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German Pages 310 Year 1988
JÜRGEN PFÖHLER
Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht in dogmenhistorischer Sicht
Sc~enzurnn
Stndrecht
Heft 73
Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht in dogmenhistorischer Sicht
Von Dr. JÜl'gen Pföhler
Duncker & Humblot . Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Pföhler, Jürgen: Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozessrecht in dogmenhistorischer Sicht / von Jürgen Pfähler. - Berlin : Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Strafrecht; H. 73) Zugl.: Trier, Univ., Diss., 1986 ISBN 3-428-06369-4 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedomsatz, Berlin 46
Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06369-4
Meinen Eltern in Dankbarkeit
Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Dissertation des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Trier aus dem Wintersemester 1986/ 87. Die Untersuchung ist im wesentlichen auf dem Stand von Sommer 1986. Das Entstehen der Arbeit hat mein Lehrer, Herr Prof. Dr. Volker Krey, von Beginn an verständnisvoll, großzügig und mit wertvollen Anregungen gefördert; ihm möchte ich auch an dieser Stelle besonders danken. Dank schulde ich weiterhin für kritische Hinweise und Verbesserungsvorschläge, zudem für wertvolle Unterstützung bei Übersetzungsarbeiten, Herrn Prof. Dr. Hans Wieling. Schließlich habe ich namentlich auch Herrn Studiendirektor Engelbert Klauk für seine freundliche Unterstützung bei der Übersetzung von Quellen zu danken. London, im Juli 1987 Jürgen Pjöhler
Inhaltsverzeichnis Rdnr. Einleitung ............................................................ .
§ 1 Problemstellung ................................................... . § 2 Zum Gegenstand der vorliegenden Abhandlung ........................
9
§ 3 Zur strafprozessualen Rechtsnatur der Vorschriften über die Verfolgungsverjährung und den Strafantrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. VerfolgungsveIjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 15
11. Strafantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
§ 4 Überblick über den Gang der Untersuchung ...........................
32
Erster Teil Zur heutigen Diskussion der Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht Kapitell: Die herkömmüche Konzeption: Keine Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
§ 1 Der Standpunkt des Bundesgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
1. Gesetzliche Regelungen betreffend die Verfolgbarkeit von Straftaten . . . .
36
1. Strafverfolgungsverjährung ..................................... a) Die Verjährungsproblematik bei NS-Verbrechen und ihre legislative Behandlung durch die Alliierten, die Länder und den Deutschen Bundestag vor Erlaß des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen von 1965. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 von 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Rechtslage in den Ländern der westlichen Besatzungszonen (3) Die Verjährung der NS-Totschlagsverbrechen sowie ihre parlamentarische Behandlung im Deutschen Bundestag. . . . . . . . . . . b) Rückwirkende Verlängerung im Jahre 1965.. . . . . .. . . . . . . .. . ... . c) Die rückwirkende Verlängerung 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rückwirkende Aufhebung im Jahre 1979 ......................
36
2. Strafantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 38 40 46 55 73 79 82
10
Inhaltsverzeichnis Rdnr.
11. Gesetzliche Rückwirkungsanordnungen fiir sonstiges Straßprozeßrecht . .
84
1. Gesetz zur Änderung der StrafProzeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) vom 19. Dezember 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erstes Gesetz zur Reform des StrafVerfahrensrechts (1. StVRG) vom 9. Dezember 1974 ............................................ 3. Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des StrafVerfahrensrechts vom 20. Dezember 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
111. Resümee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
§ 2 Die Ansicht der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
I. Rückwirkungsverbot und StrafVerfolgungsveIjährung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Verlängerung noch laufender VeIjährungsfristen ............... 2. Rückwirkende "Verlängerung" bereits abgelaufener VeIjährungsfristen
99 99
109
11. Rückwirkende Beseitigung der StrafVerfolgungsvoraussetzung Strafantrag
111
III. Zur Rückwirkung von sonstigem StrafProzeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ........... 2. Zum Grundsatz sofortiger Anwendbarkeit prozessualer Neuregelungen
113 113 120
IV. Fazit ..........................................................
126
§ 3 Die herrschende Literaturmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
I. Keine Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots fiir StrafVerfolgungsvoraussetzungen ...........................................
127
1. StrafVerfolgungsveIjährung ..................................... a) Verlängerung noch laufender VeIjährungsfristen. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wiedereröffnung bereits abgelaufener VeIjährungsfristen ...... . . .
127 127 138
85 89
2. Strafantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
3. Abweichende Konzeption: Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots fiir Verfolgungsverjährung und Strafantrag trotz Nichtanwendbarkeit dieses Verbots im StrafVerfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
11. Rückwirkung von sonstigem StrafProzeßrecht .......................
142
111. Resümee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
Kapitel 2:
Die neuere Konzeption: Geltung des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG auch im Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
§ 1 StrafVerfolgungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
I. VerfolgungsveIjährung ...........................................
149
1. Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots unbeschadet der Rechtsnatur der VeIjährung ....................................
149
Inhaltsverzeichnis
11 Rdnr.
a) Darlegung dieses Standpunkts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die für ihn geltend gemachten Argumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normtext des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entwicklungsgeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Grundgedanke des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG c) Methodische Einordnung jener Konzeption: Unmittelbare oder analoge Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG? 2. Verbindung des vorgenannten Standpunktes mit der Forderung nach einer Durchbrechung des Rückwirkungsverbots bei Untaten wie den NSVerbrechen ..................................................
150 153 153 157 159 166
a) Durchbrechung de lege ferenda ..............................
167 168
b) Durchbrechung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172
11. Strafantrag .....................................................
173
1. Gleichbehandlung von Strafantrag und Verjährung. . . . . . . . . . . . . . . . .
173
2. Differenzierende Stimmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174
§ 2 Zur grundsätzlichen Geltung des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG im StrafVerfahrensrecht über den Bereich der Verfolgungsvoraussetzungen hinaus............................................................
177
I. Darlegung dieses Standpunktes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Adolf Amdt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. H.-L. Schreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. G. Jakobs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 178 179
177
11. Argumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180
III. Methodische Einordnung jenes Standpunktes: Unmittelbare oder analoge Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG? ......
183
§ 3 Resümee ...... , . . . . . . . . . .. . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
184
Zweiter Teil
Zur Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im allgemeinen und seiner Unanwendbarkeit im Strafprozeßrecht im besonderen Kapitel 1:
Das römische Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
§ 1 Die Zeit der römischen Republik ............... . .....................
188
I. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lex Voconia .................................................
188 188
12
Inhaltsverzeichnis Rdnr. 2. Lex ComeIia de sicariis et veneficis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191
3. Gesetze des Volkstribunen Publius Clodius Pulcher . . . . . . . . . . . . . . . .
198
4. Lex tabellaria des Gajus Coelius Caldus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
203
5. Leges Pompejae de ambitu et vi ................................
205
11. Deutung der Quellenlage in der Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
1. Zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots .............
209
2. Die Entstehungsbedingungen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots a) Die Positivierung des Strafrechts durch geschriebenes Recht. . . . . . b) Die konstitutiv-normative Funktion der Strafgesetze. . . . . . . . . . . . . c) Die staatsrechtlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Verhältnis Rechtsprechung - Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . (aa) Die Strafrechtspflege der Komitien .................... (bb) Die Zeit der sog. "quaestiones perpetuae" .............. (2) Das Verhältnis Staat - Individuum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 214 222 224 225 225 233 236
3. Die Nichtgeltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafjlfozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
4. Resümee ........ . ........ . ............... . ..................
240
§ 2 Die römische Kaiserzeit ................... . .........................
242
I. Quellenlage ....................................................
242
1. Die Konstitution des Theodosius I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242
2. Die Erlasse des Theodosius 11 und Valentinianus III ...............
244
3. Lex Quinctia de aquaeductibus, Lex Julia de adulteriis coercendis ...
246
4. Stellungnahme des A. Ambrosius ...............................
249
5. Ein Gesetz Konstantins über Menschenraub. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
251
6. Das Einführungsgesetz zum Corpus Juris des Justinian . . . . . . . . . . . . .
253
11. Bewertung der Quellen in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
255
1. Zum Geltungsgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ...... a) Die konstitutive Funktion der Strafgesetze ..................... b) Das Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255 255 259
2. Die Geltungskraft des Verbots rückwirkender Strafgesetze. . . . . . . . . . .
261
§ 3 Die eigene Ansicht .................................................
267
I. Zum Rückwirkungsverbot im römischen Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
267
11. Zur U nanwendbarkeit des Rückwirkungsverbots im römischen Strafprozeßrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
280
Inhaltsverzeichnis
13 Rdnr.
Kapitel 2: Das Strafrecht des italienischen Mittelalters und der frühen Neuzeit. . . . . . . . . . . ..
285
§ 1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285
1. Aus der Strafgesetzgebungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
286
I. Die richterliche Strafgewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
286
2. Rückwirkende Gesetze im materiellen Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . ..
290
II. Stellungnahmen der Kommentatoren des 13. bis 15. Jahrhunderts zum strafrechtlichen Rückwirkungsverbot ...............................
294
I. Jacobus de Belviso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295
2. Raynerius de Forlivio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
298
3. Bartolus de Saxoferrato . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301
4. Bartholomaeus de Saliceto .....................................
303
5. Baldus de Ubaldis ............................................
305
6. Nicolaus de Tudeschis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307
1II. Die Rechtwissenschaft im 16./17. Jahrhundert.......................
311
I. Alderanus Mascardus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
312
2. Farinacius Prosper ............................................
314
3. Franciscus Borsatus ...........................................
316
4. Benedictus de Capra
318
5. Sebastianus Medices
321
§ 2 Bewertung der Quellenlage in der Sekundärliteratur .....................
323
1. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot in der Gesetzgebungspraxis . . . .
323
II. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot in der mittelalterlichen Jurisprudenz des 13. bis 15. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
327
I. Reichweite und Geltungskraft des Rückwirkungsverbots ....... . . . . .
327
2. Der Grundgedanke des Verbots rückwirkender Stratbegründung . . . ..
333
1II. Das Verbot rückwirkender Strafgesetze in der zeitgenössischen Rechtswissenschaft des 16./17. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
336
I. Zum Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots .....
336
2. Die ratio des Verbots rückwirkender Strafgesetze ..................
340
§ 3 Die eigene Deutung ................................................
344
1. Das Rückwirkungsverbot im Strafrecht des italienischen Mittelalters bis zur frühen Neuzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
344
II. Zur Unanwendbarkeit des Rückwirkungsverbots im Strafverfahrensrecht
349
14
Inhaltsverzeichnis Rdnr.
Kapitel 3:
Das deutsche Strafrecht vom 16. Jahrhundert bis zur Außdärung . . . . . . . . . . . . . . ..
355
§ 1 Constitutio Criminalis Carolina (CCC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
356
I. Quellenlage ....................................................
356
II. Bewertung der Quellen in der Sekundärliteratur .....................
360
1. Zur Geltung eines strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der CCC. a) Die Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die herrschende Auffassung .................................
360 360 362
2. Zur Rückwirkung des Strafprozeßrechts der CCC . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365
III. Die eigene Ansicht: Nichtgeltung eines strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im StrafVerfahrensrecht der CCC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
366
1. Rückwirkungsverbot und materielles Strafrecht der CCC . . . . . . . . . . . .
366
2. Rückwirkungsverbot und formelles Strafrecht der CCC .. . . .. . . .. . . .
372
§ 2 Die Epoche des "gemeinen" deutschen Strafrechts im 16./17. Jahrhundert. .
375
I. Quellenlage ....................................................
375
1. Die partikularstaatliche Strafgesetzgebung ........................ a) Eine Verordnung des Kurfiirsten August von Sachsen aus dem Jahre 1572. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ein kursächsisches Rescript aus dem Jahre 1577 ................
375
2. Ein Consilium der Tübinger Juristenfakultät von 1659 zu einer rückwirkenden StrafVorschrift ......................................... 3. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot in der Wissenschaft des gemeinen Rechts ...............................................
376 380 382 386
a) Josse de Damhouder (1507-1581). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . ... b) Hieronymus TreutIer (1565-1607) . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .
390 392
II. Deutung der Quellenlage in der Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
394
1. Zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in Rechtsprechung und Gesetzgebung des 16./17. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die im Schrifttum herrschende Ansicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
394 394
b) Die Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
397
2. Das Verbot rückwirkender Strafgesetze in der Wissenschaft des gemeinen deutschen Strafrechts des 16./17. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die in der Sekundärliteratur herrschende Deutung . . . . . . . . . . . . . .
398 398
b) Die Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
400
3. Die Entwicklungsbedingungen fiir ein strafrechtliches Rückwirkungsverbot im gemeinen deutschen Recht des 16./17. Jahrhunderts. . . . . . . . . a) Die ,,Auflösung" der Idee des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips
401 401
Inhaltsverzeichnis
15 Rdnr.
(1) Die Bildung sog. crimina extraordinaria (aa) Die crimina extraordinaria in der Gerichtspraxis jener Epoche ........................................... (bb) Die crimina extraordinaria in der zeitgenössischen Wissenschaft (Benedict Carpzow) ........................... (2) Poenae arbitrariae in der gemeinrechtlichen Jurisprudenz und Wissenschaft ........................................... (3) Gründe für die fehlende Anerkennung des Prinzips der Gesetzesherrschaft im gemeinen Strafrecht des 16.117. Jahrhunderts ... (aa) Reforrnbedürftigkeit der CCC ........................ (bb) Die Stagnation der Strafgesetzgebung. . . .. . . . . . . . . . . ... (cc) Der Einfluß des ius divinum ......................... b) Die unbeschränkte Strafgewalt partikularstaatlicher Landesfürsten .
403 404 406 411 413 414 415 416 420
4. Stellungnahmen in der Sekundärliteratur zur ratio des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
424
111. Die eigene Meinung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
427
1. Zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in jener Epoche ..................................................... a) Die zeitgenössische Strafgesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
427 431
b) Die Rechtsprechung jener Epoche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts .................... d) Gründe für die fehlende Verankerung eines absoluten Rückwirkungsverbots im gemeinen Strafrecht jener Epoche ..................
434 437
2. Zum Rechtsgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ........
449
3. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
453
§ 3 Das "gemeine" deutsche Strafrecht im 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
458
I. Quellen aus der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
458
445
1. Das revidierte Landrecht für das Königreich Preußen von 1721 ......
459
2. Der Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751 ....................
463
3. Oie Constitutio Criminalis Theresiana von 1768 . . . . . . . . .. . . . . . . . . .
465
4. Ein kursächsisches Rescript aus dem Jahre 1755 ..................
467
5. Ein kursächsisches Mandat von 1767 ............................
469
11. Quellenmaterial aus der Spruchpraxis der Rechtsfakultäten, dargestellt am Beispiel einer Entscheidung der Wittenberger Fakultät von 1706 .......
480
111. Stellungnahmen der Wissenschaft des gemeinen deutschen Strafrechts zum strafrechtlichen Rückwirkungsverbot ...............................
482
1. Justus Henning Boehmer ......................................
483
2. R. Christian Henne ...........................................
485
16
Inhaltsverzeichnis Rdnr. 3. Georg Adam Struv
488
4. J. Christian Koch .................................... . ........
490
5. Chr. H. Lorenz ...............................................
492
IV. Deutung der Quellen in der Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
495
1. Zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der Gesetzgebung jener Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das revidierte Landrecht für das Königreich Preußen von 1721 ... b) Der Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751 und die Constitutio Criminalis Theresiana aus dem Jahre 1768 ....................... c) Das kursächsische Rescript aus dem Jahre 1755 sowie das Mandat von 1767 .....................................................
500
2. Die Handhabung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der zeitgenössischen richterlichen Spruchpraxis aus der Sicht der Sekundärliteratur .....................................................
503
a) Die in der Sekundärliteratur herrschende Deutung .. . . . . . . . . . . . . b) Die Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
503 505
3. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot bei den Vertretern der Wissenschaft des gemeinen Rechts ..............................
511
a) Die Deutung der modernen Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur Verankerung jenes Verbots ........................... (2) Zum Rechtsgrund des Rückwirkungsverbots ................ b) Stellungnahmen in der älteren Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . .
511 511 512 517
V. Die eigene Quellendeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
518
1. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot in der Gesetzgebung jener Epoche ..................................................... a) Das revidierte Landrecht für das Königreich Preußen von 1721 ... (1) Zur Verankerung eines Rückwirkungsverbots im materiellen Strafrecht .............................................. (2) Rechtsgrund und Geltungskraft des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ........................................... (3) Zur Unanwendbarkeit des Rückwirkungsverbots im Strafverfahrensrecht .............................................. b) Der Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751 und die Constitutio Criminalis Theresiana von 1768 .............................. (1) Die Rückwirkung von materiellem und formellem Strafrecht .. (2) Gründe für die rückwirkende Geltung des Codex Juris Bavarici Criminalis und der Theresiana ............................ c) Die kursächsische Gesetzgebungspraxis: Zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im materiellen Strafrecht ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Zur Handhabung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der richterlichen Spruchpraxis jener Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
495 495 498
518 518 518 523 529 532 532 535
539 543
Inhaltsverzeichnis
17 Rdnr.
3. Die Haltung der Wissenschaft des gemeinen Rechts zum strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Der Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ... b) Zum Rechtsgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der Wissenschaft jener Epoche .................................. (1) Allgemein normtheoretische bzw. -logische Erwägungen ("generalpräventiver Ansatz") .................................. (2) Die generalpräventive Funktion des Strafgesetzes bei Henne .. c) Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ...........................................
546 546 550 550 554 556
Kapitel 4:
Die Epoche der Außdärung
561
§ 1 Einfiihrung: Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot in der Frühaufklärung .
561
I. Hugo Grotius (1583-1645) .......................................
564
11. Samuel Pufendorf (1632-1694) ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
566
III. Christian Thomasius (1655-1728) .................................
572
IV. Resümee ......................................................
574
1. Zum Postulat eines strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei den Naturrechtslehrern der Frühaufklärung ...............................
574
2. Zur ratio des Gebots der lex praevia in der Epoche der Frühaufklärung als Grundlage für die weitere Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die strafrechtliche Wurzel ...................................
577 578
b) Die staatsrechtliche Wurzel ..................................
579
§ 2 Zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei Montesquieu
580
I. Quellen zum Rechtsdenken Montesquieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
581
1. Das Gesetz als geschriebene Vernunft (ratio scripta) ...............
582
2. Das Gesetz als Freiheitsgarant zum Schutz des Bürgers vor obrigkeitlicher Willkür ................................................
588
a) Die Kodifikationsidee als Grundlage staatsbürgerlicher Freiheitsrechte .......................·.............................
590
b) Das Gesetz als Garant von Rechtssicherheit im Sinne von Vertrauensschutz des Bürgers .........................................
593
3. Montesquieus Gewaltenteilungslehre ............................
596
4. Das Postulat einer strikten Gesetzesbindung des Richters. . . . . . . . . . .
598
5. Montesquieus Stellungnahme zur Zulässigkeit sog. bills of aUainder ..
600
18
Inhaltsverzeichnis Rdnr. 11. Stellungnahmen in der Sekundärliteratur zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei Montesquieu .......................
602
1. Stimmen im Schrifttum (Binding u. a.) zu Montesquieu als einem Gegner des Rückwirkungsverbots ......................................
602
2. Ansichten in der Sekundärliteratur zu Montesquieu als einem Befürworter des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ..................... a) Einwände gegen die Deutung Bindings u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Rückwirkungsverbot als Ausfluß von Montesquieus Forderung nach "Vertrauensschutz" für den Bürger ....................... c) Das Rückwirkungsverbot als Konsequenz von Montesquieus Gewaltenteilungslehre ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Rückwirkungsverbot, verstanden als objektive Begrenzung der Staatsgewalt zum Schutz des Bürgers vor obrigkeitlicher Willkür ..
604 604 608 612 613
e) Die Ansicht Haftkes ........................................
617
3. Zum differenzierenden Standpunkt von Krey .....................
620
III. Stellungnahmen in der Sekundärliteratur zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im StrafProzeßrecht als Konsequenz von Montesquieus auflclärerischem Rechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
626
1. Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Bereich der Strafverfolgungsvoraussetzungen .................................... a) Verjährungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichbehandlung von Strafantrag und Verjährung. . . . . . . . . . . . . .
626 626 629
2. Zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im StrafProzeßrecht über die StrafVerfolgungsbehörden hinaus - Grundsätzliche Geltung dieses Verbots im Strafverfahrensrecht -
632
IV. Die eigene Deutung 1. Keine Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots: Montesquieus Stellungnahme zur Zulässigkeit sog. bills of attainder . . 2. Gründe für die fehlende Anerkennung eines absoluten Rückwirkungsverbots bei Montesquieu ................................. a) Einwände gegen die Deutung Bindings u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Gesetz als "ratio scripta" ................................ c) Das Gesetz als Freiheitsgarant ............................... (1) Schutz des Bürgers vor richterlicher Willkür durch Herrschaft des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Freiheitsgarantie durch gesetzlichen Rechtsgüterschutz ....... 3. Montesquieus Rechtsdenken als Grundlage für die weitere Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ........................ a) Zu dem Erfordernis allgemeiner Gesetze als Wurzel des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ................................. b) Der Aspekt "Vertrauensschutz" im Sinne individueller Vorhersehbarkeit staatlicher Strafsanktionen für den Rechtsunterworfenen .....
633 642 642 643 647 649 651 652 653 659
Inhaltsverzeichnis
19 Rdnr.
4. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haltung Montesquieus ..................................
663 663
b) Zur Unanwendbarkeit des Rückwirkungsverbots im Strafverfahrensrecht als Konsequenz des Rechtsdenkens von Montesquieu ......
664
§ 3 Zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei Beccaria . . . .
671
I. Quellen .......................................................
671
1. Staatsrechtliche Erwägungen ...................................
672
a) Die Idee des Gesetzesstaates als Garant von Freiheit und Rechtssicherheit des Bürgers ...................................... b) Das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip ...................... c) Die Gesetzesbindung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Strafrechtliche Erwägungen ....................................
672 674 675
b) Die generalpräventive Funktion des Strafgesetzes ...............
677 677 679
3. Zum Verbot der Rückwirkung strafbegründender bzw. -schärfender Gesetze .....................................................
682
11. Deutung der Quellen in der Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
684
1. Das Rückwirkungsverbot als Konsequenz von Beccarias Forderung nach gesetzlich garantiertem "Vertrauensschutz" fiir den Bürger ..........
684
a) Die Berechtigung staatlicher Strafgewalt .......................
2. Das Rückwirkungsverbot bei Beccaria als Ausfluß der generalpräventiven Funktion des Strafgesetzes .................................
686
III. Die eigene Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
687
1. Zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei Beccaria ........................................................
c) Fazit .....................................................
687 688 694 701
2. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ..............................................
704
§ 4 Die gesetzliche Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in den nordamerikanischen Verfassungen des 18. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . .
708
I. Quellen .......................................................
708
1. Die Verfassung des Staates Maryland aus dem Jahre 1776 ..........
709
a) Die staatsrechtliche Wurzel .................................. b) Die strafrechtliche Wurzel ...................................
2. Die Verfassung des Staates Massachusetts von 1780 ...............
711
3. Die Verfassung des Staates New-Hampshire aus dem Jahre 1784 ....
713
4. Die amerikanische Bundesverfassung von 1787 ...................
715
20
Inhaltsverzeichnis Rdnr. 11. Deutung der Quellen
718
1. Der Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots . . . . . .
718
a) Materielles Strafrecht ....................................... b) Formelles Strafrecht ........................................
718 722
2. Zum Rechtsgrundjener gesetzlichen Verankerungen des Rückwirkungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
728
§ 5 Die gesetzliche Anerkennung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in den französischen Revolutionsverfassungen des 18. Jahrhunderts sowie Napoleons Code Penal von 1810 ...............................................
732
1. Quellenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
732
1. Die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 a) Das Rückwirkungsverbot in den Entwürfen und Beratungen der französischen Nationalversammlung .. t • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • b) Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot in der Textfassung der Französischen Erklärung für Menschen- und Bürgerrechte ...........
732
2. Die Französischen Verfassungen von 1791, 1793 und 1795 . . . . . . . . . .
738
3. Napoleons Code Penal von 1810 ................................
742
H. Deutung der Quellen ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
745
1. Zum Rechtsgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ........ a) Die Französischen Verfassungen der Revolutionszeit des 19. Jahrhunderts ..................................................... b) Napoleons Code Penal (1810) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
745
733 736
745 750
2. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
753
§ 6 Zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in den österreichischen Kodifikationen des aufgeklärten Absolutismus ....................
757
I. Quellen ....................................................... 1. ,,Allgemeines Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Bestrafung" Joseph H von 1787 ...........................................
757
2. "Allgemeine Kriminalgerichtsordnung" Joseph H von 1788 .........
761
H. Deutung der Quellen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
764
1. Gründe für die fehlende Anerkennung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der Josephina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
764
2. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
767
§ 7 Zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794 ......................
768
1. Quellenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
768
757
21
Inhaltsverzeichnis
Rdnro 1. Die Verankerung eines Rückwirkungsverbots 20
30
Einschränkung des Rückwirkungsverbots
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Stellungnahmen von den Mitverfassern des ALR zum strafrechtlichen Rückwirkungsverbot 0
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a) Carl Gottlieb Suarez b) Ernst Ferdinand Klein
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(1746-1798)
110
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Deutung der Quellen
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(1744-1810)
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1. Zur Verankerung und Geltungskraft des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im ALR 0
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Zum Rechtsgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im ALR a) Staatsrechtliche Wurzel 0
b) Strafrechtliche Wurzel 30
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Mathäus Ptlaum
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Deutung der Quellen
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1. Geltungskraft und Rechtsgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der von aufklärerischem Rechtsdenken beeintlußten deutschen Strafrechtswissenschaft jener Epoche 0
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a) Zum Postulat eines eingeschränkten Rückwirkungsverbots b) Zum Postulat eines absoluten Verbots der Rückwirkung strafbegründender bzwo -schärfender Gesetze 0
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Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Stratprozeßrecht 0
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1. Christian Friedrich Glück 20
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§ 8 Zum Postulat des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei den Vertretern der von der Aufklärung beeinflußten deutschen Strafrechtswissenschaft gegen Ende des Jahrhunderts I. Quellen
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Zur Frage der Anwenubarkc:il des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Stratprozeßrecht 0
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Kapitel 5:
Die Epoche des deutschen Rechts im 19. Jahrhundert bis zum Inkndttreten des Reichsstrafgesetzbuches (1871) und der Reichsstrafprozeßordnung (1877) 0
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§ 1 Zur Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei Vo Feuerbach und im Bayerischen StGB von 1813
I. Quellen
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22
Inhaltsverzeichnis Rdnr. 1. Anselm v. Feuerbach (1775-1833) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die Theorie vom "psychologischen Zwang" .................... b) Das Postulat des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ..........
2. Das Bayerische StGB von 1813 ................................. a) Zur Verankerung des Verbots der Rückwirkung strafschärfender Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Statuierung des Verbots der Rückwirkung strafbegründender Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
805 806 811
813 814 818
11. Deutung der Quellen in der Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
822
1. Zum Rechtsgrund des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ........ a) Strafrechtliche Wurzel ...................................... b) Staatsrechtliche Wurzel .....................................
822 822 823
2. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ..............................................
826
III. Die eigene Deutung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
830
1. Zum Grundgedanken des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei v. Feuerbach und im Bayerischen StGB von 1813 ................. a) Die strafrechtliche Wurzel ................................... b) Die staatsrechtliche Wurzel ..................................
830 830 831
2. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ...................................... . . . . . . . .
836
§ 2 Die weitere Durchsetzung des Rückwirkungsverbots in den deutschen Partikularstaaten jener Epoche bis zum Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches von
1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
840
I. Quellen .......................................................
840
1. Die partikularstaatlichen Strafgesetzbücher in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Verankerung eines grundsätzlichen Verbots der Rückwirkung von Strafgesetzen mit Ausnahme neuer milderer Strafbestimmungen .. b) Zur Statuierung eines grundsätzlichen Gebots der Rückwirkung von Strafgesetzen mit Ausnahme älterer milderer Strafbestimmungen .
840 846 850
2. Das StGB für die Preußischen Staaten von 1851 ..................
854
11. Deutung der Quellen in der Sekundärliteratur: Gründe für die Durchsetzung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der partikularstaatlichen Gesetzgebung jener Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . .
858
1. Die strafrechtliche Wurzel .....................................
860
2. Die staatsrechtliche Wurzel ....................................
861
3. Vermittelnde Ansichten .......................................
864
Inhaltsverzeichnis
23 Rdnr.
III. Die eigene Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
866
1. Zur Durchsetzung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in den deutschen Partikularstrafgesetzbüchern jener Epoche ..............
866
2. Gründe rur die Durchsetzung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der partikularstaatlichen Gesetzgebung jener Epoche ............
868
a) Die staatsrechtliche Wurzel .................................. b) Die strafrechtliche Wurzel ...................................
868 874
§ 3 Die Haltung der partikularstaatlichen Gesetzgeber jener Epoche zur Frage der Geltung eines Rückwirkungsverbots rur VeIjährungsvorschriften . . . . . . . . . . .
875
I. Quellen .......................................................
875
1. Gesetzliche Regelungen zur Nichtgeltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots rur VeIjährungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Das Königreich Bayern .....................................
876 876
b) Das Herzogtum Holstein-Oldenburg .......................... c) Die sächsischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
878 883
2. Gesetzliche Verankerungen eines Rückwirkungsverbots rur VeIjährungsvorschriften ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
886
a) Die preußischen Staaten .................................... b) Das Königreich Württemberg ........................ . .......
886 889
11. Deutung der Quellen in der modernen Sekundärliteratur .............
892
1. Die Ansicht Schreibers:
Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots rur VeIjährungsvorschriften in dogmenhistorischer Sicht .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
892
2. Die Deutung Kreys: Nichtgeltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots rur VeIjährungsvorschriften in dogmenhistorischer Sicht .........................
896
III. Die eigene Deutung: Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Bereich von VeIjährungsvorschriften der Partikularstrafgesetzbücher jener Epoche........................................................
899
1. Gesetzliche Regelungen zur Nichtgeltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots rur VeIjährungsbestimmungen ......................
899
2. Gesetzliche Verankerungen eines Rückwirkungsverbots rur VeIjährungsvorschriften ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
903
3. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
908
§ 4 Die Haltung der partikularstaatlichen Gesetzgebungen jener Epoche zur Frage der Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots rur Vorschriften über den Strafantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
909
I. Quellen .......................................................
909
24
Inhaltsverzeichnis Rdnr. 1. Gesetzliche Verankerungen des Verbots der rückwirkenden Umwandlung von Strafantrags- in Offizialdelikte ..........................
911
2. Gesetzliche Regelungen zur Nichtgeltung des Rückwirkungsverbots im Bereich der Vorschriften über den Strafantrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
914
11. Deutung der Quellen: Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Bereich strafProzessualer Antragsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
916
§ 5 Die partikularstaatliche Stra!prozeßgesetzgebung des 19. Jahrhunderts bis zum
Inkrafttreten der ReichsstrafProzeßordnung von 1877: Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im StrafVerfahrensrecht über den Bereich der Verfolgungsvoraussetzungen hinaus .....
919
I. Quellen .......................................................
919
1. Die Zeit des Inquisitionsprozesses .............................. a) Die Preußische Kriminalordnung von 1805 .................... b) Die mecklenburgische "Verordnung vom Beweise im Criminalproceß" aus dem Jahre 1841 ....................................
920 921
2. Die Epoche des sog. reformierten StrafProzesses ..................
925
a) Schwarzburg-Sondershausen ................................. b) Baden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachsen ..................................................
927 930 934
11. Deutung der Quellen: Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ....................................................
936
§ 6 Stellungnahmen in der Strafrechtswissenschaft seit Feuerbach bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts: Zum Postulat des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im allgemeinen und seiner Unanwendbarkeit im StrafProzeßrecht im besonderen. . . . . . . . . . . . . .
938
I. Quellen .......................................................
938
1. Zur Durchsetzung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der Wissenschaft jener Epoche .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die herrschende Ansicht ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Ansicht von Abegg, Köstlin und Schwarze. . . . . . . . . . . . . . (2) Der Standpunkt von Berner und Zachariae ............ . .... (3) Die These Seegers ...................................... b) Die Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
938 938 939 940 943 944
2. Die Haltung der Wissenschaft jener Epoche zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots für Vorschriften über die StrafVerfolgungsveIjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
947
923
Inhaltsverzeichnis
25 Rdnr.
a) Die herrschende Lehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Minderrneinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Die Haltung der Wissenschaft jener Epoche zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots fiir Vorschriften über den Strafantrag ... a) Die Befiirworter der Geltung eines Rückwirkungsverbots im Bereich der Regelungsmaterie des Strafantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Gegner einer Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots fiir Vorschriften über den Strafantrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
947 951 954 954 955
4. Die Haltung der Wissenschaft jener Epoche zur Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im sonstigen Strafprozeßrecht . . . . . . . . ..
958
a) Die herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierende Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
958 963
11. Deutung der Quellen ............................................
964
1. Zur Durchsetzung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in der Wissenschaft jener Epoche ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
964
2. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im StrafjJrozeßrecht .............................................. a) Strafverfolgungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Sonstiges StrafjJrozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Resümee ........................................... . .....
966 966 970 972
§ 7 Zum Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Deutschen Reich.............................................................
973
1. Quellen .......................................................
973
1. Das Strafgesetzbuch fiir das Deutsche Reich (RStGB) von 1871 .....
973
2. Die Strafprozeßordnung fiir das Deutsche Reich (RStPO) von 1877 ..
975
a) Zum Grundsatz der rückwirkenden Geltung des Reichsstrafprozeßrechts .................................................... b) Zur rückwirkenden Geltung des ReichsstrafjJrozeßrechts im Falle der Zurückweisung einer Strafsache an die untere Instanz zur erneuten Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Zur rückwirkenden Geltung der Vorschriften über die Strafvollstrekkung .....................................................
977
980 982
H. Deutung der Quellen: Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ....................................................
984
1. Der Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
984
2. Zur Verankerung des Grundsatzes der Rückwirkung von Strafverfahrensrecht in der Reichsstrafprozeßordnung von 1877 ..................
988
26
Inhaltsverzeichnis Rdnr.
Dritter Teil
Rückblick und Ausblick Kapitell:
Rückblick: Die Ergebnisse unserer Untersuchung
990
§ 1 Zur heutigen Diskussion der Geltung des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs.2 GG im Strafverfahrensrecht ...................................
991
I. Die herkömmliche Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
991
11. Die neuere Konzeption .......................................... 1001 § 2 Zur Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im allgemei-
nen und seiner Unanwendbarkeit im Strafprozeßrecht im besonderen. . . . .. 1008 I. Zur Entwicklungsgeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots .. 1009
1. Zur historischen Entwicklung eines eingeschränkten Rückwirkungsverbots und seiner ratio .......................................... 1009 2. Zur dogmenhistorischen Entwicklung des absoluten strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und seiner ratio ........................... 1014
11. Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht in dogmenhistorischer Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1016 1. Zur Nichtgeltung des eingeschränkten Rückwirkungsverbots im Strafverfahrensrecht ................................................. 1017 2. Zur Unanwendbarkeit des absoluten strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1018 a) VeIjährungsvorschriften ..................................... 1018 b) Strafantragsregelungen ...................................... 1023 c) Sonstiges Straq,rozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1024 Kapitel 2:
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1025 § 1 VerfolgungsveIjährung .............................................. 1026 § 2 Strafantrag ........................................................ 1030 § 3 Sonstiges Strafprozeßrecht ........................................... 1031 § 4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1034
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Seite 299 Schrifttum ........................................................ Seite 300
Abkürzungsverzeichnis a.A. aaO Abs. a.E. a.F. ALR Anm. Art. AT Aufl.
BB
Bd. BGBl. BGH BGH St BT.-Drs. BVerfG BVerfG E
bzw.
ca. CCB CCC ders. Diss. DRiZ DRZ E 1962 Edit. FernmG GA GG GVBl. GVG h.A. h.L. h.M. Hrsg. i.d.F. IP i.S.d. i.V.m.
anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz am Ende alte Fassung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Der Betriebs-Berater Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Strafsachen Drucksache des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des BVerfG beziehungsweise circa Constitutio Criminalis Bambergensis Constitutio Criminalis Carolina derselbe Dissertation Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtszeitschrift Entwurf eines Strafgesetzbuches 1962 Edition (Ausgabe) Gesetz über Fernmeldeanlagen Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozeß Grundgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Ansicht herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber in der Fassung Internationaler Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte im Sinne des in Verbindung mit
28 JA Jhrd. JR JuS JWG JZ KRG LG LK MDR MRK m.w.N. n.Chr. NJW Nr. NStZ NVwZ OGH BZ OGH St OLG OWiG Rdnr. RG RG St RStGB RStPO SK sog. StGB StPO u.a. v.Chr. vgl. Vorbem. z.B. ZStW z.T.
Abkürzungsverzeichnis Juristische Arbeitsblätter Jahrhundert Juristische Rundschau Juristische Schulung Gesetz für Jugendwohlfahrt Juristenzeitung Kontrollratsgesetz Landgericht Leipziger Kommentar zum StGB Monatsschrift für Deutsches Recht Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit weiteren Nachweisen nach Christus Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des OGH in Strafsachen Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Randnummer Reichsgericht Entscheidungen des RG in Strafsachen Reichsstrafgesetzbuch Reichsstrafprozeßordnung Systematischer Kommentar zum StGB sogenannt Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung unter anderem vor Christus vergleiche Vorbemerkungen zum Beispiel Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil
Einleitung § 1 Problemstellung I. Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, "wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde". Das hier mit Verfassungsrang verankerte Prinzip "nullum crimen, nulla poena sine lege" 1 beinhaltet bekanntlich die folgenden vier Einzelprinzipien:
Erstens das Verbot strafbegründender und -schärfender Rückwirkung von Gesetzen - Gebot der lex praevia -; zweitens das Verbot strafbegründenden und -schärfenden Gewohnheitsrechts - Gebot der lex scripta -; drittens das Verbot strafbegründender und -schärfender Analogie - Gebot der lex stricta -; viertens das Verbot allzu unbestimmter Strafgesetze, auch Bestimmtheitsgebot genannt - Gebot der lex certa _2. Jenes Rückwirkungsverbot nun gilt, was bereits in seiner Umschreibung als "Verbot strafbegründender bzw. -schärfender Rückwirkung von Gesetzen" klar zum Ausdruck kommt 3 , nach herkömmlicher Auffassung lediglich für das materielle Strafrecht, dagegen nicht im Strafverfahrensrecht4 . 1 Jenes Prinzip ist auch einJachgesetzlich normiert, und zwar: Wortgleich mit Art. 103 Abs. 2 GG in § 1 StGB sowie entsprechend für Ordnungswidrigkeiten in § 3 OWiG. Zudem in Art. 7 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) vom 4. 11. 1950 und Art. 15 Abs. 1 S. 1, 2 des Internationalen Paktes über staatsbürgerliche und politische Rechte (IP) vom 19.12.1966 - beide im Range eines Bundesgesetzes - wie folgt: "Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden" (BGBl. 1952 II, S. 689; BGBl. 1954 II, S. 14- MRK; BGBl. 1973 II, S. 1533f.; BGBl. 1976 II, S. 1068 - IP). Zu jenen Verankerungen des nulla-poena-Prinzips (MRK, IP) in "verwässerter Form" eingehend Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 100-105 m. w. N. 2 So bereits u. a. Eser, Strafrecht I, Fall 2, Rdnr. 3 - 7; Schmidhäuser, 3/21, 22, 25, 26. 3 Die Rückwirkung milderer, dem Täter günstigerer Gesetze dagegen ist zulässig (lexmitior-Gedanke; § 2 Abs. 3 StGB, § 4 Abs. 3 OWiG).
1
30
2
Einleitung
11. Indes ist dieser Standpunkt anläßlich der Diskussion um die rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfristen -
bzw. die rückwirkende Aufhebung der Verjährung-
für Mord im Hinblick auf die Verfolgung von NS-Verbrechen s von vielen Autoren grundlegend in Frage gestellt worden: Diese Rückwirkung verstoße gegen Art. 103 Abs. 2 GG, wobei gleichgültig sei, ob es sich bei der Regelungsmaterie Verfolgungsverjährung um materielles Recht oder um Strafprozeßrecht handele 6 •
3
Dabei haben die Anhänger einer solchen Extension des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots diese durchweg nicht auf die Strafverfolgungsverjährung beschränkt, sondern schlechthin auf die Normierung der Strafverfolgungsvoraussetzungen erstreckt, so namentlich auf den Strafantrag: Auch für die Regelungen des Antragserfordernisses sei jenes Rückwirkungsverbot anwendbar, unabhängig von der Frage, ob es sich beim Strafantrag um ein Institut des materiellen Rechts oder des Strafverfahrensrechts handele 7 • Wer für den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG auf den Unterschied materielles / formelles Strafrecht rekurriere, argumentiere - so wird geltend gemacht - "begriffsjuristisch" 8 •
111. Angesichts dieses Vorwurfs verwundert es nicht, daß neuere Stimmen im Schrifttum ganz allgemein über den Rahmen der Strafverfolgungsvoraussetzungen hinaus den Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in das Strafprozeßrecht extendieren 9 • 5 So führt beispielsweise H.-L. Schreiber aus:
4
"Das Gesetzmäßigkeitsprinzip erfaßt daher nicht nur materielle Strafgesetze, sondern auch solche, die das Verfahren betreffen, sofern etwa ihre Änderung ... geeignet wäre, sich zum Nachteil der Betroffenen auszuwirken" 10, namentlich "Vorschriften über den Strafantrag oder den Beweis, zum Beispiel Beweisverbote"lI. 4 So die noch h. M.; vgl. dazu die folgenden Nachweise: Für die Gesetzgebung unten, Rdnr. 35 ff. -98. Für die Rechtsprechung unten, Rdnr. 99ff.-126. Für die herrschende Lehre unten, Rdnr. 127ff.-148. 5 Vgl. dazu unten, Rdnr. 55ff., 73ff., 79ff. 6 So etwa Arndt, JZ 1965, 147ff.; Baumann, Der Aufstand, S. 14-16; Grünwald, MDR 1965, 521 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, Rdnr. 9; Lüderssen, JZ 1979, 456, 468; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 131 f., 220; Schreiber, ZStW 1968, 348ff.; Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 25f.; näher dazu unten, Rdnr. 173. 7 Vgl. nur Baumann in: Baumann/Weber, Strafrecht AT, § 12 I 2b; Grünwald aaO, S. 522; Jakobs aaO; Schreiber aaO, S. 366; Pieroth, JuS 1977, 394ff., 397f. sowie unten, Rdnr. 173. 8 Baumann, Der Aufstand, S. 14. 9 Arndt, NJW 1961, 15f.; Jakobs, Strafrecht AT, Rdnr. 9,57; Schreiber, ZStW 1968, 365 f.; ders., Gesetz und Richter, S. 220; ders., in: SK, 2. Aufl., § 1 Rndr. 9; Volk, S. 50,5457, 254f.; vgl. auch unten, Rdnr. 149ff. 10 Gesetz und Richter aaO.
§ 2 Gegenstand der Abhandlung
31
Noch deutlicher heißt es bei ihm an anderer Stelle:
6
"Die Unterscheidung nach materiell- und prozeßrechtlichen Vorschriften bei der Anwendung des nullum-crimen-Prinzips ist nicht haltbar, ... ". Daher wird man "grundsätzlich auch das Prozeßrecht dem Rückwirkungsverbot zu unterstellen haben"12.
IV. Dabei wird diese außerordentliche Extension des Geltungsbereichs von Art. 103 Abs. 2 GG von Schreiber insbesondere auf die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots gestützt 13.
7
Erstaunlicherweise berufen sich aber auch Verteidiger der herkömmlichen Ansicht
8
- jenes Rückwirkungsverbot gelte nicht für die Verfolgungsvoraussetzungen und erst recht nicht für sonstiges Strafprozeßrecht entscheidend auf die Entwicklungsgeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots. Aus dem Schrifttum seien hier beispielsweise Haffke und Krey, aus der Rechtsprechung das BVerfG angeführt l4 . Damit stellt sich die Frage, welche Konzeption sich zu Recht auf diese Entwicklungsgeschichte berufen kann. Ihre Beantwortung bedarf einer eingehenden und differenzierenden Untersuchung zur Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im allgemeinen sowie seiner Anwendbarkeit im Strafverfahrensrecht in dogmenhistorischer Sicht im besonderen. Um diese Untersuchung geht es in der vorliegenden Arbeit.
§ 2 Zum Gegenstand der vorliegenden Abhandlung I. Bei unserer Untersuchung handelt es sich also um eine dogmenhistorische Studie. Ihr eigentliches Anliegen ist dabei die Fragestellung:
Hat man bei der gesetzlichen Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bzw. bei der Postulierung eines solchen Verbots jeweils auch seine Geltung im Strafverfahrensrecht gewollt? Oder läßt sich feststellen, das strafrechtliche Rückwirkungsverbot habe von seiner Entwicklung bis zum Inkrafttreten des Art. 103 Abs. 2 GG nur fir das materielle Strafrecht Geltung beansprucht?
Die Beantwortung dieser Frage kann naturgemäß nur im Rahmen einer Untersuchung der allgemeinen Dogmengeschichte jenes Rückwirkungsverbots erfolgen. ZStW aaO, S. 366. SK, 2. Aufl., Rdnr. 9. 13 ZStW 1968, 351 ff.; Gesetz und Richter, S. 217f., 220; ihm folgend Volk aaO, insbes. S.55f. 14 Haffke, Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG, S. 134f. Anm. 144; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 mit Anm. 370, 372; ders., Parallelitäten und Divergenzen, S. 127ff., 130, 132; ders., JA 1983,233,234 mit Anm. 31; BVerfG E 25,269, 287 -289. 11
12
9
32
Einleitung
Die Arbeit wird dabei den Zeitraum vom römischen Strafrecht bis zum Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 sowie der Reichsstrafprozeßordnung von 1877 umfassen - wobei allerdings das mittelalterliche deutsche Recht ausgeklammert wird, weil es, soweit ersichtlich, für unsere Problematik wenig ergiebig ist -. Die Wahl jenes Zeitraumes beruht dabei im wesentlichen auf den folgenden Erwägungen: 10
Mit dem römischen StraJrecht war deswegen zu beginnen, weil sich hier schon Quellen zur Rückwirkungsproblematik finden, die noch weit bts in die Neuzeit hinein Bedeutung behalten haben.
11
Daß unsere dogmenhistorische Studie mit den siebiiger Jahren des 19. Jahrhunderts endet, erscheint aus den folgenden Gründen legitim: Der Satz "nullum crimen, nulla poena sine lege" im allgemeinen und das strafrechtliche Rückwirkungsverbot im besonderen hatten sich mit dem Inkrafttreten des ReichsstraJgesetzbuches reichseinheitlich durchgesetzt, so daß sich das Jahr 1871 als Zäsur gewissermaßen anbot. In der ReichsstraJprozeßordnung mit ihrem Einführungsgesetz spiegelte sich dabei die seinerzeit herrschende Konzeption zur Frage der Rückwirkung von Strafprozeßrecht wider; mithin waren diese Gesetze noch in die Untersuchung einzubeziehen. So reizvoll es gewesen wäre, auch die weitere Entwicklung zu untersuchen, so mußte doch hierauf verzichtet werden, weil unsere Studie andernfalls ihrem Umfang nach jeden Rahmen sprengen würde.
12
11. Eine rechtshistorische Studie zum strafrechtlichen Rückwirkungsverbot im allgemeinen und zur Frage seiner Geltung im Strafprozeßrecht im besonderen erscheint aus drei Gründen als sinnvoll: Erstens ist die Beschäftigung mit der Ideengeschichte des Satzes nullum crimen, nulla poena sine lege ein "Gebot intellektueller Redlichkeit" für alle Studien zum strafrechtlichen Rückwirkungsverbot. Sie erhellt nämlich, "in welchem Umfang Gesichtspunkte, die heute diskutiert werden, bereits vor Jahrhunderten eine Rolle gespielt haben" (Krey)15. Zweitens lassen sich Bedeutung und Anwendungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ohne Rückgriff auf seine Entstehungsgeschichte schwerlich ermitteln: "Rechtsinstitute sind keine Gebilde ohne Geschichte"16; daher erscheint es für das Verständnis des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots "unumgänglich, die Bedingungen seines Entstehens, seine frühere Bedeutung und einen etwaigen Bedeutungswandel aufzudecken, um überhaupt erst eine zuverlässige Grundlage für die Beurteilung seiner heutigen Bedeutung ... zu gewinnen" (Schreiber)!7. 15 16
Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 3.
Krey, aaO.
§ 3 Strafprozessuale Rechtsnatur von Verjährung und Strafantrag
33
Im übrigen hat kein geringerer als der Verfassungsgeber selbst bei der Schaffung des Art. 103 Abs. 2 GG auf den historischen Bedeutungsgehalt des Satzes nullum crimen, nulla poena sine lege verwiesen: Dem Grundgesetzgeber ging es nämlich darum, in jener Verfassungsnorm das Prinzip "nulla poena sine lege" als "alten bewährten Grundsatz wieder zu Ehren kommen zu lassen"18. Drittens ist die Beschäftigung mit der geschichtlichen Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots nicht nur aus den vorgenannten "utilitaristischen" Erwägungen angezeigt. Geschichtsforschung im allgemeinen und Forschungen auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte im besonderen sind nämlich als wissenschaftliches Streben nach Erkenntnis schlechthin von eigenem Wert, ohne daß es noch der Rechtfertigung durch den Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit für die Beantwortung heutiger Probleme bedürfte.
§ 3 Zur strafprozessualen Rechtsnatur der Vorschriften über die Verfolgungsverjährung und den Strafantrag Bekanntlich ist der Rechtscharakter von "Prozeßvoraussetzungen bzw. -hindernissen" in Rechtsprechung und Lehre sehr umstritten; dies gilt namentlich für die Regelungen über die Verfolgungsverjährung (§§ 78ff. StGB) und den Strafantrag (§§ 77ff. StGB): Nach herrschender Ansicht I9 sind die Verjährungs- und Antragsvorschriften strafprozessualer Natur. Nach dieser Auffassung betreffen sie nämlich nicht die Frage, wann eine Straftat vorliegt und welche Sanktionen verhängt werden können, sondern regeln lediglich, wie lange eine solche Tat verfolgt werden bzw. ob sie verfolgt werden kann. Dagegen handelt es sich nach einer Mindermeinung bei der Verjährung und dem Strafantragserfordernis um ein Institut des materiellen Strafrechts 20 . Eine vermittelnde (gemischt-rechtliche) Auffassung sieht in jenen Regelungen ein zugleich materielles und prozessuales Rechtsinstitut 21 . Gesetz und Richter, S. 14f. Vgl. die Begründung (S.56) des Entwurfs eines Grundgesetzes von 1948 des in Herrenchiemsee tagenden Verfassungsausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz. Zur Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 2 GG vgl. auch m. w. N.: Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 97; Schreiber, Gesetz und Richter, S. 202-204. 19 Vgl. dazu m. w. N.: Jähnke, LK vor § 77, Rdnr. 7; ders. aaO, vor § 78, Rdnr. 7 -9; Stree in: SchönkejSchröder, 22. Aufl., § 77 Rdnr. 8, Vorbem. §§ 78ff., Rdnr. 3; siehe auch unten, Rdnr. 100-102, 106f.-108, 111, 127f., 139. 20 Für den Strafantrag: Bloy, GA 1980, 161, 167; H. Kaufmann, S. 152ff.; weitere Nachweise bei Jähnke aaO, Rdnr. 7 vor § 77. Für die Verfolgsverjährung: H. Kaufmann, S. 154; Lorenz, GA 1968, 371. Vgl. ferner m. w. N. unten, Rdnr. 140. 21 Für den Strafantrag: Rudolphi, SK 3. Aufl., vor § 77, Rdnr. 8; weitere Nachweise unten, Rdnr. 140. Für die Verjährung: Tröndle, LK 10. Aufl., § 2 Rdnr. 10,12; ders., in: Dreher jTröndle, § 1 17
18
3 Pfähler
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34
Einleitung
Schließlich wird ganz vereinzelt noch die These vertreten, Verjährung und Strafantrag stünden als "Drittes" neben den materiellen Rechtssätzen und denen des Strafverfahrensrechts 22 . 14
Eine Klärung jener Frage nach dem Rechtscharakter von Verfolgungsverjährung und Strafantrag freilich kann nicht Aufgabe einer dogmenhistorischen Untersuchung über die Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht sein; eine solche Klärung würde eine eigene Monographie erfordern. Zur KlarsteIlung sei jedoch hervorgehoben, daß der Verfasser dieser Studie für die weitere Untersuchung von dem prozessualen Rechtscharakter der Regelungen über die Verfolgbarkeit einer Straftat ausgeht, und zwar von der Natur der Verjährung als einem Verjahrenshindernis, und des Antragserfordernisses als einer VerJahrensvoraussetzung; die Gründe hierfür sollen nachstehend wenigstens skizziert werden: I. Verfolgungsverjährung
15
Für die strafprozessuale Natur der Verjährung spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes: Die Verjährung ist in §§ 78ff. StGB unter dem Titel "VerJolgungsverjährung" (bzw. "Vollstreckungsverjährung") geregelt. Damit ist klargestellt, daß die Verjährung nicht die Frage des "Ob" und "Wie" der Strafbarkeit einer Tat betrifft, sondern lediglich regelt, wie lange eine bereits begangene Straftat noch verfolgt (bzw. die für diese Tat verhängte Strafe vollstreckt) werden kann. Auch die §§ 78 Abs. 3, 78 b Abs. 1 und 2 StGB sprechen von der Verjährung der "VerJolgung" und nicht etwa von der Verjährung einer "Straftat".
16
Die prozessuale Deutung der Verjährung ist auch mit dem "Willen des Gesetzgebers" vereinbar: Während der legislatorischen Arbeiten zur Strafrechtsreform (1962) hat man nämlich "die Beantwortung der dogmatischen schwierigen Frage wie bisher der Rechtslehre und der Rechtsprechung überlassen"23. Die herrschende Rechtsprechung und Lehre aber deuten die Verjährung - durchaus nicht entgegen den Intentionen des Gesetzgebers als straJprozessuales Rechtsinstitut 24 •
17
Gegen das vorgenannte prozessuale Verständnis spricht auch nicht etwa die systematische Stellung der Vorschriften über die Verfolgungsverjährung. Die Rdnr. 11 b, Rdnr. 4 vor § 78; Rudolphi aaO, Rdnr. 10 vor § 78; weitere Nachweise unten, Rdnr.140. 22 Grünwald, MDR 1965, 521, 522. 23 2. Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in: Anlagen zu den Stenographischen Berichten (1969), Bd. 129, BT.-Drs. V /4095, S. 43. 24 Wie Anm. 19.
§ 3 Strafprozessuale Rechtsnatur von Verjährung und Strafantrag
35
Regelung des Instituts der Verjährung in §§ 78 ff. des StGB - und nicht etwa in der StPO - bringt vielmehr nur den besonderen Sachzusammenhang mit den Straftatbeständen des Besonderen Teils des StGB regelungstechnisch zum Ausdruck. Auf den ersten Blick schwierig scheint dagegen die Beantwortung der Frage, welcher Rechtsgrund der Verjährung zugrunde liegt:
18
Von vornherein verfehlt erscheinen - jedenfalls de lege lata - Erwägungen, wonach die Verjährungsvorschriften auf materiell-rechtlichen Gesichtspunkten
19
- und zwar namentlich auf dem Aspekt des "schwindenden Strafbedürfnisses" -
beruhen 25 :
Eine solche Deutung ließe nämlich offen, wieso beispielsweise schwere Straftaten (etwa nach §§ 229 Abs. 2, 239a Abs. 2, 307 StGB) einen Tag vor Ablauf ihrer Verjährungsfrist - also i. d. R. nach 30 Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB) - noch im Höchstmaß mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden sind, einen Tag später jedoch überhaupt nicht mehr. Derartige "Sprünge" kann
20
wie schon Jähnke zu Recht hervorgehoben hat -
-
der Gesichtspunkt des "schwingenden Strafbedürfnisses nicht vollführen; schematische, die Abstufung von Unrecht und Schuld vernachlässigende Einschnitte wie der Eintritt der Verjährung sind vielmehr charakteristisch für Verfahrenshindernisse" 26. Aber auch die Möglichkeit, den Lauf von Verjährungsfristen jederzeit zu 21 unterbrechen ( § 78c StGB), zeigt, daß diese Fristen nicht die Strafbarkeit einer Tat, sondern ausschließlich deren prozessuale Verfolgbarkeit betreffen: Der Zeitablauf ändert daher an der Strafbarkeit einer Tat als solcher nichts. Dementsprechend führt die Verjährung auch nicht zu einem Freispruch, sondern lediglich zur Einstellung des Verfahrens 27 • Von vornherein verfehlt erscheint ferner der Versuch, den Rechtsgrund der Verjährungsvorschriften zugleich auf materielle und strafprozessuale Gesichtspunkte zurückzuführen 28:
25 Wie hier etwa: Bemmann, JuS 1965,337; Jähnke, LK vor § 78, Rdnr. 9. Dagegen beruht das Institut der Verfolgungsverjährung nach BGH (in: JZ 1985, 352) und H. Kaufmann (S. 126f.) namentlich auf dem Gesichtspunkt des "schwindenden Strafbedürfnisses" . 26 Jähnke, LK vor § 78, Rdnr. 9. 27 Ganz h.M.; vg!. nur: Jähnke aaO, Rdnr.16; Kleinknecht/Meyer, StPO, Ein!. Rdnr.147, 154; jeweils m.w.N. 28 Wie Anm. 21.
3*
22
36
Einleitung
Es ist nämlich ein Gebot des geltenden Rechts -
vgl. nur § 344 Abs. 2 StPO -
zwischen "materiellem Strafrecht" einerseits und "Strafverfahrensrecht" andererseits zu differenzieren 29 • Dementsprechend kann es sich bei der Verjährung auch nur entweder um ein Institut des materiellen oder des formellen Strafrechts handeln. 23
Die Verjährungsvorschriften aber beruhen, was ihre ratio angeht, in erster Linie auf prozessualen, verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten: Hierbei dominiert freilich nicht - wie vielfach von den Anhängern einer strafprozessualen Natur der Verjährung behauptet wird der Aspekt "Beweisvergänglichkeit" 30. Dagegen spricht grundsätzlich bereits die Unverjährbarkeit bestimmter Tötungsdelikte (§§ 78 Abs. 2,211, 220a StGB).
24
Dem Institut der Verfolgungsverjährung liegt vielmehr der Gesichtspunkt der "Verfahrensökonomie" zugrunde: Wenn es keine Verjährung der Strafverfolgung gäbe, müßte sich "die Justiz außer mit den laufenden Angelegenheiten mit sämtlichen noch nicht erledigten Strafsachen des letzten Menschenalters befassen. Eine solche Aufgabe wäre schlechterdings nicht erfüllbar"31. 11. Strafantrag
25
Auch die Regelungen des Strafantrags (§§ 77ff. StGB) sind genuin strafprozessualer Rechtsnatur. Das Stellen eines Strafantrags ändert nichts an der Strafbarkeit einer Tat als solcher, d. h. es wirkt nicht strafbegründend; vielmehr ist der Antrag lediglich eine Voraussetzung für die Verfolgbarkeit der Tat:
26
Hierfür spricht einmal der Wortlaut des Gesetzes, wonach "die Tat nur auf Antrag verfolgbar" ist (§ 77 Abs. 1 StGB).
27
Aber auch dem "Willen des Gesetzgebers" ist zu entnehmen, daß es bei Normierung der §§ 77ff. StGB ausschließlich um Regelungen ging, "die Verfahrensvoraussetzungen betreffen"32. Die Aufnahme der Vorschriften über den Strafantrag in das StGB sollte lediglich alJS Gründen der Übersichtlichkeit "den Regelungszusammenhang mit den einzelnen Antragsdelikten wahren" 33 . 29 So schon zutreffend Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 Anm. 372; ders., JA 1983, 234. 30 So etwa BGH St 2, 305; Stree in: Schönke/Schröder, 22. Aufl., Vorbem. §§ 78ff., Rdnr. 3 m.w.N. 31 Bemmann, JuS 1965, 338; ihm folgend Jähnke, LK vor § 78, Rdnr. 9 m. w. N. 32 BT.-Drs. IV /650, S. 252 (E 1962); weitere Nachweise bei Jähnke aaO, Rdnr. 7 vor § 77. 33 BT.-Drs. aaO.
§ 3 Strafprozessuale Rechtsnatur von Verjährung und Strafantrag
37
Darüber hinaus zeigt bereits die Existenz sog. "eingeschränkter Antrags- 28 delikte" -
(z.ll. §§ 183 Abs. 3, 232, 248a, 303 Abs. 3 StGB)-,
d. h. solcher Delikte, die außer auf Antrag auch bei Bejahung des "besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung" durch die Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgbar sind 34 , daß es bei dem Strafantrag keineswegs um materiell-rechtliche Fragen, etwa eines "schwindenden Strafbedürfnisses" 35 , sondern um verfahrensrechtliche Gesichtspunkte der Strafverfolgung geht 36 • Was den Rechtsgrund der §§ 77 ff. StG B betrifft, ist zu differenzieren, und zwar je nach Deliktstypus, auf den sich das Antragserfordernis bezieht:
Erstens:
Verführung (§ 182 StGB) , Beleidigung (§§ 185fl, 194 StGB) , Verwertung fremder Geheimnisse (§ § 204, 205 StG B), Straftaten gegen die persönliche Freiheit (§§ 235 - 238 StG B)
Bei diesen Delikten beruht das Antragserfordernis auf dem Aspekt "Rücksichtnahme auf Interessen des Opfers" 37 •
Zweitens:
Vermögensdelikte unter Hausund Familienangehörigen (§ § 247/259 Abs. 2, 263 Abs. 4, 265 Abs. 3, 266 Abs. 3 i. V. m. 247 StGB)
Hier gebietet die Rücksichtnahme auf Interessen des Opfers aufgrund "besonderer persönlicher Beziehungen zum Täter" -
und zwar namentlich zwecks "Schutzes des Haus- und Familienfriedens" -
das Erfordernis eines Strafantrags 38 •
Drittens:
Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs (§ 248b StGB), Pfandkehr (§ 289 StGB)
Bei diesen Delikten wird das Antragserfordernis von dem - aus der Sicht der Allgemeinheit - grundsätzlich "geringen Strafbedürfnis" bestimmt 39 •
Viertens:
Tatbestände, in denen Fachbehörden ein eigenes Antragsrecht zugewiesen ist, wie z. B. dem Landesjugendamt (§ 89 JWG) , der Deutschen Bundespost (§ 15 Abs. 3 FernmG), Aufsichtsstellen (§ 145 a S.2 StGB)
In solchen Fällen basiert das Antragserfordernis auf der Überlegung, daß die betreffenden Fachbehörden aufgrund ihrer entsprechenden Sachkompetenz 34 Näher dazu etwa: Dreher j Tröndle, Rdnr. 2 vor § 77; Jähnke aaO, Rdnr. 6 vor § 77; Stree in: SchönkejSchröder, 22. Aufl., § 77 Rdnr. 2. 3S Vgl. dazu die Nachweise in Anm. 20. 36 Dies klingt der Sache nach auch bei Krey (in: GA 1985, 449, 453) an. 37 So schon Jähnke aaO, Rdnr. 4 vor § 77. 38 Jähnke aaO. 39 Wie Anm. 37.
29
38
Einleitung
einen besseren Überblick über die Notwendigkeit der Verfolgung ihren Amtsbereich tangierender Delikte haben 40 • 30
In den vorgenannten Fällen (1-4) beruht das Antragserfordernis zudem auf einem "verfahrensökonomischen" Aspekt: Sinn und Zweck einer Regelung, welche die Strafverfolgung nicht stets und in allen Fällen den Verfolgungsorganen zur von Amts wegen zu beachtenden Pflicht macht, dienen nämlich auch dem Ziel, die Justiz- und Verfolgungsbehörden möglichst zu entlasten. Damit ist der Strafantrag letztlich auf zwei Aspekte zurückzuführen: Das Antragserfordernis bezweckt zum einen die Verhinderung verfahrensunökonomischer Strafverfolgung; es dient zum anderen der Vermeidung von Strafverfahren, deren Durchführung den Interessen des Opfers zuwiderlaufen könnte. Beides sind genuin prozessuale Aspekte.
31
Letztlich ist die Zuordnung des Strafantrags zum Strafverfahrensrecht sogar ein Gebot des geltenden Verfassungsrechts, und zwar namentlich unter dem Gesichtspunkt "verfassungskonformer Auslegung"41: Lägen dem Institut des Strafantrags nämlich auch bzw. ausschließlich materiell-rechtliche, die Strafbarkeit einer Tat betreffende Aspekte zugrunde, verstießen die §§ 77ff. StGB gegen das Gebot des Art. 103 Abs. 2 GG, wonach die Strafbarkeit einer Tat vorher gesetzlich bestimmt sein muß - denn bei einem materiell-rechtlichen Verständnis des Strafantrags würde der Antragsberechtigte strafbarkeitsbegründend und mit Rückwirkung durch die AntragsteIlung die "Strafbarkeit einer Tat bestimmen" -.
§ 4 Überblick über den Gang der Untersuchung 32
Die Studie beginnt in ihrem Ersten Teil mit einer Darlegung der heutigen Diskussion der Geltung des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG im Strafprozeßrecht. Dabei wird zunächst die herkömmliche Konzeption in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre geschildert (Kapitel 1); sodann soll die neuere Konzeption - Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht vorgestellt werden (Kapitel 2). Jener Erste Teil der Untersuchung dient gewissermaßen als "Einfohrung"; er soll verdeutlichen, inwieweit in der modernen Diskussion unserer Problemstellung gerade auch dogmenhistorische Erwägungen eine Rolle spielen.
33
Die eigentliche Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im allgemeinen und seiner Unanwendbarkeit im Strafprozeßrecht im besondeJähnke, LK vor § 77, Rdnr. 5 m.w.N. Zur "verfassungskonforrnen Auslegung" vgl. aus dem unübersehbaren Schrifttum nur: Krey, Studien, S. 69f., 139, 193; ders., JA 1983, 506-509; jeweils m.w.N. 4()
41
§ 4 Gang der Untersuchung
39
ren ist dann Gegenstand des Zweiten Teils der Arbeit. Dieser Teil der Untersuchung umfaßt in 5 Kapiteln den Zeitraum vom römischen Strafrecht bis zum deutschen Strafrecht im 19. Jahrhundert; er bildet den Schwerpunkt unserer Studie. Der Dritte und letzte Teil der Arbeit ist dann einem Rückblick auf die 34 historische Entwicklung unserer Problematik (Kapitel 1) einerseits und ihrer Fruchtbarmachung für die heutige Diskussion (Ausblick; Kapitel 2) andererseits gewidmet.
Erster Teil
Zur heutigen Diskussion der Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht Kapitell
Die herkömmliche Konzeption: Keine Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafverfahrensrecht § 1 Der Standpunkt des Bundesgesetzgebers 35
Nach traditioneller Ansicht gilt das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht im Strafprozeßrecht. Für diese Auffassung ist an erster Stelle der Bundesgesetzgeber zu nennen. Es waren nämlich gesetzliche Rückwirkungsanordnungen im Strafverfahrensrecht, die den Anstoß für die aktuelle Kontroverse um den Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Verfahrensrecht gaben. Im folgenden sollen daher die Regelungen untersucht werden, die Gegenstand dieser Kontroverse sind bzw. darüber hinaus Beispiele, die den Standpunkt des Gesetzgebers zusätzlich verdeutlichen. I. Gesetzliche Regelungen betreffend die Verfolgbarkeit von Straftaten 1. Strafverfolgungsverjäbrung
36
Die moderne Diskussion um die Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht nahm bekanntlich ihren Ausgang von bundes gesetzlichen Regelungen, die eine "rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen" anordneten. Hauptanliegen jener Gesetzgebung war es, die Strafverfolgung von NS-Verbrechen zu ermöglichen. Zum besseren Verständnis der fraglichen Bundesgesetze soll zunächst ihre "Vorgeschichte" nach 1945 dargelegt werden.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
41
a) Die Verjährungsproblematik bei NS-Verbrechen und ihre legislative Behandlung durch die Alliierten, die Länder und den Deutschen Bundestag vor Erlaß des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen von 1965
Für die vorgenannten NS-Verbrechen war charakteristisch, daß sie
37
"während der nationalsozialistischen Herrschaft unter völliger Mißachtung rechtsstaatlicher Grundsätze nicht verfolgt wurden, weil sie von den damaligen Machthabern teils veranlaßt oder gefördert, teils gern geduldet wurden" (BVerfG)1. Dabei lag der Grund hierfür darin, "daß die nationalsozialistischen Machthaber den durch die Straftat Verletzten als minderwertig ansahen ... Es gehört zu den Folgen jener Mentalität, daß Straftaten, die den damaligen Machthabern genehm waren, nicht verfolgt wurden und dadurch verjährten" bzw. verjähren konnten 2 •
(1) Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 von 1945 Demgemäß waren bereits die Siegermächte nach dem Zusammenbruch des 38 Dritten Reichs bemüht, die Strafverfolgung von NS-Taten im allgemeinen und den Nichteintritt der Verfolgungsverjährung im besonderen sicherzustellen. Bekanntlich hat das Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 10 über die "Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben" vom 20.12.1945 3 "uferlose, mit rückwirkender Kraft ausgestattete Straftatbestände"4 über "Verbrechen gegen den Frieden", "Kriegsverbrechen" sowie "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" normiert 5 • Bezüglich der Verfolgbarkeit jener Verbrechen nun ordnete das KRG Nr. 10 in Art. 11 Nr. 5 S. 1 an: BVerfG E 1, 418, 426. BVerfG E 1, 418, 427. 3 Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 3, S. 50. 4 Zipf in: MaurachjZipf, AT Teilbd. 1, § 121. Dazu ferner eingehend u.a. Jescheck, Lehrbuch, S.94f., 104; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr.34, 64-69, 96; Plutte, S. 98ff., 102. Auch die Aburteilung der sog. Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg erfolgte aufgrund z. T. weitgehend unbestimmter sowie rückwirkender Strafvorschriften; sie waren in dem Statut des Londoner "Abkommen über die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse" vom 8.8.1945 verankert. Dazu Jescheck aaO; Krey aaO, Rdnr. 34, 64, 96; Plutte aaO. Zur Anwendung rückwirkender Strafgesetze in den Kriegsgerichtsverfahren vor dem "International Military Tribunal for the Far East (Tokyo)" weitere Nachweise bei Krey aaO, Rdnr. 64 mit Anm. 197. 5 Art. 11 Nr. 1 a)-d) KRG Nr. 10; Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 3, S. 50f. 1
2
42 39
1. Teil: Zur heutigen Diskussion "In einem Strafverfahren oder einer Verhandlung wegen eines der vorbezeichneten Verbrechen kann sich der Angeklagte nicht auf Verjährung berufen, soweit die Zeitspanne vom 30. Januar 1933 bis zum 1. Juli 1945 in Frage kommt"6.
(2) Die Rechtslage in den Ländern der westlichen Besatzungszonen 40
Darüber hinaus ergingen auch in den Ländern der Besatzungszonen der Westmächte' Vorschriften betreffend die Verfolgbarkeit von NS-Taten. Ihr Ziel war "die Beseitigung nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege"8 bzw. die "Ahndung nationalsozialistischer Straftaten"9 (sog. Ahndungsgesetze). Dabei ging es jener Gesetzgebung im wesentlichen darum, die Strafverfolgung von NS-Verbrechen über den Anwendungsbereich des KRG Nr. 10 hinaus sicherzustellen. und zwar namentlich "von Verbrechen, die mit Gewalttätigkeiten oder Verfolgungen aus politischen, rassischen oder religionsfeindlichen Beweggründen verbunden waren"
sowie von Verbrechen, die "zur Durchsetzung des Nationalsozialismus, zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft oder unter Ausnutzung einer staatlichen oder parteiamtlichen Machtstellung gegen politische Gegner begangen worden sind"lO.
Die Strafverfolgungsverjährung jener Verbrechen indes wurde in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt. Für die Länder der Britischen Zone bestimmte die Verordnung zur Beseitigung nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947 in § 3: 41
"Die Vorschriften über die Verjährung stehen, soweit die Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 in Betracht kommt, einer Verfolgung und Bestrafung nicht entgegen. Die Verjährung gilt für diese Zeit als ruhend"l1.
42
Die Ahndungsgesetze in den Ländern der Amerikanischen Zone dagegen setzten eine Hemmung der Verjährung von NS-Verbrechen einheitlich auf den 6 Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 3, S. 52. 7 Zur Rechtslage in der sowjetischen Besatzungszone: OLG Dresden DRZ 1947, 165, 166; Frost, DRiZ 1965, 89 m.w.N. in Anm. 11. 8 So lautet beispielsweise die Verordnung vom 23. Mai 1947 für die Britische Zone (Verordnungsblatt für die Britische Zone, S. 65), das Landesgesetz Rheinland-Pfalz vom 29. April 1948 (GVBl. I, S. 245) sowie die Rechtsanordnung des Saarlandes vom 4. Juli 1947 (Amtsblatt, S. 272). 9 Diesen Titel hatten vornehmlich die Ahndungsgesetze in den Ländern der Amerikanichen Zone, wie etwa das bayerische Gesetz NT. 22 vom 31. Mai 1946 (GVBl., S. 182) oder das Gesetz für Groß-Hessen vom 29. Mai 1946 (GVBl., S. 136). 10 So ausdrücklich Art. I § 1 Abs. 1 der Verordnung vom 23. Mai 1947 für die Britische Zone, aaO. Siehe auch § 4 des Landesgesetzes Rheinland-Pfalz, aaO; Art. 1 des bayerischen Gesetzes, aaO; Art. 1 des Gesetzes für Groß-Hessen, aaO. 11 Verordnungsblatt für die Britische Zone, S. 65.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
43
Zeitraum vom 30. Januar 1933 bis zum 1. Juli 1945 fest; sie galten in Bayern, Bremen, Groß-Hessen und Württemberg-Baden I2 • Noch weiter wurde der Fristablauf der Verjährung von NS-Verbrechen im Saarland hinausgeschoben. § 6 der Rechtsanordnung zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts ... vom 4. Juli 1947 erstreckte den Zeitraum des Ruhens der Verjährung vom 30. Januar 1933 bis zum Inkrafttreten der Rechtsanordnung 13 , also dem 18. Juli 1947 14 . Trotz unterschiedlicher Zeitbestimmungen 15 ist den vorgenannten Regelungen im Saarland sowie den Ländern der ehemals amerikanischen und britischen Besatzungszonen gemeinsam, daß sie sowohl die Strafverfolgung bereits verjährter NS-Verbrechen wiedereröffnet, als auch den Beginn bzw. die Fortsetzung noch laufender Verjährungsfristen verlängert haben. Demgegenüber bestimmen entsprechende in den Ländern der früheren 43 Französischen Zone -
Baden, Rheinland-Pfalz und Württemberg-Hohenzollern-
erlassene Vorschriften lediglich, daß eine bereits eingetretene Verjährung der Strafverfolgung nicht entgegenstehe, wenn die Verfolgung innerhalb von sechs Monaten bzw. einem Jahr aufgenommen werden; über die Hemmung bzw. das Ruhen noch laufender Fristen der Verjährung von NS-Verbrechen findet sich keine Regelung 16. So heißt es beispielsweise in § 6 des Landesgesetzes zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts ... Rheinland-Pfalz vom 23. März 1948: "Ist die Strafverfolgung infolge der in § 5 bezeichneten Maßnahmen oder deshalb unterblieben oder verzögert worden, weil der Täter unter dem Schutz der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen oder angeschlossenen Verbände stand, so steht eine dadurch bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetretene Verjährung der Strafverfolgung nicht entgegen, wenn die Verfolgung binnen Jahresfrist nach Inkrafttreten aufgenommen wird"17.
12 Bayern, GVBI. 1946, S. 182; Bremen, GVBI. 1947, S. 83; Groß-Hessen, GVBI. 1946, S. 136; Württemberg-Baden, Regierungsblatt 1946, S. 171. 13 Amtsblatt des Saarlandes, S. 272. 14 § 15 der Rechtsanordnung (Amtsblatt des Saarlandes S. 273 a. E.). 15 Auch der Umfang der betroffenen Delikte ist verschieden; dazu Frost, DRiZ 1965, 89 mit Anm. 6. 16 Badische Verordnung vom 23. 12. 1946 (Amtsblatt, S. 151); zu Rheinland-Pfalz siehe nachstehend Anm. 17; Rechtsanordnung Württemberg-Hohenzollern vom 16.5.1947 (Regierungs blatt, S. 67). 17 GVBI. I, S. 245. § 5 dieses Gesetzes regelte die Unbeachtlichkeit von Straffreierklärungen u.ä. durch das NS-Regime für die Strafverfolgung in der Nachkriegszeit. Das Gesetz ist mit Ablauf von zwei Wochen nach seiner Verkündung in Kraft getreten (§ 14 Abs. 1; GVBI. I, S. 246).
44
44 45
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
Gleichwohl hat auch in diesen Ländern nach h. M. in Rechtsprechung '8 und Lehre '9 der Lauf von Verjährungsfristen für alle NS-Verbrechen geruht, und zwar kraft gesetzlicher Anordnung wegen Stillstandes der Rechtspflege. Diesbezüglich wird nämlich der "Führerwille" bzw. die "rechtsfeindliche politische Haltung der Machthaber" des NS-Regimes 20 einem der Strafverfolgung bis zum Ende des Dritten Reichs entgegenstehendes Gesetz i. S. d. § 69 Abs. 1 S. 1 StGB a. F. 21 gleichgesetzt. Fazit: In den Ländern der ehemaligen Besatzungszonen ruhte die Verjährung von NS-Straftaten vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai oder dem 1. Juli 1945, im Saarland sogar bis zum 18. Juli 1947. (3) Die Verjährung der NS-Totschlagsverbrechen sowie ihre parlamentarische Behandlung im Deutschen Bundestag
46
Ausgehend von dieser Rechtslage 22 drohte erstmals im Jahre 1960 der Ablauf der damals 15-jährigen Verjährungsfrist (§ 67 Abs. 1 StG Ba. F.)23 für nationalsozialistische Totschlagsverbrechen. Dies führte zur ersten parlamentarischen Diskussion über die Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Bereich der Strafverfolgungsverjährung.
47
Aus Anlaß der Erörterung eines von der SPD-Fraktion eingebrachten Entwurfs eines "Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verähungsfrist"24 wurde im Rechtsausschuß des Bundestages ganz allgemein die Frage erörtert, BGH in: NJW 1962, 2308f.; NJW 1963, 1627. Arndt, JZ 1965, 145; Benda, Verjährung und Rechtsstaat, S. 5; Frost, DRiZ 1965, 89; Jantsch, DRiZ 1965, 196; Lackner, NJW 1960, 1046f.; Naegele, NJW 1960, 889f. 20 BGHaaO. 21 Entspricht dem heutigen § 78 b Abs. 1 S. 1 StGB. 22 Allerdings wurde die besatzungsrechtliche Hemmung von Verjährungsfristen (u. a. des KRG Nr. 10) durch § 5 des Ersten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30.5.1956 - BGBI. I, S. 437 - abgeschafft. Dort heißt es in Abs. 1: "Fristen, deren Ablauf auf Grund von Vorschriften oder infolge von Maßnahmen von Besatzungsbehörden gehemmt wurden und deren Ablauf bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht eingetreten ist, laufen in dem Zeitpunkt ab, in dem der Ablauf ohne diese Hemmung eingetreten wäre, jedoch nicht vor dem Ende 1956". Näher dazu Frost, DRiZ 1965, 89; Jantsch, DRiZ 1968, 196f.; Lackner, NJW 1960, 1046, 1047. 23 Heute beträgt die Verjährungsfrist für Totschlag zehn Jahre (§§ 78 Abs. 3 Nr. 3,212 StGB). 24 § 1 des Entwurfs vom 23. März 1960 (BT.-Drs. III/ 1738) lautet: "Bei der Berechnung der Verjährungsfrist bei Verbrechen, die im Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von einer längeren als zehnjährigen Dauer oder mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, bleibt auch die Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 15. September 1949 außer Ansatz". Der Gesetzentwurf wurde mit der Mehrheit des Rechtsausschusses (Schriftlicher Bericht, 18 19
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
45
"ob es verfassungs rechtlich möglich und politisch zu empfehlen sei, die Verjährungsfristen für politische Delikte oder für alle Fälle von Totschlag und Mord zu verlängern"2s. Die Mehrheit des Ausschusses hat dies verneint. Zur Begründung wurde u. a. 48 angeführt, daß jegliche Verlängerung der Verjährungsfristen von zuvor begangenen Straftaten eine rückwirkende Verschlechterung der Rechtsposition des Täters sei; dies gelte namentlich für die Wiedereröffnung bereits abgelaufener Verjährungsfristen 26 • Bei dieser Argumentation hat sich der Rechtsausschuß jedoch offensichtlich nicht auf das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs.2 GG gestützt. Die Bedenken gegen die rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen wurden anscheinend vielmehr aus dem "allgemeinen", öffentlich-rechtlichen Rückwirkungsverbot 27 abgeleitet. Denn über den Geltungsbereich des absoluten, strafrechtlichen Rück- 49 wirkungsverbots heißt es sodann ausdrücklich: " ... daß die Verjährung als materielles Strafrecht oder als zugleich prozeßrechtliche und materiellrechtliche Institution zu verstehen sei und daß deshalb eine rückwirkende Verlängerung nach Art. 103 Abs. 2 '" verfassungswidrig sei"28.
Dieser Standpunkt zahlreicher - freilich nicht sämtlicher - Ausschuß- 50 mitglieder kann nicht zur Stützung der These von der Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht herangezogen werden; denn jene Auffassung beruht ja gerade auf einem materiell- bzw. gemischtrechtlichen Verständnis des Rechtscharakters der Verjährung 29 • Dagegen wird nicht geltend gemacht, die Verjährung sei prozessualer Rechtsnatur und könne deshalb nicht ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs.2 GG rückwirkend verlängert werden. Vielmehr ging man für den Anwendungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots offenbar von der Unterscheidung materielles/formelles Strafrecht aus; nur meinten einige eben, die Verjährung sei ausschließlich bzw. auch materielles Strafrecht. Im Plenum ging man - was Art. 103 Abs. 2 GG betrifft - einhellig davon aus, daß es für den Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots entscheidend auf die Differenzierung "materielles Strafrecht" / "Sttafprozeßrecht" ankomme. BT.-Drs. III/1844) und des Plenums im Bundestag (Stenographischer Bericht über die 117. Sitzung, III. Wahlperiode, S. 6679 - 6697) abgelehnt. 25 BT.-Drs. III/1844. 26 Wie Anm. 25. 27 Vgl. dazu aus der unübersehbaren Literatur etwa: Bauer, JuS 1984,241 ff.; ders., NVwZ 1984, 220ff.; Pieroth, JZ 1984, 971 ff.; jeweils m.w.N. 28 Vgl. Anm. 25. 29 BT.-Drs. III/ 1844.
51
46
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
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So verwies der Abgeordnete Menzepo zur Verteidigung des Entwurfs auf die bis dato zu dieser Frage ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung. BGH31 und B VerfG32 aber lehnten schon damals die Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG im Bereich der Verjährungsregelungen ab, da sie strafprozessualer Natur seien.
53
Auch der Abgeordnete Bucher ging offensichtlich davon aus, das strafrechtliche Rückwirkungsverbot gelte nicht im Strafprozeßrecht. Er bezweifelte zwar die Vereinbarkeit des Entwurfs mit Art. 103 Abs. 2 GG; dies jedoch nur, indem er bezüglich der Verjährung den prozessualen Rechtscharakter in Frage stellte, den materiell-rechtlichen dagegen für vertretbar hielt 33 :
54
Resümee: Wenn der Bundesgesetzgeber 1960 die NS-Totschlagsverbrechen verjähren ließ, so jedenfalls nicht mit der Begründung, die Verjährung sei Prozeßrecht und könne deshalb nicht gemäß Art. 103 Abs. 2 GG rückwirkend verlängert werden. Bereits damals stand für den Gesetzgeber vielmehr fest:
Das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG gilt nicht im Strafprozeßrecht. Für die Nichtverlängerung jener Verjährungsfristen waren vielmehr andere - verfassungsrechtliche und rechtspolitische - Gründe maßgeblich 34.
b) Rückwirkende Verlängerung im Jahre 1965
55
Bereits fünf Jahre später entbrannte eine zweite parlamentarische Debatte über die rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen. Dabei stellte sich u. a. erneut die Frage, ob dies angesichts des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots rechtlich überhaupt möglich sei. Anlaß hierfür war wiederum der Versuch der Bewältigung der NS-Vergangenheit mit den Mitteln des Strafrechts; 1965 drohte nämlich der Ablauf der 20jährigen Verjährungsfrist (§ 67 Abs. 1 StGB a. F.) für nationalsozialistische Mordtaten. Diesmal ging es also um die Verfolgbarkeit der schwersten NS-Verbrechen, der "unter Einsatz der ganzen Staatsmaschinerie geplanten und durchgeführten Mordaktionen"3s, wie etwa den KZ-Morden, Juden-Pogromen, Euthanasie-Maßnahmen und Transportvergasungen.
30
Stenographischer Bericht über die 117. Sitzung, III. Wahlperiode, S. 6681 (D), 6682
(A). 31 BGHin: NJW 1952, 271; BGHSt 2, 300ff., 305-307; 4, 379, 384f.; näher dazu unten Rdnr. 100ff. 32 BVerfG E 1, 418, 423; 8, 197, 202 und unten Rdnr. 100. 33 Stenographischer Bericht über die 117. Sitzung, III. Wahlperiode, S. 6691 (B). 34 Vgl. dazu die Gesetzgebungsmaterialien: Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BT.-Drs. III /1844; Stenographischer Bericht über die 117. Sitzung, III. Wahlperiode, S. 6679-6697. 35 So der Angeordnete Arndt in der 170. Sitzung des Bundestages, IV. Wahlperiode, Stenographischer Bericht, S. 8551 (A).
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
47
Eingeleitet wurde die parlamentarische Auseinandersetzung durch einen Kabinettsbeschluß der Bundesregierung vom November 1964, dem Parlament keine gesetzliche Verjährungsverlängerung zu empfehlen 36 • Sodann ließ die Bundesregierung verlautbaren, sie sei
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"nach langer Diskussion zu der Überzeugung gekommen, daß eine Verlängerung der Verjährungsfrist für Verbrechen mit rückwirkender Kraft durch Art. 103 GG ausgeschlossen ist, so wünschenswert aus anderen Gründen einer Verlängerung auch sein kann"37.
Demgegenüber sahen insgesamt sechs parlamentarische Gesetzgebungsanträge 38 - im Ergebnis einhellig - vor, die noch laufenden Verjährungsfristen rückwirkend gesetzlich zu verlängern. Erhebliche Unterschiede bestanden allerdings darin, auf welche Weise - regelungs technisch und inhaltlich - die Rückwirkung nach diesen Gesetzentwürfen eintraten sollte. Entsprechend einem Entwurf der Abgeordneten Benda und Genossen 39 sowie des Rechtsausschusses4f> sollte über eine Änderung der Vorschriften des StG B die Verjährungsfrist für mit lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechen von zwanzig auf dreißig Jahre heraufgesetzt werden.
57
Diese Regelung hätte dann für alle Straftaten - "rückwirkend" - gegolten, die bei Inkrafttreten der neuen Verjährungsvorschrift noch nicht verjährt waren 41 • Gemäß einem zweiten Gesetzentwurf der Abgeordneten Benda und Genos- 58 sen 42 und einer Gesetzgebungsinitiative der SPD-Fraktion 43 sollte die Verjährung von mit lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechen 44 bzw. namentlich von Mord und Völkermord 45 gänzlich aufgehoben werden, und zwar für alle Straftaten, die noch nicht verjährt waren. Ein weiterer Gesetzgebungsantrag der SPD-Fraktion 46 sah schließlich vor, die 59 im Ergebnis rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfristen für Mord im Benda, Verjährung und Rechtsstaat, S. 7. Zitiert nach Benda aaO, m. w. N. in Anm. 16, 17. 38 Anträge der Abgeordneten Benda und Genossen, BT.-Drs. IV /2965 sowie BT.Drs. IV /2965 (neu). Anträge der Fraktion der SPD, BT.-Drs. IV /3161 sowie BT.-Drs. IV /3162. Anträge des Rechtsausschusses, Anlage 1 zu BT.-Drs. IV /3220 sowie Anlage 2 zu BT.Drs. IV /3220. 39 BT.-Drs. IV /2965. 40 BT.-Drs. IV /3220, Anlage 1. 41 Jeweils Art. 2 des "Entwurfs emes Achten Strafrechtsänderungsgesetzes" in Anm. 39, 40. 42 BT.-Drs. IV /2965 (neu). 43 BT.-Drs. IV /3162. 44 Art. 1 eines "Entwurfs eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes", BT.-Drs. aaO (oben, Anm. 42). 45 Art. 1 Nr. 2 des Antrages der SPD-Fraktion, BT.-Drs. aaO (oben, Anm. 43). 46 BT.-Drs. IV /3161. 36 37
48
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
allgemeinen und NS-Mordtaten im besonderen im Grundgesetz zu verankern. Über eine Änderung des Grundgesetzes nach Art. 79 GG sollte gemäß § 1 eines "Entwurfs eines Gesetzes zur Einfiihrung eines Art. 102a in das Grundgesetz" folgendes normiert werden:
60
"Artikel 102 a (1) Die Strafverfolgung von Mord und Völkermord verjährt nicht. (2) Dies gilt nicht für die Straftaten, deren Strafverfolgung bei Inkrafttreten dieses Artikels bereits verjährt ist"47.
61
Letztlich durchgesetzt hat sich demgegenüber ein weiterer Gesetzentwurf des Rechtausschusses4fl • Dessen Verjährungsvorschriften 49 hat der Bundestag mit großer Mehrheit als "Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen" beschlossen 50; es wurde am 13. April 1965 verkündet 51 und lautet in § 1 (Ruhen der Verfolgungsverjährung):
62
,,( 1) Bei der Berechnung der Verjährungsfrist für die Verfolgung von Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, bleibt die Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1949 außer Ansatz. In dieser Zeit hat die Verjährung der Verfolgung dieser Verbrechen geruht. (2) Absatz 1 gilt nicht für Taten, deren Verfolgung beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits verjährt ist"52.
Sodann heißt es in § 2 (Anpassung des Ersten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts): 63
"Soweit die Verjährung der Strafverfolgung nach § 1 ruht, findet § 5 Abs. 1 des Ersten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30. Mai 1956 (BGBl. I. S. 437) keine Anwendung"53.
64
Damit wird bezüglich der weiteren Verfolgbarkeit von NS- Verbrechen - aber auch solcher Taten, die Deutsche nach dem Kriegsende bis zum 31.12.1949 begangen haben und deren Aburteilung nicht den Besatzungsgerichten vorbehalten war 54 - wie folgt differenziert: 47 BT.-Drs. IV / 3161. 48 BT.-Drs. IV /3220, Anlage 2. 49 §§ 1, 2 des Entwurfs; darüber hinaus sah § 3 des Entwurfs gewichtige rückwirkende Änderungen von sonstigem Strafprozeßrecht für die Verfahren gegen NS-Verbrecher vor. 50 Stenographischer Bericht über die 175. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8788ff. 51 BGBl. I, S. 315. 52 BGBl. aaO. 53 BGBl. aaO. § 5 Abs. 1 Erstes Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts ist im Wortlaut wiedergegeben oben, Anm. 22 m. w. N. 54 So zutreffend Grünwald, MDR 1965, 523 f. sowie Jantsch, DRiZ 1968, 198. Zur den Besatzungsgerichten der Alliierten vorbehaltenen Gerichtsbarkeit im Nachkriegsdeutschland eingehend u. a. BVerfG E 269,279,280; Bericht des Bundesjustizministers über die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten, BT.-Drs. IV / 3124, S. 16f.; Schriftlicher
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
49
Ist die Verjährungsfrist jener Straftaten bereits abgelaufen, können sie nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden; eine rückwirkende Wiedereröffnung bereits abgelaufener Verjährungsfristen hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 des Berechnungsgesetzes explizit ausgeschlossen. Die Mordtaten dagegen, deren 20-jährige Verjährungsfrist (§ 67 Abs. 1 StGB a. F.) bei Inkrafttreten des Berechnungsgesetzes SS noch lief, konnten nunmehr bis zum 31.12.1969 weiter verfolgt werden. Aber auch die Hemmung des Fristablaufs durch alliiertes Besatzungsrecht S6 wurde wieder in Kraft gesetzt, indem § 5 Abs. 1 des Ersten Gesetzes zur Aufhebung jenes Rechts S7 für die Zeit bis Ende 1949 außer Vollzug trat (§ 2 Berechnungsgesetz). Damit hat der Bundesgesetzgeber - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch 65 der Sache nach - erstmals noch laufende Verjährungsfristen rückwirkend verlängert 58 • Hierbei glaubte sich der Gesetzgeber in offenbarer Übereinstimmung mit dem Grundgesetz. Denn namentlich bezüglich der Vereinbarkeit jener Regelungen mit dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot hebt bereits der Rechtsausschuß hervor, "daß Artikel 103 Abs.2 des Grundgesetzes nur die Gesetzesbestimmtheit von Strafbarkeit und Strafe verfassungsrechtlich garantiert und Verjährungsvorschriften nicht umfaßt" 59.
Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot gelte sogar in keinem Fall im Bereich der Verjährungsvorschriften, "gleichgültig ob diese dem materiellen oder dem Verfahrensrecht zugerechnet werden" 60 • Nach dieser Ansicht kommt es für die Anwendbarkeit des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG bei Vorschriften der Strafverfolgungsverjährung auf die übliche Unterscheidung "materielles" / "formelles" Strafrecht nicht mehr an; das strafrechtliche Rückwirkungsverbot gilt selbst dann nicht, wenn das Institut der Verjährung materielles Strafrecht wäre. Jener restriktiven Deutung des Art. 103 Abs.2 GG hat sich auch der 66 Abgeordnete Benda angeschlossen. In einer vielbeachteten Rede vor dem Deutschen Bundestag wandte er sich gegen den "apodiktischen Doktrinarismus", mit dem die Verfassungswidrigkeit Bericht des Rechtsausschusses zu BT.-Drs. IV /3220, S. 3; Maier, NJW 1975, 466, 467; Naegele, NJW 1960, 889f. 55 Gemäß § 4 am 14. April 1965 (BGBI. I, S. 315). 56 Dazu BVerfG E 25, 269, 280; Jantsch, DRiZ 1968, 197f.; Lackner, NJW 1960, 1046f.; Maier, NJW 1975, 465ff., 469ff. 57 AaO (oben, Anm. 22). 58 Keineswegs hat der Gesetzgeber in den §§ 1, 2 Berechnungsgesetz einen Rechtszustand deklaratorisch festgeschrieben, der ohnehin kraft Gesetzes (§ 69 StGB a. F. - heute § 78b Abs. 1 StGB) gegolten hätte; dazu eingehend BVerfG E 25,269, 278ff., 284. 59 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses zu BT.-Drs. IV /3220, S. 2. 60 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses zu BT.-Drs. aaO. 4 Pröhler
50
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
einer rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfristen behauptet werde 61 • Zur näheren Begründung verweist er 62 auf seine - auch dem Plenum zugänglich gemachten - Darlegungen an anderer Stelle 63 • Dort heißt es dann zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bei Verjährungsvorschriften: Schon nach dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG komme es nur darauf an, daß die Strafbarkeit, nicht dagegen die Verjährbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde 64 • Auch sein Sinn und Zweck, nämlich die Gewährung von Rechtssicherheit, erfordere lediglich, daß die Strafbarkeit einer Handlung vorhersehbar sei. Die Frage ihrer Verfolgbarkeit dagegen sei nach allgemein rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch mit dem Prinzip der Gerechtigkeit abzuwägen 6s • Demgemäß könne "der Theorienstreit in der Strafrechtswissenschaft über das Wesen der VeIjährung auf sich beruhen, weil er für die Klärung der verfassungsrechtlichen Streitfrage nichts ergibt"66.
67
Auch die Abgeordneten Güde und Friedensburg wandten sich in den Bundestagssitzungen ausdrücklich gegen eine Einbeziehung der Verjährungsvorschriften in den Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots 67 • Zur Begründung rekurrierten beide auf die ratio jenes Verbots: Das Prinzip "nulla poena sine lege" habe nicht den Sinn, die Verjährungsfrist festzulegen; vielmehr solle der Täter davor geschützt werden, wegen eines nicht vorhersehbaren Tatbestandes nachträglich bestraft zu werden 68 • Nach Friedensburg liegt mithin der Sinn des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots gleichfalls in der Garantie von Rechtssicherheit im Sinne individueller Vorhersehbarkeit staatlicher Sanktionen. Güde dagegen leitet das Rückwirkungsverbot aus dem Schuldprinzip ab; dem Täter könne nur dann ein Schuldvorwurf wegen Überschreitung eines strafrechtlichen Verbots gemacht werden, wenn das Verbot zur Zeit der Tat bestanden habe 69 • Das Verjährungsrecht dagegen berühre nicht die Schuld des Täters zur Tatzeit 70 •
68
Freilich gab es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auch Gegenstimmen. So begründeten einige Abgeordnete ihre Ablehnung einer rückwirkenden 61 Unter Berufung auf den Rechtslehrer GustaJ Boehmer, Stenographischer Bericht, 170. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8523 (A). 62 Stenographischer Bericht aaO, S. 8521 (D). 63 Benda, Verjährung und Rechtsstaat. 64 Benda, aaO, S. 20f. 65 Benda, aaO, S. 22f. 66 Benda, aaO, S. 24. 67 Güde, Stenographiseher Bericht, 170. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8568 (A); ders., Stenographiseher Bericht, 175. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8780 (C, D); Friedensburg, Stenographischer Bericht, 170. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8554 (A) - 8555 (A). 68 Friedensburg aaO, S. 8555 (A). 69 Güde, Stenographiseher Bericht, 175. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8780 (C, D). 70 Güde aaO.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
51
Verlängerung von Verjährungsfristen ausdrücklich damit, daß jene Rückwirkung gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße 71 • Hierzu führt der Abgeordnete Busse aus: "Die Geister schieden sich im wesentlichen an der Frage, ob die Verjährungsbestimmungen materielles oder formelles Recht seien"72. Seiner Ansicht nach betreffe aber die Verlängerung von Verjährungsfristen materielles Recht, so daß für eine entsprechende Gesetzesregelung im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich sei7 3 • Sinn und Zweck der Verjährung sei es, Zeit und Ziel für die Ausübung von Staatsgewalt einzuschränken; wegen dieser Funktion, die Freiheit des Bürgers vor Eingriffen in seine Rechtssphäre zu schützen, gehöre die Verjährung in das grundrechtsartige Recht des Art. 103 Abs. 2 GG74. Auch der Abgeordnete Dehler geht davon aus, daß es für den Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots grundsätzlich auf die Unterscheidung "materielles Recht" / "Strafprozeßrecht" ankomme. Das Verbot der Rückwirkung gelte nicht bei den strafprozessualen Normen, die die Frage regeln, wie ein Strafverfahren durchzujUhren sei. Der Gesetzgeber könne namentlich rückwirkende Vorschriften über die "Voraussetzung des Haftbefehls, Stellung des Angeklagten im Verfahren, Stellung des Verteidigers im Verfahren sowie die Beweisregeln"75 erlassen. Dagegen gelte das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG für alle Bestimmungen über die Strafbarkeit und Strafandrohung, also im materiellen Strafrecht; es betreffe aber "auch alle Bestimmungen über die gesetzlichen Voraussetzungen eines Strafverfahrens und damit der Strafbarkeit überhaupt"76. Zu diesen gesetzlichen Voraussetzungen des Strafverfahrens, den sogenannten Prozeßvoraussetzung 77, gehöre die Strafverfolgungsverjährung; sie habe sowohl materiellrechtlichen wie prozessualen Rechtscharakter und werde deshalb von Art. 103 Abs. 2 GG erfaßt 78 .
71 Arndt, Stenographischer Bericht, 170. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8548 (D) - 8550 (A); Bucher, Stenographischer Bericht aaO, S. 8535 (B) - 8537 (A); Dehler, Stenographischer Bericht aaO, S. 8544 (B) - 8545 (A); Busse, Stenographiseher Bericht, 175. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8775, 8776 (C, D). 72 AaO, S. 8775. 73 Wie Anm. 72. 74 AaO (oben Anm. 71), S. 8776. 75 Dehler, Stenographischer Bericht, 170. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8544 (C). 76 Dehler aaO. 77 Dazu u. a. Kleinknecht / Meyer, StPO, Einleitung Rdnr. 146-154 m. w. N. 78 Dehler aaO (oben, Anm. 75), S. 8544 (D).
4"
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
Jene Abgeordneten forderten mithin - ausgehend von einem materiell- bzw. gemischtrechtlichen Verständnis der Verjährung - keine Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht; insofern kann man sie noch der herkömmlichen Ansicht zurechnen. 70
Demgegenüber begründet der Abgeordnete Bucher die Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Bereich der Verjährungsvorschriften unabhängig von ihrer rechtlichen Klassifizierung 79. Entscheidend sei vielmehr auf den Sinn und Zweck jenes Verbots abzustellen. Dieser läge - in Anlehnung an Grünwald80 - darin, "den Gesetzgeber zu hindern, seine Gesetze unter dem Eindruck geschehener Taten aufzustellen"81. In diesem Sinne sei das Prinzips "nulla poena sine lege" keine magna charta des Verbrechers 82 , sondern eine des Staatsbürgers 83 •
71
Der Abgeordnete Arndt meint gar, Art. 103 Abs. 2 GG müsse im Interesse einer optimalen Grundrechtsgarantie zugunsten der Freiheit des Bürgers wie folgt ausgelegt werden: Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG enthalte eine objektive Begrenzung der staatlichen Strafgewalt, die den Einzelnen sogar "vor der nachträglichen Aufhebung einer vom Staat sich selbst gesetzten Zeitgrenze" schütze 84 • Die Vorschriften über die Verjährung nun seien eine solche "Selbstbeschränkung des Staates, der sich die Zurückhaltung einer Zeitgrenze auferlegt" 85 . Arndt selber bezeichnet diese Auslegung jedoch als "extrem"86.
72
Angesichts solcher Stimmen wollte eine dritte Gruppe von Abgeordneten verfassungsrechtlich auf "Nummer Sicher gehen". Ungeachtet der Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG sollten die laufenden Verjährungsfristen für Mord im Wege einer Grundgesetzänderung aufgehoben und damit im Ergebnis rückwirkend verlängert werden 87 • Damit stellte sich aber die nächste Verfassungsfrage, nämlich inwieweit das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG unter die sogenannte "Ewigkeitsgarantie" des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG) fällt 88 • Aber auch diese Konzeption hat sich nicht durchgesetzt.
79
Bucher aaO (oben, Anm. 71), S. 8536 (A-B).
Dazu unten Rdnr. 163. Bucher aaO (oben, Anm. 71), S. 8537 (A). 82 Die Formulierung stammt von Franz v. Liszt, Lehrbuch, 12./13. Aufl., S. 80 mit Anm. 12, S. 88f.; ders., Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2. Bd., S. 59ff. 83 Bucher aaO (oben, Anm. 71), S. 8536 (C). 84 Arndt aaO (oben, Anm. 71), S. 8549 (B). Vgl. auch unten, Rdnr. 154,164,177,180. 85 Arndt aaO (oben, Anm. 71), S. 8551 (C). 86 Wie Anm. 84. 87 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Art. 102a in das Grundgesetz, oben Rdnr. 60; Erler, Stenographischer Bericht, 170. Sitzung, IV. Wahlperiode, S. 8569 (B); Hirsch, Stenographischer Bericht aaO, S. 8529 (D) - 8539 (B); Jahn, Stenographischer Bericht aaO, S. 8538 (A). 80
81
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
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c) Die rückwirkende Verlängerung 1969
Schon bald mußte man feststellen, daß sich - die bei Erlaß des Gesetzes über 73 die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vorhandene - Hoffnung, bis Ende 1969 alle noch nicht verjährten NS-Schwerverbrechen aufklären zu können, nicht erfüllte 89 • Erneut drohte die Strafverfolgung der NS-Mordtaten zu verjähren. Um dies zu verhindern, wurden die Verjährungsfristen zum zweiten Mal rückwirkend verlängert. Das Neunte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1969 90 setzte die 74 Verjährungsfristen des StGB für mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen von zwanzig auf dreißig Jahre herauf9\ und zwar "auch für früher begangene Taten ... , wenn die Verfolgung beim Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht verjährt" war 92 •
Bei dieser Gelegenheit hob man gleichfalls rückwirkend die Verjährung von Völkermord (§ 220a StGB) gänzlich auf93 • Hierbei war es im Gesetzgebungsverfahren ganz h. M., daß jene Regelungen mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar seien.
75
Bereits die Bundesregierung rechtfertigt ihren Gesetzentwurf über die rückwir- 76 kende Aufhebung der noch laufenden Verjährungsfristen für Völkermord und Mord 94 damit, daß das strafrechtliche Rückwirkungsverbot nicht im Strafprozeßrecht gelte: Art. 103 Abs. 2 GG erfordere lediglich, daß die Strafbarkeit einer Handlung vor der Tat gesetzlich bestimmt war. Die Verjährungsvorschriften begründeten dagegen nicht Strafbarkeit eines Verhaltens, sondern dessen Verfolgungsmöglichkeit. Eine Einbeziehung der Verjährungsbestimmungen in das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG widerspräche auch dem historischen Willen des Grundgesetzgebers und werde selbst von der supranationalen Rechtsstaatsidee nicht gefordert 95 • 88 Arndt aaO (oben, Anm. 71), S. 8549f.; Benda aaO (oben, Anm. 61), S. 8523 (B); Dehler aaO (oben, Anm. 71), S. 8544 (B-C). Dazu m.w.N. Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 99 mit Anm. 328. 89 So die Begründung der Bundesregierung zu ihrem Entwurf eines Neunten Strafrechtsänderungsgesetzes, BT.-Drs. V /4220, S. 4. 90 BGB!. I, S. 1065f. 91 Art. 1 Nr. 2, BGB!. I, S. 1065. Zur Sonderproblematik der Verjährung der Beihilfe zum Mord vg!. nur: Dam, S. 79ff.; Krey, JuS 1971, 308f. m.w.N. 92 Art. 3, BGB!. I, S; 1065f. 93 Art. 1 Nr. 1, Art. 3; BGB!. aaO. 94 Art. 1 und 2 des Entwurfs eines Neunten Strafrechtsänderungsgesetzes, BT.Drs. V / 4220. 9S AaO (oben, Anm. 89), S. 4f. Für den Bereich des internationalen Strafrechts vg!.: Art. 1 der UNO-Konvention über die Nichtverjährung von Kriegs- und Menschlichkeitsver-
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
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Darüber hinaus ergingen insgesamt drei weitere Gesetzentwürfe, die alle eine rückwirkende Verlängerung bzw. Aufhebung der noch laufenden Verjährungsfristen für Mord und Völkermord vorsahen 96 •
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Am 26. Februar 1969 erging dann ein Beschluß des B VerJG (Zweiter Senat), in dem die Unanwendbar~eit des Art. 103 Abs. 2 GG im Bereich der Verjährungsvorschriften festgestellt wurde 97 • Angesichts dieser Entscheidung wurde die rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfristen im Plenum nicht mehr als verfassungsrechtliche, sondern nur noch rechtspolitische Frage diskutiert 98 • d) Rückwirkende Aufhebung im Jahre 1979
79
Vor Ablauf der - mittlerweile 30-jährigen - Verjährungsfrist für NS-Morde, verlängerte der Bundesgesetzgeber erneut und zum dritten Mal jene Fristen. Durch Art. 1 des Sechzehnten StraJrechtsänderungsgesetzes vom 16. Juli 1979 99 wurde der heutige § 78 Abs. 2 StGB eingefügt, wonach nunmehr auch die Verjährung von Mord (§ 211 StGB) gänzlich aufgehoben wurde. Art. 2 enthielt dann folgende Rückwirkungsanordnung:
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,,§ 78 Abs. 2 in der Fassung des Artikels 1 gilt auch für früher begangene Taten, wenn die Verfolgung beim Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht verjährt ist"1°O.
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Hierbei sollte die rückwirkende Aufhebung der Verjährung von Mordtaten generell den besonderen Schutz der Rechtsordnung für das Rechtsgut "Leben" brechen vom 27. November 1968 (abgedruckt u. a. bei Dam, S. 11 fT.) proklamiert für jene Verbrechen die rückwirkende Aufhebung sämtlicher, sogar bereits abgelaufener Verjährungsfristen. Art. 2 Abs. 2 der Konvention betreffend das Europäische Übereinkommen über die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vom 25. Januar 1974 sieht die rückwirkende Aufhebung noch laufender Verjährungsfristen vor. Die Konvention wurde vom Europarat vorgelegt und ist bisher nicht in Kraft getreten; dazu mit FundsteIlenhinweis Oehler, Internationales Strafrecht, Rdnr. 1003. Dieser Forderung des Europarats hat sich das Europäische Parlament 1979 in seiner Entschließung zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord angeschlossen; BT.Drs. VIII/2616. Die Verankerung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots in Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 erfaßt gleichfalls nach h. M. nicht die Vorschriften über die Strafverfolgungsverjährung; näher dazu: Guradze, Art. 7 MRK Anm. 8; Schorn, S. 237f. 96 BT.-Drs. V /4326; BT.-Drs. V /4330; BT.-Drs. V /4415 (Entwurf des Rechtsausschusses im Bundestag über ein Neuntes Strafrechtsänderungsgesetz) wurde im Plenum angenommen. 97 BVerfG E 25, 269ff.; näher dazu unten Rdnr. 103, 104. 98 So ausdrücklich.in der 236. Sitzung (Stenographischer Bericht, V. Wahlperiode): Busse, S. 13068 (B); Ehmke, S. 13053 (B); Jaeger, S. 13058 (D); Süsterhenn, Stenographischer Bericht, 243. Sitzung, V. Wahlperiode, S. 13555 (B). 99 BGB!. I, S. 1046. 100 BGB!. aaO.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
55
dokumentieren 101. Darüber hinaus wollte man jedoch insbesondere den Stimmen Rechnung tragen, die eine Verjährung von NS-Mordtaten nach wie vor als eine unerträgliche Störung des Rechtsfriedens empfanden 102. In den Plenardebatten und Beratungen des Rechtsausschusses ging es dann - was die Vereinbarkeit jener Regelung bzw. entsprechender Gesetzentwürfe mit dem Rückwirkungsverbot betrifft - fast ausnahmslos darum, ob die Verjährung strafprozessualer Rechtsnatur sei oder nicht 103. Die parlamentarische Mehrheit ist dabei wiederum der herkömmlichen Ansicht gefolgt, wonach das strafrechtliche Rückwirkungsverbot nicht im Strafverfahrensrecht und somit auch nicht im Bereich der Verjährungsvorschriften gilt lO4 • 2. Strafantrag
Nach Ansicht des Gesetzgebers ist das Rückwirkungsverbot des Art. 103 82 Abs. 2 GG auch im Bereich sonstiger Strafprozeßvoraussetzungen, wie etwa den Vorschriften über den StraJantrag, nicht einschlägig: Aus Anlaß antisemitischer, "neonazistischer" Ausschreitungen Ende der 83 fünfziger Jahre normierte das Sechste StraJrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1960 105 die Voraussetzungen über den Wegfall des bis dahin zwingenden Strafantragserfordernisses bei Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 106 • Fortan wurde jenes Beleidigungsdelikt (§ 189 StG B) von Amts wegen untersucht und verfolgt l07 • Diese Umwandlung eines Antrags- in ein Offizialdelikt war indes nicht ausdrücklich mit einer gesetzlichen Rückwirkungsanordnung versehen; gleichwohl war der Wegfall der Verfolgungsvoraussetzung "Strafantrag" auch aufTaten vor Inkrafttreten des Sechsten Strafrechtsänderungsgesetzes und damit rückwirkend anzuwenden 108. Denn nach dem klaren Willen des Gesetzgebers sollten gerade auch solche Verunglimpfungen von Amts wegen verfolgt werden, die Anlaß für die Neuregelung waren 109 • 101 So u.a .. BT.-Drs. VIII/2653 (neu), S.4; Bericht des Rechtsausschusses BT.Drs. VIII/3032, S. 3. 102 Begründung des Gesetzentwurfs BT.-Drs. VIII/2653 (neu), S.4; Bericht des Rechtsausschusses BT.-Drs. VIII/3032, S. 4. 103 Für eine materiell-rechtliche Deutung: Hartmann, Stenographischer Bericht über die 166. Sitzung, VIII. Wahlperiode, S. 13250 (C) zu Gesetzentwurf BT.-Drs. VIII / 3032, 3041;, Bericht des Rechtsausschusses BT.-Drs. VIII/3032, S.5 (Nr.2.1.2.2.), 8 (Nr. 3.1.1.3.), 10f. (Nr. 3.3). 104 Steno graphischer Bericht über die 166. Sitzung, VIII. Wahlperiode: Helmrich, S. 13268 (D) unter Verweis auf BVerfG E 25, 269ff.; wohl auch Kleinert, S. 13244 (A); Maihofer, S. 13262 (C-D); Matthäus-Maier, S. 13272 (D)-13273 (A); Weber, S. 13278 (D)-13279 (A); Bericht des Rechtsausschusses BT.-Drs. VIII/3032, S. 8 (Nr. 3.1.1.3.). lOS BGBl. I, S. 478. Dazu eingehend Schafheutle, JZ 1960, 470ff. 106 § 189 Abs. 3 StGB neueingefügt durch Art. 1 Nr. 3 des Strafrechtsänderungsgesetzes; er entspricht im wesentlichen heute § 194 Abs. 2 S. 2 StGB. 107 Gemäß dem Legalitätsprinzip (§§ 152 Abs. 2,160 Abs. 1,170 Abs. 1 StPO). 108 So schon OLG Ramm in: NJW 1961, 2030.
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
11. Gesetzliche Rückwirkungsanordnungen für sonstiges Strafprozeßrecht
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Darüber hinaus fühlt sich der Gesetzgeber auch im Bereich des übrigen Strafprozeßrechts nicht an das strafrechtliche Rückwirkungsverbot gebunden. Vielmehr sind im Strafverfahrensrecht gesetzliche Rückwirkungsanordnungen vielfach sogar die Regel. Dies soll nachstehend an Hand verschiedener - für den Betroffenen besonders gravierender - strafprozessualer Rückwirkungsnormen exemplifiziert werden. 1. Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPäG) vom 19. Dezember 1964
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Art. 1 Nr. 1 jenes Gesetzes führte u. a. durch eine Neufassung des § 112 StPO neue, erweiterte Haftgründe ein 110. Nunmehr konnte gegen einen Tatverdächtigen auch dann eine Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn bezüglich bestimmter Sittlichkeitsverbrechen Wiederholungsgefahr bestand 111 oder der Beschuldigte dringend verdächtigt wurde, Tötungsdelikte begangen zu haben 112 • Art. 14 Abs. 1 des StPÄG bestimmte dann in einer Übergangsvorschrift:
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"Die Artikel 1 bis 13 gelten von dem Inkrafttreten dieses Gesetzes an auch in den schwebenden Verfahren, soweit nichts anderes bestimmt ist" 113 •
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Demgemäß sollten die neuen Haftgründe nicht nur für solche Taten gelten, die vor Inkrafttreten des StPÄG begangen wurden, sondern sogar für bereits eingeleitete Strafverfahren. Zur Begründung dieser generellen Rückwirkungsanordnung heißt es bereits in dem Regierungsentwurf "Nach allgemeinen Grundsätzen ist die Änderung von Verfahrensgesetzen auch in den schwebenden Verfahren zu beachten"114.
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Jene "allgemeinen Grundsätze" nun besagen: Im Strafprozeßrecht gilt vorbehaltlich einer gesetzlichen Regelung überhaupt kein - und somit auch nicht 109 Bericht des Rechtsausschusses BT.-Drs. IUI 1746, S. H. Vg!. ferner aus jüngster Zeit die Neufassung des § 303 Abs. 3 StGB durch Art. 1 des 22. StrÄndG v. 18. Juli 1985 (BGB!. I, S. 1510): Danach können nunmehr Sachbeschädigungen außer bei Vorliegen eines Strafantrags auch dann verfolgt werden, wenn die Strafverfolgungsbehörde insoweit das "besondere öffentliche Interesse" bejaht. Diese Regelung gilt nach Art. 2 des StrÄndG rückwirkend auch für die Taten, bei denen bei Inkrafttreten des StrÄndG die Frist zur Stellung des Strafantrages noch nicht abgelaufen war (BGB!. aaO). 110 BGB!. I, S. 1067. 111 § 112 Abs. 3 StPO i.d.F. BGB!. aaO; heute § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO. 112 § 112 Abs. 4 StPO i.d.F. BGB!. aaO. 113 BGB!. I, S. 1081. 114 BT.-Drs. IV 1178, S. 48. Diese Rückwirkungsregelung wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren ohne inhaltliche Diskussion gebilligt; vg!. BT.-Drs. IV 12378, S. 82f.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
57
strafrechtliches - Rückwirkungsverbot; vielmehr ist Strafverfahrensrecht im Zweifel immer sofort und damit auch rückwirkend anwendbar. Sie lassen sich historisch bis in das deutsche Strafrecht des 18. / 19. Jahrhunderts zurückverfolgen und sind bis heute herrschend 115. Der Gesetzgeber hat somit in Art. 14 Abs. 1 lediglich deklaratorisch normiert, was ohnehin als allgemeine Regel gilt.
Soweit er in Art. 14 Abs. 2 bis 10 gewisse Ausnahmen vom Grundsatz der sofortigen Anwendbarkeit des Strafprozeßrechts statuiert hat 116 , beruhen diese nicht etwa auf einer entsprechenden Bindung an Art. 103 Abs. 2 GG, sondern ausschließlich auf Praktikabilitätserwägungen "zur Vermeidung von Übergangsschwierigkeiten "117. 2. Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 9. Dezember 1974
Hauptanliegen jener Reformgesetzgebung war eine Beschleunigung des Strafverfahrens sowie eine Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung mit den Mitteln des Strafprozeßrechts 118 . Zu diesem Zweck statuierte das 1. StVRG119 eine Reihe einschneidender Änderungen des Strafverfahrensrechts. Beispielsweise wurde neu eingeführt:
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Die Möglichkeit, im Falle schwerwiegender Rauschgiftbandenkriminalität 90 den Fernsprechverkehr gemäß § 100a S. 1 Nr.4 StPO zu überwachen 120; die Ermächtigung zu nächtlichen Hausdurchsuchungen von Schlupfwinkeln "des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels" nach § 104 Abs. 2 StPOI21; ein umfassendes Durchsichtsrecht der Staatsanwaltschaft von Papieren bei Hausdurchsuchungen (§ 110 Abs. 1 StPO)l22; die Verpflichtung von Zeugen und Sachverständigen, auf Ladung auch vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und gegebenenfalls zur Sache auszusagen bzw. ein Gutachten zu erstatten sowie die Möglichkeit, diese Pflichten zwangsweise durchzusetzen (§ 161 a StPO)l23. Hervorzuheben sind zudem die Einführung des Sicherungshaftbefehls nach § 453c StPOI24 sowie erweiterte Möglichkeiten, die Berufung des Angeklagten bei unentschuldigtem Ausbleiben gemäß § 329 StPO zu verwerfen 125.
115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125
Dazu unten Rdnr. 1024 m. w. N. BGBI. I, S. 1081 f. BT.-Drs. IV /178, S. 48. BT.-Drs. VII/551, S. 31,34, 36f. ~GBI. I, S. 3393fT. Art. 1 Nr. 25; BGBI. I, S. 3396. Art. 1 Nr. 26; BGBI. aaO. Art. 1 Nr. 27; BGBI. aaO. Art. 1 Nr. 43; BGBI. I, S. 3397. Art. 1 Nr. 110; BGBI. I, S. 3404. Art. 1 Nr. 87; BGBI. I, S. 3401.
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
Alle diese strafprozessualen Neuregelungen sollten nach einer entsprechenden Überleitungsvorschrift 126 rückwirkend auch in bereits anhängigen Verfahren gelten. Zur Begründung rekurrierte der Gesetzgeber wiederum auf jene "allgemeinen Grundsätze", die eine Rückwirkung von Strafprozeßrecht erforderten, es sei denn, praktische Sachgründe stünden dem entgegen 127. 3. Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 20. Dezember 1974
92
Jenes Gesetz 128 brachte - u. a. aus Anlaß massiver Verfahrenssabotage von Strafverteidigern und Angeklagten sowie Mißbrauch des Verteidigerverkehrs mit Inhaftierten in den sog. Baader-MeinhofProzessen -
93
gleichfalls einschneidende Änderungen der StPO. Erstmals wurden gesetzliche Regelungen über den Verteidigerausschluß im Strafverfahren (§ § 138 abis d StPO) 129 sowie die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten im Falle vorsätzlich herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit (§ 231 a StPO) bzw. ordnungswidrigen Benehmens im Sitzungszimmer (§ 231 b StPO) 130 erlassen. Diese Regelungen waren mit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1975 131 und damit - bezüglich der schwebenden Verfahren bzw. zuvor begangener Taten - auch rückwirkend anwendbar l32 ; denn "die durch das Gesetz geschaffenen Neuregelungen sollten möglichst bald nach der Verkündung wirksam werden"133.
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Darüber hinaus wurde das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StP0)134 eingeführt sowie die Zahl der zulässigen Wahlverteidiger auf drei begrenzt (§ 137 Abs. 1 S. 2 StP0)135. Für diese Regelungen nun bestimmte Art. 17 in einer Überleitungsvorschrift:
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,,(1) In Verfahren, in denen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes die Hauptverhandlung bereits begonnen hat, sind § 137 Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung in der Fassung des Artikels 1 Nr. 5 und § 146 der Strafprozeßordnung in der
126 Art. 9 Abs. 1; BGBl. I, S. 3414f. 127 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT.-Drs. VII j 551, S. 114; Beschlüsse
des Rechtsausschusses, BT.-Drs. VIIj2600, S. 74f. Zu den durch Art. 9 des 1. St VRG nicht gelösten Überleitungsproblemen Peters, Der neue Strafprozeß, S. 64f. 128 BGBl. I, S. 3686fT. 129 Art. 1 Nr. 6; BGBl. I, S. 3686f. 130 Art. 1 Nr. 10; BGBl. aaO, S. 3688. 131 Art. 19; BGBl. I, S. 3692. 132 Zur Rückwirkung des § 231 a StPO vgl. auch unten, Rdnr. 114. 133 Regierungsentwurf aaO (oben, Anm. 129), S. 28. 134 Art. 1 Nr. 8; BGBl. I, S. 3687.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
59
Fassung des Artikels 1 Nr. 8 nicht anzuwenden, bis das Verfahren in der Instanz abgeschlossen ist" 136.
Daraus folgt: Hat eine Hauptverhandlung noch nicht begonnen, so sind ,ho.: Verteidigungsbeschränkungen der §§ 137 Abs. 1 S. 2, 146 StPO auch in bereits anhängigen Verfahren rückwirkend anwendbar. Die Ausnahme von dieser grundsätzlichen Rückwirkung für bereits begonnene 96 Hauptverhandlungen wurde dabei wie folgt begründet: Würden in diesem Fall die Neuregelungen in den §§ 137, 146 StPO eingreifen, wäre "eine Unterbrechung des Verfahrens in der Regel unvermeidlich" 137 • "Um dadurch entstehende Verzögerungen der Hauptverhandlung zu vermeiden" 138, wurde Art. 17 Abs. 1 erlassen. Für den Gesetzgeber war mithin die Rückwirkung der wesentlichen Verfahrensänderungen auch dieses Gesetzes ganz selbstverständlich. Die begrenzte Ausnahmeregelung des Art. 17 Abs. 1 beruhte ausschließlich auf Praktikabilitätserwägungen. Die Anwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots dagegen wurde in dem Gesetzgebungsverfahren auch nicht im entferntesten erörtert.
111. Resümee Der Gesetzgeber kennt ein strafrechtliches Rückwirkungsverbot im Strafpro- 97 zeßrecht nicht. Diskutiert wurde seine Geltung lediglich im Bereich der Strafverfolgungsverjährung. Durchgesetzt hat sich jedoch die herkömmliche Konzeption, wonach das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht im Strafverfahrensrecht und somit auch nicht bei den Verjährungsvorschriften gilt. Im Bereich des sonstigen Strafprozeßrechts hat sich der Bundesgesetzgeber 98 sogar auf den gegenteiligen Grundsatz berufen: Danach ist neues Strafverfahrensrecht - vorbehaltlich anderweitiger Regelungen - sogar grundsätzlich auch rückwirkend anwendbar.
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137 138
Art. 1 Nr. 5; BGBI. I, S. 3686. BGBI. I, S. 3691. Bericht des Rechtsausschusses, BT.-Drs. VIIj2989, S. 9.' Wie Anm. 137.
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
§ 2 Die Ansicht der Rechtsprechung I. Rückwirkungsverbot und Strafverfolgungsverjährung 1. Zur Verlängerung noch laufender Verjährungsfristen
99
a) Auch nach Auffassung der Rechtsprechung erstreckt sich das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht auf die Verjährungsvorschriften.
100
Bereits im Jahre 1952 hat das BVerfG bezüglich der rückwirkenden Verjährungsregelung durch das hessische Ahndungsgesetz 1 festgestellt: Die Verjährung lasse die Strafbarkeit der Tat unberührt; Art. 103 Abs. 2 GG stünde daher einer rückwirkenden Hemmung von Verjährungsfristen nicht entgegen 2 • Dies offenbar deshalb, weil die Regelungen über die Strafverfolgungsverjährung auch nach Ansicht des BVerfG strafprozessualer Natur sind. Letzteres folgt mittelbar daraus, daß das BVerfG zur weiteren Begründung - neben einer Entscheidung des OGH BZ3 - namentlich auf ein einschlägiges Urteil des BGH4 zu dieser Frage verweist s: Während der OGH BZ die Vereinbarkeit der rückwirkenden Verjährungsregelung in einer dem hessischen Ahndungsgesetz inhaltsgleichen Verordnungfor die Britische Zone 6 mit Art. 103 Abs. 2 GG ähnlich wie das BVerfG begründet
101
- nämlich damit, daß die Verjährungsregelungen keine Strafgesetze i. S. d. Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG seien 7 - ,
102 stellt der BGH darüber hinaus fest: Die Verjährungsvorschriften jener Verordnung beseitigten nicht die Strafbarkeit von Tathandlungen, sondern nur deren Bestrafung, "weil das öffentliche Interesse an ihrer Verfolgung ... erloschen ist. Durch eine Verlängerung der Verjährungsfrist wurde die Str~fbarkeit daher nicht neu begründet, sondern nur ein der Durchsetzung des fortbestehenden Strafanspruchs entgegenstehendes Hindernis beseitigt" 8 •
Damit hat das BVerfG auf eine Entscheidung Bezug genommen, in der die U nanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots damit begründet wurde, daß die Verjährung ein Strafverfolgungshindernis, also Strafprozeßrecht seI.
1
2 3 4
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7 8
Dazu bereits oben, Rdnr. 52. BVerfG E 1, 418, 423 f. m. w. N. OGH St 3, 93, 95. BGH NJW 1952, 271. BVerfG aaO. Der Normtext ist wiedergegeben oben, Rdnr. 41. OGHBZ aaO. BGHaaO.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
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Ausdrücklich hat das BVerJG (Zweiter Senat) diesen Standpunkt dann in seinem Beschluß vom 26. Februar 1969 dargelegt:
103
,,1. Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Verhalten für strafbar erklärt werden kann. Er verbietet sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung.
2. Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll. Sie lassen die Strafbarkeit der Tat unberührt. Verjährungsvorschriften unterliegen daher nicht dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 00"9.
Zur Begründung verweist das BVerJG einmal auf den Wortlaut jener 104 Verfassungsnorm. Gesetzliche Bestimmungen der Strafbarkeit i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG seien StraJtatbestand und StraJandrohung, nicht dagegen Regelungen über die Verfolgbarkeit von Straftaten lO • Zudem ergäbe auch die Entstehungsgeschichte, daß das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht im Strafverfahrensrecht geltell. Diese Judikatur ist in zwei späteren Entscheidungen des BVerJG bestätigt 105 worden 12 und kann daher als gefestigt gelten. b) Der BGH geht gleichfalls in ständiger Rechtsprechung davon aus, jenes 106 Rückwirkungsverbot gelte nicht im Strafprozeßrecht und somit auch nicht im Bereich der Strafverfolgungsverjährung l3 . Im Anschluß an die obige Entscheidung 14 erging ein Urteil zur rückwirkenden 107 Verjährungsregelung im bayerischen Ahndungsgesetz 1s . Dort legte der BGH zunächst eingehend dar, daß die Verjährung ausschließlich straJprozessualer Rechtsnatur sei 16. Sodann heißt es weiter: Auf die Länge der gesetzlichen Verjährungsfrist habe ein Straftäter keinen "unabänderlichen, verfechtbaren Anspruch gegen den Staat"; daher verletze ihre rückwirkende Verlängerung nicht Art. 103 Abs. 2 GGI7. Damit meint der BGH offensichtlich, daß auch der Grundgedanke des Verbots rückwirkender 9 BVerfG (E 25, 269, 284ff., 289) zu § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen (oben, Rdnr. 62). 10 BVerfG E 25,269,284-287. 11 BVerfG aaO, S. 287-289. 12 BVerfG E 46, 188, 193; 50,42,47. Dem steht auch nicht BVerfG (E 15, 115f.) entgegen: Dort leitet das BVerfG den materiellrechtlichen Charakter der Verjährung von Dienstvergehen im nordrhein-westfälischen Beamtenrecht ausschließlich aus landesgesetzlichen Gründen her. Wie hier CalvelliAdorno, NJW 1965, 276 mit Anm. 17; a.A. Schmid, NJW 1965, 1952f. 13 BGH NJW 1952, 271; BGH St 2,300, 305ff.; 4,379, 384f.; 20, 22, 27. Zur strafprozessualen Rechtsnatur der Verfolgungsverjährung ganz allgemein noch BG H St 8,269,270; 11,393, 395f.; dahingestellt in BGH St 18, 274, 277; 21, 367, 369f. 14 BGH NJW aaO (oben, Anm. 4). 15 Dazu bereits oben, Rdnr: 42 m. w. N. 16 BGH St 2,300, 305ff. 17 BGH aaO, S. 307.
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
Strafgesetze eine Einbeziehung von Verfolgungsvoraussetzungen - etwa aus Vertrauensschutzerwägungen u. ä. - nicht erfordere. 108 einer weiteren Entscheidung stellt der BGH dann nochmals klar: Wortlaut und Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG erforderten lediglich die vorherige gesetzliche Bestimmung des Straftatbestandes und der Strafandrohung. Die Verjährung dagegen sei ein verfahrensrechtliches Strafverfolgungshindernis; eine rückwirkende Änderung von Verfahrensrecht indes habe nichts mit dem Grundsatz nulla poena sine lege zu tun 18 • Demgemäß heißt es in einer späteren Entscheidung dann nur noch ganz apodiktisch: Das Verbot rückwirkender Strafgesetze gelte nur im materiellen Strafrecht und nicht im Bereich der Verfahrensvoraussetzungen 19 •
In
2. Rückwirkende" Verlängerung" bereits abgelaufener Verjährungsfristen
109
Nach dieser Recht~prechung gilt das Rückwirkungsverbot schlechthin nicht im Bereich der Strafverfolgungsverjährung; es steht somit auch einer rückwirkenden Wiedereröffnung bereits abgelaufener Verjährungsfristen nicht entgegen. Der BGH20 beruft sich insoweit sogar ausdrucklich auf Entscheidungen des RG, in denen die rückwirkende Wiedereröffnung einer schon abgelaufenen Verjährungsfrist für mit dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot vereinbar gehalten wurde 21 . 110 Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 103 Abs.2 GG vertritt das BVerfG jedoch eine differenzierende Konzeption: Gesetzliche Rückwirkungsanordnungen seien grundsätzlich zulässig, es sei denn, sie erfaßten die Neueröffnung bereits abgelaufener Verjährungsfristen. Letzteres sei aus allgemein rechtsstaatlichen Erwägungen, nämlich Rechtssicherheit und Vertrauensschutz des Bürgers unzulässig 22 • 11. Rückwirkende Beseitigung der Strafverfolgungsvoraussetzung Strafantrag
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Nach herrschender Rechtsprechung sind die Vorschriften über den Strafantrag Strafprozeßrecht: Wo das Gesetz das Erfordernis eines Strafantrages aufstelle, sei sein Vorliegen Strafverfahrensvoraussetzung, sein Fehlen ein Strafverfolgungshindernis 23 .
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23
BGH St 4, 379, 384, 385. BGH St 20,22,27. BGH NJW 1952, 271. Vgl. auch BGH St 2, 300, 306; 4, 379, 385. RG St 76,64; 76, 159fT. BVerfG E 25,269, 289ff., 291; 63, 343, 359f. BGH St 6, 155f.; 20, 22, 27; OLG Hamm NJW 1961, 2030; NJW 1970, 578.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
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Demgemäß gelte auch für sie kein Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 112 GG24. Die Umwandlung eines Antrags- in ein Offizialdelikt durch rückwirkende Beseitigung des Erfordernisses eines Strafantrages verstoße daher nicht gegen jenes Verbot. III. Zur Rückwirkung von sonstigem Strafproze8recht 1. Keine Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots
Über den Bereich der Verfahrensvoraussetzungen hinaus sind eine Reihe weiterer Entscheidungen zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ergangen.
113
So hat der BGJl25 die Vereinbarkeit der rückwirkenden Anwendung des § 231 a StPO (Verhandlung ohne den Angeklagten)26 mit Art. 103 Abs. 2 GG wie folgt begründet:
114
Jene Rückwirkung sei keine "Strafe auf eine strafbare Handlung, was vorher bestimmt sein müßte, sondern gestalte die Modalitäten des Verfahrens ... ". Gegen diese mit Verfassungs beschwerde angegriffene Entscheidung hatte auch das BVerfG27 keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Eine andere Verfassungsbeschwerde wandte sich gegen die gesetzliche Rückwirkungsanordnung bezüglich § 137 Abs.1 S.2 StPO (zahlenmäßige Beschränkung der Wahlverteidiger) sowie § 146 StPO (Verbot der Mehrfachverteidigung)28.
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Zwar meinten selbst die Beschwerdeführer, daß Art. 103 Abs. 2 GG "in erster Linie" Strafgesetze betreffe; wenn aber "kurz vor der Hauptverhandlung" die Verteidigung "zerstört" werde, würden dadurch die Verteidigungschancen verschlechtert und die Verurteilungsgefahr für den Beschuldigten erhöht 29 . Dem hielt das BVerfG entgegen: "Die von den Beschwerdeführern geäußerte Ansicht, die angegriffene Regelung ... verstoße gegen den Grundsatz, daß die Strafbarkeit einer Tat gesetzlich bestimmt sein muß (Art. 103 Abs. 2 GG), ist so offensichtlich verfehlt, daß sich eine Erörterung dieser Rügen erübrigt"30. BGH St 20, 22, 27; OLG Hamm aaO. BGHSt 26,228,231 = BGHNJW 1976, 116f. = JZ 1976, 763f. mit Anm. Grünwald (JZ aaO, S. 767ff.). 26 Siehe dazu bereits oben, Rdnr. 92-96. 27 BVerfG NJW 1976, 413f. = JZ 1976, 766f. 28 Art. 17 des Ersten Gesetzes zur Ergänzung des 1. StVRG; siehe dazu bereits oben, Rdnr.94-96. 29 Wiedergegeben nach BVerfG E 39, 156, 161. 30 BVerfG aaO, S. 168, 169. 24
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
Darüber hinaus betont das BVerfG in ständiger Rechtsprechung ganz allgemein, daß unter Strafbarkeit i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG nur materielles Strafrecht und nicht Strafverfahrensrecht zu verstehen sePl. Dies wird erst jüngst wieder in BVerfG E 63, 343ff. wie folgt bestätigt: Der Bürger müsse darauf vertrauen können, daß sein rechtstreues Verhalten nicht nachträglich als rechtswidrig qualifiziert werde. "Art. 103 Abs. 2 GG hat dem für das materielle Strafrecht Ausdruck gegeben" (aaO, S. 357). Indes sei das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen von Verfassungs wegen weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen, wie etwa im Bereich des Art. 103 Abs. 2 GG (aaO, S. 359 m.w.N.).
119
Danach schützt Art. 103 Abs. 2 GG ersichtlich nicht vor jeglicher gesetzgeberischer Willkür; denn seine ratio beruht nicht auf allgemeinen Vertrauensschutzerwägungen, die sämtliche den Bürger belastenden Gesetzeseingriffe erfassen. Vielmehr stellt das BVerfG bezüglich des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG auf einen speziell verhaltensbezogenen Schutz des Einzelnen vor nachträglicher Kriminalisierung seiner Handlungsweisen ab. In der Konsequenz dieses genuin strafrechtlichen Vertrauensschutzgedankens liegt - neben dem rechtsstaatlichen Aspekt: Gewährung von Rechtssicherheit durch individuelle Vorhersehbarkeit des Rechts, damit der Bürger sein Verhalten entsprechend einrichten kann 32 - ,
die strafrechtliche Wurzel (Generalprävention) jenes Rückwirkungsverbots; danach ist Verhaltenssteuerung des Bürgers zwecks Rechtsgüterschutz nur durch ein vorheriges Strafgesetz möglich 33 • Jener Grundgedanke des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots spricht - wie noch näher dargelegt wird 34 - in der Tat gegen eine Einbeziehung von Strafprozeßrechtsnorrnen in seinen Geltungsbereich. 2. Zum Grundsatz sofortiger Anwendbarkeit prozessualer Neuregelungen
120
Die Judikar beschränkt sich nicht auf die Feststellung, es gelte kein strafrechtliches Rückwirkungsverbot im Strafprozeßrecht; vielmehr betont sie 31 BVerfG (E 8, 197,202): "Eine rückwirkende Anwendung neuen materiellen Rechts zu Ungunsten des Beschwerdeführers hat nicht stattgefunden. Sein Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG ist nicht verletzt". BVerfG (E 46, 188, 193): "Art. 103 Abs. 2 GG schützt den Bürger nur davor, daß der Unrechtsgehalt eines von ihm begangenen Verstoßes gegen das Strafgesetz bei einer späteren Verurteilung höher bewertet wird als zur Tatzeit". Vgl. auch BVerfG (E 30, 367, 385 a. E.): "Das absolute Rückwirkungsverbot des Strafrechts gilt nicht allgemein für die Rechtsordnung". 32 Vgl. dazu auch unten, Rdnr. 130r. 33 Siehe dazu näher Rdnr. 133. 34 Vgl. unten, Rdnr. 706, 756, 789, 802, 839.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
65
darüber hinaus in ständiger Rechtsprechung, daß die sofortige und damit auch rückwirkende Anwendbarkeit von Prozeßrecht sogar ein allgemein anerkannter Grundsatz sei. So führt beispielsweise das OLG Hamm aus: 121 "Verfahrensrecht ... gilt indessen grundsätzlich mit dem Inkrafttreten. Neue Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften werden - mangels anderweitiger Übergangsregelungen - mit dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens alsbald wirksam"35.
Noch prononcierter betont der BGH:
122
"Neues Verfahrensrecht gilt, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, auch für bereits anhängige Verfahren. Es erfaßt sie in der Lage, in der sie sich beim Inkrafttreten der neuen Vorschriften befinden; anhängige Verfahren sind nach diesen weiterzuführen .... Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Rechtsvorschriften, die das Verfahren des Gerichts regeln, sondern auch für Bestimmungen, welche die Stellung von Verfahrensbeteiligten im Prozeß, ihre Befugnisse und Pflichten betreffen, sowie für Vorschriften über die Vornahme und Wirkungen von Prozeßhandlungen Beteiligter"36.
Sogar der "Hüter der Verfassung" hebt hervor:
123
"Prozeßrecht erfaßt aber, soweit nichts anderes bestimmt ist, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an auch anhängige Verfahren; der Bürger kann nicht darauf vertrauen, daß es unverändert bleibt" (BVerfG) 37 .
Diese Konzeption wird jüngst wieder in BVerfG E 65, 76, 98 bestätigt. Zudem sind nach der Judikatur dieses Gerichts selbst gesetzliche Rückwirkungsanordnungen bezüglich bereits rechtskräftig abgeschlossener Verfahren prinzipiell zulässig 38 • Mithin rekurriert neben der Legislative 39 auch die Rechtsprechung auf die Regel: Prozeßrecht ist im Zweifel immer auch rückwirkend anwendbar.
Diese Regel scheint so selbstverständlich zu sein, daß sie nicht näher begründet wird.
35 NJW 1977, 860. Siehe auch OLG Hamm NJW 1970, 578; NJW 1975, 701 f. 36 BGHSt 22, 321, 325; 3, 283, 284; zustimmend: HansOLG Hamburg MDR 1977, 337. 37 BVerfGE 39, 156, 167. Ebenso schon BVerfG E 1,4; 11, 139, 146; 24, 33, 55 a.E.; und später BVerfG E 45, 272,297; 63, 343, 356ff. (mit gewissen Restriktionstendenzen. Dazu Bauer, JuS 1984, 246 mit Anm. 83,248 mit Anm. 117; ders., NVwZ 1984, 220ff.; Pieroth, JZ 1984, 972f., 976, 977. Sie wurden in BVerfG E 65, 76, 98 nicht wieder aufgegriffen). Weitere Rechtsprechungsnachweise bei Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 56 mit Anm. 216, 112f. mit Anm. 489, 252 mit Anm. 1110. 38 BVerfG E 1, 4; 63, 343, 360ff. 39 Dazu oben, Rdnr. 84-96, 98. 5 Pföhler
124 125
66
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
IV. Fazit 126
Nach der Judikatur kommt es somit für den Anwendungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots entscheidend auf die Differenzierung "materielles Strafrecht" / " Strafverfahrensrecht" an. Da nach einhelliger Rechtsprechung die Regelungsmaterien Verjährung und Strafantrag strafprozessualer Natur sind, gilt daher auch für sie kein Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG. Insbesondere erfordert die ratio jener Verfassungsnorm keine Einbeziehung von Strafverfahrensrecht, da ihr keine allgemeinen Vertrauensschutzerwägungen zugrunde liegen, sondern eher genuin strafrechtliche. Vielmehr gilt nach der Judikatur der allgemeine Grundsatz von der sofortigen Anwendbarkeit des neuen Strafprozeßrechts, welcher regelmäßig auch anhängige Verfahren erfaßt.
§ 3 Die herrschende Literaturmeinung I. Keine Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots rur Strafverfolgungsvorraussetzungen 1. Strafverfolgungsverjährung
a) Verlängerung noch laufender Verjährungsfristen
127
Die noch h. M. in der Staats- 1 und Strafrechtswissenschaft 2 vertritt gleichfalls folgende These: Die Verjährung sei strafprozessualer Rechtsnatur, Art. 103 Abs. 2 GG aber gelte nicht für Strafverfahrensrecht, sondern lediglich für materielles Strafrecht. 1 Vgl. nur die einschlägigen GG-Kommentierungen: Azzola in: Altemativkommentar zum Grundgesetz, Art. 103 Rdnr.50; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Kommentar, Art. 103 Rdnr. 109; Kunigin: v. M ünch (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 103 Rdnr. 32; Model / Müller, Grundgesetz, Art. 103 Nr.2; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 103 Rdnr.8. 2 Aus der älteren Literatur: Bemmann, JuS 1965, 335ff., 338; Calvelli-Adorno, NJW 1965, 273fT., 276, 1953; Dam, S. 41 fT., 44; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 83; v. Heydebreck, S. 14fT., 30fT., 37f.; Klug, JZ 1965, 150, 151; Naegele, NJW 1960, 891; Eb. Schmidt, LehrkommentarI, Rdnr. 189mit Anm. 333; Schröder in: Schönke/Schröder, 13. Aufl., § 2 Rdnr. 58, § 67 Rdnr. 21. Im neueren Schrifttum: Benfer, Allgemeines Strafrecht, Rdnr. 31 a; Blei, S. 7, 51; Bockelmann, S. 1,19,33; Hafjke, S. 134f. mit Anm. 144; Haft, Strafrecht AT, 3. Teil, § 5 Nr. 1; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 mit Anm. 370 und 372; ders., JuS 1971, 307; ders., JA 1983, 233f., 235; ders.,jüngst in: Parallelitäten und Divergenzen, S. 136,150; Jähnke, in: LK 10. Aufl., vor § 78, Rdnr. 7-9,11; Preisendanz, § 2 Anm. 1 b: Roxin, Strafverfahrensrecht, § 21 BII 2; Schmidhäuser, 3/23; Stratenwerth, Rdnr. 78; Stree in: Schönke / Schröder, 22. Aufl., § 78
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
67
Deshalb verstoße die rückwirkende Verlängerung von noch laufenden Verjährungsfristen nicht gegen das Verbot rückwirkender Strafgesetze. Hierfür werden - freilich mit unterschiedlicher Gewichtung Argumente angeführt:
folgende
Erstens spreche der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG gegen eine Einbeziehung der Verjährungsvorschriften in seinen Schutzbereich. "Strafbarkeit" im Sinne jener Verfassungsnorm betreffe die Frage, ob und wann eine Straftat vorliege und welche Strafe verhängt werden könne. Demgegenüber regele die Verjährung nicht das Ob und Wie der "Strafbarkeit" einer Tat, sondern deren "Verfolgbarkeit" 3.
128
Zweitens erfordere auch die ratio des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots keine Berücksichtigung prozessualer Verjährungsvorschriften bzw. spreche sogar eindeutig dagegen. Worin der Sinn und Zweck jenes Verbots im einzelnen liegt, ist freilich umstritten 4 .
129
Nach h. M. dient das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs.2 GG der 130 Rechtssicherheit des Bürgers im Sinne von Gewährung individueller Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns (sog. rechtsstaatliche bzw. staatsrechtliche Wurzel). Dem einzelnen Staatsbürger müsse durch ein vorheriges Strafgesetz klar und präzise verdeutlicht werden, ob sein Verhalten erlaubt oder bei Strafe verboten ist. Art. 103 Abs.2 GG schütze das Vertrauen des Bürgers darauf, daß der Gesetzgeber nicht nachträglich bisher erlaubte Handlungen mit Strafe beleges. Der Aspekt individualrechtlichen Vertrauensschutzes aber spreche gegen eine Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften. Denn das Interesse des Täters, schon vor der Tatbegehung die Dauer seiner Verfolgbarkeit berechnen zu können, sei keineswegs schutzwürdig; letzteres folge auch aus der Möglichkeit, jederzeit den Lauf der Verjährungsfrist gemäß § 78c StGB unterbrechen zu können 6 • Rdnr. 11; WesseIs, § 2 I 2, § 12 II 2; Zipfin: Maurach / Zipf, AT Teilbd. 1, § 2 II Rdnr. 6, 7 sowie § 12 II Rdnr. 6; ders., in: Maurach/Gössel/ Zipf, AT Teilbd. 2, § 74 I Rdnr. 2 und § 75 II Rdnr. 15, 16; vgl. auch die Erklärung von 76 Staatsrechts- und Strafrechtslehrern von 1965 (bei Grünwald, MDR 1965, 521 Anm.8). Im Ergebnis ebenso: Benda, Verjährung und Rechtsstaat, S. 19ff., 24ff., 29; Rudolphi, SK 3. Aufl., § 1 Rdnr. 10, Rdnr. 3 - 5 vor § 78, trotz einem gemischt-rechtlichen Verständnis von der Verjährung (aaO, Rdnr. 10 vor § 78). 3 Siehe u.a. Azzola aaO; Bemmann aaO, S.335; Calvelli-Adorno aaO, S.274; v. Heydebreck, S.17; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 mit Anm. 370; ders., JA 1983,234; Rudolphi aaO, § 1 Rdnr. 10, Rdnr. 5 vor § 78. 4 Im folgenden werden nur diejenigen Autoren angeführt, die sich über die ratio im Zusammenhang mit der Rückwirkungsproblematik von Verjährungsvorschriften äußern. 5 So etwa Bemmann aaO, S. 335f.; Calvelli-Adorno aaO, S. 273f.; Haffke, S.115ff., 127; Klug aaO, S. 151; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr.126; Model/Müller aaO (oben, Anm. 1); Rudolphi aaO, § 1 Rdnr. 10, Rdnr. 3, 5 vor § 78. 6 Calvelli-Adorno, NJW 1965, 273f; Klug, JZ 1965, 151; Jähnke aaO (oben, Anm. 2); Roxin aaO (oben Anm. 2); Rudolphi aaO; Schmidhäuser, 3/23. 5*
68
131
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
Dies meinten im Jahre 1964 auch die 76 Staatsrechts- und Strafrechtslehrer in ihrer Erklärung zur damals anstehenden (zweiten) rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfristen durch den Bundesgesetzgeber: " ... Die Bestimmungen über die Verfolgungsverjährung räumen einem Mörder kein subjektives Recht ein, auf Grund dessen er sich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten darauf verlassen könnte, nach Ablauf der zur Zeit seiner Mordtat geltenden Frist nicht mehr zur Verantwortung gezogen zu werden. Der Gesetzgeber kann diese Frist verlängern" 7 .
132
Andere sehen in dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot ein objektiv gefaßtes Vertrauensprinzip 8, welches Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns schlechthin und losgelöst von der Schutzwürdigkeit im Einzelfall gewährleiste. Aber auch dieser Grundgedanke erfasse keine Verjährungsfristen, da diese nicht Gegenstand vorheriger Berechnung sein können 9 •
133
Zunehmend wird jenes Verbot auch wieder auf die generalpräventive Funktion des Strafrechts zurückgeführt (sog. strafrechtliche Wurzel)l°. Nach dieser bekanntlich auf v. Feuerbach zurückgehenden 11 - Theorie besteht der Sinn von Strafgesetzen vereinfacht gesagt darin, durch Androhung von Strafübeln potentielle Täter von der Begehung einer Straftat abzuhalten. Daraus folge zwingend ein strafrechtliches Rückwirkungsverbot, denn "Strafnormen können ja nach der Natur der Sache nicht rückwirkend rechtstreues Verhalten determinieren"12. Normzweck von Verjährungsvorschriften sei demgegenüber nicht generalpräventive Verhaltenssteuerung, sondern zeitliche Limitierung der Strafverfolgung. Die strafrechtliche Wurzel spreche also für die Unanwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG13.
134
In engem Zusammenhang mit jener Wurzel steht ein Aspekt, auf den freilich nur vereinzelt hingewiesen wird: Das Prinzip "nullum crimen, nulla poena sine lege" sei ein Postulat rechtsstaatlichen Strafrechts, "weil die Abgrenzung des engeren Bezirks positiv-gesetzlicher Rechtswidrigkeit gegenüber dem Unrecht im ethischen Sinn (und dessen genaue Bestimmung) in der geschichtlichen Entwicklung ständig breiten Schwankungen unterliegt" 14. Bei Grünwald, MDR 1965, 521 Anm. 8. Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 126 m. w. N.; Stratenwerth, Rdnr. 78. 9 Stratenwerth aaO. 10 AzzolaaaO (oben, Anm. 1), Rdnr. 45; Ha.ßke(oben, Anm. 2), S. 81 ff., 113f., 130ff., 134f. mit Anm. 144; Krev, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 mit Anm. 370, Rdnr. 127; ders., Parallelitäten und Divergenzen, S. 132f., 136; ders., JA 1983, 234; Schmidhäuser, 3/17,18; Zipjin: Maurach/Zipf, AT Teilbd. 1, § 12 I Rdnr.2 a.E. 11 Dazu näher unten Rdnr. 805 ff., 830. 12 Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 127. 13 Ha.ßke, S. 134f. Anm. 144; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 Anm. 370; ders., Parallelitäten und Divergenzen, S. 136; ders., JA aaO. 14 Calvelli-Adorno, NJW 1965, 274. 7
B
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
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Damit ist der Sache nach die sog. ,fragmentarische Natur des Strafrechts" angesprochen und folgendes gemeint: Der Gesetzgeber wählt aus der Fülle sittlich zu mißbilligender oder sozial schädlicher Verhaltensweisen nur ganz bestimmte aus, die er unter Strafe stellt; andere dagegen werden mit Ge- und Verboten des öffentlichen Rechts oder Zivilrechts bekämpft. In diesem Sinne sei das Strafrecht eben fragmentarisch 15. Die genaue Festlegung des strafbaren gegenüber sonstigem Unrecht erfolge durch das positive Strafgesetz. Dem aber liege eine normative Wertung zugrunde, mittels derer der Gesetzgeber "weniger abschreckend als vielmehr sittenbildend auf die Gemeinschaft einwirken" wolle l6 . Aus dieser sog. sittenbildenden Kraft des Strafrechts aber folge ein absolutes Rückwirkungsverbot nur für Strafgesetze l7 , nicht dagegen für Verjährungsvorschriften 18. Andere wiederum führen das Rückwirkungsverbot auf das Schuldprinzip als Ausfluß der Menschenwürde zurück. Aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebe sich, daß eine Strafe nur bei einem Schuldvorwurf verhängt werden dürfe; Schuld aber setze Kenntnis bzw. mögliche Kenntnisnahme eines vorher in einem Strafgesetz spezifizierten Unrechtstatbestandes voraus l9 . Gegenstand des Schuldvorwurfs sei jedoch lediglich der Verstoß gegen materielle Strafgesetze; Verjährungsvorschriften würden nicht davon erfaßt 20 •
135
Drittens spreche die Entwicklungsgeschichte des Prinzips "nullum crimen, nulla poena sine lege" im allgemeinen 21 und die des Art. 103 Abs.2 GG im besonderen 22 dagegen, das Verbot rückwirkender Strafgesetze auch aufVerjährungsregelungen auszudehnen.
136
Viertens führe die h. M. auch nicht zu untragbaren Ergebnissen: Eine Verlängerung bereits abgelaufener Verjährungsfristen sei ja - wenn auch nicht gemäß Art. 103 Abs.2 GG - jedenfalls aus allgemein rechtsstaatlichen Gründen unzulässig 23 • Namentlich aber NS-Verbrechen machten
137
15 Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr.61; Lange, DRZ 1948, 159; Naucke, Strafrecht, S. 83. Hierbei hat der Strafgesetzgeber sich an folgenden Auswahlkriterien zu orientieren: Erstens am Strafbedürfnis unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts als ultima ratio im System staatlicher Sozialkontrolle. Zweitens der Strafwürdigkeit eines als Strafunrecht zu bezeichnenden erhöhten Grades an Rechtswidrigkeit (Krey aaO, m. w. N.).
Lemmel, S. 150. Calvelli-Adorno, NJW 1965, 274; Lange aaO; Naucke aaO. 18 Calvelli-Adorno aaO. 19 Dürig aaO (oben, Anm. 1), Rdnr. 104; v. Heydebreck, S. 20ff., 25f.; ähnlich Haffke (oben, Anm. 2), S. 130, 131. 20 Fuhrmann, JR 1965, 15f.; v. Heydebreck, S. 26ff., 30ff, 37f. 21 Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 mit Anm. 370,372; ders., Parallelitäten und Divergenzen, S. 12; ders., JA 1983, 234; jeweils m. w. N. 22 So u.a. Bemmann, JuS 1965, 335; Calvelli-Adorno, NJW 1965, 274; v. Heydebreck, S.17. 16
17
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
"eine Verlängerung der (noch laufenden) Verjährungsfrist aus Gründen der Gerechtigkeit unerläßlich. Die Unmöglichkeit, derart beispiellose, der Menschenwürde hohnsprechende Taten zu verfolgen und zu ahnden, müßte das Rechtsbewußtsein aufs tiefste verletzen und die Grundlagen unserer Rechtsordnung erschüttern"24.
b) Wiedereröffnung bereits abgelaufener Verjährungsfristen
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Nach jener herkömmlichen Ansicht stünde Art. 103 Abs.2 GG auch einer rückwirkenden "Verlängerung" bereits abgelaufener Verjährungsfristen nicht entgegen; selbst eine analoge Anwendung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots wird gemeinhin abgelehnt 2s . Vielmehr wird die Unzulässigkeit einer solchen Rückwirkungsregelung heute einhellig aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet2~ . 2. Strafantrag
139
Die Vorschriften über den Strafantrag sind nach h. M. gleichfalls strafprozessualer Rechtsnatur, da sie die Verfolgbarkeit der Tat betreffen 27 . Deswegen gilt für sie nach überwiegender Literaturansicht das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG - ebenso wie bei den Verjährungsvorschriften - nicht; mithin verstößt die rückwirkende Umwandlung eines Antrags- in ein Offizialdelikt keineswegs gegen das Verbot rückwirkender Strafgesetze 28 . Insbesondere sei das Vertrauen des Täters, daß seine Tat auch nach ihrer Begehung als Antragsdelikt behandelt werde, nicht schutzwürdig; dies folge auch daraus, daß das Stellen eines Strafantrages im Belieben des Verletzten liege. Art. 103 Abs. 2 GG schütze eben nicht die Berechenbarkeit der Strafverfolgung 29 .
23 Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 Anm. 370; ders., Parallelitäten und Divergenzen, S. 24; ders., JA 1983, 235; vgl. dazu bereits oben, Rdnr.110. 24 So die 76 Staatsrechts- und Strafrechtslehrer in ihrer Erklärung von 1965 (aa 0, oben Anm.7). 25 Haffke, S. 135 Anm. 144; v. Heydebreck, S. 38f. 26 Vgl. etwa Bemmann, JuS 1965, 339f.; Krey aaO (oben, Anm. 21) sowie in JuS 1971, 307f.; Jähnke, LK 10. Aufl., vor § 78, Rdnr. 11; Schmidhäuser, 3/23; a.A. Eb. Schmidt aaO (oben, Anm. 2). 27 Baumann, Strafrecht AT, § 4 I 1; ders., in: Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien, § 4 III 1 b; Bockelmann, S. 1,33; Haft, § 5 Nr. 1 a. E.; Hassemer, Einführung, S. 229; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S.238; Preisendanz, § 2 Anm. 1 b; Stratenwerth, Rdnr. 168, 197, 1204; Tröndle, LK 10. Aufl., § 2 Rdnr. 9; WesseIs, § 2 I 2, § 12 11 2; Zipf, in: Maurach/Zipf, AT Teilbd.1, § 2 Rdnr. 7, § 12 11 Rdnr. 6; ders. in: Maurach/Gössel/Zipf, AT Teilbd. 2, § 74 I Rdnr.1, 2. 28 Blei, S. 7,51,416; Bockelmann, S. 1,19, 33; Haft aaO; Hassemer, Einführung, S. 229, 245; Klug, JZ 1965, 151; Preisendanz aaO; Schmidhäuser, 3/23; Stree, in: Schönke/Schröder, 22. Aufl., § 77 Rdnr. 8; Tröndle aaO; WesseIs aaO; ZipfaaO. 29 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 83; Rudolphi, SK 3. Aufl., Rdnr. 10 vor § 77.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
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3. Abweichende Konzeption: Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots f"ür Verfolgungsverjährung und Strafantrag trotz Nichtanwendbarkeit dieses Verbots im Strafverfahrensrecht
Demgegenüber ist nach einem Teil der Literatur das Rüc~wirkungsverbot aus 140 Art. 103 Abs.2 GG auch im Bereich der Strafverfolgungsvoraussetzungen anwendbar; zur Begründung wird dabei geltend gemacht: Jenes Verbot gelte zwar nicht im Strafprozeßrecht, sondern im materiellen Strafrecht. Die Vorschriften über die Verjährung aber seien auschließlich bzw. auch materiell-rechtlicher Natur 30 • Entsprechendes gelte für die Regelungen über den Strafantrag 31 • Auch nach jenen Stimmen kommt es für den Anwendungsbereich des Rückwirkungsverbots also entscheidend auf die Differenzierung "materielles" / "formelles" Strafrecht an; insoweit sind sie der herkömmlichen Konzeption zuzuordnen. Sie weichen von der h. M. lediglich insoweit ab, als sie den Rechtscharakter der Verfolgungsvoraussetzungen abweichend deuten, nämlich materiell-rechtlich bzw. gemischt materiell-prozessual.
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11. Rückwirkung von sonstigem Strafprozeßrecht
Auch über den Bereich der Strafverfolgungsvoraussetzungen hinaus ist das 142 Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs.2 GG nach h.L. im Strafprozeßrecht schlechthin unanwendbar 32 • Damit gilt jenes Verbot einmal nicht bei rein prozeßleitenden Regeln (z. B. § 243 StPO - Gang der Hauptverhandlung) oder Zuständigkeitsnormen 33 • Darüber hinaus ist aber auch die rückwirkende Änderung von Strafverfahrensrecht zum Nachteil des Betroffenen zulässig, wie z. B. die rückwirkende Beseitigung der Berufungsmöglichkeit, Verschärfung von Haftgründen, Änderung der Richterbesetzung 34 • Zur Begründung wird im wesentlichen das oben zur Verjährung Gesagte 143 angeführt. Danach sprächen Wortlaut und Entwicklungsgeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots für seine Unanwendbarkeit im Prozeß30 Materiell-rechtlich: Kaufmann, Strafanspruch, Strafklagerecht, S.2, 154; Lorenz, GA 1968, 300ff. Materiell-prozeßrechtlich: Jescheck, S. 110f., 727; Pawlowski, NJW 1965, 287f.; Peters, Strafprozeß, S. 10f.; Tröndle in: LK 10. Aull., § 2 Rdnr. 10, 12; ders. in: Dreher /Tröndle, § 1 Rdnr. 11 b, Rdnr. 4 vor § 78; wohl auch Hassemer, Einführung, S. 243, 245f. 31 Materiell-rechtlich: Kaufmann aaO, S. 2, 152f. Gemischt-rechtlich: Jescheck, S. 110; Peters aaO. 32 Vgl. ganz überwiegend das Schrifttum in Anm. 1,2,26,28,29. 33 Siehe u.a. Hassemer, Einführung, S. 245; Peters, Strafprozeß, S. 97. 34 Vgl. etwa Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 82f.; Klug, JZ 1965, 151; Schmidhäuser, 3/23.
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1. Teil: Zur heutigen Diskussion
recht 3S . Auch Vertrauensschutzerwägungen (staatsrechtliche Wurzel) erforderten keine Einbeziehung von Strafverfahrensrecht 36 . Die strafrechtliche Wurzel jenes Verbots spreche sogar gegen eine Extension ins Strafprozeßrecht: Strafprozessuale Nonnen hätten keine generalpräventive Funktion 37 ; ihr Ziel sei vielmehr die Gewährleistung "zweckmäßiger Sachbehandlung"38, die Regelung der Voraussetzungen und Durchführung eines Modus des Prozedierens 39 . 144 Zudem sei ein Rückwirkungsverbot im Strafverfahrensrecht schwerlich praktikabel4IJ und habe eine "gar nicht durchführbare Erstarrung zur Folge"41. 145 Im übrigen sei die Differenzierung materielles Strafrecht / Strafprozeßrecht nach geltendem Recht unentbehrlich, wie etwa § 344 Abs. 2 StPO zeige. Daß hierbei juristische Abgrenzungsprobleme auftreten könnten, sei quasi systemimmanent 42 . 146 Letztlich wäre die Anwendung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht auch rechtspolitisch durchaus gefährlich: "Wer so starre rechtsstaatliche Schranken wie das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG noch über ihren Text hinaus extendiert, engt den Gestaltungsspielraum des demokratischen Gesetzgebers ohne Not sachwidrig ein" (Krey)43.
147
Vielmehr hebt auch die h. L.44 den bereits erwähnten 45 Grundsatz der sofortigen Anwendbarkeit von Strafprozeßrecht hervor. Danach sei neues Strafverfahrensrecht im Zweifel immer auch rückwirkend anwendbar. Der Grund hierfür liege darin, daß die neuen Verfahrensregelungen die Vennutungen der größeren Zweckmäßigkeit für sich hätten 46 • Ausnahmen von diesem Grundsatz kämen lediglich aus Praktikabilitäts- bzw. Billigkeitserwägungen in Frage 47 . 35 So beispielsweise Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 mit Anm. 372; ders., Parallelitäten und Divergenzen, S. 136; ders., JA 1983, 234; Rudolphi, SK 3. Aufl., § 1 Rdnr.10. 36 Klug aaO; Krey aaO; Schmidhäuser, 3/23. 37 KreyaaO. 38 Peters, Strafprozeß, S. 97. 39 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 83. 40 Klug, JZ 1965, 151 mit weiteren Beispielen. 41 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 25. 42 So neuerdings Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 110 Anm. 372; ders., JA 1983, 234; jeweils m. w. N. 43 Vgl. Anm. 42. Auch Pieroth (JZ 1984, 972, 978 a.E.) weist jüngst auf den Aspekt Einschränkung des Demokratieprinzips durch eine Extension des Rückwirkungsverbots hin. 44 Kleinknecht / Meyer, Ein!. Rdnr. 203, § 354a StPO Rdnr.4; Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S.56 mit Anm. 216, 112f. mit Anm. 489, 252 mit Anm. 1110; Peters, Strafprozeß, S. 97; Tröndle, in: LK 10. Aufl., § 2 Rdnr. 8; kritisch: Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 219-229. 45 Vgl. dazu oben, Rdnr. 87f., 91, 120ff. 46 Peters aaO. 47 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 83; Peters aaO.
Kap. 1: Die herkömmliche Konzeption
73
III. Resümee
Nach h. L gilt das Verbot rückwirkender Strafgesetze weder für Verfolgungsvoraussetzungen (Strafantrag, Verjährung etc.) noch überhaupt im Bereich von Strafprozeßrecht. Hierfür werden Wortlaut, Geschichte und ratio des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG angeführt. Letztere wird überwiegend auf zwei Wurzeln, eine staatsrechtliche und eine genuin strafrechtliche, zurückgeführt, die beide gegen eine Einbeziehung von Prozeßrecht sprechen sollen. Zudem hält man eine Extension jenes absoluten Rückwirkungsverbots in den Bereich des Strafverfahrensrechts für eine gefährliche Einengung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (Demokratieprinzips) sowie in der Praxis letztlich nicht durchführbar. Vielmehr dominiert auch in der Lehre die Auffassung vom Grundsatz der Rückwirkung im Strafprozeßrecht, von dem lediglich bei abgelaufenen Verjährungsfristen aus allgemeinen Rechtsstaatsgründen eine Ausnahme gemacht wird.
148
Kapitel 2
Die neuere Konzeption: Geltung des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG auch im Strafverfahrensrecht § 1 Strafverfolgungsvoraussetzungen I. Verfolgungsverjährung 1. Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots
unbeschadet der Rechtsnatur der Verjährung
149
Nach einer jedenfalls im Schrifttum im Vordringen befindlichen, wenn auch noch nicht herrschenden Ansicht gilt das strafrechtliche Rückwirkungsverbot auch im Bereich der Verjährungsvorschriften; danach verstößt die rückwirkende Verlängerung bzw. Aufhebung von Verjährungsfristen gegen Art. 103 Abs.2 GG. a) Darlegung dieses Standpunkts
150
Hierbei stellt jene Mindermeinung gegenüber der herkömmlichen Auffassung vom Normbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots folgende neuartige - These auf: Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG beziehe sich auch auf die Verjährungsvorschriften; das gelte selbst dann, wenn man die Regelungen über die Strafverfolgungsverjährung mit der h. M. dem Strafprozeßrecht zuordnel. Dies ist nämlich der Sache nach mit Äußerungen wie den folgenden gemeint:
151
"Hier ist der Streit, ob die Verjährung dem Verfahrensrecht oder dem ,materiellen' Recht oder beiden Rechtsbereichen zugehört, ohne jede Bedeutung, ja schlechterdings belanglos" (Arndt)2;
oder: 1 Arndt, NJW 1961, 15; ders., JZ 1965, 147ff.; Baumann, Der Aufstand, S. 14-16; ders., in: Baumann/Weber, Strafrecht AT, § 12 I 2 b; ders., Grundbegriffe und System des Strafrechts, S. 36; ders., Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien, S. 18, 29; Grün wald, MDR 1965, 521 ff.; ders., JZ 1976, 771; Jakobs, Strafrecht AT, 4/9; Lüderssen, JZ 1979, 456,458; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 131 f., 220; Schreiber, ZStW 1968, 348ff.; ders., Gesetz und Richter, S. 220; ders., in: SK 2. Aufl., § 1 Rdnr. 9; Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 25f.; ders., Ungelöste Rechtsprobleme, S. 232f. mit Anm. 39; ders., JR 1979, 181f.; ders., NStZ 1981, 144; Volk, S. 54-57. 2 JZ aaO, 147; ähnlich: Baumann, Der Aufstand, S. 14f.; Grünwald, MDR 1965, 522; Jakobs aaO; Schreiber, ZStW 1968, 365; ders., SK aaO; Volk, S. 56 a.E.
Kap. 2: Die neuere Konzeption
75
"Die Zuordpung der Verjährungsvorschriften zur bloßen Verfolgbarkeit und damit ausschließlich zum Prozeßrecht spielt nämlich ... vor dem Schutzzweck von Art. 103 ... überhaupt keine Rolle" (Schünemann ) 3.
152
b) Die für ihn geltend gemachten Argumente (1) Normtext des Art. 103 Abs. 2 GG
Dabei fällt zunächst auf, daß sich jene Stimmen nur vereinzelt mit der Frage 153 auseinandersetzen, inwieweit ihre Deutung überhaupt mit dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Arndt beispielsweise weist lediglich daraufhin, daß der Begriff "Strafbarkeit" nach verfassungsspezifischen Grundsätzen auszulegen sei, nicht dagegen nach dem einfachgesetzlichen Verständnis von Strafe 4 • Nach Lüderssen fällt die Verjährung nur dann unter Art. 103 Abs.2 GG, wenn man das Wort "Strafbarkeit" weit auslege: nämlich dahin, daß es auch die für den Eintritt der Bestrafung erforderlichen Bedingungen, ob und wie ein StraJprozeß durchgeführt werde, mitumfasses. Baumann räumt demgegenüber ein, daß jedenfalls nach dem Wortlaut "Strafbarkeit" im Gegensatz zu" VerJolgbarkeit" - Art. 103 Abs. 2 GG nur im materiellen Strafrecht und nicht bei den Verjährungsvorschriften gelte 6 .
154 155
156
(2) Entwicklungsgeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots Die These, das strafrechtliche Rückwirkungsverbot gelte auch für die Verjährungsvorschriften, wird von Schreiber insbesondere auch dogmenhistorisch begründet. In eingehenden Untersuchungen hierzu kommt er zu dem Ergebnis: Jene neuere Konzeption habe eine gute rechtsstaatliche Tradition für sich 7 •
157
Dagegen konzidiert Baumann, für die Beschränkung des Geltungsbereichs des 158 strafrechtlichen Rückwirkungsverbots auf das materielle Recht spreche außer deIl! Normtext des Art. 103 Abs. 2 GG auch der Wille des Grundgesetzgebers: "Der parlamentarische Rat hat das ... so gemeint" 8 •
3
Nulla poena sine lege, S. 25; vgl. auch Pieroth, aaO, S. 220.
JZ 1965, 147. s JZ 1979, 450.
4
6
7 8
Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien, S. 18. ZStW 1968, 351 ff., 359; vgl. auch ders., in: Gesetz und Richter, S. 217 f., 220. Siehe Anm. 6.
76
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
(3) Grundgedanke des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG 159
Die Vertreter der Mindenneinung - Geltung des Rückwirkungsverbots für die Verjährung - stützen ihre Konzeption üblicherweise auf den Grundgedanken des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots. Dabei sind sie sich weitgehend darüber einig, daß er - entgegen der herrschenden Deutung (siehe oben, Rdnr.130-135)jedenfalls nicht primär in der Gewährung individueller Vorhersehbarkeit und damit von subjektivem Vertrauensschutz für den einzelnen liege 9 • Im einzelnen werden von den Anhängern jener Mindenneinung namentlich die folgenden Ansichten vertreten:
160
Nach Schünemann hat das Verbot rückwirkender Strafgesetze zwei Wurzeln: Die strafrechtliche, abgeleitet aus der generalpräventiven Funktion der Strafgesetze, spreche für eine Einbeziehung von Verjährungsfristen; deren rückwirkende Verlängerung sei nämlich "eine nachträglich fingierte Steigerung einer vor der Tat so nicht vorhandenen Präventionswirkung"IO, ein rückwirkender Wegfall der Strafandrohung wegen eines VerfahrenshindernisseslI. Dasselbe gelte für die staatsrechtliche Wurzel: Deren Zweck sei die "Sicherung der Gewaltenteilung" durch "Verhinderung von Übergriffen des Gesetzgebers auf das Gebiet der Justiz"12. Aufgabe der Legislative sei der Erlaß abstraktgenereller Regelungen. Rückwirkungsanordnungen dagegen seien immer auf den - der Judikative zur Entscheidung vorbehaltenen - konkreten Einzelfall zugeschnittene Maßnahmegesetze. In diesem Sinn habe Art. 103 Abs. 2 GG im Interesse der Freiheit des Bürgers auch eine staatsrechtlich-gewaltenteilende Schutzrichtung 13 • Hiergegen aber verstoße die rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen, da der Gesetzgeber insoweit bereits begangene Straftaten einer gezielten Sonderbehandlung unterwerfe und damit ein Maßnahmegesetz in Strafsachen erlasse 14.
161
Auch nach Schreiber und - ihm folgend - Jakobs liegt in der Garantie allgemeiner, d. h. abstrakt-genereller, Regelungen sogar der entscheidende Sinn und Zweck des Rückwirkungsverbots l5 . Anders als Schünemann meinen sie 9 Baumann, Der Aufstand, S. 14; ders., Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien, S. 29; Grünwald, MDR 1965, 522f.; Jakobs aaO, 4/6-9; Schreiber, ZStW 1968, 360ff.; ders., Gesetz und Richter, S. 214ff., 219f. mit Anm. 60; Schünemann, Nulla poena sine lege, S.16. 10 Nulla poena sine lege, S. 25f.; JR 1979, 181. 11 Ungelöste Rechtsprobleme, S. 232f. 12 Nulla poena sine lege, S. 24; Ungelöste Rechtsprobleme, S. 232. 13 JR 1979, 1982 sowie Anm. 12. 14 Nulla poena sine lege, S. 25; JR aaO, S. 181 f. IS Schreiber, ZStW 1968, 362ff., 364f.; ders., Gesetz und Richter, S. 217f., 219; ders., SK aaO (oben, Anm. 1); Jakobs aaO (oben, Anm. 1).
Kap. 2: Die neuere Konzeption
77
aber: Hierbei gehe es nicht um die Sicherung der Gewaltenteilung; dominant sei vielmehr der Schutz des Bürgers vor gesetzgeberischer Willkür ex post durch eine objektive Begrenzung der Staatsgewalt 16. Der Staat dürfe nicht nachträglich seine Strafbefugnis erweitern, indem er unter dem Eindruck bereits geschehener Taten gezielt auf bestimmte Tätergruppen rückwirkend die Verjährungsfristen verlängere. Dies widerspreche einer objektiven Garantie von Allgemeinheit des Rechts l7 • Da aber das Rückwirkungsverbot so weit reichen müsse, wie jene Objektivitätsgarantie erforderlich sei, könne es nicht vor dem Prozeßrecht enden l8 . Auch nach Baumann erfordert der Rechtsgedanke des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots eine Einbeziehung der Verjährungsregelungen 19. Ein "vollkommener Schutz des Angeklagten vor ( gesetzgeberischer) Willkür ex post" sei nur möglich, wenn das Verbot nachträglicher Verschlechterung der Strafbarkeit auch die Regelungen über die Verfolgbarkeit der Tat erfasse 20 .
162
Grünwald leitet das Rückwirkungsverbot letztlich aus dem Prinzip der Gerechtigkeit ab, wenn er meint: Jenes Verbot hindere die Legislative, ihre Gesetze "unter dem Eindruck geschehener Taten aufzustellen und sie auf diese zuzuschneiden"; anderenfalls bestünde die Gefahr, daß der Gesetzgeber "zu Wertungen gelangt, die sich bei distanzierter Betrachtung als verfehlt erweisen"21. Deshalb verbiete Art. 103 Abs.2 GG auch die rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfristen 22 . Freilich steht Grünwald damit in krassem Gegensatz zu jenen Stimmen, die eine rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen für NS-Verbrechen gerade als elementare Forderung der Gerechtigkeit empfanden 23 .
163
Nach Arndt wird durch Art. 103 Abs.2 GG die Ausübung staatlicher 164 Strafgewalt objektiv begrenzt. Dies beinhalte auch das Verbot, nachträglich und rückwirkend jene Strafgewalt des Staates durch eine Erweiterung der einfachgesetzlichen Zeitgrenze - Verjährung - zu verstärken 24 • Der Staat habe seine eigene Strafgewalt durch die Einführung von Verjährungsfristen begrenzt; ihre rückwirkende Verlängerung sei eine nachträgliche Vermehrung von Strafgewalt und demgemäß ein Verstoß gegen Art. 103 Abs.2 GG25. 16 Schreiber, ZStW aaO; ders., Gesetz und Richter aaO; Jakobs, Strafrecht AT, 4/5,9. 17 Schreiber, ZStW 1968, 364f.; ders., Gesetz und Richter, S. 219f.; Jakobs aaO, 4/9. 18 Jakobs aaO, 4/9, 57. 19 Siehe oben, Anm. 1. 20 Der Aufstand, S. 15; Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien, S. 18. 21 ZStW 1964, 16f.; MDR 1965, 523. Ebenso u.a. Baumann, in: Baumann/Weber, Strafrecht AT, § 6 IV 1 b; Jakobs, Strafrecht AT, 4/9; Schreiber, ZStW 1968, 367. 22 Grünwald aaO (oben, Anm. 1). 23 Vgl. nur die Erklärung der 76 Staatsrechts- und Strafrechtslehrer, oben Rdnr. 137. 24 NJW 1961, 15; JZ 1965, 148; vgl. auch oben, Rdnr.71. 25 Wie Anm. 24.
78 165
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
Dem hat sich auch Lüderssen angeschlossen 26 • Allerdings findet sich bei ihm bereits der Hinweis, daß es im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerfG "ganz und gar akademisch" wäre, weiter die Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfristen zu behaupten 27 • c) Methodische Einordnung jener Konzeption: Unmittelbare oder analoge Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG?
166
Die neuartige These von der Geltung eines absoluten Rückwirkungsverbots im Bereich der Strafverfolgungsverjährung wird durchweg auf die direkte Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG gestützt 28 • Lediglich Baumann räumt ein, daß sein Standpunkt de lege lata nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist 29 ; indes hält er eine entsprechende Analogie in dieser Richtung für "statthaft und angebracht"JO. 2. Verbindung des vorgenannten Standpunktes mit der Forderung nach einer Durchbrechung des Rückwirkungsverbots bei Untaten wie den NS-Verbrechen
167
In diesem Zusammenhang hat erst jüngst namentlich K rey 31 auf eine Entwicklung hingewiesen, welche für die "Schlüssigkeitsbeurteilung" der neuen Konzeption eine große Rolle spielen dürfte. Interessanterweise wird nämlich heute insbesondere von Autoren, die das strafrechtliche Rückwirkungsverbot in den Bereich des Strafprozeßrechts extendieren, postuliert: Auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts sei eine Durchbrechung jenes Verbots legitim, wenn es um die Ahndung solch "natürlicher Verbrechen" wie den NS-Untaten gehe 32 • a) Durchbrechung de lege ferenda
168
Baumann hat - in seiner Besprechung des "Eichmann-Urteils" - den Standpunkt vertreten, das strafrechtliche Rückwirkungsverbot sei bloß ein "Gebot der Rechtssicherheit" , welches angesichts zwingender Grundsätze des Naturrechts und allgemeiner Gerechtigkeitsprinzipien wohl kaum der rückwirkenden Bestrafung von NS-Massenverbrechen entgegenstehen könne 33 • JZ 1979, 456 a. E. JZ aaO; dagegen Schünemann, NStZ 1981, 144. 28 Vgl. die in Anm. 1 Genannten mit Ausnahme von Baumann. 29 Baumann/ Weber, Strafrecht AT, § 12 I 2 b; Baumann. Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien, S. 29. 30 Grundbegriffe und System des Strafrechts, S. 36. 31 Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 108, 109; Parallelitäten und Divergenzen, S. 135. 32 Baumann, JZ 1963, 118f.; Grünwald, ZStW 1964,6; ders., MDR 1965, 525; Jakobs, Strafrecht AT, 4/9 Anm. 23. 33 JZ 1963, 118f. 26
27
Kap. 2: Die neuere Konzeption
79
Grünwald hält das Rückwirkungsverbot bei "Ablösung einer pervertierten Staatsordnung" ebenfalls für fragwürdig und eine rückwirkende Bestrafung von NS-Verbrechen - im Wege der Verfassungsänderung - für zulässig und geboten 34 •
169
Neuerdings verbindet auch Jakobs seine These von der Geltung des Rückwirkungsverbots im Bereich der Verjährungsvorschriften mit den vorgenannten Restriktionstendenzen, wenn er hervorhebt:
170
Der Grundsatz der Gesetzesbindung im Strafrecht passe nur bei einer kontinuierlichen Ordnung. "Es wäre deshalb vorzugswürdig gewesen, ihn für die Beurteilung von nationalsozialistischen Taten zu suspendieren, wie es Art. 7 Abs.2 MRK" vorsehe 3s • Jene Vorschrift der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) lautet: "Durch diesen Artikel darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war"36.
171
Wegen dieser Durchbrechung des Prinzips "nullum crimen, nulla poena sine lege" ist Art. 7 Abs. 2 MRK von der Bundesrepublik nicht ratifiziert worden 37 • b) Durchbrechung de lege lata
Einige Zeit später ging Baumann im Rahmen seiner Stellungnahme zu den "Einsatzgruppen-Prozessen" dann so weit, folgende These aufzustellen: Das Rückwirkungsverbot sei restriktiv dahingehend auszulegen, daß bereits nach bestehendem Recht "naturrechtswidriges Verhalten nachträglicher Kriminalisierung zugänglich" sei; Art. 103 Abs.2 GG habe keine positivrechtliche Sperre dieser Kriminalisierung zugunsten der NS-Verbrecher im Sinn gehabt 38 •
ZStW 1964, 6; MDR 1965, 525. Strafrecht AT, 4(9 Anm. 23. 36 BGBI. 1952 II, S. 689. Die Konvention ist von den Mitgliedstaaten des Europarats am 4. 11. 1950 unterzeichnet und nach Ratifizierung aufgrund des Bundesgesetzes vom 7.8.1952 (BGBI. II, S. 685) am 3.9. 1953 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten. Dazu eingehend Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 100-105. 37 BGBI. 1954 II, S. 14; Krey aaO, Rdnr. 100, 105 m. w. N. 38 NJW 1964, 1404, 1405. 34 3S
172
80
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
11. Strafantrag 1. Gleichbehandlung von Strafantrag und Verjährung
173
Die im Vordringen befindliche Mindermeinung erstreckt das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs.2 GG nicht nur auf die Verjährungsregelungen, sondern durchweg - mit gleicher Argumentation - auf sämtliche Prozeßvoraussetzungen 39 • Demgemäß werden auch die Vorschriften über den Strafantrag jenem Verbot mit der Behauptung unterstellt: Die herrschende Unterscheidung von materiellem und formellem Strafrecht verkürze in unzulässiger Weise den Geltungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG40. 2. Differenzierende Stirrunen
174
Demgegenüber tendiert Eser 41 zu einer differenzierenden Lösung, will man ihn überhaupt als Vertreter der neueren Konzeption ansehen. Mit letzterer teilt er die Auffassung, für den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots komme es nicht auf die Einordnung "materielles" / "formelles" Strafrecht an. Entscheidend sei vielmehr dessen Grundgedanke. Diesen freilich sieht Eser - in Übereinstimmung mit der h. M. - in der Gewähr von Rechtssicherheit i. S. individueller Vorhersehbarkeit staatlicher Sanktionen 42 sowie genera/präventiver Verhaltenssteuerung 43 •
175
Demgemäß verneint Eser im Bereich der Verjährungsfristen die Geltung des Rückwirkungsver bots 44 •
176
Im Gegensatz hierzu aber "sei ein Vertrauen darauf, daß die Strafverfolgung vom Antrag eines bestimmten, dem Täter nahestehenden Personenkreises abhängig bleibt, nicht ohne weiteres auszuschließen"4S.
39 So ausdrücklich Baumann, in: BaumannjWeber, Strafrecht AT, § 12 I 2 b; ders., Grundbegriffe und System des Strafrechts, S.36; Grünwald, MDR 1965, 522; Jakobs, Strafrecht AT, 4j9; Schreiber, ZStW 1968, 366; ders., SK 2. Aufl., § 1 Rdnr. 9. 40 Ausführlich dazu Pieroth, JuS 1977, 394ff., 397f.; ders., Rückwirkungsverbot und Übergangsrecht, S. 131 f., 220. 41 In: SchönkejSchröder, 22. Aufl., § 2 Rdnr.7. 42 Strafrecht I, Fall 2, A 44; ders., in: SchönkejSchröder aaO. 43 Strafrecht I aaO, A 45; ders., in SchönkejSchröder, 22 Aufl., § 2 Rdnr. 1. 44 Strafrecht I, Fall 2, A 44, 45; ders., SchönkejSchröder aaO, § 2 Rdnr. 7. 45 Eser, in: SchönkejSchröder aaO.
Kap. 2: Die neuere Konzeption
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§ 2 Zur grundsätzlichen Geltung des Rückwirkungsverbots aus Art 103 Abs. 2 GG im Strafverfahrensrecht über den Bereich der Verfolgungsvoraussetzungen hinaus I. Darlegung dieses Standpunktes 1. Adolf Arndt
Bereits im Jahre 1961 wird erstmals der Versuch unternommen, das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG über den Bereich der Verfahrensvoraussetzungen hinaus grundsätzlich im Strafprozeßrecht anzuwenden.
177
So meint Arndt, die anachronistisch gewordene Einteilung der Gesetze in "formelle" und "materielle" habe in einem demokratischen Verfassungs staat keinen Sinn. Demgemäß sei "die einem Ereignis nachfolgende Änderung des Verfahrensrechts keineswegs und so unbeschränkt zulässig, wie man bisher annimmt"46 . Rückwirkungsanordnungen im materiellen Strafrecht seien ebenso gravierend wie im Verfahrensrecht 47 • Deshalb könne beispielsweise die Zuständigkeit eines Amtsrichters nicht rückwirkend für Mordanklagen erweitert werden 48 • 2. H.-L. Schreiber
Auch nach Schreiber kommt es für den Anwendungsbereich des Rückwir- 178 kungsverbots aus Art. 103 Abs.2 GG nicht mehr auf die Unterscheidung "materielles" / "formelles" Strafrecht an. Vielmehr gelte das Verbot rückwirkender Strafgesetze grundsätzlich auch im Strafprozeßrecht49 , und zwar namentlich für die Verfahrensvorschriften, deren Änderung sich zum Nachteil des Betroffenen so auswirken könne bzw. seine Bestrafung wesentlich beeinflusse, wie etwa Vorschriften über den Beweis 51 oder den Verteidigerausschluß (§ 138a StPO)52. Ausgenommen hiervon seien Bestimmungen über den formalen Verfahrensablauf und die Einrichtung der Gerichte 53 . Allerdings seien die "Grenzen hinsichtlich rein technischer Bestimmungen im einzelnen noch zu klären"54. NJW 1961, 15f. NJWaaO. 411 NJW aaO, S. 15 mit Anm. 20. 49 ZStW 1968, 365f.; ders., Gesetz und Richter, S.220; ders., in: SK 2. Aufl., § 1 Rdnr. 9; zustimmend Volk, S. 55-57. 50 Gesetz und Richter aaO. 51 ZStW aaO, S. 366. 52 SK aaO. 53 ZStWaaO. 54 Gesetz und Richter, S. 220 Anm. 61. 46
47
6 PföhleT
82
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
3. G. Jakobs
179
Jakobs hat ein quasi "abgestuftes" System der Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafverfahrensrecht entwickelt. Danach gilt jenes Verbot über den Bereich der Verfolgungsvoraussetzungen hinaus grundsätzlich auch im Bereich des sonstigen Strafprozeßrechts, wie etwa den Haftgründen (§§ 112 Abs. 3, 112a Abs.l StPO)55. Das Rückwirkungsverbot ende bei den Normen der Gerichts- und Verfahrensorganisation 56 . "Dazwischen" gibt es nach Jakobs Normen, die zwar rückwirkend geändert werden dürfen, aber nur, wenn sie durch ,funktionale ;fquivalente" ersetzt werdenS? Hier führt er einmal sog. "Garantien für einen objektiven Verfahrensablauf" an S8 sowie prozessuale Vorschriften, die nur einzelnen Delikten gelten" 59. So könnten z. B. Normen über den Rechtszug rückwirkend durch ein funktionales Äquivalent ersetzt werden, wenn das letztentscheidende Gericht identisch bliebe bzw. höherrangig sei 60 • Letztlich meint Jakobs aber, die Grenzen im einzelnen seien noch nicht hinreichend geklärt 61 •
U. Argwnentation 180
Arndt62 begründet seine Auffassung wie folgt: Das Grundgesetz und namentlich Art. 103 Abs. 2 GG seien eine Kompetenzordnung, welche die Ausübung staatlicher Strafgewalt in objektiver Weise begrenzten. Aber auch Verfahrensgesetze regelten der Sache nach Art und Ausmaß von Staatsgewalt. Daher könnten letztlich rückwirkende Prozeßgesetze eine ebenso gravierende Kompetenzüberschreitung staatlicher Gewalt darstellen wie rückwirkende Strafgesetze.
In einem späteren Beitrag (JZ 1965, 148) indes vertritt Arndt scheinbar das Gegenteil: Die rückwirkende Ausübung von Strafgewalt könne "nicht mit der Frage verglichen werden", ob der Staat durch eine Änderung von Strafprozeßrecht ein gegenwärtiges Prozeßverhältnis neu regele; denn dabei handele es "sich nicht um das Ausmaß der Kompetenz, sondern um die Art, wie sie wahrgenommen" werde.
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Strafrecht AT, 4/9,57. Strafrecht aaO, 4/9. V gl. Anm. 55. Strafrecht AT, 4/9. Strafrecht AT, 4/57. Strafrecht AT aaO. Strafrecht AT, 4/9. NJW 1961, 15f.
Kap. 2: Die neuere Konzeption
83
Ob Arndt damit seinen früheren - in NJW 1961, S. 15f. vertretenen Standpunkt zurücknehmen wollte, muß offen bleiben, denn die rückwirkende Zuständigkeitserweiterung des Amtsrichters bei Mordanklagen hält er gleichwohl noch "mindestens für fraglich"63. Schreiber leitet sein "modernes" Verständnis von der Geltung des strafrechtli- 181 chen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht letztlich entscheidend aus der Dogmengeschichte jenes Verbots ab, indem er hervorhebt: Man müsse auf den - im Wechsel unterschiedlicher Straf- und Rechtsquellentheorien erhalten gebliebenen - historischen Kern des nulla-poena-Prinzips zurückgehen, wollte man seine heutige Bedeutung richtig erfassen 64 • Diese liege im Schutz des Bürgers vor gesetzgeberischer Willkür durch eine objektive Begrenzung staatlicher Strafgewalt. Gewährleistet werde dieser Schutz durch das Erfordernis "allgemeiner", nicht auf bestimmte Einzelfälle rückwirkender Gesetze 65 • Jener Aspekt objektiven Willkürschutzes aber erfordere auch die Einbeziehung solcher Prozeßgesetze, die den Freiheitsbereich des Betroffenen tangierten 66 •
Indes ist auch nach Schreiber "zu berücksichtigen, daß es für den Staat nicht möglich sein dürfte, eine bestimmte Gerichtsverfassung oder bestimmte Verfahrensformen wegen früher begangener Taten während deren Verjährungszeit, etwa 20 Jahre, neben neuen Einrichtungen aufrechtzuerhalten" 67 • Wo freilich dann die Grenzen des Rückwirkungsverbots im einzelnen liegen, läßt Schreiber unbeantwortet 68 . Auch nach Jakobs ist das strafrechtliche Rückwirkungsverbot Ausdruck 182 objektiver Begrenzung staatlicher Strafgewalt 69 • Ihre Reichweite sei nach Erforderlichkeitsgesichtspunkten zu bestimmen. Hierbei sei Rückwirkung im Prozeßrecht eher akzeptabel, da Strafverfahrensrecht weniger auf einzelne Delikte zugeschnitten und deshalb weniger manipulierbar sei 70. Mithin hängt es immer von dem konkreten Einzelfall ab, ob nach Jakobs Rückwirkung im Prozeßrecht möglich ist oder nicht. Besonderer Prüfung bedarf dabei die Frage, ob Prozeßrecht rückwirkend durch "funktionsgleiche Äquivalente" ersetzt werden darf. Die Reichweite des Rückwirkungsverbots im einzelnen läßt freilich auch Jakobs ungeklärt 71 •
63 64
6S 66 67
68 69 70 71
6*
JZ 1965, 148 Anm. 19. Gesetz und Richter, S. 218. Vgl. die Nachweise oben, Anm. 15. ZStW 1968, 365f.; Gesetz und Richter, S. 220; SK 2. Aufl., § 1 Rdnr.9. ZStw aaO, S. 366. Wie Anm. 54. Strafrecht AT, 4/9. Strafrecht aaO, 4/57. Strafrecht AT, 4/9, 57.
84
1. Teil: Zur heutigen Diskussion
111. Methodische Einordnung jenes Standpunktes: Unmittelbare oder analoge Anwendung des Art. 103 Abs.2 GG? 183
Der gemeinsame Grundgedanke jener Argumente - objektive Begrenzung von Staatsgewalt zum Schutz des Bürgers vor gesetzgeberischer Willkür trifft letztlich auf sämtliche, die Grundrechte des einzelnen belastende Gesetze zu und spricht - konsequent zu Ende gedacht - für ein generelles, öffentlichrechtliches Rückwirkungsverbot 72 • Gleichwohl berufen sich Arndt 73 , Schreiber 74 und auch Jakobs 7s auf die Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht, und zwar in unmittelbarer Anwendung des Art. 103 Abs.2 GG.
§ 3 Resümee 184
Die im Vordringen befindliche Auffassung von der Geltung des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG im Strafprozeßrecht stellt eine außerordentliche Extension jener Verfassungsnorm dar. Sie vollzog sich in drei Schritten: Zunächst wandten sich einige Stimmen aus dem Schrifttum gegen die rückwirkende Verlängerung bzw. Aufhebung der Verjährungsfristen von NSVerbrechen mit der neuartigen These: Art. 103 Abs. 2 GG gelte selbst dann im Bereich der Verjährungsregelungen, wenn diese strafprozessualer Rechtsnatur seien. Auf die Unterscheidung materielles / formelles Strafrecht komme es für den Geltungsbereich des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots nicht mehr an. Schreiber beruft sich für diese Auffassung sogar auf eine "gute rechtsstaatliche Tradition" . Jene Extension blieb nicht auf die Verjährungsvorschriften beschränkt. Schon bald erstreckte die Minderansicht den Geltungsbereich des Verbots rückwirkender Strafgesetze auf sämtliche Vorschriften über die Verfolgbarkeit von Straftaten, wie etwa die Strafantragsregelungen. Den "Durchbruch" in den Bereich des sonstigen Strafprozeßrechts vollzog dann im wesentlichen Schreiber, dem sich weitere Autoren anschlossen. Danach gilt das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich im Bereich des Strafprozeßrechts, wobei die Grenzen im einzelnen noch nicht geklärt sind. Daß es solche Grenzen gibt, wird auch von den neueren Stimmen anerkannt: 72 73
74 7S
So bereits Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 126; ders., JA 1983, 235 Anm. 25. NJW 1961, 15f. Gesetz und Richter, S. 220; ZStW 1968, 365f.; SK 2. Aufl., § 1 Rdnr.9. Strafrecht AT, 4(9,57.
Kap. 2: Die neuere Konzeption
85
Genannt werden etwa "rein technische Bestimmungen" oder die Ersetzung von Prozeßrecht durch "funktionsgleiche Äquivalente". Gestützt wird diese These auf die ratio des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots, welche namentlich Schreiber aus seiner Entwicklungsgeschichte ableitet, nämlich: Objektive Begrenzung von Staatsgewalt - durch allgemeine Gesetze zum Schutz des Bürgers vor legislativer Willkür ex post -. Wie bereits hervorgehoben, rekurriert Schreiber zur Begründung seiner "modernen Konzeption" namentlich auf die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots - ob zu Recht, wird der folgende Zweite Teil, der eigentliche Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung, zeigen.
Zweiter Teil
Zur Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im allgemeinen und seiner Unanwendbarkeit im Strafprozeßrecht im besonderen Kapitell
Das römische Strafrecht 185
Rückwirkende Gesetze wurden grundsätzlich in der bei weitem längsten Periode der Menschheits- und Rechtsgeschichte nicht als problematisch empfunden 1 . Erst auf der Entwicklungsstufe des antiken Rechts finden sich - soweit ersichtlich - erstmals Verankerungen von Rückwirkungsverboten. 186 Beispielsweise lassen sich für den griechischen Rechtskreis eindeutige allerdings ausschließlich auf Zivilrecht bezogene - Formulierungen eines Rückwirkungsverbots im kretischen Stadtrecht von Gortyn (etwa 450 v. Chr.)2 anführen, und zwar durchweg in folgender Fassung: "Töv OE 1tp633a J.1E tV01KOV tJ.1EV"3.
187
Über Rückwirkungsverbote - und zwar wiederum für den Bereich des Zivilrechts - im römischen Recht berichtet Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) in seinen Verrinischen Reden: "De iure vero civili si quis novi quid instituit, is non omnia quae ante acta sunt rata esse patietur? Credo mihi leges Atinias, Furias, Fusias, ipsam, ut dixi, Voconiam, omnis praetera de iure civili: hoc reperies in omnibus statui ius quo post eam legern populus utatur"4. 1 Schöckel, S. 5; ähnlich Lasalle, S. 56 Anm. 1. Weitere Nachweise zur Rückwirkung von Gesetzen vor der Antike bei: Goeppert / Eck, S. 14-20; Lasalle, S. 65 ff.; Niehues, S.4-7. 2 Dazu Kohler / Ziebarth, Einleitung III -VIII m. w. N. 3 Zitiert und übersetzt nach Kohler / Ziebarth, VI, 25 (S. 14, 15); weitere Fundstellen bei Kohler / Ziebarth, S. 20, 24, 26: "Über das, wasfrüher (vor diesem Gesetz) geschehen ist, soll kein Rechtsanspruch sein". 4 Actionis in C. Verrem secundae lib. I, 42, 109, Textausgabe Peterson, Bd. UI. Übersetzt nach Fuhrmann, Bd. III, S. 157.: "Doch wer im bürgerlichen Recht etwas Neues einführt, läßt der nicht alles Frühere weiterbestehen? Zeige mir das Atinische, das Furische, das Fusische Gesetz, dazu, wie gesagt, das Voconische selbst, außerdem alle, die sich mit dem bürgerlichen Recht befassen:
Kap. 1: Römisches Strafrecht
87
Eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Rückwirkungsproblematik im Bereich des Strafrechts hingegen setzt - historisch gesehen - erst in der Epoche der römischen Republik eins:
§ 1 Die Zeit der römischen Republik I. Quellen 1. Lex Voconia
Hierbei kommt namentlich Cicero das Verdienst zu, im wesentlichen den Stand der strafrechtlichen Rückwirkungsdiskussion jener Zeit überliefert zu haben, und zwar in folgendem Zusammenhang: Im Jahre 169 v. Chr. wurde unter dem Konsulat des Q. Marcius Philippus und Cn. Servilius Cäpio die Lex Voconia erlassen; sie beinhaltete u. a. für Bürger der ersten Censusklasse 6 das Verbot, weibliche Personen als Erben einzusetzen 7 • Dieses Verbot hatte Verres als praetor urbanus (Stadtprätor)8 in einem Edikt zur Lex Voconia rückwirkend bis zum Jahr 174 v. Chr. auf bereits gültig errichtete Testamente der non censi ausgedehnt, um die Unwirksamkeit dieser Verfügungen herbeizuführen 9 • Cicero nun verneint in seinen gegen Verres gerichteten Reden entschieden die Zulässigkeit dieser Rückwirkungsanordnung, und zwar u. a. mit der - bereits oben dargelegten 10 - Feststellung, daß im römischen Zivilrecht ein Rückwirkungsverbot geltelI. du wirst finden, daß alle nur das als Rechtens festsetzen, was nach Erlaß des Gesetzes für das Volk gelten soll". 5 Zwar führt Lasalle (S. 9 Anm. 3, S. 68 Anm. 1) zwei Berichte aus der griechischen Antike an, die seiner Ansicht nach für ein generelles Rückwirkungsverbot in dieser Zeit sprechen. Für den Bereich des griechischen Strafrechts wird diese Deutung jedoch - zu Recht - von der h.M. abgelehnt; vgl. dazu: Goeppert j Eck, S.19f.; Niehues, S.8f.; Schöckel, S. 2 Anm. 5; Seeger, Über die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze, S. 93 Anm.1. 6 Aufgrund einer Vermögensschätzung (census) wurden römische Bürger in fünf Vermögensklassen eingeteilt; diese Einteilung war dann die Grundlage für die Besteuerung und Zuteilung politischer Stimmrechte in den Zenturiatkomitien; dazu Paulys Realencyc1opädie, "census"; Dulckeit j Schwarz / Waldstein, § 17 I 2-4. 7 Schottländer, S. 9 Anm. 4; Schreiber, Gesetz und Richter, S. 19 Anm. 14; Seeger aaO, S.3 mit Anm. 1 m. w. N. 8 Näher zu den Amtsbefugnissen des praetor urbanus: Dulckeit j Schwarz j Waldstein, § 15 III; Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, § 6 I; Söllner, § 6 I. 9 Schreiber, Gesetz und Richter, S. 19 Anm. 14; Seeger aaO (oben, Anm. 5), S. 3 mit Anm.2. 10 Rdnr. 187. 11 Zu den hierfür bei Cicero geltend gemachten Argumenten vgl. etwa Scheerbarth, S. 31; Seeger, Über die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze,S. 3-5.
188
88
2. Teil: Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots
Sodann kommt Cicero auf die hier maßgebliche Frage eines strafrechtlichen Rückwirkungsverbots wie folgt zu sprechen: 189
"In lege Voconia non est ,Fecit Fecerit', neque in ulla praeteritum tempus reprehenditur ni si eius rei quae sua sponte tarn scelerata et nefaria est ut, etiamsi lex non esset, magnopere vitanda fuerit"12.
Danach war die - durch die Formel "Fecit Fecerit" noch hervorgehobene 13
-
Rückwirkung von Strafgesetzen jedenfalls dann zulässig, wenn sie Handlungen betraf, die man auch ohne Gesetz als Verbrechen angesehen hätte. Nach dem Bericht Ciceros erfaßten solche rückwirkenden Strafgesetze also lediglich solche Taten, die auch ohne geschriebenes Strafrecht als strafwürdige Verbrechen galten 14.
Wenig später berichtet Cicero dann über die weitere Gesetzgebungspraxis im Strafrecht der römischen Republik: 190
" ... non ius aliquod novum populo constituitur, sed sancitur ut, quod semper malum facinus fuerit, eius quaestio ad populum pertineat ex certo tempore"lS.
Mithin waren - folgt mari diesen Worten Ciceros - die Strafgesetze jener Zeit in dem Sinne deklaratorisch, daß auch sie lediglich Untaten erfaßten, die ohnehin als Verbrechen angesehen worden wären. 2. Lex Cornelia de sicariis et veneficis
191
Von daher verwundert es nicht, wenn in der Literatur eine ganze Reihe republikanischer Straf- und Strafprozeßgesetze angeführt werden, die mit "rückwirkender Kraft" erlassen wurden 16. Dies soll nachstehend an Hand 12 Actionis in C. Verrem secundae !ib. I, 42, 108, Textausgabe Peterson, Bd. IH. Übersetzt nach Fuhrmann, Bd. IH, S. 156: "Das Voconische Gesetz enthält nicht die Worte ,errichtet hat oder errichten wird', noch werden irgendwo gegen die Vergangenheit Nachteile verhängt, es sei denn für ein Verhalten, das schon von sich aus so verbrecherisch und ruchlos ist, daß man sich auch dann ernstlich davor hüten müßte, wenn gar kein Gesetz bestünde". 13 Dazu näher unten, Rdnr. 193. 14 Vgl. auch unten, Rdnr. 240, 267 f. lS Actionis in C. Verrem secundae !ib. I, 42, 108, Textausgabe Peterson, Bd. IH. Übersetzt nach Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr.48: " ... das Volk setzt nichts Neues als Recht fest, sondern normiert nur, daß das, was immer schon ein Verbrechen gewesen ist, von einer bestimmten Zeit an der Untersuchung durch das Volk unterliegt". 16 Genannt werden hier etwa die Lex Mucia (141 v. Chr.), Lex Servilia repetundarum (111 v. Chr.), Lex Mamilia (110 v. Chr.), rogatio Peducaea de incestu (114 v. Chr.), Lex Appuleia (103 v. Chr.), Lex Varia (91 v. Chr.), Lex Fufia (61 v. Chr.), Lex Vatinia (59 v. Chr.), Lex Pedia (43 v. Chr.). Dazu Schottländer, S. 10f.; eingehend Seeger aaO (oben, Anm. 5), S. 10-28; weitere Nachweise bei Schreiber, Gesetz und Richter, S. 20 Anm. 21.
Kap. 1: Römisches Strafrecht
einiger besonders signifikanter - wie auch historisch interessanter wirkungsregelungen exemplifiziert werden.
89 Rück-
Vor dem Hintergrund bürgerkriegsähnlicher Zustände, in denen Verbrechen 192 wie Mord, Totschlag und Brandstiftung den Alltag Roms prägten, erließ Sulla in den Anfangszeiten seiner Diktatur (82 - 79 v. Chr.) die Lex Cornelia de sicariis et veneficis 17 • Dieses Cornelische "Gesetz über Banditen und Giftmischer" enthielt umfassende materiell-rechtliche Bestimmungen über Meuchel-, Gift- und Justizmorde sowie Brandstiftung; die angedrohte Strafe war für freie Bürger "aquae et ignis interdictio" 18, für Sklaven die Todesstrafe 19 • Zugleich enthielt die Lex Cornelia aber auch strafprozessuale Regelungen, und zwar namentlich über die Einsetzung bestimmter Gerichte (quaestiones) und das Verfahren zur Aburteilung der vorgenannten Delikte 20 • Hierbei ordnete das Cornelische Straf- und Strafprozeßgesetz ausdrücklich 193 seine Geltung für die vor seinem Inkrafttreten verübten Delikte an. Normtechnisch erfolgte diese Rückwirkungsanordnung - wie damals allgemein üblichdurch Umschreibung der tatbestandsmäßigen Handlung in den Tempi des Perfekt bzw. Futurum exactum 21 , einschließlich der - schon aus Ciceros obigem Bericht über die Lex Voconia bekannten 22 und auch sonst zur Hervorhebung der Rückwirkungsregelung häufig verwandten 23 Formel "Fecit Fecerit". So ordnete die Lex Cornelia beispielsweise in ihrem 5. Kapitel, dem Abschnitt über Giftmortf24 an: 17
19ff.
Dazu eingehend m. w. N.: Rein, S. 407 ff.; Zumpt, Bd. 2, Zweiter Abschnitt, S. 3 ff.,
18 Übersetzt: "Verbot von Wasser und Feuer". Damit ist eine - durch magistratisches Dekret zu verhängende - A"chtung flüchtiger Verbrecher gemeint. Sie verbot den Flüchtigen das Betreten römischen Gebietes unter Androhung der Todesstrafe für den Fall der Zuwiderhandlung und untersagte Dritten strafbewehrt, den Verbrechern Obdach und Unterhalt zu gewähren. Vgl. dazu etwa Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, § 2 II; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 549,623, 665, 936; Siber, S. 62f. 19 Rein, S. 413f.; Siber, S. 64ff. 20 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 615; Rein, S. 414; Schulz, Prinzipien, S. 6 mit Anm.15. 21 Dazu grundlegend SeegeraaO (oben, Anm. 5), S. 7ff. m. w.N.; vgl. noch Siber, S. 47 m.w.N. 22 Siehe oben, Rdnr. 189. 23 v. Bar, Geschichte, S. 13f. Anm. 41; Birnbaum, Neues Archiv des Criminalrechts, Bd. 11 (1829), S. 120; Seeger aaO; Zachariae, Über die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze, S. 69 .. 24 Dazu näher Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 635f.; Rein, S. 410; Zumpt, Bd. 2, Zweiter Abschnitt, S. 20f.
90 194
2. Teil: Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots "Qui venenum malum Jecit Jecerit ... . Quicumque fecerit, vendiderit, emerit, habuerit, dederit ... "25.
Diese Bestimmungen sollten rückwirkend for sämtliche Bewohner des römischen Reichs gelten: . 195
"Omnes viri, mulieres, liberi, servi in iudicium vocantur"26.
In einem anderen Kapitel der Lex Cornelia ging es um die - auch rückwirkende - Bestrafung derjenigen, die wissentlich eine Verurteilung Unschuldiger - sei es als Richter, sei es als Zeuge - herbeigeführt hatten 27 • Dies wurde materiell-rechtlich in folgender TatbestandsJassung zum Ausdruck gebracht: 196
"Qui tribunus miIitum legionibus quattuor primis, quive quaestor, tribunus plebis ... quive in senatu sententiam dixit, dixerit. Qui eorum coiit, coierit, convenit, convenerit quo quis iudicio publico condemnaretur"28.
Aber auch die straJprozessualen Bestimmungen über die Verfolgbarkeit der vorgenannten Delikte sollten rückwirkend für die vor Erlaß der Lex Cornelia begangenen Taten gelten. So heißt es beispielsweise: 197
"Deque eius capite quaerito qui magistratum habuerit quive in senatu sententiam dixerit, qui eorum coiit, coierit"29. 3. Gesetze des Volkstribunen Publius Clodius Pulcher
198
Eines der prominentesten "Opfer" rückwirkender Strafgesetze zur Zeit der römischen Republik war Cicero selbst. Im Jahre 58 v. Chr. erwirkte der Volkstribun Publius C/odius Pulcher (um 90 - 52 v. Chr.) ein Gesetz, von dem der griechische Historiker Dio Cassius 30 berichtet: 25 M. TuIli Ciceronis pro A. Cluentio oratio, 54, 148, Textausgabe Clark, Bd. 1. Übersetzt nach Fuhrmann, Bd. II, S. 88f.: "Wer ein gefährliches Gift hergestellt hat oder herstellen wird .... Wer Gift hergestellt, verkauft, gekauft, im Besitz gehabt, gegeben hat ... ". 26 M. TuIli Ciceronis pro A. Cluentio oratio aaO. Übersetzt nach Fuhrmann aaO, S. 89: "Hiernach können alle Männer, Frauen, Freie, Sklaven vor Gericht gestellt werden". 27 Vgl. etwa Rein, S. 410-412; Zumpt, Bd.2, Zweiter Abschnitt, S. 23 ff. 28 M. TuIli Ciceronis pro A. Cluentio oratio aaO (oben, Anm. 25). Übersetzt nach Fuhrmann, Bd. II, S. 88: "Wer als Kriegstribun der ersten vier Legionen oder als Quästor, als Volkstribun ... oder wer im Senat stimmberechtigt war oder sein wird .... Wer von denen Absprachen getroffen hat oder treffen wird, sich zusammengetan hat oder zusammentun wird, damit jemand in einem öffentlichen Prozeß verurteilt wird". 29 M. Tulli Ciceronis pro A. Cluentio oratio, 54, 148, Clark, Bd. 1. Übersetzt nach Fuhrmann, Bd. II, S. 89: "Und man soll gegen den einen Kapitalprozeß anstrengen, der ein Amt bekleiden oder im Senat stimmberechtigt sein wird, wer von denen Absprachen getroffen hat oder treffen wird". 30 Eigentlich Cassius Dio Cocceianus; er lebte etwa in den Jahren 155 bis 235 n. Chr.
Kap. 1: Römisches Strafrecht
-
91
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199
Die Bestimmung
200
"alle, die bereits einmal getötet haben" -
bezog sich rückwirkend (u. a.) auf Cicero 32 , der als Konsul in den Jahren 62/63 v. Chr. fünf Teilnehmer der "Catilinarischen Verschwörung" mit Billigung des Senats hatte hinrichten lassen 33 • Cicero kam einer entsprechenden Anklage dadurch zuvor, daß er aus Rom floh und ins Exil ging 34 • Daraufhin erwirkte P. Clodius ein zweites, ausschließlich gegen Cicero 201 gerichtetes Gesetz, mit dem über Cicero die Ächtung "aquae et ignis interdictio" 35 verhängt wurde 36 • Dieses sog. Xchtungsplebiszit wurde gleichfalls mit einer Rückwirkungsanordnung versehen. Hierüber berichtet Cicero selbst in der nach seiner Rückkehr (57 v. Chr.) verfaßten Rede "de domo sua"37: "At quid tulit legum scriptor peritus et callidus? Velitis iubeatis ut M. Tullio aqua et igni interdicatur? ... Non tulit ut interdicatur. Quid ergo? Ut interdictum sit"38. 31 Dio Cassius, Historia Romana XXXVIII, 14, 4, Textausgabe Melber, S. 466. Übersetzt: "Das Gesetz also, das nach diesen Vorgängen Clodius einbrachte, schien nicht nur ihm (Cicero) zu gelten (es enthielt nämlich nicht einmal seinen Namen), sondern es war gegen alle eingebracht, die einfach einen Bürger ohne Verurteilung durch das Volk künftig töten oder bereits einmal getötet haben .. .". 32 Näher zur Einzelfallbezogenheit dieses Gesetzes: Lengle, So. 24; Rein, S. 497; Siber, S.53. 33 Zu diesem Vorgehen Ciceros vgl. nur: Zumpt aaO, S. 397 -416. 34 Lengle, S. 25; Siber, S. 53; eingehend Zumpt aaO, S. 423, 427ff., 432. 35 Dazu bereits oben, Rdnr. 193 mit Anm. 18. 36 Lengle, S. 25; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 978 Anm.1; Siber, S. 53f.; Zumpt, aaO (oben, Anm. 27), S. 420,421. 37 Übersetzt: "Über das eigene Haus". Anlaß dieser Rede war die Zerstörung von Ciceros Landgut bei Tuskulum und seiner Villa am Palatin durch Clodius aufgrund des Ächtungsplebiszits. Dazu näher Siber, S. 54 m. w. N; Zumpt aaO (oben, Anm. 27), S. 433. 38 M. Tulli Ciceronis de domo sua ad pontifices oratio 18,47, Textausgabe Peterson, Bd.V. Übersetzt nach Fuhrmann, Bd. V, S.226f.: "Doch was für einen Text hat der erfahrene und geschickte Verfasser von Gesetzen vorgeschlagen? Etwa: Bewilligt und beschließt, daß M. Tullius geächtet und verbannt werden soll? Doch er hat nicht vorgeschlagen: Daß er verbannt werden soll. Was dann? Daß er verbannt sei". Zur Hervorhebung der Rückwirkungsanordnung durch die Worte "interdictum sit" siehe noch Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 978 Anm. 1; Siber, S. 54.
202
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2. Teil: Dogmengeschichte des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots 4. Lex tabellaria des Gajus Coelius Caldus
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Im Jahre 107 v. ehr. wollte der Volkstribun Gajus Coelius Caldus den G. Popillius Laenas, der als Unterbefehlshaber im Zimbernkrieg eine bedeutende Niederlage verschuldet hatte, wegen Hochverrats (perduellio) anklagen 39 • Um die Verurteilung zu sichern, erwirkte G. Coelius Caldus ein "Gesetz die Abstimmung betreffend" (lex tabellaria), das die für andere Volksprozesse ohnehin bereits eingeführte geheime Abstimmung durch Stimmtafeln auch in Perduellionsprozessen vorschrieb4Q. Dieses Verfahren wurde dann rückwirkend auf den Prozeß gegen Popillius angewandt und führte zu dessen Verurteilung41 • Über diesen Fall der Rückwirkung von Strafprozeßrecht findet sich u. a. wiederum bei Cicero - folgender zeitgenössischer Bericht:
204
"Uno in genere relinqui videbatur vocis suffragium, ... perduellionis. Dedit huic quoque iudicio C. Coelius tabellam, doluitque quoad vixit se ut opprimeret C. Popillium nocuisse rei publicae"42. 5. Leges Pompejae de ambitu et vi
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Über ein rückwirkendes Straf- und Strafverfahrensgesetz gegen Ende der römischen Republik erfahren wir in einem Kommentar des Asconius (1. Jhrd. n. ehr.) zur Verteidigungsrede Ciceros für Milo (pro Milone). Es ist die Rede von der Gesetzgebung des Alleinkonsuls Gnäus Pompeius im Jahre 52 v. ehr.; in diesem Zusammenhang heißt es dann:
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"duas ex s. C. promulgavit, alteram de vi qua nominatim caedem in Appia via factam et incendium curiae et domum M. Lepidi interregis oppugnatam comprehendit, alteram de ambitu: poena graviore et forma iudiciorum breviore"43. 39 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 171 Anm. 1; Rein, S. 484; Siber, S. 47; Ziegler, S. 340 Er!. 34. 40 Geib, S. 364; MommsenaaO, S. 171 mit Anm.1; Rein aaO; SiberaaO; ZiegleraaO; Zumpt, Bd. 1, Vierter Abschnitt, S. 290. Zu dem eigentlichen Abstimmungsverfahren bei Urteilsfällung vg!. etwa: Geib, S. 364ff.; Lengle, S. 24f.; Zumpt aaO, S. 289f. 41 Wie Anm. 39. 42 Cicero de legibus III, 16, 36, Textausgabe Ziegler, S. 318. Übersetzt nach Ziegler, S. 319: "Nur für einen Fall war die mündliche Abstimmung noch erhalten geblieben ... , für Hochverrat. Auch für diesen Prozeß hat Gajus Coelius die schriftliche Abstimmung eingeführt und dann sein Leben lang bereut, nur um Gajus Popillius stürzen zu können, dem Staate geschadet zu haben". Weitere Quellenangaben hierzu bei Geib, S. 364 Anm. 383; Mommsen aaO (oben, Anm. 39); Rein, S. 484. 43 Asconius in Miloniam, 31, Textausgabe Clark, Bd.lI. Übersetzt: "Zwei neue Gesetze verkündete er durch Senats beschluß, eines über Gewalttaten, in
Kap. 1: Römisches Strafrecht
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Danach hatte Pompeius zwei Gesetze "de ambitu et vi", also über" Wahl bestechungen und Gewalttaten" verkündet 44. Gegenstand dieser Gesetzgebung war insbesondere die Verschärfung von Strafen 45 sowie die Einführung eines kürzeren Strafverfahrens46 , und zwar jeweils mit "rückwirkender Kraft". Hierbei bezogen sich die Straf- und Strafprozeßregelungen des Gesetzes "de 207 vi" ausdrücklich auf den zuvor in der via Appia begangenen Mord - gemeint ist die Ermordung des P. Clodius durch seinen politischen Gegner T. Milo 47 sowie die darauffolgende Inbrandsetzung des Senatssitzes und den Angriff auf das Haus des "Interrex" M. Lepidus durch aufgebrachte Anhänger des Clodius