Zur Grundlegung der Ontologie [Reprint 2015 ed.] 9783111456461, 9783111089034

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German Pages 338 [340] Year 1935

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
Erster Teil: Vom Seienden als Seienden überhaupt
I. Abschnitt. Der Begriff des Seienden und seine Aporie
1. Kapitel. Die ontologische Grundfrage
2. Kapitel. Ein heutiger Versuch. Fehler tat Ansatz
3. Kapitel. Einstellung der ontologischen Erkenntnis
4. Kapitel. Stellung und Verwurzelung des Seinsproblems
II. Abschnitt Traditionelle Fassungen des Seienden
5. Kapitel. Naiver und substantieller Seinsbegriff
6. Kapitel. Das Seiende als Universales und als Singuläres
7. Kapitel. Das Seiende als Aufbauelement und als Ganzes
III. Abschnitt Bestimmungen des Seienden ans der Seinsweise
8. Kapitel. Wirklichkeit, Realität, Seinsgrabe
9. Kapitel. Reflektierte Fassungen des Seienden
10. Kapitel. Die Grenze der Diesseitsstellung
Zweiter Teil: Das Verhältnis von Dasein und Sosein
I. Abschnitt. Die Aporetik von „Daß” und „Waß"
11. Kapitel. Realität und Existenz
12. Kapitel. Die Trennung von Dasein und Sosein
13. Kapitel. Aufhebung der Trennung
14. Kapitel. Die Urteilstypen und ihre Überführbarkeit
II. Abschnitt. Ontisch positives Verhältnis von Dasein und Sosein
15. Kapitel. Aushebung des ontologischen Scheines
16. Kapitel. Die Fehler im Modalargument
17. Kapitel. Konjunktiver und disjunktiver Gegensatz
III. Abschnitt. Das innere Verhältnis der Seinsmomente
18. Kapitel. Das Dasein im Sosein und das Sosein im Dasein
19. Kapitel. Identität und Verschiedenheit der Seinsmomente
20. Kapitel. Das Ergebnis und seine Konsequenzen
21. Kapitel. Gegebenheitsweisen und Seinsweisen
Dritter Teil: Die Gegebenheit des realen Seins
I. Abschnitt. Die Erkenntnis und ihr Gegenstand
22. Kapitel. Gnoseologisches und ontologisches Anfichsein
23. Kapitel. Die Transzendenz des Erkenntnisaktes
24. Kapitel. Die Antinomien im Erkenntnisphänomen
25. Kapitel. Transobjektivität und Übergegenständlichkeit
26. Kapitel. Die Grenzen der Erkennbarkeit
II. Abschnitt. Die emotional-transzendenten Akte
27. Kapitel. Emotional-rezeptive Akte
28. Kapitel. Abstufungen des Erfahrens und Seinheit der Realität.
29. Kapitel. Die emotional-prospektiven Akte
30. Kapitel. Eigentliche Gefühlsakte prospektiver Art
31. Kapitel. Emotional-spontane Akte
32. Kapitel. Innere Aktivität und Freiheit
III. Abschnitt. Reales Leben und Realitätserkeuntnis
33. Kapitel. Der Lebenszusammenhang als seiender
34. Kapitel. Besondere Sphären der Einbettung in die reale Welt
35. Kapitel. Erkenntnis und emotionale Gegebenheit
36. Kapitel. Die Sonderstellung der Erkenntnis
37. Kapitel. Die Stellung der Wissenschaft
Vierter Teil: Problem und Stellung des idealen Seins
I. Abschnitt. Die Gegebenheit des mathematischen Seins
38. Kapitel. Ontologische Aporetik der Idealität
39. Kapitel. Theorien und Auffassungen
40. Kapitel. Idealerkenntnis und objektive Gültigkeit
41. Kapitel. Idealerkenntnis und Realerkenntnis
II. Abschnitt Verbundenheit des idealen und realen Seins
42. Kapitel. Das Verschwinden der Idealen Gegenstände im Erkenntnisselde
43. Kapitel. Die dreifache Hintereinanderschaltung
44. Kapitel. Relative Selbständigkeit des idealen Seins
45. Kapitel. Indifferenz und Gebundenheit
III. Abschnitt. Das ideale Sein im Realen
46. Kapitel. Die Phänomenologie der Wesenheiten
47. Kapitel. Wesensschau und Evidenz
48. Kapitel. Das Reich des Logischen und seine Gesetze
49. Kapitel. Das Reich der Werte und seine Seinsweise
50. Kapitel. Seinsweisen und Sphärenlagerung
51. Kapitel. Bewußtseinsnähe und Idealtranszendenz
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Zur Grundlegung der Ontologie [Reprint 2015 ed.]
 9783111456461, 9783111089034

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Zur G r u n d l e g u n g öer

O n t o lo g i e von

Nicolai tzartmaan

Zweite unveränderte Auflage

1941

Walter -e Hrupter &C». eoraol« S. Z. «scheaschr vrrlagshan-long / Z. Vattentag, Verlag« bachhaudluag / Sevrg Rtfmtt / Karl % Crflbntr / Veit * Comp. Berlin

Printed in Gennany Avchtv-Nr. 439341 Manuldruck von F. Ullmann G. m d. H.. Zwickau Sa.

Vorwort Die vier Untersuchungen, die ich in diesem Buche zusammengefaßt vorlege, — über das Seiende als Seiendes, Dasein und «Sofern, die Realitätsgegebenheit und das ideale S ein — bilden den Stuftest zu einer Ontologie, die ich seit zwei Jahrzehnten in Arbeit habe, deren nächst­ folgende Teile im Entwurf bereitliegen und in absehbarer Zeit folgen sollen. Das geplante Ganze bildet den fundamentalphilosophischen Hinter­ grund meiner seither erschienenen systematischen Arbeiten — der „Meta­ physik der Erkenntnis", der „Ethik" und des „Problems des geistigen Seins" —, hat sich wohl auch in deren Aufbau wiederholt angekündigt. Es fertigzustellen war eine Aufgabe, die erst langsam der Berwirllichung entgegenreifen konnte. Es liegt im Wesen eines Hauptwerkes, daß es einem anderen Entwicklungsgesetz unterliegt als die Behandlung peri­ pherer Teilgebiete; es erlangt seine Spruchreife später, weil das Feld des Gegebenen, auf dem seine Ausgänge liegen, sich über die Teügebiete hin erstreckt, und alle philosophische Erfahrung erst auf diesen gesammelt wird. Es bestätigt sich darin das Gesetz des Aristoteles, daß der Weg alles Erkennens vom für uns Früheren zum an sich Früheren und Fundamen­ taleren fortschreitet. Die Richtung des Weges läßt sich, wenn Philosophie nicht in Spekulation ausarten soll, nicht umkehren. Es ist die Ungeduld des spekulativen Bedürfnisses, die es anders wlll. S ie ist jederzeit bereit, das Ganze vorwegzunehmen, aus ihm Folgerungen abzuleiten und für Einsichten auszugeben. Aber sie eben hat zu schweigen, wo es gilt, wirkliche Einsicht zu gewinnen. Die Zeiten der allen, aprioristisch-dedukttven Ontologie wieder heraufzuführen, kann das Anliegen heutiger Bemühung nicht sein. Wohl müssen manche der allen Themen in neuem Gewände wieder­ kehren; Probleme stehen und fallen ja nicht mit den Methoden, die sich an ihnen versuchen. Aber die Behandlungsweise ist eine andere geworden. Die phllosophische Errungenschaft der neuzeitlichen Jahrhunderte, die Schule des kritischen Denkens, ist an ihr nicht spurlos vorübergegangen. Eine neue, kritische Ontologie ist möglich geworden. S ie zu verwirllichen ist die Aufgabe. I h r Verfahren läßt sich nicht zum voraus darlegen, es entspricht keinem der hergebrachten einfachen Methodenschemata.

Es wird sich erst im Fortschreiten an seinem Gegenstände ausweisen und rechtfertigen können. F ü r eine Überschau, von der aus es sich abschließend beurteilen ließe, reichen auch die vier Untersuchungen dieses Bandes noch keineswegs aus. Diese Untersuchungen machen den Anspruch nicht, ein geschlossenes Ganzes zu bilden; sie sind nur das erste Glied einer natürlichen Problemsolge, aus deren Fortgang sie ihr Gewicht erst erhalten. Es wäre viel­ leicht gewagt, sie gesondert vorzulegen, w em nicht die breite Masse des ganzen Problemzusammenhanges gebieterisch eine vorläufige Grenz­ setzung vorschriebe. Praktisch ist es nicht möglich, eine so gewaltige Reihe von Untersuchungen, wie das Gesamtthema der Ontologie sie erfordert, in einem Buche zusammenzufassen. — Zugleich mache ich hiermit den Anfang, eine alte Schuld einzulösen. Es hat in meinen früheren Arbeiten nicht an ontologischen Boraussetzmgen gefehlt, die ich machen mußte, ohne sie zureichend begründen zu können. Durch eine Reihe kleinerer Abhandlungen („Wie ist kritische Ontologie möglich", „Kategoriale Gesetze" u. a.) habe ich diesem M m gel zu begegnen gesucht. D as konnte auf die Dauer nicht genügen, da es sich ja nicht um Klärmg von Randfragen, sondern um die Grundlegung eines Ganzen handelte. Das Fragmentarische solcher Behandlmg mußte selbst wiederum Mißverständnisse heraufbeschwören. I n der Beurteüm g der Fachgenossen sind die Mißverständnisse denn auch nicht ausgeblieben. Jh n m im Einzelnen entgegenzutreten, ohne selbst etwas Geschlossenes vorzulegen, schien mir aussichtslos. Das geschlossene Ganze aber ließ sich nicht gewaltsam vortreiben. Roch mehr glaube ich denen eine Art Rechenschaft schuldig zu sein, die aus meinen Arbeiten auf eigene Faust Folgerungen von allgemein systematischer Art gezogen haben. Was es damit auf sich hat, dafür möchte ich als Beispiel nur die Tatsache anführen, daß vor einigen Jahren eine Dissertation über meine „Ontologie" erschienen ist, aus der ich zu meiner Verwunderung erfuhr, daß das noch ungeschriebene und selbst in meinem Kopf noch nicht ausgereifte Werk schon längst im Kopfe eines geschwinderen Zeitgenossen abgeschlossen, mit einem Ism u s abgestempelt und aufs sauberste Punkt für Punkt widerlegt sei. M an halte das nicht für einen schlechten Witz. Die Leine Arbeit war so übel nicht; was sie widerlegte, ist zu Recht widerlegt. S ie wider­ legte mir eine andere Ontologie, nicht die meinige. Der F all steht auch nicht ganz vereinzelt da. Willkürlichen Ergänzungen bin ich bei den meisten meiner Beurteiler begegnet. Und stets bewegen sich die Ergänzungen in dem eingefahrenen Geleise irgend eines der traditionellen Systemtypen. S ie beruhen nicht nur auf freier Erfindung, sie arbeiten vielmehr auch mit blind übernommenen Begriffen und Denkgewohn-

heiten, und zwar in der Regel mit eben denjenigen, die ich als fehlerhaft verworfen hatte. Die Erfinderischen zu warnen fruchtet wenig. Es war auch kein genügendes Bollwerk gegen Verunstaltungen, daß ich selbst die weltanschaulichen Folgerungen in aller Ausdrücklichkeit ablehnte. Bloße Abwehr überzeugt nicht; man mag sich verwahren, wie man will, es glaubt es einem keiner. Ein jeder wittett Unausgesprochenes und meint ein Recht zu haben, es seinerseits aus besserem Wissen heraus auch ohne jede weitere Untersuchung auszusprechen. Die Erfahrung der Wissen­ schaft lehrt etwas ganz anderes: vor jedes Begreifen und jede Errungenschast haben die Götter den Schweiß der Arbeit gesetzt. Und die Arbeit ist es, was erst geleistet werden muß, hier wie überall, im Lesen wie im selbständigen Denken. Ohne sie wird alle Philosophie zur Speku­ lation. — Was ich nun meinerseits hier vorlege, ist immerhin ein Stück Arbeit, das sich nicht mit Bmchstücken begnügt, sondern von unten auf beginnt, wenn es die Abrundung nach oben auch nicht gleich mitbringt. Es ist der grundlegende Teil der Ontologie und umfaßt die unerläßlichen Borftagen alles weiteren Forschens nach dem Aufbau der seienden Welt. Es gehört insofern mit größerem Recht als alles Speziellere unter den umfassenden Titel „Ontologie", als er allein vom Sein im allgemeinen handelt und das entsprechende Thema der alten Seinslehre „de ente et esscntia“ der Sache nach aufgreift. Am Titel fteilich liegt nicht allzu­ viel, die Sache muß ihn ohnehin erst mit neuem Inhalt erfüllen. Ich hätte den von Aristoteles geprägten Namen „philosophia prima“ vor­ gezogen, wenn die Aussicht bestünde, ihn wieder einzubürgern. Die Aussicht schien mir nicht zu bestehen. Bon „Ontologie" haben wir in den letzten Jahrzehnten mancherlei gehört. Nicht nur was den Titel führt, wie die Werke von H. ConradMartius ratb Günther Jacoby, gehört hierher. Auch Meinongs Gegenstandstheorle, Schelers metaphysische Ansätze, Heideggers „Sein und Zeit" sind hier zu nennen, desgleichen manche weniger beachtete Versuche. Das Aufkommen dieser Tendenz hängt aufs engste mit dem Wieder­ erwachen der Metaphysik zusammen, das seinerseits als Reaktton gegen die inhaltliche Leere des niedergehenden Neukantianismus, Posittvismus und Psychologismus im Beginn unseres Jahrhunderts einsetzte. Es kündete sich darin offensichtlich eine Bewegung allgemeinen Auflebens des philosophischen Geistes an, und sie wäre wohl in größerem Maßstabe durchgedrungen, wenn nicht in eben diese Zeit die Höhe des Historismus gefallen wäre, der durch seine Relattviemng des Wahrheitsbegriffs ein skeptisch hemmendes und auflösendes Gegengewicht zur Seinsproblemattk bildete.

Wohin ich blicke in diesen Ansätzen, ich finde überall nur die An­ kündigung der kommenden Ontologie, nirgends einen Versuch, sie selbst wirllich durchzuführen. Teils bleiben sie in der Voruntersuchung hängen, die das Verhältnis von Erkenntnis und S ein betrifft — wobei dann der ontologisch ungeklärte Erkenntnisbegriff alles weitere a limine illusorisch macht; teils verwechseln sie die Seinsftage mit der Gegeben­ heitsfrage, oder gar das Seiende selbst mit dem subjektbezogenen „Gegen­ stände"; teils suchen sie nach Cartesischer Art den Ansatzpunkt überhaupt int Subjekt — einerlei ob dieses nun als der Mensch, die Person oder das „Dasein" ausgelegt wird —, wobei von vornherein dir Indifferenz des Seienden gegen jede Art von Erkennen und Verhalten des Subjekts verfehlt wird. M an muß es aussprechen: es ist im Ganzen bei der Ankündigung geblieben, die Ontologie selbst ist nicht gefolgt. I h r Thema wurde gar­ nicht eigentlich gestellt, geschweige denn in Angriff genommen — nicht weil man es nicht im Emst gewollt hätte, sondem weil man es nicht zu fassen wußte. Es zu fassen ist auch weder im Geleise der hergebrachten Theorien, noch mit deren bloßer Destruktion möglich; das erstere beweist plastisch der Versuch Jacobys, das letztere der Heüwggers. Eine besondere Stellung dagegen nimmt Hans Pichler ein. Er gjng als einer der ersten voran mit seinem Keinen, aber gewichttgen Buch „Über die Erkennbarkeit der Gegenstände" (1909), einer Schrift, die ihrem Titel zum Trotz weit mehr ontologisch als erkenntnischeorettsch angelegt ist und wohl eben deswegen zu wenig gewürdigt worden ist. Auch Pichler fteilich ist weit entfernt, eine Durchführung zu geben. Doch hat er das hohe Verdienst, als Einziger das Seinsproblem wirllich getroffen zu haben; wie denn seine ausdrückliche Bezugnahme auf Wolfs Lehre von der ratio sufficiens, sowie seine spätere Schrift über „Christian Wolfs Ontologie" (1910), seine Orientierung an der maßgebenden ge­ schichtlichen Quelle bekundet. Pichlers Vorgang war es, der mich seinerzeit in der Überzeugung, den rechten Weg eingeschlagen zu haben, bestärtte. Er gab mir gleichzeittg in meiner Einschätzung Wolfs recht, mit der ich mich damals wie heute so gut wie allein sah. Diese Einschätzung macht aus Wolf keineswegs einen bahnbrechenden Philosophen. Kein Zweifel, Wolf hat nur zusammengestellt, was wirllich führende Köpfe erarbeitet, und dabei gewiß auch manches verwässert. Aber eben die Zusammenstellung ist bei der weitverzweigten Problematik des Seins, ihrer langen Vor­ geschichte und chrer unübersichtlichen Zersprengtheit in die Kleinarbeit scholastischer Streitftagen eine Leistung von hohem Wert. Und dieser Wert steigt noch bedeutend, wenn man erwägt, daß Wolfs „Philosophie prima sive ontologia“ (1730) die einzige kompendiarische Darstellung

der ganzen Seinsproblematik geblieben ist. Weder Johannes Clauberg vor ihm noch Hegel nach ihm reicht daran heran. Jen er erreichte weder die Tiefe noch die Ganzheit der einschlägigen Fragen; dieser stellte — bei ungleich höherem Niveau des Denkens — alles in den Dienst seines dialektischen Bemunftidealismus und brach damit allem Forschen nach der eigentlichen Seinsweise die Spitze ab. D as Verdienst der Hegelschen Logik, die in chren ersten beiden Tellen allerdings eine Ontologie ist und von Hegel selbst als eine solche bezeichnet ist, sehe ich in ganz anderer Richtung. S ie schlug den Weg in die Besonderung des Seienden ein und hat damit Bcchn gebrochen für das Ver­ ständnis der kategorialen Mannigfaltigkeit, ja für die innere Einheit von Ontologie und Kategorienlehre überhaupt. S ie ist die größte durch­ geführte Kategorialanalyse, die wir besitzen, und sie ist die einzige geblieben, die in diesem Felde etwas Durchschlagendes geleistet hat. Sie philosophisch auszuschöpfen ist bis auf den heutigen Tag noch keineswegs gelungen. Als Ontologie verstanden aber blieb sie in derselben Halbheit stecken, die allen spekulativen Systemen eigen ist, sofern es ihnen letzten Endes um die Rechtfertigung metaphysischer Thesen zu tun ist. Die Aus­ wertung der Hegelschen Logik ist eine Aufgabe der speziellen Kategorien­ lehre, nicht die einer Ontologie der ersten Grundlagen. — Andererseits führt von Wolf aus die Perspektive auch rückwärts. Sieht man in seiner Ontologie von der Zentralstellung des Leibnizischen principium rationis sufficientis ab, so ist die Reihe seiner Themen durch­ weg der mittelalterlichen Metaphysik entnommen. Wie er selbst aus Suarez schöpfte, so dieser aus Thomas, Duns Scotus, Occam, ja aus Anselmus und Abälard. Man wird hiermit direkt in die Jahrhunderte des großen Universalienstreites hineinversetzt. Dieser S tte it war von Anbeginn eine ontologische Angelegenheit. Es ging in chm um die Stel­ lung der Wesenheiten (essentiae), an diesen aber hing die Seinsweise von Ding, Welt, Mensch, Geist, der niederen also nicht weniger als der höchsten Seinsstufen. Es macht das innere Gewicht des Universalienstreites aus, daß er im Antagonismus der mittelalterlichen Schulen nicht entfernt aufgeht. E r stammt aus der llassifchen Philosophie der Griechen und hat bereits in Platon und Aristoteles seinen ersten Höhepuntt. I n der Scholastik gerade ist sein S inn durch eine Reihe unerfreulicher Scheinprobleme verdunkelt worden, die chn unausgesetzt begleiten und mit der Zeit immer mehr beherrschen. M an denke an die Spitzfindigkeüen, wie sie z. B . die Besorgnis um das Sein der „Engel" in das von Hause aus durch­ aus ernsthafte und an wirllichen Phänomenen orientierte Problem der Individuation hineingettagen hat. Eine strenge problemgeschichtliche Würdigung der ontologischen

Errungenschaften, die wir den Meistern des Begriffsrealismus und ihren Gegnem verdanken, gibt es meines Mssens noch nicht. S ie ist auch nicht zu erwarten von einem Geschlecht, das den ursprünglichen S inn des Seinsproblems verloren hat und eine Ontologie als philosophische Disziplin gamicht kennt. Ich kann im Rahmen meiner Aufgabe die Geschichte des Universalienstreites nicht ableuchten. Das ist Sache des Historikers. Ich kann dem Historiker nur die systematische Basis schaffen, von der aus das Problem dieses gewaltigen Ringens ihm wieder lebendig und gegenwärtig werden könnte. Der Universalienstreit ist nicht abgetan, nicht eine Sache ferner Vergangenheit, über die wir glücklich hinausgewachsen wären. Er ist, so möchte ich behaupten, noch eine heutige Angelegenheit. Was uns an ihm fast absichtlich vorbeisehen läßt, als wäre er ein Atavismus, den man belächeln dürfte, das ist die eigene ontologische Problemlosigkeit unserer Zeit. M an sollte nicht vergessen: er ist die Form, in -e r von Aristoteles bis auf Leibniz die führenden Denker nach dem Prinzipiellen und Bleibenden in der Welt gesucht haben. Und er ist unendlich lehneich für uns Heutige, weil sich auf seinem Boden das Problem der allgemein­ sten Seinskategorien— das Grundproblem also der philosophia prima — bis zu einer gewissen Spruchreife herausgebildet hat. Oder ist es etwa nicht wahr, daß dem Kategorienbegriff heute noch dieselbe Zweideutigkeit anhaftet, die damals die Streitfrage der Uni­ versalien hervorrief? Ob Kategorien Auffassungsweisen des Menschen oder unabhängig von aller Auffassung bestehende Grundzüge der Gegen­ stände sind, ist heute noch die ontologische Grundfrage der Kategorienlehre. Was aber war es, worum zwischen Roscellin und Anselmus, Thomisten und Occamisten die Kontroverse ging? Es ist, bezogen auf die funda­ mentalsten Wesensstücke alles Prädizierbaren, eben diese Frage, ob sie bloß in mente oder auch in rebus (resp. gar ante res) bestünden. Sieht man hier von den extremsten Zuspitzungen ab, so zeigt sich, daß die Grundfrage immer noch dieselbe ist, und daß der alte Gegensatz von Nominalismus und Realismus ein immer noch fortbestehendes Kardinal­ problem ausmacht. Die scholastischen Theorien haben das Problem nur weit allgemeiner gefaßt und eine größere Mannigfaltigkeit der Auffassungen hervor­ gebracht, als dem heutigen Denken geboten scheinen würde. Doch dürfte gerade das heutige Denken hier einer Selbsttäuschung unterliegen. Denn fast in gleicher Ausdehnung findet sich auf seinen eigenen Spezial­ gebieten das Problem wieder. Es fehlt nur das Wiedererkennen des M ten im neuen Gewände. Was heißt es denn, wenn heute die exakte Wissenschaft von Naturgesetzen redet, an denen es in ihrer eigenen Auffassung höchst fraglich bleibt, inwieweit sie wirllich Gesetze bestehender

Naturzusammenhänge, inwieweit bloße Gesetze wissenschaftlichen Den­ kens sind? Daß der heutige Positivismus von dieser Zweideutigkeit bis in die Wurzeln zersetzt ist, daß es unter seinen Vertretern Köpfe gibt, die ohne es zu ahnen, bei ausgesprochen nominalistischen Folgerungen an­ gelangt sind, ist kein Geheimnis. M e Konsequenz aber finde ich nirgends gezogen. Hier geht es zwar nicht um die ontisch fundamentalen Wesen­ heiten, sondern um weit speziellere. Aber eben das ist lehrreich. Das Problem ist nur dem besonderen Inhalt nach verschoben; im Prinzip ist es das alte: ob das, was man als Weseusstücke des Erkannten heraus­ hebt und in Urteilen aussvricht, ein S ein in rebus hat, ober bloß post rem, d. h. in der Abstraktion, besteht. — Die große geschichtliche Linie des Seinsproblems stellt sich, wiewohl vielfach unterbrochen, verdunkelt, überwuchert, doch als klar und ein* heutig heraus. Weder skeptische noch kritische Philosophie hat sie ab­ lenken können. Verfolgt man sie bis zu ihrem Quellpunkt zurück, so stößt man aus die Aristotelische „Metaphysik". Der Titel dieses Werkes, im heutigen Sinne des Wortes verstanden, führt irre, stammt auch nicht von seinem Schöpfer. Es ist— mit Ausnahme vielleicht des 12. Buches— durchaus keine Metaphysik, sondern eine Seinstheorie. Aristoteles nannte sie „Erste Philosophie" und definierte diese als „Wissenschaft vom Seienden als Seienden". Die beiden grundlegenden Kategorien­ paare, die das Ganze beherrschen, — Form und Materie, Potenz und Aktus — lassen auch inhalllich hierüber garkeinen S treit zu. Diese „Metaphysik" — selbst schon ein Spätprodukt des griechischen Geistes und in bewußter Auseinandersetzung mit Platon und den Altmeiftem der Borsokratik entstanden — ist für alle Zeiten das Grundwert der Ontologie geblieben. M it ihr vor allem muß auch heute noch jeder neue Versuch sich auseinandersetzen. Er muß es um so mehr, je mehr er von den hier eingeschlagenen Wegen abweicht, die zwei Jahrtausende überdauert haben. M e methodische Strenge der Aristotelischen Unter­ suchungsweise, sowie der Reichtum ihrer Aporien rechtfertigen das durchaus. M an braucht deswegen keineswegs zum Aristoteliker zu wer­ den, genau so wenig, als man dmch das Lernen an Christian Wolf zum Wolfianer zu werden braucht. Aristotelische Ontologie ist heute so wenig möglich wie Wölfische. Aber als Problemquelle und Gegenhalt ist die eine wie die andere nicht zu entbehren. Einmal aufgedeckte Probleme haben ihr Eigengesetz in der Geschichte. Solange sie nicht enbgültig gelöst werden, verjähren sie nicht, wieweit auch der Brennpunkt jeweiliger Interessiertheit von ihnen abweichen mag. Bon endgültiger Lösung aber ist die große Problemgruppe des „Seienden als Seienden" heute wie ehedem weit entfernt. S o eben steht es im Seinsproblem, daß man sich seine Vorgänger

in beträchtlicher geschichtlicher Fem e suchen muß. D as ist die Folge deS fast zweihundertjährigen Schlafes, in dem die Ontologie gelegen hat. S ie zu erwecken erfordert ein weites Ausholen. Die oben genannten Versuche der jüngsten Vergangenheit haben ein solches nicht zuwege gebracht. D as ist der Grund, ttmmnt sie bis zu einem wirklich ontologischeu Ansatz nicht gelangt sind. Die Aufgabe also ist neben aller aufbauenden Arbeit eine doppelte: die alte Ontologie in ihrem Problembestande wiederzugewinnen und zugleich Distanz gegen sie zu gewinnen. Das.letztere ist dmch die Tat­ sache geboten, daß sie von Anbeginn mit spekulativ-metaphysischen Problemen belastet war, die den Bestand der reinen Seinsfrage verunklärt haben. W as uns für alle Zeiten von chr trennt, ist die Kantische Neu­ gestaltung der Erkenntnistheorie. Die Kritik der reinen Vernunft wandte sich zwar, soweit sie überhaupt die Ontologie betraf, nur gegen deren deduktiv-apriorischen Charakter; aber eben damit traf sie doch manche der ersten Voraussetzungen, die man von jeher gemacht hatte. Darüber hinaus zeigte sie, daß es eikenntnistheoretische Bedingungen gibt, deren Klarstellung auch für das Seinsproblem, unentbehrlich ist. Zu der Er­ kenntnis aber, daß sie ihrerseits auch ontologische Voraussetzungen machte — zwar iwtwendige Voraussetzungen, aber keineswegs gesicherte und kritisch ausgewogene —, drang sie nicht dmch. Wie berat Kant auch nicht in Rechnung zog, daß er selbst in weitem Maße mit den Kategorien der ölten Ontologie arbeitete. W as der Kritik fehlte, war gerade das Gerüst einer neuen, kritisch angelegten Ontologie. Alt- und Neukantianer haben den Mangel empfunden, aber nicht erkannt. S ie suchten ihm dmch Überspitzung des Idealism us zu begegnen, haben ihn damit aber nur vergrößert. D as Umgekehrte war erfordert. D as Erfordemis wuchs und trieb schließ­ lich den Umschlag hervor, die Mckwendung zum Seinsproblem. I n dieser Mckwendung stehen wir heute. S ie ist es, aus der jene Ankündigung einer neuen Ontologie kam, die bislang unerfüllt geblieben ist. Es ist an der Zeit, endlich einen Vorstoß zu ihrer Erfülltmg zu machen. B e r l i n , September 1934. N ic o la i H a rtm a n n .

Inhalt Seite E in le itu n g ................................................................................................ 1. Überkommene Denkform, Denhwang und Denkgewohnheit.. 2. Problemlosigkeit, Problemmüdigkeit, Relativismus ............... 3. D as Seinsproblem in den idealistischen Systemen................... 4. Ontologischer Hintergrund des R elativ ism u s............................. 6. Metaphysischer Hintergrund der Naturwissenschaft .............. 6. Die Metaphysik des organischen Leben-..................................... 7. D as Metaphysische im Seelenleben ........................................... 8. DaS Metaphysische im objektiven Geiste ............................... 9. D as Metaphysische in der logischen S phäre............................... 10. Der Verfall des ErkenntniSproblemS....................................... 11. Phänomenologie und Metaphysik der Erkenntnis.................... 12. Die Metaphysik deS Ethos und der Freiheit........................... 13. Metaphysik der SBerte.................... ........................................... 14. Metaphysik der Kunst und deS S chönen................................... 15. Metaphysik der Geschichte............................................................. 16. Der geschlossene Rahmen der metaphysischen Probleme ........ 17. D as ontologische Element in den metaphysischen Problem en, 18. Der Gedanke einer neuen philosophia prima ........................ 19. Philosophia prima und philosophia ultim a ........................... 20. Darstellung, Einteilung und Begrenzung................................... 21. Verhältnis der neuen zur alten O ntologie...............................

Erster Teil

Bom Seienden a ls S eiend en überhaupt I. Abschnitt. Drr Begriff beb «eiende» und feine «Porte. 1. Kapitel. D ie ontologische G ru n d fra g e . ................................................. a. Ausgang diesseits von Idealism us und R ealism us.............................. b. Sein und Seiendes. Formaler S in n der Grundfrage ...................... c. Die Aristotelische Fassung der F rage....................................................... 2. Kapitel. E in h e u tig e r Versuch. F e h le r im Ansatz .......................... a. Abwegigkeit der modifizierten S ein sfrag e............................................. b. Seinsfrage und S in n fra g e.................. ................................................... 3. Kapitel. E in stellu n g der o n tologischen E rk e n n tn is ........................ a. Ungreifbarkeit und Undefinierbarkert des Seins ................................. b. Grundsätzliches zum weiteren Vorgehen ............................................... c. Natürliche und reflektierte E instellung................................................... d. Intentio recta und intentio obliqua ..................................................... 4. Kapitel. S te llu n g u nd V e rw u rz e lu n g des S e in s p ro b le m s ........ a. Natürliche-, wissenschaftliches und ontologisches Verhältnis zur Welt. b. Gemeinsame- Verhältnis zum Seienden. Der natürliche Realismus c. Inhaltliche Unterschiede und Einheit deS Gegenstandsfeldes.............. d. Der gegebene Aspekt des Seienden und seine Berfehumg ................

IL Abschnitt. Tradtttonelle Fassungen des Seienden. 5. Kapitel. N a iv e r u n d su b sta n tie lle r S e i n s b e g r i f f ............................. a. D a- Seiende als Dina, Gegebenes, W eltgrund................................... b. Die ontologischen Motive im antiken Substanzgedanken .................... c. Das Seiende als Substrat und als Bestimmtes (Materie und Form) d. Die Gleichsetzung von ens und b o rn im ................................................. 6. Kapitel. D a s S e ie n d e als U n iv e rs a le s u n d a ls S in g u lä r e s . . . a. D a- Seiende als Wesenheit (essentia) ................................................. b. Individualisierung de- EidoS ................................................................. c. DaS Seiende als das Existierende........................................................... 7. Kapitel. D aS S e ie n d e als A u fb a u e le m e n t und a ls G a n z e s ___ a. Individualität und Allgemeinheit, Individuum und Allheit................ b. DaS Seiende als Individuum, Element, G lie d ................................... c. Grenzen der atonnstischen Seinsauffassung........................................... d. DaS Seiende als Allheit, Ganzheit, System ....................................... e. Der Fehler im Sein-gedanken der G an zh eit.......................................

Sette 57 57 69 61 62 63 63 64 65 66 66 68 69 69 71

IBL Abschnitt, vrstinnnnngen deS Seienden a«S der SeinSveise. 8. Kapitel. W irklichkeit, R e a litä t, S e i n S g r a d e ....................................... a. Das Seiende als actu e n s ...................................................................... b. DaS Seiende als Reales.......................................................................... 6. Sein-schichten, Sein-stufen und S einsgrade......................................... d. Z ur Kritik der SeinSgrade....................................................................... e. Die SeinSeinheit der realen Welt ....................................... ................. 9. Kapitel. R e fle k tie rte F assu n g en des S e ie n d e n ............................... a. DaS Seiende als Gegenstand, Phänomen und Z uhandenes.............. b. Das Seiende als Tran-objektives und Irra tio n a le -............................. c. Die Subjekttheorien deS S eien d en ......................................................... 10. Kapitel. D ie G re n z e der D ie s s e its s te llu n g ....................................... a. Die Phänomenbasis der subjektivistischen Bestimmungen................... b. D a- korrelativistische Borurteil ............................................. ........... . c. Sein des Phänomens und des Erkenntnisverhältnisses.......................

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Zweiter Teil

D as Verhältnis von Dasein und Sosein I. «»schirm. Me « te te tit vor» „Daß" «,d „W as". 11. Kapitel. R e a li tä t u n d Existenz ............................................................... a. Die Indifferenzen de- Seienden ..................................... .............. b. Unstimmigkeit der traditionellen Begriffe............................................... c. Essentia und ideales S e i n ...................................................................... d. „Daß" und „Was" des Seienden. Die q u id d ita s............................. 12. Kapitel. D ie T re n n u n g von D a se in und S o se in ......................... a. Ontologische Zuspitzung des Gegensatzes............................................... b. Logische und gnoseologische A rgum ente................................................. c. Metaphysische Zuspitzungen ..................................................................... d. Fehlerhafte Fassung der Begriffe „in mente" und „extra mentem" e. Falsche Anwendung der Kantischen Begriffe ....................................... 13. Kapitel. A u fh e b u n g oer T r e n n u n g ........ ............................................. a. Gesetzeserkenntnis und Existenz der S tille ............................................. b. D as gnoseologisch Irritierende in der Erkenntnis a priori ................ e. Der schiefe Maßstab der Definierbarkeit ............................................ 14. Kapitel. D ie U rte ils ty p e n u n d ih re Ü b e rfü h rb a rk e it .................. a. Sonderstellung des Existenzialurteils und daS esse praedieativnm ..

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b. Überführung der Daseinsurteile in SoseinSurteile c. Nackte und bezogene DafeinSauSsage . . .............. d. Überführung der SoseinSurteile in Daseinsurteile II. Abschnitt, vnttsch Positives Verhältnis von Dasein und Sosein. 15. Zkapitel. A u fh eb u n g des ontologischen S c h e in e - ............................. a. Ontologischer Mißbrauch der Substratkategorie..................................... b. Die vermeintliche Indifferenz und Zufälligkeit des D aseins................ c. Der Sinn der Indifferenz und ihre A ufhebung................................. 16. Kapitel. D ie F e h le r im M o d a l a r g u m e n t ........................................... a. Falsche Argumentation mit Möglichkeit und Wirklichkeit .................... b. Richtigstellung der F e h le r........................................................................ c. Das Lehrreiche in den Fehlern der Argumente ................................. 17. Kapitel. K o n ju n k tiv e r und d is ju n k tiv e r G egensatz......................... a. Der Begriff des ontisch neutralen SoseinS........................................... b. Der Sphärenunterschied als Gegensatz der Daseins-Weise.................. c. Konjunktion der Semsmomente und Disjunktion der Seinsweisen.. d. Exposition und Reduktion des Grundschemas ..................................... e. Die Rolle des neutralen Soseins im Universalienstreit ..................... f. Die Stellung der phänomenologischen „Wesenheiten" ....................... H I. Abschnitt. DaS innere Verhältnis der SeinSmomente. 18. Kapitel. D a s D asein im S o se in und d a s S o se in im D asein . . . a. Verbundenheit und Relativität im Verhältnis der SeinSmomente . . . b. Primäres Weltbewußtsein. Sprache und logische F o r m .................... c. Inhaltliche Relativität von „Daß" und „W as"..................................... d. Besondere Umformungen der Urteile und ihr ontologischer Sinn — 19. Kapitel. I d e n t i t ä t u n d V ersch ied en h eit d er S e in S m o m e n te ... a. Die fortlaufend verschobene Identität von Dasein und Sosein im Ganzen des Seinszusammenhanges........ ....................................... b. DaS Sosein als Dasein von etwas „an" etwas ................................. c. Reichweite der Identität von Sosein und D asein................................ d. Die ontische Grenze der I d e n t it ä t......................................................... e. Der Richtungsunterschied in der verschobenen Identität .................... 20. Kapitel. D a s E rg e b n is und seine K onsequenzen ......................... a. Zusammenfassung der Resultate............................................................... b. Ausblick auf weitere Aufgaben .............................................................. c. Der Schein öer Getrenntheit und sein ontologischer G rund................ d. Der erkenntnisthe oretische Grund der T ren n u n g ................................. 21. Kapitel. G eg e b e n h e itsw e rse n u n d S e in s w e is e n ............................... a. Dreifache Überlagerung und dreifaches Grenzverhältnis..................... b. Berichtigung des Schemas. Wahre Stellung der Gegebenheitsweisen c. Gespaltenhert der Erkenntnis und Schein der ontischen S p altu n g . . .

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Dritter Teil

D ie Gegebenheit de» realen S e in » I. «sch»«. Die tffcMttaiS trab ihr »«,«>p«,b 22.

Kapitel. G noseologisches und ontologisches Ansichsein . . . a. Aufhebung der ontologischen N eu tralität................................... b. Errenntnistheoretischer Hintergrund deS AnsichseinSbegriffeS .. c. Aufhebung der Reflektiertheit im ontologischen Ansichsem — d. DaS Gesetz des Erkenntnisgegenstandes und daS Seiende —

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Sette SS. Kapitel. D ie T ra n sz e n d e n z d e - E rk e n n tn iS a k te S ........................... 166 a. BeweiSlast der Skepsis und Problem der M alitätSgeaebenheit.......... 166 b. Konsequenzen. Die Frage nach dem „Wie* der Sem-gegebenheit.. 167 e. Erkenntnis als transzendenter A k t........................................................... 169 d. Der erfassende Akt und sein Gegenstand............................................... 160 24. Kapitel. D ie A n tin o m ie n im E r k e n n tn i- p h L n o m e n ...................... 162 a. Phänomen und Theorie. Der natürliche R ealism us.......................... 162 b. Die Antinomie von Ansichsein und Gegenstandsein.............................. 164 c. Die Antinomie der Phänomentranszendenz ......... 164 d. Die Lösung der Antinomie und ihr Restproblem................................. 166 26. Kapitel. T ra n S o b je k tiv itä t u nd ü b e rg e g e n s tä n d lic h k e it............. 167 a. Problembewußtsein und ErkenntniSprogreß ......................................... 167 b. Das Ansichsein de- Tran-objektiven und de- Objizierten................ . 169 26. Kapitel. D ie G re n z e n der E rk e n n b a rk e it........................................... 170 a. D a- Auftreten des gnoseologisch Irra tio n a le n ..................................... 170 b. Begriff und Stellung de- „für uns" Unerkennbaren......................... 172 c. DaS Sein-gewicht des unendlichen Restes ........................................... 174 d. D a- Ansichsein de- Irra tio n a le n ............................................................. 175 IL Abschnitt. Die emotional-transzendenten Akte. 27. Kapitel. E m o tio n a l-re z e p tiv e A k te ......................................................... 177 a. Stellung und Strukur der ontisch fundamentalen A k te ...................... 177 b. Eigenart der emotional-rezeptiven Akte ............................................... 178 c. Widerfahrnis und Betroffensein. Härte des M alen und AuSgeliefertsein 179 d. Die Schicksalsidee. Erfahren uno Erfassen........................................... 181 28. Kapitel. A b stu fu n g en des E rfa h r e n s und E in h e it d er R e a litä t 183 a. Widerstanderfahren und D in g re a litä t................................................... 183 b. Zur Klärung de- ontologischen M alitätsbegrisfs................................. 184 c. Realität und Zeitlichkeit.......................................................................... 186 d. Erkenntnis und emotionales Realitätsbewußtsein.................................. 186 29. Kapitel. D ie e m o tio n a l-p ro sp e k tiv e n Akte ....................................... 187 a. DaS Leben im Vorgriff und daS Borbetroffensein............................. 187 b. M elle Antizipation. Erwartung und Bereitschaft............................... 189 c. Sekundäre Formen der Borfühlung....................................................... 191 30. Kapitel. E ig en tlich e G efü h lsa k te p ro sp e k tiv e r A r t ........................ 192 a. Die Akttranszendenz im emotional-selektiven Vorgreifen .................... 192 b. DaS Rechnen mit der Glückschance ....................................................... 194 c. Das Illusorische im Borbetroffensein und die Grenze der Akttranszendenz 196 d. Metaphysische Vorspiegelung und Scheinargumentation .................... 196 31. Kapitel. E m o tio n a l-sp o n ta n e A k te ......................................................... 198 a. Die Aktivität und ihre A rt von Akttranszendenz................................. 198 b. Unmittelbare Spontaneität und mittelbare Rezeptivität....................... 199 c. DaS Rückbetroffensein der Person in der eigenen Handlung .............. 201 d. DaS Realität-gewicht von Personen für P erso n en ................................202 e. Scheinbare Gespaltenheit der Realität. Fehler der Theorie.............. 203 32. Kapitel. I n n e r e A k tiv itä t u nd F r e i h e i t ............................................. 206 a. Die Eigenart interpersonaler Verbundenheit ....................................... 205 b. Die primäre Gegebenheit in der Stellungnahme....................................206 c. Die Rolle der Situation und ihre Gegebenheit-form............................ 207 IIL Abschnitt. Reale- Lebe» »nd RealitätSerkennlniS. 33. Kapitel. D e r L eb en sz u sa m m e n h a n g a ls s e ie n d e r........................... 209 a. Der Inbegriff der Akttranszendenz als realer LebensmoduS.............. 209 b. Das Realitätsgewicht in den W ertbezügen........................................... 210 c. Die praktische Gegebenheit der D in g w elt............................................. 212 d. Der Gegenstand der „S orge"...................................................................214

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34. Kapitel. B e so n d e re S p h ä r e n d er E in b e ttu n g Ln die re a le W elt 216 a. D a- Realphänomen der „A rb eit"...........................................................216 b. Die GeaeoenheitSform der weiteren Realzusammenhänge.................. 217 c. DaS Leben tut kosmischen Zusammenhang........................................... 219 36. Kapitel. E rk e n n tn is u n d e m o tio n a le G e g e b e n h e it........................ 220 a. Identität der Welt und Ausschnitte der Gegebenheit.......................... 220 b. Schlußfolgerung au- der Transzendenz der emotionalen Akte .......... 222 c. Weitere Konsequenzen.............................................................................. 224 d. Die Abstufung der Phänomentranszendenz und die Erkenntnis ___226 36. Kapitel. D ie S o n d e rs te llu n g d e r E r k e n n tn i s ................................... 227 a. Homogeneität und Gegensatz im M zusammenhana............................. 227 b. SoseinS- und Dasein-gegebenheit in der Aktmanntgfaltigkeit............228 o. Überlegenheit der Erkenntnis und intellektualistischÄ V o ru rteil........230 d. Verselbständigung und Sachentfremdungder Wissenschaft................... 231 e. Wissenschaft-kritik und Phänomenologie................................................ 232 37. Kapitel. D ie S te llu n g d er W is se n sc h a ft............................................. 234 a. Methodische Irrtü m er und Mißverständnisse....................................... 234 b. Einbettung der Wissenschaft in den Leben-zusammenhang............. 236 c. Richtigstellung wissenschaft-kritischer Vorurteile ................................... 237 d. Ontologische Einbettung der Erkenntnis................................................. 239

giertet Teil

Problem und Stellung de- ideale« Sei»L «pschE Dir «kaeloüjttt M mathemattsche» feint. 98. Kapitel. O ntologische « y o t e t i r d e r I d e a l i t ä t ................................. 242 a. Die Grundaporie und ihre F o lg en ......................................................... 242 b. Ideale- Sein und Jdealerkenntnis......................................................... 243 c. Ansatz der Gegebenheit in der mathematischen E rkenntnis................ 246 d. Einwände und Kritik der Einwände ..................................................... 246 e. Mathematische- Urteil und mathematischer Gegenstand ......................247 f. Weitere Beispiele und Folgerungen....................................................... 249 39. Kapitel. T h e o rie n u n d A u ffa s s u n g e n ................................................... 260 a. Mathematischer Subjektivism us............................................................... 260 b. Mathematischer Jn tu itiv i-m u -................................................................. 262 6. Verhängnisvolle Konsequenzen ............................................................... 253 d. Der erkenntnistheoretische Grundfehler ................................................. 264 e. Die Gegenprobe: Mathematik ohne Erkenntnis................................... 266 40. Kapitel. J d e a le rk e n n tn is u n d objek tiv e G ü ltig k e it ......................257 a. Im manente und transzendente Apriorität ........................................... 257 b. Ideale Apriorität und Notwendigkeit..................................................... 269 c. Denknotwendigkeit und Sein-notwendigkeit..............................................260 41. Kapitel. J d e a le rk e n n tn is und R e a le r k e n n tn i- ................................. 262 a. DaS Zutreffen mathematischer Erkenntnis auf Realverhältnisse........ 262 b. Apriorische Realerkenntni- ...................................................................... 264 c. Dre Aquivokation im Begriff der Id ealität ......................................... 265

42.

IL Abschnitt. Berbnndenheit deS idealen ttstb reale» Sei»-. Kapitel. D aS V erschw inden d er id e a le n G eg en stän d e im E rk e n n tn isfe ld e ...................................................................................................... 267 a. DaS Boryelaqertsein de- BeyriffS............................................................. 267 b. Aufdringlichkeit und Unaufdringlichkeit de- Gegenstandes ..................268 e. Die Stellung de- ErkenntniSgebildeS in der Jdealerkenntnis......... 270 d. Zweierlei Verschwinden. Vorstellung und B egriff.............. 271

Sette 43. Kapitel. D ie dreifache H in te r e in a n d e r s c h a ltu n g ............................. 273 a. Die Nachstellung des idealen S ein - zum Bewußtsein.......................... 273 b. NominaliSinuS und Realismus ............................................................... 274 c. Die unaufhebbare Täuschung..................................................... ............. 275 44. Kapitel. R e la tlv e S e lb stä n d ig k e it des id e a le n S e i n - ..................277 a. Rolle der Idealität im R ealapriorism us............................................... 277 b. Echte Selbständigkeit und falsche Folierung des idealen Gegenstände- 278 c. Reine und angewandte M athematik....................................................... 279 d. Die „Zufälligkeit" des Realen und der „Möglichkeitsbereich" de- Idealen 281 45. Kapitel. I n d if f e r e n z und G e b u n d e n h e it ........................................... 282 a. Die „Ungenauigkeit" der R ealfälle......................................................... 282 b. Irrig e und zutreffende Schlußfolgerungen............................................. 284 c. S inn und Grenzen der Indifferenz de- idealen S e i n - ...................... 285 UL Abschnitt. Da- ideale Sein im Realen. 46. Kapitel. D ie P h ä n o m e n o lo g ie d er W esen h e ite n — 287 a. Die Einklammerung und das Herausheben...................... 287 b. Die Wesenheit und ihr Verhältnis zum Realen ............ 288 c. Freie und anhangende I d e a litä t....................................... 290 d. Einheit der Wesenheiten und Zweiheit der Zugänge . . . 291 47. Kapitel. W esen-schau und E v id e n z .................................... 293 293 a. Die Idee der mathesis univcrsalis ................................. b. Grenzen der inhaltlichen G ew ißheit................................. 294 295 c. Subjektive und objektive Evidenz..................................... d. Positiver S inn der Evidenztäuschung ............................. 297 48. Kapitel. D a s Reich des Logischen u n d seine Gesetze 298 a. Die Doppelgesetzlichkeit des D enken-............................... 298 b. Ideal-ontologischer Charakter der logischen Gesetzlichkeit. 300 300 c. Verhältnis de- Logischen zm anhangenden Id e a litä t. . . 301 d. Logische Gesetze und Realgesetzlichkeit............................... e. Objektive Gültigkeit des Logischen und Möglichkeit der Realwissen­ schaften ................................................................................................ 303 49. Kapitel. DaS Reich der W e rte und seine S e in s w e is e .................. 305 a. Die Sonderstellung der Werte unter den Wesenheiten ..................... 305 b. Wertbewußtsein und Werterkenntnis ..................................................... 306 c. Realität des Wertgefühls und Determination-kraft der W erte.......... 307 d. Der Wandel de- Wertbewußtseins und das Sein der W erte............ 309 e. Konsequenzen. Scheinbarer Widerspruch und L ösung........................ 310 50. Kapitel. S e in s w e is e n und S p h ä r e n l a g e r u n g ................................... 312 a. Schweben der Sphäre und Im manenz der Seinsweise...................... 312 b. Der hallbare S inn des „Schwedens" der S p h äre............................... 313 c. D as Verhältnis der Seinsweisen im Individuellen ........................... 314 d. Der Nimbu- der „Erhabenheit".............................................................. 315 e. Jdealontologie und Realontologie........................................................... 318 51. Kapitel. B e w u ß tse in s n ä h e u n d Z d e a ltra n sz e n d e n z ...................... 319 a. Innere Gegebenheit und reine A priorität............................................. 319 b. Zdealtranszendenz und Realtranszeydenz............................................... 320 c. D as Jrratwnale im Reich deS idealen Seins ..................................... 320

Einleitung 1. Überkommene Denkform, Denkzwang und Denkgewohnheit. Warum eigenüich sollen wir zur Ontologie zurückkehren? War nicht einst das Fundament der ganzen Philosophie ontologisch? Und ist das Fundament nicht unter ihr zusammengebrochen, sie selbst und alles, was mit ihr stand, in den Sturz hineinreißend? E s ist die Skepsis nicht allein, was sie unterwühlt hat. M e kritische Philosophie von Descartes bis auf Kant war durchaus nicht skeptisch eingestellt; und doch ist sie es, welche die Frage nach dem „Seienden als solchem" immer weiter zurückgedrängt und schließlich als überhaupt anstößig verworfen hat. Die Frage „wie können wir vom an sich Seienden etwas wissen" wird abgelöst durch die Frage „wie können wir auch nur eindeutig davon reden", ja es „meinen". I m Reden und Meinen ist es ja schon „gesetzt", ist etwas „für uns" und nicht an sich Bestehendes. M e kantischen Schulen am Anfang wie am Ende des 19. Jahrhunderts haben das in aller Schroffheit ausgesprochen und durch Überlegungen erhärtet, die mit dem F all der idealistischen Theorien durchaus nicht ohne weiteres hinfällig werden. M an darf es mit dieser Gegnerschaft gewiß nicht leicht nehmen, obgleich sie in der heutigen Philosophie nicht mehr die Führung hat. M e Formen, in denen sich unser Denken bewegt, sind doch noch die ihrigen, die Begriffe sind die von ihr geschaffenen. Es ist eine Gegner« schaft geworden, die uns von innen her anfällt, weil sie in den Zuschnitt unserer Überlegungen mit eingeht. I h r begegnen heißt die Begriffe von Grund auf revidieren, sie umbilden und mit den umgebildeten arbeiten lernen. Es ist aber schwer, eingefahrene Bahnen im eigenen Denken umleiten und die neuangelegten sicher befahren lernen. Nichts geringeres bedeutet für heutiges Denken die Aufgabe der Ontologie. Und nichts geringeres als der Zwang einer zum mindesten 150-jährigen, traditionsfest gewordenen Denkgewohnheit ist es, was ihr entgegensteht. Die Gegner der Seinsfrage sind heute nicht mehr eigentliche Idealisten. Es sind aber durchweg Erben idealistischer Denk­ form. Und gerade well sie das nicht mehr wissen, halten sie mit bleierner Schwere am überkommenen Erbgute des Gedankens fest, das den Werde­ gang ihres Denkens bestimmt hat. H a r t m a n n , Z ur Grundlegung der Ontologie.

Es handelt sich hierbei in erster Linie um erkenntnistheoretische Begriffe und Voraussetzungen. Ein jeder bringt solche mit, einerlei ob er darum weiß oder nicht. Da aber die Erkenntnistheorie sich fast ausschließlich auf idealistischem Boden entwickelt hat, so sind es vor­ wiegend idealistisch unterbaute Begriffe. Es gehört zu den Aufgaben, die im weiteren zu lösen sein werden, diese erkenntnistheoretischen Be­ griffe auf ihre Tragkraft hin zu untersuchen und, soweit nötig, abzu­ bauen. Ist nun die Aufgabe so groß und schwierig, reicht sie gleich bei den ersten Schritten bis in die Mschweigenden Voraussetzungen des philo­ sophischen Denkens hinein, warum müssen wir uns ihr dann eigentlich unterziehen? Sollten wir den suchenden und tastenden Gang der Forschung, wie er auf mannigfachen Geleisen an der Arbeit ist, nicht lieber sich selbst überlassen, statt wie die Metaphysik alter Zeit den frag­ würdigen Griff an die ersten Grundlagen zu wagen, über die am Ende doch nicht Endgültiges auszumachen ist? Warum — so ist allen Ernstes zu fragen — sollen wir denn dmchaus zur Ontologie zurückkehren? 2. Problemlos!gleit, ProblemmüdigKit, Relativismus.

Die Antwort darauf zu geben, ist das Anliegen dieser Einleitung. M an könnte sie vorwegnehmen und einfach erllären: wir müssen des­ wegen zm Ontologie zurück, weil die metaphysischen Grundfragen aller Forschungsgebiete, auf denen philosophisches Denken arbeitet, onto­ logischer Natur sind, und weil diese Fragen damit, daß man sie „kritisch" ignoriert oder geflissentlich umgeht, nicht aus der Welt zu schaffen sind. E s ließe sich weiter darauf Hinweisen, daß der inhaltliche Bestand solcher Fragen nicht ein willkürliches Produkt menschlicher Fragelust, auch nicht ein bloß geschichtlich gewordener Ballast des Gedankens, sondern die ewige Rätselhaftigkeit der Welt selbst und in ihrer Beschaffenheit verwurzelt ist. Daraus ergäbe sich ohne weiteres, daß der Mensch dauemd und unaufhebbar vor sie gestellt ist. J a , man könnte sich hier schließlich auf Kant berufen, bet in den ersten Zeilen des Vorwortes zur Kritik der reinen Bemunft dieser Sachlage Rechnung trägt. M e r das alles genügt für heutiges Denken nicht. Z u sehr hat sich dieses Denken gewöhnt, unbequeme Fragen zu übergehen. Ist es doch dmchaus üblich geworden, Problembestand und Problemstellung zu verwechseln; mit der letzteren aber hat man leichtes Spiel; denn man kann sie nach Bedarf umprägen oder ablehnen. Daß es in den großen Problemgehalten etwas Unabweisbares gibt, was zu ändem in keines Menschen Macht steht, ist zur Zeit keineswegs Gemeingut des Wissens. D as muß dem heutigen Denken erst wieder zum Bewußtsein gebracht und nachgewiesen werden. Und da es kein anderes als das eigene, eng

gegenwärtige Problemfeld kennt, so muß man es ihm auf eben diesem seinem eigenen Problemfelde nachweisen; d. h. man muß ihm beweisen, daß es selbst die großen unabweisbaren Problemgehalte enthält und nur das Mssen darunl nicht hat. Anders kann auch die Berufung auf geschichtliche Autorität hier nicht fmchten. Was Kant als ein allgemeines Schicksal der Bemunft hinstellte, betraf überdies keineswegs das Ganze des metaphysischen Problembestandes, geschweige denn dessen ontologische Fundamental­ schicht. Kant hielt sich einfach an die bekannten drei Hauptgebiete der spekulativen Philosophie — Kosmos, Seele, Gottheit —, sah aber keineswegs, daß auch im Memächsten und scheinbar Selbstverständlichen metaphysische Problemhintergründe enthalten sind, nicht geringer als die der genannten Gebiete, aber weit dringlicher als sie. Z u alledem kommt, daß es int heutigen philosophischen Denken eine gewisse Problem-Müdigkeit gibt. Der tief eingerissene Relativis­ mus — in Deutschland am bekanntesten in der Form des Historismus — hat hier erschlaffend gewirkt. Um Probleme eindeutig sehen und in Angriff nehmen zu können, muß man den S inn von wahr und unwahr einsehen; denn alle forschende Arbeit geht auf Erringung der Wahrheit. M e aber, wenn als wahr alles gilt, was der geschichtlichen Geisteslage einer bestimmten Zeit konform ist? Da wird das Ringen selbst illusorisch, well der S inn dessen, wonach man ringt, sich aufzulösen scheint. Und dann kann es auch keine Problembestände mehr geben, die unaufhebbar wären und irgendetwas unnachsichtig von uns erheischen könnten. Scheinen sie doch selbst der gleichen Relativität zu unterliegen wie die Tellerrungenschaften der Erkenntnis, an denen sie haften. S o glaubt man schließlich nicht mehr an Probleme. M an nimmt sie so wenig emft wie die Wahrheit, auf die man mit ihnen abzielt. Und damit hebt man den S inn der Forschung auf — zugleich aber auch den eindeutigen S inn der Position, die man mit eben dieser Aufhebung einnimmt. Es ist die Selbstaufhebung des philosophischen Denkens. 3. D as Seinsproblem in den idealistischen Systemen.

Ein wirklich problemlos gewordenes Denken wäre wahrscheinlich auch nicht belehrbar. Soweit aber ist es nun doch nicht gekommen. M e r Gegentendenz zum Trotz hat jede Zeit ihren Problembestand, kein Relativismus kann ihn ohne weiteres auskehren. Was in unserer Zeit der Erweckung bedarf, das sind vielmehr nur die metaphysischen Hintergrundsprobleme. Und dem kommt das spontane Erwachen des Sinnes für metaphysische Fragen überhaupt entgegen, das seit dem Beginn des Jahrhunderts sich meldet und nur vom Relativismus nieder­ gehalten worden ist.

. Warum eigentlich hat der theoretische Idealism us sich überlebt? Er war doch einst der Träger und Formgeber einer wahrhaft bahnbrechenden Philosophie des Geistes, und die ProblemfMe, die seine Höhe in der großen Periode von Kant bis Hegel ausschloß, ist auch heute noch keineswegs erschöpft. Der Idealismus eben hatte noch eine andere, seinstheoreüsche Seite — man kennt sie als idealistische Erkenntnis­ theorie —, und diese trat nach Überschreitung seines Höhepunktes mehr und mehr in den Vordergrund. Diese Seite war es, die sich gleich in den Anfängen m it der Bekämpfung des „Dinges an sich" ankündigte und int Neukantianismus die schroffste Zuspitzung erfuhr. M an begegnet bis heute der Ansicht, der konsequente Idealism us brauche die Frage mch dem „Seienden als solchem" gar nicht zu stellen, ja, er habe sie auch tatsächlich niemals gestellt. Wie aber soll man es ver­ stehen, wenn man sieht, daß die einschlägigen Theorien in aller Form die „Idealität des Seins" zu erweisen bemüht sind? Kann man denn sagen, daß ein solches Unterfangen es nicht mit der Seinsftage aufnehme und keine Seinstheorie sei? Kant ließ die „empirische Realität" der Dinge gelten, erklärte sie aber für bloße Erscheinung, für „ttanszendental ideal". Fichte ließ sie vom Ich produziert fein; da das Ich sie aber im Leben für real hält, so kann es um die Produktton nicht wissen. Schelling nannte das direkt „unbewußte Produktion". Das ist eine Theorie, die gewiß künsüich anmutet, sie hat sich geschichtlich auch keineswegs gehalten. M e r wie bedenklich ihre Konsequenzen immer sein mögen, kein Zweifel kann doch daran sein, daß es eine Seins- und Realitätscheorie ist. Die Realität wird hier zwar für Schein erklätt, aber eben diese Erklärung ist doch eine Erllärung dessen, was es mit dem Realitätsphämmen und seiner Ge­ gebenheit aus sich habe. Es ist also genau so gut wie jede realistische Erllärung eine Theorie vom Seienden als solchem. Die Seinsftage selbst ist dieselbe, und zwar auf Grund derselben Phänomene. S ie wird nur anders beantwortet. Dasselbe gilt von den Formen des logischen Idealismus bei den Neukantianern. Man kann eben statt von Funttionen des Ich auch vom prädikativen Sein int Urteil ausgehen und alle Realität auf logische Geltung zurückführen. Das mag sehr willkürlich sein, aber es ist schließ­ lich auch eine Erllämng der Seinsweise. Um den ontologischen Einschlag kommen also auch diejenigen Theorien nicht herum, von denen ant ehesten man erwarten könnte, daß sie ihn wirklich ganz umgehen. Auch der äußerste Subjektivismus kann nicht umhin, wenigstens den „Schein" des Seins irgendwie zu erllären. Wobei er dann die Erfahrung macht, daß es um nichts leichter ist, den Schein zu erllären als das Sein selbst. Darum fallen die Systeme

dieser Art so gekünstelt aus. S ie überheben sich gleichsam am Gewicht der Seinsfrage und müssen die Anmaßung mit innerer Gebrochenheit büßen. Sogar bei der Skepsis ist es noch dasselbe, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Auch sie kann es nicht vermeiden, vom Realen zu handeln, unb zwar gerade indem sie es als fragwürdig erweist. Der Seinsweise der Gegenstände gilt ja in erster Linie die hroxf), bei der sie sich ver­ zichtend bescheidet. Und an der Skepsis am reinsten sieht man es ein, warum dem so ist und sein muß. Ein theoretisches Denken, das nicht im Grunde ontologisch wäre, gibt es in keiner Form und ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist offenbar das Wesen des Denkens, daß es nur „etwas", nicht aber „nichts" denken kann. S o hat es schon Parmenides ausgesprochen. Das „Etwas" aber tritt jederzeit mit einem Seins­ anspruch auf und beschwört die Seinsfrage herauf. 4. Ontologischer Hintergrund des Relativismus.

Dasselbe läßt sich mutatis mutandis von allen Theorien zeigen, die den Wahrheitsbegriff relativieren, einerlei ob sie von pragmatistischen oder historistischen Argumenten getragen sind. E s ist oft gezeigt worden, wie solche Theorien sich selbst aufheben, indem sie den strengen S inn von wahr und unwahr, den sie in ihren Aufstellungen für sich selbst beanspruchen, grundsätzlich für unmöglich erklären. I n s Positive gewandt bedeutet das, daß sie in Wirllichkeit nur die Geltung in der Überzeugung der Zeitalter relativieren, nicht das Wahrsein selbst. Ein bescheidenes Resultat, das auch ohne so große Aufmachung niemand bestreitet. Es ist eben nicht ein und dasselbe, ob etwas wahr „ist" oder für wahr „gilt". Auch Irrtü m er können einer langen Folge von Generationen als Wahrheit gelten, auch Wahres kann ihrem Denken verborgen oder unverständlich sein und, wo es aus­ gesprochen wird, als Irrtu m verschrieen werden. D as ist eine einfache Überlegung. S ie genügt vollkommen, um das Phänomen geschichtlicher Geltungsrelativität zu llären, das diesen Theorien vorschwebt. Freilich steckt hinter der Verwechselung von Wahr­ heit und Geltung eine weit gefährlichere: die von Wahrheit und Wahr­ heitskriterium. Diese ist erkenntnistheoretischer Art und reicht viel tiefer an die Grundlagen unseres Wissens um das Seiende heran. Wäre Wahrheit ein greifbares Merkmal am Erkenntnisinhalt, so müßte das Unwahre sich im Bewußtsein jederzeit von selbst ankündigen — sei es als Unstimmigkeit oder sonstwie —, und kein Irrtu m könnte sich im Bewußtsein halten. D as Gesetz des Irrtu m s ist eben, daß er sich aufhebt, sobald er als solcher erkannt wird. Wahrheit wäre dann in der T at die

„Norm ihrer selbst und des Unwahren". S o aber steht es nicht im Haus­ halt menschlichen Erkennens. I r rtu m und Erkenntnis besteht ununter­ scheidbar verm engt auf allen Lebens- und Wissensgebieten; alles W eiter­ kommen m it der Einsicht ist ein fortschreitendes Berichtigen von I r r ­ tüm ern, und stets muß die Kritik des Irrtu m s erst in »eitern Ausholen errungen werden. Hier liegt der innere Grund der scheinbaren Relativität des W ahren, sowohl der privaten in der persönlichen Ansicht als auch der objektiv-historischen im Wechsel der Zeitalter. S ofern aber der historische Relativismus auch das Seinsproblem antastet, begeht er einen noch weit gewichtigeren Fehler. Diese Aus­ dehnung der Theorie liegt nah, weil Wahrsein nun einmal das Zutreffen auf Seiendes bedeutet. Auch die R ealität der W elt wird demnach als relativ auf die Geislesart der Z eit verstanden. Und damit m eint man nicht nur die Selbstverständlichkeit, daß in der realen W elt selbst sich vieles ändert, sondem die Veränderlichkeit eines und desselben ein­ maligen Geschehens, je nach der geschichtlichen Geformtheit des Geistes, der es zu seinem Gegenstände macht. Über die Extravaganz solcher Schlüsse ist kein W ort zu verlieren. Wohl aber ist es lehrreich, daß die Theorie gerade von dieser Konsequenz her eine Korrektion erfährt, die sie vernichtet. D er Wandel der Geformt­ heit des Geistes ist nämlich hier selbst als ein realer vorausgesetzt, und nur unter dieser Voraussetzung kann er jene „Veränderlichkeit" bewirken. D ann aber gehört er derselben realen Welt an, deren Relativität auf die Geformtheit des Geistes gefolgert wmde. E s wird also entweder seine R ealität oder diese Relativität aufgehoben. I m ersteren Falle ist der Wandel des Geistes kein wirllicher, kann also auch keine Relativität des Seienden bewirken; im letzteren Falle besteht er zwar zmecht, aber das Seiende kann nicht auf ihn relativ sein. D as Singt, wenn m an es so ausspricht, reichlich gekünstelt. N ur liegt die Künstlichkeit in der Theorie, nicht in der Widerlegung. D as schlicht positive Resultat dieser Überlegung aber ist die Einsicht, daß selbst der extreme Relativism us noch ein ontologisches Fundam ent voraus­ setzt. W oraus m an denn wohl schließen darf, daß Theorien, die ohne ein solches auskämen, ein Ding der Unmöglichkeit sind. 5. Metaphysischer Hintergrund der Naturwissenschaft. Wichtiger indessen als das Zeugnis der Theorien und Systeme ist das der inhaltlichen, nach Problembeständen sich gliedernden philo­ sophischen A rbeitsgebiete1). M an kann hier — um bei dem Lieblings*) Die genauere Rechenschaft über die Gesamtlage der Metaphysik in unserer Zeit findet sich in meinem Beitrag zu der von H. Schwarz herausgegebenen Sammlung „Deutsche Systematische Philosophie noch ihren Gestaltern", Berlin 1931, S. 283 ff.; 3. Ausl, als Sonderdruck 1935.

thema heutiger Spekulation, der Relativität, noch zu verwetten — gleich bei der Naturphilosophie einsetzen. Hier steht es nicht mehr wie zuSchellings Zetten, niemand denkt mehr daran, die Natur nach Analogie des Geistes zu verstehen. Aber auch die Methodologie der exakten Wissen­ schaft befriedigt nicht mehr. Is t doch diese selbst in ihren Grenzgebieten höchst konstruktiv geworden. M e Exaktheit der positiven Wissenschaft wurzelt im Mathematischen. Meses als solches macht aber die kosmischen Verhältnisse nicht aus. M e s quantitativ Bestimmte ist Quantität „von etwas". Substrate der Quantität also sind in aller mathematischen Bestimmung vorausgesetzt. Sie selbst als solche, einerlei ob es sich um Dichte, Muck, Arbeit, Gewicht, Tauer oder räumliche Länge handelt, bleiben identisch in der quantitativen Mannigfaltigkeit, und man muß sie schon anderweitig kennen, wenn man auch nur verstehen will, was die mathemattschen Formeln besagen, in welche die Wissenschaft ihre besonderen Verhältnisse faßt. Hinter ihnen selbst aber steht eine Reihe kategorialer Grundmomente, die selbst offenkundig substrathaften Charakter haben und sich aller quantitativen Fassung entziehen, weil sie Voraussetzungen der realen Quantttätsverhältnisse sind. Bon dieser Art sind vor allem Raum und Zeit, nächst ihnen aber nicht weniger auch Materie, Bewegung, Kraft, Energie, Kausalprozeß u. a. m. Um diese Kategorien der Natur ist von jeher der S treit gegangen. Auch heute sind es die Thesen der Relativitätstheorie, die sich auf sie beziehen. D as Metaphysische dieser Theorie besteht in dem Versuch, die Substratmomente in Raum, Zeit, Materie usw. aufzulösen. Sie stößt, vom Quantitativen ausgehend, in das Wesen der unquantttattvontischen Fundamente vor. S ie setzt in der Sphäre der Messung ein, stößt aus die Grenzen eindeutiger Meßbarkeit; statt aber hierin die Grenzen des Quantitativen in der Natur zu erkennen, zieht sie die Konsequenz nach der anderen Seite: sie relativiert die Substrate möglicher Maß­ verhältnisse. S ta tt zu fragen: welche Begrenzung des mathematisch Formulierbaren genügt dem Wesen von Raum und Zeit? fragt sie vielmehr: welche Begrenzung des Wesens von Raum und Zeit genügt den mathemattschen Formeln? S o werden die Folgerungen vom onttsch Sekundären aus in die Region des Prim ären hineingetrieben. Die Substrate der Beziehung werden in Bezogenheiten aufgelöst. M an bemerkt nicht, daß man damit in die Sackgasse des leeren Relattonalismus gerät. M an kann hieraus ohne Schwierigkeit die Lehre ziehen, daß die methodische Grenzüberschreitung des mathemattschen Mnkens gerades­ wegs das Gegenteil dessen beweist, was sie erstrebte, nämlich feine eigene Begrenztheit im Gegenstandsgebiet der Natur. Was hier wirllick.

als sehr relativ erwiesen wird, ist die Eindeutigkeit der mathematischen Verhältnisse. Diese Relativität aber ist nur ein Spezialfall der all­ gemeinen Abhängigkeit des Begreifens von den Formen und Kategorien des begreifenden Bewußtseins. Das kategoriale Problem, das in dieser Sachlage greifbar wird, ist offenkundig ein ontologisches. Keine noch so exakte Naturwissenschaft kann sagen, was Raum, Zeit, Materie, Bewegung selbst eigentlich sind, geschweige denn was Wirken und Bewirktwerden ist. S ie setzt dies alles schon voraus, und zwar ohne sich um Begründung oder Rechenschaft über das Vorausgesetzte zu bekümmern. Das Problem, das in diesen Voraussetzungen steckt, erfordert ein ganz anderes Vorgehen, und sei es auch nur, um es phärwmengerecht zu fassen. Die Aufgabe, die hier erwächst, ist eine durchaus metaphysische. Und nur eine strenge Kategorialanalyse kann es zuwege bringen, den unlösbaren Teil der einschlägigen Probleme sauber herauszuarbeiten, um dadurch den lösbaren erst einer Lösung zugänglich zu machen.

6. Die Metaphysik des organischen Lebens. I m biologischen Problemfelde wächst der metaphysische Einschlag gleich bei den ersten Schritten bis zu völliger Ratlosigkeit. Bon alters her herrscht in der Philosophie des Organischen die teleologische Auf­ fassung des Lebendigen. M zu deutlich scheinen die Lebensvorgänge zweckmäßig zu verlaufen. Daß der Mensch, dessen Verhalten im Leben ein durchweg zwecktätiges ist, diese Zweckmäßigkeit als Zwecktätigkeit und reale Zweckläufigkeit deutet, ist nicht zu verwundem. Dem Anthro­ pomorphismus, der in dieser Umdeutung liegt, auf die S p u r zu kommen, ist erst spät gelungen. J a , daß hier überhaupt eine Deutung vorliegt, dürste vor Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft schwerlich je­ mandem emstlich in den S inn gekommen sein. Die mechanistische Deutung dagegen, vom Materialismus öfters versucht, von Darwin und seinen Nachfolgern ernstlich in Angriff ge­ nommen, leidet an der Schwierigkeit, daß Prozesse von der Komplexheit der organischen sich auf keine Weise in ihrer Ganzhest kausal verstehen lassen. Es sind und bleiben immer nur Teilprozesse und Teilabhängig­ keiten, die sich aufzeigen lassen. Über die bloße These, „daß" überhaupt es kausal geordnete Prozesse sein sollen, kommt man nicht hinaus. Beides zusammengenommen läuft deutlich auf die Tatsache hinaus, daß wir das wirlliche kategoriale Determinationsverhältnis der Lebens­ prozesse nicht kennen. Hier ist etwas, was uns in aller augenfälligen Gegebenheit doch unzugänglich bleibt, ein Irrationales, ein metaphysischer

Problemrest, unabweisbar und unlösbar zugleich, und zwar gerade das KemMck der Lebendigkeit betreffend. Die Gegebenheitsweise des Organischen läßt diese Sachlage auch durchaus verstäMich erscheinen. S ie ist eine doppelte, eine innere und eine äußere, und beide klaffen inhaltlich weit auseinander. Cs gibt ein unmittelbares Bewußtsein der eigenen erlebten Lebendigkeit und ihrer Zustände, und es gibt ein objektiv-dingliches Bewußtsein fremden Lebens. D as letztere sieht und erkennt den Organismus in seinen Tell­ erscheinungen, faßt aber nicht die« Ganzheit; das erstere dage­ gen erlebt ihn als Ganzes, weiß aber nicht um seine Funktio­ nen. Daß beide Arten der Gegebenheit sich gegenseitig ergänzen, ist nicht zu verkennen. Aber das genügt nur für die Praxis des Lebens, nicht für das Verstehen des Wesens. Denn sie schließen nicht aneinander an, stimmen auch durchaus nicht durchweg überein. Der Kranke und der Arzt haben ein sehr divergierendes Bewußtsein von ein und dem­ selben Zustand. Jener fühlt nur, daß ihm etwas „fehlt"; was es ist, weiß er nicht; dieser weiß es wohl, aber nicht aus seinem Lebensgefühl, sondem auf Gmnd äußerer Symptome. Wirklich entgegengesetzt aber werden die beiden Gegebenheitskreise erst in der theoretischen Betrachtung. Der innere verführt dauernd zur teleologischen Auffassung, der äußere ebenso dauernd zur kausalen. Beide Tendenzen des Verstehens sind offenbar einseitig, und beide urteilen unter Kategorien, die offenbar nicht die eigentümlichen des organischen Lebens sind. Die Kausalkategorie ist vom Gebiet des An­ organischen her, die Zweckkategorie von dem des Seelischen her auf den Organismus übertragen. Die Übertragung ist zwar sehr begreiflich. Wie sollte der Mensch denn anders vorgehen als vom Gegebenen zum Mchtgegebenen? Nun ist ihm aber sowohl die äußere Dingwelt als auch die innere Welt des Seelischen in einer gewissen Unmittelbarkeit gegeben, nicht aber die Zwischensphäre des Lebendigen. Dessen Gegebenheit ist vielmehr an jene beiden „Welten" gleichsam aufgetellt. Nur sind diese beiden „Welten" als Zugänge des Wissens zum Organischen unzureichend. Wir kennen sowohl Kausalzusammenhänge als Finalzusammenhänge. Beide aber treffen auf den Prozeß des Lebens nicht recht zu. Hier eben klafft die große Lücke in unserem Erkennen: den eigentümlichen Deter­ minationstypus im Lebensvorgang kennen wir nicht. Das ist der Gmnd, wamm in unserem Bewußtsein des Lebendigen dauemd entweder Kausal- oder Finalvorstellungen sich vordrängen und die Tatsache verdunkeln, daß das Eigentümliche des Lebensvorganges ein metaphysisches Rätsel bleibt.

7. D as Metaphysische im Seelenleben.

Ganz so schwierig ist die Sachlage auf dem Arbeitsgebiet der Psycho­ logie nicht. D ie S p h äre der Gegebenheiten ist hier eindeutig und in sich zusammenhängend. Doch gibt es auch hier einen metaphysischen Problem hintergm nd, der in neuester Z eit sich immer greifbarer zeigt. E r fällt um so schwerer ins Gewicht, als die Psychologie des 19. J a h r­ hunderts ihn nirgends zu fassen bekommen hat und sich deshalb der trügerischen Gewißheit hingab, eine reine Tatsachenwissenschaft zu sein und aller systematischen Schwierigkeiten überhoben zu sein. Auf dieser Täuschung beruhte ihre scheinbare Überlegenheit über die anderen philo­ sophischen Disziplinen, sowie zuletzt ihre Anmaßung, diese zu ersetzen. Diuschung und Anmaßung des Psychologismus sind gefallen. D as Metaphysische des Grundproblems ist geblieben. E s liegt in der S ein s­ weise der psychischen Realität, ist also von vom herein ein ontologisches Problem . Solange m an R ealität als ein Eigentümliches der sog. Außenwelt ansah — der Dingwelt, des Physischen —, konnte die Psychologie sich metaphysisch unbelastet dünken. Aber nicht einm al der Art, wie w ir das Seelische erleben, entspricht diese Ansicht. Jederm ann rechnet im Leben m it der Gesinnung des Mitmenschen als m it etwas durchaus Wirklichem, die Ereignisse mit Bestimmendem; jeder kennt die eigenen Zustände, Gefühle, Aversionen, Sym pathien, Wünsche, Sehnsüchte, Ängste als etw as Gewichtiges, das auch ohne sein M ssen stets vorhanden ist und ihn a u s der dunklen Tiefe des eigenen Ich heraus bestimmt, überfällt, ja gelegentlich vollkommen überrascht. E s gibt offenbar ein reales, unabhängig vom Grade des Erkanntseins ablaufendes Seelen­ leben, und dieses ist nicht identisch m it dem Bewußtsein. Es verläuft in derselben realen Zeit, in der auch die physischen Geschehnisse verlaufen, wandelt und entwickelt sich in demselben eindeutig-irreversiblen Folge­ verhältnis, zeigt denselben M odus des Entstehens und Vergehens; ja, es steht in mannigfaltiger Wechselbedingcheit m it dem äußeren G e­ schehen. N ur die Unräumlichkeit scheidet es von ihm. H ält m an die Räumlichkeit und die m it ihr eng verbundene M ateriali­ tä t fü r einen Wesenszug des Realen überhaupt, so kann m an die R ealität der psychischen Akte natürlich nicht fassen. M an hat sie durch eine falsche Definitton — falsche ontologische Fassung des Realseins — von ihnen ausgeschlossen. G ibt man aber der Fülle der angedeuteten Phänom ene einmal R aum , so kann man umgekehrt jene Definition nicht mehr halten. Die seelische W elt erweist sich dann als genau ebenso real wie die physische. D am it aber erwächst der Psychologie eine Reihe weiterer Aufgaben. E s fällt ihr nicht nur die ontologische Frage zu, wie diese psychische R ealität überhaupt zu fassen ist; es eröffnet sich auch der Ausblick auf ein

verzweigtes Feld der unerlebten und unbewußten Zustände und Akte, das offenbar inhaltlich weit reicher ist als das unmittelbar Erlebte und Aufweisbare. Die heutige Psychologie weiß längst um diese Sachlage. Die Zeiten der teilten Erlebnispsychologie — die M t und Akterlebnis nahezu gleichsetzte — sind vorbei. Gerade die Aktphänomenologie, die strenger als andere Methoden beim rein Gegebenen ansetzte, hat hier Klärung geschaffen. M an baut heute nicht mehr das Bewußtsein aus Elementen auf. Die Elemente gerade haben sich als nirgends rein aufweisbar erwiesen. W as wirklich int Erlebnis gegeben ist, sind stets Zusammen­ hänge, Ganzheiten. Diese aber weisen überall eindeutig ins Unerlebte zurück. M an kann diese Wandlung als das Einsetzen einer Kritik der psycholo­ gischen B em unft bezeichnen. M an darf das um so mehr, als sie in der T a t zur Unterscheidung von Erscheinung und Ansich innerhalb der inneren W elt geführt hat, nicht anders als die Kantische Kritik zur Unterscheidung von Erscheinung und Ansich der äußeren W elt führte. D am it aber ist das Metaphysische im Seelenproblem spruchreif geworden. Es ist im Gegensatz zur alten Seelenmetaphysik — der psychologia rational« — das einfache, von der inneren Erfcchrung selbst aufgegebene Problem der Seinsweise des Seelischen. 8. D as Metaphysische im objektiven Geiste.

D aß die W elt des Geistes noch einmal eine besondere Seinssphäre über der des Seelenlebens ausmacht, ist in der heutigen Zeit, die den Geist selbst vorwiegend historisch sieht, kein Geheimnis. D as Seelenleben ist an das Individuum gebunden, es entsteht und stirbt m it ihm. D as geistige Leben ist niemals Sache des Einzelnen, wie sehr der Einzelne auch als Person ein geschlossenes und einzigartiges Wesen sein mag. W as die Person ist, gibt sie nicht einfach aus sich her. S ienim m tesim H eranwachsen auf aus der geistigen S phäre, in die sie hineinwächst. Die geistige S ph äre aber ist eine gemeinsame, ein verzweigtes Ganzes von Anschau­ ungen, Überzeugungen, W ertungen, Tendenzen, Urteilen und V or­ urteilen, Wissen und Irrtü m e rn , Lebens- und Ausdrucksformen; eine S ph äre von jeweiliger Einheit und Ganzheit, und dennoch fließend, sich entwickelnd, um G üter, Ziele, Id e e n ringend, — ein Geistesleben, das in geschichtlichen Schritten fortschreitet. D er Geist, in diesem S inne als Ganzheit verstanden, ist es, w as zu jeder Z eit die Menschen verbindet, dort wo das Bewußtsein und die Personalität sie trennt. M it dem Geiste in diesem S in n e haben es die Geisteswissenschaften zu tun. Hier geht es niem als um die Besonderheit des Individuum s allein,. selbst da nicht, wo wirklich solche Besonderheit monographisch

erfaßt werden soll. Denn sie ist nicht aus sich allein, ist nur aus dem Ganzen eines jeweiligen geschichtlichen Geistes heraus zu verstehen. Dieser geschichtliche Geist aber mit seinem Wandel, seinen Tendenzen, seiner Entwicklung ist etwas Reales, das in der Zeit entsteht und vergeht, wenn er auch das Individuum überdauert; ein jederzeit Einmaliges, so nicht Mederkehrendes, ein Gebilde von nicht geringerer Individuali­ tät als die Person. Er ist das, was Hegel den „objektiven Geist" genannt hat. M an kann das Leben und die Geschicke des objektiven Geistes genau so erfassen und beschreiben, wie m an alles Reale, soweit es in die Er­ scheinung tritt, erfassen und beschreiben kann. Jnsofem ist an ihm als Phänomen nichts Verborgenes oder Geheimnisvolles. Rätselhaft dagegen bleibt seine Seinsweise. E s genügt nicht zu konstatieren, daß sie ein Modus geistiger Realität ist. Denn sie hat nicht die Form, die wir vom personalen Geist her kennen. S ie ist nicht Subjekt und nicht Bewußt­ sein. S ie geht weder inhaltlich noch zeitlich im Bewußtsein des Einzel­ menschen auf. Ein anderes Bewußtsein aber als das des Einzelnen kennen wir nicht. Diese rätselhafte Seinsweise ist es, die ungewollt zu metaphysischen Thesen verführt. Hegel, der den objekiven Geist als Erster philosophisch faßte, verstand chn als die Einheit einer „Substanz", an der die einzelnen Personen nur akzidentelle Ausprägungen sind. Diese Auskunft ist ver­ ständlich als Ausdruck der überwältigenden Rätselhaftigkeit; aber ihre Unhaltbarkeit ist ftüh erkannt worden und kann keinem Zweifel unter­ liegen. Es gibt kein Phänomen, das ihr entspräche. Dennoch ist die Sache keineswegs damit erledigt, daß man die Substantialität ablehnt. Die Art der Einheit und Ganzheit, der Lebendigkeit, Entfaltungsfähig­ keit, kurz die Seinsweise des objektiven Geistes, bleibt deswegen doch unverstanden. Und wenn man bedenkt, daß es sich um die Seinsweise sehr bekannter und gewichtiger Gegenstände handelt — der Sprache, des Rechts, der Sitte, des Ethos, der Kunst, der Religion, der Wissen­ schaft —, so meldet sich hier deutlich die Notwendigkeit, ihr auf den Grund zu gehen. Einer Seinsweise als solcher auf den Gmnd gehen ist aber offen­ kundig Sache ontologischer Untersuchung. Es ist ein Spezialfall der allgemeinen Aufgabe, das „Seiende als solches" zu verstehen. I n ihrem heutigen rückständigen Zustande ist die Ontologie noch keineswegs in der Lage, dieser Aufgabe zu genügen; was wir heute leisten können, ist mehr nur eine phänomenologische Vorarbeit: die Beschreibung der typischen Vorgänge und Verhältnisse im Leben des objektiven Geistes. M e Aufgabe aber besteht. Und es ist wichtig, wenn man an die all­ gemeinen Grundfragen der Ontologie herantritt, sie von vornherein mit im Auge zu haben.

s. Da» Metaphysische in der logischen Sphäre. I n diesem Zusammenhang fällt es auf, daß schon das Reich des Gedankens — und zwar rein in sich, ohne alle spekulative Rücksicht ver­ standen — ein metaphysisches Gesicht zeigt. £ te Logik, die es mit diesem Reich zu tun hat, verschweigt das; sie gilt von alters her als eine rein immanente, metaphysikfreie Disziplin. Aber eben diese ihre Tradition ist philosophisch ftagwürdig. Welche Seinsweise hat denn ein Urteil? Darin, daß es von je­ mandem im Denkvollzuge gefällt wird, geht es offenbar nicht auf. Es wird vom fremden Bewußtsein aufgegriffen, verstanden, nachvollzogen, es wird Gemeingut Vieler, einer ganzen Zeitgenossenschaft, überdauert sie geschichtlich. Es ist, einmal ausgesprochen und formuliert, in eine Objektivität erhoben, die es unabhängig vom Aktvollzuge macht. S ein Sinn, seine Geltung transzendiert die Grenze des Bewußtseins; es „wandert" von Person zu Person, von Zeitalter zu Zeitalter, und es ändert sich nicht im Wandern. Es gehört einer anderen Sphäre an, als der der dinglichen und der seelischen Realität. Nennt man nun diese Sphäre die „logische Sphäre", so erhebt sich die Frage, von welcher Art sie ist, welche Seinsweise sie hat. S ie ist nicht identisch mit der idealen Seinssphäre; denn auch unwahre Urteile, die nichts Seiendes treffen, gehören ihr an. Auch Irrtüm er „wandern" in geprägter Urteilsform. S ie fällt auch nicht in die Seinsebene des objektiven Geistes; denn der objektive Geist läßt Urteile fallen, verwirft sie, bildet sie inhaltlich um; er hat zeitliches Sein, geschichtliche Realität. Der Urteilssinn als solcher aber hat weder Zeitlichkeit noch Realität. Er wandelt sich nicht. Nur sein Anerkanntsein, seine Geltung im Dafür­ halten der Menschen wandelt sich. Diese Geltung ist aber nicht der logische S inn des Urteils. Dasselbe gilt von ganzen Urteilszusammenhängen und -folgen, von dem also, was die Logik „Schlüsse" nennt. Die sog. Schlüssigkeit, die innere Richtigkeit im Folgeverhältnis von Prämissen und Konklusion, besteht offenbar auch da zu Recht, wo sie nicht eingesehen und vollzogen wird. Und diese Seinsweise überträgt sich schließlich auf Begriffe der komplexesten Art, die schon auf Grund ganzer Serien von Urteilen und Schlüssen zusammengebaut sind. Die „Merkmale" des Begriffs sind eben die ihm durch Urteile eingefügten Prädikate. Erwägt man nun aber, daß Begriff, Urteil und Schluß die Strukturelemente sind, in denen die Wissenschaft ihren jeweiligen In h a lt ausformt, so fällt die Frage nach der Seinsweise des Logischen auch auf die Wissenschaft zurück. Die Grundfrage ihres Wesens ist eine nicht weniger ontologische als die des Realen, der Natur, des Lebendigen, des Psychischen und des Geistes. Nur geht es hier wieder um eine grundsätzlich andere Seinsweise.

Dazu kommt ein Zweites. E s betrifft die logische Gesetzlichkeit. Wäre diese nämlich eine „bloß" logische, so könnte sie nicht die Wahrheit von Urteilen verbürgen, die aus wahren Prämissen erschlossen sind. Gerade um die Wahrheit des Erschlossenen aber geht es überall, in der Wissenschaft wie im Leben. Ohne sie hätte das ganze Gefüge der logischen Zusammenhänge in unserem Denken keinen Erkenntniswert, und — was mehr ist — auch keinen Lebenswert. Was aber ist in der Wahrheit des Erschlossenen vorausgesetzt? Ge­ setze, wie das des Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten, Gesetze der Subsumption, der Urteilstafel, der Schlußfiguren und -Modi, könnten ja auch bloße Denkgesetze sein, ohne ein Analogon in der realen Welt, auf die bezogen eine Konklusion wahr oder unwahr ist. I n diesem Falle wäre die logische Konsequenz wertlos. Erst wenn ihr int Realen eine Konsequenz der Seinsverhältnisse entspricht — wenn also auch in der realen Welt Widersprechendes nicht koexistiert, von kontradiktori­ schen Gegengliedern notwendig eines besteht, das Allgemeine not­ wendig im Spezialfall zutrifft —, gewinnt die logssche Konsequenz Erkenntniswert. Dann aber müssen die logischen Gesetze zugleich allgemeine Seins­ gesetze sein. S ie müssen die Welt beherrschen, in der geschlossen wird, und in der das Erschlossene einen Wahrheitsanspruch erheben darf. Damit ist es gesagt, daß auch die Frage nach den logischen Gesetzen im Grunde ein ontologisches Problem ist. Und eine fruchtbare Behandlung der Logik wird erst möglich, wenn man es mit diesem Problem auf­ nimmt. Tatsächlich steckte dieser Gedanke im alten Universalienstreit. Erst die idealistische und methodologische Logik des 19. Jahrhunderts hat es verschuldet, daß dieses ontologische Gmndproblem in Vergessen­ heit gerbten ist. 10. Der Verfall des ErlenntniSProblemS.

Noch augenfälliger wird dieses Verhältnis in der Erkenntnistheorie. Der neukantische Kritizismus hielt es für ausgemacht, daß die Erkenntnis­ kritik die Metaphysik ersetzen könne. E r verstand diese Kritik als eine rein immanente Disziplin, die ihrerseits ohne metaphysische Voraus­ setzungen auskommen könne; ja, er glaubte hierfür Kant als Kron­ zeugen in Anspruch nehmen zu können. Die Folge war nicht nur die vollkommen unkantische Abweisung der metaphysischen Probleme — soweit man diese als solche erkannte —, sondem auch die vollkommene Verflachung und Verkennung des Erkenntnisproblems selbst. Kants Meinung war eine ganz andere. Die Kritik sollte die Meta­ physik nicht unmöglich machen, sondem gerade allererst möglich machen. Aber auch sie selbst schwebte ihm als eine Untersuchung durchaus meta-

physischer Art vor. Wie hätte sonst das Ding an sich die Rolle eines kritischen Grundbegriffs spielen können? Biel tiefer noch greift die berühmte Frage nach der Mglichkeit „synthetischer Urteile a priori". Kant entschied diese Frage in der Formel seines „Obersten Grund­ satzes" dahin, daß die Kategorien der „Erfahrung" zugleich Kategorien der „Gegenstände" sein müßten und nur in den Grenzen dieser Subjekt und Objekt umspannenden Identität „objektive Gültigkeit" hätten. Diese Entscheidung ist keineswegs eine idealistische. S ie ist geradezu die Ausweisung einer metaphysischen Grundbedingung — wenn nicht der ganzen Erkenntnis, so doch des apriorischen Einschlages in ihr; eine Entscheidung übrigens, die unabhängig vom Unterschied idealistischer und realistischer Voraussetzungen dasteht. Ähnliches gilt für den anderen „Stamm" der Erkenntnis, den aposte­ riorischen. Hier führte Kant alles zurück auf die Affektion der Sinne durch das Ding an sich. Den Aporien, die in dieser Auffassung stecken, ist er freilich nicht nachgegangen; auch die transzendentale Ästhetik be­ trifft ja nur den apriorischen Einschlag in der Sinnlichkeit. Aber soviel ist doch llar, daß er das Transzendenzverhältnis in der sinnlichen Gegeben­ heit sehr wohl sah und ernst nahm. Die späteren Theorien haben das nicht mehr getan. Und damit beginnt der Verfall des Erkenntnisproblems, der zum Psychologismus einerseits, zum Logizismus andererseits geführt hat. Zum letzteren sind alle Auffassungen zu rechnen, die Erkenntnis und Urteil gleich­ setzen, einerlei wie sie sich sonst unterscheiden. S o verschiedene Köpfe wie Natorp, Cassirer, Rickert, Husserl, Heidegger sind in dieser Hinsicht demselben Irrtu m erlegen. M t dem Psychologismus aber, den sie be­ kämpften, ist den logischen Theorien die Verkennung des Transzendenz­ verhältnisses int Erkenntnisphänomen gemeinsam. I n beiden Sägern konnte man sich um so eher der gefürchteten Metaphysik gegenüber in Sicherheit wiegen, als man das ontologische Grundproblem im Urteil genau so wenig zu fassen vermochte wie im seelischen Akt. Hinter dieser Problemverkennung steckt aber noch eine Überlegung, die viel älter ist und die als Fehlerquelle weitgehender Konsequenzen auch die Kritik der reinen Vernunft beherrscht. Man kann sie das „tone« lativistische" Argument nennen. Es gibt kein Erkenntnisobjekt ohne Erkenntnissubjekt, sagt dieses Argument; man kann den Gegenstand nicht vom Bewußtsein trennen, er ist überhaupt nur Gegenstand „für" das Bewußtsein. M an muß, wenn man dieses festhält, auch für die Dinge, sofern sie unabhängig von unserer Auffassung bestehen, ein Subjekt annehmen; dieser Annahme kommt die alte Vorstellung des intellcctus infinitus oder divinus entgegen. Und in der Tat finden sich sowohl bei Kant als bei den Späteren die mannigfachsten Abwand-

fangen dieses Begriffs. Sie stellen eine Art Transposition des tone» lativistischen Arguments ins Absolute dar und zeigen deutlich den meta­ physischen Hintergrund des erkenntnistheoretischen Idealismus. Die Konsequenz des Arguments aber ist, daß der eigentliche S in n des Erkenntnisverhältnisses aufgehoben wird. Erkenntnis kann dann nicht mehr als „Erfassen" von etwas gelten. Am Gegenstände fällt der ganze Unterschied des Erkanntseins und Unerkanntseins hin; ein solcher Erkenntnisbegriff führt darauf hinaus, daß die Welt, nur soweit sie erkannt wird, als seiende besteht; berat das Unerkannte würde ja nicht für das Subjekt bestehen. Und, was weit schlimmer ist, der Gegensatz von „wahr und unwahr" wird preisgegeben; an seiner Stelle bleibt nur die innere Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von B e­ griffen, Urteilen, Vorstellungen übrig. Daß aber das Ganze des B e­ wußtseinsinhaltes auf seinen Gesamtgegenstand, die seiende Welt, zutreffen oder nicht zutreffen kamt — und zwar letzteres auch bei voller innerer Folgerichtigkeit —, geht hierbei verloren. Gerade dieses Zutreffen und Mchtzutreffen ist aber der eigenüiche Sim t von Wahrheit und Irrtum . Und da Erkenntnis nur im Falle des Zutreffens besteht, das Bewußtsein aber auch unzutreffender Aus­ formungen des Inhalts fähig ist — sei es in der Vorstellung, in der Phantasie, im Denken, im irrigen Urteil —, so entfällt hiermit auch derjenige Unterschied, auf den im Erkenntnisproblem alles ankommt: der Unterschied von bloßem Vorstellen, Denken, Meinen, Urteilen einerseits und wirklichem Erfassen der Sache andererseits. S o gelangt man zu dem Paradoxon einer „Erkenntnischeorie", in der das eigentliche Erkenntnisproblem gar nicht mehr vorkommt. 11. Phänomenologie und Metaphysik der Erkenntnis.

D as Charakteristische in dieser geschichüichen Sachlage ist der Um­ stand, daß gerade das torrelativistische Argument, auf dem sie beruht, ein Scheinargument ist. Es stützt sich auf das Vorurteil, das der traditionelle Objektbegriff verschuldet hat. „Objectum“ — d. h. ein „Entgegen­ geworfenes" — kann etwas natürlich nur „für" jemand sein, „dem" es entgegengeworsen ist. Das deutsche Wort „Gegenstand" — d. h. das „Gegenstehende" — zeigt dieselbe Bezogenheit. Diese Wortbildungen also sind bereits auf Grund eines Korrelationsverhältnisses zum Subjekt geprägt. Und hält man sich an sie, so wird man im korrelativistischen Vorurteil nur immer wieder bestärkt. I m Erkenntnisproblem aber handelt es sich nicht um eine Wortoder Begriffsanalyse, sondern um Phänomenanalyse. Und das Erketmtnis-„Phänomen" sieht ganz anders aus. Um die Hauptsache in

Kürze auszusprechen: an der Erkenntnis ist, im Unterschied zu Vor­ stellen, Denken, Phantasie, gerade dieses das Wesentliche, daß chr Gegen­ stand in seinem Gegenstandsein für das Bewußtsein nicht aufgeht. Das, worauf die Erkenntnis sich wirklich richtet, was sie zu erfassen und immer weiter zu ergründen sucht, hat ein übergegenständliches „Sein". Es ist das, was es ist, unabhängig davon, ob ein Bewußtsein es zu seinem Gegenstände mächt oder nicht; unabhängig auch davon, wieviel oder wiewenig von ihm zum Gegenstände gemacht wird. Sein Gegenstandsein ist überhaupt etwas Sekundäres an ihm. Alles Seiende wird, wenn überhaupt es zum Gegenstände wird, erst nachträglich zum Gegenstand gemacht. Es gibt kein Seiendes, in dessen Wesen von Hause aus es läge, Gegenstand eines Bewußtseins zu sein. ES rückt erst durch das Auf­ treten des erkennenden Subjekts in der Welt in das Verhältnis des Gegenstehens ein, und zwar genau in dem Maße, als das Subjekt auf Grund seiner Kategorien innerlich imstande ist, es sich zu „objizieren". Die Objektion eben ist die Erkenntnis. Der Beweis dafür, daß dieses das legitime Erkenntnisverhältnis ist, läßt sich schon am naiven Gegenstandsbewußtsein des Erkennenden erbringen. Niemand blldet sich ein, daß die Dinge, die er sieht, erst dadurch zustandekommen, daß er sie sieht; ein Wahrnehmen, das seinen Gegenstand erst hervorbrächte, würden wir gar nicht Wahrnehmen nennen, fonbent bestenfalls Vorstellen. Allgemein: ein Erkennen, das nicht ein an sich Seiendes erfaßte, darf gar nicht Erkennen heißen. Es kann Denken, Urteilen, Phantasieren sein. Aber eben denken läßt sich alles, was bloß nicht widersprechend ist, urteilen läßt sich das Unzu­ treffendste, die Phantasie vollends hat Freiheit gegen das Seiende und Nichtseiende; Erkenntnis ist etwas ganz anderes. Erkenntnis gibt es nur von dem, was erst einmal „ist" — und zwar unabhängig davon „ist", ob es erkannt wird oder nicht. Freilich gibt es hierbei auch die strenge Korrekativität von Subjekt und Objekt. Nur geht das Erkenntnisverhältnis in chr nicht auf. Denn sie ist nur das Verhältnis des Subjekts zu dem, was es zu seinem Gegen­ stände gemacht hat. Das Seiende aber, das zu erkennen steht, geht ja gerade in diesem seinem Gegenstandsein nicht auf. Es ist gleichgültig gegen seine Objektion an ein Subjett; die Objektwerdung ist chm als solchem äußerlich. S ie ändert auch nichts an ihm. Nur tut Subjekt ändert sich etwas mit der Objektion. Es entsteht in chm ein Bild des Seienden, eine Vorstellung, ein Begriff, ein Wissen von ihm. Und das Bild ändert sich weiter mit dein Fortschreiten der Erkenntnis. W er alle Änderung und alles Fortschreiten spielt lediglich im Bewußtsein; das Seiende, das in diesem Prozeß immer weiter objiziert wird, bleibt davon unberührt. H a r t m a n n , Zur Grundlegung der Littologie.

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I n diesem Punkt hat auch K ant nicht klar gesehen. E r meinte, n u r die Erscheinung werde erkannt, das an sich Seiende sei unerkennbar. Ganz das G egenteil ist zutreffend. Erkannt wird — toeittt überhaupt es Erkenntnis gibt — n m das an sich Seiende. D as Erscheinen dagegen ist nichts anderes als das Erkennen selbst — n m vom Objekt aus gesehen. „Ich erkenne etw as" und „es erscheint m ir", diese beiden Ausdrücke besagen ein und dasselbe V erhältnis: die Objektion eines Seienden a n ein Subjekt. D aß ich ein Seiendes n u r insoweit erkenne, als es m ir erscheint, ist demnach vollkommen wahr. W e r es ist ein tautologischer Satz. Und er wird unwahr, wenn m an ihn ins Negative wendet: das a n sich Seiende sei nicht erkennbar. M elm ehr eben das an sich Seiende ist das Erscheinende in der Erscheinung. Anders wäre ja die Erscheinung leerer Schein. Und das hat auch Kant nicht gemeint. W toor der gemeinsame Fehler der Bewußtseinscheorien — der nelckantischen wie der positivistischen, wie auch der phänomenologischen —, daß sie im Erkenntnisproblem Gegenstand und Seiendes verwechselt haben. M e s S eiende freilich kann zum Objekt werden — wenigstens grundsätzlich, denn es widersetzt sich der Objektton nicht — ; aber das heißt nicht, daß es notwendig zum Objekt werden müßte, geschweige denn, daß es schon von sich aus Gegenstand wäre. E s ist ein I rrtu m zu meinen, alles Seiende sei Gegenstand, und n m was Gegenstand sei, habe Seinschmakter. Die Well, als Inbegriff des Seienden verstanden, ist zweifellos n m tellweise Gegenstand der Erkenntnis, vielleicht n m zum kleinsten Teil. D as lehrt überwältigend die unaus­ gesetzte Neuerschließung von Gegenstandsgebieten im Fortschreiten der Erkenntnis. M it der Einsicht, daß Erkenntnis die Objektwerdung des Seienden — seine Objektton a n ein Subjekt — ist, wird das eigentliche Erkenntnis­ problem in seinem Kernbestande wieder zugänglich. E s zeigt hiermit allererst wieder sein wahres Gesicht, nämlich das eines metaphysischen Problem s. D enn jetzt handelt es sich darum, wie es möglich ist, daß das Subjekt das ihm transzendente Seiende erfaßt; oder, was dasselbe ist, wie dieses Seiende zum Objekt eines Subjekts werden kann. Es gilt, d as Transzendenzverhältnis zu überbrücken. I n der Behandlung dieser F rage findet alle bloße Phänomenologie der Erkenntnis chre Grenze und geht in Metaphysik der Erkenntnis über. W e r nicht n u r für die Erkenntnistheotte selbst ist die M edergew innung ihres Kernproblems der entscheidende Schritt, sondem auch für die Ontotogie. D a s „Seiende als solches" rückt hiermit aus seiner schein­ baren F em e gleichsam in die nächste Nähe und Greifbmckeit. Is t alle Erkenntnis auf ein an sich Seiendes als solches bezogen, so beginnt das Seinsproblem offenbm nicht erst bei den letzten Grundlagen der

Welt, fonbern mitten im Leben. Es betrifft alles Erkannte und Er­ kennbare — nicht weniger als das Unerkannte und Unerkennbare. Es haftet an allem Gegebenen, allen Dingen, allen menschlichen Verhält­ nissen, den geringsten wie den größten. J a , es umfaßt das Erkenntnis­ verhältnis selbst. Denn nicht der Erkenntnisgegenstand allein ist ein Seiendes, auch das Subjekt ist ein solches. Und das ganze Verhältnis ist ein Seinsverhältnis. Die Erkenntnistheorie geht im Verfolg ihres eigenen Problems geradlinig in Seinstheorie über. S ie nimmt, indem sie der Ontologie bedarf und sie heraufbeschwört, die Schlüsselstellung zur onwlogischen Problemebene ein. 12. Die Metaphysik des Ethos und der Freiheit.

Indessen, in chr ist das Gewicht des Metaphysischen noch keineswegs das größte. Unter den Problemgebieten des geistigen S eins ist die Erkenntnis auch nur ein Auftakt. S ie betrifft noch nicht das Wesen der Person. Wohl aber geht es um das Wesen der Person, sobald es sich um das Leben mit seinen wechselnden Situationen, Anforderungen, Nöten und Aufgaben handelt. Damit aber steht man im Problem des Ethos und der Freiheit. Sitten Lebewesen gemeinsam ist das Drinstehen im Fluß des Ge­ schehens, das ständige Hineingerissensein und Betroffensein von allem, was über sie kommt. Dieser Fluß steht nie fttö, und das Gestelltsein vor immer neue Situationen, die irgendwie bewältigt werden müssen, setzt keinen Augenblick aus. Aber es ist ein gmndsätzlicher Unterschied, wie sich in diesem Drang des Lebens das Tier verhält, und wie sich der Mensch verhält. Das Tier steht hier einfach unter den Gesetzen seiner Art, es tut einfach, was es muß. Es tut zwar je nach der Sachlage sehr verschiedenes, aber doch stets aus einer Notwendigkeit heraus, in der die Faktoren seiner inneren Artung, Reaktionsweisen, Instinkte, und die der äußeren Situation zusammen das Bestimmende ausmachen. Anders der Mensch. Auch er steht im Strom des Geschehens, auch ihn überfallen die Situationen; er wählt sie sich nicht, er gerät in sie — selbst da wo er sie kommen sieht und im Eingreifen oder Ausweichen mit bestimmt; denn sie fallen zuletzt doch stets anders aus, als er sie ge­ wollt. Sind sie aber einmal da, so kann er nicht ausweichen, er muß hindurch, muß handeln. Der Unterschied ist nur: die Situation sagt ihm nicht, „wie" er handeln muß, sie läßt chm Spielraum, so oder so zu handeln. Ebensowenig zeichnet chm sein eigenes Wesen eindeutig die Richtung vor. Der Macht der Triebe steht in ihm noch ein anderes ent­ gegen, das chm Ziele, Aufgaben, Werte vor Augen hält. Mächte von eigener Art und eigenem Gewicht. Auch das eigene Wesen läßt ihm

Spielraum. Das aber heißt: die Richtung, die er im Tun einschlägt, ist in seine Freiheit gestellt. M an darf den S inn dieser Freiheit nicht mißverstehen. Nicht darin hat der Mensch Frecheit, ob er in gegebener Situation handeln will oder nicht; denn auch das Unterlassen ist ein Handeln und kann, wenn es das Rechte nicht war, als Schuld auf ihn zurückfallen. Er ist vielmehr stets zum Handeln gezwungen. Nur darin hat er Frecheit, „wie" er handelt. D as Wie ist in seine Entscheidung gestellt. Und well eben diese Entscheidung die Betätigung seiner Freiheit ist, so kann man auch sagen: er ist zur steten Entscheidung gezwungen. Oder auch umgekehrt: im Gezwungensein zur Entscheidung ist er frei. Seine Frecheit ist also weder das bloße Negativum des Spielraums — sei es des äußeren oder des inneren — noch auch die Freizügigkeit gegen­ über dem Strom des Weltgeschehens. Dieser Strom vielmehr, als Kette der Situationen gesehen, nötigt ihn nur zur Entscheidung, jener Spielraum aber ist nur Bedingung möglicher Entscheidung. Das Wie der Entscheidung dagegen bleibt seine Sache. M it ihm ist er auf sich selbst gestellt. Und dieses „Auf sich selbst Gestelltsein" ist seine Freiheit. Was wir im Leben Person nennen, ist das in diesem Sinne freie Wesen. Es ist das Wesen, dem wir seine Taten zurechnen, das Ver­ antwortung trägt, Schuld oder Verdienst hat; das Wesen, das je nach der Tendenz oder Gesinnung, aus der heraus es sich entscheidet, „gut oder böse" ist. Es ist das Wesen, das niemals zum Guten oder zum Bösen gezwungen ist, wohl aber zur Entscheidung zwischen Gut und Böse. Denn es gibt keine Frecheit zum Guten allein; nur wer des Bösen grundsätzlich auch fähig ist, ist des Guten im sittlichen Sinne fähig. Wäre der Mensch des Bösen nicht fähig, so stünde er unter dem Gesetz des Guten wie das Ding unter dem Naturgesetz. Dann aber wäre sein G ut­ sein nicht moralisches Gutsein, nicht sittlicher Wert. M an kann also auch sagen: Person ist das Wesen, das des M ichen Gut- und Böseseins fähig ist, der Träger sittlichen Wertes und Unwertes. Denn das ist der Sinn sittlichen Wertes, daß er auf Frecheit gestellt ist. Aber damit ist das Rätsel der Person nicht etwa gelöst, sondern allererst in seiner Undurchdringlichkeit erkannt. Denn eben die Frecheit ist die große metaphysische Rätselstage der Person. Wie ist es denn möglich, daß ein Wesen, das im Strom des Weltgeschehens von unübersehbar mannigfältigen Faktoren abhängig, bis in sein Empfinden hinein bedingt ist, in seinem Entscheiden doch frei sein sollte? Und gesetzt, daß selbst das sich zeigen ließe, wie ist es denn möglich, daß es außerdem auch noch Frecheit gegen die Forderung des moralisch Guten haben sollte, das doch allein ein Gegengewicht gegen jene Mächte in chm ausmachen kann?

Das Unfaßbare im Wesen der Freiheit ist gerade dieses, daß sie zwei Fronten hat, zugleich Freiheit gegen die Seinsgesetzlichkeit und Freiheit gegen die Sollensgesetzüchkeit ist. Sie bedeutet, daß die Person neben der doppelten Determination durch den S trom des Geschehens und durch das moralische Gesetz noch einen Quell der Selbstbestimmung in sich tragen muß. Und eben das ist das Rätsel. Die Lösung der Kantischen Kausalantinomie genügt bestenfalls nur der einen Seite des Problems. Die andere Seite, die Sollensantinomie, muß noch als gänzlich ungelöst gelten. Nur eine von unten auf durchgeführte ontologische Klärung des Wesens von Mensch, Person, Geist einerseits. Sollen, Sittengesetz, Wert andererseits kann hier R at schaffen. 13. Metaphysik bet Werte.

Bei alledem aber ist noch das Wesen des „Guten" als solchen als be­ kannt vorausgesetzt. Auch diese Voraussetzung ist nicht haltbar. Schon die Vielheit der Moralen beweist es. S eit Nietzsche hat es sich immer deutlicher gezeigt, daß es sich hier gar nicht um ein einheitliches Prinzip handelt — wie noch Kant glaubte —, sondern um eine Vielheit von Werten, die sich erst allmählich in der Geschichte dem Menschen erschließt. Insoweit freilich ist das Problem der Werte kein metaphysisches. Auch die reale Welt erschließt sich dem menschlichen Verstehen ja erst allmählich. Wohl aber wird das Problem metaphysisch, sobald es sich um die Seinsweise der Werte handelt. I n der älteren Ethik ist diese Frage verschleiert durch das Fehlen des Wertbegriffs. Bei den Mten verkitt die „Idee" die Stelle des Wertes (Idee der Gerechtigkeit, der Tapferkeit, des Guten überhaupt); aber der eigentliche Wertcharakter tritt an ihr nur int In h alt hervor, er ist gegen die offenkundig andere Seinsweise ontischer Prinzipien (wie etwa Einheit, Gegensatz, Form, Materie) nicht abgehoben. Kant dagegen hob das Sittengesetz sehr bestimmt und sauber ab von den Gegenstandsprinzipien (z. B. den Kategorien) — durch den Begriff des Sollens. Aber er verlegte den Quellpunkt des Sollens in die Bemunft, und damit entsteht eine neue Schwierigkeit. Denn diese Bermmst — als prMsche verstanden — ist dieselbe, welcher die freie Entscheidung für oder wider das Sittengesetz zufällt. S ie muß also einerseits das Gesetz als das ihre vorschreiben, andererseits aber gegen eben dieses Gesetz doch Spielraum haben. Hätte sie diesen nicht, so ftfinbe sie unter ihm „wie unter einem Naturgesetz"; sie wäre, dann zwar unfehlbar in ihrem Tun, die Unfehlbarkeit aber wäre nicht ihr sittlicher Wett. Kant hat somit zwei heterogene Autonomien auf die prMsche Vernunft vereinigt, die des Sollensgesetzes und die der Entscheidung

gegenüber dem Gesetz — was offenbar so nicht haltbar ist. D a man nun die Frecheit unmöglich in etwas anderem als dem wollenden S ub­ jekt (der Person) suchen kann, so muß der Fehler beim subjektiven Ursprung des Sollens liegen. Hebt man diesen aber auf, so tritt die Aporie in der Seinsweise des Sollens sofort wieder in den Vordergrund. Denn jetzt kann es sich nur um eine objettive Wurzel handeln. Eine solche aber bedarf zu allererst einer Klärung ihrer Seinsweise. Denn sie muß von anderer A rt sein als die der Seinsprinzipien. Diese Aporie macht den ungelösten und beim heuttgen Stande der Forschung auch noch ganz unlösbaren Bestand des Wertproblems aus. S ie ist dabei keineswegs ein bloß ethisches Problem. S ie kehrt an allen übrigen Wettgebieten wieder, an dem der Güterwette, der Büalwette, der ästheüschen Wette u. a.m .; sie ist damit keineswegs gehoben, daß man diese Wettgebiete für autonom erklätt. Denn gerade das Ver­ ständnis der Autonomie hängt ganz und gar an dem Verständnis ihrer Seinsweise. Das Problem steht hiemach so. Was dem Dafürhalten des Subjekts entzogen ist, das besteht „an sich". Es braucht deswegen nicht real zu sein. Realität kommt für die Seinsweise der Werte auch gar nicht in Bettacht, sie bestehen ja offenbar unabhängig davon, ob und wieweit sie in der Welt realisiert werden; und nur so ist es möglich, daß sittliche Wette einen Sollenscharakter haben und betn Menschen als Forderungen entgegentteten. Man muß den Werten also eine andere Seinsweise zuschreiben. Damit freilich würden sie nicht allein dastehen. Es gibt Gesetzlichkeiten und Wesenheiten genug, die ein bloß „ideales Sein" haben; seit P law n hat man für diese Tatsache die mathemattschen Ver­ hältnisse angefühtt. Aber weder ist es geklärt, welche Seinsweise diese BerhAtnisse haben — gerade heute geht wieder lebhaft der S tte it darum —, noch kann ihre Seinsweise mit der der Werte ganz identtsch sein. Denn offenkundig haben sie keinen Sollenscharakter und beherrschen das Reale, soweit überhaupt sie es betteffen, widerstandslos, wie Natur­ gesetze. Anders wäre eine mathemattsche Naturgesetzlichkeit, wie begrenzt immer sie sein mag, ein Ding der Unmöglichkeit. Das ideale S ein der Wette muß also noch eine andere Seinsart haben, die weder subjektgettagen noch auch identtsch m it der der anderen Wesenheiten ist. Eine solche nun läßt sich wohl annehmen, aber nicht direkt aufweisen oder ontologisch näher charattettsieren. S ie bildet heute ein offenes Problem — ein Problem, das eben erst aufgedeckt, nicht nur einstweilen unlösbar, sondern auch noch kaum in ganzer Tragweite Begriffen ist. An chm hängt die Aufgabe einer Metaphysik der Wette. Und diese Aufgabe besteht unabhängig davon, wie weit die Mannigfaltigkeit der Wette sich inhalllich aufzeigen und phänomenologisch beschreiben läßt.

M e gewichtig diese Aufgabe ist, erhellt am besten daraus, daß an ihrer Lösung die Entscheidung über die große Streitfrage von Absolut­ heit oder Relativität der Werte hängt. Es gibt keine andere Gegebenheit der Werte als das Wertbewußtsein, und zwar in Form des Wertfühlens. Geschichtlich aber ist das Wertgefühl wandelbar. Der historische Rela­ tivismus greift diese Tatsache auf und behauptet, die Werte fettst seien dem geschichtlichen Wandel unterworfen; woraus sich ergeben würde, daß sie vom Wertbewußtsein abhängig sind. Diesem Wertrelativismus steht die andere Auffassung gegenüber, nach der das Wertreich zwar an sich unveränderlich besteht, das Wertbewußtsein aber jeweilig nur Bruchstücke von ihm erfaßt. Das Wertfühlen würde sich hiernach zur Sphäre der Werte ebenso verhalten, wie die Erkenntnis zum Seienden überhaupt; denn auch die Erkenntnis erfaßt nicht die ganze seiende Welt mit einem Schlage, sie erschließt sie sich erst allmählich im Vordringen, und ihre Weltbilder lösen sich geschichtlich ebenso ab wie die im Wert­ gehalt verschiedenen Moralen der Völker und Zeitalter. Aber da die erstere Auffassung das subjektlose S ein der Werte be­ streitet, die letztere dagegen es zur Voraussetzung hat, so liegt bei der ontologischen Grundfrage letzten Endes auch die Entscheidung über Recht und Unrecht des Wertrelativismus. Es hat durchaus keinen Sinn, diese Frage durch spekulative Vorentscheidung meistern zu wollen. M an belastet sie dadurch nur noch mehr m it unkontrollierbaren Voraus­ setzungen. M an klärt sie damit nicht, man verdunkelt sie nur. Nur von einer soliden Arbeit auf ontologischer Grundlage kann man sich wirkliche Klämng versprechen. Diese Arbeit aber liegt heute noch in den Anfängen.

14. Metaphysik der Kunst und des Schönen. Das Reich des Schönen kann sich an Gewicht m it dem des Ethos und der Freiheit nicht messen, wohl aber an metaphysischer Hinter­ gründigkeit und Irrationalität. Man kann wohl leben, ohne von der Problematik der Künste berührt zu sein, aber man kann nicht philoso­ phieren, ohne von ihr erfaßt zu sein. Damm gehört diese Problematik in den Fragekreis hinein, in dem das ontologische Problem wmzelt. Das Reich des Schönen ist nicht eine Welt neben der realen Welt. Die Natur, der Mensch, das Leben mit seiner ungewollten Komik und Tragik, alles, was Gegenstand der Erkenntnis werden kann, kann auch Gegenstand ästhetischen Schauens und Genießens werden. Aber es ist dasselbe nicht an ihm, was diesem Schauen, dasselbe nicht, was dem Erkennen erscheint. M e geographische Landschaft ist nicht die ästhetisch geschaute. Jene besteht an sich, auch ohne Betrachter, diese ist nur „für"

ihn da, ist das, w as sie ist, n u r als gesehene, n u r von einem bestimmten S tandorte a u s; die besondere Perspektive, das Hintereinander im Blickfelde, das besondere Licht sind ihr wesentlich. Schon ein so einfaches Beispiel zeigt, daß die Seinsweise des ästheti­ schen Gegenstandes eine eigene ist, eine grundandere als die des theore­ tischen. Und doch geht sie im bloßen S e in „für" den Schauenden nicht auf. D enn ohne das reale Vorhandensein des wirklichen Landstriches erscheint auch die ästhetische Landschaft nicht. D as Ganze ist also geschichtet aus einem realen Bestandteil, der die Grundlage bildet, und einem irrealen, nur erscheinenden, der sich darüber erhebt. Und doch ist beides so ineinander verwoben, daß es durchaus nur ein einziger Gegen­ stand ist. Noch greifbarer ist dieses Verhältnis am Kunstwerk. Bei der ge­ malten Landschaft ist die dargestellte Gegend — wenn überhaupt es eine solche gibt — zwar in keiner Weise gegeben; wohl aber ist ein anderes Reales gegeben, die Ebene der Leinwand m it der Farbenverteilung. W as der Beschauer sieht, ist dennoch weit mehr als dieses: die Raumtiefe m it ihrem In h a lt, ihrem Licht, ihrer „Stim m ung". D as alles ist nicht real da, aber es „erscheint" an einem Realen. Und wiedemm ist das Ganze eine unlösbare Einheit: die Landschaft erscheint nur im Hinschauen auf die Leinwand, diese aber mit ihren Farbflecken ist ein Bild nur, sofern die Landschaft auf ihr erscheint. D er künstlerische Gegenstand ist ein geschichteter auf allen Gebieten des Schaffens. I m plastisch geformten S te in erscheint die bewegte Figur, erscheint Kraft, Leben, Liebreiz. I m dichterisch geformten W ort erscheinen Gestalten aus Fleisch und B lut, Leidenschaften, Szenen, Schicksale. I n der gehörten Klangfolge, die zeitlich abläuft und in keinem Augenblick beisammen ist, erscheint ein musikalisch Ganzes, ein Aufbau, der gerade dann erst sich rundet, wenn jene zeitliche Folge abgelaufen ist. Überall erscheint ein Irreales in einem Realen, deutlich von ihm unterscheidbar, und doch unlösbar an seine Gegebenheit gebunden. S te ts überhöht ein Schauen geistiger A rt das sinnliche Sehen oder Hören; stets ist das Kunstwerk ein Doppelgebilde aus zweierlei S ein s­ weise, und dennoch gediegene Einheit. Niemals besteht es an sich, ab­ gelöst vom Schauenden; denn das Erscheinende besteht nur für ihn. M e r niemals auch erscheint dieses Erscheinende ohne das real geformte Gebilde. Und dieses wiedemm ist nur insofern ein Kunstwerk, als es dem Schauenden jenes Erscheinende vermittelt. Sow eit ist das Verhältnis beschreibbar und entspricht den schlichten Taffachen. D ahinter aber taucht die Frage auf, wie so etwas möglich ist. D aß der Künstler uns etwas hervorzaubert, was nicht wirklich ist, mag verständlich effcheinen. M e r das geformte Werk ist nicht der Künstler.

M it betn Künstler haben wir es im Schauen gar nicht zu tun. D as Werk allein ist gegeben. Von ihm geht die M agie des Erscheinens aus. D as gerade ist das Problem , wie ein reales Gebilde, sinnlich ge­ geben wie andere Dinge auch, einen von ihm gänzlich verschiedenen und der S e in sa rt nach heterogenen In h a lt „erscheinen" lassen kann. Hier kann man sich nicht auf das T u n des Künstlers berufen; denn dieses wiederholt sich nicht. D er Schauende vielmehr setzt das seine ein, aber nicht nach Belieben, fonbem fest determiniert durch das sichtbare Werk. E s hilft auch nichts, sich auf das W under der „künstlerischen Form " zu berufen. D enn eben diese F orm enthält ja schon das ganze Erscheinungs­ verhältnis. Als künstlerische ist sie gerade diejenige Geformtheit eines Realgebildes, die das Erscheinen jenes Anderen, Unwirklichen — aber ein Erscheinen in voller Bestimmtheit und Konkretheit — hervor­ zaubert. Dieses Problem zeigt deutlich den Punkt an, von dem ab die Ästhetik zur Metaphysik des Schönen wird. (sofern es sich aber in jener Schich­ tung um ein Einheitsverhältnis zweier Seinsweisen handelt, so leuchtet es ein, daß das Problem ein ontologisches ist.

15. Metaphysik der Geschichte. Alles geistige S e in ist im Fluß. E s hat Geschichte. Geschichte ist zwar nicht Geistesgeschichte allein, aber wohl stets „auch" Geistesgeschichte. Ohne den Faktor des Geistes unterscheidet sie sich vom Naturgeschehen nicht grundsätzlich. D er Geist, um den es sich hier handelt, ist der objektive Geist. Die Einzelperson ist nur in sehr beschränktem S inne Geschichtsträger. D ie großen Geschehnisse sind nur mittelbar die ihrigen. F ü r größere E nt­ wicklungen reicht auch ihre Lebensdauer nicht hin. W as sich wirklich geschichtlich bewegt, umbildet, entwickelt, das sind die selbstgeschafsenen geistigen Form en der Völker: das Recht, die Politik, die S itte, die Sprache, das Wissen u. s. f. S ie sind stets Form en einer Gemeinschaft, aber sie haben selbst nicht die F orm der Gemeinschaft. D enn sie bestehen nicht, wie diese, aus Individuen, sondern aus inhaltlicher Mannigfaltig­ keit, die den Individuen gemeinsam ist. N un haftet am Geschichtsprozeß die alte F rage des W oher und Wohin. S ie ist durchaus keine bloß inhaltliche Frage, zumal in Richtung des Wohin. Nicht darum allein handelt es sich, worauf zu wir uns entwickeln, sondern mehr noch darum, ob die Völker überhaupt sich in einer angebbaren Zielrichtung bewegen, oder ohne eine solche der „Zufälligkeit" und den Ursachenketten ausgeliefert find. Diese Frage ist eine eminent metaphysische. S ie ist bekannt als Problem der Geschichts-Teleologie.

S ie erhält ihr Gewicht aber nicht rein aus sich selbst, sondem aus einer Sinnftage, die dahinter steht. Denn ist der Geschichtslauf der Zufälligkeil der Verkettungen ausgeliefert, so ist er jedenfalls nicht sinngeleitet; gibt es aber eine Zielrichtung in ihm, so muß auch das Ziel selbst ein sinngebendes sein. I m letzteren Falle ist der Geschichtsprozeß, weil er Berwirllichung des Zieles ist, ein sinnerfüllender Prozeß. Darum ist die Frage der Determinationsweise in der Geschichte (ob sie final oder kausal bestimmt ist) von größter Aktualität. Nach einem S inn des Lebens vor ollem sucht der Mensch; und ohne einen S in n der Geschichte, so scheint es, kann auch das Leben des Einzelnen nicht sinnvoll sein. Nichts aber erträgt der Mensch schwerer als die Sinnlosig­ keit im eigenen Leben. Mcht Leid und Mißgeschick bedrückt ihn so tief wie die Unsinnigkeit des „Für nichts und wieder nichts". Und wo er innerhalb des eigenen Daseins keinen S in n zu entdecken vermag, da sucht er ihn zwangsläufig über das eigene Dasein hinaus — in dem, was kommt. Diese Sinnftage ist zwar keine ontologische mehr. W er da sie am Teleologieproblem haftet, so wmzelt sie in einer ontologischen und ist selbst wenigstens eine ontologisch bedingte Frage. S ie macht seit der Zeit des deutschen Idealism us den eigentlichen In h a lt der Geschichts­ philosophie aus, oder wie man richtiger sagen sollte, der Geschichts­ metaphysik. Zugleich aber steht man m it ihr noch vor einer weiteren Alternative. F ü r die Art der Determination im Geschichtsprozeß ist es offenbar ausschlaggebend, welche Mächte die bestimmenden sind. Sind es die materiell-physischen, vitalen, ökonomischen Mächte, so ist der Lauf der Ereignisse mitsamt dem Wandel des Geistes „von unten her" bestimmt und folgt der kausalen Whängigkeit; alles, was geschieht, ist dann Wirkung dessen, was geworden ist, und für ideelle Faktoren ist kein Spielraum. Sind es aber geistige Mächte, so muß es auch die Determinationsform des Geistes sein, die im Geschichtsprozeß waltet, und das ist die teleo­ logische. Denn der Geist ist es, der sich Ziele setzen und sie verwirllichen kann. Der Prozeß ist dann „von oben her" bestimmt und folgt einer Finalordnung, die vom Ende aus dirigiert ist. I n diesem Falle ist er sinngeleitet, aber für Faktoren ökonomischer Art ist dann kein Spiel­ raum. S o stehen sich historischer Materialismus und historischer Idealism us schroff gegenüber, beide wohlbekannt aus dem Gegensatz von Marx und Hegel. Es ist nun zwar keine Notwendigkeit, sie so ins Extrem zuzuspitzen. Der Geschichtsprozeß ist ja selbst ein geschichteter, er enthält das physische und wirtschaftliche Leben der Böller so gut wie das geistige. Es liegt also nah, die beiderseitigen Mächte — die Determination „von unten" und

die „von oben" — in ihm vereinigt zu sehen, gleichsam ineinander­ greifend und sich ergänzend. D am it aber erwachsen neue Schwierigkeiten, in erster Linie die, daß kausale und finale Determination einander diametral entgegenlaufen und sich durchaus nicht ohne weiteres har­ monisch ineinanderzufügen scheinen. S o sind es drei Problemschichten am Geschichtsprozeß, die auf metaphysische Fragen hinauslaufen. Alle drei können grundsätzlich nur behandelt werden, wenn m an die Schichtung der Mächte und Faktoren, die das geschichtliche S e in ausmachen, von Grund aus llarlegt. Z u dieser Klarlegung gehört die oben aufgeworfene Frage nach der S ein s­ weise des objektiven Geistes und seinem V erhältnis zu den ihn tragenden niederen Seinsschichten. Es gehört hierher aber auch die Kategorialanalyse von Kausal- und Finalnexus, über die beide die M e n heute noch nicht geschlossen sind. Und schließlich spielt hier noch die große Frage hinein, ob und inwieweit überhaupt reine S in n - und W ertmomente als wirllichkeitsformende Mächte in einen allseitig bedingten Realprozeß Hineinspielen und ihn bestimmen können. E s kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese Fragen ontologischer A rt sind; desgleichen daß die bisherige Geschichtsphilosophie sie in der Regel spekulativ vorentschieden hat. Hier, wenn irgendwo, muß ganze Arbeit gemacht werden. Aber sie kann erst beginnen, wenn die allge­ m einen Grundfragen von unten auf bereinigt sind.

16. Der geschlossene Rahmen der metaphysischen Probleme. Solange m an unter Metaphysik ein einheitliches Problemgebiet versteht, das neben anderen gelagert ist und eine inhaltliche Abgren­ zung zuläßt, kann m an m it den aufgezeigten metaphysischen Fragen nicht viel anfangen. S ie scheinen nirgends recht hinzugehören, liegen verstreut über alle Forschungsgebiete und zeigen, wenn m an von gewissen mehr zufälligen Berührungspunkten absieht, keine eigentliche Zusammen­ gehörigkeit. D as durchgehend Gemeinsame ist nur, daß sie überall im Hintergrund der philosophischen Teilgebiete gelagert sind und dort eine A rt Restbestand bilden, m it dem die besonderen Methoden dieser Gebiete nicht fertig werden. D ie alte Metaphysik hat sie darum unbeachtet liegen lassen — teils weil sie m it ihren besonderen Gegenständen über und über zu tu n hatte, teils weil sie auch nicht M ittel und Wege wußte, ihnen beizukommen. D enn diese alte Metaphysik eben w ar eine inhaltlich abgegrenzte Disziplin; G ott, Seele, Ganzheit der W elt waren ihre Gegenstände. B on der M tike bis auf K ant hat sich ihr Begriff gehalten. M e r diese Metaphysik w ar es, die der Erkenntniskritik weichen mußte. S ie hat in all den Jahrhunderten ihrer B lüte niemals auf sicherem Boden gestanden;

nie konnte sie die Voraussetzungen, die sie zu machen gezwungen war, erweisen, nie ihre Konsequenzen mit den Forschungsresultaten der empirischen Mssenszweige in Einklang bringen. S ie feierte ihre Triumphe int luftleeren Raum der Spekulation, sie war das eigentliche Feld der großen Systembauten, die alle wieder zusammenbrachen, sobald die Kritik nur leise an ihren Fundamenten rührte. S ie ist es, die zuletzt den Namen der Metaphysik, ja den der Philosophie, zweideutig ge­ macht hat. S ie ist die unsrige nicht mehr. M er es ist nicht so, daß mit ihr die metaphysischen Probleme ausgestorben wären. Biel eher umgekehrt, die wirklichen, ewig unvermeidlichen Probleme der Metaphysik sind so erst sichtbar geworden. M e r sie liegen nicht mehr im Jenseits der Welt, auch nicht jenseits aller Erfahrung und Gegebenheit, sondem in nächster Nähe, greifbar, mitten im Leben. S ie hängen an allem Erfahrbaren, begleiten das Erkennbare auf allen Gebieten. Denn auf allen Gebieten ist das Erkennbare eingerahmt vom Unerkennbaren. Und weil die Seinszusammenhänge sich nicht an Erkenntnisgrenzen halten, sondem überall über sie weggreifen, so erscheinen auf allen Gebieten die ungelösten und unlösbaren Restfragen im Hintergmnde, und alle Forschung, in welcher inhaltlichen Richtung sie auch gehen mag, stößt irgendwo ungewollt auf sie. Solche Probleme nun, die in diesem Sinne den Hintergrund der Problemgebiete ausmachen, die unvermeidlich und unabweisbar sind, weil ein fester Zusammenhang mit dem Erkennbaren sie uns aufgibt, die aber auch mit den Mitteln endlicher Erkenntnis nicht bis zu Ende lösbar sind und deswegen in allem Fortschreiten der Erkenntnis be­ stehen bleiben, sind die eigentlichen und legitimen metaphysischen Probleme. Bon solcher Art sind die oben aufgewiesenen Grundfragen der philosophischen Teilgebiete. Es sind nicht willkürlich oder vorwitzig konstruierte Schwierigkeiten, ihr Gehalt ist nicht Menschenwerk, man kann sie nicht ändem oder aus der Welt schaffen. M an kann sie miß­ verstehen, ignorieren, an ihnen vorbeileben. M er man kann es nicht hindem, daß sie sich wieder und wieder melden. Denn es sind Tat­ sachen, an denen sie hängen, Gmndtatsachen unseres Lebens und der Welt, in der unser Leben sich Abspielt. S ie selbst aber sind nichts als die ewigen Rätsel, vor welche diese Welt, wie sie einmal ist, und unser Leben in ihr uns stellt. Die Welt nun zu ändem steht in des Menschen Macht nicht. S ein Leben in ihr ändert sich fteilich, aber nicht nach Maß­ gabe der Probleme, die er auswirft; sondem umgekehrt, die Probleme, die es chm aufgibt, ändem sich in dem Maße, als sein Leben in der Welt sich ändert.

Macht man sich diese Sachlage einmal klar, so bewahrheitet sich das Wort Kants von den unabweisbaren und doch unlösbaren Problemen in einer Ausdehnung, die weder er noch seine Zeit zu ermessen wußte. Diese Probleme haben sich in allen Richtungen menschlichen Fragens und Forschens als Grundfragen erwiesen. S ie bilden eine geschlossene Kette von Hintergrundproblemen, gleichsam einen Rahmen aller speziel­ leren Problematik. Und so ist es kein Zufall, wenn von dem Augen­ blick an, wo die Philosophie diese ihre Gesamtsituation erkennt, ihr weiteres Schicksal davon abhängig wird, was sie mit diesem Rahmen metaphysischer Probleme anzufangen weiß. Der Augenblick solcher Erkenntnis ist gekommen. 17. D as ontologische Element in den metaphysische» Problemen.

Wären die metaphysischen Problemgehalte etwas dmchweg I r r a ­ tionales, so müßte es aussichtslos sein, sie philosophisch in Angriff zu nehmen. Denn Irrationalität im gnoseologischen Sinne heißt Un­ erkennbarkeit. Ein dmchweg Unerkennbares aber gibt es im Bereich faßbarer Probleme nicht. Das Bestehen der Probleme selbst beweist das. I n der Problemfassung als solcher ist eben stets auch etwas von der Sache schon erkannt, auf die das Problem geht. Anders wäre es ja unmöglich, ein Problem von anderen auch nur zu unterscheiden. Was wir als ein Irrationales verstehen, ist also stets nur ein teilweise I r r a ­ tionales. Das bedeutet, daß es an ihm stets auch eine erkennbare Seite gibt. Der durchgehende, alle Erkenntnisgrenzen überbrückende Seinszu­ sammenhang der wirllichen Welt bürgt uns dafür. S tets finden wir das Unbekannte an Bekanntes, das Unerkennbare an Erkennbares ge­ bunden. Lassen sich also die metaphysischen Probleme auch nicht ganz lösen, so lassen sie sich doch jederzeit mit geeigneten Methoden behandeln. Es gilt tittt die Methoden zu finden. Behandlung aber heißt hier einfach ein solches Vordringen der Erkenntnis, bei dem neue Seiten oder Teilbestände des Problems einer Lösung zugeführt, die unerkennbaren Restbestände aber immer weiter eingegrenzt und dadurch relativ greifbar gemacht werden. Selbstverständlich hält sich das Verfahren an die erkennbare Seite der Gegenstände. Das Unerkennbme selbst erkennen zu wollen, wäre ein unbilliger Anspruch. Was aber ist die erkennbare Seite an den metaphysischen Problemen, die wir im ganzen Umkreis der philo­ sophischen Forschungsgebiete als Problemhintergrund gefunden haben? Auch borauf findet sich die Antwort bereits in den vorstehenden Analysen. Auf der ganzen Linie hat es sich gezeigt, daß an diesen Pro-

bienten ein ontologischer Einschlag ist. S te ts handelte es sich zunächst entweder direkt um die Seinsweise, oder um den Determ inationstypus, d as Strukturgesetz, die kategoriale Form . Diese S eite der Probleme ist durchaus nicht unlösbar, es gilt nur, sie in geeigneter Weise anzu­ greifen. Freilich kann es auch hier unüberschreitbare Grenzen der Er­ kenntnis geben; aber das m uß sich dann erst im Fortschreiten heraus­ stellen. Än sich sind ontologische Problembestände nicht notwendig irrattonal; sie fittb sogar in der Regel von einer gewissen Zugänglichkeit, ja oft kann schon die bloße Beschreibung des Vorliegenden, wenn sie zugleich streng und allseitig vorgeht, eine gewisse Klärung der Sache erzielen. D a es sich aber u m letzte Grundprobleme handelt, an denen jeder Fußbreit gewonnenen Bodens Konsequenzen von größter T rag­ weite haben kamt, so ist hier jedes Bruchstück errungener Sachklärung von unabsehbarem philosophischem W ert. Hier nun läßt sich endlich die Antwort auf die eingangs gestellte F rage geben, w arum eigentlich w ir zur Ontologie zurückkehren sollen. W ir sollen und müssen es deshalb, weil die gegebene Problemlage in der Philosophie es so verlangt: der ontologische Einschlag in den m eta­ physischen G rundfragen aller Forschungsgebiete hat sich als die be­ handelbare und erforschbare S eite in ihnen erwiesen. M an kann das auch so ausdrücken: die Frage der Seinsweise und Seinsstruktur, des modalen und kategorialen B aues ist das noch am meisten Unmeta­ physische in den metaphysischen Problem en, das relativ Rationalste im Gesamtbestande dessen, was irrationale Problemreste enthält. D aß dem so ist, kann freilich erst die Durchführung der Aufgabe erweisen. Doch läßt sich wohl auch am vorläufigen Bestände der heran­ gezogenen Problemgebiete ersehen, daß in der T a t hier ein gangbarer Weg sich öffnet. H at doch sogar die bloße Herausarbeitung des onto­ logischen Einschlages in jenen Problem en schon eine gewisse Überzeugungs­ kraft. M an spürt die Angriffsflächen möglichen Vorgehens, auch wo m an sie noch nicht inhaltlich erfaßt. Soviel aber läßt sich zum Voraus sagen, daß das Schicksal der alten Ontologie uns hierbei nicht irre zu machen braucht. Wohl ist die M eta­ physik, die auf ihr stand, zusammengebrochen. Aber diese Metaphysik hatte noch andere Voraussetzungen; an diesen und nicht a n der Ontologie lag ihre Schwäche. Und, w as wichtiger ist, jene Ontologie war selbst einseitig angelegt; sie kannte auch noch nicht den weiten Problemkreis, der ihr den breiteren Boden hätte geben können, desgleichen nicht die Mannigfaltigkeit der Zugänge und Methoden, die wir heute einer geleisteten philosophischen Erfahrung entnehmen können. Biel eher noch möchte m an umgekehrt schließen: wenn sie trotzdem soviele J a h r­ hutwerte Fundam ent der Philosophie blieb, so muß dafür der Grund

sein, daß die Stellung einer Fundamentaldisziplin ihr eben von Rechts wegen zukommt — weit mehr als der Erkenntniskritik, die sie geschicht­ lich abgelöst hat, — ihr auch da noch zukommt, wo sie vor ihrer Aufgabe versagt. Die Aufgabe eben besteht nicht auf Gmnd ihrer Leistung, und kein Versagen hebt sie auf. 18. Der Gedanke einer neuen philosophia prima.

Eine Schwierigkeit liegt noch darin, daß der Kreis der metaphysischen Probleme so weit auseinandergezogen, über so heterogene Gegenstands­ gebiete »erteilt ist. Die einzelnen Problemgruppen in chm scheinen nur zufällig aneinandergefügt zu sein, sie bilden keine greifbare Einheit. Und da der ontologische Anschlag an ihnen hängt, so scheint auch dieser nicht recht in sich zusammenzuhängen. Wie also kann man hoffen, daraus die Einheit einer philosophia prima zu gewinnen? Und um eine solche muß es sich doch handeln. Hierzu sind vor aller weiteren Untersuchung die folgenden Gesichts­ punkte zu erwägen. S ie ergeben sich teils aus den obigen Überlegungen, teils aus wohlbekannter geschichtlicher Erfahrung und sind gmnblegenb für die Idee der neuen Ontologie. 1. Eine zum Voraus angebbare Einheit inhaltlicher Art — nach einem Schema oder aus einem Prinzip — darf man hier freilich nicht erwarten. Eine solche Einheit könnte nur die vorweg konstruierte eines „Systems" sein. Die konstmierten „Systeme" aber haben in der Philo­ sophie ausgespielt. Die Geschichte lehrt ihre Hinfälligkeit. Was sich als haWare Errungenschaft bewährt hat, ist zu keiner Zeit und bei keinem Denker die geprägte Systemform (der „Ism us") gewesen; stets vielmehr waren es Einsichten speziellerer Art, die unabhängig von spekulativen Voraussetzungen, Prägungen und Konstruktionen gemacht wurden — Einsichten, die in der Mehrzahl der Fälle als Inkonsequenz im System dastanden, well sie nicht hineinpaßten, und es oft schon unter den Händen des Baumeisters sprengten. Diese Sachlage in der Philosophie ist heute eine wohlbekanntes und bedarf keiner Begründung. Aber selbstverständlich steht dem das populär-metaphysische Bedürfnis nach über­ sichtlichen Weltbildern dauernd entgegen; und dämm ist es notwendig, sich die wissenschaftliche Wertlosigkeit der Systeme immer wieder vor Augen zu halten. 2. F ür die neue Ontologie bedeutet dieses, daß eine zum Voraus angebbare Einheit für sie gar nicht in Frage kommt. Selbst wenn sich eine solche anböte, müßte man ihr mit Mißtrauen begegnen, müßte sie l ) Ich habe sie seinerzeit am Beispiel der Kantischen Philosophie program­ matisch aufzuzeigen gesucht: „Diesseits von Idealism us und Realismus", Kantstudien X X IX , 1924.

wenigstens einstweilen aus dem Spiel lassen, um die emfihafte Arbeit an den Problemen nicht konstruktiv zu beeinflussen. Wirklich in Frage kommt nur ein Einheitstypus, der sich aus der Vertiefung in den vor­ liegenden Problembestand von selbst ergibt. Ergibt sich ein solcher nicht, so muß die Untersuchung es mit der Ungewißheit als einem Wesensstück der gegebenen Problemlage aufnehmen und in ihr ausharren. 3. Die Aussicht auf eine Einheit, die erst zu finden wäre, ist indessen garnicht so gering. Man braucht nur folgendermaßen zu überlegen. Die metaphysischen Probleme zeigen zwar zunächst weitgehende Diver­ genz; und es ist freilich denkbar, daß die Divergenz bei weiterem Vor­ dringen der Erkenntnis in ihren Bestand noch weiter führt. Aber es ist nicht möglich, daß sie in infinitum weitergeht. Irgendwo müssen die Problemgehalte selbst wieder konvergieren, und sei es auch weit jenseits dessen, was sich auf Grund heutiger Sachlage voraussehen läßt. Denn es sind Problemgehalte einer und derselben Welt, und nur die Auf­ spaltung menschlicher Forschung in relativ isolierte Wissenszweige läßt sie getrennt erscheinen. Der Zusammenhang der Welt in sich ist ja nicht fraglich. Seine besondere Form nur ist unbekannt; man darf ihn nicht voreilig konstruieren, man muß ihn dem in Teilphänomenen gegebenen Gefüge erst abgewinnen. Die inhaltlich nicht gegebene Einheit ist als eine vorhandene dennoch gewiß. I n diesem Sinne darf man sie sehr wohl als mitgegebene ansehen. D as gerade ist Aufgabe der Ontologie, der Welt das Geheimnis dieser Einheit erst abzugewinnen. Und das kann nicht geschehen, indem man ihr ein postuliertes Einheitsschema aufzwingt — die künstlich erdachte Einheit wird nie auf sie zutreffen —, sondern nur indem man die natürliche, vorhandene Einheü in ihr „sucht". Es wird um so eher gelingen, als man alle hochfliegenden Vorweg­ nahmen preisgibt und vorurteilslos der gegebenen Mannigfaltigkeit nachgeht, die divergenten Problemlinien unbeirrt verfolgt, wohin immer sie führen mögen. Denn es ist Kar: wo Einheit in der Sache enthalten ist, da wird man sie am ehesten finden, wenn man das Suchen nach ihr nicht durch künstlich hineingetragene Einheitsvorstellungen behindert. Den Problemen folgen wollen und ihnen gleichzeitig vorschreiben, wo sie hinausgelangen sollen, ist widersinnig. 4. F ü r den eigentlich ontologischen Gehalt der metaphysischen Probleme liegt die Sache indessen noch anders, liegt günstiger. Hier zeigt sich von vomherein eine weit größere Konvergenz. Dieser onto­ logische Gehalt ist eben nicht identisch mit dem metaphysischen Charakter der Probleme. Er betrifft m t die Seinsweisen, Seinsverhältnisse, Seinsformen. Diese aber sind nicht nur weit zugänglicher als die irra­ tionalen Restbestände der Probleme, sondern auch weit einheitlicher und homogener. S ie zeigen schon in der Überschau eine deutliche Inhalt-

liche Zusammengehörigkeit. Und sie eben sind es, die uns am ganzen Problemkreise der metaphysischen Hintergründe die Angriffsflächen möglicher Behandlung darbieten. Das entspricht der geschichtlichen Stellung der Ontologie in den Zeiten ihrer Blüte: stets war sie die diskutierbare Gmndlage der Metaphysik. S ie war es auch da, wo man um sie als eigenen Problembereich nicht wußte; und sie blieb es selbst da, wo kritische Arbeit die Metaphysik bekämpfte. Kritik, wo sie auftrat, hat sich stets nur gegen spekulative Konstruktion und Systeme gerichtet, nicht gegen die allgemeinen ontologischen Grundlagen. S ie hat diese vielmehr stets ihrerseits benutzt, sttllschweigend vorausgesetzt, oder gar bewußt in ihre Kategorien aufgenommen. Eine eigentliche Kritik des ontologischen Denkens hat es nie gegeben. 5. Die Einheit, um die es hier geht, braucht nicht eine punktuelle zu sein. S ie braucht nicht die Form eines „ersten Prinzips", einer letzten Gmndlage, oder überhaupt eines Absoluten zu haben. Es ist ein ver­ breitetes, aber falsches metaphysisches Einheitsbedürfnis, das sich an solche Vorstellungen klammert. Die Seinseinheit der Welt kann auch andere Formen haben, z. B. die eines Zusammenhanges, einer Ord­ nung, einer in sich mannigfaltigen Gesetzlichkeit oder Abhängigkeit, eines Stufenbaus oder einer Schichtenfolge. Jede dieser Einheits­ formen würde dem Gedanken der Problemkonvergenz vollkommen genügen. Und was wir im Leben und in der Wissenschaft von der Welt zu fassen bekommen, spricht deutlich dafür, daß eine dieser Formen die zutreffende ist. 6. Die Idee der neuen philosophia prima hat ihre methodische Einheit darin, daß sie auf allen Gebieten nach dem fragt, was das dem Sein nach Prinzipielle und Grundlegende ist. Diese Frageweise, sowie die Form des Suchens, die aus ihr resultiert, schließt von vornherein ihren Gegenstand — in aller Verstreutheit an die Teilgebiete und trotz ihr — zur Einheit zusammen. Die so verstandene Einheit ihres Gegenstandes ist das „Seiende als solches". Die Besondemng seiner Formen und Erscheinungsweisen aber ist die Mannigfaltigkeit der Seinsprinzipien oder -kategorien. I n ihrer Durchfühmng geht daher die Ontologie geradlinig und ohne Grenzstrich in Kategorienlehre über. 19. Philosophia prima und philosophia ultima.

Ließe sich nun diese Idee einer „ersten Philosophie" a priori aus einem Prinzip, oder auch einigen wenigen, deren man vor aller Unter­ suchung gewiß wäre, entwerfen und auf dem Wege der Ableitung durchführen, so könnte man chr auch in der Darstellung die Form eines Systems geben, ohne befürchten zu müssen, daß dadurch Voraussetzungen H a r t m a n n , Z ur Grundlegung der Ontologie.

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erschlichen oder Probleme vergewaltigt würden. Daß dieses nicht mög­ lich ist, erheM schon aus den soeben aufgeführten Gesichtspunkten. M an kann nicht nach Prinzipien forschen, indem man schon von Prinzipien ausgeht. M an muß erst zu ihnen hinfinden. Und das kann nur geschehen, indem man vom Gegebenen, Sekundären und Abhängigen ausgeht — von demjenigen also, was „unter" den Prinzipien steht und sie enthält, sie aber für das Auge des Mltags und der an Teilprobleme hingegebenen Wissenschaft keineswegs zur Schau trägt. Es ist hier auf der ganzen Linie ebenso wie mit der Einheit der Welt. Das Prinzipielle, das gesucht wird, ist zwar im Seienden vorhanden, und man braucht nicht besorgt zu sein, daß man es verfehle, solange man sich nur wirklich an gegebene Phänomene hält. W er es ist deswegen doch selbst nicht ohne weiteres mit den Phänomenen mitgegeben; es ist ebensosehr dmch sie verdeckt, hinter ihnen verborgen, und es bedarf eines besonderen Vorgehens, um es chnen abzugewinnen. Hier liegt der innere Grund, wamm die alte Ontologie sich nicht hat halten können. I h r Fehler bestand im deduktiven Vorgehen, in dem Anspruch, aus einigen wenigen zum Voraus einsichtigen Prinzipien das Seinsgerüst der Welt zu entwerfen. Charakteristisch dafür ist von alters her das Ausgehen von gewissen „evidenten" Einsichten, z. B. von den logischen Gesetzen, die man von vomherein als Seinsgesetze gelten ließ. S o verfuhr schon Aristoteles im Buch s der „Metaphysik" mit der Einführung des Satzes vom Widerspruch und vom ausge­ schlossenen Dritten; seine Begriffe von Potenz und Aktus sind auf dieser Basis geprägt. S o ist auch Christian Wolf verfahren, indem er den Satz vom zureichenden Grunde aus dem Satz des Widerspruchs abzuleiten suchte. Diese Wleitung ist es, an der alle weiteren Unstimmig­ keiten seines Hauptwerkes hängen. Es sind Unstimmigkeiten, die auch feine wirklichen Errungenschaften verdunkelt und den Namen der Onto­ logie bis in unsere Tage mit dem Odium des spekulativ Metaphysischen belastet haben. Zieht man die Konsequenz aus dieser methodischen Sachlage, so resultiert als Erstes die Einsicht, daß eine emeuerte philosophia prima nicht mehr als „erstes", aller weiteren Forschung vorangehendes Glied eines Systems auftreten kann. I h r In h a lt kann nicht das der Erkenntnis nach Erste sein, und zwar gerade deswegen, well er das dem S ein nach Erste ist. Die ratio cognoscendi, als natürliche Ordnung im Fortschreiten der Einsicht, deckt sich nicht mit der ratio essendi, als dem Abhängigkeits­ verhältnis des Seienden. S ie läuft im großen Ganzen ihr diametral entgegen. Das „für uns Frühere" ist das „an sich Spätere". Die Er­ kenntnis schreitet vom Sekundären zum Primären fort. Denn das Gros der Gegebenheiten, der greifbaren Tatsachen, der aufweisbaren Phänomene, liegt eben in der Ebene des ontisch Sekundären.

Das ist eine alte Weisheit. Aristoteles sprach sie zuerst aus. W er weder er noch die Nachfahren, die seinen Spuren folgten, haben für die Ontologie selbst die letzten Konsequenzen aus ihr gezogen. S ie müssen aber einmal in aller Strenge gezogen werden. Und das be­ deutet, daß die Ontologie, gerade sofern sie der Sache nach philosophia prima sein muß, ihrer Dmchführung und Arbeitsweise nach nur philo­ sophia ultima sein kann. D as ist das Zweite, was aus dem dargelegten Verhältnis zu lernen ist: die Ontologie kann nur so erneuert werden, daß alle Forschungs­ arbeit der anderen Mssensgebiete in ihr vorausgesetzt wird. S ie muß von den einstweiligen Resultaten dieser Arbeit als von einem Gesamt­ befunde ausgehen, sie zugmnde legen und dann die Frage nach den Seinsfundamenten erheben, die ihnen allen gemeinsam sind. Es wäre ein Irrtu m zu meinen, daß sie damit ihre natürliche Stellung als Funda­ mentalphilosophie preisgäbe. Denn es liegt im Wesen der Fundamente, daß sie nur int Rückschauen von dem aus, was auf ihnen beruht, sichtbar werden können. Man muß also vielmehr über den Begriff der Fundamentalphüosophie selbst umlernen. S ie kann nicht erste, sie kann nur letzte philosophische Erkenntnis sein, und zwar eben deswegen, well sie Erkenntnis des an sich Ersten ist. Der Gedankengang dieser Einleitung ist das getreue Spiegelbild der geschilderten Sachlage. S ie hat den Weg des Aufweisens onto­ logischer Problembestände durch die speziellen Gebiete phllosophischer Forschung hin durchlaufen und ist erst auf Grund des so Gefundenen zu einer Umreißung der Aufgabe gelangt, die der neuen Ontologie als die ihrige zufällt. Der Weg, der nun zu beschrellen ist, wird sich streng an das Aufgewiesene zu halten und es fortschreitend auszuwerten haben. 20. Darstellung, Einteilung und Begrenzung.

Wie aber die Ordnungsfolge der Sache und die der Erkenntnis sich nicht decken, so können auch die der Erkenntnis und die der Darstellung des Erkannten sich nicht decken. Der Weg der Forschung selbst ist um* stündlich, zumal in seinen Anfängen, wo er bei der vollen Mannig­ faltigkeit des Gegebenen ansetzt, um von da erst zu einheitlicheren Problemgruppen aufzusteigen. Eine übersichlliche Darstellbarkeit ge­ winnt er erst in seinen vorgeschritteneren Stadien. Eine Darstellung muß auf Übersichtlichkeit, Kürze, Einheiüichkeit sehen. S ie hat es auch nicht nötig, dem Leser jede eigene Denkarbeit abzunehmen, braucht ihn nicht Schritt für Schritt den ganzen rückläufigen Weg zu sichren, den sie von all den Spezialphänomenen her dmchlaufen hat. S ie muß dieser an sich unvermeidlichen UmstäMich-

keil gegenüber eine gewisse Begrenzung walten lassen und sich im übrigen darauf verlassen, daß der Leser das, was über den Weg zu Anfang grundsätzlich gesagt wurde, dauemd im Auge behält. Praktisch bedeutet dieses, daß sie die an den Spezialphänomenen gewonnenen besonderen Einsichten voraussetzt und ihren Ausgang dort nimmt, wo diese bereits zu einer gewissen Einheitsfront zusammen­ gewachsen sind. Der Hinweis auf das Besondere, von dem sie her­ kommt, kann hierbei immer nur zwischendurch, gleichsam als Erinnerung an das grundsätzlich Ausgemachte, eingestreut werden. Dadurch aber entsteht der Schein, als wäre das Verfahren dennoch ein aprioristischdeduktives. Denn auf diese Weise beginnt sie mit den allgemeinsten Überlegungen und schreitet zu den spezielleren fort. Dieser Schein nun läßt sich nicht ganz vermeiden, und selbst die nach­ drücklichsten Verweisungen auf Phänomengruppen besonderer Art können ihn nicht ganz aufheben. Um so mehr muß man sich bewußt bleiben, daß es ein bloßer Schein ist und warum er sich nicht vermeiden läßt. Denn, muß man ihn schon in den Kauf nehmen, so sollte er doch niemanden täuschen, der die geschilderte Problemsituation übersieht. Es ist ja auch nicht so, daß die Darstellung nun einfach der ratio essendi folgte und die ratio cognoscendi ganz verschleierte. Diese dürste viel­ mehr noch überall genügend durchblicken, nur die Ordnungsfolge der Themen kann sie nicht unmittelbar bestimmen. Es müßte ja sonst die spezielle Kategorienlehre der Ontologie vor­ angestellt werden. Dabei aber müßten die GruMagen ungellärt bleiben. Diese sind zwar in der reinen Erkenntnisfolge das Letzte; aber das Ver­ hältnis ist nicht etwa so, daß man mtt ihrer Behandlung einfach abwarten könnte, bis die spezielleren Probleme gelöst sind; dafür ist der meta­ physische (d. h. der nicht bis zu Ende lösbare) Einschlag in diesen viel zu groß. Jeder Fußbreit errungener Einsicht im Allgemeinsten und Fundamentalsten wirst vielmehr sofort Licht auf das Besondere; und ebenso umgekehrt. Die wirkliche Forschung also kann hier garnicht einen einfachen, geradlinigen Weg einhalten. Sie muß auf vieler­ lei Wegen zugleich vordringen und sich die Ergänzungen zunutze machen, die sich an verschiedenen Stellen der gesamten Problemftont ergeben. Nur so ist es möglich, die allgemein ontologischen Fundamental­ stagen zu einer gewissen Einheitlichkeit zusammenzuschließen. Solche Einheiüichkeit ist keine lückenlose, sie hat durchaus nicht die Form eines Systems. Wer man kann im Berttauen auf sie doch mit dem Grund­ legenden beginnen, ohne Gefahr zu laufen, es könnte damit der Schein der Wgelöstheit aus dem verzweigten Zusammenhang des Gegebenen entstehen.

S o hat die Darstellung eine gewisse Freiheit gegen den Erkenntnisweg, nicht anders als dieser sie gegen die Seinsordnung hat. Bon solcher Freiheit ist im Folgenden Gebrauch gemacht, wenn auch nur in den Grenzen des didaktisch Erforderlichen. S o ist die zugrundegelegte Einteüung zu verstehen; es sind in ihr vier relativ selbständige Themen zu einer Einheit zusammengefaßt, in der alles sich gegenseitig bedingt und trägt. Jeder TeU ist hier in seiner Weise der gruMegende. Es zeigt nur ein jeder wieder die Grundlagen in anderer Sichtrichtung und von anderen Zugängen aus auf. Zusammengenommen bilden sie durchaus noch nicht die Ontologie, sondern nur die Klärung der Vorftagen zu ihr. Erst wenn diese erledigt sind, kann der Aufbau beginnen. Er wird mit einer Untersuchung über Realität und Wirklichkeit einsetzen müssen, um dann zur Schichtung und kategorialen Gesetzlichkeit der realen Welt fortzuschreiten. Die erstere hat es mit dem innersten Kemstück der Ontologie zu tun, der Lehre von der Modalität. I n ihr müssen die Entscheidungen über Wesens­ möglichkeit und Rcalmöglichkeit, Wesensnotwendigkeit und Realnot­ wendigkeit fallen, mittelbar also auch über Idealität und Realität über­ haupt, sowie über den innerhalb der Seinssphären waltenden Z u­ sammenhang der Determination. Die zweite Untersuchung dagegen hat es bereits mit der Besonderung des Seienden nach seiner inhalt­ lichen Struktur zu tun und bildet damit den Übergang zur Kategorien­ lehre. Auch zwischen diesen größeren Teilen aber waltet dasselbe Ver­ hältnis. Sie stützen und tragen nicht nur einander gegenseitig, sondern auch die im Nachstehenden dargelegte Untersuchung der ontologischen Borfragen, nicht anders als sie ihrerseits von dieser gestützt und getragen sind. Das Bedingtheitsverhältnis ist hier ganz und gar ein gegenseitiges. Und dem entspricht es, daß diese „Teile" sich nicht verselbständigen lassen und einer Beurteilung erst im Ganzen unterliegen können. 21. Verhältnis der neuen zur alten Ontologie.

I m Vorblick auf dieses Ganze — zu dem das Vorliegende nur den Anfang bildet — ist zu sagen, daß in ihm die traditionellen Themen der alten Ontologie nicht eben zur Richtschnur genommen sind. Viel zu stark ist dafür die Beziehung auf heutige Probleme und heutige Wissenschaft. Dennoch machen sich einige der alten Themen geltend, eingefaßt in ein Gefüge von Fragen, die ihnen scheinbar heterogen sind. J a sogar etwas von ihrer Reihenfolge, die ja nie eine festgefügte war, kehrt ungesucht wieder. Es spiegelt sich darin die Tatsache, daß es sich in ihnen um einen Problembestand handelt, der unabhängig vom Wandel

der Problem-Fassung Und -Stellung ein unwandelbar in den Grund­ phänomenen verwurzelter ist. Ih re ewige Wiederkehr bestätigt das Gesetz der metaphysischen Probleme: sie tauchen immer wieder auf, solange sie nicht bewAtigt sind, einerlei ob der Mensch sie in ihrem immer neuen Gewände wiedererkennt oder nicht; bewältigen aber lassen sich an ihnen immer nur Teilfragen. Stet deutlichsten sichtbar ist das gerade in den ersten beiden Tellen der hier behandelten „Vorfragen". S ie umfassen die alten Themen „de notione entis“ und „de essentia et existent!»“ ; in gewissen Grenzen ist auch die Untersuchung „de singulari et universal!“ bereits mit hinein­ gezogen. Das zwelle dieser Themen beherrscht überdies auch den vierten Tell. Die Gegebenheitsftage dagegen ist neuzeiüichen Ursprungs und deckt sich mit keinem der alten Probleme. Das Gleiche güt für die hier noch ausstehende Modalanalyse. I h r entsprechen die alt-onwlogischen Themen „de possibili et impossibili“,

„de necessario et contingente“, „de detenninato et indetenninato“, sowie das Wolfsche Thema „de prindpio rationis sufficientis“. Erst der Fragenkomplex des kategorialen Aufbaus entfernt sich weiter von dieser Linie. Wohl lassen sich in ihm noch Themen unterscheiden, wie

„de principiis“, „de ordine renun“, „de dependentia“, „de simplici et composito“ ; aber sie machen hier doch nur geringe Bruchstücke des Ganzen aus, passen auch nur tellweise auf die behandelten Gegen­ stände. M an kann daraus ersehen, wie die Probleme der neuen Ontologie sich mit denen der alten immer noch tellweise decken, tellweise aber über sie hinausgewachsen sind. Die Deckung ist in den Anfängen noch am größten, nimmt dann aber zusehends ab und verschwindet mit zu­ nehmender inhaMcher Besonderung fast ganz. M t der Behandlung und Lösung der Probleme aber steht es ganz anders. S ie geht in weit höherem Maße neue Wege, und selbst wo sie einmal auf sehr M e s und Wohlbekanntes hinausläuft, zeigen doch Zusammenhänge und Argumente ein gänzlich verändertes Gesicht. Das aber bedeutet — da isolierte Thesen Slbstraktion sind und jede mit ihren Argumenten steht und fällt —, daß in Wahrheit auch der In h alt scheinbar gleichlautender Thesen ein anderer geworden ist.

Erster Teil

Vom Seienden als Seienden überhaupt I. Abschnitt

Der Begriff de- Seiende« und seine Aporie. 1. Kapitel. Die ontologische Grundfrage. a. Ausgang diesseits von Idealism us und Realismus.

Die Ontologie beginnt in einer gewissen Diesseits-Stellung zu den metaphysischen Problemgehalten, sowie zum Gegensatz der philo­ sophischen Standpunkte und Systeme. Es ist für ihre Fragestellung vor der Hand nicht wichtig, ob es einen „Weltgrund" gibt, ob er die Form einer Intelligenz hat oder nicht, ob der Aufbau der Welt ein sinnvoller, ihr Prozeß ein zielgerichteter ist. Das ändert am Charakter des Seienden als solchen nicht viel. Erst bei der weiteren Differenzierung der Probleme fallen diese Unterschiede ins Gewicht. Und dann freilich ergeben sich aus der Behandlung der Seinsfrage Konsequenzen, die für die Metaphysik entscheidend sind. Aber umkehren läßt sich dieses Verhältnis nicht. Weder können wir vor dem Eintritt in das Seins­ problem etwas über Welt und Weltgrund wissen, was die Erfahrung überschritte, noch können Annahmen über diese Gegenstände das Seins­ problem bestimmen. Das Seinsproblem eben ist seinem Wesen nach diesseitig, vordergründig verwmzelt. Es haftet an Phänomenen, nicht an Hypothesen. M an könnte meinen, diese Diesseitsstellung müßte am metaphysischen Gegensatz von Idealismus und Realismus ihre Grenze finden, wenigstens sofern dieser Gegensatz ein rein theoretischer ist. Denn er betrifft das Verhältnis des Seienden zum Subjekt; offenbar ist das Sein ein anderes, wenn es nur „für" das Subjekt, ein anderes, wenn es unabhängig von chm besteht. Wobei dann weiter der Unterschied, ob es sich um das empirische Subjekt oder ein ihm übergeordnetes handelt, auch das Sein weiter modifizieren würde. Dennoch ist dem nicht ganz so. Wohl geht dieser Unterschied die Ontologie sehr wesenllich an, aber doch nicht in der Weise, daß sie hier von Hause aus Stellung zu nehmen hätte. Es steht vielmehr so, daß sie

im Fortschreiten erst allmählich eine Stellungnahme auch in dieser Frage möglich machen kam. Die Seinsphänomene dagegen, rein als solche verstanden, erfordern in diesem Punkte gar keine Vorentscheidung. S ie verhalten sich ebenso indifferent gegen Idealismus und Realismus, wie gegen Theismus und Pantheismus. Das beste Zeugnis dafür ist die Tatsache, daß die idealistischen Theorien es zu aller Zeit und unter allen Umständen mit denselben Seinsphänomenen zu tun haben wie die realistischen. I h r Anliegen ist es ebensosehr wie das des Realismus, das Wesen der sog. realen Welt — mitsamt ihrem Realitätsmodus — zu verstehen. Und wenn sie diese Welt für bloße „Erscheinung" erklären, oder gar für leeren Schein und Trug, so ist das doch nichtsdestoweniger gerade eine Deutung des Phänomens, eine Erklärung; es ist eine Theorie, die es mit dem Seinsproblem aufnimmt, keineswegs aber eine Aus­ schaltung dieses Problems. F ü r den Ausgang der Ontologie handelt es sich nicht darum, ob der Idealism us mit seiner Deutung recht hat. Hier ist nur eines von Wichtigkeit: das Phänomen, welches er deutet, zuvor einmal zureichend zu erfassen und ohne Rücksicht auf alle weitere Deutung zu umreißen. Es ist ein Irrtu m zu meinen, daß man sich damit schon auf realistischen Boden stelle und alle weitere Deutung vorwegnehme. Es sieht nur deswegen so aus, weil das Phänomen ein Seinsphänomen ist, und weil man gewöhnt ist, S ein als Ansichsein zu verstehen. Dagegen ist festzuhalten, daß grundsätzlich sehr wohl die Möglichkeit besteht, ein jedes aufweisbare Sein — auch gerade das eines „Seienden als solchen" — auf ein Subjekt rückbezogen zu verstehen. Es bleibt dann nur die Frage offen, ob das ein echtes Verstehen oder ein Mißverstehen ist. Darüber wird sich int weiteren bei der Erörterung der Seinsgegeben­ heit auch eine Entscheidung ergeben. Aber im Ausgang der Unter­ suchung läßt sich eine Vorentscheidung nicht treffen. b. Sem und Seiendes. Formaler Sinn der Grundstage.

M an darf sich von den Anfängen einer Ontologie nicht zu viel ver­ sprechen. S ie müssen sich im Allgemeinsten bewegen, können eine gewisse Abstraktheit nicht vermeiden. Denn alles Konkrete, das sich einführen ließe, ist schon Besonderung. Es gilt, den streng generellen Begriff des „Seienden" zu fassen, wenn nicht inhaltlich, so doch wenig­ stens formal; und es gilt darüber hinaus festzulegen, was unter dem „Sein" dieses Seienden zu verstehen ist. Denn das ist nicht dasselbe. S ein und Seiendes unterscheiden sich ebenso wie Wahrheit und Wahres, Wirklichkeit und Wirkliches, Realität und Reales. Es gibt vieles, was wahr ist, aber das Wahrsein selbst an

diesem Vielen ist eines und dasselbe; die Rede von „Wahrheiten" im P lural ist philosophisch schief und sollte vermieden werden. Ebenso schief ist es, von Wirtlichkeiten, Realitäten uff. zu sprechen. Des Wirk­ lichen gibt es vielerlei, die Mrklichkeit an ihm ist eine, ein identischer Seinsmodus. S o auch ist es mit Seiendem und Sein. Man muß sich die Ver­ wechslung des einen mit dem anderen abgewöhnen. Das ist erste B e­ dingung alles weiteren Eindringens. Das S ein des Seienden ist eines, wie mannigfaltig dieses auch sein mag. Alle weiteren Differenzierungen des Seins aber sind nur Besondemngen der Seinsweise. Von dieser wird weiter zu handeln sein. Zunächst aber steht das Gemeinsame zur Erörterung. Die M e n haben die Unterscheidung von öv und elvm, obgleich die Sprache sie ihnen an die Hand gab, keineswegs llar erfaßt, geschweige denn in ihren Untersuchungen durchgeführt. Das gilt schon von Parmenides, es gilt aber nicht weniger von Platon und Aristoteles. Das Mittelalter, das ihren Spm en folgte, hat es nicht besser gemacht. Es bevor­ zugte die Frage nach dem ens vor der nach betn esse, ohne aber beide richtig zu unterscheiden. Von hier stammt die gebräuchlich gewordene Berwürfelung der ontologischen Begriffe, die es noch heute schwer macht, eine Frage eindeutig zu stellen. M an braucht indessen diese Berwürfelung garnicht erst zu ent­ schuldigen. Praktisch ist es natürlich unmöglich, vom S ein zu handeln, ohne das Seiende zu untersuchen. Was hier zu fordem wäre, ist auch gar nicht eine Absonderung des einen vom anderen. M an darf die Gmndfrage nach dem Seienden ruhig als Frage nach dem Sein ver­ stehen, denn dieses ist offenbar das Identische in der Mannigfaltigkeit des Seienden. M an muß nur die Unterscheidung vor Augen haben. Und das bedeutet, daß man nicht etwa nach einem einheitlichen „Seien­ den" hinter der Mannigfaltigkeit alles Seienden zu fragen hat — das würde von vornherein das Suchen nach einer Substanz, einem Absoluten, oder sonst einem Einheitsgrunde bedeuten, und dieser müßte ja selbst wiederum ein S ein hüben —, sondem nach dem, was das schlicht ontisch verstandene Generelle darin ist. Das aber ist das Sein. Formal verstanden also ist die Grundftage der Ontologie nicht die nach dem Seienden, sondern die nach seinem Sein. Daß sie aber gerade deswegen am Seienden ansetzen muß, darf einen nicht wundernehmen. Denn Ansatz und Richtung einer Frage sind nicht ein und dasselbe. c. Die Aristotelische Fassung der Frage.

Aristoteles hatte daher ganz Recht, die irptim ) 91X0009(0 als Wissen­ schaft vom öv fj öv zu verstehen. Übersetzt man das wörtlich, so ist die

Frage hier nicht auf das „Sein", fottbem auf das „Seiende" gerichtet — nämlich auf das „Seiende als Seiendes", oder wie wir gewöhnlich sagen, auf das „Seiende als solches". Diese klassische Formel trifft genau die Sachlage des Ausgangs­ punktes. S ie fragt zwar nach dem „Seienden", und nicht nach dem „Sein"; weil sie aber das Seiende, nur sofern es Seiendes ist, also nur in seinem Allgemeinsten meint, so trifft sie mittelbar— über das Seiende hinweg — nichtsdestoweniger das „Sein". Denn über allen besonderen In h a lt hinaus ist dieses das allein Gemeinsame alles Seienden. M an darf sich daher diese Formel ohne weiteres zu eigen machen. S ie ist zwar sehr formal, aber in ihrer Art unübertrefflich. S ie ist keineswegs eine SelbstverstäMichkeit. S ie wehrt vielmehr von vornherein gewisse Einseitigkeiten und Schiefheiten der Problem­ stellung ab. I m antiken Denken stand dem 6v einerseits das qxxtvötievov, andererseits das yvyvöpevov gegenüber. Das „Seiende als Seiendes" wird also dmch diese Formel gleich vom Seienden als bloß Erscheinendem und vom Seienden als Werdendem unterschieden; womit zugleich die Auffassungen abgewehrt sind, das „Sein" selbst könnte im Erscheinen oder im Werdeprozeß bestehen. Der Sache nach aber geht diese Abwehr noch weiter. Denn man kann sie ebensogut gegen neuzeitliche Auffassungen wenden: das Seiende als Seiendes ist offenbar nicht Seiendes als gesetztes, gemeintes, vor­ gestelltes; es ist nicht Seiendes als subjettbezogenes, nicht als Gegen­ stand. Vom „Sein" selbst aber bedeutet das, daß es nicht im Gesetztsein, Gemeintsein oder Borgestelltsein besteht; desgleichen auch nicht in einem Verhältnis zum Subjekt, nicht also im Gegenstandsein aufgeht. Versteht man diese letzteren Bestimmungen streng diesseits von Idealism us und Realismus, so bedeuten sie, daß das „Sein" selbst dann seinem Wesen nach nicht ein subjettbedingtes ist, wenn es sich wirttich hinterher auf Grund anderer Erwägungen als ein solches herausstellen sollte. Christian Wolf hat die Aristotelische Bestimmung in wörtlicher Über­ einstimmung aufgenommen. Er bestimmt die philosophia prima als scientia entis in genere seu quatenus ens est. Die weitere Durch­ führung zeigt frellich, daß er das ens nicht streng im Sinne des „Seienden" nimmt; die Bedeutung nähert sich nach scholastischer Weise dem, was wir „Gegenstand" nennen würden*). Damit wäre der streng ontologische S in n der Formel preisgegeben. Das Thema ist dann für eine Seins­ theorie einerseits zu weit gefaßt, denn „Gegenstände" können auch rein *) Hierauf hat H. Pichler (ÜBet Chr. W olfs Ontologie, Lpz. 1910) aufmerksam ^em acht. Ich wage nicht recht zu entscheiden, ob diese Annäherung Wolfs an die Meinongsche Gegenstandstheone ganz stichhaltig ist. Aber zweifellos finden sich bei W olf Anklänge, die in dieser Richtung gehen.

2. Kap.

Ein heutiger Versuch. Fehler int Ansatz.

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erdachte, vorgestellte, intentionale sein, d.h. solche ohne eigentlichen Seinscharakter; und andererseits ist es zugleich zu eng gefaßt, denn offenbar kann es in der Welt mancherlei Seiendes geben, das nicht Gegenstand ist — weder der Vorstellung, noch des Denkens, noch der Erkenntnis. Auch Wolf gegenüber wird es daher nötig sein, den strengen alten S inn der Aristotelischen Formel festzuhalten. Aristoteles hat in seiner Metaphysik das Seinsproblem zwar viel zu schnell auf besondere Teüfragen hin eingeschränkt und auf bestimmte Kategorien hinausgespielt — so auf Substanz, Form, Materie, Potenz, Aktus. W er vor all dieser Besonderung, die doch erst in der Behandlung des Problems einsetzt — um nicht zu sagen in der Lösung —, hat er das Problem selbst in einer Weise zur Bestimmung gebracht, die vorbildlich und heute noch von unerschöpfter Tragfähigkeit ist.

2. Kapitel, «in heutiger «ersuch. Fehler tat Ansatz. a. Abwegigkeit der modifizierten Seinsftage.

M artin Heidegger hat das bestritten. An Stelle der Frage nach dem „Seienden als Seienden" setzt er die nach dem „Sinn von Sein". Eine Ontologie sei blind, solange sie diese Frage nicht lläre; die alte Ontologie müsse deswegen der Destmktion verfallen, ein neuer Ansatz müsse ge­ wonnen werden. Er soll gewonnen werden am „Dasein", das seinerseits gleich auf das Dasein des Menschen beschränkt wird. Dieses habe den Vorrang vor anderem Seienden, daß es das sich in seinem S ein Ver­ stehende ist. M e s Seinsverstehen sei in ihm verwurzelt, und die Ontologie müsse auf der Existenzialanalyse -dieses „Daseins" basiert werden. A e Konsequenz dieses Ansatzes ist, daß alles Seiende von vorn­ herein als relativ auf den Menschen verstanden wird. Es ist das je feinige. Alle weiteren Bestimmungen ergeben sich dann aus dieser Relativiemng aus das Ich des Menschen: die Welt, in der ich bin, ist die „je meinige", kann also sehr wohl für jeden eine andere sein; desgleichen ist Wahrheit die „je meinige"*). Damit ist zugleich die Frage nach dem Seienden als Seienden auf­ gehoben. Gemeint ist nur noch das Seiende, wie es für mich besteht, mir gegeben, von mir verstanden ist. Auf der ganzen Linie ist über die ontologische Grundfrage schon vorentschieden, und zwar durch die bloße Faffung der Frage. Wenn man also auch aus metaphysischen Gründen den Resultaten zustimmen wollte, so wären diese doch nicht solche, die sich aus einer Seinsanalyse ergeben, sondem solche, die von vornherein *) Bgl. zum obigen Martin Heidegger, S ein und Zeit, Halle 1927; insonder­ heit die Einleitung, sowie den Anfang des 1. Teils.

durch eine schiefe Fassung der Frage hineingetragen sind, um dann hinterher wieder eines um das andere aus ihr hervorgeholt zu werden. Das wird dadurch nicht gemildert, daß hier nicht das Erkenntnis­ verhältnis, sondern ein in größerer Fülle verstandenes Lebens- und „Daseins"-Berhältnis des Menschen zur Welt zugrundegelegt ist. Die Relativität des Seienden auf den Menschen ist und bleibt eben dieselbe, einerlei wie man des näheren seine Gegebenheit auslegt. Die eigent­ liche Verfehlung im Ansatz dürfte überhaupt darin liegen, daß Sein und Seinsverstehen einander viel zu sehr genähert, Sein und Seins­ gegebenheit nahezu verwechselt sind. Wie denn alle weiteren Bestim­ mungen, die sich in dieser „Existenzial"-Analyse ergeben, im wesent­ lichen Gegebenheitsmomente sind, und die ganze Analyse sich als Gegebenheitsanalyse darstellt. Dagegen wäre freüich nichts einzuwenden, wenn bei jedem Schritt das Gegebene als solches wiederum vom Ge­ gebenheitsmodus unterschieden und so wenigstens nachträglich die Seins­ frage wiedergewonnen würde. W er eben daran fehlt es. Die Modi der Gegebenheit werden für Seinsmodalitäten ausgegeben. Z ur Kritik dieser Position wird im folgenden noch mancherlei zu sagen sein. M an könnte sich das Eingehen auf sie sparen, wenn es sich dabei um die allgemeine Seinsfrage handelte. Denn diese ist in ihr grundsätzlich umgangen, ist also auf ihrem Boden auch gar nicht diskutier­ bar. M e r es handelt sich nicht um das theoretisch Mlgemeinste allein. Die Heideggersche Existenzial-Analyse entfaltet vielmehr eine bestimmte Auffassung vom geistigen Sein. Und diese läuft darauf hinaus, alles überindividuell Geistige, ollen objektiven Geist, von Gmnd aus — schon durch die Einseitigkeit der Phänomenbeschreibung — zu entkräften und zu entrechten; das Individuum und seine private Entscheidung allein behält Recht, alles Gemeinsame, llbernehmbare und Tradierbare wird als das Uneigentliche und Unechte ausgeschaltet. Diese Auffassung gibt nicht nur das Wertvollste preis, was die deutsche Philosophie in ihrer Blütezeit (von Kant bis Hegel) zur Einsicht ge­ bracht hat. S ie macht vielmehr die höchste Seinsschicht, die des geschicht­ lichen Geistes, geradezu ungreifbar; und da die Besonderungen des Seienden in der Welt nicht isoliert dastehen, sondern in mannigfachen Beziehungen und nur aus diesen heraus verstanden werden können, so vernichtet die Verkennung einer Seinsschicht mittelbar auch das Verständnis der anderen. b. Seinsfrage und ©umfrage.

Aber auch abgesehen von aller Metaphysik des „Daseins" ist es irre­ führend, die ontologische Gmndftage als die nach dem „Sinn von Sein" zu verstehen und so die Seinsfrage in eine Sinnfrage umzubiegen.

„Sinn" ist ein vieldeutiges Wort. „Sinn von Sein" kann die Wort­ bedeutung von „Sein" meinen. Dann ist die Sinnftage eine formale und drängt auf eine Nominaldefinitton hin; damit wäre nichts gewonnen. Es kann auch so etwas wie der logische S inn des Begriffs „Sein" ge­ meint sein. Dann sieht es die Sinnfrage auf eine Wesensdefinition ab; die Gewinnung einer solchen ist aber bei Begriffen höchster Allgemeinheit nicht möglich. An chre Stelle tritt die schlichte Untersuchung bet Sache, und zwar in ihren Besonderungen. Erst rückläufig von diesen aus kann Licht auf das Mlgemeine fallen. Schließlich kann „Sinn" auch eine metaphysische Bedeutung haben und die verborgene innere Bestimmung von etwas meinen, kraft deren es auf eine sinngebende Instanz (etwa einen Wert) bezogen oder auf sie hin angelegt ist. Dann aber wäre mit der Formel „Sinn von Sein" die ontologische Fragestellung ganz verlassen. I n den beiden ersteren Fällen also ist in Wahrheit gar nicht nach dem S inn des „Seins selbst" gefragt, sondem nur nach dem S inn eines Wortes resp. eines Begriffs. D as ist zwar sehr bescheiden, aber zu wenig für den Anspruch der Ontologie. Denn diese fragt nicht nach Worten und Begriffen, sondem nach dem Seienden als Seienden. I m dritten Falle betrifft die Frage fteüich das Seiende, aber nicht als Seiendes, sondem als Sinnträger (Bestimmungsträger) im metaphysischen Ver­ stände. Ob aber das Seiende überhaupt Sinnträger — in irgendeinem Verstände — ist, bleibt dabei unerörtert. D as wird einfach voraus­ gesetzt. M e r die Voraussetzung ist vor Erörterung der eigentlichen Seinsftage gar nicht diskutterbar. M gemein läßt sich sagen: die scheinbar sinnklärende Frage nach dem „S inn von Sein" ist in chrer Vieldeutigkeit dmchaus sinnverwirrend. I n ihren unschuldigen Bedeutungen ist sie überMssig, in ihrer allein gehaltvollen Bedeutung ist sie irreführend. Dazu aber kommt noch eine dreifache Erwägung. 1. Ist es schon nöttg nach betn „Sinn von Sein" zu fragen, so ist es erst recht nöttg nach dem S inn von S inn zu fragen. Denn was S inn ist, ist um nichts verständlicher, als was Sein ist. Dann aber geht das Fragen in infmitum weiter. Und zur Seinsftage kommt es garnicht. 2. Andererseits muß jeder „Sinn" von etwas selbst ein seiender sein, er muß irgendeine Seinsweise haben. Hat er sie nicht, so ist er überhaupt nichts. Also müßte man mindestens ebensosehr nach dem „Sein von Sinn" fragen wie nach dem „Sinn von Sein". Eine solche Frage hätte eine sehr konkrete Bedeutung (wohlbekannt aus spezielleren Fragen, wie derjenigen, ob es einen S in n des Lebens gibt; in dem „es gibt" oder „es gibt nicht" verrät sich die Seinsftage). Das ist dann zwar eine Seinsftage, aber es ist nicht die allgemeine Seinsftage.

3. „Sinn" ist unter allen Umständen (in allen seinen Bedeutungen) etwas, was „für uns" besteht — genauer für uns oder für etwas, was unseresgleichen ist, und sei es auch um ein postuliertes logisches Subjett. Ein S inn an sich wäre Widersinn. Es ist also noch zu wenig, wenn man sagt: an sich selbst braucht das Seiende als Seiendes keinen S inn zu haben. Vielmehr muß man sagen: an sich selbst kann es garnicht S inn haben. Es kann nm „für jemand" S inn haben. S ein Sinnhaben für jemand aber— wenn es ein solches gibt— ist jedenfalls nicht sein „Sein". D as S ein des Seienden steht inbifferent zu allem, was das Seiende „für jemand" sein könnte. Hier liegt der Grund, warum Heideggers „Welt" eine auf den Einzelmenschen relatwe („je meinige") ist. D as Abgleiten der Seinsfrage in die Sinnfrage läßt es anders nicht zu.

3. Kapitel. Einstellung der ontologischen Erkenntnis. a. Ungreifbarkeit und Undefinierbarleit des Seins. D as eine Beispiel radikaler Abweichung von der Fragestellung des Aristoteles mag genügen, um zu erweisen, daß solche Wweichung sich rächt. Die Formel des „Seienden als Seienden" ist nicht zu v e r ­ bieten. S ie entscheidet nichts vor, steht neutral zur Divergenz der Standpuntte und Theorien, diesseits aller Deutung. Die Kehrseite dieser Überlegenheit aber ist, daß sie bloß formal ist, ein Schema, das der Erfüllung harrt. I m Ausgang der Untersuchung ist das berechtigt. Wollte man aber dabei stehen bleiben, so würde die Formel dadmch nichtssagend. Wie ist nun hier weiterzukommen? Wie ist das Problem, das die Formel ausspricht, zu lösen? Auf keinen F all kann das so geschehen, daß man nun etwa eine nähere Bestimmung nach der anderen aufsuchte und einsetzte. Jede Bestimmung wäre vielmehr eine Einschränkung, sie würde das S ein nicht in genere, sondern in der Besonderung fasten. Ist aber alle nähere Be­ stimmung schon Verfehlung des Generellen, so muß das „Seiende als Seiendes" offenbar unbestimmt bleiben. D as heißt, es muß rein als solches gerade in seiner Ungreifbarkeit und Undefinierbarkeit festgehalten werden. S ein ist ein Letztes, nach dem sich fragen läßt. Ein Letztes ist niemals definierbar. Definieren kann man nur auf Grund eines anderen, das hinter dem Gesuchten steht. Ein Letztes aber ist ein solches, hinter dem nichts steht. M an stelle also keine deplacierten Anforderungen; man verfällt damit nm dem Drang, Scheindefinitionen aufzustellen, wo echte Definitionen nicht möglich sind.

Z u verwundern ist daran nichts. Nicht dem Sein allein hastet diese Schwierigkeit an. Auf allen Problemgebieten gibt es irgendein Letztes, das als solches nicht näher bestimmt werden kann. Niemand kann definieren, was Geist ist, was Bewußtsein ist, was Materie ist. Man kann es nur eingrenzen, gegen anderes abheben und von den Beson­ derungen aus beschreiben. Beim „Seienden als Seienden" — und folglich erst recht beim „Sein" — liegt die Sache aber noch anders, noch schwieriger. Und zwar in doppelter Hinsicht. Erstens versagt hier auch alles Eingrenzen. Denn es handelt sich um das schlechthin Mgemeine zu allem. Es bleibt nichts nsben dem Seienden, wogegen man es ausgrenzen könnte. Man kann es höchstens gegen das Bestimmte überhaupt ausgrenzen, d. h. gegen seine eigenen Besonderungen. Diese sind freilich faßbar. Und faßbar ist auch ihr Verhältnis zu ihrem genus. Zweitens aber handelt es sich nicht einmal um das Mgemeinste angebbaren Inhalts, sondern um das aller besonderen Seinsweisen. Direkt angeben aber läßt sich an allem, was es gibt, nur das Inhaltliche innerhalb seiner Seinsweise, nicht die Seinsweise selbst. Nur auf dem Umweg über den Inhalt läßt sich diese ermitteln. Hier aber geht es um die generelle Seinsweise aller Seinsweisen: das „Sein überhaupt", das Sein, welches allem Seienden als Seienden zukommt. b. Grundsätzliches zum weiteren Vorgehen.

Damit steigert sich die Aporie noch um ein beträchtliches. M an fragt sich: ist da nicht alles Bemühen vergeblich? Handelt es sich da nicht um ein schlechthin Irrationales — letzteres im Sinne des Unerkennbaren verstanden —, also um einen metaphysischen Problemgehalt, den man nicht weiter behandeln kann? Darauf ist zu antworten: steilich steckt ein Irrationales im Wesen des „Seins überhaupt", ein Etwas, das wir nicht bis zu Ende aufdecken können. Aber es wäre ein Irrtu m zu meinen, es ließe sich nichts daran aufdecken, das „Sein" wäre schlechthin unerkennbar. Es wmde schon oben gezeigt, warum es ein schlechthin Unerkennbares im Bereich stell­ barer Probleme nicht gibt: die Seinszusammenhänge überschreiten jede Erkenntnisgrenze, und sie verbinden Erkanntes und Unerkanntes. Dazu aber kommt noch ein Zweites. Was „Sein" in genere ist, mag so ungreifbar sein, wie es will, an den Besonderungen ist das Sein doch etwas sehr wohlbekanntes, ja bei gewissen Gegebenheitsformen etwas ganz unverkennbares. Es gibt Seinsgegebenheit von vielerlei Art, auch sehr unmittelbare; und bei aller Mannigfaltigkeit ist hierbei das S ein selbst etwas dmchaus Mitgegebenes, vom rein Fiktiven grundsätzlich durchaus Unterscheidbares.

Und das nicht etwa erst in der Reflexion oder Abstraktion, sondern gerade schon im naiven BerhAtnis zum Gegebenen. Um die Unaufhebbarkeit des Irrationalen also braucht man beim S ein nicht besorgt zu sein. Es gibt noch Erkennbares genug an ihm. Und damit hat es die Ontologie zu tun. M an muß es nur nicht auf dem Wege logischer Definition zu fassen suchen, nicht von noch Allgemeinerem her, nicht aus einem Prinzip, nicht.in Form von Merkmalen. M an muß es dort suchen, wo allein es gegeben ist: in seinen Besonde­ rungen. Oder ist es etwa unmöglich, daß ein Generelles von seinen Besondemngen aus zugänglich wird? Es ist doch wohl umgekehrt: alles Suchen nach Prinzipiellem und Grundlegendem geht diesen Weg. Es gibt keinen anderen. Es ist der eigentliche und unvermeidliche Weg der Philosophie. Denn alle Phllosophie sucht nach dem Prinzipiellen. Die Konsequenz für die Ontologie ist, daß sie zwar mit der Heraus­ arbeitung der allgemeinen Grundftage beginnen konnte, aber nicht unmittelbar anschließend zu bereit Lösung übergehen kann. Sie muß die Stellung und Lösung speziellerer Fragen Zwischenschalten. Die Lösung der Grundftage, soweit sie überhaupt zu geben ist, resultiert dann von selbst im Maße fortschreitender Umschau. Das wird sich mit zunehmender Deutlichkeit in der Analyse des Daseins und Soseins, der Seinsgegebenheit, der Seinsmodi u. s. f. zeigen. I n gewissem Sinne ist das Ganze der nachfolgenden Untersuchungen nichts als die immer weiter vordrängende Arbeit an der Lösung der Grundftage. e. Natürliche und reflektierte Einstellung.

M an kann es also mit der Aporie der Mgemeinheit und Unbestimmt­ heit des Seienden als Seienden getrost aufnehmen. Man kann es um so mehr, als diese Aporie die einzige in ihrer Art bleibt und keine weiteren nach sich zieht. Überhaupt, die Ontologie ist keineswegs eine mit beson­ deren Schwierigkeiten belastete Disziplin. S ie wurzelt zwar im Gehalt der metaphysischen Probleme, braucht es aber mit bereit ganzer Schwere nicht aufzunehmen. S ie setzt mehr im Vordergründe ein, ihre Einstellung ist der natürlichen verwandt. Gerade an ihrer Einstellung kann man sich das leicht klar machen. Diese ist durchaus keine reflektierte, keine solche, zu der man sich erst auf philosophischem Wege durchringen müßte — wie das z. B . bei der Erkenntnistheorie, der Logik oder der Psychologie der Fall ist. Zu diesen gerade steht sie in einem sehr eigenartigen Gegensatz, der sich am ehesten als Rückkehr zur natürlichen Einstellung bezeichnen läßt. Die natürliche Richtung der Erkenntnis ist die auf ihren Gegenstand. I m Erkennen weiß das Subjekt um das, was es erkennt, nicht aber

darum , worin das Erkennen als solches besteht. Die Erkenntnischeorie aber, die eben danach fragt, worin das Erkennen besteht und was seine Bedingungen sind, muß die natürliche Richtung der Erkenntnis umbiegen, und zwar gegen sie selbst, muß sie zu ihrem eigenen Gegenstände machen. Dieses Umbiegen der natürlichen Richtung ist die erkenntnischeoretische Reflexion1). Eine lange Reihe von Aporien taucht im Gefolge solcher Reflexion auf; sie spielen schon tief in die bloße Beschreibung des Er­ kenntnisphänomens hinein. D aher die Menge der schiefen und einseitigen Phänomenbeschreibnngen, an denen bis heute die Erkenntnistheorie leidet. D aß es in der Psychologie ähnlich ist, dürfte wohlbekannt sein. Die eigentümliche Schwierigkeit, seelische Akte zu fassen, liegt keineswegs in deren Verborgenheit, sondern darin, daß sie uns nicht gegenständlich erscheinen, nicht wie Objekte gegeben sind. M an vollzieht sie wohl ohne Schwierigkeit, aber der Vollzug macht sie nicht zu Gegenständen des vollziehenden Bewußtseins. M an muß erst besonders auf sie achten, reflektieren, das Bewußtsein auf sie umstellen. Und m it der Umstellung beeinflußt m an sie, entzieht sie also zugleich auch wiederum dem Zugriff. Die Logik vollends hat darin schweren S tan d . Wohl bewegt sich das geklärte Wiffen in Begriffen und Urtellen; aber Gegenstand des Wissens sind nicht diese, sondem das Inhaltliche, das in ihnen gefaßt wird. Vom In h a lt also muß erst besonders abstrahiert werden, um die logischen Gebllde zu fassen. E s ist wieder eine andere — eine dritte — Reflexion, die hier einsetzt. Und die Geschichte der Logik zeigt, daß sie weit schwieriger ist als die ersten beiden — wie denn die Logik fast immer von ihrer eigenen Ebene auf eine fremde abgeglitten ist: bald auf die psychologische, bald auf die erkenntnistheoretische, bald auf die ontologische. D a s letztere Abgleiten ist noch das unschuldigste. Es w ar in der llassischen Logik das Gewöhnliche. d. Intentio recta und intentio obliqua. Blickt m an auf diese Sachlage hin, so sieht m an ohne weiteres, wieso die Ontologie ihrer ganzen Einstellung nach weit besser dasteht als die Erkenntnistheorie, Psychologie und Logik. S ie eben bedarf der Um­ biegung nicht. S ie beginnt nicht m it Reflexion, stellt die natürliche Richtung des Erkennens nicht um, sie folgt ihr vielmehr, verfolgt sie geradlinig weiter. S ie ist nichts anderes als die Fortsetzung des Vor­ dringens in Richtung auf den Erkenntnisgegenstand. S ie behandelt das *) „Reflexion" ist hier im ersten und eigentlichen Sinne des Worte» zu ver­ stehen; reflexio eben heißt „Zurückbiegmig". H a r t m a n n , Zur Grundlegung der Ontologie.

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Mgemeine und Grundlegende am Erkenntnisgegenstande, braucht also nicht von chm abzusehen zugunsten anderweitiger Gebilde. Es ist für alles folgende von Wert, sich dieses gleich zu Anfang klar­ zumachen. Die natürliche Einstellung auf den Gegenstand — gleichsam die intentio recta, die Gerichtetheit auf das, was dem Subjekt begegnet, vorkommt, sich darbietet, kurz die Richtung auf die Welt, in der es lebt und deren Teil es ist, — diese Grundeinstellung ist die uns im Leben geläufige, und sie bleibt es lebenslänglich. Sie ist es, durch die wir uns in der Welt zmechtfinden, kraft deren wir mit unserem Erkennen an den Bedarf des Mtags angepaßt sind. Diese Einstellung aber ist es, die in der Erkenntnistheorie, Logik und Psychologie aufgehoben und in eine quer zu ihr gerichtete — eine intentio obliqua — umgebogen wird. Das ist dann reflektierte Einstellung *). Eine Philosophie, welche eine dieser Disziplinen zur Grundwissenschaft macht — und das haben in der Neuzeit viele, im 19. Jahrhundert alle philosophischen Theorien getan —, wird ganz von selbst in solche reflektierte Einstellung hinein­ gedrängt und findet dann nicht mehr aus ihr heraus. Das aber heißt, daß sie nicht mehr in das natürliche Verhältnis zur Welt zurückfindet; sie läuft in einen weltftemden Kritizismus, Logizismus, Methodo­ logismus oder Psychologismus aus. Die Ontologie aber ist es, die ihrerseits die intentio obliqua aufhebt und zur intentio recta zurückkehrt; ihr fällt damit die ganze Problem­ fülle des Gegenstandsreiches, d. h. der Welt, wieder zu. Sie ist die Wieder­ herstellung der natürlichen Sichtrichtung. Streng genommen kann man nicht einmal sagen, daß dieses eine Mederherstellung ist. Die Ontologie macht vielmehr die Reflektiertheit *) Der hier eingeführte Unterschied der intentio recta und obliqua hat sein Vor­ bild in der bei den Scholastikern des 13. Jahrhunderts üblichen und wohl durch Wil­ helm von Oecam am reinsten durchgeführten Unterscheidung von intentio prima und secunda. Er fällt mit dieser keineswegs zusammen. Denn nicht um Einstellung und Blickrichtung handelt es sich bei Occam, sondern um einen Unterschied im actus intelligendi, je nachdem ob er auf einen primären oder sekundären Gegenstand geht. Ein terminus primae intentionis ist ein solcher einer res, d. h. eines esse subjectivum so sind die Antinomien unlösbar; ja schon der Versuch, sie zu lösen, wäre ein Irrw eg. Lösen lassen sich nur scheinbare Antinomien, die echten nicht. Worin sich denn deutlich eine Grenze des Zmeichens unserer Erkenntnis­ gesetze für das Seiende zeigen dürfte. 6. Auch der klastische Rationalismus hat Grenzen der Erkennbarkeit in diesem Sinne anerkannt, indem er dem eMichen Intellekt den intellectus infinitus entgegensetzte und nur für ihn die unbegrenzte Erkenn­ barkeit aller Dinge gelten ließ. D as ist ein deutlicher Grenzbegriff der Erkenntnis: die folgerichtig gebildete Id e e einer Erkenntnis, wie wir sie nicht haben. Irrtu m war es nur, daß man aus der Idee die Erweiterbarkeit unseres Intellekts und seine Annäherung an sie erschließen zu können meinte. Solche Annäherung läßt sich aus ihr genau so wenig erschließen, als sich aus der Idee Gottes die Fähigkeit des Menschen, Gott zu werden, erschließen ließe. Der positive S in n der Id ee vielmehr ist das Mssen um das uns Unerreichbare als solches. c. D as Seinsgewicht des unendlichen Restes.

M an darf hiernach das Unerkennbare im Hintergründe der Erkenntnis­ gegenstände sehr wohl m it zum Phänomenbestand der Erkenntnis rechnen. Das bedeutet, daß es die zweite Grenze, die unverschiebbare, wirklich gibt, und daß jenseit ihrer ein Transintelligibles liegt. Es liegt nicht etwa jenseits des Transobjektiven, sondem ist ein Tell von ihm, wie dieses selbst ein Teü des ganzen objiciendum ist. W er auch die zweite Grenze ist eine mir gnoseologische, keine ontologische. S ie begrenzt am Seienden nut die Reichweite der Erkennbarkeit, nicht das Seiende selbst. Ansichseiend ist vielmehr ebensowohl das Erkennbare wie das Unerkennbare. Am Ansichseienden macht weder das Erkanntsein noch das Erkennbar­ sein einen Unterschied aus. Das folgte aus dem Gesetz des Erkenntnis­ gegenstandes, der eben nur dann ein solcher ist, wenn er an sich und unabhängig vom Erkanntsein wie vom Erkennbarsein ist, wie er ist. Dem S ein kann weder das Erkanntsein noch das Erkennbarsein etwas hinzufügen oder abziehen. Gegen dieses Gesetz hat man nach zwei entgegengesetzten Seiten verstoßen. Man meinte einerseits, das Unerkannte, und vollends das Unerkennbare, könne gar nicht seiend sein; man konnte sich Seiendes nut korrelativistisch als Objekt eines Subjekts denken. Und man meinte

andererseits wiederum, nur das Unerkennbare könne eigentliches (sub­ jektunabhängiges) S ein haben; das Erkennbare sei abhängig vom Subjekt oder gar bloße Erscheinung (Kant). Beide Auffassungen machen denselben Fehler, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. S ie verkennen die Gleichgültigkeit des Ansichseienden gegen Objektion und Objizierbarkeit, desgleichen den bloß gnoseologischen Charakter beider Grenzen. Das „Sein" hebt weder diesseits noch jenseits einer dieser Grenzen erst an, sondern geht kontinuierlich durch. Nur das Wissen um Seiendes findet an ihnen seine Schranke. Bormteile der einen wie der anderen Richtung sind im eigenen Denken schwer aufhebbar. S ie haben alle unsere Begriffe durchtränkt und ziehen ständig Nahrung aus der Tatsache, daß beide G reifen sich vom Subjekt aus wie Horizonte in die seiende Welt hineinprojizieren. Es entsteht dadurch immer wieder der Schein, als wären es Seinsgrenzen. F ü r das Verständnis des Ansichseinsphänomens in der Erkenntnis — und speziell in der Erkennbarkeitsgrenze — ist es aber erforderlich, den Schein zu durchschauen. Hat man sich dieses einmal klar gemacht, so gewinnt das Auftreten des gnoseologisch Irrationalen ein einzigartiges Gewicht. Denn nun stellt sich das Erkennbare als endlicher Ausschnitt aus dem Seienden dar, und der natürliche Schwerpunkt des Totalgegenstandes (des objiciendum) liegt nicht nur über die erste, sondern auch über die zweite Grenze hinaus. Er liegt nicht nur im Transobjektiven, sondem auch im Transintelligiblen. D as ist es, wamm aller Erkenntnisprogreß auf das Unerkennbare zu ponderiert, warum alle irgendwie fundamentalen Problemketten auf irrationale Grundprobleme hindrängen. D as Transintelligible ist gleichsam der unendliche Rest aller Problem­ gehalte, die der endlichen Erkenntnis eine Grenze möglichen Vordringens ziehen. Denn das Seiende braucht keineswegs begrenzt zu sein. Man spürt int Leben den großen Rest nur deswegen nicht, weil unsere Seinsoffenheit auf das Lebensrelevante zugepaßt ist und sich mit Irrele­ vantem nicht beschwert, überdies liegt es im Wesen des Irrationalen, m it als Grenzphänomen der Erkenntnis — gleichsam in deren Negation noch eben faßbar — auftauchen zu können. Es ist eben die Aufhebung der Gegenstellung des (Setenben; direkt erfassen läßt sich aber nur, was in Gegenstellung tritt. d.

Das Ansichsem

der Irrationalen.

F ü r die Gegebenheit des Ansichseienden hat das Auftreten des Irrationalen im Erkenntnisphänomen entscheidende Bedeutung. W er sie liegt nicht darin, daß das Irrationale in höherem Sinne seiend wäre

als das Rationale. S ie liegt vielmehr darin, daß das Ansichsein des ganzen Gegenstandsfeldes der Erkenntnis sich von hier aus weit schlagender aufdrängt. Es ist also verstärkt dieselbe Bedeutung wie die des Trans­ objektiven. Ginge nämlich der Erkenntnisgegenstand im erkennbaren Transobjektiven auf, so ließe sich immer noch glauben, daß er nichts anderes als mögliches Objekt des Subjekts (also „Gegenstand möglicher Erfahrung" im korrelativistischen Sinne) sei. R agt er aber über die Grenze möglicher Objektion auch hinaus, ist er inhaltlich mehr, als was unseren Kategorien faßbar ist, so liegt die Sache anders. Es ist dann ein Widersinn in sich selbst, zu meinen, er könnte auch jenseits möglicher Gegenstellung noch in seinem Gegenstandsein aufgehen. Hier muß notwendig jede Abhängig­ keit vom Subjekt, jede Relativität auf den Erkenntnisakt, jede Korrelativität wegfallen. Gibt es ein Unerkennbares, so muß dieses notwendig unabhängig vom Subjekt dastehen. Es muß Ansichsein haben. Zerfällt nun aber das Ganze des Erkenntnisgegenstandes (das objiciendum) durch die Grenze der Erkennbarkeit in Rationales und Irrationales, und erweist sich das Irrationale notwendig als ansichseiend, so muß auch das Rationale an ihm — also sowohl das Objizierte (Erkannte) als auch der objizierbare Teil des Transobjektiven (das Erkennbare) — Ansichsein haben. Und das besagt: der Erkenntnisgegenstand muß überhaupt und als ganzer Ansichsein haben. Denn wenn überhaupt Ansichsein an ihm besteht, so besteht es — seinem eigenen Wesen nach — gleichgültig gegen Objektion und Objizierbarkeit und gleichgültig also auch gegen deren Grenzen. Der Totalgegenstand ist unter allen Umständen homogen. Ist ein Teil von ihm relativ auf das Subjekt, so ist es der ganze Gegenstand auch. Is t aber ein Teil von ihm ansichseiend, so ist notwendig der ganze Gegen­ stand ansichseiend. Daß etwas an ihm objizierbar ist, heißt aber nicht, daß es sich in bloßes Gegenstandsein auflösen könnte. Das Gegenstandwerden depotenziert seinen Seinscharakter nicht. Es bleibt dem Seienden als einem solchen überhaupt äußerlich. Weil aber am Phänomen des Irrationalen die Gegebenheit des Ansichseins der Evidenz am nächsten gebracht ist, so fällt von diesem Phänomen aus auch das hellste Licht auf das Objizierte und Objizier­ bare: ihr Ansichsein ist von der gleichen Gewißheit wie das des Irrationalen.

II. Abschnitt

Die emotional-transzendenten Akte. 27. Kapitel. Emotional-rezeptive Akte. a. Stellung und Struktur der ontisch fundamentalen Akte.

Die Erkenntnis ist unter den transzendenten Akten der durchsichtigste, reinste, objektivste. Aber als Zeugnis des Ansichseins ist er der stärkste Nicht. Gegen ihn als isoliert genommenen hatte die Skepsis zu leichtes Spiel. S ein Vorzug der Objektivität wird ausgewogen durch den Nachteil, daß er im Lebenszusammenhang ein sekundärer M t ist. Er hebt sich immer erst aus einem Geflecht tiefer verwurzelter M te heraus, die ebenso transzendent sind wie er. J a , zumeist steht er nicht einmal herausgehoben da, sondern bleibt in ihrem Geflecht verschlungen. Erst die Wissenschaft löst ihn heraus. Und ebendamit setzt sie sich der Skepsis aus. S ie verliert gleichsam das Erdreich unter den Füßen, in dem sie wurzelt. Die Verwurzelung aber ist für das Seinsproblem das wesentliche. S ie reicht im lebendigen Aktzusammenhang tiefer in das Ganze des Seienden hinein. Denn der Aktzusammenhang der Aktträger ist ein Ausschnitt des Welt- und Seinszusammenhanges, in dem sie stehen. Die Erkenntnis ist unter den transzendenten Akten der einzige nicht­ emotionale. Die anderen alle haben einen Einschlag von Mtivität, Energie, Ringen, Einsatz, Wagnis, Leiden, Betroffensein. Darin besteht ihr emotionaler Charakter. Aller Umgang mit Personen, alles Schalten mit Dingen, alles Erleben, Erstreben, Begehren, Tun, Handeln, Wollen, Gesinntsein gehört hierher; desgleichen alles Gelingen und Mißlingen, Erleiden, Ertragen, aber auch Erwarten, Erhoffen, Befürchten. J a , schon die innere Stellungnahme, die Wertreaktion, die Wertantwort zählt zu diesem Aktzusammeichang. Diese Akte stehen im Leben nicht geschieden da, sie fließen ineinander über; andererseits geht ihre Differen­ zierung bis ins Unwägbare fort. Die Analyse darf die verschwimmenden Grenzen nicht künsllich scharf machen, die Mannigfaltigkeit nicht durch herangetragene Typisierung verkürzen. Worauf es ankommt, ist aber gerade das Gemeinsame in ihnen: die Akttranszendenz und das Ansichsein des Gegenstandes. Denn in dieser Hinsicht sind sie dem Erkenntnisakt überlegen. Es wird sich zeigen, daß die durchgehende Überzeugtheit vom Ansichsein der Welt, in der wir leben, nicht so sehr auf der Wahrnehmung als auf dem erlebten Wider­ stände beruht, den das Reale der Aktivität des Subjekts leistet, — auf einer breiten Basis der Lebenserfahrung also, welche die emotionalen M e liefern. H a rtm a n n , Zur Grundlegung der Ontologie.

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Indem die Analyse von der Erkenntnis zum Aktgefüge im Hinter­ grund der Erkenntnis fortschreitet, geht sie vom ontisch Sekundären zum ontisch Prim ären und Fundamentalen über, zugleich aber auch zum weniger Dmchschaubaren und Analysierbaren. S ie hat aber dabei den Vorteil, daß diese Wte nur eine einzige Seinsweise der Gegenstände kennen, die reale. Es handelt sich in ihrer Transzendenz nur um reales Ansichsein. M an darf also bei ihrer Analyse den schwerfälligen Begriff des Ansichseins fallen lassen und direkt von „Realität" sprechen. Wobei freilich nicht zu vergessen ist, daß es sich in der „Realität" nicht um die A rt des Ansichseins handelt, sondern um das Ansichsein als solches. Bei den aktiven (spontanen) Akten hat man außerdem den Vorteil, daß in ihnen schon das Mtbewußtsein selbst zwischen intentionalem und realem Gegenstände unterscheidet, was bei der Erkenntnis nicht der Fall ist. D ort holt erst die Theorie das geformte Erkenntnisgebilde (den Gedanken, die Vorstellung, die Meinung) ans Licht. I m Wollen dagegen ist der vorgesetzte Zweck vom zu erreichenden Zweck von vomherein unterschieden. Und im Spannungsverhältnis zwischen dem einen und dem anderen bewegt sich der M t. b. Eigenart der emotional-rezeptiven Akte. Die transzendenten Akte haben alle die Form von Relationen zwischen seiendem Subjekt und seiendem Gegenstände. Es sind Akte desselben Subjektes, das auch erkennt; und ihre Gegenstände sind wenigstens grundsätzlich dieselben, die auch erkannt werden können. Aber die Aktstruktur ist anders. I n der Erkenntnisrelation bleibt der Gegenstand untangiert, unverändert; und das Subjekt wird wenigstens nicht in seinem Lebenshabitus betroffen, sondem nur dem Bewußtseins­ inhalt nach modifiziert. Beides ändert sich in den emotional-transzendenten M e n : das erstere in den spontanen, das letztere in allen, am greifbarsten aber in denen mit rezeptivem Charakter. Es soll hier mit den emotional-rezeptiven Akten begonnen werden, weil in ihnen der Gegebenheitsmodus des realen Daseins die am reinsten ausgeprägte Form und die unmittelbarste Gewichtigkeit hat. Es sind dieses die Akttypen des „Erfahrens", „Erlebens" und „Erleidens" mit ihren mannigfaltigen Spielarten. I n gewissem Betracht gehört auch noch das „Ertragen" dazu, soweit es sich in ihm nicht um die M iv itä t des „damit-fertig-Werdens" handelt, sondem um das rein hinnehmende Moment des „Tragen-Müssens". Diese M te haben das Gemeinsame, daß dem Subjekt etwas „wider­ fährt". Das Subjekt selbst erlebt oder erfährt das „Widerfahmis" in der Form eines sehr bestimmten Betroffenseins.

Das Betroffensein ist ein durchaus reales. Und weil es seinem Wesen nach Betroffensein „von etwas" ist, so kündigt sich in ihm unabweisbar die Realität des Widerfahmisses an, dessen also, was im Betroffensein als das Betreffende, Zustoßende oder sich Aufdrängende empfunden wird. I m Erleiden wird die Aufdringlichkeit des Zustoßens besonders schroff. S o ist es schon im äußerlichsten Fall, wenn man einen physischen Schlag oder S toß erhält und der Schmerz einen über alle Argumente drastisch über die Realität des schlagenden oder stoßenden Etwas belehrt. Hier bedarf es keines Kausalschlusses, keiner Reflexion oder Kombination. Die schlagende Beweiskraft des Widerfahrnisses ist unmittelbar identisch mit dem Bewußtsein des Betroffenseins. Nicht anders ist es, wenn man im Kampfe unterliegt, sei es im physi­ schen oder geistigen, wenn man seelischem Druck erliegt, oder auch wenn man emporgerissen wird von fremder Kraft: die siegende, bedrückende oder tragende Kraft ist im eigenen Betroffensein von ihr unmittelbar als eine reale empfunden. I m eigentlichen Erleben und Erfahren ist das Betroffensein nicht ganz so drastisch. Dafür ist es inhaltlich unendlich reicher. I n diesen beiden Akttypen bewegt sich vorwiegend das unmittelbare Bewußtsein alles dessen, was mit uns selbst und anderen Personen geschieht. c. Widerfahrnis und Betroffensein. Härte des Realen und AuSgeliefertsein.

M e r es stuft sich weiter ab. I m „Erleben" ist die Jchbetontheit noch mehr im Vordergründe. Das „Erfahren" ist objektiver, es zeigt bewußtere Gegenstellung zum Widerfahmis, steht der Erkenntnis näher. Der Erlebende geht noch mehr auf im Erlebnis. Dementsprechend ist im Erleben das Betroffensein ein unmittelbareres und stärkeres. Es steht darin dem im Erleiden näher. Indessen auch int Erfahren fehlt es keineswegs. M an darf sich hier vom erkenntnistheoretischen Sprachgebrauch nicht beirren lassen, der alle Erfahmng zur Erkenntnis rechnet. Das Erfahren, von dem hier die Rede ist, steht noch weit diesseits der Erkenntnis und hat mit Empirie nichts gemein; sein Korrelat ist nicht ein Beobachtungsgegenstand, sondern ein Geschehnis, das einem „widerfährt". Schlichtes Erfahren in diesem Sinne ist es, wenn mich jemand betrügt, dem ich getraut hatte; ich erfahre darin nicht nur den Betmg selbst, sondern auch den Menschen als einen unehrlichen. Das kann direkt in Erkenntnis übergehen; aber die Art, wie das Erfahrene sich aufzwingt und empfunden wird, geht darin nicht auf. Das Betroffensein ist nicht ein Erfassen. S o erlebt und erfährt man Geschehnisse, Situationen, Spannungen und Lösungen, an denen man irgendwie beteiligt ist, oder in denen man

selbst drinsteht. Und im Maße des Beteiligtseins ist man von ihnen betroffen; im Maße des Betroffenseins aber ist die R e M ä t des Gesche­ hens, der Situationen usw. mehr oder weniger schlagend gegeben. Kein Zweifel, das Realitätsbewußtfein der jeweüigen Situation wartet nicht erst die Erkenntnis ab. Vielmehr umgekehrt, die Erkenntnisgegeben­ heit — wo es zu chr kommt— ist hier stets schon getragen von der primären Erlebnisgegebenheit. Sehr deutlich wird das auch an der Art, wie man die Folgen feiner Taten erfährt. Das ist nicht ein Erfahren „von" chnen, etwa vom Hören­ sagen; nicht unbeteiligtes Einsetzen des Wissens um sie. Es ist ein ge­ legentlich sehr empfindliches Zu-Fühlen-Bekommen, ein Getroffen­ werden von ihnen. Man muß die Folgen der eigenen Taten auskosten, man kann nicht um sie hemm, muß sie auf sich nehmen. S ie sind da und lasten. Dieselbe Art des Erfahrens ist es, wenn andere Personen an mir handeln, mich gut oder übel behandeln: ich „erfahre" die B ehaM ung. Desgleichen „erfahre" ich auch ihre Gesinnungen gegen mich. Und zwar beides wiedemm nicht im Sinne des Erkennens. Ich verkenne dabei vielleicht gar ihre Gesinnungen, mißverstehe sie; ich kann ja auch die erfahrene Behandlung vollkommen verkennen. Aber deswegen habe ich sie doch „erfahren", bin von ihr betroffen worden. D as Erkennen kann ich in gewissen Grenzen aufhalten, die Aufmerk­ samkeit kann ich richten. Das Erfahrene kann ich nicht aufhalten, es wartet nicht auf das Aufmerken. Denn das Widerfahrnis als solches ist unaufhaltsam, es fragt nicht nach Bereitschaft, es geschieht mir. Es „widerfährt" eben. Ich kann ihm vielleicht in gewissen Grenzen aus­ weichen, aber nur soweit ich es voraussehe; aber ich kann nicht ausweichen, ohne handelnd einzugreifen und damit neues Widerfcchmis herauf­ zubeschwören. Das Ausweichen hat enge Grenzen. Und mit unberührtem Dabeistehen und Zuschauen hat es nichts gemein. Hier gibt es kein auswählendes Sich-Richten auf das Erwünschte oder Interessierende wie bei der Erkenntnis. Der Mensch, im Zuge der Ereignisse stehend, kann nicht nach Belieben erfahren oder nicht erfahren. Sondem er erfährt, was ihm widerfährt, nicht mehr und nicht weniger. Diesem Gesetz ist er lebenslänglich unterworfen. Hier liegt eine gewisse Schicksalhaftigkeit vor. Man darf dieses Wort nur nicht metaphysisch-fatalistisch verstehen. Nicht um ein Geschicktsein der Ereignisse handelt es sich, sondem einfach um ihr Eintreten auf Grund von Mächten, über die wir nichts vermögen. Es ist das Drinstehen im breiten Zuge der Realzusammenhänge, die der Mensch nicht vorgesehen und nicht geschaffen hat, deren Auswirkung am eigenen Leben er aber nicht aufhalten kann. Weder passiv noch wehrlos ist

dieses Drinstehen im Einzelnen. Wohl aber ist es beides im Ganzen. Denn erst am Widerfahrnis setzt die Aktivität ein. Was zpgrundeliegt, ist gerade das ungesuchte, ungeschaffene, im allgemeinen wohl auch unverschuldete Hineingerissensein und Ausgeliefertsein des allseitig exponierten und verletzbaren Menschenwesens an den Strom des realen Geschehens — gleichsam die immer wieder neu erfahrene Härte des Realen —, und das ganz unabhängig davon, ob und wie weit der Strom des Geschehens auch ein erkannter ist. Diese Härte des Realen eben ist es, die im Betroffensein uns trifft. Es ist das reale Ansichsein der Verhältnisse, Geschehnisse und Situationen, das sich darin unmittelbar an uns bekundet.

d. Die Schicksalsidee. Erfahren und Erfassen. I n derselben Weise „erfährt" und „erlebt" man schließlich alles, was in den Bereich des eigenen Lebens hineinreicht. M an erfährt den Lauf der Welt, erleidet das eigene Geschick, erlebt Erfolg und Miß­ lingen — nicht nur das eigene, sondem im Maße der Teilhabe auch das der Anderen. Man erlebt auch die gemeinsamen, öffentlichen Ereignisse, den laufenden Gang der Geschichte. Und je nach dem Grade politischen Mitlebens ist man davon mit betroffen; man kann auch davon erschüttert, erdrückt, angewidert oder erhoben sein. Der Durchschnittsmensch erfährt die sozialen Verhältnisse, in denen er steht, als eine Art dauemden Hintergrundes, von dem sich die besonderen Geschehnisse erst abheben. Er erfährt sie, wie man den Geschmack des täglichen Brotes erfährt; er erfährt sie bejahend oder vemeinend, gettagen von ihnen oder bedrückt, aber er kann nicht ohne weiteres aus ihnen heraus. Er ist in ihnen gefangen. Und das Gefangensein wiederum wird als Macht, als Druck, als Schicksal empfunden. Es ist die Schwere, der Widerstaiü», die Hätte des Realen, was auch hier überall am eigenen Leben erfahren, erlebt oder erlitten wird: eine eminente, unmittelbare Gewißheit des Ansichseins. Aber wiederum, daß man das Erfahrene auch ettennt, liegt darin nicht. Es ist nicht nur, daß man noch lange nicht versteht, worauf es beruht; man hat vielmehr zumeist nicht einmal die nackte Tatsachen­ kenntnis, wie eigentlich die bestehenden Verhältnisse sind. Gerade das eigene Dannstehen macht das Verstehen schwer. Der Epigone erkennt sie aus der geschichtlichen Distanz leichter, aber er erlebt und erfähtt sie nicht mehr. Er ist von ihnen nicht betroffen. I n allem Erfahren, Erleben und Erleiden ist ein Moment des „E rtragens", oder zum mindesten des „Ettragenmüssens". Es beschräickt sich ftellich auf das, was als schwer, hart oder bitter empfunden wttd;

aber gerade Widerfahrnisse solcher A rt sind es, die in erster Linie das Gewicht des Realitätszeugnifses liefern. D as Müssen darin ist ein echtes Gezwungensein; es spiegelt ganz eindeutig die Unaufhaltsamkeit und Unausweichlichkeit der Geschehnisse und wird als bereit „Unerbittlichleit" empfunden — gleichsam als die erschreckende Gleichgültigkeit des Widerfahrnisses gegen den, der es tragen muß. Dieses Empfinden, ins Metaphysische gesteigert, ist der Boden, auf dem die Schicksalsidee gewachsen ist, und au s dem sie bis auf den heutigen T ag dauernd Nahrung zieht. S eh r naiv ist darin der Borbestimmungs­ gedanke, die Vorstellung des Verhängnisses (klpapuLvri), dessen durch­ sichtiges teleologisches Schema den Anthropomorphismus verrät; groß­ artig aber bleibt die auch in solcher D eutung noch erkennbare Auffassung von der überlegenen Macht des Weltgeschehens überhaupt. D er Sache nach ist diese Macht nichts anderes als das Gewicht der Realität, dessen Unerbittlichkeit in den verschiedenen Form en des Bettoffenseins erfahren wird. Und die metaphysische Deutung, die diesem Gewicht in der Schicksalsidee gegeben wird, ist der beste Beweis, daß Erfahren nicht Erfassen (Erkennen, Verstehen) ist. D enn gerade das Gefüge des Realzusammen­ hanges, auf dem es beruht, ist in ihr von Grund aus verkannt. Und noch weiteres Licht fällt von hier aus auf das Verhältnis von Erfahren und Erfassen. Beide können demselben realen Geschehen gelten, und dann ist in beiden dem In h a lt nach ein und dasselbe zur Gegebenheit gebracht. Grundverschieden aber bleibt auch dann die Art der Gegebenheit: im Erfahren ein Erfaßtsein des Menschen vom Gesche­ hen, ein Über-ihn-Kommen des Unabwendbaren, im Erfassen ein Gegen­ überbleiben, gleichsam ohne sein Berührtsein, oder doch unabhängig davon. Vielleicht ist überhaupt dieses der charakteristische Gegensatz: Erfahren ist deswegen nicht Erfassen, weil es vielmehr ein Erfaßtsein ist. D as wesentliche in diesem Verhältnis ist, daß im Ganzen des Menschenlebens dem Erfaßtsein die Priorität vor dem Erfassen zukommt. Nicht daß es sich zum voraus schon auf alle Gegenstände möglicher Erkenntnis er­ streckte; die Reichweite des ausgereiften Erkennens ist die weitere. Wohl aber ist die R ealität der Welt, in der das Erkennen spielt und die es er­ kennt, zuvörderst einmal durch das Erfaßtsein vom S tto m des G e­ schehens gegeben, in dem sie besteht. D as Erfaßtsein ist nicht ein bloßes Bild. Es ist selbst etwas sehr Reales, das mit uns geschieht, ein wirkliches Jn-Mitleidenschaft-Gezogensein. Und ebenso klingt es noch deutlich durch in den schwächeren Ab­ stufungen des Bettoffenseins: im.Erschüttertsein, Gepacktsein, Ergriffen­ sein, ja selbst im Erhobensein, Berührtsein, Beeindrucktsein, Angetansein, Gefesseltsein. Am unteren Ende dieser absteigenden Reihe dürfte das

Jnteressiertsein stehen, in dem das eigentliche Betroffensein so gut wie verschwunden ist. Man kann es als das Übergangsglied zum Erfassen ansehen.

28. Kapitel. Abstufungen deS Erfahrens «nd Vtnhett der RealitSt. a. Widerstanderfahren und Dingrealität.

Nahe verwandt mit diesen Aktphänomenen ist das Widerstandsbewußtsein der gehemmten Aktivität. Es unterscheidet sich vom rein rezeptiven Erfahren oder Erleiden durch die zuvor eingesetzte Spontaneität (des Begehrens, Strebens, Wollens), die den Widerstand erleidet. Inso­ fern gehört dieses Phänomen zur Hälfte bereits in eine andere Aktgruppe. Im m erhin ist das Erfahren der Hemmung mit dem Streben, das ge­ hemmt wird, nicht identisch; und andererseits lassen sich natürlich die rezeptiven Akte überhaupt nicht streng isolieren von den spontanen. I n allem Erfahren und Erleben sind bereits Rückschläge auf die Eigen­ tendenz der Person enthalten und machen sich als Wesensmomente in der Form des Betroffenseins geltend. Es geht denn auch hier nicht um Isolierung, sondern gerade um Ausweisung der stets im Gesamterleben mit enthaltenen Momente. Ist man auf die Momente des Widerstanderfahrens einmal auf­ merksam geworden, so kann man nicht verkennen, daß gerade in ihnen die Gegebenheit von Realität eine eigentümlich verdichtete Form annimmt. Wobei das Wesentliche ist, daß sie alle Stufen der menschlichen Aktivität begleitet, von den niedersten bis zu den höchsten, ohne daß das empfun­ dene Gewicht des Realwiderstandes sich wesentlich änderte. Nur die Drastik des Betroffenseins ändert sich, aber sie betrifft nur den Höhen­ unterschied der widerstehenden Seinsschichten. M an vergleiche daraufhin die folgende Reihe von Beispielen. Ich will einen Stein wälzen und erfahre den Widerstand seiner Schwere; ich will jemanden bekämpfen und erfahre seine Gegenwehr; ich will mir fremdes Eigentum aneignen und erfahre den Gegenschlag des Ge­ setzes; ich will jemanden überzeugen und erfahre den Widerstand seines selbsttätigen Denkens. Es ist überall dasselbe Erfahren desselben Real­ widerstandes. Denn eben real ist nicht nur die Schwere des Steines, real ist ebensosehr die Abwehr des Angegriffenen, die Macht des besteheiwen Rechtes resp. seiner berufenen Vertreter; ebensosehr auch die Selbsttätigkeit des fremden Gedankens. B on eigenartiger Drastik freilich ist der erfahrene Widerstand auf der niedersten Stufe. Es ist ein Irrtum , die Sinne allein für die Ge­ gebenheit der Dingrealität aufkommen zu lassen. Es liegt immer schon

im Widerstandserlebnis eine Basis des Erfahrenen zugrunde, die in das Wahrgenommene mit einbezogen wird. M e Wahrnehmung fällt schon auf den vorbereiteten Boden einer primitiveren, aber stärkeren Realitäts­ erfahrung. Nicht als müßte allem Sehen von Dingen schon ein SichStoßen an denselben Dingen vorangegangen sein; der naiv erfahrene Widerstand wird vielmehr ohne weiteres verallgemeinert. I n der Verallge­ meinerung aber liegt er gleichwohl schon zugrunde und braucht daher keineswegs erst in das Gesehene hineininterpretiert zu werden. D as ist der Grund, warum unter den Sinnen der motorische — und Mit ihm der Tastsinn — bauen* ein Übergewicht an Realitätsgewißheit haben. S ie beruhen eben dank ihrer sehr aktiven Funktionsweise (Ab­ tasten, Stoßen, Heben usw.) selbst schon auf gehemmter Aktivität. Max Scheler hat aus diesen Tatsachen den Schluß gezogen, alles Realitätsbewußtsein beruhe auf dem Widerstandserlebnis, und diese These zu einem „voluntativen Realismus" ausgebaut1). Aber gerade in dieser Zuspitzung läßt sie sich nicht halten. Denn erstens ist die Mannig­ faltigkeit der emotionalen Akte, die am Realitätszeugnis beteiligt sind, viel größer. Zweitens ist es irrig, die Gegebenheitsweise auf das Seiende selbst zu übertragen; man kann nicht dem Realen selbst einen voluntativen Hintergrund zuschreiben, weil die Bewußtseinsform, in der es primär gegeben ist, einen voluntativen Hintergrund hat. Und drittens geht es nicht an, die emotionale Gegebenheit für das „Dinglich"-Reale allein in Anspruch zu nehmen; die Form, in der sie auftritt, mag bei Mngen eine besonders aufdringliche sein, sie gilt doch in gleicher Weise für alles Reale — für das Lebendige, Seelische und Geistige nicht weniger als für das grob Materielle. Überdies dürfte es nicht einmal wahr sein, daß die Art des Betroffenseins im Widerstandserlebnis der äußerlich motorischen Hemmung die stärkste ist. S ie erreicht gerade in den höheren Formen des Erfahrens und Erleidens ein noch ganz anderes Gewicht. b. Z ur Klärung des ontologischen Realitätsbegriffs.

Es bedarf hier, bevor wir weitergehen, einer Rechtfertigung des zugrundegelegten Realitätsbegriffs. Es ist nicht ohne weiteres der übliche; dieser bevorzugt die Seinsweise der Dinge als eigentliche Realität (was dem ersten Wortsinn von realitas ja auch entspricht). Dinge sind eben dem naiven Bewußtsein die Nächstliegenden Repräsentanten des Realen. S ie scheinen durch ihre Substantialität den Seinsvorzug vor allem zu haben, was sonst in der Welt ist. Es zeigte sich nun bereits früher, daß ein solcher Seinsvorzug des Substantiellen sich keineswegs rechtfertigt. Es läßt sich fenter zeigen, *) Wobei er älteren Gedanken von F. Bouterwek und Maine de Biran folgte.

daß auch der Substanzcharakter selbst etwas durchaus Fragwürdiges an den Dingen ist (was nachzuweisen Sache einer viel spezielleren Kategorialanalyse ist). Dazu aber kommt noch eine dritte Überlegung, die durch die obigen Aktphänomene an dieser Stelle nahegelegt ist. Dinge sind nicht allem Gegenstände der Wahrnehmung, sie sind auch Gegenstände des Begehrens, des Erringens,des Tauschens, Kausens, Handelns, der Bearbeitung, der Benutzung, des Streites und Haders. S ie stehen also mitten inne in der Sphäre, in der das Menschenleben sich abspielt, in der Sphäre des Wirkens und Sttebens, des Leidens utti) Ringens, der menschlichen Verhältnisse und Situationen, sowie des geschichtlichen Geschehens. Wo immer in der Welt es um Realität der Dinge geht, da geht es ebendamit auch um Realität der mensch­ lichen Verhältnisse, Situationen, Konflitte, Schicksale, ja um Realität des Geschichtslaufes. Darauf beruht das Gewicht des Realitätsproblems: es betrifft stets zugleich und in gleicher Unmittelbarkeit das dingliche und das menschliche Sein, das S ein der materiellen u nd das der geistigen Welt; und zwar mit Einschluß alles dessen, was der Stufenordnung nach zwischen dieser und jener liegt. Der Realitätsbegriff also, der hier zugrundegelegt wird, ist von vorn­ herein ein erweiterter, im Gegensatz zu allen bloß dinglich orientierten Fassungen stehender. W er gerade dadurch ist er der natürliche Realitäts­ begriff: er allein begreift die „reale Welt", in der wir leben, als eine einheitliche, d.h. als eine Welt, die das Heterogene verbunden und mannigfaltig ineinander verstrickt in sich enthält: lebendige und leblose Gebilde, dingliche und geistige Vorgänge. Es ist dieselbe Seinsweise, die Materie und Geist umspannt; wie denn Materie und Geist dieselben Gmndmomente der Individualität und Zeitlichkeit zeigen. Auch das geistige Sein entsteht und vergeht in der Zeit, ist in aller Besonderung einmalig und unwiederbringlich, wenn es einmal vergangen ist. Nur die Räumlichkeit scheidet das Dingliche von ihm. Es ist der Grundirrtum materialistischer Denkweise, das Ausgedehnte allein für real zu halten. Die Materie eben ist ausgedehnt. Real aber ist nicht die Materie allein. Mcht die Räumlichkeit ist das unterscheidende (spezifische) Merkmal des Realen, sondem die Zeit. Mcht Größe, Meß­ barkeit, Sichtbarkeit zeichnen das Reale aus, sondem Werden, Prozeß, Einmaligkeit, Dauer, Nacheinander, Zugleichsein. c. Realität und Zeitlichkeit.

Dieser ontologische Realitätsbegriff hängt ganz und gar an der Einheit und Einzigkeit der Realzeit. Das Bestehen einer solchen ist heute vielfach bestritten worden; man hat die Einheit der Zeit in eine Pluralität der Zeiten aufgelöst. M an geht dabei vom Unterschied des Geschehens

in der Zeit aus — des geschichtlichen etwa und des Naturgeschehens — und schreibt diesen Unterschied der Zeit selbst zu. Oder man deutet gar den Zeitstrom selbst als ein Hervorbringen der Ereignisse (ein „Zei­ tigen"); und da dieses ein sehr verschiedenes in Natur und Geschichte ist, so glaubt man, auch die Zeit selbst müsse verschieden sein. Damit aber hebt man nicht nur die Einheit der Welt auf, die doch nun einmal eine zugleich natürliche und geschichtliche ist, fottbem auch den S inn der durchgehenden Gleichzeitigkeit und des durchgehenden Nacheinander selbst, das alles Geschehen umfaßt und verbindet. D as gerade ist das wesentliche an der Realzeit, daß sie alles Reale ohne Unterschied der Art und Stufe umspannt, daß sie natürliches und geschichtliches, seelisches und dingliches Geschehen vereinigt. Von der Geschichtswissenschaft aus sieht man das am deutlichsten, sie macht den ausgiebigsten Gebrauch von der durchgehenden Gleichzeitigkeit: ihre Zeitrechnung ist vom Naturgeschehen hergenommen; denn sie rechnet nach Tagen, Jahren, Jahrhunderten. S ie setzt also in aller Ausdrück­ lichkeit die durchgehende Parallelität a lle s Geschehens, des physischen wie des menschlich-geschichtlichen, in e in e r Zeit voraus. Eine Zeitanalyse, die dieses Einheitsphänomen ignoriert, ist eine falsche Analyse. Und eine Realontologie, die auf solcher Ignorierung beruhte, wäre eine falsche Realontologie. S ie würde nur einen Bruch­ teil des Realen umfassen, nur die niederen Schichten. Die Seinsweise der höheren bliebe unverstanden. Das ist es, was in der Analyse der emotional-transzendenten Akte zur Klarheit kommt, und in deren erster Gruppe, den rezeptiven, bereits sich aufgedrängt hat. Die charakteristische Härte des Realen ist in allem unmittelbar gegeben, was im Erfahren, Erleben und Erleiden sich auf­ drängt. Gerade bei den Dingen ist das Betroffensein des Erlebenden ein relativ schwaches ober doch oberflächliches. @rjl bei Widerfahrnissen, Situationen, Schicksalen der menschlichen Sphäre erreicht es sein volles Gewicht. Ein Beweis, daß bei diesen, und nicht bei den Dingen, das eigentliche Kernstück der Realitätsgegebenheit liegt. d. Erkenntnis und emotionales Realitätsbewußtsein.

Das Erkenntnisphänomen kann, so zeigte sich, schon für den Realitätsanspmch, den es selbst erhebt, nicht voll aufkommen; noch weniger also für die volle Realitätsgewißheit, in der wir leben. Die traditionell gewordene Isolierung des Erkenntnisproblems schneidet es von seiner natürlichen Basis ab. Diese liegt im Zusammenhang der Lebensphänomene. Jene Isolierung ist eine Folge der hochgespannten Er­ wartungen, die man seit Kant mit der Aufgabe der „Kritik" verbunden hat. S ie ging bereits von dem Vorurteil aus, daß alle primäre Ge-

gebenheit im Felde der Erkenntnis liege. Das wahre Verhältnis ist das umgekehrte. Ein isoliertes Erkenntnisverhältnis gibt es im Leben nicht und in der Wissenschaft nur näherungsweise. Auch in der Näherung aber ist schon nachträglich von allen primären Formen der Gegebenheit abgesehen. Das reine „Subjekt-Objekt"-Verhältnis ist ontisch sekundär. Es ist schon eingefügt in eine Fülle primärer Verhältnisse zu denselben Gegen­ ständen — Dingen, Personen, Lebenslagen, Geschehnissen. Die „Gegen­ stände" sind in erster Linie nicht etwas, was wir erkennen, sondern etwas, was uns praktisch „angeht", mit dem wir uns int Leben „stellen" und „auseinandersetzen" müssen; etwas, womit wir „fertig werden" müssen, was wir ausnutzen, überwinden oder ertragen müssen. Das Erkennen pflegt erst nachzuhinken. S o können z. B. Personen freilich auch Erkenntnisgegenstände werden. Nur kommt es im Leben meist nicht dazu; die Distanz, das unbeteüigte Gegenüberstehen und Eindringen ist so leicht nicht aufzu­ bringen, muß der M tualität erst abgemngen werden. Denn zunächst treten Personen uns als Mächte gegenüber, mit denen wir rechnen, paktieren, auskommen oder kämpfen müssen; oder aC Faktoren der Lebenslagen, in die wir geraten und in denen wir uns durchfinden müssen. Unb wenn man sie trotzdem Gegenstände nennen will, so sind sie jedenfalls zunächst Gegenstände der Stellungnahme, des Liebens und Hassens usw., nicht solche des Erkennens. Und wie mit den Personen, so ist es mit allem, was der Sphäre des Menschenlebens angehört. Überall zeigt sich der Prim at des Erfahrens und Erlebens vor dem Erkennen. D as emotionale Realitäts­ bewußtsein ist das zugmndeliegende. Einbezogen in den Lebenszu­ sammenhang setzt die Erkenntnis ein. Und auch wo sie chn nachträglich abstreift und hinter sich läßt, bleibt sie doch mit ihrer einen Seite dauernd an chn rückgebunden. Diese Seite ist die ursprüngliche Gegebenheit des realen Daseins der Welt, die wir erkennen. Denn es ist dieselbe Welt, in der wir leben.

29. Kapitel. Die emotional-prospektiven Akte. a. Das Leben im Vorgriff und das Borbetroffensein.

Der Strom des Geschehens, in dem wir stehen, berührt uns nicht mit dem allein, was zm Stunde gegenwärtig ist. Wir leben dem Kom­ menden entgegen, können es in gewissen Grenzen kommen sehen. Der Mensch steht nicht ohne „Vorsehung" im Leben. Und wie begrenzt diese auch sein mag, sie stellt ihn mit seinem Weltbewußtsein doch auf eine verbreiterte Basis.

Denn eben dieses, daß er das Kommende kommen sieht, gibt ihm auch die Macht, sich darauf einzurichten, die vorgreifende Empfangs« stellung, die aktiv sich anpassende Bereitschaft. Das Kommensehen ist so wenig wie das Gegenwartsbewußtsein ein rein erkennendes. Gerade die Erkenntnis des Kommenden ist beschränkter als die emotionale Antizipation. Unabhängig vom eigentlichen Erkennen leben wir dauernd in dem Bewußtsein, daß der Strom des Geschehens unaufhaltsam auf uns „zukommt" und daß dieses „Zukünftige" unaufhaltsam in die Gegenwart einrückt, also auch daß es uns im Maße seines Einrückens treffen muß. Des Kommenden sind wir auch als des Unerkannten gewiß. Darum rechnen wir mit ihm als dem Unberechenbaren, Un­ vermuteten, Überraschenden. Und diese Rechnung ist es, die immer stimmt. Denn es ist immer neues Geschehen im Anzuge. Den emotional-rezipierenden W ien treten so die emotional-antizipierenden (prospektiven) an die Seite. S ie sind nicht weniger tran­ szendent als jene. Das Rechnen mit dem Kommenden als einem Unauf­ haltsamen hat von vornherein einen sehr bestimmten Gewißheitcharakter an sich, sehr verschieden von dem des Gegenwartsbewußtseins, und doch echte Realitätsgewißheit. N m ist es eine Gewißheit, die der Gegebenheit des bestimmten Realen vorausgeht. Die Akte dieser A rt — ihre Grundtypen sind das Erwarten, das Vorgefühl, die Bereitschaft, das Gefaßtsein — greifen dem Erleben und Erfahren vor. Oder richtiger vielleicht, sie bestehen selbst in der Vorwegnähme des Erlebens und Erfahrens, und nicht weniger des Erleidens, ja selbst des Ertragens. Damit aber sind sie zugleich die Vorwegnähme des Betroffenseins. D as Betroffensein selbst ist in ihnen ein vorempfundenes. E s wandelt sich ab zum „Borbetroffensein". Die allgemeine ontologische Grundsituation des Menschen ist hierbei sein Jn-der-Zeit-Stehen. Dieses ist kein Stillstand, es ist das Mitgehen mit dem Zeitstrom, in dem der Gegenwartspunkt sich ständig verschiebt, also mit dem Strome mitwandert. Das Bewußtsein ist mit seiner je­ weiligen Realität an diese wandernde Gegenwart gebunden; es kann aus ihr nicht heraus, sein Dasein ist, wie das alles Realen, ein jeweilig gegenwärtiges. Es macht den ontischen Gleichschritt der Zeit mit. Aber mit seinem In h alt ist es nicht an Gegenwärtiges gebunden, Erfassen und Erfaßtsein gibt es auch von Vergangenem und Zukünftigem, wiewohl beides nicht unbegrenzt. Das eben ist die Eigenart der transzendenten Akte, daß sie auch die Gegenwartsgebundenheit des Bewußtseins tran­ szendieren, dessen gegenwärtige Akte sie sind. I n ihnen geschieht das Vorgreifen in das Zukünftige. Es besteht nicht darin, daß der Mensch realiter zum voraus im noch nicht Gegen­ wärtiggewordenen leben — etwa sich selbst vorweg sein — könnte;

das kann er keineswegs. Es besteht vielmehr allein darin, daß er mit dem Bewußtsein dem Gegenwärtigen vorgreift, an das er dem realen Dasein nach gebunden bleibt. Er kann nicht erfahren oder erleben, was noch nicht eingetreten ist, aber er kann es vorsehen, vorfühlen, erwarten, darauf gefaßt sein. Das ist nicht wenig. Undesisttiefcharakteristisch, daß er nicht nur des Vorgriffs in diesem Sinne fähig ist, sondern auch mit dem, was ihn jeweüig beschäftigt und aktuell angeht, wesentlich im Vorgriff lebt. Dadurch lebt er int Borbetroffensein. Es kommt unMässig neues Geschehen auf uns zu, das wir erfahren werden und das uns betreffen wird. Dieses Zukommende ist das Zu­ künftige, und zwar gerade sofern es noch das Anrückende ist. M e r eben insofern ist es auch schon das uns Betreffende. Die prospektiv-transzendenten M e sind nichts anderes als die besonderen Formen des allgemeinen, habituellen Eingestelltseins auf das Anrückende als solches. Die Unmöglichkeit des Entrinnens, des Ausweichens, des Heraustretens aus dem Strom der Geschehnisse, verbunden mit der engen Begrenztheit alles Mwehrens und Beeinflussens, alles inhaltlichen Umlenkens, gibt dem Anrückenden als solchem sein ungeheures Realitäts­ gewicht, noch ehe es wirllich geworden ist. Und zugleich gibt es den antizipierenden M e n das Gewicht des Realitätszeugnisses. Damit wiedemm hängt es zusammen, daß auch die antizipierende Art der Realitätsgegebenheit eine so eigenartig unaufhebbare ist, während das Mssen um die besondere Beschaffenheit des anrückenden Realen ein höchst lückenhaftes ist. Handelte es sich um Erkenntnis, so wäre das nahezu ein Widerspruch— denn alles Dasein ist auch Sofern von etwas —, aber Erwartung, Vorgefühl, Bereitschaft sind nicht Erkenntnis. b. Reelle Antizipation.

Erwartung und Bereitschaft.

Das ist am einfachsten am Akt der Erwartung zu sehen. Auch die Bereitschaft und das Sich-gefaßt-Machen gehören aufs engste zu ihr. Das Anrückende hat in jeweiliger Gegenwart bereits ein bedeutendes Übergewicht über das Gegenwärtige; dieses ist ja immer schon halb abgetan. Der dunlle Schoß der Zukunft hält den Blick gebannt. Gerade er erscheint als unerschöpfliche Quelle von Geschick und Mißgeschick. Und immer ist, was aus ihm hervorbricht, das uns Zustoßende, Über­ fallende, Überkommende. Dem entspricht das Leben in ständiger Erwartung des Kommenden. I n diesem generellen Sinne ist die Erwartung keineswegs illusionär, wie sehr immer sie inhMich fehlgreifen mag. S ie bekommt im Strom der Ereignisse dauernd Recht — wenigstens gmndsätzlich; denn Ereignisse sind immer im Anrücken. Das Borbetroffensein ist ebenso wirkliches

Betroffensein vom Anrückenden wie das Erleben und Erleiden vom Gegenwärtigen. Die Erwartung rechnet mit dem Eintreten von etwas Bestimmtem. I n der Bestimmtheit aber ist sie täuschbar. Diese Täuschbarkeit wiederum hebt den vollen S inn des Vorbetroffenseins in ihr nicht auf. Denn sie „tarnt" nicht nur wissen um ihre Täuschbarkeit, sondem sie weiß tat­ sächlich um sie, und dieses Wissen ist ihr wesentlich. S ie rechnet mit dem Bestimmten auch keineswegs als mit einem ihr Gewissen; selbst im. Gefaßtsein auf das bestimmte Anrückende ist noch deutlich ein Be­ wußtsein dessen, daß es „eventuell" auch anders ausfallen kann. Das besagt, sie rechnet in Wirklichkeit überhaupt nur mit der Eventualität; rechnet also auch stets mit der Möglichkeit anderweitigen Ausfalls. Gerade dadurch aber ist sie durchaus reell eingestellt. S ie kann es selbst bei minimaler Voraussicht sein — z. B. auf Gmnd äußerlicher Analogie, die ihrerseits nicht einmal bewußt zu sein braucht. Denn es handelt sich ja nicht um Erkenntnis des Anrückenden. I m Verhalten, nicht im Wissen, ist man durch die Erwartung bestimmt. Nicht erst der Ausfall unterscheidet zwischen dem erwarteten und dem wirklich ein­ tretenden Ereignis — man kann sagen zwischen dem intentionalen und dem realen Gegenstände der Erwartung —, auch nicht die vielleicht begleitende Erkenntnis erst tut es, sondern schon die Erwartung selbst und als solche. S ie hat das Bewußtsein der Unbestimmtheit an sich, und sie rechnet mit dieser ihrer eigenen Unbestimmtheit. Das kann selbst in der Bereitschaft und im Gefaßtsein sehr wesentlich mitspielen; man kann sehr wohl auf etwas gefaßt sein, was man nicht einmal für sehr wahrscheinlich erachtet. Gerade in der Unbestimmtheit der Erwartung tritt also deuüich das Bewußtsein der Realität zutage. Denn diese Unbestimmtheit ist nur inhaltliche Ungewißheit. Und sie ist jederzeit begleitet von der um so stärkeren Gewißheit, daß der Lauf der Ereignisse die volle, unwiderrufliche Bestimmtheit bringen wird. Andererseits zeigt die enge Verbundenheit von Erwartung und Bereitschaft noch eine andere eite im Verhältnis zum Anrückenden. Bereitschaft, und vollends das Gefaßtsein auf das Kommende, sind schon selbst ein inneres, reales Sicheinrichten; also nicht nur ein Rechnen mit dem Kommenden, sondem auch schon die einsetzende Ausnahme­ stellung für sein Eintreten — gleichsam das Deckung-Suchen gegen seine Wucht oder auch der beginnende und sich selbst vorwegnehmende Widerstand. Hier wird die Realität des Vorbetroffenseins eine ganz greifbare. Das Menschenwesen hat darin eine Art Schutzinstanz; sein Ausgeliefertsein an den Strom des Geschehens findet hier eine Grenze. Es ist durch das Borbetroffensein und die Macht der Bereitschaft dem Ansturm des Anrückenden weit besser angepaßt als durch starres Wider-

stehen. @3 ist der biegsamen Einpassung in die immer neuen Real­ verhältnisse fähig. M e r nur dadurch, daß es im Borbetroffensein das wirkliche Betroffenwerden vorwegnehmen und ihm vermöge der Bereit­ schaft die Spitze abbrechen kann. I m prospektiven Akt der Erwartung liegt somit — was man ihm auf den ersten Blick nicht ansehen konnte — ein Realitätszeugnis von ganz eigenartiger Gewichtigkeit. Dieser Akt erweist sich als ein selbst höchst realer Modus des aktuellen Zurechtkommens im Leben, des Fertigwerdens mit eben denselben anrückenden Realverhältnissen, welche die Erwartung dem Bewußtsein anzeigt. I m Fertigwerden-Müssen aber liegt die ganze Härte des Realen.. c. Sekundäre Formen der Borfühlung.

Ganz ausschalten lassen sich in diesem Zusammenhang auch solche M form en wie Vorgefühl und Ahnung nicht. S ie unterscheiden sich von Erwartung und Bereitschaft durch ihre Unbestimmtheit, Ver­ schwommenheit, ihr schwankendes Vorspiegeln, ihre hochgradige Tausch­ barkeit, den Einschlag des Phantasiespieles und der Subjektivität, kurz durch ihre Unreellität. Die inhaltliche Fühlung mit dem Realen geht hier leicht verloren, sie weicht der Illusion. Ontologisch aber wird man diesen Akten so nicht gerecht. I n einem Purckte sind und bleiben sie reell: darin nämlich, daß sie Fühlung mit dem unaufhaltsam Anrückenden überhaupt sind. I n diesem Punkte täuschen sie nicht, beruhen vielmehr auf Gewißheit. J a , sie sind das am weitesten vortastende Gefühlszeugnis dieser Gewißheit, ein Realitätszeugnis des Anrückenden im Bewußtsein noch vor der bestimmten Erwartung. I n ihnen steckt die dunkle Ankündigung der Ereignisse vor ihrem Greif­ barwerden, gleichsam ihr vorausgeworfener Schatten im Bewußtsein; das Anrückende bleibt zwar unkenntlich an seinem Schatten, aber daß es anrückt, ist doch gewiß. I m Vorgefühl ist das Realitätszeugnis so angelegt, daß es treff­ sicher nur dem „Dasein" des Kommenden gilt, seinem Sosein aber nur verschwommen und unsicher. Wobei die oben entwickelte Relativität von Dasein und Sosein gerade in der Verschwommenheit mit zum Ausdmck kommt. Denn das Bewußtsein trennt, was ontisch untrenn­ bar ist. Aus dem gleichen Grunde kann man auch der Neugier, soweit sie dem Zukünftigen gilt, die Beachtung nicht versagen. Denn auch sie ist eine Form des Hinlebens auf das Anrückende, wennschon der Unemst ihrer Einstellung sie himmelweit von denjenigen M e n scheidet, die es im Vorblick mit dem Schicksalhaften des Geschehens aufnehmen. Die Gmndlage der Neugier ist dieselbe antizipierende Haltung — wenn-

schon aus der Unerfülltheit im Gegenwärtigen und aus der Leere der Langewelle heraus —, dieselbe nach vorwärts gerichtete Empfangs­ stellung des Bewußtseins wie in der Erwartung und Ahnung, nur eben mit dem leichtfertigen Gefühlston der Sensationslüsternheit, gleichsam das habituelle Schnüffeln in der Zukunft. S ie steht darin, so paradox es klingen mag, reeller da als die anderen prospektiven Akte: die Unbestimmtheit des Inhalts ist in chr nicht nur absolut geworden, sondem geradezu das Wesentliche. Sie erwartet nicht nur nicht das Bestimmte, ahnt es auch nicht, sondem wül es auch nicht ahnen. S ie fühlt überhaupt nicht inhaltlich vor. Was sonst wohl ungewollt geschieht und zu Enttäuschungen führt, das Überraschtwerden, darauf gerade legt sie es an: sie wlll sich überraschen lassen. S ie will das unvermittelte Bettoffenwerden aus heiterem Himmel; und sie kann es wollen, well sie mit dem Emst des Bettoffenseins nicht rechnet. Und das Eigentümliche ist, daß sie darin ihrer Sache voMommen gewiß ist. S ie spielt ein sicheres Spiel. Denn eben neues Geschehen ist immer int Anzuge. Alle Ungewißheit im Borblick betrifft das Sosein des Anrückenden; hier aber ist nicht das Sosein, sondem nur das Anrücken selbst vorweggenommen. I m Warten auf das Unerwartete als solches erreicht das Vorbettoffensein gerade die der menschlichen Vorsehung adäquateste Form.

30. «apttel. Eigentliche «efühlsakte prospekttver Art. a. Die Akttranszendenz im emotional-selektiven Vorgreifen.

Die Erwartung und chre M arten, hinab bis zur Neugier, sind im Gefühlston neutral. Anders ist es mit Hoffnung und Furcht sowie deren Besonderungen. Zur Aktgruppe der Hoffnung zählt etwa das Hinleben auf Ersehntes, das Aussichthaben auf etwas, das Sich-Freuen auf etwas, bis herab zur Vorfreude, die sich schon in der Gegenwart erschöpft; zur Aktgruppe der Furcht gehören die vielerlei Mschattungen der Befürchtung und Besorgnis, der Ängsllichkeit, sowie die eigentliche Angst. I n diesen beiden Aktgruppen ist das Gmndmoment der Erwartung das Gemeinsame. Neu aber ist die selektive Wertbetontheit. Akte dieser Art sind des Anrückenden als solchen immer gewiß, und darin liegt auch bei ihnen die Realitätsgegebenheit und die Echtheit ihrer Aktttanszendenz. Der Wertakzent dagegen ist in ihnen nicht nur ein Gefühlston des Bor­ bettoffenseins, sondem auch ein Prinzip der subjekttven Auswahl. Die hoffenden Akte rücken im Vorgreifen das Erwünschte ins Blickfeld, sie seligieren das Anrückende zum voraus auf das Wertvolle hin und halten sich einseitig an dieses. Die fürchtenden Akte haben die Tendenz, im

Vorgreifen das Unerwünschte und Widrige, ja das Bedrohliche ins Blickfeld zu rücken; sie seligieren zum voraus das Anrückende auf das Wertwidrige hin — gleichsam fasziniert von seinem unaufhaltsamen Näherkommen — und halten sich ebenso einseitig an dieses. Dem ent­ spricht der Gefühlston des Gehobenseins bei den ersteren, der des Bedrücktseins bei den letzteren. Und je nach dem Dominieren der einen oder der anderen wird die gesamte Lebenshaltung des Menschen eine optimistische oder pessimistische. Es ist klar, daß dieses selektive Gefühlsmoment etwas sehr Subjek­ tives, Umeelles, ja direkt Illusorisches in beide Aktgruppen hineinträgt. Mcht zu vergessen aber ist darüber das Reelle: das Rechnen m it dem Anrückenden als einem eminent Realen, einerlei ob es nun das Ersehnte oder das Gefürchtete und Bedrohliche ist; es ist eben doch das Rechnen m it chm als einem von u n s Unabhängigen und ein Wissen um diese Unabhängigkeit. D er Furcht wie der Hoffnung erscheint das Anrückende unbeirrbar als ein solches, das nur seiner eigenen, an sich bestehenden Gesetzlichkeit, Folgerichtigkeit oder Notwendigkeit gehorcht — sei es nun, daß das Erw artete (Gefürchtete, Ersehnte) eintritt oder nicht —, keineswegs aber durch unser Hoffen, Sehnen, Fürchten herbei­ gesehnt oder abgewandt werden kann. D as Wissen um diese Unabhängigkeit ist dasselbe wie im erkennenden V erhältnis zum Zukünftigen. E s ist nur in diesen Akten ein ganz anders gewichtiges und im Gefühlston selbst uns bestimmendes. D enn an­ gesichts des Ersehnten oder Gefürchteten spürt der Mensch sehr beengend die Grenzen seiner M acht; er „erfährt" sie als die Ohnmacht, dem Glück nachzuhelfen, dem Unheil zu wehren. Und im Hinblick auf das Bedroh­ liche kann dieses Ohnmachtsgefühl sich zum Erdrückenden steigern. I m Gefühlston der Ohnmacht liegt, unbeschadet seiner Subjektivität, gerade das „Reelle" dieser Akte, das ihnen eigentümliche und unaushebbare Realitätszeugnis. Aber es zeugt nicht vom Ansichsein des be­ stimmten Befürchteten oder Erhofften, sondern nur vom Ansichsein des ganzen S tro m es der Ereignisse, sofern wir selbst in ihm stehen und ihm ausgeliefert sind. Am mächtigsten ist dieser Gefühlston in der Fm cht; in ihr wird die Gleichgültigkeit des Anrückenden gegen unser Betroffen­ sein von ihm am meisten schicksalhaft empfunden, und dieses Empfinden ist „reell". I n den Akten des Fürchtens eben hat der Mensch die größte Empfindlichkeit fü r das Realitätsgewicht dessen, was im Anzuge ist. D as wird womöglich noch deutlicher in der Haltung des Gefaßtseins, die er dem Gefürchteten entgegensetzt. M it dieser Haltung vollzieht er bereits im Borbetroffensein die innere reale Umstellung und gibt sich selbst durch die A rt der Bereitschaft das Gegengewicht gegen die Schwere des an sich unaufhaltsam Heranrückenden. H a r t m a n n , Zur Grundlegung der Ontologie.

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b. Das Rechnen mit der Glück-chance. M e r auch in der optimistischen Einstellung fehlt es nicht am Bewußt­ sein der ontischen Gleichgültigkeit des Anrückenden. M e s reine Hoffen weiß sehr wohl darum, daß es sich im Erhofften nur um eine „Chance" handelt, und daß die Entscheidung über sie nicht bei uns steht. Der Optimismus des Höffens und sein positiver Lebenswert liegt nicht in einer subjektiven Steigemng der Chance — etwa zum festen Glauben an ihr Eintreten —, wird also auch vom „Trug der Hoffnung" nicht vernichtet; denn dieser trifft nur die Blindheit des Verblendeten. Das Positive der Hoffnung liegt lediglich im Rechnen mit der glückhaften Chance als einer solchen, gleichsam im Überstrahltsein des dunklen Gegen­ wärtigen von ihr. Darin ist auch die Borfteude reell und keineswegs illusorisch. Denn sie ist selbst schon echte Freude und Erfüllung. Hierin allein, und nicht in einer superstitiösen Gewähr der Verwirk­ lichung, besteht der reelle S inn jenes hohen Pathos, das man gern mit der Hoffnung als einer moralischen Kraft verbindet. Die populäre Vorstellung, als wäre das Ausharren in der Hoffnung ein Verdienst, welches die Erfüllung als eine Art Belohnung sich erringen könnte, entüeidet die Hoffnung ihres echten Transzendenzcharakters. Denn sie nimmt ihr das Bewußtsein, daß die Entscheidung über Erfüllung und Nichterfüllung unabhängig von chr fällt; sie spiegelt ihr einen Einfluß auf den Gang der Ereignisse vor, steigert chr Wesen dünkechaft zu ein­ gebildeter Mtivität, zu einer Art metaphysischen Handelns. S ie läßt so die Hoffnung sich selbst verkennen imb gibt sie damit erst der großen Lebensenttäuschung preis, der zu spät kommenden Einsicht, daß sie sich selbst zum Narren gehalten hat. Daß hiermit auch der sittliche Charakter der Hoffnung als einer Kraft im Leben verkannt wird, beruht auf derselben Verkehrung ihres Wesens, gehört aber nicht mehr hierher. Der Mensch wird durch die Vernichtung der Transzendenz des Aktes um die Macht der Lebens­ bejahung im Mißgeschick gebracht. Denn das Fehlschlagen der Aussicht, die sich starr an eine bestimmte Chance vammert und sie damit zu zwingen meint, muß ihn erdrücken. Berüeinert und gleichsam ins Banale gezogen findet sich dasselbe Verhältnis in allem Spekulieren auf die Glückschance, z. B . in den Hazardspielen, im Lotterieprinzip, ja in mancher Art von Börsen­ spekulation. Was der nüchterne Spieler Kar im Gefühlsunterton hat, ist das Bewußtsein der Gleichgültigkeit des über ihn entscheidenden „Zufalls" gegen sein Wünschen und Hoffen. I n diesem Punkt ist auch er dmchaus reell eingestellt. Erst wenn ihn die Leidenschaft des Glücks­ spieles hinreißt, verliert er dieses Bewußtsein und verfällt der Selbst­ täuschung, als könnte er den „Zufall" zwingen. Aber dann eben ist sein

Verhalten nicht mehr reine Spekulation. Subjektiv angesehen, kommt das, was er sich vortäuscht, geradezu dem Falschspielen gleich. M e denn psychologisch von dieser Selbsttäuschung bis zur Täuschung der Spielpartner — d. h. zum wirklichen Falschspiel — nur ein geringer Schritt ist. c.

Dar Illusorische im

Borbetrofsensein und die Grenze der Akttranszendenz.

Was der Realitätsgegebenheit in den prospektiven Akten entgegen­ steht, ist der Einschlag des Illusorischen. Hoffnung und Vorfreude neigen zum rosigen Ausmalen, Befürchtung und Angst zum Schwarz­ sehen; auch das neutrale Vorgefühl und die Ahnung neigen zur Aus­ schweifung. Bon der einfachen Erwartung und Bereitschaft, von allem schlichten Rechnen mit dem Kommenden als einem Unbekannten unter­ scheiden sich diese Akte durch innere Labilität und „Unreellität". I m Hoffen wie im Befürchten ist stets ein Haschen nach Ahnungen, zugleich aber auch die Tendenz zur Verkennung dessen, was das „Reelle" in der Ahnung ist — daß sie nämlich berechtigt nur damit rechnet, daß überhaupt Anrückendes unterwegs ist. Die Hoffnung nimmt das Ahnen für eine Art Gewähr des Erträumten; sie verfällt damit dem Trug der Träume. Die Angst vollends ist fasziniert von der selbsterzeugten bösen Ahnung. Auch sie verfällt dem Vorgespiegelten, nur mit verhängnisvoll um­ gekehrtem Vorzeichen; ihr Tragen und Sichverzehren am Irrealen, das nie wirllich wird, kann ein sehr reales Tragen sein. Hier ist die Grenze der Mttranszendenz deutlich zu greifen. Mit dem Illusorischen werden diese Akte — soweit eben sie ihm unterliegen — auf ihre „umeelle" Seite zurückgeworfen und verlieren den Wert der Realitätsbezogenheit. Die Illusion bedeutet überhaupt dieses, daß die Fühlung mit dem Ansichseienden verloren geht. S ie ist im Gebiet der emotionalen Akte dasselbe, was die Phantasie im Gebiet der vorstellenden ist. Die Phan­ tasie schweift frei, ohne Realobjekt; dasselbe tut die Illusion, auch sie hat nur noch selbstgeschaffene, intentionale Objekte. Wie das Phan­ tasierte int Vorstellungsbereich keinen Erkenntniswert hat, so das Illu ­ sorische keinen Seinswert. Das ist etwas ganz anderes als das bloße Auseinanderllaffen von intentionalem und realem Objekt. Ein solches gibt es im Irrtu m , in der Täuschung, in der Inadäquatheit, in der Divergenz von Erwartetem und Eintreffendem; das hebt die Akttranszendenz noch nicht auf, löst die Realitätsbezogenheit als solche nicht, es begrenzt sie nur inhaltlich. I n der freien Phantasie dagegen und in der Illusion ist die ganze Be­ ziehung gelöst. S ie treffen mit ihrer Intention überhaupt nicht mehr in den Strom des Realgeschehens hinein, sie haben sich von ihm emanzi-

piert. S ie sind mit ihrer Objektseite an nichts gebunden, erfahren also auch von ihr her keine Berichtigung. S ie rechnen auch nicht mehr mit dem Realen und seiner Gewichtigkeit, Selbständigkeit, Gleichgültigkeit gegen das Tun der W e. S ie spielen vielmehr ihrerseits dieselbe Gleichgültigkeit gegen das Ansichseiende aus — als wäre dieses, sowie das Betroffenwerden von ihm, damit auch ausgeschaltet. Die Phantasie freilich kommt dabei zu ihrem Recht, sie kann sich die ausgespielte Gleichgültigkeit wohl geben, wo sie das Spiel um seiner selbst willen treibt und es nicht für Erkenntnis ausgibt. Die Illusion kann es nicht. Es fehlt chr die Unschuld des Spielens und das Misten um seine Unverbindlichkeit. M t ihrem Ausspielen der Gleichgültigkeit gegen das Reale verspielt sie notwendig im Leben. M e Gleichgültigkeit ist Selbsttäuschung. S ie kann sie sich nicht wirklich geben. Der Strom des Realgeschehens geht über das Vorgespiegelte ebenso gleichgAtig hinweg wie über chr Erträumen und Befürchten und begräbt es in seiner eigenen Mchtigkeit. d. Metaphysische Vorspiegelung und Scheinargumentation.

Etwas besonderes ist es in diesem Zusammenhange noch mit der Angst. S ie ist in weit höherem Maße als Hoffnung, Borfteude oder Befürchtung der Vorspiegelung ausgeliefert; sie ist unter den prospek­ tiven Akten der am meisten illusorische und ontologisch zweideutige. M an ängstigt sich im Leben meist ohne Anlaß zu eigentlicher Befürchtung — etwa wenn eine erwartete Person ein wenig zulange ausblecht —, man malt sich aus, was alles geschehen sein könnte, und suggeriert sich das Ausgemalte an; die unwahrscheinlichste Möglichkeit nimmt Gestalt an. Die Angst ist erfinderisch, ausschweifend und unbelehrbar in der Ausschweifung; so oft sie auch ihre eigene Mchtigkeit erfährt, sie bleibt doch im Selbstbetruge stehen. I h r Wesen ist nicht das Rechnen mit dem wirklich Anrückenden, und sei es auch ein bloß unbestimmtes, sondern die innere Gestörtheit des Gleichgewichts und der subjektive Zwang zur Selbstquälerei. Die Angst ist nicht etwa gegenstandslos. Denn sie ist eindeutig auf das Anrückende gerichtet; und die Unbestimmtheit, in der ihr das Anrückende erscheint, ist wöhlbegründet. M e „Gegenstandslosigkeit", die man chr nachsagt, ist etwas anderes: nämlich gerade das Abschweifen von der Fühlung mit dem wirklich Kommenden — wie etwa die nüchterne Erwartung ihrer fähig ist —, die Neigung zm Verfälschung des vorsehenden Blickes sowie zur teilt subjektiven Erzeugung von Bildem und Vor­ stellungen, die hemmungslos dem wirklich Borsehbaren (und vielleicht auch wirllich zu Befürchtenden) untergeschoben werden. Das also ist das Eigentümliche der Angst, daß die wirkliche Fühlung m it dem

Anrückenden, deren der Mensch sehr wohl fähig ist, in chr zerstört wird. D ie Transzendenz des M e s , die Realitätsbezogenheit, ist auf­ gehoben. E s ist wohlbekannt, daß der T rug und die Q ual der Angst sich bis in die Unabsehbarkeit metaphysischer Perspektiven hinein breit macht. Hier wie im Leben zerstört sie das ruhige Rechnen m it dem Realen. Und das ist der Punkt, in dem auch die Ontologie sich der Verfälschung erwehren muß, die von selbstquälerischen Metaphysikern immer wieder in ihren Problembereich hineingetragen wird. B on alters her ist z. B . die Todesangst der Menschen von spekulativen Fanatikern gewissenlos ausgenutzt worden. S ta tt sie den Unwissenden auszureden, schürte und nährte m an sie m it den gewagtesten Jenseits­ vorstellungen. Und doch liegt es auf der Hand, daß hier jede reelle Fühlung m it dem Kommenden fehlt, jeder Anhalt, ob überhaupt der Tod irgendwie sonderlich wichtig für den Menschen ist. A ls bloßes Auf­ hören — mehr wsssen wir von ihm nicht — ist er es jedenfalls nicht. Erschreckend muß er natürlich für den sein, der das Leben ausschließlich aus dem Belange der eigenen Person heraus führt und die W elt a ß bloß die feinige versteht: die habituelle Verkehrtheit des Sich-selbstWichtignehmens rächt sich am Ich-Menschen. Relativ gleichgültig wird der Tod für den, der sich selbst in unverfälscht ontischer Einstellung a ß geringfügiges Individuum unter Individuen sieht, a ß Tropfen im Gesamtstrom des Weltgeschehens, des geschichtlichen wie des noch größeren kosmischen, und in Ehrfurcht vor dem Großen sich zu bescheren weiß. D as ist die natürliche H altung des Menschen in der noch ungebrochenen Lebensverwurzelung. D as M chtigtun m it dem eigenen Dasein ist immer schon Entwmzelung, künstliche Steigerung des Selbst zum allein Existie­ renden, oder gar superstitiöse Einschüchterung des moralisch aus dem G le ß Geworfenen. S ow eit sie nicht das vitale Widerstreben gegen die Auflösung ist, ist alle Todesangst ansuggerierte, selbstgemachte P ein. D as metaphysische Gaukelspiel der Angst, gesteigert dmch die U n­ m oral zuchtloser Selbstquälerei, ist die unversiegbare Quelle endloser J rm n g . E s berührt wunderlich, wenn m an sieht, daß emsthaste Denker in der Durchbildung philosophsscher Theorien diesem Gaukesspiel ver­ fallen und die Angst zum Ansatz der Selbstbesinnung auf das Echte und Eigentliche des Menschen m achen1). Gerade die Angst ist der deckbar schlechteste Führer zum Echten und Eigentlichen. G erade sie verfällt grundsätzlich jedem Truge — sei es der Tradition oder der selbstverschuldeten Vorspiegelung. D er Angstl ) S o M artin Heidegger in seiner bekannten Analyse der Angst; und zwar mit ausdrücklicher Bevorzugung der Todesangst. E r folgt darin dem unseligste» und raffiniertesten aller Älbstquäler, den die Geschichte kennt, Süren Kierkegaaw.

erfüllte ist von vornherein der zum nüchternen Blick ins Leben und in das Seiende, wie es ist, Unfähige. Er ist prädisponiert, auf jede Täu­ schung hereinzufallen, Und zwar im Leben wie in der Theorie. Er ist auch philosophisch der in die Reflexion nm ettbar Verstrickte, der sich den Mckweg zur intentio recta und zur Einstellung des ontologischen Denkens von Grund aus verbaut hat.

31. Kapitel. Emotional-spontane Akte. a. Die Aktivität imb ihre Art von Akttranszendenz. Der Mensch lebt nicht nur im Erwarten des Künftigen, sei es nun im Gefaßtsein auf Gewichtiges oder im spielerischen Sensationsbedürfnis, sei es im Fürchten oder im Hoffen. Er lebt auch im aktiven Vorgriff in die Zukunft. S ein Begehren, Wollen, Tun, Handeln, ja im Keime schon die innere Stellungnahme, die Gesinnung, ist ein Vorgreifen und Vorbestimmen. D as ist ein Wesensgesetz dieser M e . Der Entscheidung und dem aktiven Zugriff des Menschen steht das, was schon ist, wie es ist, nicht mehr offen: also weder das Vergangene, das er erfahren hat, noch das eigentlich Gegenwärtige, das er zm Zeit erfährt. Beides hat seine vollständige Geformtheit schon an sich, und keine Macht der Welt vermag es zu anbetn. D as einmal Geschehene und Gewordene kann der Mensch nicht mehr beeinflussen. Wohl aber in gewissen Grenzen das noch Ungewordene. Denn er selbst kann seine Entscheidung in die Kette der Bedingungen eimechen, die es im An­ rücken formen. Seiner Initiative steht nur das Zukünftige offen. Das ist der Grund, warum alle aktiven (spontanen) M e prospektiv gerichtet sind. S ie sind es nur in ganz anderer Weise als die antizipie­ renden M e ; denn diese sind noch ganz rezeptiv, stehen im Zeichen des Vorbetroffenseins. I m Wollen und Handeln ist kein Vorbetroffensein, keine Hinnahme, kein passives Offenstehen. S ie sind vielmehr die Grenze des Ausgeliefertseins und der Schicksalhaftigkeit; sie sind Macht, die der Mensch von sich aus der eigenen Ohnmacht entgegensetzt. S ie sind recht eigentlich das Wunder des Menschenwesens: sie bewegen das Anrückende schon im Herankommen, gleichsam aus der F em e; und in den Grenzen menschlicher Vorsehung und menschlicher Machtmittel meistern sie es. Dieses VerhÄtnis ist in der T at ein höchst wunderbares. Was im S trom des Geschehens erfahrbar ist, das ist nicht mehr lenkbar; und was in chm noch lenkbar ist — und gerade solange es lenkbar ist —, nicht erfahrbar. Das ist es, was das Bild vom Schleier besagt, m it dem uns die Zukunft verhangen ist. Wäre aber der Schleier ganz undurchdring­ lich, so wäre uns alles Leben im Vorgriff und damit alles Lenken und Handeln abgeschnitten; das Ausgeliefertsein an das Weltgeschehen wäre

ein vollständiges. Der schmale Riß im Schleier, die eng begrenzte Vorsehung des Menschen — gepaart mit seiner Fähigkeit der Aktivität, d. h. der Realisation des Vorgesetzten —, enthebt chn der Schicksalhafttgkeit. M an sieht, die emotional-spontanen Akte sind ebenso transzendent wie die erfahrenden und die erwartenden. Aber ihre Transzendenz ist von anderer Art. S ie besteht nicht in Gegebenheit des Realen, sondern in der Tendenz, es erst hervorzubringen; wie denn in ihnen nicht die handelnde Person als die betroffene dasteht, sondern umgekehrt etwas in ihrem Lebensumkreis von ihr betroffen wird. Handelte es sich in diesen M e n nur um den Zweck als einen im Bewußtsein gesetzten, so ließe sich freilich die Transzendenz der Akte bestreiten; aber es handelt sich vielmehr von vornherein um die Realisation des Zweckes. Wie denn das Wollen sich nur auf das Erreichbare richtet, auf das also, zu dem es die M tte l sieht, nicht aber auf das Erträumte, zu dem es die Macht nicht hat. Darin unterscheidet es sich vom machtlosen Wünschen und Sehnen. Es kann sich zwar täuschen in seinem Können; aber auch in der Täuschung noch rechnet es von Hause aus mit der realen Chance des Erreichens und bekundet dadurch eindeutig seine Transzendenz. Ersehnen läßt sich auch das Unmögliche. Es wollen aber, im Wissen um die Unmöglichkeit, wäre Wahnsinn. Nicht alles Wollen geht in Handlung über, wohl aber hat alles Wollen die Tendenz, in Handlung überzugehen. Die Tendenz ist ihm wesentlich, anders ist es gar nicht Wollen. I m Willen also ist die Realtranszendenz des W e s immer schon vorvollzogen, sie wartet nicht erst auf die Reali­ sation des Gewollten. Und dementsprechend ist die Realsphäre, in die es vorstößt, immer schon auf M tte l möglicher Realisation hin vorseligiert. Und je bestimmter und umsichtiger diese Selektion sich vollzieht, um so eindeutiger hebt die Transzendenz des teleologischen M e s sich schon im Ansatz von der ohnmächtigen Immanenz des träumenden Wünschens ab. b. Unmittelbare Spontaneität und mittelbare Rezepttvität.

Die Transzendenz der aktiven Akte ist also noch schwerwiegender als die der rezeptiven. S ie ist unmittelbar greifbare Realtranszendenz, eine Kraft, zu lenken und zu wirken, die ihr Realitätsgewicht in der Welt als Eingriff in sie bekundet. Hierdmch rechen sich Wille und Handlung sowie alle ihnen verwandten Akte homogen in den Realzusammenhang der Geschehnisse ein und sind zugleich das Wissen um diese Eimeihung. Auf dem Wissen liegt hierbei der Nachdruck. Denn die Eimeihung geht nicht von chnen allein aus. Alle M e stehen eben im Grunde schon als solche im selben Realzusammenhang

der Geschehnisse; wie denn stets in ihnen schon Reaktion auf Reales ist. W er tut Willens- und Handlungsakt tritt das Eingereihtsein für das Aktbewußtsein selbst greifbar in die Erscheinung. Das handelnde Subjekt kann sich nicht einbilden, daß es unbeteiligt dastände und keine Welt hätte, „auf" die es handelte. Das Handeln ist sein Beteiligtsein in ihr. Und dieses ist ein höchst aktuell bewußtes und das Bewußtsein mit Verant­ wortung belastendes. Es ist schlechterdings unaufhebbar. Und da die reale Welt, auf welche Wille und Handlung sich bezogen sehen, dieselbe ist, auf die sich auch die rezeptiven Akte und das Erkennen bezogen finden, so ist das Ansichsein dieser einen, realen Welt dmch die Realtranszendenz des Willensaktes noch einmal in neuartiger Gewichtig­ keit zur Gegebenheit gebracht. Diese Gegebenheit hastet indessen keineswegs an der M tivität allein und als solcher. S ie haftet noch weit mehr an der mittelbaren Rezeptivität, die alle spontanen M e begleitet und von ihnen geradezu involviert wird. M e s Gegebensein hat eben die Form der Rezeptivität und — bei emotionalen M e n — des Betroffenseins. Es lassen sich berat auch in der T at drei voneinander sehr verschiedene Momente der begleitenden Rezeptivität an den spontanen Akten aufzeigen, in denen dem Wollenden und Handelnden Reales zur emotionalen Gegebenheit kommt. An erster Stelle steht hier jener Widerstand des Realen gegen die Aktivität, der — wie oben gezeigt wmde — eine Spezialforra des Erfahrens ausmacht. Auf Gmnd der aufgewiesenen Realtranszendenz der spontanen M e läßt sich dieses Phänomen jetzt tiefet ausschöpfen. M e s menschliche Tun stößt vor in einen Realzusammenhang, der seine feste Bestimmtheit schon hat. I n ihm findet es seine Mittel, aber auch die Grenzen dessen, was ihm möglich ist. Realisieren läßt sich in ihm nur, wozu sich in ihm die Mittel darbieten. Mcht erst Gelingen und Mißlingen im Erfolg entscheiden über die Realisierbarkeit menschlicher Zwecke; in Wahrheit sind schon int Wollen selbst die Mittel einkalkuliert und ihnen entsprechend — in den Grenzen des Borsehbaren — die Zwecke auf Erreichbarkeit hin vorseligiert. Wo das Realisieren eine lange Kette von Einzelaktionen umfaßt, da spielt es sich im ständigen Ringen mit der veränderlichen Chance ab. Es bewegt sich in immer neuem Ansetzen, Fortführen, Mißlingen, Zulemen, Versuchen und Wiederansetzen. Es ist ein Vorwärtskommen, in dem jeder Schritt dem Widerstande des Realen abgerungen werden muß. Was wir im Leben „Arbeit" nennen, ist wesentlich ein solches W ringen, einerlei von welcher Art die Arbeit sei. Mcht die Leistung allein macht Arbeit aus; es gehört ebensosehr der eigenartige Modus der Erfahrung zu ihr, der die Leistung erst ermöglicht. Der Mensch „erfährt" stets erst in ihrem Verlaufe die Sache, an der er arbeitet.

Die Sache aber erschließt sich ihm im Widerstande, den sie leistet, — in ebendem also, wodurch sie sich ihm zu verschließen scheint. Am Wider­ stand der Sache bekommt er das Gewicht ihrer Bestinlmtheit zu fühlen. Er ringt mit ihrer Eigengesetzlichkeit. Und indem er sie so erfährt, ringt er sie ihr ab und lernt sie beherrschen. Was so am Widerstand der Sache erfahren wird, ist nicht nur die Härte ihrer Realität, sondem auch die eigene Kraft des Menschen, ihrer Herr zu werden. Auch diese Kraft, wiewohl sie im Eindringen, Verstehen und Sichanpassen besteht, ist eine reale, und die Erfahrung, die der Mensch mit chr macht, ist Realerfahrung.

c. Das Rückbetroffensein der Person in der eigenen Handlung. Die M tivität im Wollen und Handeln ist nicht auf Sachen als Realobjekte beschränkt. S ie geht weiter auf Personen. Auch die Arbeit geschieht nicht um der Sachen willen; das Interesse der Personen steht in ihrem Hintergründe. D as Handeln im engeren Sinne vollends ist stets ein solches an Personen und gegen sie. D as „zweite" und eigentliche Real objekt der Handlung, des Wollens, ja schon der Gesinnung, ist die fremde Person. S ie ist die in diesen Mten unmittelbar betroffene. Darauf beruht das zweite Moment der Realitätsgegebenheit in den spontanen M e n . Zunächst freilich scheint es umgekehrt zu sein. Nicht der Handelnde ist der betroffene, sondern der Behandelte; der Handelnde kann, so scheint es, höchstens den Widerstand der fremden Person erfahren, ihre Abwehr, ihren Gegenschachzug. Aber nicht darum ist es hier zu tun; das gehört zum Mderstandserlebnis. Es gibt indessen noch eine andere Art, wie der Handelnde die fremde Person als Realobjekt erfährt. Eben dadmch, daß der Andere der betroffene ist, erfährt der Handelnde in seiner Handlung, daß Handlung und Wille von der betroffenen Person zurückstrahlen — auf die eigene Person, ja daß sie die eigentümliche Macht haben, diese sehr eindeutig und sehr empfindlich zu „treffen", zu „zeichnen", sie gewissermaßen abzustempeln. Es sind die scheinbar unwägbaren, jenseits des Realen verwmzelten Momente von sittlichem Wert und Unwert, die auf den Handelnden zurückfallen und dann als die seinigen ihm anhaften — er mag das nun anerkennen oder ablehnen, einsehen oder verkennen. Nicht um den idealen Gehalt der Werte handelt es sich hierbei, sondem um Erfüllung und Verfehlung der idealen Forde­ rung, die von ihnen ausgeht, im realen Verhalten des Menschen. Damm haben sie in der Welt des menschlich Wirklichen ein Realitätsgewicht, das sich ins Ungeheure steigem und jede äußere Härte des Realen über­ treffen lernt. Dieses Gewicht besteht nicht in der Auffassung des Menschen vom Wertvoll» und Wertwidrigsein. Es liegt vielmehr aller Auffassung und

aller Deutung schon zugrunde. Es ist ein unaufhebbares Elementar­ phänomen, daß Handlung und Wille ihre Wertprägung durch eben das erfahren, was sie in der realen Welt an realen Personen anrichten — wobei das Anrichten nicht etwa erst im äußeren Geschehen (im Erfolg) liegt, sondem schon in der Intention. Denn das Anrichten hat schon in der Intention des Handelnden und Wollenden sein Gewicht im Be­ troffenwerden von Personen. Dieses Gewicht fällt zurück auf den, der es so gewollt hat. Es belastet ihn, „zeichnet" ihn, ist ein ihn rückbetreffendes. Er kann dem Zurückfallen des Gewollten auf ihn — sei es als Schuld oder als Verdienst — auf keine Weise entgehen; es voll­ zieht sich an ihm ohne sein Zutun, als Fluch oder Segen seiner Tat. Denn es besteht nicht in seiner Meinung, auch nicht im Werturteil der Mitmenschen allein, sondern an sich. Es ist unaufhaltsam, ein echtes, reales „Rückbetroffensein", nicht weniger als das direkte Betroffensein vom äußeren Widerfahrnis. Es „widerfährt" eben tatsächlich dem Schuldigen als innere Folge der T at; und er „erfährt" es innerlich nicht anders, als er die sichtbaren Folgen seiner Tat äußerlich erfährt. Dem entspricht denn auch die Art, wie es von ihm selbst erlebt und empfunden wird. Empfunden nämlich wird das Rückbetroffensein gerade als ein vom Empfinden Unabhängiges, als ein schicksalhaft über den Schuldigen Hereinbrechendes, ihn Über­ fallendes und in seiner Weise Unerbittliches: es fällt ihm zu als etwas, das er tragen muß, das er nicht abschütteln kann, auch wenn es ihn zu­ innerst bedrückt und bedrängt. I n kurzer Formel besagt das: dieses über uns Hereinbrechende, von dem wir im eigenen Wollen und Handeln rückbetroffen sind, wird im Mckbetroffensein selbst von uns als ein eminent Reales erfahren. d. D as Realitätsgewicht von Personen für Personen.

Käme es hierbei nur auf die äußeren Folgen der Taten an, so wäre das moralische Mckbetroffensein nur eine besondere Form des Erfahrens. S o entspräche es der Auffassung der Erfolgsethik. Das wahre Gewicht des Ethos wurzelt tiefer: in den ersten Ansätzen der Initiative, im keimhaften Wollen, in der inneren Haltung. Schon die Gesinnung als solche, aus der Tat und Untat entspringen, zeigt vor allem bestimmten Wollen die Transzendenz des Gerichtetseins auf die fremde Person. S ie ist dadurch schon von Hause aus, im Ansinnen, durch sittlichen W ert und Unwert gezeichnet, steht schon unter dem Mckbetroffensein von dem, was im Augenblick der Entscheidung aus ihr hervorgehen kann. Und das kann nicht anders sein; denn schon in ihr als erstem Ansatz der möglichen Intention ist das Betroffensein der fremden Person vorweg­ genommen.

Es stellt sich hierbei heraus, daß in praktischer Hinsicht — und das ist die im Leben maßgebende Hinsicht — das Seinsgewicht von Personen für Personen ein aktuelleres und unmittelbarer empfundenes ist aC das von Sachen und Sachverhalten. Bon den Sachen aus und von unserem Schalten mit ihnen, soweit keine Personen mitbetroffen sind, gibt es kein eigentliches Rückbetroffensein der eigenen Person. Dem entspricht die Tatsache, daß keine skeptische oder idealistische Theorie den Personen in gleicher Weise die Realität abzusprechen gewagt hat wie den Dingen. Diese Einsicht hat in der Neuzeit bereits ihre Geschichte. Es gibt Theorien, die unter ihrem Eindruck den Personen allein die eigentliche Realität zusprechen, die sie den Dingen absprechen. Damit hypostasiert man den Unterschied der Gegebenheit zu einem Unterschied des Seins — ein Fehler, dem wir schon mehrfach begegnet sind. Demgegenüber ist festzuhalten: Personen und ihre Akte haben nicht höhere „Realität" als Dinge und Dingverhältnisse; sie gehören nur einer höheren Schicht des Realen an, haben die unvergleichlich höhere Seins- und S trutturftille, sie sind die inhaltlich höheren Gebilde. Sie haben deswegen für uns die weit gewichtigere Art der „Realitätsgegebenheit"; denn die Gegebenheit hängt nicht an der Seinsweise, sondern an der praktischen Relevanz. Die Seinsweise selbst aber ist gerade die gleiche, wie denn Personen und Sachen gemeinsam miteinander in einer realen Welt und einer Realzeit bestehen und gerade durch diesen Seinszusammen­ hang auf e in e r Ebene die Fülle der Situationen heraufführen, die stets ebensosehr fach- als personbedingt sind. Das ontologische Grundphänomen der Realität als solcher ist gerade die Einheit der Seinsweise in der Mannigfaltigkeit der SeinShöhe und der menschlichen Relevanzen. Der Grund des Unterschiedes der Gegeben­ heit aber liegt in der unermeßlich reicheren emotionalen Verbundenheit zwischen Person und Person. Es ist die unübersehbare F M e und Ge­ wichtigkeit der emotional-transzendenten Akte, in denen diese Ver­ bundenheit sich auslebt. Z u Sachen und Sachverhältnissen gibt es von uns aus keine Verbundenheit von gleicher Tiefe und Innerlichkeit. Damm hat die Skepsis so leichtes Spiel, wenn sie das von ihr bestrittene Verhältnis der Transzendenz auf Dinge allein bezieht. D as eben ist ihr Fehler: sie tut, als gäbe es eine reale Welt der Mnge, die nicht zugleich die Welt der Personen und ihres Schaltens mit Dingen in bezug auf Personen wäre. e. Scheinbare Gespallenheit der Realität. Fehler der Theorie.

Die Skepsis verschweigt das Realitätsgewicht der Personen; der Personalrealismus erkennt es, aber er verschweigt seinen unaufhebbaren

Zusammenhang mit dem Semsgewicht der Dinge. Beides ist Halbheit, beides ist widersinnig, sobald man das Ganze des einschlägigen Phänomenzusammenhanges vor Augen hat. M an kann nicht den Personen die Realität lassen, die man den Dingen und Geschehnissen bestreitet. Mel zu tief sind dafür die Personen in den Realzusammenhang der Ge­ schehnisse hineingestellt und allseitig bort ihm betroffen. Sind sie real, so ist auch ihr Betroffensein ein reales. Dann aber ist auch die ganze Sphäre, in der ihr Leben und ihr Ringen um Besitz, Güter, Macht usw. sich abspielt, eine reale. Sind Dinge und Geschehnisse nicht real, so auch nicht das Betroffensein von ihnen; dann aber auch nicht die betroffenen Personen. Realität ist kein Seinsvorzug bestimmter Wesen. S ie wächst nicht mit der Seinsform, mit der Organisation, mit der Werthöhe. Sie kommt entweder allem zu, was in der Zeit entsteht und vergeht, oder keinem. E s hat keinen Sinn zu meinen, der Mensch sei realer als die Luft, die er atmet — oder auch umgekehrt, die Luft sei realer — ; denn das Atmen selbst kann nur entweder ein realer oder ein nicht realer Prozeß sein. I m ersteren Falle sind beide real, im letzteren beide irreal. Die Spaltung der Realität ist der Fehler der Theorie. Vielmehr ist der Schluß so zu ziehen: gibt es im Mckbetroffensein der eigenen Person eine unaufhebbare Gegebenheit fremder Personen im vollen Gewicht ihres Realseins, so überträgt sich dieses Gewicht notwendig auf die ganze Sphäre, in der sich das Leben der Personen abspielt, also aus Dinge, Geschehnisse, Verhältnisse, Situationen, kmz auf den ganzen Weltzusammenhang, aus dem ihr Leben ein Aus­ schnitt ist. Das ist im Grunde eine sehr einfache Weisheit. Wie die Dinge in das menschliche Tun einbezogen sind, so das Sein der Menschen in das dingliche Geschehen. Ein fallender S tein kann den Menschen erschlagen, und er erschlägt dann mit dem Leibe auch das von ihm getrogene geistige S ein der Person. Nur metaphysisches Borutteil konnte einen so schlichten und geläufigen Zusammenhang verkennen. Setzt man ihn wieder in seine Rechte, so gewinnt die Ontologie aus dem Gewicht des praktischen Lebens und speziell des Ethos die stärkste und unaufhebbarste Gegebenheit der Realität — und zwar nicht für die höchsten Formen des Realen allein, sondem für das Ganze des Weltzusammenhanges. Denn dessen einheitliche Seinsweise ist unab­ hängig von ihrem Gegebenheitsmodus gewiß.

32. Kapitel. Innere Aktivität und Freiheit. a. Die Eigenart interpersonaler Verbundenheit.

Eine besondere Sache ist es noch mit den Gesinnungsakten, sofern sie diesseits alles Handelns, ja aller Zielsetzung stehen. Es liegt nah, Wohlwollen und Neid, Sympathie und Eifersucht, Verehrung und Verachtung, Haß und Liebe für etwas rein Inneres zu halten, das aller Transzendenz entbehrt; man hätt dann die Gegenstände dieser M te für rein intentionale. Das Umgekehrte ist der Fall. Gerade das intentionale Objekt läßt sich an chnen schwer aufzeigen — es sei denn, daß man es rein schematisch als Aktkorrelat versteht. Memals aber ist ein echter Gesinnungsakt ohne Realobjekt. S ein Realobjekt aber ist jedesmal Person. Niemand kann lieben oder hassen, ohne „jemand" zu lieben oder zu hassen. Und selbst wo es sich um etwas Bestimmtes an jemand handelt, das man liebt, ist doch die Person mit betroffen. Man kann freilich Naturerscheinungen bewundem; aber da ist das Bewundern mehr ein Bestaunen, nicht eigentliche Gesinnung gegen das Bestaunte, und kommt ihm auch nicht eigentlich zugute. Und der Staunende weiß um das Nicht-zugute-Kommen und Unbetroffen-Bleiben des Objekts. M an kann andererseits das Gold verachten, das Eisen verehren, man kann ein Land oder eine ©tobt lieben, an Gebrauchsgegenständen hängen. M an verachtet aber in Wahrheit die Macht, die den Menschen herab­ zieht, verehrt die Waffe, die chn adelt, liebt den Lebensraum, der sein Boden und das Feld seiner Taten ist, hängt am stummen Zeugen seiner Arbeit und seines Fleißes. S tets ist das Sein der Person mit hinein­ genommen, und die Gesinnung gilt mittelbar ihr. Was dagegen wirklich in der Gesinnung verschwindet, ist das teleo­ logisch-aktive Moment. Es setzt nicht ganz aus, aber es ist ins Potentielle zurückgesunken; oder vielmehr es ist noch nicht zur Aktivität erwacht. Damit verschwindet der bestimmte Zweck als Gegenstand aktiver In ten ­ tion und mit ihm der bewußt antizipierende Charakter des M e s . Potentiell aber besteht er. Und er bleibt fühlbar im steten Ausbrechen­ können. Diese Fühlbarkeit der Gesinnung — z. B. die der Erbitterung gegen den rücksichtslosen Ausbeuter persönlicher Lebenslage — besteht sowohl im Träger der Gesinnung als auch in der betroffenen Person. Und zwar ist sie für beide zugleich ein Vorgefühl möglichen Ausbrechens. Der Wille schlummert nur in der Gesinnung und mit ihm die T at; oder er ist festgehalten durch die Ohnmacht zur Tat. Bei der ersten Chance wird er freiwerden und in Aktion übergehen. Jnsofem liegt auch in der Gesinnung schon Aktivität und Antizipation, und mit ihr

das Rückbetroffensein der eigenen Person und die Realgegebenheit der fremden. Ä ese Gegebenheit kommt indessen noch anders zum Ausdruck. S ie der Wille sehr bestimmt mit fremdem Willen rechnet, ihn in seine Chance einbezieht, ihm zu begegnen sucht, so rechnet auch die Gesinnung schon mit der fremden Gesinnung. J a , dieses, daß sie wesenhast einer Person gilt, bedeutet in erster Linie eben, daß sie der Person als einer bestimmt gesinnten gilt. Man verehrt und verachtet nicht wahllos, auch nicht auf Äußerlichkeiten hin, sondern auf die innere Gesamthaltung, d. h. auf die Gesinnung hin. M an bewundert Edelmut und Opferfähigkeit, verachtet Kleinlichkeit an einer Person, man liebt sie im Bewußtsein ihrer Güte, ihres Freimutes, ihrer moralischen Überlegenheit. M e Gesinnung ist schon auf Gesinnung bezogen. Wir kennen sie im Leben gamicht isoliert für sich. I m lebendigen Gegenüber der Personen ist diese Bezogenheit eine allseitige und durchgehende. S ie bindet die Menschen in chrem vielschichtigen Miteinandersein noch mit einem anderen, tieferen und elementareren Bande aneinander als S tile , Handlung, Erleben und Erfahren. S ie bildet ein Netz höchst aktueller, realer Beziehungsfäden, durch welches die Personen vor aller bewußten Besinnung in zutiefst empfundener Wirklichkeit einander gegeben sind. S ie ist eminente Realitätsgegebenheit. b. Die primäre Gegebenheit in der Stellungnahme.

Dieses Band legt sich nicht erst sekundär über die drastischere Ver­ bundenheit, über das härtere Betroffensein dmch die Handlung. Es präexistiert immer schon als ein darunter liegendes, und alle drastisch ins Bewußtsein tretende Realitätsgegebenheit erhebt sich schon auf seinem Hintergmnde — dergestalt, daß die primäre Gegebenheit der Personen stets schon in sie hineingenommen ist. Wie eigentlich ftemde Gesinnungen uns gegeben sind, ist steilich eine sehr rätselhafte Sache. D er ontische Modus des Kontaktes ist dmch ein kompliziertes Netz von Faktoren bedingt. Aber die Gegebenheit selbst ist deswegen doch nichts weniger als zweifelhaft. Sie ist auch nicht rätselhafter als andere Gegebenheit, z. B. die sinnliche der leiblichen Erscheinung. Und a ls Gegebenheit selbst betrachtet, ist sie vollkommen einfach. S ie besteht als Phänomen unabhängig von ihrer Auflösbarkeit in Faktoren. D as Phänomen aber ist dieses, daß Personen überhaupt uns zunächst in ihren Gesinnungen gegeben sind, und nicht in ihrer äußeren Er­ scheinung, ihrem Gebühren, Tun, Bewegen, Ausdruck. Diese Momente spielen überall mit, sie eben sind ohne Zweifel Faktoren der Gegeben­ heit; aber sie sind nicht das Erste, das mit seinem Realitätsgewicht ins

Bewußtsein tritt. Das erste Personbewußtsein hat die F onn der inneren Stellungnahme; es ist das „sich in bestimmter Weise Berührtfühlen" von einem Menschen, die empfundene Mlehnung, das Abgestoßensein oder Hingezogensein, das Sichöffnen und Sichverschließen, Vertrauen oder Mißtrauen, das Nähe- oder Distanzgefühl. Diese Momente sind es, welche die sogenannten ersten Eindrücke beherrschen. Und sie bleiben bestimmend in allen späteren, reflektierteren und „objektiveren" Ein­ drücken. Sie werden freilich auch überdeckt von diesen; oft zum Schaden der echten Realitätsgegebenheit, sie werden verfälscht durch bewußte Maßstäbe, Begriffe, Konventton. Aber die leiseste Erfahrung, die an sie anllingt, holt sie wieder hervor und beweist damit ihr Zugrunde­ liegen. Diese Gesinnungsmomente, als erste Beantwortung fremder Ge­ sinnung, sind nicht nur in hohem Maße prospekttv — indem sie uns sagen, was wir von den Menschen zu gewärtigen haben —, sie sind auch bereits ein inhaltlich sehr besttmmtes und aktuelles Betroffensein der eigenen Person von der fremden. Und insofern liegt in chnen eine erste, allem weiteren vorangehende Realitätsgegebenheit. (Sofern aber Personen nicht eine eigene Seinsweise beanspruchen können, sondern die der übrigen Welt teilen, in der sie stehen, so überträgt sich diese Ge­ gebenheit, ebenso wie bei Handlung und Wille, aus das Ganze der realen Welt. c. Die Rolle der Situation und ihre Gegebenheitsform.

Am Wollen und Handeln tritt indessen noch eine brüte Form des Realobjekts neben der Sache und der Person auf. Das ist die jeweilige Situation, in der und an der es zu handeln gilt. Alle Jnitiaüve des Menschen ist situationsbedingt, zugleich aber auch situattonsgestaltend. S ie ist hervorgemfen von der Lebenslage, gleichsam herausgefordert von ihr, stößt aber selbst wiederum formend in sie vor. Dieses Verhältnis zeigt wieder eine neue Form der Realitätsgegeben­ heit. Die Situation, in der wir handeln, wählen wir uns nicht nach Belieben. Wir können, wo wir sie kommen sehen, höchstens in gewissen Grenzen vorbauen oder ausweichen; aber selbst im Ausweichen beschwören wir die neue ungewollte Situation herauf, und im allgemeinen sehen wir sie nicht einmal kommen. Die Situation kommt ungerufen, sie überfällt den Menschen, er „gerät" in sie. Ist er aber einmal in sie ge­ raten, so ist er auch in chr gefangen: er kann nicht „zurück" aus ihr, er müßte denn das Geschehene ungeschehen machen, was onttsch unmöglich ist; er kann auch nicht „seitwärts" ausweichen, auch dafür ist es, wenn sie einmal eingetreten, zu spät. Er muß also „vorwärts", nach dem Gesetz der Zeit, die niemals stillsteht; er muß hindurch. Und das besagt, er muß

handeln. Er muß entscheiden, was immer durch die besondere Art der einmal gewordenen Situation ihm zu entscheiden zuM t. Darin hat er keine Freiheit, ob überhaupt er handeln und entscheiden will oder nicht. Tatsächlich entscheidet er auch stets so oder so, wie immer er sich verhalten mag. Er entscheidet und handelt tatsächlich auch dann, wenn er unentschieden und untätig das Eingreifen vermeidet. Es hilft ihm nichts, daß er sich um das Handeln drückt. Das Unterlassen ist auch ein Handeln, und was es in der realen Welt anrichtet, ist von derselben Folgenschwere wie das aktive Tun; wie denn die Mitbeteiligten der Situation vom Unterlassen ebenso betroffen sind, die eigene Person aber ebenso rückbetroffen ist. Wie sich der Mensch auch stellt, zum Handeln zwingt chn die Situation unter allen Umständen. Wie aber er zu handeln hat, schreibt sie chm nicht vor. Darin hat er Freiheit. S o ergibt sich die ontisch eigenartige Sachlage: die Situation, in die er gerät, ist für ihn zugleich Unfrecheit und Frecheit, Zwang und Spielraum. S ie ist Zwang zum Entscheiden überhaupt, Frecheit aber darin, wie er entscheidet. Hält man diese beiden Momente zusammen — und sie hängen nun einmal unlösbar zusammen —, so tritt das Paradoxe im Wesen der Situation deullich in die Erscheinung: der Mensch ist durch die Situation, in die er gerät, zur freien Entscheidung genötigt. Oder in Kürze: die einmal gewordene Situation ist für ihn der „Zwang zur Frecheit". Das eben heißt es, daß er chr nicht „rückwärts" noch „seitwärts" aus­ weichen kann, daß er nur durch sie „hindurch" kann, daß aber die Art, „wie" er durch sie hindurchkommt, bei ihm steht. Könnte er sich bloß treiben lassen, ohne überhaupt auch anders zu können, der Zwang wäre ein vollständiger, und es bliebe ihm keine Frecheit. S o aber sind die Situationen des Lebens nicht. S ie nötigen weder zur Untätigkeit noch zu bestimmtem Tun, wohl aber zur Entscheidung zwischen dem einen und dem anderen. S ie fordern den Menschen heraus zur Entscheidung, appellieren an seine Frecheit. Damit nötigen sie zur Betätigung der Frecheit. Gerade als freies Wesen also „erfährt" der Mensch die Situation als einen Zwang. Er erfährt sie somit als reale Macht, und zwar als eine solche, die ihn nicht nur äußerlich, sondern zuinnerst, im Wesenskern der Personalität betrifft. Der Realzwang zur Freiheit, der von ihr ausgeht, ist ein besonderer und neuer Modus seines Betroffenseins von der realen Welt, in der er lebt. Denn dieses Betroffensein greift tiefer als jedes andere. Es ist kein bloßes „Widerfahmis", was ihn hier betrifft, es ist das unaufhaltsame Hineingedrängtwerden in Verant­ wortung und Schuld. Denn ohne die Gefahr des Schuldigwerdens

kann er im Wertkonflikt nicht Entscheidung fällen. Den Wertkonflikt aber führen die Situationen herauf. Die Schicksalhaftigkeit der Widerfahrnisse ist nur eine äußere, und wertn sie noch so schwer ist. Die der Situationen — auch wenn diese noch so fließend, vergänglich, ephemer, unwägbar sind — ist eine innere. Denn sie betrifft das moralische S ein des Menschen. Was er unter dem „Zwang zur Freiheit" entscheidet und anrichtet, fällt aus chn zurück. Nun aber besteht das Menschenleben wesenllich in der ununterbrochenen Kette der Situationen, es wird von ihr dauernd in Atem gehalten. Und jede einzelne Situation fordert den Menschen zur Tat heraus, der Tat aber folgt das Rückbetroffensein. Es ist ein einziges, andauerndes Belastetsein durch die nicht abreißende Kette von Anforderungen an seine Frecheit. Er erfährt darin — in noch einmal anderer und tiefer einschneidender Weise — die Härte des Realen. Er erfährt sie mit dem Organ seiner Freiheit.

III. Abschnitt

Reales Leben «ad Realitätserkeuntnis.

33. Kapitel. Der Lebenszusammenhang als seiender. a. Der Inbegriff der Akttranszendenz als realer Leben-modus.

Die Reihe der emotional transzendenten Akte ist mit den behandelten drei Gruppen nicht erschöpft. D as sind nur diejenigen, die sich annähernd isolieren und analysieren lassen. Die Isolierung aber verdunkelt zugleich eine wesentliche Seite an ihnen, den unlösbaren Aktzusammenhang. Eine Stille weiterer, schwer differenzierbarer M e hängt damit zusammen; sie bildet ein Geflecht von ineinandergreifenden Bezogenheiten des Menschen auf die Welt — von den primitivsten bis zu den geistigsten — und geht, dem reflektierenden Bewußtsein zugrundeliegend, gleichsam unterirdisch durch alles hindurch. Der reale Strom des Bewußtseins und der reale Strom des Weltgeschehens begegnen sich in chr, und alle be­ sondere Realitätsgegebenheit spielt in ihrer Sphäre. S ie ist, im ein­ zelnen kaum greifbar, im Gesamteffekt das Leben. Der objektive Lebenszusammenhang im weiten Sinne, wie er in den aufgezeigten M e n stückweise — gleichsam an Musterbeispielen — hervorgetreten ist, kann als durchgehende Gegebenheit erst in der Fülle dieses Geflechtes erschöpft werden. Um sein reales Ansichsein, sofern es in einem Gesamtphänomen als Einheit faßbar ist, handelt es sich jetzt. Zn seiner unübersehbaren Bielspältigkeit ist eines durchgehend einheit­ lich: die Transzendenz der M e selbst und das Ansichsein dessen, worauf H a r t m a n n , Zur Grundlegung der Ontologie.

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sie sich richten. Die einzelnen M e selbst verschwinden hier ganz im M gefüge. Ih re Transzendenz aber verschwindet nicht, sie gerade ist noch am Gesamtphänomen des Gefüges ebenso unmittewar aufweisbarwie an den einzelnen Mttypen. S ie ist eine dmchgehende, auf der ganzen Linie der Aktmannigfaltigkeit identische; und das ist für das Realitätsproblem das wesentliche; denn es beweist, daß das Über­ gehen der inneren in die äußere Realität ein allseitiges ist. Der Be­ wußtseinsstrom gliedert sich dem S trom des Weltgeschehens ein und ist zugleich das Bewußtsein dieser Eingliederung. Er ist es im Ganzen wie im Besonderen, ohne Mcksicht auf Verflochtenheit und Isolierbarkeit der M e . Denn nur das Gewicht des Betroffenseins ist verschieden, der Seinsmodus des Erfahrenen ist derselbe. Es kann sich hier nicht darum handeln, diese Mannigfaltigkeit zu durchlaufen. Nur um Ergänzung des Gesamtbildes ist es zu tun. Dazu gilt es, noch einige allgemeine Grundtypen der Eingliederung zu er­ fassen, die keineswegs mehr in einer bestimmten Mtsorm aufgehen, sondern das ganze Aktgefüge voraussetzen. Bon solcher Art ist die Wert­ fühlung im Erleben, der Umgang mit Personen, das Schalten mit Dingen, das millebende Drinstehen in sozialen, kulturellen, geschicht­ lichen Verhältnissen sowie das Einbezogensein in die kosmischen Zu­ sammenhänge. b. Das Realitätsgewicht in den Wertbezügen. Am Menschen gibt es für den Menschen schwerlich etwas, was nicht bestimmte Wert- oder Unwertakzente trüge. Dabei geht es nicht um inoralische Werte allein; Bitalwerte, Glückswerte aller Art spielen mit, desgleichen ästhetische Werte und die ganze Mannigfaltigkeit geistiger Güterwerte. Jedes menschliche Verhalten, jeder Gefühlsausdruck, jede Reaktion ist ansprechend oder befremdend, man fühlt „dafür" oder man fühlt „dawider". Auch wo sie unbemerkt bleiben, sind diese Akzente vorhanden und geben allem die Färbung. Alles ist von der inneren „Wertantwort" begleitet; die neutrale Auffassung des Menschlichen ist nur ein Grenzfall, der rein wohl erst in der theoretischen BesinnMg vorkommt. I m Leben selbst ist er schwerlich jemals gegeben. M e Reaktion des Wertgefühls ist keineswegs an eigentliches Betroffen­ sein der eigenen Person gebunden. S ie begleitet nicht die transzendenten M e der ftemden Person allein, sondern schlechterdings alles, was an ihr in die Erscheinung tritt, ihr ganzes (Sofern. Wie jemand geht und steht, zupackt und spricht, sich verbirgt oder zeigt, wie er mit Schwierigkeiten ringt oder selbstvergessen sich einem Eindruck überläßt — alles löst Freude, Entzücken, stilles Einvemehmen oder auch Ablehnung und Abkehr aus.

33. Kap.

Der Lebenszusammenhang als seiender.

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Ähnliches gilt von der Auffassung aller Gegenstände, Dinge, Gescheh­ nisse, Verhältnisse, Situationen. Es sind nur andere Werte, die sie bestimmen. Wohl kann uns auch manches gleichgültig lassen, aber eine scharfe G reife der Wert-Unwert-Betontheit gibt es im Leben nicht; sie verschwimmt, schwankt — je nach dem eigenen Geöffnet- oder Berschlossensein. Aber wo immer die Wertakzente auftreten, sind sie nicht nachträglich, sondern zugleich mit der Auffassung der Sache da. F ü r diese allgemeine, durchgehende Wertfühlung nun ist es charak­ teristisch, daß sie ein durchaus transzendentes Aktmoment ist, daß also ihre Gegenstände als real ansichseiende gegeben sind. Nicht um die Werte in ihrer reinen Idealität handelt es sich in ihr, sondern um Gegebenheit eines „Realen" als eines wertvollen oder wertwidrigen. Und gerade von diesen Wertakzenten her hat das erfahrene Reale im Leben eine eigene Gewichtigkeit, ja Aufdringlichkeit für uns. M an sieht das sehr deutlich, sobald man ein Beispiel von tieferer Wertbetontheit wählt. Ich bin etwa Zeuge, wie ein Mensch roh behandelt oder ein notorisch Harmloser verleumdet wird. Das Ganze geht mich nichts an, ich weiß auch, daß es tausendmal geschieht, ohne daß ich es zu ändern vermag. Aber „daß" eshierund jetzt geschieht,untermeinenAugen, harte Wirklichkeit ist, geht mir nach, läßt mir nicht Ruhe. Die Realitäts­ schwere des Unrechts als eines geschehenen, resp. seine Wertwidrigkeit a ß die eines Realen, macht das Gewicht des Eindrucks aus. Wäre die Sache roertinbiffetent, ihr Realsein würde mich nicht berühren. Wäre sie ein bloß gedachter Fall, so wäre die Ablehnung auch eine bloß gedachte, wäre nicht wirlliche — d. h. nicht aktreale — Wertreaktion in mir. Nur das real geschehene Umecht löst die reale Gefühßverletzung aus. M gemein also: nur das Wertwidrigsein oder Wertvollsein eines „Realen" ruft die lebendige, wirlliche Wertantwort hervor. Das gilt streng allgemein von aller und jeder wirüichen Wertreaktion, auch da, wo es sich nur um Angenehmes oder Unangenehmes, um Nützliches oder Nutzwidriges handelt, um Lästiges, Förderliches, Erfreu­ liches, oder was sonst es sei. Überall beantwortet das Wertgefühl mit wirllichem Einsatz nur das Reale, nicht das Erdachte oder bloß Vorge­ stellte. M an würde sich doch nicht „auffegen", wenn das Auffegende nicht wirllich geschehen wäre. Wo der Dichter es an seinen Gestalten erscheinen läßt, wo der Schauspieler im Rampenlicht es natmwahr darstellt, da fehlt denn auch die eigentliche Schwere der Wertreaktion. S ie ist wohl da, Ringt gleichsam an, aber es fehlt chr das Realitäts­ gewicht. Das Wertgefühl im Leben selbst hat diese ontologische Funktion, daß es dmchgehend an allem Realen, das uns begegnet, das Wert-

betonte und Unwertbetonte heraushebt und in seinem Realitätsgewicht fühlbar macht. W r fühlen eben das unverrückbar Reale in seiner Härte am stärksten dort, wo es das Wertgefühl tangiert. Weder das Wert­ indifferente noch das Irreale regt uns auf. Der Umkreis des Erlebten und Erfahrenen ist von vornherein dmch das Ansprechen der Wertantwork seligiert. S o kommt es, daß die Werlfühlung im Leben, obgleich sie an sich etwas ganz anderes ist — nur axiologische, nicht ontologische Fühlung ist —, dennoch mittelbar die Bedeutung eines gewichtigen Realitäts­ zeugnisses gewinnt. Und weil es für das Reale seinerseits offenbar gleichgültig ist, ob und wie das Wertgefühl es axiologisch beantwortet, so überträgt sich auch diese Form der Realitätsgegebenheit auf alles, auch auf das nicht-wertbeantwortete Reale. D. h. sie überträgt sich auf die ganze Sphäre. c. Die praktische Gegebenheit der Dingwelt.

Nach anderer Richtung führt das Schalten und Walten m it Dingen in den Lebenszusammenhang hinein. Es macht in ihm die andere, aber gleich primäre Seite der Realitätsgegebenheit aus. Der Mensch „gebraucht" Dinge, er benutzt, verwertet sie, wendet sie an, wie er sie findet, zu seinen Zwecken. J a , er verbraucht sie, nutzt sie ab. Aber er gestaltet sie auch erst für seinen Gebrauch. S ie gehen als die seinigen in seine Personsphäre ein, gehören zu ihr, empfangen von ihr die Prägung als das, was sie „für chn" sind. Jeder Mensch hat eine solche engere Dingsphäre um sich. Kleider, Möbel, Haus, Werkzeug gehört dazu und vieles mehr. An diesen Dingen ist ihm zunächst nicht wichtig, was sie an sich sind, sondern ausschließlich, was sie „für ihn" sind. S ie haben in seiner Auf­ fassung und in seinem Leben ein „Für-ihn-Sein" eigener und betonter Art. Heidegger hat dafür den Ausdruck „Zuhandensein" geformt; dieser trifft das Verhältnis sehr genau, ist nur vielleicht etwas zu eng, weil er nur auf eigentliches Arbeitszeug streng zupaßt. Der allgemeinere ontologische Ausdruck für die Seinsart solcher Dinge in der Personsphäre müßte lauten: „ihr Dasein zu etwas für uns." Geht man von der Person als dem gebrauchenden „Ich" aus, so ist das „Fürmichsein" der Gebrauchsgegenstände nicht nur etwas anderes als ihr Ansichsein, sondern auch der Gegebenheit nach das Frühere, ein echtes irpörepov irpös f||iäs. Ontisch, im Weltzusammenhang, kann es deswegen sehr wohl das Spätere sein. Aber es wäre irrig zu meinen, im Fürmichsein „meiner Sachen" stecke kein Ansichsein. Das Fürmichsein bericht nicht bloß auf dem Dafürhalten des Ich, besteht nicht bloß in „meiner Vorstellung". Es ist ein Realverhältnis, das unabhängig von

meinem erkennenden Erfassen besteht, gleichgültig dagegen, ob ich mir überhaupt eine Vorstellung davon mache oder nicht. Erkenntnistheoretisch also ist es selbst durchaus ein ansichseiendes Verhältnis im strengen Sinne, wenn auch ein in den weiteren ontischen Zusammenhängen sekundäres; es ist reales Fürmichsein. Und folglich ist auch das Gebrauchs­ ding selbst und als solches ein durchaus reales — nicht etwa erst im Ab­ sehen von seinem Fürmichsein, sondern gerade in ihm und mit ihm. Der Beweis dafür ist, daß gerade das Fürmichsein meines Werk­ zeugs — nämlich das, was es wirklich für mich, meine Arbeit, mein Leben ist — von mir erst nach und nach an ihm erfahren wird: im Lernen des Gebrauchs (des Handwerks etwa), in der Anwendung oder auch im Ausprobieren, Dahinterkommen, im Entdecken dessen, was ich alles damit machen kann. Dieser Prozeß ist aber ein Prozeß an mit, nicht am Werkzeug. Es ist der Prozeß der praktischen Bildung durch die Arbeit mit dem Werkzeug, die Entwicklung des Ich, die Steigerung seiner Fähigkeit und Geschicklichkeit. Man sagt vielleicht wohl, „das Werkzeug wird mit immer mehr"; aber in Wahrheit wächst man selbst an das Werkzeug heran, während es seinerseits unverändert verharrt. Es ver­ harrt dabei gerade in seinem Fürmichsein; denn ich weiß in dieser Ent­ wicklung sehr wohl darum, daß die frühere Begrenztheit des Gebrauchs nicht an ihm, sondern an mit lag. Auf das Werkzeug springt der Prozeß erst dann über, wenn ich etwas an ihm selbst ändere, es etwa „verbessere". Dann ändert sich sein reales Fürmichsein grundsätzlich — nicht nur „meine" Leistungsfähigkeit mit ihm, sondern auch „seine" Leistungs­ möglichkeit in meiner Hand. Heideggers Analyse des „Zuhandenseins" ist wertvoll, insoweit sie eine bestimmte, durchaus primäre — nicht freilich „die" primäre — Ge­ gebenheitsweise des Realen und damit der Welt aufdeckt. Ih re Stärke ist die Beschränkung auf die engste Sphäre des Alltags, so freilich wie sie im Leben wohl niemals sich ausgrenzen läßt. Irrig dagegen ist die Vermengung von Gegebenheitsweise und Seinsweise. Die Art der Aufdeckung wird dem aufgedeckten S ein als seine Eigenart zugerechnet; dadurch wird dieses S ein auf das Ich bezogen, dem es gegeben ist, und die Welt steht relativiert als „je meinige" da. Anders ausgedrückt: verkannt ist der Ansichseinscharakter (die Realität) im Zuhandensein selbst. Das Jn-der-Welt-Sein dessen, dem das Zuhandene zuhanden ist, durfte nicht als ein Sein in der je feurigen Welt gefaßt werden; das „Dasein" des Menschen durfte sich nicht als das allein reale herausheben. Denn das Zuhandensein der Dinge für ihn ist schon getragen von ihrem Dasein und «Sofern in der realen Welt. Die Welt also, in der der Mensch sich auf Gmnd dieses Verhältnisses findet-, ist von vornherein nicht die feinige allein.

D as Zuhandensein, ohne Jnterpretationsvorurteile gesehen, ist viel­ mehr eine sehr bestimmte und unaufhebbare Gegebenheit der Realität der W elt als der einen und ansichseienden. S ie ist freilich nur eine Form dieser Gegebenheit unter vielen, aber doch eine fundamentale. S ie ist es dadmch, daß die Zuhandenheit der Gebrauchsdinge „für mich" sich selbst als eine reale und im Leben als real erlebte herausstellt. Wie sie denn auch jederzeit eine w eitet erlebbare und erfahrbare ist. S ie ist die im Gebrauch erlebte und erfahrene R ealität der Dinge, ist als solche sehr fühlbar in der erzielten Leistung m it dem Werkzeug und zeugt in ihr deutlich von der Ganzheit des Realzusammenhanges, in dem allein der Gebrauch möglich ist. Ontologisch gefaßt sieht das Verhältnis folgendermaßen aus. D as „Zuhandene" ist zwar nicht als Vorhandenes „gegeben"; gegeben nämlich ist es n m im Zusammenhang des realen Fürmichseins. Aber es geht nicht an, daraus den Schluß zu ziehen, daß es gar nicht vorhanden „sei". Vielmehr ist es offenbar so: „zuhanden" sein kann überhaupt nur das, w as zunächst einmal vorhanden ist. E s kann nur „für mich sein", wenn überhaupt es „ist". Die ontische Mhängigkeit ist entgegengesetzt der Gegebenheits­ abhängigkeit. Die Gegebenheit des Ansichseins ist vermittelt durch die Gegebenheit des Fürmichseins, das Fürmichsein selbst aber ist bedingt durch das Ansichsein. S o kommt das, woraus Heidegger hinzielt, viel schärfer heraus: das Erschlossensein der Welt durch die Zichandenheit. Die W elt ist mir nicht alS bloße „Umwelt" und vollends nicht als „je meinige" erschlossen, sondem aE die eine reale, in der alle Personen und ihr zugehöriger Kreis von Zuhandenem sich lokalisieren. D ann aber ist das Erschlossensein der W elt strenge ReM ätsgegebenheit. d. Der Gegenstand bet „Sorge".

Hierher gehört auch das von Heidegger breit erörterte Phänom en der „S orge". I m S orgen um etwas ist deutlich der Charakter des transzen­ denten Aktes ausgeprägt, und zwar der eines teleologisch-prospektiven Aktes. E s gehört eng zusammen m it Wollen, Erstreben, Tun, Handeln, nicht weniger aber auch mit Erw artung, Furcht, Hoffnung. J e nachdem m an es weiter oder enger faßt, wird es alle diese W te umfassen oder eine Besonderung unter ihnen sein. I n weitester Fassung bleibt das Sorgen eine undifferenzierte, diffuse Gesamthaltung des Subjekts zum zeitlich Amückenden, ohne bestimmteres Aktgepräge. Die Zentralstellung, die Heidegger ihm gibt, dürfte der Tendenz entsprungen sein, ein möglichst primitives S eins- und Weltbewußtsein

zu rekonstruieren. Fraglich bleibt nur, ob wir ein so primitives Bewußt­ sein kennen, resp. ob die Rekonstmktion ein wirklich Gegebenes trifft. Was wir kennen, ist immer schon ein erstrebendes, handelndes, arbeitendes, erleidendes, hoffendes oder fürchtendes Bewußtsein und zugleich auch stets schon ein erkennendes. Darüber hinaus liegt in der gedrückten Schattiemng der Sorge eine gewisse Einseitigkeit. Selbst für den grauen M ta g m it seiner Enge und Kleinlichkeit darf man diese Schattiemng nicht verallgemeinem. Es mag erbaulich sein, dem Leben in der Stickluft nachzugehen, um dann das Wunder des Durchbmchs aus chr heraus ins Licht und in die Frecheit zu zeigen. M er glaubwürdig wird beides nur dem scheinen, der aus unglückseliger Veranlagung die gleiche Bedrücktheit mitbringt und die rauhe Welt, in der er ringt und schafft, von vomherein entwertet sieht. Und vollends mit Ontologie hat das nicht viel zu tun. Hält man sich streng an ein neutral verstandenes „Sorgen", so steckt darin die ganze Reihe der transzendenten Akte, soweit sie prospektiv sind. Es steckt darin vor allem das, was man schlichte Arbeit nennen kam, das Beschaffen von Notwendigem, das Bestreiten von Bedürfnissen — und keineswegs der eigenen allein —, das Aufkommen für Fehlendes, das Betreiben von Angelegenheiten, das Hinarbeiten auf Erstrebtes, das aktive Sicheinstellen und Sichrüsten auf Hereinbrechendes, das Tragen von Verantwortung für Kommendes, das Einstehen für Ubemommenes, das Einhalten eingegangener Verpflichtung. M an kann dieseAufzählung beliebig weit in die Besonderungen hinein fortsetzen. Bor dem summarischen Titelbegriff „Sorge" hat sie den doppelten Vorzug der Bewertungsneutralität gegen die „Welt" sowie der reineren und mamigfaltigeren Prospektivität. All diese Akte haben die Unrast und das Jn-Atem-Gehaltensein des Menschen vom Anrücken­ den miteinander gemein; und dieses eben ist der reelle Gehalt dessen, was Heidegger das Sich-selbst-Borwegsein nennt. Sorge im engeren Sinne ist aber nur einer unter ihnen. Das ontologisch allein wesentliche daran ist aber die Transzendenz der Akte, d. h. dieses, daß in ihnen das Anrückende selbst als Realobjekt gegeben ist. Als Ganzes zusammengenommen sind sie nur eine einzige, wiewohl komplexe und differenzierte Gmndform der Realitätsgegeben­ heit. Das philosophisch wichtige an der Sorge ist eben das, was allein ihr selbst wichtig ist, ihr Gegenstand. Und von ihm gilt auf der ganzen Linie dasselbe, was vom Gegenstand aller prospektiven Akte galt: seine Seins­ weise ist in ihr eindeutig als vollgewichtiges, reales Ansichsein ge­ geben.

34. Kapitel. Besondere Sphären der Einbettung in die reale Welt.

». Da» RealphLnomen der „Arbeit". Zentraler als die Sorge hebt sich aus diesenM en die „Arbeit" heraus. I h r Grundphänomen ist weder ein ökonomisches noch ein soziologisches, sondern ein ontologisches. Als transzendenter M t ist Arbeit ein Tun bestimmter Art. S ie ist reale Leistung am Realen, schaltet mit Dingen als M tteln, ist insofern ein Verwenden und Verwerten (vgl. Kap. 31 b). S ie hat darüber hinaus ihr Zielobjekt, das sie verwirklicht und in der Verwirklichung erst zum Realobjekt macht. Zugleich aber ist sie stets Arbeit „an etwas", trifft also ein schon Vorhandenes, das sie in seinem Sosein umbildet. Schließ­ lich ist dmch sie ihr Ziel stets auch weiter hinausbezogen auf „jemand" — auf Personen, „für" die sie geschieht, denen ihr Ziel als Frucht zufallen soll. Ob es die eigene Person ist, für die sie geschieht, oder eine fremde, oder Verbände von Personen, ändert an diesem Verhältnis nichts. S o ist Arbeit als realerAkt der Person auf viererlei verschiedenes Reales hinausbezogen. Und sofern im Bewußtsein der Arbeit ein Wissen um diese Bezogenheit ist, so steckt in ihr eine vierfache Realitätsgege­ benheit. Bon besonderem ontologischen Gewicht ist hierbei die innere Seite der Arbeit, man könnte sagen, die moralische. Arbeit ist Einsatz, Aufwand, Drangeben: die Person setzt sich ein, wendet Kraft auf, gibt ihre Energie dran. Arbeit will vollbracht, „geschafft" sein. Sie stößt nicht nur auf den Widerstand der Sache, sie ringt ihm auch das Erstrebte erst ab, ringt es ihm auf. Wohl läßt der Mensch fremde Kraft für sich arbeiten, verwendet die an sich neutrale Naturgewalt. Aber er muß sie lenken, ja allererst für seine Zwecke einsangen, und beides erfordert zunächst einmal den eigenen Einsatz von Kraft, Erfahrung, Einsicht. Der Mensch gibt sich dran in der Arbeit, verbraucht sich wohl gar in ihr. Dieses, daß Arbeit nie von selbst läuft, sondem durch den Einsatz des Menschen „geleistet" werden muß, macht ein eigenartiges Verhältnis zwischen Person und Sache aus. Der Mensch ist daraus angewiesen, sich in seiner Arbeit unausgesetzt an der Sache zu messen. Seine Tendenz geht dahin, über sie hinauszuwachsen, ihrer Herr zu werden. Er „er­ fährt" also ständig in seiner Arbeit sowohl sich selbst als auch die Sache: sich selbst in der Spontaneität eingesetzter Energie, der physischen wie der geistigen, die Sache in ihrem Widerstände gegen diese. Beides ist unaufhebbar aneinander gebunden, und beides ist Realitätserfahrung. Hier liegt deutlich der Beweis, daß ich die Welt in der Arbeit — und allgemein im Schalten mit Dingen — nicht als „die meinige" erfahre. Ich erfahre sie vielmehr in der Härte ihres Widerstandes, in der Ggen-

34. Kap. Besondere Sphären der Einbettung in die reale Welt.

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Bestimmtheit und im Eigensinn der Dinge. Diese Eigenbestimmtheit erfahre ich als ftembe Macht, an der ich entweder versage oder mich durchsetze. Die Entscheidung darüber steht nicht Beim Willen allein. Ontologisch zu beachten ist hierbei ferner die Erfahrung der Gleich­ stellung von Person und Sache im Realitätscharakter. S ie ist eine Funktion der Gegenseitigkeit von Wirken und Mderstand, des SichMessens von zweierlei Macht auf gleicher Ebene. Das Übergewicht der Sache an Realitätsgewicht ist hierbei ihre Passivität und Gleichgültigkeit, das neutrale Geschehenlassen, aber zugleich auch die Härte ihrer mit­ gebrachten Bestimmtheit, gleichsam chre Trägheitskraft. Das Übergewicht der Person ist von anderer Art. Es liegt in ihrer Spontaneität, Initiative, Anpassungsfähigkeit, ihrem Erfahren und Erfinden, ihrer teleologischen Kraft, den passiven Widerstand gleichsam zu überlisten. Aber immer steht hier Macht gegen Macht. Und das ist der eindeutige Beleg am Realphänomen der Arbeit, daß die Sphäre des Realen in sich homogen ist, d. h. daß alles Wirkliche in ihr ontisch gleichgestellt ist und der Seinsweise nach eine einheitliche Welt ausmacht. b. Die Gegebenheitsform bet weiteren Realzusammenhänge.

Parallel zum Schalten mit Dingen steht der „Umgang mit Personen". Er ist im obigen (Kap. 31 und 32) auf Grund der spontanen Akte, die ihn wesentlich ausmachen, bereits analysiert worden. Die Analyse ist aber jetzt zu ergänzen, sofern es sich im Leben nie allein um das Verhalten zu einzelnen Personen handelt, fottbem stets zugleich um die Stellung zu größeren Einheiten und Ganzheiten. Auch diese werden im eigenen Verhalten des Menschen zu ihnen von ihm erfahren, erlebt und erkannt. W ir treten damit in das Phänomengebiet des sozialen, rechtlichen, politischen und geschichtlichen Lebenszusammenhanges. Jene Ontologie der „Situation", die für alles Wollen und Handeln den Rahmen gibt, überträgt sich auch auf die größeren Verhältnisse. Reben die private, ephemere Situation tritt die Gesamtsituation der jeweiligen Lebensverhältnisse, in der M e gemeinsam stehen, von der der Einzelne zwar in verschiedenem Maße betroffen sein kann, die aber gleichwohl ihn umfaßt hält — auch dann, wenn er sie nicht dmchschaut, ja sie vielleicht nicht einmal als besonders geformte Situation empfindet, well er in sie hineingeboren ist und das Leben nicht anders kennt. Auch die Gesamtsituation des Gemeinschaftslebens ist beweglich, aber in anderen Zeitmaßen. Dem Einzelnen, der nur in einer Phase ihrer Bewegung lebt, erscheint sie leicht als stillstehend. Und gemessen am fliehenden Tempo der persönlichen Lebenslagen hat sie in der T at eine gewisse Konstanz. Ih re Bewegung ist die der Geschichte.

Auch in der Gesamtsituation ist der Mensch zur Initiative herausgefordert, vor Entscheidungen gestellt, wenn auch vom Verhalten des Einzelnen hier weniger abhängt. Seine Entscheidung ist nur ein ver­ schwindender Bruchteil dessen, was den Prozeß bewegt. Es sind Aus­ nahmefälle, in denen sie darüber hinauswächst. Aber prinzipiell ist die Sachlage die gleiche. Der Mensch „gerät" in die Gesamtsituation, ist in sie hineingestellt, ist von chr umfangen und getragen wie von einer zweiten Statut; und vor dem Einsetzen der Reflexion hält er sie auch für etwas Naturgegebenes, Notwendiges, Unumstößliches. Das allge­ mein Geltende scheint ihm