zwischen der Mitte des 17. und der Mitte des 18. Jahrhunderts erschlossen und transkribiert worden. Diese Datenbanken und andere, zu Professoren und zu Studentenmatrikeln, haben die Grundlage für ein Forschungsprojekt gebildet, das die Wissensproduktion an der philosophischen Fakultät der Universität Helmstedt untersucht. Ausgewählt wurden zunächst die Zeiträume 1680 bis 1740 und 1740 bis 1810, weil sich in diesen Perioden die späthumanistische Artistenfakultät durch das Aufkommen der Eklektik, der experimentellen Naturlehre und der historia litteraria deutlich wandelte. Die Monographie zum Zeitraum 1680 bis 1740 aus der Feder von Jens Bruning ist schon 2012 in der Reihe „Wolfenbütteler Forschungen“ erschienen.11 Obwohl dieses Buch das am Anfang seiner Beobachtungsperiode wirkmächtige institutionelle und geistige Erbe und damit die Wichtigkeit der Nachkriegsgeneration mit Schrader und Conring erwähnt, übersieht es seltsamerweise auch die zu den Rechenschaftsberichten geleistete Pionierarbeit.12 Die Behauptung, „allerdings können die Veranstaltungsangebote Schraders nur teilweise und keineswegs vollständig festgestellt werden“,13 ist in diesem Kontext unverständlich, wo doch Schrader wohl der einzige Professor der Academia Julia war, dessen Lehrtätigkeit so vollständig anhand von parallel existierenden Quellen rekonstruiert wurde.14 In seinem Beitrag zum von Ulrich Rasche herausgegebenen Tagungsband über die Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte nennt Bruning außerdem als einzige Vorarbeit zu den Helmstedter Vorlesungszetteln den Artikel von Nelles
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Man betrachte die Bibliografie von Mager. Hier sind unter anderem Stolleis, Conring und Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus zu zitieren. 10 URL: http://uni-helmstedt.hab.de. 11 Bruning, Innovation. 12 Ebd., S. 16, 101. Mein Buch wird nur im Zusammenhang mit der Generalschulinspektion zitiert. Die Notiz im Anhang über Schrader ist übrigens falsch, was seine „Fachrichtung“ betrifft, und der Titel seines Meisterwerks ist unkorrekt abgeschrieben. 13 Ebd., S. 156. 14 Vgl. S. 136 – 189 in Le Cam, La politique scolaire. 9
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über die historia literaria.15 Die sprachliche Barriere, die wohl die hauptsächliche Ursache dieser Blindheit ist, bleibt ein sehr bedauerliches Hindernis für den wissenschaftlichen Austausch und Fortschritt.16 Doch die mangelnde Rezeption meiner Arbeit über Schrader als Universitätsprofessor (und nicht als Schulinspektor) wäre kein genügendes Motiv, noch einmal dasselbe Thema zu bearbeiten. Es sind zwei Gründe, die mich dazu bewogen haben, noch einmal zu diesen Quellen zu greifen. Erstens das den Forschungsfragen des DFG-Netzwerkes „Institutionen, Praktiken und Positionen der Gelehrtenkultur vom 13. bis 16. Jahrhundert“ folgende Interesse der diesem Band zugrundeliegenden Tagung an Quellen oder Quellengattungen als Mittel der historiographischen Erneuerung: Ich glaube nämlich fest daran, dass wissenschaftliche Fortschritte auf dem Gebiet der Bildungs- und Universitätsgeschichte mit dem Heranziehen neuer Quellen, die die Praxis beleuchten, oder besser mit der Kreuzung von verschiedenen Quellen und mit dem Gebrauch neuer methodologischer Ansätzen noch möglich sind. Was ich bis jetzt als Auswertung von den im Folgenden zu behandelnden Quellen gesehen habe, hat mich nicht besonders überzeugt und weist diesbezüglich noch Defizite auf.17 Zweitens ist diese neue Vorstellung des Quellenkomplexes und seines möglichen Beitrags zur Geschichtsschreibung mit dem Anfang eines neuen (elektronischen) Editionsprojekts und einer tiefergehenden Auswertung verknüpft, die auf der Zusammenarbeit von Historikern und Spezialisten der Rhetorik und der (neu)lateinischen Literatur beruht. Ich werde am Ende dieses Beitrags auf diese Kollaboration und dieses Projekt zurückkommen, wenn ich die Quellen besser vorgestellt habe. Zuerst müssen Person und akademische Laufbahn Christoph Schraders vorgestellt werden. Dies deutet bereits auf den hohen Informationswert seines Falls hin. Dann wird anhand dieses Beispiels das Bündel von außerordentlichen Quellen vorgestellt und analysiert, die die Aktivität der Professoren in Helmstedt dokumentieren, und durch Stichproben gezeigt, welchen Ertrag ihre Erforschung erbringen kann. Schließlich werden an einigen Beispielen mögliche Auswertungen und Ergebnisse einer den beschriebenen Ansätzen folgenden Forschung gezeigt.
15 Bruning, Vorlesungsverzeichnisse, S. 276, Anm. 9. Nelles, Historia litteraria, hat diese Quelle für eine Untersuchung zur Geschichte dieser neuen akademischen Disziplin benutzt. Die Thematik des allgemeinen akademischen Betriebs behandelt er nicht. 16 Diese Entschuldigung kann aber nicht für die (nicht veröffentlichte) französische Dissertation von Boris Klein, La transmission des savoirs, gelten, in der er angibt, als erster systematisch mit diesen Quellen zu arbeiten. Sein Kapitel über die Privatvorlesungen (auch früher als Artikel erschienen, Klein, Leçons privées), der mehrmals Schrader als Beispiel anführt, verschweigt die Existenz dieser ersten gründlichen Studie. Über diese wissenschaftlich-ethischen Probleme hinaus weist diese Dissertation manche groben Irrtümer und eine Neigung zum historischen „Roman“ auf, statt den nötigen Bezug zu den Quellen herzustellen. 17 Freilich besteht bis jetzt das löbliche Unternehmen der HAB hauptsächlich darin, die Quellen online zur Verfügung zu stellen; die Rechenschaftsberichte werden hier nur in Stichproben (für die Zeiträume 1653 – 1660, 1701 – 1710 und 1750 – 1759) erschlossen. Das Buch von Bruning (Innovation) wertet sie erstaunlicherweise nicht aus.
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II. Christoph Schrader: ein typisches Produkt von Helmstedt und ein ideales Beobachtungsobjekt/-subjekt Die Academia Julia, die 1576 mit einem kaiserlichen Privileg in aller Feierlichkeit offiziell gegründet wurde, nachdem man 1574 das Pädagogium von Gandersheim nach Helmstedt verlegt hatte, war eine typische protestantische fürstliche Landesuniversität. Seit dem Anfang des 17. Jahrhundert galt sie als eine Hochburg des Späthumanismus und des Aristotelismus in Norddeutschland; sie hatte sich zur drittmeist frequentierten Hochschule Deutschlands entwickelt. Berühmte Professoren wie der Hellenist Johannes Caselius, der aristotelische Logiker Cornelius Martini und, etwas später, ihr Schüler, der irenische Theologe Georg Calixt, lockten nicht nur Studenten aus den welfischen Landen an, sondern auch aus weiteren Teilen Deutschlands, besonders diejenigen, die sich in lutherisch orthodoxen Universitäten nicht wohl fühlten.18 Dank der letzten Publikationen der Herzog August Bibliothek im Rahmen der schon erwähnten Forschungsprojekte ist diese Bildungsanstalt jetzt viel besser bekannt, so dass hier keine weiteren Erläuterungen gegeben werden müssen.19 Obwohl diese Universität seit dem Teilungs- und Erbvertrag von 1635 im Turnus von den drei übrig gebliebenen Zweigen der Welfenfamilie getragen und verwaltet wurde, übten die Wolfenbütteler Herzöge, in deren Territorium die Bildungsanstalt gelegen war, einen größeren Einfluss aus. Dies gilt ganz besonders für den gelehrten Fürsten, Herzog August den Jüngeren, nach dem die Wolfenbütteler Bibliothek benannt wurde.20 Christoph Schrader hat zu ihm, zuerst als Bibliothekar der Universität seit 1640,21 dann als Generalsschulinspektor ab 1648, eine besondere und recht enge Beziehung gehabt, so dass eine reiche Korrespondenz erhalten ist. Von den 229 Briefen Christoph Schraders an die Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel, die ich gegenwärtig vollständig oder als Regesten mit den Schulinspektionsberichten herausgebe, sind 197 an Herzog August und nur 32 an seinen Nachfolger Rudolf August gerichtet.22 Christoph Schrader wurde 1601 zu Rethmar im Lüneburgischen in einer Pastorenfamilie geboren.23 Er begann nach der lateinischen Schule in Celle und Hannover im 18 Zu Calixts irenischer Theologie: Böttigheimer, Zwischen Polemik und Irenik; über sein Leben und die Universität Helmstedt unter seiner geistigen Führung bleibt grundlegend immer noch die Studie von Henke, Calixtus und seine Zeit. 19 Besonders zu verweisen ist auf den sehr informationsreichen und gut illustrierten Ausstellungskatalog Das ,Athen‘ der Welfen. 20 Sammler, Fürst, Gelehrter: August der J., Katalog der Ausstellung, 1979. 21 Er fertigte für den Herzog einen Katalog der Bücher und Handschriften der Universitätsbibliothek an und benachrichtigte ihn auch über die neuen Bücher und Editionen, welche die Buchhändler von Helmstedt empfingen. Vgl. Quellenverzeichnis unten und Le Cam, Politique scolaire, S. 224 – 226. 22 Siehe ebd. S. 220 – 222 und Quellenverzeichnis. 23 Diese Biographie wird ausführlich in Le Cam, Politique scolaire, S. 125 – 144, 189 – 233 mit allen Quellenangaben vorgestellt.
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Jahre 1621 ein Studium an der Universität Helmstedt, wo er bald bei dem Professor der Theologie Georg Calixt wohnte, dessen Schüler und Anhänger er wurde. Er blieb es sein ganzes Leben durch alle theologischen Streitereien hindurch. So war er ein typisches Produkt von Helmstedt in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs: ein niedersächsischer Pastorensohn wie viele seiner Kommilitonen, humanistisch gesinnt und von der Irenik seiner Professoren beeinflusst, gegenüber den holländischen Einflüssen offen, wie andere Studenten, die während des Kriegs ihre Studien in Leiden fortgesetzt hatten. Zuerst war er mit Hermann Conring auf Empfehlung von Georg Calixt Stipendiat des reichen holländischen Kaufmanns Georg van Overbeck gewesen.24 Als der Lehrbetrieb 1623 wegen des Kriegs und der Pest stockte, wurden diese Stipendiaten vom niederländischen Mäzen nach Leiden zur Fortsetzung ihres Studiums eingeladen. Schrader lebte also von 1625 bis 1631 als Student in Leiden, wo er von den damaligen Sternen der philosophischen Fakultät, Daniel Heinsius und Gerhard Vossius, besonders angezogen wurde. Diesen Einflüssen sollte er später in seinem Unterricht und auch in der Konzeption der Schulreform folgen.25 Der Leiden-Aufenthalt sollte indirekte, aber wichtige Folgen auf Schraders berufliche Karriere haben, da er sich dort von den arminianischen Lehren ,anstecken‘ ließ. Als er zurückkam, suchte er in Wittenberg bei seinem Schulfreunde aus der hannoverschen Lateinschule, Johann Hülsemann, dem künftigen orthodoxen Theologen, unvorsichtig Belehrung; später nützte Hülsemann jene vertraulichen Mitteilungen zu Verleumdungen seines Lehrers Calixt aus.26 Schrader hatte eigentlich seitdem bei Calixt und Konrad Hornejus den Weg der lutherischen Lehre wiedergefunden und deswegen unter ihrer Anleitung die Disputatio De gratuita per fidem iustificatione publiziert.27 Er musste sie später zur Zeit der Polemik noch einmal zur Verteidigung seines Lehrers mit einer Vorrede herausgeben, die den Sachverhalt klarstellte. Diese unangenehme Affäre und die zunehmende Verschärfung der Polemik bewogen ihn dazu, in der philosophischen Fakultät zu bleiben, was nicht üblich war.28 Die meisten Professoren dieser Fakultät versuchten entweder zur theologischen oder zur juristischen oder medizinischen Fakultät aufzurücken. Seine Studien hatte der Pastorensohn Schrader ja auch mit diesem Ziel angefangen, so dass er bei Calixt, Leuchtturm der theologischen Fakultät, als Gast und Schüler empfangen worden war. Eine Versetzung in die theologische Fakultät, die ihm nach Hornejus’ Tode 24 Zu den Beziehungen zwischen Helmstedt und Leiden zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, vgl. Mager, Studium im Krieg. 25 Vgl. Le Cam, Schulbücher, S. 131 f. 26 Diese Geschichte wird ausführlich erzählt in Henke, Calixtus, Bd. 2,1, S. 77 f. Hülsemann war erst in Wittenberg, dann in Leipzig tätig. 27 Vgl. Schrader, De gratuita, 1654, Vorrede. 28 Auf die Ursachen dieses Entschlusses weist er explizit in einem Brief vom 30. 1. 1654 an Herzog August hin: „Doleo vicem ecclesiae nostrae, quae dum foris à pontificiis, vaferrimis hostibus, oppugnatur, domi dissidet. Ego sanè ne infelicis pugnae pars fierem, intra philosophicum ordinem me continui hactenus, et porrò quoque continebo.“ HAB Cod. Guelf. 55 Extrav., fol.8237r–v.
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im Jahre 1649 anlässlich der Visitation von 1650 angeboten wurde, lehnte er jedoch ebenso ab wie Berufungen als Hofprediger nach Hannover oder als Stadtsuperintendent nach Braunschweig. Daher ist Christoph Schrader ein Professor, der sein ganzes Leben lang Professor in derselben Disziplin geblieben ist – und sein Leben ist für die Zeit sehr lang gewesen, da er erst 1680 gestorben ist. Von 1635 bis zu einem Schlaganfall 1678 hat er ständig die Rhetorik des Aristoteles gelehrt und dazu ergänzende Vorlesungen und Privatstunden in lateinischer Literatur, Geschichte und Geographie, manchmal auch Hebräisch gegeben. Aber er war auch ein Professor unter anderen, und seine disziplinäre Ausrichtung war Teil der Normalität der philosophischen Fakultäten: Einen Rhetor gab es an jeder Universität. Die Universitätsordnung von 1580 für Leipzig z. B. zählte die Rhetorik unter die neun festen Professuren der Artistenfakultät.29 Die Liste der Rhetorikprofessoren der Universität Königsberg ist von Manfred Komorowski für das 17. Jahrhundert zusammengestellt worden; sie weist nur sehr wenige Unterbrechungen während des Dreißigjährigen Kriegs auf.30 Sogar wenn es nur einige Professorenstellen an der philosophischen Fakultät gab, wie in Tübingen, wo sie nur fünf an der Zahl waren, vertrat ein Professor die Beredsamkeit, hier in Kombination mit Geschichte und Poesie.31 Der Rhetor hatte eine zentrale Position in der philosophischen Fakultät inne, wo er zugleich die Brücke zum Unterricht an den Lateinschulen bildete und eine starke Basis für alle weiterführenden Curricula legen musste.32 Normalerweise konnte kein Student den Rhetor umgehen, es sei denn, er hatte sich schon am Gymnasium als Genie der Rhetorik ausgezeichnet. In seiner Autobiographie erzählt der Theologe Joachim Justus Breithaupt, wie er nach seiner Immatrikulation 1676 an der Universität Helmstedt den öffentlichen und privaten Unterricht von Schrader erlebt hat.33 Das Argument, dass seine Lehrveranstaltungen jedem Studententyp nützlich sein würden, wiederholte Schrader in seinen akademischen Programmen regelmäßig.34 Also bedeutet eine Untersuchung dieser Professur eine praktische Annäherung an die weitverbreitete Normalität des Lehrens und Lernens und des akademischen Betriebs an einer protestantischen Universität im 17. Jahrhundert.
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Bünz/Rudersdorf/Döring, Geschichte der Universität Leipzig, Bd. 1, S. 415. Komorowski, Poesie und Beredsamkeit, S. 54 – 59, 61 – 66. 31 Bauer, Studium an der Philosophischen Fakultät, S. 25. 32 Le Cam, Politique scolaire, S. 144 – 147. 33 Breithaupt, Lebens=Lauf, S. 25 – 27. Vgl. unsere Auswertung und Konfrontation dieser Autobiographie zu anderen Quellen, Le Cam, Breithaupt. 34 Z. B. „Nemo autem vestrum est, Iuvenes, qui non arte hac summopere indigeat, nam & in foro, & in senatu, & in ambone coram ecclesia malè stat qui dicere nescit, nescit autem, qui non didicit.“, Schrader, Programmata selectiora, II, Nr. 5, 9. 7. 1636, Bl. V3r. Siehe auch ebd., Nr. 48, 7. 10. 1655, Bl. Cc1r–v; oder die Einführung in Schrader, De Rhet. Aristotelis sententia et usu, Bl. 4 ff. 30
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III. Ein Bündel von Quellen Um die Lehrtätigkeit und den Universitätsbetrieb zu rekonstruieren, verfügen wir über drei Quellengattungen: die Lektionskataloge, die Rechenschaftsberichte der Professoren und die akademischen Programme. Darüber hinaus sollen die gedruckten Produkte und Instrumente dieser Lehrtätigkeit (Traktate, Kommentare, Lese- und Übungsbücher, Disputationen und Reden) herangezogen werden, ebenso wie die noch verfügbaren Briefkorrespondenzen, sofern sie noch existieren. 1. Lektionskataloge oder Vorlesungsverzeichnisse Dank der Datenbank- und Digitalisierungsprojekte der Herzog August Bibliothek können jetzt die Lektionskataloge für Helmstedt sehr leicht online herangezogen werden.35 Ihre Schwächen sind die menschlichen Schwächen: Sie proklamieren Intentionen, von denen man nicht weiß, ob sie wirklich umgesetzt wurden.36 In den meisten Fällen kann man dies jedoch annehmen, denn es wäre unhaltbar gewesen, auf Dauer immer falsche Angaben zu drucken. Die Tätigkeit der wichtigeren Professoren der höheren Fakultäten als Träger anderer Ämter in Kirche, Justiz, Staat oder am Hof oder auch ganz einfach ihre Krankheiten oder materielle Hindernisse konnten solche Programme aber durchaus zu frommen Wünschen werden lassen. Ihre andere Schwäche ist ihre relative Knappheit. Pädagogische Betrachtungen und Einzelheiten wird man darin selten lesen. Schließlich gelten diese Quellen als blind oder ungenügend, was den Privatunterricht der Professoren und die Tätigkeit der Privatdozenten betrifft, wenigstens vor dem 18. Jahrhundert.37 Für Helmstedt immerhin kann man das nicht verallgemeinern, wie der Fall Schrader und das unten angegebene Beispiel beweisen werden. Sie sind in jedem Fall nützlich im Falle von Lücken in den anderen Quellen, von denen ich hauptsächlich sprechen will. Ihre synthetische Qualität hat einen Vorteil: Wenn man das Unterrichtsangebot synchron prüfen oder beurteilen will, sind diese Lektionskataloge das schnellste und praktischste Mittel, um Vergleiche durchzuführen, natürlich mit dem Vorbehalt ihrer erst zu verifizierenden Zuverlässigkeit und Tauglichkeit für unsere Problematik. Zum Beispiel kann man im Katalog des Wintersemesters 1663/1664 schneller als in den Rechenschaftsberichten suchen, wo sich Elemente der Geographie im Unterrichtprogramm auffinden: Da es keine spezielle Professur für diese Disziplin gab, war sie in diesem Semester in der Praxis zwischen 35 Sie sind zugleich als Datenbank URL: http://uni-helmstedt.hab.de/index.php?cPage= 6&sPage=prof und als Faksimileausgabe URL: http://uni-helmstedt.hab.de/index.php?cPage= 3&sPage=vl_lat verfügbar. 36 Zur Gattung gibt es jetzt eine beachtliche Bibliographie z. B.: Clark, Academic Charisma, S. 33 – 67; Huttner, Vorlesungsverzeichnisse; Rasche, Jenaer Vorlesungsverzeichnisse; Seit wann und warum? Bruning, Vorlesungsverzeichnisse; Jüttner/Steyer, Professoren in der Pflicht; Oberhausen/Pozzo Vorlesungsverzeichnisse Königsberg; Schikorsky, Vorlesungsverzeichnisse 18. Jhdt.; Schröder Vorlesungsverzeichnisse als rechtsgeschichtliche Quelle. 37 Bruning, Vorlesungsverzeichnisse, S. 285 – 287.
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dem Rhetor und dem Mathematiker aufgeteilt.38 Außerdem können anhand der Lektionskataloge die Personalwechsel leichter und manchmal effizienter als durch die offiziellen Nominierungsverfahren verfolgt werden. Der Wandel und das allmähliche Hervortreten von neuen Thematiken und Fächern können darin ebenfalls beobachtet werden. Ferner sind diese Dokumente als Zeugen des Marketings und der Öffentlichkeitsarbeit der Universität zu deuten. 2. Vorlesungszettel, Rechenschaftsberichte Ein Wort zuerst über ihre Herkunft. Während die Gewohnheit, Lektionskataloge zu drucken, in Helmstedt schon seit spätestens 1581 belegt ist, wurden die ersten Rechenschaftsberichte erst im Wintersemester 1624/1625 eingefordert.39 Der Krieg sollte aber bald die Universität zerstreuen, so dass dieses Verfahren erst in den dreißiger Jahren wiederaufgenommen wurde. 1631 mussten die Professoren einen Bericht über ihre Lehrtätigkeit seit dem Zeitpunkt, als sie zurück nach Helmstedt gekommen oder angestellt worden waren, verfassen.40 Aber eine zweite Phase des Kriegs verhinderte eine normale Wiederaufnahme des Lehrbetriebs, so dass, nach einem ersten Versuch, die Reihe der regelmäßigen Rechenschaftsberichte erst 1637 einsetzte, als im turnusmäßigen Wechsel zwischen den welfischen Herzögen die Reihe am neuen Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, August dem Jüngeren, war, das Rektorat der Universität zu bekleiden. Diese neue administrative Sitte wurde offensichtlich im Vorfeld einer Visitation der Universität eingeführt, bei der der neue Patron der Universität bereits sein disziplinierendes Vorhaben erkennen ließ, das seinem künftigen absolutistischen Regierungsstil entsprechen sollte. Seine Universitätspolitik muss im Zusammenhang mit einer Reihe von Reorganisationen und Reformen am Ende des Kriegs gesehen werden, die dem Wiederaufbau des Landes dienten: Landesordnung mit Erlassung der Schulpflicht 1647, Gründung der Generalschulinspektion 1648, Allgemeine Schulordnung 1651, Generalkirchenvisitation 1651 – 1653, Klosterordnung 1655.41 Diese wichtige Universitätsvisitation fand im Jahre 1650 statt; die am Ende erlassenen Abschiedsartikel wurden für die ganze zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts maßgebend. Im 17. Artikel wurde das Verfahren
38 Vgl. URL: http://diglib.hab.de/periodica/ed000003-ws1663–1664/start.htm und Le Cam, Pratiques de la géographie dans l’enseignement scolaire et universitaire allemand au XVIIe siècle: l’exemple de l’université de Helmstedt et des écoles du Brunswick, in: Bourdon/ Chassagnette: Penser le savoir géographique. 39 Vgl. den ersten aufbewahrten Rechenschaftsbericht von Johann Lotichius, am 23. 12. 1624, NSHAN Cal. Br. 21, Nr. 4149, Bl. 17. Dazu Klein, Transmission, S. 127 – 137, mit aller geratenen Vorsicht wegen der schon erwähnten Fehler dieser Arbeit. 40 NLA WO 37 Alt 204, H. 1, Bl. 12 – 27. 41 Vgl. Le Cam, Politique scolaire, über diesen absolutistischen Kontext S. 91 – 94; über die Schulpolitik, die Schulgesetzgebung, und die Kontrollorgane, S. 309 – 448, 476 – 492. Über ein vergleichbares Verfahren von Verstaatlichung der Universität Jena, siehe Wallentin, Fürstliche Normen und akademische „Observanzen“.
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der Lektionskataloge und Rechenschaftsberichte präzise geregelt und als „Ermahnung zu Pflichteifer“ charakterisiert: Um Ostern und Michaelis sollen die Professoren einen Lektionsplan für das nächste Semester durch offenen Druck publizieren und der Regierung einreichen. Jeden Monat soll jeder Professor in doppelter Auflage einen Plan über die gehaltenen Stunden des Monats beim Dekan abgeben. Diese Verzeichnisse haben die Dekane quartaliter dem Direktor einzusenden; das zweite Exemplar bleibt bei den Universitätsakten.42
Zwei Jahre später fand eine weitere Visitation statt, um zu prüfen, ob die Bestimmungen der ersten wirklich befolgt wurden. Man bestand nun darauf, monatliche Zettel mit genauen Angaben der Abwesenheiten und ihrer Ursachen zu verfassen, wozu sich die Professoren wahrscheinlich zum Teil widerstrebend verhielten.43 Die nächsten Visitationen sollten zeigen, dass dieses System gut und lückenlos funktionierte und dass man sich immer noch auf die 1650 bzw. 1656 etablierten Regulierungen berufen konnte. Es wurde aber besonders in den sechziger Jahren darauf bestanden, dass nicht nur die Lektionen, sondern auch alle akademischen Übungen wie Disputationen, Deklamationen, Promotionen und administrative Tätigkeiten in den Rechenschaftsberichten berücksichtigt wurden. Ebenfalls richtete sich in dieser Phase besondere Aufmerksamkeit auf Privatlektionen. Zuvor hatten einige Professoren sie in ihrem Bericht ohne besondere Aufforderung berücksichtigt, so zum Beispiel Christoph Schrader. Die Verwaltung forderte nun, dass alle Professoren dies ohne Ausnahme so handhabten. Wir finden auch im Jahr 1668 besondere Berichte über die Privatlehrtätigkeit, ohne dass wir genau wissen, was die Verwaltung dazu trieb, sie zu verlangen.44 Grund war wohl die Befürchtung, dass der öffentliche Unterricht dadurch vernachlässigt werde. Es finden sich aber auch Hinweise, dass die landesherrliche Regierung sehr wohl wusste, dass guter Privatunterricht für die Attraktivität der Universität manchmal wichtiger war als der öffentliche.45 Dieses wohlgestaltete administrative Verfahren erlaubte eine bessere Kontrolle der Universitätsdozenten. Bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts blieb es in Kraft, so dass im Niedersächsischen Landesarchiv in Wolfenbüttel eine fast vollständige Reihe von Vorlesungszetteln über ein gutes Jahrhundert liegt.46 Für Christoph Schrader sind sie von Januar 1653 bis zum Ende seiner Karriere 1680 aufbewahrt.47 Die früheren Jahre sind aus unbekanntem Grund aus den Unterlagen entfernt worden und heute verloren. In seinen letzten Lebensjahren hat die Geschicklichkeit und Les42 Hofmeister, Die Universität Helmstedt, S. 269 – 276. Die ganze Visitationsprotokolle, NLA WO 37 Alt 13, Bl. 70 – 135. 43 Klein, Transmission, S. 135 – 137. 44 NLA WO 37 Alt 2495. Siehe Anhang 2. 45 Klein, Leçons privées, S. 258 f. 46 NLA WO 37 Alt 2489 – 2571. Das letzte aufbewahrte Jahr ist 1759. 47 Siehe im Quellenverzeichnis, Ungedruckte Quellen und sonst die detaillierte Tabelle der Archivreferenzen in Le Cam, Politique scolaire, S. 934. Es sind einige Lücken in den Jahren 1653 bis 1657.
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barkeit seiner Unterschrift in Folge von Alter und gesundheitlichen Problemen deutlich abgenommen. Die letzten Zettel lassen erkennen, dass er wegen einer Lähmung nach einem in der Kirche von Wolfenbüttel erlittenen Schlaganfall nur noch von seinem Bett zu Hause aus und immer weniger und schwieriger unterrichten konnte.48 In gewisser Hinsicht geben diese Rechenschaftsberichte seinen nahenden Tod zu Protokoll. Die Rechenschaftsberichte sind unter normalen Umständen Auflistungen der genauen Themen und des verwendeten Materials der einzelnen Lehrstunden und geben Unterrichtsausfälle mit den jeweiligen Gründen an. Dadurch konnte die Regierung überprüfen, ob die geplanten Vorlesungen wirklich durchgeführt worden waren, und, allgemein gesehen, die Leistung der Lehrkräfte leichter einschätzen. Es gibt aber meines Wissens keine Hinweise auf Folgen dieser Rechenschaftsberichte für die Professoren. Sie scheinen vielmehr eher eine Erinnerung an die Verschiebung der Macht von der universitären Autonomie zur landesherrlichen Verwaltung als tatsächliches Mittel einer Disziplinierung gewesen zu sein. Aber das Hauptziel wurde erreicht – dass Professoren das Auge des Prinzen über ihren Schultern fühlten und sich dadurch selbst disziplinierten. Es gelang aber auf Dauer einigen Dozenten durch verzögertes oder versäumtes Einsenden sowie knappes Berichten, dieses Instrument landesherrlicher Kontrolle zu umgehen. Besonders Juristen oder Mediziner neigten dazu. „So lag es weitestgehend im Ermessen des Lehrenden, wie genau die Berichte erstellt wurden. Daher lassen sich ungenaue und unsaubere Auflistungen ebenso finden wie ausführliche und sehr sorgsam verfasste Quartalzettel.“49 Christoph Schrader war in dieser Hinsicht sehr gewissenhaft. Zwar konnte er es sich wegen seiner recht engen und häufigen Kontakte zum Herzog wohl keine Nachlässigkeit leisten. Darüber hinaus hatte er als Schulinspektor die Gewohnheit, dem Herzog sehr ausführlich Bericht zu erstatten, ja er verkörperte selbst in seiner Person und Verantwortung eine solche Kontrollinstitution für die Lehrer der Lateinschulen.50 Er forderte selbst von seinen Schulrektoren und Lehrern einen Katalog der Lektionen und prüfte nachher im Examen der Schüler, ob ihm dabei nicht Sand in die Augen gestreut worden war. Also haben wir mit Christoph Schrader einen Zeugen und Berichterstatter erster Wahl vor uns, so dass diese Sammlung von Rechenschaftsberichten wegen ihrer Mustergültigkeit eine vollständige Edition verdiente. Anhand 48 Vgl. Abbildungen in Le Cam, Politique scolaire, S. 149. Am 9. Mai 1679 unterzeichnete er noch diesen Text von seiner Hand: „Ante hoc semestre paralysi eheu afflictus, domo adhuc exire non valuit, ubi autem per divinum auxilium, et Medicorum opem, pristinam valetudinem recuperarit, pristinam in docendo diligentiam studiose repetet, in domesticum auditorium cives studiosos convocaturus, easque partim orando, partim disputando exerciturus.“ Am 13. 2. 1680 konnte er dies nicht mehr selbst unterzeichnen: „Proxime elapso trimestri domo exire et in Academia publicè docere haut potui, afflictus ante biennium ferè paralysi ad ipsum sacrum in Ecclesia altare. Valetudini pristinae redditus, neglecta, Deo clementer adjuvante, sarciet.“ 49 Zitat aus Jüttner/Steyer, Professoren in der Pflicht, S. 104. Vgl. auch Bruning, Vorlesungverzeichnisse, S. 274 – 276. 50 Darüber, vgl. Le Cam, Politique scolaire, S. 509 – 622.
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des Anhangs, der eine Übersicht über das Jahre 1669 als Beispiel gibt, kann der Reichtum der Quelle eingeschätzt werden. Auf ihre mögliche Auswertung kommen wir im dritten Teil zurück. 3. Akademische Programme Mit den akademischen Programmen besitzen wir noch eine dritte Quellengattung, die ein anderes Licht auf den akademischen Betrieb wirft. Timo Steyer behauptet im Katalog Das Athen der Welfen, sie seien „mehr […] ein Medium der universitären Kommunikation, Präsentation und Organisation und erst in untergeordneter Rolle ein Mittel der Lehre und Forschung“.51 Er beruft sich auf die Tatsache, dass die Festprogramme, z. B. anlässlich des turnusmäßigen Wechsels des Prorektorats, des Stiftungsfests am 14. Oktober oder der religiösen Hochfeste, in den Sammlungen zahlenmäßig weit überwiegen. Weitere Anlässe, zu denen Programme und Reden regelmäßig gedruckt worden sind, hätten vor allem familiäre Hintergründe, wie Heiraten, Geburten oder Sterbefälle innerhalb der Professorenfamilien, des Fürstenhauses oder der städtischen Honoratioren. Steyer räumt aber ein, dass im Laufe des 17. Jahrhunderts den Programmen „mehr und mehr eine Ankündigungs- und Werbefunktion zu [kam]“ und dass sie „als Ergänzung zu den Lektionskatalogen als detaillierte Vorlesungsankündigungen (programma lectionibus praemissum) [dienten]“.52 Es geht nicht darum, diese wichtige soziale und repräsentative Funktion der akademischen Programme zu bestreiten. Zudem muss man natürlich die Anpassung der Gattung an die zeitlichen Entwicklungen der sozialen und medialen Formen des inner- und außerakademischen Austausches berücksichtigen. Aber diese Vorstellung ist wohl zum Teil auch Opfer der Verschiedenheit und Zufälligkeit der Quellenüberlieferung und -aufbewahrung. Die losen Blätter hatten viel größere Chancen, aufbewahrt zu werden, wenn sie von einer akademischen Behörde stammten und ein allgemeines Thema betrafen, als wenn sie nur die Vorlesungen eines einzigen Professors für das nächste Semester ankündigten. Ulrich Rasche weist hingegen auf den außerordentlichen Reichtum dieser Quelle in der Universitätsbibliothek Jena hin, die „eine Programmsammlung von ca. 9000 (ca. 7000 verschiedene[n]) in 45 Folianten gebundene[n] Stücke[n] vom ausgehenden 16. bis zum 18. Jahrhundert“ bewahrt.53 Er vermutet, „dass die gedruckten Sammlungen der Wittenberger Universitätsprogramme des 16. Jahrhunderts stilbildend für die Gattung gewirkt haben“.54 Er formuliert deswegen die These, „daß die 51
Steyer, Lehre und Forschung, S. 111 – 113. Ebd., S. 112. 53 Ich danke Ulrich Rasche für diese Auskünfte und die Erlaubnis, diese Auszüge aus seinem in Vorbereitung befindlichen Buch über Formen und Funktionen Jenaer Vorlesungsverzeichnisse des 16. bis 19. Jahrhunderts zu benutzen. Siehe außerdem Müller, Sammlung von Universitätsprogrammen in der Universitäts-Bibliothek Jena; Müller, Universitätsprogramme. 54 Damit meint er die 1544 – 1551 erschienene vierbändige Ausgabe der ,Scripta quaedam‘ mit Programmen der Jahre 1544 – 1551 und die 1560 – 1572 gedruckte siebenbändige Ausgabe 52
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durch diese Sammeldrucke eben auch andernorts verbreiteten Texte insbesondere wohl der Wittenberger Programme wesentlich zu Diffusion und Integrität von Ordnungs- und Wertvorstellungen der protestantische Universität humanistisch-melanchthonischer Prägung beigetragen haben“. Nun weisen die Sammlungen schon für diese Frühperiode eine viel ausgewogenere thematische Verteilung der Programme zwischen Lehrankündigungen und offiziellen akademischen Mitteilungen auf, als von Timo Speyer vermutet. Aber entsprechende gebundene Sammlungen findet man in Helmstedt leider nicht und in Wittenberg offensichtlich nicht mehr nach dieser Neugründungsperiode. Die Sitte, akademische Programme zu drucken, war später so sehr verbreitet, dass sie wohl nicht mehr für würdig erachtet wurden, gebunden wiederveröffentlicht oder wie in Jena gesondert und sortiert aufbewahrt zu werden. Eine glückliche Überlieferungskonstellation ist es, dass der zweitgeborene gleichnamige Sohn Schraders eine Sammlung der akademischen Programme, die sein Vater zwischen 1635 und 1666 publiziert hatte, 1667 wieder herausgab.55 Diese merkwürdige Geste ist in mancher Hinsicht auch für sich genommen ein interessantes Zeugnis für die Universitätsgeschichte. Zuerst was die Umstände und Gründe dieser Publikation angeht: Sie konnte nicht mehr das ursprüngliche Ziel solcher Texte verfolgen, d. h. für künftige Vorlesungen und öffentliche Deklamationen der Privatschüler werben, sondern nur, wenn überhaupt, von der vergangenen Tätigkeit des Professors und vielleicht auch von seiner rhetorischen Geschicklichkeit zeugen. Dafür waren wohl die öffentlichen Programme am meisten geeignet. Aber was konnte die Mühe und die Kosten einer solchen Sammeledition rechtfertigen, zumal man kaum einen Absatzmarkt für dieses Buch erhoffen konnte? Die Widmung und Vorrede von Christoph Schrader Junior an die vier Inhaber der juristischen Professorenstellen lassen erahnen, dass es sich eigentlich um eine weise Investition der Familie in Werbungsmittel während der unsicheren Phase eines Regierungswechsels handelte. Christoph Schrader der Jüngere, geboren am 2. Februar 1642, schon 1649 (!) zusammen mit seinem älteren Bruder als Student immatrikuliert, aber zu Hause von einem Privatpräzeptor unterwiesen, hatte zu dieser Zeit, wie er es in der Vorrede erinnert, drei Jahre Studium an der Juristischen Fakultät hinter sich.56 Dieser ambitionierte Student von 25 Jahren und sein Vater hatten wohl Pläne für eine Karriere an der juristischen Fakultät. Man weiß, dass er tatsächlich eine Zeitlang als doctor legens in Helmstedt lehrte, dann aber als Hof- und Kanzleirat von Herzog Georg Wilhelm von
der ,Scriptorum publice propositorum‘ mit Programmen der Jahre 1540 – 1569; siehe das Quellenverzeichnis im Anhang. In Rostock wurden auch zwei Bände von ,Scripta proposita‘ aus den Jahren 1560 bis 1567 veröffentlicht, weitere konnte Ulrich Rasche nicht ausfindig machen. 55 Schrader, Programmata selectiora (von nun an abgekürzt in Progr. sel.). URL: http:// diglib.hab.de/drucke/p-381 – 4 f-helmst-1 s/start.htm. 56 Zu ihm und allgemeiner zur Familie Schrader siehe Le Cam, Politique scolaire, S. 200 – 211, bes. 208 f.
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Lüneburg nach Celle berufen wurde.57 In der Vorrede erklärt er, dass er, da er selbst noch zu wenig produziert habe, seinen Gönnern diese Werke seines Vaters habe schenken wollen.58 Mit dieser Widmung an seine Lehrer machte sich der Sohn Schrader bei den Juristen und Kollegen von Christoph Schrader dem Älteren bekannt und angenehm. Er hatte – sein Vater war ihm dabei ein guter Ratgeber – die Logik und Mechanismen der Familienuniversität gut verstanden und als Habitus inkorporiert. Damit zeigte er zugleich, welche Verdienste die Familie in Person seines Vaters Universität und Land schon erwiesen hatte. Außerdem konnte der Sohn seinen Lehrern der juristischen Fakultät demonstrieren, dass er mit den Arkana dieser kleinen Gesellschaft (oder Kleinen Welt, wie David Lodge später schreiben wird) vertraut war, wovon er wohl Fortschritte seiner Karriere erwartete. Mit dieser Publikation trat er zugleich vor die Augen der ganzen Universität und der fürstlichen Regierung. Die ersten Seiten zeigen noch dazu eine handschriftliche Widmung vom Vater an die Herzöge Rudolf August und Anton Ulrich, denen dieses Exemplar geschenkt wurde. Die Chronologie ist auch hier relevant: Ein Jahr zuvor war Herzog August der Jüngere gestorben. Die Briefe und Berichte des Generalschulinspektors vermitteln den Eindruck, dass er am Anfang dieser neuen Regierung gefürchtet habe, nicht so sehr in der Gunst der neuen Herrscher zu stehen wie zur Zeit ihres Vaters.59 Christoph Schrader selbst konnte nicht so leicht als Herausgeber dieser Sammlung hervortreten, da dies als Mangel an Demut hätte erscheinen können. Der Vorwand eines Geschenks des Sohns an seine Lehrer war nicht zuletzt ein rhetorischer Trick. Also folgte diese Publikation einer doppelten Strategie, die dem Vater und dem Sohn zugleich zugutekommen sollte. Die Hauptsache ist jedoch, dass sie einen umfassenden Überblick über alle Arten von akademischen Programmen bietet. Der erste Teil sammelt 56 akademische Programme, die Schrader „publico Nomine“, d. h. im Namen der Universität, meistens als Dekan der philosophischen Fakultät, seltener als Vizerektor der ganzen Universität, aber manchmal auch als Rhetor im Auftrag dieser Behörde, verfasst hat: Anzeigen von Exequien (33 von 56), von religiösen Festen (4), von öffentlichen Reden und Festen (5) oder Verbote und Erinnerungen an die Disziplin (9) sowie Re57 Vgl. K. H. Schrader, Geschichte der Familie Schrader, S. 75 – 76. Man weiß jedoch nicht, wo er den Titel eines iuris utriusque doctor erworben hat. In Helmstedt findet sich keine Spur davon. In Lüneburg hatte er wohl um 1672 eine Tochter des herzoglichen Leibarztes Konerding geheiratet. Er machte Karriere als Gesandter des Herzogtums Lüneburg beim Kaiser und in Regensburg, wo er am 11. September 1713 an der Pest starb. Er wurde mit seinem jüngeren Bruder Kilian 1708 in den Adelsstand erhoben und 1711 zum geheimen Rat ernannt. 58 „Cum autem adversum isthaec beneficia grati animi mei publicum aliquod dare testimonium voluerim; & verò paupertina meae litteraturae supellex nihil Vestris oculis dignum hactenus suppeditare potuerit: impetravi à venerando Dn. Parente meo, ut programmata, cum publico tum privato nomine à se antehac conscripta ex angulis conquirere, atque è tenebris, in quibus delitescebant, in lucem usumque hominum producere mihi permitteret.“ Schrader, Programmata, Widmung, unpag. 59 Le Cam, Politique scolaire, S. 221 – 227.
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legationen von Studenten (6).60 Das erste Programm vom 1. Dezember 1635 ruft z. B. zu den Exequien eines Bürgermeisters der Stadt, Christoph Hampe.61 Auf diese Weise gewähren die Programme manchmal Einblicke in die unterschiedlichsten Lebensbereiche der Universitätsstadt und des akademischen Lebens. In den Programmschriften anlässlich des Prorektoratswechsels werden die Bedingungen für ein erfolgreiches Studium oder die Gefahren des Pennalismus und der Duelle thematisiert.62 Der zweite Teil beinhaltet 106 Programme, die Schrader in seinem eigenen Namen als Professor zwischen dem 1. September 1635 und dem 11. Oktober 1666 publiziert hat, wobei 73 das Programm der Vorlesung des bevorstehenden Semesters ankündigen. Das heißt, dass sie für fast alle Semester dieses Zeitraums von etwas mehr als 36 Jahren vollständig aufgenommen sind.63 Davon betreffen 30 Programme öffentliche Reden, die von einem Studenten seiner rhetorischen Privatschule gehalten wurden, und drei Programme eine Einladung zu öffentlichen Examina und Promotionen zum Magister der Philosophie. Die Publikation beweist also, dass ein Professor und vielleicht auch ein Privatdozent jedes Mal ein solches akademisches Programm druckte, wenn er eine Lehrveranstaltung organisieren wollte. Das erste Programm dieser Sammlung ist insofern sehr interessant, als es nicht die Werbung eines bestallten Professors, sondern die eines jungen Privatdozenten publiziert. Denn die Einladung vom 1. September 1635 datiert von einem Zeitpunkt, als Christoph Schrader noch nicht Professor war: Er wurde erst am 22. Oktober 1635 als professor eloquentiae in die philosophische Fakultät eingeführt und am 4. Februar 1636 zum Magister promoviert. Es handelt sich nicht um eine vorläufige Ankündigung in Erwartung einer baldigen Nominierung: Das Thema der Vorlesung, die (klassische) Geographie, ist eindeutig eine Materie des Privatunterrichts und der Ort der Vorlesung nicht das Collegium, sondern das Haus von Calixt, wo Schrader noch wohnte. Seine Leichenpredigt erklärt nämlich, dass er schon seit seiner Rückkehr 1632 die Gelegenheit hatte, hier und da privat zu unterrichten, nachdem er seine Begabung zur Lehre als Haushofmeister bewiesen hatte.64 Später sollte er in den meisten Vorlesungsprogrammen zugleich den öffent60 Die Themen, welche die Disziplin der Studenten betreffen, sind, außer den 6 Relegationen: In nocturnos grassatores. (2), De reliquijs Pennalismi abolendis (2), In clandestinos dimicatores, Ne quis ignes intra moenis jaculetu, In petulantiam juniorum, Citatio profugi. Interdictum duelli repetitum. 61 Schrader, Progr. sel., I, Nr. 1. Siehe Faksimileausgabe Anm. 54. 62 Ebd., I, Nr. 30, 1. 4. 1658, verbietet die Duelle; Nr. 52, 24. 2. 1663, und Nr. 54, 7. 2. 1664 den Pennalismus. 63 Das legt nahe, dass das Adjektiv „selectiora“ im Titel der Sammlung eher als eine Litotes zu nehmen ist; diese Sammlung scheint vollständig zu sein; lediglich einige Wiederholungen von gleichformulierten Texten sind wohl beiseitegelassen. 64 Vgl. Fröhling, Leichenpredigt Schrader, S. 42, beschreibt seinen Karrierebeginn auf folgender Weise: „als hat Er sich Anno 32 wiederum anhero auff diese Julius Universität verfüget und bey seinem vorigen geehrten Praeceptore D. G. Calixto Wohnung und Tisch genommen; da ihm dann wegen seiner erudition und vernünfftigen conduite etzliche vom
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lichen und den privaten Unterricht ankündigen. Also ist für den Fall Schrader seine ganze Lehrtätigkeit rekonstruierbar und insbesondere auch seine private, im Gegensatz zur häufig ungeprüft wiederholten Behauptung, dass solche Privatvorlesungen aus Mangel an geeigneten Quellen im Dunkeln bleiben müssten.65 Die Auswertung der akademischen Programme ist insofern sehr fruchtbar, als diese nicht nur Thema und Inhalt der Vorlesung skizzieren und die grundlegende Literatur nennen, sondern auch Vorteil und Nützlichkeit des Unterrichts hervorheben und mit pädagogischen Neuerungen und Methoden werben. Bei Schrader finden sich solche pädagogischen Ausführungen insbesondere, wenn er neue Übungen wie die disquisitio (siehe unten) einführt oder wenn er die Zuhörer mit dem Versprechen anlocken will, nicht zu viel zu diktieren, sondern viva voce seine Erklärungen zu geben, wie er es an der Universität Leiden beobachtet hatte. Dass derartige Ausführungen zu dieser Zeit noch ein Novum waren, wird daraus ersichtlich, dass er dazu Vergleiche zum außeruniversitären Umfeld anstellen muss, um sein Vorgehen zu verdeutlichen: So weist er darauf hin, dass Studenten sich in solchen Vorlesungen wie im Theater fühlen und die Professoren wie Akteure vor ihnen auftreten würden.66 Schließlich geben die Programme, die eine solemnis oratio eines Studenten ankündigen, wertvolle Auskünfte über die Klientel und die Übungsthemen dieser Privatschule und stellen auf diese Weise auch das Ergebnis dieses Unterrichts vor.
Adel als Hoffmeistern untergeben worden, bey denen Er sich zu weiterer unterweisung dergestalt facilitiret, das Er bald hernach Collegia privata zu/halten angefangen, und darin so grossen Zulauff gefunden, daß Er so fort im ersten 58 Auditores gehabt. Als Er sich nun mit seiner sonderbahren gelahrt- und geschickligkeit bey denen damahligen Herrn Professoren einen sehr guten Nahmen erworben, und die Professio Eloquentiae eben zu der Zeit vacant gewesen, ist Er Anno 1635 Herrn Herzogen Augusto dem eltern [von Hannover] hochseligen andenckens von hiesiger Universität, zu ersetzung selbiger stelle, unterthänigst recommendiret, mit so gutem succes, das die vocation und installirung bald darauff erfolget, und Er am 22. October in die Zahl der Herrn Professorum genommen worden. Anno 1636 am 4. Feb [ruaris] hat Er in Magistrum promoviret.“ 65 So die Vorstellung von Klein, Leçons privées, S. 242, Anm. 2, und die etwas übertriebene Behauptung von Bruning, Vorlesungsverzeichnisse, S. 286: „Die privat [..] Lehrveranstaltungen sind jedoch insgesamt weitaus schlechter dokumentiert und wurden lange Zeit gar nicht in den Vorlesungsverzeichnissen abgedruckt. Problematisch ist auch, dass die Privatlektionen in den Rechenschaftsberichten der Professoren im Normalfall gar nicht, wenn überhaupt nur versehentlich auftauchen, da sich die landesherrliche Kontrolle lediglich auf die in der Berufung festgelegten Gegenstände bezog. Bei einer alleinigen Betrachtung der Vorlesungsverzeichnisse könnte also durchaus ein schiefes Bild der vermittelten Inhalte entstehen.“ Im Fall Schrader sind die Privatvorlesungen in den drei Typen von Quellen ebenso präzise wie die öffentlichen beschrieben. Nur werden die Wiederholungen von üblichen rednerischen Übungen nicht immer präzisiert, aber jede Neuerung scheint wohl angezeigt zu sein. 66 Zu diesen pädagogischen Methoden siehe Le Cam, Politique scolaire, S. 171 – 176.
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4. Die anderen Quellen: Bücher und Briefe Auf dieser Basis sollen weitere Quellen herangezogen werden, die dazu beitragen können, den Inhalt und die Methode des Unterrichts zu beleuchten. Es sollen zuerst die gedruckten Produkte dieser Lehrtätigkeit (Traktate, Kommentare, Lese- und Übungsbücher, Disputationen und Reden) sowie die noch verfügbare Briefkorrespondenz betrachtet werden. 1674 übergab Schrader den Text seiner Hauptvorlesungen über die aristotelische Rhetorik dem Drucker, als er das Alter und den Tod näher kommen fühlte, so dass es beinahe wie sein Testament wirkt.67 Seit 1654 hatte er wiederholt auch sogenannte Dispositiones epistolicae oder oratoriae (auch hypotheses genannt) herausgeben, bei denen es sich um eine Sammlung von Übungsthemen und Argumenten handelt, die er zuvor hatte diktieren müssen, und die er von nun an für weitere rhetorische Aufgaben seinen eigenen Schülern anbot.68 Schließlich publizierte er 1676 rhetorische Analysen der Reden von T. Livius, wobei er seine auf der Lehre des Aristoteles aufgebaute Methode illustrierte.69 Alle diese Bücher sind also geeignete Quellen für den Inhalt und die Methode dieses Unterrichts in der Rhetorik, die über die Norm und die Praxis informieren. Insbesondere für den Anfang seiner Karriere als Lehrender, als er noch verschiedene Disziplinen vertrat und mehr aus der klassischen Literatur las, kann man die genauen Werke ermitteln, die er als Hand- oder Lesebücher für seine Vorlesungen in seinen Programmen vorschrieb.70 Von besonderer Bedeutung sind dabei die Editionen, die von Schrader selbst für seinen Unterricht vorbereitet oder von anderen übernommen und von ihm in den Druck gegeben worden waren: zuerst eine zweisprachige (griechisch-lateinische) Ausgabe der aristotelischen Rhetorik, die drei Neuauflagen erlebte, 71 aber auch Reden von Cicero72 oder die Geographie von 67 Schrader, Commentarius de Usu. Siehe Quellenverzeichnis und Le Cam, Politique scolaire, S. 185. NSAW 45 Alt 1, Bl. 77r., Brief an Herzog Rodolph August vom 10. 11. 1672: „Septuagesimus aetatis meae annus, pridem elapsus, admonet me mortalitatis et imminentis è vita discessûs. Coepi itaque, quod abitum meditantes solent, vasa colligere, et quae bono juventutis elaboravi, ad editionem parare. Est in his commentarius de Sententia et usu Rhetoricorum Aristotelis, quem, ante quam praelo committam, limare et nonnihil polire pervelim.“ 68 Schrader, Dispositiones Epistolicae Eloquentiae, 1654; Dispositiones oratoriae 1661, Hypotheses oratoriae ad Johannis Sleidani de Statu religionis et Rei[ublicae] Historiam, 1669. Siehe unten Anhang, Teil 1. 69 Schrader, Livianarum orationum analysis rhetorica, 1676. 70 Es ist in diesem Rahmen überflüssig, sie alle hier aufzulisten. Einige Details sind schon in Le Cam, Politique scolaire, S. 165 – 170, 181 f. 71 Schrader (Hrsg.), Aristotelis De Arte rhetorica libri tres. Graece et lat[ine] ed[itio] cura Christophori Schraderi Helmstedt 1648, 1661, 1672. 72 In einem Programm vom 7. 4. 1638, Progr. sel., II, Nr. 11, Bl. X3r, erwähnt er diese von ihm neulich herausgegebene Sammlung von ciceronianischen Reden (Pro T. Annio Milone, Pro lege Manilia de imperio Cn. Pompei oratio, Pro M. Marcello, Pro Q. Ligario, Pro rege Deiotaro), die heute unauffindbar ist.
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Pomponius Mela.73 In seinen akademischen Programmen verweist er explizit auf diese Ausgaben, welche die Studenten sich offensichtlich besorgen sollten. Einen besonderen Status besitzen seine chronologischen Tafeln zur Universalgeschichte, die er ursprünglich in den 1640er Jahren für seine Privatvorlesungen konzipiert hatte, bald jedoch eine eigene Karriere machten, während er schon lange nicht mehr diese Disziplin lehrte. Sogar nach seinem Tode wurden sie bis ins Jahr 1770 weiter herausgegeben.74 Schrader hatte offensichtlich ein nützliches pädagogisches Instrument erfunden, das von vielen Kollegen und Studenten in Deutschland angenommen wurde. Natürlich müssen auch die gedruckten Produkte der Schüler, die unter der Leitung des Professors herausgegeben wurden, berücksichtigt werden. Im besten Fall sind sie vom Lehrer selbst als Praeses verfasst. Es wurde von der Forschung gezeigt, dass die meisten Dissertationen aus der Feder der Lehrer stammten, es sei denn, der Student wollte als potentieller Kandidat für eine Professorenstelle seine eigene Fähigkeit, Dissertationen zu schreiben, beweisen.75 Eine Mischform ist wohl die schon erwähnte Disputatio De Gratuita per fidem iustificatione, zu deren Abfassung Schraders Lehrer und Praeses Georg Calixt sicherlich manchen Rat erteilt hatte, aber die doch ein sehr persönliches Bekenntnis zum reinen Luthertum war, nachdem er in Holland der Versuchung des Arminianismus erlegen war.76 Hingegen steht die Disputation des Braunschweigers Johannes Krohne über den heiligen Charakter der hebräischen Sprache, bei der Schrader präsidierte, in engem Zusammenhang mit dessen Privatvorlesung vom Wintersemester 1637 – 1638 über die Einführung ins Hebräische.77 Er ließ auch seinen eigenen Sohn Johann Ernst (1638 – 1689) über Verwandtschaft und Unterschied zwischen Rede- und Dichtkunst disputieren.78 Normalerweise aber leitete ein Rhetor viel mehr Reden als Dissertationen oder Disputationen. Leider sind diese Reden selten im Ganzen gedruckt. Damit eine Rede gedruckt wurde, musste es sich um die Oratio einer prominenten Persönlichkeit handeln, wie die des Lüneburgischen Ritters Johann Otto van Mandelsloh, die er unter dem Titel Die des
73 Pomponii Melae De Situ Orbis, Libri Tres, Helmstedt 1635. Wir wissen durch ein Programm, (Progr. sel., II, Nr. 1), dass es Schrader ist, der diese von Andreas Schottus und Joh. Gerardus Vossius bearbeitete Ausgabe in Helmstedt bei Rixner hat drucken lassen. 74 Tabulae chronologicae a prima rerum origine ad C. Iulii Caesaris monarchiam, Helmstedt1642, Tabulae chronologicae a nato Christo ad annum MDC, Helmstedt 1645. 75 Dazu grundlegend Rasche, Die deutschen Universitäten, S. 189 – 201. 76 Vgl. oben Anm. 25. 77 Progr. sel. Nr. 8, 17. 9. 1637, Bl. XIr. Quaestionum Hebraicarum Disputatio Prima De Lingua Sancta / Quam D.O.M.A. Praeside Christophoro Schradero […] Publice defendet Johannes Krohne/ Brunsvicensis. In Magno Iuleo proprid. Non. Maias, Helmaestadi[i]: Lucius, 1638. 78 De Convenientia et discrimine oratoriae ac poesos. Helmstedt 1661. 1638 als erster Sohn geboren, er studierte Theologie. Er wurde Pastor in Herzberg im Harz, dann in Berlin, wo er als Probst von Sankt-Nicolai 1689 starb, vgl. Schrader, Familie Schrader, S. 74.
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Adligen würdigen Studien am 4. März 1647 im Juleum hielt.79 Es ist auch möglich, dass die meisten von diesen in sehr kleinen Auflagen gedruckte Reden verloren oder verschollen sind. In der Regel begnügte man aber sich wohl aus Kostengründen mit den oben beschriebenen akademischen Programmen, die einen Einblick in das Thema und den Inhalt gaben, etwa in Form von dem, was man anachronistisch als „Teasing“ bezeichnen könnte. Schließlich sind manchmal Notizen oder Kollegienhefte von Studenten ausnahmsweise aufbewahrt. Ein Student und künftiger Kollege von Schrader, Barthold Niemeyer, hatte im Jahre 1668 an einem Privatkurs über die Methode zu exzerpieren teilgenommen und darüber ein Heftchen gut strukturierter Notizen angelegt, die auf einen diktierten Text schließen lassen, wogegen aber die Formulierung des wie eine Buchseite gesetzten Titels spricht.80 Damit knüpfte Schrader an eine neue, von dem Jesuiten Drexel gegründete Tradition, zu der er einen protestantischen Beitrag leistete. Diesmal war, trotz fehlender Publikation, seine Initiative nicht unbemerkt geblieben, da dieser Kurs postum zum Teil als Anhang zu einer späteren Methode veröffentlicht wurde.81 Die Korrespondenz des Professors an die Herzöge kann nützliche Hinweise über das akademische Leben geben, aber auch über die Lektüre und die Beziehungen des Professors zu anderen Gelehrten.82 In Schraders Briefen an die Herzöge werden unter anderem erwähnt: die Streitereien mit den orthodoxen Universitäten, Agonie und Tod von Georg Calixt, Fürbitte für prominente Besucher, die herzogliche Bibliothek besichtigen zu dürfen (z. B. für Georg Kaspar Kirchmayer, den Wittenberger Homologen von Schrader), Büchergaben vom Herzog an die Universitätsbibliothek, herzogliche Geschenke von Wildstücken für Promotionsgelage, Nachrichten von holländischen Buchführern in Helmstedt, Austausche über verschiedene neue oder seltene Bücher oder über theologische Fragen (wo Schrader seine alten Notizen als Student von Calixt benutzt), verschiedene Ereignisse oder disziplinare Vorfälle in der 79 De Studiis Homine Nobili Dignis Oratio / Quam In Academia Iulia IV Mart. MDCXLVII Publice Recitavit Johan Otto de Mandelslo Eques Luneburgicus, Helmstedt 1647. 80 A / Clariss[imo] Viro / D[omi]n[o] CHRISTOPHORO SCHRADERO / Praeposito Bergensi, atque in Academia Julia / Eloquentiae Professore Publico, celeberrimo / in domestico Auditorio / à Mense Junio usque ad Octobrem / MDCLXIIX [1668] / traditae / prout calamo ex ore disserentis excipi potuerunt. / JOHANNES BARTHOLDUS NIEMEYER / Andreamontanus / MDCLXIIXX. [1668]. HAB: Cod. Guelf. Extrav. 253.7.4. Geboren als Pastorensohn in Sankt-Andreasberg 1644, gestorben 1708, Professor für Metaphysik 1675 und Logik 1690, rückt 1698 in die theologische Fakultät auf, 1708 gestorben. 81 Joh. Friderich Bertram, Discovrs Von der Klugheit zu Excerpiren […], Auch mit einigen Passagen, aus dem noch nie gedruckten Methodo Excerpendi des berühmten ehemaligen Helmstättischen Oratoris, Christophori Schraderi. Es enthält S. 52 f. das Programm vom 28. 6. 1668, und S. 53 – 59 die allgemeine Einführung, das Exemplar scheint leider nicht mehr komplett. Bertram erklärt, S. 6, eine gute Kopie von Studenten benutzt zu haben. Ich will beide Dokumente vergleichen und edieren. 82 Vgl. oben, Anm. 21. Über die Korrespondenz als Quelle zur Universitätsgeschichte, vgl. Döring, Gelehrtenkorrespondenz.
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Universitätsstadt (Seuche, Tod eines Studenten in seinem Hause, Streiterei in einer Gastwirtschaft, Relegationen von Studenten oder Verbote des Pennalismus, Kupferstich zum Spott der Professoren) usw.83 Einmal erfahren wir sogar zufällig, welche Bücher der Professor für die Vorbereitung eines Privatunterrichts über die Geographie benutzt hat: die Liste ist beindruckend, aber es fehlte ihm noch die Beschreibung von Hanno dem Seefahrer, die ihm der Herzog August „per Reuter“ sofort von der herzoglichen Bibliothek zurücksenden lässt.84 In diesem Fall ist die Archäologie einer gelehrten Praxis, der Vorbereitung einer Vorlesung, ausnahmsweise möglich. IV. Auswertungen und erste Ergebnisse Wie gestaltete sich der alltägliche Lehr- und Vorlesungsbetrieb? Welche pädagogische Praxis wurde angewendet? Welche Auffassung hatte der Professor von seinem Amt? Zu welchen Wandlungen in der Art und Weise, seinen Unterricht in der ihm vertrauten Disziplin zu organisieren, kam es in seiner Laufbahn? All diese Fragen und andere können anhand dieses reichen Quellenkomplexes sehr genau beantwortet werden. Davon können wir jetzt die Hauptmerkmale und einige Proben geben. 1. Die Unterrichtstätigkeit und die pädagogischen Aspekte Die Auswertung einer solchen Dokumentation sollte auf zwei Ebenen erfolgen, ohne beide Aspekte zu vermischen. Erstens sollte man sie nach einem diachronen Profil analysieren: wie sich die Unterrichtstätigkeit während der ganzen Laufbahn entwickelte, was sie für Änderungen aufweist. Als erste Näherung kann dazu eine leicht vereinfachte Tafel der Lehrveranstaltungen angelegt werden.85 Aber man sollte diese Lehrtätigkeit auch synchron analysieren: erstens ist zu fragen, wie sie sich im allgemeinen Lehrangebot der Universität einfügte; zweitens, wie der Professor die Balance zwischen öffentlicher Vorlesung und Privatunterricht gestaltete. Es ist sinnvoll, mehrere Querschnitte für wichtige Karrierephasen anzulegen, z. B. am Beginn der Karriere, als die Universität noch im Wiederaufbau war; dann in den sechziger Jahren, als das System sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte; schließlich in den siebziger Jahren, als der Professor sich auf seine eigentliche Spezialdisziplin fokussierte (s. Tafel S. 130). Aber es kann auch mit einem feineren Schema gearbeitet werden, das zugleich eine diachrone und synchrone Sicht ermöglicht: nach einer Anordnung der verschiedenen Typen von Unterricht nach den Regeln der graphischen Se83
Einige Einblicke in Le Cam, Politique scolaire, S. 228 – 233. HAB Cod. Guelf. 5 Novissimi 28, Bl. 333r–338r, 17 – 19. 10. 1663. Demnächst ausgewertet in Le Cam, Pratiques de la géographie. 85 Aus Platzmangel wird im Anhang 3 nur eine Stichprobe zum Anfang und Ende der Karriere gegeben. Für die ganze Karriere siehe sonst Le Cam, Politique scolaire, Tafel 7, S. 158 – 161. 84
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miologie erscheint die Entwicklung einer diagonal ausgerichteten „Struktur“86 (Abb. 1).
Abbildung 1: Die Entwicklung der Lehrveranstaltungen Christoph Schraders, öffentlicher und privater Unterricht 1635 – 1678
Sie kann folgenderweise gedeutet werden: Am Anfang der Karriere, als wegen der Finanzengpässe der Kriegszeit nur wenige Professorenstellen besetzt waren, mussten die wenigen Professoren die Arbeit teilen und allerlei Fächer lehren. Der Privatunterricht diente zum großen Teil dazu, die Lücken im Lehrangebot zu schließen: so unterrichtete Schrader Geographie, universale wie römische Geschichte, Hebräisch, römische Literaturgeschichte und natürlich die Auslegung lateinischer Autoren. Am Ende seiner Karriere hatte sich die Situation verbessert und Schrader konnte sich mehr und mehr auf die rhetorische Theorie und Praxis spezialisieren. Seinen Privatunterricht widmete er von nun an fast allein den praktischen Übungen und überließ jüngeren Kollegen und Privatdozenten alle andere Fächer, die er zuvor nebenbei unterrichtet hatte. Was den Inhalt selbst und die Form dieses Unterrichts angeht, schreibt sich Schrader logischerweise ganz in die Tradition der Universität Helmstedt ein, sowohl in ihrer humanistischen wie in ihrer aristotelischen Dimension.87 Es ist hier nicht der Ort, diese schon gut bekannte Konstellation vorzustellen, die besonders gründlich anhand des Hofmanstreits und des Synkretistischen Streits erforscht wurde,88 ganz zu schweigen von den älteren, aber gut fundierten Arbeiten von Henke und Koldewey.89 Schrader gehörte, wie schon angedeutet, der Partei der Calixtiner und der Humanisten an.90 Seine ganze Wirkung und Anstrengung in der Schulreform bezeugt 86 Ich habe mich dabei von den Arbeiten von Jacques Bertin inspirieren lassen, Bertin, Sémiologie graphique. 87 Vgl. Zeuch, Aristotelismus in Helmstedt. 88 Vgl. Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus; Mager, Lutherische Theologie; Antognazza, Hofmann-Streit; Friedrich, Grenzen der Vernunft; Zeuch, Aristotelismus; Baur, Untersuchung. 89 Henke, Calixtus; Koldewey, Klassische Philologie. 90 Le Cam, Politique scolaire, S. 136 – 140.
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dies. Er hatte während seines Studiums in Leiden sein Vorbild in Gerhard J. Vossius gefunden, der die Rhetorik nach Aristoteles lehrte. Schrader hat alles dafür getan, damit man seine Lehrbücher für die Lateinschulen nach dem Muster des Holländischen Schulprogramms in die Schulordnung aufnahm, namentlich seine Rhetorica contracta.91 Obwohl die Statuten der Universität Cicero (Rhetoricae ad Herennium oder partitiones oratoriae, und parallel De oratore), und von Zeit zu Zeit die Institutiones Oratoriae Quintilians als Lehrbücher für diese Disziplin vorschrieben, hatte schon sein Vorgänger Christoph Heidmann vor dem Krieg angefangen, auch die Rhetorik von Aristoteles zu benutzen. Seit dem Antritt seiner Professur im Jahre 1635 hat Schrader mehr und mehr die Rhetorik des Aristoteles öffentlich gelesen und kommentiert.92 Daneben suchte er auch in der klassischen Literatur die besten Muster der Eloquenz und führte seine Schüler durch praktische Übungen und aktive Pädagogik in die verschiedenen praktischen Anwendungen der Rhetorik ein. In einem Programm von 1645, in dem er seine Vorlesungen über die Rhetorik des Aristoteles ankündigte, zeichnet er den Plan der rhetorischen Studien, wie er sie auffasst: „Diejenigen, die sich darum bemühen, den Reichtum des Stils und die Angemessenheit der Rede zu erwerben, können es auf drei Weisen erreichen: durch die Kunst [Theorie], die Imitation [Lektüre und Aneignung der guten Autoren] und die Ausübung.“ Dann beschreibt er das notwendige Hin und Her zwischen diesen drei pädagogischen Tätigkeiten als den Zirkel, den er selbst und seine Studenten unerlässlich durchlaufen sollten.93 Diese Treue zur theoretischen Herkunft der Disziplin hinderte ihn nicht daran, seine Lehre sehr praxisorientiert, fast utilitaristisch zu gestalten. Nicht von ungefähr trägt sein Meisterwerk den Titel De usu. Sehr früh schon hat er nämlich in der aristotelischen Rhetorik ausgewählt, was den Studenten in ihren künftigen Berufen nützlich sein könnte. 1644 bot er Unterricht über die praktische Anwendung der rhetorischen Kunst für die geistliche Beredsamkeit und die Predigtkunst an.94 Später unternahm er dasselbe auch für den Usum civili, das heißt den politischen Gebrauch der Eloquenz, was ihm eine Hörerschaft von Adligen, Juristen- und Ratsverwandtensöhnen sicherte.95 Diese praktischen Lehren und Ratschläge, die er ex cathedra in seinen öffentlichen Vorlesungen diktierte,96 fasste er 1674 als De Rhetoricorum Aristotelis sententia et usu commentarius in einem dicken Buch zusammen.97 Zwei Jahre später gab er eine Sammlung von rhetorischen Analysen der Reden des Titus Livius mit Imitationsmustern heraus, worüber er seit einigen Jahren regelmäßig eine öffentliche 91
Le Cam, Schulbücher, S. 131 – 134; s. Radeker, Vossius, S. 74 – 81, 168, 188, 193 – 196. Le Cam, Politique scolaire, Tafel 7, S. 158 – 161 ; über die Statuten und Heidmann, S. 144 – 147. 93 Progr. sel. Nr. 47, 1645, Bl. Bb4v–Cc1r. 94 Ebd., Nr. 38, 16. 01. 1644; Nr. 48, 7. 10. 1645. 95 Ebd., Nr. 73, 13. 3. 1655; Nr. 95, 12. 10. 1662. 96 Ebd., Nr. 103, 26. 4. 1664. 97 Helmstedt, 1674, 48, 8 Bl., 597 S., plus Index. 92
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Vorlesung gehalten hatte.98 Ein ehemaliger Schüler, Joachim Justus Breithaupt, der künftige pietistische Theologe der Universität Halle, berichtete, wie er als Student von Schrader diese beiden neu erschienenen Werke mit Frucht gelesen und benutzt habe.99 Der Vergleich der Lehrveranstaltungen Schraders mit der Chronologie seiner Publikationen zeigt in der Tat einen engen Zusammenhang zwischen beiden Tätigkeiten. Der Unterricht wird zudem oft in den Vorreden, Einführungen und Widmungsepisteln zu diesen herausgegebenen Werken als Vorbereitung zur Publikation erwähnt. Derartige Aussagen bestätigen, dass diese Veröffentlichungen die Folge und Vollendung der Lehre sind, indem sie sich als Produkte einer erprobten Unterrichts- und Übungspraxis mit den Studenten vorstellen. Insbesondere ist der Kommentar über den Gebrauch der Rhetorik das Ergebnis seiner Erläuterung der Rhetorik von Aristoteles. In seinen akademischen Programmen findet sich als zusätzliche Erklärung, dass die Studenten dank dieser Publikation von nun an nicht mehr abzuschreiben bräuchten.100 Das Buch spielte in dieser Hinsicht die Rolle der heutigen Xerokopie. Und es diente auch dazu, die Einkünfte des Professors durch den Verkauf des Buchs zu erhöhen. Ab 1654 benutzte Schrader eine neue, aktive pädagogische Methode, um die aristotelische Rhetorik zu vermitteln: die disquisitiones (Untersuchungen), eine Mischung zwischen der scholastischen quaestio und dem modernen Seminar. Die Studenten wurden gebeten, ein Kapitel der Rhetorik sorgfältig zu Hause zu lesen, um dann in öffentlichem Unterricht zu den unklaren oder streitbaren Punkte Fragen zu stellen und untereinander über entsprechende Themen zu disputieren.101 1654 wurden die Disputationsthemen als Anhang zum Programm publiziert; 1659 wurden sogar die Namen der teilnehmenden Studenten verzeichnet sowie die genauen Stellen 98
83 S.
Livianarum orationum duodevinginti analysis rhetorica. Adjectis imitationum materiis,
99 Breithaupt, Lebens=Lauf, S. 102: „Anno 1679 und 1680 begegnete mir Gelegenheit zu Wolfenbüttel und Braunschweig was Eloquentia Sacra ex merittissimi Schraderi ore, und dessen nimmer gnug gepriesenem Commentario de sensu et usu Rhetoricae Aristotelis empfangen hatte, noch genauer zu prüfen e praxi der beyden Kirchen=Oratorum, Herr D. Brandani Daetrii, Abtes und Generalissimi zu Wolfenbüttel, und Herr Casparis Crusii, Ducalis Ecclesiastae Primarii zu Braunschweig.“ 100 Vgl. Progr. sel. Nr. 71, 1. 1. 1655, „Scriptionum materiam affatim suppeditabunt dispositiones epistolicae, in hac tabula nuper propositae: quas à Typographo exscribi passus sum, ut dictandi excipiendique ingrato labore levaremur.“ Andeutungen auch in Rechenschaftsberichten Juli 1661, Juni 1663, August 1673, Januar–März 1676. 101 Progr. sel., II, Nr. 69, 11. 4. 1654, Bl. Ee 4v–Ff 2v: „Illis itaque cominus noscendis & brevi tempore perdiscendis, via compendiaria nobis visa est ista: Capita horum librorum publicae disquisitioni ordine subjiciam, ea lege, ut quae vobis, post attentam domi lectionem, in ijs obscura, ambigua, malè juncta, falsa, nullius ad dicendum usus, videbuntur, haec in Auditorio comiter sciscitari, examinare, excogitatis argumentis oppugnare & refellere, potestas permittatur: Ita & insigne hoc volumen cum cura legendi vobis necessitas, & pleraque ejus, quaedoctorem & lumen desiderant, explicandi, illustrandique occasio mihi sufficietur.“
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der Rhetorica, die sie auf diese Weise vortragen und diskutieren sollten.102 Vielleicht um den Vorwurf der puren Neuerung zu entschärfen, beruft Schrader sich 1654 auf frühere Beispiele von Disputationen über die Rhetorik zur Zeit des Nicolaus Andreae Granius und 1659 auf sein Erlebnis als Schüler von Calixt. Gleichwohl wird rasch deutlich, dass er für diese Lehrform eher als Erfinder und Anpasser denn als Nachahmer zu gelten hat. Ab 1666 bis zum Ende seiner Professur wird dieses Experiment zur regelmäßigen Übung seiner rhetorischen Schule.103 Schrader und seine ,Kunden‘ hatten wohl den Erfolg dieser aktiven Wissensvermittlung mit den Möglichkeiten der Wiederholung und Vertiefung erkannt. Das Studium von exempla der Eloquenz in der klassischen Literatur hat Schrader stets gepflegt.104 Er hat zum ersten Mal in Helmstedt und wohl in Deutschland 1656 und 1663 öffentliche Vorlesungen über die ganze Geschichte der lateinischen klassischen Literatur gehalten.105 Zum Ziel gesetzt hatte er sich, den Studenten eine differenzierte, historisierte und hierarchische Sicht der Latinität zu vermitteln und damit ihre allgemeine Bildung zu verbessern.106 Es kann deshalb als eine Vorgeschichte der Historia litteraria betrachtet werden, da sie wie die um 1700 neu entstehende Disziplin eine urteilende Retrospektive mit einer propädeutischen Funktion verbindet, sich jedoch nur auf den Stil und das literarische Genie fokussiert und nicht die Fortschritte der Gelehrsamkeit zum Gegenstand hat. Dieses Experiment ist weitgehend unbemerkt in den letzten Arbeiten über die Historia litteraria geblieben, da es zu kei-
102 Progr. sel., II, Nr. 83, 8. 2. 1659. Nur die Sonderedition dieses Programms beinhaltet diese Liste von Studenten, nicht die Version der Progr. sel., vgl. Programma Christophori Schraderi Disquisitionibus Rhetoricis publice institutis praemissum, 1659, URL: http://diglib.hab.de/drucke/959-helmst-dr-3 s/start.htm. 103 Z. B. im April–Juni1676 NLA WO 37 Alt 2508, Bl. 115: „Veneris diebus disquisitiones Rhetoricas instituere perrexi in quibus dubia in textu certi capitis Rhet[oricorum] Arist[otelis] occurentia, me praeside disputationis, unus proponit alter dissolvit. Proximae disquisitionis argumentum erit cap[ut] VIII Lib[ri] II. Rhet[oricorum] quo de affectu misericordiae agitur.“ 104 Le Cam, Politique scolaire, S. 165 – 171. Außer Cicero liest er über mehrere Historiker: Caesar, Titus Livius, Tacitus, Cornelius Nepos, Florus, Velleius Paterculus, Suetonius. 105 Progr. sel., II, Nr. 76 – 77, De genuinis auctoribus Latinitatis, (1656) ; Nr. 98, De Latinae linguae diversis, crescente adulta, & senescente, aetatibus dissertationes (1663). NLA WO 37 Alt 2497, Bl. 139 – 141. Leider fehlen die Rechenschaftsberichte des Sommers, so dass man nur eine Beschreibung des Anfangs und des Endes dieser Literaturgeschichte hat, aber das erhaltene Material zeigt schon ihre Ausführlichkeit und Gelehrtheit, vgl. Le Cam, Politique scolaire, S. 170 f. 106 Progr. sel., II, Nr. 98: „Crastini itaque quartâ horâ, ad ipsas Latinae linguae diversas aetates, & qui in singulis illis floruerint auctores luculentius describendos accedam. Argumentum sane omnibus solidae eruditionis studiosis eo agis necessarium, quo plures ab hoc limine aberrare hodie cernimus. Sunt enim nimium multi in omnibus reip. litterariae ordinibus, summis, infimis, medioxumis, qui ad barbariem, tanto molimine à superioris seculi Heroibus profligatam, prolabi incipiunt. Nec aliâ ferè de caussâ quam quod genuinae Latinitatis aut ignorent aut non gustarint fontes.“
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ner Publikation Schraders geführt hat und von diesem am Ende seiner Karriere auch nicht mehr praktiziert wurde.107 Als er die klassischen Texte selbst vorlas, lag ihm offensichtlich vor allem daran, anhand guter Autoren die besten Anwendungen der Rhetorik zu studieren. In seinen letzten Lebensjahren spezialisierte er sich deswegen auf Titus Livius, dessen Reden, die großen historischen Figuren zugeschrieben sind, er mit seinen Studenten vom Standpunkt der rhetorischen Kunst analysierte. Als Breithaupt in Helmstedt ankam, war aber die Ausgabe dieser Arbeit abgeschlossen, so dass er nur noch an den anhand dieses Buchs gegebenen Imitationsübungen und ihrer Korrektur durch Schrader teilgenommen hat.108 Die praktische Übung der Rhetorik, wie sie Schrader veranstaltete, ist wohl die wichtigste Ursache für den Erfolg seiner Unterrichtstätigkeit. Sie fand hauptsächlich im Privatunterricht statt, denn die große Zahl der Studenten machte solche praktischen Übungen im öffentlichen Kurs unmöglich.109 Manchmal wurden die ,privaten‘ Studentenarbeiten im öffentlichen Unterricht vorgetragen und korrigiert, oder gemeine Studenten wurden zur privata aula als Zuschauer zugelassen.110 Wer sich jedoch wirklich eine rhetorische Bildung aneignen wollte, musste sich als Privatstudent einschreiben. Das hat unser Zeuge Breithaupt offensichtlich getan. Er erzählt, dass Schrader „in seinen wöchentlichen Exercitationibus Oratoriis, A. 76, 77 zu Helmstedt, den nachmahls sehr berühmten Herrn Werrelhoff mit [ihm] conjungirte, daß [sie] beyde in utramque partem peroriren mußten“.111 Eine übliche Form der Übung war nämlich, dass man über dasselbe Thema eine Rede pro und eine Rede contra hielt. Damit die Studenten mehr Zuversicht in solchen für Anfänger schwierigen Situationen gewännen, ließ Schrader sie kleine Gruppen oder „Dekurien“, die am selben Tag gehört wurden, nach Affinität bilden.112 Dieses Zeugnis zeigt, dass er auch die Stabilität der Paare, die gegeneinander deklamieren sollen, zu fördern suchte.Wahrscheinlich war er bestrebt, zwei Studenten vom selben Niveau einander zuzuordnen. Die Argumente sind sehr oft der Geschichte entliehen und stellen meistens die Diskussion von gegenseitigen Meinungen oder eines inneren Konflikts vor: Alexan107 Bruning, Innovation, S. 138 macht eine kleine unpräzise Erwähnung. Aber nicht Nelles, Historia literaria; Morhof, und Anette Syndikus, Anfänge der Historia litteraria im 17. Jhdt. 108 Schrader, Analysis rhetorica. 109 Das erklärt er in Progr. sel., II, Nr. 68, 23. 10. 1656, Bl. Gg3r. 110 Vgl. die Vorlesungszettel von 1675, 4. Quartal, NLA WO 37 Alt 2507, Bl. 168. 111 Breithaupt, Lebens=Lauf, S. 99. Johann Werlhof (1660 – 1711), aus Lübeck, Jurist und Nachfolger von Hermann Conring, ADB 42, S. 15. 112 Progr. sel., II, Nr. 33, 12. 6. 1642, Bl. Aa3r: „Coetum omnem dispertior in decurias, quarum unaquaeque semel in hebdomade ad constitutum diem, auditum oratumque comparet. Qua in re ut plerorumque verecundiae consulam (noti enim cum notis et lubentius et confidentius exercentur) in cujusque arbitrio relinquam eligendi sibi commilitones, quibuscum unam sociare velit et constituere decuriam. Itaque nomina sua non aute referent in Syllabum, quam hoc inter ipsosmet fuerit constitutum.“
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der fragt sich, ob er den Ozean überqueren soll; Agamemnon, ob er Iphigenie opfern soll, usw.113 Die Studenten brauchten nicht selbst das ganze Argument ihrer Arbeit aufzubauen. Sie benutzten die von Schrader diktierten oder publizierten hypotheses oratoriae, Redenentwürfe, die nach aristotelischen Regeln formuliert waren und Argumente verwendeten, die aus der Bibel oder der griechischen, lateinischen oder sogar deutschen Geschichte geschöpft waren.114 Er benutzte dafür die Geschichte der Reformation von Johann Sleidan (1506 – 1556).115 Solche Muster hatte er auch für verschiedene Briefe hergestellt: entweder reine rhetorische Übungen nach historischen Argumenten oder im Gegenteil ganz praktische Gegenstände wie eine Bewerbung, das Bitten um ein Zeugnis oder die Danksagung für eine Wohltat.116 Um die Studenten in die realistischen Bedingungen des rhetorischen Berufs einzuführen, hatte er die Gewohnheit, die religiösen Themen in den Kirchen der Stadt behandeln zu lassen.117 Hier konnte zum Teil auch die Eloquenz im Deutschen geübt werden: Schrader war der Erste, der ab 1667 Unterricht und Übungen in dieser Sprache vorschlug.118 Das Experiment hatte so viel Erfolg, dass es regelmäßig wiederholt wurde.119 Die meisten daran interessierten Studenten waren Adlige, Juristen oder Politologen und selten Theologen. Der Übungsrhythmus war besonders schnell: Im Jahre 1668 haben z. B. 17 Schüler 74 Reden in diesem Rahmen gehalten.120 In den Rechenschaftsberichten erklärte Schrader manchmal, wie seine pädagogische Methode auf kritischen Sinn und Beteiligung der Lernenden beruhte, aber auch wie er dabei mit Takt verfuhr, um die Studenten nicht zu kränken oder zu demütigen: in jeder Stunde absolvierten zwei Studenten ihre rhetorische Übung; nach ihrer Deklamation sollten sie sich zurückziehen. Dann fragte Schrader die anderen, welche Qualitäten und Mängel sie in den vorgetragenen Reden bemerkt hätten. Nach dieser detaillierten Kritik erklärte der Professor sein eigenes Urteil und schlug Verbesserungen vor. Am nächsten Tag ließ er die Oratoren zu seinem Hause kommen, um ihnen seine Beobachtungen mitzuteilen und ihren Text mit seinen Randbemerkungen und Korrekturen zurückzugeben.121 113
Progr. sel., II, Nr. 13, 20. 11. 1638, Bl. X4r–v. Siehe Quellenverzeichnis. 115 Sleidan, De statu religionis, vgl. Schrader, Hypotheses oratoriae. 116 Schrader, Dispositiones epistolicae eloquentiae. 117 Vorlesungszettel von Sept. 1664, April 1670, April und Juli 1673; vgl. im Anhang 2 die Jahre 1664 – 1665: „Sacrarum orationum exercitationes in templis urbanis et suburbano“. 118 Friedrich Koldewey, Klassische Philologie, S. 76. Erste Versuche wurden anhand der Geschichte der Reformation von Sleidan gemacht, vgl. Vorrede zu Schrader, Hypotheses oratoriae, Bl. 4. 119 Es wird wenigstens von den Vorlesungszetteln bezeugt für die Jahre 1667, 1669, 1671, 1673, 1675, 1677, 1678. 120 Verzeichnis der Privatstunden 1661 – 1668, NLA WO 37 Alt 2495, Bl. 29r–v. 121 „Mensibus Aprili, Majo et Junio singulis hebdomadis, Lunae, Martis, et Jovis diebus attendi duobus studiosis adolescentibus oratiunculas suas juxta seriem materierum commentario meo in Arist[totelis] Rhet[orica] passim insertarum publicè in coetu commilitonum re114
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2. Alltäglicher Betrieb, Unterrichtsausfall und der Arbeits- und Lebenskomplex des Professors Man kann aus der Kompilation der Vorlesungszettel die Schlussfolgerung ziehen, dass ein Universitätsprofessor selten seine vier wöchentlichen Stunden Unterricht leistete. Schrader unterrichtete wie seine Kollegen statutenmäßig öffentlich vier Stunden in der Woche jeweils um 16:00 Uhr: am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag. Zusammen mit seinen anderen Beschäftigungen ergab dies in normalen Jahren schätzungsweise 130 bis 140 Stunden Unterricht. In den schlechten Jahren aber, wo er mehrmals erkrankte, konnte diese Summe unter 100 Stunden im Jahr fallen. Dazu kamen zwar die Privatstunden, aber das waren nur zwei Stunden pro Woche, am Mittwoch und am Samstag, die wohl weniger vom Absentismus betroffen waren, aber die doch hinter den Dienstreisen in Wolfenbüttel oder den Schulvisitationen durch das ganze Land zurückstehen mussten.122 Die Verschiedenartigkeit der Motive für Unterrichtausfall erlaubt einen interessanten Blick auf die Arbeitsplanung und das akademische Leben in einer kleinen Universitätsstadt wie Helmstedt. Die Abwesenheitsgründe sind unterschiedlich und manchmal bunt. Eine erste Kategorie betrifft alle amtlichen Angelegenheiten der Universität. Wenn Schrader 1640, 1653, 1659 und 1677 das Amt des Vizerektors bekleidete, musste er praktisch fast alle Vorlesungen des Semesters ausfallen lassen.123 Das Dekanat der philosophischen Fakultät, das er siebzehnmal ausübte, verursachte nur punktuelle Unterrichtsausfälle. Das Gleiche gilt für seine Teilnahme am akademischen Senat oder an den Sitzungen der Fakultät.124 Die Vorlesungszettel erwähnen z. B. zehn entsprechende Abwesenheiten im Jahre 1661. Die Examina und Magisterpromotionen am Ende des Sommersemesters oder am Anfang des Wintersemesters mobilisierten offensichtlich alle Professoren der Fakultät.125 Als Dekan hatte Schrader selbst mehrmals die Gelegenheit, in einem akademischen Programm alle Doktoren, Lizenziaten und Magister der Universität zu dieser Gelegenheit einzuladen.126 Im September 1665 bat er den Herzog um die Erlaubnis, citantibus. Mox oratoribus dimissis auditorum censuras postulavi, et his auditis meam addidi epikrisin [griechisch]. Postridie oratori evocato reddidi habitam orationem et quid rectè, quid pravè dictum seorsum unicuique indicavi.“ 37 Alt 2508, Bl. 115 (April–Juni1676). 122 Siehe unten, Anm. 144. 123 Zimmermann, Matrikel Helmstedt I, S. 441. Im Jahre 1653 hat er nur noch Zeit seine Vorlesungen über Ciceros 4. Philippica zu Ende zu bringen, dann muss er seine Lehre von April bis Juni unterbrechen, Prog. sel., Bl. Ee2v–3r. 1659 kann er nur einige Disquisitiones über die Rhetorik organisieren und 1677 werden alle seine Vorlesungen aufgehoben. 124 Zimmermann, Matrikel Helmstedt I, S. 471, Anm. 2. 125 Es werden 12 Sessionen in den Rechenschaftsberichten deswegen erwähnt: eine im April, drei im Juni eine im Juli, zwei je in September, Oktober und November und eine im Dezember. 126 Progr. sel., I, Nr. 9, vom 15. 2. 1638; Nr. 10, 2. 4. 1638; Nr. 74, 25 6.1955.
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seine Schulinspektionsrunde zu verschieben, weil die öffentlichen Examina seine Gegenwart als Dekan erforderten.127 Aber jeder Professor sollte nach Möglichkeit auch der Doktorpromotionen der anderen Fakultäten beiwohnen, wo die ganze Universität versammelt war, insbesondere während der disputatio inauguralis.128 Die Rechenschaftsberichte zeigen, dass auf die juristische Fakultät die meisten Promotionen entfielen: Schrader musste deswegen seine Vorlesungen neun Mal unterbrechen. Es folgte die medizinische Fakultät mit sechs Erwähnungen, die theologische mit drei Promotionen und fünf Promotionen ohne Angabe der Fakultät.129 Je nach der Zahl an Kandidaten (denn es muss erinnert werden, dass es Gruppenzeremonien waren), dauerte die Unterbrechung des normalen Betriebs ein oder zwei Tage.130 An der Kreuzung seiner pädagogischen und amtlichen Pflichten stehen die Veranstaltung und der Vorsitz von feierlichen öffentlichen Deklamationen, wo seine besten Schüler die Effizienz und den Erfolg seiner Lehre vor dem Publikum offensichtlich werden lassen sollten. Darüber sind wir durch die Rechenschaftsberichte wie die akademischen Programme informiert.131 Denn solche Deklamationen wurden immer vorher durch ein gedrucktes Programm angekündigt, das alle Studenten dazu einlud, und die Herkunft und die Wissenschaft des Redners sowie das Interesse des behandelten Themas rühmte.132 Außerdem verfügen wir für die Jahre 1661 – 1668 über eine sehr präzise von Schrader angefertigte Auflistung der öffentlichen Reden der Studenten.133 Aus diesem ganzen Corpus ergibt sich, dass Schrader solche Deklamationen im Durchschnitt ein- bis zweimal pro Jahr, selten häufiger veranstaltete und dass diese Ehre nur einigen Studenten vorbehalten war, die seine rhetorische Privatschule besuchten.134 Man kann wohl vermuten, dass er den meisten Studenten dabei half, ihre Rede zu verfassen oder wenigstens zu verbessern. Anatomische Lektionen und öffentliche Sektionen hatten einen großen Zulauf, der viel breiter war als das Publikum der medizinischen Fakultät. Bei solchen Gelegenheiten war es vergeblich zu versuchen, normale Vorlesungen zu halten. Solche
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NLA WO 14 Alt Fb 1, Nr. 35, Bl. 342v, Brief vom 6. 09. 1665. Über ihren Sinn, vgl. Kirwan, Akademische Repräsentationspraktiken; Füssel, Gelehrtenkultur, S. 109 – 118. 129 Jura 1658, 1659, 1661, 1662, 1665, 1669; Medizin 1659, 1664 , 1670; Theologie 1660, 1666; ohne Angaben 1660, 1669, 1674. 130 Über die sehr reiche Historiographie zur Praxis der Promotion, insbesondere in der frühen Neuzeit, vgl. Le Cam, Les universités du Saint-Empire, S. 46 – 50. 131 Schrader fügte meistens dem Vorlesungszettel ein Exemplar des akademischen Programms bei, vgl. die Andeutung im Rechenschaftsbericht des Monats Juni 1669, Anhang 1. 132 Wie oben gesagt, zählt die Sammlung Progr. sel. 30 Stücke zu diesem Thema (von 106). 133 NLA WO 37 Alt 2495, Bl. 30 r-v. 134 Siehe Rekapitulation und eine thematische und soziologische Analyse in Le Cam, Politique scolaire, S. 176 – 180. Zu dem sozialen Kontext dieser Abschlussreden, s. Rasche, Die deutschen Universitäten, S. 150 – 273. 128
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Vorführungen dauerten mehrere Tage.135 Auktionen von Gelehrtenbibliotheken hatten dieselben Folgen: Professoren und Studenten wandten sich deswegen für eine oder zwei Wochen von ihrer üblichen Tätigkeiten ab.136 Als Bibliothekar der Universität hatte Schrader dabei die Möglichkeit, für niedrige Unkosten weitere Bücher für die Universitätsbibliothek zu erwerben.137 Die meisten versteigerten Bibliotheken gehörten Professoren der Universität: Im November 1670 verkaufte man Bücher, die dem großen Calixt gehört hatten;138 im März 1672 die Bibliothek des Juristen Georg Werner;139 im Mai 1673 diejenige des Theologen Balthasar Cellarius.140 Ökonomische Hochzeiten waren im Allgemeinen für den akademischen Betrieb nicht sehr günstig. Während der Märkte mussten auch die Vorlesungssäle geschlossen werden. Dies geschah viermal im Jahr, im September, November, März und Juli. Bis 1672 musste Schrader ungefähr 20mal deswegen eine Unterbrechung der Vorlesungen verzeichnen, die normalerweise zwei Tage dauerte.141 Mit diesen Märkten waren manchmal Spektakel verbunden. Im Juli 1672 tadelte er das Benehmen der Studenten, die ihre Aufmerksamkeit lieber Straßenschauspielern als Professoren schenkten.142 Außerdem konnten klimatische Hindernisse und Ereignisse höherer Gewalt wie Seuchen die Universität außer Betrieb setzen. Im Februar 1664 unterbrach eine große Kälte alle Vorlesungen. Im Herbst 1657 brach die Pest in Helmstedt aus, Studenten und Professoren flohen für mehrere Monate. Christoph Schrader und seine Familie fanden, mit Erlaubnis des Herzogs, Zuflucht im Kloster Marienberg vor der Stadt, wo er kraft seiner Stelle als Generalsschulinspektor Prior war. Er kam erst Anfang Fe135 Seine Rechenschaftsberichte erwähnen diese Sektionen im Dezember 1652, April 1663, April 1666, Oktober 1667, Februar 1668, September 1669. Im Februar 1668, dauerte sie die ganze Woche und hob vier Stunden öffentliche Vorlesungen auf. 136 Im November 1661 dauerte sie sechs Tage, 1657 aber zwei Wochen. Im Mai 1673 hob er die Begierde der Studenten hervor, daran teilzunehmen. 137 NLA WO 37 Alt 2490, Bl. 42, im Jahre 1657 schrieb er in seinem Rechenschaftsbericht: „A Kalendis Junii duas hebdomadas occupavit instituta in Juleo librorum publica auctio, cui quotidie interfui et Bibliothecae Academiae insignes, in pagina ista consignatos libros, precio mediocri comparavi.“ 138 Er war 1656 gestorben aber sein zweiter Sohn Johann Erich musste sein Erbteil der väterlichen Bibliothek wegen finanzieller Probleme verkaufen. Schrader erklärte es dem Herzog Rudolf August in einem Brief vom 28. 8. 1670, den er von dem Auktionskatalog begleitete. NLA WO 45 Alt 1, Bl. 5Gr. 139 Georg Werner (1608 – 1671), Professor in Helmstedt seit 1646, Assessor im Hofgericht in Wolfenbüttel, Sabine Ahrens, Lehrkräfte, S. 249 f. 140 Balthasar Cellarius (1614 – 1671), Professur seit 1648, s. ebd. S. 48 f.; ADB 4, S. 79 f. 141 Nach 1672 Jahr scheint es offensichtlich Schrader nicht mehr nötig diese Ereignisse zu erwähnen. 142 NLA WO 37 Alt 205, Heft 2, Bl. 64; 37 Alt 2506, Bl. 66. „Julio mense è 2do Rhetoricorum Aristotelis prolixa capita XXIIdum et XXIIItium, quibus loci communissimi sive Dialectici continentur, exposui, et librum ipsum ad finem perduxissem, ni oppidi nundinae et subinde comoedorum spectacula intervenissent, per quae factum, ut auditores nostri histrionibus incuriâ, quam Professoribus in Academia attendere per aliquot dies maluerint.“
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bruar 1658 zurück, „nach einem Trimester Exil weit von [s]einem Haus und [s]einen Büchern“.143 Der zweite große Abwesenheitsgrund waren die Privat- oder Dienstreisen. Die Unterscheidung zwischen beiden ist nicht immer klar in den Rechenschaftsberichten. Sein Amt als Generalsschulinspektor erforderte, „Daß er alle Jaar aufs wenigste ein mal dy drey benante höhere Schulen unsers Fürstentuums, und zwar solches um dy Zeit, wan ein Examen daselbst gehalten wird, visitiren, auch bey solchem seinen Hinund wider Reisen in dy mitlere oder andere Aart der Schulen einsprechen[soll]“.144 Man muss die Länge dieser Reisen mit den Beförderungsmitteln der Zeit bedenken. Sie kann anhand der Berichte der Generalschulinspektion berechnet werden. Zum Beispiel nahmen im Jahre 1655 zwei Inspektionsreisen 33 Tage für 14 Schulen und etwa 700 Reisekilometer in Anspruch; 1663 absolvierte der Inspektor drei verschiedene Reisen und zwei Ortsbesuche, die ihn in 20 Schulen wenigstens 35 Tage beschäftigten und mehr als 800 Kilometer weit führten. In den 1660er Jahren verbrachte der Inspektor jedes Jahr einen Monat auf Reisen. Er kutschierte zwischen 700 und 830 km für seine Inspektionsreisen, ungeachtet der Ausflüge nach Wolfenbüttel für andere Angelegenheiten der Generalschulinspektion.145 Wenn die größten Reisen am liebsten während der Unterbrechung der Vorlesungen angesetzt wurden, mussten doch einige Inspektionen während des akademischen Semesters stattfinden, so dass die Rechenschaftsberichte 59mal einen Unterrichtsausfall aus diesem Grund registrierten.146 Obendrein reiste Christoph Schrader im Auftrag seiner Universität, zum Beispiel im Januar 1665, wo er in Wolfenbüttel eine Woche lang verblieb, um über die Zahlung der Gehälter der Professoren zu verhandeln.147 Als Prior des Frauenklosters Marienberg vor Helmstedt musste er regelmäßig reisen wegen einer Vorladung zum Konsistorium, einer Einberufung der Landstände oder, um die Interessen dieser Institution zu verteidigen.148 Die Residenz Wolfenbüttel wird deshalb 17mal als Ziel einer Reise in den Rechenschaftsberichten genannt. Manchmal hatte er sogar die 143
HAB Cod. Guelf. 5 Noviss. 28, Bl. 196, Brief vom15. 02. 1658. Die Seuche wird auch in Programmen vom 7. und 18. Februar1658 erwähnt, Progr. sel., Bl. Gg 3v, Gg 4r. 144 August d. J., Schulordnung, S. 29 f. 145 Er hatte nicht nur die Schulen des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel zu visitieren, die von Holzminden an der Weser bis zu Helmstedt im Nordosten (und sogar manchmal nach Vorsfelde und die Exklave Cavörde) reichten, sondern auch die Grafschaft Blankenburg im Harz und die Dannenbergischen Ämter bis Hitzacker im Norden als Apanage von Herzog August; Le Cam, Politique scolaire, S. 526 – 538; Le Cam, Vorstellungen und Kontrolle des verwalteten Raums. 146 Über die Zeitplanung der Inspektionen, vgl. Le Cam, Politique scolaire, S. 521 – 525. 147 Andere Missionen für die Universität erwähnen die Rechenschaftsberichte 1670, 1675. 148 Ein Tag im Juni 1657, aber länger im Mai 1665, um bis Sachsen zu fahren. Rechenschaftsberichte von November 1663, Juli 1664, Januar und August 1672 registrieren Einberufungen der Landstände. 1666 entschuldigt sich Schrader wegen Gesundheitsproblemen und erinnert daran, dass er bisher immer anwesend gewesen sei, Brief an August d. J. vom 28. 10. 1666, NLA WO 45 Alt 1, Bl. 30 f.
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Ehre, vom Herzog selbst empfangen und in die fürstliche Bibliothek eingelassen zu werden, besonders zur Zeit Augusts des Jüngeren.149 Schließlich verreiste er auch, diesmal aber mit spezieller Genehmigung, aufgrund privater und familiärer Angelegenheiten: im Mai 1665 zur Hochzeit eines Onkels nach Magdeburg, im April 1672 zu seinem älteren Sohn, im Juni 1672 nach Halle, um die Interessen seiner Frau zu vertreten.150 In Helmstedt selbst unterbrachen immer wieder familiäre Ereignisse wie Hochzeiten oder Trauerfälle seine Vorlesungen, jedes Mal ungefähr für eine Woche. In den Rechenschaftsberichten finden sich einige Spuren der Geselligkeit der Familienuniversität: Schrader erwähnte einige Hochzeiten von Kollegen oder von ihren Kindern. Man weiß zum Beispiel, dass er am 28. Juli 1668 zur Hochzeit von Christine Eleonore Conring, vierter Tochter des berühmten Professors und ehemaligen Kommilitonen von Schrader, mit Paul Prüfer, dem Superintendenten von Bersekau, eingeladen war.151 Er wohnte auch den Hochzeiten von Bürgermeistern oder ihren Kindern und vom Stadtmedicus bei.152 Vermutlich stellten die meisten Professoren auch zu dieser Gelegenheit ihre Vorlesung ein: In einer so bescheidenen Universitätsstadt, wo die Elite so klein war, wurde jede Feier zur Gelegenheit der Versammlung derselben.153 Der größte Abwesenheitsgrund aber war für Christoph Schrader seine Krankheit. Von 1657 bis 1678 gab es nur fünf Jahre (1659, 1671, 1672, 1675, 1677), in denen er in seinen Rechenschaftsberichten nicht von Gesundheitsproblemen sprach. In normalen Jahren fehlte er eine Woche hie und da, meistens im Frühling. Aber wegen eines Rückfalls oder einer Komplikation seiner Krankheit konnte er mehrere Wochen fern von den Vorlesungssälen bleiben. Das geschah im Jahre 1660, in dem er eine Woche Anfang Juni das Bett hüten musste, und Anfang Juli bis Ende August erneut erkrankte; dann, nach einem normalen Herbst, zog er sich am 29. Dezember ein Leiden am linken Arm zu, so dass er bis zum 12. Februar abwesend bleiben musste.154 Man kann sich also fragen, wie viele Stunden Unterricht auf diese verschiedenen Weisen in der ganzen Universität verloren gingen, denn Schrader scheint in seinen 149 HAB Cod. Guelf. 5 Novissimi 28, Bl. 27r–v, Brief vom 28. 5. 1655: „Gegen E.F.G. thue ich fur die bei meiner iungsten anwesenheit abermahl erwiesene gnade mich unterthenig bedancken. Absonderlich hatt mich erfrewet E.F.G. Gott sei lob, so gute bestendige leibes disposition, imgleichen das insigne Augustae Bibliothecae augmentum, dan auch die omnium Bibliothecariorum operas ubertreffende, und noch bei so schwerer sorgfaltiger Regierung mit eigenen handen continuirte catalogos librorum gegenwertig zu/sehen.“ Le Cam, Politique scolaire, S. 232. 150 Diesmal erklärte er dem Herzog die ganze Beschaffenheit der Sache, NLA WO 45 Alt 1, fol.880r–v. 151 Zimmermann, Matrikel Helmstedt I, S. 421. 152 15. 2. 1658 ein Bürgermeister, Juli 1664 die Tochter eines Bürgermeisters, September 1668 der Stadtmedicus. 153 Siehe Le Cam, Le poids de l’université, bes. S. 16 – 23, 46 – 52. 154 Ich habe anhand dieser Quelle versucht die Gesundheitsprobleme von Christoph Schrader zu rekonstruieren, vgl. Le Cam, Politique scolaire, S. 192 – 194.
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Rechenschaftsberichten im Vergleich eher fleißiger und aufrichtiger gewesen zu sein als der Durchschnitt. Jenseits der individuellen Arbeitsethik hatten viele Professoren, besonders an den höheren Fakultäten, andere Verantwortungen in Staat und Kirche, die sie oft, manchmal für längere Perioden, von den Hörsälen fernhielten. Diese Organisation trug auch, neben anderen Missbräuchen in der Unterrichtspraxis, zu der bis ins 19. Jahrhundert anhaltenden Kritik an der akademischen Vorlesung bei.155 Das hier behandelte außerordentliche Bündel von Quellen erlaubt diesen Arbeitsund Lebenskomplex besser in seinen konkreten und praktischen Aspekten zu analysieren. V. Allgemeine Schlussfolgerungen und Ausblick Was können wir aus dieser Analyse der Quellen und diesen ersten Informationen über Inhalt und Betrieb des akademischen Unterrichts auf einer allgemeineren Ebene folgern, und in welche Richtungen lässt sich die Forschung zu diesen Themen weiterführen? 1. Was die zu Verfügung stehenden Quellen und ihre Benutzung betrifft: a) An der Universität Helmstedt entstanden nach dem Dreißigjährigen Krieg drei Typen von Dokumenten, die unterschiedliche Adressaten hatten, die sie mit verschiedenen Zielsetzungen und variablen Inhalten und Details über die öffentlichen und privaten Lehrveranstaltungen unterrichteten, nämlich: einerseits vor jedem Semester durch die von der Universität veröffentlichten Vorlesungsverzeichnisse und von jedem Professor gedruckten akademischen Programme, und andererseits durch die von den Lehrenden für die Regierung erstellten Rechenschaftsberichte. b) Dank der zufälligen parallelen Aufbewahrung dieser drei Quellen im Fall Christoph Schraders für die Periode 1656 – 1666 wurde bewiesen, dass es wie an anderen Universitäten auch in Helmstedt üblich war, akademische Programme mit der Beschreibung der nächsten Lehrveranstaltungen zu veröffentlichen. Man muss sich also davor hüten, aus dem Stand der Aufbewahrung solcher Dokumente in Bibliotheken und Archiven voreilige Schlüsse über die Praxis dieser Rechenschaft- und Werbungsysteme zu ziehen. Die Rechenschaftsberichte der Lehrenden an die Verwaltung scheinen zwar in Helmstedt systematischer und gründlicher gewesen zu sein als anderswo. Aber der unterschiedliche Stand der Sammlungen von akademischen Programmen z. B. in Wittenberg, Jena und Rostock deutet eher auf verschiedene Auffassungen der archivarischen Sortierung und Erhaltung als auf eine andere Praxis der akademischen Werbung hin. c) Diese drei Quellensorten geben differenzierte Auskünfte über die universitäre Lehre, ihren Inhalt und ihre Praxis. Die Vorlesungsverzeichnisse sind am wenigsten detailliert, geben aber einen synthetischen Einblick in den zu einem bestimmten Zeitpunkt angebotenen Unterricht und kompensieren so etwaige Lücken anderer Quel155 Vgl. für die frühe Neuzeit Füssel, Lehre ohne Forschung, S. 67 – 69; für das 19. Jahrhundert Lönnecker, „Das man sich den Gang in die Vorlesung sparen kann […]“.
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len. Die Rechenschaftsberichte erlauben eine Annäherung an die Wirklichkeit der Lehrpraxis, an das Fortschritttempo des Unterrichts, an die (Nicht-)Einhaltung der Versprechungen der Lektionskataloge, an die Hindernisse bei der Erfüllung dieser Aufgaben. Die akademischen Programme sagen mehr als die anderen Quellen über die Absichten des Professors, über seine pädagogischen Methoden und Instrumente aus. d) Dennoch ist es ratsam, diese drei Quellensorten soweit wie möglich miteinander zu kombinieren und mit anderen zu kreuzen, wie der Druckproduktion der Lehrenden und ihrer Studenten, den Korrespondenzen und jeder möglichen zusätzlichen Dokumentation. Dies ist die Bedingung einer adäquaten Auswertung, die vor einigen Missverständnissen und gewagten Interpretationen schützt. e) In dieser Hinsicht muss man sich anstrengen, mehr als die funktionellen und soziokulturellen äußeren Formen des Lehrbetriebs zu berücksichtigen und weiter in das Innere der pädagogischen Tätigkeit und Wissensvermittlung einzudringen, besonders wenn man das Glück hat, über einen dokumentarischen Bestand zu verfügen, der die Beschreibung des ganzen pädagogischen Vorgehens wie im Falle Schraders gestattet. f) Der Fall Schrader ist zwar wegen der Dichte der Quellen zu seiner Tätigkeit außergewöhnlich, und man kann aus dieser Konfiguration keine allgemeinen Regeln zur Auswertung derselben Dokumentation ableiten. Man muss in der Tat zwischen zwei Arten von Ansätzen unterscheiden: Auf der einen Seite stehen breit angelegte Untersuchungen, die zahlreiche Individuen über eine lange Dauer in den Blick nehmen und daher nicht von etwaigen einzelnen Lücken oder Schwächen der Dokumentation in ihrer Wahrnehmung der großen Tendenzen und Gesamtbewegungen beeinträchtigt werden. Auf der anderen Seite sind einige viel besser dokumentierte Fälle sorgfältig und gründlich zu studieren und können wie die ,Zeugenberge‘ der Geomorphologen betrachtet werden, aus denen Relief und Geologie von verschwundenen Schichten rekonstruiert werden. In diesem Fall geht der Historiker ähnlich vor wie ein Restaurator, der aus einem ganz erhaltenen Teil eines Mosaiks fehlende Stücke in anderen beschädigten Teilen ableitet. g) Die erzielten Erkenntnisgewinne bestätigen die Wichtigkeit und den Wert einer Rückkehr zu den Quellen in ihrer Verschiedenartigkeit für die Universitätsgeschichte, wie er unter anderem auf einer früheren Tagung in Wolfenbüttel exemplarisch verteidigt wurde.156 Eine intensive Auswertung dieser seriellen Quellen kann nicht nur einen Gewinn an neueren Informationen bedeuten, sondern auch neue Fragestellungen erbringen. Eine solche undankbare und mühsame Arbeit übersteigt aber oft die Möglichkeiten eines einzelnen Forschers, und wird besser in einem kollektiven Projekt durchgeführt. Mehrere Unternehmen dieser Art sind derzeit in Arbeit, zumindest was die Onlinepublikation von Matrikeln und Professorenlisten angeht, manchmal auch von Vorlesungsverzeichnissen. Es wäre gut, solche Sammlungen mit anderen 156
Rasche (Hrsg.), Quellen.
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Dokumenten wie den akademischen Programmen zu vervollständigen. Ein Versuch, Verbindungen zwischen diesen Projekten aufzubauen, wie sie für die Matrikel und universitären Datenbaken existiert (Netzwerk Heloise), wird eines Tages erforderlich sein.157 Einstweilen sollen einzelne Forscher, die ein solches Quellenkorpus bearbeitet haben, ihre so mühsam gesammelten Informationen für andere leichter greifbar machen. 2. In Bezug auf Inhalt und Auswertung dieser Quellen vermitteln uns die Ergebnisse der schon geleisteten Arbeit über Christoph Schrader folgende Einsichten: a) Diese Untersuchung zeigt die zentrale Position des Rhetors nicht nur in der philosophischen Fakultät, sondern auch in der ganzen universitären Einrichtung. Jeder Anfänger besuchte seine Vorlesungen; er richtet sich an alle Hörer, ebenso an den adligen Dilettanten wie an den wohlhabenden bürgerlichen Juristen oder an den theologischen Kandidaten. b) Entgegen der Vorurteile, mit denen die Rhetorik dieser Epoche gerne belegt wird, zeigt unsere Studie, dass dieser Unterricht ein Mix von Tradition und Modernität darstellte. Tradition, weil man sich fest an der Herkunft der Disziplin, d. h. hier Aristoteles, hielt und man seine Beispiele dem Erbe der klassischen und humanistischen Kultur entnahm, doch passte man das Ganze an die zeitgenössischen Gebräuche und Erwartungen an. Dies erhellt das Modernisierungspotenzial des Späthumanismus. Dabei müssen die holländischen Einflüsse in diesem Prozess neu bewertet werden. Sie wurden unter anderem durch den Aufenthalt von Studenten wie Schrader und Conring in Leiden gestärkt, die wichtige Akteure des Wiederaufbaus der Universität Helmstedt nach dem Krieg wurden. c) Der Unterricht bestand aus einem beachtenswerten Gleichgewicht zwischen Theorie, Analyse oder Beobachtung und Praxis oder Nachahmung. Für die Lehrenden gab es kein Wissen, auch keine praktische Anwendung ohne solide theoretische Ausrüstung, kein Verständnis ohne die Beobachtung der gelungenen Anwendung in der klassischen Literatur, was die analytischen Fähigkeiten fördern sollte. Aber all das hätte keinen Nutzen gehabt, wenn diese Kenntnisse und Fähigkeiten nicht regelmäßig geübt und trainiert worden wären. So spielte Schraders Privatschule für Redner eine zentrale Rolle in seinem Unterricht und trug wesentlich zu dessen Anziehungskraft bei. Damit wird noch einmal die Wichtigkeit des Privatunterrichts hervorgehoben. d) Dieser Beruf wurde so in seinen pädagogischen, psychologischen (man denke an Schraders Ratschläge gegen Schüchternheit und sein Bemühen, die Probanden nicht zu demütigen), aber auch organisatorischen Dimensionen erhellt. Der Professor der frühen Neuzeit war nicht (nur) ein Gelehrter im Elfenbeinturm und ein Akteur in universitären Zeremonien, sondern auch ein autonomer Verwalter seiner Tätigkeit, der die verschiedenen Teile seiner Lehre aufeinander folgen ließ oder sie zwischen privatem und öffentlichem Unterricht nach pädagogischen und ökonomischen Kri157
Vgl. URL: http://heloise.hypotheses.org/.
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terien aufteilte. Er organisierte auch seine Werbung durch Plakate und Heftchen, schrieb Studenten in ein geordnetes Übungsprogramm ein, organisierte ihre öffentliche Rede, präsidierte bei Disputationen und Deklamationen. e) Die Rechenschaftsberichte enthüllen auch die Hindernisse, die der Erfüllung dieser perfekten Programme entgegenstanden. Einige sind von persönlicher Natur, aber die meisten erwuchsen strukturell aus den zahlreichen Ämtern und Verantwortungen, die die Professoren parallel trugen, oder aus den allgemeinen Veranstaltungen des universitären und städtischen Lebens. Sogar ein ohne Zweifel gewissenhafter Mensch wie Christoph Schrader ließ manchmal seine Studenten in Stich, um seinen verschiedenartigen Verpflichtungen gerecht zu werden oder, ganz prosaisch, weil er krank war. f) Jenseits der Probleme mit Unterrichtsausfällen bemerkt man, wenn man die Folge der Vorlesungen von Schrader rekonstruiert, dass sein Vorgehen selten einem logisch fortschreitenden Curriculum entsprach. Je nach dem Zeitpunkt der Immatrikulation oder des Studienanfangs sah sich ein Student, der wohl selten mehr und häufig weniger als zwei Jahre die Vorlesungen von Schrader hörte, mit der Lehre des Aristoteles, der rhetorischen Analyse der klassischen Reden (z. B. von Livius), der Geschichte der römischen Literatur konfrontiert. Nur in den letzten Jahren von Schraders Laufbahn wird diese Folge von Vorlesungen homogener. Es existiert wohl eine gewisse Rationalität in diesem Programm, doch nur aus Sicht des Professors im Rahmen des mittleren Zeitabschnitts seiner Karriere, nicht aus Sicht eines Studenten, der die verschiedenen Disziplinen in einem schnelleren Tempo hintereinander studieren sollte. g) Diese Beobachtung wirft die weitere Frage der Wissensvermittlung oder vielmehr der Aufnahme und des Aufbaus von Kenntnissen durch die Studenten auf. Was hieß konkret studieren? Sicher nicht, alles primär vom Besuch der Hörsäle zu erwarten. Den größten Teil des Wissens musste man in den Büchern suchen – denjenigen des Professors, wenn sie existierten, und anderen, vielleicht auch in abgeschriebenen Collegienheften von vorherigen Semestern. Gleichwohl war es wichtig, berühmte Professoren zu hören und zu treffen, besonders im Rahmen des Privatunterrichts, wo sich, vor allem in den Möglichkeiten zur Verbesserung der eigenen Fähigkeiten in den Übungen, der Mehrwert des direkten Kontakts zum Lehrer zeigte, und wo man die Gelegenheit hatte, sich positiv hervorzutun. Breithaupt nennt, wenn er sich an den Unterricht von Schrader in seiner Autobiografie erinnert, überhaupt nur diese zwei Elemente: seine Handbücher und seine praktischen Übungen mit einem anderen Studenten, und bezeugt im Übrigen die Wichtigkeit der persönlichen Netzwerke, die man an einer Universität für spätere Empfehlungen bauen konnte.158 Dies zeigt auch, dass eine Untersuchung über die Gelehrtenpraxis auch für die Geschichte der Studenten nützlich sein kann.
158
Le Cam, Breithaupt, S. 83 – 88.
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h) Schließlich ist das Auftreten dieser Kombination von Quellen der Werbung und Kontrolle der Lehrtätigkeit an Universitäten an sich selbst ein Gegenstand der Geschichte, einer Geschichte des Kontrollprozesses und der inneren und äußeren Kommunikation dieser universitären Institutionen im Rahmen der Entwicklung des bürokratischen Territorialstaats. 3. Zu welchen Orientierungen für künftige Forschungen können diese Ergebnisse führen? Einige sind bereits im vorhergehenden Abschnitt vorgeschlagen worden, ich will zuletzt hier nur fünf Baustellen angeben, an denen ich künftig arbeiten möchte. a) Die wenigen in diesem Beitrag gegebenen Proben lassen den Reichtum an Informationen erahnen, der aus den Quellen selbst erwächst. Deshalb kann man sich nicht mit einer statistischen oder synthetischen Auswertung dieses Korpus zufriedengeben, die immer dazu führt, nur einige Aspekte aus der Quelle auszulesen, die der eigenen Fragestellungen entsprechen. Man muss direkten Anschluss an diese Dokumente suchen und dadurch andere Interpretationen und Fragestellungen erlauben. Als ich, zur Zeit der Papierbibliothekskataloge und der Mikroinformatik und vor dem Internet, angefangen habe, mich für diese Gegenstände zu interessieren, war ein solches Vorgehen im großen Stile nicht denkbar. Die Technologie ermöglicht jetzt für bescheidene Kosten breite Onlineausgaben von Dokumenten, die für Forscher einen hohen Wert haben, dagegen aber für kommerzielle Verlage nicht von Interesse sind. In Ergänzung der vollständigen Ausgabe der Berichte und der Korrespondenz des Schulinspektors, die auch, wie schon gesagt, manchmal seine Tätigkeit an der Universität betrifft, zeichnet sich jetzt das Vorhaben einer digitalen Edition des dokumentarischen Bestands zur Tätigkeit des Rhetorikprofessors ab.159 In einer ersten Phase würde das Projekt erfordern, die gesamten Rechenschaftsberichte, die von mir schon aus Archivalien transkribiert wurden, alle akademischen Programme von Schrader und seinen Kommentar von Aristoteles (De Usu), der nichts anderes ist, als seine sonst diktierte und am Ende seines Lebens gedruckte Hauptvorlesung, online aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen.160 b) Ein solcher Bestand kann, dank einer Indizierung und anderer Behandlungen, Verbindungen innerhalb dieses Korpus und zu anderen Textbeständen herstellen und so einen wichtigen Gewinn an Informationen erbringen. Dies ist Gegenstand der sogenannten Digital Humanities und muss in Zusammenarbeit mit verschiedenen Zuständigen mit unterschiedlichen Kompetenzen durchgeführt werden. Einerseits zählt zum Beispiel das Centre François Viète, Forschungszentrum für Epistemologie und Wissenschaftsgeschichte an den Universitäten Nantes und Brest in Westfrankreich
159
In Vorbereitung: Le Cam (Hrsg.), Sources, Bd. 1: Rapports et correspondance. Die Programme in der Ausgabe von 1667 und der Kommentar sind schon in Textdateien mit Mitteln des Forschungsteams RARE (siehe unten) erfasst worden. Sonst sind sie im Rahmen des großen Wolfenbütteler Projekts digitaler Editionen in Faksimile online verfügbar. 160
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zu seinen Interessenfeldern die „humanités numériques“.161 Andererseits hat die Forschungsgruppe der Universität Grenoble über die Rhetorik (RARE) seit einigen Jahren angefangen, eine Onlinebibliothek aller wichtigen frühneuzeitlichen Drucke zur praktischen Rhetorik zu sammeln, und analysiert sie in Forschungsseminaren und Publikationen. Dazu werden natürlich auch die Erschließung- und Digitalisierungsprojekte der Herzog August Bibliothek beitragen.162 Die Bücher, die Christoph Schrader, seine Kollegen und seine Studenten benutzten, sind oder werden bald alle als Faksimile online greifbar sein. Vergleichbare Digitalisierungsprogramme für Drucke der frühen Neuzeit existieren ebenfalls in anderen Bibliotheken wie Halle, Weimar oder Göttingen und füllen mögliche Lücken.163 c) Was die Auswertung selbst betrifft, können bedeutende Fortschritte nur aus einer Änderung der Perspektive und der angewandten Sachkenntnis entstehen. Die Schwerpunkte der Lehrtätigkeit Christoph Schraders sind schon erarbeitet worden, und laut dem Gesetz des sinkenden Grenzertrags wird dieselbe Methode wohl allenfalls Nuancen, Ergänzungen und detaillierte Beispiele erbringen. Deswegen habe ich mit Francis Goyet vom Forschungsteam RARE an der Universität Grenoble eine Zusammenarbeit angesetzt.164 Diese Gruppe versucht eine Archäologie der praktischen Rhetorik der frühen Neuzeit zu betreiben und hat schon bei der Erhebung aller wichtigen Traktate und Kommentare in diesem Gebiet das Werk Schraders bemerkt. Was sie interessiert, ist nicht die rhetorische Theorie, sondern ihre Praxis, die anhand der Analyse von Texten erforscht werden soll, die in Europa weit verbreitet und im Unterrichtswesen institutionalisiert waren, aber seitdem in Vergessenheit geraten sind.165 Sie beruht auf der systematischen Analyse und Erläuterung der klassischen, auch manchmal zeitgenössischen Texte anhand der Prinzipien und Kategorien der aristotelischen Rhetorik. So wurden zum Beispiel ganze Werke von Cicero oder Vergil auf diese Weise analysiert. Schraders Analyse der Reden des Livius ist das beste Beispiel dieser Praxis. Das Forschungsteam hat eine breite Sammlung von solchen Texten schon online zu Verfügung gestellt und veröffentlicht seit 2014 die auf dieses 161 Vrançois Viète (1540 – 1603), Jurist und Mathematiker, wird unter anderem als Begründer der modernen Algebra bezeichnet. Über dieses Institut, dem ich seit 2015 als assoziiertes Mietglied angehöre, vgl. URL: http://www.cfv.univ-nantes.fr/. 162 In erster Linie zwei Projekte: Helmstedter Drucke Online – Digitalisierung der Druckproduktion der ehemaligen Universität Helmstedt; Katalogisierung der im Juleum Helmstedt verbliebenen Drucke der ehemaligen Universitätsbibliothek Helmstedt. URL: http://www.hab.de/de/home/wissenschaft/forschungsprofil-und-projekte/laufende-projekte. html. 163 Alle diese Sammlungen sind im Portal der deutschen digitalen Bibliothek wiederzufinden: URL: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/. Für das 17. Jahrhundert ist eine progressive Digitalisierung der im VD17 registrierten Bücher vorgesehen. 164 Francis Goyet ist Professor für Französische Literatur der Renaissance und hat sich mit einer Thèse d’Etat über die Loci communes in das Bereich der frühneuzeitlichen Rhetorik spezialisiert. Er hat 1999 diese Equipe de recherche associée au CNRS (EA3017) gegründet und sie bis 2014 geleitet. Vgl. URL: http://rare.u-grenoble3.fr/ 165 Christine Noille-Clauzade, Le commentaire rhétorique classique. Sie leitet jetzt das Forschungsteam RARE.
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Thema spezialisierte Zeitschrift „Exercices de Rhétorique“.166 So werden für ein besseres Verständnis der verschiedenen Dimensionen der gelehrten Praxis im Unterricht der internalistische Standpunkt des Spezialisten für frühneuzeitliche Rhetorik und Literatur und die externalistische Sicht der soziokulturellen Geschichte der Erziehung und der Universität vereinigt. Das ist ein Versuch, die Fachbegrenzungen, die die immer wachsende Spezialisierung der Forschung verursacht, zu überschreiten.167 d) Dieser Ansatz wird auch eine andere notwendige Entwicklung fördern, die darin besteht, von dem engen Betrachtungswinkel einer Universität oder der deutschen protestantischen Universität zu einer übergreifenden Analyse der europäischen gelehrten Praxis überzugehen, die ähnliche Fälle aus verschiedenen Ländern Europas (z. B. Frankreich, Italien, Niederlande, Deutschland, Spanien) einbezieht. Es handelt sich also nicht nur darum, einen Vergleich mit den Homologen von Christoph Schrader in den verschiedenen deutschen protestantischen Universitäten durchzuführen, sondern auch die Unterschiede oder Ähnlichkeiten zu den katholischen oder reformierten Lehranstalten Europas zu ermitteln. Man hat schon die engen Verbindungen von Schrader zu Vossius und der holländischen Schule festgestellt. Wie weit aber war diese Praxis von der der katholischen Praxis entfernt, die zum Beispiel in der Ratio Studiorum die Hälfte der Lateinstunden für diese Übungen vorschrieb, und die mit dem Franzosen Martin Du Cygne (1619 – 1649) oder dem Italiener Marco Antonio Ferrazzi (1661 – 1748) Meister dieser Disziplin besaß?168 e) Nur nachdem man unsere Befunde in diesen breiteren Zusammenhang gestellt und um ergänzende Analysen von Spezialisten dieser Praxis ergänzt hat, wird es möglich sein, eine repräsentative und paradigmatische, fundierte Synthese über eine bestimmte Unterrichtspraxis zu ziehen, für die Christoph Schrader als eine typische Figur eines deutschen lutherischen Professors des 17. Jahrhunderts im Rahmen der europäischen Respublica Litteraria als Beispiel dienen kann – dieses Mal auf deutsch oder englisch…
166
URL: http://rhetorique.revues.org/ Siehe bes. die Nr. 3 (2014), Sur l’histoire, wo Giuliano Ferretti und Francis Goyet, die Redenanalysensammlung vom Prorektor des Gymnasiums von Görlitz, Abraham Vechner (1636 – 1704), analysieren: La Suada Gallicana (1679) et son „double spécimen d’analyse logico-rhétorique“. 167 Über diese und die im nächsten Absatz formulierte Herausforderung, vgl. Füssel, Wie schreibt man Universitätsgeschichte?, S. 289; 291. 168 Du Cygne war Professor am Jesuitenkolleg in Saint-Omer, Ferrazzi am Priesterseminar in Padua. Über die Tradition von diesen Kommentaren, z. B. über Vergil, von der Antike bis zu Ferrazzi via Melanchthon, vgl. Exercices rhétoriques, Nr. 2 (2013), bes. Goyet, Présentation. Redécouvrir, en Virgile, l’immense rhéteur.
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Anhang: Quellen zum öffentlichen und privaten Unterricht 1. Die Rechenschaftsberichte des Professors Christoph Schrader für das Jahr 1669 /NLA WO 37 Alt 204, Heft 5, Bl. 32,50,70,126. Idem: 37 Alt 2503, Bl. 88 – 91./ ANNO MDCLXIX [1669] Januario postrid[ie] Idus ad publicas operas reversus ad lib[ri] 1. Rhet[oricorum] cap[ita] X. XI. XII. XIII. XIV. et XV. [10 – 15] publicas institui disquisitiones, et lib[ri] 1.Rhet[oricorum] finem imposui. Februario ad lib[ri] 2. Rhet[oricorum] cap[ita] I. II. III. et IV. [1 – 4] publicas disquisitiones instituere progressus, interim et doctrinae de moribus juvenum, senum, nobilium, divitum, potentium, civilem atque ecclesiasticum in dicendo usum ad lib[ri] 2. Rhet[oricorum] cap[ita] XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII. XVIII. docui, dictatis ad calamum observationibus, orsus etiam cap [ut] XIX. [19]. Martio mense cap[itis] XIXni [20], quo loci communes, de possibili, facto, futuro continentur, usum civilem demonstrare perrexi, nec absolvere t[ame]n potui, quod gravedo pectoris, inflammatio tonsillarum, et a morbifero vere proveniens adversa valetudo cursum impedirent. Mense Aprili capitis XIXni [19] lib[ri] II. Rhetoricorum, quo loci possibilis, facti, futuri continentur, sacrum usum dictavi, inde ad vigesimum, quo de exemplo, et vigesimum primum, quo de sententia agitur, progressus. Majo perrexi de sententia ejusque quatuor speciebus, ac modo utendi ad coeptum caput XXI. [21] observationes civili et Ecclesiastico oratori profuturas tradere, quas et XXVII. [27] mensis hujus die absolvi. Sex scholarum cis Ocrum instituta visitatio, et insecuta invaletudo, ut et disputatio Juridica inauguralis aliquot horas exemere. Junio mense ob gravedinem capitis et tumefactas tonsillas, pectori infestas destillationes, et necessarium usum medicamentorum publica docere haut valui. Institui tamen studiosi adolescentis publicam declamationem, programmate quod schedae huic junxi ad XXIX. [29] mensis hujus diem indictam et in Juleo habitam. Julio mense libri 2di Rhetoricorum cap[ut] XXII [22] ejusque civilem et ecclesiasticum usum exponere coepi, et vigesimo mensis hujus die absolvi, inde ad XXIII [23] caput, quod Topicorum Aristotelis compendium quoddam est progressus. Duae orationes inaugurales, item mutatio V[ice]Rectoratus horas tres, catarrhus fauces affligens horas totidem exemerunt. Augusto mense perrexi ex vigesimo tertio cap[ite] libri IIdi Rhet[oricorum] exponere locorum Dialecticorum in oratoria usum. Consistorium extra ordinem indictum horam unam, iter Halberstadiense horas duas, visitatio scholarum classicarum hebdomadam unam detraxerunt. Septembri mense publicas lectiones mihi impedivere, primo Visitatio scholae Wolferbytanae, inde cadaveris humanis sectio, et ipsa praelectionis meae hora instituta demonstratio, tandem etiam apparatus ad filiae nuptias. Absolvi interim hoc mense oratorias exercitationes ad Joh: Sleidani historiam, in domestico auditorio ante trimestre coeptas, in quibus septuaginta et quatuor oratiunculae Germanicae a decem adolescentibus sunt habitae, et ad artis dicendi praecepta examinatae. Octobris primam hebdomadam filiae solennia nuptiarum occuparunt. Secunda perrexi e 23 cap[ite] libri IIdi Rhet[oricorum] locorum dialecticorum in oratoria usum publice commonstrare. Mox febre afflictus ad finem usque mensis a docendo desistere sum coactus.
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Novembris quarto die ad docendum reversus institi memoratis pralectionibus per totum mensem, atque interim disquisitiones Rhetoricas in publico auditorio bis institui, unam ad primum, alteram ad secundum caput Lib[ri]1. Rhet[oricorum] Mercurii et Saturni mensis hujus diebus in domestico auditorio habitae sunt quatuor decim Germanicae oratiunculae, a totidem adolescentibus. Funus Schoeningense diem unum, Nundinae Helmstadienses, biduum unum, scholae classicae Helmstadiensis visitatio, biduum alterum publicis praelectionibus detraxerunt. Decembri progressus sum in Locorum Topicorum a oratoriam applicatione, et simul quatuor publicas institui disquisitiones Rhetoricas, unam ad tertium et quartum, alteram ad quintum, tertiam ad sextum, quartam ad septimum lib[ri] 1mi Rhet[oricorum] capita. Profectio ad primum ab urbe lapidem diem unum, Consistorium extra ordinem habitum, diem alterum publicis praelectionibus exemit. Interim privatim Mercurii et Sabbatti diebus singulis quatuor jam oratiunculae Germanicae (unum nempe par hora octava, par alterum hora quarta), ad hypotheses e Sleidano elaboratae, a me sunt auscultatae et Collegii censuris subiectae mea demum addita epicrisi.
2. Liste der Privatvorlesungen, die Christoph Schrader von 1661 bis 1668 hielt, mit Angabe ihrer Themen und der Zahl der eingeschriebenen Studenten / NLA WO 37 Alt 2495, Bl. 29r–v. Eigenhändig./ Christophori Schraderi privata Collegia ab anno 1661 usque ad Novembrem anni 1668. Rhetoricæ Ecclesiasticæ prælectiones inchoavi 30 Julii Ao 1661 et absolvi 8 Martii anni sequentis. Auditores erant XIX [19]. Rhetoricae Aristotelis usum civilem commonstrare coepi 15 Octobr[is] Ao 1662, et absolvi 27 April[is] Ao 1663. Auditores erant 49. Rhetoricae Aristotelis usum sacrum docere incepi 29 Aprilis Ao 1663 et absolvi 2 Oct[obris] Ao 1663. Auditores erant 35. A festo Michaelis anni 1663 usque Pascha anni 1664 Sacrarum orationum exercitationes in templis urbanis et suburbano sunt institutae et ad censuram revocatae, a duodecim studiosis civibus. Geographiae veteris praelectiones inchoavi 15 Octobr[is] Ao 1663 et absolvi 26 Mart[ii] Ao 1664. Auditores erant 44. A festo Paschae ad Michaelis Anni 1664 quatuordecim studiosorum conciones in urbanis et suburbano templis auscultavi, et censurae subjeci, ac singulos commo[nstr]avi. Oratorias civilis arg[umen]ti exercitationes mense Maio anni 1664 inchoavi et Octobri ad finem perduxi. Intererant XXIV [24]. /29v/ Latinas ora[ti]ones in domestico auditorio habuerunt à mense Octobri Anni 1664 usque ad Aprilem Anni 1665 undecim studiosi. Semestri aestivo anni 1665 Tredecim studiosi Theologiae Sacras in templis orationes habuerunt et censurae nostrae submiserunt. Undecim alii statis horis Latinas habuerant orationes. Anno 1665 24 Decembris coepi praelectiones Rhetoricae Ecclesiasticae, easdemque 12 Aprilis 1666 absolvi. Auditores erant 35.
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Anno 1667 à mense Febr[uaris] ad Augustum Latinae eloquentiae scholam aperui sedecim studiosis. Anno eodem à mense Octobri ad Pascha anni sequentis ad Joh. Sleidani historiam de statu reip[ublicae] et religionis in Germania, quatuor et septuaginta orationes habuerunt septemdecim studiosi. Methodum res et verba excerpendi tradidi a Calendis Iulii ad 17 Octobr[is]. Aderant 28 studiosi
3. Tafel: Der Unterricht von Schrader, aus den drei Quellentypen zusammengestellt am Anfang und Ende seiner Karriere (1635 – 1640, 1670 – 1675) Datum/Quelle
Öffentlicher Unterricht
P1*: Anfang 1635
Privatunterricht Geographie: Pomponius Mela
P1: 1. 09. 1635
Neue Geographie: Rudolph Diephold
P2: 6. 11. 1635
Cornelius Nepos : Vitae Imperatorum
Momentane Unterbrechung
P3: 6. 01. 1636
C. Nepos: Vita T. Pomponii Attici
Geographie (Folge)
P4: 25. 05. 1636
Folge (*)
Universalgeschichte (von Christus bis zur Gegenwart)
P5: 9. 07. 1636
Ende C. Nepos/Anfang Aristoteles : Rhetorica
P6: 27. 03. 1637
Aristoteles : Rhetorica, Folge (*)
Rhetorische Übungen (Briefe)
P7: 14. 06. 1637
Folge (*)
Rhetorische Übungen (Briefe/Fabeln)
P8: 17.91637
Cicero : Reden
Einführung in Hebräisch
P11: 8. 04. 1638
Cicero: Pro Milone
Geographie: Philipp Klüver
P12: 15. 08. 1638
Florus : Römische Geschichte
P13: 20. 11. 1638
Aristoteles: Rhetorica + Florus
P14: 8. 12. 1638
Florus : Römische Geschichte (Folge)
VV: 1639 A
Florus : Römische Geschichte (lib. 3 – 4)
P16: 16. 06. 1639
Cicero: Reden
P17: 21. 07. 1639
Rhetorische Übungen (Reden)
Rhetorische Übungen nach dem öffentl. Unterricht
P19: 20. 10. 1639
C. Velleius Paterculus
P20: 16. 10. 1640
Cicero: Philippicae
RB: 01 – 03.1670
Aristoteles: Rhetorica (+ disquisitiones)
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Datum/Quelle
Öffentlicher Unterricht
Privatunterricht
RB: 04 – 12.1670
Tacite: Germanie + disquisitiones (Rhetorik)
Rhetorische Übungen (Reden) (ad sacrum usum bis. Sept.) Rhetorische Übungen (Reden) (n. seinen Dispositiones)
RB: 11.1670 – 03.1671 RB: 04 – 12.1671
Aristoteles: Rhetorica (lib. II) + disquisitiones
RB: 06.1671 – 02.1672
Rhetorische Übungen (Reden) (nach Sleidan)
RB: 01 – 09.1672
Aristoteles: Rhetorica
RB: 10 – 12.1672
Analyse der Reden v. T. Livius
Rhetorische Übungen (Reden) (Latein)
RB: 01 – 07.1673
Analyse der Reden v. T. Livius + disquisitiones/Rhetorik
Rhetorische Übungen (Reden) (Latein) (bis März)
RB: 04 – 12.1673
Rhetorische Übungen (Reden) ad civilem (nach Sleidan) et sacrum usum
RB: 01 – 07.1674
Analyse der Reden v. T. Livius + disquisitiones/Rhetorik
RB: 08 – 12.1674
Verbesserung v. Reden + 1 disquisitio pro Woche
Rhetorische Übungen (Reden) (Latein)
RB: 01 – 12.1675
Lateinische Redenschule + disquisitiones/Rhetorik
Rhetorische Übungen (Reden) (Deutsch)
Abkürzung VV P P* RB
Quellentyp Vorlesungsverzeichnis (A Wintersemester, B Sommersemester) Akademisches Programm (Nr. u. Datum des Programms) Erwähnung in einem späteren Programm Rechenschaftsbericht (in Monaten)
Quellen und Literatur Quellen Ungedruckte Quellen Herzog August Bibliothek (HAB) Cod. Guelf. 5 Novissimi 28: Briefe von Christoph Schrader an August d. J. (1646 – 1666). 55 Extrav.: Briefe an August d. J. (darin 29 von Christoph Schrader, Bl. 214 – 264. 27,2 Stil. f. p. 3541: Bibliotheca Academiae Iuliae in Ordinem redacta […] autore Christophoro Schrader. 1644. 36.27 Msu f. p. 6698: Augmentum Bibliothecae Academiae Iuliae ab anno 1640 usque anno 1667, bibliothecario Christophoro Schradero authore. Ao. 1667. 253.7 Extrav.: Summa capita methodi excerpendi 1668.
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Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NLA HA) Cal. Br. 21, Nr. 4162, 4168 Vorlesungszettel der Professoren. Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel (NLA WO) 14 Alt Fb. 35, 36, 38 Berichte und Briefe des Generalschulinspektors Chr. Schrader an August d. J (1650 – 1666). 45 Alt 1 Korrespondenz und Berichte des Generalschulinspektors Chr. Schrader an August d. J. und Rodolph-August (1654 – 1676). 37 Alt 204 – 205 Quartalvorlesungszettel der Professoren (1631 – 1670). 37 Alt 2489 – 1509 Monatliche Rechenschaftsberichte der Professoren (1656 – 1679).
Gedruckte Quellen Werke von Christoph Schrader und von ihm herausgegebene Werke Disputatio theologica De gratuita per fidem Iustificatione, Helmstedt 1635; 2. Ausg. 1646, 3. Ausg. 1654 (iterum vulgata cum animadversione in nuperans D. Iohan[is] Hulsemanni calumniam). Quaestionum Hebraicarum Disputatio Prima De Lingua Sancta / Quam D.O.M.A. Praeside Christophoro Schradero […] Publice defendet Johannes Krohne/ Brunsvicensis, Helmstedt 1638. Tabulae chronologicae a prima rerum origine ad C. Iulii Caesaris monarchiam, Helmstedt 1642; 2. Ausg. 1652; 3. Ausg. 1666. Tabulae chronologicae a nato Christo ad annum MDC, Helmstedt 1645. Tabulae chronologicae a nato Christo ad annum 1658, Helmstedt 1658. Aristotelis De Arte rhetorica libri tres. Graece et latine editio cura Christophori Schraderi. Helmaestadii, Helmstedt 1648; 2. Ausg. 1661; 3. Ausg. 1672. Dispositiones Epistolicae Eloquentiae studiosis in Academia Julia traditae, Helmstedt 1654; 2. Ausg. 1661; 3. Ausg. 1675. [Christophora Schradero praeside] De Convenientia et discrimine oratoriae ac poesos. [Respondit:] Joh[annes] Ernestus Schraderus, Helmstedt 1661. Dispositiones oratoriae ad ductum Rhetoricae Aristotelis concinnatae, Helmstedt 1663; 2. Ausg. unbekannt; 3. Ausg. 1674. Christophori Schraderi Eloquentiae Professoris in Academia Julia Programmata Selectiora, Helmstedt 1667. Hypotheses oratoriae ad Johannis Sleidani de Statu religionis et Reiublicae Historiam. In Germanicae Eloquentiae usum contextae, Helmstedt 1669. De Rhetoricorum Aristotelis sententia et usu Commentarius, Helmstedt 1674. Livianarum orationum duodevinginti analysis rhetorica. Adjectis imitationum materiis, Helmstedt 1676.
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Herausgegebene Handschriften von Christoph Schrader Bertram, Johann Friedrich: Discovrs Von der Klugheit zu Excerpiren: […], Auch mit einigen Passagen, aus dem noch nie gedruckten Methodo Excerpendi Des berühmten ehemaligen Helmstättischen Oratoris, Christophori Schraderi erläutert, Braunschweig 1727. Le Cam, Jean-Luc (Hrsg.): Sources: de la norme aux pratiques, Bd. 1: Rapports et correspondance de l’inspecteur général Christoph Schrader aux ducs Auguste le J. et Rodolphe Auguste de Brunswick-Wolfenbüttel, Bd. 2: Législation et documents sur le fonctionnement de l’inspection et du système scolaire. Edition critique annotée, Wiesbaden (Wolfenbütteler Forschungen) (=Politique, contrôle et réalité scolaire en Allemagne au sortir de la guerre de Trente Ans. T. III) (in Vorbereitung). Über Christoph Schrader Fröhling, Andreas: Unseres Heylandes insbrünstiges Verlangen, umb die Gläubigen in seiner Herrlichkeit bei sich zu haben […] [Leichenpredigt auf Christoph Schrader], Helmstedt 1680, S. 38 – 52. Schmid (Smidius), Melchior: In obitum Christophori Schraderi oratio. Helmstedt, 1680 Programma in funere […] Dn. Christophori Schraderi […], Helmstedt 1680.
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Streiten
Form und Formlosigkeit des Judenhasses. Kommunikationsweisen judenfeindlicher Traktate um 1500 Von Jan-Hendryk de Boer Eine scholastische quaestio ist nicht unbedingt der geeignete Ort für Hass.1 Idealtypisch besteht eine schriftliche quaestio aus der Formulierung des zu behandelnden Problems, einer Reihe von Argumenten für eine bestimmte Antwort, einer weiteren Argumentenreihe gegen diese Antwort und – als eigentlichem Kern – der mehr oder weniger ausführlichen Lösung. Beschlossen wird die quaestio durch die Widerlegung all der eingangs vorgebrachten Argumente, die der Lösung entgegenstehen.2 Auch wenn sich nicht alle scholastischen Texte des Schemas der quaestio bedienen, so ist sie doch eine der kennzeichnenden Formen der Scholastik, die in Kommentaren und mündlichen wie verschrifteten Disputationen regelmäßig anzutreffen ist.3 Aus der universitären Lehre war die quaestio bis in die frühe Neuzeit hinein ebenfalls nicht wegzudenken. Denn diese Form erlaubte es dadurch, dass Gründe für beide Seiten angeführt wurden, ein Problem präzise zu fassen, mögliche Lösungen gegeneinander abzuwägen und schließlich zu einer argumentativ abgesicherten Entscheidung zu kommen. Eine Differenz der Zugänge und Ansichten wurde so durch WahrFalsch-Unterscheidung in eine wahre Antwort überführt. Es war daher nur naheliegend, dass der Freiburger Jurist Ulrich Zasius diese Form wählte, um sich einem aktuellen Rechtsfall zu widmen, der am Beginn des 16. Jahrhunderts überregional Aufmerksamkeit erregt hatte.4 Die Stadt Freiburg, die in einer Fehde zwischen dem Kaiser und dem Pfalzgrafen bei Rhein auf der kaiserlichen Seite stand, hatte einen pfalzgräflichen Juden gefangen genommen. Gegen das Versprechen, ein Lösegeld aufzutreiben, wurde der Jude vorübergehend freigelassen, musste allerdings seinen Sohn als Geisel zurücklassen. Der jüdische Knabe wurde in die Obhut des Pfarrers des Freiburger Münsters gegeben und entwickelte bald die Neigung, sich taufen zu lassen. Dass von christlicher 1 Dieser Aufsatz führt einige Überlegungen meiner Dissertation über den Reuchlinkonflikt weiter; zur Einordnung sei daher verwiesen auf de Boer, Unerwartete Absichten. 2 Lawn, The Rise and Decline; Weijers, Maniement, S. 61 – 66; Weijers, Search of Truth; Bazàn u. a., Les questions disputées; de Boer, Art. ,Disputation, quaestio disputata‘. 3 Zur Rolle der quaestio in der Scholastik vgl. zunächst Leinsle, Einführung, S. 38 – 41; Schönberger, Scholastik, S. 52 – 55; Rentsch, Kultur der quaestio. 4 Zu diesem Vorfall und der Stellungnahme von Zasius siehe Rowan, Zasius and the Baptism; Kisch, Zasius und Reuchlin, S. 1 – 14; Burmeister, Art. ,Zasius‘, Sp. 1430 f.
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Seite diesem hochwillkommenen Wunsch nachgeholfen wurde, vermuteten schon die Zeitgenossen. Umstritten war vor allem, ob es zulässig sei, ein jüdisches Kind ohne Zustimmung seiner Eltern zu taufen – und ob eine derartige Taufe nicht unter das kirchenrechtliche Verbot der Zwangstaufe falle. Die Freiburger Professoren machten sich daran, das Geschehen zu legitimieren, so auch Zasius, der die Gelegenheit nutzte, auf sich aufmerksam zu machen. Er veröffentlichte 1508 drei zusammenhängende quaestiones, die zu dem Schluss kamen, dass Zwangstaufen auch gegen den erklärten Elternwillen rechtmäßig seien, da die Juden mit ihren Kindern Sklaven seien, die kein Recht auf Selbstbestimmung besäßen.5 Das religiöse Gebot, Kinder im wahren christlichen Glauben zu erziehen, stehe höher als die übrigen Vorschriften des natürlichen oder positiven Rechts, so dass die Ansprüche des Vaters auf sein Kind hinter denjenigen Gottes zurückzustehen hätten. Auch das Prinzip der Vertragstreue hätten die Freiburger nicht einhalten müssen, da der Vater als Jude ein Feind gewesen sei und mithin der eingegangene Vertrag nach römischem Recht keinen Bestand habe.6 Wichtigste Gewährsmänner für seine Lösung waren neben den Kirchenvätern und dem kanonischen Recht unter anderem Johannes Andreae,7 Johannes Duns Scotus8 und Gabriel Biel,9 wohingegen Zasius große Anstrengungen unternahm, die Ablehnung der Zwangstaufe von Kindern durch Thomas von Aquin10 argumentativ aus der Welt zu schaffen. Typisch für die scholastische quaestio ist eine vergleichsweise sachliche Argumentationsweise, die vor allzu scharfen Angriffen auf ihre Gegner zurückschreckt. Kritik gilt in erster Linie Positionen, nicht Personen. Auch wenn die zentrale solutio oder determinatio durchaus erlaubte, eigenständige Positionen zu formulieren und gegebenenfalls von der gelehrten Tradition abzuweichen, waren scholastische quaestiones in Bezug auf die Autorfunktion unterdeterminiert. Bis ins 14. Jahrhundert war es unüblich, die jeweils kritisierten Zeitgenossen überhaupt namentlich zu nennen. Der Autor selbst tritt nur in schwacher Form in Erscheinung, als formalisiertes ego, das zwar mehr oder weniger klar akzentuierte Positionen artikuliert, jedoch lebensweltlich unterbestimmt bleibt.11 Etwas über die Emotionen und Lebensumstände des Verfassers oder die Aussagesituationen zu erfahren, fällt dem heutigen Leser scholastischer quaestiones zumeist recht schwer. Inwiefern die explizierten Intentionen als personale Willensäußerungen zu verstehen sind oder sich der ritualisierten Form der Positionskämpfe in den quaestiones verdanken, ist häufig kaum zu entscheiden. Markiert der Sprecher einer quaestio eine Position explizit als die seine, setzt er sich prononciert gegen die Tradition ab, verweist er auf die Kontextfaktoren, 5
Zasius, De iudaeis, q. 1, S. 175. Ebd., q. 3, S. 183 – 187. 7 Andreae, Glossa ordinaria, ad VI 5,2,13, S. 345. 8 Duns Scotus, Ordinatio, lib. 4, dist. 4, pars 4, q. 3, sol., Z. 197 – 206, S. 275 f. 9 Biel, In IV Sent., dist. 4, q. 2, art. 3, dub. 2, S. 200 – 206. 10 Thomas von Aquin, Summa theologiae IIIa, q. 68, a. 10, sol., S. 402 f. 11 König-Pralong, Discours scolastique, S. 362 – 364. 6
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unter denen er seine Position entwickelt hat – dann ist dies alles eine erklärungsbedürftige Ausnahme, nicht die Regel. Zasius hielt sich weitgehend an diese überkommenen Merkmale der quaestio, seine Argumentation ist recht sachlich, zwar ohne jegliche Sympathien für die Juden, aber auch ohne leidenschaftliche Diffamierung. Dass er den seiner Überzeugung widerstreitenden Argumenten deutlich weniger Raum gewährt als denjenigen, die er für richtig hält, ist innerhalb der Scholastik üblich. Alles scheint also in gewohnten Bahnen zu verlaufen – wenn da nicht ein Beiwerk wäre: In einer im Druck marginal als „Nota parergon invectiuum contra iudaeos“12 ausgewiesenen Passage der ersten quaestio lässt er plötzlich seinem Hass freien Lauf. Entschieden weist er die These zurück, Alexander II. habe in der Dekretale Dispar die Juden auf den Dienst an den Christen verpflichtet. Da sie – anders als die Sarazenen – die Christen nicht bekämpften, könnten sie, so der Papst, im christlichen Herrschaftsbereich verbleiben. Zasius kann diese Sicht nicht akzeptieren, die seinen Ansatz konterkariert, Juden und Christen als Feinde voneinander zu scheiden. Entsprechend heftig ist seine Reaktion. Auffällig ist, dass Zasius, der schon in der Frage, ob die Juden Sklaven der Christen seien, von der dieser These zuwiderlaufenden Mehrheitsmeinung der zeitgenössischen Juristen abgewichen ist, nun auf eine detaillierte juristische Analyse verzichtet. Vielmehr sieht er sich durch den selbstgestellten Einwand genötigt, in dringlichen Worten den vermeintlichen jüdischen Christenhass zu imaginieren. Wiederum in Abkehr von der Ansicht der meisten Rechtsgelehrten gelangt er zu dem Schluss, den Christen bleibe angesichts der vermeintlichen jüdischen Schlechtigkeit lediglich, die Juden ohne Ansehung ihrer jeweiligen rechtlichen Stellung auszuweisen.13 Welche andere Lösung biete sich angesichts der Tatsache, dass die Juden „eingeschworene Feinde“ der Christen seien, als „solche wilden Bestien zu beseitigen und aus den Grenzen der Christen ganz und gar zu vertreiben? Dies ist nämlich die schmutzigste Kloake, die im Schatten der Unterwelt verborgen werden sollte.“14 Hier spricht Zasius mit scharf konturierter Autorfunktion, ist als Ich mit Überzeugungen und Emotionen erkennbar. Diese will er seinen Lesern nicht einfach mitteilen, er will sie auch nicht von deren Richtigkeit überzeugen wie in den übrigen Teilen der quaestiones – sondern er will ein Einverständnis durch emotionale Anrede herstellen. Mit Mitteln der Rhetorik appelliert er an die Leser, in die hate speech einzufallen: Doch weil wir sehen, dass in diesen Zeiten alles ins Gegenteil verkehrt wird, sind die Juden sehr undankbar gegenüber den Christen, schmähen sie täglich mit öffentlichen Verwünschungen und Flüchen, verderben sie durch Wucher, leugnen ihre Dienstpflicht, verspotten unseren so makellosen Glauben und fahren fort, ihn zu verabscheuen, gehen obendrein noch 12
Zasius, De iudaeis, q. 1, S. 173. Dass Zasius damit gegen die Meinung der meisten seiner Kollegen anschreibt, zeigt Güde, Rechtliche Stellung, S. 22 – 32. 14 Ebd., q. 1, S. 173: „Tales itaque, tam professos uerè dixerim hostes, tam truculentas bestias, cur non eliminare, cur non à limitibus Christianorum eminus expellere, maximè principibus permittatur? Est enim isthaec spurcissima sentina, Cimerijs abstrudenda tenebris.“ 13
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öffentlich gegen unseren Erlöser mit besudelten Blasphemien vor und, was das grausamste von allem ist, dürsten nach Christenblut, das diese äußerst grausamen Blutdürstigen Tag und Nacht suchen und das, wie berichtet wird – wir können dies nicht ohne heftiges Pochen des Herzens aussprechen –, in diesen Tagen in unserem Territorium mehr als einmal von den Mitwissern ihrer Verbrechen, die sich von ihren Bitten bewegen ließen, vergossen wurde. Außerdem beflecken sie den christlichen Namen, hassen, bedrängen und besudeln ihn, so dass sie auch wünschen und erstreben, den ganzen Glauben unseres Heils zu zerstören.15
Diese Rede hat wenig mit einer üblichen scholastischen quaestio, dafür umso mehr mit der humanistischen Invektive gemein.16 An die Stelle inhaltlicher oder formaler Argumentation und begrifflicher Arbeit, also der Gattungsmerkmale der quaestio, tritt eine hochgepeitschte Rhetorik, die von emotionaler Dringlichkeit getragen und auf direkte affektive Beeinflussung der Leser gerichtet ist. Deswegen bleibt diese Passage in Zasius’ Text ein Fremdkörper, der sich in die gelehrte Argumentation nicht recht fügen will – ja, sie performativ unterminiert, denn der sich als Beiwerk Bahn brechende Judenhass droht, die Geltung der Argumente zu schwächen. In einer quaestio wird die Lösung als gültig präsentiert, weil sie sich aus wahren Prinzipien mit logischen Mitteln korrekt herleiten lässt – personale Überzeugungen des AutorIchs relativieren allerdings tendenziell die kontextunabhängige Geltung derartiger Lösungen. Möglicherweise ist Zasius hier jedoch nicht einfach ein Missgeschick unterlaufen, das mit seiner mangelnden Erfahrung als Autor zu erklären wäre. Vielleicht handelt es sich viel eher um eine – wenn auch halbherzige – Erweiterung einer Form, die sich für das kommunikative Ziel, vor der jüdischen Bedrohung zu warnen und zu entsprechenden Handlungen anzuspornen, als nicht adäquat erwiesen hat. Dass mit der scholastischen Redeweise kommunikative Beschränkungen einhergingen, wurde bereits von den Zeitgenossen gesehen und immer wieder thematisiert. Theologen wie Jean Gerson hatten der typischen universitären Rede vorgeworfen, in reiner Selbstreferentialität nichts für das Glaubensleben der einfachen Christen auszutragen.17 Nicht nur Bußprediger wie Savonarola vermissten in all den Kommenta15 Zasius, De iudaeis, q. 1, S. 173: „At quia omnia in contrarium his temporibus agi uidemus, Iudaei enim Christianis sunt ingratissimi, eos quotidie publicis imprecationibus, publicis execrationibus deuouent, usuris expoliant, seruitia negant, fidem nostram emaculatissimam derident, & defoedare pergunt, in nostrum Saluatorem funestissimis blasphemijs, & id quidem publicè, feruntur: & quod omnium est crudelissimum, Christanum sanguinem sitiunt, quem dies & noctes cruentissimi isti sanguinarij quaerunt, quem & in nostro territorio his diebus (quod sine cordis perculsura loqui non possumus) plus semel effudisse à socijs criminum, propterea supplicio affectis, delati sunt. Praeterea Christianum nomen infectantur, oderunt, deprimunt, dimaculant: quin etiam totam nostrae salutis fidem euertere & cupiunt & contendunt.“ 16 Zu dieser Gattung vgl. Helmrath, Streitkultur. 17 So etwa in seinen Vorschlägen für eine Reform der theologischen Fakultät, die er am 1. April 1400 Pierre d’Ailly schickte. Sie gipfeln in der Forderung einer seelsorgerlichen Neuausrichtung und der Aufgabe einer selbstreferentiellen Spekulation, die die Logik als zentrales Mittel der theologischen Erkenntnisbildung ansieht: „Et pro honore Dei attendatur diligenter quanta est necessitas pro instructione populorum et pro resolutione materiarum
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ren und Disputationen prophetische Elemente, die die Anleitung der Christenmenschen ermöglichen und sie im rechten Glauben befestigen sollten.18 Die Vertreter der Frömmigkeitstheologie wie Johann Geiler von Kaysersberg oder Johannes von Paltz teilten diese kritische Sicht auf die universitäre Theologie, die sich in ihren Augen sehr weit von der Seelsorge entfernt hatte.19 Viele Humanisten hielten scholastische quaestiones für den Inbegriff gelehrter Wortklauberei, deren Ort die Studierstube, nicht jedoch die Welt sei.20 So war der Siegeszug der Scholastik an den Universitäten seit dem 13. Jahrhundert begleitet von einer immer lebhafteren und pointierteren Scholastikkritik, die mal aus der Universität heraus artikuliert, mal in entschiedener Außensicht formuliert wurde. Gemeinsam ist all dieser Kritik, dass der Scholastik mangelnde kommunikative Wirksamkeit vorgeworfen wurde: Sie bot reine Theorie, vernachlässigte die Praxis; handelte von Worten, nicht von lebensweltlichen Fragen; blieb abstrakt und neutral, wo rhetorische Dringlichkeit und appellative Anrede nötig waren.21 Die Formlosigkeit, in der der Judenhass um 1500 im Reich zumeist daherkam, lässt sich insofern auch als performative Kritik an einer scholastisch-universitären Gelehrsamkeit verstehen, der es weder gelang, die Juden endlich zu bekehren, noch, die einfachen Christen angesichts der Gefahr, die von unter ihnen lebenden Andersgläubigen auszugehen schien, wirksam zu beschützen. Auch wenn viele der vorgebrachten Argumente und Autoritäten tief in der Tradition gelehrter Judenfeindschaft verwurzelt blieben, begannen sich im späten 15. Jahrhundert doch die Aussagestrategien zu ändern, mit denen diese vorgebracht wurden. Die Form des Judenhasses war nun die Formlosigkeit. Während sich bei Zasius der Hass gattungssprengend in die quaestio drängte, verließen andere Autoren, Gelehrte wie Laien, die gewohnten Textformen und Kommunikationskanäle, um vor Juden und dem Judentum zu warnen und wirksame Maßnahmen zu fordern. Mit dem Traktat fand man eine formal kaum festgelegte, agitatorisch sehr wirksame Gattung, die sich als ideales Medium eines rigorosen Antijudaismus erweisen sollte. Ich will diese Form der Formlosigkeit moralium termporibus nostris. Et tunc credendum quod in tanta angustia temporis et inter tot animarum pericula non multum placebit ludere, ne dicam phantasiari, circa ea quae prorsus supervacua sunt.“ Gerson, L’œuvre épistolaire, Nr. 3, S. 23 – 28, hier 28; vgl. dazu Kobusch, Philosophie, S. 484 – 488. 18 Z. B. Savonarola, Sopra Aggeo, Nr. 23 (28. 12. 1494), S. 409 – 428, hier 420,17 – 421,19; Savonarola, Sopra Amos, Nr. 47, S. 343 – 369, bes. S. 363,8 – 12: „Vedi, perché in questi tempi noi siamo andati a pescare di notte, e’ non s’è preso nulla. Noi abbiamo voluto predicare logica e filosofia, e aviàno abbassata la fede; e però essendo quasi spento questo lume, egli era fatto notte.“ 19 Hamm, Frömmigkeit; Hamm, Frömmigkeitstheologie, S. 132 – 182. 20 Z. B. Erasmus, Moriae encomium, Z. 1381 – 1407, S. 146 – 148; Reuchlin, De verbo mirifico, S. 150,13 – 27; zur Scholastikkritik der deutschen Humanisten Rummel, HumanistScholastic Debate; Overfield, Humanism and Scholasticism; vgl. dazu die manches Klischee korrigierenden kritischen Bemerkungen von Helmrath, Humanismus und Scholastik. 21 Eine Sammlung derartiger Vorwürfe bietet etwa der Brief des Erasmus an Maarten van Dorp, in dem er im Mai 1515 seine ,Moria‘ gegen die Kritik scholastischer Theologen verteidigte; Erasmus, Opus epistolarum, Bd. 2, Nr. 337, S. 90 – 114.
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im Folgenden auf vier Ebenen darstellen: Erstens in Bezug auf Sprache und Sprechweisen, zweitens in Bezug auf die verwendete Textsorte, drittens in Bezug auf den Gebrauch des Buchdrucks, viertens in Bezug auf das anvisierte Publikum. I. Von den Juden sprechen Die Sprache des Judenhasses ist nicht Latein, sondern Deutsch. Ein Blick in Heinz Schreckenbergs Handbuch der Adversus-Judaeos-Schriften des 13. bis 20. Jahrhunderts verrät, dass seit dem 15. Jahrhundert immer häufiger judenfeindliche Traktate in der Volkssprache verfasst oder in die Volkssprache übersetzt wurden.22 War bis dahin die Volkssprache vor allem in Dichtung und geistlichem Spiel Medium der Judenfeindschaft, wurde sie nun insbesondere im Reich für die gelehrte Auseinandersetzung mit dem Judentum entdeckt. Zu nennen sind hier etwa die 1466 entstandene anonyme Bewährung, dass die Juden irren und der Stern des Meschiah des Dominikaners Petrus Nigri, der hiermit 1477 eine erweiterte volkssprachliche Übertragung seines Tractatus contra perfidos Iudaeos vorlegte, der wiederum auf Missionspredigten zurückging, die er 1475 in Regensburg gehalten hatte.23 Sprachliche Neuausrichtung verband sich mit einer Verwurzelung im inhaltlichen Repertoire mittelalterlicher Judenfeindschaft. Beide Autoren griffen auf Theologen wie Nikolaus von Lyra oder Nikolaus von Dinkelsbühl und die apologetischen Schriften von Konvertiten wie Petrus Alfonsi zurück, um die Wahrheit des christlichen Glaubens zu erweisen. Übliche Themen derartigen apologetischen Schrifttums sind die Trinität, die Messianität Jesu Christi, die Inkarnation und die Jungfräulichkeit Mariens – Kernpfeiler der christlichen Theologie, die immer wieder aufs Neue gegen tatsächliche oder angenommene jüdische Kritik verteidigt wurden. Wichtigste argumentative Ressource blieb die Bibel, genauer das Alte Testament, da die christlichen Apologeten des Hoch- und Spätmittelalters wussten, dass es aussichtslos wäre, in Form einer petitio principii die Wahrheit des Christentums aus dem Neuen Testament beweisen zu wollen. Während jedoch die Bewährung inhaltlich gänzlich traditionell blieb, bemühte sich Nigri, seine Hebräischkenntnisse einzusetzen, um die überkommenen Argumente besser abzusichern. Beide Schriften weisen formale Elemente verschiedener Gattungen auf. Der Stern des Meschiah ist deutlich von predigtrhetorischen und exegetischen Techniken geprägt, jedoch durch die Einteilung in Bücher und inhaltlich aufeinander aufbauende Kapitel als gelehrter Traktat strukturiert. Die Bewährung verbindet eine gedrängte Erzählung der Schöpfung von Menschen und Engeln mit der quasidialogischen Montage von jüdischen Argumenten gegen die Messianität Jesu und christlichen Repliken. Vorbereitet wird diese Oppositionslogik durch die Evokation der neun Engelschöre, denen die Teufel und Dämonen gegenübergestellt werden, die die Menschen Böses tun ließen. Repräsentanten der so entstandenen Schlechtigkeit seien die Ungläubigen und Häretiker; die Schlimmsten unter ihnen 22
Schreckenberg, Adversus-Judaeos-Texte. Nigri, Stern des Meschiah; Nigri, Contra perfidos Judaeos; zu Autor und Werk vgl. Diemling, Petrus Nigri. 23
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seien die Juden.24 Durch typologische Auslegung des Alten Testaments will der unbekannte Autor beweisen, dass sie über die Grundlage verfügten, die Messianität Jesu zu erkennen, jedoch in Blindheit und Verstocktheit gefangen blieben, aus der er sie zu befreien anschickt. Die Beispiele für derartige judenfeindliche Texte in der Volkssprache nehmen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts schlagartig zu, wobei die Kommunikationsstrategien formal, rhetorisch und inhaltlich deutlich ausgefeilter sind als bei den beiden erwähnten Texten des 15. Jahrhunderts: Zu nennen sind etwa Johannes Reuchlins Tütsch Missive, Johannes Pfefferkorns Juden Spiegel, Juden veindt und Iudene beicht, Victors von Carben Juden Buchlein, Johannes Teuschleins Auflosung ettlicher Fragen […] wider die verstockten plinte Juden, Antonius Margarithas Der gantz Jüdisch glaub, Paulus Staffelsteiners Wahrhafftig widerlegung der grossen verfelschung der Judischen Lerer des 22. Psalm, Martin Luthers Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei und Von den Juden und ihren Lügen sowie Johannes Ecks Ains Juden büechlins verlegung. Die Reihe ließe sich fast beliebig fortsetzen. All diese Schriften sind in der Volkssprache verfasst, sie alle nutzen gelehrte Autoritäten, zumeist die Kirchenväter, mittelalterliche Theologen und Kanonisten, um die Wahrheit des christlichen Glaubens zu erweisen und Maßnahmen gegen die Juden einzufordern; sie alle nutzen die mittelalterliche apologetische Literatur, aus der sie einen Großteil ihres Wissens über das Judentum gewinnen; sie alle wollen nicht einfach die Wahrheit von Lehrinhalten darlegen, sondern zum Handeln anleiten. Sie wollen erklärtermaßen die christlichen Lehrer in ihrem Glauben befestigen; sie wollen lehren, wie eine erfolgversprechende Missionstätigkeit auszusehen habe; sie wollen vor einer bislang unterschätzten jüdischen Christenfeindschaft warnen. Sie alle sind vom Bewusstsein der Wahrheit des christlichen Glaubens getragen, das es erlauben soll, die Falschheit der jüdischen Lehren zu erweisen. Die Juden werden als Bedrohung imaginiert, eher abstrakt als Herausforderung christlicher Glaubenslehren durch die Existenz eines konkurrierenden Systems, konkret durch vermeintliche antichristliche Praktiken, angefangen vom Wucher über Verfluchungen bis hin zu Hostienfrevel und Ritualmord. Dringlich wird der einfache Christ angesprochen, den es zu warnen und in seinem Glauben zu befestigen gilt – was offensichtlich den Gebrauch der Volkssprache und der Rhetorik des Predigers erzwingt. Das rhetorische Geschick der Autoren ist unterschiedlich: Petrus Nigri referiert sehr ausführlich sein angelesenes Wissen, nutzt den hebräischen Bibeltext, um aus ihm schlagend die Falschheit jüdischer Positionen zu erweisen, und garniert seine Darlegungen nur ab und zu mit direkten Anreden und an seine Leserschaft gerichteten Handlungsanweisungen. In diesen Passagen ist die Herkunft der Schrift aus Missionspredigten am deutlichsten spürbar. Der Ton des Predigers wechselt jedoch beständig mit demjenigen des Universitätsgelehrten. Virtuos ist dagegen die Agitation Johannes Pfefferkorns: In seinen mehrfach nachgedruckten Schriften vermischt er, ein Konvertit mit guten Kontakten zur Kölner Universität, Informationen über die 24
Bewährung, fol. 6r; vgl. dazu Hess, Social Imagery, S. 180 – 183.
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Gebräuche und Riten des zeitgenössischen Judentums mit Anekdoten und Erzählungen über die von Juden ausgehende Gefahr sowie mit Ratschlägen an die christliche Obrigkeit, wie künftig mit den Juden zu verfahren sei.25 Durch die Kontroverse mit Johannes Reuchlin am bekanntesten geworden ist seine Aufforderung, den Juden alle Schriften außer der Bibel fortzunehmen. Eindringlich rief er die Obrigkeit bereits im Juden Spiegel dazu auf, gegen Schriften wie den Talmud vorzugehen, die die Juden vom rechten Weg weggeführt hätten: Vnd darumb mein allerliebsten yr solt yn solche bucher auß den augen thon/ nemet sie vonn in vnnd lasset sie allesamet in ein fewer werffen/ damit yr verdinen vnd sie zum rechten wege e e brengen mocht/ wan sie den weg der bucher verloren hetten/ alßdan so wurdenn sye sich dester eer zu der heyligen schriefft und rechten weg der warheyt keren/ vnd erkennen/ das in manch iar verprogen gewest vnd noch ist.26
Ebenso wichtig war Pfefferkorn zunächst jedoch ein Verbot des Wuchers, das mit einer Arbeitspflicht für Juden einhergehen sollte. Auch die Notwendigkeit, die Juden mit Zwang vor christliche Prediger zu ziehen, auf dass sie sich der frohen Botschaft nicht entziehen könnten, strich er wiederholt heraus.27 Erst als er eher überraschend die Unterstützung des Kaisers für seinen Plan gewinnen konnte, schob sich das Vorgehen gegen das jüdische Schrifttum sukzessive ins Zentrum seines Denkens.28 Der Rothenburger Prediger Johannes Teuschlein integrierte die plastische Sprache der seelsorgerlich motivierten Predigt in das Schema aus sieben Fragen, die Kernthemen der christlichen Rede über die Juden zusammenfassten. Der wissenschaftliche Anspruch seiner Schrift wird dadurch herausgestellt, dass die marginalen Autoritätenverweise auf Latein erfolgen, während der Haupttext auf Deutsch verfasst ist. Diese Überblendung von formalen Elementen der gelehrt-universitären Auseinandersetzung mit dem Judentum und kommunikativen Strategien der Predigt spiegelt sich auf inhaltlicher Ebene: Gelehrte Autoritätenbezüge und Argumentationsweisen wechseln sich ab mit drastischen Beschimpfungen. So plädierte Teuschlein unter Anrufung Marias in der Antwort auf die vierte Frage entschieden dafür, bekehrungsunwillige Juden, „diese wu˚ cherische hund“,29 auszuweisen, da sie den christlichen Kommunen nur Schaden, jedoch keinen Nutzen bereiteten.30 Eine ähnliche formale und sprachliche Bricolage begegnet bei Luther. Während er sich 1523, direkt an seine Leser gewandt, anders als in seinen rigorosen Spätschriften für eine maßvolle Judenpolitik, einstweilige Duldung und freundlichen Umgang aussprach, um auf diesem
25 Zu Pfefferkorn und seinen Schriften Kirn, Bild vom Juden; Martin, Schriften Pfefferkorns. 26 Pfefferkorn, Juden Spiegel, fol. e2r. 27 Ebd., fol. d2r–d4v; Pfefferkorn, Juden veindt, fol. b1r–b3v. 28 Zu Bücherstreit und Reuchlinkontroverse Price, Campaign; de Boer, Unerwartete Absichten. 29 Teuschlein, Auflosung, fol. c1v. 30 Ebd., fol. c5r–v.
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Wege die Juden zu missionieren,31 schoben sich hingegen in den späten 1530er und 1540er Jahren biblisch geprägte Rhetorik und emotional hochgepeitschte Diffamierung ineinander, so dass die Grenzziehung zwischen wahren Christen und Juden nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich mit aller Radikalität vollzogen wurde. In analoger Weise verbindet Ecks Ains Juden büechlins verlegung die gelehrte, argument- und autoritätengestützte Begründung seiner Position mit Angriffen ad hominem auf den als ,Judenvater‘ verleumdeten Andreas Osiander und mit narrativ ausgeschmückten Gemeinplätzen antijüdischer Agitation wie Berichten über Ritualmorde und Hostienfrevel.32 Während Luthers Tonlage in all seinen Judenschriften sehr affektgeladen ist, kommt Ecks Judenfeindschaft zwar ebenso entschieden, aber deutlich nüchterner gestimmt daher. Gibt sich Luther erregt über die jüdische Schlechtigkeit und Verworfenheit, wird sie von Eck wie ein feststehendes Faktum in der distanzierten Diktion des scholastisch gebildeten Theologen konstatiert. II. Der Traktat als Gattung des Judenhasses Den Text als performativen Akt zu verstehen, der vermittels einer rhetorisch durchgestalteten Argumentationsweise Folgehandlungen erzeugen soll, ist kennzeichnend für Traktate. Der Traktat ist eine amorphe Gattung. In Mittelalter und früher Neuzeit firmieren ganz unterschiedliche Texte als Traktate; als gemeinsamen Nenner kann man wohl angeben, dass sie keiner der etablierten Textgattungen wie Predigt, Kommentar oder verschrifteter Disputation zuzuordnen sind, jedoch durchaus Elemente dieser Gattungen in sich aufnehmen. In Anlehnung an die Überlegungen von Daniel Hobbins lässt sich der Traktat über seine besondere kommunikative Rolle fassen:33 Es handelt sich um Texte, die durch relative Formlosigkeit – insbesondere den Verzicht auf die scholastische quaestio – gekennzeichnet sind und dazu dienen, gelehrte Inhalte so zu vermitteln, dass sie auch einem nichtuniversitären, zumeist nicht des Lateinischen kundigen Publikums verständlich sind. Die Kommunikation vermittels der Traktate erfolgt also nicht innerhalb eines institutionellen Rahmens wie dem der Universität oder des Bettelordensstudiums, sondern überschreitet diese Rahmen. Die genannten Texte fallen sämtlich in diese Kategorie. Einige ihrer Verfasser sind zwar Universitätsgelehrte, so Luther und Eck, einige lehren Hebräisch an einer Universität, so Antonius Margaritha und Paulus Staffelsteiner, ei31 Luther, Daß Jesus Christus, S. 336,22 – 29: „Darumb were meyn bitt und rad, das man seuberlich mit yhn umbgieng und aus der schrifft sie unterrichtet, so mochten yhr ettliche herbey komen. Aber nu wyr sie nur mit gewallt treyben und gehen mit lugen eydingen umb, geben yhn schuld, sie mussen Christen blutt haben, das sie nicht stincken, und weys nicht wes des narren wercks mehr ist, das man sie gleich fur hunde hellt, Was sollten wyr guttis an yhn schaffen? Item das man yhn verbeutt, untter uns tzu erbeytten, hantieren und andere menschliche gemeynschafft tzu haben, da mit man sie tzu wuchern treybt, wie sollt sie das bessern?“ 32 Vgl. etwa die detailreiche Darstellung der Ermordung des Knaben Simon in Trient im Jahre 1475, Eck, Ains Juden büechlins verlegung, fol. k3r–m1v. 33 Hobbins, Schoolman; Hobbins, Authorship.
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nige sind Priester und Prediger, so Victor von Carben, Petrus Nigri und Johannes Teuschlein. Pfefferkorn könnte man als freischaffenden Publizisten beschreiben, Reuchlin ist gelehrter Humanist, der seit seinem Studium betont Distanz zu den Universitäten hält. In keinem der genannten Texte findet sich eine quaestio, auch auf komplexe syllogistische Argumentation wird verzichtet; simple Frage-Antwort-Schemata erlauben es, Probleme klar zu fassen; Kapiteleinteilungen ermöglichen den Lesern, für sie relevante Inhalte zu identifizieren und gezielt aufzusuchen; mitunter fingierte Anfragen werden eingesetzt, um die Texte als konkreten Beitrag der Problemlösung darzustellen. Der Aufbau ist zumeist locker und unsystematisch; persönlich gefärbte Berichte, exempla, gelehrte Informationen, theologische Argumentationen und Bibelexegese sowie appellative Handlungsanweisungen wechseln einander ab. Mitunter wird in den Traktaten im Anschluss an die Tradition des Religionsgesprächs die auch bei den Humanisten beliebte Form des Dialogs genutzt. Dies ist der Fall in den anonymen Pharetra fidei, einer wohl bereits im 14. Jahrhundert entstandenen, vor allem jedoch im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert vielgelesenen Schrift,34 die schon viele Merkmale der späteren volkssprachlichen judenfeindlichen Traktate aufweist, allerdings noch in einem ausgesprochen ungelenken Latein daherkommt. Der unbekannte Autor hat sich vorgenommen, den christlichen Lesern den titelgebenden Köcher mit Argumenten zur Verfügung zu stellen, damit sie Goliath, also das jüdische Volk, besiegen könnten. Juden und Christen seien verschiedener Meinung in Glaubensdingen und unterstellten daher einander wechselseitig Irrtümer. Tatsächlich aber, so wird bereits in der Vorrede festgestellt, irrten zweifellos die Juden. Um die Leser zu schulen, sei das Buch als Streit zweier Personen über die Wahrheit angelegt, wobei ein Jude „grosso modo“ argumentiere und auf falsche Weise die christliche Wahrheit negiere, wohingegen ein „modo subtiliori“ vorgehender Christ durch die Aussagen der Propheten und Väter die Wahrheit seines Glaubens erweise.35 Die im Folgenden ausgetauschten Argumente sind so stereotyp, wie die Versuchsanordnung schematisch geraten ist. Bleibt der Anonymus inhaltlich der jahrhundertelangen, in Traktaten und Predigten immer wieder erneuerten antijüdischen Polemik treu, so fällt doch ein Versuch auf, die Auseinandersetzung durch leidenschaftliche Ausbrüche und zuspitzende Fragen zu rhetorisieren und mithilfe von lebensnahen Beispielen so zu gestalten, dass auch theologisch weniger gebildete Leser ihr folgen können. Als der Christ etwa erklärt, Gott sei inkarniert worden, und erläuternd hinzufügt, das Menschsein Christi rühre nicht aus dem männlichen Samen her, sondern sei allein von Gott empfangen worden, fragt ihn der Jude erbost, ob er sagen wolle, Jesus sei der Gott der Götter. Der Christ bekennt: Ja, genau dies wolle er sagen, und zwar ohne zu erröten.36
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Cardelle de Hartmann, Pharetra fidei, S. 343 – 349. Pharetra fidei, fol. a2v. 36 Ebd., fol. a4v.
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Hier sind bereits Strukturen vorgeprägt, die die volkssprachlichen Texte des 16. Jahrhunderts aufnehmen. Mit der Verwendung des Deutschen beschreiten sie den von den Pharetra fidei noch halbherzig eingeschlagenen Weg hin zu einer Öffnung der antijüdischen Polemik für ein ungelehrtes Publikum weiter, ohne jedoch damit den Anspruch aufzugeben, zugleich die gelehrte Diskussion der Rolle der Juden weiterzuführen. Victor von Carben gestaltete das zweite und dritte Buch e des Juden Buchleins ganz traditionell als Dialog eines Christen und eines Juden, in den sich wiederholt die Figur des Verfassers einschaltet, um mithilfe ihres Insiderwissens und ihrer Schriftkompetenz die jüdischen Geltungsansprüche zu widerlegen. Der Konvertit entwirft sich hier als Schiedsrichter im Streit der Glaubenden, dem es zukommt, den Sieger zu bestimmen, da er über eine besondere göttliche Erleuchtung verfügt. Dass er von Beginn an Partei ergreift, da er selbst einer der streitenden Religionen zugehörig ist, stellt insofern – ebenso wie in den mittelalterlichen Religionsgesprächen und -dialogen – keine Regelverletzung dar. Denn es geht nicht um eine Konkurrenz der Argumente in einem herrschaftsfreien Diskurs, sondern um die Bestätigung jener Wahrheiten, die a priori bereits als solche erkannt wurden. Ähnlich operiert Reuchlins Tütsch missive, die sich als Antwort auf die Frage eines Adligen inszeniert, wie mit den Juden zu verfahren sei.37 Anders als in seinem fünf Jahre später entstandenen Ratschlag entfaltet der Gelehrte hier die üblichen Topoi der Judenmission. Geboten sei, die Juden durch Predigten, Gespräche und Disputationen zur Einsicht in ihre all ihr Unheil verursachende Sünde zu führen; erst wenn sie verstanden hätten, dass sie den wahren Messias nicht erkannt, ihn verspottet und getötet hätten, könne man sie zum christlichen Glauben führen.38 Die Beobachtung, dass die Juden heutigen Tages im Elend lebten, wird Ausgangspunkt des induktiven Schlusses, dies sei nur aus der göttlichen Strafe zu erklären, die sie durch die Leugnung der Messianität Jesu auf sich gezogen hätten.39 Teuschlein gibt vor, an ihn von Freunden herangetragene Fragen zum Umgang mit den Juden zu beantworten.40 Margaritha wiederum will eine mehrfach geäußerte Neugier in Bezug auf die jüdische Religion befriedigen.41 Die Konvertiten unter unseren Autoren, Pfefferkorn, Victor von Carben und Margaritha, lassen ihre Texte gerne mit bekenntnishaften Vorreden anheben, in denen sie ihren Weg zum wahren Glauben rekapitulieren und aus der ihnen durch Gottes Hilfe zuteilgewordenen Erkenntnis die Notwendigkeit ableiten, andere auf den gleichen Weg zu führen. Alle zeigen sich überzeugt, Objekt eines besonderen göttlichen Gnadenerweises geworden zu sein, der sie von der jüdischen Blindheit befreit und die
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Reuchlin, Tütsch Missive, S. 5,1 – 7. Ebd., S. 11,15 – 33. 39 Ebd., S. 5,26 – 7,16; analog argumentieren Pfefferkorn, Juden Spiegel, fol. c2r–v und e Victor von Carben, Juden Buchlein, fol. k5r–v; l3v–l4r. 40 Teuschlein, Auflosung, fol. a2r. 41 Margaritha, Der gantz Jüdisch glaub, fol. a2v. 38
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Messianität Jesu habe erkennen lassen.42 Diese in der ersten Person Singular verfassten Partien enden jeweils mit einem Tonartwechsel, wenn jüdischer und christlicher Glauben gegeneinandergestellt und die Überlegenheit des letzteren argumentativ hergeleitet werden. Während Petrus Nigri und die anonyme Bewährung, dass die Juden irren eifrig die Namen ihrer Referenzautoren nennen, um ihre Darlegungen zu autorisieren, tritt der explizite Autoritätsgebrauch in den judenfeindlichen Traktaten des 16. Jahrhunderts merklich zurück. Gelegentliche Bezugnahmen auf die Kirchenväter, Thomas von Aquin, das Kirchenrecht und apologetische Klassiker wie Petrus Alfonsi, Paul von Burgos oder Alphonso de Spina stehen ungenannten Abhängigkeiten gegenüber. Insbesondere, wenn der Gewährsmann einen eher zweifelhaften Ruf hatte, lief die Rezeption verdeckt ab – dies gilt vor allem für die Schriften Pfefferkorns, die von Luther, Margaritha oder auch Eck gebraucht, aber nicht oder nur selten genannt wurden. Neben die Referenzautoren tritt als Autorisierungsstrategie prominent die eigene Erfahrung: Selbst wenn diese ihrerseits wiederum Spuren der Lektüre antijüdischer Schriften verrät – Pfefferkorn, Victor von Carben und Margaritha stützten sich explizit auf die Anschauung, die ihr jüdisches Ich vor der Taufe erworben hatte, wenn sie von den Gebräuchen und Riten der Juden berichteten. Dabei bedienten sie sich zumeist eines verobjektivierten Stils, nahmen eine Beobachterrolle ein, mit der sie ihr präsentisches christliches Ich von der eigenen jüdischen Vorgeschichte abschnitten. Auch andere Autoren verwiesen auf Erfahrungen mit Juden, so berichtete Luther mehrfach in verschiedenen Versionen von einer vermutlich auf 1525 oder 1526 zu datierenden Begegnung mit zwei oder drei Juden, die ihn an deren Bekehrungswilligkeit zweifeln ließ, von der er sich, wie erwähnt, noch 1523 in Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei überzeugt gezeigt hatte.43 Der Judenhass stellte hier eine Weiche gen Moderne: Beobachtungen und eigene Erfahrungen wurden im 16. Jahrhundert ein ebenso wichtiger Geltungsgrund wie autoritative Aussagen und logische Folgerichtigkeit. Zwar spielten auch in der scholastischen universitären Wissenschaft Erfahrung und Beobachtung eine gewisse Rolle: Dem aristotelischen Vorbild folgend, wurde wieder und wieder deren Relevanz für die wissenschaftliche Erkenntnisbildung hervorgehoben, allerdings ohne dass die Autoren immer ihren eigenen Maximen gefolgt wären.44 Gelehrte wie Albertus Magnus, Roger Bacon, Petrus Aureoli, Nikolaus von Oresme oder Johannes Buridan verwiesen zwar wiederholt auf eigene Beobachtungen – doch blieben diese Ausflüge in die Empirie zumeist sporadisch und emanzipierten sich nie von logisch-dialektischen Weisen, Wahr-Falsch-Unterscheidungen vorzunehmen.45 Ein an den Zweiten Analytiken geschulter Wissenschaftsbegriff e
42 Victor von Carben, Juden Buchlein, fol. a2v–a4r; Pfefferkorn: Juden Spiegel, fol. c3r–v; Pfefferkorn: Iudenbeicht, fol. a1r. 43 Luther, Wider die Sabbather, S. 313,5 f.; Luther, Vom Schem Hamphoras, S. 589,16 – 20; Luther, Von den Juden, S. 461,28 – 462,5; von der Osten-Sacken, Luther und die Juden, S. 103 – 110; Kaufmann, Judenschriften, S. 93 f. mit Anm. 42; 157 f. 44 Köhler, Sachverhaltsbeobachtung. 45 Pasnau, Science and Certainty.
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bot empirischen Daten nur begrenzten Raum. Das Streben nach Allgemeinheit der Erkenntnis durch demonstrative Verfahren ließ sich nicht umstandslos mit den ebenfalls von Aristoteles vorgetragenen Überlegungen verbinden, wie Erkenntnis schrittweise im Ausgang von der Sinneswahrnehmung gewonnen werden könne, wie also die Erkenntnis notwendiger Prinzipien und der aus ihnen logisch ableitbaren Propositionen aus kontingenten Daten möglich sei.46 Da die meisten scholastischen Denker obendrein repräsentationalistisch argumentierten, wohingegen sich die etwa von Petrus Johannes Olivi oder Wilhelm von Ockham vertretenen Theorien dynamischer Erkenntnisakte nicht durchsetzen konnten, blieb ein an Performanz orientiertes Verständnis von Sprache und Sprechen in Ansätzen stecken.47 Diese Defizite der universitären Scholastik wurden bereits von den Zeitgenossen, sei es von humanistischen Literaten, sei es von Vertretern der Frömmigkeitstheologie, immer wieder kritisiert. Und wenn sie dabei auch häufig eher eine Karikatur als eine korrekte Bestandsaufnahme universitärer scholastischer Wissenschaft lieferten, so besitzen ihre Vorwürfe meines Erachtens doch einen wahren Kern. Die universitäre Wissenschaft blieb bis weit ins 16. Jahrhundert eine Sprach- und Buchwissenschaft; Erfahrung und Beobachtung konnten unterstützend wirken, fundierend waren sie nicht. Das Wissen über die jüdische Tradition stellt in den judenfeindlichen Traktaten einen stabilen Bestand dar, der nur gelegentlich autoritativer Bestätigung bedarf, wohingegen sich das Wissen über das zeitgenössische jüdische Leben zwar auch aus dieser Tradition speist, jedoch in Form der jüdischen Ethnographien eines Johannes Pfefferkorn, eines Victor von Carben oder eines Antonius Margaritha durch neue, vermeintlich empirisch gewonnene Informationen erweitert wird.48 Alle drei Konvertiten traten als Experten in Fragen des Judentums auf, die im Unterschied zu den übrigen christlichen Autoren auf Erfahrungswissen zurückgreifen konnten und daher – zumindest ihrer Selbsteinschätzung nach – besonders gesuchte Informanten zum Umgang mit Juden, ihren Büchern und Wissensbeständen waren.49 Als frühere Juden wussten sie von den religiösen Praktiken des zeitgenössischen Judentums. Dieses Wissen enthüllten sie in ihren Schriften ihren christlichen Lesern, um auf diese Weise der These neue Belege zu geben, dass die jüdische Religion voller Absurditäten und Irrtümer sei. Margaritha verstand sein Werk als Hilfe für die Chris46 Lambert de Rijk konstatiert in diesem Sinne eine Perspektivverschiebung in der scholastischen Auseinandersetzung mit der aristotelischen Wissenschaftstheorie: „While Aristotle first and foremost intended to give a scientific procedure to clear up diffuse phenomenal data by discerning essential structures in them, his commentators, and not only the Medievals, all seem to take demonstration, ultimately, as a scientific proof of certain well-formed theses at hand which are put forward as candidates for the warrant of verification.“ De Rijk, Posterior Analytics, S. 125. 47 Pasnau, Theories of Cognition; vgl. aber auch zu scholastischen Theorien sprachlicher Akte am besonderen Fall der Sprache der Engel Roling, Locutio angelica. 48 Der Begriff ,Ethnographien‘ nach Hsia, Christian Ethnographies; ausführlich Deutsch, Judaism in Christian Eyes. 49 Der Expertenbegriff wird hier verwendet im Anschluss an Rexroth, Systemvertrauen, S. 18 – 24.
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ten, damit jeder anhand der bereitgestellten Informationen und Übersetzungen hebräische Texte selbst lesen/ sehen/ künde vnd müge/ was doch die Juden jetzo für Ceremonien vnd gebet haben vnd wiewol das sy vil gu˚ tter gebet/lob vnd breisung zu˚ got thu˚ nd/ vnd haben/ darinn man spiren mag jren eifer zu˚ gott/ aber wol wie Sant Paulus sagt/ nit nach der wissenheit/ darumb es auch ein vnwissent/ blind halbstark volck ist/ die gnad gottes vns durch Christum den warenn Moschiach reichlich erzeigt/ nit erkennt […].50
Die Expertise der Konvertiten lag gerade darin begründet, ihr Erfahrungswissen als neuen, nunmehr unwiderleglichen Beleg für das Buchwissen anführen zu können, das die antijüdische christliche Apologetik seit Jahrhunderten immer wieder erneuert hatte. Indem sie beide Beglaubigungsinstanzen zusammenführten und dazu die Volkssprache wählten, wurden sie einerseits zu Vermittlern gelehrten Wissens an Laien, andererseits durch ihr besonderes Erfahrungswissen zu Gesprächspartnern der Gelehrten, denen dieses verschlossen war. Dass sie mit den christlichen Autoritäten übereinstimmten, betonten die Autoren gerne, doch Pfefferkorn, Victor von Carben und auch Margaritha verzichteten vielfach darauf, das dieser apologetischen Tradition entnommene Wissen gemäß den Standards des universitären Schrifttums nachprüfbar zu belegen. Stattdessen begnügten sie sich häufig mit der bloßen namentlichen Aufhäufung autoritativer Instanzen. Unangefochtene textuelle Autorität blieb nach wie vor die Bibel. Wie Petrus Nigri erläuterte, diente die Kenntnis der Schrift nicht nur dem eigenen Schutz vor Verire rung, sondern war auch unerlässlich, um „den vnglaubigen volckern [zu antworten], 51 di do yrren yn dem glauben“. Das lutherische Schriftprinzip ist in der antijüdischen Polemik bereits verwirklicht, bevor es formuliert wurde. Die besonderen Regeln der christlichen Apologie, wonach Andersgläubigen ihr Irrtum aufgrund der von ihnen anerkannten Schriften nachzuweisen war, erforderten, die jüdischen Irrtümer anhand des Alten Testaments aufzuzeigen. Während Humanisten wie Reuchlin oder Sebastian Münster die Universitätstheologen teils mühsam davon überzeugen mussten, dass es notwendig sei, die Schriften des Alten Testaments auf Hebräisch zu lesen, war der Judenhass ihnen bereits einen Schritt voraus: Schon das Druckbild von Teuschleins bei Friedrich Peypus in Nürnberg erschienener Auflosung, Luthers bei Hans Lufft in Wittenberg gedruckter Schrift Von den Juden und ihren Lügen und noch mehr dasjenige von Ecks bei Alexander Weissenhorn in Ingolstadt erschienener Ains Juden büechlins verlegung inszenierten den christlichen Judenhass als biblisch legitimiert.52 Der Text ist besonders bei Eck fast durchgehend mit Marginalien versehen, die die entsprechenden Stellen aus dem Alten und Neuen Testament ausweisen, auf die sich die Aussagen der Theologen stützen können. Eck und Luther, die sonst so viel trennte, waren in dieser Hinsicht vollkommen einig: Gegen die Juden zu schreiben, war direkter Ausfluss des richtigen Bibelverständnisses. Staffelsteiner legte aus 50
Margaritha, Der gantz Jüdisch glaub, fol. A3r. Nigri, Stern des Meschiach, fol. 2v. 52 Teuschlein, Auflosung; Luther, Von den Jüden; Eck, Ains Juden büechlins verlegung.
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dieser Überzeugung heraus seine gesamte Schrift als Widerlegung der falschen jüdischen Interpretationen des Psalms 22 an, der – recht verstanden – als Beleg der christlichen Glaubenslehren zu lesen sei, da er „so treffenlich vnd klerlich vom leye den vnd sterben Chrsti weyssageet/ das man die warheyt greyffen mocht“.53 Margaritha verwies häufig auf die Bibelstellen, auf die sich jüdische rituelle Praktiken und Gebräuche berufen konnten, um teils im Haupttext, teils in Marginalien das Schriftverständnis der Juden als zu oberflächlich, da am Buchstaben klebend und so den geistlichen Sinn verfehlend, zu brandmarken.54 Nigri, Pfefferkorn und in geringerem Maße Victor von Carben nutzten ihre mehr oder weniger guten Hebräischkenntnisse, um durch subtile Exegese jeglichen jüdischen Eigensinn zu widerlegen. Margaritha und Luther taten es ihnen wenige Jahre später gleich. Die Juden, so ihre Botschaft, konnten sich nicht mehr hinter ihrer fremden Sprache verstecken – inzwischen war es den Christen möglich, ihre Worte zu verstehen. Nigri gab zu bedenken, dass es notwendig sei zu wissen, wie die Juden die Bücher des Alten Gesetzes bezeichneten, damit man im interreligiösen Streit sicherstellen könne, über die gleiche Sache zu reden.55 Den praktischen Nutzen seiner Sprachkenntnisse konnte er umgehend in seiner Interpretation von Gen 1,1 unter Beweis stellen. Hier stehe nicht ohne Grund, „yn dem anfangk hat geschaffen elohim. e das ist die gotter vnd sprach nicht in dem anfangk hat geschaffen. el das ist got oder e e adonai oder schaddai oder helion oder Jah. weliche namen bedeuten daz gotlich wesen einlicziklichen vnd nicht mit einer meng oder merung“.56 Nur der hebräische Bibeltext erlaubte in dieser Weise zu erkennen, dass bereits am Anfang der Schrift auf die Trinität hingedeutet worden sei. Die Figur des Juden muss sich im Judenbüchlein von der den Autor Victor von Carben repräsentierenden Figur erbost vorhalten lassen, das hebräische Wort ruach nicht korrekt mit spiritus übersetzen zu wollen, da dieser Ausdruck überdeutlich auf den Heiligen Geist hindeute.57 Nicht nur Nigri und Victor von Carben, sondern auch Pfefferkorn und Margaritha streuten, diesem Ansatz folgend, hebräische Worte und Sätze in ihre Texte ein, denen jeweils eine deutsche Übersetzung beigegeben war. Hatte ersterer sich noch mit lateinischen Umschriften begnügen müssen, boten die beiden letztgenannten auch hebräische Lettern dar. Damit vermehrten sie einerseits das Wissen um die Sprache der jüdischen Gebete und Schriften und stellten denen, die Hebräisch lernten, Übungsmaterial bereit, andererseits exotisierten sie das religiöse Handeln und Sprechen, da es sich in den Texten schon optisch fremd ausnahm. Obendrein war es so möglich, Leser verschiedener philologischer Kompetenzniveaus zugleich zu adressieren: Die humanistisch Gebildeten mochten die hebräischen Sätze studieren, wohingegen die des Hebräischen Unkundigen dennoch die Argumente einigermaßen nachvollziehen konnten. Da alle In53
Staffelsteiner, Wahrhafftig Widerlegung, fol. a2v. Z. B. Margaritha, Der gantz Jüdisch glaub, fol. G3v; L2r; S2r; V2v; Z1v–Z2v. 55 Nigri, Stern des Meschiah, fol. 6r. 56 Ebd., fol. 12v–13r. e 57 Victor von Carben, Juden Buchlein, fol. o6r–v.
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formationen auch auf Deutsch präsentiert wurden, war es sogar solchen Lesern, die kein Latein beherrschten, möglich, die mundgerecht aufbereiteten Informationen der gelehrten Rede über das Judentum zu rezipieren. Am Beispiel der birkat ha-minim, der zwölften Bitte des Achtzehnergebets, wird deutlich, wie Übersetzungsfragen unmittelbar mit der Haltung zu den Juden zusammenhingen.58 Unstrittig war, dass es sich um eine rituelle Bitte um Schutz handelte, heftig umstritten hingegen, wie die hebräischen Worte zu übersetzen waren: Baten die Juden Gott hier darum, die Getauften, also die Christen, zu vernichten, wie Pfefferkorn im Juden veindt und der Iudenbeicht und Margaritha in Der gantz Jüdisch glaub behaupteten?59 Wandten sich die Juden gar an ihren Messias, um ihn aufzufordern, die Christen zu erschlagen, wie Luther in seiner Spätschrift Von den Juden und ihren Lügen zu wissen glaubte?60 Oder handelte es sich lediglich um eine Bitte um Schutz gegen die Vertilger, also diejenigen, die sie vernichten wollten, wie Johannes Reuchlin meinte?61 Dass sich Pfefferkorn und Reuchlin wechselseitig sprachliche Inkompetenz vorwarfen und dem anderen Verblendung aus Hass beziehungsweise Judaisieren vorhielten, verdeutlicht, wie sehr Hebräischkenntnisse zu einem Kriterium wurden, die Adäquatheit der Aussagen über die Juden und ihren Glauben zu beurteilen. Dass sich allerdings Pfefferkorns Sicht durchsetzte, während Reuchlins Position noch zwei Jahrzehnte nach seinem Tod heftig von Eck zurückgewiesen wurde,62 verdeutlicht wiederum, dass hebraistische Kompetenz nur dort anerkannt wurde, wo sie die gewünschten Ergebnisse einbrachte. Wie die Empirie wurde sie funktionalisiert für das je gesetzte argumentative Ziel. Zum bösen Gegenbild der Bibel wurde dem Judenhass der Talmud: Ihn verstanden die Autoren als rabbinisches Machwerk, das die Juden von der biblischen Norm abziehe. Dabei folgten sie einem Argumentationsmuster, das bereits in den 1240er Jahren im Pariser Verfahren gegen den Talmud vor allem vom Konvertiten Nicholas Donin etabliert worden war: Der Talmud wurde als zumindest in Teilen von bösen Absichten getragene antichristliche Kampfschrift gedeutet, die von den Rabbinen als direkte Erwiderung der Heilsbotschaft des Neuen Testaments konzipiert worden 58
Langer, Cursing the Christians. Pfefferkorn, Juden veindt, fol. a3r; Pfefferkorn, Iudenbeicht, fol. a4r; Margaritha, Der gantz Jüdisch glaub, fol. Q4r–v. 60 Luther, Von den Juden, S. 519,34 – 520,7: „Darnach leren sie Gott, und schreiben jm fur die weise, wie er sie solle erloesen, Denn er ist bey den Jueden, den hochgelerten, Heiligen, ein schlechter Schuster, der nicht mehr denn einen lincken leisten hat, schuch zu machen. Nemlich also: Er solle uns Heiden durch jren Messia alle tod schlahen und vertilgen, damit sie aller Welt Land, gueter und Herrschafft kriegten. Und hie gehen die Wetter uber uns mit fluchen, lestern, speien, das nicht zu sagen ist, Wuendschen uns, das Schwert und Kriege, angst und alles unglueck uber uns verfluchten Goijm kome. Soelch fluchen treiben sie alle Sonnabent oeffentlich in jren Schulen, und teglich in jren Heusern, Leren, treiben und gewehnen jre Kinder dazu von jugent auff, das sie ja sollen bitter, gifftig und boese feinde der Christen bleiben.“ 61 Reuchlin, Augenspiegel, S. 34,19 – 23. 62 Eck, Ains Juden büechlins verlegung, fol. h1v–h3v. 59
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war.63 Insofern eignete sich dieses Werk noch mehr als mittelalterliche antichristliche Schriften wie das Nizzahon als Kollektivsymbol für all das, was am Judentum abzulehnen und zu bekämpfen war. Als ,Kollektivsymbol‘ werden nach Jürgen Link „Sinn-Bilder (komplexe, ikonische, motivierte Zeichen) [bezeichnet], deren kollektive Verankerung sich aus ihrer sozialhistorischen, z. B. technohistorischen Relevanz ergibt, und die gleichermaßen metaphorisch wie repräsentativ-synekdochisch und nicht zuletzt pragmatisch verwendbar sind“.64 Als symbolische Verdichtungen von Sinnzuschreibungen, Wertannahmen und Narrativierungen integrieren sie vertikal verschiedene Sinnebenen und verknüpfen Diskurse horizontal miteinander. Sie sind daher hochgradig anschlussfähig und erlauben es, verschiedene Wissensbestände und Redeweisen anzulagern. Vom Talmud zu reden, wurde im Spätmittelalter zur Chiffre für die Bestimmung des Verhältnisses von christlichen und jüdischen Schriften, für die Beurteilung von Geltungsansprüchen und zur Klärung der Relation von Christentum und Judentum als imaginierten Einheiten. Die judenfeindliche Polemik bediente sich dieses Kollektivsymbols besonders gerne, um das Judentum insgesamt zum feindlichen Anderen des Christentums zu erklären. In den Pharetra fidei wundert sich der Christ, warum die Juden so töricht seien, sich auf dieses Werk zu stützen, das so viele unschickliche Aussagen gegen Gott vorbringe. Es enthalte zweifellos häretische Texte, weshalb man nur staunen könne, dass sie bereit seien, solch Unmöglichem zu glauben, statt der Wahrheit zu folgen.65 Für Johannes Pfefferkorn e sind die Juden „durch den lugenhafftigen betrieglichen vnnd falschen Talmot“ auf den falschen Weg geführt worden.66 So groß sei die Macht dieses von den Rabbinen in böser Absicht erdichteten Werkes, dass man die Juden nur daraus befreien könne, wenn man es vernichte. Dass sich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die Kenntnis des Talmuds durch das Wirken von Gelehrten wie Reuchlin oder Sebastian Münster erheblich verbessert hatte, zeitigte bemerkenswert wenig Auswirkungen auf die Haltung vieler christlicher Theologen, die den Talmud weiterhin als Fanal jüdischer Treulosigkeit anführten. Auch dass seit 1523 bzw. 1525 die ersten, vom in Venedig ansässigen Drucker Daniel Bomberg besorgten Druckausgaben des Babylonischen und Jerusalemer Talmuds vorlagen und es so möglich gewesen wäre, eigene Vorannahmen am Text zu überprüfen, änderte daran wenig.67 Johannes Eck etwa ließ es 1541 nicht an Rigorosität in seiner Verdammung des Talmud fehlen: „[…] der Thalmud helt in im vil schäntlich/ närrisch ketzerisch/ vnd Gotßlesterlich punc63 Zusammenfassend Plietzsch, ,Talmud-Polemik‘; Patschovsky: Talmudjude; zur Frühgeschichte der antitalmudischen Polemik Friedman, Anti-Talmudic Invective; zur Pariser Verurteilung des Talmud Rembaum, The Talmud and the Popes; Rosenthal, Talmud on Trial; Tuilier, Condamnation du Talmud. 64 Link, Literaturanalyse, S. 286. 65 Pharetra fidei, fol. b3r: „Miror quod iudei ita stulti sunt quod illum librum aduertunt in quo tanta friuola scripta sunt contra deum. imo habetis in textu illius libri quidam heretica scripta. Et ammiror de vobis quod adeo ceci estis quod impossibilibus fidem adhibetis. et illis quae veritati consonant fidem adhibere non vultis.“ 66 Pfefferkorn, Juden Spiegel, fol. e2r. 67 Heller, Printing, S. 135 – 182.
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ten; zu dem das er verkert vnd felscht den rechten verstand der Bibel: dardurch die juden in ihr blindthait vnd unglauben gesterckt werden/ vnd verhindert von dem tauff vnd Christlichem glauben anzunemmen.“68 Staffelsteiner wies dem Talmud unter den Ursachen, die die Juden daran hinderten, sich der christlichen Botschaft zu öffnen, einen besonderen Rang zu. Die Rabbinen und Pharisäer hätten die unverständigen Juden aus ökonomischem Eigennutz verführt. Damit die einfachen Juden sie stets in hohen Ehren hielten, hätten sie den Talmud verfasst, der ihren besonderen Rang sichere.69 Luther schließlich meinte zu wissen, dass der Talmud ausdrücklich sanktioniere, Christen an Gut, Leib und Leben Schaden zuzufügen: Schreiben doch jre Thalmud und Rabinen, das toedten sey nicht suende, so ein Juede einen Heiden toedtet, Sondern, so er einen bruder in Jsrael toedtet, Und so er einem Heiden den Eid nicht helt, ist nicht sunde. Jtem Stelen und Rauben (wie sie durch den Wucher thun) den Goijm, sey ein Gottes dienst.70
Da der Talmud und die rabbinische Tradition insgesamt eine fundamentale Herausforderung der christlichen Lehre darstellten, sei es unerlässlich, diese Schriften zu verbieten und den Rabbinern obendrein bei Todesstrafe zu untersagen, künftig zu lehren.71 Selbst die Bibel solle man ihnen nehmen, da „sie des alles brauchen zu lestern den Son Gottes“ – eine Verschärfung der Maßnahmen, für die bereits Pfefferkorn in Wort und Tat gefochten hatte.72 Während die Pharetra fidei, Pfefferkorn, Luther, Eck und Staffelsteiner den Talmud ebenfalls pauschal verwarfen, versuchten Reuchlin und Margaritha, eine Unterscheidung zwischen einem vorchristlichen guten Kern des Talmuds und späterer Verfälschung vorzunehmen.73 Margaritha vermochte diese allerdings kaum durchzuhalten und stellte immer wieder Talmud und Bibel als antagonistische Prinzipien gegeneinander – häufig garniert mit der Metaphorik von Licht und Finsternis. Die Rabbiner, die verhinderten, dass sich „die armen ainfeltigen Juden“ der christlichen Botschaft öffneten, bezeichnet er als Talmudisten, die mit ihren erdichteten Schriften gegen das Evangelium kämpften und dabei in böser Absicht dessen Lehren fehlinterpretierten.74 Der Talmud, so lässt Margaritha, jeglicher Differenzierung abhold, seine christlichen Leser wissen, nenne alle Christen unrein, woraus eine generell christenfeindliche Haltung der Juden resultiere: „In Summa kain Jud will kainem 68
Eck, Ains Juden büechlins verlegung, fol. p1r. Staffelsteiner, Wahrhafftig Widerlegung, fol. a2r–v. 70 Luther, Von den Juden, S. 439,31 – 34. 71 Ebd., S. 523,30 – 37. 72 Ebd., S. 536,31. 73 Reuchlin, Augenspiegel, S. 30,32 – 31,34; Margaritha, Der gantz Jüdisch glaub, fol. F4r: „[…] so ist sollicher Thalmudt den sie ;LB6 nennen nach Christus gepurt gemacht vnd geschriben worden/ Auch alles was wider Christm/ Christen vnd Christlichen glauben ist/ alles hernachgemachtt dann der Thalmudt der vor Christus geburt ist gemacht worden haißt N9=DMB e yn dem selben wirt nichts ungottlichs gefunden.“ 74 Ebd., fol. Z3v. 69
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Christen wol/ dann sie halten die Christen gantz für vnrain/ nach dem jnnhalt jres Talmuds/ vnd was gu˚ ts vnnd redligkait sie den Christen erzaigen/ thond sie nit von hertzen sonder auß forcht.“75 Reuchlin dagegen argumentierte in eine andere Richtung. Der Talmud sei eine Sammlung autoritativer Aussprüche der Rabbinen, darin den christlichen Sentenzen oder der Catena aurea vergleichbar. Es sei durchaus anzunehmen, dass die jüdischen Gelehrten angesichts der Ausbreitung des Christene tums den Talmud um weitere Aussprüche ergänzten, damit „sie sich mochten der hai76 den vnd getaufften iuden desterbas erwern vnd entschütten“. Der Talmud war also als Apologetik anzusehen, der die christlichen Apologien unter veränderten Vorzeichen spiegelte. Dass die Juden ein solches Werk hoch schätzten, war aus Reuchlins Sicht nur zu verständlich. War man über Textgenese und -ausrichtung informiert, stellte dieses Werk in seinen Augen jedoch keine Gefahr dar, da sich die Juden darin vor allem über ihren eigenen Glauben verständigten. Eine Abgrenzung nach außen war lediglich Resultat dieser Selbstreferentialität. Die gezogene Grenze zu überwinden, gab Reuchlin den christlichen, philologisch entsprechend geschulten Gelehrten auf, die hinter der jüdischen Selbstverständigung nach Wahrheiten zu suchen hatten, welche auch für die Christen galten. Mit den schon von Giovanni Pico della Mirandola gern genutzten Figuren der prisca sapientia und veritas hebraica fand Reuchlin ein Konzept, die jüdische Tradition für Christen zu einer Weisheitsressource zu machen.77 Schon in seinem kabbalistischen Erstling von 1494 mit dem Titel De verbo mirifico hatte er dieses Konzept eingesetzt, um die Weisheit der jüdischen Kabbala einer interpretatio Christiana zu unterziehen und ihr so einen Platz im christlichen Archiv zu sichern.78 In seinen Verteidigungen des jüdischen Schrifttums ging er noch weiter, wenn er ausdrücklich nicht nur die Kabbala retten wollte, sondern den Talmud in den Mittelpunkt seiner Argumentation rückte. Die rechtlichen und theologischen Gründe, die gegen eine Beschlagnahmung des jüdischen Schrifttums sprachen, bezog er insbesondere auf den Talmud als jenes Werk, das Pfefferkorn vor allen übrigen als Rechtfertigungsgrund für seinen Vernichtungsplan anführte.79 Dies stellte eine Abkehr vom überkommenen Judenhass dar, die viele seiner Zeitgenossen erbittert bekämpften. Auch Reuchlin folgte mit dem Ratschlag und seinen beiden Verteidigungsschriften, dem Augenspiegel und der Defensio, letztlich der Strategie, den Talmud als Kollektivsymbol einzusetzen. Dass Reuchlin seine Aussagen über den Talmud und christenfeindliche jüdische Schriften in seinem 1510 verfassten Gutachten zum jüdischen Schrifttum auf Hörensagen, genauer auf die antijüdische christliche Apologetik stützte und bekannte, die in Frage stehenden Texte nicht gelesen zu haben,80 ist le75
Ebd., fol. B4r. Reuchlin, Augenspiegel, S. 31,32 – 34. 77 Beierwaltes, Reuchlin und Pico, S. 322; Zika, Okkulte Tradition, S. 142 – 145. 78 Zusammenfassend Grözinger, Reuchlin und die Kabbala; ausführlich de Boer, Unerwartete Absichten, Kap. 4.1.2. 79 Reuchlin, Augenspiegel, S. 32,31 – 33. 80 Ebd., S. 31,34 – 32,3. 76
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diglich ansatzweise reflektierte Vorwegnahme dieser Neuausrichtung, die der Gelehrte selbst unter dem Eindruck der heftigen Reaktionen, die sein Ratschlag provozierte, bald darauf vollziehen sollte. Reuchlin hielt seine mangelnden Kenntnisse ausdrücklich als Mangel fest: Er habe sich nach Kräften bemüht, ein Exemplar des Talmuds zu erwerben, doch sei ihm dies wie allen anderen Interessierten nicht gelungen; „so wais ich kainen cristen menschen inn allen teutschen landen der im Thalmud gelernt hab.“ Dieses Wissensdefizit teile er im Übrigen mit allen Konvertiten: „So ist by mynen lebtagen dhain iud in teutschen landen nie getaufft worden der den Thalmud hab kinden weder verston noch gar lesen/ Vß genommen der hochmaie ster zu Vlm der gleich darnach bald wider ain iud in der Türckei worden ist als sie sagen.“81 War Reuchlins Wissen vom Talmud 1510 noch ganz von den Informationen anderer christlicher Autoren abhängig, vertiefte er in den folgenden Jahren seine Kenntnisse durch direktes Quellenstudium. Das Autoritätsprinzip wurde verabschiedet durch ein Schriftprinzip, das nicht zuletzt den humanistischen philologischen Idealen verpflichtet war: Referenztexte sollten direkt statt durch Mittler studiert werden. Methodische Veränderungen gingen bei Reuchlin einher mit einer grundsätzlich veränderten Haltung, die es erlaubte, den Freiraum zu schaffen, der für eine nicht von vornherein auf Ausschließung und Abgrenzung ausgerichtete Lektürepraxis erforderlich war. Reuchlin veränderte nämlich die Vorzeichen, unter denen er das Kollektivsymbol einsetzte: Den Talmud zu verteidigen und seine Vernichtung zu verhindern, war ihm nun ein zentrales Mittel, die gesamte jüdische, speziell die rabbinische Tradition zu akzeptieren. Für sie galt nun das Gleiche wie für die christliche Literatur: Wenn Texte offen gegen die Wahrheit des Glaubens agitierten und andere verunglimpften, waren sie zu verbieten, war dies nicht der Fall, so war die Existenz auch solcher Schriften hinzunehmen, die einzelne Unwahrheiten enthielten. Ansonsten müsste man, so erklärte Reuchlin seinen Gegnern, auch einen beträchtlichen Teil des christlichen Schrifttums aus dem Verkehr ziehen, da es ebenfalls mit Irrtümern durchsetzt sei. III. Hass im Druck Mit dem Buchdruck stand seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Medium zur Verfügung, das die Verbreitung judenfeindlicher Klischees und Einstellungen enorm erleichterte. Unsere Autoren erkannten früh, welche kommunikativen Möglichkeiten der Druck bereitstellte. Petrus Nigri konnte durch den Druck die lokal begrenzte Wirkung seiner Missionspredigten steigern. Johannes Pfefferkorn war zwar außerordentlich erfolgreich darin, in mündlichen Verhandlungen am Kaiserhof Unterstützer für seine Pläne zu finden, die orale Distribution seiner Botschaft stieß jedoch andernorts auf Widerstände. Im Frühjahr 1509 hatte er zweimal in einem öffentlich angeschlagenen Brief die Frankfurter Juden zu einem Streitgespräch „inn der gutlichkeit / oder vff das feuer“ aufgefordert,82 musste jedoch, obwohl der Rat 81 82
Ebd., S. 32,21 – 25. Frankfurt am Main, Institut für Stadtgeschichte, Juden Akten 441 (Ugb E 46 A3, 13).
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sein Vorhaben billigte, unverrichteter Dinge wieder abziehen. Einen veritablen Skandal löste er aus, als er am 7. September 1511 mit Erlaubnis eines Frankfurter Pfarrers vor der Kirche St. Bartholomäus predigte, eine Regelverletzung, die ihm nicht nur Reuchlin immer wieder vorhielt.83 Als Pfefferkorn in Frankfurt eine Aufforderung an Reuchlin anschlagen ließ, ihn „vor allenn den heyligenn kirchen hochgeachten vnd lobwurdigenn vniversiteten vnd hohen schulenn auch vnnd inn sonnderheit vor denn ketzermeystern“ zu verhören, wobei der Verlierer verdiene, „mit dem feuer gestrafft zu werdenn“,84 würdigte ihn der Angesprochene keiner Antwort. Eine mit seiner prekären sozialen Stellung in merklichem Kontrast stehende beträchtliche Resonanz konnte er hingegen als judenfeindlicher Publizist erzielen. Insbesondere seine frühen Schriften, die unter die Rubrik der jüdischen Ethnographien fallen, fanden eine weite Verbreitung. Der 1507 in Köln erschienene mittelniederdeutsche Joeden Spiegel etwa wurde nicht nur noch im gleichen Jahr nachgedruckt, sondern auch ins Oberdeutsche und ins Lateinische übertragen.85 Die oberdeutsche Übertragung wurde einmal, die lateinische zweimal nachgedruckt.86 Ähnlich erfolgreich war die Iudenbeicht, von der im Erscheinungsjahr 1508 fünf Ausgaben herauskamen, darunter wiederum eine lateinische und eine oberdeutsche Übertragung.87 Die lateinische Version ihrerseits erschien 1516 in einer vom Kopenhagener Drucker Poul Ræff besorgten dänischen Übersetzung.88 Bemerkenswert war diese Reichweite der Schrift Pfefferkorns nicht zuletzt deshalb, weil bis zum Ende des 16. Jahrhunderts überhaupt keine Juden in Dänemark lebten. Der Buchdruck erlaubte auf diese Weise Wissensbeständen und Vorurteilen, auch in Gebiete zu wandern, wo sie das Problem, das sie behandelten, allererst schaffen mussten. Andere Autoren waren ebenso wie Pfefferkorn geschickt im Ausnutzen der kommunikativen Möglichkeiten des Buchdrucks: Luthers Wirken – nicht nur als antijüdischer Agitator – basierte zu einem erheblichen Teil auf dem virtuosen Gebrauch des gedruckten Buchs als Verbreitungsmedium der eigenen Lehren. Eck versuchte es ihm, bei aller persönlichen und doktrinalen Feindschaft, gleichzutun. Dass der Ingolstädter Theologe 1541 mit Ains Juden büechlins verlegung hervortrat, war wiederum Antwort auf eine gedruckte Schrift, nämlich Andreas Osianders anonym veröffentlichtes Gutachten, das die Juden vom Vorwurf des Ritualmordes freisprach.89 Nicht nur Osianders Argumentation, sondern ebenso die Tatsache, dass die Veröffentlichung sei-
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Reuchlin, Defensio, S. 222,15 – 224,12. Frankfurt am Main, Institut für Stadtgeschichte, Juden Akten 670 (Ugb E 55 C5 (2)). 85 Pfefferkorn, Joeden spiegel; Pfefferkorn, Juden Spiegel; Pfefferkorn, Speculum adhortationis. 86 Die weiteren Ausgaben sind verzeichnet bei Kirn, ,Pfefferkorn‘, Sp. 436. 87 Pfefferkorn, Iudenbeicht; Pfefferkorn, De Iudaica confessione; weitere Nachweise bei Kirn, ,Pfefferkorn‘, Sp. 437. 88 Adams, Lessons in Contempt. 89 Osiander, Gutachten; zu dieser Auseinandersetzung Hägler, Judenfrage; Frey, Ritualmordlüge. 84
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ner Schrift die Juden frohlocken lasse, provozierte Eck zu seinen scharfen judenfeindlichen Ausfällen.90 Durch den Druck dekontextualisierte sich die judenfeindliche Rede: Die Missionspredigt setzte die Anwesenheit von Juden voraus, die man zwingen konnte, sich missionieren zu lassen; die judenfeindliche Predigt blieb auf eine Stadtöffentlichkeit begrenzt; universitäre judenfeindliche Texte verblieben materiell wie in ihrer Wirkung in der Regel in ihrem institutionellen Kommunikationsrahmen. Traktate und Flugschriften schufen hier eine andere, institutionell nicht begrenzte Öffentlichkeit. So kam Luther, wie bereits erwähnt, für seinen Judenhass weitgehend ohne die Begegnung mit Juden selbst aus. Im abgelegenen Wittenberg gab es keine Juden, und auch sonst scheint er mit ihnen nur so selten zusammengetroffen zu sein, dass er sich und seiner Leserschaft die wenigen Male in seinen Schriften immer wieder aufs Neue in Erinnerung rief. Über die vermeintlichen jüdischen Umtriebe war er dennoch gut informiert: In judenfeindlichen Schriften wie derjenigen Margarithas konnten Leser wie Luther ihre Vorurteile bestätigt sehen und obendrein neue Belege für die Richtigkeit ihrer Überzeugungen finden.91 Die prätendierte Empirie, die die Texte Pfefferkorns oder Margarithas auszeichnete, konnten sie als Ersatz für fehlende eigene Beobachtung des besprochenen Objekts nehmen. Entsprechend erfolgreich war insbesondere Margaritha mit seinem Werk, das bis ins 18. Jahrhundert eine vielgenutzte Ressource für Wissen über jüdische Glaubenspraktiken darstellte.92 Neben anschaulichen Beschreibungen und suggestiven Erzählungen wirkten TextBild-Verbindungen als Werkzeug zur Verbreitung des Judenhasses. Vorstellungen von Ritualmord und Hostienfrevel konnten in Flugschriften und Einblattdrucken besonders eindrucksvoll durch die Holzschnitte propagiert werden: Die angebliche Ermordung eines christlichen Knaben in Trient führte 1475 zu einer Medienkampagne, in der die gedruckte Flugschrift das zentrale Mittel wurde, um den Vorfall europaweit bekannt zu machen, lokalen Legenden von Ritualmorden neue Nahrung zu geben und das Bild zu verfestigen, dass der Blutdurst elementarer Bestandteil des jüdischen religiösen Lebens sei.93 Ein Hostienfrevel, der angeblich 1477 in Passau stattgefunden hatte, wurde wenige Jahre später durch einen Holzschnitt überregional bekannt gemacht. Dass die Bilderfolge aus Sicht des christlichen Betrachters mit einem Happy End, der Verbrennung der Juden, endete, mochte als Fingerzeig gelesen werden, wie künftig in derartigen Fällen zu verfahren sei.94 Der Berliner Hostienschändungsprozess von 1510 fand gleichfalls große publizistische Aufmerksamkeit. Pfefferkorns Iudenbeicht präsentierte jüdische Gebräuche in Wort und Bild und konnte 90
Eck, Ains Juden büechlins verlegung, fol. a4r–v. Zu Luther als Leser Margarithas siehe Kaufmann, Luthers Juden, S. 90 – 93; von der Osten-Sacken, Luther und die Juden, S. 184 – 208. 92 In der Forschung wird allgemein angenommen, Margaritha sei ein zwar voreingenommener, jedoch insgesamt verlässlicher Beobachter gewesen, dessen Berichten ihrem faktischen Gehalt nach weitgehend Glauben zu schenken sei; Walton, Honest Reporter. 93 Treue, Trienter Judenprozeß. 94 Mittlmeier, Publizistik, S. 44 – 56. 91
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das Unvertraute anschaulich machen – so anschaulich, dass Margarithas Der gantz Jüdisch glaub 1530 und erneut 1531 nahezu mit den gleichen Illustrationen herauskam.95 Den geschickten Bildeinsatz, den er in seinen judenfeindlichen Schriften erprobt hatte, konnte Pfefferkorn übrigens im Kampf gegen Reuchlin weiter nutzen: Der Titelholzschnitt des 1516 erschienenen Streydt puechlyns etwa präsentierte den Gelehrten nun mit gespaltener Zunge als Pseudochristen, der mit den Juden im Bunde war.96 IV. Der Judenhass und sein Publikum Kommen wir zum vierten und letzten der eingangs genannten Punkte: An welche Publika richteten sich die judenfeindlichen Schriften? Selbst für die Schriften, die sich ausdrücklich missionarisch geben, lässt sich festhalten, dass Juden kaum die primären Adressaten waren. Christen redeten hier mit Christen über Juden. Dies schließt allerdings nicht aus, dass christliche Autoren auf jüdische Geltungsansprüche und Praktiken reagierten, die sie entweder durch das Studium hebräischer Texte oder (seltener) eigene Erfahrung direkt oder häufiger vermittelt über die Schriften von Konvertiten kennengelernt hatten. Die Geschichte von Hass und Abgrenzung ist insofern auch diejenige (vielfach verborgener) Beeinflussung.97 Gleichwohl ist für die meisten antijüdischen Traktate des 15. und 16. Jahrhunderts nicht zu übersehen, dass die Fremdreferentialität vor allem für kommunikative Interessen von Christen untereinander funktionalisiert wurde. Dass etwa die Pharetra fidei einen Dialog zwischen einem Juden und einem Christen fingierten, täuscht nicht darüber hinweg, dass die vorgebrachten Argumente allenfalls der christlichen Selbstvergewisserung dienen konnten. Wenn der Christ die Zweifel des Juden an der Trinität zerstreuen will, verweist er auf die alltägliche Erfahrung, dass sich Mehl, Wasser und Salz zu einem, nämlich dem Teig, verbinden ließen.98 Dieses Bild als Analogie für die Einheit der drei Personen Gottes dürfte nicht nur zeitgenössische Juden ratlos zurückgelassen haben. Reuchlin wendet sich in seiner Tütsch missive direkt an einen Adligen, dem er Ratschläge zur Mission erteilt – es handelt sich also um eine Metakommunikation, in der Aussageregeln für die Kommunikation zwischen Juden und Christen verhandelt werden. Da Reuchlin jedoch, wie erwähnt, vor allem die 1500-jährige Gefangenschaft und die Not der Juden als Strafe für ihre Sünden herausstreicht, bleibt die angekündigte Metakommunikation in antijüdischen Topoi stecken und 95
Hsia, Christian Ethnographies, S. 228; von der Osten-Sacken, Luther und die Juden, S. 164 f., Anm. 15. 96 Pfefferkorn, Streydt puechlyn, fol. a1r. 97 Toch, Juden, S. 131 f. 98 Pharetra fidei, fol. a2v: „Tres sunt persone. sed tantum vnus est deus. Istud autem vobis malignis videtur impossibile quia fides non saluat vos. sed infidelitas damnat vos. Nostrum enim dictum scimus per multa exempla naturalia. nam sepe tres substantie siue res plures mutantur in vnam rem. quia ex aqua farina et sale fit vnus panis. sic possibile est patrem filium et spiritum sanctum esse vnum deum in essentia et trinum in personis. ita tamen quod vnus verus deus sit et non tres dij: Qualiter tamen istud tenendum sit et quomodo de illo dicendum sit sola fides catholica sufficit. sine qua impossibile est placere deo.“
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dient vor allem der christlichen Selbstvergewisserung. Luthers Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei gab sich zwar auf, die Juden „tzu yhrem eygen rechten glauben“ zu bringen – und das hieß für Luther zur Erkenntnis, dass Christus der Messias sei.99 Zugleich war die Schrift jedoch gegen innerchristliche Kritiker gerichtet, die seine Aussagen über Maria kritisiert hatten. Obendrein sollten die eigenen antizipierten Bekehrungserfolge ein Beleg dafür sein, dass die bisherige kirchliche Judenpolitik vollkommen versagt habe: „Denn unsere narren die Bepste, Bischoff, Sophisten und Munche, die groben esels kopffe, haben bis her also mit den Juden gefaren, das, wer eyn gutter Christ were geweßen, hette wol mocht eyn Jude werden.“100 Wie so häufig war auch bei Luther missionarische Anrede an die Juden nicht von einer selbstreferentiellen Vergewisserung der eigenen christlichen Position zu trennen.101 Dass dieser Mechanismus in die innerchristlichen Gefechte um Geltungsansprüche und institutionelle Tatsachen von Luther eingespeist wurde, sollte sich in den folgenden Jahren immer wieder als Triebfeder einer zunehmenden Radikalisierung der antijüdischen Polemik erweisen, in der die Missionsbemühungen Lippenbekenntnisse waren. Doch es ist nicht nötig, so weit vorauszublicken: Die Judenmission erscheint auch in den übrigen hier behandelten Texten aus dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert allenfalls als nachgeordnetes Ziel – sieht man einmal von Petrus Nigri ab, der seine missionarischen Hoffnungen als Prediger ungebrochen in seine Schriften einfließen ließ. Begründet war jene kommunikative Ausrichtung nicht zuletzt in einer zunehmend skeptischen Einschätzung der tatsächlichen Bekehrungschancen: Victor von Carben oder Margaritha hielten eine Mission zwar für erstrebenswert und prinzipiell realisierbar, türmten jedoch sogleich Argumente auf, warum diese nur unter großen Mühen zu verwirklichen sein werde. Der Erstgenannte inszenierte in seinem Dialog die jüdische Verstocktheit, da den Juden die vielen guten Gründe seiner christlichen Gesprächspartner letztlich unberührt ließen. Der Dialog ist so angelegt, dass der Leser die Bekehrungsverweigerung des Juden, mit der die Schrift endet, nur als willentliches Verschließen gegen die Wahrheit deuten kann, da ihm selbst die Argumente ausgehen, weiterhin zu glauben, der Messias sei noch nicht gekommen. Resigniert wird der Jude daher verabschiedet – ohne Hoffnung für sein Seelenheil: Jud ich hab vmb Gotts willen grosse arbeit mit dir gehabt/ dich auff den rechten weg zu˚ weisen/ So ist zu˚ mercken das alle arbeit verloren ist/ vnnd mu˚ ß dich lassen bleiben/ der du bist/ e e Dann dein meynung klarlich ist mit deinen altuatteren zu˚ faren […]/ so wurdest du mit jn faren in die ewige finsternüß der hellen/ vnnd der ewigen pein […].102
Wenn Margaritha seine neuen Glaubensbrüder auffordert, sich „freundtlich, e e bruderlich/ vnd guttigklich“ gegen die Juden zu zeigen, auch wenn diese ihn ver99
Luther, Daß Jesus Christus, S. 325,18 f. Ebd., S. 314,28 – 31. 101 Zur Verortung von Luthers Judenschriften in seiner Theologie siehe Kaufmann, Judenschriften; Kaufmann, Luthers Juden. e 102 Victor von Carben, Juden Buchlein, fol. s8v. 100
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fluchten oder verspotteten, soll dies nicht geschehen, um die Juden durch Milde den christlichen Wahrheiten gewogen zu machen, sondern selbstreferentiell als Demonstration christlicher Feindesliebe, die das eigene Seelenheil sichert – nicht dasjenige des ausgeschlossenen Anderen.103 Konsequenterweise beschließt er sein Werk mit einem Aufruf an die Christen, der abzusehenden heftigen Kritik von jüdischer Seite keinen Glauben zu schenken, da die Juden mit allen Mitteln zu verhindern suchen würden, dass die Wahrheit über ihre Umtriebe bekannt würde.104 Pfefferkorn scheint nicht zuletzt sein Scheitern als reisender Judenmissionar allererst zum Schreiben gebracht zu haben. Diese Erfahrung prägte all seine Werke. Sein Erstling, der 1507 veröffentlichte Juden Spiegel, gibt sich im Nachvollzug der Enttäuschung der eigenen hochgespannten Erwartungen zunächst als Bekehrungsaufruf an seine früheren Glaubensgenossen: Mein aller liebsten bruder ir hat recht/ vnnd ist der warheyt gleych messig das niemant auß der warheyt/ vnd auß seinem glauben weichen sol. wan ir aber des rechten grunt allenthalben dar von nemen vnnd die ding recht verstand wolt/ so kunt yr anders nit gewissen noch finden/ dan das der Christen glaubenn euch naturlich vnd der geneme sey/ den der almechtig got euch vnd dem gantzen menschlichen geschlecht geordinirt hat gelobt/ vnd seyt des ungezweyfelt/ das der ihenig/ der in dem Christen glaubenn nit ist/ das der selbe in seyner verhertung/ meiden den weg der ewigen warheyt sein vnnd bleiben muß/ wann nit mer dan ein glaub auff erden von got gegeben oder zu gelassen ist/ wie wol die heyden vnnd turcken yn selbst eynen glauben gesatzt vnnd gemacht haben.105
Doch zu Beginn des zweiten Teils seiner Schrift lässt er die Hoffnung, mit seinen Bekehrungsversuchen Erfolg zu haben, fahren: Gleich wol ist zu besorgen sie werden keyn ein leittung begeren yre vnzucht zu vermeyden/ e vnd das ist glaublich vnd der red wol gleych messich/ vnd ob eyn engel vom hymel kome sye zu vnterweysen engefurt zu werden in den weg der warheyt/ furwar es were zu besorgen das sie ym vnd der redlichkeyt allenthalben widerstan vnd bey irem verblinden hartigen auffsetzigen falschen glauben stetlich beherrten sollen […].106
Durchweg geht er im Folgenden von einer jüdischen Verweigerung gegen die christliche Offenbarung aus. Sprachlich wird dieser Perspektivwechsel vollzogen durch einen Übergang von der Anrede in der zweiten Person Plural zum Sprechen in der dritten Person. Statt Kommunikationspartner sind die Juden nun im Juden Spiegel wie in all seinen weiteren Schriften lediglich noch Kommunikationsobjekt des christlichen Autors und seines christlichen Publikums. Soziale und politische Maßnahmen wie die Vernichtung des Talmuds, Strafsteuern, Verbot des Wuchers und Zwang zur Handarbeit sollen den der Bekehrung hinderlichen jüdischen Eigensinn aus dem Weg räumen. Ihnen schenken die Traktate weit größere Aufmerksamkeit als den Strategien erfolgreicher Mission. 103
Margaritha, Der gantz Jüdisch glaub, fol. a3v. Ebd., fol. b3r–v. 105 Pfefferkorn, Juden Spiegel, fol. b2v. 106 Ebd., fol. c4. 104
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Paulus Staffelsteiner lässt seine Schrift anheben mit einer Aufstellung der Ursae chen, warum „es muhesam wider die Juden zu˚ schreyben/ vnd schwerlich etwas by jnen zu˚ erlangen“ ist. Doch um des gemeinen Nutzens willen habe er es auf sich genommen, „der Juden mußuerstandt vnd unglauben an tag zu˚ bringen/ vnd anzu˚ zeygen e jren grossen jrthumb vnd verfurunge“.107 Teuschlein, Eck und der späte Luther haben ebenfalls jede Hoffnung aufgegeben, größere missionarische Erfolge zu erzielen: Sie wollen Christen in ihrem Glauben befestigen, indem sie eine scharfe theologische Grenze zum Judentum ziehen, die wiederum mit politischen, rechtlichen und sozialen Maßnahmen einherzugehen hat. Die Juden werden als wesentlich schlecht dargestellt. Traditionell religiös argumentiert Staffelsteiner, der den Juden und insbesondere den jüdischen Lehrern abspricht, vom Heiligen Geist geleitet zu sein, weshalb sie die Schrift nicht zu deuten wüssten.108 Andere äußern sich radikaler, indem sie die religiöse Differenz zu einer fundamentalen Kluft zwischen Juden und Christen ontologisieren. Eck, der bereit ist, jedem noch so abwegigen Ritualmordvorwurf zu glauben, spricht mit Vorliebe von den ,blutdürstigen Juden‘. Osiander hält er vor, dass dessen verteidigende Erklärungen durchweg nicht zuträfen, da „kain blu˚ tgiriger volck auff erden ist/ dann die juden: dann sie seind verblent: verstopft vnd ains vere horten hertzen/ sie erkennen nit ihr groß übelthat/ hilft auch kain wunderwerck an in/ wie vil deren geschehen seind mit den kindlin vnnd mit dem hohwürdig Sacrament.“109 Teuschlein spricht sogar vom „boßhafftig volck“, dem er die „menschen“ gegenüberstellt, die in ihren Nöten zu Maria riefen.110 Die Juden sind hier aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Sie zu bekehren, so legen diese Autoren nahe, ist aussichtslos, da es den Juden nicht möglich sei, sich von ihrem verdorbenen Wesen zu befreien. Statt Gespräch und Predigt, statt einer Widerlegung jüdischer Überzeugungen bleiben nun nur noch Vertreibung und Zerstörung. Ohne an dieser Stelle in die Diskussion darüber einsteigen zu wollen, inwiefern der Begriff ,Antisemitismus‘ für die Vormoderne Anwendung finden kann, lässt sich doch feststellen, dass diese Judenfeindschaft eine neue Qualität besitzt, da sie ,das Jüdische‘ essentialisiert und auf dieser Grundlage zu ihren rigorosen Schlussfolgerungen kommt. Orientiert waren alle hier betrachteten Texte also primär auf christliche Leser. Gemein ist ihnen, dass sie rechten Glauben, richtiges Wissen über das Judentum und adäquates Handeln hervorbringen wollen. Glauben wird in allen Texten als Überzeugungsnetz verstanden, das Handeln leitet; rechter Glauben bedeutet also immer, richtige Überzeugungen zu haben und dementsprechend zu handeln. Diesem Glaubenskonzept folgend, sprachen die genannten Texte appellativ: Sie wollten Handlungen produzieren – und zwar nicht so sehr bei einem jüdischen Publikum wie bei Christen. Die christliche Obrigkeit, die etwa Pfefferkorn und der späte Luther immer wieder 107
Staffelsteiner, Wahrhafftig widerlegung, fol. a2r; a2v. Ebd., fol. a2r; b4v. 109 Eck, Ains Juden büechlins verlegung, fol. n3v. 110 Teuschlein, Auflosung, fol. c5v. 108
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direkt anredeten,111 sollte zu einer entschiedenen Judenpolitik gedrängt werden, die Hindernisse der Mission beseitigt und die von Juden angeblich ausgehenden Gefahren für die christliche Ordnung wie für den einzelnen Christenmenschen unschädlich gemacht werden. Christliche Theologen und Prediger wurden aufgefordert zu missionieren und zugleich den topisch aufgerufenen einfachen Christen im Glauben zu stärken. Die Gläubigen wurden mit Wissen über die von Juden ausgehenden alltäglichen Gefährdungen ausgestattet. Die Vermischung verschiedener Stilebenen, von gelehrter Argumentation und eingehender Bibelexegese über volkstümliche exempla, seelsorgerliche Mahnung und (predigt-)rhetorische Dringlichkeit bis hin zur Schimpfrede, verrät, dass die judenfeindlichen Texte ein breites, uneinheitliches Publikum ansprechen wollten, das nicht institutionalisiert war. Indem unterschiedliche Schichten, Gruppen und Personen in der Volkssprache angesprochen werden, imaginieren judenfeindliche Traktate eine christliche Gesellschaft, die in all ihrer Heterogenität geeint ist im Judenhass. Dass das Gespräch mit Juden selbst als Fiktion im Laufe der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts vielfach aufgegeben wurde, führte zu deren vollständiger Exklusion. Christen redeten über Juden und vergewisserten sich ihrer selbst als religiöser, sozialer und politischer Einheit. Unter der Anleitung von sozial randständigen Sprechern wie Pfefferkorn oder Victor von Carben gelang es, Kommunikationsweisen zu entwickeln, die Defizite der überkommenen gelehrten Kommunikation überwinden konnten, indem Argumentation mit appellativer Anrede verbunden wurde. Judenfeindliche Schriften fanden so Strategien, die in anderen Kontexten, etwa der reformatorischen Publizistik, genutzt werden konnten, um für ganz andere Inhalte heterogene Publika appellativ anzusprechen. Dass, wie Dietz Bering gezeigt hat, Luthers hate speech gegen Juden und Papisten auffallende semantische Übereinstimmungen aufweist,112 war demnach nur folgerichtig: Judenfeindschaft als Kommunikationsstrategie nach außen wie nach innen, als Abschluss gegen die anderen wie als Zusammenschluss von Aktantengruppen bot eine Blaupause, die es erlaubte, auch in anderen Situationen den Hass in die Welt zu tragen.
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c4r. 112
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Konflikte und Konkurrenzen der Mediziner in den Fakultäts- und Rektoratsakten des 15. und 16. Jahrhunderts Von Jana Madlen Schütte I. Heinrich Botters Diagnose des Medizinerstandes In den Kölner Dekanatsakten von 1598 findet sich ein Eintrag für Heinrich Botter (1539 – 1617).1 In aller Kürze wird sein Eintritt in die medizinische Fakultät bekannt gegeben.2 Botter hatte zuvor in Köln, Löwen, Paris und Bologna studiert und schließlich in Padua den Doktorgrad erlangt. Im Anschluss fungierte er zunächst in Marburg als Medizinprofessor (1576 – 1578), bevor er 1579 Leibarzt des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel wurde und später in derselben Funktion für den Kurfürsten von Köln arbeitete. Erst spät, im Alter von fast 60 Jahren, wurde er 1598 in Köln auch Mitglied der medizinischen Fakultät. Die Akten der Kölner medizinischen Fakultät geben über den Lebensweg Botters allerdings keine Auskunft. Der Akteneintrag zu Botter passt zu den in dieser Zeit insgesamt sehr spärlich geführten Akten; nicht für jedes Jahr wurden überhaupt Einträge festgehalten und die überlieferten Vermerke sind auf die wesentlichen Fakten beschränkt. Dies entspricht der Situation der Kölner medizinischen Fakultät in dieser Zeit.3 Die Ausstattung der medizinischen Fakultät war zu Beginn auf eine von der Stadt besoldete Medizinprofessur begrenzt. Nachdem es im 15. Jahrhundert zwei Professuren gab, wurde ab 1517 wieder nur eine Medizinprofessur besoldet, während die anderen höheren Fakultäten in Köln über drei Professuren verfügten.4 Auch die Immatrikulationszahlen waren im 16. Jahrhundert besonders gering, was mit der schlechten Versorgungslage durch die Stadt korreliert.5 Diese schlechte personelle Ausstattung der medizinischen Fakultät hatte auch die Vernachlässigung der Aktenführung zur Folge. Daher sind die Kölner Akten in Umfang und Art der Informati-
1 Zur Person siehe Creutz, Dr. Petrus Holtzemius (1570 – 1651), S. 30 und Moritz, Aus der medizinischen Fakultät, S. 260. 2 HASK, Best. 150 Universität, A 366, fol. 169r (S. 336). 3 Zur Kölner medizinischen Fakultät siehe immer noch Moritz, Aus der medizinischen Fakultät und die entsprechenden Kapitel bei Meuthen, Die alte Universität, S. 120 – 125 und 392 – 408. Zum medizinischen Markt in Köln siehe Jütte, Ärzte, Heiler und Patienten. 4 Meuthen, Die alte Universität, S. 71, 120, 392 – 393. 5 Nauck, Die Zahl der Medizinstudenten, S. 180 – 181.
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onsdokumentation weniger aussagekräftig als die Fakultätsakten anderer Universitäten dieser Zeit. Betrachtet man die Quellengattung insgesamt, können Fakultäts- bzw. Dekanatsakten eine Vielzahl von Informationen über einzelne Personen liefern: Diese reichen vom Datum der Immatrikulation über die Promotion bis hin zur Wahl als Dekan. Die Akten können diese im günstigsten Fall durch weitere Erwähnungen der Person z. B. bei Konflikten mit anderen Fakultätsmitgliedern oder bei der Übernahme von Aufgaben als Lehrender ergänzen.6 Für Heinrich Botter sind diese Informationen den Dekanatsakten allerdings nicht zu entnehmen. In seinem Fall ergänzt die Vorrede zu seiner Ausgabe von Vesals De Humani Corporis Fabrica libri septem, die 1600 in Köln erschien, den Akteneintrag.7 Während in den Akten der medizinischen Fakultät für das Jahr 1600 gar kein Eintrag vorhanden ist, bezeichnet sich Botter am Ende seiner Vorrede selbst als „Doctor ac facultatis Medicae pro tempore Decanus“ und gibt somit seine Funktion als Dekan bekannt.8 Darüber hinaus nutzt Botter das Vorwort der Vesal-Ausgabe dazu, die Probleme des Medizinerstandes aufzudecken und zu analysieren und bestehende Konfliktfelder der Mediziner aufzuzeigen. Er argumentiert dabei in drei Schritten: Zunächst erläutert er die Missstände, darauf ihre Ursachen und zum Schluss mögliche Lösungen. Botter beginnt mit einer Beschreibung des Ist-Zustandes: Im Unterschied zu den anderen Disziplinen liege die Medizin, die er als edelste und älteste Kunst beschreibt, so verächtlich und wertlos darnieder, dass ihre Professoren kaum ihre Würde bewahren und ihr Ansehen schützen könnten.9 Diese Schwierigkeiten macht er anhand von zwei Medizinertypen aus: den Theoretikern und den Praktikern. Botter nennt diejenigen, die an den Universitäten lehren, Theoretiker („quos theoricos nunc vocabimus“). Diese würden mit Recht darüber klagen, dass es ihnen, obwohl sie viel Mühe und Sorgfalt auf ihre Vorlesungen verwendeten, nicht gelinge, eine größere Anzahl von Studenten für ihr Fach zu gewinnen; stattdessen fehle es ihnen den größten Teil des Jahres hindurch an einer angemessenen Hörerzahl. Diejenigen, die die Medizin in der Praxis ausüben, nennt Botter Praktiker („practici inde dicti“). Diese haben wiederum gleich mit einem ganzen Problemfeld zu tun: Zunächst würden sie 6 Der Forschungsstand zur Quellengattung Fakultäts- und Rektoratsakten ist bisher sehr überschaubar. Siehe bes. Uiblein, Fakultätsakten und Niederkorn-Bruck, Die Universität und die Verschriftlichung ihrer Identität. Siehe dazu demnächst den Artikel der Verfasserin Fakultäts-und Rektoratsakten (im Druck). 7 Botter, Andreae Vesalii Brvxellensis Suorum de Humani corporis fabrica librorum Epitomes, S. [1]–[4]. Eine Übersetzung der Vorrede findet sich bei Moritz, Aus der medizinischen Fakultät, S. 260 – 265. 8 Botter, Andreae Vesalii Brvxellensis Suorum de Humani corporis fabrica librorum Epitomes, S. [4]. 9 Ebd., S. [1]: „sola Medicina, ars alio quin nobilissima & antiquissima, sic apud nos contempta iaceat atque vilescat, ut eius professores vix dignitatem suam retinere, atque […] authoritatem satis tueri valeant.“
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nicht entsprechend ihrer Arbeitsleistung bezahlt, sondern seien stattdessen Diffamierungen ausgesetzt. Zudem suchten viele Patienten ohne Wissen der Ärzte heimlich alternative Heiler wie Empiriker oder Bettler auf.10 Schließlich machten die Patienten meist die akademischen Ärzte für die Fehler verantwortlich, die von den Empirikern oder dem Pflegepersonal begangen worden seien, so dass die Ärzte dadurch wiederum um ihre verdiente Bezahlung gebracht würden. Botter sieht drei wesentliche Ursachen für die problematische Lage des Medizinerstandes: Erstens den Glauben vieler Kranker an das Schicksal, so dass sie meinten, ihre Leiden als gottgegeben annehmen zu müssen, und sich nicht an die Ärzteschaft wendeten. Zweitens macht er einzelne Angehörige des medizinischen Feldes verantwortlich, da sowohl Gelehrte als auch Ungelehrte Medizin praktizierten. Unter denjenigen, die er als ,widerrechtlich Praktizierende‘ ausmacht, hebt er besonders jüdische Ärzte, Mönche, Barbiere, unwissende Laien und Heilerinnen hervor.11 Als Drittes macht Botter die fehlende fachliche Ausbildung vieler junger Mediziner aus.12 Damit entfaltet Botter das Panorama an Konkurrenten, die auf dem medizinischen Markt in Erscheinung traten. Zu den Angeboten gehörten ganz unterschiedliche Heilertypen, die auf eine ebenso unterschiedliche Ausbildung zurückblicken konnten. Neben den studierten Ärzten und dem handwerklich ausgebildeten Medizinpersonal, zu dem im weiteren Sinn nicht nur die von Botter genannten Barbiere gehörten, sondern auch Apotheker, gab es eine unüberschaubare Anzahl von Empirikern, Laienärzten und Spezialisten. Diese boten ihre Dienste zwar nicht regelmäßig und flächendeckend an, zu ihnen zählten dafür so unterschiedliche Heiler wie Okulisten und Zahnärzte, aber auch Henker oder Hebammen.13 Den Anbietern auf dem medizinischen Markt standen – setzt man ein soziologisches Marktverständnis voraus – Nachfrager bzw. Konsumenten in der Form von Patienten und ihren Angehörigen gegenüber.14 Im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit konnte die Begegnung 10 Ebd., S. [1]: „Et enim qui eam publice in scholis docent (quos theoricos nunc vocabimus) conqueruntur non immerito, quod tametsi nullam operam neque curam lectionibus subtrahant; tamen discipulorum frequentiam retinere nequeant, quin potius maiorem anni partem iusto auditorum numero destituantur. Qui vero eam factitant, seu, ut vulgo loquimur, praxin exercent (practici inde dicti) partes suas longe experiuntur duriores. […] Nec desunt qui morbo iam progresso, clam atque infeijs practicis, ad empirica mulier cularum vel agyrtarum confugiunt remedia; ijsque morbo iam finito, prae caeteris sese adiutos contestantur.“ 11 Ebd., S. [2]: „Venio nunc ad alteram corruptae contemptaeque medicinae causam: quae quidem, meo iudicio, non aliunde quam quorundam hanc profit entium culpa suboriri videtur. Iam dudum enim quilibet sibi eam exercendi ius licentiamque sumit, tam doctus quam indoctus. […] Se iactat medicum quivis idiota, prophanus, Haebreus, monachus, histrio, rasor, anus.“ 12 Ebd., S. [2]. 13 Für einen ersten Überblick zum Personal des medizinischen Marktes siehe z. B. Jütte, Bader, Barbiere und Hebammen. 14 Zum Begriff des Marktes siehe bes. Aspers/Beckert, Märkte und Aspers, Sociology of Markets.
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zwischen Arzt und Patient sowohl auf einem räumlich bestimmbaren Marktplatz stattfinden als auch unabhängig von einem Ort oder einer einzelnen Transaktion ausgehandelt werden.15 Heiler stellten ihre Angebote häufig weder räumlich noch personell oder zeitlich eingegrenzt zur Verfügung, sondern hielten ihr Angebot aufrecht, bis eine entsprechende Anfrage an sie gestellt wurde. Als Lösung der von ihm skizzierten Probleme empfiehlt Botter, den Glauben an das Schicksal den Theologen zu überlassen. Auch den Kampf gegen Empiriker sieht er nicht als Aufgabe der Ärzteschaft an; stattdessen sei dies die Pflicht der Obrigkeit. Jungen und unerfahrenen Kollegen sollten die Mediziner aber mit Ratschlägen zur Seite stehen. Besonders sei ein gründliches Studium von zunächst drei oder vier Jahren an deutschen Universitäten zu empfehlen, bevor die Studenten nach Frankreich oder Italien ziehen sollten; außerdem sei die Lektüre eines Kanons von medizinischen Lehrwerken und die regelmäßige Beschäftigung mit der Botanik bzw. der Anatomie anzuregen.16 Insgesamt verweist Botter in seiner Vorrede auf verschiedene Konflikt- und Konkurrenzsituationen des Mediziners.17 Der Theoretiker hatte an der Universität mit der geringen Größe der medizinischen Fakultät und den wenigen Studenten zu kämpfen. Der Praktiker litt unter der Konkurrenz durch Empiriker auf dem medizinischen Markt. Die von Botter getroffene Einteilung nach den Medizinertypen Theoretiker und Praktiker entspricht der Einteilung in zwei Felder, in die Universität und den Markt. Allerdings muss Botters strenge Trennung dahingehend relativiert werden, dass die meisten Mediziner eher als Mischtypen bezeichnet werden können, die die Lehre an der Universität mit der Sorge um Patienten verbanden oder in einzelnen Lebensphasen zwischen Tätigkeiten als Medizinprofessor, Stadt- und Leibarzt wechselten. Botters Theoretiker und Praktiker waren beide akademische Ärzte, die auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Wirkungsbereiche hatten. Trotzdem lassen sich Überschneidungen feststellen, da auch der Medizinprofessor Kranke behandelte und der praktizierende Arzt nicht selten Mitglied der medizinischen Fakultät war. So gab es Professoren, die als Stadtärzte oder zeitweise als Leibärzte arbeiteten, und Stadtärzte, die an der Universität einzelne Vorlesungen übernahmen. Die von Botter umrissenen Konfliktfelder sind in den Fakultäts- und Rektoratsakten immer wieder präsent. Anhand von Beispielen aus den Leipziger Rektoratsakten und den Akten der Wiener medizinischen Fakultät wird im Folgenden das Spektrum an Konflikten aufgezeigt und nach den Grenzen und Möglichkeiten der Quellengat15 Aspers und Beckert nehmen eine Entwicklung vom konkreten Marktplatz zum abstrakten Markt an, die hier nicht geteilt wird. Aspers/Beckert, Märkte, S. 225 – 226. 16 Botter, Andreae Vesalii Brvxellensis Suorum de Humani corporis fabrica librorum Epitomes, S. [2]–[3]. 17 Diese beiden Konfliktfelder des Universitätsmediziners werden in der Dissertation der Verfasserin ausführlich behandelt: Medizin im Konflikt. Fakultäten, Märkte und Experten in deutschen Universitätsstädten des 14. bis 16. Jahrhunderts, erscheint 2017 bei Brill (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance).
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tung Akten und ihrer Funktion bzw. ihrem Nutzen für die Selbstdarstellung der Mediziner gefragt. II. Konflikte und Konkurrenzen an der Universität In den Akten finden sich sowohl kurze Hinweise oder Andeutungen auf Konflikte als auch ausführliche Darstellungen von Auseinandersetzungen, die sich über mehrere Monate oder sogar Jahre verfolgen lassen.18 Dabei variieren die Akten im Umfang und in der Art der Darstellung. Im Unterschied zu den Kölner Dekanatsakten vom Ende des 16. Jahrhunderts sind die Wiener und Leipziger Akten ausführlicher und liefern mehr Details.19 Die von Botter beschriebene problematische Stellung der Theoretiker an der Universität gründete auf der Stellung der Medizin als kleinste Fakultät, die, wie Olaf Pedersen es beschrieben hat, das „Aschenbrödel im Kreise der höheren Fakultäten“ war.20 Die Anzahl der Medizinstudenten bewegte sich in sehr kleinem Rahmen, was sich an den Immatrikulations- und Promotionszahlen ablesen lässt. Außerdem standen ihr meist weniger Lehrstühle zur Verfügung als den anderen Fakultäten.21 Folglich war auch die Anzahl ihrer Absolventen gering und sie bildeten eine Minderheit auf dem medizinischen Markt.22 Für Leipzig zeigte sich die prekäre Lage der Medizin auch in der räumlichen Ausstattung der Fakultät.23 So besaßen die Leipziger Mediziner zunächst gar kein eigenes Gebäude und mussten sowohl für ihre Kollegien als auch für ihre Promotionen die Nikolaikirche nutzen. Später teilten sie sich ein Auditorium im großen Kolleg mit den Theologen.24 Zu einer Sammlung von die Vorlesungen betreffenden Vorschlägen, die die medizinische Fakultät zu Beginn des 16. Jahrhunderts an den Kurfürsten
18 Diese Konflikte lassen sich seit Gründung der ersten Universitäten nachweisen. Siehe dazu Rexroth, Wie einmal zusammenwuchs, S. 97; Rexroth, Die Einheit der Wissenschaft, S. 27; Füssel, Der Streit der Fakultäten, S. 104 und Füssel, Die inszenierte Universität, S. 29. 19 Schrauf/Senfelder, Acta Facultatis Medicae Universitatis Vindobonensis (im Folgenden abgekürzt als AFM) und Zarncke, Acta Rectorum Universitatis studii Lipsiensis. Aber auch die Kölner medizinische Fakultät kann für andere Zeiten mit einer ausführlicheren Dokumentation aufwarten. Vgl. dazu HASK, Best. 150 Universität, A 366. 20 Pedersen, Tradition und Innovation, S. 486. 21 Allgemein dazu siehe Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert; zu Medizinstudenten Seifert, Das höhere Schulwesen, S. 212; Nauck, Die Zahl der Medizinstudenten und Nauck, Die Zahl der Medizinstudenten (Nachtrag). 22 Siraisi, Die medizinische Fakultät, S. 321. 23 Den bisher umfassendsten Überblick über die Geschichte der Leipziger medizinischen Fakultät bietet Sudhoff, Die medizinische Fakultät zu Leipzig. Als Zusammenfassung siehe auch jüngst Riha, Medizin. 24 Vgl. dazu Sudhoff, Die medizinische Fakultät zu Leipzig, S. 14 f.
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richtete, gehörte auch eine Beschwerde über die Raumregelung und die Bitte, ihr einen geeigneten Raum zuzuweisen.25 Ein Beschluss dazu findet sich in den Leipziger Rektoratsakten: Am 31. Oktober 1555 wird bekannt gegeben, dass den Theologen und keinesfalls den Medizinern zur neunten Stunde das Auditorium zur Verfügung stehen solle.26 Allerdings lässt sich diesem Eintrag nur die Andeutung eines Konfliktpotentials entnehmen, da nicht ausgeführt wird, warum die Theologen bei der Raumnutzung Vorrang genießen bzw. warum überhaupt die Mediziner dabei erwähnt werden. Deutlicher wird ein Eintrag aus dem Liber Decretorum et Actorum desselben Jahres, der mit den folgenden Worten beginnt: „Cum controversia oboriretur de auditorio superiori collegii magni inter theologos et medicos […].“27 Schon der Begriff „controversia“ zu Beginn des Eintrags verweist auf das Konfliktpotential, das mit der Ausstattung der Fakultät verbunden war. Nach längeren Ausführungen wurde schließlich ein Kompromiss festgehalten,28 der den Streit zwischen der theologischen und der medizinischen Fakultät um die Nutzung des Auditoriums regelte.29 Vergleicht man vorläufig Botters Problemdiagnose und Lösungsvorschläge mit denen in den Leipziger Akten, fällt auf, dass der Missstand, die zu geringe Größe der medizinischen Fakultät, auch in den Akten ersichtlich wird, ebenso wie das daraus erwachsende Konfliktpotential. Eine Botters Vorschlägen entsprechende Lösung findet sich in den Akten aber nicht. Während Botter implizit nahelegt, durch eine bessere und längere Ausbildung der Studenten an deutschen Universitäten auch die Studentenzahlen erhöhen zu wollen und damit die medizinische Fakultät insgesamt zu stärken, verweisen die Leipziger Akten lediglich auf eine Schlichtung des akuten Streitfalles zwischen Theologen und Medizinern. Eine längerfristige Verbesserung der Ausstattungslage der medizinischen Fakultät oder ein Engagement der Mediziner, um Studenten anzuwerben, findet sich weder in diesen noch in den im Folgenden untersuchten Wiener Akten.
25 Stübel, Urkundenbuch der Universität Leipzig, Nr. 261, S. 338: „Diu lamentati sunt doctores apud illustrissimum principem de auditorio quo egre carent, coguntur enim cum theologis convenire pro tribus horis, scilicet septima, prima et tercia.“ Stübel datiert das Schriftstück zwischen 1506 und 1537. 26 Zarncke, Acta Rectorum, S. 438: „31. Convocato consilio haec exposita et decreta sunt capita: […] VI. Theologos, non autem medicos, hora nona in auditorio theologorum docere debere.“ 27 Zarncke, Die Statutenbücher, S. 619. 28 Ein Hinweis darauf findet sich auch bei Zarncke, Die urkundlichen Quellen, S. 885. Die Bestimmungen von 1555 sind ediert bei Zarncke, Die Statutenbücher, S. 619 – 625. 29 Zarncke, Die Statutenbücher, S. 619 f.: „Cum controversia oboriretur de auditorio superiori collegii magni inter theologos et medicos, cuius loci integrum ius illi sibi vendicabant, nos vero ab hominum memoria perpetuaque consuetudine idem ius obtinuerimus semper, et tandem ad structuram eius loci aequales sumptus cum collegio et theologis contribuerimus, a magnifico domino rectore D. Alesio aeguum fuit iudicatum, ut nobis idem ius, quod ab antiquo fuit, in eo relinqueretur.“
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III. Konflikte und Konkurrenzen auf dem medizinischen Markt Auch dem zweiten von Botter anhand des medizinischen Praktikers ausgemachten Konfliktfeld lässt sich anhand der Fakultätsakten weiter nachgehen. Wiederholt wird in den Akten der Wiener medizinischen Fakultät das Spektrum der Konkurrenten benannt und das Vorgehen der Fakultät gegen einzelne Empiriker oder auch alle als ,widerrechtlich Praktizierende‘ Erscheinende beschrieben. Sechs Jahre nach Beginn der Aktenführung der Wiener medizinischen Fakultät,30 am 15. März 1405, findet sich die erste Nennung der Auseinandersetzung der medizinischen Fakultät mit den Apothekern, Empirikern und weiteren ,widerrechtlich Praktizierenden‘. Die Fakultät beschloss gegen diese vorzugehen und zwar aus zwei Gründen: Erstens sollte das Ansehen der Fakultät dadurch gewahrt werden, und zweitens sollte dies dem Nutzen der Allgemeinheit dienen.31 Das Beispiel zeigt das Spektrum an unterschiedlichen Akteuren des medizinischen Marktes, die als Konkurrenten der Fakultät in Erscheinung treten konnten: Empiriker sahen die Universitätsmediziner genauso wie Apotheker oder weitere ,widerrechtlich Praktizierende‘ als Konkurrenten an. Zusätzlich werden auch die gegen diese vorgebrachten Argumente angedeutet: der Schaden für die Fakultät und die Allgemeinheit, womit auch eine etwaige Falschbehandlung der Patienten eingeschlossen war. Von diesem Eintrag an wird das Thema der Konkurrenz auf dem medizinischen Markt nicht mehr aus den Fakultätsakten verschwinden. Wie die medizinische Fakultät in Zukunft mit den Konkurrenten konkret verfahren wollte, lässt sich diesem Akteneintrag allerdings nicht entnehmen. Im Umgang mit den Konkurrenten lassen sich unterschiedliche Strategien der medizinischen Fakultät ausmachen, die sie in den Fakultätsakten festhielt. Dabei ist zwischen dem Vorgehen gegen einzelne und dem gegen die Empiriker als Sammelbezeichnung zu unterscheiden. Die bedeutendsten Konkurrenten für die medizinische Fakultät stellten die Bader und Barbiere dar, die in Wien im 15. Jahrhundert eine Zunft bildeten und damit – ähnlich wie die medizinische Fakultät – über institutionellen Rückhalt verfügten.32 Entsprechend dieser Ausgangsposition zielten die Universitätsmediziner auch weniger auf die Verdrängung der Bader und Barbiere vom medizinischen Markt, sondern darauf, diese unter ihre Kontrolle zu stellen und ihnen einen Platz und Aufgaben auf dem Markt zuzuweisen. Als Instrument zur Etablierung und Durchsetzung ihrer Kontrollfunktion setzten die Universitätsmediziner Prüfungen ein. So wurde der Wiener medizinischen Fakultät in normativen Quellen das Prüfungsrecht gegenüber 30 Für einen Überblick über die Geschichte der Wiener medizinischen Fakultät siehe z. B. Kühnel, Mittelalterliche Heilkunde in Wien und jüngst Tuisl, Die Medizinische Fakultät. 31 AFM 1, S. 5: „Diligenter eciam et studiose mota est in congregacione facultatis materia de apotechariis et empiricis et aliis non legittime practicantibus in medicina; et per omnes doctores consultum est de remedio apponendo, prout expedit honestati facultatis et utilitati rei publice etc.“ Vgl. dazu Wagner, Doctores – Practicantes – Empirici, S. 35. 32 Vgl. Wagner, Doctores – Practicantes – Empirici, S. 38.
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den handwerklich ausgebildeten Heilern zuerkannt: Zuerst in der Passauer Medizinalordnung33 von 1407 durch die geistliche Autorität und am 9. Oktober 1517 durch die weltliche Autorität.34 Diese Regelungen fanden unterschiedlichen Niederschlag in den Aufzeichnungen der Fakultät. Während die Passauer Medizinalordnung in den Akten nur nebenbei erwähnt wird, findet sich vom Privileg Kaiser Maximilians von 1517 sogar eine Abschrift in den Akten. Die Umsetzung der Vorschrift wurde aber erst seit Mitte des 16. Jahrhunderts in den Akten dokumentiert. Nach der Prüfung durch die Doktoren der Medizin wurde eine Liste mit den Kandidaten in den Akten festgehalten, die bestanden hatten. Von diesen wurde nun eine Gebühr verlangt, bevor sie zum Praktizieren zugelassen wurden.35 Den Akten kommt hier nicht nur die Dokumentarfunktion der bestandenen Prüfungen zu, sondern auch die Aufgabe, das Prüfungsrecht der Fakultät durch die immer wiederkehrende Nennung zu legitimieren und auf Dauer zu stellen. Im Unterschied zu den Badern und Barbieren waren die Empiriker und Empirikerinnen offiziell von der medizinischen Praxis in Wien ausgeschlossen. Immer wieder finden sich in den Akten Vermerke über einzelne Personen, die ohne Ausbildung und Genehmigung der medizinischen Fakultät praktizierten. Gegen sie setzte sich die medizinische Fakultät mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr. Ihr Vorgehen und ihre Absprachen darüber hielten sie in ihren Akten fest. Ein besonders gut in den Akten der Wiener medizinischen Fakultät dokumentierter Fall ist derjenige der Empirikerin Katharina Gruntner von Kronau bei Tulln, der sich zwischen 1467 und 1469 ereignete. Die Fakultät verzeichnete in ihren Akten nicht nur ausführlich die gegen sie vorgebrachten inhaltlichen Argumente, sondern auch den Instanzenweg, den die Fakultät gegen sie bemühte und der schließlich zum Erfolg für die Universitätsmediziner führte.36 Gerade das erfolgreiche Vorgehen gegen die Empirikerin Katharina konnte als Leitbeispiel dienen und von den Universitätsmedizinern als Anleitung für den Umgang mit Empirikern immer wieder herangezogen werden. Vergleichsfälle notierte die Fakultät ebenfalls in den Akten: So konnte sie bspw. 1479 die Exkommunikation der Empirikerin Anna durchsetzen. Als aber 1515 Rebecca in Wien Patienten behandelte, untersagte ihr der Stadtrat zwar auf Bitten der Fakultät hin die medizinische Praxis, sie wandte sich aber an die österreichische Landesregierung, die ihr eine Ausnahmegenehmigung erteilte.37 Während das Vorgehen der medizinischen Fakultät gegen die Empiriker in den Akten punktuell erscheint, lässt sich die Organisation des Apothekerwesen anhand 33 Vgl. zur Passauer Medizinalordnung Mühlsteff, Ursprünge deutscher Medizinalgesetzgebung, S. 107, 123 – 124, 134, 141 – 142, 152 – 154. 34 AFM 3, S. 317. 35 Z. B. ebd., S. 230. 36 AFM 2, S. 133 – 144. Dazu auch Mühlberger, Die Gemeinde der Lehrer und Schüler, S. 350; Horn, Approbiert und examiniert, S. 96 f.; Kühnel, Mittelalterliche Heilkunde in Wien, S. 50 und Schmarda, Das medicinische Doctorcollegium, S. 46 f. 37 AFM 2, S. 169 – 170 und AFM 3, S. 113 – 117. Dazu auch Horn, Approbiert und examiniert, S. 102 f., 112 – 114.
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der Akten als Aushandlungsprozess über einen längeren Zeitraum verfolgen; die Akten bieten so die Möglichkeit, den Entscheidungs- und Formungsprozess zu beobachten und verschiedene Einflussgrößen auszumachen. Nachdem der erste Versuch der Fakultät, eine Apothekerordnung durchzusetzen, 1405 scheiterte,38 unternahmen die Universitätsmediziner in den Folgejahren immer wieder Anstrengungen, um die Kontrolle über die Apotheker zu erlangen.39 Die Beziehung der Ärzte und Apotheker zeigt sich auch in der Bezeichnung der Apothekerordnung: Nachdem sie 1413 zunächst mit articulos apothecariorum betitelt wurde, findet sich 1416 die Bezeichnung articuli contra apothecarios.40 Am 2. Juni 1457 legte die medizinische Fakultät erneut den Entwurf einer Apothekerordnung vor, der das Konzept von 1405 um einige Aspekte ergänzte.41 1465 versuchten es die Universitätsmediziner mit einer normativen Regelung, die auch Zugeständnisse in Form von Vorschriften für die Ärzte einschloss.42 Bemerkenswert ist, dass die geänderte Apothekerordnung immer wieder vollständig in die Akten aufgenommen wurde. Dadurch ermöglichten es die Akten den Medizinern, bei Bedarf die alten Apothekerordnungen zugrunde zu legen, wenn sie mit der Ausarbeitung einer neuen Ordnung beschäftigt waren. Ein Beispiel, das Botters Problemdiagnose des Medizinalwesens besonders eindrücklich aufnimmt, aber gleichzeitig konkretisiert, findet sich Ende des Jahres 1554 in den Akten der Wiener medizinischen Fakultät. In einem Schreiben von Erzherzog Ferdinand vom 4. Dezember 1554 beklagte dieser, dass sich die Doktoren der medizinischen Fakultät nicht an die in seiner Polizeiordnung von 1552 festgesetzte Besoldung für Ärzte halten würden und die Patienten mit zu hohen Forderungen belasteten.43 Die medizinische Fakultät antwortete auf die Ermahnung des Erzherzogs umgehend mit einem Schreiben, in dem sie ihr Erschrecken über die Anschuldigungen
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AFM 1, S. 8. Vgl. dazu Noggler, Die Wiener Apothekerordnungen, S. 27. Bspw. 1412/13 in AFM 1, S. 21 – 24. Vgl. auch Schwarz, Geschichte des Wiener Apothekerwesens, S. 6 f. 40 AFM 1, S. 23, 29. Dazu auch Czeike, Die Apotheker des Mittelalters, S. 256 und Schwarz, Geschichte des Wiener Apothekerwesens, S. 8, Fußnote 1. 41 Dabei handelt es sich z. B. um die Forderung, dass kein Apotheker selbst Kranke behandeln und Arzneien an jemanden ausgeben dürfe, der nicht von der Fakultät legitimiert sei. AFM 2, S. 91 – 92. Dazu auch Czeike, Geschichte der Wiener Apotheken, S. 92. 42 AFM 2, S. 242 – 245. Dazu auch Schwarz, Geschichte des Wiener Apothekerwesens, S. 18. 43 Das Schreiben Ferdinands befindet sich in den Akten der medizinischen Fakultät. AFM 3, S. 268. In der Ordnung und Reformation guter Pollicey von 1552 hatte Ferdinand festgelegt, dass ein Krankenbesuch mit 20 Kreuzern von vermögenden und mit 10 Kreuzern von armen Patienten zu vergelten sei; ein Arzt dürfe aber niemandem, der ihn nicht bezahlen könne, die Behandlung verweigern. Für Hausbesuche, die eine weite Anreise erforderten, standen den Ärzten Zusatzzahlungen zu. Außerdem ordnete Ferdinand die jährliche Visitation der Apotheken an. Römischer zu Hungernn unnd Behaim [et]c. Küniglicher Mayestat, Ertzhertzogen zu Osterreich [et]c. Ordnung und Reformation guter Pollicey, S. XXIIIb–XXVa. 39
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ausdrückte.44 Die Verantwortung für den Verstoß gegen die Polizeiordnung wies sie anderen zu: Dabei handele es sich einerseits um Doktoren, die nicht zur medizinischen Fakultät gehörten, und andererseits um verschiedene Empiriker. Die medizinische Fakultät machte hier also das auch von Botter mit dem Verweis auf die Konkurrenz durch Empiriker benannte Problem aus, ging aber noch einen Schritt weiter als dieser, indem sie konkrete Schuldige benannte. Der Herzog forderte sie in einem auf den 10. Dezember 1554 datierten Schreiben dazu auf, die Namen aller widerrechtlich und zum Schaden der Patienten Praktizierenden an ihn zu melden.45 Auf einem in die Akten lose eingelegten Bogen findet sich eine entsprechende Namensliste, die genau der Forderung im Schreiben an den Erzherzog Ferdinand entspricht.46 Die Liste ist in zwei Teile untergliedert: Zunächst werden akademische Mediziner benannt, die praktizieren, ohne zur medizinischen Fakultät zu gehören; dabei handelt es sich um drei Mediziner mit Doktortitel. Darauf folgt eine lange Reihung von denjenigen, die keine ausgebildeten Universitätsmediziner waren und nach Aussage der Fakultät trotzdem „frevenlicherweiß practicieren und betriegen“. Aufgelistet werden elf Empiriker, von denen einige näher spezifiziert werden: Als erster wird ein jüdische Arzt mit Namen Lazarus genannt, der in den Akten auch an anderen Stellen großen Raum einnimmt.47 Außerdem wird ein „Stainschneider“ aufgeführt, hinzu kommen drei Heiler, die einen Meistertitel tragen, sowie zwei Empirikerinnen; als letzter wird ein Apotheker genannt, der einen Patienten vergiftet haben soll. Während Botter in seiner Vorrede als Ursache der Missstände pauschal die Empiriker ausmacht, füllen die Akten diese Schuldzuweisung mit konkreten Namen von Wiener Heilern, die sie für den akuten Konflikt mit Herzog Ferdinand verantwortlich machen. Damit wird das Spektrum des medizinischen Marktes konkreter und die Konkurrenten der Universitätsmediziner persönlicher, die von handwerklich ausgebildeten Medizinern über Heilerinnen bis zu Apothekern reichten. Die Zusammenschau von Botters Monita und vorgeschlagenen Maßnahmen mit denjenigen der Akten zeigt sowohl Gemeinsamkeiten als auch nicht zu übersehende 44
Das Antwortschreiben der medizinischen Fakultät ist ebenfalls in die Akten übertragen worden. AFM 3, S. 269 – 270. 45 Ebd., S. 270. 46 Ebd., S. 271: „Verzeichnus derer personen, so alhie in medicina extraordinarie practicieren. Nomina doctorum, so in facultate medica nicht eingeleibt: Doctor Leonhardus Promperger; Doctor Ladislaus Stueff; Doctor Hieronimus Quadrius. Namen derer, so in medicina nie gestudiert und doch frevenlicherweiß practicieren und betriegen: Lazarus Iudt; Carolus Munster, stainschneider; Hannß Leidtgeb im khumpfgassl; ein hawer bey sanct Ulrich; Maister Peter Pfeiffer sambt einem diener unnd seiner hausfrauen im harrhoff; Maister Michael Palbierer im Gundlhoff; ein zymermaister bey sanct Stefanspadt in dem selbigen gassl; mer ain frau, die Peterin genandt, am Khienmarkh im Pemphingerhoff; Steffanin Leitgebin bey dem D. Pachaleb, die auch vor wenigen tagen ein wassersichtige, als fur unns glaubwierdig khumenn, verderbt hatt; Bona, des herrenn Sphortzia Palevesin … apoteckher, der wider aller doctorum be[felch] unnd ordnung dem herrenn Ioanni Maria Malvetz ertznei zu seinem verderbenn eingebenn hat.“ 47 Ebd., S. 231 – 238.
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Unterschiede. So wird der Schicksalsglaube vieler Patienten in den Fakultätsakten nicht als Problem ausgemacht. Einigkeit besteht aber darüber, dass die Hauptursache aller Missstände im Medizinalwesen in der unerlaubten Praxis der Empiriker zu sehen sei. Die Empiriker schadeten nicht nur der medizinischen Fakultät, sondern gefährdeten auch die Gesundheit der Patienten. Botters Maßnahmenkatalog sieht die Ärzteschaft aber lediglich in der Verantwortung, die Ausbildung ihres eigenen Nachwuchses zu verbessern, während die Theologen für die Glaubenszweifel der Patienten und die Obrigkeit für die Bekämpfung der Empiriker zuständig seien. Auffällig ist hierbei, dass sich die Akten auf die Zurückdrängung der Empiriker vom medizinischen Markt konzentrieren und die anderen Punkte gar nicht oder wie die Ausbildung ihrer Studenten nicht unter diesem Aspekt ansprechen. Stattdessen wollen sie die Aufgabe, das Medizinalwesen in ihrem Sinne zu ordnen, keinesfalls an die Obrigkeit delegieren, sondern in Zusammenarbeit mit dieser selbst übernehmen. Ihre Lösungsverheißung entspricht also einer umfassenden Regelung des Medizinalwesens in Form einer ,Marktordnung‘. Diese würde in Zukunft den Anspruch der medizinischen Fakultät auf die Kontrolle des medizinischen Marktes sicherstellen und somit den anderen Akteuren des Marktes eine von der Fakultät abhängige Position zuweisen. IV. Fazit Betrachtet man zusammenfassend das von den Fakultäts- und Rektoratsakten überlieferte Spektrum an Konflikt- und Konkurrenzsituationen, fällt auf, dass die Mediziner auf einer ersten Ebene an der Universität z. B. mit den Theologen oder anderen Medizinern um die Nutzung eines Raumes oder eine abzulegende Prüfung stritten und auf dem Markt um die Gunst der Patienten. Auf einer zweiten Ebene war der Gegenstand der Konflikte an der Universität und auf dem Markt ein sehr ähnlicher, nämlich der ihnen zukommende Status oder Rang, der wiederum in Erfolg, Prestige und Ansehen offensichtlich wurde. Den Akten kam dabei für die Mediziner eine dreifache Funktion zu: die Dokumentar-, Kontroll- und Darstellungsfunktion. Zunächst konnten sie über die ausgetragenen Konflikte Rechenschaft ablegen und die Nachwelt über etwaige Erfolge oder Misserfolge informieren. Die Akten boten der Fakultät eine Möglichkeit, schriftlich zu fixieren, was sie schon gegen die Empiriker erreicht hatte. Gerade durch weitere Quellengattungen wie die Apothekerordnungen, die in die Akten übertragen wurden, konnten Regelungen Verbindlichkeit erhalten. Die Mediziner strebten danach, diese verbindlichen Regelungen nicht nur für die Universität, sondern auch für den medizinischen Markt zu etablieren. In diesem Sinne nutzten sie die Akten zur Ausformung einer ,Marktordnung‘ und damit zur Kontrolle über ihre Konkurrenten. Allerdings galt diese zunächst nur für einen umgrenzten Wirkungsbereich, die konkrete Situation, den in den Akten geschilderten Fall. Eine den Moment überdauernde Analyse oder Bestimmung findet sich in den Akten nur in Ansätzen. Hierfür sind wie bei Botters Selbstanalyse des medizinischen Feldes weitere Quellen wie z. B. Vorreden medizinischer Werke hinzuzuziehen, da ein solches Innehalten
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und Analysieren in dieser Zeit nicht dem Charakter der Quellengattung Akten entspricht. Die Akten waren nicht der Ort, an dem die Mediziner aus ihrer Perspektive mögliche Konflikte und Probleme im Allgemeinen benannten; hier nahmen sie nur auf konkrete Konstellationen und Konflikte im Alltag Bezug. Schließlich nutzen die Mediziner ihre Fakultätsakten zur Selbstinszenierung und Vergewisserung ihrer Stellung an der Universität und auf dem Markt. Durch das Dokumentieren ihrer eigenen Leistungen, errungener Siege über Empiriker oder ausgefochtener Rangstreitigkeiten verliehen sie diesen Verbindlichkeit über den Moment hinaus und schufen sich selbst eine Erinnerungshilfe und ein Mahnmal für den Umgang mit Konflikten und Konkurrenten. Quellen und Literatur Quellen Ungedruckte Quellen HASK (Historisches Archiv der Stadt Köln), Best. 150 Universität, A 366: I. Dekanatsbuch der medizinischen Fakultät, 1491 – 1624.
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De asitia: Fortunio Liceti, Estêvão Rodrigues de Castro und die universitäre Aufarbeitung der Magersucht im 17. Jahrhundert Von Bernd Roling I. Einleitung Konnte der Mensch zwei Jahre ohne Nahrung auskommen? Und wenn ja, warum? Über diese vielleicht völlig abseitige Frage konnten sich im Italien des frühen 17. Jahrhunderts zwei der prominentesten Mediziner ihrer Zeit einen erbitterten Streit liefern, der über fast eine Dekade mit allen Mitteln ausgetragen wurde. Protagonisten dieser Kontroverse waren der Italiener Fortunio Liceti und sein portugiesischer Kollege Estêvão Rodrigues de Castro. Liceti entstammte einer Ärztefamilie, hatte Medizin in Bologna studiert und ab 1609 auch selbst unterrichtet, zunächst in Pisa, dann als Professor in Padua, in Bologna und zum Ende wieder, mit der Fokussierung auf theoretischer Medizin, in Padua.1 Er war einer der profiliertesten Gelehrten seiner Zeit, der sich zu einer Vielzahl von Fragen der praktischen und theoretischen Naturwissenschaft in eigenen Abhandlungen geäußert hatte, zur Seelenlehre, Astronomie, Urzeugung und Erkenntnistheorie,2 aber auch mit großer Begeisterung antiquarische Themen verhandelte.3 Kaum eine dieser Arbeiten, über deren Menge Liceti selbst schon 1634 erste Rechenschaft ablegt, umfasst weniger als 300 eng bedruckte Seiten.4 Berühmt sind sein Werk zur Teratologie, De monstrorum causis,5 und seine Abhandlung über die Leuchtquellen der alten Römer.6 De Castro stammte 1
Einen kurzen, doch wertvollen biographischen Abriss zu Liceti liefert Ongaro, Liceti, außerdem Ongaro, L’opera medica. Jüngere Einzelstudien zu den medizinischen und physiologischen Studien des Italieners gibt Hirai, Earth’s Soul, und vor allem Hirai, Medical Humanism. 2 Es wäre kaum hilfreich, sie alle aufzuzählen, zur Seelenlehre z. B. Liceti, Psychologia Anthropine¯ ; De animarum rationalium immortalitate; De anima subiecto corporis nil tribuente; zur Astronomie und Meteorologie z. B. Liceti, De novis astris et cometis; Pyronarcha; De regulari motu cometarum; De lunae subobscura luce. 3 Zu den antiquarischen Arbeiten zählen z. B. Liceti, Encyclopaedia; De anulis antiquis; Hieroglyphica. 4 Liceti, De propriorum operum historia. 5 Liceti, De monstrorum caussis. Eine erste Fassung dieses Textes erschien 1616, eine von Gerard Blasius ergänzte Fassung noch einmal als Liceti, De monstris, Amsterdam 1665, und in Padua 1668. 6 Liceti, De lucernis antiquorum reconditis. Das 1621 in Venedig publizierte Werk wurde 1652 in Udine und 1662 noch einmal in Padua neu aufgelegt.
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aus Lissabon, hatte in Coimbra studiert und war 1608 nach Italien gekommen, wo es ihm gelungen war, in den Dienst des Hauses Medici zu gelangen.7 Cosimo II. sorgte für eine Professur Rodrigues de Castros in Pisa. Auch seine Werke sind vielschichtig, doch konzentrieren sie sich deutlicher auf das Kerngeschäft der Medizin, das Rodrigues de Castro mit einem Dutzend von Traktaten vor allem zur Gynäkologie in italienischer und lateinischer Sprache bedient hatte.8 Darüber hinaus ist er als Verfasser von portugiesischen Gedichten in Erscheinung getreten.9 Woran sich die Debatte um die Totalabstinenz, die asitia, wie sie in dieser Zeit genannt wurde, entzünden konnte, wie sie Schritt für eskalieren und weit über die Domäne der Wissenschaft hinausgehen musste, soll in diesem Beitrag rekonstruiert werden. In vielen Bereichen scheint uns der Streit zwischen Rodrigues de Castro und Liceti für die Universitätskultur Italiens der frühen Neuzeit bezeichnend; ja vielleicht symptomatisch für die Art und Weise, wie überhaupt akademische Debatten ausgetragen wurden. Abgeschlossen werden soll diese Untersuchung daher mit einigen allgemeineren Bemerkungen, die das Geschehen vielleicht aus einer größeren Perspektive beleuchten können. Mit dem ausgehenden 16. und dem beginnenden 17. Jahrhundert hatte sich eine ganze Generation vor allem italienischer Ärzte in ihren Traktaten, Observationes und Briefen – eine Textgattung, deren Bedeutung für die Medizin Nancy Siraisi jetzt gerade noch einmal unterstrichen hat – der Frage der langanhaltenden Abstinenz, darunter in Italien Girolamo Mercuriale, Antonio Brasavola, Giovanni Argenterio, Francesco Buonamici, in Deutschland Johannes Schenck und in Frankreich Laurent Joubert.10 Das Thema war nicht aus dem Nichts entstanden: Schon Albertus Magnus war auf die Frage eingegangen, warum es anscheinend Menschen gab, die ohne Nahrung auskommen konnten; den basalen Bestand an Autoritäten, anhand derer das Dilemma der Abstinenz diskutiert wurde, stellten, wie zu erwarten, Hippokrates, Galen und Aristoteles zur Verfügung.11 Auch Bibelkommentatoren wie Tostado de Ribera hatten sich bereitgefunden, zum Rätsel der Totalabstinenz einen Beitrag zu leisten. Immerhin war auch die Schrift, man denke nur an das lange Fasten des Elias in der Wüste, reich an vergleichbaren Fällen.12 7 Die grundlegende Studie zu Rodrigues de Castro liefert noch immer Manuppella, Estêvão Rodrigo de Castro, dort zum Leben de Castros S. 1 – 84. Ergänzend dazu noch Manuppella, Una lettera inedita. 8 Einen analytischen und kommentierten Werkkatalog de Castros gibt Manuppella, Estêvão Rodrigues de Castro, S. 95 – 213. Nicht verwechselt werden sollte er mit dem gleichnamigen jüdischen Arzt, dessen Werke größtenteils in Hamburg erschienen waren. 9 Die Gedichte sind herausgegeben von Manuppella, Estêvão Rodrigues de Castro, S. 215 – 378. 10 Siraisi, Communities, dort bes. die allgemeinen Bemerkungen S. 14 – 37. 11 Albertus Magnus, De nutrimento. Grundlegend war die Schrift des Galen, De alimentorum facultatibus, gedruckt in dieser Zeit z. B. mit der lateinischen Übersetzung des Martin Gregorius als Galen, De alimentorum facultatibus libri tres, Lyon 1549, oder noch einmal Leiden 1633. Ein neue kommentierte Ausgabe des griechischen Textes liefert z. B. Galen, Sur les facultés des aliments. 12 Tostado, Commentaria in Genesim, q. 400, S. 348b f.
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II. Die Physiologie der Anorexie: Fortunio Licetis De asitia 1. Klassiker der Magersucht Im Jahre 1602 hatte der französische Mediziner François Citois einen denkwürdigen Kasus beschrieben, der fortan jede Abhandlung zum Thema schmücken sollte und Citois selbst dazu veranlasst hatte, der asitia, der Nahrungslosigkeit, in einer Abhandlung nachzugehen.13 Im Städtchen Confolens im französischen Poitou hatte es ein junges Mädchen gegeben, das sich offensichtlich über einen Zeitraum von drei Jahren konsequent geweigert hatte, Speisen zu sich zu nehmen. Wir würden heute vielleicht von einem besonders extremen Fall von anorexia nervosa sprechen. Die junge Jeanne Balant, Tochter eines Schmieds, hörte am 16. Februar des Jahres 1599 nach einem vorangegangenen langen Fieber, das zu wiederholtem Erbrechen geführt hatte, auf zu essen. Sie blieb für ein halbes Jahr bettlägerig, ohne etwas zu sich zu nehmen, dann stand sie auf, hinkend zwar, doch anscheinend wieder bei Bewusstsein. Fortan nahm sie auch weiterhin von jeder Nahrung Abstand, magerte bis auf den Knochen ab, von einem seltsamen Schwellbauch abgesehen. Nach einer gewissen Zeit hatte sie jede fleischliche Substanz verloren, wie Citois berichtet. Ihr Körper sonderte keine Exkremente ab, ja sie schien nicht einmal zu schwitzen, Haare und Nägel wuchsen weiter, die Lippen waren unnatürlich rot, ihre Brüste blieben ansehnlich, wie der Franzose ebenfalls vermerkt. In diesem Zustand verlebte das Mädchen in seinem Elternhaus noch weitere zweieinhalb Jahre, dann nahm ihr Leid, wie es heißt, ein Ende, wobei sich nicht ermitteln ließ, ob die junge Jeanne schlicht gestorben war oder wieder begonnen hatte, Nahrung zu sich zu nehmen. Verantwortlich für die Hungertortur war vielleicht, wie Citois ebenfalls berichtet, ein vergifteter Apfel, den eine alte Frau dem jungen Mädchen aufgedrängt hatte. Vergleichbare, wenn auch nicht ganz so extreme Fälle werden für das ausgehende 16. und beginnende 17. Jahrhundert fast ein Dutzend vermeldet.14 Citois’ Traktat über die junge Jeanne Balant sollte den zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alten Arzt Fortunio Liceti zu einer 450-seitigen Abhandlung veranlassen, die nur eine Frage beantworten sollte:15 Was hatte es mit diesem und anderen Fällen 13 Die Begebenheit erschien 1602 zuerst lateinisch in Montpellier als Citois, Abstinens confolentanea, dort der Bericht S. 1 – 12. Eine englische Übersetzung mit dem Titel ,A true and amirable historie, of a mayden of Confolens, in the Province of Poictiers‘ folgte schon 1603 und wurde bald wieder aufgelegt. Eine französische Fassung mit dem Titel ,Histoire merveilleuse de l’abstincence triennale d’une fille de Confolens en Poictu‘ schloss sich 1609 an. Nachdem sein Kollege Israel Harvet Zweifel an der Sache artikuliert hatte, ließ Citois noch eine Verteidigungsschrift folgen, als Citois, Abstinentia puellae confolentaneae. Beide Werke wurden aufgenommen in Citois, Opuscula medica, dort S. 53 – 164. 14 Eine wertvolle Liste gibt noch immer der Beitrag von Rollins, Notes. Zu vergleichbaren Phänomenen im Spätmittelalter die klassische Studie von Bynum, Fast, Feast and Flesh. 15 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, dazu Liceti, De propriorum operum historia, Liber I, S. 9 – 11, wo schon, S. 10 f., von der dicacitas Rodrigues de Castros die Rede ist, die ihre Nemesis ereilen sollte.
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von Radikalabstinenz auf sich, und welche Erklärung konnte es dafür geben? Licetis Abhandlung ist zugleich eine Summe aller früheren Aufarbeitungen dieses Themas. Sie ist von stupender Belesenheit und – wichtig vielleicht, um das Weitere einschätzen zu können – in sehr respektvollem Ton gegenüber den Vorgängern gehalten, die sich schon zu diesem Thema geäußert hatten. Liceti wusste, dass man das Phänomen der extremen Abstinenz nicht ignorieren durfte; es verlangte nach einer naturwissenschaftlichen und schlüssigen Erklärung. Zu zahlreich und eindrücklich waren die Beispiele, die man für das Dauerfasten in der jüngeren Zeitgeschichte hatte finden können. Sie ließen sich für Liceti auf einer Skala anordnen, die sich bis hin zu immer extremeren Varianten fortschreiben ließ. Schon die alten römischen Biographen wussten, dass Menschen in Trauer, wie ein gewisser Thespesius, sieben Tage auf Nahrung verzichten konnten.16 Brasavola hatte von einem seiner Studienfreunde berichtet, der mitunter nur alle acht Tage eine Mahlzeit zu sich nehmen musste. Ugolino della Gheradescas Leiden im Hungerturm hatte, wie man aus dem Inferno Dantes wusste, zehn Tage in Anspruch genommen, bis es auch ihn nach seinen Söhnen endlich hinweggerissen hatte.17 Licetis Kollege Orazio Augenio hatte eine Frau im Kindbett geschildert, die zwanzig Tage ohne Nahrung im Zustand fortgeschrittener Paralyse vor sich hin vegetierte, ihr Kind noch lebend zur Welt brachte und dann schließlich starb.18 Johannes Schenck wusste von einem anderen Kasus, einer Frau, die immerhin 27 Tage gehungert hatte.19 Ludwig der Fromme von Frankreich konnte 40 Tage von nichts weiter als einer Hostie leben.20 Liceti selbst hatte in Padua eine Frau kennengelernt, deren Krankengeschichte mehr als ein Dutzend von Ärzten bezeugen konnte. Das Mädchen war im Alter von 18 nach dem Tod seiner Mutter in eine schwere Depression gefallen; lethargisch und bettlägerig, zugleich am ganzen Körper mit Geschwüren bedeckt, war sie über einen Zeitraum von acht Monaten nicht gewillt, auch nur einen Brocken Nahrung zu sich zu nehmen, ohne dass sie in diesem Zustand irgendwelche Exkremente oder Urin abgesondert hätte.21 Liceti kennt noch groteskere Fälle. Eine Nonne in Stendal soll, wenn man Pietro di Abano Glauben schenkt, für fast zwei Jahre abstinent gewesen sein.22 Die bedauernswerte schneewittchengleiche Jeanne aus Confolens brachte es immerhin auf drei
16 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber I, c. 1, S. 3 f., dazu z. B. Plutarch, De serea numinis vindicta, § 24, S. 278 – 281. 17 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber I, c. 2, S. 4, dazu Brasavola, In libros Hippocratis et Galeni commentaria et annotationes, Liber I, Sectio 44, S. 98, und Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, Inferno, Gesang 33, V. 65 – 76. 18 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber I, c. 3, S. 4 f., dazu Augenio, De ratione curandi, Liber VI, c. 15, fol. 90v. 19 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber I, c. 4, S. 5 f., dazu Schenck von Grafenberg, Observationes, Bd. 3,1, Liber III, observatio 53, S. 89 – 94. 20 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber I, c. 5, S. 6 f. 21 Ebd., Liber I, c. 7, S. 8 f. 22 Ebd., Liber I, c. 9, S. 9, dazu Pietro di Abano, Conciliator controversiarum, Differentia 112, fol. 166v.
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Jahre,23 ein ähnlich gelagerter Fall belief sich auf vier,24 eine weitere junge Dame, die Tochter eines gewissen Konrad Binders aus Kaiserlautern, sollte sogar, wie berichtet wurde, die Schallmauer von sieben Jahren völliger Nahrungsverweigerung überschritten haben.25 2. Licetis Verwissenschaftlichung der Anorexie Viele Hypothesen waren im Laufe der Medizingeschichte entwickelt worden, um Phänomenen wie der jungen Mademoiselle Balant beizukommen. Wie Liceti wusste, hatten Argenterio, aber auch schon Pietro di Abano die Hypothese formuliert, dass bei radikaler Abstinenz vielleicht die bloße Luft als Ernährung ausreichend gewesen sein könnte. Der Mangel an Feuchtigkeit wurde durch das Trinken behoben, das Feste, das die gewöhnliche Nahrung auszeichnete, ersetzte der spiritus, der dem Körper durch das Atemholen zugeführt wurde.26 Vergleichbare Ansätze aber, die später vor allem von Paracelsisten favorisiert werden sollten, verkannten das Wesen der Ernährung, wie Liceti unterstreicht.27 Das Verhältnis von Feuchtigkeit und Wärme kennzeichnete die Aufnahme von Nahrung im menschlichen Körper und damit den ganzen Verdauungsvorgang, bei dem die eingehenden Stoffe erst mit Hilfe der Leber vom Exkrement im Magen- und Darmtrakt befreit wurden, um sich dann, in Blut und spiritus verwandelt, als Energieträger in die Adern treiben zu lassen. Zugeführte Flüssigkeit und Nahrung hielten diesen Verdauungs- und Transformationsprozess im Körper aufrecht, die körpereigene Wärme sorgte für seine Umsetzung, die Atemluft leistete zur Ernährung jedoch keinen Beitrag. Der körpereigene spiritus war feuriger Natur und hatte mit dem spiritus der Luft keine Gemeinsamkeiten. Wäre diese ein Nahrungsmittel, würde sie beim Ausatmen Exkremente produzieren, was offensichtlich nicht der Fall war.28 Auch die Kandidaten der Schöpfungsordnung, so Liceti, die man bisher als reine Lufternährer apostrophiert hatte, die Zikade oder das Chamäleon, waren als Esser entlarvt worden. Selbst die Paradiesvögel, die manucodiatae, wie man sie nannte, würde man in absehbarer Zeit dabei beobachten können, wie sie in den Höhen, in denen sie sich ständig aufhielten, winzige Insekten als Nahrung aufnahmen.29 Vergleichbares hatte man auch von einem Schmetterling mit dem wohlklingenden Namen pyrausta behauptet, der sich von
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Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber I, c. 10, S. 9 – 11. Ebd., Liber I, c. 11, S. 11 f., dazu die Schilderung von Porzio, De puella germanica, passim. 25 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber I, c. 12, S. 12 f., dazu Hulsius, Kurtze Wunderbare Beschreibung, Praefatio, fol. Aiirf. 26 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 1, S. 19 f., dazu Argenterio, Opera numquam excusa, Commentaria in Hippocratis Aphorismata, Aphorismus II, S. 26. 27 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 2 – 3, S. 20 f. 28 Ebd., Liber II, c. 4 – 11, S. 21 – 26, c. 27, S. 38 f. 29 Ebd., Liber II, c. 19 – 20, S. 31 – 33, dazu C. Plinius Secundus d. Ä., Naturalis historiae libri XXXVII – Naturkunde, Liber VIII, §§ 120 – 122, S. 92 – 95. 24
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den Feuerdämpfen der Schmieden Zyperns ernähren sollte.30 Keine Ausdünstung jedoch konnte von der natürlichen Wärme des Menschen in Nahrung verdichtet werden. Speise musste aus mehreren Elementen bestehen und Feuchtes und Festes gleichermaßen enthalten, um für den Körper von Bedeutung zu sein.31 Von dieser Grundvoraussetzung aus ließ sich, wie Liceti fortfährt, auch einem weiteren Erklärungsansatz begegnen, der in Italien offenbar schon länger kursierte. Hatten sich die Hungerkünstler vielleicht nur von Wasser ernährt?32 Wasser, das viele der Abstinenzler tatsächlich noch zu sich genommen hatten, musste dem Körper als lebenswichtiges Element zwar zugeführt werden, für sich allein genommen jedoch ernährte es den Menschen nicht. Wasser war ein Vehikel der Nahrung, doch nicht die Nahrung selbst.33 Nicht einmal Fische oder Pflanzen konnten allein von diesem Element am Leben gehalten werden.34 Licetis eigene Mutter, einst eine wunderschöne Frau, wie der Sohn sich schmerzvoll erinnert, war an Wassersucht aufgedunsen und gestorben. Wasser schadete dem Menschen also oft mehr als es ihm nützte.35 Ebenso wenig konnte der Konsum von Erde oder Dreck allein das Leben auf Dauer aufrechterhalten.36 Einen Grenzfall bildete die Milch, wie Liceti hinzufügt. Neugeborene Kinder sonderten Verdauungsprodukte ab. Den Nährwert der Milch begründete jedoch, wie Liceti betont, ihr Käseanteil. Spätestens mit dem Aufbau der Knochensubstanz konnte die Milch als Ernährung also nicht mehr genügen.37 Komplexer gestaltete sich eine Theorie, die Albertus Magnus entwickelt und Licetis Zeitgenosse Laurent Joubert wieder aufgenommen hatte. Ihr Analogon hatte sie im Winterschlaf der Tiere. Bären, Dachse und andere Mardertiere fraßen vor Einbruch der Winterkälte in größeren Mengen, in ihren Körpern bildete sich ein Übermaß an Nahrungsflüssigkeit und an Schleim heran. Zugleich garantierte ihre stark reduzierte Körpertemperatur eine drastische Verringerung des eigentlichen Nahrungsbedarfs. Eine Abdichtung der Haut sorgte darüber hinaus dafür, dass die wertvolle Energie der inneren Dämpfe, der vapores, im Körperinneren nicht verlorenging, sondern dem Leib, wie Albert behauptet hatte, ebenso als Nahrung zugeführt werden konnte.38 Der animalische Körper bildete also während des Winterschlafs gleichsam ein geschlossenes System. Hatte sich auch der Leib der Abstinenten von Confolens also in einer Art Winterstarre 30 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 21, S. 33 – 35, c. 45, S. 48, dazu z. B. Nifo, Expositiones in Aristotelis libros, Liber VIII, c. 26, S. 254 f. 31 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 23, S. 36. 32 Ebd., Liber II, c. 57, S. 52 f., dazu Costeo, Tractatus de potu in morbis, Liber I, c. 15, S. 36 – 43. 33 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 58 – 63, S. 53 – 57. 34 Ebd., Liber II, c. 70, S. 63. 35 Ebd., Liber II, c. 78, S. 67 f. 36 Ebd., Liber II, c. 98 – 101, S. 81 – 84, dazu Buonamici, De alimento libri V, Liber III, c. 38, S. 380 – 385. 37 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 123, S. 102 f. 38 Ebd., Liber II, c. 132 – 134, S. 114 – 117, dazu Albertus Magnus, De nutrimento, c. 4, S. 332.
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befunden? Gegen eine Vakuumisolierung der Haut und eine Winterstarre sprach nicht nur, dass viele der Hungerkünstler bei Bewusstsein waren, sondern auch, dass manche der ihren durchaus Stoffe absonderten, doch eher durch die Nase oder in Gestalt von Schweiß. Wenn ein inwendiger Schleim genügte, warum hatten viele der Abstinenten dann trotzdem Durst? Warum produzierten viele ihrer Vertreter keine Exkremente, wenn doch Verdauung stattfand? Warum hatten sie offensichtlich eine Körpertemperatur, die eine gewöhnliche concoctio im Leibe nahelegte?39 Für ein solches Modell, eine menschliche Variante des Winterschlafs, sprach, dass die Abstinenten keine Nahrung aufnehmen konnten, ja viele anscheinend überhaupt keinen Hunger verspürten. Aber gab es hierfür nicht einen anderen Grund, nämlich die völlige Unfähigkeit, den Hunger noch wahrzunehmen? War der Leib inwendig in seinen Eingeweiden vielleicht so verhärtet, dass er für Verdauung gar nicht mehr empfänglich war? Joubert hatte angesichts der aufgeblähten Bäuche mancher Fastender vermutet, dass vergleichbare Ödeme Symptome eines Schleimüberhangs waren, sein Überschuss sorgte für ein Desinteresse an jeder weiteren Nahrung, ja das wiederholte Brechen war vielleicht ein Indiz für eben diese Übermenge an körpereigenem Schleim. Joubert hatte auch behauptet, dass die körpereigene Wärme, der calor naturalis, zeitweilig die Absorption der inneren Feuchtigkeit einstellen, also mit anderen Worten die Verdauung unterbrechen konnte. Auch Pflanzen konnten immerhin außerhalb der Erde über einen gewissen Zeitraum hin weiterexistieren.40 Auch wenn Liceti nicht an einen Schleimüberschuss glaubte – Menschen verhielten sich weder wie Iltisse noch wie Schnittblumen –, ist ihm diese Feststellung Jouberts wichtig; sie wird zum Angelpunkt seiner eigenen Hypothese. Die ähnlich gelagerte Annahme, der Mensch könnte sich aus eigenen Körpersäften gleichsam eine Notration komponieren, die ihn über Jahre über Wasser halten konnte, hatte keine Berechtigung, auch wenn Buonamici sie propagiert habe. Entweder gelang es den Säften nicht, zum Magen, dem Organ der concoctio, vorzudringen, oder sie konnten, wie das Monatsblut der Frau, keinen Nährwert besitzen und wurden aus eben diesem Grund auch vom Körper ausgeschieden.41 Natürlich gab es, wie Liceti fortfährt, noch Erklärungsmodelle, die etwas anders geartet waren. Vielleicht handelte es sich bei den Frauen und Männern, die ohne Nahrung ausgekommen waren, schlicht um Betrüger? Am Hofe König Alonsos von Spanien hatte es einen Mann gegeben, der über Jahre in einer Zelle als Eremit abstinent gelebt haben wollte. Ernährt hatte er sich jedoch, wie man in Erfahrung hatte bringen müssen, nachdem der vorgebliche Heilige als Schwindler entlarvt worden war, auf eine andere Weise. Helfershelfer hatten ihm Reste von Hühnchen in jene Kerzen gearbeitet, die seine Zelle beleuchtet hatten. So durchtrieben konnten freilich kaum alle Abstinenten gewesen sein, und gewiss nicht jene, die nicht mehr bei Bewusstsein gewe39
Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 140, S. 120 f. Ebd., Liber II, c. 141 – 144, S. 121 – 124, dazu im Ganzen Joubert, Opera latina, Bd. 1, Decas I, Paradoxum II, S. 11 – 19. 41 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 151 – 156, S. 131 – 136, dazu Buonamici, De alimento libri V, Liber III, c. 58, S. 443 – 447. 40
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sen waren.42 Konnte es nicht ein Wunder gewesen sein, wie ohne Zweifel im Fall Ludwig des Heiligen und seiner Hostiendiät? Sorgten die Engel vielleicht im Geheimen für die Ernährung der Fastenden? Es galt, was für alle Wunder galt, das Gesetz der heilsgeschichtlichen Ökonomie. Warum sollte Gott ständig in seine Schöpfungsordnung eingreifen, wenn es natürliche Optionen gab? Hatten alle Abstinenzler etwa den Nimbus des Heiligen?43 Gleiches galt für die Negativvariante, die Einflussnahme der Mächte der Finsternis. Wenn der Teufel einen Scheinleib formte, dann musste er ein Interesse daran haben, dass der Eindruck gewöhnlicher Verdauung aufrechterhalten wurde; gerade dies war bei den Abstinenzlern aber nicht der Fall.44 Auch ein stellarer Einfluss war in Fällen, die sich unterhalb der Promillegrenze bewegten, keine Option.45 Tostado schließlich, um eine letzte der referierten Sichtweisen auf das Problem zu benennen, hatte eine Variante der Ekstase vorgeschlagen, die man gerade im Ordensmilieu wiederholt beobachten konnte. Die gottgelenkte Verselbständigung des rationalen Seelenteils musste jedoch, wie Liceti dem entgegenhält, keinesfalls gleichbedeutend mit der vollständigen Einstellung auch der übrigen Seelenfunktionen sein; es musste für ihre Fortexistenz, damit aber auch ihre mögliche Blockade eine natürliche Erklärung geben.46 Natürlich stellt sich die Frage, welche Option nach Ausschluss so vieler Alternativen noch zurückbleibt. Licetis eigene Hypothese lehnt sich an das Modell Jouberts an. Pflanzen, Vögel, aber auch die überwinternden Tiere konnten ihre vis nutritiva, ihre Ernährungsfunktion, über einen gewissen Zeitraum aussetzen. Die Naturordnung sah also keine durchgehende Aktivität dieser facultas vor. Wenn der Mensch die Gabe der Kontemplation einstellen konnte, dann musste es auch möglich sein, die Ernährung einzustellen.47 Die körpereigene Wärme, der calor naturalis, ließ sich aufrechterhalten und mit ihm auch die anderen lebenserhaltenden Funktionen, ja sogar, wie man an den Haaren der Abstinenten erkennen konnte, ein begrenztes Wachstum. Wie aber war es möglich, dass der natürliche Verdauungsvorgang, der dem Willen nicht unterstellt war, unterbrochen werden konnte? Hierzu hat Liceti die entscheidende Antwort parat. Verdauung beruhte, wie man seit Galen wusste, auf der wechselseitigen Durchdringung von Wärme und Feuchtigkeit im Körper. Der calor naturalis nahm das ihm zugeführte humidum auf und sorgte für seinen Fortbestand im Leib. Beide Komponenten konnten sich durch eine besondere Verquickung von Umständen, meist bei außergewöhnlich geringer Körpertemperatur, in einem Gleichgewicht befinden und sich gleichsam wechselseitig in ihrer Aktivität neutralisieren, so wie Quecksilber eine inwendige Wärme und eine wässrige Sub42 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 168, S. 146 f., dazu Harvet, Discours, dort S. 78 – 81. 43 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber II, c. 174 – 175, S. 152 f. 44 Ebd., Liber II, c. 178 – 179, S. 156 – 158. 45 Ebd., Liber II, c. 186 – 187, S. 164 – 166. 46 Ebd., Liber II, c. 198 – 199, S. 175 – 177, dazu Tostado, Commentaria in Genesim, q. 400, S. 348b f. 47 Liceti, De his, qui diu vivunt sine alimento, Liber III, c. 17 – 21, S. 16 – 20.
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stanz besaß, ohne sich dabei auflösen zu müssen. Die Feuchtigkeit, die sich als Möglichkeit, als potentia, verstehen lassen musste, und der Akt der Wärme hatten wie zwei Ringer im Kampf, die sich nicht besiegen konnten, so Liceti, einen Ausgleich erzielt und waren in ihrer Aktivität zum Stillstand gekommen, so wie kaltes und warmes Wasser eine lauwarme Brühe ergeben mussten.48 Die Erfahrung zeigte, dass dieser Zustand, ein mehr oder weniger kontingentes Gleichgewicht zwischen den Hauptkräften der Verdauung, lange anhalten konnte und sich auch durch die Zugabe von Wasser oder Wein nicht irritieren lassen musste. Auch wenn die vegetative Seele, wie Liceti noch hinzufügt, aus einer Notwendigkeit heraus agierte, musste sie nicht tätig werden, wenn der eigentliche Zweckzusammenhang ihrer Tätigkeit, die Ernährung, nicht mehr vorgesehen war.49 Das sagenhafte Äquilibrium im Unterleib hatte ein Ende, wenn ein Fieber, wie in den meisten Fällen, oder ein anderer neuer Faktor die Körpertemperatur erhöhte und mit ihr der Wärme erneut die Oberhand gab. Entweder war der Mensch nun genötigt, wieder Speisen aufzunehmen und war dazu auch wieder in der Lage, oder aber, wie man ähnlich oft hatte beobachten müssen, sein Körper war derart geschwächt und von der Hungerkur verhärtet und in Mitleidenschaft gezogen, dass er starb.50 III. Estêvão Rodrigues de Castros Antwort auf Liceti Licetis monumentale Abhandlung, die faktisch mit einem völlig neuen Ernährungsmodell aufwarten konnte, stieß an den italienischen Universitäten nicht nur auf Gegenliebe, doch war die Kritik in den Kollegenkreisen im Ganzen eher verhalten. Nur am Rande monierte Licetis Florentiner Kollege Giovanni Nardi in einem großen Traktat, den er über die Milch und ihren Nutzen verfasst hatte, dass die Thesen des Bolognesers, des summus medicine dictator, nicht wirklich tragfähig sein konnten, doch ließ er sich nicht auf eine größere Widerlegung ein.51 Liceti sollte diese Passagen gleichwohl im Gedächtnis behalten. Als eigentlicher Kritiker trat hingegen Rodrigues de Castro auf, vielleicht nicht zufällig ein Freund Giovanni Nardis, mit einem Traktat De asitia, den er erst 18 Jahre nach Erscheinen von Licetis Werk in Druck gab.52 Schon vorher hatte de Castro einige Thesen Licetis in einem anderen Werk bemängelt und beiläufig Licetis Monstrentheorien beargwöhnt,53 doch hatte niemand in Italien dieser Kritik besondere Aufmerksamkeit geschenkt. De Castros Vorgehensweise, ja den ganzen Ton, in dem sein Traktat gehalten ist, prägt eine fast durchgehende Arroganz. Von Anfang an erweckt er den Eindruck, als würde er den auch nicht mehr jungen Professor in Bologna mit seinem Theoriegebäude 48
Ebd., Liber III, c. 42 – 48, S. 30 – 33. Ebd., Liber III, c. 51 – 52, S. 34 f. 50 Ebd., Liber III, c. 70 – 71, S. 45, c. 78 – 79, S. 48 f. 51 Nardi, Lactis physica analysis, c. 31, S. 102 f. 52 Rodrigues de Castro, De asitia. Nach der Ausgabe Florenz 1630 erschienen 1647 dort sowie in Turin weitere Auflagen. 53 Rodrigues de Castro, De meteoris microcosmi, Liber II, c. 9, S. 65 f. 49
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nicht ernst nehmen können, ja schlechterdings als Akademiker nicht für satisfaktionsfähig halten. Wenn man sich mit den Thesen Licetis überhaupt beschäftigen sollte, so de Castro schon am Anfang, dann nur mit dem Mittel der Ironie, die einem vergleichbaren Anfänger angemessen war. Sollte jemand Anstoß daran nehmen, konnte er es verschmerzen.54 De Castros Text umfasst nur 90 Seiten. In den ersten Kapiteln summiert auch de Castro die bisher vorgebrachten Deutungen der Totalabstinenz; es entsteht rasch der Eindruck, dass er in seinem Urteil über die Mehrzahl der Hypothesen kaum von Liceti abweicht. Luft konnte für den Menschen ebenso wenig eine Nahrungsalternative bieten wie Wasser, das den Körper allenfalls für wenige Tage am Leben erhalten konnte.55 Auch die Annahme Laurent Jouberts, die inwendigen Schleimmengen könnten den Menschen wie Tieren im Winterschlaf über die Perioden des Hungers hinweghelfen, erscheint de Castro nicht hilfreich, die Analogien zwischen Mensch und Tier waren zu abseitig. Wenn Schleim als Nahrungsersatz verdaut werden konnte, dann mussten Exkremente produziert werden, was nicht der Fall war.56 Es gab noch ein zweites Problem, wie de Castro betont. Selbst wenn die Körpertemperatur zu Beginn extrem niedrig war, musste die Verdauung der Körpersäfte sie wieder ansteigen lassen. Die steigende Temperatur wiederum erhöhte den Bedarf, damit aber konnte die Menge an inwendiger Nahrung nur für einen Bruchteil der anvisierten Zeit ausreichend sein.57 War es nicht auch möglich, dass die Tiere, die sich in Winterstarre befanden, von wandernden Insekten mit Nahrung versorgt wurden?58 Die zweite Hälfte seines Traktates gebührt Liceti, dessen Namen de Castro nicht einmal erwähnt. Konnten die Verdauungsvorgänge im menschlichen Körper pausieren, weil ihre entscheidenden Komponenten, Feuchtigkeit und Wärme, ein Gleichgewicht erreicht hatten? Die These war vollkommen lächerlich, wie de Castro mit regelrechter Empörung deutlich macht, ihre Konsequenzen waren nachgerade absurd. Humor und calor, Feuchtigkeit und Wärme, formten im Verdauungssystem eine untrennbare Einheit; sie bildeten eine Substanz, deren Bestandteile für sich genommen gar nicht existieren konnten. Die Wärme musste immer stärker sein als die Feuchtigkeit, die von ihr absorbiert wurde. Wenn ein Äquilibrium, aus welchen Gründen auch immer, zwischen beiden Elementen zustande kommen konnte, so fragt de Castro vielleicht nicht ganz ohne Grund, konnte dieses Gleichgewicht dann nicht auch dauerhaft aufrechterhalten werden?59 Warum, statt der drei Jahre, wie im Fall der jungen Magersüchtigen von Confolens, nicht auch zwanzig Jahre oder eben für einen unbegrenzten Zeitraum? Warum war der Mensch, dessen Verdauungssystem sich nach den Vorgaben Licetis heruntergefahren hatte, nicht einfach un54
Rodrigues de Castro, De asitia, Praefatio und c. 1, S. 4 – 6. Ebd., c. 3 – 5, S. 9 – 14. 56 Ebd., c. 6, S. 15 – 17. 57 Ebd., c. 7, S. 18 – 20. 58 Ebd., c. 13, S. 41 – 45. 59 Ebd., c. 14, S. 45 – 49. 55
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sterblich? Ein Alterungsprozess war ja faktisch ausgeschlossen! Liceti hatte behauptet, die Seele, die als Substanz für sich selbst existieren konnte, könnte ihre subalternen Funktionen einfach für einen bestimmten Zeitraum aussetzen. Sie musste sich erst endgültig vom Körper trennen, wenn jede inwendige Wärme zum Erliegen gekommen war.60 Tatsache war jedoch, so de Castro, dass es sich bei den natürlichen Vorgängen um notwendige Prozesse handelte, die keine Unterbrechung zuließen. Solange Nahrung im Körper vorhanden war, wurde verdaut, war Samen vorhanden, erwachte der Sexualtrieb; selbst das Wachstum erfolgte, solange es die Naturordnung für sinnvoll hielt. Diese Vorgänge auszusetzen, war der Seele schlicht nicht möglich.61 Im Magen- und Darmtrakt waren Feuchte und Wärme auf elementarer Ebene so eng miteinander verwoben, wie de Castro noch einmal bemerkt, dass sie eine dem Willen entzogene Einheit bildeten, eine natürliche Kausalität, die der kontinuierlichen Abwicklung immer der Nahrung entgegenarbeitete. Waren dem Dilettanten, der diese Relationen in Zweifel zog, die Grundgegebenheiten der Physik nicht geläufig?62 Wie aber ließen sich die Fälle von monate-, wenn nicht gar jahrelanger Nahrungsverweigerung dann erklären? Es musste, wie de Castro glaubt, eine Fülle von Ursachen geben. Erste längere Abstinenzen ließen sich vielleicht durch ein besonderes Temperament, eine Verhärtung der Verdauungsorgane und Spielarten der Monstrosität plausibel machen. Vielleicht spielten auch die stellaren Einflüsse eine Rolle, die Liceti vorschnell ausgeschlossen hatte.63 Extreme Formen hatten auch andere Ursachen. Prosper von Aquitanien hatte von einer Frau berichtet, die 70 Tage lang hatte fasten können, doch in Wirklichkeit vom Teufel besessen war. Satan hatte also für die Ernährung vieler Abstinenter gesorgt, er musste auch ihre Exkremente beiseite geschafft haben.64 Andere Fälle waren schlicht als Wunder zu begreifen. Gott hatte dem natürlichen Verdauungsvorgang seinen concursus, seine ursächliche Unterstützung, entzogen; Gleiches geschah auch, wenn ein Mensch in Ekstase fiel, der Leib in einen quasi kataleptischen Zustand geriet, und die übrigen Körperfunktionen blockiert wurden.65 Im Unterschied zu Liceti kann de Castro also nicht mit einem kohärenten Erklärungsmodell aufwarten, um die Totalabstinenz ins Reich der rationalen Naturwissenschaften zu überführen. Fest stand lediglich, dass Licetis Modell die Kopfgeburt eines Mannes war, der die Maximen der Wissenschaft nicht verinnerlicht hatte.
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Ebd., c. 15, S. 50 f. Ebd., c. 16, S. 52 – 55. 62 Ebd., c. 17 – 18, S. 55 – 58. 63 Ebd., c. 21, S. 69 – 71. 64 Ebd., c. 23, S. 77 – 83, dazu [Ps.-]Prosper von Aquitanien [eigentlich: Quodvultdeus von Karthago], Opera accurata, Dimidium temporis in signis antichristi, c. 6, S. 159 – 162. 65 Rodrigues de Castro, De asitia, c. 24, S. 83 – 87. 61
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IV. Ein multimedialer Streit unter Gelehrten Vielleicht hatte es Rodrigues de Castro in Pisa darauf angelegt, seinen Kollegen zu provozieren, vielleicht war er nach seinem Erfolg am Hof der Medici selbstherrlich genug, an seiner Größe keinen Zweifel vorzusehen, vielleicht hatte er die Situation und seinen möglichen Gegner, inklusive seiner intellektuellen Fähigkeiten und seines ausgedehnten Freundeskreises, auch völlig falsch eingeschätzt. In jedem Fall war er – vereinfacht gesagt – an den Falschen geraten. Binnen weniger Jahre sollte es zu einer förmlichen Explosion von Texten kommen, die im Gehalt mit jedem Nachfolgewerk aggressiver werden mussten, doch das Thema der Abstinenz immer noch im Auge behielten. Vor allem Rodrigues de Castro scheint die Debatte im Folgenden fast zur Gänze beansprucht zu haben, während Liceti, was man angesichts der Mengen an produzierten Texten kaum glauben kann, durchaus in der Lage war, auch noch andere Buchprojekte souverän zu beenden. All diese tausende von Seiten inhaltlich angemessen zu würdigen, ist hier nur in groben Skizzen möglich. Nur wenige Monate nach Erscheinen von De asitia antwortet Liceti mit einem Werk, das satte 270 Seiten umfasste – er muss mindestens drei engbedruckte lateinische Seiten am Tag geschrieben haben –, das den Titel De feriis altricis animae und den sprechenden Untertitel Nemeseticae disputationes, die ,Rachedisputationen‘, trägt.66 Bewiesen werden sollte noch einmal die im Verdauungsvorgang pausierende vegetative Seele. Liceti wiederholt seine Kernaussagen und weicht nicht von ihnen ab, nur werden sie nun mit erschlagenden Belegen unterfüttert. Das Werk ist als Dialog angelegt. De Castro tritt als Sprachrohr seines eigenen Traktates auf, Liceti widerlegt ihn Satz für Satz. Es galt nun, den portugiesischen Mediziner mit allen Waffen der Invektive und auch im Detail stupender Gelehrsamkeit in seiner Inkompetenz zu entlarven, ja ihn mit allen verfügbaren Mitteln, systematisch und mit Schlägen unterhalb der Gürtellinie als völligen Idioten bloßzustellen. De Castro, so der Tenor dieses Textes, war nicht nur ein mediokrer Arzt, der allenfalls zufällig in Italien Karriere gemacht hatte, ein schlechter Leser des Aristoteles und des Galen, auch seine Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen waren unterirdisch. De Castros Sprache war bäurisch und strotzte vor Grammatikfehlern, die Liceti über Seiten mit der Akribie eines deutschen Oberrates aufzählt.67 Allein die Krittelei an der Latinität seines Kontrahenten dürfte etwa ein Drittel des gesamten Werkes ausmachen. Schlimmer noch: De Castro war grobschlächtig, hässlich, übergewichtig bis zur Lächerlichkeit, wie man auf 270 Seiten zur Abstinenz wiederholt erfahren darf, und nahe an der Senilität,
66 Liceti, De feriis. Auch zu diesem Werk Liceti, De propriorum operum historia, Liber I, S. 23 f. Hier nennt Liceti Rodrigues de Castro bereits seine Nemesis, deren cachexia maledici bestraft werden musste. 67 Als Beispiele Liceti, De feriis, Disputatio IV, S. 36, Disputatio V, S. 53 f., Disputatio XVIII, S. 187, Disputatio XI, S. 199 f., Disputatio XIV, S. 163, Disputatio XX, S. 196 f., Disputatio XXI, S. 203, S. 209, Disputatio XXIV, S. 245, und passim, wie Liceti selbst im Register vermerkt.
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außerdem, so Liceti, Abkömmling eines Volkes, das vor lauter Marranen nie wirklich den Weg zum Christentum gefunden hatte, nämlich ein Portugiese.68 Einige Ideen aus dem Traktat de Castros boten – vielleicht zu Recht – eine einfache Angriffsfläche. War die Annahme, Tiere in der Winterstarre würden durch ein Rudel Ameisen mit Futter versorgt werden, nicht gar zu absurd?69 Andere Thesen des Kontrahenten wollten mit den Mitteln der Wissenschaft widerlegt werden: Es war dem Mann aus Portugal, wie Liceti ausführt, in keiner Weise gelungen, die bisherigen Vorschläge zur Lösung der Abstinenzfrage sinnvoll zu würdigen, selbst wenn sie ins Leere laufen mussten. Vor allem an Jouberts Entwurf war de Castro, wie Liceti vermerkt, zur Gänze gescheitert, denn auch die beibehaltene Verdauung musste die Körpertemperatur nicht weiter steigen lassen;70 vergleichbare Kritikpunkte konnten jedoch nur die Ouvertüre bilden. De Castro hatte nicht begriffen, dass Wärme und Feuchtigkeit im Miteinander der körpereigenen Substanzen nicht in einem Konkurrenzverhältnis stehen mussten; schon das spiritushaltige und gleichwohl feuchte Sperma oder das menstruum, sein weibliches Gegenstück, waren aussagekräftige Gegenbeispiele.71 Auch die meisten anderen Funktionen der subalternen Seelenteile waren nicht zur permanenten Aktivität genötigt. Schon der Sexualtrieb, der kaum eine ständige Aktivität einforderte, selbst wenn genug Sperma im Körper war, war Beleg genug, dass auch die unteren facultates der Seele ihre passiven Phasen kannten. Warum also nicht die vis nutritiva? Warum musste ihr eine notwendige Kausalität zugesprochen werden, wenn die ganze Naturordnung das Gegenteil nahelegte?72 Auch Galen hatte an vielen Stellen seines Werks deutlich gezeigt, dass ein Mensch mit geschwächter Leber, also ohne die Gabe, neues Blut aus den Nahrungsstoffen zu generieren, noch lange überleben konnte. Nur ein Herz, das aufhörte zu schlagen, leitete den sofortigen Tod ein.73 Liceti versammelt in seinem Traktat zahlreiche weitere Exkurse zu Fragestellungen, an denen de Castro, wie Liceti glaubte, auf ähnliche Weise seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt hatte, zu den Paradiesvögeln,74 dem Chamäleon,75 dem Verhältnis von Leib und Seele,76 der religiösen Ekstase,77 aber auch der Sprachtheorie, der mehr als zwanzig Seiten gewidmet werden, obwohl de Castro nur in einem einzigen Satz behauptet hatte, es gebe keine natürliche Sprache.78 Beigefügt werden Dutzende 68
Ebd., z. B. Disputatio I, S. 9 f., Disputatio XIV, S. 165. Ebd., Disputatio IX, S. 82 – 86. 70 Ebd., Disputatio IV, S. 28 – 37. 71 Ebd., Disputatio X, S. 91 – 97. 72 Ebd., Disputatio XII, S. 122 – 133. 73 Ebd., Disputatio XVI–XVII, S. 175 – 184. 74 Ebd., Disputatio VII, S. 59 f. 75 Ebd., Disputatio VI, S. 55 – 59. 76 Ebd., Disputatio XI, S. 108 – 188. 77 Ebd., Disputatio XXIV, S. 230 – 249. 78 Ebd., Disputatio XII, S. 135 – 152. 69
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von Unterstützerbriefen von Ärzten und italienischen Notabeln, die Licetis Auffassung teilen,79 und sogar einige Inquisitionsgutachten, die de Castro gleichsam im Vorübergehen auch als Häretiker brandmarken.80 Es war klar, dass de Castro nun reagieren musste. Inzwischen hatte er sich darüber hinaus auch in weitere Debatten mit anderen Fachkollegen verwickelt, die ebenfalls schnell bereit waren, sich der Seite Licetis anzuschließen, vor allem mit dem Römer Pietro Servi.81 Rodrigues de Castros Replik war ein Kommentar zu jenem Werk, das gleichsam am Anfang der Ernährungsphysiologie stehen musste, der Schrift De alimento, die man lange dem Hippokrates zugeschrieben hatte.82 Schon in seiner Vorrede des 1635 erschienenen ersten Bandes sagt de Castro, wie sich die Situation zwischen beiden Kontrahenten in seinen Augen gestaltete. Er, de Castro, war der Berg Athos, dessen majestätische Größe die akademischen Mäuse, die an ihn herumgruben, nicht berühren konnten. Liceti war ein Zwerg, der sich selbst für einen Giganten hielt.83 Der gesamte Kommentar, den Rodrigues de Castros Sohn Francesco nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1638 mit seiner zweiten Hälfte posthum vollständig herausgeben musste, umfasst mehr als 1200 Seiten. Noch einmal behandelt de Castro die Frage der Radikalabstinenz, die der Faun aus Bologna, wie de Castro ihn tituliert, beim besten Willen nicht verstanden hatte.84 Vor allem das zweite Buch besteht aus einer Galerie direkter Angriffe, die kaum eine Sentenz Licetis unkommentiert lassen. Die Veröffentlichung des Hippokrates-Kommentars zog sich über einen Zeitraum von vier Jahren hin. Liceti war nicht gewillt, all die Anwürfe, die de Castro gegen ihn versammelt hatte, ohne Antwort auf sich beruhen zu lassen. Sein Gegenschlag fiel nun subtiler aus. Vielleicht hätte sich Liceti von einem weiteren Gegentraktat schlicht intellektuell unterfordert gesehen, vielleicht war er der Wiederholungen auch müde, vielleicht war offensichtlich, dass man das Feld nun erweitern musste. In den Jahren 1636 und 1637 veröffentlicht Liceti eine Serie von fünf allegorischen und literarisch durchaus anspruchsvollen Dialogen, deren Subtext sich heute nur dem Kundigen noch erschließt und deren Corpus mehr als 800 Seiten um-
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Ebd., Disputatio XIV, S. 163 f., S. 167 f. Ebd., Disputatio XXIII, S. 215. 81 Rodrigues de Castro, De sero lactis, erst Florenz 1631, dann neu aufgelegt Nürnberg 1646, dagegen erschien 1632 in Paris Servi, Ad librum de sero lactis, zunächst François Citois gewidmet, mit einer ausdrücklichen Verteidigung des polemischen Stils S. 97 – 103, und noch einmal mit schärferem Ton neu aufgelegt Rom 1634, nun mit neuer Vorrede und fast 50 Seiten länger. Spitzen auf den Mann aus Pisa kann sich Servi nicht einmal in seinem Lehrbuch der Medizin verkneifen, dazu kurz Servi, Institutionum, Prolusio iatrophilologica, S. 358 f. 82 Rodrigues de Castro, Commentarius in Hippocratis. 83 Ebd., Bd. 1, fol. A3r f. 84 Ebd., Bd. 1, direkt gegen Liceti z. B. Sectio I, S. 129 – 131, S. 150 – 160, S. 180 – 183, S. 185 – 187, Sectio II, S. 241 – 282, Bd. 2, Sectio III, S. 5 f., S. 10 – 12, S. 20 – 28, S. 47 – 49, S. 64 – 66, S. 100 – 104, S. 131 – 144, und öfter. 80
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fasst.85 Ihr Ziel war es, in einem Generalangriff alle Gegner des Mannes aus Bologna auf möglichst geistvolle Art und Weise zur Strecke zu bringen. Die Exposition dieser Dialogsequenzen ist durchaus ungewöhnlich und verlangt zum Verständnis nicht nur reichlich mythologisches Hintergrundwissen, sondern vor allem die Bereitschaft, sich auf die Debatten der Zeit einzulassen.86 Odysseus wird von der Zauberin Circe in ihren magischen Garten geführt, wo er auf eine große Zahl von Tieren, Pflanzen und Objekten stößt, die sich im Gespräch als verwandelte Zeitgenossen Licetis entpuppen.87 Liceti lässt den Italiener Giovanni Nardi, der es gewagt hatte, ihn in seinem Milchtraktat in Frage zu stellen, im dritten Dialog als alten Melkeimer auftreten.88 Letzterer fühlte sich durchaus angegriffen und reagierte prompt mit einer eigenen, mehr als fünfhundertseitigen Gegenschrift.89 Rodrigues de Castro selbst hat seinen Auftritt schon am Ende des ersten Dialogs, und zwar seinem Namen castratus gemäß als kastrierter Hammel, als närrischer castrone, belegt mit dem Namen vervex. Das Tier erscheint als bis zum Platzen vollgefressen mit falschen Hypothesen, es greift jeden Vorübergehenden an und erbricht darüber hinaus, dem Thema der Debatte angemessen, beharrlich seine Exkremente, weil es offensichtlich an einer besonders üblen Form der Darmverschlingung leidet.90 Der zweite Dialog Licetis trägt den Namen Athos perfossus und ist fast zur Gänze de Castro gewidmet. Er nimmt schon im Titel die Formulierung aus der Einleitung des Hippokrates-Kommentars de Castros auf, doch wird der Mann, der sich selbst als Berg feiern konnte, nun systematisch umgepflügt. Liceti legt seine eigenen Argumente, sofern man sie noch so nennen möchte, einem sprechenden Esel in den Mund, denn er selbst war sich, wie die komplexe Anlage des Dialogs nahelegt, für eine direkte Kontroverse mit seinem jahrelangen Gegner nun endgültig zu schade.91 Systematisch geht Liceti auf alle Zurücksetzungen seiner Person, alle Invektiven und vor allem alle konkreten Beleidigungen ein, die er im Hippokrates-Kommentar de Castros gefunden hatte. Sie werden am Rand des 180 Seiten starken Dialogs durchnummeriert, es sind 421.92 Liceti lädt 1636 noch einmal nach, mit einer Epigrammsammlung, der Verveceis, also 85
Liceti, Ulysses apud Circen, Udine 1636; Athos perfossus; Mulctra; Lilium maius; Lilium minus. 86 Schäfer, Professor Odysseus, hat zu den Circedialogen Licetis eine exzellente fast hundertseitige Untersuchung vorgelegt, die alle Dialogpartner und Subtexte identifiziert hat. Eine Neuedition und Übersetzung des ersten Teils der Circedialoge Licetis ist derzeit in Vorbereitung, begleitet von einer Studie zu den Hintergründen, deren Aufgabe es sein soll, auch die bisher einzige schon vierzig Jahre alte Studie des Portugiesen Giacinto Manuppella zum Umfeld Rodrigues de Castros zu ersetzen. 87 Zur theoretischen Konzeption der Circedialoge mit einer allgemeinen Synopse Schäfer, Professor Odysseus, S. 4 – 33. 88 Liceti, Mulctra, S. 3 f. und passim. 89 Nardi, Apologeticon, dort schon die wutentbrannte Vorrede S. 1 – 9. 90 Liceti, Ulysses apud Circen, S. 37 f. 91 Liceti, Athos perfossus, S. 2 – 4, dazu auch Schäfer, Professor Odysseus, S. 16 – 18. 92 Liceti, Athos perfossus, passim, die letzte umbra des Portugiesen, wie Liceti es formuliert, S. 167.
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der ,Hammeliade‘, die auf 80 Seiten Prosainvektiven und Spottgedichte aller Art in lateinischer und italienischer Sprache abdruckt, die Liceti zum Teil unter Pseudonym mit seinem Freundeskreis auf de Castro geschrieben hatte. Sie sollten auf die nicht sehr zahlreichen Epigramme reagieren, um die de Castro selbst seinen Kommentar bereichert hatte. Die meisten der aufgenommenen Versinvektiven stammten natürlich von Liceti selbst.93 So wie der Mann aus Bologna inzwischen einen Kreis dichtender Ärzte um sich versammelt hatte, blieb Liceti auch in anderen Bereichen nicht allein: Laut dem italienischen Bibliographen Michele Giustiniani aus dem späten 17. Jahrhundert hatten sich noch andere Texte angeschlossen.94 Einer seiner Freunde und Mitstreiter, Girolamo Bardi aus Pisa, sekundierte Liceti mit einem weiteren Dialog, der den sehr sprechenden Titel Castroathos in parnasso confossus trug, also nun ,der Athos, den es im Parnass vollends durchbohrt hatte‘.95 Dieser Text schien nur handschriftlich kursiert zu haben.96 Kurz vor seinem Tod versucht de Castro noch einmal selbst, mit einer hundertseitigen Apologia in Dialogform den Ball wieder aufzunehmen und auf den nun scheinbar abgetragenen Berg zu reagieren,97 doch verhallt dieses Werk ungehört.98 Glaubt man Giustiniani, hatte auch Bardi, offenbar im Verbund mit anderen Autoren, schon im gleichen Jahr wieder mit einem längeren Prosimetrum auf diese ,Apologia‘ antworten können. Überschrieben war es Corona smilacis, die ,Stechpalmenkrone‘, also ein deutliches Gegenstück zum Lorbeerkranz, den de Castro vielleicht erwartet hätte.99 Zwei dieser drei Werke haben sich allerdings bisher noch nicht wieder auffinden lassen. Wie sehr die ganze Kontroverse den alten portugiesischen Arzt in Anspruch nahm, zeigt sich vielleicht zum Ende, wenn sein Sohn aus seinem Nachlass hundert weitere Seiten Castigationes, also ,Korrekturen‘, veröffentlichen konnte, die noch einmal auf den Fragenkatalog der anfänglichen Traktate eingehen.100 Liceti selbst erwähnt den ganzen Streit noch in seinen Briefen aus den vierziger Jahren, in denen er den Kontrahenten nicht mehr beim Namen nennt, sondern nur als den verpus lusitanus, als den ,portugiesischen Beschnittenen‘, ins Gedächtnis ruft.101 Hier waren der Hammel, der Name de Castros und vielleicht auch ein Seitenhieb auf mögliche jüdische Vorfahren des Nichtitalieners endgültig zu einem bloßen 93 Gedruckt unter einem pseudonymen Herausgeber als van Roel, Verveceidos, passim. Liceti veröffentlichte seinen eigenen Anteil unter dem Namen Florentino Cinti. 94 Giustiniani, Scrittori liguri, Bd. 1, S. 417 – 420. 95 Der Text kursierte pseudonym als Myhomo, Castroathos in Parnasso confossus. 96 Manuppella, Estêvão Rodrigues de Castro, S. 79, S. 212 f. 97 Rodrigues de Castro, Apologia iudicialis. Der Band existiert lediglich in italienischen und portugiesischen Bibliotheken. 98 Manuppella, Estêvão Rodrigues de Castro, S. 161 f. 99 Myhomo, Corona, dazu Giustiniani, Scrittori liguri, Bd. 1, S. 419. 100 Rodrigues de Castro, Castigationes exegeticae, dort z. B. noch einmal zur Ekstase Castigatio II, S. 7 – 42, dem Verhältnis von Kalt und Warm in der Verdauung Castigatio IV, S. 49 – 59, und selbst zu den Paradiesvögeln Castigatio XI, S. 84 – 92. 101 Liceti, De secundo-quaesitis responsa, c. 52, S. 288 – 290.
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Emblem geworden. Man kann sagen, dass Liceti nach sicher dreitausend Seiten Text den Sieg über seinen Gegner davongetragen hatte, nicht nur, weil de Castro gestorben war. An den norditalienischen Universitäten hatte sich seine Sichtweise auf das Problem der Abstinenz zumindest für eine gewisse Zeit durchsetzen können. V. Fazit Summiert man die Debatte, die zum Ende mit so vielen Medien auch außerhalb der Universität ausgetragen wurde, mit Gedichten, Satiren und Dialogen, so lassen sich einige allgemeine, möglicherweise sogar selbstevidente Schlussfolgerungen ziehen. Vielleicht helfen sie, die Debattenkultur an den Universitäten Norditaliens besser zu verstehen. Warum hat sich Liceti zuvorderst Gehör verschaffen können und nicht Rodrigues de Castro? In seiner konkreten, auf den Gegenstand gerichteten Argumentation hatte Liceti zwei entscheidende Vorteile, gleichsam die hard facts, auf seiner Seite, die Tradition und die Empirie. Seine Lektüre des Galen und des Aristoteles, der Autoritäten, die den medizinischen Diskurs im 17. Jahrhundert bis zur Zeit William Harveys mit gleicher Reichweite dominierten wie im 16., war um vieles plausibler. Sie war darüber hinaus mit erheblich umfangreicherer philologischer Expertise unterfüttert als im Fall de Castros. Liceti konnte Griechisch. Dass ein Streit um eine verifizierbare medizinische Realie ein Streit um den Bezug eines Adverbs bei Galen sein konnte und auch lange nach Vesalius noch immer mit den Mitteln des Kommentars ausgetragen wurde, wundert so nicht weiter. De Castros Argumente mochten aus heutiger Perspektive schlüssiger, ja seine Kritik am bizarren Gleichgewichtsmodell Licetis sogar völlig korrekt sein. Dennoch konnte Liceti im Unterschied zu seinem Widerpart eine in sich kohärente Erklärung liefern, die anders als de Castros Hypothese die Erfahrung auf ihrer Seite hatte. Kaum einer der Ärzte in Italien hätte die Glaubwürdigkeit der Fälle von Totalabstinenz in ihrer Mehrheit bezweifelt; fachkundige Zeugen gab es ja immerhin, wie im Fall der jungen Jeanne aus Confolens, genug. Wunder, Dämonen und monströse Kreaturen, deren Existenz Liceti für sich genommen als letzter in Frage gestellt hätte, waren in der Mitte des 17. Jahrhunderts keine alternative Erklärung mehr für ein Milieu, das auf seine Rationalität durchaus stolz war. Die Gründe für die Marginalisierung de Castros lagen aber auch auf einer anderen, vielleicht trivialeren Ebene. Sie zeigen, dass akademische Meinungspolitik nur in einem geringen Umfang mit Argumenten betrieben werden musste. Im Unterschied zu Liceti verfügte der Portugiese Rodrigues de Castro in Norditalien nicht über ein Beziehungsgeflecht – nennen wir es einmal Netzwerk –, das er durch Widmungsgedichte, Briefe und Dedikationen wie sein Gegner über viele Jahre gepflegt hatte. Vielleicht lag es am Charakter de Castros, den sein schneller, vom Fürsten geförderter Aufstieg ganz offensichtlich immun gegenüber akademischen Loyalitäten und blind für das besondere Etwas gemacht hatte, das die universitären Verbünde wohl
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bis heute prägt.102 Schon zu Beginn seiner Zeit in Pisa hatte de Castro sich mit seinem Kollegen Giulio Guastavini so nachhaltig überworfen, dass dieser, der der Sippe Licetis an sich schon nahestand, später umso bereitwilliger in Pisa gegen de Castro arbeiten konnte. De Castro schrieb sich seine Invektiven selbst, Liceti konnte auf Dutzende von Freunden zurückgreifen, die ihm mit elegant formulierten metrischen Gemeinheiten zur Seite stehen konnten. Er tat es mit Vergnügen. Liceti war der größere Gelehrte, ein rhetorisch weitaus versierterer, universal gebildeter Polyhistor und mit allen Waffen der Sprache versehen. Ihm konnte de Castro, dessen Dichtersprache das Portugiesische geblieben war und dessen philosophische Werke wie Pflichtübungen wirken, nicht gewachsen sein. Quellen und Literatur Quellen Albertus Magnus: De nutrimento et nutribili, in: Albertus Magnus: Opera omnia, ed. Auguste Borgnet, 38 Bde., Paris 1890 – 1899, Bd. 9, 1890, S. 323 – 343. Argenterio, Giovanni: Opera numquam excusa, Venedig 1606. Augenio, Orazio: De ratione curandi per sanguinis missionem libri decem, Venedig 1597. Brasavola, Antonio Musa: In libros de ratione victus in morbis acutis Hippocratis et Galeni commentaria et annotationes, Venedig 1546. Buonamici, Francesco: De alimento libri V, Florenz 1603. Citois, François: Abstinens confolentanea, cui obiter annexa est pro Iouberto Apologia, Montpellier 1602. Citois, François: Abstinentia puellae confolentaneae ab Israelis Harveti confutatione vindicata, ad Nicolaum Rapinum, Poitiers 1602. Citois, François: Opuscula medica, Paris 1639. Costeo, Giovanni: Tractatus de potu in morbis, Pavia 1604. Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie, ed. Hermann Gmelin, 3 Bde., Stuttgart 1949. Galen: De alimentorum facultatibus libri tres, Lyon 1549. Galen: De alimentorum facultatibus libri tres, Leiden 1633. Galen: Sur les facultés des aliments, ed. John Wilkins, Paris 2013. Harvet, Israel: Discours par lequel est monstre’ contre le second paradoxe de la premiere decade de M. Laurent Joubert, qu’il n’y à aucune raison que, quelques uns puissent vivre sans manger, durant plusieurs jours et années, Niort 1597. 102 Wie um das akademische Netzwerk seines Vaters nach dessen Tod noch einmal zu illustrieren, veröffentlichte sein Sohn Francesco noch eine Briefsammlung, Rodrigues de Castro, Posthuma varietas, in der er eine geringe Anzahl von Briefen an Zeitgenossen und die Vorlesungen, die persönlich für das Haus Medici gehalten wurden, abdruckt, sowie die Diagnosen, die sein Vater seinen prominenten Kunden gestellt hatte, dazu Rodrigues de Castro, Medicinae consultationes.
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Hulsius, Levinus: Kurtze Wunderbare Beschreibung des Goldreichen Königreichs Guianae in America, Nürnberg 1599. Joubert, Laurent: Opera latina, 2 Bde., Lyon 1582. Liceti, Fortunio: Psychologia Anthropine¯, sive De ortu animae humanae libri III., in quibus multa arcana ac secreta naturae, tum de semine, tum de foetu, ut et assimilatione parentum et liberorum, panduntur ac revelantur, Frankfurt 1606. Liceti, Fortunio: De his, qui diu vivunt sine alimento libri quatuor, in quibus diuturnae Inediae observationes, opiniones, et caussae summa cum diligentia explicantur, Padua 1612. Liceti, Fortunio: De lucernis antiquorum reconditis, libri IV, in quibus earum recens inventarum adhuc ardentium observationes multae primum afferuntur, Venedig 1621. Liceti, Fortunio: De novis astris et cometis libri sex, Venedig 1623. Liceti, Fortunio: De animarum rationalium immortalitate libri IV, Aristotelis opinionem diligenter explicantes, Padua 1624. Liceti, Fortunio: Encyclopaedia ad aram mysticam Nonarii Terrigenae anonymi vetustissimi, Padua 1630. Liceti, Fortunio: De anima subiecto corpori nil tribuente, deque seminis vita, et efficientia primaria in formatione foetus, liber unus, Padua 1631. Liceti, Fortunio: De feriis altricis animae Nemeseticae Disputationes, in quibus encyclopediae, medicinae, philosophiae, celsiorisque sapientiae praesidio propulsantur ab olim culto mirabili mortalium ieiunio vulgatae recens oppugnationes Asitiastis de Castro, Padua 1631. Liceti, Fortunio: De monstrorum caussis, natura, et differentiis libri duo, in quibus ex rei natura monstrorum historiae, caussae, generationes, et differentiae plurimae a sapientibus intactae, cum generatim et in plantarum, et in belluarum genere, tum seorsum in humana specie tractantur, Padua 1634. Liceti, Fortunio: De propriorum operum historia libri duo, Padua 1634. Liceti, Fortunio: Pyronarcha sive de fulminum natura deque febrium origine libri duo, Padua 1634. Liceti, Fortunio: Athos perfossus sive Rudens eruditus in Criomixi quaestiones de alimento dialogus, Padua 1636. Liceti, Fortunio: Mulctra sive de duplici calore corporum naturalium dialogus, Udine 1636. Liceti, Fortunio: Ulysses apud Circen sive de quadruplici transformatione dialogus ethico-physicus, Udine 1636. Liceti, Fortunio: Lilium maius sive de natura assistente dialogus, Udine 1637. Liceti, Fortunio: Lilium minus sive de anima ad corpus physice non propensa dialogus, Udine 1637. Liceti, Fortunio: De regulari motu minimaque parallaxi cometarum caelestium disputationes, Udine 1640. Liceti, Fortunio: De lunae subobscura luce prope coniunctiones, et in eclipsibus observata libri tres, Udine 1642.
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Liceti, Fortunio: De anulis antiquis liber singularis, in quo diligenter explicantur eorum nomina multa, primeva origo, materia multiplex, Udine 1645. Liceti, Fortunio: De secundo-quaesitis per epistolas a claris viris, ardua, pulchra et nobilia queque petentibus in medicina, philosophia, theologia, mathesi, et alio quovis eruditionum genere responsa, Udine 1646. Liceti, Fortunio: Hieroglyphica, sive antiqua schemata gemmarum anularium, quaesita moralia, politica, historica, medica, philosophica, et sublimiora diligenter explicata, Padua 1653. Liceti, Fortunio: De monstris. Ex recensione Gerardi Blasii, qui monstra qaedam nova et rariora ex recentiorum scriptis addidit, Amsterdam 1665. Myhomo, Bernardo: Corona Smilacis qua Lusitanus Castrensis redimitur, Oldenburg 1636. Myhomo, Bernardo: Castroathos in Parnasso confossus, sive Satyri-physio-sophos in Cythaerone a Circe in hirco-vervecisuem transformatus, et contumulatus. Ludus genialis comoedice agitatus, in quo Satyro hircina petulantia debacchante verveci Castroniana et contumeliosa obscenitas et Lusitanica Sevosa Thrasonica iactantia deluditur et depopulator [Ort und Jahr unbekannt]. Nardi, Giovanni: Lactis physica analysis, Florenz 1634. Nardi, Giovanni: Apologeticon in Fortunii Liceti Mulctram vel de duplici calore, Florenz 1638. Nifo, Agostino: Expositiones in omnes Aristotelis libros De historia animalium, Venedig 1546. Pietro di Abano: Conciliator controversiarum, quae inter philosophos et medicos versantur, Venedig 1565. Plinius Secundus d. Ä., Gaius: Naturalis historiae libri XXXVII – Naturkunde, lateinisch – deutsch, ed. Roderich König, 38 Bde., Darmstadt 1976 – 2004, Buch 8: Zoologie. Landtiere, 1976. Plutarch: De sera numinis vindicta, in: Plutarch: Moralia, 16 Bde., Cambridge, Mass./London 1927 – 69 (Loeb Classical Library), Bd. 7, ed. Phillip H. DeLacy/Benedict Einarson, 1959, S. 169 – 299. Porzio, Simone: De puella germanica, quae fere biennium vixerat sine cibo, potuque, ad Paulum III. Pontificem Maximum disputatio, Florenz 1551. [Ps.-]Prosper von Aquitanien [eigentlich: Quodvultdeus von Karthago]: Opera accurata exemplarium vetustorum collatione repurgata, Köln 1630. Rodrigues de Castro, Estêvão: De meteoris microcosmi libri IV, Florenz 1621. Rodrigues de Castro, Estêvão: De asitia tractatus, Florenz 1630. Rodrigues de Castro, Estêvão: Tractatus de sero lactis, Florenz 1631. Rodrigues de Castro, Estêvão: Commentarius in Hippocratis Coi libellum de alimento, in quo multiplici didascalia variae controversiae in utramque partem disputantur, 3 Bde., Florenz 1635 – 1639. Rodrigues de Castro, Estêvão: Apologia iudicialis qua cuiusdam Fortunii infortunium Liceti licentia lata sententia cohibetur, Oldenburg 1636. Rodrigues de Castro, Estêvão: Posthuma Stephani Roderici Castrensi Lusitani varietas, Florenz 1639.
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Rodrigues de Castro, Estêvão: Castigationes exegeticae, quibus variorum dogmatum veritas elucidatur, Florenz 1640. Rodrigues de Castro, Estêvão: Medicae consultationes, Florenz 1644. Roel, Konrad van: Verveceidos libri duo, Oldenburg 1636. Schenck von Grafenberg, Johannes: Observationes medicae, rarae, novae, admirabiles et monstrosae, 7 Bde., Freiburg 1595. Servi, Pietro: Ad librum de sero lactis Stephani Roderici Castrensis Lusitani Declamationes seu Privatae quaedam ac domesticae Exercitationes, Paris 1632. Servi, Pietro: Institutionum quibus tyrones ad medicinam informantur libri tres, eiusdem prolusiones duae, Rom 1638. Tostado, Alfonso: Commentaria in Genesim, Venedig 1728 (Opera omnia, 1).
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Der Jasager und der Neinsager. Zur Streitkultur der Humanisten am Hof der Aragonesen in Neapel Von Matthias Roick I. Die Anfänge des Akademiewesens In der Geschichte der europäischen Gelehrtenkulturen spielen Akademien und Sodalitäten eine besondere Rolle. Neben den Universitäten stellen sie in der frühen Neuzeit wichtige Katalysatoren für die Diskussion und den Austausch von gelehrtem Wissen dar. Erste Spuren des Akademiewesens lassen sich bereits im Italien des 15. Jahrhunderts finden.1 Dabei fällt es nicht immer leicht, den Übergang von informellen Gelehrtennetzwerken zu institutionell verankerten Sozietäten zu bestimmen. Die Organisationsformen späterer Akademien des 16. und 17. Jahrhunderts lassen sich jedenfalls nicht ohne Weiteres auf ihre frühen Vorläufer übertragen.2 Nichtsdestotrotz zeigen sich in ihnen die ersten Anzeichen einer neu entstehenden Gelehrtenkultur. Bekannte Beispiele sind die römische ,Akademie‘ unter Pomponio Leto (1428 – 1498) und ihr florentinisches Pendant unter Marsilio Ficino (1433 – 1499), weniger Beachtung hat bisher die Accademia Pontaniana in Neapel gefunden, die postum nach dem umbrisch-neapolitanischen Humanisten Giovanni Pontano (1429 – 1503) benannt wurde.3 Obwohl Pontano unbestrittener Protagonist des neapolitanischen Renaissancehumanismus ist und den Kreis an Intellektuellen, der ihn umgibt, meisterhaft in Dialogen wie dem Antonius und dem Aegidius in Szene setzt, geht die Accademia Pontaniana nicht auf Pontano selbst zurück. Ihre Ursprünge sind vielmehr eng mit der Geschichte der humanistischen Bewegung auf der italienischen Halbinsel verbunden: Erste Zusammenkünfte auf einer mehr oder weniger regelmäßigen Basis finden bereits unter Alfonso V. von Aragon statt (1396 – 1458) und werden später im Haus von Antonio Beccadelli (1396 – 1471), Pontanos Lehrer, fortgesetzt. Der informelle Charakter dieser Treffen mag zunächst als wenig aussagekräftig erscheinen. Tatsächlich legt er aber den Blick auf einige der Spannungen und Verwerfungen innerhalb der 1 Grundlegend zu den frühen Formen des Akademiewesens ist nach wie vor Chambers, Earlier Academies in Italy. 2 Hankins, Humanist Academies, S. 31. Beer, The Roman ,Academy‘, S. 189 – 191. 3 Für detaillierte Diskussionen siehe Beer, The Roman ,Academy‘ (Rom); Hankins, Humanist Academies (Florenz); Fürstenberg-Levi, The Fifteenth Century Accademia Pontaniana (Neapel).
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humanistischen Bewegung frei, die sich in charakteristischer Weise auf die Gelehrtenkultur ihrer Zeit und auf erste Institutionalisierungsversuche von gelehrten Zusammenkünften auswirken. II. Ein königlicher Lesezirkel Die Humanisten um König Alfonso sind durch ein besonderes ideologisches Moment vereint: den Kampf um das Königreich Neapel, der sich zwischen den Häusern Aragon und Anjou abspielt.4 Militärisch gesehen endet diese Auseinandersetzung 1442 mit einem Erfolg der Aragonesen: Alfonso gelingt es, Neapel zu erobern. Die Einnahme Neapels stellt allerdings nur den Beginn eines anderen Kampfes dar, in dem es um die Anerkennung und Etablierung der aragonesischen Herrschaft geht, eines Kampfes, der weniger mit dem Schwert als mit der Feder geführt wird – „arma et litterae“.5 Die Humanisten an Alfonsos Hof müssen dementsprechend einer Doppelrolle gerecht werden. Zum einen dienen sie als Diplomaten und Emissäre, zum anderen entwickeln sie kulturelle Rechtfertigungsstrategien der – aus dynastischer Sicht recht wackeligen – Ansprüche Alfonsos auf Neapel. In diesem Kontext entsteht das Bild des magnanimo, des großherzigen und weisen Königs, der sich bei der Eroberung Neapels nicht von Gier, sondern von Tugendhaftigkeit hat leiten lassen. Eine wichtige Rolle in der humanistischen Inszenierung des Königs spielt sein Interesse an klassischer Literatur. Der aggressiven Eroberungspolitik Alfonsos wird eine leicht zu durchschauende, aber dennoch raffinierte und wirksame Strategie der literarischen Stilisierung zur Seite gestellt. Die Entourage Alfonsos versteht es, geschickt auf die politische Situation, aber auch auf humanistische Kritik an den Herrschenden zu reagieren. Poggio Bracciolinis Dialog De infelicitate principum, der etwa zu der Zeit entsteht, als sich Alfonsos Kampagne in Süditalien ihrem erfolgreichen Ende nähert, ist ein herausragendes Beispiel dieser Kritik. Nur wenige Herrscher seien an der Tugend und an einem guten Leben interessiert, schreibt Poggio („virtutem vero et bene vivendi disciplinam pauci appetunt“).6 Einer seiner Hauptkritikpunkte betrifft das Desinteresse der Herrschenden an antiker Literatur. Wie der Buchjäger Poggio in der Figur seines Freundes Niccolò Niccoli zu berichten weiß, verlieren sie, „wenn es um das Aufstöbern und die Erforschung von literarischen Zeugnissen […] geht, […] jede Art von Interesse und
4 Zu den Ursprüngen dieses Konflikts und zu seiner Entwicklung vgl. Ryder, The Kingdom of Naples, S. 1 – 26. 5 Zu den ideologischen Herausforderungen und Bewältigungsstrategien im Kontext der aragonesischen Eroberung Neapels und ihrer Etablierung auf der italienischen Halbinsel vgl. Ianziti, Humanistic Historiography; Bentley, Politics and Culture; Stacey, Roman Monarchy. 6 Poggio Bracciolini, De infelicitate principis, S. 6.
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schlafen ein, denn die meisten von ihnen leben wie die Tiere“.7 Leidenschaft und Ehrgeiz werden als Hauptmotive ihres Handelns identifiziert, nicht das Streben nach dem guten Leben, das eben nur durch Gelehrsamkeit ermöglicht werde. Auch und gerade im heutigen Italien, beschwert sich Niccoli, können die Waffen nicht ruhen – zu begierig seien einige Herrscher darauf, anderen ihr Hab und Gut zu entreißen.8 Die Humanisten in der Umgebung Alfonsos bedienen sich einer Art Umkehrschluss, um diese Argumentation zu entschärfen: Ein gebildeter Herrscher wird sich nicht von Habgier und Eroberungslust überwältigen lassen. Deswegen stellen sie immer wieder das Interesse Alfonsos an humanistischen Texten und Praktiken in den Vordergrund, beschreiben ihn als einen Liebhaber klassischer Werke und als einen großen Förderer der humanistischen Bewegung. Einen ihrer Höhepunkte findet diese Umgestaltung Alfonsos von einem aggressiven Eroberer zu einem weisen Tugendkönig in der Schaffung eines Lesezirkels, in dem vor dem König und seinem Gefolge Texte gelesen, emendiert und kommentiert werden. III. Fegefeuer der Eitelkeiten? Das klingt beschaulich, ist es aber nicht. Denn wann immer zwei oder mehr Humanisten aufeinander treffen, scheinen sie sich in die Haare zu kriegen, und der Lesezirkel um Alfonso ist keine Ausnahme. Ein Teil der Forschung liebt es bis heute, diese Streitlust vor allem mit charakterlicher Schwäche zu begründen. „Renaissance humanists“, schreibt etwa Brad S. Gregory, „shared with their scholastic contemporaries an exposure to the dangers of self-satisfied pride and condescension that accompanied advanced learning“.9 Der Urvater dieser Idee ist, wie so oft im Feld der Humanismusforschung, Jacob Burckhardt, der die Streitlust der Humanisten vor allem auf ihren ungezügelten Subjektivismus zurückführte.10 Die folgenden Ausführungen nehmen einen anderen Standpunkt ein, der im Wesentlichen den neueren Forschungen zur humanistischen Streitkultur folgt.11 Insbesondere Johannes Helmrath hat diese Streitkultur für das italienische Umfeld einer sorgfältigen Untersuchung unterzogen.12 Selbst wenn in den Auseinandersetzungen, die hier geschildert werden, einige drama queens der humanistischen Bewegung auftreten, sind diese Auseinandersetzungen nicht allein auf persönliche Rivalität und Idiosynkrasie zurückzuführen. Der Streit zwischen den Humanisten am Hof ist viel7 Ebd. S. 11 f.: „In pervestigandis vero excellentium virorum monimentis, quorum sapientia et doctrina ad vitam beatam et veram felicitatem perducimur, obtorpescunt atque obdormiunt, vitam plerique more pecorum agentes.“ 8 Ebd. S. 14 f.: „Non licuit Italie nostris temporibus ab armis quiescere propter nonnullorum principum aliena rapiendi cupiditatem.“ 9 Gregory, The Unintended Reformation, S. 319. 10 Burckhardt, Die Kultur der Renaissance, S. 268 f. 11 Laureys/Simons, Art of Arguing. 12 Helmrath, Streitkultur.
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mehr Ausdruck eines Richtungsstreits innerhalb der humanistischen Bewegung. Es geht letztendlich um die Gestaltungsmöglichkeiten und Spielräume gelehrter Autorität. Sie zeigen sich besonders deutlich in einem Diskussionsumfeld, das noch nicht von einer einzelnen Autoritätsperson beherrscht wird und noch keinem geregelten Ablauf folgt. Natürlich entscheidet sich eine grundsätzliche Frage wie die nach gelehrter Autorität nicht im Rahmen einer einzelnen Kontroverse. Trotzdem bietet sich der Kreis um Alfonso als ein wichtiger Mikrokontext an, innerhalb dessen sich die Koordinaten humanistischer Diskussionskultur ändern und verschieben. Die Protagonisten des neapolitanischen Humanismus sind seit den 1430er Jahren zwei sehr unterschiedliche und in inniger Feindschaft verbundene Humanisten: Der bereits erwähnte Antonio Beccadelli, genannt Panormita nach der Stadt seiner Herkunft, Palermo, und Lorenzo Valla (1405 – 1457). Beide wurden schon lange vor ihrer Zeit in Neapel verhaltensauffällig, Beccadelli als Verfasser des Hermaphroditus, einer skandalträchtigen Sammlung erotischer Gedichte, Valla als Verfasser eines nicht weniger umstrittenen Dialogs über die Lust als höchstes Gut, De voluptate.13 In beiden Werken testen ihre Autoren die Grenzen humanistischen Schreibens aus, indem sie antike Genres und Denkweisen in gegenwärtige Diskurse einbringen und sie – teilweise heftig – miteinander reagieren lassen. Die humanistische Bewegung zeigt sich hier nicht als Wahrerin oder Wiederbringerin traditioneller Werte, sondern als ihre Herausforderin. Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass Beccadelli und Valla zunächst Verbündete sind. Sie lernen sich im Rom der späten 1420er Jahre kennen und werden gute Freunde. Beccadelli hat in der ersten Version von Vallas De voluptate einen Auftritt als Vertreter der epikureischen Meinung. Aus nicht genauer bekannten Gründen zerbricht diese Freundschaft allerdings im institutionellen Kontext des Mailänder Hofs unter den Visconti. Aus Freunden werden Feinde, die sich unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der humanistischen Bewegung anschließen. Aber auch hier zeigen sich Gemeinsamkeiten. Weder Beccadelli noch Valla gelingt es, ihre jeweiligen Stellungen zu halten. Beccadelli, zum Hofdichter ernannt, wird ebenso aus dem Amt verdrängt wie Valla, der seinen Posten als Leser für Rhetorik an der Universität Pavia räumen muss. Und beide landen schließlich bei Alfonso, der Mitte der 1430er Jahre einen illustren Kreis an Humanisten um sich versammelt. Die Nähe am Hof führt zu einer starken Rivalität zwischen den beiden Humanisten. Es geht nicht nur um das Wohlwollen des Königs, sondern um ihre Stellung am Hof. Die Geschichte ihrer Kontroverse beginnt damit, dass Valla, ein brillanter Latinist, den Lesezirkel des Königs an sich zu reißen droht. Anscheinend gelingt es ihm, durch seine Einwände und Vorschläge die anderen Teilnehmer der illustren Runde zu überstrahlen. Noch besser: Es gelingt ihm, seinen Erzrivalen Beccadelli schlechtzumachen. Wie er voll Freude in einem Brief an Pier Candido Decembrio berichtet, 13
Ich erlaube mir zu verweisen auf Roick, Das Spiel mit der Lust.
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habe er es fertiggebracht, Panormita vor dem König und anderen Anwesenden als ungelehrten Idioten dastehen zu lassen.14 Beccadelli lässt eine solche Schmach natürlich nicht auf sich sitzen. Allerdings greift er Valla nicht direkt an, sondern mit Hilfe eines Verbündeten, des aus Ligurien stammenden Humanisten Bartolomeo Facio (ca. 1400 – 1457).15 Facio soll Hofhistoriograph werden (tatsächlich wird er später eine Geschichte De rebus gestis ab Alphonso I Neapolitanorum rege in zehn Büchern vorlegen), sieht sich aber der Konkurrenz Vallas ausgesetzt, der eine Geschichte König Ferdinands, des Vaters von Alfonso, verfasst. Eben diese Geschichte entwendet Facio aus der königlichen Bibliothek und durchkämmt sie nach Fehlern. Mit großem Erfolg, wie er seinem Freund Beccadelli in einem Brief berichtet: Über fünfhundert Fehler habe er gefunden. Jetzt ist es an Valla, blamiert zu werden. Im Lesezirkel verliest Facio, natürlich ohne Valla vorher zu informieren, ein Best-of aus dessen – angeblichen – Fehlern. Es kommt, wie sollte es anders sein, zum Eklat. Ein wutentbrannter Valla, der seine Geschichte als noch nicht vollendet ansieht, bezeichnet Facio als minutorum minutissimus, also als eine Art geistigen Zwergpinscher.16 IV. Der unmögliche Valla Eine solche Beleidigung kann nicht unbeantwortet bleiben. Facio nimmt sie zum Anlass, eine Reihe von Invektiven gegen Valla zu verfassen, in denen er zum einen die Fehlerhaftigkeit von Vallas Geschichte, zum anderen aber Valla persönlich angreift. In den Augen Facios zeichnet sich Valla durch einen hohen Grad an Arroganz und Herablassung aus. „De te uno quam optime existimans, ceteros omnes contemnis ac negligis“, schreibt er erbost – „allein für dich hast du die höchste Wertschätzung, alle anderen verachtest und ignorierst du“. Nach Facio lasse Valla jede Art angemessenen Verhaltens vermissen. Er unterbreche die Ausführungen seiner Kollegen ohne Rücksicht auf Person, Zeitpunkt und Ort („nullo respectu, nulla ratione persone, loci et temporis habita“). Anlass dieser Bemerkung ist Vallas Verhalten im Lesezirkel des Königs. Dort habe er einen Gelehrten wie Beccadelli beim Dozieren über „ernste und äußerst wichtige Dinge“ („de seriis et maximis rebus“) einfach unterbrochen.17
14
Valla, Epistole, S. 239. „Mihi crede, Candide, non iactantie causa dicam, sed testimonii: feci ut et apud regem et apud ceteros Panormita indoctissimus esse videatur.“ Die Herausgeber datieren den Brief auf 1442 – 43. 15 Allgemein zu Facio vgl. Bentley, Politics and Culture in Renaissance Naples, S. 100 – 108, und Viti, Facio, Bartolomeo. Die neu erschienene Biographie Biagioni, Bartolomeo Facio war mir leider nicht zugänglich. 16 Die Rekonstruktion dieser Vorgänge muss sich im Wesentlichen auf die beiden Darstellungen der Kontrahenten beschränken: Facio, Invective (1446) und Valla, Antidotum (1447). Eine gründliche Beschreibung und Datierung der Vorgänge findet sich in Mariangela Regoliosis magistraler Einleitung zum Antidotum. 17 Facio, Invective, S. 90.
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Vallas Einwürfe sind also keine legitimen Einlassungen, sondern Verletzungen der Etikette; sein Scharfsinn ist Majestätsbeleidigung. Facio wünscht sich ganz offensichtlich einen geordneten Ablauf des Gesprächs mit klaren Hierarchien. Beccadelli, offizieller magister moralis des Königs, hat seiner Meinung nach Vorrang vor den anderen Teilnehmern. Wenn er lese, hätten alle anderen zu schweigen und zuzuhören: „Was unterbrichst du einen zuhöchst gelehrten Mann [wie Beccadelli]? Weißt du denn nicht, dass es Aufgabe der anderen Teilnehmer ist, zu schweigen?“18 Das klingt nach schulmeisterlicher Zurechtweisung, und in der Tat stellt Facio den Lesezirkel nicht als einen Dialog zwischen gleichberechtigten Gesprächspartnern dar, sondern als eine monologische Veranstaltung, in der ein autoritativer Lehrer seine gehorsamen Schüler unterrichtet. Diese Autorität versucht Facio übrigens auch von der politischen Autorität des Königs herzuleiten, wie ein (mehr oder weniger gelungenes) gehörntes Argument aufzeigt: „Entweder du willst wirklich etwas lernen oder du willst belehren. Wenn du etwas lernen willst, hast du zu schweigen, wenn du dagegen etwas zu lehren hast, machst du dich nur lächerlich, willst du doch den belehren, der den König lehrt […].“19 Die Einwürfe Vallas sind also nicht gefragt: „Lerne zu schweigen und halte deine Zunge im Zaum!“20 Allerdings zeigt sich Facio wenig davon überzeugt, dass Valla seinen Ratschlag befolgen wird: „Sicherlich wirst du mir das auf Grund der dir angeborenen Arroganz niemals zugestehen.“21 Das Bild Vallas als eines aufmüpfigen, respektlosen Menschen gewinnt noch weiter an Schärfe, wenn er im Allgemeinen für seinen Umgang mit Autoritäten gescholten wird. Er lasse es an Respekt gegenüber Zeitgenossen wie Leonardo Bruni und Guarino Veronese ebenso fehlen wie gegenüber den Autoritäten der antiken Welt. So habe er versucht, Cicero seine Fehler als Rhetor nachzuweisen, Aristoteles in Sachen Dialektik verworfen, Livius der Unwissenheit beschuldigt und des Boethius Lehre von der Prädestination angegriffen; aus Pavia, wo Valla für kurze Zeit den Lehrstuhl für Rhetorik inne hatte, habe man ihn wegen seiner Kritik an Bartolus de Saxoferrato, dem gefeierten Kommentatoren, verjagt. Selbst vor den Kirchenvätern Hieronymus und Augustinus habe er nicht haltgemacht. Mit einem ursprünglich auf den Satiriker Lukian gemünzten Satz heißt es von Valla, niemand sei vor seiner spitzen Zunge sicher, weder tot noch lebendig. Auch die Motive von Vallas Kritik seien unlauter: „All das tust du nur, um dir, indem du andere schlecht machst, deine eigenen Sporen zu verdienen.“22 An Brisanz gewinnen diese Worte, wenn man weiß, dass Vallas beste Zeit trotz seiner Erfolge im Lesezirkel bereits vorbei ist. Mit der Eroberung Neapels verliert 18 Ebd.: „[…] tu doctissimum hominem […] interrumpes? Nescis, imperite, nescis adstantis officium esse per silentium audire?“ 19 Ebd.: „Aut discere certe vis, aut docere: si discere, silendum est, si docere, ridiculus es, qui eum docere velis, qui regem doceat […].“ 20 Ebd.: „Silere disce et lingue tue frenum adhibe.“ 21 Ebd.: „[…] certe hic nunquam mihi concedes propter innatam arrogantiam tuam.“ 22 Ebd. S. 91: „Denique nec vivo nec mortuo cuique parcis, scilicet in id studens, ut tibi ex aliena vituperatione laudem vendices.“
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er an politischem Wert. Nicht mehr die polemischen Ausfälle gegen Alfonsos Gegner, allen voran gegen den Papst, sondern die Schaffung des alfonsinischen Mythos steht jetzt im Vordergrund. Valla verliert zwar nicht die Gunst des Königs, büßt aber einen Teil seines Schutzes ein; 1444 wird er sogar von der Inquisition angeklagt.23 V. Das Recht auf Fragen Dementsprechend ernst nimmt Valla die Angriffe von Facio und Beccadelli. Während er mit anderen Gelehrten um Lob und Ruhm ringe, schreibt er in einer eigens verfassten Invektive, dem Antidotum in Facium, führe er gegen Facio und Panormita einen Kampf auf Leben und Tod, bei dem es um seine Freiheit gehe.24 In seiner Invektive weist Valla in aller Schärfe den Vorwurf philologischer Inkompetenz zurück und nimmt sich viel Zeit, um Beccadelli genau diese Art von Inkompetenz nachzuweisen. Auch was seinen Charakter angeht, dreht er den Spieß um: Facio und Beccadelli seien nicht die Opfer seiner Unverschämtheit, sondern Täter: Sie würden sich eine höhere Position am Hof anmaßen, nicht er. Dabei trennt Valla sehr genau zwischen der großen Autorität des Königs („magna dignitas“) als König („cum fungitur regio munere“) und der, die ihm als Lernender zukomme („cum litteras discit“). Alfonso habe selbst zugegeben, nicht genügend Gelehrsamkeit zu besitzen („non satis doctum esse“). Demzufolge verleihe der Titel des magister moralis Beccadelli keinerlei Autorität als Gelehrter. Auch das ihm auferlegte Schweigegebot will Valla – wie von Facio bereits vorhergesagt – nicht akzeptieren. Grund dafür ist allerdings nicht seine Arroganz. Lernen, argumentiert Valla mit einer Zeile aus den Briefen des Horaz, sei immer auch ein Prozess der Befragung: „Bei allem Tun und Treiben lies die Lehrer der Weisheit und befrage sie […].“25 Diesen Ratschlag nimmt Valla wörtlich und besteht auf der Notwendigkeit und auch dem Recht des Schülers, seinem Lehrer Fragen zu stellen. Allem Anschein nach stimmt diese dialogische Form mit den tatsächlichen Praktiken des königlichen Lesezirkels überein. Valla berichtet jedenfalls, dass auch der König und seine Gefolgsleute das Gespräch unterbrochen hätten; mehr noch, sie hätten die gelehrten Teilnehmer zu Widerspruch angestachelt.26 Valla kommt demnach zum Schluss, dass er – wie jeder andere Zuhörer oder Schüler – das gute Recht gehabt habe, während der Lesestunden des Königs Fragen zu stellen – und sogar mit der Antwort des Lehrers unzufrieden zu sein!27
23
Dieser Punkt ist in aller Deutlichkeit von Fubini, L’umanesimo italiano, insbesondere S. 161, herausgearbeitet worden. 24 Valla, Antidotum, S. 326: „Certabo itaque cum illis tanquam in palestra de laude et gloria, vobiscum vero tanquam in acie de vita et libertate.“ 25 Horaz, Briefe, Ep. 1.18.96, S. 193: „Inter cuncta leges et percontabere doctos […].“ 26 Vgl. z. B. Valla, Antidotum 4.1.40. 27 Vgl. ebd. S. 309 f.
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Damit setzt sich Valla in seiner Selbstverteidigung für ein Modell intellektuellen Austausches ein, das wesentlich kompetitiver als das hierarchische Modell Facios gestaltet ist. Trotzdem erkennt auch er den engen Zusammenhang an, der zwischen Gelehrsamkeit und der eigenen sozialen Stellung besteht. Er wird insofern nicht müde zu betonen, wie viel Lob er für seine Interventionen im Lesekreis eingefahren hat, um damit seine eigene Position zu untermauern. Was ihn dagegen von Facio unterscheidet, ist sein klares Verständnis von sozialem Status einerseits und gelehrtem Verdienst andererseits. Aus Vallas Sicht verdanken sich Facios und Beccadellis Angriffe unter die Gürtellinie vor allem der Tatsache, dass sie ihm im philologischen Bereich einfach nicht gewachsen sind.28 VI. Facio und das gelungene Leben Die verschiedenen Modelle gelehrten Umgangs, die Valla und Facio vorlegen, finden sich auch in ihrem Werk wieder. Sie betreffen nicht nur den Charakter und das Verhalten von Gelehrten, sondern auch den Stil philosophischen Schreibens. Valla sieht die Philosophie als eine Suche nach Wahrheit an, die eine Kritik an Autoritäten ermöglicht und erfordert. Facio und Panormita stehen dagegen weniger für das aggressive Angehen der Tradition als für ihre Pflege. Ihrer Meinung nach ist es nicht die Aufgabe des Philosophen, die Traditionen zu zerpflügen, in denen er steht; er nähert sich ihnen vielmehr durch ständiges Reformulieren und Bestätigen an. Am deutlichsten sichtbar wird dieser Unterschied in einer zweiten Auseinandersetzung zwischen Valla und Facio, ihrem Streit um Facios Dialog De humanae vitae felicitate, geschrieben zwischen Juli und Dezember 1445. Facios Dialog stellt eine bewusste Antwort auf Vallas bereits erwähnten Dialog De voluptate dar. Deswegen ist es notwendig, zunächst einen kurzen Blick auf De voluptate zu werfen. Eine erste Fassung dieses Dialogs erscheint 1431 in einer römisch-florentinischen Fassung, mit Leonardo Bruni, Beccadelli (damals noch Busenfreund Vallas) und Niccolò Niccoli als Unterrednern. Ab 1433 zirkuliert allerdings eine zweite Fassung unter dem Titel De vero bono, die im Ambiente des Mailänder Humanismus angesiedelt ist. Vallas Dialog diskutiert die Frage nach dem höchsten Gut in drei Teilen. Auf eine recht kurz gehaltene ,stoische‘ Rede folgt ein ausführlich gehaltener ,epikureischer‘ Beitrag, der die Lust als das höchste Gut menschlichen Handelns darstellt. Eine dritte Position wird vom ,christlichen‘ Unterredner vertreten, der die vorangegangenen Beiträge in eine christliche Vision des höchsten Gutes aufhebt. Der epikureische Mittelteil des Dialogs ist sicherlich der umstrittenste. Hier wird gegen stoische und aristotelische Lehren polemisiert, mit dem Ziel, die Lust als höchstes Gut zu rehabilitieren: „Nicht eine Hure unter keuschen Ehefrauen wird sie sein“, heißt es dort, „sondern eine Herrin über ihre Dienerinnen.“29 Der epikureische Unterredner schöpft das Potential dieser These voll aus, um herrschende Moralvorstellungen 28 29
Ebd. S. 327. Valla, Von der Lust, S. 94.
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über Ehe und Tugend, Ruhm und Ehre zu unterlaufen und, wenn möglich, zu entlarven. Facio setzt nun einen bewussten Kontrapunkt zu Vallas Dialog. Im Gegensatz zu Vallas gewagten Thesen geht es Facio um eine mit der Tradition konform gehende Behandlung des Themas. Er stellt sich selbst als einen Denker dar, der sein Werk weniger auf Grund seines bescheidenen Talents und seiner geringen Gelehrsamkeit („ingenio vel doctrina, quae sentio in me quam sit exigua“), sondern durch göttlichen Beistand („potius divina ope“) fertig gestellt habe. Zudem versichert er seine Leser, er habe seine eigenen Gedanken durch die Meinungen der weisesten Männer und die Tradition göttlich inspirierter Männer bestätigt („Ego tamen totam opinionem meam ex hominum sapientissimorum sententiis et divinitus inspiratorum traditione confirmavi.“). Facio erscheint somit als charakterlicher Gegenentwurf zu Valla.30 Facios Dialog selbst besteht aus zwei Teilen. In einem ersten Teil diskutieren Guarino Veronese und sein Schüler Giovanni Lamola eine lange Liste möglicher Kandidaten für ein gelungenes Leben auf Erden – Reiche, Fürsten und Könige, mächtige Bürger, Höflinge, Soldaten, Priester, Humanisten. Lamola schlägt jeweils einen Kandidaten vor, während Guarinos Rolle vorwiegend darin besteht, die Vorschläge seines Schülers zu verwerfen. Dementsprechend endet Buch I in aporetischer Manier; eine weitere Diskussion des Themas sei notwendig. Diese Diskussion wird dann in Buch II geführt, das sich mit den Meinungen der Philosophen und Theologen auseinandersetzt. Ausgerechnet Beccadelli, in der ersten Version von Vallas De voluptate Unterredner der Lust, tritt hier auf, um die körperliche Lust als schlimmste Geißel des Menschen zu bezeichnen und die fruitio Gottes als höchstes Ziel des Menschen zu preisen – beides Aussagen, die diametral zu Vallas kontroversen Positionen in De voluptate stehen.31 Damit bewegt sich Facio entlang der traditionellen Lehre und nimmt zugleich Themen auf, die wesentliche Anklagepunkte der Inquisition gegen Valla betreffen: Auf keinen anderen Punkt als die voluptas und die Verwischung von voluptas und fruitio wurde dort mehr eingegangen.32 Auch scheint die Bestätigung des honestum als höchstes Gut (das Beccadelli als decus bezeichnet) bei aller Geläufigkeit im philosophischen Kontext der Zeit in direkter Opposition zu Vallas Ausführungen geschrieben zu sein.33 Mit dieser Reaffirmation des honestum werden – zumindest oberflächlich – alle Versuche Vallas in De voluptate zunichtegemacht, das honestum als einen Scheinbegriff zu entlarven, der letztendlich auf dem Begriff der Lust basiert. Während Valla versucht hatte, seine Leser mit einer christlich-epikureischen Sicht der Dinge dazu zu bewegen, Grundbestandteile traditioneller Moral- und Glaubensauffassungen in Frage zu stellen, 30
Facio, De humanae vitae felicitate, S. 46. Die Kritik an der Lust legt Beccadelli dem Pythagoreer Archytas von Tarent in den Mund und folgt dabei Cicero, De Senectute, 12.39, S. 38: „Nullam capitaliorem pestem quam voluptatem corporis hominibus dicebat a natura datam […].“ 32 Vgl. Zippel, La ,Defensio quaestionum in philosophia‘. 33 Facio, De humanae vitae felicitate, S. 133. 31
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kehrt Facio mit seinem Dialog zu einer wesentlich konservativeren Sicht der Dinge zurück, die gerade diese Grundbestandteile bestätigt. VII. Jasager und Neinsager Valla war klug genug, Facio nicht auf inhaltlicher Ebene anzugreifen, sondern seine Gestaltung des Dialogs ins Visier zu nehmen. „Wie mir zu Ohren gekommen ist“, schreibt ein beleidigter Facio in seiner Invektive gegen Valla, „kritisierst du mich dafür, den Unterrednern in meinem Dialog nicht mehr Widerspruchsgeist zuzugestehen [,collocutores non fecerim sepius repugnantes‘], und insbesondere, dass die Figur des Lamola zu leicht klein beigebe [,facilis sit in assentiendo‘]“.34 Tatsächlich handelt es sich bei Lamola, so wie er in Facios Dialog dargestellt ist, um einen notorischen Jasager. Anders als bei Valla, der seinen Lesern eine bunte Vielfalt an Masken präsentiert, hält Facio seine theoretische Fiktion in Schwarzweiß. Die gewollte Unzweideutigkeit des Dialogs führt ihn in eine literarische Zwickmühle: Die unbestreitbare Autorität des Lehrers Guarino wie der unbedingte Gehorsam seines Schülers Lamola untergraben in fataler Weise die dialogische Struktur des Werks. Zu seiner Verteidigung bringt Facio den Charakter des wirklichen Lamola in Spiel. Weil er von Natur aus willfährig und nicht hartnäckig sei („Lamolam natura facilem et non pertinacem esse“), hätte es gegen das literarische decorum verstoßen, seine Figur aggressiver zu gestalten.35 Ebenso, fügt Facio hinzu, wäre es ein Verstoß gegen das decorum gewesen, Valla als Unterredner einzusetzen, hätte er doch Guarino auch nach hunderttausend Malen nicht recht gegeben. Für Facio ist Valla ein unerträglicher Neinsager. Zudem sei es für Lamola als Schüler Guarinos nicht angemessen, seinem Lehrer zu widersprechen.36 Für solche Argumente hat Valla in seinem Antidotum nur Spott übrig. „Weißt du überhaupt, was eine Auseinandersetzung (disputatio) ausmacht?“, fragt er Facio und antwortet: „Das gleiche, was einen Kampf (certamen) ausmacht: entweder du kämpfst mit aller Kraft, oder du ziehst erst gar nicht in die Schlacht.“37 In einem Dialog wähle man eben nicht das Argument in Abhängigkeit von der Person des Vortragenden, sondern die Person des Vortragenden gemäß dem vorzubringenden Argument.38 Die Wahl, den Dialog auf Lehrer und Schüler zu stützen, sei demnach von Anfang an verfehlt gewesen. Valla macht sich dementsprechend über den philosophischen Stil Facios lustig. Bei ihm werde nicht mit Gründen, sondern mit weit herge-
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Facio, Invective. S. 108. Ebd. S. 108. 36 Ebd. S. 108 f. 37 Valla, Antidotum, S. 189 f. 38 Ebd. S. 189. „quid magis decoro contrarium quam eam personam facere disputantem que disputare aut nesciat aut nolit.“ 35
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holten Autoritäten, nicht mit Argumenten, sondern fragwürdigen Zeugen, nicht mit Beweisen, sondern plumpen Beispielen diskutiert.39 Mit dieser Kritik an Facios ,monologisch‘ angelegtem Dialog ordnet sich Valla selbst in eine Tradition humanistischen Denkens ein, die disputativ verfährt. Die innovative Kraft der frühen humanistischen Bewegung hatte sich nicht zuletzt aus ihrer Fähigkeit gespeist, gegen traditionelle Formen der Gelehrsamkeit zu polemisieren, antidogmatisch zu verfahren und ihre Wahrheitskämpfe in einer öffentlichen Arena auszutragen. Facio lehnt diese Herangehensweise explizit ab. Sein Dialog ist weder offen noch lebendig. Lamola wagt es nicht, seinem Lehrer zu widersprechen, besonders dann nicht, wenn es um die Frage der Lust geht („non audeo multum refragari opinioni tuae, praecipue hac in parte ubi de voluptate fit mentio“). Guarino begrüßt diese Einstellung. Er lobt Lamola dafür, sich nicht hartnäckig gegen die Wahrheit zu wenden („nunquam contra veritatem pertinaciter contendis“).40 Natürlich ist es kein Zufall, dass diese Worte ausgerechnet im Kontext der epikureischen Lehre fallen – es handelt sich um einen klaren Seitenhieb auf Valla. VIII. Schlussbemerkung Was sich in der Frühphase des neapolitanischen Humanismus zeigt, ist somit eine Verschiebung von einer offenen, dialogischen Form zu einer eher geschlossenen, monologisch gehaltenen Form der Rede und des Denkens. Die Perspektive auf Tradition und Innovation innerhalb der humanistischen Bewegung ändert sich entscheidend: Während Valla als Neinsager für einen radikalen und disruptiven Ansatz steht, der sich der klassischen Antike auf Augenhöhe annähert, stehen Facio und Beccadelli als Jasager für einen eher konservativen, hierarchischen Humanismus, der sich gegen zu radikale Formen der Innovation wendet. Man könnte sagen, dass sich mit ihnen ein neuer philosophischer und erzieherischer Mainstream bildet, der auf die aggressiveren Elemente humanistischen Denkens verzichtet und so – nur halb anachronistisch gesprochen – den Weg in die Institutionen vorbereitet. In einer kurzfristigen Perspektive bestätigt sich diese Weichenstellung in der Person Giovanni Pontanos. Mit seinen moralphilosophischen Traktaten nimmt er wesentliche Elemente der aristotelischen Tradition und speist sie in einen humanistischen Diskurs ein. Seine enge Anbindung an Facio und vor allem an Beccadelli zeigt sich in dem Versuch, eine lateinische Philosophie zu entwerfen, die es nicht auf eine Befragung der Tradition, sondern auf ihre Bestätigung anlegt. Auch Pontanos Rolle in seinem Umfeld kommt der Gestalt des Lehrers, der unterrichtet, während alle anderen schweigen, recht nahe. Und doch ist seine ,Akademie‘ ambivalenter zu sehen, als es diese Bemerkungen vermuten lassen. Nicht ohne Grund sind seine Dialoge für ihre Lebhaftigkeit berühmt, und Ende des Jahrhunderts wird es zu einer 39 Ebd. S. 194: „[…] non rationibus, sed longe accersitis auctoritatibus, non argumentis, sed nugatoriis testimoniis, non epicherematis, sed exemplis […].“ 40 Facio, De humanae vitae felicitate, S. 61 f.
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freundschaftlichen Auseinandersetzung mit Egidio von Viterbo kommen, dem späteren Generalprior der Augustiner-Eremiten. Pontanos Dialog Aegidius legt Zeugnis von diesen Diskussionen ab.41 Ein Funke Valla ist auch bei Pontano vorhanden. Die Polemiken, die sich innerhalb des frühen neapolitanischen Humanismus abspielen, entscheiden somit nicht das Schicksal aller zukünftigen Akademien. Institutionalisierung ist nicht automatisch Domestizierung, auch wenn die Herausbildung eines neuen intellektuellen Mainstreams im Sinne von Pontanos lateinischer Philosophie einer solchen Institutionalisierung sicherlich Vorschub leistete. Was die Streitigkeiten zwischen Facio, Beccadelli und Valla dagegen beispielhaft aufzeigen, ist ein Spannungsreichtum und Spektrum an Spielarten von intellektueller Zusammenkunft, die auch die spätere Entwicklung europäischer Gelehrtenkulturen kennzeichnen werden. Quellen und Literatur Quellen Cicero (Marcus Tullius Cicero): De senectute, in: Cicero: De senectute/De amicitia, ed. Guerino Pacitti, Mailand 1965. Facio, Bartolomeo: De humanae vitae felicitate, in: Felino Maria Sandeo: De regibus Siciliae et Apuliae […], Hanau 1611, S. 106 – 147. Facio, Bartolomeo: Invective in Laurentium Vallam, ed. Ennio I. Rao, Neapel 1978. Horaz (Quintus Horatius Flaccus): Briefe, in: Horaz: Sämtliche Werke, ed. Hans Färber/Wilhelm Schöne, Darmstadt 1982, S. 134 – 229. Poggio Bracciolini, Gian Francesco: De infelicitate principum, ed. Davide Canfora, Rom 1998. Pontano, Giovanni: Aegidius. Dialogo, ed. Francesco Tateo, Rom 2013. Valla, Lorenzo: Antidotum in Facium, ed. Mariangela Regoliosi, Padua 1981. Valla, Lorenzo: Epistole, ed. Ottavio Besomi/Mariangela Regoliosi, Padua 1984. Valla, Lorenzo: Von der Lust oder Vom wahren Guten, ed. Peter Michael Schenkel, München 2004.
Literatur Beer, Susanna de: The Roman Academy of Pomponio Leto: From an Informal Humanist Network to the Institution of a Literary Society, in: Arjan van Dixhoorn/Susie Speakman Sutch (Hrsg.): The Reach of the Republic of Letters. Literary and Learned Societies in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden/Boston 2008, Bd. 1, S. 181 – 218. Bentley, Jeremy: Politics and Culture in Renaissance Naples, Princeton 1987. Biagioni, Marco: Bartolomeo Facio. Umanista spezzino (1400 – 1457), La Spezia 2011. Burckhardt, Jacob: Die Kultur der Renaissance in Italien, hrsg. von Horst Günther, Frankfurt 1997. 41
Pontano, Aegidius; Tateo, Egidio da Viterbo.
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Disputieren
Politikberatung aus dem Hörsaal? Die Disputationen des Angelo degli Ubaldi (1385 – 1394) Von Thomas Woelki Angelo di Francesco degli Ubaldi († 1400) gehört sicher zu den herausragenden Juristen des 14. Jahrhunderts. Seine Werke wurden bis weit in die frühe Neuzeit immer wieder abgeschrieben, gedruckt und tausendfach zitiert. Seine Sigle „Ang.“ war in Kommentarwerken und Traktaten des 15. und 16. Jahrhunderts fast allgegenwärtig und rangierte nach seinem verehrten Lehrer Bartolus und seinem älteren Bruder Baldus auf dem dritten Rang unter den Legisten des 14. Jahrhunderts.1 Dennoch ist die Lebensgeschichte Angelos nur bruchstückhaft bekannt.2 Die umfangreichste zusammenhängende Darstellung stammt noch von Giambattista Vermiglioli (1829!), der letzte Katalog seiner Werke von Friedrich Carl von Savigny (1850), freilich zu ergänzen durch das Handschriftenverzeichnis bei Dolezalek (1972).3 Ein kurzer Artikel von Carla Frova im neuen opulenten Dizionario Biografico dei Giuristi Italiani stellt zwar einige neuere biographische Erkenntnisse zusammen, vor allem aus der Peruginer Regionalgeschichte, gibt jedoch nur einen kurzen
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Zu Angelo di Francesco degli Ubaldi im Überblick: Vermiglioli, Biografia degli scrittori, Bd. 1, S. 95 – 108; Savigny, Geschichte des römischen Rechts, Bd. 6, S. 249 – 255; Scalvanti, Notizie e documenti, S. 278 – 298; Padovani, Studi Storici, S. 305 – 309, 658 s. v.; Frova, Angelo degli Ubaldi sr.; Woelki, Angelo di Francesco degli Ubaldi. Durch die häufig in den Handschriften und Drucken anzutreffenden unscharfen Bezeichungen ,Angelus de Ubaldis‘ bzw. ,Angelus de Perusio‘ besteht Verwechslungsgefahr mit Angelo di Alessandro degli Ubaldi († 1490; vgl. Belloni, Professori giuristi, S. 128 – 131; Frova, Angelo degli Ubaldi sr., S. 68), dem Enkel des hier behandelten Angelo, und mit Angelo di Giovanni Perigli da Perugia († 1447; vgl. Panzanelli Fratoni/Treggiari, Angelo di Giovanni Perigli da Perugia; Woelki, Angelo Perigli). Die Bezeichnung ,Angelus‘ kann in seltenen Fällen auch Angelo Gambiglioni d’Arezzo († 1461; zu diesem Maffei/Maffei, Angelo Gambiglioni, Giureconsulto; Maffei, Angelo Gambiglioni) oder Angelo da Castro († 1477; zu diesem Quaglioni, Angelo di Castro), Sohn des berühmten Paolo da Castro († 1441), meinen. 2 Vgl. Maffei, Un privilegio dottorale, hier S. 162: „l’alone di mistero che ancor lo circonda“. Die von Vittorio Valentini bereits 1985 angekündigte Biographie ist nicht erschienen; siehe Valentini, „Liber recordationum“, S. 24, Anm. 72 mit der Ankündigung einer „ricerca in proposito, già quasi ultimata, in uno studio a parte“. Biographisches Material enthält aber auch dessen Studie: Valentini, L’ordine degli apparati. 3 Vermiglioli, Biografia degli scrittori, Bd. 1, S. 95 – 108; Savigny, Geschichte des römischen Rechts, S. 249 – 255; Dolezalek, Verzeichnis der Handschriften, Bd. 3, s. v.
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Überblick über die Werke.4 Forschungen zu Angelos Leben und Werk bleiben ein Desiderat. Die disputationes sind bislang nie untersucht worden; selbst eine bloße inhaltliche Paraphrase wäre etwas Neues. Um nicht hierbei stehenzubleiben und vielleicht auch dem Ziel einer typologischen Annäherung an gelehrte Kulturtechniken zumindest im Ansatz gerecht werden zu können, wird hier versucht, die Texte unter einer politischen Perspektive zu lesen. Denn dass spätmittelalterliche Juristen ,Politikberatung‘ betreiben und sich als Politiker gerieren, ist altbekannt und nicht originell.5 Doch dass sie dies durch ihre Disputationen tun würden, wäre eine kühne und vielleicht vermessene Behauptung. Die Disputationen oder quaestiones disputatae sind reine Universitätsveranstaltungen, die mit der realen Welt der Fürsten und Kommunen eigentlich nichts zu tun haben.6 In den Disputationen präsentiert sich der Jurist nicht als Politiker.7 In ihnen verarbeitet er praktische Probleme (real oder fiktiv) durch sein System von überzeitlichen, unveränderlichen, ja heiligen Rechtsfiguren, dogmata iuris.8 Politikberatung betreibt der Jurist eigentlich in anderen Texten, den Traktaten und vor allem den Consilia, im 15. Jahrhundert die Hauptmasse juristischer Textproduktion.9 Man denke nur an die zahlreichen Consilia und Traktate der Schisma- und Konzils4
Frova, Angelo degli Ubaldi sr. Verwiesen sei die umfangreiche Forschung zu den „gelehrten Räten“; Literaturüberblicke bei Woelki, Lodovico Pontano, S. 14 – 17; Daniels, Diplomatie, S. 15 – 22; Landois, Gelehrtentum, S. 2 – 4. Für den Bereich der italienischen Kommunen grundlegend die klassische Studie von Martines, Lawyers and Statecraft. Die davon ausgehenden Forschungsimpulse erschließen die Beiträge in: Armstrong/Kirshner, Politics of Law; darin bes. die aktualisierte Einordnung: Kirshner, Critical Appreciation. 6 Zur juristischen Gattung ,Disputatio‘ siehe überblicksartig: Horn, Legistische Literatur, S. 333 – 335; Fransen, Questions disputées; Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 385 – 394, und künftig de Boer, Art. ,Disputation, quaestio disputata‘. Für die legistischen Disputationen einführend: Bellomo, Legere, repetere, disputare, S. 30 – 32, Anm. 35 mit der älteren Literatur; Belloni, Questioni civilistiche; Bezemer, Quaestiones. Vgl. darüber hinaus die zahlreichen Arbeiten von Bellomo, welche sich um die ,Libri magni quaestionum‘ ranken: Bellomo, Legere, repetere, disputare; Factum proponitur; Due libri magni; I fatti; Bellomo/ Martinoli, Quaestiones. Zu den frühen Disputationen: Kantorowicz, Quaestiones. Zu den kanonistischen Disputationen: Landau, Quaestionenforschung. 7 Vgl. die Einschätzung des bekannten Rechtshistorikers und besten Kenners der legistischen Disputationen Bellomo, in: Bellomo/Martinoli, Quaestiones, S. XXX: „Il giurista che si muove fra i libri legales (ius commune) e le normative locali (iura propria) è certo un intellettuale che appartiene alla polis, ma nel suo operare quotidiano, da professore o da colto attore della prassi giuridica, non parla di politica, non agisce da politico o per ragioni politiche, anche se conosce bene quale rilevanza politica ha la sua professionalità e quale ruolo gli è consentito per la sua posizione di docente e di consulente, e anche se gli echi di eventi politici o di interessi ecclesiastici e mondani sono spesso incombenti perché intrinseci alle problematiche affrontate.“ 8 Dazu jetzt zusammenfassend: Bellomo, Elogio delle regole, v. a. S. 25 f., 34 f. 9 Zur politischen Publizistik durch Consilia vgl. die exemplarische Zusammenstellung bei Lange, Recht und Macht. Zur politischen Funktion in italienischen Kommunen des 13. Jahrhunderts: Menzinger, Giuristi e politica und Menzinger, Consilium sapientum. Zur Gattung vgl. den Überblick bei: Ascheri, I consilia. 5
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zeit oder zur Pazzi-Verschwörung in Florenz.10 Die (allgemein-)historische Forschung hat die Bedeutung dieser rechtshistorischen Quellen seit langem betont, die exegetischen und didaktischen Rechtstexte jedoch weitgehend ignoriert.11 Zusammen mit Notariats- und Prozessakten scheinen Consilia und Traktate eine ,gelebte Rechtswirklichkeit‘ zu erschließen, welche von der universitären Theorie trennbar erscheint.12 Warum soll die politische Perspektive also für die Analyse der universitären Disputationes fruchtbar sein? Drei Überlegungen ließen diese Hypothese dennoch vertretbar erscheinen: 1. Die Aussagen über die Gattung quaestio disputata oder disputatio stützen sich bislang fast ausschließlich auf Texte des 12., 13. und frühen 14. Jahrhunderts. Die Fortentwicklung der Gattung im späten 14. und im 15. Jahrhundert ist weitgehend unklar. 2. Die Lebensgeschichte des Angelo degli Ubaldi ist für einen Starjuristen des 14. Jahrhunderts ausgesprochen abenteuerlich. Er war quasi ununterbrochen in politische Konflikte involviert, wurde mehrfach verbannt und vertrieben und sorgte seinerseits für diplomatische Verwicklungen. Eine Annäherung an seine Texte sollte fast schon zwangsläufig das Politische zumindest nicht beiseitelassen. 3. Die Disputationen behandeln zum Teil aktuellste politische Themen: In Padua disputiert Angelo 1385 über den wenige Wochen zurückliegenden Italienzug des Enguerrand de Coucy und 1386 über den gerade laufenden Krieg des Herren von Verona Antonio della Scala gegen Francesco Carrara, den Herrn von Padua; in Bologna über den gerade ruhenden Krieg der verbündeten Florentiner gegen Gian Galeazzo Visconti, den Herrn von Mailand. Waren das Ausnahmen, gelegentlich eingestreute Illustrationen vielleicht, oder gehörte das Politische vielleicht doch zum Genre der Universitätsdisputation und zum Bild des Universitätsprofessors? Meinen drei Vorüberlegungen folgend versuche ich also eine dreifache Einordnung der Texte: 1. in das Genre, 2. in die Lebensgeschichte und 3. in die historischen Kontexte. I. Disputationen im Spätmittelalter Die zivilrechtlichen Disputationen hatten ihre große Zeit unzweifelhaft im 13. Jahrhundert. Die Pflicht jedes Rechtsprofessors, in regelmäßigen Abständen zu disputieren, ist erstmals 1252 in den Bologneser Statuten greifbar und gehörte 10
Für die Schismazeit exemplarisch: Walther, Baldus als Gutachter. Zu den „Traktatschlachten“ im Umfeld der Konzilien von Konstanz und Basel: Walther, Konziliarismus; Woelki, Lodovico Pontano, S. 223 – 241. Die Publizistik aus dem Umfeld der Pazzi-Verschwörung erschließt jetzt: Daniels, La congiura. 11 Zur privilegierten Stellung der Consilia bei (Allgemein-)Historikern siehe Ascheri, Diritto comune, S. 19. 12 Vgl. die massive Kritik an einer solchen selektiven Bearbeitung rechtshistorischer Quellen von Bellomo, Elogio delle regole, S. 49 – 51. Vgl. auch seine Kritik an der historischen Consilia-Forschung: Bellomo, I fatti, S. 466. Zur Benutzung juristischer Quellen außerhalb der rechtshistorischen Forschung vgl. Ascheri, I consilia, S. 305 f.
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fortan zum festen Inventar der universitären Lehre.13 Zu den disputationes in scholis, vorlesungsbegleitenden Übungen für die eigenen Studenten, kamen die disputationes publicae, die sich an die ganze Universität richteten.14 Für den Professor waren dies hervorragende Gelegenheiten zur Darstellung der eigenen Brillanz, Dreh- und Angelpunkte des gelehrten Prestiges. Die Texte wurden systematisch gesammelt und im 14. Jahrhundert zu libri magni disputationum zusammengebunden.15 Vollständige Inhaltsangaben solcher libri magni liegen vor und zeigen, dass die hier behandelten Fragen durchaus lebendig und anschaulich, aber nicht politisch waren.16 Sehr beliebt waren Probleme aus der unmittelbaren Lebenswelt der Studenten wie etwa die zeitlose Frage, ob ein Student, dessen Leibesfülle gleich zwei Plätze im Auditorium blockiert, den doppelten Preis bezahlen müsse.17 Die meisten dieser Disputationen waren kurz und füllten häufig nicht mehr als eine Seite. Dies schien sich spätestens in der Mitte des 14. Jahrhunderts zu wandeln. Die öffentlichen, also feierlich vor der gesamten Universität vorgetragenen Disputationen wurden länger, gelehrter, ausgefeilter. Sie behandelten nicht nur eine Frage, sondern auch vielfältige Anschlussfragen, die sich aus dem Ausgangsproblem ergaben. Völlig unklar ist bislang, ob es sich hier um nachträglich ins Reine geschriebene Ergebnisse einer nach wie vor wie im 12. Jahrhundert aufgeführten Disputation handelte, bei denen der Magister nur das Thema vorgab und dann den Streit entschied, die Argumente aber von den Studenten vorgebracht wurden, von denen einer die Rolle des opponens übernahm, der andere als respondens dagegenhielt.18 Wenn wir aber die Textüberlieferung und die Kolophone ernst nehmen dürfen, war die Lehrveranstaltung im 14. Jahrhundert zum monologisierenden Kampf des Professors mit sich selbst geworden. Ein Beispiel: Unter der von Angelo degli Ubaldi in
13 Fransen, Questions disputées, S. 234; Belloni, Questioni civilistiche, S. 3. Zu den Pflichtdisputationen vgl. auch Bellomo, I fatti, S. 330, 336, 385. Eine umfassende Zusammenstellung der einschlägigen Statuten liefert: Montanos Ferrín, „Quaestiones Disputatae“. 14 Bellomo, Factum proponitur, S. 4 – 6 mit Verweis auf die Bologneser Statuten von 1274; Bellomo, I Fatti, S. 342 – 345; Bellomo/Martinoli, Quaestiones, S. XV. 15 Vor allem die von Manlio Bellomo in den 1960er Jahren entdeckten Sammlungen: Vatikan, BAV, Archivio S. Pietro A.29 und Chigi E.VIII.245; daneben: Rom, BN, Vitt. Emanuele 1511; Bologna, Collegio di Spagna, 109 (URL: http://irnerio.cirsfid.unibo.it/codex/109/); Cordoba, Bibl. de la Catedral, 108; Paris, BN, lat. 4489; Leipzig, UB, 992. Zu den ,Libri magni‘: Bellomo, Legere, repetere, disputare; Factum proponitur; Due libri magni; I fatti; Bellomo/Martinoli (mit Inhaltsangaben der ,Libri magni quaestionum‘). Vgl. auch Fransen, Questions disputées, S. 235. 16 Bellomo/Martinoli, Quaestiones. 17 Paris, BN, nouv. acquis. lat. 2443, fol. 134vb; zit. bei Fransen, Jean le Teutonique, S. 46; vgl. Condorelli, Giuristi vescovi, S. 219. 18 Zur Disputationspraxis an juristischen Fakultäten und zum Grundmodell: Bellomo, Legere, repetere, disputare, S. 24, 40 – 46; Fransen, Questions disputées, S. 232 f., 241 f.; Horn, Legistische Literatur, S. 333 f.; Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 388; Bellomo, I fatti, S. 355 – 384.
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Padua disputierten Quaestio In sacro Cesaris consistorio, einem Erbrechtsstreit, der angeblich einmal Thema am Kaiserhof gewesen sei, steht Folgendes: Disputata fuit hec questio publice in honorabili et magnifico studio Paduano per dominum Angelum de Perusio legum doctorem secundum ordinem vigentem in studio supradicto, sub quo respondit baccalarius iuris civilis dominus Christophorus de Vicentia ad laudem et gloriam […] Anno domini M8ccc. lxxxv mense aprilis.19
Eine solche öffentliche Disputation hatte nach den Paduaner Statuten jeder Professor zwischen Weihnachten und Himmelfahrt zu halten.20 Es gibt auch einen respondens: der baccalarius Christofero da Vicenza, offenbar ein fortgeschrittener Student im Zivilrecht, aber keinen opponens. Stritt nun der Meister öffentlich mit dem Studenten? Das wäre ein unfairer Kampf gewesen, zumal von den vier aus Angelos Zeit in Bologna bekannten Respondenten nur zwei unmittelbar vor dem Examen standen, während die beiden anderen ihr Studium erst Jahre später abschlossen, wie wir sogleich sehen werden. Normalerweise enden die Texte in den Handschriften und Drucken mit einem solchen Kolophon und liefern keine weiteren Hinweise auf die mündliche Disputationspraxis. Auch in der hier zitierten Handschrift (Leipzig, Universitätsbibliothek, Hänel 15, fol. 60r) folgt sogleich die nächste Quaestio Renovata guerra.21 In der Vatikanischen Handschrift Vat. lat. 10726 aber steht unter der Quaestio Bononiensis sua civitate bannitus die im Kolophon bereits angekündigte Äußerung des Respondenten Ugolino da Fano, eines Bologneser Studenten Angelos, der im gleichen Universitätsjahr zum Doctor legum promoviert wurde.22 Der zehn Zeilen kurze Texte betrifft eher eine Detailnachfrage als einen kritischen Einwand. Daraufhin antwortet der Meister selbst und klärt die Sache auf. Die Rolle des Respondenten war, zumindest nach dem Augenschein dieser Überlieferung, auf die Rolle eines Coreferenten oder Diskutanten beschränkt. Die disputatio selbst hielt der Meister allein.23 Inhaltlich und funktional nähern sich die disputationes damit massiv den öffentlichen Repetitionen an, bei denen der Professor vielfältige Problemstellungen eines 19
Leipzig, UB, Hänel 15, fol. 52v–60r, hier fol. 60r. Weitere Handschriften: Escorial, RB, e.I.2, fol. 268v–275r (Fragment); Leipzig, UB, Hänel 15, fol. 52v–60r; München, BSB, Clm 24147, fol. 167 – 173; Neapel, BN, IV.H.21, fol. 403r–412v; Vatikan, BAV, Vat. lat. 2638, fol. 86v–92r. Der Text blieb ungedruckt. 20 Denifle, Statuten, S. 475; Belloni, Professori giuristi, S. 53 – 60, hier S. 58 – 60; Belloni, Questioni civilistiche, S. 3 f. 21 Zu dieser Quaestio siehe unten bei Anm. 77. 22 Vatikan, BAV, Vat. lat. 10726, fol. 37r–44r, hier fol. 44r: „Ista questio fuit disputata in civitate Bononie per egregium nec non in orbe famosissimum legum doctorem dominum Angelum de Ubaldis de Perusio sub annis domini M8ccclxxxxiii ad quam respondit ad utrumque partem venerabilis eius ut filius dominus Ugholinus de Pilis de Fano etc.“ Der genannte Respondent Ugolino da Fano legte am 23. Dezember 1392 das examen privatum und am 2. Januar 1393 das examen publicum ab; vgl. Sorbelli, „Liber secretus“, Bd. 1, S. 78 f. 23 Vgl. Bellomo, I fatti, S. 330 mit Hinweis auf Verbote, Studenten bei Pflichtdisputationen mitwirken zu lassen.
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Gesetzestextes erörterte.24 In beiden präsentiert der Professor seine geballte Gelehrsamkeit. Dieses Nebeneinander von repetitio und disputatio zeigt sich signifikant im überlieferten Œuvre der Juristen des 14. Jahrhunderts. Der große Bartolus († 1357) hinterließ mindestens 22 quaestiones und 58 repetitiones,25 von seinem Perugianer Vorgänger Cino da Pistoia († 1337) kennen wir deren fünf bzw. drei,26 für Paolo de’ Liazari († 1356) sind 15 bzw. 16 bekannt.27 Für Angelo degli Ubaldi zähle ich 35 überlieferte repetitiones und zehn disputationes.28 Allerdings sind zwei Drittel der repetitiones in nur einer Handschrift überliefert, während die disputationes oft in vier bis sechs Handschriften erhalten sind. Was die Präsenz in den spätmittelalterlichen Miszellanhandschriften betrifft, scheinen Repetitionen und Disputationen also auch noch im späteren 14. Jahrhundert prinzipiell gleichrangig gewesen zu sein. Die Tendenz ist allerdings abzusehen: Spätere Juristen hinterlassen immer seltener vielbeachtete quaestiones disputatae und behaupten ihren Platz im juristischen Schrifttum immer mehr durch großangelegte repetitiones.29 Die großen Juristen des 15. Jahrhunderts, ein Giovanni da Imola, Paolo da Castro, Angelo Gambiglioni, Lodovico Pontano, Mariano Sozzini und sein Sohn Bartolomeo, Ludovico Bolognini, Giasone del Mayno präsentierten sich vor ihren Universitäten häufig durch feierlich inszenierte, hochgerühmte und durchaus häufig überlieferte repetitiones, während von ihnen kaum noch quaestiones disputatae überliefert sind. Das Genre schien aus der Mode gekommen zu sein. Vergessen war es jedoch nicht.30 Unter den Legisten finden wir einen Antonio Mincucci da Pratovecchio, der 19 quaestiones disputatae hinterließ, unter den Kanonisten immerhin einen Niccolò Tudeschi, den berühmten Panormitanus, der vor allem in seinen früheren Jahren sieben vielbeachtete Disputationen publizierte; im Gegensatz dazu kennen wir von seinem Lehrer Zabarella keine einzige Disputation.31 Das Bild der langsam aus der Mode kommenden Disputationen setzt sich in den Drucken fort. Immerhin, der deutsche Drucker Wendelin von Speyer, der die neue Drucktechnik nach Venedig brachte, produzierte schon 1472, also unmittelbar zu Beginn der italienischen Druckproduktion, eine recht weit verbreitete Sammlung von 24 Zur Gattung der repetitio: Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 378 – 380; Ourliac/ Gilles, Période post-classique, S. 88 – 92. 25 Angaben nach Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 725, 731 f. Eine umfassende Zusammenstellung seiner Werke liefert: Lepsius, ,Bartolus de Sassoferrato‘, S. 151 ff., Nr. 74 – 98. 26 Angaben nach Murano, Cino da Pistoia. 27 Murano, Paolo de’ Liazari. 28 Siehe künftig Woelki, Angelo di Francesco degli Ubaldi, mit einem ausführlichen Überlieferungsbericht. 29 Vgl. die Einschätzung von Bellomo, I fatti, S. 355, der die große Zeit der Disputationen Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts verortet. Ähnlich für den kanonistischen Bereich: Landau, Kanonistische Quaestionenforschung, S. 83. 30 Vgl. die jeweiligen Artikel in Murano, Autographa, Bd. 1,1. 31 Angaben nach: Morelli/Murano, Antonio Mincucci da Pratovecchio; Murano, Niccolò Tedeschi; Murano, Francesco Zabarella.
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Disputationen, wobei die Texte unseres Angelo degli Ubaldi den ersten Rang einnehmen.32 Eine weitere recht breit angelegte Sammlung brachte Bernardino Garaldi 1511 in Pavia heraus; auch hier ist Angelo degli Ubaldi vertreten.33 Damit ist die Liste aber schon erschöpft. Kein Vergleich zu den dutzendfach gedruckten Repetitionen, ganz zu schweigen von den Massen an Consilia-Drucken des 15. und 16. Jahrhunderts.34 Die Marke disputatio hatte auf dem juristischen Büchermarkt keine Chance. Angelos Texte bzw. ihre doch recht weite Verbreitung waren eine eher späte Ausnahmeerscheinung. Das heißt nicht, dass die Lehrveranstaltung disputatio an den Universitäten aus der Mode kam. Sie war nach wie vor in den Statuten fest vorgeschrieben.35 Und das dialektische Abwägen des sic et non im Rahmen einer förmlichen quaestio gehörte nach wie vor zum universitären Alltag; der modus disputatorius war über die Gattungsgrenzen hinweg eine Basistechnik juristischer Textkomposition.36 Wir sehen dies in den Kommentaren, welche nach wie vor zahlreiche quaestiones disputatae als substantielles Element enthielten, und vor allem in einem typisch spätmittelalterlichen Literaturtyp, den Singularia, kurzen, oft anekdotenhaften Analysen eines im Unterricht behandelten Problems.37 So präsentiert der Legist Lodovico Pontano seinen Studenten in Siena 1433 passend zum Tag der heiligen Katharina von Alexandria das Problem: Warum werden Heilige am Tag ihres Todes und nicht etwa an ihrem Geburtstag verehrt? Aber gleichzeitig weist er seine Studenten darauf hin, dass er genau vor einem Jahr in Rom in der Kirche S. Eustacchio mit sensationellem Erfolg eine große Repetition gehalten habe, zu der unglaublich viel Publikum zusammengeströmt sei.38 Um sich innerhalb der universitären Welt glanzvoll in Szene zu setzen, schienen die Repetitionen den meisten Juristen geeigneter. 32 Repetitiones, disputationes, Venedig 1472. Zu diesem Druck vgl. auch: Lepsius, Richter und Zeugen, S. 65; Lepsius, Zeugenbeweis, S. 344 – 347. 33 Disputationes diversorum doctorum, Pavia 1511 und erneut Pavia 1517. Inhaltsübersicht bei: Künast u. a. (Hrsg.), Bibliothek Konrad Peutingers, S. 115 f. 34 Eine Liste von 129 Inkunabeldrucken der Consilia liefert Colli, Consilia e produzione libraria. 35 Vgl. Belloni, Questioni civilistiche, S. 3 – 5. 36 Zum Begriff siehe eine Quaestio des Oldradus de Ponte, überliefert in: Vatikan, BAV, Chigi E.VIII.245, fol. 182va–183Ava und Perugia, AS, A.31, fol. 316ra–319va: „Predicta sic michi visi sunt [et] per disputatorium modum scripsi ut subtilius intuentibus viam aperiam cogna[n]do et perveniendi ad verum.“ Vgl. Bellomo, I fatti, S. 407. 37 Zu den Disputationen innerhalb der Kommentare: Bellomo, Factum proponitur, S. 8; Bellomo, I fatti, S. 399 – 401 (mit Beispielen zu quaestiones disputatae, welche in lecturae integriert wurden); Bellomo/Martinoli, Quaestiones, S. XV, XVII f. Zum Kommentartyp per viam quaestionum: Bellomo, Tracce di Lectura. Eine instruktive Einführung zu legistischen Kommentaren liefert jetzt: Lepsius, Kommentierungstätigkeit. Zu den Singularia siehe Woelki, Singularia. 38 Pontano, Lodovico: Singularia, Paris 1508, fol. A II vb, Nr. 33: „Quia cras est festum beate Katerine [25. November 1433], in qua die iam est annus feci Rome solemnem repeticionem auct(entice) Similiter C. ad l. Fal(cidiam) [C. 6.50 = Nov. 131.12], in qua tot gentes fuerunt, sicut in aliqua unquam fuerint, et quia est mihi devotissima, quero quare celebramus
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Für Angelo degli Ubaldi scheint dies nicht zuzutreffen. Er nutzte offenbar gern das von einem konkreten, mitunter politisch aktuellen Fall ausgehende Genre der Disputation zu wissenschaftlichen Analysen, die im Argumentationsaufwand nicht hinter den Repetitionen zurückstanden und teilweise von ihm selbst in Umlauf gebracht wurden. Um diese Sonderstellung zu verstehen, ist ein kurzer Blick auf die Lebensgeschichte hilfreich. II. Angelo degli Ubaldi – Der Starjurist als Politiker Innerhalb der hochangesehenen und extrem wohlhabenden Peruginer Familie Ubaldi war Angelo das ,enfant terrible‘.39 Im Kataster von 1334 erscheint Angelo noch nicht im Familieneintrag des Arztes Francesco di Benvenuto degli Ubaldi, wohl aber dessen ältester Sohn Baldo und der noch junge Pietro, später als Kanonist sehr berühmt.40 Angelo muss also danach geboren sein,41 war offenkundig deutlich jünger als der berühmte Bruder Baldo, den Angelo in seiner Disputation Usurarius manifestus, selbst bereits berühmter Legist, etwas rätselhaft betitelt: „[…] dem Blute nach der Bruder, was aber Gelehrsamkeit, Alter und Nahrung („alimonia“) betrifft, eher ein Vater.“42 Vielleicht ein Hinweis auf die Leibesfülle des großen Baldus oder seinen unvergleichlich größeren Reichtum?43 Das Verhältnis zur Familie weist ge-
facta sanctorum in die, qua mortui fuerint et non die, qua nati sunt. Respondeo, quia ille die, quo moriuntur, nascuntur ad gloriam.“ Zur angesprochenen repetitio siehe Woelki, Lodovico Pontano, S. 29 f., 798. 39 Wertvoll für die Familiengeschichte sind vor allem regionalhistorische Forschungen: Monacchia, „La casa che habitiamo“; Nico Ottaviani, Su Baldo; Nico Ottaviani, La presenza; Monacchia, Vicende patrimoniali; Giubbini, Fonti archivistiche; Frova, Carriere universitarie; Bistoni Colangeli, La famiglia. Wichtiges Material findet sich auch in der noch ungedruckten Dissertation von Bellini, Comune e studio, S. 247 – 252. 40 Zum Kataster: Monacchia, „La casa che habitiamo“, S. 8, 18 (Edition der Katastereinträge von 1334, 1361, 1364 und 1369); Monacchia, Vicende patrimoniali, S. 540; Nico Ottaviani, La presenza, S. 90; Bistoni Colangeli, La famiglia, S. 540 f. Zu Pietro degli Ubaldi († 1412): Vermiglioli, Biografia degli scrittori, Bd. 1, S. 156 – 160; Frova, Pietro degli Ubaldi sr., Bd. 2, S. 1581 f.; Woelki, Pietro di Francesco degli Ubaldi. 41 Vgl. aber die in der Literatur mitunter anzutreffende Angabe des Geburtsjahres 1328/29; Vermiglioli, Biografia degli scrittori, Bd 1, S. 95; Frova, Angelo degli Ubaldi sr., S. 69. 42 Angelo degli Ubaldi, Disputatio ,Usurarius manifestus‘, Venedig 1472, fol. 107va–110va, hier fol. 109rb: „sanguine germanum, alimonia, etate et doctrina patrem idem tenentem.“ Vgl. eine ähnliche Bezeichnung in Consilium 188, Angelo degli Ubaldi, Consilia et responsa (nicht foliiert): „Baldus germanus meus sanguine, pater autem sciencia.“ Eine gemeinsame Gutachtertätigkeit aller drei Brüder findet sich beispielsweise in: Bologna, Collegio di Spagna, 83, fol. 153v. Weitere Beispiele bei: Vallone, Raccolta Barberini, S. 88 und 101; Maffei u. a. (Hrsg.), I codici del Collegio di Spagna, S. 119, 226, 228, 427, 438. Konkurrierende Consilia der Brüder Baldo und Angelo finden sich in Bologna, Collegio di Spagna, 126, fol. 130v–133r und fol. 133r–134v. 43 Zum Vermögen der drei Brüder Baldo, Pietro und Angelo: Monacchia, „La casa che habitiamo“; Monacchia, Vicende patrimoniali. Eine genaue Aufstellung des Vermögens des
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wisse Ambivalenzen auf. Wie die Brüder studierte Angelo in Perugia römisches Recht bei Bartolo da Sassoferrato, Francesco Tigrini und Giovanni Pagliaresi und hörte auch kanonisches Recht bei Francesco Petrucci da Siena. Aber bereits 1365 verließ Angelo den Haushalt seiner Brüder Baldo und Pietro, die noch bis in die 1380er Jahre einen gemeinsamen Haushalt abrechneten, und zog in ein anderes Viertel.44 Etwa in dieser Zeit bekam der inzwischen zum doctor legum promovierte Angelo erste Lehraufträge und politische Ämter in Perugia.45 Mitte der 1370er Jahre ließ er sich in eine Konspiration gegen den päpstlichen Statthalter Gérard du Puy verwickeln und landete eine Zeitlang im Gefängnis.46 Wahrscheinlich musste er Perugia daraufhin für eine Weile verlassen. Dem Kolophon einer Repetitio zufolge lehrte er im Jahre 1375 als Professor in Bologna.47 Ende der 1370er Jahre war er jedoch wieder in seiner Pietro degli Ubaldi (insgesamt fast 30.000 lb.) findet sich im Kataster von 1412 bei Grohmann, Città e territorio, S. 217 – 221. 44 Monacchia, „La casa che habitiamo“, S. 19 f.; Monacchia, Vicende patrimoniali, S. 541 f. 45 Früheste dokumentierte Lehrtätigkeit in Perugia im akademischen Jahr 1363/64; siehe Zucchini, Università e dottori, S. 24, 68, 141. Aus dieser Zeit stammt möglicherweise die recht häufig überlieferte Repetitio ,Ad § Si vacantia‘ (C. 10.10.4), welche im Kolophon der Handschrift Madrid, BN, 2146, fol. 38vb–51va, auf November 1363 datiert wird. Vgl. aber die abweichende Angabe im Druck ,Tractatus quam plures criminales nonnullorum illustrium iuris consultorum‘, Venedig (apud Lucam Antonium Iuntam) 1567, fol. 68v: Perugia, November 1373. Weitere Handschriften: Bologna, Coll. di Spagna, 83, fol. 37ra–46va; ebd., 126, fol. 198v–199r; Florenz, BNC, Magl., XXIX 172, fol. 217r–229v; Madrid, BN, 2139, fol. 136v–148r; Neapel, BN, XI.C.89, fol. 123r–130r; Vatikan, BAV, Chigi E.IV.87, fol. 160 ff.; Vat. lat. 2589, fol. 97r–103r; Vat. lat. 2605, fol. 196va–200vb; Vat. lat. 2656, fol. 54ra–55vb; Vat. lat. 5773, fol. 156ra–165ra. Drucke: Brescia 1491; [Pavia ca. 1490]. Die Annahme bei Scalvanti, Notizie e documenti, S. 282 f., Angelo habe bereits 1351 das Volumen gelehrt, wurde inzwischen überzeugend widerlegt; vgl. Monacchia, „La casa che habitiamo“, S. 8; Nico Ottaviani, Su Baldo, S. 31; Nico Ottaviani, La presenza, S. 90 f.; Frova, Angelo degli Ubaldi sr., S. 69. Angelo unterschreibt seine Consilia bis ins hohe Alter mit doctor legum; vgl. Florenz, AS, Voti degli assessori del Comune dal 1378 al 1404, S. 297: Consilium vom Juli 1399; gedruckt bei: Cuturi, Dei manoscritti, S. 371 – 379; Florenz, AS, Monte Comune, 3066, fol. 10v: Florenz, November 1399, vgl. Kirshner, Question of Trust, S. 130; Florenz, BNC, Magl. XXIX 117, fol. 90 – 93: Florenz, Januar 1400, ediert bei Kirshner, Question of Trust, S. 137 – 145. Trotz einzelner Bezeichnungen als doctor utriusque in den Drucken und Kolophonen seiner Werke wurde er also nie im kanonischen Recht promoviert. Vgl. Angelo degli Ubaldi, Consilia, Lyon 1532, Nr. 41, fol. 16v, Nr. 91, fol. 36v. Zu den politischen Ämtern (iudex communis, capitaneus partis guelfe) siehe Scalvanti, Notizie e documenti, S. 283. 46 Pellini, Historia di Perugia, Bd. 1, S. 1142; Vermiglioli, Biografia degli scrittori, Bd. 1, S. 96; Scalvanti, Notizie e documenti, S. 284; Nico Ottaviani, Su Baldo, S. 37. Zu den Hintergründen dieser Revolte vgl. Dupré-Theseider, La rivolta, allerdings ohne Erwähnung Angelos, der auch nicht in der Liste der an der Revolte beteiligten Bürger S. 163 – 166 aufgeführt ist. 47 Angelo degli Ubaldi, Repetitio ,Ad l. Pater filium, de inofficioso testamento‘ (Dig. 5.2.14), in: Venedig, BNM, lat. V 2 (2324), fol. 305v–312r, hier fol. 312r: „[…] in alma urbe Bonon(iensi) 1375. In qua tunc fui relegatus per pastores ecclesie romane cuius status
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Heimatstadt Perugia.48 Offenbar vollkommen rehabiliert, erhielt er mehrere wichtige Gesandtschaften, unter anderem zum Kaiser, zum König von Ungarn und zum König von Neapel.49 Aber als 1384 die Verschwörung der Brüder Niccolò und Michelozzo Michelotti aufgedeckt wurde, war auch Angelo unter den Verschwörern.50 Er wurde für fünf Jahre nach Padua verbannt; die Brüder konnten gerade noch verhindern, dass auch seine Güter konfisziert wurden.51 Angelo übernahm daraufhin im akademischen Jahr 1384/85 einen ordentlichen Lehrstuhl für Zivilrecht in Padua und trat durch mehrere Disputationen und Repetitionen hervor.52 Aber bereits zwei Jahre später beschloss er die Carrara-Stadt zu verlassen und bat in seiner Heimatstadt um die Erlaubnis, die Zeit der Verbannung an einem anderen Ort fortsetzen zu dürfen.53 Perugia erlaubte ihm, nach Ferrara, Cremona oder Mantua überzusiedeln, aber Angelo setzte sich darüber hinweg und ging nach Florenz, was für Perugia wegen des dortigen Einflusses der Michelotti einen Affront darstellen musste.54 Als überdies kompaulo post funditus ruit existente rectore domino Iohanne de Castelian(o) Romano cive.“ (Freundliche Mitteilung von Prof. Dr. Andrea Padovani, Bologna). 48 Vermiglioli, Biografia degli scrittori, Bd.1, S. 97. 49 Pellini, Historia di Perugia, Bd. 1, S. 1178, 1217, 1244; Vermiglioli, Biografia degli scrittori, Bd. 1, S. 97; Cuturi, Angelo degli Ubaldi in Firenze, S. 199, 202. 50 Zucchini, Università e dottori, S. 143. 51 Scalvanti, Notizie e documenti, S. 288 f.; Nico Ottaviani, Su Baldo, S. 43 f.; Frova, Angelo degli Ubaldi sr. S. 70. 52 Vgl. Angelos Repetitio ,Ad l. Falsus procurator‘ (C. 6.2.19), überliefert in: Madrid, BN, 2139, fol. 153va–159ra: „per famosissimum legum doctorem dominum Angelum de Perusio sedem ordinariam regentem in studio Paduano“; Vat. lat. 2638, fol. lira–lvira. Der Zeitpunkt der Verbannung ist durch die Datierung der Disputatio ,Duo nobiles Gallici‘ gesichert: „Anno domini M8CCC8LXXXV8 de mense ianuarii mei exilii anno primo“; siehe unten, ebenfalls zu den Paduaner Disputationen. 53 Zur Lehre in Padua: Gloria, Monumenti, Bd. 1, S. 178 – 180; Gallo, Università e signoria, S. 33; Frova, Angelo degli Ubaldi sr., S. 71. Zur Modifikation der Verbannungsauflagen: Scalvanti, Notizie e documenti, S. 289. 54 Scalvanti, Notizie e documenti, S. 342 – 344, Nr. XX und XXI; Nico Ottaviani, Su Baldo, S. 44. Zur Zeit in Florenz: Cuturi, Angelo degli Ubaldi in Firenze; Spagnesi, Utiliter edoceri, S. 1, 26, 36 – 38, 49 – 54, 93, 105 – 109, 220, 264; Davies, Florence and its University, S. 43, 163; Kirshner, Question of Trust, S. 130. Der Zeitpunkt seines Wechsels nach Florenz ist noch weitgehend unklar. Bereits am 19. und 20. Juli 1386 unterzeichnete Angelo Consilia mit „judex et advocatus Florentie“ (Florenz, AS, Arte dei giudici e notai, 670, fol. 10 – 12 und 36; vgl. Cuturi, Angelo degli Ubaldi in Firenze, S. 209). Allerdings scheinen einige Promotionen seine Anwesenheit in Padua noch bis Ende 1387 zu belegen; Gloria, Monumenti, Bd. 1, S. 179. Im Kolophon seines Consilium 93 (Druck Venedig 1487, fol. 43rb; Lyon 1532, fol. 37v) wird er sogar noch 1388 als „actu regens sedem ordinariam iuris civilis in studio Paduano“ bezeichnet, während die Repetitionen ,Ad l. Si certis annis‘ (C. 2.3.28) und ,Ad l. Iudicio cepto‘ (C. 3.1.1) nach der Handschrift Madrid, BN, 2139, fol. 151vb und 171va, im September und Oktober 1387 in Bologna gehalten wurden. In die noch weitgehend unklare Karrierephase zwischen 1388 und 1390 dürfe der Aufenthalt an der stadtrömischen Universität fallen, der durch einige Passagen in den Werken Angelos belegt ist; vgl. Schwarz, Kurienuniversität, S. 509 mit Auszügen; Frova, Angelo degli Ubaldi sr., S. 70. Vgl. auch Frati, Epistolario, S. 91 – 93, Nr. LXXIII f., in denen Versuche Urbans VI. dokumentiert sind, Angelo von Bologna nach Rom zu holen. 1390 ist Angelo darüber hinaus als Vikar des Bischofs
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promittierende Briefe auftauchen, die enthüllten, dass Angelo nach wie vor mit den Michelotti paktierte, wurden seine Güter in Perugia zur Plünderung freigegeben.55 Nur durch die neuerliche Interzession seiner Brüder Baldo und Pietro wurde dieser Beschluss zurückgenommen; die Güter wurden unter städtische Aufsicht gestellt. Kurz vor Beginn des akademischen Jahres 1390/91 löste Angelo dann einen handfesten diplomatischen Skandal zwischen den eigentlich verbündeten Städten Florenz und Bologna aus.56 Er hatte noch einen Vertrag in Florenz, nahm aber dennoch gleichzeitig eine lukrativere Stelle an der Universität von Bologna an. Als die Florentiner davon erfuhren, schrieben sie am 8. September 1390 nach Bologna, um die Sache richtigzustellen. Man wundere sich doch sehr, dass der „rechtsgelehrte und weltgewandte“ Jurist einen derartigen von vornherein nichtigen Vertrag geschlossen habe.57 Bologna ließ die Sache jedoch nicht auf sich beruhen, sondern schickte den berühmten Juristen Gasparre Calderini für Verhandlungen nach Florenz.58 Dieser erreichte einen Kompromiss: Angelo durfte zunächst in Bologna lehren, musste jedoch zu Beginn des Jahres 1391 nach Florenz zurückkehren. Als Angelo aber keine Anstalten machte, Bologna zu verlassen, und noch am 10. Januar 1391 mit seiner Vorlesung zum Infortiatum begann, beschlagnahmten die Florentiner im Januar 1391 Angelos Güter und setzten einen Bürgen fest.59 Daraufhin ging Angelo wieder nach Florenz,60 erfüllte seinen zum Ende des akademischen Jahres 1390/ 91 auslaufenden Vertrag und erbat im Oktober ganz offiziell die Erlaubnis, nach Bologna überzusiedeln. Aber auch dieses Mal verweigerten die Florentiner den Abgang ihres „geliebten“ Rechtsprofessors („ipsum propter suam scientiam diligimus“) und beschlagnahmten neben persönlichen Gegenständen Angelos und seiner Dienerin („panni e i lenzuoli suoi e della sua serva“) vor allem seine wertvollen Bücher, unvon Arezzo Giovanni III. Albergotti bezeugt; vgl. Cuturi, Angelo degli Ubaldi in Firenze, S. 210 mit Verweis auf eine Urkunde vom 13. Juni 1390. 55 Scalvanti, Notizie e documenti, S. 289 – 292; Nico Ottaviani, Su Baldo, S. 45; Bellini, Comune e studio, S. 247. 56 Zu den Streitigkeiten ausführlich: Cuturi, Angelo degli Ubaldi in Firenze, S. 209 – 213. Der entsprechende Briefwechsel ist ediert bei: Gherardi, Statuti, S. 356 f., Nr. LXXXIX–XCII; Frati, Epistolario, S. 90 – 93, Nr. LXX–LXXIIII. Zum Bündnis der Städte Florenz und Bologna gegen Gian Galeazzo Visconti, den Herrn von Mailand, siehe unten bei Anm. 88. 57 Gherardi, Statuti, S. 356, Nr. LXXXIX. Die zitierte Bezeichnung für Angelo lautet: „iuris peritus […] et in rebus agilibus mundi non mediocriter doctus […].“ 58 Gherardi, Statuti, S. 356, Nr. XC (1390 Oktober 14). Zu Gasparre Calderini (ca. 1345 – 1399) vgl. Condorelli, Gasparre Calderini, S. 385 f. Vgl. auch ein von Angelo degli Ubaldi und Gasparre Calderini gemeinsam ausgestelltes Consilium in: Bologna, Collegio di Spagna, 83, fol. 303r; dazu siehe Maffei u. a. (Hrsg.), I Codici del Collegio di Spagna, S. 259. 59 Valentini, „Liber recordationum“, S. 33 (Diarium des Bologneser Legisten Gozzadino Gozzadini): „Die ixa januarij dominus Angelus de Perusio incepit legere Inforciatum hic Bononie“; Gherardi, Statuti, S. 357, Nr. XCI (Florenz an Bologna, 1391 Januar 10): „Habetis ipsum, et nos habemus fideiussorem suum; habemus et bona sua […].“ 60 Valentini, „Liber recordationum“, S. 34: „Die xa februarij dominus Angellus de Perusio reverssus est Florencie.“
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verzichtbare Arbeitsgrundlage des Professors.61 In Bologna allerdings sah man sich unter dem Druck von Studenten, die die Ankunft des Professors „herbeisehnten“ („qui sub vobis audire inhyant et ardent“), zu drastischen Maßnahmen gezwungen und nahm kurzerhand Angelos Sohn Alessandro in Geiselhaft.62 Daraufhin ließen die Florentiner den Juristen ziehen. Gerade noch rechtzeitig zum Beginn der Vorlesungszeit traf Angelo in Bologna ein und startete unverzüglich seine Vorlesung zum Digestum novum.63 Die Episode zeigt, dass Angelo sich seines gelehrten Prestiges und seiner Strahlkraft für eine Universität bewusst war und diese durchaus auszunutzen bereit war. Auch wenn mehrere ähnliche Beispiele für ein solches Tauziehen um einen berühmten Professor bekannt sind (Ugo Benzi 1423, Lodovico Pontano 1428), sorgte der Fall durchaus für einige Aufregung und politische Ressentiments.64 In Bologna lehrte Angelo drei Jahre bis zum Ende des akademischen Jahres 1393/ 94.65 Dann nämlich ergab sich die Chance zur Rückkehr ins heimatliche Perugia, denn inzwischen hatte dort die Michelotti-Partei die Macht übernommen. Angelo wurde umgehend rehabilitiert, konnte wieder in Perugia lehren und übernahm sofort wieder wichtige Gesandtschaften und Ämter für die Stadt.66 Als aber Biordo Michelotti 1398 starb, fühlte sich Angelo nicht mehr sicher in Perugia und zog wieder nach Florenz.67 Dort starb er nach der eindeutigen Auskunft eines Consiliums am 22. September 1400 wohl an der damals grassierenden Pest, nicht 1407, wie ansonsten fast
61 Spagnesi, Utiliter edoceri, S. 53. Die bei der Gelegenheit am 6. Oktober 1391 angefertigte Bücherliste (22 Titel, ebd., S. 105) ist eine wertvolle Momentaufnahme einer juristischen Handbibliothek. Zum ersten Zitat siehe Gherardi, Statuti, S. 356, Nr. XC (1390 Oktober 14). 62 Frati, Epistolario, S. 91 f., Nr. LXXII (Zitat) und Nr. LXXII mit einer zusätzlichen Sanktionsdrohung von 2000 fl. 63 Valentini, „Liber recordationum“, S. 35. 64 Zu den Verwicklungen zwischen Siena und Florenz wegen des Arztes Ugo Benzi 1423 vgl. Lockwood, Ugo Benzi, S. 22 – 31. Zum Fall des Lodovico Pontano, der 1428 gleich bei drei Universitäten (Florenz, Siena, Padua) unterschrieben hatte, vgl. Woelki, Lodovico Pontano, S. 81 – 90. Zum Problem vgl. auch: Denley, Academic rivalry. Zu den protektionistischen Vorkehrungen der Universitäten vgl. Sorbelli, „Liber secretus“, Bd. 2, S. 33 f., 50; Marongiu, Protezionismi. 65 Das in diesen Jahren absolvierte Vorlesungsprogramm (1391/92 ,Digestum novum‘, 1392/93 ,Infortiatum‘, 1393/94 ,Digestum novum‘) ist dokumentiert durch die ,Reportationes‘ des Studenten Nofrio da Perugia („Nofrius Angeli Rogerii Lelli Ciutii de Monte Sperello“), erhalten in: Vatikan, BAV, Vat. lat. 2614, fol. 1r–372r; vgl. dazu: Valentini, Ordine degli apparati, S. 122; Dolcini, Lectura bolognese. 66 Genaue Nachweise bei Bellini, Comune e studio, S. 247 – 252. Vgl. Nico Ottaviani, Su Baldo, S. 45 f.; Frova, Angelo degli Ubaldi sr., S. 70. 67 Aus dieser Karrierephase ist Angelos Vorlesung zum Codex als ,Reportatio‘ (C. 6 – 9) überliefert: Vatikan, BAV, Vat. lat. 2615, fol. 1r–203v. In diese Zeit gehört außerdem Angelos Repetitio ,Ad §. Qui provocavit‘ (Dig 2.14.40.1), überliefert in: Florenz, BNC, Magl. XXIX 172, fol. 109 – 119 (hier dat. Florenz 1398); Vatikan, BAV, Vat. lat. 2618, fol. 299v–304v.
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durchgehend in der Literatur behauptet.68 Seine letzte Ruhe fand er in der Familienkapelle in San Francesco al Prato in Florenz an der Seite seiner Brüder.69 Der kurze Abriss zeigt uns einen streitbaren, praktisch durchgängig in politische Fraktionskämpfe involvierten Juraprofessor, der nicht wie etwa sein Bruder Pietro ein ruhiges Leben in Wohlstand und akademischem Ruhm führte, sondern sich stets in riskanter Weise in die Politik einmischte und selbst zum politischen Streitobjekt wurde. Wie passen die Disputationen in dieses Leben? Auffällig ist die eindeutige Einordnung der erhaltenen Disputationen in genau zwei Phasen seines Lebens, nämlich die ersten Jahre der Verbannung in Padua 1385/86 und die Endphase der Verbannung in Bologna 1391 – 1394; aus Perugia und Florenz sind keine Disputationen belegt.70 Der Überlieferungszufall allein mag diese Konzentration nicht erklären, denn die handschriftliche Überlieferung ist durchaus relativ breit gestreut. Sah Angelo sich in Padua und Bologna als neuangekommener Professor in der Pflicht, neue Reizpunkte zu setzen, um auf sich aufmerksam zu machen? Zumindest in seiner Heimatstadt Perugia war er ohnehin etabliert.71 Und Florenz? Eignete sich die Welt dieser im Vergleich zu Bologna und Padua doch kleineren Universität nicht so sehr für gelehrte Selbstdarstellung?72 III. Die Disputationen – akademische Politikberatung? Nun aber zu den Texten. Schlägt sich das persönliche Profil des intrigierenden und politisch getriebenen Starjuristen auch in den Texten selbst nieder? Um das Ergebnis 68
Florenz, AS, Giudici e notai 670, fol. 78; gedruckt bei Cuturi, Angelo degli Ubaldi in Firenze, S. 219 f. Das genaue Todesdatum wurde relevant für die Streitfrage, ob den Erben Angelos, der vor Ende seines für drei Jahre abgeschlossenen Vertrages starb, ein Anspruch auf Zahlung des Professorengehalts für die gesamte Vertragslaufzeit oder zumindest bis zum Ende des akademischen Jahres zusteht. Daher heißt es im Consilium: „Sequitur, quod infra dictum annum decessit, videlicet die quarta presentis mensis septembris, non completa eiusdem lectura.“ Zu diesem Consilium vgl. jetzt auch Kirshner, Un parere, S. 219 – 224. Die Annahme, Angelo sei 1407 gestorben, bezieht sich auf einen Katastereintrag von 1415, in welchem Angelo als seit „über acht Jahren“ verstorben bezeichnet wird; Perugia, AS, ASCP, Catasti, 1, 33, fol. 462r: „iam sunt viii anni et ultra“; vgl. dazu: Monacchia, „La casa che habitiamo“, S. 13 mit Anm. 37 (Zitat); Nico Ottaviani, Su Baldo, S. 50; Monacchia, Vicende patrimoniali, S. 114; Frova, Angelo degli Ubaldi sr., S. 70. Bereits Scalvanti, Notizie e documenti, S. 297, hatte angenommen, dass Angelo 1400 oder 1401 in Florenz gestorben sei. 69 Vgl. hierzu jetzt: Borgnini, La chiesa. 70 Vgl. aber zur Disputationspflicht in den Florentiner Statuten von 1387: Gherardi, Statuti, S. 66; Montanos Ferrín, Quaestiones Disputatae, S. 177. 71 Zur Verflechtung der städtischen und akademischen Eliten in Perugia: Zucchini, Università e dottori. Zur Disputationspflicht in Perugia siehe Bellini, L’Università, S. 87 (Statuten von 1389). 72 Zur Größe und Bedeutung der Florentiner Universität vgl. Brucker, Florence and its University; Garfagnini, Città e Studio. Wichtig auch die Zusammenstellung der Professorenlisten bei: Park, The Readers.
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gleich zu relativieren: Eine direkte politische Agitation ist hier (natürlich) nicht zu erwarten. Disputationen sind Lehrveranstaltungen, die der juristischen Systematik und Dogmatik verpflichtet sind. Das Publikum sind Studenten und Professoren, nicht gelehrte Räte und Fürsten. Traktate, Consilia und Reden wären in der Hinsicht selbstverständlich ergiebiger. Aber umso bemerkenswerter wäre es, überhaupt Politisches in diesem bislang so unpolitisch erscheinenden Genre zu finden. Schauen wir nach Padua. Im Januar 1385 befand sich Angelo seit fünf Monaten in der Verbannung. Es war die Zeit, in welcher nach den Paduaner Statuten von 1331 jeder Professor eine öffentliche Disputation abzuhalten hatte.73 Angelo hielt eine sedes ordinaria an der Universität und wählte für seinen wahrscheinlich ersten großen Auftritt ein offenbar der aktuellen Politik entnommenes Thema, nämlich den gerade abgeschlossenen Italienzug des Enguerrand VII. de Coucy:74 Als neulich die Söldnertruppe des Seigneur de Coucy auf dem Rückzug aus der Toskana durch das Gebiet von Padua zog, befanden sich darunter zwei französische Adlige.75 Sie gerieten in Streit und wollten sich duellieren. Als gesetzestreue Söldner holten sie 73
Nämlich zwischen Weihnachten und Himmelfahrt; siehe oben Anm. 20. Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Duo nobiles Gallici‘; Handschriften: Hannover, SB, Mag. 54, fol. 373r–385v; Madrid, BN, 2146, fol. 61va–70va; Neapel, BN, IV.H.21, fol. 116r–129r; Saint-Die, BM, 20, fol. 1 – 19; Straßburg, BM, 1036, fol. 22r–34r; Vatikan, BAV, Vat. lat. 2638, fol. lxxiiira–xciira; Vat. lat. 10726, fol. 236v–244v. Der Text blieb ungedruckt. Die Datierung ergibt sich u. a. aus Vat. lat. 2638, fol. xciira: „Disputatum fuit thema predictum per dominum Angelum de Perusio legum doctorem ordinariam sedem regentem in dicto studio Paduano […] Anno domini M8CCC8LXXXV8 de mense ianuarii mei exilii anno primo, mense vero quinto. Deo gratias.“ Vgl. Vallone, Raccolta Barberini, S. 81. 75 Vatikan, BAV, Vat. lat. 10726, fol. 236v: „Duo nobilis Gallici de illis, qui cum illustri domino de Cosiaco nuper Tusciam invaserunt, in eorum accexu per Patetivium transeuntes occasione appellatus presentis ac ex causis aliis se proditores incisum mutuo appellarunt unde anellantes ad bellum excelsum eiusdem Patavi dominum accesserunt supplicantes eidem, ut dignaretur eis sua lege duellandi concedere potestatem cum omnibus pactis, de quibus existerent in concordia. Ex eandem licentiam iuxta petita largitur. Et habuerunt eam. Et in die dicti nobiles campum intrantes invicem pacti sunt, ut qui victus esset in bello, victoris esset captivus et proditor remaneret, victor etiam lucraretur equum et arma. Demum cum in bello procederent, alter eorum alterum forti impetu prostravit inhumum et collaptus impetu super pectus eius recubuit, qui prostratus vociferans absque intervallo temporis recumbentem super pectus eius occidit. Ut igitur commune sit talia, ex eo tria dellectabilia oriuntur: Primo an occifer in foro conscientie teneatur. Secundo in foro armate militie et civili quis sit eorum victor. Tertio an in foro contentioso talis occisor possit puniri per aliquem iudicem competentem.“ Hintergrund ist der Italienzug des französischen Söldnerführers Enguerrand VII. von Coucy († 1397), der im Juli 1384 mit einem Söldnerheer über die Alpen zog, um Ludwig von Anjou gegen Karl von Durazzo und Florenz beizustehen. Von Mailand aus zog er in die Toskana und eroberte am 28. September 1384 Arezzo. Als am 10. Oktober 1384 die Nachricht vom Tod Ludwigs von Anjou eintraf, verkaufte er Arezzo am 5. November 1384 an die Florentiner, ließ sich freien Abzug zusichern und zog über Bologna, wo er am 25. Dezember eintraf, in die Lombardei. Der bei Angelo degli Ubaldi geschilderte Durchzug der französischen Truppen ist also auf Januar 1385 zu datieren, ebenso wie die Disputatio selbst. Vgl. Durrieu, La prise d’Arezzo; Prevost, Art. ,Coucy, Sires de‘, Sp. 871 – 873; Uginet, Art. ,Coucy, Enguerrand de‘, S. 489. Ausführlich zum Leben Enguerrands de Coucy auch: Tuchmann, Spiegel, S. 364 – 370 zum Italienzug. 74
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dafür die Erlaubnis von Francesco il Vecchio da Carrara, dem Herrn von Padua ein. Dann kam es zum Duell. Der eine brachte den anderen zu Fall, stürzte sich auf ihn und wurde von dessen Schwert tödlich durchbohrt. Neben der Frage der Strafbarkeit, und zwar sowohl in foro conscientie als auch in foro civili, ergibt sich vor allem eine Frage: Wer hat eigentlich das Duell gewonnen? Frappierend ist die postulierte quasi grenzenlose Relevanz des ius commune, selbst für die Regeln der ritterlichen Konfliktlösung unter ausländischen Söldnern auf der Durchreise. Darüber hinaus erklärt der Zivilrechtsprofessor seine Disziplin zuständig für Fragen der Sündhaftigkeit menschlichen Handelns und bringt dabei durchaus auch biblisches und aristotelisches Material in Stellung, lange bevor gemeinsame Gremienarbeit auf Konzilien und Reichstagen Juristen und Theologen zum interdisziplinären „Crossover“ zwang.76 Ähnlich die Paduaner Disputation Renovata guerra vom 5. Juli 1386.77 Der Anlass ist wieder ein eminent politischer: Nur wenige Wochen zuvor hatte Antonio della Scala, Herr von Padua, mit venezianischen Geldern ausgerüstet, einen Großangriff auf Padua gestartet.78 Die Invasion wurde in der Schlacht an den Brentelle vor den Toren Paduas am 25. Juni blutig zurückgeschlagen.79 Fast 8000 Gefangene, 6000 Pferde, 240 Wagenladungen und 211 Dirnen wurden in einem pompösen Siegeszug in die Stadt geführt.80 Eine Woche später ist genau das Thema in Angelos Disputa76
Vgl. dazu Woelki, Lodovico Pontano, S. 227 f. (Lit.). Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Renovata guerra‘; Handschriften: Leipzig, UB, Hänel 15, fol. 60r–65r; Madrid, BN, 2139, fol. 44rb–48rb; Neapel, BN, IV.H.21, fol. 109r–115v; Vatikan, BAV, Chigi E.VII.212, fol. 115 – 117; Vat. lat. 2641, fol. 65ra–68va; Vat. lat. 10726, fol. 61r–67r; Vat. lat. 11605, fol. 149v–153r; Wien, ÖNB, lat. 5125, fol. 196v–201r. Drucke: Venedig 1472, fol. 110va–113vb; [Pavia ca. 1492 – 96], fol. 21vb–23vb; [Perugia ca. 1477 – 79]; Pavia 1511 (nicht paginiert). Die Datierung stützt sich auf das Kolophon in Vat. lat. 10726, fol. 67r: „Disputatum fuit talia predictum per patrem et dominum meum Angelum de Ubaldis de Perusio Padue famosissimum legum doctorum et ibidem tunc temporis ordinarie actu legentem M8ccc8lxxxvi die quinta julii etc.“ Ähnlich: Neapel, BN, IV.H.21, fol. 115v: „Disputata per me Angelum de Perusio, in civitate Padue ordinarie legentem, sub d. Francisco de Carraria, anno domini MCCCLXXXVI8, die V mensis iulii.“ Die Tagesangabe fünf ist aus den Drucken Venedig 1472 und [Pavia 1492/96] zu ergänzen, in denen allerdings die Monatsangabe fehlt. Eine abweichende Monatsangabe findet sich in: Hänel 15, fol. 65r: „Disputatum fuit thema predictum per me a. de per. in regia civitate padue regnante inclito et excelso eiusdem civitatis domino domino Francisco de carraria in scolis meis in quibus ad presens rego cathedram ordinariam iuris civilis. Sub anno domini MCCCLXXXVI die V. iunij.“ Für die Monatsangabe Juli spricht vor allem das Datum der Schlacht an den Brentelle (25. Juni 1386), auf die sich das Thema der Disputation bezieht. 78 Zu den Ereignissen: Lanza, Firenze contro Milano, S. 19; Kohl, Padua under the Carrara, S. 232 – 236; Sivieri, Due uomini, due città, S. 141 – 170. 79 Zu den Einzelheiten vgl. die ausführliche Schlachtbescheibung mit Gefangenenliste bei Galeazzo Gatari: Cronaca carrarese, Bd. 1, S. 248 – 254; Sivieri, Due uomini, due città, S. 165 – 167; Bortolami, L’Età medievale, S. 171; Capponi, Art. ,Brentelle, Battle of‘. 80 Galeazzo Gatari: Cronaca carrarese, Bd. 1, S. 254; Silvieri, Due uomini, due città, S. 166; Capponi, Art. ,Brentelle, Battle of‘, S. 173. Zu den Gefangenen siehe auch: Cessi, Prigionieri illustri. 77
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tion, diesmal jedoch im kleinen Rahmen, „in scolis meis“; diesmal ist auch kein Respondent überliefert.81 Muss die Kriegsbeute zumindest teilweise den Veronesern zurückgegeben werden? Eine politisch vielleicht nicht sonderlich opportune, aber unter strenger Anwendung der römisch-rechtlichen Kategorien eine durchaus diskussionswürdige Frage.82 Und weiter: Wie muss die Beute verteilt werden? Sollen also insbesondere die Kämpfer, die gar nicht an der Schlacht beteiligt waren, sondern im Hinterland einen Pass bewachten, einen gleichen Anteil erhalten?83 Und sollen besonders tapfere Kämpfer mehr erhalten als andere? Nach römischem Recht und biblischem Vorbild wäre das so, aber heutzutage, so Angelo, neigen Capitani dazu, allen einen gleichen Anteil an der Beute zu geben, um Streit zu vermeiden.84 Es ist nicht das einzige Beispiel, wo politische Pragmatik und consuetudo der juristischen Dogmatik widerspricht. Manchmal gelingt eine Harmonisierung über die Kategorie der equitas, oft bleibt der Widerspruch bestehen. So auch bei der Behandlung der Kriegsgefangenen, und zwar derjenigen, die bereits in einem früheren Krieg gefangen genommen worden waren und von den Siegern, „ut moris est hodie“, auf Ehrenwort entlassen wurden.85 Da nach römischem Recht niemand zwei Herren haben kann, müssten sie dem zustehen, der sie zuerst gefangen hatte. Aber, so Angelo weiter, in der Praxis kommt es ja ständig vor, dass Vasallen zwei Herren haben, also kann man gleichzeitig Gefangener zweier Herren sein und muss im Zweifelsfall dem Befehl des Ranghöheren („nobilior“) folgen.86 Ähnlich sind die Problemlagen, die Angelo in Bologna disputiert. Im April oder Mai 1392 diskutiert Angelo die Folgen des wenige Monate zuvor im Frieden von Genua (Januar 1392) beendeten Krieges zwischen Florenz und Bologna auf der 81
Vgl. das in Anm. 77 zitierte Kolophon aus Leipzig, UB, Hänel 15, fol. 65r. Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Renovata guerra‘, Venedig 1472, fol. 110va–113vb, hier fol. 110va: „Primum est, utrum preda rescussa sit ipsorum rescutentium, an vero Veronensium, quorum primo fuerat.“ Ebd., fol. 111rb–va: „De primo, videlicet cuius debet esse preda, an rescutentium, an Veronensium, quorum primo dintinguo, quod si incontinenti recuperata est: tunc est Veronensium […]; si vero rescussa ex intervallo, tunc rescutentium [em. restituentium] est.“ 83 Ebd., fol. 110va: „Secundo, an gens que remansit ad custodiam dicti passus habere debeat partem buctini.“ Ebd., fol. 112va: „Descendo vero ad secundum, an dicte gentes, que remanserunt ad custodiam dicti passus debeant habere partem butini, dico quod sic, quia, licet non pugnaverunt, tamen per eos non stetit: undo pro pugnantibus habendi sunt, licet actualiter non fuerunt in numero pugnatorum.“ 84 Ebd., fol. 112vb: „Hodie tamen capitanei guerrarum dividunt per equos, ut cesset inter militantes omnis suspicio.“ 85 Ebd., fol. 110va: „Tercio, quorum sint captivi in presenti guerra et relaxati tempore pacis inite. Quarto, quorum sint captivi in presenti guerra et relaxati ut supra ad fidem. Quinto, quorum sint captivi, qui se sodalibus opprimentium reddiderunt.“ 86 Ebd., fol. 113rb: „Adhuc dubitandum occurrit, quid si eodem tempore unus plurium sit captivus, sicut occurrunt quottidie, et omnes eum revocant simul, cui obedire tenetur? Ex quo omnes obedire non potest propter impossibilitatem, dic quod si unus ex captivantibus est nobilior aliis, ei obediendum est primo.“ 82
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einen und Gian Galeazzo Visconti auf der anderen Seite.87 Bologna hatte in diesem Krieg in einer Situation der höchsten Bedrohung durch die Mailänder Truppen eine Amnestie für alle Verbannten erlassen, welche mindestens sechs Monate gegen die Visconti-Truppen gekämpft hatten.88 Offenbar folgten viele dieser Verheißung, wurden aber teilweise vor Ablauf der sechs Monate gefangen genommen, verwundet oder getötet. Für manche kam der Friedensschluss auch einfach zu früh. Muss ihre Verbannung dennoch als aufgehoben gelten? Und was ist mit den beiden Florentiner Gesandten Rinaldo Gianfigliazzi und Giovanni Ricci, welche sich gerade im Gefolge des französischen Grafen Jean III. d’Armagnac befanden, als sie von den Visconti-Truppen angegriffen und gefangen gesetzt wurden?89 Angelos Lösung: 87 Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Exorta guerra‘ (1392, Bologna); Handschriften: Dessau, SB, Georg Hs. 253, fol. 46r–52r; Vatikan, BAV, Vat. lat. 2693, fol. 79r–86v; ebd., Vat. lat. 10726, fol. 49r–57v; Drucke: Venedig 1472, fol. 89va–93vb; [Pavia ca. 1492 – 96], fol. 8va–11rb. Zur Datierung vgl. Vat. lat. 10726, fol. 57v: „Questio disputata per famosissimum legum doctorem dominum Angelum de Ubaldis de Perusio, ad quam questionem respondit dominus Angelus de Narnia tunc scolaris suus. Et fuit disputata in alma ac felici civitate Bononie tunc ibidem dicto domino Agnelo de Perusio extraordinaria sede ff. novi regente sub anno domini 1392 die primo aprilis (!), in qua fuit festum sancti Petri martiris.“ Möglicherweise ist hier das Fest Petri Kettenfeier gemeint (1. August). Die genannten Drucke datieren die Disputation auf Mai 1392. — Zum Konflikt vgl. Lanza, Firenze contro Milano, S. 13, 20 – 22. Der als Respondent genannte Angelus de Narnia legte am 22. August 1392 das examen privatum und am 26. August 1392 das examen publicum ab. Vgl. Sorbelli, „Liber secretus“, Bd. 1, S. 77. 88 Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Exorta guerra‘, Venedig 1472, fol. 89ra: „Exorta guerra inter illustrem principem dominum Comitem Virtutum [= Gian Galeazzo Visconti] ex una parte et excelsas civitates Florentie et Bononie ex alia, hinc inde solemne emanavit edictum, quod omnes banniti, qui in guerra serviverat per semestre, ab omnibus eorum bannis intelligantur absoluti et ad bona eorum plenarie restituti. Contigit, quod quidam banniti in actu bellico fuerunt capti, quidam vulnerati, quidam mortui, quidam in carceribus ante edictum pro eorum bannis detenti, ita quod nulli predictorum per semestre servire potuerunt actualiter secundum formam edicti. Queritur, an omnes predicti vel aliqui ex eis beneficio gaudebunt nec ne etc.“ Vgl. zu den Ereignissen: Barlucchi, Guerra, S. 138. 89 Ebd., fol. 93va: „Ex predictis concludo, quod ambasiatoribus florentinis qui erant in societate illustris principis genere dignitate vero spectabilis domini comitis de Hermenag [= Armagnac], dum passus fuit conflictum agentibus dicti excelsi domini comitis virtutum, in quo conflictu idem comes de Hermegnac viam fuit universe carnis ingressus, ipsi vero oratores capti et carcerati fuerunt, unde generosus miles dominus Ray(naldus) de Gianfiglazzis et clarus et egregius legum doctor dominus Joannes de Ritas de Florentia, quod eorum salaria que eisdem ut legatis communis Florentie a dicto communi percipiebant, ita percipere debeant et habere pro tempore durantis capture sicut in legacionis actu actualiter servivissent.“ Graf Jean III. d’Armagnac war im April 1391 mit 12.000 Mann nach Italien gezogen und wurde am 25. Juli 1391 bei Alessandria vom Mailänder Condottiere Jacopo del Verme besiegt und gefangen genommen und starb einen Tag später in Gefangenschaft. Wichtigste Quelle zu den Geschehnissen ist die Chronik des Jean Froissart Bd. 14, Brüssel 1872, S. 291 – 315; vgl. daneben: Galeazzo Gatari, Cronaca carrarese, Bd. 1, S. 435 f.; Valentini, „Liber recordationum“, S. 32, 34 (mit Verweisen auf die Bologneser Chronistik); Lanza, Firenze contro Milano, S. 20 – 22; Selzer, Deutsche Söldner, S. 249 (Lit.); Fossati/Ceresatto: Signoria e Principato, S. 556 f. Zu Rinaldo Gianfigliazzi († 1425) siehe Arrighi, Rinaldo Gianfigliazzi, S. 369 zur Gesandtschaft nach Frankreich zu Jean d’Armagnac und zum Feldzug. Zu den genannten
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Ihr Gesandtengehalt steht ihnen weiterhin zu, und ebenso ist die Verbannung der Veteranen aufzuheben, die ohne eigenes Verschulden nicht die geforderten sechs Monate Dienstzeit erreichten. Die Sphäre des Politischen wird freilich nicht in allen Disputationen so explizit angesprochen wie in den genannten, auch wenn typische Konfliktkonstellationen zwischen der systematisch-abstrakten Dogmatik des Rechts und gesellschaftlich fruchtbringenden Regelungen regelmäßig zu Tage treten. In der Paduaner Quaestio In refulgenti deliciarum stellt sich folgendes Problem:90 Im strahlenden Palast des Herrn von Padua, Francesco il Vecchio da Carrara, befindet sich ein Bild der triumphal inthronisierten Jungfrau Maria, welche Blinde heilt und andere Wunder vollbringt. Unter den Geheilten ist auch ein reicher Bürger, der alles, was er jetzt und in Zukunft besitzt, diesem Bild vermacht.91 Nach römischem Recht geht das eigentlich nicht, denn eine Schenkung ist ein gegenseitiger Vertrag. Der Beschenkte muss seine Zustimmung erklären; niemand braucht sich etwas schenken zu lassen. Und ein Bild kann nicht einwilligen, also gibt es keinen Vertrag. Aber diese Lösung passt nicht in diese Zeit, in der ehrliche Sorge um das Seelenheil mit allen Mitteln unterstützt werden muss. Im Sinne aller Beteiligten ist ein solch frommes Werk also schützenswert.92 Fragt sich nur noch, wie das Geld zu verwenden ist. Angelos Lösung klingt wie eine Mischung aus Pragmatik und Sozialromantik: Mit dem Geld ist gegebenenfalls das Marienbild zu restaurieren, den Rest bekommt der Bischof zur Ver-
Personen siehe auch Barlucchi, Guerra, S. 138; Martines, Lawyers and Statecraft, ad ind.; Brucker, Civic World, ad ind. 90 Handschriften: Dessau, SB, Georg Hs. 253, fol. 65r–69v; Leipzig, UB, Hänel 15, fol. 81r–85r; München, BSB, Clm 24147, fol. 165 – 167; Vatikan, BAV, Vat. lat. 10726, fol. 44v–48v; Venedig 1472, fol. 86vb–89va; [Pavia ca. 1492 – 96], fol. 6vb–8rb. Zur Datierung vgl. Hänel 15, fol. 85r: „Disputata fuit per illustrem doctorem dominum Angelum de Ubaldis de Perusio in florenti studio Paduano anno domini M ccc lxxxv de mense februarii eiusdem domini Angeli exilii anno primo.“ Abweichende Datierung (Padua 1386) in den genannten Drucken. 91 Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,In refulgenti deliciarum‘, Venedig 1472, fol. 86vb–89va: „In refulgenti deliciarum palatio magnifici et excellentissimi domini Paduani in constituto est quedam imago gloriose virginis in triumphali solio est depicta, que pietate sua multos cecos reduxit ad lucem ac etiam alia prodigia fecit. Unus igitur ex dictis reductis ad lucem amplum possidens patrimonium … omnia sua bona presentia et futura donavit post mortem suam irrevocabiliter inter vivos. Nunc queritur, an dicta donacio valeat nec ne et posito, quod valeat, an bona dicte imagini dedicata debeant applicari, an domino Paduano vel pauperibus Christi vel cui.“ Das hier im Zentrum stehende juristische Problem, ob eine letztwillige Verfügung über alle künftig erworbenen Güter mit der Testierfreiheit vereinbar ist, wird auch in Consilium 106, Angelo degli Ubaldi, Consilia, Lyon 1532, fol. 43v diskutiert. 92 Ebd. fol. 87rb: „Incontrarium, quod dicta donatio valuerit, probatur sic: unusquisque sue rei est moderator et arbiter …, unusquisque non prohibitus donare potest suum patrimonium universum …, et maxime in piam causam … Fundata est ergo intentio donatarii iuri communi, ut est dictum, et etiam ex generali regula permittente omnia in dubio esse permissa, que non reperiuntur lege prohibita aut moribus aut consuetudine […].“
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teilung an die Armen.93 Aber der Eigentümer des Bildes, der Stadtherr Francesco il Vecchio, geht nach langer juristischer Abwägung leer aus. Opportunistische Anbiederung an die Inhaber politischer Macht, das zeigte schon die Disputation Renovata guerra, war alles andere als typisch für Angelo, wohl der signifikanteste Unterschied zu vielen seiner Standeskollegen. Ansonsten dominieren oft spezielle Fragen des Erbrechts wie in der Disputation Nobilis quidam genere,94 welche Angelo im Januar 1391 in Bologna präsentierte, kurz bevor er erzwungenermaßen nach Florenz zurückkehrte. Angesprochen sind hier vor allem die erbrechtlichen Folgen von Geisteskrankheit und des Eintritts in einen Mendikantenorden. Im Fall eines Söldners aus Asti diskutiert Angelo das Problem der Testierfähigkeit und das kirchliche Begräbnis eines notorischen Wucherers, welcher auf dem Sterbebett reumütig verfügt, aus seinem Vermögen die unrechtmäßig erlangten Gewinne zurückzuzahlen.95 Die Bologneser Quaestio Duo ad invicem litigantes schließlich behandelt Probleme des Schiedsgerichtsverfahrens wie die Zulässigkeit eines exkommunizierten oder gebannten Schiedsrichters.96 Das Problem 93 Ebd., fol. 89rb–va: „[…] ergo sunt pauperibus eroganda cura et sollicitudine episcopi Paduani et ista credo fore et esse veritatem et iuri et pietati ac etiam equitati fore consonantem totaliter. Si autem poneremus alicui statue dei aut alicuius sancti prophani in nostro dominio existenti esse donatum brachium aut pedem que deficiebat ut quia statua aurea vel argentea et quandoque membrum applicatum et iniunctum ipsi imagini, tunc quia donatum est pars integralis ipsius imaginis bene acquiritur domino, cuius esset dicta imago seu statua, quia prevalentia illud corpus trahit ad se aliam partem […].“ 94 Handschrift: Escorial, RB, e.I.2, fol. 265 – 268; Druck: Venedig 1472, fol. 93vb–96va; [Pavia ca. 1492 – 96], fol. 11rb–13ra. Übereinstimmende Datierung: 25. Januar 1391. 95 Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Astensis miles‘; Handschriften: Basel, UB, C.II.29, fol. 103v–123v; Bologna, BC, B.1393, fol. 79r–88r; Dessau, SB, Georg Hs. 253, fol. 52r–56r; Florenz, BML, Gadd. 107, fol. 7 – 10; Florenz, BNC, II.1.64, fol. 210r–226r; Drucke: Venedig 1472, fol. 78ra–86vb; [Pavia ca. 1492 – 96]; fol. 1ra–6vb; Pavia 1511 (nicht paginiert). Die Datierung ist auch hier uneinheitlich. Offenbar verderbt ist das Kolophon in: Basel, UB, C.II.29, fol. 123v: „Explicit disputatio domini Angeli de perusio, sub quo respondit dominus Iacobus de campo de regno apulee sub annis domini M8 ccc8 lxxxiij die ij Mensis novembris.“ (freundliche Mitteilung von Dr. Theres Flury, Basel), da Angelo zu diesem Zeitpunkt noch in Perugia lehrte. Plausibel ist die Datierung 6. November 1393 in Florenz, BN, II.1.64, fol. 226r. Das in den Drucken Venedig 1472 und [Pavia 1492/96] angegebene Datum 3. November 1394 passt wiederum nicht in die Lebensgeschichte, da Angelo im akademischen Jahr 1394/95 bereits nach Perugia zurückgekehrt war. Bei dem genannten Respondenten handelt es sich vermutlich um Jacobus de Champo Gevestrosio de Chatelonia, der am 27. Mai 1395 das examen privatum und einen Tag später das examen publicum ablegte. Vgl. Sorbelli, „Liber secretus“, S. 92 f. Dem gleichen Problemfeld ist die undatierte Disputatio ,Usurarius manifestus‘ gewidmet, welche lediglich in den Drucken überliefert ist: Venedig 1472, fol. 107va–110va; [Pavia ca. 1492 – 96], fol. 19vb–21vb. 96 Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Duo ad invicem litigantes‘; Handschriften: Madrid, BN, 2139, fol. 225rb–232ra; Neapel, BN, III.A.3, fol. 32a–39d; Vatikan, BAV, Vat. lat. 2693, fol. 93v–95r (Fragment). Drucke: Venedig 1472, fol. 96va–102vb; [Pavia ca. 1492 – 96], fol. 13ra–17ra. Die Datierung ist in den Handschriften und Drucken einheitlich: Bologna, Juli 1394. Als Respondent ist genannt: Richardus Del Bene de Florencia (Madrid, BN, 2139, fol. 232ra)/Rizardus Iacobi del Bene de Florentia (Neapel, BN, III.A.3, fol. 39d)/Ricardus de Monte Fiasco (Venedig 1472, fol. 102vb). Er dürfte identisch sein mit Ricardus de Florentia,
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der Gültigkeit einer gerichtlichen Vorladung eines aus Bologna verbannten Bürgers nutzt Angelo hier zur Erörterung einer ganzen Reihe von Fragen zur territorialen Reichweite städtischer und staatlicher Jurisdiktionsgewalt.97 Auch wenn nicht durchgängig ein tagespolitischer Bezug erkennbar ist, so zeugen die skizzierten Disputationen doch von einem regelmäßig bei passender Gelegenheit reaktivierten Anspruch auf politische Relevanz der juristischen Kategorien. Wenn die Texte auch nicht direkt an die gerade in der Pflicht stehenden politischen Akteure gerichtet waren, so zeigen sie mit teilweise betonter Tagesaktualität, wie auftretende politische Konflikte zu lösen sein sollen und behaupten eine quasi universelle Zuständigkeit der Legisten als Experten für die Probleme des Gemeinschaftswesens. Studenten konnten hier lernen, wie ihre spätere Rolle als Berater der Fürsten und Kommunen ganz konkret aussehen konnte, und das war möglicherweise der Grund für die späte Blüte des im Bereich der juristischen Literaturgeschichte eigentlich schon aus der Mode gekommenen Genres disputatio. Quellen und Literatur Quellen Ungedruckte Quellen Basel, Universitätsbibliothek: C.II.29 Bologna, Biblioteca Comunale: B.1393 Collegio di Spagna: 83; 109; 126 Cordoba, Biblioteca de la Catedral: 108 Dessau, Stadtbibliothek: Georg Hs. 253 Escorial, Real Biblioteca: e.I.2 Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana: Gadd. 107 - Biblioteca Nazionale Centrale: II.1.64; Magl. XXIX 117; Magl., XXIX 172 - Archivio di Stato: Voti degli assessori del Comune dal 1378 al 1404; Monte Comune, 3066; Arte dei giudici e notai, 670
der am 3. April 1395 das examen privatum und kurz darauf das examen publicum ablegte; vgl. Sorbelli, „Liber Secretus“, Bd. 1, S. 91. 97 Angelo degli Ubaldi, Quaestio ,Bononiensis sua civitate bannitus‘; Handschriften: Leipzig, UB, Hänel 15, fol. 47v–52v; Neapel, BN, IV.H.21, fol. 445r–451r; Vatikan, BAV, Vat. lat. 2693, fol. 86v–93v; Vat. lat. 10726, fol. 37r–44r. Drucke: Venedig 1472, fol. 102vb–107va; [Pavia ca. 1492 – 96], fol. 17ra–19vb. Zur Datierung vgl. das Kolophon in Vat. lat. 10726, fol. 44r; siehe oben Anm. 22 und die übereinstimmende Angabe in den Drucken: „tempore, quo legit Infortiatum“. Die Disputatio gehört also in das akademische Jahr 1392/93; siehe oben Anm. 65 zum Vorlesungsprogramm.
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Hannover, Stadtbibliothek: Mag. 54 Leipzig, Universitätsbibliothek: Hänel 15; 992 Madrid, Biblioteca Nacional: 2139; 2146 München, Bayerische Staatsbibliothek: Clm 24147 Neapel, Biblioteca Nazionale: III.A.3; IV.H.21; XI.C.89 Paris, Bibliothèque Nationale: lat. 4489; nouv. acquis. lat. 2443 Perugia, Archivio di Stato, Archivio Storico del Comune di Perugia: Catasti, 1, 33; A.31 Rom, Biblioteca Nazionale: Vitt. Emanuele 1511 Saint-Die, Bibliothèque Municipale: 20 Straßburg, Bibliothèque Municipale: 1036 Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Archivio S. Pietro: A.29; Chigi E.IV.87; Chigi E.VII.212; Chigi E.VIII.245; Vat. lat. 2589; Vat. lat. 2605; Vat. lat. 2638; Vat. lat. 2614; Vat. lat. 2615; Vat. lat. 2618; Vat. lat. 2638;Vat. lat. 2641; Vat. lat. 2656; Vat. lat. 2693; Vat. lat. 5773; Vat. lat. 10726; Vat. lat. 11605 Venedig, Bibl. Nazionale Marciana: lat. V 2 (2324) Wien, Österr. Nationalbibliothek: lat. 5125
Gedruckte Quellen Angelo degli Ubaldi: Quaestio […] ex renovata guerra […] [Perugia: Petrus Petri, Fridericus Eber und Johannes Konradi, ca. 1477 – 79] [GW M48418; ISTC iu00007800 mit Verweis auf Digitalisat]. Angelo degli Ubaldi: Consilia et responsa, ed. Johannes Baptista de Sancto Blasio, Venedig: Johannes Rubeus Vercellensis, 1487 [GW M48393; ISTC iu00004000 mit Verweis auf Digitalisat]. Angelo degli Ubaldi: Repetitio legis ,Si vacantia‘ [Pavia: Christophorus de Canibus, ca. 1490] [GW M48430; ISTC iu00009200 mit Verweis auf Digitalisat]. Angelo degli Ubaldi: Consilia, Lyon: Vincentius de Portonariis, Johannes Moylin, 1532. Cuturi, Torquato (ed.): Dei manoscritti d’Angelo degli Ubaldi in Firenze e dell’ultimo consiglio di lui, in: Archivio Storico Italiano, Ser. 5, 29 (1902), S. 344 – 379. Disputationes diversorum doctorum, Pavia: Bernardus de Garaldis, 1511 (ND 1517). Frati, Lodovico (ed.): Epistolario di Pellegrino Zambeccari, Rom 1929 (Fonti per la storia d’Italia, 40). Froissart, Jean: Œuvres, Bd. 14, 1389 – 1392, ed. Kervyn de Lettenhove, Brüssel 1872. Galeazzo Gatari: Cronaca carrarese confrontata con la redazione di Andrea Gatari (aa. 1318 – 1407), ed. Antonio Medin/Guido Tolomei, Bd.1, Città di Castello 1909 – 1931 (Rerum Italicarum Scriptores, 17,1/1).
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Disputationen in philosophischen Promotionsakten an der Jesuitenuniversität Dillingen im 16. Jahrhundert Von Ulrich G. Leinsle Die Disputationskultur der frühneuzeitlichen Universitäten ist in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt durch Hanspeter Marti1 und Bernd Roling2 verstärkt in den Blick der Forschung getreten. Das betrifft weithin die Schuldisputationen bzw. deren gedruckten Niederschlag in den Dissertationen, Thesenschriften oder Thesenblättern.3 Eine Sondergattung stellen die stilisierten Disputationen in den philosophischen Promotionsakten dar, in denen es nicht mehr um eine Prüfungsleistung, sondern um die Selbstdarstellung der Philosophie einer Hohen Schule vor einem erlesenen Publikum geht.4 Im Normalfall besitzen wir davon nur die Fragen, die auf den aufwändig gestalteten Promotionskatalogen unten angefügt sind. Diese Promotionskataloge haben aber zumeist nur kunsthistorisches Interesse gefunden.5 Noch weniger beleuchtet ist bislang die auf diesen Katalogen oder in Einblattdrucken publizierte akademische Poesie.6 Doch bereits an den auf den Katalogen gedruckten Fragen lässt sich eine Philosophie- und Kulturgeschichte im Kleinen ablesen. Denn hier stehen nicht die dornigen Probleme der Schulphilosophie selbst im Mittelpunkt, sondern deren Stellung in Gesellschaft und Wissenschaftsorganisation,7 einschließlich der Standesfragen und Titulatur der Neupromovierten8 und neuer Entwicklungen wie etwa der philosophia experimentalis im 18. Jahrhundert9 oder der Frauenpromotion am Fall der Laura Ca-
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Schriftenverzeichnis in: Sdzuj u. a., Dichtung, S. 716 – 735. Vgl. vor allem Roling, Locutio; Roling, Drachen; Roling, Physica. 3 Vgl. z. B. Leinsle, Disputationes. 4 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg; Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen. 5 Vgl. vor allem Appuhn-Radtke, Speculum Pietatis, mit Abbildungen. 6 Vgl. u. a. Leinsle, Gratulationsgedichte. 7 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg, S. 118 – 123; Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 648 – 657. 8 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg, S. 128 – 133; Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 662 – 665. 9 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg, S. 123 – 127; Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 657 – 662. 2
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terina Bassi 1731.10 Hinzu kommen zumal an katholischen Universitäten Fragen zu Theologie und Kirche,11 zu Politik und Zeitgeschehen, insbesondere in Kriegszeiten und vor Kaiserwahlen,12 zur Bedeutung von Kometen,13 aber im 17. Jahrhundert vermehrt auch Quaestiones ioco-seriae, wie sie ja heute noch in manchen Ländern bei Promotionen üblich sind.14 Nachschriften der im Promotionsakt gehaltenen kurzen Disputationen sind selten. Ein Glücksfall ist die Handschrift XV 399 der Studienbibliothek Dillingen an der Donau, die im ersten Teil neben den Promotionsansprachen, die zumeist aus der Feder von Jacobus Pontanus (ca. 1542 – 1626) stammen, auch Antworten der Disputationen zum Bakkalaureus bzw. Magister der Philosophie aus den Jahren 1572 bis 1582 enthält, also genau aus dem Jahrzehnt, in dem Pontanus in Dillingen u. a. als Professor der humanitas und Rhetorik tätig war. Vieles daraus hat Pontanus in seine Progymnasmata Latinitatis übernommen.15 Der zweite Teil versammelt u. a. seine Gedichte und Dramen, die dann teilweise in sein Tyrocinium Poeticum eingegangen sind.16 Um die Gattung der Promotionsdisputation zu verstehen, ist allerdings vorab ein Blick auf die Promotionsakte selbst zu werfen. Dann sollen einzelne Disputationen zum Bakkalaureat und Magisterium exemplarisch vorgestellt werden. I. „ad specimen eruditionis dandum“: Disputation im Promotionsakt Für den Ablauf der Promotionsfeierlichkeiten an der Universität Dillingen sind die Anweisungen in den Acta Universitatis Dilinganae die wichtigste Quelle.17
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Vgl. Ceranski, Laura Bassi. 1732 wird bei der Magisterpromotion in Dillingen die Frage gestellt: „An Virgo Bononiensis, quae nuper publice Doctoratum Philosophicum suscepit, sexui suo gloriam vel dedecus attulerit?“ (Studienbliothek Dillingen [im Folgenden abgekürzt StuBD] XV c 133 II, fol. 213r); vgl. auch Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg, S. 131. 11 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg, S. 132 f.; Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 665 – 669. 12 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg, S. 133 – 136; Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 670 – 673. 13 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 664 f. 14 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Salzburg, S. 136 f.; Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 673 – 676. 15 Ausführliche Beschreibung: Pontanus, Reden, S. XX–XXXII. Übernahmen in: Pontanus, Progymnasmata. 16 Das ,Tyrocinium Poeticum‘ ist nur der ersten (1594) und dritten (1600) Auflage von Pontanus, Institutiones, beigegeben. Zu den Übernahmen vgl. Leinsle, Dichtungen. 17 StuBD XV 266, 1.
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Bei der Bakkalaureatspromotion hält nach dem feierlichen Einzug in die Aula (in genau festgelegter Präzedenz)18 der vom Rektor zum Promotor bestellte Professor eine Rede „de aliquo nobili argumento“.19 An deren Ende empfiehlt er die Kandidaten und stellt den einzelnen in fortlaufender Rede die auf dem Promotionskatalog gedruckten Fragen zur Erörterung „in utramque partem“ mit einigen Argumenten.20 Die Studenten antworten „ornate et copiose“. Das Entscheidungsrecht bleibt aber dem Magister vorbehalten.21 Wurde ursprünglich für jeden Kandidaten eine Frage festgesetzt und möglichst das ganze Feld der artes liberales und der Philosophie abgedeckt, so finden wir angesichts der Zunahme der Promovenden ab 1578 nur noch vier Fragen. Nach der Disputation lobt der Promotor kurz die Kandidaten und fordert sie zur Ablegung des Glaubensbekenntnisses22 und des vom Notar vorgesprochenen Eides auf das Zepter der Universität auf.23 Nach der erfolgten Promotion24 und ge18
Ebd., S. 2: „Die destinato, Bedello sceptrum praeferente, D. Rector consequitur cui sinistre comes it Promotor. Succedunt Candidati vestibus longis, quadratis pilis in morem clericorum, atque etiam cincti, deinde Magistri, gerentes suas epomidas.“ 19 Ebd.: „Promotor de aliquo nobili argumento orationem habet.“ 20 Ebd.: „[…] sub cujus finem candidatos egregie commendans, singulis quaestionem proponit, et in utramque partem breviter argumentatur.“ Ebd.: „Nomina idoneorum cum nomine Promotoris, et cum quaestionibus, ad quas ad dandam eruditionis specimen, publice responsuri sunt, typis excuduntur.“ Promotionskataloge erhalten in StuBD XV c 133 (2 Bde.), 134 und in einem Sammelband der Bibliothek des Priesterseminars Augsburg; vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 646. Die oratio perpetua ergibt sich aus den erhaltenen Fragestellungen, die in der Handschrift StuBD XV 399 jeweils vor den Disputationen verzeichnet sind und z. B. fol. 159v nach der 4. Frage abgeschlossen werden mit: „Nunc mihi ita placet, ut quisque vestrum de proposita sibi quaestione deinceps disputare aggrediatur.“ 21 StuBD XV 266, 1, S. 2: „Illi ordine suo, sed ornate et copiose respondent & Magistro statuendi potestatem relinquunt.“ 22 Ebd.: „Laudat eos de ingenio et doctrina Promotor, polliceturque se ipsis desideratum honorem impertiturum, si ante professionem fidei Catholicae recitarint.“ Solche laudationes sind erhalten in StuBD XV 399, fol. 154r (Andreas Sylvius 1582) und fol. 161r (Petrus Michael 1581). 23 StuBD XV 266, 1, S. 3: „Cum ventum est ad illa verba: ,Ego idem N. spondeo, voveo‘ etc. Notarius haec de scripto recitat: I. Iurabitis praeterea, quod servabitis leges et consuetudines huius almae Academiae, quandiu in ea versabitis. II. Quod eius Rectori obtemperabitis in rebus licitis et honestis. III. Quod huius Academiae honorem et dignitatem augere studebitis, neque vel consilio vel auxilio ulla ei ratione incommodabitis. III. Postremo, quod neque hunc, neque alium gradum hic susceptum alibi unquam iterabitis. Tum a Promotore sceptrum porrigitur, super cuius aspicem omnes Candidati primores digitos ponentes, praeeunte Notario ita sacramentum concipiunt: Ego idem N.N. spondeo, voveo, ac iuro, sic me Deus adiuvet, et omnes Sancti eius.“ 24 Ebd., S. 3 f.: „Formula Creationis: Promotor nudato capite eos in haec verba Baccalaureos renunciat: Quod Deus Opt. Max. omnesque caelites bene fortunent. Ego N.N. artium liberalium et Philosophiae Magister et in ista Academia institutus Professor, auctoritate Apostolica et Imperatoria, vos eruditissimos atque optimos adolescentes, a Notario nominatos, earundem artium et Philosophiae Baccalaureos decerno, et in hoc frequentissima litteratorum hominum convictu palam pronuntio, vobisque omnem potestatem et priuilegia ad hunc honoris gradum pertinentia concedo, secundum constituta et iura huius et reliquarum Acade-
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gebenenfalls einer kurzen Ermahnung des Promotors, sich für Kirche und Gemeinwesen einzusetzen und den Grad zum Nutzen der Mitmenschen, nicht zur Angeberei zu gebrauchen,25 formuliert einer der neuen Bakkalaurei den Dank an Gott, die Heiligen, den Rektor und die Versammelten. Nach dem Auszug erfolgt die Gratulation durch den Rektor, die Professoren und Magister.26 In der Handschrift Studienbibliothek Dillingen XV 399 sind sechs Reden zu Bakkalaureatspromotionen enthalten, von denen fünf Pontanus zugeschrieben werden können,27 sowie drei Danksagungen.28 Die Handschrift trennt jedoch die Fragestellung bereits von der Rede ab und setzt sie zur Disputation. Hier sind 22 disputierte Fragen mit den jeweiligen Antworten überliefert, ferner neun Antworten zu nicht disputierten Fragen (siehe Anhang). Auffallend ist, dass bei den von Pontanus selbst präsidierten Promotionen nur die Argumente ohne rhetorisches Beiwerk überliefert sind;29 dieses dürfte er als Professor der Rhetorik selbst beigefügt haben. Da das Bakkalaureat der Freien Künste und der Philosophie der erste akademische Grad war, standen hier vor allem Fragen der artes liberales und der Ethik (einschließlich Ökonomik und Politik) im Mittelpunkt,30 berührt wurden in einzelnen Fragen aber auch die Physik und de caelo, die bis dahin meist absolviert waren.31 Mit größerem Aufwand wurde die Magisterpromotion durchgeführt. Hier hält nach dem feierlichen Einzug zunächst der Erstplatzierte der Kandidaten eine Rede. Sie soll abgestimmt sein auf die abschließende Promotionsbitte an den Promotor.32 Anschließend lobt der Promotor Inhalt und Form der Rede und setzt sie thematisch durch eine eigene Rede fort.33 Nach Eid, Glaubensbekenntnis,34 der Promotimiarum Catholicarum, in nomine sacrosanctae et individuae Trinitatis, Patris et Filii et Spiritus Sancti.“ 25 Ebd., S. 4: „Si volet, breviter eos hortabitur, ut Ecclesiae ac Reipublicae operam suam navent, ut honore isto et aliis utantur ad aliorum salutem, non ad inanem ostentationem etc.“ 26 Ebd.: „Demum agentur ab aliquo ex promotis gratiae, primum Deo et sanctis, postea P. Rectori, deinde Promotori, ad extremum auditoribus. Cum discessum est ex Academia, incipit P. Rector, ex ordine omnibus novis Baccalaureis gratulatur, quem Professores et Magistri imitantur.“ 27 Pontanus, Reden, S. 139 – 197. Nicht von Pontanus stammt wegen der bedeutenden inhaltlichen und stilistischen Unterschiede die in StuBD XV 399, fol. 110v–114v als letzte aufgeführte Bakkalaureatsrede ,De origine fluminum‘. Vgl. Pontanus, Reden, S. XLIV f. 28 Pontanus, Reden, S. 249 – 254. 29 StuBD XV 399 fol. 139r–169r; zur Datierung vgl. Leinsle, Werke, S. 100 – 107. 30 Vgl. dazu Leinsle, Disputationes, S. 471 – 479. 31 Vgl. Leinsle, Selbstdarstellung Dillingen, S. 648 – 655; zum Lehrplan vgl. Leinsle, Disputationes, S. 63 – 67. 32 StuBD XV 266, 1, S. 4: „Cum in Academia, in quam eo modo, quo in Baccalaureatu ascenditur, consessum est, primus ex Candidatis orat. In fine Magisterium a Promotore petit.“ 33 Ebd.: „Promotor orationem et argumentum laudans, de eodem aliquid etiam ipse disserit.“ 34 Ebd.: „Deinde se honorem ipsis collaturum ostendit, si in fidem Catholicam et in verba a Notario praelegenda iuraverint. Fiunt deinde omnia quae in Baccalaureatu. Sequitur creatio.“
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onsformel mit der universellen Lehrbefugnis35 und der Verleihung der Insignien mit mahnenden Deuteworten36 (geschlossenes und geöffnetes philosophisches Buch,37 Ring,38 Doktormantel39 und Doktorhut40) folgt eine Disputation in utramque partem über mindestens eine der vorgelegten Fragen bzw. scholae (ab 1579 vier) mit Entscheidung eines bereits früher promovierten Magisters, den sich der Disputant selbst auswählen kann.41 An die allgemeine Gratulation schließt sich ein kurzes Dankeswort an. Nach einem festen Schema gebührt der Dank zuerst Gott, dann den Heiligen, dem Gründer Kardinal Otto Truchsess von Waldburg und dem nach Möglichkeit anwesenden Fürstbischof, dem Rektor, den Lehrern bzw. dem Promotor und den Kommilitonen. Danach begibt sich die ganze Versammlung unter Trompetenschall in festlichem Zug in die Pfarrkirche zum Te Deum, auf das schließlich für die geladenen Gäste der Doktorschmaus (convivium) folgt, bei dem von einem der neuen Magister nochmals ein Dankeswort zu sprechen ist.42 Erhalten sind in der Handschrift XV 399 sechs jeweils zweiteilige Reden43 und acht Danksagungen44 im Promotionsakt, sowie drei Dankesworte nach dem Doktor-
35 Ebd., S. 5 f.: „Quod Deus Opt. Max. omnesque caelites bene ac feliciter nobis evenire iubeant. Ego N.N. artium liberalium et Philosophiae Magister, atque in hac nobili Academia institutus [gestrichen und am Rand ersetzt durch „ordinarius“] Professor, auctoritate Apostolica et Imperatoria, vos eximia virtute ornatos, et praestabili eruditione praeditos adolescentes, a Notario nominatos, earundem artium et Philosophiae Magistros, sive Doctores, in hoc lectissimo gravissimorum, doctissimorum hominum consessu renuntio, omnemque vobis potestatem, privilegia et praerogativas ad hunc honorem pertinentes concedo, suggestum videlicet ascendendi, et ex eo ubivis terrarum philosophiam, ingenuasque disciplinas docendi atque disputandi. Caetera demum quaecumque iura cum hac dignitate secundum huius et aliorum Academiarum Catholicarum constituta et decreta coniuncta vobis impertior, in nomine sacrosanctae Trinitatis, Patris et Filii et Spiritus Sancti.“ 36 Formeln der Verleihung an die einzelnen Kandidaten ebd., S. 6. 37 Ebd.: „Principio philosophicum librum vobis in manum dabo: qui quidem clausus id monebit, non cuiusvis profano, sed indoneis tantum philosophiae mysteria aperiri oportere: et eos qui in philosophorum numerum relati sunt, eiusmodi esse debere, ut vel sine libro alios erudire possint. Apertus autem significabit liberam uobis publice docendi potestatem esse concessam.“ 38 Ebd.: „Hunc annulum aureum digitis induendum porrigam: quo philosophiam quasi desponsam uobis ac creditam esse intelligatur.“ 39 Ebd.: „Praeterea vos epomide vestiam, qui ornatus unumquemque vestrum admonebit gravitatis, constantiae, moderationis omnisque virtutis. Erit haec vestis loco pallii, quod veteres gestari solitos accepimus. Verum mementote, nonullos pallio et barba tenus philosophos extitisse; melius est autem ornare insignia, quam ornari ab insignibus.“ 40 Ebd.: „Insuper addam capiti pileum, ut omnes sentiant, vos manumissos tandem et a duiturna disserendi audiendique servitute ad pileum vocatos esse.“ 41 Ebd., S. 7: „Statim autem ut sederent, de quaestione disputant ornate et graviter. Postea alicui de Magistris veteranis arbitrium de ea statuendi relinquant.“ 42 Ebd. S. 7 f. Die Universitätskirche (Studienkirche) war noch nicht gebaut; vgl. Specht, Geschichte, S. 223; Schneider, Kirche und Kolleg, S. 31 – 41. 43 Pontanus, Reden, S. 50 – 138.
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schmaus.45 Ferner enthält die Handschrift Disputationen zu 21 Fragen aus den Promotionen von 1574 bis 1582.46 Überliefert ist dabei meist nur der Part des Neupromovierten mit der abschließenden Bitte an einen Magister um die Entscheidung. In zwei Fällen, den disputationes XV und XVI aus dem Jahr 1580, tritt die Antwort des Magisters hinzu.47 Auch hier liegt das Schwergewicht in späthumanistischer Tradition auf den artes liberales, ferner auf Lebensführung, Standesfragen und Politik.48 Hinsichtlich der Verfasserschaft ist zumeist wohl zwischen dem Professor, der die Frage, somit das argumentum liefert, und der rhetorischen Ausgestaltung zu differenzieren. Hier lassen sich in unserer Handschrift deutlich zwei Stile unterscheiden, ein relativ glanzloser, einfach argumentierender49 und die von Pontanus selbst stammende humanistisch gespickte Rhetorik.50 Mehr als die Hälfte der in unserer Handschrift überlieferten Disputationen hat Pontanus in seinen Progymnasmata Latinitatis zu Dialogen umgeformt oder Teile davon wieder verwendet.51 Teilweise formt er dabei aus den beiden Argumentationsreihen dramatis personae, wie z. B. bei der 1577 zum Bakkalaureat disputierten Frage Utrum pueri Musicam docendi sint52 oder der 1582 erörterten Frage der Prügelstrafe.53 Teilweise lässt er aber auch seine Schüler über die Disputation im Nachhinein reflektieren, wie zur Frage des Weingenusses.54 Dank der mehr als 40 Auflagen der Progymnasmata erreichen die Dillinger Disputationen so in veränderter Form ein breites Lesepublikum, weit über ihren ursprünglichen Anlass hinaus.55
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StuBD XV 399, fol. 197v–208r; Gratiarum actio IV und IX stammen nicht von Pontanus; daher nicht ediert in Pontanus, Reden; Gratiarum actio II der Handschrift ist tatsächlich zum Bakkalaureat gehalten; vgl. Pontanus, Reden, S. 252 – 254. 45 Pontanus, Reden, S. 254 – 257. 46 Siehe Anhang. 47 StuBD XV 399, fol. 133v–140v. 48 Siehe Anhang. 49 Z. B. in den Disputationen zum Magisterium von 1574 bis 1578: StuBD XV 399, fol. 123v–126v und 142v–147r. 50 Vgl. Pontanus, Reden, S. LVI–LIX. 51 Verzeichnis der Übernahmen: Leinsle, Werke, S. 111 – 113. 52 StuBD XV 399, fol. 170r–172r; Pontanus, Progymnasmata, Bd 1, S. 284 – 287; vgl. Leinsle, Lebenskonzepte, S. 830 – 832. 53 StuBD XV 399, fol. 117r–118r; Pontanus, Progymnasmata, Bd. 1, S. 226 – 231; vgl. Leinsle, Lebenskonzepte, S. 824 – 826. 54 StuBD XV 399, fol. 152r–154r; Pontanus, Progymnasmata, Bd. 2, S. 186 – 190; vgl. Leinsle, Lebenskonzepte, S. 822 – 824. 55 Zur Verbreitung vgl. Mahlmann-Bauer, Jacob Pontanus, S. 22.
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II. Disputationen zum Bakkalaureat Als Beispiel einer Promotion zum Bakkalaureus diene der Akt am 30. März 1581 unter dem Promotor P. Petrus Michael.56 Eine Promotionsansprache lässt sich diesem Tag nicht zweifelsfrei zuweisen, doch könnte es die Oratio IVoder V der Edition gewesen sein.57 Nehmen wir einmal an – zum Tagungsthema passend –, Oratio V, de vita litteratorum, sei an diesem Tag von P. Michael gehalten worden.58 Sie ist ein erhabener Lobpreis der vita scholastica, des humanistischen Gelehrtenlebens, wie es ausdrücklich auch für Priester gefordert wird. Es ist gekennzeichnet durch pax und tranquillitas, Wahrheit und Gerechtigkeit. Seine Nützlichkeit steht außer Diskussion, denn was wäre die Welt ohne Medizin, Astronomie, Geschichte, Philosophie, Rhetorik, Dichtung und Rechtswissenschaft? Die Wonnen eines solchen Lebens werden evoziert: die Lust, auf das Gymnasium zu gehen,59 die gelehrten Zirkel, Disputationen, ein Lebensstil, weit entfernt von schlechten Künsten und Lastern, in ständiger Lust und Freude, freilich nicht nach epikureischem Muster, sondern im Wissen: „Dulces ante omnia Musae.“60 Am Ende der Rede lobt der Promotor die Kandidaten, die dieses Ideal in Anfängen verwirklicht haben, und freut sich, öffentlich seine Hochschätzung bekunden zu können. Damit diese aber ihre Bildung öffentlich beweisen können, werden vier der zwölf ausgewählt; ihnen wird jeweils eine schola (typischer Sprachgebrauch bei Pontanus61) zu einer „erudite et copiose“ erfolgenden Beantwortung vorgelegt.62 Alle vier Fragen und Antworten hat Pontanus in seinen Progymnasmata wieder verwendet.63 Die ersten beiden Fragen sind eindeutig politischer Natur: Soll das Gemeinwesen durch mündlichen Spruch oder durch schriftliche Gesetze geleitet werden?64 Es ist die ciceronianische Frage nach dem Vorzug der animata oder inanimata iustitia.65 Frage 2 stellt die aus Aristoteles ebenso wie
56 P. Petrus Michael, geboren 1549 in Neumarkt in Schlesien, Ordenseintritt 1568, gestorben am 4. November 1596 in Freiburg/Schweiz, war von 1580 – 1582 Professor der Philosophie in Dillingen. Vgl. Leinsle, Disputationes, S. 563. 57 Vgl. Pontanus, Reden, S. XLII. 58 Ebd., S. 189 – 197. 59 Vgl. Rädle, Gegenreformatorischer Humanismus, S. 132 – 135. 60 Vergilius, Georgica 2, 475. 61 Vgl. die von ihm präsidierten Disputationen StuBD XV 399, fol. 161v–167v, wo jeweils wie im Promotionskatalog StuBD XV c 133, I, fol. 70r „Schola“ verwendet und dann durch „Responsio“ ersetzt ist: Pontanus, Reden, S. XXIV f. 62 Pontanus, Reden, S. 196,247 – 197,274. 63 Pontanus, Progymnasmata, Bd. 3,2, S. 196 – 203: Progymnasma III, 2, 20; ebd., S. 193 – 196: Progymnasma III, 2, 19; ebd., Bd. 2, S. 234 – 245: Progymnasma II, 37. 64 StuBD XV 399, fol. 154r–156v (fol. 155 wird in der Handschrift übersprungen): Quaestio V: Melius ne arbitrio rectorum quam scripto iure civitas gubernetur; vgl. StuBD XV c 133, I, fol. 77r: Schola 1. 65 Cicero, Topica 69.
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aus Jean Bodin bekannte Frage nach der Dauer der Ämterbesetzungen.66 Frage 3 nach der Tafelmusik ist von Plutarch, einem Lieblingsautor Pontanus’, inspiriert und wird sogleich als eine „quaestio iucunda nec infrugifera“ vorgelegt.67 Frage 4 führt das Thema convivium weiter mit der Dankespflicht des Gastgebers oder des Gastes.68 In allen Fällen gibt der Professor bis zu drei Argumente für beide Seiten an und fordert dann den Kandidaten zur Beantwortung auf. Die Antworten sind in diesem Fall von Pontanus durchgestaltet, selbstverständlich mit eingestreuten klassischen Versen, und benötigen zumeist bis zu 20 Minuten Redezeit. Eröffnet wird die Antwort mit der Einwilligung, aber auch dem Hinweis auf die Schwierigkeit des Themas und die Wucht der vom praeceptor humanissimus vorgetragenen Argumente.69 Am Ende der eigenen Argumentation wird mehr oder weniger ausführlich auf die vorgetragenen Argumente für die andere Seite eingegangen.70 Als Quellen der politischen Diskussion dienen vornehmlich antike Autoren, allen voran Cicero, gefolgt von Aristoteles, aber auch Sueton, Livius, Tacitus, Seneca, Cassius Dio,71 in einem Fall Augustinus72 sowie der von Pontanus geschätzte Claudian.73 Bei den schriftlichen Gesetzen darf natürlich der Hinweis auf den biblischen Dekalog nicht fehlen, ebenso wenig der Codex Iustiniani.74 66
StuBD XV 399, fol. 156v–158r: Quaestio VI: Num sint e republica perpetui magistratus. Vgl. StuBD XV c 133, I, fol. 77r: Schola 2; Aristoteles, Politica IV, 15 1299 a 5 – 11; Bodin, De republica, S. 680. 67 StuBD XV 399, fol. 158r–159r: Quaestio VII: Recte inter epulas adhibeatur concentus musicus necne. Vgl. StuBD XV c 133, I, fol. 77r: Schola 3; Plutarchus, Quaestiones symposiacae VII, 7 710B–711A; VII, 8 711B–713F; zu Plutarch vgl. Pontanus, Reden, S. LVI f. 68 StuBD XV 399, fol. 159v–161r: Quaestio VIII: Ecquid convivator an conviva gratias agere debeat; vgl. StuBD XV c 133, I, fol. 77r: Schola 4. Vgl. Plutarchus, Quaestiones symposiacae I, 1 615 A–C; VIII, 8 712F–713F. 69 Z. B. StuBD XV 399, fol. 157r: „Non perinde ad dissolvendum facile est haec quaestio ut illa, de qua N. N. disseruit. Nam cum argumenta tua, Magister humanissime, multum apud me valent, tum non parum etiam illa me turbant, quae brevitatis causa omisisti.“ 70 Z. B. StuBD XV 399 fol. 157v–158r: „Euripidem tetricum et morosum hominem valere iubeamus. Nam in luctu instar medici assistere aegrotanti debet sobria et industria ratio, musicis blandimentis nusquam magis quam inter epulas locus est.“ Vgl. Euripides, Medea 196 – 208. 71 In Quaestio V und VI: Cicero, De officiis; De legibus; De oratore; De finibus; Tusculanae disputationes; Laelius; Suetonius, Caligula 34, 2; Aristoteles, Politica; Aristoteles, Ethica Nicomachica; Livius, Ab urbe condita 3, 31, 8; 3, 35, 5; Seneca, Thyestes 312 f.; Tacitus, Annales 1, 80; Suetonius, Tiberius 41; Cassius Dio, Historiae. 72 Augustinus, In Ioannis Evangelium, tractatus 99, 2, Sp. 1887, ausführlich zitiert in Quaestio V, StuBD XV 399, fol. 155v–156r. 73 Claudianus, Panegyricus Honorio Augusto 8, 490 f. zitiert in StuBD XV 399, fol. 157r. 74 StuBD XV 399, fol. 156r: „Deus ipse scriptum ius approbavit, qui in Iudaeorum ordinanda republica leges tulit et scripsit, secundum quas iudicia exercerentur. […] Feruntur insigni laude Athenienses et Romani, quod lege sanxerint, ut lecti iudices iurarent ex legibus, non privato arbitrio pronunciaturos.“ Vgl. Codex Iustiniani 3,1, 14.
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Die Frage der Tafelmusik wird vom Promotor mit einem Dissens der vier bedeutenden Autoritäten Plato, Euripides (contra), Xenophon und Plutarch (pro) eröffnet,75 dann vom Promovenden über Aulus Gellius, Homer, Vergil, aber auch Aristoteles und Diogenes Laertius bis zur symphonia discors bei Horaz fortgeführt.76 Die Disputation der Dankespflicht im convivium eröffnet der Respondent mit einer scharfen Abfertigung eines nicht genannten Grammaticus, der Cicero wegen seiner Übersetzung von syndeipnon und symposion mit convivium kritisiert,77 und führt die Argumentation dann weitgehend aus Quintilian, Diogenes Laertius und natürlich Cicero weiter.78 Wie entscheiden die Kandidaten die vorgelegten Fragen? Natürlich im Sinne ihres Lehrers, so nimmt man zumindest an. Die erste Frage wird selbstverständlich zugunsten des gesatzten Rechtes entschieden, nicht ohne den Hinweis auf Caligula, der alle Schriften der Rechtsgelehrten vernichten wollte,79 und im Vergleich mit der Medizin, deren Handbücher nach Aristoteles nur die Dummen missen wollen.80 Zudem sind die Wankelmütigkeit der Magistrate und die Abhängigkeit des Menschen von seinen Emotionen zu bedenken.81 Historische Vorbilder wie die Gesandtschaft von Rom nach Athen zum Abschreiben der Gesetze werden bemüht.82 Außerdem sind wirklich gute Fürsten eine Seltenheit.83 Der Schluss dieser Antwort ist überraschend und zeugt für das von Pontanus dem Redner, wohl dem Erstplatzierten, zugewiesene Selbstbewusstsein: Auf einen üblichen Hinweis, die Geduld der Zuhörer nicht weiter strapazieren zu wollen, folgt die Bitte an den Lehrer, das gutzuheißen, was gesagt wurde. Falls er das nicht wolle, solle er sich selbst, nicht dem Responden-
75 Vgl. Plato, Protagoras 374C–D; Euripides, Medea 196 – 208; Xenophon, Symposium 2, 1; Plutarchus, Quaestiones symposiacae VII, 7 710C. 76 Vgl. Gellius, Noctes Atticae 13, 11, 3 f.; Homerus, Odyssea 22, 330 – 380; 8, 44 – 83; Homerus, Ilias 1, 603; Vergilius, Aeneis 1, 740 – 746; Aristoteles, Politica VIII, 5 1340 b 1 – 3; Diogenes Laertius, Vitae 2, 32; Horatius, De arte poetica 374. 376. 77 StuBD XV 399 fol. 159v–160r; vgl. Cicero, Cato maior 45; Cicero, Epistulae ad familiares 9, 24, 3. 78 Quintilianus, Institutio oratoria 1, 6, 3; Diogenes Laertius, Vitae VI, 34, Cicero, Cato maior 45. 79 Vgl. Suetonius, Caligula 34,2. 80 Vgl. Aristoteles, Politica III, 11 1282 a 1 – 14; III, 15 1286 a 11 – 15; III, 16 1287 a 34–b 3. 81 StuBD XV 399, fol. 157v: „Eadem ratione si iudicare, decernere, imperare sine legibus scriptis quicquid in mentem venerit, magistratibus concederetur, saepe nimis stulta, plena inscitiae, plena iracundiae aliarumque a ratione aversarum commotionum decreta promulgabuntur et iniusta iura sancientur.“ 82 Vgl. Livius, Ab urbe condita 3, 31, 8; 3, 35, 5. 83 StuBD XV 399, fol. 156r: „Ac si de principibus agere velimus, pauci omnino sunt boni principes, ut quidam urbane dixerit omnium bonorum principum imagines in uno annulo sculpi posse. Boni quoque tot circumstantibus vitiis et peccatis facile corrumpuntur.“
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ten, die Schuld dafür geben, weil er ihn fälschlich für fähig gehalten habe, die Frage richtig zu beantworten.84 Der zweite Respondent entscheidet sich natürlich nach römischem Vorbild mit den Digesten und dem Zwölftafelgesetz für eine begrenzte Amtszeit, nicht zuletzt zur Verhütung von Hochmut und Tyrannei.85 Er entschuldigt sich am Schluss, das alles mehr herausgeprudelt als disputiert zu haben, aber er habe getan, was er konnte.86 Der dritte gibt der Tafelmusik in bestimmten Grenzen Recht, weil wir keine vollkommenen Weisen sind, und neben den entsprechenden Gesprächen auch der musikalischen Unterhaltung bedürfen,87 wie es nicht zuletzt beim Doktorschmaus an der Universität der Fall ist.88 Dem finsteren und mürrischen Euripides gibt er den Abschied89 und unterwirft sich schließlich dem Urteil seines Lehrers, dessen Freundlichkeit und Wohlwollen ihm in diesem Punkt mehr Wert sind als die Wahrheit.90 Die Frage der Danksagung beim Gastmahl wird nach dem Rang entschieden: Sie liegt immer beim niedriger Gestellten.91 Sind Gastgeber und Gast gleichrangig, ist die Absicht des Gastgebers bei der Einladung zu bedenken: Ist diese ein Gunsterweis an den Gast, hat dieser zu danken, dient sie aber der Erhöhung der eigenen Ehre, der Gastgeber.92 Auch hier überrascht die Schlussformel: Sieh, praeceptor, du hast jetzt 84 Ebd., fol. 156v: „Dixi non singula, quae volebam et poteram, sed quae satis aperirent sensum meum et longitudine sua non viderentur caeteris molestiam paritura. Te oro, Venerande Doctor, aut ista probes, quae audisti, aut si improbas, non mihi, sed tibi veniam des, qui me doctiorem competitoribus meis atque ad respondendum instructiorem falso credideris.“ 85 StuBD XV 399, fol. 157v; vgl. Digestae 50, 3, 15; Cicero, De legibus 3, 9; Sallustius, Catilina 6, 7. 86 StuBD XV 399, fol. 158r: „Haec ego effudi verius quam disputavi, Praeceptor eruditissime; qualia sint, tuum erit iudicium. Ipse munus meum si minus implevi, certe ut implerem elaboravi.“ 87 StuBD XV 399, fol. 159r: „Nec ego adhuc intelligo, cur huiusmodio voluptas ab illis repudianda sit, dum moderatio quaedam teneatur modique nimium leves et ad turpitudinem sollicitantes locum nullum habeant.“ 88 Ebd.: „Postremo, an non haec nostra Academia exemplo suo monet, quid sentiendum sit? Quotanis oppipare structum convivium magistris declaratis concelebratur. Accumbunt viri boni et docti permulti. Toto tempore, quo durant epulae, fistulis, fidibus et vocibus triclinium consonat. Si haec res minus honesta et conveniens videretur convivarum gravitati ac sapientiae, nunquam fuisset tam diu ab Academiae principibus tolerata.“ 89 Siehe oben Anm. 70. 90 StuBD XV 399, fol. 159r: „Respondi, praeceptor optime, magis ut potui quam ut volui. Si haec tibi non improbantur, ita iudicium tuum amplector, ut in eo humanitatem et benevolentiam erga me tuam plus valuisse aliquanto quam ipsam veritatem existimem.“ 91 Ebd., fol. 159v: „Si quispiam vocaverit homines eximia probitate et sapientia conspicuos, ipse gratias iure convivis aget. […] Quis porro dubitet, quin honoratos, non autem honorantes gratias agere conveniat?“ Ebd., fol. 160v: „Quod contra si convivii instructor convivis dignitate, amplitudine, opibus, virtute, sapientia, auctoritate, gloria antecelluerit, ipsi debentur gratiae, quia honore afficit quos invitavit, cum eos mensa sua dignatus est.“ 92 Ebd., fol. 160v: „Potest fieri aliquando, ut convivator et convivae aequales sint iis rebus, quas supra recensui, ab utro tum postulabitur gratiarum actio? Considerandum puto, quid epuli dominus propositum habuerit. Si ideo vocavit, ut opus honestissimum et pulcherrimum face-
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vielleicht nicht genug der Sache, aber genug der Worte; denn eine längere Erörterung könnte die Vorfreude auf das kommende convivium mindern und manche dazu verleiten, dort noch über ihre Dankespflicht zu räsonnieren.93 Was bleibt dem Promotor da noch zu sagen? Dass die Kandidaten seine Erwartung in der „copiosa nec minus polita explicatio“ im Übermaß erfüllt haben.94 III. Disputationen zum Magisterium Als Beispiel für eine Magisterpromotion diene der Akt vom 21. Juni 1580 mit 18 Kandidaten unter dem Professor P. Andreas Sylvius.95 Die bedeutende Promotionsansprache dieses Tages hielt der Erstplatzierte P. Wolfgang Spies OSB von Einsiedeln zum Thema, ob die antiken Philosophen mehr Gutes oder Schlechtes bewirkt haben.96 Gegen die Philosophen spricht die vor allem aus Plutarch und Benedictus Perera geschöpfte Vielfalt der Meinungen,97 wo doch die Wahrheit eine ist, was vor allem an der Prinzipienlehre der Physik entfaltet wird, aber auch hinsichtlich des höchsten Gutes. Doch dieselbe Philosophie gilt andererseits nicht nur bei Cicero als das höchste Gottesgeschenk; sie führt die Menschen zum geordneten Zusammenleben, gibt Gesetze, lehrt die Tugend, hemmt die Leidenschaften.98 In seinem Zwiespalt ruft der Kandidat den Promotor zu Hilfe, der in den Bahnen der philosophia perennis die Herkunft der Philosophie von einer göttlichen Uroffenbarung an Adam betont,99 den Nutzen der Physik (insbesondere der Astronomie), Logik und Ethik herausstreicht und die Dillinger Studenten zur Philosophie einlädt. In einem auf die am selben Tag zu disputierende Frage An magnanimi sit vim vi repellere vorret, ut amorem et benevolentiam declararet, cum suis quam iucundissime viveret nihilque ad animos hilarandos praetermisit, convivarum munus est sese gratos ostendere. […] Sin vero alicuius commodi aut gratiae ineundae (mensa enim maxime, ut Cato aiebat, amicorum parens et procreatrix est) aut gloriae maioris aucupandae causa hoc egit, ipse grates agit.“ Vgl. Cicero, Cato maior 45. 93 StuBD XV 399, fol. 161r: „En, praeceptor, habes non multum fortasse rei, at certe verborum satis. Verebatur autem, ne si procederem longius, quorundam in proximis conviviis laetitiam impedirem, quia de agendis gratiis nimirum anxie cogitarent et quod domi in otio nunquam fecissent, inter epula facerent, ut seipsos nosse laborarent.“ 94 Ebd.: „Expectationem meam, Candidati, non explevistis tantum, sed etiam cumulate explevistis. Summae mihi iucunditati fuit (et arbitror idem huic ornatissimae liberalissimorum frequentiae accidisse) rerum tam elegantium et tum ad reipublicae gubernationem tum ad vitae morumque honestatem commodissimarum copiosa nec minus polita explicatio.“ 95 Vgl. StuBD XV c 133, I, fol. 75r. Andreas Sylvius (Steyrwald), geboren 1550 in Würzburg, gestorben am 4. Oktober 1615 in Porrentruy/Schweiz, Professor der Philosophie in Dillingen 1577 – 1583; vgl. Leinsle, Disputationes, S. 564. 96 Pontanus, Reden, S. 124 – 138. 97 Vgl. Pererius, De communibus, liber 4, S. 186 – 273; dazu Blum, Pererius, S. 290 – 293; Leinsle, Widerstand, S. 66 – 68. 98 Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes 5, 5; Cicero, De legibus 1, 58. 99 Vgl. Schmidt-Biggemann, Philosophia, S. 646 – 701; Schmidt-Biggemann, Enzyklopädie; zu Pontanus auch Bauer, S. 100 – 110.
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ausweisenden Exkurs warnt er sie vor der eigenmächtigen Rache bei Beleidigungen und entkräftet schließlich im Einzelnen die Gegenargumente des Kandidaten.100 Von den für diesen Tag auf dem Promotionskatalog vorgesehenen vier Fragen wurden allerdings nur drei disputiert und die letzte als erste: Verdient Aristoteles den Vorzug vor den übrigen Philosophen?101 Die erste Frage, Utrum scripta faciant sapientem, unterblieb.102 In der Einleitung streicht der neue Magister die Bedeutung dieser Disputationen heraus: Wie in einem Schaufenster beim Eingang nur Bilder der in der Werkstätte verarbeiteten kostbaren Stoffe oder hergestellten Geräte zu sehen sind, so geht es jetzt nach der äußeren Verleihung der Insignien an die Sache selbst.103 In durchaus militärischer Diktion gibt es da gegenseitige Wunden, und es werden Speere geschleudert, bis schließlich ein bewaffneter Schiedsrichter den Streit beendet.104 So darf sich zunächst Aristoteles mit den übrigen Philosophen streiten, wobei viel aus Perera und natürlich Cicero, Plutarch und Plinius, aber für die Aristoteles feindliche Seite auch aus Petrus Ramus geschöpft wird.105 Leider haben wir für diese Frage nicht die Antwort des gewählten Magisters, können sie aber erahnen, zumal die Disputation vieles aus der langen Rede De quatuor sectis philosophorum von 1576 wieder aufnimmt,106 die seinerzeit der nachmalige Abt von St. Luzi in Chur, Hieronymus Huttler O. Praem. gehalten hatte.107 Am Vorrang des Aristoteles besteht letztlich kein Zweifel.108 100
Pontanus, Reden, S. 136 f., Z. 402 – 422; vgl. StuBD XV 399, fol. 133v–136v; StuBD XV c 133, I, fol. 75r. 101 StuBD XV 399, fol. 140v–142r. 102 Vgl. StuBD XV c 133, I, fol. 75r. 103 StuBD XV 399, fol. 140r: „Solent ii, qui rerum splendidarum officinas cogitant, ipsum domus vestibulum primumque conspectum earundem rerum imaginibus exornare, apertis vero officinis non imagines ad umbras, sed res ipsas ut byssum, ut sericum, ut gemmarum illuminationes, ut aromatum odores proponere, quo officinarum apparatus spectatorum animos teneat, ne pictoris artificium spectandi aviditatem vehementius quam habendi diligentia mercatoris inflammet. In eo etiam nostra iam eviligabit industria, ut cuius scientiae praefert imaginem, huius habitus gravitas, eandem oratio nostra non inani praedicatione verborum, sed gravissimarum sententiarum contentionem vocatarum disceptatione repraesentent.“ 104 Ebd.: „Adducemus itaque nonnullas quaestiones, ad quas ubi in mediam arenam defenderint et in mutua vulnera versis hastis exarserint, armatum aliquem arbitrum, qui flagrantis praelii certamen dirimat, advocabimus.“ Zur militärischen Diktion bei Disputationen vgl. auch Pontanus, Progymnasmata, Bd. 1, S. 262 – 244: Progymnasma 64: Disputatio; Leinsle, Lebenskonzepte, S. 282 f. 105 Vgl. Ramus, Scholae, S. 7 – 9. 106 Pontanus, Reden, S. 63 – 79; vgl. dazu Leinsle, Lebenskonzepte, S. 814 – 819. 107 Vgl. Pontanus, Reden, S. XL. 108 StuBD XV 399 fol. 141v: „Accedit Aristotelis in omnibus disciplinis pulcherrimi ordinis architectura, cum ab illis rebus, quae sensibus finitimae sunt aut in eos cadunt, scientiarum omnium exordia ducantur, quo facilius illae se sensim in imperitorum adolescentum intelligentiam insinuent.“ Ebd., fol. 142r: „Has ob laudes ait Cicero Aristotele nihil esse acutius, nihil esse politius. […] Plinius vero gravissimus historiae naturalis author Aristotelem iam summum in omni doctrina virum, iam immensae subtilitatis vocat.“ Vgl. Cicero, Academica priora 143; Cicero, Topica 6; Plinius, Naturalis historia 8, 44; 18, 355.
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Die zweite Frage An magnanimi sit vim vi repellere betrifft, wie schon in der Rede angekündigt, die unter den Dillinger Studenten offenbar verbreitete Selbstjustiz bei Beleidigungen, nicht zuletzt von Personen niedrigeren Standes und weiblichen Geschlechts, und zeigt die Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Studenten an der noch kein halbes Jahrhundert bestehenden und wachsenden Universität in einer Kleinstadt.109 In der Disputation wird allerdings der Konflikt auf die Rollen der die pars negans vertretenden Lehrer und diejenige der gewaltbereiten Studenten verteilt.110 Das Recht auf Selbstverteidigung wird mit Aristoteles, Cicero und Seneca aus der Natur selbst begründet,111 zumal die Zornmütigkeit (ira) von Aristoteles sehr positiv gewertet wird und natürliche Rache schon im Tierreich verbreitet ist.112 Das muss den anwesenden Studenten, wie der Redner selbst einräumt, natürlich sehr gefallen.113 Auf der anderen Seite stehen die stoischen Lehrer samt Plutarch, De cohibenda ira, die hier für die Gegenthese ausgeschlachtet werden.114 Doch was soll man tun, wenn ein Dillinger Weiblein einen Studenten einen Säufer nennt?115 Soll man sie gleich eine alte Hexe („perchta“) heißen?116 Soll sich denn ein Mann mit Weibern schlagen? Nein, „cedendo victor abibis“.117 Welche von beiden Seiten ist die wahre magnanimitas? Der herbeigerufene Magister leistet den Freundschaftdienst, 109
StuBD XV 399, fol. 133v–136v; zum sozialen Hintergrund vgl. Müller, Probleme. StuBD XV 399, fol. 133v: „Quam quidem dissensionem sola praeceptorum authoritas, quam apud discipulos esse gravissimam oportet, dirimere deberet, sed quoniam humanis autoribus opiniones non tam vincuntur quam reprimuntur, statui iam pro utraque parte quibus possum argumentis pugnare, ut homines docti, qui falsitatis patrocinium refellat, interposito iudicio discipuli praeceptoribus concilientur finemque dissensioni hactenus nunquam in apertum certamen adductae hodiernus dies afferat.“ 111 Ebd.; vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachica III, 11 1116 b 24 – 26; IV 11 1126 a 3 – 9; Seneca, De ira 2, 16; Cicero, Pro T. Annio Milone 10; Cicero, Orator 165. 112 Aristoteles, Ethica Nicomachica IV 11 1126 a 3 – 9; zur mittelalterlichen Diskussion vgl. Köhler, Konturen, Bd. 2, S. 686 – 688. Vgl. dazu auch XV 399, fol. 143v–144r: Utrum ira sit utilis ad res fortiter gerendas; fol. 122v–123v: An virum deceat aliquando irasci; Leinsle, Lebenskonzepte, S. 819 – 822. 113 StuBD XV 399, fol. 13v: „Hactenus tibi, Academica iuventus, vela fecit et forsan ex animo tuo sententia oratio, sed quam quid venti velo reflectant, magnanimitas est ab ulciscendi libidine vindicanda.“ 114 Ebd., vgl. Plutarchus, De cohibenda ira. 115 StuBD XV 399. fol. 134r/v: „Quid vero Academico studioso indignius esse posset quam bacchantis affici nomine. Quam multa cruribus, genibus, fronte, naso, capite, barba primo studiorum aditu atque vestibulo patimur, ut hoc nomen deponemus, et idem a rusticis postea et muliericulis feremus?“ Anspielung auf die Deposition: vgl. Pontanus, Progymnasmata, Bd. 1, S. 340 – 347: Progymnasma 84: Depositio. 116 StuBD XV 399, fol. 135r: „An vero constantia retinetur, si te muliercula bacchantem, tu illam bertam voces aut verbi iniuriam verberis acerbitate compenses?“ 117 Ebd., fol. 135r/v: „Quid ergo? Pugnabitis viri cum mulieribus? mulieres autem voco etiam eos, qui iniuriam inferunt. Nam ut iniuriam difficile ferre mulierum est, ita et facillime inferre. […] Adde, si vere magnanimi et victoris opinionem affectas: Cedo repugnanti; cedendo victor abibis.“ Vgl. Ovidius, Ars amatoria 2, 197; zur Misogynie der aristotelischen Tradition vgl. Köhler, Konturen, Bd. 2, S. 693 – 697. 110
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nimmt die militärische Diktion auf und gratuliert zuerst einmal dem Disputanten, der nun die Feldbinde in Ehren ablegen könne.118 Er selbst vertritt durchaus die These: „Licet vim vi repellere“, und begründet diese wiederum aus dem Tierreich, in dem sich auch die kleinsten Tiere zu wehren wissen.119 Denn schließlich ist mit Terenz jeder sich selbst der Nächste.120 Zur Untermauerung seiner These bemüht der Magister neben vielen Beispielen das Römische Recht.121 Aber auch hier gilt das Gesetz der Mäßigung und gegebenenfalls der Gang vor Gericht, doch ebenso das Ertragen kleiner Injurien.122 Dennoch verdienen die Menschen höchste Anerkennung, die wegen der Wahrheit des Christentums Gewalt erleiden und sich nicht wehren, sondern ihren Henkern verzeihen.123 Die dritte Frage ist von Aristoteles inspiriert124 und weitgehend den von Pontanus vielfach herangezogenen Lectiones antiquae des Ludovicus Caelius Rhodiginus125 entnommen: Welchen Einfluss hat die Bodenbeschaffenheit eines Landes auf die geistigen Anlagen seiner Bewohner?126 Mit Aristoteles und Cicero ist der Einfluss hoch zu veranschlagen, wie schon die Körpergestalt und die Nationaleigenschaften der Völker bezeugen, wobei die „astuti Itali, simplices Helveti, tardi Germani, celeres Galli“ und „iracundi Hispani“ natürlich Topoi sind, die hier gut gebraucht werden können.127 Hinzu kommen die verschiedenartige Kleidung und schließlich die Lebensweisen („mores“) der einzelnen Menschen.128 Das alles dem Einfluss des Landes 118 StuBD XV 399, fol. 135v: „Quamobrem ego, qui te amo et in amicis tuis numerari cupio, sicut pari tecum dolore cruciarer, si quippiam triste adversumque tibi cecidisset, ita nunc eadem laetitia tecum perfundor, cum intueor te magistri appellatione cohonestatum sublime sedere et suavissimos illos litterarum fructus degustare, quarum radices amaras esse dixit omnis eruditionis antistes Aristoteles. Militasti hanc militiam strenue, quaevis pericula generosa mente contempsisti, nunc cingulum solvis cum gloria et tanquam confectis stipendiis perpetuam vacationem adipisceris.“ 119 Ebd., fol. 135v–136r; vgl. Cicero, De officiis 1, 4, 11. 120 Terentius, Andria 363. 121 Digestae 43, 16, 1 § 27 (Ulpian). 122 StuBD XV 399, fol. 136v; vgl. Seneca, De ira 3, 38, 2; 2, 32, 3. 123 StuBD XV 399, fol. 136v: „Verumtamen semper laudati sunt et laudabuntur qui vacantes culpa propter Christianae religionis veritatem et iustitiam persecutionem aequissimo animo patiuntur et inimicis atque carnificibus suis quamvis non rogati libenter ignoscant.“ 124 Aristoteles, Politica VII, 7 1327 b 23 – 36; zur mittelalterlichen Diskussion vgl. Köhler, Konturen, Bd.1, S. 810 – 827. 125 Caelius Rhodiginus, Lectiones antiquae, Bd. 2, S. 584 – 586. 126 StuBD XV 399, fol. 137r–140r: An soli varietas varietatem afferat ingeniorum. Vgl. StuBD XV c 133, I, fol. 75r. 127 StuBD XV 399, fol. 137r/v; vgl. auch Ps.-Aristoteles, Problemata XXX,1; Cicero, Tusculanae disputationes 1, 33, 80. 128 StuBD XV 399, fol. 137v: „Quanta etiam vestium varietas? Galeris alii vix capita amplectuntur, alii fastigiis coelo minantur, alii plane orbe tympana referunt. Togas alii ab humeris ad tales demittunt, alii vix nates abdunt. Aliis novem nonaginta ulnis caligae ad calcem defluunt, aliis inflati ventu folles ambiunt foemora, aliis vestitus omnis ita fluitat, ut caput, manus, pedes atque omne corpus uno complexu involutum esse videatur, aliis ita
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zuzuschreiben, widerspricht aber, platonisch gesehen, der geistigen Natur des Menschen, zumal Körperliches auf Geistiges nicht wirken kann und die Seele keine aus der Materie eduzierte Form ist.129 Deshalb ist auch die Physiognomik keine Erkenntnis aus Ursachen, sondern schließt nur aus Symptomen und Wirkungen auf die entsprechenden Anlagen.130 Nimmt man Einflüsse auf die geistigen Anlagen an, dann am ehesten solche von den Eltern als deren causa efficiens.131 Ferner müssten bei einem bestimmenden Einfluss des Landes alle Kreter Lügner, alle Kilikier Räuber, alle Athener prozesssüchtig, alle Deutschen Säufer und Dummköpfe sein.132 Der Magister, der sich zunächst in einer hochstilisierten Einleitung an seinen Freund wendet,133 löst diese quaestio periucunda ausgehend von einer langen Rezitation aus der Georgica Vergils134 als Fundament der weiteren Argumentation, vor allem hinsichtlich der Pflanzen, besonders des Weins, dann des Tierreichs, wozu Vergil, Horaz und Plinius reiches Material liefern.135 Warum sollte das dann bei den Menschen anders sein? Schaut euch doch die dummen und verstockten Böothier an und dagegen die Athener!136 Die Gegenargumente weiß der Magister zu entkräften. Wenn auch kein direkt befehlender Einfluss auf die Seele besteht, so doch ein indirekter, der durch strictus est angustus, ut singulos artus exprimat. Quid iam de infinita morum dissimilitudine dicam?“ 129 Ebd.: „Corporibus autem nullas esse relictas in animos vires inde planum effici potest, quod in res ab omni materiae concretione segregatas nulla corporis corporeaeque rei vis cadat. Deinde animos in perfecta iam corpora infusos haustosque habemus, non autem ut caeteras formas ex ipso corpore eductas, quinimmo non corporum figurae animorum habitus, sed ipsi animorum habitus corporum figuras fingunt.“ 130 Vgl. Ps.-Aristoteles, Physiognomia II 811 a 17 – 812 a 5; zur mittelalterlichen Diskussion vgl. Köhler, Konturen, Bd. 1, S. 245 f. 333; Bd. 2, S. 753 – 755. 131 StuBD XV 399, fol. 138r: „Praeterea ut demus aliquas ingeniorum varietatis e corporibus existere, non tamen eas patria, sed parentes in corporibus inserunt. Eius enim est quod efficiat etiam tale efficere, patriae vero non efficiendi vis, sed conservandi tantum tribuitur.“ Vgl. Plinius, Naturalis historia 7, 52; Cicero, Tusculanae disputationes 1, 33, 81. 132 StuBD XV 399, fol. 138r; aus Caelius Rhodiginus, Lectiones antiquae, Bd. 2, S. 585. 133 StuBD XV 399, fol. 138v–139r: „Neque enim is ego sum, cui aut natura summae doctrinae subsidia contulit aut usus mediocrem facultaten adiunxit aut artium denique maximarum ardens studium singularem aliam eximiamque doctrinam comparavit, sed tamen in his sive naturae meae sive fortunae difficultatibus obsequar voluntati tuae neque committam, ut homo praesertim in litteris semper educatus amico et necessario roganto officium potius deseruisse quam secutus fuisse videar. Tui candoris et humanitatis erit, si non quod quam optime, attamen quod quam diligentissime respondero, aequi bonique facere.“ 134 Vergilius, Georgica 2, 83 – 91. 93. 103 – 108. 135 Vgl. Horatius, Sermones 2, 8, 16; Plinius, Naturalis historia 14, 53; Homerus, Odyssea 9, 345 – 369; Vergilius, Georgica 2, 195 – 197: „boves Tarentini“; 2, 198 – 200: „oves et caprae Mantuanae“; 3, 255: „sues Sabellici“; Plinius, Naturalis historia 8, 170: „mulae Hispanicae“; 8, 48: „leones Getuli“. Vgl. Pontanus, Progymnasmata, Bd. 3, 1, 452. 467. 136 StuBD XV 399, fol. 140r: „Quae cum ita sint, haud difficilis est coniectura idem quoque hominum generi accidere. Quid enim tum Boethorum genus tam stupidum reddit et obtusum, an non ibi loci spissius et nebulis inquinatius? Quid contra Athenienses ingenii et eloquentiae gloria ita illustres et prope singulares effecerit? Nonne illa maxime, qua excellunt soli caelique mitissima temperies.“ Vgl. Pontanus, Reden, S. 155, Z. 231 – 241.
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Anreize wirkt.137 Die Generalisierungen bezüglich der Kreter, Athener usw. werden als eher der Rhetorik geschuldete facetiae denn als wirkliche Argumente eingestuft.138 Zudem werden hier gerade die Elemente vernachlässigt, die erst den Charakter bilden: Erziehung und Gottesfurcht.139 IV. Eigenart und Bedeutung Promotionsdisputationen sind, so haben wir gesehen, Disputationen in utramque partem mit ungewissem, manchmal überraschendem Ausgang. Ja, der eigentliche Ort solcher Erörterung von Problemata in utramque partem ist bei den Jesuiten der Promotionsakt,140 während die akademische Schuldisputation nach Meinung der Ordensleitung an die Assertionenmethode gebunden bleiben sollte.141 Eine solche scholastische Disputationstechnik suchen wir in unserer Sammlung vergeblich; vielmehr bleibt Pontanus am rhetorischen Ideal der Disputation orientiert, wie er es in Progymnasma I, 63 als Einleitung zu Disputationsübungen der Gymnasialklassen dargestellt hat.142 Da können literarische Autoritäten gut neben philosophische treten oder diese an Gewicht sogar übertreffen, vor allem Vergil. Zudem geben uns diese Disputationen gelegentlich Einblick in die humanistisch stilisierten Kommunikationsstrukturen zwischen Professoren und Studenten, Studenten und ihren ehemaligen Kommilitonen, zeigen Freundschaften und Verbindungen auf und dokumentieren nicht zuletzt ein den Neupromovierten von Pontanus wohl kaum zu Unrecht zugeschriebenes akademisches Selbstbewusstsein vor einem meist glänzend besetzten Auditorium.
137 StuBD XV 399, fol. 140r: „Quod ergo dicis animos materiae omnis expertes, eos demus ex materia minime productos, sed infusos et aliunde inmissos a corporibus aut regionibus nequaquam affici et pati posse, hoc etsi imperando, dominio exercendo non fiat, attamen suadendo prolectandoque efficitur.“ 138 Ebd.: „Quod autem in extrema oratione tua dixisti sequi oportere, ut si uni cuipiam nationi insita essent mentiendi aut furandi libido, neminem non illius nationis mendacem et furem futuri, facete potius ac copiose quam firmiter et vere ratiocinari visus es.“ 139 Ebd.: „Nihil diligens educatio emendabit? nihil magistrorum cultura? nihil honestissimorum studiorum communicatio dehortabitur? Nihil denique praepotens illa tremendi numinis potestas avocabit?“ 140 Lukács, Monumenta, Bd. 2, S. 259 – 265: Ratio Studiorum 1556; ebd., S 70 f.: Studienordnung des P. Hoffaeus für das Jesuitenkolleg in Prag (1560); zur rhetorischen Bedeutung dieser Disputationen und Deklamationen in utramque partem vgl. Fois, Retorica, S. 70 – 78; zum Begriff und zur Literaturgattung der (naturphilosophischen) Problemata vgl. Blair, Problemata, S. 172 – 178. 141 Vgl. Leinsle, Disputationes, S. 39 – 41. 142 Vgl. Pontanus, Progymnasmata, Bd. 1, S. 242 – 244; zur gymnasialen Disputation vgl. auch ebd., S. 201 – 203.
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V. Anhang Die Disputationen in der Handschrift Studienbibliothek Dillingen XV 399 114v Disputationes in magisterio habitae. Disputatio prima. Utrum decem libri Ethicorum sint Aristotelis [1582] 115v Disputatio secunda. Utrum terra caeteris elementis antecellat [1582] 116v Disputatio tertia. Utrum varia, ac multiplex lectio utilis sit ad doctrinam [1582] 117v Disputatio quarta. Utrum puerilis aetas verberibus punienda sit [1582] 118v Disputatio quinta. Utrum timor cadat in virum fortem [1581] 119v Disputatio sexta. An Europa sit praestantissima orbis terrarum pars [1581] 120v Disputatio septima. Utrum nobilitas ducenda sit in bonis [1581] 121v Disputatio octava. An sit utile peregrinari [1581] 122v Disputatio IX. An virum deceat aliquando irasci [1578] 123v Disputatio 10. [Utrum difficilius sit res molestas toleranter pati, an sese ab iucundis abstinere – 1578] 125r Disputatio XI. Cometae sint ne, quarum dicuntur rerum causae [1578] 126v Disputatio 12. Utrum e naturae principiis creationis cognitio peti possit [1579] 128v Disputatio XIII. Sitne civis philosopho anteponendus [1579] 132r Quaestio. An sit definita atque certa civitatis magnitudo [1579] 133v Quaestio. An magnanimi sit vim vi repellere [1580] 135v Responsio 137r Quaestio. An soli varietas varietatem afferat ingeniorum [1580] 138v Responsio 140v Sitne Aristoteles caeteris philosophis anteponendus? [1580] 142r Utrum in fortibus habendi qui sibi manus afferunt [1574] 143v Utrum ira sit utilis ad res fortiter gerendas [1575] 144v Utrum virtus doctrina constet nec ne [1574] 146r Disputatio. Utrum virtus in medio consistat [1575] 147r Disputationes in Baccalaureatu habitae. 1. Quaestio. Utrum in deligendo Imperatore nobilitatis et opum ducenda sit ratio [1582] 147v 1. Responsio 148v II. Quaestio. Utri nobiliores, qui suis meritis nobilitatem adepti sunt, an qui acceptam a maioribus tuentur [1582] 149r II. Responsio 150r III. Quaestio. An historiam necessario veram esse oporteat [1582] 150v Responsio
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152v IV. Quaestio. Dandumne sit vinum pueris [1582] 153r IV. Responsio 154r Promotor 154r V. Quaestio. Melius ne arbitrio Rectorum quam scripto iure civitas gubernetur [1581] 155v V. Responsio 156v Quaestio VI. Num sint e Repub[lica] perpetui magistratus [1581] 157r Responsio 158r Quaestio VII. Recte inter epulas adhibeatur concentus musicus, nec ne [1581] 158v Responsio 159r Quaestio VIII. Ecquid convivator, ac conviva gratias agere debeat [1581] 159v Responsio 161r Promotor 161r Utrum in principe pulchritudo requiratur. Argumenta IX. [1579] 161v Responsio 163r Utrum natura et genus plus conferat ad virtutem, quam educatio et disciplina. Argumenta X. [1579] 163v Responsio 165v Utrum merita poena intolerabilior sit quam immerita. Argumenta XI. – Responsio [1579] 167v Utrum tristius sit orbari sensu oculorum quam aurium. Argumenta 12. – Responsio [1579] 169r Quaestio XIII. Utrum Rex haereditate vel suffragiis sufficiendus sit [1577] 169v Responsio 170v Quaestio XIIII. Utrum pueri Musicam docendi sint [1577] 171r Responsio 172r Quaestio XV. Utrum virtutes quae in volunt[ate] his quae intell[ectu] praestent [1577] 172v Responsio 173r Quaestio XVI. Utrum coelestium et inferiorum corporum sit eadem materia [1577] 173v Responsio. 174r Quaestio XVII. Utrum mundus ab aeterno potuerit procreari [1577] 174v Responsio 175r Quaestio XVIII. Utrum ferae an homines magis suos partus diligant [1578] 176r Responsio 177v Quaestio 19. Utri Reipub[licae] sint magis necessarii doctine an artifices [1578] 178v Responsio 180v Quaestio XX. Utrum ab illustribus tantum an etiam a plebeis honor expectandus videatur [1578]
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181r Responsio 182v Quaestio XXI. Utrum studiosis litterarum recte concedantur privilegia [1578] 183r Responsio 184v Quaestio XXII. Utrum terra moveatur et caelum quiescat [1580] 185r Responsio 186v Sequuntur responsiones ad quaestiones aliquot, quae non sunt disputatae 186v [Sitne perniciosior inimico assentator – 1580] 188r [Valeatne plus in bellis Virtus an Fortuna – 1580] 189v [Utrum avarus an prodigus longius absit a virtute – 1574] 190v [Utiliusne sit Reipubl[icae] magistratus ab indigenis an ab alienis administrari – 1574] 191r [An artes ingenuae conferant ad virtutem – 1572] 192v [An ars naturam imitetur – 1572] 193r [Utrum homines natura Imperium ferant – 1573] 194v [Utrum Monarchia sit optimus Imperii status – 1573] 196r [Utrum quibusvis disciplinis civium ac nobilium liberi sint instituendi – 1574] 197r [Utrum coeli sint tantum undecim, an plures an pauciores – 1574]
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Die frühneuzeitliche Schuldisputation. Stand, Perspektiven und Probleme ihrer Erforschung Von Hanspeter Marti Seit bald vierzig Jahren beschäftige ich mich mit der Geschichte des frühneuzeitlichen Disputationswesens in deutschsprachigen Ländern und dies, ohne der wissenschaftlichen Öffentlichkeit je Rechenschaft über die methodischen Prämissen dieser Tätigkeit gegeben zu haben. Dies soll hier in einem ersten Versuch nachgeholt werden, der sich in drei Abschnitte gliedert: I. Autobiographisches Präludium, II. Abriss zur Geschichte der frühneuzeitlichen Disputationsforschung seit 1990, III. Geschichtstheoretische Vorgaben und Postulate, ihre Anwendung auf die Disputationsforschung. Es geht im Folgenden darum, Kritik und Selbstkritik mit der Hoffnung auf Erkenntnisfortschritt im angezeigten Forschungsgebiet zu verbinden. Die in den letzten Jahren sprunghaft angewachsene Zahl von Publikationen zur frühneuzeitlichen disputatio und der Einbezug der Thesenschriften in wissenschaftliche Untersuchungen mannigfacher Couleur hat die Disputationsforschung zu einem wichtigen Seitenzweig der Universitäts-, Unterrichts- und Wissensgeschichte gemacht.1 In den naturphilosophischen bzw. naturwissenschaftlichen Fächern und in den medizinischen Fakultäten verteidigte Dissertationen stellen sich immer mehr als wissenschaftsgeschichtlich relevant heraus. Bereits in der Frühen Neuzeit begründeten Sammler der damals beliebten akademischen Kleinschriftengattung ihr Interesse mit den in den Dissertationen enthaltenen neuen Erkenntnissen, und letztere bezogen sich nicht einmal nur auf die den Naturwissenschaften unterstellten Fortschritte.2
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Gindhart/Kundert (Hrsg.), Disputatio; Marti, Dissertationen; Sdzuj/Seidel/Zegowitz (Hrsg.), Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur; Marti/Marti-Weissenbach (Hrsg.), Nürnbergs Hochschule; Gindhart/Marti/Seidel, Frühneuzeitliche Disputationen. Geplant ist eine Publikation, welche die Ergebnisse des von Robert Seidel (Goethe-Universität Frankfurt am Main) geleiteten DFG-Projekts ,Wissenschaftshistorische Erschließung frühneuzeitlicher Dissertationen zur Rhetorik, Poetik und Ästhetik aus den Universitäten des Alten Reiches‘ vorlegt, an dem Reimund B. Sdzuj (Greifswald) und ich mitarbeiteten. Robert Seidel, Marion Gindhart und Karin Marti-Weissenbach danke ich für die kritische Lektüre dieses Aufsatzes, Reimund B. Sdzuj für wichtige inhaltliche Hinweise und Rolf Stöckli für ein anregendes Gespräch. 2 Apin, Unvorgreiffliche Gedancken, hier S. 9 (allgemein), S. 27 (zum Naturrecht).
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I. Autobiographisches Präludium Einen Beitrag zu wissenschaftlichen Methoden und ihrer Verwendbarkeit mit einem autobiographischen Abschnitt zu eröffnen, mag befremden. Der Nimbus der Objektivität gewonnener Erkenntnis, der auch geistes- und kulturwissenschaftliche Arbeiten umgibt, verböte es eigentlich, an dieser Stelle persönliche Bekenntnisse abzulegen und über Erfahrungen zu berichten. Doch ausnahmsweise provoziert dieses Verbot das, was es untersagt. Denn der Historiker mag sich als Person noch so sehr hinter dem Objektivismus von Methode, Ausführung und Resultaten verstecken, er trägt, was ihn prägte, in seine Arbeit hinein. Als meine Lizentiatsarbeit über Schiller als Literaturkritiker in der Abhandlung ,Über naive und sentimentalische Dichtung‘ an der Universität Basel angenommen war und ich beabsichtigte, das Studium in deutscher Literaturwissenschaft fortzusetzen, wurde mir vorgeschlagen, den Vorzugsstreit, insbesondere die Wirkung der französischen Querelle des Anciens et des Modernes auf die deutsche Literatur, in einer überblicksartigen und gleichzeitig vertiefenden Studie zu behandeln, welche die ganze Frühe Neuzeit umfassen sollte. Weil ich mit der ersten Abschlussarbeit die Fähigkeit zur Detailanalyse bewiesen hätte, sei nun ein großer Wurf fällig. Ich ließ mich auf das von niemandem vorausgesehene Forschungsabenteuer ein. Die Suche nach rezeptionsgeschichtlich relevanten Quellen für die Zeit von 1680 bis 1730 führte mich bereits im ersten Arbeitsschritt zu den Dissertationen und anderen damals vom Wissenschaftsbetrieb wenig beachteten literarischen Gattungen der Gelehrtengeschichte. Während dieser Vorbereitungsarbeiten, zu denen eine Bibliotheksreise von München bis nach Kiel gehörte, erschien die Habilitationsschrift von Peter K. Kapitza.3 Sie veranlasste mich, das Thema aufzugeben und mich im Hinblick auf Folgestudien zur Gebrauchsliteratur frühneuzeitlicher Gelehrter erst einmal der bibliographischen Erschließung philosophischer Dissertationen zuzuwenden. Dieser Entschluss löste bei dem meine Arbeit ,betreuenden‘ Germanisten wenig Begeisterung aus, da eine Bibliographie nicht mit dem Doktorgrad belohnt zu werden pflege. Die Gewissheit, auf ein Forschungsdesiderat gestoßen zu sein, hielt mich aber nicht von der geplanten Kärrnerarbeit ab: Ich rechnete mit einer Sammlung von rund 2000 relevanten Titeln, was eine eklatante Fehleinschätzung war, wie die 1982 im Druck erschienene Bibliographie zeigt,4 die dann zwar trotz der Vorwarnung den Doktorgrad im Fach Germanistik einbrachte, zugleich aber meine offizielle Karriere in der wissenschaftlichen Hierarchie beendete. Das hinderte mich in den kommenden Jahrzehnten nicht, aus eigener Initiative neben den salärrelevanten Pflichtarbeiten das Disputationswesen deutscher Länder weiter zu erforschen und auf Tagungen, in Publikationen sowie mit der Gründung der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen für die disputatio als Gegenstand der Frühneuzeit-Geschichts-
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Kapitza, Bürgerlicher Krieg; Marti, Rezension Kapitza; Marti, Zur Aufnahme. Marti, Philosophische Dissertationen.
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schreibung zu werben.5 Hinter diesem Engagement standen von Anfang an die Überzeugung, neben dem Quellenfundus einen wichtigen Themenbereich wenn auch nicht entdeckt, so doch mit Nachdruck in Erinnerung gerufen zu haben, sowie die banale Einsicht, dass die Arbeit im neuen Forschungsgebiet mit der Erschließung der einschlägigen Quellen und deren Auswertung beginnen müsse. Handwerklich gab ich mich mit dem ideengeschichtlich-hermeneutischen Instrumentarium zufrieden, das im Germanistikstudium vermittelt worden war, stets überzeugt von der Notwendigkeit eines erweiterten Literaturbegriffs und von der dringenden Abkehr vom begrenzten Autorenkanon der Geisteswissenschaften. Diesen Grundsätzen entsprach implizit auch das einzige, ohne nähere Begründung, ohne wissenschaftstheoretische Zeitdiagnose und Situierung in meiner Dissertationenbibliographie vorgebrachte methodische Statement: Ohne bibliographisches Instrumentarium bleiben diese Quellen ungreifbar,6 und ohne sie droht sich Interpretation in ahistorischer Spekulation zu verlieren. Diese Gefahr des Rückfalls in den Zustand einer hermeneutischen Metaphysik existentialistischer oder geschichtsphilosophischer Färbung sollte eine um die historische Erkenntnis ringende Wissenschaft abzuwenden suchen.7
Das Grunderfordernis der Erschließung wenig bekannter historischer Dokumente und der Arbeit mit einem optimal angelegten Quellenfundus bleibt heute noch, unter veränderten historiographischen Prämissen, in Kraft. Ebenfalls gilt für den Historiker nach wie vor, dass geschichtsphilosophische Konzepte und eine Daseinshermeneutik, die von der Annahme, mehr noch von der Beschreibung konkreter historischer Gegebenheiten abstrahiert, abzulehnen sind. Allerdings werde ich im Folgenden die damals auf wenigen Zeilen abgetragene historiographische Beweislast ernster nehmen. II. Abriss zur Geschichte der frühneuzeitlichen Disputationsforschung seit 1990 In den Jahrzehnten nach dem Erscheinen meiner Bibliographie alter Dissertationen stieg die Frühneuzeitforschung zu einer Spezialdisziplin der Geschichts- respektive Kulturwissenschaften auf. Von diesem Bedeutungszuwachs profitierten auch die Wissenschafts- und die Universitätsgeschichte.8 ,Historisierung‘, ein terminologisch schillerndes Hauptpostulat geistes- und wissenschaftsgeschichtlicher Forschungen, wurde immer wieder an Einzelthemen erprobt, aber in letzter Zeit auch als allgemeines historiographisches Problem erkannt. Die Frage, ob und, wenn ja, inwieweit der 5 Literaturhinweise in Sdzuj/Seidel/Zegowitz (Hrsg.), Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur, S. 717–723. 6 Nicht nur verbesserte sich seither der bibliographische Erschließungsstand, sondern die erbrachten Digitalisierungsleistungen machen viele Texte ohne Reiseaufwand bequem zugänglich. Der Nutzen gedruckter Bibliographien bleibt weiterhin unangefochten, vor allem wenn sie die Texte durch Register, insbesondere der Sachen, erschließen. 7 Marti, Philosophische Dissertationen, S. 51. 8 Siehe Anm. 1.
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Geschichtsschreibung überhaupt der Status einer Wissenschaft zukomme, wurde bereits in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts intensiv debattiert und mehrfach, jedoch ganz verschieden, beantwortet.9 Zwar sind seither geschichtstheoretische Neuausrichtungen hinzugekommen und methodische Verlagerungen eingetreten, im Wesentlichen waren aber damals schon Aspekte auf der Tagesordnung, die immer noch im Mittelpunkt der Methodendiskussion stehen. Nach dem Zerfall des sowjetischen Imperiums und nach der deutschen Wiedervereinigung verstummten die Auseinandersetzungen mit marxistischen und gesellschaftskritischen Geschichtstheorien, im deutschen Sprachbereich mit der DDR-Wissenschaft. Doch trotz des bevorstehenden Aussterbens der Kriegsgeneration bleiben die beiden Weltkriege und ihre Folgen ein zentraler Gegenstand der (deutschen) Historiographie. So dauerte es geraume Zeit, bis die systematische Erforschung des frühneuzeitlichen Disputationswesens in der etablierten Universitätswissenschaft salonfähig wurde. In den philosophischen und literaturwissenschaftlichen Lexika suchte man bis kurz nach 1990 vergeblich nach Artikeln über Disputation und Dissertation. Wer die ars disputandi lexikalisch ausführlich behandelt sehen wollte, musste ins 18. Jahrhundert, zum berühmten Zedler, zurückgehen.10 Einträge im Historischen Wörterbuch der Rhetorik erst beendeten das lange Schweigen der Nachschlagewerke.11 Letzteres lässt sich – hypothetisch – auf ein Bündel verschiedener Ursachen zurückführen: geistesgeschichtlich auf die vom deutschen Idealismus proklamierte Spontaneität des sich seiner selbst bewusst gewordenen Subjekts und das gegen Probabilitätserkenntnis revoltierende geschlossene Systemdenken, institutionen- und gesellschaftsgeschichtlich auf das Ende der alten Lernuniversität und den Aufstieg von Naturwissenschaften und Medizin in den maßgeblich durch sie zu Forschungszentren aufgerückten Hochschulen, auf die Ausdifferenzierung und Vervielfältigung der Wissenschaftsdisziplinen, namentlich innerhalb der philosophischen Fakultät, auf deren Aufteilung in eine geistes- und in eine naturwissenschaftliche Richtung, schließlich auf die Pluralisierung der Unterrichtsmethoden und nicht zuletzt auf Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft (Industrialisierung) und Politik. Im Zusammenhang mit strukturellen Problemen – z. B. der Unterbringung sprunghaft gewachsener Bestände an Fachliteratur – stellte sich Ende des bildungspolitisch langen 19. Jahrhunderts auch aus finanziellen Gründen die Frage nach dem aktuellen Nutzen der in den Bibliotheken angehäuften, hier und dort schlecht erschlossenen akademischen Kleinschriften. In bibliothekarischen Fachartikeln machten der organisatorisch-administrative Notstand, die zu Tausenden vorliegenden Dissertationen sowie die Austausch- und Aufbewahrungspflicht von sich reden. Unter diesen Gege9 Stellvertretend für die Fülle damals publizierter geschichtstheoretischer Literatur die von der Studiengruppe ,Theorie der Geschichte‘ herausgegebene Reihe ,Beiträge zur Historik‘, in der zwischen 1977 und 1990 sechs Bände erschienen sind. 10 Artikel Disputir=Kunst. 11 Meine Einträge im Historischen Wörterbuch der Rhetorik, Art. ,Controversia‘, Art. ,Disputation‘, Art. ,Dissertation‘. Zum controversia-Artikel eine wichtige Korrektur bei Anita Traninger, Disputation, S. 113 f.
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benheiten entstand Ewald Horns auch wissensgeschichtlich bahnbrechende Abhandlung.12 Bei der bibliothekarischen Aufarbeitung der Dissertationenbestände stieß man aus pragmatischen Gründen auf das Problem der Verfasserschaft der ,alten‘ Thesenschriften, das die Disputationsforschung dann bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts weitgehend in Beschlag nahm und bis auf den heutigen Tag personen-, universitäts- und wissenschaftsgeschichtlich von Bedeutung ist.13 Was aber stand der serienmäßigen Auswertung frühneuzeitlicher Dissertationen und anderer Gattungen der Gelehrtenliteratur (Vorlesungsverzeichnisse, Programmschriften, Inauguralreden) im Weg? In der Germanistik waren es, wie der Name sagt, die lange Zeit fast ausschließliche Konzentration auf die deutschsprachige Nationalliteratur, die damit gegebene Vernachlässigung neulateinischer Texte und die zeitweise Beschränkung auf einen schmalen Kanon sogenannter Klassiker, in der Philosophie die Priorität der Suche nach Wahrheit und Sinnangeboten, verbunden mit dem Zurücktreten des historischen Interesses, von dem weniger bekannte Autoren und die Rezeptions-Geschichtsschreibung besonders hart betroffen waren. Die Wissenschaftsgeschichte war zudem einseitig auf die Dokumentation des naturwissenschaftlichen Fortschritts ausgerichtet, bis mit der Gründung der Gesellschaft für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte die früher vor allem bei Jubiläen gepflegte Geschichtsschreibung zu den Hohen Schulen aufgewertet wurde, die in den universitären Curricula nach wie vor eine Randexistenz führt. Diesem Mangel ist mit Tagungen, beiläufig abgehaltenen Lehrveranstaltungen und vereinzelt institutionalisierter Forschung nicht wirklich abzuhelfen; es bedürfte der Lancierung von Akademieprojekten. Trotzdem wurden seit den 90er Jahren in der frühneuzeitlichen Disputationsforschung – um auch in den Kulturwissenschaften dem Fortschrittsideal zu huldigen – in mehrfacher Hinsicht und verschiedenen Bereichen beachtliche Resultate erzielt:14 1. Die Erschließung der alten Dissertationen ist dank verschiedener Initiativen und der verbesserten technischen Hilfsmittel (Datenbanken und Digitalisierungen) vorangekommen und macht täglich Fortschritte. 2. Die frühneuzeitliche Dissertation wird nicht mehr auf den Haupttext reduziert, sondern als ein oft aus den eigentlichen Thesen und verschiedenen Paratexten zusammengesetztes semiotisches Ensemble wahrgenommen, das im Kontext eines mehr 12
Horn, Disputationen und Promotionen, hier S. 119 f., das vernichtende Pauschalurteil über die Dissertationen, auf die mit historisch fundierten Aussagen gleichzeitig aufmerksam gemacht zu haben Horns großes Verdienst ist: „Das Disputationswesen ist dahin, die Dissertationen sind geblieben und heute so wenig wert wie früher. […] Jedes Jahr haben die Universitätsbibliotheken an 3000 in- und ausländische Doktordissertationen zu verarbeiten. Welche Summe nutzloser Arbeit, welche Verschwendung von Zeit und Geld steckt darin.“ 13 Schubart-Fikentscher, Untersuchungen; Marti, Von der Präses- zur Respondentendissertation; Marti, Disputation und Dissertation, Philipp, Entwicklung der Altdorfer Politikwissenschaft. 14 Ausführliche Bibliographie in Marti, Dissertationen, S. 307–312.
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oder weniger ritualisierten Interaktionsprozesses, des actus disputationis, entstanden und daher, soweit es die Quellenlage gestattet, in diesem Zusammenhang zu sehen und zu interpretieren ist. 3. Während die Korollarien, die in den Dissertationen dem Haupttext oft angefügt wurden, auf unterrichtsgeschichtlich und/oder wissenschaftsgeschichtlich wichtige Diskurse verweisen, lenken Titelblätter, Widmungen und Gratulationsadressen die Aufmerksamkeit des Historikers auch auf außeruniversitäre Kontexte wie die ständisch organisierte Gesellschaft als ganze, die soziale Zusammensetzung der Bildungseliten, auf deren Zusammenhalt und Konflikte, auf personen-, macht- und sachbedingte Konstellationen (Freundschaften, Patronageverhältnisse, sonstige Abhängigkeiten und Beziehungen aller Art).15 4. Die (frühneuzeitlichen) Dissertationen sind nur ,ein‘ Element des mehr oder weniger offenen Gattungssystems gelehrter Literatur: Zahlreiche Textsorten standen in einem wechselseitigen Austausch, meist in einem Komplementärverhältnis zueinander und wurden von den Gelehrten bisweilen nach Bedarf für verschiedene Zwecke eingesetzt. Die wichtigsten einschlägigen Textgenera außer den Dissertationen sind die Vorlesungsverzeichnisse, Programme aller Art, Inauguralreden, Lehrbücher, Schulpredigten, Briefe, Protokolle und Schreibkalender.16 Nicht zuletzt war die disputatio immer wieder Gegenstand von Dichtungen, z. B. von disputationskritischen Epigrammen und von Satiren.17 5. Nachdem die in den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzende Renaissance der Rhetorikgeschichtsschreibung und bereits vorher die (Schul-) Logik-Geschichte die frühneuzeitliche Disputationstheorie ausgeklammert bzw. nur ganz ausnahmsweise berücksichtigt hatten, rückte mit der Dissertation und der disputatio inzwischen die ars disputandi zu einem valablen Gegenstand der Unterrichtsgeschichte auf.18 6. Mit der Erforschung von Florilegien, Lexika und Nachschlagewerken aller Art (Enzyklopädistik) wurden auch die Dissertationen als Wissensspeicher sowie die Dissertationensammlungen als Bestandteil frühneuzeitlicher Gelehrten-, Stadt-, Hof-, Schul- und Klosterbibliotheken entdeckt. Da die Kataloge das akademische Kleinschrifttum häufig nur summarisch verzeichnen, herrscht aber über die genaue Zusammensetzung der einschlägigen Bestände oft Unklarheit.19 7. Die in der ersten Zeit vorherrschende bibliothekarisch-praktische und ideengeschichtlich-hermeneutische Richtung der Disputationsforschung ist seit rund andert15
Philipp, Politica und Patronage; Gindhart, Erhard Weigels pro-loco-Disputation. Schlegelmilch, Vom Nutzen des Nebensächlichen; Schlegelmilch, Eine frühneuzeitliche Dissertation; Schlegelmilch, Andreas Hiltebrands Protokoll. 17 Marti, Rezension Kapitza, S. 164 (Epigramme); Kipf, Akademische Scherzreden; Füssel, Die Praxis der Disputation. 18 Felipe, Ways of disputing; Felipe, Notes. 19 Marti, Disputationsschriften. 16
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halb Jahrzehnten um die vertiefte Erkundung (argumentations-)praktischer Modalitäten erweitert worden, was den Einbezug von Bildquellen und von Sachobjekten begünstigte sowie sozioökonomischen Gegebenheiten des Disputationswesens, so den Kosten des Disputierens, der Disputation als Einnahmequelle, dem Dissertationshandel und den Dissertationen als Leistungsattesten, vermehrt Rechnung trug.20 8. Die seit Längerem anhaltende Konjunktur der Erforschung frühneuzeitlicher Konfliktformen und -sphären, von ,Streitkulturen‘ aller Art,21 hielt in letzter Zeit auch im engeren Einzugsbereich der disputatio Einzug, da im actus disputationis das Verfechten von Meinungen eingeübt wurde und die Disputation zumindest bei der ,Eroberung‘ gelehrter Positionen karriererelevant sein konnte.22 Andererseits wurden in der Disputationsliteratur irenisierende Tendenzen, bisweilen mit einem veränderten Bild des Disputanten, eine Abkehr der Disputation vom Streitgespräch und eine Hinwendung zur freundschaftlichen akademischen Unterhaltung festgestellt. Der Disputant wird metaphorisch dann nicht als Fechter, sondern als Kaufmann charakterisiert, und es wird wachsende Effizienz, d. h. Verfahrensrationalität, angemahnt.23 9. In der frühneuzeitlichen gelehrten Literatur, aber auch in der von poetae docti produzierten Dichtung bildeten die Missbräuche im Disputationswesen und deren (oft wohl vergebliche) Bekämpfung ein zentrales Thema, das die Forschung erst verhältnismäßig spät, zum Beispiel mit der Behandlung der Promotionen in absentia, aufnahm.24 Die Diskrepanz zwischen den Aussagen sogenannt normativer Quellen und (vermeintlich?) realitätsnäheren Zeugnissen beschäftigt vermehrt nicht nur die Disputationshistoriker.25 10. Die Disputationsforschung beschränkt sich nicht mehr so ausschließlich wie früher auf die gedruckten Texte und bezieht häufiger handschriftliche Quellen ein.26 Damit die Zukunftsperspektiven und Arbeitsgebiete der frühneuzeitlichen Disputationsforschung genauer abgesteckt werden können, sei zusammenfassend hervorgehoben, was die Geschichtsschreibung des Disputationswesens hemmt:
20 Rasche, Die deutschen Universitäten; Marti, Einleitung, S. 12 f. (zum Dissertationenhandel). 21 Füssel, Gelehrtenrepublik im Kriegszustand; Füssel, Praxis der Disputation. 22 Siehe die Arbeiten Philipp, Entwicklung der Altdorfer Politikwissenschaft; Philipp, Politica und Patronage; ferner Philipp, Konstellationen und Kontexte. 23 Plakativ und eingängig zum Wandel der Metaphorik Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 566 (Kompendien Samuel Grossers). Vgl. Rasche, Die deutschen Universitäten, S. 248–255 (Ökonomisierung: eruditio versus pecunia). 24 Rasche, Promotion in absentia. 25 Rasche, Die deutschen Universitäten, S. 243–248 (Norm und Praxis); Rasche, Norm und Institution. 26 Schlegelmilch, Frühneuzeitliche Dissertation; Schlegelmilch, Andreas Hiltebrands Protokoll.
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a) die Beliebtheit von Metaerzählungen und teleologischen Modellen (Modernisierungstheoreme), die der Erforschung der vorrevolutionären, vermeintlich statischen Ständegesellschaft wenig förderlich ist; b) die angedeutete, lange währende Bindung an einen Kanon von als ,klassisch‘ eingestuften Autoren in Philosophie- und Literaturgeschichte und der damit einer Ideengeschichte mit elitärem Anspruch eingeräumte Vorrang sowie die an die Texte herangetragene Norm der Originalität;27 c) das Bild der voraufklärerischen Universität als rückschrittlicher, zumindest stagnierender reiner Lehranstalt mit repetitiver Ausrichtung, die bisweilen nur als negativer Gegenpol zu den forschungsorientierten, innovativen Akademien gesehen wird und daher für die Geschichtsschreibung uninteressant erscheint;28 d) die schwache Berücksichtigung der lateinsprachigen frühneuzeitlichen Gelehrtenliteratur, dementsprechend die Apologie der Geschichte der Muttersprache und der deutschen Kultur insgesamt sowie die Gleichsetzung von Latinität mit Anti-Aufklärung; e) die marginale Stellung der ars disputandi in der Historiographie der Unterrichtsdisziplinen und die generelle Vernachlässigung der Formen und Inhalte frühneuzeitlichen Unterrichts in der Geschichte der Universitäten und der nicht promotionsberechtigten Hohen Schulen. Ins Positive gewendet sind mit den fünf Hemmnissen auch die Faktoren genannt, denen der Aufschwung der Disputationsforschung in den letzten Jahrzehnten geschuldet ist. Zur Verdeutlichung greife ich nur die Hauptgesichtspunkte b und c auf: William Clark verlegte die Geburt der Forschungsuniversität in das frühe 19. Jahrhundert.29 Seit damals sei nämlich von den Doktoranden eine Inauguraldissertation verlangt worden, die ein originelles, d. h. noch nie behandeltes Thema aufgreifen sollte. Dieser Ansicht liegt ein ideengeschichtlich lineares Schema zugrunde, wonach sich der von der Romantik geprägte wissenschaftliche Geniekult mit den organisatorischen Stärken preußischer Bürokratie vereint und zur Ablösung des platten Utilitarismus der Aufklärung sowie zum Ende der bloßen Lehr- und Lernuniversität
27 Rapp, Fortschritt, S. 186, geht von der Originalitätsnorm aus und bringt Offenheit und Unbestimmtheit der Moderne mit der Freiheit und Spontaneität des Geistes zusammen. 28 Selbstverständlich sind die Akademieabhandlungen vermehrt serienmäßig in die Wissenschaftsgeschichte einzubeziehen, vgl. zu Göttingen Gierl, Commentarii. Die Analyse der Inhalte vor allem lateinsprachiger Abhandlungen steht der Forschung größtenteils noch bevor. Zu den Preisfragen siehe Berg, Preisfragen. 29 Clark, Academic Charisma. Auf Clarks universitätsgeschichtliche Verdienste kann hier im Einzelnen nicht eingegangen werden. Nach wie vor stellen die dort entwickelten Forschungsperspektiven eine ernst zu nehmende Herausforderung dar, auch für die Geschichte des frühneuzeitlichen Disputationswesens. Der allgemeine geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Rahmen, den Clark etabliert, bedarf quellenbezogener Kritik.
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geführt habe.30 Vor allem die zu mathematischen und astronomischen Themen verteidigten frühneuzeitlichen Dissertationen (z. B. Erhard Weigels) und die medizinischen der Hallenser Fridericiana legen seit deren Gründungszeit eine differenzierte Sicht der Dinge nahe und provozieren die Frage, was historice unter ,Forschung‘ (research) genau zu verstehen sei. Auch für das ,ganze‘ 18. Jahrhundert lassen sich durchweg Dissertationen ausmachen, die nicht in das von Clark verallgemeinerte Bild barocker und angeblich uninteressanter Wissensakkumulation passen. Vermehrt im Vordergrund des Interesses stehen daher nun historische Pluralität, die Divergenz von Konfessionskulturen und binnenkonfessionelle Unterschiede, die im Hochschulbereich in der Frühen Neuzeit Legitimationsdruck erzeugten und medial in den Dissertationen insbesondere Einfluss auf die Curricula der theologischen Fakultäten nahmen. III. Geschichtstheoretische Vorgaben und Postulate, ihre Anwendung auf die Disputationsforschung Wer einer Legitimation für die eigene historiographische Arbeit bedarf, wird allgemeine theoretische Prämissen am Gegenstand erproben, der ihn beschäftigt. Aus den beiden ersten Abschnitten dieses Beitrags geht hervor, dass auch die Disputationsforschung der gegenwärtigen Methodenpluralität einen Teil des Prestiges verdankt. Umgekehrt ermöglicht die Polyvalenz frühneuzeitlicher Dissertationen und Disputationsakte die Anpassung einer Fragestellung an unterschiedliche geschichtstheoretische Vorgaben. Unter dem Begriff ,Geschichtstheorie‘ (Historik) fasse ich alle methodischen Überlegungen und Legitimationsbestrebungen zu den in geschichtsbezogenen Untersuchungen verwendeten erkenntnistheoretischen Prämissen sowie deren Kritik. Geschichtsschreibung geht von festen Annahmen (Setzungen) über das Wesen und die Fähigkeiten des Menschen, über spezifische Merkmale seines Handelns und seines Lebens in sozialen Gruppen und/oder gesellschaftlichen Feldern aus. Hinzu kommen weitere Prämissen, z. B. moralische Werturteile und/oder politische Standpunkte, welche die Arbeit des Historikers und deren Ergebnisse beeinflussen. Im Folgenden wird versucht, die Erforschung des frühneuzeitlichen Disputationswesens mit aktuellen Methoden in Verbindung zu bringen. Geeignete Ansätze lassen sich meiner Ansicht nach unter anderem in den geschichtstheoretischen und zugleich konkreten historischen Gegenständen zugewandten Arbeiten Reinhart Kosellecks (1923–2003) sowie in den einen Schulterschluss mit den Sozialwissenschaften energischer noch als Koselleck suchenden Publikationen Pierre Bourdieus (1930–2002) finden. Werke beider Autoren erfahren seit einiger Zeit einen Rezeptionsboom, der wohl anhalten wird. Pierre Bourdieu wurde von der universitätsgeschichtlichen For-
30 Zur Berliner Interpretation der Romantik, zu dem proklamierten Vorwalten schöpferischer Kontingenz sowie zur „ungeheuren Aufwertung des menschlichen Willens“ siehe Vogt, Kontingenz und Zufall, insbesondere S. 543.
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schung, auch im Hinblick auf das frühneuzeitliche Disputationswesen, mit Erfolg, obgleich nicht unkritisch, oft als wichtiger Gewährsmann herangezogen.31 Kosellecks begriffshistorisches Denken, das sich, wie angedeutet, gleichzeitig als sozialgeschichtliches versteht, lässt sich auch auf die Frühe Neuzeit und insbesondere auf die Geschichte der Disputation, der ars disputandi und der Dissertation, anwenden. Zusätzlich kommen Vorgaben der Konstellationsforschung in Betracht, die bislang vor allem von Philosophiehistorikern umgesetzt wurden.32 Ferner steht außer Frage, dass der Texthermeneutik weiterhin, trotz des heute zu Recht oft favorisierten Einbezugs anderer Zugänge, eine Hauptfunktion in der als Kulturwissenschaft verstandenen Historiographie zukommt. Zur frühneuzeitlichen disputatio sind Bildzeugnisse und materielle ,Überreste‘ ohnehin nur spärlich,33 mündliche Äußerungen nur durch schriftliche Quellen übermittelt. Koselleck geht von geschichtstheoretischen Transzendentalien aus, in deren raumzeitlichem Spannungsfeld sich jedes Menschenleben abspiele und die daher auch jede Geschichtsschreibung bestimmten. Sie werden durch fünf apriorische Oppositionspaare umschrieben,34 die, übernimmt man sie, auch von der Disputationsforschung als historiographische Koordinaten anerkannt werden müssen: Die disputatio kann als Übung und Nachweis des menschlichen Willens zur Selbsterhaltung verstanden werden (1; Spannungsfeld von Geburt und Tod). Ihr Merkmal ist der (übungsweise) inszenierte Meinungsstreit zwischen dem Respondenten bzw. dem Präses, sofern der Vorsitzende die Position des Defendenten stützt, auf der einen und dem Opponenten auf der anderen Seite (2; Freund-Feind-Gegensatz).35 Ein Meinungsstreit wurde in der Schuldisputation in der Regel freundschaftlicher als außer-
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Füssel, Rückkehr des ,Subjekts‘; Füssel, Akademische Aufklärung. Mulsow/Stamm (Hrsg.), Konstellationsforschung, darin der universitätsgeschichtlich relevante Aufsatz: Füssel, Intellektuelle Felder. 33 Smolka, Disputations- und Promotionsszenen; Appuhn-Radke, Thesenblätter, hier S. 82, zur „feierlichen Disputation […] [als] Teil repräsentativer und wirtschaftlicher Mechanismen“ (mit weiterer Literatur). Über einschlägige Bildquellen und Gegenstände sowie zum praxeologischen Ansatz im Allgemeinen siehe Füssel, Die Praxis der Disputation. Ein seltenes Beispiel eines ,Überrests‘ stellt auch die im Kunstbesitz der Universität Leipzig befindliche Disputationsuhr (um 1700) dar, vgl. Döring, Johann Christoph Gottsched, hier S. 132 (Kurzfassung einer Beschreibung von Cornelia Junge). 34 Zusammenhängend in Koselleck, Historik und Hermeneutik, hier S. 101, wo von der Ergänzung des zentralen Heidegger’schen Oppositionspaars der Geworfenheit (empirisch die Geburt) und des Vorlaufens zum Tode (empirisch das Sterbenmüssen) um weitere Oppositionen die Rede ist. Kosellecks Liste der ontologischen Grundgegensätze, die nicht mit dessen historischen Grundbegriffen verwechselt werden dürfen, könnte allenfalls um weitere Gegensatzpaare ergänzt werden. Will die Geschichtstheorie nicht in wissenschaftlich unproduktiven Skeptizismus entgleiten, der übrigens seinerseits die epistemologische Setzung des prinzipiellen Nichterkennenkönnens enthält, kommt sie nie ohne ontologische Setzungen aus. 35 Ebd., S. 103: „Hier handelt es sich kategorial gesprochen um eine formale Opposition, die allen inhaltlichen Auffüllungen zugänglich bleibt, also um eine Art transzendentaler Kategorie möglicher Geschichten.“ 32
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halb der Schule ausgetragen,36 die Kontrahenten standen aber, vor allem bei einer disputatio pro gradu, hinsichtlich der Karriere unter Erfolgsdruck. Der Gegensatz von Innen und Außen (3), den Koselleck vornehmlich als den zwischen Öffentlichkeit und Geheimnis bestimmt,37 beeinflusst, wie angedeutet, im Ganzen (von der Verschriftlichung in der Dissertation bis zu deren mündlicher Verteidigung) Anlage und Durchführung der disputatio, selbst wenn im Rahmen eines Privatkollegiums disputiert wurde. Im weiteren erhebt Koselleck ,Generativität‘ zur historiologischen Leitkategorie (4),38 die sich als solche im Bereich von Erziehung und Unterricht und damit im Feld der disputatio besonders bewährt. Trotz der selbstkritisch vermerkten „alteuropäischen Zopfigkeit“ übernimmt Koselleck als fünfte die Dichotomie von Herr und Knecht, eine Oben-Unten-Relation, die durchaus auf die (innerständische) Hierarchie passt, welche den (frühneuzeitlichen) Studienbetrieb auszeichnet(e), und die bereits aus der Platzierung der Personen auf dem Titelblatt, aus den nach der Rangfolge der Adressaten angeordneten Widmungsadressen oder aus der analogen, standesgebundenen Anordnung der Gratulationsgedichte in den Dissertationen ersichtlich ist.39 Außer den aufgezählten fünf Universalien der Geschichtsschreibung können weitere Grundtheoreme Kosellecks, die ebenfalls auf der zeitunabhängig logischen Struktur von Gegensatzverhältnissen beruhen,40 auf die Disputationsforschung appliziert werden. Sie ermöglichen die weitere historiographische (meist narrative) Ausfaltung, die inhaltliche Konkretisierung der Transzendentalien, und sind, obwohl sie die Matrix der Zeitlichkeit in sich tragen, dennoch ebenfalls den Transzendentalien der Geschichtsschreibung zuzurechnen: so die in Bezug auf die Generativität auf ein 36 Das zeigt sich nicht zuletzt in den Freundschaftsbezeugungen von Opponenten, die dem Respondenten in Gedichten oder in Prosa, meist im Anhang der Dissertationen, gratulieren. 37 Koselleck, Historik und Hermeneutik, S. 105 f., hier S. 106: „So gehört die Opposition von Geheimnis und Öffentlichkeit als eine spezielle Ausprägung von Innen und Außen zu den Strukturbedingungen möglicher Geschichten.“ Mit Recht schränkt Koselleck den allgemeinen und verschiedene Unteroppositionen (z. B. Körper und Geist) umfassenden Gegensatz InnenAußen nicht auf den von Geheimnis respektive Privatheit und Öffentlichkeit ein. Auf die Komplexität, die sich hinter der aus heuristischen Gründen vereinfachten Oppositionslogik verbirgt und die insbesondere am Gegensatz Innen-Außen sichtbar wird, kann hier nicht eingegangen werden, weshalb das dichotomische Gerüst historiographischer Transzendentalien bisweilen sehr plakativ erscheinen mag. 38 Ebd., S. 106 f.: „Die Generationsverwerfung gehört zu den elementaren Voraussetzungen jeder sich zeitigenden Geschichte, ob sie nun institutionell aufgefangen oder revolutionär verändert wird […].“ Wie sich die Generationen zueinander verhalten, ob es zwangsläufig zu Konflikten kommt oder nicht bzw. wie letztere ausgetragen werden, im Einzelnen zu bestimmen, ist Gegenstand historischer Arbeit. Ebd., S. 109, die in der Heidegger-Nachfolge vorgenommene begriffliche Bestimmung der Transzendentalien, die nicht zufällig in Kosellecks Hommage auf Hans Georg Gadamer erfolgte: Es handelt sich (Koselleck, Historik und Hermeneutik) um den Vortrag Kosellecks zum 85. Geburtstag Gadamers am 16. Februar 1985; vgl. die Antwort des damals Gefeierten Gadamer, Historik und Sprache. 39 Koselleck, Historik und Hermeneutik, S. 108 f. 40 Das erkenntniskritische Problem allfälliger Eurozentrik des Denkens in Oppositionsstrukturen lasse ich hier aus vertretbaren, arbeitspragmatischen Gründen beiseite.
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vieldeutig allgemeines Früher oder Später ausgeweitete bzw. verkürzte Chronologie und die Antithese von Einzelereignis und Wiederholung, von Individuellem und Allgemeinem, von einzelnem Fall auf der einen, Trend und Gesetzmäßigkeit auf der anderen Seite. Seit dem Mittelalter wurde ohne Unterbrechung an Hohen Schulen disputiert, die Struktur der actus disputationis blieb, bei allen akzidentellen Verschiedenheiten, dieselbe. Das Ritual der öffentlichen Verteidigung von Disputationsthesen hielt sich denn auch in allen Perioden der Frühen Neuzeit, bei Inauguraldissertationen hier und dort bis zum heutigen Tag. Weil in der disputatio konträre Positionen verteidigt wurden und sie diversen Argumentationsverfahren (Syllogistik, sokratisches Gespräch, mathematische Methode) zugänglich war, wies sie einen hohen Grad an Adaptations- und Integrationskraft, Elastizität und zugleich Beharrungsvermögen auf. Die im Großen und Ganzen konstante und gleiche Organisationsform der Hochschulen, eines weitgehend autarken und teilweise autonomen Rechtskörpers, bilden – ich bleibe bei einer scheinbaren Äußerlichkeit – wiederum über Jahrhunderte hinweg allein schon die Titelblätter der frühneuzeitlichen Dissertationen ab, die einander auch über konfessionelle Schranken hinweg zwar ähnlich sehen, aber doch raumzeitlich bedingte Besonderheiten aufweisen. Sie geben, serienweise ausgewertet, Antwort auf viele Fragen: Wo und (seit) wann erscheinen z. B. auf dem Frontispiz die Namen der Opponenten? Welchen Status in der Gelehrtenhierarchie hatten die einzelnen Präsides, welchen innerhalb der Fakultät, der sie angehörten? Welche Grade konnten wo und (bis) wann an den verschiedenen Fakultäten erworben werden? Wie waren die pro-loco-Dissertationen gestaltet, welche Unterschiede wiesen diese auf? Welche Disputationsformen nutzte man in den Hohen Schulen? Wie verhielt sich die Dissertation zum mündlichen Disputationsakt? Wo wurde außerhalb der Hohen Schulen schulmäßig disputiert? Zu erinnern ist an die theologischen Synodaldisputationen, die der Weiterbildung der Pfarrer dienten. Die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Innovation führt uns auch bei der Untersuchung des frühneuzeitlichen Disputationswesens auf das immer wieder bemühte historiographische Axiom der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, besser, zur simultanen Präsenz aus verschiedenen Zeiten stammender Einflüsse und Prägungen. Dieses Mit- und Ineinander spiegelt sich sowohl in den Formen des Disputationsrituals als auch im Inhalt der Thesenschriften. Wie an der disputatio als ganzer scheitert an den Dissertationen die Anwendung eindimensionaler teleologischer Erklärungsmodelle, insbesondere das des wissenschaftsgeschichtlich prominenten Fortschritts. Im Gegenzug rücken die Überlieferung sowie das Nebeneinander alter und neuer Wissensbestände und Präsentationsformen (causarum genera, loci communes, gegenstandsspezifische dispositio) in den Vordergrund. Das in den Thesenschriften enthaltene historische Innovationspotenzial wird verschieden eingeschätzt und bewertet. Macht man aber den Quellenwert allein vom innovativen Gehalt abhängig, ist letzterer, mit Rücksicht auf die erwähnten Wiederholungsstrukturen, ein ahistorischer und daher fragwürdiger Wertmaßstab.
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Weniger verwendbar als die historiographischen Universalien scheint für die frühneuzeitliche Disputationsforschung das Konzept der Sattelzeit zu sein, welche Koselleck circa 1760 beginnen und bis etwa 1830 dauern lässt und die daher die Frühe Neuzeit nur am Rand betrifft, mit der vielmehr die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Schlüsselepoche erklärt wird.41 Doch der Schein trügt. Kosellecks Versuch, die Sattelzeit zur neuen Zeit, d. h. zum eigentlichen Beginn der Neuzeit, zur ersten Epoche dynamischer Entwicklungen mit säkular offener Zukunft zu erklären, setzt chronologisch ein Gegenstück, nämlich die ,alte‘ Zeit mit ihren ex negativo als statisch beschriebenen Strukturen, voraus, beides Konzepte, die gleichermaßen Beifall und Kritik auf den Plan rufen. Mit den Bestrebungen, den Beginn der Sattelzeit schon in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts anzusiedeln, verlagert sich der Interessenschwerpunkt der von Kosellecks maßgeblichem Einfluss geprägten Geschichtsforschung sogar tiefer in die Vergangenheit hinein.42 Andererseits erhebt sich im Zusammenhang mit der Geschichte der disputatio die Frage, inwieweit die Koselleck’sche Sattelzeit als temporärer Einschnitt gelten kann und ob es im Hinblick auf die Frühe Neuzeit sinnvoll ist, an dem metaphorisch erheblich belasteten Chronologicum festzuhalten. Dessen ungeachtet ergeben sich auf dem hohen Abstraktionsniveau der Koselleck’schen Geschichtstheorie für die Disputationsforschung einige weitere Anknüpfungspunkte. Die Dialektik von neu und alt, die Koselleck mit unterschiedlichen und wechselnden Mischungsverhältnissen von Tradition und Innovation metaphorisch umschreibt, umfasst alle Formen geistiger Rezeption, selbst das reine Auswendiglernen im Schulunterricht, das freilich auch aus einer produktiven Komponente besteht.43 Mit anderen Worten und einmal mehr: Repetitive Aneignung und Thesaurie41 Koselleck, Sinn und Unsinn, S. 133, zählt Indikatoren dieser im doppelten Sinn verstandenen historischen Epoche als einer Zeit „in der Tat […] ungeahnter Bewegungen“ auf: Französische Revolution, napoleonische Hegemonie, Restauration (erste Generation); Julirevolution, Eisenbahnen, Beschleunigung im Alltag (zweite Generation), kurz darauf, eine halbe Generation später, 48er-Revolution, danach Industrialisierung mit enormen Steigerungsraten. Kosellecks Sattelzeit fand bereits Eingang in die Geschichte der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur. Als epochale Zäsur markiert sie dort bisweilen das Ende der mittelalterlichen Scholastik, siehe z. B. Rexroth, Praktiken der Grenzziehung, hier S. 19. 42 Zur Diskussion über die chronologische Verortung der Sattelzeit siehe Jordan, Sattelzeit (Kosellecks zeitliche Eingrenzung erscheint dem Verfasser problematisch, daher setzt er den Beginn der Sattelzeit bereits nach dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts an, hier S. 375). Grundsätzliche Kritik an der Sattelzeit als an einem „problematischen Konstrukt“ übt Sawilla, Geschichte und Geschichten, hier S. 421, wo die Frage nach „einer bewegten Zeit auch in der Frühen Neuzeit“ aufgeworfen wird, die „nur mit Abstrichen untersucht“ sei. Kritisch zum Beschleunigungstheorem Kosellecks, mit einschlägigen Belegen aus dem 17. Jahrhundert (Glanwill, Leibniz), bereits Hübener, Neuzeit und Handlung, insbesondere S. 90 f. (Hinweis von Reimund B. Sdzuj, Greifswald). 43 Die Formulierung soll nicht allzu buchstäblich genommen, aber als Anregung verstanden werden, über das Verhältnis von Rezeption, Produktion und Originalität nachzudenken, das oft genug als endgültig bestimmt vorausgesetzt wird. Gegen die Annahme eines kruden Gegensatzes zwischen Kreation und Konsumtion wandte sich Chartier, Intellektuelle Geschichte, hier S. 88 f.
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rung von Kenntnissen, wie sie in allein unterrichtsgeschichtlich relevanten Dissertationen erfolgen, sowie der oft als öde verschriene Universitätsalltag bedürfen der Beachtung, ja einer historiographischen Aufwertung, will man nicht die Geschichtsschreibung frühneuzeitlicher Hoher Schulen nur auf das Sensationell-Einmalige, die faits divers, das Neue und das sogenannt Originelle festlegen.44 Auch der wiederholte Gedanke und das wiederkehrende Ritual (zum Beispiel jedes Promotionszeremoniell) unterstehen dem Einfluss unverwechselbarer, singulärer historischer Bedingungen und sind von den jeweils herrschenden Umständen, rhetoriktheoretisch gesprochen, von den circumstantiae, geprägt. Frühneuzeitliche Dissertationen spiegeln auch auf der inhaltlich-textuellen Ebene, die ich hier, entgegen anders ausgerichteten Forschungstrends, ausdrücklich stark mache, das von Koselleck ontologisch verstandene Gemenge von Tradition und Innovation vielfältig wider. Historische Erkenntnis kommt, wie erwähnt, um ein weiteres Universale zu benennen, nicht ohne anthropologische bzw. anthropozentrische Setzungen aus, insbesondere, wenn es in der Historiographie um Erziehung und Ausbildung, also um Menschen als Adressaten pädagogischer Intentionen, geht. Stets werden eine bestimmte Natur des Menschen, die Möglichkeit, (relativ) frei zu handeln, respektive seine (relative) Determiniertheit durch innere und/oder äußere Einflüsse aller Art angenommen. Geschichtsschreibung setzt – meist stillschweigend – gelöste philosophische (anthropo-ontologische) Probleme voraus. In dieser Hinsicht füllt Bourdieu mit der Habituslehre eine erkenntnistheoretische Lücke. Er ließ sich weder von der Annahme eines spontan und frei handelnden, ,großen‘ Subjekts noch von einem uneingeschränkten Determinismus leiten, sondern ging von einer wechselseitigen Durchdringung subjekt- und gesellschaftsbestimmter, flexibel gehaltener Prägungen des Menschen aus und wollte damit den von der Bewusstseinsphilosophie strapazierten Subjekt-Objekt-Gegensatz aufheben.45 Bourdieu wandte das Konzept des Habitus u. a. auf den zeitgenössischen (französischen) homo academicus an und vollzog damit die bekannte Wende von der auf Inhalte (schriftlich fixierte Gedanken) ausgerichteten wissenschaftlichen Arbeit auf die Erforschung von Praktiken, Vorgehensweisen, Handlungsvollzügen und Interaktionen.46 Eine Applikation der Habituslehre auf Frühneuzeitthemen wurde zwar mehrfach vorgenommen, aber die Ausgangslage für Recherchen ist eine andere, auch weil keine (mündlichen) Befragungen durchgeführt werden können. Frühneuzeitliche Praxis ist nur auf dem Umweg über schriftliche und bildliche Verlautbarungen zugänglich. Daher bleibt ihre historiographische Vergegenwärtigung an die Verfahren der Textinterpretation gebunden, ohne dass sie so wirklich er44
Sie ergänzt als Historiographie des sogenannt Selbstverständlichen die Geschichtsschreibung zur Prekarität, wie sie maßgeblich vertreten wird von Mulsow, Prekäres Wissen. 45 Vgl. stellvertretend die Begriffsbestimmungen bei Bourdieu, Meditationen, hier S. 175, 270, 279. 46 Bourdieu, Homo academicus.
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fasst würde. Allein schon der in der Frühen Neuzeit polysemisch verwendete Begriff der disputatio lebt von der Diskrepanz zwischen den meist gedruckt überlieferten Inhalten der Dissertation und dem sie umfassenden, doch stets zeitlich und räumlich eng begrenzten Ganzen, dem meist völlig im Dunkel bleibenden Disputationsakt. Der Historiker ist dagegen gut beraten, wenn er aus heuristischen Gründen ,Dissertation‘ und ,Disputation‘ nicht synonym verwendet und klar zum Ausdruck bringt, was er im jeweiligen Zusammenhang meint. Bourdieus Habituslehre führt zu den unhintergehbaren anthropologischen Setzungen zurück, von denen eben die Rede war. Geht man vom Individuum als einem Konglomerat von Naturanlagen, Erziehungseinflüssen und anderen gesellschaftlichen Prägungen aus, wäre das begriffliche Konzept des Habitus, das inhaltliche habituelle Komponenten oft hintanstellt (freilich nicht ausschließt), durch die hier mit Bedacht herangezogene historiographische Kategorie der Mentalität zu ergänzen, die eine gemeinsame geistige ,Einstellung‘ einer im Übrigen wie auch immer zusammengesetzten Gruppe von Menschen bezeichnet. ,Mentalität‘ ist die einem mehr oder weniger großen Kollektiv eigentümliche Geisteshaltung, die sich in den von Individuen produzierten mündlichen und/oder schriftlichen Äusserungen mitteilen kann. Mentalitätsbildend respektive -fördernd wären z. B. Ehe und Familie, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand, z. B. der Gelehrten,47 der Einfluss von Institutionen wie Kirche, Schule und Staat, einer Herkunfts- oder Wohnregion oder, durchaus, einer Nationalität.48 Selbstverständlich unterliegt jedes Individuum den Einflüssen mehrerer sozialer Milieus und wirkt als Teil von ihnen auf diese Kollektive zurück, weshalb simultane Prägungen mehrerer sozialer Konfigurationen vorliegen.49 Das Erklärungspotenzial des praxeologischen Ansatzes lässt sich ver47 Füssel, Zwei Körper des Professors; Füssel, Symbolische Grenzen. Mentalitätsgeschichtsschreibung lässt sich mit den Vorgaben kollektivbiographischer Forschung gut vereinbaren, wie sie vertreten wird von Schröder, Kollektivbiographie. Früh machte die Mediävistik den soziologischen Begriff der Gruppe für die Geschichtsschreibung nutzbar und gelangte zu differenzierten, heute noch brauchbaren Konzepten von Mentalität. Vgl. Graus, Mentalitäten, insbesondere den einleitenden Aufsatz des Herausgebers: Graus, Mentalität – Versuch einer Begriffsbestimmung (Graus betont das simultane Nebeneinander sich widersprechender Geisteshaltungen, eine Widersprüchlichkeit, die sogar bei ein und derselben Person begegnen könne). Ferner Sprandel, Mentalitäten und Systeme. 48 Mit einem anthropologisch differenzierten, von verschiedenen Bestimmungsfaktoren und -merkmalen ausgehenden Mentalitätsbegriff, der immer wieder erkenntniskritisch überprüft wird, sollten fragwürdige ideologische Setzungen vermieden und sollte ,Mentalität‘ zu einem wissensgeschichtlich tauglichen Fachterminus erhoben werden können. Vgl. bereits die Versuche der Begriffsbestimmung in: Raulff (Hrsg.), Mentalitäten-Geschichte. Das Verhältnis von Wissenschaft und Ideologie ist seinerseits ein weites (wissenschaftsgeschichtliches) Feld, auf das hier wenigstens verwiesen sei. 49 In der allgemeinen terminologischen Zielsetzung stimmen Bourdieus Habituskonzept und Norbert Elias’ Figurationsbegriff überein: „Der Begriff der ,Figuration‘ dient dazu, ein einfaches begriffliches Werkzeug zu schaffen, mit dessen Hilfe man den gesellschaftlichen Zwang, so zu sprechen und zu denken, als ob ,Individuum‘ und ,Gesellschaft‘ zwei verschiedene und überdies auch noch antagonistische Figuren seien, zu lockern“, siehe Elias, Was ist Soziologie?, S. 141.
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größern, und Doppelspuren werden vermieden, wenn der Habitusbegriff auch von konkret inhaltlichen, ideologisch-kollektiven Determinationen der Akteure her gefasst wird. Gruppenmentalitäten, die durchaus als wandelbar, sogar als in sich inkonsistent vorzustellen sind, wären dann Interaktionsdeterminanten, die individuelle Handlungsmöglichkeiten mit bestimmen, d. h. begünstigen oder einschränken.50 Frühneuzeitliche Dissertationen aus Universitäten und anderen Hohen Schulen eignen sich für eine Rekonstruktion der im obigen Sinn verstandenen Mentalität gelehrter Personen und waren in dieser Hinsicht bereits Gegenstand von Materialsammlungen und Einzelstudien.51 Solche Forschungen sind mit dem vermehrten Beizug des in der Regel dicht überlieferten akademischen Kleinschrifttums fortzusetzen. Bislang wirkte sich die Vorliebe für den praxeologischen Ansatz leider eher negativ auf die Ausschöpfung des hier propagierten Quellenvorrats aus;52 dieses Manko kann durch quellenbezogene, vermehrt auch auf Unterrichtsinhalte ausgerichtete Arbeiten beseitigt werden.53 Dies ist aber nur möglich, wenn, z. B. vom Mentalitätsbegriff ausgehend, bestimmte Inhalte, geistig-habituelle Beweggründe, mehr Gewicht bekommen. Die praxeologische Sichtweise gilt es zu verbinden mit der ideengeschichtlichen Perspektive am Beispiel geeigneter Quellen zur ars disputandi, etwa durch die Interpretation von Disputationslehrbüchern, die generell beide Komponenten, vorwiegend aber die argumentationsstrategische, thematisieren. Auch die gemäß Bourdieu betriebene Untersuchung von Praktiken der Ehrerbietung, des Erwerbs von Ruhm und Anerkennung sowie der Laufbahnplanung findet in den Dissertationen und in den übrigen Gattungen frühneuzeitlichen Gelehrtenschrifttums reichlich Material.54 Dem Aspekt pragmatischer Enkomiastik kommt in den Paratexten der Thesenschriften große Bedeutung zu. Ich komme auf die Tauglichkeit allgemeiner historiographischer Verlaufsmodelle für die frühneuzeitliche Disputationsforschung zurück. Auch hier sind sie von sehr begrenztem Erklärungswert, können aber zur Bildung von Hypothesen herangezogen werden. Unter den teleologisch eingefärbten Epochenbegriffen spielt die Aufklärung die zentrale Rolle. Im 18. Jahrhundert hätten, so die communis opinio, die Menschen sich von der Herrschaft der Autoritäten befreit, das selbstständige Urteil zum 50 Damit plädiere ich für eine Integration von Mentalität als handlungsbestimmendem Faktor in die Kategorie des Habitus, der alle potenziellen und realisierten Handlungskomponenten umfasst. Zum Begriff der Gruppe als Analysekategorie in der Mediävistik siehe Graus, Mentalität – Versuch einer Begriffsbestimmung, insbesondere S. 46 f., und Schneider, Mittelalterliche Mentalitäten, hier S. 324 f. 51 Hummel, Mœurs érudites; Kosˇenina, Gelehrtensatire; Marti, Bild des Gelehrten. 52 Unterrichtsgeschichte und akademische Kleinschriften sind in der Forschung unterrepräsentiert, wie eine neulich erschienene zweibändige Tagungspublikation einmal mehr bestätigt: Holenstein/Steinke/Stuber (Hrsg.), Scholars in Action. 53 Dies ist eines der Ziele des in Anm. 1 erwähnten DFG-Projekts über frühneuzeitliche Dissertationen zur Rhetorik, Poetik und Ästhetik. 54 Zu dem in der Nachfolge Bourdieus beliebten Thema vgl. Werle, Georg Christoph Schefer. Einen Eindruck von den vielen Möglichkeiten einschlägiger Themenwahl bietet das Sachregister meiner Dissertationenbibliographie (vgl. Anm. 4).
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Maßstab gemacht und alle Dinge, einschließlich den Gang der Geschichte als ganzen, der Verfügungsgewalt des Subjekts unterworfen. Mit dem Interesse der Historiker an den Zonen, die den Aufklärern selber dunkel blieben, und an der im 18. Jahrhundert geübten Kritik rationaler Kompetenz verschob sich die Aufmerksamkeit der Forschung vom angeblich epochentypischen Fortschrittsdenken zu dem von der Aufklärung, auch unter säkularen Aspekten, erneuerten Bewusstsein der Grenzen menschlichen Erkennens.55 Ferner wurde und blieb die Tyrannei der Vernunft bis heute Gegenstand der Kritik. In den Thesenschriften des späten 17. und des 18. Jahrhunderts (theologische Dissertationen weitgehend ausgenommen) erhielt die Simultaneität historiologischer Verschiedenheit respektive die Präsenz pluraler Gleichzeitigkeiten als Erklärungsgrund offenbar Auftrieb,56 weil unter dem im 18. Jahrhundert verstärkten Legitimationsdruck, der vom Fortschrittsdenken ausging, sowohl bis in die Antike zurückreichende Wissensbestände aufgearbeitet, übernommen, kritisch begutachtet und aktualisiert als auch neue Erkenntnisse und Methoden in die bekannten Kontexte integriert oder zur Begründung traditionskritischer Positionen – man denke an Kants Transzendentalphilosophie – herangezogen wurden.57 Die Funktion historiographischer Selektion und Kanonbildung übernahm vorerst, wenn auch nicht allein, die Litterärgeschichte,58 die im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts aufkam und bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts als Arsenal der Generierung und Tradierung gelehrten Wissens vorherrschend blieb. Die Dissertationen zählten und zählen
55 Dazu Berg, Wissenwollen trotz Nichtwissenkönnens. Diese Fragestellung ist auch auf die lateinsprachige, vor dem späten 18. Jahrhundert erschienene Gelehrtenliteratur, insbesondere auf die Dissertationen, anzuwenden. 56 Ergebnisse, die dem intensiven Einbezug der Dissertationen geschuldet sind, liefert Roling u. a. in: Locutio angelica; des Weiteren Roling, Drachen und Sirenen; Roling, Physica sacra, hier S. 4, wo die Dissertationen zu „jenen Textsorten [gezählt werden], in denen sich der epochenübergreifende Konsens verkörpern konnte und die diesen Konsens wieder und wieder einforderten und ihn zugleich gegen alle Widerständigkeiten der vermeintlichen Moderne verteidigten“. Exemplarisch auch Roling, Mechanik und Mirakel. Zur Simultaneität des entstehungsgeschichtlich Verschiedenen in Disputation und Disputationstheorie (u. a. zu Johann Andreas Schmidt) siehe Marti, Nov-antiquitas. Kritisch zum Topos der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, da er in den teleologischen Strukturen, die er kritisiere, befangen bleibe, und zur Bevorzugung des auch von Koselleck entworfenen, geologischer Metaphorik verpflichteten Zeitschichtenmodells Achim Landwehr, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, hier S. 34: Kultur pluraler Gleichzeitigkeiten. Die Frage ist, ob dieses die Synchronie verabsolutierende Prinzip das Problem der Linearität historischer Diachronie umgehen kann, ob teleologische Implikationen in der Geschichtsschreibung überhaupt zu vermeiden sind und ob sie um jeden Preis vermieden werden müssen. 57 Eine breite Palette von Äußerungen zur Novitätsthematik findet sich vor allem im frühen Schrifttum der Universität Halle, die als Institution den Neuheitsanspruch rhetorisch ebenfalls zur Geltung brachte. Dazu mein Referat vom 22. April 2014, Altes festhalten, Neues suchen. Hallenser Disputationen im frühen 18. Jahrhundert. Allgemein zur Novität siehe Sdzuj, Figur des Neuerers. 58 Vgl. dazu Grunert/Vollhardt (Hrsg.), Neuordnungen des Wissens; Marti, Litterärgeschichte.
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heute noch zu den Haupt-Aufbewahrungsstätten gelehrter (wissenschaftlicher) Wissensproduktion.59 Mit der Verbreitung der Aufklärung wurde eine Abwendung von akademischen Ritualen konstatiert, von der die Disputation betroffen schien,60 doch dieser Abbau von Solemnität war so drastisch nicht, dass alle früheren Usancen aufgehoben und der rituelle Charakter der Promotion vollständig preisgegeben worden wären. Die Zahl der übungshalber öffentlich verteidigten Thesenschriften nahm aber nach 1750 merklich ab.61 Von einer Aufhebung hierarchischer Ordnungen – sie haben bis heute überlebt – und ständischer Distinktionsmerkmale, gerade innerhalb der Hohen Schulen, konnte in der sogenannten Sattelzeit so wenig die Rede sein wie von der Abschaffung des Lateins als Promotionssprache. Ferner wird der Erfolg der Humboldt’schen Universitätsreform neuerdings zurückhaltend und differenziert betrachtet und als langfristiger, keineswegs geradlinig verlaufener Prozess beurteilt.62 Mit der Einführung der Reifeprüfungen (Abitur, Maturität) büßten die in einer Zwitterstellung zwischen Lateinschule und Universität befindlichen akademischen Gymnasien ihren Hochschulstatus ein, was die Verlagerung der höheren Ausbildung an die Universitäten und die Aufhebung des öffentlichkeitsbezogenen Disputationswesens an den neu geschaffenen Maturitätsschulen (zunächst den humanistischen Gymnasien) mit sich brachte.63 Herauszufinden, wie sich dieser Wandel im Fortgang des 19. Jahrhunderts auf die Unterrichtsformen und auf die disputatio im Besonderen auswirkte, ist ein Forschungsdesiderat. Einmal mehr drängt sich die Abkehr von linearem Prozessdenken und von anderen Denkschablonen auf, die für die Frühe Neuzeit (1500–1800) und für das 19. Jahrhundert das Erkenntnisziel verfehlen. Daher darf auch nicht, wie neulich geschehen, disputationsgeschichtlich die mittelalterliche Scholastik zur Glanzepoche wissenschaftlichen Fortschritts, von Lehre und Forschung, stilisiert und folgerichtig die Frühe Neuzeit als vom Humanismus und von der Reformation verschuldete Periode des Zerfalls der Disputationskultur deklassiert werden.64 Die Bewertungskonnotationen dieses Niedergangs übertragen wiederum die Vertreter des Sattelzeittheorems gerne von der Frühen Neuzeit zusätzlich auf das Mittelalter, indem sie den Beginn der Moderne, d. h. des eigentlichen wissenschaftlichen Fortschritts, wie oben geschildert, in das 19. Jahrhundert verlegen. Der Weg der Disputationsforschung, die (frühneuzeitliche) Pluralität ernst nimmt, führt künftig weniger von einem als bekannt vorausgesetzten Ganzen (Epochen, gesellschaftlichen Strukturmodellen) zum Detail, sondern von Mikrobefunden zu all59 Zu den frühneuzeitlichen Dissertationen siehe meinen Aufsatz: Die Disputationsschriften – Speicher logifizierten Wissens. 60 Füssel, Gelehrtenkultur, hier S. 396–403. 61 Marti, Dissertation und Promotion. 62 Schwinges, Export des deutschen Universitätsmodells. 63 Herrlitz, Studium als Standesprivileg. 64 Kirschner/Kühne, Decline.
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gemeineren Hypothesen, die sich ihrerseits stets dem Veto der Quellenbefunde zu stellen haben. Sie können ein solches aber nur einlegen, wenn die frühneuzeitlichen Dissertationen, vor allem der mitteldeutschen Universitäten, der Academia Norica und der Universität Straßburg, so vollständig wie möglich bibliographisch erschlossen sind. Selbst von diesem Zwischenziel sind wir gegenwärtig noch weit entfernt. Literatur Apin, Sigmund Jakob: Unvorgreiffliche Gedancken/ wie man so wohl Alte als Neue Dissertationes Academicas mit Nutzen sammlen/ und einen guten Indicem, darüber halten soll, Nürnberg/Altdorf 1719. Appuhn-Radke, Sibylle: „Domino suo clementissimo…“. Thesenblätter als Dokumente barocken Mäzenatentums, in: Rainer A. Müller (Hrsg.): Bilder – Daten – Promotionen. Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit, Stuttgart 2007, S. 56–82. Berg, Gunhild: Sind Preisfragen die aufklärerisch-öffentliche Form der disputatio? Ein Antwortversuch am Beispiel der Berliner Volksbetrugs-Frage von 1780, in: Marion Gindhart/Ursula Kundert (Hrsg.): Disputatio 1200–1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur, Berlin/New York 2010, S. 167–199. Berg, Gunhild: Wissenwollen trotz Nichtwissenkönnens. Von den Erkenntnisgrenzen der psychologischen und pädagogischen Wissenschaften des späten 18. Jahrhunderts, in: Hans Adler/Rainer Godel (Hrsg.): Formen des Nichtwissens der Aufklärung, Paderborn 2010, S. 191–212. Bourdieu, Pierre: Homo academicus. Übersetzt von Bernd Schwibs, Frankfurt a. M. 1992. Bourdieu, Pierre: Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Aus dem Französischen von Achim Russer. Unter Mitwirkung von Hélène Albagnac und Bernd Schwibs, Frankfurt a. M. 32013. Chartier, Roger: Intellektuelle Geschichte und Geschichte der Mentalitäten, in: Ulrich Raulff (Hrsg.): Mentalitäten-Geschichte. Zur historischen Rekonstruktion geistiger Prozesse, Berlin 1987, S. 69–96. Clark, William: Academic Charisma and the Origins of the Research University, Chicago/London 2006. Art. ,Disputir=Kunst‘, in: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal Lexicon, Bd. 7, Halle/Leipzig 1734, Sp. 1058–1070. Döring, Detlef: Johann Christoph Gottsched in Leipzig. Ausstellung in der Universitätsbibliothek Leipzig zum 300. Geburtstag von J. Chr. Gottsched, Stuttgart/Leipzig 2000. Elias, Norbert: Was ist Soziologie?, München 41981. Felipe, Donald: Ways of disputing and principia in 17th century German disputation handbooks, in: Marion Gindhart/Ursula Kundert (Hrsg.): Disputatio 1200–1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur, Berlin/New York 2010, S. 33–61.
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Repräsentieren
Philosophische Identität? Sozialisation und Gruppenbildung an der Pariser Artistenfakultät im 13. Jahrhundert1 Von Marcel Bubert Im Titel dieses Beitrags finden sich zwei Begriffe, deren Kombination manchen als selbstverständlich, anderen hingegen eher als fragwürdig erscheinen mag: ,Philosophische Identität‘ und ,Artistenfakultät‘. Ob die Artes-Magister der Universität Paris ,richtige Philosophen‘ waren, ist allerdings eine Frage, die ich im Rahmen dieses Beitrags nicht entscheiden kann, da jede definitive Antwort darauf auf einem normativen Philosophiebegriffs beruhen würde.2 Es soll daher im Folgenden nicht mein Anliegen sein, die ,philosophische Substanz‘ der Pariser Artisten und ihrer Schriften zu erörtern. Wenn ich dennoch von philosophischer Identität spreche, dann zielt dies vielmehr auf einen anderen, ja bescheideneren Aspekt, der von den konkreten Inhalten philosophischer Kommunikation an dieser Stelle weitgehend absieht. Gemeint ist zunächst schlicht die Tatsache, dass sich an der Pariser Artes-Fakultät des 13. Jahrhunderts eine eigenständige ,soziale Identität‘ entwickelte, ein Gruppenbewusstsein der Artes-Magister, die sich als Philosophen verstanden und als solche von anderen Gruppen unterschieden. Dennoch sollen sich die folgenden Ausführungen nicht darauf beschränken, Belege für die Existenz einer solchen Gruppenidentität zusammenzutragen; vielmehr ist es mein Anliegen, zu diskutieren, aus welchen Gründen es im 13. Jahrhundert zur Herausbildung einer philosophischen Identität der Artes-Magister kommen konnte, wo doch die offizielle Funktion der Artistenfakultät, als Propädeutik für die oberen Fakultäten, eine solche Entwicklung keinesfalls begünstigte. Wie konnte es zu einer Identifikation mit der Philosophie und mit der Gruppe der Artisten kommen, obwohl die Position des Artes-Magisters kaum gesellschaftliches Ansehen genoss und die Universität offiziell weder einen längeren Verbleib an der Artes-Fakultät noch eine eigensinnige Beschäftigung mit den Gegenständen ihrer Lehre vorsah?3 Eine naheliegende Erklärung wäre es, die Wirkung der aristotelischen Philosophie dafür verantwortlich zu machen, dass bei den Artisten ein Bewusstsein von 1 In größeren argumentativen Zusammenhängen und auf breiterer empirischer Basis behandele ich dieses Thema in meiner Dissertation zur Universität Paris im 13. und 14. Jahrhundert. 2 In negativem Sinne wird diese Frage beantwortet von de Libera, Faculté des arts. 3 Zur Position und Organisation der Artes-Fakultät allgemein: Kintzinger, Artisten; Verger, Faculté des arts; Verger, Maîtrise ès-arts; Rashdall, Universities of Europe, S. 439 – 471.
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Marcel Bubert
der Eigenständigkeit der philosophischen Wissenschaft sowie ihrer Rolle als Philosophen entstand. Diese Ansicht hatte etwa Charles Lohr in seinem Beitrag zur Cambridge History of Later Medieval Philosophy vertreten: But in him they [the masters of arts] found a new paradigm, a new model not only for interpretation, not only for science, but also for the vocation of the university man. In Aristotle, the Philosopher, they found the researcher, the questioner, – or to use Aristotle’s own words, the hunter, the discoverer, the seeker.4
Eine solche Sichtweise, welche die prägende Rolle der aristotelischen Werke in den Vordergrund stellt, scheint jedoch der Komplexität der Zusammenhänge nicht gerecht zu werden. Schließlich kann man nicht davon ausgehen, die philosophischen Texte hätten gleichsam aus eigenem Impetus eine Wirkung entfaltet, welche die Existenz einer ,autonomen Philosophie‘ mitsamt ihren sozialen Trägern, den Philosophen, geschichtsmächtig hervorbrachte. Die Entstehung eines philosophischen Selbstverständnisses, wie es sich an der Artes-Fakultät von Paris im 13. Jahrhundert manifestiert,5 kann schwerlich als Resultat einer geradlinigen Wirkungsmechanik gedacht werden, die von den Schriften des Aristoteles ausgeht. Auch wenn es geradezu absurd wäre, die Bedeutung der Aristoteles-Rezeption zu bezweifeln, so wäre dennoch die Frage zu stellen, unter welchen konkreten ,Rezeptionsbedingungen‘ diese Rezeption stattfand, und auf welche Weise diese Bedingungen eine entsprechende Wirkung erst ermöglichten.6 Nun könnte man freilich auf einschlägige Sozialisationsformen an der Artes-Fakultät verweisen, welche die Identität ihrer Magister prägten. Das System der Posten und Ämter,7 das den Artes-Magistern soziale Rollen zuwies, in denen sie als Repräsentanten ihrer Nation oder der Artistenfakultät handelten, ist ein wichtiger Faktor, da die Aus- und Einübung solcher Rollen immer auch Implikationen für die soziale Identität der Akteure haben.8 Es ist zumindest auffällig, dass viele derjenigen ArtesMagister, die besonders lange an der Artistenfakultät blieben oder einen besonderen Enthusiasmus für die Philosophie artikulierten, während ihrer artistischen Laufbahn solche Ämter – nicht selten das Amt des Rektors oder Prokurators – innehatten. Nicht nur Aubry von Reims, auch etwa Petrus von Auvergne oder Heinrich von Brüssel, die beide über 20 Jahre lang als Magister an der Artes-Fakultät lehrten,9 waren Rektoren der Artes-Fakultät (und Universität) von Paris, ebenso wie Johannes Buridan be4
Lohr, Medieval Interpretation, S. 91. Zu diesem Selbstverständnis und dem Enthusiasmus der Artisten für die Philosophie allgemein: de Libera, Penser au Moyen Âge, S. 143 – 180; Bianchi, Il vescovo e i filosofi, S. 107 – 178; Imbach/Putallaz, Profession: Philosophe. 6 Zu den verschiedenen Perspektiven von Rezeptions- und Wirkungsgeschichte: Grimm, Rezeptionsgeschichte, S. 28. 7 Zu den Ämtern der Fakultät: Kibre, Nations, S. 65 – 115. 8 Berger/Luckmann, Konstruktion der Wirklichkeit, S. 76 – 83; Goffman, Wir alle spielen Theater, S. 19. 9 Weijers, Travail intellectuel, Bd. 7, S. 95 – 127 (Petrus von Auvergne); Bd. 4, S. 49 – 51 (Heinrich von Brüssel). 5
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kanntlich sogar mehrere Male das Rektorenamt bekleidete. Konrad von Megenberg, der sich Zeit seines Lebens mit den Artisten der Universität Paris identifizierte,10 hat während seiner Zeit als magister artium mehrfach das Amt des Botschafters im Auftrag der englischen Nation übernommen. Ebenso könnte man das Ritual der Graduierung erwähnen. Die Ritualtheorie hat gezeigt, in welchem Maße solche Einsetzungsriten die Identität der Kandidaten prägen. Die inceptio des Artes-Magisters ist, in den Worten Pierre Bourdieus, ein „Akt sozialer Magie“, der mittels seiner performativen Gewalt das hervorbringt, was er benennt, und eben damit „jemandem seine Identität [bedeutet]“.11 Die ausführlichen Schilderungen, die Konrad von Megenberg – ausgehend von seiner persönlichen Erfahrung an der Pariser Artes-Fakultät – dem Vorgang der inceptio widmet, zeigen deutlich, welchen Eindruck das Ritual auf diejenigen machte, die ihm unterzogen wurden, und wie es sich auf ihr Selbstverständnis auswirkte. Subtil beschreibt Konrad die einzelnen Schritte der Graduierung, von der Lizenz bis zur inceptio, wobei er ebenfalls auf die ,liminale Phase‘ des Lizenziaten verweist: „Er ist jedoch noch kein Magister, sondern ein Lizenziat genannter Bakkalar, und allein seine Lizenz wird ihm weder Seide noch Pelz noch Gold bringen. Jedoch, wenn es ihm beliebt, so wird er bald das Magisterium erlangen können.“12 Nun sind die genannten Aspekte für die Sozialisation an der Artistenfakultät sicherlich ausgesprochen wichtig. Dennoch kann es in diesem Beitrag nicht darum gehen, mit dem Verweis auf zentrale Sozialisationsformen schlicht zu behaupten, dass diese für die Entstehung einer Gruppenidentität der Artes-Magister verantwortlich seien und damit gleichsam die Basis bildeten, von der aus das Postulat einer autonomen Philosophie formuliert wurde, wie es an prominenter Stelle bei Boethius von Dacien begegnet.13 Ein solch unvermitteltes Gegenüberstellen zweier kultureller Phänomene – universitäre Sozialisation und philosophische Identität – würde einer Sichtweise nahekommen, in der das gesellschaftliche ,Sein‘ der Artes-Magister ihr ,Bewusstsein‘ eindimensional bestimmt. Was bei einer derartigen Perspektive aus dem Blick gerät, ist die Vermittlung zwischen beiden Ebenen, jener Bereich der ,Zwischenschritte‘, der die Dialektik von sozialen Praktiken und Identitätsbildung sichtbar macht. Doch auf welche Weise kann, im Falle der Artes-Magister, eine derartige dialektische Vermittlung zwischen ,Sein‘ und ,Bewusstsein‘ überhaupt analytisch erfasst werden? Wie entgeht man dem Dilemma, Sozialisationsformen und Identitäten unverbunden nebeneinanderzustellen und einen Zusammenhang zwischen beidem lediglich zu postulieren? Im Folgenden muss es demnach um die Frage gehen, auf 10
Verger, Venerabilis mater. Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 86 f. 12 Konrad von Megenberg, Ökonomik, S. 198: „Nondum autem est Magister, sed baccalarius dicitur licenciatus, et nec sericum nec varium neque aurum portabit racione licencie sue. Attamen, si placuerit ei, mox poterit magistrari.“ [Alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, von Marcel Bubert.] 13 Boethius von Dacien, De aeternitate mundi; de Mowbray, Boethius of Dacia; Pinborg, Philosophie des Boethius de Dacia; Wilpert, Autonomie des Philosophen. 11
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welche Weise die Genese einer sozialen Identität der Artisten konkreter, d. h. in ihren konstitutiven Momenten, in den Blick genommen werden kann. Um die Quellen der Artes-Fakultät unter dieser Perspektive zu befragen, möchte ich in den folgenden Ausführungen primär zwei Aspekte herausgreifen und hinsichtlich ihrer Relevanz für die avisierte Fragestellung erörtern: die Bedeutung der Lehre für das Selbstverständnis der Artes-Magister sowie die Perzeption gruppenspezifischer Differenzen und damit verbundene Abgrenzungsstrategien. Vieles deutet darauf hin, dass es nicht zuletzt die Lehrtätigkeit an der Artistenfakultät war, die eine besondere Identifikation nicht nur mit der sozialen Rolle des Lehrers, sondern auch mit den Gegenständen der Lehre, also der Philosophie, stimulierte. Zunächst fällt auf, dass die Lehre in den Schriften der Artes-Magister in der Tat ein häufiges Thema ist. Die Artisten reflektierten nicht nur oftmals über die Modalitäten des Lehrens und Lernens, sondern sie äußerten sich auch über den grundsätzlichen Wert des Unterrichtens und die Verpflichtung, das eigene Wissen an die Schüler weiterzugeben. Eine häufige Feststellung ist in den philosophischen Einführungsschriften etwa die folgende: „Die Philosophie ist ein edler Besitz der Seele, der einen geizigen Besitzer verschmäht und der entgleitet, wenn er nicht weitergegeben wird, der sich aber vergrößert, wenn man ihn vielen zuteilwerden lässt.“14 Die Überzeugung, man dürfe die Philosophie nicht geizig für sich behalten, sondern müsse sie an andere vermitteln, findet sich, mit verschiedenen Abwandlungen, in zahlreichen Einführungsschriften.15 Freilich darf man den topischen Charakter solcher Aussagen nicht übersehen; dennoch wird in den Einführungen generell deutlich, dass sich die Artes-Magister solche bestehenden Topoi aus anderen Kontexten produktiv aneigneten und aktiv in ihre Darstellung der Philosophie integrierten. Nicht zuletzt die Tatsache, dass einige dieser magistri sehr lange an der Artes-Fakultät unterrichteten, gibt guten Grund zu der Annahme, dass sie derartige Aussagen unweigerlich auf sich selbst und ihre eigene Lehrtätigkeit bezogen. Das hier bereits anklingende Bewusstsein von der ,Verantwortung‘, welche die Tätigkeit als Lehrer der Philosophie mit sich bringt, wird noch deutlicher in dem zu Beginn der 1240er Jahre an der Artes-Fakultät entstandenen Traktat De disciplina scolarium des Pseudo-Boethius.16 Dieser Studienführer ist keinesfalls ausschließlich an die Scholaren gerichtet, die er hinsichtlich des rechten Verhaltens im Studium und im universitären Leben unterweist; er wendet sich ebenso an die lehrenden Kollegen, die Professoren der Artistenfakultät, vor allem jene, die gerade mit ihrer Lehrtätigkeit 14 Anonymus Artium Magister, Dicit Aristotiles, S. 377: „Philosophia est nobilis animi possesio que auarum dedignatur possessorem et que, nisi publicetur, elabitur, que pluribus distributa suscipit incrementum.“ 15 Etwa bei Arnulf von der Provence, Divisio scientiarum, S. 313 f.; Aubry von Reims, Philosophia, S. 39 f.; Johannes von Dacien, Divisio scientiae, S. 10; Anonymus Artium Magister, Ut testatur Aristotiles, S. 98; ebenso in den ,Summulae dialectices‘ von Roger Bacon, die er während seiner Zeit als Artes-Magister in Paris verfasste: Roger Bacon, Summulae dialectices, S. 171. 16 Pseudo-Boethius, De disciplina scholarium.
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beginnen. Ihnen werden Ratschläge zu den Modalitäten des Unterrichtens, aber ebenso zum Verhalten als Lehrer erteilt.17 De disciplina scholarium ist somit ein einschlägiges Zeugnis für die Bedeutung, welche die Artisten ihrer Aufgabe als Philosophieprofessoren beimaßen. Dass die Artes-Magister wenig später, in den Statuten von 1255, gemeinschaftlich und eigenständig beschlossen, die Verhältnisse der Lehre an ihrer Fakultät neu zu regeln, stellt nicht nur einen Akt kollektiven Handelns der Artisten dar, sondern darf im selben Sinne als Zeichen eines Verantwortungsbewusstseins für die Lehre der Philosophie gesehen werden. Die Formulierung „nos omnes et singuli magistri artium de communi assensu nostro nullo contradicente“ ist dabei nicht nur stereotype Wendung, sondern als Ausdruck einer Identität der Artistenfakultät durchaus ernst zu nehmen.18 Besonders aufschlussreich für die Frage, in welchem Maße die Lehrtätigkeit das Selbstverständnis der Artes-Magister als Lehrer und ihr Selbstbewusstsein als Philosophen prägte, ist allerdings eine Anschauung, die in der bereits zitierten Schrift Dicit Aristotiles artikuliert wird, die vermutlich zwischen 1245 und 1250 von einem anonymen magister artium verfasst wurde. Der Text enthält eine programmatische Apologie der Philosophie, in welcher dargelegt wird, dass die Philosophie auf außerordentliche Weise erstrebt werden muss.19 In diesem Zusammenhang kommt der Autor auch auf das Verhältnis der modernen Philosophen zu den alten zu sprechen. Der Magister der Artistenfakultät nutzt diese Gelegenheit, um mit großer Emphase die Überlegenheit der moderni über die antiqui zum Ausdruck zu bringen. Wenn den Alten schon das Erlangen der Philosophie möglich war, so heißt es, dann ist dies noch viel stärker bei uns (multo fortius aput nos) der Fall.20 Entscheidend ist nun, wie diese Behauptung erklärt wird: Zwei Wege der philosophischen Erkenntnis gebe es, nämlich die Entdeckung (inventio) und die Lehre (doctrina), da Aristoteles sagt, dass wir alles, was wir wissen, entweder durch Entdecken oder durch Lernen wissen.21 Diese auf Aristoteles gestützte Feststellung bildet für den Anonymus im Folgenden den Ausgangspunkt für ein Argument, das die Superiorität der modernen Philosophen über die alten begründet: „Wir nämlich“, so schreibt der Artes-Magister, „können auf diesem doppelten Wege die Philosophie erlangen. Die Alten aber hatten nur den der Entdeckung. Das Erlangen der Philosophie ist aber nun einmal leichter mit zwei Wegen statt nur mit einem, und daraus folgt, dass, wenn die Alten sie er-
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Zu den Anweisungen für die Scholaren: Pseudo Boethius, De disciplina scholarium, S. 99 – 120; Ratschläge an die Professoren: ebd., S. 120 – 134. 18 Chartularium Universitatis Parisiensis (im Folgenden abgekürzt CUP) 1, Nr. 246, S. 277. 19 Anonymus Artium Magister, Dicit Aristotiles, S. 366: „Ideo ipsa philosophia a nobis mirabiliter est appetenda.“ 20 Ebd.: „Huius autem declaratio patet per hoc quod eius acquisitio fuit possibilis aput Antiquos, ergo multo fortius aput nos.“ 21 Ebd., S. 366 f.: „Dubliciter autem habetur cognitio philosophie, per inuentionem scilicet et per doctrinam, secundum quod dicit Aristotiles quod ,omne quod scimus uel inueniendo uel addiscendo scimus‘.“
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langen konnten, wir es noch viel mehr können.“22 Mit dieser Argumentation wird allerdings deutlich, worin der Grund für die Überlegenheit der Modernen besteht: Der Anonymus ist der Meinung, die Philosophen seiner eigenen Zeit seien deshalb besser als die früheren Philosophen, weil sie über die Lehre verfügten und dadurch einen überlegenen Zugang zur Philosophie hätten. Sie erlangen ihre Erkenntnisse nicht nur durch Entdeckung, wie es – so behauptet unser Autor – bei den alten Philosophen der Fall gewesen sei, sondern sie haben zudem ein Studium an der Universität absolviert, welches ihnen – per Magisterdiplom bescheinigt – eine höhere Kompetenz in der Philosophie verschafft. Dass die Lehre hier somit den entscheidenden Faktor darstellt, der es ermöglicht, die Überlegenheit der modernen Philosophen zu postulieren, ist in jedem Fall bezeichnend und erlaubt die Vermutung, dass das philosophische Selbstbewusstsein der Artes-Magister in nicht geringem Maße auch auf der Lehre beruhte, welche sie an der Artes-Fakultät als Professoren der Philosophie praktizierten. Eine Erklärung für diese Tatsache bietet die Theorie der Interaktionsrituale. Das ,Interaktionsritual‘ ist begrifflich streng zu unterscheiden vom bereits angesprochenen ,Ritual‘. Während es für dieses im Allgemeinen konstitutiv ist, aus dem Alltag herausgehoben zu sein, handelt es sich bei Interaktionsritualen für Erving Goffman um alltägliche, aber stereotypisierte Handlungsweisen, welche die Interaktionen der Akteure strukturieren, ohne dass diese sich dabei der Ritualhaftigkeit ihres Verhaltens bewusst sein müssten.23 Ausgehend von Goffman hat der Soziologe Randall Collins den Begriff des Interaktionsrituals aufgegriffen und weiter konzeptualisiert, indem er vor allem auf dessen emotionale Implikationen aufmerksam machte.24 Das gelungene Interaktionsritual bestärkt den Zusammenhalt einer Gruppe vor allem dadurch, dass es zu emotionalen Bindungen sowohl zu den Mitgliedern der Gruppe, als auch zu dem Ensemble von ,Gegenständen‘ führt, über die in der Gruppe gesprochen wird und die damit zu Symbolen der Gruppenidentität werden.25 Die Identifikation mit dem somit diskursiv fokussierten kulturellen Repertoire der Gruppe ist bei den Personen am stärksten, die im Mittelpunkt des Rituals stehen und seinen Ablauf aktiv gestalten. Für die Bedeutung der Lehre bei den Artes-Magistern sind diese Annahmen aufschlussreich: Die These, dass die ,ritualisierte‘ Unterrichtssituation nicht nur zu einer Identifikation mit der dabei verkörperten Rolle, sondern ebenso zu einer emotionalen Bindung an die Gegenstände der Lehre führt, eröffnet eine neue Perspektive auf das emphatische Lob der Philosophie, welches die philosophischen Einführungsschriften artikulieren, die meist mit einer emotional gefärbten Apologie der Philosophie 22 Ebd., S. 367: „Ista autem dublici uia possumus acquirere philosophiam, Antiqui autem per inuentionem solum habuerunt. Vnumquodque autem facilius est ad acquirendum cum duplici uia quam cum unica solum, et ex hoc sequitur quod si Antiqui potuerunt illam acquirere, multo fortius et nos.“ 23 Goffman, Interaktionsrituale. 24 Collins, Mikrosoziale Grundlagen; Collins, Schichtung, hier bes. S. 126 – 130. 25 Collins, Solidarität, S. 107.
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beginnen. Der Enthusiasmus, den die Magister der Artistenfakultät der Philosophie entgegenbringen, wäre aus dieser Perspektive jedenfalls weniger auf die ,Wirkung‘ von Aristoteles zurückzuführen, sondern erhält seinen primären Impetus aus der sozialen Dynamik der Lehre an der Artes-Fakultät. Die vehemente Forderung der Artes-Magister, dass die Philosophie „geliebt“ werden müsse, sollte vor diesem Hintergrund nicht nur als Topos verstanden werden.26 Eine andere Quelle, die wichtige Anhaltspunkte für die Erörterung der hier aufgeworfenen Fragen bietet, ist die Verteidigung der Artes-Fakultät, die der Prokurator Johannes von Malignes 1283/84 als Reaktion auf die Anschuldigungen des Kanzlers von Notre-Dame formuliert hat. Der Kanzler hatte die miserablen Zustände an der Artistenfakultät angeprangert und dabei, um die Dekadenz derselben zu erweisen, auch die Lehrmethoden der Artes-Magister kritisiert. Nur ein einziges Buch würden die Artisten in einer Vorlesung pro Tag behandeln, so lautet die Kritik des Kanzlers, der darin ein Zeichen für den Verfall der Fakultät sehen wollte.27 Johannes von Malignes wendet sich gegen diesen Vorwurf des Kanzlers, indem er die Lehrpraxis der Artes-Magister in aller Entschiedenheit verteidigt: „Wir glauben nämlich“, so führt Johannes aus, „dass diese Art, Vorlesungen zu halten, nützlicher für die Studenten ist als eine andere Weise, weil die jungen Männer, die die Lehre in einer bestimmten Materie empfangen, ihre Lehre wieder verlieren, wenn sie nicht in derselben durch nachfolgende Wiederholung geübt sind. Zu dieser Wiederholung kommen sie jedoch nicht, wenn ihnen nach der Lektüre eines Buches unmittelbar aus einem anderen gelesen wird.“28 Doch Johannes belässt es nicht bei dieser grundsätzlichen Rechtfertigung der Lehrmethoden und der didaktischen Kompetenzen der Artes-Magister, in deren Namen er das Wort ergreift. Die Kritik des Kanzlers veranlasst ihn zu einer weitergehenden Apologie der artistischen Lehrtätigkeit, bei der abermals das Selbstbewusstsein der modernen Magister zum Vorschein kommt, die sich ihren Vorgängern überlegen fühlen. Auch hier steht dieses Selbstbewusstsein in direktem Zusammenhang mit der Lehre: Denn in der modernen Zeit, so Johannes, lese man außerdem den Studenten aus einem einzigen Buch mehr, als ihnen in der alten Zeit aus zwei Büchern gelesen wurde!29 Johannes von Malignes artikuliert dem26
Bei Aubry von Reims, Philosophia, S. 31, heißt es etwa: „[…] philosophia est humano generi appetenda pre ceteris et amanda.“ Die Wertschätzung der Philosophie bei Aubry, die sich ebenso in anderen Texten findet, hat Gauthier, Siger de Brabant, S. 17, mit den Worten charakterisiert: „Aubry, lui, loue la philosophie des philosophes et il la porte si haut qu’audessus d’elle, il ne semble plus y avoir place pour rien.“ 27 CUP 1, Nr. 515, S. 607: „Cum dicit idem cancellarius postea quod magistri non legunt nisi unam lectionem, legendo una die de uno libro, et alia die de alio, ista ratio cancellarii non est demonstratio ad ostendendum facultatem deperire.“ 28 Ebd., S. 607: „Credimus enim sic legere esse utilius scolaribus quam aliter, quoniam pueri doctrinam recipientes in una materia, antequam habituati sint in eadem ex repetitione sequente, suam doctrinam amittunt; ad quam repetitionem non possunt, cum lecto de uno libro, eisdem immediate legitur de alio.“ 29 Ebd., S. 607 f.: „Et in modernis temporibus, plus legitur eis de uno libro quam antiquitus eisdem legeretur, simul eis legendo de duobus.“
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nach, wie der Verfasser von Dicit Aristotiles, eine Anschauung, welche eine Superiorität der moderni über die antiqui in Verbindung mit der Lehre postuliert, die damit die Grundlage des Selbstbewusstseins der Artes-Magister bildet. Dass Johannes aber die Gestaltung der Vorlesung mit dieser Entschiedenheit gegen die Vorwürfe des Kanzlers verteidigt, hat seinen Grund darin, dass eben diese lectio ein zentrales Interaktionsritual für die Kohäsion seiner sozialen Gruppe darstellt. Johannes fühlt sich deshalb zu seiner Stellungnahme veranlasst, weil die Kritik des Kanzlers ein Kernelement der Identität der Artisten angegriffen hatte. Dies mag erklären, weshalb er geradezu über sein Ziel hinausschießt, indem er nicht nur die Art und Weise rechtfertigt, wie die Artes-Magister ihre Vorlesungen halten, sondern die grundsätzliche Befähigung der Artisten als Lehrer expliziert. Denn die Überzeugung, dass die Lehre der gegenwärtigen Artisten, in ihren beiden wichtigsten Formen, der lectio und der disputatio, allen früheren Zeiten überlegen ist, bringt Johannes mit Nachdruck auf den Punkt: „Sollte jemals, in irgendwelchen vergangenen Zeiten, gut gelesen oder disputiert worden sein, so werden diese Tätigkeiten von unseren Magistern [Hervorhebung M. B.] besser ausgeführt.“30 Dass Johannes von Malignes, der die Verteidigung seiner Gruppe übernimmt, das Amt des Prokurators innehat, d. h. als ein offizieller Repräsentant der Artisten handelt, ist durchaus bezeichnend, da das Ausüben dieser Funktionsrolle offenbar die Identifikation mit der Gruppe der Artes-Magister, für die er das Wort ergreift, bestärkt. Indem er seine Rechtfertigung „sicut facultatis procurator, nomine facultatis“ verfasst, offenbart er ein klares Bewusstsein der Tatsache, für die Fakultät und damit für die Artes-Magister in ihrer Gesamtheit zu sprechen.31 Dieses Gruppenbewusstsein manifestiert sich in der Rede von „unseren Magistern“ und in der Apologie der lectio, worin zweifellos ein Ausdruck der gefühlten Gruppenidentität zu sehen ist, welche der Kanzler angegriffen hat. Die Konfliktsituation, durch die Johannes in den Modus der Verteidigung gerät, verstärkt die Bindungen im Inneren der Gruppe und führt zu einer gesteigerten Solidarität. Collins spricht hier vom „emotionalen Effekt von Ereignissen“, welche als exogene Stimuli die empfundene Zugehörigkeit intensivieren.32 Mit dieser Feststellung ist aber bereits ein weiterführender Aspekt zur Sprache gekommen. Denn die Frage, die sich an diesem Punkt stellen muss, lautet, ob mit dem Blick auf gruppeninterne Praktiken, Interaktionen und Emotionen bereits ein hinreichendes Bild von den Faktoren gewonnen ist, welche die Genese sozialer Identitäten konditionieren. Der Konflikt zwischen der Artes-Fakultät und dem Kanzler von Notre-Dame zeigt die Notwendigkeit an, die Betrachtung von gruppeninternen Praktiken und Ritualen auch auf exogene Faktoren auszudehnen. Folgt man dem Social Identity Approach Henri Tajfels und John Turners, dann sind es vor allem die 30 Ebd., S. 608: „[…] si unquam bene lectum fuit vel disputatum in aliquibus transactis temporibus, isti actus modo a nostris magistris melius exercentur.“ 31 Ebd., S. 610. 32 Collins, Solidarität, S. 108.
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oppositionellen und differentiellen Relationen zu signifikanten ,Anderen‘, welche die Identität der eigenen Gruppe profilieren. Die ,Selbst-Kategorisierung‘ von Individuen, d. h. die Wahrnehmung der eigenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, wird primär durch die Perzeption von Differenzen zu fremden Gruppen stimuliert.33 Ich möchte daher im Folgenden solche Phänomene der Abgrenzung und Differenzperzeption untersuchen, welche Aufschluss darüber geben können, wie die ArtesMagister soziale Zugehörigkeiten wahrnahmen. Liest man die Quellen der Artes-Fakultät unter diesem Blickwinkel, so zeigt sich schnell, dass es an oppositionellen Verhältnissen keinesfalls mangelt. Es waren vor allem die Relationen zwischen den vier Fakultäten, welche die Wahrnehmung von Unterschieden und damit die Profilierung sozialer Identitäten innerhalb der Universität anregten. In der philosophischen Einführungsliteratur manifestiert sich durchweg das Bestreben, den eigenen Zuständigkeitsbereich von dem der anderen Fakultäten abzugrenzen. So definiert etwa Johannes von Dacien die Politik als genuin philosophisches Arbeitsfeld, welches er von der Kompetenz der Juristen dezidiert unterscheidet.34 Neben solchen Abgrenzungsstrategien zeigt sich die Perzeption von Differenz jedoch auch in offen antagonistischen und polemischen Formen. Dies gilt bereits etwa für die anonyme Schrift Philosophica disciplina vom Beginn der 1240er Jahre, deren Autor die Astronomie/Astrologie gegen die Verdächtigungen der Theologen verteidigt.35 Wie bereits gesehen, tragen derartige Konflikte maßgeblich dazu bei, die Solidarität im Inneren der Gruppe zu verstärken. Von besonderer Signifikanz sind hier allerdings die Bemerkungen eines anonymen Verfassers von Questionen zu den aristotelischen Meteorologica, die zu Beginn der 1280er Jahre entstanden. Der anonyme Artes-Magister klagt über die Geringschätzung der Philosophen, wie in folgender Formulierung zum Ausdruck kommt: Deshalb ist, wie ich schon andernorts sagte, was aber nicht der Meinung der Leute entspricht, keine andere Wissenschaft für die Vervollkommnung des Intellekts notwendig als die Philosophie. […] Und ich erwähne die ,Meinung der Leute‘, weil es viele Menschen gibt, die die Philosophen und die philosophische Wissenschaft nicht schätzen.36
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Dazu: Turner, Self-Categorization Theory; Tajfel/Turner, Intergroup Conflict. Johannes von Dacien, Divisio scientiae, S. 22. 35 Anonymus Artium Magister, Philosophica disciplina, S. 273 f.: „Intelligendum tamen quod propter constellationes diuersas diuersimode ordinamur et inclinamur ad uirtutes et uitia, secundum quod uult Aristotiles quod principium uirtutis et aptitudo a natura est; set constellationes nullam necessitatem influunt libero arbitrio, quia completio uirtutum a nobis est et a uoluntate nostra, ut Aristotiles dicit. Et primo modo intelligendo non errant astrologi; secundo modo errant si sic intelligeret, set non est uerum licet multi theologorum hoc eis imponant.“ 36 Anonymus Artium Magister, Questiones super librum Meteorologicorum, Prolog, S. 468: „Et propter hoc, sicut dixi alias, nisi esset propter opinionem hominum, non oportet quaerere aliam scientiam ad perfectionem intellectus nisi philosophiam […]. Et dico propter hominum opinionem, quia multi sunt homines qui non reputant viros philosophicos et scientiam philosophicam.“ 34
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Wer mit diesen Personen, welche die Philosophen missachten, gemeint ist, wird jedoch im unmittelbar darauf folgenden Satz deutlich. Es sind diejenigen, die der Philosophie die lukrativen Wissenschaften, d. h. die Rechtswissenschaft und die Medizin, vorziehen, und der Vorwurf, den sie der scientia philosophica machen, besteht in ihrer ökonomischen Nutzlosigkeit: Denn diese Wissenschaft bringt ihrem Professor kaum einen Nutzen, aber auf der anderen Seite bringen die Rechtswissenschaft und die medizinische Wissenschaft ihrem Professor großen Nutzen, weshalb sie diese Wissenschaften schätzen, nicht aber die philosophische Wissenschaft und die Philosophen.37
Nun ist es allerdings keinesfalls so, dass der anonyme Autor den hier beschriebenen Gegensatz zwischen den beiden wissenschaftlichen Orientierungen grundsätzlich bestreiten würde. Im Gegenteil: Es ist mitnichten seine Absicht, den Grund für die Sichtweise seiner Gegner, also die Tatsache, dass die Philosophie keinen Nutzen habe, zu widerlegen. Ihm geht es vielmehr um die Bewertung dieses Umstands: Die Haltung des Artes-Magisters beruht auf anderen, gruppenspezifischen Werten, denn die wissenschaftliche Aktivität seiner sozialen Gruppe ist in ihrer Selbstbeschreibung nicht auf ökonomischen Gewinn ausgerichtet, sondern, wie der Anonymus explizit hervorhebt, auf die Vervollkommnung des Intellekts. Diese jedoch ist, in der Deutung des Philosophen, von höchstem Wert, auch wenn sie nicht den geringsten ökonomischen Vorteil aufweist. Aus diesem Grund sieht sich der anonyme ArtesMagister veranlasst, seine Wissenschaft und die Werte seiner Gruppe gegen das Urteil der Utilitaristen zu verteidigen: „Wenn es aber nicht nach der Meinung derartiger Menschen geht, dann sage ich, dass keine andere Wissenschaft außer der philosophischen Wissenschaft für die Vervollkommnung des Intellekts auf dem Wege der Vernunft gesucht werden muss.“38 Dass die dezidierte Abgrenzung der Philosophie von den lukrativen Wissenschaften tatsächlich einen konstitutiven Faktor für die soziale Identität der Philosophen darstellt, wird durch die Tatsache nahegelegt, dass dieses Phänomen nicht nur in den zitierten Meteorologica-Questionen, sondern auch in anderen Quellen begegnet.39 Die analoge Polemik gegen die Juristen und Mediziner, die etwa Radulphus Brito artikuliert, erlaubt die Vermutung, dass es sich dabei um eine an der Artes-Fakultät verbreitete Wahrnehmung handelt. Radulphus hält zunächst fest, die Philosophie sei die „perfectio hominis in hac vita“; dennoch gebe es viele, die das philoso37
Ebd.: „Quia huiusmodi scientia modicam affert utilitatem suo professori et quia per oppositum scientia legalis aut scientia medicinalis magnam affert utilitatem suo professori, propter hoc huiusmodi scientias reputant, non autem reputant scientiam philosophicam nec viros philosophicos.“ 38 Ebd.: „Et ideo nisi esset propter opinionem talium hominum, non esset quaerenda alia scientia ad perfectionem intellectus secundum viam rationis, dico nisi philosophica scientia.“ 39 Für Polemik gegen die scientiae lucrativae aus den 1260er Jahren siehe Aubry von Reims, Philosophia, S. 33; Anonymus Artium Magister, Ut testatur Aristotiles, S. 99, der über seine Zeit klagt: „Set, proht dolor, quod fecerunt ibi antiqui philosophi delinquimus et, quod peius est, spernimus, uariis lucratiuis et friuolis scientiis adherentes.“
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phische Leben verschmähten („spernunt“), weil sie sagten, nur die Wissenschaften seien gut, die einträglich seien, weshalb sie nur die „scientias lucratiuas“ erstrebten, mit denen sie Geld verdienen könnten.40 In diesem Sinne zitiert Radulphus die Ansicht seiner Gegner: „Was sind deine Wissenschaften wert, wenn sie dir nichts nutzen, sagen sie, und wenn du durch sie nichts verdienen kannst?“41 Doch die Sichtweise, die hinter dieser Position zum Vorschein kommt, folgt einer für Radulphus fremden Logik, sie beruht auf Prämissen, die der Philosoph nicht teilen kann. Wie im Fall des oben zitierten Anonymus ist es nicht die konstatierte Differenz an sich, sondern deren Wertung, gegen die sich der Artes-Magister wendet: „Dieses Argument zählt jedoch nicht, vielmehr gilt gerade das Gegenteil von dem, was da behauptet wird: Sie wollen nämlich, dass die Wissenschaften, die auf etwas Äußeres zielen, mehr wert sind als jene, die für sich selbst bestehen; dies jedoch ist falsch.“42 Die Argumentation, die Radulphus Brito gegen die Vertreter der lukrativen Wissenschaften vorbringt, bestätigt somit das Bild der anonymen Questionen. Insofern das Gewinnstreben das distinktive Merkmal der lukrativen Disziplinen darstellt, fordert es den Philosophen geradezu dazu auf, sich davon zu distanzieren und das soziale Profil seiner eigenen Gruppe auf andere Werte zu gründen. Mit seiner Stellungnahme artikuliert Radulphus nicht nur die wahrgenommene Differenz zwischen beiden Seiten, er thematisiert auch die grundsätzlich verschiedene Handlungslogik der Akteure.43 Die Verteidigung der Philosophie, wie sie in diesen Texten begegnet, ist signifikant für die kognitiven Prozesse, die durch die antagonistischen Relationen zwischen den Fakultäten initiiert wurden.44 Der Konflikt mit den ,Feinden‘ der Philosophie stellt eine direkte Differenzerfahrung dar und führt zur entschiedenen Solidarität mit der eigenen Gruppe. Wenn die Philosophen gegen die Juristen und Mediziner verteidigt werden, dann geht diese Wahrnehmung der feindlichen ,Anderen‘ innerhalb der Universität nicht nur mit einer Festigung des Gruppenzusammenhalts einher, sie ruft auch objektiv bestehende Differenzen ins Bewusstsein, indem die gänzlich verschiedene Ausrichtung der beiden Wissenschaftskonzeptionen reflektiert wird. 40
Radulphus Brito, Questiones super librum Meteorologicorum, S. 67 f., Anm. 54: „Verumptament quamuis scientia speculatiua sit perfectio hominis in hac uita, cum uiuens secundum hanc philosophicam uitam uiuat uita iucunda, sicut dicit Seneca, multi tamen hanc uitam spernunt propter clamorem uulgarium, qui solum dicunt illas scientias esse bonas que sunt propter lucrum, et ideo scientias lucratiuas querunt per quas possint extrahere et extorquere pecunias quocumque modo hoc fiat, dummodo possint ad diuitias peruenire.“ 41 Ebd.: „[…] ad quid enim scientie tue ualent nisi tibi ualeant? – dicunt ipsi – et nisi per ipsas possis lucrari? Quasi dicant: nichil ualent.“ 42 Ebd.: „Sed ista ratio non ualet, immo magis est ad oppositum quam ad propositum: uolunt enim quod ille scientie que sunt propter aliud plus ualeant quam ille que sunt propter se, quod tamen est falsum.“ 43 Zu den verschiedenen Logiken und Habitusformen der Vertreter von Wahrheits- und Nützlichkeitswissenschaften: Rexroth, Einheit der Wissenschaft; siehe auch: Rexroth, Praktiken der Grenzziehung. 44 Zum ,Streit der Fakultäten‘ ab dem 14. Jahrhundert: Kintzinger, Artisten.
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Ebenso wirkt auch hier, wie schon bei Johannes von Malignes, die Erfahrung des oppositionellen Verhältnisses auf die Selbst-Kategorisierung der Akteure zurück: Die viri philosophici stellen die soziale Kategorie dar, mit der sich die Autoren im selben Moment unweigerlich identifizieren, in dem sie, als Repräsentanten der Gruppe, deren Verteidigung übernehmen. Zu dem hier beschriebenen Phänomen tritt ein weiterer Aspekt: Als die Artisten einmal ein soziales Profil erlangt hatten, wurde es nämlich auch möglich, eine genuin philosophische Gruppe von der Stadtbevölkerung bzw. dem Rest der Gemeinschaft insgesamt abzugrenzen. Nachdem die internen Relationen des universitären Feldes eine nachhaltige Kategorisierung ermöglicht hatten, konnten die Philosophen als soziale Einheit in der Gemeinschaft positioniert und damit präziser bestimmt werden. So gewinnt etwa die Superiorität, welche die Ethikkommentare der Pariser Artistenfakultät für die vita contemplativa gegenüber der vita practica in Anspruch nehmen, ihre Signifikanz für eine philosophische Identität dadurch, dass hier das spekulative Leben mitunter explizit mit der vita philosophantium gleichgesetzt und als honorabilior von dem praktischen oder politischen Leben unterschieden wird, welches der Rest der Gemeinschaft führt.45 Zudem zeigt sich, dass die Artes-Magister diese Differenz zwischen den beiden Lebensformen im Vergleich zu Albertus Magnus, der sie ebenfalls artikuliert hatte (jedoch ohne von einer vita philosophantium zu sprechen), erheblich radikalisieren. So bezeichnet Petrus von Auvergne etwa die Relativierung Alberts, dass das politische Glück immerhin nützlicher sei als das kontemplative, als irrtümlich und absurd, weil ein derartiger Vergleich (utilior) ja implizieren würde, das auch das kontemplative Glück nützlich sei. Dies aber kann für Petrus nicht sein, da es sonst auf ein außerhalb seiner selbst liegendes Ziel gerichtet wäre.46 Marco Toste hat darauf hingewiesen, dass Petrus mit dieser Anschauung die absolute Überlegenheit der philosophischen Lebensform postuliert.47 Wie schon bei Radulphus Brito und den anonymen Meteorologica-Questionen zeigt sich das Profil der Philosophie hier in einer negativen Relation zu sozialer Nützlichkeit. Es ist die gleiche Haltung der Artes-Magister gegenüber der Welt der Praxis, die sich auch in ihrem Verhältnis zu den handwerklichen Künsten, den artes mechanicae, manifestiert. Diese erscheinen zwar in der Systematik der Philosophie, werden aber offenbar nicht als dem eigenen Bereich zugehörig angesehen. Meist werden sie sehr knapp und oberflächlich behandelt und mit Bemerkungen wie „de quibus nichil ad
45 Nachdem Radulphus Brito festgestellt hat, die vita (und scientia) contemplativa sei „honorabilior“ und daher „simpliciter melior“ als die vita activa, identifiziert er sie anschließend ausdrücklich mit dem Leben der Philosophen; Radulphus Brito, Questiones super librum Ethicorum, S. 224: „[…] vnde ista est vita philosophantium.“ 46 Siehe dazu die Studie von Toste, Nobiles, optimi viri, philosophi, S. 298 ff. 47 So auch mit der ebd., S. 303, zitierten Feststellung: „[…] omnes homines sunt propter speculatiuos viros tanquam gratia cuius, sic tota ciuitas propter illos, et felicitas politica ordinatur ad felicitatem speculatiuam.“
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presens“ abgetan.48 Die artes mechanicae werden hier nur insoweit berücksichtigt, als sie die unterste Stelle in der epistemischen Ordnung einnehmen, deren Explikation das literarische Genre vorsieht. Da sie jedoch mit dem Tätigkeitsfeld der städtischen Handwerker, also mit anderen sozialen Gruppen des Pariser Stadtraums, assoziiert werden, gehören sie in der Wahrnehmung der Artisten nicht zum eigenen Arbeitsgebiet im engeren Sinne. Ganz explizit behauptet dies der anonyme Einführungstext Secundum quod testatur Ysaac. Dessen Autor schreibt entschieden: „De mechanica nichil ad nos set ad laycos!“49 Damit aber wird die Grenze zwischen der Zuständigkeit der Philosophen und jener der ,Anderen‘ in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Die Artes-Magister betrachteten die artes mechanicae als etwas Fremdes. Es ist offensichtlich, welche Implikationen dies für die Frage nach sozialer Identität hat: Die Opposition, die sich hier artikuliert, besteht in einem ,Wir‘ und ,Die‘. Dabei ist es interessant, worauf die Bezeichnung laici in diesem Fall referiert.50 Denn es geht hier offensichtlich nicht, jedenfalls nicht primär, um den Gegensatz von Klerikern und Laien. Der ,Laie‘, der als Gegenfigur auftritt, scheint vielmehr eine Art Komplementärrolle zu bilden, welche das ,generalisierte Andere‘51 der außer-universitären Welt repräsentiert, von dem der Artes-Magister sich und seine Gruppe abgrenzt. Die Identität der Artes-Magister, wie sie aus diesen Gegebenheiten erscheint, präsentiert sich geradezu als durch ,Praxisferne‘ charakterisierte Identität.52 Entscheidend ist dabei aber, dass dieses praxisfeindliche Wesen sein Profil erst im Unterschied zu anderen Gruppen gewinnt. Die Philosophen definieren und kategorisieren sich als Nicht-Praktiker, indem sie sich von den Gruppen unterscheiden, deren Tätigkeiten durch Praxisbezug gekennzeichnet sind. Dies hatte sich ebenso in der Opposition zu den praktischen Fakultäten der Juristen und Mediziner gezeigt. Auch von diesen grenzen sich die Philosophen entschieden ab, was stets mit einer Selbst-Kategorisierung als Philosoph dialogisch verschränkt ist. Dies aber hat Konsequenzen für das Selbstbild der Artes-Magister, sie haben – als Ingroup – eine soziale Identität, die ihr positives Sein aus der Erfahrung von Fremdheit gewinnt. Ich habe in diesem Beitrag nur eine sehr kleine Auswahl von Aspekten und Quellen ansprechen können. Der allseits bekannte Konflikt der Philosophen mit den Theologen, bei dem es immer auch um einen Identitätskonflikt ging,53 wurde hier bewusst ausgespart, um andere Perspektiven zu akzentuieren. Was ich zeigen wollte 48 So etwa in der Schrift Anonymus Artium Magister, Ut ait Tullius, S. 48: „Dividitur autem mecanica scientia in sutoriam, pellipariam et sic de aliis de quibus nichil ad presens.“ 49 Anonymus Artium Magister, Secundum quod testatur Ysaac, S. 85. 50 Zum Laien-Begriff siehe Imbach, Laien in der Philosophie, S. 16 – 26. 51 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 196. 52 Siehe auch: Luca Bianchi, Il vescovo e i filosofi, S. 157. 53 Dazu exemplarisch: Aertsen/Emery jr./Speer (Hrsg.), Nach der Verurteilung von 1277; Bianchi, Censure et liberté; Bianchi, Il vescovo e i filosofi; Flasch, Aufklärung im Mittelalter; Steenberghen, Philosophie au XIIIe siècle; zum Identitätskonflikt insbesondere: de Boer, Theologie und Philosophie, S. 158 – 175.
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war, welche sozialen Prozesse die Genese einer philosophischen Identität im 13. Jahrhundert bedingen. Dabei wurde die Bedeutung gruppeninterner Interaktionen betont, welche eine emotionale Bindung an die Gegenstände der Lehre an der Artes-Fakultät erzeugen. Die Artisten identifizierten sich mit ihrer Rolle als Lehrer der Philosophie und waren gewillt, Verantwortung für ihre Aufgabe zu übernehmen und ihre Arbeitsweise selbstbewusst zu rechtfertigen. Hinzu tritt die Perzeption von Differenzen sowohl innerhalb der Universität als auch gegenüber der nicht-wissenschaftlichen Welt, von der sich die Philosophen dezidiert als Philosophen unterschieden. Solche Abgrenzungsvorgänge, vor allem im Inneren der Universität, scheinen für die Herausbildung und Stabilisierung einer Gruppenidentität der Artes-Magister eine Schlüsselfunktion einzunehmen. Eine zentrale These dieses Aufsatzes lautet daher, dass es vor allem die soziale Logik und Dynamik universitätsinterner Prozesse war, welcher die Entstehung kollektiver Identitäten dadurch bewirkte, dass die Wissenschaften institutionalisiert und in der Organisationsform der Universität dauerhaft aufeinander bezogen wurden.54 Die um die Mitte des 13. Jahrhunderts konsolidierte Fakultätsstruktur der Universität bildete die Grundlage einer Wahrnehmung fakultätsspezifischer Differenzen und damit einer entsprechenden Selbst-Kategorisierung der Akteure.55 Die soziale Identität der Philosophen, im Sinne eines Gruppenbewusstseins, ist keine unmittelbare ,Wirkung‘ der aristotelischen Philosophie, vielmehr wurde diese unter spezifischen sozialen Bedingungen rezipiert, die eine entsprechende Lektüre erst ermöglichten. Unter diesen Rezeptionsbedingungen konnte das ,Vorbild‘ des Aristoteles, wie Charles Lohr es in der eingangs zitierten Stelle beschreibt, dann freilich seine Wirkung entfalten: Eine umfassende philosophische Systematik, ein spezifisches Wissenschaftsideal und die Rolle eines Philosophen, der diesen Wissensbestand eigenständig verwaltet – dies waren Aspekte, die unter einer bestimmten Rezeptionshaltung produktiv angeeignet wurden und dadurch die Genese einer ,philosophischen Identität‘ an der Artes-Fakultät von Paris prägten und vorantrieben. Das Verhältnis zwischen Text und Kontext, zwischen ,Wirkung‘ und ,Rezeption‘, ist ein durch und durch dialektisches. Als Resultat dieser Dialektik haben die Artes-Magister der Universität Paris im Laufe des 13. Jahrhunderts eine spezifische Universitätsphilosophie
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Dazu: Rexroth, Einheit der Wissenschaft, S. 48. Während ich vor diesem Hintergrund die Herausbildung einer disziplinenbezogenen Identität in den Vordergrund stelle, hat Antoine Destemberg eine Untersuchung zur Konsitution der ,universitären Identität‘ im Allgemeinen vorgelegt, die von derartigen Abgrenzungen im Inneren der Universität weitgehend absieht: Destemberg, L’honneur des universitaires. Die beiden Perspektiven müssen sich keinesfalls widersprechen: Die Sozialisation im Rahmen der Universität beförderte die Genese einer sozialen Identität ihrer Mitglieder, die fakultäts- oder gruppenspezifisch, aber zur selben Zeit auch allgemein ,universitär‘ sein konnte. Zugrunde liegt dabei, vereinfacht gesprochen, die Wahrnehmung der Akteure, zu einem sozialen Gebilde zu gehören, das aus vier verschiedenen Teilen besteht. Die beiden Aspekte sind ebenso komplementär wie, auf anderer Ebene, die ,Einheit‘ und die Binnendifferenzierung der mittelalterlichen Wissenschaft (Rexroth). 55
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verwirklicht, die eigenwertig neben anderen Formen philosophischen Denkens steht, die zur gleichen Zeit existierten.56
Quellen und Literatur Quellen Anonymus Artium Magister: Questiones super librum Meteorologicorum, Prolog, ed. René Antoine Gauthier, in: René Antoine Gauthier: Magnanimité. L’idéal de la grandeur dans la philosophie païenne et dans la théologie chrétienne, Paris 1951, S. 468 f. Anonymus Artium Magister: Philosophica disciplina, in: Claude Lafleur (ed.): Quatre introductions à la Philosophie au XIIIe siècle. Textes critiques et étude historique, Montréal 1988, S. 255 – 293. Anonymus Artium Magister: Ut testatur Aristotiles, ed. Claude Lafleur = Claude Lafleur: L’introduction à la philosophie Vt testatur Aristotiles (vers 1265 – 1270), in: Laval théologique et philosophique 48,1 (1992), S. 81 – 107. Anonymus Artium Magister: Dicit Aristotiles, ed. Claude Lafleur, in: Claude Lafleur: La Philosophia d’Hervé le Breton (alias Henri le Breton) et le recueil d’introductions à la Philosophie du Ms. Oxford, Corpus Christi College 283 (deuxième partie), in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 62 (1995), S. 359 – 442. Anonymus Artium Magister: Secundum quod testatur Ysaac (Auszug), ed. Ruedi Imbach, in: Ruedi Imbach: Einführungen in die Philosophie aus dem XIII. Jahrhundert. Marginalien, Materialien und Hinweise im Zusammenhang mit einer Studie von Claude Lafleur, in: Ruedi Imbach: Quodlibeta. Ausgewählte Artikel/Articles choisis, hrsg. von Francis Chevenal/Thomas Ricklin/Claude Pottier, Freiburg i. Ü. 1996, S. 63 – 91, hier S. 84 f. Anonymus Artium Magister: Ut ait Tullius, ed. Gilbert Dahan = Gilbert Dahan: Une introduction à l’étude de la philosophie au XIIIe siècle: Ut ait Tullius, in: Claude Lafleur (Hrsg.): L’enseignement de la philosophie au XIIIe siècle: autour du „Guide de l’étudiant“ du ms. Ripoll 109, Turnhout 1997 (Studia Artistarum, 5), S. 3 – 58. Arnulf von der Provence: Divisio scientiarum, in: Claude Lafleur (ed.): Quatre introductions à la Philosophie au XIIIe siècle. Textes critiques et étude historique, Montréal 1988, S. 295 – 355. Aubry von Reims: Philosophia, ed. René Antoine Gauthier = René Antoine Gauthier: Notes sur Siger de Brabant II. Aubry de Reims et la Scission des Normands, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 68,1 (1984), S. 3 – 49. 56 Dazu: Imbach, Präsenz. – Es sei abschließend angemerkt, dass ich freilich nicht behaupten möchte, dass die hier untersuchte philosophische Identität zwangsläufig für alle Akteure der Artistenfakultät des 13. Jahrhunderts Gültigkeit hatte. Neben der Gruppe der ,Philosophen‘, um die es mir in diesem Beitrag ging, gab es stets auch diejenigen Magister und Scholaren, welche die Artes-Fakultät ohne philosophische Ambitionen besuchten und von vornherein das Ziel hatten, an eine ,höhere‘ Fakultät zu gehen oder die Universität möglichst bald wieder zu verlassen.
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Boethius von Dacien: De aeternitate mundi, in: Boetii Daci Opera, Opuscula: De aeternitate mundi. De summo bono, De somniis, ed. Niels J. Green-Pedersen, Kopenhagen 1976 (Corpus philosophorum Danicorum medii aevi, 6,2), S. 335 – 366. Chartularium Universitatis Parisiensis, ed. Heinrich Denifle/Emile Chatelain, Bd. 1: 1200 – 1286, Paris 1889. Johannes von Dacien: Divisio scientiae, in: Johannis Daci Opera, ed. Alfred Otto, Bd. 1, Kopenhagen 1955 (Corpus philosophorum Danicorum medii aevi, 1,1), S. 1 – 44. Konrad von Megenberg: Ökonomik, Buch 3, ed. Sabine Krüger, Stuttgart 1984 (MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters, 3,5). Pseudo-Boethius: De disciplina scholarium, ed. Olga Weijers, Leiden 1976. Radulphus Brito: Questiones super librum Ethicorum, ed. Iacopo Costa = Iacopo Costa: Le questiones di Radulfo Brito sull’ „Etica Nicomachea“. Introduzione e testo critico, Turnhout 2008 (Studia Artistarum, 17). Radulphus Brito: Questiones super librum Meteorologicorum (Auszug), in: Iacopo Costa (ed.): Anonymi artium magistri questiones super Librum Ethicorum Aristotelis (Paris, BnF lat. 14698), Turnhout 2010 (Studia Artistarum, 23), S. 67 f. Roger Bacon: Summulae dialectices, ed. Alain de Libera = Alain de Libera: Les Summulae dialectices de Roger Bacon, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 53 (1986), S. 139 – 289.
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,Angewandtes‘ Wissen zum ,Handeln‘. Ein Test für Gelehrte des 15. Jahrhunderts* Von Daniela Rando I. Zur Thematik Was bedeutete eigentlich im Spätmittelalter, eine Karriere in der Stadtverwaltung, am Fürstenhof und in den Ortskirchen mit dem ,Habitus‘ und dem ,kulturellen Kapital‘ des Gelehrten zu verfolgen? In den letzten Jahren haben Biographien der sogenannten Gelehrten Räte zugenommen – u. a. Tobias Daniels’ Monographie über Johannes Lieser,1 Georg Stracks über Thomas Pirckheimer2 und Marek Wejwodas über Dietrich von Bocksdorf;3 damit einher gingen auch Überlegungen über die ,Rechtspraxis‘ dieser Räte. Und trotzdem, wenn mit den Worten Donald Schöns „Wissen im Handeln ist“ und „unser Wissen in unserem Handeln liegt“, kann eine ambitioniertere Frage gestellt werden:4 Wie konnten die Methoden zur Organisation des Denkens – z. B. die divisio, die glossa, die quaestio – sowie die eigentlichen ,Inhalte‘ des in scholae und studia vermittelten Wissens in knowing in action übertragen werden? Daher unternehme ich im Folgenden den Versuch, einige Akteure des 15. Jahrhunderts einer Art PISA-Test zu unterziehen und ihre ,Kompetenzen‘ zu messen, namentlich die Fähigkeit, das gelernte Wissen in ,praktisches, angewandtes Wissen‘ umzusetzen. Angewandtes Wissen bezieht sich auf Fähigkeiten zur Bewältigung des gesellschaftlichen Lebens, ist also Alltagswissen, seine Bedeutung als ,Ressource‘ sicher nicht neu. Bereits Jean Gerson betonte 1405 in seiner Ansprache Vivat rex die Nützlichkeit des Universitätswissens: „Que vouldroit science sans operacion?“5 Was gelte Wissen ohne Anwendung bzw. Umsetzung? Auf der anderen Seite scheint es in sich nicht statisch und abgeschlossen, sondern unterliegt einer ständigen Auseinandersetzung um Abgrenzung. Wer entscheidet, was der Mensch wissen sollte? Wer be* Der Vortragstext ist weitgehend beibehalten. 1 Daniels, Diplomatie, politische Rede und juristische Praxis. 2 Strack, Thomas Pirckheimer. 3 Wejwoda, Spätmittelalterliche Jurisprudenz; Wejwoda, Sächsische Rechtspraxis. 4 Schön, The Reflective Practitioner, S. 49. 5 Gerson, Jean: Vivat Rex (discours au roi pour la réformation du royaume), in: Jean Gerson: Œuvres complètes, ed. Palémon Glorieux, Bd. 7: L’oeuvre française, Teilbd. 2: Sermons et discours, Paris 1968, S. 1137 – 1185, hier S. 1144 f., zitiert nach Krynen, L’empire du roi, S. 287, vgl. auch Krynen, Les légistes „idiots politiques“, S. 193.
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stimmt wodurch, was als notwendiges, legitimes Wissen in der jeweiligen Gesellschaft gelten darf? So entstehe ein ,Diskurs‘ über das als gültig anerkannte Wissen, von dem auch die Art der Wissensvermittlung abhänge.6 Diese durch moderne Wissenssoziologen fokussierten und diskutierten Fragen möchte ich auf mittelalterliches Wissen und seine Protagonisten beziehen, insbesondere auf einen speziellen Aktions- (und Anwendungs-)Bereich: Politik in täglichem Vollzug. Das schon wegen einer im 15. Jahrhundert weit verbreiteten Ansicht: „Finis nostre scientie est regere“, Ziel unseres Wissens sei zu leiten, zu regieren, formulierte im späten 15. Jahrhundert Francesco Vivaldi, Juraprofessor an der Universität Basel.7 Ähnlich äußerte sich Bohusˇe Zvolsky´, ein Student in der Zeit des Basler Konzils, der 1443, vielleicht nur als rhetorische Übung, einen kleinen Studienführer für Erstsemester zusammenstellte. Darin gab er als Ziel des Rechtsstudiums fünfmal das Engagement im öffentlichen Leben (rem publicam regere) sowie im kirchlichen Bereich (res ecclesiastica) an, dreimal den Erwerb von weltlichen Reichtümern (divitias temporalis acquirere) – auf den sich der alte Vorwurf gegen das Studium der Rechte im negativ konnotierten Sinne einer scientia lucrativa richtete –, schließlich mehrmals das Erlangen von Ehren und Ämtern.8 Insgesamt also eine Qualifikation, um Machtpositionen zu erreichen. Jurisprudenz galt ja als „Inbegriff einer Professionenwissenschaft“; ihr Wissen als „Anwendungswissen“ in seiner lebensweltlichen Bedeutung auf den Prüfstand zu stellen erscheint gerechtfertigt, denn „Erfahrungswissen stand hoch in Kurs“.9 Diese Prüfung zielt auf eine allgemeinere Problematik ab. Nach Frank Rexroth ist „für die Bezeichnung eines Wissensträgers als Experte nicht entscheidend, ob er über ,höheres‘, ,theoretisches‘ oder auf andere Weise hervorgehobenes Wissen verfügt“, denn „konstitutiv für das Expertentum ist vielmehr die soziale Interaktionsform, innerhalb derer Einzelne mit ihrer Umwelt kommunizieren“.10 Andererseits spielten „auch im Inneren der Wissenschaften und ihren Trägermilieus […] soziokulturelle und damit außerwissenschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle“.11 Mein Vorhaben geht dahin, eben dieses Wissen in den Mittelpunkt zu stellen, in einer diffe6
Kaesler, Vorwort: Wer bestimmt, S. 10. Gutachten des Franciscus de Vivaldis, in: Guido Kisch: Die Anfänge der Juristischen Fakultät der Universität Basel 1459 – 1529, Basel 1962 (Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel, 15), Nr. 30, S. 177 – 179, hier S. 179, zitiert nach Rexroth, „Finis scientie nostre est regere“, S. 339. Zur Frage nach dem Angebot an „politischem Wissen“ bei den juristischen Fakultäten Krynen, Introduction, S. 2. Zur Bedeutung der juristischen Fachkenntnisse für die politische Praxis Walther, Die Macht der Gelehrsamkeit. 8 Die Anleitung befindet sich im Cod. I 246 der Wissenschaftlichen Staatsbibliothek Olomouc; zitiert nach Girgensohn, Unterweisungen für einen Studenten der Jurisprudenz im 15. Jahrhundert, Bd. 1, S. 364; Text ediert ebd. S. 365 – 371. 9 Rexroth, Praktiken der Grenzziehung, S. 28; vgl. auch Rexroth, Die Einheit der Wissenschaft, S. 37 – 39. 10 Rexroth, Systemvertrauen, S. 22. 11 Rexroth, Praktiken der Grenzziehung, S. 13. 7
,Angewandtes‘ Wissen zum ,Handeln‘
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renzierten, nicht statischen Sichtweise. Das bedeutet, die herkömmliche Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis hinter sich zu lassen und gemäß der ,Theorie der Praxis‘ (,Praxeologie‘) Kritik am Wissen als objektivem Bestand zu üben.12 Stattdessen wird Wissen als knowing, also als dynamisches, konkretes, auf die jeweilige Situation abzielendes ,Können‘ verstanden.13 II. Kulturelles Kapital und Regierungspraxis Beispielhaft beginne ich mit der mir am besten vertrauten Person, Johannes Hinderbach (1418 – 1486), Prototyp des Gelehrten und Vertreter einer Expertenkultur, die in den letzten Jahren zunehmend ausgelotet wurde.14 Hinderbach stammte aus hessisch-trierischem Hochschulmilieu – seine Verwandten lesen sich wie ein ,Who is Who‘ des damaligen Wissenschaftsbetriebs. Der prominenteste Heinrich von Langenstein, Lehrer in Paris während des Schismas, im Exil in Wien und Mitbegründer der dortigen theologischen Fakultät; weitere Verwandte u. a. die Medizinprofessoren und Rektoren der Gesamtuniversität Wien Dietmar Hinderbach, Hermann Lelle von Treysa sowie Paul und Andreas von Langenstein. Mit diesem Rückenwind studierte Johannes in Wien. Dank eines Klientelnetzes konnte er sein Studium in Padua fortsetzten, wo er 1452 auf dem Romzug Friedrichs III. in dessen Anwesenheit bei Antonio Roselli und Giovanni Antonio Capodilista, zwei der nicht zuletzt durch ihre Verbindung mit dem Basler Konzil prominentesten Juristen der Zeit, den Doktortitel im kanonischen Recht erwerben konnte. Als secretarius und consiliarius des Kaisers trat er mehrmals bei herausragenden Gelegenheiten in Erscheinung, u. a. bei Grenzstreitigkeiten zwischen Habsburgern und Venezianern, der Übertragung des Herzogstitels an Francesco Sforza, in der Kirchenpolitik, der Organisation eines Türkenzugs auf den Reichstagen und dem historischen Treffen Friedrichs mit Alfons V. in Neapel zur Eheschließung mit Eleonore von Portugal, zu deren erstem Rat Hinderbach aufstieg; sogar mit der Erziehung des kleinen Maximilian wurde er betraut. Nach der Wahl seines Freundes Enea Silvio Piccolomini zum Papst setzte er als ,Hofhistoriker‘ dessen unvollendete Historia Austrialis fort – die sich, von Martin Wagendorfer in Wien hervorragend ediert, in das von Claudia Märtl in München geleitete Gesamtunternehmen einer Enea-Biographie einfügt. Von 1465 bis zu seinem Tod, also insgesamt 21 lange Jahre, wirkte er als Fürst und Bischof in Trient. Sein Name bleibt in der Forschung auf die spektakuläre Tatsache der Judenverfolgung verkürzt: 1475 wurde der Tod eines kleinen Jungen mit Namen 12 Zum Thema vgl. nun die Einleitung von Röckelein, Experten zwischen scientia und experientia, in Röckelein/Friedrich (Hrsg.), Experten der Vormoderne zwischen Wissen und Erfahrung, S. 3 f., sowie die Beiträge von Nörr, Sarnowsky und Keßler im selben Band, insbesondere aber Kintzinger, Experientia lucrativa?, S. 111 – 113. 13 Schön, Reflective Practitioner, bes. S. 53 f. 14 Hier und im Folgenden Rando, Johannes Hinderbach sowie Rando, Mit der Feder in der Hand, dessen Wortlaut hier teilweise übernommen ist; auf beide Texte sei für weitere Detailfragen verwiesen.
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Simon den Juden von Trient angelastet, Hinderbach ließ die ganze Angelegenheit untersuchen, der jüdischen Gemeinde den Prozess machen und einen Märtyrerkult um Simon etablieren – was aber die Kurie in Rom nach eingehender Prüfung nicht bis in die letzte Instanz approbierte. Einblicke in Hinderbachs geistigen Horizont gibt uns seine Bibliothek – etwa 150 Handschriften und Inkunabeln mit seinen eigenhändigen Marginalien, insgesamt mehreren Tausend Anmerkungen. Am Rand seiner Bücher, im ,Raum des Lesers‘, pflegte Hinderbach bei der Lektüre Glossen zu notieren. Seine Notizen stellen eine Art inneren Monolog dar, in dem er ,über Gott und die Welt‘ nachdachte. Schon in Zahl und Umfang erscheinen sie als besonderes Ergebnis von Hinderbachs bildungsmäßigem und beruflichem Werdegang, sowie einer Kultur am Kaiser- und Papsthof, die in eine Art Auto(bio)graphie mündete. Deren Merkmale wurden Erzählung und Aufzeichnung, Beglaubigungswille und -kraft, Autobiographisches und Selbststilisierung. An seinen Glossen lässt sich einerseits Hinderbachs Technik der Textaneignung und -verarbeitung beobachten, da er die Methoden nutzte, die er beim Studieren erworben hatte. Andererseits wurde der ,hermeneutische Dialog‘, den er mit im Text vorgegebenen ,Stimmen‘ entwickeln konnte, gleichsam zu einer Art Kommunikation mit sich, der die modernen Wissenssoziologen einen Wert als Technik beimessen, das implizite Wissen in wahrnehmbares explizites zu verwandeln – wie z. B. das laute Sprechen.15 Also ein Zusammenspiel zwischen kodifiziertem Wissen aus den Büchern und dessen Wahrnehmung und Aneignung – einige Beispiele dazu werde ich noch erläutern. Bei der Regierung seines Fürstbistums sollte sich Hinderbach als antistes ,mit der Feder in der Hand‘ erweisen. Eigenhändige Glossen erscheinen z. B. zahlreich in den sogenannten Libri Feudorum, einer Sammlung der Investituren der Amtsträger vor Ort, in Rechnungsbüchern und Inventaren einzelner Burgen zur Kontrolle des Territoriums, in Statuten zu Diözesansynoden und anderen Archivalien, ähnlich wie in den Handschriften der eigenen Bibliothek, sogar in gegenseitigem Bezug von Lektüre und Kommentar. Gleich zu Regierungsantritt sichtete Hinderbach persönlich das auf ihn gekommene umfangreiche Archivmaterial des Fürstbistums, insbesondere die schon erwähnten Libri Feudorum seiner letzten Amtsvorgänger. Deren Angaben versah er mit detaillierten Anmerkungen, manchmal mit Kritik, und entwarf einen Aktionsplan mit genauen und einschlägigen Anweisungen zur Erneuerung der Lehen; auf unklare Punkte und Ungereimtheiten folgen Abänderungsvorschläge oder Handlungsanweisungen für die Zukunft. Genauso verfuhr er mit Fiskalurkunden; sogar die Buchhaltung seiner Mitarbeiter zur Verwaltung der Spenden für den kleinen Simon überwachte er und griff ganz persönlich ein. In demselben, eigenen Regierungsstil leitete er seine Diözese, persönlich engagiert für das liturgische Leben. Wie bereits angedeutet, prüfte er akribisch die Syn15
Katenkamp, Implizites Wissen, S. 185 ff.
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odalstatuten und übte eine strenge Kontrolle über Klerus und Laien der Diözese aus, wie u. a. die neuen Registri fratrum et presbyterorum in dyocesi Tridentina admissorum belegen, eine Art Priesterverzeichnis, das er einführte, um das Phänomen umherziehender Geistlicher sowie deren formata, ,Personalausweise‘, unter Kontrolle zu bringen. Durch handschriftliche Anweisungen wie auch anhand weiterer Quellen lässt sich Hinderbachs selbstverantwortete Regierungspraxis als Fürst und Bischof verfolgen: Lernen/Wissen bildet hier die Voraussetzung zum Regieren (daher Vorprüfungen und Revisionen), zum Führen durch die eigene Hand (daher seine Kontroll- und Vidimierungsmanie). Wissen als „hermeneutische Erfahrung“, als „Fähigkeit, sich kulturelle Ressourcen anzueignen und auf sie zurückzugreifen“.16 Ein Zeichen dieses ,angewandten Wissens‘, der ,Umsetzung‘ von Hinderbachs kulturellem Kapital, besteht in seiner Fähigkeit und Bereitschaft zur direkten eigenhändigen Schriftlichkeit. Tatsächlich speiste sich seine Regierungstätigkeit aus der Lektüre und dem Schreiben, aus dem engen Kontakt mit den studierten und glossierten Büchern. So wurde die Bestätigung der libertates für die Leute im Val di Fassa (Fersental) durch seine Vorgänger als Reichsfürsten und Landesherren, die Hinderbach in einem Liber feudorum vorfand, für ihn zum Anlass, am Rand eben dieses Liber eine „series episcoporum“ (sic) zu entwerfen – damit erscheinen sein historisches Interesse und seine ,genealogische memoria‘ als durch eine einzige Urkunde angeregt; bei der Revindikation gegenüber dem Bischof von Verona im Lagertal und in Riva del Garda konnte er sich im Jahre 1469 in einem Brief auf eine alte (aber höchst unwahrscheinliche) Schenkung des Kaisers Theodosius berufen, von der er in der legenda beati Vigilii, des Schutzpatrons der Tridentiner Kirche, Kenntnis erhalten hatte. Ein weiterer Fall der Wechselbeziehung zwischen Wissen aus Büchern, Gerichtsverfahren bzw. eigenhändiger memoria findet sich noch einmal in einer Marginalie: Beim berühmt-berüchtigten Prozess gegen die Juden in Trient hatte die Jüdin Brunetta allen ,Maßnahmen‘ des Trienter Podestà widerstanden, ein Geständnis abzulegen, daher wurde sie als Opfer einer Art Verzauberung betrachtet. Kaum hörte Hinderbach davon, fiel ihm eine hagiographische Erzählung im Speculum Historiale des Vinzenz von Beauvais über Verzauberungen und die dort vermerkte Abhilfe ein: menschlichen Urin. Die Schriftstelle zeigte er dem Podestà und las sie ihm vor, und am nächsten Tag fand die Probe aufs Exempel statt. Der Podestà ließ Brunetta von Kopf bis Fuß mit dem Urin eines vorpubertären Jünglings waschen, und die Jüdin begann sofort mit ihrem Schuldgeständnis. Sie berichtete alles, was sie vorher verweigert hatte, so notierte Hinderbach in seiner Glosse im Speculum – ein makabres Beispiel für angewandtes Wissen! Die Marginalien ,erzählen‘ und zeigen konkret, wie Hinderbach mit seinem kulturellen Kapital umging und aus ihm schöpfen konnte. Angewandtes Wissen, Wissen im Handeln, eigenhändiges Schreiben als Kennzeichen des Wissens im Handeln – übrigens ein Handeln, das sich am ,Wissen‘ festklammerte. Denn angesichts der kritischen Lage, die Hinderbach ,geerbt‘ hatte, insbeson16
Kajetzke, Wissen im Diskurs, S. 141.
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dere Versuche der Mediatisierung vonseiten der Vögte des Bistums, der Grafen von Tirol, deren Erbe letztlich in die Hände der mächtigen Habsburger fiel, waren seine Aktionsmöglichkeiten als Fürst und Bischof eher begrenzt. Wie schon bei Nikolaus von Kues in Brixen wurde die systematische und genaue Prüfung der schriftlichen Quellen zum Mittel der Verteidigung und Wiedergewinnung der Rechte seiner Kirche; in der Auseinandersetzung mit Herzog Sigismund, aber auch im Zusammenhang mit der inneren Neuorganisation seines Fürstbistums blieb Hinderbach auf seine philologischen, historischen und juristischen Kenntnisse angewiesen. Dem Gelehrten Rat, gelehrt im wortwörtlichen Sinne, bot sein kulturelles Kapital Werkzeuge zum Regieren: in erster Linie Rechtskenntnisse, aber auch eine Arbeitsmethode, ein auf Bücher und Archivalien im gleichen Maße angewendetes System von Glossen, und dadurch die Selbstreflexion als Technik, implizites Wissen in explizites zu verwandeln. Schreiben erlaubte Hinderbach einerseits den lebendigen Kontakt mit dem ,Wissen‘ in den Büchern, andererseits prägte es sein Regime als Jurist und litteratus. Dieser Kompetenzbereich wurde für die Ortskirchen in jener Zeit zunehmend notwendig: Laut einer 1420 getroffenen Vereinbarung zwischen dem Bischof von Augsburg und seinen Domherren sollte wenigstens ein Viertel der Mitglieder des Kapitels ein Universitätsstudium vorweisen können, damit sie neben den Adeligen „mit ihrem Wissen […] das Bistum gegen seine Feinde verteidigen konnten“ – die Gelehrten mit dem Wissen, die Adeligen mit dem Schwert. 1465 wurde genauer gefasst, dass die Domherren mit Universitätsbildung deshalb für das Kapitel wichtig wären, „weil sie mit ihrer Bildung die Heimat ebenso verteidigen konnten wie die milites mit ihren Waffen“.17 Die Vorstellung vom Recht als Hilfsmittel zur Verteidigung der Kirche, wie in Augsburg bei der Würdigung der litterae angedeutet, reichte weit in die Vergangenheit zurück: schon Geoffroy des Fontaines (†1306) erkannte im Jahre 1293 in einem Quodlibet der Universität von Paris die praktische Nützlichkeit der Juristen für die Kirche an: „Jurista magis potest defendere iura ecclesie […] ut scilicet contra tales iniuriatores sciat quis defendere bona et libertates Ecclesiae et ab injuriantibus talibus etiam recuperare.“18 Das Thema wurde von Francesco Caracciolo vermutlich anlässlich des Todes Clemens’ V. erneut behandelt, wenn auch negativ abgegrenzt: Der Jurist könne hilfreich bei Rechtsstreitigkeiten sein, aber die eigentliche Aufgabe der Kirche beziehe sich vorwiegend auf Sakramente und deren Spendung.19 Auch bei der Frage, ob der Papst Theologe oder Jurist sein sollte, konnte Augustinus Triumphus um 1326 fünf Gründe nennen, die für einen Papst mit juristischen Fachkennt17 Monumenta Boica 34/2, hrsg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1845, S. 66, Nr. XXIV. 18 Godefroid de Fontaine: Quodlibet X, qu. 18, in: Godefroid de Fontaine: Quodlibet VIII–X, ed. Jean Hoffmans, Louvain 1924 (Les philosophes belges. Textes et études, 4), S. 395 – 398, hier S. 396, zitiert nach Gilli, La noblesse du droit, S. 134, Anm. 23. 19 Gilli, La noblesse du droit, S. 132 – 134.
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nissen sprächen.20 Diese Haltung wurde übrigens in Augsburg im Zusammenspiel arma/litterae kombiniert, das August Buck vor einigen Jahren als alten Topos ,wiederentdeckte‘.21 Ohne zurück bis auf das platonische und klassische Ideal des gebildeten Herrschers zu gehen, wurde nach Buck „die Einleitung zu den Institutiones“ zum echten Bezugspunkt im Mittelalter: „Imperatoriam maiestatem non solum armis decoratam, sed etiam legibus oportet esse armata.“22 Gerade im 15. Jahrhundert avancierte das Begriffspaar arma/litterae zu einem der häufigsten literarischen Topoi in allen genera, von der Poesie hin zu historischen und politischen Schriften, Widmungen und Emblematabüchern.23 Während in Augsburg arma/litterae sich gegenseitig zu ergänzen scheinen, tobte weiterhin ein Prioritätsstreit mit dem Versuch einer Adelung von Wissen und Gelehrten. Kein bloßer Topos, sondern ein Wettbewerb mit gesellschaftspolitischem Hintergrund, in Bezug auf Erfolg und Aufstieg der Gelehrten in der Verwaltung der Städte, bei den Ortskirchen und an den Höfen der Fürsten, einschließlich der Päpste – denken wir nur an die resignativ-pessimistische Einschätzung des jungen Eneas Silvio zur Lage in Wiener Neustadt: „Nemo nobilis existimatur, nisi vetusta familia natus arces aliquas opidave possideat.“24 Genau wie er war auch Hinderbach Prototyp des nicht-adeligen Gelehrten (ignobilis doctus), der in der Amtskirche wegen seiner herausragenden intellektuellen Fähigkeiten ein eigenes Profil gewinnen konnte. III. Vom Wissen zum Können Der Bedarf an Wissen, genauer an ,nützlichem‘ Wissen, erschien also immer dringlicher, auch bei Politik und Verwaltung, die ein Dass-Wissen und ein Wie-Wissen verlangten.25 Marek Wejwoda hat unter Verweis auf Dietmar Willoweit von einer mit der Rezeption des gelehrten Rechts verbundenen „Verwissenschaftlichung herrschaftlichen Handelns“ gesprochen, die ihrerseits „mit einer gesellschaftlichen Aufnahme der gelehrten Juristen einherging“.26 Von den Ergebnissen her, nämlich anhand der Zahl der Gelehrten Räte an Höfen, in Kirchen und Städten – und auch der „Politiktheoretiker“27 –, wurde der Erfolg des Studiums abgeleitet, übrigens mit Bezug eher auf die Methode als auf die Inhalte.28 Wie bekannt, schöpfte aber 20
Ebd., S. 134 – 137. Buck, „Arma et litterae“. 22 Corpus iuris civilis, ed. Paul Krueger/Theodor Mommsen, Bd. 1, Berlin 1911: Institutiones, Digesta, zitiert nach: Buck, „Arma et litterae“, S. 62. 23 Vgl. Buck, „Arma et litterae“, S. 65. 24 Eneas Silvius Piccolomini, Historia Austrialis, Bd. 2, 3. Redaktion, Buch I, S. 283. 25 Katenkamp, Implizites Wissen, S. 157. 26 Wejwoda, Spätmittelalterliche Jurisprudenz, S. 5, mit Bezug auf Dietmar Willoweit: Juristen im mittelalterlichen Franken, Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, in: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Gelehrte im Reich, S. 225 – 267, hier S 225. 27 Dazu Miethke, Practical Intentions, S. 225. 28 Walther, Learned Jurists, S. 108 – 110; Miethke, Practical Intentions, S. 219. 21
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das erfolgreiche Know-how bei Politik und Verwaltung nicht nur aus rein juristischen Kompetenzen: Nach einer letzten Analyse standen von Rechtsstudierten der Universität Pavia (Lehrern und Studenten) von 1361 bis 1440 – vom Gründungsakt des studium generale unter den Visconti bis zum ersten Sforza – wenig über 10 Prozent im Dienst der Fürsten.29 Auch wenn die Zahl nach oben zu korrigieren ist – etwa durch Zuzug von anderen Universitäten, z. B. Bologna –, zeigt der relativ niedrige Prozentsatz, wie wenig ausgeprägt die institutionelle Verankerung noch war.30 Studierte als Experten hatten im politisch-administrativen Bereich nur ein beschränktes Gewicht, „da es keine Berufslaufbahn gab, die man mindestens formal nicht ebenso ohne universitären Grad hätte erreichen können wie mit ihm“.31 In Bezug auf die Kommunen Oberitaliens im Duecento konnte nicht zufällig – unter Verweis auf die sogenannte ,pragmatische Schriftlichkeit‘ – von „intellettuali pragmatici“ gesprochen werden, d. h. von in Stadt- und Kanzleischulen herangebildeten Personen.32 An sie wendete sich ein besonderes literarisches Genre, das der Traktate de regimine civitatum, mit einem gleichsam ,maßgeschneiderten Wissen‘ für Praktiker in der Politik, bei denen das gesprochene Wort im Vordergrund stand: An die laici rudes et modice literati richtete sich z. B. der Oculus pastoralis von ca. 1222, eine Art Handbuch, das eine Sammlung von Reden zu verschiedenen Anlässen für den Podestà zusammenstellte.33 Ab dem 13. Jahrhundert diskutierten dictatores, Verfasser von consilia und von specula principum über die arte del dire als notwendige Kompetenz für die Verantwortlichen des regimen civitatis, die das Gemeinwohl der Bürger und der civitas als Gemeinschaft sichern sollten. Ein schlagkräftiger Beleg für den Nexus zwischen Rhetorik und Politik findet sich im Tresor des Brunetto Latini (um 1261): „Est la sience de bien parler et de governer gens plus noble de nul art du monde.“34 Auch seine Rettorica wiederholt, dass Politik sich „in due guise, cioè in fatti et in detti“ manifestiere.35 Daher hat Enrico Artifoni sogar von einer rhetorischen Fundierung („fondazione retorica“) der Politik in den
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Silanos, Percorsi accademici. Zu ihrer Bedeutung für Expertenkulturen programmatisch Rexroth, Systemvertrauen, S. 22; Rexroth, Expertenweisheit, S. 24. 31 Miethke, Karrierechancen, S. 100. 32 Artifoni, Boncompagno da Signa, S. 4. 33 Oculus pastoralis pascens officia et continens radium dulcibus pomis suis, ed. Dora Franceschi, Turin 1966, S. 23, zitiert nach Artifoni, Boncompagno da Signa, S. 6. 34 Brunetto Latini: Li livres dou Tresor, I, 1, 4, ed. Francis J. Carmody, Berkeley/Los Angeles 1948, S. 17, zitiert nach Artifoni, Boncompagno da Signa, S. 4. 35 Brunetto Latini: La rettorica, XVI, 17, ed. Francesco Maggini, Florenz 21968, S. 47, zitiert nach Artifoni, Boncompagno da Signa, S. 6. Vgl. auch Artifoni, Retorica, S. 157 – 158; vgl. auch Bernwieser, Die Friedensrede, S. 77 – 79, mit Literaturhinweisen; Hartmann, Ideal und Identität, S. 42, 44, 48 – 53; Ascheri, Dottrine universitarie, S. 291; vgl. auch Rexroth, Die Einheit der Wissenschaft, S. 47. 30
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Kommunen Italiens gesprochen;36 die Ausübung der Rhetorik im Dienste der Stadtkommune sei zum Raum geworden, wo „fra teoria e prassi, la tradizione retorica si faceva linguaggio politico“.37 Ein kommunalpolitisches Wissen konnte sich andererseits nicht nur in den Traktaten de regimine, sondern auch in der Geschichtsschreibung eines Caffaro und Obertus Scriba in Genua niederschlagen, das Frank Schweppenstette als „mögliche Form der Bereitstellung wichtigen Wissens“ interpretiert hat, als „indexikalisiertes Wissen“, als „Schaffung eines Informationsnetzes, das Herrschaftswissen aus unterschiedlichen Sektoren speichert, aufbereitet, chronologisch ordnet“ – kurz: als eine „multifunktionale Geschichtsschreibung“, die auch als politisches Lehrbuch gelten konnte.38 An den Kurien der Podestà des 13. Jahrhunderts konnten Dichter-potestates wie Rambertino Buvalelli, Notar-Chronisten wie Rolandino aus Padua, dictatores-Gesandte wie Brunetto, iudices wie Orfino da Lodi, der seine rhetorischen Anweisungen in Versform verfasste, und causidici wie Albertano da Brescia ein kommunalpolitisches Wissen als praktisches Wissen mit seiner eigenen Rhetorik und Ethik hervorbringen.39 Daraus resultierte ein Misstrauen gegenüber der juristischen Kultur, das Odofredus ausgerechnet in Bologna gegenüber den kommunalen Organen an den Tag gelegt hat, denn diese überließen trotz aufblühender Rechtsprechung die Redaktion der Statuten eher Kommissionen aus Notaren und in der ars dictandi Erfahrenen. So konnten „leggi scritte da asini“ zustande kommen, die nach Odofredus nicht mit der übrigen Ziviltradition übereinstimmten40 – dieser Zwiespalt löste sich erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf, als wenigstens in Bologna die Anwesenheit der Juristen in den Statutenkommissionen zunahm, sodass im folgenden Jahrhundert das juristische Element die erdrückende Oberhand gewann.41 36
Artifoni, I podestà professionali; Artifoni, Retorica, S. 166: „La comune matrice retorica della cultura di governo del Duecento italiano e la necessità di radicare in questo terreno retorico una storia, in parte ancora da farsi, del pensiero politico della prima età podestarile.“ 37 Giansante, Retorica e politica, S. 2 – 3: „I resoconti narrativi e diplomatici di orazioni pronunciate da ambasciatori e podestà e, più numerosi, i modelli e le raccolte di discorsi proposti da manuali e trattati de regimine civitatum, hanno consentito […] di individuare nell’eloquenza civile un’area in cui, fra teoria e prassi, la tradizione retorica si faceva linguaggio politico.“ 38 Schweppenstette, Die Politik der Erinnerung, S. 158 u. 169. 39 Artifoni, Retorica, S. 165; zur Rhetorik als „Wissenssystem“ Strack/Knödler, Einleitung, S. 9, 12. 40 Nach: Tamassia, Nino: Odofredo. Studio storico-giuridico (zuerst 1894/ 1895), in: Nino Tamassia: Scritti di storia giuridica, Bd. 2, Padua 1967, S. 335 – 461, hier S. 421, das Zitat des Odofredus (In Dig. Vet.) ebd. S. 341: „Quando plebeii […] volunt facere sua statuta, non plus vocarent prudentes quam tot asinos, et ideo ipsi faciunt talia statuta que nec habent latinum nec sententiam.“ 41 Giansante, Retorica e politica, S. 143. Vgl. Menzinger: Forme di implicazione politica, S. 196 – 198; Vallerani, Consilia iudicialia; Vallerani, The generation of „moderni“ at work; Ascheri, Dottrine universitarie, S. 291: „[…] continua anche nel secondo Duecento, momento pur tanto ricco per la civilistica, ad essere extra-universitario lo sviluppo del pensiero politico comunale.“ Weiter ebd., S. 292: „[…] è vero che c’è stato un grande interesse dei cosiddetti
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Rhetorik blieb jedenfalls eine Tätigkeit von öffentlichem Charakter im Dienste der Stadt und der Institutionen – als notwendiger Teil der Gerichts-, Gesandtschafts-, Konzilien- oder Parlamentsrede sowie verschiedener Formen politischer Propaganda42 – z. B. die offiziellen Lobreden zu Ehren von Filippo Maria Visconti durch den „offiziellen Hofredner“ Antonio da Rho43 oder die Panegyrica Baldassarre Rasinis für den Visconti und seinen Nachfolger Francesco Sforza, gehalten vor den Mitgliedern der Universität Pavia anlässlich des Jubiläums zum Einzug Filippo Marias in die Stadt 1412 und zum Triumphzug des Sforza 1450.44 Schon Ende des 14. Jahrhunderts spürte Giovanni Travesio, Artes-Professor an der Universität Pavia, das Bedürfnis nach der Abfassung einer Pratica dictaminis für Jurastudenten,45 und einige Jahrzehnte danach verlagerte sich die Lektüre der Rhetorik an derselben Universität immer öfter vom rotulus (Besoldungsliste) der medizinisch-artistischen Fakultät zu demjenigen der Juristen – die ars rhetorica wurde also konstitutiver Bestandteil auch der Juristenausbildung;46 trotz der niedrigen Besoldung wurde sie immer mehr eher transversal und interdisziplinär gelehrt.47 Das „maßgeschneiderte Wissen“ der Experten im Bereich der Politik war also ein verbalisiertes Wissen;48 das knowing how der Experten blieb keine Fundamentalgröße, sondern entstand in Kommunikationssituationen, in stetiger „soziokultureller Konditionierung“49 – worin sich die soziale Konstruiertheit von Wissen zeigt.50 Inwieweit dieses Wissen zunehmend mit der Jurisprudenz identifiziert wurde, zeigen, wie bekannt, die consilia, deren Bedeutung als praktisches Wissen u. a. Eber-
,post-glossatori‘, nel secondo Duecento, per le istituzioni, ma come al solito dobbiamo cercare di essere equilibrati […]. Quel mondo urbano del Duecento è stato troppo ricco per essere ridotto sotto categorie semplificanti.“ 42 Z. B. Helmrath/Feuchter, Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 15 f.; über Oratorik als „Form politischer Redekultur der europäischen Vormoderne“, ebd., S. 16; sie setze Kultur voraus, „als notwendige Ressource für die vieldimensionalen Operationen verständigungsbezogener Überzeugungsarbeit“. Für Kopperschmidt, Oratorik, S. 28, ist Rhetorik eine kulturelle Praxis, „die auf verständigungsbezogene Überzeugungsarbeit spezialisiert ist und deshalb in ihrer komplexen Voraussetzungshaftigkeit angemessen und nur aus der Praxis der jeweiligen Kultur und ihres evolutionären Entwicklungsniveaus rekonstruiert werden kann“. 43 Cortesi, Il discorso pronunciato, S. 641. 44 Fiaschi, Università e propaganda politica. 45 Cortesi, Grammatica e Retorica, S. 526. 46 Ab 1439 – 1440: Paolo Rosso, Lo studio delle arti, in: Azzolini/Cortesi/Crisciani/Nicoud/Rosso, La facoltà di arti e medicina, S. 516. 47 Cortesi, Grammatica, S. 521. Zur Nebenrolle der Rhetorik an der Universität Ingolstadt Schuh, Zur Diversität der Rhetorik, S. 320 f.; Schuh, Praxisorientierte Ausbildung. 48 Rexroth, Wissen, maßgeschneidert. 49 Rexroth, Systemvertrauen, S. 13. 50 Zum reframing, d. h. zur Umstrukturierung der Expertenperspektive durch „Konversation“, Rambow/Bromme, Schöns „reflective practitioner“, bes. S. 251 – 253, 258 – 260; zur Konstruiertheit von Wissen Altrichter, Handlung und Reflexion, S. 218.
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hard Isenmann hervorgehoben hat.51 Neben der „Interpretation der Statuten“ wurden consilia ein entscheidendes Instrument bei der Anwendung der Rechtskenntnisse in den italienischen Städten und später bis zum 15. Jahrhundert weiter diesseits der Alpen.52 Gerade mittels der consilia (und anderer Quellen) konnten zuletzt Tobias Daniels und Marek Wejwoda „Wirkung und historische Bedeutung gelehrter Jurisprudenz“ untersuchen, nämlich „die eigentlich juristische Tätigkeit und die Funktion juristischer Kompetenz“.53 Tobias Daniels untersuchte eine repetitio, die Johannes von Lieser (1455 – 1458) an der frisch gegründeten Universität Löwen gehalten hatte – „eine didaktische Basisanleitung für korrektes Handeln eines Juristen im rechtspraktischen Bereich“ und Spiegelbild von „Liesers Stil in seinem rechtspraktischen Wirken“, „das zugleich die Durchdringung von ,Wissenschaft‘ und ,Praxis‘ des Rechts im 15. Jahrhundert zeigt“.54 Für Dietrich von Bocksdorf betonte Marek Wejwoda die „Anwendbarkeit des gelehrten ius commune in der Sächsischen Rechtspraxis“ und lotete seine „Prozessschriften für geistliche Gerichte aus, die stark von gelehrter Argumentationstechnik geprägt“ waren.55 Die consilia sind ein schlagendes Beispiel angewandten, nicht nur auf „Rechtspraxis“ begrenzten Wissens: Mario Ascheri hat für Italien immer wieder ihre parteiische Natur unterstrichen, zumindest wenn sie im Interesse des Auftraggebers verfasst wurden, sowie die Möglichkeit, durch sie Norm- und Lehrtexte anzupassen. Also ein kreativeres Wissen als die Lehre an der Universität, so Ascheri, das schon im späten 13. Jahrhundert zurechtgebogen werden konnte.56 Sara Menzinger hat das tiefgehende Eingreifen der sapientes iuris im Kommunalleben durch politische und professionelle Gutachten sowie durch die Aufhebung von ,politischen‘ Sentenzen erklärt:57 In Siena und Perugia wurden bei Gericht eingereichte consilia durch die Mitglieder des governo del Popolo oft in Frage gestellt, da die sindacatori aufgrund von spitzfindigen richterlichen consilia regelmäßig Urteile annullierten.58 Um einen beispielhaften Fall der ,contaminazione‘ zwischen technisch-gerichtlicher und 51 Isenmann, Funktionen und Leistungen; über Quantität und Qualität der consilia bei den Auseinandersetzungen zwischen Päpsten und Fürsten, u. a. während des Großen Schismas, Walther, Die Macht der Gelehrsamkeit, S. 246 – 248; über die Juridifizierung politischer Konflikte in der Reichsstadt Nürnberg ebd., S. 256 – 261. 52 Nach Sbriccoli, L’interpretazione, jetzt Menzinger, Forme di implicazione politica, S. 220 f. Vgl. auch Walther, Die Macht der Gelehrsamkeit, S. 245. 53 Wejwoda, Spätmittelalterliche Jurisprudenz, S. 11. 54 Daniels, Diplomatie, politische Rede und juristische Praxis, S. 476. 55 Wejwoda, Spätmittelalterliche Jurisprudenz, S. 261 – 268. 56 Ascheri, Il consilium. 57 Menzinger, Forme di implicazione politica, S. 216. Zum consilium des Tommaso da Piperata im Jahr 1272 ebd., S. 220 f.: „La netta posizione politica del giurista si esprime attraverso un metodo scientifico che conferisce legittimità alle pretese della fazione ghibellina bolognese.“ Zur Besoldung der universitas der iudices in Siena durch die Kommune („pro consiliis que dederunt pro comuni“, ab 1249) S. 210. Vgl. auch Menzinger, Pareri eccezionali, bes. S. 401 – 402. 58 Menzinger, Forme di implicazione politica, S. 199 – 202, 235 – 241.
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politischer Tätigkeit im 15. Jahrhundert zu nennen:59 Catone Sacco (ca. 1394 – 1463), Juraprofessor an der Universität Pavia,60 auch in die Visconti- und Sforza-Politik involviert, verfasste um 1450 ein consilium für eine falsche Schenkung Filippo Marias: Damit habe dieser 1446 zugunsten seines Schwiegersohns Francesco Sforza Erbe und Nachfolge in den Städten des Herzogtums bestimmt – also ein reines Gefälligkeitsgutachten, aber in einer schwerwiegenden Frage mit erheblichen politischen Konsequenzen.61 Ein solches consilium wurde freilich von einer besonderen ,Epistemologie der Praxis‘ inspiriert – als Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von ,Steuerung und Ausflucht‘ zwischen Schulwissen und Bedürfnissen des Auftraggebers.62 Neben technischen und rechtlichen Quellen bot das Consilium auch einen Exkurs zur römischen Geschichte, von Caesar bis Konstantin, und damit Überlegungen zur Begründung der Kaisermacht und der verurteilten Populärregierung; dieselbe historische Analyse führte Catone Sacco in seinem Traktat Semideus weiter.63 Also ein elastisches Wechselspiel zwischen Sonderwissen und Expertise mit ihrer je verschiedenen Schriftlichkeit.64 Entscheidend war letztendlich kein Wissensbestand, sondern ein Wissen als „Werkzeug für die Ausübung des Könnens, das das Tun, die Praxis, ermöglicht“;65 auf dem Spiel standen „die Stocks & Flows, […] die Balance von Wissen und Können“.66 IV. Diskurs ums Wissen Gerade der zunehmende Erfolg des „praktischen Wissens“ löste eine Diskussion über seine Bedeutungen und Deutungsmacht aus. Um 1277 – 1280 kritisierte Aegidius Romanus in seinem Traktat De regimine principum die Juristen wegen ihres Anspruchs, das Leben der civitas „narrative et sine ratione“ zu behandeln, das heißt, außerhalb des spezifischen Kontexts der Politik (politeia im aristotelischen Sinne), der nicht juristisch, sondern philosophisch überhöht war.67 Diesen Vorwurf, die Juristen 59
Ebd., S. 218; zur Tätigkeit der gelehrten Juristen als Konsiliatoren und Syndici auch Walther, Die Macht der Gelehrsamkeit, bes. S. 266 f. 60 Zuletzt Rosso, Catone Sacco, mit Literatur. 61 Rosso, Il „Semideus“. 62 Schön, The Reflective Practitioner, S. 305, spricht von „control“ und „evasion of control“. 63 Rosso, Il „Semideus“. 64 Sowie zwischen „epistemischem“ und „verwaltetem“ Wissen, vgl. Mulsow, Expertenkulturen, S. 249. 65 Katenkamp, Implizites Wissen, S. 245. 66 Ebd., S. 459. 67 Aegidius Romanus, De regimine principum lib. 2, pars 2, c. 8, Rom 1607, S. 309: „Nam […] omnes legistae sunt quasi quidam idiotae politici. Nam sicut laici et vulgares, quia arguunt et formant rationes suas, quem modum arguendi docet dialectica, ideo ipsi quia non arguunt artificialiter et dialectice, appellantur a Philosopho idiotae dialectici: sic Legistae, quia ea de quibus est politica, dicunt narrative et sine ratione, appellari possunt idiotae politici.“
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seien „quasi quidam idiotae politici“, ordnete Krynen als „querelle intellectuelle mêlée de sentiments corporatistes“ ein, die mit Konkurrenz zwischen den politischen Gruppen am Königshof verbunden gewesen sein könnte.68 In der Auseinandersetzung mit Nicolas d’Oresme unterstrich der Autor des Songe du Vergier um 1400 den Wert des Rechts als ,praktische Wissenschaft‘ im Vergleich zur reinen Theorie der Artisten (diese könnten zwar das allgemeine Wissen theoretisch betreiben, es jedoch nicht in die Tat umsetzen) – daher auch die Notwendigkeit für den König, einen Kreis von in Zivil- und kanonischem Recht, in consuetudines und Gesetzen erfahrenen Juristen um sich zu versammeln, d. h. Experten und nicht Vertreter eines rein theoretischen Wissens.69 Patrick Gilli hat die „critiques disciplinaires et enjeux intellectuelles“ im Rahmen der Polemik gegen Juristen durch Theologen und Artisten zusammengestellt.70 Die Konfrontation führte zu einer Debatte zwischen normativer und angewandter Orientierung; daraus resultierte auch der Versuch der Juristen, ihre ,Wissenschaft‘ aus der Ebene der Praxis herauszuheben und deren nicht nur praktischen, sondern auch philosophisch-theologischen Wert als vera philosophia zu behaupten. Im „Streit der Fakultäten“ des 15. Jahrhunderts, den Eugenio Garin seit 1947 erforscht hat,71 spiegelten sich trotz der manchmal bloß literarischen Abschweifungen eher dringende und immer erneute Fragen nach dem „Handlungswissen“ wider.72 Soziologisch könnte man damit von ,diskursiven Praktiken‘ in Bezug auf das Wissen und seine auf sozialer Ebene erkennbaren Inhalte reden, die ,diskursive Eliten‘ betrieben, und zugleich von einem Kampf um das symbolische Kapital zwischen arma und litterae sowie innerhalb der letzteren zwischen Grundlagen- und angewandtem Wissen. Soziale Legitimität wurde für ein Wissen beansprucht, das, wenn angewandt, trotzdem in der Lage sei, die bloßen Kompetenzen in Richtung „Bildung“ als „aktive Teilhabe an der Kultur“ zu überwinden.73 Ich komme zum Schluss: In seiner Beziehung zu Urkunden und Büchern, zu Lektüre und Schrift, in der Anwendung des an der Universität gelernten Rechts und bei der Arbeitsmethode der Glossen zeigt Hinderbach, ähnlich wie Cusanus oder der Kardinal Johannes Grünwalder,74 ein „ebenso als subjektiv erlebte und kulturbeding68 Krynen, Les légistes „idiots politiques“, S. 194. Vgl. Krynen, L’empire du roi, S. 110; Krynen, Les légistes „idiots politiques“, S. 174 ff.; außerdem Gouron, Juristen und königliche Gewalt, S. 120 – 122. 69 Wetzstein, Der Jurist, S. 286. 70 Gilli, La noblesse du droit, S. 17. Zum Streit der Disziplinen u. a. Walther, Die Macht der Gelehrsamkeit, S. 241 – 243. 71 Garin, La disputa delle arti. 72 Vgl. Rexroth, Praktiken der Grenzziehung, S. 26; Rexroth, Einheit der Wissenschaft, S. 27; Kintzinger, Experientia lucrativa?, S. 104 – 106,112 f. Zum Versuch, gelehrtes Wissen im Sinne des „Gemeinwohls“ bei Predigten anzuwenden, Rexroth, Expertenweisheit, S. 40 – 42. 73 Kajetzke, Wissen im Diskurs, S. 135. 74 Wesche, Johannes Grünwalder.
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te Praxis“ angesehenes Wissen.75 Wissen als Handlungswissen wurde zum Gegenstand eines Diskurses, der dieses durch die Bekräftigung seines sozialen Wertes (Nützlichkeit für die Kirchen, Zusammenhang mit der Suche nach dem höchsten)76 und seiner Verbindung mit den Grundlagenwissenschaften (im Streit der Fakultäten) zu legitimieren suchte. Gleichzeitig blieb diese Auseinandersetzung aber immer auch ein Kampf um das symbolische Kapital der Gelehrten; und wenn der Habitus immer auf die Bewährung in einem Feld ausgerichtet war, dann zeigte Expertenwissen als knowing ebenfalls einen dynamischen, konkreten und ,relationalen‘ Charakter. All das wäre ein Vorschlag zur Vertiefung der in diesem Band diskutierten ,Gelehrtenkultur‘ in Richtung Handlungswissen bei fruchtbarer Verwobenheit in der Praxis. Quellen und Literatur Quellen Aegidius Romanus: De regimine principum libri tres, Rom 1607. Eneas Silvius Piccolomini: Historia Austrialis, ed. Julia Knödler/Martin Wagendorfer, Bd. 2, Hannover 2009 (MGH, Scriptores rerum Germanicarum, Nova series, 24,2). Garin, Eugenio (ed.): La disputa delle arti nel Quattrocento, Florenz 1947; erw. Neuauflage Rom 1982.
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Die Zierde der Stadt, der Stolz der Familie – Wissenskulturen im spätmittelalterlichen Nürnberg Von Thorsten Schlauwitz Die Zahl der Studenten an den deutschen Hohen Schulen nahm von der ersten Universitätsgründung in Mitteleuropa 1348 in Prag bis zum Ausgang des späten Mittelalters stetig zu.1 Während diese über die meist erhaltenen Matrikelbände weitgehend leicht zu benennen sind, fallen Aussagen über die die Universität verlassenden Gelehrten, deren Zahl in gleichem Maße stieg wie die der Universitätsbesucher, ungleich schwerer.2 Die bisher vorliegenden prosopographischen Detailstudien3 sowie die exemplarische Betrachtung einzelner Lebensläufe4 ergänzen sich zwar in ihren Ergebnissen, jedoch können häufig nur die Biographien von Fachstudenten der drei höheren Fakultäten nachverfolgt werden. Die Karrierewege der restlichen 80 Prozent der Universitätsbesucher sind in den Quellen hingegen meist nicht fassbar. Da die Berufswege für die Mehrzahl der Studenten daher nicht konkret benannt werden können, ist es mittels der prosopographischen Methode nur schwer möglich, Aussagen über deren Motivation für die Immatrikulation zu treffen. Mit Hilfe anderer Quellengattungen – panegyrischer und genealogischer Texte – lässt sich jedoch aufzeigen, dass allgemein die Wertschätzung von Bildung zunahm und durch welche Medien diese Verbreitung finden konnte. Bei der Frage nach den Motiven für und den Erwartungen an ein Universitätsstudium muss der Blick auf den Ort gerichtet werden, an dem die Entscheidung für den teils weiten Weg an eine Hohen Schule sowie den kostspieligen Studienaufenthalt getroffen wurde: den Herkunftsort der Studenten. Das nach heutigen Maßstäben meist noch jugendliche Alter bei der Erstimmatrikulation offenbart weiterhin, dass wohl vornehmlich die Eltern und Verwandten – eventuell beraten durch die Leh1 Erst am Ende des 15. Jahrhunderts führte die sogenannte Überfüllungskrise zu einem temporären Rückgang der Immatrikulationszahlen. Vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher, zur Überfüllungskrise bes. S. 33. 2 In Abweichung zu manchen anderen Arbeiten werden unter Gelehrten hier sämtliche Universitätsbesucher verstanden, unabhängig von dem Studienverlauf. Im Repertorium Academicum Germanicum werden hingegen nur Universitätsbesucher aufgenommen, die an der artistischen Fakultät den Grad eines Magister Artiums erwarben oder an einer der drei höheren Fakultäten nachzuweisen sind. Vgl. URL: www.rag-online.org, letzter Zugriff am 7. 12. 2015. 3 Vgl. beispielsweise Gramsch, Erfurter Juristen; Immenhauser, Bildungswege – Lebenswege; Bauer, Die Universität Padua. 4 Vgl. exemplarisch Strack, Thomas Pirckheimer; Wejwoda, Spätmittelalterliche Jurisprudenz; Landois, Gelehrtentum und Patrizierstand.
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rer – diese Entscheidung trafen.5 Demnach ist die Wissenskultur im Umfeld der Familien zu untersuchen. Dieser Frage wird anhand des Beispiels Nürnberg nachgegangen. Hierfür wird zunächst ein Blick auf die Zahl der Studierenden aus der fränkischen Reichsstadt sowie die Situation der Gelehrten in der Stadt geworfen. Auf dieser Grundlage werden Stadtbeschreibungen und panegyrische Texte bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts analysiert, die die Stadt als Ganzes thematisieren.6 Anschließend werden genealogische Quellen herangezogen, um die Wahrnehmung von Gelehrten in einzelnen Familien zu untersuchen. I. Ausgangslage Mehrere Gründe rechtfertigen die Auswahl Nürnbergs, obwohl die fränkische Reichsstadt erst ab Ende des 16. bzw. Beginn des 17. Jahrhunderts über eine Universität (Altdorf) verfügen sollte. Zum einen war die Stadt ein politisches und wirtschaftliches Zentrum des Heiligen Römischen Reiches, zum anderen erreichte der Ort um 1500 auch seinen kulturellen Höhepunkt.7 Dazu trug nicht nur die künstlerische Blüte um Albrecht Dürer (1471 – 1528) und Veit Stoss (ca. 1447 – 1533) bei. Es entwickelte sich zudem ein reges geistiges Leben. Vor allem der Humanismus fasste hier Fuß und fand in Hartmann Schedel (1440 – 1514) und Willibald Pirckheimer (1470 – 1530), dem Freund Albrecht Dürers, seine wohl bekanntesten Nürnberger Protagonisten. Dabei wurde dort sowohl der philologische Humanismus um den Gräzisten Pirckheimer gepflegt als auch den naturwissenschaftlichen Fächern, vorrangig Geographie und Astronomie, nachgegangen.8 Mehrere Faktoren trugen zu dieser Entwicklung bei: Erstens war die Stadt an der Pegnitz ein Kommunikationszentrum, das „Auge und Ohr Deutschlands“, wie es Martin Luther (1483 – 1546) beschrieb.9 Dies war einerseits den Kaufleuten geschuldet, die für den erfolgreichen europaweiten Handel stets an allen entsprechenden Informationen interessiert waren und nicht zuletzt durch ihre Faktoren sowie die eigenen Söhne, die in der Fremde in die Lehre gingen, kontinuierlich mit Informationen
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Vgl. Schwinges, Der Student, hier S. 182. Die Quellengattung weist grundsätzlich eine gewisse Spannweite zwischen laus und descriptio auf, es wird im Folgenden der Definition bei Kugler, Die Vorstellung der Stadt, S. 20, gefolgt, die darunter alle Texte versteht, die eine Stadt in einem positiven Licht darstellen. Vgl. zu dieser Textgattung auch Giegler, Das Genos der Laudes urbium und Arnold, Städtelob und Stadtbefestigung. 7 Vgl. u. a. Pfanner, Geisteswissenschaftlicher Humanismus; Hamm, Reichsstädtischer Humanismus. 8 Vgl. Hofmann, Naturwissenschaftlicher Humanismus. 9 Vgl. das Schreiben an Helius Eobannus Hessus (1488 – 1540) vom 12./13. Mai 1528: „[…] cum Norimberga sit fere oculus et auris Germaniae, quae videt et audit omnia […]“, ediert in: Luther, Briefwechsel, Bd. 4, S. 460. 6
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versorgt wurden.10 Andererseits war der regierende Kleine Rat – der sich durch den territorialen Nachbarn, den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, stets bedroht sah – an den Neuigkeiten im Reich interessiert. Aus diesem Grund war die Stadt nicht nur auf allen Reichstagen, sondern auch sehr häufig am kaiserlichen Hofe vertreten.11 Dadurch wurde sie Stellvertreter für alle fränkisch-reichsstädtischen Angelegenheiten und ebenso von Fürsten um Angaben gebeten. Nürnberg war als Knotenpunkt der Kommunikation für Gelehrte attraktiv. So zog Johannes Regiomontanus (1436 – 1476) seiner Aussage nach zum einen aufgrund der Fähigkeiten der Nürnberger Instrumentenbauer in die Stadt, zum anderen, weil er von diesem Ort, dem quasi centrum Europae, mit allen Gelehrten leichter korrespondieren könne.12 Der Zuzug von Gelehrten ist zugleich der zweite Aspekt für die zentrale Bedeutung Nürnbergs. Der Kleine Rat der Stadt hatte vergleichsweise früh und weiterhin ein besonders beständiges Interesse an akademisch gelehrtem Personal. Dies betraf in erster Linie die Juristen, die als Ratskonsulenten, Pfarrer bzw. Pröpste und Gerichtskonsulenten in der Stadt wirkten.13 Es handelte sich nahezu ausschließlich um Doktoren der Rechte, die nach einem Studium in Italien schließlich in Nürnberg eine dieser hoch dotierten Anstellungen erhielten. Zeitweise besoldete die Stadt sechs Ratskonsulenten gleichzeitig, während in anderen großen Städten juristische Expertise allein beim Stadtschreiber zu finden war.14 Mit Gregor Heimburg (gest. 1472), Martin Mair (1420 – 1481) und Johannes Letscher (gest. 1521) befanden sich unter diesen mehrere reichsweit angesehene und begehrte Rechtsexperten.15 Doch auch die zahlreich vertretenen Stadtärzte verfügten über den höchsten akademischen Grad ihres Fachbereichs. Die Doktoren der Heiligen Schrift waren, da Nürnberg keine Stifte aufzuweisen hatte, vor allem in den Klöstern vertreten. Bis zur Übernahme der Reformation im Jahr 1525 lassen sich insgesamt 731 ehemalige Universitätsbesucher in der Stadt nachweisen, von denen 219 Gelehrte das Lizentiat oder das Doktorat der höheren Fakultäten erhalten hatten.16 Diese brachten einerseits ihre Gewohnheiten aus dem Heimatort, besonders aber die Erfahrungen und den Habitus, 10 Einen lebendigen Einblick geben die erhaltenen Briefe der Patrizierfamilie Tucher, vgl. Stadtarchiv Nürnberg, E 29. 11 Vgl. Fuchs/Scharf, Nürnberger Gesandte. 12 So in einem Brief an seinen Erfurter Freund Christian Roder (gest. 1478) im Jahr 1471, zitiert nach Günther, Art. ,Müller, Johannes‘, hier S. 566: „Nuperrime Norimbergam mihi delegi domum perpetuam, tum propter commoditatem instrumentorum maxime astronomicorum, quibus tota sideralis iunititur disciplina, tum propter universalem conversationem facilius habendam cum studiosis viris ubicunque vitam degentibus, quod locus ille perinde quasi centrum Europae propter excursum mercatorum habeatur.“ Vgl. auch Lindgren, Regiomontans Wahl. 13 Ellinger, Die Juristen. 14 In Erfurt war beispielsweise noch das Amt des Syndicus mit dem des Protonotars verbunden, vgl. Wriedt, Amtsträger. 15 Allein Gregor Heimburg war für mindestens zwölf weitere Dienstherren tätig. Zu ihm vgl. Joachimsohn, Gregor Heimburg. 16 Vgl. zu diesen und den folgenden Zahlen Schlauwitz, Wissenskulturen.
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den sie an der Universität erworben hatten, mit in die fränkische Reichsstadt. Der Zuzug dieser Gelehrten wurde, drittens, dadurch gefördert, dass die vornehmlich durch Handel reich gewordenen Bürger über ausreichend Vermögen verfügten, um den Künstlern und Gelehrten ein lukratives Einkommen zu sichern. Die finanzielle Grundlage trug außerdem dazu bei, dass die Einwohner ihre Kinder an die Universität schicken konnten und die Zahl der Studenten im Laufe der Zeit stetig zunahm, bis sie in den 1470er Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatte und seitdem auf einem nahezu konstanten Niveau stagnierte. Vor 1525 lassen sich insgesamt 2.138 Nürnberger Studenten namentlich benennen, die damit ein Vielfaches der bekannten Gelehrten in der Stadt ausmachen.17 Allerdings ist mit einer erheblichen Dunkelziffer an Universitätsbesuchern zu rechnen, da besonders diejenigen, die ohne Graduierung die Hohen Schulen verließen, kaum in den städtischen Quellen zu identifizieren sind. Allgemein ist wohl eher davon auszugehen, dass eine Großstadt wie Nürnberg aufgrund der Beschäftigungsmöglichkeiten bereits im Mittelalter ebenso wie heutige Städte mehr Gelehrte anzog, als sie an die ländliche Umgebung verlor. Diese wenigen Zahlen machen deutlich, dass bei einer Beschreibung Nürnbergs ausreichend Anlass zur Erwähnung der Gelehrten gegeben war. Sie stellten quantitativ eine stetig wachsende soziale Gruppe dar und erreichten lukrative und bedeutende Positionen. Die bekanntesten Gelehrten erlangten Berühmtheit weit über die Grenzen der eigenen Stadtmauern hinaus. II. Nürnberg in Stadtbeschreibungen und panegyrischen Texten Nürnberg ins Zentrum der Untersuchung zu stellen, rechtfertigt sich jedoch nicht ausschließlich aus diesen Gründen, sondern auch durch das rege literarische Schaffen in dieser Stadt. So sind viele Texte überliefert, welche die Stadt Nürnberg thematisieren.18 Im Laufe des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts nahmen diese Betrachtungen in der Literatur und in der Kunst zu. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die Stadtvedute der fränkischen Reichsstadt in der Schedelschen Weltchronik von 1493.19 Bis heute haben viele Menschen diese Darstellung – die einzige, die in
17 Diese Diskrepanz vergrößert sich nochmals, wenn man die Zahl der jährlichen Erstimmatrikulationen jenen der Ersterwähnungen von Gelehrten in der Reichsstadt gegenüberstellt: Durchschnittlich suchten jährlich 14-mal mehr Nürnberger eine Universität auf, als Gelehrte in der Stadt eine Anstellung fanden. 18 Vgl. die entsprechenden Überblicke bei Hammer, Encomia of Cities, S. 75 – 78 und Kugler, Vorstellung der Stadt, S. 235 – 268, bes. S. 254 f. Vgl. Lebeau, L’éloge de Nuremberg; Arnold, Städtelob. 19 Siehe Schedel, Weltchronik, fol. 99v–100r. Zur besonderen Position innerhalb des Werkes vgl. Kugler, Nürnberg auf Blatt 100, bes. S. 104 – 109.
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dem Werk eine Doppelseite einnimmt – vor Augen, wenn sie an die Stadt des Mittelalters denken.20 Da aber das gelehrte Wissen in den bildlichen Darstellungen der Stadt keinen Niederschlag fand – durch das Fehlen einer Universität und damit eines größeren Lehrgebäudes konnte es schwerlich visualisiert werden –, werden im Folgenden ausschließlich die literarischen Betrachtungen im Mittelpunkt stehen.21 Die Pflege von Wissenschaft und Kunst war in der Antike, wo sich die Wurzeln dieser Textgattung finden, einer der zentralen Aspekte eines laus urbium.22 Im Mittelalter verlor dieses Element zunächst zugunsten der kirchlichen Faktoren wie Heiligen und Reliquien an Bedeutung.23 Erst ab dem Hochmittelalter lässt sich eine Veränderung feststellen, vor allem bei Beschreibungen von Universitätsstädten wie Paris.24 Aber auch beim Lob Bambergs spielte Gelehrsamkeit eine Rolle: 1014 rühmte Gerhard von Seeon (gest. 1028) die Blüte des Triviums und des Quadriviums in dieser Stadt,25 während später Gottfried von Viterbo (ca. 1125–ca. 1197) in einem Lobgedicht von seiner eigenen Schulzeit in der Stadt berichtete.26 Selbst wenn nun verstärkt der Topos von Athen als Hort der Weisheit und Bildung bedient und mittels eines Vergleichs eine translatio studii27 bemüht wurde, stand dieser Themenbereich gegenüber der kirchlichen und weltlichen Sphäre im Hintergrund.28
20 Die Nürnberger Stadtvedute ziert so auch die einschlägigen Handbücher zur mittelalterlichen Stadtgeschichte, so bei Engel, Die deutsche Stadt; Schmieder, Die mittelalterliche Stadt; Isenmann, Die deutsche Stadt. 21 Grundsätzlich sollte die parallele Entwicklung in Kunst und Literatur berücksichtigt werden. Dazu Meyer, Die Stadt als Thema. Auch in einigen volkssprachigen Sprichwörtern wurde auf die Klugheit Nürnberger Bürger hingewiesen, wie in der um 1500 verbreiteten Redewendung: „Hätt ich Venedigs Macht, Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz, Straßburger Geschütz, Ulmer Geld, ich wär der König der Welt“, zitiert nach Maas, Nürnberg in Sprichwörtern, hier S. 29 f. Jedoch waren damit eher praktische Lebensweisheit und Erfindungsreichtum denn akademische Gelehrtheit gemeint. 22 Einen Katalog von Themen hatte bereits Menander Rhetor (ca. 3. Jahrhundert) vorgestellt. Vgl. Menander, II, 2 – 4. Dazu gehörte unter anderem die Behandlung der Bewohner und ihrer Fähigkeiten wie der Gelehrsamkeit in den Fächern der Artes, so in Astrologie, Geometrie, Musik, Grammatik und Philosophie. Seine Schriften waren allerdings im Mittelalter unbekannt. Stattdessen wurden die Schriften des Quintilian (35 – 100) (,De institutione oratoria‘ III, 7) und Prisician (um 500) (,Praeexercitamina‘, 551 – 560) gelesen. Vgl. Kugler, Vorstellung der Stadt, S. 27. 23 Vgl. Giegler, Das Genos der Laudes urbium, S. 28 – 48. Vgl. auch Curtius, Europäische Literatur, S. 166; Classen, Die Stadt im Spiegel, S. 42. 24 Vgl. Classen, Die Stadt im Spiegel, S. 57 f., 64, 70 – 72; Hyde, Medieval Descriptions, hier S. 332 f. 25 Vgl. Giegler, Das Genos der Laudes urbium, S. 53 f.; Classen, Die Stadt im Spiegel, S. 46 – 48; Arnold, Städtelob, S. 258. 26 Vgl. Giegler, Das Genos der Laudes urbium, S. 78, zusammenfassend auch S. 103 – 105. 27 Ebd., S. 103. 28 Ebd., S. 104.
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Zudem waren die Lage der Stadt, die Gebäude und die Infrastruktur, teils auch Organisation und Stiftungen Topoi, denen in diesem Genre viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In Einzelfällen sah man aber das Fehlen einer Universität als derartigen Mangel an, dass man dies durch das Ausbleiben des negativen Einflusses der Studenten auf die Moral der Bürger in ein positives Licht zu rücken suchte.29 Häufiger als die Bildung wurde die Weisheit in den Texten behandelt, so auch in den Texten über Nürnberg, in denen dem Kleinen Rat zugesprochen wird, die Stadt mit dieser Tugend zu leiten. Ein Zusammenhang mit akademisch erworbenem Wissen ist in diesen Passagen allerdings nicht zu sehen. Einen Aufschwung erlebte die Textgattung wieder in dem hier untersuchten Zeitalter des Humanismus,30 auch wenn nicht alle Verfasser von dieser Geistesbewegung berührt wurden. Dies trifft beispielsweise auf zwei Personen zu, in deren Texten über Nürnberg Bildungsaspekte keinerlei Raum einnehmen. Der anonyme Autor der Sag von Nürnberg aus dem Jahre 1426 war, so lässt sich aus dem Text erschließen, ein Jakobuspilger.31 Entsprechend legte er seinen Schwerpunkt auf die erst kurze Zeit zuvor nach Nürnberg transferierten Reichsreliquien, deren Heiltumsweisung er selbst miterlebt hatte.32 Die Bildung der Bürger war in diesem Rahmen nicht von Interesse.33 Der Handwerker und Meistersänger Kunz Has (gest. vor 1527) blieb bei seinem panegyrischen Gedicht auf die fränkische Stadt in seinem sozialen Umfeld verhaftet, indem er das städtische Gewerbewesen sowie die gute Regierung der Stadt durch den Rat lobte.34 Er wählte damit die Perspektive seiner konkreten Lebenswelt. Doch auch humanistisch gesinnte Autoren schenkten der Bildung nicht immer Aufmerksamkeit. Enea Silvio Piccolomini (1405 – 1464, seit 1458 Papst Pius II.) ging in seiner Beschreibung vornehmlich auf die Lage der Stadt und ihre Gebäude ein, führte aber zumindest an, dass die Stadt auch zivilisiert (cultus) und gut regiert sei.35 Selbst in der bereits genannten Weltchronik des Nürnbergers Hartmann Schedel bleiben die Gelehrten unerwähnt. Dies wiegt umso schwerer, da er an einer Hervorhebung seines Heimatortes grundsätzlich interessiert war, wie die doppelseitige Stadtvedute beweist. Doch statt der akademischen Bildung der Bürger sah 29
Vgl. Schmidt, Städtelob, hier S. 122. Kugler, Stadt und Land, hier S. 162. Als erster Text dieser Gattung von einem deutschen Autor für eine deutsche Stadt gilt die ,Ad laudem et commendationem civitatis Bamberge oratio‘ Albrecht von Eybs (1420 – 1475). Vgl. Albrecht von Eyb, Ad laudem. Weiterhin Kugler, Stadt und Land, S. 160. Zur mittelalterlichen Geschichte des Genos vgl. auch Classen, Die Stadt im Spiegel (zur grundsätzlichen Methodik S. 65 f.) und Schmidt, Mittelalterliches und humanistisches Städtelob. 31 Siehe ,Sag von Nürnberg‘, in: Keller, Fastnachtspiele, Bd. 3, S. 1168 – 1171. 32 Die Reichskleinodien wurden aufgrund der Hussitengefahr 1424 nach Nürnberg gebracht und jährlich bei den Heiltumsweisungen öffentlich präsentiert, vgl Schnelbögl, Die Reichskleinodien. 33 Vgl. dazu auch Hammer, Encomia of Cities, S. 6 f. 34 Siehe Has, Ein Lobgedicht auf Nürnberg. 35 Siehe Enea Silvio Piccolomini, Germania, S. 198 f. 30
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er vielmehr den Gründungsmythos der Stadt, den Fleiß und den Erfindergeist der Handwerker sowie die Reichstreue der Stadt als Zierden Nürnbergs an.36 Mit Johannes Rosenplüt (ca. 1400–ca. 1460)37 war es kein Humanist,38 der dem Wissen in einem Nürnberger Lobgedicht erstmals einen gewissen Raum zubilligte. Seine Motivation für diese Dichtung könnte die Hoffnung auf eine Vertragsverlängerung im Büchsenmeisteramt gewesen sein, da sich seine Amtszeit dem Ende entgegenneigte.39 In dem 1447 verfassten Lobspruch des auch Schnepperer genannten Nürnberger Büchsenmachers auf seine Heimat stellt die Bildung jedoch ebenfalls nur einen untergeordneten Aspekt dar. Bei der Beschreibung des pyramidenförmigen Schönen Brunnens auf dem Nürnberger Hauptmarkt erwähnt er zwar die oberen Etagen mit den Darstellungen der christlichen, jüdischen und heidnischen Helden sowie der Kurfürsten, die Personifizierungen der septem artes liberales an der Basis des Brunnen unterschlägt er jedoch an dieser Stelle.40 Dies überrascht insofern, als er nur wenige Zeilen später auf eben diese Künste eingeht, die allesamt in der Stadt vertreten seien: Sucht er in Frankreich zu Pariß j Und in der hochsten Schule zu Athenis j Und sucht in phisica Oriensis j Und sucht gramaticam Priscianis j Und sucht die weißheit Salomonis j Und sucht die loica Artistotiles j Und sucht geometriam des Euclides j Und sucht rethoricam des Tulis j Und practiciren Pitagorus j Und sucht Boecii musicam j Und sucht Ptolomei astronomiam: Die kunst vindt er in Nurmberg all […].41
Im Anschluss geht der Verfasser ebenso auf die handwerklichen und kaufmännischen Fähigkeiten der Bürger ein, dennoch ist die Hervorhebung des Bildungsaspektes in einem derart frühen Text von einem Autor aus dem Handwerkerstand bemerkenswert, selbst wenn die Passage so allgemein gehalten wurde, dass man sie ebenso auch auf andere Städte beziehen könnte.42 Dass sie nicht ausschließlich als Topos anzusehen ist, wird durch die Heranziehung des zweiten Städtelobs Rosenplüts, wel-
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Vgl. Schedel, Weltchronik, fol. 100v–101r. Zu Rosenplüt vgl. Reichel, Der Spruchdichter Hans Rosenplüt. 38 So Hammer, Encomia of Cities, S. 9. Laut Kugler waren alle deutschsprachigen Lobsprüche vom Humanismus unberührt, vgl. Kugler, Stadt und Land, S. 173. Kugler spricht dort von einer reinen Faktenreihung ohne Abstraktion. Da dies das erste deutschsprachige Enkomion war, wurde vermutet, dass der in der Reichsstadt tätige Gregor Heimburg ihn dazu motivierte, vgl. Hermann, Die Rezeption des Humanismus, S. 18. Vgl. dazu auch Reichel, Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 201. 39 Vgl. Reichel, Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 155. Dennoch geht Reichel nicht von einer Auftragsarbeit für den Rat oder eine zu sehr an dessen Interessen orientierte Arbeit aus, vgl. S. 201. 40 Siehe Hans Rosenplüt, ,Der Lobspruch von Nürnberg‘, in: Rosenplüt, Reimpaarsprüche und Lieder, S. 220 – 234, hier S. 224 f., Z. 122 – 147. 41 Ebd., S. 227 f., Z. 204 – 215. 42 Vgl. auch Eggebert/Wentzlaff-Eggebert, Deutsche Literatur, Bd. 1, S. 60. 37
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ches er 1459 auf die Stadt Bamberg dichtete,43 deutlich, in dem Bildung keinerlei Erwähnung fand.44 Der wohl bekannteste panegyrische Text dieser Zeit über Nürnberg stammt aus der Feder Conrad Celtis’ (1459 – 1508), der in vielfältigen Beziehungen zur Nürnberger Reichsstadt stand.45 Wer, wenn nicht der deutsche Erzhumanist, sollte Fragen der Bildung und des Wissens in den Fokus seines Lobes auf die Reichsstadt rücken? Zwar behandelt De origine, situ, moribus et institutis Norimbergae libellus (1495/ 1502) auch gebräuchliche Themen wie die Lage und die Bauwerke der Stadt, doch finden sich in der Tat vermehrt entsprechende Anmerkungen, die Bezug auf die Bildung der Bürger nehmen.46 So werden bereits in der Praefatio die zukünftigen Gelehrten als Leser des Werkes angesprochen.47 Im gleichen Kapitel sind es aber zunächst noch die Frömmigkeit der Bürger und der sich mit Weisheit um die Geschicke des Gemeinwesens sorgende Rat, die den Ruf der Stadt prägen.48 Im Laufe des Textes geht der Autor auf einzelne Gelehrte ein: den als Gutachter des Textes genannten Willibald Pirckheimer, einen untadeligen Mann, hochgebildet in Philosophie und in den beiden alten Sprachen Latein und Griechisch,49 den als Mäzen tätigen Sebaldus Schreyer (1446 – 1520)50 und den bekannten Astronomen Regiomontanus.51 Allgemein seien die Nürnberger Bürger aber nicht vom Zuzug fremder Gelehrter abhängig, da laut Celtis – der auf die Meinung der Gelehrten verweist52 – das Klima dazu führe, dass die „corpora validiora animique vigor coelestior ingeniaque elevatiora et perspicatoria et, quemadmodum alia ibi terrae superficies, ita illi a ceteris Germaniae 43
Siehe Hans Rosenplüt, ,Der Lobspruch auf Bamberg‘, in: Rosenplüt, Reimpaarsprüche und Lieder, S. 235 – 240. 44 Vermutlich handelt es sich bei diesem Werk aber um eine Auftragsarbeit für den Bamberger Bischof, weshalb vor allem die geistige Ebene betont wird, vgl. Reichel, Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 202. 45 Vgl. Bauch, Die Nürnberger Poetenschule, S. 6 – 8. Gedacht war das Gedicht als erster Teil einer Germania generalis, die allerdings nie in die Tat umgesetzt wurde. Eine erste Fassung von 1495 fand beim Kleinen Rat Nürnbergs, welchem sie gewidmet war, nur wenig Gegenliebe und wurde – wie Celtis bemängelte – zu gering entlohnt. Eine 1502 vollendete Zweitfassung fand dagegen die Zustimmung der Nürnberger Patrizier. 46 Siehe Celtis, De origine. 47 Siehe ebd., S. 101: „[…] scriberem et litterisque commendarem, ut, quemadmodum nome vestrum, quod iam fere totum orbem sua fama implevit per cunctasque terras, maria et emporia circumfertur, ita quoque in libris et bibliothecis a Latinis et eruditis hominibus legi et admirarique possit […]“; vgl. auch S. 111. 48 Siehe ebd., S. 104: „[…] moderandae rei publicae scientiae […].“ 49 Ebd., S. 203: „[…] et Villibaldo Pyrkhaimer patricio et senatorii ordinis viro integerrimo philosophiaeque et in utraque lingua Graeca et Rhomana eruditissimo […].“ 50 Siehe ebd., S. 168. Er nennt ihn einen „antiquitatis et litterarum amatorem ferventissimum“. 51 Dabei wird bereits in diesem Text Regiomontanus’ Motiv der zentralen Kommunikationsmöglichkeit von dieser Stadt aus zitiert, siehe ebd., S. 148. 52 Siehe ebd., S. 155.
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populismoribus, ingenio lingua et habitu discrepant“.53 Die Nürnberger Bürger besäßen gute Sprachkenntnisse, seien neugierig, charmant und clever.54 Auch die Frauen seien gebildet.55 Sogar den institutionellen Rahmen der Wissensvermittlung lässt der Humanist nicht unerwähnt. Er lobt die Bibliothek des Rates – nicht ohne gleichzeitig zu kritisieren, dass der Rat diese verstauben lasse, sie also nicht genügend benutze –, erwähnt die die Kinder in den Findelhäusern unterstützende Keyper-Stiftung,56 die Lateinschulen sowie die damals gerade gegründete Poetenschule.57 Auch die Konhofer-Stiftung, das damals umfangreichste Nürnberger Universitätsstipendium, gestiftet von einem ehemaligen Pfarrer von St. Lorenz, dem Doktor aller drei Fakultäten Conrad Konhofer (gest. 1452), wird gebührend erwähnt.58 Dennoch muss auch bei diesem Text insgesamt konstatiert werden, dass in der Norimberga zwar Gelehrte und Bildungsmöglichkeiten mehrfach thematisiert werden, sie jedoch keineswegs im Mittelpunkt stehen, selbst wenn die zukünftigen Gelehrten als fiktive Leser angesprochen werden. Die nächste Beschreibung der Stadt Nürnberg, die Brevis germaniae descriptio des Lehrers der Lorenzer Lateinschule, Johannes Cochlaeus (1479 – 1552), aus dem Jahr 1512 baute auf der Norimberga auf.59 Bei diesem Text handelt es sich jedoch nicht ausschließlich um die Beschreibung einer Stadt, sondern, wie der Titel nahelegt, eine des gesamten Heiligen Römischen Reiches. Die Vorstellung der fränkischen Reichsstadt nimmt den zentralen und den mit Abstand umfangreichsten Teil der Darstellung ein. Während sämtliche anderen Orte nur eine kurze Erwähnung finden, werden der fränkischen Reichsstadt mehrere Kapitel gewidmet. Dies erklärt sich nicht nur durch den damaligen Tätigkeitsort des gebürtigen Wendelsteiners, sondern auch durch den schulischen Verwendungszweck dieser Niederschrift. Er stellt Nürnbergs zentrale Stellung im Reich und in Europa dar und betont die Leistungsfähigkeit der Stadt, wobei er ebenfalls die geistigen Fähigkeiten der Bürger hervorhebt, die sich nicht nur auf einige wenige herausragende Persönlichkeiten konzentrierten, sondern in allen Schichten anzutreffen seien: Ingenii vigor. Virtute autem intellectuali ingeniique denique acrimonia urbs ista nulli cedit vel in omni civium statu. Homo profecto cunctis et nature et ingenii fortuneque dotibus cumulatus; quippe vir opulentes, corpore procerus, facundus lingua, ingenio subtilis, litterarum tam Latinarum quam Grecarum egregie gnarus, sed nec ullius facultatis – ita me deus bene amet, haud mentior – ignarus, tam dives librorum, ut similis bibliotheca utriusque lingue nusquam per Germaniam reperiri queat.60 53
Siehe ebd., S. 148. Siehe ebd., S. 152. 55 Siehe ebd., S. 157. 56 Siehe ebd., S. 172. 57 Siehe ebd., S. 180 f. 58 Siehe ebd., S. 177 f. 59 Siehe Cochlaeus, Brevis Germanie descriptio. 60 Siehe ebd., S. 88. 54
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Eine ähnliche Formulierung sollte auch Melanchthon anlässlich der Eröffnung des Nürnberger Gymnasiums 1526, an dem der Reformator selbst tatkräftig mitgewirkt hatte, verwenden.61 Das Lob für die einzelne, namentlich nicht genannte Person kann sich nur auf Willibald Pirckheimer beziehen. Diese Angaben zu Pirckheimer entbehren sicherlich nicht jeglicher Grundlage, dennoch ist zu bedenken, dass er vom Kleinen Rat der Stadt als Aufseher über die städtischen Schulen eingesetzt wurde und somit der Vorgesetzte von Cochlaeus war. Da Pirckheimer zudem allgemein Interesse an humanistischer Literatur hegte, war die Lektüre des neu verfassten Textes durch ihn vorhersehbar, was der Autor sicherlich bedacht haben dürfte. Möglicherweise verhalfen diese schmeichelnden Worte Cochlaeus wenige Jahre später zum Empfang des von Teilen des Nürnberger Rates verliehenen Konhofer-Stipendiums, das ihm die Fortsetzung seines Studiums in Italien erlaubte. Das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Pirckheimer und Cochlaeus drückt sich aber besonders darin aus, dass Pirckheimer den späteren Gegner Martin Luthers als Pädagogen für seine drei Neffen, um deren Erziehung er sich bemühte, auswählte und ihm diese für deren Studium in Italien anvertraute.62 Auch der berühmteste Meistersänger, Hans Sachs (1494 – 1576), verfasste einen panegyrischen Text auf seinen Heimatort.63 Das 1530 entstandene Lobgedicht fußte dabei auf zwei seiner älteren Meisterlieder aus dem Jahr 1527.64 Mit der Neuformulierung wollte sich Sachs von der seit dem 27. März 1527 auf ihm lastenden Zensur seitens des städtischen Rates befreien, welche ihm aufgrund antipapistischer Gedichte auferlegt worden war.65 Entsprechend lag eine besondere Würdigung des städtischen Regiments im Interesse des Autors.66 Es ist vor diesem Hintergrund von Interesse, ob und wie Bildung und Gelehrsamkeit als lobenswerte Aspekte präsentiert wurden. Der Meistersänger, dessen Kenntnis der vorhergehenden Lobgedichte von Celtis und Cochlaeus erkennbar ist, bleibt zunächst den bekannten Topoi treu, wenn er anfangs den baulichen Charakter der Stadt und den Festungsaspekt betont. Aber auch hier spielen die Eigenschaften der Bürger eine Rolle. Sachs zählt aller61
Siehe Melanchthon, Oratio in laudem novae scholae, hier S. 66: „Proinde necessario tempore vobis in mentem venit, exulantes suis sedibus litteras hospitio excipere, et tamquam domum deducere. Non pigeat adiecisse hoc decus reliquis ornamentis urbis vestrae, quae iam ante opibus, aedificiis, opificium ingeniis, ita floruit, ut conferri cum quavis laudatissimarum urbium apud veteres recte possit. Neque alia urbs in Germania doctiores hactenus cives habuit, qui quia ad gubernandam rempublicam scientiam optimarum artium adhibuerunt, effecerunt, ut reliquis Germaniae urbibus haec longae praestaret omnibus.“ 62 Vgl. die zahlreichen Belege in Pirckheimer, Briefwechsel, erstmals Bd. 2, S. 65, Nr. 188. 63 Siehe Sachs, Ein lobspruch der statt Nürnberg. Sachs hat auch zu neun anderen Städten Lobgedichte verfasst, vgl. Arnold, Städtelob, S. 249; Classen, Hans Sachs and his Encomia Songs, hier S. 583 – 593. 64 ,Der lieblich draum‘ und ,auffschlus des draums‘, vgl. Kugler, Die Stadt im Wald. Die beiden Meisterlieder sind abgedruckt auf S. 85 – 89. 65 Der protestantische Rat befürchtete wohl weitere Konflikte mit dem katholischen Kaiser Karl V. 66 Vgl. Classen, Entdeckung des städtischen Raumes, hier S. 85.
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dings die Gelehrsamkeit im Gegensatz zu Fleiß und Erfinderreichtum nicht zu deren hervorstechenden Merkmalen.67 Gemäß dem Vorbild der anderen Texte geht dieser Verfasser ebenfalls auf die gute Regierung der Stadt ein, wobei u. a. die Weisheit, mit der die Stadt geleitet werde, hervorgehoben wird. Doch auch diese ist nicht mit einer akademischen Bildung gleichzusetzen.68 An anderer Stelle behandelt er jedoch die Regierung Nürnbergs nochmals präziser in Form eines allegorischen Adlers, dem vier Frauen als Personifikationen für die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Treue zum Reich und die Weisheit an die Seite gestellt werden. Diese sind bereits in den ursprünglichen Gedichten von 1527 enthalten, allerdings wurde diese wie viele andere Passagen in der Fassung von 1530 weiter ausgeschmückt. Dadurch werden auch akademisch Gebildete dezidiert genannt, die in der ersten Fassung noch fehlten. In der zweiten Fassung werden die Konsulenten angesprochen, die dem Rat unterstützend zur Seite standen und hohes Ansehen genossen: Das erst frewlein in weissem kleidt j Bedeut der von Nürnberg weißheyt, j Wann in etwas zu handen gaht, j Wann teglichen sie halten rath j Mit leuten erfaren, gelert, j Die bey ihn sind gar hoch geert. j Fürsichtig zukünfftigs betrachten. j Fleissig sie auff all umbstend achten […].69
Zusammenfassend ist für die hier verfolgte Fragestellung das untersuchte Lobgedicht jedoch ein Rückschritt zu den vorherigen Texten, da die genannten Aspekte nicht nur wesentlich seltener angesprochen werden, sondern auch wieder eine reine Nebenbemerkung darstellen. Dennoch lässt sich zumindest daraus schließen, dass der Einfluss und die Bedeutung der Gelehrten durchaus bereits erkannt wurden. Helius Eobanus Hessus, der das folgende Lobgedicht auf die Stadt an der Pegnitz dichtete, hoffte wie bereits einige seiner Vorgänger die Sympathien des Rates zu gewinnen.70 Der Lehrer am neu gegründeten Gymnasium widmet sich im 1532 verfassten Text, obwohl dieser stark humanistisch geprägt ist und einen Höhepunkt dieses Genres darstellt,71 ausschließlich topographischen Themen. Allerdings geht er im Vorwort und insbesondere im Schlussteil auf seine Schule ein. Es gilt zu bedenken, dass diese Schule – wie bereits die humanistische Poetenschule – wenig Anklang bei der Bevölkerung fand, weshalb der Lehrer vielleicht um die Sicherheit seines Einkommens fürchtete, zumal er selbst finanzielle Probleme hatte.72 Hessus beklagt erst den allgemeinen Verfall der Wissenschaften, um daraufhin ausdrücklich das Engagement des Nürnberger Rates zu loben, der für den Unterhalt der Schule immerhin 67 Siehe Sachs, Ein lobspruch der statt Nürnberg, S. 193, Z. 35 – 39: „Auch seind da gar sinreich werckleut j Mit trucken, malen und bild-hawen, j Mit schmeltzen, giessen, zimmern, pawen, j Der-gleich man find in keynen reichen, j Die ihr arbeyt thun geleichen.“ 68 Vgl. dazu auch Classen, Entdeckung des städtischen Raumes, S. 84 – 88. 69 Siehe Sachs, Ein lobspruch der statt Nürnberg, S. 195 f. 70 Siehe Hessus, Urbs Noriberga. 71 Vgl. Hammer, Encomia of Cities, S. 44 f. 72 Für das Gedicht wurde er vom Rat mit einem Schuldenerlass von 40 fl. bedacht, vgl. Gebhardt, Erasmus Laetus und das Nürnberger Städtelob, S. 56.
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1.000 fl. im Jahr zur Verfügung stellte und außerdem die Schüler finanziell unterstützte. Der Versuch, sich dadurch seine Anstellung zu sichern, war allerdings vergebens, denn wenige Monate später wurde er in der Tat entlassen. Lässt sich in den bisherigen panegyrischen Texten tendenziell eine zunehmende Wertschätzung gelehrten Wissens feststellen, so ist der Höhepunkt in dem 1572 verfassten Gedicht De Republica Noribergensium des Erasmus Laetus (1526 – 1582) erkennbar.73 In diesem Städtelob wird Nürnberg nun als Stadt der Minerva stilisiert, der sogar Kunst und Handel in Person von Apoll und Merkur untergeordnet sind. Die Verhältnisse, wie sie in den früheren Texten erscheinen, in denen Bildung gänzlich unerwähnt blieb oder einen Randaspekt darstellte, sind damit nun umgekehrt. Die Stadt genieße in ihrem wissenschaftlichen Ruhme europaweites Ansehen. Als Erfolgsgarant wird erneut das Nürnberger Patriziat stilisiert, da es die Wissenschaften derart gefördert habe. Auch wenn der dänische Autor für eine derartige Behauptung sicherlich Anhaltspunkte gehabt hat, so sind diese Erkenntnisse doch kein Ergebnis eigener Anschauungen, da er – wie er selbst berichtet – die Reichsstadt nie besucht habe und daher auf Berichte aus Wittenberg und von reisenden Dänen angewiesen sei.74 Man tut dem Bericht daher sicherlich nicht Unrecht, wenn man das Lob auf die Bildung als einen Topos bezeichnet, doch ist hervorzuheben, dass nun die Bildung als das höchste Gut der Handels- und Kunststadt Nürnberg bezeichnet wird. Da der Autor, der die Schrift dem Nürnberger Rat übersandte, sich hierfür höchstwahrscheinlich eine Belohnung erhoffte, ging zumindest er davon aus, das Wohlwollen des Rates zu erlangen, indem er ihn zum Förderer der Wissenschaften stilisierte. III. Genealogische Quellen Im Gegensatz zu den panegyrischen Texten ist man bei den genealogischen Quellen nahezu ausschließlich auf Schriften aus den patrizischen Kreisen angewiesen, auf welchen im Folgenden der Fokus liegen wird.75 Daher soll zuerst der Frage nachgegangen werden, wie Nürnbergs führende Schicht zum Universitätsstudium stand. Bekannt ist, dass den Doktoren die Wahl in den Kleinen Rat der Stadt Nürnberg verwehrt war, selbst wenn sie patrizischer Herkunft waren.76 Dies ist jedoch nicht als Ausdruck einer allgemeinen Bildungsferne oder gar -feindlichkeit zu interpretieren. Eine Erklärung für diese Bestimmung wurde zwar nie schriftlich fixiert, doch ist die 73
Vgl. zu diesem ebd. Seit Gründung der Universität Wittenberg 1502 gehörte Wittenberg zu den bevorzugten Studienorten für Nürnberger Bürger, zahlreiche Professoren standen mit der fränkischen Reichsstadt in Verbindung. Im Rahmen der Reformation intensivierten sich die Beziehungen und sorgfältig gepflegte Netzwerke zwischen dem Umkreis Martin Luthers und Nürnberg bildeten sich aus. Vgl. dazu Schlauwitz, Wissenskulturen. 75 Daneben liegen vereinzelt auch genealogische Texte aus anderen Bevölkerungsschichten vor, so vom Ratsschreiber Lazarus Spengler (1479 – 1534) (Spengler, Familienbüchlein) und Albrecht Dürer (Dürer, Familienchronik). 76 Siehe die Edition in Scheurl, Näher am Original? 74
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Regelung paradoxerweise im Sinne des sozialen Ansehens der Doktoren zu deuten. Die Exklusion scheint im sozialen Status der Promovierten begründet gewesen zu sein, die für sich einen adelsgleichen Rang beanspruchten.77 Einen derartigen Status forderten zwar auch die Patrizier, er wurde aber vom Landadel nicht immer anerkannt.78 Durch diesen Beschluss wollten die Ratsherren offensichtlich daraus resultierende Ungleichgewichte zwischen den Ratsherren vermeiden. Gegen die an einer Universität erworbenen Kenntnisse hatte der Kleine Rat hingegen keine Einwände. Dies wird nicht nur anhand der bereits genannten großen Zahl an Gelehrten offensichtlich, welche die städtische Regierung berieten. Vielmehr war auch der Kleine Rat teilweise mit Universitätsbesuchern besetzt, zum Zeitpunkt der Reformation hatte nahezu jeder dritte Bürgermeister eine Hohe Schule besucht. Unter diesen befand sich mit Willibald Pirckheimer auch eine Person, welche die Rechte jahrelang studiert hatte und nur auf die abschließende Promotion verzichtete, da ihm sein Vater, Dr. Johannes Pirckheimer (1440 – 1501), dringend davon abriet, um die Aufnahme in den Rat nicht zu verwirken.79 Es waren also die mit der Promotion verbundenen Privilegien und das gesteigerte soziale Ansehen, nicht die Bildung an sich, welche den Gelehrten die Kooptation in den Rat verwehrten. Die allgemeine Offenheit des Patriziats gegenüber dem Studium bestätigt sich, wenn man den Blick nicht nur auf die jeweiligen Ratsherren richtet, sondern auf alle Familienmitglieder erweitert. So lassen sich vor 1525 insgesamt 105 Patrizier an den Hohen Schulen Europas nachweisen, womit sie 4,9 Prozent der Nürnberger Frequenz ausmachten. Im Vergleich zu ihrem Anteil an der Nürnberger Gesamtbevölkerung, etwa 1 – 2 Prozent, war die Schicht der Patrizier demnach überrepräsentiert.80 Dabei lassen sich innerhalb des Patriziats markante Unterschiede erkennen. Während einige Familien stark an den „neuen“ Bildungsmöglichkeiten partizipierten, nahmen andere Abstand von einem Universitätsbesuch. Lässt sich daraus eine je nach Familie unterschiedliche Wertschätzung des Universitätsbesuches schließen? Aufschlüsse hierüber versprechen besonders die genealogischen Aufzeichnungen, welche die adelsgleiche Stellung hervorheben sollten. Dementsprechend hatten besonders die späteren Ausgaben keinen rein innerfamiliären Charakter, sondern waren von vornherein für einen größeren Leserkreis bestimmt. Es finden sich mehrere Belege, dass diese Aufzeichnungen untereinander ausgeliehen und abgeschrieben wurden. Ferner verfolgten die Werke wohl den Zweck, das Zusammengehörigkeitsge77
Vgl. Boehm, Libertas Scholastica; Baumgärtner, Über den Gelehrtenstand. Vgl. Fleischmann, Rat und Patriziat, Bd. 1, S. 254 – 258; Meyer, Die Stadt als Thema, S. 169 – 178. 79 Siehe Pirckheimer, Vita, S. 142: „Ceterum cum pater illi aulae incommoda nec non immens labores, quos ipse aliquando exantlaureat, ad memoriam reduceret et ob oculos poneret, a proposito eum auertit, praecipue cum ob patris opulentiam nulla premeretur inopia hereditatem quem exspectaret amplam.“ 80 Hinzu treten 192 Nürnberger Studenten, die aufgrund des in den Matrikeln genannten Familiennamens eventuell den führenden Geschlechtern der Reichsstadt zugeordnet werden können, ohne dass dies im Einzelfall nachgewiesen werden kann. Bei der Mehrzahl scheint es sich jedoch eher nicht um Patrizier gehandelt zu haben. 78
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fühl innerhalb der Familie bzw. des Patriziats insgesamt zu fördern. Ebenfalls darf nicht übersehen werden, dass diese Texte wohl rein pragmatische Bedürfnisse erfüllten und die Verwandtschaftsverhältnisse dokumentierten, was beispielsweise bei Erbschaftsfragen von großer Bedeutung war.81 Es ist aber gerade der repräsentative Charakter, der nach der Darstellung der Universitätsbesucher in diesem Dokumenten fragen lässt. Hat man Universitätsbesucher gesondert hervorgehoben? War man stolz darauf, Gelehrte in der eigenen Familie zu haben?82 Häufig sind genealogische Aufzeichnungen mit anderen Quellengattungen vermischt. Es finden sich teils chronikalische Nachrichten, Geschäftsaufzeichnungen und Urkunden inseriert. Am deutlichsten tritt dies beim ältesten derartigen Text Nürnbergs zu Tage, in Ulman Stromers (1329 – 1407) Püchel von meinen geslecht.83 Der Autor, der als Gründer der ersten deutschen Papiermühle im Jahr 1390 Bekanntheit erlangt hatte, fügte am Ende ein umfangreiches Verzeichnis verstorbener Mitglieder verschiedener Familien ein, ohne dass allerdings in diesem Fall die genealogischen Bindungen untereinander erwähnt würden. Unter diesen Familienmitgliedern finden sich zwar vereinzelt Meister oder Lehrer; da zu diesen Personen ansonsten aber keine Informationen vorliegen, kann nicht geklärt werden, ob es sich dabei um ehemalige Universitätsbesucher handelte. Hervorzuheben ist jedoch, dass unter all diesen Familien ausschließlich eine einzige Berufsgruppe akzentuiert wird: die Ärzte.84 Auch zu deren Lebenslauf liegen keine näheren Angaben vor, die explizite Aufnahme spiegelt jedoch die allgemeine Tendenz wider, dass Mediziner meist die einzigen Gelehrten waren, die bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts Eingang in erzählende Quellen fanden. Mediziner konnten einerseits deutlich mit einem Beruf in Verbindung gebracht werden, andererseits stand die allgemeine Bevölkerung nolens volens häufiger mit diesen als mit Juristen oder Theologen in Kontakt. Zudem verfügten sie als Helfer bei Krankheit und Leid grundsätzlich sicherlich über ein besseres Bild in der Öffentlichkeit als die bereits damals als Rechtsverdreher gescholtenen Juristen.85 Dies lässt sich auch am folgenden Text des Ratsherren Erasmus Schürstab (1426 – 1473) exemplifizieren, der zwischen 1464 und 1467 die Verwandtschaftsverhältnisse seiner Familie aufzeichnete; Fortsetzungen seines Sohnes reichen bis 1507.86 Dieser Text könnte als ein rein verbalisierter Stammbaum bezeichnet werden, da vornehmlich die Eheverbindungen und die daraus hervorgehenden Kinder beschrieben wurden. Ergänzende Angaben zu den einzelnen Personen wie zum Beispiel Berufe sind 81
Vgl. dazu Studt, Erinnerung und Identität, hier bes. S. 5 – 9. Wie bei den panegyrischen Texten hat sich auch hier eine derart große Zahl an Dokumenten in Nürnberg erhalten, sodass hier nur einige exemplarisch untersucht werden. Vgl. Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher. 83 Siehe Stromer, Püchel. 84 Siehe ebd., S. 96. 85 Vgl. Gilly, Das Sprichwort. 86 Siehe Schürstab, Geschlechtsbuch. 82
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äußerst selten, umso mehr Bedeutung ist diesen daher zuzuweisen. So wird Dr. Johannes Lochner (gest. 1491) im Text stets als „meister Hans Locher, der Arzt“ bezeichnet.87 Etwas anders wird hingegen bei dessen gleichnamigem Sohn, der das Studium der Rechte absolvierte, verfahren. Er wird zwar mit dem Doktorgrad angesprochen, die Fachrichtung ist jedoch nicht genannt.88 Bei zwei Personen wird explizit der Universitätsbesuch erwähnt. So erfahren wir, dass der Dominikaner Sebald Schürstab (1425 – 1445) in Wien studierte.89 Da ein Eintrag zu ihm in den Matrikeln der dortigen Universität nicht enthalten ist, wissen wir nur aus dieser Quelle von dem Studium.90 Vermutlich besuchte er ein ordensinternes studium generale,91 welches sich ebenfalls in Wien befand und eine Eintragung in die Matrikel unnötig machte, sofern er nicht eine Graduierung anstrebte. Auch das Studium eines Heinrich Hirschvogel (gest. 1467) in Wien wird benannt.92 Eine besondere Betonung des Studiums scheint in beiden Fällen aber nicht intendiert gewesen zu sein. Vielmehr wurde deren Universitätsbesuch anscheinend nur erwähnt, um das jeweilige Verscheiden in der Donaustadt zu erklären. Anders gestaltete es sich jedoch beim Sohn des Autors, Erhard Schürstab (1464 – 1508). Bei diesem wird die Zugehörigkeit zu den Karmeliten ebenso erwähnt wie seine Promotion zum Doktor der Heiligen Schrift.93 Allerdings brachte dies nicht der auf den guten Studienverlauf des Sohnes stolze Vater zu Papier. Dieser war nämlich bereits 1473 verstorben und hatte nur den Eintrag zur Geburt des Kindes verfasst, während dessen Promotion nach dem Jahr 1492 erfolgte. Es war stattdessen der Bruder des Karmeliten, Sebald (1452 – 1505), der das Geschlechtsbuch weiterführte und den Studienabschluss für erwähnenswert hielt. Die genannten Hervorhebungen der Studenten betreffen jedoch – sieht man von den beiden verstorbenen Familienmitgliedern ab – nur die Doktoren. Bei zwei Universitätsbesuchern, die in die Familie einheirateten, bleibt das Studium unerwähnt.94 Ein anderer Verwandter des Geschlechts der Schürstab bleibt gänzlich ungenannt,95 während seine Eltern und Geschwister in den Aufzeichnungen erhalten sind. Ob dies aus Un87
Siehe ebd., S. 72, 74. Siehe ebd., S. 74. 89 Siehe ebd., S. 49: „Her Sebolt Schurstab wart geporn 1425, der kom hy in das kloster czun predigern und do er ewangelier wart, do starb er 1445 jar zu wien, do studiret er und er ligt czu Wien in der prediger kloster.“ 90 Vgl. Gall, Die Matrikel. 91 Vgl. Frank, Hausstudium und Universitätsstudium. 92 Siehe Schürstab, Geschlechtsbuch, S. 52: „Heincz Hirssfogel wart geporen 1448 jar und starb zu Win im stuttyumb im 67.“ 93 Vgl. ebd., S. 51: „Erhart Schurstab wart geporn 1464 jar an unser frawen abent zu lichtmess, wurdt ein münch unsser liben frauen brüder ordenns, wartt doctor der heilling scrifft.“ 94 Es handelt sich um Sebaldus Rummel (gest. 1483) und Franziskus Pirckheimer (1414 – 1462), von denen aber nur letzterer als einzigen Titel das Bakkalaureat an der artistischen Fakultät erlangt hatte. Siehe ebd., S. 49 und 51 bzw. S. 54, 59 und 63. 95 Bernhardin Volckamer (1453 – 1515), der in Padua die Rechte studierte. Seine Familie wird ebd., S. 49 und 51 aufgeführt. 88
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kenntnis erfolgte oder eine bewusste Tilgung aus dem Kreis der Familie war, kann nur spekuliert werden.96 Von Interesse ist sicherlich auch der Bericht von Christoph II. Scheurl (1481 – 1542) über seine Vermählung.97 Einer zu diesem Zeitpunkt noch nicht ratsfähigen Familie entstammend, zählte der Autor bereits zur Oberschicht. So stammte seine Mutter aus dem Geschlecht der Tucher, einer der bedeutendsten Patrizierfamilien der Stadt. Der in Bologna promovierte Jurist lehrte eine Zeit in Wittenberg, wirkte aber dann vor allem in seiner Heimatstadt Nürnberg, wo er nicht zuletzt das Genos der Geschlechtsbücher weiter entwickelte. Gleich für mehrere Familien verfasste er derartige Aufzeichnungen. Neu war nun, dass den einzelnen Personen kleine Biographien beigegeben wurden. Auch wurde die Ausstattung durch die Verwendung einer Zierschrift und farbiger Miniaturen wesentlich prachtvoller und repräsentativer. In sein erstes Werk für die Familien Pfinzing und Löffelholz integrierte er den Bericht seiner eigenen Vermählung mit Katharina Fütterer (gest. 1543), obwohl keine direkte Verwandtschaft mit den Stifterfamilien bestand. Dies kann als Versuch der persönlichen Verankerung im Patriziat gewertet werden, da die Anwesenheit des gesamten Kleinen Rates beim Kirchgang erwähnt wird. Wenn jedoch betont wird, wie viele Doktoren am Kirchgang teilnahmen, ist dieser Text zusätzlich Ausdruck gelehrten Selbstbewusstseins. Daher muss er einer näheren Betrachtung unterzogen werden, auch wenn er nur ein unüblicher Bestandteil eines Geschlechtsbuches war. Der Autor hatte bereits an anderer Stelle ein stolzes Gruppenbewusstsein der Doktoren zum Ausdruck gebracht. In einem Brief an Johannes von Staupitz (1465 – 1524) aus dem Jahr 1516 erklärt er diesem die Nürnberger politische Ordnung, ein heute zentrales Dokument für das Verständnis der ansonsten nicht schriftlich fixierten politischen Verhältnisse.98 Darin weist er den Doktoren den Rang gleich nach den Älteren Herren zu – einem aus nur sieben Personen bestehenden Gremium innerhalb des Nürnberger Rates – und damit vor den restlichen 27 patrizischen Mitgliedern des Rates. Eine derartige Einordnung erklärt zudem den Ausschluss der Doktoren aus dem Rat. Im Bericht über seine Hochzeit lässt sich aber eine andere Rangordnung erkennen. Den Anfang der Kirchgangsprozession bilden neun hauptsächlich auswärtige Gäste, worunter sich fünf Doktoren befinden. Es folgen der Hierarchie des Rates entsprechend die Älteren Herren, die restlichen Älteren Bürgermeister, die Jüngeren Bürgermeister, und ,erst‘ dann die Doktoren, zunächst die Juristen der Stadt, acht an der Zahl, vor den vier Stadtphysici.99 Diese sind damit aber immer noch vor den acht Alten Genannten eingereiht, die als Patrizier ebenfalls im Kleinen Rat saßen, darunter Willibald Pirckheimer. Neben der sozialen Eingliederung der Gelehrten ist bei Scheurl auch interessant, dass der Autor die Doktoren überhaupt dezidiert als eigene Gruppe oder Stand ansieht, wofür sich ansonsten in Nürnberg wenige Belege finden. 96 Daneben finden sich in den Matrikeln der Universitäten zwei weitere Studenten mit dem Familiennamen Schürstab, die keinen Eintrag im Familienbuch haben. 97 Siehe Scheurl, Hochzeit. 98 Siehe Scheurl, Näher am Original? 99 Scheurl, Hochzeit, S. 159 f.
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Vom selben Verfasser stammen die genealogischen Aufzeichnungen der Familie Tucher, der Scheurl, wie erwähnt, mütterlicherseits angehörte. Diese fanden in dem großen Tucherbuch, welches 1590 in Auftrag gegeben und 1606 abgeschlossen wurde, einen repräsentativen Rahmen.100 Diese Prunkschrift stellt in seiner Ausstattung den Höhepunkt der Nürnberger Geschlechterbücher dar.101 Die abschließende Betrachtung der Familie Tucher hängt jedoch nicht nur mit dieser Prachthandschrift zusammen, sondern auch mit deren Studienverhalten. Vor 1525 studierten elf Familienmitglieder an den Universitäten Europas, wodurch sie zu den fleißigsten Universitätsbesuchern des Nürnberger Patriziats gehörten. Zwei Doktoren aus ihren Reihen, Lorenz (1447 – 1503) und Sixtus (1459 – 1507), hatten zudem nacheinander die Propstei der Kirche St. Lorenz inne. Kann folglich in diesem Familienbuch, welches zudem von einem hochgelehrten Mitglied dieser Familie verfasst wurde, eine besondere Hochachtung des Studiums erkannt werden? Die meisten männlichen Familienmitglieder erhielten eine bildliche Darstellung, verbunden mit einer kurzen Biographie. Zu Berthold IV. Tucher (1424 – 1494) ist beispielsweise vermerkt: […] und von dannen schickt in sein Anherr Conradt Baumgartner gen Wien gen Cöln und alß hie 1446 Starb widerumb gen Wien auff die hohen Schuel da er ettlich Jar Studiert und derhalben gelehrten leuten holt war auch seine Söhne zum Studirn hielt wie dann die gelehrten Vatter Zuthun pflegen.102
Scheurl erkannte bereits richtig, dass die Nachkommen von Universitätsbesuchern tendenziell häufiger eine Hohe Schule aufsuchten. Auf Berthold Tucher und seine Familie trifft dies im besonderen Maße zu. Nur zwei der zehn genannten Tucher mit Universitätsbildung stammten nicht von ihm ab, interessanterweise waren dies mit den beiden Pröpsten auch die bekanntesten Vertreter. Neben Berthold selbst lassen sich fünf seiner acht Söhne sowie zwei Enkel und ein Urenkel an den Universitäten nachweisen. Die Enkel und Urenkel gehörten dabei den Familien der Söhne an, die selbst nicht studiert hatten, da die akademisch gebildeten Söhne meist eine geistliche Laufbahn einschlugen. Erwähnenswert ist zudem, dass die beiden ältesten Söhne nicht an Hohe Schulen geschickt wurden, was vermutlich einer gezielten Planung der Familie entsprach. Der älteste Sohn Andreas wurde später entsprechend in den Kleinen Rat aufgenommen, dem Berthold selbst nicht angehört hatte. Berthold schickte zudem alle seine Söhne zumeist einzeln an die Heidelberger Universität, die im Allgemeinen aber nicht zu den bevorzugten Studienorten der Nürnberger gehörte. Diese Konzentration der Universitätsbesucher innerhalb eines Geschlechts auf eine Kleinfamilie lässt sich auch für andere patrizische Stammlinien konstatieren. Der
100
Siehe Diefenbacher/Beyerstedt, Das Große Tucherbuch. Das Werk wurde nicht fertiggestellt, kostete aber dennoch 2.200 fl. Der finanzielle Aufwand verdeutlicht, welche Bedeutung man mittlerweile den Geschlechtsbüchern beimaß, und unterstreicht deren repräsentativen Charakter nach außen. 102 Siehe Diefenbacher/Beyerstedt, Das Große Tucherbuch, fol. 68v. 101
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Blick in die genealogischen Quellen offenbart neben den hier betrachteten kulturhistorischen Fragestellungen somit natürlich ebenso sozialhistorische Erkenntnisse. Doch wurde nun bei allen Universitätsbesuchern das Studium verzeichnet? Falls ja, wie wurde dieses beschrieben? Bei Berthold wurde bereits gezeigt, dass sein Studium explizit Erwähnung fand, obwohl er keine akademischen Grade erworben hatte. Bei den anderen Familienmitgliedern, die einen Universitätsbesuch aufzuweisen hatten, wird das Studium ebenfalls stets erwähnt, und Scheurl ist über dessen Verlauf weitgehend richtig informiert. Das Studium war folglich ein fester Bestandteil der Personenbeschreibung geworden und erfuhr dadurch eine gewisse Hervorhebung, da beispielsweise Schulbesuch, kaufmännische Lehre oder höfischer Dienst bei den anderen Personen nicht verzeichnet wurden. Wie gut Scheurl informiert war, soll am Beispiel Sixt Tuchers demonstriert werden: […] 1459 und mitt seinem Vettern Hainrichen Tucher, Bertholden Tuchers und Anna Mendlin Sohn gen Haidelberg geschickt, da er anfieng im Rechten zustudirn. 1473 dahin Ihme sein Vatter das Corpus Iuris Canonici und Consuetudines Feudorum schicket, so alles zu Venedig sambt der Rubrica binden und füerlohn in Sechs und dreissig gulden uncosten gestunde. Permutiert sein Canonicat zu Aschaffenburg auff bewilligung Bischoffen Dietrichen mit seinem Vettern Jeronimus Tuchern, umb Sanct Nicolaus prebent im Schloß. 1479 von haidelberg ward er in Italiam gen Padua und volgents [Von einem kurzzeitigen Studium in Pavia hat Scheurl wohl nicht gewusst, Anm. des Autors] gen Bononiam geschickt, der er vil Jar um baiden Rechten und Oratoria ganntz embsigs vleis studiret, dartzu er uberauß grosse begiert und lust hette, und letzlich in baiden Rechten Doctoriret ward. Ordinarius zu Ingelstatt den Achtzehnden May 1487 laß offentlich neben Doctor Gabriel Paumbgartner, ward an Sanct Georgen Tag Anno 1488 der Universitet Rector erwohlet bis auff Galli und von dannen wider. Alt herkommen und gebrauch auff gehais hertzog Albrechten noch ein halb Jar continuiert hielt zway Raisige Pferdt und einen dapffern Standt erlanget allenthalben grossen Rhuemb Ehr und Lob. Darum in ein Erbar Rath alhie zu Irer Brobstey Sanct Lorentzen Pfarkirchen berüffet darauf er Priester ward […].103
Die Darstellung seiner Person war an dieser Stelle noch keineswegs abgeschlossen, doch mag dieser Auszug genügen, um aufzuzeigen, welche Entwicklung die Geschlechtsbücher innerhalb eines Jahrhunderts von den Aufzeichnungen Erasmus Schürstabs bis hin zu diesem Großen Tucherbuch genommen hatte. Es wird aber auch deutlich, wie umfassend die Kenntnisse Scheurls über den Propst waren, was auf frühere Aufzeichnungen schließen lässt. Allerdings lagen wohl nicht zu allen Personen derart umfassende Aufzeichnungen vor. Zu Lorenz Tucher kann er lediglich in einem kürzeren Lebenslauf vermelden, dass dieser in Italien studiert habe, sein vorheriges Studium in Leipzig und Basel waren ihm vermutlich unbekannt, ansonsten hätte er es hier, vergleicht man dies mit den anderen Kurzbiographien, aufgeführt. Wurden im Text die Universitätsbesuche genannt, so lässt die Kleidung in den Miniaturen hingegen nicht auf das Studium oder die Promotion schließen. Die Personen werden als Geistliche, als Ritter oder in patrizischer Kleidung dargestellt. Auch die Doktoren werden optisch nicht hervorgehoben, allerdings wird ausschließlich bei 103
Siehe ebd., fol. 56r–57v.
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ihnen in der Titulatur auf deren akademischen Grad hingewiesen. Einzige Ausnahme stellt Sebaldus Tucher (1461 – 1483) dar,104 der in der Überschrift den Zusatz studiosus erhielt, was vermutlich damit zusammenhängt, dass er kurz vor seiner Doktorpromotion in Paris verstarb. IV. Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im gleichen Maße, wie der Repräsentationscharakter der Geschlechterbücher zunahm, auch das Studium der Mitglieder betont wurde. Es waren aber nahezu ausschließlich Doktoren, die eine Hervorhebung erfuhren, was sich auch in anderen Quellen wie beispielsweise den Nürnberger Ratsbüchern spiegelt. Erst am Ende der hier untersuchten Entwicklung wurden auch Bildungswege genannt, die nicht mit dem höchsten akademischen Titel abgeschlossen wurden. Die vereinzelten Erwähnungen in Erasmus Schürstabs Aufzeichnungen hatten eine andere Intention. Doch zumindest für die Doktoren lässt sich erkennen, dass sie selbst oder ihre Verwandten und Nachkommen bewusst auf ihre Graduierung verwiesen und diesem Hinweis den Vorrang vor vielen anderen biographischen Informationen gaben. Ein Blick in genealogische Quellen ist für die hier untersuchten Fragestellungen gewinnbringend. Es ist vielleicht nicht nur eine Folge der chronologischen Entwicklung, dass die markanteste Betonung des Studiums in einem Geschlechterbuch der Familie Tucher erfolgte, die grundsätzlich am häufigsten von der Möglichkeit des Universitätsbesuches Gebrauch machte. Doch scheint selbst bei den Doktoren – wenn man den Blick auf die Miniaturen im Tucherbuch wirft – die Zugehörigkeit zu anderen sozialen Gruppen (Klerus, Patriziat, Ritter) bindender gewesen zu sein als zur Alma Mater. So ist kein Gelehrter in seiner akademischen Tracht dargestellt. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei den panegyrischen Texten festhalten. Der Blick auf die Lobgedichte und Stadtbeschreibungen hat nicht nur gezeigt, dass der Bildungsstand der Bevölkerung allgemein oder einzelner Personen zunehmend ein Sujet des Städtelobes für Nürnberg wurde, sondern dass es am Ende sogar zum bedeutendsten Element aufstieg. Eine Reflexion, dass die Zahl der Gelehrten in diesem Zeitraum kontinuierlich zunahm und diese zudem wichtige Positionen in der Gesellschaft einnahmen, fand in dieser Quellengattung jedoch nicht statt. Teilweise waren die Aussagen, so bei Rosenplüt und bei Laetus, derart allgemein, dass sie unverändert in Gedichte für andere Städte eingefügt werden könnten. In den Texten von Celtis, Cochlaeus, Hessus und mit Abstrichen bei Sachs finden sich hingegen Passagen, die detailliert den Nürnberger Verhältnissen entspringen. Wie bei der Wahrnehmung der Stadt lassen sich auch bei der Thematisierung gelehrter Bildung Unterschiede zwischen diesen Gedichten feststellen.105 Auch wenn die Bildung sowohl in volkssprachigen Texten als auch in lateinisch-humanistischen laudes urbium thematisiert wurde, nimmt sie doch in den letzteren einen größeren 104 105
Siehe ebd., fol. 66v. Vgl. Kugler, Vorstellung der Stadt, S. 210 – 219.
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Stellenwert ein: Die Beschreibung ist hier detaillierter, wodurch die Textebene näher an der Stadtwirklichkeit ist. In den deutschsprachigen Texten liegen hingegen noch eher allgemeine, stärker topische Beschreibungen vor. Ein allgemeine, soziokulturelle Differenzierung der Autoren lässt sich hingegen nicht erkennen – bei den Handwerkern Rosenplüt und Sachs wird die Gelehrsamkeit thematisiert, während sie bei den Humanisten Piccolomini und Schedel bestenfalls eine marginale Erwähnung findet. Wirkmächtiger als diese sprachliche und soziokulturelle Differenzierung scheint jedoch die zeitliche Entwicklung gewesen zu sein, welche die Autoren aus allen Bevölkerungsschichten erfasste. Waren Wissen und Bildung in den Texten Piccolominis, Has’ und Schedels noch keine Erwähnung wert, sind diese seit Celtis ein zentrales Element. Mit dem deutschen Erzhumanisten und Cochlaeus waren es zudem zwei aus der Fremde stammende, aber mit den Nürnberger Verhältnissen wohl vertraute Gelehrte, welche die präzisesten Darstellungen verfassten.106 Reizvoll ist der Blick auf diese Quellengattung nicht zuletzt, da keiner von den behandelten Verfassern dem regierenden Nürnberger Patriziat angehörte, das ansonsten für einen Großteil des überlieferten Schriftgutes verantwortlich zeichnet. Stattdessen treten uns hier Gelehrte und Handwerker als Autoren entgegen. Doch muss bei diesen Texten ebenfalls bedacht werden, dass zumindest einige in engem Kontakt oder sogar in Abhängigkeit zum Rat standen. Inwiefern die gemachten Beobachtungen ein Nürnberger Spezifikum waren, müssen zukünftige Vergleichsstudien zu anderen Städten erbringen. Jedoch liegt nur zu wenigen anderen Orten eine vergleichbare Anzahl an laudes urbium vor, so dass die vorliegende Untersuchung anhand der fränkischen Reichsstadt als Grundlage zukünftiger Arbeiten dienen kann. Insgesamt können die beiden Quellengattungen die Frage nach den Motiven für ein Universitätsstudium nicht erschöpfend beantworten, tragen aber einen ergänzenden Blick zu dieser Fragestellung bei. Quellen und Literatur Quellen Ungedruckte Quellen Stadtarchiv Nürnberg, E 29.
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Vgl. zu diesem Aspekt ebd., S. 218 f.
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Auf dem Weg in die res publica litteraria. Johannes Fuchsmagen (um 1450 – 1510) und die Gelehrtenkultur am Habsburgerhof im Zeitalter Friedrichs III. und Maximilians I. Von Jörg Schwarz Das Wissen hat die Tendenz, sich zu zeigen. Geheimgehalten, muss es sich rächen. Elias Canetti, Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942 – 1972 (1973).
Sucht man in der Geschichte des kaiserlichen Hofes im Mittelalter nach einem Punkt, an dem sich das, was derzeit gängigen Vorstellungen gemäß unter einer Gelehrtenkultur verstanden wird, auf eine wahrnehmbare Weise zeigt, so wird man ohne lange zu zögern vor allem auf die Zeit Maximilians (1459 – 1519) aus dem Hause Habsburg um 1500 verweisen.1 Alles was – wiederum derzeit gängigen Anschauungen gemäß – eine solche ,Gelehrtenkultur‘ auszumachen scheint, lässt sich bei einer ganzen Reihe von Angehörigen des Hofes dieses Herrschers vorfinden: der ganze Fundus von Verhaltensweisen, Selbstdarstellungen und Stilisierungen, dazu die spezifischen Sichtweisen auf die Außenwelt, die eigene Positionierung in der Welt, ferner vielfältige Rituale und Praktiken – alles Dinge, die zusammengenommen von der Forschung dezidiert als ,Habitus‘ bezeichnet werden, d. h. als Haltung, Gebärde oder typischer Verhaltensstil von Personen oder Personengruppen.2 Habitus – das macht das Schwierige unseres Themas aus – ist und bleibt ein eher ,weicher‘ Begriff;3 zu seinem Wesensmerkmal gehört das Changieren zwischen „der Vorstellung eines situationsbedingten Verhaltensmusters und der eines personenbezogenen, eher charak1 Zum Hof im Mittelalter allgemein hier vor allem Butz/Dannenberg, Überlegungen; Bihrer, Curia; speziell zum spätmittelalterlichen Herrscherhof Mertens, Preis, S. 129 – 136; jeweils mit weiterer, umfangreicher Literatur. Zur ,Gelehrtenkultur‘ vgl. Rexroth (Hrsg.), Kulturgeschichte. Zu Maximilian derzeit biografisch bester Überblick Hollegger, Persönlichkeit; ferner die Taschenbuchbiografie Hollegger, Maximilian; weiter Lutter, Maximilian; nach wie vor unerschöpflich das fünfbändige Werk von Wiesflecker, Kaiser Maximilian; zu Maximilian im Porträt Polleroß, Tradition; zum Porträt auch Metzger, Glaubensfrage; Schütz, Albrecht Dürer; speziell zum Hof Maximilians primär aus literaturwissenschaftlicher Sicht, aber mit grundlegenden Erkenntnissen auch für die politische Analyse Müller, Gedechtnus; Müller, The Court; ferner speziell Wiesflecker, Kaiser Maximilian, Bd. 5, S. 220 – 409. 2 Rexroth, Kulturgeschichte, S. 11. 3 Darüber ausführlich mit nahezu allen Facetten Müller, Habit; Müller, Habitus; auch Algazi, Habitus; Füssel, Rang.
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terologischen Schemas, das als erworbenes Muster wie eine Art ,zweiter Natur‘ Wahrnehmungs- und Handlungsweisen seines Trägers bestimmt“.4 Lässt man sich vor diesem Hintergrund auf den Begriff der Gelehrtenkultur ein und versucht, was bisher ganz sicher ein Defizit war, nach Gelehrtenkulturen am mittelalterlichen Herrscherhof zu fragen, so wird man gegenläufig zur Konstatierung des Defizits schnell feststellen, dass die Gelehrtenkultur am Hof Maximilians bereits über eine ausgeprägte Forschungsgeschichte verfügt. Es war vor allem Alphons Lhotsky (1903 – 1968), der diese Gelehrtenkultur erstmals deutlicher vor Augen treten ließ und dessen fünfbändige Aufsatzsammlung nach wie vor ein unerschöpfliches Schatzhaus zur habsburgischen Welt des Spätmittelalters bildet.5 Die eigentliche Formung der Bestandteile zu einem zusammenhängenden Bild ist aber vor allem dem Germanisten Jan-Dirk Müller (*1941) mit seiner Studie „Gedechtnus“ zu verdanken.6 Das Werk geht aus von einer Untersuchung von Hofgesellschaft und Fürstenstaat um 1500. Im Mittelpunkt steht eine Analyse des Ruhmeswerkes Maximilians, also des Versepos Teuerdank, des Weißkunig sowie von Triumphzug und Ehrenpforte.7 Alles ist, Müller zufolge, arrondiert um die zentrale Intention des Herrschers, der Schaffung von gedechtnus.8 Als Leitbilder für die neue Hofgesellschaft, so Mül4
Simonis, Art. ,Habitus‘, S. 271. Wichtig in diesem Zusammenhang vor allem die Arbeiten Lhotskys zu Jakob Mennel; zu diesem im Überblick Burmeister/Schmidt, Art. ,Mennel (Manlius), Jakob‘; dazu die aktuelle Übersicht über Werke und Editionen in der online-Ausgabe des Repertorium „Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters“ (URL: http://www.geschichtsquellen.de/repPers_ 118580876.html, letzter Zugriff: 23. 3. 2015). Zu Lhotsky, der von 1923 – 25 gemeinsam mit dem Schriftsteller Heimito von Doderer (1896 – 1966) den Kurs des Instituts für Österreichischen Geschichtsforschung absolvierte und seit 1951 an der Universität Wien eine Professur für Österreichische Geschichte innehatte, im Überblick Koller, Art. ,Lhotsky, Alphons‘; Opitz, Alfons Lhotsky. 6 Müller, Gedechtnus; vgl. als eine Art Zusammenfassung die Rezension von Ulrich Montag im Deutschen Archiv für Erforschung des Mittelalters 40 (1984, S. 369 f.); zum Stellenwert von gedechtnus bei Maximilian vor kurzem noch einmal nachdrücklich Müller, Einleitung. 7 Zum ,Theuderdank‘, der in Reimpaaren die ritterliche Werbungsfahrt des ,Helden‘ (als der verschlüsselt Maximilian zu lesen ist), zu ,Erenreich‘ (Maria von Burgund, die erste Gemahlin des Kaisers), der Tochter Romreichs (Romreich, i. e. Karl der Kühne, Herzog von Burgund), erzählt, im Überblick Müller, Art. ,Kaiser Maximilian I.‘, Sp. 219 – 223 sowie jetzt vor allem Ziegeler, Beobachtungen. Zum ,Weißkunig‘, der Anfang des 16. Jahrhunderts die lateinische Autobiografie verdrängt hat, im Überblick Müller, Art. ,Kaiser Maximilian I.‘, Sp. 215 – 218; zur Autobiografie ebd. S. 213 – 215. Zu ,Triumphzug‘ und ,Ehrenpforte‘, die unter Beteiligung von hochkarätigen zeitgenössischen Künstlern (Dürer, Altdorfer u. a.) zustande kamen, im Überblick Müller, Art. ,Kaiser Maximilian I.‘, Sp. 223 – 226; zum Triumphzug mit guter Beschreibung Köhler, Triumphwagen. Mehrteilige Abbildung des Triumphzugs in guter Qualität auf den Vorsatzblättern im von Eva Michel und Maria Luise Sternath herausgegebenen Katalogband ,Maximilian und die Kunst der Dürerzeit‘. 8 Dazu komprimiert Müller, Art. ,Kaiser Maximilian I.‘, Sp. 208 f.; auch Metzger, Glaubensfrage, der hinsichtlich der Schaffung von gedechtnus von einem regelrechten „Propagandaapparat“ spricht; neue Überlegungen zur gedechtnus Maximilians bei Schauerte, Kaiser. 5
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ler, habe einerseits der vielbeschworene ,letzte Ritter‘,9 zum anderen aber auch der unübertrefflich gelehrte Fürst gegolten,10 in dessen Umfeld lernung mystifiziert und glorifiziert,11 ja als arcanum stilisiert worden sei.12 Gelehrtenkultur als arcanum, als eine Personengruppe im Geheimbereich, eine exklusive, abgeschottete Gemeinschaft, die sich mittels spezieller Codes untereinander verständigt und deren gesellschaftliches Hauptmerkmal die permanente Exklusion, der radikale Ausschluss anderer ist; eine societas also von wenigen Auserwählten, die in ständigen Rätselreden den grund ihres Wissens verbirgt und die an die Tafelrunde eines Königs Artus erinnert, die um einen heiligen Gral tanzt – auch das sicherlich ein Aspekt, der im modernen Diskurs über Bildung und Gelehrtenkulturen bislang viel zu wenig bedacht worden ist.13 I. Eine Gelehrtenkultur am Hof Friedrichs III.? Weiß man also bereits längst um die Qualität einer Gelehrtenkultur am Hofe Maximilians mit allen ihren intensiven Verflechtungen und hat an diese auch die jüngere Forschung noch einmal nachdrücklich erinnert, so wird selbstverständlich niemand einen ähnlichen Zustand zu früheren Zeiten des Herrscherhofes auch nur annähernd erwarten können; Qualität und Struktur des maximilianeischen Hofes sind in dieser Hinsicht einzigartig.14 Kein anderer Hof eines römisch-deutschen Königs oder Kaisers im Mittelalter kommt ihm darin gleich – nicht einmal der Hof Friedrichs II. mit seiner Vielzahl an Besonderheiten und Auffälligkeiten.15 Vielleicht ist – nicht auf königlicher, sondern auf landesfürstlicher Ebene – an den Heidelberger Hof Friedrichs des Siegreichen wenige Jahrzehnte früher zu denken;16 an Dichte und Grad der Verflechtung der Gelehrten bleibt aber auch dieser hinter der Gemeinschaft um Maximilian zurück. Wer Heerscharen von habituell auftretenden Gelehrten erwartet, wird also vom Hof Friedrichs III. zwangsläufig enttäuscht werden. Doch misst man den Hof nicht mit diesem höchsten Maßstab überhaupt, sondern gerechterweise an dem, was für eine höfische Struktur nördlich der Alpen für diese Zeit zu erwarten ist, dann lassen sich Formen erkennen, die – selbstständig und individuell zu definieren – in der Summe vielleicht doch als eine Gelehrtenkultur gelten können. Welche Personen des Hofes kommen dafür in Frage? Natürlich steht weit an der Spitze Enea 9
Müller, Gedechtnus, S. 212 – 238; zu Maximilian als (vermeintlich) ,letztem Ritter‘ Paravicini, Die ritterlich-höfische Kultur, S. 3 – 6. 10 Müller, Gedechtnus, S. 238 – 241. 11 Ebd., S. 241 – 246. 12 Ebd., S. 246 – 250. 13 Vgl. Quast, Art. ,Artusdichtung‘; Berthelot, Mythen, bes. S. 69 – 78. 14 Dazu nur Helmrath, Probleme, S. 378 f. 15 Dazu immer noch ergiebig Baehr, Dichterschule; ferner die Beiträge des Bandes von Grebner/Fried (Hrsg.), Kulturtransfer. 16 Zur Gelehrtenkultur am Hof Friedrichs des Siegreichen Fuchs/Probst, Machtpolitik; Fuchs, Marc Aurel; Kettemann, Peter Luder; auch Müller, Sprecher-Ich.
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Silvio Piccolomini, von 1458 bis 1464 Papst Pius II.17 Allein schon aufgrund der Fülle und Qualität der Überlieferung wirkt er wie ein Solitär.18 In den vierziger und fünfziger Jahren des 15. Jahrhunderts hat sich Enea offiziell als Kanzlist am Hof Friedrichs III. aufgehalten. Wie durch intensive Forschungen der letzten Jahre deutlich herausgearbeitet wurde, ist der Begriff ,Kanzlist‘ dabei freilich nur ein Euphemismus für eine in vielerlei Hinsicht entscheidende Stellung am Hof – bis hin zur persönlichen Stellvertretung des Herrschers auf den Reichstagen. Aus den Forschungen Johannes Helmraths, vor allem aber auch Claudia Märtls und ihrer Schüler ist bekannt, in welchem Maße bereits aus Eneas Zeit am Hofe Friedrichs III. eine Fülle von Zeugnissen vorliegt, die es ohne weiteres ermöglichen, den Sienesen (auch) als habituellen Gelehrten zu beschreiben. Vielleicht hat sich ungeachtet seiner tatsächlich profunden Gelehrsamkeit niemand im Mittelalter zugleich auch so sehr zum Gelehrten stilisiert wie er – inklusive des Leidens an dieser Gelehrsamkeit.19 Mit dem exzessiven Akt der Frankfurter Krönung zum poeta laureatus am 27. Juli 1442 begann ja bereits sein performativer Einstieg in den Hof – auch wenn die näheren Umstände der Koronation, d. h. die Motivation zum Akt, unklar bleiben.20 Und dann die Werke (auch die können ,habituell‘ gelesen werden): angefangen von seinem Pentalogus bis hin zur sukzessive entstandenen Historia Austrialis, dem – nach seinen Commentarii – zweitwichtigsten historiografischen Werk seines Lebens.21 Wurde die Historia Austrialis mittlerweile von Martin Wagendorfer umfassend erschlossen,22 so ist, was den Pentalogus angeht, neben der modernen Edition von Christoph Schingnitz23 nunmehr vor allem auf die 2013 erschienene Berliner Dissertation von Kristina Wengorz zu verweisen, die die Schrift dezidiert als „Schreiben für den Hof als Weg in den Hof“ deutet.24 Wenn es ein Anliegen ist, auch nach den Funk17
Zu Enea Silvio Piccolomini im biografischen Überblick Worstbrock, Art. ,Piccolomini‘; Esch, Art. ,Pius II.‘; Meuthen, Art. ,Pius II.‘; Helmrath, Art. ,Pius II.‘; Helmrath, Vestigia, S. 99, Anm. 1; Märtl, Liberalitas. Speziell zum Einstieg Eneas in den Dienst Friedrichs III. und dessen Tätigkeit dort Helmrath, Vestigia, S. 106 f. 18 Beste derzeitige Zusammenfassung der aktuellen Literaturlage zu Piccolomini bei Märtl, Anmerkungen, S. 1, Anm. 4. 19 Vgl. Helmrath, Vestigia, S. 141, letzter Absatz. 20 Dazu Mertens, Bebelius, S. 154 f.; Mertens, Sozialgeschichte, S. 329 f.; Helmrath, Vestigia, S. 106 f.; vgl. als weiteres Beispiel die auf Empfehlung Kurfürst Friedrichs von Sachsen am 18. April 1487 auf der Nürnberger Burg stattgefundene Dichterkrönung des Konrad Celtis mit einem vermutlich von Celtis selbst entworfenen Krönungsdiplom; Robert, Art. ,Celtis, Konrad‘, Sp. 377; Rupprich, Briefwechsel Nr. 7. 21 Märtl, Anmerkungen, S. 5: „Die ,Österreichische Geschichte‘ gilt neben den während seines Pontifikats entstandenen Commentarii als zweites Hauptwerk des Sienesen, ja die beiden Werke wurden bisweilen sogar als ein großes Memoirenwerk Piccolominis zusammengesehen.“ 22 Neben der umfänglichen Einleitung Wagendorfers zur Edition der ,Historia Austrialis‘ vgl. v. a. Wagendorfer, Studien; Wagendorfer, Horaz; ferner Helmrath, Probleme, S. 365 f. 23 Eneas Silvius Piccolomini, Pentalogus. 24 Wengorz, Schreiben. Vgl. bes. die Zusammenfassung (cap. IX): „Der Weg in den Hof – Funktionen des Humanismus“, mündend in der Schlussthese der Verfasserin: „Enea Silvio
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tionsweisen von Gelehrtenkulturen außerhalb der Universitäten zu suchen, so läge gerade hier ein beachtenswertes und interpretationsfähiges Zeugnis vor, über das sich weiter nachzudenken lohnte. Zu nennen ist weiterhin natürlich vor allem Thomas Ebendorfer (†1464), der Verfasser vor allem der 1449/51 angelegten und seither fortgeführten Cronica regum Romanorum und einer Cronica Austriae von 1463, gerade er freilich ist – im Unterschied zu dem eben gezeigten Bild – als Theologe, Professor und Dekan der Rudolfina explizit ins universitäre Milieu einzuordnen.25 Nicht ohne Grund ist Ebendorfer in den schier unausschöpflichen Beiträgen und Forschungen Paul Uibleins zur Geschichte der Universität Wien (im Rahmen eines Beitrags über die Cronica Austriae) breit berücksichtigt.26 Ins Auge zu fassen ist sicherlich ebenfalls der aus den Zeiten Kaiser Sigismunds stammende, aber gerade in der Anfangszeit Friedrichs noch ungemein einflussreiche Kanzler Kaspar Schlick (um 1396 – 1449).27 Gerade dieser, wie wenig habitualisiert auch immer, besaß ein explizites Interesse für Wissenschaft und Kunst.28 Zu nennen ist vor allem aber der aus Amberg in der Oberpfalz stammende Johannes Tröster (†1485), der in Wien und Padua studierte, zum Kreis um Enea Silvio gehörte und Lehrer des Ladislaus Postumus wie von Eneas Neffen Francesco Todeschini-Piccolomini gewesen war.29 Im Rahmen eines Beitrags über den Humanisten Enea Silvio Piccolomini und Bayern wurde Tröster, der in seinen letzten Lebensjahren seine Bibliothek mit zahlreichen Klassiker- und Humanistentexten an die noch junge Universität Ingolstadt verschenkte,30 von Claudia Märtl überzeugend in das Beziehungsgeflecht des Sienesen eingeordnet.31 Daneben hat vor allem Märtls Schüler Maximilian Schuh mit seinen Arbeiten über die Frühzeit der Universität Ingolstadt unser Wissen über Tröster nachhaltig bereichert.32 Im Rahmen seiner Forschungen über die Rezeption der Germania des Tacitus (um 58 n. Chr. bis um 120 n. Chr.) beschäftigte sich der Freiburger Historiker Dieter Mertens (1940 – 2014) mit dem Oberpfälzer und wies darauf hin, dass es Tröster war, dem Francesco eine von ihm selbst verfasste Zusammenstellung der bei Caesar und Tacitus genannten Völkernamen geschickt habe; es handelte sich dabei, so Mertens, um das heute in München liegende Exemplar (clm 5333, aus verfolgt mit seinem Pentalogus selbstbewusst das Ziel der sozialen und politischen Positionierung am Hof Friedrichs III., den er zugleich aktiv mitgestalten möchte. Er will sich mit dem Pentalogus seinen Weg in den Hof erschreiben.“ Zum ,Pentalogus‘ sowie zu Eneas Zeit am Hofe Friedrichs III. insgesamt auch Baldi, Il cardinale. 25 Zu ihm klassisch Lhotsky, Thomas Ebendorfer; eine Übersicht über neuere Forschungen und Literatur zu ihm im Repertorium „Geschichtsquellen des Mittelalters“ (URL: http:// www.geschichtsquellen.de), s. v. Ebendorfer, Thomas. 26 Uiblein, Epilegomena. 27 Dazu ausführlich im Rahmen seiner Hofanalyse Heinig, Kaiser, Bd. 1, S. 638 – 646. 28 Zu Schlick biografisch nunmehr umfassend Elbel/Zajic, Kaspar Schlick. 29 Zu Tröster Märtl, Der Humanist, S. 109 f.; zu ihm als Lehrer Francesco Todeschinis Mertens, Instrumentalisierung, S. 62. 30 Darüber bes. Lehmann, Dr. Johannes Tröster. 31 Märtl, Der Humanist, S. 109 f. 32 Schuh, Aneignungen; Schuh, Humanismus.
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Chiemsee).33 Schließlich: Zieht man den Kreis des Hofes Friedrichs III. weiter, denkt man ihn nicht nur als inner circle,34 so wäre unbedingt auch der gebürtige Hesse Johann Hinderbach (1418 – 1486), von 1466 bis zu seinem Tod Bischof von Trient, hinzuzuzählen.35 Ende des Jahres 1448 im Rahmen einer Gesandtschaft nach Mailand erstmals im Dienste Friedrichs bezeugt, dokumentieren parallel zu seiner politischen Laufbahn Hinderbachs handschriftliche Bemerkungen in seinen zahlreichen Codices und Kalendern sein geistiges Interesse. Er selbst hat sich als rerum vetustarum studiosus verstanden.36 Das ist eine Selbstbeschreibung eines Gelehrten als Gelehrten, wie sie eindeutiger kaum möglich ist. Hinderbach war einerseits zutiefst verwurzelt in den mittelalterlichen Traditionen; er zeigte andererseits aber auch ein eminentes humanistisches Interesse. Zu Recht hat man ihn auch einen Humanisten genannt.37 Persönlicher Buchbesitz und – als Freund vor allem Enea Silvios – Verbundenheit mit anderen Gelehrten sind Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einer Gelehrtenkultur. In den „Stimmen der Bücher“ und im „Flüstern des Gedächtnisses“ hat ihn Daniela Rando in einer der signifikantesten Biografien, die wir derzeit über einen Angehörigen des Hofes Friedrichs III. besitzen, als Meister an den „Rändern der Erinnerung“ eindrucksvoll charakterisiert.38 1465/66 wurde Hinderbach Bischof von Trient.39 Noch einmal kommt Tacitus ins Spiel. Denn bei dieser Gelegenheit ließ sich Hinderbach die Germania des Tacitus abschreiben, jenes Exemplar, das heute als Vindobonensis gilt und das neben dem Dialogus „in der Hauptmasse“ (D. Mertens) vor allem Flavio Biondos (1392 – 1463) Italia illustrata enthält.40
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Mertens, Instrumentalisierung, S. 62. Dessen Personal wird seit einiger Zeit umfassend erschlossen durch das dreibändige Werk von Heinig, Kaiser. Der weitgehend prosopographisch ausgerichtete erste Band, der einer Analyse der Beziehungen Friedrichs zu den einzelnen Regionen des Reiches im zweiten Teil des Werkes vorangeht, verzeichnet für die gesamte Dauer der bekanntlich nicht eben kurzen Regierungszeit des Habsburgerherrschers einen Bestand von ca. 200 Personen – wenn hierbei natürlich auch zu unterscheiden ist zwischen – auf der einen Seite – einem eher locker gefassten, primär durch das Ratsverhältnis definierten weiteren Kreis des Hofes und – auf der anderen Seite – dem wirklichen „inner circle“, der so gut wie nie oder jedenfalls höchst selten von der Seite des Kaisers wich und der bei den entscheidenden Gesprächen mit den Petenten, die aus allen Teilen des Reiches an den Hof des Kaisers kamen und hier ihre Wünsche vorbrachten, persönlich zugegen war. 35 Zu Hinderbach im Überblick Vareschi, Art. ,Hinderbach, Johannes‘. 36 Ebd., S. 297. 37 Ebd. 38 Rando, Dai margini; Rando, Johannes Hinderbach (dt. Übersetzung), bes. S. 195 – 225. 39 Am 30. 8. 1465 gewählt vom Trienter Kapitel, am 12. 6. 1466 in Rom bestätigt, am 20. 7. 1466 konsekriert; vgl. Vareschi, Art. ,Hinderbach, Johannes‘, S. 296. 40 Zu Flavio Biondo in unseren Zusammenhang bes. Clavout, Biondo; Mertens, Instrumentalisierung, S. 62; Helmrath, Probleme, S. 348. 34
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II. Transmissionen und Übergänge Hält man Ausschau nach den Bindegliedern zwischen den Höfen Friedrichs und Maximilians, so zeichnet sich eine insgesamt größere Gruppe von Personen ab, die als „Transmitter“ in Frage kommen. Wir stehen dabei noch in den Anfängen. Eine erste Verbindungsmöglichkeit schafft Heinz Noflatscher im Rahmen seiner Studie über „Räte und Herrscher“. In dieser Arbeit schreibt Noflatscher: Jedenfalls hatte bereits der späte Friedrich III. mit Perger, Fuchsmagen oder Krachenberger (von Enea Silvio Pivccolomini ehemals ganz zu schweigen) einen Kreis eloquenter Räte um sich. Maximilian schuf 1497 in Wien einen Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik und unterstellte ihn dem Poetenkolleg des Celtis. Vor allem sein Hof erreichte durch die engen Verbindungen der Humanisten mit den politischen Praktikern einen hohen Standard in der Sprechkultur.41 Eine umfassendere Antwort ist sicher nicht ohne breiteste personengeschichtliche Untersuchungen möglich, Untersuchungen, die neben den Genannten möglicherweise bzw. sicherlich auch andere Personen beleuchten müssten, wie etwa den aus einer Kitzinger Bürgerfamilie stammenden Konrad Stürtzel, der neben der Leitung der Tiroler Kanzlei auch für Reichsangelegenheiten zuständig war.42 Ohne Vollständigkeit anzustreben oder eine Art ranking vorzunehmen, kommt in meinen Augen einer Person doch eine Schlüsselstellung zu: Dr. Johannes Fuchsmagen.43 Zu ihm gibt es keine neuere biografische Arbeit; sehr zu Unrecht, denn Fuchsmagen besitzt ein eigenständiges biografisches Profil, das durch eine reichhaltige Überlieferung weitere Erschließungen erwarten lässt. Grundlegend ist immer noch die Zusammenstellung grundlegender biografischer Daten durch den Bibliothekshistoriker und Exlibris-Forscher Hans Ankwicz-Kleehoven (1883 – 1962) von 1961,44 ihrerseits vielfach aufbauend auf dem massiven Grundsockel einer biografischen Studie von Sebastian Ruf von 1877.45 Weitere wichtige Zusammenstellungen zu seinem Leben aus dem Blickwickel des höfischen Personals, der gelehrten Räte und der großen Reichspolitik werden Paul-Joachim Heinig,46 Heinz Noflatscher47 und Susan-
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Noflatscher, Räte, S. 307. Zu Stürtzel grundlegend Mertens, Konrad Stürtzel; Schadek, Kaiser, S. 233 f.; Noflatscher, Räte. Personen- und Ortsregister, s. v., bes. S. 44 – 46 (Werdegang), S. 48 – 52, 62 – 65; Wiesflecker, Österreich, S. 241, 299; zur Erhellung des Hintergrunds der grundsätzlichen Konstellation hilfreich Mertens, Maximilian I. 43 Zur Person bislang Ruf, Doctor Johannes Fuchsmagen; Heinig, Kaiser, Bd. 1, S. 304 f.; Noflatscher, Räte, S. 21 – 23; Pfaundler-Spat, Art. ,Fuchsmagen (Fuxmagen)‘; Niederstätter, Jahrhundert, S. 385. 44 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684; zu den Exlibris-Forschungen vgl. Ankwicz-Kleehoven, Wiener Humanisten-Exlibris. 45 Ruf, Dr. Johannes Fuchsmagen. 46 Heinig, Kaiser, Bd. 3, Register, s. v. Fuchsmagen, Johannes. 47 Noflatscher, Räte, Register, s. v. Fuchsmagen, Johannes. 42
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ne Wolf48 verdankt; vor allem das materialreiche Buch Noflatschers führt über das biografische Detail hinaus immer wieder tief in übergeordnete Zusammenhänge hinein. Abrissartig sei Fuchsmagens vielschichtiges, sich mehreren Perspektiven öffnendes Leben hier vorgestellt: Um 1450 in Hall in Tirol geboren, entstammte er der politischen Oberschicht jener Stadt, die, durch seit dem 13. Jahrhundert betriebene Salzgewinnung reich geworden, im späten Mittelalter und noch in beginnender früher Neuzeit zu den wichtigsten Orten der habsburgischen Herrschaften zählte. Signifikantes Symbol ihrer Bedeutung ist die Verlegung der landesfürstlichen Münzstätte von Meran nach Hall durch Herzog Sigmund 1477; mit dem benachbarten Schwaz und seinen Silberminen bildete der Ort ein wirtschaftliches Zentrum.49 Technische Innovationen – seit 1486 wurden in sogenannten Walzenprägenmaschinen hochwertige Silbermünzen geschlagen, ein Exportschlager bis hin in die Neue Welt – blühten.50 Johannes Fuchsmagens Vater war Sigmund Fuchsmagen, Ratsherr und Bürgermeister von Hall51 sowie Pfleger der noch heute das Haller Stadtbild maßgeblich bestimmenden und in der ortsansässigen Erinnerungskultur fest verankerten Burg Hasegg.52 Noflatscher hat zu Recht auf die eminenten Karrierechancen hingewiesen, die sich durch das städtische Sozialnetz eines Vaters ergaben, der nicht nur der Oberschicht angehörte, sondern auch Bürgermeister war.53 Die exklusive Herkunft scheint – auch bei Fuchsmagen – einer der Motoren des Aufstiegs und weiterer Vernetzungen gewesen zu sein. 1469 wurde Johannes an der Universität Freiburg im Breisgau immatrikuliert, der 1459 als vorderösterreichischen Landesuniversität gegründeten Bildungseinrichtung;54 mit Johann Beckensloer, Thomas Berlower, Marquard Breisacher, Georg Heßler, Raimond Peraudi und Johann Rewein gehörte er zu der Gruppe jener führenden Räte Friedrichs III., die seit den achtziger Jahren eine Universität besucht hatten.55 Doch Fuchsmagen hat mehr als ,einfach nur studiert‘. Er machte Karriere in Freiburg. Fuchsmagen ist ein fester Bestandteil der Geschichte der dortigen, noch jungen Universität, von der längst bekannt ist, in welchem Maße sie eine politische Gründung war und
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Wolf, Doppelregierung, Register, s. v. Fuchsmagen, Johannes. Zur Geschichte der Stadt Hall in Tirol im Überblick Pfaundler-Spat, Art. ,Hall‘. 50 Pfaundler-Spat, Art. ,Hall‘. 51 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684. Zur Vernetzung der Familie vgl. von Stetten, Geschichte, S. 442. 52 Landesfürstliche Burg in Hall; zu ihr Clam Martinic, Burgen. 53 Noflatscher, Räte, S. 382: „Immerhin fünf Väter waren Bürgermeister teils großer Städte gewesen, in Konstanz, Biberach, Augsburg, Salzburg und Hall.“ 54 „Fusmag Jo., de Hallis 44“; Mayer, Matrikel, Bd. 2, S. 120; Köhler, Universität, S. 261 mit Zusammenstellung der relevanten Daten zum Thema Fuchsmagen an der Universität Freiburg. 55 Noflatscher, Räte, S. 304 mit Anm. 74. 49
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wie sehr intensive Kontakte von Regierungsseite zu ihr bestanden.56 1472 wurde Fuchsmagen Magister, 1478 sogar Dekan der Artistenfakultät.57 Spätestens jetzt muss Fuchsmagen den Artes- und Juraprofessor Konrad Stürtzel kennengelernt haben, der zu dieser Zeit zum zweiten Mal Rektor der Freiburger Universität war und zugleich als Rat in Diensten Sigmunds, Graf von Tirol (1439 – 1490) und Erzherzog von Österreich († 1496), stand.58 1482 Sekretär in der Kanzlei Sigmunds geworden, ist Stürtzel ab 1484 als dessen Rat bezeugt; im gleichen Jahr wurde er Lizentiat der Rechte.59 Auch nach seinem Übertritt von der Universität an den Hof blieb Stürtzel der Freiburger Universität weiterhin verbunden. Über ihn hatte, wie immer wieder Dieter Mertens betont hat, die Universität Zugang zum Hof und umgekehrt.60 Aus Sicht der Geschichte der Räte ist der zwischen den Habsburgerhöfen in Freiburg und Innsbruck changierende Stürtzel eine Zentralfigur.61 Dass Fuchsmagen in seinem Umfeld zu finden ist, möchten wir als eine der entscheidenden Voraussetzungen seiner weiteren Karriere charakterisieren. Seit 1485 ist Fuchsmagen – in den Besonderheiten seiner Anstellung von Heinig profiliert erfasst – als Rat und insbesondere als Diplomat Kaiser Friedrichs III. nachweisbar.62 Konkreter Anlass der ,Einwerbung‘ war ganz offensichtlich der Besuch des Kaisers in Innsbruck anlässlich der damaligen Auseinandersetzungen um den politischen Kurs des Hofes.63 Diplomatische Reisen im Auftrag Friedrichs und Maximilians führten Fuchsmagen unter anderem 1487 nach Venedig64 und 1489 nach Rom, wo ihm Papst Innozenz VIII. den Titel eines Dr. iuris canonici verlieh.65 Ein Jahr zuvor bereits, 1488, hatte Fuchsmagen durch geschicktes Verhandeln mit den Bürgern von Brügge dazu beigetragen, Maximilian aus seiner Haft zu befreien.66 In den letzten Lebensjahren Friedrichs III. lebte Fuchsmagen – wie der Kaiser – in Linz an der Donau.67 1490 begleitete Fuchsmagen Maximilian nach Ungarn 56
Dazu nur Mertens, Supplik; jetzt auch Langmaier, Albrecht VI., S. 424 – 434; zur Artistenfakultät der Universität Freiburg in den Anfangsjahren auch Wagner, Magister, S. 79. Fuchsmagen ist hier in einem Atemzug zu nennen mit den Namen Konrad Stürtzel, Jakob Villinger und Jakob Spiegel; vgl. Köhler, Universität, S. 76. 57 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684. 58 Mertens, Konrad Stürtzel. 59 Vgl. ebd. 60 Mertens, Universität, S. 320. 61 Ebd., S. 327: „In diesem Sinne ist die wichtigste Person des sichtbar gewordenen Netzes wohl Konrad Stürtzel.“ 62 Heinig, Kaiser, Bd. 1, S. 304 mit Anm. 729. 63 Ebd., S. 304. 64 Zu den diplomatischen Kontakten zwischen Maximilian und Venedig bzw. vice versa Lutter, Kommunikation. 65 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684. 66 Ebd. Zum Hintergrund der Gefangenschaft Maximilians in Brügge und der Befreiung Krieger, Habsburger, S. 223 – 225; ferner Heinig, Kaiser, Bd. 1, S. 305. 67 Noflatscher, Räte, S. 210.
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und fungierte im November 1491 als Unterhändler beim Friedensschluss mit Wladislaw II. Wie Hans Ankwicz-Kleehoven in seiner monumentalen Biografie über den aus Schweinfurt in Franken stammenden Johannes Cuspinian (1473 – 1529) vermerkt, hieß ihn der Humanist, der zu einer der zentralen Figuren der damaligen Wiener Szenerie zu zählen ist und der wenig später von Maximilian den Dichterlorbeer empfangen hat,68 bei seiner Rückkehr mit einem eigenen Gedicht willkommen.69 Am kaiserlichen Hoflager in Linz wurde Fuchsmagen 1492 von Maximilian neben Johann Krachenberger zum Regenten der niederösterreichischen Lande mit dem Sitz in Wien bestellt.70 Über eine Vielzahl von Tätigkeiten der verschiedensten Art ist Fuchsmagen in den folgenden Jahren hier ausgewiesen.71 In Wien erwarb sich Fuchsmagen 1493 ein Haus in der Seilergasse (Nr. 13).72 Am 3. Mai 1510 ist Fuchsmagen in Melk an der Donau gestorben; in der Wiener Kirche St. Dorothea ist er bestattet worden.73 Ohne Frage hat Fuchsmagen in politischer Hinsicht ein wichtiges Scharnier zwischen Friedrich III. und Maximilian gebildet; unterhalb der Herrscherebene ist er einer der wichtigsten, ja vielleicht sogar entscheidenden Männer der Doppelregierung (1486 – 1493) gewesen, die zu einer der interessantesten Phasen der Geschichte des spätmittelalterlichen Reiches gehört.74 Unter den zahlreichen Belegen, die dafür angeführt werden können, seien nur wenige hier vorgestellt. Wesentlich für all unsere Zusammenhänge ist die Fragen nach „den Klientelen und Kreisen“.75 Auffällig ist, blickt man auf das Beziehungsnetz, Fuchsmagens geradezu permanente Nähe zum allgegenwärtigen Johann Waldner (ca. 1430 – 1502), dem Kanzleileiter Friedrichs III. (im Rang eines Vizekanzlers) und mehr oder weniger dessen rechte Hand über zwei Jahrzehnte hinweg.76 Bereits Noflatscher hat auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass beide, Waldner und Fuchsmagen, in den letzten Lebensjahren Friedrichs III. in Linz wohnten.77 Auch darüber hinaus tauchen Waldner und Fuchsmagen in der Überlieferung mehrfach gemeinsam auf. In einem undatierten, 68 Ankwicz-Kleehoven, Humanist, S. 11; zu Cuspinian im Überblick Stelzer, Art. ,Cuspinianus, Johannes‘; ferner den von Christian Gastgeber und Elisabeth Klecker herausgegebenen Sammelband von 2012, dort für unser Interesse einschlägig namentlich der Beitrag von Plieger, Johannes Cuspinian. 69 Ebd., S. 10 mit Anm. 28, in der der Titel des Gedichts mitgeteilt wird: „Episodion Cuspiniani poetae ad magnificentissimum regium senatorem Jo. Fuchsmannum de literis optime meritum ac musarum patronum.“ 70 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684. 71 Vgl. dazu im Einzelnen die in den Regesta Imperii zusammengestellten Belege; für die Jahre 1496 – 1498 zu erschließen über Wiesflecker u. a., Regesta Imperii 14, 2,3, Register, s. v. Dr. Johannes Fuchsmagen, KMs Rat, Lehrer der Rechte, Statthalter und Regent zu Wien. 72 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684. 73 Ebd. 74 Zur Doppelregierung umfassend Wolf, Doppelregierung. 75 Helmrath, Probleme, S. 353. 76 Zu Waldner biografisch im Überblick Schwarz, Kürschnersohn; Schwarz, Von der Mitte. 77 Noflatscher, Räte, S. 210.
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jedenfalls in die Zeit nach 1487 gehörenden Heft Jörg von Thurns an König Maximilian ersuchte Jörg den Herrscher um Bezahlung von 4.200 Gulden, die er für ihn in verschiedenen Missionen aufgewandt hat. Das übersichtlich in einzelne Abschnitte gegliederte Heft, das, Mission für Mission, minutiös die Ausgaben auflistet, nennt Waldner und Fuchsmagen innerhalb des Hofpersonals in einem Atemzug.78 Am 7. Juli 1494, im ersten Jahr der alleinigen Regierung Maximilians, schrieb der König an Landmarschall Christof von Liechtenstein zu Nikolsburg. Aufgrund einer Beschwerde des Erzbischofs von Salzburg trug Maximilian Christof auf, gemeinsam mit Doktor Fuchsmagen und dem österreichischen Kanzler Johann Waldner die Rechtslage zu klären, wobei, wie Maximilian befahl, dem Landmarschall der Rechtsspruch zukommen solle.79 Fasst man das alles zusammen, so möchte man mit Heinz Noflatscher vor allem die Verbindungen nach Tirol betonen, die Fuchsmagen für Friedrich und Maximilian mit sich brachte80 und die für das sich anbahnende politische System Maximilians, der 1490 Landesherr von Tirol wurde, so wichtig sein sollten.81 Noch einen Schritt weiter geht Paul-Joachim Heinig, der im Hinblick auf seine Ratstätigkeit Fuchsmagen sogar explizit als „Schaltstelle“ zwischen den „drei Habsburgerhöfen“ bezeichnet hat.82 III. Johannes Fuchsmagen und die Gelehrtenkultur an den Höfen Friedrichs III. und Maximilians Immer wieder spielt in der Forschung Fuchsmagens Nähe zu Maximilian, seine Wichtigkeit als Berater, Anreger und Ideengeber eine außerordentliche Rolle. Was jetzt durchschlug, war nichts anderes als das radikale Konzept eines „Wissen(s) für den Hof“– um den Titel eines signifikanten Sammelbandes von Jan-Dirk Müller aus dem Jahr 1994 zu zitieren.83 Erst 2012 betonte noch einmal ein Aufsatz von Eva Michel über die Entstehung des berühmten Triumphzugs Maximilians in dem monumentalen Katalogwerk Maximilian und die Kunst der Dürerzeit – dem für fast alle unsere Zusammenhänge ergiebigen Begleitband einer großen Ausstellung in der Wiener Albertina –, dass Fuchsmagen für dessen Konzeption verantwortlich gewesen sei.84 Was – über seine personelle Zuordnung in den Kreis der Höfe Friedrichs III. und Maximilians hinaus – Johannes Fuchsmagen mit dem Thema ,Gelehrtenkultur‘ zu tun haben könnte, ist bereits durch mehrere Studien angedeutet worden: so vor allem von Joseph Aschbach in seinem Werk über die Wiener Universität und ihre Humanisten im Zeitalter Kaiser Maximilians85 und von Paul Uiblein im Rahmen 78
Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Sigmundiana 13.229.3, fol. 63 r. Kögl, Studien, S. 51. 80 Noflatscher, Räte, S. 7. 81 Dazu im Überblick Wiesflecker, Kaiser, S. 258 – 264. 82 Heinig, Kaiser, Bd. 1, S. 304. 83 Müller, Wissen. 84 Michel, Zu Lob, S. 49. 85 Aschbach, Universität, Bd. 1, S. 47, 55, 73, 437. 79
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seiner Studien über die Geschichte der Wiener Universität.86 Sicherlich besaß Fuchsmagen ein ausgeprägtes Interesse in allen Fragen, die wir mit dem Etikett ,Humanismus‘ zu bezeichnen pflegen. Für Jan-Dirk Müller zählt er – neben Krachenberger, Perger, Cuspinian – zu den führenden „humanistisch gebildeten landesfürstlichen Beamten“ Maximilians,87 die seine Universitätsreform durchzusetzen hatten, eine Reform, in deren Rahmen Maximilian fünf neue Lehrstühle an der Wiener Universität eingerichtet hatte, die ein humanistisches Profil erkennen lassen.88 Auf eine deutliche Weise trug Fuchsmagen seine Gelehrsamkeit auch nach außen. Eine Fülle von Zeugnissen lässt sich dafür anführen. Erstens: Seinen Namen latinisierte Fuchsmagen zu Fusemannus, eine altsprachliche „Einkleidung“, die, wie bekannt, zu den „ganz besonderen humanistischen Vorlieben“ gehörte und von Konrad Celtis (Meißel) über Johannes Trithemius (Johannes Zell aus Trittenheim) bis hin zum affektierten Akropolitanus (Veit Bild aus Höchstadt) betrieben wurde.89 Völlig zu Recht hat Harald Müller zuletzt betont, dass sich die Liste fast endlos fortsetzen ließe und dass das Panorama vom „inspirationslosen Anhängen einer lateinischen Endung“ bis hin zu „namenkundlichen Überlegungen“ weit gewesen sei.90 Bewegt man sich auf dieser Müllerschen Skala, dann ließe sich in Bezug auf Fuchsmagen entweder eine gewisse Phantasielosigkeit oder aber eine Art von Bescheidenheit konstatieren, denn natürlich wäre gerade bei seinem äußerst sprechenden Namen bzw. seinen Bestandteilen (vulpes/venter) eine ganz andere Konstruktion denkbar gewesen. Zweitens: Zusammen mit Florian Waldauf und anderen gründete Fuchsmagen in Hall, seiner Vaterstadt, 1508 die „Stubengesellschaft“.91 Die Haller Stubengesellschaft, die sich analog zu zahlreichen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit gegründeten Stubengesellschaften und Trinkstuben entwickelte, gilt als „ältester und traditionsreichster Kulturverein der Stadt Hall und des Landes Tirol“.92 Maßgeblich für die Gründung muss Florian von Waldauf zu Waldenstein gewesen sein. Fuchsmagen, der versierte Gelehrte, hat jedoch bei der Verfassung der Statuten ganz sicher entscheidende Hilfe geleistet.93 Er ist – vielleicht sogar als planender Kopf – in 86
Uiblein, Universität, Personen- und Ortsregister, s. v. Fuchsmagen, Johannes. Müller, Gedechtnus, S. 43. 88 Neben einer Professur für Zivilrecht, die „offenkundig von den Bedürfnissen des Staates bestimmt“ war, verdienen insbesondere die Lehrstühle für Poetik und Rhetorik Beachtung, zwei Fächer, die im Mittelpunkt des humanistischen Fächerkanons standen; Müller, Gedechtnus. Zum Fächerkanon der Humanisten Petersohn, Mediävistik, S. 82. 89 Müller, Habitus, S. 131 f. 90 Ebd., S. 132. 91 Zu Florian Waldauf im Überblick Sauer, Art. ,Waldauf‘; sozialgeschichtlich Spieß, Aufstieg, S. 5; zur Gründung der Stubengesellschaft Niederstätter, Jahrhundert, S. 385. 92 Vgl. dazu die aktuelle Internetseite der Gesellschaft (URL: http://www.stubengesell schaft.at; letzter Zugriff 22. 9. 2015). 93 Zu Waldauf und Fuchsmagen als Gründer der Stubengesellschaft Cordez, Wallfahrt, S. 62. 87
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den Gründungsakt maßgeblich einzubeziehen. Ursprünglich Trinkstube und sozialer Treffpunkt der Ober- und Bildungsschicht, besaß die Stubengesellschaft dezidiert auch eine politische Dimension.94 An bestimmten Tagen des Monats trafen sich hochgestellte Persönlichkeiten, um „Neuigkeiten aus Stadt und Land, neue Schriften und Ähnliches zu erfahren und zu besprechen“, ein Anlass, zu dem auch Beamte des kaiserlichen Hofes geladen waren – was sich im Falle Waldaufs und Fuchsmagens insofern erübrigte, weil diese ohnehin zum Hofe gehörten.95 Die derzeitige Organisation der Stubengesellschaft weist darauf hin, dass im Laufe der Jahrhunderte fast alle maßgeblichen Persönlichkeiten von Adel, aus dem höheren Bürgertum, Ratsherren, aus der Beamtenschaft von Saline und Münze sowie einflussreiche Regierungsbeamte von Nord-, Süd- und Osttirol Mitglieder der Haller Stubengesellschaft gewesen seien. Die Gesellschaft hatte (und hat) insofern auch etwas von einem Honoratiorenzirkel, einem Zirkel freilich, wie er die städtische Entwicklung vieler Kommunen Mitteleuropas maßgeblich bestimmt hat. In Wien war Fuchsmagen Präsident der 1497 gegründeten Sodalitas litteraria Danubiana.96 Wiederum stoßen wir auf allerbekannteste Namen in diesem Umfeld. Von Konrad Celtis (1459 – 1508), dem „kerygmatischen Archegeten des deutschen Humanismus wie einer deutschen Nationalliteratur“ (J. Helmrath),97 und anderen 1497 ins Leben gerufen, stellte sie eine Art Freundeskreis von halbwegs gleichgesinnten Gelehrten des Donauraums dar.98 Diese sodalitas bestand neben dem 1501 von Maximilian I. an der Wiener Universität eingerichteten Collegium poetarum et mathematicorum, war vielleicht aber auch – Verflechtung und Genese sind schwer zu klären – dessen Vorläuferin.99 Derartige Gemeinschaften, die in den Quellen synonym als sodalitas, symposium, contubernium und convivium bezeichnet werden, hat es nicht nur in Wien, sondern auch an anderen Orten nördlich der Alpen gegeben;100 im Hintergrund stand wohl so gut wie immer das Ideal der platonischen Akademie, 94 Zur politischen Bedeutung der Trinkstuben von Heusinger, Zunft, S. 136 – 139; Isenmann, Stadt, S. 800 – 803. 95 Vgl. http://www.stubengesellschaft.at (letzter Zugriff 22. 9. 2015). 96 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684. Zur sodalitas im Überblick Wiesflecker, Österreich, S. 401. 97 Das Zitat bei Helmrath, Probleme, S. 334; zu Konrad Celtis, der 1497, aus Ingolstadt kommend, nach Wien berufen worden war, im Überblick Robert, Art. ,Celtis, Konrad‘; Mühlberger, Gemeinde, S. 382; zu Celtis in Wien weiterhin Haller, Kaiser, S. 46; Czeike, Art. ,Celtes (sic)‘, Konrad; zu Celtis weiter in unterschiedlichen Blickwinkeln Robert, Konrad Celtis; Kraus, Geschichte, S. 189; Müller, Gedechtnus. Personen- und Werkregister; Muhlack, Geschichtswissenschaft, S. 210 – 218; Müller, Germania generalis; Robert, Konrad Celtis; Helmrath, Probleme, S. 334. 98 Ankwicz-Kleehoven, Humanist, S. 19. 99 Zum ,Collegium poetarum et mathematicorum‘, das so benannt wurde, weil die philologischen mit den naturwissenschaftlichen Fächern hier verbunden waren, vgl. die in Bozen am 31. Oktober 1501 ausgestellte Gründungsurkunde Maximilians I.; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen Nr. 35, S. 129 f.; zur Sache Mühlberger, Die Gemeinde, S. 381 f. 100 Die Begriffe bei Müller, Habitus, S. 126.
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die im 15. Jahrhundert im Florenz der Renaissance – freilich auch hier bereits in eher lockerer Form – wiederbelebt worden ist.101 Die neuere Forschung, die sich dieser Sodalitäten intensiv angenommen hat, betont explizit die eher lockere Form dieser Gemeinschaften. Von einst angenommenen starren Zielen, einer straffen Organisation oder einer forschen Führung findet sich in den Publikationen heutzutage keine Spur mehr. Von der Vorstellung, es habe sich um „fest strukturierte, programmatisch aufgeladene Gebilde gehandelt, hat man sich“ – so dezidiert Harald Müller – „mittlerweile völlig gelöst“.102 Betont wird stattdessen der Charakter der Zusammenkünfte als punktuelle Tisch-, Reise- oder einfach nur „Kommunikationsgemeinschaften“.103 Im Mittelpunkt habe primär der gesprächsweise Austausch literarischer Werke oder Briefe gestanden. Die kolloquiale Kultur der Treffen war dabei in der Regel frei von strengem Korpsgeist ebenso wie von radikaler Humorlosigkeit. Auch in Wien dürfte sich das gelehrte Gespräch derer, die sich meist im Haus von Johannes Cuspinian trafen, der ab 1508 ,Vorstand‘ der Sodalitas litteraria Danubiana war, mit „Unernstem“ abgewechselt haben.104 Auch hier war es weit weniger eine Akademie, sondern wohl einfach nur eine Gruppe von Freunden, Freunden freilich, die sich in der Regel wirklich etwas zu sagen hatten.105 Die Bedeutung Celtis’ für die Geschichte des deutschen Humanismus insgesamt ist, wie bekannt, enorm; fast alle seine Entwürfe haben Langzeitwirkung gehabt, so die grundlegende biografisch-werkgeschichtliche Würdigung. Die jüngere Forschung hat Celtis explizit in seiner Bedeutung für die Humanisten als „Anreger und Wegweiser“ der Beschäftigung mit der eigenen (National-)Geschichte charakterisiert.106 Speziell Fuchsmagen galt dabei offensichtlich für Celtis als enger Vertrauter und Weggefährte. Angefügt sei, worauf Jörg Robert in seiner Studie über Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung hingewiesen hat, dass die Widmungsvorrede, die Celtis seiner Edition des dem Apuleius zugeschriebenen kosmologischen Traktats De mundo (1497) vorangestellt hat und die – Robert zufolge – in nuce alle Komponenten des philosophischen Weltbildes Celtis’ spiegele, an Fuchsmagen und Krachenberger gerichtet ist.107 Weiterhin, auch darauf hat Robert hingewiesen, sprach Celtis in seiner Vorrede der aktuellen „Deutschlandbeschreibung“ – einem sich an antike Vorbilder anlehnenden großen Projekt nationaler descriptio – Fuchsmagen bedeutende Leistungen zu.108 101
Zur platonischen Akademie in Florenz Münkler/Münkler, Art. ,Platonismus‘; Field, Origins; Leuker, Bausteine. 102 Müller, Habitus, S. 125 f. 103 Ebd., S. 126. 104 Ebd. 105 Der Begriff „Freunde“ explizit bei Robert, Art. ,Celtis, Konrad‘, Sp. 378 f. 106 Vgl. nur Mertens, Instrumentalisierung, S. 81. 107 Robert, Konrad Celtis, S. 151. 108 Robert, Konrad Celtis, S. 361 f. mit Fußnote 72, wo das entsprechende Zitat der Apuleius-Ausgabe Celtis’ wiedergegeben wird: „Cuius ductu et auspicio universa illa nostra Germania eiusque quatuor latera littoralisque eius in caeli usque verticem tractus Graecis et
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Nach Celtis’ Tod haben sich die Aktivitäten der Wiener sodalitas offensichtlich verringert. Die Gemeinschaft löste sich nach 1520 augenscheinlich auf. Abgrenzungen ebenso wie die genaueren Verflechtungen in den engeren Kreis des Hofes bedürfen sicherlich weiterer, intensiver Untersuchungen. Doch wieder einmal ist als Bindeglied Johann Waldner in den Blick zu nehmen. Waldner muss den Wiener Humanistenkreis zumindest insoweit gefördert haben, als ein Mitglied dieses Kreises, Hieronymus Balbus (†1535), Lehrer an der Universität zu Wien und später Bischof von Gurk (1522 – 1526), seinen Mäzen in einem panegyrischen Gedicht gepriesen hat.109 Über diese Förderung der Humanisten stand Waldner auch Fuchsmagen nahe. Die Liste der Mitspieler beim Schulactus nennt Waldner und Fuchsmagen in einem Zusammenhang.110 Hat Ankwicz-Kleehoven noch davon gesprochen, dass sich Fuchsmagen auf eine besondere Weise um die „Einbürgerung“ des Humanismus in Wien bemüht habe, so würde man heute sicherlich vorsichtiger formulieren – denn was ist unter „Einbürgerung“ konkret zu verstehen?111 Wer soll davon – und wie – betroffen worden sein? Welche Gruppen sind damit gemeint? Drittens: Zu den besonderen Interessen von Gelehrten aller Zeiten – manchmal wohl auch stilisiert zum Habitus – gehört das Sammeln und Bewahren von Wissensbeständen aller Art. Wolfgang Lazius (1514 – 1565), der Professor der Medizin an der Universität Wien und Leibarzt Ferdinands I., berichtet, dass Fuchsmagen in Carnuntum, dem am rechten Donauufer südwestlich von Hainburg gelegenen bedeutenden ehemaligen römischen Siedlungskomplex, eine antike Inschrift entdeckt und diese nach Wien gebracht habe.112 Zwar hat Paul Uiblein darauf hingewiesen, dass dies nicht stimmen könne, da dieselbe Inschrift in italienischen Verzeichnissen schon vor 1480 der Wiener Universität zugeordnet worden sei;113 es bleibt jedoch die – gerade vor dem Hintergrund des performance-Charakters der Gelehrtenkulturen – nicht unerhebliche Tatsache, dass Fuchsmagen in der Wiener Gesellschaft des frühen 16. Jahrhunderts als Entdecker und Überbringer dieser Inschriften galt. Auch Uiblein hält es für möglich, dass Fuchsmagen tatsächlich Inschriften aus Carnuntum nach Wien bringen ließ.114 Außer Frage steht der hohe Quellenwert der Berichterstattung
Latinis ignotus scriptoribus nova et vera designatione illustrabitur.“ Zur Deutschlandbeschreibung Celtis‘ (,Germania illustrata, Norimberga, Germania generalis‘) im Überblick Robert, Celtis, Konrad, S. 393 – 399. 109 München, Bayerische Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Hieronymus Balbus, Hain Nr. 2250. Zu Balbus Ankwicz-Kleehoven, Humanist, S. 14 f. 110 Joelson, Kaiser, S. 269; Müller, Gedechtnus, S. 45. 111 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘. 112 Zu Lazius im Überblick Kratochwill, Art. ,Lazius‘; ferner bes. wichtig Uiblein, Universität, S. 456 f. Zur historischen Bedeutung Carnuntums im Rahmen der Geschichte der römischen Kaiserzeit vgl. im Überblick Dietz, Art. ,Carnuntum‘; ferner Christ, Geschichte, Register, s. v. Carnutum. 113 Uiblein, Anfänge, S. 454. 114 Ebd.
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des Wolfgang Lazius, der auch anführt, dass Fuchsmagen Münzen aus Carnuntum nach Wien geschafft habe: […] und werden im dorf (Petronell) nitt allain vill geschribn stain, sunder auch daglich vill romische muntz, gulden, silbren vnnd khupfern gefunden. Dero etlich doctor Fuchsmagen, khaiser Maximilian regentt vnnd wier auch niett ain khlaine anzal gen Wien geprachtt und eingemaurett haben.115
Viertens: Eine besondere Bedeutung für fast jeden Gelehrten besitzt die eigene Bibliothek, auch wenn natürlich zwischen praktischer Benutzung und kultischer Verehrung der jeweiligen Sammlung die Abstufungen groß sind. Der persönliche Buch(bzw. Handschriften)besitz stellt für viele geradezu einen besonderen Ausweis von Bildung und Gelehrsamkeit dar. Bis ins Zeitalter moderner Medien und digitaler Textpräsentationen hat sich darin – zumindest im Bereich der Geisteswissenschaften – wohl nur wenig geändert. Ein solcher Besitz – bei vielen Gelehrten fraglos Stilisierung pur! – hat fraglos auch etwas von einem Status-Symbol. Er ist oftmals verbunden mit speziellen Erwerbsstrategien; deren daraus entwickelte Fama vielfach „Habitus“ schlechthin.116 Eine genaue Erforschung des Buch- und Handschriftenbesitzes Fuchsmagens, den er in seinem 1493 erworbenen Haus in der Wiener Seilergasse untergebracht hatte, ist ein großes Desiderat.117 Schon lange bekannt – und wissenschaftsgeschichtlich von besonderer Bedeutung – ist der Besitz einer Handschrift der sogenannten Weltchronik (Historia de duabus civitatibus) Bischof Ottos von Freising (um 1112 – 1158).118 Bekannt ist auch, dass Fuchsmagen diese Handschrift nicht nur besessen, sondern intensiv benutzt haben muss. An einer Stelle heißt es: „[…] Altenburg, quod Ungari Ober ex facto prefato vocant, quia antiqui et avi ipsorum ibi castra fixerunt. Veritatis indicium agrees (sic) et fosse hodie apparentes probant et attestantur.“119 Zu Fuchsmagens Buch- bzw. seinem Handschriftenbesitz gezählt werden müssen ferner die von Lukas Cranach d. Ä. (1472 – 1553)120 nach antiken Vorlagen angefertigten Kalenderbilder der Wiener Filocalus-Handschrift (Cod. 3416 der Österreichischen Nationalbibliothek), eine Arbeit, mit der sich Cra-
115 Zitiert nach Uiblein, Anfänge, S. 454, Anm. 43, der dazu folgenden handschriftlichen Beleg angibt: Cod. Vind. Palat. n. 7866, fol. 16r (p. 31). 116 Dazu nur Borges, Buch; als gut rekonstruierter Fall aus unserem Material Rando, Dai margini, S. 253 – 293; zu Friedrich III. Lhotsky, Bibliothek. 117 Ankwicz-Kleehoven, Art. ,Fuchsmagen‘, S. 684. 118 Zur ,Historia de duabus civitatibus‘ unter besonderer Berücksichtigung der Editionslage der Artikel im Repertorium ,Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters‘ (URL: http:// www.geschichtsquellen.de/repOpus_03778.html, letzter Zugriff 22. 9. 2015). Zu Otto von Freising biografisch vgl. im derzeit besten Überblick Deutinger, Otto; ferner Ehlers, Otto. 119 Otto von Freising, Chronica, LXXVIII; dazu Uiblein, Universität, S. 454 mit Anm. 44. 120 Zu Lukas Cranach, der um 1500 mit den humanistischen Kreisen der Wiener Universität in Kontakt stand und möglicherweise speziell mit Fuchsmagen, vgl. Heiser, Frühwerk; ferner Hoppe-Harnoncourt, Glaube, bes. S. 113; Cordez, Wallfahrt, S. 62; weiter zu Cranachs damaligen Arbeiten in Wien Metzger, Glaubensfrage, S. 21.
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nach als Graphiker in die „Wiener Gelehrtenwelt“ (Ankwicz-Kleehoven) eingefügt hatte.121 Der Codex ging nach Fuchsmagens Tod in Cuspinians Besitz über.122 Fünftens: Eine ganz besonders wichtige Rolle unter den Zeugnissen zum Leben Johannes Fuchsmagens kommt dem von ihm in Brüssel bestellten, ca. 3 mal 4 m großen Wirkteppich123 mit Darstellungen zu Ehren des hl. Leopold, d. h. des Markgrafen Leopold III. von Österreich (1095 – 1136) aus der Familie der Babenberger, zu.124 Der Teppich befindet sich seit dem 18. Jahrhundert im (Zisterzienser-)Kloster Heiligenkreuz.125 1133 von eben diesem Herrscher auf Bitten seines Sohnes, Bischof Ottos von Freising, gestiftet, zählt es der Überlieferung zufolge zu den 300 Klöstern, die noch zu Lebzeiten Bernhards von Clairvaux (um 1090 – 1153) gegründet worden sind; die Besiedelung erfolgte vom Kloster Morimond (dem Sterbeort Ottos von Freising) in Frankreich aus.126 Pläne zur Heiligsprechung des Markgrafen, der durch eine geschickte Territorialpolitik im 12. Jahrhundert erheblich zur Festigung der babenbergischen Macht beigetragen und damit auch die Voraussetzungen der späteren Bedeutung des Herzogtums Österreich geschaffen hatte und der 1125 sogar Königskandidat gewesen war, reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück; sie waren bereits eine Idee Herzog Rudolfs IV. (1358 – 1365) gewesen.127 Friedrich III., der bekanntlich mehrfach an Rudolf anknüpfte, sich in der Wiener Neustädter Wappenwand mit dem erzherzoglichen Ornat darstellen sowie am 6. Januar 1453 die Privilegium-Maius-Urkunden Rudolfs feierlich erneuern ließ, hatte den Plan einer Heiligsprechung des großen Ahnherrn energisch wieder aufgenommen.128 Am 6. Januar 1485 war nach langen Verhandlungen an der Kurie die Kanonisation durch Papst Innozenz VIII. (1484 – 1492) endlich erfolgt.129 Am 14. Mai 1485, dem Pfingstsonntag des Jahres, wurde, wie der Wiener Stadtarzt und Humanist Dr. Johannes Tichtel (um 1454/ 50 – 1503/6) in seinem Tagebuch berichtet, erstmals in Wien und Klosterneuburg ein Hochamt zu Ehren des hl. Leopold gelesen;130 1486 hielt eben dieser Johannes
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Ankwicz-Kleehoven, Humanist, S. 30, mit weiterer Literatur zu Cranachs Frühzeit in Wien in Anm. 43. 122 Ebd., S. 30 mit Anm. 44. 123 Jüngste, ausführliche Beschreibung des Teppichs: Metzger, Teppich, S. 204 (mit Angabe der älteren Literatur); ferner Schwarz, Mitte, S. 121 mit Abb. 2. 124 Zu Markgraf Leopold III. im Überblick Dienst, Art. ,Leopold (Luipold, Luitpold) III., hl., Markgraf von Österreich‘. 125 Zum Kloster Heiligenkreuz im Überblick Koch, Art. ,Heiligenkreuz‘; zu Heiligenkreuz im Rahmen der fürstlichen Herrschaftsrepräsentation der Habsburger Sauter, Herrschaftsrepräsentation, Register s. v.; ferner Niederstätter, Jahrhundert, S. 78, 220, 397. 126 Zu Morimond jetzt Baudin/Dohrmann/Veyssière (Hrsg.), Clairvaux, Index s. v. 127 Zu diesem Lhotsky, Rudolf IV. 128 Dazu jetzt Schwarz, Wappenwand. 129 Zur Heiligsprechung Leopolds Röhrig, Leopold III.; Krafft, Papsturkunde, S. 997 ff.; Uiblein, Kanonisation; Herold, Weg; Wagendorfer, Universitätsrede, S. 259, Anm. 2. 130 von Karajan, Johannes Tichtel, Tagebuch, S. 39.
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Tichtel die erste Wiener Universitätsrede zu Ehren des neuen Heiligen;131 und in der Folgezeit löste Leopold III. den hl. Koloman als österreichischen Landespatron weitgehend ab.132 Fuchsmagens Teppich griff also, indem er die Figur des neuen Heiligen und seine Familie zum Hauptinhalt machte, eine aktuelle politische Thematik auf.133 Genauer Zeitpunkt und Hintergrund des Auftrags zur Herstellung des Teppichs in Brüssel bleiben freilich im Dunkeln; mit guten Gründen wird jedoch von Christof Metzger vermutet, dass es vielleicht die diplomatische Mission war, die ihn bewog, eine Brüsseler Weberei damit zu beauftragen, den Teppich herzustellen.134 Was zeigt der Teppich im Einzelnen? Dargestellt ist die Familie des hl. Leopold, die den unter einer „Kielbogenarchitektur“ knienden Fuchsmagen ihres Schutzes versichert.135 Durch die am unteren Ende des Teppichs angebrachten Beschriftungen können die Hauptfiguren relativ gut identifiziert werden. Hervorgehoben ist natürlich Markgraf Leopold selbst, der neue Heilige der Römischen Kirche. Er steht unmittelbar links neben der Kielbogenarchitektur und scheint auf Fuchsmagen herunterzuschauen, der wiederum mit ihm in Blickkontakt steht. Auf der Linken stehen ihm seine beiden prominenten, in den bischöflichen Rang aufgestiegenen Söhne zur Seite: Konrad und Otto (von Freising). Konrad (um 1115 – 1168) war von 1148 bis 1164 Bischof von Passau, dann, als Konrad II., von 1164 bis zu seinem Tode Erzbischof von Salzburg.136 Otto trägt im Gegensatz zu Konrad keinen Kreuz-, sondern einen normalen, freilich äußerst kunstvoll verzierten Krummstab.137 Die Worte unter dem knienden Stifter selbst sind wie folgt zu entschlüsseln: DIVO LEOPOLDO AVSTRIAE / GENIO IOHANNES FVCHS /MAG DOCTOR DICAVIT. Hinter dem Stifter beten zwei Personen am Klosterneuburger Grab des Heiligen – ob es zwei (namenlose) Pilger sind oder diese weiter identifiziert werden können, ist sicherlich kaum zu entscheiden. Deutlich zu sehen ist, dass auf dem Sarkophag Leopolds frühere Bittsteller ganz offensichtlich Votivgaben abgelegt haben.138 Auf der linken Seite des Bildes stehen die weiblichen Hauptrepräsentanten der Babenberger-Familie: Agnes, eine Tochter Kaiser Heinrichs IV. und die Mutter Ottos von Freising, die in erster Ehe mit Friedrich I. von Staufen (†1105), Herzog von Schwaben, verheiratet war.139 Im Hintergrund oben rechts ist ganz offensichtlich 131
Wagendorfer, Universitätsrede, S. 177–281. Opll, Nachrichten, S. 219. 133 Aktualität zeigt sich unter anderem auch darin, dass Konrad Celtis nach 1500 (Wuttke, Einblattdruck) Gedichte auf die Schutzpatrone Österreichs (Martin, Leopold, Florian, Koloman) verfasste; vgl. Robert, Art. ,Celtis, Konrad‘, Sp. 420 f. 134 Metzger, Teppich, S. 204. 135 Ebd. 136 Zu Konrad Dopsch/Hoffmann, Geschichte, S. 151 – 153; Zeillinger, Art. ,Konrad II.‘; von Zeißberg, Art. ,Konrad II.‘. 137 Vgl. zum ikonographischen Hintergrund allgemein Töbelmann, Stäbe, S. 105 – 117. 138 Metzger, Teppich, S. 204. 139 Über das Zustandekommen der Verbindung hat Otto von Freising in seiner Weltchronik selbst berichtet: „Igitur dum in ripa predicti fluminis uterque consedisset exercitus, ac qui132
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die Buße des hl. Hieronymus in der Wüste zu sehen, eindeutig identifizierbar durch den Löwen neben der Gestalt und das sonstige setting. Wie Christof Metzger in der jüngsten Publikation über den Teppich schreibt, erinnert das Kompositionsschema des Teppichs, das einzelne Gruppen und Szenen um ein zentrales architektonisches Versatzstück anordnet, an Holzschnitte zur Biblia Pauperum, wie sie im ausgehenden 15. Jahrhundert in den Niederlanden, aber auch in Süddeutschland entstanden sind.140 Wichtig erscheint vor allem die Ableitung Metzgers, wonach es unentschieden bleiben müsse, ob die flandrische Werkstatt nach (von Fuchsmagen) mitgebrachten Kompositionsvorlagen oder nach einem eigens erdachten Entwurf gearbeitet hat.141 Sicher ist jedoch, dass Fuchsmagen die Tapisserie dem nahe seiner Wohnstätte gelegenen, im frühen 15. Jahrhundert von Herzog Albrecht IV. (†1404) gegründeten Augustiner-Chorherrenstift St. Dorothea gestiftet hat – die heutige Straßenbezeichnung lautet Dorotheergasse 17, gelegen an der Stelle des ehemaligen Dorotheums.142 Das Objekt besaß dort offensichtlich eine erstaunliche Persistenz; nach Metzger ist der Teppich nachweislich von 1622 bis zur Kirchenaufhebung 1786 als Wandschmuck oberhalb des Chorgestühls erwähnt.143 Nach St. Dorothea hatte Fuchsmagen 1499 auch eine tägliche Messe am Leopoldsaltar und eine jährliche Messe am Fest des Hl. Hieronymus – also am 30. September – gestiftet, was, wiederum Metzger zufolge, nahelege, dass der Teppich ursprünglich beim Altar des Babenbergers gehangen hat.144 Dem Dorotheerkloster fühlte sich Fuchsmagen offensichtlich so eng verbunden, dass der in Melk Verstorbene den Ort auch als Grablege wählte. Eine ursprüngliche Funktion des Objekts als „Grabteppich“ kann, von seiner aufwändigen künstlerischen Gestaltung ganz abgesehen, sicherlich ausgeschlossen werden, da erhaltene zeitgenössische Stücke stets in steilem Hochformat gewebt wurden, um vor dem Begräbnis längs über den Sarg gelegt zu werden.145 Man weiß, dass der Teppich 1786 mit der josephinischen Kirchenreform ins Kloster Heiligenkreuz bei Wien gekommen ist. Dort ist er von 1886 bis 1946 zunächst in der Stiftskirche unter einem neugotischen Baldachin aufgehängt worden. Seither wird er im dortigen Stiftsmuseum präsentiert.
busdam in ipso flumine sibi invicem occurrentibus occisis, Heinricus iunior omnes vires patris in duce Boemiae Boroe ac marchione Leopaldo (sic), cuius sororem prefatus dux habuit, fore considerans, ipsos multis modis, promissa sorore sua, qua tunc nuper a Friderico Suevorum duce viduata fuerat, in uxorem marchioni, inductos, ambobus, ut patrem relinqueret, persusasit.“ Otto von Freising, Chronik, VII, S. 9 – 122, 514 – 516. Zum Hintergrund Fuhrmann, Geschichte, S. 152. 140 Metzger, Teppich, S. 204. 141 Ebd., S. 204. 142 Zur Gründung des Klosters St. Dorothea vgl. Csendes, Werden, S. 77; dazu weiterhin Csendes, Geschichte, Bd. 1, S. 121. 143 Metzger, Teppich, S. 204. 144 Ebd. 145 Ebd.
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Wir reden bereits vom Ende Fuchsmagens. Er habe sich, wie die bisherige Literatur vermerkt, ein Epitaph anfertigen lassen, das freilich seit dem 18. Jahrhundert unwidersprochen als verschollen gilt.146 In einer Spolienwand im Hof des Dorotheums soll sich davon, wie Metzger bemerkt, ein „nicht unbedeutendes Fragment“ erhalten haben.147 Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf noch laufende Forschungen von Andreas Zajic´, der sich bereits seit geraumer Zeit mit Fuchsmagen und seiner Hinterlassenschaft beschäftigt. Wichtig für unsere Fragestellung scheint vor allem die Tatsache, dass der Teppich nicht nur Ausdruck eines gewöhnlichen Stifterverhaltens ist, wie es im Mittelalter tausendfach beobachtet werden kann. Das Objekt stellt in seiner künstlerischen Bedeutung sowie seiner Qualität auch ein (auto-)biografisches Zeugnis dar, das mit der Geschichte der älteren österreichischen Herrscherdynastie bzw. mit deren Instrumentalisierung zu verschmelzen scheint. Es dokumentiert insofern auch das persönliche Bekenntnis eines Mannes, der sich ganz seinen vielfältigen mit dem Haus Österreich verbundenen Aufgaben hingab, auch den bildungspolitischen. Wir fassen die Ergebnisse kurz zusammen. Ausgehend von Überlegungen über den Begriff „Gelehrtenkultur“ lässt sich das Vorhandensein einer solchen Kultur bereits am Hof Kaiser Friedrichs III. in Ansätzen greifen. Um den – in dieser Hinsicht natürlich schier übermächtigen – Enea Silvio Piccolomini herum existierte, teils miteinander verbunden, teils nebeneinander, ein Kreis von Gelehrten am Hof des Kaisers, die sich, durch deutliche Selbstzeugnisse belegt, als solche verstanden; keineswegs beschränkt sich eine solche Kultur auf Piccolomini als ,Monade‘. Die Erscheinung dieser Gelehrten war vielfach durch einen besonderen Habitus geprägt. Auf dem Wege hin zur bereits häufig beschriebenen res publica litteraria Maximilians nimmt der aus Hall in Tirol gebürtige Dr. Johannes Fuchsmagen in vielerlei Hinsicht eine Schlüsselstellung ein. Nach Studium und Lehre an der noch jungen Freiburger Universität gelangte er aus dem Dienst am Hofe Kaiser Friedrichs III. an den Hof des Sohnes und Nachfolgers Maximilian. Er spielte dort eine zentrale Rolle als Diplomat und als Berater des Herrschers in wichtigen Fragen zu Universität, Wissenschaft und Bildung. Seine Einordnung als „habitueller Gelehrter“, die vor allem in seiner Zeit am Hofe Maximilians möglich wird, erlauben vor allem folgende Faktoren: seine aktive wie passive Mitgliedschaft in den zeitgenössischen societates inklusive seiner Rolle an der Universität; seine Erkundungen auf den Spuren der römischen Antike im Umfeld Wiens; seine daraus hervorgegangenen Sammlungen; sein persönlicher Buch- und Handschriftenbesitz sowie nicht zuletzt ein aufwändiger, übergroßer Teppich, in dessen Mittelpunkt der hl. Leopold und die Familie der Babenberger stehen. Weitgefasst ist das Spektrum künftiger Aufgaben der Wissenschaft. Es reicht von der Erarbeitung einer dringend notwendigen präzisen Biografie Fuchsmagens in all ihren Facetten bis hin zu einer umfassenderen Untersuchung der Spezifik höfischer Gelehrtenkulturen – am Habsburgerhof wie andernorts. Herausragend unter allen De146 147
Ebd. Ebd.
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sideraten ist die Erfassung der konkreten Rolle Friedrichs III. als Förderer und Anreger der Grundlagen einer solchen Kultur. Davon wissen wir bislang noch am wenigsten. Quellen und Literatur Quellen Ungedruckte Quellen Innsbruck, Tiroler Landesarchiv: Sigmundiana 13.229.3. München, Bayerische Staatsbibliothek: Hieronymus Balbus, Hain Nr. 2250.
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Saying almost the same thing many times. Excerpting and its consequences by example of the historiography of the feast of fools (1600 – 1900)* By Yann Dahhaoui We owe our awareness of the significance of excerpting in Early Modern scholarly practice to historians of scholarship.1 They studied recommendations given to scholars by authors such as Francesco Sacchini (1614) and Jeremias Drexel (1638), the various steps leading from the selection of passages in books to their reproduction in adversaria or commonplace books, and the publication of wide compilations of excerpts meant for the use of others. Less studied are the consequences of this large-scale gathering and reuse of excerpts for the production of knowledge.2 The excerpt, partially or fully decontextualized, can be integrated into new contexts, abbreviated, supplemented or combined with others, and translated into various languages until it eventually looks so different that readers can no longer relate it to the original source. In other words, the various changes introduced during operations such as reading, copying, interpreting, or translating can turn transmission of knowledge into creation of – sometimes unexpected – knowledge. In this paper I illustrate this process by studying how a few lines from a letter sent in 1445 by the faculty of theology of the University of Paris to the prelates and chapters of the kingdom of France became the standard description of the medieval feast of fools from the end of the 17th century onwards. Excerpting these few lines, copying them over and over again, translating, and retranslating them in slightly different terms led to the removal of the excerpt from its original context and its canonization as the description of the feast. The small variations introduced into the 1445 text through these operations explain the choice of title, freely based on Umberto Eco’s Dire quasi la
* This paper is part of a research project on the historiography of the feast of fools (“Pagan, parodic or liturgical? The feast of fools in historiographical discourse, 17th–20th c.”), partly sponsored by a Swiss National Research Foundation fellowship. I warmly thank Silvio Corsini, Marie-Françoise Damongeot, Jeroen De Keyser, Frédéric Gabriel, Cédric Giraud, Christian Grosse, Thierry Kouamé, Carl Magnusson, and Coraline Rey for their help. 1 Zedelmaier, De ratione excerpendi; Décultot, L’art de l’extrait; Blair, Too much to know; Blair/Yeo, Note-taking; Cevolini, De arte excerpendi. 2 Décultot, Johann Joachim Winckelmann.
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stessa cosa: esperienze di traduzione.3 The paper however deals with more than just translation. I. The letter and its editions In his recent Sacred folly. A new history of the feast of fools, Max Harris rightly emphasized the central role played by the letter of the Parisian theologians in the historiography of the feast of fools, together with the context in which it had been written.4 The letter, sent on 12 March 1445 to the churches of the kingdom of France to encourage them to abolish the feast, was not the first step taken by the faculty of theology of the University of Paris against this custom. In the first years of the 15th century, the theologian Jean Gerson had written six conclusions against “the dreadful abuses committed in doing what is called ‘the feast of fools’”, a text which served as a source for the Parisian theologians in 1445.5 Around the same time, a source from Auxerre had reported the intention of the University of Paris to set up a campaign of public sermons against the feast of fools in the churches of the kingdom of France.6 In 1435, its abolition had first been proclaimed at a supranational level, at the Council of Basel in the Turpem etiam decree.7 The role of the Parisian theologians in the decree’s elaboration is difficult to assess. One of its main promoters, Mathieu Ménage, was indeed at this time a doctoral student at the Parisian faculty of theology, but was acting as the procurator of the bishop and chapter of Angers.8 In 1445, the Parisian theologians decided to take further steps to persuade the 3
Eco, Dire quasi la stessa cosa. Harris, Sacred Folly, pp. 1 and 128 – 224 (Part 4). 5 Paris, BnF, ms. lat. 14903, fol. 217r–217v (here fol. 217r), copied by Guillaume Tuysselet (ca. 1403 – 1445): “Soient advisees les conclusions dessoubz escriptes vraies et souffisaument examinees pour oster les grans detestables abus qui se font par le royaume de France en diverses eglises et abbayes de religieux et religieuses par faire, come ils dient, la feste des folz.” The conclusions were first published by Palémon Glorieux in: Gerson, Œuvres complètes, vol. 7,1, pp. 409 – 411. A Latin translation of the French text was printed in 1502 in a supplement to the edition of Gerson’s complete works by Jean Geiler de Kaysersberg (1488) published by Jakob Wimpheling and Matthias Schürer: [Gerson,] Quarta pars operum, fol. [294r]. The Latin translation omits the third conclusion of the French text. The content of Gerson’s conclusions is developed in the 1445 letter and the conclusions appended to it. 6 Act of the cathedral chapter of Auxerre, 3 December 1401, Lebeuf, Mémoires, vol. 2, p. 311: “[…] que universitas [Parisiensis] erat intentionis et propositi hec facere publice predicari per universas ecclesias regni Francie in quibus consuevit simile festum […] et ipsum festum annullare, etiam per invocationem brachii secularis […].” This point establishes a direct link between the planned campaign and Gerson’s conclusions, Gerson, Œuvres complètes, vol. 7,1, p. 410: “La iiie conclusion. Les prelas de saincte Eglise en especial ont esté et sont obligiez y pourveoir de remede convenable selon leur puissance […], soit par predicacion et exhortacion […], soit par appeler le bras seculier en ayde de droit, et par y exposer corps et chevance […].” 7 Conciliorum œcumenicorum decreta, p. 468. 8 In the first months of 1433, before he was admitted into the Council, Ménage wrote a report for cardinal Cesarini, the Council’s president, in which he suggested reforming several customs including the feast of fools. Ménage warned Cesarini that although the feast had been 4
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clergy of France to abandon the ‘abusive’ custom altogether. The trigger for their decision was an outburst during the feast of fools in Troyes in December 1444. Some clerics of the cathedral and the two collegiate churches of Saint-Étienne and SaintUrbain celebrated the recently prohibited feast,9 apparently believing that the Pragmatique Sanction of Bourges (1438), which incorportated the Turpem etiam decree, had been revoked. The celebration included a “jeux de personages” particularly offensive to bishop Jean Léguisé (1426 – 1450) and some dignitaries of the Church of Troyes, who were portrayed as the negative characters of the Roman de la Rose. Having heard about this scandal, the Parisian faculty of theology took the decision to compile and publish an epistle urging the festival’s abolition. We learn this from a letter of Léguisé to Louis de Melun, archbishop of Sens (1432 – 1474), sent on a 23 January – probably in 1445 – and from letters patent sent by Charles VII, king of France (1422 – 1461), to his bailiff and provost in Troyes on 17 April 1445, barely a month after the publication of the Parisian letter.10 The letter of the Parisian theologians is a fine piece of rhetoric, using many different strategies to bring the addressees to one conclusion: abolishing the feast of fools is a priority. After a short introduction listing the instances (the faithful and the bishops) who had urged them to “write how much they abhor and hate” the feast, the theologians expose its origins in detail: the feast of fools, according to them, was the only remnant (reliquie) of a festival in honour of the heathen god Janus, which – thanks to the wiles of the devil – had survived for more than a thousand years in the guise of the feast of the calends of January. The feast of fools was even worse than its heathen ancestor, since it allowed scandalous behaviour from the clergy inside the Church – behaviour which even pagan priests would not have permitted in their temples. There follows an enumeration of offending types of behaviour, to which I will return. The theologians create a fictional defender of the feast who suggests arguments which are systematically refuted. The feast is not intended seriously but rather playfully, states the defender: just as old wine casks need airing in order not to rupture, abolished by Philippe de Coetquis, archbishop of Tours (1427 – 1441), in the provincial synod of 1431, “several people were making all their efforts to restore this abuse in its pristine use” (“nichilominus nonnulli toto conamine moliuntur abusum ipsum reducere in usum ut prius”). Ménage recommended using the authority of the Council of Basel to “confirm the provincial synod or to permanently abolish abuses of this kind” (“Unde videtur quod auctoritate presentis consilii ad obstruendum ora loquencium iniqua [Ps 62,12] utile foret dictum provinciale concilium confirmari seu abusum hujusmodi penitus deleri.”); Dannenbauer et al., Concilium basiliense, vol. 8, pp. 72 – 73. On the biography of Ménage, see Müller, Zur Prosopographie des Basler Konzils, pp. 166 – 168. 9 On 4 and 5 January 1443, six vicars were fined for having been to the tavern despite the interdiction and having elected an archbishop of fools there; Registers of the officiality’s causes, Troyes, Archives dép. de l’Aube, G 4172, fol. 141v. 10 Paris, BnF, ms. Joly de Fleury 2280, fol. 166r: Quillet de Blaru: Factum pour les doyens, chanoines et chapitre de […] Saint-Estienne de Troyes, intimez et deffendeurs et Mgr Hardouin Fortin de la Hoguette, […] archevêque de Sens et supérieur immédiat du chapitre de S.Estienne, demandeur en intervention […] contre M. Boutillier de Chavigny, evesque de Troyes, apellant, [Paris, about 1712]; Martène/Durand, Thesaurus, vol. 1, col. 1804 – 1807.
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“we” all occasionally need play and folly in order to air the wine of wisdom, which boils in us the rest of the year.11 Faith and reputation should not be wounded “ex joco”, answer the theologians. It is surely a good thing to recover strengths through games, but these should be decent and modest games, such as exemplified by John the Evangelist playing with a partridge. “Why condemn what former prelates had allowed?”, retorts the defender. We do not know whether these men experienced a good or a bad fate after their death, reply the theologians. It is therefore safer to act according to God’s laws, the examples of saints and the decrees of the councils, which strongly condemn the feast of fools. The letter concludes with an exhortation to prelates, urging them to abolish this profanation of divine worship which all Christians abhor, if they do not wish to come to the same end as the high priest Eli, killed by God because he had not sufficiently reprimanded his sons for their inappropriate religious behaviour (1 Sm 4, 18). Appended to the letter, a list of fourteen conclusions and their qualifications provide the theological justification for the feast’s abolition. Although the 1445 letter had been sent to all the prelates and chapters of the kingdom of France, almost all copies were quickly lost. The discovery of its text “among disorderly and illiterate letters” by François Savaron, then prosecutor in the “présidial” of Clermont-Ferrand, must therefore have been either a stroke of luck or the fruit of careful research. François read it and noticed that it was related to the matter his brother Jean Savaron had dealt with in the Traitté contre les masques, written in 1608, namely a masquerade celebrated yearly at Christmas in Clermont. In his Traitté, Savaron, who was a king’s counsellor, the steward of Marguerite de Valois for her possessions in Auvergne, a skilled humanist (he edited Sidonius Apollinaris and Cornelius Nepos), and a strong advocate of Christian morals, had argued that wearing masks amounted to serving the devil, committing idolatry and heresy, as well as breaching public morality and order.12 He had quoted, among other authorities, a sermon by (Ps.-)Augustine on the calends of January which condemned Christians for wearing animal masks.13 Jean Savaron received his brother’s present with all the more gratitude as the letter “was missing in the archives of the Sorbonne” (then identified with the faculty of theology of the medieval University of Paris) and added fuel to his fire.14 In his Traitté, Savaron had compared the Clermont masquerade with the feast 11 Dijon, Bibliothèque municipale, ms. 837 (491), fol. 54: “Sed, inquiunt, nos ita joco et non serio facimus, sicut consuetum est ab antiquo, ut fatuitas nobis innata semel in anno affluat [leg. effluat] et evaporetur. Nonne utres et dolia vini sepius rumperentur si spiraculum ipsorum interdum non laxaretur? Nos quidem utres veteres sumus et dolia semirupta, quare sapientie vinum nimis fervens quod per totum annum in Dei servitio nos comprimentes vi retinemus, efflueret inaniter si non interdum ludis et fatuitatibus vacaremus.” Gerson had already mentioned this argument in his treatise, Gerson, Œuvres complètes, vol. 7,1, p. 411. 12 Savaron, Traitté. On Jean Savaron, see Meyniel, Le président Jean Savaron. 13 Inc. “Dies kalendarum istarum, fratres dilectissimi”. Modern editors tend rather to credit it to Cæsarius, bishop of Arles (502 – 542). See Morin, Sancti Cæsarii Arelatensis Sermones, vol. 2, pp. 779 – 782, no. cxcii. 14 Savaron, Homelia, p. 4: “[…] tandemque sors fuit, ut inter tumultuarias & inliteratas literas, literata Sorbonæ Epistola contra festum fatuorum germano meo se obtulerit, quam ille
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of fools, which had also been celebrated there and also involved wearing masks. The 1445 letter not only offered him more points of comparison between the medieval custom and its alleged modern descendant, but was also a precious element in the tradition of condemnation of the feast of fools he was trying to build between the 4th century and his time. The Parisian theologians indeed claimed, using the sermon Savaron had quoted, that Augustine had condemned the feast of fools.15 The invented tradition in turn legitimized Savaron’s own enterprise: just as the most weighty authorities of Gallicanism – Augustine, the Parisian faculty of theology, and also Jean Gerson – had fought against the feast of fools, he himself was now fighting against a local masquerade, which was nothing but a remnant not only of idolatry or heresy, as he had first thought, but of paganism itself.16 The manuscript discovered by his brother, from which Savaron edited the 1445 letter, is still extant. In the 17th century, it belonged to the library of the abbey of Cîteaux, as shown by the ex-libris “Liber Cistercii” added at several places in the manuscript.17 It is a miscellaneous collection of treatises (on heraldry and rhetorical compositio) and occasional works (funeral orations, speeches, a praise of matrimony, etc.), all selected for their rhetorical value. It does however not contain any “letters” as such, with the exception of that of the Parisian theologians.18 The exact date of its composition and the context in which it was composed cannot be determined on the basis of current knowledge, but all the texts reproduced in it predate the end of the 15th century. It is also difficult to determine when it entered the library of Cîteaux, since the main catalogues do not mention it.19 The title introducing the text of the selegit, & ubi non alienam a tractatu quem contra laruas edidisse me triennium est, legit, spolium illud optimum ad me tulit, maioris æstimij, cum in archiuis Sorbonæ desideretur.” Note that Savaron, Traitté contre les masques, republished with the edition of the sermon of (Ps.-)Augustine and of the 1445 letter (31611), has now become an appendix to the edited texts (“Adiectus popularis Tractatus contra Laruas, hac III. editione auctior”). 15 In a pithy turn of phrase, the theologians wrote (Dijon, Bibliothèque municipale, ms. 837, fol. 56v): “Cum secundum beatum Augustinum festum fatuorum supradictum initium et originem sumpserit a paganis et gentilibus qui similia ludibria in capite januarii faciebant ad honorem Jani […].” 16 On comparable uses in Early Modern France of authoritative figures in the fight against the feast of fools, see also Dahhaoui, L’évêque de Paris. 17 Dijon, Bibliothèque municipale, ms. 837 (491). The ex-libris appears on fol. 1r, 16r, 17r, 53r and 62r. Although its form (‘Liber Cistercii’) corresponds to the ex-libris of the end of the 15th century, it was added in the 17th century. On the ex-libris of the abbey of Cîteaux, see Załuska, L’enluminure, pp. 25 – 33 and Damongeot, La bibliothèque, p. 240. 18 Without detailing all its contents, it is worth mentioning: 1) an anonymous treatise on heraldry (fol. 1r–16v), see Saffroy, Bibliographie généalogique, vol. 1, p. 63, no. 1998; 2) several funeral orations by Poggio Bracciolini (fol. 17r–43v), an edition of which is prepared by Jeroen De Keyser, Katholieke Universiteit, Leuven; 3) a praise of matrimony (fol. 46v–49v); 4) a treatise on compositio attributed to Guarino Guarini (fol. 50r–50v), Meersseman, La raccolta, pp. 268 – 270; and 5) a speech by Guillaume Hugonet, chancelor of Charles the Bold, duke of Burgundy (fol. 68r–72r), Bartier, Légistes et gens de finances, pp. 442 – 447. 19 There is no mention of the collection in the inventory compiled in the 1480s, under abbot Jean de Cirey (1476 – 1501) (see a transcription in: Catalogue, vol. 5 [Dijon], pp. 339 – 452), in
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1445 letter in the Cîteaux manuscript, which is faithfully reproduced in Savaron’s edition, confirms that it is indeed the manuscript discovered by François Savaron.20 Savaron’s editio princeps of the 1445 letter remained rather unnoticed in the Republic of Letters. After 1611, few antiquarians who addressed the theme of the feast of fools quoted from it. Pierre Louvet, a doctor, who used passages of Savaron’s edition in his history of the Beauvaisis, and Pierre Richer, a trustee of the Sorbonne, who reproduced the full text of the letter in his unpublished Historia Parisiensis Academiæ, are notable exceptions.21 Most however were not aware of its existence. Jean Deslyons, a canon of the cathedral of Senlis, for example, embarked on an enterprise – a “holy war” as he has it – comparable to Savaron’s, against the “roi-boit” or the annual election of domestic kings at Epiphany.22 He wrote two Discours ecclésiastiques contre le paganisme des rois de la fève (1664), in which he also tried to construct a tradition between a custom of his time and the feast of fools. On the latter, he quoted all sources available in print except for the Parisian letter. Things changed rather quickly around half a century later. The 1445 letter was reedited in 1667 in an unexpected context, namely in the edition of the complete works of Peter of Blois (ca. 1135 – 1212) by Pierre de Goussainville, a priest born in Chartres and a vicar of La Madeleine (Paris). In a volume of more than 800 pages, Goussainville, a “discoverer of manuscripts” as his contemporaries described him, published not only the letters and treatises of the archdeacon of Bath, but also an Appendix with several related deeds by other authors.23 Peter of Blois’ praise of Odo of Sully, a chanter of Bourges cathedral who had just been elected bishop of Paris (1197 – 1208), in a letter to an abbot of Gloucester is a pretext for Goussainville to recount Odo’s career and highlight his main achievements.24 To this Vita he appends the ‘Catalogus librorum manuscriptorum Cistercii’ (1675) or in the library catalogue which was sent to Bernard de Montfaucon for inclusion in his planned ‘Bibliotheca manuscriptorum nova’. I am indebted to Donatella Nebbiai (IRHT) for granting me access to a typescript by Jean-François Genest of these last two catalogues. 20 Dijon, Bibliothèque municipale, ms. 837, fol. 53r: “Sequitur copia cujusdam epistole a venerabili facultate theologie studii parisiensis prælatis et capitulis ecclesiarum regni Francie transmisse ad detestandum, condempnandum et omnino abolendum quemdam supersticiosum et scandalosum ritum quem quidam festum fatuorum vocant qui a ritu paganorum et infidelium ydolatrarum initium et originem sumpsit.” See Savaron, Homelia, p. 32; Savaron omitted only “et scandalosum” and changed “ydolatrarum” into “idolatria”. 21 Louvet, Histoire et antiquitez, pp. 304 – 305 and Paris, BnF, ms. lat. 9945, fol. 169v–180r. On Pierre Richer, see Gabriel, Art. ,Richer, Edmond‘. 22 Deslyons, Discours, fol. ã iijr–ã iijv : “Ce fut [l’esprit Saint] sans doute, qui émut tout à coup l’an passé les Docteurs & les Prestres de S. Sulpice de Paris, contre les profanateurs, & les profanations inveterées de la Feste des Roys, ils me firent l’honneur de m’appeler à cette guerre sainte & de m’exhorter de me joindre avec eux.” On such elections, see Fugger, Das Königreich, and Fugger, Die Botschaft. 23 Goussainville, Petri Blesensis Opera, Appendix continens chartas quorumdam Episcoporum et Regum quae conferunt ad elucidationem Epistolarum Petri Blesensis et notarum, pp. 769 – 802. 24 Ibid., pp. 740 – 744.
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some of Odo’s deeds found in various Parisian manuscripts.25 In the second half of the 17th century, Odo was believed to have abolished the feast of fools in the Church of Paris through a 1198 ordinance.26 Accordingly, Goussainville added both its 1208 confirmation by Peter of Nemours (1208 – 1219), Odo’s successor as bishop of Paris, and a re-edition of the 1445 letter to the edition of the ordinance.27 Goussainville’s edition of the 1445 letter was also based on the Cîteaux manuscript. According to his own statement, it relies on “a manuscript of the abbey of Cîteaux transmitted by Jacques de Lannoy, master of the novices of this abbey, to Luc d’Achery, a Benedictine, who passed it to me”.28 Lannoy seems to have been the letter’s discoverer, as we learn from his correspondence with Achery. On 9 August 1665, from Cîteaux, he wrote to Achery, telling him he had found “a letter of the Sorbonne” and quoted its title, which exactly matches the one in the Cîteaux collection and in Savaron’s edition.29 And on 6 September of the same year, he sent Achery “the letter and the censure of the faculty of Paris that [he] had asked for”.30 Goussainville’s edition of the complete works of Peter of Blois was published in 1667 and has been reprinted twice: in 1677, in the Lyon edition of the Maxima Bibliotheca veterum patrum et antiquorum scriptorum expanded,31 and in 1855 in Jacques-Paul Migne’s Patrologiae cursus completus.32 The 1445 letter was also reprinted separately from Goussainville’s edition in 1728, in Charles Du Plessis d’Argentré’s Collectio judiciorum de novis erroribus.33 Only Heinrich Denifle and Émile
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Ibid., pp. 778 – 781 and 788 – 793. On the interpretation of the 1198 ordinance, see Dahhaoui, L’évêque de Paris. 27 Goussainville, Petri Blesensis Opera, Appendix, pp. 781 – 782 (Peter of Nemours’ confirmation) and 782 – 788 (1445 letter). 28 Ibid., p. 782: “Ex Cod. MS. Abbatiæ Cisterciensis à Domino Iacobo de Lannoy, eiusdem Abbatiæ Nouitiorum Magistro, ad D. Lucam d’Achery Benedictinum transmisso, qui mihil illum communicauit.” 29 For this title, see above (Dijon, Bibliothèque municipale, ms. 837, fol. 53r; Savaron, Homelia, p. 32). Lannoy adds to this title (Paris, BnF, ms. fr. 17686, fol. 41r): “Cum conclusionibus factis anno 1444 die 12 mensis Martii in congregatione v[enerand]æ facultatis habita in S. Mathurino.” 30 Ibid., fol. 42r. I have not been able to find Lannoy’s copy. Goussainville had already turned to this small network of scholars in 1664 when he was looking for manuscripts of Peter of Blois’ letters. In a letter to Achery, in 1664, Lannoy wrote that the library of Cîteaux did not have a copy of the “epistles of Petrus Blesensis” (quoted by Damongeot-Bourdat, Le “bon père” Jacques de Lannoy, pp. 442 – 443). His letter was presumably an answer to a request from Pierre de Goussainville to Achery. 31 La Bigne, Maxima Bibliotheca, vol. 14. The 1445 letter is printed ibid., pp. 1373 – 1376. 32 Migne, Patrologiæ cursus completus, vol. 207. The 1445 letter is printed on col. 1169 – 1176. Migne’s reprint of Goussainville’s edition is still used as a reference by scholars today. A new edition by Rolf Köhn (Universität Duisburg-Essen) is in preparation (mentioned in Hanaphy, Ovidian exile, p. 93). 33 Du Plessis d’Argentré, Collectio judiciorum, vol. 1,2, pp. 242 – 249. 26
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Chatelain returned to the source for their new – though partial – edition of the letter that published it anew from the Cîteaux manuscript.34 In short, the history of the reception of the 1445 letter is that of the various editions of its text from a single manuscript, preserved in the library of Cîteaux. These editions followed different agendas. Savaron saw in the letter not only another authoritative condemnation of the feast of fools, but also an important source of legitimation for his own condemnation of the Christmas masquerade of Clermont. Goussainville’s moral view is less obvious. In associating the letter with the 1198 ordinance of Odo of Sully, supposedly abolishing the feast of fools, he may have wanted to illustrate the constancy of the Gallican authorities in their condemnation of a scandalous custom. The content of the letter may also have been seen as a useful description of the feast itself, a point on which Odo’s ordinance remained quite laconic – I will return to this point later. Finally, Denifle and Chatelain were documenting a decree of one of the faculties of the University of Paris. II. Decontextualizing through excerpting Less than two months after the publication of the complete works of Peter of Blois, the Journal des sçavans, a scholarly journal which had been founded only two years earlier, printed a three-page review of this more than 800-page volume.35 Significantly, about a quarter of the review is dedicated to the feast of fools and the 1445 letter, which covers only six pages of the book:36 At the end of these remarks, there are several very curious documents, among which one finds four letters touching the abolition ‘of the feast of fools’. Some libertines once celebrated this feast in several churches in ridiculous ceremonies. On the first day of the year, one of them, whom they had created a bishop of fools, celebrated the divine office dressed in pontifical clothes. Meanwhile the others, dressed with masks, danced in the church, ate, played, incensed with the smoke of burnt slippers and committed several similar impieties. Odo of 34 Denifle/Chatelain, Chartularium Universitatis Parisiensis (CUP) 4, no. 2595, pp. 652 – 656. On Denifle and the Chartularium, see Verger, Heinrich Denifle; I am indebted to Jacques Verger for allowing me to read his paper before publication. 35 [Anon.] Petri Blesensis opera omnia ad fidem M.SS. Codd. emendata, Notisque & variis monumentis illustrat. In fol. Parisiis, apud Simeonem Piget [review], in: Journal des sçavans, 16 May 1664, pp. 97 – 100. The dedicatory epistle of Goussainville’s edition dates from the “4th day before the calends of April (= 29 March) 1667” (Goussainville, Petri Blesensis Opera, Appendix, fol. ã iiijv). 36 After 26 lines (30 %) on Peter of Blois and Goussainville’s edition, the anonymous author of the review announces that the rest of his text, 61 lines (70 %), will be dedicated to “some of the most curious” remarks that are to be found in the book (p. 98): 24 lines (28 %) explain why, according to Peter of Blois, the murder of a cleric was punished by excommunication, whereas that of a layman was punished by the death sentence; 7 lines (8 %) state that the Carthusian monks had said mass only on Sundays and feast days; 10 lines (11 %) give details on oblation, and 20 lines (23 %) deal with the feast of fools. From these figures, it is easy to understand the appeal of journals like the Journal des sçavans to antiquarians, who were interested in past customs. On the concept of “curiosity”, see Kenny, Curiosity.
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Sully, bishop of Paris towards the end of the 12th century, established the office of the feast of Circumcision in the Church of Paris in order to abolish this dreadful custom. It nevertheless remained in use in some other churches for more than 200 years afterwards, as shown by the conclusions which the University of Paris wrote on this topic in 1444. These are printed at the end of this book [i. e. Goussainville’s edition] and had formerly already been published by Mr Savaron.37
In order to understand how the text of this review is constructed, we should consider a short paragraph of the 1445 letter which is of considerable importance for the process I study here. After a detailed account of the origins of the feast of fools, the Parisian theologians list types of scandalous clerical behaviour during the feast of fools. They consist of a series of verbs preceded by the question “What sensible Christian would not call bad those priests and clerics who […]?” Given the importance of these few lines for the present demonstration, I quote the full passage in Latin from the manuscript of Cîteaux, with its significant variants from the 17th century editions, before providing my own translation: Quis, queso, chistianorum sensatus non diceret malos illos sacerdotes et clericos quos, divini officii tempore, videret larvatos monstruosis vultibus et in vestibus mulierum aut lenonum vel histrionum choreas ducere in choro, cantilenas inhonestas cantare, offas pingues supra cornu altaris juxta celebrantem missam comedere, ludum taxillorum ibidem exercerea, thurificare de fumo fetido ex corio veterum sotularium, et per totam ecclesiam ligurireb, saltare, turpitudinem suam non erubescere, ac deinde per villam et theatra in curribus et vehiculis sordidisc duci ad infamiad spectacula pro risu astantium et concurrentium turpes gesticulationes sui corporis faciendo et verba impudicissima ac scurrilia proferendo? Et sic de multis aliis abominationibus, quarum pudet reminisci e-et recitare horret animus, quef tamen, ut fidelig relatione accepimus-e, hoc in anno in multis locis facte sunt.38 a exercere] exarare Gous. b ligurire] ligurie MS liguire Sav. currere Gous. c sordidis om. Sav. d infamia] infancia MS infamia Sav. Gous. e-e et–accepimus om. Sav. f que] quas MS que Sav. Gous. g fideli] fidei Gous. What sensible Christian would not call bad those priests and clerics whom, during the divine office, he would see, masked with monstrous faces and dressed as women, procurers or ac-
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[Anon.], Petri Blesensis opera [review], pp. 99 – 100: “A la fin de ces remarques il y a plusieurs anciennes pieces tres curieuses, entre lesquelles on trouuera quatre lettres touchant l’abolition de la Feste des Fols. Quelques libertins celebroient autrefois cette fete dans plusieurs Eglises auec des ceremonies ridicules. Le premier iour de l’année un d’entre eux, qu’ils auoient creé Euesque des Fols, faisoit l’Office reuestu d’habits Pontificaux. Cependant les autres habillez en Masques dansoient dans l’Eglise, mangeoient, ioüoient, encensoient auec de la fumée de sauates bruslées, & faisoient plusieurs semblables impietez. Eudes de Sully Euesque de Paris sur la fin du XII. siecle fonda dans l’Eglise de Paris l’Office de la feste de la Circoncision pour abolir cette detestable coustume. Mais elle dura encore plus de 200. ans après dans quelques autres Eglises, comme on le voit par les Conclusions que l’Université de Paris fit sur ce suiet l’an 1444. qui sont imprimées à la fin de ce liure, & qui auoient desia esté autrefois publiées par M. Savaron.” 38 Dijon, Bibliothèque municipale, ms. 837, fol. 53v–54r; Savaron, Homelia, pp. 38 – 39; Goussainville, Petri Blesensis Opera, Appendix, p. 783.
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tors, leading dances in the choir, singing shameful songs, eating fatty dumplings39 on the corner of the altar next to the celebrant playing dice there, incensing with the fetid smoke of the leather of old shoes, stuffing themselves, leaping through the whole church, not blushing of their baseness, being then led in carts and filthy vehicles through the city and market squares40 in infamous shows exposed to the laughter of the bystanders and those gathering, in which they have their bodies gesticulating shamefully and utter very immodest and facetious words? The same applies to many other abominations shameful to recall and horrible to recite, which nevertheless were perpetrated this year in several places, as we learnt from reliable sources.
All these “abominations” are repeated in the conclusions appended to the letter, where they receive their qualifications.41 From this passage alone – to which I will henceforth refer as the Quis queso passage –, it is impossible to determine whether the theologians are reporting an exceptionally riotous feast of fools, are listing types of behaviour which occurred in different feasts of fools, or are describing types of behaviour typical for the feast of fools. The veracity of the picture they depict is however not an issue: in rhetorical texts such as this letter, only the plausibility of the arguments really matters, since the text is mainly aimed at swaying its readers. Records from French churches would however show that comparable behaviour had been condemned locally.42 In Besançon, on 5 February 1444, magister Petrus Rebrachien, a canon of the cathedral, complained that at last Circumcision (1 January), “at vespers, some people came to the church wearing masks and other improper clothes prohibited by law. One of them, in particular, was wearing around his neck a tribulum, which smelt of garlic. He put it underneath his nose while vespers were being celebrated. Some of these habitués, wearing masks, together with some armed people, broke into his house and took several of his belongings to where they wanted.”43 39 “Offa” designates a piece (usually of food) shaped into a ball, Thesaurus, vol. 9,2, pp. 485 – 486, s. v. “offa”. The “offe” referred to here correspond to the definition given by an alphabetic Latin glossary of the 14th century: “a piece of bread soaked in fat”. Grondeux, Dictionarius, n. p.: “Hec offa, offe est frustum panis humertati [leg. humectati] in pinguedine.” 40 Additions to Charles Du Cange’s ‘Glossarium’ mention several occurrences in which “theatrum” means “market square, public place in which goods are displayed for selling” (Du Cange, Glossarium [1883 – 1887], vol. 8, p. 95). This topographical meaning seems more appropriate than “theatre”: how would carts be driven through theatres? 41 Dressing up as laymen or fools for the celebration of the divine office (in conclusion 7); dancing in the church during the divine office, eating or drinking around the altar during mass “and similar derisions and extravagances” (in conclusion 8); wearing masks, cross-dressing, making a spectacle of one’s body in public places or before crowds of people (in conclusion 9). 42 Contra Max Harris, who considers all authorities reporting behaviour considered excessive (either by the authorities or by himself) badly informed or in bad faith and rejects the accusations of the Parisian theologians on the grounds that their testimony is not corroborated by other sources (Harris, Sacred folly, pp. 223 – 224). 43 Act of the cathedral chapter of Besançon, 5 February 1444, Besançon, Archives dép. du Doubs, G 180, fol. 8r: “Conqueratur magister Petrus Rebrachien et dicit primo quod die Circumcisionis nuper lapso venerunt nonnulli ad ecclesiam, hora vesperorum, deferentes lar-
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We can now return to the review in the Journal des sçavans and analyse the passage relating to the feast of fools. Like Goussainville, the anonymous reviewer focuses on Odo of Sully’s supposed abolition of the feast in 1198. The 1445 letter – as it appears to the reader of the Journal – is only mentioned in order to suggest that the feast persisted despite Odo’s efforts, and to prove that Gallican authorities fought against it until its complete eradication. But a comparison between the text of the review and the Quis queso passage shows that the reviewer also used the 1445 letter in his initial description of the feast of fools. Masquerades, dances in the church, meals and games on the altar, incensing with old slippers: all these activities are directly taken from the theologians’ list. This had practical purposes. Until the last third of the 17th century, the cultivated reader might have come across the feast of fools here and there in the secondary literature, but could not refer to any dictionary or treatise in order to get an idea of the precise nature of this custom. The sources regarding the feast of fools published thus far were of no help since they did not provide substantial information on the subject. The text of Turpem etiam, the Basel decree (1435), is so intricate that it proves impossible to determine which condemned behaviour is related to the feast of fools.44 Gerson’s treatise deliberately avoids detailing the “abominations, disorders and insolences” which occurred during the feast. “For honest people”, he wrote, “only stating or hearing them is very shameful and horrible”, for such insolences “would not even be performed by kitchen boys in their kitchen without shame or blame”.45 Finally, two libri de officiis ecclesiasticis or explanations of the liturgical uses, one by Jean Beleth and the other by Guillaume Durand, only stated that the feast of fools was another name for the feast of the subdeacons and that it took place either on Circumcision (1 January), on Epiphany (6 January) or on its octave (13 January).46 Finally, at the end of the 17th century, wider interest in the manuscripts of the Circumcision offices of Sens and Beauvais, which were regarded
varia et alios habitos inordinatos et de jure prohibitos et presertim unus defferebat unum tribulum ad collum suum sentiens allia. Quem naso dicti magistri Petri presentabat dum officium vesperorum celebraretur. Fuerint quoque nonnulli ex dictis inhabituatis et larvaria defferentibus et quidam armati et vi domum suam intraverunt et plura ex suis bonis detulerunt quo voluerunt.” “Tribulum”, as the accusative of the masculine “tribulus”, means “caltrop”, “bramble” or “thistle”, or as the accusative of the neuter “tribulum”, means a heavy “threshing-sledge” (as described by Varro). “Tribulum” could also be an alteration of “turibulum” (“censer”), in which case the activity described in this source would be similar to the incensing with the smoke of old shoes described in the 1445 letter. 44 Conciliorum œcumenicorum decreta, p. 468. 45 Gerson, Œuvres complètes, vol. 7,1, p. 409: “[…] se font abhominables desordonnances et insolences qui se peuent assés savoir sans les escrire cy nommeement, car, a gens qui ont point deshonnesteté, c’est tres honteuse chose et grant horreur les reciter ou oïr tant seulement, car ne se feroient mie par soullars en leur cuisine sans avoir honte ou reproche teles insolences […].” 46 Beleth, Summa (Corpus christianorum. Continuatio mediævalis, 41a), pp. 133 – 134; Durand, Rationale, VII–VIII (CCCM, 140b), pp. 112 – 113.
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as offices for the feast of fools, was in its early stages.47 The reviewer of the Journal des sçavans, like many other scholars before him, therefore needed to give his reader some basic information about the feast of fools. Borrowing this information from the Parisian theologians gave the Quis queso passage a particular status as a definitive description of the custom. This is apparent in the fact that the reviewer called the types of behaviour condemned by the theologians “ridiculous ceremonies” of the feast of fools.48 The review of Goussainville’s edition helped its readers locate the 1445 letter within the thick volume and possibly led the bibliophiles among them to Savaron’s edition. It also provided antiquarians with a handy French summary of the feast of fools which they could reuse for their own works. The publication of a Latin translation of the review in 1668 in the Ephemerides eruditorum, the Latin edition of the Journal, spread the information – and the description of the feast – throughout the Republic of Letters.49 From now on – unless he had access to either edition of the letter and compared its Latin text with the French text of the review – the antiquarian had no means of detecting that the reviewer’s description of the feast was a collage of excerpts from the letter itself. Detached from its original context by excerpting, it could be used independently in secondary literature. Some antiquarians returned to the published source and produced comparable descriptions of the feast from the Quis queso passage. The Abrégé chronologique ou Extraict de l’Histoire de France of François de Mézeray, for example, published less than nine months after the review, included some considerations on Odo of Sully and the feast of fools. They were in fact taken from dissertations written for
47 Sens, Bibliothèque municipale, ms. 46 and London, MS Egerton 2615. The earliest dated copy of the Sens manuscript was made in 1661. Copies of it were sent to various parts of France (Paris, BnF, ms. lat. 10520, certified in 1684 by Jacques Boileau, dean of the cathedral of Sens, which belonged to the library of the Marquis de Menars; BnF, ms. lat. 11743, which belonged to the Harlay collection). Several other copies of the manuscript are extant, among others Étienne Baluze’s augmented copy with excerpts of Sens chapter acts concerning the feast of fools (BnF, ms. lat. 1351). Théophile Raynaud or the Jesuit of Lyon responsible for publishing the expanded edition of his ‘Heteroclita spiritualia’ after his death († 1663) was probably referring to one of these copies, when he wrote he had read “a prose of the ass copied from the Ritual of some metropolitan Church” (Raynaud, Heteroclita spiritualia, p. 209). This prose is the Orientis partibus of the Sens manuscript (fol. 1r). On the Sens manuscript, see Boudeau, L’Office de la Circoncision de Sens. Most copies of the Beauvais office bear no date, making it more difficult to organize them chronologically. Passages of a now lost older Circumcision office from Beauvais have been excerpted by Louvet (Louvet, Histoire et antiquitez, pp. 299 – 302). On the latter and more generally on the Circumcision office of Beauvais, see Arlt, Ein Festoffizium. 48 See [Anon.], Petri Blesensis opera [review], p. 99 – 100, cited above (my emphasis). 49 Nitzsch, Le Journal des sçavans, p. 112 – 115. For the development on the feast of fools ibid., pp. 114 – 115.
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Mézeray’s venture by two theologians interested in Church history, Jean de Launoy and François Diroys.50 This is what they wrote about the medieval feast: [Odo] also worked at uprooting an ancient but ridiculous custom, which had been tolerated in the Church of Paris as well as in many others of the kingdom. It was the feast of fools, in some places also called the feast of Innocents. In Paris, it was mainly celebrated on the Day of Circumcision. The priests and clerics went to church with masks on their faces and there committed a thousand insolences. Leaving the church, they were led through the streets on carts, went on stage singing all the nastiest songs, adopting every posture and performing the most impudent buffooneries to which the tumblers resort to entertain the foolish mob. Odo strove to remove this appalling mummery and, to this end, received a writ from a pontifical legate who had come to visit the church. But his intention, as it seems, did not have its full effect and the custom lasted more than 250 years. One finds indeed that, in 1444, the faculty of theology, at the request of some bishops, wrote a letter to all the prelates and chapters in order to condemn and abolish it and that the Council of Sens, which took place in 1460, still speaks of it as an abuse which needs to be removed.51
From the fourth sentence onwards, the text once again uses the Quis queso passage to describe behaviour considered characteristic of the feast of fools. Some details, such as the carts led through the city and the stage (the theatrum of the Latin text), make it clear that Launoy and Diroys went back to the original theologians’ text and were not satisfied with the review – if indeed they had read it at all. The process however remains the same: taking activities described by the letter and turning them into a general description of the custom. Despite extending the words of the letter to all feasts of fools, most interested antiquarians in the last third of the 17th century were still aware of the context from which the activities they described were taken. Jean Deslyons, who apparently did not know of the Parisian letter at the time of his Discours ecclésiastiques contre 50 The fact that Launoy and Diroys were the real authors of the additions on the history of the Church of France was acknowledged at the end of the 17th century by Father Léonard de Sainte-Catherine (Lesaulnier, Art. ‘Diroys, François’, p. 338) and later by a biographer of Mézeray, Daniel de Larroque (Larroque, La Vie, pp. 29 – 30). 51 Mézeray, Abrégé (1667 – 1668), vol. 1 (1668), pp. 431*–432*: “[Odon] travailla encore à arracher une ancienne mais ridicule coustume qui s’estoit soufferte dans l’Eglise de Paris, et en plusieurs autres du Royaume. C’estoit la feste des foux; en quelques endroits on l’appelloit la feste des Innocents. Elle se faisoit à Paris, principalement le jour de la Circoncision, les Prestres et les Clercs alloient en masque à l’Eglise, où ils commettoient mille insolences, et au sortir de la se promenoient dans des chariots par les rues et montoient sur des théâtres chantant toutes les chansons les plus vilaines, et faisant toutes les postures et toutes les bouffonneries les plus effrontées dont les bastelleurs ayent accoustumé de divertir la sote populace. Odon s’efforça d’oster cette detestable momerie, ayant à cét effet obtenu un mandement du Legat du Sainct Siege, qui venoit visiter son Eglise: mais il faut bien croire que son intention n’eut pas son entier effet, et que cette coustume dura encore plus de 250 ans, puisque nous trouvons que l’an 1444 la Faculté de Theologie à la requeste de quelques Evesques, écrivit une lettre à tous les Prelats et Chapitres, pour la condamner et l’abolir, et que le Concile de Sens qui se tint l’an 1460 en parle encore comme d’un abus qu’il faloit retrancher.” The first tome of Mézeray’s ‘Abrégé’ was printed on 10 February 1668, as indicated by the ‘Privilège du roy’ printed on its first pages. On the history of Mézeray’s ‘Abrégé’, see Evans, L’historien Mézeray.
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le paganisme des roys de la fève et du roy-boit in 1664, had read it in Goussainville’s edition before publishing his Traités singuliers et nouveaux contre le paganisme du roi-boit (1670).52 In these new treatises, which were still intended to serve in his war against the tradition of electing kings at Epiphany, he borrows not only from the Quis queso passage, but also from the conclusions appended to the letter, combining these excerpts into a continuous narration of the “enormous abominations, shameful and criminal actions, mixed with an infinite variety of frolicking and insolence”. Explicitly referring to the Parisian letter, Deslyons writes: An abbreviated description [of the abominations, etc.] can be found in the admonition and censure by the faculty of our Sorbonne sent to the bishops and chapters of France within the 15th century the aim of putting an end to such a devilish impiety. Indeed, if all the devils in hell had to found a festival in our churches, they would not set it up differently […]. [1] In cathedral churches, a bishop and an archbishop of fools were elected and their election was confirmed with a lot of antics and ridiculous ceremonies, which served as consecration. [2] After this, they officiated pontifically and went so far as to give a public and solemn blessing to the people, [3] in front of whom they wore the mitre, the crosier and even the archiepiscopal cross. [4] But in exempt churches or in churches which directly came under the Holy See, a pope of fools – unum Papam Fatuorum – was elected. He similarly received all the ornaments of the papacy in great derision, which allowed him to act similarly to and officiate solemnly like the pope. Such pontiffs and dignities were served and assisted by just as disorderly a clergy. [5] In this feast, priests and clerics were seen mixing up follies and impieties during the divine service, which they only attended in short and secular clothes, as for a masquerade or a comedy. Some were masked or made up with faces, which caused either fright or laughter. Others were dressed as women or as vile people, as procurers or actors do. They danced in the choir and sang unseemly songs. Deacons and subdeacons enjoyed eating black pudding and sausages on the corner of the altar, under the celebrant’s nose. Before his eyes, they played cards and dice. They put a piece of old shoe into his censer in order to smoke him out with this smell. After mass, everyone ran, leaped and danced across the church with such impudence that some did not blush to show their most shameful nudity. Then, they had themselves dragged across the streets in filthy tipcarts. They stopped in the most public crossroads and squares, where they enjoyed giving some [filth from the tipcarts?] to the mob, who gathered around them. With their body, they made lascivious movements and gestures and turned their mouth into a sewer out of which flew a stream of impudent and shameless words. [6] The most libertine of the city inhabitants mixed with the clergy and impersonated fools dressed up as ecclesiastics, monks or nuns.53 52
Deslyons, Traités. Deslyons, Traités, pp. 294 – 296 (numbering is mine): “Nous en avons une description abregée dans la Remontrance & dans la Censure qu’en fit au quinziéme Siecle la Faculté de nostre Sorbonne, qu’elle adressa aux Evesques & aux Chapitres de France, pour faire cesser une impieté si diabolique. Car il est vray que si tous les diables de l’Enfer avoient à fonder une Feste dans nos Eglises, ils n’en pourroient pas ordonner autrement […]. On élisoit dans les Eglises Cathedrales un Evesque, ou un Archevesque des Fous; & leur Election estoit confirmée par beaucoup de singeries, & de Ceremonies ridicules, qui leur servoient de Sacre. Aprés quoy, on les faisoit officier pontificalement, jusqu’à donner la benediction publique & solemnelle au peuple; devant lequel ils portoient la Mitre, Crosse, & mesme la Croix Ar53
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Deslyons adds a marginal note in which the Latin text of the Quis queso passage is printed after Goussainville’s edition. In comparison with the review in the Journal des sçavans and Mézeray’s Abrégé, Deslyons’ description is much more detailed. This can be explained by the fact that he used not only the Quis queso passage, but also adapted and integrated the content of several conclusions appended to the letter: [1] is borrowed from conclusion 2, [2] from conclusion 4, [3] from conclusion 3, [4] from conclusion 6, [6] from conclusion 11, and [5] includes elements of conclusions 7 and 9. Prohibitions enunciated in these conclusions (“It is forbidden to…”, “it is unsuitable to…”, “it smacks of heresy to…”) are turned into affirmative sentences (“They danced”, “they played cards”, “everyone ran”), generating new activities and contributing towards a more vivid picture. A closer look at [5] itself shows that Deslyons’ text is a rather loose translation of the Quis queso passage. Several times he adds information drawn from his own imagination: „ludum taxillorum exercere“ becomes “to play cards and dice”; clerics are said to „currere, saltare“ across the church, which Deslyons translates as „run, leap and dance“; the distribution of filth (?) to the mob is yet another of his inventions. Some Latin words receive a different or more specific meaning than required: “offe pingue” (“fatty bits of food shaped into a ball”) is rendered by “black pudding and sausages” and “turpitude” is given a bodily meaning (“nudity”). In extending the description by integrating new fragments of sources and creatively translating the Latin passage of the letter, Deslyons initiated a process that eventually led to the creation of a series of texts which were similar but not identical to one another. Another churchman, Jean-Baptiste Thiers, theologian and curate of Champrond (diocese of Chartres) – or the source he seems to quote – transformed the Quis queso chiepiscopale. Mais dans les Eglises exemptes ou bien qui relevoient immediatement du S. Siege, on élisoit un Pape des Fous, unum Papam Fatuorum, à qui on donnoit pareillement & avec grãde derision, tous les ornemens de la Papauté, afin qu’il pût agir de mesme, & officier solemnellement comme le Pape. Des Pontifes & des Dignitez de cette espece, estoient servis & assistez d’un Clergé aussi desordonné. On voyoit les Prestres & les Clercs en cette Feste, faire un mélange monstrueux de folies & d’impietez parmy le Service divin, où ils n’assistoient ces jours là qu’en habits courts & seculiers, de Mascarade, ou de Comedie. Les uns estoient masquez, ou barboüillez, avec des visages qui faisoient peur, ou qui faisoient rire: les autres en habits de femmes, ou de personnes infames, tels que sont les Ministres de l’impudicité, & du Theatre. Ils dançoient dans le Choeur en chantant des Chansons deshonnestes; Les Diacres & Sousdiacres prenoient plaisir de manger des boudins & des Saucisses sur le coin de l’Autel, au nez du Prestre celebrant. Ils faisoient devant ses yeux, des jeux de Cartes & de Dez. Ils luy mettoient dans l’Encensoir quelque morceau de vieille savatte, afin de l’empuantir de cette odeur. Aprés la Messe, chacun couroit, sautoit, & dançoit, par l’Eglise, avec tant d’impudence que quelques uns n’avoient pas honte de faire voir leur nudité la plus honteuse. Ensuite, ils se faisoient traisner par les ruës dans de sales Tombereaux. Ils s’arrestoient aux Carrefours & aux places les plus publiques, où ils prenoient plaisir d’en donner à la populace, qui s’assembloit autour d’eux. Ils faisoient de leurs corps des mouvemens & des gestes lascifs, & de leurs bouches un égoust de paroles impudentes & impudiques. Les plus libertins des Villes se mesloient parmy le Clergé, pour faire aussi quelque personnage des Fous, en habit Ecclesiastique, ou de Religieux & de Religieuses.”
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passage in a similar fashion. In his Traité des jeux et des divertissemens, published in 1686, he writes (or quotes): We learn from the circular which the University of Paris wrote to the prelates and Churches of France in 1444 that, during the very celebration of the divine office, the ecclesiastics appeared, some with monstrous masks over their faces, others dressed as women, vile people or histrions; that they elected a bishop or archbishop of fools; that they dressed him in pontifical clothes; that they had him giving the blessing to those who chanted the lessons at matins as well as to the people; that they celebrated the office and attended it in secular clothes; that they danced in the choir; that they sang dissolute songs; that they ate fatty flesh even on the altar and next to the celebrant; that they played dice; that they incensed with the smoke of old shoes they burnt; that they ran and danced shamelessly; that they wandered in the cities on stages and in carts in order to be seen; finally, that in order to make the people laugh, they adopted indecent postures and uttered impure and farcical words.54
In Thiers’ text, as in Deslyons’, the link to the 1445 letter is still explicit. Again, some details make it clear that he (or his source) returned to the original text, probably in Goussainville’s edition.55 Finally, his translation, like Deslyons’, introduces further small variations (“offe pingue” is here translated as “chair grasse”). I will return later to their consequences. Unlike the reviewer of the Journal and Mézeray’s Abrégé, however, Deslyons and Thiers did not suggest that they were describing the feast of fools, but rather the excesses which took place during its celebration. Like many other churchmen of their time, they knew how risky it was to quote overly lengthy passages of the letter. The Parisian theologians were indeed condemning a custom which looked just as appalling to 17th century exegetes, but also stated that it had been mainly celebrated by “priests and clerics”, that is by members of the very institution to which Deslyons, Thiers and others antiquarians belonged. In order to save the Church’s honour, the 54
Thiers, Traité des jeux, p. 441: “Car nous apprenons de la Lettre Circulaire que l’Université de Paris écrivit aux Prelats & aux Eglises de France en 1444. que dans le temps même de la celebration des offices divins les Ecclesiastiques y paroissoient les uns avec des masques d’une figure monstrueuse; les autres en habits de femmes, de gens infames, ou d’histrions; Qu’ils élisoient un Evêque, ou un Archevêque des fous; qu’ils le revêtoient d’habits Pontificaux; qu’ils lui faisoient donner la benediction à ceux qui chantoient les leçons de matines & au peuple; Qu’ils faisoient l’office & qu’ils y assistoient en habits seculiers; qu’ils y dansoient dans le choeur; qu’ils y chantoient des chansons dissoluës; qu’ils y mangeoient de la chair grasse jusques sur l’autel & proche du celebrant; qu’ils y jouoient aux dez; qu’ils y faisoient des encensemens avec la fumée de leurs vieux souliers qu’ils brûloient; Qu’ils y couroient, qu’ils y dansoient sans aucune honte; qu’ensuite ils se promenoient dans les Villes sur des theatres & dans des chariots à dessein de se faire voir; & qu’enfin pour faire rire le peuple, ils faisoient des postures indecentes, & proferoient des paroles d’impureté & de boufonnerie.” The diacritic marks (“) in the margin suggest that Thiers quotes someone else’s translation, unless he is intending to deceive his reader by claiming that he is quoting the 1445 letter itself. I have not been able to identify Thiers’ source. 55 The bishop or archbishop of fools’ blessing of the clerics who read the lessons at matins is only mentioned in conclusion 4. It is absent from both the anonymous review of the Journal des sçavans, Mézeray’s ‘Abrégé’, and Deslyons’ text.
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latter often strove either to downplay the feast’s proliferation or to lay the blame for its excesses on a handful of black sheep. Deslyons did both, emphasizing that the theologians only reported excesses and claiming that the feast of fools had been celebrated merely in “some particular Churches”.56 III. Many times (almost) the same thing In the last quarter of the 17th century, the feast of fools found its way into dictionaries and other reference works, and once again the activities described by the 1445 letter played an important role in shaping antiquarians’ ideas. In 1678, Charles Du Cange included an exposition of the feast of fools in his Glossarium ad scriptores mediæ et infimæ latinitatis – a true encyclopædia on the Middle Ages.57 Like the Parisian theologians, Du Cange believed the medieval feast was a continuation of the calends of January, thus placing the sources concerning it under Kalendae, and organized them into a historical narrative. In his view, the pagan festival had survived in the Eastern Roman Empire, from where it travelled back to the West some time before the 12th century and became known as the feast of fools; this feast was finally abolished in the 15th century in France and in the 16th century in England.58 Unsurprisingly, the 1445 letter is mentioned towards the end of this narrative, as evidence for the abolition of the feast in France. The Quis queso passage is quoted extensively, but Du Cange does not state whether he considers the list of activities to be a description of the feast itself or only of its excesses, leaving the decision to his readers. Since the Glossarium quotes sources in their original language, translation is not an issue here. Du Cange’s Glossarium and the 17th century treatises quoted above quickly became, in turn, sources for antiquarians. In 1689, Pierre de Saint-Glas, abbot of Saint-Ussan, published a Supplément to Louis Moreri’s Grand dictionnaire historique. Among the additions is a series of entries on feasts, organized by religion, and complemented by a group of five “fêtes particulières”: Corpus Christi, the feast of the ass, the feast of fools, the feast of Innocents, and the feast of Oes – a group of feasts before Christmas, which owe their name to the apostrophe (O!) with which the Mag56 Deslyons, Traités, p. 293: “Ce n’a pourtant esté qu’un abus de quelques Eglises particulieres; & ce seroit mal raisonner de conclure, que ces folies payennes, ont esté sanctifiées par la Religion Chrestienne.” 57 Du Cange, Glossarium (1678), vol. 2,2, col. 183 – 185. Du Cange claims that Goussainville had reprinted Savaron’s edition (“[…] Epistolæ, quam edidit Savaro, et ex eo Gussanvilla”, ibid., col. 185), which is incorrect, as we have seen. 58 Du Cange considered the feast of fools and the boy bishop to be the same custom. He therefore saw in the mention of a miter and a ring for the latter in an inventory of the liturgical ornaments and vessels of York cathedral (around 1500 – “1530”, writes Du Cange) proof that the feast of fools had been celebrated longer in England (ibid.). On the boy bishop, see Skambraks, Das Kinderbischofsfest, as well as Dahhaoui, L’évêque des Innocents, to be published in the collection “Le Nœud gordien” (Presses universitaires de France).
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nificat antiphon of the vespers starts.59 These additions were integrated into the seventh edition of the Grand dictionnaire, published in 1694.60 The article “feast of fools” is a selection of passages from Thiers’ expositions of the custom and dances in the Church, corrected and supplemented by Du Cange’s Kalendae article. The pattern according to which the information is organized remains unclear, but is however not chronological.61 The “circular of the doctors in theology of the faculty of Paris” is not quoted at the end of the article, but at its very beginning, immediately after a general statement about the feast. This prominent position is a new sign of the significance of the Quis queso passage. New material on the feast of fools was unearthed in the first decades of the 18th century. Besides a growing interest in the so-called „offices of the feast of fools“ of Sens and Beauvais, some scholars undertook new research to document the custom. The most significant is probably Jean Lebeuf, sub-cantor of the cathedral of Auxerre, who collected sources he found in Parisian libraries and in his own church and wrote considerations on them, which he sent to Antoine de La Roque for publication in his Mercure de France in the 1720s and 1730s.62 In 1725 the same journal published a letter from Jean Bénigne Lucotte, sieur du Tilliot, to Philibert-Bernard Moreau de Mautour, a member of the Académie des Inscriptions et Belles-Lettres born in Beaune. In it this antiquarian and gentilhomme of the duke of Berry, who lived in Nuits (next to Dijon) and had hardly published anything, revealed that he was gathering memoranda (“Mémoires”) on the origins of the feast of fools and the institution of a local “compagnie joyeuse”, the Dijon compagny of MèreFolle.63 Some years later, in 1741, Du Tilliot published his Mémoires pour servir à l’histoire de la fête des foux, the results of his researches on this topic. This book, like Du Cange’s Glossarium, was to become a reference work on the feast of fools and to remain so until the end of the 19th century.64 Hardly a word of it, however, was by the author himself. The Mémoires are a collage of excerpts from scholarly journals, dictionaries and monographs, as well of sources copied by others – in particular by Philibert de La Mare, counsellor at the Parliament of Burgundy. Du Tilliot’s intervention was confined to discovering relevant passages – with the help of 59
Saint-Glas, Supplément, p. 245 – 246, for the feast of fools. Moreri, Grand dictionnaire historique, vol. 2, pp. 513 – 515, for the feast of fools. 61 Saint-Glas’ article mentions: the 1445 letter, Jean Beleth (1160s), Guillaume Durand (1291), Théophile Raynaud (1665), the Council of Basel (1431), Beleth again, Odo of Sully (1198), the provincial Councils of Rouen (1445), Sens (1528), Lyon (1566) and Toledo (1566), an inventory of York cathedral (around 1500), the fourth Council of Constantinople (869 – 870), and the fourth Council of Toledo (633). 62 [Lebeuf], Basse Latinité; [Lebeuf], Defructus; [Lebeuf], Particularitez singulieres; [Lebeuf], Faire le déposuit. See also Lebeuf’s later works: Lebeuf, Dissertations, vol. 2, pp. 277 – 280 and the ‘Supplément aux Preuves de ces Memoires’ printed in Lebeuf, Mémoires, vol. 2, pp. 310 – 313. On Jean Lebeuf, see Bisaro, L’abbé Lebeuf. 63 [Du Tilliot], Lettre. 64 Du Tilliot, Mémoires. 60
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canon Philippe-Louis Joly65 – and organizing them into a coherent narrative. Their content itself remained untouched, with the result that the same source, quoted in different publications, sometimes appears in several places in the book.66 The 1445 letter is mentioned in no less than five different places. Leaving apart a footnote reference to the review in the Journal des sçavans (on page 42), the letter is quoted in excerpts from Mézeray’s Abrégé (on page 32), Deslyons’ Discours and Traités (on pages 5 – 6 and 30), and Thiers’ Traité (on page 7 – 8). Deslyons’ and Thiers’ “translations” appear on the first pages of the Mémoires, where Du Tilliot explains the feast of fools, after giving some information on the Saturnalia (from which it is supposed to descend) and on the route through which the custom travelled from Constantinople to the West. The strategic location of these translations makes it clear that Du Tilliot considered the Quis queso passage as a handy description of the feast of fools. This is also confirmed by the selection of the excerpt taken from Deslyons’ Traités. Whereas Du Tilliot had kept the reference to the Parisian letter in the excerpt from Thiers,67 he dropped it in the passage quoted from Deslyons’ Traité on pages 5 and 6, immediately after a short excerpt from Moreri’s Grand dictionnaire: Let us go into further detail. These feasts were a rejoicing celebrated by clerics, deacons and even priests in several churches during the divine office on certain days, mainly from Christmas to Epiphany and notably on New Year’s Day. For this reason it was also called the feast of calends [= Moreri’s Grand dictionnaire]. In cathedral churches, a bishop and an archbishop of fools were elected […] [= Deslyons’ Traités].68
The omission of the reference to the 1445 letter – whether deliberate or not – again contributes to divorcing the quoted passage from its context and leads the reader to believe that the statements he reads are universally valid. IV. Unknowingly comparing something with itself With his Mémoires Du Tilliot had provided the Republic of Letters with a wealth of information on a festival in which antiquarians were increasingly interested. In an age – the Enlightenment – in which human reason was so highly valued, a feast celebrating folly was a conundrum. The German philosopher Christoph Meiners, a professor for world wisdom (Weltweisheit) at the university of Göttingen and a pioneer in 65
Joly, Lettre. Odo of Sully’s ordinance (1198), for example, is mentioned three times solely on page 31, in excerpts from: 1) Thiers, Traité des jeux, p. 442; 2) Guyot Desfontaines/Du Castre d’Auvigny/La Barre, Histoire, vol. 1, p. 138; and 3) Mézeray, Abrégé (1690), vol. 1, p. 578. 67 Du Tilliot, Mémoires, p. 7 = Thiers, Traité des jeux, p. 441: “NOUS aprenons de la Lettre circulaire que l’Université de Paris écrivit aux Prélats & aux Eglises de France en 1444.” 68 Du Tilliot, Mémoires, p. 5. I use italics to point out Du Tilliot’s borrowed words. For the full passage of Deslyons, see above. 66
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the history of religion, for example, made the feast of fools an illustration of the depth human reason had reached in the Middle Ages, a time when Christians “believed that God and the saints were honoured by the feasts which were celebrated in their name, and that the more unbridled the excesses to which one succumbed, the more they would feel honoured”.69 The strangeness of the custom nevertheless puzzled the antiquarians who actively looked for knowledge about it. In France and the rest of Europe, the Mémoires were the antiquarians’ main source. By 1751, apart from the 1741 in-quarto edition of the book, two pirated in-octavo editions existed. In 1743, Jean-Frédéric Bernard integrated it into the eighth volume of his Cérémonies et coutumes religieuses de tous les peuples du monde, illustrated by Bernard Picart – and therefore known as “le Picart”.70 Two extant letters from Bernard to Du Tilliot clearly show that the editor had not waited for the author’s permission to reproduce his work.71 In 1751, the Mémoires had not only become easily available, but their content was already being glossed and augmented. That year, Antoine Gachet d’Artigny, a canon of the cathedral of Vienne (Dauphiné), included in the fourth volume of his Nouveaux mémoires d’histoire, de critique et de littérature an article entitled Extrait des Mémoires pour servir à l’Histoire de la Fête des Foux, in which he combined passages of Du Tilliot’s book with his own comments and additions – particularly Latin quotations from the sources mentioned by Du Tilliot.72 In short, within ten years of its publication, the Mémoires had become – with the Kalendae article of Du Cange’s Glossarium – the main reference work on the feast of fools. Excerpts from the book soon invaded all the historiography on the topic, both in French and in translation.73 Since Du Tilliot did not always clearly acknowledge authors he had excerpted, finding one’s way back to them – and hence further back to the medieval sources Deslyons, Thiers and others had used – could prove something 69 Meiners, Historische Vergleichung, vol. 2, pp. 241 – 251, here p. 241: “Die Christen des Mittelalters waren gleichfalls in der Meynung, daß Gott und die Heiligen durch die Feste, die man ihnen feiere, geehrt, und zwar um desto mehr geehrt würden, je mehr man sich den zügellosesten Ausschweifungen überlasse.” 70 Cérémonies et coutumes (1743). On this collection of treatises, see Hunt/Jacob/Mijnhardt, The Book. 71 Dijon, Bibiliothèque municipale, ms. 2011, fol. 52r–53r. 72 Gachet d’Artigny, Mémoires, vol. 4, pp. 279 – 322. 73 In 1774, the ‘Gelehrte Beyträge zu den Braunschweigischen Anzeigen’ published an anonymous article entitled ‘Beschreibung einiger sonderbarer Gebräuche der mittlern christlichen Kirche’ (Beschreibung). On the feast of fools, its author translated and reorganised some excerpts from Du Tilliot, Mémoires (notably the passage Du Tilliot had excerpted from Deslyons and quoted on page 5 of his Mémoires). In England, the book seems to have been used slightly later, maybe because of the distrust caused by the fact that Du Tilliot did not quote the original sources upon which he relies. Francis Douce, for example, criticised the ‘Mémoires’ for being “on the whole very confused and immethodical, from his indiscriminate admission of extraneous matter”, Douce, Some Remarks, p. 229. This critique did not prevent Douce from using passages from Du Tilliot for his own paper.
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of a challenge for the readers of the Mémoires. This situation led to some misunderstandings. For example, Du Tilliot had copied a passage from Thiers, in which the author was referring to the opera omnia of Peter of Blois for the text of the 1445 letter.74 From this information, Joseph Strutt, an English engraver and antiquarian, deduced that Peter of Blois had written the letter himself!75 Even more problematic was the fact that the Quis queso passage describing the priests’ and clerics’ activities had been so often and so widely quoted and copied from Deslyons, Thiers and Du Tilliot that it proved almost impossible for an antiquarian to detect it as the basis of the texts he was reading. Diderot’s and D’Alembert’s Encyclopédie is an early example of this state of confusion. The article ‘Fete des fous’ had been assigned to the Chevalier de Jaucourt, who wrote it using the same method as Du Tilliot, that is arranging excerpts into a narrative.76 He took around three quarters of his material directly from the Mémoires, and copied the rest either from Moreri’s Grand dictionnaire or Henri Sauval’s Histoire des antiquités de Paris.77 Following roughly the same outline as Du Tilliot, Jaucourt first recalled the Saturnalia and the route through which the feast – which was to become the feast of fools – had reached Western Europe. He then mentioned the priests’ and clerics’ behaviour from pages 5 and 6 of the Mémoires – in fact from the Quis queso passage quoted by Deslyons’ Traités, which, in turn, was excerpted by Du Tilliot. Because of Du Tilliot’s selection of text for the excerpt, Jaucourt could not know that this passage was from the 1445 letter. Immediately after the quotation, he wrote: The portrait we have just drawn of the disorders during the ‘feast of fools’, far from being a caricature, is extremely toned down. The reader can convince himself of this fact by reading the circular of 11 March 1444, addressed by the university of Paris to the clergy of the kingdom. This letter can be found after the complete works of Peter of Blois. Sauval (tome II, page 624) gives only an extract of [the letter], which suffices on this matter. The letter states that, during the divine office, […].78 74 Thiers, Traité des jeux, p. 442, quoted in Du Tilliot, Mémoires, p. 31: “L’on peut voir toutes ces Ordonnances [those of Odo of Sully and Pierre of Nemours], aussi bien que la lettre circulaire de l’Université de Paris à la fin des œuvres de Pierre de Blois de l’édition de Monsieur de Goussainville.” 75 “Circular Letter addressed to the Clergy of France, by P. de Blois, published A.D. 1444” and further “P. de Blois, ut supra”, Strutt, Glig-gamena, p. 257. Strutt in fact translated the excerpts of the ‘Mémoires’ used for the article ‘Fete des fous’ of the ‘Encyclopédie’. 76 Jaucourt, Fete des fous (1756). 77 Sauval, Histoire et recherches, p. 624. Just as Du Tilliot, Jaucourt uses the 1705 edition of Moreri’s ‘Grand dictionnaire historique’. Renée Relange, who underestimated the extent of Jaucourt’s borrowings from Du Tilliot, attributed many sentences to the former, who in fact had copied them word for word from the ‘Mémoires’ (Relange, La fête des fous). 78 Jaucourt, Fete des fous (1756), p. 574: “Le portrait que nous venons de tracer des désordres de la fête des fous, loin d’être chargé, est extrêmement adouci; le lecteur pourra s’en convaincre en lisant la lettre circulaire du 11 mars 1444, adressée au clergé du royaume par l’université de Paris. On trouve cette lettre à la suite des ouvrages de Pierre de Blois, & Sauval, tom. II, pag. 624, en donne un extrait qui ne suffit que trop sur cette matiere. Cette lettre porte que pendant l’office […].”
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There follows another translation of the Quis queso passage, this time in Sauval’s reworking of Moreri’s text – of Thiers’ translation reworked by Pierre de Saint-Glas, in fact. In other words, by 1756 the passage had been quoted, translated, reworked and excerpted so many times that an antiquarian as skilled as Jaucourt could unknowingly compare it with itself. The intermediaries between the source in Savaron’s or Goussainville’s editions and the Encyclopédie were now so numerous, and the original text had undergone so many minor changes that it had become impossible to recognize the single source from which all these different versions had descended. V. Shaping the image of the feast of fools The process, however, did not stop with the Encyclopédie, and excerpts of excerpts – to say the least – where being used long after the middle of the 18th century.79 In the first years of the 19th century, a further consequence of the omnipresence of the Quis queso passage in the historiography on the feast of fools can be observed. As we saw earlier, Du Tilliot’s Mémoires had been reprinted in 1743 in the eighth volume of Jean-François Bernard’s Cérémonies et coutumes religieuses. An augmented edition of the collection was printed in Paris between 1807 and 1810. Several new additions were made to the eighth volume, notably a series of short dissertations on the feast of fools in various French cities, some of them illustrated with engravings by Charles Nicolas Ransonnette.80 I will focus upon the dissertation dedicated to the feast of fools in Viviers (north of Avignon). The local celebration of the feast in Viviers had been quite well known since the end of the 1720s, when Antoine Lancelot, an Associate Member of the Académie des Incriptions et Belles-Lettres, had published a dissertation on a 14th century Viviers “Ritual”.81 This manuscript – which is no longer extant – contained details of the election of a fool bishop (“episcopus stultus”), parodic indulgences given on his behalf, the election of an abbot of the lower clerics (“abbas clericulorum”) and a song contest between the clerics sitting in the higher and lower stalls. Excerpts of the manuscript had been published in 1733 in the revised edition of Du Cange’s Glossarium, and large passages of Lancelot’s dissertation were copied in Du Tilliot’s Mémoires.82 It is therefore somewhat surprising that the editor of the augmented eighth volume of the Cérémonies et coutumes religieuses thought it useful to add a dissertation on the feast of fools in Viviers, which consisted mainly of a translation of the 79 80
311.
Du Tilliot, Mémoires are still regularly quoted in Heers, Fêtes des fous. Additions aux ‘Mémoires’ de Du Tilliot, in: Cérémonies et coutumes (1809), pp. 295 –
81 Lancelot, Recueil d’inscriptions. This manuscript is known today as the ,Livre du maître de chœur‘ and is only extant in partial modern scholarly copies; for a list, see Gouin, Le livre, pp. 337 – 460. 82 Du Cange, Glossarium (1733 – 1736), vol. 3 (1733), col. 1664 – 1665 and Du Tilliot, Mémoires, pp. 27 – 29.
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excerpts of the “Ritual” quoted in Du Cange’s Glossarium together with a new translation of the Quis queso passage, also published in the Glossarium.83 Even more surprising is the fact that the engraving prepared by Ransonnette to illustrate the dissertation did not rely on the information provided by the Viviers “Ritual”, but was instead inspired only by the Quis queso passage. The engraving, entitled “Ceremonies of the feast of fools celebrated in Viviers and other cities on 1 January”, shows several groups of people, clothed as 19th century clerics and laymen, in the choir of a church (Fig. 1), possibly inspired by the choir of Viviers cathederal (Fig. 2). On the altar, next to the celebrant, two clerics are playing dice (D), while a prankster eats meat (C: “Farceur qui mange de la viande sur l’autel à côté du Célébrant”). On the left, two false clerics are waving smoking censers filled with “old leather instead of incense” (E). In the foreground and elsewhere in the church, groups of masked people (M) and jongleurs (L) put on shows for the crowds of laymen who gather around them. In short, Ransonnette chose to depict all the types of behaviour described by the Parisian theologians and to stage them in a single church choir, suggesting that the Quis queso passage is a description of a typical feast of fools as celebrated in Viviers and elsewhere. The origin of Ransonnette’s information is confirmed by the presence in the picture of a strange figure, namely a “masked character covered with a lion skin, who addresses the cantors sharply” (F). Such a costume can only be explained by the fact that the editors of the augmented version of Du Cange’s Glossarium introduced a misprint in the text of the Quis queso passage: instead of “lenonum” (“procurers”), the text now had “leonum” (“lions”).84 Ransonnette’s decision to rely on the Quis queso passage rather than the Viviers “Ritual” as a source for his depiction of the feast of fools as celebrated “in Viviers and in other cities”, and the possible choice of this city’s cathedral as the setting for the scene, shows that the passage was now considered suitable to describe not only the feast of fools in general, but also any of its local celebrations.85 VI. Unanimous descriptions A final example gives us a glimpse of the intricate historiographical situation at the end of the 19th century, when human and social sciences started showing an interest in the feast of fools and were confronted with a profusion of untraceable information in ancient and recent books. This example is Scatologic rites of all nations by 83
Cérémonies et coutumes religieuses (1809), pp. 308 – 309. Du Cange, Glossarium (1733 – 1736), vol. 3, col. 1666: “Divini ipsius Officii tempore larvati, monstruosi vultibus, aut in vestibus mulierum, aut leonum, vel histrionum [my emphasis].” 85 A similar process was at work in books of local history. In 1860, for example, César Couret describes the feast of fools in Aubagne (east of Marseilles) using a hardly recognizable version of the Quis queso passage (Couret, Histoire, p. 14). Couret’s description relies on Papon, Histoire de Provence, vol. 3, pp. 212 – 213, which, in turn, quotes page 5 of Du Tilliot, Mémoires. 84
Fig. 1: Charles Nicolas Ransonnette, “Ceremonies of the feast of fools celebrated in Viviers and other cities on 1 January”, Cérémonies et coutumes religieuses […], Tome huitième (1809). Picture: Bibliothèque cantonale et universitaire, Lausanne.
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Fig. 2: Viviers cathedral. Choir, main altar with six candelabra and a cross, statues under canopies. Picture: france-voyage.com.
John Gregory Bourke, first published in 1891.86 The initial impulse which led Bourke, a captain of the Third Cavalry, U.S. Army, and an amateur ethnographer, to start gathering examples of the ritual use of urine and excrement in cultures present and past was a traumatic experience during a stay in a Zuñi village in New Mexico on the evening of 17 November 1881. On that evening, Bourke attended a ritual dance of the Newekwe, a secret order of the Zuñis, celebrated in the house of his host, Frank H. Cushing. The last step of this complex ceremony, which involved a parody of a Mexican Catholic vesper office and cross-dressing, consisted of a particular kind of drink: “a squaw entered, carrying an ‘olla’ of urine, of which the filthy brutes drank heartily”. The squaw later came back with more of this beverage: The dancers swallowed great draughts, smacked their lips, and, amid the roaring merriment of the spectators, remarked that it was very, very good. The clowns were now upon their mettle, each trying to surpass his neighbors in feats of nastiness. One swallowed a fragment of corn-husk, saying he thought it very good and better than bread; his vis-à-vis attempted to chew and gulp down a piece of filthy rag. Another expressed regret that the dance had not been held out of doors, in one of the plazas; there they could show what they could do. There they always made it a point of honor to eat the excrement of men and dogs.
The American observer did not hide his relief when the ceremony reached an end and when he was finally allowed out to breathe some fresh air.87 Bourke recognized many characteristics of the Zuñi urine dance in the medieval feast of fools he had discovered through Jacques-Antoine Dulaure’s Des divinités 86 87
Bourke, Scatologic Rites. Ibid., pp. 5 – 6.
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génératrices.88 After all, did not Dulaure mention in his description of the feast of fools – the Quis queso passage in Deslyons’ translation – parodying the divine office, cross-dressing, throwing filth to the mob, and eating “boudin” (“blood-pudding”), a French substantive which could also mean “excrement”?89 Bourke was tempted to establish a direct relationship between the medieval feast of fools and the ritual he had witnessed in Cushing’s house. Maybe the Spanish missionaries, who had been active among the Zuñi since 1580, had discovered a tribal orgy there and, like the Church with pagan rites during the first centuries of Christianity, had tolerated it under the guise of the feast of fools with which they were familiar?90 These suspicions encouraged Bourke to find more information on the feast of fools. On the feast itself, apart from Des divinités génératrices, he read three other French books: “Picart’s account” – that is Du Tilliot’s Mémoires in Bernard’s Cérémonies et coutumes religieuses91 –, “Diderot and D’Alembert’s Encyclopaedia” – that is the article by the Chevalier de Jaucourt92 –, and Victor Hugo’s Notre Dame de Paris,93 as well as a few English books: Thomas Fosbroke’s Encyclopaedia of antiquities,94 John Brand’s Observations on popular antiquities,95 Joseph Strutt’s Sports and pastimes96 and William Hone’s Ancient mysteries described.97 He found that most of these books agreed with each other on what happened during the feast of fools. He even carried out some bibliographical work, which allowed him, for exam88
Dulaure, Des divinités génératrices, pp. 351 – 354. Bourke, Scatologic rites, p. 12. Dulaure had read Deslyons’ translation on pages 5 and 6 of Du Tilliot’s ‘Mémoires’. 90 This is a subtle variation on the popular polemic theory of accommodation, according to which the catholic Church had integrated many features of antique pagan cults in order to attract the pagans to their new religion. Bourke’s thesis that the medieval feast of fools had perhaps been exported in extra-European cultures and had survived its abolition in Europe was later to lead Michel Foucault to examine the possibility that the feast of fools had survived until the 20th century among the Songhai sect of Hauka in Accra (Ghana). See Dahhaoui, La fête des fous. 91 Bourke, Scatologic rites, pp. 13 – 14, claims that he used “Picart, ‘Coûtumes et Cérémonies religieuses de toutes les Nations du Monde’, Amsterdam, Holland, 1729, vol. ix. pp. 5, 6”. In 1729, however, only the seven first volumes of the ‘Cérémonies et coutumes religieuses’ had been published. Two further volumes (“Tome septieme seconde partie” and “Tome huitieme”!) were added in 1743. 92 Jaucourt, Fete des fous (1778). 93 Hugo, Notre-Dame de Paris, vol. 1, pp. 79 – 92 (Book I, chapter 5) and pp. 123 – 130 (Book II, chapter 3). 94 Fosbroke, Encyclopedia of Antiquities, vol. 2, p. 663 – 664 (art. ‘Festivals’). 95 Here again, Bourke’s reference is inaccurate. Bourke, Scatologic rites, p. 16, refers to “Brand’s ‘Popular Antiquities’, 1873, vol. 3, pp. 497 – 505”. This reference does not correspond to either of the two editions of Brand’s ,Observations‘ in three volumes (London 1841 – 1842 and London 1853 – 1855). The passage quoted by Bourke corresponds to Brand, Observations (1813), vol. 1, pp. 117 – 118. 96 Strutt, The Sports, pp. 345 – 346. 97 Hone, Ancient Mysteries, pp. 157 – 167. 89
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ple, to detect that Hone was quoting from Thomas Warton’s The History of English Poetry, and that Fosbroke derived most of his information from Du Cange.98 Had he continued this fastidious work, he would have realized that the close agreement of his readings on the feast of fools was due to the fact that most of them indirectly quoted the same Quis queso passage (Fig. 3).
Fig. 3: Articles and books read by John Gregory Bourke, and their connection to the letter of 1445.
At the end of the 19th century, when disciplines such as anthropology or folklore were about to develop an interest – even if marginal – in the feast of fools, the information provided by two centuries of historiography could not be traced back to the sources from which it was drawn. This information was heavily fragmented, quoted in a few lines of histories of a local church, lexica, encyclopaedias, scholarly journals 98 Bourke, Scatologic rites, pp. 15 and 20. The reference to Warton, however, is not “Wharton, ‘Miscellaneous Writings upon the Drama and Fiction’, vol. ii. p. 369”, as Bourke claims (p. 20), but Warton, The History, vol. 2, pp. 369 – 370.
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or treatises on man’s habits. Access to a well-resourced library was essential to a scholar to detect the multiple borrowings, translations and slight modifications which turned one Latin text into an infinity of texts – each looking sufficiently similar to the others so as to appear to describe the same custom, but also looking sufficiently different so as to appear not to be an exact copy. Significantly enough, one of the rare historians who, at the beginning of the 20th century, tried to disentangle the complex network of borrowings in the historiography on the feast of fools, Edmund K. Chambers, had access to both the British and Bodleian Libraries, two of the main European book depositories.99 VII. Conclusion The letter of the faculty of theology had a mixed reception in 1445. In several French cathedrals, the feast of fools had been celebrated for more than two centuries and become part of the local ecclesiastical customs (consuetudines), as shown by its inscription in some libri ordinarii. Consequently, the exhortation of the Parisian theologians encountered resistance from many chapters. In Troyes, the revolt of 1444 against bishop Léguisé was still brewing in 1445. On 4 April, the faculty of theology sent one of its masters to preach against the feast and set out the content of the conclusions in French. Parchment quires containing the text of the conclusions were fixed to the doors of several city churches so that everyone would read them. On the following night, the treasurer and the scholaster of Saint-Étienne went to Saint-Jean, tore down the quire from the church’s doors, burnt it, and replaced it by a lampoon stating that Léguisé had been excommunicated several years ago. The intervention of both a representative of Léguisé and the vicar of the general inquisitor for the kingdom of France was necessary to punish the agitators.100 In Besançon, the theologians’ letter and their conclusions were read at the chapter meeting, but no decision was taken despite the majority of canons being in favour of the feast’s abolition.101 In other words, the 1445 letter did not have immediate consequences in all the Churches to which it had been sent. The theologians were more successful with antiquarians. The types of behaviour they set out in their letter corresponded perfectly to the kind of follies expected in a 99
Chambers, The mediaeval stage, vol. 1, pp. 274 – 335. This information is drawn from the sentences against and the confessions of the treasurer and the scholaster of Saint-Étienne, Troyes, Archives dép. de l’Aube, G 4171, fol. 46r–49v. On this affair, see Walravens, Insultes. 101 Act of the cathedral chapter of Besançon, 15 December 1445, Besançon, Archives départementales du Doubs, G 180, fol. 85v: “De festo fatuorum fuit lecta epistola in Universitate Parisiense facta, conclusiones et qualefactiones super abolicione dicti festi, sed nichil fuit conclusum quamvis fuerit deliberatum a majori parte quod amplius non fieret in ecclesia Bisuntina.” More reactions to the 1445 letter could probably be found in the chapter acts of other churches. The current availability of sources from Troyes and Besançon is due to the fact that the outburst in Troyes provoked an unusually large number of documents connected to the feast’s abolition, while the case of Besançon was studied in my doctoral dissertation. 100
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“feast of fools” by the scholars who rediscovered the custom in the 17th century. They fitted the antiquarians’ expectations so well that they were used as a benchmark for the interpretation of sources which were discovered later.102 Whether they were a description of the feast of fools or only its excesses, they gave tangible content to the “abominations”, “insolences”, “disorders”, and “enormities” exposed by already known ecclesiastical sources. Scholarly practices promoted them to the standard description of the feast of fools. The first readers of Savaron’s and Goussainville’s editions still provided the information needed to restore the Quis queso passage to its original context. Many of their readers did not consider this information relevant enough to be copied and detached the passage from the letter. Once the passage had been detached from its context by excerpting, historical narratives could equally well use it as a general description of the feast of fools – and place it in the first lines or pages of an article, a dictionary entry or a treatise – or as a description of the local celebration of the feast – as seen in Ransonnette’s engraving. Excerpting – together with other scholarly practices such as edition and translation – contributed to establishing the biased picture painted by a small number of opponents of the feast as a neutral description. Sources and References Sources Unprinted Sources Besançon, Archives dép. du Doubs: G 180. Dijon, Bibliothèque municipale: ms. 837, 2011. London, British Library: MS Egerton 2615. Paris, Bibliothèque Nationale: ms. lat. 1351, lat. 9945, lat. 10520, lat. 11743, lat. 14903, fr. 17686, Joly de Fleury 2280. Sens, Bibliothèque municipale: ms. 46. Troyes, Archives dép. de l’Aube : G 4171.
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When they discovered what they thought to be “offices of the feast of fools”, antiquarians were so sure that they would find at least some comparable follies that they invented them. Musicologists have tried to explain these misinterpretations in the light of the medieval practice of liturgical chant since at least the beginning of the 20th century. See Villetard, Office de Pierre de Corbeil, and, more recently, Boudeau, L’Office de la Circoncision de Sens.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Jan-Hendryk de Boer, 1999 – 2005 Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Alten Geschichte und Deutschen Philologie in Göttingen; 2014 Promotion; seit November 2015 Postdoc am Graduiertenkolleg „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“ an der Universität Duisburg-Essen; aktuelle Forschungen zum Verhältnis von Scholastik und Humanismus, zum vormodernen Antijudaismus und zum Avignoneser Papsttum; wichtige Publikationen: Faith and Knowledge in the Religion of the Renaissance. Nicholas of Cusa, Giovanni Pico della Mirandola, and Savonarola, in: American Catholic Philosophical Quarterly 83 (2009), S. 51 – 78; Aus Konflikten lernen. Der Verlauf gelehrter Kontroversen im Spätmittelalter und ihr Nutzen für die Reformation, in: Günter Frank/Volker Leppin (Hrsg.): Die Reformation und ihr Mittelalter, Stuttgart-Bad Cannstatt 2015 (MelanchthonSchriften der Stadt Bretten, 14), S. 209 – 250; Unerwartete Absichten – Genealogie des Reuchlinkonflikts, erscheint 2016 bei Mohr Siebeck. Marcel Bubert, 2005 – 2012 Studium der Musikwissenschaft, Mittelalterlichen Geschichte und Keltologie in Bonn; 2012 – 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Graduiertenkolleg „Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts“ in Göttingen; seit 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Münster; aktuelle Forschungen zur mittelalterlichen Universitäts- und Gelehrtengeschichte; Dissertationsprojekt: Vom Nutzen der Philosophie. Studien zur Universität Paris im 13. und 14. Jahrhundert. Yann Dahhaoui, 1995 – 2001 Studium der Geschichte und der mittelalterlichen Romanistik; 2012 Promotion; seit 2014 Dozent an der Universität Lausanne; aktuelle Forschungen zu mittelalterlichen liturgischen Bräuchen, zum Heiligenkult unter besonderer Berücksichtigung der Impersonation von Heiligen, zur Geschichtsschreibung der mittelalterlichen Kirche und zur Wissensgeschichte des Mittelalters; Dissertation: L’évêque des Innocents dans l’Europe médiévale (XIIe–XVe siècle), Paris/Genf 2012; Herausgeberschaften: Tempus ludendi. Chiesa e ludicità nella società tardo-medioevale (sec. XII–XV), in: Ludica. Annali di storia e civiltà del gioco, n8 13 – 14 (mit Gherardo Ortalli); Le Plaict Général de Lausanne de 1368 „translaté de latyn en françois“, Lausanne 2008 (mit Jean-François Poudret); Saint Guillaume de Neuchâtel. Nouveaux documents, nouvelles perspectives, Neuchâtel 2009 (mit Jean-Daniel Morerod). Willem Frijhoff, 1960 – 1962 Studium der Philosophie in Dijnselburg (Utrecht), 1962 – 1966 Studium der Theologie in Rijsenburg (Utrecht), 1966 – 1970 Studium der Geschichte in Paris, 1970 – 1972 Studium der Sozialwissenschaften (Historische Anthropologie und Soziologie) in Paris; 1981 Promotion; 1983 – 1997 ordentlicher Professor für Kultur- und Mentalitätsgeschichte vorindustrieller Gesellschaften an der Erasmus-Universität Rotterdam; 1997 – 2007 ordentlicher Professor für Frühe Neuere Geschichte an der Freien Universität Amsterdam; seit 2009 Gastprofessor der G.-Ph.-Verhagen-Stiftung an der Erasmus-Universität Rotterdam; aktuelle Forschungen zur Universitätsgeschichte, Kulturdynamik, interkonfessionellen Heiligkeit, und zu physischen, sozialen, rituellen und symbolischen Überlebensstrategien frühmoderner Minderheiten; wichtige Publikationen: La société néerlandaise et ses gradués, 1575 – 1814. Une recherche sérielle sur le statut des intellectuels. Amsterdam 1981; Embodied Belief. Ten Essays on Religious Culture in Dutch History, Hilversum 2002; 1650: Hard-Won Unity (Dutch
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Culture in a European perspective, 1) (mit Marijke Spies), Basingstoke/Assen 2004; Fulfilling God’s Mission. The Two Worlds of Dominie Everardus Bogardus, 1607 – 1647 (The Atlantic World, 14), Leiden u. a. 2007. Marian Füssel, 1995 – 2000 Studium der Neueren Geschichte, Soziologie und Philosophie in Münster; 2004 Promotion; seit WS 2010/11 Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der Wissenschaftsgeschichte an der Universität Göttingen; aktuelle Forschungen zur Universitäts-, Wissenschafts- und Studentengeschichte der Frühen Neuzeit und der Militärgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts; wichtige Publikationen: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; Der Siebenjährige Krieg. Ein Weltkrieg im 18. Jahrhundert, München 2010 (Beck Wissen); Waterloo 1815, München 2015 (Beck Wissen). Florian Hartmann, 1997 – 2002 Studium der Geschichte, Klassischen Philologie (Latein) und Erziehungswissenschaften in Berlin und Bonn; 2005 Promotion, 2012 Habilitation; SoSe 2013 und WS 2013/2014 Lehrstuhlvertretung an der Technischen Universität Chemnitz; WS 2014/15 und SoSe 2015 Lehrstuhlvertretung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen; 2015 Gewährung eines Heisenberg-Stipendiums der DFG; aktuelle Forschungen zur lateinischen ars dictaminis des Mittelalters und zum Investiturstreit; wichtige Publikationen: Hadrian I. Frühmittelalterliches Adelspapsttum und die Lösung Roms vom Kaiser in Byzanz, Stuttgart 2006 (Päpste und Papsttum, 34); Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts, Ostfildern 2013 (MittelalterForschungen, 44); Herausgeberschaften: Cum verbis ut Italici solent suavibus atque ornatissimis. Funktionen der Beredsamkeit im kommunalen Italien. Funzioni dell’eloquenza nell’Italia comunale, Göttingen 2011. Thierry Kouamé, 2002 Promotion in Geschichte, seit 2006 Maître de conférence in mittelalterlicher Geschichte an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne; Mitglied des Laboratoire de médiévistique occidentale de Paris; aktuelle Forschungen zur Institutionengeschichte des Unterrichts, zur Entstehung universitärer Modelle vom 13. bis 15. Jahrhundert, zu den Pariser Kollegien sowie zu den Kathedralschulen vom 9. bis 12. Jahrhundert; wichtige Publikationen: Le collège de Dormans-Beauvais à la fin du Moyen Âge. Stratégies politiques et parcours individuels à l’Université de Paris (1370 – 1458), Leiden/Boston 2005 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, 22); Herausgeberschaften: Les universités en Europe du XIIIe siècle à nos jours. Espaces, modèles et fonctions, Paris 2005 (gemeinsam mit Frédéric Attal, Jean Garrigues und Jean-Pierre Vittu), Lumières de la sagesse. Écoles médiévales d’Orient et d’Occident, Paris 2013 (gemeinsam mit Éric Vallet und Sandra Aube). Jean-Luc Le Cam, 1992 Promotion; Professor an der Université de Bretagne Occidentale; aktuelle Forschungen zur Erziehungs-, Schul- und Universitätsgeschichte und Buchgeschichte in der Moderne; wichtige Publikationen: La politique scolaire d’Auguste le Jeune de Brunswick-Wolfenbüttel et l’inspecteur Christoph Schrader 1635 – 1666/1680, Wiesbaden 1996 (Wolfenbütteler Forschungen, 66); Herausgeberschaften: Vormoderne Bildungsgänge. Selbstund Fremdbeschreibungen in der frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2010 (Beiträge zur historischen Bildungsforschung, 41) (gemeinsam mit Juliane Jacobi und Hans-Ulrich Musolff); Schulbücher und Lektüren in der vormodernen Unterrichtspraxis, Wiesbaden 2012 (Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderhefte, 17) (gemeinsam mit Stephanie Hellekamps und Anne Conrad). Ulrich G. Leinsle, 1968 – 1976 Studium der Katholischen Theologie in Augsburg und München, der Philosophie in Innsbruck und Rom; 1974 Promotion (Dr. theol.); 1979 Promotion (Dr. phil.); 1989 – 2013 Professor für Philosophisch-Theologische Propädeutik an der Univer-
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sität Regensburg; aktuelle Forschungen zur Scholastik und zur frühneuzeitlichen Jesuitenuniversität; wichtige Publikationen: Einführung in die scholastische Theologie, Paderborn u. a. 1995; Dilinganae Disputationes. Der Lehrinhalt der gedruckten Disputationen an der Philosophischen Fakultät der Universität Dillingen 1555 – 1648, Regensburg 2006, (Jesuitica, 11); Jacobus Pontanus, Akademische Reden an der Universität Dillingen 1572 – 1582, Münster 2014. Hanspeter Marti, Studium der Germanistik, Mediävistik und der französischen Sprachwissenschaft in Basel, Genf und Montpellier; 1982 Promotion; Leiter der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen in Engi; 2010 – 2013 Mitarbeiter am DFG-Projekt „Wissenschaftshistorische Erschließung frühneuzeitlicher Dissertationen zur Rhetorik, Poetik und Ästhetik aus den Universitäten des Alten Reiches“; Forschungen zur Gelehrtenliteratur der frühen Neuzeit, Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; wichtige Publikationen: Philosophische Dissertationen deutscher Universitäten 1660 – 1750. Eine Auswahlbibliographie, München u. a. 1982; Klosterkultur und Aufklärung in der Fürstabtei St. Gallen, St. Gallen 2003; Herausgeberschaften: Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld 1680 – 1780, Basel 2004 (Text und Studien, 6); Nürnbergs Hochschule in Altdorf. Beiträge zur frühneuzeitlichen Wissenschafts- und Bildungsgeschichte, Köln 2014. Daniela Rando, 1981 Laurea in Philosophie an der Universität Padua; seit 2004 Professorin für die Geschichte des Mittelalters an der Universität Pavia; aktuelle Forschungen zu Selbstzeugnissen im 15. Jahrhundert, der Kirchengeschichte Venedigs im Hochmittelalter und zur vergleichenden Historiographie der Neuzeit; wichtige Publikationen: wichtige Publikationen: Una Chiesa di frontiera. Le istituzioni ecclesiastiche veneziane nei secoli VI-XII, Bologna 1994; Johannes Hinderbach (1418 – 1486). Eine „Selbst“-Biographie, Berlin 2008 (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, 21); Herausgeberschaften: Il „quaternus rogacionum“ del notaio Bongiovanni di Bonandrea (1308 – 1320), Bologna 1997 (zusammen mit Monica Motter). Matthias Roick, 1996 – 2001 Studium der Philosophie, Neueren Deutschen Literatur und Komparatistik in München; 2009 Promotion; seit 2014 Freigeist-Fellow für die Geschichte der Ethik am Lehrstuhl für Kirchengeschichte und am Lichtenberg-Kolleg in Göttingen in Zusammenarbeit mit der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel; aktuelle Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Ethik im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit sowie zur Literatur und Philosophie des italienischen Renaissancehumanismus unter besonderer Berücksichtigung des neapolitanischen Humanismus; wichtige Publikationen:,Learn virtue and toil‘. Giovanni Pontano on Passion, Virtue, and Arduousness, in: History of Political Thought 32 (2011), S. 732 – 750; Die andere Klassik im lateinischen Humanismus des Quattrocento, in: Wolfenbütteler Renaissancemitteilungen 34 (2012/13), S. 59 – 76; Mercury in Naples. The Moral and Political Thought of Giovanni Pontano, erscheint 2016 bei Bloomsbury; Herausgeberschaften: Wissen, maßgeschneidert, Experten und Expertenkulturen im Europa der Vormoderne, München 2012 (Beihefte zur Historischen Zeitschrift, 57) (gemeinsam mit Frank Rexroth und Björn Reich). Bernd Roling, 1993 – 1998 Studium der Mittellateinischen Philologie, Lateinischen Philologie, Philosophie, Geschichte, Hebräischen Philologie und Indologie in Münster; 2002 Promotion; 2007 Habilitation; seit WS 2010/11 Professor für Lateinische Philologie – Schwerpunkt Lateinische Philologie des Mittelalters an der Freien Universität Berlin; aktuelle Forschungen zu lateinischer Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts, Allegorie und Sprachphilosophie im Mittelalter, Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in früher Neuzeit und Barock; wichtige Publikationen: Aristotelische Naturphilosophie und christliche Kabbalah im Werk des Paulus
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Ritius, Tübingen 2007 (Frühe Neuzeit, 121); Drachen und Sirenen. Die Aufarbeitung und Abwicklung der Mythologie an den europäischen Universitäten, Leiden 2010 (Mittellateinische Texte und Studien, 42); Physica Sacra. Wunder, Naturwissenschaft und historischer Schriftsinn zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, Leiden 2013 (Mittellateinische Texte und Studien, 45). Thorsten Schlauwitz, 2001 – 2007 Studium der Mittleren Geschichte, Neueren und Neuesten Geschichte sowie Politischen Wissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; 2015 Promotion; seit August 2015 Mitarbeiter am Göttinger Akademienprojekt „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“ mit dem Schwerpunkt Digitalisierung sowie bei den Regesta Imperii (Akademie Mainz) zu den Urkunden Ludwigs des Bayern; wichtige Veröffentlichungen: Papsturkundenforschung in Spanien. Verfahren, Ergebnisse und deren Präsentation im digitalen Zeitalter, in: Irmgard Fees/Benedikt Hotz/Benjamin Schönfeld (Hrsg.), Papsturkundenforschung zwischen internationaler Vernetzung und Digitalisierung. Neue Zugangsweisen zur europäischen Schriftgeschichte, 2015, URL: http://hdl.handle.net/ 11858/00 – 001S-0000 – 0023 – 9 A13-A; Wissenskulturen im spätmittelalterlichen Nürnberg. Dissertationsschrift, Veröffentlichung für 2016 vorgesehen; Herausgeberschaften: Zwischen Rom und Santiago. Festschrift für Klaus Herbers zum 65. Geburtstag, Bochum 2016 (im Druck) (gemeinsam mit Claudia Alraum, Andreas Holndonner, Hans-Christian Lehner, Cornelia Scherer und Veronika Unger); Regesta Pontificum Romanorum. A condita ecclesia ad annum MCXCVIII, Tomus Primus: Ab a. 39 ad a. 604, begründet von Philipp Jaffé, hrsg. von Klaus Herbers, Göttingen 32016 (im Druck) (gemeinsam mit Markus Schütz, Waldemar Könighaus, Kathrin Korn und Cornelia Scherer). Jana Madlen Schütte, 2004 – 2009 Studium der Mittleren und Neueren Geschichte und der Deutschen Philologie in Göttingen; 2015 Promotion; seit Oktober 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart; aktuelle Forschungen zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, zur mittelalterlichen Kulturgeschichte des Essens und zur Diätetik; wichtige Publikationen: Gedenken – Erinnern – Rühmen. Zur Memoria Adolfs von Nassau, in: Nassauische Annalen 124 (2013), S. 75 – 110; Medizin im Konflikt. Fakultäten, Märkte und Experten in deutschen Universitätsstädten des 14. bis 16. Jahrhunderts, erscheint 2017 bei Brill, Education and Society in the Middle Ages and Renaissance. Jörg Schwarz, Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Alten Geschichte und Anglistik-Literaturwissenschaft in Marburg; 1999 Promotion; 2007 Habilitation; seit 2010 Akademischer Rat (seit 2013 Oberrat) in der Abteilung Mittelalterliche Geschichte des Historischen Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität München; aktuelle Forschungen zur politischen, Kirchen-, Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Hoch- und Spätmittelalters; wichtige Publikationen: Herrscher- und Reichstitel bei Kaisertum und Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert, Köln/Wien 2003 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 22); Johann Waldner (ca. 1430 – 1502). Ein kaiserlicher Rat und das Reich im ausgehenden 15. Jahrhundert, Mannheim 2007. Thomas Woelki, 1996 – 2005 Studium der Rechtswissenschaft, Geschichte und Romanistik in Berlin und Caen; 2010 Promotion; seit Oktober 2010 Bearbeiter der Acta Cusana am Lehrstuhl Mittelalterliche Geschichte II an der Humboldt-Universität zu Berlin; aktuelle Forschungen zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft und zu Nikolaus von Kues; wichtige Publikationen: Lodovico Pontano (ca. 1409 – 1439). Eine Juristenkarriere an Universität, Fürstenhof, Kurie und Konzil, Leiden/Boston 2011 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, 38); Herausgeberschaften: Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus
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von Kues, Bd. 2/1, Hamburg 2012 (gemeinsam mit Erich Meuthen, Hermann Hallauer und Johannes Helmrath); Europa, das Reich und die Osmanen. Die Türkenreichstage von 1454/55 nach dem Fall von Konstantinopel. Johannes Helmrath zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 2014 (Zeitsprünge. Forschungen zur frühen Neuzeit, 18,1 – 2) (gemeinsam mit Marika Bacsóka und Anna-Maria Blank).