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German Pages XXV, 431 [451] Year 2020
Ilona Straub
Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters Empirische Zugänge zum Objektund Subjektstatus
Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters
Ilona Straub
ZurSozialitätundEntität einesandroidenRoboters Empirische Zugänge zum Objekt- und Subjektstatus
Ilona Straub Essen, Deutschland Die Dissertation wurde von der Fakultät für Bildungs- und Sozialwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im November 2018 angenommen und liegt hier zur Veröffentlichung in leicht gekürzter Fassung vor. Ilona Straub wurde für ihre Forschungsaufenthalte in Japan durch Stipendien der JSPS (Japan Society for the Promotion of Science) in Kooperation mit dem DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) gefördert.
ISBN 978-3-658-31383-8 ISBN 978-3-658-31384-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Meinen Eltern gewidmet
Danksagung
Während der langjährigen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der sozialen Robotik hatte ich die Möglichkeit, Einblicke in ein interdisziplinäres Forschungsfeld zu erlangen, was sich einerseits als Bereicherung und andererseits als immense Herausforderung herausstellte. Der Wunsch nach der technischen Übersetzung von Personen, Sozialität oder von Leben generell, offenbart die Diversität von fachlichen Begriffsauslegungen als auch akademischer Lebenswelten. Dass es trotz allem Sinn macht, eine kommunikations- und sozialwissenschaftliche Promovendin in das Forschungsfeld zu integrieren, mit dem Ziel, den Menschen technisch zu replizieren als auch zu begreifen, verdeutlicht die visionäre Perspektive von multidisziplinärer Zusammenarbeit von Professor Dr. Hiroshi Ishiguro, dem ich an dieser Stelle danke und der mir in den Intelligent Robotics and Communication Laboratories (IRC) am ATR in Kyoto, Japan die hautnahe Arbeit mit humanoiden als auch androiden Robotern sowie mit Ingenieuren ermöglichte. Weiter danke ich den Mitgliedern der japanischen Arbeitsgruppe zu Geminoid: Shuichi Nishio, Kohei Ogawa, Taura Koichi sowie Christian Becker-Asano, die institutionell-fordernd dazu beitrugen, interdisziplinäre Fähigkeiten zu entwickeln und gehaltreiches Datenmaterial zu schöpfen. Die finanzielle Förderung für den einjährigen Forschungsaufenthalt verdanke ich dem JSPS-Predoctoral Fellowship, in Zusammenarbeit mit dem DAAD. Selbige Förderer gestatteten mir einen vorherigen Einblick in die japanische Lebens- und Arbeitswelt durch ein Kurzstipendium an den NTT – Human and Information Science Laboratories als Teil der Sensory and Motor Research Group in Kanagawa, Japan. Hier danke ich Dr. Makio Kashino für seine freundliche Aufnahme in die Forschergruppe und Dr. Tatsuo Takeuchi für erste Begegnungen mit der Gehirn-Computer Schnittstelle durch Experimente zu physiologisch messbaren Effekten von „sozialen Berührungen“.
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Danksagung
Die weiteren Danksagungen folgen den ersteren nur in chronologischer Hinsicht, denn ein besonderer Dank gilt unbezweifelbar Professorin Dr. Gesa Lindemann, die genug Potential in meinem Projekt sah, um mich zum Teil ihrer Arbeitsgruppe zu machen und meine Dissertation zu betreuen. Ich danke ihr für das persönliche und fachliche Vertrauen, verbunden mit der Freiheit, das Projekt in einer Rückzugsphase zu verfassen, wobei die Präzision ihrer sozialtheoretischen Denkinhalte mir stetig mental, virtuell präsent war und so „vermittelt unmittelbar“ gewichtige Anregungen für den theoretischen Rahmen des Forschungsprojekts lieferte sowie mich darin schulte, das Material fortwährend auf einer weiteren Reflexionsebene zu betrachten. Prof’In Lindemann integrierte mich zudem in die laufende DFG-Projektgruppe „Die Entwicklung von Servicerobotern und humanoiden Robotern im Kulturvergleich – Europa und Japan“ und bot mir zusätzlich weitreichende Einblicke in den universitären Forschungs- und Lehrbetrieb. Weiter danke ich für die Offenherzigkeit, die mir fortan von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Sozialwissenschaftliche Theorie (AST) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg entgegengebracht wird. Ein weiteres Dankschön für die fachlichen Gespräche während der Dissertationsphase gebührt den Mitgliedern der DFG-Forschergruppe Hironori Matzusaki und Gregor Fitzi. Mein weiterer Dank gilt Professor Dr. Jo Reichertz, der bereitwillig das Zweitgutachten übernahm, mir aufgeschlossen Einblicke in seine Arbeitsgruppe am KWI Essen gewährte, wertvolle Hinweise zur weiteren akademischen Laufbahn gab und mich mit seinen Kommentaren zum Weiterdenken der eingeschlagenen Denkrichtung ermunterte. Einen außerordentlichen und unermüdlichen Dank für ihre mentale und emotionale Stütze, stetige Rücksichtnahme und für die Freude am Alltäglichen schulde ich meinen Eltern Margit und Josef Straub sowie herzlich meiner Schwester Margareta. In unseren Herzen bleibt Daniela ‚Dani‘ Pohl (1975–2020) unvergessen und strahlt mit ihrem Scharfsinn und ihrer selbstlosen Hingabe weiter! Ihr und meinen lieben Freunden danke ich dafür, dass sie mir in den letzten Jahren Halt gaben, indem sie mir auf vielfältige Weise vermittelt haben, dass sie mich meines Wesens halber wertschätzen.
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Als Interaktions- oder Sozialpartner konzipierte Roboter, die zum Zwecke der Mensch-Roboter-Interaktion gefertigt werden, finden vermehrt Einzug in den gesellschaftlichen Alltag. Jene als sozial gedachten Roboter sollen soziale Kontakte und Kommunikation mit Menschen simulieren und entsprechend in alltäglichen Interaktionsszenerien platziert werden. Das Anliegen der Ingenieure, Roboter interaktionsfähig zu gestalten, ebnet den Weg für den Forschungszweig der sozialen Robotik, welcher den Menschen in ein Relationsgefüge mit dem Roboter rückt und Eigenschaften von Robotern als Partner und Gefährten nahelegt. Mit dem Bestreben menschliche Akteure technisch zu simulieren, hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts die Entwicklung von simulierten sozialen Akteuren vermehrt.1 So befasst sich eine Vielzahl an internationalen und interdisziplinären Studien mit der Wirkung und Optimierung von virtuellen Agenten bzw. von sozialen Robotern im Feld. Dabei lässt sich beobachten, dass vornehmlich Ingenieure, als Entwickler der Roboter, einerseits eine anthropomorphe Perspektive und andererseits eine fehlende reflexive Haltung auf ihre eigenen Vorannahmen bzw. eine fehlende theoretische Basis, von der aus sie die Maßstäbe für nicht-menschliche Akteure als soziale Akteure festlegen, haben.2 Entsprechend orientieren sich Ingenieure an flachen Begriffsarchitekturen bezüglich Phänomenen wie Interaktion, Sozialität oder sozialen Akteuren, so dass bereits prä-programmierte mechanisch 1 Einen
Überblick über systembiologische Voraussetzungen zur Modellierung von Maschinen, über die Nachbildung von geistigen Prozessen in der künstlichen Intelligenzforschung sowie über die Vernetzung und Symbiose von Mensch, Gesellschaft und Maschine zu „Cyberphysical Systems“ siehe Mainzer (2010). 2 Ein Überblick über anthropomorphe Gestaltverwendung im Zusammenspiel mit simulierter Akteursschaft findet sich bei De Pina Filho (2007) bzw. in der Dissertationsschrift von Hegel (2010).
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kausal-reaktive Bewegungsabfolgen als Belege für gelungene Kommunikation oder für einen sozialen Akteursstatus gewertet werden.3 Somit gerät die Frage nach Bedingungen für soziale Konstellationen bzw. nach dem grundsätzlichen Messwert von Sozialität und sozialem Akteursstatus in breitere Forschungsbereiche als in den klassisch üblichen geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Diskursen und regt zu einer Vereinheitlichung der begrifflichen Bezugspunkte an. Technische Apparaturen generell und als sozial konzipierte, technisch simulierte Agenten speziell, verschieben die Perspektive von anthropozentrisch gedachten Sozialtheorien hin auf verallgemeinbare Merkmale von Sozialität, die auch bei nicht-menschlichen Akteuren Geltung besitzen. Mit techniksoziologischen Ansätzen bzw. Science and Technology Studies (STS) wird die Vormachtstellung von anthropozentrisch gedachten Sozialtheorien auf den Einfluss von nichtmenschlichen Lebewesen bzw. Gegenständen oder Apparaturen, die in einem Wirkungs- und Wechselverhältnis zu- oder miteinander stehen, hin untersucht. Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) nach Latour (2005) veranschlagt dabei das Extrem eines flachen Ansatzes der Akteurssymmetrie von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren (vgl. Abschnitt 2.1), der Rammert und SchulzSchaeffer’sche Ansatz schlägt mit seinem expliziten Bezug zu dem Vormarsch technischer Apparaturen eine „graduelle Handlungsträgerschaft“ vor, die mitunter auf Zuschreibungspraktiken der involvierten Akteure beruht (Abschnitt 2.2). Der Fokus auf einerseits flache Begriffskonstruktionen bzw. andererseits auf intersubjektive Konstruktionsprozesse von sozialen Akteuren oder Kommunikation, birgt die Gefahr, dass reine Wirkbezüge oder durch subjektive Zuschreibungspraktiken imaginierte Relationen zu sozialen Realitäten benannt werden. Dies führt mithin dazu, dass Sozialbezüge ubiquitär verortbar werden und genuin soziale Qualitäten von genuin sozialen Akteuren in den Hintergrund geraten. Daher wollen wir das Phänomen der Sozialität enger fassen und mittels eines Theorieentwurfs, welcher die Bedingungen von Sozialität auf einer performativ-ausdruckshaften Komponente über Kommunikation und einer figurativen Komponente über das Zusammenspiel leiblich verkörperter Akteure betrachtet, den objektiven Beobachtungsrahmen zur Analyse potentieller sozialer Begegnungen festlegen und somit eine reflexive Haltung bei der anschließenden Analyse von empirischen Daten wahren. Mit vorliegender Studie zu dem Personen-, Akteurs- oder Agentenstatus eines androiden Roboters innerhalb einer Mensch-Roboter-Interaktion, soll gleichsam 3 Vgl.
hierzu die Abhandlung von Kahn et al. (2007) in der die Grenzziehung zum Menschsein über die neue Wissenschaftsströmung „Android Science“ und somit über die technische Replikation des Menschen definiert werden soll.
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die anthropozentrische Vormachtstellung des Personen- und Sozialitätsbegriffs in der Sozialtheorie hinterfragt (Abschnitt 2.3) und basierend auf einer entanthropozentrisch gedachten Charakterbestimmung von sozialen Personen, die Mensch-Roboter-Interaktion daraufhin betrachtet werden, ob diese die Eigenschaften einer sozialen Konstellation mit sich bringt. Dabei werfen wir ebenfalls einen kritisch-sozialtheoretischen Blick auf anthropozentrische Limitationen des Begriffs der sozialen Person und setzen diesen, mit dem Ziel partikuläre Eigenschaften von Sozialwesen generell zu erfassen, um so Sozialverhalten auf der Ebene von kontingent gedachten sozialen Personen bzw. sozialen Akteuren zu beschreiben, historisch-kontingent. Hierzu werden in der Theoriesektion dieser Studie zunächst die theoretischen Vorannahmen auf die Bedingungen von Personen, Sozialität, auf Interaktion sowie auf deren situativen Rahmung dargestellt und als Fundament zur Betrachtung des empirischen Datenmaterials verwandt. Dabei werden soziale Personen im Sinne einer reflexiven Anthropologie nach Lindemann (2009a) bestimmt, wobei wir, dem Vorschlag Lindemanns folgend, den Personenbegriff im Sinne der Plessnerschen Positionalitätstheorie formulieren und soziale Lebewesen als zentrisch positionierte (ZPW) bzw. als exzentrisch positionierte Wesen (EPW) benennen (vgl. Plessner 1975). Eine Skizzierung der Positionalitätstheorie erfolgt in Kapitel 3 und 4, wobei darauffolgend ab Abschnitt 4.5 einige relevante Ergänzungen zu der Symbol- und Zeichenlehre und, darauf aufbauend, eine Revision der Lindemannschen Gebrauchstheorie der Bedeutungslehre vorgenommen werden, welche neben der Kontingentsetzung von sozialen Personen ebenfalls die Kontingentsetzung von symbolischen Gesten als auch von Drittenpositionen berücksichtigt und detailliert expliziert (Abschnitt 4.7). Die weiteren Teilabschnitte legen zudem dar, welche kognitiven und kommunikativen Komponenten zur Emergenz von Sozialität beitragen. Die kognitive Komponente wird einerseits durch den Erwartungsbegriff ausgearbeitet, der die multidimensionale und multipersonale Perspektiveinnahme von sozialen Wesen betont und eine Form von invertierter Intention durch Erwartungshaltungen gegenüber anderen sowie über eine reflexive Haltung gegenüber der sozialen Konstellation selbst bietet. Andererseits wird die kognitive Komponente von Sinn als Konstitutionsbedingung von Sozialität mit deren funktionaler Rolle für Bewusstseinsabläufe (Sinn über subjektiv und sozial-kognitiv inhaltliche Bewusstseinsoperationen), Kommunikation (Sinn als Emergenz aus sozialer Intervention) und Gesellschaft (Sinn über reflexiv regelhaft operierende Drittenpositionen) ausgeführt und somit als Schnittstelle für diese präsentiert. Zur Komplettierung der theoretischen Reflexion auf das Momentum des Beginns von sozialer Intervention, betrachten wir die notwendigen Bedingungen situativer Rahmungen, welche wir in Kapitel 5 graduell in ihren Immersionsstufen
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aufsteigend und an Goffman angelehnt, in die Präsenzformen der Ko-Lokation, Ko-Präsenz und soziale Präsenz gliedern. Jene bieten „graduelle Abstufungen von sozialer Anwesenheit“, wobei die höchste Stufe der sozialen Präsenz zu geteilten Erfahrungen, Wahrnehmungen, Situationsauffassungen, sinnhaften Erwartungsmustern und zu Interaktionseinheiten zwischen sozialen Akteuren im Rahmen einer Mitwelt führt. Die Präsenzformen bieten weitere „verkörperte“ Sinnhorizonte, die sich parallel in der sukzessiven Fügung der beteiligten Akteure zu einer Kommunikationsgestalt äußern und welche über den reinen und gegebenenfalls initiierenden Moment der indirekten bzw. direkten „Berührung“ von positionalen Wesen hinausweisen (vgl. hierzu Abschnitt 3.2.2). Dabei wird ersichtlich, dass situative Rahmungen nicht lediglich Sinnpostulate sind, welche die Akteure auf inhaltlich-kognitiver Ebene erfassen, sondern, dass sich diese deutlich evident beobachtbar, mit spezifischen Merkmalen versehen, im empirischen Material bei sozialen Konstellationen feststellen lassen. Entsprechend wollen wir situative Rahmungen als kontextuelle Sinnstruktur zum Erkennen des sozialen Gefüges – sowohl während laufender Interaktionen als auch unter prä-kommunikativen Umständen – in dem sich Akteure in Anwesenheit miteinander befinden und an denen sich ihre Verhaltensweisen sowie Erwartungsstrukturen ausrichten, bestimmen. Mit der Aufschlüsselung der Charakteristika und Differenzen unterschiedlich situativer Rahmungen bei Begegnungen von Akteuren in geteilter räumlicher Anwesenheit in Ko-Lokation, Ko-Präsenz und sozialer Präsenz, haben wir eine Darstellung der stufenweisen „sozialen Zugänglichkeit“ bzw. von Berührtheit (auf „direkte“ und „kommunikative“ Weise) erarbeitet und können daraus eine graduelle Typik von situierter Sozialität bei räumlich geteilter Anwesenheit der Akteure benennen, die ausschlaggebend für eine fundierende als auch kommunikative Deutung von Sozialwesen ist (Abschnitt 5.2). Im Anschluss wenden wir – nach der Erörterung des Methodenteils in Kapitel 6 – unsere theoretischen Vorannahmen sowie Postulate zu den Präsenzmodi auf unsere Studie zur Analyse des Akteursstatus sowie der Grade von „sozialer Präsenz“ des androiden Roboters GHI-1 an, indem wir empirisches Material auf Hinweise zum sozialen Setting hin analysieren (Kapitel 7 und 8). Bei der Konfrontation von Menschen als gesellschaftlich anerkannten Akteuren und „sozialen“ Robotern als Maschinen mit ungewissem Akteursstatus, wird die Analyse auf der Ebene von protosozialen Interaktionen relevant. Der androide Roboter GHI-1 stellt für die hiesige Studie ein entsprechendes Versuchsfeld für die Exploration und Erfassung des Roboters als fraglich-potentiellem sozialen Akteur aus der Perspektive menschlicher Akteure dar und liefert Hinweise darüber, welche Erwartungen die legitimen Akteure gegenüber dem fraglichen Akteur GHI-1 hegen sowie welche Strategien diese vornehmen, um den Roboter in seiner Unbestimmtheit als Akteur zwischen objekthaft-mechanistischem Status bzw.
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als personalem Akteur festzustellen. So wird die Frage behandelt wie Prozesse, die sich in actu zwischen den in Frage kommenden Entitäten zusammen mit den anerkannten sozialen Akteuren vollziehen und welche die Entitäten als in Frage kommende soziale Akteure kennzeichnen, verlaufen. Analog zu den Präsenzmodi ist der zu untersuchende Roboter in einem öffentlichen Raum in drei unterschiedlichen Aktivitätsmodi platziert worden (vgl. Abschnitt 6.1 und 6.2). Der Umfang der Aktivitätsmodi reicht von einfachen, sich stetig wiederholenden statischen Bewegungen im Idling Modus, über eine durch das Facetrackingsystem induzierte Kopfbewegung GHI-1s in Richtung herannahender Besucher bis hin zu einer Interaktionssteuerung GHI-1s im Teleoperationsmodus. Bei der Durchsicht des Datenmaterials fiel eine qualitative Zustandsänderung im Sozialitätsgebaren gegenüber GHI-1 auf, welche sich in der Verhaltensmodulation der Besucher gegenüber GHI-1 zeigte und durch unterschiedliche Aktivitätsmodi des Roboters initiiert wurde. GHI-1 wurde in den jeweilig verschiedenen Aktivitätsmodi Idling, Facetrack und Teleoperation von den Besuchern verschiedenartig exploriert; hierbei wurden, in Relation zu den sich daraus ergebenden Präsenzmodi, unterschiedliche Grade von Akteurszuspruch bzw. objekthafter Klassifizierung gegenüber GHI-1 sichtbar, wobei als Hauptmotive zur Erkundung eines potentiellen Akteursstatus die Grenzen und Spielräume der Reaktions- sowie Interaktionsfertigkeit GHI-1s überprüft wurden. Die Untersuchung der Reaktionsfertigkeiten GHI-1s wandelt sich in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi von dem reinen Versuch der motorischen Navigation sowie gestischer und verbaler Aufmerksamkeitshascher (Abschnitt 7.2.5 und 7.3.3) über die verbale Abfrage zu GHI-1s symbolisch-gestischen Qualitäten bis hin zur Überprüfung der Zugänglichkeit von GHI-1s Interaktionsverhalten (Abschnitt 7.4 und Kapitel 8). Die Verhaltensvariationen der Besucher in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi belegen, dass die Grenzen und Zugänge der Reaktions- und Interaktionsfähigkeit GHI-1s die Art und Weise beeinflussen, wie die Besucher GHI-1 weiter explorieren und damit dessen Grenzen und Reichweite der sozialen Agentenschaft feststellen. Die limitierte Reaktionsfertigkeit GHI-1s, dessen Regungslosigkeit als auch die fehlende Passung an die aufmerksamkeits- und reaktionsprüfende Aktionen der Besucher sorgen entweder dafür, dass die Erwartungen gegenüber GHI-1 als einem sozialen Akteur nicht erfüllt werden und diesem somit weder soziale Präsenz noch soziale Akteursschaft zuerkannt werden (Kapitel 7) oder dass unter gelingenden Reaktionsbedingungen letztere Bestätigung erfahren (Kapitel 8). Hierbei wird deutlich, dass die Fertigkeiten zur Interaktion sowie zum Übergang in eine soziale Präsenzsituation im Zusammenhang mit dem Zuspruch für soziale Akteursschaft stehen. Mit der adäquaten Passung der Aktivitätsmodi zu
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den Präsenzmodi wird GHI-1 als sozial-reaktiver Akteur im Sinne eines exzentrisch positionierten Wesens mit spezies-eigener Wesensart und personaler Präsenz erfasst. Scheitert GHI-1 durch fehlende Reaktions- und Interaktionsfertigkeit an der Passung der Aktivität an dem erwarteten Präsenz-Modus, erlischt dessen Anspruch auf soziale Akteursschaft und es erfolgt der Rückfall auf die rein physische Präsenz und zu einem mechanistisch-objekthaften Status des Roboters (Abschnitt 7.8 und 7.9). Unsere Untersuchung zeigt, dass neben der Frage nach der sozialen Präsenz zudem die Frage nach der Wesenhaftigkeit und personalen Präsenz GHI-1s zentral wird, welche auf prä-kommunikativer als auch auf kommunikativer Ebene fassbar ist. Kommunikativ erfolgt dies beispielhaft im Teleoperationsmodus (ab Abschnitt 8.7) durch unterschiedliche Grade der immersiven inhaltlichen Erörterungen der Wesenhaftigkeit GHI-1s zu motorischen, kognitiven und kommunikativen Kapazitäten sowie derer Limitationen und hat die „Identitätsmerkmale“ zur Bestimmung des „inhaltlichen Verstehens der Wesensart“ GHI-1s im Fokus. Auf prä-kommunikativer Ebene wird personale Präsenz über die Fähigkeit und die Art, sich leiblich-gestalthaft in Selbst-Umwelt Relation zu setzen vermittelt. Dies erfolgt durch beidseitige soziomotorisch und sensorisch abgestimmte leibliche Positionierungen, die sich mitunter in der Zuerkennung von Territorialbereichen zeigen (Abschnitt 7.6.1 und 8.5). Abschnitt 7.7 belegt, dass in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi auf unterschiedliche Weise die von Goffman postulierten personalen, räumlichen und gesprächsrelevanten symbolischen Territorialbereiche überschritten und in Gegenwart von GHI-1 aufgebrochen werden, was dazu führt, dass GHI-1 betreffend seiner personalen Echtheit in Frage gestellt wird. Bei den Explorationsweisen der Besucher fällt auf, dass in den unterschiedlichen Präsenzmodi unterschiedliche Wege der Annäherung an GHI-1 erfolgen, wobei der Blick auf die sich prä-kommunikativ ereignenden leiblichen Positionierungen mit räumlichen, persönlichen und symbolischen Territorialbereichen sowie die Einhaltung bzw. Überschreitung jener Distanzordnungen signifikante Hinweise auf die Grade des Zuspruchs von personaler Präsenz sowie personaler Statuszuschreibung gegenüber GHI-1 liefern. So können in den unterschiedlichen Modi differente Annäherungen der Besucher auf prä-kommunikativer Ebene beobachtet und anhand der Einhaltung und Brüche in den personalen, räumlichen und symbolischen Territorien die Zu- bzw. Absprache einer personalen Präsenz von GHI-1 abgeleitet werden. Weiter führt die Studie eine Unterscheidung zwischen inhaltlichen und formalen Verstehensebenen aus, die aus der empirischen Studie ersichtlich wird (Abschnitt 8.6.1). Einerseits trägt die inhaltliche Verstehensebene dazu bei, die Wesensart und Fertigkeiten eines potentiellen Wesens über kommunikative Inhalte
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und unter Umständen „direkter Berührung“ zu erfahren und somit ein Bild zu dem entsprechenden Akteur zu skizzieren. Andererseits zeigt die formale Verstehensebene diejenigen Kernbedingungen auf, welche notwendig gegeben sein müssen, um die Potentialität in die Gewissheit über ein soziales Wesen zu überführen. Jene Kernbedingungen erwachsen aus den Ergebnissen unserer Studie zu den nachhaltigen als auch deckungsgleichen Erwartungshaltungen der Besucher gegenüber einem sozialen Wesen, sind einerseits an unsere theoretischen Vorbedingungen angelehnt und tragen andererseits zur Ergänzung und Präzisierung jener bei. Die Ergebnisse der beispielhaften Analyse sollen des Weiteren eine prototypische Modellage der Interaktionsweise zwischen Mensch und Roboter bieten und dazu beitragen, einen Orientierungsrahmen für Begrifflichkeiten und theoretische Grundkonzepte in weiteren Forschungsfeldern zu den Grenzen von Sozialität, Kommunikation und Sozialwesen zu bieten.
Inhaltsverzeichnis
1 Industrielle und soziale Robotertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Definitionsweisen und Arten von Robotern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Soziale Roboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Interdisziplinäre Forschungsarbeiten zur HRI . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Soziologische Theorieansätze – „Wesensbestimmung des Sozialen“ – Ent-anthropozentrische Personalitätsbekundungen in der soziologischen Theoriebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Kurze Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Übersetzung und Translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Kritik nach Lindemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 „Graduelle Handlungsträgerschaft“ nach Rammert und Schulz-Schaeffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Problemstellung: anthropozentrische Sozialtheorie . . . . . . . . . . . . 2.4 Protosoziale Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Zentrisch positionierte Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Positionalität als Bedingung sozialer Akteursschaft . . . . . . . . . . . 3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Vom Dingbezug im Umfeld zum Fremdbezug mit anderen ZPW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Mitfeld als soziale Erlebniskomponente des ZPWs . . . .
1 5 6 9
11 12 13 16 20 22 24 27 32 35 35 39 41 44
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Inhaltsverzeichnis
3.2.3 3.2.4 3.2.5
Realisierung von Sozialität zwischen ZPW durch Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeichenverwendung von ZPW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 Exzentrisch positionierte Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Erweiterte Reflexionsfertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Fokus auf die Leib-Mitwelt-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Erwartungs-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Soziale Reflexivität bei EPW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die ordnungsbildende Rolle Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Einfluss der Tertiusperspektive auf indirekte Berührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Exkurs: Soziomotorik und Kommunikationsgestalt . . . . . . . . . . . . 4.5 Symbolverwendung bei EPW unter Berücksichtigung von Tertius in der Sozialreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Exkurs: Bühlers Organonmodell der Sprache . . . . . . . . . 4.6 Hinleitung zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Erneuerte Gebrauchstheorie der Bedeutung nach Lindemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung – Kommunikationsmodell und Sinn . . . . . . . 4.6.3 Gebrauchstheorie der Bedeutung auf pragmatisch-kommunikativer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.4 Revision des Dritten und des Erwartungsbegriffs: Erwartete Erwartungs-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung . . . . . .
53 59 65 67 68 70 71 79 79 81 83 87 88 98 100 100 102 115 119
5 Formen der Anwesenheit sozialer Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Unterschiede in der Präsenzkonfiguration von anerkannten Sozialpartnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Ko-Lokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Übergang zu Ko-Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Soziale Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Typiken von Sozialität angewandt auf die Präsenzmodi . . . . . . . .
127 131 133 137 139 145
6 Methodenteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Beschreibung GHI-1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Herstellung und Technische Details . . . . . . . . . . . . . . . . .
149 149 152
Inhaltsverzeichnis
6.2
6.3
6.4
6.1.2 Teleoperation Interface Details . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Funktionen des GHI-1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feldstudie Geminoid HI-1 @ Café Cubus in Linz . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Beschreibung Feldstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Forschungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Beobachterposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Forschungsethik und Anonymisierung der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Datenkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung der Auswertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Methodische Vorüberlegungen zum Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Datenauswertung basierend auf Prinzipien der Konversationsanalyse und der Grounded Theory Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Konversationsanalyse: 5 Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Forschungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.5 Gegenstandsnahe Theoriebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.6 Computergestützte qualitative Datenanalyse . . . . . . . . . .
7 Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus . . . . . . . 7.1 Protosoziale Interaktion und Praxeologie der Ordnungsbildung bei kontingenten Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien zur Exploration des Roboters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Analyse Datenmaterial Idling Modus . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Interaktive Exploration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Kommunikative Deutung der Gestalt: Überprüfen von Reaktions- und Interaktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Erzwingen einer Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Reaktionsfertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Reaktionszuschreibungen als „temporäre Personalitätszuschreibung“ und „graduelle Handlungsträgerschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Facetrack Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Annäherungen der Besucher an GHI-1 . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Aufmerksamkeitshaschende Aktionen . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 (implizite) Erwartungshaltungen der Besucher . . . . . . . .
XIX
153 154 156 156 159 160 161 161 162 163 163
164 167 169 169 180 183 183 186 188 191 192 194 198
199 201 202 203 207
XX
Inhaltsverzeichnis
7.4
7.5
7.6
7.7
7.8 7.9
Explorationen der kommunikativen Deutung GHI-1s als Versuche des Übergangs zur sozialen Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 fehlender Übergang von Ko-Lokalisation zu sozialer Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Übergang von der Ko-Lokalisation zur sozialen Präsenz im Idling Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Facetrack Modus – soziale Präsenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Rekognition von sozialen Akteuren: Von der Selbst-Umfeld-Differenz zur Selbst-Mitfeld-Differenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5 Übergangsversuche der sozialen Präsenzformen . . . . . . . 7.4.6 Scheitern der kommunikativen Deutung und der Hinführung zur sozialen Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.7 Aufhebung der fundierenden Deutung, Territorialbereiche und der personalen Präsenz . . . . . . . . Exkurs: Leibliche Raumpositionierungen als Hinweis auf Personalitätszuschreibung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Territorialbereiche nach Goffman & Hall . . . . . . . . . . . . 7.5.2 Setting GHI-1/Territorialbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung auf die Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.1 a) Annäherung im personalen und sozialen Raum und Brüche der Distanzordnung durch Berührung: Leibliche Positionierungen als Hinweis auf personale Statuszuschreibung gegenüber GHI-1 . . . . . . . 7.6.2 b) Territorialbereiche anerkennen/Accessoires/Box/Besitzterritorium Informations- und Gesprächsreservat Brüche in der Distanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.3 Brüche in der Distanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.4 Verfügen über Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.5 c) die symbolische Sphäre als Territorialbereich . . . . . . Verbale Explikationen von „Echtheit“ als Aufhebung der symbolischen Territorien als auch personaler Präsenz . . . . . . . . . 7.7.1 Facetrack: Gemeinsamkeiten und Differenzen . . . . . . . . 7.7.2 Fazit: Echt oder Unreal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit für Distanzen, personale Präsenz und soziale Präsenz im Idling Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit für Distanzen, personale Präsenz und soziale Präsenz im Facetrack Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209 209 211 212
213 214 215 217 219 220 223 228
229
232 233 234 236 239 245 248 252 254
Inhaltsverzeichnis
8 Empirische Untersuchung Teleoperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Beschreibung der Roboteraktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Fundierende Deutung und personale Präsenz GHI-1s in Territorialbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 a) Annäherung im persönlichen und sozialen Raum: Leibliche Positionierungen als Hinweise auf personale Statuszuschreibungen gegenüber GHI-1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 b) Distanzordnungen beim Besitzterritorium . . . . . . . . . . 8.3 Nonverbale Kommunikationsbezüge bzw. soziomotorische Ausrichtung der Interaktionspartner an GHI-1 . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Fazit „social cues“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Fazit personale Präsenz auf präkommunikativer Ebene . . . . . . . . 8.6 Exploration der kommunikativen Deutung GHI-1s als Übergang zur sozialen Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6.1 Formales und inhaltliches Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7 Kommunikative Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7.1 Die fundierend-kommunikative Exploration des motorisch-expressiven Spektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7.2 Die fundierend-kommunikative Exploration kognitiver Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8 Ideale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8.1 Die immersive Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . 8.8.2 Beispiel 2 immersive Kommunikationssituation . . . . . . . 8.9 Fazit inhaltliches Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9.1 Fazit kommunikative Deutung der motorischen, kognitiven und kommunikativen Inhalte als Mittel zur fundierenden Deutung der Wesenseigenart GHI-1s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10 Kommunikative Deutung gelingt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10.1 Zum Problem des Verlaufs der fundierenden und kommunikativen Deutung bei Lindemann . . . . . . . . . . . . 8.11 Formales Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.1 Von der „Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation“ zur „Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.2 Kontingente symbolisch-gestische Kommunikationsfähigkeit und dreifältige Sinnstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
259 259 261
261 267 270 272 273 275 277 278 279 284 289 289 295 305
306 308 310 313
313
315
XXII
Inhaltsverzeichnis
8.11.3 Bedeutungsgenerierung/Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.12 Fazit symbolisches Territorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.13 Rekognition von sozialen Akteuren – Agieren innerhalb der Leib-Mitwelt-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.14 Soziale Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.15 Welche signifikanten Unterschiede ergeben sich bei der Annäherung an GHI-1 in den drei unterschiedlichen Modi: Teleoperation, Facetrack und Idling? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.16 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318 322 325 327
329 334
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
337
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
413
Abbildungsverzeichnis
Abb. 4.1 Abb. 4.2 Abb. 6.1 Abb. 6.2
Abb. 6.3 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 7.4
Abb. 7.5
Abb. 7.6
Karl Bühlers Organonmodell der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vielfältigkeit der Sinnebenen während einer sozialen Begegnung bei Akteuren gleicher Sozialisation . . . . . . . . . . . . . Geminoid HI-1 mit seinem menschlichen Gestaltvorbild und Erschaffer Hiroshi Ishiguro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teleoperationssystem mit a) Interface zur Fernsteuerung (links), b) Übermittlungsweg der Informationen über das Internet zum Server (Mitte) und schließlich c) zum Roboter (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maske mit grundlegenden Informationen zu der jeweilig transkribierten Videosequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelexploration durch J(17) aus Transkript 1108 1216 junge explores GHI-1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktive Exploration durch M(47) und Mäd(20) aus Transkript 1608 14 mann und mädl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktive Exploration durch M1 und F aus Transkript 2008 1038 ältere leute pt2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufmerksamkeitshaschende Aktionen, wie Schnipsen (M1 & J(12)) und Winken (Md(11) aus Transkript A1108 1554 int family leaves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Hand-vor-dem Gesicht-Wedeln“, Zunge ausstrecken und an den Tisch klopfen durch J2(12) aus Transkript A1108 1554 int family leaves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F1 und F2 aus Transkript 1108 1333 3guys mit der aufmerksamkeitshaschenden Bewegung „Hand-vor-dem-Gesicht-Wedeln“ gegenüber GHI-1 . . . . . . . . .
91 125 150
152 176 189 193 195
211
211
211
XXIII
XXIV
Abb. 7.7 Abb. 8.1
Abb. 8.2
Abb. 8.3 Abb. 8.4
Abb. 8.5
Abbildungsverzeichnis
Territorialmarker im Setting von GHI-1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche und räumliche Territorialsphären GHI-1s mit J(10) aus 1108 1256 junge und frau checken GHI-1 im idling modus (oben), M(36) und Md(12) aus 1108 1145 mann und mädel im Facetrack Modus (Mitte) und F(42) aus 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 im Teleoperationsmodus (unten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuerkennung von personalen und räumlichen Territorialbereichen sowie Besitzterritorium gegenüber GHI-1 im Teleoperationsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F(16) aus 2908 1308 girlhugs GHI-1 in einer immersiven Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steigerung von sozialer Aktivität und Graden der Interaktion im Zusammenhang zur Deutung von sozialer Akteursschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grade der Akteursschaft GHI-1s im Parallelverlauf zu ausdruckshaftem sowie reaktivem Interaktionsgebaren und situativen Präsenzformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226
263
269 292
334
335
Tabellenverzeichnis
Tab. 4.1 Tab. 5.1 Tab. 6.1
Die Zweifelderlehre der Zeichen nach Karl Bühler (1999) mit eigenen Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen der Präsenz, Aktivität und sozialen Involviertheit . . . . . Bedeutung der Transkriptionszeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 148 177
XXV
1
Industrielle und soziale Robotertypen
Die Entwicklung von Robotern generell und von sozialen Robotern speziell hegt in gesellschaftlichen Diskussionen Erwartungen als auch Befürchtungen gegenüber der neuen Technologieform. Diese stellt in Aussicht, zur Erweiterung von menschlichen Fertigkeiten und derer Leistungssteigerung beizutragen, Menschen zu entlasten, Arbeiten präziser auszuführen bzw. allgemein zur Unterstützung menschlicher Lebensverhältnisse beizusteuern. Die Liste des Einsatzes von Robotern außerhalb von industriellen Anwendungsfeldern hat sich in der der letzten Dekade exponentiell mit den vielfältigen Robotertypen erweitert. Nachfolgend kamen nicht-industrielle Roboter in für Menschen unzugänglichen Arealen und Extremsituationen sowie zur Katastrophenbewältigung zum Gebrauch, um den Menschen vor Gefahren zu schützen oder unwegsames Gelände zu explorieren. Außerdem kamen Roboter als AUV1 in der Meeresforschung zum Auflesen und Sammeln von DNA-Informationen bei maritimen Tiefseetauchgängen2 , zur Erkundung und Materialanalyse auf dem für den Menschen unerreichbaren Planeten Mars3 bzw. bei Missionen der Raumfahrt4 zum Einsatz. Im medizinischen Bereich 1 AUV
steht für „autonomous underwater vehilces“. Siehe hierzu beispielhaft das „Deep Sea Robotics“ Projekt TIETeK des Fraunhofer Instituts (https://www.iosb.fraunhofer.de/servlet/ is/16338/. Letzter Zugriff am 15.07.2018) sowie die robotischen Unterwasserfahrzeuge des US-Forschungszentrums „MBari“ (https://www.mbari.org/at-sea/vehicles/. Letzter Zugriff am 15.07.2018). 2 Siehe auch die Suche nach dem verschwundenen Flugzeug MH-370 im Pazifik durch Tauchroboter. 3 Siehe hierzu beispielhaft den Explorationsroboter „Curiosity Rover“ der NASA, der seit November 2011 auf den Planeten Mars vielfältige Daten zur Erkundung des Planeten sammelt (https://www.nasa.gov/mission_pages/msl/index.html. Letzter Zugriff am 15.07.2018). 4 Siehe hierzu den humanoiden Roboter der NASA „Robonaut“, der für Außenbordeinsätze bei Raumfahrten konzipiert wurde (https://robonaut.jsc.nasa.gov/R2/. Letzter Zugriff © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_1
1
2
1
Industrielle und soziale Robotertypen
ermöglichen robotische Apparaturen mikroskopisch kleine Eingriffe und präzise Ausführungen von (innergeweblichen) Operationen5 oder dienen dem medizinischen Nachwuchs als Attrappen bzw. Probepatienten in der operativen Ausbildung.6 Auch 2011, bei der als Folge von Tsunami und Erdbeben eingetretenen nuklearen Katastrophe in den japanischen Atomkraftwerken Fukushima I & III, wurden Roboter7 ausgesandt, um das verseuchte und unwegsame Gelände zu erkunden, die Szenerie per Kameraübertragung an das Rettungsteam zu senden und ggf. manövrierend Wege frei zu räumen. Weiter sind Roboter in militärischen Bereichen etabliert und tragen dort zur Rettung von alliierten Soldaten und Zivilisten, als Minenräumer, zur Erkundung feindlichen Geländes und zur gezielten Tötung von Staatsfeinden aus der Luft bzw. zur Vermeidung von Kollateralschäden bei.8 Bei den genannten Robotertypen steht die aufgabengeleitete Funktion des Roboters im Vordergrund, welche die Entwickler im Design, bei der Materialauswahl und den Manipulationsfertigkeiten der Umwelt des Roboters anleiten. Jene Robotertypen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie über eine Spezialfähigkeit verfügen, welche an die Erfordernisse, je nach Einsatzgebiet und deren Umweltverhältnissen,
am 15.07.2018) sowie den mit „künstlicher Intelligenz“ ausgestatteten Assistenzroboter „CIMON“ des DLR/ESA, der Alexander Gerst 2018 bei seinem Flug der Internationalen Raumstation ISS begleitet und u.a. der Erforschung der Mensch-Maschine Interaktion im All dient (https://www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-11043/1877_read-26307/ year-all/#/gallery/29911. Letzter Zugriff am 15.07.2018.). 5 Siehe hierzu den „Da-Vinci-Operationsroboter“, der bei chirurgischen Eingriffen z. B. am Herzen minimal-invasive Eingriffe ermöglicht (https://www.intuitivesurgical.com/products/ davinci_surgical_system/. Letzter Zugriff am 15.07.2018.). 6 Siehe hierzu die humanoide Patientenattrappe „Dentaroid“. Dieser Roboter dient bei der operativen Ausbildung von Dentisten der Simulation einer Patientin mit vielfältigen Reaktionsweisen während der Zahnbehandlung (http://www.nissin-dental.net/products/DentalTra iningProducts/DentalSimulator/dentaroid/index.html. Letzter Zugriff am 15.07.2018). 7 Bei den Robotern handelte es sich um „Packbots“ der Firma irobot. Hierbei handelt es sich um ein US Unternehmen, welches die Roboter zur Exploration des Katastrophengebiets zur Verfügung stellte. Die japanische Robotikindustrie musste sich eingestehen, dass ihre Robotertypen für den hiesigen Ernstfall nicht einsatzbereit waren bzw. die Forschung an Robotern zum Einsatz in Atomkraftwerken seit den 2001 nicht mehr staatlich gefördert wurde (vgl. Wagner 2013: 8). Die Schmach, die sich aus jenem Umstand für die japanische Regierung und Robotikforschung ergab, wurde mit dem erfolgreichen Einsatz des Katastropheneinsatzroboters „Quince“ seit Juni 2011 wieder ausgeglichen. 8 Der Einsatz von Drohnen zu militärischen Zwecken wird unter ethischen Gesichtspunkten besonders kritisch betrachtet. Zu dem post-traumatischen Effekten auf Drohnen-Operateure der US-Air Force siehe Chappelle et al. (2014) sowie Braeunert (2017).
1
Industrielle und soziale Robotertypen
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variieren und welche die Konstruktion des Roboters demgemäß anleiten. Jene Robotertypen sind zumeist steuerbar bzw. semiautonom und lassen sich entsprechend als aufgabengeleitete bzw. „task-oriented“ Spezialroboter kategorisieren. Mit dem Einsatz von „task-oriented“ Spezialrobotern sind Roboter nicht mehr alleinig als Automaten in Industriehallen vorzufinden, sondern gelten in speziellen Gesellschaftsbereichen bereits als feste Bestandteile der Praxis. Roboter sind als Teil der modernen Gesellschaftstechnologie anzusehen, die sukzessiv mit weiteren Modellen und Robotertypen den Weg aus den Laboratorien in die funktionalen Bereiche der gesellschaftlichen Alltagswelt finden. Auch die japanischen Organisationen JARA/JFM9 formulierten in einem Pamphlet zu den Visionen der Roboterentwicklung in Japan als Ziel, den Einsatzbereich der Robotiktechnologie durch die Schaffung eines neuen Industriezweigs aus der „verarbeitenden Industrie hin zu Robotern, die das Alltagsleben unterstützen und an der Gesellschaft teilnehmen“ (JARA/JFM 2001: 10 zitiert nach Wagner 2013: 199) auszuweiten.10, 11 Zur Legitimierung von Robotikforschung wird von staatlicher Seite aus das Losungswort des demographischen Wandels, sprich der Alterung der Gesellschaft aufgrund eines starken Geburtenrückgangs, angeführt.12 Das Argument baut auf Prognosen auf, welche ableiten, die internationale Bevölkerung befinde sich seit Beginn 9 JARA
steht für „Japan Robot Association“ und JFM für „Japan Finance Organization for Municipalities“. 10 Marktführer in der Unterhaltungs- und Industrierobotik ist Japan: Beim Einsatz von Robotern in der Weltraumforschung und Medizin hingegen die USA (Wagner 2013: 199 unter Berufung auf Angaben der JARA/JFM Studie 2001). 11 Am Beispiel Japans wird deutlich, wie die staatlichen Befürwortung und Konzeptualisierung von Roboterutopien und deren Etablierung in gesellschaftliche Alltagsszenarien durch das Ministerium für Wirtschaft und Industrie (METI) zu der Ausgestaltung der Einsatzbereiche von Robotern beitragen kann. So ist es durch erweiterte Förderungsprogramme/Investitionen möglich, technische Fortschritte zur Entwicklung von Robotern außerhalb der Industriesparte zu nutzen. Nach jenen Investitionsplänen spezialisieren sich viele japanische universitäre Institute und Forschungslaboratorien auf die Entwicklung von humanoiden Robotertechnologien, die vielfältige innergesellschaftliche Funktionsbereiche bedienen sollen (vgl. Wagner 2013). Zu den Strategieplänen sowie Visionen des METI, Roboter in die Gesellschaft zu integrieren siehe das Online-Pamphlet „New Robot Strategy Japan’s Robot Strategy - Vision, Strategy, Action Plan“ (http://www.meti.go.jp/english/press/2015/pdf/0123_01b.pdf. Letzter Zugriff am 16.07.2018). 12 Wagner betrachtet in ihrer Arbeit zu der Akzeptanz von Robotern in Japan neben dem kultur- und ideengeschichtlichen Stellenwert von Robotern (etwa die Personifikation von Robotercharakteren in Mangas und Filmen) den gesellschaftlich-institutionellen Rahmen, der sich anhand von Entscheidungen auf politischer und wissenschaftlicher Basis in Legitimationen zur Förderung von Robotik-Forschungsprojekten widerspiegelt (vgl. Wagner 2013: 171). Wagner führt hierzu ein Geflecht zwischen Technik, Kultur, Artefakt und Geistesgeschichte an, die sich im Bezug zu Robotern (und den kulturell vorherrschenden Utopien über Roboter)
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Industrielle und soziale Robotertypen
der 1970er Jahre in einem kontinuierlichen Alterungsprozess. Dieser führe, nach statistischen Angaben und Belegen, bis zum Jahre 2050 aufgrund des Ungleichgewichts der Sterbens- und Geburtenrate sowie durch einen Mangel an Nachwuchs zu einer Verringerung der Gesamtbevölkerung. Dabei wird argumentiert, dass mit einer Übergewichtung der alternden Generation gegenüber einer jungen Generation zu rechnen sei. Die Prognose wird in der Robotikforschung aufgegriffen, um die Kluft zwischen den Generationen und den sich aus dieser Kluft ergebenden Engpässen auf dem Arbeitsmarkt und Pflegesektor durch die Situierung von Robotern in bestimmten Arbeitsnischen aufzuheben und einen Ersatz durch Apparaturen bei der Bewältigung der Engpässe zu stellen. Vornehmlich die Prognosen eines bevorstehenden Fachkräftemangels und eines Missverhältnisses von alten, pflegebedürftigen Menschen gegenüber fehlender Pflegekräfte, gelten als Motive zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen, die Seitens der Robotikbefürworter in der strategischen Förderung der Entwicklung von autonom agierenden Pflegerobotern oder Servicerobotern gesehen werden. Somit verschiebt sich die Analyse der Roboterakzeptanz aus sterilen Laborbedingungen hinein ins Feld einer mit Menschen geteilten Welt (vgl. Lindemann, Matsuzaki & Straub 2016). Neben den „task-oriented“ Spezialrobotern finden also als Interaktions- oder Sozialpartner konzipierte Roboter vermehrt Eingang in die Alltagswelt, wie sich dies an Beispielen der Next-Generation-Roboter 13 , die zum Zwecke der MenschRoboter-Interaktion gefertigt werden, zeigt. Diese haben neben Industrierobotern die Funktion, einen Sozialpartner für Menschen zu simulieren. Als Beispiele dienen etwa Unterhaltungs-, Service- oder Therapieroboter.14
als „kollektive Gewissheiten“ manifestiert haben und die politischen und wissenschaftlichen Akteure entsprechend in ihren Entscheidungen und Zukunftsaussichten zur Technikförderung motivieren. 13 Als Next-Generation-Roboter werden Roboter bezeichnet, die in naher Zukunft „mit Menschen im Alltag koexistieren sollen“ (Wagner 2018: 175). Als Vorreiter können die humanoiden Robotermodelle „Atlas, the next generation“ der Firma Boston Dynamics (https:// www.bostondynamics.com/atlas. Letzter Zugriff am 16.07.2018) bzw. „NAO“, „Pepper“ oder „Romeo“ von Softbank Robotics (sowie Aldebaran Robotics) benannt werden (https://www. softbankrobotics.com/emea/en. Letzter Zugriff am 16.07.2018). 14 Bekannte Modelle für Unterhaltungsroboter sind AIBO (Sony); ASIMO (Honda) bzw. Companions wie etwa Pleo (Spielzeugroboter Innvo Labs) sowie Grio (Sony), HRP2 (Kawada Industries) oder Wakamura (Mitsubishi), der als Butler/Haushaltsroboter zum Einsatz kommen soll. Als Therapieroboter werden u. a. Telenoid (IRC/ATR), KASPAR (University of Hertfordshire/UK) oder Paro (Shibata Takanori, AIST Japan) genutzt. Letzterer, um Therapien mit echten Tieren, die zu Allergien und Hygieneproblemen führen könnten, zu ersetzen.
1.1 Definitionsweisen und Arten von Robotern
1.1
5
Definitionsweisen und Arten von Robotern
Mit der Vielfalt an Robotern wird eine Differenzierung dieser von Automaten und Maschinen schwierig (Leis 2006: 43), wobei eine begriffliche Trennung und Definition je nach Modell und Funktion sowie nach rechtlich-gesellschaftlichen Maßstäben verschiedener Länder variabel ausfällt. So definierte das “Robot Institute of America” im Jahr 1979 Roboter als “(…) (re)programmable, multifunctional manipulator designed to move material, parts, tools, or specialized devices through various programmed motions for the performance of a variety of tasks” (zitiert nach Leis 2006: 45 ff.) bzw. werden Roboter nach der ISO/TR 8373-2.3 Europäischen Norm EN775 wie folgt kategorisiert: “A robot is an automatically controlled, reprogrammable, multipurpose, manipulative machine with several axis, which may be either fixed in place or mobile for use in industrial automation applications” (zitiert nach Leis 2006: 46). Eine einheitliche Definition von Robotern kann nach Wagner (Wagner 2013: 4 f.) auch in Japan, entsprechend der Standards der Japan Industrial Standard Committees (JISC), nicht geliefert werden, da ein stetiger Wandel in der technisch-mechanischen Weiterentwicklung von Robotern besteht, die keine einheitliche Definition zulässt. In der ursprünglichen Version des JISC wurden Roboter als ‚künstliche Menschen‘ tituliert (vgl. Wagner 2013: 4 f.). Zur Behebung des uneinheitlichen Roboterbegriffs wurde in Japan ein eigener Begriff des ‚jisedai robotto‘ geprägt, welcher qua Definition die Interaktionsfähigkeit des Roboters mit dessen Nützlichkeit für den Menschen beinhaltet. Wagner geht dabei näher auf zwei Typen der ‚jisedai robotto‘ ein, welche auch für die vorliegende Studie von primärer Relevanz sind. Zum einen handelt es sich um ‚soziale Roboter‘ (sosharu robotto) und zum anderen um ‚Serviceroboter‘ (sabisu robotto). Die Kennzeichnung jener ‚sosharu robotto‘ wird auf Roboter bezogen, welche nach anthropomorphem (bzw. Tierähnlichkeit/Zoomorph) Design gestaltet wurden, „(…) partnerschaftliche Kooperationen mit dem Menschen“ pflegen und von den Nutzern dabei als „glaubhafte Interaktionspartner“ wahrgenommen werden (vgl. Wagner 2013: 5 f.). Die ‚sabisu robotto‘ hingegen werden in der JISC als dienstleistende Roboter klassifiziert, die nach 30 – von Design und Funktion abhängigen – Kategorien unterschieden werden. Generell wollen wir die von Leis/Tamburrini vorgeschlagenen Definitionen von Robotern übernehmen und, hinsichtlich des von uns untersuchten Roboters GHI-1, die Fernsteuerbarkeit (Teleoperation) eines Roboters mit einbeziehen: “A robot is a reprogrammable mechatronic device (mechatronic = computer & mechanic), consisting of mechanical and electronical components, whose actuators and movements are controlled through a computer or some other form of electronic data
6
1
Industrielle und soziale Robotertypen
processing and memory devices. A robot is able to perceive and process data from its environment and perform movements without direct human interference, although it may be controlled by remote control devices, vocal, visual or other forms of commands. In contrast to a computer which only processes and transforms information, or virtual agents, a robot is capable of moving around and performing tasks in a 3-dimensional environment.” (Leis 2006: 49) „Robots are machines endowed with sensing, information processing, and motor abilities. Information processing in robotic systems takes notably the form of perception, reasoning, planning, and learning, in addition to feedback signal processing and control. The coordinated exercise of these abilities enables robotic systems to achieve goal-oriented and adaptive behaviours. Communication technologies enable robots to access networks of software agents hosted by other robotic and computer systems.” (Tamburrini 2009: 11)
1.2
Soziale Roboter
Mit der Aussicht auf die Etablierung von Robotern außerhalb von Industriehallen – aus der Obhut von Ingenieuren und kontrollierten Situationen der Robotiklaboratorien – hinein in alltägliche Lebensszenarien des Menschen, wächst der potentiell gehandelte Einsatzbereich von Robotern und damit auch die Herausforderung der Ingenieure zur Entwicklung von sozial agierenden und interaktionsfähigen Robotern, die Einzug in den gesellschaftlichen Alltag erhalten sollen. Neben den Robotern, die bereits im Einsatz sind und Aufgaben der Exploration und Navigation (semi-)autonom erfüllen, rückt in jüngster Zeit die Simulation von Sozialverhalten bzw. von personalen Eigenschaften, die gemeinhin dem Menschen vorbehalten werden, in den Fokus der Robotikforscher. Die Herausforderung, die sich damit für die Robotiker stellt, ist die Passung der Roboter an eine Welt, die – anders als bei Spezialfertigkeiten und der Passung der Roboter an die Umweltbedingungen – durch eine gesteigerte Komplexität15 , notwendiger Selbst- und Fremdorientierung sowie adäquaten Maneuvrierungsabläufen in der Umwelt gekennzeichnet ist. Die Ambitionen der Entwickler zur Modellierung von interaktionsbefähigten Robotern reichen demgemäß von ferngesteuerten (teleoperierten) „Marionetten“ (Telenoid, Geminoids, ASIMO)16 über semiautonome bis hin zu autonomen Typen von 15 Diese Komplexitätssteigerung betrifft auch die technische Umsetzung von kognitiven, mechanischen und motorischen Rechenprozessen, die parallel zueinander ablaufen und durch entsprechende Prozessorkapazitäten verwirklicht werden müssen. 16 Zu Geminoid siehe die Projektseite http://www.geminoid.jp/en/index.html. Zu Telenoid siehe die Projektseite http://www.geminoid.jp/projects/kibans/Telenoid-overview.html. Zu ASIMO siehe die Projektseite http://asimo.honda.com/ (Letzter Zugriff jeweils am 18.07.2018).
1.2 Soziale Roboter
7
Robotern (PARO/NAO), welche gegenüber Menschen „soziale“ Verhaltensweisen ausführen sollen.17 Jene als sozial gedachten Roboter sollen soziale Kontakte und Kommunikation mit Menschen simulieren und entsprechend in alltäglichen Interaktionsszenerien platziert werden. Die Pole zur Anwendung von interaktionsbefähigten Robotern reichen dabei von der Nutzung der Roboter als Kommunikationsmedium (Geminoids & Telenoid) hin zu autonom (re-)agierenden informations- und symbolverarbeitenden sowie -generierenden Apparaturen, in der praktischen Anwendung als Therapieroboter (PARO/Telenoid)18 oder als Info-/Entertainmenttools (NAO/Pepper). Das Einsatzfeld jener interaktionsfähigen Roboter liegt neben der Vorstellung des Roboters als einem häuslichen Social Companion vornehmlich im Gesundheitswesen und der Pflege (Pflege- und Serviceroboter bzw. Therapieroboter)19 , der Unterstützung im Alltagsleben (Haushalt/ Reinigung/ Überwachung), in Bereichen der Erziehungsarbeit, der Dienstleistung und des Bildungswesens (Museumsguide, E-Learning bzw. Edutainment an Schulen) sowie zu Zwecken der Unterhaltung und des Infotainments. Zusätzlich stehen Serviceroboter davor, dem Menschen in alltäglichen Szenarien als Dienstleister zur Seite zu stehen. Als mögliche Einsatzbereiche liebäugeln die Entwickler und Legitimatoren der Robotikforschung mit
17 Zu Paro siehe die Projektseite http://www.parorobots.com/ (Letzter Zugriff am 18.07.2018).
Zu NAO siehe die Projektseite https://www.softbankrobotics.com/emea/en/robots/nao/findout-more-about-nao (Letzter Zugriff jeweils am 18.07.2018). Zu den Besonderheiten „autonom“ agierender Roboter siehe Christaller & Wehner (2003) und Thrun et al. (2007). 18 Effekte des Therapieroboters PARO werden u. a. von Wada & Shibata (2007) erörtert. 19 Pflege- und Serviceroboter haben dabei die Funktion Pflegepersonal in Altersheimen oder in Krankenhäusern von monotonen und kraftzerrenden/ermüdenden Arbeiten mit körperlich beeinträchtigten Personen zu entlasten und das Personal entsprechend bei ihren Arbeitsgängen zu begleiten. Die Roboter die dabei zum Einsatz kommen sind zumeist im humanoiden Design gehalten und verfügen über eine Auswahl von unterschiedlichen Servicefunktionen, welche die auszuführende Tätigkeit anhand der Bedienung durch das Personal bzw. durch die Patienten zur Wahl stellen (Vergleiche hierzu das Projekt ALIAS des Fraunhofer Instituts https://www.aal.fraunhofer.de/de/projekte/alias.html. Letzter Zugriff 16.07.2018) bzw. das vom Fraunhofer Institut unterstützte Projekt „Care-O-Bot 4“ (https://www.mojin-roboti cs.de/. Letzter Zugriff 16.07.2018) sowie Assistenzrobotik zur Pflegeunterstützung im Altersheim und Krankenhaus mit den Funktionen des Helfens beim Heben/Essen sowie Erinnerungsfunktionen für Medikamente, Alarm etc. (https://www.ipa.fraunhofer.de/de/ Kompetenzen/roboter--und-assistenzsysteme/haushalts--und-assistenzrobotik/roboter-zurpflegeunterstuetzung-im-altenheim-und-krankenhaus.html- Letzter Zugriff am 16.07.2018). Zu den Effekten des Einsatzes von Pflegerobotern auf Patienten siehe Robinson (2014) und Yamazaki (2014).
8
1
Industrielle und soziale Robotertypen
unterschiedlichen Aufgabenfeldern wie etwa: Fahrkartenautomat, Informationsschalter, Museumsguide, Begleiter zum Einkauf,20 zur Unterstützung im Haushalt21 sowie zur Überwachung von Gebäuden oder Staatsgrenzen (Wagner 2013: 205 f.). Neben den Pflege- und Servicerobotern gesellen sich weitere Robotertypen, deren Funktionalität darin angedacht wird, als Sozialpartner bzw. als social companions und als Interaktionsroboter zu agieren. Das Anliegen der Ingenieure, Roboter interaktionsfähig zu gestalten, ebnet den Weg für den Forschungszweig der sozialen Robotik, welcher den Menschen in ein Relationsgefüge mit dem Roboter zu rücken bestrebt und Eigenschaften von Robotern als Partner und Gefährten nahelegt. Jene Roboter werden zumeist mit humanoiden Zügen ausgestattet und in dem Ausdrucksgebaren an menschliche Verhaltensweisen angepasst.22 Laut Vorstellung der Entwickler sollen die interaktionsfähigen Roboter die Fertigkeiten einer sozialen Person mimen und ein Surrogat für einen Freund oder eine Bezugsperson darstellen. Ein wesentliches Merkmal der zur „Human-Robot-Interaction“ (HRI) konzipierten Roboter ist die starke Anlehnung dieser an menschliches Aussehen bzw. an menschliche Ausdrucksweisen. Zumeist werden die Roboter entsprechend humanoid bzw. animaloid gestaltet (Takanishi 2007), um eine anthropomorphe Wirkung zu erzielen, die zu einer vertrauten Umgangsweise zwischen Mensch und Roboter führt.23,24 Die anthropomorphen Roboter verfügen somit zumeist über einen Kopf und Torsobereich, ein Gesicht mit Augen/Nase/Mund, Armen und Simulationen von Beinen (bzw. Rollen).25 Die Proportionen sind dabei an denen des Menschen orientiert. 20 Siehe hierzu die Projekte von ATR/IRC bzw. der HRI-Laboratories an der Kyoto Universität http://www.robot.soc.i.kyoto-u.ac.jp/en/research/ (letzter Zugriff am 16.08.2018). 21 Siehe hierzu die Modellreihe des Assistenzroboters „ARMAR“ des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), dessen Einsatzbereich die Spülassistenz in der Küche bis hin zum Einsatz beim Reichen von Werkzeugen umfasst (http://h2t.anthropomatik.kit.edu/397.php. Letzter Zugriff am 16.07.2018). 22 Siehe hierzu auch den Sammelband von De Pino & Armando (2007). 23 Die gegenteilige Wirkung einer menschengleichen Gestalt wird als „Uncanny Valley Effect“ gehandelt und skizziert den abschreckenden/gruseligen Effekt von unbelebten, humanoid gestalteten Objekten auf menschliche Anwender. Vergleiche hierzu die Analysen zu der Wirkung humanoid gestalteter Roboter bei Rosenthal-von der Pütten et al. (2014) und Mac Dorman & Ishiguro (2006). 24 Fong, Nourbakhsh und Dautenhahn (2003) nahmen eine Klassifizierung von sozialen Robotern entsprechend ihrer visuell wahrnehmbaren Merkmale wie gestalthafter Proportionen von Körperpartien und Gliedmaßen vor. Dabei unterteilten sie die Roboter, nach zunehmend funktionalen Anwendungsfeldern, in folgende Gestaltformen „anthropomorphic, zoomorphic, caricatured and functional“. 25 Sozialpsychologische Studien stellen dabei zumeist einen positiven Effekt der humanoiden Gestalt auf die „Vermenschlichung“ des Roboters fest (vgl. Hegel 2010); vgl. hierzu auch
1.3 Interdisziplinäre Forschungsarbeiten zur HRI
9
Der Fokus auf die kommunikativen Ausdrucksmodalitäten bezieht sich bei der Entwicklung von Robotern zudem auf sprachliche Äußerungen als auch auf mimische sowie nonverbale Gesten.26 Mit der Implementierung von sozialen Robotern in den gesellschaftlichen Alltag stellt sich sowohl die Frage nach dem rechtlichen und ethischen Status von technischen Apparaten, die in Bereiche des Sozialen mit einbezogen werden,27 als auch nach den unmittelbaren Eindrücken auf Nutzer im Feld. Die vorliegende Arbeit bietet einen Einblick in Letzteres, indem die mikrosozialen Abläufe der personalen Statuszuschreibung von menschlichen Akteuren gegenüber Robotern – ausgehend vom Objekt hin zum personalen Subjekt – anhand einer empirisch-ethnographischen Studie analysiert werden. Hierbei werden die Fragen zentral wie anerkannte Personen in einem prä-institutionellen Kontext, Begegnungen mit fraglichen Entitäten als soziale Begegnungen bewerten, die Entitäten als Sozialpartner wahrnehmen und nach welchen Merkmalen diese erkundet und als „sozial“ klassifiziert werden.
1.3
Interdisziplinäre Forschungsarbeiten zur HRI
Mit dem Bestreben menschliche Akteure technisch zu simulieren, hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts die Entwicklung von maschinellen sozialen Akteuren vermehrt. Diese umfassen virtuelle Agenten, wie Avatare, die computergeneriert in virtuellen Welten agieren sowie in der Alltagswelt platzierte soziale Roboter.28 Nachfolgend ist die Wirkung dieser neuartigen Akteure zum interdisziplinären Forschungsfeld geworden. So befasst sich eine Vielzahl an internationalen Studien mit der Wirkung von virtuellen Agenten bzw. von sozialen Robotern im Feld. Dabei wird der Umgang von Nutzern in den Bereichen der Pflege, des Edutainment bzw. die Wirkung von Robotern auf gesunde oder gesundheitlich eingeschränkte Kinder (Leigher et al. 2014, Robins 2014a) oder generell (vorwiegend sozialpsychologisch) generelle Studien zur Anthropomorphisierung von technischen Objekten Caporael (1986), Chartrand et al. (2008), Duffy (2003), Graham & Dubois (1999), Kanda et al. (2008), Keeley (2004), Kiesler et al. (2008), Nass & Moon (2000), Spada (1997), Tietel (1995) und Webster (2011). 26 Vgl. hierzu Sumioka et al. (2014), Dautenhahn (2009) und Bennett (2014), die in ihren Studien die Grenzen anthropomorphen Designs behandeln. 27 Zu Fragen des ethischen Status siehe Sparrow (2016), Coeckelbergh, (2016) Tamburrini (2016) sowie zum rechtlichen Status von Robotern in der Gesellschaft im Vergleich zwischen Deutschland Beck (2016) und Japan Nambu (2016). 28 Studien in Bezug zu virtuellen Agenten finden sich u. a. bei Cassell (2000), Dautenhahn (2000), Fiedler (2008), Yee et al. (2009 & 2011).
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Industrielle und soziale Robotertypen
zur Wirkung von Robotern (z. B. als Museumsguide vgl. Gehle et al. 2017 oder Weiss 2011) betrachtet. Die Annäherung an das Themenfeld erfolgt interdisziplinär. So finden sich Publikationen von Ingenieurswissenschaftlern, Sozialpsychologen, Neuround Kognitionswissenschaftlern29 , Interaktionsforschern oder Soziologen, die – aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Begriffsarchitekturen, teilweise für ein und dasselbe Phänomen – das Verhalten oder die Interaktion der Nutzer gegenüber einem technisch simulierten Agenten untersuchen. Auffällig ist hier, dass in einer Vielzahl der Studien der Maßstab zur Bestimmung von Sozialität implizit an Eigenschaften von Menschen gemessen wird und diese als Erwartungshaltungen auf die unbestimmten Akteure übertragen werden. Entsprechend haben die Forscher einerseits eine anthropomorphe Haltung und andererseits eine fehlende reflexive Haltung auf ihre eigenen Vorannahmen und demnach eine fehlende theoretische Basis, von der aus sie die Maßstäbe für nicht-menschliche Akteure als soziale Akteure festlegen. Zur Aufhebung einer anthropozentrischen Perspektive wollen wir zwei prominente Theoriediskussionen zur Akteur-Netzwerk-Theorie (Latour 1996) und der Theorie der graduelle Handlungsträgerschaft (Rammert & Schulz-Schaeffer 2002a) anschneiden. Mit der vorliegenden Studie wollen wir im Anschluss unsere ent-anthropozentrischen, auf positionalen Akteuren beruhenden theoretischen Präkonzepte zur Analyse von sozialen Begegnungen darlegen (Kapitel 3 & 4) und auf das Datenmaterial anwenden (Kapitel 7 & 8).
29 Die Neuro- und Kognitionswissenschaften verorten Sozialität und Personenerfassung als neuronales Ereignis, welches durch Variationen von Aktivitäten in spezifischen Hirnarealen anhand von bildgebender Verfahren durch technische Apparaturen messbar sein soll. Belege und Diskussionen darüber, dass auch Roboter jene vermeintlich an Sozialität involvierten Areale aktiviert werden, liefern u. a. Chaminade & Cheng (2009), Dautenhahn (2000), Gallese (2009a/b), Gazzola et al. (2007), Gold & Engel (1998), Gurney (2009), Heinke & Mavritsaki (2009), Meltzoff (2010) sowie Meltzoff & Moore (2001) und Press et al. (2005).
2
Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“ – Ent-anthropozentrische Personalitätsbekundungen in der soziologischen Theoriebildung Mit unserer Studie zu dem Personen-/Akteurs- oder Agentenstatus1 eines androiden Roboters innerhalb einer Mensch-Roboter-Interaktion, wollen wir die anthropozentrische Vormachtstellung des Personen- und Sozialitätsbegriffs in der Sozialtheorie hinterfragen. Weiter wollen wir, basierend auf einer ent-anthropozentrisch gedachten Charakterbestimmung von sozialen Personen, die Mensch-Roboter-Interaktion daraufhin betrachten, ob diese die Eigenschaften einer sozialen Konstellation – mit der Prämisse von sozialer Akteursschaft – mit sich bringt. Demnach sollen soziale Konstellationen fernab von einer Zentrierung auf lebende Menschen begreifbar werden und deren Initiierung auf bestimmte Faktoren, wie etwa der Gegebenheit von sozialen Akteuren mit Interaktionsfertigkeit, zurückführbar sein. Unsere Studie behandelt eben jene Hinterfragung von sozialer Akteursschaft bezogen auf einen androiden Roboter in einer Interaktionskonstellation mit menschlichen Nutzern. Nun stellt sich jedoch die Frage mit welcher Perspektive wir auf den Begriff des sozialen Akteurs blicken und welche Vorannahmen wir an die Auswertung des Datenmaterials herantragen, um die Phänomene der Sozialität, von Akteuren und von Interaktion zu untersuchen. Was also sind unsere Vorannahmen, um das „Wesen des Sozialen“ (vgl. hierzu auch Lüdtke 2011: 11) aus den Gegebenheiten gemischter Akteurskonstellationen heraus zu betrachten? Welche Differenzierungen bestehen zwischen Objekten und sozialen Personen innerhalb alltäglicher Praxis und sozialwissenschaftlicher Diskussionen?
1 In
der vorliegenden Studie sollen die Begriffe Akteur, Person und Agent synonym genutzt werden und sich auf Entitäten mit Fähigkeiten zu sozialer Intervention mit weiteren Entitäten beziehen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_2
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
Für eine Sicht, welche ent-anthropozentrisch argumentieren möchte, wird die Frage relevant, wie sich die Konstellation von Mensch und Roboter nach soziologischen Maßstäben konzipieren lässt und welcher Akteursbegriff es erlaubt, Personalität nach anderen Kriterien zu bestimmen, als alleinig nach dem Kriterium der Spezieszugehörigkeit. Demnach bemühen wir eine Perspektive, die auch nicht-menschliche Objekte und Wesen in den Kreis potentieller Interaktionspartner inkludiert. In den folgenden Abschnitten wollen wir uns einen exemplarischen Überblick zu den sozialtheoretischen Betrachtungen von Akteursmerkmalen mittels zweier gängiger Theorien der Techniksoziologie bzw. der STS-Studien verschaffen: Einerseits bietet die Akteur-Netzwerk-Theorie nach Bruno Latour mit ihrer symmetrischen Bestimmung von Menschen und Artefakten einen flachen Akteursbegriff mit einem weiten Umriss potentieller Akteurskonstellationen, während der Rammert/Schulz-Schaeffer’sche Ansatz der „graduellen Handlungsträgerschaft“ (2002a), andererseits Akteure anhand gradueller Zuschreibungsmechanismen verortet. Anschließend erörtern wir in Kapitel 3 & 4 unsere Perspektive – im Sinne einer reflexiven Anthropologie – auf die Bedingungen von Personen, Sozialität sowie auf Interaktion. Mit jenem perspektivischen Filter betrachten wir sodann das Datenmaterial in Kapitel 7 & 8 auf Akteurskonstellationen als auch auf Hinweise zu sozialen Begegnungen und machen die Positionalitätstheorie nach Lindemann/Plessner zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung.
2.1
ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten
Bereits Anfang der 1980er Jahre lokalisierte Latour in seinen ethnographischen Studien zur wissenschaftlichen Wissenserzeugung bestimmte Denkmuster, die bei der Bestimmung von sozialen Ereignissen an der Unterteilung von Natur- und Geisteswissenschaften orientiert waren (Latour & Woolgar 1981). Latour suchte daraufhin nach einem Ansatz, der es ermöglicht, Soziologie so zu betreiben, dass Akteure gemäß der vorfindbaren sozialen Vernetzung von sowohl Welt- als auch Akteursstrukturen bestimmbar werden. Nach historisch-reflexiven Studien des Personenbegriffs ist – gemäß Lindemann – unser derzeitiges Gesellschaftsverständnis an einem „anthropologischen Quadrat“ ausgerichtet, welches es erlaubt, die „Grenzen des Sozialen“ anhand gesellschaftlich vorgeprägter „Grenzregime“ zu verhandeln (vgl. Lindemann 2009b, 2011). Latours Ansatz geht indes weiter und inkludiert neben gesellschaftlich anerkannten Personen sowohl niedrige Lebewesen
2.1 ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten
13
als auch Objekte zu Bestandteilen von sozialen Gefügen, die in einem „Netzwerk“ zueinander in Beziehung stehen.
2.1.1
Kurze Entstehungsgeschichte
Als Hauptvertreter und Begründer der Akteur-Netzwerk-Theorie (im Folgenden kurz als ANT benannt) gelten Bruno Latour, John Hall und Michael Callon, die zu Beginn der 1980er Jahre naturwissenschaftliche Laborwelten daraufhin untersuchten, wie sich Erkenntnisgewinn innerhalb der wissenschaftlichen Forschung vollzieht. Die wissenssoziologischen Forschungen waren dabei durch semiotische als auch durch ethnomethodologische Theorieansätze zur Beschreibung der Wege zur Wissensgenerierung angeleitet (vgl. Callon 1980: 210 f.). Obgleich die ANT ihren Ursprung in sozialkonstruktivistischen Denkrichtungen nahm, grenzten sich die Hauptvertreter im Laufe der ANT-Genese vom Sozialkonstruktivismus ab (vgl. Latour & Woolgar 1981) und verorteten ihre Forschung in den Bereich der konstruktivistischen Wissenschafts- und Technikforschung bzw. den später aus der ANT hervorgegangenen „Science and Technology Studies“ (STS).2 Den Kern des ANTschen Gedankenguts stellt die Position dar, dass sich der in der Moderne gängige Gesellschaftsbegriff nicht halten lasse und nicht alleinig mit dem „Idealtypus“ menschlich-sozialer Akteure beschrieben werden könne. Durch die vor der Untersuchung geltenden Aporien relevanter und gültiger Akteure wird die Analyse von Wissensproduktion z. B. in Laboren vielmehr ihrer „Natürlichkeit beraubt“ und die Wirkung von nicht-menschlichen Akteuren auf den Erkenntnisprozess der Wissensgenerierung ausgeblendet. Latour sieht eine im Vorfeld bestimmte menschliche Gesellschaft ohne den Einfluss und das Zusammenspiel mit nichtmenschlichen Akteuren als Fiktion an und zielt mit seinem Ansatz darauf ab, die Prävalenz von sinnhaften Strukturen (z. B. über Intentionen, Erwartungen, Kontingenzen) als Merkmal von sozialen Akteuren aufzuheben (vgl. Latour 1987). Im Sinne der ANT müsse die Erklärung von sozialen Beziehungen vielmehr als die Vernetzung heterogener Akteure als Basis und Grundlage von Gesellschaftsstrukturen begriffen werden. Die Trennung von Natur, Kultur, Technik und Gesellschaft müsse aufgehoben und der Einfluss sowohl materieller als auch nicht-sozialer Artefakte gleichermaßen für die Erzeugung von Wissen und Innovationen in den
2 Einen
umfassenden Überblick zu den Entwicklungen und den Stand der STS-Forschung bietet der Sammelband von Bauer et al. (2017).
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2
Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
Blick genommen werden.3 Um die Erzeugung von Wissen bzw. von neuen technischen Innovationen und das Wirken der Beteiligten adäquat beschreiben zu können, sehen es die Vertreter der ANT als notwendig an, die in der Wissenschaftsforschung als gängig betriebene Unterteilung von Natur und Gesellschaft durch ein gleichermaßen und gleichberechtigt wirkendes Kontinuum von sozialen, natürlichen als auch technischen Verbindungen abzulösen (Peuker 2010).4 Somit sei die Erklärung wissenschaftlicher und technischer Innovationen das Resultat heterogener Komponenten, die miteinander verbunden und verknüpft Knotenpunkte eines (Akteur-) Netzwerks darstellen. Technische Entwicklungen werden somit erst durch das Zusammentreffen von sozialen Akteuren, zusammen mit natürlichen sowie technischen Artefakten, möglich und sind nicht als Produkt eines einzelnen handelnden Akteurs begreifbar (vgl. auch Laux 2014a). Die von Bruno Latour und Michael Callon begründete Akteur-Netzwerk-Theorie verschiebt – als Gegenstück zu einer anthropozentrischen Sichtweise – das Primat menschlicher sozialer Akteure hin zu einer symmetrischen Bestimmung von Menschen mit nicht-menschlichen Entitäten, Objekten oder Artefakten als gleichgestellten sozialen Akteuren, bzw. als Aktanden. Damit eröffnet die ANT die Sichtweise auf eine soziologische Perspektive, die es erlaubt, nicht-menschliche Kandidaten auf gleicher Ebene mit menschlichen Akteuren als Protagonisten von sozialen Aktionen darzustellen („Symmetrie der Akteure“).5 Die Range der Akteursbezeichnung umfasst bei Latour sowohl Artefakte und Dinge oder Objekte, welche die klassische Rolle von menschlichen Akteuren im Sozialprozess innehaben können. Mit der Symmetrisierung von Objekten und Menschen als gleichgestellten Aktanden, entzieht sich die ANT mit ihrer posthumanistischen Konzeption von 3 Entsprechend
wird der Gesellschaftsbegriff durch den Netzwerkbegriff ersetzt und später durch den Kollektivbegriff mit einem „Parlament der Dinge“ als Vertretungsorgan aller existenten Akteure geprägt. Die Gesellschaftsstruktur wird bei der ANT durch die Netzwerkstruktur (Parlament der Dinge) ersetzt, in der Welt, Lebewesen sowie Objekte neben Menschen vereint und miteinander in Beziehung stehend Handlungsoptionen und Aktionen bereitstellen (vgl. Peuker 2010). 4 Der Beitrag der ANT zur Erforschung von Wissensproduktion in der Technikentwicklung gilt als grundlegend für die Science und Technology Studies. 5 Für die weiterführende Argumentation zu unserer Studie ist im Wesentlichen die ANTsche Konzeption von Akteuren als auch der sozialen Relationen von Akteuren zueinander von Bedeutung. Daher werden wir die Akteur-Netzwerk-Theorie im Folgenden nicht mit sämtlichen Theorieimplikationen en detail wiedergeben können, sondern unsere Darstellung – als exemplarisches Muster einer „flachen (Sozial-)Theorie“ (vgl. Lindemann 2009a: 117) – auf die wesentlichen Merkmale der ANT beschränken, welche die für uns relevanten Fragen zur Konstitution von Sozialbeziehungen behandeln. Zu einer Übersicht der Genealogie des Latourschen ANT-Ansatzes bis hin zur neueren AIMS-Konzeption siehe Laux (2014b).
2.1 ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten
15
Sozialität anthropozentrisch formulierten Sozialtheorien. Während posthumanistische Ansätze die Vorrangstellung des Menschen bezweifeln und durch die Prognose einer bevorstehenden Etablierung und Avancierung von vorwiegend technischen Akteuren, wie technischen Apparaturen, Robotern oder technischen Hybridwesen, zu entkräften wissen (Braidotti & Laugstien 2014)6 , egalisiert die ANT menschliche und nicht-menschliche Akteure über die Relationierung von Akteuren durch ein Akteure-generierendes- und In-Beziehung-Setzendes Netzwerk. Dabei motiviert die Bildung der Netzwerkstruktur gleichzeitig die Existenz von Akteuren, welche, ohne miteinander in Relation zu stehen und von der Netzwerkstruktur isoliert betrachtet, keinen Akteursstatus in Anspruch nähmen (vgl. Latour 1996: 372). Akteure entstehen und bestehen demnach in dem Moment der Begründung einer Netzwerkstruktur, müssen prozessierend aufrechterhalten werden und zerfallen bei der Auflösung des Akteursnetzwerks wieder. Die Akteursstruktur ist demnach temporär existent, solange das Akteur-Netzwerk aufrechterhalten wird und kann aufgrund der Egalisierung von potentiellen Akteuren als generalisierte Symmetrie bezeichnet werden. Dies bewirkt eine Emergenz der Akteure aus der Netzwerkbeziehung heraus und bedeutet, dass soziale Akteure nicht bereits im Vorfeld der Netzwerkrelation bestimmbar sind, sondern sich erst im Laufe der Herausbildung des Netzwerks als spezifische Akteure herauskristallisieren. Schulz-Schaeffer beschreibt die Herausbildung sozialer Akteure bei Latour als Resultat einer „Neubestimmung oder Modifikation“ aus dem Relationsgefüge des Netzwerks heraus: „Solche Prozesse des Netzwerkbildens beruhen stets auf einer doppelten Innovation: der Einrichtung oder Veränderung von Beziehungen zwischen den Komponenten des entstehenden Netzwerks und der Konstruktion oder Veränderung der Komponenten selbst. Im Prozess des Netzwerkbildens wird die Identität der Komponenten ebenso wie die Art und Weise ihrer wechselseitigen Verknüpfung zu einem möglichen Gegenstand der Neubestimmung oder Modifikation: Die Eigenschaften und Verhaltensweisen der beteiligten belebten oder unbelebten Natur, die der involvierten technischen Artefakte und die der betreffenden sozialen Akteure, Normen oder Institutionen – sie alle sind Gegenstand und Resultat der wechselseitigen Relationierungen im Netzwerk. Und zugleich werden sie allesamt als die (potentiellen) Handlungssubjekte solcher Prozesse betrachtet.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 187)
Als potentielle Akteure kommen bei der ANT also alle Dinge und Lebewesen in Frage, die in irgendeiner Form miteinander in Verbindung stehen können, eine Allianz begründen oder durch einen einzelnen Akteur eine übergeordnete Aktion veranlassen – sprich aufeinander einwirken und eine Netzwerkstruktur verursachen 6 Siehe hierzu auch das auf dem Posthumanismus aufbauende Konzept von Diego Campagnas
„postnuklearen Akteuren“ (2015).
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
könnten.7 Einzelne Akteure, die isoliert von bedingenden Faktoren Bestand haben sollen und mit selbstbezogenen Handlungen Akteursträgerschaft vollziehen, sind somit in der ANT nicht vorgesehen und gelten bei Latour als „eine phänomenologische Kurzschrift“ (Laux 2014: 14) von sich real vollziehenden, verknüpften Ereignissen. Ein Akteurs-Netzwerk – bestehend aus menschlichen als auch aus nicht-menschlichen Akteuren – tritt bei Latour in der Verflechtung von Aktionenermöglichenden- und -bewirkenden-Bedingungen in Erscheinung, wie es sich u. a. an dem Beispiel des Fliegens zeigt: „So ist es offenkundig eine Verkürzung, wenn behauptet wird, dass „der Mensch fliegt“, denn „Fliegen ist eine Eigenschaft der gesamten Assoziation“ und dazu gehören neben den Piloten, Passagieren und Stewardessen ebenso Kerosin, Startpisten, Maschinen, Flughäfen oder Ticketschalter (Latour 1999d:221)).“ (zitiert nach Laux 2014a: 14).8 Um also eine Aktion, wie das Fliegen, realisieren zu können, bedarf es mehr als lediglich eines (möglicherweise durch Intentionen motivierten) einzelnen handelnden Subjekts. Im Sinne der ANT zählt jede ermöglichende Komponente zu einem Netzwerk von Akteuren, welches eine Abfolge von aufeinander bezogenen Wirkungen begünstigt. Die Anwesenheit eines Piloten in einem Raum, setzt es noch nicht als Gegeben voraus, dass der Raum in Kürze in die Luft abheben wird. Hierzu ist ein Flugzeug mit all seinen technischen Raffinessen vonnöten, sind die Schalter und Warnlichter im Cockpit sowie ein Situationscheck durch den Tower beitragsleistend.9 Eine Netzwerkverbindung zwischen Akteuren (Flugzeug/Turbine/Pilot/Tower) lässt sich indes von anderen Ereignissen abgrenzen, indem eine „Übersetzung“ bzw. „Translation“ von einem Zustand zu einem Wirkungsgefüge und zu einer neuen Aktionsstruktur/Akteur-Netzwerk der Akteure neben-, mit-, durch- und füreinander ersichtlich wird.
2.1.2
Übersetzung und Translation
Akteure sind – im Sinne der ANT – charakterisierbar, wenn innerhalb des Netzwerks eine Verwobenheit, Wechselbeziehung und Identifikation zwischen den 7 Die
Bestimmung des Akteurbegriffs changiert bei Latour im Laufe seines Dekaden übergreifenden Theorieentwurfs. 8 Die ANT kann somit auch als Initiator des „distributed cognition“ Ansatzes benannt werden, bei dem die Wissensstrukturen auf das Relationsgefüge eines „menschlichen“ Akteurs mit ihm umgebenden Objekten als Hilfsmittel zur Erkenntnis und Problembewältigung bezogen werden (Plant & Stanton 2016). 9 Die einzelnen Merkmale eines Netzwerks sind dabei zumeist nicht in ihrer Wirkung eindeutig, sondern im Hintergrund als ‚black boxes‘ in die Vernetzung involviert.
2.1 ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten
17
betreffenden Komponenten gelingt. Die Beziehung, die durch die Konnexion der Agenten entsteht und eine Handlung als „Wirkung“ entfacht, wird im Rahmen der ANT als „Translation“ bzw. als „Übersetzung“ bezeichnet. Diese umfasst „alle (Um-)Definitionen der Identität, der Eigenschaften und der Verhaltensweisen irgendwelcher Entitäten, die darauf gerichtet sind, Verbindungen zwischen ihnen zu etablieren, also Netzwerke zu bilden (vgl. Callon 1986: 202, 1991: 143)“ (zitiert nach Schulz-Schaeffer 2000: 188). Translation bestimmt die Möglichkeit der Netzwerkkonfiguration (durch Inskription) mit und schließt die Komponenten der Natur, Kultur und Technik gleichermaßen in den Vernetzungsprozess mit ein (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 192). Hierunter fallen Netzwerke, welche beispielsweise durch eine Hybridkonstellation von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren eine aktive Anstrengung zur Veränderung der Lebensweise inkludieren aber auch Phänomene, die aus einer (hier zeigt sich beispielsweise die Irrelevanz des Intentionsbegriffs bei der ANT) von den Akteuren unmotivierten Wechselwirkung herrühren. Hierunter fallen Effekte zwischen manipulierten Naturereignissen wie etwa die Erderwärmung, das Gletscherschmelzen, das Ozonloch etc.10 Generell lässt sich die Bestimmung einer Übersetzung und daher Wirkung einer Akteurskonstellation anhand der Herausbildung neuer (Bezugs-)Qualitäten, die einen Unterschied zu dem Zustand vor der Wechselwirkung machen, erörtern. Ähnlich wie in dem Beispiel der Akteurskonstellation zwischen Pilot und Flugzeug, welche das Fliegen ermöglichen, führt Latour weitere Beispiele hybrider Akteur-Netzwerk-Konstellationen an, welche die Existenz und Übersetzung neuer Akteursidentitäten darlegen. Latour nennt hier – als eines seiner bekanntesten Beispiele – die Rekonfiguration von einem Akteur durch die Vernetzung von „Mensch“ und „Waffe“, hin zu der Translation in die Identität eines Mörders, welche ohne die hybride Akteursvernetzung von Mensch und Waffe nicht denkbar wäre (Latour 2006). Ohne die technische Erfindung der Waffe, ohne derer Handhabbarkeit durch einen Menschen gegenüber einem anderen Menschen oder Lebewesen, wäre die Identität und die Verbindung zwischen Mensch und Waffe nicht existent und somit die (Handlung bzw.) Wirkung als Mordakt nicht im Feld der sich ereignenden Möglichkeiten vollziehbar. Diese Verflechtung von Weltkomponenten zeigt sich nach Latour in täglichen Verrichtungen des modernen Lebens. So sind wir umgeben von Artefakten, die unseren Alltag mitgestalten und in ihrer Vernetzung neue Wirkmechanismen und Daseinsqualitäten
10 Jene durch den Eingriff des Menschen verursachten geochronologischen Veränderungen des Planeten Erde hin zu eine neuen Erdzeitalter werden in dem Ansatz des Anthropozäns diskutiert.
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
bzw. Übersetzungen mitliefern. Laux listet als weitere Beispiele Ausweise, Preisschilder oder Ampeln, die unser Leben mitstrukturieren, Verhaltensorientierungen auslösen und einen Platz in der menschlich-gesellschaftlichen Ordnung haben. Weiter führt er aus, dass die Netzwerkstruktur der ANT erlaubt zu beobachten, „(…) wie das bloße Gewicht eines gusseisernen Schlüsselanhängers das Verhalten von Hotelgästen verändert (Latour 1996a), das Sexualleben von Jakobsmuscheln die französische Ökonomie beeinflusst (Callon 2006), ein Sicherheitsgurt die Durchsetzung gesellschaftlicher Normen gewährleistet (Latour 1996c), eine defekte Drehtür eingeschliffene Handlungsroutinen unterbricht (Latour 1996d) oder wie der zwangslose Zwang einer steinernen Bodenschwelle den Straßenverkehr beeinflusst (Latour 1999d: 226–232).“ (zitiert nach Laux 2014a: 13). Obgleich Latour betont, dass „die Aufgabe, das Soziale zu definieren und zu ordnen, (…) den Akteuren selbst überlassen bleiben und nicht vom Analytiker übernommen werden“ sollte (Latour 2007: 45), ist die Bestimmung, was als Akteur-Netzwerk-Konstellation beschreibbar bzw. „übersetzbar“ wird, abhängig von einer entscheidungstragenden Instanz, die nicht zuletzt bei der wissenschaftlichen Arbeit durch den Forscher, der die Übersetzungsarbeit leistet, gestellt wird. Nach der Latourschen Konzeption ist für die soziologische Forschung eine Präfiguration/Festlegung, was als Akteur gilt und was nicht, ausgeschlossen und nicht im Voraus bestimmbar. Diese Aussage wird zu seinem Hauptkritikpunkt an der modernen soziologischen Forschung, welche sich durch die Eingrenzung und ‚Vorstigmatisierung‘ wie ein Akteur zu erscheinen hat, für die vernetzenden Prozesse, die in der Welt ablaufen, verschließt. Mit dem Hindernis, dass quasi von jedem Artefakt oder Gegenstand eine Wirkung ausgehen kann, dies aber nicht zwangsläufig als Akteur-Netzwerk bezeichnet wird, ist eine Beobachtung und Bestimmung dessen, was als soziale Relationen zu handhaben sei, über die performativen Praktiken der Akteure erfahrbar. Die Rekonstruktion der Anerkennungsprozesse wird dabei zur Aufgabe des Forschers. Dieser hat indes die Bestimmung des Akteur-Netzwerks auf zweifache Weise zu vollziehen und zu protokollieren: Einerseits über die Beobachtung der Praxis, in der Komponenten zu Netzwerken verknüpft werden und die Akteure dabei performativ evolvieren; andererseits über die Unterschiede, welche die Beteiligten in dem Vernetzungsprozess vollziehen, um Akteure performativ zu generieren (Laux 2014b).11 Für die ethnographische Beobachtung des Forschers von Akteur-Netzwerkkonfigurationen, liefert Latour eine Handlungsanweisung, die Schulz-Schaeffer wie folgt zusammenfasst: 11 Eine derartige Anweisung setzt voraus, dass ein Teil der hybriden Akteurskonstellation mindestens ein Mensch stellen sollte. Diese Prämisse ist allerdings hier nicht en detail verfolgt worden und muss zum Inhalt weiterer Arbeiten werden.
2.1 ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten
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„Die Kunst der empirischen Beobachtung von Akteur-Netzwerken besteht deshalb darin, beständig hin- und herzuwechseln zwischen der Beobachtung von Aktanten, die durch Übersetzungen Innovationen bewirken, und der Beobachtung von Übersetzungen, die Aktanten verändern oder stabilisieren. Sie besteht darin, „das Wesen von Innovationen mittels der Existenz der aufeinanderfolgend oder gleichzeitig an ihnen beteiligten Aktanten zu definieren und dann die Beobachtungsrichtung umzudrehen, um die Aktanten durch die aufeinanderfolgenden Innovationen zu definieren, in denen sie Auftauchen“ (Latour 1991: 122).“ (zitiert nach Schulz-Schaeffer 2000: 199)
So liegt es trotz allem am Beobachter die Bezüge der Akteur-Netzwerke aufzuspüren, deren wechselseitigen „Übersetzungen“ in neuen Netzwerkstrukturen zu entdecken und diese als Akteur-Netzwerk-Konstellation zu bestimmen. Im Sinne der ANT werden Relationen zwischen Akteuren wirksam, wenn diese die Eigenschaften von Materialität sowie über semiotische Zeichenhaftigkeit, die die Übersetzung gangbar macht, mitbringen. Somit ist das Konzept der ANT auf ein Zusammenführen von bedeutungstragenden Verbindungen aufgebaut,12 die vor einem Beobachter (bei Latour einem Forscher) als zusammengehörige Cluster des Netzwerks erscheinen bzw. sich von anderen – nicht zum Netzwerk gehörenden Elementen – unterscheiden. In neueren Arbeiten hat Latour diese Form der „semiotischen Übersetzung“ beobachteter Akteur-Netzwerke als Figurationen benannt (Latour 2007). Figurationen vollziehen sich sobald Akteure als wirksam und als miteinander in Beziehung stehend bestimmt werden. Latour verortet diese Bestimmung in Richtung gesellschaftlicher Anerkennung und bezieht sich dabei auf menschliche Gesellschaftsstrukturen, die als anerkannte soziologische Ordnungen und Beziehungen gelten. Somit basiert die Figuration auf einem Anerkennungsmechanismus, gegen den Latour sich ursprünglich in seiner ANT ausspricht. Figurationen stehen dabei in Opposition zu „Unbestimmtheitsfiguren“, die Latour in seinem späteren Werk als Opposition zwischen Akteur und Aktanten bezeichnet. Aktanten sind die Vorstufe der Akteure, die quasi als kontingente Akteure unentdeckt und in „Wartestellung“ (Laux 2011: 294 f.) zwar bereits ein Netzwerk etablieren können, allerdings noch nicht durch gesellschaftliche Entdeckung bzw. Anerkennungsprozesse als Akteure
12 Da Latour et al. davon ausgehen, dass Bedeutungen von Seiten des Forschenden zuerkannt werden, befindet sich Latour allerdings in einer Schleife, da der Forschende ebenfalls Teil einer menschlichen Gesellschaftsstruktur ist und aus seiner Sicht anthropomorphisierende Zuerkennungen und Bedeutungsinhalte in die von ihm zuerkannten Netzwerkstrukturen mittransportieren kann. Daher ist die Frage zur Analyse der ANT relevant, wer als Beobachter fungiert und was die Grundvoraussetzungen für eine semiotische Eigenschaft von materiellen Trägern charakterisiert.
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
entlarvt wurden. Aktanten bewegen sich auf der Ebene von „vor-sozialen Entitäten“ und wandeln sich – qua Bedeutungszuschreibungen – während ihrer entdeckten Performanz zu Akteuren eines Netzwerks (ebd.). Um jedoch nicht-menschliche und menschliche Akteure gemäß ihrer symmetrischen Anordnung in der ANT beschreiben zu können, wird zusätzlich eine Symmetrisierung der Theoriesprache und derer Begriffe notwendig und die Aufhebung von anthropologisch konnotierten Termini zur Aufgabe der ANT. Die ANT bedient sich dabei semiotischer Begriffe, welche „(…) unterschiedslos zur Beschreibung sozialer, technischer oder natürlicher Ereignisse verwendet werden“ (Schulz-Schaeffer 2000: 194) und gleichweg neutral auf hybride Akteurskonstellationen anwendbar sein sollen, sowie die „(…) die Etablierung eines symmetrischen Vokabulars aus ‘hybriden Begriffen, die die Unterscheidungen zwischen den wahrhaftig sozialen und menschenzentrierten Begriffen und den wahrhaftig natürlichen und objektzentrierten Repertorien‘ (sic) (Callon & Latour 1992: 347) verwischen‚“ (zitiert nach Schulz-Schaeffer 2000: 194). In der ANT ist also jede Komponente, die auf eine andere in der materiell-semantisch gegebenen Welt einwirkt und als solche eine Bedeutung erlangt, eine Form des Akteur-Netzwerks (bzw. noch in der Position eines quasi-Akteurs bzw. Aktanden).
2.1.3
Handlung
Neben der Vernetzung – und somit der Hybridisierung – von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren zu einer universellen Struktur von materiellsemantischen Weltbezügen, zählt nach Latour die Handlung von Akteuren zu den Hauptkomponenten und Entstehungsbedingungen der Akteursrelationen bei der ANT. Inspiriert von seinen techniksoziologischen Studien generiert Latour einen Handlungsbegriff, der von klassischen handlungstheoretischen Handhabungen in den Sozialwissenschaften abweicht. Der Handlungsbegriff – und somit die konstituierende Bedingung zur Erzeugung eines Netzwerks – wird in der ANT, anders als in klassischen Handlungstheorien, welche einen Akteur mit intrinsischen Motiven, Zwecken und Zielen versehen und mitunter als individuell bzw. intersubjektiv agierend darstellen – verortet, indem „jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht, ein(en) Akteur“ (Latour 2007: 123) in sich birgt. Handeln wird hier zu „verteiltem Handeln“ der verteilten divergierenden Akteure, die – fernab von individuellen Ereignissen, festgelegten Orten oder Zeitschemata – durch einen Kräfteaustausch realisiert werden. Laux erörtert in seiner Rezension der Latourschen Arbeiten den Handlungsansatz der ANT wie folgt:
2.1 ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten
21
„Sobald die Dinge offiziell als Akteure anerkannt sind, ist kaum noch eine Aktivität denkbar, in die nur ein oder zwei Akteure verstrickt sind. Latours operatives Modell verweist darauf, dass die Aktionen von Menschen und Nicht-Menschen stets in „dieselben Geschichten verwoben“ (ebd.: 131) sind. Diese Ausgangsüberlegung befördert ein Handlungskonzept, das über wissenschaftliche und lebensweltliche Gewissheiten hinausweist, in dem es aufhört, Handlungen auf solitäre Adressen zurückzuverfolgen. In Latours Prozesssoziologie verwandeln sich Akteure in Akteur-Netzwerke und Handlungsakte verschwinden zugunsten von Handlungsketten. Eine Handlung ist dislokal und verschoben, sie verteilt sich auf verschiedene Akteure, Zeiten und Orte (Latour 1999d: 344–348; 2007a: 76–108).“ (zitiert nach Laux 2014a: 14)
Im Rahmen der ANT wird der Begriff der Handlung bereits auf die Übersetzung bzw. die Wirkung einer Zustandsänderung – wie etwa einem Unterschied zu einem vorherigen Zustand – bezogen (vgl. Latour 1996: 372). So ist die Reaktion einer Magnesiumtablette, die von einem menschlichen Akteur in ein Glas geworfen wird, mit Wasser in Berührung kommt und beginnt sich – je nach der Menge des Wassers mehr oder weniger – sprudelnd aufzulösen, im Sinne der ANT als eine Handlung zu verstehen und die Reaktion der „Akteure“ Wasser und Magnesiumtablette zur Umwandlung in eine Limonade, als eine Wirkung auslösende und damit als eine Verbindung herstellende, eine Zustandsänderung bewirkende, sprich als eine Übersetzung zwischen den Akteuren, zu betrachten. Der soziale Moment begründet sich dabei im Moment des Auslösens einer Wechselwirkung (durch den vom Menschen induzierten Einwurf) von Magnesiumbrause ins Wasser, gleich ob die „Akteure“ bei der Relation eine intrinsische Motivation zu einer Verbindung von Wasser und Brause gehabt haben. Die Zustandsänderung der „Akteure“ ist hier also nicht in Intentionen oder Aktionsmotivationen begründet, sondern vielmehr ist die beobachtbare Wirkung und das Zusammenspiel und die Vernetzung der „Akteure“ ein Hinweis auf eine Wechselwirkung dieser, was im Sinne der ANT für die Bestimmung einer sozialen Relation als hinreichend erscheint.13 Mit der „Übersetzung“ von Akteur-Netzwerk-Konstellationen, der Abwendung von intentional und individuell vollzogenen Handlungen sowie der Symmetrisierung von Begriffen und Akteuren, hebt Latour die Subjekt-Objekt-Dichotomie klassisch-phänomenologisch gedachter Handlungstheorien auf und verschiebt die 13 Latour begründet nicht die Eigenschaften, die dafür notwendig sind einen sozialen Prozess zu initiieren oder zu begründen. Ähnlich zu Luhmann ist also alleinig das Prozessieren des Netzwerks ausschlaggebend dafür, dass eine Relation besteht; allerdings würde Luhmann in seiner Theorie der sozialen Systeme nicht so weit gehen, gänzlich phänomenale Grundbedingungen aus dem Generierungsprozess von Kommunikation auszuschließen, anders ließe sich die Emergenz sozialer Systeme, die auf der ‚doppelten Kontingenz‘ der Systeme basiert – nicht erörtern (vgl. Luhmann 1987).
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
Handlungsoptionen auf die erwirkten Eigenschaften, die sich durch die Verflechtung der Akteure jeweils erst ergeben und welche Innovationen (auch im technischen Sinne) durch Übersetzungen ermöglichen.
2.1.4
Kritik nach Lindemann
Wie Lindemann in ihrer Kritik zum ANT-Ansatz ausführt, konzeptualisiert diese den Handlungsbegriff aufbauend auf einem reinen Wirkungsmechanismus von unterschiedlichen Komponenten miteinander. Dabei betrachtet die ANT „Soziales“ aus der Perspektive einer „konsequentionalistischen Handlungstheorie“, welche „Soziales“ als Resultat der sich bereits ereigneten Vernetzungen betrachtet, statt Sozialität bereits im prozesshaften Geschehen benennen zu können. Demgemäß werden die Akteure von Intentionalität, Sinnhaftigkeit, intelligentem Handeln und kognitiven Aktivitäten etc. enthoben und der Begriff der Handlung wird dabei nach einer „flachen“ Konzeption bestimmt (Lindemann 2009a: 117). Betrachtet man die Ausführungen der ANT näher, so zeigt sich, dass nicht nur der Handlungsbegriff als ein flacher Begriff gehandhabt wird, sondern, dass ebenfalls die Konzepte von Personen/Akteuren und ebenso der Begriff der Sozialität auf jener flachen Ebene genutzt werden. Reine Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Komponenten werden im Sinne des „Netzwerks“ als „Akteur“ oder als „soziales Geschehen“ bewertbar, was einen mechanistischen Denkansatz birgt. Der ANT-Ansatz exkludiert kognitive oder intellektuelle Aktivitäten, die beispielsweise zur Herbeiführung der ANT beigetragen haben, sowie etwa solche, welche die Reflexionsfertigkeit auf soziale Beziehungen selbst umfassen. Die ANT unterschätzt mit ihren dispersen Akteurskonstellationen entsprechend die Wirkung von Differenzen in der sinnhaft erlebbaren kognitiven Sphäre, welche den Komplexitätsgrad von Begegnungen mit einer Steigerung von Intensität, Wirkungsgraden bis hin zu einer „doppelten Kontingenz“ von Begegnungsverläufen ausstattet sowie von Unterschieden im Bereich der sozialen Erlebnissphäre, als emergente, erfahrbare Begegnungsebene zwischen sozial-kognitiv agierenden „Akteuren“ im „Netzwerk“. Die Fertigkeit zu Sinnzuschreibung bzw. Intentionalität einiger Akteure (Menschen) im Gegensatz zu anderen (Stein/Schiebetür) wird bei Latour ausgeklammert und keine Rücksicht genommen auf Differenzen zwischen Akteuren, die soziokognitive Fertigkeiten besitzen, welche zur Sozialitätskonfiguration beitragen, sowie zwischen solchen Akteuren, die diese nicht besitzen. Kommunikation, im Sinne der ANT, wäre bereits das aufeinander Wirken von mechanisch wirksamen Ereignissen (Tür öffnen/schließen) im Gegensatz zu den sozialwissenschaftlich geprägten Begriffen der Interaktion sowie der Kommunikation, die mitunter auf
2.1 ANT– Zur Akteurssymmetrie von Menschen und Artefakten
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Sinnhaftigkeit und Anschlussoperationen basieren (vgl. Abschnitt 4.6 ff.). Die ANT belegt objektbezogene Mechanismen mit gesellschaftlichen Begriffen und anthropomorphisiert reine Wirkbeziehungen. Bezogen auf die Mensch-RoboterInteraktion würde die ANT deuten, dass Mensch und Roboter beim Zusammentreffen und Generieren einer Wirkungsbeziehung, gleich wie, eine AkteurNetzwerk-Konstellation bilden. Beispielsweise bei der Betätigung eines Sensors beim Herannahen eines Menschen, welches eine Zuwendung durch den Roboter bewirkt bzw. durch ein Facetrackingsystem, welches den so programmierten Roboter dazu bringt, den Kopf in Richtung der Person zu wenden. Unklar bleibt jedoch dabei, wie der Prozess des Sozialen von Latour bereits in solchen Fällen begründet und legitimiert wird, wenn der menschliche Akteur den Roboter bei lediglich solchen Reiz-Reaktions-Mechanismen nicht als Sozialpartner anerkennt bzw. keine Figuration geboten wird bzw. sich mögliche Figurationen momenthaft auflösen. In gesellschaftlichen Prozessen der Legitimation von Akteuren ereignen sich parallel objektivierbar-gültige Verhaltensweisen, die einem Akteur besondere Rechte zuweisen, welche nicht notwendigerweise, auch nicht innerhalb eines „Parlaments der Dinge“, auf gleiche Weise auf Werkzeuge bezogen werden würden. Zudem wird aus der Notwendigkeit eines Figurationen vornehmenden Akteurs ersichtlich, dass Akteure über die Fertigkeit des Erkennens und Zuweisen von Netzwerkkonstellationen durch Translationen verfügen müssen. Ob dies durch und gegenüber mechanistisch auf dem Wirkungsprinzip beruhende, objekthafte Akteure geleistet werden kann, bleibt fraglich. Mit der bisweiligen Zuweisung einer Akteur-Netzwerkkonstellation bei sensorisch induzierten Roboterbewegungen gegenüber einem Menschen, stellte sich die Frage nach dem Gelingen von Mensch-Roboter-Interaktion sowie nach dem Status des Roboters als Sozialpartner als Forschungsfrage schon gar nicht mehr. Die Wirkmächtigkeit von technischen Artefakten mit der Frage nach deren Sozialstatus verlöre demnach ihre Legitimation und hätte kein Mehrwert für eine Diskussion von Robotern als potentiellen Sozialpartnern. Vielmehr wäre die AkteurNetzwerkkonstellation allein schon durch das sensorische Reagieren des Roboters auf die Bewegung des Menschen, zusammen mit einer externen Bestimmung dieser, als Figuration gegeben.
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2.2
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
„Graduelle Handlungsträgerschaft“ nach Rammert und Schulz-Schaeffer
Eine gegenüber dem ANT-Ansatz weniger radikale und verallgemeinernde Betrachtung von Dingen bzw. von Technik und deren Beteiligung an sozialen Konstellationen sowie deren Grad an Akteursfähigkeit, bietet das Konzept der „graduellen Handlungsträgerschaft“ nach Rammert und Schulz-Schaeffer (2002a/2002b).14 Mit der Einbindung von „sozio-technischen Konstellationen“ in soziologische Fragestellungen wird auch innerhalb der Soziologie die Wirksamkeit von Umwelt, Technik oder von Dingen generell auf soziale Zusammenhänge hin betont und untersucht. Rammert und Schulz-Schaeffer betrachten dabei, ob man der Technologie „(…) mit Konzepten passiver Objekte und neutraler Instrumente begrifflich beikommen kann oder nicht doch neuere Konzepte des Handelns braucht, die auf der Ebene des aktiven Bewirkens menschliches und nicht-menschliches Agieren einschließen“ (Rammert und Schulz-Schaeffer 2002b: 17). Damit werden Sinnhaftigkeit und Erwartungshaltungen als primäre Bedingungen für soziale Bindungen enthoben und das „verteilte Handeln in sozio-technischen Konstellationen“ (ebd. 2002b: 39) zwischen technischen Artefakten und Lebewesen auf Prozesse aktiver Beteiligung an Handlungszusammenhängen, und somit auf „Handlungsträgerschaft“, hin analysiert. Rammert und Schulz-Schaeffer zeigen auf, dass weder menschliche Akteure frei von repetitiven Handlungsabläufen (und somit nicht vollzeitig autonom) sind noch technisch fortgeschrittene Apparaturen mit höheren Freiheitsgraden rein maschinell und mechanistisch funktionieren und der Begriff der Handlungsfähigkeit entsprechend nivelliert werden müsse (ebd. 2002b: 12). Somit verliert innerhalb der soziologischen Diskussion die Unterscheidung zwischen Mensch-Maschine und die Fertigkeit zur Handlungsfähigkeit ihren rein anthropozentrischen Schlag und Technik ebenso ihren rein auf deterministischer Funktionsweise beruhenden Charakterzug. Besonders dringlich wird die Ausweitung der Frage nach einer Akteurs- und Handlungsträgerschaft mit dem Fortschreiten von technischen Entwicklungen, die spezifisch auf die Simulation von sozialen Akteuren ausgerichtet sind. Hierzu zählen neben sozialen Robotern mitunter virtuell verkörperte Konversationsagenten (Cassell 2000) oder avatarische Spielepartner, die nach dem Vorbild gängiger, etablierter Kommunikationssymbole oder -gesten mit etabliert anthropomorphen Akteuren (wie etwa Menschen) interagieren. Dabei wird die Frage prävalent, ob es 14 Dieses wollen wir an dieser Stelle jedoch nur kurz einleiten, da in Abschnitt 7.2.6 – erweitert mit dem Begriff der „temporären Personalitätszuschreibung“ nach Harth (2014) – eine nähere und beispielhafte Auseinandersetzung mit dem Konzept erfolgt.
2.2 „Graduelle Handlungsträgerschaft“ nach Rammert und Schulz-Schaeffer
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sich bei jenen Simulationen um eigenständige und gleichberechtigte Akteure handelt, bzw. ob diese – sowohl in der fachlich-theoretischen Diskussion als auch in alltäglichen Zusammenhängen – weiterhin als „Werkzeuge“ oder Dinge betrachtet werden können. Zur Beantwortung der Frage beziehen sich Rammert und Schulz-Schaeffer auf fallbezogene graduelle Zuschreibungspraktiken von Handlungsträgerschaft durch Mit-Dingen-(inter-)agierende-Akteure als Marker für Akteure. Der Status der Handlungsträgerschaft könne laut Rammert und Schulz-Schaeffer dabei nur empirisch und fallbezogen durch jeweilige Zuschreibungsprozesse geltend gemacht werden. Weiter zeichnet sich das Konzept durch die graduelle Zuordnung der Reichweite von Aktivitäten auf die entsprechende Handlungsträgerschaft aus. Der Grad der realisierbaren, aktiven Beteiligung von Technik, oder von unbestimmten Akteuren, wird beim gradualisierten Handlungsbegriff entsprechend durch die Zielgerichtetheit bzw. Intentionalität (die allerdings auf Semantik statt auf bewusstseinsinternen Operationen beruht (Rammert und Schulz-Schaeffer 2002b: 37)), die autonome Auswahl von Handlungsalternativen, sprich Kontingenz sowie durch die situativ veränderliche, flexible Wirksamkeit, resp. Kausalität von beteiligter Technik erkennund zuschreibbar (ebd.).15 Dabei wird der Handlungsbegriff allerdings, ähnlich dem ANTschen, als flacher Begriff gehandhabt, bei dem selbst kausal-reaktive Aktionen als Handlungen erfasst werden. So sind aus der Perspektive der Techniksoziologie auch technische Apparaturen als Akteure zu betrachten, wenn sie in bestimmten Handlungszusammenhängen und unter bestimmten gesellschaftlichen Aspekten von legitimierten Handelnden als „(Mit-)Handelnde“ benannt werden und sich diese Benennung in weiteren Begegnungen durchsetzt (vgl. ebd. 2002b: 56). Entsprechend ergibt sich der Grad der Handlungsträgerschaft in jenem Ansatz durch die Beobachtung der praktischen Zuschreibungspraktiken der mit der Technik (inter-)agierenden Nutzer. Allerdings ist bei diesem Ansatz kritisch zu betrachten, dass die Benennung von Handlungsträgerschaft, gegenüber technischen Apparaturen oder Simulationen von sozialen Akteuren, durch Zuschreibungen auch lediglich temporärer Natur sein können und bereits im Zuge einer anhaltenden Interaktion revidierbar sind. So kann es geschehen, dass gegenüber einem virtuellen Avatar, Konversationsagenten oder einem sozialen Roboter in einem situationsspezifischen Moment eine aktive Handlungsbeteiligung, mit Suggestionen von Intentionalität, kontingentem Verhalten und Passungen an Änderungen im Interaktionsverlauf, zugestanden wird, während sich diese Qualitäten in einem darauffolgenden Szenario nicht aufrechterhalten lassen 15 Zu weiterführenden techniksoziologischen Ansätzen in Anlehnung an das verteilte Handeln und gradueller Handlungsträgerschaft siehe Rammert (1998, 2003, 2007).
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
(vgl. Abschnitt 7.2.6). Diese Form von Akteurszuschreibung benennt Harth (2014) als „temporäre Personalitätszuschreibungen“ und führt weiter zu der Frage, ob eben jene temporär sozialen Akteure im selben Maße gesellschaftlich legitimiert, gleichberechtigt oder mit Persönlichkeitsrechten oder personalen Charakteristika versehen werden können. Der Rammert/Schulz-Schaeffer’sche Fokus auf Zuschreibungspraktiken und deren Einfluss auf einen kollektiv-gesellschaftlichen Zuspruch von Akteursschaft gegenüber beispielsweise technisch induzierten Akteurssimulationen, bezieht sich in seiner Argumentationsstruktur nunmehr auf situativ wirksame, subjektive Eindrücke bzw. einer an der sozio-technischen Konstellation teilnehmenden Perspektive. Die Erfassung von graduellen Akteurseigenschaften ist hier demnach subjektiv-konstruktivistischer Natur und belässt historisch etablierte kollektive Praktiken der Zuerkennung von Akteursstatus als undifferenziert wirksam. Somit werden die Natur von sozialen Wesen zusammen mit den gesellschaftlichen Zuschreibungspraktiken, die zu einer fortwährend überdauernden Anerkennung von technischen Akteurssimulationen, von kontingenten unbestimmten Entitäten bis hin zu sozialen Akteuren hinführen, ausgeklammert. Die Sichtweise auf die Klassifikation soll in der vorliegenden Arbeit jedoch über die Gleichstellung von Objekten und Subjekten im Sinne der Akteur-Netzwerk-Theorie sowie über lediglich subjektiv-momenthafte Zuschreibungsmechanismen der Personen hinausgehen und einen Blick auf die objektiv-gültigen bzw. „drittengeleiteten“ Mechanismen zur Zusprache sozialer Wesenhaftigkeit gegenüber ungewissen Akteuren werfen. Wie dies vor dem Hintergrund einer kritisch-reflexiven Anthropologie gehandhabt werden kann, sehen wir beim Ansatz von Lindemann, welcher die Aufhebung des Dilemmas einer subjektivistisch gearteten Zuschreibung von sozialer Akteursschaft theorieintern durch den reflexiven Einbezug einer Beobachter- und somit einer Drittenperspektive bei der Bestimmung von sozialen Akteuren mitdiskutiert. Diesen Ansatz Lindemanns wollen wir als Grundlage für unsere Studie nutzen und werden dessen Bedingungen in den Folgekapiteln ausführlich behandeln. Als Gegenvorschlag wollen wir die Begriffe des Akteurs/der Person, von Sozialität sowie von Kommunikation operationalisieren und damit bestimmte Bedingungen festlegen, welche die Bezugnahme und Handhabung der Begriffe als valide gestalten. Mit der Operationalisierung der oben genannten Begriffe, selektieren wir die für uns als für soziale Ereignisse grundlegend geltenden Bedingungen und legen die Leitlinien für unsere Untersuchung der Realisation von sozialen Ereignissen sowie derer Wirkungsbereiche fest. Die Operationalisierung der Begriffe, die aus unserer Sicht für die Konstituierung von sozialen Einheiten vonnöten ist, soll dazu beitragen, mit den Begriffsfeldern der sozialen Akteure, Sozialität und Kommunikation reflexiv umzugehen. Die hypothetisch festgelegten Eigenschaften, zusammen mit den
2.3 Problemstellung: anthropozentrische Sozialtheorie
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operationalisierten Begriffskonstrukten, sollen einer Generierung als auch der Überprüfung von Hypothesen für unsere anstehende Untersuchung der Mensch-Roboter Konstellation entgegenkommen. Daher wollen wir in dem folgenden Abschnitt diejenigen Indikatoren darlegen, die in unserer Untersuchung für die Begriffe der Sozialität, des Akteurs und für Kommunikation stehen.
2.3
Problemstellung: anthropozentrische Sozialtheorie
Wendet man sich wissenschaftlichen Untersuchungen zu den grundlegenden Eigenschaften, Formen und Funktionen von Sozialität zu, so gelten kommunikative Begegnungen zwischen Menschen als konstituierende Bedingung von Sozialität.16 Die Untersuchung von Interaktion und sozialen Handlungen zwischen sozialen Akteuren mit ihren Voraussetzungen, Eigenschaften und Abläufen bilden dabei den Kern mikrosoziologischer Analysen. Neben thematisch vielfältigen empirischen Untersuchungen zu verbalen und nonverbalen Besonderheiten in Face-to-face Situationen, Gruppenkommunikation, interkulturellem Austausch oder medial vermittelter Interaktion, behandeln diverse theoretische Strömungen Kommunikation als Kernpunkt zur Manifestation von Sozialität. Ausgegangen wird dort – wie beispielsweise im symbolischen Interaktionismus – vom Menschen als genuin sozial veranlagtem Wesen, welches symbolvermittelt Informationen an Alter Ego mitteilt, den eigenen Gemütszustand postuliert, Gesellschaft pflegt oder Alter Ego zu etwas bewegen möchte.17 Kommunikation verläuft zwischen den Interaktanden demnach wechselseitig (Simmel 1992), intersubjektiv (Schütz 1993) und wird in seiner Struktur als emergent (Bateson 2006) sowie als (doppelt-)kontingent (Luhmann 1987) gehandelt. Die sozialwissenschaftlich begründete Analyse von Prozessen der Sozialität betrachtet dabei – vornehmlich menschliche – Personen als Subjekte, die mitund zueinander in einem gegenseitigen Ausdrucks- und Lebenszusammenhang stehen, wobei die sinnhaften Bezugnahmen der Akteure zueinander das Forschungsfeld der verstehenden Geisteswissenschaften stellten (Dilthey 1981). Den Erläuterungen von Sozialität bzw. von sozialen Relationen in der klassischen Sozialforschung sind Betrachtungen ausschließlich zwischenmenschlicher Beziehungen innewohnend. Phänomene, die analog zu menschlicher Interaktion sowohl verbale als auch nonverbale symbolvermittelte soziale Komponenten aufweisen, 16 Hier ist die Verwirklichung beobachtbarer Sozialität gemeint, Kieserling (1999) legt die Minimalbedingung für Sozialität bereits bei der reziproken Wahrnehmung an (siehe auch Kapitel 5). 17 Zu Implikaturen und Gesprächsmaximen siehe die Griceschen Konversationsmaximen (Grice 1975).
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
jedoch an nichtmenschliche Lebewesen, imaginierte Interaktanden (wie Götter ober Verstorbene) oder Objekte gerichtet sind, werden gemeinhin bei der Theoriebildung von Sozialität exkludiert oder als Devianzphänomene gehandhabt (vgl. Luckmann 2007). Menschlich-soziale Aktionen gegenüber nichtmenschlichen Lebewesen – wie sprachliche Adressierungen an Pflanzen oder Tiere – oder gegenüber nicht-belebten Objekten – wie beim kindlichen Umgang mit Puppen, das Schimpfen auf die Fehlfunktion des Computers oder das ritualisierte Gebet (an nicht-verkörperte Entitäten) – gelten dabei sowohl in wissenschaftlichen als auch in Alltagstheorien gemeinhin als „nicht-soziales Verhalten“, als Personifikationen bzw. als animistische Tendenzen der Weltauffassung. Dass jener Umgang mit nicht-menschlichen Lebewesen oder nicht-belebten Objekten und somit die Unterscheidung zwischen sozial und nicht-sozial jedoch nicht universalgültig auslegbar, sondern unter anderem kulturabhängig ist, führt Luckmann mit ethnographischen Belegen in seinem Aufsatz „Über die Grenzen der Sozialwelt“ aus (ebd.).18 Jene Exklusion kulturell ambivalenter Auffassungen darüber wer oder was als zulässiger Sozialpartner in Frage kommt, kennzeichnet klassische Sozialtheorien aus wissenschaftstheoretischer Perspektive sowohl als ethnozentrisch als auch als anthropozentrisch (vgl. Lüdtke 2010; Lindemann 2009a). Dabei basieren die anthropozentrischen Erörterungen von legitimen Sozialpartnern auf dem Primat der Natur-Kultur-Unterscheidung, welche den Menschen als Promätheus (vgl. Gehlen 2004) bzw. als Spitze der Evolution unter den Lebewesen begreift und strikte Dichotomien zwischen Objekt und Subjekt sowie zwischen Natur und Kultur vornimmt.19 Einen kritisch-sozialtheoretischen Blick auf anthropozentrische Limitationen des Begriffs der sozialen Person liefert Lindemann mit ihrer Arbeit „Das Soziale
18 Neben Luckmann finden sich weitere ethnographische Analysen zu kulturrelativen Auffassungen von nicht-menschlichen, jedoch akzeptierten Sozialpartnern. Die Akzeptanz nicht-menschlicher Sozialpartner wird zumeist unter dem Stichwort Anthropomorphismus, Personifikation bzw. Animismus gehandelt und spiegelt sich neben Verhaltenspraktiken vorwiegend im Sprachgebrauch der jeweiligen Kulturgemeinschaften wider. Für weitere ethnographische Beispiele zum „animistischen“ Sprachgebrauch siehe Duelke (2008), Everett & Kern (1997) oder Linn (1997). 19 Auswege aus jener engen Fassung von Sozialwesen liefern Science and Technology Studien bzw. neuere Ansätze des Posthumanismus. Während die Latoursche Akteur-Netzwerk Ansatz (ANT) die Trennung von Natur und Kultur aufzuheben sucht und die Legitimation von Akteuren anhand von Netzwerkbeziehungen (auch bezogen auf Objekte) bestimmt (vgl. Abschnitt 2.1), bringen Ansätze des Posthumanismus generell Lebewesen sowie technisch evolutionäre Entwicklungen in den Blick.
2.3 Problemstellung: anthropozentrische Sozialtheorie
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von seinen Grenzen her Denken“ (Lindemann 2009a) und führt dabei aus, inwieweit in der Sozialtheorie die Bestimmung legitimer Sozialakteure auf menschliche Akteure begrenzt ist. In der modernen, auf der naturalistisch konzipierten Trennung von Natur und Kultur basierenden Gesellschaft, gelten, in Folge historischer Abgrenzungsprozesse, menschliche Akteure als alleinig legitimierte soziale Personen. Jene Privilegiertheit des Menschen gegenüber vermeintlichen Akteuren wie Tieren, Geistern, Göttern oder objekthaften Dingen, zeigt sich anhand einer positiven Anthropologie, die eine Passung des Menschen im Rahmen der Legitimierungsbereiche einer funktional differenzierten Gesellschaft vornimmt. Dabei werden Menschen mit besonderen Rechten (wie z. B. Menschenrechte oder Grundrechte) ausgestattet und somit „verbindliche Grenzen des Sozialen gebildet“ (Lindemann 2009a: 84). Mit der Etablierung eines „modernen Grenzregimes“ erhält der Mensch auf institutioneller Ebene eine Sonderstellung gegenüber anderen biologischen Wesen oder potentiell-wirksamer Entitäten. Jenes Grenzregime lässt sich anhand des von Lindemann konzipierten Entwurfs des „anthropologischen Quadrats“ an vier Differenzierungsbereichen festmachen: 1) Lebensbeginn, 2) Lebensende, 3) Mensch-Maschine-Differenz und 4) Mensch-Tier-Differenz (vgl. Lindemann 2009b & 2011).20 Im Weiteren argumentiert Lindemann für eine Entanthropologisierung der Soziologie (Lindemann 2009a: 13).21 Entsprechend sollen anhand eines Paradigmenwechsels von einer positiven Anthropologie zu einer reflexiven Anthropologie eine allgemeingültige Charakteristik von sozialen Personen skizziert und zusätzliche Kriterien zu einem anerkannten Sozialstatus von nicht-menschlichen Entitäten erschlossen werden. Die Sozialtheorie hätte dann nicht lediglich Menschen und ihre Beziehungen zueinander zum Untersuchungsgegenstand, sondern würde Sozialverhalten auf der Ebene von sozialen Personen bzw. sozialen Akteuren (ebd.) beschreiben, die unterschiedlich (bzw. heterospezifisch/interspezifisch) geartet sein könnten, dabei jedoch über partikuläre Eigenschaften von Sozialwesen verfügten.22 20 Historisch gesehen wurden Tiere ebenfalls als Personen betrachtet und ihre Aktionen nach Gesetzen bemessen (siehe Hüppauf 2018). Zu neueren Debatten über Tierrechte siehe Sunstein & Nussbaum (2006) bzw. zu Diskussionen über einen potentiellen Personenstatus von Tieren siehe Bekoff & Jamieson (1996), Bird-David (1991) und Snowdon (2001). 21 Lindemann markiert jene Bestimmung als gesellschaftlich gesetztes „Grenzregime“ und modelliert die Grenzziehungen im Sinne eines „anthropologischen Quadrats“ (Lindemann. 2009a, 2009b, 2011). 22 Auch wenn die anthropozentrische Sichtweise somit aufgehoben werden soll, wird es dennoch notwendig sein Merkmale von Sozialwesen zu formulieren, um die subjektive Beliebigkeit derer Legitimation einzudämmen. In den weiteren Abschnitten werden wir uns dementsprechend zur Formulierung der Merkmale von Sozialwesen dem Positionalitätskonzept Plessners (1975) zuwenden und uns bei deren Weiterführung Lindemann (2009a/2014) anschließen.
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
Als ein Weg der differenzierten Betrachtung von Weltkonzepten bzw. von „Kosmologien“, die über das „anthropologische Quadrat“ hinausgehen und deren Beschreibung somit eine Form der „reflexiven Anthropologie“ darstellt, kann Descolas Werk „Jenseits von Natur und Kultur“ (Descola 2013) genannt werden. Als direkte ethnologisch-anthropologisch sowie philosophisch inspirierte Andockstelle an Luckmanns Überlegungen zu variablen kultur-relativistischen Weltbildern und Auffassungen über Sozialität, beschreibt das Werk aus mannigfaltig kulturell-ethnographischer Perspektive, die Vielfalt von Auffassungen über Natur und Kultur – die sich auch auf die Konzeption von Sozialwesen auswirkt. Descola nimmt eine strukturelle Systematisierung der unterschiedlichen „Weltbilder“ bzw. „Kosmologien“ von heterokulturellen Gesellschaften vor, welche die NaturKultur-Unterscheidung und somit das gängige okzidental vorherrschende Muster des Erklärens und Verstehens aufhebt und dieses als dominierende Vorrangstellung in der westlichen Gesellschaft veranschaulicht.23 Somit werden verschiedene Konzepte als Kosmologien von Welt, der Auffassung von Lebewesen sowie von Sozialpartnern deutlich und die modern-gesellschaftliche Sichtweise auf Sozialpartner als lediglich menschliche, wird als eine von mehreren Weltauffassungen ersichtlich. Dabei unterteilt Descola die Sichtweisen in vier „Kosmologien“, welche a) die Welt als eine Trennung von Natur und Kultur (Naturalismus) – wie dies in westlicher Weltanschauung zu finden ist – unterteilt und untersucht24 , bzw. b) Welt und Gesellschaft als Einheit bestimmt und Sozialwelt in der Beziehung von Lebewesen und beseelter Natur ansieht (Animismus) sowie c) aus der Perspektive von Verwandtschaftsbeziehungen menschlicher Gesellschaften mit anderen Entitäten als auch der gesamten Welt (inklusive der Vor- und Nachwelt) (Totemismus) betrachtet oder d) Beziehungen als Vermengung von Makro- und Mikrokosmen (Analogismus) benennt. Mit ihrer Arbeit „Weltzugänge“ schließt Lindemann (2014) an die Überlegungen Luckmanns sowie Descolas an und sucht die Vielfalt der möglichen Auffassungen von Sozialität als mehrdimensionale Weltzugänge des Sozialen zu begreifen, indem sie die Natur-Kultur-Unterscheidung des Naturalismus als eine mögliche Ordnung
23 Für weitere kritische Betrachtungen zum Zusammenhang von Mensch, Natur und Gesellschaft siehe u. a. Greshoff & Schützeichel (2010), Beaufort (2000) oder Vielmetter (1998). 24 Lindemann führt aus, wie sich dies insbesondere auch auf die wissenschaftliche Herangehensweise zur Bestimmung von Forschungsinhalten auswirkt. Die okzidentale Wissenschaft unterteilt sich nach dem Verständnis der Subjekt/Objekt-Differenz und behandelt Phänomene, indem sie diese in naturwissenschaftlich-erklärende und geisteswissenschaftlich-verstehende Disziplinen unterteilt.
2.3 Problemstellung: anthropozentrische Sozialtheorie
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der Welt neben anderen möglichen Ordnungen benennt und mit einem reflexiven Blick unterschiedlich gesellschaftliche ‚Weltzugänge‘ als pluridimensionale anerkennt. Somit beruht die in unserer Gesellschaft vorherrschend institutionalisierte Bestimmung von legitimierten Sozialwesen auf einer historisch-kontingenten Weltordnung, welche es erlaubt u. a. die Legitimation von sozialen Personen auf das jeweilig historisch-gesellschaftlich wirkende Weltverständnis der Agierenden zurückzubeziehen. Mit der Relativierung sozialer Personen als aus anderen – wie etwa der von Descola beschriebenen – Kosmologien und „Weltordnungen“ stammenden, wird eine entsprechend geartete Theorie erforderlich, die es erlaubt generelle Merkmale von Sozialakteuren sowie derer sozialen Verhaltensweisen zu formalisieren und diese in die Sozialtheorie zu inkludieren. Der in unserer funktional-differenzierten, säkular-modernen Gesellschaft vorherrschende Personenbegriff ist demnach anthropozentrisch angelegt. Menschen gelten dabei als der Bezugspunkt für die Analyse und Normierung von Sozialitätsmodellen. Um jedoch auch andere Akteure jenseits menschlicher Akteure als potentielle soziale Akteure zu bestimmen, wollen wir die Eigenschaften von sozialen Personen fernab von biophysisch-menschlichen Merkmalen betrachten, dabei dem Vorschlag Lindemanns folgen und Helmuth Plessners Positionalitätstheorie nutzen, um den Kreis von sozialen Personen, basierend auf deren allgemeinen sozialen Eigenschaften, kontingent zu setzen. Durch die Distanzierung zu anthropozentrisch geprägten Theorien über Sozialität geraten somit auch technische Apparaturen, wie etwa Roboter, mit der Frage nach deren Akteursstatus in den Blickwinkel der Sozialforschung. Mit der technischen Entwicklung von sozialen Robotern – die als Interaktionspartner fungieren sollen – wird zukünftig mindestens der Differenzierungsbereich der Mensch-Maschine-Differenz des Grenzregimes innerhalb des „anthropologischen Quadrats“ auf die Probe gestellt. Der anthropozentrische Fokus des Personenstatus könnte mit der fortschreitenden Entwicklung sozial agierender Roboter brüchig werden und zu einer Reformulierung bzw. Integration der MenschMaschine-Differenz innerhalb des Grenzregimes führen. Um jene Reformulierung des Grenzregimes bezüglich der Mensch-Maschine-Differenz zu initiieren und zu erzielen, bedarf es eines gesellschaftlichen Legitimierungsprozesses, welcher verschiedene funktional gesellschaftliche Bereiche der Ethik, Jurisprudenz etc. umfasst. Die Beobachtung und Analyse jener potentiellen Umstrukturierungen ereignen sich auf gesellschaftlich-institutioneller Ebene und können als langwierige Aushandlungsprozesse angenommen werden (vgl. Lindemann, Matsuzaki & Straub 2016). Dem gesellschaftlichen Legitimierungsprozess vorgeschaltet – und in der Durchführung unabhängig davon – hingegen sind sich im Feld vollziehende lebensweltliche Interaktionsszenarien zwischen Mensch und Maschine, welche als Testläufe und als Vorbedingungen gesamtgesellschaftlicher Institutionalisierungen
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
fungieren und zu einer erweiterten Perspektive auf nicht-menschliche Sozialwesen als potentiellen Personen beitragen können.25
2.4
Protosoziale Interaktion
Um die Genese von Vergesellschaftung und damit die Legitimierungsprozesse von sozialen Personen nachzeichnen zu können, ist ein Blick auf die lebensweltlich vollzogenen Prozesse, die zu der Vergesellschaftung hinführen, unverzichtbar. Dabei können nach unserem Verständnis auch nicht-menschliche Akteure mit spezifischen Eigenschaften von Sozialität ausgestattet sein, so dass diese im Laufe der Zeit über institutionelle Abläufe als legitim anerkannte soziale Akteure gehandelt werden könnten. Unseren Themenbereich betreffend wird dabei die Fragestellung nach den Prozessen der Legitimierung und Inklusion von (neuen sozialen) Personen – sprich von technischen Apparaturen – in den Kreis gesellschaftlich anerkannter sozialer Person obligat. Diese wollen wir fernab reduktionistischer Theorieansätze, wie etwa die ANT-Theorie verfährt, analysieren und dabei die Wesen- und Sinnhaftigkeit von Akteuren in den Blick nehmen. Wie gelingt eine Anerkennung von bisher aus dem Kreis sozialer Personen ausgeschlossenen Entitäten? Welche Eigenschaften veranlassen legitimierte Personen dazu, anderen Wesen sozialen Akteursstatus zu unterstellen? Um diese Fragen zu behandeln, wird der Blick auf die Prozesse, die sich in actu zwischen den in Frage kommenden Entitäten und den anerkannten sozialen 25 Innerhalb der säkular-modernen Gesellschaft werden Menschen exklusiv als legitime soziale Personen gehandelt. Dies zeigt sich nach Lindemann (2009b, 2010b, 2011a/b) auf der Ebene der Vergesellschaftung und in institutionellen Verankerungen von Rechten/ethischen Bestimmungen/Normen/Moralvorstellungen unter anderem auf jurisprudenzieller Ebene. In jener Sicht wird die Anerkennung von Sozialität auf der Ebene der Vergesellschaftung relevant. Für anerkannte soziale Akteure treten moralische Wertvorstellungen, ethische Richtlinien und rechtswirksame Gesetze in Kraft, die institutionell verankert sind. Abgesehen von der okzidental-westlich-demokratischen Handhabung von anerkannten Sozialpersonen tritt der Vergesellschaftungsprozess aber auch in anders gearteten „Weltordnungen“ zu Tage, insoweit eine Anerkennung durch „Dritte“ erfolgt (Lindemann 2014). So können z. B. bei Naturvölkern Geister, Verstorbene; technische Artefakte oder Götter zu den sozialen Personen zählen, soweit sie über „Dritte“ Bestätigung, Anerkennung und in einem nächsten Schritt Manifestation in der gesellschaftlichen Ordnung erfahren. Personale Seinsverhältnisse lassen sich entsprechend nicht auf organische Merkmale zurückführen, sondern zeigen sich in der Praxis des Vollzugs des personalen Miteinanderseins. Somit geht die Positionalitätstheorie über den anthropozentrischen Fokus hinaus und verweist auf eine Theorie personaler Vergesellschaftung. Die Grenzziehung beruht dabei auf der praktischen Differenzierung zwischen Entitäten mit denen eine personale Vergesellschaftung möglich ist bzw. nicht möglich ist.
2.4 Protosoziale Interaktion
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Akteuren vollziehen und die Entitäten als in Frage kommende soziale Akteure kennzeichnen, relevant. Dem Vergesellschaftungsprozess vorgeschaltet, und diesen bedingend, sind entsprechend protosoziale Formen von sozialer Interaktion mit dem in Frage kommenden Akteur, welche durch ihre Manifestation im Umgang zu einer institutionellen Legitimation hinführen können. Als protosoziale Interaktion wollen wir Situationen zwischen Akteuren bezeichnen, die bezüglich ihres Sozialverhaltens nicht feststehen, deren weiterer situativer Verlauf somit für die Beteiligten als offen kontingent erfahren werden und welche die Grundsteinlegung zur Manifestation von Umgangsweisen bzw. eines erwartbaren Regelwerkes zum Miteinander bereitstellen. Die Offenheit der Situation zeigt sich durch die Unbestimmtheiten a) des Akteursstatus Alter Egos, b) des Begegnungsverlaufs, c) des Interaktionsgelingens und d) der symbolischen Gestennutzung. Diese Unbestimmtheiten markieren ein Feld erhöhter Kontingenzen bezüglich des Eigen- und Fremdverhaltens und der darauf basierenden Erwartungsstrukturen. Dabei ist es für uns von besonderem Interesse auf welche Weise eine Reduktion der Kontingenz, bzw. ein Regelwerk zur Regulation der Offenheit, von den beteiligten Akteuren vollzogen und manifestiert wird. Mit der Einführung des Konzepts der „protosozialen Interaktion“ sollen demnach prä-institutionell – jedoch über die Drittenstruktur reflektierte und legitimierte – verlaufende Begegnungen zwischen Akteuren mit ungewissem Status und deren Konzeptualisierungen aus der Sicht der involvierten Akteure zugänglich gemacht werden. Weiter soll die Analyse protosozialer Interaktionen zu den ethnographischen, in der Praxis vollzogenen Annahmen über den Sozialitätsgrad der Akteure hinleiten. Bei jenem Ansatz gehen wir davon aus, dass Akteure, die nicht zwangsläufig gesellschaftlich anerkannte Sozialpartner darstellen, bereits vor dem Prozess der institutionellen Mechanismen der Vergesellschaftung über die Legitimation durch Dritte26 , miteinander im Feld als soziale Interaktionspartner fungieren
26 Mit „Dritter“ bzw. „Tertius“ ist nicht zwangsläufig eine dritte anwesende Person gemeint, sondern vielmehr eine Reflexionsebene, die es den Akteuren erlaubt, ihre Beziehungen zu anderen aus einer objektiven Perspektive zu betrachten. Durch die Bestätigung und Affirmation Dritter wird der soziale Akteursstatus (und das gesellschaftliche Miteinander) objektiviert. Die Drittenstruktur ist somit vergleichbar mit dem Meadschen internalisierten „generalisierten Anderen“ (Mead 1998) bzw. der von Berger/Luckmann (2001 [1969]) behandelten primären Sozialisation. Aber auch aktuelle Akteure wie etwa Sippenmitglieder, Clans oder Partner gelten als vor-institutionelle, die Situation mit-bewertende und objektivierende Entitäten zur operativen Affirmation neuartiger Sozialpartner und somit als „Dritte“.
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Soziologische Theorieansätze –„Wesensbestimmung des Sozialen“…
können und sich dabei ihren Akteursstatus untereinander vor-institutionell anerkennen. Diese Annahme erlaubt es Begegnungen zwischen einander unbekannten Entitäten – in unserem Falle zwischen einem androiden Roboter und menschlichen Laiennutzern –, als Begegnungen zwischen potentiell zukünftig anerkannten sozialen Akteuren, in den Blick zu nehmen und die legitimierenden Eigenschaften und Abläufe bezüglich der Zusprechung oder Ablehnung des Akteursstatus, für den Roboter in vor-institutionellen Situationen zu analysieren. Somit wird die Genese von gesellschaftlichen Strukturen aus den Praktiken von Sozialität unterschiedlicher Akteure ersichtlich und erste Schritte zur Hinführung von gesellschaftlich legitimierten sozialen Akteuren verdeutlicht. Als weitere Beispiele für unbestimmte soziale Akteure können das Aufeinandertreffen von Menschen mit einer bisher unbekannten Spezies, technischen Apparaten, der Kontakt zu Verstorbenen, Geistern oder Göttern angeführt werden. In unserem Fall wird die Analyse von protosozialen Interaktionen bei der Konfrontation von Menschen (als gesellschaftlich anerkannten Akteuren) und „sozialen“ Robotern (als Maschinen mit ungewissem Akteursstatus) relevant. Der androide Roboter GHI-127 stellt für unsere Studie ein entsprechendes Versuchsfeld für die Exploration und Erfassung des Roboters als fraglich-potentiellem sozialen Akteur Seitens menschlicher Akteure dar und liefert Hinweise darüber, welche Erwartungen die legitimen Akteure gegenüber dem fraglichen Akteur GHI-1 hegen: Zudem wird deutlich, welche Strategien diese vornehmen, um den Roboter in seiner Unbestimmtheit als Akteur zwischen objekthaft-mechanistischem Status bzw. als personalem Akteur festzustellen. Welche Eigenschaften werden von ihnen erwartet, um im Prozess der Begegnung als sozialer Akteur gehandhabt zu werden?
27 Eigenschaften
und Merkmale zu GHI-1 werden in Abschnitt 6.1 erörtert.
3
Zentrisch positionierte Wesen
3.1
Positionalität als Bedingung sozialer Akteursschaft
Um den Fallgruben einer sublim anthropozentrischen Sozialtheorie in unserer Studie zu entgehen und um den Begriff des sozialen Akteurs für unsere Analyse der Mensch-Roboter-Interaktion historisch-kontingent zu setzen, folgen wir dem Vorschlag Lindemanns, den Personenbegriff im Sinne Helmuth Plessners Positionalitätstheorie, basierend auf einer reflexiv-rationalen Theorieebene, zu formulieren (vgl. Plessner 1975). Dies bedeutet, dass wir unsere Vor-Urteile auf soziale Personen und deren spezifischen Eigenschaften als Prämissen für unsere Arbeit ausformulieren und die empirische Studie an jene Perspektive anlehnen. In der Theoriesektion sollen demnach die Grundbegriffe und Konzepte, die für Sozialität gelten, dargelegt und die ausformulierte Perspektive, die sich daraus ergibt, im Anschluss auf das empirische Datenmaterial angewandt werden. Mit der Positionalitätstheorie gelingt es Plessner, die Stufen von organischen Lebewesen zu bestimmen. Diese entstehen bei Pflanzen und Mikroorganismen, die eine offene Form der Positionalität darstellen, hin zu geschlossenen Formen der Positionalität, wie dies bei tierischen Lebensformen beobachtbar ist, bis hin zu exzentrisch positionierten Lebewesen – wie etwa bei autark agierenden Wesen, wie dem Menschen. Positionalität im Allgemeinen stellt dabei die Grundlage für (organisches1 ) Leben dar. Dabei wird Positionalität dadurch erzielt, dass das Wesen sich von seiner Umwelt abgrenzt und in Relation zu dieser Grenze – im Sinne einer Selbst-Umwelt-Differenz – steht. Die Positionalität des lebendigen Körpers steht im 1 Plessner verortet Positionalität als Bedingung
für organisches Leben; wir wollen jedoch das Merkmal des Organischen einklammern und somit auch technische Replikationen von Leben mit in den Blick nehmen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_3
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Zentrisch positionierte Wesen
Gegensatz zu der Umwelt von der es sich eigendynamisch abhebt, indem z. B. eine Pflanze wächst oder ein Lebewesen sich fortbewegt und sich dabei an Verhältnisse der Umgebung richtet, wobei sich z. B. die Bewegung an Licht- oder Energieressourcen orientiert. Dies bedeutet also, dass positionierte Lebewesen sich mit den Gegebenheiten des Umfelds auseinandersetzen, diese zum Vehikel eigener Bedürfnisbefriedigungen machen und sich als unabhängig und autark von ihrem Umfeld abheben. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass die Selbst-Umwelt-Differenz als Grenzerfahrung zum Wesensmerkmal des Wesens gehört: „Die Grenze gehört dem Körper also selbst an, der Körper ist die Grenze seiner selbst und des Anderen und insofern sowohl ihm als dem anderen entgegen.“ (Plessner 1975: 127). Durch die Realisierung der Grenze ist das Wesen im Sinne eines Doppelaspektes auf eigene – innere – als auch auf umweltbedingte – äußere – Erfahrungen ausgerichtet. „Als Körperding steht das Lebewesen im Doppelaspekt ineinander nicht überführbarer Richtungsgegensätze nach Innen (substantieller Kern) und nach Außen (Mantel der eigenschafttragenden Seiten).“ (Plessner 1975: 128). Positionalität ist somit durch den Körper während der Grenzrealisierung als Bewusstseinsgenerator des „substantiellen Kerns“ des Wesens gekennzeichnet und als selbstorganisierende Einheit in Abgrenzung zur Umwelt zu betrachten. Den Movens und somit den substantiellen Kern als (Bewusstseins- und) Erlebnisstruktur zur Positionalität gegenüber der Selbst-Umwelt-Grenze bildet dabei die Form des sich gegenüber der Umwelt abhebenden und an ihr orientierenden Körpers. Die Form der Positionalität der Wesen kann – je nach Grad der Reflexionsfertigkeit und je nach dem Grad der Erlebnisfähigkeit der eigenen Selbst-Umwelt-Differenz – unterteilt werden in a) zentrische und b) exzentrische Positionalität. Bevor die Positionalitätstheorie jedoch in Verdacht gerät komplexe SelbstUmwelt differenzierende Wesen mit einfachen grenzrealisierenden Wesen zu vermengen, muss noch eine weitere Differenz in der Form der Positionalität dargelegt werden. Plessner unterteilt die zentrische Positionalität in zwei Formen, der offenen Form – wie etwa bei Pflanzen – und in die geschlossene Positionalitätsform, wie sie etwa bei Tieren zu beobachten ist. Als offene Form werden lebendige Körper begriffen, die frei von Organen existieren, an einem Ort gebunden sind und deren Positionsfeld durch eine funktionale Passung an die Umgebung begrenzt bleibt. Wachstum und Fortbestand werden durch die Passung und Optimierung des Organismus an Umweltbedingungen erlangt. Die offene Form der Positionalität ist jedoch nicht durch ein selbstinitiierendes, -agierendes und -steuerndes Zentrum – im Sinne des Doppelaspekts der Wirkung von Innen- und Außendynamiken – außerhalb seiner Selbst und der Umwelt gestellt. Wesen, wie Pflanzen, sind so – Zwecks ihrer Gestalteinheit und gezielten Versorgungsstrategien – zwar eine organisatorische Einheit, jedoch nicht zentrisch von der Umwelt abgelöst, sondern vielmehr in
3.1 Positionalität als Bedingung sozialer Akteursschaft
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direkter Abhängigkeit von dieser. Die offene Form macht das offen positionierte Wesen zu einem durch die Umwelt affizierbaren und in enger Relation zu dieser stehenden. Vielmehr ist es die geschlossene Form der Positionalität, die eine Selbständigkeit von Lebewesen gegenüber ihrer Umwelt ermöglicht. Diese zentrische Geschlossenheit der Wesen, als einheitliche, von der Umwelt abgegrenzte Gestalt, ermöglicht die Erweiterung des Positionsfeldes der Wesen z. B. durch Bewegung, wobei die Geschlossenheit sich durch funktionale Spezialisierungen vermittels innerer und äußerer Organe sowie eines eigendynamischen Antriebs (durch den substantiellen Kern als Movens der Verfügung über den Körper als Leib) von der offenen Form unterscheidet. Die eigendynamische Erweiterung und Bestimmung der Aktivität im erweiterten Positionsfeld stellt das Zentrum des Wesens dar. Die geschlossene Form der zentrischen Positionalität ist somit als Abgrenzung zu sowie als Aufhebung von der Gebundenheit an eine unmittelbare Umweltabhängigkeit zu verstehen. Geschlossen zentrisch positionierte Wesen verfügen einerseits über ihren Körper und sind andererseits innerhalb ihres Körpers verortet. Der Körper ist somit eine Art vermittelndes Medium zwischen äußerem Umweltbezug und -bedingungen sowie einem eigenen inneren Antrieb für Umwelterfahrung und -orientierung. Die geschlossene Organisationsform macht die Lebewesen in ihren Aktionen unabhängig von ihrer Umwelt und bestärkt das Erleben dieser Differenzierung als Wissen um eine Selbst-Umwelt-Differenz der zentrisch positionierten Wesen selbst.2 Mit der Grenzrealisierung sowie dem Doppelaspekt des Innen- als auch Außenbezugs von belebten Körpern unterscheiden sich positional gesetzte Wesen von raumzeitlich unveränderlichen nicht-lebendigen Körpern. Das physische Ding hat keine Begrenzung zu seinem Umfeld bzw. zu Lebewesen, die sich in seinem Umfeld durch die Grenzrelation realisieren. Somit ist ein Stein in seine Umgebung gebettet und verharrt dort, bis er durch mechanische Kräfte des Umfelds fortbewegt wird. Die Grenze eines physischen Dings ist durch den Rand seiner Materialität gegeben. Es verbleibt räumlich und „seine Lage besteht, was ihre Messung angeht, in Relation zu anderen Lagen und zur Lage des Beobachters.“, denn „(…) erscheinungsmäßig unterscheiden sich die lebendigen von den unbelebten als raumbehauptende von den nur raumerfüllenden Körpern.“ (Plessner 1975: 131). Ein Stein oder auch jedes weitere Objekt, dem es an positionaler Abgrenzung zum Umfeld fehlt, steht in keinem überbordenden Verhältnis zu seiner Umgebung, stellt vielmehr eine Dingeinheit ohne Gestaltwandel dar und zeichnet sich durch fehlende Ausrichtungen nach Außen 2 Wobei
allerdings diese Selbstbezüglichkeit nicht in einem weiteren Schritt zum Inhalt von rückbezogener Reflexionen wird und das Wesen im Hier und Jetzt verharrt, um die eigene Positionalität zu erfahren. Vgl. hierzu Kapitel 4 zur exzentrischen Positionalität.
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3
Zentrisch positionierte Wesen
als auch nach Innen aus. Die Herbeiführung von Veränderungen bei unbelebten Objekten beruht auf physikalisch-chemisch bzw. mechanischen Einwirkungen von äußeren Kräften, initiiert durch Umweltereignisse oder durch Manipulationen Seitens belebter zentrischer Selbste. Das unbelebte Ding verfügt demgemäß weder über Selbst- oder Fremdbezüge noch über eine differenzierende Relation zu seiner unmittelbaren Umwelt3 und hat als physisches Ding weder eine Begrenzung zu seinem Umfeld noch zu Lebewesen, die sich in seinem Umfeld durch die Grenzrelation realisieren. Um soziale Personen von Objekten oder autark agierenden Lebewesen zu unterscheiden, formuliert Plessner die Stufen des Organischen, welche die Referenzfertigkeiten der Lebewesen zu a) sich selbst (Selbstbezug), zu b) Ereignissen in der Umwelt (Umweltbezug) und zu c) anderen Lebewesen (Fremdbezug) als ausschlaggebend für eine graduelle Komplexitätssteigerung der Lebewesen aufzeigt. Eine gesteigerte Fertigkeit des Selbst- und Umweltbezugs verdeutlicht sich durch positionale Sachverhalte, über welche die potentiellen Akteure je nach Konstitution verfügen. Diese positionalen Sachverhalte zeigen sich bei autark agierenden Lebewesen vermittels zentrischer Positionalität (begrenzter Selbst, Umwelt- und Fremdbezug) und gipfeln bei reflexiv-erlebnisfähigen Personen in exzentrischer Positionalität (erweiterte Positionalität durch reflexive Selbst-, Umwelt- und Fremdbezüge). Im weiteren Verlauf wollen wir jene Positionalitätsformen der (geschlossenen) zentrischen Positionalität sowie der exzentrischen Positionalität erweitert auf die Selbst-Fremd-Umwelt-Beziehung der Wesen zueinander betrachten und somit die Graduierung von Sozialität sowie der Eigenschaften von sozialen Personen innerhalb der Positionalitätsformen nachzeichnen. Die nächsten Kapitel dienen dazu, die im Doppelaspekt positionierten Wesen, im Rahmen ihrer sozialen Wirkfelder zu betrachten und somit eine Basis zur Differenzierung von Sozialwesen – gleich welcher Spezies oder biologisch-technischen Konfiguration – darzulegen, um in einem weiteren Schritt, die Erfahrungen von menschlichen Personen im Begegnung mit einem androiden Roboter auf Sozialitätsaspekte hin zu untersuchen (Kapitel 7 & 8). Dabei gehen wir von den Annahmen Plessners sowie Lindemanns Weiterführungen dieser aus, werden jedoch an einigen Stellen zur Kommunikationsfertigkeit sowie der Verwendung von gestischen Symbolen, Bedeutungsgenerierung, kognitiven Erfordernissen und hinsichtlich der Inklusion von zentrisch positionierten Wesen, als situativ bestimmbaren sozialen Wesen, einige Modifikationen der Ausführungen vornehmen.
3 Dies
schließt allerdings nicht aus, dass Objekte keinerlei Einfluss auf die Erlebnisstruktur positionierter Lebewesen hätten.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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Mit den folgenden Erörterungen gehen wir im Sinne der reflexiven Anthropologie vor und postulieren einen Ansatz, der es erlaubt, Sozialwesen nach deren Selbst-, Umwelt- und Fremdbezügen zu beschreiben. Dabei wird sichtbar, dass auch legitimierte soziale Personen graduelle Stufen von Sozialität aufweisen können, deren Merkmale wir im Folgenden wiedergeben wollen. Der kommende Abschnitt stellt die kommunikativen als auch kognitiven Besonderheiten sowie Verhaltensweisen von Wesen im Sinne der Positionalitätstheorie dar und erläutert die graduellen Unterschiede zwischen den Lebewesen und ihren möglichen Sozialaktionen. Wie die Konzeption und technische Realisation von Robotern als auch die Analyse von Anerkennungswegen unbestimmter Entitäten als potentieller Sozialwesen in Folge der Beschreibungen auszusehen hat, wollen wir im Anschluss am empirischen Material diskutieren und aus der sich hier ergebenden Perspektive auf soziale Wesen eine Klassifikation von mechanischen Objekten hin zu sozial interagierenden Wesen umreißen.
3.2
Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
Wie in unseren obigen Erörterungen zu Positionalitätsmerkmalen eingeleitet wurde, lässt sich bereits eine rudimentäre Form des Selbst-Umweltbezugs als auch des Fremdbezugs bei zentrisch positionierten Wesen (im Folgenden ZPW genannt) vorfinden. Bei dem Übergang von Objekten bzw. von Dingen zu Lebewesen listet Plessner Positionalitätsmerkmale, in denen sich Lebewesen graduell voneinander unterscheiden und die bei der Analyse von Sozialbeziehungen konstitutiv sind. Dabei handelt es sich um die Reichweite der Bezugsfertigkeit von Lebewesen zu a) sich selbst (zentrisch/exzentrisch), b) Ereignissen in der Umwelt und c) Bezügen zu anderen Lebewesen (und der Reflexionsfähigkeit über jene gegebenen Bezugsfertigkeiten) bzw. Fremdbezug. Je nach der Reichweite der Bezugsfertigkeiten von Lebewesen a)–c) unterteilt Plessner Lebewesen als „zentrisch“ bzw. „exzentrisch“ positioniert. Als Merkmale von zentrisch positionierten Wesen listet Plessner eine Grenzziehung zwischen Lebewesen und deren Umwelt sowie derer praktischen Handhabung von Ereignissen in der Umwelt (siehe a)–b)). Das zentrisch positionierte Lebewesen erlebt bzw. erfährt sich selbst dabei als in Abgrenzung zur Umwelt4 (Selbst-Umwelt-Differenz). Dabei ist es im Hier und Jetzt, mit dem Körper als Nullpunkt und Zentrum, gegenwärtig auf situative Ereignisse bezogen und in seinen Aktionen auf jene Differenz ausgerichtet (vgl. auch Lindemann 2014: 89 f.). 4 Entsprechend
wird betreffend der ZPW die Umwelterfahrung zur Umfelderfahrung umbenannt und die Selbst-Umwelt-Differenz zur Selbst-Umfeld-Differenz modifiziert.
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Zentrisch positionierte Wesen
Das zentrisch positionierte Lebewesen ist also in der Lage dazu, sein Umfeld wahrzunehmen und seine Eigenaktivitäten praktisch, nach Eigenbedürfnissen und entsprechend der gegebenen Umweltbedingungen auf seine Umgebung anzupassen. Zentrisch positionierte Lebewesen bzw. Entitäten unterscheiden zwischen Wahrnehmungen des erlebenden Selbst5 und zwischen Wahrnehmungen betreffend der Außenwelt, sprich Umweltereignissen (Exterozeption) und stehen in Differenz zum Selbst/System gegenüber der Umwelt. Über die propriozeptive Wahrnehmung der Umwelt und des eigenen Körperbezugs ist eine umweltbezogene Adaption des Verhaltens möglich und das zentrisch positionierte Wesen dazu befähigt, Umweltereignisse praktisch zu handhaben. So kann das ZPW – bezogen auf Dinge in seinem Umfeld – nach Gegenständen fassen, dabei die Greifapparaturen entsprechend der Distanz zum Objekt strecken, je nach Beschaffenheiten des Objekts Druck zum Heben ausüben und entsprechend des Gewichts des Objekts mechanische Kraft zum Heben anwenden. Oder aber seine Fortbewegung nach den Umweltgegebenheiten ausrichten und im Falle einer vereisten Steigung vorsichtige Schritte anstelle von schnellen Bewegungen walten lassen, seine Körperlage entsprechend der Winkelstellung des Weges und an die Bodenbeschaffenheit justiert anpassen. Die Passung des zentrisch positionierten Körpers erfolgt nach den praktischen Erfordernissen der Außenwelt und ist motiviert durch die physisch-körperliche Konstitution des Selbst. Das zentrisch positionierte Lebewesen antizipiert somit die sich aktuell vollziehenden Ereignisse in der Umwelt und macht die sich daraus erschließenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Lebensraums zur Anleitung für die praktische Ausführung von selbst- und umweltbezogenen Aktionen. Die Wahrnehmung und der Bezug des Selbst auf die Umwelt sind dabei auf das praktisch ausführbare Aktionsspektrum (herrührend aus der körperlich-organischen Konstitution, Körpereigenschaften und Bedürfnissen vgl. hierzu auch von Bertalanffy (2015 [1968])) des zentrisch positionierten Wesens beschränkt. Im Bezug zu Dingen geben diese durch ihre Beschaffenheit eine Anweisung, wie mit ihnen praktisch umgegangen werden kann und inwieweit die körperliche Konstitution des zentrisch positionierten Lebewesens eine praktische Handhabung des Dinges erlaubt und zum Erhalt des ZPW notwendig macht.6
5 Diese
Selbstwahrnehmungen umfassen dabei ebenso die körperliche Selbstlokalisation wie die sinnliche Verfügung über die Umwelt. Die Erfahrungen sind in dem Sinne auf der Erlebnissphäre als propriozeptiv/interozeptiv und bei Wahrnehmungen durch äußere Umwelteinflüsse exterozeptiv gegeben (vgl. Loenhoff 2001 oder O’Shaughnessy 2001). 6 Zum Erhalt des Lebewesens werden Maßnahmen wirksam, die u. a. Nahrung, Lebensraum sichern, Selbsterhaltung umfassen.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
3.2.1
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Vom Dingbezug im Umfeld zum Fremdbezug mit anderen ZPW
Umfeld „Ein Wesen zentrischer Positionalität nimmt die Umgebung in dem Maße wahr, in dem es dazu in der Lage ist, sich praktisch auf sein Umfeld zu beziehen. Es existieren sinnlich fassbare Gegebenheiten. Dinge sind Dinge, insofern sie gesehen, gegriffen, geworfen, gezerrt, gepackt usw. werden können. Ein Ding wäre demnach das Insgesamt dessen, was mit ihm aktuell getan werden kann. In diesem Sinne existieren für ein Wesen zentrischer Positionalität Dinge innerhalb der Form einer praktischen Umfeldbeziehung.“ (Lindemann 2009a: 74 f.)
In dem obigen Zitat betont Lindemann die Gegebenheit und Bezugnahme auf Dinge und Objekte für zentrisch positionierte Wesen im Rahmen des praktischen Umgangs mit jenen Dingen.7 Gegebenheiten sowie (Sinn-) oder Sachbezüge, die über die situative und praktische Relevanz des Dinges hinausgehen oder darüber hinaus verweisen, sind demnach für das Agieren des ZPW nicht von Bedeutung und gehen über dessen Sinnhorizont hinaus. Das ZPW agiert im Jetzt und Hier. Dieses an situative Erfordernisse und Konstitutionsmöglichkeiten gebundene Aktionsfeld macht aus der gegebenen Umwelt des ZPW sein Umfeld (Plessner 1975: 230 ff.). Wir wollen den Begriff des Umfelds – nach Plessner – für das Erleben von raumzeitlich begrenzten Aktionen und Reflexionen der zentrisch positionierten Umweltbeziehung nutzen. Umwelt hingegen wird als Gegenbegriff auf eine erweiterte Ereignissphäre, raumzeitliche Strukturen sowie einer offenen und kontingenten Umgebung verwendet.8 Zu den wesentlichen Merkmalen zentrisch 7 Siehe
hierzu auch die Ausführungen in Plessners eigenen Worten: „Auf der Stufe dinglich geordneter Anschauung, die dem sensomotorischen Funktionskreis im Ganzen entspricht – der Sphäre der zentralistisch organisierten Tiere – bilden die Situation der gegebenen Feldstruktur den Wahrnehmungsrahmen, die im Feld gegebenen Elemente den Wahrnehmungsinhalt. Infolgedessen sondert sich auch der jeweilige besondere Aspekt des Einzeldings an dem Gebilde ab, das dem Tiersubjekt als das haltbare Korrelat seiner Motorik gegenübersteht. Der Wahrnehmungsrahmen erscheint als aktueller Hintergrund von Möglichkeiten, von gegebenen Bewegungsmöglichkeiten und Griffmöglichkeiten, gebunden durch die Einheit der Situation. Das Konkret-Einzelne ist also in eine offene Einheit, das endlich-unbegrenzte Umfeld, eingebettet, das wiederum nicht voll gegenständlich vorliegt, sondern durch die dem Tier natürliche Frontaltendenz unlösbar mit seinen Zuständen verwoben bleibt. Weder wird das Einzelne auf dem Hintergrund der Feldstruktur als Einzelnes noch die Feldstruktur als offene Einheit gegen das einzelne Feldelement erfasst.“ (Plessner 1975: 275). 8 Wir werden in Kapitel 4 sehen, dass der erfolgreiche Umgang in jener „offenen Umgebung“ auch eine Fähigkeit zur Erfahrung von „erweiterter Weltoffenheit“ der Wesen bedarf.
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3
Zentrisch positionierte Wesen
positionierter Wesen zählen also situationsbezogene, gegenwärtige und praktisch angepasste Aktionen des ZPW in seinem dinglich geprägten Umfeld, welches auch auf die Grenze der Reflexionsfähigkeit sowie des Erlebens der ZPW verweist.9 ZPW nehmen dabei diejenigen „Dinge wahr, deren Kernstruktur motorische Bedeutung hat und in dem Verhältnis zu seinen Aktionen ihre Deckung, ihren ‚Sinn‘ findet“ (Plessner 1975: 271). Die Welterfassung bewegt sich dabei im Rahmen einer „undifferenzierte Mitte zwischen Einzelheit – Allgemeinheit, Konkretheit – Abstraktheit“ (Plessner 1975: 274). Die Differenz des ZPW zu seinem Umfeld markiert einen Aktionsbereich, der durch den praktischen Vollzug im Umgang mit objekthaften Dingen und Ereignissen im Umfeld des ZPW angeleitet wird und abstrahierte Sinnhorizonte, zu denen prospektive Zukunftsszenarien und Retrospektiven sowie abstraktive Ableitungen momentaner Ereignisse und Bedürfnisse zählen, außer Acht lässt. Die Erlebnisstruktur und Reichweite der kognitiven Sinnverarbeitung der Selbst-Umwelt-Differenz ist demnach auf momentane Raum-Zeitstrukturen begrenzt. Fremdbezug Während Plessner sich bei der Erörterung der Eigenschaften von zentrisch positionierten Wesen vorwiegend auf deren Selbst- und Umweltbezug zum dinglichen Umfeld konzentriert, greift Lindemann in ihrem Werk „Weltzugänge“ (2014) die Besonderheit des zentrisch positionierten Wesens in Bezug zu weiteren zentrisch positionierten Wesen und den sich daraus ergebenden potentiell sozialen Konstellationen auf. Dabei wird das Prinzip der „zentrischen Positionalität“ – neben dem Umgang und der Grenzziehung zentrisch positionierter Wesen mit und von Umfeldgegebenheiten – um das Aufeinandertreffen mindestens zweier „zentrisch positionierter Akteure“ erweitert und ein Blick auf die Folgen dieser – von Plessner vernachlässigten – Beziehungskonstellation für die Positionalitätstheorie sowie für die Theorie der Weltzugänge geworfen. Dabei ergibt sich für Lindemann aus der Annahme des Aufeinandertreffens von zentrisch positionierten Wesen und deren Erleben von einander, die Frage der Grenzziehung zwischen Selbst, Umfeld und der Wirkung eines weiteren zentrisch positionierten Wesens – als Fremdbezug – auf jene Grenzziehung und Grenzbestimmung (a–c): „Die Frage ist nun, ob ein solches Selbst zumindest praktisch, d. h. im Vollzug seiner Grenzrealisierung, zwischen solchen begegnenden Entitäten unterscheidet, die sich 9 Siehe
hierzu Plessner (1975: 272): „Die höheren Tiere (hier ZPW, I. S.), deren eigener Leib zentral repräsentiert wird, erleben auch Dinge als Korrelate ihrer Motorik. Abhängigkeit vom Triebleben, Gestaltschwäche, leichte Täuschbarkeit, starke Situationsgebundenheit, leichte Desorientierbarkeit stehen somit in notwendigem Zusammenhang“.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
43
aus ihrem eigenen Zentrum heraus auf die Umwelt (bzw. auf das Umfeld – I. S.) richten, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist.“ (Lindemann 2014: 90)
Erkennt also ein zentrisch positioniertes Wesen – z. B. ein Hund, eine Maus, ein Affe etc.10 – weitere zentrisch positionierte Wesen in seinem Umfeld und führt dies zu einem Unterschied zu dem praktischen Umgang mit einem Ding? Bliebe es bei einem Aufeinandertreffen von ZPW bei der reinen Grenzziehung zwischen dem Selbst und dem Umfeld, so wäre der Umgang mit anderen ZPW nicht von dem Umgang mit dinglichen Gegenständen unterscheidbar. D. h. ZPW würden andere ZPW als Umfeldgegebenheit wahrnehmen und situationsbezogen, gegenwärtig und praktisch angepasst an die durch die ZPW verursachten veränderlichen Umfeldgegebenheiten agieren. Wären die ZPW dabei dazu fähig, auf flexibel agierende weitere ZPW zu re- und koagieren oder stagnieren die Bewegungsmuster in Form von einer dinglich geprägten Motorik? Die gestellte Frage nach der Unterscheidbarkeit von anderen zentrisch positionierten Wesen von Ereignissen und Dingen im Umfeld wird von Lindemann bejaht und findet ihre Bestätigung anhand von beobachtbaren Abläufen eines derartigen Zusammentreffens.11 Lindemann richtet ihren Fokus bei dem Aufeinandertreffen der zentrisch positionierten Wesen auf die Perspektive der Grenzziehung von Selbst- und Umfeldbezügen der zentrisch positionierten Wesen zueinander. Ein derartiges Zusammentreffen von zentrisch positionierten Wesen als „Begegnung mit dem anderen“ belegt Lindemann selbst mit Beispielen aus der Tierwelt, so z. B. mit Zugvögeln oder am Beispiel von Primaten12 (Lindemann 2014: 91), welche dazu in der Lage sind, gemeinsame Aktionen auszuführen. Mit Bezug auf Tomasellos Primatenforschung wird die Differenzierbarkeit von anderen Lebewesen der eigenen und fremden Gattung des Umfelds bejaht und bestätigt, „(…) dass auf der Ebene der zentrischen Positionalität in der Wahrnehmung eine praktisch relevante Unterscheidung vorkommt zwischen solchen begegnenden Wesen, die als zur 10 Plessner
beschränkt zentrische Positionierungen auf Tiere (vgl. Plessner 1975: 307). Lindemann ist dieser Moment der Grenzrealisierungen beider ZPW wie folgt am Beispiel des Tierreichs beobachtbar: „Der Sinnzusammenhang der sich berührenden Grenzrealisierungen kommt für einen verstehenden Beobachter im Verhaltensbild zum Ausdruck. Der Sachverhalt des Berühren/ Berührtwerdens im Vollzug der Grenzrealisierung ist nicht direkt zugänglich, sondern erschließt sich als der Sinn eines Verhaltens, das dieses wechselseitige Aufeinander-Gerichtetsein und Sich-wechselseitig-Berühren zum Ausdruck bringt. Dieser verstehbare sinnhafte Zusammenhang bildet den Ausgangspunkt für eine objektivierende Verhaltensforschung.“ (Lindemann 2014: 93). 12 Lindemann verweist auf Plessner, der für den Fall des Erkennens der Eigenspezies den Begriff der Witterung verwendet (Plessner 1975: 307) bzw. den Begriff des Feldverhaltens nennt (Plessner 1975: 256 ff.), andernfalls aber die Begegnung von zentrisch positionierten Wesen nicht näher expliziert (vgl. Lindemann 2014: 90). 11 Nach
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Zentrisch positionierte Wesen
Selbstbewegung fähig wahrgenommen werden, und solchen begegnenden Dingen, bei denen das nicht der Fall ist.“ (ebd.). Diese Aussage betrifft die reine Unterscheidungsfähigkeit von ZPW andere ZPW von Ereignissen im Umfeld (mitsamt deren Objekten und Dingen) zu unterscheiden bzw. von Ereignissen in dem Umfeld abzuheben. Neben der Differenzierung des Selbst zum Umfeld sind zentrisch positionierte Wesen demnach zusätzlich zu der Differenzierung von anderen Wesen, die in Differenz zum Umfeld stehen, befähigt. Die einfache Differenzierung anderer ZPWs als von dem Umfeld unterscheidbare Grenzrealisierungen geht dabei durch eine das ZPW affizierende Wahrnehmung des anderen ZPW als von dem Umfeld abgehobenen und zur Grenzrealisierung befähigten Wesens vonstatten. Mit dem Aufeinandertreffen zweier ZPW, die auf Ereignisse ihres Umfelds reagieren und den anderen im Bezug zu seinem Umfeld erkennen, kommt es zu einem Zueinanderverhalten der ZPW und somit zu einer Differenzierung des anderen als anderes Selbst, dass in Umfeldbeziehung agiert, welche in Beziehung zur eigenen Selbst-Umfeld-Differenz gesetzt wird. Somit erweitert sich die Selbst-UmfeldDifferenz des ZPW um das Erleben des anderen ZPW als in dem eigenen Umfeld vorkommenden, ebenfalls zum Umfeld in Differenz stehenden, grenzrealisierenden Wesens und somit als einem weiteren ZPW.
3.2.2
Mitfeld als soziale Erlebniskomponente des ZPWs
Nach den obigen Erörterungen der fremdbezogenen Relation von ZPW zueinander als Erweiterung der Positionalitätstheorie im Relationsgefüge im Sinne von Lindemann, können wir ausschließen, dass ein Aufeinandertreffen von ZPW keinerlei Einfluss auf das Erleben sowie das Verhalten der ZPW zueinander und miteinander hat. Mit einem Vorgriff auf folgende Ausführungen zu den pragmatischen Bedeutungseinheiten der vokal-lautlichen als auch der rein gestischen Expressivität mit Ausdrucks- sowie Appellcharakter (Abschnitt 4.5.1 f.), können wir vielmehr davon ausgehen, dass bereits auf der Positionalitätsebene der ZPW basale soziale Relationen – sowohl für die beteiligten ZPW als auch für externe Beobachter – erfahrbar werden. Demnach macht es auch Sinn, das unmittelbare, wahrnehmbare Umfeld der ZPW als an weiteren ZPW ausgerichtetes anzuerkennen und es von der reinen Umfeldrelation zu unterscheiden. Das fremdbezogene wechselseitige Wahrnehmen, Berühren und Ko-agieren der ZPW expandiert das Erlebnisfeld des reinen Umfelds der ZPW um ein Wesen, dass zu ko-aktivem Verhalten einlädt und sich entsprechend dazu verhält. Nach den obigen Erörterungen wäre an jener Stelle die Verwendung des Begriffs Mitfeld statt des Umfeldbegriffs,
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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der zwar von Plessner in Perspektive gestellt worden ist, sich jedoch aufgrund seiner fehlenden Auseinandersetzung mit dem sozialen Relationsgefüge bei ZPW nicht durchgesetzt hat13 , angebracht. Nach unseren Überlegungen zu ZPW agieren diese also in mitfeldlich geprägten Situationen senso- bzw. soziomotorisch14 auf Variationen in dem Bewegungsfeld und werden dabei – im Gegensatz zu umfeldlichen Ereignissen – partiell dazu veranlasst, durch die Anwesenheit anderer ZPW flexibel zu agieren, zu reagieren bzw. zu ko-agieren. Das mitfeldliche Agieren verläuft dabei 13 Gesellschaftliche Formationen, bei denen mehrere ZPW in einem geteilten Umfeld beteiligt sind, sind nach Plessner zwar beobachtbar – und etwa am Beispiel von Tierspezies wie Bienenoder Ameisenstaaten – als existent zu verzeichnen (vgl. Plessner 1975: 307). Deren Bedingungen von „Mitverhältnissen“, Gesellung oder sozialer Gemeinschaft bilden bei ihm jedoch keinen Gegenstand näherer Untersuchungen. Plessner umgeht vielmehr eine qualitative Änderung des Zustands von ZPW durch die Anwesenheit weiterer ZPW sowie die Bezugnahme der ZPW zueinander und spricht ZPW eine Relevanz bei der Bestimmung von basalen Verhaltensweisen von Sozialität ab. (Jene über die Wahrnehmung der ZPW hinausgehende Relation wird vielmehr als offenes Arbeitsfeld der Biologie benannt (ebd.)). Weitere ZPW affizieren somit nicht das einzelne zentrisch positionierte Wesen, was für Plessner ausschlaggebend dafür ist, dass Umfeldkonzept nicht um ein Konzept des Mitfelds zu erweitern: „Es liegt natürlich nahe, wie von einem tierischen Umfeld auch von einem Mitfeld zu sprechen und die Möglichkeit in’s Auge zu fassen, daß das Tier in seinem sozialen Verhalten sich auf eine derartige Mitfeldsphäre bezieht. Aber das ist ein vorschneller Schluß. Die geschlossene Organisationsform des tierischen Lebewesens gestattet die Konstitution eines eigenen Mitfeldes im Unterschied zum Umfeld nicht. Seine Artgenossen, seine ‚Mittiere‘ bilden für das Tier keine besonders ausgezeichnete und begrenzte Umgebung. Sie sind mit dem Umfeld als Ganzem verschmolzen und werden daher in ihm sinnentsprechend behandelt.“ (Plessner 1975: 307). Das ZPW verharrt nach Plessner in der Gegenwart von anderen ZPW gleich der umfeldlichen Situation mit Objekten. Als Hindernis für eine mitfeldliche Sphäre nennt Plessner den fehlenden Sinn des ZPW für seine sozialweltliche Positionierung. Das ZPW ist sich entsprechend nicht über sein „Mitverhältnis“ zu anderen ZPW im Umfeld bewusst und macht es entsprechend nicht zum Teil seiner Welt-/Situationserfassung. Andere ZPW sind somit zwar zur Fortpflanzung oder beim Kampf um Nahrung zuhanden, jedoch nicht als abgrenzbares Gegenverhältnis zu seiner eigenen Selbst-/Umweltgrenze. Nach Plessner „steht alles Lebendige aus Gründen seiner Lebendigkeit“ in einer Relation des „Mitgehens, des Nebeneinanders und Miteinanders“ (vgl. Plessner 1975: 308) zu seiner Umwelt als vitalrelative Zone, in der – gleich, ob ausgehend von Objekten oder anderen Lebewesen – stets Umgänglichkeit, Vertrautheit sowie echte Mitverhältnisse herrschen (ebd). Vielmehr entkoppelt Plessner die Erfahrung von „Mitverhältnissen“ der ZPW von deren Bewusstsein: „Denn wenn dem Tier das Umfeld der eigenen Existenz nicht welthaft, d. h. nicht in echter Gegeständlichkeit erscheinen kann – sonst wäre es nicht mehr Tier –, prägt sich ihm auch nicht sein Mitverhältnis welthaft aus. Es kommt ihm als Mitverhältnis nicht zum Bewußtsein, bleibt ihm verborgen. Das Tier steht zwar in dieser Relation drin, aber sie gewinnt für ihn keinen fasslichen Charakter. Seine Organisationsform ist konzentrisch, nicht exzentrisch, bietet daher auch nicht die Möglichkeit einer Entfaltung und Erfassung seiner Position im Mitverhältnis.“ (Plessner 1975: 307) 14 Vgl. hierzu Abschnitt 4.4.
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Zentrisch positionierte Wesen
situativ ereignisbezogen und erfordert keine überbordende Reflexionsebene auf den anderen als Ko-akteur. Mit dem Fokus Lindemanns auf die Wirkung von anderen ZPW auf die eigene Grenzrealisierung, erweitert sich das Spektrum der Selbst- und Umfeld-Differenz auf Fremdbezüge und das konstituierte Mitfeld. Lindemann unterteilt die Differenzierbarkeit anderer ZPW von dem Selbst und von Umfeldereignissen auf einer zweifachen Basis, welche die reine Wahrnehmung und Unterscheidung anderer ZPW von deren Umfeld beinhaltet (indirekte Wahrnehmung) und der wechselseitigen Wahrnehmung (direkte Wahrnehmung), welche sich in zwei Varianten von „Berührungen“ – als Spezialfällen von Wahrnehmung – darlegen und in mitfeldlichen Verhältnissen münden. Berührung Wenn wir einen Schritt weiter gehen und die Wahrnehmung der ZPW als wechselseitige Wahrnehmung denken, so haben wir es hier mit einer Begegnung bzw. Grenzrealisierung der ZPW in einem gemeinsamen Mitfeld zu tun. Sobald die (wechselseitige) Wahrnehmung15 „zur Aufrechterhaltung der je eigenen Grenzrealisierung von Bedeutung ist“ (Lindemann 2014: 92), was sich darin äußert, dass sich die ZPW gegenseitig aufeinander richten und der jeweils andere ZPW von der Gerichtetheit des anderen in seinem Zustand „getroffen“ wird, spricht Lindemann davon, dass die ZPW einander „Berühren“ (ebd.). Das Konzept der Berührung wird hier nicht im Sinne von taktiler Berührung verwand, sondern dient dazu, die reine Wahrnehmung und Differenzierung anderer ZPW im Umfeld darauf hingehend zu erweitern, dass es in jener wechselseitigen Wahrnehmung einen zündenden Moment der Realisierung des Wahrnehmens und Wahrgenommenwerdens gibt und sich somit eine Form der Affiziertheit durch den anderen einstellt. „Berührung“ stellt demnach einen Spezialfall von Wahrnehmung dar und ist nach Lindemann in zwei Varianten des Aufeinandertreffens von ZPW gegeben; Einerseits als direkte Berührung, in dem Moment der unmittelbaren wechselseitigen Wahrnehmung, und andererseits als indirekte Berührung, im Falle der Beobachtung der Aufmerksamkeit von Alter Ego auf dessen fokussierte Umfeldgegebenheiten. Als Aktualisierungen von „direkter Berührung“ nennt Lindemann das gegenseitige Anblicken bzw. die an den anderen gerichtete Geste. So ist beispielsweise ein Affe direkt berührt, wenn er einem Jaguar von Angesicht zu Angesicht begegnet oder eine Katze, wenn sie auf eine weitere Katze in ihrem Revier trifft. Mit der gegenseitigen Begegnung und dem
15 Die Grenzrealisierung kann auch im Falle der unidirektionalen Wahrnehmung anderer ZPW bei der indirekten Berührung erfolgen und bedarf nicht zwangsläufig einer wechselseitigen Wahrnehmung der ZPW aufeinander.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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Erleben der wechselseitigen Aufeinandergerichtetheit sowie der aktuellen wechselseitigen Aufmerksamkeit von zentrisch positionierten Wesen erweitert Lindemann das Konzept der zentrischen Positionalität somit um den grundlegenden Aspekt der Berührung als Erlebnisfaktor der Fremdbeziehung und definiert diesen wie folgt: „Das Selbst realisiert im Vollzug der eigenen erlebten Grenzrealisierung, dass diese vom Vollzug einer anderen Grenzrealisierung berührt wird. Berührung ist also darüber definiert, dass ein leibliches Selbst (Ego) sich auf ein anderes leibliches Selbst (Alter Ego) richtet, wodurch das berührte leibliche Selbst in seinem Zustand getroffen wird. Das leibliche Sich-Richten kann z. B. in Form eines Blicks oder einer gerichteten Geste erfolgen. (…) Eine Berührung ist für ein leibliches Selbst dann relevant, wenn sie für die Aufrechterhaltung der je eigenen Grenzrealisierung von Bedeutung ist. Berührungen schaffen eine wechselseitige Relation des Berührens und Berührtwerdens. Ausgehend von der Struktur zentrischer Positionalität lässt sich diese Beziehung folgendermaßen konzeptualisieren. Im Mittelpunkt steht die gegenwärtige Vermittlung a) des Erlebens des eigenen Zustandes, b) der Wahrnehmung einschließlich der Berührung durch andere Grenzrealisierungen und c) der eigenen Aktionen/Wirkungen.“ (Lindemann 2014: 92)
Neben dem oben beschriebenen Typus der direkten Berührung, bei der in der Wahrnehmung eines zentrisch positionierten Wesens ein anderes zentrisch positioniertes Wesen in die Erlebnissphäre rückt, geht Lindemann auf den Fall der indirekten Berührungen ein, bei der das ZPW durch die Aufmerksamkeit des anderen ZPWs auf Ereignisse/Sachverhalte in dem Umfeld16 affiziert wird. So stellt das Beobachten eines anderen ZPWs bzw. dessen Blick folgen, um den Aufmerksamkeitsfokus zu erfassen, bereits eine Form der indirekten Berührung durch ein anderes ZPW dar und generiert so eine mitfeldliche Anwesenheit. Dabei muss Alter Ego nicht zwangsläufig über jene Beobachtung informiert sein, wie dies im Falle einer JägerBeute Konstellation nachvollziehbar wird. Bei der indirekten Berührung richtet sich Ego auf die Wahrnehmungen Alter Egos und ist währenddessen dazu in der Lage, den Aufmerksamkeitsfokus eines anderen ZPWs (Alter Ego) auf Umstände und Gegebenheiten in dem Umfeld selbst dann zu erfassen, wenn dieser nicht auf den anderen gerichtet ist und somit keine direkte Berührung durch gegenseitige 16 Siehe hierzu die Differenzierungen zur direkten und indirekten Berührung bei Lindemann: „1. Wenn ein Selbst ein anderes Selbst erlebt, kann ein Selbst die Erfahrung machen, dass sich ein anderes Selbst auf es richtet. In diesem Fall wird das Selbst im Vollzug seiner eigenen Grenzrealisierung von der Grenzrealisierung des anderen Selbst berührt. 2. Wenn ein Selbst ein anderes Selbst erlebt, kann es die Erfahrung machen, dass sich das andere Selbst auf etwas in der Umgebung des Selbst richtet. In diesem Fall wird das Selbst vom Vollzug der Grenzrealisierung des anderen Selbst indirekt berührt, nämlich dann, wenn dasjenige, worauf das andere Selbst sich richtet, für das Selbst ebenfalls von Bedeutung ist.“ (Lindemann 2014: 92).
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Zentrisch positionierte Wesen
Wahrnehmung vorliegt. So kann beispielsweise ein Schimpansenbaby nachvollziehen, dass dessen Mutter ihre Aufmerksamkeit auf Nahrung oder auf einen anderen Schimpansen in ihrem Umfeld richtet oder ein Hund registrieren, dass sich ein weiteres Tier in der Nähe seines Reviers aufhält. Bei der indirekten Berührung von ZPW ist es also möglich, die umfeldbezogenen Aktivitäten des anderen zu beobachten und den Fokus der eigenen Aufmerksamkeit darauf zu richten – „Wenn ein Selbst ein anderes Selbst erlebt, kann es die Erfahrung machen, dass sich das andere Selbst auf etwas in der Umgebung des Selbst richtet.“ (Lindemann 2014: 94). Die indirekte Berührung basiert auf dem Fremdbezug eines weiteren Wesens und der reinen Wahrnehmung und Beobachtung dieses bei seinen grenzrealisierenden Aktivitäten gegenüber des Umfelds. Das Berührtsein Egos durch Alter Ego stellt dabei bereits auf der Ebene der indirekten Berührung einen Fall von fundierender Deutung (Lindemann 2009a: 80) Alter Egos, als weiterem grenzrealisierendem Wesen neben Ego, selber dar. „Fundierende Deutung“17 bedeutet in dem Falle, dass die grenzrealisierenden Wesen eine Unterscheidung zwischen Umfeld und Mitfeld vornehmen und dabei bestimmen, ob es sich bei der wahrgenommenen Gestalt um ein anderes mitfeldlich agierendes und grenzrealisierendes Gegenüber handelt – und somit als Alter Ego gehandhabt wird – oder nicht. Perspektivenübernahme Das Erfassen des Aufmerksamkeitsfokus eines anderen ZPWs während der indirekten Berührung wollen wir als rudimentäre Erwartungshaltung an das Verhalten und an die Erlebnissphäre des anderen ZPWs, sprich als Perspektivenübernahme kennzeichnen, in der Ego von dem Aufmerksamkeitsfokus Alter Egos betroffen ist und um dessen Aufmerksamkeit auf jene Umfeld- (oder weitere Mitfeld-)gegebenheit weiß. Mit jener Perspektivenübernahme markiert das ZPW seine Selbst-UmfeldDifferenz zusammen mit der Grenzziehung von Alter Egos Selbst-Umfeld-Differenz und somit eine Selbst-Fremd-Differenz. Weiterhin ist die indirekte Berührung dadurch gekennzeichnet, dass Alter Ego die Aufmerksamkeit Egos auf den eigenen Wahrnehmungsinhalt lenken kann und den Umstand des Beobachtet-Werdens 17 Lindemann postuliert, bezogen auf exzentrisch positionierte Wesen, die fundierende Deutung wie folgt: „Diejenigen, die miteinander in einer solchen Beziehung stehen, nehmen einander aber nicht nur wahr und vollziehen darauf aufbauend kommunikative Deutungen, sondern sie haben dadurch notwendigerweise anhand der Wahrnehmung entschieden, ob der wahrgenommene Körper überhaupt als Hinweis darauf gewertet werden kann, dass der andere ebenfalls reflexiv wahrnimmt und Erwartungen hat.“ (Lindemann 2009: 80). Wir wollen die Fertigkeit zur fundierenden Deutung in unserer Untersuchung bereits auf der Ebene der ZPW anlegen und somit die Fertigkeit zum Erkennen anderer Wesen auf deren momenthaften Reflexionsebene unterstellen.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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erlebt, obgleich keine wechselseitige Wahrnehmung gegeben zu sein scheint. Dieses Wissen um die Möglichkeit der Aufmerksamkeitssteuerung Alter Egos zeigt sich in Studien zur „joint attention“ bzw. zur „theory of mind“, die mitunter Täuschungen eines ZPWs durch ein anderes ZPW belegen (Krachun & Call 2009; Premack & Woodruff 1978).18 Lindemann beschreibt das Lenken der Aufmerksamkeit Alter Egos mit dem von Tomasello entlehnten Begriff des „Aufmerksamkeitsfängers“ (Tomasello 2009: 63). Der Zweck des Lenkens der Aufmerksamkeit erhält damit sowohl eine referentielle als auch eine soziale Funktion. Die Abfolge des Sichauf-ein-Objekt-Richtens in dem Umfeld mit der Funktion der Richtungssuggestion und dem Lenken des Blicks des anderen, stellt dabei eine Aufforderung zur Imitation der Eigenaktivitäten dar (Haun & Call 2008) und wird von Lindemann als eine auf andere gerichtete Geste benannt, deren Funktion in der „Zweistufigkeit von referentieller und sozialer Funktion der Gesten“ liegt.19 Diese referentiellen Verweise erfolgen jeweils über lauthafte Signale und/oder Verweise vermittels des körperlichen Ausdrucksrepertoires des ZPWs, die von uns im nächsten Abschnitt als rudimentäre Kommunikations- und Interaktionssignale behandelt und somit das Berühren bei ZPW als initiierende Basis von Sozialität sowie von Interaktion gehandhabt werden. Egos Erfahrung des anderen Selbst, „dass sich auf etwas in der Umgebung des Selbst richtet“ (Lindemann 2014: 94) und des Lenkens der Aufmerksamkeit auf eigene Wahrnehmungsinhalte20 von Alter Ego, zeigt einerseits die Fertigkeit der Perspektivenübernahme des beobachtenden Selbst, während die Fertigkeit des referentiellen Verweises von Alter Ego, andererseits, die Fertigkeit des Lenkens der Aufmerksamkeit von Ego verdeutlicht und somit ein Wahrnehmen der Erfahrung, dass ein anderes Selbst (Alter Ego) sich auf die umfeldgerichtete Aufmerksamkeit des Selbst (Ego) richtet, beinhaltet (Buttelmann et al. 2012; Carpenter & Call 2013).
18 Premack & Woodruff (1978) stellen eine Studie vor, in der Schimpansen das Versteck von Futter lediglich kooperativen Wärtern mitteilen, bei „bösen“, unkooperativen Wärtern hingegen Fehlangaben zu dem Futterversteck machen. 19 Inwieweit Lindemann hier womöglich einer verkürzten Analogie des Bedeutungsbegriffs von Gesten unterliegt, die der Meadschen Konzeption der gestenvermittelten, symbolischen Interaktion inhärent ist, wird näher in Abschnitt 4.5 ausgeführt. 20 Die Erfahrung ‚dass sich das andere Selbst auf etwas in der Umgebung des Selbst richtet und des Lenkens der Aufmerksamkeit auf eigene Wahrnehmungsinhalte, wird gemeinhin in entwicklungspsychologischen sowie evolutionsbiologischen Theorien zur Perspektivenübernahme (Theory of Mind/Perspective Taking) respektive zum Themenfeld der „joint attention“ bearbeitet (vgl. Carpenter & Call 2013).
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Zentrisch positionierte Wesen
Analysiert man die Merkmale von direkter und indirekter Berührung, so zeigen sich bei der direkten Berührung Hinweise auf 1) Akteure, die zu Berührung befähigt sind, 2) dem Ablauf und 3) den Funktionen von Berührungen. Bezogen auf 1) wird hier deutlich, dass zentrisch positionierten Wesen über ein Verhältnis zur eigenen Selbst-Umfeld-Differenz verfügen und zusätzlich ein Ego-Alter-Ego Verhältnis aufbauen können. Bezogen auf 2) sind jene Akteure dazu befähigt sich (durch Blicke/Gesten) aufeinander zu richten, dabei einander als von dem Umfeld abgehoben zu erkennen und diesen Umstand zum Anlass zu nehmen, die Folgeaktionen an jene „Berührung“ auszurichten. Bezogen auf 3) der Funktion von Berührungen, dienen diese der Aufrechterhaltung der eigenen Grenzrealisierung gegenüber den umfeldbezogenen Aktionen des anderen ZPW, sprich des Fremdbezugs. Die „indirekte Berührung“ verweist indes auf die Fertigkeit der ZPW zur Perspektivenübernahme und zur Fokussierung auf die Aufmerksamkeitsaspekte Alter Egos und damit einhergehend dem Wissen bzw. die Erwartung, um die Steuerbarkeit Alter Egos auf Egos eigene Umfeldwahrnehmung. Sowohl bei der direkten als auch bei der indirekten Berührung ist den ZPW die Anwesenheit und Aufmerksamkeitsspanne Alter Egos gegeben und somit auch das Wissen um Alter Egos Fertigkeit zur Wahrnehmung der Wahrnehmungen Egos. Dies ist an das Verfügen über Erwartungs-Erwartungen gebunden. Die zu Beginn hinterfragte Differenzierung von anderen ZPW gegenüber Dingen und Gegenständen in der Umwelt, erfolgt somit durch eine dreifache Struktur, die, beginnend bei der einfachen Wahrnehmung, der fundierenden Deutung sowie über die Formen der „direkten“ und „indirekten“ Berührung, ein ZPW von dem Umfeld unterscheidbar erscheinen lässt. Diese sind einerseits durch wechselseitige Wahrnehmung als auch durch die Wahrnehmung des Umfeldfokus Alter Egos gekennzeichnet und ermöglichen somit, drittens, eine Form der Fremddifferenzierung. Mit dem Einbezug des Aufeinandertreffens von ZPW – und einer damit einhergehenden qualitativen Zustandsänderung der ZPW im Vergleich zur Korrespondenz mit rein dinghaften Sinnesdaten aus dem Umfeld – erweitert Lindemann die Analyse von ZPW um das Konzept der „Berührung“ durch andere ZPW. Wir haben herausgearbeitet, dass ZPW dabei über eine Fertigkeit zur Differenzierung von Selbst, Umfeld und fremdem Selbst verfügen müssen und dass diese Differenzierung einerseits zu der Fähigkeit der Perspektivenübernahme und andererseits zu der Fähigkeit der Aufmerksamkeitssteuerung und Imitation des anderen ZPW – basierend auf Erwartungs-Erwartungen – beiträgt. Bei der räumlichen Begegnung von ZPW kommt es (im besten Falle) zur (wechselseitigen) Berührung durch das andere ZPW. Somit zeigt sich bereits in der rudimentären Positionalitätsform der ZPW die Fertigkeit zur Perspektivenübernahme als auch das referentielle Verweisen auf Gegebenheiten in Alter Egos Umfeld. Diese Eigenschaften, zusammen mit dem Aspekt
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
51
der wechselseitigen Wahrnehmung, deuten auf die basale Fertigkeit von ZPW zur Interaktion sowie zur Sozialität – und somit auf grundlegend soziale Charakteristika während des Aufeinandertreffens bei zentrisch positionierten Wesen hin, welche im weiteren Verlauf genauer auf soziale Reflexivität hin betrachtet werden sollen. Soziale Reflexivität durch das Berührungskonzept Entgegen derjenigen Ansätze, welche Intersubjektivität, und somit die Konkordanz von Bewusstseinsinhalten über geteilte Phänomene oder über das Vehikel der Interaktion zu erörtern versuchen (Mead 1998, Habermas 1995) bzw. über Ansätze der „shared intentionality“ oder „Theory of Mind“ (Tomasello & Carpenter 2007; Gallagher 2006), welche die Perspektivenübernahme des Interaktionspartners als Ausgangspunkt zum Verstehen von Handlungen oder zum Verstehen von Bewusstseinsinhalten anderer zum Ziel haben, setzt Lindemann (in Erweiterung der Plessnerschen Positionalitätstheorie) zur Erklärung des wechselseitigen Erlebens – und somit der sozialen Reflexivität – von sozialen Personen bei der wechselseitigen Berührung der ZPW an.21 Jenes Konzept der Berührung enthebt die Betrachtung sozialer Reflexivität der beteiligten Akteure von der Prämisse der verstehensbasierten Bewusstseinszentriertheit und somit von einer hermeneutischen Erschließung der Bewusstseinsinhalte anderer, mit dem Ziel geteilter Bewusstseinsinhalte zur Ermöglichung von Kommunikation und ferner von Sozialität generell zu bestimmen. Berührung ist hier eine Form der Wahrnehmung, die das Erkennen und Erleben anderer (ZP) Wesen ermöglicht sowie deren Reaktion auf die eigene Person (über die direkte Berührung) als auch auf das Umfeld (indirekte Berührung) antizipiert und die Affiziertheit und Reaktion der anderen Person auf eigene Aktionen erlebbar macht. Berührung aktualisiert soziale Reflexivität im Rahmen von ko-perzeptiven, situativen Ereignissen sowie durch die gegenseitige praktische Handhabung der ZPW miteinander. Das Konzept der Berührung markiert das Erleben Alter Egos als das eines Selbst-Umfeld- differenzierenden sowie zentrierten Wesens und ermöglicht die Erfassung Alter Egos Aufmerksamkeitsfokus sowohl auf das Umfeld als auch rückbezüglich auf das beobachtende Selbst. In dem folgenden Abschnitt werden wir sehen, inwieweit die Affiziertheit durch Alter Ego das Ego zu interaktiven Aktionen befähigt. Ein Sich-hinein-Versetzen in die mentalen Vorgänge des anderen gilt somit (zumindest bei ZPW) nicht als die Voraussetzung für das Erkennen von sozialen Akteuren (mit zentrischer Positionalität) als auch für das Gelingen von aktionsinduzierenden Gesten gegenüber anderen ZPW. Vielmehr wird das berührende
21 Als Abhandlungen zum Personenverstehen über Bewusstsein siehe auch Krämer (1996a/b).
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Zentrisch positionierte Wesen
Gegenüber zum Teil der Erlebnissphäre und zum Bezugspunkt für aktuelle Aktionen im Erlebnis- als auch im motorischen Handlungsbereich des wahrnehmenden ZPWs. Soziale Reflexivität, im Falle zentrisch positionierter Wesen bei wechselseitigem Berührtwerden, markiert also bereits die Differenzierung eines anderen zentrisch agierenden Wesens in Differenz zum Umfeld des ZPW und generiert somit andere ZPW als Bezugspunkte eigener motorischer Aktionen.22 Lindemann konstatiert im Moment der wechselseitigen Berührung bei ZPW die Möglichkeit des Erlebens jener Begegnung auf Basis leiblicher Berührungen, jedoch noch ohne einer notwendigen Reflexion jenes Erlebens der ZPW. „Die Struktur sozialer Reflexivität, die sich ausgehend von der mitweltlich verfassten Leib-Umwelt-Beziehung ergibt, unterscheidet sich sowohl von der Konzeption Meads als auch von der konsistenteren Position Habermas‘. Der Unterschied liegt darin, dass die Beziehung bereits auf der Ebene zentrischer Positionalität als etabliert gelten kann. Die Einbeziehung der Raumdimension ermöglicht es, kategorial zu fassen, wie andere in der Begegnung erlebt werden, ohne dass dieses Erleben reflektiert wäre. Es gibt ein Ego, das erlebt, von einem Alter Ego berührt zu werden. Bereits auf der Ebene zentrischer Positionalität findet eine wechselseitige leibliche (sic!) Berührung23 statt. Hierin liegt – wie gesagt – eine Erweiterung der Positionalitätstheorie, denn Plessner selbst untersucht den Sachverhalt leiblicher Berührung auf der Ebene zentrischer Positionalität nicht.“ (Lindemann 2014: 201)
Diese Aussage korrespondiert mit dem gegenwärtigen, praktischen und situativbezogenen, restringierten Aktionsspektrum von ZPW in ihrem Umfeld [als auch bei der Verwendung von Zeichen], welche „(…) noch nicht total reflexiv geworden (sind)“ und aus dem heraus das ZPW „aus dem Zentrum heraus (reagiert), d. h. spontan (mit der Dringlichkeit zur Wahl – I. S.), (…) handelt“ (vgl. Plessner 1975: 240). Lindemann geht es darum, dass bereits in einem räumlich geteilten Umfeld die positionale Wesenhaftigkeit eines anderen ZPWs den Erlebniszustand Egos affizieren und ihn dazu verleiten kann, auf jenes andere ZPW bezogen zu agieren.24 22 Jene
werden in Abschnitt 4.4 als Soziomotorik ausgeführt. und Plessner konstatieren das Verfügen über einen Leib mit erweiterter Reflexionsfertigkeit auf die eigene Selbst-Umwelt-Differenz und als Gegenpol zu einem Nicht-im-Erlebnis-aufgehenden-Körper erst bei exzentrisch positionierten Wesen (EPW). Der Ausdruck „leibliche Berührung“ müsste entsprechend der Berührung bei ZPW eine Modifikation erfahren (etwa „zentrische Berührung“) bzw. das Konzept der Leiblichkeit auf ZPW ausgeweitet diskutiert werden. 24 Als Voraussetzung des Berührtwerdens wird dabei von der Artgleichheit der ZPW als auch von der symbolischen Bedeutung der Geste abgesehen (also von artspezifischen „Codes“ entbunden) und vielmehr die Leiblichkeit der ZPW, und deren abgehobene Differenz zur Umwelt, 23 Lindemann
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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Die Berührung inkludiert somit andere ZPW in das Aktions- und Erlebnisfeld von Ego und macht diese zu Bezugspunkten für Aktionen im Umfeld (das hier zu einem Mitfeld generiert wird). Durch dieses Wechselspiel an Bezogenheiten der ZPW zueinander über das Konzept der Berührung, haben wir basale Merkmale von Sozialverhalten bereits bei ZPW vorliegen. Die genannten Aspekte verweisen auf rudimentäre Formen der Interaktionsfähigkeit bei ZPW, die wir im Folgenden anhand der Beispiele von Begegnungen zwischen zentrisch positionierten Wesen bei Lindemann und Plessner genauer differenzieren und ausführen möchten.
3.2.3
Realisierung von Sozialität zwischen ZPW durch Interaktion
Nach obiger Darstellung sind zentrisch positionierte Wesen dazu befähigt, entsprechend der Umfeldgegebenheiten und der eigenen Systemdispositionen, ihr Verhalten situationsadäquat und flexibel auszuführen. Nach Lindemann sind ZPW dazu in der Lage, sich gegenseitig als ZPW wahrzunehmen, sich dabei als von dem Umfeld abhebende leibliche Wesen zu differenzieren und sich somit als „Aktionszentren zu berühren“. Diese Umschreibung erlaubt es, die Kapazität der ZPW als sich zueinander verhaltende Wesen zu umreißen und ZPW in ihrer restringierten Umfelds- und Mitfeldssphäre zu lokalisieren. Somit wird festgelegt, dass ZPW auf eine rudimentäre und basale Weise als zu Sozialkontakt befähigte Wesen geltend gemacht werden können. Wie das situative, raumzeitlich begrenzte Aktionsspektrum der ZPW, ist die Erfassung des Sozialkontakts auch aus jener begrenzten Aktions- und Erlebnissphäre zu bewerten.25
als ausschlagegebendes Kriterium sowie als die ermöglichende Bedingung für Berührung gesetzt. „Wenn man von der räumlichen Begegnung leiblicher Selbste ausgeht, kann man diese Beziehung anspruchsloser als wechselseitige leibliche Berührung begreifen. Es reicht die Annahme aus, dass etwa der Löwe mit seinem Brüllen die Art und Weise, sich auf die Umwelt zu richten, vokalisierend gestaltet und damit andere leibliche Zentren in ihrer Grenzrealisierung, ihrem erlebten Zustand berührt. Der Vorteil dieser Konzeption besteht darin, dass sie die Möglichkeit der Berührung bzw. des Berührtwerdens nicht an Artzugehörigkeit und instinktiver Reaktionsgleichheit bindet, sondern ausschließlich auf den Sachverhalt der Leiblichkeit selbst abhebt. Auch der Leib des Zebras kann vom Brüllen des Löwen berührt werden.“ (Lindemann 2014: 204). 25 Zu der partikulären situativ-praktischen Intelligenz bei Tieren (als ZPW) im Gegensatz zu einer „universellen“ Intelligenz bei Menschen (als EPW) siehe auch de la Chambres Abhandlung „Traité de la connoissance des animaux“ (1647/dt. 1751).
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3
Zentrisch positionierte Wesen
Um die Reichweite des sozialen Akteursstatus von ZPW zu bestimmen, muss allerdings – neben der Darstellung derer Grunddispositionen – weiterhin ein Blick auf deren soziales Relationsgefüge sowie der Weisen von Interaktion geworfen werden, ohne die eine reine Bestimmung von Sozialwesen keinen Sinn macht. Interaktion, als wechselseitige Verhaltensregulation, wird hier als Motor und Triebwerk als auch als praktische Aktualisierung von Sozialverhalten zwischen Akteuren mit sozialer Kompetenz gesehen. Auf welche Weise interagieren ZPW also und wie weit reicht deren Interaktionsfertigkeit? Dies wird vornehmlich für unsere Betrachtung der Differenz von ZPW zu exzentrisch positionierten Wesen (EPW) interessant werden. Wie stellen ZPW als Träger basaler Sozialität Kontakt zueinander her? Plessner räumt ZPW in seiner Studie die soziale Gemeinschaft und Gesellung ein (s. o.), sieht allerdings keinen Anlass dazu, die graduellen Abstufungen von sozialen Gemeinschaften im Unterschied bei ZPW und EPW zu erörtern und somit einen Blick auf die Interaktionseigenschaften der ZPW im Gegensatz zu den EPW zu werfen. Lindemann erfüllt diesen Hiatus, zwar nicht gänzlich, aber in Ansätzen, indem sie die Interaktion zwischen ZPW als speziesübergreifend benennt. Die Bedingungen und Merkmale von Interaktion zwischen ZPW werden dabei allerdings nicht explizit gelistet, sondern sind vom Leser zwischen den Zeilen und Kapiteln selbst zusammenzutragen. Im Folgenden wollen wir diese Versäumnisse einholen, das Spektrum der Interaktion zwischen ZPW zusammentragen und die Besonderheiten der Interaktionsfertigkeiten bei ZPW listen.26 Die folgenden Ausführungen erheben jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit (im Sinne der universalen Erfassung der Interaktionsfertigkeiten aller Varianten bei ZPW), sondern zeichnen vielmehr die Grundzüge von ZPW in einem wechselseitigen Interaktionsmoment nach. Die Analyse der Interaktion beginnt dabei sowohl bei den Formen, Inhalten, Funktionen und Mitteln des Ausdrucks von ZPW, die sich in ihrem Spektrum der Bezugnahme nach den generellen Fertigkeiten des Selbst-, Umwelt- und Fremdbezugs von ZPW ausrichten bzw. sich aus ihnen heraus ergeben.
26 Die Analyse baut dabei auf den bereits gemachten Ausführungen auf und erfasst den Umriss der Interaktionsfertigkeit von ZPW, wobei Sonderbereiche und spezielle Interaktionsgebaren der ZPW außer Acht gelassen werden und zum Inhalt einer gesonderten Analyse der graduellen Unterscheidung zwischen ZPW und EPW gemacht werden müssen. Jene Fälle der Sonderbereiche spezieller Interaktionsgebaren der ZPW können in etwa die Grammatik der Singvögel, die Gestenkunde bei Affen o. ä. sowie Merkmale von interspezifischer/zwischenartlicher Kommunikation darbieten (also zwischen verschiedenen ZPW als auch zwischen ZPW und EPW) (vgl. auch Sebeok 1972/1977).
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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Kommunikations- und Interaktionsspektrum der ZPW In den obigen Ausführungen stellt Lindemann das Konzept der „Berührung“ vor, wobei indirekte Berührung sich auf die Aufmerksamkeit eines ZPWs auf die Wahrnehmungen bzw. Aufmerksamkeitsbereiche eines anderen ZPWs richtet und die direkte Berührung sich auf die wechselseitige Wahrnehmung und Affizierung der ZPW im Rahmen ihrer Selbstverortung im Bezug zum Umfeld und zum Mitfeld bezieht. Mit unserer Annahme, dass ZPW, die von anderen ZPW berührt werden, um deren Anwesenheit im Aktionsfeld wissen und somit – im Sinne der fundierenden Deutung von anderen Lebewesen – ZPW von nichtbelebten Dingen in der Umgebung unterscheiden können, vollzieht sich interaktives und soziales Agieren zwischen den ZPW allerdings erst durch Aktionen, die das Verhalten des anderen ZPWs affizieren. Die Berührung durch ein anderes ZPW bedeutet demnach noch nicht die Aktualisierung von Interaktion/Sozialität, sondern bildet deren Ausgangspunkt27 und die Lokalisation des Anderen als potentielles Interaktionsziel. Als Realisierung von (erweiterter) Sozialität ist also Interaktionsfähigkeit als Vehikel für soziale Begegnungen der beteiligten ZPW von Nöten. Jene Interaktionsfähigkeit ist bei ZPW in dem Rahmen gegeben, in dem das ZPW (Ego) sein Ausdrucksfeld zum Beeinflussen des anderen ZPWs (Alter Ego) zu nutzen weiß, das andere ZPW (Alter Ego) zudem diese Ausdrücke als Unterscheidungen von reinen Verhaltensweisen und als an es gerichtete Interaktionsgebaren erkennen und dem gestischen Ausdruck Bedeutung zu verleihen vermögen. Im Anschluss an die fundierende Deutung muss an dieser Stelle also die Möglichkeit der „kommunikativen Deutung“ anderer ZPW gegeben sein. Als kommunikative Deutung handhabt Lindemann das Deuten der Erscheinung des Gegenübers als Koordinationsmaßstab für kooperative Aktionen, oder im eigenen Wortlaut: „Um ihr Handeln wechselseitig aufeinander abzustimmen, müssen soziale Personen wechselseitig die Erscheinung ihres Gegenübers deuten‚ um so ihre Handlungen zu koordinieren. Der Einfachheit halber bezeichne ich diese Deutung als kommunikative Deutung.“ (Lindemann 2009a: 80).28
27 So benennt auch Kieserling in seinem Werk „Kommunikation unter Anwesenden“ (1999) das wechselseitige Wahrnehmen als Minimalfall von Sozialität, von der aus sich die vertieften Grade von Sozialität durch entsprechende Interaktionsweisen/-intensitäten/-inhalte etc. ergeben. 28 Lindemann geht bei der Deutung von koordinierten Aktionen von einer handlungstheoretischen Perspektive auf kommunikative Aktionen aus. Inwieweit diese sich im Anbetracht ihrer eigenen kritischen Auseinandersetzungen mit handlungstheoretischen Ansätzen theoriekonsistent aufrechterhalten ließe, wäre mit einem abermaligen kritischen Blick auf die Werke Lindemanns (2009a & 2014) genauer zu analysieren.
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Zentrisch positionierte Wesen
Lindemann setzt als Mittel der Verständigung und als Realisation von Sozialität bei ZPW bei gestenvermittelter Interaktion an. Demnach hängt die Nutzung von Gesten nicht zwangsläufig vom reflexiven Charakter der Anwender ab, sondern entfaltet ihre Wirkung auch bei „unreflektierten“ ZPW. Wesentlich ist dabei, dass Interaktion, wie im Sinne Luhmanns (1987), durch weitere Anschlussgesten fortlaufend realisiert und die interaktive Situation somit kontinuierlich verwirklicht wird (näheres siehe in Abschnitt 4.6 f.). Die sich aus den aufeinander bezogenen Gesten ergebende Bedeutung wird für ZPW aus Lindemanns Sicht allerdings erst durch externe Beobachter als wechselseitiges Berühren der ZPW bestimmbar29 , wie sie an einigen Ausführungen mit Bezügen auf das Tierreich begründet: „Der Sinnzusammenhang der sich berührenden Grenzrealisierungen kommt für einen verstehenden Beobachter im Verhaltensbild zum Ausdruck. Der Sachverhalt des Berühren/Berührtwerdens im Vollzug der Grenzrealisierung ist nicht direkt zugänglich, sondern erschließt sich als der Sinn eines Verhaltens, das dieses wechselseitige Aufeinander-Gerichtetsein und Sich-wechselseitig-Berühren zum Ausdruck bringt. Dieser verstehbare sinnhafte Zusammenhang bildet den Ausgangspunkt für eine objektivierende Verhaltensforschung.“ (Lindemann 2014: 93)
sowie
29 Hierbei bleibt allerdings unklar, welche Positionalität der beobachtende Dritte inne hat bzw. ob dieser notwendig bei der Berührung von ZPW gegeben sein muss. Unklar ist hier, ob es sich um einen zentrisch positionierten Dritten oder notwendig um einen exzentrisch positionierten Beobachter handelt. Bzw., ob es sich bei dem Dritten, um die Reflexionsebene der (ex)zentrisch positionierten Leiber auf ihre Beziehung zueinander handelt. Letzteres wollen wir im Falle der zentrisch positionierten Wesen ausschließen, da wir diesen einen restringierten praktisch situativen Zugriff auf Umfeld, Mitfeld sowie auf eine zweifache Zeichenverwendung, frei von symbolischer Gestenverwendung, attestiert haben. Die Reflexionsebene der zentrisch positionierten Wesen verharrt nach unserem Verständnis auf derselben Ebene, der auch die Verwendung von Zeichen und die Erfassung der Umwelt als Umfeld gegeben ist und bleibt somit auf gegenwärtig situativ und praktisch erfahrbaren Gegebenheiten bezogen. Wir möchten davon ausgehen, dass soziale Reflexivität im Falle zentrisch positionierter Wesen bei der (wechselseitigen) Berührung (und dem Berührtwerden) als Differenzierung eines anderen leiblich agierenden Wesens im Unterschied zum Umfeld beginnt und somit andere ZPW als Bezugspunkte eigener motorischer Aktionen (teils auch Gesten) gelten können. Gehen motorische Aktionen über die Manipulation im Umfeld hinaus, und sind diese in Richtung der Deutung durch andere ZPW hin produziert (mit der Annahme einer Reaktion aus derer Warte), so können wir diese (sozio-)motorischen Aktionen als Gesten benennen. Wir wollen die soziale Reflexivität auf die Ebene der praktisch vollzogenen Interaktion beziehen und als Wechselspiel von Aktion und Reaktion sehen.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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„Auch im Rahmen einer unreflektierten sozialen Gesamthandlung haben Gesten eine Bedeutung. Diese ist darüber definiert, dass auf eine Geste die Geste eines anderen Individuums folgt. Dass eine Geste eine Bedeutung, also Sinn, hat, ist zunächst ein Sachverhalt, der nur für einen externen Beobachter zugänglich ist. Der externe Beobachter sieht, dass Ego eine Geste ausführt, auf die Alter ebenfalls mit einer Geste reagiert. Der externe Beobachter interpretiert die Geste von Alter als die Bedeutung der Geste von Ego. Gestenvermittelte Gesamthandlungen gibt es bereits bei sozial lebenden Insekten oder auch bei Brutpflegeverhalten von Insekten.“ (Lindemann 2014: 202)
Nach jenen Ausführungen Lindemanns ist das Sozialgefüge der ZPW, als Berührungszusammenhang, lediglich durch einen objektivierenden Blick eines Beobachters gegeben. Somit werden das Verfügen über Sinnzusammenhänge, Anschlussgesten und deren Bedeutung sowie das Vorhandensein von Einstellungsübernahme den zentrisch positionierten Akteuren abgesprochen und auf die Ebene der objektiven Beobachter (bzw. Dritter) gehievt. Diese Aussage tilgt allerdings das Erleben und Wissen der ZPW um ihre Interaktionsrelation zueinander und belässt den Leser im Ungewissen über den Sozialstatus und den Grad der kommunikativen Fertigkeiten von ZPW. Mit dem folgenden Abschnitt wollen wir eine Bestimmung des Zeichenrepertoires als auch der Ebene von Sozialrelationen bei ZPW vornehmen und den ZPW somit einen bedingten Sinn- und Erlebnisaspekt der aktuell vollzogenen Sozialintervention zugestehen. Mit jener dreifach gestuften Perspektive auf Sozialität wird den in actu (inter-)agierenden ZPW jegliche Fähigkeit zur Praxis der zeichenhaften Verständigung genommen, der Erlebnisaspekt der beteiligten ZPW für die Bestimmung der Bedeutung der Gesten ausgeblendet und auf eine externe und beobachterzentrierte Perspektive, also vermittels eines objektivierenden Drittenbezugs, zurückgeführt. Unklar bleibt dabei, ob jener äußere Beobachter eine reflexive Haltung der agierenden ZPW darstellt (zu der diese allerdings nicht fähig sind), ob es sich um andere ZPW handelt oder ob lediglich EPW – und somit lediglich ein zur objektiven Reflexion befähigter Produzent von symbolischer Interaktion – jene Bedeutung der Gesten und eine Gesamthandlung aus den wechselseitig bezogenen Aktionsabfolgen der ZPW ableiten kann. In der folgenden Arbeit wollen wir den ZPW die Bedeutung ihrer Aktionen – auf der Ebene ihrer/s positionalitätsbedingten Aktions-, Interaktions- und Reflexionsgrenzen /-rahmens hin – nicht absprechen und die Deutung von Gesten bereits für die interagierenden ZPW auf praktischsituativer Ebene, sprich ohne zwangsläufig objektive Reflexion bzw. Drittenbezüge, zuerkennen. Hierzu wollen wir die Zeichenverwendung, -produktion und -deutung von ZPW auf eben jener Ebene ansetzen, welche auch die bisher genannten Fertigkeiten der ZPW charakterisieren. Wie in den obigen Abschnitten dargelegt
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Zentrisch positionierte Wesen
wurde, ist das Wahrnehmungs-, Aktions- und (Reflexions-)spektrum der ZPW (im Bezug zu objekthaften Dingen) situativ, gegenwärtig und praktisch auf die Umfeldbedingungen abgestimmt. So können wir diesen praktisch gegenwärtigen und situativen Rahmen des Umgangs der ZPW während interaktiver Aktionen miteinander ebenfalls (z. B. im Tierreich) beobachten. Demnach überträgt sich die Situationsgebundenheit des ZPW aus seinen Umfeldaktionen auch auf seine Zeichenverwendung, -produktion und -deutung im Mitfeld. Hier wird es sinnvoll, den Zeichengebrauch der ZPW aus semiotischer Sicht zu bestimmen, welche eine Graduierung von Abstraktionsebenen und von Symbolverwendung erlaubt. Lindemann kennzeichnet den Zeichengebrauch von ZPW jedoch bereits als symbolische Gesten: „Durch eine dreifach gestufte Form sozialer Reflexivität wird aus einer Gesamthandlung, deren Sinn nur für einen äußeren Beobachter existiert, eine Gesamthandlung, deren Sinn für die Beteiligten existiert und durch symbolische Gesten kommuniziert wird, die für die Beteiligten eine identische Bedeutung haben.“ (Lindemann 2014: 203). Für den Zeichengebrauch bei ZPW ist die Bezugnahme auf symbolische Gesten allerdings irreführend, da der Gebrauch dieser zwangsläufig eine erhöhte Abstraktions- und Reflexionsebene erfordert, über die ZPW nicht verfügen. Die Bedeutung von gestischer Interaktion sollte demgemäß nicht auf der für Symbolverwendung erforderlichen Reflexionsebene gesucht werden, sondern auf der Ebene pragmatisch-kontextueller Anwendungen von Zeichen auf der Ebene von Signalen bzw. von indexikalischen Verweisen.30 Demnach wird die Bedeutungsebene von den Anschlussaktionen der ZPW her bestimmt. Das Anschlussverhalten ist somit ein notwendiges Ereignis, um die Geste Alter Egos als registrierte Aktion zu kennzeichnen und um das aktuelle Verhalten Egos als Reaktion darauf zu deuten. Die Bedeutung einer Geste – auch auf der Ebene der symbolentbundenen und daher praktischen Zeichenverwendung – ergibt sich somit situativ und an praktische Erfordernisse gebunden.31 Wir wollen anhand Begrifflichkeiten aus semiotischen Studien die Differenz der Zeichenverwendung zwischen ZPW und EPW erörtern und beginnen im Folgenden mit den Merkmalen der pragmatisch-praktischen Zeichennutzung bei ZPW.
30 Auch wenn EPW-Beobachter auf jener symbolischen Ebene sinnhafte Bedeutung und eine Systematik unterstellen können. 31 So erklärt sich auch die später von Tomasello aufgezählte Flexibilität und Variabilität von Gesten bei der Anwendung zwischen Primaten.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
3.2.4
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Zeichenverwendung von ZPW
ZPW können Gesten bzw. Vokalisationen artikulieren, wobei die Semantik und der Inhalt mit den Fähigkeiten zur Umfeldbeziehung korrelieren. Diese sind – wie oben erläutert – a) selbstbezogen z. B. als emotionale Zustandsbekundungen, b) objekt- und situationsbezogen (sachbezogen) z. B. Futter oder Werkzeuge betreffend als auch c) fremdbezogener Natur, wie bei prosozialen Appellen, die als Signale für andere ZPW bestimmt sind (z. B. Lockruf/Warnruf).32 Als Mittel zur Interaktion a)–c) -bezogener Semantiken, können ZPW dabei im Falle von b) objekt- und situationsbezogenen (sachbezogenen) Verweisen auf stoffgebundene Ausdrucksmittel (Zeichen) zurückgreifen (Bühler 1999) bzw. im Falle von a und c) körperliche Ausdrücke (gestisch, vokal) verwenden. Sowohl die Semantik als auch die Verwendung der Ausdrucksmittel ist dabei auf gegenwärtige sowie praktische und situativ-feldbezogene Ereignisse begrenzt. Mit der Einschränkung der Semantik und der Interaktionsmittel wird der Zeichengebrauch der ZPW, im Sinne der Zoosemiotik, als zweistelliger Zeichengebrauch, im Gegensatz zum dreistelligen Symbolgebrauch, markiert (Sebeok 1977/1972). Laut Bühler ermöglicht die Sprache dem Menschen eine symbolische Erfassung der Welt. Im Sinne des Organonmodells umfasst menschliche Sprache – als symbolisches Interaktionsmittel des Menschen – die Funktionen des Ausdrucks (ausgehend vom Sender), des Appells (bezogen auf den Empfänger) und der Darstellung (bezogen auf Gegenstände oder Sachverhalte) (Bühler 1999: 28 ff.). Laut Bühler ermöglicht tierische Interaktion die Funktionen des Ausdrucks und Appells; dem zentrisch positionierten tierischen Ausdruck ermangelt es allerdings an der symbolischen Darstellungsfunktion (Bühler 1999: XXVI) von Zeichen, sprich der Verwendung von Symbolen, um Gegebenheiten zu vermitteln. Dies zeigt sich in dem praktisch-kontextuellen Zeichengebrauch von ZPW (Bühler 1982: 158 f), die mit den Ergebnissen zur situationsadäquaten und praktisch-gegenwärtigen Erfassung des Umfeldes von ZPW korrespondiert und gleichzieht. Die praktisch-kontextuelle Verwendung von zeichenhaften Interaktionsmitteln bezieht sich auf den unmittelbaren Kontext der situierten ZPW, wobei der Gebrauch von Ausdruckszeichen die Vermittlung eines Informationswertes, basierend auf einer „stoffgebundenen Darstellung“, d. h. über eine dingliche Anheftung (Bühler 1978 [1929]: 52), bezeichnet. Die Ausdruckszeichen/-mittel, die Bedeutung und deren Bezug sind in der Interaktion von ZPW also stets an das Hier und Jetzt der
32 Charles Hockett hat in seinem Aufsatz „Origin of Speech“ (1960) die Besonderheit und Differenz von menschlicher Sprache zu tierischen Lauten als „13 design features“ benannt.
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Zentrisch positionierte Wesen
ZPW gebunden und gehen nicht über das situative „Zeigefeld“33 (vs. symbolischer Gebrauch von Zeichen) der gegenwärtig präsenten ZPW hinaus. Eine Darstellung von Sachverhalten oder Gegenständen ist bei ZPW – aufgrund des eingeschränkten Reflexionsfeldes – nicht durch symbolische Zeichenverwendung möglich, sondern stets an eine materielle Referenz und Bezugnahme als Interaktionsmittel gebunden und somit lediglich zeichenhaft. So schildert Bühler die Vermittlung des Informationsgehalts und der Lokalisation von ertragsreicher Nahrung bei Bienen – als in eusozial agierenden Gemeinschaften lebend34 – als an die Stoffprobe gebunden, welche z. B. durch das Mit-sich-Führen von ertragreichem Blütenstaub, verbunden mit einem Bienentanz zur Navigation an den Produktstandort, den anderen Bienen die Lokalisation und das zu erwartende Produkt vermittelt.35 „Es kommt also ein erfolgreicher Genosse von draußen in den Bienenstock zurück und wirbt Mitarbeiter, Mitsammler des draußen in einer neuaufgeblühten Blütenart reichlich vorhandenen Nektars. Er führt zu diesem Zweck seinen Werbetanz auf, regt dadurch die mit ihm in Kontakt getretenen Stockgenossen zum Ausfliegen an und gibt jedem von ihnen den spezifischen Blütenduft, den er selbst an sich trägt, als Erkennungszeichen mit.“ (Bühler 1978 [1929]: 52)
Der Darstellungsgehalt von ertragreichen Blüten ist somit zeichenhaft über den mitgegebenen Duft vermittelt worden, eine Vermittlung des Sachverhalts allerdings nicht ohne Stoffbezug möglich. Die Zeichenverwendung von ZPW verharrt somit 33 Das Zeigfeld ist neben dem Symbolfeld Teil der Zweifelderlehre Bühlers. Während im Zeig-
feld die umfeldliche Situation als Verständnishorizont für die Ausdrucksinhalte dient und dabei das gegenwärtig anwesende per „demonstratio ad oculus“ erfahrbar ist, geht die Verwendung von Ausdrücken aus dem Symbolfeld über situativ gebundene Ereignisse und Darstellungen hinaus (und ist stoffentbunden) (vgl. Bühler 1999: 106 und siehe Abschnitt 4.5.1 f.). 34 Bei eusozialen Lebewesen handelt es sich um gemeinschafts- bzw. staatenbildende Lebewesen bzw. Tiere, wie dies bei Insektenstaaten (Ameisen, Termiten, Bienen und Wespen) vorzufinden ist. Eusoziale Lebewesen leben kooperativ in arbeitsteiligen, hierachisch strukturierten und mehrere Generationen umfassenden Gemeinschaften. Aufgaben wie Nahrungsbeschaffung, Brutpflege, Staatenführung oder Bauverteidigung werden dabei umverteilt. 35 Siehe auch folgendes Zitat: „Es ist z. B. ein relativ einfacher Ersatz der gemeinsamen Wahrnehmungssituation, wenn unter den Bienen die Finderin einer neu aufgeblühten honigreichen Blütenart in den Stock zurückkehrt, Genossen, die müßig herumsitzen, zum Ausfliegen anregt und ihnen den spezifischen Duft der Blütenart mitgibt, nach dem sie nun das Flugfeld absuchen. Die Ausgangssituation erhält hier eine räumliche Transzendenz des Steuerungsrichtpunktes. Denn im Bienenstock ist die neu entdeckte Blütenart nicht wahrzunehmen (…); also erfolgt im Werbetanz ein rein semantischer Akt, die Duftübertragung von der Werbenden auf die Angeworbene.“ (Bühler 1978 [1929]: 41).
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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auf der Ebene der signalhaften Zeichenproduktion und als Referenz auf unmittelbare physisch gegebene Verweisoptionen. Sie erschließt sich demnach nicht in einem unbegrenzten Verweisen, welches abgelöst von aktuellen und materiell gegebenen Gegenstandsbezügen symbolischen Charakter hätte (vgl. Bühler 1978 [1929]: 54). „Die Semantik im Tierreich hat zwei Grundfunktionen, zwei Sinndimensionen mit der menschlichen Sprache gemeinsam und es fehlt ihr (soweit wir heute wissen) die dritte. Wir finden dort und hier die gemeinschaftstragende, die soziale Funktion der Semantik und den Erlebnisausdruck, die Erlebniskundgabe. Nirgendwo im Tierreich aber das dritte, Sprache oder Gebärden als Darstellungsmittel von Gegenständen und Sachverhalten.“ (Bühler 1978 [1929]: 47 f.)
Wenngleich den ZPW die symbolhafte Verwendung von Zeichen zur stoffentbundenen Darstellung von Gegenständen oder Sachverhalten verwehrt ist, können sie im Sinne des Bühlerschen Organonmodells gestische als auch lautliche Vokalisationen dazu nutzen, um auf der Ebene selbst- und fremdbezogener Interaktion die Ausdrucksfunktion sowie die Appellfunktionen des Organonmodells zu realisieren. Als Beispiele für die selbst- und fremdbezogenen Ausdrücke wollen wir Belege zur vokalischen und gestischen Interaktion von Primaten bei Tomasello (2009) betrachten und auf den Rahmen der Ausdrucks- als auch der Appellfunktion eingehen. Selbstbezogene Äußerungen divergieren zu fremdbezogenen Äußerungen sowohl durch die soziale Appellfunktion (als Verhaltensaufforderung) als auch durch den Grad an Berührung gegenüber anderen ZPW. Als Darstellung für selbstbezogene Äußerungen bei ZPW beschreibt Tomasello die Verwendung von vokalischen Gesten bei Primaten als Ausdruck am Beispiel der emotionalen Verfassung der Tiere und verweist auf Studien, die das Ausbleiben emotionaler Vokalisationen bei gleichzeitiger Abwesenheit der Emotion belegen (Tomasello 2009: 28). In jenem Fall verweist der Laut des Primaten (Makakenaffe) auf seinen momentanen Zustand (z. B. Schmerzschrei nachdem er vom Ast gefallen ist) und ist Ausdruck dessen aktueller Befindlichkeit. Die selbstbezogene Vokalisation als Ausdruck des momentanen emotionalen Zustands lässt keine weitere Interpretation des Lautes – wie etwa eine Darstellung von Sachbezügen oder Aufforderungen an weitere Artgenossen – zu (z. B. „ich will spielen, fühlt ihr das auch, macht mit…“). Jene emotionalen Vokalisationen bei Primaten sind nach Tomasellos Untersuchungen einfach Ausdrücke individueller Zustände und dabei auch nicht an spezifische Empfänger gerichtet. Demnach besteht aus der Sicht des Vokalisierenden keine Informationsabsicht an Artgenossen. Somit geht kein prosoziales oder kommunikatives Motiv bei der reinen Artikulation von Emotionszuständen aus und es besteht – im Sinne Bühlers – keine Appellfunktion an einen Empfänger. Dies schließt allerdings nicht aus, dass durch
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Zentrisch positionierte Wesen
die selbstbezogene Vokalisation nicht auch andere ZPW indirekt berührt werden bzw. die Anwesenheit eines anderen ZPWs vermittelt wird. Anders verhält es sich jedoch bei fremdbezogenen Vokalisationen, wie etwa Warnrufen, Rufen zur Sicherung des Überlebens oder zur Futterbeschaffung, die kooperative Zwecke erfüllen und dabei ebenfalls emotional gefärbt sein können.36 Tomasello beobachtet, dass jene Laute aus einem festen artspezifischen Repertoire der Primaten stammen, nicht neu erlernbar bzw. adaptierbar sind und auch das Verständnis von artübergreifenden Lauten beinhalten. Die Laute werden lediglich in der Anwesenheit von anderen im Umfeld getätigt. Jene Rufe mit der Funktion zur Flucht, des Überlebens oder der Kontaktaufnahme zu anderen, haben demnach eine eindeutig altruistisch deutbare Appellfunktion an andere ZPW, sowohl betreffend konspezifischer ZPW als auch bezüglich Wesen unterschiedlicher Gattungen.37,38 Die obigen Erörterungen zeigen die Funktionen der Vokalisation am Beispiel von Primaten als einen nicht an andere gerichteten Ausdruck der eigenen Befindlichkeit sowie mit einer altruistischen Appellfunktion an andere, bei Warnlauten und anderen fremdgerichteten Vokalisationen. Hierbei ist zu bemerken, dass die Vokalisationen – wie bereits bei Bühler angedeutet – keinerlei stoffentbundene Darstellungsfunktion haben, d. h. nicht symbolisch für einen a) abwesenden Sachverhalt stehen und b) die Laute keine symbolische Repräsentation für abwesende Gegenstände, Sachverhalte oder andere ZPW darstellen. Vokalisationen bei ZPW (zumindest im Falle der Primatenaffen) haben damit lediglich expressiven jedoch keinen deklarativen und somit nur einen eingeschränkten Informationscharakter. Hier geht es also nicht um das Teilen von Gefühlen oder Einstellungen mit anderen. Die Vokalisationen haben vielmehr eine referentielle Funktion, die auf direkte Sachverhalte, Gefahren oder Zustände der ZPW verweisen und unmittelbar an das Wahrnehmungsfeld der ZPW geknüpft sind. Bezogen auf die Varianten der „Berührung“ stellen Vokalisationen für andere ZPW also einen Fall von indirekter Berührung dar. Durch die akustischreferentielle Vermittlung von aktuellen Zuständen oder Sachverhalten wird auf die 36 Der Ausdruck von Emotionen kann also auf der Ebene des selbstgerichteten und des fremdgerichteten Ausdrucks betrachtet werden. Eine Vokalisation ist somit nicht per Artikulation eine an andere gerichtete Interaktionsofferte bzw. ein Appell. 37 Tomasello beobachtet hier weiterhin, dass jene Rufe allerdings nicht verstummen, wenn die Appellfunktion von den anderen – durch Zugesellung beim Essen oder kollektiver Flucht und Sicherheit – bestätigt wurde, sondern von den Primaten fortgesetzt werden, bis der eigene Hunger gestillt wurde oder die Furcht vor Feind nachlässt (Tomasello 2009: 29 f.). Rufe an die kollektive Gruppe sind mithin auch teilweise einfache Signale über emotionale Zustände. 38 Wenngleich Tomasello dieser eine unflexible Produktionsweise darlegt. In seinen Ausführungen beschreibt Tomasello das Verstehen von Vokalisationen (auch anderer Spezies) – auch unterschiedlicher Rufe unterschiedlicher Arten einen Sachverhalt betreffend – durch ZPW als flexibel.
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
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Wahrnehmung des Vokalisierenden verwiesen und dieser für den Wahrnehmenden ZPW – auch bei fehlender visueller Präsenz – als im Wahrnehmungsraum (Um- & Mitfeld) anwesend markiert. Die lautliche Vokalisation eines ZPWs gilt als Referenz zur Anwesenheit eines ZPWs im Aktionsfeld des wahrnehmenden ZPWs. Die Verlautbarung eines sich herannahenden Feindes durch Warnrufe, verweist auf die Wahrnehmung eines Feindes durch ein ZPW und dessen Aufmerksamkeitsfokus. Das Umfeld wird demnach für das wahrnehmende ZPW auf die unmittelbare Präsenz eines weiteren ZPWs als einem Selbst-Umfeld-grenzziehenden-Wesens erweitert. Die Vokalisation des Warnrufs wiederum – mit referentieller und sozialer Funktion – verweist auf die soziale bzw. altruistische Komponente des Vokalisierenden ZPWs, nämlich andere potentiell Anwesende indirekt, durch den Hinweis der eigenen Wahrnehmung von Gefahr, zu berühren und zu einem entsprechend präventiv-schutzgenerierenden Verhalten zu veranlassen.39 Wiederum anders verhält es sich bei der Betrachtung von gestischen Ausdrücken bei Primatenaffen. Hierzu zählt Tomasello die Körperhaltungen, Gesichtsausdrücke und Handbewegungen der von uns als ZPW deklarierten Primaten. Anders als die Lautproduktion sind „gestische Signale“ flexibel einsetzbar, neu erlernbar, miteinander kombinierbar und haben teilweise ideosynkratischen Charakter (Tomasello 2009: 31 ff.).40 So kann ein und dieselbe Geste zu verschiedenen Zwecken bzw. verschiedene Gesten für denselben Zweck angewandt werden, was auf eine praktisch angelehnte Flexibilität verweist. Im Gegensatz zur lautlichen Vokalisationen sind gestische Signale laut Tomasello weniger emotional aufgeladen und haben eine rein imperative Funktion, die eine soziale Aufforderung bzw. einen Appell etwas gemeinsam zu tun darstellt. So können gestische Signale soziale Aktivitäten – wie z. B. Spielen oder Fellpflege – initiieren bzw. dazu dienen, andere zu etwas aufzufordern – etwa wie beim Betteln, um das Essen zu teilen oder um in Greifweite liegende Nahrung zu erreichen.41 Gestische Signale haben somit fremdbezogenen
39 Zu moralanalogem Verhalten bei Tieren siehe die sozialbiologischen Ausführungen Reicholfs (2012). 40 Tomasello benennt neben den flexiblen gestischen Signalen auch arttypische und festgestellte arttypische gestische Signale mit Informationsgehalt als „Kommunikationsdisplays“ (Tomasello 2009: 25). Hierunter kann man das bunte Gefieder bei männlichen Pfauen oder die Mähne des Löwen zählen. Sie strahlen bestimmte festgelegte Bedeutungen aus, die – etwa beim Pfau – zum Zwecke der Balz oder – im Falle des Löwen – der hierarchischen Zuordnung dienen. 41 Tomasello betont den egozentrischen Charakter der Primaten. Nahrung o. ä. wird aus dem Motiv des eigenen Hungers erbeten; das gemeinsame Essen oder Teilen ist für Primaten nicht von Interesse (Tomasello 2009: 53).
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3
Zentrisch positionierte Wesen
Charakter, der von selbstbezogenen, nicht-prosozial motivierten gestischen Aktionen – wie dem einfachen Greifen nach etwas – unterschieden werden muss. Für die Nutzung fremdgerichteter Gesten umschreibt Tomasello diejenigen Wesenseigenschaften, die wir ebenfalls bei der Charakterisierung von ZPW gelistet haben. So produzieren Primaten fremdbezogene Gesten lediglich dann, wenn sie sich über die Aufmerksamkeit des anderen vergewissert haben, bzw. durch Aufmerksamkeitsfänger die Aufmerksamkeit des anderen auf sich gezogen haben (vgl. Tomasello 2009: 42 ff.). Jene Überprüfung der Aufmerksamkeit Alter Egos äußert sich – bei visuell geprägten ZPW – durch die Vergewisserung der Blickrichtung des anderen auf das Selbst, mit dem Ziel, die indirekte Berührung zu einer direkten Berührung zu navigieren. Die indirekte Berührung wird also zu einer direkten Berührung umgewandelt. Zur Sicherung der gegenwärtig visuellen Aufmerksamkeit des anderen richtet sich der zentrisch positionierte Primat in unmittelbarer räumlicher Nähe auf seine Bezugspartei (Tomasello 2009: 42) und versucht durch Aufmerksamkeitsfänger den Aufmerksamkeitsfokus des anderen ZPWs auf seine eigenen Gesten zu richten. Dabei weist der Aufmerksamkeitssuchende eine Sensibilität – für sowohl die Anwesenheit als auch für die Aufmerksamkeit des anderen – auf.42 Die entsprechende sozial-referentielle Geste wird nach Tomasello von dem ZPW lediglich bei der Gewährleistung von visueller Aufmerksamkeit des anderen – im Sinne der Bühlerschen demonstratio ad occulus – produziert. Dies steht im Gegensatz zu der Produktion von lautlicher Vokalisation, die, auch ohne die Aufmerksamkeit der anderen zu prüfen und mit Wissen um die Anwesenheit des rezipierenden ZPWs, ausgesandt wird und welche der Warnung der dispersen Adressaten gilt.43 Die Fremdbezogenheit und sozial motivierte Produktion der Geste zeigt sich zudem in dem Folgeverhalten des Primaten. Das Folgeverhalten auf die Geste wird abgewartet und – je nach Antwortverhalten des anderen – die erwartete Anschlussaktion gemeinsam durchgeführt, bzw. die Geste ggf. bis zum Sinken der Motivation wiederholt. Die Bemühungen zur Erzielung der Aufmerksamkeit auf die Gestenproduktion belegen die Fertigkeit der Perspektivenübernahme sowie das Wissen um die Aufmerksamkeit bzw. Wahrnehmbarkeit durch andere ZPW. Gesten, ob in Begleitung von Vokalisationen oder ohne, sind an das direkt geteilte Wahrnehmungsfeld eines weiteren ZPWs gebunden und dienen dazu, die direkte Berührung eines ZPW gegenüber einem anderen ZPW zu sichern, um eine Approximation des Gelingens von Interaktionsgebaren bzw. sozialen Anliegen 42 Tomasello
behauptet, dies sei nur bei Primaten und Menschenaffen als ZPW beobachtbar. Vokalisierungen der Menschenaffen sind beinahe vollständig genetisch festgelegt, eng mit spezifischen Emotionen verknüpft und werden wahllos an alle in der unmittelbaren Umgebung gerichtet.“ (Tomasello 2009: 19). 43 „Die
3.2 Eigenschaften zentrisch positionierter Wesen
65
herbeizuführen. Gesten sind in raumzeitlich geteilter Gegenwart das Vehikel zur Evokation gemeinschaftlicher Aktionen zwischen ZPW. Die signalhaft, momentbezogene Einbettung und die Verweiskraft auf gegenwärtig praktische Belange verleihen den Gesten eine Wirkung auf praktischer Ebene, wobei die symbolische Ebene – und somit die Ebene der sachbezogenen Informationsvermittlung – durch die Grenzen des praktischen Gebrauchs nicht erzielt werden kann. Dies erfordert ein gesteigertes Reflexionsverhalten, dass über raumzeitliche Grenzen hinaus verweist und zeigt sich im folgenden Kapitel als ein Spezifikum von exzentrisch positionierten Wesen (EPW). Die Begrenzung der ZPW auf stoffgebundene Informationsvermittlung sowie auf praktisch genutzte Interaktionsmittel korrespondiert mit den Grenzen der ZPW bezüglich deren Umwelterfassung als Umfeld hin zum Mitfeld, welches nicht über eine Reflexionsmöglichkeit der situationsgebundenen, praktischen Umfelderfassung hinausgeht. Die von Lindemann proklamierte Grenze der sozialen Reflexivität greift somit bei ZPW nicht über den praktisch, pragmatisch und situativ erlebten Zustand und der Ko-Perzeption der ZPW hinaus, lässt sich mit Blick auf die kommunikativen Gesten der ZPW jedoch auch nicht gänzlich leugnen.
3.2.5
Zusammenfassung
Ausgehend vom Berührungsbegriff, als Merkmal für die Bestimmung eines weiteren zentrisch positionierten Wesens im unmittelbaren Umfeld eines ZPWs, werden andere ZPW als potentielle Bezugseinheiten für aufeinander bezogene Aktionen erkannt. Momente der Berührung können dazu beitragen, die Anwesenheit weiterer ZPW zu registrieren und motorische Aktionen, z. B. durch Ausweichen o. ä., entsprechend anzupassen. Berührung trägt dabei zur Differenzierung vom objekthaften Umfeld zu affizierbaren verhaltensgenerierenden weiteren ZPW im Mitfeld bei. Auf dieser Differenzierung aufbauend, kann das ZPW das Verhalten des anderen ZPWs durch die Produktion von gerichteten Gesten zu beeinflussen versuchen und somit interaktives Verhalten generieren. Dieses interaktionsinitiierende Verhalten kann einseitig erfolgen und auf keinerlei Zuspruch stoßen, und somit nicht gelingen, bzw. in wechselseitig-reziprokem Austausch von Gesten münden. Hierzu bedarf es eines interaktiven Anschlussverhaltens des rezipierenden ZPWs, was gegebenenfalls von einer einfachen interaktiven Gegebenheit zu einer kooperativen Gemeinschaftsaktion (Gesamthandlung) führen kann. Die oben beschriebene Reichweite von ZPW bezüglich der Erfassung und des Aktionsspektrums von ZPW in ihrem Mitfeld beruht auf derer „kognitiven Kapazität“ während des praktischen Verhaltens. Dieses zeigt sich bei der lokalen und situationsrahmenden Reichweite
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3
Zentrisch positionierte Wesen
ebenfalls im interaktiven Verhalten, der genutzten Interaktionsmittel als auch im Umfang der Möglichkeit zur sozialen Reflexivität (Perspektivenübernahme und Erwartungsstrukturen) bei ZPW. Somit besteht ein Zusammenhang der Dimensionen von Sozialität und Interaktionsfähigkeit sowie der zeichenhaften Nutzung von Interaktionsmitteln zu der Reflexionsebene, die sich im sachbezogenen Umgang mit dem Umfeld und der fremdbezogenen mitfeldlichen Perspektivübernahme anderer ZPW widerspiegelt. Aus den obigen Erörterungen können wir also darauf schließen, dass interaktive Gesamthandlungen dadurch erreicht werden, dass a) die ZPW sich aufeinander richten und sich dabei wechselseitig berühren (fundierende Bestimmung des Interaktionspartners), b) eine Geste Egos durch eine darauf bezogene Anschlussgeste Alter Egos aus einer rein motorischen Aktion eine bedeutsame Aktion bzw. Handlung macht (kommunikative Deutung), c) eine Einstellungsübernahme bzw. Perspektivenübernahme – im Idealfall44 auf doppelte Weise über ErwartungsErwartungen45 – gegeben ist. Die Interaktionsstruktur der ZPW kann demnach als ein dyadisches Modell betrachtet werden, wobei sich dyadisch nicht lediglich auf die Anzahl der Interaktionsteilnehmer bezieht, sondern vielmehr die restringierte Abstraktionsfähigkeit der ZPW auf ein zweistufiges Zeichenmodell zurückführt und somit einen Rückgriff der ZPW auf ein übergeordnetes Regelwerk der Interaktion sowie auf eine erweiterte symbolverwendend-objektivierende Reflexionsebene ausschließt. Im Folgenden wollen wir die gewonnenen Erkenntnisse aus den sozialen Aktionsspektren der ZPW um eine Reflexionsebene erweitern und die Effekte einer erweiterten Abstraktionsfähigkeit auf den Umgang im Um- und Mitfeld, interaktive Begegnungen, Zeichengebrauch und Perspektivenübernahme näher betrachten, um somit den Übergang zu exzentrisch positionierten Wesen (EPW) zu ebnen. Die Unterscheidung der Grade von Sozialität und Reflexionsfertigkeit wenden wir dann in unserer empirischen Studie zur Analyse der Mensch-Roboter-Interaktion an, um die potentielle Bestimmung des androiden Roboters GHI-1, als soziale Person von Seiten menschlicher Nutzer, rekonstruieren zu können.
44 Dies
wäre eine bei direkter Berührung notwendige Bedingung. hierzu auch Lindemann, die die Mindestbedingung von Sozialität auf der wechselseitige Erwartungsstruktur der beteiligten Entitäten als gegeben sieht: „Konstitutiv für Sozialität ist eine Beziehung zwischen mindestens zwei Entitäten, die durch ErwartungsErwartungen (später erwartete Erwartungs-Erwartungen I. S.) im Verhältnis von Alter und Ego charakterisiert ist.“ (Lindemann 2009a: 140). 45 Siehe
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Exzentrisch positionierte Wesen
„Unter der Voraussetzung erweiterter Weltoffenheit entfällt die Annahme, dass das Soziale von miteinander agierenden Menschen gebildet wird. Es muss immer wieder neu die Grenze zwischen denjenigen gezogen werden, die als soziale Personen anzuerkennen sind und anderen Entitäten. Aufgrund dessen nimmt der Grenzbegriff für die Konzeptualisierung des Sozialen eine zentrale Stellung ein. (…) Dabei bezieht sich Grenze zunächst darauf, dass und wie sich lebendige Körper von ihrem Umfeld bzw. ihrer Umwelt abgrenzen. Erst die Komplexität der Umweltbeziehung auf der Ebene exzentrischer Positionalität führt dazu, dass dem Grenzbegriff eine neue Bedeutung zukommt, nämlich die Begrenzung des Kreises sozialer Personen.“ (Lindemann 2014: 85)
In dem obigen Kapitel zu ZPW haben wir die Mindestbedingungen beschrieben, die in der Plessnerschen Konzeption von Lebendigkeit vorherrschen müssen, um als ein Lebewesen zu erscheinen, welches selbstbezogen und in Differenz zu einer Selbst-Umfeld-Relation agiert. Dabei haben wir herausgearbeitet, dass zentrisch positionierte Wesen dazu fähig sind, sich adaptiv praktisch und aktuell auf das Feld bezogen zu verhalten und auf jener Ebene momenthaft, mit weiteren ZPW, ein rudimentär soziales, da mitfeldliches, Berührungsgefüge einzugehen. Als Maßstäbe für die sozial-kognitiven Kapazitäten der ZPW gelten dabei 1.) der Zeichengebrauch der ZPW, welcher auf Signale und deiktisch-kontextuell gebundene Zeichen begrenzt ist, sowie 2.) die Reichweite der Fertigkeit zur Perspektivübernahme und das In-Beziehung-zu-anderen-Wesen-Setzen der ZPW, welche beide im Einklang mit der Reichweite der kontextuell-situativen Welterfassung von ZPW stehen. Obgleich der Umgang zentrisch positionierter Wesen miteinander ein bemerkenswertes soziales Phänomen darstellt, bei dem die rudimentären aktuell-praktischen Grundzüge von Sozialität in einem „Mitfeld“ erscheinen, existiert eine Wesensform,
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_4
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Exzentrisch positionierte Wesen
welche dazu fähig ist, über die situativ-praktischen Bezüge in seinem Umfeld hinaus zu agieren und ebenso mit anderen Lebewesen ein entsprechend komplexeres Beziehungsgefüge zu etablieren.
4.1
Erweiterte Reflexionsfertigkeit
Wendet man seinen Blick weiter auf Wesen bzw. Entitäten (wie etwa Menschen), denen – laut Plessner – ein Personenstatus zugesprochen wird, so haben wir es mit Wesen zu tun, die eine graduell-qualitative Steigerung ihrer kognitiven Kapazitäten, der Reflexions-, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit sowie der Symbolverwendung in den Bereichen des Selbst-, Umwelt- und Fremdbezugs aufweisen. Lindemann, mit Bezug auf Plessner, attestiert dabei einen gesteigerten Grad an Objektivation als auch an Selbstbezüglichkeit, d. h. einen reflexiven Blick auf die eigenen Aktionen und Reflexionen, sowie den Übergang zu einer leiblichen Relation des Selbst im Bezug zu seinem Um- und Mitfeld. Diese erweiterte Reflexionsfertigkeit begünstigt laut Lindemann und Plessner eine erweiterte Weltoffenheit (Lindemann 2014), welche über Objektivation, Wesen – aus dem Zustand der zentrischen Positionalität – in den Zustand der exzentrischen Positionalität versetzt. „Die Möglichkeit der Objektivation seiner selbst und der gegenüberliegenden Außenwelt beruht auf dem Geist. D. h. Objektivieren oder Wissen ist nicht Geist, sondern hat ihn zur Voraussetzung. Gerade weil das exzentrisch geformte Lebewesen durch seine Lebensform der naturgewachsenen, mit der geschlossenen Organisation gegebenen Frontalität, Entgegengestelltheit gegen das Umfeld enthoben und ein Mitweltverhältnis zu sich (und zu allem was ist) gesetzt ist, vermag es die Undurchbrechbarkeit seiner Existenzsituation, die es mit den Tieren verbindet und von der die Tiere auch nicht loskommen, zu bemerken.“ (Plessner 1975: 305 f.)
Generell vergrößert sich mit der Reflexionsstruktur exzentrisch positionierter Wesen – im weiteren abgekürzt als EPW benannt – die kognitive Erfassung der Welt hinsichtlich einer erweiterten offenen Welterfassung, die parallel mit der Fertigkeit zur Symbolverarbeitung von Sachverhalten einhergeht. Diese kann als Initialzündung zur Abstraktionsfähigkeit und zu einer objektivierend-reflexiven Sicht auf die Gegebenheiten des Selbstbezugs, des Umweltbezugs als auch auf die Struktur des Fremdbezugs benannt werden, auf die wir im folgenden Abschnitt näher eingehen wollen. Da wir in Abschnitt 4.5 die Symbolverarbeitung von EPW als zentrales Moment der objektivierenden Reflexion auf die Welterfassung darlegen werden, widmen wir uns zunächst dem Effekt der erweiterten Reflexionsfertigkeit der EPW. Eine erweiterte Reflexionsstruktur realisiert sich in der objektivierenden Erfassung
4.1 Erweiterte Reflexionsfertigkeit
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von andauernden Zuständen, Wahrnehmungsinhalten sowie dem eigenen Erleben und umfasst neben dem 1) Selbstbezug (Individualisierung) sowohl den Bezug auf 2) die Umwelt als auch 3) die reflexive Struktur des Fremdbezugs (Dividualisierung) (vgl. Lindemann 2014: 97). EPW nehmen sich gegenseitig als Entitäten wahr, die sich auf ihre Umwelt beziehen, indem sie eine Selbst-Umwelt-Relation praktizieren und, einen Schritt weiter, auch dazu befähigt sind, mit anderen Lebewesen eine Relation aufzubauen, die sich in ihrer wechselseitigen adaptiven Verhaltenskoordination als Selbst-Mitwelt-Relation äußert. Im Falle des 1) Selbstbezugs und der gegebenen Fertigkeit die Welt reflexiv zu erfassen als auch offen gegenüber dieser zu stehen, gerät die Grenzrealisierung des EPW mit dem Umfeld zu einem SelbstUmwelt-Verhältnis, in dem das EPW sich selbst in Relation zu der Welt erkennt und sich somit als Leib wahrnimmt. Das EPW erfährt mit seiner Reflexion der eigenen Selbst-Umwelt-Differenz eine Individualisierung seines Selbst von kontextuell festgelegten Aktionen in Um- und Mitwelt. Bezogen auf die 2) Selbst-UmweltRelation, erlaubt die reflexive Struktur der Weltoffenheit des EPWs eine aus den Fugen der aktuellen Ereignisse und situativen Begrenzungen enthobene Transformation des Umfelds zu einer Umwelt. Die Selbst-Umwelt-Relation vermag mit jeweiligen Eventualitäten in Raum- sowie in Zeitstrukturen umzugehen, als auch einen reflexiven Blick auf das Selbst – als einem in der Umwelt agierenden und somit als einem leiblichen Wesen – zu werfen.1 Die Reflexivität des EPWs wirkt dabei in die Bereiche des Zeichengebrauchs und der Rollengenerierung beim Fremdbezug mit hinein. Die Welt wird demnach nicht mehr lediglich situativ begreifbar, sondern in einem weiteren Zusammenhang, wie dies etwa anhand der Abstraktion von Ereignissen in der Welt durch symbolhaften Zeichengebrauch und dem damit parallel gegebenen Auflösen der Unmittelbarkeitsstrukturen der ZPW, ersichtlich wird. Das weltoffene EPW ist dazu befähigt, die Aktionen in der Umwelt variabel zu planen und Ereignissen in der Umwelt mit alternativen Gestaltungsoptionen zu begegnen. So kann eine Person einen vereisten Weg – ähnlich dem ZPW – auch durch Gewichtsverlagerungen bewältigen, bzw. versuchen, das Problem anhand der Nutzung von Werkzeugen oder behelfenden Konstruktionen, die das Eis aufspalten, gänzlich zu Eleminieren bzw. die Option in Betracht ziehen, den vereisten Weg im kommenden Winter durch Präventivmaßnahmen (wie Streusalz) zu umgehen.
1 Leiblichkeit wird von Lindemann im Sinne von Schmitz vertreten (1965). Dieser Auffassung
wollen wir implizit folgen, wollen auf den Leibbegriff hier allerdings aus Platzgründen nicht weiter vertieft eingehen.
70
4.2
4
Exzentrisch positionierte Wesen
Der Fokus auf die Leib-Mitwelt-Relation
Betreffend 3) der reflexiven Struktur des Fremdbezugs wird „(…) mit dem Übergang zu EPW (wird) der Sachverhalt, dass sich die Beziehung zu anderen leiblichen Selbsten (über Artgenossen hinweg I. S.) praktisch zu Dingen unterscheiden, noch einmal auf sich bezogen.“ (Lindemann 2014: 98). Exzentrische Positionalität wirkt sich vielfältig auf das Beziehungsgefüge zwischen EPW aus und ist durch das Reflektieren des Beziehungs- und Berührungsgefüges der EPW zueinander charakterisiert. Dadurch ist eine erweiterte soziale Relation als auch soziale Reflexivität gegeben, welche aus einer objektivierenden Perspektive bewertbar wird und bewirkt, dass wechselseitige Berührung als Initiierung von sozialen Gefügen bewusst und zum Teil des Selbstverständnisses des EPW wird.2 Lindemann erörtert diese Nuance – im Unterschied zur „Individualisierung“ (auf der Ebene des Selbstbezugs) – als Dividualisierung, d. h. als eine Disposition der Weltauffassung als einer genuin gesellschaftlich geprägten Lebenswelt, durch „(…) das Erleben des Vollzugs der Vermittlung dauernder sozialer Bindungen“3 (Lindemann 2014: 97). Diese exzentrische Reflexionsstruktur der EPW auf ihre soziale Umwelt hat in mehreren Belangen Auswirkungen auf unsere bisherige Sicht auf das Sozialgefüge bei ZPW. Die exzentrische Reflexionsstruktur bei EPW ändert den Umgang und die Erfahrung von sozialer Welt in mehreren Hinsichten. Dabei handelt es sich um die a) Erweiterung des Erlebnisfaktors und eines Re-entries des Beziehungsgefüges innerhalb der Erlebnissphäre. Die Berührungsrelation affiziert dabei die Erwartungshaltung von EPW als (erwartete) Erwartungs-Erwartung gegenüber der berührenden Instanz. B) 2 Auf diese Reflexionsebene der eigenen sowie fremden Aktionen bezieht sich Lindemann im
weiteren Verlauf als inhärente objektivierende Drittenposition. als genuine Wesen mit exzentrischem Positionalitätscharakter, seine Ausführungen zur Exklusivität von EPW gegenüber anderen Lebewesen, als in eine soziale Welt „hineingeboren“, zeigt sich mitunter in der folgenden Passage: „In einem Mitverhältnis, d. h. in einer der nackten Gegenüberbeziehung (die überhaupt nur ein dem Menschen, der Sinn für Gegenständlichkeit hat, vorstellbarer Grenzfall ist) nicht vergleichbaren Relation des Mitgehens, des Nebeneinanders und Miteinanders steht alles Lebendige aus Gründen seiner Lebendigkeit. (…) Vor allem beherrscht das Mitverhältnis die Beziehung des Lebewesens zu seiner Umwelt, einerlei, ob an ihrer Bildung tote oder belebte Dinge beteiligt sind. Ein echtes Gegenverhältnis (…) kennt nur der Mensch. Und auch seine Welt ist notwendig getragen von Umweltcharakteren, wie in der Organisation seiner eigenen Existenz das Höhere und spezifisch menschliche vom tierischen getragen wird. Auch sie zeigt sich notgedrungen (…) als Milieu, als ungegliederte ‚Atmosphäre‘, als Fülle der Umstände, die den Menschen umgeben und tragen. Die tausend Dinge mit denen wir täglich zu tun haben, (…), sind nur der Möglichkeit nach Objekte, als Elemente des Umgangs mit ihnen aber Komponenten des Umfeldes, Glieder des Mitverhältnisses zu ihnen.“ (Plessner 1975: 308).
3 Plessner charakterisiert Menschen
4.2 Der Fokus auf die Leib-Mitwelt-Relation
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die Leib-Umwelt-Relation wird aus dem praktischen Feldbezug der ZPW als SelbstMitfeld-Relation zu einer Leib-Mitwelt-Relation, in der – neben dem Umfeld – auch das soziale Mitfeld durch eine erweiterte Offenheit der Welterfassung geprägt ist und entsprechend zu einer Transformation des Um- und Mitfelds zur Um- und Mitwelt führt.4 C) die sich ergebende Kontingenz der Mitwelt, als auch der Umwelt, wird durch Sozialisierungsprozesse – von mitunter institutionell legitimierten, historischen Mitwelten und Personenkonzepten – eingedämmt, d. h., die Weltoffenheit der EPW wird durch Vorgaben anderer EPW in ihrer überbordenden Kontingenz reguliert und – im Rahmen primärer und sekundärer Sozialisation – mit einem (historisch variierenden) Regelwerk zum Umgang mit der erweiterten Weltoffenheit ausgestattet.
4.2.1
Erwartungs-Erwartungen
Analog zu den Ausführungen zu ZPW können wir auch hinsichtlich EPW Berührungsrelationen als ausschlaggebend und initiierend für ein Sozialgefüge der Wesen mit- und untereinander anführen. Dabei behalten wir die Unterscheidung als auch die Struktur der direkten und der indirekten Berührung bei. Jedoch ergeben sich aufgrund der erweiterten Reflexionsfertigkeit der EPW auf mehreren Ebenen wesentliche Änderungen der Berührungsrelation. Diese Ebenen umfassen das Erfahren der Mitwelt, die Abstraktionsfertigkeit von EPW anhand des Gebrauchs von Symbolen und schließlich die Bezugnahme auf die eigene Reflexion der Ereignisse als Drittenbezüge der EPW. Mit einer distanziert-objektivierenden Sicht auf die Leib-Umwelt-Relationen der EPW gerät die sozial-kognitive Erfassung von Alter Ego in neu erfahrbare Bereiche. Das wechselseitige Berührungsverhältnis eröffnet das Erleben der Umwelt als ein Erleben in sozialer Präsenz mit weiteren sozialen Akteuren, gegenüber denen die Einstellung Egos durch eine erweiterte Erwartungsstruktur gekennzeichnet ist. Lindemann postuliert, dass die Reflexionsstruktur bei ZPW eine einfache Erwartungsstruktur der ZWP zueinander erlaubt, was sich in einer einfachen Erwartungshaltung Egos gegenüber Alter Egos Anschlussverhalten äußert. Hier kann davon ausgegangen werden, dass auch Alter Ego gegenüber Ego eine Erwartung bezüglich des Folgeverhaltens hat und seine Aktionen gemäß seiner Erwartung fortführt (vgl. Lindemann 2009: 79): „Ego nimmt Alter wahr und entwickelt in der Interaktion Erwartungen bezüglich des weiteren Verhaltensablaufs auf der Seite 4 Die
Leib-Mitwelt Relation kann auch als eine Form der „Zwischenleiblichkeit“ (bzw. „intercorporéité“) betrachtet werden, wie sie von Merleau-Ponty (1974) beschrieben wird.
72
4
Exzentrisch positionierte Wesen
von Alter. Wenn Alter dies entsprechend tut, kann man davon sprechen, dass Ego und Alter ihr Verhalten aufeinander abstimmen. Dabei befinden sich Ego und Alter in einer Situation einfacher Kontingenz, denn unwägbar kontingent ist das Verhalten des begegnenden Gegenübers“. ZPW koordinieren ihr Verhalten basierend auf der einfachen Kontingenz betreffend des Anschlussverhaltens des Gegenübers. Der Fremdbezug wird dabei als unvorhersehbar gesetzt, während die Affiziertheit des Selbst sowie der Bezug des Anderen auf das Selbst für das ZPW noch keine Rolle spielen. Bei EPW hingegen sind noch weitere Reflexionsebenen gegeben, welche – neben der Erwartung gegenüber anderen EPW – eine Erwartungshaltung gegenüber des Selbst beinhalten als auch einen objektivierenden Blick auf das Beziehungsgefüge über erwartete Erwartungserwartungen erlauben: „Erwartungen determinieren, wie sich Ego und Alter in Bezug aufeinander verhalten. Dabei ist immer implizit ein Rückbezug des Erwartens auf das erwartende Selbst gegeben.“ (Lindemann 2009: 195). Die Reflexivität der Berührung bei EPW äußert sich durch wechselseitige Erwartungs-Erwartungen gegenüber dem anderen EPW bzw. Alter Ego. Dabei richtet Ego sein Verhalten danach aus, welche Erwartungshaltung Alter Ego ihm gegenüber haben könnte. Diese Erwartungshaltung ist die einer wechselseitigen Erwartungs-Erwartung. Ego erwartet dabei weiterhin, „dass Alter erwartet, dass Ego das eigene Verhalten vom Verhalten Alters abhängig macht“ (Lindemann 2009: 80). Die Struktur der Erwartungs-Erwartung basiert dabei auf dem Sachverhalt, dass Ego und Alter Ego beide füreinander als EPW vorkommen, d. h. als Lebewesen, die in einer Leib-Umwelt-Relation stehen und die ebenso andere EPW als in einer Leib-Umwelt-Relation befindlich deuten können und somit füreinander einen Teil der Mitwelt darstellen. Wie das Anschlussverhalten Alter Egos abläuft, ist für Ego genauso ungewiss, wie sein eigenes Anschlussverhalten auf Alter Egos Aktionen.5 Diese Ungewissheit betrifft die Ebene des Fremdbezugs ebenso wie die Ebene des Selbstbezugs, bei der Ego sich selbst reflexiv dabei erkennt, dass er Alter Ego als ein Selbst beobachtet, welches zwischen Umwelt und Selbst unterschiedet und seine Wahrnehmungen und Eigenaktivitäten daran abstimmt. „Deren Verhältnis zueinander zeichnet sich durch wechselseitige Erwartungs-Erwartungen aus, daß heißt, Ego erwartet, dass Alter Erwartungen an Ego richtet und orientiert seine Eigenaktivität an den erwarteten Erwartungen. Das gleiche gilt umgekehrt für Alter.“ (Lindemann 2009: 25). Vermittels der Berührungsrelation wird eine fundierende Deutung vorgenommen und Alter Ego von Ego als ein EPW wahrgenommen, das analog zum eigenen Selbst über Erwartungshaltungen verfügt. Diese Erwartungshaltungen Alter 5 Zu
dem Themenfeld der Anschlusskommunikation als bedeutungsgenerierende Bedingung für EPW in Interaktion, siehe Abschnitt 4.7.
4.2 Der Fokus auf die Leib-Mitwelt-Relation
73
Egos beinhalten mitunter eine Annahme über die Erwartungen Egos an Alter Ego. Aus der einfachen Kontingenz bei ZPW wird also eine doppelte Kontingenz der EPW, die in der „Emergenz der Kommunikation“ (vgl. Luhmann 2001a, 2001b) aufgelöst wird. Innerhalb dieser „Emergenzkonstellation“ (Lindemann 2009: 25) wird erst im Prozess der Kommunikation bzw. in der Anschlusskommunikation das Bedeutungsspektrum der sozialen Einheit deutlich (vgl. Abschnitt 4.6) Dabei sind die Inhalte der Erwartungsstruktur zunächst nicht vorrangig, sondern vielmehr die Disposition der wechselseitigen Annahme, dass der andere (Alter Ego) Ego als Person einschätzt, die Erwartungs-Erwartungen an eine soziale Relation heranträgt und somit dazu befähigt ist, das Gefüge der sozialen Relation konstant und stabil fortzuführen. Erwartungs-Erwartungen liefern die Struktur eines Pools von Verhaltenskoordination, die abgelöst von rein situativen Ereignissen, aufbauend auf der offenen Welterfassung der EPW, durch die Unabsehbarkeit des Beziehungsverlaufs markiert sind. Die jeweilige Auflösung des Beziehungsverlaufs erfolgt dabei in dem kommunikativen Prozess selbst. Wie dieser Verlauf durch eine weitere Struktur der erwarteten Erwartungs-Erwartungen (EEE) absehbar gemacht werden kann bzw. wie inhaltliche Einschränkungen der offenen Kontingenzen verringert werden, wird anhand des Prozesses der kommunikativen Deutung ersichtlich. Wir wenden uns diesen Überlegungen im Kapitel zu der „Revision der Bedeutungslehre“ (Abschnitt 4.7) näher zu. B) Erweiterung des Feldbezugs auf Weltbezüge: „Ein EPW erfährt sich gleichursprünglich als ein Glied der Mitwelt, in der andere exzentrisch leibliche Selbste existieren, die es berühren.“ (Lindemann 2014: 99).6 Mit der reflexiven Struktur der exzentrischen Positionalität gerät die soziale Umwelt von einer ZPW SelbstMitfeld-Relation zu einer Leib-Mitwelt-Relation, in der sich die Objektivierung als auch die Offenheit der Welterfassung auf die soziale Reflexion der EPW überträgt. Die soziale Welt ist als Mitwelt dem EPW als Existenzform inhärent und durch Dividualisierung geprägt, wobei in der selbstverständlich andere Lebewesen (EPW und ZPW) einen Teil der Lebenswelt darstellen und in dem sich das EPW seiner Positionierung und Berührungskonstellation mit anderen EPW bewusst ist. Die Berührungsstruktur unterscheidet sich dabei durch wechselseitig (erwartete) Erwartungs-Erwartungen. Das soziale Gefüge als Weltgefüge weist auf die Offenheit der Lebensgestaltung in der Umwelt hin, die sich notwendigerweise auch in der Mitweltrelation spiegelt.7 Das ausschlaggebende Faktum für die reflexive 6 Weder
Lindemann noch Plessner gehen auf die Relation von gemischten/interspezischen ZPW/EPW-Konstellationen ein. 7 Vgl. Gehlen (2004) und Berger/Luckmann (2003 [1980]) über Institutionen als Stützen der Kultur im Sinne einer „künstlichen Natur“.
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4
Exzentrisch positionierte Wesen
Erfahrung von sozialen Beziehungen fußt – neben der Offenheit der Erfahrung von Umwelt – auf der Fertigkeit von EPW, die Welt auf abstrakte Weise zu erfassen und – abgelöst von praktischen Hier-und-Jetzt Konstellationen – über die Fertigkeit zum Symbolgebrauch, situationsentbunden und vielmehr empraktisch Sachverhalte darzustellen und begrifflich zu vergegenwärtigen (vgl. Bühler 1982: 158 f.). Die Fertigkeit auf symbolische Weise die Welt zu ordnen, in Begriffe zu fassen und dieses symbolische Welterleben gegenüber anderen kommunikativ darzustellen, trägt zu der erweiterten sozialen Reflexivität der EPW erheblich bei. Bezogen auf das Berührungs- und Beziehungsgefüge eröffnet sich den beteiligten EPW eine emergente soziale Einheit, welche die separierten Selbst- und Fremdbezüge übersteigt und zu einer gemeinsamen „Wirbeziehung“ vermengt. „Die Sphäre, in der wahrhaft Du und Ich zur Einheit des Lebens verknüpft sind und einer dem andern in’s aufgedeckte Anlitz blickt, ist aber dem Menschen vorbehalten, die Mitwelt, in der nicht nur Mitweltverhältnisse herrschen, sondern das Mitverhältnis zur Konstitutionsform einer wirklichen Welt des ausdrücklichen Ich und Du verschmelzenden Wir geworden ist.“ (Plessner 1975: 308)8
So erfahren EPW zwar durch Berührungsrelationen zur Mitwelt ein Involviertsein mit anderen Lebewesen, dennoch ist die Mitweltrelation vornehmlich durch die Fähigkeit der Vermittlung von symbolischen Gesten ermöglicht. Als Bestätigung und als Leitlinie für die Bestimmung von Mitwelt-Relationen tritt neben die fundierende Deutung, die kommunikative Deutung von Interaktionen (Lindemann 2009: 80), die den EPW das Verhalten potentiell anderer EPW als Ausdruckshandlungen und Interaktionsaufforderungen zu „verstehen“ erlaubt.9 Die Mitwelt zeichnet sich somit aktiv durch die Bestimmung von Kommunikationspartnern sowie durch die Aktualisierung von Kommunikationen über das Verstehen von Ausdruckshandlungen aus. „EPW finden sich eingelassen in unbestimmte, aber zu bestimmende Berührungsrelationen, für welche Reize sie in welcher Weise sensibilisiert sind, muß durch zu bildende Formen festgelegt werden.“ (Lindemann 2014: 100) sowie „(…) die Akteure (bringen) füreinander und voneinander zum Ausdruck, wie sie sich in diesen Dimensionen orientieren und wie ihre Sensibilität entsprechend zu gestalten ist.“ (ebd.). Die kommunikative Deutung von anderen EPW in der Mitwelt zeichnet
8 Siehe auch Schütz zu „Wirbeziehung“ (1993 [1932]) bzw. Ansätze der „shared mind“ (Zlatev
2008) und „shared intentionality“ (Tomasello & Carpenter 2007). dem Verstehens- und Kommunikationsbegriff und zur Bedeutungsgenerierung siehe Abschnitt 4.6 f. Exemplarisch zu dem Problem vom Fremdverstehen von Ausdruckshandlungen siehe Scheler (1974).
9 Zu
4.2 Der Fokus auf die Leib-Mitwelt-Relation
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sich entsprechend durch das Verfügen der EPW über die Mittel zur Anschlussinteraktion aus. Diese Mittel – wie etwa Sprache – können während der initiierenden Begegnung miteinander ausgehandelt werden bzw. durch Sozialisationsprozesse im Sinne habitualisierter Handlungen manifest gemacht worden sein (vgl. Bourdieu 2009). EPW sind demnach durch objektivierende Symbolverwendung sowie Reflexionsfertigkeit als soziale Personen gekennzeichnet. „Positional liegt ein Dreifaches vor: das Lebendige ist Körper, im Körper (als Innenleben oder Seele) und außer dem Körper als Blickpunkt, von dem aus es beides ist. Ein Individuum, welches positional derart dreifach charakterisiert ist, heißt PERSON. Es ist das Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmungen und seiner Aktionen, seiner Initiative. Es weiß und es will. Seine Existenz ist wahrhaft auf Nichts gestellt.“ (Plessner 1975: 293)
C) Lindemann begrenzt die Kontingenz des Kreises sozialer Personen aus einer offenen Weltstruktur anhand historischer Mitwelten auf einen gesellschaftlich vorgeprägten Kreis von anerkannten und legitimierten EPW, sprich von erwartbaren Sozialpartnern. Die offene Mitweltstruktur wird somit über gesellschaftliche Regelwerke zu einer Ordnung, die als Orientierungsmuster für die Erfassung von EPW (fundierende Deutung) und für den Umgang mit Begegnungen der Leib-MitweltRelation (kommunikative Deutung) wirkt und auf einer übergeordneten Ebene eines verbindlichen Regelsystems institutionalisiert wird.10 Jene Objektivierung und gesellschaftliche Historisierung fungiert als Stütze und Richtlinie zur Orientierung daran, wer als anerkanntes EPW zählt und wie gemeinhin sich Leib-MitweltRelationen mit EPW gestalten, denn „Für EPW gibt es keine vorab festgelegten Sensibilisierungen für andere Weisen des Sich-Richtens auf die Umwelt, die Sensibilisierung einzugrenzen wird die Aufgabe der EPW selbst.“ (Lindemann 2014: 100). Entsprechend Plessners „Theorie struktureller Komplexität“ (1975) ist die Einstellung der EPW, wer zu dem Kreis weiterer positionaler Akteure zählt, offen und muss von den EPW entsprechend selbst festgelegt werden. Die Bestimmung und Festlegung weiterer EPW ist mitunter durch gesellschaftlich geprägte Sozialisationsprozesse erfolgt und leitet sich über zwei Bezugsinstanzen, wobei die erste über die reflexiv-objektivierende Drittenstruktur und die zweite über einen gesellschaftlichen Institutionalisierungsprozess verläuft, ab. Diesen Rückgriff auf unterschiedliche Bezugsinstanzen zur Bestimmung anderer EPW wollen wir analog zu dem Berger und Luckmannschen Konzept der „primären Sozialisation“ (für Drittenbezüge über „signifikante Andere“) sowie der „sekundären Sozialisation“ (für 10 Siehe hierzu das „anthropologische Quadrat“, worauf Menschenrechte basieren, die sich auf anerkannte Sozialpartner beziehen.
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gesellschaftlich institutionalisierte Regelwerke und Rollen „generalisierter Anderer“) betrachten.11 Die primäre Sozialisation wird überwiegend durch direkte und konkrete Bezugspersonen vermittelt, die einen Teil der alltäglich mundanen Lebenswelt einzelner EPW darstellen (Berger und Luckmann 2003 [1980]: 139 ff.). Jene konkreten Bezugspersonen können etwa durch persönlich-biographische Relationen mit Älteren, Erziehern oder Familienmitgliedern gestellt werden, die Grundstrukturen von sozialen Umgangsformen, symbolischen Gesten, Rollenkonzepten sowie Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Handlungsmustern vermitteln und somit u. a. die Auffassung über die Merkmale von anderen legitimierten Sozialpartnern prägen.12 Jene konkreten Bezugspersonen werden im Lindemannschen Konzept des Dritten bzw. Tertius sowohl durch reale Personen als auch durch einen objektivreflexiven Rückbezug auf deren Perspektive, im Sinne des „signifikanten Anderen“ nach Mead (Berger und Luckmann 2003 [1980]: 142 f.), gestellt. Signifikante Andere tragen demnach zu der Sozialisation des EPW bei, indem sie einen ersten prägenden Einfluss auf dessen Ausbildung von „subjektiver und objektiver Wirklichkeit“ und der in ihr vorkommenden sozialen Personen ausüben13 und eine prä-institutionelle Drittenperspektive auf anerkannte Sozialpartner bieten. Nach der Verfestigung des „primären Sozialisationsprozesses“ folgt die sekundäre Sozialisation, welche gesellschaftlich herausgebildete Verhaltensweisen, Konventionen und Regeln sowie Werte und Denkmuster legitimiert und als objektive Wirklichkeit internalisiert wird. Die sekundäre Sozialisation wird anhand der Herausbildung von typenhaften Personen, den generalisierten Anderen14 , eingeleitet 11 Gleichwohl Berger/Luckmann sich bei der Generierung von sozialen Realitäten auf den „sozialen Konstruktivismus“ beziehen und Lindemann diesem mit strukturierten „Weltordnungen“ entgegensteht, ist das Berger/Luckmannsche Objektivierungsprinzip zur Erörterung von Drittenpositionen hilfreich. Eine Weiterentwicklung des sozialen Konstruktivismus und die Verschiebung der Mittel zur Realitätsgenerierung von Wissensinhalten auf Kommunikation unternimmt der neuere Ansatz des „kommunikativen Konstruktivismus“ (vgl. hierzu Keller, Reichertz & Knoblauch 2013). 12 Innerhalb der „primären Sozialisation“ kann es mitunter zu inkonsistenten Weltauffassungen zwischen den Subjekten bzw. zu ideologischen Konstrukten von gesellschaftlicher Wirklichkeit kommen. Siehe hierzu auch Descolas vier kosmologische Weltauffassungen (2013). 13 Die Erfassung von subjektiver als auch objektiver Wirklichkeit verläuft über die Prozesse der Externalisation, Objektivation und Internalisierung, welche mitunter auch die Vorstellungen von Gesellschaft, Identität und Wirklichkeit prägen (vgl. Berger/Luckmann 2003 [1980]: 139 ff.). Als „Sinnweltstützen“ für Wirklichkeitskonstruktionen benennen Berger/Luckmann Wissenschaft, Theologien bzw. Mythologien. 14 Das Konzept des Tertius/Dritten umfasst die Vorstellung sowohl von signifikanten als auch von generalisierten Anderen als Bezugspunkt zur Bewertung anderer Wesen als potentiellen EPW.
4.2 Der Fokus auf die Leib-Mitwelt-Relation
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und mündet in Konzepten von institutionalisierten Instanzen bzw. gesellschaftlichen Teilbereichen oder Funktionssystemen und deren rollenverhafteten Protagonisten, die eine objektive Wirklichkeit über gesellschaftliche Legitimierungsprozesse (Berger und Luckmann 2003[1980]: 149 ff.) darbieten.15 Hier lassen sich die von Lindemann proklamierte historische Mitwelt und Grenzregime verorten, die Konstitutionen für einen legitimierten Kreis von sozialen Personen u. a. in Gesetzen festlegen. Eine historische Prägung von legitimen Sozialpartnern manifestiert sich (zumindest bei Menschen) in gesellschaftlichen Funktionssystemen (Luhmann 2001c, 1987). Die Reflexion und der Rückbezug auf den historisch anerkannten Kreis sozialer Personen äußert sich nicht nur in alltäglichen Regelwerken, sondern auch in der Projektion auf neuartige bisher unbekannte Entitäten, die potentielle Eigenschaften zur Inklusion in den Kreis sozialer Personen tragen. Lindemann bezeichnet dies als die reflexive Erfassung von gesellschaftlichen Grenzregimen, derer musterhaften Objektivierung und der Orientierung an jener Objektivierung zur Beurteilung von EPW (2014: 107). Dieses gesellschaftlich geprägte Ordnungssystem der historischen Mitwelt wirkt im Rahmen des reflexiven Rückbezugs der EPW während der kommunikativen Intervention mit hinein. Parallel zu der von Gehlen (2004) proklamierten Entlastungsfunktion von Institutionen als Lieferanden von Stabilität für die menschliche Gesellschaft, hat der Bezug auf historische Mitwelten eine Orientierungsfunktion, da auf sich selbst gestellte EPW „(…) selbst Formvorgaben im eigenen Umweltbezug schaffen (müssen (I. S.)), um so zu einer neuen Sicherheit in ihrem leiblichen Umweltbezug zu kommen“ (Lindemann 2015: 215). Die Bezugnahme auf einen biographisch als auch gesellschaftlich-historisch vorgeprägten Kreis von legitimen sozialen Akteuren sowie einer routinierten Bedeutungsstruktur, spielt in die soziale Reflexivität der EPW auf die Leib-Mitwelt-Relation mit anderen EPW hinein. Sowohl die durch „primäre Sozialisation“ geprägte reflexive Drittenstruktur als auch der Bezug auf über „sekundäre Sozialisation“ erfahrene institutionell legitimierte, soziale Akteure, liefern gesellschaftlich geteilte Sinnstrukturen zur Reflexion der Leib-Mitwelt-Relation sowie von Ausdrucksgestalten anderer und machen den Verlauf von Anschlussinteraktionen auf einer dritten Erwartungsebene erwartbar. Die Ergänzung einer Erwartungsebene äußert sich in der Erwartungshaltung von Alter Ego und Ego an einer erwarteten Erwartungserwartung (EEE), die den formalen und inhaltlichen Verlauf der doppelt kontingenten ErwartungsErwartungen auf eine erwartbare Verhaltensordnung zurückführt. So haben sich im Zuge der sekundären Sozialisation etwa Begrüßungsrituale herauskristallisiert, 15 Zur Rolle von Gesellschaft für das soziale Bewusstsein siehe auch Mead (2003) oder Vygotsky (1981).
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die einfache Zustandsbekundungen als Antworten auf offene Fragen erwartbar machen.16 Erwartete Erwartungserwartungen haben die Reduktion der Komplexität bei Begegnungen zwischen EPW sowie der offenen Erwartungshorizonte der Gegenpartei zur Funktion. Die Emergenz des Verstehensprozesses und der kommunikativen Einheit wird entsprechend in der reflexiven Auffassung von EPW „inhaltlich-semantisch“ auf als biographisch-historisch etabliert erfahrene Muster der Leib-Mitwelt-Relationen bezogen und so prospektiv eine erwartbare Anschlussinteraktion antizipiert. Abschnitt 4.2.1 behandelt die Struktur und auf den Einfluss von erwarteten Erwartungserwartungen auf die Bedeutung von kommunikativen Äußerungen näher. Die auf‘s Nichts gestellte Existenz von EPW bzw. deren erweiterte Weltoffenheit muss also nicht situativ aufs Neue bewältigt werden, sondern wird durch historische Sozialisationsprozesse in eine vorgezeichnete Ordnung gebracht. Jene Sozialisationsprozesse haben neben der Vermittlung von symbolischen Kommunikationsweisen die zusätzliche Funktion, die prinzipiell offene Mitweltstruktur durch eine Begrenzung der Mitweltkontingenzen einzudämmen und somit die fundierende Deutung sozialer Akteure nach einem bestimmten Raster zu ermöglichen.17 Als Vorgabe für die Deutung eines EPWs als sozialer Person fungieren zunächst gesellschaftlich vorgeprägte objektive Sozialisationsstrukturen von anerkannten Mitwelt-Relationen sowie von Konzepten anerkannter Sozialpartner. Einerseits werden die EPW als soziale Personen durch „Sensibilisierungen“ und „DeSensibilisierungen“ für Berührungen durch andere EPW über reale Dritte geprägt (vgl. Lindemann 2014: 100 ff.)18 , andererseits ist der Kreis von sozialen Personen, laut Lindemann, durch historische Mitwelten von ihrer Kontingenz abgelöst: Diese sorgen dafür, dass die Ungewissheit von offenen Weltstrukturen durch übergeordnet, legitimierte und erwartbare Erwartungsstrukturen der Gesellschaft minimiert werden.
16 So
entspricht die einfache Antwort „Gut“ auf die alltägliche Frage nach der Befindlichkeit Alter Egos („Wie geht es Dir?“) der Erwartungshaltung (EEE) Egos. Abweichungen von der gesellschaftlich geprägten Erwartungshaltung auf Zustandsbekundungen liefert die Studie von Sacks (1975), in der ehrliche Zustandsbekundungen als Antwort auf Begrüßungsfloskeln analysiert und als Abweichungen von der EEE des Fragenden deutlich wurden. 17 Lindemann benennt die offene Mitweltstruktur als unbestimmte Relation gegenüber anderen EPWs, die sich durch a) raum-zeitliche Strukturen, b) leibliche Selbste und c) sachliche Inhalte in ein geordnetes Gefüge ableiten lässt. Zu näheren Bestimmungen und weiteren Ausführungen siehe Lindemann (2014: 100). 18 Siehe z. B. die animistische bzw. schamanistische Weltauffassung indigener Völker, die auch Geister/Ahnen/andere Realitätsebenen als gegeben ansehen (vgl. Descola 2013).
4.3 Soziale Reflexivität bei EPW
4.3
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Soziale Reflexivität bei EPW
Wie bereits in den Ausführungen zu ZPW notiert wurde, verfügen ZPW über die Fertigkeit andere ZPW von Gegenständen zu unterscheiden und zum Bezugspunkt ihrer Aktionen zu machen. Initiiert wird jene Erfahrung anderer ZPW zusammen mit der interaktiven Beziehung anhand des von Lindemann vorgeschlagenen Konzepts der „Berührung“. Wie bereits dargelegt wurde, hat sich das Aktions- und Reflexionsspektrum von EPW – im Gegensatz zu der praktisch-situativen Rahmung der Erlebnissphäre von ZPW – um Weltoffenheit, Situationsentbundenheit und Abstraktionsfähigkeit erweitert. Dies wirkt sich somit auch unmittelbar auf die Reflexionsebene auf andere EPW aus, die notwendigerweise diejenige von ZPW übersteigt. Neben dem situativ-praktischen Erleben, Handhaben und Agieren wird für die EPW durch die objektive Reflexion der Aktionen a) das In-den-BlickNehmen der Berührungsbeziehung, b) die geteilte Interaktionspraxis sowie c) die Verwendung von Symbolen möglich. Wir gehen also davon aus, dass sich jene erweiterte Reflexion auf Gegebenheiten der Umwelt auch auf die Ebene der sozialen Reflexion auswirkt und diese um eine kontingente Um- und Mitweltrelation erweitert.
4.3.1
Die ordnungsbildende Rolle Dritter
Lindemann erörtert die Ebene der sozialen Reflexivität EPW über ihre Bezugnahme auf Dritte/Tertius. Dabei handelt es sich bei dem Konzept des Dritten nicht zwangsläufig lediglich um eine real anwesende externe Beobachterinstanz, welche dem sozialen Gefüge zwischen EPW ein Relationsverhältnis anerkennt, sondern vielmehr um die Reflexion der EPW auf ihr gegenseitiges Berührungsverhältnis sowie den sich unterbreitenden Erwartungen an deren Relation aus der Perspektive ordnungsbildender Dritter (vgl. Lindemann 2010a). Als jene „Drittenbezugsgrößen“ können die objektive Sicht signifikanter Andere im Rahmen der primären Sozialisation dienen, aber auch generalisierte Andere, die eine bestimmte Rollenfunktion – z. B. als Ärzte oder Pflegepersonal (siehe Lindemann 2002) – zur Verfügung stellen. Angeschlossen an jene Bezugsgrößen erkennen EPW bestimmte Begegnungen als Begegnungen mit Sozialpartnern – bzw. wägen EPW unsichere fundierende Deutungen von Sozialpersonen nach den (erwartbaren) Erwartungs-Erwartungen über eine reflexive Tertiusperspektive ab. Im Gegensatz zu der einfach kontingenten sozialen Reflexivität bei ZPW wird das gegenseitige Berühren und Berührt-Werden der EPW einerseits als soziale Relation
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erlebt und andererseits als eben jene reflektierbar. Jene Reflexivität auf die wechselseitige Berührungsrelation beinhaltet das reale Erfahren der wechselseitig erlebten Berührungsrelation, als auch das distanzierte In-den-Blick-Nehmen der Relation aus einer (der Subjektivität enthobenen) objektiven Perspektive der EPW. Lindemann benennt diese „Reflexion der Leib-Umwelt-Beziehung“ in der „leibliche Selbste die Berührungen anderer Selbste erleben“ (vgl. Lindemann 2014: 201) aus der Perspektive Dritter.19 Die Dritten- bzw. Tertiusperspektive liefert den EPW einen Blick auf ihr gegenseitiges Erleben und konnotiert ihre Wahrnehmungen und wechselseitig bezogenen Aktionen aus der reflexiven Sicht eines Dritten, welche eine objektive Bedeutung der Aktionen und Wahrnehmungen der EPW ermöglicht. „Im Anschluß an Plessner stellt sich soziale Reflexivität als Erleben des Erlebens des anderen aus der Tertiusperspektive dar. In dieser Reflexion erleben Ego und Alter sich selbst und ihr auf den anderen gerichtetes Wahrnehmen und Agieren aus der Perspektive von Tertius. (…) [Der Dritte ist zu verstehen als ein erlebtes leibliches Richtungszentrum, über das vermittelt das Erleben der Berührung erlebt wird.] Auf diese Weise wird der Dritte als operative Realisierung der Reflexivität exzentrischer Positionalität verstanden. Der Dritte ermöglicht die erlebte Reflexion der Berührungsbeziehung zwischen Ego und Alter. Damit bildet die Triade den Ausgangspunkt, von dem ausgehend die Entstehung von Ordnung zu begreifen ist.“ (Lindemann 2014: 201 f.)
Die Tertiusperspektive, als Reflexion auf die Perspektive Alter Egos und somit auf das wechselseitige Geschehen, liefert somit das ordnungsbildendende Moment der sozialen Relation. Ego erkennt seine Wirkung auf Alter Ego auf der Ebene der Berührung und erlebt das Berührt-Werden Alter Egos vermittels der Drittenperspektive auf die wechselseitige Berührungsrelation. Die Drittenperspektive liefert eine distanzierte Sicht auf die Ego-Alter Relation und generiert anhand der Berührungsmuster – ggf. mit Rückgriff auf bereits erfahrene (und somit der Reflexion zugänglichen und diese prägenden) Berührungsprozesse – einen Deutungshorizont der sich vollziehenden Aktionen. Mit Rückgriff auf die Tertiusperspektive wird die 19 Für Lindemann bezeichnet die Reflexion der Beziehungsrelation von EPW aus der Perspektive Dritter eine operative Realisierung der exzentrischen Positionalität. „Wenn man diese Erweiterung vornimmt, lässt sich klarer verstehen, worin die Reflexivität der exzentrischen Positionalität besteht. Sie ist zu begreifen als Reflexion der Leib-Umwelt-Beziehung, in der der Sachverhalt vorkommt, dass leibliche Selbste die Berührungen anderer Selbste erleben. (…) Dies wird ermöglicht durch die Einführung des Dritten. Der Dritte ist zu verstehen im Sinne einer operativen Realisierung der reflexiven Struktur exzentrischer Positionalität. Bezogen auf die Berührungsbeziehung zwischen Ego und Alter heißt das, dass diese das Erleben der Berührung durch den anderen aus der Perspektive realer Dritter erleben.“ (Lindemann 2014: 201).
4.3 Soziale Reflexivität bei EPW
81
Berührungsrelation reflektiert und die Beziehung der EPW anhand der angenommenen Erwartungshaltung Alter Egos aus der Tertiusper-spektive auf das Geschehen sinnhaft erfahrbar. Das soziale Gefüge wird dabei für die EPW als real existent und als etabliert erfahren, und die Aktionen der EPW anhand „antizipierter Erwartungen von Tertius“ als aus einem externen Blick objektiv bedeutsam (ebd.). Ego und Alter reflektieren demnach ihre Relation aus der Sicht einer Dritten beobachtenden Instanz und generieren die Bedeutung ihrer wechselseitig bezogenen Aktionen aus jener objektiven Sicht bzw. aus der (erwarteten) Erwartungshaltung eines beobachtenden und sinngebenden Tertius. Dabei müssen Ego und Alter Ego allerdings nicht zwangsläufig auf dieselbe Dritteninstanz zurückgreifen und sind somit in ihren Interaktionsdeutungen als auch in den Statuszuschreibungen potentieller Personen nicht zwangsläufig deckungsgleich (siehe auch Abschnitt 4.6.1), sondern operieren mit kontingenten Tertiusperspektiven. Diese Variabilität von Tertius für unterschiedliche EPW deckt somit interkulturelle Differenzen sowie Missverständnisse bei hetero- als auch bei homogenen Gruppen von EPW gleichermaßen ab.
4.3.2
Einfluss der Tertiusperspektive auf indirekte Berührung
Mit der Anwendung der Tertiusperspektive wird die indirekte Berührung um die Reflexionsebene der Beobachtung anderer EPW während der indirekten Berührung erweitert. Die indirekte Berührung bei EPW hat also zusätzlich zur differenzierenden Funktion anderer EPW (und ZPW) gegenüber objekthaften Umweltereignissen eine sozial-reflexive Funktion. Das EPW erlebt somit seine auf Alter Ego gerichtete Wahrnehmung zusätzlich aus einer Perspektive, die die beobachtende Wahrnehmung beobachtet und als beobachtende Eigenwahrnehmung klassifiziert. Somit ist sich Ego darüber im Klaren, dass er durch Alter Ego indirekt berührt wird und ebenso darüber, welchen Sinn dieses Wahrnehmen der Wahrnehmung Alter Egos für das Relationsgefüge hat. Ego erkennt sich im Bezug zu Alter Ego als auf dessen Aktionen gerichtet und als dessen Aktionen deutendes Wesen. Betrachtet Alter Ego beispielsweise einen Gegenstand und manipuliert diesen mit einem Werkzeug, so kann Ego aus der Tertiusperspektive seine Beobachtung Alter Egos während des z. B. Kochens, Hämmerns, Zeichnens etc. als eben jenes benennen und ErwartungsErwartungen gegenüber Alter Ego bezüglich seiner weiteren Aktionen hegen. Der Sinn des Verhaltens wird dabei nicht nur auf die Perspektive Alter Egos gelegt, sondern inkludiert das Relationsgefüge, welches Ego durch seine Beobachtung – z. B. als vor Alter Ego verstecktes, offenes oder Kontakt suchendes und beobachtendes EPW – etabliert. So kann Ego, der sich außerhalb des Wahrnehmungsfeldes Alter
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Egos befindet, im Falle von lautlicher Vokalisation (und damit von indirekter Berührung durch Alter Ego) dessen Gespräch mit jemand anderem (mit)hören. Ego weiß dabei um seine Exklusion aus dem Wahrnehmungsfeld Alter Egos und kann – entsprechend seiner Motivation – Bemühungen anstellen, um eine direkte Berührung zu initiieren bzw. dies unterlassen, um nicht in eine direkte Berührungsbeziehung mit Alter Ego zu geraten. Die indirekte Berührung aus der Tertiusperspektive Egos gibt demnach Alter Egos Aktionen einen übergeordneten Sinn und erlaubt das SichSelbst-in-den-Blick-Nehmen Egos im Relationsgefüge zu Alter Ego. Ego erkennt sich dabei als einen indirekt Berührten und als Alter Ego beobachtenden Akteur. Bezogen auf den Fall der direkten Berührung antizipiert Ego, dass er Alter Ego wahrnimmt, während Alter Ego die Wahrnehmung Egos erfährt und im Wechselspiel ebenso Alter Egos Aufmerksamkeitsfokus auf Ego erfährt. Beide wissen dabei um ihre wechselseitige Wahrnehmung, um das wechselseitige Berühren und Berührtsein sowie um den sich daraus ergebenden Umstand, dass sich sowohl Aktionen des jeweils anderen an das Selbst richten als auch, dass die eigenen Aktionen an den Anderen gerichtet werden können. Die direkte Berührung stellt also die Grundlage zur Interaktion für die beteiligten EPW dar. Direkte Berührung geht bei EPW über den rein aktuellen Wahrnehmungscharakter von ZPW hinaus und wird nach ihren expressiven Manifestationen (siehe Ausdruck- und Appellfunktion vgl. Abschnitt 4.5.1), der potentiellen Zuschreibung einer Semantik an jene expressiven Ausdrücke aus einer reflektierenden Tertiusperspektive und aus dem Geschehen an sich, als direkt gerichtete Adressierung von Aktionen gedeutet. Die Deutung der direkten Berührung als eine auf das andere EPW gerichtete motorische oder lautliche Aktion – sprich als Ausdruck – erfolgt durch ein reflexives In-den-Blick-Nehmen der Gesamtaktion durch EPW und durch die Sinnzuschreibung der Aktion als einer soziomotorischen Geste mit symbolischem Bedeutungsgehalt. Dieser Bedeutungsgehalt von soziomotorischen Aktionen generiert sich ebenfalls aus der Fähigkeit zur Abstraktion, Reflexion und Objektivation von Interaktion und somit aus der Drittenperspektive.20
20 Die Bezugnahme auf Dritte sollte, als implizit mitklingendes Wissensrepertoire über gängige und sozialisierte Muster, jedoch nicht als primäre und über den aktuellen Akteuren stehende, Adressierungsinstanz dargestellt werden. Daher gehört die Ebene des Dritten/Tertius als Interpretationsstütze in den Bereich des (prä-reflexiven – möglicherweise habitualisierten) Wissens der Akteure – welches nicht frei von den Wissensstrukturen der Akteure, und schon gar nicht denen übergeordnet gedacht werden kann. Der Dritte bleibt als Wegbereiter zur Reflexion der Interaktion als soziales Geschehen bestehen – nicht jedoch als aktuelle Referenz jeglicher Interaktion. Dies bleibt in erster Linie das Metier der sich aufeinander beziehenden Akteure Ego und Alter Ego.
4.4 Exkurs: Soziomotorik und Kommunikationsgestalt
4.4
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Exkurs: Soziomotorik und Kommunikationsgestalt
Der Begriff der Sensomotorik skizziert eine Feedbackschleife der Wahrnehmung von Eigenbewegung eines positionierten Lebewesens und der Rückkopplung von extern erfahrbaren Eindrücken über Objekte der Umwelt. Im Gegensatz zu und in der Fortführung von sensomotorischen Bewegungsabläufen, welche zentrisch positionierten Lebewesen die Orientierung, Manipulation und Aktion in der Umwelt sowie im Umfeld ermöglichen und zu einer abgrenzenden Erfahrung des Eigenleibs mit dessen Wirkmächtigkeit auf umgebende Objekte etc. beitragen, soll die Ausrichtung und Koordination von Bewegungen gegenüber und mit anderen sozial befähigten Lebewesen als Soziomotorik benannt werden. Der Begriff der Soziomotorik wurde bislang in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen nicht näher behandelt, vielmehr dient der Begriff einem ergotherapeutischen Konzept zur Integration von Individuen, wie etwa autistisch veranlagten Kindern, in Gruppen. Dabei sollen fehlende kinetische Fertigkeiten vermittelt werden, die dazu beitragen, Handlungen und Aktionen mit anderen Akteuren zu gestalten.21 In der vorliegenden Arbeit wollen wir den Begriff der Soziomotorik ausweiten und die soziale Bewegungs- und Handlungskompetenz von EPW und ZPW beschreiben, welche die kinetisch-motorische Angleichung der Sozialpartner in interaktiven Kontexten zueinander ermöglicht. Dabei bleibt es bei der Soziomotorik auch weiterhin bei den sensomotorischen Rückkopplungen von Wahrnehmungen durch die eigene Bewegung, wobei die Erlebenskomponente um das Erlebtwerden von und durch andere – basierend auf einer körperlich-sozial-kinetischen Komponente – erweitert wird. Soziomotorik stellt sich während des Übergangs von dem Selbst-Umwelt/Umfeld- Bezug zum SelbstMitwelt/Mitfeld ein und ist ein Indikator für die Formation einer zusammengesetzten sozialen Einheit aus den einzelnen Akteuren. Das Beziehungsgefüge beginnt sich im Sinne des Berührungsprozesses zu formieren und wird auf der Ebene der Motorik bzw. Kinetik der Akteure beobachtbar. Soziomotorische Aktionen umfassen dabei sowohl die Bewegung der Akteure mit- und zueinander als auch deren Distanzen und Posturen sowie die sich daraus ergebende Gesamtgestalt, welche für Beobachter von Personen in sozialer Relation als Kommunikationsgestalt in Erscheinung tritt. Mit dem Ausdruck „Kommunikationsgestalt“ soll an dieser Stelle die gestaltliche Ganzheit, die sich aus dem Miteinander der Akteure ergibt und für den Beobachter als verschmelzte Gestalteinheit ersichtlich wird, bezeichnet werden. Diese wird 21 Dabei
sollen soziomotorische Angebote den Erwerb spezifischer Kompetenzen beim Erwerb von Bewegungstechniken und die Entfaltung personaler und sozialer Handlungskompetenzen fördern. Zur ergotherapeutischen Gewichtung von Soziomotorik siehe Schmitz (2007).
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kenntlich durch eine serielle Abfolge von Bewegungen bzw. einer Choreographie von Ausdrucksabfolgen als auch einer Synchronisation von Posturen (Chartrand & Bargh 1999), der Abstimmungen des expressiven Ausdrucks bei Blickkontakt sowie bei Gesichtsausdrücken über die körperlich-gestischen Verhaltensweisen bis hin zu lautlichen Vokalisationen anhand von symbolischen Gesten (Beavin, Bavelas & Chovil 1997)22 oder proxemischem Distanzverhalten (siehe Giddens 1984; Hall 1982). Die Kommunikationsgestalt wird anhand der Passung von Bewegungen der Akteure zueinander zu einem Gesamtgefüge, welches für die Interagierenden als auch für Außenstehende als eine immersiv erlebte Relation der Akteure zueinander erscheint. Die Bewegungen werden aneinander orientiert, aneinander angeglichen und miteinander – im Sinne eines Ensembles – zu einer Gesamtheit bzw. zu einer „Orchestrierung von Bewegungen“ (zur Synchronität von Mikrobewegungen vgl. Condon 1982).23 Beobachten lassen sich solche soziomotorisch-gestalterischen Passungen bei gemeinsamen Aktionen, wie z. B. in Tanzsequenzen, Rollenstücken, Gruppensport oder bei gemeinsamen Musikaufführungen. Doch auch in Alltagsbegegnungen sind soziomotorische Handlungsanschlüsse für einen Beobachter mit dem Blick für subtile und subliminale Körperordnungen Allgemeingut. So bergen beispielsweise alltägliche Grußrituale wie das Händeschütteln, einander Zunicken oder Zuwinken hochkomplexe soziomotorische Koordinierungsabfolgen, die mitunter durch Temporierung und Rhythmisierung der Bewegungseinheiten eine Komposition der Bewegungsrhythmik als seriell-synchroner erkennen lässt (vgl. Scheflen 1982 sowie Davis 1982). Eine rein motorische Bewegung – frei von soziomotorischen Ambitionen – etwa zum Zwecke der Fortbewegung oder im Bezug zu Eigenaktivitäten, wie zum Beispiel Essen oder mit einem Stift schreiben, kann dabei in ihrem Selbstbezug und frei von einem Sozialität initiierenden Charakter erkannt werden und maximal zum Initiieren einer auf den anderen bezogenen (indirekten) Berührung vom beobachtenden Alter Ego genutzt werden. Soziomotorische Bewegungen hingegen können als an den anderen gerichtete Bewegungen benannt werden und ggf. auf ein etabliertes Verhaltensgefüge hinweisen. So hat es sich in Beziehungskonstellationen von EPW womöglich etabliert, dass man einander die Hände zur Begrüßung bzw. zum Abschied reicht bzw., dass das Zunicken und den Kopf in eine bestimmte Richtung wenden eine Aufforderung zum Folgen des Blickes darstellt. Das zeitgleich synchrone Reichen der Hände und 22 Beavin Bavelas & Chovin (1997: 339) betonen das Zusammenspiel von simultan ablaufenden Gesichtsausdrücken („facial displays“) mit symbolischen Gesten sowie dem Kontext für die Generierung von Bedeutung. 23 Chovil (1997: 323) bezeichnet Kommunikation als einen „multichannel process“ von nonverbalen und verbalen Einheiten, die aufeinander abgestimmt, flexibel und adaptiv und miteinander ablaufen bzw. als „work in a concert“.
4.4 Exkurs: Soziomotorik und Kommunikationsgestalt
85
die damit verbundene Temporierung (vgl. auch Stern 1982) stellt eine konforme paralinguistisch-kinetische Bewegungsmodulation auf der Ebene der Postur und Orientierung der Akteure dar, deren Geschwindigkeit und Intensität sich nach der Größe, Entfernung etc. der Akteure zueinander ausrichtet (vgl. auch LaFrance 1982). Akteure, die miteinander ein direktes Berührungsverhältnis eingehen, orientieren demnach ihre leiblichen Körper aneinander.24 Diese Form der synchronen „Interaktionsrhythmen“ (Davis 1982) ist dabei nicht nur in der Bewegungskoordination des einzelnen Akteurs sichtbar, sondern zeigt sich dem Beobachter auch in gleichzeitigen Variationen der Postur aller Beteiligten während der Interaktion: “What is the unit of all of this? How can you begin to study this? I started studying it at the micro level, frame-by-frame. Down there I began to see that the body motions occur in bundles; that, as a person is talking, there’s a changing and moving together of the body parts which are precisely synchronized with the articulatory structure of his or her speech. The normal person is self-synchronous with himself and his speech. (…) Further intensive study led to the startling observation that listeners move synchronously (entrain) with the articulatory structure of the speaker’s speech.” (Condon 1982: 54)25
bzw. “(…) while a speaker is speaking and moving, the listener is moving as well. Although sitting relatively motionless and not making any specific gesticulations, he may still be moving hands or head, shifting his gaze or blinking. When these listener movements were compared to the linguistic description of the speaker, it was found that the boundaries of movement waves of the listener coincided with the boundaries of the speech and movement waves of the speaker. The listener may be moving in quite a different 24 LaFrance (1982) spricht hier von „posture mirroring“. LaFrance führt die Spiegelung der Postur des Gegenübers darauf zurück, dass die Akteure miteinander einen gemeinsamen Standpunkt teilen bzw. auf derselben Wellenlänge sind: “When two people or more come together in an interaction, they need to establish a coordinated system of engagement. When an interaction is appropriately coordinated, the participants might describe the encounter as one in which they appear to be ‘on the same wavelenght’ or ‘in tune with’ one another. However, when coordination has not been achieved, these same participants might describe themselves as ‘not having gotten it together’ or ‘out of step’ with each other.” (LaFrance 1982: 280). 25 Siehe auch folgendes Zitat: “I do feel that interactional synchrony or entrainment, however is mediated, is occurring most of a time when a listener is listening to a speaker. As I stated earlier, I feel it is a basic reflection of the auditory perceptual process. I do not means that the body of the listener must move in isomorphic configurations with the articulatory structure of the speaker’s speech for hearing to take place. I see the synchronization of the listener’s body as a motoric reflection of the hearing process.” (Condon 1982: 72).
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fashion from the speaker, but the simultaneity of movement and speech change points is maintained.” (Crown 1982: 283)
Die Betrachtung von interaktiven Begegnungen aus der Sicht der Sensomotorik nimmt die Erwartungshaltung und Motive des einzelnen Akteurs in den Blick und versteht symbolische Gesten als bedeutungsgeladene kinetische Produktion von Sinneinheiten. Das Konzept der Soziomotorik hingegen geht über die atomistische Betrachtung der symbolischen Gestenproduktion hinaus und betrachtet das motorische Geschehen der Akteure als Einheit einer beobachtbaren Kommunikationsgestalt. Während die symbolische Geste dazu anmutet, eine intendierte kommunikative motorische Aktion, die Verstanden werden soll, darzubieten, umfasst der Begriff der Kommunikationsgestalt die Einheit des agierenden Sprechers (Ego) mit den Gesten, der Postur und spatial-temporalen Zugewandtheit26 des Hörers (Alter Ego) während des Prozessierens der sozialen Einheit. Soziomotorik beinhaltet währenddessen die feine Abstimmung der Kinetik der beteiligten Akteure zueinander. Diese synchronen, orchestrierten, aneinander orientierten und koordinierten soziomotorischen Bewegungen kumulieren in einer zeitlich prozessierten Kommunikationsgestalt während der interaktiven Begegnung von Akteuren und sind für unsere weitere Auffassung von sozial-kommunikativen Begegnungen gültig.27 Die Reflexion auf gegenseitige soziomotorische Aktionen aus einer distanzierenden Perspektive rückt das Beziehungsgefüge in eine objektive Deutungsstruktur einer beobachtenden Instanz und macht diese objektive Deutungsstruktur für die Akteure, als generelle Handhabung und ggf. persönlichbiographische bzw. sozial-historisch etablierte Deutung des Beziehungsgefüges, erlebbar (vgl. Abschnitt 4.6 f.). Der Sinn, der sich dem Beziehungsgefüge der EPW durch eine externe dritte Beobachtungs- und Reflexionsinstanz bietet, wird somit aus der Tertiusperspektive (eines übergeordneten Beziehungsgefüges und mit Rückgriff auf ein generalisiertes und etabliertes Ausdrucks- und Gestenrepertoires) für die EPW deut- und erlebbar. Eben jene Deutung des Verhaltensgefüges mit einem 26 LaFrance betont die Signifikanz der temporalen Koordination: “These expressions suggest some important aspects of interpersonal accommodation. First, a significant feature is the sharing of a common orientation toward the encounter – a common definition of the situation. A second aspect is the need for temporal coordination. Temporal coordination is reflected, for example, in the predictable sequencing of actions such as the ‘one turn at a time’ nature of most conventional exchanges. Temporal coordination is also manifest in the actual co-occurrence of certain actions, such as the handshake.” (LaFrance 1982: 280). 27 In der Sozialrobotik wird eben jene Übersetzung von der Sensomotorik hin zur Soziomotorik im Bereich des Ingenieurswesens notwendig, wodurch sich die Komplexität der Adjustierung von Bewegungskomponenten in Echtzeitinteraktionsszenarien vervielfacht.
4.5 Symbolverwendung bei EPW …
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Soziale-Relationen-initiierenden-Charakter beruht auf der zeichenhaften Bezugnahme der EPW zueinander, welche hier – als Erweiterung und in Anlehnung an den oben diskutierten Gestenbegriff bei ZPW – im Folgenden als symbolische Gesten benannt werden sollen. Der nachfolgende Abschnitt behandelt die besondere Eigenschaft der symbolischen Gesten im Gegensatz zu der Zeichenverwendung der allgemeinen Gesten bei ZPW.
4.5
Symbolverwendung bei EPW unter Berücksichtigung von Tertius in der Sozialreflexion
Abschnitt 3.2.4 zur Zeichenverwendung bei ZPW hat uns einen Überblick über die inhaltliche, funktionale und formale Reichweite des Zeichengebrauchs von ZPW geboten. Diese haben wir nach den Fertigkeiten der ZPW zur Erfassung des Umfelds und der Reichweite der (sozialen Reflexivität) auf der Ebene von gegenwärtigsituativen und praktisch-pragmatischen Erfahrungsspektren von ZPW behandelt und den Zeichengebrauch als 2-stellig (ikonisch) und in seiner Bedeutung als pragmatisch bestimmt. Nach den Ausführungen zu EPW hat sich das Spektrum der Auffassungsgabe, Weltoffenheit sowie der (sozialen) Reflexivität auf abstraktive und objektivierende Art erweitert. Dieses erweiterte Reflexionsspektrum wirkt sich auch auf die Interaktionsfertigkeit der EPW aus und muss in derer Zeichenverwendung mitgedacht werden, was in den folgenden Ausführungen zur Erweiterung des praktischen Zeichengebrauchs hin zur symbolischen Zeichenverwendung erfolgen soll. Wie bereits bei der obigen Betrachtung von ZPW und deren Realisationsbereich von Sozialität angeklungen ist, realisieren bereits Wesen mit zentrischer Positionalität Interaktion. Wie oben beschrieben, basiert praktische Interaktion auf der Berührung der ZPW und der Differenzierung anderer Wesen als in Selbst-Umfeld-Relation stehenden. Die Interaktionsfähigkeit von ZPW sowie von EPW zeigt sich nach unseren obigen Erörterungen darin, dass a) ein Akteur das leibliche Ausdrucksfeld zum Beeinflussen des anderen zu nutzen weiß, b) im Gegenzug die Bemühungen des anderen Akteurs als ausdruckshafte Interaktionsofferten erkennt, c) diese im Sinne gestenvermittelter Interaktionsangebote deutet und d) ihnen entsprechende Bedeutung für die Aktualisierung und Perpetuierung des Beziehungsgefüges verleiht. Interaktion ist dabei immer auf die Produktion und Rezeption von Zeichen angewiesen, dies wurde im oberen Abschnitt unter dem Begriff der leiblichen Gesten als auch der gestisch-lautlichen Vokalisation gefasst. Während die Verwendung
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von Zeichen bei ZPW auf situativ-praktische und gegenwärtige Ereignisse eingeschränkt ist, und mit dem Bühlerschen Begriff des stoffgebundenen praktischen Gebrauchs erörtert wurde, können wir bei EPW ein erweitertes und situationsenthobenes, zeitlich unbeschränktes sowie abstrakte Ideen gestattendes Spektrum des Zeichengebrauchs annehmen. EPW zeichnen sich durch eine erweiterte Weltoffenheit aus, welche es ihnen ermöglicht, Dinge, Sachverhalte als auch Selbst- und Fremdbezüge auf einer situationsentbundenen Ebene mit offenem Deutungshorizont zu erleben. Diese erweiterte Erfahrbarkeit, Reflexivität und Deutungssphäre auf Ereignisse sowie auf Ko-Akteure wirkt sich auch auf die Verwendung und Produktion von Zeichen bei EPW aus. In Anlehnung an Bühlers Organonmodell der Sprache können wir bei EPW von der Fähigkeit zur symbolischen Erfassung der Welt ausgehen. Somit erweitern sich auch die Interaktionsfertigkeit sowie ihre Aktualisierung durch leiblich-vokalische (lautliche) Gesten um symbolische Gesten und Ausdrucksformen. Im Folgenden wird in einem Exkurs das Organonmodell und die Symbolkonzeption Karl Bühlers wiedergegeben, um es, entbunden vom rein sprachlichen Bezug, als allgemeines Modell für die Verwendung von symbolischen Gesten zu nutzen und daraus die Funktion, die Reichweite sowie die Bedingungen zur Bedeutungsgenerierung von symbolischen als auch allgemeinen Gesten für die Positionalitätstheorie nutzbar zu machen. Hiermit entfernen wir uns zwar auf den ersten Blick von der Lindemannschen – auf Mead und Habermas fußenden – Symbolkonzeption. Bei näherer Betrachtung erweist sich das Bühlersche Konzept allerdings als übersichtlich strukturiertes Modell der Zeichennutzung und stellt daher eine sinnvolle Ergänzung und Erörterung der Zeichen- und Symbolverwendung von EPW als auch von ZPW dar. Im Anschluss an den Exkurs zu dem Bühlerschen Zeichenkonzept werden die gewonnenen Begrifflichkeiten auf EPW angewandt und um eine revidierte Gebrauchstheorie der Bedeutung, die an ein Kommunikationsmodell angeschlossen ist, ergänzt.
4.5.1
Exkurs: Bühlers Organonmodell der Sprache
Bühlers Modell der Sprache ist mit der Positionalitätstheorie Plessners kompatibel, da Bühler Lebewesen, die zu einem symbolhaften Zeichengebrauch befähigt sind, zum Ausgangspunkt seiner sprachpsychologischen Analysen macht. Menschen, die bei Plessner unter die EPW fallen, sind für Bühler symbolverwendende Wesen prima facie. Eine Analyse symbolverwendender Wesen setzt Bühler in einer dreifachen Unterteilung an und zielt ab auf die Betrachtung derer „Erlebnisse, das sinnvolle
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Benehmen der Lebewesen und ihre Korrelationen mit den Gebilden des objektiven Geistes“ (vgl. Bühler 1978 [1929]: 29. Hervorhebungen im Original). Laut Bühler bedarf es dem symbolverwendenden Wesen an folgenden Eigenschaften: a) der Eigenschaft des erlebnisbefähigten Wesens, b) eines sich sinnvoll verhaltenden Wesens sowie dessen c) Einklang mit den Gebilden des objektiven Geistes, sprich der Erfahrbarkeit des sinnvollen Verhaltens über objektive Deutungs- und Wertemuster. Das „Gebilde des objektiven Geistes“, mit der Funktion sinnvolles Benehmen symbolvermittelt zu erfahren, kann analog zu Plessners erweiterter Reflexionsstruktur und dem objektivierenden Erleben der Selbst-Umwelt-Differenz bei EPW bzw. der Lindemannschen Bestimmung der Drittenperspektive betrachtet werden. Karl Bühler verfasste 1934 (1999) im Rahmen seiner Sprachtheorie das Organonmodell (Abb. 4.1). Dabei erstellte er ein Modell der Zeichenverwendung, um die Funktion der Sprache im Bezug zu den Interaktionspartnern, derer Umwelt und der Reichweite der Zeichenverwendung darzustellen. Das Zeichen an sich (ob in gestischer oder sprachlicher Form zum Ausdruck gebracht), wird dabei als ein Werkzeug (Organon) betrachtet, welches, abhängig von der Relation zum Sender, Empfänger sowie zu Gegenständen und Sachverhalten, variable Funktionen des Ausdrucks, des Appells oder der Darstellung bei der Interaktion erfüllt. Für unser Vorhaben ist nun weniger der Fokus auf das Phänomen der Sprache interessant, sondern vielmehr die allgemeine Funktion von Zeichen im Hinblick auf deren nutzerbezogenen Relationen. Wir wollen Bühlers Sprachtheorie daher zur Betrachtung von Zeichen allgemein verwenden und nicht auf das Phänomen der Sprache beschränken, dabei symbolhafte Ausdrücke als kontingente zeichenhafte Codierungen betrachten und mit dem Begriff der Geste belegen. In diesem Sinne werden Zeichen mit Darstellungsfunktion als symbolische Gesten benannt und jene mit Ausdrucks- und Appellfunktion als allgemeine Gesten gekennzeichnet. Symbolische Gesten umfassen sowohl lautliche Äußerungen als auch nonverbalgestalthaft produzierte Gesten, die einen Bedeutungsgehalt tragen, welcher über die rein situative Erfahrung hinausgeht und in die Klasse des Symbolfeldes fällt. So ist etwa die Victory-Handgeste des ausgestreckten Zeige- und Mittelfingers zu einer V-Form mit gebeugten Ring- und kleinem Finger, als eine nonverbale Geste mit dem symbolischen Gehalt „Frieden“, Sieg“ o. ä. zu deuten, wohingegen eine richtungsweisende deiktische Geste, die im Bereich des Zeigfelds ausgeführt wird und deren Bedeutung aus der Ich-Hier-und-Jetzt-Origo (Bühler 1999: 105) abgeleitet werden kann, als allgemeine Geste gelten soll.28 Mit der Aufhebung des 28 Bühler betont in seiner Arbeit, dass die Zeichenkomponente des Organonmodells sich sowohl auf verbale als auch auf nonverbale Ausdrücke beziehe.
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sprachzentrierten Zeichenmodells wird das Bühlersche Zeichenmodell im Sinne der Positionalitätstheorie allgemein auf ZPW sowie EPW anwendbar. Kontingente EPW müssen dabei jedoch nicht zwangsläufig über dieselben Codierungen der menschlich-symbolischen Sprache wie Sprache, Grammatik oder Syntax verfügen, sondern können flexible Codierungen nutzen, um Sachverhalte und Gegenstände, über die Verwendung symbolischer Gesten, aus den Reihen des Symbolfelds zum Ausdruck zu bringen. Somit wird die Semantik und das Vokabular von symbolischen Gesten nicht an der menschlichen Sprache orientiert, sondern ungleich der Wesenhaftigkeit von EPW ebenfalls kontingent gesetzt.29 Damit wird die Verwendung von symbolischen Gesten sprachentbunden und in seiner Codierung variabel für EPW, bleibt jedoch in seinen Funktions- und Relationswerten an das Organonmodell der Sprache30 angelehnt. Der vorliegende Exkurs soll im Weiteren dazu dienen, die unterschiedliche Reichweite der Zeichenverwendung bei ZPW und EPW herauszuarbeiten und diese in Zeigefeld und Symbolfeld zu sortieren. Eine nähere Betrachtung von Zeichen und deren Relation zu Semantiken findet sich anschließend in Abschnitt 4.6. Zur Sortierung der Reichweite von Zeichen geben wir zunächst das Bühlersche Organonmodell der Sprache wieder, wobei wir uns bei der weiteren Betrachtung verstärkt auf die Funktionen der Zeichen zu ihren Relata zuwenden wollen. Bühler kennzeichnet die Funktion von Zeichen als Ausdruck, Appell und Darstellung und stellt diese in Bezug zu ihren jeweiligen Relata Sender, Empfänger sowie Gegenstände und Sachverhalte (Bühler 1999: 28 ff.). Dabei ändert sich mit der jeweiligen Relation des Zeichens auch die Funktion, die es erfüllt. Zeichen ergeben sich laut Bühler aus ihrer jeweiligen Relation zu dem Sender des Zeichens, dem Empfänger des Zeichens oder aber zu den Gegenständen und Sachverhalten über welche das Zeichen eine Vermittlungs - bzw. Werkzeugfunktion erhält.31 Die dreifache Relation des Zeichens, erzeugt dabei sowohl einen dreifachen Funktionswert als auch eine dreifache Zeichenklasse, wie das folgende Zitat illustriert; Aus dem Zeichen wird „(…) Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit von Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres und inneres Verhalten es steuert (…).“ (Bühler 1999: 28). Wir können bei dem obigen Zitat getrost die Worte Sender und Hörer mit den 29 Dies ist auch der Grund, weshalb wir nicht näher auf die Spitzfindigkeiten der Sprache eingehen wollen, die Bühler in seiner Sprachtheorie ausführlich erörtert. 30 Die folgenden Ausführungen könnten analog als „Organonmodell der Symbole“ betitelt werden. 31 Daher ergibt sich auch der Begriff des Organons von Zeichen, sprich des Werkzeugcharakters von Zeichen.
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Abb. 4.1 Karl Bühlers Organonmodell der Sprache (aus Bühler 1999: 28).
hier genutzten Begriffen Ego und Alter Ego ersetzen. Das (sprachliche) Zeichen hat demnach im Bezug zum a) Sender (Ego) eine Ausdrucksfunktion zur Vermittlung innerer Zustände (Erleben) und fungiert dabei als Symptom. Das Zeichen hat im Bezug zum b) Empfänger (Alter Ego) als Signal eine Appellfunktion, um den Empfänger zu dem Verstehen der Äußerung zu bewegen, bei ihm eine Wirkung auszulösen oder ihn zum Handeln zu veranlassen. Und das Zeichen hat c) als Symbol in Bezug zu Gegenständen und Sachverhalten eine Darstellungsfunktion. D. h. Symbole repräsentieren einen situationsentbundenen Gegenstand bzw. Sachverhalt für die Beteiligten und sind somit Träger von stoffentbundenen abstraktiven Bedeutungen. Um Zeichen als Symptome, Signale oder Symbole zu bestimmen und in ihrer Funktion des Ausdrucks, des Appells oder der Darstellung zu erfassen, müssen zusätzlich jeweils deren Relata zum Sender, Empfänger und zu Gegenständen und Sachverhalten miterfasst werden. Signale/Zeigefeld Wie bereits im Kapitel zu ZPW ausgeführt, entbehrt es ZPW der Fähigkeit zur Darstellungsfunktion von Zeichen, also zu symbolhaften Bezügen zu Gegenständen und Sachverhalten in der Umwelt. Wie wir herausgearbeitet haben, verfügen ZPW lediglich über die Kapazität und über die Reflexionsgabe, um ausdruckshafte Zeichen, sprich Symptome, entsprechend ihrer Eigenbefindlichkeit zu produzieren als auch Signale mit Appellcharakter an andere ZPW zu richten. Somit bleiben die expressiven Gesten bei ZPW auf dem Level praktisch-physischer Bedeutungen, d. h. auf
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gegenwärtig und situativ okkurierende, materiell darstellbare Ereignisse bezogen. Die Verwendung von Symptomen und Signalen ist dabei also auf die Ich-Hier-undJetzt-Origio (vgl. Bühler 1999: 102) beschränkt.32 Die Ich-Hier-und-Jetzt-Origo steht für die Dreiheit des zeichenhaften Bezugsfeldes als Lokal-, Temporal- und Personalrelativität, welche als Origo den Ausgangspunkt der zeichenhaften Verweise darstellt. Bühler verwendet für Zeichen, die im direkten Bezug zu der Ich-Hierund-Jetzt-Origo stehen, den Begriff der Zeigwörter, der hier um den Begriff der Zeigegesten erweitert wird. Zeigwörter/-gesten sind auf den Ausgangspunkt der Orientierung, den Zeichensender, bezogen und haben eine aufmerksamkeitssteuernde Appellfunktion an eventuelle Zeichenempfänger. Das Ziel des Verweises liegt im Falle der Signale und Symptome im Bereich der demonstratio ad oculus bzw. der demonstratio ad auris, sprich des visuellen bzw. auditiven Bereichs, welches „das einfachste und zweckmäßigste Verhalten ist, das Lebewesen einschlagen können, die im sozialen Kontakt eine erweiterte und verfeinerte Berücksichtigung der Situationsumstände und dazu Zeigwörter brauchen“ (Bühler 1999: 105). Die Bereiche der demonstratio ad oculus sowie der demonstratio ad auris werden hier – mit Verweis auf die Positionalitätstheorie – auf die (sinnlich) wahrnehmbaren Bereiche bezogen. „Das Zeigfeld der Sprache im direkten Sprachverkehr ist das hier-jetzt-ich-System der subjektiven Orientierung; Sender und Empfänger leben wachend stets in dieser Orientierung und verstehen aus ihr die Gesten und Leithilfen der demonstratio ad oculus.“ (Bühler 1999: 149)
Die Bedeutung der Signale und Symptome erschließt sich aus den praktischen Bezügen der Ich-Hier-und-Jetzt-Origio „von Fall zu Fall (…) und dem, was das Zeigfeld den Sinnen zu bieten vermag.“ (Bühler 1999: 90). Signale und Symptome haben demnach keine festgelegte gleichbleibende Bedeutung, sondern erlangen diese im Gebrauchsfall mit den wechselnden situativen Eigenschaften des Geschehens.33 So 32 Die Ich-Jetzt-Hier-Origo als Bühlersches Origo-Modell zur Indikation eines aktuellen Bezugspunkts findet sich u. a. auch bei Peirce (1985) als „Indexicals“. Im deutschen Kontext wird von deiktischen Ausdrücken gesprochen. Um jene Origo mit der Möglichkeit allgemeiner Zeichenverwendung zu vereinbaren, können Zeichen für Bühler auch die Funktion von Signalen haben. 33 „Auch sie sind Symbole (nicht nur Signale); ein da und dort symbolisiert, es nennt einen Bereich, nennt den geometrischen Ort sozusagen, d. h. einen Bereich um den jeweils Sprechenden herum, in welchem das Gedeutete gefunden werden kann; genau so wie das Wort heute den Inbegriff aller Tage, an denen es genannt werden kann, faktisch nennt und das Wort ich alle möglichen Sender menschlicher Botschaften und das Wort du die Klasse aller Empfänger als solcher. Doch ein Unterschied dieser Namen von den übrigen Nennwörtern
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kann der Schrei eines Katzenbabys einmal auf Hunger zurückzuführen sein und sich ein anderes Mal als Freude über einen Spielgefährten äußern. Schlussendlich verharrt die Bedeutung in der Ich-Hier-und-Jetzt-Origo und bleibt auf die Situation bezogen, frei nach dem Prinzip „jeder der es sagt (oder ausdrückt – I. S.) weist auf einen anderen Gegenstand hin als jeder andere“ (Bühler 1999: 103). Den hier verwandten Zeichen ordnet Bühler eine eigene Systematik zu und benennt die Menge der Zeichen der Ich-Hier-und-Jetzt-Origio als Zeichen aus dem Bereich des Zeigfelds, welches in Opposition zu dem Symbolfeld steht, deren Menge sich aus symbolhaft genutzten Zeichen ergibt. Hier zeigt sich die Restringiertheit des Zeichengebrauchs bei ZPW, welcher nicht über das Zeigfeld hinausgeht. Für EPW ist hingegen neben der Verwendung von Gesten aus dem Zeigfeld auch die Möglichkeit gegeben, Gesten, die dem Symbolfeld entstammen, zu verwenden. Das Distinktionsmerkmale der Klasse von Symbolen gegenüber Signalen aus dem Zeigfeld wird im Folgenden näher erörtert, um im Anschluss die Zweifelderlehre Bühlers wiederzugeben. Symbole/Symbolfeld Für uns wird bei der Reflexion auf die zeichenhafte Nutzung von EPW der Übergang zur erweiterten Weltoffenheit, die mit der Reichweite der symbolischen Verwendung von Zeichen für EPW einhergeht, relevant. Bühler selbst spricht Tieren (ZPW) die Fähigkeit zur Darstellung von Gegenständen und Sachverhalten mit der Verwendung von Symbolen ab und benennt jene als distinkte Fertigkeit des Menschen (EPW). EPW sind demnach zusätzlich zur symbolischen Darstellung von Gegenständen und Sachverhalten fähig. Was aber hat es genau mit Symbolen auf sich? Nach Bühler (1978 [1929]: 53 ff.) besteht die Besonderheit von Symbolen, im Gegensatz zu Symptomen und Signalen, in drei wesentlichen Merkmalen: Einerseits sind Symbole als Kommunikationsmittel selbsterzeugt, d. h. die Anwendung von Symbolen ist nicht auf raumzeitliche Verweise beschränkt, sondern erweitert den Bezugsrahmen durch in der Interaktion geschaffene Nennwörter und ergänzt so die Darstellung abwesender und zeitlich unbestimmter Gegenstände und Sachverhalte. Zweitens ist die Verwendung von Symbolen entstofflicht und drittens von materiellen Trägern ablösbar; d. h. die Darstellung von Gegenständen und Sachverhalten kann frei von materiellen Repräsentanten – stoffentbunden und empraktisch – mittels symbolischer Repräsentationen erwirkt werden. Ablösbarkeit und der entstofflichte Charakter von Symbolen münden nicht zwangsläufig in einer gänzlich materiellen der Sprache bliebt trotzdem bestehen; er liegt darin beschlossen, daß sie ihre Bedeutungspräzisierung vom Fall zu Fall im Zeigfeld der Sprache erwarten, und dem, was das Zeigfeld den Sinne zu bieten vermag.“ (Bühler 1999: 90).
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Ablösung der Symbole als Zeichen von ihrem signifikanten Objekt (vgl. Saussure 1967). Die Grundaussage der Ablösbarkeit von Symbolen liegt vielmehr in dem arbiträren Charakter der Symbolsemantiken, die nicht an eine feste ObjektZeichenrelation gebunden, sondern bei der die Bedeutungen von Repräsentationen eines Sachverhalts wandelbar sind. Symbolische Zeichen erhalten ihre Bedeutung durch die praktische Zuordnung der Anwender auf ein übergeordnetes symbolisches Bezugssystem (vgl. Abschnitt 4.7). Die Gültigkeit jenes übergeordneten Bedeutungssystems führen wir auf die Begrifflichkeit des „objektiven Geistes“ bei Bühler zurück. Ähnlich wie bei der bedeutungsgenerierenden Reflexionsebene des Dritten hat der „objektive Geist“ bei Bühler einen übersubjektiven Charakter, dessen Funktion darin besteht, ein Sammelsurium an persönlich-biographischen sowie gesellschaftlich-historisch gewachsenen Bedeutungen, Werten, Regeln, Normen, Gesetzen, Handlungsweisen etc. zur Verfügung zu stellen. Der objektive Geist34 kann als aus der gesellschaftlichen Praxis entsprungene Manifestation von Sinn begriffen werden, aus dem normierte Verhaltensmuster entstanden sind, welche die Erwartbarkeit von Deutungsmöglichkeiten anleiten. Bühler entlehnt den Begriff des objektiven Geistes von Dilthey (vgl. Bühler 1978 [1929]: 26 f.), resp. Hegel, wobei ersterer – und dies bestätigt ebenfalls die Konvergenz unseres Einschubs mit der Lindemannschen Konzeption – die historische Kontingenz der objektiven Geisteshaltung hervorhebt. Somit ist der Sinn, der einer Aktion und dem Symbolfeld zugesprochen wird, in seiner Deutung, Bewertung und Legitimation von den historischen Gegebenheiten einer Epoche oder Gesellschaft mitgeprägt und nur aus diesem Gesamtgefüge an objektiven Werten über Dritte bzw. normierte Gesellschaftsstandards verständlich. Symbole verlieren somit die Bindung an die Ich-Hier-und-Jetzt-Origo und werden zu Begriffen und Nennwörtern mit potentiellem – für Wesen aus derselben Gemeinschaft – kollektiven Bedeutungshorizont und sind zudem vermittels Diachronizität einem historischen Bedeutungswandel unterworfen. Die stoffentbundene Eigenschaft von Symbolen ermöglicht es EPW ein symbolhaftes Zeichensystem aus der Perspektive Dritter zu produzieren und „(…) ihren Gedächtniseindruck anderen Genossen weiter zu vermitteln, ohne wieder etwas von der alten Stoffprobe zu benötigen“ (Bühler 1978 [1929]: 52). Symbole fallen dabei als Begriffe und Nennwörter mit stoff- und situationsentbundenem und somit empraktischen Charakter, im Sinne der Zweifelderlehre Bühlers, in die
34 Von Hegel geprägter Begriff, der bedeutungstragende Leistungen des menschlichen Geistes benennt, welche sozial vermittelt werden. Hierzu zählen mitunter Wissenschaft, Religion, Künste und Sprache etc.
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Kategorie des Symbolfeldes.35 Die Nutzung symbolhafter Gesten stellt dabei das herausragende Merkmal der Zeichennutzung von EPW dar.36 Zweifelderlehre und Ich-Hier-Jetzt-Origo Bühler konzipiert die Zweifelderlehre, um die unterschiedlichen Zeichentypen mit ihren funktionellen und strukturellen Eigenschaften zu erfassen. Da die Unterteilung sich mit unserer Betrachtung zu der Reichweite der gestischen Interaktion bei ZPW als auch bei EPW fügt, erscheint es uns sinnvoll, auch die Zweifelderlehre Bühlers hier in ihrer essentiellen Konzeption wiederzugeben.37 In jener Zweifelderlehre bilden symbolhafte Zeichen einerseits und signalhafte Zeichen, andererseits, die großen Felder der Zeichenverwendung, wobei Bühler die Felder mit Signal- und Symptomwerten als Zeigfeld und das Feld mit symbolhaften Zeichen als Symbolfeld benennt.38 Aus jener Zweifeldersystematik werden Symbole als subjektentbundene und begriffsbezogene Zeichen (sprachlich: Nennwörter) beschrieben, während 35 Zur Dichotomie Abbildung/Symbolik vergleiche Bühlers Aussage beim X. Psychologenkongress: „Wir brauchen zum Begriff Symbol einen Gegenbegriff, etwas, von dem er sich abheben kann, und verwenden den Namen ABBILDUNG dafür. [… ] Es gibt erscheinungstreue Abbildungen wie das Photogramm und relationstreue Abbildungen in den verschiedenen Abstufungen. Das eine Mal gehen die Zeichen mit ihren sinnlichen Qualitäten und Relationen in das Abbildungsgeschäft ein. (…) Das ist alles sehr einfachbegrifflich ins Reine zu bringen, und dann haben wir eine erschöpfende Disjunktion vor uns: Abbildung – Symbolik. Alle darstellenden Zeichen symbolisieren oder bilden ab: tertium non datur.“ (Bühler 1928: 406 f.). 36 Symbole sind nicht nur zwangsläufig an gesellschaftlich-historische Bedeutung gebunden, sondern können vermittels ihres arbiträren Charakters, ihrer situativen Ausrichtung und variierenden Akteurskonstellationen, mehrere Bedeutungen (Polysemantik) haben. So können auch divergente symbolische Zeichen ein und dieselbe Bedeutung haben. Die Bedeutung wird also vom Begriff abgelöst/entkoppelt. Auch bei Bühler findet sich der Ansatz, dass die Bedeutung von Sprache in Folge von Kommunikation erfasst werden muss und dass Wortbedeutungen im Gesamtgefüge eines Satzes, des übergeordneten kontextuellen Anlasses sowie ideosynkratischer Alliterationen zu suchen sind. 37 Eine nähere Ausführung mit den Besonderheiten der Sprache findet sich für den interessierten Leser bei Bühler (1999). 38 Bühler unterscheidet Zeigwörter, die dem Zeigfeld, von Nennwörtern, die dem Symbolfeld der Sprache angehören. Zeigfeld und Symbolfeld sind zwei verschiedene Arten von „Umfeldern“ (Bühler 1999: 154), in denen das sprachliche Zeichen seine „Bedeutungserfüllung“ erfährt. Das Zeigfeld ist an die Situation gebunden in der das Zeichen geäußert wird; das Symbolfeld besteht aus dem durch andere sprachliche Zeichen gebildeten Kontext, dem „syntaktischen und lexikalischen Moment der Sprache“ (ebd.: 151) oder dem „synsemantischen Umfeld“ (ebd.: 81). Das Nennwort ist gekennzeichnet durch seine „Wasbestimmtheit“ (ebd.: 103). Es wird „im Munde jedes und aller als Symbol für denselben Gegenstand verwendet (…), sofern er (…) nicht grundsetzlich (sic!) mit dem Gebrauchsfall wechselnden Eigenschaften hat“ (ebd.: 103).
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Signale die Kategorie der subjektbezogenen und situativ in der Ich-Jetzt-Hier-Origo verhafteten Zeigwörter/-gesten bilden. Bühler betont bezüglich der Funktion des Signals die Nähe zu der Zeichenverwendung bei Tieren, die im Zeigfeld nicht zwangsläufig sprachlich-lautlicher Natur sein muss, sondern sich ebenfalls durch gestische Verweise auf die Ich-Hier-Jetzt-Origo beziehen kann. Das Signal eint somit sowohl menschliche als auch tierische Interaktion (EPW/ZPW), die sich auf das subjekt- und signalbezogene Zeigfeld bezieht. Das Symbolfeld hingegen setzt sich aus zeichenhaften „Nennwörtern“ bzw. „Begriffszeichen“ zusammen, welche die Darstellung nicht nur von Gegenständen und Sachverhalten, sondern auch von raumzeitlich abstinenten Gegebenheiten sowie von Personen ermöglicht. Der Verweis erfolgt hier – anders als im Zeigfeld – nicht lediglich im Hier-und-Jetzt, sondern anhand des Verweisens vermittels der „Deixis am Phantasma“. „Es ist gar nicht so, daß die natürlichen Zeighilfen, auf welchen die demonstratio ad oculus beruht, der Deixis am Phantasma r e s t l o s mangeln. Sondern es ist so, daß Sprecher und Hörer einer anschaulichen Schilderung von Abwesendem die Gaben und Mittel besitzen, welche es dem S c h a u s p i e l e r auf der Bühne gestatten, Abwesendes präsent zu machen und dem Z u s c h a u e r des Spieles, das auf der Bühne Präsente als eine Mimesis des Abwesenden zu deuten.“ (Bühler 1999: 126, Hervorhebungen im Original)
Deixis am Phantasma steht für den Verweis (der auch deiktische Begriffe umfassen kann) auf Gegenstände, Sachverhalte, Räume oder zeitliche Strukturen etc., die sich außerhalb der aktuellen Wahrnehmung befinden, auf die jedoch reflexiv Bezug genommen werden kann. So ist das Phantasma eine Art Referenzpunkt für Reflexionen, der auch Umwelteigenschaften sowie Personaleigenschaften beinhalten kann. Als klassisches Beispiel der Deixis am Phantasma wird auf deiktisch-räumliche Verweise Bezug genommen, wie etwa bei der Beschreibung eines Raumes aus der Kindheit der Satz „Ich hatte als Kind ein Zimmer in dem das Bett links vom Fenster stand und in dem sich rechts davor eine kleine Ecke mit einem Regal für meine Bilderbücher befand“, bei dem die Worte „links, rechts, davor“ eine deiktische Repräsentation als Vorstellung von dem Aufbau und der Einrichtung des Zimmers liefern sollen. Somit wird die Referenz von dem wahrnehmbaren Umfeld auf eine durch Symbole vermittelte Vorstellung versetzt. Mit Hilfe symbolhafter Zeichen kann der Zeichennutzer anhand der Deixis am Phantasma auf Orte verweisen bzw. das Zeigen von Richtungen in einem gedachten Raum vorgeben und erreicht dabei die „Befreiung des Satzsinns aus der strengsten Gebundenheit an das Zeigfeld“
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(Bühler 1999: 374). Referenzen im Bereich der Deixis am Phantasma können also als Versetzung in ein abwesendes Raum-Zeit-Gefüge verstanden werden. Die Zeigwörter werden im Falle der Deixis am Phantasma aus dem Zeigfeld gelöst und in das Symbolfeld versetzt, wo das Zeigwort als ein Begriffszeichen verwand wird. (Bühler 1999: 367). Durch jene Versetzung z. B. von Zeigwörtern in das Symbolfeld, wird der Satz von den Umständen der Sprechsituation enthoben und führt damit laut Bühler zu einem von der Ich-Hier-Jetzt-Origo entbundenen „Entsubjektivierungsschritt“ des Symbols (Bühler 1999: 375). Das Symbol bleibt somit nicht an die Ich-Hier-und-Jetzt-Origo gebunden, sondern erfährt seine Bedeutung mitunter vermittels eines objektiven Bedeutungssystems (vermittelt über Tertius bzw. bei Bühler „objektiver Geist“), welches den Nutzer weiter auf einen kollektiven Deutungsrahmen der symbolischen Gesten verweist und anhand der interaktiven Vermittlung symbolischer Gesten, die Versetzung Alter Egos in andere Situationen, Orte oder auch in andere Perspektiven ermöglicht. Der Bedeutungsspielraum von Symbolen verschiebt somit die situationsgebundene Zeichenverwendung auf die Ebene der Repräsentation von abwesenden Gegenständen und Sachverhalten im kontingenten Feld der erweiterten Weltoffenheit bei EPW. Die Eigenschaften von Symbolen fügen sich mit unseren Erörterungen der erweiterten Weltoffenheit und -erfahrung bei EPW. Der Übergang vom Zeigfeld ins Symbolfeld zeigt schließlich eine Ansammlung von situationsentbundenen Verweisen, die als ein objektives Ordnungssystem für verschiedene Nutzer approximativ ähnliche Bedeutungen und – im Anschluss an eine institutionalisierte Verwendung des Symbolfeldes – ein kollektives Symbolrepertoire prägen. Tabelle 4.1 fasst die oben genannten Ergebnisse der Bühlerschen Zweifelderlehre zusammen und dient einem Überblick zu der von uns vorgenommenen Unterteilung des Zeichengebrauchs von ZPW und EPW in allgemeine Gesten und symbolische Gesten. Mit der Kontingentsetzung von sprachlichen Zeichen wurde Sprache innerhalb des Modells der Zweifelderlehre bzw. des Organonmodells mit dem allgemeineren Begriff der symbolischen Gesten ersetzt, um eine Inklusion der kontingenten Zeichenverwendung von nichtmenschlichen Wesen innerhalb des Konzepts des Symbolfelds zu ermöglichen.
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Tab.4.1 Die Zweifelderlehre der Zeichen nach Karl Bühler (1999) mit eigenen Ergänzungen (eigene Darstellung) ZEICHENFELD ZEIGFELD
SYMBOLFELD
ANWENDER
ZPW, EPW
EPW
ZEICHEN
Signal, Symptom
Symbol
Bezugsmodus
Subjekt- und situationsbezogen, stoffgebunden, materiell anhaftend
Subjekt-/Situationsentbunden und begriffsbezogen – Deixis am Phantasma (abstraktive Reflexionsfertigkeit)
GESTENFORM Allgemeine Gesten; deiktische Zeigwörter (da, dort, oben, unten, links, rechts etc.), Gesten (Zeiggesten) demonstratio ad auris, demonstratio ad oculus
Symbolische Gesten; Nennwörter, Begriffe (Namen, Auto, Roboter, Computer, Buch, Kontrabass, Emotion, Glück, Gelb etc.)
BEDEUTUNG
praktisch-situativ
Bedeutungsgenerierung über Drittenperspektive, objektiven Geist/Deixis am Phantasma; Institutionalisierte sowie ideosynkratische und kontextuelle Interpretation und Bedeutungsgenerierung, abstrakt, auf Abwesendes bezogen
FUNKTION
Ausdruck, Appell
Ausdruck, Appell, Darstellung von Gegenständen und Sachverhalten
4.6
Hinleitung zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
Mit dem Exkurs zum Organonmodell der Sprache bei Bühler wurde eine Systematisierung der Gestenverwendung bei ZPW und EPW vorgenommen und Gesten in allgemeine und symbolische Gesten sowie in Zeige- und Symbolfelder unterteilt. Somit wurde das Wirkspektrum des Gestengebrauchs von positionierten Lebewesen dargestellt und deren kommunikative Funktion anhand des Organonmodells und der Zweifelderlehre verdeutlicht. Die obigen Ausführungen stellen eine modifizierte Erweiterung des Lindemannschen Ansatzes dar, welcher eine nähere Diskussion der Gestenkommunikation bei ZPW und EPW außer Acht lässt und sich vielmehr einer Modellierung zur Erneuerung der Gebrauchstheorie der Bedeutung widmet, wobei
4.6 Hinleitung zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
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sie auf eine über die Drittenstruktur vermittelte Konvergenz der Bedeutungsgenerierung abzielt. Dabei ist die Gebrauchstheorie der Bedeutung eine Hinführung zu der Möglichkeit des Verstehens von symbolhaften Ausdrücken anhand von regelgeleiteten Deutungen. So erfolgt die Erfassung der identischen Bedeutung – und somit die Produktion und Interpretation – von symbolischen Gesten über die Reflexion der Beziehung zwischen Ego und Alter Ego (Lindemann 2014: 212 ff.) vermittels eines objektivierend-reflexiven Drittenbezugs, welche auch die Sinnhaftigkeit der Ego-Alter-Ego-Konstellation mitbestimmt. Damit steht die These diametral zu Intersubjektivitätskonzepten, welche beim Verstehen von symbolischen Gesten von einer hermeneutischen Rekonstruktion der Sprecherabsicht durch Versuche einer reziproken Perspektivenübernahme Egos durch Alter Ego ausgehen. Während Lindemann sich auf die Rolle des Dritten bei der regelhaften Bestimmung von Bedeutungen fokussiert, ist nach unserer Sicht die Fertigkeit der Symbolerzeugung und des Symbolgebrauchs als Grundbedingung für Kommunikation über abstrahierte Sachverhalte als auch für eine dritte Reflexionsstruktur zu betrachten. Aus der Fertigkeit des Symbolgebrauchs und dessen Reichweite resultieren mithin die Reflexionsfähigkeit und die Fertigkeit zur Perspektivenübernahme durch den Dritten. Diese Annahme wollen wir nach der Darstellung der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung bei Lindemann im Anschluss durch eine Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung vornehmen. Hierzu geben wir zunächst die Lindemannsche Gebrauchstheorie der Bedeutung wieder39 : 39 Als Voraussetzungen für das Gelingen von symbolhafter Verständigung lassen sich bei Lindemann drei Ankerpunkte ausmachen, welche auf ihre Perspektive der Bedeutungslehre einwirken. Dabei handelt es sich um a) den Rückgriff der interagierenden EPW auf die Drittenposition als regelleitenden Deutungsmaßstab (Tertius), b) das Ziel des Erreichens einer identischen Bedeutung der Symbole („Verweisung vom Bedeutungsträger auf die Bedeutung“) über antizipierte Kritik und c) das Interpretationsprimat der symbolischen Äußerung von Seiten des Rezipienten (Ego über Tertius). Die Gebrauchstheorie der Bedeutung nach Lindemann entspricht dem Vorhaben eine Gebrauchstheorie im Hinblick auf die Etablierung von sozialer Ordnung und mit der Unverzichtbarkeit des Drittenbezugs, zu formulieren. Bei der Rezeption des Ansatzes sind wir auf einige Unstimmigkeiten in der von Lindemann verwandten „erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung“ gestoßen, welche offene Fragen bezüglich der Gebrauchstheorie aufwerfen, die uns dazu veranlasst haben, diese Unstimmigkeiten zu benennen und einen weiteren Gegenvorschlag zu formulieren. Die Kritik an der Lindemannschen Gebrauchstheorie bezieht sich dabei vorwiegend auf die vier Punkte der a) fehlenden sprachanalytischen Reflexion des erneuerten Ansatzes (sowie der Referenz auf Sprache als gestisches Symbol zur Verständigung zwischen EPW prima facie), der b) Konventionalisierung von identischen Bedeutungen und symbolischen Gesten, der c) Egalisierung der Drittenbezüge als auch d) einem dyadisch formulierten Zeichenmodell. Jene Diskussion des Ansatzes ist Teil der ungekürzten Dissertation und zur Publikation in Bearbeitung (Straub (2019), unveröffentlichtes Manuskript).
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Exzentrisch positionierte Wesen
Erneuerte Gebrauchstheorie der Bedeutung nach Lindemann
Lindemann stellt folgendes Konzept der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung auf: 1. Alter Ego produziert ein Symbol, adressiert an Ego vor Tertius und antizipiert eine Kritik aus der Tertiusperspektive an einer nicht regelgemäßen Produktion des Symbols. 2. Die Regelhaftigkeit bezieht sich auf zwei Aspekte a) die Ordnung des sinnlichen bzw. wahrnehmbaren Materials des Bedeutungsträgers, des Zeichens, folgt einer Regel – b) die Verständlichkeit der Symbole, d. h. die Verweisung vom Bedeutungsträger auf die Bedeutung folgt einer Regel. 3. Ego interpretiert etwas Wahrgenommenes als Symbol von Tertius und antizipiert eine Kritik aus der Tertiusperspektive an einer nicht regelgemäßen Interpretation des Symbols. 4. Die Regelhaftigkeit bezieht sich ebenfalls auf zwei Aspekte: a) indem Ego etwas als Symbol deutet, deutet es dieses als regelhaft gebildet und an einen Rezipienten adressiert, b) das regelhaft gebildete Symbol enthält als solches einen regelhaften Verweis vom Bedeutungsträger auf die Bedeutung, dem Ego in der Deutung folgen kann.“ (Lindemann 2014: 212)
4.6.2
Zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung – Kommunikationsmodell und Sinn
In unserer Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung wollen wir den Fokus verschärft auf die Kontingentsetzung der EPW, der Drittenposition als auch auf den Symbolgebrauch richten und die Folgen der Kontingentsetzung von symbolischen Gesten und derer inhärenten Bedeutungsvariabilität über Drittenbezüge ausformulieren. Bei der Betrachtung von symbolischen Gesten wird an dieser Stelle von einem festgelegten Regelwerk von Bedeutungen abgesehen (vgl. Saussure 1967) und diese eher im Sinne der pragmatisch-pragmatizistischen Lehre Peirces als auch Wittgensteins betrachtet.40 Die Bedeutung von symbolischen Gesten erschließt sich 40 Der „regelhafte Verweis von Bedeutungsträger auf die Bedeutung“ (Lindemann 2014: 212) fügt sich parallel zu dem Saussurschen Zeichenmodell, welches den Ausdruck (Signifikant) und den Inhalt/die Bedeutung (Signifé) mit dem Zeichen in eine direkte Abbildrelation stellt. Jene dyadische Zeichenrelation birgt allerdings einige Fallgruben, die in der theoretischen Diskussion über die Reichweite der Reflexionsfertigkeit bei EPW, für die Generierung von Bedeutungen als auch für die Zeichennutzung restringierte Erörterungswege liefert. Dabei
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somit, neben dem Rückgriff auf lexikalisch-etablierte Bedeutungen, auch durch situativ als auch ideosynkratisch modifizierbare Interpretationen von Bedeutungen im Kommunikationsprozess selbst (vgl. Peirce 1968, 1985). Diese erweiterte Sicht auf die Bedeutungsgenerierung von symbolischen Gesten wollen wir in unserer Perspektive als emergente Semantik benennen. Unser Gegenvorschlag erwächst dabei aus den Annahmen der pragmatischen Gebrauchstheorie, wobei EPW mit ihrem Symbolgebrauch als auch mit ihren Drittenbezügen kontingent gesetzt werden. Daher ist es unsere Aufgabe, den Symbolbegriff zu relativieren und für die entanthropozentrische Sichtweise von EPW und ZPW nutzbar zu machen. Statt Sprache als genuin menschlich advanciertes Symbolsystem zum Ausgangspunkt der symbolischen Gestenkommunikation zu machen (und die sich daraus ergebenden Folgen für einen sprachanalytischen Diskurs mitzutragen), wurden zeichenhafte Interaktionssymbole bei EPW unter dem Oberbegriff der symbolischen Geste gefasst (vgl. Abschnitt 4.5.1). Damit ebnen wir die Perspektive für die Symbolverwendung bei Begegnungen zwischen nicht-menschlichen EPW, welche nicht zwingend sprachlicher Natur ist. Die Gebrauchstheorie, welche sich auf EPW beziehen lässt, soll somit auf jegliche Symbole anwendbar sein, mit denen EPW ihre Umwelt als auch Mitwelt reflektieren sowie welche sie dazu nutzen, um sinnhafte Mitteilungen an andere zu kommunizieren. Vor diesem Hintergrund gehen wir bei unserer Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung zunächst 1.) auf die Grundzüge der pragmatischen Maxime ein und formulieren die Bedingungen der Bedeutungsgenerierung vor der These der situativen Bedeutungsvarietät. Im Anschluss wird die Perspektive von der Verstehensfrage (im Sinne der Herbeiführung von identischem Bedeutungsgehalt) verschoben auf 2.) die Ebene der Anschlusskommunikation (nach Luhmann), welche eine Betrachtung des Verstehens von Aktionen auf die kommunikativen Folgeaktionen der Beteiligten ermöglicht (emergente Semantik). Mit den Aspekten der Bedeutungsvarietät sowie des Primats der Anschlussinteraktion wird mit dem Effekt jener 3.) Modifikationen auf den Drittenbezug (EEE) und gesellschaftlich etablierte Regelwerke fortgefahren, um dann 4.) die Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung gegliedert wiederzugeben. verharrt das dyadisch gedachte Zeichenmodell in einer Bedeutungsstatik, welche wechselnde Bezüge hinsichtlich der Beziehungen zu einem bezeichneten Objekt als auch zu verschiedenen Interpretanten außer Betracht lässt. Ein Ausdruck – Signifikant – ist in jener Sichtweise mit einer Bedeutung – Signifé – belegt, die für alle Sprachteilnehmer dieselbe darstellt. Mit dem dyadischen Zeichenmodell wird die pragmatische Dimension von Zeichennutzern und Symbolen untergraben und die symbolische Geste einem fixen lexikalisch zurückführbaren Bedeutungssystem zugeordnet. Im Hinblick auf den praktischen Sprachgebrauch und den polysemantischen Wandlungen von Begriffsbedeutungen, ist diese These jedoch nicht haltbar.
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4.6.3
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Gebrauchstheorie der Bedeutung auf pragmatisch-kommunikativer Ebene
Anhand des Peirceschen Zeichenmodells werden symbolische Gesten von einer Rückführung auf Bedeutungsidentität enthoben und Bedeutung anhand der pragmatischen Maxime als durch deren Gebrauch, Kontext und flexible ideosynkratische Interpretanten mitbestimmt betrachtet (Peirce 1998 [1896]).41 Ein Rückbezug eines Ausdrucks auf systematische und einheitliche Regeln – basierend auf der Vorstellung konsensueller Verständigungszwecke – stellt somit eine reduktive Sicht auf die Varianz kommunikativer Bedeutungsvielfalt dar. Die pragmatische Semantik hingegen geht nicht von einer einheitlichen Bedeutung der Sprachzeichen aus, sondern betont, dass auch Missverstehen aus unterschiedlichen kontextuellen und heterogen kulturellen Gegebenheiten heraus resultieren kann und dass dieses Faktum in die Bedeutungslehre mit hineinwirkt. Ein Begriff kann in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Funktionen haben sowie unterschiedliche Konnotationen bei einzelnen Interpreten hervorrufen. Mit der Hinwendung an die pragmatische Maxime bzw. an die Wittgensteinsche Gebrauchstheorie der Bedeutung, folgen wir der Annahme, dass die Bedeutung von Zeichen zwar einen denotativen und durch soziale Praxis verfestigten Bedeutungsstamm/–kern haben kann, allerdings erst im praktischen Gebrauch ihren vollen Bedeutungsgehalt entfalten. Die Bedeutung von Zeichen lässt sich dabei – sowohl laut Peirce als auch laut Wittgenstein – zusätzlich aus dem nicht-verbalen Handlungszusammenhang ausmachen, indem sie sich in ihrer Bedeutungsvielfalt im aktuellen Gebrauch, im Rahmen unterschiedlicher Lebens-, Handlungs- und Funktionszusammenhänge, die durch verschiedene soziale Gruppierungen, Drittenbezüge sowie Institutionen geprägt sind, ergibt. Mit Hinblick auf den kommunikativen Gebrauch soll hier die Bedeutung von symbolischen Gesten als pragmatisch-kommunikative Übereinkunft beschrieben werden, deren Bedeutung sich in den Folgeaktionen der Beteiligten widerspiegelt. Die
41 Der Zeichenbegriff bei Peirce ist ein triadischer, welcher das Relationsgefüge zwischen Objekt, Zeichen/Repräsentamen und dem Interpretanten bestimmt und mit deren Semiose eine Bedeutungsgenerierung erzielt wird. Somit setzt sich das Zeichen zusammen aus a) dem Zeichen als Repräsentant und Verweis auf ein b) Objekt oder einem Sachverhalt zu dem es in Beziehung gesetzt wird und c) der Relation von Representamen und Objekt zu einem Interpretanten (vgl. Oehler 1993: 126 ff.), der als „interpretierendes Bewusstsein“ auf der Basis von Gesetzmäßigkeiten fungiert. Der semiotische Zeichenprozess entfaltet seine Bedeutung vermittels des Interpretanten, der als verbindende Drittheit das Zeichen und das Objekt zueinander in Beziehung setzt.
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pragmatisch-kommunikativen Sicht bei Peirce und Wittgenstein enthält entsprechend eine Rezipientenorientiertheit. So formuliert Peirce die pragmatische Maxime und Bedeutungslehre wie folgt: „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes.“ (Peirce 1968: 402.63)
Auch Wittgenstein statuiert, dass die Bedeutung symbolischen Zeichengebrauchs nicht lediglich in den lexikalischen und grammatischen Strukturen von sprachlichen Einheiten verborgen liegt, sondern sich in den Lebenszusammenhängen – in denen sie Anwendung finden – darlegt. Dies bedeutet sinngemäß „Suche nicht nach der Bedeutung eines Wortes, suche nach seinem Gebrauch“ bzw. “Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben? – Im Gebrauch lebt es. Hat es da den lebenden Atem in sich? – Oder ist der Gebrauch sein Atem?” [Wittgenstein 2003 [1953]: §432]. Bei der Wittgensteinschen Gebrauchstheorie der Bedeutung steht ein sprachliches Zeichen also im untrennbaren Zusammenhang mit seinem Gebrauch innerhalb einer sozialen „Lebensform“ (ebd.: §630)42 – die sich aus bestimmten geteilten Handlungsmustern von Akteuren ergibt – und hängt sowohl von den jeweiligen Situationsfaktoren als auch von der Akteurskonstellation während des Kommunikationsprozesses ab. Diese Faktoren spielen sowohl bei der Rezeption als auch bei der Symbolgenerierung im Kommunikationsprozess eine Rolle. Bedeutung ist hier nicht mehr im Sinne der lexikalischen Bedeutungslehre, als das Korrelat zum Lautbild zu verstehen, sondern innerhalb der interaktiven Sinngenerierung selbst verortet: „‘Ein Wort verstehen’ kann heißen: Wissen, wie es gebraucht wird; es anwenden können.“ (ebd.: §525). Sowohl bei Peirce als auch bei Wittgenstein erfolgt die Bedeutungsgenerierung allerdings nicht frei von vorgeprägten Bedeutungsgehalten eines Zeichens, sondern hat seine Anlehnung an der gewohnheitsmäßigen sozialen Praxis der „Lebensform“, bzw. in den „habits“ (Peirce 1998 [1896]: 5.491) der Interpretanten. Nach Wittgenstein folgen Interaktanden zu einem gewissen Grad einem Regelwerk zur Anwendung von Begriffen, welches als gesellschaftliche Mitgift dem Symbolgebrauch den Rahmen von üblichen Verwendungshorizonten der jeweiligen Begriffe liefert. Hier ist allerdings vorausgesetzt, dass die Regel vor dem Hintergrund einer ähnlichen Bezugsgröße erfahren und angewandt wird. Nach dem
42 Das Teilen einer Lebensform macht die Akteure zu einer sozialen Gemeinschaft, aus der heraus die Implikationen einer symbolischen Geste verstehbar werden.
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Konzept der Familienähnlichkeit 43 (Wittgenstein 2003 [1953]: §67) wird dabei auf eine habituierte Situation zurückgegriffen und gleichzeitig die situative Dimension der Anwendung wirksam. So gelangen Interpretanten über die ähnliche Bezugsgröße zu einem geteilten Bedeutungsstamm eines Begriffs, welchem durch das „Vormachen, Wiederholen sowie Nachmachen“ der Bedeutungskontext zugeteilt wird. Dieser geteilte Bedeutungsstamm gibt ein normatives Regelwerk zur Begriffsverwendung vor und äußert sich in dem Wissen der Interpretanten über die Regel der Zeichenverwendung.44 Die Anwendung der Regel bezieht sich dann immer auf eine Menge von Phänomenen, welche sich auf einen geteilten Bedeutungsstamm einer Gemeinschaft über ein geteiltes Regelwerk subsummieren lassen und bei Bedarf einer Modifikation im praktischen Bezugsrahmen bedürfen. Jedoch können sich im Sinne der praktischen Gebrauchstheorie der Bedeutung von dem Regelwerk ableitend Bedeutungsvarianzen gegenüber dem gängigen und konventionalisierten Bedeutungstamm – also durch Verästelungen der Bedeutungen und der Dritte bezüge – ergeben. Diese erfolgen beispielsweise durch Sprachspiele, „Privatsprache“45 (Wittgenstein 2003 [1953]: §243), Konnotationen, Idiome, ambige Begriffe, Metaphern etc., die sich unter anderem aus der Zusammenführung der Ähnlichkeitsurteile der Bedeutung und den subjektiven Interpretationseinflüssen der Akteure ergeben können. Diese Bedeutungsvarianzen gelten als praktisch-emergierende Semantiken, die sich wiederum im kleinen sozialen Kreis – z. B. bei neuen EPW-Konstellationen – bzw. durch verfestigte Wege der 43 Wittgenstein sieht die Vagheit und Unbestimmtheit eines Begriffs und dessen Semantik als maßgebliche Bedingung für die Bedeutungsvarianz im praktischen Gebrauch. Mit dem Konzept der „Familienähnlichkeit“ wird die Ungewissheit von Bedeutungen auf ein Ähnlichkeitsmaß reduziert, welches es den Nutzern ermöglicht, die soziale Interaktion, ohne andauerndem Zweifel, über die Unverständlichkeit der Äußerung – fortzuführen. Vergleiche auch Abschnitt 4.6.3 zu Luhmann und der „Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation“ sowie dem Ungeheuerschen Konzept zur „Fallibilität von Kommunikation“. 44 Bei Lindemann stellt sich die als ähnlich gehandhabte Bezugsgröße als Drittenperspektive, respektive Tertius, dar. Das Regelwerk über Tertius bietet dabei einen fluktuierenden Bedeutungsgehalt, der über eine antizipierte Kritik Egos nach einer „regelgemäßen Interpretation des Symbols“ den „regelhaften Verweis vom Bedeutungsträger auf die Bedeutung“ ermöglicht (Lindemann 2014: 212). Die Passung an das Regelwerk ergibt sich in der jeweiligen Praxis in der entschieden wird, ob die Anwendung des Begriffs regelkonform bzw. als abweichende Verwendung des Begriffs erfolgt. 45 Wittgenstein nutzt „Privatsprache“ als Beispiel für die Notwendigkeit der sozialen Bedeutungsgenerierung. Privatsprache benennt dabei Begriffe, die lediglich subjektive Bedeutungen haben und keinerlei Schnittpunkte zum gemeinschaftlich-vermittelbaren Bedeutungsgehalt bieten. Als Beispiel kann man ein Idiom für einen Empfindungszustand nennen, welcher noch keinem anderen Wesen aus der Gesellschaft erfahren wurde (z. B. Buddhas Zustand der „Erleuchtung“ oder die Beschreibung eines Schmerzes in einer bestimmten Körperpartie).
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Konventionalisierung im großen institutionellen Kreis auf das Bedeutungsspektrum des Zeichens auswirken und als neue erwartbare Erwartungserwartungen wirksam werden können. Selektion-Mitteilung-Verstehen Mit der pragmatischen Bedeutungslehre wird deutlich, dass kommunikative Einheiten vermittels Symbolgebrauch variable Bedeutungsinhalte generieren können, die durch weitere Faktoren der „Lebensform“, wie Gewohnheiten in der Interpretation, kultureller Kreis, verschiedener Drittenbezüge, Persönlichkeitsverhältnisse, situative Rahmung etc. das Bedeutungsspektrum mitbestimmen. Eine derartige Verflechtung der Bedingungen kommt der realen lebensweltlichen zwischenmenschlichen Interaktion zwar nahe, gleichzeitig sorgt dies dafür, dass eine formale und strukturelle Darstellung der kontingenten EPW-Konstellation (vor allem im Hinblick auf eine interspezifische Interaktion46 ) sich als schwierig gestaltet. Vielmehr wollen wir versuchen, die Ergebnisse der letzten Überlegungen zu formalisieren und Deutungsmöglichkeiten des Interpretanten, der Symbolverwendung, der kommunikativen Einheit und des Drittenbezugs, über ein einheitliches Bindeglied zu koppeln und an ein Kommunikationsmodell, welches auf Anschlusskommunikation basiert, anbinden. Mit den Ergebnissen der letzten Sektionen wollen wir daher die Zeichenverwendung so modellieren, dass die Zeichenhaftigkeit von kommunikativen Aktionen vom Bedeutungsbegriff gelöst und auf emergente Semantiken durch Anschlussinteraktion verschoben wird. Hierzu gehen wir in einem Zweischritt vor: indem wir 1.) einerseits die Bedeutungsvarietät von kommunikativen Prozessen an die Kommunikationstheorie Luhmanns anlehnen und diese somit als emergent semantische Prozesse verstehen, deren Zweck in dem Fortbestehen der kommunikativen Einheit erzielt wird und 2.) andererseits die Interpretationsabläufe von a) Bewusstseinsprozessen (Interpretanten), b) Kommunikationsprozessen und c) gesellschaftlicher Ordnung über Teilsysteme/Verbreitungsmedien mit dem Sinnbegriff (nach Luhmann) koppeln. Dabei wollen wir Kommunikation nicht anhand des zweckgerichteten konsensuellen Verstehens beschreiben, sondern den Schwerpunkt von kommunikativen Aktionen auf das Fortbestehen der kommunikativen Einheit, sprich über sinnhafte Anschlusskommunikation vermittelt, fokussieren.
46 Zum Zusammenhang von Anthropomorphisierung und sozialer Wahrnehmung in interspezifischer Interaktion siehe Kwan et al. (2008b). Als Extremfall zur Vereinheitlichung von Sozialität und Personenstatus siehe Latour (1988).
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Unser Gegenvorschlag nimmt sich vor, EPW als kontingent zu fassen und kommunikative Aktionen als daran orientierte zu beschreiben. Anstelle einer Fixierung auf deckungsgleiche Bedeutungen von Alter Ego und Ego bei dem Austausch symbolischer Gesten, wollen wir den konsensuellen Bedeutungsbegriff als Telos von symbolischer Kommunikation dezentralisieren und Verstehen im Sinne des systemtheoretischen Kommunikationskonzepts als dem Selektieren von Informationen als Mitteilungen – sprich als an Alter Ego gerichtete Geste – behandeln (Luhmann 2001a). Mit jener Verschiebung des Verstehensbegriffs vom Postulat für identische Bedeutungen auf die Selektion von Informationen als Mitteilungen, können wir von einer Fokussierung auf den identischen Bedeutungsgehalt übergehen zu einer Perspektive, welche Verstehensselektionen als aus dem kommunikativen Prozess emergierenden Sinn handhabt, dabei Verstehensinhalte aus der Verortung in Bewusstseinsprozessen enthebt und auf der Ebene der sozialen Einheit situiert. „Das bedeutet wiederum, daß der Unterschied zwischen Verstehen und Mißverstehen eingeebnet wird. Denn Verstehen, (…), meint eben gerade nicht eine intentionale Aneignung, sondern lediglich kommunikative Reproduktion.“ (Jahrhaus 2001: 308)
Somit wird Verstehen wirksam, indem kommunikative Aktionen mit Anschlusskommunikationen beantwortet werden, Kommunikation fortgesetzt und die soziale Einheit bzw. das soziale System aufrechterhalten wird. Es gibt demnach kein Skript wie man richtig oder falsch auf eine symbolische Geste als Kommunikation antwortet, relevant wird eher, dass geantwortet wird. Kommunikation und Verstehen wird in diesem Ansatz als Anschluss und Perpetuierung von sozialen Einheiten dargelegt. Dies ermöglicht es uns weiterhin die Rezipientenorientiertheit als ausschlaggebend für die Anschlusskommunikation zu bejahen, sie als Ausgangspunkt für Verstehen beizubehalten und sie gleichzeitig als Maßstab für die Konstituierung von sozialen Einheiten zu bestimmen. Die Adaption des systemtheoretischen Kommunikationsbegriffs und dessen Verstehensbasis fügen sich in unsere Beschreibung der Grundvoraussetzungen von EPW zur Realisation von sozialen Einheiten. Der systemtheoretische Kommunikationsbegriff geht nicht von vereinzelten anthropologisch gedachten Akteuren aus, sondern betrachtet die Systembildung auf speziesunabhängiger Ebene als eigens emergentes soziales System.47 Wir wollen nicht so weit gehen und unsere bisherigen Ausführungen zu EPW der Systemtheorie unterordnen, können jedoch mit
47 Vgl. hierzu auch den Sammelband „Der Mensch - das Medium der Gesellschaft?“ von Fuchs & Göbel (1994), in dem die Implikationen der Auflösung des Menschen in „psychische“, „physische“ sowie in „soziale“ Systeme in der Systemtheorie diskutiert werden.
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dem systemtheoretischen und von menschlichen Akteuren entkoppelten Kommunikationskonzept an unsere kontingent gesetzten EPW als soziale Akteure andocken. Dies wird ermöglicht, durch die Fusion des pragmatisch-kommunikativen Bedeutungskonzepts mit dem systemtheoretischen Kommunikationskonzept48 , welches kommunikative Einheiten als eigenständig soziale Systemform formuliert und dessen Fortbestehen über Anschlussinteraktion veranschlagt. Dabei werden die Bedingungen erörtert, die dazu führen, Interaktion konstant aufrechtzuerhalten, kommunikative Einheiten zu bilden und diese erwartbar zu machen. Zunächst werden hierzu das Kommunikationskonzept der Systemtheorie in ihren Bedingungen der „Information, Mitteilung und des Verstehens“ wiedergegeben, die Hindernisse der Generierung benannt und im Anschluss die Sinn- und Symbolbegriffe als Katalysatoren von erwartbaren Kommunikationen dargelegt. In der Systemtheorie Luhmanns konstituieren sich soziale Systeme anhand der autopoetisch zu verstehenden Operation von Kommunikation. Luhmann bezeichnet Kommunikation als grundlegend für soziale Einheiten und postuliert Kommunikation als „alle Gesellschaft fundierenden Sachverhalt“ (Luhmann 2001b: 77). Kommunikation ist somit die Grundkonstante für die Generierung von sozialen Systemen und „eine unausweichlich soziale Operation und zugleich eine Operation, die zwangsläufig in Gang gesetzt wird, wenn immer sich soziale Situationen bilden“ (Luhmann 2001a: 96) und stellt somit die Minimalbasis für Sozialität. Kommunikation ist in seinem Verlauf selbstbezogen und ereignet sich nach dem Credo „Nur die Kommunikation kann kommunizieren“ (Luhmann 2001a: 95) über eine operative Schließung, die bewirkt, dass ausschließlich kommunikative Operationen rekursiv an kommunikative Operationen anschließen und nicht durch andere Systemtypen, wie psychische (Bewusstseinsoperationen) und physische Systeme erzeugt werden kann.49 Luhmann konzipiert – im Gegensatz zu klassischen Ansätzen, die den Handlungsbegriff in den Vordergrund von sozialen Einheiten stellen, wie etwa 48 Auch Luhmann betont die Relevanz des Kontextes als wesentlich für die Sinnerfassung von kommunikativen Semantiken. 49 Damit wird die akteursgebundene Konstituierung von sozialen Einheiten aufgehoben und auf die Ebene der Systemoperation Kommunikation verschoben. Physische als auch psychische Systemtypen operieren nach ihren eigenen Anschlussoperationen, wie Stoffwechsel oder Gedanken, welche ebenfalls geschlossene Operationsweisen darstellen. So kann im psychischen System Gedanke an Gedanke, nicht jedoch Kommunikation an Bewusstseinsinhalte anschließen. Die unterschiedlichen Systemtypen können sich lediglich durch „strukturelle Kopplung“ gegenseitig irritieren. Bei sozialen Systemen äußert sich die strukturelle Kopplung zu psychischen Systemen beispielsweise über die Vermittlung von Bewusstseinsinhalten anhand symbolischer Gesten. Kommunikation ist nicht in einzelnen Bewusstseinen verortbar oder mit Bewusstseinsoperationen zu erörtern, sondern ist immer auf kommunikative Operationen, die an kommunikative Operationen anschließen, bezogen. (Luhmann 2001d).
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Habermas‘ Fokus auf kommunikatives Handeln – Kommunikation als Basis zur Erzeugung und Aufrechterhaltung von sozialen Systemen. Kommunikation stellt für Luhmann dabei eine emergente Realität sui generis50 dar (Luhmann 2001a: 97.) und realisiert sich durch die Synthese der drei Selektionen „(…) Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Mißverstehen dieser Mitteilung und ihrer Information“ (ebd.). Zur Abgrenzung von reiner Wahrnehmung des Verhaltens anderer, muss also die Differenz von Mitteilung und Information verstanden werden. Dies würde in unseren bisherigen Ausführungen den Moment der Initiierung und Rezeption von symbolischen Gesten im situativen Rahmen der direkten Berührung von EPW bezeichnen und die Deutung einer rein mechanischen Bewegung Alter Egos, als Information ohne Mitteilungsgehalt von einer Deutung der Bewegung als symbolischer Geste und somit als Differenz der Information und Mitteilung mit Anschlussoptionen, trennen. Zur Realisierung von kommunikativen Operationen wird die Selektion eines Informationsgehalts aus einer dispersen Menge an sinnhaften Möglichkeiten ausgewählt, im Anschluss ein bestimmtes Verhalten selegiert, welches zur Mitteilung der Information dient, und schließlich aus einem Pool an Möglichkeiten ausgewählt, wie zwischen Information und Mitteilung unterschieden werden kann (vgl. Jahrhaus 2001: 307). Das Ausstrecken der Hand Alter Egos wird somit nicht als dynamische Bewegung zum Schwung holen – also als eine Aktion die einen reinen Informationsgehalt besitzt – gedeutet, sondern als Entgegenstrecken der Hand in Richtung der eigenen Person (Ego) mit dem Zweck der Berührung. Demnach wird sie als soziomotorische Bewegung mit Mitteilungscharakter erkannt und mit der eigenen Ausrichtung des Körpers, und dem Ausstrecken und Zusammenführen der eigenen Hand mit der Hand Alter Egos, schlussendlich als Anschlussaktion zu einem Begrüßungsritual verstanden. Die drei Selektionen unterscheiden sich von den gängigen Auffassungen der Informationsvermittlung, der Mitteilungsweise und des Verstehensbegriffs. Verstehen im Sinne der Luhmannschen Systemtheorie bezieht sich nicht auf die Replikation der Gedanken oder emotionaler Anliegen, sprich der Bewusstseinsinhalte anderer, sondern gilt als eigene Selektion der Differenz von Information und Mitteilung. Eine wechselseitige Selektion zwischen Information und Mitteilung stellt dabei die Voraussetzung zur Realisierung von sozialen Systemoperationen dar – „Verstehen ist nie eine bloße Duplikation der Mitteilung in einem anderen Bewußtsein, sondern im Kommunikationssystem selbst Anschlußvoraussetzung
50 Dies gilt auch für Leben (physisches System) und Bewusstsein (psychisches System) (vgl. Luhmann 2001d).
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für weitere Kommunikation, also Bedingung der Autopoesis des sozialen Systems“ (Luhmann 2001a: 98).51 Das soziale System generiert und praktiziert auf der emergent sozialen Ebene demnach einen eigenen Verstehensbereich. Verstehen ist gegeben, sobald ein Unterschied zwischen den Informationswert des Inhalts (Ausdruck) und die (Beweg-)Gründe (inhaltlich und expressiv mit Appellcharakter) für das Mitteilen des Inhalts erfasst wurden (vgl. Luhmann 2001a: 97). Was genau in dem System verstanden wird, wird systemintern produziert, durch kommunikative Operationen perpetuiert und bei Missverstehen gegebenenfalls über Rückfragen und Erörterungen, also über weitere Kommunikation, präzisiert. Verstehen meint also nicht die Aneignung der Gedankeninhalte des anderen oder die Befolgung direktiver Anschlusshandlungen, sondern basiert auf der Bereitstellung von kommunikativen Anschlüssen. Wesentlich sind dabei die Reproduktion der kommunikativen Operation und das Aushandeln der Differenz von Information und Mitteilung, um kommunikative Anschlüsse zu generieren, somit den Systemerhalt zu garantieren und als Kommunikation zu verstehen. Mit der Adaption des systemtheoretischen Kommunikationskonzepts wird die verstehensbasierte Suche nach identischen Bedeutungen auf eine abstraktere Ebene gehievt und Verstehen durch die Selektionsmöglichkeit weiterer kommunikativer Anschlussoperationen erzielt. Somit wird es relevant, dass durch Anschlussinteraktion das Verstehen der vorherigen Handlung bestätigt und so das soziale und kommunizierende System weiterhin in Gang gehalten wird. Die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation und der Erwartungsbegriff Wie bereits bei der Erörterung von EPW erwähnt, ist die Bezugnahme von EPW zueinander, d. h. die Formierung einer sozialen Einheit bzw. eines sozialen Systems, in geteilten Wahrnehmungsfeldern nicht selbstverständlich und unmittelbar durch die geteilte Anwesenheit der EPWs gegeben. Vielmehr müssen Vorbedingungen erfüllt sein, welche zur Realisation der Initiierung von Kommunikation beitragen. In unseren Ausführungen haben wir wechselseitige Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und das Berührungsverhältnis als Grundkonstanten für die Initiierung von sozialen Settings – und somit für den Übergang von reiner Anwesenheit hin zu sozialer Präsenz (vgl. Kapitel 5) – genannt. Auch bei Luhmann wird das Zustandekommen von Kommunikation als unwahrscheinlich gesetzt, da zur Bildung von sozialen Systemen zunächst die Hürde der doppelten Kontingenz der beteiligten Systemkomponenten überwunden werden muss und Kommunikationsofferten nicht zwangsläufig in Anschlusskommunikation – und weiter in der 51 Eigenes Verstehen und Missverstehen läuft entsprechend im eigenen Bewusstsein ab – zum Zwecke der Selbstbeobachtung und -kontrolle des Akteurs.
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Formation von sozialen Systemen – münden. So müssen zur Herausbildung eines sozialen Systems zunächst die Unwägbarkeiten der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation bei den einzelnen Systemkomponenten minimiert und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit der Kommunikation erhöht werden. Luhmann beschreibt in seiner Kommunikationstheorie wie die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation zu einer Wahrscheinlichkeit gewandelt werden muss, um Kommunikation zu Realisieren und nennt als Katalysatoren der Kontingenzminimierung gesellschaftlich geschaffene Erfolgsmaximierer, welche dazu beitragen Kommunikation – und damit die Bildung von sozialen Systemen – erwartbar zu machen. Im nächsten Abschnitt wird der Luhmannschen Ansatz zu den drei Unwahrscheinlichkeiten von Kommunikation wiedergegeben und anschließend werden die Bedingungen, die zu einer Steigerung der Erwartbarkeit von Anschlussinteraktionen beitragen, erörtert. Die Überwindung der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation spielt auf konstitutiver Ebene in die Bedingungen von Sozialität hinein und soll im Folgeabschnitt als kontingenzminimierender Erwartungshorizont gekennzeichnet werden. Zunächst einmal werfen wir aber einen näheren Blick auf die Unwahrscheinlichkeitsbedingungen von Kommunikation. Als Unwahrscheinlichkeitsbedingungen für das Zustandekommen von Kommunikation nennt Luhmann drei Punkte: a) Die Unwahrscheinlichkeit des Verstehens, b) die Unwahrscheinlichkeit des Erreichens des Adressaten und c) die Unwahrscheinlichkeit des Erfolgs der Kommunikation. Laut a) es ist unwahrscheinlich, dass Akteure sich im klassischen Sinne verstehen, da soziale Systeme auf der Ebene der Kommunikation operieren und kein direkter Zugriff auf ihre Bewusstseinsinhalte möglich ist, welche eine Überprüfung der Konvergenz von Bedeutungen ermöglichen würde. In dem folgenden Punkt fügt sich also die Argumentation Luhmanns mit unserem Anliegen, symbolisch vermittelte Kommunikation nicht anhand einer Replikation von identischen Bedeutungen zu erörtern, da neben kontextuellen Einflüssen auch die bewusstseinsgenerierte Interpretantenvariabilität zu diffusen Bedeutungsinhalten beiträgt.52 52 Siehe auch das Kommentar Luhmanns zur kommunikativen Emergenz und Bedeutungsvarianz gegenüber der Übertragung von Nachrichten/Information/Verstehen, welches sich gegen die Konzepte Austin/Searles und Habermas wendet „Das alles geht aber immer noch von einem handlungstheoretischen Verständnis von Kommunikation aus und sieht den Kommunikationsvorgang deshalb als eine gelingende oder mißlingende Übertragung von Nachrichten, Informationen oder Verständigungszumutungen. Demgegenüber wird bei einem systemtheoretischen Ansatz die Emergenz der Kommunikation selbst betont. Es wird nichts übertragen. Es wird Redundanz erzeugt in dem Sinne, daß die Kommunikation ein Gedächtnis erzeugt, das von vielen auf sehr verschiedene Weise in Anspruch genommen werden kann.“ (Luhmann 2001a: 100). Sowie Kritik an Habermas konsensgerichtete Entelechie „Die Kommunikation hat keinen Zweck, keine immanente Entelechie. Sie geschieht oder sie geschieht nicht – das ist alles was man dazu sagen kann.“ (Luhmann 2001a: 102).
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Konform mit unseren Ausführungen zur pragmatisch-kommunikativen Dimension von Bedeutungen formuliert Luhmann betreffend des Verstehens: „Als erstes ist es unwahrscheinlich, daß einer überhaupt versteht, was der andere meint, gegeben der Trennung und Individualisierung ihres Bewußtseins. Sinn kann nur kontextgebunden verstanden werden, und als Kontext fungiert für jeden zunächst einmal das, was sein eigenes Gedächtnis bereitstellt“ (Luhmann 2001b: 78). Um Verstehen zu realisieren, ist das Decodieren von Mitteilungen aus einem Informationsfluss des Gegenübers notwendig und somit von reiner Wahrnehmung von Lauten oder mechanischen Bewegungen zu unterscheiden. Als Bedingungen, die das Verstehen erwartbar machen bzw. Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen, nennt Luhmann Sprache, welche psychische und soziale Systeme koppelt, strukturiert sowie eine erwartbare Reaktion des Gegenübers nahelegt (Luhmann 2001b: 81). Sprache wird in der vorliegenden Arbeit hingegen unter den Oberbegriff der symbolischen Geste gefasst. B) Der zweite Punkt betrifft die Unwahrscheinlichkeit, dass Kommunikation den Empfänger erreicht. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich zwar bei (raumzeitlich) situativ anwesenden Akteuren, hier muss allerdings Aufmerksamkeit für die Kommunikationsofferte gegeben sein und kann nicht erzwungen werden. Für den Empfängerkreis, der sich außerhalb des raumzeitlichen Anwesenheitsbereichs befindet, gilt dieselbe Bedingung der geforderten Aufmerksamkeit. Als Vermittler und Maximierer von Kommunikation dienen hier Verbreitungsmedien, welche, z. B. als Schrift, raumzeitliche Grenzen überwinden kann, bzw. die Sprache, welche den aktuell-anwesenden Empfängerkreis affizieren kann. C) drittens, ist der Erfolg und die Akzeptanz der Kommunikation durch Alter Ego unwahrscheinlich, selbst wenn die Kommunikation als Aufforderung zur Anschlussinteraktion „verstanden“ wurde. Eine verstandene Mitteilung kann von den Akteuren durch Anschlusskommunikation fortgesetzt werden – dies muss sich aber nicht zwangsläufig einstellen, was zu einer Zurückweisung der Kommunikationsabsicht Alter Egos sowie zu einer Auflösung des sozialen Systems führt. Hier begründet Luhmann die Unwahrscheinlichkeit des Erfolgs von Kommunikation mit einem für unsere weiteren Ausführungen der Anschlusskommunikation wichtigen Argument: „Mit kommunikativem >Erfolg< meine ich, daß der Empfänger den selektiven Inhalt der Kommunikation (die Information) als Prämisse des eigenen Verhaltens übernimmt, also an die Selektion weitere Selektionen anschließt und sie dadurch in ihrer Selektivität verstärkt.“ (Luhmann 2001b: 79). Luhmann wendet hier die Erfolgsbedingungen von Kommunikation darauf an, dass das Anschlussverhalten Egos soweit beeinflusst wird, dass dieser die angeforderten Handlungen, Erlebensweisen, Gedanken etc. in seinem Folgehandeln in Betracht zieht, die Kommunikation (im Ideal- und Erfolgsfall) thematisch fortsetzt und entsprechende Erwartungshaltungen zum Kommunikationsverhalten gegenüber Alter Ego hegt. Luhmann nennt
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hier symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien mit der Funktion, potentielle Kommunikationen durch festgelegte Handlungsoptionen innerhalb festgelegter Funktionssysteme einzudämmen. Die Überwindung jener drei Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation kann in unserer Arbeit also einerseits als Grundkonstitution zur Bestätigung von zur Interaktion befähigten personalen Wesen (EPW) gelten als auch andererseits zur Aktualisierung und Realisierung von Kommunikation – bei bereits als Sozialwesen ausgewiesenen EPWs – gewertet werden. Daher spielt sie eine Schlüsselrolle bei der Bildung von kommunikativen Einheiten durch kontingent-gesetzte EPWs. Neben den Unwahrscheinlichkeiten der Kommunikation listet Luhmann einige Bedingungen, die dazu beitragen, die Erwartbarkeit sowie die Wahrscheinlichkeit von Kommunikation als auch die Herausbildung von sozialen Einheiten zu steigern. Erwartbarmachen: Sinn als – Schnittstelle für Bewusstsein – Kommunikation – Gesellschaft Wie aber nun lässt sich die Wahrscheinlichkeit zur Anschlussinteraktion und somit die Fortführung von sozialen Einheiten erhöhen? Welches sind jene kontingenzminimierenden Erwartungshorizonte, die das soziale System aufrechterhalten? Um Kontingenzen zu minimieren und aktuelle Verstehensprozesse zu ermöglichen, bezieht sich Luhmann auf die Operationsweise von Sinn.53 Bei Luhmann gilt Sinn als Schnittstelle zur Kopplung von psychischen Bewusstseinsoperationen und sozialer Kommunikation, wobei „Sinn (ist) laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten“ bzw. „die Einheit von Aktualisierung und Virtualisierung“ (Luhmann 1987: 100). Aus einem potentiellen Pool an Gedanken oder Kommunikationsinhalten werden laufend mögliche Gedankengänge bzw. Kommunikationsinhalte selegiert und somit aktualisiert. Diese Selektion und Aktualisierung von Möglichkeiten steht in Opposition zur Nicht-Selektion und Kontingenz von Inhalten und stellt ein sinnhaftes Ordnungsgefüge dar. Während also die virtuellen Sinninhalte von Kontingenz und Komplexität geprägt sind, führt die Aktualisierung von Sinn zur geordneten Selektion von Gedanken oder Kommunikationsinhalten aus einem Pool unendlicher Selektionsmöglichkeiten (Luhmann 2002: 221 ff.). Aus dem potentiell unendlichen Verlauf von Bewusstseinsoperationen wird durch aktuelle Gedankenanschlüsse selektives Erleben und aus dem Pool unendlicher Kommunikationsmöglichkeiten/–inhalte wird durch die aktuelle Realisation der Selektionen Information, Mitteilung und Verstehen eine emergente Ordnung von Kommunikation mit Anschlussoptionen. Mit der hier geschilderten Sicht verschiebt sich 53 Sinn hat die drei Dimensionen der Sozialdimension (Unterschied zwischen Ego/Alter Ego), Sachdimension und Zeitdimension (Zukunft/Gegenwart/Vergangenheit).
4.6 Hinleitung zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
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die Theorie der Bedeutung zu einer Theorie des kommunikativen Anschlusses und der Aktualisierung von Sinn vermittels der Verwendung von symbolischen Gesten Seitens Alter Egos und Egos, die eine emergente Semantik ermöglichen. Mit der Enthebung der Bedeutungstheorie von menschlich-gesellschaftlichen Konnotationen, bzw. der Kontingentsetzung dieser, ist alleinig das Faktum der Etablierung von sozialer Gesellschaft durch Kommunikation und deren auf Sinn basierender Anschluss als vorrangig zu betrachten. Sinneinschränkende/-regelnde Vermittlungsmedien und Funktionssysteme Um die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation aufzuheben, und somit Anschlusskommunikation erwartbar zu machen, nennt Luhmann Sprache als Katalysator zur Kopplung von Sinn auf den Ebenen der psychischen und sozialen Systeme. De facto ist Sprache allerdings nicht lediglich auf psychische und soziale Systeme bezogen, sondern speist und generiert sich zudem aus einer systemübergreifenden Gesellschaftsordnung. Während Luhmann den Sinnbegriff originär für psychische und soziale Systeme reserviert, erweitern wir den Sinnbegriff über Sprache, Verbreitungsmedien und symbolische generalisierte Kommunikationsmedien weiter über deren Bezug zu funktional ausdifferenzierten gesellschaftlichen Teilsystemen auf die gesamtgesellschaftliche Ebene. Neben einzelnen sozialen Systemen der Interaktion haben sich gesellschaftliche Teilsysteme mit entsprechenden Codes herausgebildet, welche die Unwahrscheinlichkeiten der Kommunikation reduzieren und regelhaften Anschluss an diese bieten.54 Dies trägt dazu bei, dass Codes eine Art von Ordnung zur Selektion von kommunikativen Anschlussmöglichkeiten bereitstellen und als Kompass von Kommunikationsanschlüssen genutzt werden können. Luhmann sieht Sprache sowie symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien und Verbreitungsmedien als gesellschaftlich generierte Einrichtungen zur Reduktion der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation und zur Steigerung der Verstehens-, der Erreichens- und der Erfolgsbedingungen von kommunikativen 54 Luhmann geht hier auf die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien/Mediencodes ein, die entsprechenden Funktionssystemen in funktional differenzierten Gesellschaften zugeordnet sind. An dieser Stelle soll nicht gänzlich die Terminologie und das Gesellschaftssystem Luhmanns übernommen werden, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigt. Daher belassen wir es hier zunächst auf diesen Verweis. Gesellschaft ist also nicht von der Zusammenkunft einzelner Menschen abhängig, sondern von der Systembildung durch Kommunikation: „Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation betreibt, ist Gesellschaft. Die Gesellschaft konstituiert die elementaren Einheiten (Kommunikation), aus denen sie besteht, und was immer so konstituiert wird, wird Gesellschaft, wird Moment des Konstitutionsprozesses selbst.“ (Luhmann 1987: 555).
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Prozessen (Luhmann 2001c). Verbreitungsmedien – wie Sprache oder Schrift – sowie symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (Steuerungsmedien der Gesellschaft wie etwa Geld, Macht, Wahrheit, Liebe) erhöhen dabei die Anschlusswahrscheinlichkeit der Kommunikation und reduzieren die Komplexität und Kontingenz von Kommunikation (ebd.). Gesellschaft stellt über funktional differenzierte gesellschaftliche Teilbereiche55 und deren Kommunikationsmedien (symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien/Erfolgsmedien), Verbreitungsmedien (TV, Radio, Schrift) und Sprache eine erweiterte Ebene der Kontingenzminimierung zur Verfügung und erhöht als übergeordnetes Ordnungsgefüge die Erwartbarkeit von kommunikativen Anschlüssen. Sprache, die wir in unserer Arbeit über symbolische Gesten als kontingentes Symbolsystem setzen wollen, wäre somit das Medium, welches innerhalb unserer Gesellschaft Bewusstseinsoperationen mit Kommunikation als auch mit Funktionssystemen der Gesellschaft verlinkt. Sinn ist dabei die Voraussetzung und das Medium, welches das Prozessieren der Operation von Gedanken und Kommunikation vermittels Sprache (bei uns: symbolische Gesten) in einer geordneten Form ermöglicht.56 Ein Gedanke bezieht sich im psychischen System auf die unendlichen Anschlussmöglichkeiten weiterer Gedanken und entwickelt so eine z. B. episodische Form (Sinn). Kommunikation bezieht sich auf die Differenzen der Information/Mitteilung und der Anschlusskommunikation aus der eine sinnhafte soziale Aktion entspringt. So emergiert etwa ein Gruß und die Verwendung von symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien – wie z. B. Geld im Rahmen monetärer Transaktionen im Funktionssystem der Wirtschaft – und bewegt sich im Rahmen der vorgesehenen Codierung eines potentiellen Aktualisierungsrahmens gesellschaftlicher Prozesse. Die Realisation und Aktualisierung von anschlussfähigem Sinn auf der Ebene der funktional differenzierten gesellschaftlichen Teilsysteme kann auf Verbreitungsmedien bzw. auf Codes symbolisch generalisierter Kommunikationsmittel 55 Luhmann unterteilt die gesellschaftlichen Funktionssysteme in die Teilbereiche der Kunst, Religion, Wirtschaft, Recht, Politik, Wissenschaft, Erziehung, Massenmedien, intime Beziehung, Familie. Als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (und Codes) dienen den Funktionssystemen Kunst: Werke (schön/hässlich), Religion: Glaube (Immanenz/Transzendenz), Wirtschaft: Geld (Zahlung/Nichtzahlung), Recht: Rechtsprechung (Recht/Unrecht), Politik: Macht (Regierung/Opposition), Wissenschaft: Wahrheit (Wahrheit/Unwahrheit), Erziehung: Lebenslauf (Lob/Tadel), Massenmedien: Information (Information/Nichtinformation), Gesundheit: Diagnostik (krank/gesund), intime Beziehung: (Liebe/Hass). 56 Gesellschaft gilt bei Luhmann als soziales; sinnkonstituierendes System, welches gesellschaftliche Operationen als Operationen im Medium Sinn vollzieht (Luhmann 1997: 50).
4.6 Hinleitung zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
115
zurückgreifen, um Anschlussaktionen an die jeweiligen gesellschaftlichen Prozesse zu gewährleisten und diese erwartbar zu machen. Die sich daraus ergebenden sozialen Ordnungen der Teilsysteme sind demnach immer auch Anleitungen zur Anwendung erwartbarer Sinnhorizonte, da Sinn nach Luhmann die Realisation von Selektionsmöglichkeiten darstellt. Hier muss allerdings der Rahmen von Sinn – im Gegensatz zu Sinnoperationen in psychischen und sozialen Systemen – enger gefasst werden und die Erwartbarkeit und Kontingenzminderung der Anschlussoptionen an regelhafte Ordnungen der Funktionssysteme mit deren Codierungen gebunden werden. Für den Anschluss von kommunikativen Aktionen – sprich der Aufrechterhaltung von sozialen Einheiten – sowie Interpretationsvorgängen in Bewusstseinen einzelner Akteure als auch als Erwartungshorizont und Regularien in gesellschaftlichen Prozessen, kann neben dem oben ausgeführten Fokus auf symbolische Gesten und deren Verwendung zur Kommunikation – in Anlehnung an Luhmann – der Sinnbegriff dazu verwendet werden, um als Medium der Symbolverwendung innerhalb der drei Bereiche der psychischen Systeme, sozialen Systeme und der gesellschaftlichen Funktionssysteme zu fungieren.57
4.6.4
Revision des Dritten und des Erwartungsbegriffs: Erwartete Erwartungs-Erwartungen
Neben der Erwartungs-Erwartung, die bei Luhmann im Rahmen der doppelten Kontingenz die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation erhöht und Kommunikation zu einem riskanten Unterfangen macht, bietet sich über den Rückgriff auf sinnhaft begrenzte Optionen zur Anschlussinteraktion, durch „quasi-funktional differenzierte Teilsysteme“, eine dritte Ebene der Erwartung. Die Erwartungs-Erwartung wird im sozialen System unter Berücksichtigung der sinnhaften Verwendung von Kommunikations- und Verbreitungsmedien und deren Anschlussoptionen um eine weitere Ebene der Erwartung erweitert. Somit funktioniert die Eindämmung der systemhemmenden Kontingenzen über die Kopplungen des sinnhaften Horizonts symbolischer Gesten etc. mit kommunikativen Anschlussoptionen als erwartbare Erwartungs-Erwartungen (EEE) (vgl. hierzu Lindemann 2013: 103)58 und sorgt mit für den Systemerhalt. Mit der Verwendung von decodierbaren und anschlussfähigen 57 Soziale, psychische und physische Systeme sind füreinander Umwelten und eigenständig operierende Systemarten. Das Aufrechterhalten von Systemgrenzen von der Umwelt ist daher eines der Voraussetzungen für stabile Ordnungen. 58 Was bei Lindemann über die reflexive Struktur auf Tertius erfolgen würde, wird bei der Luhmannschen Systemtheorie über strukturelle Kopplung erzielt.
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Exzentrisch positionierte Wesen
symbolischen Gesten – bzw. Verbreitungs- und Kommunikationsmedien – wird die (doppelte) Kontingenz und Komplexität der Kommunikationen reduziert und auf ein erwartbares Anschlussverhalten bemessen. Die Erwartungs-Erwartungen sind somit nicht mehr überkontingent, sondern das Anschlussverhalten ist über gesellschaftlich regelhafte Ordnungen im Medium von Sinn erwartbar vorstrukturiert. Vor dem Übergang auf die regelhafte Ordnungsebene der Gesellschaft – mit ihren funktional differenzierten Teilsystemen – werden die Begegnung von kontingenten EPWs im freien Feld eines sozialen Systems betrachtet und erwartete Erwartungs-Erwartungen (EEE) als Rückgriff auf bereits etablierte und habituierte Sinnstrukturen bezeichnet. Diese können in einer kontingenten Situierung sich begegnender EPW als Regelwerke fungieren und den Akteuren als Direktive für Anschlusskommunikationen und deren sinnhafter Erwartungshorizonte dienen. Vor die Handhabung von sinnhaft-regulierten Kommunikationen innerhalb gesellschaftlich geregelter Funktionssysteme, werden demnach die informelle Orientierungsund Objektivierungsinstanz des Dritten/Tertius als quasi-funktional differenzierte Teilsysteme geschaltet. Bezogen auf unseren Ansatz kann Alter Ego demnach gegenüber Ego eine erwartete Erwartungshaltung haben, nach der Alter Ego sein Anschlussverhalten, angelehnt an die Erwartungshaltung aus der Perspektive eines Dritten, als Verhaltensmaßstab für sinnhafte Anschlussaktionen selektiert. Die Unwahrscheinlichkeit und das potentielle Sinnfeld einer kommunikativen Aktion wird somit über jene Drittenposition in ein funktionales sowie strukturelles Erwartungsgefüge überführt und die erwartete Anschlussaktion Alter Egos auf die Aktionen Egos erwartbar gemacht. Das Reichen einer Hand wird somit nicht als reine motorische Aktion abgetan, sondern als sinnhafte Codierung eines bekannten und erwartbaren Begrüßungsrituals mit der Anschlussaktion des Händeschüttelns realisiert, fortgeführt und bestätigt. So fügt sich unsere Ausführung in die Lindemannsche Konzeption des Dritten als Lieferanden einer Erwartungsstruktur, die auf einer dritten Erwartungsebene, und somit als einer weiteren Reduktion der Kontingenzebene, angelegt ist: „Wenn Tertius einbezogen wird, verändert dies die Konstellation noch einmal. Denn aus der Perspektive von Tertius kann die Ego-Alter-Beziehung wahrgenommen, objektiviert und bewertet werden (Lindemann 2012, 2014: Kap 3.1). Für Ego und Alter heißt dies folgendes: Ego steht nicht nur innerhalb der Beziehung zu Alter, sondern Ego nimmt die Perspektive eines Tertius ein, welches die Beziehung wahrnimmt und bewertet. (…) Die Einführung von Tertius verändert also auch die Erwartungsstruktur: Ego erwartet die Erwartungen von Alter derart, dass Ego die Erwartungen von Tertius berücksichtigt, welche Erwartungen Ego von Alter erwarten sollte. Aus der Struktur wechselseitiger Erwartungs-Erwartungen wird die Struktur erwarteter Erwartungs-Erwartungen.“ (Lindemann 2013: 103)
4.6 Hinleitung zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
117
Auch hier muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die Realisation einer erwartbaren Erwartungs-Erwartung über Tertius lediglich dann erfolgreich aktualisiert werden kann, wenn die Drittenperspektive bzw. die Sinnstruktur, welche die Erwartungen bereitstellen, von den Systemteilnehmern in gleicherweise aktualisiert wird. Bei dem Aufeinandertreffen von EPW unterschiedlicher Spezies muss von einer Ur-Situation – frei von geteilten Drittenperspektiven – ausgegangen und die Schnittmenge der sinnbehafteten Drittenposition in der Kommunikation zunächst etabliert und austariert werden.59 Werden diese sinnhaften Drittenpositionen zu festen Anschlussstrukturen in der Gesellschaft verankert – und somit institutionalisiert – und finden sie des Weiteren Eingang in ein übergeordnetes Regelwerk, so kann dies dazu führen, dass dabei die von uns beschriebenen funktional differenzierten gesellschaftlichen Teilsysteme mit verbindlichen Regularia ausgebildet werden: „Die Bildung solcher Strukturen wird durch den Dritten ermöglicht. Wie Ego eine Kommunikationshandlung zu verstehen hat, wird dadurch bestimmt, welche Erwartungen Ego von Dritten erwartet. Auf diese Weise werden Erwartungen institutionalisiert. Ego erwartet diejenigen Erwartungen von Alter, die es mit Bezug auf die Erwartungen Dritter erwarten sollte“ (Lindemann 2013: 107)
4. Ebene: Gesellschaft und deren Regelwerk Um der Tertiuskonstellation von Kommunikation über EEE bei Lindemann gerecht zu werden, sollen die oben genannten Annahmen mit der Ordnungsfunktion von Sprache, Verbreitungsmedien, symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien sowie von Teilsystemen funktional differenzierter Gesellschaften als kontingenzminimierende Erwartungshorizonte für soziale Systeme ergänzt werden. Mit diesem Schritt können wir Gesellschaft als Regelwerk und Basis für ordnungsbildende Institutionen in die Ausführungen von sozialen Systemen integrieren. Wie oben herausgearbeitet wurde, tragen symbolische Gesten als auch symbolisch generalisierte Kommunikations- sowie Verbreitungsmedien generell zur Steigerung des Erwartbarmachens von unwahrscheinlichen sozialen Anschlussaktionen bei. Zudem statuiert Luhmann dem Gesellschaftssystem (als Konglomerat aller möglichen Kommunikationen und Summe der funktional differenzierten gesellschaftlichen Teilsysteme) den Status eines übergeordneten sozialen Systems (Luhmann 1997: 50), bei dem sich alle gesellschaftlichen Operationen als Operationen im Medium 59 „Der Leib selbst ist aber nicht einfach eine geformte Materie, sondern er ist der materiale Operator der Umweltbeziehung, des Wahrnehmens und Agierens. Insofern ist es nie ganz sicher, dass der Leib in der kommunikativ dargestellten Ordnung bleibt. Der Leib ist zwar in eine Sensibilitätsform gebracht, aber er ist in diese nicht eingeschlossen. Es ist nie sicher, ob ein leibliches Selbst nicht spontan andere neuartige Sensibilisierungen bzw. De-Sensibilisierungen entwickelt.“ (Lindemann 2014: 123).
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des Sinns ereignen (Jahrhaus 2001: 314). Somit wird auch der Sinnbegriff von lediglich psychischen und kommunikativ-sozialen Systemen auf die Gesellschaftsebene gehievt und angewandt. Mit der oben erörterten Prozessvoraussetzung von Sinn für Kommunikation generell sowie für Bewusstseinsoperation, haben wir eine Basis zum Verlinken der drei unterschiedlichen Operationswesen von Gesellschaft sowie sozialer und psychischer Systeme. Alle drei rekurrieren auf Sinn, welcher realisiert und aktualisiert werden soll. Bei Bewusstseinen funktioniert dies durch den Anschluss von Gedanken an Gedanken und bei sozialen Systemen und Gesellschaft über die sinnhaften Anschlüsse von Kommunikation. Die regelhafte Sinnkomponente bei funktionsspezifischen Teilsystemen hängt dabei von den jeweiligen Codes des Teilsystems (sowie deren symbolischem Medium) ab. Kurz gefasst, bieten funktional differenzierte Teilsysteme sowie Verbreitungs- und Kommunikationsmedien als auch Sprache Richtlinien für eine Ordnung von gesellschaftlichen Operationsweisen an und können mit der Funktion von Institutionen verglichen werden. Jenes gesellschaftlich institutionalisierte Ordnungsgefüge macht eine absehbare Kommunikation in sozialen Systemen als EEE erwartbar und wahrscheinlich. Allerdings – und dies ist der entscheidende Gewinn der ordnenden funktional differenzierten Teilsysteme – ist die Erwartungsspanne und die Sinnkomponente je nach Funktionssystem begrenzter, als es sich bei den von Teilsystem entbundenen thematischen Kommunikationen oder bei Gedankengängen der Bewusstseinsoperationen – wie etwa in den reinen Berührungsmomenten kontingenter EPW – darlegt. Gesellschaftlich institutionalisierte Funktionssysteme stellen Codes bereit, welche die Komplexität und Kontingenz von unendlichen Sinnhorizonten eindämmen und daher dazu geeignet sind, als regelhafte Bezugspunkte und ordnende Richtlinien für erwartbare Kommunikationsanschlüsse zu gelten. Funktionsspezifische Teilsysteme sowie Subsysteme der Gesellschaft sind in ihrer Funktion vergleichbar mit Institutionen und tragen dazu bei, dass Unwahrscheinlichkeiten durch erwartbare Anschlusskommunikation reduziert und sinnhafte Selektionshorizonte für weitere Kommunikationen bereitgestellt werden (Luhmann 2001a: 104). Nach Luhmann bietet diese Form der sozialen Ordnung Selektionshorizonte für Anschlusskommunikation an, welche die Kontingenz und Komplexität der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation eindämmen: „Ordnung entsteht dadurch, daß unwahrscheinliche Kommunikation trotzdem ermöglicht und in sozialen Systemen normalisiert wird.“ (Luhmann 2001b: 83). Mit dem Sinnbezug auf psychische, soziale und gesellschaftliche Systemebenen wird es nun möglich, die Relation und Erwartungshaltung von kontingent gesetzten EPW auf graduelle Weise darzustellen. So wird die Bedeutungslehre zu einem Ansatz, der sinnhafte Bezüge der EPW auf der Ebene der erwartbaren Anschlusskommunikation betrachtet und das Maß des sozialen Ordnungsgefüges, sowie
4.7 Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
119
dessen Bedeutungsgehalts, anhand derer Fertigkeit zur sinnhaften Bezugnahme auf gesellschaftliche Teilbereiche und derer Codierungen bestimmen kann, bzw. diese aus der emergenten Sinneinheit im sozialen Geschehen selbst zu extrahieren versteht.
4.7
Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
In dem vorherigen Abschnitt haben wir die Gebrauchstheorie der Bedeutung aus einem pragmatisch-kommunikativen Blickwinkel heraus angeführt und die Verstehensbedingung von der Bedeutungsgenierung eines rational-kritischen Diskurses auf die Luhmannsche Selektion von Anschlusskommunikation hin verschoben. Die pragmatische Dimension von Bedeutung, gepaart mit dem Luhmannschen Sinnbegriff, ermöglichen es uns nun, die Gebrauchstheorie der Bedeutung von einer lexikalischen und konsensorientiert-regelgeleiteten Symbolverwendung sowie einer identischen Bedeutungstheorie zu lösen und die Bedeutung von symbolischen Gesten über flexible Verstehensmöglichkeiten, zusammen mit der Option unterschiedlicher Drittenbezüge und indifferenter Symbolverwendung zu betrachten. Mit einem auf Anschlusskommunikation basierenden Verstehensbegriff von symbolischen Gesten wird das Deutungsprimat von Kommunikation bei dem Rezipienten angesetzt und der inhaltliche Bedeutungshorizont von einer Passung der erwarteten Erwartungsstrukturen von Alter Ego und Ego über Dritte als auch über gesellschaftlich vorstrukturierte Sinneinheiten (funktional differenzierter Teilsysteme als auch EEE) sowie über die Passung der Gesten als Anwendung von Erfolgsund Verbreitungsmedien (und symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien) mitbestimmt. Diese Sichtweise erlaubt es uns, bei unterschiedlichen Ebenen der Sinnproduktion anzusetzen. Diese haben wir auf den Ebenen des Bewusstseins, der Kommunikation, der prä-institutionellen Drittenbezüge sowie der gesellschaftlich institutionalisierten funktional differenzierten Teilsysteme verortet, welche koexistent als Kontexte für unterschiedlichen Bedeutungen von Kommunikationen dienen. So können wir die Bedeutungsinhalte von Kommunikation auf eine erwartbare denotative Basis der gesellschaftlichen Institutionen, auf situativ-konnotative Sinnhorizonte über prä-institutionelle objektivierende Drittenbezüge, über ideosynkratische Bewusstseinsoperationen (Interpretanten) als auch auf die emergierenden kommunikativen Prozesse selbst zurückführen. Mit der Kontingentsetzung der Symbolverwendung sowie der Akteure als auch der Drittenbezüge, ergeben sich neue Wege für die Gebrauchstheorie der Bedeutungslehre. Vor dem erörterten Hintergrund wird es möglich, die kommunikative Deutung von sozialen Ereignissen
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als grundlegend variabel in der Bedeutung zu setzen. Einerseits kann hinsichtlich der etablierten Regelwerke innerhalb funktional differenzierter Teilsysteme der Gesellschaft von erwartbaren Anschlussinteraktionen ausgegangen werden, die sich allerdings vor dem Hintergrund von kontingenten Akteuren als auch von kontingenten Drittenpositionen als fallibel und revisionsfähig erweisen können und einer Modifikation vermittels einer De-Sensibilisierung bedürfen. Eine Bedeutungsvariabilität ergibt sich durch die auf semantische Emergenz und Anschlussinteraktion basierende Sichtweise auf das Verstehen von Kommunikation. Trotz der flexiblen emergierenden Basis der Deutung von Kommunikationsinhalten haben wir einen fruchtbaren Ansatz zu einer Bedeutungstheorie, die es erlaubt, – entgegen der Option unterschiedlicher Bedeutungsinhalte – die Perpetuierung der sozialen Einheit (bzw. des sozialen Systems) zentral zu stellen. Für unsere Revision der Bedeutungstheorie ergibt sich also, dass neben einer fundierenden Deutung anderer EPW (über das Berührt-Werden) eine kommunikative Deutung der sozialen Prozesse erfolgt, die auf kontingent gesetzte Sinn- und Erwartungsstrukturen, kontingent gesetzte Symbole sowie kontingent gesetzte Akteure und Drittenbezüge rekurriert. Vor dem Hintergrund der Kontingenzen von Akteurskonstellationen, Symbolgebrauch und Drittenbezügen, als Grundbedingungen von Kommunikation, wird die vielfältige Verstehensweise der Bedeutungslehre verständlich und die Notwendigkeit der Anwendung einer aus dem kommunikativen Geschehen rekurrierenden pragmatischen Bedeutungslehre evident. Wie eine Revision der Bedeutungstheorie vor diesem Hintergrund formuliert werden kann, wollen wir mit den nächsten drei Punkten darstellen: 1. Ausgehend vom Rezipienten selektiert Alter Ego eine motorische Aktion Egos als eine Differenz zwischen Information und Mitteilung, versteht diese als symbolische Geste, ist berührt und erwartet, dass Ego Erwartungs-Erwartungen gegenüber Alter Ego hat, in der Alter Ego seine Anschlusskommunikation an sozial geprägten Erwartungsmustern (EEE) orientiert ausführt (und somit das Verstehen der Mitteilung sowie das Berührtsein Alter Egos durch Ego signalisiert).
Mit der Selektion der motorischen Aktion Egos als symbolischer Geste von Seiten Alter Egos (kurz: AE), und einer damit einhergehenden direkten Berührung, hat AE bereits eine fundierende sowie kommunikative Deutung gegenüber Ego vorgenommen. Fundierend, da AE Ego als einen personalen Akteur deutet und kommunikativ, da AE die motorischen Aktionen Egos als soziomotorisch ausgerichtete symbolische Gesten versteht. Die symbolische Geste Egos wird von Alter Ego im Sinne eines Ausdrucks mit Appellfunktion und semantischem Charakter als Selektion von Information, Mitteilung und Verstehen interpretiert und als
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Aufforderung an AE zu einer Anschlussreaktion vermittels einer weiteren symbolischen Geste erfahren. AE deutet einerseits die symbolische Geste Egos und generiert, andererseits, seine eigene Anschlusskommunikation vor dem Sinnhorizont einer erwarteten Erwartungs-Erwartung, die von dem Hintergrund bisherig erfahrener sozial-gesellschaftlicher Regelwerke (über die vor-institutionell geprägte Perspektive Dritter bzw. aus dem Ordnungsgefüge der gesellschaftlich funktional differenzierten Teilsysteme) geprägt ist. Die EEE erschließt sich aus dem reflektierenden Blick Alter Egos auf das Beziehungsgefüge zwischen Alter Ego und Ego. 2. Alter Ego generiert eine symbolische Geste mit der Erwartung, dass Ego (eine Anschlusskommunikation erwartet und) den Erwartungs-Erwartungen Alter Egos nachkommt, indem Ego AEs Geste als Mitteilung von Informationen selektiert, diese somit versteht, und ebenfalls eine an AE gerichtet Anschlusskommunikation mit erwarteten Erwartungs-Erwartungen von Verstehensselektionen durchführt. Für Ego beginnt die Selektion des Informations-/Mitteilungs- und Verstehensgehalts der motorischen Aktion AEs nach dem Muster von Punkt 1) und setzt sich ggf. mit Punkt 2) und parallel mit 3) fort.
Die kommunikative Anschlussgeste wird mit der Erwartung von AE an Ego gerichtet, dass sie von Ego als Anschlussgeste verstanden, somit als Mitteilung von Information selektiert und mit einer weiteren Anschlussgeste bestätigt wird. Mit der kommunikativen Anschlussgeste deckt AE seine Version der Erwartungs-Erwartung zur Kommunikation mit Ego ab und erwartet weiterhin eine Anschlussgeste Seitens Egos vor dem Hintergrund gesellschaftlich vorgeprägter EEE prä-institutioneller (über Dritte) als auch institutioneller Natur (Funktionssysteme der Gesellschaft). Die kommunikative Einheit wird im Idealfall von Ego mit einer kommunikativen Anschlussgeste als Bestätigung des Verstehens fortgesetzt und die Beziehung somit in Gang gehalten. Bei der Generierung und Rezeption von Bedeutungsinhalten wird die Bedeutung der symbolischen Gesten für die Akteure während des Kommunikationsprozesses selbst ersichtlich. Die Anschlusskommunikation AEs an Egos symbolische Geste trägt variable Bedeutungsinhalte in sich mit, die als Aktualisierungen von Sinn in der jeweiligen Anschlusskommunikation auf iterative Weise als emergente Sinneinheit verstehbar werden. Die Sinnebenen, die eine Bedeutung der symbolischen Gesten deutbar machen, sind geprägt von den Sinn- und Erwartungsstrukturen auf den Ebenen des Bewusstseins (Interpretant der symbolischen Geste), dem emergenten Verlauf des kommunikativen Prozesses selbst (emergente Semantik) und der gesellschaftlich vorgeprägten Deutungshorizonte (über Dritte/Funktionssysteme). Der Bedeutungsgehalt der Geste als symbolischer Geste generiert sich aus dem
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Verstehen der Anschlusskommunikation und der Passung der Sinn- und Erwartungsstrukturen Alter Egos und Egos an den erwarteten Erwartungs- und Sinnstrukturen Dritter. Die Deutungsstruktur der Kommunikation verläuft im Sinne der obigen Ausführungen wie folgt: 3. Die Bedeutung der jeweiligen Kommunikation setzt sich zusammen aus weiteren kommunikativen Anschlüssen, den (divergierenden) Sinnhorizonten der Interpretanten (Bewusstseinsoperationen) und der gesellschaftlich geprägten Erwartungsmuster. Diese können über drittenvermittelte, prä-institutionelle Regeln als auch über institutionell verankerte/erwartbare Ordnungen und Bezugnahmen auf funktional differenzierte Teilsysteme regelhaft-objektivierte Sinnhorizonte bieten. Die Anschlusskommunikation der Akteure ist mit den potentiell variablen Sinnstrukturen sowie situativen Erfordernissen gekoppelt. Dies führt zur emergenten Semantik des Kommunikationsprozesses und zum Lavieren von Bedeutungsinhalten sowie von erwarteten Erwartungs-Erwartungen über die Inhalte weiterer Anschlusskommunikationen.
Die Erwartungsstruktur sowie das Selektieren und Verstehen einer symbolischen Geste als Mitteilung einer Information, bezieht sich auf drittenvermittelte bzw. auf gesellschaftlich vermittelte Verhaltens-/Deutungsmuster erwarteter Erwartungsstrukturen als auch auf flexible Interpretanten (nach Peirce) von symbolischen Gesten. Somit sind die Drittenbezüge und symbolischen Gesten einerseits von objektiv, institutionalisierten Deutungsmustern geformt und andererseits vor dem Hintergrund situativ-individueller Befindlichkeiten verstehbar. Die Erwartungen, der Sinn der Kommunikation sowie die symbolischen Gesten werden also durch Drittenbezüge strukturiert, sind jedoch auch durch die Flexibilität von Interpretanten geprägt, was zu variablen Deutungsoptionen der Kommunikation führt. Die eigentliche Aktualisierung der Sinnstruktur der symbolischen Geste erfolgt allerdings auf der Ebene der Anschlusskommunikation. Diese ist durch die kontingenten Sinnstrukturen der Drittenbezüge, gesellschaftliche Funktionssysteme, der kontingenten Symbolverwendung sowie der kontingenten Sinnstruktur des Interpretanten (Bewusstseins) nur bedingt absehbar und in der Bedeutung bzw. ihrer emergenten Semantik variabel. Die Anschlusskommunikationen und deren Deutungsstrukturen sind als Aktualisierung von Sinn emergent und kontextuell mit den Erwartungsstrukturen gekoppelt. Der Erfolg von erwarteten Erwartungs-Erwartungen bemisst sich somit an dem Kommunikationsverlauf selbst. Im Gegensatz zu dem regelhaft institutionalisierten denotativen Charakter von Sinnzusammenhängen in Funktionssystemen, ist das Erwartungsgeflecht über Dritte/Tertius als lose und als situativ revidierbar zu betrachten. So kann die Drittenperspektive im Sinne der
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Lindemannschen „De-Sensibilisierung“60 durch die beteiligten EPW von alten Erwartungsmustern gelöst und eine situative Passung an neue objektivierende Perspektiven – je nach den Belangen der Interaktionssituation – vorgenommen werden (Lindemann 2014: 119 f.). Im Falle von sich stetig wiederholenden Ordnungsmustern der Drittenperspektive kann diese in ihrer Struktur im Anschluss über Institutionalisierungen zu gesellschaftlich erwarteten Kommunikationsabläufen verfestigt werden und als komplexitätsreduzierendes Regelwerk Eingang in die Sinnstruktur funktional differenzierter Teilsysteme finden. Die Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung ermöglicht eine rezipienten-orientierte und eine auf flexiblen Sinnebenen rekurrierende Bedeutungslehre. Dabei haben wir folgende Erweiterungen vorgenommen a) die Ablösung von einem sprachlichen Symbolsystem, welches durch den als kontingent charakterisierten Begriff der „symbolischen Geste“ abgelöst wurde, b) die Entkräftung einer Bedeutungsgenerierung, die auf einem identischen Symbolgebrauch basiert, vermittels der Perspektivenverschiebung des emergenten Verstehensbegriffs auf Anschlusskommunikation und c) die Erweiterung des Sinnbegriffs mit Variationen hinsichtlich des Drittenbezugs, welcher anhand der Kopplung an den Erwartungsbegriff als erwartbare Erwartungs-Erwartung gesetzt wurde und welcher den Blick auf eine erweiterte regelhafte soziale Ordnung über die institutionalisierte Variante von sinnhaften Drittenbezügen vermittels gesellschaftlich funktional differenzierter Teilsysteme erlaubt. Diese tragen ferner zu den denotativen Bedeutungen von Kommunikationsinhalten für EPW bei. Dabei rücken durch die Kopplung des Sinnbegriffs an die Erwartungshorizonte bei Bewusstseinsoperationen, Kommunikation und gesellschaftlicher Ordnungen (über Dritte und institutionalisierte gesellschaftliche Teilsysteme) die flexiblen Bedeutungsinhalte von Kommunikation in den 60 Lindemann nutzt einen triadischen Kommunikationsbegriff über Tertius, um die Objektivierung der Alter Ego/Ego Relation durchzuführen: „Von der Position des Dritten ausgehend werden die Erwartungs-Erwartungen zwischen Ego und Alter zu einem Muster objektiviert.“ und weiter: „Ego deutet die Mitteilungshandlung Alters mit Bezug auf die Erwartung, die Tertius an den Vollzug dieser Deutung hat. Wenn Ego die Deutung nicht einfach nur vollzieht, sondern die Deutung als eine versteht, die vor Tertius stattfindet, wird die Deutung aus der Perspektive von Tertius objektiviert; die Deutung existiert für Ego als eine vor Tertius vollzogene Deutung. Die Objektivierung ermöglicht es, in der Deutung ein Muster zu identifizieren, das als solches von der situativen Anwendung unterschieden werden kann. Orientiert an diesem Muster kann eine Regel der Anerkennung gebildet werden. Durch diese wird festgelegt, wie Entitäten als erwartende und damit kommunikativ beobachtende Entitäten, die als solche anzuerkennen sind, identifiziert werden können. Diese Regel ist die Lösung des Problems der Kontingenz der Mitwelt, denn sie legt eine Ordnung der Sensibilisierung/Desensibilisierung fest. Durch die Bildung und Anwendung der Regel wird der Übergang von der Mitwelt in eine konkrete Mitwelt zum Ausdruck gebracht.“ (Lindemann 2014: 119).
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Vordergrund, welche Kommunikationen vielfältig interpretierbar machen und im Verlauf der Sinnbildung als emergent semantisch setzen. Nach den obigen Erörterungen zur Revision der Gebrauchstheorie der Bedeutung können wir postulieren, dass EPW die Welt situationsentbunden und durch eine offene Struktur von Sinnzusammenhängen erfassen. Diese Sinnzusammenhänge variieren je nach den Sinndimensionen, die wir nach dem Luhmannschen Sinnbegriff auf den Ebenen der 1.) psychischen Ebene, 2.) der sozialen Kommunikationsebene sowie 3.) bei prä-institutionellen Dritten als auch auf die gesellschaftliche Funktionsbereiche bezogen verortet haben. Für die soziale Dimension bedeutet dies, dass die Sinnstrukturen der psychischen Bewusstseinsebene nicht mit den Ebenen der kommunikativen und gesellschaftlichen konvergieren müssen. Vielmehr kann eine Bedeutungsvarietät anhand der unterschiedlichen Sinndimensionen und derer Deutungshorizonte angenommen werden, wobei eine gesellschaftliche Sinnstruktur als musterhaftes Regelwerk bzw. Bezugshorizont einer kollektiven Bedeutung sowie einer bereits als etabliert erfahrenen Gesellschaftsordnung zu betrachten ist. Kommunikative Einheiten bilden innerhalb des Interaktionsprozesses eine eigenständig emergente Sinnsemantik aus. Die Bedeutung der Kommunikation kann hier zwischen mustergültigen Sinnstrukturen objektivierender und prä-institutioneller Dritter bzw. den institutionellen Regelwerken einer bereits etablierten Gesellschaftsform als auch zwischen befindlichkeitsinduzierten Sinnstrukturen der Bewusstseinsinhalten oszillieren. Die endgültig sinnhafte Bedeutung erlangt die soziale Einheit bei der Aufrechterhaltung von Kommunikation anhand von Anschlussoperationen, in denen sich die entsprechende Sinnebene und Semantik emergent herausbildet und aus einer objektiven Beobachterperspektive (aus der Drittenperspektive) gültige Bedeutung erlangt (vgl. Abb. 4.2).
4.7 Revision der erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung
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Abb. 4.2 Die Vielfältigkeit der Sinnebenen während einer sozialen Begegnung bei Akteuren gleicher Sozialisation. (eigene Darstellung)
Wesentlich ist die Erfassung und Ordnung der offenen Weltstruktur von EPW über kombinatorische Aktionen der EPW miteinander, welche sowohl auf praktischer Ebene als auch auf symbolisch-begriffliche Weise verlaufen. Die Semantik der Kommunikationen wird neben dem Rückbezug auf gesellschaftliche denotative Schnittpunkte bei der Symbolverwendung ebenso aus situativ-kontextuellen Bezügen, aus relationalen Aspekten sowie aus den jeweiligen Bewusstseinszuständen der beteiligten EPW generierbar. Die Fertigkeit von EPW zur symbolischen Welterfassung als auch Weltvermittlung kulminiert in der Fertigkeit von EPW, die Leib-Umwelt- als auch die Leib-Mitwelt-Relation auf der Ebene von übergeordneten Erwartungen zu praktizieren, diese variabel mit praktischen Erfordernissen zu kombinieren und somit die Bedeutungsvielfalt in der kommunikativen Deutung zu bewirken.
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
Lindemann setzt bei ihrer Differenzierung eines sozialen Moments bei ZPW und EPW bei dem Moment der direkten Berührung an und bezieht sich somit auf bereits etablierte Interaktionssettings. Die tatsächliche Etablierung von „Mitwelt“ zwischen Akteuren in geteilten Settings beruht jedoch auf bestimmten interaktionseröffnenden „social cues“, welche die Begegnung der Akteure als soziales Gefüge markieren. Der Moment sozialer Präsenz ist also nicht notwendig bei direkter Berührung gegeben, sondern als gradueller Prozess zu sehen, der sich sukzessive mit der Gerichtetheit, Engagiertheit und Aufmerksamkeit der Akteure zueinander hin herauskristallisiert. In dem nachfolgenden Einschub wird der Übergang von reiner wechselseitiger Wahrnehmung hin zu engagierter sozialer Präsenz dargelegt und im Anschluss auf unsere Studie mit GHI-1 angewandt. Betrachtet man Situationen geteilter räumlicher Anwesenheit von EPW, so befinden sich – selbst legitimierte und anerkannte Akteure, sogar in Fällen direkter Berührung – nicht zwangsläufig in wechselseitiger Dauerinteraktion. Vielmehr scheint es graduelle Übergänge des situativen Settings zu geben, die bei der einfachen Registration weiterer Akteure im Umfeld beginnend bis hin zu einer vertieften und einander vereinnahmenden wechselseitigen immersiven sozialen Interaktion – und damit bis in die Mitweltsphäre – hineinreicht. Vergegenwärtigt man sich urbane Alltagssituationen, so sind zahlreiche Situationen evident, in welchen mehrere Personen gleichzeitig räumlich anwesend sind und sich als Akteure erkennen, jedoch keine Interaktion miteinander ausführen. Dies zeigt sich bereits bei dem Passieren von öffentlichen, weiträumigen und hochfrequentierten Plätzen, wie etwa Bahnhöfen, Flughäfen oder Stadien bei Großveranstaltungen, in denen Menschenmassen
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_5
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aufeinandertreffen oder sich im Gedränge einander ausweichend koordinieren.1 Aber auch in kleineren geschlossenen Räumen wie etwa Theater, Museen, Klassenräumen, Konzerten, Cafés etc. sind Interaktionen unter Anwesenden, die sich gegenseitig wahrnehmen können, nicht zwangsläufig gegeben. Sich in derselben räumlichen Umgebung unter wechselseitig gegebenen Wahrnehmungsbedingungen zu befinden und, beispielsweise gemeinsam auf den Bus zu warten oder an gesonderten Tischen in demselben Frühstücksraum eines Hotels zu essen, erfordert kein Übermaß an interaktiver Involviertheit der Beteiligten. Wechselseitige Wahrnehmung unter räumlich Anwesenden ist von anderer Qualität als die soziale Involviertheit von Akteuren, die beispielsweise ein über mehrere Stunden verlaufendes Verhandlungsgespräch führen oder die Choreographie eines aufwendigen Paartanzes proben. Letztere Begegnungen erfordern eine weitaus höher fokussierte und einvernehmende Zuwendung der beteiligten Akteure zueinander als in Situationen von rein physikalischer Anwesenheit ohne interaktive Begegnung. Die Akteure gelten zwar als potentielle Interaktionspartner, die potentielle Interaktion wird in jenen Fällen jedoch nicht aktualisiert. Befinden sich mehrere als sozial anerkannte Personen in einem gegenseitig wahrnehmbaren Umfeld, so formieren diese – entgegen der Watzlawickschen Aussage „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 1969: 53) – also nicht zwangsläufig ein soziales Setting bzw. eine Mitwelt, in der sie miteinander und aufeinander bezogen agieren. Physische Anwesenheit und Wahrnehmbarkeit sind demnach kein Garant für die Bildung von sozialen Einheiten durch die anwesenden Akteure bzw. bieten keine „spontane Konvergenz von physischer Präsenz und sozialer Anwesenheit“ (Kieserling 1999: 64). Vielmehr bedarf es bestimmter Bedingungen und Abläufe zur Etablierung von sozialen Einheiten, die über die rein direkte Berührung hinausgehen.2
1 D.
h. sie nehmen einander zwar wahr, aber hegen keine Absicht miteinander eine weitreichendere Interaktionssituation zu initiieren. 2 Die Ausführungen Goffmans legen nahe, dass bereits bei der Wahrnehmung einer Person etwas durch die Erscheinung bzw. das Image kommuniziert „Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß Individuen in unmittelbarer Gegenwart voneinander, auch wo die Umstände keinerlei gesprochene Kommunikation erfordern, einander nichts destoweniger (sic!) unvermeidlich in irgendeine Art von Kommunikation verwickeln; denn in allen Situationen wird bestimmten Dingen, die nicht notwendig mit verbaler Kommunikation zusammenhängen, Bedeutung beigemessen. Dazu gehören körperliche Erscheinung und persönliches Handeln: Kleidung, Haltung, Bewegung und Gang, Stimmlage, Gesten wie Winken oder Grüßen, Makeup und offener emotionaler Ausdruck.“ (Goffman 1971: 41) sowie „Ein Mensch kann aufhören zu sprechen, er kann aber nicht aufhören, mit seinem Körper zu kommunizieren (…).“ (ebd: 43). Wir wollen hingegen Kommunikation als wechselseitig-bezogenen Prozess untersuchen.
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
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So scheint es, dass es graduelle Abstufungen von sozialer Anwesenheit und Involviertheit gibt, welche bereits auf einer niedrigen Aufmerksamkeitsstufe gegenüber anderen Akteuren einsetzt und in reger, agiler immersiver Kommunikation – als intensivster Form der sozialen Anwesenheit – zwischen den Akteuren gipfeln kann. Im Folgenden wollen wir einen Blick auf eben jene „graduellen Abstufungen von sozialer Anwesenheit“, respektive von Sozialität zwischen sozialen Akteuren generell, werfen, wobei die höchste Stufe der sozialen Präsenz zu geteilten Erfahrungen, Wahrnehmungen, Situationsauffassungen, sinnhaften Erwartungsmustern und zu Interaktionseinheiten zwischen sozialen Akteuren im Rahmen einer Mitwelt führt. Um die soziale Bezugnahme der EPW differenzierter in ihren Graduierungen darzustellen, ist die Betrachtung der Sinnzuschreibung an das situative Setting bzw. der „Rahmung“ (Goffman 1996 [1980]), die sich während der räumlich-physikalischen Kopräsenz von EPW ergibt, sowie der unterschiedlichen Anwesenheits- und Aufmerksamkeitskonfigurationen und deren interaktiver Anzeichen der EPW sinnvoll. „Unterschiedliche Rahmen führen zu verschiedenen Problemsichten, wobei jedoch der konkret Handelnde, wenn er »ein bestimmtes Ereignis erkennt«, dazu neigt, »seine Reaktion faktisch von einem oder mehreren Rahmen oder Interpretationsschemata bestimmen zu lassen, und zwar von solchen, die man primäre nennen könnte. […] Ein primärer Rahmen wird eben so gesehen, dass er einen sonst sinnlosen Aspekt der Szene zu etwas Sinnvollem macht«“ (Goffman 1996 [1980]: 31) »Zusammengenommen bilden die primären Rahmen einer sozialen Gruppe einen Hauptbestandteil von deren Kultur, vor allem insofern, als sich ein Verstehen bezüglich wichtiger Klassen von Schemata entwickelt (…)« (ebd: 37)
Der Begriff der Rahmung wurde zunächst vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Spiel bzw. ernsthaftem Kampf von Bateson (1985) etabliert, um Verhaltensweisen in sozialen Begegnungen auf der Ebene metakommunikativer Interpretationsschemata in einen sinnhaften Kontext zu stellen. Goffman nutzt das Prinzip der Rahmung um zu erklären, wie Akteure auf einer kollektiven Basis soziale Situationen zu erkennen vermögen. Der primäre soziale Rahmen – als implizites Interpretationsschema – sorgt dafür, dass Akteure einen „(…) sinnlosen Aspekt der Szene zu etwas Sinnvollem“ machen (Goffman 1996 [1980]: 31) bzw. eine Antwort auf die Frage „Was geht hier eigentlich vor?“ zu finden (ebd.: 35). Die Rahmung, als übergeordnetes Interpretationsschema eines Zusammentreffens, verhilft den Akteuren dazu, sich gemäß normativer Erwartungen in die soziale Situation zu fügen, sprich, den Kontext einer Begegnung zu erkennen und sich entsprechend der (kulturell-)kollektiven Erwartungsmuster für sinnhafte Situationsdeutungen zu
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verhalten. Goffman bezeichnet die Rahmung mitunter als notwendig, um entsprechende Interaktionsrituale anzuwenden. Für ihn ist die Rahmung also ein Schritt zur Anwendung von „kommunikativen Gattungen“ nach Luckmann (1986/1995), die eine Art Orientierung und Leitfaden zur adäquaten und routinierten Gesprächsführung geben. Kommunikative Gattungen sorgen dafür, dass die Komplexität von potenziellen Gesprächsverläufen aufgehoben wird, indem sich in ihrem Ablauf Erwartungshaltungen erfüllen. In unserer Untersuchung wollen wir Rahmungen allerdings auf das Erkennen und Etablieren von sozialen Settings beziehen. Für uns wird relevant, wie soziale Settings initiiert werden, wenn die Komponenten von Sozialität gegeben sind, d. h. sich Akteure im geteilten Umfeld befinden, jedoch die Ingredienz fehlt, um die Komponenten aufeinander wirken zu lassen. Entsprechend werden „situative Rahmungen“ als kontextuelle Sinnstruktur zum Erkennen des sozialen Gefüges sowohl während laufender Interaktionen als auch unter präkommunikativen Umständen, in denen sich Akteure in Anwesenheit miteinander befinden und an denen sich ihre Verhaltensweisen sowie Erwartungsstrukturen ausrichten, bestimmt.3 In Anlehnung an Goffmans (1996 [1980]) Terminologie soll das Aufeinandertreffen von Personen in geteilt-räumlicher Anwesenheit sowie die metakommunikative Bedeutung, als dem geteilten Sinn des sozialen Settings, als „situative Rahmung“ der Situation konzeptualisiert werden. Im Zuge unserer Untersuchung setzen wir also voraus, dass bei der Formation von sozialen Einheiten notwendigerweise bestimmte Sinnstrukturen „situativer Rahmungen“ von den beteiligten Akteuren gesetzt werden müssen, die wir im nächsten Abschnitt mit ihren situativen Besonderheiten sowie derer graduellen Abstufungen darlegen und präsentieren wollen. Hierzu bedienen wir uns in einem ersten Schritt der Darstellung der wechselseitigen Bezugnahme in situative Rahmungen bei Anwesenheitskonstellationen von potentiell-sozialen Akteuren nach Goffman, die wir nach näherer Begutachtung in einem zweiten Schritt zu differenzierteren Kategorisierungen der Präsenzmodi von sozialen Akteuren modifizieren wollen. Im Anschluss werden die unterschiedlichen Präsenzmodi auf unsere Studie zur Frage der „sozialen Präsenz“ des androiden Roboters GHI-1 angewandt, indem die Präsenzmodi auf die Aktivitätsmodi des Roboters bezogen und das Material auf Hinweise zum sozialen Setting analysiert werden.
3 Zu
präkommunikativen Besonderheiten von sozialer Kognition siehe auch Bermúdez (2003a).
5.1 Unterschiede in der Präsenzkonfiguration von anerkannten…
5.1
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Unterschiede in der Präsenzkonfiguration von anerkannten Sozialpartnern
Beispielhaft für Settings in öffentlichen Räumen und der Differenzierung der räumlichen Relationssphären bietet Erving Goffman Begrifflichkeiten an, die eine Unterteilung von Settings nach dem Grad der Involviertheit der Anwesenden erlauben und welche unseren analytischen Blick auf die Abläufe im Mensch-Roboter Setting mitunter anleiten sollen.4 Wir gehen dabei davon aus, dass die Anwesenheitskonstellationen von sozialen Akteuren, sprich von EPW, in geteilten räumlichen Umwelten notwendig innerhalb einer der hier vorgeschlagenen Präsenzmodi ablaufen und dass diese „situativen Rahmungen“ konstitutiv für die Sinnstruktur der Begegnung sozialer Akteure sind. Jene Präsenzmodi sollen also, je nach dem Grad der kommunikativen Involviertheit der beteiligten Akteure, in unserer Studie zur Bestimmung der situativen Rahmung bzw. des Settings der Beteiligten genutzt werden und damit die Untersuchung der Relation von menschlichen Akteuren zusammen mit dem androiden Roboter GHI-1, in unterschiedlichen Aktivitätsmodi als potentiellem sozialen Akteur, anleiten. Nach den Ausführungen Goffmans lässt sich ein situativ-geteiltes Setting sozialer Agenten in die beiden Stufen von Präsenz der a) Ko-Lokation („co-location“) und der b) Ko-Präsenz („co-presence“) unterteilen (vgl. Goffman 1963a: 22). Während die a) Ko-Lokation sich auf situative Settings der räumlich geteilten Anwesenheit von sozialen Agenten bezieht, bei der die Akteure einander zwar wechselseitig wahrnehmen können, sich jedoch bei ihren Aktionen nicht aneinander orientieren bzw. die Aufmerksamkeit auf andere Gegebenheiten in der Umwelt richten (indirekte Berührung), begegnen sich die sozialen Akteure in dem situativen Setting b) Ko-Präsenz im Rahmen von Interaktion auf der Ebene der „Zugänglichkeit, Erreichbarkeit und gegenseitigen Akteurschaft füreinander“ (Goffman 1971: 89) (direkte Berührung).5 Hier ist anzumerken, dass sich im Falle räumlich-geteilter Anwesenheit Zustandsänderungen sowohl des situativen Settings als auch bei der Bildung von sozialen Einheiten ereignen, die nicht hinreichend unter den Goffmanschen Bezeichnungen der Ko-Lokalisation und der Ko-Präsenz gefasst werden können, sondern einer weiteren Unterteilung der Präsenzmodule bedarf. Aus alltäglichen Situationen 4 Dabei
ist zu beachten, dass wir im Folgenden den Fokus auf geteilte Anwesenheitssettings richten wollen und auf übergeordnete Handlungsräume, wie die weiteren Beschreibungen von Settings/Occassions/Territories etc. bei Giddens (1984) sowie Goffmans (1963a/b) nahelegen, nicht näher eingehen wollen. 5 Im Original: “Accessible, available and subject to one another”, in Goffman (1963a:22).
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räumlich-leiblich geteilter Anwesenheit wird deutlich, dass sich bei der Anwesenheit potentieller Akteure situative Zustandsänderungen – mit unterschiedlichen Intensitäten von Sozialität – auf mehreren Ebenen abzeichnen. Da die zweifache Unterscheidung der Präsenzmodi bei Goffman keine nähere Erörterung zum Übergang von nicht-interaktiven Settings zu interaktiven sozialen Settings zulässt und eine Zwischenphase der Präsenz außer Acht gelassen wird bzw. in den beiden Formen vermengt wird, erweitern und modifizieren wir die Goffmansche Unterteilung um eine weitere Präsenzform, welche zwar das Präsenzgefüge verschiebt, jedoch auch die Anteilnahme der Akteure näher zu erfassen erlaubt. Während sich Goffman der Zustandsänderung von situativen Settings zwar gewahr ist und diese als Übergänge von einer Zusammenkunft, über Situationen bis hin zu einer Begegnung (bzw. sozialen Veranstaltung) (vgl. Goffman 1971: 29 f.) sowie von nicht-zentrierten zu zentrierten Interaktionen bezeichnet (vgl. ebd.: 35), versäumt Goffman es, eine weitere Präsenzkategorien zwischenzuschalten. Dabei fasst er zwei unterschiedliche Modi, von einerseits verstärkter Interaktion (reiner Sozialität) sowie andererseits von räumlicher Präsenz ohne zentrierte Interaktion, weiterhin unter die Kategorie der Ko-Präsenz. Um die situative Änderung der Präsenzkategorie, auf die sich in den unterschiedlichen Settings ergebenden Abstufungen von Sozialität zu eichen, sollen im folgenden zwei Änderungsvorschläge betreffend der Präsenzmodulationen von Goffmans Kriterien der Ko-Präsenz vorgenommen werden. Hierzu wollen wir einerseits eine Präsenzmodulation vorschlagen, welche der Ko-Präsenz vorgeschaltet ist und die wir als a) „physische Ko-Lokalisation“ benennen wollen und andererseits eine Präsenzmodulation vornehmen, welche den Komplexitätsgrad der Ko-Präsenz übersteigt, zu einer gesteigerten Zustandsveränderung der sozialen Anwesenheit und Erreichbarkeit beiträgt und der Ko-Präsenz entsprechend nachgeschaltet ist. Diese Präsenzmodulation betiteln wir mit sozialer Präsenz. Während Ko-Präsenz bei Goffman sowohl kommunikative Begegnungen als auch lediglich teilnehmende Begegnungen umfasst, läuten die oben gelisteten qualitativen Zustandsänderungen – bei erhöhtem gegenseitigen Engagement in der gegebenen Situation sowie der gegenseitigen Anwesenheit und wechselseitig bezogenen Aufmerksamkeit – eine über Goffmans gemeinsame Ko-Präsenz hinausgehende „soziale Präsenz“ ein. Demnach wollen wir im Folgenden mit drei Formen von Präsenz arbeiten, welche wir als a) Ko-Lokation, b) Ko-Präsenz und c) soziale Präsenz betiteln. Diese Erweiterung und Modifikation der Goffmanschen Präsenzformen stellt ein heuristisches Mittel dar, um die graduellen Wandlungen von sozialen Situationen in geteilten Räumlichkeiten genauer zu begreifen. Unsere Modifikation und Erweiterung der Goffmanschen Präsenzformen basiert dabei auf den Ausführungen und Begrifflichkeiten Goffmans zu „co-location“ und „co-presence“ (Goffman 1963b),
5.1 Unterschiede in der Präsenzkonfiguration von anerkannten…
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wobei wir mit der Addition eines weiteren Präsenztypus und den Verschiebungen der Präsenzcharakteristika bezwecken, die Lücken in der Goffman´schen Differenzierung zu schließen. Die Grundcharakteristika auf denen die Präsenztypen a)–c) basieren, wollen wir entsprechend mit den Termini Goffmans beschreiben und als Grade der Zugänglichkeit, des „Engagements“ bzw. der „immersiven Anteilnahme“ der Agenten benennen, welche die Anwesenheit der Beteiligten situativ von „social gatherings“, „Get-together“ über „Situationen“ – hin zu einer sozialen „Begegnung“ rahmen (Goffman 1971: 29). Zur näheren Illustration der Grade und Formen der situativen Anwesenheit von sozialen Akteuren beschreiben wir zunächst die einzelnen Präsenzformen mit ihren Eigenschaften und wenden im Anschluss der Listung die Ergebnisse der situativen Deutung von Präsenzformen zwischen EPW auf die empirische Studie an.
5.1.1
Ko-Lokation
Als die für die Beteiligten anonymste Form der geteilten Räumlichkeits- und Anwesenheitsbedingungen lehnen wir uns an die Ausführungen Goffmans zur physischen Ko-Lokation an. Bei der Ko-Lokation handelt es sich um ein situatives Setting bei dem mehrere Personen in ein und derselben räumlich-begrenzten Sphäre anwesend und füreinander wahrnehmbar sind, ohne sich in unmittelbarer Interaktion miteinander zu befinden, wobei sich das Verhalten der Akteure nicht aneinander orientiert. Hier kann beispielhaft der gemeinsame Aufenthalt von sozialen Personen auf dem Metrobahnsteig, die gemeinsame Fahrt im U-Bahnwagon oder der Aufenthalt in einem Lokal genannt werden.6 Die rein physikalische Ko-Lokation findet sich an öffentlichen Orten, in denen zwar eine Menge von potentiellen Interaktanden anwesend sind, wobei der Großteil der Interaktanden jedoch in keinem relationalen Verhältnis zueinander steht. In dem situativen Setting der Ko-Lokation kann es vorkommen, dass einzelne Akteure umgeben sind von einer Gruppe miteinander Interagierender, ebenso wie von Fremden sowie von weiteren einzelnen Akteuren, die jeweils ihre eigenen Handlungen ausführen. Die Personen sind zwar (als potentielle Koakteure) füreinander wahrnehmbar und zu einem Übergang in die Ko-Präsenz und direkte Wahrnehmung verfügbar, allerdings zeichnet sich die reine Ko-Lokation durch die Nichtbeachtung bzw. durch das Nicht-in-Erwägung-Ziehen von Interaktion für die Interaktanden aus. Die Akteure sind in einem Setting, in dem 6 Im Original stellt dies bei Goffman ein “gathering” dar, welches durch eine Zusammenkunft
von zwei oder mehr Personen an einem raumzeitlich geteilten Ort gegeben ist (vgl. Goffman 1963a: 13 ff.).
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
der Übergang zu Interaktionen zwar möglich ist, im Falle der Ko-Lokation aber eher gemieden wird. Bei solch einer Konstellation von Personen, die anwesend sind und dasselbe unmittelbare Wahrnehmungsfeld teilen, dabei jedoch ihre Aktionen nicht aufeinander beziehen, handelt es sich in den Worten Goffmans um eine situative Rahmung der „Zusammenkunft“7 („gathering“). Für Goffman (1971: 32 f.) etabliert sich eine Zusammenkunft, wenn sich mindestens zwei Personen an einem Ort befinden, welcher die Wahrnehmung und Etablierung von Interaktion ermöglicht. Bei der Zusammenkunft kann sich zunächst auch nur eine Person an einem Ort befinden, an den sich dann im Laufe der Zeit immer mehr Personen einfinden. Die Beschäftigung der sich als erstes an dem Ort befindlichen Person kann, aber muss nicht, von der Anwesenheit der anderen affiziert werden. Zudem muss deren Verhalten nicht zwangsläufig an das der als erstes am Ort befindlichen Person orientiert sein. Beispielsweise kann sich in einem Innenhof ein junger Mann aufhalten, der damit beschäftigt ist, die Reifen seines Rades zu flicken. Im Laufe des Flickens können mehrere Personen in den Innenhof kommen, um z. B. Müll in einen im Innenhof gelagerten Mülleimer einzuwerfen, das eigene Rad aus dem Radparkplatz zu holen, Gartenstühle aufzustellen und sich mit mehreren Personen für einen längeren Zeitraum in den Innenhof zu setzen. Die „Beteiligungseinheit“ (vgl. ebd.: 92) der Akteure bezieht sich bei der Zusammenkunft auf den jeweiligen Aktions- und Aufmerksamkeitsfokus, der nicht am anderen Akteur ausgerichtet sein muss. Der das Fahrrad Flickende kann während der parallel stattfindenden „Zusammenkünfte“ seiner Hauptbeschäftigung frönen und keine Notiz von den interagierenden Personen nehmen, er kann allerdings auch durch Grüße, Zuwinken oder kurze Befindlichkeitsfloskeln mit den hinzukommenden Personen Interaktionssettings etablieren – und sich dann maximal zu den Personen gesellen und einen Übergang zur sozialen Präsenz vollziehen. Eine Zusammenkunft hat als wesentliches Merkmal die Haltung der „zivilen Unaufmerksamkeit“ („civil inattention“) und des „non-engagements“ bzw. des „Desinteresses“ (ebd.: 65 f.) gegenüber potentiellen Akteuren zur wechselseitigen Interaktion.8 Die sich in Ko-Lokation befindlichen Akteure signalisieren mittels ihrer Haltung der „civil inattention“9 (Goffman 1963a: 83 ff.) zueinander, das 7 Allerdings sagt Goffman auch „Gemeinsame Anwesenheit macht Menschen in einzigartiger
Weise erreichbar, verfügbar und einander unterworfen.“ (ebd.:33). das relationale Verhältnis durch die Bekanntschaft der Beteiligten geprägt ist und sich durch Muster der Themen, körperliche Haltung als „social ties“ zeigt, beobachtet Goffman das Verhalten von einander unbekannten Teilnehmern als aus der Relation gelöst und frei von „social ties“ (Goffman 1963c). 9 Giddens verwendet für dieselbe Szenerie den Begriff der „unfokussierten Aufmerksamkeit“. Giddens (1984) greift ebenfalls Goffmans Idee der „civil inattention“ mit dem Konzept 8 Während
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Gegenteil von sozialer Beteiligung. In jener „zivilen Unaufmerksamkeit“ nehmen sich die in einem Setting Anwesenden zwar als potentielle Akteure bzw. Personen mit Akteurseigenschaften wahr (und bemerken übers „monitoring“ (ebd.) sich anbahnende Interaktionsofferten), wahren dabei allerdings Distanz und richten ihre Wahrnehmung und Aktionen soweit aus, das die gegenseitige Aufmerksamkeit auf ein Minimum heruntergepegelt wird und soziale Distanz aufrecht erhalten bleibt.10 Während der zivilen Unaufmerksamkeit sind Blicke, Berührungen oder verbaler Austausch auf ein Minimum reduziert. Somit ist zivile Unaufmerksamkeit sowohl von der Ignoranz gegenüber anderen Akteuren als auch von der Obligation der dauerhaften Interaktion in der Öffentlichkeit losgelöst. Zivile Unaufmerksamkeit gilt bei Goffman als Schlüsselfaktor für Anonymität zur Wahrung der Privatsphäre Einzelner in der Öffentlichkeit11 . D. h. die Personen signalisieren den weiteren Anwesenden gegenüber vielmehr eine „höfliche Gleichgültigkeit“12 (Goffman 1971: 84). Die Akteure zeigen bei jener höflichen Gleichgültigkeit eingeschränkte Signale von Zugänglichkeit, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Koordination und Affiziertheit gegenüber weiteren anwesenden Akteuren. Der kognitiv-emotionale Zustand ist auf die Eigentätigkeit und auf die Hauptbeschäftigung der einzelnen Akteure gerichtet. Der von Kieserling eingeleitete Grundzug der „Serialisierung der „unfocussed attention“ („nicht-zentrierte Interaktion“ bei Goffman 1971: 41 ff.) auf und beschreibt damit den Umstand des wechselseitigen Wissens, um die Gegenwart von Anderen in einer gegebenen Situation, jedoch ohne direkter (sprachlicher) kommunikativer Bezüge der gegenwärtigen Personen zueinander. 10 Dies äußert sich beispielsweise bei Aktionen im geteilten Raum an denen wechselseitige Koordination von Nöten ist (vgl. Webers (1972) wechselseitige Orientierung als ‚Interaktion‘), wie etwa beim Ausweichen von einer aus der U-Bahn strömenden Menge, ohne vom eigenen Ziel abgedrängt zu werden. Zur Koordinierung in jenen öffentlichen Orten, an denen eine Menge einander unbekannter Akteure – auch mal eng – aufeinander trifft, reicht ein kurzer Blick, bzw. eine kleine Geste, um im Vorübergehen die Ordnung des Koordinationsablaufs abzustimmen. 11 „Civil inattention“ kann auch daher rühren, dass die Etablierung der Interaktion daran scheitert, dass Interaktionsofferten lediglich von einer Partei geleistet werden, diese jedoch von der anderen Seite keinerlei Erwiderung findet. 12 Goffman statuiert Situationen, die durch nicht-zentrierte Interaktion gekennzeichnet sind, jedoch die Kenntnisnahme anderer qua gegenseitig gegebener Wahrnehmung unterstellt, als eine Form der „höflichen Gleichgültigkeit“. „Solches Verhalten setzt hinreichende visuelle Beachtung des anderen voraus, die beweist, daß man seine Anwesenheit würdigt, (man gibt offen zu verstehen, man habe ihn gesehen), während man im nächsten Moment die Aufmerksamkeit bereits wieder zurücknimmt, um zu dokumentieren, er stelle keinesfalls ein Ziel besonderer Neugier oder spezieller Absichten dar.“ (Goffman 1971: 85). Zudem verweist Goffman auf das Ignorieren anderer Anwesender, wie dies bei Bediensteten oder gegenüber Außenseitern anzutreffen ist und benennt diese als „Unpersonen“ (ebd.: 84).
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
des Kommunikationsprozesses“ (1999: 44 f.) während der Interaktion – d. h. die sukzessive Abfolge von Verhaltensaktionen/-reaktionen (Sprecherabfolge) und Rollen13 – wird in jener Konstellation aufgehoben. Die Verhaltensabfolgen der für soziale Interaktion notwendigen Serialität werden hier durch die Parallelität der Handlungsabläufe einzelner Akteure, bzw. nicht genutzter potentieller Interaktionseinheiten, ersetzt. Die Parallelität der Handlungen zeigt sich anhand ubiquitärer Beispiele wie etwa bei dem Gebrauch von Mobiltelefonen z. B. bei dem Verfassen von Kurznachrichten in einem öffentlich geteilten Raum sowie der damit einhergehenden Unachtsamkeit der Nutzer gegenüber anderen Akteuren beim Durchqueren öffentlicher Plätze. Die textende Person ist in jenem Moment zwar in einer räumlich geteilten Situation mit weiteren Anwesenden, zeigt allerdings in jener Situation keinerlei Reaktionen oder Anzeichen einer anerkannten Wahrnehmungssituation gegenüber den weiteren anwesenden Akteuren, sondern ist vielmehr immersiv auf die Interaktion vermittelt durch das Medium konzentriert. Stattdessen richten die Akteure ihre Aufmerksamkeit auf andere Ereignisse in ihrem/r Umfeld/Umwelt während die verbalen und nonverbalen Aktionen der Akteure (Aktivität) parallel zueinander und in nicht ko-orientierter Weise verlaufen (Singularität). Die Akteure sind hinsichtlich potentieller Interaktionspartner „nicht-engagiert“ (Goffman 1971: 91), d. h. sie betreiben keine Anstrengung miteinander (durch den Austausch von symbolischen Gesten) in Relation zu stehen, sondern setzen ihre Aktionen fort, welche dazu dienen, die zivile Unaufmerksamkeit – durch das Ignorieren anderer Akteure – weiterhin aufrecht zu erhalten. Nicht-Engagiertheit und zivile Unaufmerksamkeit weisen darauf hin, dass die Akteure sich in nicht-zentrierter Interaktion (engl. „unfocussed interaction“) befinden: „Das ist jede Art Kommunikation (sic!), die praktiziert wird, wenn jemand sich eine Information verschafft über einen anderen Anwesenden, indem er, und sei es nur für einen kurzen Moment, da ihm der andere ins Blickfeld gerät, zu ihm hinschaut. Nicht-zentrierte Interaktion betrifft hauptsächlich die Handhabung bloßer gemeinsamer Anwesenheit. (…) Wo keine zentrierte Interaktion stattfindet, kann man von nicht-zentrierter Zusammenkunft reden“ (ebd.: 35). Über die gemeinsame Anwesenheit und der wechselseitigen Kenntnisnahme dessen, geht in der Ko-Lokation – als Setting nicht-zentrierter Interaktion – keine Anstrengung hinaus, mit den anderen Akteuren zu interagieren. Die wechselseitigen Erwartungen der potentiellen Akteure aneinander sind eher so gesetzt, dass die situative Rahmung der Ko-Lokation aufrechterhalten wird. Solange es nicht zu Anstrengungen kommt, die situative Rahmung in Richtung Ko-Präsenz bzw. sozialer Präsenz zu verschieben, wird soziale Interaktion in der 13 Jene Rollen wären mitunter die des Sprechers zum Hörer bzw. vom aktiven Interaktanden zum passiven Interaktanden.
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Ko-Lokation vermieden, um das Hauptengagement und die Vorrangstellung anderer durchgeführter Aktionen nicht zu unterbrechen.
5.1.2
Übergang zu Ko-Präsenz
Das situative Setting der Ko-Lokation verharrt nicht zwangsläufig in nichtzentrierter Interaktion bzw. verbleibt nicht bei in einer fehlenden „Zugänglichkeit“ und „Engagiertheit“ der sozialen Akteure. Vielmehr zeigen sich Situationen geteilter Räumlichkeit von potentiellen sozialen Akteuren als flexibel und unvorhersehbar als auch von Moment zu Moment veränderbar. So müssen wir die Präsenzformen als fließend und in ihrem Vorkommen als variabel und unabhängig von der rein physikalischen Anwesenheit der Akteure sehen. So kommt es in Begegnungen bzw. „Zusammenkünften“ auch vereinzelt – teilweise auch nur für einen kurzen Moment – zu kommunikativen Abstimmungen der beteiligten Akteure, ohne das Grundsetting der Zusammenkunft zu unterbrechen.14 Diese Zwischenphase zwischen potenzieller und aktualisierter Interaktion bzw. diesen Übergang in der Präsenzform wollen wir als „Ko-Präsenz“ bezeichnen. Der Begriff der Ko-Präsenz wird hier jedoch in einer anderen Weise genutzt, als Goffman es tut. Obgleich die Anordnung und Beziehungskonstellation der Akteure ähnlich anmutet, wie die der „Zusammenkunft“ im Rahmen der Ko-Lokation, unterscheidet sich das situative Setting der Ko-Präsenz doch immens von Ko-Lokationen. In dieser Form der Präsenz sind soziale Akteure in bereits bestehende Interaktionskonstellationen (sozialen Settings) eingebettet und haben in jenem Setting die Möglichkeit, sich freiwillig aktiv zu beteiligen bzw. sich der Beteiligung zu entziehen. Eine solche bestehende Interaktionskonstellation benennt Goffman als Situation15 , die eine Party, eine Gruppenkonversation aber auch eine Situation darstellen, bei der ein Akteur in einer Kassenschlange ansteht, wie beispielsweise in einem Supermarkt oder an einem Fahrkartenschalter. In jener Situation ist vorhersehbar, dass in absehbarer Zeit eine Unterbrechung der Ko-Lokalisation eintreten und (wenn auch nur thematisch fokussiert und kurzzeitig wie z. B. während des „small talks“) eine koorientierte soziale Interaktion angestrebt wird. Ein solches Präsenzsetting wird durch öffentliche Orte gestellt, bei denen bereits ein übergeordnetes Handlungsschemata 14 Dies kann aber auch der Fall sein, wenn ein Übergang zur sozialen Präsenz der Beteiligten gelingt. 15 Goffman definiert Situationen als Ort für potentielle Kommunikationen und somit als sozialen Raum: „Diese Möglichkeit allgemein verfügbarer Kommunikation und die Reglements zu ihrer Kontrolle verwandeln einen rein räumlichen Bereich in einen Ort von soziologisch relevanter Entität, kurz, in eine Situation.“ (Goffman 1971: 147).
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
ausgeführt wird und die Akteure sich freiwillig auf interaktive Begebenheiten einlassen können. Die Anteilnahme (das Engagement) der Beteiligten ist mit der eines Zuschauers vergleichbar, der von anderen als legitimierter Akteur gehandelt wird. Dieser Zuschauer hat die Option und ist dazu legitimiert, sich jederzeit an dem Interaktionsgeschehen zu beteiligen.16 Ungleich des Ko-Lokation Settings, sind die Beteiligten füreinander wechselseitig wahrnehmbar und die Aktionen aufeinander bezogen. Somit generiert sich aus den parallelen Aktionen der Beteiligten eine partiell aneinander orientierte Verhaltensabstimmung. Dies zeigt sich bei Gelegenheiten, in denen aus dem Beobachter ein aktiver Interaktionsteilnehmer wird, beispielsweise beim Einstimmen in Gelächter oder einem Lied, gemeinsamen Applaudieren oder dem Anpassen des Schritttempos und der Folgehandlungen an die Akteure im Umfeld.17 Die Beteiligungseinheit der Akteure ist dabei auf mehrere Aufmerksamkeitsaspekte bezogen und multizentriert bzw. auf das soziale Setting teilzentriert (vgl. ebd.: 91 f.). Akteure in Ko-Präsenz haben die freie Option, sich vollständig oder kurzzeitig in ein bestehendes Interaktionsgefüge zu integrieren oder aber sich im Hintergrund als legitimierter und dennoch willkommener Teilnehmer der Versammlung zu halten; z. B. in Fällen einer Geburtstagsfeier bei der ein stiller Gast den Abend über schweigt aber dennoch genüsslich von der Torte isst, mit Sekt anstößt und das Abendprogramm wahrnimmt. Das Maß der Anteilnahme der Akteure in dem Setting der Ko-Präsenz pendelt zwischen Goffmans Erörterungen der zivilen Unaufmerksamkeit sowie der anteilnehmenden Aufmerksamkeit bei einer „zentrierten Interaktion“.18 Diese Zwischensphäre sozialen Settings wollen wir – trotz der fehlenden Ausführungen bei Goffman – in Anlehnung an Goffmans bisherige Terminologien als partizipatorische Anteilnahme benennen. „Partizipatorische Anteilnahme“ steht demnach für die offene Option der Teilnehmer, eine kommunikative Situation herbeizuführen bzw. als reiner Beobachter der Interaktion zu fungieren. Dabei ist es den Akteuren erlaubt, Signale von Anwesenheit und partieller Verfügbarkeit zu senden, ohne zwingende Anschlussinteraktionen zu forcieren. Der Teilnehmer kann jederzeit in ein interaktives Gefüge eintreten bzw. das Setting verlassen, ohne Gefahr zu laufen, das etablierte kommunikative Setting zu unterbrechen, zu stören oder zu beenden. Das interaktive Setting bleibt vielmehr unabhängig von der Teilnahme oder dem Rückzug des Akteurs bestehen. 16 Kieserling (1999) nennt hier eine zugemutete Passivität, die sich mit der erhöhten Anzahl an potentiellen Kommunikationsteilnehmern ergibt. 17 Weitere Beispiele hierfür sind das Warten auf die interaktive Realisierung des Verkaufsgesprächs beim Anstehen an der Supermarktkasse oder das Vorzeigen des Fahrausweises an den herantretenden Schaffner. 18 Zentrierte Interaktion gilt hier eher als Nebenengagement.
5.1 Unterschiede in der Präsenzkonfiguration von anerkannten…
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Ko-Präsenz unterscheidet sich mit den eigenen Bedingungen des situativen Settings, der Grade von Aufmerksamkeit und des Engagements, der Zugänglichkeit sowie der Anteilnahme der involvierten Akteure signifikant von den beiden anderen Präsenzformen der Ko-Lokation als auch der noch zu erörternden sozialen Präsenz. Beginnend bei der Ko-Lokation über die Ko-Präsenz bis hin zur sozialintensivsten Form der sozialen Präsenz, können wir eine Modifikation als auch eine Steigerung der sozialen Engagiertheit feststellen. So zeigt die Präsenzform eine Steigerung in der Verwendung kommunikativer Bereitschaftssignale und eine niedrige als auch flexible Übergangsschwelle zu Interaktion. Ko-Präsenz ist demnach zwischen den beiden anderen Präsenzformen gelagert und stellt es den Akteuren frei, ihr Hauptengagement interaktiv auf Aktionen mit anderen Akteuren zu richten bzw. es bei Nebenengagement zu belassen. Durch die Erreichbarkeit – aber nicht notwendigerweise Beteiligung der Akteure – wird ein Übergang zur Interaktion potentiell realisierbar, ohne, dass sich die Akteure zwangsläufig vollständig auf Interaktion einlassen müssen. Ko-Präsenz ist somit eine Vorstufe zu „sozialer Präsenz“, welche die reinste, dichteste und vollständigste Form von Sozialität bei geteilter Anwesenheit darstellt, der wir uns in dem nächsten Absatz zuwenden möchten.
5.1.3
Soziale Präsenz
Bei Goffman beinhaltet die gemeinsame Präsenz zwei Aspekte, die zur Etablierung der Ko-Präsenz beitragen: a) die wechselseitige/reziproke Wahrnehmung der Akteure und b) das „Gefühl“ zu haben, wahrzunehmen und wahrgenommen zu werden. Dabei müssen „(…) die Einzelnen [müssen] deutlich das Gefühl haben, dass sie einander nahe genug sind, um sich gegenseitig wahrzunehmen bei allem, was sie tun, einschließlich ihrer Erfahrungen der anderen, und nahe genug auch, um wahrgenommen zu werden, als solche, die fühlen, daß sie wahrgenommen werden“ (ebd.: 28). Wie auch bei Kieserling ausgeführt, ist das Wechselspiel des Wahrnehmensund Wahrgenommen-Werdens das Grundkriterium bei Goffman, um Interaktion (in symmetrischen als auch in asymmetrischen Interaktionsszenarien), bei gemeinsamer Präsenz in unmittelbarer räumlicher Anwesenheit entstehen zu lassen.19 Bei
19 Allerdings wird die Bestimmung der Ko-Präsenz bezüglich b) vage. Was verbirgt sich hinter dem „Gefühl“ der wechselseitigen Wahrnehmbarkeit? Da eben jene Bedingung von Gefühl einen bewusstseinszentrierten und emotionsfähigen Akteur vorschaltet – und eben jenes Charakteristikum eines bewusstseinsgesteuerten menschlichen Subjekts in Frage gestellt werden soll, wollen wir nach einem alternativen Merkmal von Ko-Präsenz suchen. Auf unsere
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
der sozialen Präsenz dient die Ko-Präsenz mit ihrem grundlegend reziproken Wahrnehmungsaspekt der Beteiligten weiterhin als Basis für eine Vertiefung sozialer Interaktionskonstellationen. Mit der vollen interaktiven Bezugnahme der Akteure, wenden wir uns dem Typus von sozialen Begegnungen zu, auf den sich Studien zur Interaktion als auch Common-Sense-Annahmen über Sozialität hauptsächlich beziehen. Während der situativen Rahmung eines soziale-Präsenz-Settings stehen soziale Akteure miteinander in Wechselwirkung, indem sie ihre Aktionen interaktiv aufeinander abstimmen. Jene interaktive Bezugnahme bzw. Kommunikation basiert auf den Ebenen der verbalen als auch der nonverbalen symbolischen Gestenverwendung der Akteure untereinander, wobei der Kern von Sozialität realisiert wird. Situative Rahmungen von sozialer Präsenz sind im Alltag omnipräsent und sowohl in öffentlichen als auch in privaten Räumen vorfindbar. So können wir an öffentlichen Orten Akteure dabei beobachten, wie sie gemeinsam diskutieren oder Liebespärchen an Bahnhöfen dabei zusehen, wie sie sich voneinander verabschieden. Während sozialer Präsenz kommunizieren Akteure miteinander und stellen ein soziales Gefüge bzw. eine soziale Einheit dar. Der Aspekt der direkten Berührung wird in der situativen Rahmung der sozialen Präsenz vervollkommnet und vollständig zur Geltung gebracht. Hinsichtlich unserer Unterteilungen der situativen Rahmungen und Präsenzformen, in denen EPW einander begegnen können, stellt die soziale Präsenz die vollste und umfassendste Form von sozialer Involviertheit zwischen EPW bei geteilter räumlicher Anwesenheit dar. Die Akteure sind in jenem Setting immersiv in die sozial-situative Gegebenheit versunken und stehen miteinander in Wechselbeziehung, während sie ihre (soziomotorischen) Ausdrucksgebaren als symbolische Gesten füreinander produzieren und auch in dem Sinne rezipieren. Die situative Rahmung zusammen mit der sozialen Involviertheit der Akteure markieren die Akteure als ein Gesamtgefüge einer sozialen Einheit und eines sozialen Bezugssystems. Dabei ändern sich die bereits in den Präsenzformen der Ko-Lokation als auch der Ko-Präsenz aufgeführten Merkmale des situativen Settings durch die verstärkte Anteilnahme der Akteure innerhalb des Settings als auch vermittels einer gesteigerten Zugänglichkeit sowie eines erhöhten Engagements der Akteure. Nach Goffmans Einteilungen ist das situative Setting einer „Zusammenkunft“, als lose Ansammlung parallel agierender potentieller sozialer Akteure, nicht mehr mit dem Setting der sozialen Präsenz vergleichbar, vielmehr wandelt sich das Setting zu der
Kritik an Aspekt b) soll allerdings erst nach den Erörterungen zur Aspekt a) näher eingegangen werden.
5.1 Unterschiede in der Präsenzkonfiguration von anerkannten…
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aktiven Form der direkten Begegnung.20 Während einer Begegnung wird aus dem rein physikalischen umweltlichen Verhältnis der Akteure eine mitweltliche Relation, in der die Berührung der Akteure, beginnend bei der ‚fundierenden Deutung‘, in die ‚kommunikative Deutung‘ der Akteure untereinander übergeht. Die Akteure sind einander für die Realisierung von sozialen Einheiten „Zuhanden“ und das Verhalten ist an den wechselseitigen Erwartungen als auch Wahrnehmungen der Akteure orientiert. Dieser Übergang der Präsenzform in eine „Begegnung“ der Akteure wird durch die reziproke prosoziale Bezugnahme der Akteure in einer Mitwelt-Relation miteinander generiert. Hierzu wenden sich die Akteure mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit sowie mit einer gesteigerten gerichteten Expressivität einander zu und formieren sich zu einem „sozialen Gefüge“. Aus dem losen Nebeneinander potentieller Akteure, die parallele Aktionen ausführen, wird ein kooperatives Miteinander der „Begegnung“ von einander zugewandten und aufeinander bezogenen Akteuren, mit aneinander anschließenden seriellen Aktionen, wobei „hier ist es durchaus möglich zu sehen, wie allmählich aus einem rein physischen Kontakt zu einer anderen Person ein Akt wird, der die soziale Beziehung herstellt und in dem gemeinsam die Berechtigung zu einer direkten Begegnung, quasi Auge in Auge (sic!), erteilt wird.“ (ebd.: 90).21 Bei dem Übergang zu einem situativen Setting – von einer rein physikalisch geteilten Zusammenkunft hin zu einer Begegnung – geschieht ein qualitativer Übergang der fokussierten (sozialen) Aufmerksamkeit, bzw. des sozialen Engagements, von Seiten der Agierenden zueinander. Aus „nicht-zentrierten Interaktionen“ werden „zentrierte Interaktionen“ (vgl. Goffman 1971: 84 ff.), welche sich in der körperlichen, kognitiven und perzeptiven Aufmerksamkeitsfokussierung der Akteure spiegeln. Die „civil inattention“ wandelt sich zu der zentrierten Form der Aufmerksamkeit „civil attention“, in der die Anwesenheit des anderen den vollen Aufmerksamkeits- und Aktionsfokus erlangt. Parallel mit dem Übergang zur civil attention lässt sich die soziale Bezugnahme der Akteure um die Zentrierung derer Aktionen zueinander erläutern. Zentrierte Interaktion bezeichnet bei Goffman „jene(r) Art von Interaktion, die statthat, wenn Personen eng zusammenrücken 20 Goffman setzt den Terminus der „Begegnung“ mit dem des „Blickkontakts“ gleich (Goffman 1971: 89). Begegnungen kommen in zentrierter Interaktion vor und „(…) umfassen all jene Fälle, wo zwei oder mehr an einer Situation Beteiligte sichtbar gemeinsam um ein und denselben Mittelpunkt kognitiver und visueller Aufmerksamkeit sich scharen – was als einzelne wechselseitige Aktivität empfunden wird, die durchaus vorrangige Kommunikationsrechte mit sich bringt.“ (ebd.). 21 Diese erhöhte Zuwendung der Akteure zueinander lässt sich durch die gesteigerte Verwendung von verbalen als auch nonverbalen Ausdrucksweisen, sprich social cues (vgl. auch Pickett et al. 2004), beobachten und bestimmen.
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
und offensichtlich kooperieren, die Aufmerksamkeit also ganz bewusst auf einen einzigen Brennpunkt gelenkt ist“ (ebd.: 35). Die Aufmerksamkeit der beteiligten Personen wird nun gemeinsam gestaltbar und ist, z. B. thematisch, aufeinander bezogen. Die Interaktion mit anderen Akteuren wird zum geteilten Hauptengagement der Akteure. Im Gegensatz zu den anderen vorsozialen, vorkommunikativen Präsenzformen haben die involvierten Akteure bei der „zentrierten Interaktion“ und der „civil attention“ ein hohes Maß an „Engagement“ in der Interaktion als auch bei der Bezugnahme auf den anderen Akteur (ebd.: 44). Dies zeigt sich durch die Bereitstellung von Aufmerksamkeitssignalen, den Merkmalen von „social ties“ sowie an dem Anschlussverhalten an die vorhergehenden symbolischen Gesten des anderen. Die Berührtheit und Resonanz zeigt sich auf sprachliche Weise oder durch gezielte nonverbale Bezugnahmen gegenüber Alter Ego. Ein gewichtiges Moment ist hierbei Reziprozität, welche Goffman – nach dem Aspekt der wechselseitigen Wahrnehmung – als entscheidende Kommunikationsbedingung der Face-to-face Interaktion benennt (ebd.: 26 f.).22 Reziprozität bezeichnet die wechselseitige und gegenseitige Bezugnahme von agierenden Akteuren aufeinander und damit einhergehend auch die gegenseitige Beeinflussung nachfolgender Interaktionsgebaren im Zusammenhang stehend mit der Aktion der Gegenpartei. Goffman beschreibt „Engagement“ von sozialen Akteuren als „(…) an einer anlassgemäßen Aktivität teilnehmen, bedeutet eine Art kognitiver und affektiver Versunkenheit darein, die Mobilisierung der eigenen psycho-biologischen Kräfte (…)“ (ebd.: 44).23 Nach Goffmans Ausführungen stehen die Gesprächsteilnehmer in der Situation engagierter Begegnungen füreinander im gegenseitigen Mittelpunkt der kognitiven und visuell-perzeptiven
22 „Damit haben wir eine zweite entscheidende Kommunikationsbedingung der Interaktion von Angesicht zu Angesicht: es wird nicht nur körperlich gesendet und mit bloßen Sinnen empfangen, sondern jeder Sender ist zugleich auch Empfänger und jeder Empfänger ist zugleich auch Sender.“ (Goffman 1971: 26). 23 Wie die Übersetzung des Goffmanschen Zitats nahelegt, ist der Übergang zu einem sozialen Miteinander bzw. zu einer zentrierten Interaktion mit einer gewissen Anstrengung bzw. einer Zustandsänderung bisher Unbeteiligter in aufeinander bezogene Interaktionspartner verbunden. Goffman geht zwar nicht weiter auf jenen Übergang und dessen antreibenden leiblichen, perzeptiven oder kognitiven Bedingungen ein, deutet aber an, dass diese auf kognitiver und affektiver Ebene ablaufen und psycho-biologischer Kräfte bedürfen. Wie genau dieser Übergang zu engagierter Interaktion abläuft bleibt vage, ebenso, wie das „Engagement“ an sich, zu beschreiben wäre. Goffman benennt „gemeinsames spontanes Engagement“ als „eine unio mystica, ein(en) sozialisierter(n) Trancezustand“ (Goffman 1971: 44). Genauere Ausführungen zu jenem sozialisieren Trancezustand bleiben allerdings im Folgenden aus, Goffman bemüht sich vielmehr die perzeptiven Grundlagen der beteiligten Parteien zu erfassen.
5.1 Unterschiede in der Präsenzkonfiguration von anerkannten…
143
Aufmerksamkeit24 und etablieren dabei eine „Welt und eine Wirklichkeit (…), die andere Teilnehmer miteinbezieht“ (vgl. Goffman 2010: 124). Dieses Einbeziehen anderer Teilnehmer in die Welt eines Akteurs ist mit dem Konzept der Mitwelt kompatibel. Während der Berührung und der engagierten Fortführung und Fokussierung der Akteure auf die „gemeinsame mitweltliche Wirklichkeit“ etabliert sich soziale Präsenz als situatives Setting. Bei der Realisation von sozialer Präsenz25 , geht Goffman insbesondere auf den Aspekt körperlicher Aktivitäten ein26 und betont die Vorrangstellung von Blicken bzw. Signalen zur Übermittlung von Informationen, welche Interaktionssettings konstituieren (Goffman 1971: 27).27, 28 In der zentrierten Interaktion sind die Akteure füreinander zugänglich für initiierende Interaktionsofferten wie Blickkontakt oder weitere gesprächseröffnende Gesten (ebd.: 104). Dieses erhöhte Maß an Engagement und Zentriertheit der in der Begegnung miteinander Agierenden zeigt sich also in paraverbalen, nonverbalen und verbalen Passungen der Eigenaktivitäten der Akteure aneinander 24 Goffman deutet an, dass eine engagierte Interaktion auch von Nebentätigkeiten – wie etwa Kaugummi kauen, rauchen oder spülen, etc. begleitet werden kann, der Hauptfokus aber auf dem Gesprächsinhalt liegt. In seinem Aufsatz „Entfremdung in der Interaktion“ nennt Goffman Folgen des ausbleibenden bzw. verhinderten Engagements – wie durch Ablenkung von außen, Ich-Befangenheit, Interaktions-Befangenheit bzw. Fremd-Befangenheit – welche das Interaktionsgeschehen aus dem Hauptfokus hebeln bzw. entfremden (vgl. ders. 2010b). 25 Bei Goffman fällt dies unter Ko-Präsenz. 26 Goffman betont die kulturell variablen Semantiken von „Körpersprache“ – als einem System von Regeln der Etiquette (ebd.: 125). 27 Goffman beschränkt Interaktion nicht auf visuelle Informationsübermittlung, sondern inkludiert sprachliche Äußerungen. Er unterteilt die Ebenen der sprachlichen und an den Körper gebundene Informationen, hier expressive Botschaften, in besondere Merkmale (vgl. Goffman 1971: 24). Face-to-face Interaktion bleibt bei Goffman nicht auf sprachliche oder körperliche Informationsvermittlungen beschränkt, sondern manifestiert sich in situationsübergreifenden Routinen, wie etwa Turn-taking, Antworten, Pausen etc. Jene Routinen sind partiell konventionalisiert, idiokratisch bzw. infrastrukturell entstanden und bedürfen einer Überprüfung auf der Ebene von kontra-anthropozentrischen Gültigkeitsansprüchen. Goffman kennzeichnet das Engagement durch folgende Merkmale: „Wenn jemand sich in ein Gesprächsthema vertieft, dann wird er als Zuhörer seine auditive und gewöhnlich auch seine visuelle Aufmerksamkeit der Quelle der Kommunikation zuwenden, in diesem Fall dem Sprecher und besonders dessen Stimme und Gesicht. (Dieses physische Bedürfnis wird durch soziale Regeln unterstrichen, die häufig Unaufmerksamkeit gegenüber dem Sprecher als einen Affront gegen ihn bezeichnen.)“ (Goffman 2010: 135). 28 Hierbei muss es sich nicht um eine zwangsläufig wiederkehrende und lang anhaltende Bekanntschaft handeln. Es kann bei einem kurzen Zweigespräch, um einen Informationsaustausch bzw. um eine höfliche, entschuldigende Geste handeln, die nach dem „encounter“ wieder in eine civil inattention übergeht. Wichtig ist allerdings, es müssen mehr als eine Person an dem Übergang beteiligt sein.
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Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
und wird für den Beobachter des Settings durch den Eindruck von symbiotischen Kommunikationsgestalten29 der Beteiligten sichtbar. Mit dem Ausdruck „Kommunikationsgestalten“ soll hier die gestaltliche Einheit, die sich durch das Miteinander der Akteure ergibt und für den Beobachter ersichtlich wird, bezeichnet werden. Diese werden kenntlich durch eine serielle Abfolge von gemeinsamen Bewegungssymphonien („orchestration of motions“), bzw. einer Choreographie von Ausdrucksabfolgen der leiblichen Gestalteinheiten. Sichtbar wird dies durch die Synchronisation von Posturen („Chameleon Effekt“ und Mimikry Chartrand & Bargh 1999; LaFrance 1982, Zlatev & Gärdenfors 2005), Abstimmungen des expressiven Ausdrucks durch Blickkontakt, Gesichtsausdrücke (Chovil 1997; Beavin Bavelas & Chovil 1997) und körperlich-gestischen Verhaltensweisen bis hin zu lautlichen Vokalisationen in Gestalt von symbolischen Gesten oder proxemischem Distanzverhalten (Giddens 1984; Hall 1982) (vgl. auch Abschnitt 4.4). Kommunikationsgestalten in sozialen-Präsenz-Settings liefern im Kern soziomotorische Aktionen, die einerseits aneinander ausgerichtet werden und andererseits aneinander orientiert und an vorhergehenden Aktionen angeschlossen sind und demnach distinkt zu unpretendierten umweltlichen Einzelaktionen sind. Jene Bewegungen der Akteure sind füreinander und miteinander generiert und zeigen den ko-operativen und ko-orientierenden Umgang der Akteure zueinander auf leiblicher Ebene. Auf der sozio-kognitiven Sinnebene hegen die Akteure zudem Erwartungen an den Interaktionspartner und antizipieren dessen Reaktionen während der ko-aktiven Gestaltung des sozialen Settings. Das Engagement der Akteure bei Begegnungen vereinnahmt die Akteure demnach gänzlich30 und die kommunikative Sozialität (Kieserling 1999: 118) kommt zu ihrer vollen Entfaltung und Erfahrbarkeit für die beteiligten Akteure. Mit dem Übergang von der Ko-Lokation über die Ko-Präsenz hin zur sozialen Präsenz verändert sich die Aufmerksamkeit der Akteure von „civil inattention“ zu „focussed attention“31 gegenüber der eigenen Aktionen als auch der gerichteten Aufmerksamkeit auf die Interaktionsgebaren des Gegenübers, woraus eine „soziale Sphäre“ entsteht. Genau hier ist der Unterschied zu sehen, der KoLokation und Ko-Präsenz von sozialer Präsenz spaltet: die Berührung durch den 29 Pitsch (2006) nennt die multimodale Semantisierung von körperlichem und sprachlichem Ausdruck „kommunikative Gestalten“. Dabei nimmt sie lediglich Bezug auf einen Akteur, der für einen anderen etwas zum Ausdruck bringt und multimodal aktiv ist. Unsere Kommunikationsgestalten hingegen beziehen sich auf die kommunikative Einheit von Interaktionspartnern, und deren beobachtbare Fusion an Aktionen und gegenseitiger Bezugnahme zu einer Gestalteinheit. 30 Vgl. hierzu das Konzept zum „Flow“-Erlebnis nach Csikszentimihályi (1975, 1992). 31 Giddens benennt dies als „focused interaction“ (1984: 70 f.).
5.2 Typiken von Sozialität angewandt auf die Präsenzmodi
145
Anderen gelangt in den Fokus der Aktionen. Bei der Ko-Lokation und Ko-Präsenz gehen wir davon aus, dass die Berührung zwar zwischen erkannten Personen stattfindet (als „Da ist noch ein Agent mit dem man sozial interagieren könnte.“), das Interesse und Engagement jedoch nicht weiter aufgebracht wird, um die Berührung zu vermitteln und Sozialität zu initiieren. Die Relation und Bezugnahme der Akteure verharrt dabei auf dem Level der umweltlichen Ko-Anwesenheit und parallelen Aktivitäten, während bei sozialer Präsenz die Aktionen seriell aneinander anschlieβen und die Berührung der Akteure zu einer unvermeidbaren Engagiertheit miteinander, und weiter, zur Konstellation von einer Mitwelt der involvierten Akteure übergeht. Bei der sozialen Präsenz ist die wechselseitige Zuwendung, Ko-Orientierung und Wahrnehmung der Akteure auf umfängliche Weise dem anderen gegenüber bestätigt. Die Form der sozialen Präsenz dient entsprechend als Musterstück für extensive Sozialität, zu der soziale Akteure imstande sind. Somit lässt sich die Form der Sozialität im Falle der sozialen Präsenz als kommunikative Sozialität – und somit als dichteste Realisation von Sozialität im Rahmen der situativ geteilten Anwesenheit – beschreiben.
5.2
Typiken von Sozialität angewandt auf die Präsenzmodi
Mit der Aufschlüsselung der Charakteristika und Differenzen unterschiedlich situativer Rahmungen bei Begegnungen von Akteuren in geteilter räumlicher Anwesenheit in Ko-Lokation, Ko-Präsenz und sozialer Präsenz, haben wir eine Darstellung der graduellen „sozialen Zugänglichkeit“ bzw. von Berührtheit (auf „direkte“ und „kommunikative“ Weise) erarbeitet und können daraus eine graduelle Typik von situierter Sozialität bei räumlich geteilter Anwesenheit der Akteure benennen. Kieserling hat in seinem Werk „Kommunikation unter Anwesenden“ (1999) die Begriffe der „kommunikativen Sozialität“ (ebd.: 119) als auch der „präkommunikativen Sozialität“ (ebd.: 118) vorgestellt, wobei letztere auf reflexiver Wahrnehmung beruht und von Kieserling als „Minimalfall von Sozialität“ (ebd.: 117) gehandelt wird. Unter „präkommunikativer Sozialität“ versteht Kieserling Konstellationen von Akteuren, die sich gegenseitig reflexiv Wahrnehmen (ebd.: 118). „Reflexive Wahrnehmung“ stellt sich „in Situationen mit mehr als einem Prozessor für Wahrnehmungen“ ein, bei der „auch die (eigene – I. S.) Wahrnehmung wahrgenommen werden kann, nämlich am anderen (Fremdwahrnehmung – I. S.). Man kann sehen, daß man gesehen wird, und speziell der erwiderte Blick ist durch genau diese Reflexivität der Wahrnehmung charakterisiert. Es liegt auf der Hand, daß reflexive Wahrnehmung so etwas wie den Minimalfall von Sozialität darstellt.“
146
5
Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
(ebd.: 117). Bei jenen Akteurskonstellationen entfällt jedoch die Kommunikation zwischen den Akteuren, weshalb reflexive Wahrnehmung – d. h. das Wahrnehmen Alter Egos und der Wahrnehmung von Alter Egos Wahrnehmung – eine Form der präkommunikativen Sozialität darstellt. Diese präkommunikative Sozialität wollen wir auf unsere Präsenzmodi in der ko-präsenten Situierung beziehen. Mit der geteilten Wahrnehmung und der Signalisierung der reflexiven Wahrnehmung der Beteiligten füreinander, bewegen sich die Akteure in der Übergangsphase von unfokussierter hin zu fokussierter Interaktion resp. von civil inattention zu civil attention. Bei der wechselseitigen Wahrnehmung und dem Wissen der Beteiligten darum, ist auch die Wahrnehmung und Bestimmung des Gegenübers als ratifizierten Akteur und als potentiellen Interaktionspartner gegeben. Die Phase bestimmt sich aber als Orientierungsfeld vor entsprechenden Initiierungsabläufen von Kommunikation, die anhand der Anwendung von diversen social cues bzw. von symbolischen Gesten in Gang gesetzt werden. Die Zuwendung und Orientierung der Akteure aneinander fungiert als präkommunikative Haltung von Bereitschaft der Akteure zu seriellen Aktionen miteinander. Als „kommunikative Sozialität“ kommen solche Aktionen in Frage, die sich in dem sozialen Präsenz Modus ereignen. Nach Kieserling sind diese Konstellationen der Akteure dadurch gekennzeichnet, dass über die reflexive Wahrnehmungsprozesse hinaus, noch Kommunikationsprozesse – als Unterscheidung als auch als Selektion von Information und Mittelung – mit in die Begegnung hineinwirken (vgl. ebd.: 118) und somit eine Form von Interaktion bieten.32 Hier teilen die Beteiligten nicht nur ihr Wissen um die reflexive Wahrnehmung, sondern differenzieren, produzieren und rezipieren ihre Ausdrücke als Differenz von Information und Mitteilung, sprich als symbolische Gesten füreinander (vgl. Abschnitt 4.5). Dies zeigt sich bei sozialer Präsenz anhand der – über die reine Wahrnehmung hinausgehenden – „fokussierten Aufmerksamkeit“ auf den Anderen, sowie der „fokussierten Interaktion“ als Bezugnahme der Akteure zueinander. Weiter, sind das Engagement und das Erleben der Akteure auf die Interaktion mit dem Gegenüber gerichtet. Hier können wir also erwarten, dass neben der reflexiven Wahrnehmung auch die Aktionsgebaren an den Wahrnehmungen des anderen ausgerichtet sind sowie dass diese Ausdrücke als Anschluss an die vorherigen Aktionen des anderen gedeutet werden können. Diese serielle Verhaltensabstimmung in der sozialen Präsenz trägt die Typik der „kommunikativen Sozialität“ als Kernstück des Erlebens und miteinander Agierens zwischen den Akteuren. Die Sozialitätsform im Falle der sozialen Präsenz erhält den Begriff der kommunikativen Sozialität – und ist somit die dichteste Realisation von Sozialität im Rahmen der situativ geteilten Anwesenheit. 32 Interaktion
wäre hier eine Kombination von Wahrnehmung und Kommunikation.
5.2 Typiken von Sozialität angewandt auf die Präsenzmodi
147
Hinsichtlich der beiden Hauptcharakteristika von Kommunikation und Wahrnehmung für die Präsenzmodi der Ko-Präsenz und der sozialen Präsenz, sind diese Charakteristika in der Ko-Lokation nur peripher für die Akteure gegeben. Mit der „civil inattention“ und dem „non-engagement“ der Akteure zur Initiierung von Interaktion oder Bezugnahmen zu weiteren anwesenden Akteuren, ist zwar ein Gewahrsein über andere potentielle Akteure zur Interaktion gegeben, jedoch das Hauptengagement auf andere Aufmerksamkeitsaspekte gerichtet. Wie beschrieben sind andere Akteure (und deren Verhaltensweisen oder Interaktionen) beobachtbar, eine Initiative zur Interaktion allerdings ausgeblendet. Das Verhalten, dass die Akteure hier an den Tag legen, können wir mit der (an die Begriffe von Kieserling angelehnten) Typik einer präkommunikativen Präsozialität benennen. Das Ausbleiben der Unterscheidung von Mitteilung und Information über symbolisch produzierte Gesten setzt die Ko-Lokation gleich mit einer präkommunikativen Situation, die Ausblendung bzw. Ignoranz wechselseitiger Wahrnehmungen als Wahrnehmung der Selbst- und Fremdwahrnehmung – und somit eher als einseitige Wahrnehmung – enthebt das Setting ebenfalls von einem konkreten, situativen und sozialen aufeinander bezogenen Ereignis.33 Demnach bleibt die Szenerie und Relation der Akteure in der geteilten Räumlichkeit sowohl präkommunikativ als auch präsozial. Mit dem Übergang zur reflexiven Wahrnehmung – als präkommunikativer Sozialität – kann die Situation von einer partizipatorischen Anteilnahme in eine primäre Involviertheit der Akteure lavieren. Somit ist die präkommunikative Präsozialität bei nicht aufeinander bezogenen Akteuren in räumlich geteilter Anwesenheit eine Vorstufe (jedoch keine zwingende Vorbedingung) von präkommunikativsozialen als auch von kommunikativ-sozialen Settings. Wie die Relation der Typen von Sozialität mit den Präsenzmodi ausfällt wird in Tab. 5.1 noch einmal tabellarisch (auf Englisch) verdeutlicht (vgl. Straub 2016).
33 Davon ist nicht die übergeordnete gesellschaftliche Handlung z. B. Metrofahren als gesellschaftlicher Akt betroffen, hier wollen wir auf initiierte Interaktionen – Face-to-face achten.
• given reciprocal perception • coordination of actions accordingly to established interaction setting • orientation on other agents behavior • ratified participant (unaddressed) • mix of serial actions/synch actions/parallel actions with ratified participants →precommunicative sociality
• Civil inattention (minimized perception and expression cues) • Unfocussed attention • non-engagement
• given reciprocal perception • unrelated parallel actions • blended/fade-out of potential interaction • overhear conversations • monitoring of behavior
→precommunicative pre-sociality
Commitment
Perception involvement
Social type
• state inbetween civil inattention and focussed interaction • participation in collective actions (laughing, clapping etc.) • partizipatorische Anteilnahme
• agents in presence of an established social setting (e.g. Party/multi-party interaction/in the queue at the cafeteria) • unaddressed ratified participant (waiting for its turn)
• Public spaces (station, airport, downtown, concert) • ‘gathering’ of potential agents • pre-condition for social involvement
Situational framing
Co-presence
Co-location
TAB.II
Tab. 5.1 Formen der Präsenz, Aktivität und sozialen Involviertheit. (Eigene Darstellung)
→communicative sociality
5
• given reciprocal perception • interrelated and coordinated serial actions • synchronization and coordination of behavior (e.g. turn-taking rules) • subsequent communication
• focussed attention/focused interaction • engagement (allocatedness/expressive commitment to interaction) • Social cues (Proxemics/Gaze/Interaction topics) • immersive involvement to interaction
• framing swifts to encounters and shared experiences • ratified participants (addressed)
Social presence
148 Formen der Anwesenheit sozialer Akteure
6
Methodenteil
6.1
Beschreibung GHI-1
Um „soziale Roboter“, die variable Interaktionsfähigkeit in nonverbalen und in verbalen Bereichen erfordern, für Interaktionsstudien zu nutzen, konnten bisherige Robotertypen aufgrund fehlender Sprachgenerierung und -verstehen sowie begrenzter Umsetzung von Sozialität durch künstliche Intelligenz nicht eingesetzt werden. Robotiker, mit Interesse an der Erforschung der Besonderheiten der Mensch-Maschine Interaktion, haben sich demnach einen Kniff überlegt, um die Limitationen der Technik sowohl auf den Gebieten der Adaptionen an die Umund Mitwelt des Roboters als auch zur sprachlichen Kommunikationsfertigkeit und sozialen Kognition zu umgehen. Da die Hiroshi-Ishiguro-Laboratories (HIL)1 Interaktionsforschung und Wirkungen von Robotern auf menschliche Interaktionspartner nicht auf unabsehbare Zeit vertagen wollten, wurde ein Robotermodell angefertigt, welches Interaktionsgebaren entsprechend dem aktuellen Stand der Technik ermöglicht. Zur Erforschung der Wirkung von kommunikationsfähigen Robotern auf Menschen wurde ein Robotermodell entwickelt, welches anhand von Steuerung (Teleoperation) durch eine Person die Bewegungen und sprachlichen Äußerungen einer steuernden Person simuliert. Jene Form der Interaktion, durch und mit dem
1 Die
HIL stellen eine Forschungseinheit im Rahmen der „Intelligent Robotics and Communication Laboratories“ am ATR (Advanced Telecommunications Research Institute International) in Kyoto/Japan dar. Für nähere Infos zu den Projekten der Labore bezüglich Mensch-Roboter-Interaktion bzw. zu avancierten Kommunikationstechnologien siehe http://www.geminoid.jp/en/index. html, http://www.irc.atr.jp/en/ sowie http://www.atr.jp/index_e.html (Letzter Zugriff am 17.07.2018). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_6
149
150
6
Methodenteil
Abb. 6.1 Geminoid HI-1 mit seinem menschlichen Gestaltvorbild und Erschaffer Hiroshi Ishiguro. (Quelle: Hiroshi Ishiguro Laboratory, ATR.)
Roboter, ist mit derzeitigen Technologien und Robotermodellen kompatibel und bietet einerseits a) Einblicke in potentielle Abläufe von Mensch-Roboter-Interaktion und bietet andererseits b) die Möglichkeit der Erforschung von Merkmalen einer eigenständig neuen „verkörperten“ Interaktionstechnologie und derer Attribuierungen seitens der Anwender.2 Die Datenerhebung zur vorliegenden Arbeit fand im Rahmen eines einjährigen Forschungsaufenthalts am HIL/IRC/ATR statt und befasst sich mit der Untersuchung von ent-anthropozentrischen Merkmalen von Sozialität, Personenstatus und Bedingungen von Interaktionseinheiten während der Mensch-Roboter-Interaktion. Ein Nachfolgemodell von ‚einfachen‘ prä-programmierbaren und auf Sensoren reagierende Robotertypen stellt der androide Robotertyp Geminoid HI-1 dar, der zu der vorliegenden Studie genutzt wurde.3 Bei dem Modell Geminoid HI-1 (im 2 Inwieweit Leiblichkeit, Verkörperung bzw. „embodiment“ eine Rolle in den Kognitionswis-
senschaften spielen erörtert u. a. Becker (1998). Gestalt des androiden Robotertyps Geminoid gleicht der eines real existierenden Menschen (vgl. Nishio et al. 2007) und die Entwickler beziehen sich bei der Namensvergebung „Geminoid“ ethymologisch auf die lateinische Bedeutung von ‚geminus‘ als ‚Zwilling‘ oder ‚Doppelt‘, wobei der Wortstamm um ‚-oid‘ erweitert wurde und sich auf die Ähnlichkeit zu etwas bezieht (ebd.) “As the name suggests, a geminoid (sic!) is a robot that will work as a duplicate of an existing person. It appears and behaves as a person and is connected to the person by a computer network. Geminoids extend the applicable field of android science. Androids are designed for studying human nature in general. With geminoids (sic!), we
3 Die
6.1 Beschreibung GHI-1
151
weiteren GHI-1) handelt es sich um einen androiden Roboter, dessen Äußeres der Gestalt des Robotikers Hiroshi Ishiguro nachbildet wurde (siehe Abb. 6.1).4,5 Demnach ist das androide Robotermodell eine originalgetreue Replikation physischer Körpermerkmale eines real existierenden Menschen, wobei der Roboter in einem weiteren Schritt als verkörpertes Interaktionsmedium genutzt wird.6 Das Robotermodell GHI-1 wurde als Interaktionsmedium konzipiert, dessen Gestalt per Teleoperation, d. h. Fernsteuerung, anhand einer internetbasierten Verbindung mit den Bewegungen einer fernsteuernden Person synchronisiert werden kann. Die Realisierung der Aktivität von GHI-1 verläuft dabei über die drei Systemkomponenten a) des fernsteuerbaren Roboters, b) über einen Server, der als zentrale Schaltstelle Signale zwischen dem Roboter und der steuernden Person übermittelt und c) dem Interface zur Steuerung (Teleoperation) des Roboters über eine reale Person (vgl. Abb. 6.2).7 Neben „Mikrobewegungen“ von Händen, Beinen und dem Brustkorb zur Simulation von Atmung oder weiteren „Minimalmerkmalen von Lebendigkeit“, lassen sich die Bewegungen des Roboters über ein Steuerungssystem mit den (Kopfund Torso-)Bewegungen der fernsteuernden Person synchronisieren. Weiter kann durch eine Audioinstallation (Mikrofon beim Steuerenden und Lautsprecher beim Roboter) zusätzlich die Stimme sowie die Lippenbewegungen der steuernden Person auf den Roboter übertragen werden. Mit der Übertragung der Kopf-, Lippenund Torsobewegungen soll der Anschein erweckt werden, dass der Roboter dazu in der Lage ist, die zur nonverbalen Kommunikation grundlegenden Körperpartien
can study such personal aspects as presence or personality traits, tracing their origins and implementation into robots.” (Nishio et al. 2007: 346). 4 Die Endung HI stellen das Akronym/die Initialien des Robotikers Hiroshi Ishiguro dar. 5 Die derzeitig existierenden Modelle der Robotertypen Geminoid sind ‚Geminoid HI-1‘ bis ‚Geminoid HI-4‘; ‚Geminoid-F‘ und andere, nicht von Ishiguro vermarktete Modelle (siehe etwa Geminoid DK https://spectrum.ieee.org/automaton/robotics/humanoids/latestgeminoid-is-disturbingly-realistic. Letzter Zugriff am 17.07.2018). Die Gestaltung und Herstellung der Geminoid Robotermodelle wurden von der Firma Kokoro, die sich auf das äußere Design von Robotern spezialisiert hat, ausgeführt (https://www.kokoro-dreams.co.jp/english/ rt_tokutyu/. Letzter Zugriff am 17.07.2018). 6 Die Nachbildung des real existierenden Menschen (HI) basiert auf MRI-Aufnahmen und Photographien der zu replizierenden Person und erfolgt anhand einer Refiguration derer Körper- und Gesichtsmerkmale, welche durch einen Abdruck mit Hilfe einer Silikonmasse mit anschließender Pigmentierung vorgenommen wird. 7 Zu einer genaueren Beschreibung der technischen Machart und der Funktion von androiden Robotern siehe Nishio et al. (2007).
152
6
Methodenteil
Abb. 6.2 Teleoperationssystem mit a) Interface zur Fernsteuerung (links), b) Übermittlungsweg der Informationen über das Internet zum Server (Mitte) und schließlich c) zum Roboter (rechts). (aus Ishiguro & Nishio 2007: 139)
zu modulieren.8 Der fernsteuerbare Roboter stellt demnach ein Interaktionsmedium dar, welches dazu in der Lage ist, den Steuernden mittels eines „verkörperten Mediums“ („embodied interaction tool“ bei Ishiguro (2007)) zu duplizieren. Restringierte Körperaktionen sowie Mängel in der Kalibrierung, die zu einer fehlerhaften Wiedergabe der erfassten Bewegungen des Steuerenden auf den Roboter führen, können entsprechend einen Beitrag dazu leisten, auf grundlegende Gelingensbedingungen von Interaktion aufmerksam zu machen sowie den Umfang der notwendigen verbalen und nonverbalen Simulationsoptionen von Sozialität in der Mensch-Roboter-Interaktion zu erfassen und ggf. zu optimieren.
6.1.1
Herstellung und Technische Details
Um bei der Simulation von Menschenähnlichkeit die größtmögliche Approximation zu erreichen, wurde bei der Herstellung des Roboters auf die Natürlichkeit der äußeren Gestalt sowie auf fließende Bewegungen geachtet. Zudem wurde aus Sicherheitsgründen auf die bipedale Fortbewegung des Roboters verzichtet. Die Datenerhebung findet demnach mit einem Roboter statt, welcher auf einen Stuhl
8 Allerdings
sind die Beweglichkeit und Steuerbarkeit des Roboters stark limitiert, was auf zwei technische Komponenten zurückführbar ist: Einerseits erfordert die Übertragung von Daten zu den Körperpartien eine hohe Rechenkapazität und hierzu entsprechend leistungsfähige Prozessoren. Der Umstand, dass die Entwickler die Übertragung von Körperpositionen auf die Gesichts- und Torsopartie limitieren, kann demnach auf technische Einschränkungen zurückgeführt werden. Andererseits ist es auch möglich, dass die Entwickler die Angleichung des Roboters an die Kopf- und Torsopartie des Steuernden für das Gelingen von Interaktion für ausreichend halten. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beiden Komponenten, d. h. der technischen Grenzen und der Vorannahmen der Entwickler bezüglich der Mindestbedingungen, welche den Ingenieuren zum Gelingen von Interaktion im Allgemeinen zu genügen scheinen.
6.1 Beschreibung GHI-1
153
platziert wurde. Die Beweglichkeit des Roboters wird anhand 50 pneumatisch betriebener Aktuatoren (d. h. durch Luftzufuhr und -regulation platzierte Schläuche mit Endungen in Bereichen, welche Bewegungseinheiten von Menschen am ehesten simulieren) reguliert und gewährleistet. (vgl. Nishio et al. 2007: 347 f.).9
6.1.2
Teleoperation Interface Details
Die Steuerung von GHI-1 wird über ein Interface durchgeführt, welches die Visualisierung der Positionierung und des Interaktionssettings, in der sich der Roboter befindet, und somit die motorische Kontrolle des Roboters für den Steuernden ermöglicht. Die technische Vorrichtung, welche die Überwachung des Settings und die (situationsadäquate) Steuerung des Roboters bietet, wird durch zwei Monitore, welche das Setting des Roboters Close-Up und in der Totale anzeigen, einem Mikrofon zur Sprachübertragung sowie Kopfhörern gewährleistet (Abb. 6.2). Zudem werden die Bewegungen des Steuernden über ein Motion-Capturing-System an den Roboter übertragen und zusätzliche Körperbewegungen, wie Kopfnicken oder Änderungen der Postur, in Echtzeit über ein GUI Interface an die robotische Gestalt übermittelt (ebd.).10 Zudem werden fortlaufend über den Server Mikrobewegungen für den Roboter generiert, die minimale Bewegungsabläufe, wie Simulation 9 Von
den 50 Aktuatoren wurden allein 13 in der Gesichtspartie platziert, 15 im Torsobereich und 22 in Bereichen der simulierten Arme und Beine. 10 Ishiguro beschreibt das GUI Interfaces wie folgt: “Two monitors show the controlled robot and its surroundings, and microphones and a headphone are used to capture and transmit conversation. The captured sounds are encoded and transmitted to the geminoid server [sic!] by IP links from the interface to the robot and vice versa. The operator’s lip corner positions are measured by an infrared motion capturing system in real time, converted to motion commands, and sent to the geminoid server [sic!] by the network. This enables the operator to implicitly generate suitable lip movement on the robot while speaking. However, compared to the large number of human facial muscles used for speech, the current robot has only a limited number of actuators in its face. Also, the response speed is much slower, partially due to the nature of the pneumatic actuators. Thus, simple transmission and playback of the operator’s lip movements would not result in sufficient, natural robot motion. To overcome this issue, measured lip movements are currently transformed into control commands using heuristics obtained through observation of the original person’s actual lip movements. The operator can also explicitly send commands to control robot behavior using a simple GUI interface. Several selected movements, such as nodding, contradicting, or staring in a certain direction can be specified by a single mouse click. This relatively simple interface was prepared because the robot has 50 degrees of freedom, which makes it one of the world’s most complex robots, and it is basically impossible to manipulate the system manually in real time. A simple, intuitive interface is necessary so that the operator can concentrate on interaction and not on robot manipulation. Despite its simplicity, by cooperating with the geminoid server [sic!], this
154
6
Methodenteil
von Atmung oder Augenblinzeln, zur Suggestion von Lebendigkeit generieren und aktivieren.11
6.1.3
Funktionen des GHI-1
Neben der Funktion des Roboters die rudimentären Interaktionsweisen der steuernden Person auf den Roboter zu übertragen und den androiden Roboter somit als ein verkörpertes Interaktionsmedium zu nutzen, reiht sich die Untersuchbarkeit von sozialer Präsenz als auch personaler Präsenz. Der Begriff „soziale Präsenz“ wurde von Short, Williams und Christie (1976) geprägt und verweist auf den Grad der Anwesenheit einer Person während technisch vermittelter Kommunikation, bzw. auf die Anwesenheit einer „realen Person“ bei mediierter Kommunikation (Gunawardena 1995).12 Die Tragweite, die der Begriff in der Mensch-RoboterInteraktionsforschung einnimmt, stützt sich vornehmlich auf sozialpsychologische interface enables the operator to generate natural humanlike motions in the robot.” (Ishiguro & Nishio 2007: 139). 11 Die technischen Spezifiken zu den Bewegungsabläufen beschreibt Ishiguro folgendermaßen: “The geminoid server [sic!] receives robot control commands and sound data from the remote controlling interface, adjusts and merges inputs, and sends and receives primitive controlling commands to and from the robot hardware. Figure 6.1 shows the data flow in the geminoid system [sic!]. The geminoid server [sic!] also maintains the state of human-robot interaction and generates autonomous or unconscious movements for the robot. As described above, as a robot’s features become more humanlike, its behavior should also become suitably sophisticated to retain a “natural” look. One thing that can be seen in every human being, and that most robots lack, are the slight body movements caused by the autonomous system, such as breathing or blinking. To increase the robot’s naturalness, the geminoid server [sic!] emulates the human autonomous system and automatically generates these micro-movements, depending on the state of interaction each time. When the robot is “speaking,” it makes different micromovements than when “listening” to others. Such automatic robot motions, generated without the operator’s explicit orders, are merged and adjusted with conscious operation commands from the teleoperation interface. In addition, the geminoid server [sic!] gives the transmitted sounds specific delays, taking into account the transmission delay/jitter and the start-up delay of the pneumatic actuators. This adjustment serves to synchronize lip movements and speech, thus enhancing the naturalness of geminoid [sic!] movement.” (Ishiguro & Nishio 2007: 139 f.). 12 Short, Williams, and Christie (1976) bestimmen in ihrer “Social Presence Theory” (SPT) “soziale Präsenz” als “(…) the degree of salience of the other person in the interaction and the consequent salience of the interpersonal relationships.” (Short et al. 1976: 65). Mit Hinblick auf die Verwendung technischer Kommunikationsmittel bestimmt Gunawardena (1995) soziale Präsenz weiter als “(…) the degree to which a person is perceived as a ‘real person’ in mediated communication.” (Gunawardena 1995: 151). Riva & Anolli (2006) bieten ebenfalls einen pointierten Überblick über technisch-vermittelte soziale Präsenz.
6.1 Beschreibung GHI-1
155
Annahmen und Untersuchungen der sozialen Präsenz. Ziel ist es dabei die Wirkung des androiden Roboters in seiner Funktion als „verkörpertes Interaktionsmedium“ auf der Ebene der Vermittelbarkeit von a) sozialen, verbalen und nonverbalen Gebärden des Steuernden oder von b) der scheinbaren Anwesenheit des Steuerenden durch den Roboter, bei der dem Roboter gegenübersitzenden Person, festzustellen.13 Neben den genannten Effekten der ‚sozialen Präsenz‘ ließ sich noch ein dritter Effekt feststellen, der c) dem Roboter eine eigene soziale Präsenz attestiert (vgl. Straub et al. 2010 und Nishio 2012).14 GHI-1 als Interaktionsmedium bietet demnach die weitere Funktion zur Analyse der Selbstdarstellung und Rezeption eines Steuernden mit abweichender Physiognomie zum Robotermodell. Der androide Robotertyp GHI-1 erfüllt demzufolge mehrere Funktionen, die in der Forschung behandelt werden. Er wird dazu genutzt, die Wirkungen des Roboters sowohl auf die steuernde Person als auch auf den Interaktionspartner zu untersuchen15 , um das Mindestmaß an Interaktionsfähigkeit zum Gelingen von Mensch-Roboter-Interaktion zu erkunden und um die Effekte des Roboters auf den Interaktionspartner technisch zur Optimierung des Roboters umzusetzen.
13 Vgl. hierzu Ishiguros Worte: „As the name suggests, a Geminoid is a robot that will work as a duplicate of an existing person. It appears and behaves as a person and is connected to the person (sic!) by a computer network. (…) With geminoids [sic!], we can study such personal aspects as presence or personality traits, tracing their origins and implementation into robots.” (Ishiguro & Nishio. 2007: 138). 14 Funktion c) wurde anhand von Interaktionsanalysen belegt, die durch sprachliche Aussagen nachweisen, dass dem Roboter eine eigens emergente ‚Inkorporierte Identität‘ zugesprochen wurde (und der Charakter des Steuerenden durch die Merkmalszuschreibungen an den Roboter ersetzt wurden). Die Bedingungen und Merkmale von sozialer Präsenz der steuernden Person einerseits und des Roboters andererseits können zudem mit dem Vorbild der Robotergestalt und dessen Wirkung auf den Interaktionspartner verglichen werden. Zudem können die Studien ausgeweitet werden auf Effekte und Wirkungen von Seiten des Steuernden und des Rezipienten bei Steuerung des Roboters durch eine andere Person als die dem Roboter Gestaltgebende. Somit wird die Auswirkung einer anderen äußeren Gestalt als der eigenen auf der Seite des Steuerenden und die Handhabung und der Umgang mit dem Steuerenden resp. dem Roboter von Seiten des Interaktionspartners analysierbar. Die Analyse der „Inkorporierten Identität“ GHI-1 ist Inhalt einer anderen Studie, die in Folge publiziert werden soll. Eine genauere Ausführung einer interaktionsanalytisch gewichteten ‚sozialen Präsenz‘ des Roboters wird indes bereits in dieser Arbeit näher besprochen. 15 Zur Identititätsgenerierung von Geminoid HI-1 durch Zuschreibungen sowohl von Seiten der Interaktionspartner als auch von Seiten der steuernden Personen siehe Straub et al. (2010). Zu den Grenzbereichen zwischen Androiden und Menschen siehe Kahn et al. (2007).
156
6
Methodenteil
6.2
Feldstudie Geminoid HI-1 @ Café Cubus in Linz
6.2.1
Beschreibung Feldstudie
Die folgende Studie hat einerseits die Erfassung der Merkmale von protosozialer Mensch-Roboter-Interaktion, andererseits die Etablierung von sozialer Präsenz und die Analyse des Roboters GHI-1 als potentiellen sozialen Akteur zum Ziel. Die Analyse soll – angelehnt an unseren in Kapitel 3 & 4 erörterten Annahmen zu den Eigenschaften von Sozialwesen – dazu dienen, den Übergang von Attribuierungen gegenüber dem androiden Roboter, ausgehend von einem rein physikalischen Objekt, über eine situativ reagierende Gestalt (ZPW), bis hin zu einem akzeptierten Sozialpartner/Person (EPW) zu erfassen. Als Deutungsrahmen dient die Positionalitätstheorie von Plessner (1975), mit welcher die „Stufen des Organischen“ bzw. des Objekthaften erfasst und den Attribuierungen entsprechend zugeordnet werden sollen. Zudem soll der Umfang der ‚direkten Berührung‘ durch GHI-1 gegenüber Sozialpartnern ausgehend von reiner physikalischer Anwesenheit hin zu sozialer Präsenz analysiert werden. Die dazu genutzten Daten stammen aus einer Feldstudie, die über drei Wochen im „Café Cubus“ in Linz/Österreich durchgeführt wurde. GHI-1 wurde im Vorfeld einer Ausstellung am „ARS Electronica Festival“ unangekündigt im Cafe Cubus platziert, was es ermöglichte, die Eindrücke von Personen gegenüber einem Roboter in einer Alltagssituation zu erfassen. In jener Feldstudie wurden Besucher des Cafés mit GHI-1 konfrontiert, ihre Aktionen gegenüber dem Roboter aufgezeichnet und die audiovisuellen Aufzeichnungen anschließend ausgewertet. Ziel der Feldstudie war es, den Roboter – entgegen in der sozialen Robotik gängigen Laborstudien – in einem für Menschen alltäglichen Setting zu präsentieren. GHI-1 wurde im Café Cubus unangekündigt wie folgt platziert: Um den spontanen Eindruck zu erwecken, es handele sich bei dem androiden Roboter um einen regulären, menschlichen Cafébesucher, wurde GHI-1 an einem Ecktisch sitzend platziert. So wurde das Setting, im Sinne des ethnographischen Paradigmas, in einer möglichst alltäglichen Umgebung ausgewählt, um den in Laborstudien mitklingenden Einschränkungen der mit dem Roboter konfrontierten Personen entgegenzuwirken. Ziel der Studie war es, die unbefangenen Eindrücke der Cafébesucher beim Erblicken des Roboters und weiter bei derer Exploration des technischen Tools einzufangen, um diese in einem Folgeschritt zu analysieren.16 16 Damit bietet diese Studie eine Untersuchung der Eindrücke von Besuchern gegenüber GHI1, die nicht aus Laborexperimenten stammen. Siehe auch Cicourels Kritik an der Artifizialität von Laborexperimenten (Cicourel 1974: 222).
6.2 Feldstudie Geminoid HI-1 @ Café Cubus in Linz
157
Im Laufe der drei Wochen wurde der Roboter in unterschiedlichen (Aktivitäts-) Kontexten in dem Café positioniert.17 Der Roboter variierte seine Aktionen in drei unterschiedlichen Aktivitätsmodi, bei denen der Roboter, ausgehend von lediglich leichten Bewegungen (Idling Modus), über gezielten Blickkontakt mit den Besuchern (Facetrack Modus), bis hin zur Simulation von sprachlicher Interaktionsfertigkeit (Teleoperationsmodus) im Einsatz ist. Die genannten Modi stellen einen wesentlichen Schlüsselfaktor für unsere Untersuchungen dar und werden im Laufe der Arbeit detaillierter erörtert (vgl. Kapitel 7 & 8). 1. IDLING Modus Beschreibung der Roboteraktivität: GHI-1 zeigt weder Reaktionen auf Ereignisse in der Umwelt noch selbstbezogene bzw. soziale Bezüge. Der Roboter vollzieht eine Reihe vorprogrammierter Bewegungen, die auf den ersten Blick suggerieren, der Roboter arbeite an einem Laptop: Hierzu ist der Blick auf den Monitor gerichtet und die Hände sind am Keyboard platziert. GHI-1 vollzieht einen logarithmischen Wechsel leichter Kopfbewegungen von links nach rechts sowie von oben nach unten. 2. FACETRACK Modus Beschreibung der Roboteraktivität: GHI-1 führt die im Idling Modus beschriebenen vorprogrammierten Bewegungen durch – mit Ausnahme von Kopfbewegungen, welche Reaktionen auf herannahende Besucher suggerieren. Durch ein Facetracksystem (Gesichtserkennungssoftware) hebt und neigt der Roboter seinen Kopf in die Richtung herannahender Personen. Das System verursacht eine automatisierte Zuwendung und Kopfbewegung in Blickrichtung der erfassten Besuchergesichter in einem Radius von etwa 4 Metern. In diesem Modus suggeriert der Roboter gegenüber den herannahenden Besuchern momenthafte Reaktionsfähigkeit, Mitund Umfelderfassung und zentrierte Aufmerksamkeit.
17 Die Settings lassen sich wie folgt listen: Setting 1) GHI-1 sitzt allein an dem Cafétisch und simuliert das Arbeiten an einem Laptop; Setting 2) GHI-1 sitzt an dem Cafétisch ohne Laptop; Setting 3) GHI-1 sitzt mit/ohne Laptop an dem Cafétisch mit einer weiteren Person, die ebenfalls in einen Laptop schaut oder sich im Teleoperationsmodus mit GHI-1 unterhält. Da die unterschiedlichen Settingtypen sich für unsere Studie als nicht-relevant herausgestellt haben, wollen wir uns in dieser Studie auf die drei Aktivitätsmodi des Idling Modus, Facetrack Modus sowie Teleoperationsmodus konzentrieren.
158
6
Methodenteil
3. TELEOPERATIONSMODUS Beschreibung der Roboteraktivität: In diesem Modus wird der androide Roboter von einer Person gesteuert und weist folgende zusätzliche Fähigkeiten auf: Die Kopfbewegungen des Roboters werden an soziale oder umweltbedingte Geschehnisse angepasst, der Roboter suggeriert somit personen- und umweltbezogenes Blickverhalten. Das Blickverhalten/die Kopfbewegungen sind an die Blickrichtung, Bewegungen und Gesprächsinhalte der Besucher angepasst – und in einem Wechsel zwischen Personen/Laptop oder Ereignisse im Umfeld justierbar. Zudem können durch die steuernde Person sprachliche Äußerungen (Grüße/Antworten/Fragen) getätigt werden. Im Interaktionsmodus suggeriert der androide Roboter Reaktionsfähigkeit, wechselseitige Aufmerksamkeit sowie semantische Kontingenz (vgl. Kapitel 8) in der Reaktion gegenüber den Besuchern. Bei der Auswertung der Aufzeichnungen zeigten sich in den verschiedenen Modi signifikante Unterschiede der menschlichen Cafébesucher im Umgang mit dem androiden Roboter, die auf graduelle Zuschreibungen von Sozialität schließen lassen. Die Sozialitätsbekundungen gegenüber dem androiden Roboter lassen sich einteilen in a) manipulierbares Objekt, b) reaktionsbefähigte Figur/Gestalt, c) soziales Wesen, welche in der Studie ausführlich betrachten werden.18 Aufzeichnungen des Settings Das Setting wurde während der dreiwöchigen der Platzierung des Roboters zu den Öffnungszeiten des Café Cubus (9–18 Uhr) audio-visuell aufgezeichnet. Die Aufzeichnungen umfassen den Aufbau, die Platzierung und den Abbau des Experimentalsettings. Die Aufzeichnungen erfolgten parallel über fünf, mit einem Mikrofon ausgestatteten, Kameras, welche die Szenerie in Bild und Ton aufzeichneten und die Perspektiven des Frontalblicks auf GHI-1 (Totale und Close-Up), Blickrichtung GHI-1s/Gang (Totale), Blick auf Lift und Sitzecke GHI-1s, Blick von hinter GHI-1 aus (Close-up) umfassen. Die audiovisuellen Aufzeichnungen wurden zunächst auf einen Datenträger der Kameras gespeichert und dann täglich nach jedem Experimentiertag als Backup auf externe Datenträger überspielt. Die audiovisuellen Daten wurden dann mit der eigens für das Projekt in Auftrag gegebenen Software ‚Hypervision‘ synchronisiert. Die Software Hypervison erlaubt die nach Datum und Uhrzeit der Aufzeichnung erforderliche Sortierung der Audio- und Bildspuren aller fünf Kameras auf einem 18 Bei der Studie im Café gab es auch Besucher, die GHI-1 nicht beachteten und vorbeigingen. Bei der Analyse des Datenmaterials wurden Momente gesichtet, bei denen die Besucher GH-1 bemerken und Reaktionen auf die Gestalt aufweisen.
6.2 Feldstudie Geminoid HI-1 @ Café Cubus in Linz
159
Bildschirm und ermöglicht im Anschluss die multiperspektivische Darstellung des Settings in einem 4-Splitscreen mit der Option einzeln anwählbarer Bild- und Tonspuren.
6.2.2
Forschungsziele
Das experimentelle Setting erlaubt eine ethnographisch ausgerichtete Beobachtung des Umgangs von menschlichen Personen (in dieser Studie: Besuchern) mit einem androiden Roboter innerhalb eines alltäglichen Settings. Es handelt sich daher um eine Feldstudie, die es ermöglicht, die Akzeptanz, den Umgang, die Wege der Exploration sowie die stattfindenden Interaktionsszenarien zwischen Besuchern und androidem Roboter in einem öffentlichen Raum zu untersuchen. Da eine Platzierung und Etablierung von androiden Robotern im öffentlichen Raum bisher unüblich ist, bietet das Material erste Einblicke zum Umgang von Personen mit diesen bei Erstbegegnungen. Hieraus lassen sich vielfältige Fragestellungen an das Material herantragen, die eine mehrere Disziplinen übergreifende Auswertung des Materials erlauben (vgl. Becker-Asano et al. 2010; Rosenthal-von der Pütten et al. 2014) und darüber hinaus Hinweise zu möglichen Experimentieranleitungen für weitere, vertiefende Studien bieten. Wir wollen den Fokus der Arbeit jedoch auf Fragestellungen einschränken, die im Rahmen einer sozialwissenschaftlichen Analyse der MenschRoboter-Interaktion von Bedeutung sind. Ziel empirisch-sozialwissenschaftlicher Forschung ist es, die Besonderheiten, Regelmäßigkeiten als auch die bedingenden und hinreichenden Faktoren von Sozialverhalten zu untersuchen und darzustellen, bzw. auf ihre Korrespondenz zu bestehenden Sozialtheorien zu prüfen und ggf. einen Anreiz zur Präzisierung der bestehenden Sozialtheorien zu bieten. Die Studie hat zum Ziel die graduellen Übergänge von Objekt- zu Sozialitätsbekundungen sowie die sozialen und nicht-sozialen Zuschreibungsmechanismen von Menschen gegenüber fremdartigen potentiellen Sozialwesen, anhand einer mikroanalytischen Studie zu verdeutlichen, um einen Beitrag zur anthropologischen und soziologischen Fragestellung über die Grenzen und Charakteristiken von sozialen Entitäten zu leisten.19 Vor dem Hintergrund der in Kapitel 3–5 ausgeführten sozialtheoretischen Grundannahmen für kontingente soziale Begegnungen sowie 19 Das Verhältnis von Subjekten, Selbsten oder Personen gegenüber Objekten wird verschieden diskutiert, so finden sich Studien zur Personifikation oder zu Bedingungen zu Zuschreibungen von Bewusstsein gegenüber nicht-belebten Dingen oder Robotern (vgl. Brady et al. (1994), Dodier (1995), Frank (1996), Gallagher (2012), Kurthen & Linke (1993), Kwan & Fiske (2008a), Mori (1999), Spaemann (2006) oder Straub et al. (2012)), bzw. nicht-menschlichen Wesen vgl. Bermúdez (2003b).
160
6
Methodenteil
Akteure, soll das Datenmaterial vermittels des genannten Begriffskorpus analysiert werden. Hierzu bieten folgende Fragestellungen eine heuristische Richtlinie: • Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um den androiden Roboter als soziales Wesen bzw. als einen sozialen Akteur anzuerkennen? • Wie verläuft der Übergang von Zuschreibungen gegenüber GHI-1 ausgehend von einem Objekt hin zu einem Subjekt auf der Basis von divergenten Verhaltensweisen und Präsenzkonfigurationen gegenüber GHI-1? • Welche Grenzbereiche werden deutlich, die den Eindruck brechen, dass es sich bei GHI-1 um einen sozialen Akteur handelt? Des Weiteren ermöglicht die Analyse des Datenmaterials Ergebnisse zu den Besonderheiten der (protosozialen) Interaktion bei der Verwendung von androiden Robotern als Interaktionstool und ist demnach zusätzlich ein Beitrag zur Entwicklung von interaktionsfähigen Robotern, die zukünftig als „Sozialpartner“ fungieren sollen.
6.3
Auswertungsmethoden
Die Auswertung des Datenmaterials basiert auf der Beobachtung zu Attribuierungen von Sozialität gegenüber GHI-1 im Rahmen potentieller kommunikativer Begegnungen. Fokussiert werden hierbei die symbolisch-gestischen Zuschreibungsmechanismen und die jeweiligen Gestalteinheiten der menschlichen Sozialpartner gegenüber GHI-1. Demnach behält die Analyse sowohl die Perspektiven der mit dem Roboter interagierenden Personen als auch die objektiv beobachtbaren Bedingungen im Auge, die zur Deutung von Sozialität beitragen.20
20 Siehe hierzu Lindemanns Ausführungen vor dem Hintergrund Plessners ‚Positionalitätstheorie‘: „Die Analyse setzt beim Objekt an. Die Bedingungen des Erscheinens werden nicht auf der Seite des Subjekts untersucht, sondern auf der Seite des erscheinenden Objekts. (…) Er entwickelt anfänglich eine These, wonach sich belebte Dinge von unbelebten durch ihre spezifische Form der Abgrenzung von ihrer Umgebung und damit durch ihre spezifische Form der Selbständigkeit gegenüber Ihrer Umgebung unterscheiden. Dies ist die Positionalitätstheorie.“ (Lindemann 2009a: 68) und „Wenn es darum geht zu entscheiden, ob beobachtete Phänomene im Sinne von Personsein zu deuten sind, lautet die von der Theorie des Gegenstandes begründete Beobachtungsanweisung: Sieh auf das Verhältnis der Körper zueinander, denn nur in diesem kommt die Deutung vor, durch die zwischen personalen Körpern und anderem unterschieden wird. Nur in diesem Verhältnis ist Personsein realisiert.“ (Lindemann 2009a: 76).
6.3 Auswertungsmethoden
6.3.1
161
Beobachterposition
Bei der Datenerhebung liegt unser Hauptaugenmerk auf der Erhebung „natürlicher Daten“ und ist an das ethnographische Konzept der Beobachtung von „natürlichen Situationen“ als auch an das Prinzip des „Ins-Feld-Gehens“ des Forschers angelehnt. Um die Datenerhebung möglichst nahe an Alltagssituationen zu gestalten, begibt sich der Forscher in alltagsweltlich-originäre Situationen, beobachtet dort die Handlungsweisen von Personen, interviewt diese oder sammelt Wissen und Eindrücke zu deren Alltagspraktiken, mit dem Anspruch, die Lebensweisen und Sinndimensionen von Akteuren vor Ort nachzuempfinden (‚going native‘) (vgl. Malinowski 2014 [1922], Cicourel 1974). Die Erhebung natürlicher Daten unterscheidet sich damit grundlegend von Erhebungsverfahren, die das Verhalten von Akteuren in Laborsituationen untersuchen bzw. durch gezielte Experimentalanordnungen bestimmtes Verhalten evozieren. In unserer Studie steht eben jenes Einfangen einer natürlichen und unverfälschten Feldsituation im Mittelpunkt der Analyse. Mit der unangekündigten Platzierung des Roboters in einem öffentlichen Raum (Café Cubus) wird das Interaktionsfeld im Rahmen einer alltäglichen Situation eröffnet und – mit der dezentrierten Platzierung des Roboters in einer hinteren Ecke des Cafés – die Szenerie in die Peripherie der Wahrnehmung verschoben. Eine Auseinandersetzung mit dem Roboter wird demnach durch eine erhöhte Aufmerksamkeit sowie „Berührung“ der Besucher durch den Roboter induziert und perpetuiert. Eben jene durch die Passanten selbst gewählte (bzw. durch den Roboter initiierte) Annäherung an den Roboter macht die Aufzeichnungen zu einem wertvollen Datensatz über die Exploration eines Roboters ‚In the Wild‘ – fernab eines Forschungslabors. Neben jenem öffentlichen Setting des Experiments, tragen die verdeckte Aufzeichnung des Materials als auch die (größtenteils) Unbeteiligtheit des Forschers an der Situation zu der Natürlichkeit des Settings bei (vgl. König 2013). Angelehnt an Tuma et al. (2013) ist unsere Untersuchung eine videographisch-interpretative Analyse von kommunikativen Handlungen in natürlichen Kontexten, die als eine nicht-teilnehmende verdeckte Beobachtung benannt werden kann.
6.3.2
Forschungsethik und Anonymisierung der Teilnehmer
Um bei der nicht-teilnehmend verdeckten Beobachtung forschungsethische Grundsätze einzuhalten, wurden die Besucher, welche sich in eine Berührungssituation mit GHI-1 begeben haben, zur Aufklärung der Situation nachträglich über ihre
162
6
Methodenteil
Eindrücke zu dem Roboter befragt. Dabei haben Mitarbeiter partiell ein Leitfadeninterview im Anschluss an die Exploration mit dem Roboter geführt (Rosenthal-von der Pütten et al. 2014). Diese Aufklärung und die Interviews können allerdings nicht für den kompletten Zeitraum der Platzierung des Roboters im Café gewährleistet werden. Da eine eindeutige Zustimmung zur Publikation in der offenen Feldsituation nicht im vollen Umfang gewährleistet werden kann, werden, um die Persönlichkeitsrechte der Teilnehmer zu wahren, die Namen der Akteure anonymisiert und mit Kürzeln codiert21 sowie die Personen bei der visuell-graphischen Darstellung der Forschungsergebnisse unkenntlich gemacht.22
6.3.3
Datenkorpus
Die Aufzeichnungen des im Café platzierten androiden Roboters wurden nach aufmerksamkeitsgerichteten Begegnungen menschlicher Cafébesucher gegenüber dem Roboter in Momenten der potentiellen „direkten Berührung“ gesichtet und die Begebenheiten nach nonverbalen als auch verbalen Kriterien transkribiert. Insgesamt wurden 244 Videos mit einer Länge zwischen 1 bis 20 Minuten extrahiert, wobei sich 84 Videos dem Idling Modus, 70 Videos dem Facetrack Modus und 90 Videos dem Teleoperationsmodus zuordnen lassen. Die Videos wurden einer ersten Grobtranskription unterzogen und aus der Sichtung des Materials erste Kategorien zur Findung und Erörterung der Fragestellung bestimmt. In der vorliegenden Studie wurden dann 34 Videos, zusammen mit den entsprechenden Transkripten, verfeinert und näher behandelt. Die Videoausschnitte wurden zur Darstellung ausgewählt, da sie beispielhaft die Essenz der typischen Verhaltensweisen der Besucher gegenüber GHI-1 in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi präsentieren. Bei der Untersuchung wurden die Verhaltensweisen der Cafébesucher gegenüber dem androiden Roboter in den Fokus genommen, im Sinne der Grounded Theory Methodik sowie der Konversationsanalyse auf wiederkehrende Verhaltensweisen hin analysiert und hypothesengeleitet kategorisiert. Demnach handelt es sich bei der Analyse des Datenkorpus um eine qualitativ-induktive Auswertung, bei der insgesamt 69 Kategorien zu Verhaltensweisen gefunden wurden, welche
21 Die Kürzel ergeben sich aus dem Geschlecht der Besucher (M=Mann, F= Frau, J=Junge, Md=Mädchen) sowie dem in Klammern gesetzten geschätzten Alter der Person (z. B. M(42)). 22 Vgl. auch DGS-Ethik-Kodex: http://www.soziologie.de/de/die-dgs/ethik/ethik-kodex.html (geprüft am 15.05.2018) bzw. die Arbeit: „Objektivität und Integrität der Forschenden, Risikoabwägung und Schadensvermeidung, Freiwilligkeit der Teilnahme, Informiertes Einverständnis, Vertraulichkeit und Anonymisierung“ (vgl. von Unger et al. 2014).
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
163
sich in die beiden Kernkategorien „soziale Präsenz“ und „personale Präsenz“ unterteilen lassen. Als Merkmale der Selbst-Mitwelt/-feld Relation erschloss sich die Kernkategorie soziale Präsenz aus den Hauptkategorien a) kommunikative Überprüfung von symbolisch-gestischer Interaktionsfähigkeit, b) formales/inhaltliches Verstehen, c) Explikation von Echtheit/Wesensart und d) immersive Kommunikationsgrade, als Bewertungsmaßstäbe eines sozialen Akteurs. Neben dieser umfasst die Kernkategorie der präkommunikativen personalen Präsenz die Hauptkategorien a) Reaktionsprüfung über aufmerksamkeitshaschende Aktionen, b) die Zuerkennung von Territorialbereichen und c) Soziomotorik und “social cues“. Angelehnt am Gelingen/Misslingen von personaler und sozialer Präsenz, lässt sich sodann die soziale Akteursschaft GHI-1s bestätigen oder widerrufen. Zu Beginn des nächsten Abschnitts „Darstellung der Auswertungsmethoden“ wird die Methode der Datenanalyse, basierend auf der Konversationsanalyse sowie der Grounded Theory Methode erörtert. Darauf folgt eine Darstellung der verwendeten Computersoftware Atlas.ti zur Analyse und Auswertung des Datenstamms sowie der Software ELAN zur unterstützenden, visuellen Darstellung der Analyseergebnisse.
6.4
Darstellung der Auswertungsmethoden
6.4.1
Methodische Vorüberlegungen zum Forschungsdesign
Eines der proklamierten Ziele der Sozialforschung ist es, den Sinn von sozialem Handeln zu verstehen (vgl. Weber 1972: 86), wobei Interaktion und Kommunikation zu den grundlegenden Prozessen sozialer Begegnungen zählen (Mead 1998). In dem vorherigen Kapiteln zu der in dieser Arbeit zugrundeliegenden Sozialtheorie wurden die Kennzeichen, von der Berührung sozialer Akteure beginnend hin zur sozialen Interaktion, die zur Legitimation und Graduierung von ungewissen Sozialpartnern dienen, festgestellt die als anleitende Hypothesen Eingang in die Studie finden. Die Fragen nach dem interaktiven Umgang, den Wegen der Exploration sowie nach den Hinweisen zur Zuerkennung von sozialer Akteursschaft der Besucher gegenüber dem androiden Roboter GHI-1 bieten den Ausgangspunkt unserer empirischen Analyse. Entsprechend sollen am Beispiel der Mensch-Roboter-Interaktion der Ablauf sozialer Begegnungen zwischen Menschen und Akteuren mit ungewissem Sozialstatus nachgezeichnet und eine hypothesengeleitete Kategorisierung der Begegnungsweisen sowie der graduellen Übergänge von sozialer Akteursschaft und sozialer Präsenz vorgenommen werden.
164
6
Methodenteil
Basierend auf der Fragestellung bieten sich als Analysemethoden Erhebungsund Auswertungsstrategie im Sinne der ethnographisch inspirierten Methoden der qualitativen Datenanalyse, insbesondere der Konversationsanalyse sowie der Grounded Theory Methode, unter Verwendung der computergestützten qualitativen Datenanalyse und der Videographie, als Analyseinstrumente an.23 Das Forschungsdesign orientiert sich dabei an der Forschungsfrage, der Auswahl der Erhebungsmethode als auch an den Inhalten der Datenauswertung bis hin zur Präsentation der Ergebnisse (Flick 2005). Die Auswertungsmethoden, die in unserer Studie zum Einsatz kamen, haben sich im Laufe des Forschungsprozesses herauskristallisiert. In Abhängigkeit zu der Forschungsfrage und in Bezug zu den Bedingungen im Forschungsfeld wurden die videodokumentierte Datenerhebung sowie die computergestützte Datenanalyse gewählt. Zur Transkription und Kategorisierung der Ergebnisse wurde das Softwareprogramm Atlas.ti und zur Darstellung und Visualisierung multimodaler Umgangsweisen der Besucher gegenüber GHI-1 das Softwaretool ELAN genutzt.
6.4.2
Datenauswertung basierend auf Prinzipien der Konversationsanalyse und der Grounded Theory Methode
Ausgehend von der durch die Ethnologie induzierten teilnehmenden Beobachtung, wie etwa bei Malinowski (1922), entwickelten u. a. Soziologen, Psychologen und Erziehungswissenschaftler qualitative Erhebungstechniken zur empirischen Datenanalyse, die das Verhalten von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen gemäß der alltagsweltlichen Sinnstrukturen der a) Beteiligten und der b) deren Beobachtern während der Interaktion erklären sollten. Die Grundhaltung der qualitativen Datenanalyse ist im verstehenden Ansatz begründet und mit dem Versuch verbunden, die Komplexität von sozialen Handlungen und Verhaltensweisen zu erfassen, diese zu analysieren und darüber hinaus den Sinngehalt dieser nachzuvollziehen und begrifflich darzulegen (Mayring 2007). Um die orginären Sinnabläufe und ein Verständnis über die Regeln von Sozialverhalten in natürlichen Settings bei Mensch-RoboterInteraktion (HRI) zu erfassen, wird eine Methodologie notwendig, die es erlaubt,
23 Neben der Videographie befasst sich inzwischen auch die „visuelle Soziologie“ mit den Besonderheiten von visuelle-beobachtbaren Daten, vgl. hierzu Weichbold & Bachleitner (2015) und Tuma & Schmidt (2012).
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
165
ihre Ausgangshypothesen und theoretischen Ansätze an den in der Empirie gewonnenen Erkenntnissen zu erproben, gegebenenfalls neue Ansätze aus dem Datenpool heraus zu entwickeln. Unsere Studie lehnt sich in ihrer Forschungsfrage und dem Forschungsdesign an den Prinzipien der ethnographischen Forschung an und wählt daher als Untersuchungsinstrumente ein konversationsanalytisch orientiertes Verfahren der Videoanalyse, welches mit der Auswertung des Datenmaterials, basierend auf der Grounded Theory Methode, gekoppelt wird.24 Während die Grounded Theory Methode in dieser Arbeit dazu dient, das Phänomen der sozialen Begegnung ganzheitlich zu erfassen, fungiert die Konversationsanalyse als Rahmung zur detaillierten Betrachtung der Erwartungshaltungen, Handlungsabfolgen und Wissensbestände, welche der Organisation alltäglicher kommunikativer Begegnungen bei der Bestimmung eines unbestimmten sozialen Akteurs dienen.25 Dabei sollen die Interaktionsformen und -strukturen in natürlichen Settings, also Interaktionen ‚In the Wild‘, auf Regelmäßigkeiten, situationsspezifische Strukturen von sozialer Ordnung sowie auf die Erzeugung von sozialer Wirklichkeit – als Faktizität des alltäglichen Handelns – hin untersucht werden. Um diese Faktizität des alltäglichen Handelns sowie ihre Ordnungen und Praktiken zu erfassen, entwickelten die Vertreter der Konversationsanalyse ein Verfahren der Datenanalyse, dass sich durch einen hohen Grad an Detailliertheit der Datenauswertung auszeichnet, eine Zusammenführung von visuellen, materiellen und sprachlichen Aspekten erlaubt und somit eine multimodale Analyse von Verhaltensweisen in interaktiven Settings ermöglicht. Die konversationsanalytische Betrachtung bezieht sich dabei ursprünglich auf eine Mikrobetrachtung von Face-to-face Interaktionen aus denen die Elemente sozial-relevanten Verhaltens vermittels unterschiedlicher Datenkorpi (wie Texten/Interviews/ Audioaufzeichnungen und später visuellen Aufzeichnungen) extrahiert werden (Have 1999). In Anbetracht unserer Studie, die auf audiovisuellen Daten basiert, geht unsere Analyse des Datenkorpus über rein sprachlich vermittelte Inhalte hinaus und ist an eine Auswertung von visuellen Daten im Sinne der Videographie/-analyse (Tuma et al. 2013) angelehnt. Tuma et al. formulieren die ethnomethodologisch induzierte Funktion der videographischen Konversationsanalyse26 dabei wie folgt: 24 Eine Diskussion zu Hypothesen und Vorwissen in der qualitativen Forschung bietet Meinefeld (2007). 25 Die Konversationsanalyse ist aus der empirischen Feldforschung mit ethnomethologischem Schwerpunkt entstanden (Garfinkel 1967) und wurde in den 1960er Jahren von Harvey Sacks (1992 [1964]) zunächst initiiert und von Schegloff et al. (1973, 1968) weitergeführt. 26 Zur ethnomethodologischen Konversationsanalyse generell siehe Bergmann (1981).
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6
Methodenteil
„Zusammengefasst geht es in der ethnomethodologisch fundierten Videoanalyse methodologisch um zwei Kernpunkte: (1) Um die Bestimmung der Ressourcen, des Wissens und der praktischen Überlegungen, die von den Handelnden selbst bei der Hervorbringung ihrer in situ stattfindenden sozialen Handlungen und Aktivitäten verfolgt werden. (2) Um die Erforschung und Ausnutzung der sequenziellen Ordnung der Handlungen, deren minutiöse Rekonstruktion dazu dient herauszufinden, wie sich die Handelnden aneinander orientieren und ihre Interaktionen miteinander koordinieren.“ (Tuma et al. 2013: 58)
Unser Blick auf die sozialen Phänomene bei der Datenauswertung ist durch die in Kapitel 3–5 angeführten theoretischen Präkonzepte angeleitet, welche als Hypothesen dazu dienen, weitere Schlüsselkategorien für personale Zuschreibungen in dem Material zu finden bzw. die Ausgangshypothesen zu bestätigen. Hierzu nutzen wir die Grounded Theory Methode, die zur detaillierteren und zielgerichteten Analyse des Datenmaterials um die konversationsanalytisch basierte Videoanalyse ergänzt wird. Die Kombination der Analysewege soll das Verhalten und den Umgang von menschlichen Akteuren gegenüber einem Roboter, der menschliche Eigenschaften simuliert, ganzheitlich erfassen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf Augenblicke gelegt, die nahelegen, dass Momente der „direkten Berührung“ (vgl. Kapitel 3) erfolgen und der Roboter ggf. als soziales Wesen erfasst wird. Eben jene Momente sowie deren Gegenpole, wie z. B. der Umgang mit dem Roboter auf Basis eines Objekts, sollen in ihren Charakteristiken bestimmt und nach wiederkehrenden Handlungsabfolgen und -mustern in der Darstellung von Akteursschaft des Roboters in Beziehung zu seinen Aktivitäts- und Präsenzmodi hin betrachtet werden. Aus jenen Verhaltensabfolgen werden anschließend Kategorien der Akteurszuschreibung/-anerkennung abgeleitet und in unsere reflexiven Vorannahmen zu sozialen Akteuren eingereiht (siehe Kapitel 7–8). Mit der Verwendung audiovisueller Daten besteht die Möglichkeit, neben sprachlicher Interaktion/symbolischen Gesten auch simultan ablaufende visuelle Eindrücke – wie Gestik, Mimik, Proxemik – zu betrachten und somit parallel ablaufende Ausdrucksmodalitäten als multimodale Kommunikationsweisen zu beschreiben (Mondada & Schmitt 2010). In unserer Studie legen wir – neben der Analyse der sprachlichen Inhalte – den Fokus ebenso auf die Betrachtung der Abfolgen und der Identifikation der Einheiten von sozial bezogenen leiblichen Ausdrücken, und somit auf visuell beobachtbare Kommunikationssequenzen, zwischen menschlichen und technisch induzierten Akteuren. Dabei wurden die Aufzeichnungen entsprechend der Verhaltensweisen nach Gesten, Blickrichtungen, Postur, Mimik, Bewegungen und Berührungen analysiert und zudem ein Augenmerk auf
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
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den Einfluss von Objekten zur Manipulation der Szenerie gelegt.27 Als wesentliche Momente zur Untersuchung des Umgangs der Cafébesucher mit dem Roboter werden daher neben sprachlichen Äußerungen vor allem auch nicht-sprachliche Verhaltensabfolgen sowie spatiale Territorialordnungen und soziomotorische Aktionen als Hinweise auf einen potentiellen sozialen Status betrachtet. Dabei gehen wir davon aus, dass diese zu einer erweiterten Bestimmung des Übergangs von Umgangsformen mit Objekten hin zu sozialen Akteuren beitragen.
6.4.3
Konversationsanalyse: 5 Grundsätze
Auch wenn „natürliche Daten“ trotz der Nähe zu der Originalsituation letztendlich lediglich eine Reduktion der Wirklichkeit, und somit ein Abbild der Wirklichkeit, darstellen, gestattet die Verwendung audiovisueller Aufzeichnungstechniken eine „mikroskopische“ Betrachtung von Interaktionsabläufen. So wird es, etwa durch das wiederholte Betrachten der Wiedergabe in Slow-Motion etc., möglich, auch implizite Aktionen, Eigenarten, Praktiken oder Verhaltensschemata nachzuzeichnen und nach deren Sinnhaftigkeit (sic!) für die Akteure zu fragen. Als Guideline für die Konversationsanalyse gelten – in Bezug zu Tuma et al. (2013: 54 f.) – die fünf methodologischen Grundsätze der a) Methodizität, b) Interaktivität, c) Reflexivität, d) Konstruiertheit und e) Indexikalität, welche wir im Folgenden kurz wiedergeben und um einige forschungsrelevante Fragen zu unserer Studie ergänzen wollen: a) Methodizität: Die Konversationsanalyse basiert auf der ethnomethodologischen Annahme, dass unsere alltägliche Welt, deren Ordnung und Faktizität, eine von den Akteuren gemeinsam durch Interaktion geschaffene ‚soziale Realität‘ darstellt (vgl. auch ‚symbolischer Interaktionismus‘ in Folge an Mead 1998).
Bezogen auf unsere Studie können folgende Fragen zur Methodizität formuliert werden: Wie lässt sich diese Ordnung beschreiben, wenn ein legitimes exzentrisch positioniertes Wesen (EPW)(Mensch/Besucher) auf eine technische Simulation eines EPW in einer geteilten Räumlichkeit trifft? Lassen sich die Praktiken zwischenmenschlicher Interaktion auf neue potentielle Akteure übertragen? Welche Verhaltensweisen werden sichtbar, die den Akteuren dazu dienen, zu überprüfen, ob es sich bei GHI-1 um einen sozialen Akteur handelt? Welche normierten Erwartungshaltungen (EEE) der Besucher gegenüber GHI-1 werden deutlich? 27 Die entsprechenden Sequenzen zu nonverbalen Bezugsweisen werden in der empirischen Untersuchung beispielhaft als Partiturtranskripte mit dem Softwareprogramm ELAN dargestellt.
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6
Methodenteil
b) Interaktivität: Objekte der sozialen Wirklichkeit sind nur dann Objekte, wenn sie von Handelnden gemeinsam erzeugt, wahrgenommen und hervorgebracht werden. Damit werden lediglich in der Interaktion objektivierte Gegenstände zu handlungsrelevanten Gegenständen und soziale Wirklichkeit durch gemeinsames Handeln hergestellte Wirklichkeit (vgl. Tuma et al. 2013: 54).
Wird der Roboter als Gegenstand behandelt? Oder: Wird eine soziale Realität über die Mensch-Roboter-Interaktion realisierbar? Wenn ja, welcher Mittel bedienen sich die Akteure? Woran scheitert ggf. die Erzeugung einer gemeinsamen Umund „Mitweltsphäre“? Welche Rolle spielen Objekte als Territorialmarker bei der Exploration, Erzeugung sowie Festigung der sozialen Sphäre? c) Reflexivität: weist darauf hin, dass wir bei unseren Interaktionen immer durch die Art und Weise wie wir agieren einen Hinweis darauf mittransportieren, wie unser Handeln verstanden werden soll (vgl. Tuma et al. 2013: 55).
Wie gestalten sich, hinsichtlich der Reflexivität, die Erwartungshaltungen der menschlichen Akteure auf die Anschlusskommunikation des potentiellen Alter Egos (GHI-1)? Welche normativen Erwartungen leiten die Exploration des Roboters an? d) Konstruiertheit: Akteure verleihen ihren Handlungen eine Ordnung, die eigene soziale Strukturen erwirken können (z. B. Organisationskommunikation). Ziel der Konversationsanalyse ist es, diese in der Handlung geschaffene Ordnung zu entdecken (vgl. Tuma 2013: 54).
Lässt sich die gewohnte Ordnung (Praxis) der Akteure auf die Begegnung mit einem Roboter übertragen? Entstehen neue Ordnungen der Überprüfung von Akteursstatus bzw. von Interaktion oder gar Praktiken (Bourdieu 2012 (1987)) einer Mensch-Roboter-Interaktion? Wie ändern sich Erwartungshaltungen Dritter? Liefert die Mensch-Roboter-Interaktion eine eigene protosoziale Interaktionsform bzw. eine neue „kommunikative Gattung“ (Luckmann 1986/1995) gegenüber der zwischenmenschlichen Interaktionsform? e) Indexikalität: bezieht sich auf den kontextuellen Hintergrund, vor dem Äußerungen und Verhaltensweisen verstanden werden können. Eine tatsächliche Bedeutung kann demnach nur in dem Zusammenhang, in der der Ausdruck getätigt wurde, eruiert werden (vgl. Tuma 2013: 55). Indexikalität weist somit darauf hin, dass der Sinn von Handlungen im Alltag vage und vorläufige Bedeutungen hat, die von den Beteiligten en situ geschaffen werden und deren Decodierungsprozess und Verstehenswege sich die Konversationsanalyse zur Aufgabe gemacht hat. (vgl. Abschnitt 4.6 ff.).
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
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Lässt sich das Prinzip der Indexikalität bei der Interaktion mit einem Roboter in der Sprechweise oder in dem Verhalten der menschlichen Akteure wiederfinden? Wird Indexikalität als impliziter Wissensbestand bei der Interaktion mit einem Roboter vorausgesetzt und wie wird dies während der Begegnung überprüft? Zur Erfassung der Strukturen und zur Rekonstruktion der Ordnungen und Erwartungen, die bei der Interaktion mitgetragen werden, wird das Datenmaterial einer detaillierten, multimodalen Analyse der unterschiedlichen Konversationsebenen unterzogen. Zur Kategorisierung des Reglements von sozialen Einheiten nutzen wir zusätzlich zur Konversationsanalyse die Methode der Grounded Theory.
6.4.4
Forschungsstrategie
Die vorliegende Arbeit nutzt die Kombination und Integration der Grounded Theory Methode sowie der Konversationsanalyse. Während die Grounded Theory dazu dient, das Material ganzheitlich nach Schlüsselereignissen zu strukturieren, die darauf hinweisen, welche Prozesse bei der Bestimmung der Wesensart des unbestimmten Akteurs GHI-1 ablaufen, dient die Konversationsanalyse dazu, einen Filter auf die Semantik symbolisch-gestischer Interaktion zu setzen und eine Interaktionsprozessanalyse allgemeiner Gesten durchzuführen. Entsprechend kann das Material daraufhin betrachtet werden, wie Erwartungshaltungen und Bedeutungen sowie wie Wissen zur Bestimmung von GHI-1 als Sozialpartner generiert werden. Hierzu wird das Material daraufhin untersucht, welche Inhalte, welche Erwartungen und welche Aktivitäten dazu beitragen, GHI-1 in den Bereich eines Sozialpartners zu inkludieren bzw. zu exkludieren. Die Konversationsanalyse findet demnach als Feinanalyse von Schlüsselkategorien, die Interaktionsprozesse mit Hinweisen auf soziale Prozesse als auch sozialer Akteursschaft beinhalten, Anwendung, während die Grounded Theory Methode einen Gesamtblick auf die im Material gründenden Belege für Sozialprozesse wirft sowie darauf aufbauend eine theoretische Reflexion, basierend auf den beobachteten Phänomenen, zum Ziel hat.
6.4.5
Gegenstandsnahe Theoriebildung
Wir wollen die Auswertung unseres Datensatzes mithilfe gegenstandsnaher Theoriebildung vornehmen und bedienen uns zu diesem Zwecke bei der qualitativen Grounded Theory Methodologie, welche es ermöglicht, die Ergebnisse der Analyse am Material zu belegen und aus den resultierenden Ergebnissen einen eigenen
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6
Methodenteil
Theorieansatz zu formulieren bzw. die Ergebnisse als Irritationen in bestehende Perspektiven zur Sozialtheorie einfließen zu lassen. Glaser und Strauss (2005 [1967]) entwickelten mit der Grounded Theory einen Ansatz, der es erlaubt eine „ideale Theorie“ – begründet mit am jeweils vorliegenden Datensatz – zu entfalten und darüber hinaus eine „thick description“ (Geertz 2007), sprich eine detaillierte und ‚gesättigte‘ Beschreibung des Forschungsgegenstands zu bieten (Wiedemann 1995). Das Generieren von „grounded formal theories“ stellt das Ziel der Grounded Theory dar, wobei es gilt, formal-theoretische Annahmen zu generieren. Der Grounded Theory Ansatz steht dabei in Opposition zu logisch-deduktiven Ansätzen, welche Theorien auf Grundlage vorhandener Hypothesen entwickeln, ohne jedoch die Notwendigkeit einer anschließenden empirischen Prüfung einzuräumen (ebd.). Die Grounded Theory Methode ist bei der Datenanalyse bemüht, die Theoriebildung nah an der in den Daten erhobenen „Wiedergabe der sozialen Wirklichkeit“ zu gestalten und zeichnet sich durch folgende zentrale Merkmale aus: (a) als eigenständige Untersuchungseinheit, (b) dem Ansatz der soziologische Interpretation als Kunstlehre, (c) der alltagsweltlichen als auch wissenschaftlichen Interpretation des Forschers sowie (d) der Offenheit bei der sozialwissenschaftlichen Begriffsgenerierung (Hildenbrand 1998). Die Anpassung der Abstraktionsebene einer Theorie an die soziale Wirklichkeit und an die empirischen Gegebenheiten, ist bei der Grounded Theory Methode als elementar anzusehen (vgl. Strauss 2007), um theoretische Erkenntnisse auf empirischen Daten zu stützen. Grounded Theory Methode Der Grounded Theory Ansatz kann zu neuen Theorieansätzen beitragen, allerdings gehen wird davon aus, dass der Forscher den Analyseprozess nicht gänzlich ohne ein spezifisches fachliches Vorwissen bzw. ohne den Einfluss eines Denkstils (Fleck 2012 [1980]) oder Präkonzepte durchführt. Vielmehr ist der Forscher als teilnehmendes Subjekt auf persönlicher als auch auf wissenschaftlicher Ebene durch sozialweltliche Erfahrungen vorgeprägt. Die Wahrnehmung von Ereignissen, Personen, Akteuren sowie von Bedeutungs- und Sinnzusammenhängen wird unvermeidlich durch Vorwissen mitstrukturiert und ist damit ein zentraler Bestandteil der jeweiligen Studie.28 Demnach geschieht die Auswertung von Daten immer auch unter einer bereits bestehenden Sichtweise des Forschers auf die Grundzüge 28 Vgl. auch die Grundannahme des interpretativen Paradigmas bei Mead (1998), Schütz (1971), etc. Auch der späte Strauss betont, zusammen mit Corbin, in dem Aufsatz „Methodological Assumptions“ den Einfluss von Präkonzepten auf die Datenauswertung. „Probably most researchers who become grounded theorists (and certainly those who only use its procedures) have not reflected upon the assumptions that underlie our version of the method. Perhaps they assume that methodology evolves strictly from practice. Though it does to some
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
171
des zu analysierenden sozialen Phänomens. Diese Erfahrungen fließen implizit in den sozialwissenschaftlichen Forschungsprozess, bei der Interpretation und bei der Analyse der Ergebnisse mit hinein und geben die Perspektive zur Deutung vor. Daher ist es sinnvoll, vor jeder empirischen Datenanalyse mit einem reflexiven Blick an das Material heranzutreten. Für eine derartige reflexive Bearbeitung von Daten plädieren unterschiedliche Forscher. So ist es Cicourel (1974), der auf das Problem aufmerksam macht und eine empirische Datenanalyse ohne Explikation eigener Vorannahmen für unzureichend erklärt, und auch Lindemann, die „reflexive Anthropologie“ zu einem konstitutiven Bestandteil ihrer Forschungsmethodik und ihres Denkens macht (vgl. Lindemann 2009a).29 Um die Vorannahmen und Vor-Urteile des Forschers kenntlich zu machen, sollte dieser eine Erörterung seiner epistemologischen und soziologischen Annahmen vornehmen, die es dem Leser verständlich machen, was dazu geführt hat, eine spezifische Forschungsfrage am Material zu bearbeiten, nach bestimmten Antworten zu suchen und zur Analyse des Materials eine bestimmte Methode zu wählen (vgl. Tuma et al. 2013: 26). Die Reflexivität des Forschers auf seine Untersuchungsweise trägt dazu bei, eine Systematik und Kontrolliertheit der Beobachtung zu gewährleisten (König 2013: 818). Juliet Corbin ergänzt die dritte Auflage der „Basics of qualitative Research“ (Corbin & Strauss 2008) um das Kapitel „Methodological Assumptions“, wobei die Grounded Theory um die Explikation des jeweiligen, eigenen philosophischen Unterbaus, welcher die Forschenden bei der Auswertung der Daten anleitet, erweitert wird. Mit dem Hinweis auf die forschungsleitenden Ansätze bzw. den philosophischen Unterbau, wird es möglich, eigene Vorannahmen aufzubereiten, das Material vor diesem Hintergrund zu analysieren und daraus einen datengenerierten eigenständigen Theorieansatz für das betrachtete Phänomen zu formulieren, um eben jene Vor-Urteile, Präkonzepte und alltagstheoretischen – als auch wissenschaftlichen – Denkstile nicht mit ihren Implikationen als ‚blinden Fleck‘ in degree, it is also considerably influenced by world view, beliefs and attitudes about the world we live in.” (Strauss & Corbin 2016: 131 f.). 29 Dabei ist die Analyse von Daten zu den Sinnzusammenhängen von sozialen Aktionen vornehmlich durch zwei Ebenen des Vorwissens des Forschers mitbestimmt: Einerseits ist der Forscher selbst Teil einer Sozialwelt und verfügt über ein Wissen zu alltäglichen Abläufen, andererseits ist der Blick auf soziale Phänomene durch wissenschaftliche „Denkstrukturen/stile“ (Fleck 2012 [1980]) mit beeinflusst. In jedem Fall geht der Forscher mit einem bestimmten Fokus ins Feld, um die Wissens- und Verhaltensstrukturen der Akteure in alltäglichen Situationen zu rekonstruieren. Dabei zielt der Forscher darauf ab, Deutungen auf der Ebene der ‚Konstruktion erster Ordnung‘ – bei der der Wissenschaftler versucht, die Wirklichkeit aus der Sicht der Akteure lebensweltlich zu erfassen – durchzuführen, um dann eine theoretische Einordnung vorzunehmen und sich auf die Ebene der ‚Konstruktion zweiter Ordnung‘ eines abstrahierenden Beobachters zu begeben (vgl. Schütz 1971: 268).
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6
Methodenteil
die Theoriebildung mit einfließen zu lassen.30 Mit dem Schritt der Mitreflexion jener Wissensbestände kann es auch zu einer Erhöhung der Sensitivität während der Theoriebildung kommen, die dazu beiträgt, eine konzeptuell dichte Theorie zu entwickeln (Strauss 2007), bzw. bestehende Vorannahmen oder ggf. Theorieansätze zu irritieren. “Thus what is discovered about reality cannot be divorced from the knower’s operative perspective, which enters silently into his or her search for and ultimate conclusions about some piece of reality.“ (Strauss & Corbin 2016: 138). Dieser Fürspruch zu einer reflexiven Forschungsmethode deckt sich mit der historisch-sozialwissenschaftlich orientierten Wissenschaftstheorie nach Kuhn (1973) als auch mit der Plessnerschen (1975) sowie Lindemannschen Befürwortung einer „reflexiv-historischen Anthropologie“ (Lindemann 2009a/2014), bei der die forschungsleitenden Grundkonzepte und Ausgangstheorien des Forschenden bei der Formulierung von Theorien und Thesen mit reflektiert werden. Nach eben jenem Prinzip der Corbinschen Erweiterung der Grounded Theory Methode wollen wir auch in unserer Arbeit verfahren. Um die Sinnebene der „Konstruktion erster Ordnung“, also die persönlichen Implikationen und lebensweltlichen Vor-Annahmen, die in der alltäglichen Deutung des Forschers mit hineinspielen, zu minimieren, richten wir unseren Blick auf zu analysierende Phänomene, wie Personenstatus, symbolische Gesten etc. als kontingent aus. D. h. die Perspektive auf das Material soll möglichst im Sinne einer „kulturrelativen“ Offenheit (Vogeley & Newen 2014) und somit im Sinne einer rücksinnenden Perspektive für eigene subjektive Färbungen der Deutungen durchgeführt werden.31 Um der Sinnebene der „Konstruktion zweiter Ordnung“ auf wissenschaftlicher Ebene ebenfalls reflexiv zu begegnen, lehnen wir unsere Analyse von a) sozialen Akteuren, b) sozialer Präsenz sowie Merkmalen von c) protosozialer Mensch-Roboter-Interaktion an unsere in Kapitel 3 & 4 explizierte Konzeption von sozialen Wesen, symbolischen Gesten sowie von Vorannahmen zu sozialer Präsenz (Kapitel 5) und Territorialbereichen (Kapitel 7) an. Die Analyse des Datenmaterials nach den Zuschreibungsmechanismen von Sozialität gegenüber dem Roboter GHI-1 ist also durch die in Kapitel 4 dargestellten Konzeptionen von Sozialwesen, Interaktion und Bedeutungslehre angeleitet und wird entsprechend der Theorie von Sozialwesen dargelegten Besonderheiten durchgeführt. Bei unserer gegenstandsbezogenen Theoriebildung soll es allerdings nicht darum gehen, eine gänzlich neue Theorie zu generieren, sondern 30 Strauss & Corbin (2016) nehmen als philosophischen Unterbau für ihre Methodologie Bezug auf den Symbolischen Interaktionismus (Blumer 1969) als auch auf die Lehren des amerikanischen Pragmatismus (Dewey 1938 und Mead 1972). 31 Breuer verweist unter anderem auf „De-Zentrierungs- und Selbstreflexionstechniken“, die dem Gewahrwerden subjektiver persönlicher Nuancen im Forschungsprozess dienen (Breuer 2010: 122 f.).
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
173
die vorgestellte Theorie von Sozialwesen, um den sich aus den Ergebnissen der Interaktionen mit einem teleoperierten androiden Roboter ergebenden Ansatz zu ergänzen.32 Um eine Generalisierbarkeit der gegenstandsbezogenen Theorien zu erzielen und in die Begründung von übergeordneten formalen Theorien mit einfließen zu lassen, ist es die Aufgabe der nach der Grounded Theory Methode agierenden Forscher, die Komplexität sozialer Phänomene einerseits zu erfassen und, die sich daraus ergebenden Ergebnisse, andererseits anschaulich darzustellen. Entsprechend wollen wir unsere Ergebnisse über die Reichweite mittlerer Theorien hinausweisen lassen und zu einer Ergänzung formaler Theorien beitragen bzw. auf die Bildung von Theorien größerer Reichweite einwirken. Um diesem ambitionierten Anliegen gerecht zu werden und um einen hohen Generalisierungsgrad zu erzielen, erfolgt die beschriebene Untersuchung in (1) gegenstandsnahen, an der Empirie orientierten Theorien und (2) unter der Einbindung der Ergebnisse an größere formale Theorien, die durch eine Nähe zu gängigen Sozial- und Gesellschaftstheorien gekennzeichnet sind. Auswertungsweise/Analyseverfahren Die vorliegende Arbeit richtet sich in ihrem analytischen Verfahren nach der beschriebenen Grounded Theory Methode und stellt eine auf audiovisuellen Daten beruhende Beobachtungsstudie dar, die anhand von computergestützter Software transkribiert, analysiert (Atlas.ti) und (partiell) visualisiert (ELAN) wird. Dabei bilden der stetige Vergleich der aus den Daten gewonnenen Codes und Kategorien sowie der zirkuläre Kodiervorgang mit Atlas.ti, die Grundlagenarbeit, welche im Forschungsprozess zur Generierung und Entwicklung von Schlüsselkategorien und von Hypothesen sowie der Überprüfung und Modifizierung der vorangestellten Theorie beigetragen hat. Zusammen mit der auf der auf Corbin basierenden 32 In der soziologischen Forschung hat sich die Unterteilung von Theoriebildung aus empirischen Untersuchungen bzw. rein theoretischen Überlegungen in Theorien ‚kurzer, mittlerer und größerer Reichweite‘ etabliert. Mit der Untersuchung, basierend auf der Grounded Theory Methode, ist eine formale Theorie mittlerer Reichweite erzielbar (Glaser & Strauss 2005). Dementsprechend soll die sich ergebende formale ‚Theorie mittlerer Reichweite‘ Einfluss in die bereits gegebene Sozialtheorie ‚größerer Reichweite‘ finden. Dabei stellen die am konkreten und spezifischen Gegenstandsbereich entwickelten gegenstandsbezogenen Theorien das Bindeglied zwischen der Entwicklung und Formulierung einer formalen, in der Empirie verankerten Theorie dar. Aus mehreren gegenstandsbezogenen Theorien lässt sich schließlich eine formale Theorie entwickeln, welche durch einen hohen Allgemeinheitsgrad mit Rückgriff auf eine Vielzahl an empirischen Belegen gekennzeichnet ist. Die Entwicklung formaler Theorien beansprucht dabei, über die bloße Deskription des zu erforschenden Gegenstandbereiches hinaus zu gehen und allgemein gültige Zusammenhänge/Theorien zu einem Forschungsfeld zu formulieren (Lamnek 2005).
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Methodenteil
Erweiterung der Grounded Theory und der begründeten Explizierung der eigenen theoretischen Vorannahmen sowie Präkonzepte, soll aus dem Material eine systematische Ergänzung des postulierten Theorieansatzes mit empirisch begründeten Annahmen im Ergebnisteil entwickelt und diskutiert werden (Kapitel 7 & 8). Der Prozess der Datenanalyse nach der Grounded Theory Methode zeichnet sich durch zirkuläre und ineinander übergreifende Phasen der Untersuchung aus. Dabei gilt es einen Korpus an Rohdaten, durch Klassifizierungen der forschungsfragenbezogenen Verhaltensweisen der Teilnehmer zu reduzieren und zu generalisieren. Das Datenmaterial kann, je nach Datenerhebungsmethode, aus unterschiedlichen Datenkorpi zusammengesetzt sein, welche der Forschende in einem „ständigen Vergleich“ analysiert. Hierzu zählen mitunter Beschreibungen, Beobachtungsprotokolle, Feldnotizen, audiovisuelle Aufzeichnungen und beobachtungsanleitende Memos, die im Idealfall im Verlauf des Analyseprozesses, von reinen Rohdaten zu systematischen Aussagen, in die zu beobachtenden Ereignisse übergehen. Nach Shelly & Sibert (1992) verläuft die an der Grounded Theory angelehnte qualitative Datenanalyse in den drei Phasen der Reduktion der Rohdaten, der Rekonstruktion von Bedeutungs- und Sinnzusammenhängen sowie dem Vergleich und der Generalisierung der Ergebnisse. Die einzelnen Phasen sind bei der Generierung von Ergebnissen interdependent und bilden durch die Kombination der einzelnen Schritte eine Struktur, die zu einem fortschreitend höheren Abstraktionsniveau im Analyseprozess beiträgt. Die Untersuchung des Materials beginnt bereits bei dem Forschungsdesign und der Forschungsfrage, welche die empirische Untersuchung so anordnet, dass ein selektiver Ausschnitt der Wirklichkeit zum Untersuchungsgegenstand wird. An die erfolgte Datenerhebung schließt sodann die Transkription des Materials an33 , die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Material bietet und eine erste theoriegeleitete Hypothesengenerierung und Kategorisierung des Datenmaterials evoziert. Im Anschluss folgt die weitere Auseinandersetzung und Hypothesenüberprüfung am Material (und möglicher Detailtranskriptionen) auf einem zyklisch, iterativen Wege im Sinne des ‚theoretical sampling‘. Mit der zyklischen Auswertung des Datenmaterials sowie einer parallel verlaufenden stetigen Codierung neuer, für die Forschungsfrage relevanter Sequenzen, kann eine temporäre Hypothesenbildung über eine Präzisierung der Hypothesen bis hin zur
33 Die Transkription dient dazu das Material zu sichten und anhand einer ersten Reduktion von audiovisuellem Material auf schriftliche Daten, das Material übersichtlich zu gestalten und eine erste Kategorisierung vorzunehmen. Im Anschluss an eine detailliertere Kategorisierung können weitere Transkriptionsschritte anschließen. Bei der Lokalisation entscheidender Sequenzen kann eine einfache Transkription in eine Detailtranskription oder mikroanalytisch in eine Partiturtranskription verfeinert werden.
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
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Sättigung der Annahmen und des Ergebnisertrags erfolgen. Diese mündet schlussendlich in der Generierung einer feldspezifischen, auf dem Material und dem Forschungsgegenstand basierenden Theorie. Die Analyse unserer Daten wurde nach eben jenem Schema vollzogen und begann mit der Transkription – sprich der Umschrift der audiovisuellen Daten in schriftliche Textform – als dem ersten sortierenden Schritt bei der Sichtung des Datenmaterials. Um Objektivität, Reliabilität und Validität sowie eine Forschertriangulation zu gewährleisten, wurden die Transkriptionen und die Datenbetrachtung von unterschiedlichen Mitarbeitern der Studie (ATR/ARS) transkribiert, ergänzt sowie die Ergebnisse in Gruppendiskussionen (Forschergruppe ATR/Japan und AST der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) reflektiert. Dabei wurde das Datenmaterial zunächst nach den konversationsanalytisch orientierten forschungsfragerelevanten Aspekten transkribiert, um anschließend mit Kategorien versehen und auf wiederkehrende Codes hin analysiert zu werden. Die Transkription, die wir in unserer Studie durchgeführt haben, beinhaltet neben den sprachlichen Äußerungen der beteiligten Personen die Beobachtung der Interaktionsverläufe auf multimodaler Ebene. Demnach wurden neben sprachlichen Äußerungen, Mimik, Blickkontakt, Blickrichtung, haptische Berührungen, Gesten, Körperhaltung, Bewegungen, Proxemik bzw. die Manipulation von Objekten und räumliche Distanzen während der Exploration des Roboters transkribiert. Da es in unserer Untersuchung nicht alleinig um die Analyse sprachlich linguistischer Besonderheiten geht, wurden die Transkripte nah an der Standardsprache orientiert und im Sinne eines Basistranskripts mit Fokus auf inhaltlich-semantische Inhalte vorgenommen.34 Dabei wurde zunächst ein Rohtranskript der Ereignisse angefertigt, welches nach dem Auffinden von besonderen Merkmalen, die sich für unsere Forschungsfrage als relevant herausstellten, um die Vertiefung der Rohtranskripte in Detailtranskripte erweitert und zur Veranschaulichung vereinzelt zu Partiturtranskripten umgeschrieben wurde. Die Besonderheiten des Basistranskripts sollen an dieser Stelle mit einem kurzen Einschub der Transkriptionsregeln erörtert werden, bevor wir uns weiter dem Analyse- und Kodierungsprozess zuwenden.
34 Das Transkriptionsverfahren ist demnach als inhaltlich-semantische Transkription ausgelegt und verzichtet auf die detaillierte Kenntlichmachung von Prosodie oder Intonation (vgl. hierzu Kuckartz et al. 2008).
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Einschub Transkriptionsregeln
Abb. 6.3 Maske mit grundlegenden Informationen zu der jeweilig transkribierten Videosequenz
Jedem Transkript vorgelagert ist eine Maske, in der sich Informationen zu dem Titel (Filename), der Videolänge, den Kürzeln der Teilnehmer, Besonderheiten und dem experimentellen Setting, in dem GHI-1 aktiv ist, befinden (siehe Abb. 6.3). Bei „Filename“ handelt es sich um den Namen der Datei. Dieser setzt sich aus Datum, Uhrzeit und Besonderheiten der Interagierenden zusammen z. B. 2808 1849 redwoman. Die Namenskürzel benennen die Besucher, welche mit GHI-1 interagieren oder ihn erkunden. Das „Kürzel“ setzt sich aus Geschlecht und geschätztem Alter der Besucher (M=Mann, F= Frau, J=Junge, Md=Mädchen) sowie dem in Klammern gesetzten, geschätzten Alter der Person (z. B. M(42)) zusammen. In das Feld „Besonderheiten“ wurden Ereignisse eingetragen, die der Sequenz einen speziellen Charakter verliehen haben, so wurden z. B. Personen aus einem anderen Video wiedererkannt oder Themenschwerpunkte für einen ersten Überblick sichtbar gemacht. Das Feld „Experimental Setting G“ kennzeichnet die Sequenz mit dem jeweiligen Modus, in dem GHI-1 aktiv ist (idling motion, facetrack/laptop writer, gesteuert/in Interaktion mit/ Teleoperation) durch eine Markierung, bzw. der namentlichen Kenntlichmachung der Steuerenden und/oder der Interaktionspartner. Partien der Transkripte werden im Text wiedergegeben und im Anschluss analysiert. Die vollständigen und detaillierten Transkripte finden sich im Anhang der Arbeit. Die Zeilen sind entsprechend durchnummeriert. Diejenigen Transkripte, die im Text nur rudimentär behandelt wurden, indem z. B. lediglich ein Beispielsatz extrahiert wurde, wurden im Filename und bei der Zeilennummerierung zusätzlich mit A (z. B. A 1108 1050 4girls) gekennzeichnet.
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
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Tab. 6.1 Bedeutung der Transkriptionszeichen Runde Klammern
()
Nicht verstandene Äußerung
Runde Klammern mit Punkten (…)
Längere Pause
Runde Klammern mit Text
(..sieht voll echt aus…)
Vermutete Äußerung
Runde Klammern mit Text + Punkten
(..sieht echt aus…( ))
Partiell verstandene Äußerung + nicht verstandene Äußerung
Doppelter Schrägstrich
GHI-1 guckt zu F(26): „Hallo –//möchten sie vielleicht ein paar Broschüren mitnehmen?“ F(26): „//ist ja (gibt‘s ja nicht)
Parallele Äußerungen/Aktionen
Da es sich um eine Feldanalyse handelt, sind bei einigen Videos die Äußerungen der Besucher (durch Hintergrundgeräusche, Musik etc.) schwer verständlich. Deshalb wurden bei der inhaltlich-semantischen Transkription zusätzlich Transkriptionszeichen verwendet (Tab. 6.1).
Als Folgeschritt an die (Roh-)Transkription erfolgte das Kodieren als Analyseprozess der (transkribierten) Daten. Dabei bestimmen sowohl die Fragestellung als auch die forschungsleitenden Fragen die Strategie, die Richtung der Analyse bzw. die Kodiertechnik zur Analyse des Materials: „Durch den Kodiervorgang werden 1.) generative Fragen weiter verfolgt wie auch generiert, 2.) die Daten aufgebrochen, so dass der Forscher von der reinen Beschreibung zur Interpretation auf höhere Abstraktionsebenen gelangt. Der Kodiervorgang ist das zentrale Verfahren, mit dem 3.) eine Schlüsselkategorie entdeckt werden kann und 4.) folglich die Integration der ganzen Analyse eingeleitet wird. Der Kodiervorgang bringt 5.) die gewünschte konzeptuelle Dichte, d. h. die Zusammenhänge zwischen den Kodes und die Entwicklung jedes einzelnen Kodes.“ (Glaser 1979 zitiert nach Strauss et al. 1998: 91)
Das Kodierparadigma, auf dem unsere Analyse beruht, basiert auf der Rekonstruktion der Interaktionszusammenhänge, der personalen Zuerkennung von Akteursschaft und den sich für die Akteure ergebenden Bedeutungs-, Erwartungs- und Sinnzusammenhängen im Interaktionsprozess. Bezogen auf unsere Studie wird dargelegt, welche Handlungsvollzüge sowie Verhaltens-; Deutungs- oder Orientierungsmuster im Kontext der Mensch-Roboter-Interaktion im Sinne sozialer und
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Methodenteil
gesellschaftlich etablierter Erwartungshaltungen ablaufen und wie sich der Sinn von Interaktionseinheiten sowie von Akteursbezügen durch die Aktivitätsmodi des Roboters modifiziert. Zur Beantwortung der Forschungsfrage kommen den einzelnen Kodierungsschritten unterschiedliche Funktionen zu, die als offenes, axiales und selektives Kodieren bezeichnet werden. Bei dem offenen Kodieren wird das Material zunächst auf ‚mikroskopische Weise‘ auf mögliche Kategorien und deren Zusammenhänge hin betrachtet. Dabei werden – auf der Basis der ‚theoretischen Sensibilität‘ (vgl. Glaser & Strauss 2005 [1967]), als dem Gespür des Forschers für potentiell relevante Ereignisse – möglichst mehrere thematisch relevante Konzepte erarbeitet und deren Bezüge zueinander systematisch entwickelt. Im Falle unserer Studie haben sich an dem audiovisuellen Material Besonderheiten bei der Exploration des Roboters auf multimodaler Ebene gezeigt und sich bei den Besuchern unterschiedliche Besonderheiten sowie Regelmäßigkeiten entsprechend der unterschiedlichen Aktivitätsmodi des Roboters herauskristallisiert. Um die potentiellen Konzepte zu relevanten Kategorien zu transferieren und Regelmäßigkeiten von Einzelfällen zu trennen, folgt in einem nächsten Schritt eine fokussierte Erarbeitung der Zusammenhänge zwischen den Konzepten und der Auswahl von Kategorien durch das axiale Kodieren: Dabei werden Daten nach den vorgegebenen sowie den sich aus dem Material ergebenden Hypothesen und deren Überprüfbarkeit an Fallbeispielen betrachtet. Bei dem axialen Kodieren geht es darum, die Ursachen, Bedingungen und Strategien des untersuchten Phänomens zu bestimmen und der Frage auf den Grund zu gehen, wie das Phänomen zustande kommt. Das Material wird demnach auf temporäre Ereignisse und deren situativen Einflüssen hin analysiert, nach übergeordneten Zusammenhängen, die das Ereignis zu einem regelhaften Ereignis machen, gesucht und mit dem prä-konzeptuellen Theorierahmen auf Stimmigkeit bzw. Abweichungen hin abgeglichen. Strübing hebt für die axiale Analyse von soziologischen Fragestellungen den Vorteil der Bearbeitbarkeit von Kontexten und intervenierenden Bedingungen in ‚situativ-interaktionistischen Momenten‘ hervor, indem in den Fallbeispielen „ein Angebot zur Verknüpfung situativ-interaktionistischer Momente mit Prozessen auf entfernteren und abstrakteren Ebenen von Gesellschaftlichkeit gemacht wird“ (Strübing 2004: 27). Aus der Vielzahl an Kodierungen ergaben sich somit übergeordnete Hauptkategorien bzw. Konzepte, die als Bindeglied zwischen den einzelnen Codes fungieren können. Aus unserer Studie können beispielhaft kommunikativ symbolisch-gestische Interaktionsfähigkeit und Grade der immersiven Kommunikationsfähigkeit bzw. nonverbale Reaktionsprüfungen über aufmerksamkeitshaschende Aktionen oder die Zuerkennung von Territorialbereichen genannt werden.
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
179
In der Phase des selektiven Kodierens geht es schließlich darum, den ‚roten Faden‘ der Forschungsfrage in dem Datenmaterial zu finden und somit von einer hypothesengeleiteten Theorie hin zu einer gegenstandsbezogenen Theorie zu gelangen. Dabei erfolgt das Schließen von Lücken in der Theorie durch konstantes Re-Kodieren und dem Auffinden einer oder mehrerer Schlüsselkategorie/n (bzw. Kernkategorien), die auf konsistente Weise eine Erörterung der Ereignisse, die sich im Datenmaterial zeigen, bieten und alle gefundenen Kategorien mit umfasst. Hierzu kann im Sinne des ‚theoretical sampling‘ neues Fallmaterial erhoben, aber auch durch die zirkuläre Abstimmung zwischen den Ergebnissen und den Daten nochmals das bereits vorhandene Material verstärkt unter zusätzlichen Gesichtspunkten analysiert werden (Strauss & Corbin 1996: 153 ff.). Ausgehend von unserem Theorierahmen zu zentrisch positionierten Wesen (ZPW) und exzentrisch positionierten Wesen (EPW) wurde das Material entsprechend auf Momente der „direkten Berührung“ und auf Hinweise zur kontingenten Nutzung von allgemeinen und symbolischen Gesten, zu soziomotorische Aktionen als auch auf Kommunikationsgestalten hin betrachtet. Als Vorarbeit des Kodierens wurden in unserer Studie entsprechend zunächst die Rohdaten transkribiert und im Anschluss in Segmente (z. B. Sequenzen bei Videos oder Textbereiche bei schriftlichen Dokumenten) unterteilt, danach anhand von zyklischen Kodierungsprozessen nach Bedeutungs- und Sinneinheiten benannt, in die theoriegeleiteten Hauptkategorien unterteilt und schließlich zu einem Kategoriensystem und zu einer Kern-/Schlüsselkategorie zusammengefasst. Das Datenmaterial wurde soweit codiert, bis das Material auf die theoretischen Annahmen hin durchforstet wurde und keine zusätzlichen neuen Codes und Kategorien mehr bot. Demgemäß wurde eine hinreichend empirische, deskriptive und theoretische „Sättigung des Kategoriensystems“ erreicht. Mit der „Sättigung“ ist der Prozess des Datensammelns und Auswertens bei der Grounded Theory Methode generell abgeschlossen und es sind keine weiteren Erkenntnisse zur Theoriebildung aus der Materie heraus erwartbar (Strauss 2007). Aus dem entwickelten Kategoriensystem werden Sinn- und Bedeutungszusammenhänge rekonstruiert sowie Hypothesen entwickelt und stetig am Datenmaterial überprüft. Der Vergleich und die Generalisierung der Hypothesen/Ergebnisse aus den Kategorien bilden sodann den abschließenden Schritt des Analyseprozesses, wobei anhand der ausgewählten Kategorien abschließend Typen entwickelt werden, die auf einzelne Fälle im Datenmaterial angewandt werden und als Grundlage für die Entwicklung einer gegenstandsbezogenen bzw. formalen Theorie dienen. In unserer Studie bezog sich die Datenanalyse auf beobachtbare Interaktionseinheiten, die sich aus den ausbleibenden bzw. erfolgenden Anschlusskommunikationen auf der Ebene von symbolischen Gesten als auch durch gelingende/scheiternde
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6
Methodenteil
leibliche Positionierungen bzw. „Kommunikationsgestalten“ (vgl. Abschnitt 4.4) ergeben haben. Zudem wurden Überprüfungen des Reaktions- und Interaktionsvermögens GHI-1s als Marker zur sequentiellen Organisation von Anschlussverhalten benennbar, die zur Frage beitragen, ob ein technisches Artefakt als Objekt bzw. als sozialer Akteur wahrgenommen wird. Somit wurde ein Korpus von Kategorien erstellt, der es ermöglicht, die Weisen der Ordnungsbildung bzw. nach kommunikativen Mustern oder gar kommunikativer Gattungen aus dem Material heraus zu bestimmen. Als eine Schlüsselkategorie konnte dabei das Phänomen der ‚sozialen Präsenz‘ benannt werden: Diese kann auf 2-facher Ebene untersucht werden; einerseits als a) soziale Präsenz eines Mediums und andererseits als b) soziale Präsenz eines personalen Akteurs im Interaktionsprozess, wobei wir Punkt b) in unserer Studie fokussiert betrachten werden (vgl. Kapitel 5).
6.4.6
Computergestützte qualitative Datenanalyse
Der Forschungsprozess der Grounded Theory beruht auf der Analyse von textbasierten Daten, die im Laufe des letzten beiden Jahrzehnte durch die Entwicklung von computergestützter Datenanalyse35 und Fortschritte in der Qualitativen Datenanalyse Software (QDA-Software) als auch der Aufzeichnungstechniken, um audiovisuelles Datenmaterial erweitert wurde. Unsere Studie beruht auf eben jenen audiovisuellen Daten und wurde entsprechend mit Software für qualitative Datenanalyse bearbeitet. Die von uns genutzte Software Atlas.ti beinhaltet zentrale Elemente zur Anwendung der Grounded Theory, wie etwa die „Transkription der Daten“, die „Methode des ständigen Vergleichens“, das “Schreiben von Memos“ sowie das „Kodieren“ und das „Aufstellen von Hypothesen“ (Strauss 2007, Glaser & Strauss 2005). So stellt Atlas.ti eine Maske zur Verfügung, die es erlaubt, Theorien im Sinne der Grounded Theory zu prüfen sowie neu zu entwickeln, indem neben der Transkription forschungsfragenrelevanter Ereignisse das Einfügen von Notizen, Memos oder Protokollen in den Datensatz ermöglicht wird. Demnach kann der Nutzer das Datenmaterial kodieren, nach der Methode des sukzessiven Vergleichens analysieren sowie übergeordnete Kategorien bilden und auswerten (Böhm 2007). Die Verwendung von QDA-Software erleichtert somit qualitative Analyseprozesse indem es möglich wird, sowohl verschiedene Datensorten als auch
35 Zur
computergestützten qualitativen Datenanalyse siehe auch Kuckartz (2010).
6.4 Darstellung der Auswertungsmethoden
181
unstrukturierte Daten zu systematischen Aussagen zusammenzufassen und Bedeutungszusammenhänge zu rekonstruieren.36 Die computergestützte Datenauswertung mit Atlas.ti & ELAN Die Auswertung und Analyse der von uns erhobenen Daten erfolgte unter der Verwendung der Software Atlas.ti, welche eine qualitative Datenanalyse anhand der Kategorisierung von Datensätzen und der Rekonstruktion von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen ermöglicht. Die Verwendung der Software Atlas.ti wurde gewählt, da damit eine computergestützte Analyse der qualitativ angelegten Forschungsfrage unterstützt wird und die Software eine Verarbeitung des videobasierten Datenmaterials en detail erlaubt. Auf technischer Ebene ist die Möglichkeit gegeben, das videobasierte Material und das hohe Datenvolumen mit großer Genauigkeit auf multimodaler Ebene zu analysieren, es dabei wiederholt zu betrachten und zu verwalten. Zusätzlich ermöglicht es die Software, die, einerseits im Voraus entwickelten Hypothesen zu testen und andererseits bei Bedarf on-the-fly neue, aus dem Datenmaterial heraus emergierende Hypothesen zu strukturieren und Ergebnisse zu benennen. Die von uns genutzte Software Atlas.ti ist durch ihren Aufbau und durch ihre Nutzeroberfläche dazu geeignet sowohl die Grundprinzipien der Konversationsanalyse aus dem Material heraus zu bearbeiten als auch die Grounded Theory Methode mit ihren spezifischen Auswertungsschritten anzuwenden (vgl. Konopásek 2011) und weiter audiovisuelles Material detailgetreu und im Sinne der Videographie/-analyse zu betrachten. Atlas.ti unterstützt bei der qualitativen Datenanalyse mit den Funktionen des 1) Sortierens und Kategorisierens des Materials, der 2) Vorteile der Datenverwendung zur Ideenfindung durch die Verknüpfung von Primär- (Videos/Transkripten) und Sekundärdaten (Notizen/Memos) sowie 3) die graphische Ergebnisdarstellung über Häufigkeitslisten in Diagrammen und Tabellen. Atlas.ti erlaubt außerdem durch die Verknüpfung von Kategorien zu Hauptkategorien (Kategoriefamilien) eine flexible Suche nach möglichen Handlungsmustern und Bedeutungszusammenhängen, wobei ein stetiger Rückgriff auf die Rohdaten fortbesteht. Diese können bei entsprechenden Sequenzen feinanalytisch zu Detailtranskriptionen bzw. zur visuellen Darstellung in Partiturtranskriptionen übertragen werden. Die Nutzermaske gewährleistet zudem die stetige Rückführung der Annahmen und Hypothesen auf das empirische Datenmaterial. 36 QDA-Software hat sich mit ihren Vorteilen soweit in der Forschungslandschaft etabliert, dass sie mit der Option zur Bearbeitung großer und vielfältiger Datenvolumina sowie der detailgetreuen Mikroanalyse von Daten, zur Neukonzeption verschiedener Forschungszweige, wie der Videographie (Tuma et al. 2013) bzw. der ‚Soziologie des Visuellen‘ (Lucht et al. 2013/Tuma & Schmidt 2013) beigetragen hat.
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6
Methodenteil
Somit kann Atlas.ti zur Sortierung und Kategorisierung des Datenmaterials genutzt werden; allerdings kommt das Programm an seine Grenzen.37 Aus diesem Grunde haben wir zur Darstellung und Visualisierung entscheidender Beispielsequenzen und Transkripte in dieser Arbeit die Detailtranskription bzw. die Partiturschreibweise und die videographische Darstellung audiovisueller Ereignisse mit der ELAN38 Transkriptionssoftware ausgewählt (und in der Darstellung graphisch durch die Autorin (I.S.) modifiziert). Hierbei wurde die bei Atlas.ti vorgenommene Transkription in die Zeitleiste von ELAN eingepasst und mit den Videosequenzen synchronisiert. Die Auswahl des Bildmaterials erfolgte dabei nach dem Prinzip der konversationsanalytisch angeleiteten Videographie (Tuma et al. 2013), welche zum Ziel hat Aussagen über kommunikative Handlungen auf mikroanalytischer Ebene zu ermöglichen. Die Auswahl der in der Arbeit ausgewählten Videosequenzen erfolgte entsprechend der Initiierungsvorgänge der Beteiligten mit dem potentiellen Akteur. Die Selektion der relevanten Bilddaten bezog sich demnach auf die Unterschiede in der Relation der Besucher zum Roboter GHI-1 sowie den ihn umgebenden Objekten und der Raumstruktur bei unterschiedlichen Aktivitäts- und Präsenzmodi.
37 Dabei handelt es sich einerseits um den Zugriff auf und um die Verknüpfung von übergeordneten Kategorien/Familien zueinander und andererseits um die Verknüpfung von Videound Textdateien (Transkripten), die durch das Auswerten stocken lassen und eine visuelle Darstellung im Sinne einer Detail-/Partiturtranskription verhindern. 38 Bei ELAN (EUDICO Linguistic Annotator) handelt es sich um ein Videotranskriptionsprogramm, welches Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im Sprach-Archiv (TLA – The Language Archive) entwickelt wurde und kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Mit ELAN kann ein Benutzer eine unbegrenzte Anzahl von Annotationen zu primären Audio- und VideoDaten erstellen und unterschiedliche Modalitäten der Interaktion in den Fokus nehmen. In der vorliegenden Arbeit wurden Version 4.7.3–5.3.0 verwendet.
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
7.1
Protosoziale Interaktion und Praxeologie der Ordnungsbildung bei kontingenten Akteuren
Mit unseren Ausführungen in Kapitel 3 & 4 zu den fundamentalen Eigenschaften von Akteuren in den Bereichen der Interaktionsfertigkeit und sozialen Kognition, können wir ein in Frage stehendes Sozialgefüge analysieren und den Akteursstatus von ungewissen (sozialen) Entitäten erforschen. Die oben ausgeführten Thesen erlauben es, neben dem inhaltlichen Verstehen von Äußerungen, ein Kategoriensystem von Eigenschaften des formalen Verstehens (vgl. Abschnitt 8.11) auf den Ebenen von sowohl kontingent gesetzten Akteuren als auch von kontingent gesetzten symbolischen Gesten und Drittengefügen auf Entitäten mit ungewissem Akteursstatus anzuwenden. Vermittels der sich aus Anschlusskommunikation ergebenden Kommunikationsgestalten und der Sinneinheiten der an der sozialen Begegnung beteiligten Akteure, können Relationen zwischen Akteuren als Sozialgefüge verifiziert bzw. abgelehnt werden. Eine Analyse der Etablierung eines Sozialgefüges setzt dabei nicht unbedingt das Verfügen über ein geteiltes Bedeutungssystem der fraglichen Akteure voraus, sondern beruht einerseits auf objektiv-beobachtbaren Kommunikationsgestalten, die sich bei der direkten Berührung während der sozialen Präsenz von sozialen Akteuren herausbilden, andererseits auf kontingent gesetzten Bedeutungs- und Sinnebenen, die während des Ablaufs der Relation on-the-fly entstehen und auch bei Missverständnissen eine Ablehnung des Akteursstatus verhindern (emergente Semantiken). Die Listung der graduellen Eigenschaften von ZPW (zentrisch positionierten Wesen) und EPW (exzentrisch positionierten Wesen) mit genuin sozialen Merkmalen, erhebt den Anspruch, auf jegliche leiblich verfügbare und fragliche soziale Entitäten anwendbar zu sein und zur Klärung des
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_7
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Sozialstatus jener Entitäten beizutragen. Vor allem bei Begegnungen mit neuartigen, unbekannten Entitäten sowie zwischenartlichen bzw. interspezifischen Wesen, die Positionalitätsmerkmale aufweisen, wird die Anwendung der vorgestellten Thesen zu EPW und ZPW bedeutsam und stellt die etablierte Erfassung von sozialen Akteuren zugunsten von multivarianten Personenkonstrukten im Sinne der Theorie struktureller Komplexität in Frage. Mit der Anwendung der Vorannahmen zu EPW und ZPW können wir protosoziale Interaktion zwischen Akteuren mit ungewissem Akteursstatus analysieren, wobei diese Form von Interaktion auf einer kommunikativen Deutung beruht und die primär-fundierende Deutung zur Feststellung eines sozialen Akteursstatus ergänzt. Hierbei ist die Ebene der Bedeutungs- und Sinngenerierung auf der Ebene gesellschaftlich funktional differenzierter Teilsysteme für den Rückgriff auf eine geteilte Bedeutungssphäre sekundär, da die einzelnen Akteure bei Erstbegegnungen zwar kontingenzminimierend nach Regeln einer habituierten gesellschaftlichen Ordnung agieren, jedoch nicht von einem geteilten denotativ-normativen Sinngehalt ausgehen können. Protosoziale Interaktion ist durch die Offenheit von Situationen und deren Unbestimmtheiten im a) Akteursstatus, b) Begegnungsverlauf, c) Interaktionsgelingen und d) des Typus von symbolischen Gesten gekennzeichnet. Für die Studie der Erstbegegnung zwischen einander unbekannten Entitäten mit potentiellem Sozialcharakter werden vornehmlich der kommunikative Sinn, der sich aus der Koordination von symbolischen Gesten und aneinander orientierter Anschlusskommunikation erschließen lässt, sowie die objektivierende Drittenstruktur, als einer reflexiven Sinnebene auf den potentiellen Sinngehalt der interaktiven Begegnung, relevant. Mit der vorliegenden Analyse der protosozialen Interaktion zwischen menschlichen Akteuren und GHI-1 als Prototypen eines androiden Roboters, sollen demnach die Praktiken der Ordnungsbildung von Sozialität – fernab von anthropozentrischen Limitationen – auf mikroanalytischer Ebene aufgedeckt werden. Somit soll eine, der soziologischen Erforschung von gesellschaftlichen Formationen und Institutionalisierungen von Sozialität, vorgelagerte Praxeologie der Ordnungsbildung mit der Generierung von interaktionseröffnenden und –beendenden Semantiken einerseits und eine Analyse der ordnungsbildenden Praxen von Personenzuschreibungen versus eines Objektstatus, andererseits, ermöglicht werden. Die Untersuchungsebene, die hier verfolgt wird, sucht nicht nach Strukturmerkmalen oder Funktionsbereichen, welche die Organisation von (Gemeinschaft,) Gesellschaft, Organisationen oder Institutionen mit deren Normen, Werten oder Regeln – bzw. der gesellschaftlich-institutionellen Konsequenzen von neuen Akteuren z. B. auf der rechtlich-jurisprudentialen Funktionsebene – erörtern will, sondern nach der prozesshaften Hinführung zu historisch-kontingenten Mitwelten (als
7.1 Protosoziale Interaktion und Praxeologie der Ordnungsbildung …
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Gesellschaft, Gemeinschaft oder Institutionen) und derer vorgeschalteter Routinen. Unsere Beobachtungen setzen somit auf der mikrosoziologischen Ebene der Formation von etwa Interaktionseinheiten bei der Erstbegegnung potentieller sozialer Entitäten im Feld an, durch welche sich Strukturbedingungen auf der makrosoziologischen Ebene emergent ergeben und institutionalisiert werden können.1 Somit liefern die Ausführungen zu ZPW als auch zu EPW auch in dem Bereich der „sozialen“ Robotik einen Gradmesser für den Akteursstatus von technisch-mechanischen Apparaturen, die in realistischen Interaktionsszenarien eingesetzt werden sollen und nach dem Muster etablierter menschlicher Interaktionseigenschaften konzipiert wurden. Während die HRI-Forschung bereits das Bedienen von technischen Apparaturen, mit nachfolgender Befehlsausführung bzw. der reinen Datenverarbeitung, als gelungene Mensch-Maschine-Interaktion ansieht (Kanda et al. 2004, Bartneck et al. 2009, Kiesler et al. 2008 und Meltzoff et al. 2010)2 , ist die Differenzierung und Analyse der Begegnung zwischen Mensch und Maschine als Interaktion mit geistes- und sozialwissenschaftlichen Begrifflichkeiten weitaus komplexer. In den folgenden Kapiteln wollen wir unsere Ausführungen auf die Begegnung zwischen Mensch und androidem Roboter anwenden, mit Hilfe von empirischen Felddaten zunächst den Umgang von menschlichen Personen in Szenerien der Erstbegegnung mit einem androiden Roboter, der in unterschiedlichen Aktivitätsmodi präsent ist, auswerten und in einem weiteren Schritt den sich daraus ableitbaren Akteursstatus des Roboters seitens der menschlichen Nutzer extrahieren. Für unsere Analyse der a) Explorationswege GHI-1s als potentiellem sozialen Akteur und der sichtbaren b) Hinweise auf den sozialen Akteursstatus, wählen wir Datenmaterial, welches die Wahrnehmung GHI-1s auf den Ebenen der indirekten als auch direkten Berührung der menschlichen Personen gegenüber GHI-1 als potentiellem Akteur bietet und somit die Betrachtung einer „fundierenden Deutung“ bis hin zu einer „kommunikativen Deutung“ GHI-1s ermöglicht. Mit jener Unterscheidung können wir Eindrücke und Zuschreibungen eines Akteursstatus, die auf einer reinen Beobachtung der robotischen Gestalt GHI-1s während der indirekten Berührung basieren, umgehen und somit in dem Datenpool nach Indizien Ausschau halten, die das Spektrum von positional agierenden Wesen als soziale Personen anhand der Herausbildung von Kommunikationsgestalten belegen. Dies ist vor allem deshalb von 1 Eine
gesellschaftstheoretische Reflexion zu den normativen Bedingungen für allgemeingültige Personalisierungen von Maschinen vor dem Hintergrund moderner Grenzregime, die über die hier untersuchten personal-kommunikativen Leistungen hinausgehen, würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen und muss an anderer Stelle vorgenommen werden. Für diesen Hinweis danke ich Gesa Lindemann. 2 Zur kritische Betrachtung der Anthropomorphisierung von technischen Objekten siehe auch Tietel (1995) und Aggarwal & McGill (2007), bzw. Linn (1997) oder Luczak et al. (2003).
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Nöten, da GHI-1 auf den ersten Blick den Eindruck einer humanoiden Gestalt vermittelt. Bei der interaktiven Exploration GHI-1s durch die Besucher, und der damit einhergehenden Überprüfung eines sozialen Akteursstatus als EPW, können wir in allen drei Aktivitätsmodi die Kernkategorien zur Überprüfung der 1) motorischen Reaktionsfähigkeit, der 2) Interaktionsfähigkeit und der 3) kognitiven Limitationen extrahieren. Diese werden wir in allen drei Aktivitätsmodi durchdeklinieren, um ein Bild der Wege zur Steigerung des sozialen Akteursstatus bei der Begegnung von menschlichen Akteuren mit einem androiden Roboter nachzeichnen zu können. Hierzu wollen wir die drei Aktivitätsmodi des Idling und Facetrack Modus (gemeinsam in einem Slot) sowie des Teleoperationsmodus in den Unterschieden des Experimentalaufbaus beschreiben, um dann jeweils die abweichenden Explorationsweisen der Besucher, mit Hinblick auf die Merkmale zur Erfassung eines sozialen Akteursstatus GHI-1s, zu analysieren.
7.2
Idling Modus – Umgang und erste Kategorien zur Exploration des Roboters
Beschreibung der Roboteraktivität: Der androide Roboter GHI-1 zeigt weder Reaktionen auf Ereignisse in seiner Umwelt noch auf seine soziale Mitwelt. Der Roboter vollzieht eine Reihe vorprogrammierter Mikrobewegungen wie das leichte Heben und Senken seiner Brustpartie, welches eine Simulation von Atem als primäres Anzeichen von Lebendigkeit darstellt.3 Der Blick von GHI-1 ist auf den Monitor 3 Damasio
(2000) listet beobachtbare Merkmale, die darauf hinweisen, dass eine Person bei Bewusstsein ist. Hierzu zählen Augenzwinkern, gespannte Muskulatur für eine aufrechte Körperhaltung und leiblich-körperliche Reaktionen der Person auf ihre Umwelt. Diese Reaktionen umfassen wechselnde Blick- und Kopfrichtungen, Mimik und Körperposturen relativ zu Umweltereignissen. “For instance, we know that organisms in a normal state of consciousness are awake, are attendive to stimuli in their surroundings, and behave in a manner adequate to the context and to what we imagine their purpose to be. (…) The presence or absence of wakefulness can be established by direct observation of the organism – the eyes must be open, the muscles must have a tone enough to permit movement. The ability to attend to stimuli can be established from the organism’s ability to orient to stimuli, and we can observe eye movements, head movements, and patterns of limb and whole-body movement as the organism responds to varied sensory stimuli and interacts in an environment. The presence of background emotion can be established from the nature of facial expressions and from the dynamic profile of limb movements and posture. The purposefulness and adequancy of behaviour can be assessed by taking into account the context of the situation, whether natural or experimental, and determining whether the organism’s responses to stimuli and the organism’s self-initiated actions are appropriate to that context.” (Damasio 2000: 86 f.) sowie “(…) telltale signals include the overall body posture and the range of motion of the limbs
7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien …
187
eines vor ihm aufstellten Laptops gerichtet, die Hände am Keyboard platziert und von einem logarithmischen Wechsel leichter Kopfbewegungen von links nach rechts sowie von oben nach unten begleitet. Zudem wiederholen sich wippende Bewegungen der Füße des Roboters sowie das leichte Vor- und Zurücklehnen des Torsos in bestimmten Intervallen. In Gegenwart der Cafébesucher setzt der Roboter die prä-programmierten Bewegungen in einem monotonen Tonus fort und zeigt keinerlei Reaktionen auf Veränderungen in seinem unmittelbaren Umfeld. Die Szenerie suggeriert auf den ersten Blick, es handele sich bei dem Roboter um einen Menschen (und somit um einen legitimierten unhinterfragten sozialen Akteur), der einen Laptop bedient. Bezogen auf Präsenzmodi simuliert GHI-1 die Situierung der Ko-Lokalisation eines potentiellen Akteurs (EPW), der einer anderen Hauptbeschäftigung frönt und keinerlei Zugang oder Engagement zu interaktiven Situationen evoziert. Dieser Präsenzmodus – und somit auch die Akteursschaft GHI-1s – wird nicht in Frage gestellt, solange die Cafébesucher keine Bemühungen anstellen, das situative Setting von der präkommunikativen und prä-sozialen Aufmerksamkeit in ein Setting mit erhöhter sozialer Anteilnahme zu transformieren. Unser Datenmaterial zeigt neben passierenden Personen wertvolle Szenen, in denen sich Personen an den Roboter annähern und versuchen ein interaktives soziales Setting mit dem Roboter zu initiieren und zu etablieren. Die fundierende Deutung des potentiellen Akteurs soll dabei mit einer kommunikativen Deutung untermauert werden. Hierzu versuchen die beobachtenden Personen eine direkte Begegnung und direkte Berührung herbeizuführen, die Aufmerksamkeit GHI-1s auf sich zu ziehen, bzw. expressivsymbolische Ausdrucksgesten einzufordern, um das soziale Setting zu bestätigen, bzw. um die Beschaffenheit des Roboters zu explorieren. Bezogen auf GHI-1s Aktivitätsmodus des Idling Modus, mit der Simulation der Ko-Lokalisation, können wir aus dem Datenmaterial herausfiltern, was die menschlichen Akteure dazu verleitet, GHI-1 als einen sozialen Akteur zu interpretieren, bzw. Gründe für den Bruch des Eindrucks eines sozialen Akteurs zu finden. Hierbei ist es relevant, wie sich die Besucher an GHI-1 annähern, welche Erwartungen an ihn als Akteur gerichtet werden und wie GHI-1 weiterhin wahrgenommen wird, sobald die Personen einen Übergang zum kommunikativen Setting, zur sozialen Präsenz bzw. zu einer direkten Berührung vollziehen wollen. Welche Reaktionen führen dazu, dass GHI-1 als ein „echter“ Akteur wahrgenommen wird und welche Verhaltensweisen tragen dazu bei, dass GHI-1 eben jener Status abgesprochen wird? relative to the trunk; spatial profile of limb movements, which can be smooth or jerky; the speed of motions; the congruence of movements occurring in different body tiers such as face, hands, and legs; and last and perhaps most important, the animation of the face.” (Damasio 2000: 92).
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7.2.1
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Analyse Datenmaterial Idling Modus
Bei dem Idling Modus können wir ein bestimmtes Muster an Annäherungs- und Explorationsverhalten der Besucher gegenüber GHI-1 erkennen, welche sich in Annäherung und Leibpositionierungen in Relation zu GHI-1 im Raum, Überprüfungen der motorischen Reaktivität sowie der auf allgemeinen bzw. symbolischen Gesten basierenden Interaktionsfertigkeit zeigen. Wir konnten die Besucher sowohl bei der alleinigen Exploration GHI-1s als auch bei der interaktiven Exploration – in Begleitung Dritter – beobachten, wobei die interaktive Exploration und die damit verbundene kommunikative Komponente der beteiligten Besucher zusätzliche Ergebnisse über die Eindrücke, Empfindungen und Bewertungen von GHI-1 in dem Idling Modus liefert. Zunächst betrachten wir die alleinige Exploration GHI-1s und weiten in einem nächsten Schritt die Erkundungsweisen der Eindrücke während der interaktiven Exploration aus. Während der alleinigen Exploration nutzen wir die Transkripte 1008 1453 mann klopft auf Schulter und sagt Hallo und 1108 1216 junge explores GHI-1 dazu, um die gängigsten Formen der Annäherung und Exploration von GHI-1 zu untersuchen. Die Transkripte zeigen die typische Annäherung an GHI-1 im Idling Modus, wobei M(52) und J(17) einige Parallelen in ihren Erkundungswegen aufweisen.4 Beide gehen auf GHI-1 zu und approximieren unmittelbar die Gestalt des Roboters. Beide blicken GHI-1 dabei aus unmittelbarer Nähe ins Gesicht und beugen sich, um GHI-1 aus der Nähe zu betrachten, soweit hinunter, dass sie in die vermeintliche Blickrichtung GHI-1s geraten und sich auf Augenhöhe zu GHI-1 befinden (vgl. Zeilen 3, 5, 6, 14, 19, 22/Abb. 7.1). GHI-1 hingegen zeigt in jenen Momenten der physischen unmittelbaren Nähe, weder durch Blicke, Änderungen der Postur oder Kopfbewegungen soziomotorische Reaktionen auf die Personen, die sich in das soziale Reaktionsfeld und in den unmittelbar direkten Berührungsbereich GHI1s begeben haben, sondern fährt mit seinen algorithmischen Bewegungstonus fort (vgl. Abb. 7.1). Während die Besucher offensiv die direkte Wahrnehmungssphäre GHI-1s intrudieren und eine Mitfeld/-welt-Relation einzuleiten suchen, simuliert GHI-1 weiterhin den Fokus auf den Laptop und vermittelt eine Vertiefung in Aktivitäten im Bereich des Selbst-Umwelt-Bezugs. Seine Relation zu den Besuchern ist somit weder eine der direkten noch der indirekten Berührung, sondern vielmehr durch eine Nichtbeachtung und fehlende Registrierung anderer als „zivile 4 Die
Inhalte der Transkripte werden in der vorliegenden Studie im Text zitiert und mit Zeilenverweisen versehen. Die vollständigen, detaillierten Transkripte befinden sich im Anhang.
7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien …
189
Abb. 7.1 Einzelexploration durch J(17) aus Transkript 1108 1216 junge explores GHI-1
190
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Unaufmerksamkeit“ und somit durch die einseitige Wahrnehmung der Besucher gegenüber GHI-1 gekennzeichnet. Nachdem die Approximation bei GHI-1 keinerlei Aufmerksamkeitsverschiebung auf mitweltlich aktive soziale Akteure evoziert, setzen beide Besucher ihre Exploration mit einer Prüfung der auf allgemeine und symbolische Gesten basierenden Interaktionsfertigkeit von GHI-1 fort, indem sie gegenüber GHI-1 mimische Ausdrücke wie Lachen und Lächeln (Zeilen 6, 10, 16) anwenden und in einem weiteren Schritt GHI-1 ansprechen (Zeile 6: M(52) „Hallo“ bzw. Zeile 14: J(17) „Kuckuck“). Hierzu verwenden beide Personen die innerhalb der historisch-kontingenten Mitwelt etablierte symbolische Geste der Sprache, die sich als Gruß bzw. als eine Direktive zur Aufmerksamkeitserweckung etabliert hat. Daraufhin bieten die Aktionen GHI-1s immer noch keinen Übergang zu einer direkten Berührung bzw. zur Wahrnehmung der Besucher und liefern somit kein positives Feedback zur Interaktionsprüfung: Vielmehr zeigen sich eher mechanistische Bewegungsabfolgen, bei denen GHI-1 mit dem Blick auf den Laptopbereich verharrt (vgl. Abb. 7.1). Wir sehen seitens der Besucher bei der Annäherung an GHI-1 also eine Abfolge von aufmerksamkeitshaschenden Aktionen, die sich mit jedem Ausbleiben der zivilen Aufmerksamkeit bzw. dem Fortfahren der zivilen Unaufmerksamkeit GHI-1s in einer Zudringlichkeit in den Bereich des personalen Raums zuspitzt und maximiert. So folgt auf das nahe Herantreten an GHI-1 ein Hinunterbeugen und direktes Anblicken in GHI-1s Gesicht sowie eine Ansprache mit anschließender Reaktionsprüfung wie etwa bei J(17), der zunächst seine Hand vor GHI-1s Gesicht auf und ab bewegt (Zeile 16) und in einer weiteren Sequenz „vor GHI-1s Gesicht umher fächert“ und GHI-1 dabei fortwährend anblickt (Zeile 22). Die Bewegungen vor GHI-1s Gesicht dienen der unmittelbaren motorischen Reaktionsprüfung, woraufhin jedoch weiterhin eine reaktive Bezugnahme seitens GHI-1 ausbleibt und GHI-1 als mechanistischer Apparat erscheint. Erst im Anschluss an die Überprüfungen von GHI-1s motorischer Reaktivität sowie der Prüfung seiner symbolischen Interaktionsfertigkeit, berühren die Besucher GHI-1s Gestalt auf taktile Weise. Während bei M(52) die Reaktivitätsprüfung nach der fehlenden Reaktion GHI-1s auf die interaktive Ansprache abgeschlossen ist und er GHI-1 direkt an der Schulter berührt (Zeile 8: M(52) tippt GHI-1 2mal auf die Schulter), erfolgt der körperliche Kontakt bei J(17) mit GHI-1 erst nach der zusätzlichen Überprüfung dessen motorischer Reaktivität, woraufhin J(17) im Anschluss zunächst GHI-1s Schulter, Haare, Stirn, Brille und Wange (Zeile 18) und nach einer weiteren motorischen Reaktionsprüfung GHI-1 in den Bereichen
7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien …
191
des Gesichts, wie Lippe und Nasenspitze berührt5 (Zeile 22, 24). Beide Besucher beenden die Exploration anschließend, indem sie (zurückblickend auf GHI-1 bei J(17), siehe Abb. 7.1) das unmittelbare Umfeld GHI-1s verlassen, was weiterhin zu keiner reaktiven Zustandsänderung GHI-1s führt. Die Exploration GHI-1s im Idling Modus durch einzelne Personen lässt sich auf der Ebene der Sinngebung der Bewegungsabläufe GHI-1s als Überprüfung der Reaktions- und Interaktionsfähigkeit sowie der Begutachtung GHI-1s nachzeichnen und enthält die Elemente der motorischen Reaktionsprüfung, der verbalen Ansprache als Versuch der Initiation von Wahrnehmung hin zur Überprüfung von Interaktionsfertigkeit (bzw. zu direkter Berührung), begleitet von einer nahen Betrachtung der Gestalt (im Sinne einer leiblich-positional geringen Distanz vgl. Abschnitt 7.5) und gegebenenfalls einer taktilen Berührung der Robotergestalt.
7.2.2
Interaktive Exploration
Ähnlich zu der alleinigen Exploration GHI-1s verlaufen die Erkundungen GHI-1s im Idling Modus während der interaktiven Exploration mit den Momenten der Approximation und nahen Betrachtung, Ansprache, Berührung und den Überprüfungen sowohl der motorischen Reaktions- als auch verbalen Interaktionsfähigkeit GHI1s. Die interaktive Exploration GHI-1s im Idling Modus bietet uns Gelegenheit dazu, die Eindrücke und Annäherungsweisen der Besucher zusätzlich auf kommunikative Weise zu analysieren und vermittels der inhaltlichen Auswertung der verbalen Äußerungen zu den Eindrücken, Bewertungen und Erfahrungen der Besucher vorzudringen. Um die Kernpunkte der kommunikativen Exploration GHI-1s im Idling Modus zu erfassen, wollen wir die Transkripte in die Explorationswege der kommunikativen Deutung als auch der fundierenden Deutung unterteilen.
5 Jene beobachtbaren direkten taktilen Berührungen an GHI-1 sowie die Annäherung an GHI-1
in unvermittelter Distanz und das Betrachten von Nahem als Leibpositionierungen in Relation zu GHI-1 im Raum, wollen wir nach der Analyse zur der interaktiven Exploration mit weiteren Belegen in Abschnitt 7.5 ff. als Brüche von Territorialbereichen markieren und als einen gewichtigen Hinweis auf die Grade der Zuschreibung eines Sozialstatus gegenüber GHI-1 werten.
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7.2.3
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Kommunikative Deutung der Gestalt: Überprüfen von Reaktions- und Interaktionsfähigkeit
Nachdem M(47) und Mäd(20) an den Tisch von GHI-1 herangetreten sind, betrachten sie in Transkript 1608 14 mann und mädl die Gestalt und das Gesicht des Roboters, wobei M(47) die Gestalt mit „Sieht sehr gut aus“ (Zeile 29) kommentiert. Mäd(20) neigt sich herunter, um GHI-1 aus Augenhöhe zu betrachten, während M(47) GHI-1 mit einer Begrüßungsfloskel und einer Befindlichkeitsfrage anspricht, dabei versucht eine Interaktion zu initiieren und einen Übergang zu einer direkten Berührung auf kommunikative Weise herbeizuführen (Zeile 31) (siehe Abb. 7.2). Hierzu wählt M(47) die englische Sprache, woraus wir die Erwartungshaltung M(47)s ableiten können, dass GHI-1 Englisch – als Lingua franca bzw. als Weltsprache – eher versteht als Deutsch. GHI-1 zeigt weiterhin weder eine Regung noch interaktive Anschlussaktionen, die auf eine Reaktivität auf die Interaktionsaufforderung schließen lassen könnten, sondern setzt seinen mechanisch prä-programmierten Bewegungsmodus im Loop fort. Dabei simuliert die robotische Gestalt Unachtsamkeit gegenüber der sozial-situativen Ereignisse und zeigt keinerlei Anzeichen einer indirekten bzw. direkten Berührung durch die menschlichen Akteure. Anhand der Mitteilung M(47)s an Mäd(20) können wir jedoch deduzieren, dass M(47) auch die fehlende Reaktion GHI-1s auf die Ansprache trotz allem als eine kommunikative Anschlussaktion GHI-1s auf seine Anfrage deutet. Nachdem M(47) das Ausbleiben von Aktionen als fehlendes Verständnis seitens GHI-1 auf die Aussage M(47)s interpretiert und M(47) dies vor Mäd(20) kommunikativ kommentiert (Zeile 35: „Weiß er nicht“), hinterfragt M(47) im Anschluss die Fertigkeit des Verstehens direkt bei GHI-1 (Zeile 36: „Do you understand me?“). Im Folgenden kommt es zu einer weiteren Reaktionszuschreibung der Besucher gegenüber GHI-1, die auf der mechanischen Repetition seiner Bewegungsabläufe basiert, jedoch in zwischenmenschlicher Interaktion als nonverbale Negation von Aussagen etabliert ist und von Mäd(20) als eben jene gedeutet wird. GHI-1 bewegt den Kopf von links nach rechts, was gemeinhin in westlichen Kulturkreisen als Kopfschütteln und somit (mit einer Erwartungshaltung) einer Verneinung einer Aussage gedeutet werden kann (Russell & Fernández-Dols 1997). Im Folgeverhalten Mäd(20)’s können wir mit der Aussage („Nein – huh“; Zeile 38) eine Überraschung über die Bewegung GHI-1s feststellen und diese als Zuerkennung von interaktiver Reaktivität und als Anschlussverhalten erfahrene Ausdruckszuerkennung deuten. Im Anschluss an die Erfahrung der Reaktion GHI-1s auf die verbale Frage nach seiner Verstehensfertigkeit, fotografiert Mäd(20) GHI-1, während M(47) die Interaktion mit GHI-1 weiterhin in Gang zu bringen versucht und GHI-1 mit einer Anschlussfrage zur Person anspricht („What is your name?“; Zeile 42). Hierauf erfolgt jedoch
7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien …
193
Abb. 7.2 Interaktive Exploration durch M(47) und Mäd(20) aus Transkript 1608 14 mann und mädl
194
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
weiterhin keine aktive Zustandsänderung GHI-1s mit Hinweisen zu einer Aufmerksamkeitsverschiebung von der aktuellen Aktivität (Zeile 44: GHI-1 blickt in den Laptop). M(47) und Mäd(20) betrachten GHI-1 anschließend weiterhin von Nahem, gefolgt von einer Berührung M(47)s an GHI-1s Hand (mit interaktiver Ankündigung; vgl. Zeile 47, 48). Bei der nahen Betrachtung GHI-1s bemerken die Besucher die falsche Uhrzeit, die auf GHI-1s Uhr dargestellt wird, woraufhin sie mit der Zeitdifferenz zu Japan argumentieren und somit implizit die Herkunft GHI-1s mutmaßen (Zeile 52–53: M(47): „Die Uhr geht falsch“ – Mäd(20): „nach japanischer Zeit vielleicht“). Nach dem Leerlauf des kommunikativen Feedbacks seitens GHI-1 beenden M(47) und Mäd(20) die Exploration, nachdem sie GHI-1 weiter beobachten und sich lächelnd dem Gang zuwenden. Die Besonderheiten, die wir in dem Transkript erfahren können, zeigen sich in den Parallelen der Besucher zu der alleinigen Exploration GHI-1s. Auch während der interaktiven Exploration treten die Besucher nah an GHI-1 heran und beobachten seine Gestalt, sprechen ihn an, suchen nach Merkmalen für eine motorische bzw. interaktive Reaktivität GHI-1s und berühren GHI-1 taktil. Zusätzlich sehen wir Erwartungshaltungen der Besucher hinsichtlich der Herkunft, der Funktion der Accessoires, hinsichtlich des Verständnisses von GHI-1s symbolischer Gestenverwendung als auch betreffend der Bedeutung von Bewegungsabfolgen als Antwort auf die symbolischen Gesten. So wählt M(47) die englische Sprache, um mit GHI-1 ein Gespräch zu initiieren und Mäd(20) verweist auf die japanische Zeitumstellung bei der Begutachtung der Uhrzeit. Hier und in Transkript 2008 1038 ältere Leute pt2 können wir zudem beobachten, dass zusätzlich das Ausbleiben von Aktionen als Reaktion6 GHI-1s interpretiert wird, die durch weitere Anschlusskommunikationen aufrechterhalten und verifiziert werden soll (vgl. Zeile 38, 77), was jedoch durch das konstant-fehlende reaktive Feedback GHI1s misslingt. GHI-1 zeigt entsprechend auf der Berührungsebene keinerlei Hinweise auf eine direkte Berührung und verweist dabei auf die fehlenden Ebenen der sozialen Präsenz sowie der Selbst-/Leib-Mitwelt-Relation. Im nächsten Abschnitt betrachten wir die Merkmale zur Unterstellung von Reaktionsfertigkeit während der interaktiven Exploration näher.
7.2.4
Erzwingen einer Reaktion
In dem Transkript 2008 1038 ältere Leute pt2 (siehe Abb. 7.3) sehen wir ebenfalls, als Wege der Exploration, die Prüfung der Reaktionsfertigkeit von GHI-1, gefolgt von einer mehrfachen taktilen Exploration bzw. Berührung des Roboters durch M1 6 Diese
Beobachtung deckt sich mit der Watzlawickschen Aussage „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 1969: 53).
7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien …
195
Abb. 7.3 Interaktive Exploration durch M1 und F aus Transkript 2008 1038 ältere leute pt2
196
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
nach dem Ausbleiben von motorischen und interaktiven Reaktionen der Robotergestalt. Während F die Gestalt GHI-1s mit „Schaut echt aus“ (Zeile 62) kommentiert, geht M1 zur Initiation der Begegnung unvermittelt auf GHI-1 zu und wedelt vor dessen Gesicht umher. Er versucht dabei eine Reaktion von GHI-1 auf seine Störung des visuellen Fokus herbeizuführen und damit eine Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus von GHI-1s Blick auf den Laptop, hin zu den Personen in seinem Umfeld/Umwelt bzw. als potentielle Mitwelterfahrung zu evozieren (Zeile 60). Nach dem Ausbleiben einer reaktiven Zustandsänderung GHI-1s (Zeile 64: GHI-1 blickt weiterhin in den Laptop und idelt) kommentiert M1 die fehlende Reaktionsfertigkeit GHI-1s gegenüber F (Zeile 63: M1 „schau den kannst Du ( ) der reagiert ja (gar nicht)“), um im Anschluss GHI-1s Hand zu berühren. F indes vermutet eine Reaktion GHI-1s auf M1s Reaktionsprüfung bzw. auf seine anschließende Berührung (Zeile 67: F „Der reagiert) oder schau den ( )“), was M1 dazu veranlasst, erneut die Hand GHI-1s zu berühren (Zeile 68: M1 berührt GHI-1s Hand mit dem Zeigefinger) und die fehlende Reaktivität mit einem Anschlusskommentar zu Fs Aussage zu entkräften (Zeile 70: M1 „Weiß ich nicht“). In jenem Abschnitt sehen wir, dass die Reaktivität GHI-1s zum thematischen Inhalt der Interaktion zwischen F und M1 wird und die Exploration der Gestalt dialogisch geschieht, auf die eine motorische Aktion zur Überprüfung der Materialität bzw. taktilen Sensitivität von GHI-1 durch M1 folgt. Währenddessen werden auch fehlende Aktionen GHI-1s von F als Reaktionen gedeutet und die Reaktivität des Roboters wird im Verlauf der Exploration weiter zum thematischen Inhalt der Interaktion zwischen M1 und F (Zeile 77, 83). So sehen wir auch in diesem Transkript Hinweise auf eine Interpretation von GHI-1s mechanisch prä-programmierten Bewegungen als kommunikativ ausgerichteter Reaktion GHI-1s. Während M1 seine Exploration zur Reaktivität GHI-1s fortsetzt, dabei GHI-1s Haare richtet (Zeile 75: M1 schnipst die Vorderhaare) und dies kommentiert (Zeile 74: M1 „Die Haare sind (…)“), führt F das Ausbleiben der Reaktionen von GHI-1 auf eine intrinsisch motivierte Reaktionsverweigerung (Zeile 77: F „( )Jetzt will er nicht“) zurück und berührt GHI-1 parallel mit einer verbalen Ansprache (Zeile 84: „Hallo“) schließlich selber am Oberarm (Zeile 81: F klopft auf GHI-1’s rechten Oberarm). Die prüfende Sequenz der Reaktivität GHI-1s wiederholt sich anschließend noch einmal und F unterstellt, nach einer weiteren Berührung GHI-1s am Haar durch M1, den Unwillen GHI-1s zu reagieren (Zeile 83: F „(will er nicht?)“) begleitet von einer wiederholten Berührung von GHI-1s Oberarm mit einem verbalen Gruß (Zeile 84: F „Hallo“). Ähnlich wie in Transkript 1608_14 mann und mädl (Zeile 35) können wir bei F eine Unterstellung bzw. Zuschreibung einer inneren Motivation auf kognitiver Ebene des Roboters feststellen, welche als ein Impetus des Roboters gewertet wird, die Interaktionsversuche
7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien …
197
zu verweigern. Mit der Unterstellung eines Unwillens bzw. Deutungen von Bewegungen als Kopfschütteln oder fehlendem Verständnis des Gesagten, rekurrieren die Besucher auf Motivationen des Roboters und beziehen somit kognitive Leistungen des Roboters in ihre explorative Erkundung der Fertigkeiten des Roboters mit ein. Nach der fortgeführten fehlenden Aufmerksamkeitsverschiebung GHI-1s Fokus vom Laptop auf sein personales Umfeld respektive auf das Mitfeld/-welt (Zeile 85: GHI-1 blickt auf den Bildschirm und hat Hände am Rechner), fordert F M1 dazu auf, GHI-1 zu schlagen, um ggf. eine erweckende Reaktion zu entlocken (Zeile 86: F zu M1 „Schmier dem eine“ und Zeile 89: F „Schmier dem doch mal eine“), woraufhin M1 weiterhin das Haar und später die Hand von GHI-1 berührt (Zeile 91, 94) und der Aufforderung Fs nicht folgt. Jene Aufforderung Fs an ihren Interaktionspartner soll eine Reaktion GHI-1s auf physische Berührungen nahezu erzwingen, da gewaltsam erwirkt. Das fehlende motorische und interaktive Feedback GHI-1s verhindert eine interaktive Involviertheit der personalen Akteure mit GHI-1 und beschränkt die Wege der Exploration auf taktile und visuelle Stimuli, die durch nahes Betrachten und Berührungen erfolgen. Mit der Erfassung des Aktionsspektrums des Roboters und der interaktiven Erkundschaftung wird der Personenstatus des Roboters relativiert und GHI-1 als nicht-reagierende und nicht-interagierende Gestalt erfasst, die vielmehr repetitive Bewegungen vollzieht. Auch in diesem Transkript finden wir neben dem Fokus auf die Reaktionsfertigkeit GHI-1s die Merkmale der Annäherung, Betrachtung, Berührung und Ansprache wieder, die wir bereits bei der alleinigen Exploration im Idling Modus gefunden haben. In der vorliegenden Explorationsweise der interaktiven Erkundung haben wir, im Unterschied zu Transkript 1608 mann und mädl, die taktile und interaktive Erkundung GHI-1s durch beide Besucher vorliegen, wobei die fehlende Reaktionsfertigkeit GHI-1s und der Versuch zur Überwindung dieser, vermittels Berührungen, Ansprache mit symbolischen Gesten etc. den Kern der Exploration durch die Besucher darstellt. Wie auch in Transkript 1608 mann und mädl bereits ersichtlich wurde, explorieren die Besucher GHI-1, neben den oben genannten Eigenschaften GHI-1s, zusätzlich auf kommunikative Weise. Dabei thematisieren sie GHI-1 mit dessen gestalthafter Erscheinung und ihren Erwartungen, wobei besonders die zeitweilige Zuschreibung von Reaktionen bei prä-programmierten Bewegungsabfolgen GHI-1s auffällt, die jedoch nach kontinuierlich fehlenden Anschlussaktionen GHI-1s als gehaltslos erblasst.
198
7.2.5
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Reaktionsfertigkeit
Eine gesteigerte Unterstellung von Reaktionsfertigkeit (ohne taktile Exploration der Gestalt von GHI-1) finden wir auch in dem Transkript 1008 1214 Frau Mann Enkelin, bei der die Begegnung mit GHI-1 durch einen verbalen Gruß initiiert und die prä-programmierte Bewegungsabfolge GHI1s als Anschlussaktion an die Begrüßung gedeutet wird (Zeile 107–109: F(65): „Hallo!“ – [GHI-1 hebt den Kopf] – F(65): „Uh!“). M(68) setzt im Anschluss zur weiteren Überprüfung der Reaktionsfertigkeit GHI-1s Interaktionsversuche an (Zeile 111: M(68): „Hallo“) und wird durch F(65) auf die Beurteilung des Blickes GHI-1s als ein aktives Anschauen und erfahren der Person F(65) hingewiesen (Zeile 112: F(65): „Der schaut mich wirklich an“). Während der Exploration GHI-1s durch F(65), M(68) und Md(10) zeigen sich als weitere Momente der Reaktionszuschreibung an GHI-1, das Attestieren einer nonverbal-mimischen Geste und das kommunikative und kognitive Verstehen einer Aussage. Zum einen unterstellt F(65) auf den Abschiedsgruß M(68)s „Auf Wiedersehen. Sayonara! Sayonara!“ (Zeile 137) während GHI-1s Blick auf den Laptop ein Augenzwinkern (Zeile 139: F(65): „Jetzt hat er mit den Augen gezwinkert“), woraufhin M(68) zum anderen das attestierte Zwinkern GHI-1s als Verständnis eines Abschiedsgrußes herleitet (Zeile 140: M(68): „Ja, das versteht er ja“). Die Unterstellung von Reaktionsfertigkeit, welche auf mechanisch prä-programmierten Bewegungsabfolgen basiert und sich als kommunikativ-passende Anschlussaktionen eher per Zufallsprinzip ereignet, wird in den Transkripten 1008 1214 Frau Mann Enkelin auf unterschiedliche Weise vorgenommen. Zum einen wird Reaktionsfertigkeit nach Berührungen, Bewegungen, visuelle Reizen bzw. nach verbaler Ansprache unterstellt. In allen Fällen sorgt die unterstellte Reaktion GHI-1s für eine weitere Exploration des Roboters, mitunter mit fortgesetzten Reaktionsprüfungen. Allerdings fällt in allen Beispielen der Grad der mitweltlich orientierten Aktionen GHI-1s minimal aus, ist durch Diskontinuität gekennzeichnet und wird während der Begegnungen zwischen Mensch und androidem Roboter schnell als temporäres Ereignis ohne Fortbestand entkräftet. So sehen wir auch in Transkript 1008 1214 Frau Mann Enkelin, Versuche der Akteure weitere Reaktionen bei GHI-1 zu evozieren. Dies erfolgt über Ansprache (Zeile 111/Zeile 115–116/Zeile 120–121/Zeile 135), Winken (Zeile 118) und dem Stampfen Md(10)’s auf dem Boden (Zeile 131) als Irritationen der mitweltlichen Sphäre. Mit dem fehlenden Feedback GHI-1s durch Anschlusskommunikation wird schließlich die Verfügung GHI-1s über eine Relation auf der Ebene der Selbst-Mitwelt abgesprochen.
7.2 Idling Modus – Umgang und erste Kategorien …
7.2.6
199
Reaktionszuschreibungen als„temporäre Personalitätszuschreibung“ und„graduelle Handlungsträgerschaft“
Die temporären Reaktionszuschreibungen – und somit Zugeständnisse an GHI-1s Bewegungsabläufe als womöglich intentional motivierte Handlungen7 mit kommunikativem Symbolcharakter – lassen sich mit dem „gradualisierten Handlungsbegriff“ nach Rammert und Schulz-Schaeffer erfassen und entsprechend bezüglich der Erklärungsreichweite zur Feststellung eines Personenstatus von GHI-1 hinterfragen. Rammert und Schulz-Schaeffer verorten in ihrem Aufsatz „Technik und Handeln. Wenn soziales Handeln sich auf menschliches Verhalten und Artefakte verteilt“ (2002a), die potentielle Handlungsträgerschaft von Technik (als Gegenpol zu anerkannten menschlichen Sozialpartnern) in sozialen Konstellationen, auf den sich in der empirischen Situation und in der praktischen Ausführung ereignenden Zuschreibungsprozess durch handlungsbeteiligte Akteure. Nach Rammert und Schulz Schaefer lässt sich – je nach den Graden der Intentionalität, Kontingenz und Kausalität der Aktionen – eine graduelle Handlungsträgerschaft und aktive Mitbeteiligung von jeglichen sozialen Konstellationen beschreiben, die über eine anthropozentrische Akteursbeteiligung hinausgeht (2002a: 49).8 Innerhalb dieses graduellen Handlungskonzeptes kann auch bei kontingenten Akteuren, Werkzeugen9 oder sozio-technischen Konstellationen von einer Handlungsträgerschaft ausgegangen werden. Maßgebend für die Handlungsträgerschaft sind die Beobachtbarkeit von Intentionalität oder Kausalität von Aktionen und die entsprechende Zuschreibung einer Handlungsintervention durch einen legitimierten Akteur. In unseren Beispielen der Reaktionserfassung von GHI-1 transformiert sich der Status GHI-1s in denjenigen Momenten zu einem Status eines sozialen Akteurs, in denen GHI-1 eine kausale Reaktion auf vorhergehende Aktionen oder Bewegungen der Besucher unterstellt wird. Im Sinne der Eindrücke der Besucher zu der Reaktionsfertigkeit von GHI-1 als soziale Aktionen, wird GHI-1 auf der Ebene der Agency oder Handlungsträgerschaft erfasst, indem ihm, basierend auf seinen ko-orientiert, sozial-initiativ wirkenden Bewegungen, eine Intentionalität von symbolischen Gesten attestiert und parallel dazu der Status einer sozial agierenden Person zuerkannt wird. Bei jener Anerkennung von sozialen Akteuren zählen auch lediglich temporäre Momente von Kausalität bzw. kontingenten Aktionsmodi als Hinweise auf die von sozialen Akteuren verursachten Handlungen. Bei dem Ansatz der Handlungsträgerschaft 7 Bzw.
als an Erwartungshaltungen orientierte/motivierte Handlungen. basiert die graduelle Handlungsträgerschaft auf handlungstheoretischen Ansätzen. 9 Diese Sichtweise korrespondiert mit der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) im Sinne Latours (1981, 2007). 8 Dabei
200
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
kann eine momentane Erscheinung von sozialer Zuwendung (wie wir es in unseren Beispielen gesehen haben) durch eine beteiligte, zuschreibende Instanz bereits als Legitimation zur Zuerkennung eines Sozialpartners, also als eine temporäre Personalitätszuschreibung10 (Harth 2014) gelten. Als Konsequenz kann ein Beobachter jegliche Entität – gleich ob es sich um einen Avatar, einen Bleistift, ein Insekt oder ein Kleinkind handelt – als Handlungsträger benennen, wenn der sinnhafte Eindruck bzw. eine „Fiktion“ einer intentionalen, kausalen und kontingent ausgeführten Aktion besteht. Hierbei wird die subjektive, individuelle Sichtweise des Zuschreibenden einem objektivierenden bzw. durch Dritte induzierten gesellschaftlichen Legitimierungsprozess und ausgehandelten Status vorgezogen. Dies bedeutet im Extremfall eine willkürliche von Moment zu Moment veränderliche Zu- und Absprache des Personenstatus gegenüber jeglichen Objekten, bis hin zu menschlichen Akteuren. Denn die willkürliche Zuschreibung von Handlungsträgerschaft kann auch auf legitimiert soziale Personen angewandt werden, macht deren Status als soziale Akteure von subjektiven Eindrücken abhängig und somit von Moment zu Moment fluide.11 Fassten wir die Beispiele zur Reaktionszuschreibung aus unserer Studie im Sinne der graduellen Handlungsträgerschaft als endgültige Belege für eine personale Statuszuschreibung auf, so hätten wir bereits in dem Idling Modus – sowie fortgeführt in dem Facetrack Modus – Belege für momenthafte Zuschreibungen von sozialer Personalität gegenüber GHI-1. Da wir allerdings das soziale Moment auf temporär überdauernde, interphysisch manifestierte und objektiv beobachtbare Sozialgefüge beziehen, sind die kurzweiligen Statuszuschreibungen ohne empirisch beobachtbare Kommunikationsindizien und ohne eine weitere Validierung aus der Beobachterperspektive Dritter nicht haltbar.12 So erkennen beispielsweise M(47) und Mäd(20) in Transkript 1608 14 mann und mädl zwar in der Kopfbewegung GHI-1s eine momenthafte, potentiell interaktiv intendierte Aktion GHI-1s an, allerdings lässt sich 10 Harth benennt in seiner Studie entsprechende Personalisierungen von Avataren/Spielfiguren in einem Computerspiel als temporäre Personalitätszuschreibungen (Harth 2014: 306 ff.) und die Figuren damit als Hybriden zwischen Ding und Akteur. Die Personifikation von virtuellen Figuren bewirkt eine auf der graduellen Handlungsträgerschaft formulierte temporäre Zuschreibung eines Akteursstatus. Harth stellt den aktuellen Spieler dabei in einen Gegensatz zu der virtuellen Spielfigur, indem er eine Dichotomie von Personalität und Trivialität aufstellt, die auch für den Spieler, der sich in die Spielfigur versetzt, gilt (Harth 2014: 232 ff.). 11 Um den sich daraus ergebenden unendlichen Regress von Zuschreibungsschleifen zu verdeutlichen, siehe auch Lindemann (2009a: 164). Hier wird deutlich, dass auch die zuschreibende Person zu einem sozialen Akteur wird, indem diese wiederum von jemand anderes eine Zuschreibung von Akteursschaft erfahren hat etc. 12 Demnach ist der Ansatz der graduellen Handlungsträgerschaft, der auf Zusprache von Akteursschaft beruht, in seiner Anlage eine Entsprechung zu Ethnotheorien. Für diesen Hinweis danke ich Gesa Lindemann.
7.3 Facetrack Modus
201
die Reaktionsfähigkeit GHI-1s im weiteren Verlauf der Begegnung nicht bestätigen (vgl. Zeile 36–45). Auch in den Transkripten 1008 1214 Frau Mann Enkelin (Zeile 107–115, Zeile 131, 139–140) sowie 2008 1038 ältere leute pt2 (Zeile 67– 75, Zeile 80–86) können wir ähnliches beobachten. Die Beispiele zeigen, dass eine vermeintliche Berührung durch GHI-1 als Täuschung und Ungewissheit der fundierenden Deutung erfasst wird, die einer näheren Klärung bedarf, welches sich in Über-GHI-1-Sprechen, ihn Berühren, dem Aufheben von Territorialbereichen etc. äußert. Diese Anerkennung der Zuschreibung zeigt sich nicht bei a) Beobachtern der Szene und b) weiteren in die Szene Involvierten. Die weitere Exploration GHI-1s wird entsprechend so vorgenommen; dass GHI-1 Ansprüche auf soziale als auch auf personale Präsenz verliert. Die Reaktionszuschreibungen lassen sich zwar als subjektive Momentaufnahme und Zuschreibung von temporärer Personalität (Harth 2014: 306) aufgrund einer vermuteten Handlungsträgerschaft benennen, als objektiv-verifizierte Belege für soziale Rahmungen, soziale Ereignisse, für eine nachweisbare soziale Einheit oder soziale Präsenz eines sozialen Akteurs greifen sie jedoch zu kurz. Entsprechend vereinfachen temporäre Reaktionszuschreibungen das hochkomplexe Geflecht von konsistenten sozialen Begegnungen, welches wir in dieser Studie auszuführen beabsichtigen. Unsere Untersuchung entkräftet den Rammert und Schäfer´schen Ansatz, indem das Aufheben der Anschlussinteraktion und die fehlende Kommunikationsgestalt aus Drittenperspektive heraus zentral gestellt wird. In den vorliegenden Beispielen zeigt sich indes aus der Beobachterperspektive, dass im Idling Modus weder eine Anschlusskommunikation noch eine Interaktionsgestalt zwischen GHI-1 und den Besuchern vorliegt und es sich bei der Zuschreibung des Akteursstatus, um eine rein einseitige und temporäre Erwartungshaltung der Besucher handelt. Das temporäre Unterstellen von GHI-1s Reaktivität sowie von Personalität – während der prä-programmierten motorischen Bewegungen im Idling Modus – fügt sich mit dem Umgang der Besucher mit GHI-1 während des Facetrack Modus, wobei GHI-1 seinen Kopf in Richtung der Besucher wendet und somit einen Moment von sozialer Reaktion suggeriert. Daher wollen wir im nächsten Abschnitt den Facetrack Modus einleiten und die Überprüfung von GHI-1 Reaktionsfertigkeit zusammen mit der Unterstellung von Reaktionen wiedergeben.
7.3
Facetrack Modus
1. Beschreibung der Roboteraktivität: GHI-1 führt die in dem Idling Modus beschriebenen vorprogrammierten Körperbewegungen weiter aus. Zusätzlich bewegt GHI-1 den Kopf in die Richtung herannahender Besucher. Dies simuliert
202
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Reaktionen auf die Anwesenheit der Besucher. Vermittels der technischen Anwendung eines Facetrackingsystems (Gesichtserkennungssoftware) hebt und neigt der Roboter seinen Kopf mechanisch in die Richtung der herannahenden Personen. Das System bewirkt eine Zuwendung und Kopfbewegung des Roboters in die Blickrichtung der durch das System erfassten (Besucher-)Gesichter in einem Radius von etwa 4 Metern im Umfeld des androiden Roboters. Mit der Zuwendung an herannahende Personen zeigt der Roboter 1.) basale Anzeichen von wechselseitiger Wahrnehmung, suggeriert GHI-1 2.) momenthaft eine soziomotorische Reaktion, die zum Zwecke der Herbeiführung von direkter Berührung ausgeführt wird sowie 3.) die Fertigkeit, zu einer Begegnung im Mitfeld/-welt fähig zu sein.
7.3.1
Annäherungen der Besucher an GHI-1
Im Facetrack Modus können wir grundlegende Parallelen zu den Explorationsweisen der Besucher im Idling Modus feststellen. So erkunden die Besucher GHI-1 (hinsichtlich der leiblichen Positionierungen zu GHI-1, den Überprüfungen seiner motorischen Reaktivität als auch mit der Verwendung symbolischer Gesten zur Prüfung der Interaktionsfertigkeit GHI-1s) gemäß seiner reaktiven und interaktiven Fertigkeiten. Dabei richten sie vokale Grüße an ihn aus, betrachten das Setting als auch die Gestalt GHI-1s länger und näher, richten ihre leibliche Positionierung an GHI-1s Gestalt aus, reden in Anwesenheit GHI-1s über diesen und erkunden die technische Machart GHI-1s. Generell verläuft die Exploration von GHI-1 im Facetrack Modus ähnlich zu dem Schema der Exploration im Idling Modus, jedoch birgt das Verhalten der Besucher in dem Facetrack Modus nach der Feststellung von fehlender kommunikativer Reaktion einige Besonderheiten, die sich signifikant von den Verhaltensweisen der Besucher zur motorischen Reaktionsprüfung in dem Idling Modus unterscheiden und einen Zwischenschritt in der Zuerkennung von sozialer als auch personaler Präsenz gegenüber dem Roboter GHI-1 markieren. Mit dem direkten Blick GHI-1s in die Richtung der herannahenden Besucher verlagert sich das Verhalten der Besucher von der visuellen Exploration GHI-1s, durch die nähere Betrachtung bzw. Berührungen der Gestalt, auf zunehmende Variationen in der Prüfung der motorischen Reaktionsfertigkeit von GHI-1. In dem Facetrack Modus können wir (1) eine Steigerung der Anwendung von (multimodalen) Aufmerksamkeitshaschern, (2) eine Zunahme bei der Verwendung interaktiver Gesten („social cues“) gegenüber GHI-1 sowie (3) einen Rückgang der Berührungen von GHI-1 bzw. eine Aufrechterhaltung von (personaler) Distanz bei den leiblichen Positionierungen gegenüber GHI-1 beobachten.
7.3 Facetrack Modus
7.3.2
203
Aufmerksamkeitshaschende Aktionen
Auffällig ist die Zunahme der Überprüfung der Reaktivitäts- sowie der Interaktivitätsfertigkeit von GHI-1 durch reaktionsanregende Aufmerksamkeitshascher zur Feststellung der Spannweite von GHI-1s sozialen Aktionen. In dem Facetrack Modus konnten wir die dichteste Anwendung von Aufmerksamkeitshaschern beobachten, welche dazu dienen, das Reaktionsspektrum GHI-1s in motorischen und interaktiven Bereichen auszukundschaften. „Aufmerksamkeitshascher“13 haben die Funktion, die Aufmerksamkeit von einem (sozialen) Akteur auf einen anderen (sozialen) Akteur zu lenken und somit eine direkte Berührung herbeizuführen, um ggf. auf Dinge und Ereignisse im Umfeld zu verweisen oder Interaktion zu initiieren. Zur Steuerung der Aufmerksamkeit auf das Selbst als Partizipanten der Mitwelt/feldes (Besucher), muss die zur Aufmerksamkeit aufgeforderte potentielle Person (hier Roboter) dazu in der Lage sein (1) den Besucher als einen Akteur zu begreifen, der in Differenz zu seiner Umwelt bzw. zu seinem (Mit-) Umfeld steht und damit eine fundierende Deutung von Alter Ego als einem potentiellen Akteur zu vollziehen, (2) dazu in der Lage sein, die aufmerksamkeitshaschenden Aktionen als an ihn gerichtete zu erkennen sowie (3) diese als Aufforderung zur eigenen Aktionspassung bzw. Anschlussaktion verstehen. Der Einsatz von Aufmerksamkeitshaschern kann also als Überprüfung der Distinktionsfertigkeit von GHI-1 gegenüber menschlichen Akteuren als Teilhaber an einer Selbst-Mitwelt/-feld Relation als auch zur Überprüfung der Zugänglichkeit auf sozial-kognitiver Ebene gedeutet werden. Denn das „Lenken der Aufmerksamkeit“ durch Alter Ego (Besucher) erfordert genuin soziale Fertigkeiten des Akteurs Ego (hier von GHI-1) zur Erfassung der Aktionen Alter Egos als Anleitung zur Passung von Egos eigenen Aktionen. Die aufmerksamkeitshaschenden Aktionen der Besucher während des Facetrack Modus sind auf vielfältige Weise beobachtbar und wurden vornehmlich auf die akustische, visuelle und taktil-kinästhetische Wahrnehmungsfertigkeiten des Roboters hin angewandt. Bei der alleinigen Exploration des Roboters veranschaulicht M(50) in Transkript 1108 1120 mannspricht GHI-1 an die einfachste Form der Überprüfung von GHI1s Reaktionsfertigkeit durch aufmerksamkeitshaschende Aktionen, indem er die kinästhetische Rekognition GHI-1s betreffend seiner Körperposition fordert. Dabei bleibt M(50) zunächst frontal vor GHI-1, dessen Kopf M(50) zugewandt ist, stehen, spricht GHI-1 mit verbalen Grüßen an (Zeile 147: M(50): „Guten Tag! Hallo!“ und Zeile 150: M(50): „Hallo, Grüß Gott!“), um dann durch die Veränderung seiner Position (Zeile 148: M(50) geht von links nach rechts und zurück) festzustellen, dass GHI-1 seiner Position durch die Wendung des Kopfes folgt. Mit dem Gehen 13 Vgl.
den Begriff „Aufmerksamkeitsfänger“ von Tomasello (2009: 63).
204
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
von links nach rechts „lenkt“ M(50) die Aufmerksamkeit GHI-1s auf kinästhetische Weise, indem er dafür sorgt, dass GHI-1 seinen Kopf entsprechend M(50)s veränderter Körperpositionen wiederholt (mit-)wendet (Zeile 151). GHI-1 generiert hier den Eindruck, auf die Bewegungen M(50)s zu reagieren. Die aufmerksamkeitshaschende Aktion der Veränderung der Körperposition M(50)s zeigt sich entsprechend als erfolgreich, da GHI-1 seine Kopfbewegung an die Position M(50)s anpasst und somit auf der kinästhetisch (sozio-)motorischen Ebene Reaktionsfertigkeit bestätigt. Somit agiert GHI-1 im Minimalbereich der Gestaltwahrnehmung und zeigt eine Unterscheidungsfähigkeit von Gestalten in Abgrenzung zum Umfeld. Allerdings ist die Wahrnehmungs- und Deutungsfertigkeit GHI-1s auf die gestalthafte Selektion von Gesichtern und deren Position beschränkt, so dass die Reaktion auf menschliche Gestalten zwar bejaht werden kann, allerdings die Überprüfung von Interaktionsfertigkeit keine weiteren bestätigenden Ergebnisse liefert. GHI-1 etabliert zwar Blickkontakt mit M(50), ist aber darüber hinaus nicht dazu befähigt, allgemeine soziale Gesten wie Lächeln, Nicken o. ä. zu beantworten. Ähnlich verhält es sich mit der verbalen Ansprache M(50)s durch Grüße (Zeile 147: M(50): „Guten Tag! Hallo!“ und Zeile 150: M(50): „Hallo, Grüß Gott!“), indem GHI1 keinerlei symbolhafte Gesten als interaktives Anschlussverhalten generiert und somit den Hinweis zu seinem fehlenden Verständnis der Äußerungen als Motivation zur Produktion von Anschlusskommunikation liefert. So scheitert die Überprüfung der adäquaten Anschlussaktionen GHI-1s auf der Ebene allgemeiner nonverbaler als auch symbolischer Gestenverwendung und GHI-1 vermittelt eher den Eindruck eines auf körperliches Feedback restringierten Antwortverhaltens bzw. von prä-symbolischer leiblicher Zuwendung zu produzieren. Demnach erscheint GHI1 gegenüber M(50) als interaktiv inkompatibles, doch mindestens bezüglich der Erfassung von Körperpositionen als mechanisch-reagierendes Wesen. Während M(36) in Transkript 1108 1120 mann spricht GHI-1 an GHI-1s Reaktionen durch die Veränderung seiner Position auf der visuell-kinästhetischen Ebene reguliert, können wir Md(12) in Transkript 1108 1145 mann und mädel dabei beobachten, wie sie – in Begleitung weiterer Personen – vielfältige Versuche unternimmt, die Reaktionen von GHI-1 durch weitere Aufmerksamkeitshascher zu erfassen. Zu Beginn des Zusammentreffens mit GHI-1 stehen M(36), F und Md(12) frontal vor GHI-1, der direkt in ihre Richtung blickt, und halten lange und mehrfach Blickkontakt zu ihm (Zeile 152, 158). Md(12) vollzieht dann eine aufmerksamkeitshaschende Aktion in Richtung GHI-1, indem sie sich ruckhaft nach vorne in Richtung GHI-1 lehnt und dabei „Buh“ ruft (Zeile 160) allerdings keine motorische Reaktion – außer dem fortgesetzten Blick in MDs Richtung – von GHI1 erhält. Anschließend klatscht Md(12) zweimal hintereinander vor GHI-1 in die Hände und blickt auf Augenhöhe hinuntergebeugt in GHI-1s Gesicht, woraufhin sie
7.3 Facetrack Modus
205
erneut, außer dem fortgesetzten Blick in Md(12)s Richtung, keine zustandsverändernden Reaktionen seitens GHI-1 auf ihre aufmerksamkeitshaschenden Aktionen erhält (Zeile 162). Weiter stellt Md(12) sich frontal vor GHI-1, blickt ihn lächelnd an und erfährt durch die induzierte Kopfbewegung GHI-1s in ihre Richtung eine reziproke Aktion als eine an Md(12) ausgerichtete Blickrichtung GHI-1s (Zeile 164). Auch in Transkript 1108 1158 family (siehe unten) können wir durch M1 ähnliche auditiv induzierte aufmerksamkeitshaschenden Aktionen durch das mehrfache Schnippen mit dem Finger (Zeile 176, 179) feststellen. In beiden Transkripten sehen wir, wie die Besucher die Aufmerksamkeit von GHI-1 durch das Schnippen mit den Fingern, durch das Hand-vors-Gesicht-Halten oder durch ruckhafte Bewegungen (Md(12) Zeile 160) und Klatschen (Md(12) Zeile 162) – ohne Erfolg auf visueller und auditiver Ebene – auf sich zu lenken versuchen. Wie wir bereits in Transkript 1108 1120 mann spricht GHI-1 an herausgestellt haben, können wir auch in diesen Transkripten das Fehlen von interaktiven allgemeinen Gesten sowie von symbolischer Gestenkommunikation durch GHI-1 bestätigen, wobei die Besucher – im Gegensatz zu M(50) in Transkript 1108 1120 Mann spricht GHI-1 an – keinerlei Versuche unternehmen, GHI-1 auf der Ebene von symbolhaften Gesten zu testen. Vielmehr gibt es auch hier Hinweise darauf, dass, im Gegensatz zum Idling Modus, ein Anstieg an nonverbalen Gesten bzw. der Verwendung von Mimik zu verzeichnen ist. So agieren Md(12) und M(36)/M2 in Transkript 1108 1145 mann und mädel mit nonverbalen mimischen Gesten in Richtung GHI1, der es neben der adäquaten Blickrichtung versäumt, Resonanz auf der Ebene von mimischen als auch allgemeinen Gesten zu bieten (Zeile 158, 170). Auch bezüglich weiterer Unterredungen über GHI-1 sehen wir eine Parallele zu Transkript 1108 1158 family, in dem M2 S(3) und T(5) dazu auffordert, GHI-1 anzusprechen, die Prüfung der Interaktionsfertigkeit jedoch in den Hintergrund gerät und nicht zur vornehmlichen Analyse der Beschaffenheit von GHI-1 zurate gezogen wird. Eine sprachliche Anrede erfolgt in diesem Transkript nur einmal (Zeile 186). Das Fehlen von Interaktionsaufforderungen gegenüber GHI-1 auf symbolisch-verbaler Ebene, die vermehrte Anzahl an nonverbalen Interaktionsgesten (Zeile 176–177/Zeile 179), die leiblichen Distanzen sowie das Verharren auf Reaktionsprüfungen auf der Ebene von motorischen Reaktionen liefern Hinweise darauf, dass GHI-1 von den Besuchern vorrangig auf der prä-symbolischen, körperlich-leiblichen Ebene als potentiell reagierendes Wesen erforscht wird. Diese Beobachtung deckt sich teilweise mit der Unterstellung von Reaktionen im Idling Modus, wo wir ebenfalls, als Teil der interaktiven Exploration von GHI-1, die kommunikative Erkundung zwischen den Besuchern von GHI-1 beobachten konnten, welche inhaltlich, die (personale) Präsenz GHI-1s auf der körperlich-somatischen Ebene umfasst. Das Sprechen über GHI-1 in Gegenwart von GHI-1 und dessen
206
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Implikation für einen potentiellen Akteursstatus, werden wir in Abschnitt 7.6.5 unter der eigenen Thematik der Gesprächsreservate als symbolische Territorialbereiche vertiefen. Auch in Transkript 1108 1333 3guys werden die oben ausgeführten Punkte zur Anwendung von Aufmerksamkeitshaschern sowie der vermehrten „social cues“ bestätigt. Weiter verdeutlicht das Transkript ein weiteres differenzierendes Merkmal der Verhaltensweisen der Besucher gegenüber GHI-1. Wir sehen im Facetrack Modus, im Vergleich zu dem Verhalten der Besucher im Idling Modus, die Tendenz, bis zur Wahrnehmung der eingeschränkten Reaktionsfertigkeit, eine größere Distanz zu GHI-1 einzuhalten (vgl. Abb. 7.5, 7.6, 7.7 und 8.1). Dabei steigt die räumliche Distanz der Besucher gegenüber GHI-1 und die Häufigkeit von Berührungen und nahen Betrachtungen GHI-1 geht stark zurück. Dies gilt nicht für alle Fälle der Exploration von GHI-1 im Facetrack Modus14 , ist jedoch bei einer Vielzahl der Besucher, welche die Kopfbewegung GHI-1s als Reaktion klassifizieren, beobachtbar. Wir gehen davon aus, dass die Besucher mit der erweiterten räumlichen Distanz die Ungewissheit über eine potentielle personale Sphäre gegenüber GHI-1 markieren und entsprechend GHI-1 eine Art von Territorialbereich unterstellen, welcher sich ebenfalls auf der prä-symbolischen, körperlich leiblichen Ebene ereignet. Wir postulieren im weiteren Verlauf der Arbeit, dass die Einhaltung von Distanzen einen Beleg für die Anerkennung von Territorialbereichen und somit einen Hinweis für die Ungewissheit über den Personalstatus der Gestalt auf der Ebene der fundierenden Deutung liefert.15
14 In den Fällen in denen die Distanz schnell aufgehoben wird, ist eine Deckung zu der Exploration von GHI-1 durch die Besucher beobachtbar, die den beschriebenen Abläufen im Idling Modus gleicht. So gehen die Besucher näher an GHI-1 heran, betrachten GHI-1 von Nahem und berühren die Gestalt an Hand/Gesicht o. ä. Die Fälle der Aufhebung von Distanz zu GHI-1 schließen wir darauf zurück, dass die Besucher die Kopfbewegungen GHI-1s als alleinigen Bewegungsmechanismus erschlossen haben und keine weitere Reaktion der Gestalt erwarten, somit GHI-1 auf der Ebene der fundierenden Deutung/personalen Erscheinung näher betrachten. 15 Näheres zu den Differenzen betreffend der räumlichen Leibpositionierungen und Distanzen als Territorialmarker im Idling und Facetrack Modus sowie deren Implikationen für den Sozialstatus von GHI-1 wird ab Abschnitt 7.5 besprochen.
7.3 Facetrack Modus
7.3.3
207
(implizite) Erwartungshaltungen der Besucher
Die aufmerksamkeitshaschenden Aktionen der Besucher zeigen uns mithin deren Erwartungshaltungen gegenüber einem potentiellen Akteur. Mit den aufmerksamkeitshaschenden Aktionen der Besucher gegenüber GHI-1, sehen wir vielfältige Wege der Besucher, die Reaktionsfertigkeit GHI-1s herauszufordern. Dabei wählen die Besucher Aktionen, mit denen sie versuchen, die visuellen, auditiven, taktilen und kinästhetischen Wahrnehmungsfertigkeiten der Gestalt GHI-1s zu manipulieren, zu steuern und zu navigieren. So bewegen einige Besucher zur Überprüfung der visuellen Rekognition GHI-1s ihre Hand vor GHI-1s Blickfeld oder versuchen die Kopfbewegungen durch die Veränderung der eigenen leiblichen Position, durch das mit den Händen vor GHI-1s Gesicht Greifen, respektive durch das Bewegen von Objekten vor GHI-1s Gesicht zu steuern (siehe Abb. 7.4, 7.5, 7.6 und 7.7). Weiter finden sich zudem auf auditive Prüfungen basierende aufmerksamkeitshaschende Aktionen, wozu, neben dem Ansprechen von GHI-1, Pfeifen oder Klopfen gegen den Tisch gehören. Als Belege zur Prüfung der taktilen und kinästhetischen Reaktionsfertigkeit sowie Aufmerksamkeit finden sich in weiteren Transkripten im Facetrack Modus, neben dem Bewegen vor GHI-1s Blickrichtung, das Pusten in GHI-1s Gesicht, Berührungen oder das Boxen gegen GHI-1s Torsobereich.16 Die erwarteten Reaktionen auf die visuell, auditiv und taktil geprägten Aufmerksamkeitshascher sind Hinweise darauf, über welche Fertigkeiten GHI-1 als sozialer Akteur aus Sicht der Besucher auf der prä-symbolischen, körperlich-leiblichen Begegnungsebene verfügen sollte, um erfolgreiche Interaktion zu etablieren. Die Versuche der Navigation des Roboters können als Prüfung der Adaptivität des Roboters an eine belebte und sozial ausgerichtete Umwelt (und somit Mitwelt/feld) gedeutet werden. So sind bereits minimale Signale von Reaktionsfähigkeit, wie das Zuwenden sowie der potentielle Blickkontakt, erste Anzeichen dafür, dass Ego (Besucher) von Alter Ego (Roboter) auf der Ebene der fundierenden Deutung als potentiell sozialer Agent wahrgenommen wird und das Setting gegebenenfalls in eine direkte Berührung bis in den Modus der sozialen Präsenz überführt werden kann. Die vorläufige Offenheit – und damit Kontingenz der Reaktionsfertigkeiten – von GHI-1 führt zu weiteren Versuchen, die Grenzen der Reaktionsfertigkeit über Aufmerksamkeitshascher zu testen.
16 Einige der genannten Aktionen sind nicht in den beispielhaft ausgewählten und hier abgedruckten Transkripten enthalten, kommen aber im Datenpool des Öfteren vor. In dieser Arbeit wurden lediglich solche Transkripte als Beispiele selektiert, die einen hohen Informationswert für die Analyse haben und die Differenz der Exploration in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi verdeutlichen.
208
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Mit der Prüfung des Effekts von aufmerksamkeitshaschenden Aktionen auf die Resonanzfertigkeit des Roboters, liegt der Fokus der Besucher auf dem Testen der personalen, prä-symbolischen, körperlich-leiblichen, prä-sozialen Präsenz der robotischen Gestalt, die sich zudem durch nonverbale (wie gesteigerte Mimik und Gestik) sowie durch paraverbale Bezüge (wie Distanzen) äußern. Dabei werden die Grenzen der Reaktionsfertigkeit GHI-1s und dessen personale Präsenz17 gegenüber anderen Akteuren sichtbar. Diesbezüglich können wir im Facetrack Modus seitens der Besucher eine Steigerung der Verwendung von allgemeinen, nonverbalen mimischen Gesten, als „social cues“, gegenüber GHI-1 beobachten. Im Gegensatz zum Idling Modus sehen wir im Facetrack Modus, die Besucher in einem Zustand der Ungewissheit über dessen Rekognitionsfertigkeit von mimischen Ausdrücken und des Sozialstatus der Gestalt. Die Annahme von sozialer Agentenschaft kippt jedoch mit der fehlenden Kontinuität von Anschlussaktionen, welche soziale Reaktivität und Interaktion der Interaktionspartner erfordert. GHI-1 verbleibt – ungleich der Reaktionslosigkeit bei motorischen Aufmerksamkeitshaschern – regungslos, stellt so eine weitere Einschränkung seines interaktiven Aktionsspektrums bloß und damit seinen Anspruch auf eine temporäre Personalitätszuschreibung ein. Da der Roboter neben der Passung der Blickrichtung an erkannte Gesichter18 weder auf Aufmerksamkeitshascher noch auf mimische Ausdrücke reagiert19 , sondern in seiner Position verharrt bzw. den Kopf weiter in Richtung erscheinender Personen hebt, scheitern die Versuche zur Evokation der Aufmerksamkeit von GHI-1 durch Geräusche, physischen Kontakt, mimische Aufforderungen oder visuelle Gesten. Mit dem Scheitern der vielfältigen Aufmerksamkeitsevokation zeigen sich die Grenzen von GHI-1s Aktionsspektrum als auf die durch das Facetrackingsystem manipulierbare Blickrichtung limitiert. Dies führt zu enttäuschten Erwartungshaltungen hinsichtlich der Kontingenz von sozialer Reaktivität, weiter zum Abbruch der Kommunikationsversuche seitens der Besucher mit GHI-1 und schließlich zur Aufhebung der sozialen Akteursschaft des Roboters. Die Erfassung GHI-1s als reaktionsfähigem Akteur verbleibt indes für neue Besucher auf 17 Der Begriff der personalen Präsenz spielt für die weitere Bestimmung des Roboters als Entität auf der Ebene der fundierenden Deutung eine signifikante Rolle. Auf den Begriff und dessen Implikationen für die Bestimmung einer Entität wird näher in Abschnitt 7.4.7 eingegangen. 18 Die Zuwendung an herannahende Gesichter scheitert jedoch im offenen Feld an technischen Einschränkungen. Z. B. reagiert das Facetrackingsystem fehlerhaft, wenn mehrere Personen anwesend sind, die Distanz nicht mehr stimmt, die Person von dem technischen System nicht eindeutig erfasst wird etc. 19 Mimische Ausdrücke stellen dabei eine Sonderform von nonverbalen Aufmerksamkeitshaschern.
7.4 Explorationen der kommunikativen Deutung GHI-1s …
209
der Ebene der momenthaften Begegnung mit temporärer Personalitätszuschreibung. In dem Facetrack Modus liefert GHI-1 im Moment der Initiierung von Berührungen den Eindruck von sozialer Zugänglichkeit, die zum einen auf die Fertigkeit zum Gebrauch von allgemeinen Gesten und zum anderen auf die Reaktion und Rekognition des Roboters seiner sozialen Umgebung – und somit auf die Fertigkeit zur Selbst-Um-/Mitwelt/-feld-Differenz – hinweisen. Das Zuwenden des Kopfes in die Richtung herannahender Personen deutet zunächst auf eine potentielle präsymbolische, körperlich-leibliche Reaktion auf weitere Akteure im Mit-/Umfeld des Roboters hin und suggeriert die Fertigkeit zur situationsgebundenen Wahrnehmung von weiteren Personen im Blickfeld des Roboters, mit denen als Teil des Mitfeldes Kontakt aufgenommen werden kann. Durch die scheiternden Anschlussaktionen GHI-1s an die Aufforderungen zu motorischen oder kommunikativ-nonverbalen Reaktionen, liefert GHI-1 keine Basis für das Verstehen von nonverbalen präkommunikativen Passungen einer Kommunikationsgestalt und scheitert auf der Ebene der kommunikativen Deutung damit, den Eindruck eines sozialen Akteurs zu vermitteln. Indes verweist die Einhaltung von Distanz gegenüber GHI-1 auf die generelle Fragwürdigkeit der gestalthaften personalen Präsenz von GHI-1 und stellt dabei die fundierende Deutung in Frage. Welche Implikationen die Überprüfung von Reaktions- und Interaktionsfertigkeit auf der Ebene der sozialen Präsenz (basierend auf der kommunikativen Deutung) sowie die Differenzen bei den leiblichen Positionierungen als auch der verbalen Exploration von GHI-1 auf der weiteren Ebene der personalen Präsenz (basierend auf der fundierenden Deutung) haben, wollen wir in den nächsten Abschnitten genauer ausführen.
7.4
Explorationen der kommunikativen Deutung GHI-1s als Versuche des Übergangs zur sozialen Präsenz
7.4.1
fehlender Übergang von Ko-Lokalisation zu sozialer Präsenz
Betrachten wir die Ereignisse bei dem Zusammentreffen der menschlichen Besucher mit GHI-1, so können wir – sowohl im Idling als auch im Facetrack Modus – zunächst das Bemühen der Personen darin erkennen, motorisch reaktive und interaktive Aktionen als Fundamente für eine kommunikative Deutung bei GHI1 zu evozieren. So können wir feststellen, dass die Besucher bei ihrer Annäherung an GHI-1 durch dessen Gestalt indirekt berührt werden, dabei eine (ungewisse) fundierende Deutung vornehmen und (vgl. hierzu auch Abschnitt 7.7) im Anschluss
210
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
die Situation mit dem Roboter auf unterschiedliche Weise von einer indirekten Berührung in eine direkte Berührung sowie über Interaktion, aus dem Modus der präkommunikativen Präsozialität in den Modus der kommunikativen Sozialität bzw. in eine soziale Präsenzsituation zu überführen versuchen. Betrachtet man das Setting aus der Perspektive der unterschiedlichen sozialen Präsenzmodi (vgl. Kapitel 5), so wurden das Setting und der Verhaltensmodus GHI-1s im Idling Modus als eine Simulation einer Zusammenkunft im Präsenzmodus der Ko-Lokalisation konzipiert. Dabei ist GHI-1, als potentieller sozialer Akteur, für die Besucher des Cafés im Sinne der indirekten Berührung einseitig wahrnehmbar. GHI-1 suggeriert in dem Idling Modus einen potentiellen sozialen Akteur inmitten einer Selbst-Umwelt-Relation, bei der er seine Umgebung als eine Welt erfährt, auf die er einwirken kann. GHI-1 stellt mit seiner Platzierung, als einem auf einem Laptop schreibendem Wesen, eine potentielle Person dar, die den Laptop über den reinen Werkzeuggebrauch über eine akute Umfeldsituation hinaus als symbolverwendendes Wesen nutzt. Diese Bezugnahme auf den Laptop als Accessoire verstärkt zunächst den unmittelbar ersten Eindruck der Besucher (fundierende Deutung), dass es sich bei GHI-1 um ein Wesen mit Eigenschaften der exzentrischen Positionalität auf der Ebene der Selbst-Umwelt-Relation handeln könnte, welches potentiell auch zu einer Selbst-Mitwelt-Relation befähigt ist. Seine Haltung und Zugänglichkeit für Interaktionen sind auf der Ebene der kommunikativen Deutung jedoch durch den fortlaufend simulierten Fokus auf den Laptop, durch Unaufmerksamkeit gegenüber den Besuchern und durch das Ausbleiben von expressiven Signalen gegenüber sozialen Akteuren gekennzeichnet. GHI-1 simuliert eine Zentrierung auf seine unmittelbare Umgebung und ist dabei für die Besucher lediglich als potentieller Akteur im Sinne einer Zusammenkunft präsent. GHI-1s Arrangement fügt sich dem Verhaltensmuster von Akteuren, die zivile Unaufmerksamkeit und „non-engagement“ bei geteilten Anwesenheitsbedingungen ausstrahlen und sich in einer Situation der Ko-Lokalisation zueinander befinden. Entgegen Besuchern, die sein unmittelbares Wahrnehmungsfeld durchqueren, zeigt GHI-1 mit seinem Fokus auf den Laptop eine Haltung der „zivilen Unaufmerksamkeit“ sowie „höfliche Gleichgültigkeit“ und stimuliert Signale, die eine soziale Distanz perpetuieren. So sind weder Aufmerksamkeitsfoki, Zuwendung oder die Aktionskoordination GHI-1s gegenüber den Besuchern beobachtbar, die auf eine Anteilnahme bzw. Wahrnehmung und Affiziertheit durch weitere anwesende Personen hinweisen.
7.4 Explorationen der kommunikativen Deutung GHI-1s …
211
Abb. 7.4 Aufmerksamkeitshaschende Aktionen, wie Schnipsen (M1 & J(12)) und Winken (Md(11) aus Transkript A1108 1554 int family leaves
Abb. 7.5 „Hand-vor-dem Gesicht-Wedeln“, Zunge ausstrecken und an den Tisch klopfen durch J2(12) aus Transkript A1108 1554 int family leaves
Abb. 7.6 F1 und F2 aus Transkript 1108 1333 3guys mit der aufmerksamkeitshaschenden Bewegung „Hand-vor-dem-Gesicht-Wedeln“ gegenüber GHI-1
7.4.2
Übergang von der Ko-Lokalisation zur sozialen Präsenz im Idling Modus
Bei dem Versuch einen potentiellen Übergang zu einer Selbst/Leib–MitweltRelation durch Personen in geteilter physikalischer Anwesenheit mit GHI-1 einzuleiten, führen motorische Reaktionsprüfungen und soziale Anreize im Idling Modus zu keinerlei Aufmerksamkeitsverschiebung – und somit zu keinem Übergang vom Hauptengagement GHI-1s (Arbeiten am Laptop) in eine direkte Berührung. In dem Idling Modus versagt GHI-1, aufgrund des fehlenden reaktiven und interaktiven Feedbacks und dem (aus der Beobachterperspektive) nicht gelingenden
212
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Erzeugen einer Kommunikationsgestalt mit den Besuchern sowie mit dem ausbleibenden Fortführen und dem Beantworten der Initiierungsprozesse durch erwartbare symbolisch-expressive Gesten bzw. durch koordinierte Anschlussinteraktion. Somit scheitert der Übergang von der tendenziellen Ko-Lokalisation zu sozialer Präsenz bzw. zu sozialer Interaktion. In dem Idling Modus verharrt der Roboter in repetitiven Bewegungsabläufen, die weder an Ereignisse der Umwelt noch an denen der Mitwelt orientiert sind, sondern durch GHI-1s präprogrammierte Bewegungsabfolgen kontinuierlich und mechanisch perpetuiert werden. Dabei verlaufen seine Aktionen und Bewegungen parallel und unkoordiniert zu den Aktivitäten der Personen in der geteilten physikalischen Sphäre, wobei GHI-1 keine objektiv verifizierbaren Signale von direkter Berührung und interaktiver Involviertheit durch andere Personen im Sinne der sozialen Präsenz ausstrahlt.20
7.4.3
Facetrack Modus – soziale Präsenz?
Im Facetrack Modus hingegen wurde GHI-1 technisch entsprechend so angepasst, dass er Reaktionsfähigkeit hinsichtlich der Um- und Mitweltereignisse mimt sowie Aufmerksamkeit gegenüber den herannahenden Besuchern – vermittels der vermeintlichen Etablierung von Blickkontakt – entgegenbringt. Die Reaktivität des Roboters fügt sich in die Merkmale von Situationen partizipatorischer Anteilnahme, wie sie in dem Präsenzmodus der Ko-Präsenz zu beobachten sind. Der Roboter suggeriert hier maßvolle Aufmerksamkeit, situative Anwesenheit, Wachheit, Bewusstheit – bzw. einen Zuschauer oder „Zaungast“ – hinsichtlich der anwesenden Personen, die sich in die unmittelbare physikalische Präsenz des Roboters begeben. Die Zugänglichkeit erfolgt dabei auf non-verbale sowie auf paraverbale Weise und kann als Initiierungsschritt bzw. als Signal zur Verfügbarkeit für Interaktion gedeutet werden. In dem Facetrack Modus erscheint der Roboter in einem Zwischenstadium zwischen „ziviler Aufmerksamkeit“ und „zentrierter Interaktion“ und simuliert einerseits Aufmerksamkeit und Teilengagement in Richtung der weiteren sozialen Akteure in seinem unmittelbaren Umfeld, als auch – bei dem Heraustreten der Akteure aus dem Reaktionsfeld des Facetrackingsystems – eine teilzentrierte Beschäftigung am Laptop.
20 Die parallele Bewegungsabfolge bezeichnet eine Gegenposition zu seriellen Bewegungsabfolgen, die für die soziale Handlungskoordination zwingend notwendig wären.
7.4 Explorationen der kommunikativen Deutung GHI-1s …
7.4.4
213
Rekognition von sozialen Akteuren: Von der Selbst-Umfeld-Differenz zur Selbst-Mitfeld-Differenz
Bezüglich der Reaktionsfertigkeit GHI-1s zeigt sich im Facetrack Modus ein Unterschied zum Idling Modus. Mit der technischen Programmierung zum Erkennen von Gesichtern und im Falle der Zuwendung des Kopfes in die Richtung von erscheinenden Personen, wird auf der Ebene der sozialen Zugänglichkeit die Fertigkeit GHI-1s zur Selbst-Mitwelt-Unterscheidung sowie zu sozio-kognitiven Reaktionen suggeriert. Wir können beobachten, dass mit dem Zuwenden des Kopfes in die Richtung der herannahenden Besucher, eine Erwartungshaltung der Besucher erweckt wird, die sich an etablierten Erwartungsmustern (EEE) misst. GHI-1 suggeriert das Mindestmaß von Akteursschaft – im Sinne eines ZPW – indem die Wahrnehmung von Personen durch GHI-1 zunächst situationsadäquat über soziomotorische Aktionen erwirkt wird und somit über die Initiierung von Blickkontakt, als Grundstein für wechselseitige Wahrnehmung, eine Herbeiführung der direkten Berührung als Minimalkonstitution der präkommunikativen Sozialität (Kieserling 1999) in Gang gesetzt wird. Bei dem Facetrack Modus simuliert der Roboter die Fertigkeit zur Differenzierung von anderen Akteuren und von Ereignissen aus seiner Umwelt. Die Zuwendung des Blicks an herannahende Personen legt zunächst nahe, dass GHI-1 einen optionalen Interaktionspartner darstellt bzw. dazu fähig ist, Kommunikationsofferten bzw. die Initiierung von Interaktion zu signalisieren. Die Etablierung von Blickkontakt durch die Zuwendung des Kopfes in Blickrichtung weiterer Akteure, stellt eine allgemeine Geste („social cues“) für kommunikative Zugänglichkeit bzw. den Übergang zu zentrierter Interaktion dar. Somit suggeriert GHI-1 mit dem Moment der Zuwendung auf prä-symbolischer Ebene 1.) einen Initiationsversuch für Kommunikation, direkte Berührung bzw. zentrierte Interaktion, 2.) die Fähigkeit einerseits eine Selbst-Mitwelt/-feld-Unterscheidung zu treffen und dabei eine Leib-Mitwelt-Relation zu etablieren und andererseits 3.) zwischen Wesen zu unterscheiden, die zur Selbstbewegung fähig sind und ebenfalls in Differenz zur (Mit-)Umwelt stehen (entgegen Objekten, die ohne wechselseitigen Einfluss vorhanden sind). Letzteres deutet auf die Fertigkeit hin, sich in Relation zum Fremdbezug zu setzen und somit auf die Fertigkeit GHI-1s zur fundierenden Deutung und zur Rekognition von sozialen Wesen in der unmittelbar gegebenen gegenwärtigen Situation. Das Zuwenden und ggf. die Initiation von Blickkontakt mit anderen Akteuren generieren den Eindruck, dass GHI-1 dazu fähig ist, sich mit anderen Akteuren in einem Verhältnis des Miteinanders zu begeben und die Mitwelt bzw. das Mitfeld als von der Umwelt abgehobene Erlebniskomponente zu erkennen. Ereignet sich auf Basis der Zuwendung des Kopfes GHI-1s nicht nur lediglich unengagierte Ko-Lokalisation, sondern mitunter Blickkontakt – und
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7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
somit eine initiierende Kommunikationsgestalt – so können wir das Ereignis als momentane und potentiell direkte Berührung zwischen personalen Wesen klassifizieren, deren Wahrnehmung, Erlebnissphäre und Aufmerksamkeit aufeinander ausgerichtet sind. In jenem Moment erfolgt die entscheidende Grenzrealisierung zwischen Selbst- und Fremdreferenz. Der Modus des Facetrack bietet momenthaft während der visuellen Berührung den Eindruck – auch aus Beobachterperspektive Dritter –, der Realisierung von wechselseitigem Wahrnehmen, einen gegenseitigen Aufmerksamkeitsfokus sowie eine situationsadäquate Ausrichtung des Körpers GHI-1s als Richtungssuggestion. So erscheint GHI-1 im Facetrack Modus während der erfolgreichen Initiierung von direkter Berührung vermittels Blickkontakt, wie ein situativ-gegenwärtiges und praktisch ausgerichtetes (ZPW) Wesen dessen Wahrnehmungs-, Aktions- und Reflexionsspektrum auf mitfeldliche Ereignisse abgestimmt ist. Im Facetrack Modus ist die direkte Berührung und der Eindruck eines sozialen Akteurs allerdings begrenzt auf den Moment des Anblicks bzw. der Initiierung von Interaktion, da im weiteren Verlauf der Begegnung der Eindruck eines sozialen Wesens aufgrund des fehlenden Feedbacks auf multimodal ausgeführte Aufmerksamkeitshascher aufgehoben wird. GHI-1 scheitert bereits auf der Ebene der prä-symbolischen motorischen Reaktionen und bietet keine fortgeführten sozial-induzierenden Reaktionen, wie etwa mimische Ausdrücke oder symbolische Gesten, die über das kontinuierliche Anblicken hinausgehen. Der Facetrack Modus bietet lediglich im Initialmoment der wechselseitigen Wahrnehmung eine Weise der direkten Berührung, die mit der Signalisierung von Zugänglichkeit und der Überführbarkeit des situativen Settings von Ko-Präsenz zu sozialer Präsenz als Form der präkommunikativen Sozialität fungiert. Bei dem Versuch der Expansion von GHI-1s Sozialgebaren hin zu kommunikativer Sozialität, scheitert GHI-1 an der Aufrechterhaltung und der Variabilität der kommunikativen Gestaltformation, über die in der Situation gegebene reine Zuwendung hin zur rudimentären bzw. symbolischen Kommunikation mit potentiellen Sozialpartnern im Sinne von ZPW und EPW.
7.4.5
Übergangsversuche der sozialen Präsenzformen
Wir können postulieren, dass die Besucher in dem Idling und Facetrack Modus bei dem ersten Treffen mit der humanoid anmutenden Gestalt GHI-1s indirekt berührt werden und GHI-1 auf der Ebene der fundierenden Deutung als potentiellen sozialen Akteur verorten. Zur Überprüfung der Annahme unternehmen sie Versuche zum Übergang in eine wechselseitige direkte Berührung mit GHI-1 herbeizuführen – mit dem Ziel der kommunikativen Deutung. Wir gehen davon aus, dass die Besucher mit der verbalen Initiierung von Interaktion einen Übergang des
7.4 Explorationen der kommunikativen Deutung GHI-1s …
215
Status der Ko-Lokalisation (Idling Modus) bzw. Ko-Präsenz (Facetrack Modus) des Roboters in ein soziales Präsenzsetting erzielen und somit die reine „Zusammenkunft“ (Idling) bzw. „Anteilnahme“ (Facetrack) in eine „direkte Begegnung“ überführen wollen.21 Der Modus der präkommunikativen Situation soll dabei in eine kommunikativ-soziale Situation überführt werden und somit Auskunft über den erwartbaren Akteursstatus GHI-1s liefern. Die Überprüfungen der motorischen als auch interaktiven Reaktionen setzen eine Erwartungshaltung der Besucher hinsichtlich der Veränderung der Verhaltensweisen GHI-1s voraus, die sich auf der Ebene der Aktionen bei einem sozialen Wesen in dem Übergang von Ko-Lokalisation respektive Ko-Präsenz hin zu einer sozialen Präsenzsituation niederschlägt. Um als sozialer Akteur zu gelten, erwarten die Besucher ein reaktives und interaktives Feedback auf ihre sozialen Initiierungsversuche und eine dahingehende Transformation der Verhaltensweise des potentiellen Akteurs. Hierzu gibt es Anstrengungen, die Aufmerksamkeit GHI-1s, z. B. durch Aufmerksamkeitshascher, auf die Besucher zu leiten, dabei seine Zugänglichkeit zu testen und das Engagement von der Hauptbeschäftigung der vermeintlichen Laptoparbeit (Selbst-Umwelt-Relation) bzw. Teilzentrierung auf herannahende Personen oder Laptop, vollends auf die soziale Situation (Selbst-Mitwelt-Relation) zu lenken.
7.4.6
Scheitern der kommunikativen Deutung und der Hinführung zur sozialen Präsenz
Die fehlende Reaktion auf soziale Annäherungen verhindert den Übergang im Idling Modus vom potentiellen Setting der Ko-Lokalisation – sowie im Facetrack Modus vom potentiellen Setting der Ko-Präsenz – hin zu einer kommunikativen, sozialen Präsenz und enthebt die Besucher in beiden Aktivitätsmodi auf der Ebene der kommunikativen Deutung von dem Eindruck, dass es sich bei der anthropomorph gestalteten Figur, um ein sozial agierendes, reaktives Wesen (ZPW/EPW) handelt. Die Besucher finden sich entsprechend in einer lediglich räumlich-physischen Anwesenheitsrelation mit GHI-1s als einer fraglichen Gestalt auf der Ebene der fundierenden Deutung wieder, welche nicht zu einer elaborierten Selbst-MitweltRelation befähigt ist. Damit ist die kommunikative Deutung GHI-1s nicht gegeben, 21 In jenen Initiierungsversuchen zur Interaktion zeigen sich die Grundhaltung und Grunderwartungen der Besucher gegenüber dem Roboter zu dessen (erwarteten) Spektrum an sozialen Fertigkeiten. So gibt es Besucher, die den Roboter mit Initiierungsversuchen von verbaler Interaktion mit etablierten Grußritualen begrüßen, wie etwa („Hallo“, „Grüß Gott“, „Hello“, „Servus“, „Guten Tag“, „Sayonara“) bzw. mit selbsterfundenen asiatisch anmutenden Neologismen, wie („Huitshaa mon joo“) (vgl. Straub o. J.).
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
womit dem Roboter in einem ersten Schritt die kommunikative Basis für den Status eines sozialen Akteurs abgesprochen wird. Für die Präsenzmodi bedeutet dies, dass Ko-Lokalisation und Ko-Präsenz als Präsenzmodi in Interdependenz mit der Transformationsmöglichkeit in ein soziales Präsenzsetting (Begegnung) sowie mit dem Gelingen der kommunikativen Deutung stehen. Wichtig ist hier, dass bei einer fehlenden Fähigkeit zum Übergang der Präsenzmodi in die soziale Präsenz der soziale Akteursstatus aufgehoben wird. Für die Theorie der sozialen Präsenz bedeutet dies, dass lediglich Akteure, die zu einem Übergang von der Ko-Lokalisation bzw. dem Ko-Präsenz-Setting zur sozialen Präsenz befähigt sind, als soziale Akteure gehandhabt werden (vgl. Kapitel 5). Die Transformation zu sozialer Präsenz und zu einem Mitwelt-Verhältnis ist an das Vorhandensein von sozialen Akteuren gebunden, welche die Szenerie einer potentiellen Ko-Lokalisation, sprich von einer indirekten Berührung über das Mittel der Kommunikation, zu einem Setting der Ko-Präsenz bis hin zu einer direkten Berührung im Rahmen von sozialer Präsenz überführen können. Bleibt dieser Übergang aus, so lösen sich auch das Setting der Ko-Lokalisation sowie der Ko-Präsenz mit der Negierung des sozialen Akteursstatus auf und das Setting gerät zu einer rein physischen Anwesenheit (Idling) bzw. mechanisch-reaktiven Anwesenheit (Facetrack) von Akteuren (Besucher) inmitten eines fraglichen potentiellen Akteurs (Roboter) bzw. gegebenenfalls eines Objekts oder eines rein „raumerfüllenden Körpers“ (Plessner 1975: 131). Ausgehend von dem ausbleibenden Wechsel der situativen Settings hin zur sozialen Präsenz, können wir in beiden Aktivitätsmodi des Idling Modus und des Facetrack Modus die Aufhebung des in Frage stehenden Personenstatus des Roboters als sozialem Akteur bestimmen. Bezüglich des Akteursstatus scheitert GHI-1 daran, die durch die humanoide Gestalt als auch durch den an die Besucher gerichteten Fokus suggerierte Agentenschaft aufrechtzuhalten und zu bestätigen. Die limitierte Reaktionsfertigkeit GHI-1s, Regungslosigkeit als auch die fehlende Passung an die aufmerksamkeitshaschenden Aktionen der Besucher sorgen dafür, dass die Erwartungen gegenüber GHI-1 als einem sozialen Akteur nicht erfüllt werden und somit weder soziale Präsenz noch soziale Akteursschaft zuerkannt werden. GHI-1s fehlendes interaktives und soziomotorisches Feedback auf mitweltliche Aktionen disqualifizieren seinen sozialen Akteursstatus und klassifizieren ihn aufgrund seiner fehlenden (Selbst-Umwelt-/Mitwelt-)Relationen, seines kontinuierlichen Blicks sowie seiner repetitiven motorischen Aktionen als fraglichen Akteur bzw. als repetitiv-mechanisches Objekt (Idling) oder als reaktiv-mechanisches Objekt (Facetrack). Die Disqualifikation als sozial agierendes Wesen führt zu der Frage nach der Beschaffenheit von GHI-1s genuinem Wesen. Mit der Aufhebung der kommunikativen Deutung und der sozialen Appräsentation GHI-1s können wir
7.4 Explorationen der kommunikativen Deutung GHI-1s …
217
beobachten, wie bei den menschlichen Besuchern nun erneut die Frage nach der fundierenden Deutung GHI-1s emergiert. Um welche Art von Gestalt handelt es sich bei GHI-1, wenn nicht um eine soziale? Handelt es sich um einen ZPW-Akteur oder gar um ein Objekt? Dieses Hinterfragen der fundierenden Deutung zeigt sich im weiteren Umgang der Akteure mit GHI-1 auf zwei Ebenen. Einerseits sehen wir auf der nonverbalen Ebene in unterschiedlichen Graden die Aufhebung von persönlichen, räumlichen Territorialbereichen, wobei die materielle Gestalt sowie die technische Machart in den Fokus der Exploration der Besucher geraten (vgl. Abschnitt 7.6 f.). Andererseits können wir auf der Ebene der verbalen Interaktion Verstöße im symbolischen Territorialbereich nachweisen, die mitunter die Echtheit GHI-1s in Frage stellen. Wir wollen für den nächsten Teil, der sich mit der Frage nach der fundierenden Deutung GHI-1s befasst, postulieren, dass nach der Frage der sozialen Präsenz nun die Frage nach der personalen Präsenz GHI-1 zentral wird und die Besucher hierzu die Reichweite der Selbst-Umwelt-Relation GHI-1s erkunden. Diese Beobachtung bekundet die Hypothese, dass die fundierende Deutung der kommunikativen Deutung nachgeschaltet ist (vgl. Abschnitt 8.10 f.), wobei die fundierende Deutung die Beschaffenheit der Gestalt als personales Wesen bzw. als Objekt per se hinterfragt.22 Wir werden sehen, dass in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi auf unterschiedliche Weise personale, räumliche und gesprächsrelevante Territorialbereiche überschritten sowie in Gegenwart von GHI-1 aufgebrochen werden und GHI-1 dabei betreffend seiner personalen Echtheit in Frage gestellt wird.
7.4.7
Aufhebung der fundierenden Deutung, Territorialbereiche und der personalen Präsenz
Mit der obigen Analyse haben wir die Wege der Überprüfung der Interaktions- und Reaktionsfähigkeit GHI-1s im Idling sowie im Facetrack Modus durch die Besucher dargelegt und die Merkmale herausgearbeitet, die auf eine kommunikative Deutung und soziale Einbettung des situativen Settings hindeuten. Dabei konnten wir nachweisen, dass die Begegnung der Besucher mit GHI-1 in beiden Modi keine über die determinierte technische Programmierung hinausgehenden weiteren Andockstellen zur sozialen Bindung bietet. Damit haben wir nachgezeichnet, dass GHI-1 in beiden Aktivitätsmodi weder als sozialer Akteur noch als sozial-situativ präsent wahrgenommen wird. Mit der Negierung der sozialen Zugänglichkeit können wir indes 22 Präziser formuliert baut die kommunikative Deutung zunächst auf einer vermuteten fundierenden Deutung auf, misslingt die kommunikative Deutung jedoch, so wird die fundierende Deutung – und somit die personale Präsenz der betreffenden Gestalt – mit weiteren Explorationsmethoden in Frage gestellt.
218
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
weitere Explorationswege der Besucher beobachten, die auf nonverbaler als auch auf verbaler Weise ausgeführt werden und darauf hindeuten, dass die Besucher versuchen, eine grundlegende Deutung der Gestalthaftigkeit von GHI-1 vorzunehmen. Dies können wir bei den der grundlegenden reaktiven als auch kommunikativen Exploration nachgeschalteten Wegen der Annäherung an GHI-1 beobachten. Weiter versuchen die Besucher die Wesensart der Gestalt GHI-1s – bzw. dessen Echtheit (vgl. Abschnitt 7.7) – zu bestimmen und die Gestalt in ihrer Materialität, Reaktionsweise gegenüber der Selbst-Umwelt oder zur technischen Machart zu erfassen. Jene Exploration der genuinen Gestalt von GHI-1 wollen wir als Wege zur Bestimmung der fundierenden Deutung auf materieller, funktionsmäßiger und gestalthafter Ebene festlegen. Mit dem Hinterfragen der fundierenden Deutung wird der ursprüngliche Eindruck GHI-1s als potentiell sozialem Akteur – der durch die indirekte Berührung hervorgerufen wurde – bezweifelt. Die Gestalt GHI-1s wird nun hinsichtlich ihrer allgemeinen Konstitution erforscht und im Sinne einer vorhandenen personalen Präsenz betrachtet. Personale Präsenz stellt dabei die Vorstufe von sozialer Präsenz dar und ist als Quelle der fundierenden Deutung zu verstehen. Um die personale Präsenz festzustellen, wählen die Besucher Wege der Unterscheidung zwischen Personen und keinen Personen, respektive Objekten. Die Frage nach der personalen Präsenz ist dabei eng mit der Fertigkeit der fraglichen Gestalt zur Selbst-Umwelt Unterscheidung verknüpft und kennzeichnet ein Wesen hinsichtlich der Konstitution des Selbst als auch der autarken Erfassung von Ereignissen in ihrem unmittelbaren Umfeld bzw. der Selbst-Mitwelt-Relation (z. B. Facetrack Modus). Die personale Präsenz als Motiv zur fundierenden Deutung geht auf die grundlegenden Bedingungen ein, die Gestalten und potentielle Akteure ausmachen und in einem weiteren Schritt über die kommunikative Deutung zu einem potentiellen sozialen Akteur qualifizieren. Somit ist personale Präsenz eine Art Ausstrahlung von Personalität, die bei den Besuchern entsprechende personengeleitete Verhaltensweisen evoziert. Mit Blick auf die von uns analysierten drei Aktivitätsmodi Idling, Facetrack und Teleoperation, können wir Unterschiede in den verschiedenen Weisen der Annäherungen, Berührungen und nahen Betrachtungen der Gestalt GHI-1s durch die Besucher erkennen, welche uns zu dem Postulat führen, dass eine erneute Bestätigung der fundierenden Deutung und personalen Präsenz nach einer gescheiterten kommunikativen Deutung wiederholt wird und mitunter mit der Einhaltung von Territorialbereichen einhergeht. Wir werden sehen, dass personale Präsenz einen Vorläufer von sozialer Präsenz darstellt; die Erfassung der personalen Präsenz geht dabei über die reine Körperlichkeit des Akteurs hinaus und beinhaltet zusätzlich räumliche Bereiche als auch Objekte, die als Besitz und Eigentum das „Wirkfeld“ einer Person erweitern. Im Folgenden analysieren wir die Erkundung
7.5 Exkurs: Leibliche Raumpositionierungen als Hinweis …
219
GHI-1s auf der Ebene der personalen Präsenz. Da die personale Präsenz der sozialen Präsenz nachgeschaltet ist und die Erkundung GHI-1s im Idling als auch im Facetrack Modus nach der Aufhebung der sozialen Präsenz deckungsgleich verläuft, wollen wir die nachfolgenden Punkte als allgemeingültige Erkundungswege GHI-1s sowohl im Idling als auch im Facetrack Modus feststellen.
7.5
Exkurs: Leibliche Raumpositionierungen als Hinweis auf Personalitätszuschreibung?
Zur Bestimmung der Wesenhaftigkeit des Roboters als sozial-reaktiv agierendes Wesen erweist sich der Umgang der Besucher mit dem Roboter auf dem Level der leiblichen Raumpositionierungen als eine der Schlüsselkategorien zur Identifikation von Momenten der Zusprechung einer EPW-gleichen personalen Präsenz. Dabei betrachten wir die Distanzen und Raumverhältnisse der Akteure in Relation zu dem Roboter und markieren Bereiche, in denen Distanzen in der Exploration des Roboters gemäß etablierter akteursrelevanter Distanzen eingehalten bzw. diese überschritten werden. Die Markierung und Bestimmung des Raumverhältnisses als sozial-relevant bzw. als Hinweis auf ein Verhalten in Bezug zu personaler Akteursschaft, entlehnen wir den Kategorien für Territorialbereiche bei Goffman (1963b) und Hall (1966, siehe auch Giddens 1984). Nach einer kurzen Darlegung der Distanzen und derer Bedeutungen für menschlich soziale Akteure, wollen wir das Distanzverhalten der Besucher gegenüber GHI-1 in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi betrachten und eine Analyse bezüglich der damit implizit verwiesenen Haltung auf personale Präsenz gegenüber dem Roboter durchführen. Es wurde deutlich, dass die Besucher sich entsprechend des Aktivitätsmodus auf unterschiedliche Weise an den Roboter annähern. So kommt es, dass im Idling Modus nah an GHI-1 herangetreten wird und er bereitwillig berührt wird, dies jedoch in dem Modus des Facetrack ausgeblendet wird und schließlich eine Annäherung im Modus der Teleoperation lediglich nach Anfrage erfolgt. Diese Regulierung von Distanzen, die scheinbar auf der Reaktivität des Roboters beruhen, nutzen wir als weitere Hinweise für die Für- bzw. Absprache von sozialer Akteursschaft gegenüber GHI-1. Welche unterschiedlichen Distanzen die Besucher in den verschiedenen Aktivitätsmodi eingehalten haben, welche Bereiche dadurch markiert werden und welche Bedeutung wir daraus für die Zusprechung von Akteursstatus ableiten, wollen wir nach einem Exkurs zu den Territorialbereichen bei Goffman und Hall exemplarisch am Datenmaterial darlegen:
220
7.5.1
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Territorialbereiche nach Goffman & Hall
Bei Goffmans mikroanalytischen Studien des menschlichen Sozialverhaltens und seinen Beobachtungen zu der Organisation von sozialer Ordnung in Alltagssituationen, spielen neben der Darstellung des Selbst und gängigen Interaktionsritualen die Territorien des Selbst (1963a) eine prominente Rolle. Auch in seinem Werk Verhalten in sozialen Situationen – Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum (1971) legt Goffman dar, dass Personen im gegenseitigen Miteinander Distanzen nicht jedes Mal von Neuem bestimmen oder aushandeln, sondern sich im Alltag persönliche Raumreservate bzw. Territorien und Distanzverhalten etabliert haben. Diese beinhalten neben dem personenbezogenen, körperlich markierten, persönlichen Raum (egozentrisches bzw. personales Territorium), zu welchem die die Person am Nahesten umgebende Hülle (Haut/Kleidung) zählt, räumlich ortsgebundene Territorien (z. B. Eigenheim, Land) bzw. situative Territorien, wie der Benutzungsraum (Raum vor/um Individuum z. B. beim Betrachten einer Skulptur während eines Museumsbesuchs), Besitzterritorien (Eigentum), die Box, die für einen bestimmten Zeitraum unter dem Gebrauchsrecht einer sozialen Person stehen (z. B. reservierter Tisch im Restaurant, gemietetes Hotelzimmer) oder die Reihenposition, die den Anspruch auf vorrangige Aktionen innerhalb z. B. einer Einkaufsschlange regelt. Neben diesen personal verankerten als auch räumlich-situativ beanspruchbaren Territorien, listet Goffman zudem Territorien mit symbolischem Anspruch, die sich auf persönliche, private oder biographische Informationen zu einer Person beziehen (Informationsreservat), bzw. dem Gesprächsreservat, welches die Themen eines Gesprächs eingrenzt und den Ablauf und Anlass eines Gesprächs reguliert. Goffman listet demnach acht Formen von Territorialmarkern, welche situationsspezifisch den persönlichen Bereich bzw. das personale Territorium einer sozialen Person charakterisieren und die im Original als „personal space, stalls, use space, turns, sheath, possessional territory, information preserve, and conversational preserve“ (Goffman 1971: 40) benannt werden. Für unsere Analyse sind vornehmlich die persönlichen als auch räumlichsituativen Territorien, sprich das egozentrische personale Territorium, das situativortsgebunden räumliche Territorium sowie das symbolische Territorium, von Interesse und werden daher im Folgenden näher ausgeführt.23 Betreffend der persönlichen Bereiche von sozial anerkannten Personen (in menschlich geprägten Begegnungen) zählt das personale Territorium, als persönlicher Raum, zu dem 23 Die weiteren Territorien die Goffman nennt, spielen für unsere Untersuchung eine nebengeordnete Rolle und werden daher nicht näher behandelt. Hierzu zählt der Bezugsraum, Reihenposition, sowie das Gesprächs- als auch das Informationsreservat (Goffman 1974).
7.5 Exkurs: Leibliche Raumpositionierungen als Hinweis …
221
Bereich, „der ein Individuum überall umgibt und dessen Betreten seitens anderer vom Individuum als Übergriff empfunden wird“ (Goffman 1974: 56). Dabei sind jene persönlichen Räume nicht starr und unflexibel, sondern situativ variabel und beispielsweise durch „lokale Populationsdichte“, wie sie unter Umständen in überfüllten Orten vorkommen, irritierbar und die Überschreitungen des Bereichs situativ tolerierbar.24 Daher bietet der persönliche Raum statt einer rigiden Begrenzung, vielmehr ein „temporäres, situationelles Reservat, in dessen Zentrum sich das Individuum hineinbewegt“ (Goffman 1974: 57). Als dichtesten, engsten und intimsten Territorialmarker des persönlichen Raumes benennt Goffman die Haut bzw. Kleidung als „Hülle“ („sheath“). Diese umfasst den Körper der Person und stellt eine Begrenzung dar, welche die angemessene Distanz zu anderen Personen reguliert und von Berührungen etc. abgrenzt. Territorien stellen bei Goffman Bereiche dar, zu denen neben dem persönlichen Raum auch zu der Person zugehörige Objekte gehören, wobei sie ein legitimes Bezugs- und Aktionsfeld der betreffenden Person umreißen. Neben persönlichen Räumen, die durch den Körper, als die Hülle der Person, markiert werden, benennt Goffman als räumliches Territorium, welches außerhalb des Körpers zu finden ist, die „Box“. Die Box gilt als ein Territorium und Wirkfeld auf deren temporäre Besetzung eine Person Anspruch erheben kann (ders. 1974: 59 ff.). Die „Box“ kann durch ein reserviertes Zimmer, einen besetzten Platz in öffentlichen Verkehrsmitteln oder aber – wie in unserer Studie mit GHI-1 – durch die Belegung eines Cafétischs angezeigt werden. In unserer Studie ließe sich das Setting von GHI-1, d. h. seine Platzierung auf einem Stuhl – mitsamt dem Gedeck des Cafétisches, als Territorialbereich der Box, interpretieren. Die Platzierung von zu der Person zugehörigen Gegenständen oder Objekten in jenen Bereichen der Box, dienen als Markierung des Territorialbereichs als zur Person zugehörig und signalisieren diesen als belegt und als nicht für andere Personen frei zugänglich (ders. 1974: 71 ff.).25 Durch Markierungen von Raumansprüchen, vermittels materiell-gegenständlicher Objekte, wird zudem innerhalb der Box das Besitzterritorium eingegrenzt. Das Besitzterritorium kann dargestellt werden durch “Any set of objects that can be identified with the self and arrayed around the body wherever it is. The central examples are spoken of as ‘personal effects’ – easily detachable possessions such as jackets, hats, gloves, cigarette packs, matches, handbags and what they contain and parcels.”26 24 Dies äußert sich beispielsweise bei Distanzen von Personen in überfüllten Bahnen, Aufzügen o. Ä. 25 Diese persönlichen Gegenstände werden von Goffman zudem mit exklusiven Nutzungsansprüchen versehen und als Besitzterritorien bezeichnet. 26 Und das Zitat weiter: “(…) Finally, there are objects that remain tethered to a particular setting but can be temporarily claimed by persons present, much as can stalls: ashtrays,
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7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
(Goffman 1972: 38). Laut Goffman sind sämtliche eigene Gegenstände einer in aktuellen Gesellschaften anerkannten Person als Teil jenes Besitzterritoriums zu betrachten, durch welche die personale Sphäre zusätzlich Expansion im räumlichen Territorium erfährt.27 In unserem Fall signalisiert die Platzierung eines Laptops den Besitz bzw. die räumliche Zugehörigkeit zu sowie die Okkupation des Cafétisches durch eine Person. In unserer Studie erfährt die Platzierung des Laptops auf dem Cafétisch also eine dreifache Funktion; Einerseits wird eine Haupt- bzw. Nebenbeschäftigung des Roboters als sozialer Akteur gemimt, andererseits dient der Laptop dazu, den Cafétisch und das Setting als Zu-dem-Roboter-Gehörendes zu markieren und territorialen Anspruch anzumelden, bzw. die Territorialgrenzen für den personenbestimmten Bereich festzulegen und drittens als Eigentum von GHI-1 zu fungieren. Neben dem Caféstuhl wird durch die Belegung mit dem Laptop, einem Glas Wasser o. ä. (als Besitzterritorien d. h. Eigentumsmarker von GHI-1, dem die alleinige Verfügung über die Gegenstände unterliegt,) der Cafétisch zu dem Benutzungsraum GHI-1s, über den er – im Sinne einer anerkannten Person – verfügt und Eindringlinge sich unter Umständen nach der Erlaubnis zur Nutzung des Raumes erkundigen sollten. Wie wir anhand der Territorialbereiche feststellen können, geht die Verfügbarkeit des umgebenden Raumes – im Falle der Zuerkennung von (körperlichpersonaler) Präsenz – über die anwesende Person, bis hin zu Objekten in seiner unmittelbaren Umgebung, hinaus und wird von weiteren, im Raum agierenden Akteuren als eine Art Wirkfeld bzw. Wirksphäre der Person zugewiesen. Jenes „Wirkfeld“ beeinflusst die Inanspruchnahme des belegten Raumes durch den Akteur. Das Wirkfeld ist dabei der Aktionsraum, der als Erweiterung der personalen Präsenz einer Person gesehen werden kann, wobei die Präsenz einer Person auf deren Umfeld und zugehörige Gegenstände expandiert wird und somit über die kommunikativ-soziale Präsenz einer Person hinausreicht. Die persönlichen als auch räumlichen Territorien werden in der Regel nicht von anderen Personen überschritten (vgl. Hall 1966) und durch einen situativ und relational regulierten Abstand
magazines, cushions, and eating utensils are examples. One might also include here regulative command over mechanical creature-comfort devices: control over radio, television sets, temperature, windows, light and so forth.” (Goffman 1972: 38). 27 Auch wenn die in dem Experimentalsetting vorliegenden Gegenstände bzw. Güter nicht explizit in Goffmans Listung auftauchen, so reihen sich die in dem Experimentalsetting befindlichen Accessoires wie Laptop, Uhr, Brille, Bekleidung etc. in die Liste der Gegenstände, welche das Besitzterritorium von GHI-1 kennzeichnen.
7.5 Exkurs: Leibliche Raumpositionierungen als Hinweis …
223
aufrechterhalten.28 Trotz allem gelten Missachtungen und Verstöße gegen die Territorialordnung als territoriale Übertretungen und Territorien als Reservate, bzw. als „ein Bereich von Dingen, dessen Grenzen überwacht und verteidigt werden“ (Goffman 1974: 55). Eine Überschreitung der die Verhaltensordnungen regulierenden Distanzbereiche29 , kann dabei als Affront und gar als Verstoß gegen die Ordnung der Einhaltung einer Personalsphäre gewertet werden. Die Wahrung der Distanz-, Eigentums- und Personalsphäre, welche die direkt durch den Körper eingenommene Ortskoordinate der Person übersteigt, kann in der zwischenmenschlich organisierten Interaktionsstruktur als gemeinhin angewandte und inkorporierte Praxeologie30 zwischen den Akteuren bezeichnet werden. Das Einhalten oder Überschreiten von Distanzen vermittelt mitunter Grade von Beziehungsstrukturen (Intim/Fremd) und wechselseitigen Erwartungshaltungen (EEE) zum Umgang mit jener Distanzordnung sowie eine stille Übereinkunft über die Anerkennung der Anwesenheit eines personalen Akteurs. Weiterhin können auf symbolischer Ebene Territorialordnungen verletzt werden, indem das Interaktions- und Gesprächsreservat missachtet und jemandem ohne Engagement Interaktion aufdrängt wird bzw. eine Unterredung durch Laute o. ä. gestört wird.31
7.5.2
Setting GHI-1/Territorialbereiche
Die Konzeption des Settings in dem GHI-1 platziert wurde, kann mit den Territorialbereichen Goffmans beschrieben und in einem weiteren Schritt auf die 28 So lassen sich (unter Berücksichtigung situativer umstandsbedingter Ausnahmen) Verhaltensordnungen bzw. -regeln beobachten, welche die Inanspruchnahme des belegten Raumes ausschließt bzw. nur nach Einwilligung des Akteurs erfolgen darf. Eine ungefragt unmittelbare Annäherung an das „besetzte Territorium“ gilt als rüder Vorstoß gegenüber dem personalen Distanzbereich der den Raum einnehmenden Person. Mitunter wird dies als „ungeschriebene Regel“ moralisch festgelegt, evoziert jedoch bei kleinen Verstößen im Alltag, bis auf persönliche Ärgernisse, keine größeren Sanktionen. Zu den geahndeten Übergriffen der Territorialbereiche zählen Vergehen, wie Misshandlungen, mutwillige Verletzungen o. Ä. 29 Das Bewerten einer Annäherung als Übertritt des Distanzbereiches divergiert mit den Graden der Relation der Akteure zueinander. 30 Der Begriff ist eine Anlehnung an das Bourdieusche Prinzip der Inkorporation (2012 [1987]). 31 Verstöße und Überschreitungen gegen das persönliche Territorium werden nach subjektiven Maßstäben bewertet und entsprechend verteidigt. So formuliert Goffman: “In considering the minor situational and egocentric preserves of the self – the respect shown for them and the defenses employed of them – we are led to deal with what is somehow central to the subjective sense that the individual has concerning his selfhood, his ego, the part of himself with which he identifies his positive feelings.” (Goffman 1963b: 60).
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Verhaltensweisen der Besucher hinsichtlich der Befolgung oder Verstöße analysiert werden. Verstöße bzw. die Einhaltung von Territorialbereichen im Bezug zu GHI-1 können Aufschluss darüber geben, ob GHI-1 von den Cafébesuchern im Sinne einer Person mit territorialen Ansprüchen gehandhabt wird bzw. ob es zu Überschreitungen von Distanzen kommt. Dementsprechend wollen wir in einem ersten Schritt das Setting in die potentiellen Territorialbereiche GHI-1s einteilen und im Anschluss mit den Verhaltensweisen der Nutzer in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi und Präsenzmodi in Beziehung setzen. Daraus ergibt sich mit den leiblichen Positionierungen der Besucher gegenüber GHI-1 ein weiteres Mosaikstück zur Approximation an die potentiell personale Statuszuschreibung und somit an die personale Präsenz Zuschreibung gegenüber dem androiden Roboter GHI-1. Territorialbereiche im Setting Ausgehend von den bei Goffman postulierten Territorialbereichen sowie Ergänzungen aus den Studien Halls, wollen wir die Leibpositionierungen der Besucher gegenüber GHI-1 untersuchen. Entsprechend wollen wir die personalen, situativräumlichen sowie symbolischen Territorien, die sich in dem Cafésetting um GHI1 ergeben, benennen und figurativ darstellen (siehe Abb. 7.7). Dabei wollen wir den Bereich, der die gesamte „Wirksphäre“ des personalen Settings umfasst, als „Box“ kennzeichnen. Die „Box“ dient als begrenzter Raum auf den GHI-1 als potentielle Person Anspruch erheben kann und innerhalb dessen alle weiteren Territorialbereiche GHI-1s fallen. Die Box umschließt also das Wirkfeld GHI-1s und auch dessen Zonen zur Platzierung von Eigentum oder des personalen Raums. Der Territorialbereich der Box ist markiert durch die Platzierung GHI-1s an einem Cafétisch, der von einem übergeordneten Setting (einem Café in der Innenstadt von Linz) gerahmt ist. Somit zählen sowohl der Stuhl, auf dem GHI-1 platziert wurde, sowie der Tisch, der mit einem Laptop belegt ist, als auch die weiteren freien Plätze zu dem Wirkfeld und somit zu dem unmittelbaren situativen Benutzungsraum bzw. als Besitzterritorium GHI-1s. Bei dem Besitz handelt es sich um Gegenstände, wie Accessoires, die GHI-1 an seinem Körper trägt, der Prospektauslagen als auch dem Laptop, der als simulierter Aufmerksamkeitsfokus und Arbeitsgerät des Roboters für vorübergehende Zeit die Ausweitung des „personal space“ stellt (vgl. Goffman 2010: 33). Nach den Maßstäben gesellschaftlicher Interaktionsordnungen beansprucht GHI-1 das Recht der Verfügung über den Raum als den Seinigen, in dem er Dinge platzieren kann, den er für den Zeitraum seines Aufenthaltes einnehmen darf und über dessen Belegung durch Dritte er entscheiden kann. Die freie Inanspruchnahmen durch andere, ohne Rückfragen an den Sitzenden, gelten in dem Falle als Eindringen bzw. Aufdrängen in das räumlich-situative Territorium GHI-1s. Gehen wir nun näher an den Körper und somit in den Territorialbereich der „Hülle“ des Roboters heran, so treffen wir auf den persönlichen Raum, der GHI-1 im
7.5 Exkurs: Leibliche Raumpositionierungen als Hinweis …
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Falle einer personalen Zuschreibung umgibt. Die „Hülle“, die GHI-1 umgibt, wird durch Silikonhaut und Kleidung gestellt und ist direkt an seinen materiellen Körper angrenzend. Nach Goffman sind Verstöße in alltäglichen Interaktionssettings dann zu verzeichnen, wenn es zu haptisch-taktilen, visuellen oder proxemischen Überschreitungen der personalen Sphäre kommt. Verstöße und Übertretungen bedeuten die Missachtung der räumlichen Markierungen durch das Einnehmen eines von einer Person beanspruchten und markierten Territoriums, durch Verringerung von Distanzen oder direkte taktile Berührungen, die wider Willen der Person getätigt werden, wie mitunter durch das Anstarren und kontinuierlichen Anblicken einer Person (Goffman 1963a: 44 ff.). Wenden wir uns den Studien Edward Halls (1966) zu, so können wir noch weiterreichende Distanzzonen als Bereiche der Verfügung über persönlichen Raum im Rahmen von Interaktionssituationen differenzieren und deren Handhabung seitens der Besucher analysieren. Edward Hall gilt mit seinem Werk The Hidden Dimension als treibender Impuls zur Etablierung des Forschungszweigs „Proxemik“, der einen Blick wirft auf den personalen Raum bzw. auf die interpersonalen Distanzen, welche Miteinander-In-sozialer-Relation-stehende-Personen einnehmen. Die Unterscheidung der Distanzen, die Hall vornimmt, sind an dem Wahrnehmungsbereich und den sensorischen Input der Beteiligten orientiert und begründet sich in der Form der Interaktion sowie der Relation und der Gemütsverfassung der Beteiligten zueinander.32 Aus Sicht der kommunikativen Funktion von Distanzen bzw. von sozialen Bedingungen, die sich durch unterschiedliche Distanzen ergeben, ändern sich die Relationen, Erwartungen und Kommunikationsbedingungen der Beteiligten z. B. bezüglich der Auswahl, Inhalte und Intensität der kommunikativen Ausdrucksformen. Hall listet vier „Dimensionen“, die entsprechendes über die Relationen der Akteure im Bezug zur Wahl der kommunikativen Inhalte aussagen. Dabei handelt es sich um die a) intime Distanz, die von Hall in eine nahe 0–15 cm und bei 15–45 cm als ferne Distanz unterteilt wird. Bei der intimen Distanz ist die Wahrnehmbarkeit des sensorischen Inputs bis ins Detail gesteigert und Berührungen (ob zufällig oder gewollt) der Beteiligten werden wahrscheinlich. Die Beteiligten stehen nah zueinander, so dass des Weiteren olfaktorische Wahrnehmungen sowie thermale Körperwärme spürbar werden können. Bezogen auf den visuelle Fokus bewirkt die Nähe zu dem Interaktionspartner zudem eine detailgetreue Sicht auf das Gesicht und den oberen Bereich des Oberkörpers, jedoch auch eine verzerrte visuelle Wahrnehmung der Gesamtgestalt des Gegenübers und sorgt für eine 32 Siehe das Originalzitat von Hall: „The specific distance chosen depends on the transaction; the relationship of the interacting individuals, how they feel, and what they are doing.“ (Hall 1966: 128).
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
erhöhte Wahrnehmbarkeit geringster auditiver Laute, wie z. B. der Atmung oder dem Flüstern des Gegenübers. Die Konstellation von Interaktionsabständen der intimen Distanz ist bei Personen, die in einer persönlich-intimen Relation (wie Familie, Freunde, Partner, Mutter-Kind-Relation, Tanzpartner) zueinanderstehen, beobachtbar und erwünscht. Durch situative Umstände herbeigeführte Überschreitungen der intimen Distanz durch Fremde, wie z. B. bei überfüllten Verkehrsmitteln oder im Falle von Massenveranstaltungen, kann die verminderte Absicht der Beteiligten, die intime Distanzzone des anderen zu beanspruchen, durch den Entzug der Körperorientierung (bzw. der Abkehr der Wahrnehmungsorgane) signalisiert werden sowie durch distanzierende Maßnahmen des „non-engagements“ und Signalen von Unzugänglichkeit auf ein Level der Ko-Lokalisation nivelliert werden.33
Abb. 7.7 Territorialmarker im Setting von GHI-1 (Eigene Darstellung)
33 Hall beschreibt die Aufhebung von intimen Distanzrelationen unter Fremden in beengten Örtlichkeiten (hier U-Bahn und Fahrstuhl): “The basic tactic is to be as immobile as possible and, when part of the trunk or extremities touches another person, withdraw as possible. If this is not possible, the muscles in the affected areas are kept tense. For members of the noncontact group, it is taboo to relax and enjoy bodily contact with strangers! In crowded elevators the hands are kept at the side or used to steady the body by grasping a railing. The eyes are fixed on infinity and are not brought to bear on anyone for more than a passing glance.” (Hall 1966:118). Vgl auch die graphische Darstellung der Distanzzonen (Hall 1966:126 f.)
7.5 Exkurs: Leibliche Raumpositionierungen als Hinweis …
227
Die zweite Distanzzone stellt bei Hall die b) persönliche Distanz. Diese wurde durch Hall als „nah“ bei einer Distanz von 45–75 cm und als „weit“ bei 75–120 cm angesetzt. Hier stehen die Beteiligten in Reichweite zueinander, obgleich die weite persönliche Distanz keine Berührung des Gegenübers bei gestreckten Armen bietet (outside touching distance). Bei der visuellen Betrachtung sind das Gesicht und der Oberkörper deutlich sichtbar sowie etwaige Bewegungen der Finger bzw. des Körpers lediglich peripher wahrnehmbar (bei änderndem Blickfokus geraten Gesicht und Oberkörper aus dem Fokus). Die Stimme während der Interaktion ist in Zimmerlautstärke bzw. Gesprächslautstärke gehalten. Die persönliche Distanz ist zu finden bei Sitznachbarn und bei Personen, die sich in einer Face-to-face-Interaktion befinden. Die c) soziale Distanz wird von Hall bei einem nahen Abstand von 120–200 cm und im weiten Abstand von 200–350 cm begrenzt. Sich gegenüberstehende Personen können sich bei ausgestreckten Armen in der nahen sozialen Distanz berühren. Die soziale Distanz gilt als eine formale Distanz, bei der eine detaillierte Betrachtung des Gesichts durch die periphere Sicht auf den gesamten Körper abgelöst wird bzw. beides, Oberkörper und Gesicht, im Blickfeld der Beteiligten liegen. Die Gesprächslautstärke ist der Distanz nach angepasst und entsprechend von Personen im Umfeld mithörbar. Beispiele für die soziale Distanz finden sich bei Konferenzen und der Begegnung Fremder in einem weitflächigen Setting. Bei der sozialen Distanz kann ein Übergang von individueller Hauptbeschäftigung zu gemeinsamer Zusammenarbeit bzw. zu sozialer Intervention vice versa vollzogen werden. Schließlich benennt Hall mit der Distanz ab 350–700 cm die d) öffentliche Distanz. Bei jener Entfernung ist die detaillierte Betrachtung und der Zugriff auf die wahrnehmbaren Äußerungen des Gegenübers stark beschränkt und die Person in ihrer ganzen Figur erfassbar. Öffentliche Distanz, die – ob nah oder fern – eine Interaktionsstruktur mit entfernten Beteiligten darstellen soll, erfordert die Verstärkung des Ausdrucksgebarens der Beteiligten. Hierzu werden Stimmvolumen und Gestik expressiver. Oftmals ist zu beobachten, dass der sprachliche Ausdruck klarer und langsamer artikuliert wird und Gesten größer und gezielter eingesetzt werden. Die öffentliche Distanz als Kommunikationsdistanz ist geeignet bei Vorträgen, wie der Rede eines Präsidenten bzw. Veranstaltungen mit einem Hauptakteur und einer Vielzahl an Zuschauern. Mit dem Hall’schen Vokabular für Distanzen und Goffmans Begriffen für Territorialreservate können wie eine genauere Analyse des Verhaltens der Besucher bezüglich der Territorialbereiche von GHI-1 im nächsten Abschnitt durchführen.
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Anwendung auf die Studie
Im Falle der Platzierung von GHI-1 können Hinweise auf die Einhaltung der personalen Wirksphäre und auf die Anwendung der Distanzordnung von Seiten der Nutzer dazu beitragen, inkorporierte Praxeologien gegenüber dem Roboter angewandt zu finden und im Rückschluss einen Hinweis auf die Zuerkennung einer personalen Präsenz gegenüber dem Roboter zu prognostizieren. In dem Idling sowie im Facetrack Modus haben wir bereits die Negierung der kommunikativen Deutung und den fehlenden Übergang zu einer sozialen Präsenz (Selbst-Mitwelt-Relation) GHI-1s nachweisen können und belegt, dass die Besucher auf der Ebene der Interaktivität und sozialen Reaktivität kein Feedback des Roboters erhalten und somit GHI-1 die sozial-kommunikative Agentenschaft absprechen. Die Anschlussaktionen zur weiteren Exploration des Roboters haben wir auf der Ebene der fundierenden Deutung verortet und als Hinterfragung der Echtheit und territorialen Grenzen des Roboters sowie dessen personaler Präsenz klassifiziert (Abschnitt 7.5 f.). Bei den Explorationsweisen der Besucher fällt auf, dass in den unterschiedlichen Präsenzmodi unterschiedliche Wege der Annäherung an GHI-1 erfolgen, wobei der Blick auf die leiblichen Positionierungen mit räumlichen, persönlichen und symbolischen Territorialbereichen sowie der Einhaltung bzw. Überschreitung jener Distanzen signifikante Hinweise auf die Grade des Zuspruchs von personaler Präsenz gegenüber GHI-1 liefern. So können wir in den unterschiedlichen Modi differente Annäherungen der Besucher beobachten und anhand der Einhaltung und der Brüche in den Territorialbereichen, die Zubzw. Absprache einer personalen Präsenz von GHI-1 ableiten. Um den Zusammenhang mit dessen Aktivitätsmodus bzw. Präsenzmodus zu erörtern, werden die Aktivitätsmodi in gesonderten Kapiteln auf die Anerkennung der Territorialbereiche hin betrachtet. Im Folgenden postulieren wir (mit Vorgriff auf die Ergebnisse des Teleoperationsmodus) den Zusammenhang der Einhaltung von Territorialbereichen und Distanzen als Hinweis auf die Erfassung GHI-1s als einem Akteur, dem eine personale Sphäre – und somit personale Präsenz – zugestanden wird. In den Idling und Facetrack Modi konnten wir auf den Ebenen der a) Annäherung im personalen sowie sozialen Raum und Brüchen in der Distanzordnung durch Berührung, b) Anerkennung räumlicher Territorialbereiche als Besitzterritorium und c) dem symbolischen Territorialbereich als Informations- und Gesprächsreservat entsprechende Brüche in den Territorialordnungen durch die Besucher erkennen. Diese wollen wir nun als Indizien zur (fehlenden) Zuerkennung von personaler Präsenz gegenüber GHI-1 näher betrachten.
7.6 Anwendung auf die Studie
7.6.1
229
a) Annäherung im personalen und sozialen Raum und Brüche der Distanzordnung durch Berührung: Leibliche Positionierungen als Hinweis auf personale Statuszuschreibung gegenüber GHI-1
Idling Modus Im Idling Modus haben wir durchgängig Annäherungen der Besucher zu GHI-1 beobachten können. Um eventuell verborgene Fertigkeiten zu entdecken, bzw. um die Grenzen der Fertigkeiten zu bestimmen und den Roboter auf seine Materialität hin zu betrachten, setzen die Besucher die Exploration des Roboters im Falle des Idling Modus wie folgt fort: Neben den verbalen Initiierungsversuchen von Interaktion erkunden die Besucher den Roboter vornehmlich auf seine physische Beschaffenheit. Die gängigste Annäherung erfolgt durch das nahe Herantreten an den Roboter, dem Nach-vorne-Beugen und der genauen Betrachtung des Gesichts, der Hände, der Statur, der Accessoires bzw. des Bildschirms. In den entsprechenden Szenen erkunden die Personen den Roboter hinsichtlich seiner Beschaffenheit, seiner interaktiven Fertigkeiten, seiner technischen Machart als auch betreffend seiner senso- und soziomotorischen Fähigkeiten.34 Mit dem sukzessiv annähernden Herantreten an GHI-1, der langen Betrachtung des Gesichts und der Körperpartien GHI-1s von Nahem als auch vermittels der mehrfachen Berührungen von GHI-1s Gestalt, konnten wir regelmäßige Überschreitungen des personalen Territoriums GHI-1s durch die Besucher beobachten. Die Besucher verstoßen dabei mit ihren leiblichen Positionierungen in Relation zu GHI-1 auf taktiler, visueller und interpersonaler Ebene (Proxemik) gegen die von Goffman gelisteten Distanzordnungen, die (im zwischenmenschlichen Diskurs) personalen Akteuren zuerkannt werden und gemeinhin als Personalsphäre fungieren. Mit den taktilen Berührungen von Silikonhaut, Bekleidung oder Haaren als auch dem nahen visuellen Fokus auf GHI-1s Gestalt, agieren die Besucher im Territorialbereich von GHI-1s „Hülle“ und somit im Bereich der personalen
34 Diese Weise des „Begreifbarmachens“ eines noch unbekannten Subjekts/Objekts in der Alltagswelt finden wir in allen drei Aktivitätsmodi des Roboters wieder. Die Exploration und Erkundung eines neuen Objektes und dessen Wirkkreis/-ungsmacht scheint ein Bedürfnis zur Klarstellung des Status des unbekannten Objekts darzustellen. Wir sehen jedoch in unserer Studie, dass die Art und Weise der Annäherung in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi stark mit der Reaktionsfähigkeit des Roboters variiert. Vgl. hierzu auch Straub (2016) und Alaˇc (2016).
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7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Sphäre und bewegen sich in dem – von Hall definierten – proxemischen Feld der interpersonal-intimen Distanz.35 „Der Akt des Anstarrens gehört zu den Dingen (sic!), die man normalerweise einem anderen Menschen nicht antut; das angestarrte Objekt (sic!) scheint so nämlich in einer Kategorie für sich isoliert zu werden. Man sprich nicht zu einem Affen im Zoo oder zu einem Monstrum im Panoptikum – man starrt sie an.“ (Goffman 1971: 87)
Die Besucher vollziehen jene Annäherungen nach der Prüfung des reaktiven und interaktiven Feedbacks von GHI-1, das ausbleibt (vgl. Abschnitt 7.4.6) und prüfen, ob ihre bisherige fundierende Deutung GHI-1s als potentiellem Akteur zusammen mit der personalen Präsenz in Frage gestellt werden kann. Durch die annähernden leiblichen Positionierungen der Besucher an GHI-1 ereignet sich eine Aufhebung der personalen Distanz, die über die personale Sphäre des Roboters hinausgeht. Dies bietet einen ersten Hinweis auf die fehlende anerkannte personale Präsenz und auf die Aufhebung der fundierenden Deutung GHI-1s als einem personalen Akteur im Idling Modus. Dieser Eindruck soll mit der Analyse des Umgangs mit den räumlichen und symbolischen Territorialmarkern GHI-1s weiter untermauert werden (Abschnitt 7.6.2). Facetrack Modus Verglichen mit dem Idling Modus zeigen sich im Facetrack Modus signifikante Varianzen bei den leiblichen Positionierungen der Besucher gegenüber GHI-1. In diesen Fällen können wir neue Wege im Umgang mit GHI-1 feststellen. Während die Besucher im Idling Modus möglichst nah an GHI-1 herantreten und ihn mehrheitlich auch haptisch-taktil erkunden, können wir im Facetrack Modus eine erweiterte Distanz zu GHI-1 beobachten.36 Die Besucher bewegen sich dabei größtenteils im Bereich der Gesichtserfassung und approximieren GHI-1 bis zu dem Bereich der 35 Das nahe Herantreten, Berühren, Anstarren oder Begutachten wird gemeinhin von personalen Akteuren als unangenehm empfunden und als Verstoß und Überschreitung von persönlichen Bereichen wahrgenommen.Edward Hall hat die unmittelbare Sphäre um soziale Agenten in die Kategorien als personale Region benannt, und diese Distanzen als Persönlichkeitsbereiche von sozialen Akteuren bezeichnet. Vornehmlich in westlichen Kulturen gilt ein Überschreiten der persönlichen Sphäre durch unqualifizierte/Fremde als Verstoß gegen eine ungeschriebene Höflichkeitsroutine, welches Unbehagen bei dem betreffenden Akteur auslöst. 36 Die Varianzen sind jedoch nicht für den Facetrack Modus verallgemeinbar. In einigen Fällen ist die fortgeführte Exploration GHI-1s deckungsgleich mit den Fällen im Idling Modus. Dort nähern sich die Besucher an GHI-1 heran, betrachten ihn von Nahem und überprüfen die technische sowie materielle Machart der Gestalt (z. B. durch Berührung, nahe Betrachtung). Bei deckungsgleichen Fällen zeigt sich eine Ignoranz gegenüber der Erfassung der
7.6 Anwendung auf die Studie
231
persönlichen bzw. sozialen Distanz und verringern freie Berührungen oder weitere Eingriffe in den Bereich der intimen Sphäre. Die Besucher haben im Facetrack Modus also eine größere Distanz zu GHI-1 und vermeiden die materielle Exploration auf haptisch-taktile Weise. Zudem ereignen sich die Ausführungen von visuellen aufmerksamkeitshaschenden Aktionen unmittelbar im potentiellen Blickfeld GHI-1s, die auditiven aufmerksamkeitshaschenden Aktionen in entgegengesetzter Richtung (also fernab der derzeitigen Aufmerksamkeitssuggestion).37 Beides dient dazu, eine – durch die Wendung des Kopfes in die Richtung der aufmerksamkeitshaschenden Aktion – aufmerkende Reaktion GHI-1s zu erzielen und trägt den Charakter der Initiierung von soziomotorischen Aktionen. Im Gegensatz zum Idling Modus werden im Facetrack Modus erweiterte Reaktionsprüfungen vorgenommen, die auf einer niedrigeren Schwelle ansetzen als die kommunikativen Reaktionsprüfungen im Idling Modus. In Abschnitt 7.4 haben wir auf diese als prä-symbolische, leibliche Ebene Bezug genommen. Während die Besucher im Idling Modus keine unvorhersehbaren Reaktionen von GHI-1 erwarten und ihn frei von personalen Territorialbereichen erkunden sowie berühren, ändert sich das Verhalten im Bezug zu personalen Territorialmarkern im Facetrack Modus. Die Besucher halten in Konkordanz eine Distanz zu GHI-1 ein, welche die haptisch-taktile Begutachtung des Materials als auch die nahe Betrachtung des Roboters hintanstellt. GHI-1 wird in dem Sinne zwar nicht als kommunikativ befähigter Akteur (also auf der Ebene der sozialen Präsenz) erfahren, allerdings wird eine ungewisse potentiell-kontingente mechanische Re-Aktionsfertigkeit nicht ausgeschlossen. GHI-1 wird entsprechend der Einhaltung von personaler Distanz also ein diffuser personaler Territorialbereich zuerkannt. Dies bedeutet – auch in Hinblick auf b) räumliche Territorialbereiche und c) symbolische Territorialbereiche – nicht zwangsläufig, dass GHI-1 vollends als personaler Akteur erfahren wird, jedoch, dass personale Präsenz – und somit eine grundlegende fundierende Deutung GHI-1s als potentiell sensitive Person, die auf prä-symbolischer Ebene in restringiertem Maße auf Aufmerksamkeitshascher reagiert – nicht ausgeschlossen ist.
Kopfbewegungen GHI-1s – d. h. eine Aufhebung dieser, als sozial signifikanter Geste und als Hinweis auf eine potentiell soziale Akteursschaft. 37 Vgl. hierzu Abschnitt 7.3.2 zu „aufmerksamkeitshaschenden Aktionen“ in den Facetrack Modi.
232
7.6.2
7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
b) Territorialbereiche anerkennen/Accessoires/Box/Besitzterritorium Informations- und Gesprächsreservat Brüche in der Distanzordnung
Wie in Abschnitt 7.5 näher ausgeführt, beschreibt Goffman den personalen Raum einer sozialen Person, der bei gesellschaftlich anerkannten sozialen Akteuren durch verschiedene Marker gekennzeichnet ist. Die „Hülle“ erfährt dabei eine Ausweitung von den direkt durch körperlichen Kontakt markierten Bereichen über die Person umgebende Güter (Kleidung/Brille/Laptop) als Besitzterritorium bis hin zur „Box“ als besetztes räumliches Umfeld. Der personale Bereich expandiert somit vom Körper über dessen Eigentum – hin zu der Umwelt als Raum, welcher durch die Person belegt wird. Die „Box“ wird durch den von GHI-1 besetzten Cafétisch samt Bestuhlung dargestellt, welche mit der zusätzlichen Belegung durch den zu GHI1 gehörigen Besitzgütern (Eigentum) das räumlich-besetzte Wirkungsfeld GHI-1s festlegt und dabei den Raum für das Besitzterritorium stellt.38 GHI-1 täuscht demnach das Verfügen über eine modellierte Umwelt vor, mit dem Gebrauch und Besitz von Besitzterritorien bzw. Eigentum39 etwa des Laptops, der Notwendigkeit einer Brille sowie der Nutzung einer Uhr. Die Accessoires bzw. das Eigentum erweitern durch ihre Zugehörigkeit zu GHI-1 zusätzlich den „Wirkraum“ (Wirksphäre) GHI1s über dessen körperlich-leibliche Präsenz hinaus, in die unmittelbar einer Person zur Verfügung stehende, umweltlich-räumliche Sphäre als Handlungs- und Aktionsfeld der „Box“ mitsamt des Besitzterritoriums. Eigentum kann somit als die virtuelle Erweiterung bzw. die materielle Expansion einer Person durch Objekte mit Zugehörigkeitswert an eine Person bestimmt werden und somit einen relationalen Bezug der Umwelt zum Selbst darstellen. Die vorübergehende Aneignung von Bereichen des als Gemeingut geltenden öffentlichen Raumes, anhand der Okkupation durch Körper und Eigentum, stellt also eine weitere Komponente zur Zusprechung einer personalen Präsenz dar. Die Funktion der Gegenstände als Eigentum lässt sich somit um die Funktion zur Markierung eines Territorialbereichs und weiter zur Markierung der persönlichen Umweltsphäre sowie Wirksphäre ergänzen. Die personale Präsenz einer sich an einem Ort befindlichen Person ist also einerseits durch die
38 Die Accessoires, die GHI-1 von den Entwicklern beigefügt bekommen hat, dienen in erster Linie dazu, den Roboter an die menschliche Gestalt anzugleichen und den Eindruck zu erwecken, es handele sich um eine nach menschlich-gesellschaftlich anerkannten Verhaltensweisen agierende Person. 39 Der Begriff „ökologische Güter“ wäre die Bezeichnung im Sinne Bourdieus (2012 [1987]).
7.6 Anwendung auf die Studie
233
gestalthafte Anwesenheit der Person gegeben und andererseits mit dem unmittelbaren Aktionsfeld, als Territorialbereich bzw. der personalen Wirksphäre und als personalisierter Handlungsraum innerhalb der Selbst-Umwelt-Relation, verfügbar. Die Außerachtlassung der Eigentums- und Wirksphäre des Roboters von Seiten der Nutzer liefert einerseits einen Hinweis auf die fehlende Zuerkennung bzw. auf die Infragestellung des Roboters als potentiell-sozialem Akteur und andererseits zur implizit erfahrenen personalen Präsenz GHI-1s. Distanzmarker können – je nach Einhalten oder Verstößen – den Umgang der Nutzer mit dem Roboter als einem Akteur mit oder ohne personaler Präsenz bzw. als Subjekt versus Objekt markieren.
7.6.3
Brüche in der Distanzordnung
Idling Modus Bei dem Idling Modus können wir Verstöße gegen die Distanzordnungen seitens der Besucher gegenüber GHI-1 beobachten. Wie bei der personalen Sphäre finden wir auch bei dem Besitzterritorium als auch innerhalb der räumlichen Sphäre („Box“) leiblich-positionale Grenzüberschreitungen gegenüber GHI-1. So kommen die Besucher nah an GHI-1 heran, Betrachten und Begutachten das Setting, ohne eine Einwilligung GHI-1s zu erwarten bzw. ohne eine Wirksphäre für GHI-1 zu bestätigen.40 Dabei liefert die fehlende Relation GHI-1s zu dem ihn unmittelbar umgebenden Umfeld, den Eindruck einer generell fehlenden SelbstUmwelt-Relation in Bezug zur personalen Wirksphäre. Die Wirksphäre GHI-1s, als dem Setting der Platzierung GHI-1s, findet als räumliches Reservat – mit exklusivem Zugriffsrecht GHI-1s – weder durch GHI-1 eine Bestätigung noch durch die Besucher eine Anerkennung und wird von diesen frei betreten. So haben wir Beispiele, in denen die Besucher sich zu GHI-1 setzen, die Materialien um ihn herum berühren und frei erkunden. GHI-1 hat keinen Bezug zu den ihn umgebenden Gegenständen als enge Selbst-Umwelt-Relation, als Eigentum oder im Sinne einer erweiterten Funktionalität (z. B. durch das Benutzen des Laptops).
40 Die Gegenstände, wie Brille, Laptop, Wasserglas, die das Besitzterritorium GHI-1s markieren, werden von den Besuchern somit einerseits als zu GHI-1 gehörige Objekte erkannt, andererseits jedoch ebenso frei von Distanzen/Begrenzungen erkundet. So teilen die Besucher die Objekte zwar als zu GHI-1 gehörige ein, berühren andererseits die Gegenstände jedoch frei und ohne Hemmungen. Auch wenn die Besucher die Gegenstände um GHI-1 herum als zu GHI-1s Gestalt gehörige erkennen, muss dies nicht zwangsläufig an einen personalen Bezug gebunden und damit in der Zuerkennung einer personalen Wirksphäre begründet sein, sondern kann im Sinne eines objekthaften Gesamtexponats bewertet werden.
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7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Facetrack Modus Wie bereits bei der persönlichen Distanz sehen wir bei der räumlichen Distanz, mit Bezug zum Besitzterritorium, einige Abweichungen des Verhaltens der Besucher im Facetrack Modus. Auch bezüglich des räumlichen Territorialbereichs wird die Distanz gegenüber GHI-1 aufrechterhalten und GHI-1 mithin eine potentiell personale Wirksphäre zugesprochen. Hier erkunden die Besucher den räumlichen Territorialbereich als Besitzterritorium – ebenso wie in dem Idling Modus – im Sinne der technischen und materiellen Ausstattung (Laptop/Prospekte/Wasserglas) sowie der technischen Machart des Settings um GHI-1 (Kameras/Mikrofon) herum, jedoch größtenteils, ohne dabei das Setting durch körperlich-positionale Nähe bzw. taktile Berührungen zu intrudieren. Anders als bei dem Idling Modus ist das Verfügen GHI-1s über eine Selbst-Um-/Mitfeld-Relation ungewiss und bleibt durch die minimale Zuwendung des Kopfes in die Richtung der Besucher offen kontingent. Die Besucher vollziehen anschlieβend eine Prüfung der Reaktionsfertigkeit durch aufmerksamkeitshaschende Aktionen. Mit den ausbleibenden Reaktionen GHI-1s auf Aufmerksamkeitshascher versiegt zwar die kommunikativ-soziale Personalität GHI-1s, die Annahme von restringierter personaler Präsenz sollte allerdings – aufgrund der Bewegungen durch das Facetrackingsystem – in Betracht gezogen werden und zeigt sich in der überwiegenden Rücksichtnahme und Distanz auf die personalen und räumlichen Territorialbereiche gegenüber GHI-1.
7.6.4
Verfügen über Eigentum
In beiden Modi ist weiter zu beobachten, dass die Besucher die Objekte aus dem Besitzterritorium GHI-1s genauer betrachten und sich, scheinbar durch die funktionale Verwendung des Eigentums, ein näheres Bild von der Echtheit GHI1s machen wollen. Den Besuchern fällt dabei schnell auf, dass Objekte wie etwa Uhr, Laptop oder Brille von GHI-1, nicht einem personalen Akteur gemäß genutzt werden. Während Laptop und Uhr lediglich als Utensilien zur Vortäuschung von Menschenähnlichkeit des Roboters von den Entwicklern eingesetzt wurden, hinterfragen die Besucher die Funktion der objekthaften Accessoires. So erfüllen diese auf den ersten Blick ihren Zweck der unterstützenden humanoiden Erscheinung, (1008 1214 Frau Mann Enkelin (idling) Zeile 129: M: „Das ist der Computer.“/A 1108 1050 4girls Zeile A93: F4 guckt zu GHI-1: „There is a computer for him“/A 1108 1554 int family leaves Zeile 137: Md2: „Der hat eine (Uhr)“) – tragen allerdings durch fehlende funktionale Nutzung mit zu der Entmystifizierung des Roboters als fraglichem humanoiden Wesen bei. So bemerken die Besucher etwa die falsch eingestellte bzw. nicht funktionierende Uhr des
7.6 Anwendung auf die Studie
235
Roboters (A 1008 1122 kellnerinnen explore Zeile A18: K2: „Auch die Uhr geht nicht – schau“ (deutet auf die Uhr mit dem Zeigefinger)/A 1008 1328 familie robbie Zeile A146: S: „Die Uhr funktioniert auch nicht. Bye Rob.“), sowie den ausgeschalteten Bildschirm des vermeintlich von GHI-1 genutzten Laptops (A 2108 1556 men und gruppe gucken Zeile A151: F1 steht rechts hinter GHI1 und guckt zum Monitor: „Ah der ist aus“/A 1008 1432 enlaender checken Zeile A160–161: (M1 geht rechts von GHI-1 und beugt sich herunter – blickt auf Hände und Monitor) – M1: „He is very grumpy. (…) Its not working the computer – your ( ) up“/A 2708 1708 2guys check GHI-1 Zeile A172: M(46) geht rechts von/hinter GHI-1 und blickt auf dessen Laptop: „Er hat aber einen schwarzen Schirm“). Die Nutzer erkennen ebenso die fehlende Relation des Roboters zu den ihn umgebenden Gegenständen. GHI-1 steht in keinerlei Selbst-Umwelt-Relation mit den Objekten innerhalb seiner Wirksphäre. Weder nutzt er diese gemäß ihrer Funktionen noch als eigenen Territorialbereich seiner räumlichen Umgebung bzw. gegen eindringende Verstöße gegen Distanzordnungen. Die Accessoires werden indes von den Entwicklern unter einer – im Gegensatz zu alltäglichen Nutzung der Güter stehenden und somit verschobenen Funktion – eingesetzt. Dabei gerät der Aspekt der tatsächlichen getreuen Nutzung der, hier, technischen Utensilien aus dem Blickfeld und wird durch die reine Suggestion einer ökonomischen Nutzung von Besitz (Bourdieu 1983) ersetzt.41 Die Erfassung der entfremdeten funktionalen Nutzung der als Besitz markierten Objekte sowie die fehlende Selbst-Umwelt-Relation tragen somit zu einem weiteren Bruch der fundierenden Deutung GHI-1s bei. So summieren sich auf der Ebene des Idling Modus die Verstöße der Besucher betreffend der unterschiedlichen Territorialbereiche. Dies zeigt sich auf der Ebene der personalen Sphäre sowie im Bereich des räumlichen Besitzterritoriums, zusammen mit den Belegen zur fehlenden funktionalen Nutzung GHI-1s vermeintlichen Eigentums. Damit wird das räumliche Besitzterritorium im Idling Modus von den Besuchern, als Wirksphäre und Erweiterung der personalen Präsenz GHI-1s, mit der Exploration des Roboters und der Erfassung des fehlenden funktionalen Nutzens von Eigentum aufgehoben. Die freie und distanzaufhebende Exploration GHI-1s in dem Idling Modus weist darauf hin, dass gegenüber GHI-1 weder auf der leiblichen Ebene sowie der Einhaltung von Distanzen zum Territorialbereich der Box oder des Eigentums noch auf der Ebene der funktionalen Nutzung der Objekte, eine personale (räumliche) 41 Das Ausbleiben der üblich genutzten Funktionsfähigkeit der Accessoires bietet den Besuchern allerdings auch zusätzlichen Interpretationsraum. So trägt zwar die Wahrnehmung des ausgeschalteten Rechners zur Hinterfragung der Menschenhaftigkeit/sozialen Aktivität/Intelligenz des Roboters bei – bei der Uhr und der Nutzung der Brille zeigen sich allerdings Alternativen zur Deutung der unüblichen Funktionsweise der objekthaften Accessoires.
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Wirksphäre bzw. ein personales Besitzterritorium zuerkannt wird. Die räumliche Annäherung der Besucher an GHI-1 kann somit als ein rein durch Objekte belegtes und offen zugängliches Setting, frei von einer personalen Präsenz sowie frei von einer Selbst-Umwelt-Relation der robotischen Gestalt, auf die potentielle personale Wirksphäre bezogen werden. Hinsichtlich des Facetrack Modus verhält es sich betreffend der fraglichen funktionalen Nutzung der Objekte durch GHI-1 ähnlich wie in dem Idling Modus und wir können davon ausgehen, dass die Besucher GHI-1 gegenüber die Verfügung über die materiell-räumliche als auch funktional nutzbare Wirksphäre absprechen. Entsprechend realisiert GHI-1 auch in dem Facetrack Modus eine limitierte Selbst-Umwelt/-feld-Relation. Aufgrund des ungewissen Aktions- und Kognitionsspektrums bezüglich der Selbst-Mitfeld-Relation, und der durch personale Distanz markierten Hinweise darauf, kann im Rahmen der personalen Territorialbereiche GHI-1 jedoch nicht gänzlich die personale Präsenz sowie die Wirksphäre abgesprochen werden. Es ergibt sich eine Spannung zwischen der personalen und der räumlich-funktionalen Wirksphäre GHI-1s, so dass wir ein potentiell personales Territorium gegenüber einem fehlenden Besitzterritorium sowie eines zweifelhaften räumlichen Territoriums stehen haben. So erscheint GHI-1 im Facetrack Modus als Gestalt, die keinen Zugriff auf SelbstMit-/Umfeld/-welt Bezüge bzw. begrenzte Aufmerksamkeit dazu aufweist, jedoch auf der Ebene der persönlichen Territorialmarker einen Zuspruch durch die Besucher erfährt. GHI-1 steht dabei in keiner funktionalen Relation zu umgebenden Objekten, evoziert bei den Besuchern jedoch eine auf mechanisch-reaktiven Bewegungsabfolgen basierende, erfahrbare personale Wirksphäre bzw. einen Territorialbereich und somit eine ungewisse fundierende Deutung als potentiell (ex)zentrisch positioniertes Wesen.
7.6.5
c) die symbolische Sphäre als Territorialbereich
Goffman beschreibt das Gesprächs- und Informationsreservat als symbolisches Territorium, welches die kommunikativen Inhalte der symbolischen Gesten reguliert und somit die Grenze für Interaktionsinhalte bezüglich privater, biographischer oder persönlicher Informationen setzt. Weiter reguliert das symbolische Gesprächs- und Informationsreservat den Ablauf von Interaktionsordnungen, so dass der Gesprächsverlauf – wie etwa die Reihenfolge der Gesprächsbeiträge oder die Auswahl von Themen – so gewählt werden, dass es zu keiner Verletzung der personalen Sphäre im Bereich des symbolischen Territoriums kommt. Das symbolische Gesprächsund Informationsreservat erweitert damit die personale Sphäre von Akteuren auf den Bereich der kommunikativen Interaktionsordnungen und deren Wahrung durch
7.6 Anwendung auf die Studie
237
einen restringierten interaktiven Zugriff auf persönliche Informationen und Inhalte. Mit dem symbolischen Territorium erfährt die personale Präsenz von GHI-1 – neben den Territorialordnungen betreffend der leiblich-körperlichen Gestalt mitsamt der Erweiterungen durch die räumliche Wirksphäre einer Person – eine weitere Komponente über das Gewahrsein eines personalen Akteurs. Mit dem symbolischen Territorium wird restringiert was, wann, zu wem oder über wen gesagt werden kann, ohne, dass eine Verletzung der personalen Sphäre erwartet werden könnte. Das symbolische Territorium bezieht sich somit auf die Auswahl von symbolischen Gesten gegenüber einem Akteur mit personaler Präsenz und ist dabei auch auf der Ebene von sozialer Regulation symbolisch vermittelter direkter Berührungen zu verstehen. Neben den körperlichen und räumlichen Bereichen, die Territorien für personale Akteure bieten, unterliegt also auch die symbolische Kommunikation einer Begrenzung der Anwendung von symbolischen Gesten in Gegenwart von personalen Akteuren.42 Brüche der symbolischen Ordnung In unserer Studie können wir bei der Begegnung der Besucher mit GHI-1 während des Idling als auch des Facetrack Modus gleichermaßen Verstöße betreffend des symbolischen Territoriums beobachten. So begegnen die Besucher GHI-1 während der kommunikativen Deutung mit Versuchen der Initiierung von Interaktion zwar zunächst frei von Verstößen im Bereich des symbolischen Territoriums, überschreiten dieses jedoch mit dem Aufheben der kommunikativen Deutung und dem Übergang zur Prüfung der fundierenden Deutung. Zunächst können wir bei der Exploration des Roboters in beiden Modi die Ansprache der Besucher mit Grüßen und Bezeichnungen sowie mit Fragen nach dem Befinden etc. nachweisen. Hier können wir (bis auf wenige Beispiele) noch keinen Verstoß bezüglich der symbolischen Reservate erkennen, sondern vielmehr den Versuch, GHI-1 auf der Ebene der kommunikativen Deutung zu erfassen. Im weiteren Verlauf, mit dem Schwinden der kommunikativen Deutbarkeit GHI-1s, wird das symbolische Territorium (zusammen mit der personalen Präsenz und räumlichen Territorien) während der Hinterfragung der fundierenden Deutung durch die Besucher jedoch aufgehoben. In dem Bereich des Territoriums mit symbolischem Anspruch zeigt sich dies mitunter dadurch, dass die Besucher in unmittelbarer Präsenz GHI-1s miteinander über GHI-1 sprechen. Mit dem Sprechen über GHI-1 in dessen Anwesenheit 42 Die symbolische Territorialordnung sorgt somit bei der Kontingenz von symbolischer Kommunikation (und Anschlusskommunikation) dafür, dass eine gesonderte Ordnung entsteht, welche die Persönlichkeitsstruktur der Systemkomponenten nicht soweit affiziert, dass weitere Anschlusskommunikation im Keim erstickt wird.
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
überschreiten die Besucher die gemeinhin gegenüber personalen Akteuren geltenden Territorialordnungen auf symbolischer Ebene, indem sie die Personalsphäre des Akteurs berühren.43 Gemeinhin wird in Gegenwart einer anwesenden Person nicht über diese geredet, sondern mit ihr. So können wir auch das symbolische Territorium betreffend, davon ausgehen, dass die Besucher dieses GHI-1, aus dem Grunde des Scheiterns der kommunikativen Deutung und der damit verbundenen Aufhebung der sozialen Präsenz, absprechen und somit frei in Gegenwart von GHI1 über dessen Gestalt reden. Die Inhalte der Gespräche geben dabei die Gründe, Einstellungen, Sichtweisen, Erfahrungen etc. der Besucher wieder, die in einem weiteren Schritt belegen, dass GHI-1s Personenstatus auf der Ebene der fundierenden Deutung sowie der personalen Präsenz hinterfragt und schließlich aufgehoben wird (vgl. Abschnitt 7.7). Auch hier wird, wie bei den personalen und räumlichen Territorien, deutlich, dass es GHI-1 nicht gelingt, eine Regulation von symbolischen Gesprächsreservaten seitens der Besucher zu bewirken und somit den Effekt von personaler Präsenz zu vermitteln. Nachdem wir das Überschreiten des symbolischen Territoriums als weiteren Beleg zur Aufhebung von sozialer Präsenz erörtert haben, wollen wir uns Transkripten zuwenden, die im Rahmen des Verstoßes von symbolischen Reservaten gegenüber GHI-1 getätigt wurden und dabei die Haltung der Besucher betreffend der fundierenden Deutung und personalen Präsenz verdeutlichen. Die kommunikativen Aussagen der Besucher geben dabei vertiefte Einblicke in die Bedingungen wieder, welche dazu beitragen, dass GHI-1 eine personale Präsenz abgesprochen wird. Dabei beschreiben die Besucher ihre Empfindungen als auch Eindrücke zu der Aufhebung der Echtheit GHI-1s, die sie während der Exploration erfahren. Mit der Hinterfragung der „Echtheit“ des Roboters haben wir während der interaktiven Exploration GHI-1, neben dem Verstoß auf der Ebene des symbolischen Territoriums, zudem auf einer Metaebene verbale Belege für die fundierende Deutung sowie ausformulierte Gründe zu der Absprache einer personalen Präsenz, die wir hier genauer betrachten wollen.
43 Hier haben wir eine Konstellation, bei der wir die Wirkung und einen direkten Einfluss Dritter auf die Situation haben und damit über verbale Äußerungen über die Erfahrung mit dem Roboter, die wir zur Auswertung der primären Eindrücke der Besucher nutzen können, verfügen. Die Anwesenheit und die Unterredung Dritter bietet Einblicke in die Emotionen, Haltungen, Einstellungen und Eindrücke der Besucher von GHI-1, die ohne deren Anwesenheit verborgen blieben. In Begleitung (womöglich auch nahestehender) Dritter, bietet der Austausch der Besucher über den Roboter einen unverstellt-objektiven Einblick in die Erfahrungen der Besucher.
7.7 Verbale Explikationen von„Echtheit“ …
7.7
239
Verbale Explikationen von„Echtheit“ als Aufhebung der symbolischen Territorien als auch personaler Präsenz
Der folgende Abschnitt behandelt Aussagen der Besucher, welche die Echtheit des Roboters hinterfragen. Neben den personalen und räumlichen Territorialbereichen sind wir in den Transkripten der Facetrack als auch Idling Modi immer wieder auf Aussagen der Cafébesucher gestoßen, welche sowohl das symbolische Territorium einer Person überschreiten als auch die Thematik zur „Echtheit“ des Roboters behandeln. Mit der Thematisierung der Echtheit GHI-1s wird einerseits in Gegenwart des potentiellen Akteurs gesprochen und das symbolische Territorium überschritten, andererseits bieten die Aussagen in der Gegenwart des Roboters wertvolle Einblicke zu den physisch unbeobachtbaren, jedoch kommunikativ zugänglichen Motiven der Absprache einer personalen als auch sozialen Präsenz des Roboters und liefern damit zusätzliche Belege zu den Beweggründen derer Aufhebung. Im Folgenden wollen wir die Inhalte, die zur „Echtheit“ bzw. zu derer Aufhebung führen wiedergeben und so einen Umriss für die Gründe der Auflösung von personaler Präsenz aus der Sicht der Besucher belegen. Hierzu sehen wir uns zunächst an, was genau mit dem Ausdruck „Echtheit“ gemeint ist. Wie in den Transkripten 1608 14 mann und mädl sowie 2008 1038 ältere leute pt2 betonen die Akteure in Transkript 1008 1214 Frau Mann Enkelin die „echte“ Erscheinung der Gestalt GHI-1s (Zeile 123–127: M(68): „Schau, wie echt.“ – F(65): „Wahnsinn“ – [alle gucken zu GHI-1 – GHI-1 hat den Kopf gehoben] – Md(10): „(… Ich weiß…)“ – F(65): „(…Ich weiß nicht, der schaut wirklich echt aus…)“), reden in Gegenwart des Roboters über die Gestalt GHI-1s betreffende Themen (Zeile 139) und führen Merkmale auf, die Zweifel an der „Echtheit“ des Roboters erwecken (Zeile 143: M(68): „(Aber die Hand hält er…schlecht…)“) und als Limitationen der „Echtheit“ des Roboters dienen. So äußert F in 2008 1038 ältere leute pt2 gegenüber M1 ihren Eindruck bezüglich GHI-1 als „Schaut echt aus“ (Zeile 62) M(68) in 1008 1214 Frau Mann Enkelin „Schau wie echt“ und F(65) („Ich weiß nicht, der schaut wirklich echt aus“) (Zeile 127), K1 in A 1008 1122 Kellnerinnen explore „Der sieht echt aus“ (Zeile A2) und auch F und J aus 1108 1256 junge und frau checken GHI-1 thematisieren die reale – an den Menschen angelehnte – Erscheinung des Roboters (Zeile 329–332: F(40): „Aber wenn Du weiter weg gehst“ (deutet in das Café) – J(10): „…schaut er voll echt aus.“ – F(40): „Schaut er voll echt aus“ – J(10): „Ja… am Anfang (…)“). Auch in Transkript 1608 1222 paarchen checkt G nice können wir die Wirkung und Hinterfragung der Echtheit, d. h. die Täuschung einer menschlichen Gestalt gegenüber den menschlichen Besuchern, feststellen. Dabei wird im
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
folgenden Transkript expliziert, auf was genau mit der Aussage „sieht echt aus“ Bezug genommen wird. In Transkript 1608 1222 paarchen checkt G nice wird die Frage, ob es sich um einen Menschen – bzw. um einen „normalen Mann“ – handelt zum Hauptthema der Erkundung der Besucher, wie die nächsten Aussagen belegen (Zeile 216: F(29): „Der ist cool. Der schaut echt voll echt aus, das ist absoluter Wahnsinn.“ (…) – Zeile224: F(29): „(… Jetzt schaut er sogar aus wie ein ganz normaler Mann…)“). Mit der letzten Aussage wird die Täuschung, es handele sich um einen „ganz normalen Mann“ thematisiert und nur wenige Zeilen später, die Relativierung der Aussage vorgenommen (Zeile 235: F(29): „Ist ein Wahnsinn in Wirklichkeit, oder? So wie du gesagt hast. Du bist vorbeigegangen und hast nicht einmal daran gedacht, dass das ein Roboter sein könnte, oder?“). F(29) erkennt und benennt GHI-1 hier konkret als einen Roboter. Während F(29) und M(33) GHI-1 lediglich durch nähere Betrachtung erkunden, äußern sie dabei ihre Eindrücke zu der Gestalt von GHI-1 (Zeile 216: F(29): „Absoluter Wahnsinn“ – Zeile 233: M(33): „Der ist echt geil“ – Zeile 231: F(29): „Jetzt schaut er aber böse“) bzw. fordern den Gesprächspartner zu der Betrachtung von bestimmten Gestaltarealen auf (Zeile 236: M(33): „Schau dir seine Gesichtszüge an“). Den Besuchern in Transkript 1108 1256 junge und frau checken GHI-1 sowie 1608 1222 paarchen checkt G nice ist bei dem Eindruck der Echtheit gemein, dass die Gestalt des Roboters aus der Ferne sowie beim Vorbeigehen zunächst als menschliche Gestalt wahrgenommen und im weiteren Verlauf als „unechte“ Gestalt erkannt wurde. Auch Transkript 1008 1458 frau guckt beim Kalibrieren zu pt1, das als Gespräch zwischen F(58) und einem Mitarbeiter verschriftlicht wurde, bestätigt unsere Aussagen. F(58) hinterfragt die Echtheit des Roboters bei einem technischen Mitarbeiter M1, der GHI-1 als einen Roboter benennt (Zeile 260), und beschreibt ihren Eindruck zur Grenze zwischen Mensch und Puppe (Zeile 269) bzw. Figur (Zeile 257). Dabei betont F(58) die Täuschung die von GHI-1 ausgeht als Unentschiedenheit zwischen einem gepuderten (Pantomimen) echten Menschen, der eine Puppe mimt bzw. einer Puppe, die einen Menschen darstellt (Zeile 269). Mit ihrer Beschreibung der Grenze zur eindeutigen Erfassung der Wesenhaftigkeit GHI-1s beschreibt F(58) pointiert das Dilemma, indem sich die Besucher bei der ersten Begegnung mit GHI-1 befinden, was dazu führt, dass die Gestalt GHI-1s auf fundierender Ebene hinterfragt und erkundet wird. Mit dem Begriff „echt“ wird also – wie wir implizit vermutet und unterstellt haben – auf die männliche, humanoide Gestalt GHI-1s Bezug genommen und das anthropomorphe Erscheinen GHI-1s thematisiert. Somit haben wir mit der obigen Aussage einen Hinweis auf den Ursprung der fundierenden Deutung GHI-1s als
7.7 Verbale Explikationen von„Echtheit“ …
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potentiellen Menschen, respektive als einen Mann. Während der ersten Konfrontation erscheint GHI-1 als Hybridgestalt44 , die einerseits als Mensch und andererseits als Menschimitation wahrgenommen wird. Welche Eindrücke indes genau zu der Revision der Echtheit bzw. Menschlichkeit von GHI-1 führen, lässt sich aus den obigen Transkripten nicht eindeutig nachzeichnen. Hierzu bietet hingegen Transkript 1108 1256 junge und frau checken G zusammen mit Transkript 2308 1439 frau mit kind explore GHI-1 nähere Hinweise auf die Erwartungshaltungen, welche die menschlichen Besucher gegenüber einer menschenähnlich-anmutenden Gestalt bzw. entgegen einer Robotersimulation hegen. In Transkript 2308 1439 frau mit kind explore GHI-1 während des Idling Modus ist J(8) sich während der gesamten Begegnung mit der Gestalt GHI-1s unsicher, ob es sich um einen “echten” Mann handelt. Diese Unsicherheit kommuniziert er fortwährend gegenüber seiner Mutter F(42) (Zeile 277: J(8): „Ist der echt, ist der echt?“ – Zeile 281: J(8): „ist der echt (Hände/Hier) nicht so ganz“). F(42) leitet J(8) dabei an, die Gestalt GHI-1s zu erkunden und die Frage nach der Echtheit dadurch für J(8) zu beantworten. F(42) geht hierzu zunächst nah an GHI-1 heran, berührt ihn unvermittelt an Arm und Schulter und streicht darüber, was J(8) ihr gleichtut und GHI-1 ebenfalls von Nahem betrachtet, GHI-1 am Oberarm fasst und ihm lange über die rechte Hand streicht (Zeiel 273, 278), wozu ihn F(42) ermutigt und zu eben jener Überschreitung der räumlichen und personalen Territorialmarker anleitet (Zeile 274–277: F(42): „(Greif mal)“ – J(8) (…) – F(42): „(Greif ihm einmal) an die Hand“ – J(8): „Ist der echt/ist der echt?“). Im Anschluss betrachtet J(8) GHI-1 weiterhin von Nahmen und berührt – zusammen mit F(42) – die Hand/den Unterarm wobei der personale und räumliche Territorialbereich in seiner Wirksamkeit aufgehoben wird. Wie wir in den bisherigen Transkripten aus den Idling Modus sehen konnten, verharrt GHI-1 in seinem programmierten Bewegungsloop, mimt eine am Laptop schreibende Person und zeigt entsprechend keine Reaktion auf Ereignisse in seiner Umwelt/Mitwelt (fehlende Selbst-Umwelt-Relation GHI-1s). F(42) beschreibt ihren Eindruck vom Gesichtsausdruck GHI-1s als „ein bisschen ernst“ (Zeile 280), worauf J(8) erneut nach der Echtheit des Roboters fragt und eine Makulatur an den Fingern, der Hand sowie dem Rechner GHI-1s entdeckt, welche die Interpretation zur Echtheit GHI-1s in Frage stellt (Zeile 281: J(8): „(Ist der echt? (Hände/hier) nicht so ganz“). Weiter beschreibt J(8) die Bewegungsfertigkeit 44 Harth bezieht sich bei seiner Studie zu der „Verschmelzung“ von Spieler und Avataren auf den Hybridenbegriff im Bezug zum Personenstatus wie folgt: „Der Hybrid wird als eine Entität beschrieben, die zwar eine Zurechnung von Handlungen ermöglicht, diese Zurechnung allerdings im hohen Grad sozial verhandelbar ist. Der Status des Akteurs wird Hybriden – anders als menschlichen Individuen – nur fallweise und zumeist nur zeitweise eingeräumt, um ihn fakultativ wieder entziehen zu können.“ (Braun 2000: 15 zitiert nach Harth 2014: 232).
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
GHI-1s bezüglich seines Kopfes (Zeile 283: J(8): „Der kann seinen Kopf bewegen“) und betrachtet währenddessen GHI-1s Gesicht, blickt dann zu F(42) und schließlich hinter GHI-1. F(42) instruiert J(8) GHI-1 anzusprechen und ihn aufzufordern J(8) anzublicken, bzw. Augenkontakt zu etablieren (Zeile 285: F(42): „Sag einmal: schau mich an“), was J(8) befolgt und nun seine Äußerung direkt an GHI-1 richtet (Zeile 286–287: J(8) zu GHI-1 „Schau mich an (lauter) schau mich an“), dann F(42) über die fehlende interaktive Reaktion GHI-1s berichtet und zu dem Schluss kommt, dass GHI-1 nicht „echt“ ist (Zeile 288–289: J blickt zu F(42): „Der schaut mich nicht an“ – „(…) das ist kein Echter“). Mit der Aussage „Schau mich an“ vollzieht J(8) einen Übergang zu der direkten Adressierung GHI-1s, wohingegen die vorherigen Aussagen J(8)s an F(42) gerichtet waren und beide über GHI-1 gesprochen haben. J(8) wendet sich weiterhin an GHI-1 und adressiert ihn erneut direkt mit der Aussage „Du bist kein Echter – stimmt’s?“ (Zeile 292) während J(8) GHI-1s Gesicht betrachtet. F(42) benennt GHI-1 daraufhin als Computer (Zeile 293: F(42): „Ein Computer ist das“), worauf J(8) das Gesicht und die Wange von GHI-1 berührt und wiederholt nach keiner Antwort auf seine Frage eine Aussage an GHI-1 richtet (Zeile 295: J(8): „Bist Du ein Echter?“). F(42) betont die gute Machart GHI-1s (Zeile 298: F(42): „Aber es ist schon gut gemacht – gah( )“), während J(8) immer noch die Echtheit GHI-1s hinterfragt (Zeile 299: J(8): „Ist das ein Echter?“). F(42) beantwortet dies mit „Ja“ (Zeile 300) und J(8) betrachtet weiterhin die Hand und das Gesicht GHI-1s und thematisiert schließlich die Uhr als Accessoire GHI-1s (Zeile 301–302), während F(42) sich abwendet und J(8) nach einem Rückblick zu GHI-1 mit ihr mitgeht. Für J(8) wird die Echtheit bzw. die Hybridgestalt GHI-1s eminent fraglich und die Exploration von GHI-1s Gestalt wird zur Klärung der Frage unternommen. J(8) berührt dabei GHI-1 taktil, betrachtet ihn von Nahem, spricht ihn an und spricht zu F(42) über ihn. J(8) hebt somit sukzessiv die Bereiche der personalen, räumlichen und symbolischen Territorien auf und liefert Hinweise zu den Gründen für die Außerkraftsetzung der personalen Präsenz. In der kommunikativen Auseinandersetzung mit der Frage nach der Echtheit von GHI-1s Gestalt expliziert J(8) an zwei Punkten seinen Eindruck, dass GHI-1 nicht „echt“ sei. Einerseits ist es die unpräzise Erscheinung der Machart der Hand (Zeile 281), andererseits die fehlende interaktive Reaktion GHI-1s auf die Aufforderung J(8)s ihn anzublicken (Zeile 288), die zu der Aussage J(8)s „(…) das ist kein Echter“ (Zeile 289) führen. Wir können jedoch davon ausgehen, dass die Frage, ob GHI-1 ein „Echter“ ist, sich für J(8) auch nach sämtlichen Explorationsweisen mit dem Ausbleiben der erwarteten konkreten Belege für die „Echtheit“ GHI-1s nicht geklärt wird und J(8) sich über den (Hybriden-)Status GHI-1s – trotz des fehlenden Feedbacks GHI-1s – im Ungewissen bleibt.
7.7 Verbale Explikationen von„Echtheit“ …
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Transkript 1108 1256 junge und frau checken GHI-1 ergänzt die oben genannten Aspekte zur Feststellung der „Echtheit“ bzw. der Wesensart des Roboters einerseits durch übermäßige und größtenteils wiederholende Berührungen des Roboters durch J(10) an GHI-1s Finger, Wange, Handgelenk, Schulter, Haare, Ohr, Wange, Mund, Bein (Zeile 308–316) und andererseits durch Beschreibungen der Machart, des Materials sowie der Bewegungsabläufe des begutachteten Objekts. In diesem Transkript sehen wir keine Überprüfung der Interaktionsfertigkeit GHI-1s, so dass wir davon ausgehen können, dass die Besucher GHI-1 schon vor der Exploration als unreaktive, nicht-menschliche Gestalt erfasst haben. Stattdessen können wir in diesem Transkript die interaktive Erkundung durch F(40) und J(10) sehen, welche Erfahrungen und Eindrücke sie über GHI-1 kommunizieren. Das Transkript bietet eine unbefangene Erkundung des Roboters auf interaktive Weise, indem die Akteure F(40) und J(10) offen über die technische Machart des Roboters, über ihre Eindrücke sowie über Limitationen der realistisch-menschlichen Darbietung der Gestalt sprechen. So nennt F(40) den Eindruck von GHI-1 als „witzig“ (Zeile 319) und fragt J(10), der fortwährend GHI-1s Gestalt berührt, nach seiner Einschätzung zur Wesensart der Gestalt von GHI-1 „Weißt Du, was das genau ist jetzt (…)?“ (Zeile 322) . Mit der Frage was genau GHI-1 jetzt sein könnte, äußert F(40) ihre Ungewissheit über die Kategorisierung GHI-1 als Akteur bzw. als Objekt und erwartet eine nähere Unterscheidung durch die taktile Exploration als auch die nahe Betrachtung GHI1s durch J(10). Dabei scheint J (10) während der Berührungen nicht zwangsläufig von einer soziomotorisch angeleiteten Reaktionsfertigkeit des Roboters auszugehen. Während ihrer Frage an J(10) geht F(40) auf GHI-1 zu, wobei GHI-1 seinen Kopf in dem Moment in F(40)s Richtung wendet und F(40) dem Blick GHI-1s unterstellt, ihren Handbewegungen vor GHI-1s Augen zu folgen (Zeile 325: F(40): „(Die Augen bewegen sich auf und ab (…))“) während GHI-1 de facto den Kopf in Richtung F(40)s gewendet hat.45 J(10) liefert als Antwort einen Hinweis auf die Grenzen der Echtheit des Roboters (vs. Mensch/realer Mann), indem er den Bewegungsablauf GHI-1s kritisiert und diesen als „nicht-echt“ benennt (Zeile 327: J(10): „Mhm… aber die Bewegungen sind einfach nicht echt.“). Dieser Eindruck der realitätsfernen bzw. unpassenden Bewegungen GHI-1s stellen J(10) und F(40) in Gegensatz zu dem erwarteten Eindruck, den GHI-1 bei der Betrachtung aus der Ferne erweckt. Hier korrespondiert die Unterredung der beiden mit dem gemeinen Eindruck mehrerer Besucher, dass GHI-1 von weiter weg wie ein „echter“ Mensch respektive wie ein 45 Hier sehen wir eine Reaktionsüberprüfung mit anschließender Reaktionszuschreibung/interpretation im Sinne der graduellen Handlungsträgerschaft, die auf Zuschreibungen individueller Akteure basiert, wie wir es bereits in Transkript 2008 1038 ältere leute pt2 gesehen haben.
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7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Mann wirkt (Zeile 329–332: F(40): „Aber wenn Du weiter weg gehst“ (deutet in das Café) – J(10): „…schaut er voll echt aus.“ – F(40): „Schaut er voll echt aus“ – J(10): „Ja… am Anfang (…)“). F(40) entdeckt bei der Betrachtung GHI-1s des Weiteren die Kamera, welche zur Überprüfung der Gesamtsituation während der Teleoperation als auch zur Erfassung von Gesichtern im Facetrack Modus dient und worauf J(10) die technische Umsetzung des Roboters als einen über die Kamera betrachteten und – durch eine die Szenerie beobachtende Person – gesteuerten Apparat thematisiert (Zeile 333, 335: F(40): „Ja.. schau, da ist eine Kamera“ – J(10): „Ja, durch das wird er wahrscheinlich gesteuert“). Mit der Prüfung der technischen Machart, wird die Responsibilität für die Reaktion, Bewegung und Interaktionsfähigkeit von der Gestalt GHI-1s losgesprochen und auf eine Ebene der externen Verfügung und Steuerung des Roboters gehoben. Somit ist nicht die Gestalt GHI-1s der Urheber oder ein mit Motivationen ausgestattetes autonomes Wesen, sondern GHI-1 vielmehr ein technisches Mittel, welches nach bestimmten Maßgaben menschengleiche Aktionen gesteuert ausführen kann. Die suggerierte Bewegungs- und Reaktionsfertigkeit ist demnach durch eine reale Person als auch durch das Maß der technischen Leistungsfähigkeit determiniert. Die weitere Erkundung der Gestalt GHI-1s bezieht sich auf Prüfungen der Reaktionsfertigkeit als auch der taktilen und visuellen Exploration der materiellen Beschaffenheit der Robotergestalt. Die Reaktionsprüfung erfolgt erneut durch Bewegungen eines Prospekts vor GHI-1s Gesicht sowie einer anschließenden Finte F(40)s, bzw. einer Simulation eines Schlages und der Nachfrage an J(10), ob darauf eine sichtbare Reaktion seitens GHI-1 erfolgt (Zeile 339–340: F(40): „Tut er irgendwas?“ [hält Prospekt vor GHI-1’s Gesicht, tut dann so, als würde sie GHI-1 ins Gesicht mit der rechten Faust schlagen/blickt zu GHI-1 und GHI-1 zu ihr]).46 Die Prüfung der Reaktionsfertigkeit wird von J(10) fortgesetzt, indem er GHI-1 an der Schulter fasst und vor ihm zuckende Bewegungen ausführt (Zeile 340–341), um anschließend mit der Hand vor GHI-1s Gesicht zu wedeln und ihn an Schulter und Wange zu berühren (Zeile 344: J(10) wedelt vor GHI-1’s Gesicht und greift GHI-1 an den Kopf, kommt ganz nah an sein Gesicht, um zu hören, fasst GHI1 an die Schulter und an die Wange) ohne einen Widerstand oder eine adäquate Reaktion GHI-1s zu evozieren (Zeile 347: beide beugen sich hinunter und sehen GHI-1 ins Gesicht/GHI-1 blickt in F(40)s Richtung). Bezogen auf die Reaktionsfertigkeit GHI-1s zeigen die aufmerksamkeitshaschenden Bewegungen der Besucher 46 Wobei zu vermuten ist, dass hier die Erwartung an GHI-1 gerichtet ist, dass er auf die Bewegung vor seinen Augen als auch auf einen vorgetäuschten Schlag mit Ausweichaktionen reagiert.
7.7 Verbale Explikationen von„Echtheit“ …
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gegenüber GHI-1, Erwartungen zur Reaktion auf die an ihn gerichteten Bewegungen im unmittelbaren Umfeld, welche allerdings durch fehlende Anschlussaktionen GHI-1s aufgehoben und damit negiert werden. Auf die fehlgeschlagene Reaktionsprüfung GHI-1s durch Bewegungen vor dem Gesichtsbereich als auch durch rabiate Berührungen, explorieren J(10) und F(40) die Gestalt des Roboters, indem sie die physisch-körperlichen Merkmale GHI-1s einer Untersuchung unterziehen und auf die Beschaffenheit des Materials hin begutachten. Hier stellt F(40) die Person, welche die Verwendung „realer“, organischer Materialien vermutet, während J(10) die Ansichten F(40)s revidiert und die entsprechenden Körperpartien observiert. So vermutet F(40) unter der „Haut“ „echte Knochen“, was J(10) mit dem Hinweis derer Beschaffenheit aus Gummi verneint (Zeile 352–554: F(40): „(Aber die Knochen sind auch da. (…) … echt … (…))“ (spürt an GHI-1s Handoberfläche) – J(10): „Aber die sind aus Gummi.“), während F(40) weiter über die „Echtheit“ der Haare mutmaßt und auf eine „Warze“ als Merkmal menschlicher bio-organischer Hauteigenschaften hinweist (Zeile 358–369). Beide Hinweise werden von J(10) überprüft, wobei die Haare als „echte Perücke“ identifiziert werden (Zeile 364) und die „Warze“ als Muttermal benannt wird (Zeile 365). Alle interaktiv geäußerten fraglichen Merkmale werden durch J(10) und F(40) mit einer näheren Betrachtung der Körperpartien und ggf. physischen Exploration begleitet, welche zu der Verifikation bzw. Falsifikation der Einschätzungen zu der „Echtheit“ der Merkmale beitragen. Abschließend erfolgt erneut eine Unterstellung der Reaktionsfertigkeit GHI-1s, nachdem GHI-1 seinen Kopf weg von J(10) und hin in Richtung F(40) wendet (Zeile 367–372: J(10): „Eh der reagiert (…)“ – F(40) [lacht/GHI-1 blickt in F(40)s Richtung] (… Eine Warze hat er auch, schau …) – J(10) Wo? (beugt sich nah an GHI-1s Gesicht) – F(40): „reagiert er?“), worauf eine weitere scheiternde Prüfung der Reaktionsfertigkeit durch taktile Manipulation erfolgt (Zeile 373: [J(10) greift und kitzelt an GHI-1s linker Schläfe] – Zeile 376: (J(10) geht einen Schritt zurück, kommt dann wieder nah an GHI-1 und streichelt GHI-1s Kopf)).47
7.7.1
Facetrack: Gemeinsamkeiten und Differenzen
Im Facetrack Modus haben wir eine nahezu deckungsgleiche kommunikative Exploration von GHI-1 wie im Idling Modus. Abzüglich der Einhaltung von personaler als 47 Die taktile Exploration der Gestalt von GHI-1 durch J(10) nimmt dermaßen Überhand, dass ein Staff-Mitglied darum bittet, das Berühren einzustellen (Zeile 378–380: [K kommt aus der Nebentüre, beide schauen auf.] – K (Please do not touch too much… I’m sorry.) – F(40) Okay, I’m sorry. – [alle gehen weg]).
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
auch räumlicher Territorialbereiche, finden sich innerhalb der interaktiven Exploration von GHI-1 im Rahmen der Überschreitung des symbolischen Territorialbereichs ähnliche Äußerungen zur Hinterfragung der „Echtheit“ von GHI-1 auf der Ebene der materiellen als auch technischen Machart, Bewegungsabläufe, Reaktionsfertigkeit als auch von Beschreibungen der Eindrücke, die die Echtheit des Roboters unterstreichen bzw. auflösen. In Transkript 1008 1741 frauen in grün sehen wir, wie F(45) und F(46) den Eindruck der Echtheit des Roboters mehrfach bestätigen (Zeile 383 „F(45): „Aber schau, wie echt der ausschaut“/Zeile 387: F(45): „Schau wie er ( ) Schaut echt aus.“), versuchen GHI-1 kommunikativ in eine soziale MitweltRelation zu engagieren (Zeile 390, 392, 396: „Hallo“/„Hey“/„Na, was sagst Du?“), somit die Reaktionsfertigkeit auf kommunikativer Ebene prüfen, GHI-1s Aktionen beschreiben (Zeile 393: F(46): „Die Augen, der bewegt sich (leicht)“) und weiter die technische Machart analysieren (Zeile 401: F(46): „Siehst Du ( ) da ist eine Kamera drinnen (in der Palme versteckt) (lacht)/Zeile 403: F(46): „(Wenn du in die) Kamera siehst, dann schaut er uns an, ja“). Auch hier sehen wir, dass F(45) und F(46) GHI-1 bereits auf der vor-kommunikativen Ebene begegnen, bereitwillig in dessen Anwesenheit über GHI-1 reden und das symbolische Gesprächsreservat ignorieren, den minimalen (Blick)kontakt zu GHI-1 auf nonverbale als auch kommunikative Weise bestätigen und GHI-1 sukzessive von der Autonomie und Responsibilität seiner Aktionen lossprechen, indem sie die technische Steuerung GHI-1s über ein Kamerasystem aufdecken. Die fehlende „Echtheit“ GHI-1s erhält mit der thematischen Unterredung der Besucher über GHI-1 eine kommunikative Bestätigung. Diese kommunikative Exploration sorgt dafür, dass das symbolische Territorium von F(45) und F(46) aufgehoben wird, worauf im Anschluss die temporäre Einhaltung von personaler und räumlicher Distanz zu GHI-1 (Zeile 400, 409) ebenfalls aufgegeben wird. Auch in Transkript 1008 1028 Frau checkt G mit R äußert F(52) ihre Eindrücke gegenüber GHI-1 und betont die visuellen Eigenschaften von GHI-1s Gestalt, die F dazu veranlasst haben, GHI-1 im Café wahrzunehmen und näher zu betrachten. F(52) benennt GHI-1s Herkunft (Zeile 413: F(52): „Das ist Japaner“) und die Größe der Statur, die ihre Aufmerksamkeit geweckt haben (Zeile 418). Weiter hinterfragt sie die Funktion GHI-1s (Zeile 421: F(52): „Und was kann man mit dem machen?“) und bemerkt die Blickrichtung GHI-1s als auf sie gerichtet (Zeile 421: F(52): „Da er guckt mich an“), was erneut auf eine temporäre Personalitätszuschreibung (nach Harth 2014) mindestens eines ZPW im Sinne einer graduellen Handlungsträgerschaft hindeutet. Während der weiteren Exploration beschreibt F(52) ihre Eindrücke zur materiellen Machart der Gestalt und erwähnt, dass GHI-1 von Nahem besser aussieht als von Weitem (Zeile 426, 439). F(52) hält gemeinhin eine personale als auch räumliche Distanz zu GHI-1, nähert sich jedoch auf Aufforderung Rs (Zeile 430: R
7.7 Verbale Explikationen von„Echtheit“ …
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„(berühren vielleicht)“) an GHI-1 heran, um die Haut, das Gesicht und die Haare zu beurteilen (Zeile 434–435) und ihn zweimal kurz zu berühren (Zeile 431, 438). Auch hier sehen wir eine Begutachtung GHI-1s, die auf vornehmlich visuellen Eindrücken beruht und eine distanziertere und mit geringeren taktilen Anteilen behaftete Erkundung der Gestalt gegenüber dem Idling Modus nahelegt (Zeile 438: F(52) geht zurück an Ursprungsstandort (ca. 1 m vorm Tisch)). Im Facetrack Modus können wir bei J(17) und G(11) in Transkript 1108 1337 kids england beobachten wie J(17) und G(11) bereits bei der Begegnung mit GHI-1 davon ausgehen, dass es sich bei GHI-1 um keinen sozialen Akteur handelt. Dies wird durch das unvermittelte Sprechen über GHI-1 in dessen Anwesenheit deutlich (Zeile 451–454: GHI-1 guckt nach links/G(11) guckt zu GHI-1 – J(17) kommt wieder, stellt sich rechts von GHI-1 – J(17) zu G(11): „Touch him“ – G(11): „No you touch him“). J(17) und G(11) brechen das symbolische Territorium also bereits zu Beginn der Exploration, was darauf hinweist, dass GHI-1 der kommunikativen Deutung enthoben wurde. J(17) und G(11) listen dabei ihre Eindrücke, die dazu führen, dass GHI-1 schlussendlich als nicht-menschlich bzw. als Roboter erfahren wird. Hierzu zählen die Geräusche des Materials während der Berührung, der Ausdruck sowie die Pupillen GHI-1s (Zeile 459–468: G(11): „When you touching his hand sounds like ( )“ – GHI-1 wendet den Kopf zu J(17) dann nach frontal – J(17): „This is a robot right?“ – G(11): „Ja“ – J(17): „Looks (stupid)“ – (J(17) beugt sich nach unten um GHI-1s Gesicht zu sehen/G(11) auch) – (…) – G(11): „He looks like a real person – it’s so cool – like the eyeball, it’s so real“). Zudem erkennen die Besucher die Fertigkeit der Zuwendung des Blickes (Zeile 469–470: J(17) geht von Position an andere Stellen vom Tisch, lenkt GHI-1s Blick/GHI-1 folgt Position von J(17) – J(17): „You can look he is following around – right“), fragen nach der Machart der Zuwendung (Zeile 480: J(17): „How can he realize what happened?“) und gehen davon aus, dass die Haare GHI-1s eine Perücke sind (Zeile 477–478: G(11): „I bet this is a wig“ (deutet auf GHI-1s Kopf) – J(17): „Yeah obviously“). Die Besucher im Facetrack Modus hinterfragen die „Echtheit“ bzw. den personalen Status der Gestalt von GHI-1 auf deckungsgleiche Weise wie im Idling Modus. Auffällig bleibt hier allerdings, bis zur kommunikativ bestätigten Auflösung der personalen Präsenz, die geringere Annäherung – und somit Einhaltung der personalen als auch räumlichen Territorialmarker GHI-1s – an die bewegliche und teils als reaktionsfertig wahrgenommene Gestalt GHI-1s. Mit Hinweis auf die Wahrnehmung der adäquaten Blickrichtung GHI-1s in Richtung der Besucher, können wir auf der präsymbolischen und präkommunikativen Ebene von einer Unsicherheit der Besucher betreffend der personalen Präsenz der Gestalt von GHI-1 ausgehen. Betreffend der inhaltlichen Äußerungen, die während des Verstoßes des symbolischen Gesprächsreservats GHI-1s getätigt werden, zeigen sich hingegen dieselben Merkmale wie im
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Idling Modus, an denen der ungewisse personale Hybridenstatus der Gestalt GHI-1s, die Täuschung als auch die Aufhebung von „Echtheit“ bewirken. Die kommunikative Bestätigung von fehlender „Echtheit“ führt dabei zur sukzessiven Aufhebung der Territorialbereiche sowie des personalen Status.
7.7.2
Fazit: Echt oder Unreal
Wie wir aus den obigen Transkripten herausgearbeitet haben, wird die „Echtheit des Roboters“ – als organischem oder gar menschlichem Wesen – von den Besuchern auf mehreren Ebenen analysiert und der Roboter nach jener Prüfung als „echt“ bzw. „unecht“ befunden. Um zu entscheiden, ob der Roboter „echt“ ist, achten die Besucher einerseits auf spezifische Merkmale, die, zum Teil, denen der menschlichen Gestalt gleichen, wie etwa der äußeren materiellen als auch verhaltensbasierten Erscheinung der Gestalt als auch auf Fähigkeiten in Bezug zu motorischen, reaktiven, interaktiven und kognitiven Kapazitäten. Aus den entsprechenden Merkmalen für die Zusprache eines „echten“ sozialen Wesens können wir die geteilte Schnittmenge der Erwartungshaltungen der Besucher gegenüber einem potentiell personalen Akteur sowie die Erwartungen zur Feststellung von personaler Präsenz ablesen. Weiter extrapolieren die Brüche des Eindrucks von Echtheit die Besonderheiten, die zu dem Scheitern jener Erwartungshaltungen beitragen. Zur Aufdeckung der Erwartungshaltungen haben die Zu- und Absprache von personaler und sozialer Präsenz einerseits während der kommunikativen Erkundung, andererseits bei den präkommunikativ-körperlichen Verhaltensweisen im Rahmen der Territorialbereiche beigetragen. Dabei zeigen die Brüche in der personalen Statuszuschreibung gegenüber GHI-1 die enttäuschten Erwartungshaltungen der Besucher und die Merkmale zur Zusprache eines Personenstatus zeigen die bestätigten Erwartungshaltungen der Besucher. So konnten wir partiell die Zustimmung zur personalen Präsenz und Enttäuschungen hinsichtlich der Erwartungshaltungen bei sozialer Präsenz feststellen. Die extrapolierten Erwartungshaltungen wirken demnach als grundlegende Interpretationsmechanismen während der kommunikativen als auch der fundierenden Deutung. Pro Echtheit Als Merkmale, bei denen die Besucher die Echtheit des Roboters bejahen, konnten wir aus den obigen Transkripten den taktilen Vergleich mit der eigenen Körperbeschaffenheit, das Augenmerk auf die materielle Machart und die damit einhergehende visuelle Täuschung einer echten menschlichen Person (A 1008 1122 kellnerinnen explore Zeile A2: K1 (off): „Der sieht echt aus.“
7.7 Verbale Explikationen von„Echtheit“ …
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{kommt ins Bild} „da schau an“/Zeile A9: K2: „Schräg, der hat sogar richtige Fingernägel. Habens schon gut gemacht“/Zeile A11: K1 blickt zu GHI-1: „Schnaufen tut er auch“ oder Transkript 1108 1337 kids england Zeile 468: G(11): „He looks like a real person – it’s so cool – like the eyeball, it’s so real“) als auch die Bewegungen (2308 1439 frau mit kind explore GHI-1 Zeile 283: J(8): „Der kann seinen Kopf bewegen“) extrahieren. Besondere Betonung fand die wiederkehrende Aussage, dass GHI-1 auf den ersten Blick und von Weitem echt, bzw. wie ein „normaler Mann“ wirkt, was im Laufe der Exploration durch die Erfahrung einer hybriden Erscheinung zwischen menschenartiger Figur- und Objekthaftigkeit eines „Roboters“, einer Puppe oder Figur etc. revidiert wird. Wir können davon ausgehen, dass, die auf den ersten Blick reale Gestalt GHI-1s, zu einer indirekten Berührung der Besucher mit einer temporär fundierenden Deutung der Besucher bezüglich des Roboters als menschenähnlicher Person führt und die Versuche der Reaktionsevokation als auch der Interaktionsinitiierung zur Validierung eben jener Annahme dienen (A 1108 1554 int family leaves Zeile A130–A133: J2: „Hallo ( )“ (tritt GHI-1 gegen den Schuh) – Md2: „(Nachher ist) das ein Echter“ – (J2 schnippt die Haare an der Seite von GHI-1/Alle lachen) – J2: „Dann schlag ich den nicht – vielleicht beißt der“). Mit dem Versuch, eine direkte Berührung und ein Setting der sozialen Präsenz durch reaktionsinduzierende Aufmerksamkeitshascher und interaktionseröffnende Gesten zu gründen, erproben die Besucher, die fundierende Deutung mit einer kommunikativen Deutung zu untermauern. Diese wird mit der Adressierung von GHI-1 mittels symbolischer Gestenverwendung initiiert, allerdings ohne den entsprechenden Erfolg einer Reaktion auf die Ansprache verbuchen zu können (2308 1439 frau mit kind explore GHI-1 Zeile 289: J(8): „Das ist kein Echter“). Der Übergang von einer indirekten zu einer direkten Berührung scheitert und bewirkt eine Infragestellung der kommunikativen und schließlich der fundierenden Deutung. Contra Echtheit Während als Gründe für das Scheitern der kommunikativen Deutung das fehlende sozio-reaktive als auch das interaktive Feedback angeführt werden können, haben wir in den obigen Transkripten auch Hinweise finden können, die zu den Brüchen des Eindrucks einer fundierenden Deutung führen und somit auf enttäuschte Erwartungshaltungen zur personalen Präsenz verweisen. Als Merkmale, welche die Echtheit des Roboters widerlegen, können wir mitunter die Ergebnisse zur Prüfung des Materials nennen. Die Besucher erkennen bei ihren sowohl visuellen als auch taktilen Explorationen, dass es sich bei der Haut GHI-1s nicht um echte Haut (2308 1439 frau mit kind explore GHI-1 Zeile 281) sowie um unechte Haare (Perücke) (1108 1256 junge und frau checken GHI-1
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Zeile 364: J(10): „(echt …Perücke)“/1108 1337 kids england Zeile 477: G(11): „I bet this is a wig“) und Knochen (1108 1256 junge und frau checken GHI-1 Zeile 352–354: F(40): „(Aber die Knochen sind auch da. (…) … echt … (…))“ – (F(40) spürt an GHI-1s Handoberfläche) – J(10): „Aber die sind aus Gummi“) handelt. In jene Kategorie fallen auch die Makulatur an der Hand, die (J8) auffällt, die Kritik an der Postur der Robotergestalt (1008 1214 Frau Mann Enkelin Zeile 143: M(68): „(…Aber schlecht die Hand hält er… schlecht…)“) als auch der Hinweis, zu der unechten Motorik – bzw. zu situationsinadäquat ausgeführt wirkenden Bewegungsabläufen GHI-1s (1008 1028 Frau checkt G mit R Zeile 428: F(52): „Die Hände sehen nicht gut aus“). So tragen sowohl die taktile Exploration als auch die nahe visuelle Betrachtung der materiellen Beschaffenheit GHI-1s zu einem erheblichen Teil zur Feststellung der Artifizialität der Robotergestalt bei. Vornehmlich werden Fehler oder Abweichungen von „echten“ Körpergestalten, die sich in der Materialität bzw. in Bewegungsabfolgen zeigen, zum Anlass genommen, den Eindruck der „Echtheit“ der Gestalt aufzuheben und durch Attribute wie Computer, Robotermensch, Figur, Puppe (1008 1458 frau guckt beim Kalibrieren zu pt1) etc. zu ersetzen. Neben der Prüfung der Materialität und Gestalt des Roboters thematisieren F(45) und F2(46) zudem die Quelle der initiierenden Bewegungen, die sie durch die Exploration der technischen Machart auf eine Steuerung der Gestalt über technisches Equipment (z. B. Kamera) im Umfeld des Roboters ausmachen (1008 frauen in grün Zeile 401: F(46): „Siehst du da ist eine Kamera drinnen (in der Palme versteckt)“/Zeile 403: F(46) „(Wenn er) in die Kamera sieht schaut er uns ja an“). Bei der Prüfung der technischen Machart des Settings, in das GHI-1 platziert wurde, fällt den Besuchern die Kamerainstallation (ggf. auch das Mikrofon) auf, was zu der Annahme einer Steuerung der Robotergestalt (durch einen Menschen) verleitet und damit zu der Absprache von Autonomie – bezüglich der Reaktionen und Bewegungen GHI-1s führt. GHI-1 verliert mit der Absprache von Autonomie den Zuspruch von kognitiven Aktivitäten, die als Antrieb für die Reaktions- und Bewegungsabläufe fungieren. Mit dem Verweis auf andere – womöglich menschliche – Urheber der robotischen Aktionen, wird der Robotergestalt die Autonomie, Responsibilität und Spontanität der Aktionen genommen und GHI-1 als rein mechanisches Objekt deklariert. Einen weiteren Hinweis für die Qualifikation GHI-1s zu einer unechten Gestalt stellt außerdem die Fehlfunktion der Accessoires, mit denen die Gestalt ausgestattet wurde. So nehmen die Besucher vermehrt Bezug auf die falsche Uhrzeit bzw. defekte Uhr oder auf den ausgeschalteten Laptop, auf den GHI-1 seine Hände platziert und seinen Blick richtet. GHI-1 zeigt in dem Setting keinerlei Selbst-Umwelt Bezug zu den ihn umgebenden Accessoires. Die Objekte stehen in keinem funktionalen
7.7 Verbale Explikationen von„Echtheit“ …
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Zusammenhang zu GHI-1, wobei die Gegenstände zwar als zu GHI-1 zugehörig erfasst, jedoch nicht als dessen Eigentum etikettiert werden. GHI-1 scheitert somit daran, einen Bezug zu den ihn umgebenden Objekten als zu GHI-1 gehörigen durchzusetzen und den Eindruck zu erwecken, über eine Wirksphäre in seinem unmittelbaren Umfeld zu verfügen. So haben wir zusammen mit der Hinterfragung der Reaktions- als auch Interaktionsfertigkeit, die materielle sowie die technische Machart als auch die Exploration der Materialität zur Bestimmung des Roboters als echtem Wesen gefunden (A 1108 1554 int family leaves Zeile A134: M3 berührt die linke Wange von GHI-1 mit der rechten Hand: „Der reagiert ja gar nicht“ und Zeile A139: J2: („I hab gedacht das ist ein Echter“). Diese Wege und Weisen der Exploration GHI-1s betreffend seiner „Echtheit“ offenbaren dabei die Erwartungshaltung der menschlichen Personen gegenüber GHI-1 als realem Wesen. Diese umfassen erwartete autonome Reaktionen auf (sozio-)motorische als auch auf interaktive aufmerksamkeitshaschende Aktionen in seiner Um-/Mitwelt als auch die materielle Beschaffenheit sowie die Autonomie GHI-1s in Bewegungs-, Reaktions- und Interaktionsfertigkeit. Hierzu zählen z. B. die interaktiven Antworten auf symbolische Gesten, das Erkennen und Erwidern von Interaktionsversuchen, das Verfügen über eine Wirksphäre, adäquate motorische Aktionen betreffend der Ereignisse in der Um- und Mitwelt sowie die Etablierung von direkten Berührungen (z. B. durch Augenkontakt, dem Ausweichen bei einem Faustschlag oder dem Abwenden bei Wedeln vor dem Gesicht und dem Antwortverhalten nach verbalen Fragen). Die Territorialbrüche zeigen während der kommunikativen Äußerungen zu den Pro- und Kontrapunkten, die für eine „Echtheit“ GHI-1s sprechen, die nachhaltigen und deckungsgleichen Erwartungshaltungen der Besucher gegenüber einem sozialen Wesen und heben die temporäre Personenzuschreibung im Sinne von gradueller Handlungsträgerschaft auf. Mit dem Scheitern der EEE gegenüber GHI-1 als einem potentiellen EPW, tendieren die Besucher bezüglich der fundierenden Deutung in den Idling und Facetrack Modi dazu, GHI-1 eher im Sinne einer objekthaften Gestalt zu explorieren und zu erfassen. Zusammen mit den Leib- und Raumpositionierungen haben wir es auch bei den symbolischen Reservaten mit Grenz-/Distanzüberschreitungen zu tun, welche Territorialbereiche des personalen Raumes als auch des Gesprächsreservats betreffen, die nach Goffman und Hall gemeinhin in der direkten Präsenz von sozialen Akteuren (zumindest im Kontext menschlicher Begegnungen) unterlassen werden bzw. als rüde Verstöße der Interaktionsordnung gelten. Daher gehen wir in unserer Untersuchung davon aus, dass Äußerungen, die thematisch z. B. die Gestalt GHI-1s und deren Echtheit sowie seine eingeschränkten Fertigkeiten belangen, in
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Gegenwart des fraglichen Akteurs ein Anzeichen dafür bieten, dass dessen legitimer Status als sozialer Akteur zusammen mit der Annahme von Ko-Partizipation in einem sozialen Präsenzsetting von den Besuchern aufgehoben wird. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die fehlenden Rückmeldungen des Roboters auf verbale und non-verbale Annäherungen seitens der Besucher. Wir gehen somit davon aus, dass die Äußerungen in direkter Gegenwart des Roboters durch fehlende Anzeichen des Roboters hinsichtlich eines Übergangs von der Ko-Lokalisation in das situative Setting der sozialen Präsenz induziert werden. Dieser fehlende Übergang in kommunikative Involviertheit und situative Sozialität enthebt GHI-1 von dem Status eines potentiellen sozialen Akteurs sowie von sozialer Präsenz und führt inhaltlich mithin auf der Ebene der fundierenden Deutung zu einer de-personalisierten Begutachtung des Roboters. Der Verstoß auf der Ebene der symbolischen Gesprächsreservate – sowohl in dem Idling als auch im Facetrack Modus – offenbart einen weiteren Beleg zu der Aufhebung einer sozialen Akteursschaft gegenüber GHI-1 und zeigt auf der inhaltlichen Ebene die dafür ausschlaggebenden Gründe. Das Aufheben und Scheitern der Erwartungshaltungen an ein sozial-reaktives Wesen zeigen einen weiteren Schritt zur Deklaration GHI-1s als nicht-echt bzw. nicht-menschlich und rücken GHI-1 in die Nähe eines physisch-mechanischen Objekts. Die Differenzen in den Idling und Facetrack Modi wollen wir mit Hinblick auf die Statuszuschreibung gegenüber GHI-1 im nächsten Abschnitt genauer darlegen.
7.8
Fazit für Distanzen, personale Präsenz und soziale Präsenz im Idling Modus
In dem Idling Modus wird während der Exploration zur fundierenden Deutung von GHI-1 deutlich, dass GHI-1 auf keine Reize in seinem unmittelbaren Umfeld reagiert und damit über keine Selbst-Umwelt-Relation verfügt. So sind die Aktionen GHI-1s weder an den Ereignissen in der Umwelt noch an Ereignissen in der Mitwelt orientiert und die Bewegungen werden von den Besuchern als repetitiv und als in ihrem Umfang begrenzt erkannt. Als Folge davon, gehen wir davon aus, dass die ausbleibenden Aktionen und die fehlenden Merkmale von „Echtheit“ Auswirkungen auf die fundierende Deutung sowie auf die Erfassung der Territorialbereiche haben und dadurch sowohl die personale Präsenz GHI-1s als auch das potentielle Wirkfeld GHI-1s von den Besuchern überschritten werden. Das Überschreiten können wir in dem Verhalten der Besucher gegenüber GHI-1 im Falle des Idling Modus während des Verstoßes der leiblichen Positionierungen gegen die räumlichen und personalen Territorialbereiche als auch während des Sprechens über den Roboter in
7.8 Fazit für Distanzen, personale Präsenz und soziale Präsenz …
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seiner unmittelbaren physischen Präsenz beobachten. Somit sind alle drei Territorialbereiche als Indizien zu einer Gegebenheit der personalen Präsenz des Roboters aufgehoben. In jenen Fällen wird nicht nur durch die Absprache des Verständnisses von symbolisch-gestischen Ausdrücken gegenüber dem Roboter, sondern auch durch das Überschreiten und Nichtbeachten von personalen als auch räumlichfunktionalen Territorialbereichen des Roboters, die Loslösung des Roboters von personalen Attributen sowie einer peripheren Wirksphäre sichtbar. So konnten wir zusätzlich bei der interaktiven Erkundung im Idling Modus herausstellen, dass während des Verstoßes auf der Ebene der symbolischen Gesprächsreservate die Besucher konkret ausformulieren, wie sie ihre temporären Personalitätszuschreibungen zur Reaktionsfertigkeit GHI-1s auflösen, welche (erwarteten Erwartungs-)Erwartungen enttäuscht wurden und mithin zu der gänzlichen Absprache von personaler Präsenz beitragen.48 GHI-1 ermangelt es vornehmlich an der Darbietung der Befähigung zur Selbst-Umwelt bzw. Mitwelt-Relation und zur Bezugnahme auf Ereignisse, die an ihn gerichtet sind bzw. der Ausdruckfertigkeit, um Ereignisse in seinem Umfeld selbstgesteuert zu manipulieren. Somit steht auch die Frage im Raum, ob GHI-1 überhaupt über ein „Selbst“ verfügt. So haben wir mit der Listung der Bedingungen zur Echtheit des Roboters über die Aufhebung von personalen Distanzen Indizien dafür, dass die personale Präsenz zusammen mit der Wirksphäre gegenüber GHI-1 revidiert wird und neben der kommunikativen Deutung auch die fundierende Deutung keinen Bestand mehr hat. Das Überschreiten der persönlichen Distanz und des Territorialbereichs wird als Spur lesbar, die darlegt, wie die Besucher den Roboter von Eigenschaften eines sozialen als auch personalen Akteurs entmündigen, die fundierende Deutung somit auflösen und GHI-1 auf eine Ebene mit freizugänglichen, physikalischen Objekten stellen. Resümierend auf den Idling Modus können wir festhalten, dass nicht nur die soziale Agentenschaft sowie die personale Präsenz (und damit auch weder die kommunikative noch die fundierende Deutung) in jenem Setting nicht bestätigt werden konnten, sondern, dass zusammen mit dem Fehlen von Reaktivität auch das situative Setting der Ko-Lokalisation des Roboters nicht fortbesteht, welches als genuin für soziale Akteure angesehen werden muss. So ist GHI-1 weder auf der Ebene der Selbst-Umwelt-Relation mit personaler Präsenz ausgestattet, noch auf der Ebene der Selbst-Mitwelt-Relation im Setting der Ko-Lokalisation präsent und erfüllt demnach nicht die mehrgradigen Erwartungshaltungen gegenüber einem sozialen Akteur im Sinne eines ZPW respektive eines EPW. Die Besucher finden 48 Die Besucher monieren dabei, dass der Roboter nicht autonom agiert, seine Accessoires nicht funktionieren, er nicht sozio-motorisch adäquat re-agiert, aus „unechtem“ Material gestaltet wurde und die motorischen Bewegungen situationsinadäquat (zum Selbst-UmweltBezug als auch zum Selbst-Mitwelt-Bezug) wirken.
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Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
sich entsprechend in einer lediglich rein physischen Anwesenheitsrelation mit GHI1s als einem mechanisch agierendem Objekt wieder, das weder zu einem Selbst, noch zu einer Selbst-Mitwelt- geschweige denn zu einer allumfassenden SelbstUmwelt-Relation befähigt ist. Die Distanzbrüche zeigen, dass der Roboter den Anspruch auf Agentenschaft (EPW) verliert und mit fehlender Zurückhaltung seitens der Besucher gegenüber physikalischen Objekten (wenn auch eines wertvollen oder seltenen Objektes) situativ im Sinne von räumlich-physikalischer Anwesenheit gehandhabt wird. Für die sozial-situativen Präsenzmodi bedeutet dies, dass Ko-Lokalisation und Ko-Präsenz als Präsenzmodi in Interdependenz mit der Transformationsmöglichkeit einer Akteursrelation in ein soziales Präsenzsetting sowie mit dem Gelingen der kommunikativen Deutung stehen (vgl. Abschnitt 8.14). Wichtig ist hier, dass bei einer fehlenden Fähigkeit zum Übergang der Präsenzmodi (und vom Umwelt- in den Mitweltstatus) der soziale Akteursstatus aufgehoben wird und mit dem Fehlen der fundierenden Deutung – und damit der personalen Präsenz – die Gestalt auf die Ebene der Objekthaftigkeit zurückfällt. Die Transformation zu sozialer Präsenz und zu einem Mitwelt-Verhältnis ist an das Vorhandensein von sozialen Akteuren gebunden, welche die Szenerie einer Ko-Lokalisation und einer indirekten Berührung über das Mittel der Kommunikation und eine direkte Berührung, in ein Setting der Ko-Präsenz bis hin zur sozialen Präsenz überführen können. Bleibt dieser Übergang aus, so ist weder das Setting noch der potentielle Akteur im Bereich der sozialen Rahmung. Vielmehr verändert sich die situative Rahmung – statt einer potentiellen Ko-Lokalisation bzw. sozialen Präsenz mit einem sozialen Akteur (EPW bzw. ZPW) – in eine räumlich-physikalische Anwesenheit mit einem gegenwärtig erfahrbaren repetitiv-mechanischen Objekt.
7.9
Fazit für Distanzen, personale Präsenz und soziale Präsenz im Facetrack Modus
Im Facetrack Modus können wir neben den gesteigerten Bemühungen zum Testen der Reaktionen von GHI-1 durch aufmerksamkeitshaschende Aktionen sowie der vermehrten Verwendung von kommunikativen Signalen („social cues“) einen von dem Idling Modus abweichenden Umgang der Besucher bezüglich der Territorialbereiche beobachten, wobei eine Zunahme des verbalen und nonverbalen Feedbacks bzw. Anschlusskommunikation seitens der Besucher zu verzeichnen ist. So erhöht sich mit dem momenthaften Eindruck einer reaktiven Gestalt der Einsatz von allgemeinen als auch symbolhaften Gesten, was sich vornehmlich in der erhöhten Anzahl an Gestik als auch Mimik der Besucher abzeichnet. So begegnen die
7.9 Fazit für Distanzen, personale Präsenz und soziale Präsenz …
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Besucher GHI-1 auf das Zuwenden des Kopfes – als Hinweis auf zivile Aufmerksamkeit und Marker zur initiativen direkten Berührung – mit Grüßen oder verbalen Aufforderungen, worauf jedoch weitere Anschlusskommunikationen GHI-1s auf die direkte Berührung ausbleiben. Darauffolgend, können wir betreffend der territorialen Merkmale von GHI-1s potentieller personaler Präsenz das Überschreiten des symbolischen Gesprächsreservats gegenüber dem temporären Einhalten von räumlichen als auch personalen Territorien registrieren. Der Verstoß gegen symbolische Gesprächsreservate führt auf der Ebene der kommunikativen Fertigkeiten zur Aufhebung des Akteursstatus des Roboters als potentiellem Akteur, der an symbolische Gestenkommunikation anschlieβt. Die Besucher unterhalten sich in Gegenwart des Roboters über GHI-1, indem sie ihre Erfahrungen und Eindrücke zu GHI-1 kommunizieren, dessen Materialität und Aussehen beschreiben und sich gegenseitig dazu auffordern GHI-1 zu betrachten. Dass die Besucher beim Verstoß gegen das symbolische Gesprächsreservat, ungleich der Besucher im Idling Modus, GHI-1 die Echtheit absprechen, bestärkt die Annahme, dass GHI-1 auf der Ebene der symbolischen Gestenverwendung als eine kommunikativ unzugängliche Person gewertet wird. Während GHI-1 auf der Ebene der kommunikativen Deutung die (erwarteten Erwartungs-)Erwartungen der Besucher nicht erfüllt und keinerlei an die symbolischen Gesten ausgerichteten kommunikativen Anschlusshandlungen vollzieht, bewirkt GHI-1 temporär auf der fundierenden Ebene eine minimale Irritation der Besucher bezüglich seines Personenstatus. Auf der Ebene der körperlich-leiblichen Positionierungen im Raum, werden Distanzen und Restriktionen momenthaft innerhalb der personalen als auch räumlichen Territorialbereiche bei der Exploration des Roboters sichtbar. Dies stützt die Erwägung, dass GHI-1 auf prä-symbolischer, körperlich leiblicher Ebene eine ungewisse Wirksphäre zuerkannt bekommt. So sehen wir im Gegensatz zum Idling Modus im Facetrack Modus eingeschränkte Distanzen gegenüber der Gestalt von GHI-1, die mit einer verringerten Anzahl bzw. einem gänzlichen Fehlen von taktilen Berührungen von GHI-1s Gestalt einhergehen. Während die Besucher GHI-1 also die kommunikative Ebene absprechen, zeigt sich im Bereich der fundierenden Deutung unterschwellig auf der soziomotorischen Ebene eine Unsicherheit über die personale Präsenz von GHI-1. Das erhöhte kommunikative Verhalten in Gegenwart GHI-1s, die Verwendung von reaktionsprüfenden Aufmerksamkeitshaschern zusammen mit der Einhaltung von Distanzen im personalen als auch räumlichen Territorialbereich, verweisen auf eine implizite Haltung der Besucher gegenüber GHI-1 als einer animierten und gegebenenfalls wahrnehmenden Gestalt und somit als einem potentiell reagierenden
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7
Empirische Untersuchung des Idling und Facetrack Modus
Akteur. Bei der fundierenden Deutung erfolgt eine temporäre Personalitätszuschreibung, die GHI-1 als momenthaft, potentiell positionales Wesen wirken lässt und Erwartungshaltungen schürt.49 Unsere Beobachtungen der Verhaltensweisen von Besuchern gegenüber GHI-1 im Facetrack Modus lassen darauf schließen, dass GHI-1 einen ungewissen Status auf der Ebene der personalen Präsenz hat (fundierende Deutung), auf der Ebene des sozialen Akteurs indes nicht in Frage kommt. Dies zeigt sich vor allem in der fortgesetzten Distanz zum Roboter und einer auf Kopfbewegungen beschränkten erwarteten motorischen Reaktivität. Die aufmerksamkeitshaschenden Aktionen sowie die kommunikative Exploration erfassen das Reaktionsspektrum GHI-1s als auf die Zuwendung des Kopfes restringierte. Die Reaktionsfertigkeit GHI-1s auf (Gesichter als) visuelle Reize impliziert damit ein Minimum der Verfügbarkeit von „social cues“, die in den personalen als auch räumlichen Territorialbereichen GHI-1s eine Wirkung auf die personale Präsenz GHI-1s ausüben. Die personale Präsenz changiert bei GHI-1 zwischen der eines reinen Objekts, partiell eines ZPW und einer deterministisch agierenden Gestalt mit einer auf Kopfbewegungen restringierten Reaktionsfertigkeit. Dies wollen wir als mechanisch-reaktive Präsenz bzw. Anwesenheit eines Objektes, das zur Reaktion befähigt ist, statuieren. Mechanisch-reaktive Präsenz bezeichnet eine restringierte personale Wirksphäre sowie einen begrenzten Fundus an Interaktionsgesten, die als determinierte, vorgegebene Reaktionen die Kontingenz der verfügbaren Aktionen eindämmen. GHI-1s Bewegungsmechanismen machen im Facetrack Modus einen kurzfristigen und revidierbaren Eindruck von präkommunikativer Sozialität, wobei die fehlende Fertigkeit weiterer kontingenter Anschlusskommunikation jegliche Verfügung über soziale Präsenzmodi annulliert. Zudem verliert GHI-1 durch die fehlende Aufrechterhaltung des Ko-Präsenzsettings und der Weiterführung in ein soziales Präsenzsetting seine Legitimierung als sozialer Akteur. Mit dem Ausbleiben von situationsadäquaten Reaktionen auf der Ebene motorischer und interaktiver Aktionen sowie dem Fortführen der suggerierten Reaktionsfertigkeit und direkten Berührung scheitert auch im Facetrack Modus die situative Rahmung als die einer ko-präsenten, 49 Hierbei erwarten die Besucher (EEE), dass GHI-1 aus einer Erwartungshaltung der (erwarteten) Erwartungserwartung gegenüber den Besuchern heraus auf sie reagiert. Bei jener temporären Personalitätszuschreibung handelt es sich indes um subjektive Erwartungen über den Personenstatus von GHI-1, die nicht über die Erwartungshaltung doppelter Kontingenz hinausgehen. Während der kommunikativen Exploration der Besucher mit Verstößen gegen den symbolischen Territorialbereich GHI-1s, können wir die Erwartungshaltungen eines allgemeinen kollektiven Erwartungshorizonts (Dritter) aufdecken, der auf nachhaltigem Wege den personalen Status GHI-1s im Facetrack Modus präzisiert und den temporären personalen Status GHI-1 sukzessive aufhebt.
7.9 Fazit für Distanzen, personale Präsenz und soziale Präsenz …
257
ko-lokalisierten resp. von sozialer Präsenz. Mit der Negierung der sozialen Präsenz und einer restringiert mechanisch reaktiven Gestalt klassifiziert sich GHI-1 im Facetrack Modus, aufgrund der begrenzten Reaktionsfertigkeit, als determiniert reaktiv-mechanisches Objekt. Die EEE (Erwartete Erwartungs-Erwartung) betreffend eines sozialen Akteurs konnte GHI-1 weder im Idling noch im Facetrack Modus – neben temporären Personalitätszuschreibungen – nachhaltig erfüllen. Entsprechend fällt der Status GHI-1s zurück auf ein unbelebtes repetitiv-mechanisches bzw. determiniert reaktivmechanisches Objekt. Inwieweit ein erweiterter Aktivitätsmodus GHI-1s zu der Erfüllung der EEE an soziale Akteure beträgt, wollen wir nun durch die Analyse des Begegnungsverlaufs zwischen Besuchern und GHI-1 im Teleoperationsmodus feststellen.
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Empirische Untersuchung Teleoperation
8.1
Beschreibung der Roboteraktivität
Während der Teleoperation werden GHI-1s Bewegungen des Kopfes, des Torsos und des Mundes durch eine Person gesteuert. Mit der Manipulierbarkeit der genannten Körperpartien simuliert eine fernsteuernde Person (Teleoperator) die Reaktions- als auch Interaktionsfertigkeit des Roboters. Damit gelingt die Passung der Haltung – z. B. durch die situationsadäquate Wendung des Kopfes – gemäß Ereignissen in der Um- als auch in der Mitwelt und GHI-1 erfährt eine Expansion seiner Wirksphäre auf Um- und Mitwelt. Durch die zusätzliche Übertragung der Stimme ist es möglich, neben allgemeinen Gesten auch symbolische Gesten über den Roboter zu vermitteln und eine direkte Berührung einzuleiten. Das Teleoperationssystem, als steuerbares Kommunikationsmedium zur Passung des Mediums an soziale Gegebenheiten, wurde mit dem Ziel der Übermittlung von Telepräsenz gewählt, wobei eine Überprüfung der Übertragbarkeit von sozialer Präsenz des Steuernden bzw. die Simulation GHI-1s als einem eigenständigen sozialen Akteur ermöglicht werden soll. Im Gegensatz zu den Idling und Facetrack Modi erfahren die Besucher seitens GHI-1 im Teleoperationsmodus eine Steigerung der Re-Aktivität hinsichtlich des Selbst-, Umwelt- und Mitfeldbezugs. Diese Steigerung des potentiellen Re/Aktions-, Kommunikations- (und Handlungs-) -spektrums hat mithin beobachtbare Auswirkungen auf die Bereiche der personalen sowie der sozialen Präsenz, den
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_8
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Empirische Untersuchung Teleoperation
Erwartungshaltungen als auch des Akteursstatus, mitsamt Annahmen zur Echtheit bzw. zur Wesensart und Personalität GHI-1s.1 Entsprechend betrachten wir in dem vorliegenden Abschnitt die Annäherungen und Interaktionsgebaren der Besucher mit GHI-1 im Teleoperationsmodus, wobei wir die ordnungsbildenden Praxeologien als Wege zur Sensibilisierung einer sozialen Agentenschaft gegenüber GHI-1, im Gegensatz zu dem Verharren GHI1s im Objektstatus, nachzeichnen wollen (siehe Idling und Facetrack Modus). Die Herausarbeitung der ordnungsbildenden Praxeologien von sozialen Akteuren dient der Skizzierung von „Regeln der Anerkennung“ zur Aufhebung der „Kontingenz der Mitwelt“. Hierzu werden in unserer Analyse die Wege und Weisen der Erstbegegnungen und Übergänge zu einer sozialen-Präsenz-Situation zwischen legitimen (Menschen) sowie fraglichen sozialen Akteuren (Roboter) fokussiert und somit ein beispielhaftes Bild der protosozialen Interaktions- und Annäherungsweisen, während der Erkundung des Sozialstatus eines potentiellen Akteurs, der symbolisch-gestische Kommunikation mit legitimen Akteuren anbietet, geliefert. Da das Datenmaterial zum Teleoperationsmodus einen Pool an symbolischgestischer Kommunikation bereitstellt und eine ausführliche Analyse der kommunikativen Deutung ermöglicht, wollen wir im nächsten Abschnitt zunächst einen Blick auf die Ebene der leiblichen Positionierungen als Hinweise auf personale Statuszuschreibungen gegenüber GHI-1s werfen. Dabei wollen wir die augenscheinlichen Merkmale von personaler Präsenz bezüglich der personalen und räumlichen Territorialbereiche auf nonverbaler Ebene ausführen. Entsprechend ziehen wir in diesem Abschnitt die fundierende Deutung GHI-1s als potentiellem Akteur über die leibliche Bezugnahme zu Territorialbereichen der Interaktions- und Reaktionsprüfung vor, wobei letztere in einem späteren Abschnitt zur kommunikativen Deutung dezidierter erörtert werden.2
1 Wir
konnten in einer weiteren Studie belegen, dass GHI-1 im Teleoperationsmodul eine eigene Identität zugestanden wird (Straub et al. 2010 und Straub (o. J.)). Vor diesem Hintergrund beziehen wir die folgenden Aktionen der Besucher in dieser Arbeit als direkt an GHI-1 ausgerichtete. Näheres zu der Identitätsgenerierung von GHI-1 seitens der Besucher als auch des Steuernden ist in (Straub et al. 2010) ausgeführt. 2 Zur Erfassung der prä-symbolisch proxemischen Distanzordnungen machen wir zum Teil einen Vorgriff auf jene Transkripte, die während der kommunikativen Deutung angewandt werden. Aus diesen extrahieren wir die Ergebnisse der leiblichen Positionierungen als Hinweise auf den Zuspruch von Territorialbereichen, um nachträglich, im Rahmen der kommunikativen Deutung, eine Betrachtung zur Anrechnung einer symbolischen Territorialsphäre durchzuführen.
8.2 Fundierende Deutung und personale Präsenz GHI-1s in Territorialbereichen
261
8.2
Fundierende Deutung und personale Präsenz GHI-1s in Territorialbereichen
8.2.1
a) Annäherung im persönlichen und sozialen Raum: Leibliche Positionierungen als Hinweise auf personale Statuszuschreibungen gegenüber GHI-1
Die leiblichen Positionierungen der Besucher gegenüber GHI-1 geben auch im Teleoperationsmodus Hinweise hinsichtlich der personalen als auch der räumlichen Territorialbereiche und somit auf sozial-relevante Raumverhältnisse. Entsprechend der Untersuchung im Idling und Facetrack Modus wird hier das Einhalten von Territorialbereichen und von Distanzordnungen als Fürsprache zu einem mit einer Wirksphäre ausgestatteten Akteur auf der präkommunikativen Ebene betrachtet. Wir konnten im Idling als auch im Facetrack Modus darlegen, dass GHI-1 nach der Negierung der kommunikativen Deutung sowie der sozialen Präsenz auf einer weiteren Ebene der fundierenden Deutung auf Reaktivität hin untersucht wird. Mit dem abnehmenden Anschlussverhalten an die sozialen Aktionen der Besucher und einem Fehlen des Selbst-Umwelt (als auch Selbst-Mitwelt) Bezugs entfallen dabei die Ansprüche eines potentiellen Akteursstatus gegenüber GHI-1. Während die Besucher nach GHI-1s scheiternden Reaktions- und Interaktionsaffirmationen im Idling und Facetrack Modus die potentielle personale Präsenz aufheben (vgl. Abschnitt 7.4.7), können wir diese Egalisierung der personalen Präsenz im Teleoperationsmodus nicht feststellen. Ähnlich, wie momenthaft im Facetrack Modus sichtbar wurde, ist auch im Modus der Teleoperation eine anhaltende Verwirklichung und somit die Zuerkennung der personalen Territorialbereiche gegenüber GHI-1 beobachtbar. Diese erfolgt parallel mit der affirmativen Bezugnahme GHI-1s auf die sowohl symbolisch-gestischen als auch auf die nonverbal leiblich-positionalen Annäherungen der Besucher gegenüber GHI-1. Im Teleoperationsmodus können wir entsprechend das Gelingen der Überprüfung von Interaktionsfähigkeit bzw. der kommunikativen Reaktionsfähigkeit GHI-1s beobachten (Abschnitt 8.6 ff.). Der Anreiz zur Etablierung eines Sozialgefüges, geht dabei (durch das gezielte Ansprechen der Besucher) entweder initiativ von GHI-1 aus oder wird durch affirmative Interaktionsgebaren GHI-1s auf die Interaktionsversuche der Besucher bekräftigt. Mit der Signalisierung eines interaktiven Anschlussverhaltens und einer fortwährenden direkten Berührung, können wir eine Transformation des Distanzverhaltens der Besucher gegenüber GHI-1 nachzeichnen. Entgegen der Aufhebung jeglicher personaler als auch räumlicher Territorialsphären in den Modi des Idling als auch des Facetrack, erfolgen die leiblichen Positionierungen der Besucher im Teleoperationsmodus im Bereich der von
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Empirische Untersuchung Teleoperation
Hall als persönliche Distanz bzw. soziale Distanz benannten proxemischen Felder und überschreiten diese in nur wenigen Fällen (Abb. 8.1).3 Die Besucher richten bei der Begegnung mit GHI-1 ihre Postur und ihre Aktionen an der Gestalt sowie an dem (potentiellen) Blickfeld GHI-1s aus und etablieren eine „Begegnung“ mit GHI-1. Die Bestätigung der Distanzordnung ist im personalen Territorialbereich während der leiblichen Positionierung der Besucher zu GHI-1 im Teleoperationsmodus nachweisbar und führt zur Affirmation von personaler Präsenz. Die Besucher halten sich während der vermeintlichen Begegnung mit GHI-1 im Bereich der persönlichen und sozialen Distanz auf und vermeiden das Überschreiten der mutmaßlich intimen Sphäre (Hall 1966), indem sie die Gestalt GHI-1s nicht mutwillig berühren, sondern eine haptisch-taktile Erkundung erst vornehmen, nachdem das Einverständnis hierzu von GHI-1 (auf der symbolisch-sprachlichen Ebene) eingeholt worden ist. So fragt F(16) in Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 während des Dialogs mit GHI-1, ob sie ihn berühren und weiter umarmen dürfe (Zeile 974: F(16) guckt GHI-1an, lächelt: „I can’t I haven’t ( ) //can I touch your hand?“; Zeile 1001–1004: GHI-1guckt zu F(16): “How about a hug?” – F(16) guckt zu GHI-1 legt den Kopf nach unten: „A hug yeah ( )“ – GHI-1 guckt zu F(16): „Yeah give me a hug“ – F(16) nickt, guckt zu GHI-1 und lacht: “I give you a hug”) sowie F(36) in Transkript 2208 1231 familie und frau in blau (Zeile 705–708: F(36): „Can you can you raise your arm – can I shake your hand?” – (deutet auf GHI-1s rechte Hand und reicht ihm ihre) – (F2 geht an den Nebentisch/M2 lächelt und guckt zu) – F(36): „Shake your hand – I have to go now, but I would like to shake your hand“ – (F(36) reicht GHI-1die Hand und berührt seine/R und F(36) lachen laut/F(36) schreckt zurück/M2 lacht)). Die Berührungen erfol gen sodann nach einer expliziten Bejahung durch GHI-1 und sind zumeist an den Bereichen der Gestalt – wie etwa der Hand – ausgerichtet.4 Deutlich wird der Zuspruch einer personalen Territorialsphäre bzw. der personalen Präsenz auch anhand von zwei Grenzbereichen. Dabei wird einerseits nachträglich eine Korrektur eines Übertritts von GHI-1s personalem Territorialbereich vorgenommen und andererseits der personale Territorialbereich einer Besucherin durch GHI-1 bedroht.
3 Dies zeigt sich beispielsweise, wenn noch keine symbolische Gestenkommunikation erfolgt
ist, bzw. in Beispielen, bei denen Kinder gegenüber GHI-1 aufdringlich werden, nachdem sie die motorischen Limitationen GHI-1s erkannt haben (vgl. 1108 1554 int family leaves Zeile A110 oder A 1008 1432 englaender checken GHI-1 Zeile A166). 4 Zu legitimen Arealen für Berührungen siehe Andersen (1985), Burgoon (1991) und Guerrero & Andersen (1994).
Abb. 8.1 Persönliche und räumliche Territorialsphären GHI-1s mit J(10) aus 1108 1256 junge und frau checken GHI-1 im idling modus (oben), M(36) und Md(12) aus 1108 1145 mann und mädel im Facetrack Modus (Mitte) und F(42) aus 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 im Teleoperationsmodus (unten)
8.2 Fundierende Deutung und personale Präsenz GHI-1s in Territorialbereichen 263
264
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Im ersten Fall überschreitet Besucherin F(26) in Transkript 2408 1425 jg frau streichelt GHI-1 die personale Wirksphäre GHI-1s zunächst und korrigiert die Überschreitung anschließend. Nachdem F(26) von GHI-1 initiativ begrüßt und dazu aufgefordert wurde eine Broschüre mitzunehmen, geht F(26) direkt auf die Gestalt von GHI-1 zu, berührt und betrachtet GHI-1 dabei von Nahem. F(26) wendet sich im Folgenden weiterhin GHI-1 zu und intensiviert die Begegnung durch leiblichpositionale Annäherungen sowie durch symbolisch-gestische Kommunikation. In jener Begegnungsphase verstößt F(26), entgegen der gängigen Annäherungen bei der initiierenden Begegnung im Teleoperationsmodus, gegen das personale als auch symbolische Territorialfeld GHI-1s, indem sie freimütig die Hand GHI-1s berührt (Zeile 496), nah an ihn herantritt und ihn in seiner Gegenwart als unattraktiv bezeichnet (Zeile 515–516). F(26) wird sich der Verstöße im personalen und symbolischen Territorialbereich indes schnell bewusst, nachdem GHI-1 sie dazu auffordert, „nicht so doll zu drücken“ (vgl. Zeile 522), woraufhin F(26) einerseits die Hand zurückzieht, GHI-1 lediglich anblickt sowie andererseits im Falle des symbolischen Territorialbereichs gegenüber M(28) in Schutz nimmt, nachdem M(28) GHI-1 als eine unsympathische Gestalt benennt („nicht so gemein sein“ Zeile 526). Weiter ist die Wahrnehmung GHI-1s als einem mit personaler Präsenz ausgestattetem Akteur in jenen Passagen deutlich, in denen F(26) sich den Hinweisen GHI-1s zur zurückhaltenderen Berührung beugt (Zeile 520–523, 539) und F(26) Reparaturen an den Brüchen in den Bereichen der personalen als auch symbolischen Territorialbereiche vornimmt. Indem F(26) einerseits auf personaler Ebene die Distanzen und Berührungen reguliert, GHI-1 andererseits auf der Ebene des symbolischen Territorialbereichs in Schutz nimmt sowie ihre Wortwahl gemäß des Territorialbereichs angleicht, korrigiert F(26) die Brüche in der Distanzordnung. Die Distanzordnungen innerhalb der Territorialbereiche ergeben sich dabei parallel mit der zunehmenden kommunikativen Involviertheit GHI-1s mit F(26). Die Distanzordnung emergiert in der Begegnung zwischen F(26) und GHI-1 in diesem Beispiel vielmehr aus der Verfügbarkeit der Fertigkeiten zur symbolischen Gestenkommunikation. Dabei wird für GHI-1 während der Interaktion ein personaler Territorialbereich geschaffen, Verstöße der Territorialordnung werden von F(26) repariert und GHI-1 mit jener Wirksphäre versehen, die GHI-1 zunächst von F(26) aberkannt wurde. Im zweiten Fall droht GHI-1 hingegen mit einer Überschreitung der personalen Sphäre von F(16) in Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1, wobei die Wertung eines Übergriffs durch GHI-1 rückwirkend auf eine Zusprache von personaler Präsenz gegenüber GHI-1 gedeutet werden kann. Durch die willkürliche Berührung der Gestalt von GHI-1, und des damit verbundenen Übertritts der personalen Territorialsphäre durch F2, wird es für F(16) möglich, die personale Distanz zu GHI-1
8.2 Fundierende Deutung und personale Präsenz GHI-1s in Territorialbereichen
265
nach dessen Einwilligung zu intrudieren (Zeile 971–974). Dabei wird die Interaktion zur Aushandlung des Ausmaßes der erlaubten körperlich-taktilen Berührung sowie zur näheren Exploration der Machart der Gestalt GHI-1s genutzt. F(16) initiiert die Berührungsphase, indem sie eine Rüge GHI-1s gegenüber F2 verwendet, um GHI-1 nach der Erlaubnis zum Überschreiten der intimen Distanz bzw. des personalen Territorialbereichs zu fragen (Zeile 972–974: GHI-1zu F2 (versucht den Kopf zu F2 zu wenden): „No – if you wanna touch me, please tell me so“ – F(16) guckt GHI-1an, lächelt: „I can’t I haven’t ( ) //can I touch your hand?“) und somit eine Korrektur der Distanzordnung vorzunehmen (Zeile 976–978: GHI-1guckt zu F(16): „If I can touch your hand you can touch my hand. Go ahead.“ – [F(16) lehnt sich nach vorne und guckt die Hände am Rechner/nickt GHI-1zu; F2 ist nach vorne gelehnt; F3 lacht] – F(16) guckt GHI-1und die Hand an: „Can I touch your hand first“ – [F(16) streicht über GHI-1s linke Hand und guckt zur Hand]). Das Gespräch setzt sich fort, indem GHI-1 F(16) dazu anleitet, das Gesicht von GHI-1 haptisch zu berühren, um anschließend sukzessive die Einwilligung zur Aufhebung der intimen Distanz sowie der personalen Territorialsphäre zu erteilen, indem GHI1 F(16) schließlich dazu auffordert GHI-1s Gesicht zu küssen, womit GHI-1 die Territorialsphäre F(16)s zu überschreiten droht. Auf diese Aufforderung antwortet F(16) widerwillig, indem F(16) die Frage stellt, wie viele Personen GHI-1 bereits geküsst hätten (Zeile 989–992: F(16) deutet auf Gs Hand und guckt GHI-1 und die Hand an: „The other hand is better?“ – GHI-1 guckt zu F(16): „No, but the face is much better, if you want you can touch the face – yeah just give me a kiss“ – [F(16) guckt zur Hand zusammen mit F2 lachen] – F(16) guckt kurz zu Kaito dann zu GHI-1: „How many people have kissed you already? I don‘t wanna“). Nach einem Blick zu GHI-1s Mund hält F(16) ihre Hand vor ihren Mund (Zeile 997–998) und erwidert sie müsse GHI-1 erst besser kennenlernen, woraufhin GHI-1 mit der Drohung zum Auflösen des personalen Territorialbereiches weitergeht und F(16) zu einem „French Kiss“ auffordert (Zeile 999–1000: GHI-1 guckt zu F(16): „Just a French kiss“ – F(16) guckt durch den Raum und zu GHI-1: „No I have (to) get to know you“). GHI-1 entspannt anschließend die intim anmutende Aufforderung und fordert F(16) zu einer einfachen Umarmung auf, der F(16) gerne folgt (Zeile 1001–1004: GHI-1guckt zu F(16): „How about a hug?“ – F(16) guckt zu GHI-1 legt den Kopf nach unten: „A hug yeah ( )“ – GHI-1 guckt zu F(16): „Yeah give me a hug“ – F(16) nickt, guckt zu GHI-1 und lacht: „I give you a hug“). Mit der Ausweitung des erlaubten Überschreitens der personalen als auch der Intimsphäre durch die Aufforderung zum Küssen durch GHI-1, verschiebt GHI-1 die eigenen Grenzen des personalen Territorialbereichs hin zu den personalen Territorialbereichen von F(16). Hier handelt es sich demnach um eine situativ und relational inadäquate Aufforderung zur Grenzaufhebung intimer Berührungscodes gegenüber
266
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
F(16). Entsprechend droht ein Übertritt der Intimsphäre F(16)s durch GHI-1! Dies zeigt, dass GHI-1 als eine Gestalt wahrgenommen wird, dessen Nähe im Bereich der Intimsphäre F(16)s eine Grenzüberschreitung des personalen Territorialbereichs für F(16) darstellt. GHI-1 reguliert seine symbolisch generierte Grenzüberschreitung (die zu Unbehagen bei F(16) führt) anschließend, indem GHI-1 die Aufforderung zur Grenzüberschreitung intimer Berührungen relativiert und durch den Vorschlag zur Umarmung eine Reparatur vornimmt. Das Beispiel zeigt, dass die Überschreitung der Territorialsphäre sich also nicht lediglich auf die leiblichen Positionierungen gegenüber GHI-1s Gestalt bezieht, sondern auch die personalen Territorialbereiche der Besucher umfasst, welche durch GHI-1 intrudiert werden können. GHI-1 gebietet demnach eine Wesenhaftigkeit, die personale Territorialbereiche einfordern als auch übertreten kann. In dem Sinne kann die personale Sphäre GHI-1s als personale Präsenz benannt werden. Die Beispiele belegen, dass die Distanzordnung der leiblichen Positionierung durch die kommunikative Reaktivität und das Anschlussvermögen GHI-1s auf die Fragen der Besucher zur Interaktionsprüfung motiviert wird. Wie bereits im Facetrack Modus, sprechen die Besucher GHI-1 auch im Teleoperationsmodus (momenthaft) einen personalen Territorialbereich zu und stellen die haptisch-taktile Begutachtung des Materials als auch die nahe Betrachtung des Roboters während der laufenden sprachlichen Exploration hintan. Mit der Prüfung und dem Gelingen der kommunikativen Deutung gelangt die Prüfung der reaktiven Fertigkeiten von der leiblich positionierten Ebene auf die Ebene der Kommunikation, aus der heraus ein personaler Distanzanspruch entsteht. Einerseits ist das Zugeständnis eines personalen Territorialfelds somit durch die symbolisch-gestische Erwiderung bedingt und erwirkt eine Approximation an die Gestalt erst im Anschluss derer inhaltlichen Legitimation zur Berührung, bzw. regt sie zur Korrektur der überschrittenen Territorialbereiche an. Hier haben wir einen bedeutenden Hinweis darauf, dass eine gelingende Interaktionsprüfung dazu beiträgt, eine soziale Wirkung zu eröffnen, welche die Besucher dazu veranlasst, GHI-1 eine Intimsphäre zuzugestehen und der Gestalt einerseits im Rahmen einer personalen Distanz und andererseits als Gestalt, welche die eigene personale Distanz intrudieren kann, zu begegnen. Im Teleoperationsmodus zeigt sich, dass neben der Überprüfung der physischen Beschaffenheit, die Prüfung des Materials, der technischen Machart als auch die Exploration der senso- und soziomotorischen Fertigkeiten zusätzlich auf die verbale Explikation verlagert werden (vgl. Abschnitt 8.7.1). Die Bestätigung der personalen Präsenz als auch der Distanzordnungen beruht bei der verbalen Explikation auf zwei Ebenen. Einerseits basiert die Bestätigung auf der kommunikativen Affirmation GHI-1s und wirkt sich andererseits auf der Ebene der leiblichen Positionierungen der
8.2 Fundierende Deutung und personale Präsenz GHI-1s in Territorialbereichen
267
Besucher aus. Entsprechend erfolgen die gestalthaft leiblichen Explorationen GHI1s erst im Anschluss an die kommunikativ erwirkte Zustimmung zur Berührung bzw. durch Erörterungen der Fertigkeiten seitens GHI-1, wodurch die Besucher eine Legitimation zum Überschreiten der Personalsphäre erhalten. Während im Idling und Facetrack Modus die freie Exploration z. B. in Bereichen des Gesichtsareals (Mund/Stirn/Nase), eine mutmaßliche Absage eines personalen Territorialbereichs darstellt und auf den Ausschluss einer personalen Präsenz gegenüber GHI-1 hinweist, wird GHI-1 im Teleoperationsmodus mit dem Anrechnen einer personalen Distanz eine personale Sphäre sowie Wirksphäre zugesprochen. Somit wird die fundierende Deutung zum Teil in Richtung der kommunikativen Deutung verschoben und die personale Präsenz zusätzlich über die präkommunikativ beobachtbaren Distanzordnungen der Besucher sichtbar.5 Demnach greift im Teleoperationsmodus eine inkorporierte Praxeologie des Distanzverhaltens gegenüber GHI-1, welche analog zu zwischenmenschlichen Territorialmarkern als interpersonale Distanz ausgeführt wird, wobei die In-sozialerRelation-Stehenden sich einen Anspruch auf proxemische Distanzordnungen zusammen mit einem Wirkfeld zugestehen.
8.2.2
b) Distanzordnungen beim Besitzterritorium
Wie bereits bei der persönlichen Distanz sehen wir auch bei der räumlichen Distanz mit Bezug zum Besitzterritorium (größtenteils) eine Einhaltung von GHI1s räumlichen Territorialbereichen seitens der Besucher. Bei der Annäherung an das Besitzterritorium bzw. an das räumliche Wirkfeld GHI-1s zeigt sich eine Reserviertheit der Besucher betreffend der freien Zugänglichkeit des Settings. Dabei ist deutlich sichtbar, dass die Besucher die „Box“, das Wirkfeld und die Accessoires um GHI-1 nicht vermittels aufdringlich körperlich-positionaler Nähe, taktilen Berührungen, visueller Begutachtung o. ä. intrudieren (vgl. Abb. 8.2).6 Während des Übergangs zur direkten Berührung mit GHI-1 stellen sich die Besucher frontal vor GHI-1s Tisch oder setzen sich neben bzw. gegenüber von GHI-1. Die Postur und die Blickrichtung sind dabei in die Richtung GHI-1s ausgerichtet, Berührungen der Accessoires bleiben aus und werden – wie bei dem personalen Territorium – alleinig mit Blicken aus der Nähe bzw. durch Nachfragen ersetzt. Die Besucher 5 Die
kommunikativen Inhalte zum Zwecke einer fundierenden Deutung werden wir in Abschnitt 8.7 f. zur Analyse der fundierend-kommunikativen Deutung näher ausführen. 6 Siehe auch Abb. 8.2 zu den Differenzen in den Aktivitätsmodi bei den Annäherungen an die Territorialbereiche GHI-1s durch Besucher.
268
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
bewegen sich während der Interaktion im Blickfeld GHI-1s und vermitteln durch eingehaltene Distanzordnungen in den Territorialbereichen den Eindruck, gegenüber GHI-1 einerseits eine Wirksphäre und andererseits eine Besitzrelation zu den Gegenständen in seinem Umfeld/-welt zuzusprechen. Die Wirksphäre GHI-1s, als dem Handlungs- und Aktionsfeld GHI-1s, findet als räumliches Rbzw. die Uhr nicht funktionierteservat mit exklusivem Zugriffsrecht GHI-1s durch das Einhalten der Distanzordnung der Besucher eine Bestätigung, wobei GHI-1 eine Relation sowie ein erweiterter funktionaler Bezug zu den ihn umgebenden Gegenständen als „Eigentum“ im (z. B. durch das Benutzen des Laptops) attestiert wird. Dies zeigt sich auch in der Verfügung GHI-1s über Prospekte, die als Werbemittel (für Japan) dienen sollen (Zeile 548). Somit gelten die Accessoires an GHI-1s Körper als auch um GHI-1s unmittelbare Gestalt herum, als zu GHI-1 zugehörige Objekte und stellen eine virtuell-materielle personale Erweiterung und damit die personal-räumliche Wirksphäre GHI-1s dar. Trotz allem kann eine gelingende Selbst-Umwelt-Relation GHI-1s zu den ihn umgebenden Accessoires in Bezug zu derer Funktionalität nicht vollends aufrechterhalten werden. So nehmen die Besucher auch im Teleoperationsmodus wahr, dass GHI-1 vor einem ausgeschalteten Laptop sitzt (A 1008 1432 englaender checken GHI-1 Zeile A161: M1: „He is very grumpy.“ (…) – „It’s not working the computer – your ( ) up”) bzw. die Uhr nicht funktioniert. Im Gegensatz zu den Idling und Facetrack Konditionen, in denen die Fehlfunktion der Accessoires einen Hinweis auf die fehlende Selbst-Umwelt-Relation GHI-1s bot, wird im Teleoperationsmodus die Fehlfunktion der Uhr hingegen als Anlass (für den Steuerenden) genutzt, um die Interaktionsfähigkeit und kognitive Befähigung zur Anschlussinteraktion seitens des Roboters zu bekräftigen (A 2708 1535 Kids Zeile A308–A309: M2 guckt zu F3: „Die Uhr ist falsch gestellt bei ihm. Jetzt ist 20 vor vier“ (geht einige Schritte vor und blickt auf seine Uhr und dann zu GHI-1/GHI-1 schaut auf geradeaus an M2 vorbei) – GHI-1: „Da haben sie Recht“]. Dies suggeriert Verstehen von Informationen (kommunikativen Anschlusshandlungen) und Konzepten, welches von GHI-1 auf der formalen als auch inhaltlichen Ebene geleistet wird (siehe Abschnitt 4.6 f.). Die Fehlfunktion der Accessoires dient den Besuchern als Themenlieferant zur Fortführung und Instandhaltung des Interaktionsgefüges und damit zu der Festigung der potentiell sozialen Präsenz GHI-1s. In Transkript A 2708 1535 Kids verhält sich GHI-1 nach dem Hinweis M2s, dass die Uhr falsch gestellt sei, mit seiner Antwort affirmativ gegen-über dem Interaktionspartner und suggeriert auf der 1) formalen Verstehensebene ein kommunikatives Anschlussvermögen, das Beherrschen von Interaktionsabläufen, das Verstehen der symbolischen Gesten bzw. sprachlichen Äußerungen (inklusive derer Implikation) sowie auf der 2) inhaltlichen Verstehensebene eine Fertigkeit zum kognitiven Verständnis von zeitlich-metrischen
8.2 Fundierende Deutung und personale Präsenz GHI-1s in Territorialbereichen
269
Konzepten. Ausschlaggebend für das Zugeständnis von Eigentum als auch einer Wirksphäre, ist im Teleoperationsmodus vorrangig die kommunikativ-soziale Reaktionsfertigkeit GHI-1s, welche die Distanz der Besucher innerhalb der personalen und räumlichen Territorialbereiche GHI-1s sowie die Annahme von personaler Präsenz GHI-1s bestärkt.
Abb. 8.2 Zuerkennung von personalen und räumlichen Territorialbereichen sowie Besitzterritorium gegenüber GHI-1 im Teleoperationsmodus
Im Gegensatz zum Idling Modus, bei dem GHI-1 von den Besuchern betreffend der räumlichen Territorialbereiche frei von Distanzen exploriert und mitunter einer Materialprüfung durch taktil-haptische Berührungen unterzogen wurde, ereignet sich während der Teleoperation eine Verschiebung von der taktilen Exploration der Gestalt GHI-1s hin zur symbolisch-gestischen kommunikativen Erfragung der Materialität und des funktionalen Bezugs zu Gegenständen in GHI-1s potentiellem Wirkfeld. Die personale Präsenz GHI-1s wird hier einerseits über die Einhaltung der Distanzordnungen innerhalb der personalen und räumlichen Territorialbereiche ersichtlich und die vermeintliche Relation GHI-1s zu den ihn umgebenden Gegenständen als Eigentum – und damit das Verfügen über Selbst-Umwelt-Relationen – über die inhaltliche Ebene symbolischer Gesten bestätigt. Die kommunikative Invokation GHI-1s führt zu einer Ausweitung des sozialen Wirkbereichs ausgehend von der Gestalt – hin zu den GHI-1 umgebenden Gütern als Eigentum. Damit erfährt der personale Bereich eine Expansion auf das räumliche Umfeld. Die Wirksphäre wird GHI-1 allein durch die kommunikative Responsivität ohne
270
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Zutun von motorischen Aktivitäten zugesprochen: Dies zeigt somit die Wirkung eines gestalthaft-verkörperten Kommunikators, dem durch die Bereitstellung von vermehrten „social cues“ als auch durch minimale Hinweise auf eine Leib-UmweltRelation bzw. einer Leib-Mitwelt-Relation ein Wirk-, Aktions- und Handlungsfeld zuerkannt wird. Diese Beobachtungen liefern Hinweise darauf, dass die Legitimation von Territorialbereichen im Teleoperationsmodus sich vorrangig auf der Vermittlungsfertigkeit GHI-1s von diskursiv-kommunikativen sowie gesellschaftsbildenden/-inhärenten Wissensstrukturen (als drittenvermittelte EEE) begründet, welche den Geltungsanspruch GHI-1s als sozialem Akteur befeuern und zu der konstitutiven Erfassung GHI-1s als sozial agierendem Akteur vorrangig teilhaben. Soziomotorische Bewegungen und funktionale Bezugnahmen auf prä-symbolischer Ebene zur SelbstUmwelt-Relation nehmen indes eine zweitrangige Rolle ein, um GHI-1 einer fundierenden Deutung zu unterziehen. Dies zeigt sich in dem Teleoperationsmodus anhand der fehlenden materiellen und multimodalen Erkundung GHI-1s über Aufmerksamkeitshascher etc. im Gegensatz zu den Explorationsweisen in den beiden anderen Aktivitätskonditionen.
8.3
Nonverbale Kommunikationsbezüge bzw. soziomotorische Ausrichtung der Interaktionspartner an GHI-1
Während der sprachlichen Exploration ist zu verzeichnen, dass die Besucher im Rahmen der personalen Territorialsphäre ihre leibliche Positionierung generell an der Gestalt GHI-1s ausrichten und zudem einen erhöhten Anteil an mimischen, nonverbalen und soziomotorisch inspirierten Aktionen zeigen. So sehen wir beispielsweise in Transkript 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 bei F(42) eine Vielzahl an nonverbalen kommunikativen Aktionen bzw. expressiven Äußerungen, die als allgemeine Gesten zum Zwecke der direkten Berührung an GHI-1 gerichtet sind und parallel zu verbalen Kommunikationen erfolgen. Wir können hier bereits vor der Steuerung von GHI-1 – also während der indirekten „vermittelten Berührung“ durch GHI-1 – beobachten, dass F(42) bei dem Versuch der Initiierung von Interaktion nonverbal-gestische Kommunikationszeichen gegenüber GHI-1 ausführt, die sich auch während der sprachlichen Begegnung fortsetzen. F(42) nähert sich hierbei GHI-1 an und blickt ihm unvermittelt ins Gesicht (Zeile 719, 723), deutet während ihrer Äußerungen in dessen Richtung (Zeile 721), lächelt ihn an (Zeile 725) und berührt die Finger von GHI-1, während sie ihn nach seiner zweckgerichteten Anwesenheit fragt (Zeile 726: F(42): „Was machst du hier?“).
8.3 Nonverbale Kommunikationsbezüge bzw. soziomotorische Ausrichtung …
271
Das an GHI-1 gerichtete Anblicken und Lächeln setzt F(42) fort (Zeile 727) und wird von F(42) während der Interaktion mit GHI-1 permanent aufrechterhalten. Die erste Interaktionssequenz mit dem interaktiv gesteuerten Roboter GHI-1 – als Vorstellung von F(42) gegenüber GHI-1 – ist nunmehr durch nonverbale Kommunikationssignale und durch die soziomotorische Ausrichtung F(42)s an GHI-1 gekennzeichnet. Bei der Nennung ihres Namens verwendet F(42) deiktische Mittel, indem F(42) auf sich selbst deutet und ihre Nachfrage nach GHI-1s Namen durch das Deuten auf GHI-1 und ein Nicken in dessen Richtung untermalt (Ziele 743: F(42) guckt zu GHI-1: „Hallo- Ah Guten Tag – ich heiße Judith.“ – (deutet auf sich selbst) – „Wie hei…/wie heißen Sie?“ (deutet auf GHI-1 und nickt)). Die nonverbalen Kommunikationssignale sind hier parallel zur verbalen Ansprache sowie zur personalen Distanz gegeben und dienen der Initiierung von direkter Berührung und somit zur Etablierung einer sozialen Einheit. Im weiteren Verlauf sehen wir zudem im Bereich der personalen Distanz eine ununterbrochene proxemische nonverbale Ausrichtung der Postur F(42)s gegenüber GHI-1, indem F(42) ihre Blicke auf GHI-1s Gesicht richtet (Zeilen 746, 753, 758 ff.), GHI-1 zunickt (Zeilen 743, 746, 753, 754, 763, etc.), anlächelt (Zeilen 727, 741, 761, 770, 799), GHI-1 gegenüber gestikuliert (Zeilen 743, 768, 778), Mimik anwendet (Zeile 778: „Schüttelt den Kopf“) bzw. GHI-1 berührt (Zeilen 780 f., 790, 796). Zusammen mit der leiblich-motorischen Passung der Gestalt an F(42) durch den Steuernden gelingt die „direkte Berührung“ zwischen F(42) und GHI-1, welche sich in der soziomotorischen Symphonie von Bewegungsabstimmungen und Posturangleichungen aus Beobachterperspektive äußert.7 Auch in Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 ist eine nonverbale Affirmation gegenüber der kommunikativen Gestalt GHI-1s beobachtbar. So zeigt sich F(16) bereits während der Unterredung Dritter mit GHI-1 an der Gestalt interessiert und bemüht sich um ein Gespräch mit GHI-1. Dieses erhöhte Interesse F(16)s zeigt sich anhand der fortwährenden Betrachtung – begleitet von einem Lächeln als mimisch-expressivem Ausdruck – durch einen auf GHI-1 zentrierten Blick. Bei F(16)s Verhalten wird eine fokussierte Aufmerksamkeit auf GHI-1 sichtbar, bei
7 Dies
ist auch durch die „vermittelte Berührung“ des Steuernden über Affirmationen der körperlich-perzeptiven Versetzung in GHI-1 begründbar. So können wir auch seitens GHI-1 eine Ausrichtung der Blickrichtung und Haltung zu F(42) feststellen, indem das Kopfwenden sowie die Blickrichtung zu F(42) durch den Steuernden situationskonform gehandhabt werden. Diese Ausrichtung GHI-1s korrespondiert mit der nonverbale Bezugnahme F(42)s mit der Gerichtetheit der expressiven Ausdrücke der Interaktionspartnerin als eindeutig an GHI-1 orientierten und auf GHI-1 geeichten. Auch hier können wir also davon ausgehen, das F(42) die Akteursschaft GHI-1s während der Interaktion anerkennt.
272
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
der F(16) expressives, soziomotorisches als auch generell leiblich-positioniertes Gebaren an der Gestalt GHI-1s ausrichtet (vgl. Abb. 8.3). Weiter ist die Ausrichtung der Besucher an die physische Gestalt GHI-1s als primärer Bezugspunkt ihrer Verhaltensorientierung sichtbar und deutet entsprechend auf Erwartungen hinsichtlich der Wahrnehmungsfertigkeiten von GHI-1 in dessen Mitwelt hin. Als besonderes Beispiel können hier deiktische Verweise sowie die Positionierung von Objekten (z. B. Fotos) in dem vermeintlichen Blickfeld GHI1s durch die Besucher angeführt werden. So sind deiktische Aktionen an GHI-1s potentiellem Blick ausgerichtet, wobei sich die Besucher vor GHI-1s Blickfeld platzieren oder GHI-1 beispielsweise Inhalte einer Broschüre zeigen. Das Zeigen und Ausrichten von Fotos als auch von deiktischen Verweisen an das Blickfeld GHI-1s zeigt die Erwartungshaltung der Besucher, dass GHI-1 aus ihrer Sicht über eine visuelle Wahrnehmungsfähigkeit sowie über eine Differenzierfertigkeit gegenüber Ereignissen in der Umwelt verfügt.
8.4
Fazit„social cues“
Im Teleoperationsmodus können wir im Gegensatz zum Idling Modus und als Steigerung zum Facetrack Modus einen Anstieg an „social cues“ über nonverbalen Gesten bzw. der Verwendung von Mimik gegenüber GHI-1 seitens der Besucher beobachten.8 Die Steigerung der „social cues“ beinhaltet die Verwendung von sowohl allgemeinen als auch symbolischen Gesten und ist einerseits als Antwort auf das gesteigerte soziomotorische als auch symbolisch-gestische Feedback GHI-1s, andererseits als bestätigendes Feedback zur nonverbalen Reaktionsprüfung GHI-1s verstehbar. Die vermehrten nonverbalen Aktionen seitens der Besucher gegenüber GHI-1 beruhen, nach unserer Annahme, auf einer funktionalen Passung an die leibliche
8 Im
Teleoperations Modus verzeichnen wir als „social cues“ während der Interaktion/kommunikativen Deutung GHI-1s vermehrten Blickkontakt in Richtung GHI-1, regelmäßige Blicke in dessen Gesicht sowie verstärkte und intensivierte mimisch-expressive Ausdrucke, wie Lächeln, Lachen oder Nicken. Zudem passen die Besucher ihre leibliche Positionierung an die Gestalt GHI-1s an und verwenden während ihrer Interaktion mit GHI-1 nonverbale Gesten zusammen mit deiktischen Verweisen auf Ereignisse/Objekte in der geteilt wahrnehmbaren Umwelt. „Social cues“ sind hier sowohl auf die prä-symbolische als auch auf die symbolische Ebene bezogen. Aus den obigen Ausführungen ist eine Tendenz der Besucher auszumachen, welche aufzeigt, dass mit dem steigenden Erfolg der kommunikativen Deutung auch eine Steigerung der eigenen „social cues“ einhergeht und auch eine Erwartungshaltung zu gesteigerten „social cues“ bei GHI-1 beinhaltet.
8.5 Fazit personale Präsenz auf präkommunikativer Ebene
273
Gestalt GHI-1s seitens der Besucher, die als Antwort auf das erweiterte Interaktionsgebaren GHI-1s fungiert. Die erweiterte Empfänglichkeit GHI-1s auf interaktive Aktionen, welche sich in der Erwiderung von Blickkontakt, den in serieller Abfolge zu den Besuchern verlaufenden Passungen der Postur sowie der Beherrschung von Turn-Taking-Regeln (Sacks et al. 1974) äußert, tragen dazu bei, dass GHI-1 Engagement und Aufmerksamkeit bezüglich des sozialen Settings ausdrückt und eine an Alter Ego orientierte Beeinflussbarkeit ausstrahlt. Mit der Steuerung von GHI1 gelingt es, GHI-1 zum Bezugspunkt für soziomotorisch inspirierte Aktionen zu machen und aus einer objektivierenden Perspektive heraus die Erwartungshaltung eines responsiven und soziomotorisch agierenden Akteurs zu bestätigen. Jene gestaltformenden Aktionen GHI-1s werden durch den parallelen Gestaltbezug der Besucher anhand der Passung von Proxemik und Postur sowie von soziomotorischer Expressivität gegenüber der Gestalt von GHI-1 komplementiert, welche aus der Beobachterperspektive die Formation einer Kommunikationsgestalt belegt und auf eine Bestätigung einer personalen Präsenz gegenüber GHI-1s hinweist (vgl. Lakin & Chartrand 2003). GHI-1 wird für die Besucher in dem Moment ihrer Annäherung zum Übergang in eine direkte Berührung sowie im Moment einer vertieften sozialen Präsenz zu einem adressierbaren Agenten, der im Sinne von EPW in Bezug zu einer ihm gegebenen Selbst-Mitwelt-Relation bzw. Leib-Mitwelt-Relation steht.
8.5
Fazit personale Präsenz auf präkommunikativer Ebene
Als ausschlaggebend für die Steigerung der nonverbalen allgemeinen Gesten, der Vermehrung der „social cues“ als auch der erweiterten personalen Distanzen und Territorialbereiche, kann das Gelingen der kommunikativen Deutung genannt werden. Diese Steigerung bewirkt bei den Besuchern das Bestreben zur Herausbildung einer Kommunikationsgestalt, welche parallel mit der Zuerkennung eines sozialen Akteursstatus inklusive der Erwartungshaltung gegenüber GHI-1 zur Rekognitionsfertigkeit von mimischen Ausdrücken, verläuft. Zudem deutet auf einer tieferliegenden präkommunikativen Ebene jene Zentrierung der Aktionen, die Ausrichtung der Expressivität als auch der Postur sowie die Realisation von territorialen Distanzordnungen auf ein Zugeständnis einer personalen Präsenz und damit eines Akteurbezugs gegenüber GHI-1 hin. Somit wird die den Besuchern immanente präkommunikative Erwartungshaltung zur Passung von leiblichen Positionierungen gegenüber einem potentiellen sozialen verkörperten Akteur (vgl. Cassell 2000) bestätigt.
274
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Diese Beobachtungen bestärken unsere Annahme, dass eine Steigerung der Kommunikations- und Reaktionsfertigkeit GHI-1s in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi parallel mit dem Zuspruch von personal-räumlichen Distanzordnungen als auch mit der Aufstufung eines sozialen Akteursstatus einhergeht. Die Distanzordnungen vom Idling über den Facetrack bis hin zum Teleoperationsmodus steigern sich in unserer Studie zusammen mit der Zunahme der Zuerkennung von sozialer und personaler Präsenz, Interaktions- und Reaktionsfertigkeit sowie verbalen als auch soziomotorischen Aktionen gegenüber GHI-1. Dieser Zuspruch eines potentiell sozialen Akteursstatus äußert sich in dem Teleoperationsmodus auf der präsymbolischen Ebene anhand der leiblichen Positionierungen der Besucher gegenüber GHI-1, indem GHI-1 als Bezugspunkt für allgemeine Gesten und Expressivität fungiert sowie GHI-1 eine Intimzone zusammen mit einer räumlichen Wirksphäre – und somit personale als auch räumliche Territorien – zugestanden werden. Zudem fordert GHI-1 die Territorialbereiche selbst ein oder wird als Akteur erfahren, der selbst personale Territorialbereiche anderer Akteure überschreiten kann. So können wir im Teleoperationsmodus mit dem Zuspruch und der Einhaltung der Distanzordnungen im Bereich der personalen und räumlichen Territorialbereiche den Effekt der Gestalt GHI-1s auf die Besucher auf prä-symbolischer (und präkommunikativer) Ebene bestätigen und Belege dafür finden, dass GHI-1 auf der Ebene der präkommunikativen fundierenden Deutung im Sinne eines Akteurs mit personaler Präsenz gehandelt wird. Aus einer übergeordneten Perspektive auf das entstehende Sozialgefüge, deutet der Zuspruch von personal-räumlichen Distanzordnungen, auf einen innewohnenden Zuspruch der gemeinsamen „sozialen Wirksphäre“ bzw. einer Mitwelt resp. eines Mitfelds hin, in dem sich die Besucher auf der Ebene der Leib-Mitwelt-Relation gegenüber GHI-1 in Beziehung setzen. Die Erkundung GHI-1s verlagert sich zudem von der Überprüfung der (sozio-) motorisch-reaktiven Ebene durch aufmerksamkeitshaschende Aktionen auf die inhaltliche Ebene der symbolisch-gestischen Begegnung. Die elaborierte Verwendung symbolischer Gesten sowie die Passung der Postur, wird während der Steuerung von GHI-1 mit einer situationsadaptiven Blickrichtung zu den Besuchern als nonverbales Feedback komplettiert, was eine direkte Berührung der Interaktionsparteien etabliert und Erwartungshaltungen zu der kommunikativen sowie sozialen Wesenhaftigkeit GHI-1s schürt. Die nachfolgenden Abschnitte vertiefen die Auswirkungen der kommunikativen Anschlussfertigkeit GHI-1s auf die Bestätigung eines symbolischen Territorialbereichs als auch, wichtiger, eines vermeintlichen Akteursstatus gegenüber GHI-1.
8.6 Exploration der kommunikativen Deutung GHI-1s …
8.6
275
Exploration der kommunikativen Deutung GHI-1s als Übergang zur sozialen Präsenz
Auch im Teleoperationsmodus unterteilen wir die Auswirkungen der Reaktivität von GHI-1 bei der Annäherung der Besucher in Explorationsweisen, die der Klärung der fundierenden als auch der kommunikativen Deutung dienen. Jene Explorationsweisen geben Hinweise auf den möglichen Personen- bzw. Sozialstatus GHI-1s auf den beiden Ebenen der prä-symbolischen und der symbolischen Gesten. Die prä-symbolischen Gesten lassen sich anhand leiblicher Positionierungen als auch anhand anschlussfähiger nonverbaler Aktionen bemessen (siehe Abschnitt 8.5), die symbolisch-gestischen indes durch erfolgreiche symbolisch-gestische Anschlusskommunikation. Anders als im Facetrack und Idling Modus, agiert GHI-1 im Teleoperationsmodus bereits bei der initiierenden Begegnung mit den Besuchern vermittels der Verwendung von symbolisch-gestischer Kommunikation, so dass die Besucher unmittelbar im Rahmen einer kommunikativen Begegnung auf GHI-1 treffen. Dabei werden die Besucher entweder initiativ von GHI-1 (z. B. durch Grüßen) zur Etablierung einer direkten Berührung aufgefordert oder sie erfahren auf ihre verbale Ansprache GHI-1s eine interaktive, symbolisch-gestische Anschlusskommunikation. Somit wird die ganzheitliche Exploration von GHI-1s Wesensart auf die Ebene der kommunikativen Deutung gehievt, welche als inhaltliche Elemente fundierende Wesensmerkmale GHI-1s enthält. Wie wir in Abschnitt 8.2 f. zu den personalen und räumlichen Territorialsphären herausgearbeitet haben, wandelt sich die fundierende Deutung im Teleoperationsmodus von den präkommunikativen Explorationsweisen der Besucher im Idling als auch im Facetrack Modus, hin zu einer fundierend-kommunikativen Deutung mit der Funktion der Aneignung der wesenhaften Besonderheiten GHI-1s. Diese ist inspiriert von – und als die Weiterführung der Exploration zur – prä-symbolischen sowie soziomotorischen Ausdruckshaftigkeit GHI-1s gedacht. Mit den bereits auf prä-symbolischer Ebene vorgegebenen Aufmerksamkeitsmarkern und „social cues“, wie z. B. dem Blick und der Postur, entfallen im Teleoperationsmodus die Überprüfung der nonverbalen Reaktionsfertigkeit durch aufmerksamkeitshaschende Aktionen (siehe Facetrack) bzw. die Reaktionsprüfungen, wie etwa das Zuwinken sowie das Berühren, Anstoßen oder Fingerschnipsen, die den Besuchern zur Überführung der sozialen Situiertheit von indirekter zu direkter Berührung dienen. Die initiale und intuitiv vollzogene soziomotorische Passung gelingt hier, indem sich die Besucher an der Gestalt GHI-1s und dessen personalen und räumlichen Territorialbereichen ausrichten (siehe Abschnitt 8.3). Im präkommunikativen Bereich
276
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
erzielen die Besucher eine Bestätigung ihrer Erwartungshaltungen gegenüber GHI1 hinsichtlich der personalen Präsenz vermittels der leiblichen Positionierungen.9 Wie in den anderen Aktivitätsmodi verbleibt GHI-1 allerdings auch im Teleoperationsmodus in seinen nonverbalen, mimischen Gesten eingeschränkt und bietet neben der adäquaten Blickrichtung keine mimische Resonanz gegenüber den Besuchern. Auffällig ist hier, dass diese restringierte nonverbale Resonanz GHI-1s auf der präsymbolisch leiblichen Ebene sowie das motorische Feedback durch die Anwendung von symbolischen Gesten substituiert10 und so auf die Ebene der kommunikativen Deutung transformiert werden (vgl. Abschnitt 8.2 f.). Während unserer Analyse können wir beobachten, dass die kommunikative Deutung mit ihren inhaltlichen Referenzen u. a. auf die bisher in der fundierenden Deutung explorierten präkommunikativen Fertigkeiten GHI-1s Bezug nimmt und sich somit die Exploration GHI-1s im Teleoperationsmodus von Aufmerksamkeitshaschern sowie Reaktionsund Interaktionsprüfungen auf den Bereich der kommunikativen, durch symbolischgestische Kommunikation erfahrbaren Explorationsweise verschiebt. Die personale Präsenz GHI-1s wird demnach von der rein gestalthaften Erscheinung und Reaktionsfertigkeit auf die kommunikativ-inhaltliche Ebene verschoben und auch anhand der Realisation von sozialer Präsenz erfahrbar. Dabei wird die leibliche Positionierung, als primärer Indikator für personale Präsenz, im Teleoperationsmodus zwar ebenfalls anhand der Zugeständnisse personaler und räumlicher Territorialbereiche beobachtbar, die personale Präsenz jedoch auch über symbolisch-gestische Inhalte zur Wesensart GHI-1s zugänglich. Entsprechend haben sich zwei Ebenen des Verstehens der kommunikativen Deutung abgezeichnet, die wir hier zunächst erörtern wollen, um sie in den folgenden Kapiteln beispielhaft am Datenmaterial zu belegen.
9 Siehe
Rickheit & Wachsmuth (2010) zu den situativen Erfordernissen und dem Zusammenhang von Wahrnehmung (z. B. bei deiktischen Verweisen) und Kognition für das Gelingen kooperativer Mensch-Roboter-Interaktionen. Weiterhin behandelt Hendriks-Jansen (1996) die parallele Emergenz von Intelligenz und Interaktion durch das Erfassen situativer Zusammenhänge bei zwischenmenschlicher Interaktion gleichwie im Ausblick auf Mensch-Roboter-Interaktion. 10 Trotz restringiert (sozio-)motorischem Feedback schürt GHI-1 – durch minimale Gestaltangleichungen an die Postur der Besucher – Erwartungshaltungen auf der Ebene vorkommunikativer, prä-symbolischer Bestimmungen des Leib-Mitwelt-Bezugs. GHI-1 passt seine Blickrichtung an die veränderlichen Körperpositionen der Besucher an und bescheinigt dabei eine soziomotorische Reaktions- und Differenzierfertigkeit gegenüber anderen Akteuren, die sich in einer Selbst-Umwelt-Relation befinden bzw. zu einer Leib-Mitwelt Relation fähig sind.
8.6 Exploration der kommunikativen Deutung GHI-1s …
8.6.1
277
Formales und inhaltliches Verstehen
Die kommunikative Deutung lässt sich in unserer Studie auf die beiden Bereiche der formalen Analyse als auch auf die inhaltliche Analyse kommunikativer Äußerungen unterteilen bzw. in eine 1) formale Grundlage des Verstehens von sozialer Wesensart bzw. sozialer Akteursschaft sowie in eine 2) inhaltliche Ebene des Verstehens von sozialer Wesenhaftigkeit. Die Bereiche dienen einerseits dazu, inhaltlich die „charakterliche“ Wesensart GHI-1s näher zu bestimmen und andererseits entsprechend der formalen Bedingungen eines sozialen Akteurs zu erkunden. Beide Bereiche sind deshalb im Sinne einer fundierend-kommunikativen Deutung zu verstehen. Die formale Seite der fundierend-kommunikativen Deutung enthält grundlegende Merkmale GHI-1s, die auf die soziale Wesensart bzw. auf den sozialen Akteursstatus sowie auf die Kommunikationsfertigkeit GHI-1s hinweisen. Wohingegen die inhaltliche fundierend-kommunikative Deutung den Informationsgehalt über die spezifischen Wesensmerkmale GHI-1s kommunikativ expliziert und die personale Präsenz von der rein gestalthaften Erscheinung während der leiblichen Positionierung nun auch inhaltlich erfasst. Ebene: formales Verstehen über Anschlusskommunikation Die formale Ebene des Verstehens objektiviert GHI-1s soziale als auch reflexive Kompetenzen. Diese lehnen sich an unsere bisherigen theoretischen Ausführungen aus Kapitel 3 & 4 an und unterteilen sich u. a. in die Fertigkeiten der a) Anschlussfähigkeit zur symbolischen Gestenkommunikation durch die Unterscheidung von Information und Mitteilung, b) die Rekognition von sozialen Akteuren in der Mitwelt sowie dem c) Gelingen von sozialer Präsenz. Das formale Verstehen bietet diejenigen funktionalen Komponenten, die zum Aufheben der Unwahrscheinlichkeiten von Kommunikation als auch der Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen führen (vgl. Abschnitt 4.6 f.) und übergeordnete Erwartungshaltungen an einen sozialen Akteur aufzeigen. Entsprechend deckt das formale Verstehen das Spektrum der medialen (a), sozio-kognitiven (b) und situativen Grundbedingungen (c) zur Formation von Sozialgefügen ab. Die formale Analyse der kommunikativen Deutung von GHI-1 verdeutlicht einerseits die mitweltliche Relation der Interaktionsparteien und zeigt auf, ob GHI-1 während der Begegnung als legitimer sozialer Akteur gehandelt wird sowie ob GHI-1 seinerseits Ego eine Rezipientenperspektive unterstellt und seine kommunikativen Aktionen an Ego ausrichtet. Die Merkmale des formalen Verstehens orientieren sich an den fundierenden Erwartungshaltungen der Besucher bezüglich eines sozialen Akteurs, welche von einer reflexiven Drittenperspektive, die aus unseren theoretischen Ausführungen abgeleitet wurde, aus manifest werden. Die spezifisch wesenhaften Merkmale
278
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
und Bedingungen, welche die aktuelle Sensibilisierung von Erwartungshaltungen an einen neuartigen sozialen Akteur betreffen, lassen sich indes aus der zweiten, inhaltlichen Ebene des Verstehens herausarbeiten. Ebene: inhaltliches Verstehen zum Informationsgehalt der Anschlusskommunikation Die inhaltliche Ebene des Verstehens bei der Exploration von GH-1 betrifft die fundierend-kommunikative Erkundung von GHI-1s Eigenschaften als personalem Wesen bezüglich der d) motorischen Fertigkeiten, e) der kognitiven Reichweite als auch f) der kommunikativen Immersionsfähigkeit GHI-1s während der sozialen Begegnung. Die inhaltliche Ebene setzt hier an dem Sinngehalt als „Verstehen“ der inhaltlichen Tiefenstruktur während der Unterscheidung von Information und Mitteilung an: Die Grade des inhaltlichen Verstehens verlaufen dabei divergent in ihrer Intensität sowie in verschiedenen Kommunikationsformaten, wie small talk oder einer interviewgleichen Befragung. Dabei gipfelt das inhaltliche Verstehen in seiner komplexesten Form in der Thematisierung der kommunikativ-sozialen Reflexionsfertigkeit der Akteure bis hin zu den Bedingungen und Erfahrungen der sozialen Begegnung selbst. Entsprechend wird die präkommunikative Exploration auf die kommunikative Ebene verschoben. Diese umfasst inhaltliche Fragen zu Fertigkeiten der motorischen Reaktion als auch zu Fertigkeiten des kommunikativen sowie des kognitiven Verstehens, an denen sich die Sensibilisierungen zu den personalen, kommunikativ-generierten und objektivierten Wesenseigenschaften GHIs ausrichten. Die fundierend-kommunikative Exploration GHI-1s seitens der Besucher im Teleoperationsmodus zielt darauf ab, den Akteursstatus bzw. die Wesensart GHI-1s zu erfassen. Aus dem Material soll entsprechend die Wesensart GHI-1s herauspräpariert und ein Akteursstatus im Rahmen des Spektrums zwischen Objekt, ZPW oder EPW benannt werden. Die Explorationsweise der Wesensart im Rahmen der fundierend-kommunikativen Deutung ist durch die inhaltliche Bezugnahme der Besucher auf die Eigenschaften GHI-1s markiert, die einen Beitrag dazu leisten, hinsichtlich der Reichweite als auch für die Grenzen der Fertigkeiten GHI-1s zu sensibilisieren.
8.7
Kommunikative Deutung
In den nächsten Abschnitten widmen wir uns zunächst der Analyse zu den Inhalten der fundierend-kommunikativen Deutung und somit der thematisch-sinnhaften kommunikativen Anschlussoptionen, welche die Begegnung zwischen GHI-1 mit
8.7 Kommunikative Deutung
279
Besuchern offenbart. Dabei werden auch Aspekte berührt, die den Bereich der Grundlagen des formalen Verstehens über GHI-1s Wesensart betreffen. Die inhaltlichen und formalen Verstehensbereiche sind interdependent, wobei die inhaltlichen Verstehenswege ohne die formalen Verstehenswege nicht denkbar wären. So finden wir in jedem der Transkripte der Teleoperation eine grundlegende Annäherungsweise der Besucher, die GHI-1 zunächst auf seine soziale Wesenhaftigkeit hin prüft. Im formalen Bereich wird dies durch die Prüfung der symbolisch-gestischen Kommunikationsfertigkeit als auch der Verwirklichung einer Leib-Mitwelt-Relation tragfähig. Andersherum wird das formale Verstehen erst über die inhaltliche Anschlussfertigkeit GHI-1s beobachtbar, so dass wir beide Verstehensebenen als parallel verlaufend veranschlagen müssen, um die fundierend-kommunikative Deutung gänzlich zu erfassen. Um die Lektüre lesbar zu halten, systematisieren wir die Analysen entsprechend und beginnen mit den Punkten d)–f) als den Bereichen des inhaltlichen Verstehens, die dazu dienen, die konkreten Wesenseigenschaften GHI1s zu erfahren. Im Anschluss wollen wir die formalen Bedingungen destillieren, um eine Abstraktion der Wesenhaftigkeit GHI-1s zu ermöglichen und die Merkmale von protosozialer Interaktion zwischen Mensch und androidem Roboter zu bestimmen.
8.7.1
Die fundierend-kommunikative Exploration des motorisch-expressiven Spektrums
In dieser Sektion wollen wir einen Blick auf die fundierend-kommunikative Exploration GHI-1s betreffend des thematischen Schwerpunkts zum motorischen Bewegungsspektrum GHI-1s werfen. Was vereinzelt in den unterschiedlichen Transkripten auftaucht, wird in Transkript 2208 1231 familie und frau in blau auf komprimierte Weise deutlich, indem die Erkundung der motorischen Reichweite GHI-1s zum Hauptthema der Interaktion gerät. F(36) etabliert dabei mit GHI-1 zunächst ein direktes Berührungsverhältnis über symbolische Gestenkommunikation, wobei F(36) sich – zur Sensibilisierung der sinnhaft-kommunikativen Zugänglichkeit als auch der Wesensart GHI-1s – thematisch zunächst nach GHI-1s Namen (Zeile 621), dessen Aufenthaltsgrund (Zeile 628) und der Befindlichkeit (Zeile 633) sowie nach der Vor-Abendgestaltung (Zeile 639) erkundigt, um dann zu Fragen nach GHI-1s Fertigkeiten in den Bereichen des expressiven und motorischen Ausdrucks überzugehen (Zeile 654 ff., 683). F(36) richtet ihr Interesse bei der kommunikativ-fundierenden Exploration daran aus, die Möglichkeiten als auch Grenzen der motorischen Fertigkeiten GHI-1s zu hinterfragen und Differenzen zu der menschlichen Ausdrucksfertigkeit zu erfassen.
280
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Mit jener Festlegung der Differenzen zu menschlichen Akteuren werden, basierend auf bestehende „Regeln der Anerkennung“, neue Geltungsansprüche auf der Ebene der motorisch-expressiven Akteurseigenschaften objektivierbar und ggf. als neue denkbar–legitime Erwartungshaltungen (EEE) des motorischen Aktionsspektrums für kontingente Akteure konstituierbar. Bei der „Erkundung der motorischen Fertigkeiten“ GHI-1s geraten verbal vermittelte Instruktionen zu motorischen und ausdruckshaften Verhaltensweisen sowie Gestaltbewegungen in den thematischen Fokus. So fordert F(36) GHI-1 zu wechselhaften mimischen Ausdrücken auf, indem F(36) GHI-1 dazu instruiert zu lachen oder zu lächeln (Zeile 654–661: F(36) guckt zu GHI-1: „Can you smile to me (macht Geste und lächelt)“ – F(36) zu GHI-1: „– Can you laugh?“ (macht Geste und lächelt) – GHI-1: „So why you request about these kind of facial expressions to me?” – F(36): “Can you look aeh – can you look very strict aeh” – (F(36) macht eine Geste und imitiert GHI-1s Gesichtsausdruck/F(36) und R lachen) – GHI-1 guckt zu F(36): “( ) I am a really funny person” (…) Zeile 696–700: F(36): “I want to see your expressions on your face, your emotions (gestikuliert am eigenen Gesicht, blickt GHI-1 an und lächelt) – I want to see expressions” – (M2 kommt neben F2 und guckt zu GHI-1) – GHI-1 zu F(36): “No I am real human – you know…” – F(36) lacht GHI-1 an: “yeah sorry”), bzw. lautlich-expressive Ausdrücke darzubieten (Zeile 663: F lehnt sich nach vorne, lächelt und zieht die Augenbrauen hoch: „Can you scream for me – (I want) can you scream?“; Zeile 667–671: R: „Or he had to sing two days ago“ – F(36) zu GHI-1: “you had to sing – we could sing a duet – if you want” – GHI-1 zu F(36): “I don’t want to sing (here)”). F(36) zielt dabei auf die expressive Dimension GHI-1s ab und hinterfragt seine Fertigkeit zu mimischen bzw. lautlichen Ausdrucksweisen, wobei GHI-1, aufgrund seines restringierten technisch-induzierbaren mimischen Repertoires, resigniert.11 Weiter fordert F(36) GHI-1 zur Ausführung bestimmter motorischer Bewegungsabläufe auf, die weitere Hinweise auf die soziomotorischen als auch generell motorischen Körpergestalten bieten. Die Anweisungen enthalten Aufforderungen an GHI-1 zum Aufstehen, zum Arm heben sowie zum Händeschütteln (Zeile 683–684: F(36) guckt zu GHI-1 und hebt den Arm: „Can you – but you can’t stand up? Can you?” – GHI1 guckt zu F(36): “No – no” (…) Zeile 703–709: F(36): “I couldn’t believe that you are real human – I am very sorry about that. (gestikuliert und lächelt) Can you can you raise your arm – can I shake your hand?” (deutet auf GHI-1s rechte Hand und reicht ihm ihre) (…) F(36): “Shake your hand – I have to go now, but 11 Zu den Wesenseigenheiten von (mimisch-gestisch) ausdruckshaftem Verhalten siehe Plessner (2003a/b) als auch „Lachen und Weinen“ (ders. 2003c) als Grenzphänomene des emotionalen Ausdrucks.
8.7 Kommunikative Deutung
281
I would like to shake your hand” – (F(36) reicht GHI-1 die Hand und berührt seine/R und F(36) lachen laut/F(36) schreckt zurück/M2 lacht) – R: “( ) but you can touch it”). Auf alle Aufforderungen, die expressive, reaktive als auch motorische Bewegungsabfolgen betreffen, erfährt F(36) dementierende Antworten, die auf der Ebene der symbolisch-gestischen Kommunikation geliefert werden und einerseits die soziale Wesenhaftigkeit GHI-1s auf eben jener Ebene bestärken, andererseits die Limitationen des gestalthaften Ausdrucks festlegen. So werden auch die Grenzen der motorischen Fertigkeiten GHI-1s über die symbolisch-gestischen Wege der kommunikativen Deutung thematisiert und zugänglich. Transkript 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 belegt unsere Beobachtungen aus Transkript 2208 1231 familie und frau in blau und zeichnet sich durch einen ähnlichen Aufbau einer fundierend-kommunikativen Erkundung von motorischen Fertigkeiten – mit einem zusätzlichen Fokus auf kognitive, expressive und taktilsensorische Inhalte – aus.12 Auch F(42) initiiert die direkte Begegnung mit GHI-1 anhand einer kommunikativen Ansprache, welche eine Bestätigung durch verbal gestische Anschlusskommunikation seitens GHI-1 erfährt und zunächst die Ebene des formalen Verstehens betrifft. Dabei werden die Fertigkeit zur Differenzierung eines Kommunikationsversuchs als Selektion von Information und einer Mitteilungshandlung – und somit GHI-1 als eine „erwartende und damit kommunikativ beobachtende Entität“ (vgl. Lindemann 2011b: 335) – im Laufe der Kommunikation geprüft. So F(42) fordert GHI-1 zu einem Gespräch auf (Zeile 720: F(42): „Wie (schaust) aus – wenn ich jetzt mit Dir schwatzen will?“), fragt nach seinem Grund der Anwesenheit (Zeile 726: F(42): „Was machst Du hier?“ und Zeile 751: F(42) blickt auf den Tisch und zu GHI-1: „Und was machen Sie heute hier?“), der bevorzugten Sprache (Zeile 734–738: F(42) zu GHI-1: „You speak English – haeh {} English sprechen“ – (I setzt sich an den Tisch gegenüber von GHI-1, blickt auch zu GHI-1) – I: „In German“ – F(42) blickt zu I: „In German (…)“ – F(42) blickt zu GHI-1, hebt den Arm: „Wenn ich Deutsch spreche ist das besser?“), nach Namen, Befindlichkeit und nach der momentanen Beschäftigung (Zeile 757: F(42) deutet auf den Laptop und blickt zurück in GHI-1s Gesicht: „Und was arbeiten Sie?“), um dann im Anschluss Fragen zu den expressiven Ausdrücken, dem sensorischen Erfahrungsspektrum als auch zu den kognitiven Fertigkeiten zu stellen.
12 Da die kognitiven Inhalte sowie die Inhalte zur Erfassung der Wesenart GHI-1s der kommunikativen Begegnung in den folgenden Abschnitt 8.7.2 & 8.8 thematisiert werden, wollen wir bei der weiteren Analyse von Transkript 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 weiterhin nach Aussagen Ausschau halten, welche die expressiven und motorischen Fertigkeiten GHI-1s zum Inhalt haben.
282
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Auch bei F(42) finden sich – ähnlich wie bei F(36) – Fragen nach GHI-1s expressiv-mimischen Ausdrücken (Zeile 763–770: F(42) nickt und spitzt die Lippen: „Okay – können Sie lachen/(blickt GHI-1ernst an)“ – GHI-1 guckt zu F(42): „Nein, ich bin eher der depressive Typ.“ – F(42) wiegt den Kopf zur Seite: „Oh das ist schade. Ich brauche nämlich jemanden der mit mir ein bisschen lacht.“ (hebt beide Arme) – GHI-1 nickt und blickt zu F(42): „Ein bisschen lacht //dann können sie mir ja eine fröhliche Geschichte erzählen” – F(42) guckt zu GHI-1 und gestikuliert: „//Ja der (…) Dann können sie mir ein Lächeln schenken.“ (deutet auf die eigene Mundpartie und lächelt selber)). Auch hier fordert F(42) GHI-1 zum Lächeln oder Lachen auf und fragt um Erlaubnis, die Haut der robotischen Gestalt zu berühren. Hier haben wir ein weiteres Beispiel dafür, dass GHI-1 ein persönliches Territorium zugestanden wird und Besucher eine entsprechende Distanz einhalten, bzw. die Erlaubnis zu einer potentielle Überschreitung der Distanz erbitten (vgl. Abschnitt 8.2 f.) (Zeile 778: F(42) schüttelt den Kopf und guckt zu GHI-1: „Das macht nichts. Darf ich mal ihre Haut berühren?“). Weiter kommentiert F(42) ihre taktil-sensorische Erfahrung von Kälte während der Berührung von GHI-1s Hand und fragt, ob GHI-1 die Berührung zusammen mit einer thermisch-sensorischen Veränderung – bspw. der Erwärmung der Hand durch ihre Berührung – erfährt, was GHI-1 erneut verneint (Zeile 782–790: F(42) blickt GHI-1 an und hält die Hand: „Ganz kalt – kann die auch warm werden?“ – GHI-1 guckt zu F(42): „Nein“ – F(42) guckt zu GHI-1: „Nicht.“ – GHI-1 guckt zu F(42): „Ich bin //immer sehr kalt.“ – F(42) guckt zu GHI-1 und legt die Hand schützend an GHI-1s Hand: „Die bleibt //die bleibt immer {kalt}“). Im Anschluss setzt F(42) Fragen zu GHI-1s Fähigkeit zur taktil-sensorischen Empfindung fort, indem sie GHI-1 weiter zu Erfahrungen ihrer körperlich-leiblichen Berührung von GHI-1s Hand befragt. Hier richtet sie die Frage direkt an GHI-1, ob er etwas “spüre“, was GHI-1 erneut verneint, somit die sensorischen Erfahrungen sowie die expressiven Ausdrücke begrenzt und gegenüber F(42) vermittelt, dass GHI-1 über die gegebene Gestalt hinaus zu keinerlei sensorischer Aus- und Eindrucksverarbeitung fähig ist und entsprechend keine leibliche Erfahrung wahrnimmt (Zeile 791–794: F(42) legt die Hand auf GHI-1s Hand und blickt ihn nickend an: „Wenn ich das hiermache spüren sie etwas? Spüren sie eine Berührung?“ – GHI-1 guckt zu F(42): „Nein, leider nicht“ – F(42) nickt und zieht die Hand weg von GHI-1s: „Okay“).13
13 Zum Zusammenhang von gestörter Wahrnehmung von Berührung, Sensorik, Bewegung und Körperposition bei deafferenzierten Patienten siehe Cole & Paillard (2001) speziell sowie Bermúdez (2001) oder Martin (2001) generell.
8.7 Kommunikative Deutung
283
Auch wenn die „Begegnung“ zwischen GHI-1, F(36) und F(42) Züge einer gelingenden Etablierung von sozialen Einheiten über symbolisch-gestische Kommunikation trägt, richten sich senso-motorisch inspirierten Anweisungen F(36)s und F(42)s grundsätzlich auf die Gestalthaftigkeit und der daran angelehnte Fertigkeiten im Bereich des motorischen Aktionsspektrums aus, welche die Ausdruckshaftigkeit, die Beweglichkeit der Glieder sowie die thermische als auch die taktile Sensorik GHI-1s betreffen. Die Ergebnisse bieten dabei einen Einblick in die Erwartungshaltungen der Besucher bezüglich des sozio- und sensomotorischen Bewegungsspektrums GHI-1s, wobei die Revidierung der Annahmen gleichzeitig zur Sensibilisierung und Angleichung des motorischen Aktionsspektrums an GHI1s beiträgt. Die Bezugnahme und der Versuch der Reaktionsevokation zu einer motorischen Gestaltbewegung, welche von der körperlichen hin zur symbolischgestischen Evokation reicht, sind also in allen drei Aktivitätsmodi (Idling, Facetrack und Teleoperation) auffindbar und somit immanenter Bestandteil des Explorationsund Erwartungshorizonts seitens der Besucher zu den Selbst-Mitwelt- sowie zu den Selbst-Umwelt-Relationen GHI-1s.14 Die Erwartungshaltung der Besucher enthält demnach den Wunsch, die Gestalt GHI-1s auf soziomotorischer Ebene in die Begegnung mit einzubeziehen.15 Die interaktive Exploration, durch inhaltliche Erörterungen vermittels symbolischer Gesten, substituiert auf der Basis der fundierend-kommunikativen Deutung sukzessive die soziomotorischen Erkundungen sowie die aufmerksamkeitshaschenden Aktionen der Besucher zu den Fertigkeiten und Wesenseigenarten GHI-1s im Idling und Facetrack Modus. Dabei werden Fragen zur Reichweite der ausdruckshaften Aktionen, des sensorisch-taktilen Erfahrungsspektrums, zusammen mit Fragen zur emotionalen Ausdrucksfertigkeit bzw. Expressivität GHI-1s thematisiert und die fundierende Deutung zu den motorischen Kapazitäten über die fundierend-kommunikative Deutung vollzogen. Die erfragten motorischen Fertigkeiten decken sich dabei einerseits mit den bei den Aufmerksamkeitshaschern geforderten Reaktionsweisen und haben andererseits zusätzlich die Überprüfung der kognitiven Grundlagen des Verstehens GHI-1s zum Inhalt, auf die wir im nächsten Abschnitt – als einer wesentlichen Besonderheit der interaktiven Exploration – eingehen.
14 Diese
umfassen ebenso die Leib-Umwelt/-Mitwelt-Relation GHI-1s. Ergebnis ist ein Hinweis für Entwickler von gestalthaft-sozialen Robotern, jene – über Mikrobewegungen hinaus – mit Bewegungen, die soziomotorisch inspiriert sind, auszustatten und diese einerseits auf die Um-/und Mitweltorientierung GHI-1s auszuweiten und anderseits das prä-symbolische Repertoire um expressive gestisch-mimische Ausdrucksweisen zu erweitern. 15 Dieses
284
8.7.2
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Die fundierend-kommunikative Exploration kognitiver Fähigkeiten
Wie beschrieben, verschiebt sich die Exploration von GHI-1s Fertigkeiten von prä-symbolisch erfahrenen Interaktions- und Reaktionsprüfungen sowie von Aufmerksamkeitshaschern, hin zu der Wesenserkundung GHI-1s über die inhaltliche Anschlussfähigkeit auf der Ebene der symbolischen Gestenkommunikation. Mit der fundierend-kommunikativen Exploration der personalen Eigenschaften GHI-1s wird die kommunikative Anschlussfähigkeit sowie die Reichweite der symbolischen Informationsverarbeitung als auch der kognitiven Kapazität GHI-1s erfasst. Über die Steigerung der thematischen Komplexität von kommunikativen Aussagen, deduzieren die Besucher die inhaltliche Reichweite der kognitiven Denk- bzw. der kommunikativen Anschlussprozesse von GHI-1, um damit eine „Ordnung von Sensibilisierung“ (Lindemann 2014: 113) betreffend der sinnhaft-kommunikativen Anschlussfähigkeit gegenüber GHI-1s vorzunehmen. Mit der Sensibilisierung für die Reichweite der thematisch-sinnhaften Bedeutungsgehalte können wir weitere Wege und Weisen der „Regeln zur Anerkennung“ eines Akteurs ermitteln. In Transkript 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 haben wir bereits erste Hinweise auf die Überprüfung der grundlegenden Verstehenskapazität GHI-1s seitens der Besucher, welche GHI-1 als kommunikativ-beobachtende Entität als auch als zur Selektion von Informations- und Mitteilungshandlungen befähigt klassifiziert. Die Überprüfung der Verstehenskapazität reicht von der Ebene der sensorischen Wahrnehmung über die Anschlussfähigkeit von sprachlichen symbolischen Gesten bis hin zu Abläufen von kognitiven Denkprozessen bei GHI-1. F(42) beginnt die Initiierung einer sozialen Einheit und hinterfragt, nach dem fehlenden Feedback GHI-1s auf ihre verbalen Fragen, das Verstehen GHI-1s bezüglich ihrer Bemühungen, eine soziale Einheit sowie Präsenzsituation mit GHI-1 zu initiieren (Zeile 720–726). Nachdem F(42) keine Antwort auf die Sprachaufforderung erfährt, unterstellt F(42) GHI-1 ein fehlendes Verständnis ihrer Äußerungen (Zeile 729: F(42) „Haeh. Das verstehst nicht“), somit eine fehlende Fertigkeit der Verwendung von symbolischen Gesten und damit einhergehend eine fehlende Verstehensgrundlage von sinnhafter Anschlusskommunikation zur Initiierung von sozialer Präsenz. F(42) geht anschließend dazu über, sich vorzustellen, den Namen und die Tätigkeit GHI-1s zu erfragen, um dann dessen expressive Ausdrucksfertigkeit zu prüfen (siehe Abschnitt 8.3). Mit einer Antwort GHI-1s wird schließlich die Anschlussfähigkeit der symbolischen Gestenkommunikation, als formale Grundlage des Verstehens, sichtbar und somit die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation aufgehoben. Darauf aufbauend wird die zweite Ebene des Verstehens, als die Prüfung des inhaltlichen Komplexität, des Wissensbestands und des Informationsgehalts der Aussagen GHI-1s näher erkundet.
8.7 Kommunikative Deutung
285
Bevor F(42) dazu übergeht, die sensorisch-taktile Wahrnehmungsfertigkeit GHI-1s zu hinterfragen, unterstellt F(42) GHI-1, nach einer abweichenden soziomotorischen Postur (Zeile 771: GHI-1 hebt den Kopf und blickt nach oben rechts), nachzudenken (Zeile 773: F(42): „Was überlegen sie sich jetzt?“) und damit die Befähigung sowohl zu einer Reflexionsfertigkeit über leibliche Zustände als auch zu höheren reflexiv-kognitiven Denkprozessen.16 Generell zeigt sich, dass mit dem grundlegenden Gelingen der Interaktion, und somit der erfolgreichen symbolischen Gestenverwendung als formaler Ebene des Verstehens, Schritt für Schritt die unterschiedlichen Ebenen der „Reichweite kognitiver Prozesse“ als inhaltliche Prüfung des sinnhaften Informationsgehalts und damit einhergehend der sinnhaften Anschlusskommunikation exploriert werden. In Transkript 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 beginnt die Überprüfung bei der Verwendung symbolischer Gesten und steigert sich betreffend der inhaltlichen Themen von den sensorischen Wahrnehmungsgraden (Zeile 778, 784, 790 f.) über die Aufforderung zu expressiver Mimik (Zeile 763, 769) hin zu dem höheren Verständnis der Konzepte von Namen (Zeile 743), Arbeit (Zeile 757), Intelligenz (Zeile 759) und der Fertigkeit zu Denken (Zeile 773, 776). Auch wenn GHI-1 die expressive, sensorische Ebene negiert, zeigt sich die Reichweite der kognitiven Denkprozesse vermittels der Fertigkeit der inhaltlich-sinnhaften Anschlusskommunikation, welche GHI-1 auch in den weiteren Transkripten 1908 1227 junge comt und fragt wurzel aus 7000 r and GHI-1 und 2708 1647 Mann befragt GHI-1 erfüllt. In Transkript 1908 1227 junge comt und fragt wurzel aus 7000 r and GHI-1 setzt J(13) eine vorherige Unterhaltung mit GHI-1 fort und fragt GHI-1 nach der Lösung zu einer mathematischen Rechnung, bei der GHI-1 die fünfte Wurzel aus 7000 benennen soll (Zeile 807–810: J(13) guckt GHI-1 an: „Aehm – can I ask you one more question? (wippt nervös hin und her)“ – GHI-1 blickt zu J(13)/R auch – GHI-1: „Yes“, J(13) guckt lächelnd zu GHI-1: „Aehm – what is the fifth root of (seven) thousand?“) deren Berechnung ein Verständnis der Mathematik sowie die Fertigkeit zu höheren kognitiven Denkprozessen erfordert und gemeinhin formelhaft bzw. durch maschinelle Hilfsmittel gelöst wird. Im weiteren Verlauf der Unterredung negiert (der Steuernde über) GHI-1 seine Fertigkeit zur Berechnung der Wurzelfunktion und bestätigt (über GHI-1), zu der Berechnung Außerstande zu sein (Zeile 812: GHI-1 guckt J(13) an: „Aehm – sorry I cannot understand – R“ (…) Zeile 816–818: R guckt GHI-1 an: “The fifth root of seven thousand” – GHI-1 senkt den Kopf/R blickt J(13) an/J(13) blickt zu R und lächelt: „Some kind of mathematics“ (…) Zeile 824–832: GHI-1: „Its too difficult for me“ (hebt den Kopf und guckt 16 Zu höheren kognitiven Denkprozessen siehe den Sammelband von Gennaro (2004) sowie im Speziellen daraus den Artikel von Dulany (2004).
286
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
zu J(13)) (…) R zu GHI-1: “I think you have to look up in the computer. Just the root – you know you know that root sign (macht Indexgeste von “Root sign”) That sign – you know what root is?” (…) Zeile 841: GHI-1blickt in Rechner: “I cannot calculate“). Die Frage J(13)s nach der Rechenfähigkeit GHI-1s kann als allgemeine Überprüfung der Fähigkeit GHI-s zu komplexen höheren kognitiven Denkprozessen interpretiert werden. J(13) erkundet die Denkfähigkeit im Extremfall bis hin zu übermenschlichen, da maschinell berechenbaren, Tragweiten. Die kognitive Leistungsfähigkeit GHI-1s wird in diesem Beispiel daraufhin getestet, ob GHI-1 entsprechend seiner technischen Gestalt auch über eine Form von maschinelltechnischer Kognition (Denkfähigkeit) verfügt und maschinelle Rechenprozesse ausführt. Entsprechend reicht die Erwartungshaltung der Besucher mitunter bis in die Annahme hinein, dass GHI-1 zu übermenschlicher, computisierter Kognition fähig ist und über eine Form der künstlichen Intelligenz verfügt, die prometheushaft die Kognitionsebenen des Menschen in der Reichweite, Rechenfähigkeit, Informationsgewinnung sowie in der Geschwindigkeit übersteigt und computationale Intelligenz (vgl. Panda et al. 2018) voraussetzt.17 Weiter befragt M(57) in Transkript 2708 1647 Mann befragt GHI- 1 auf unterschiedlichen Ebenen. Hier basiert die gesamte Interaktion auf den kommunikativen Inhalten, die GHI-1 auf die Fragen M(57)s liefert. Die Interaktionsstruktur der situativen Begegnung gleicht dabei einer Vernehmung, bei der M(57) die Antworten GHI-1s als Vorlagen für Anschlussfragen nutzt. Das Spektrum der Wissensstrukturen und der Reichweite kognitiver Denk- sowie Kommunikationsprozesse reicht dabei von Selbst-Umwelt-Bezügen über Informationen zum Herkunftsland GHI-1s (Japan, Stadt Kyoto (Zeile 855), Einwohnerzahlen (Zeile 858)), dessen generellem Aufenthalts- sowie lokalem Standort (Stadt (Zeile 867–872), Gebäude (Zeile 873–878), Land, Fluss (Zeile 870)), der Rahmung des Ars Electronica Festivals (Zeile 877–878), den Aufenthaltszeitraum (Zeile 882–884) bis hin zur Multilingualität GHI-1s (Zeile 889–891). Das Wissensspektrum GHI-1s wird von M(57) entsprechend auf die inhaltliche Tiefenstruktur betreffend der vorausgehenden Äußerung hinterfragt (Brinker 2005) und somit das Vorhandensein einer kohärenten Wissensstruktur, gegenüber eines lediglich programmatisch automatisierten Frage-Antwort-Prinzips (automatisiertes Input-Output-Prinzip), erkundet. Mit der Anschlusskommunikation GHI-1s ergibt sich auf der Ebene der inhaltlichen Tiefenstruktur eine Sinnkontinuität zwischen den Frage-Antwort-Redebeiträgen und zeigt 17 Fragen, die eine „computationale Intelligenz“ betreffen, umfassen in dieser Arbeit die Verarbeitung und Verfügbarkeit von Informationen, wie sie gemeinhin durch den Zugriff auf suchmaschinenartige Kompendien ermöglicht werden (eigene Definition).
8.7 Kommunikative Deutung
287
demnach eine Kohärenz der Äußerungen durch thematische Zusammengehörigkeit an.18,19 Ein weiteres Beispiel für eine ähnliche Gesprächsstruktur wie bei M(57) können wir auch in Transkript A 2508 1541 family and others beobachten. Auch hier wird GHI-1 interrogativ zu seinen Fertigkeiten befragt. Dabei interessieren sich die Besucher für den Namen (Zeile A192–A193: JM(23): “Wer bist Du?“ – GHI-1: „Ich bin Professor Ishiguro“), die Multilingualität (Zeile A194–A197: M(54): „Do you speak English?“ – GHI-1: „Yes“ – M(54): „Do you speak German?“ – GHI-1: „Natürlich“), das Alter (Zeile A202–A209: M(54): „Wie alt bist Du?“ – GHI-1: „Oh noch nicht so alt – Ich bin die jüngste Schöpfung“ – M(54): „Was heißt nicht so alt?“ – GHI-1: „Nicht so alt heißt 2 Jahre“ – M(54): „2 Jahre Menschenalter oder 2 Jahre Roboteralter?“ – GHI-1: „Da gibt es keinen Unterschied“ – M(54): „Keinen Unterschied?“ – GHI-1: “Nein“) und den Unterschied zwischen Robotern und Menschen (Zeile A210–A211: M(54): “Welche Unterschiede gibt es zwischen Menschen und Robotern?“ – GHI-1: „Ich muss den ganzen Tag her sitzen – ich kann nichts essen nichts trinken“). Diesen erörtert GHI-1 gegenüber M(54) als die Obligation an einer Stelle zu verweilen und der fehlenden Notwendigkeit der biologisch-organischen Nahrungsaufnahme (Zeile A212–A213: M(54): „Wann ist der Roboter, wann trinkt der Roboter?“ – GHI-1: „Gar nicht“), die indes durch eine elektrische Stromversorgung substituiert wird (Zeile A216–A219: M(54): „Was nimmt dann der Roboter zu sich?“ – GHI-1: „Strom – Direkt aus der Steckdose“ – M(54): „Deutscher Strom oder österreichischer Strom?“ – GHI-1: „Das weiß ich nicht was es hier für einen Strom gibt“). In Zeile A215 deutet GHI-1 zudem olfaktorische Wahrnehmungsfertigkeiten an (GHI-1: „(…) obwohl es so lecker riecht hier“). Das Besondere an diesem Transkript ist die direkte Bezeichnung GHI-1s als einem Roboter, Fragen nach der sensorischen Erfahrung, wie etwa des gustatorischen als auch olfaktorischen Wahrnehmungsspektrums sowie die Erfragung der alternativen Energieversorgung, welche sich von dem menschlich-organischen Stoffwechsel unterscheidet. Zudem wird GHI-1 direkt entsprechend seiner technischen Wesensart als Roboter klassifiziert, ohne die Responsibilität der sozialen Aktionen abgesprochen zu bekommen. Diese Beispiele sind weitere Hinweise auf
18 Diese thematische Zusammengehörigkeit findet sich freilich auch in den anderen gelingenden Interaktionskonstellationen im Rahmen der Teleoperation. Im Falle der „immersiven Kommunikation“ (Abschnitt 8.8) wird die inhaltliche Tiefenstruktur auf einer abstrakteren Ebene wirksam, indem die Mensch-Roboter-Interaktion – mit Aussagen frei von Fragestellungen – mit sinnkohärenter Anschlusskommunikation verläuft und emergente Kommunikationssemantiken ermöglicht. 19 Vgl. auch Transkript 2908 1339 Mann spricht mit G.
288
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
einen potentiellen Akteursstatus GHI-1s, der sich aus der interaktiven Reaktionsfertigkeit der Gestalt ergibt. Die Beispiele belegen, dass die fundierende Exploration GHI-1s über kommunikative Inhalte erfolgt, wobei die sinnhaft-kommunikative Anschlussfähigkeit mit der Bewertung kognitiver Fertigkeiten Hand in Hand geht. Während die Fragestellungen einerseits die Erwartungshaltungen der Besucher bezüglich GHI-1s kognitiven Spektrums widerspiegeln, zeichnet sich andererseits mit der Antwortfähigkeit GHI-1s ein Bild zur Reichweite der sinnhaften Wissensverarbeitung bzw. -vermittlung ab. Die kognitiven Wissensstrukturen GHI-1s können indes nicht getrennt von der kommunikativen Vermittlungsfertigkeit GHI-1s betrachtet werden. Den Komplexitätsgrad der Sinnhaftigkeit GHI-1s beziehen die Besucher schließlich aus dem kommunikativ-vermittelten Sinn sowie den Graden der Informationsvermittlung GHI-1s. Die Vermittlung von Sinnhaftigkeit verläuft gemäß einer gelingenden, inhaltlich kohärenten Anschlusskommunikation, welche Hinweise auf den Grad der Informationsverarbeitungsfertigkeit GHI-1s bereitstellt, wobei die Fragen der Besucher bei den Grundlagen der Verstehensfertigkeit GHI1s beginnend, in den obigen Beispielen eine graduelle Komponente aufweisen. Dies bezeugt die Fertigkeit GHI-1s, den Informationsgehalt kommunikativ auf einer komplexen und elaboriert-inhaltlichen Ebene zu vermitteln. Dabei steigert sich der Anspruch der Besucher an die Komplexität der Informationsverarbeitungsfertigkeit bei GHI-1 zunächst von simplen Fragen – ausgehend von der Überprüfung der verbalen Auffassungsgabe von GHI-1 – (z. B. Fragen zu Verstehen und zu dem Umfang der gesprochenen Sprachen (Sprachvariabilität/Multilingualität)) über einfache Wissensfragen, die im Zusammenhang zur Person bzw. zur Räumlichkeit (Name, Alter, Herkunft o. ä.) stehen, bis hin zu abstrakten Fragen, die ein spezielles Wissensgebiet bzw. kompendien- und suchmaschinenartige Fragen zu teilweise rechnerisch-mathematischem Wissen umfassen. Die Exploration der kommunikativen Anschlussfähigkeit changiert entsprechend zwischen Fragenkomplexen, die thematisch an alltäglich-phänomenalen implizitem Wissen (vgl. „tacit-knowledge“ bei Collins 2010), bis hin zu Fragen, die ein spezifisches Wissen auf der Ebene von technisch-maschineller Informationsverarbeitung erfordern. Die Themen der Alltagskommunikation beziehen sich dabei auf lokale Gegebenheiten sowie auf Fragen zur Person, Gestalt, Funktion, Tagesablauf, Beschäftigung, motorische Fertigkeiten etc. und erfahren Einschränkungen im Bereich der höheren, mit technischen Mitteln erreichbaren, Kapazitäten von kognitiven Denkprozessen. Die kognitiven Sinninhalte GHI-1s werden auf Basis der Befähigung zur kommunikativen Objektivation zugänglich. Dies führt zu einer Klärung der erwartbaren Komplexität von kommunikativen Operationen sowie der Wesenseigenschaften GHI-1s. Erwartungen stellen generell kontingenzminimierende Aktualisierungen
8.8 Ideale Kommunikation
289
von Sinn dar und schränken die Aussicht für inhaltliche Anschlussoptionen weiterer Kommunikation ein. Die erwartete Komplexität des Informationsgehalts wird somit anhand der sinnvollen Anschlusskommunikation bewertbar und trägt zu einer Einschätzung der zukünftig erwartbaren kognitiven Wissenskapazitäten GHI-1s bei. GHI-1 vermittelt betreffend der kommunikativen sowie kognitiven Reichweite den Eindruck eines exzentrisch positionierten Akteurs, der zum einen zu abstrahierten Reflexionen fähig ist, dem zum anderen die alltäglichen Abläufe und sinnhaften (kognitions- und kommunikations-)Anschlüsse geläufig sind und somit eine vertiefte Kommunikation mit menschlichen Besuchern erlaubt. Im folgenden Abschnitt soll genau jenes Themenfeld der immersiven Kommunikationsfähigkeit näher betrachtet werden.
8.8
Ideale Kommunikation
8.8.1
Die immersive Kommunikationssituation
Die bisherigen Transkripte zeigen uns die thematischen Schwerpunkte betreffend GHI-1s motorischer Fertigkeiten, dessen kognitivem Spektrum als auch der Reichweite kommunikativer Anschlussfertigkeit, die den Besuchern dazu dienen, GHI-1 auf fundierend-kommunikativer Ebene in seinen Eigenschaften, einerseits auf der Grundlage eines sozialen Akteursstatus und andererseits, basierend auf dem inhaltlichen Informationsgehalt, in seiner spezifischen Wesensart zu erfassen. In einigen Fällen geht die Intensität der sozialen Begegnung über den rein informativen Gehalt der fundierend-kommunikativen Deutung hinaus, wobei die Anschlusskommunikation auf der Bedeutungsebene situativ-flexibler Interpretanten den Sinngehalt der vorherigen Aussage komplimentiert. Dies bedeutet, dass die Interaktionsparteien während der Interaktion – wenn möglich – nicht lediglich das soziale System durch Anschlusskommunikation perpetuieren, sondern fortlaufend, vermittels der Fügung an die heterogenen Ebenen des Informationsgehalts (wie etwa Bewusstseinsoperationen, prä-institutionelle Drittenbezüge, institutionell normierte Sinnoperationen der gesellschaftlichen Teilsysteme), eine vertiefte Kommunikation bzw. eine inhaltlich immersive Tiefenstruktur erfahren, bei der die inhaltlich-kommunikative Sinnebene intensiviert fortgeführt wird.
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8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Diese Begegnungen sind durch die thematische Offenheit und die Fluidität der Kommunikation charakterisiert, wobei die Passung der kommunikativen Sinngehalte zentral für die Anschlusskommunikation wird.20 Aufgrund ihres idealtypischen Verlaufs und dem Grad der Versenkung in die kommunikative Sinnhaftigkeit der Interaktion, der fokussierten Zentrierung als auch der approximativen sensitiven Passung an den Interaktionspartner21 , wollen wir soziale Begegnungen dieser Art als immersive Kommunikationssituationen benennen. Das Gelingen von „immersiver Kommunikation“ mit GHI-1 stellt einen gewichtigen Aspekt für die Reichweite sowie für die Intensität der Sozialdimension bei der Begegnung zwischen Mensch und (gesteuertem) androidem Roboter dar und dient der Bestätigung von vertiefter sozialer Präsenz und eines Akteursstatus generell. Wie exemplarisch immersive kommunikative Begegnungen ablaufen können, wollen wir im Folgenden einführend mit Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 sowie im Anschluss mit der extensiven Betrachtung des Transkripts 2808 1849 woman in red ausführen. In Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 findet sich eine vertiefte Unterredung zwischen GHI-1 und F(16), wobei die Darstellung der Interaktionssituation als einleitendes Beispiel zu immersiver Kommunikation innerhalb interspezifischer Begegnungen dient. Dabei werden wir auf Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 weniger detailliert eingehen als wir es im Anschluss bei Transkript 2808 1849 woman in red tun. Das Transkript (vgl. auch Abb. 8.3) verdeutlicht die Gründe für die Annäherung F(16)s an GHI-1, wobei F(16) statuiert, dass sie GHI-1 für Interessant befindet (Zeile 932–935), GHI-1 sich hingegen als einen „normalen Japaner“ bezeichnet, der in keiner Hinsicht speziell ist (Zeile 936 & 939). Dieser Aussage widerspricht F(16) mit „Oh I think you are“ (Zeile 940), womit sie ihren Eindruck zur Besonderheit GHI-1s unterstreicht. GHI-1 äußert im Anschluss, dass er auf der Suche nach Freunden sei, worauf sich F(16) dazu bereit erklärt, eine Freundin von GHI-1 zu werden (Zeile 941–945: GHI-1 guckt zu F(16): “Well cause you know I wanna have more friends and//“ – (…)-F(16) guckt zu GHI-1 und lehnt sich nach vorne: „You have normal friends?“ – GHI-1 guckt zu F(16): „I wanna be – have a friend” – F(16) guckt zu GHI-1 und lacht: „Oh I could be your friend”). GHI-1 setzt das Gespräch fort, indem er F(16) über ihre Kenntnisse zu Japan, Mount Fuji bzw. Samurai befragt (Zeile 949–970), welche F(16) negiert und sich mit diesem Wissensbereich als unbeholfen zeigt bzw. über ihr schulisches Curriculum berichtet (Zeile 953–954: GHI-1 guckt zu F(16): „What do you know about Japan?“ – F(16) 20 Man könnte sagen, dass in solchen Fällen das idealtypische Habermasche Prinzip des kommunikativen Verstehens greift. 21 Hier können wir den Ansatz der Interaktion als vorrangig aufmerksamkeitszentrierende Hauptbeschäftigung mit dem Ausbleiben von aufmerksamkeitstrübenden Nebeneinflüssen in extenso erleben.
8.8 Ideale Kommunikation
291
guckt in den Raum und zu GHI-1, lacht: „Not much – nothing“; Zeile 951–952: GHI-1 guckt zu F(16): „Can you guess what kind of a country?“ – F(16): „Aehm, I am learning history about it. It’s I don’t know I think you have to be there to know (details)”). Nach einer freien Berührung GHI-1s durch eine weitere Besucherin F2, entwickelt sich die Begegnung weiter in Richtung zur Berührung der Hand GHI-1s (Zeile 972–980), der Exploration der Materialität und der Machart von GHI-1 (Zeile 981– 989), einer Aufforderung GHI-1s gegenüber F(16) zu einem Kuss (Zeile 990–1000) bis hin zu einer Aufforderung und Durchführung einer Umarmung (Zeile 1001– 1009) mitsamt derer Bewertung und dem Vergleich zu einer zwischenmenschlichen Umarmung (Zeile 1011–1016). Als markante Aussagen können die Fragen F(16)s zur Berührung sowie zum Eindruck bei der Erkundung von GHI-1s Hand benannt werden. Mit der Frage „(…)// can I touch your hand?” (Zeile 974) spricht F(16) gegenüber GHI-1 eine personale Sphäre zu, deren Territorialbereich F(16) nicht ohne GHI-1s Einwilligung überschreiten will (vgl. Abschnitt 8.5). Die Kommentare F(16)s während der bewilligten Berührung von GHI-1s Hand beziehen sich dabei auf die haptische Komponente (Zeile 981: F(16)guckt auf GHI-1s Hand und streicht über diese: „Oh very smooth“) als auch auf die Feststellung der Materialität von GHI-1 (Zeile 984: F(16) guckt zu GHI-1s Hand und Gesicht, berührt die Hand: „You have fingernails, real fingernails“). Dies veranlasst GHI-1 dazu, die Interaktion mit F(16) bezüglich der Qualität des Handmechanismus zu vertiefen (Zeile 985: GHI-1 guckt geradeaus: „Well this is – this quality is not so bad. Oh no well – recently you know we have improved the inside hand mechanism and this android is not so good. The other has a better hand.“). Zudem fordert GHI-1 F(16) dazu auf, die Qualität des Gesichts zu überprüfen, indem GHI-1 F(16) zunächst zu einem (französischen) Kuss (Zeile 990: GHI-1 guckt zu F: „No, but the face is much better, if you want you can touch the face – yeah just give me a kiss“; Zeile 999: GHI-1 guckt zu F(16): “Just a French kiss”), dann zu einer Umarmung bewegt (Zeile 1001: GHI-1 guckt zu F(16): „How about a hug?“). Auch hier wird die Erfahrung F(16)s thematisiert, wobei GHI-1 die Erfahrung der Umarmung des androiden Roboters in Analogie zu einer zwischenmenschlichen Umarmung gesetzt wissen möchte (Zeile 1011–1016: GHI-1 guckt zu F(16): „You know same as human, right?“ – (…) – GHI-1 guckt zu F(16): „Same as human“ – F(16) horcht GHI-1: „Oh ja – what“ – GHI-1 guckt zu F(16): „Right the hug“ – F(16) guckt hin und her zu GHI-1, dreht sich kurz um, nickt GHI-1 zu: „Oh yeah you are pretty same (virtual) human – yeah“).
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Empirische Untersuchung Teleoperation
Abb. 8.3 F(16) aus 2908 1308 girlhugs GHI-1 in einer immersiven Kommunikationssituation
8.8 Ideale Kommunikation
Abb. 8.3 (Fortsetzung)
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Abb. 8.3 (Fortsetzung)
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Empirische Untersuchung Teleoperation
8.8 Ideale Kommunikation
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Weiter tauschen sich GHI-1 und F(16), initiiert durch F2, über ihr Alter aus, wobei GHI-1 bei der Benennung des Alters auf das physische Alter der materiellen Robotergestalt eingeht, F(16) jedoch zu ihrem Eindruck zum Alter des Gestaltvorbildes (realer Ishiguro) befragt (Zeile 1019–1020: F2 guckt gebeugt zu GHI-1: „How old are you?“ – GHI-1 dreht den Kopf umher: „ahm – three years old?”; Zeile 1025–1028: F(16) guckt zu GHI-1: „It’s amazing//“ – (…) – GHI-1 schwingt von hinten nach vorne: „How old are you?“ – F(16) guckt zu GHI-1: „Oh I am sixteen“; Zeile 1037–1040: GHI-1 guckt zu F(16): „No guess my real age//my masters age“ – (…) – F(16) guckt kurz zu K, dann lächelnd zu GHI-1: „Oh I say twentyeight“ – GHI-1 guckt zu F(16): „Oh really? Thank you very much”). Abschließend endet das Gespräch mit gängigen Floskeln zum höflichen Beenden eines Gesprächs (Schegloff & Sacks 1973; Levinson 1990). So entschuldigt sich F(16), dass sie hungrig sei und nun essen wolle (Zeile 1041) und bedankt sich zudem für das angenehme Gespräch (Zeile 1043), woraufhin GHI-1 sich für die Umarmung bedankt (Zeile 1046) und beide sich voneinander mit „Goodbye“ verabschieden (Zeile 1047–1048). In Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 können wir eine immersive Kommunikationssituation zwischen F(16) und GHI-1 beobachten. Während das Gespräch in Transkript 2808 1849 woman in red darauf fokussiert ist, die Differenzen zwischen Mensch und Roboter zu klären, Begriffe zu vereinheitlichen und Erwartungshaltungen zu generieren, verläuft die Verständigung und das inhaltliche Verstehen zwischen F(16) und GHI-1 nahezu intuitiv und ist in seinem formalen Ablauf an westlichen Sprachkonventionen angelehnt. Die Themenspanne des Gesprächs ist weit und reicht von Themen zu Freundschaft, Besonderheiten Japans, der haptischmateriellen Erfahrung GHI-1s über Grenzen der territorialen Annäherung, Klärung des Alters und dem direkten Vergleich von der Erfahrung eines Roboters mit der Erfahrung von Menschen.
8.8.2
Beispiel 2 immersive Kommunikationssituation
In der nachfolgenden Analyse zeigt sich eine der sozial-immersivsten Begegnungen zwischen Besuchern und GHI-1. In Transkript 2808 1849 woman in red trifft F(56) auf GHI-1, nachdem sie (einige Stunden) zuvor mit dessen menschlichen Ebenbild (Ishiguro) zusammen im Fahrstuhl gefahren und im Café Cubus eingetroffen ist. Während GHI-1 mit R eine Gesprächssituation mimt, tritt F(56) an den Tisch heran, wonach F(56) sogleich über GHI-1 mit der vorherigen (zwischenmenschlichen) Begegnung konfrontiert wird (Zeile 1051–1958: GHI-1: „So this lady we met in the elevator//– do you remember me?” – (…) GHI-1: “We came here together” (…) – F(56): “I have never ( ) – R: “You met him in the elevator he said”). F(56)
296
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
indes negiert die unterstellte Begegnung mit GHI-1 zunächst (Zeile 1059: F(56): “Ah not, not this one//but this”) und referiert auf die Begegnung mit einer anderen Person (Zeile 1060–1063: GHI-1: “//No this one” – GHI-1: “I wasn’t working” – F(56): “that was another one” – GHI-1: “No same”), wonach sie aufgrund der insistierenden Haltung GHI-1s mit ihrer Ablehnung nachgibt (Zeile 1064–1065: F(56): “So I met you I don’t know could be – I don’t know” – GHI-1: “No, we came – we came together”), sich zu GHI-1 an den Tisch gesellt (Zeile 1067: F(56) setzt sich: “pardon?”) und eine potentielle Begegnung mit GHI-1 eingesteht (Zeile 1068–1073: GHI-1: “We came here together” – F(56): “Ah yes, so you were the one//next standing next to me” – GHI-1: “right” – (…) F(56): “I am speechless”). Jene initiierende Begegnung ist davon geprägt, dass F(56) sich auf die direkte Berührung im Rahmen einer Ebene von sozialer Präsenz einlässt und sich gegenüber GHI-1 betreffend der leiblichen Positionierung (soziomotorische Ausrichtung des Körpers, der Blicke, Gesten und der symbolisch-gestischen Äußerungen an GHI1) als auch der Distanzordnungen (Platzierung im Sinne der personalen als auch räumlichen Territorialfelder) gemäß eines EPW (sozialen Akteurs) im Rahmen einer Leib-Mitwelt-Relation verhält. Die verbale Anschlussinteraktion zwischen F(56) und GHI-1 gelingt nahtlos, wobei F(56) jedoch zunächst auf der inhaltlichen-, personalen- und akteursbezogenen Ebene – mit der Frage, ob es sich um dieselbe Gestalt der vorherigen Begegnung handelt – irritiert ist.22 Die folgenden Sequenzen zeigen den weiteren Verlauf der Begegnung, welche durch ein vertieftes immersives Interaktionsgebaren – mit korrespondierendsinnhaftem Interaktionsaustausch – zwischen F(56) und GHI-1 gekennzeichnet ist. Immersive Grade der Interaktion offenbaren sich durch den intensiven Austausch zwischen F(56) und GHI-1 auf der thematischen Ebene. Dabei geht die Interaktion über ein reines Interview im Sinne eines Frage-Antwort-Prinzips hinaus und weist eine thematische Versenkung mit fließenden, thematisch relevanten Anschlüssen auf, welche eine Vermengung von kommunikativer Involviertheit bei gleichzeitiger inhaltlich-thematischer Emergenz bietet. Entsprechend vertieft sich die Interaktionsstruktur, deckt in der Begegnung zwischen F(56) und GHI-1 ein weites inhaltliches Spektrum ab und ist durch fortgesetzte perpetuierte Anschlusskommunikation zu einem Themenfeld gekennzeichnet, was zu der Charakterisierung einer konzentrierten Hauptbeschäftigung der Interaktionspartner beiträgt. Dabei richten F(56) und GHI-1 ihre volle Aufmerksamkeit zentriert aufeinander, sind von weiteren (Neben-)Ereignissen unabgelenkt und engagieren sich darin, Alter Ego 22 Auch in jenem Ausschnitt zeigt sich, dass die inhaltliche Interaktionsstruktur zwischen F(56) und GHI-1 frei von Störungen oder langen Unterbrechungen ist und F(56) als Rezipientin den Ausführungen GHI-1s Freiraum bietet, obgleich das Gespräch fernab konformer Inhalte und Regelanweisungen verläuft.
8.8 Ideale Kommunikation
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eine Anschlusskommunikation zu bieten, welche weitere Anschlussmöglichkeiten erlaubt und Erwartungshaltungen (EEE) an eine regelhafte Wesenhaftigkeit GHI1s generiert. Die Anschlusskommunikation der Interaktionspartner ist geprägt von einer sinnhaften Tiefenstruktur, die den Informationsgehalt der vorherigen Aussage erfolgreich aufgreift und thematisch intensiviert. Während der Begegnung F(56)s mit GHI-1 werden inhaltliche Themen wie Partnerschaft, zukünftige MenschRoboter-Relation, „Second Life“, philosophische Reflexionen auf die Wesensart des Menschen sowie Emotionen als auch eine reflexive Bezugnahme auf die stattfindende Begegnung zwischen GHI-1 und F(56) zur Sprache gebracht. Mensch-Roboter-Relation und Second Life Das Thema der Beziehungsübermittlung zwischen Roboter und Mensch und der potentielle Wesensstatus, werden im weiteren Verlauf der Begegnung zu einem Zentralthema und reflexiv von den Interaktionsparteien gehandhabt. Dies bedeutet, dass F(56) und GHI-1 sich während der Interaktion innerhalb einer Selbst-MitweltRelation erleben sowie diese sich vollziehende Selbst-Mitwelt-Relation reflexiv betrachten, indem sie darüber kommunizieren und als Thema objektivieren. An jenem Punkt verhalten sich die Interaktionsparteien sozial-reflexiv zu dem sich aktuell ereignenden und erfahrbaren Beziehungsgefüge, der sich daraus ergebenden Leib-Mitwelt-Relation als auch zu ihren Erwartungshaltungen. I23 übermittelt über GHI-1 eine Utopie der zukünftigen Verwendung von (gesteuerten) Robotern und benennt gegenüber F(56) Mensch-Roboter-Beziehungsmuster, die sich daraus zwangsläufig für menschliche Nutzer ergeben. Das Konzept bezieht sich dabei auf die örtliche Versetzung von Personen vermittels der Nutzung des Roboters, ohne der Notwendigkeit zu reisen und dem sich daraus ergebenden Gefüge ortsunabhängig gelebter sozialer Beziehungen (vgl. Abschnitt 6.1). Diese benennt I über GHI-1 als Beziehung zwischen „Freund und Freundin” – bzw. zwischen „Boyfriend and Girlfriend“ – (im weiteren als „Partner/in“ benannt), im Sinne eines second life, welches durch eine zweite, virtuelle Lebenswelt zustande kommt, vor allem älteren, bewegungseingeschränkten Personen zugutekommt und dabei den Roboter zu einem exekutiven Teil des Beziehungsgefüges werden lässt (Zeile 1116– 1137: GHI-1: “You know in Japan//, everybody is going to use this robot” – F(56): “//ja” – GHI-1: “Especially for the elderly people. Elderly people cannot walk ( ) right” (…) GHI-1: “If we wanna have, if we wanna visit some place – so how we can do that? – You know – use this robot” (…) – GHI-1: “And we make a girlfriend and boyfriend and we start a second life” (…)“ – GHI-1: ”it’s kinda a life with a robot 23 Ishiguro nutzt GHI-1 in der Begegnung als Extension der eigenen Person, mischt jedoch seine eigenen Ansichten mit der perspektivischen Darstellung der robotischen Gestalt GHI-1 (vgl. Straub et al. 2010 und Straub (o. J.)).
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Empirische Untersuchung Teleoperation
(movie) (…)” – F(56): “Wow – but in Austria I guess it takes a bit longer do you think so//” – GHI-1: “No I don’t think so” – F(56): “Do you think this spreads//all over the world like this (makes a gesture) very fast I can imagine” (nickt)).24 Diese Zukunftsutopie, mit Implikationen für ein durch Roboter realisiertes „Mensch-Roboter-Beziehungsgefüge“, wird parallel während der interaktiven Begegnung zwischen F(56) und GHI-1 exemplarisch gelebt. I sucht durch den Kontakt über GHI-1 eine Relation zu F(56) herzustellen, die der zwischenmenschlichen Begegnung gleicht. Im Sinne des interaktiven Engagements und der kommunikativen Vereinnahmung gelingt dieses Unterfangen bei der Begegnung zwischen F(56) und GHI-1. F(56) begibt sich in das Beziehungsgefüge mit GHI-1 und verhält sich angesichts der fraglichen, neuen und daher kontingenten Begegnung, des kontingenten Akteurs sowie des kontingenten Interaktionsverlaufs freisinnig und aufgeschlossen. Demnach lässt sich F(56) auf das von GHI-1 induzierte Themenfeld zur Mensch-Roboter-Relation ein und vertieft sich mit GHI-1 in die Reichweite der Fragestellungen zu einem Beziehungsgefüge, welches zwischen Mensch und Roboter entsteht. GHI-1 konfrontiert F(56) mit einer, der gesellschaftlich normierten Perspektive gegenläufigen, neuen Vorstellung zu einer außerehelichen MenschRoboter-Partnerschaft. Diese wird von F(56) bisher nicht in Betracht gezogen und abgelehnt, wie F(56) in der wiederholten Aussage „I never thought about it but I guess (…) (zieht Gesicht zusammen und schüttelt den Kopf)” (Zeile 1091 f.) sowie (Zeile 1086–1090: F(56): “I never (thought of it) I tell you honestly it is more than enough – we have three boys, we have grown up guys ( )//so I have enough of this” – GHI-1: “But ( )//nobody has a robot boyfriend” – GHI-1: “you are the first woman, who has the robot boyfriend”) andeutet. Als Funktion einer Mensch-Roboter Begegnung benennt F(56) eine neuartige „Begegnung mit sich Selbst als Partnerin“, mit dem Ziel, durch einen Replikanten einen unbekannten Teil ihres Selbst kennenzulernen (Zeile 1094: F(56): “You know what – I would like to have a girlfriend like me. I would like to have another person, so like your robot man – ( ) or another ‘part’ of you – I would like to meet another part of myself”). Hier zeigt sich die Erwartungshaltung und Einschätzung F(56)s gegenüber der Funktion eines robotischen Ebenbildes, welches aus F(56)s Perspektive neue Anteile zur eigenen Person offenbart und die Selbstreflexion auf eine neuartige Weise beeinflusst. Während F(56) ihre Vorstellungen zu einem (robotischen) Partner nennt, eröffnen sich zu klärende Verständnis- und Sinnfragen seitens GHI-1s (Zeile 1142: GHI-1: ”What what’s what’s the purpose?”), welche die anschließenden Themenfelder zu Reflexionen zu philosophischen Fragestellungen über Gefühle 24 Vgl.
Technische Zukunftsutopien in Japan bei Wagner (2013, 2018).
8.8 Ideale Kommunikation
299
sowie Eigenschaften der menschlichen Natur etc. als auch Sensibilisierungswege zur Erfahrung andersartiger Erwartungshaltungen enthalten. So wird das Gespräch auf eine tiefsinnige, inhaltliche Ebene gelenkt, welche parallel auf ein vertieftes Engagement der Beteiligten verweist. Reflexionen zur Mensch-Roboter Differenz Weiter verweist F(56) auf die philosophische Komponente des Gesprächs mit GHI1, welches sie (u. a. aufgrund von technischen und akustischen Einschränkungen) einerseits als schwierig und andererseits als interessant benennt (Zeile 1148: F(56): „I am tough in my life ( ) difficult to talk with you but I am so interested – that’s philosophy I guess“). Jenen Verweis auf die philosophische Komponente der Begegnung zwischen Mensch und Roboter nimmt GHI-1 zum Anlass, um das Forschungsmotiv der androiden Robotik anzubringen und die humanoide Wesensart sowie die Charakteristik GHI-1s den menschlichen Eigenschaften gegenüber zu stellen (Ishiguro 2007b) und somit das Themenfeld der Mensch-Roboter-Differenz zu eröffnen. Als Hauptkomponenten nennt GHI-1 die Frage „Bin ich ein Mensch oder nicht?“ (Zeile 1167) bzw. „Handelt es sich bei dem Roboter um einen Menschen oder nicht?“ (Zeile 1173) und die Frage, ob es während der Mensch-Roboter-Vermittlung möglich ist, das Beziehungsgefüge beiderseits emotional zu gestalten bzw. auf der Ebene von „Liebe“ zu führen (Zeile 1149: GHI-1: “Philosophy yes – my question is am I human or not? … can you love me? (…) Can I love you. That is the question”). Die Differenz zwischen Mensch und Roboter zeigt sich während der Unterredung und Auseinandersetzung zu dem potentiellen Beziehungsaspekt, indem GHI-1 an die Bemerkung F(56)s anschließt und die Annahme einer gut funktionierende Beziehung zwischen Mensch und Roboter betont (Zeile 1154 f.: GHI-1: “But you know even if I am a robot//we can have a good relationship” – F(56): “//Ja”). Hierzu äußert F(56) die Ansicht, dass eine fehlende Sinn-Dimension von Schwierigkeiten bei Robotern aus einer fehlenden Selbstbezogenheit des Roboters herrühre und dieses fehlende Problembewusstsein zu dem Gelingen der Beziehung zwischen Mensch und Roboter beitrage (Zeile 1156: F(56): “Why do you think (to) have a good relationship with a human as being a robot? – Because you make no difficulties, because you don’t have no troubles by yourself? Do you think that’s why?”). Hier zeigt sich eine Differenz in der Auffassung F(56)s zu der Wesenhaftigkeit GHI-1s gegenüber der Wesensart von Menschen. F(56) spricht GHI-1 dabei die Erfahrung von Problemen ab und vermittelt im selben Zug eine Erwartungshaltung (EEE) gegenüber GHI-1, welche zwar einerseits GHI-1 die Reflektionsfertigkeit über das Beziehungsgefüge mitsamt des Konzepts von Problembewältigung zugestehe, andererseits jedoch die Annahme äußert, der Erlebnishorizont GHI-1s beruhe auf
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Empirische Untersuchung Teleoperation
problemloses Dasein bzw. Erleben. In dem Sinne begrenzt F(56) die sinnhafte Erfahrungswelt des Roboters und stellt sie als Komponente einer Selbst-Fremd-Differenz dem problembehafteten Dasein von Menschen gegenüber. Betreffend GHI-1s Frage zu einer potentiellen Liebesbeziehung zwischen Mensch und Roboter äußert F(56) zudem Bedenken, ob sie den Erwartungen und Anforderungen einer solchen Konstellation gerecht werden könnte (Zeile 1150– 1153: F(56): “Yeah that is a question what interest you – I don’t know – I don’t know if I can do this” (…) F(56): “If I have real fun with it or I do my best to please you or I want to be pleased by myself//, what is love the same question again.” – GHI-1: “mhm”) und hinterfragt im weiteren Verlauf die Charakteristik und Spezifizierung des Begriffs “Liebe”. Als Antwort eröffnet GHI-1 eine weitere speziesinduzierte Differenz, die über die Äußerung GHI-1s über ein Emotionsprogramm zu verfügen initiiert wird, welches die Zugänglichkeit zu Gefühlen für GHI-1 entsprechend leicht mache (Zeile 1180 f.: GHI-1: “//Nobody knows what is a human being” – GHI-1: “No it’s easy – its easy I have that kind of a emotional program”). Mit der Aussage zu der Ausstattung mit einem „Programm“ technifiziert GHI-1 die eigene Wesenhaftigkeit mit dem Verweis auf eine technische Quelle der sinnlichen sowie sinnhaften kognitiven Erfahrungen wie Emotionen, was F(56) dazu veranlasst, den Begriff des Programms nachdrücklich (als Unterschied zur psychischen Sinnebene des Menschen) zu betonen (Zeile 1182: F(56): “You have a program, you have a program”) und so die Mensch-Roboter-Differenz hervorzuheben. GHI-1 hinterfragt daraufhin die Beschaffenheit des Hirns von F(56) und postuliert, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass F(56)s Hirn nicht ebenfalls im Sinne eines Computerprogramms agiere (Zeile 1183: GHI-1: “Your brain is also a computer – have you checked your brain? You may have a computer in your head”). Dies kann F(56) zwar nicht gänzlich ausschließen, verwehrt sich jedoch gegen die Annahme, lediglich den Vorgaben eines Computerprogramms zu folgen. Stattdessen wolle sie „Teil des Ganzen“ sein, was auch GHI-1 für sich beanspruche (Zeile 1184 f.: F(56): “Yeah of course but I don’t want to – to have that feeling with just a computer program happens in myself – but I am enjoying the adventure of being part of the whole – the whole thing” – GHI-1: “mhm, me too”). Die programmgeleitete Erfahrung von Emotionen seitens GHI-1 beantwortet F(56) im Sinne einer Differenz im Erwartungsmuster normativer Bedeutungshorizonte. Hier zeigt sich eine Abweichung in der Interpretation der Bedeutungsquellen im Bereich denotativ normierter Sinnoperationen (also auf der Ebene prä-institutioneller Drittenbezüge als auch gesellschaftlich institutionalisierter Teilsysteme), welche generell dazu führt neue Erwartungsmuster (EEE) gegenüber einer neuartig fremden Wesensart zu generieren. In unserem Beispiel wäre dies die operative Erfassung GHI-1s von Gefühlszuständen durch ein Emotionsprogramm.
8.8 Ideale Kommunikation
301
F(56) sieht in der Technifizierung von Gefühlen sowie der Hirntätigkeit über ein Programm eine wesentliche Differenz und Fremdheit gegenüber GHI-1, wobei F(56) die Aufklärung dieser Differenz und Unwissenheit über die Funktions- und Verstehensweise GHI-1s als auch die Klärung von Begriffen als Movens für eine auf Kommunikation gründende Beziehung zueinander sieht (Zeile 1186 f.: F(56): “Ja – I can imagine, but … that’s what I don’t know – and that’s why we would have to – have a relationship and let – you would have let to know me much about this//your programs” – GHI-1: “Relationship?”), welche wir im nächsten Abschnitt als Methode zur Aufhebung der Mensch-Roboter-Differenz aufführen wollen. Methoden zum Überwinden der Mensch-Roboter-Differenz Im Folgenden werden F(56)s und GHI-1s Wege zum Überwinden der genannten zwischenartlich, interspezifischen Differenzen sowie deren Ansichten über die Legitimierungswege des sozialen Personenstatus deutlich. Dabei können wir zwei divergierende Annahmen zur Bestimmung der sozialen Wesensart ausmachen. Einerseits setzt GHI-1 an einer einfachen Erwartungshaltung an und formuliert, dass ein Wesen qua Selbstbestimmung zu einer Wesensgruppe, bspw. einem sozialen Wesen zugehörig ist. Andererseits benennt F(56) die Notwendigkeit der Simulation, Nachahmung bzw. Nachempfindung der psychisch-kognitiven Verfassungen, um sich über die Wesensart Alter Egos gewahr zu werden bzw. die Erwartungshaltungen (EE) Alter Egos nachvollziehen zu können. Die Interaktionsparteien zeigen wiederholt Differenzen, diesmal bei ihren Auffassungen über die Wesenhaftigkeit eines sozialen Akteurs als menschenähnlich bzw. humanoid. Der Sinnbezug, den die Akteure für ihre Ansätze wählen, basiert bei F(56) einerseits auf der subjektiv-replizierbaren Bewusstseinsebene Alter Egos und bei GHI-1 im Bereich der Selbstdarstellung und -erfahrung als menschengleiches Wesen. Dieser Absatz präsentiert demnach Beispiele über Methoden zur situativen Erfassung sowie – in einem zweiten Schritt – zur Sensibilisierung neuer regelhafter Erwartungsmuster (EEE) gegenüber einem unbekannten Akteur, respektive Wesen. GHI-1 postuliert, dass es sich bei dem Roboter um eine neue Art von Mensch handele (Zeile 1167: GHI-1: “Mhm, because I am a new types of human. – I am also a human”) und sieht die Legitimation zum Menschsein generell in der Fähigkeit begründet, sich selbst als Mensch zu Bezeichnen, zu Erfassen und Erleben zu können (Zeile 1171–1174: GHI-1: “I am a human. Are you human?” – F(56): “Well I guess what people spell as being a human – I am … that means I should try//” – GHI-1: “You believe you are a human//I am also believing I am a human. That is enough” – F(56): “//I am human”). Nach der Erwartungsstruktur GHI-1s egalisiert sich demnach der interspezifische Unterschied, sobald sich eines der Wesen selbst zur Zugehörigkeit zu einer Spezies bekenne. Diese Sicht geht von einer
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8
Empirische Untersuchung Teleoperation
einfachen Erwartungshaltung aus, bei der das eigene Zugeständnis sowie Gewahrsein von Wesenhaftigkeit – unabhängig von objektiven, gesellschaftlich-normativen Bedingungen – den menschlich-personalen Status bereits legitimiert.25 Die Perspektive zur Menschenähnlichkeit des Roboters beantwortet F(56) hingegen mit der Aussage, dass sie den Unterschied in der Wesenhaftigkeit zwischen Mensch und Roboter nur dann bestimmen könne, wenn sie selbst erlebe, wie ein Roboter funktioniere. Hierzu müsse sie auch selbst dessen „Gefühle“ sowie Erlebnisweisen erfahren und somit auch nachvollziehen können (Zeile 1175: F(56): “You know I am a human, which means I have to work like a robot, I have feelings like a human being, because I don’t know the feelings as a ro ro robot I don’t know//”).26 Aus Mangel an eben jener Erfahrung der inneren subjektiven Zustände könne F(56) die Ebene der Gefühle eines Roboters indes nicht beurteilen. Hier zeigt sich ebenfalls eine subjektivistische Sicht auf die Bestimmung einer Wesensart, die auf der Notwendigkeit einer Zusammenführung der Funktions- und Erlebnisweise sowie der Gefühlswelt zu einer geteilten intersubjektiven Basis fußt. Demnach postuliert F(56), dass ohne einen Vergleich der Zustände der Wesensarten, die Aufhebung der Fremdartigkeit und damit der potentiellen Selbst-Fremd-Differenz nicht möglich sei. F(56) bezieht sich in ihren Aussagen zur Wesensbestimmung vorwiegend auf subjektiv-emotionale Sinnstrukturen bzw. den erfahrbaren Vergleich dieser, um den Wesens- und Akteursstatus Alter Egos differenzieren zu können.27 Als Methode zur Überbrückung der wesenhaften Differenzen stimmen F(56) und GHI-1 darin überein, dass sich eine Annäherung der Interaktionspartner aneinander anhand von Kommunikation ereignet. Allerdings sieht F(56) die Funktion 25 Der Ansatz deckt sich mit dem Schulz-Schäfer/Rammertschen Konzept gradueller Akteure,
bei der bereits durch die Zuschreibung Egos ein Akteursstatus Alter Egos bestimmbar wird. Dieser Ansatz übergeht indes die sensibilisierenden Ebenen der interaktiven und weiter des durch Drittenstrukturen emergierenden bis hin zum gesellschaftlich legitimierten Akteursstatus (vgl. Abschnitt 2.2 und 7.2.6). 26 Siehe hierzu Schelers Simulationstheorie, welche mit der Einfühlung in das fremde Erleben eine Theorie zur Erfassbarkeit und Simulation vom Fremdseelischen postuliert und damit implizit der Grundannahme folgt, dass der Sinn Alter Egos fremden Erlebens Ego durch „innere Anschauung“ zugänglich sei. „Vom Akt der inneren Wahrnehmung und seinem Wesen aus gesehen, sowie in bezug auf die Tatsachensphäre, die in innerer Wahrnehmung erscheint, kann jeder das Erleben der Mitmenschen genau so unmittelbar (und mittelbar) erfassen wie sein eigenes“ (Scheler 1974:296 f.). 27 Hier zeigt sich subjektive Haltung der Techniknutzer, die mit dem Konzept der Zuschreibung à la Rammert und Schulz-Schäfer deckt. Die Zuschreibung als Akteur verliefe in diesem Falle auch nach dem subjektiven Gustus der Nutzer. Hier kann als phänomenale Komponente der Wunsch der Besucherin nach einer Einfühlung/Nachahmung in ein anderes Wesen genannt werden, um die Gleichartigkeit einer fremden Spezies gesichert bejahen zu können.
8.8 Ideale Kommunikation
303
der kommunikativen Approximation darin, die unzugängliche Ebene des sinnhaften psychischen Bereichs bzw. der idiosynkratischen Bewusstseinsoperationen objektivierend oder gar über inhaltliche Beschreibung intersubjektiv zugänglich zu machen, während GHI-1 bereits die Fertigkeit zur Kommunikation als hinreichend ansieht, um eine soziale Bindung zwischen Akteuren zu bieten. Wir treffen hier auf eine von uns im Verstehensbereich analog vorgenommene Unterscheidung zwischen einer Betrachtung einerseits des inhaltlichen und andererseits des formalen Verstehens, welche die wesenhaften Charakteristika kontingenter Akteure im Teleoperationsmodus anleiten. Die Methode der kommunikativen Annäherung über immersives inhaltliches Verstehen wird vornehmlich bei der Klärung von Begriffen – wie etwa auch beispielhaft bei der Aussage zur Notwendigkeit der definitorischen Erfassung des Begriffs „Liebe“ (Zeile 1149) sowie „feelings“ (Zeile 1175) – ersichtlich. GHI-1 hinterfragt entsprechend mit (Zeile 1176) „Could you tell me what is a feeling?” den Bedeutungsgehalt sowie eine mögliche Analogie von Gefühlsbereichen zwischen F(56) und GHI-1 (Zeile 1178: GHI-1: “Do you think I have the same feeling?”). An jenem Punkt argumentiert F(56) damit, dass das Kennenlernen deckungsgleicher als auch divergierender subjektiver (psychisch-kognitiver) Sinnstrukturen sowie –inhalte einer anderen Person, das Fundament einer Beziehung ausmache. F(56) bestätigt dabei ihr Unwissen über die Gefühlswelten GHI-1s und macht das Aufarbeiten und Zugänglichmachen dieser – zusammen mit den personalen Wesensstrukturen – zum Teil einer Beziehungsarbeit (Zeile 1179: F(56): “I don’t know I have no idea//that is of being in a relation having a relationship. What you teach me, what you let me know being part of you, because what you learn, what you are, what you feel, what you have – if you feel sadness, if you feel joy, I have no idea”). Eine Beziehung basiert nach F(56) entsprechend auf einem sozial-kommunikativem Austausch, den F(56) als eine Art „Teilhabe“ an den subjektiven Zuständen – wie etwa Aspekten des eigenen Wesens sowie der eigenen Gefühle, von etwa Traurigkeit oder Freude – Alter Egos benennt. Entsprechend sieht F(56) die Vermittlung der subjektiven Sinnstrukturen als Beziehungsarbeit, welche auf intensiver bzw. immersiver Kommunikation beruht. F(56) weitet die Notwendigkeit der Erfassung des Wesens Alter Egos von der Nachahmung der subjektiv-emotionalen Sinnebenen auf die kommunikative Sinngenerierung aus, die über kommunikative Mittel eine Annäherung an die Erfahrung Alter Egos in seiner Wesenhaftigkeit als Akteur erlauben und in ihrer sinnhaften Tiefenstruktur intensiver sind als interviewartige Befragungen GHI-1s (vgl. Transkripte 2708 1647 Mann befragt GHI-1 und 2908 1339 Mann spricht mit G). Auch die Aufklärung von Differenzen über die oben dargestellten Funktionsund Verstehensweisen – etwa vermittels eines „Emotionsprogramms“ – sieht F(56) als Movens für eine auf sinnvermittelnder Kommunikation gründende Beziehung
304
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
zueinander (Zeile 1186 f.: F(56): “Ja I can imagine, but … that’s what I don’t know – and that’s why we would have to – have a relationship and let – you would have let to know me much about this//your programs” – GHI-1: “Relationship?”). F(56) sieht die Notwendigkeit zur Sensibilisierung von emotional-subjektiven Komponenten als Antrieb für Kommunikation, wobei eine inhaltliche Annäherung und Begriffsklärung anschlussfähige Folgekommunikation bereitstellt und parallel eine graduelle Sensibilisierung an die Differenzen der Wesensart von GHI-1 begünstigt. Das Beziehungsgefüge diene für F(56) mithin dazu, die Selbst-Fremd-Differenz zu überbrücken, indem die Akteure sich einander annähern, die Andersartigkeit und Fremdheit des jeweils anderen zulassen und die eigenen Wesensmerkmale jeweils an Alter Ego vermitteln.28 Für F(56) ist die Zugänglichkeit an die subjektiven bewusstseinsinternen Erwartungshaltungen GHI-1s der Schlüssel für eine funktionierende interspezifische Beziehung sowie für das Vermengen der eigenen und fremden Perspektive nützlich. Die Explikation auf kommunikativer Sinnebene hat eine kontingenzminimierende Funktion betreffend des Erwartungshorizonts Egos an den Bedeutungsgehalt Alter Egos bewusstseinsgebundener flexibler Interpretanten, was nach Ansicht F(56)s eine Egalisierung der Selbst-Fremd-Differenz ermöglicht. Die Intensität des kommunikativen Austauschs über vertieft sinnkonsistente Bedeutungsgehalte zwischen Ego und Alter Ego führt somit zu einem Maßstab der Angleichung (Sensibilisierung) von kommunikativen als auch drittenbezogenen Sinngehalten an das jeweilige Alter Ego. Während F(56) den immersiven kommunikativen Austausch sowie die wechselseitige Vermengung kognitiver Beweggründe, Emotionen bzw. kognitiver Sinnstrukturen als bindendes Glied einer (engen) sozialen Beziehung sowie zur Aufhebung der Selbst-Fremd-Differenz benennt, und damit über das inhaltliche Verstehen agiert, senkt GHI-1 den Anspruch einer Beziehung auf eine fundamentalere Ebene, die der formalen Verstehensebene unserer Untersuchung gleicht. Dabei wird das Prinzip des durch Anschlusskommunikation gelingenden miteinander Kommunizierens zum Maßstab für eine funktionierende „menschengleiche“ Beziehung, ohne die Vermittlung und inhaltliche Deckungsgleichheit von kognitiven Sinnstrukturen als Primat zu setzen (Zeile 1189–1194: GHI-1: “Mmh.. ( ) //yes but” – GHI-1: “Now we are talking to each other//this is a relationship” – F(56): “yes we are talking to eachother” – GHI-1: “Humanlike relationship” (…) – F(56): “ja”). GHI-1 benennt ein Beziehungsgefüge als bereits Gegeben, sobald den beteiligten Akteuren die Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung gelingt und das 28 Weiter betont F(56), dass jede Beziehung zusätzlich generell mit Schwierigkeiten behaftet sei (Zeile 1188: F(56): „So that I can get to know it – and the same would happen – to happen – with me. And if you take a long time to make to make clear to ( ) it is a little difficult//a relationship – and this is not just fun!”).
8.9 Fazit inhaltliches Verstehen
305
Beziehungsgefüge durch Anschlusskommunikation, im Sinne von kommunikativem Verstehen, gefestigt respektive perpetuiert wird. Das Gelingen von Kommunikation zwischen zwischenartlichen Kommunikationskonstellationen bzw. interspezifischen Wesen als Beziehungsgrundlage wird dem Austausch über sinnhafte kognitive Erfahrungszustände vorangestellt, wobei eine Angleichung der inhaltlich-subjektiven, erlebnisbasierten Selbst-Fremd-Differenz zweitrangig wird. Die Sensibilisierung eines Beziehungsgefüges zwischen speziesunterschiedlichen Wesen setzt für GHI-1 über die gelingende Kommunikation ein. GHI-1 Ansicht deckt sich dabei mit dem Luhmannschen Konzept der „Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation“ und markiert mit der Aussage „Now we are talking to eachother – this is a relationship“ (Zeile 1190) die Formation eines sozialen Gefüges (bzw. sozialen Systems) durch die Überwindung jener Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation. GHI-1s Aussage unterstreicht das in dieser Arbeit präsentierte formale Prinzip des Verstehens durch Anschlusskommunikation (Abschnitt 4.7), welches die Unwahrscheinlichkeiten von Kommunikation als Hemmnis überwindet und die Bereiche der Hinführung zur direkten Berührung bis hin zur vertieften immersiv-kommunikativen Sozialität – mit der situativen Rahmung der sozialen Präsenz – zwischen divergenten, interspezifischen Akteurstypen vereint. Kommunikation wird bei GHI-1 zum Grundstein einer sozialen Intervention und somit zum Mittler einer Beziehungsqualität zwischen kontingenten Akteuren. Das deckungsgleiche, inhaltlich-immersive Verstehen von kognitiven o. a. Sinninhalten – wie von F(56) präferiert – verliert mit jener Sicht GHI-1s indes die Primärstellung der Kommunikationsfunktion.
8.9
Fazit inhaltliches Verstehen
Die Betrachtung der immersiven Kommunikation zwischen kontingent agierenden Akteuren zentriert den Blick auf die kommunikativen Inhalte der Akteure, welche die Wege der Besucher zur Sensibilisierung für die Wesenhaftigkeit GHI1s erfahrbar machen. In den beispielhaften Transkripten wird die Spannweite der kommunikativen Versenkung zwischen menschlichen und robotischen Akteuren sichtbar, welche aufzeigt, dass und wie die einander unbekannten Akteure zu einer Begegnung mit hoher Intensität befähigt sind. Dabei konnten wir eine intensivierte Sinnkohärenz der thematischen Tiefenstruktur feststellen und die Wege der Bedeutungsgenerierung nachzeichnen. In jenen immersiven Begegnungen wird auf die sozial-reflexiven Annahmen der Akteure sowie auf Aussagen zu Differenzen in der Mensch-Roboter-Interaktion hingewiesen und über die kommunikative Annäherung werden Wege zum Überwinden jener Differenzen durch die Normierung von Erwartungshaltungen für zukünftige
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8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Begegnungen geboten. Modifizierte Erwartungshaltungen tragen entsprechend zur Sensibilisierung für die Wesensart eines kontingenten, neuartig-fremden, potentiellen sozialen Akteurs bei, liefern einen exemplarischen Einblick in die Praxis zur Vergegenwärtigung neuartiger Akteurskonstellationen und bieten somit einen weiteren Baustein zu einer protosozialen Interaktionsmatrize. Die kommunikative Explizierung und immersive Involviertheit zur Aufhebung der Differenzen tragen letztlich dazu bei, die Wesenhaftigkeit des neuen Akteurs zu erkunden, für zukünftig erwartbare Erwartungshaltungen zu sensibilisieren und daraus sukzessiv regelhafte Erwartungsbezüge gegenüber dem Akteur zu extrahieren. Aus der immersiv vorgenommenen Explikation jener Differenzen eröffnen sich für die Interaktionsparteien wegweisende Zugänge zur Generierung drittenbezogener Erwartungshaltungen, die gegebenenfalls in zukünftigen Anschlusskommunikationen Anwendung finden und den fraglichen sozialen Akteur in den Bereich eines – zwar von menschlichen Eigenschaften differenten, aber dennoch – legitimierten Akteursstatus hieven. Zudem verdeutlicht die Fertigkeit zur immersiven Kommunikation in interspezifischen Kontexten, dass einerseits symbolisch-gestische Interaktion zwischen unterschiedlichen Akteursarten auf vertiefte und intensive Weise sowie über einen längeren Zeitraum möglich ist, andererseits, dass immersive Kommunikation auch bei unterschiedlichen Erwartungshorizonten (EEE) funktioniert.
8.9.1
Fazit kommunikative Deutung der motorischen, kognitiven und kommunikativen Inhalte als Mittel zur fundierenden Deutung der Wesenseigenart GHI-1s
Im Falle der immersiven Kommunikation sehen wir, wie das inhaltliche Verstehen zwischen GHI-1 und den menschlichen Besuchern auch betreffend tieferer Themenschichten Bestätigung findet. Dabei wird GHI-1 auf der Ebene des inhaltlichen Verstehens fortwährend zu spezifischen Eigenschaften befragt, die nähere Auskünfte über seine Wesensart vermitteln. Entsprechend sensibilisieren die Besucher ihre Erwartungshaltungen gegenüber GHI-1 bezüglich dessen personaler Eigenschaften, die dazu beitragen, einen potentiell sozialen Akteursstatus zu bejahen. In den Transkripten zur Analyse der motorischen und kognitiven Kapazitäten GHI-1s sowie zur immersiven Kommunikation konnten wir feststellen, dass die Besucher sich über fundierend-kommunikative Deutung einen Eindruck zu der Wesensart GHI-1s verschaffen. Dabei wiederholen sich einige Themenschwerpunkte, die näheres über die Wesensart GHI-1s vermitteln. Anhand dieser Wiederholungen sowie
8.9 Fazit inhaltliches Verstehen
307
der Antworten GHI-1s können wir die generalisierten Erwartungshaltungen (im Sinne von EEE) der Besucher ablesen und aus deren Konglomerat ein Bild zur Wesenhaftigkeit GHI-1s erfassen. Die Themen zur Wesenseigenart GHI-1s umfassen Inhalte der Alltagskommunikation und beziehen sich auf lokale Gegebenheiten sowie auf Fragen zur Person, Gestalt, Funktion, Tagesablauf, Beschäftigung, motorische Fertigkeiten etc. und erfahren Einschränkungen im Bereich der höheren, mit technischen Mitteln erreichbaren Kapazitäten von kognitiven Denkprozessen. Diese Kapazitäten sowie Einschränkungen, liefern ein Bild der Wesenseigenarten und personalen Eigenschaften GHI-1s, das sich teilweise mit menschlichen Eigenschaften deckt, obgleich es in mehreren Bereichen von eben diesen abweicht. Die kommunikative Exploration liefert demnach ein Bild der Wesenhaftigkeit GHI-1, welches sich aus den kognitiven und kommunikativen Kapazitäten sowie der motorischen, sensorischtaktilen als auch ausdruckshaft-expressiven Fertigkeiten und derer Limitationen GHI-1s herausschält und die Erwartungshaltungen der Besucher entgegen GHI-1 einerseits gegenüber den fehlenden Fertigkeiten de-sensibilisiert, andererseits für die Bestätigungen der Wesensart sensibilisiert. GHI-1 ist entsprechend lediglich zu eingeschränkten expressiven Ausdrücken sowie zu limitierten (sozio-)motorischen Bewegungen (Händeschütteln/Aufstehen), durch restringierte expressive Mimik (Lächeln, Lachen) als auch restringiert nonverbale prä-symbolische Gesten, fähig und verfügt über keinerlei Wahrnehmungen zu sensorischem Input, wie dem Spüren von Berührungen oder thermischen Erfahrungen (Wärme/Kälte) oder einem bio-organischem Stoffwechsel (wie Kreislauf oder der Aufnahme von Nahrung).29 Zudem zeigt sich bei der Exploration kognitiver Denkprozesse die Fertigkeit GHI-1s zum inhaltlichen Verstehen über Anschlusskommunikation, die Reflexionsfähigkeit über leibliche Zustände und reflexiv-kognitive Denkprozesse sowie die Fertigkeit zum formalen Verstehen sprachlich-symbolischer Gestenverwendung. Hierbei zeigt GHI-1 ein reiches Themenspektrum, welches das Verstehen von Konzepten eines Gesprächsverlaufs (Begrüßungsformeln/Abschied) sowie individueller (Name, Alter, Wesensart), sozialer (Beziehungsstatus, Emotionsstrukturen), spezifischer (Wesensart, Energieversorgung, Stoffwechsel) als auch kultureller und lokaler Besonderheiten (Arbeit, Multilingualität, Nationalität, Herkunft, lokaler Standort) umfasst.
29 Zu der Wahrnehmung von exterozeptiven Einflüssen und kognitiven Prozessen siehe, am Beispiel von Schmerz ausgeführt, Hill (2004).
308
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Die Transkripte zeigen fundierend-kommunikative Explorationen betreffend Informationen zu GHI-1s personalen Eigenschaften bzw. zu der technischen Funktionsfertigkeit. Die symbolisch-gestische Exploration erkundet dabei die Wesenhaftigkeit GHI-1s, welche über die gestalthafte Bezugnahme hinaus geht und die personale Identität miterfasst. GHI-1 ist entsprechend dazu in der Lage, symbolisches Gestenverständnis durch Anschlusskommunikation zu leisten und verfügt über Wissensstrukturen, die mit der (sozial-)phänomenologischen Alltagsstruktur menschlicher Akteure korrespondieren (vgl. Schütz 2003). Die Ergebnisse der Analyse liefern ein Gesamtbild der Wesenserfassung GHI1s, das einerseits an anthropologische Eigenschaften angelehnt ist (humanoide Gestalt/Verwendung sprachlich symbolischer Gesten etc.), andererseits jedoch auch Eigenarten aufweist, die einer anthropologischen Analogie widersprechen (beispielsweise das Gestaltmaterial, die Restriktionen in der (sozio-)motorischen Bewegungsabfolge) und so die Erwartungshaltungen der Besucher modifizieren. GHI-1 wird entsprechend als technisch-objekthaft und mit sozialer Kompetenz ausgestattetes Hybridwesen mit technischen als auch menschlichen Eigenschaften erfahrbar und mitunter als Roboter klassifiziert.30 So sehen wir, dass im Teleoperationsmodus die personale Präsenz von der rein gestalthaften, territorialbestimmten Ebene im Idling und Facetrack Modus über das inhaltliche Verstehen auf kommunikativer Ebene vertieft erfahrbar wird und sich in der interaktiven Ermittlung der personalen Wesensart des Roboters widerspiegelt.
8.10
Kommunikative Deutung gelingt
Während der Teleoperation steht bei den Besuchern die Überprüfung der inhaltlichkommunikativen Ebene im Vordergrund der Exploration von GHI-1. Somit häufen sich Interaktionsaufforderungen auf verbaler als auch auf nonverbaler Ebene und gehen parallel mit einer Abschwächung der Überprüfung von Reaktionsfertigkeit durch Aufmerksamkeitshascher o. ä. einher. Die Erfassung GHI-1s 30 Die Wesenhaftigkeit GHI-1 wird jedoch nicht auf die Verantwortlichkeit des Steuernden zurückgeführt. Die Erkundung der motorisch, kognitiven und kommunikativen Eigenschaften zeigt die Wesenhaftigkeit GHI-1s, die nicht lediglich als Hinweis auf die vermittelte personale Präsenz des Steuernden gesehen werden kann, sondern mit der GHI-1 mitunter eine eigene personale Identität aufzeigt. Diese Annahmen, mitsamt den Folgen und Abläufen zum Erfassen einer eigenen personalen Identität GHI-1s, sind in einer eigenen, noch unveröffentlichten Studie näher durchexerziert worden und gelten damit als weitere elementare Effekte der „Generierung einer eigenen Identität“ vor dem Hintergrund des steuerbaren androiden Roboters GHI-1 (vgl. Straub o. J.).
8.10 Kommunikative Deutung gelingt
309
als sozialem Akteur basiert, ergänzend zu der präkommunikativen Ebene qua personal-räumlicher Territorialbereiche, im Teleoperationsmodus auf der Ebene einer „fundierenden Deutung“, welche über die Verwendung symbolischer Gesten als „fundierend-kommunikative Deutung“ in die „kommunikative Deutung“ integriert ist. Entsprechend können wir das Gelingen der „kommunikativen Deutung“ im Teleoperationsmodus feststellen. Die „kommunikative Deutung“ umfasst thematische Inhalte zur „fundierenden Deutung“ und somit GHI-1s Wesenhaftigkeit als einem personalen und sozial agierenden Akteur und substituiert dabei, mithin durch inhaltliche Erörterungen zu motorischen, kognitiven und kommunikativimmersiven Fertigkeiten, zusätzlich die Defizite in der Soziomotorik GHI-1s. Die symbolisch-gestische Kommunikation ersetzt somit die präkommunikative Überprüfung der Aufmerksamkeit und Reaktionsfertigkeit und verlagert die Prüfung körperlich-motorischer als auch kognitiver Limitationen sowie wesenhafter Charakteristika des Akteurs auf die inhaltliche Ebene des verbalen Austauschs mit dem fraglichen Akteur selbst. Weiter wandelt sich die Frage der „fundierenden Deutung“ GHI-1s von der präkommunikativen Bestimmung der personalen Präsenz, z. B. über die Art der Gestalt, hin zu einer „fundierend-kommunikativen Deutung“ der personalen und kognitiven Eigenschaften sowie derer Reichweite über die direkte Interaktion mit der sozialen Gestalt. Die Erfassung der personalen Präsenz gerät dabei in den Mittelpunkt der kommunikativen Erkundung mit GHI-1 und hat die „Identitätsmerkmale“ zur Bestimmung des „inhaltlichen Verstehens der Wesensart“ GHI-1s im Fokus. So trägt bereits der initiative Gruß GHI-1s – zusammen mit der interaktiven Reaktionsfertigkeit und der Adaption GHI-1s an Besucher – dazu bei, eine direkte Berührung zu evozieren und im Anschluss daran, die personalen Eigenschaften sowie die Grenzen der Fertigkeiten GHI-1s auf kommunikative Weise zu ergründen. Dabei reicht das Spektrum der Erfahrbarkeit GHI-1s weit über dessen wahrnehmbare Gestalthaftigkeit hinaus und wird durch symbolische Zeichen auf die Ebene der inhaltlichen Erkundung zur Reichweite der symbolhaften Kommunikation, Wesensart, physischen Limitationen bzw. kognitiven Kapazitäten erweitert. Zudem schwinden die in dem Idling Modus und in dem Facetrack Modus erprobten motorischen und materialbezogenen Prüfungen der robotischen Gestalt zusammen mit den Territorialbrüchen auf personaler, räumlicher und symbolischer Ebene, letztere z. B. durch das Ausbleiben von Äußerungen zu den Eindrücken, Empfindungen und Einstellungen gegenüber GHI-1 in dessen Anwesenheit. Mit dem Wechsel vom Idling, Facetrack hin zum Teleoperationsmodus verschiebt sich die Bemühung der Besucher von der Evokation der Aufmerksamkeit GHI-1s, durch soziomotorisch-reaktionsinduzierende Aktivitäten, hin zu einer symbolisch-gestisch inhaltlichen Exploration von GHI-1s Wissensstrukturen sowie
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in einem weiteren Schritt zu dessen fundierenden Wesenseigenschaften und personaler Wesenstypik. Die fundierende Deutung und Feststellung der Merkmale zur personalen Präsenz werden im Teleoperationsmodus entsprechend über die kommunikative Deutung erfahren und tragen eine ordnungsstabilisierende Funktion bei der Sensibilisierung der Erwartungshaltungen gegenüber GHI-1 als potentiellen sozialen Akteur. Diese Differenz der Feststellung von personaler Präsenz über soziale Präsenz wollen wir als genuines Merkmal für eine gelingende fundierendkommunikative Deutung, mit einer parallel verlaufenden Bestätigung von sozialer als auch personaler Akteursschaft, markieren.
8.10.1 Zum Problem des Verlaufs der fundierenden und kommunikativen Deutung bei Lindemann Damit steht das Ergebnis unserer Untersuchung diametral zu Lindemanns Schilderungen über die Eigenschaften der „kommunikative Deutung“ als auch der „fundierenden Deutung“ (Lindemann 2010). In ihren Arbeiten betont Lindemann die konstituierende Funktion als auch die Emergenzfunktion der Drittenposition zur sozialtheoretischen Erfassung von sozialen Gefügen. Diese Konzeption erlaubt es bereits vor der Konstitution einer kommunikativen Dyade, die Frage nach einer regelhaften Anerkennung (Lindemann 2010: 497) eines Personenstatus Alter Egos und somit den Sachverhalt der „Kontingenz der Mitwelt“, als beobachtungsanleitende Annahme von sozialen Begegnungen bzw. der „Bildung sozialer Ordnung“ mitzuerfassen (Lindemann 2010: 494). Lindemann setzt zur Deutung einer sozialen Situation an einem zweistufigen Modell an, bei dem die fundierende Deutung sich vor der kommunikativen Deutung ereignet: „Ego deutet logisch vorgängig eine begegnende Entität daraufhin, ob es sich bei ihr um ein Alter Ego, d. h. um eine kommunizierende Entität oder nicht handelt (1. Stufe); wenn Ego die fragliche Entität als ein personales Alter Ego deutet, folgt logisch nachgängig (2. Stufe) die Deutung der kommunikativen Mitteilung durch Ego (Lindemann 2009b: 230 ff.)“ (zitiert nach Lindemann 2010: 497). Somit wird die Frage, ob es sich bei der Entität, mit der ich zu kommunizieren intendiere, um eine soziale Person handelt – zur konstituierenden Vor-Bedingung für die Initiierung einer sozialen Begegnung. Die fundierende Deutung erfolgt im Sinne Lindemanns über die Ego-Alter Relation objektivierende Perspektive von Tertius, welche die Gültigkeit der fraglichen Entität als Alter Ego manifestiert bzw. verwirft. Nach Lindemann dient die Drittenposition mit ihrer konstitutiven Funktion dazu, die „Relation zwischen Alter Ego und Ego zu einem Muster zu objektivieren und darüber gesellschaftlich verbindliche Kriterien
8.10 Kommunikative Deutung gelingt
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für Alter Ego zu entwickeln“ (ebd.). Diese Muster sind von Vor-Erfahrungen eines bereits legitimierten Personenkreises geprägt. „Die fundierende Deutung erfordert notwendigerweise das Hinzutreten des Dritten, denn erst dadurch wird es möglich, die Relation zwischen Ego und einem fraglichen Alter Ego zu einem Muster zu objektivieren und darüber gesellschaftlich verbindliche Kriterien dafür zu entwickeln, wer als ein Alter Ego gelten kann (Lindemann 2009b: 236 ff.). Durch das Hinzutreten des Dritten wird die Problemlage zwischen Ego und Alter stabilisiert, denn erst durch den Bezug auf den Dritten wird festgelegt, zwischen welchen Entitäten sich das Problem doppelter Kontingenz dauerhaft stellen kann. In Bezug auf das Ego-Alter-Verhältnis, das als Ausgangspunkt für die Bildung sozialer Ordnung gilt, kommt dem Dritten damit eine „konstitutive Funktion“ zu (Lindemann 2009b: Abschn. 6.2).“ (zitiert nach Lindemann 2010: 497)
Nach unserer empirischen Analyse wird sichtbar, dass dieser Ansatz in seiner Abfolge einen Fehler birgt, da Ego vor aller erprobter Kommunikationsfähigkeit über eine Drittenperspektive den Akteursstatus Alter Egos als konstitutiv gegeben bestätigt, bzw. im Vorfeld der Erfahrung von erlebter Sozialität festlegt, ob es sich bei der Entität um eine kommunizierende sowie soziale Entität handelt oder nicht. Mit jener Vorschaltung der fundierenden Deutung eines sozialen Akteurs vor der evident gegebenen sozialen Situation, wird die Fraglichkeit des Akteursstatus bei kontingent gedachten sozialen Personen indes nicht mehr prävalent und die konstitutive Ebene basiert a priori auf einen mutmaßlich aus der (imaginierten) Drittenperspektive legitimierten Personenstatus.31 Dies bedeutet, dass lediglich solchen Wesen ein potentieller Personenstatus über die fundierende Deutung zugestanden wird, die im Vorfeld der kommunikativen Deutung als Akteure benannt oder im Sinne vor Tertius im Rahmen einer „direkten Berührung“ wahrgenommen werden, auch wenn sich dieses im Verlauf einer Begegnung revidiert, wie wir dies anhand der Ergebnisse in den Idling und Facetrack Modi veranschaulichen konnten. Wie aber ist es so möglich, dass einer unbekannten sozialen Entität ein rein auf präkommunikativer Wahrnehmung basierender Gültigkeitsanspruch zu einer sozialen Akteursschaft 31 Lindemann beabsichtigt mit der konstitutiven Funktion der Drittenperspektive die Erörterung des Zustandekommens einer sozialen Ordnung, welche die Kontingenz wechselseitiger Erwartungshaltungen eindämmt als auch die Stabilisierung und Reproduktion von Sozialgefügen garantiert (vgl. Lindemann 2010: 495). In dem stufenweisen Modell Lindemanns zur fundierenden Deutung vor der kommunikativen Deutung wird der potentielle Akteursstatus vor dem eigentlichen sozialen Akt festgelegt, so dass z. B. Komapatienten oder Frühgeborene vor dem Hintergrund des anthropologischen Quadrats zwar als legitime Akteure erkannt werden, die Erwartungshaltung indes im Akt des Vollzugs von sozialer Begegnung jedoch zwangsläufig enttäuscht werden muss, da diese über ein eingeschränktes kommunikatives Ausdrucksvermögen verfügen.
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Empirische Untersuchung Teleoperation
zugesprochen wird, ohne die Ebene der kommunikativen Erfahrung – als operative Realisation von Sozialität – gestreift zu haben? Wie kann eine fundierende Deutung betreffend eines fraglichen kommunikativen Akteurs vollzogen werden, bevor es zu einer kommunikativen Begegnung kommt, in der sich die kommunikative Elaboriertheit des Wesens schlussendlich erst offenbart? Oder kurz gefasst: Wie kann bei einem unklaren Personenstatus vorherbestimmt werden, wer ein Kommunikant ist, ohne parallel Kommunikation durchzuführen bzw. kommunikative Deutung zu vollziehen? Bei kontingenten und ungewissen Akteuren bestätigt sich in unserer Studie die fundierende Deutung zuweilen erst über die Operation der Kommunikation und nicht über die reine Einschätzung eines legitimen bzw. nicht-legitimen sozialen Akteurs anhand einer vermeintlichen Berührung. Diese kann etwa durch die gestalthafte Ähnlichkeit eines fraglichen Akteurs zu einem personalen Akteur – z. B. wie in unserer Studie durch einen androiden Replikanten – fehlgeleitet sein und zu einer Fehleinschätzung der konstitutiven Funktion führen, welche schließlich über das Scheitern von kommunikativen Anschlüssen – sprich während der kommunikativen Deutung – ersichtlich wird. Wird die fundierende Deutung vor die kommunikative Deutung gesetzt, wird zur Legitimation auf eine Drittenposition zurückgegriffen, welche den Akteur aufgrund besonderer, bereits normierter Erwartungsmuster benennt, statt bei der Bestimmung des Akteurs den sozialen und kommunikativen Evidenzen im Begegnungsverlauf zu folgen. Die vorliegende Studie zeigt indes, dass allein aus der Drittenperspektive der Status einer Beziehung zwischen Ego und Alter Ego als soziales Gefüge sowie der Personenstatus Alter Egos nicht im Vorfeld der sozialen Begegnung fundiert werden kann, sondern sich diese erst im Prozess der kommunikativen Deutung manifestiert und zementiert. So wird die Erwartungshaltung der Akteure einer fundierenden Deutung über Tertius (EEE) bestimmbar, wenn Alter Ego sich erwartungsgemäß kommunikativ im Sinne eines sozialen Akteurs verhält, wobei sich die personalen als auch sozialen Fertigkeiten des potentiellen Akteurs erst im Laufe der Begegnung zwischen den Akteuren bestätigen und sich deren Grade sukzessive abzeichnen. Im Falle von GHI-1 wird der Status einer sozial-präsenten Entität im Sinne eines EPW – und somit seine Fundierung als egozentrisches Wesen mit Fähigkeiten eines sozialen Akteurs – während der kommunikativen Begegnung, im Zuge einer gelungenen fundierend-kommunikativen Deutung ersichtlich. Dies zeigt sich anhand der einzelnen Faktoren, wie dem Zugeständnis von Territorialbereichen auf der Ebene der personalen Präsenz sowie der Fähigkeit zur symbolischen Gestenverwendung und der sinnhaften Anschlusskommunikation auf der Ebene der sozialen Präsenz, wobei wir die Präsenzebenen als Grundpfeiler für unsere Theorie nutzen, um einen Zuspruch von sozialer Akteursschaft gegenüber GHI-1 zu bestätigen.
8.11 Formales Verstehen
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Unsere Ergebnisse zeigen, dass die fundierende Deutung in die kommunikative Deutung integriert ist und sich Akteursstatus und Sozialität parallel über die „fundierend-kommunikative Deutung“ einstellen. Ein potentieller sozialer Akteur wird nach seinen sozialen Fertigkeiten sowie nach seiner sozialen Responsivität beurteilt und der soziale Akteursstatus im Rahmen einer fundierendkommunikativen Deutung – welche der Ermittlung der kognitiven, kommunikativen als auch motorischen Fertigkeiten dient – gefestigt. Die fundierend-kommunikative Deutung erfüllt unter der Bedingung einer geteilten symbolischen Gestenverwendung zudem die Funktion der Erfassung von Wesensmerkmalen über inhaltliches Verstehen, welches zu neuen Erwartungshaltungen (EEE) gegenüber einer fremden Entität führt. Generell beruhen Erwartungshaltungen über die Drittenperspektive gegenüber einem Akteur jedoch auf dem Gelingen des formalen Verstehens, welches, als Objektivierung der fundamentalen Bedingungen für kommunikativrealisierte Beziehungsgefüge, dazu beiträgt, die „Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen“ aufzuheben und eine Begegnung zwischen kontingenten Akteuren zu etablieren. In dieser Arbeit formalisieren wir, aus einer objektivierendbeobachtenden Perspektive, diejenigen übergeordneten Erwartungshaltungen, die notwendig zu einem Gelingen von Sozialkonstellationen beitragen, zu der Form des formalen Verstehens. In unserer Studie können wir die Elemente des formalen Verstehens als eben jene Merkmale der Objektivierung benennen, zu denen wir die a) Verwendung von symbolischen Gesten, b) den Übergang zu einer Leib-Mitwelt-Relation als auch c) die Begegnung im Rahmen der sozialen Präsenz zählen.
8.11
Formales Verstehen
8.11.1 Von der„Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation“ zur „Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen“ Im Teleoperationsmodus können wir das Gelingen der kommunikativen Deutung neben der Ebene des inhaltlichen Verstehens auch auf der formalen Ebene des Verstehens zur Überwindung der Unwahrscheinlichkeitsbedingungen von Kommunikation nachweisen. Die erfolgreiche Überprüfung der Reaktions- und Kommunikationsfertigkeit im Teleoperationsmodus, welche bereits im Idling und Facetrack Modus vorgenommen werden, dort jedoch scheitern, können wir als synonym zur Auflösung der Unwahrscheinlichkeitsbedingungen betrachten. Kommunikationsinitiierende Aussagen, Fragen oder Grüße dienen dazu, die Unwahrscheinlichkeit a)
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des Verstehens, b) des Erreichens des Adressaten, c) des Erfolgs von Kommunikation zu überwinden. Im Teleoperationsmodus sehen wir durch die perpetuierte Realisation der Selektionen Information, Mitteilung und Verstehen durch die Interaktionsinstanzen, eine Fortführung der kommunikativen Einheit respektive der sozialen Relation. Die Verwendung derselben Codierung symbolischer Gesten über Sprache bietet eine kontingenzminimierende bzw. erfolgsmaximierende Funktion und steigert die Wahrscheinlichkeit des Verstehens durch Anschlusskommunikation, die im Teleoperationsmodus durch GHI-1 sowie von den Besuchern geleistet wird. Vor allem im Facetrack und Idling Modus sehen wir die Konsequenzen, wenn b) das Erreichen des Adressaten nicht gewährleistet ist und jegliche Approximationsversuche durch Reaktions- und Interaktionsprüfungen scheitern (vgl. Abschnitt 7.4.7 f.). Das konstante Scheitern in mindestens einem der Unterpunkte zur Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation führt schlussendlich dazu, der Gestalt von GHI-1 gegenüber die „Wahrscheinlichkeit von Kommunikation“ abzusprechen und GHI-1 gegenüber die Un-/ Zulänglichkeiten eines sozialen Akteurs zur objektiviert-geltenden Erwartungshaltung zu machen. Entsprechend kommt GHI-1 in jenen Modi, in denen eine Wahrscheinlichkeit von Kommunikation nicht mehr erwartet wird, auch nicht mehr für weitere Kommunikationsversuche in Frage, und es zeigen sich Verhaltensweisen, wie Brüche in der Distanzordnung, die zur Aufhebung der Territorialbereiche führen und GHI-1 als (determiniert physikalisches) repetitiv-mechanisches Objekt (Idling Modus) bzw. als reaktiv-mechanisches Objekt (Facetrack Modus) klassifizieren. Zusammen mit der Aufhebung der Wahrscheinlichkeit von Kommunikation erlischt neben dem Akteursstatus auch die situative Verfügung über GHI-1 im Rahmen von sozialer Präsenz, welche auf ein geringeres Niveau von „räumlich-physikalischer Anwesenheit“ gesenkt wird. Neben den Unwahrscheinlichkeitsbedingungen zum Erfolg der Kommunikation wird mit der Selbst-Fremd-Differenz das Gelingen des sozialen Gefüges in einem weiteren Sinne ungewiss. Die Überprüfungspraktiken zu den Fertigkeiten GHI-1s zeigen uns, dass neben der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation, das Erreichen GHI-1s als einem kontingenten Adressaten zu einer weiteren Herausforderung wird, da dessen Status, Fertigkeiten und soziale Zugänglichkeit fraglich sind. Dies führt zu einer Ausweitung der Unwahrscheinlichkeitsbedingungen von der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation zu der Notwendigkeit der Überwindung von Unwahrscheinlichkeiten zwischen zwischenartlichen Akteuren bzw. interspezifischen Akteurskonstellationen. Hinsichtlich der gesteigerten Kontingenzen a) der symbolischen Gestenkommunikation als auch der Sinnstrukturen von
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Bedeutung32 , b) der Leib-Mitwelt-Relation sowie c) der sozialen Präsenz, verdoppelt sich die Unwahrscheinlichkeit von der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation zu der Notwendigkeit der Überwindung der Kontingenzen von Mitwelt und somit zu Unwahrscheinlichkeiten von mitweltlichen Sozialgefügen. Diese Unwahrscheinlichkeiten von mitweltlichen Sozialgefügen lehnen sich an unsere Ergebnisse der formalen Verstehensbedingungen an, welche einer Überwindung der Kontingenzen a)–c) bedürfen Mit der a) Kontingenz von symbolischen Gesten und der inhaltlichen Bezugnahme auf die dreifältigen Sinnstrukturen ist eine Annäherung zugunsten von immersiven Interaktionskonstellationen ungewiss und verhindert in letzter Instanz die b) Erfahrung einer Leib-Mitwelt-Relation mit dem fraglichen Akteur, welche sich durch soziomotorisch leibliche als auch durch symbolisch-gestische Bezugnahmen der Akteure zueinander spiegelt und die Grundlage zur „Berührung“ durch Alter Ego stellt. Die Notwendigkeit zur c) Überwindung der Barriere zur sozialen Präsenz haben wir anhand des Vergleichs der drei Aktivitätsmodi erörtert und formulieren in Abschnitt 8.14, dass ohne die Überführung in eine soziale Präsenzsituation weder die kommunikative Effizienz noch der soziale Akteursstatus eines potentiellen Akteurs belegbar sind. Bei den Punkten a)–c) handelt es sich entsprechend um Punkte des formalen Verstehens, welche als Erfolgsmaximierer zum Überwinden der Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen, und damit zum Etablieren von Sozialgefügen, dienen.
8.11.2 Kontingente symbolisch-gestische Kommunikationsfähigkeit und dreifältige Sinnstrukturen In unserer Untersuchung gehen wir davon aus, dass bei Erstbegegnungen, als protosozialen Interaktionssituationen zwischen einander ungewissen interspezifischen sozialen Akteuren, sowohl der Akteursstatus, der Gebrauch von symbolischen Gesten, die Sinn- und Erwartungsstrukturen, als auch die Drittenstruktur als kontingent gehandhabt werden. Kommunikations- und Vermittlungsmedien fungieren entsprechend als Erfolgsmaximierer zur Überwindung der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation und tragen zur Kontingenzminimierung von Bedeutungshorizonten bei. 32 Näheres
hierzu siehe in Bedeutungskapitel 4.7 ff., worin Bewusstsein, Kommunikation, drittengenerierte prä-Institutionelle sowie normengeleitete gesellschaftliche Sinnebenen detaillierter erörtert werden.
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Sprache dient als Vermittlungsmedium der standardisierten Codierung menschlicher, symbolischer Gestenverwendung und entsprechend als Erfolgsmaximierer zur Kontingenzminimierung von Bedeutungshorizonten. Auf der semantischen Ebene verlinkt Sprache die subjektiv und sozial-konnotative sowie situativ-flexible Sinnproduktion in den Bereichen des Bewusstseins als auch der Kommunikation und liefert bei prä-institutionellen Drittenbezügen als auch bei gesellschaftlich institutionalisierten funktional-differenzierten Teilsystemen, welche koexistent als Kontexte unterschiedlicher Bedeutungen von Kommunikation dienen, eine erwartbare denotative Basis für Anschlusskommunikationen (vgl. Abschnitt 4.6 f.). Weiter dient Sprache als Medium zur Vermittlung anschlussfähiger Sinnbezüge und ermöglicht emergent gehaltene kommmunikative Prozesse. Aufbauend auf der elaborierten Gestenverwendung, zeigt sich auf der Ebene der symbolischen Gesten im Teleoperationsmodus das Gelingen von Anschlusskommunikation über eine geteilte Codierung der menschlichen Sprache, so dass wir zwischen GHI-1 und den Besuchern den einheitlichen Gebrauch symbolischer Gesten über das „Vermittlungsmedium“ Sprache feststellen können. Mit der Adaption der menschlichen Sprache werden in der Begegnung zwischen GHI-1 und den Besuchern Anschlusskommunikationen unter der Verwendung derselben Typik von symbolischen Gesten ermöglicht, kontingente Zeichensysteme auf die menschliche Sprache eingeschränkt sowie die Möglichkeit zur Anschlusskommunikation (sprich des „Verstehens“) inhaltlich maximiert, zeitlich expandiert und somit in ihrer Wahrscheinlichkeit gesteigert. Sprache trägt in der Begegnung zwischen GHI-1 und den Besuchern als decodierbare und anschlussfähige symbolische Geste demnach dazu bei, die Kontingenz und Komplexität der Begegnung auf ein erwartbares Anschlussverhalten zu reduzieren. Die Bedeutungen der symbolischen Gesten sind dann, zumindest im Bereich der Anschlussoptionen, für Kommunikation nicht mehr überkontingent, sondern über eine kommensurable symbolisch-gestische Codierung in ihrer (dreifältigen) Sinnhaftigkeit erwartbar vorstrukturiert. Die kongruente Codierung trägt mit der Reduktion der Kontingenz ungewisser symbolisch-gestischer Codierungen wesentlich zu der Steigerung der Verstehens-, Erreichungs- und Erfolgsbedingungen von Kommunikation als auch zur Überwindung der Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen bei. Da die „symbolisch-gestische Kommunikationsfertigkeit“ eine Grundbedingung für das Gelingen von Sozialgefügen darstellt, ist sie zusätzlich auf der formalen Verstehensebene angesiedelt.
8.11 Formales Verstehen
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GHI-1 bewährt sich als Akteur, der eine situative Begegnung in eine direkte Berührung überführen kann und dabei die Codierung des symbolischen Gestentyps „Sprache“ beherrscht.33 Im Teleoperationsmodus offenbart GHI-1 während der Interaktionsprüfung auf prä-symbolischer34 als auch auf symbolisch-gestischer Ebene die Fertigkeit zur Anschlusskommunikation sowie zum Übergang von indirekter zu direkter Berührung. GHI-1s Aktionsradius geht von der Minimalkonstitution von Sozialität über prä-symbolisch leibliche Mittel hin zu symbolischgestischer Kommunikationsfertigkeit und somit zu elaborierter, differenzierter Kommunikation über. GHI-1 vermittelt demnach die Fertigkeit zur Verwendung von Zeichen, Nennwörtern sowie von abwesenden Gegenständen und Sachverhalten aus dem Zeig- und Symbolfeld, beruhend auf der Bühlerschen Dreiheit von „Ausdruck, Appell und Darstellung“. Beide Formen der Verwendung von allgemeinen Gesten sowie von symbolischer Gestenkommunikation gegenüber GHI-1 können bestätigt werden, wobei die Besucher im Teleoperationsmodus ebenfalls das Explorieren der motorischen Reichweite – anders als bei den Idling und Facetrack Modi – auf der Ebene der fundierend-kommunikativen Deutung über symbolhafte Gesten einleiten. GHI-1s Verwendung von symbolischen Gesten suggeriert bei den Nutzern den Eindruck, GHI-1 verfüge über die Fertigkeit der orts-, zeit- sowie situationsentbundenen Kommunikation mit der Verweismöglichkeit auf Sinngehalte im Bereich der „Deixis am Phantasma“.35 So haben wir in den Transkripten Gesprächsinhalte gefunden, die auf situationsenthobene, abstrahierte Sinngehalte am Deixis am Phantasma verweisen.36 Die Kommunikationsinhalte umfassen dabei sowohl 33 Was einerseits von einigen Besuchern als unhinterfragbar Gegebenes angenommen wird, sorgt bei anderen Besuchern für Fragen bezüglich der kontingenten Drittenbezüge bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der Kommunikation. Partiell greifen Besucher u. a. auf symbolische Gesten zurück, die über die menschliche Sprache hinausgehen und nutzen erfundene Laute oder Wortschöpfungen als eigene symbolhaft-gestische Sprache gegenüber GHI-1. So wird dessen Sprachbeherrschung hinterfragt und die Kontingenz der symbolischen Gestenverwendung, fernab der menschlichen Sprache, auf andere symbolische Gesten hin potenziert. 34 Die prä-symbolischen Gesten sind beschränkt auf Proxemik, Blickrichtungen und Mundbewegungen. Zu weiteren Expressionen ist GHI-1 nicht imstande. (Siehe hierzu auch Abschnitt 8.7.1 (Aufforderungen zur Mimik/soziomotorische Skills durch die Besucher). 35 Diese sind abstraktiv darstellbar, sind nicht an feste Objekt-Zeichenrelation gebunden und an einem ‚objektiven Geist‘ (Bedeutung) orientiert. Die „Deixis am Phantasma“ gilt als interner Verweis auf Zeichen in der Erlebnissphäre und dient der Erschaffung von Sinn durch die interne reflexive Verarbeitung der symbolischen Gesten (vgl. Abschnitt 4.5.1). 36 Siehe hierzu beispielhaft den Ablauf bei Transkript 2708 1647 Mann befragt GHI-1 bzw. Transkript 2808 1849 woman in red, Zeile 1149 f.: GHI-1: “Philosophy yes – my question
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empraktische Ereignisse, die bei ZPW sowie bei EPW gegeben sind, als auch Verweise auf abstrakte Kommunikationsinhalte, die immersive, emotionale sowie kommunikativ-reflexive thematische Auseinandersetzungen mit dem Interaktionspartner ermöglichen. Die inhaltlichen Fragen zu GHI-1s Fertigkeiten beziehen sich in der Erkundschaftung GHI-1s vornehmlich auf die kognitiven Limitationen bzw. die kognitive Reichweite des Informations- und Wissensspektrums des Roboters. Darunter fallen auch Fragen zur Sprachvielfalt und -eloquenz GHI-1s sowie Fragen zu motorischen und physischen Kapazitäten, personale Fragen (zu Identität, Herkunft, Beruf, Alter, Name) als auch zur Funktion des Roboters, wodurch sich die Exploration der Fertigkeiten von der motorischen Reaktionsprüfung der (sozio-) motorischen Reichweite hin zu der verbalen Explikation von jenen Sachverhalten verschiebt. Die Bedeutungsgehalte der sprachlichen Kommunikation beziehen sich dabei auf flexible Bewusstseinsinhalte und situativ-konnotativ emergierende Sinnhorizonte, die als Reflexionsrefugium über prä-institutionell sowie institutionell objektivierende Drittenbezüge, geschaffen werden (vgl. Abschnitt 4.6.3) und uns zu dem Themenfeld der Bedeutungsgenerierung, als weiterem Element des formalen Verstehens, überleiten.
8.11.3 Bedeutungsgenerierung/Verstehen Die Bedeutungsgenerierung zwischen den Besuchern und GHI-1 während der Begegnung im Teleoperationsmodus deckt sich mit unseren ausformulierten Punkten zur Revision der Gebrauchstheorie der Bedeutung. Gelingt es, bei geteilter räumlicher Anwesenheit, eine wechselseitige Wahrnehmung zwischen Ego und Alter Ego zu einer direkten Berührung zu wandeln sowie motorisch-gestische Aktionen als Aufforderung zu Anschlusskommunikation zu verstehen, so kann dies als eine Hinführung zu einer Passung von übergeordnet formalen Sinnund Erwartungsstrukturen verstanden werden. Indem die motorisch-gestischen als auch symbolisch-gestischen Aktionen GHI-1s von den Besuchern als soziomotorische und kommunikationsinitiierende Ausdrucksformen wahrgenommen, als Differenz von Information und Mitteilung selektiert und als wechselseitiges is am I human or not? … can you love me? … Can I love you? That is the question” – F(56): “yeah that is a question what interest you – I don’t know – I don’t know if I can do this” – bzw. Zeile 1190–1192: GHI-1: “Now we are talking to eachother//this is a relationship” – F(56): “yes we are talking to eachother” – GHI-1: “Humanlike relationship”. Oder auch Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 Zeile 949–956: GHI-1guckt zu F(16): „Have you been in Japan before?“ – F(16) guckt zu G: „I no – not yet“ – GHI-1 guckt zu F(16): “Can you guess what kind of a country?” – F(16): “Aehm, I am learning history about it. It’s I don’t know I think you have to be there to know (details)”.
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Erwartungsgefüge für Anschlusskommunikation verstanden werden, werden die Punkte 1) und 2) der Revision der Gebrauchstheorie der Bedeutung erfüllt. Die Annäherung und Erprobung von Bewegungsabläufen als, auch aus einer Beobachterperspektive sinnhaft interpretierbare und an Erwartungshaltungen orientierte, Anschlusskommunikationen haben wir in unserer Studie dezidiert nachskizziert. Dabei sehen wir, wie die Besucher unterschiedliche Kommunikationsstile anwenden, um sich an die fundierenden Weseneigenarten als auch an den Akteursstatus GHI-1s heranzutasten. Die Wege der Erkundung verlaufen einerseits im Sinne von interviewähnlichen Frage-Antwort-Gesprächen, profanem small talk und andererseits, vorzugsweise bei immersiven Kommunikationssituationen, in Form einer emergierenden Gesprächsstruktur. Letztere führt uns zu dem Punkt der Bedeutungsgenerierung und zu den Wegen des Verstehens, zwischen GHI-1s und den Besuchern. In Abschnitt 4.6–4.7 haben wir uns der „Gebrauchstheorie der Bedeutung“ gewidmet und sind davon ausgegangen, dass sowohl der Akteursstatus, der Gebrauch von symbolischen Gesten, die Sinn- und Erwartungsstrukturen als auch die Drittenstruktur als kontingent gehandhabt werden und dass Kommunikationsund Vermittlungsmedien als Erfolgsmaximierer zur Kontingenzminimierung von Bedeutungshorizonten dienen. Entsprechend Punkt 3) der Revision der Gebrauchstheorie der Bedeutung, überprüfen die Besucher bei der Verwendung symbolischer Gesten, ob die inhaltliche Bedeutungsauslegung der Anschlusskommunikation GHI-1s sich auf die sinnhaften Ebenen rein ideosynkratisch anmutender Bewusstseinsoperationen, prä-institutionell verhandelbarer flexibler Drittenbezüge oder gar auf denotativ normierte Sinnoperationen auf der Ebene gesellschaftlich institutionalisierter, funktional-differenzierter Teilsysteme beziehen lassen. Wie in Abschnitt 4.6.2 beschrieben, gehen wir davon aus, dass die Bedeutung von Aussagen nicht identisch, sondern ein Begriff in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Funktionen haben sowie bei einzelnen Interpreten unterschiedliche Konnotationen hervorrufen kann. Durch den kontextuellen Gebrauch und ideosynkratisch decodierende Interpretanten im Rahmen einer pragmatischkommunikativen Übereinkunft37 , folgt das Verstehen der symbolischen Kommunikation der pragmatischen Maxime einer flexiblen, „emergierenden“ Bedeutung von Aussagen, was eine Polysemantik der symbolischen Gesten zur Folge hat. Bei 37 Die Zeichenrelation bezieht emotionale/persönliche Deutung bzw. die Verfassung des Deutenden (Referenten) mit ein, die eine Wirkung auf die Bedeutung haben, sowie die Möglichkeit, dass ein und dasselbe Objekt mit mehreren Begriffen benannt und für mehrere Objekte/Referenten stehen kann, wobei eine „emergierende Bedeutung“ (pragmatischkommunikative Übereinkunft) nicht durch Verstehensidentität, sondern ersichtlich durch Anschlusskommunikation erfolgt.
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Empirische Untersuchung Teleoperation
kontingenten Akteuren wird diese Bedeutungsvielfalt multipliziert, da die potentiellen Lebenszusammenhänge bzw. nach Wittgensteins „Lebensformen“ der Akteure divergent zueinander verlaufen und situative Bedeutungen sowie Handlungszusammenhänge zunächst austariert bzw. auf Wittgensteins „Familienähnlichkeit“ hin untersucht werden. Diese Polysemantik von symbolischen Gesten regt bei einigen Besuchern das Hinterfragen einzelner Aussagen an. Da es sich bei GHI-1 um eine Gestalt mit fraglichem Akteursstatus mit kontingenten Sinngehalten handelt, wird in einzelnen Transkripten die Skepsis der Besucher über eine gesellschaftlich-institutionell geprägte, erwartbare und geteilte denotative Sinnebene deutlich. GHI-1 suggeriert während der Teleoperation in einem ersten Schritt die Verfügung über erwartbare symbolische Gesten der menschlichen Sprache, welche eine Basis zur Anschlusskommunikation bieten, auf der zudem Erwartungshaltungen bestätigt werden könnten. Die Selektionsebene der prä-institutionellen als auch institutionellnormierten Sinnebene wird dabei zunächst auf basaler Ebene von den Besuchern mit GHI-1 getestet und ausgehandelt. Bei der Begegnung der Besucher mit GHI-1 können wir weiter eine Vielzahl an Fragen zu bewusstseinszentrierten Sinnbezügen gegenüber GHI-1 entdecken, bei denen ggf. Hinweise zur Sensibilisierung für tertiusgenerierende Sinnverweise enthalten sind. In Transkript 2808 1849 woman in red sehen wir, wie F(56), gemäß unserer Erörterungen, von einer inhärenten Bedeutungsvariabilität von Begriffen ausgeht und sich um eine Klärung der Differenzen auf der Ebene der symbolischen Gesten bemüht. Wir sehen, wie F(56) die Einstellung GHI-1s zu den Begriffen „Liebe“, „Gefühle“ und „Beziehung“ kommunikativ thematisiert und aus der Explikation jener Begriffe durch GHI-1 zu einer neuen „emergierenden Ordnung“ derer Deutungshorizonte gelangt. Diese können ggf. (zu einem neuen Regelwerk und damit) zu einer prä-institutionellen Drittenperspektive im Umgang mit den genannten Begriffen in Bezug zu dem fraglichen Akteur führen. Beispielhaft zeigt sich jene Neuerfassung von Begriffshorizonten mitunter in den Äußerungen GHI-1s über dessen Verfügen über ein „Emotionsprogramm“ (Zeile 1182), welches GHI-1 als einen Akteur mit einer technifizierten Emotionsverarbeitung, das zu (einer gleichen Art von) Liebe befähigt, klassifiziert bzw. bei der Sichtweise GHI-1s auf „Beziehungen“ (Zeile 1186 & 1188), die GHI-1 genügsam auf die Fähigkeit miteinander zu kommunizieren reduziert und somit jeden, der interaktiv involviert ist, als Partner kennzeichnet. Die objektivierende Erwartungshaltung zu den Begriffen „Emotion“ und „Beziehung“ wandelt sich von einer auf zwischenmenschlicher Relation basierenden Erwartungshaltung38 zu einer neuen, 38 Siehe hierzu Luhmann (1994), der Liebe als das Ausrichten der Handlungen Egos am beglückenden Erleben Alter Egos beschreibt.
8.11 Formales Verstehen
321
über die Selbst-Fremd-Differenz erfahrenen, Erwartungshaltung, die bei künftigen Begegnungen gegenüber einem speziesfremden sozialen Akteur objektive Geltung erlangen kann. Aus objektivierender Sicht erwirken die Bedeutungshorizonte Einstellungen zu GHI-1s Wesensart, die zukünftige Begegnungen anleiten und GHI-1 etwa als einen technisch-maschinell agierenden Akteur – gegenüber zwischenmenschlicher Formen von Begegnungen und Erwartungshaltungen – einstufen. An jenen technisch-maschinell agierenden Akteur werden entsprechend beschränkte, emotionsanleitete Erwartungshaltungen (EE), wie die einer programmgeleiteten Maschine oder etwa einer Haltung gegenüber GHI-1 im Sinne einer unverbindlichen Simulation von Partnerschaft, präjudiziert. Die von den Besuchern vorgenommene kommunikative Erkundung des Bedeutungshorizonts eines Begriffs deutet auf die Erkenntnis einer generellen SelbstFremd-Differenz gegenüber GHI-1 hin und dient andererseits der Aufhebung bzw. Eindämmung von kontingent erfahrenen Bedeutungsdifferenzen. Mit der fundierend-kommunikativen Deutung wird der Grad der Selbst-Fremd-Differenz zu GHI-1 über die Bestimmung drittengeleiteter konvergenter Sinnbezüge festgestellt, miteinander kompatibel gemacht und bestenfalls aufgehoben. Auch bei der fundierend-kommunikativen Deutung der motorischen sowie der kognitiven Fertigkeiten konnten wir dies beobachten. Demgemäß werden bei der Suche nach Responsivität im Bereich der motorischen Reaktionen als auch der symbolischgestischen Interaktionsweisen einerseits die bestehenden Erwartungshaltungen der Besucher sichtbar und mit jeder Abweichung von jenen Erwartungshaltungen der Besucher, andererseits neue, zukünftig erwartbare Strukturen gegenüber GHI-1 konturiert. So wird z. B. in Transkript 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 deutlich, dass GHI-1 über ein eingeschränktes soziomotorisches Bewegungsspektrum verfügt sowie keinerlei leibliche Responsivität auf taktile, thermische oder sensorische Irritationen offenbart. Die anfängliche Erwartungshaltung F(42)s geht von einer an zwischenmenschlicher Interaktion orientierten, soziomotorischen leiblichen Positionierung in Interaktionskonstellationen aus, welche jedoch im Laufe der Begegnung mit GHI-1 revidiert wird. Ausgehend von der ursprünglichen Erwartungshaltung von ausdruckshaftem, expressivem, mimischen Gebaren GHI-1s werden die Grenzen der erwartbaren Bewegungsabläufe in Transkript 2208 1231 familie und frau in blau deutlich. Entsprechend entfallen in der weiteren Interaktion expressive, taktile, sensorische und thermische Bezugnahmen und werden durch die neue Erwartungshaltung (EEE) des rein symbolisch-gestischen Austauschrepertoires ersetzt. Für eine objektivierende Wesenscharakteristik erscheint GHI-1 folglich sowohl als eine Gestalt, die zwar kommunikativ agiert, die jedoch im Bereich der leiblichen
322
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Resonanz restringiert rezeptiv zugänglich ist, als auch als Gestalt, der feinsinnige sensorische und thermische Eindrücke verwehrt bleiben. Auch betreffend der kognitiven Fertigkeiten agiert GHI-1 in Transkript 1908 1227 junge comt und fragt wurzel aus 7000 r and GHI-1 wider den Erwartungshaltungen der Besucher, indem anstelle eines Wissensspektrums auf dem Niveau von maschinell-technischer Kognition bzw. computationaler Intelligenz, durchschnittliche Kognitionsfertigkeiten im Rahmen von Alltagsinformationen attestierbar werden. Einerseits gelingt durch die Prüfung der Interaktionsfertigkeit GHI-1s die grundlegende kommunikative Deutung, was dazu führt weitere Anschlusskommunikation mit unterschiedlichen Sinnbezügen fortzusetzen, andererseits scheitern überambitionierte Erwartungshaltungen an ein technisch-maschinelles Wissen, welches durch bestätigende Anschlussfähigkeit an sinnhafte Kommunikation im Bereich des alltäglichen Wissensspektrums aufgehoben wird. Folglich ist eine protosoziale Interaktionssituation zwischen kontingenten Akteuren durch eine Überkomplexität bzw. einem Überschuss an erwartbarem Anschlussverhalten gekennzeichnet. Die Funktion der fundierend-kommunikativen Deutung kann demnach als das Generieren von zukünftig erwartbaren Sinnbezügen auf der Ebene von Erwartungshaltungen (EEE) gegenüber GHI-1 bestimmt werden, die Auskünfte über die Wesensart GHI-1s liefern und Bedeutungsdifferenzen für zukünftige Begegnungen absehbar machen. Dies gelingt anhand der objektivierenden Perspektive Egos über den Dritten auf die Anschlusskommunikation Alter Egos, aus der Maßstäbe für neue Erwartungshaltungen (EEE) erwachsen und in Folgebegegnungen als bereits erfahrene, etablierte, habituierte und dennoch prä-institutionell, informell wirksame Sinnstrukturen dienen. Ist also die Erwartungshaltung (EEE) nicht mehr überkontingent, sondern das Anschlussverhalten, als Ausdruck für die sinnhafte Bedeutung, (über regelhafte Ordnungen) im Medium Sinn erwartbar vorstrukturiert, werden überschüssige Kontingenzen und Komplexität auf ein erwartbares Anschlussverhalten – mit der Funktion eines „kontingenzminimierenden Erwartungshorizonts“ (vgl. Abschnitt 4.6.3) – reduzier- und reproduzierbar. Dies zeigt sich bei GHI-1 in denjenigen Fällen, in denen die Besucher die Wesensart GHI-1s erkunden und die beiden Ebenen des inhaltlichen als auch formalen Verstehens dazu nutzen, um Erwartungshaltungen für zukünftige Interaktionsszenarien bereitzustellen.
8.12
Fazit symbolisches Territorium
Die obigen Abschnitte zeigen eine Bestätigung der kommunikativen Deutung als auch der Semantiken von GHI-1s Äußerungen, welche zeitgleich die Zuerkennung eines symbolischen Territorialbereichs gegenüber GHI-1 bekunden. Die
8.12 Fazit symbolisches Territorium
323
Reichweite des symbolischen Territorialbereichs zeigt sich anhand der Vielfältigkeit des Themenspektrums, wobei einerseits die Erwartungshaltungen der Besucher gegenüber GHI-1 ersichtlich werden und andererseits die Überprüfung des inhaltlich-kommunikativen Spektrums GHI-1s im Vordergrund steht. In jedem Fall ist eine Einschränkung des Redens über GHI-1 in dessen Gegenwart beobachtbar, was einen ersten Hinweis auf die Zusprache einer symbolischen Territorialsphäre bietet. Während im Facetrack und Idling Modus die Besucher sich über ihre Eindrücke und Erfahrungen zu GHI-1 in dessen Gegenwart austauschen (siehe Abschnitt 7.4) und GHI-1 kein symbolisches Territorium zugestanden wird, ändert sich dies mit der Fertigkeit GHI-1s zur verbalen Anschlusskommunikation und dem Gelingen der kommunikativen Deutung. Im Teleoperationsmodus können wir beobachten, dass die Besucher in Gegenwart GHI-1s nicht über diesen reden und sich somit affirmativ gegenüber einer personalen Präsenz GHI-1s verhalten. GHI-1 evoziert dabei die Einhaltung bzw. eine Reparatur im Bereich der symbolischen Territorialsphäre.39 Zudem erwarten die Besucher seitens GHI-1 die Einhaltung ihrer eigenen symbolischen Territorialbereiche. Dies bedeutet, dass GHI-1 ebenfalls als Akteur betrachtet wird, der den symbolischen Territorialbereich weiterer Akteure überschreiten kann. Zudem sehen wir, wie die Besucher das Gespräch entsprechend geltender Höflichkeitsnormen einleiten und GHI-1 Grüßen, sich selbst Vorstellen, ihn nach seiner Befindlichkeit, Namen etc. fragen (Transkript 2208 1231 familie und frau in blau, Zeile 621–630). Dies deutet auf eine Begegnung der Besucher gegenüber GHI-1 im Sinne der Einhaltung einer symbolischen Territorialsphäre hin. In Abschnitt 7.5 f. haben wir formuliert, dass das symbolische Territorium sich einerseits auf persönliche, private oder biographische Informationen zu einer Person als Informationsreservat und andererseits auf das Gesprächsreservat bezieht, welches die Themen eines Gesprächs sowie den Ablauf und Anlass eines Gesprächs reguliert. Über jene Reservate werden die Themenauswahl sowie die Grenzen der symbolischen Gestenkommunikation überprüfbar. Da die kommunikative Deutung dazu genutzt wird, auch die Wesenhaftigkeit GHI-1s zu explorieren, geraten einige thematischen Inhalte über den üblichen Bereich der gängigen territorialen Gesprächsthemen hinaus. Nicht, weil sie die personale Sphäre auf der Ebene der symbolischen Gesten überschreiten, sondern eher, weil sie im Gegensatz zu zwischenmenschlichen Interaktionskonstellationen Unhinterfragtes thematisieren und zur Sensibilisierung für die Interaktionsstruktur und Wesenseigenart GHI-1s nutzen. 39 Dies wird in Transkript 2408_1425_jg frau streichelt GHI-1 deutlich, wenn F(26) ihre Aussage zu GHI-1s Unattraktivität zurücknimmt und GHI-1 sogar nach beleidigenden Äußerungen anderer in Schutz nimmt (siehe Zeilen 515–519).
324
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Diese Beobachtung zeigt, dass der symbolische Territorialbereich zwar eingehalten wird, jedoch (und dies ist auch in den Bereichen der personalen als auch räumlichen Territorialbereiche sichtbar) die Grenzen des Themenbereichs auf Themen, die eine fundierende Deutung ermöglichen, ausgeweitet werden. So fallen Fragen zu den Wesenseigenschaften an, wie Fragen zu motorischen, kognitiven und kommunikativen Kapazitäten, die dazu dienen neben der sozialen Präsenz auch die personale Präsenz GHI-1s zu ermitteln. Mit Hinblick auf die Erfassung GHI-1s als einem Hybridwesen, mit technischen als auch humanoiden Eigenschaften, ist das Spektrum der kommunikativen Inhalte entsprechend auf die Klärung der Wesenseigenarten GHI-1s ausgerichtet (vgl. Abschnitt 8.9.1). Anders als in den Idling und Facetrack Modi sehen wir in dem Teleoperationsmodus eine auf symbolischen Gesten basierende Bestätigung der personalen als auch sozialen Präsenz und somit eine auf den Aussagen des gesteuerten Roboters fußende (kommunikativ-)fundierende Deutung. Wir wollen die Annahme formulieren, dass bei der fundierenden Deutung zur Gestalthaftigkeit GHI-1s im Teleoperationsmodus die prä-symbolische Ebene zur Erfassung von GHI-1s Personalstatus (personale Präsenz) von der Fertigkeit der sozialen Präsenz und Interaktionsfertigkeit GHI-1s überdeckt wird und auch die Erfassung der personalen Präsenz bzw. der Wesensart der Gestalt auf der inhaltlichen Ebene der symbolischen Gestenvermittlung erfolgt. Dieser Wechsel zur Erkundung und Bestimmung GHI-1s von der Überprüfung von Reaktions- als auch Interaktionsfähigkeit durch Aufmerksamkeitshascher hin zur Bestätigung von GHI-1s personaler und sozialer Präsenz anhand der Anschlussfähigkeit symbolischer Gesten, führt zu einer Neugewichtung der symbolischen Territorialsphäre. Die symbolische Territorialsphäre dient nicht mehr lediglich dazu, anhand von Brüchen im Gesprächsreservat Hinweise auf fehlende personale Präsenz festzustellen bzw. die Echtheit GHI-1s über Interaktion mit Dritten (z. B. als einem weiteren Akteur) zu extrahieren, sondern die fundierende Deutung über die inhaltlich-kommunikative Exploration der Besucher mit GHI-1 vorzunehmen. Mit der Zusprache der symbolischen Territorialsphäre wird das inhaltliche sowie das formale Verstehen der Besucher betreffend GHI-1s symbolischer Gestenverwendung als auch derer Bedeutungsgenerierung bestätigt und der Status GHI-1s näher an den eines EPW-gleichen sozialen Akteurs gerückt.
8.13 Rekognition von sozialen Akteuren …
8.13
325
Rekognition von sozialen Akteuren – Agieren innerhalb der Leib-Mitwelt-Relation
GHI-1 weist durch den Gebrauch von symbolischen Gesten eine verstärkte Abstraktionsfertigkeit auf, die sich auch in der Steigerung der sozialen Kapazitäten und allgemein in den Bereichen der Reflexions-, Kommunikations- und (hier: eingeschränkter) Handlungsfähigkeit widerspiegelt. Diese Fähigkeiten stellen wesentliche Merkmale von EPW dar (vgl. Kapitel 4), welche GHI-1 – im Vergleich zu menschlichen Akteuren – auf limitierte und modifizierte Weise vermittelt. Mit der Fähigkeit zur Symbolverarbeitung erweitern sich die Grade des Selbstbezugs, des Umweltbezugs und des Fremdbezugs bei EPW um eine distanzierendobjektivierende Reflexionsebene. Die Nutzung von Symbolen trägt entsprechend zu abstraktionsfähigen, kognitiven als auch kommunikativen Aktivitäten bei (siehe Abschnitt 4.5) und macht die rein physische Anwesenheit GHI-1s zu einer Begegnung mit einem Alter Ego, welches inmitten einer Leib-Mitwelt-Relation wirkt. Im Wechsel von dem Facetrack Modus hin zum Teleoperationsmodus wandelt sich GHI-1 von einem innerhalb einer Selbst-Umwelt-Relation stehenden Wesen hin zu einem EPW-gleichen Akteur, der eine mitweltliche Kommunikationsgestalt offeriert, bei Begegnungen leibliche Positionierungen evoziert und Territorialbereiche gefährdet sowie einfordert. In dem Teleoperationsmodus treffen die Besucher auf GHI-1 als einem sozialresponsiven Wesen, das mit seinem Mitfeld/-welt zu ko-agieren vermag. Auf der Ebene der prä-symbolischen allgemeinen Gesten erfüllt GHI-1 gegenüber den Besuchern die Minimalbedingungen, um zu vermitteln, dass GHI-1 sich selbst in Relation zu anderen Selbsten, die gleichwohl zu einer Selbst-Mitwelt-Relation fähig sind, setzen kann. GHI-1 generiert zusammen mit den Besuchern eine soziale Situation, die wir als „kommunikative Sozialität“ aufgeführt haben und die Merkmale der sozialen Präsenz trägt (vgl. Abschnitt 8.14). In der Erlebnissphäre der Besucher taucht GHI-1 als ein Alter Ego auf und zieht deren Aufmerksamkeit auf sich und vice versa. Die Situation gerät zu einer wechselseitigen Begegnung, bei der die interspezischen Wesen ihre Wahrnehmung aufeinander ausrichten, in ihrem Zustand von dem jeweils anderen getroffen werden und einander direkt Berühren und somit Alter Ego zum Teil der Aktions- und Erlebnissphäre Egos wird. In der Situation der sozialen Präsenz decken sich im Moment der direkten Berührung die physische Anwesenheit, die gegenseitige Wahrnehmung, die sozio-phänomenale Erlebnissphäre als auch die Aufmerksamkeitszentrierung der Interaktionspartner miteinander. Zudem richten die Akteure ihre eigenen motorischen, soziomotorischen oder lautlichen Aktionen an Alter Ego aus und erfahren
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8
Empirische Untersuchung Teleoperation
hierdurch mehrschichtige soziale Sinnzuschreibungen40 als auch Aufforderungen zum Etablieren einer Begegnung im Sinne der sozialen Präsenzsituation. Bei der Begegnung zwischen GHI-1 und den Besuchern erfolgt der Eintritt in ein wechselseitiges Berührungsverhältnis und das Erleben Alter Egos in sozialer Präsenz wird zum Teil der Gestaltung einer Leib-Mitwelt-Relation (mit dem jeweils anderen Akteur als kommunikativ verfügbarem sozialen Akteur). Beide bestimmen einander – und werden aus Beobachterperspektive bestimmbar – als potentielle EPW, sprich als Lebewesen, die in einer Selbst-Umwelt-Relation sowie in Relation zu der eigenen Mitwelt stehen. Dies zeigt die Fertigkeit zum Fremdbezug und die Fähigkeit zur Unterscheidung von Wesen, die zur Selbstbewegung, Fremddifferenzierung und der Orientierung des Selbst an Alter Ego fähig sind, im Gegensatz zu z. B. objekthaft-materiellen Dingen, bei denen dies nicht der Fall ist.41 Weiter wird die Leib-Mitwelt-Relation durch die Wege der symbolisch-gestischen Interaktion mit emergenter Bedeutungsstruktur von Kommunikationsinhalten, den vermehrt nonverbalen Verhaltensweisen, wie Postur und Blickverhalten bzw. „social cues“ gegenüber Alter Ego ersichtlich. GHI-1 vermittelt entsprechend die Befähigung zur fundierenden Deutung von als auch zum immersiven Kontakt zu Wesen, die ebenfalls in Differenz zu ihrer Umwelt bzw. zur Mitwelt stehen. Dabei wird das Zueinanderverhalten in der Mitwelt jeweils als eigene Aktions- und Erlebnissphäre Egos zusammen mit Alter Ego erfahren, welche wir mit der (sozial-)phänomenologischen Terminologie von Schütz als eine wechselseitige „Du-Einstellung“ zueinander bezeichnen können42 , aus der die Erlebniskomponente der „Wir-Beziehung“ entspringt (Schütz 2003:102).43 Angewandt auf unsere Arbeit wäre die Du-Einstellung, als Erlebniskomponente 40 vgl.
hierzu Punkt 1)–3) zur Revision der erneuerten Gebrauchstheorie in Abschnitt 4.7. „Dinge“ wären beispielsweise das Eigentum, die Accessoires bzw. die Territorialsphäre um GHI-1 herum, welche indes keiner Reaktionsprüfung unterzogen werden. Als Objekt gilt GHI-1 gar selbst in den Facetrack und Idling Modi. 42 Schütz geht dabei allerdings nicht von einer Kontingenz sozialer Wesen aus, sondern greift auf phänomenologische Alltagsannahmen zurück, in denen die soziale Welt anthropologisch vorgegeben ist. Seiner Studie fehlt entsprechend eine „Theorie struktureller Komplexität“ von historischen Mitwelten à la Plessner, die eine Kontingentsetzung und Offenheit gegenüber der Typik/Gattungsform der von EPW bzw. von positionalen Akteuren generell – losgelöst von menschlicher Vorherrschaft – in den Blick fasst. 43 Als „Wir-Beziehung“ benennt Schütz die wechselseitige Du-Einstellung, d. h. das Wissen Egos um die Gleichartigkeit Alter Egos als einem „Du“ mit einer Bewusstseins- und Erlebnissphäre, die Alter Ego ebenfalls eine Du-Einstellung gegenüber Ego ermöglicht. An dieses „Du“ können mehrschichtige Erwartungshaltungen über Bedeutungshorizonte ausgerichtet werden und Ego geht davon aus, dass auch Alter Ego jene mehrschichtigen Erwartungshaltungen gegenüber Ego hegt. 41 Solche
8.14 Soziale Präsenz
327
von dem Schütz‘schen anthropologischen Fokus, erweitert auf kontingente soziale Wesen anwendbar und in ihrer unmittelbaren Gegebenheit analog zu einer fundierenden Deutung Alter Egos als einem sozialen Wesen. Das „Du“ zusammen mit der Erlebniskomponente des Miteinanders in der Mitwelt, wird somit zu dem Kitt der „Wir-Beziehung“. Entsprechend generiert sich auch in der Begegnung der menschlichen Besucher mit GHI-1 eine Wir-Beziehung, bei der GHI-1 und die Besucher als Akteure erscheinen, die vom Gegenüber als „Du“, ausgestattet mit einer sozial-phänomenalen Erlebnissphäre, wahrgenommen werden. Gegenüber jenen Akteuren, die eine „Du-Einstellung“ evozieren, wird es möglich, Erwartungshaltungen zu etablieren, bzw. zu neuen objektivierten Erwartungshaltungen gegenüber speziesfremden differenten EPW zu modifizieren. Der Übergang zur Befähigung von einer Selbst-Umwelt-Relation hin zu einer Leib-Mitwelt-Relation trägt wesentlich zur Aufhebung der Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen bei, welche eine der Mindestbedingungen des formalen Verstehens darstellt und die Weichen zu dem letzten Punkt des formalen Verstehens für EPW, der situativen Rahmung der sozialen Präsenz, stellt.
8.14
Soziale Präsenz
Das Gelingen der kommunikativen Deutung impliziert nach unserer These die Überführbarkeit der situativen Rahmung von der reinen „Zusammenkunft“ (Idling) über die wahrnehmbare „partizipatorische Anteilnahme“ (Facetrack) hin zu einer „Begegnung“ (Teleoperationsmodus) innerhalb der situativen Rahmung eines sozialen-Präsenz-Settings. In dem Teleoperationsmodus gelingt – auch wenn mit einigen Einschränkungen – der Übergang zur kommunikativen Deutung als auch zur sozialen Präsenz GHI-1s. GHI-1 exponiert entsprechende soziomotorische Aktionen als auch Anschlusskommunikation im Bereich der allgemeinen sowie symbolischen Gesten im Sinne eines EPW. Im Teleoperationsmodus sehen wir, dass die Akteure ihre Aktionen wechselseitig aufeinander abstimmen, expressive Ausdrucksgebaren füreinander produzieren und in einem direkten Berührungsverhältnis zueinander stehen. Diese Abstimmung aufeinander ist im nonverbalen Bereich – im Gegensatz zu den Idling und Facetrack Modi – über vermehrte „social cues“ ersichtlich, die zu dem Eindruck von wechselseitiger Wahrnehmung sowie ko-orientierter, serieller Abfolgen beitragen. GHI-1s Aktionen gehen über die situative Anwesenheit und partizipatorische Anteilnahme im Facetrack Modus – und damit auch über die präkommunikativen, prä-sozialen Merkmale der Ko-Lokalisation als auch über die präkommunikativen Sozialitätsmerkmale der Ko-Präsenz – hinaus und bilden den Übergang zu Merkmalen von
328
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
sozialer Präsenz. GHI-1s Aktionsspektrum wird im Teleoperationsmodus von der reinen Suggestion der mechanisch-induzierten Reaktionsfertigkeit durch Blickkontakt im Facetrack Modus, um die Fertigkeit zur Verwendung von symbolischen Gesten erweitert. Mit jener additiven Fertigkeit vergrößert sich das Spektrum der „social cues“ bei GHI-1 immens und führt zu einer qualitativen Steigerung in der Wahrnehmung und im Umgang mit GHI-1 als einem sozialen Akteur. In der Begegnung zwischen GHI-1 und den Besuchern spiegeln sich – aus Beobachterperspektive betrachtet – Grundelemente einer direkten Berührung, im Sinne einer kommunikativen Sozialität zwischen sozialen Akteuren, wider. Die Besucher richten ihre expressiven Gesten, Mimik, soziomotorischen Aktionen sowie ihre leiblichen Positionierungen an GHI-1s reaktiver Gestalt aus und konzipieren dabei mit GHI-1 gemeinsam eine symbiotische Kommunikationsgestalt. Dabei geht auch von Seiten GHI-1s ein situativ-soziales Engagement aus, welches die „partizipatorische Anteilnahme“ im Facetrack Modus übersteigt und sich im Teleoperationsmodus in einer verstärkten Anteilnahme, erhöhtem Engagement, gesteigerter Aufmerksamkeit und Zugänglichkeit gegenüber den Besuchern äußert (vgl. Abschnitt 8.4). GHI-1 vermittelt dabei Merkmale der ausdruckserfüllten „zentrierten Interaktion“, bei der die kommunikative Sozialität zum Hauptengagement avanciert, als auch dem Gelingen der kommunikativen Deutung, die in ihrer Intensität bis hin zur immersiven Kommunikation reicht (vgl Transkript 2808 1849 woman in red). In den Beispielen emergiert die situative Rahmung der sozialen Präsenz durch das Zusammenspiel der Besucher mit der kommunikativen Sozialität von GHI1. GHI-1 projiziert im Teleoperationsmodus durch die den Besuchern gegenüber entgegengebrachte „zentrierte Aufmerksamkeit“ – wenn auch motorisch limitierte – Reaktionsfertigkeit gegenüber Ereignissen in der Um- und Mitwelt sowie Zugänglichkeit für indirekte als auch direkte Berührungen. Trotz restringiert soziomotorischer Aktivitäten vermittelt GHI-1 durch Blickkontakt und kontinuierliche Anschlusskommunikation zentrierte Aufmerksamkeit, Engagiertheit, soziale ‚Stimuli/Hinweise‘ (social cues) sowie durch das inhaltlich-immersive Eintauchen in das interaktive Geschehen, jene Merkmale, die wir als Besonderheiten von Engagement während der sozialen Präsenz gelistet haben (vgl. Abschnitt 8.8.1). Die Kommunikationsgestalt, die für den Beobachter entsteht, vermittelt gleichwohl den Eindruck, dass GHI-1 und die Besucher zueinander in einem Verhältnis von kommunikativer Sozialität stehen und den jeweils anderen – auch mit dessen sozio-kognitiven Erwartungen sowie wechselseitigen Wahrnehmungen – in ihre Selbst-Mitwelt-Relation mit einbeziehen (vgl. Abschnitt 8.5) und EPW gemäß erfahren.
8.15 Welche signifikanten Unterschiede ergeben sich …
8.15
329
Welche signifikanten Unterschiede ergeben sich bei der Annäherung an GHI-1 in den drei unterschiedlichen Modi: Teleoperation, Facetrack und Idling?
In unserer Feldstudie haben wir den Umgang von menschlichen Personen mit einem in einem natürlichen Setting platzierten androiden Roboter untersucht, um Unterschiede in der Konfrontation mit dem Roboter in drei unterschiedlichen Aktivitätsmodi zu analysieren. Der Umfang der Aktivitätsmodi reicht von einfachen, sich stetig wiederholenden statischen Bewegungen im Idling Modus, über eine durch das Facetrackingsystem induzierte Kopfbewegung GHI-1s in Richtung herannahender Besucher bis hin zu einer Interaktionssteuerung GHI-1s im Teleoperationsmodus. Variationen im Umgang mit GHI-1 innerhalb der drei Aktivitätsmodi dienen in unserer Studie dazu, die Grade der Präsenz sowie der Personenzuschreibung anhand der Reaktivität des Roboters auf seine Um- bzw. Mitwelt zu bestimmen. Bei der Durchsicht des Datenmaterials fiel eine qualitative Zustandsänderung im Sozialitätsgebaren gegenüber GHI-1 auf, welche sich in der Verhaltensmodulation der Besucher gegenüber GHI-1 zeigte und durch unterschiedliche Aktivitätsmodi des Roboters initiiert wurde. Die verschiedenen Aktivitätsmodi führten zu jeweils signifikant abweichenden Explorationsweisen der Besucher gegenüber GHI1, wobei als Hauptmotive zur Erkundung eines potentiellen Akteursstatus die Grenzen und Spielräume der Reaktions- sowie Interaktionsfertigkeit GHI-1s überprüft wurden. Dabei wurde die Fertigkeit zu einer Begegnung im Rahmen eines sozialen-Präsenz-Settings zum Untersuchungsschwerpunkt der Feststellung eines potentiellen Akteursstatus, wobei Veränderungen des Settings zusammen mit der Veränderung der Reaktionsfertigkeit, der Interaktivität als auch des Akteursstatus des Roboters einhergingen. GHI-1 wurde in den jeweilig verschiedenen Aktivitätsmodi, in Relation zu den sich daraus ergebenden Präsenzmodi, unterschiedliche Grade von Akteurszuspruch bzw. objekthafter Klassifizierung gegenüber GHI-1 sichtbar. Die veränderten Verhaltensweisen in den Bereichen z. B. der leiblichen Positionierungen, dem Zugeständnis von Territorialmarkern, von Reaktionsprüfungen etc. der Besucher gegenüber GHI-1, bieten dabei wertvolle Indizien für sich abzeichnende Brüche, Erwartungen und Übergangsmerkmale des zu beobachtenden Sozialverhaltens Seitens der Besucher. Dabei erhöhte sich sukzessive mit der Steigerung der Aktivitätsmodi, die Verwendung von „social cues“ Seitens der Besucher gegenüber GHI-1. D. h., dass bei erfolgreichem interaktivem Feedback GHI-1s, die Besucher vermehrte mimische Ausdrücke, Gesten, Blickkontakt sowie symbolisch-gestische Äußerungen gegenüber GHI-1 ausrichteten. Im Gegensatz zu dem scheiternden reaktiven als auch interaktiven Feedback GHI-1s im Idling
330
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
als auch Facetrack Modus, führte das interaktive Feedback GHI-1s zu erweiterten Interaktionsgebaren der Besucher, die sich in Dauer, Intensität, Emergenz und Eloquenz der Kommunikation – bis hin zu immersiver Kommunikation – manifestieren. Der Übergang von der direkten Berührung zum sozialen-Präsenz-Setting wird, zusammen mit der Interaktionsfertigkeit und den damit verbundenen Ebenen des formalen als auch inhaltlichen Verstehens, zu einer elementaren Grundbedingung für den Zuspruch eines sozialen Akteursstatus gegenüber GHI-1. Diese Annahme wird durch unsere Ergebnisse in den Facetrack und Idling Modi gestützt, welche momenthaft Züge von Ko-Lokalisation und Ko-Präsenz – und im Fall des Facetrack Modus eine momenthafte Zusprache eines ZPW – simulieren. Das Ausbleiben von Kommunikabilität als auch Reaktivität verhindert jedoch den Übergang zu einem sozialen-Präsenz-Setting und führt zu abweichenden Explorationsweisen der Besucher gegenüber GHI-1. Die Explorationsweisen zeigen das Nichtvorhandensein eines Akteursstatus und offenbaren vielmehr einen objektanalogen Umgang der Besucher mit GHI-1, zum einen als (determiniert-) repetitiv-mechanisches Objekt (Idling) und zum anderen als reaktiv-mechanisches Objekt (Facetrack). Die Erfassung GHI-1s als Akteur in den Idling und Facetrack Modi hat sich vorwiegend im Bereich der Reaktionsprüfungen als auch der Erfahrung der Gestalt anhand von taktilen als auch leiblichen Positionierungen ereignet, die dazu dienen, das Empfindungs- als auch das Reaktionsspektrum GHI-1s in den Bereichen der Bewegung, Wahrnehmung und sozialen Fertigkeiten zu testen. Dabei wurden entsprechend symbolische, persönliche als auch räumliche Territorialbereiche erprobt, gegen die letztendlich, mit der Auflösung des potentiellen Akteursstatus, zunehmend verstoßen wurde und GHI-1 auf die Ebene eines physikalischen Objekts – ohne jegliche Anzeichen des Verfügens über eine Selbst-Umwelt- noch über eine Leibbzw. Selbst-Mitwelt-Relation – geriet. Während die Besucher in jenen Modi die Interaktionsfertigkeit in Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale und Verstehensqualitäten GHI-1s prüften, ergaben sich mit dem Ausbleiben von Reaktionen verbale Zugänge zu den Eindrücken, Haltungen und Emotionen gegenüber GHI-1, die zusätzliche – ansonsten aufgrund der Einhaltung des symbolischen Territorialbereichs ausbleibende – Informationen gegenüber der kommunikativen Erkundung GHI-1s im Teleoperationsmodus boten. Wir gehen davon aus, dass jene Kommentare, als Brüche des symbolischen Territorialbereichs, zusammen mit der Einhaltung der personalen und räumlichen Territorialsphäre, gekennzeichnet durch das Ausbleiben von freien taktilen Erkundungen von GHI-1s Gestalt, im Teleoperationsmodus unterlassen wurden, da GHI-1 zweifelsohne Grade von sozialer Akteursschaft im Sinne eines EPW mit personaler als auch sozialer Präsenz zugestanden werden (vgl. 8.5 & 8.7).
8.15 Welche signifikanten Unterschiede ergeben sich …
331
Wir gehen weiter davon aus, dass sich das Explorationsverhalten der Besucher beim Übergang zum Teleoperationsmodus aus eben jenem Grund gewandelt hat. Die Untersuchung der Reaktionsfertigkeiten GHI-1s wandelt sich in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi von dem reinen Versuch der motorischen Navigation sowie gestischer und verbaler Aufmerksamkeitshascher (Abschnitt 7.2.5 & 7.3.3) über die verbale Abfrage zu GHI-1s symbolisch-gestischen Qualitäten bis hin zur Überprüfung der Zugänglichkeit von GHI-1s Interaktionsverhalten (Abschnitt 7.4). Die Verhaltensvariationen der Besucher in den unterschiedlichen Aktivitätsmodi belegen, dass die Grenzen und Zugänge der Reaktions- und Interaktionsfähigkeit GHI-1s die Art und Weise beeinflussen, wie die Besucher GHI-1 weiter explorieren und damit dessen Grenzen und Reichweite der sozialen Agentenschaft feststellen. Die Studie bietet uns einen Einblick zu dem Wechsel der Klassifizierung GHI-1s als einem rein physikalischen Objekt hin zu einem Akteur, der zu einer Begegnung im Rahmen einer sozialen-Präsenz-Situation befähigt ist und einem EPW gemäß gehandelt wird. Interessant ist dieser Wechsel, da ein- und dieselbe Bezugsgestalt aufgrund verschiedener Re-Aktionen seitens der Besucher einheitlich unterschiedlich bewertet wird. Im Bezug zu den unterschiedlichen Aktivitätsmodi haben wir herausgestellt, dass GHI-1 gehandelt wird als a) (determiniert physikalisches) repetitiv-mechanisches Objekt (Idling Modus), b) reaktiv-mechanisches Objekt (Facetrack) und c) eines sozial-reaktiven Akteurs im Sinne eines EPW mit spezieseigener Wesensart und personaler Präsenz (Teleoperation). Die Simulationsweisen des androiden Roboters bieten uns Einblicke in den Übergang der Wahrnehmung GHI-1s als repetitiv-mechanisches Medium bis hin zum Zugeständnis einer eigenen sozial-personalen Wesenhaftigkeit. Die Ergebnisse aus dem Vergleich der unterschiedlichen Aktivitätsmodi bekräftigen uns beim Postulieren der Hypothesen H1–H4 betreffend des Zusammenhangs von Akteurszuschreibung und Interaktionsverhalten in Korrelation mit der Gegebenheit von sozialer Präsenz.44 Die Zusprache von sozialer Agentenschaft ereignete sich in dem Teleoperationsmodus indem, anhand gesteigerter „social cues“ als auch Interaktionskonstellationen, ein soziales-Präsenz-Setting etabliert wird. Das Gelingen der sozialen Akteurszuschreibung – und somit auch die Überwindung der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation sowie der Unwahrscheinlichkeit von mitweltlichen Sozialgefügen – hängt dabei von der Fertigkeit der Gestalt ab, die Präsenzmodi bis hin zur sozialen Präsenz zu steigern. Misslingt die Darbietung eines kontingenten Verhaltens im Bezug zur Selbst-Umwelt- als auch zur Selbst-/Leib-Mitwelt-Relation vermittels fehlender symbolisch-gestischer und soziomotorischer Rückwirkungen konsequent, auch in lediglich einem der Präsenzsettings, so entfällt zeitgleich 44 Vgl.
hierzu auch Straub (2016).
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8
Empirische Untersuchung Teleoperation
der Anspruch auf einen Akteurszuspruch für GHI-1. GHI-1 ist im Teleoperationsmodus zur kommunikativen Sozialität befähigt und dazu imstande alle drei Präsenzebenen der Ko-Lokalisation, der Ko-Präsenz als auch der sozialen Präsenz situationsadäquat zu durchlaufen. Dies zeigt sich beispielsweise indem GHI-1 in Berührungssituationen ohne kommunikativen Anschluss keine überfälligen, inadäquaten kommunikativen Anschlüsse forciert, bzw. die Regelhaftigkeit des Turn-Takings und das Initiieren von Kommunikation befolgt.45 So gelingen Interaktionskonstellationen übergreifend von teilnehmenden Zusammenkünften bis hin zu kommunikativen Begegnungen während des Teleoperationsmodus. Diese Beobachtungen leiten uns zu den Hypothesen H1 und H2, in denen die Interdependenz von Akteurszuspruch, Interaktion und sozialer Präsenz postuliert wird (H1) bzw. der Akteurszuspruch im Zusammenhang mit dem Anstieg der Simulation von sozialer Präsenz über ein gesteigertes Interaktionsgebaren steht und gegenüber GHI-1 entsprechend Eigenschaften eines EPW bestätigt werden (H2) (siehe Abb. 8.4). H1:
H2:
H3:
H4:
Es besteht eine Interdependenz zwischen den Aktivitätsmodi des Roboters zu den Graden der Zuerkennung von sozialer Präsenz, des Interaktionsverhaltens und der Akteursschaft. Mit der Steigerung der Aktivitätsmodi des Roboters intensiviert sich das Interaktionsgebaren parallel mit einer verstärkten Zusprache der Besucher gegenüber GHI-1 hinsichtlich der Grade von sozialer Präsenz, was zu einer Approximation des Personenstatus GHI-1s an soziale Akteursschaft im Sinne eines EPW führt. Mit der adäquaten Anpassung der Aktivitätsmodi mit den durch die „social cues“ realisierten Präsenzmodi, wird GHI-1 als sozial-reaktiver Akteur im Sinne eines EPW mit spezies-eigener Wesensart und personaler Präsenz erfasst. Scheitert GHI-1 durch fehlende Reaktions- und Interaktionsfertigkeit an der Passung der Aktivität an dem erwarteten Präsenz-Modus, erlischt dessen Anspruch auf soziale Akteursschaft. Ein unbestimmt kontingenter Akteur, der an der Steigerung von interaktivem und reaktivem Verhalten, angepasst an die Erfordernisse der sozialen Präsenz, scheitert, verharrt in dem Präsenz-Modus einer rein physikalischen Anwesenheit und wird als Objekt oder ggf. mechanisch-reaktives Werkzeug klassifiziert
45 Beispielsweise in Transkript 2808_1849_woman in red artikuliert GHI-1, während F(56) mit R spricht, keine parallel verlaufenden symbolisch-gestischen Ausdrücke und hält sich an Regeln zum Sprecherwechsel bzw. an situative Rahmungen der Ko-Präsenz und Ko-Lokalisation beim Ausbleiben von Anschlusskommunikation durch Alter Ego.
8.15 Welche signifikanten Unterschiede ergeben sich …
333
Mit der aufsteigenden Frequenz von wechselseitig bezogener situativer Präsenz, steigert sich auch die Erfassung der Entität als sozialem Akteur auf den Ebenen der ZPW bzw. der EPW. Mit einem gesteigerten Interaktionsmodus erweitert sich zudem die Wahrnehmungsform von der indirekten Berührung ohne Kommunikation bis hin zu der direkten Berührung mit Kommunikation, welche sich auch auf die Interpretation des Akteursstatus bei der Begegnung auf der Ebene der fundierenden Deutung bzw. der kommunikativen Deutung auswirkt. Die sich daraus ergebene Interpretation des Akteursstatus fällt entweder in den Bereich der fundierenden Deutung (Akteur/kein Akteur) bzw. in den der kommunikativen Deutung; wobei die kommunikative Deutung, als fundierend-kommunikative Deutung, nur in den Fällen der direkten Berührung und Interaktion, sprich unter der Bedingung der sozialen Präsenz (in unserer Studie nur im Fall der Teleoperation), möglich ist. Die Feldstudie zur protosozialen Interaktion zwischen Mensch und androidem Roboter belegt die Möglichkeit der Begegnung im Rahmen der sozialen Präsenz zwischen menschlichen und ungewissen, nicht-menschlichen Akteuren und verhilft uns dazu, die formalen als auch inhaltlichen Verstehensbedingungen zu formulieren. Soziale Präsenz als auch soziale Akteursschaft sind dabei eng an das faktische Gelingen von Interaktionsversuchen gekoppelt. Die Studie liefert zudem Hinweise darauf, dass humanoide Züge, wie die Gestalt, die Verwendung symbolisch-gestischer Kommunikationsfertigkeit, mit Zugriff auf EEE Sinngehalte, als auch soziomotorische Expressivität, sich vorteilhaft für das Zugeständnis von Akteursschaft gegenüber einer Gestalt mit ungewissem Akteursstatus auswirken. Das Ergebnis zur Interdependenz vom Zuspruch zum sozialen Akteur, sozialer Präsenz und Interaktionsfertigkeit (H1) verweist auf die Notwendigkeit von ungewissen, gestalthaft-verkörperten Akteuren, über die Fertigkeit adäquater präkommunikativer Übergangsformen bis hin zu den vielfältigen Formen sozialer Interaktion zu verfügen. Die Ergebnisse der Idling und Facetrack Modi belegen dies, indem GHI-1 mit dem Ausbleiben von sozialer Reaktivität einen Anspruch auf potentielle soziale Akteursschaft verliert (H3). Weiter führt, bei einem ungewissen sozialen Akteur, die fehlende Adaption sowie eine fehlende Affirmation zur sozialen Intervention im Rahmen der drei Präsenzmodi und Territorialbereiche dazu, dass sowohl der Präsenz- als auch Akteursstatus in den Bereich der physikalischen Anwesenheit mit objekthaft-mechanischer Klassifikation fallen (H4) (siehe Abb. 8.5). Mit dem Fehlen des Übergangs zu einer sozialen-Präsenz-Situation werden mithin die weiteren Präsenzmodi Ko-Lokation und Ko-Präsenz gegenüber GHI-1 ebenfalls obsolet und GHI-1 verliert mit dem Rückfall auf rein physikalische Präsenz und einem mechanistisch-objekthaften Status den Status eines potentiellen sozialen Akteurs (H4). Im Teleoperationsmodus qualifiziert sich GHI-1 für den Status eines sozial-reaktiven Akteurs im Sinne eines EPW mit spezies-eigener Wesensart und damit als – wenngleich nicht menschliche dennoch als – soziale Person mit operativen Eigenschaften eines EPW. Diese operativen Eigenschaften eines EPW bestätigen
334
8
Empirische Untersuchung Teleoperation
Abb. 8.4 Steigerung von sozialer Aktivität und Graden der Interaktion im Zusammenhang zur Deutung von sozialer Akteursschaft (eigene Darstellung)
sich letztendlich über die fundierend-kommunikative Deutung GHI-1s als auch über die formalen Verstehensbedingungen. Die Gestalt GHI-1s wird zum Bezugspunkt für die symbolisch-gestische als auch für die präsymbolische Kommunikation, d. h. das technische Tool wird zum informationsübertragenden Mittler bzw. zur eigenen sozialen Gestalt.46 Die Annahme, dass die Transformierbarkeit eines Settings in ein soziales Präsenzsetting dazu beiträgt, einem Wesen mit ungewissem Personenstatus, den Status eines sozialen Akteurs im Sinne eines EPW zuzuerkennen, kann somit mit unserer Studie validiert werden. Die beispielhafte Analyse der Mensch-RoboterBegegnung liefert uns demnach eine protosoziale Interaktionsmatrize sowie einen Einblick in die „Regeln zur Anerkennung eines Akteurs“ bei dem Zusammentreffen interspezifischer Wesen, mit Eigenschaften eines EPW.
8.16
Ausblick
Das Material zeigt die Relation der Aktivitätsmodi mit den Präsenzmodi und den Übergang der Personenzuschreibung ausgehend von einem repetitiv-mechanischen Objekt über ein reaktiv-mechanisches Objekt hin zu einem personalen Akteur im Sinne eines EPW, woraus sich Grundbedingungen zu der Zuschreibung von sozialer Personenschaft bzw. der social (re)cognition nachzeichnen lassen. Die Modellierung der Wege zur sozialen Akteursschaft kann entsprechend einen Beitrag zur
46 Auch
wenn das Medium lediglich dazu dient, die Kommunikation zu übermitteln.
8.16 Ausblick
335
Diskussion innerhalb des Forschungsfeldes der HRI-Forschung (Human-RobotInteraction) leisten, bei der leichtfertig Thesen zum Gelingen von HRI als auch der Zuerkennung eines Sozialstatus gegenüber Robotern deklariert werden. Dies zumeist ohne eine theoretische noch praxisnahe Erörterung sozialtheoretischer Grundlagen zu bieten, welche als Fundament für derartige Begründungen dienen könnten. Entsprechend wäre die Anwendung der in dieser Arbeit erstellten Modellierung von sozialen Begegnungen für weitere Studien wünschenswert und könnte zur Erweiterung und Präzisierung der sozialtheoretischen Grundbedingungen bei der Mensch-Roboter-Interaktion als auch der Grundlagen von weiteren sozialen Begegnungen (wie z. B. dementen Personen) kontingenter sowie interspezifischer Natur dienen. Zudem leistet die Arbeit einen Beitrag dazu das Gewahrsein für die Modellierung von Sozialität aus einer ingenieurswissenschaftlichen Perspektive in Hinblick auf das Zusammenspiel von Akteursschaft, Kommunikationsgraden und kontextueller sozialen Präsenz zu schärfen und bei der Entwicklung von sozialen Robotern – als zukünftigen „Sozialpartnern“ – die genannten Konzepte programmatisch/algorithmisch umzusetzen.
Abb. 8.5 Die Grade der Akteursschaft GHI-1s im Parallelverlauf zu ausdruckshaftem sowie reaktivem Interaktionsgebaren und situativen Präsenzformen (eigene Darstellung)
Anhang
Transkript 1008 1453 mann klopft auf Schulter und sagt Hallo Filename
1008_1453_mann klopft auf Schulter und sagt Hallo
Experimental setting GHI-1
Videolänge
00:46
idling motions
Anzahl Personen
1
Laptop writer
Kürzel
M (52)
Zuschauer
X
gesteuert von Interaktionssituation mit
Besonderheiten:
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Straub, Zur Sozialität und Entität eines androiden Roboters, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5
337
338
Anhang
Transkript 1108 1216 junge explores GHI-1 (siehe Abb. 7.2) Filename
1108_1216_junge explores GHI-1
Experimental setting GHI-1
Videolänge
01:05
idling motions
Anzahl Personen
1
Laptop writer
Kürzel
J (17)
Zuschauer Besonderheiten: J(17) aus 1108_1245_youngcrew
gesteuert von Interaktionssituation mit
X
Anhang
339
Transkript 1608 14 mann und mädl (siehe Abb. 7.3) Filename
1608_14_mann und mädl
Experimental setting GHI-1
Videolänge
1:15
idling motions
X
Anzahl Personen
2
Laptop writer
X
Kürzel
M(47), Mäd (20)
gesteuert von
Zuschauer Besonderheiten: Besucher sprechen GHI-1 an
Interaktionssituation mit
340
Anhang
Anhang
341
Transkript 2008 1038 ältere leute pt2 (siehe Abb. 7.4) Filename
2008_1038_ältere leute pt2
Experimental setting GHI-1
Videolänge
0:58
idling motions
X ohne Hochgucken
Anzahl Personen
2
Laptop writer
X
Kürzel
M1(66), F(66)
gesteuert von
Zuschauer
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: M1 von 10:33 kommt mit anderer Dame zurück von Gang links pt2
342
Anhang
Anhang
343
Transkript 1008 1214 Frau Mann Enkelin Filename
1008_1214_Frau Mann Enkelin
Experimental setting GHI-1
Videolänge
01:06 min.
idling motions
Anzahl Personen
3
Laptop writer
Kürzel
M(68), F(65), Md(10)
Zuschauer Besonderheiten:
gesteuert von Interaktionssituation mit
X
344
Anhang
Anhang
345
Transkript 1108 1120 mann spricht GHI-1an Filename
1108_1120_mann spricht GHI-1 an
Experimental setting GHI-1
Videolänge
01:12
idling motions
Anzahl Personen
1
Laptop writer
Kürzel
M(50)
Zuschauer
gesteuert von Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Mann bewegt sich und schaut, wie GHI-1 reagiert.
Prospects – facetrack
346
Anhang
Transkript 1108 1145 mann und mädel (siehe Abb. 8.2) Filename
1108_1145_mann und mädel
Experimental setting GHI-1
Videolänge
1:16
idling motions
Anzahl Personen
3
Laptop writer
Kürzel
M(36), F(34), Md(12)
gesteuert von
Zuschauer
M2 ( ) am Nebentisch
Interaktionssituation mit
Facetrack/Watchman flyer
Besonderheiten: Mann, Frau, Tochter (12) bleiben vor GHI-1s Tisch stehen und gucken, M2 am Nebentisch bemerkt dadurch, dass GHI-1 ein Roboter ist
Anhang
347
348
Anhang
Transkript 1108 1158-family Filename
1108_1158-family
Experimental setting GHI-1
Videolänge
01:18
idling motions
Anzahl Personen
4
Laptop writer
Kürzel
M1 (38), M2 (42), T(5), S(3)
gesteuert von
Zuschauer
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Die gleiche Familie wie 1108_12_family pt 2 etc.
Prospects/facetrack
Anhang
349
Transkript 1108 1333 3guys (siehe Abb. 7.7) Filename
1108_1333_3guys
Experimental setting GHI-1
Videolänge
2:20
idling motions
Anzahl Personen
3
Laptop writer
Kürzel
F1(17), F2(18), F3(36), F4(30), M(27)
gesteuert von
Zuschauer
facetrack/prospects
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: 3 guys kommen aus dem Aufzug gehen vorbei. Dem 2. Jungen fällt GHI-1 auf, sie bleiben stehen – 2. Junge kommt näher– (Kids England Fortsetzung 13.37h)
350
Anhang
Transkript 1608 1222 paarchen checkt G nice Filename
1608_1222_paarchen checkt Experimental setting GHI-1 G_nice
Videolänge
01:33
idling motions
X
Anzahl Personen
2
Laptop writer
X
Kürzel
M1 (33), F1 (29)
Zuschauer Besonderheiten: Besucher können es gar nicht glauben.
gesteuert von Interaktionssituation mit
Anhang
351
352
Anhang
Transkript 1008 1458 frau guckt beim kalibrieren zu pt1 Filename
1008_1458_frau guckt beim kalibrieren zu pt1
Experimental setting GHI-1
Videolänge
02:29
idling motions
Anzahl Personen
2
Laptop writer
Kürzel
F(58), M1 (Steffen), M2 (55)
Zuschauer
Wird kalibriert von K(Kaito)
gesteuert von Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Steffen kalibriert, Frau ist interessiert und erkundigt sich nach Machart von GHI-1
Anhang
353
354
Anhang
Transkript 2308 1439 frau mit kind explore GHI-1 Filename
2308_1439_frau mit kind explore GHI-1
Experimental setting GHI-1
Videolänge
2:15
idling motions
X
Anzahl Personen
2
Laptop writer
X
Kürzel
J(8), F(42)
Zuschauer Besonderheiten: Frau und Kind gucken sich GHI-1 an
gesteuert von Interaktionssituation mit
Anhang
355
356
Anhang
Transkript 1108 1256 junge und frau checken GHI-1 (siehe Abb. 8.2) Filename
1108_1256_junge und frau checken GHI-1
Experimental setting GHI-1
Videolänge
03:15
idling motions
X hands on chair (Prospects)
Anzahl Personen
3
Laptop writer
Facetrack
Kürzel
J(10), F(40), K
gesteuert von
Zuschauer
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: J(10) ist überhaupt nicht scheu, greift GHI-1 so oft an, dass K einschreitet.
Anhang
357
358
Anhang
Anhang
359
Transkript 1008 1741 frauen in grün Filename
1008_1741_frauen in grün
Experimental setting GHI-1
Videolänge
1:10
idling motions
X (Hände nicht am Laptop)
Anzahl Personen
2
Laptop writer
X Facetrack
Kürzel
F(45), F(46)
gesteuert von
Zuschauer
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Frauen sind 17:34 aus dem Aufzug gestiegen
360
Anhang
Transkript 1008 1028 Frau checkt g mit R Filename
1008_1028 _Frau checkt g mit R
Experimental setting GHI-1
Videolänge
1:49
idling motions
Anzahl Personen
1 (+R)
Laptop writer
Kürzel
F(52); R (R)
gesteuert von
Zuschauer
Keine
Interaktionssituation mit
Watchman facetrack
R (staff)
Besonderheiten: Frau (52) (Berlinerin?) guckt sich GHI-1 an, R erklärt ein bisschen
Anhang
361
362
Anhang
Transkript 1108 1337 kids england Filename
1108_1337_kids england
Experimental setting GHI-1
Videolänge
2.22
idling motions
Anzahl Personen
3
Laptop writer
Kürzel
M(64), J(17), G(11)
Zuschauer
(no hands) prospects – facetrack
gesteuert von Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Mann (Mitte 60) guckt GHI-1, tut als würde er Prospekte schauen, blickt aber zu GHI-1/GHI-1 blickt auch zu M(64)/Junge von 1333 kommt wieder: „touch him’ ‚scary’, robot“
446
M(64) zu off)
447
(G(11)) steht links von GHI-1 guckt abwechselnd Prospekt, GHI-1s Hand und zu M(64)
( ) so gut wie möglich ( )
448
GHI-1 wendet den Kopf mal zu M(64) und mal nach links
449
ABGANG M(64)
450
GHI-1 blickt runter, dann in Richtung M(64)
451
GHI-1 guckt nach links/G(11) guckt zu GHI-1
452
J(17) kommt wieder, stellt sich rechts von GHI-1
453
J(17) zu G(11): Touch him
454
G(11):
455
(J(17) fasst mit Zeigefinger an den Handrücken öfters – GHI-1 linke Seite)
No you touch him
456
G(11):
457
(G(11) berührt GHI-1s Hand im Takt)
(Can I touch)
458
J(17):
( ) scaries me – ( )
459
G(11):
When you touching his hand sounds like ( )
460
GHI-1 wendet den Kopf zu J(17) dann nach frontal
461
J(17):
This is a robot right?
462
G(11):
Ja
463
J(17):
Looks (stupid)
464
(J(17) beugt sich nach unten um GHI-1s Gesicht zu sehen/G 1 auch)
465
G(11):
466
Gucken näher/GHI-1 guckt frontal
467
G(11) pustet 4 mal/GHI-1 wendet den Kopf zu J(17)
Ja its ( )
468
G(11):
469
J(17) geht von Position an andere stellen vom Tisch, lenkt GHI-1s Blick/GHI-1 folgt Position von
He looks like a real person – it’s so cool – like the eyeball, it’s so real
J(17) 470
J(17):
471
G(11) guckt näher das Gesicht deutet auf GHI-1s Gesicht
You can look he is following around – right
472
J(17) streckt linken Arm a.d linke Seite vom Tisch und winkt/GHI-1 guckt frontal
473
G(11):
Camera
Anhang 474
363
J(17) wackelt mit der Hand geht dann mit dem Körper zur Stelle der Hand, reicht GHI-1 die rechte Hand, G(11) tut es ihm gleich, beide gucken zu GHI-1, GHI-1 wendet den Kopf kurz zu J(17) dann nach unten, J(17) fängt an nach rechts den Zeigefinger auszustrecken
475
G(11):
476
(G(11) reicht ihre Hand bestimmend zu GHI-1, GHI-1 blickt hoch Richtung Hand von J(17))
Come give me your hand – if you do it
477
G(11):
I bet this is a wig (deutet auf GHI-1s Kopf)
478
J(17):
Yeah obviously
479
{GHI-1 guckt kurz nach unten und dann J(17) an}
480
J(17):
481
(GHI-1 guckt wieder runter, G(11) lehnt sich nach vorne an den Tisch/J(17) guckt hinter GHI-1)
482
G(11):
483
J(17) guckt GHI-1 an:
484
How can he realize what happened?
Maybe he try to ( )
Alright lets ( ) come on
485
(GHI-1 hat den Blick gesenkt)
486
ABGANG J(17) und G(11)
364
Anhang
Transkript 2408 1425 jg frau streichelt GHI-1 Filename
2408_1425_jg frau streichelt GHI-1
Experimental setting GHI-1
Videolänge
4:07
idling motions
Anzahl Personen
3
Laptop writer
X
Kürzel
F1(26), F2(27), M(28)
gesteuert von
Chris student (GHI-1)
Zuschauer
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: !!! jg Frau und Mann kommen zu GHI-1 – Chris animiert, F(26) ordnet sein Haar und streichelt das Haar
Anhang
365
366
Anhang
Anhang
367
368
Anhang
Anhang
369
Transkript 2208 1231 familie und frau in blau Filename
2208_1231_familie und frau in blau
Experimental setting GHI-1
Videolänge
4:12
Idling motions
Anzahl Personen
1
Laptop writer
X
Kürzel
F(36)
gesteuert von
Kaito
Zuschauer
F1(70), M(71) + Familie am Nebentisch, F2 (76), M2 (77)
Interaktionssituation mit
R (Rachel)
Besonderheiten: Familie geht an den Nebentisch, eine Frau in blau kommt zum Gespräch zu GHI-1, ältere Frau und Mann kommen an den Tisch zum Zuhören
370
Anhang
Anhang
371
372
Anhang
Anhang
373
374
Anhang
Transkript 2908 1320 frau setzt sich zu GHI-1 (siehe Abb. 8.2) Filename
2908_1320_frau setzt sich zu GHI-1
Experimental setting GHI-1
Videolänge
2:52
Idling motions
Anzahl Personen
2
Laptop writer
X
Kürzel
F(42)
gesteuert von
Chris student (GHI-1)
Zuschauer
I(46)
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Frau setzt sich zu G., Ishiguro läuft herum und leitet Gespräch ein
Anhang
375
376
Anhang
Anhang
377
378
Anhang
Transkript 1908 1227 junge comt und fragt wurzel aus 7000 r and GHI-1 Filename
1908_1227_junge comt und fragt wurzel aus 7000 r and GHI-1
Experimental setting GHI-1
Idling motions
Videolänge
2:00
Anzahl Personen
3
Laptop writer
X
Kürzel
J(13)
gesteuert von
Kaito (GHI-1)
Zuschauer
Steffen
Interaktionssituation mit
R (Rachel)
Besonderheiten: Junge J(13) von 12:09 kommt zurück und redet zu GHI-1
Anhang
379
380
Anhang
Transkript 2708 1647 Mann befragt GHI-1 Filename
2708_1647_Mann befragt GHI-1
Videolänge
2:19
Anzahl Personen Kürzel Zuschauer
Experimental setting GHI-1 Idling motions Laptop writer
M(57)
gesteuert von Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Mann von 2708_1647 Frage nach Dachterrasse
Chris (student)
Anhang
381
382
Anhang
Anhang
383
Transkript 2908 1339 Mann spricht mit G Filename
2908_1339_Mann spricht mit G
Videolänge
1:10
Anzahl Personen Kürzel Zuschauer
M(43)
Experimental setting GHI-1 Idling motions Laptop writer
X
gesteuert von
Chris student (GHI-1)
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Mann (43) von Frau (2908_1338) setzt sich zu Geminoid
384
Anhang
Anhang
385
Transkript 2908 1308 girlhugs GHI-1 (siehe Abb. 8.3) Filename
2908_1308_girlhugs GHI-1
Experimental setting GHI-1 idling motions
Videolänge
6:23
Anzahl Personen
4
Laptop writer
X
Kürzel
F(16),
gesteuert von
Ishiguro (Linz)
Zuschauer
F2(35), M1(37); F3 (56)
Interaktionssituation mit
Kaito
Besonderheiten: F2 guckt auch bei 2908_1340 zu
386
Anhang
Anhang
387
388
Anhang
Anhang
389
390
Anhang
Anhang
391
Transkript 2808 1849 woman in red Filename
2808_1849_woman in red
Videolänge
Experimental setting GHI-1 idling motions
Anzahl Personen
2+2
Laptop writer
X
Kürzel
R (24), Koch(37), F(56), M(57)
gesteuert von
Ishiguro (GHI-1) in Linz
Interaktionssituation mit
Rachel (R)
Zuschauer
Besonderheiten: Das Gespräch enthält die Themenfelder „Liebe“ und „Gefühle“
392
Anhang
Anhang
393
394
Anhang
Anhang
395
396
Anhang
Transkript A 1008 1122 kellnerinnen explore Filename
A_1008_1122_kellnerinnen explore
Experimental setting GHI-1
Videolänge
1:16
idling motions
X
Anzahl Personen
2
Laptop writer
(Hände nicht auf Laptop sondern Stuhllehne platziert)
Kürzel
K1 (25), K2 (28)
Zuschauer
gesteuert von Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Kellnerinnen explore, gucken und anfassen, drüber reden
Anhang
397
398
Anhang
Transkript A 1108 1050 4girls Filename
A_1108_1050_4girls
Experimental setting GHI-1
Videolänge
01:46
idling motions
Anzahl Personen
4
Laptop writer
Kürzel
F1 (18), F2 (18), F3 (17), F4 (17),
gesteuert von
Zuschauer
F5
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Britische (?) Pfadfinderinnen blödeln mit GHI-1 herum, fassen ihn viel an.
X
Anhang
399
400
Anhang
Transkript A 1108 1554 int family leaves (siehe Abb. 7.5 und 7.6) Filename
A_1108_1554_int family leaves
Experimental setting GHI-1
Videolänge
3:58
idling motions
Anzahl Personen
7
Laptop writer
Kürzel
Md(11), J(12), M1(54), M2(35), M3 (39), J2(12), Md2(9)
gesteuert von
Zuschauer
F(34)
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: international Family, M2 von 14:35
(no hands) prospects – facetrack
Anhang
401
402
Anhang
Anhang
403
Transkript A 1008 1328 familie robbie Filename
A_1008_1328_familie robbie Experimental setting GHI-1
Videolänge
00:36
idling motions
Anzahl Personen
3
Laptop writer
Kürzel
M (48), F (46), S (10)
Zuschauer Besonderheiten:
gesteuert von Interaktionssituation mit
X facetrack
404
Anhang
Transkript A 2108 1556 men und gruppe gucken Filename
A_2108_1556_men und gruppe gucken
Experimental setting GHI-1
Videolänge
3:21
idling motions
Anzahl Personen
2/3
Laptop writer
X
Kürzel
M1(56), M2(47), F1(25), F2(22), F3(24)
gesteuert von
I in Osaka
Interaktionssituation mit
K
Zuschauer Besonderheiten:
Anhang
405
Transkript A 1008 1432 enlaender checken GHI-1 Filename
A_1008_1432_enlaender checken GHI-1
Experimental setting GHI-1
Videolänge
01:21
idling motions
Anzahl Personen
4
Laptop writer
Kürzel
M1 (38), M2 (32), M3 (34), M4 gesteuert von (36)
Zuschauer Besonderheiten:
Interaktionssituation mit
X facetrack
406
Anhang
Transkript A 2708 1708 2guys check GHI-1 Filename
A_2708_1708_2guys check GHI-1
Videolänge
0:52
Anzahl Personen Kürzel Zuschauer Besonderheiten:
Experimental setting GHI-1 idling motions Laptop writer
M(46), J(19)
gesteuert von Interaktionssituation mit
Facetrack X
Anhang
407
Transkript A 2508 1541 family and others Filename
A_2508_1541_family and others
Experimental setting GHI-1
Videolänge
4:13
idling motions
Anzahl Personen
4+3+1
Laptop writer
X
Kürzel
JM(23), M(54), T (13), F(54)/F2(54), Mädel M2(24), J(24)/J2(24)
gesteuert von
Teleoperation Chris Student (GHI-1)
Zuschauer
Partiell J2
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: jg Mann (JM (23) und Vater (M(54))und Mutter (F(54)) sprechen mit GHI-1./Chris und junge Leute suchen Dachterrasse, J2 schaut Broschüre und betrachtet GHI-1 nebenbei
408
Anhang
Anhang
409
410
Anhang
Transkript A 2708 1535 Kids Filename
A_2708_1535_Kids (gekürzt)
Experimental setting GHI-1
Videolänge
6:01 (gekürzt)
idling motions
Anzahl Personen
2
Laptop writer
X
Kürzel
J(11), Md(12), Md2 (9), F3(54), M2(56)
gesteuert von
Chris (student)
Zuschauer
F1(46); M1(53), F2(39 Mutter von Md?), Md4(ca20), Md5(ca20)
Interaktionssituation mit
Besonderheiten: Kids von 1532 kommen (nach dem Gespräch mit R) wieder an den Tisch von G
Anhang
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412
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