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German Pages 80 [166] Year 1914
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ZUR
GRUNDLEGUNG DER
TONPSYCHOLOGIE VON
DR. GEZA REYESZ P R I V A T D O Z E N T A N DER U N I V E R S I T Ä T B U D A P E S T
LEIPZIG .
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VERLAG VON VEIT & COMP.
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ZUR
GRUNDLEGUNG DER
TONPSYCHOLOGIE VON
DR. G E Z A
REVESZ
PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT BUDAPEST
LEIPZIG VERLAG VON VEIT & COMP. 1913
Bruck von Metzger & Wittig in Leipzig,
Meinem hochverehrten Lehrer
Herrn Professor Georg Elias Müller in tiefer Verehrung gewidmet
Vorwort. Das Gebiet der Tonempfindungen umfaßt Erscheinungen, die infolge ihres alltäglichen Auftretens und weil sie scheinbar ohne weiteres verständlich sind von vielen nicht beachtet, von anderen kaum eines tieferen Nachdenkens wert gehalten werden, die aber zu immer weiteren, immer größeren Fragen führen, sobald man sie ernstlich anfaßt. Man läßt diese Erscheinungen zumeist deshalb unbeachtet an sich vorübergehen, weil man nicht denkt oder nicht hofft, daß eben diese längst bekannten Tatsachen von einem neuen oder von irgendeinem einheitlichen Gesichtspunkte aus betrachtet den Stoff zu neuen Problemen liefern oder gar grundlegend für die ganze Lehre von den Tonempfindungen werden könnten. Grundlegend sein heißt aber nicht soviel wie zu den älteren Lehren in scharfem Gegensatz stehen, sie zu widerlegen und zu beseitigen. Nein, es ist sogar möglich, daß eine neue Auffassung den älteren Theorien, deren Wurzeln unvergänglich sind, neue Nahrung bietet und es ihnen möglich macht, ihre Tragweite nach einer neuen Seite hin zu entfalten. In diesem Verhältnisse etwa mögen die Ergebnisse meiner eigenen Bemühungen zu den bedeutenden und gegenwärtig herrschenden Lehren von H e l m h o l t z und S t u m p f stehen. Meine Anschauungen stehen aber nicht im Gegensatz zu den übrigen, wenn sie gleich in einigen wichtigen Punkten abweichen; wohl aber unterscheiden sie sich vor allem in ihrem Ausgangspunkt. Indem ich meiner Grundanschauung zufolge die untersuchten Erscheinungen von einem anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten genötigt war, kam ich bei gewissen Fragen notwendigerweise zu anderen Ergebnissen als sie; bei anderen hingegen konnte ich
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Vorwort.
trotz der Verschiedenheit des Weges, den wir gegangen waren, ihre Kesultate nur bestätigen, wenngleich ich in einigen Fällen eine andere Erklärung für sie geben mußte. Ich sehe den Wert meiner Arbeit nicht darin, daß ich etwa Ton einem ganz neuen Grundgedanken ausgegangen wäre, — denn meine Anschauungen über die Tonempfindungen, zu denen ich durch Analyse der Tonreihe und durch experimentelle Untersuchungen geführt worden bin, waren von der einen oder anderen Seite her angebahnt worden ( B r e n t a n o ) —, sondern darin, daß ich den Grundgedanken nicht als eine bloße H y p o t h e s e aufgestellt habe, die sich durch ihre Fruchtbarkeit und durch ihre zu weiterem Nachdenken auffordernde Natur rechtfertige, sondern als T a t s a c h e — da es mir gelungen ist, die unentbehrliche experimentelle Grundlage dafür zu geben —, endlich darin, daß ich dieser Tatsache den rechten Platz anweisen konnte, daß es mir gelang zu zeigen, wie sie für die Lehre von den Tonempfindungen fundamental ist. Es gelang auch durch meine Anschauungen Tatsachen verständlich zu machen, die durch die früheren nicht oder nicht befriedigend erklärt wurden; auch wurde ich zu ganz neuen Tatsachen und neuen Problemen geführt, endlich haben sie mir den Weg für die Lösung solcher Fragen gezeigt, von denen man stets behauptet hatte, daß sie wegen immanenter Schwierigkeiten nicht beantwortet werden könnten. Ich bin so glücklich gewesen, meinen Freund und langjährigen Mitarbeiter Herrn Privatdozenten D r . P a u l v. L i e b e r m a n n für meine Untersuchungen als Beobachter zu gewinnen und durch seine feinen Beobachtungen wurde ich auf so manche wichtige Erscheinungen hingewiesen. Ich spreche ihm dafür auch hier meinen aufrichtigsten und wärmsten Dank aus. B u d a p e s t , im November 1912.
Inhalt. Seite
1. Einleitung . . . 1 2. Das Oktavengesetz 4 Phänomenologische Betrachtung der Tonreihe. Das doppelte Ähnlichkeitsverhältnis bei den Tonempfindungen. Experimentelle Versuche über Ähnlichkeit der Oktaventöne. Die zwiefache Auffassungsweise der Tonreihe. Die Geradlinigkeit und Periodizität als Grundphänomene der Tonempfindungsreihe. Das Oktavengesetz. 3. Die beiden unabhängigen musikalischen Eigenschaften der Tonempfindungen 16 Qualität und Höhe. Qualitäten- und Höhenreihe. Räumliche Darstellung der Tonreihe. 4. Historisches und Kritisches 21 Der Ausdruck der Oktavenähnlichkeit in den musikalischen Namen. Notenschrift bei verschiedenen Völkern. Gesänge der Naturvölker. Ansichten über den Ursprung der Oktavenähnlichkeit. Auffassung von Helmholtz. Widerlegung derselben. Stumpfs Ansicht. Brentanos Lehre von den zwei akustischen Eigenschaften. Theorie von Mach. 5. Isolierung der beiden musikalischen E i g e n s c h a f t e n . . . . 43 I. Ä n d e r u n g d e r Q u a l i t ä t o h n e Ä n d e r u n g d e r H ö h e . Isolierung bei der Unterschiedsschwelle. Trennung bei der Parakuse. Qualität und Höhe des konstanten Pseudotones. Bestimmung der Pseudotöne nach Qualität und Höhe. Die regionäre und individuelle Höhenbestimmung. Einführung einer neuen Bezeichnungsweise. Demonstration verschiedener Qualitäten in gleicher Höhe bei sukzessiv binauraler Beobachtung. Herstellung einer lückenlosen Qualitätenreihe bei konstanter Höhe. Versuche über binaurale Tonmischung mit Liebermann. Das Mischungsgesetz. Isolierte Änderung der Qualität zu verschiedenen Zeiten. Ein eigentümlicher Fall von veränderter Qualität bei normaler Höhe. Zwei Qualitäten in einer Höhe. II. Ä n d e r u n g d e r H ö h e o h n e Ä n d e r u n g d e r Q u a l i t ä t . Isolierung bei Oktaventönen. Isolierung im konstanten Pseudogebiet.
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Inhalt. Seite
III. G e h ö r e m p f i n d u n g e n m i t d e u t l i c h e r H ö h e b e i u n deutlicher Qualität. Töne deruntersten und obersten Teile der hörbaren Tonreihe. Geräuachempfindungen. Töne von Membranen und von Platten. Musikalische Rolle der Höhe.
6. Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit durch unsere Theorie zu erklären 76 Fälle von Melodietaubheit. Ubereinstimmung einiger Fälle mit dem Liebermannschen Falle. Erklärung durch Ausfall einer Toneigenschaft.
7. Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften
. . 84
Unabhängigkeit der Qualität von der Vokalität. Strenge Isolierung beider Eigenschaften bei der Parakuse. Unabhängigkeit der Höhe von der Vokalität. Isolierung derselben. Bildung der Tonempfindungsreihe aus den unabhängigen Qualitäten-, Höhen- und Vokalreihen.
8. Absolutes Gehör
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Die beiden Arten des absoluten Gehörs: Tonqualitätenerkennung und Tonhöhenerkennung. Experimentelle Bestätigung der beiden Arten des absoluten Gehörs. Unterschiede der beiden Arten. Ursprüngliche Individualisierung der Töne. Die Rolle der Übung. Verknüpfung der Tonqualitätenerkennung mit der Tonhöhenerkennung. Erklärung des regionären absoluten Gehörs.
9. Intervalle Intervall und Zusammenklang. Die Rolle der Höhe bei der Bildung der Intervalle. Distanz (Höhenunterschied). Versuche über Distanzen. Distanz und ihre musikalische Bedeutung. Melodieversuche im parakustischen Tongebiet. Beobachtungen über die Erscheinungsweise von Tönen bei sukzessiver Rechtslinksvorführung. Distanz und Richtung. Die Rolle der Qualität beim Intervalleneindruck. Distanz und Intervall. Transposition und Umkehrung der Intervalle; die besondere Stellung des Tritonus. Über reine Höhen- und reine Qualitätenreihe. Das qualitative Segment und die Distanz. Theorie der Intervalle. (Die Segmenttheorie.) Harmonie und Melodie; Tonleiter und Tonartencharakteristik.
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1. Einleitung. Gleiten wir über die ganze Klaviatur eines Klaviers von den tiefsten bis zu den höchsten Tönen hin und zurück, so erleben wir einen Eindruck, der mit einer Bewegung von gleichbleibender
Richtung
Ähnlichkeit
hat.
Wir
können
diesen Vergleich, wenn wir bei der räumlichen Bezeichnungsweise bleiben, dahin näher ausführen, daß wir die eine, mit zunehmender Schwingungszahl sich entwickelnde Bewegung als eine a u f s t e i g e n d e , die mit abnehmender als eine absteigende
Tonbewegung bezeichnen.
Das Phänomen
des
Steigens und Sinkens ist um so auffälliger, je schneller die einzelnen Töne aufeinander folgen, sehr auffällig bei einer schnellen Tonleiterpassage
oder
noch
mehr
bei
einer in
schnellem Tempo vorgeführten Reihe stetig ineinander übergehender Töne. Diese
a u f - und a b s t e i g e n d e
Tonbewegung
l ä u f t s t e t i g und g e r a d l i n i g und z e i g t k e i n e menal ausgezeichneten
Punkte.
ver-
phäno-
Von diesem Gesichts-
punkte aus erscheint es berechtigt, die Tonreihe als eindimensional aufzufassen, und ihre bildliche Darstellung als aufsteigende Gerade ist recht anschauliph. Man meinte mit dem Hinweis auf die Erscheinung des Steigens
und Sinkens
die wesentlichen Eigenschaften der
Tonreihe e r s c h ö p f t zu haben.
Man meinte weiter, jeden
Punkt der Tonreihe, d. h. jeden einzelnen Ton durch e i n e n R & Y & S Z , Tonpsychologie.
1
2
Einleitung.
/
Wert, erschöpfend charakterisieren zu können. Auf diese Auffassung stützen sich die Ansichten, die über die Natur der Tonreihe und der Tongestalten aufgestellt und vor allem von C. S t u m p f in so scharfsinniger Weise behandelt worden sind. Der Grundgedanke ist also der, daß die Tonqualität oder Tonhöhe oder wie man sonst die musikalisch am meisten hervortretende Eigentümlichkeit der Tonempfindungen gegenüber der Intensität, Klangfarbe und Yokalität bezeichnen will, eine sich stetig und geradläufig ändernde Eigenschaft der Tonreihe sei. Unsere erste Aufgabe ist nun zu untersuchen, ob diese allgemein angenommene und scheinbar von vielen Tatsachen gestützte Auffassung der Tonempfindungsreihe richtig ist, d. h. ob sie mit allen, insbesondere mit neuerdings gefundenen Tatsachen im Einklang steht, ferner ob sie den Ergebnissen einer phänomenologischen Betrachtung der Tonreihe nicht widerspricht. Wenn wir dann finden werden, daß diese Auffassung nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, wollen wir versuchen eine neue Theorie der Tonempfindungen zu entwickeln. Schon bei den einfachsten und alltäglichsten Erfahrungen an Tönen stoßen wir auf Besonderheiten, die uns, wenn wir sie nicht einfach ohne Erklärung hinnehmen wollen, die Frage nahelegen, ob die bisherige Anschauung nicht einer Modifikation bedürfe. Wenn man zwei homogene Lichter von verschiedener Wellenlänge beurteilen läßt, ob sie gleich oder ungleich aussehen, so werden sie als verschieden beurteilt, wenn der Unterschied der Farbenqualitäten größer als die Unterschiedsschwelle ist. Ähnlich verhält es sich, wenn man ein Urteil darüber
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Einleitung.
verlangt, ob zwei der Schwingungszahl nach verschiedenen Töne gleich oder ungleich erscheinen.
Ist der Unterschied
der Töne größer als die Unterschiedsschwelle, so wird das Urteil lauten, daß sie ungleich sind. Hier können wir aber weiter gehen, und dem Beobachter die Frage stellen, welcher von den zwei als ungleich erkannten Tönen der h ö h e r e sei.
Wenn wir ihm durch ein
Beispiel demonstrieren, was wir tiefer und was höher nennen, so wird er ohne weiteres den Ton mit größerer Schwingungszahl für höher erklären. Wie macht man es nun theoretisch verständlich, daß ein solches Urteil über das Höhenverhältnis zustande kommt? Wird es klar, wenn man einfach auf die Verschiedenheit der Qualitäten hinweist?
Durchaus nicht.
Denn im allgemeinen
wird man, wenn zwei Empfindungsqualitäten verschieden erscheinen, nicht die eine als höher oder tiefer auffassen. Im qualitativen Unterschied ist nichts von einem Sinn der Nebeneinanderordnung gegeben
bestimmten
und eine darauf
gerichtete Frage würde bei vielen anderen Empfindungen gar nicht verstanden werden.
Man muß also entweder n e b e n
der Q u a l i t ä t noch eine E i g e n s c h a f t p o s t u l i e r e n oder man nimmt einfach an, und dadurch geht man der Schwierigkeit am leichtesten aus dem Wege, daß in den Qualitäten selbst ein Fortschritt in einer bestimmten Richtung liegt, daß das Moment des Auf- und Absteigens eine Eigenschaft der Tonqualitäten sei. Das Problem, das wir vor allem zu lösen haben, ist hiermit aufgestellt: wir müssen zwischen den beiden Möglichkeiten eine Entscheidung treffen. Zur Untersuchung dieser Frage wenden wir zunächst die p h ä n o m e n o l o g i s c h e A n a l y s e an. 1*
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Das Oktavengeaetz.
Es empfiehlt sich vor allem zu untersuchen, ob zwischen Tönen Ähnlichkeitsbeziehungen bestehen und welcher Art sie wohl sein mögen. Die spezielle Betrachtung wird das sogleich klar machen.
2. Das Oktavengesetz. Phänomenologische Betrachtung der Tonreihe.
Gehen wir von einem Tone, z. B. vom c° aus und vergleichen wir mit diesem einmal die Töne oberhalb c°, aber unterhalb eis 0 und zweitens unterhalb c°, jedoch oberhalb H , dann finden wir, daß sie eine bestimmte, nicht näher analysierbare Ähnlichkeit zu c° haben. Einige von ihnen werden kaum von c° unterschieden, andere unterscheiden sich zwar, weisen jedoch eine ganz auffällige Ähnlichkeit zu c° auf, nicht aber zu eis 0 und H. Die Ähnlichkeit, die zwischen benachb a r t e n Tonqualitäten besteht, nimmt mit zunehmender Differenz der Schwingungszahlen sehr rasch ab. Es zeigt sich, daß die unmittelbare Ähnlichkeit der Nachbartöne schon bei einer — im einzelnen von der Tonregion abhängigen — geringen Schwingungsdifferenz, in der Gegend der zweigestrichenen Oktave etwa bei 4—8 Schwingungen, ganz verschwindet. Die erste Ähnlichkeitsbeziehung also, die wir bei den Tönen gefunden haben, ist d i e Ä h n l i c h k e i t z w i s c h e n sehr nahe n e b e n e i n a n d e r liegenden Tönen. . Erhöhen wir die Differenz der Schwingungszahlen weiter und trachten wir dabei unsere psychische Yerhaltungsweise möglichst festzuhalten, also dieselben Urteilskriterien anzuwenden, die wir bei der Beurteilung der Ähnlichkeitsverhältnisse zwischen den ganz nahe benachbarten Tönen ange-
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Das Oktavengeaetz.
Es empfiehlt sich vor allem zu untersuchen, ob zwischen Tönen Ähnlichkeitsbeziehungen bestehen und welcher Art sie wohl sein mögen. Die spezielle Betrachtung wird das sogleich klar machen.
2. Das Oktavengesetz. Phänomenologische Betrachtung der Tonreihe.
Gehen wir von einem Tone, z. B. vom c° aus und vergleichen wir mit diesem einmal die Töne oberhalb c°, aber unterhalb eis 0 und zweitens unterhalb c°, jedoch oberhalb H , dann finden wir, daß sie eine bestimmte, nicht näher analysierbare Ähnlichkeit zu c° haben. Einige von ihnen werden kaum von c° unterschieden, andere unterscheiden sich zwar, weisen jedoch eine ganz auffällige Ähnlichkeit zu c° auf, nicht aber zu eis 0 und H. Die Ähnlichkeit, die zwischen benachb a r t e n Tonqualitäten besteht, nimmt mit zunehmender Differenz der Schwingungszahlen sehr rasch ab. Es zeigt sich, daß die unmittelbare Ähnlichkeit der Nachbartöne schon bei einer — im einzelnen von der Tonregion abhängigen — geringen Schwingungsdifferenz, in der Gegend der zweigestrichenen Oktave etwa bei 4—8 Schwingungen, ganz verschwindet. Die erste Ähnlichkeitsbeziehung also, die wir bei den Tönen gefunden haben, ist d i e Ä h n l i c h k e i t z w i s c h e n sehr nahe n e b e n e i n a n d e r liegenden Tönen. . Erhöhen wir die Differenz der Schwingungszahlen weiter und trachten wir dabei unsere psychische Yerhaltungsweise möglichst festzuhalten, also dieselben Urteilskriterien anzuwenden, die wir bei der Beurteilung der Ähnlichkeitsverhältnisse zwischen den ganz nahe benachbarten Tönen ange-
Das Oktavengesetz.
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wendet hatten, so finden wir, daß die Ä h n l i c h k e i t a l s bald verschwindet. Wir können uns aber ganz anders einstellen und dann finden wir, daß selbst zwischen den Tönen unserer Tonleiter, deren kleinster Unterschied ja schon einen halben Ton beträgt — in der Mitte der zweigestrichenen Oktave etwa 50 Schwingungen — noch eine deutliche Ähnlichkeit besteht und daß die T ö n e um so u n ä h n l i c h e r e r s c h e i n e n , j e w e i t e r sie v o n e i n a n d e r in der T o n r e i h e liegen. So können z. B. die Töne der eingestrichenen Oktave alle als untereinander ähnlicher beurteilt werden, als einer von ihnen zu einem Ton der großen oder dreigestrichenen Oktave. Auf diesen E i n d r u c k d e r s t e t i g e n Z u n a h m e der Unä h n l i c h k e i t stützt sich u. a. auch S t u m p f , wenn er Tondistanzen mit dem Grad der Unähnlichkeit, Distanzurteil mit Ähnlichkeitsurteil identifiziert. *) H e l m h o l t z spricht nicht von Ähnlichkeiten, sondern nur von Verwandtschaften im Tongebiet.2) Er definiert die Verwandtschaft der Klänge bekanntlich durch die Zahl der gemeinsamen Partialtöne. Er fundiert das Verwandtschaftsverhältnis physikalisch, S t u m p f s Ähnlichkeitsbeziehung ist eine psychologische, und schon deswegen dürfen die beiden nicht zusammengeworfen werden. Aber nicht nur die Ausgangspunkte, sondern auch die Ergebnisse sind bei H e l m h o l t z und S t u m p f verschieden. Nach den Anschauungen von H e l m h o l t z ist die Verwandtschaft zwischen den Oktaventönen die größte, zwischen den Sekundentönen die1 geringste, auf Grund der (Distanz-)Ähnlichkeit hingegen stehen die Sekundentöne viel näher zu einander, als die Oktaventöne. l !
) Tonpsychologie I, S. 122. ) Lehre von den Tonempfindungen, 5. Aufl., S. 419 u. ff.
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Das Oktavengesetz.
Fahren wir aber in der Betrachtung der Tonreihe fort. Wir haben gesehen, daß wenn wir vom c° ausgehen und die Schwingungszahl immer weiter verändern, die Empfindung dem Ausgangston c° immer unähnlicher wird. Durch die immer mehr und mehr vom Ausgangston abweichenden Töne gelangen wir endlich zu dem Tone c 1 oder C, den man bekanntlich Oktave nennt. Dieser Ton müßte konsequenterweise von den Tönen der ganzen Oktave als der unähnlichste bezeichnet werden, da er von dem Ausgangston die größte Distanz darstellt. Alle Autoren, die Ähnlichkeitsgrad und Distanzgröße identifizieren, behaupten in der Tat, daß die Oktave im Umfang einer Oktave der unähnlichste Ton ist. Es ist aber nichts leichter zu bemerken, als daß diese Behauptung in dieser uneingeschränkten Form nicht richtig ist. D i e O k t a v e c 1 kann zwar g e g e n ü b e r c° e i n m a l a l s das u n ä h n l i c h s t e G l i e d im ganzen U m f a n g der Oktave b e t r a c h t e t w e r d e n , z u g l e i c h a b e r bei e i n e r a n d e r e n A r t der B e t r a c h t u n g auch als das ä h n l i c h s t e . Wenn wir Unmusikalischen Paare von sukzessiven Intervallen vorführen, in der Weise, daß der eine Ton stets der gleiche bleibt, z. B. c°, die zweite dagegen wechselt, und sie fragen, welches von den beiden Intervallen aus ähnlicheren Tönen zusammengesetzt ist, so verstehen sie in der Regel die Frage nicht, sie wissen nicht worum es sich handelt, bis sie endlich nach Anhören mehrerer Intervalle dahinter kommen, was man eigentlich von ihnen beurteilen lassen will. Es gibt aber Beobachter, oft sogar sehr musikalische, die hartnäckig bei der Auffassung beharren, daß es hier keinen Sinn hat, von Ähnlichkeit zu sprechen. Wir werden sehen, daß diese Ansicht viel für sich hat. Bei den Beobachtern aber, die der Frage schließlich doch einen
Das Oktavengesetz.
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Sinn beilegen, erhält man Urteile, die zeigen, daß die Versuchspersonen solche Töne als ähnlicher bezeichnen zu sollen meinen, die weniger weit voneinander abstehen. Nach und n a c h b e m e r k e n j e d o c h a l l e B e o b a c h t e r , daß s i c h u n t e r den v o r g e f ü h r t e n I n t e r v a l l e n e i n i g e f i n den, d e r e n b e i d e Töne in ganz e v i d e n t e r W e i s e ä h n l i c h sind. Sie werden als ähnlich bezeichnet nicht etwa auf Grund einer Überlegung, worauf kein Urteil über Ähnlichkeit gegründet werden sollte, wie oben, wo als solches Kriterium schließlich die Distanz angenommen wurde, sondern ganz in u n m i t t e l b a r e r w e i s e , genau so wie bei Ähnlichkeit der Nachbartöne. Bei den geprüften Intervallen, deren Töne so ganz unmittelbarerweise für ähnlich gehalten werden, erscheint der zweite Ton geradezu als e i n e W i e d e r h o l u n g des ersten (des Yergleichstones) in einer höheren oder tieferen Lage. D i e s e I n t e r v a l l e s i n d die Oktaven. Offenbar ist es eine zutreffende Beschreibung des hier bestehenden phänomenalen Tatbestandes, wenn wir die Oktave als eine Wiederholung des Vergleichstones schildern, wobei aber trotz der Wiederholung ein Unterscheidungsmerkmal bestehen bleibt, welches nicht zuläßt die Oktave mit dem Vergleichston einfach als identisch zu bezeichnen. Die zweite Ähnlichkeitsbeziehung, die zwischen Tönen besteht, ist also die Äh n l i c h k e i t z w i s c h e n den T ö n e n , d i e im O k t a v e n v e r h ä l t n i s s t e h e n . Ich habe also gezeigt, daß sich die Ähnlichkeit der Oktaven einfach durch Vergleichung von Tonpaaren nachweisen läßt.. Die Ähnlichkeitsbeziehungen bei den Tonempfindungen sind aber wegen der doppelten Betrachtungsweise so merkwürdig, daß man sie doch nicht unter allen Versuchs-
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Das Oktavengesetz.
umständen und nicht bei allen Beobachtern mit dieser Methode der direkten Vergleichung zweier Töne feststellen kann. Denn es kommt vor, daß Beobachter die Art der psychischen Einstellung, bei der die besondere Ähnlichkeit zwischen Oktaventönen hervortritt, nicht treffen, sondern bei der anderen Einstellung verharren, die — wie angeführt — zu den Distanz-„Almlichkeiten" führt, wobei die Oktaven gar nicht ausgezeichnet sind. Bei der Methode der direkten Vergleichung kann das Ergebnis gelegentlich sogar paradox ausfallen, indem eine Versuchsperson die Oktaventöne sowohl ähnlich als auch unähnlich findet. Da es bei der Vergleichung zweier Töne doch immer möglich ist, daß die Beobachter nach Distanz und nicht nach Ähnlichkeit urteilen — und das kommt hauptsächlich bei unmusikalischen Versuchspersonen und in vielen Fällen auch bei musikalischen Menschen ohne absolutes Gehör vor1) —, habe ich die Ähnlichkeit der Oktave auch noch auf anderem Wege studiert. Ich habe es für das nichtigste gehalten, Reihen von Tönen vorzuführen und den Eindruck solcher Reihen, deren Glieder im Oktavenverhältnis standen, vergleichen zu lassen mit dem Eindruck solcher, bei denen das nicht der Fall war. Ich sagte mir, daß wenn die Versuchspersonen die Töne der Oktavenreihe unter allen Bedingungen, d. h. sowohl beim Vergleich mit Reihen von kleineren, wie von größeren Intervallverhältnissen , einstimmig als ähnlicher beurteilen, es dann bewiesen sei, daß die Oktaventöne die ähnlichsten Töne der Tonreihe bilden. Das Neue bei dieser Vorführungsart ') Siehe Näheres darüber unten: Kapitel 8, S. 90.
Das Oktavengeaetz.
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bestand darin, daß die Bedingungen für Distanzurteile, die bei der Beurteilung der Ähnlichkeitsqualitäten der Töne nicht verwendet werden sollten, m ö g l i c h s t u n g ü n s t i g waren. Allerdings bildete der Beobachter bei jedem Versuch dennoch Distanzurteile, aber sie kam von selbst dahinter, daß es noch eine andere Art gibt, Ähnlichkeiten zwischen Tönen zu beurteilen und daß die bei s o l c h e r Einstellung erkannte Ähnlichkeit auf einem andern, nicht minder leicht faßbaren phänomenalen Moment beruht. Nach kurzer Zeit wurde Distanzurteil von Ähnlichkeitsurteil scharf unterschieden, und sogar ganz spontan einander gegenübergestellt. Des Näheren waren die Versuche folgenderweise angeordnet: Als Reizquelle wurden mehrere Stern sehe Tonvariatorflaschen benutzt. Da sie bekanntlich nahezu reine aber doch keine ganz obertonfreie Töne liefern , habe ich die meisten in Betracht kommenden Obertöne der Flaschen durch I n t e r f e r e n z ausgelöscht.2) Durch, die bereitwillige Hilfe meines lieben Freundes Dr. P a u l v. L i e b e r m a n n war es ermöglicht, der Versuchsperson obertonfreie Tonreihen in schnellem Tempo zu geben, so daß sie die aufeinanderfolgenden Töne ganz bequem, ohne Störung, miteinander vergleichen konnte. Diese Aufgabe war nicht leicht, da man für jeden Ton eine Anzahl von Interferenzröhren einstellen, und bei jedem folgenden wieder eine ') Ich werde unten ausführen, daß ich es für richtiger halte, Distanzurteile gar nicht als Ähnlichkeitsurteile zu betrachten. 2
) Über die Interferenzmethode siehe F. A u e r b a c h s Akustik im Handbuch der Physik, herausgegeben von A. W i n k e l mann. Leipzig 1909, besonders S. 507 u. f.
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Das Oktavengesetz.
Anzahl ausschalten mußte. Die größte Schwierigkeit lag aber darin, daß man zwischen den zu vergleichenden beiden Reihen ein System von neuen Röhren einzustellen hatte. Durch Übung haben wir es dahin gebracht, daß wir in 5 — 9 Sekunden die neue
Interferenzanordnung
einstellten.
Die
Zwischenzeit
konnte also keinen störenden Einfluß auf die Vergleichsfunktion ausüben.1) Jede Versuchsreihe
ist
aus zwei Tonreihen
gebildet
worden, und zwar aus der Hauptreihe und der Vergleichsreihe, die miteinander in undurchsichtigem Wechsel gegeben wurden.
Es zeigte sich recht bald, daß die günstigste Ex-
positionsart für die Beurteilung die war, wenn ich die erste Reihe (z. B. die Oktavenreihe) dreimal hintereinander gab, um den Eindruck dieser Reihe stark einzuprägen, und dann erst zweimal, oder auf Wunsch der Versuchsperson auch dreimal die zweite Reihe (z. B. die Quartenreihe) darbot, und endlich noch einmal oder auf Wunsch noch wiederholt, die erste Reihe. Darauf wiederholte ich denselben Versuch noch ein- oder zweimal; erstens um mich zu vergewissern ob die Versuchsperson ihr Urteil aufrechterhielt, zweitens um ihr noch Gelegenheit zu geben, ihre Beobachtung zu vervollständigen. Beim Versuch I. sind: als Hauptreihe die obertonfreien Töne c 1 c 2 c 3 (Oktavenreihe), als Vergleichsreihe die obertonfreien Töne g 1 c 2 f 2 (Quartenreihe) gegeben werden. ') Diese Untersuchung wurde im psychologischen Institut der Akademie für Handels- und Sozialwissenschaften zu Frankfurt a. M. angestellt. Ich danke Herrn Prof. Dr. F. S c h u m a n n für die bereitwillige Überlassung des Institutes und Herrn Privatdozenten Dr. W . K ö h l e r für die Erläuterung der Handhabung der Apparate.
Das Oktavengesetz.
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Die Aussage der Versuchsperson Dr. Magda R6v6sz lautete folgendermaßen: „Obwohl zwischen den Tönen der Hauptreihe größere Distanzen als zwischen denen der Vergleichsreihe sind, war doch die Aufeinanderfolge der Töne der Hauptreihe viel weniger überraschend als die der Vergleichsreihe. Der Abstand der Töne in der Vergleichsreihe ist größer, ferner gehören die Töne dieser Reihe mehr zusammen, jedoch erscheinen die Töne der Hauptreihe mit Bestimmtheit ähnlicher und harmonischer." Bei der Wiederholung desselben Versuches war die Aussage im Prinzip unverändert geblieben, nur wurde die Ähnlichkeit der Oktavenreihe noch mehr betont. Die Versuchsperson gab zu Protokoll, daß: „die Hauptreihe eigentlich aus ganz a u s g e s p r o c h e n ä h n l i c h e n , man kann sogar sagen aus g l e i c h e n T ö n e n gebildet ist, die aber in gleicher Distanz ü b e r e i n a n d e r liegen." Zum gleichen Resultate gelangte ich, als die Versuchsperson die Oktavenreihe mit Terzen- und mit Quinten-, mit Tritonen- und Septimen- und mit Nonenreihen zu vergleichen hatte. Die Ähnlichkeit der Oktaventöne zeigte sich aber nicht nur dann, wenn eine Oktavenreihe mit einer Terzen- oder Quintfenreihe verglichen wurde, sondern auch dann, wenn in einer diskontinuierlichen Tonreihe Oktaventöne mit anderen Tönen a b w e c h s e l n d vorkamen. So wurden z. B. in der Reihe c 1 g 1 c 2 g 2 c 3 und c 1 fis 1 c 2 fis2 c3, die Oktaventöne zwar nicht als Oktaven erkannt, aber als höchst ähnliche, sogar i d e n t i s c h e Töne bezeichnet. „Es schien, als ob der erste Ton (c1) in höheren Lagen w i e d e r k e h r t e . " Es muß bemerkt werden, daß die Versuchsperson während
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Das Oktavengesetz.
der ersten drei Versuchsreihen nicht erkannte, daß die Hauptreihe stets aus Oktaventönen gebildet war. Erst beim zweiten Versuch der vierten Versuchsreihe, als nämlich die Oktavenreihe mit der Tritonenreihe verglichen wurde, bemerkte sie zögernd, daß die in jedem Versuch wiederkehrende Tonreihe (Hauptreihe) ihr eine Oktavenreihe zu sein scheine. Aus den Aussagen ist ersichtlich, wie die Versuchsperson zu diesem Schlüsse kam. Als sie nämlich die größere Ähnlichkeit der Oktavenreihe, besonders aber die Wiederholung eines schwer zu charakterisierenden Momentes schildern wollte, meinte sie das Richtige zu treffen, wenn sie die Töne als „identische", voneinander nur hinsichtlich der Höhenlage verschiedene Töne bezeichnete. Da sie sich nun bei der Charakterisierung der Oktaventöne solcher Prädikate wie „identische" und „wiederkehrende" bediente, schien es ihr eine gerechtfertigte Folgerung, daß diese Töne Oktaven sein müßten. Daß bei ihr die Bezeichnung der Töne der Oktavenreihe als Oktaven nicht darauf beruhte, daß sie etwa den durch musikalische Erfahrung eingeprägten Eindruck dieses Intervalles schließlich erkannt hätte, zeigt ferner der Umstand, daß sie beim Versuch V. eine Quint-Quartenreihe (c 1 —g 1 — c 2 —g 2 usw.) auch als Oktavenreihe auffaßte und bezeichnete. Jene Erfahrung, die die musikalisch Gebildeten haben,» hätte sich überdies schon bei der ersten Vorführung augenblicklich geltend gemacht. Ich glaube, daß die angegebenen Versuchsresultate dieser musikalisch nicht unterrichteten Versuchsperson dafür sprechen, daß die im Oktavenverhältnis stehenden Töne im Vergleich zu allen anderen Tönen als die am meisten ähnlichen Töne angesehen werden müssen. Der Umstand ferner, daß die
Das Oktavengesetz.'
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Oktaventöne stets ohne Zögern mit Bestimmtheit als die ähnlichsten Töne beurteilt werden, und besonders daß man sie mit Prädikaten, wie „Wiederholung", „Rückkehr", „Identität" auszeichnet, die bei keinen in andern Verhältnissen stehenden Tönen jemals angewendet werden, die Tatsache, daß bei Vergleichung von Tönen, die in anderem Intervall Verhältnis zueinander stehen, das Moment der Ähnlichkeit niemals, wenn überhaupt in irgend einem Grad, in so ausgeprägter Weise zum Bewußtsein kommt, wie bei Oktaventönen, all dies weist auf eine besondere Art der Verwandtschaft dieser Töne hin. Ich habe außer dieser Versuchsperson noch einen unmusikalischen Beobachter gehabt (einen 14 jährigen Lehrling), der niemals Musik trieb, und auch kein Interesse für sie hatte. Diese Versuchsperson hatte zuerst die kleineren Intervalle — unabhängig von der Qualität der gegebenen Töne — als ähnlicher als die größeren beurteilt. Darin stimmen alle unmusikalischen Versuchspersonen und solche, die noch nicht wissen, worum es sich eigentlich bei der Bestimmung von Tonähnlichkeiten handelt, überein. Aber bereits bei der zweiten Vorführung derselben Reihe hielt er die Töne der Oktavenreihe für viel ähnlicher als die der Quarten- und Quintenreihe, wenn sie auch, wie er es ausdrückte, „weit voneinander liegen". Die beschriebenen Versuche habe ich am Klavier mit diesen beiden Versuchspersonen und auch mit anderen unmusikalischen und musikalischen Versuchspersonen wiederholt, und die gleichen Resultate erhalten. Unter den unmusikalischen Versuchspersonen befand sich ein Student, der so unmusikalisch war, daß er in der KontraOktave die Töne einer sukzessiv gegebenen Quinte für denselben Ton hielt und in den mittleren Oktaven zwischen
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Das Oktavengesetz.
Tönen einer kleinen Terz keinen Unterschied bemerkte. Ferner konnte er keinen deutlichen Unterschied zwischen den benachbarten Tönen der C-Dur-Tonleiter in der Kontra-Oktave und in der unteren Hälfte der großen Oktave beobachten. Diese Versuchsperson beurteilte dennoch in der mittleren Lage beim Vergleich einer Oktavenreihe mit einer Quint- oder Quartreihe die Oktaventöne als ä h n l i c h e r ,
zusammengehöriger
als die anderen Töne, zwischen denen sie k e i n e
Ähnlich-
k e i t s b e z i e h u n g bemerken konnte. Aus diesen V e r s u c h e n
folgt
also endgültig
der
S a t z , daß z w i s c h e n O k t a v e n t ö n e n große Ä h n l i c h k e i t besteht.
Wir bezeichnen ihn als
Oktavenähnlichkeitssatz.
Wir sind also bei der Betrachtung deT Tonreihe zu dem Ergebnis gekommen, daß man die Tonreihe in zweifacher Weise auffassen kann. Erstens kann man sie ansehen a l s e i n e g e r a d l i n i g e E m p f i n d u n g s r e i h e , d e r e n V e r l a u f d u r c h die B e z e i c h nung
„aufsteigend"
genügend
und zweitens a l s e i n e s o l c h e ,
charakterisiert
deren Verlauf sich
der B e z e i c h n u n g „ V e r ä n d e r u n g in e i n e r
wird mit
konstanten
R i c h t u n g " n i c h t b e s c h r e i b e n l ä ß t , da sie e t w a s P e r i odisches hat. Die erste Eigentümlichkeit der Tonreihe äußert sich in der E r s c h e i n u n g des S t e i g e n s o d e r des S i n k e n s .
Diese
Änderungsmöglichkeit hat die Aufmerksamkeit der bisherigen Beobachter am meisten auf sich gezogen, und sie ist die einzige, die bisher theoretisch eingehender gewürdigt worden ist.
Darum finden wir die phänomenale Tonreihe fast in
allen bisherigen Darstellungen als ein System von eindimensionaler Mannigfaltigkeit aufgefaßt.
Das Oktavengesetz.
15
Die zweite Eigenschaft der Tonreihe macht sich in der P e r i o d i z i t ä t der E m p f i n d u n g e n geltend, indem in den Oktaventönen ähnliche Empfindungen wiederkehren. Das wird deutlich, wenn man etwa die Skala durch mehrere Oktaven hindurch spielt. Der Eindruck der Periodizität wird noch erhöht, wenn man die Oktave, die sowohl den Endpunkt der einen, wie den Anfangspunkt der nächsten Reihe bildet, doppelt anschlägt. Man darf bei der Demonstration dieser Erscheinung die Töne nicht allzuschnell nacheinander geben und man muß die Aufmerksamkeit eben auf das Moment der periodischen Wiederkehr einstellen, weil sonst das des steten Steigens sich geltend macht. Ich habe sowohl mit Musikalischen als mit Unmusikalischen Versuche nach dieser Richtung angestellt, und alle haben die Verschiedenheit des Erlebnisses bei den zwei Arten der Einstellung fast mit denselben Worten geschildert. Wenn jemand ohne Voreingenommenheit an die Analyse der Tonempfindungen herangeht, kann er sich dem Eindruck dieser G r u n d p h ä n o m e n e der T o n e m p f i n d u n g s r e i h e nicht entziehen. Nimmt man also hier, ohne sich durch die herrschenden Anschauungen und Theorien davon abhalten zu lassen, die Rückkehr zu den Phänomenen vor, wie es E. R. J a e n s c h für die Raumwahrnehmung versucht hat, 1 ) so kommt man schon durch die phänomenologische Betrachtung der Tonreihe zu der Erkenntnis, daß in der Tonreihe wenigstens z w e i , v o n e i n a n d e r u n a b h ä n g i g e M e r k m a l e zu unterscheiden sind. Das eine Merkmal ist ein solches, das sich wiederholt, das also in den Oktaventönen w i e d e r k e h r t . Ich will es Qualität der T o n e m p f i n d u n g nennen. Das, *) E. R. J a e n s c h , Über die Wahrnehmung des Raumes. Leipzig 19X1 (Ergänzungsband 6 der Zeitschr. f. Psychol.); Einleitung.
] 6 Zwei unabhängige musikalische Eigenschaften der Tonempfindungen.
was an den Oktaventönen verschieden ist, ist die Höhe der Tonempfindung. Mit Rücksicht auf die Ergebnisse können wir das Oktavengesetz in folgender Weise formulieren: Sie ursprüngliche Ähnlichkeit der Oktaventöne beruht auf der Gleichheit ihrer Qualitäten.
3. Die beiden unabhängigen musikalischen Eigenschaften der Tonempfindungen: Tonqualität und Tonhöhe. Ich habe für das Merkmal, das sich in den Oktaventönen wiederholt, das Wort Q u a l i t ä t in Anspruch genommen. Da aber das Wort Qualität bereits für andere Eigenschaften der Töne angewendet worden ist, so will ich dort, wo von Qualität in dem von mir definierten Sinne die Rede ist 1 ) und Mißverständnisse Q u a l i t ä t sprechen.
möglich
sind,
von
musikalischer
Denn diese Eigenschaft ist es, die in
der Musik eine große Rolle spielt, während die Vokaleigenschaft nur bei manchen Klängen und dann als musikalisch Nebensächliches auftritt. H ö h e des Tones genannt.
Das andere Merkmal habe ich die F ü r uns sind also die Ausdrücke
Qualität und Höhe keine Synonyme. Ich glaube nicht, daß diese Verwendung der Ausdrücke zu
einer Konfusion
müßte.
der
akustischen Terminologie
führen
Ich gebrauche das Wort Höhe für die Eigenschaft
der Tonempfindung, die diesen Namen von jeher geführt hat. *) So verwendete W . K ö h l e r das Wort Qualität für die Vokaleigenschaft der Töne in seinen akustischen Untersuchungen, Zeitschr. f. Psychol. 58, S. 102.
] 6 Zwei unabhängige musikalische Eigenschaften der Tonempfindungen.
was an den Oktaventönen verschieden ist, ist die Höhe der Tonempfindung. Mit Rücksicht auf die Ergebnisse können wir das Oktavengesetz in folgender Weise formulieren: Sie ursprüngliche Ähnlichkeit der Oktaventöne beruht auf der Gleichheit ihrer Qualitäten.
3. Die beiden unabhängigen musikalischen Eigenschaften der Tonempfindungen: Tonqualität und Tonhöhe. Ich habe für das Merkmal, das sich in den Oktaventönen wiederholt, das Wort Q u a l i t ä t in Anspruch genommen. Da aber das Wort Qualität bereits für andere Eigenschaften der Töne angewendet worden ist, so will ich dort, wo von Qualität in dem von mir definierten Sinne die Rede ist 1 ) und Mißverständnisse Q u a l i t ä t sprechen.
möglich
sind,
von
musikalischer
Denn diese Eigenschaft ist es, die in
der Musik eine große Rolle spielt, während die Vokaleigenschaft nur bei manchen Klängen und dann als musikalisch Nebensächliches auftritt. H ö h e des Tones genannt.
Das andere Merkmal habe ich die F ü r uns sind also die Ausdrücke
Qualität und Höhe keine Synonyme. Ich glaube nicht, daß diese Verwendung der Ausdrücke zu
einer Konfusion
müßte.
der
akustischen Terminologie
führen
Ich gebrauche das Wort Höhe für die Eigenschaft
der Tonempfindung, die diesen Namen von jeher geführt hat. *) So verwendete W . K ö h l e r das Wort Qualität für die Vokaleigenschaft der Töne in seinen akustischen Untersuchungen, Zeitschr. f. Psychol. 58, S. 102.
Zwei unabhängige musikalische Eigenschaften der Tonempfindungen. 17
Der Ausdruck „hohe und tiefe Töne" bedeutet nach wie vor dasselbe. Wenn man in der Psychologie von Tonhöhe sprach, meinte man tatsächlich nur die Eigenschaft, die auch ich Höhe nenne; auch ist das Wort in der Tat ein adäquater Ausdruck dafür und macht, weil es der Eaumanschauung entlehnt ist, auch für komplexe Erscheinungen eine leichte und ungezwungene Terminologie möglich: Steigen und Sinken, Distanzen. B r e n t a n o hat das Wort Helligkeit für dieselbe Eigenschaft angewendet, was aus mehreren Gründen nicht empfehlenswert ist. Der Musiker versteht unter hellem und dunklem Klang Verschiedenheiten der Klangfarbe, und wird sich niemals dazu verstehen, für hohe Töne helle zu sagen, einen Intonationsfehler z. B. mit der Bemerkung „zu dunkel" zu korrigieren. Das Wort Qualität verwende ich allerdings nicht im alten Sinne, nicht als Synonymon zu Höhe, aber es besteht auch kein Bedürfnis, zwei Ausdrücke für die Höhe zu haben. Für die Eigenschaft, die ich Qualität nenne, steht leider kein treffenderer Ausdruck zur Verfügung. . Aus der periodischen Wiederkehr folgt, daß alle in der Erfahrung vorkommenden Tonqualitäten in einer einzigen Oktave enthalten sind. Sie bilden eine in sich zurücklaufende Reihe; diese Reihe nenne ich Qualitätenreihe. Die Wiederholung der Tonqualitäte'nreihe in jeder beliebigen Oktave ist als eine Grandtatsache zu betrachten. Eine Reihenbildung finden wir nun auch bei dem anderen Merkmal, bei der Höhe. Die Höhen bilden aber eine in g l e i c h b l e i b e n d e r R i c h t u n g v e r l a u f e n d e R e i h e , die ich als H ö h e n r e i h e bezeichnen will. Um einige Beispiele zu geben: Wodurch sich ein beliebiger c-Ton von einem beliebigen d- oder e-Ton unterKSvSsz, Tonpsychologie.
2
18 Zwei unabhängige musikalische Eigenschaften der Tonempfindungen.
scheidet, ist die Q u a l i t ä t , wodurch sich dagegen jeder Ton von jedem beliebigen anderen unterscheidet, ist die H ö h e . So unterscheidet sich z. B. c 1 von c 2 der Höhe nach; aber auch g 2 und a 2 sind der Höhe nach verschiedene Töne. Der Qualität nach sind alle gleichnamigen Töne gleich, nicht aber zugleich der Höhe nach. Gehen wir also von einem beliebigen Punkte der Tonreihe aus, der etwa die Tonqualität gis hat, so finden wir nach einer gewissen Strecke die Qualität gis in der Reihe wieder, aber diesmal mit einer anderen Höhe verknüpft. Jeder Ton kann also den vorstehenden Ausführungen zufolge nur durch zwei Angaben psychologisch eindeutig bestimmt werden: durch die Angabe seiner Qualität und seiner Höhe. Ist eine Tonempfindung nur der Q u a l i t ä t nach bestimmt, wird sie z. B. als e bezeichnet, so bleibt noch die Frage offen, welche Höhenlage das betreffende e hat, weil jede Qualität in verschiedenen Höhen vorkommt. Wird dagegen die H ö h e eines Tones angegeben, so ist damit zugleich die Qualität gegeben, da in e i n e r Höhe nur eine Qualität vorkommt.1) Prinzipiell könnte also eine Tonempfindung durch das Höhenmerkmal allein eindeutig bestimmt werden. Wir haben aber in der Praxis nicht für jede einzelne Höhe besondere Bezeichnungen, was sich einerseits durch die besondere musikalische Bedeutung des Qualitätsmerkmals erklärt, anderseits daraus, daß die Qualitätenreihe eine begrenzte ist. Infolgedessen bezeichnen wir bei einer Tonempfindung stets vor allem die Q u a l i t ä t (c, d, e usf.) und dann erst das Höhengebiet, in dem sie liegt (eingestrichene, große Oktave usf.). Wenn also ') Hiervon kommen in pathologischen Fällen Ausnahmen vor, wovon später die. Rede sein wird. In solchen Fällen reicht die Angabe der Höhe zur Definition der Tonempfindung nicht aus. Siehe S. 49 u. ff.
Zwei unabhängige musikalische Eigenschaften der Tonempfindungen. 19
auch ' prinzipiell die Angabe der Höhe für die Festlegung einer Tonempfindung vollständig hinreichen würde, erweist sich doch die tatsächlich übliche Bezeichnungsweise als die zweckmäßigste.1) Räumliche Darstellung der Tonreihe.
Es ist in der Empfindungslehre üblich, die inhaltlichen Beziehungen sämtlicher Empfindungen eines Sinnesgebietes, durch räumliche Schemata darzustellen. Ohne Zweifel hat die Veranschaulichung der Empfindungsbeziehungen durch räumliche Schemata etwas für sich. Aber meiner Ansicht nach ist ihr Nachteil oft größer als ihr Vorteil. Da die inhaltlichen Beziehungen in der Regel geometrisch nicht vollständig und einwandfrei dargestellt werden können, haben bisher diese Darstellungen viel Verwirrung angerichtet. G-. E. Müller 2 ) hat sich veranlaßt gefühlt, von der räumlichen Darstellung des Systems der Farbenempfindungen Abstand zu nehmen. Als ich über die räumliche Darstellung der Gesamtheit unserer Ton Wahrnehmungen nachdachte, sah ich ein, daß es ein Schema, das alle inhaltlichen Beziehungen der Tonwahrnehmung (die wir bei der Analyse der Tonempfindung finden) in einer Weise darstellen würde, daß es ') Was die übrigen mit der Schwingungszahl veränderlichen Merkmale der Tonempfindungen betrifft, wie Dumpfheit, Dunkelheit in der Tiefe, Schärfe, Kleinheit in der Höhe (Stumpf), so bin ich der Ansicht, daß diese Ausdrücke keine neuen elementaren Toneigenschaften bezeichnen, sondern nur die uns schon bekannten Phänomene, Höhe und Vokalität mit anderen Worten beschreiben oder doch Eigentümlichkeiten, die durch diese elementaren Merkmale bestimmt sind. (Vgl. dazu S t u m p f , Tonpsychologie, II, S. 540.) *) Zur Psychophysik der G-esichtsempfindungen. Zeitschr. f. Psychol., Bd. 10, S. 63. 2*
2 0 Zwei unabhängige musikalische Eigenschaften der Tonempfindungen.
Niemanden zu anfechtbaren Schlußfolgerungen verleiten könnte, nicht gibt. Ein Schema sollte nur dann angewendet werden, wenn es alle Beziehungen richtig aufweist (dann ist es eben streng vollständig), mindestens aber dürfen wir verlangen, daß es nicht zu falschen Schlüssen führe. Wenn es aber auch nicht möglich ist, alle inhaltlichen Beziehungen räumlich darzustellen, so ist es immer noch möglich, gewisse Beziehungen durch Schemata zu veranschaulichen und zur Demonstration der Verhältnisse mit Erfolg anzuwenden. Wollen wir die Tonreihe räumlich so darstellen, daß sowohl die Stetigkeit und Periodizität der Qualitätenreihe, wie die Stetigkeit und Geradläufigkeit der Höhenreihe zum Ausdruck kommt, dann müssen wir ein dreidimensionales Schema wählen. Bei einer zweidimensionalen, ebenen Darstellung würden wir nur eine Wellenlinie erhalten, die zwar die Periodizität zum Ausdruck brächte, aber nicht die Konstanz der Richtung der Veränderung des anderen Merkmales, und zudem den Fehler hätte, ausgezeichnete Punkte zu haben. Bei einer dreidimensionalen Darstellung erhalten wir eine S c h r a u b e n l i n i e . Die Richtungskonstanz der Höhenreihe wird zwar nicht einwandfrei dargestellt, aber die Tendenz, fort- und nicht in sich zurückzulaufen, kommt durch die vom Anfangspunkt sich stetig entfernende Linie richtig zum Ausdruck. Die Periodizität der Qualitätsreihe wird dadurch dargestellt, daß die Linie von Oktave zu Oktave dieselben Erzeugenden des Zylinders, auf dessen Mantelfläche die Schraubenlinie liegt, schneidet. Unter denjenigen, die das geradlinige Aufsteigen der Tonreihe bestritten, war es D r o b i s c h 1 ) , der lehrte, daß die *) Über die mathematische Bestimmung der musikalischen Intervalle, 1846. Vgl. dazu L o t z e , Medizinische Psychologie, 1852. S. 213.
Historisches und Kritisches.
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Tonreihe vielmehr einer Schraube gleich emporsteige, in der Weise, daß die den gleichnamigen Tönen, den Oktaven entsprechenden Punkte senkrecht übereinander liegen. Natürlich bringt — wie soeben gesagt — diese Form der Versinnlichung der Tonreihe nur bestimmte Verhältnisse zum Ausdruck, doch kann sie mit Vorsicht angewendet werden und ist recht anschaulich.
4. Historisches und Kritisches. Ich will nun die Rolle der Oktavenähnlichkeit in der musikalischen Praxis sowie in der Geschichte und Theorie der Musik schildern und zugleich die Anschauungen der bedeutendsten Musiktheoretiker kritisch behandeln. In der Musik ist die Tatsache der Ähnlichkeit der Oktaven niemals bezweifelt worden; im Gegenteil, sie spielte stets eine fundamentale Rolle. Belege finden wir dazu in der musikalischen Praxis, wo z. B. eine Melodie, die für die Geige geschrieben ist, ohne weiteres auf dem Cello eine Oktave tiefer gespielt werden kann, ohne daß die Begleitung mittransponiert zu werden brauchte. Auch Lieder können ohne weiteres m i t d e r s e l b e n B e g l e i t u n g eine Oktave tiefer oder höher transponiert werden. Eine Melodie oder eine musikalische Figur wird, wenn sie eine Oktave tiefer oder höher gespielt wird, nur als eine Wiederholung aufgefaßt; der Eindruck der vollkommenen Wiederholung entsteht aber n u r bei Oktaventransposition. — Fordert man jemanden auf, einen Ton nachzusingen, so singt er nur dann genau denselben nach, wenn er seiner Stimme bequem liegt, sonst einen gleichnamigen.
Historisches und Kritisches.
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Tonreihe vielmehr einer Schraube gleich emporsteige, in der Weise, daß die den gleichnamigen Tönen, den Oktaven entsprechenden Punkte senkrecht übereinander liegen. Natürlich bringt — wie soeben gesagt — diese Form der Versinnlichung der Tonreihe nur bestimmte Verhältnisse zum Ausdruck, doch kann sie mit Vorsicht angewendet werden und ist recht anschaulich.
4. Historisches und Kritisches. Ich will nun die Rolle der Oktavenähnlichkeit in der musikalischen Praxis sowie in der Geschichte und Theorie der Musik schildern und zugleich die Anschauungen der bedeutendsten Musiktheoretiker kritisch behandeln. In der Musik ist die Tatsache der Ähnlichkeit der Oktaven niemals bezweifelt worden; im Gegenteil, sie spielte stets eine fundamentale Rolle. Belege finden wir dazu in der musikalischen Praxis, wo z. B. eine Melodie, die für die Geige geschrieben ist, ohne weiteres auf dem Cello eine Oktave tiefer gespielt werden kann, ohne daß die Begleitung mittransponiert zu werden brauchte. Auch Lieder können ohne weiteres m i t d e r s e l b e n B e g l e i t u n g eine Oktave tiefer oder höher transponiert werden. Eine Melodie oder eine musikalische Figur wird, wenn sie eine Oktave tiefer oder höher gespielt wird, nur als eine Wiederholung aufgefaßt; der Eindruck der vollkommenen Wiederholung entsteht aber n u r bei Oktaventransposition. — Fordert man jemanden auf, einen Ton nachzusingen, so singt er nur dann genau denselben nach, wenn er seiner Stimme bequem liegt, sonst einen gleichnamigen.
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Historisches und Kritisches. Primitive Musik.
Auch G e s c h i c h t e und F o l k l o r e liefern bemerkenswerte Daten für dieses Problem. Man kann nämlich auf die frühzeitige Erkennung der Oktavenähnlichkeit aus dem Notenschriftwesen des Altertums und Mittelalters schließen. Ich bin überzeugt, daß die N a m e n g e b u n g der T ö n e in der W i e d e r h o l u n g der Q u a l i t ä t e n von O k t a v e zu O k t a v e i h r e W u r z e l h a t t e . E s mußte die hohe Ähnlichkeit der Oktaven schon in den Anfängen der Musik beobachtet worden sein, sonst wäre man nicht auf den Gedanken gekommen, die Oktaven mit gleichen Namen zu bezeichnen. Wenn wir zeigen könnten, daß die gleichnamige Bezeichnung der Oktaventöne noch- vor der Einführung der mehrstimmigen Musik, ja, ehe man noch eine tiefere Stimme mit einer höheren in der Oktave begleiten ließ, eingeführt wurde, so fiele zugleich der Einwand weg, daß die den simultanen Oktaven zukommende große Konsonanz der eigentliche Grund für die Einführung der gleichen Bezeichnung gewesen sei. 1 ) Leider habe ich wenig historische Daten zur Verfügung, aber einige aus der Geschichte der Notenschrift alter Völker werden doch als Belege willkommen sein. E s ist bekannt, daß die C h i n e s e n die Oktaventöne von jeher gleich benannten, also höchst wahrscheinlich noch ehe Mehrstimmigkeit eingeführt wurde. Die älteste Musikübung der Chinesen bediente sich einer fünfstufigen Skala. In ') S t u m p f s AnDahme, daß die Oktave, die schon in der homophonen Musik als sukzessiver Schritt vorkommt, doch durch ihre Verschmelzung aufgefallen sei, nämlich bei zufälligem mehrstimmigen K u f e n , ist zwar keineswegs ausgeschlossen, halte ich aber nicht für wahrscheinlich.
Historisches und Kritisches.
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dieser kamen die Töne c (Tsche) und d (Yu) in zwei Höhen (Okta'ven) vor und wurden mit denselben Namen bezeichnet Genau so war es bei den a l t e n Indern. Die Normaltonleiter bestand aus sieben Tönen, die in der Notenschrift mit den Silbenzeichen der Namen der sieben Stufen bezeichnet wurden. Das Tonsystem der Inder umfaßte drei Oktaven (A bis a2), die Namen und die Notenzeichen der Oktaven wiederholten sich von Oktave zu Oktave. So hieß z. B. ein Ton, dessen Tonhöhe unserem a entsprochen haben soll, Sa (H), seine höhere und tiefere Oktave hieß such Sa; das Notenzeichen erhielt jedoch in den verschiedenen Oktaven schon ein Unterscheidungszeichen, und zwar in der höheren Lage o , o 0 in der tieferen 0, also H und H. Die altindische Notenschrift stimmt also prinzipiell mit unserer heutigen überein, da die periodisch auftretenden Qualitäten mit gleichen Namen und Zeichen, die Höhen aber mit verschiedenen fixiert werden. Daß bei den G r i e c h e n die Oktaventöne nicht durch identische Bezeichnung ausgezeichnet waren, findet seinen Grund darin, daß das vollkommene Tonsystem der Griechen aus mehreren Tetrachorden zusammengesetzt wurde und dabei die Namen der Töne der einzelnen Tetrachorde beibehalten worden sind. Bei der späteren Notierung wurden die Töne mit den fortlaufenden Buchstaben des Alphabets A bis S2 bezeichnet, in diesem einen Falle kam also das Oktavenprinzip in der Bezeichnung nicht zur Geltung. In der älteren b y z a n t i n i s c h e n N o t e n s c h r i f t , in der die Töne mit den ersten Buchstaben des griechischen Alphabetes bezeichnet wurden, kam die Oktave mit dem Namen a wieder, auf den Ton tj folgend; ebenso im 10. Jahrhundert
Historisches und Kritisches.
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n. Chr., als die griechische Buchstabentonschrift durch lateinische Buchstaben ersetzt wurde, und zwar mit den sieben ersten des Alphabets: A, B, C, D, E, F , G für die sieben Töne der diatonischen Skala, folgte oberhalb G wieder A, unterhalb A wieder G, gerade so wie heute. 1 ) Die Tatsache also, daß b'ei diesen Völkern die identische Bezeichnung der Oktaventöne schon in der Zeit als die Musik noch ausschließlich oder vorwiegend melodisch war, als es mehrstimmige Musik noch nicht gab, eingeführt worden ist, weist auch darauf hin, daß die Oktavenähnlichkeit eine uralte, ursprüngliche musikalische Erfahrung ist. Auch die G e s ä n g e d e r N a t u r v ö l k e r legen hiervon Zeugnis ab. Nicht nur treffen wir hier die Oktave als sukzessiven Schritt, wie z. B. in dem Eskimogesang, den S t u m p f in seinem bei vornehmer Knappheit doch so reichen Buch über die A n f ä n g e d e r M u s i k (Leipzig 1911) anführt (Notenbeispiel 50, S. 182), sondern es finden sich auch Fälle, wo Töne, die in Oktaven liegen, eine gewisse dominierende Rolle in der Melodie spielen, z. B. als Ruhepunkte, auf denen die Stimme längere Zeit verweilt. Es dominiert also, ähnlich wie in unserer Musik die Tonica, nicht ein Ton, sondern ein Ton und seine-Oktaven, worin sich die Identität der Oktaventöne ausprägt. Siehe das Notenbeispiel 18 bei S t u m p f S. 137, das E. v. H o r n b o s t e l und E. F i s c h e r notiert haben. Die besondere Stellung der Oktave äußert sich auch in der auffallenden Reinheit ihrer Intonation, die S t u m p f bei der Besprechung eines der zahlreichen phonographisch aufgenommenen Gesänge hervorhebt, deren getreue Wiedergabe in Notenschrift wir dem unermüdlichen Eifer von H o r n x
) H. R i e m a n n , Katechismus der Musikgeschichte.
S. 67 ff.
Leipzig 1909.
Historisches und Kritisches.
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b o s t e l verdanken. (Notenbeispiel 12 auf S. 125.) Die besondere Reinheit der Intonation kommt offenbar daher, daß ähnliche Töne besonders leicht zu treffen sind.
Ansichten über die Ähnlichkeit der Oktaventöne.
Es ist sehr sonderbar, daß, während die Oktavenähnlichkeit in der Musik niemals bezweifelt worden ist und von jeher bekannt war, wir in der psychologischen Akustik die verschiedensten Ansichten darüber ausgesprochen finden. Es gibt nun vor allem Psychologen, die ganz allgemein leugnen, daß zwischen Tönen Ähnlichkeit bestünde (für einfache Töne sogar H e l m h o l t z ) ; andere behaupten das Gegenteil. — Dann treffen wir Theoretiker, die mit Vorliebe von Gegensätzlichkeit der Oktaventöne sprechen (Herbart und die griechischen Musiktheoretiker), andere wollen Gegensätzlichkeit nur zwischen Quintentönen wahrnehmen (M. H a u p t mann) und wieder andere, die Mehrzahl der Autoren, behaupten, daß es bei Tonempfindungen überhaupt keinen Sinn habe von Gegensätzlichkeit zu reden. — Widersprechend sind die Meinungen auch derer, die — im Gegensatz zu jenen, die eine Ähnlichkeit nur bei Oktaventönen akzeptieren wollen (Külpe, S u l l y ) — zwischen allen Tönen Ähnlichkeit wahrzunehmen meinen, und sogar die Meinungen der letzteren sind wieder geteilt. Nach der einen Ansicht nimmt die Ähnlichkeit mit zunehmender Differenz der Schwingungszahlen immer mehr ab, so daß im Umfange einer Oktave die Oktaventöne die unähnlichsten werden ( S t u m p f s Distanzäbnlichkeit), die andere betont vor allem ausdrücklich, daß eine ganz besondere Ähnlichkeit die Oktaventöne auszeichnet
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Historisches und Kritisches.
(Rameau, B r e n t a n o , D r o b i s c h ) . A l l e diese Anschauungen will ich psychologische nennen. Die große Verschiedenheit dieser Ansichten liegt aber nicht in der Natur des Gegenstandes, sonst könnte man leicht verzweifeln und für die Lösung dieser Frage wenig Hoffnung hegen. Diese Anschauungen verdanken ihre Verschiedenheit oder Gegensätzlichkeit den v e r s c h i e d e n e n Ges i c h t s p u n k t e n , von denen aus die Autoren diese Frage betrachten. Denn, wenn jemand deskriptiv vorgeht, so wird er niemals behaupten können, daß zwischen Tönen überhaupt keine Ähnlichkeit bestehe, f a l l s er sich n i c h t d u r c h gen e t i s c h e B e t r a c h t u n g e n in s e i n e m U r t e i l ü b e r die phänomenale Seite der Erscheinungen beeinflussen läßt. Daß Psychologen, die ihre Aufmerksamkeit nur auf eine Seite des Phänomens richten, zu verschiedenen, ja sogar zu einander widersprechenden Resultaten kommen, ist selbstverständlich. Denn wenn einem Beobachter die Periodizität der Qualitäten besonders auffällt, wird er selbstverständlich zu einem völlig anderen Ergebnis kommen als der Beobachter, der sein Augenmerk auf die Erscheinung des Steigens und Sinkens richtet. Und endlich werden die Oktaventöne deshalb als Gegensätze aufgefaßt, weil man in den Oktaventönen bestimmte Merkmale der Gegensätzlichkeit zu finden glaubt, wie das Merkmal, daß sie als Grenzpunkte (Pole) einer sich stetig ändernden Reihe angesehen werden, was in vielen Fällen tatsächlich bei Gegensätzen vorkommt (Schwarz-Weiß, Warm-Kalt, Hell-Dunkel usw.). Ich will auf die psychologischen Anschauungen nicht näher eingehen, weil sie einerseits — wie soeben erörtert — ') Zit. nach S t u m p f , Konsonanz und Dissonanz, S. 47.
Historisches und Kritisches.
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bei weitem nicht so verschieden sind, wie es auf den ersten Blick scheint, und weil ich andererseits durch meine Untersuchungen über das Oktavengesetz ohnehin alle widersprechenden Anschauungen widerlegt habe. Hat man nun eine Ähnlichkeit zwischen Tönen gefunden, so entsteht die ganz neue Aufgabe, d e n U r s p r u n g d i e s e r Ä h n l i c h k e i t a u f z u d e c k e n . Hierüber sind verschiedene Ansichten geäußert worden. Meine Auffassung über die Ursache der Oktavenähnlichkeit weicht von den meisten sonst geltenden Auffassungen v o l l s t ä n d i g ab, da ich behaupte, daß den O k t a v e n t ö n e n die Ä h n l i c h k e i t ursprünglich z u k o m m t , während andere, vor allem H e l m h o l t z und Stumpf die Oktavenähnlichkeit als eine Folgeerscheinung auffassen und ihr infolgedessen nur eine s e k u n d ä r e B e d e u t u n g zuschreiben. Nach H e l m h o l t z beruht die große Ähnlichkeit der Oktaventöne auf ihrer physikalischen Verwandtschaft. Nach ihm ist die Ähnlichkeitsbeziehung der Oktave zum Grundtone deshalb am auffallendsten, weil sie nur solche Teiltöne enthält, die auch im Grundtonklange enthalten sind. Er meint, daß die Wiederholung einer Melodie in der höheren Oktave deshalb eine „wirkliche" Wiederholung ist, weil wir einen Teil dessen wieder hören, was wir eben gehört haben, nämlich die geraden Teiltöne der früheren Klänge und weil wir dabei nichts Neues hören, nichts was wir nicht schon gehört hätten. Wenn wir eine tiefe Stimme von einer höheren in der Oktave begleiten lassen — die einzige mehrstimmige Musik, welche die Griechen anwendeten — so fügen wir der tieferen nichts Neues hinzu, sondern verstärken nur ihre geradzahligen Teiltöne. ') Lehre von den Tonempfindungen, 5. Aufl., S. 419 ff.
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Historisches und Kritisches.
Die Erklärung der Ähnlichkeit aus den koinzidierenden Partialtönen ist u n r i c h t i g . Nach der Anschauung von H e l m h o l t z kann zwischen reinen, obertonfreien Oktaventönen keine Ähnlichkeit bestehen. Um diese Annahme zu prüfen, habe ich die Versuche mit obertonfreien Tönen angestellt, deren Resultate ich oben mitgeteilt habe. Es z e i g t e sich, d a ß die O k t a v e n ä h n l i c h k e i t eine u r s p r ü n g l i c h e E i g e n s c h a f t d e r e i n f a c h e n Töne i s t und nicht eine Erscheinung, die erst durch Beimischung identischer Teiltöne zustande kommt. Auch S t u m p f 1 ) beanstandet, daß man bei der Untersuchung der Oktavenähnlichkeit niemals mit vollkommen einfachen Tönen operiert hat. „Sobald auch nur der erste Oberton vorhanden ist, haben wir es bei der Oktave mit einer zusammengesetzten Ähnlichkeit zu tun, die hier nichts beweist." — Dieser Einwand fällt nun vollständig weg. Die H e l m h o l t z sehe Auffassung kann aber auch, abgesehen von unseren Versuchen, aus folgenden Gründen nicht aufrechterhalten werden. Nach der Helmholtzschen Auffassung dürfte zwischen sehr weit auseinander liegenden Oktaven, wie z. B. C und c3, gar keine Ähnlichkeit bestehen, da ja bei diesen Tönen ein g e m e i n s a m e r P a r t i a l t o n auf die Empfindung k e i n e n E i n f l u ß h a b e n k a n n ; da entspricht doch dem Grundtone c 3 erst der 16te Partialton des C. — Und dennoch besteht eine Ähnlichkeit. Weiter müßte, wenn H e l m h o l t z ' Anschauung über die Oktavenähnlichkeit richtig wäre, die Duodezime zum Grundton eine größere Ähnlichkeit aufweisen, als eine weit l
) Konsonanz und Dissonanz, S. 48.
Historisches und Kritisches.
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abstehende Oktave, z. B. müßte zwischen C und g° eine größere Ähnlichkeit bestehen als zwischen C und c3, was nicht der Fall ist. In einem Falle von Parakuse erzeugte ein um eine Terz oder Quart verstimmter Ton mit einem, s e i n e r Q u a l i t ä t n a c h mit ihm i d e n t i s c h e n , seiner Höhe nach aber verschiedenen Tone Oktaveneindruck, obschon kein einziger Partialton des einen mit irgend einem des anderen zusammenfiel. Nach H e l m h o l t z zeigt die Wiederholung einer Melodie jn den höheren Oktaven — wie schon oben erwähnt — deshalb eine größere Ähnlichkeit, als die Transposition auf eine andere Höhe (z. B. auf die Quarte), weil wir einen Teil dessen Wiederhören, was wir eben gehört haben, dabei hören wir aber nichts Neues. Danach müßte aber der Eindruck der Wiederholung weniger auffallend sein, wenn die Melodie erst hoch und dann tief, als wenn sie erst tief und dann hoch gespielt wird. Für die Wiederholung einer Melodie in der tieferen Oktave gilt der von H e l m h o l t z aufgestellte Satz nämlich nur zum Teil, da wir nicht nur einen Teil dessen Wiederhören, was wir eben gehört haben, nämlich die sämtlichen Partialtöne der früheren Klänge, sondern wir hören dabei auch etwas Neues, was wir noch nicht gehört haben — nämlich die u n g e r a d e n T e i l t ö n e d e r t i e f e r e n Oktave. War die Helmholtzsche Ansicht vom Ursprung der Oktavenähnlichkeit unschwer zu widerlegen, so ist es eine viel schwierigere Aufgabe zu zeigen, daß die Oktavenähnlichkeit nicht eine auf Verschmelzung beruhende Erscheinung sei. Diese Anschauung hat in seiner Tonpsychologie S t u m p f ausgesprochen.
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Historisches und Kritisches.
Er wirft nämlich die Frage auf, ob Ähnlichkeit Ursache der Verschmelzung oder Verschmelzung Ursache der Ähnlichkeit sei. Nachdem er bewiesen hat, daß Ähnlichkeit des Zusammengesetzten nicht die Ursache der Verschmelzung sein kann, diskutiert er die Frage, ob es nicht vielleicht die Ähnlichkeit des Einfachen sein mag, ob also etwa die starke Verschmelzung der Oktave daher komme, daß Oktaventöne auch als e i n f a c h e besonders ähnlich wären.1) Die Argumente gehen teils darauf aus zu zeigen, daß die Verschmelzungserscheinungen aus dieser Anschauung nicht zu erklären sind, teils darauf zu zeigen, daß die Anschauung von der usprüngr liehen Ähnlichkeit der Oktaventöne überhaupt nicht haltbar sei. Herr Professor S t u m p f hat neuerdings (V. Kongreß für experimentelle Psychologie in Berlin, 1912) selbst erklärt, daß er seine damals gegebenen Argumente nicht mehr für zwingend hält und sich unserer Anschauung anschließt, nachdem er dies in neueren Schriften schon angedeutet hatte. Schon in „Konsonanz und Dissonanz" widmet er der Frage eine erneute Diskussion und lehnt die einfache Ähnlichkeit der Oktaven zwar ab, verwirft sie aber nicht mehr (S. 47); in neueren Veröffentlichungen hält er die beiden Auffassungen anscheinend für gleich gut möglich. (Siehe z. B. die Anfänge der Musik, Leipzig 1911, S. 31 und Anmerkung 16). Dennoch halten wir es nicht für überflüssig kurz zu zeigen, wie die in der „Tonpsychologie" angeführten Widersprüche zu lösen sind, da gegen die Stumpfschen Argumente bis jetzt nichts Nennenswertes vorgebracht worden ist und wir unsere Auffassung mit den dort angeführten Tatsachen in Einklang bringen müssen. ') Tonpsychologie II, S. 193 ff.
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S t u m p f hielt die Oktave als einfachen Ton nicht für hervorragend ähnlich dem Grandtone. Sie sei ähnlicher als die in der Tonreihe weiter abliegenden, aber unähnlicher als die dazwischen liegenden Töne (II, 196). S t u m p f versteht hier unter Ähnlichkeit die „Distanzähnlichkeit", d. h. er behauptet, die Ähnlichkeit sei um so größer, je kleiner die Schwingungsdifferenz. (Siehe darüber Distanzurteile, S. 106.) Ob nun Distanzgrad mit Ähnlichkeitsstufe identifiziert werden darf, ist eine Frage für sich, die ich noch behandeln will. Stumpf führte zuerst als Argument gegen die Oktavenähnlichkeit an, daß ein Glissando oder eine chromatische Tonleiter oder eine ganz stetige Veränderung der Schwingungszahl n i c h t den Eindruck einer periodischen Wiederkehr macht. Hiergegen habe ich schon auf Seite 15 bemerkt, daß es nicht gegen die Oktavenähnlichkeit spricht, wenn bei raschem Tempo und bei einer Aufmerksamkeitsrichtung auf die „Höhe" der Eindruck der Wiederholung nicht auftritt. Will man sie beobachten, so führe man die Töne in einem mäßigen, für die Auffassung der Ähnlichkeit günstigen Tempo vor und richte die Aufmerksamkeit direkt auf die Wiederkehr der Oktaven- bzw. der Qualitätenreihe. Man darf nicht verlangen, daß eine psychische Erscheinung unter allen Umständen beobachtet werden könne. Man darf ihre Existenz behaupten, wenn sie tatsächlich unter gewissen Bedingungen auftritt. Ferner führte S t u m p f den berühmten Unmusikalischen von G r a n t A l l e n an, der große Höhenunterschiede merkte, aber „keine besondere Beziehung zwischen einem Ton und seiner Oktave finden konnte. Die sämtlichen Unterschiede der Töne, welche auf Zahlenverhältnissen gründen, waren
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für ihn nicht vorhanden".1) Stumpf sah in diesem abnormen Fall eine Bestätigung seiner Auffassung, daß zwischen Oktaven keine besondere Ähnlichkeit besteht. In diesem Fall nahm allerdings der Beobachter keine Ähnlichkeit zwischen Oktaventönen wahr, aber man darf dabei nicht vergessen, daß er ü b e r h a u p t k e i n e m u s i k a l i s c h e B e z i e h u n g b e o b a c h t e t e , und zwar weder bei sukzessiven noch bei simultanen Tönen. Unter diesen Umständen ist es nicht sonderbar, daß ihm auch Oktavenähnlichkeiten nicht zum Bewußtsein kamen, zumal da diese Beziehung aus bekannten Gründen verdeckt ist. Mir scheint aber, daß dieser Fall nicht nur nicht gegen meine Auffassung spricht, sondern daß ich ihn sogar als Argument für m i c h verwenden kann, da er zeigt, daß die Eigenschaften Höhe und Q u a l i t ä t t r e n n b a r s i n d ; sie waren hier durch eine Entwicklungsanomalie getrennt, wie bei dem von mir auf Seite 49 u. f. besprochenen Fall durch den pathologischen Prozeß. Ich nehme also an, daß im Grant Allen sehen Fall die Tonqualitäten schon ursprünglich ausgefallen waren, die Töne ließen sich — abgesehen von der Tonstärke — nur nach ihrem Höhenmerkmale unterscheiden. S t u m p f hat weiter angeführt, daß die Annahme einer hervorragenden einfachen Ähnlichkeit der Oktaventöne widersinnig sei, wenn man an der Eindimensionalität der Tonreihe festhält. Und so kommt er zu dem Schluß, daß die Tonreihe bei einer solchen Annahme sich nur durch räumliche Gebilde von mehreren Dimensionen veranschaulichen lasse. Die ganze Anschauung hat aber, so führte S t u m p f aus, nur dann Sinn, wenn das besondere Ähnlichkeitsverhältnis ') T o n p s y c h o l o g i e I, S. 265, besonders II, S. 197; M i n d 1878, S. 157 ff.
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der Oktaventöne aus irgend einem besonderen Merkmal der Töne entspringt. Um ein solches auch bei einfachen Tönen zu finden, hat tatsächlich schon B r e n t a n o die Hypothese von zwei Toneigenschaften, Qualität und Helligkeit aufgestellt. S t u m p f zeigt, daß nicht nur die Verschmelzung der Oktaven, sondern auch die übrigen Verschmelzungsgrade sich nicht aus der B r e n t a n o s c h e n Auffassung herleiten lassen. Er brachte Argumente hierfür, denen ich zustimme, aber nur insofern als sie sich auf die Erklärung der VerschmelzuDgsstufen beziehen. Auch ich meine, daß sich die Verschmelzungserscheinungen nicht aus den Ähnlichkeitsverhältnissen der Töne herleiten lassen, wohl a b e r die E r s c h e i n u n g e n bei s u k z e s s i v e n Tönen. Soweit jedoch die Argumente die Tatsache der Oktavenähnlichkeit selbst betreffen, muß ich ihm widersprechen. Den unmittelbaren Eindruck der Ähnlichkeit der Oktaven leitet S t u m p f von sukzessiver Verschmelzung her, indem er behauptet, daß nicht die Verschmelzung Folge der Ähnlichkeit sei, sondern der „Schein der Ähnlichkeit" Folge der Verschmelzung. (Tonpsychologie II, S. 196.) Dies hat folgende Schwierigkeiten. Sukzessive Intervalle, die um eine Oktave erweitert werden, behalten ihre musikalische Bedeutung. Das sukzessive Intervall c 1 —g 1 kann musikalisch durch c 1 — g 2 vertreten werden. Stumpf würde dies selbstverständlich daraus erklären, daß die Intervalle in der weiten Lage denselben Verschmelzungsgrad haben sollen, wie in der engen (II, 139). Allein gerade das weist doch, sofern es richtig ist, auf irgend eine Äquivalenz der Oktaven hin. Warum verschmilzt c 1 mit g 2 ebenso wie mit g 1 ? Etwa weil c 1 mit c 2 „vollkommen" verschmilzt? Den Umweg über c 2 macht das Bewußtsein R é v é s z , Tonpsychologie.
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nicht. Besonders merkwürdig wird es, daß nicht nur g 2 und g 1 die gleiche Verschmelzung mit c 1 zeigen, sondern auch e2 und e 1 usf. Ist es da nicht am einfachsten, anzunehmen, e2 und e 1 sei derselbe Ton (dieselbe Qualität)? Stimmt man Stumpf nicht darin bei, daß die Verschmelzungsstufe bei der Erweiterung unverändert bleibe, so wird die musikalische Äquivalenz der Quinte mit der Duodezime usw. ein ganz zwingendes Argument. Wie kommt es, daß ein Motiv in transponierter Lage als W i e d e r h o l u n g wirkt?
Verschmilzt hier c 1 mit c2, e 1 mit e 2 uSw? Doch wohl nicht. Oder fixiert sich nur der Anfangston im Bewußtsein und verschmilzt also c 1 mit c2, die übrigen aber nur u n t e r e i n a n d e r ? Denn die Verschmelzung untereinander a l l e i n genügt nicht; es wirkt eben nur die Transposition um eine O k t a v e als „vollkommene" Wiederholung.1) Wenn die Ähnlichkeit der Oktaven auf Verschmelzung beruht, warum sind dann die übrigen Ähnlichkeiten so wenig ausgeprägt, wo doch die Verschmelzungsstufen so deutlich sind? Schon bei der Quinte konnte ich durch meine Versuche mit obertonfreien Tönen keine deutliche Ähnlichkeit konstatieren. Auf das Argument, daß bei kontinuierlicher Änderung der Schwingungszahl oder beim Spielen der Skala die Periodizität nicht merklich werde, sind wir schon eingegangen. ') Ich be one ausdrücklich „vollkommene Wiederholung", denn eine Transposition um ein anderes Intervall, wie etwa um eine Terz oder Quart, wirkt auch als eine Art von Wiederholung.
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Mehr Gewicht hätte der Einwand, daß bei Reihen wie dieser die Ähnlichkeit auch nicht mehr hervortrete. Diese Schwierigkeit bestand aber auch für S t u m p f . Wir haben auf der vorhergehenden Seite besprochen, welche Hilfsannahme gemacht werden müßte, wenn S t u m p f s Ansicht mit der Tatsache in Einklang gebracht werden soll, daß ein Motiv um eine Oktave transponiert als Wiederholung wirkt. Es blieb nichts anderes übrig als anzunehmen, daß sich der Anfangston des Motives bei der ersten Vorführung so fest einprägte, daß eine Verschmelzung mit dem Anfangston bei der zweiten Vorführung möglich würde. Nehmen wir aber dies an, so müßte sich das Anfangs-c auch bei unserer Tritonusfigur einprägen und beim Erklingen des c 2 die Ähnlichkeit zutage treten lassen. Die Erklärung liegt darin, daß hier c 1 und fis 1 zu einer musikalischen Phrase zusammentreten, und c 2 mit d i e s e r verglichen wird. Daher tritt die Ähnlichkeit in Gestalt des Wiederholungseindruckes sofort auf, wenn fis2 zugefügt wird. Aber auch wenn der Anfangston fest eingeprägt wird, etwa
Fis macht also eine Störung des Ä h n l i c h k e i t s e i n d r u c k e s f ü r lins, der V e r s c h m e l z u n g f ü r S t u m p f . Auch mit obertonfreien Tönen habe ich diesen Fall untersucht. Ich gab die Reihen: c 1 ^ c 2 f 2 c3 c 1 fis1 c 2 fis2 c 3 c 1 e 1 c2 e2 c3. 3*
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Bei der Quart-Quint und Terz - Sextreihe gab die Versuchsperson schon bei der ersten Darbietung zu Protokoll, daß die Töne 1, 3 und 5 entweder sehr ähnlich sind oder sogar eine „Rückkehr des Tones 1" stattfindet. — Bei der Tritonreihe beobachtete sie bei der ersten Darbietung zwischen den Tönen keine Ähnlichkeit, ihre Aufmerksamkeit wurde durch das Erlebnis angezogen, daß „diese Reihe viel glatter abläuft als die übrigen, weil die Töne in gleicher Entfernung voneinander standen" (Distanzurteil). Bei der zweiten Darbietung dieser Reihe erschienen der Versuchsperson die Töne 1, 3 und 5 schon als eine Rückkehr desselben Tones, zwischen den Tönen 2 und 4, d. h. zwischen fis1 und fis 2 bemerkte sie aber bei dieser Vorführung noch keine Beziehung. Erst später, als ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf diese beiden Töne gerichtet war, konstatierte sie eine Ähnlichkeit zwischen ihnen. Und endlich kann man noch als Argument gegen die frühere S t u m p f s c h e Auffassung die auf Seite 22 u. ff. angeführten musikhistorischen Daten ins Treffen führen, daß bei alten Völkern noch in der Zeit als ihre Musik ausschließlich oder vorwiegend melodisch war, die Oktaventöne mit demselben Namen bezeichnet wurden. Als Vermutung hat auch der vielfach anregende B r e n t a n o 1 ) die Idee ausgesprochen, daß neben der Qualität und Intensität der Tonempiindungen noch etwas drittes zu unterscheiden wäre, welches er als Helligkeit bezeichnete. E r wollte durch diese Anschauung d a s d o p p e l t e Ä h n l i c h k e i t s v e r h ä l t n i s d e r T ö n e , das einerseits zwischen den Oktaventönen, andererseits zwischen den um wenig Schwingungen voneinander abweichenden Tönen besteht, erklären. ') Zitiert nach S t u m p f , Tonpsychologie, Bd. II, S. 199. (Mündliche Mitteilung B r e n t a n o B . )
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B r e n t a n o hat seine Auffassung damals nicht näher ausgeführt, weder mit weiteren phänomenologischen, noch mit experimentellen Tatsachen begründet; wahrscheinlich nur als eine denkbare betrachtet und so knapp gefaßt, daß nicht einmal feststeht, ob er mit seiner Anschauung das im Sinne hatte, was man später in sie hineingelegt hat. Meines Wissens war es S t u m p f allein, der die B r e n t a n o s c h e Auffassung eingehender diskutiert hat. E r kritisierte sie vor allem vom Gesichtspunkte der Verschmelzungserscheinungen aus. Das, worauf es aber B r e n t a n o bei der Aufstellung seiner Hypothese b e s o n d e r s ankam, nämlich die doppelte Ahnlichkeitsbeziehung der Töne irgendwie theoretisch verständlich zu machen, ist von S t u m p f nicht widerlegt worden. Seitdem ist die B r e n t a n o s c h e Lehre von anderen Forschern nicht wieder aufgegriffen worden. Ich selbst habe von dieser Auffassung erst während der Ausarbeitung meiner Theorie Kenntnis genommen und obwohl ich im Prinzip zu demselben Kesultat gekommen bin, war der von mir gegangene Weg ein wesentlich anderer. Gerade die Verschiedenheit des Weges läßt aber die Ubereinstimmung besonders bedeutungsvoll erscheinen. Später hat B r e n t a n o seine Anschauung in einer sehr deutlichen und zugleich modifizierten Form dargestellt. 1 ) E r nimmt an, daß die Tonempfindungen außer der Intensität drei Eigenschaften aufweisen. E r unterscheidet erstens das g e s ä t t i g t e E l e m e n t , das mit meiner „Qualität" übereinstimmt ') Fr. B r e n t a n o , Von der psychologischen Analyse der Tonqualitäten in ihre eigentlich ersten Elemente. Vortrag verfaßt für den Intern. Kongreß für Psychologie in Kom, 1905. Erschienen in den „Untersuchungen zur Sinnespsychologie", Leipzig 1907, S. 101 ff. Vgl. dazu noch B r e n t a n o , Uber Individuation, multiple Qualität und Intensität sinnlicher Erscheinungen. Vortr. Intern. Kongr. f. Psychol. in München, 1896, erschienen gleichfalls in den „Untersuchungen usw.".
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und in jeder Oktave wieder auftritt, und zweitens zwei ung e s ä t t i g t e E l e m e n t e , die in verschiedenen Verhältnissen mit dem gesättigten Elemente auftreten, von denen das eine dem Schwarz, das andere dem Weiß vergleichbar ist und die infolgedessen die Namen Tonschwarz und Tonweiß erhielten (nach meiner Terminologie „Höhe"). Ein c in mittlerer Lage unterscheidet sich nach dieser Theorie von einem tiefen und einem hohen c annähernd wie reines gesättigtes Blau sich von Dunkelblau und Hellblau unterscheidet. Es ist anzunehmen, daß B r e n t a n o seine frühere Ansicht auf Anregung von Mach 1 ) modifiziert hat, der annimmt, daß jeder Ton sich nur als eine Vereinigung von einem Quantum von Dumpf und Hell (nach B r e n t a n o Tonschwarz und Tonweiß) darstellen läßt. Es würde mich zu weit führen, wenn ich die ingeniöse Auffassung von Mach eingehend besprechen wollte, ich will nur kurz an die wichtigsten Erscheinungen erinnern, von denen die Mach sehe Theorie nicht Rechenschaft gibt. Sie bringt die Oktavenähnlichkeit nicht zum Ausdruck, ebensowenig die Äquivalenz der engen und erweiterten Intervalle (S. 123), sie kann zwischen Tondistanz und Intervall keinen Unterschied machen (S. 105 ff.), ferner bietet sie keinerlei Anhalt, wie es zwei Arten von absolutem Gehör geben kann (S. 91). Pathologische Fälle, wie z. B. der unter Seite 50 ff. mitgeteilte, wo mit der Schwingungszahl sich nur eine Eigenschaft ändert, während eine andere konstant bleibt, können nach ihr nicht verständlich gemacht werden. Die Brentanosche Anschauung hat den großen Vorteil vor der Machschen, daß sie die Tonqualität als eine s e l b ') E. Mach, Die Analyse der Empfindungen, Jena 1903, 6. Aufl., S. 232 u. f. ''
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s t ä n d i g e Toneigenschaft betrachtet (die gesättigten Elemente) und daher Verhältnisse, die nach Analogie einer Empfindungsreihe von der Art der schwarzweißen nicht zu erklären sind, wie etwa die Oktavenähnlichkeit und den in sich zurücklaufenden Charakter der Tonqualitätenreihe, verständlich macht. Was aber die Seite der Theorie betrifft, die die modifizierte Form der Brentanoschen Theorie mit der Mach sehen gemein hat, nämlich die Zusammensetzung der Helligkeitsreihe aus zwei Bestandteilen, so glaube ich nicht, daß wir zu dieser Anschauung gezwungen sind, da die Tatsachen, die B r e n t a n o aus ihr ableitet, auch aus meiner Theorie ungezwungen erklärt werden können, so daß jene Zweiteilung, soweit ich gegenwärtig sehen kann, überflüssig ist. Allerdings wird eine Eigentümlichkeit der phänomenalen Tonreihe in B r e n t a n o s Beleuchtung besonders gut verständlich, nämlich daß die eine Toneigenschaft, die ich Tonqualität nenne, nicht überall gleich deutlich ist. Indem B r e n t a n o diese Toneigenschaft der Buntfarbigkeit bei Gesichtsempfindungen analog setzt (gesättigtes Element) und das bekannte Verhalten heranzieht, daß das Gewicht des chromatischen Prozesses bei Zunahme des gleichzeitigen achromatischen abnimmt, macht er es durch die Annahme eines Tonschwarz und Ton weiß verständlich, daß das gesättigte Element dort am meisten zurücktritt, wo das eine oder das andere der ungesättigten am meisten hervortritt, d. h. in den Endregionen. Wie die Analogie genauer durchzuführen wäre, ist freilich nicht so leicht anzugeben. Die maximale Sättigung müßte sich dort finden, wo die beiden „achromatischen" Prozesse im Gleichgewicht sind, wie es sich bei den Gesichtsempfindungen verhält; bei diesen ist ja die Farbigkeit beim
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von mir so genannten kritischen Grau am größten.1) Suchen wir nach einem analogen Punkt d e r Tonreihe, so könnten wir das zunächst p h ä n o m e n o l o g i s c h versuchen, also einen Ton suchen, der in der Tonreihe phänomenal eine entsprechende Stellung einnimmt wie das kritische Grau in der Schwarzweißempfindungsreihe. Das müßte ein sehr tiefer Ton sein, da das kritische Grau sehr dunkel ist. Die Analogie würde also versagen, da doch eben in der Tiefe die Qualität der Töne undeutlich ist. Folglich dürfen wir nicht nach einem p h ä n o m e n a l entsprechenden Punkt suchen, sondern wir müssen ein ganz anderes Kriterium anwenden. Man könnte z. B. versuchen, die Unterschiedsempfindlichkeit als solche zu verwenden, indem man ihr M a x i m u m suchte. Es ist aber nicht leicht dieses Prinzip anzuwenden, da nicht ohne weiteres ersichtlich ist, mit welchem Maße die Unterschiedsempfindlichkeit gemessen werden soll (ob absolute oder relative Unterschiedsschwelle). Wir sehen also, daß jeder Versuch die Analogie genauer durchzuführen, Schwierigkeiten bereitet. Wenn sich B r e n t a n o auf die Unterschiedsempfindlichkeit . in der mittleren Tongegend beruft, die tatsächlich, wenn man die absolute und nicht die relative Unterschiedsschwelle nimmt, etwa in der oberen Hälfte der eingestrichenen Oktave ihr Maximum hat, so möchten wir nur darauf aufmerksam machen, daß das Maximum der Unterschiedsempfindlichkeit in der Schwarzweißempfindungsreihe nicht bei phänomenal mittleren Grautönen liegt, wie B r e n t a n o meint, sondern beim kritischen Grau. Das ist allerdings kein Gegenargument, gibt aber zu denken. ') Gr. R e v e s z , Über das kritische Grau, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 43, S. 345, vgl. ferner G. E. M ü l l e r , Zur Psychophysik der GesichtsempfinduDgeu, ebenda, Bd. 10, 8. 31 ff und Bd. 14, S. 60ff.
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Im übrigen involviert die B r e n t a n o s c h e Theorie gewisse Vorstellungen, die keine rechte Stringenz zu haben scheinen, bei denen es sehr von individueller Beurteilung abzuhängen scheint, ob man sie als zutreffend anerkennen will. So z. B., daß ein Ton mittlerer Lage eine Ähnlichkeit mit hohen und tiefen Tönen genau so erkennen lasse, wie ein mittleres Grau mit Schwarz und Weiß, oder daß der tiefste und höchste Ton Gegensätze wie Schwarz und Weiß seien. Diese Kritik hat nicht den Zweck, die Ansicht über die zusammengesetzte Art der Höhenreihe (aus Tonschwarz und Tonweiß) durchaus zu verwerfen. Da im Gebiete der Optik ein solches Entstehen von Empfindungsreihen nachgewiesen ist und die Ansicht ansprechend ist und wesentlich einfachere Vorstellungen erlaubt als die Annahme einer qualitativen Änderung eines einfachen psychophysischen Prozesses,1) so müssen wir sie trotz ihrer mangelhaften empirischen Basis sehr beachtenswert finden. Nur ist zu bemerken, daß die Theorie keinesfalls die einfache Gestalt annehmen könnte, die ihr Mach zu geben versucht hat, der aus dem Zusammenwirken eines Hell- und Dunkelprozesses nicht nur die Höhenreihe, sondern die v o l l e musikalische Reihe herleiten zu können glaubte. An d e r T r e n n u n g der Q u a l i t ä t e n r e i h e von der H ö h e n r e i h e m ü s s e n wir a u c h p s y c h o p h y s i s c h durchaus festhalten. E s liegen nämlich schon experimentelle Belege dafür vor, daß die Reihe der T o n q u a l i t ä t e n — wenigstens innerhalb enger Grenzen — tatsächlich durch Variation des Stärkeverhältnisses zweier psychophysischer Prozesse entVgl. G. E. M ü l l e r , Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 10, S. 13 u. ff, besonders S. 36.
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stehen kann, ) ähnlich wie die Kotgelbempfindungsreihe. Und ebenso wie die Kotgelbempfindungsreihe bei gleicher Helligkeit hergestellt werden kann, d. h. so daß alle Glieder dieselbe Helligkeit haben, was die Unabhängigkeit der achromatischen Prozesse von den chromatischen bezeugt, so gelingt es auch hier die Qualitätenreihe bei gleicher Höhe herzustellen, was uns zwingt, die beiden psychophysischen Prozesse, von denen wir die Höhenreihe herleiten (H- und D-Prozeß) als unabhängig zu betrachten von denen, die die Qualitätenreihe hervorbringen. Zur psychophysischen Deutung der vollen musikalischen Tonreihe müssen wir also mindestens vier psychophysische Prozesse annehmen. Nach Abschluß dieser Arbeit bin ich auf eine Veröffentlichung von M. Meyer 2 ) aufmerksam gemacht worden, in der er ebenfalls zwei Merkmale an den Tönen unterscheidet, quality (unsere Höhe) und pitch (unsere Qualität). Seine Argumente beziehen sich auf die höchsten und tiefsten Töne und auf die Geräusche. Sie weisen zwar auf zwei musikalische Eigenschaften der Töne hin, genügen aber allein nicht für die Aufstellung einer solchen weittragenden Theorie. Das ist wahrscheinlich der Grund, daß die Meyersche Anschauung nicht zur allgemeinen Anerkennung gelangt ist In allerletzter Zeit hat W. K ö h l e r mitgeteilt (VI. Kongreß f. exper. Psychol. in Berlin, April 1912), daß auch ihn seine Untersuchungen dazu geführt haben, außer der Voka') L i e b e r m a n n u n d B é v é s z , Über binaurale Tonmischung. Nachrichten d. kgl. Gesellsch. d. Wissensch. Göttingen, Math.-physik. Klasse 1912 und in der Zeitschr. f. Psychol. Bd. 64. Vgl. dazu noch Kap. 5, S. 63. 2 ) M. M e y e r , On the Attributes of Sensations. Psychol. Rev. IX, S. 83, besonders 95 ff.
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lität zwei Tonmerkmale zu unterscheiden, wovon das eine mit unserer Höhe identisch ist, während das andere, im großen und ganzen wenigstens, unserer Qualität entspricht. Die von ihm vorgebrachten experimentellen Ergebnisse haben dazu beigetragen, die von mir in den Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen in großen Zügen entwickelte Anschauung von den zwei unabhängigen Eigenschaften zu festigen1), was in der anschließenden Diskussion zum Ausdruck kam.
5. Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften. Ich hoffe, daß ich durch die phänomenologische Betrachtung der Tonreihe die von mir aufgestellten Sätze und Anschauungen zureichend begründet habe. Da aber diese Sätze mit ihren Konsequenzen sowohl für die Lehre von den Tonempfindungen und von den Empfindungen überhaupt, wie für manche Fragen der Musiktheorie von fundamentaler Bedeutung sind, da sie ferner auf die Anschauungen, die wir über die den Tonwahrnehmungen zugrunde liegenden psychophysischen Vorgänge haben, von Einfluß sein können, will ich sie durch weitere Beobachtungen und Versuche, angestellt an Normalen und an Pathologischen, stützen. Den Weg, den wir einschlagen müssen, um zu beweisen, daß jedem Tone zwei s e l b s t ä n d i g e , u n a b h ä n g i g vone i n a n d e r v e r ä n d e r l i c h e m u s i k a l i s c h e -Merkmale zukommen, will ich durch eine Analogie klar machen. *) Gr. K e v e s z , Nachweis, daß in der sog.Tonhöhe zwei voneinander unabhängige Eigenschaften zu unterscheiden sind. (Vorgelegt in der Sitzung vom 18. Januar 1912.)
Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
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lität zwei Tonmerkmale zu unterscheiden, wovon das eine mit unserer Höhe identisch ist, während das andere, im großen und ganzen wenigstens, unserer Qualität entspricht. Die von ihm vorgebrachten experimentellen Ergebnisse haben dazu beigetragen, die von mir in den Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen in großen Zügen entwickelte Anschauung von den zwei unabhängigen Eigenschaften zu festigen1), was in der anschließenden Diskussion zum Ausdruck kam.
5. Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften. Ich hoffe, daß ich durch die phänomenologische Betrachtung der Tonreihe die von mir aufgestellten Sätze und Anschauungen zureichend begründet habe. Da aber diese Sätze mit ihren Konsequenzen sowohl für die Lehre von den Tonempfindungen und von den Empfindungen überhaupt, wie für manche Fragen der Musiktheorie von fundamentaler Bedeutung sind, da sie ferner auf die Anschauungen, die wir über die den Tonwahrnehmungen zugrunde liegenden psychophysischen Vorgänge haben, von Einfluß sein können, will ich sie durch weitere Beobachtungen und Versuche, angestellt an Normalen und an Pathologischen, stützen. Den Weg, den wir einschlagen müssen, um zu beweisen, daß jedem Tone zwei s e l b s t ä n d i g e , u n a b h ä n g i g vone i n a n d e r v e r ä n d e r l i c h e m u s i k a l i s c h e -Merkmale zukommen, will ich durch eine Analogie klar machen. *) Gr. K e v e s z , Nachweis, daß in der sog.Tonhöhe zwei voneinander unabhängige Eigenschaften zu unterscheiden sind. (Vorgelegt in der Sitzung vom 18. Januar 1912.)
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Nehmen wir an, daß uns jeder Farbenton in unserer bisherigen Erfahrung nur in e i n e r b e s t i m m t e n H e l l i g k e i t erschienen wäre. Nehmen wir insbesondere an, daß in der uns bekannt gewordenen Farbenreihe die Helligkeit der Farben mit zunehmender Schwingungszahl des Lichtes wüchse, so daß vom Rot ausgehend nach Violett die Helligkeit kontinuierlich zunähme. Wenn wir nun Jemandem, unabhängig davon, ob er mit der psychologischen Reihenfolge der Farben vertraut ist oder nicht, zwei verschiedene bunte Farben vorlegten, so würde er nicht nur unmittelbar die Verschiedenheit der beiden Farbentöne erkennen, sondern ebenso u n m i t t e l b a r würde er die eine Farbe für heller als die andere erklären, z. B. Grün i m m e r für heller als Rot, usw. Da sich nach dieser Fiktion die Farbentöne durch verschiedene für jede Farbe konstante Helligkeiten auszeichnen, würde man von helleren und dunkleren Farben in demselben Sinne sprechen, wie von hohen und tiefen Tönen. Nehmen wir nun weiter an, daß außer diesen an bunte Farben gebundenen Helligkeiten in der Erfahrung keine anderen Helligkeiten vorkämen, die Welt ausschließlich mit bunten Farben ausgestattet wäre, dann würden wir nicht so leicht darauf kommen, bei den Farben die Helligkeiten von den Farbentönen zu unterscheiden. — Man könnte nur eventuell auf mittelbaren Wegen, wie z. B. durch Ausfallerscheinungen zu der Ansicht gelangen, daß jedem Farbeneindruck zwei Eigenschaften zukommen, eine chromatische und eine achromatische, daß -die Helligkeit eine nicht zum Wesen der Farbenqualität (Buntheit) gehörige Eigenschaft ist. Ob man trotz der Unmöglichkeit, diese Eigenschaften durch die Wahrnehmung, durch den unmittelbaren Anblick allein zu isolieren, etwa durch eine phänomenologische Untersuchung zu einer
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Scheidung von Buntheit und Helligkeit geführt werden könnte, ist zwar nicht zu entscheiden, aber es ist sehr wahrscheinlich, daß wir hier mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hätten wie bei den Tönen. Wir wollen nun fragen, auf welchem Wege wir zu der Erkenntnis kommen könnten, daß diese Empfindungsreihe, die infolge der Parallelität der beiden Eigenschaften (der Buntheits- und Helligkeitseigenschaft) als eine Reihe von einer Variablen „ erscheint und demgemäß als eindimensionale Mannigfaltigkeit von Empfindungen aufgefaßt wird, in Wirklichkeit an jedem Gliede zwei selbständige, unabhängige Eigenschaften aufweist. Die Selbständigkeit der Buntheit und Helligkeit leuchtet am ehesten ein, wenn wir in irgendwelcher Weise die beiden Eigenschaften isolieren können, d.h. wenn sich die Verknüpfung tatsächlich als nur scheinbar unlöslich herausstellt, wenn sich also zeigt, daß unsere Erfahrung mangelhaft war. Das kann sich prinzipiell auf zwei verschiedene Arten erweisen: 1. Wenn wir finden, daß durch pathologische Vorgänge die Gesichtsempfindungen verändert werden, daß sie aber dabei die Reihenanordnung behalten, die die ursprünglichen hatten, so werden wir das als A u s f a l l e i n e r E i g e n s c h a f t deuten dürfen (erworbene totale Farbenblindheit), wir kommen also zu dem Schluß, daß die ursprünglichen Empfindungen mindestens zwei Merkmale hatten, von denen eines verloren gegangen ist. 2. Von großer Bedeutung wäre es ferner, wenn wir fänden, daß a) ein und derselbe Farbenton, z. B. ein Rot unter gewissen Umständen in v e r s c h i e d e n e n H e l l i g k e i t e n vorkäme, und endlich, wenn
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b) bei gleicher Helligkeit v e r s c h i e d e n e F a r b e n t ö n e vorkämen. Machen wir nun von unserer Analogie Gebrauch, um einen Weg zu finden, auf dem wir zum Nachweis zweier unabhängiger Merkmale in den Tonempfindungen kommen könnten. Wir könnten diesen Nachweis führen, wenn wir Tonempfindungen auffänden, die sich nur als eine a b n o r m e V e r k n ü p f u n g zweier Merkmale verständlich machen ließen, denn damit wäre bewiesen, daß auch in den normalen Tonempfindungen zwei Merkmale verknüpft sein müssen. Es könnte sich z. B. so verhalten, daß sich normalerweise immer beide Merkmale zusammen änderten, unter abnormen Umständen aber das eine sich änderte, während das andere konstant bliebe. Wir wollen jetzt die Fälle, wo sich eine Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften darbietet, behandeln, wir wollen zeigen, daß die Qualität und die Höhe nicht nur in abstracto, sondern auch real trennbar sind. I. Änderung der Qualität ohne Änderung
der Höhe.
Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften bei der Unterschiedsschwelle. Es ist bekannt, daß bei Versuchen über die Unterschiedsempfindlichkeit die Versuchspersonen zwei Töne von sehr-wenig verschiedener Schwingungszahl zwar als ungleich erkennen, jedoch in vielen Fällen nicht angeben können, welcher Ton der höhere ist oder in welcher Eichtung die Änderung erfolgt. Ich habe mehrere Versuche mit musikalischen und unmusikalischen Personen an einem sehr sorgfältig gestimmten Steinwayflügel angestellt. Die Tone waren in der Tiefe
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zwischen H 2 und H1? in der Mitte zwischen H und h°, in der Höhe zwischen h 3 und h 4 genommen; die untersuchten Intervalle waren in der Regel kleine Sekunden, kleine Terzen, Quarten und Quinten. Musikalische erkannten stets die Qualitätsunterschiede bei allen angewandten Intervallen und in jeder Höhenlage; auch die Richtungsänderung wurde in der Regel richtig angegeben. Am leichtesten und sichersten waren die Urteile über die Richtung in der Mitte, schwieriger schon in der Höhe, am schwierigsten aber in der Baßgegend, so daß in der letzteren Region, besonders bei kleinen Sekunden, sogar einige falsche Urteile gegeben wurden. Auch Frl. J. R6v6sz, die einen Ubergangstypus zwischen Musikalischen und Unmusikalischen repräsentiert, konnte zwar die Qualitätsunterschiede bei allen Intervallen und in jeder Höhenlage richtig erkennen, urteilte aber bei der Bestimmung der Höhenverhältnisse etwa in der Hälfte der Fälle falsch. Es zeigte sich bei ihr, daß die Urteile in der mittleren Lage an Treffsicherheit die in der tiefen und hohen Lage weit übertrafen. Daß eine Verschiedenheit der Töne wahrgenommen wird, ohne daß die Richtung des Schrittes beurteilt werden könnte, steht also fest. Bis jetzt hat man sich darüber, wie man diese oder ähnliche Fälle erklären soll, keine Gedanken gemacht; man konstatierte hier einfach eine nicht weiter zu erklärende Tatsache. Durch meine Auffassung von den Eigenschaften der Tonreihe gewinnt auch diese Tatsache an Interesse. Ich nehme nämlich an, daß wir es schon in diesem Falle mit einer Isolierung der beiden von uns beschriebenen und charakterisierten Eigenschaften zu tun haben, nämlich mit einer Ä n d e r u n g der Q u a l i t ä t bei k o n s t a n t e r oder
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n a h e z u k o n s t a n t e r H ö h e , daß wir also ein Beispiel habeij für die Trennung, die neben anderen noch überzeugenderen Tatsachen, die unten angeführt werden sollen, zur Aufstellung meiner Theorie geführt haben. In dem hier vorgebrachten Falle macht sich die Trennbarkeit zwar nicht in so auffallender Weise geltend, aber da ein Unterschied erkannt wird, und der Beobachter aber doch hinsichtlich der Beurteilung nach der Höhe unschlüssig bleibt, so bleibt kaum etwas anderes übrig, als anzunehmen, daß die beiden Töne in Bezug auf ihre Höhe gleich oder nicht in unterscheidbarer Weise verschieden, in bezug auf ihre Qualität aber deutlich verschieden sind. Voraussetzung für die von uns angenommene Erklärung ist nur, daß die Unterschiedsempfindlichkeit in gewissen Regionen des Tongebietes für Qualitätsunterschiede feiner sei als für Höhenunterschiede. Auf die Existenz zweier selbständiger Merkmale weist meiner Ansicht nach schon die im folgenden diskutierte Zweideutigkeit der Urteile hin, die wir bei solcher Tonvergleichung beobachten. Es ist doch auffällig und bedarf einer Erklärung, daß bei diesen Urteilen einerseits mit absoluter Sicherheit behauptet wird, daß zwischen zwei Tonempfindungen ein Unterschied besteht, andererseits aber die nähere Bestimmung dieses Unterschiedes, die Angabe, welcher Ton der höhere ist, nicht oder falsch erfolgt. Man muß doch annehmen, daß in diesem nach der einen Richtung hin sicheren, nach der anderen Richtung hin aber versagenden Urteil zwei Seiten des Beurteilten getroffen werden, die auseinanderzuhalten sind. Wenn die Höhenänderung der Qualitätsänderung selbst völlig parallel ginge — wie man es jetzt annimmt —, so würde doch stets ohne Ausnahme mit
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der Wahrnehmung einer Empfindungsänderung auch die Änderung der Höhe konstatiert werden. Wie soll man die von uns aufgewiesenen Verhältnisse deuten, wenn man in der Tonreihe nur eine einzige Eigenschaft annimmt? Und wie soll man ferner verstehen, daß auch von Unmusikalischen Töne mit dem Unterschiede einer Sekunde oder Terz als verschieden beurteilt werden, die Frage aber nach der Richtung — nach dem Höhenunterschied — nicht beantwortet werden kann, obgleich sie bei größeren Intervallen die Richtung richtig angeben? Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften bei der Parakuse. Wir ziehen, um den Beweis von der Existenz der beiden Eigenschaften der Tonempfindungen zu vervollständigen, einen höchst interessanten pathologischen Fall heran. Die Erscheinungen, die ich bei der Analyse dieses Falles beobachtet habe, betrachte ich als besonders beweisend für die von mir aufgestellten Anschauungen. Es handelt sich um eine P a r a c u s i s q u a l i t a t i s . Die auffallende Veränderung des Gehörs bei Paracusis besteht darin, daß gewisse Töne (in einer umschriebenen Gegend der Tonreihe) mit v e r ä n d e r t e r Q u a l i t ä t gehört werden. Dem objektiven Ton entspricht also subjektiv ein Pseudoton (Pseudoqualität). Diesen Fall habe ich zum erstenmal mit Dr. P a u l v. L i e b e r m a n n noch im Jahre 1908 untersucht und in der Zeitschr. f. Psychol. veröffentlicht.') In jener Zeit erstreckte ') P a u l v L i e b e r m a n n u. G e z a R 6 v 6 s z : U b e r O r t h o s y m p h o n i e , Beitrag zur Kenntnis des Falschhörens. Zeitschr. f. Psychol. Bd. 48, S. 259—275 und S t u m p f s Beiträge, Heft 4. RfcvGsz, Tonpsychologie.
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Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
sich das pathologische Tongebiet des Patienten etwa von a 2 bis gis3, ein anderes Mal sogar von g2 bis eis4. Das Interessante an diesem Falle lag darin, daß der Pseudoton (Pseudoqualität) für eine längere Strecke d e r s e l b e blieb, in Gegensatz zu beinahe allen bisher beobachteten Fällen, in welchen sich jeder einzelne Ton um dasselbe Intervall vom Normalen unterschied. So haben wir bei den ersten Versuchen gefunden, daß fast sämtliche Töne von g2 bis dis4 den gleichen Pseudoton gis hatten. Ein andermal zeigte sich wieder, daß die Versuchsperson alle Töne von fis2 bis h 3 als g hörte. Zwei Jahre später, als ich' mich mit dem absoluten Gehör beschäftigte, und mir der Gedanke kam, daß bei den Tonempfindungen wenigstens zwei Merkmale unterschieden werden müßten, habe ich das Falschhören vou L i e b e r m a n n nochmals untersucht. Ich habe nämlich vermutet, daß der k o n s t a n t e P s e u d o t o n zwar in seiner Q u a l i t ä t konstant sei, aber vielleicht nicht zugleich in seiner H ö h e n lage. Ich kam auf die Vermutung, daß die UnVeränderlichkeit des sog. konstanten Pseudotones sich nicht notwendig auf a l l e akustischen und musikalischen Merkmale beziehen müsse. Meine Vermutung wurde schon bevor ich neue Versuche mit L i e b e r m a n n anstellte, dadurch unterstützt, daß aus den Protokollen und aus den mitgeteilten Versuchsresultaten ersichtlich war, daß bei unseren damaligen Versuchen L i e b e r m a n n bei der Höhenangabe (Bestimmung der Oktavenlage) des konstanten Pseudotones in vielen Fällen mit gewissen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Er konnte nämlich in manchen Fällen nicht entscheiden, welchen Index er dem Pseudoton erteilen solle und in anderen Fällen — wie in den Tabellen I—V der oben zitierten Arbeit zu sehen ist — hat er aus Verlegenheit für einen Pseudoton zwei Oktaven-
Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
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lagen, zwei Höhenbestimmungen angegeben; er verlegte den objektiven
Ton
dis 4 ,
dessen
Pseudoton
gis
war,
in
die
drei- oder viergestrichene Oktave und urteilte demnach gis 3 oder gis 4 .
Und noch etwas fällt auf,
suchsergebnisse
gründlich
studiert,
wenn man die Ver-
nämlich
daß
der
kon-
stante Pseudoton in der Regel die dem objektiven Ton entsprechende
Höhenbezeichnung
(Oktavenbezeichnung)
80 sehen wir z. ß . in der Tabelle I, daß
der
stante Pseudoton gis des pathologischen Gebietes von
g 2 bis h 2 inkl. in
wird, also als
gis2
die
zweigestrichene
beurteilt w i r d , von
dreigestrichene Oktave,
also
c3
als gis3, bei
führt.
nahezu
kon-
g2
bis dis 4
Oktave
verlegt
bis
h3
c4
inkl. in die
beurteilt
ihn
die Versuchsperson als gis4, bei eis 4 und d 4 zwar wieder als gis 3 ,
aber bei dis 4 schon a l s gis3 oder gis4.
suchsreihe bis
h2
V
inkl.
wird als
g2,
der
konstante
von
c3
bis
h3
Pseudoton inkl.
als
I n der g g3
von
Verfis2
beurteilt,
bei c 4 tritt plötzlich ein anderer Pseudoton a u f , ein c, das von c 4 bis e 4 der obigen R e g e l zufolge in die viergestrichene Oktave verlegt wird. In jener Z e i t fielen mir weder die Schwierigkeiten beim Urteilen, noch die Eigentümlichkeiten in den erhaltenen R e sultaten besonders auf.
E r s t später hat das Eigentümliche
an der Sache meine Aufmerksamkeit erregt, als ich nämlich die Tonempfindungsreihe zu analysieren versuchte.
Bei ein-
gehender Prüfung schien es mir sogleich ganz unverständlich, wie eigentlich die Höhe des konstanten Pseudotones plötzlich um
eine
Oktave
sollte
steigen
können,
und
weshalb
die
Pseudotöne beinahe immer gerade bei dem ersten T o n der Oktave, also bei den c-Tönen, plötzlich um eine Oktave zu steigen scheinen. Ich hielt es für nötig, die Sache von Grund aus zu prüfen. 4*
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Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
Schon beim ersten Versuch zeigte sich, daß der Pseudoton n i r g e n d s einen O k t a v e n s p r u n g m a c h t , und ferner, daß die Höhenbestimmungen desto schwieriger und unbestimmter werden, je weiter die Lage der Pseudoqualität von der Lage des ihr im normalen Zustand entsprechenden Tones absteht, mit anderen Worten, je größer die Verstimmung ist. So hat z. B. die Versuchsperson die Oktavenlage des Pseudotones gis, um die (objektiven) Töne gis2 und gis3 herum, also zwischen g 2 und a 2 bzw. g 3 und a 3 , sicher und prompt angegeben, dagegen hat sie schon manche Schwierigkeiten gehabt, als der objektive Ton zwischen f 2 und fisa bzw. f 3 und fis3 oder ais2 und h 2 bzw. ais 3 und h 3 war. Das Urteil wurde aber ganz unbestimmt, wenn der objektive Ton aus dem Gebiete c 3 bis e 3 bzw. c4 bis e 4 genommen wurde. Die gis-Qualität steht nämlich zu g und a am nächsten, liegt von iis. f, ais und h schon entfernter und von den Tönen zwischen c und e am entferntesten. In den späteren Versuchen wurde nun endlich klar, daß die Versuchsperson die in der zwei- und dreigestrichenen Oktave auftauchende k o n s t a n t e P s e u d o q u a l i t ä t gis w e d e r als g i s 2 noch als g i s 3 w a h r n a h m , s o n d e r n die H ö h e der P s e u d o q u a l i t ä t gis g e n a u der Höhe des geg e b e n e n o b j e k t i v e n T o n e s e n t s p r a c h . Also entsprach z. B. dem o b j e k t i v e n Ton d 3 n i e m a l s , wie ich früher angenommen hatte, ein P s e u d o t o n gis 3 , s o n d e r n ein gis in der H ö h e von d 3 ; dem o b j e k t i v e n Ton c 4 e n t s p r a c h n i e m a l s ein P s e u d o t o n gis 4 , — s o n d e r n ein gis in der H ö h e c4. Und somit erklärt sich leicht, weshalb die Schwierigkeit des Urteilens mit der Entfernung der Pseudoqualität von der normalen Qualität des gegebenen Tones zunahm. Denn
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nehmen wir an, daß die konstante Pseudoqualität des Tongebietes f 2 bis dis4 gis sei, und ich schlage gis2 an, so wird die Versuchsperson diesen Ton ohne weiteres richtig beurteilen, da in diesem Falle die Qualität genau in einer Höhe liegt, in der sie auch früher, im normalen Zustande des Gehörs, vorgekommen war. Gebe ich aber z. B. g 2 oder a 2 , so wird das Urteilen etwas schwieriger werden, da schon eine kleine Differenz zwischen Höhe und Qualität besteht; aber sie ist noch nicht groß genug, Verwirrung zu stiften und daher werden die Töne g 2 und a 2 als gis2 beurteilt. Gebe ich dagegen c 3 oder c4, in welchem Falle schon eine größere Diskrepanz zwischen Höhe und Qualität vorliegt, dann wird die Versuchsperson schon mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Sie nimmt bei c 3 die g i s - Q u a l i t ä t , aber zugleich auch die c 3 - H ö h e wahr. Wie soll sie nun den Ton bezeichnen? Es können hier nur die Bezeichnungen gis2 und gis3 in Betracht kommen. Für gis2 spricht, daß die Höhendifferenz zwischen c 3 und gis2 kleiner ist als zwischen c 3 und gis3; für gis3 dagegen, daß der Ton für einen zweigestrichenen doch zu hoch ist, und die Höhe des gegebenen Tones (c3) dem dreigestrichenen c entspricht. Und das letztere kann ausschlaggebend werden. Und somit verstehen wir auch, weshalb der konstante Pseudoton in der Regel die dem objektiven Ton entsprechende Oktavenbezeichnung führt. Und dadurch erklären sich auch ungezwungen die ungenauen und unklaren Antworten L i e b e r m a n n s , auf die Frage, ob der konstante Pseudoton bei jeder Höhenlage schlechthin derselbe Ton sei oder nicht. Einmal sagte er, daß sie gleich seien, ein andermal hingegen, daß zwischen ihnen ein bemerkbarer aber nicht näher zu beschreibender Unterschied bestehe. Und ferner wird noch eine Aussage des
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Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
Beobachters klar, die ich seinerzeit in keiner Weise erklären konnte, nämlich daß sie z. B. eine im konstanten Pseudogebiet gegebene sukzessive Terz oder Quinte nicht „ganz", nicht „vollständig" als P r i m e auffassen konnte. Selbstverständlich war das auch nicht möglich, da die Komponenten der Terz oder der Quint nur nach einer ihrer Eigenschaften als Prime aufgefaßt werden konnten, nicht auch nach der andern. Bestimmung der Pseudotöne nach Qualität und Höhe. Die Isolierung der beiden Eigenschaften zeigte sich am schönsten und eklatantesten, als ich durch L i e b e r m a n n die Pseudotöne nach Qualität und nach Höhe bestimmen ließ. Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt: Ich schlug die Töne des Pseudogebietes in undurchsichtigem Wechsel nacheinander an und forderte den Beobachter auf, in der ersten Versuchsreihe die Töne nach ihrer Qualität, in der zweiten nach ihrer absoluten Höhe zu bestimmen. Nach einiger Übung konnte L i e b e r m a n n die Töne nach ihrer Höhe mit großer subjektiver Sicherheit beurteilen. Die Qualität der Töne wurde durch Intervallurteile in der Weise bestimmt, daß der zu bestimmende pathologische Ton mit einem tieferen, aus dem normalen Gebiet genommenen Ton, sukzessive verglichen wurde. Die Höhe der Pseudotöne wurde genau in der Weise bestimmt, wie man das absolute Gehör zu prüfen pflegt: es wurden einzelne, durch Pausen voneinander getrennte Töne in undurchsichtigem Wechsel angeschlagen, und die Versuchsperson mußte durch einen musikalischen Namen angeben, welche H ö h e ihr der Ton zu haben schien. Die Pausen wurden mit verschiedenen Akkorden oder musika-
Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
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tischen Sätzen u. dgl. ausgefüllt, um eine Perseveration des zuletzt angegebenen Tones zu verhindern. Ich habe über diese Frage zahlreiche Versuche mit L i e b e r m a n n angestellt, und die Resultate in Gemeinschaft mit Dr. v. L i e b e r m a n n unter dem Titel: Experimentelle Beiträge zur Orthosymphonie und zum Falschhören in der Zeitschrift für Psychologie, Bd. 63 veröffentlicht. Uns interessieren an dieser Stelle nur die Hauptergebnisse dieser Versuchsreihen. Das erste Hauptergebnis ist, daß ein Ton p s y c h o l o g i s c h zweier B e s t i m m u n g e n b e d a r f , u n d zwar d e r Q u a l i t ä t und der Höhe. Wollen wir unter normalen Bedingungen einen Ton bestimmen, dann müssen wir e i g e n t l i c h a u c h zwei D a t e n angeben, nämlich die Qualität und die H ö h e n l a g e (Oktavenlagej des Tones. Nur braucht unter normalen Verhältnissen die dem Ton individuell zukommende Höhe nicht angegeben zu werden, da sie schon durch die allgemeine Bezeichnung der Oktave (eingestrichene)1 usw. eindeutig bestimmt ist. Die Angabe der Oktave gibt aber nur die ungefähre Höhenlage des Tones. Ein mit absolutem Gehör begabter Beobachter würde z. B. eine auf der Höhe eis2 stehende c-Qualität (cci6*) ohne weiteres als c 2 bezeichnen würde, da zwischen den Höhen von c 2 und eis2 kein bedeutender Unterschied besteht; dagegen würde er ein auf der Höhe a 2 stehendes c (ca*) schon eher c 3 als c 2 nennen. Dieses Verhalten habe ich unzählige Male bei L i e b e r m a n n beobachtet. Es bleibt noch die Frage, wie es,- normale Verhältnisse vorausgesetzt, möglich ist, mit Hilfe einer nur ungefähren Höhenbestimmung den Ton genau zu erkennen. Ich stelle mir die Sache folgenderweise vor:
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Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.'
Jede Tonregion hat ihr eigentümliches Höhengepräge, das sich nach einer gewissen Übung Jedermann einprägen kann. Die Töne der eingestrichenen Oktave haben einen von denen der zweigestrichenen oder der kleinen Oktave verschiedenen Höhencharakter, wie sich etwa die Gesamtheit der m i t t l e r e n Graunuancen von den hellen und von den dunklen abhebt. Man höre Töne aus den verschiedenen Gegenden an und man wird an den Tönen jedes engeren Gebietes etwas Gemeinsames finden. Wird ein Ton z. B. als c beurteilt, so wird er gleichzeitig nach seinem Höhencharakter in eine der acht Oktaven verlegt, und da doch zwischen den gleichnamigen Tönen die kleinste Distanz eine Oktave ist, und infolgedessen der kleinste mögliche Fehler schon den Betrag einer Oktave hätte, kann eine falsche Beurteilung der Tonhöhe schwerlich vorkommen. Also daraus, daß Jemand die Qualität eines Tones mit dem Oktavenindex richtig angeben kann, kann weder geschlossen werden, daß er die i n d i v i d u e l l e H ö h e des T o n e s beachtet hat, noch daß er unter Umständen sie zu bestimmen imstande wäre, denn die Tonbestimmung fällt doch richtig aus, unabhängig davon, ob der Ton nach seiner genauen' (individuellen), oder ob er nur nach seiner ungefähren (regionären) Höhe beurteilt worden ist. Es ist nun aber andererseits auch klar geworden, daß die übliche Bezeichnungsweise für eine eindeutige Angabe der Tonempfindungen nicht immer ausreicht. Denn da dieselbe Tonqualität mit sehr verschiedenen Tonhöhen verbunden vorkommen kann, müssen wir unter besonderen Umständen zwei dem i n d i v i d u e l l e n Ton entsprechende Daten für die Charakterisierung einer Tonempfindung anwenden. Die Angabe der Tonqualität und des Oktavenindex (regionäre Höhe) genügt dann nicht,
Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
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weil unter solchen Umständen zur Definition einer Tonempfindung nicht die regionäre, sondern die individuelle Höhenbestimmung erforderlich ist. Wir wollen infolgedessen n e u e T o n b e z e i c h n u n g e n vorschlagen. Die Tonqualität soll wie bisher durch das lateinische Alphabet bezeichnet werden, die Tonhöhe jedoch nicht mehr einfach durch die Angabe der Oktave, sondern d u r c h den Ton, dem die H ö h e n o r m a l e r w e i s e e n t s p r i c h t . Gesetzt, daß die g-Qualität mit der Höhe von h 2 verbunden auftritt, so bezeichnen wir den Ton mit g h '; die c-Qualität mit der Höhe von eis1 wird durch coif" ausgedrückt. Wenn jedoch die Qualität eine ihrer normalen Höhen hat, so bezeichnen wir den Ton in üblicher Weise, aber immerhin im Sinne unserer neuen Bezeichnungsweise, z. B. als g1, weil ggl verkürzt g 1 geschrieben werden kann. Nach dem Gesagten drückt also die bisher übliche Bezeichnung der Töne vom Standpunkte unserer neuen Notation aus, daß die Tonempfindungen sowohl hinsichtlich der Qualität wie der Höhe normal sind, der Index bedeutet also nicht wie früher die regionäre, sondern die individuelle Höhe des Tones (c1—-c"1, e2=e®'). Eben deshalb darf man die übliche Bezeichnung nicht anwenden, wenn man z. B. nur angeben will, daß ein Ton in der zweigestrichenen Oktave liegt, und noch weniger, wenn man nur dies angeben kann. Und vor allem dann, wenn sich die Höhe eines Tones verändert h a t , und wir nicht die individuelle Höhe, sondern nur soviel erkennen, daß der Ton in der zweigestrichenen Oktave liegt, ist es angebracht, die Ungenauigkeit unserer Kenntnis irgendwie auszudrücken. Wir müssen also ein besonderes Zeichen für die Bezeichnung der Oktavengebiete prägen. Ich empfehle dafür die
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Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
Einführung der r ö m i s c h e n Z i f f e r . Liegt z.B. die e-Qualität in der zweigestrichenen Oktave, so schreiben wir e". Damit ist noch nichts darüber ausgesagt, ob die e-Qualität ihre normale Höhe beibehalten, oder ob sie eine anomale angenommen habe. Bei näherer Untersuchung kann sich dann entweder herausstellen, daß e die normale Höhe hat (e2) oder es ergibt sich eine anomale (z. B. e1*). Solange wir das nicht wissen, wenden wir die Bezeichnung der regionären Höhe an. Und endlich, wenn wir n u r die Q u a l i t ä t eines Tones angeben wollen oder angeben können, also ohne Rücksicht auf seine individuelle oder regionäre Höhe, dann wollen wir sie auf Prof. S t u m p f s Vorschlag mit großen gothischen Buchstaben bezeichnen (z. B. e-Qualität = Die Anwendung der lateinischen Buchstaben könnten in diesem Falle leicht zu Mißverständnissen führen, denn man würde einen Buchstaben ohne Index für die Bezeichnung eines Tones in der kleinen Oktave halten. Um noch einmal zusammenzufassen, wir d r ü c k e n m i t den r ö m i s c h e n Z i f f e r n die r e g i o n ä r e , mit den bish e r g e b r ä u c h l i c h e n B e z e i c h n u n g e n die i n d i v i d u e l l e H ö h e der T ö n e aus. Wir kehren nun zu unseren obigen Versuchen zurück. Ein weiteres Hauptergebnis dieser Versuchsreihen ist, daß die Versuchsperson die a b s o l u t e n H ö h e n der P s e u d o töne mit ziemlicher Genauigkeit angeben konnte, ohne die Qualitäten zu Hilfe zu nehmen. Verwendet wurden Klavier-, Pfeifen-, Tonvariator- und obertonfreie Töne; sowohl die objektive Richtigkeit, wie die subjektive Sicherheit war von der Klangfarbe der hier verwendeten Instrumente unabhängig. Von 97 untersuchten Tönen wurden 25 (25,7 °/0) ihrer Höhe
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nach genau beurteilt, 42 (43,3%) um einen halben Ton, und 30 (31,0°/0) um mehr als einen halben Ton falsch bestimmt. Man könnte die Urteile, die um eine kleine Sekunde falsch waren (42 Urteile), noch zu den richtigen Fällen zählen, da sie erstens einen sehr geringen Fehler darstellen, und zweitens, weil sie nicht die Natur eines zufälligen, sondern eines k o n s t a n t e n Fehlers haben. Der Fehler war nämlich nicht ± 1/a Ton, sondern die Abweichung ging bei einer Gruppe stets nach oben, bei einer anderen stets nach unten. Es zeigte sich, daß eine Tendenz vorhanden war, die Töne bis dis 3 inkl. um einen halben Ton zu tief, von e s an dagegen um einen halben Ton zu h o c h zu beurteilen.1) Rechnen wir also die Fälle mit einer Abweichung von einer kleinen Sekunde zu den richtigen Fällen, so sehen wir, daß n a h e z u d r e i v i e r t e l der s ä m t l i c h e n U r t e i l e (69°/ 0 ) r i c h t i g a u s g e f a l l e n sind. Die übrigen 31 °/0 fallen auf Urteile, die zwar mit größeren Fehlern als eine kleine Sekunde behaftet waren, jedoch die große S e k u n d e selten überschritten. Es sei noch bemerkt, daß bei tiefeien Tönen die Abweichungen von der objektiven Tonhöhe kleiner waren, als bei höheren. Es soll hier die Statistik der 97 Urteile folgen, um die Güte der a b s o l u t e n H ö h e n u r t e i l e zu illustrieren. *) Es ist zu bemerken, daß nicht nur bei den Fehlern von einer kleinen Sekunde, sondern bei a l l e n Abweichungen sich eine Tendenz zeigte, die Töne bis dis 3 als t i e f e r , von e s an als h ö h e r zu beurteilen. Diese Tendenz drückt sich in der folgenden Tabelle scharf aus: Unterhalb dis 3 wurden Oberhalb e 3 wurden als tiefer 43 Fälle (69,4 °/0) als tiefer 2 Fälle (5,7 %) als höher 2 (3,2%) als höher 25 ,, (71,4%) obj. richtig 17 „ (27,4%) obj. richtig 8 „ (22,9%) 62 Fälle 35 Fälle beurteilt.
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Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
Pie Abweichung von der objektiven Tonhöhe war, aus gedrückt in Intervallen: (27,4 %) (43,5 »/0) (27,4%) (1,6%) — —
Oberhalb e3 8 Fälle (22,9 %) 15 » (42,8%) 5 „ (14,3%) 3 » (8,6%) 3 1 .. (2,8%) 35 Fälle oo"
Unterhalb dis8 Prim (0) . . . 17 Fälle Kleine Sekunde. 27 Große Sekunde. 17 1 Kleine Terz Große Terz . . — Quart — 62 Fälle
Diese Versuche weisen darauf hin, daß man die psychologische Höhe der Töne genau so u n m i t t e l b a r beurteilen kann, wie ihre Qualität. Und somit kommen wir zu dem dritten Hauptergebnis unserer Versuche, daß es nämlich eine A r t von a b s o l u t e m G e h ö r g i b t , die s i c h a u s s c h l i e ß l i c h a u f die u n m i t t e l b a r e B e u r t e i l u n g d e r H ö h e n gründet.1) E s genügt vorläufig auf die fundamental wichtige Tatsache hingewiesen zu haben, daß die unmittelbare Beurteilung eines Tones sich mindestens auf zwei Momente beziehen kann. Angenommen, daß Leute mit absolutem Gehör ihre Urteile auf die Bekanntschaft mit den Tonqualitäten stützen, so muß doch noch ein anderes absolutes Gehör bestehen, das auf der unmittelbaren Erkennung der T o n h ö h e beruht, wie wir das im L i e b e r m a n n sehen Fall klar gesehen haben, da der Beobachter trotz konstanter Qualität die Höhe der Töne nahezu richtig bezeichnen konnte. Ob die absoluten Höhenurteile beim (normalen) absoluten Gehör eine Eolle spielen, ob sie vielleicht unter gewissen Umständen die Qualitätsurteile vertreten, damit werden wir uns unten näher beschäftigen. *) Siehe darüber Näheres auf Seite 90.
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Durch die Untersuchung des konstanten Pseudogebietes konnte ich das oben aufgestellte O k t a v e n g e s e t z von e i n e r n e u e n S e i t e a u s b e l e u c h t e n und durch neue Tatsachen stützen. Im konstanten Pseudogebiet hatten zu einer gewissen Zeit alle zwischen g 2 und c 4 liegenden Töne gis-Qualität angenommen. Man konnte unter diesen Umständen fast unmerklich gis2 durch die Pseudo-gis-Töne in gis3 überführen. Ließ ich zuerst gis2 mit a 2 vergleichen, so beurteilte die Versuchsperson nicht nur beide Töne als gis, sondern sie faßte ihr Intervall, da zwischen ihnen kein bedeutender Höhenunterschied bestand, in j e d e m Sinne, also sowohl nach Qualität, wie nach H ö h e , als P r i m e auf. Gab ich nun in dieser Weise die Töne nacheinander, so kam die V e r s u c h s p e r s o n von gis 2 a u s g e h e n d s t u f e n w e i s e d u r c h Primen zu der O k t a v e gis 3 . Der subjektive Eindruck dieser Empfindungsreibe kann nur mit dem einer psychischen Intensitätsreihe oder einer Helligkeitsreihe bei konstantem Farbenton verglichen werden. Die Versuchsperson hatte bei der chromatischen und diatonischen Tonleiter stets den Eindruck, als stiege eine Reihe von Primen hinauf bzw. hinab. Der Eindruck der Primenreihe war so dominierend, daß das aufsteigende Moment der Tonreihe die Aufmerksamkeit der Versuchsperson während der ersten Zeit gar nicht auf sich zog, so daß sie lange Zeit überzeugt war, daß die konstanten Pseudotöne nur in zwei Höhen vorkommen, nämlich in der Höhe der Prime und der Oktave. Das allerwichtigste bei dieser Beobachtung ist dies, daß während bei der normalen phänomenologischen Betrachtung der Tonreihe die Ähnlichkeit der Oktaventöne zwar unmittel-
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Isolierung der beiden musikalischen Eigenschaften.
bar erlebt wird, auf die Identität eines Elementes aber nur geschlossen werden kann, in diesem F a l l e a u c h die I d e n t i t ä t d e r O k t a v e n t ö n e s i n n l i c h e r l e b t wird. Ferner weist auf die Identität der Oktaventöne die schon mitgeteilte Tatsache hin, daß L i e b e r m a n n mehrmals einen falsch gehörten Ton sowohl als gis2 wie als gis3 beurteilt hat. Das geschah in der Regel dann, wenn der gegebene Ton ungefähr in der Mitte zwischen gis2 und gis3 stand, wenn z. B. der objektive Ton c 3 oder d 3 war. Das zeigt also deutlich, daß zwischen gis2 und gis3 wenigstens in einer Beziehung gar kein Unterschied bestehen kann. Demonstration verschiedener Qualitäten in gleicher Höhe durch sukzessiv binaurale Beobachtung. Während wir einerseits finden, daß eine falsche Qualität infolge pathologischer Einflüsse die Stelle einer normalen angenommen hat, können wir andererseits mit Hilfe desselben pathologischen Zustandes demonstrieren, daß zwei verschiedene Qualitäten mit derselben Höhe verbunden vorkommen können, indem wir das Verhalten des einen Ohres mit dem des anderen vergleichen. Da die Höhe der Töne für beide Ohren normal geblieben ist, weil wie oben ausführlich gezeigt, die Höhe durch die Parakuse nicht verändert wird, die Fälschung der Qualität aber im allgemeinen für beide Ohren verschieden ist, so brauchen wir nur denselben Ton beiden Ohren sukzessive vorzuführen, um zwei v e r s c h i e d e n e Q u a l i t ä t e n in d e r s e l b e n H ö h e zu erhalten. Daß die Qualitäten tatsächlich in derselben Höhe liegen, habe ich auch durch direkte Versuche als höchst wahrscheinlich erweisen können. Über diese Versuche siehe Seite 113.
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Herstellung einer lückenlosen Qualitätenreihe bei konstanter Höhe. (Versuche über binaurale Tonmischting.) Von hohem theoretischen Interesse war es nun, eine k o n t i n u i e r l i c h e Q u a l i t ä t e n r e i h e bei g l e i c h b l e i b e n d e r H ö h e herzustellen. Es ist auch tatsächlich gelungen, bei Ohrenverstimmung zwischen den zwei von einem einzigen objektiven Ton erzeugten Qualitäten, deren eine dem einen, deren andere dem anderen Ohre zugehört, die kontinuierliche Qualitätenreihe herzustellen, immer bei gleichbleibender Höhe. Es ist dazu nur nötig, den Ton zunächst dem einen Ohr zuzuführen , während das andere verschlossen ist und dieses allmählich zu öffnen, alsdann das zunächst offen gewesene allmählich zu verschließen. Es werden unter diesen Umständen b i n a u r a l e M i s c h t ö n e g e h ö r t , d e r e n Q u a l i t ä t z w i s c h e n den Q u a l i t ä t e n d e r m o n a u r a l e n Töne liegt. Der genaue Ort der binauralen Qualität bestimmt sich durch einen einfachen quantitativen Zusammenhang. Bei gleicher Empfindungsstärke des rechten und linken Tones ist die korrespondierende Schwingungszahl des binauralen Tones das arithmetische Mittel aus den korrespondierenden Schwingungszahlen der monauralen Töne. Sind die beiden Ohren in ungleichem Maße an der Erzeugung des Mischtones beteiligt, so liegt seine Qualität der des stärker beteiligten Ohres näher. Da sich nun durch Variieren der Intensitäten des rechten und linken Tones die binaurale Qualität sich beliebig zwischen den monauralen ') D. h. die Schwingungszahl eines Tones, der bei normalem Hören eine Empfindung von derselben Qualität hervorruft.
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Qualitäten verschieben läßt, erhalten wir eine kontinuierliche Qualitätenreihe bei gleicher Höhe.1) Um die Sache deutlicher zu machen, will ich ein Beispiel anführen. Nehmen wir an, daß der Beobachter infolge seiner Ohrenverstimmung den objektiven Ton f 2 am rechten Ohr normal, also als f, am linken hingegen gefälscht, etwa als g beurteilt. Bieten wir nun den Ton f 2 beiden Ohren gleichz e i t i g dar, so hört der Beobachter nicht einen Zweiklang (eine große Sekunde fg), sondern nur einen Ton, dessen Qualität zwischen den Qualitäten der monauralen Töne (fbisg) liegt, also z. B. fis. Die Höhe dieses fis ist dieselbe, wie die des rechtsohrigen f und des linksohrigen g, nämlich die, die dem objektiven Ton f 2 auch normalerweise entspricht. (Der binaurale Ton ist ein fis in der Höhe von f 2 = fis''. Darüber Näheres auf Seite 57.) Steigern wir nun die Intensität des rechten Tones, so verschiebt sich die binaurale Qualität von fis nach f , verstärken wir hingegen die Intensität des linken Tones, so nimmt der Beobachter eine Verschiebung nach der entgegengesetzten Richtung hin, von fis nach g wahr.2) Die Tatsache, daß man unter den angegebenen Umständen eine Mischung von Tonqualitäten erhält, während eine solche unter physiologischen Bedingungen niemals vorkommt, — denn beim gleichzeitigen Erklingen von e und f wird niemals ein zwischenliegender Ton anstatt dieser beiden l ) Siehe Näheres in der Mitteilung von mir und L i e b e r m a n n über binaurale Tonmischung in den Nachrichten der Gesellschaft der Wissensch. 1912. Math.-physik. Klasse.
*) Das ist nur ein fingierter Fall; es kamen nämlich so große Ohrendifferenzen nicht vor, die größte Differenz betrug etwa einen halben Ton.
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gehört werden,wird durch meine Theorie leicht verständlich, während die ältere Theorie, die nur eine musikalische Eigenschaft der Tonreihe annimmt, davon keine Rechenschaft gibt.
Isolierte Veränderung der Qualität zu verschiedenen Zeiten. Da alle Töne vor der Krankheit in derselben Höhe erschienen waren wie während der Krankheit, früher aber normale Qualitäten hatten und jetzt falsche haben, so sind zwei Qualitäten in derselben Höhe zu verschiedenen Zeiten erschienen.2) Ein eigentümlicher Fall von veränderter Qualität bei normaler Höhe. Als ich im Frühjahr 1911 Dr. v. Liebermann auf seine Pseudotöne hin untersuchte, bemerkte er, daß wenn man ihm sukzessiv das Intervall C — Cx vorführt, der deutliche Eindruck entsteht, als wenn er nicht eine Oktave, sondern eine Quarte hörte. ') Beim sogenannten Zwischenton handelt es sich darum, daß man beim gleichzeitigen Erklingen z w e i e r Töne von geringer Schwingungsdifferenz neben diesen noch einen zwischenliegenden hört. Der Fall, wo der Zwischenton ohne die Primärtöne gehört wird, bildet offenbar nur den Grenzfall. Einen Mischton erhalten wir hingegen, wenn wir nur e i n e n Reiz einwirken lassen, und es kam wenigstens bis jetzt niemals vor, daß man neben dem Mischton noch die zu mischenden Qualitäten (die Pseudoqualitäten der beiden Ohren) wahrgenommen hätte. Ferner tritt der Zwischenton in der Regel schwebend auf, der Misch ton dagegen kann aus leicht ersichtlichen Gründen nicht schweben. s ) Die Veränderung des Qualitätsmerkmales können wir auch innerhalb sehr kurzer Zeit beobachten; oft verändert es sich in wenigen Minuten ganz beträchtlich. Ii 6 v e 8 z, Tonpsychologie.
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Isolierung der beiden Eigenschaften.
Diese eigenartige Erscheinung hat uns so interessiert, daß wir ihre Untersuchung sofort in Angriff nahmen. Die experimentellen Resultate dieser Untersuchung und die nähere Besprechung der Erscheinung habe ich in Gemeinschaft mit Dr. v. L i e b e r m a n n unter dem Titel: „ U b e r eine b e s o n d e r e A r t des F a l s c h h ö r e n s in t i e f e n L a g e n " in der Zeitschrift für Psychologie Bd. 63 veröffentlicht. Ich will hier nur diejenigen Ergebnisse erwähnen, die mit unserer Frage in enger Beziehung stehen. Schlage ich am Klavier das s u k z e s s i v e Intervall C —Cj an, und fordere L i e b e r m a n n auf, das Intervall zu bezeichnen, so beurteilt er es mit voller Sicherheit als Q u a r t e . Auch wenn ich die Töne dieses Intervalles in umgekehrter Richtung gebe, werden sie als Quarte aufgefaßt. Bei näherer Prüfung hat sich herausgestellt, daß in diesen Fällen w i r k l i c h g - Q u a l i t ä t annahm. Die Qualität des Tones Cx war aber nicht wie die Pseudoqualität konstant, sondern v e r ä n d e r t e s i c h in der Regel sogar gesetzmäßig. Wenn nämlich der Ton mit den Tönen C — GiSj inkl. sukzessiv gegeben wurde, erschien er in der Mehrzahl der Fälle als g ; infolgedessen wurde z. B. H x — als große Terz, Gisj — Cj als kleine Sekunde usf. beurteilt. Wurde Cx aber nach den Tönen bis Cisx inkl. angeschlagen, so behielt er seine ursprüngliche c - Q u a l i t ä t , und demnach bestimmte der Beobachter z. B. Gj — Cj richtig als Quinte, E 1 — Cx richtig als große Terz usf. E s kam auch vor, daß die g - Q u a l i t ä t des Tones a l l e n Tönen gegenüber konstant blieb, so daß z. B. Gj — Cx als Prim oder als Oktave beurteilt wurde. Nicht selten zeigte sich aber auch die c - Q u a l i t ä t des Tones Cj allen Tönen gegenüber resistent, und in diesen Fällen wurde sogar das
Isolierung der beidun Eigenschaften.
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sukzessive Intervall Cj — C, das sonst fast bei sämtlichen Versuchen als Quarte aufgefaßt, wurde normal, d. h. als Oktave bestimmt. Üm zu sehen, ob der Wechsel der Qualität ausschließlich von den Intervallen abhängt, haben wir im weiteren Laufe der Versuche den Ton Cj s e l b s t ä n d i g , also ohne ihn zu irgend einem Tone in Intervallbeziehung zu bringen, angeschlagen. Es zeigte sich nun, daß er trotzdem einmal als c, ein anderes Mal als g erschien. Gelegentlich gelang es der Versuchsperson sogar ganz w i l l k ü r l i c h Cj alternierend als g und als c zu hören. In diesen Fällen war es dann möglich, Cj — Gx sowohl als Prim oder Oktave wie als Quinte zu fassen. Aus dieser kurzen Darstellung der Ergebnisse ersieht man, daß in diesem Falle der Ton zwei Qualitäten besaß, und zwar eine n o r m a l e c- und eine a n o m a l e g - Q u a lität. 1 ) Wir müssen jetzt noch prüfen, ob die Qualitäten c und g des Tones stets d i e s e l b e H ö h e hatten. Wenn das zutrifft, dann haben wir einen weiteren Beweis dafür geliefert, daß zwei o d e r m e h r e r e Q u a l i t ä t e n in einer H ö h e vorkommen können. Die Aussagen der Versuchsperson haben unsere Vermutung bestätigt. 1. Hatte der Beobachter das Intervall C — G j als Quarte beurteilt (also Ox = ®) und fragte ich ihn, ob er den Intervalleindruck in jeder Beziehung normal fände, so antwortete er darauf nur, daß das Intervall tatsächlich eine Quarte sei, nur sei die zwischen den beiden Tönen bestehende ') Nicht nur Ci, sondern auch C zeigte ähnliches Verhalten.
5*
68
Isolierung der beiden Eigenschaften.
Distanz viel g r ö ß e r als sie bei einer Quarte zu sein pflegt. Die Distanz (den Höhenunterschied) schätzte sie auf eine große S e p t i m e oder Oktave. 2.-In Fällen, wo die g - Q u a l i t ä t des Tones Cx so stark perseverierte, daß sie sich sogar beim Intervall Cx — G t nicht veränderte, bestimmte der Beobachter dieses Intervall zugleich sowohl als P r i m wie als O k t a v e mit der Bemerkung, daß seine Unschlüssigkeit davon herrühre, daß für eine Prim die Höhendistanz zu groß, für eine Oktave dagegen zu klein sei. Das Intervall ist weder schlechthin Prim (Gj — Gj) noch schlechthin Oktave (Gx—G2), sondern es handelt sich hier um zwei g-Töne, die in einer Höhendistanz von einer Quinte voneinander liegen. Daraus sieht man, daß der Ton C1} wenn er die g - Q u a l i t ä t angenommen hat, weder mit Gj noch mit G2 zusammenfällt, s o n d e r n e i n f a c h ein g i s t , das auf d e r H ö h e von Cx steht (gCi). 3. Die Versuchsperson konnte ferner, wie schon oben bemerkt, unter Umständen Cj ganz willkürlich sowohl als g, wie als c hören. Wenn die Versuchsperson die Tonqualitäten c und g alternierend wahrnahm, so konnte sie niemals beobachten, daß die Höhe sich dabei geändert hätte, sondern es wechselten c und g ab, ohne daß die Versuchsperson einen der Quinte entsprechenden Höhenschritt wahrgenommen hätte. 4. Auch im Gesamtcharakter des Tones Cj lag, wenn er unvermittelt mit der g-Qualität auftrat, das Höhenmerkmal des Tones Cj. Auch bei isolierter Darbietung wurde der Ton stets in die nächste Nähe des Gx lokalisiert. Es soll endlich noch bemerkt werden, daß der Ton Cj nicht nur als g, sondern auch als e und f erschien. Die
Isolierung der beiden Eigenschaften.
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Höhe des Tones änderte sich aber auch bei diesen Qualitäten nicht. Also ein Fall von veränderter Qualität bei normaler Höhe ließ sich in der tiefsten Lage auffinden, wo d a s K o n t r a - c , o h n e s e i n e H ö h e zu v e r ä n d e r n , die n o r m a l e Q u a l i t ä t c u n d die Q u a l i t ä t g in r a s c h e m W e c h s e l annahm. II. Änderung der Höhe ohne Änderung der Qualität.
1. Eine Änderung der Höhe ohne Änderung der Qualität finden wir unter normalen Umständen bei sukzessiver Vorführung von Tönen, die im Oktavenverhältnis stehen. Das ist oben ausführlich erläutert worden. 2. Das pathologische Tongebiet der Versuchsperson L i e b e r m a n n ist so beschaffen, daß gewöhnlich eine große Reihe benachbarter Töne dieselbe Qualität hat. So kam es z. B. vor, daß alle Töne von g a bis dis 4 dieselbe Qualität gis hatten. Da dabei die Höhe der einzelnen Töne normal, also verschieden war, brauchte man nur diese Reihe von Tönen zu spielen, um eine Veränderung der Höhe bei gleichbleibender Qualität zu erhalten. III.
Gehörempfindungen mit deutlich erkennbarer Höhe bei undeutlich erkennbarer Qualität.
Töne der untersten und obersten Teile der hörbaren Tonreihe. Eine Änderung der Höhe ohne Änderung der Qualität kann unter normalen Umständen mit den außerhalb der musikalischen Tonreihe liegenden Tönen demonstriert werden. Das Moment des Steigens und Sinkens tritt in besonders ausgeprägter Weise dann auf, wenn man zu einem Glissando
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Isolierung der beiden Eigenschaften.
oder zu einem chromatischen Lauf nicht nur das in der Musik angewandte Tongebiet, sondern auch jenseits desselben gelegene tiefere und höhere Töne verwendet. Nun sind aber die T ö n e d e r u n t e r s t e n u n d o b e r sten T e i l e d e r h ö r b a r e n T o n r e i h e , die zwischen der jeweiligen Hörgrenze und der musikalischen Tonregion liegen, d e r Q u a l i t ä t n a c h n i c h t zu b e s t i m m e n . Es ist eigentlich Sache der Auffassung, ob man diesen Tönen die Qualität gänzlich absprechen, oder ob man sie nur als unbestimmbar bezeichnen will. Die Tatsache aber, worauf es uns hier ankommt, daß nämlich diesen Tönen in der mittleren (musikalischen) Eegion der Tonreihe k e i n b e s t i m m t e r Ton als Oktave, oder als anderes Intervall z u g e o r d n e t w e r d e n k a n n , ist unzweifelhaft. Der Eindruck dieser Töne ist qualitativ nicht der von der musikalischen Tonregion her bekannte. Hingegen kann d i e s t e t i g e Ä n d e r u n g des H ö h e n m o m e n t e s , das Moment des Steigens und Sinkens s i c h e r u n d d e u t l i c h an i h n e n w a h r g e n o m m e n w e r d e n . Geht man z. B. die Subk o n t r a o k t a v e o d e r die obere Hälfte der 5 gestrichenen und die 6gestrichene Oktave entlang, so bekommt man eine Änderung der Höhe ohne Änderung der Qualität. Daß trotz fehlender Qualität das Höhenmerkmal in ausgeprägter Weise erhalten ist, wird niemand bestreiten, der einmal einen Subkontraton oder einen Ton der Galtonpfeife gehört hat. Geräuschempfindungen. Schlagen wir irgendwelche Gegenstände a n , so entstehen Geräusche, die nach ihrem Charakter verschieden ') Deutlich kann das an der Orgel bei der großen Bordunpfeife zu 32 Fuß (im Vergleich zu einer Orgelpfeife zu 16 Fuß) beobachtet werden.
Isolierung der beiden Eigenschaften.
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sind. Nehmen wir dazu noch die stimmlosen Konsonanten, manche Tierlaute und ähnliche Laute, so ist der Reichtum an solchen Empfindungen recht groß. Es ist nicht gelungen, die Mannigfaltigkeit der Geräusche ebenso wie die der Töne in einem physikalischen System unterzubringen, d. h. eine vollständige Ubersicht der entsprechenden physikalischen Variabein zu geben, so daß in der Menge der möglichen Bedingungskombinationen jede ihre Stelle hätte; man hat also keine Ordnung aufstellen können, wie dies für die physikalischen Vorgänge, die den Tönen entsprechen, geschehen ist. Auch das psychologische System hat bis jetzt nicht aufgestellt werden können. Eine feste Grenze zwischen Geräusch und Ton kann nicht aufgestellt werden, weil sowohl Geräusche in Töne, wie Töne in Geräusche leicht übergehen. Es kommt auch vor, daß man aus den Geräuschen Töne heraushört, die zwar den eigentümlichen Gesamtcharakter des Geräusches nicht beeinflussen, ihm aber dennoch einen bestimmten musikalischen(tonalen) Wert geben. So hat man im Rauschen der Wasserfälle, im Sausen des Windes, besonders bei gleichmäßig anhaltenden Winden in Tälern von engem Querschnitt, in Grotten, bei Felsen, Geräusche wahrgenommen, die als Töne aufgefaßt werden konnten. Mich interessierten an dieser Stelle nicht diese Geräusche, sondern vielmehr solche, aus denen Töne zwar nicht herausgeschält werden können, die aber unter geeigneten Umständen doch, was gewisse Eigenschaften angeht, wie Töne erscheinen, ohne daß man siedoch als Töne schlechthin bezeichnen könnte. Beispiele liefern dazu u.a. die T ö n e von M e m b r a n e n , die eine Anwendung in der Musik finden. Die Töne der Trommel sind bekanntlich nicht musikalisch, sie werden infolgedessen nur für dynamische Wir-
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Isolierung der beiden Eigenschaften.
kungen, quantitative Effekte angewendet. Es ist bemerkenswert, daß wenn man die Trommel nur einmal anschlägt, der dadurch erzeugte Ton keineswegs musikalische Wirkung hat. Gibt man aber zwei Töne nacheinander, indem man die Spannung der Membran verändert, so hat man den Eindruck, der so erzeugte Ton stehe zu dem Anfangstone in e i n e m b e s t i m m ten I n t e r v a l l v e r h ä l t n i s . Unter geeigneten Umständen kann sogar der Name des Intervalls angegeben werden. Es fragt sich nun, ob der Trommelton bestimmbar ist. Die Musiker verneinen es. Die Trommel gehört nach der Instrumentationslehre mit der Militärtrommel, baskischen Trommel und Eolltrommel zu denjenigen Schlaginstrumenten, die nicht abgestimmt werden, da sie Töne von unbestimmter „Höhe" (nach unserer Auffassung von unbestimmbarer Qualität) liefern. Dies kommt in der Notierung dadurch zum Ausdruck, daß man in den Partituren alle Arten der Trommeln nicht auf dem üblichen Fünfliniensystem, sondern nur auf einer Linie nptiert. Allerdings kann von einem Trommelton nicht angegeben, werden, daß er z. B. c 1 oder eis1 entspreche, man kann aber immerhin seine ungefähre Höhenlage (Höhencharakter, regionäre Höhe) fixieren. Denn es sagen selbst die Musiker, daß z. B. die Rolltrommel dumpf, dunkel, tief, die Militärtrommel hingegen hell, scharf, hoch klingt. Worauf stützt sich aber in diesem Fall das Urteil? Wohl auf die H ö h e , die bei Trommelschlägen ohne bestimmte Qualität deutlich hervortritt. 1 ) Der Trommelton hat also stets eine, zwischen gewissen Grenzen bestimmbare Höhe, die wahrscheinlich irgend Einer sehr nahe verwandten Ansicht begegnen wir bei B r e n t a n o , da er die Geräusche als Beispiele von Tongrau anführt. (Untersuchungen zur Sinnespsychologie, S. 105 u. f.)
Isolierung der beiden Eigenschaften.
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einer sehr starken Partialschwingung entspricht. Mit der Änderung der Spannung der Membran ändert sich ihr Ton, und damit auch die Höhe des Trommelklanges. Schon aus diesem Beispiel sehen wir, daß ein Geräusch ohne erkennbare Qualität das Höhenmerkmal deutlich behalten kann, so daß sogar seine Höhe zwischen bestimmten Grenzen fixiert werden kann. Bei Tönen von manchen Platten, die man in der experimentellen Akustik und sogar in der Musik anzuwenden pflegt, tritt die Qualität schon deutlicher hervor, so daß ihre Töne einen Übergang zu den musikalischen Tönen bilden. Die aus verschiedenem Material verfertigten Platten bilden zahlreiche Instrumente, namentlich in der orientalischen Musik und geben der Höhe nach deutlich, der Qualität nach leidlich charakterisierte Töne, so daß man Tonleitern aus ihnen aufbauen kann. 1 So kann man z. B. Holzbrettchen in solchen Dimensionen herstellen, daß sie von einiger Höhe auf die Tischplatte fallend den Vierklang oder die diatonische Tonleiter mit voller Deutlichkeit erkennen lassen. Bringt man sie aber e i n z e l n zum Tönen, so ist die Qualität nicht ausgesprochen. Obgleich sie also einzeln die Charakteristik der Töne nicht deutlich haben, treten sie doch als Töne von musikalischem Charakter auf, sobald sie sukzessiv gegeben ein musikalisches Intervall erzeugen. Ahnliches läßt sich beobachten, wenn wir einen an einem Ende fest angefaßten Bleistift an die Tischkante anschlagen. Beim Anschlag au e i n e r Stelle hören wir nichts Musikalisches, sondern nur ein Klopfen.2) Schlagen wir ihn aber A u e r b a c h , Akustik, S. 400. Leipzig 1909. ) Manche Beobachter geben an, schon beim Anschlagen an einer einzigen Stelle eine Qualität wahrzunehmen. 2
74
Isolierung der beiden Eigenschaften.
nacheinander an zwei verschiedenen Stellen an, so nehmen wir plötzlich ein Intervall wahr, wodurch die Geräusche eine nur den Tönen und Klängen zukommende Eigentümlichkeit erhalten. Man kann sogar mit einem Bleistift oder mit einem Stabe, bei Änderung des Erregungspunktes eine Reihe Geräusche hervorrufen, die den Eindruck einer Tonreihe von der Art einer Tonleiter machen. Die Paukentöne endlich sind unter den Tönen der Membraninstrumente am meisten musikalisch, sie führen direkt von den Geräuschtönen zu den musikalischen Tönen über. Im Gegensatz zu den übrigen Trommeln werden die Pauken stets auf eine gewisse Tonhöhe abgestimmt. Sie haben aber nur im piano deutliche Qualitäten, im forte oder fortissimo streifen sie an die qualitätslosen Geräuschtöne. Zwar kann man durch Spannung der Membran den Ton der Timpani sogar c h r o m a t i s c h verändern, doch läßt man durchPaukentöne ein kleineres Intervall als eine große Sekunde selten bilden, da schon Sekundenschritt-e keinen deutlichen Intervalleindruck hervortreten lassen.1) Es ist noch zu bemerken, daß sich ein gleichzeitig mit anderen musikalischen Tönen gegebener Paukenton als Komponent eines Akkordes behaupten kann. So fügt sich z. B. der Paukenwirbel in Es als Baß zu dem Dreiklang f ' a 1 c 2 und bildet damit einen Septimenakkord (bei D'Indy cit. nach Siklös, Instrmentationslehre, Budapest, 1909). Mit mehreren Paukentönen Akkordeneindrücke zu erzielen ist aber nicht möglich. B e r l i o z hat es versucht, es gelang ihm aber nicht. Diese Beispiele lassen sich wie folgt zusammenfassen: ') Sogar die Unterscheidung einer kleinen Terz von einer großen Terz ist meiner Ansicht nach nicht von Suggestion frei.
Isolierung der beiden Eigenschaften.
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1. Je näher eine Gehörempfindung einem Geräusch kommt, d e s t o mehr büßt sie von i h r e m q u a l i t a t i v e n Merkmal ein, wobei aber das Höhenmerkmal ganz deutlich erhalten bleiben kann. 2. Bei G e r ä u s c h e m p f i n d u n g e n t r i t t e i n e s c h a r f e I s o l i e r u n g der Höhe von der T o n q u a l i t ä t auf. Verändern wir nämlich in geeigneter Weise den Geräuschton, so kommt eine auf- bzw. a b s t e i g e n d e R e i h e zum Vors c h e i n , die nur als H ö h e n r e i h e b e t r a c h t e t w e r d e n kann, während die Glieder keine bestimmbaren Qualitäten aufweisen (qualitätslose Höhen). Die Geräuschempfindungen stellen also reine Höhenreihen dar. 3. J e d e r G e r ä u s c h t o n h a t eine mehr oder w e n i g e r b e s t i m m b a r e Höhe. Daher pflegt man die Geräuschtöne nach ihrem Gesamtcharakter in tiefe, mittlere und hohe Geräuschtöne einzuteilen. 4. Damit eine Gehörempfindung musikalisch wirke, oder richtiger ausgedrückt, mit dem Charakter der Töne oder Klänge auftrete, genügt das Höhenmerkmal nicht, selbst wenn es leidlich ausgeprägt ist. Die Empfindung behält stets an das Geräusch streifenden Charakter. Sobald aber m e h r e r e s o l c h e u n c h a r a k t e r i s i e r t e aber ä h n l i c h e G e h ö r s empfindungen nacheinander auftreten, die bestimmte H ö h e n d i f f e r e n z e n a u f w e i s e n , die also untereinander Höhendistanzen bilden, l e g t man i h n e n s o g l e i c h m u s i k a l i s c h e n C h a r a k t e r bei. Welche Rolle die Höhe in m u s i k a l i s c h e r Hinsicht spielt darüber Näheres im Kapitel Intervalle S. 101, besonders S. 107 ff. ') Vgl. dazu S t u m p f , Tonpsychologie, II, S. 499; E i n e r , Pflügers Archiv, B d . 13, S. 228ff.; J o d l , Lehr. d. Psychologie, I, S. 333.
76
Versuch gewisse Erscheinungen
der Melodietaubheit zu erklären.
6. Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaub' heit durch unsere Theorie zu erklären. Für einen Vorzug meiner Theorie, halte ich es, daß pathologische Fälle mit ihr sehr einfach und ungezwungen verständlich gemacht werden können.
Ich habe bis jetzt
folgende Erscheinungen im Gebiete des Abnormen beobachtet, die sämtlich aus meiner Theorie hergeleitet werden können. Vor allem konnte ich nachweisen, Höhe,
Tonqualität, sich
daß
die
eine
normal geblieben auch
in
einem
Fall
musikalische
war,
während
sich verändert hatte (S. 49). bei einer
tiefen Lagen (S. 65).
besonderen Art Die
beiden
von
Parakuse
Eigenschaft,
die
die
die
andere,
Dasselbe zeigte
von Falschhören
Eigentümlichkeiten
in der
Tonhöhe und der Tonqualität erweisen sich also unter gewissen abnormen Bedingungen als unabhängig voneinander. Es erhebt sich nun die Frage, ob nicht etwa auch andere pathologische Verhältnisse durch die Annahme, daß ein Ausfall oder eine Veränderung einer musikalischen Eigenschaft vorliege, verständlich gemacht werden könnten. Ich denke dabei vor allem an die Melodietaubheit.
Im
wesentlichen wird die Melodietaubheit durch das Symptom charakterisiert, daß Personen bei völligem Erhaltensein des Gehörs für Töne und für Geräusche, eventuell auch für die Auffassung des Rhythmus, die Melodie- und Harmonieauffassung vollständig verloren haben.
In allen beobachteten Fällen be-
zeichneten die Patienten die Musik als ein zusammenhangloses Geräusch, vorgespielte oder vorgesungene Melodien wurden nicht erkannt und konnten nicht nachgesungen werden, obwohl hohe und tiefe Töne voneinander unterschieden wurden.
In
der überwiegenden Zahl der Fälle war die Fähigkeit den
Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit zu erklären.
77
Rhythmus aufzufassen intakt gehlieben so, daß die Patienten, wenn sie sich hei der Auffassung von Melodien vom Rhythmus leiten ließen, zuweilen einige bekannte Volksweisen erkannten. Demgegenüber sind Fälle beschrieben worden, bei welchen die Kranken bei Melodietaubheit die Fähigkeit zur Auffassung des Rhythmus gänzlich verloren haben. So berichtet E d g r e n (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 6) von einem Patienten, der zwischen Walzer, Polka und Marsch nicht unterscheiden konnte und S é r i e u x (Revue de médicine, 1893) bespricht einen Fall, bei welchem die Marseillaise eine andächtige Stellung hervorrief, die lustigsten Melodien dagegen für Kirchengesänge gehalten wurden. Es sind weiter Fälle bekannt, wo der Patient bei vollkommener Melodietaubheit imstande war bekannte Lieder zu singen. K a s t s Patient z. B. war, unmittelbar nachdem er die „Wacht am Rhein" auf Wunsch vorgesungen hatte, ganz hilflos, als man ihm dieses Lied vorsang und fragte, was das für ein Lied sei. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 18.)1) Fälle dieser Art sind es, von denen ich glaube, daß sie durch meine Theorie verständlich werden. Die Erklärungsversuche nämlich, die sich in der Literatur dieser Fälle finden, sind nicht haltbar. Wenn jemand eine Melodie nicht erkennen, aber sie dennoch singen kann, so soll er dies mit Hilfe des kinästhetischen Sinnes leisten. Die „motorische Komponente" sollte erhalten, die „sensorische Komponente", d. h. die akustische, verloren sein. Wer sich jemals beim Singen eines Liedes auch nur oberflächlich beobachtet hat, wird sofort erkennen, daß diese Erklärung unmöglich ist. Denn es wäre dann notwendig, für jedes einzelne Intervall *) Zitiert nach F. A l t , Über Melodietaubheit und musikalisches Falschhören. Leipzig und Wien 1906.
78
Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit zu erklären.
den U n t e r s c h i e d zweier E m p f i n d u n g e n , die verschiedenen Einstellungen des Kehlkopfes entsprechen, eingeprägt zu haben. Nun ist aber dieser Unterschied für ein bestimmtes Intervall in hoher Lage sehr viel größer als in tiefer, wovon sich jedermann ohne weiteres überzeugen kann. Es müßte also der Unterschied der Einstellung für die beiden Töne einer Quarte, der sich vor allem im Unterschied der Spannungsempfindungen wahrnehmbar macht, für jede Lage besonders eingeprägt worden sein; das wäre eine umso hervorragendere Leistung, als ja der Unterschied einer Quarte in hoher Lage gleich sein müßte dem eines grösseren Intervalles in tieferer Lage, und dieser Unterschied dürfte uns niemals irre machen. Tatsächlich lehrt die Selbstbeobachtung ganz unzweideutig, daß wir uns beim Singen keiner Empfindungen der vermuteten Art bedienen, daß von einer solchen Verschiedenheit des Vorganges beim Singen einer Quarte in hoher und in tiefer Lage keine Rede ist. Beim Transponieren z. B. macht man beim Treffen der Intervalle alles genau so, wie in der Originallage, nämlich unter Leitung der a k u s t i s c h e n Vorstellungen. Wie dies geschieht, darauf kann ich hier nicht näher eingehen. Es genügt, sich klar gemacht zu haben, daß die akustischen Vorstellungen für das Singen und für andere Arten der musikalischen Reproduktion unentbehrlich sind. Das Verhalten solcher Patienten wie des erwähnten von K a s t kann also nicht durch rein „motorisches Singen" erklärt werden, dieser Patient konnte die akustischen Vorstellungen nicht verloren haben; wenn er doch die gehörten Melodien nicht erkannte, so legt das die Vermutung nahe, daß seine T o n e m p f i n d u n g e n verändert waren, während die Auffassungsfähigkeit intakt war, — beim Notenlesen hätte sie sich geäußert. Der Patient sang also a k u s t i s c h , wie der Normale. Natürlich
Versuch gewisse Er3cheinungen der Melodietaubheit zu erklären.
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fehlte ihm die Kontrolle des Gehöres; daß er das Lied doch zu Ende brachte, mag man auffallend finden, doch ist das keineswegs undenkbar, freilich wird man zweifeln dürfen, ob die Reproduktion auch vollkommen war. Tatsächlich zeigt ein Fall von E d g r e n , wie bei fehlender Kontrolle der Gesang unsicher wird. Sein Patient konnte zwar singen, doch „faßte er seinen eigenen Gesang nicht auf, und verlor die Melodie".1) Das ist genau was wir erwarten werden, wenn die Veränderung die Tonempfindungen und nicht die musikalische Auffassung betroffen hat. Dafür, daß es die Ton empfindüngen waren, die sich verändert hatten, sprechen ja auch die Angaben der meisten Patienten, die die Musik als G e r ä u s c h e bezeichneten. Einem Patienten von Alt 2 ) erschien die Musik als ein Geräusch unangenehmster Art. Er hörte nur ein tonloses Getöse, dagegen war seine musikalische Auffassung beim Lesen von Partituren unverändert geblieben. B r a z i e r teilt in der „Revue philosophique", 34. Band, von einem Patienten mit, daß ihm auf dem Klavier vorgespielte Melodien als Geräusche erschienen. Man kann zwar aus der Literatur nirgends sicher entnehmen, ob die Melodien ganz ohne Begleitung gespielt wurden, aber nach verschiedenen Bemerkungen scheint es so gewesen zu sein. Wie dem auch sei, keinesfalls kann es sich um eine Störung der musikalischen Auffassung gehandelt haben; die Empfindungen selbst waren gestört. Hätte die A u f f a s s u n g gelitten, wäre z. B. nur die Vorstellungsproduktion3) ausgefallen, dann hätte meiner Ansicht nach eine Melodie ungefähr so wirken müssen, wie eine un2
Zitiert nach A l t , a. a. O.
) A. a. 0. S. 16.
s
) Siehe S. 83.
S. 7.
80
Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit zu erklären.
bekannte, ungewöhnliche Melodie, wie z. B. ein exotisches Lied, oder eine Melodie von einem originellen, sehr modernen Komponisten, bei der zwar die Töne richtig erklingen, wir nur- nicht imstande sind, sie als einheitliches Ganze aufzufassen. Ferner weist auf die Richtigkeit meiner Auffassung der Melodietaubheit der Umstand hin, daß in vielen Fällen die Unterscheidungsfähigkeit für K l a n g f a r b e n in erheblichem Grade gestört war. Diese Tatsache kann man absolut nicht mit der oben angeführten Auffassung in Einklang bringen, sondern nur darauf zurückführen, daß die Tonempfindungen selbst irgendwie verändert waren. Meine Theorie erlaubt es nun genauere Vorstellungen über diese Veränderung der Tonempfindungen zu bilden, wobei es natürlich dahingestellt bleiben muß, oB es sich tatsächlich so verhielt. Unsere Erklärung trifft nur dann zu, wenn die Veränderung auch bei Melodien ohne Begleitung vorhanden war; wurden aber nur Akkorde für Geräusche gehalten, so müßte die Erklärung von besonderen Anschauungen über das Wesen des Zusammenklanges ausgehen. Wir könnten uns also denken, daß die Empfindungen dieser Patienten in ähnlicher Weise verändert waren, wie ich es bei meiner Versuchsperson L. gefunden habe, nämlich so, daß eines der musikalischen Merkmale, die für die Intervallauffassung und damit für die Melodie bestimmend sind, sich verändert hatte oder verloren gegangen war. Es frägt sich nun, welche E i g e n s c h a f t d e r T ö n e in diesen Fällen der Melodietaubheit ausgefallen ist oder sich stark verändert hat. Meiner Ansicht nach die T o n q u a l i t ä t , die Tonhöhe hingegen blieb höchstwahrscheinlich unverändert.
Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit zu erklären.
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Sicheres kann man darüber nicht sagen, da die Fälle daraufhin noch nicht untersucht worden sind, doch scheint mir vor allem der Umstand darauf hinzuweisen, daß viele Daten mit dem Fall von L i e b e r m a n n übereinstimmen, bei dem ich mit voller Sicherheit die pathologische Veränderung der Tonqualität nachgewiesen habe. So sehen wir, daß von den Patienten hohe und tiefe Töne gleich gut gehört und voneinander leicht unterschieden werden. Ferner hat F r e u n d s 2 Patient einige bekannte Lieder erkannt, dabei ließ er sich aber nicht nur vom Rhythmus leiten — wie F r e u n d annimmt —, sondern vielmehr von den Differenzen der Tonhöhen, die unter Umständen volle musikalische Intervalleindrücke hervorrufen können (S. 73f. u. 107). Ganz ähnlich war es bei der Versuchsperson L i e b e r m a n n . Daß derselbe Patient den Stimmgabelton c „annähernd" richtig nachsingen konnte, erkläre ich mir auch daraus, daß er sich dabei auf die H ö h e des Tones c stützte, die normal war. Vergleiche die absoluten Tonurteile auf Grund der Tonhöhe (S. 93). Ferner zeigte L i c h t h e i m s 2 ) Patient ein ähnliches Verhalten wie L i e b e r m a n n . Als man ihm bekannte Lieder vorpfiff, ließ er sie noch einigemal vorführen, da er meinte, daß er die Lieder doch endlich erkennen würde. Versuchsperson L i e b e r m a n n bat mich auch sehr oft, die im pathologischen Gebiete vorgespielten Melodien, Motive mehrmals zu wiederholen, da er auf Grund der Höhendistanzen sie endlich zu erkennen hoffte, was auch tatsächlich einigemal gelang. Selbstverständlich können wir nicht vollkommen sicher sein, daß ') C. S. F r e u n d , Labyrinthtaubheit und Sprachtaubheit. Wiesbaden 1895, zitiert nach Alt. *) L i c h t h e i m , Uber Aphasie. Deutsches Archiv f. klin. Medizin, Bd. 36. KÖTesz, Tonpsychologie.
6
82
Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit zu erklären.
das ähnliche Verhalten der beiden Untersuchten tatsächlich dieselbe Ursache hatte. Genaueres läßt sich aus den Mitteilungen nicht entnehmen, da die Beobachtungen zumeist so lückenhaft und mit so wenig Sachkenntnis in musikalischer Hinsicht ausgeführt sind und besonders über die Methode der Untersuchung und die nötigen Kontrollen so wenig angegeben ist, daß man sich von den tatsächlichen Verhältnissen nur in ganz groben Zügen ein Bild machen kann.
Ich kann nur
soviel sagen, daß L i e b e r m a n n , bei dem es sich sicher nur um eine Veränderung der Tonempfindungen handelt, da seine musikalische Auffassung intakt ist, in seiner pathologischen Tongegend das Bild bietet, das die melodietauben Patienten geboten zu haben scheinen. Um noch einmal kurz zusammenzufassen, so hat mich all das zu der Uberzeugung geführt, daß in vielen Fällen d i e M e l o d i e t a u b h e i t e i n f a c h d a r a u f b e r u h t , daß e i n e musikalische
Eigenschaft
der Tonempfindung
aus-
g e f a l l e n o d e r s e h r s t a r k g e s t ö r t ist. Es wird notwendig sein, in Zukunft die Fälle der sog. Melodietaubheit genau darauf zu untersuchen, ob sie wirklich Analogien zu aphasischen Störungen bilden oder ob sie in der hier skizzierten Weise aufzufassen sind. Was die anatomische Lokalisation betrifft, so entspräche unserer Auffassung natürlich ein weiter peripherisch gelegener Herd. — Von psychologischer Seite aus hat man Fälle dieser Art als Stütze 1 ) einer bemerkenswerten Anschauung zu verwerten versucht (Meinong, W i t a s e k ) .
Man hat die höheren psy-
) Vgl. dazu W i t a s e k , Grundlinien der Psychologie, Leipzig 1908. l
S. 222ff.
Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit zu erklären.
83
chischen Gebilde, wie räumliche und zeitliche Gestalten, Bewegung, Veränderung, Ähnlichkeit usw., zum Unterschiede von den Sinneswahrnehmungen und von den reproduzierten Vorstellungen, p r o d u z i e r t e V o r s t e l l u n g e n genannt. Diese Bezeichnungsweise hat folgenden Grund. Gestaltsvorstellung zwar daran
Wenn eine solche
im Bewußtsein auftritt,
Bewußtseinsinhalte
beteiligt,
so finden wir die ihrer Natur
nach Sinnesinhalte sind, aber sie machen nicht den gesamten Bewußtseinsinhalt aus, da dieser noch etwas enthält, was man „aus sich heraus produziert hat".
Nach dieser Auf-
fassung ist die Melodie auch eine produzierte Vorstellung oder wie man
sich gewöhnlich auszudrücken
pflegt,
ein
Gegenstand höherer Ordnung., Die Töne in ihrer Gesamtheit bilden also noch keine Melodie, den inneren (musikalischen, melodischen oder harmonischen) Zusammenhang zwischen den Tönen schafft eben die sog. Vorstellungsproduktion.
Und
nun hat man unter anderem für diese Auffassung auch die Melodietaubheit als Argument herangezogen.
Man meint, daß
im Falle der Melodietaubheit eben die Fähigkeit fehlte, die Tonempfindungen zu einer Tongestalt zu verarbeiten;
die
Sinnesempiindungen sollten in diesem Falle völlig intakt geblieben sein, während die Vorstellungsproduktion infolge eines pathologischen Prozesses ausgefallen sei. sich,
wenn
man
längerem Studieren
ein
Ähnlich verhält es
kompliziertes Musikstück
nur nach
als ein musikalisches Ganze auffassen
kann, wenn es beim ersten Anhören wenigstens zum Teil nur als eine zusammenhanglose Tonmenge erscheint. In einem Teil der Fälle mag diese Auffassung das Richtige treffen.
Andererseits bin ich aber überzeugt, daß in
vielen Fällen die oben ausgeführte Erklärung im ganzen zutreffen wird. 6*
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Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften.
7. Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften. Es bleibt uns eine andere Frage zu beantworten, ob die V o k a l e i g e n s c h a f t der T ö n e mit e i n e m der b e i d e n m u s i k a l i s c h e n M e r k m a l e (Qualität und Höhe) i d e n tisch sei? W. K ö h l e r hat in einer interessanten Arbeit 1 ) gezeigt, daß das mittlere Gebiet der Tonreihe, mindestens von c° bis c6, die Eigenschaft hat, daß jeder Schwingungszahl ein Vokal entspricht, sobald es sich um reine Töne handelt. Es wurde gezeigt, daß die Vokalqualitätenreihen, des Tonsystems sich zwischen festen, phänomenologisch ausgezeichneten Punkten erstrecken, ferner, daß die Töne, die zwischen zwei reinen Vokalen liegen, eine fein abgestufte Reihe bilden, die von dem einen Vokal zu dem anderen eine Ähnlichkeitsabstufung aufweist, genau wie bei den Farben die Qualitätenreihe vom Rot zum Gelb. Ich will hier nun diejenigen Momente anführen, die beweisen, daß weder das Qualitätsmerkmal noch das H ö h e n merkmal mit der Vokalität zusammenfällt, daß also die Vokalreihe nicht identisch ist mit der musikalischen Tonreihe. I. Qualität und Vokalität.
1. Die große Ähnlichkeit der Oktaven, Doppeloktaven kann nicht durch die Vokalfarbe verständlich gemacht werden, da die Vokalähnlichkeit mit der Schwingungszahl kontinuierlich abnimmt und somit die Töne innerhalb einer Oktave der Vokaleigenschaft nach ähnlicher erscheinen als die Töne des ') W. K ö h l e r , Akustische Untersuchungen II. Zeitschr. f. Psych., Bd. 58, S. 59—140.
Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften.
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Okta venin tervalles, die nach der Vokaleigenschaft beurteilt die unähnlichsten Glieder der Reihe bilden. So z. B. entspricht dem c 1 ein nahezu reiner u-Vokal und seiner Oktave c 2 ein nahezu reiner o-Vokal, den Tönen zwischen c 1 und c 2 entsprechen die Mischvokale uo. Nun sind c 1 und c 2 nach der Vokaleigenschaft die unähnlichsten, nach der musikalischen Qualität dagegen die ähnlichsten (identischen) Töne der eingestrichenen Oktave; alle übrigen Töne sind hingegen nach Vokaleigenschaft ähnlich, nach Qualität aber verschieden. Ferner wäre es nicht zu verstehen, wieso alle Oktaventöne untereinander dieselbe Ahnlichkeitsstufe darstellen. Nach der Vokalähnlichkeit sind nämlich die in verschiedener Höhenlage gegebenen Oktaventöne v e r s c h i e d e n , da einer geringen Anzahl von Oktaventönen ganz verschiedene (reine) Vokale, den übrigen hingegen ähnliche Vokale (Mischvokale) entsprechen. So entspricht z. B. den Tönen c 2 und c s ein reiner o- und ein reiner a-Vokal, dem g 2 und g 3 dagegen ein oa und ein ae. 2. Der Eindruck der Wiederholung der Tonleiter kann nur auf der Wiederkehr einer Eigenschaft beruhen. Die Vokalität ist aber keine periodische Eigenschaft. 3. L i e b e r m a n n hörte bei einer Prüfung in der Gegend von c 3 alle Töne als gis (nach Qualität beurteilt), und doch erschien ihm der Ton c 3 genau so wie einem Normalhörenden als reiner a-Vokal. Ferner versteht er trotz der Paracusis die Sprache und erkennt sogar isoliert gegebene a-Laute leicht. In diesem Falle sehen wir also e i n e s t r e n g e I s o l i e r u n g der V o k a l e i g e n s c h a f t von der m u s i k a l i s c h e n Qualität. 4. Das absolute Gehör beruht vor allem auf der Erkennung der Tonqualität und nicht der Vokaleigenschaft. Und
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Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften.
selbst der Umstand, daß auch auf Grund der Vokaleigenscliaft eine Art von absolutem Gehör entfaltet werden k a n n (Köhler), bei dem es subjektiv ganz deutlich ist, daß nach einem anderen Kriterium geurteilt wird, als beim „musikalischen" absoluten Gehör, weist auf die prinzipielle Verschiedenheit der beiden akustischen Eigenschaften hin. 5. Ferner ist bei den meisten Menschen das absolute Gehör bei solchen Klängen das beste, bei denen die Vokaleigenschaft nicht wahrgenommen werden kann, wie z. B. bei Klavier- und Geigentönen.
II. Höhe und Vokalität.
1. Die Höhenreihe hat keine phänomenal ausgezeichneten Punkte, die Vokalreihe dagegen hat solche, nämlich die Töne, denen reine Vokale entsprechen. 2. Die Erscheinung des Steigens und Sinkens ist von der Deutlichkeit der Vokalität gänzlich unabhängig; demonstrierbar in der tiefsten Tonregion. 3. Eine Änderung der Höhe wird bei zusammengesetzten Klängen und bei tiefen Tönen ebenso wahrgenommen, wie bei einfachen und mittleren Tönen, die Vokalität dagegen nicht. 4. Der Wert der Unterschiedsschwelle ist für die Vokalität ein anderer als für die Höhe. Ich wies bei L i e b e r m a n n nach, daß in der Eegion von 1100 bis 1220 Schwingungen, wo er zwischen den Tönen keine Qualitätsunterschiede wahrnimmt, seine Unterschiedsempfindlichkeit für Vokalität viel f e i n e r ist als für Höhenunterschiede. So wurde z. B. bei den sukzessiv gegebenen zwei Tönen von den Schwingungszahlen 1160—>-1180 einerseits richtig angegeben, daß die Vokaleigenschaft a nach der
Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften.
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Richtung von e sich änderte (a = 1056, e = 2112), andererseits hielt die Versuchsperson den zweiten Ton für t i e f e r als den ersten. Ahnliches zeigte sich bei den Tonpaaren 1050—^ 1080 und 1180—^ 1220. 5. Die Höhenreihe ist prinzipiell unendlich, während die Frage, ob die Vokalreihe prinzipiell unendlich sei nicht ohne weiteres zu beantworten ist. 6. Ich will hier über einen sehr wichtigen Fall berichten, den man für die Unabhängigkeit b e i d e r musikalischen Toneigenschaften von der Vokalität verwerten kann. Es zeigte sich bei der Versuchsperson N. N.,1) deren obere Hörgrenze ungefähr bei e 2 liegt, die also den Ton c 3 nicht hört, daß sie den g e s u n g e n e n Vokal a a u s n a h m s los r i c h t i g e r k e n n t . Auch beim Vokale e, dem die Tonhöhe c* entspricht, kommt es vor, daß er richtig erkannt wird. Das offene (e-artige) i wurde wiederholt als ein Vokal zwischen o und ö bezeichnet, einmal sogar als e. Das geschlossene ö beurteilte die Versuchsperson zumeist als einen Vokal zwischen o und ö. In beiden ist also die e.-heit erhalten. (Sämtliche Vokale wurden auf c° vorgesungen.) D e r T e i l t o n c 3 u n d m a n c h m a l s o g a r a u c h der T e i l t o n c 4 h a b e n sich also d u r c h i h r e V o k a l i t ä t e n (a und e) g e l t e n d g e m a c h t , obwohl sie a l l e i n d a r g e b o t e n g ä n z l i c h u n h ö r b a r waren. Das ist der schlagendste Beweis für die Trennbarkeit der Vokaleigenschaft von den beiden musikalischen Eigenschaften. 7. Gesungenen Tönen wird ihre Vokalität durch Partialtöne erteilt, die nur in Ausnahmefällen mit dem Grundton zusammenfallen. Da aber die m u s i k a l i s c h e n Eigenschaften ') Ihr Krankheitsbild siehe Zeitschr. f. Psychol., Bd. 48, S. 271 ff.
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Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften.'
des Singtones, Qualität und Höhe, bekanntlich vom G r u n d t o n bestimmt werden, so folgt, daß in einem Klange ein Ton seiner Vokalität nach dominieren kann, ohne seiner musikalischen Qualität und seiner Höhe nach zu dominieren: somit sind die musikalischen Eigenschaften etwas anderes, als die Vokaleigenschaft. Man kann sich diese Unabhängigkeit auch dadurch klar machen, daß man verschiedene Vokale auf denselben Ton singt: man läßt ja dabei verschiedene Partialtöne abwechselnd ihrer Vokalität nach hervortreten, während den musikalischen Eigenschaften nach immer derselbe Ton (der Grundton) die Oberhand behält. Ebenso kann man die Unabhängigkeit durch den umgekehrten Versuch zeigen, indem man denselben Vokal auf verschiedene Töne singt. Wir haben also bewiesen, daß die Vokaleigenschaft mit den musikalischen Eigenschaften der Töne, der Qualität und der Höhe, nicht identisch ist. Es ist ferner klar geworden, daß die Vokaleigenschaft nicht an die beiden musikalischen Eigenschaften unlöslich gebunden ist. Die Vokalität ist also eine Eigenschaft für sich und die durch die Vokale gebildete kontinuierliche Eeihe ist eine besondere, durch besondere Verhältnisse und Gesetze charakterisierte Empfindungsreihe. Wir kommen somit zu der Erkenntnis, daß die Reihe einfacher Töne eine Empfindungsreihe ist, die aus drei voneinander unabhängigen Reihen gebildet ist, nämlich ¿us der Qualitäten-, Höhen- und Vokalreihe. Bei der musikalischen Tonreihe tritt die Vokaleigenschaft jedoch zurück, so daß diese Tonreihe vor allem durch die Verbindung der Qualitätenund Höhenreihe entsteht. Meine Untersuchungen über das phänomenale Tonsystem drängen mich zu einer Auffassung, die gewissen Anschauungen,
Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften.
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die W. K ö h l e r in seinen akustischen Untersuchungen ausgesprochen hat, widerspricht.1) In dieser Arbeit behauptet nämlich K ö h l e r auf Grund seiner wertvollen, Experimente, daß die Vokale „sind die Qualitäten, die das Tongebiet überhaupt besitzt. Tonhöhen aber, was sie auch sein mögen, gehören an die Stelle nicht, die ihnen bisher eingeräumt wurde." Seine Ausführungen zielen darauf, daß die Tonempfindung außer der Vokaleigenschaft keine andere qualitative Eigenschaft hat. Er betrachtet die Vokalqualität als d a s konstituierende Element der Tonempfindung. Nach ihm entspricht einer physikalischen Variabel, der Schwingungszahl nur eine phänomenale. Wir haben nun gezeigt, daß eine solche Auffassung nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Die Vokaleigenschaft ist genau so eine Eigenschaft der Tonempfindung, wie die musikalische Qualität und das Höhenmerkmal. Alle drei Eigenschaften sind phänomenal gegeben, sie sind voneinander unabhängig, ob sie gleich alle drei Funktionen e i n e r physikalischen Variablen der Schwingungszahl sind; es g e h ö r t eben j e d e r S c h w i n g u n g s z a h l eine Q u a l i t ä t , eine H ö h e und eine V o k a l e zu. Die Frage, welcher Eigenschaft eine zentrale Stellung im phänomenalen Tonsystem zukomme, ist meiner Ansicht nach nicht oder nur durch ganz willkürliche Einschätzung zu beantworten. Sicher ist es — wie ich schon oben betonte —, daß wenigstens in der musikalischen Tonreihe, auf die es in der Musik doch eigentlich ankommt, die Vokaleigenschaft entweder keine oder eine nur ganz untergeordnete Rolle spielt. Eine Vokalreihe bei konstanter Qualität und konstanter Höhe macht keinen musikalischen Eindruck, musikalische Gebilde ') A. a. 0 . S. 101 ff.
90 sind
Absolutes Gehör.
beim Fehlen
der
musikalischen Eigenschaften nicht
möglich, dagegen ist die Tonreihe in der tieferen Tonregion, wo die Vokaleigenschaft kaum zum Ausdruck kommt, genau so musikalisch als in der mittleren Tonregion.
Ferner ist
noch zu bemerken, daß ich bei der Analyse der sukzessiven .Tonverhältnisse bis jetzt niemals in die Lage gekommen bin, bei irgend einer Erklärung die Vokaleigenschaft der Töne zu Hilfe nehmen zu müssen. 1 ) Bevor ich dieses Kapitel schließe, will ich noch betonen, daß in allerletzter Zeit W . K ö h l e r seine obigen Ansichten aufgegeben und einen ähnlichen Standpunkt wie ich eingenommen hat.
8. Absolutes Gehör. Unter a b s o l u t e m G e h ö r versteht man allgemein die Fähigkeit, einen gegebenen Ton u n m i t t e l b a r ,
also nicht
etwa durch Intervallurteil mit seinem musikalischen Namen zu bezeichnen, und auch die Fähigkeit, auf Aufforderung einen bestimmten Ton zu singen. Diese Definition des absoluten Gehörs ist aber zu eng und es wäre deshalb ratsam, sie allgemeiner zu fassen.
Ich
definiere also das absolute Gehör als die F ä h i g k e i t ,
den
einzelnen Tönen gegenüber stets ganz gleiche Verh a l t u n g s w e i s e n zu äußern. Das absolute Gehör ist bekanntlich sehr verschieden entwickelt.
Wir begegnen Menschen, die mit einem von der
K l a n g f a r b e u n a b h ä n g i g e n absoluten Gehör ausgezeichnet sind, dann solchen, die nur für die m e i s t e n Klangfarben, und anderen, die sogar nur für e i n e Klangfarbe ein zuverlässiges ab*) Es scheint mir, daß nur die H e l l i g k e i t s u n t e r s c h i e d e d e r T ö n e der musikalischen Tonreihe auf ihrer Vokaleigenachaft beruhen.
90 sind
Absolutes Gehör.
beim Fehlen
der
musikalischen Eigenschaften nicht
möglich, dagegen ist die Tonreihe in der tieferen Tonregion, wo die Vokaleigenschaft kaum zum Ausdruck kommt, genau so musikalisch als in der mittleren Tonregion.
Ferner ist
noch zu bemerken, daß ich bei der Analyse der sukzessiven .Tonverhältnisse bis jetzt niemals in die Lage gekommen bin, bei irgend einer Erklärung die Vokaleigenschaft der Töne zu Hilfe nehmen zu müssen. 1 ) Bevor ich dieses Kapitel schließe, will ich noch betonen, daß in allerletzter Zeit W . K ö h l e r seine obigen Ansichten aufgegeben und einen ähnlichen Standpunkt wie ich eingenommen hat.
8. Absolutes Gehör. Unter a b s o l u t e m G e h ö r versteht man allgemein die Fähigkeit, einen gegebenen Ton u n m i t t e l b a r ,
also nicht
etwa durch Intervallurteil mit seinem musikalischen Namen zu bezeichnen, und auch die Fähigkeit, auf Aufforderung einen bestimmten Ton zu singen. Diese Definition des absoluten Gehörs ist aber zu eng und es wäre deshalb ratsam, sie allgemeiner zu fassen.
Ich
definiere also das absolute Gehör als die F ä h i g k e i t ,
den
einzelnen Tönen gegenüber stets ganz gleiche Verh a l t u n g s w e i s e n zu äußern. Das absolute Gehör ist bekanntlich sehr verschieden entwickelt.
Wir begegnen Menschen, die mit einem von der
K l a n g f a r b e u n a b h ä n g i g e n absoluten Gehör ausgezeichnet sind, dann solchen, die nur für die m e i s t e n Klangfarben, und anderen, die sogar nur für e i n e Klangfarbe ein zuverlässiges ab*) Es scheint mir, daß nur die H e l l i g k e i t s u n t e r s c h i e d e d e r T ö n e der musikalischen Tonreihe auf ihrer Vokaleigenachaft beruhen.
Absolutes Gehör.
91
solutes Gehör haben. Ferner zeigen sich Unterschiede nach der Größe des Tongebietes, worauf sich das absolute Gehör erstreckt. So gibt es Individuen, deren absolutes Gehör nahezu das ganze musikalische Tongebiet umfaßt ( t o t a l e s absolutes Gehör) während andere nur für einen Teil absolutes Gehör haben ( r e g i o n ä r e s absolutes Gehör). E s wird im allgemeinen angenommen, daß es Individuen gebe, die ein absolutes Gehör haben und andere, die eines solchen entbehren. Meiner Ansicht nach ist eine so s c h a r f e G e g e n ü b e r s t e l l u n g nicht richtig. Schon die Eigentümlichkeit des absoluten Gehörs, daß es ü b e r h a u p t ein regionäres absolutes Gehör gibt, daß außerhalb des durch absolutes Gehör ausgezeichneten Tongebietes die Genauigkeit der Urteile abnimmt, fordert eine Erklärung. Wie erklärt es sich nun, daß ein mit absolutem Gehör ausgestatteter Mensch bestimmte Töne richtig, andere annähernd richtig und wieder andere schon mit großer Ungenauigkeit beurteilt? Der nächstliegende Gedanke ist der, daß d i e V e r s c h i e d e n h e i t der U r t e i l e auf eine V e r s c h i e d e n h e i t d e s U r t e i l s k r i t e r i u m s b e r u h t , also darauf, daß sich der Beobachter in einem Fall auf andere Merkmale seiner Tonempfindung stützt als im anderen. Ich nehme an, daß sich die mit regionärem absoluten Gehör begabten Menschen bei ihren Urteilen tatsächlich zweier U r t e i l s k r i t e r i e n bedienen und daß man nach diesen zwei Kriterien zwei A r t e n von a b s o l u t e m G e h ö r unterscheiden muß.1) *) Bei reineii oder nahezu reinen Tönen kann noch eine dritte Art von absolutem Gehör entfaltet werden, die auf der Vokalität der Töne beruht (W. K ö h l e r a. a. O.). 'j
92
Absolutes Gehör.
Es ist mir klar geworden, daß sich die absoluten Tonurteile auf die eine oder andere musikalische Eigenschaft gründen können; ich unterscheide danach T o n q u a l i t ä t e n e r k e n n u n g und T o n h ö h e n e r k e n n u n g . Meine Anschauung, daß man gezwungen ist zwei Arten von absolutem Gehör anzunehmen, begründe ich vor allem mit folgenden zwei experimentell gefundenen Tatsachen. 1. Schlage ich einen Ton am Klavier an und ersuche jemand, der mit der Anordnung der Töne an der Klaviatur vertraut ist, denselben Ton anzuschlagen, so wird er mit einem kleineren oder größeren Fehler den richtigen Ton angeben. Ich habe nach dieser Richtung Versuche angestellt, die ich gegenwärtig weiterführe, und gefunden, daß sogar Menschen, die nicht Musik treiben, einen gegebenen Ton mit einem mittleren Fehler von einer Terz bestimmen können, sobald sie nur eine ganz oberflächliche Kenntnis von der örtlichen Ordnung der Töne am Klavier haben. Als ich selbst Versuchsperson war und die dargebotenen Töne nahezu in dem ganzen musikalischen Tongebiet mit einem mittleren Fehler von einer großen Sekunde am Klavier angab, war ich darüber selbst erstaunt. Als ich aber dann mehrere Personen von ganz verschiedener Musikalität untersucht hatte und immer wieder zu demselben Resultate gelangt war, kam ich zu dem Schluß, daß man diese Fähigkeit als eine a l l g e m e i n e , jedoch bei verschiedenen Menschen verschieden entwickelte Eigenschaft betrachten muß. Durch diese Versuche ist nun klar geworden, daß die Fähigkeit Töne überhaupt zu erkennen nicht ausschließlich auf die Gruppe von Menschen beschränkt ist, die nach der heutigen Auff \ssung absolutes Gehör haben. Denn auch bei
Absolutes Gehör.
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denjenigen, die die Töne nicht in derselben Weise und mit derselben Genauigkeit bestimmen können wie die nach dieser Richtung am besten begabten, muß ein absolutes Gehör angenommen werden, nämlich T o n e r k e n n u n g a u f G r u n d d e s Höhenmerkmals. 2. Die Auffassung, daß man zwei Arten von absolutem Gehör unterscheiden muß, findet ihre stärkste Stütze in dem oben beschriebenen Falle L i e b e r m a n n s . Er, der mit einem guten qualitativen absoluten Gehör ausgerüstet ist, konnte die Töne im parakustischen Gebiete, j a sogar in einer Tonreihe konstanter Qualität beurteilen. E s hat sich herausgestellt, daß er mit der einen Art von absolutem Gehör die gefälschte Qualität, mit der anderen die normale Tonhöhe des Tones bestimmte. Die zwiefache Art des absoluten Gehörs zeigte sich also am eklatantesten, als der Beobachter im gefälschten Qualitätsgebiet den Pseudoton in doppelter Hinsicht beurteilte und bei den beiden Urteilsweisen natürlich zu verschiedenen Resultaten kam, indem er z. B. der Ton d 3 erstens für gis, zweitens für einen Ton auf den Höhe d a (gi8d") erklärte, oder den Ton f 3 als dis, aber auf der normalen Höhe stehend, also als dis'3 beurteilte. Man erhielt also zwei verschiedene Urteile, eines auf Grund seines qualitativen absoluten Gehörs und ein anderes auf Grund seiner Tonhöhenerkennung. Da nun in einem Falle die sämtlichen Töne zwischen c 3 und h s der Qualität nach eis waren, der Höhe nach dagegen verschieden, sind die absoluten Qualitätsurteile stets gleich, die absoluten Höhenurteile hingegen verschieden ausgefallen, wie die folgende Tabelle zeigt. Die Qualitätsurteile sind durch f, die Höhenurteile durch J gekennzeichnet.
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Absolutes Gehör.
Objektiver Ton
i . u
Urteil
s M =
4 U J
d 8
J _ § ± .
3=t
Wie weit nun die Fähigkeit der Toohöhenerkennung bei Menschen verbreitet ist, welchen Grad der Ausbildung sie erreichen kann, wie sie mit der Übung zunimmt und wie sie mit anderen akustischen und musikalischen Fähigkeiten zusammenhängt, muß noch untersucht werden. Betrachten wir nun die U n t e r s c h i e d e der beiden Arten des absoluten Gehöres näher. Der erste Unterschied ist von phänomenologischer Art. Bei Menschen, die das qualitative absolute Gehör haben, zeichnen sich die Töne als ausgeprägte Individualitäten 1 ) aus. Für die anderen dagegen haben die einzelnen Töne keinen individuellen Charakter, die nebeneinander liegenden Töne unterscheiden sich in der Erinnerung nicht spezifisch. Ahnlich wie bei der Reihe der Graunuancen, bei welchen zwar jedes Grau seine eigene, individuelle'Helligkeit hat, wie jeder Ton seine individuelle Höhe, doch die Grautöne nicht als Individualitäten erscheinen, die einzelnen Glieder der Graureihe stets nur als zu einer größeren oder kleineren Region zugehörig beurteilt werden. Ein mit dem qualitativen absoluten Gehör begabter Mensch gibt seine Urteile rasch, subjektiv sicher und objektiv *) Vgl. Krie.s, Über das absolute Gehör, Zeitschr. für Psychologie, Bd. 3, S. 259.
Absolutes Gehör.
95
richtig ab, dagegen bestimmen die zu der anderen Gruppe gehörenden Personen die Töne subjektiv unsicher und nur ungefähr, die Abweichung von der objektiven Tonhöhe kann manchmal sogar eine Terz übersteigen, was bei dem qualitativen absoluten Gehör niemals vorkommt. Ferner ist das psychische Verhalten bei der einen Art anders als bei der anderen. Beim qualitativen wird die Tonhöhe in der Regel durch den musikalischen Namen der gegebenen Töne bestimmt und die Namen der Töne werden u n m i t t e l b a r reproduziert. Der Beobachter stellt sich gar nicht aktiv ein, ebensowenig wie etwa bei der Benennung einer Farbe. Der Beobachter erlebt nichts Besonderes, kann wenig über die Art, wie er zu dem Urteil gekommen ist, aussagen, nur wenig oder in vielen Fällen sogar nichts über den dabei erlebten Vorgang zu Protokoll geben. Ganz anders wenn nach der anderen Art geurteilt werden soll. Der Beobachter kommt dabei zu seinem Urteil durch eine wohl zu beschreibende psychische Tätigkeit, die oft ansehnliche Zeit in Anspruch nimmt und aus Einstellen, Probieren, Vergleichen, Kontrollieren besteht. Gewöhnlich wird durch die erste Vorführung das Tonmaterial, aus dem nun weiter gewählt werden soll, enger begrenzt. Dann wird gewöhnlich eine Anzahl weiterer Vorführungen gewünscht, nach welchem schließlich die Höhe mit einer nicht mehr zu beseitigenden Unsicherheit bestimmt wird. Dieser Vorgang findet sich aber nur bei solchen Menschen, die in einer begrenzten Tonregion ein qualitatives absolutes Gehör haben, bei solchen dagegen, die ausschließlich mit Tonhöhenerkennung ausgestattet sind, gestaltet sich das psychische Verhalten bei Bestimmung des Tones am Klavier in der Regel viel einfacher und unmittelbarer. — Der Vorgang verdient eine weitere Untersuchung.
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Absolutes Gehör.
Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, daß ein qualitatives absolutes Gehör nach meinen bisherigen Erfahrungen angeboren- zu sein scheint, das andere dagegen, die Höhenerkennung, e r w o r b e n und durch bewußtes Üben entwickelt. Als angeboren sehe ich die spezielle, nur bei gewissen Menschen vorhandene, schon in den ersten Lebensjahren in hohem Grade ausgebildete Disposition an, Töne der Qualität nach einprägen zu können. Das qualitative absolute Gehör ist also in dem Sinne angeboren wie etwa die Fähigkeit Farben oder Geschmäcke der Qualität nach oder geometrische Figuren ihrer Gestaltsqualität nach zu erkennen. Die Bewußtseinsinhalte sind schon u r s p r ü n g lich i n d i v i d u a l i s i e r t , nur eine Assoziation muß noch zwischen den Eindrücken und irgend einer Vorstellung (Name) oder Bewegung gestiftet werden, um von ihr Zeugnis geben zu können. Indem wir beim qualitativen absoluten Gehör auf die u r s p r ü n g l i c h e I n d i v i d u a l i s i e r u n g d e r T ö n e besonders Gewicht legen, drücken wir damit vielleicht am deutlichsten aus, was wir hier unter angeboren verstehen wollen. Die Töne wie die Farben prägen sich von Anfang an mit ihren Individualitäten ein, da sie schon bei ihrem ersten Auftreten als Individuen erscheinen. Die Individualisierung der Töne ist also nicht erworben, sie ist nicht durch Erlernung, durch Einprägung besonderer Merkmale entstanden, sondern sie ist eben die charakteristische Äußerung dieser ungewöhnlichen Anlage. Aus dem Gesagten wird uns klar, welche Rolle nun die Ü b u n g beim qualitativen absoluten Gehör haben ifiag. Ihre Bedeutung liegt vor allem im E r w e c k e n dieser Fähigkeit und nur in zweiter Reihe kann sie auf die Entfaltung und Ausbildung dieser Anlage Einfluß haben. Wie wenig die
Absolutes Gehör.
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Übung oder gar das bewußte Üben bei Tonqualitätserkennung ausmacht, zeigen die Kinder, die ohne besondere Übung schon in dem ersten Lebensjahre ein unfehlbares absolutes Gehör haben, wie z. B. in einem von mir beobachteten Fall, bei dem jungen Komponisten Ervin Nyiregyhäzy, der schon in seinem vierten Lebensjahre für die Töne der meisten Musikinstrumente ein vorzügliches absolutes Gehör aufwies.1) Im Gegensatz zu dem qualitativen absoluten Gehör ist die Tonhöhenerkennung nicht ursprünglich, sie muß erst erworben werden, durch fleißige Übung entwickelt werden. Die Individualisierung der Töne der Höhe nach ist wie die der Graunuancen u r s p r ü n g l i c h n i c h t g e g e b e n , sie muß im Gegensatz zu der qualitativen Individualisierung der Töne bzw. der Farben durch mühsame Arbeit — vorausgesetzt, daß es überhaupt möglich ist — erst geschaffen werden. Ich nehme an, daß solche, die durch langjährige, planmäßige Übung zu der Fähigkeit gelangt sind, Töne mit ihren musikalischen Namen richtig zu bezeichnen, keine Tonqualitäten-, sondern nur Tonhöhenerkennung haben, die in manchen Fällen vielleicht so zuverlässig sein kann, daß sie den Anschein erregt, als gründeten sich die Tonurteile auf Tonqualitäten er kennung.2) Daß in diesen Fällen Tonhöhen erkennung vorliegt, darauf weist unter anderem der Umstand ') 6 . R e v e a z , Über die hervorragenden akustischen Eigenschaften und musikalischen Fähigkeiten des siebenjährigen Komponisten Ervin Nyiregyhäzy. Bericht über den IV. Kongreß für experim. Psychologie, 1910, S. 224. 2 ) Ich behaupte nicht, daß es undenkbar wäre, daß sich jemand die Fähigkeit der Tonqualitätserkennung erwerbe, die in sehr geringem Grade vorhandene Disposition durch Übung entwickele. Bisher habe ich so etwas nicht beobachtet. Ob es aber doch möglich wäre, ist. eine Frage, die nur durch diebereits in Angriff genommene systematische Untersuchung beider Arten von absolutem Gehör entschieden werden kann. B £ v £ s z , Tonpsychologie.
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Absolutes Gehör.
hin, daß diese langsam erworbenen Kenntnisse mit der Abnahme der Übung oder beim Aufhören des Musikmachens so rasch verloren gehen oder doch die Tonurteile in diesem Falle an Treffsicherheit so stark abnehmen, was in ähnlicher Weise bei einem ausgeprägten qualitativen absoluten Gehör nicht beobachtet wird. Nun wollen wir uns zu der Frage wenden, welche Beziehungenzwischen den beiden Arten des absoluten Gehörs bestehen. Es läßt sich leicht beobachten, daß sich bei vielen Menschen die Tonhöhenerkennung allein findet, dagegen kommt das q u a l i t a t i v e a b s o l u t e Gehör n i c h t o h n e die F ä h i g k e i t der T o n h ö h e n e r k e n n u n g vor. Darauf, daß die Tonqualitätenerkennung mit der Tonhöhenerkennung verknüpft ist, weisen folgende Tatsachen hin: 1. Ich konnte bei meiner Versuchsperson L i e b e r m a n n die beiden Arten des absoluten Gehörs nebeneinander beobachten. Das qualitative fand sich nur im mittleren Tongebiet, während in der Tiefe und Höhe nur Tonhöhen erkannt wurden. Wie das möglich ist, da doch in der Tiefe und Höhe die Qualitäten dieselben sind wie in der Mitte, werde ich sogleich unten (Punkt 4) ausführen. Aber auch in der Mitte gelang es, die beiden Arten des absoluten Gehörs zu isolieren, indem ich davon Gebrauch machte, daß gesungene Töne viel schwerer erkannt werden als z. B. Geigen- und Klaviertöne; denn so verhält es sich bekanntlich bei den meisten Menschen mit absolutem Gehör. Ich konnte nun bei diesem Beobachter durch die besondere Art des psychischen Verhaltens und die beschränktere Genauigkeit der Erkennung nachweisen, daß er bei gesungenen Tönen nur die Höhe, nicht die Qualität erkennt. In einem Gebiete gefälschter Qualität konnte — wie
Absolutes Gehör.
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oben bemerkt — dieser Beobachter die Töne in vielen Versuchen nach Belieben der Höhe nach oder der Qualität nach bestimmen, was sich hier deswegen so scharf trennen ließ, weil die beiden Urteilsweisen in diesem abnormen Falle zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen mußten. Die eine mußte natürlich zu den gefälschten Qualitäten, die andere zu den richtigen absoluten Höhen führen. 2. Wer die absoluten Tonhöhen auf Grund der Qualität beurteilt, macht selten Oktavenfehler, er verlegt den zu bestimmenden Ton nur ausnahmsweise eine oder mehrere Oktaven tiefer oder höher. Wenn wir davon ausgehen, daß die Oktaven hinsichtlich ihrer Qualitäten identisch sind, so sollten doch bei Beobachtern, die ihre absoluten Tonurteile a u s s c h l i e ß l i c h auf das Qualitätsmerkmal gründen, Oktaventäuschungen wohl die R e g e l bilden. Da aber solche Täuschungen nur A u s n a h m e n sind, so muß neben dem qualitativen absoluten Gehör die Tonhöhenerkennung auch zur Geltung kommen. Daß Menschen mit qualitativem absolutem Gehör die Indizes oft nur mit Unsicherheit beurteilen, erklärt sich dadurch, da sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf das Höhenmerkmal der Töne richten; denn die Oktavenlage — wenigstens innerhalb eines großen Tongebietes — richtig bezeichnen zu können, kann vor allem Sache der Übung sein. Die sogenannten Oktaventäuschungen würden zum großen Teil wegfallen, wenn Menschen mit qualitativem absolutem Gehör sich in der Beurteilung der Töne nach ihrer Oktavenlage üben würden; sie müßten nur ihre Tonhöhenerkennung bis zu einem gewissen Grade entfalten. Diese braucht aber nicht einmal sehr entwickelt zu werden, denn es genügt diesen Menschen vollständig, wenn sie nur die ung e f ä h r e L a g e des Tones kennen, wenn sie nämlich neben der 7*
Absolutes Gehör.
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Qualität erkennen, in welcher Region (z. B. Oktave) der dargebotene Ton liegt. Mit einem Worte: sie brauchen sich nicht die „individuelle", sondern nur die r e g i o n ä r e H ö h e des T o n e s einzuprägen.1) 3. Und ebenso kann nur durch die Verknüpfung der Tonqualitätserkennung mit der Tonhöhenerkennung verständlich gemacht werden, wieso ein Beobachter mit qualitativem absoluten Gehör die Töne in der tiefen oder hohen Lage falsch, z. B. mit einer Abweichung von einem halben bis zu einem ganzen Ton beurteilt. Ein Fehler von einem halben Ton kann vielleicht auch bei qualitativen Urteilen vorkommen. Bei einem Fehler von einem ganzen Ton wird man das Urteil schwerlich mehr als ein qualitatives ansehen. Das r e g i o n ä r e a b s o l u t e G e h ö r kann ich nur dadurch erklären, wie ich schon oben angedeutet habe, daß ich annehme, daß der Beobachter für das Gebiet wo er Töne richtig, rasch und mit subjektiver Sicherheit beurteilt, ein qualitatives absolutes Gehör hat, dagegen für das Tongebiet, in welchem er die Töne unsicher und teilweise unrichtig bestimmt, nur die Fähigkeit der Höhenerkennung. Der Beobachter mit regionärem absoluten Gehör bedient sich aber nicht nur in der Region, wo er der Höhe nach, sondern auch in der, wo er der Qualität nach urteilt, seiner Höhenerkennung, mit dem Unterschied, daß in der ersteren Region die Höhenerkennung als primäres, in der letzteren dagegen als sekundäres Kriterium zur Geltung kommt. Wie es möglich ist, daß dieselben Qualitäten, die in der Mittellage erkannt werden, in der Tiefe und Höhe nicht er) Auf die Frage der regionären Höhe und ihre Beziehung zu der „individuellen" Höhe des Tones werde ich an einem anderen Orte zurückkommen. 1
Intervalle.
101
kannt werden, darüber sehe man, was v. K r i e s in ganz anderem Zusammenhange, bei der Besprechung gewisser Eigentümlichkeiten des Augenmaßes bemerkt hat.1) v. K r i e s führt aus, wie das Gedächtnis für ein einzelnes Merkmal eines Komplexes versagen kann, wenn dieses Merkmal als Bestandteil eines anderen Komplexes oder auch isoliert vorgeführt wird, in einem Zusammenhang also, wie es nicht eingeprägt worden war. So erklärt er auch die Abhängigkeit des absoluten Gehöres von der Klangfarbe. In unserem Falle würde es sich darum handeln, daß die Fähigkeit der Qualitätenerkennung versagt, wenn die Tonqualität mit sehr hohen oder sehr tiefen Höhenmerkmalen verbunden ist. (Die Mittellage ist jedenfalls durch den häufigsten Gebrauch bevorzugt, es kann aber sein, daß sie außerdem auch in ursprünglicher Weise bevorzugt ist.)
9. Intervalle. Unter I n t e r v a l l e n verstehe ich musikalische Tongebilde, die aus zwei, sukzessiv aufgefaßten Tönen gebildet sind, dagegen bezeichne ich aus zwei oder mehreren simultan gegebenen Tönen hervorgehende Tongebilde einfach als Z u s a m m e n k l ä n g e (Zwei-oder Mehrklänge); den Namen A k k o r d wollen wir wie üblich nur für Mehrklänge anwenden. In der psychologischen Akustik subsumiert man unter den Intervallbegriff die (sukzessiven) Intervalle sowohl wie die Akkorde. Obschon hier die Beziehung der Intervalle zu den Akkorden nicht ausführlich untersucht werden soll, wollen *) Beiträge zur Lehre vom Augenmaß. h o l t z . 1891.
Festgruß für H. H e l m -
Intervalle.
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kannt werden, darüber sehe man, was v. K r i e s in ganz anderem Zusammenhange, bei der Besprechung gewisser Eigentümlichkeiten des Augenmaßes bemerkt hat.1) v. K r i e s führt aus, wie das Gedächtnis für ein einzelnes Merkmal eines Komplexes versagen kann, wenn dieses Merkmal als Bestandteil eines anderen Komplexes oder auch isoliert vorgeführt wird, in einem Zusammenhang also, wie es nicht eingeprägt worden war. So erklärt er auch die Abhängigkeit des absoluten Gehöres von der Klangfarbe. In unserem Falle würde es sich darum handeln, daß die Fähigkeit der Qualitätenerkennung versagt, wenn die Tonqualität mit sehr hohen oder sehr tiefen Höhenmerkmalen verbunden ist. (Die Mittellage ist jedenfalls durch den häufigsten Gebrauch bevorzugt, es kann aber sein, daß sie außerdem auch in ursprünglicher Weise bevorzugt ist.)
9. Intervalle. Unter I n t e r v a l l e n verstehe ich musikalische Tongebilde, die aus zwei, sukzessiv aufgefaßten Tönen gebildet sind, dagegen bezeichne ich aus zwei oder mehreren simultan gegebenen Tönen hervorgehende Tongebilde einfach als Z u s a m m e n k l ä n g e (Zwei-oder Mehrklänge); den Namen A k k o r d wollen wir wie üblich nur für Mehrklänge anwenden. In der psychologischen Akustik subsumiert man unter den Intervallbegriff die (sukzessiven) Intervalle sowohl wie die Akkorde. Obschon hier die Beziehung der Intervalle zu den Akkorden nicht ausführlich untersucht werden soll, wollen *) Beiträge zur Lehre vom Augenmaß. h o l t z . 1891.
Festgruß für H. H e l m -
102
Intervalle.
wir dennoch wenigstens andeuten, warum es notwendig ist, die beiden Tongebilde voneinander streng zu scheiden. Schon die phänomenologische Betrachtung weist entschieden auf die Verschiedenheit der beiden musikalischen Tongebilde hin. Es ist nicht zu bezweifeln, daß descriptiv zwischen einer sukzessiven und einer simultanen Terz ein großer Unterschied ist. Darauf weist ferner auch die Tatsache hin, daß jemand, der ein gutes relatives Gehör hat, also sukzessive Intervalle fehlerlos beurteilt, noch nicht ohne weiteres imstande ist, Zweiklänge fehlerlos zu bestimmen. Auch das Umgekehrte kann vorkommen. In vielen Fällen wird der Zweiklang nicht unmittelbar, sondern nur mit Hilfe subjektiver Zerlegung bestimmt, wodurch er ja in ein sukzessives Intervall umgewandelt wird; dieser wird dann statt des Akkordes beurteilt. Man kann sogar bei musikalisch veranlagten Personen beobachten, daß sie zwei verschiedene aber qualitätsgleiche Zweiklänge wie große Terz und kleine Sext zusammenwerfen, hingegen kommt es nicht vor, daß das I n t e r v a l l einer großen Terz als kleine Sext aufgefaßt würde. Der Eindruck der Ton d i s t a n z e n (d.h. des Unterschiedes zweier Töne der Höhe nach), wie sie bei Intervallen wahrgenommen werden, fehlt dem Zusammenklange oder tritt doch sehr zurück. Ferner kann von Raumsymbolik, die die gegenseitige Lage der beiden Töne des Intervalles veranschaulicht, was sich in den räumlichen Bezeichnungen „tiefer", „höher", „näher", „entfernter" kundgibt, nur bei Intervallen die Rede sein. Die Zusammenklänge sind vor allem durch den Verschmelziungsgrad ihrer Töne charakterisiert, sie unterscheiden sich durch die Verschiedenheit ihres Verschmelzungsgrades. Daß ein Intervall etwas anderes als ein Zusammenklang ist,
Intervalle.
103
geht auch daraus hervor, daß Intervall und Verschmelzungsgrad nicht untrennbar verknüpft sind, da wie die Orthosymphonie bei Parakuse zeigt, der Verschmelzungsgrad zweier Töne normal bleiben kann, wenn ihr Intervall pathologisch verändert ist. Unter pathologischen Bedingungen kann z. B. der Ton d 3 die Qualität e annehmen. Wenn nun c:i und d 3 s u k z e s s i v angegeben werden, so wird der Beobachter das Intervall o h n e Z ö g e r n als große T e r z (c111—e1") beurteilen; wird aber c 3 und d 3 s i m u l t a n angegeben, so wird der Zweiklang im Sinne der Orthosymphonie für eine große S e k u n d e gehalten und ihr Verschmelzungsgrad entspricht tatsächlich der großen Sekunde. Der Eindruck und die Beurteilung des T e r z i n t e r v a l l e s (sukzessive Terz) kann also nicht auf der Verschmelzung beruhen. Besonders klar wird die Trennbarkeit des Intervalles von der Verschmelzung durch folgenden Versuch, der in der Arbeit über Orthosymphonie mitgeteilt ist. 1 ) Zwei Töne, von denen mindestens einer pathologisch (qualitätsverändert) ist, werden simultan vorgeführt, und der Beobachter wird aufgefordert, den Zusammenklang subjektiv zu zerlegen. Diese Zerlegung ergibt bekanntlich ein Intervallerlebnis, das sich von der Wahrnehmung eines Intervalles bei sukzessiver Vorführung nicht unterscheidet, da die Aufmerksamkeit sukzessive auf die Teiltöne gelenkt wird — S t u m p f nennt dies treffend „mit den Ohren singen". F ü h r t nun der Beobachter die Zerlegung aus, so erlebt er ein Intervall, und nimmt z u r s e l b e n Z e i t eine Verschmelzung der beiden Töne wahr, die einem anderen Intervall entspricht. ') L i e b e r m a n n u n d R é v é s z , Über Orthosymphonie, Zeitschr. f. Psych., Bd. 48, S. '¿70. S t u m p f s Beiträge, 4. Heft, S. 128 (Punkt 4 der Z u s a m m e n f a s s u n g ) .
104
Intervalle.
Die hier angeführten Tatsachen zeigen also, daß der Akkordeindruck von der Qualität der Töne unabhängig ist.1) Hingegen hängt der Intervalleindruck vor allem von der Tonqualität ab. Ich denke, schon aus diesen wenigen Argumenten geht hervor, daß man nicht beides, Akkord und Intervall, unter den einen Begriff des Intervalles subsumieren darf; vielmehr müssen wir sie streng voneinander scheiden und diese Scheidung auch in der Bezeichnung der beiden musikalischen Gebilde zum Ausdruck bringen.2) Wir wollen uns nun mit den Intervallen beschäftigen und sie von einem neuen Gesichtspunkte aus betrachten, welcher sich durch die von uns aufgestellte Anschauung über die Tonreihe von selbst darbietet. Wir wollen zusehen, ob zum Verständnis der Intervallverhältnisse unsere Lehre von zwei musikalischen Eigenschaften etwas beitragen kann, ob namentlich solche Erscheinungen, die bisher nicht erklärt oder nicht unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gebracht werden konnten, durch diese Auffassung erklärt oder einheitlich aufgefaßt werden können.3) ') Ob der Dur- und Mollcharakter der Akkorde von der Qualität gänzlich unabhängig sei, konnte ich noch nicht mit Sicherheit feststellen. 2 ) Ich möchte noch folgende Z e i c h e n empfehlen. Töne, die A k k o r d e bilden, sollten durchweg mit einem -—N-Zeichen verbunden werden, also bedeutet z. B. c e g den C-Dur-Dreiklang; Töne, die I n t e r v a l l e bilden, sollten mit Verbindungsstrichen verbunden werden; c-e würde also eine sukzessive Terz bedeuten und wenn man auch noch die Reihenfolge der Töne angeben will, so soll zwischen den Tönen ein —>• - Zeichen stehen, also bei c—>- e war der erste Ton c, der zweite e. 8 ) Vgl. Gr. R é v é s z , Nachweis, daß in der sog. Tonhöhe usw. a. a. O. S. 5.
105
Intervalle.
Es erhebt sich vor allem die wichtige Frage, ob sich der Intervalleindruck ausschließlich auf eines der beiden musikalischen Merkmale oder auf beide gründet. Ich bin zu dem Eesultat gekommen, daß es von beiden von uns an den Tönen u n t e r s c h i e d e n e n
Merkmalen
a b h ä n g t , welches I n t e r v a l l zwei sukzessiv g e g e b e n e Töne bilden. I. Die Rolle des Höhenmerkmals beim Intervalleindruck.
1. Beruhte der Intervalleindruck auf Qualitätsverhältnissen allein, so müßten z. B. die Q u a l i t ä t e n c und e u n t e r allen U m s t ä n d e n
d a s s e l b e I n t e r v a l l geben.
es aber in der Tat nicht so. eine Dezime,
c1
c1
und
e1
Nun ist
geben eine Terz, c 1 und e 2
und e° eine Sext. Sind also die Qualitäten c
und e gegeben, so ist damit das Intervall noch nicht bestimmt; es kann erstens Terz oder Sext sein (Umkehrung des Intervalles), zweitens jedes dieser Intervalle in enger und in erweiterter Form. Wodurch unterscheidet sich c 1 — e 1 von c 1 — e 2 ? Durch die verschiedenen D i s t a n z e n , womit hier der Abstand der beiden Höhen bezeichnet werden soll (Höhenunterschied).1) Intervall
c1
—
e1
Dem
e n t s p r i c h t eine k l e i n e r e D i s t a n z als
dem I n t e r v a l l c 1 —e 2 . (Uber Distanzen ausführlich S. 112ff.) Eine schwierige Frage ist es aber, wodurch sich c 1 — e 1 von c 1 — e° unterscheidet.
Die Entscheidung kann einfach durch
die Distanz nicht gegeben werden.
Wir werden auf diese
Frage unten noch zurückkommen. 2. Unter pathologischen Bedingungen,
wenn sich die
Qualitäten innerhalb einer größeren oder kleineren Tonregion auf eine einzige reduzieren, wie bei Parakuse, wo also alle *) Die Begriffe D i s t a n z ich als Synonyma.
und H ö h e n u n t e r s c h i e d
verwende
106
Intervalle.
Intervallurteile eigentlich Prim lauten müßten,1) l ä ß t sich doch das o b j e k t i v e I n t e r v a l l zweier s o l c h e r q u a l i t ä t s g l e i c h e r T ö n e einzig auf G r u n d i h r e r D i s t a n z , i h r e s H ö h e n u n t e r s c h i e d e s b e u r t e i l e n . So ist also unter gewissen noch zu präzisierenden Bedingungen ein bestimmtes Intervall auch durch eine bestimmte Distanz ausreichend charakterisiert und der Beobachter kann es durch dieses Merkmal sogar mit z i e m l i c h e r G e n a u i g k e i t beurteilen. Der Umstand also, daß trotz konstanter Qualität Intervalle bestimmt werden können, weist darauf hin, daß bei d e r Intervallbeurteilung auch unter normalen Verhältn i s s e n die D i s t a n z e n m i t v e r w e r t e t werden. Diese Versuche sind so wichtig, daß ich hier einige Beispiele anführen will. Die Tabellen habe ich in der oben zitierten Arbeit„ExperimentelleBeiträgezur Orthosymphonie" mitgeteilt. In einer Versuchsreiche wurde h 2 — c 3 gegeben. Dieses Intervall erschien naiv (nach Qualität) beurteilt, als Prim, nach Höhendistanz richtig als aufsteigende kleine Sekund. Ferner erschien h a — eis 3 naiv als Prim oder selten als kleine Sekund, nach Distanz als aufsteigende große Sekund oder vielleicht kleine Terz; h 2 — dis 3 naiv Prim, nach Distanz zwischen großer Terz und Quart; h 2 — e 3 naiv Prim, nach Distanz Quart. Ich habe im konstanten Pseudogebiet 44 Intervalle vorgeführt. Davon lagen 37 innerhalb einer Oktave, während 7 die Oktave überschritten. Von den 37 Urteilen waren 20 ganz richtig 6 um einen halben Ton falsch 3 „ „ ganzen „ „ 2 über „ „ „ „ (6 wurden nach der Qualität (naiv) beurteilt). Konstantes Qualitätsgebiet bei Parakuse siehe S. 50 f.
Intervalle.
107
Ziehen wir von den 37 Urteilen die nach der Qualität beurteilten sechs Fälle ab, so bleiben 31 Urteile, wovon 64,5 Prozent ganz richtig ausgefallen sind. Rechnen wir zu den ganz richtigen Urteilen noch die um einen halben Ton falsch beurteilten Intervalle hinzu, so erhalten wir 83,8 Prozent richtige Urteile. Von den Intervallen, die eine Oktave überschritten, wurden ungefähr 50 Prozent richtig beurteilt. Durch diese Versuche ist also bewiesen, daß a l l e i n auf Grund von D i s t a n z e n I n t e r v a l l e l e i d l i c h gut beurt e i l t werden können. 3. Im konstanten Qualitätengebiet werden nicht nur einzelne Intervalle, sondern auch eine Reihe nacheinander dargebotene so erfaßt, daß in vielen Fällen sogar der E i n d r u c k der M e l o d i e auftritt. Der Beobachter kann durch die den Intervallen entsprechenden Distanzen bekannte Melodien wiedererkennen und nicht erkannte Melodien (bekannte und unbekannte) mit Hilfe der aufgefaßten Distanzen in Noten setzen. Die Melodie wird anfangs nicht erkannt und der Eindruck ist in der Regel zunächst gar nicht der einer Melodie. Indem aber der Beobachter bei wiederholter Vorführung die Distanzen der qualitätsgleichen Töne mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt, bekommen die Distanzen allmählich den Charakter von m u s i k a l i s c h e n I n t e r v a l l e n , womit die ganze Erscheinung in die einer Melodie übergeht. Erst w e n n das g e s c h e h e n ist, kann sie in N o t e n g e s e t z t werden. Die Umwandlung der Distanzen in musikalische Intervalle fasse ich als eine Art Illusion auf.1) *) Vgl. dazu was ich über die Intervalle bei Geräuschtönen gesagt habe S. 72 f.
Intervalle.
108
Da diese Melodieversuche sehr interessant sind, werde ich davon einige anführen. 1. Die erste Melodie, die ich — natürlich ohne Begleitung
—
vorführte,
Kinderlied.
war
ein
allbekanntes
ungarisches
Der Beobachter mußte bei dieser Melodie die
Intervalle noch nicht angeben oder sie in Noten setzen, sondern nur die Richtung der Tonbewegung r ä u m l i c h andeuten. Die Melodie1) fing so an:
Die Bewegungsrichtung der Töne wurde durch folgendes räumliche Schema angedeutet:
Bei nicht.
der
ersten Vorführung erkannte
er die Melodie
Als ich ihn nachher aufforderte, die Melodie am
Klavier zu reproduzieren, spielte er sie in folgender Weise:
Nach der dritten Wiederholung gelang es ihm, die Melodie zu erkennen. Nach kurzer Übung ging die Erkennung bekannter Melodien schon leichter. 2. So habe ich als dritten Versuch die erste Phrase der M a r s e i l l a i s e in A-Dur vorgeführt und L i e b e r m a n n
er-
*) Alle vorgeführten Melodien wurden in der dreigestrichenen Oktave gegeben, nur selten wurde auch noch die obere Hälfte der zweigestrichenen Oktave mitverwendet.
Intervalle.
109
kannte sie sogleich bei der ersten Vorführung fast ganz richtig und reproduzierte sie sogar in derselben Tonart. Ich muß bemerken, daß ich die Mehrzahl der gegebenen Melodien ohne Rhythmus, mit gleichen Notenwerten vorgeführt habe, welcher Umstand die Erkennung des Stückes in hohem Maße erschwert hat. Andere Beispiele: 3. Rondo aus der S o n a t e p a t h é t i q u e , op. 13 von B e e t h o v e n . Die ersten 8 Takte. JALJ2
_
4
» ~r
—Fr—»'—* * F—
vorgeführt:
Nach der ersten Vorführung in Noten gesetzt:
Als ich zum zweitenmal mit Rhythmus vorspielte, erkannte L i e b e r m a n n das Stück. 4. Das Lied „ A l l e s neu m a c h t der Mai". im Rhythmus gespielt wurde es sofort erkannt.
Richtig
Man darf aber nicht glauben, daß der Rhythmus allein für die Erkennung eines Stückes hinreichte. Wenn ich nämlich den Rhythmus der bekanntesten Melodien auf einem einzigen Ton angab, so wurden sie mit einer einzigen Ausnahme niemals erkannt; nur die W a c h t am R h e i n ist auf Grund ihres Rhythmus erkannt worden.
110
Intervalle.
1= £
£ £
t=
SL
Rhythmisch vorgetragen wurde das Motiv bis auf den letzten Ton richtig nachgesungen. 6. „ G o t t
erhalte
Franz
Musikalische Wirkung. den K a i s e r "
mit c 3 als
Ausgangsnote wurde nicht erkannt, Wirkung unmusikalisch. 7. M e n d e l s s o h n s H o c h z e i t s m a r s c h aus dem Sommernachtstraum.
Aus reinem Rhythmus nicht, bei normaler Vor-
führung nach der zweiten Wiederholung erkannt. 8. „ K o m m t ein V ö g l e i n " .
4 Takte.
Die ersten zwei
Takte richtig aufgefaßt; die Melodie nicht erkannt. 9. „ F u c h s , du h a s t die G a n s g e s t o h l e n " .
m
•
Nach
der ersten Vorführung
t
wurde es in
•
folgender
Weise reproduziert: =t= 10. „ I h r K i n d e l e i n k o m m e t " .
Bei rhythmischer Vor-
führung richtig nachgesungen (ein kleiner Fehler am Schlüsse). Wirkung musikalisch. 11. „ S t i l l e N a c h t , h e i l i g e N a c h t " . 8a„
f ä t Reproduziert:
P--
£
a
111
Intervalle.
12. Mozarts F i g a r o „Non più andrai". S^WV/W
Bei richtiger Vorführung nicht erkannt. Wirkung musikalisch. Qualitäts- und Höhenunterschiede wahrgenommen. Nachgesungen (beginnend mit einem Ton zwischen eis und d, welcher Ton der Pseudoton dieser Gegend war):
13. Motiv aus Wagners F l i e g e n d e m H o l l ä n d e r . — #
rri vV *i
ffiy •
»-»-I
:
•t
jj
Bei richtiger Vorführung nicht erkannt. Wirkung unmusikalisch, nur Höhendistanzen, keine Qualitätsunterschiede. Bei Wiederholung im Anfang des Motivs auch qualitative Unterschiede, dann mehr verwischt. Als der Beobachter versuchte, es nachzusingen, erschien dabei schließlich etwas wie Qualitätsunterschiede auch für das letzte Intervall. Nachgesungen: fete
£
£
£
-0~
— T
Nochmals gegeben. Wirkung nicht mehr unmusikalisch. Auch nachdem die Versuchsperson die Melodie wußte, erschien sie nur so, wie sie meist nachgesungen wurde. Die Kenntnis der Melodie hat in diesem Falle nicht suggestiv gewirkt.
112
Intervalle.
14. M o z a r t s F i g a r o „Voi che s a p e t e " .
£
:t
Aus reinem Rhythmus nicht erkannt. führung nachgesungen: ,
" T i
ß
\
Bei richtiger Vor-
-V II.
Der Teil I wirkt musikalisch, Teil II unmusikalisch, wird aber, wenn der Beobachter trachtet ihn zu analysieren, allmählich musikalischer. Die vorliegenden Resultate zeigen, daß o b j e k t i v e I n t e r v a l l e bei q u a l i t ä t s g l e i c h e n T ö n e n n i c h t n u r als D i s t a n z e n , s o n d e r n als I n t e r v a l l e a u f g e f a ß t w e r d e n , und d a ß sie mit z i e m l i c h e r G e n a u i g k e i t b e u r t e i l t w e r d e n können. Besonders weisen darauf solche Fälle hin, wo bekannte Melodien, obschon sie nicht erkannt werden, doch f a s t richtig reproduziert werden können, wie wir z. B. beim Beispiel 5 deutlich sehen können. 4. Hierher gehören ferner Beobachtungen über die Erscheinungsweise von. Tönen bei sukzessiver Rechtslinksvorführung. Beim Normalhörenden erweckt ein Ton, der erst dem einen und dann dem anderen Ohr allein zugeführt wird, annähernd oder genau den Eindruck einer Prime. Besteht aber Parakuse, so ist dies im allgemeinen nicht der Fall, weil die Verstimmung an den beiden Ohren nicht dieselbe ist. Welcher Eindruck muß dann entstehen? Bestünde die Parakuse darin, daß einem objektiven Ton eine Empfindung entspräche, die sonst von einem anderen
Intervalle.
113
objektiven Ton erzeugt wird, so würde die Rechts-Linksvorführung einen Intervalleindruck erzeugen, wie zwei verschiedene Töne. D a aber bei der Parakuse, wie sie die Ohren meiner Versuchsperson L i e b e r m a n n zeigen, die Empfindung nicht etwa durch eine solche ersetzt ist, die sonst von einem anderen Ton erzeugt wird, sondern durch eine normalerweise gar nicht vorkommende, so ist das Ergebnis im voraus nicht anzugeben. Ich habe gezeigt, daß bei der Parakuse die Höheneigenschaft der Töne normal bleibt und nur die musikalische Q u a l i t ä t verändert wird. D a sich dies nun an b e i d e n Ohren so verhält, so erzeugt die Rechts-Linksvorführung z w e i q u a l i t ä t s v e r s c h i e d e n e T o n e m p f i n d u n g e n in g l e i c h e r H ö h e : ein Fall, der beim Normalen nicht zu realisieren ist. Ich konnte also in diesem Falle eine Anzahl von Q u a l i t ä t e n p a a r e n in d e r s e l b e n H ö h e produzieren und nachweisen, d a ß zwei h ö h e n g l e i c h e Q u a l i t ä t e n z u e i n a n d e r in I n t e r v a l l b e z i e h u n g t r e t e n k ö n n e n , wobei das Intervall durch die beiden Qualitäten allein nicht eindeutig bestimmt ist. Nehmen wir ein Beispiel. Ein Beobachter hört den objektiven Teil c 3 auf einem Ohr sowohl der Qualität, wie der Höhe nach normal, auf dem anderen hingegen nur der Höhe nach normal, der Qualität nach aber verändert, z. B. als e (e °3). Will er nun das Verhältnis der beiden Töne angeben, so stellt sich heraus, daß die Beziehung der beiden Qualitäten s o w o h l a l s g r o ß e T e r z wie a l s k l e i n e S e x t aufgefaßt werden kann. E s folgt daraus, daß d i e Q u a l i t ä t e n a l l e i n den I n t e r v a l l e i n d r u c k n i c h t b e s t i m m e n k ö n n e n . Derselbe Beobachter, der unter normalen Umständen eine Sext nicht R6y6sz, Tonpsychologie. 8
114
Intervalle.
als Terz und eine Terz nicht als Sext beurteilt, kann zwei Qualitäten von gleicher Höhe, die unter normalen Verhält-, nissen einer Terz oder Sext entsprechen, sowohl als Terzwie als Sextintervall auffassen. Daß er das unter normalen Umständen, wenn also die beiden Qualitäten in verschiedener Höhe erscheinen, nicht kann, beweist, daß die Höhen beim Intervalleindruck eine bestimmende Rolle haben. Bei diesen Versuchen verfuhr ich folgenderweise. Zuerst ließ ich den gegebenen Ton sowohl nach seiner Q u a l i t ä t wie nach seiner H ö h e in der oben angegebenen Weise für b e i d e Ohren bestimmen. Nachher gab ich denselben Ton s u k z e s s i v beiden Ohren und ließ das Intervall beurteilen. Soweit man den absoluten Höhenurteilen trauen kann, darf behauptet werden, daß keine Fälschung des Höhenmerkmals vorlag, daß es sich also ausschließlich um eine Veränderung der Qualität handelte. Führte ich nun einen für die beiden Ohren verschiedenen Ton s u k z e s s i v beiden Ohren vor, so wurde ein Intervallurteil abgegeben, das den verstimmten Tonqualitäten entsprach. In der Kegel konnte der Beobachter die Qualitäten nur als ein bestimmtes Intervall auffassen; wenn z. B. der Ton g 2 links als e, rechts als dis gehört wurde, lautete das Intervallurteil bei Links-Rechtsvorführung: kleine Sekunde mit a b s t e i g e n d e r Richtung ( | 2 ) ; aber es kamen Fälle vor, und zwar nicht einmal selten, wo der Beobachter das Intervall entweder w i l l k ü r l i c h umkehren konnte oder wo die Umkehrung u n w i l l k ü r l i c h stattfand, d. h. in einem Fall das Intervall als kleine Sekunde, im anderen als große Septime erschien. So wurde z. B. • Cj als Q u i n t e erschien oder daß er es als Quinte auffaßte; in diesen Fällen aber trat die paradoxe Erscheinung ein, daß er die Richtung des Intervalles für a u f s t e i g e n d erklärte, obschon er den Höhenschritt zu gleicher Zeit richtig als a b s t e i g e n d wahrnahm. Dieser paradoxe Fall erklärt sich einfach dadurch, daß c->-g als Q u i n t unter normalen Umständen nur aufsteigend vorkommen kann; infolgedessen wird c - ^ g unabhängig von der erlebten Richtung des Höhenschrittes als aufsteigende Quinte beurteilt. Zur Illustrierung des Gesagten mag die Selbstbeobachtung von L i e b e r m a n n dienen:
118
Intervalle.
„Habe ich ein Intervall zu beurteilen, so kann das Ergebnis niemals eine bloße Angabe des Namens sein; die Auffassung des Intervalles bringt notwendig eine R i c h t u n g s b e z e i c h n u n g mit sich. Jedes Intervall wird notwendig entweder als aufsteigendes oder als absteigendes gefaßt. Dies wird jedem, der einmal ein Intervall aufgefaßt hat, ohne weiteres klar sein. Nicht so ohne weiteres klar ist es aber, was mit der Angabe der Richtung gemeint ist. Die nächstliegende Anschauung ist natürlich die, die Bezeichnung aufsteigend oder absteigend gebe die R i c h t u n g d e s H ö h e n s c h r i t t e s an. E s klingt gewiß paradox, wenn ich behaupte, daß das n i c h t i m m e r z u t r i f f t . Es gibt Fälle, wo der Höhenschritt entgegengesetzt aufgefaßt wird, als die Richtungsbezeichnung angibt, und es folgt, daß auch dort, wo der Höhenschritt im Sinne der angegebenen Richtung aufgefaßt wurde — wie gewöhnlich — der Inhalt der Richtungsangabe mit der Bestimmung des Höhenschrittes (ob oder -f) nicht erschöpft ist. Beobachte ich das psychologische Verhalten in den paradoxen Fällen, so zeigt sich, daß die Bezeichnung eines Intervalles als aufsteigende Quinte z. B., und nicht als Quinte schlechthin, auf die m e l o d i s c h e B e d e u t u n g des aufgefaßten Intervalles geht. Wenn ich die Tonfolge c — g als aufsteigende Quinte auffasse, so bedeutet das, daß ich einen melodischen Schritt wahrgenommen habe, der in einer Melodie die Rolle einer aufsteigenden Quinte spielen kann. Schlage ich z. B. die Gabel a 1 an, und intendiere einen Ton darauf zu singen, so daß das Intervall eine aufsteigende große Terz werde, so singe ich das eingestrichene eis, und fasse doch das Intervall ganz deutlich als Terz und nicht als Sexte. Aber selbstverständlich unbedingt als a u f s t e i g e n d e Terz.
Intervalle.
119
Richte ich nun die Aufmerksamkeit auf den Höhenschritt selbst, so kommt zunächst gar nichts Deutliches, und es wird mir auch anschaulich, daß das Urteil, die Terz sei eine aufsteigende, mit der Auffassung des Höhenschrittes gar nichts zu tun hat. Ich hatte erwartet, daß es auch einen anderen Weg geben werde, mich davon zu überzeugen, daß die Richtung des tatsächlichen Höhenschrittes der im Urteil angegebenen Richtung entgegengesetzt ist: nämlich das Intervall als absteigende kleine Sexte aufzufassen; ich dachte, daß dabei auch das Absteigende des Höhenschrittes deutlich würde. Zu meiner Überraschung fand ich, daß er auch da nicht anschaulich wurde; die Auffassung des Schrittes als absteigend schien mir nicht naiv genug, sondern durch das Wissen getrübt." Wir haben also hier einen Fall, wo die beiden Töne zwar in verschiedener Höhe gehört werden, wie die absoluten Urteile zeigen, wo sich aber wegen einer besonderen Konstellation der Auffassung der Höhenunterschied bei ihrer Aufeinanderfolge nicht recht geltend machen will; er redet sozusagen nichts drein, bleibt neutral, was durch den Unterschied der Klangfarbe erleichtert wird, und er läßt der Auffassung freies Spiel, das Intervall beliebig im einen oder im anderen Sinne aufzufassen. Der Beobachter gab mir an, daß die Auffassung als Terz musikalisch kaum weniger befriedigend ist als die als Sexte. Höchstens hat er bei erneutem Probieren den Eindruck, als gäbe das Urteil absteigende Sexte außer von der melodischen Bedeutung des Intervalles noch von etwas anderem Rechenschaft, was aber musikalisch nebensächlich ist. Man unterliegt dabei sehr leicht einer Täuschung und meint wirklich ein a u f s t e i g e n d e s Intervall im gewöhnlichen Sinne des Wortes gehört zu haben. Es gehört sehr auf-
Intervalle.
120
merksame Beobachtung dazu, sich davon zu überzeugen, daß dies eine Urteilstäuschung ist. Die Schwierigkeit besteht darin, Illusion von Urteilstäuschung zu unterscheiden. Es handelt sich hier nicht um eine Illusion; das würde bedeuten eine Modifikation der Wahrnehmung. Daß eine solche n i c h t vorliegt, wird sofort klar, wenn man sich fragt, ob denn das gesungene eis1 nach dem Gabelton a 1 etwa als eis2 erscheine. Davon ist nicht die Rede. Man wird aber schwerlich annehmen wollen, daß der Höhenschritt als aufsteigender erscheinen könne, wenn die beiden wahrgenommenen Höhen einen absteigenden Schritt bilden. Will der Beobachter nun um jeden Preis den Schritt von a 1 (Gabel) zu eis 1 (gesungen) beurteilen, so kommt er dazu am besten auf einem indirekten Wege: er betrachtet jeden Ton für sich und bildet sich ein Urteil über ihre absolute Höhe. Dann wird es deutlich, daß das eis der tiefere Ton ist. Daß ein Intervall tatsächlich durch seine melodische Bedeutung d e f i n i e r t ist; und daß darin die Erklärung der „paradoxen Auffassung" steckt, wird vielleicht noch deutlicher, wenn man die paradoxe Auffassung durch eine bekannte Melodie begünstigt. Dieser Kunstgriff wird am besten mit dem anderen — der verschiedenen Klangfarbe — verbunden, etwa so:
Klavier
Stimme 1
„Ich fasse hier das Intervall e —g als aufsteigende kleine Terz, und glaube, daß es jedem Musikalischen so gehen wird." Spielt man bei diesem Versuch auch das Schluß-g
Intervalle.
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am Klavier, so gelingt die Auffassung als Terz schwerer: man muß dann von der Distanz abstrahieren. Immerhin kam es bei den Versuchen in der Tiefe vor, daß L. ein Intervall etwa als aufsteigende Quinte mit absteigendem Höhenschritt bezeichnete, obwohl beide Töne am Klavier angegeben waren und auch sonst kein besonderer Grund für die paradoxe Auffassung ersichtlich war. Es ist ja verständlich, daß die Disposition, c — g als Quint zu fassen, etwa durch i n n e r e Veranlassungen erzeugt werden kann. In diesen Fällen war das Paradoxe anschaulich: er war gezwungen, von der Verkehrten Richtung der Distanz Notiz zu nehmen. Im übrigen war das psychische Verhalten wie oben beschrieben. 5. Der Einfluß des Höhenmerkmals auf das Zustandekommen des Intervalles zeigt sich ferner in ausdrücklicher Weise bei undeutlicher Qualität, wie eine solche geräuschartige Töne haben. Es kann nämlich, wie wir oben Seite 72 ausgeführt haben, der E i n d r u c k e i n e s Intervalles z w i s c h e n zwei G e r ä u s c h t ö n e n entstehen.
Fassen wir nun das Gesagte zusammen. D e r E i n f l u ß des H ö h e n m e r k m a l s beim I n t e r v a l l z e i g t sich in folgendem: 1. Ob zwei T o n q u a l i t ä t e n ein e n g e s oder erw e i t e r t e s I n t e r v a l l b i l d e n , wird durch die D i s t a n z bestimmt. 2. D a s o b j e k t i v e I n t e r v a l l z w e i e r q u a l i t ä t s g l e i c h e r aber h ö h e n v e r s c h i e d e n e r T ö n e , wie sie unter pathologischen Umständen gegeben sein k ö n n e n , wo eine g a n z e R e i h e b e n a c h b a r t e r T ö n e
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Intervalle.
dieselbe Tonqualität hat, wird allein auf Grund ihres Höhenunterschiedes mit l e i d l i c h e r Genauigkeit beurteilt. (Reine Distanzen.) 3. Auf die musikalische B e d e u t u n g der Höhe weist der Umstand hin, daß H ö h e n s c h r i t t e unter besonderen Umständen den Charakter von musikalischen Intervallen annehmen können. 4. Daß Intervalleindrücke ohne Distanz nicht bestimmt werden können, darauf weisen Versuche hin, die zeigen, daß zwischen höhengleichen Qualitäten das Intervall nicht e i n d e u t i g bestimmt werden kann. 5. Bei u n d e u t l i c h e r Qualität, wie eine solche geräuschartige Töne haben, kann doch der Eindruck eines Intervalles zwischen zwei Tönen entstehen.
Die Rolle des Qualitätsmerkmals beim Intervalleindruck.
1. Das psychische Verhalten des Beobachters ist ganz anders, wenn er Intervalle zwischen Tönen verschiedener Qualität, also innerhalb seines normalen Gebietes oder zwischen einem normalen Ton und einem Ton des pathologischen Gebietes oder auch zwischen zwei pathologischen Tönen verschiedener Qualität bestimmt, als wenn er ein Intervall in einem Gebiet zu bestimmen hat, wo es nur eine Qualität gibt, also im konstanten Qualitätsgebiet. Die gewöhnliche Art ein Intervall zu beurteilen, ist momentan, naiv, arm an Erlebnis, während ein Urteil über Höhendistanzen Zeit erfordert und deutlich durch psychische Tätigkeit gewonnen wird.
Intervalle.
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2. Erweiterte Intervalle sind den engen äußerst ähnlich, so daß sie einander sogar in der Melodie vertreten können. Das beruht darauf, daß die Qualitäten im erweiterten Intervall dieselben sind wie im engen. 3. Daß höhengleiche Qualitäten Intervalleindrücke geben, ist ein weiteres Argument dafür, daß die Qualitäten an der Intervallbildung beteiligt sind. Siehe die binauralen Versuche auf Seite 114 f. 4. Wenn es sich zeigt, daß v e r s c h i e d e n e n D i s t a n z e n g l e i c h e I n t e r v a l l e entsprechen können, so kann das nur vom Einfluß des Qualitätsmerkmals herrühren. Tatsächlich entsprechen nun verschiedenen Distanzen gleiche Intervalle, da wir finden, daß die- Distanz eines Intervalles davon abhängt, in welchem Gebiet wir seine Töne angeben. Es zeigt sich, daß die T ö n e eines I n t e r v a l l e s in t i e f e r L a g e viel k l e i n e r e D i s t a n z e n h a b e n als in m i t t l e r e r . Einer Terz entspricht nicht schlechthin eine kleinere Distanz als einer Quart. Man darf also D i s t a n z mit I n t e r v a l l n i c h t z u s a m m e n w e r f e n , sie unterscheiden sich voneinander ganz wesentlich. Schon S t u m p f hat behauptet, daß dasselbe Tonverhältnis, z. B. 2 : 3 (Quint) uns in der tiefen Region Töne liefert, die einen geringeren ,,Tonabstand" haben, als in der mittleren Region.1) Es ist bemerkenswert, daß S t u m p f ohne an das selbständige Höhenmerkmal zu denken, einen Unterschied zwischen Tonabstand (nach uns Distanz) und Intervall statuierte. Dem scharfen Beobachter konnte die Inkongruenz, die zwischen der mit der Höhenlage sich ändernden Distanz l
) Konsonanz und Dissonanz, Seite 68.
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Intervalle.
und dem festen, unveränderlichen besteht, nicht entgehen.
musikalischen Intervall
Meiner Erfahrung nach kann zwar durch unmittelbaren' Vergleich in verschiedenen Höhenregionen liegender gleicher Intervalle dieser Unterschied mit genügender Deutlichkeit demonstriert werden, doch wird die. Erscheinung auffallender, wenn man den folgenden Weg einschlägt. Man lege einem mit gutem relativen Gehör begabten Menschen die Intervalle g 1 —as 2 und G-,—As zur Beurteilung vor. Er wird das Intervall g 1 —as 2 ohne weiteres als kleine None beurteilen, dagegen wird es manchmal vorkommen, daß er —As für eine kleine Sekunde halten 1 wird. ) Die Erklärung liegt auf der Hand. Die Höhendistanz zwischen —As ist im Vergleich zu g 1 —as 2 so klein, daß das erstere ebenso leicht als kleine Sekunde wie als kleine None beurteilt werden kann. Die Distanz ist viel kleiner als die einer in der mittleren Region liegenden None und größer als die einer Sekunde derselben Höhenlage. Noch schlagender ist ein anderer Versuch. Wird das Intervall a 2 -> b 1 oder a 1 b° gegeben, so wird es stets als a b s t e i g e n d e g r o ß e S e p t i m e beurteilt. Führen wir dagegen das Intervall A Bj vor, so kann dieses sehr wohl als a u f s t e i g e n d e 2 ) k l e i n e S e k u n d e aufgefaßt werden. Die Distanz zwischen A und B ist im Verhältnis zu der der Intervalle in der mittleren Region so klein, daß sogar der Ein') Dieses Beispiel weist auch auf die Identität der Oktaventöne hin. *) Siehe dazu was ich über die Richtung auf Seite 116—117 gesagt habe.
Intervalle.
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druck des Aufsteigens leicht hineingelegt werden kann. — Diese Eigentümlichkeit zeigt sich auch dann, wenn wir z. B. "•die Töne der aufsteigenden Cdur-Tonleiter der Reihe nach in absteigender Eichtung vorführen, also: c 4 —d 3 —e 2 —f 1 — g"—A—Hj—C r In diesem Falle versteht der Beobachter eine Zeitlang nicht, worum es sich eigentlich handelt, bis er schließlich in den letzten 3—4 Tönen (g° -> A -> Hj CJ den Schluß der aufsteigenden Cdur-Tonleiter erkennt. Da die Distanzen in der tiefen Region kleiner als in der hohen und mittleren sind, können die letzten 2—3 Intervalle leicht den Eindruck der Sekundenfolge erwecken, was es schließlich ermöglicht, die Tonleiter zu erkennen. Die obige Vorführungsart erweist sich für die Erkennung günstiger als eine Vorführung in umgekehrter Richtung, also C x —Hj—A—g°—f 1 — e 2 —d 3 —c 4 , was sich ungezwungen daraus erklärt, daß bei der aufsteigenden Vorführung der Beobachter durch den frappanten Eindruck der zuerst gehörten Töne an der hier erforderlichen psychischen Einstellung verhindert, gerade den für die Erkennung günstigsten Abschnitt der Reihe ungenützt vorbeigehen läßt. Ferner weisen darauf, daß gleichen Intervallen ungleiche Distanzen entsprechen, gewisse weitere Versuchsresultate und Beobachtungen hin. Es zeigte sich nämlich, daß Distanzen im konstanten Pseudogebiet, also in der dreigestrichenen Oktave, eher ü b e r - als unterschätzt werden, in 88 Prozent der falschen Fälle war eine Uberschätzung zu konstatieren. Ferner ist bekannt, daß in der Tiefe, in der großen und Kontra-Oktave Intervalle leicht unterschätzt werden. Im ersten Falle fand eine Überschätzung statt, weil die Höhendifferenz der beiden Töne in der hohen Lage größer, im zweiten Falle eine Unterschätzung, weil der Höhenunterschied im tieferen Ton-
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Intervalle.
gebiet kleiner ist als in der am besten bekannten mittleren Tonregion. Es erhebt sich in diesem Zusammenhange auch die^ Frage, wie es möglich ist, daß gleichen Intervallen ungleiche Distanzen entsprechen, und doch Intervalle im qualitätsgleichen Tongebiet (konstantes Pseudogebiet) leidlich gut beurteilt werden. Es läßt sich darauf eine sehr einfache Antwort geben. Erstens entsprechen innerhalb einer b e g r e n z ten Tonregion, wie z. B. innerhalb eines Gebietes von einer Oktave gleichen Intervallen immerhin gleiche oder nahezu gleiche Distanzen, zweitens aber werden in jeder Höhenregion die Intervalle mit den ihnen entsprechenden Distanzen in solcher Weise e i n g e p r ä g t , daß die» Distanz der Intervalltöne die Intervalle in jedem einzelnen Tongebiete ausreichend charakterisiert. Wir müssen also betonen, daß diese Verschiedenheiten der Distanzen nicht absolute Größen bedeuten, also nicht für die ganze Tonreihe, sondern nur für eine bestimmte Region gelten ( r e g i o n ä r e Distanzen). Der Terz c 1 —e 1 entspricht eine kleinere Distanz als der Sext c 1 —e°, aber — wie wir schon wissen — ist die Distanz einer beliebigen Terz nicht notwendig kleiner als die einer beliebigen Sext. Damit hängt nun eine weitere Frage zusammen: ob der Unterschied eines Intervalles von seiner Umkehrung etwa daraus zu erklären sei, daß das umgekehrte Intervall eine ') Wenn man bei der sinnlichen Veranschaulichung der Tonreihe noch die Tatsache, daß in verschiedenen Tonregionen gleichen Intervallen ungleiche Distanzen entsprechen, mit berücksichtigen will, so kann man diesen Umstand leicht in einer Schraubenkonstruktion (Vgl. Seite 20) zum Ausdruck bringen, indem die Windungen ungleich hoch macht. In der Tiefe z. B. müssen die Windungen enger liegen, die Schraube mehr zusammengedrückt sein, als in der Mitte.
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andere Distanz hat. Aus dem eben Gesagten folgt, daß es nicht von der absoluten Größe der Distanzen abhängt, ob ein bestimmtes Qualitätenpaar diesen oder jenen Intervalleindruck erweckt, weil sonst eine Sext in der tiefen Lage als Terz erscheinen könnte, denn ihre Distanz kann nahe dieselbe sein wie die einer Terz in der hohen Lage.1) Nach dieser Abschweifung kehren wir zu unserer eigentlichen Frage zurück und fassen unser viertes Argument für den Einfluß der Tonqualitäten auf das Intervall zusammen. Da die beiden Töne eines Intervalles in tiefer Lage viel kleinere Distanzen haben als in mittlerer, so kann es nur an den Q u a l i t ä t e n l i e g e n , wenn das I n t e r v a l l h i e r wie dort d a s s e l b e ist. 5. Unter p a t h o l o g i s c h e n V e r h ä l t n i s s e n k ö n n e n d a s s e l b e P a a r von T o n q u a l i t ä t e n in e i n e r e n g b e g r e n z t e n L a g e m i t allen m ö g l i c h e n D i s t a n z e n v o r k o m m e n , aber der I n t e r v a l l e i n d r u c k wird s t e t s d e r s e l b e bleiben. So machten z. B. im konstanten Pseudogebiet zwei gis-Töne mit der Distanz einer Septime oder Sext den genauen Eindruck einer Oktave. Das Intervall gis c ' und gis a ' oder gis®* und gish* wird also von dem Beobachter ohne Zögern und stets als Oktave beurteilt, und in gleicher Weise wird das Intervall a c "—c dS genau so für eine Terz gehalten, wie die Intervalle a° ! —c c i 8 \ Also die Tonqualitäten haben den Intervalleindruck bestimmt. 6. Zwischen Tönen des pathologischen Gebietes und solchen des normalen Gebietes erhalten wir objektiv falsche Intervallurteile, die genau so konsequent sind und mit der*) Eine systematische Untersuchung der Distanzen wird gegenwärtig unter meiner Leitung ausgeführt.
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Intervalle.
selben subjektiven Sicherheit abgegeben werden, .als innerhalb des normalen Gebietes. Die Abweichung vom objektiven Intervall kann also nur von der Fälschung der Qualitäten herrühren, indem diese falsche Qualität das Intervall bestimmt. — Das läßt sich auch direkt beweisen, da die falschen Qualitäten auch durch Nachsingen gefunden werden. Hierher gehört der schon oben mitgeteilte Fall, als die Versuchsperson L i e b e r m a n n Cx einmal als c ein anderesmal als g hörte (zwei Qualitäten bei einer Höhe). Wurde nun das normale C mit dem anomalen sukzessiv gegeben, so beurteilte er das Intervall C — a l s Quart, obwohl nach der Distanz das Intervall auch von ihm für eine Oktave gehalten wurde. Er konnte sowohl in diesem Fall, wie auch in anderen Fällen im pathologischen Gebiet neben dem in erster Reihe auf dem Qualitätsmerkmal beruhenden Intervall auch die — nicht dem beurteilten Intervall entsprechende — Distanz angeben. D e r E i n f l u ß d e r T o n q u a l i t ä t ä u ß e r t sich beim I n t e r v a l l in f o l g e n d e m : 1. H a t eine R e i h e b e n a c h b a r t e r T ö n e bei n o r m a l e m H ö h e n u n t e r s c h i e d d i e s e l b e Q u a l i t ä t u n d soll ein I n t e r v a l l z w i s c h e n zwei Tönen e i n e r s o l c h e n R e i h e b e u r t e i l t w e r d e n , so i s t das p s y c h i s c h e Verh a l t e n beim U r t e i l e n g ä n z l i c h a n d e r s als u n t e r n o r malen Verhältnissen. 2. E r w e i t e r t e I n t e r v a l l e sind den engen ä u ß e r s t ä h n l i c h und k ö n n e n sie s o g a r in d e r Melodie vertreten. 3. S o g a r h ö h e n g l e i c h e Q u a l i t ä t e n k ö n n e n I n t e r v a l l e i n d r ü c k e geben.
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Intervalle.
4. Die beiden Töne eines I n t e r v a l l e s h a b e n in t i e f e r Lage viel k l e i n e r e D i s t a n z als in m i t t l e r e r . Wenn also das I n t e r v a l l d o r t d a s s e l b e ist, so k a n n das n u r an den Q u a l i t ä t e n liegen. 5. U n t e r p a t h o l o g i s c h e n V e r h ä l t n i s s e n e r s c h e i n e n die I n t e r v a l l e auch in e i n e r eng b e g r e n z t e n L a g e mit allen Distanzen. Zwei gis-Töne z. B. mit d e r Distanz einer S e p t i m e b i l d e n eine Oktave. 6. Ein Ton, dessen H ö h e n a c h w e i s b a r n o r m a l ist, k a n n doch m i t einem a n d e r e n Ton ein I n t e r v a l l b i l d e n , das o b j e k t i v falsch b e u r t e i l t wird. Das k a n n n u r d a h e r kommen, daß seine T o n q u a l i t ä t g e f ä l s c h t ist und diese f a l s c h e Q u a l i t ä t das I n t e r v a l l bestimmt. Wir sind also zu dem Ergebnis gekommen, daß an der Bildung des musikalischen Intervalles weder ausschließlich die eine, noch ausschließlich die andere musikalische Eigenschaft der Töne beteiligt ist, sondern daß alle beide dabei eine Rolle spielen. Daß das Qualitätsmerkmal dabei größere Bedeutung hat, darauf scheint der Umstand hinzuweisen, daß bei höhengleichen Tonqualitäten der Intervalleindruck aufdringlicher, unwillkürlicher und vollständiger auftritt und das Intervall mit viel größerer subjektiver Sicherheit bestimmt wird als bei qualitätsgleichen oder qualitätslosen Höhen (konstantes Pseudogebiet, Geräuschempfindungen). Die Segmenttheorie.
Bei der näheren Untersuchung der Intervalle stoßen wir auf fundamentale Probleme. Es handelt sich um Fragen, die gar nichts Problematisches haben, solange man Intervall mit Distanz identifiziert. Daß das nicht angeht, hat schon R 6 T £ B Z , Tonpsychologie.
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S t u m p f mit schlagenden Gründen gezeigt; wir haben vorstehend nachgewiesen, daß sich diesen weitere, mindestens ebenso kräftige anreihen lassen, so daß die Ansicht, Intervall sei Distanz, mag sie uns noch so leicht über schwierige Fragen hinweghelfen, die sonst entstehen, schlechterdings unhaltbar ist. Die erste Frage ist die der T r a n s p o s i t i o n . Die Tatsache, daß man ein Intervall beliebig transponieren kann, ist für uns ein Problem, denn sie besagt nichts anderes, als daß d i e s e l b e Beziehung, die zwischen c und f besteht, auch besteht zwischen d und g, zwischen e und a, usw. — Nach der alten Auffassung ist natürlich einfach c — f dieselbe D i s t a n z wie d — g , für uns aber ist es gar nicht deutlich, worin diese Beziehungen übereinstimmen sollten. Noch problematischer wird für uns der Fall, wo ein Intervall um sich selbst transponiert wird. Warum hat c dieselbe Beziehung zu e wie as zu c, d. h. warum gibt es zwei T ö n e , mit denen c eine große Terz bildet? Die zweite Frage ist die der U m k e h r u n g . Das Problem der E r w e i t e r u n g , das der alten Theorie große Schwierigkeiten gemacht hatte, hat unsere Anschauung gelöst: Für uns sind Quint und Duodezime deswegen äquivalente Intervalle, weil ihre Komponenten dieselben Qualitäten haben; um so augenfälliger ist dafür die Schwierigkeit geworden, die in der Frage der Umkehrung liegt. Warum gibt es zwischen zwei Tönen von den Qualitäten c und e zwei, nicht äquivalente Intervalle? Freilich täuschte man sich gewaltig, wenn man meinte, diese Frage mit der Bemerkung abtun zu können, daß Terz und Sexte verschiedene Distanzen seien. E s hätte gar nicht des Nachweises bedurft, daß dasselbe Intervall in verschiedenen Höhengebieten verschiedene Distanz hat. E s hätte doch jeder bemerken müssen, daß die Distanz der
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Intervalle.
Sexte zwar größer ist, als die der Terz, die der Dezime aber doch erst recht, und daß doch das erweiterte Intervall dem engen äquivalent ist, während das für sie Umkehrung nicht gilt. Man könnte vielleicht meinen, daß hier eigentlich auch für uns gar kein Problem vorliege, c und e bilden eine Terz, wenn e oben liegt, eine Sexte, wenn c oben liegt. Der Hinweis auf diese Tatsache könnte vielleicht genügend erscheinen, und der Einwand, daß dann zur Unterscheidung eines Intervalles von seiner Umkehrung absolutes Gehör gehörte, ist wohl nicht stichhaltig: die bloße Fähigkeit, die Qualitäten zu u n t e r s c h e i d e n (ohne die Fähigkeit, sie individuell zu erkennen, etwa so, daß man sie mit dem Namen bezeichnen kann), könnte hinreichen, Terz und Sext als verschieden aufzufassen, etwa wie ein roter und ein gelber Fleck verschiedenen Gesamteindruck machen, je nachdem Rot über Gelb oder Gelb über Rot steht. Doch scheitert der Versuch, die Frage der Umkehrung so einfach abzutun, an einem ganz anderen Umstände: dem besonderen Verhalten eines Intervalles. D e r (temperierte) T r i t o n u s ä n d e r t s i c h bei der U m k e h rung nicht. Warum nehmen die Qualitätenbeziehungen c—fis, e — b usf. diese Sonderstellung ein? Bei den Farben wird man vergeblich nach einem solchen besonderen Paar suchen, bei dem die räumliche Umkehrung nichts ausmacht. Hier besteht, ebenso wie bei der Transposition, gar keine Schwierigkeit für die alte Betrachtungsweise, c 1 —fis 1 wäre eben dieselbe D i s t a n z wie c 1 —fis 0 . Da die alte Anschauung sich hier wie bei der Transposition so leicht hilft, zeigt sie uns, welchen Weg wir einzuschlagen haben. Es sei mir erlaubt die Anschauung, zu der ich gekommen bin, hier mit Vorbehalt wiederzugeben. Es ist unmittelbar gegeben, daß die Tonempfindungen 9*
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Intervalle.
eine g e o r d n e t e R e i h e bilden. Da an jedem Gliede der Reihe zwei Eigenschaften zu unterscheiden sind, erhält man, wenn man jede für sich betrachtet, je eine geordnete Eeihe, die reine H ö h e n r e i h e und die r e i n e Q u a l i t ä t e n r e i h e . Die ursprünglich gegebene nenne ich im Gegensatz zu diesen reinen Reihen die m u s i k a l i s c h e T o n r e i h e . Wäre von den beiden reinen Reihen nur die eine eine geordnete, so müßte sich das in der Erscheinungsweise der musikalischen Reihe kundgeben. Es läßt sich aber auch zeigen, daß beide Reihen geordnet sind. Die Höhenreihe erhalten wir ganz oder nahezu ganz rein bei qualitätslosen Tönen wie etwa in der obersten Tonregion. Und auch dort, wo die Höhen mit gleichen Qualitäten verbunden auftreten, wie im konstanten Pseudogebiet, wird die natürliche Ordnung der Höhen offenbar. Die reine Qualitätenreihe ist niemals anschaulich, da Qualitäten ohne Höhen (wie etwa Farben ohne Helligkeiten) niemals auftreten können. Aber eine Reihe von Qualitäten in gleicher Höhe hat für uns denselben Wert und sie ist durch binaurale Tonmischung herzustellen (S. 63f.). In der musikalischen Tonreihe, wo zu der reinen Qualitätenreihe die Höhenreihe hinzukommt, tritt die in der musikalischen Tonreihe eingenommene gegenseitige Stellung der Tonqualitäten scharf hervor, weil der Reihencharakter der Qualitätenreihe dadurch in ganz besonderer Weise ausgeprägt wird. Recht anschaulich wird die Sache, wenn man die (auf gleiche Helligkeit gebrachte) Farbenqualitätenreihe mit der musikalischen Tonreihe vergleicht. Zwar erkennt man bei allen beiden, daß ihre Glieder in eine Reihe geordnet sind, doch springt es bei den Tonempfindungen viel ausdrücklicher, viel aufdringlicher als bei den Farbenqualitäten ins Auge, daß sie auch in bezug auf das Qualitätsmerkmal geordnet sind. Würden
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die Farbenqualitäten mit stetig wachsenden Helligkeiten, verbunden auftreten, so würde der Reihencharakter bei ihnen genau so ausgeprägt erscheinen, als bei den Tonqualitäten. Und eben durch den Umstand, daß die Reihenbildung der Tonqualitäten in der musikalischen Tonreihe durch die Verbindung mit den ebenfalls geordneten Höhen ganz besonders ausgeprägt wird, treten zwischen den Tonqualitäten solche Beziehungen auf, die bei den r e i n e n Qualitäten nicht vorhanden wären. Hätten wir die Tonqualitätenreihe von Kind auf ohne Höhenunterschiede erlebt, so würden zwei Glieder der Tonqualitätenreihe ebensowenig wie zwei Qualitäten in der Farbenreihe einen solchen Eindruck erwecken, daß wir uns veranlaßt fühlten von Abständen, wie groß, klein, näher, ferner u. dgl. zu reden. Wir würden dann, wenn wir z. B. die höhengleichen Qualitäten c — e und c — f miteinander verglichen, nichts über das Verhältnis der beiden Qualitätspaare aussagen. Wir würden weder sagen, daß c — e „kleiner" sei als c—f, noch daß die Tonqualitäten des einen Paares „näher" zueinander stünden. Daß meine Versuchsperson L i e b e r m a n n bei der Vorführung von Paaren höhengleicher Qualitäten dennoch Intervalle erlebt hat, ist kein Widerspruch. Denn wir haben oben gesagt: von Kind auf, d. h. ohne je Erfahrungen an der m u s i k a l i s c h e n Tonreihe gemacht zu haben. Daß sich bei einem Erwachsenen, der zum erstenmal zwei Qualitäten in gleicher Höhe zu hören bekommt, die Erfahrungseinflüsse mit unüberwindlicher Gewalt geltend machen, ist nicht verwunderlich. Da also in seiner Erfahrung Beziehungen zwischen Qualitäten nur als Intervalle vorgekommen sind, kann er infolgedessen auch unter solchen Umständen die Qualitätenbeziehung nur als Intervall auffassen, obschon sie im Grunde genommen zur Produktion von Intervallerlebnissen genau so
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unzureichend sind, als die qualitätslosen Höhendistanzen, die ja dennoch unter Umständen auch imstande sind musikalische Intervalleindrücke zu erzeugen. Ich gehe nun von der Betrachtung der reinen Qualitätenreihe aus. Ich will diese Reihe hier durch einen K r e i s veranschaulicht denken. Dann zerlegen zwei beliebige Qualitäten den Kreis in zwei Kreisbögen, die bei allen Qualitätspaaren mit der alleinigen Ausnahme solcher, die einen Tritonus bilden ungleich sind. dis
Ich werde diese Abschnitte der Qualitätenreihe Segm e n t e nennen, obwohl das was ich unter Segment verstehe, nicht dem geometrischen Kreissegment entspricht. Phänomenologisch ist ein solches Segment ebensowenig etwas Reelles, wie die reine Qualitätenreihe überhaupt. So wie aber die Qualitätenreihe durch Hinzutreten der Höhenreihe zur realen Tonreihe wird, werden auch die Segmente lebendig, und es wird durch die relative Höhenlage der beiden Qualitäten sogleich auch die Auswahl zwischen den beiden
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Segmenten getroffen. Das so bestimmte Segment «rscheint dann natürlich auch mit einer entsprechenden Höhendistanz und dieser Komplex von Segment und Distanz ist das Intervall. Das Segment ist also kein I n t e r v a l l . Es ist überhaupt kein reales Gebilde, es kann sich nur im Intervall äußern. Terzsegment ist also nur eine Abstraktion, tatsächlich gibt es nur Terzintervall, aber man kann sich doch das Charakteristische der Segmente einigermaßen vergegenwärtigen, indem man dasselbe Segment in Gestalt von engen und weiten Lagen (Intervallen) zum Bewußtsein bringt, wie wir das gleich noch näher ausführen werden. Das Verhältnis zwischen Segment, Distanz und Intervall findet seine Analogie in dem Verhältnis, das zwischen Tonqualität, Höhe und (realer) Tonempfindung besteht. Segment wie Tonqualität sind nur Abstraktionen, ihre Existenz ist an die m u s i k a l i s c h e Tonreihe gebunden und infolgedessen treten sie niemals isoliert auf, während Distanz und Höhe zwar auch abstrahierbare Momente der realen Tonreihe sind, unter besonderen Umständen jedoch isoliert auftreten können; Intervall endlich ist eine Verbindung von Segment und Distanz und bildet zwischen sukzessiven Tönen genau so das eigentliche musikalische V e r h ä l t n i s , wie die Verbindung von Qualität und Höhe das eigentliche musikalische E l e m e n t , die Tonempfindung, darstellt. In welcher Weise werden nun die Intervalle durch die Segmente bestimmt? Gleichen Intervallen entsprechen stets gleiche Segmente, und es beruht die Gleichheit des Intervallerlebnisses bei jeder beliebigen Terz auf der Gleichheit des Segmentes. Gleiche Segmente entsprechen jedoch nicht immer gleichen Intervallen. Ich nehme nämlich an, daß ein Intervall in enger und weiter
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Lage sich hinsichtlich der Segmentgröße n i c h t unterscheidet. Denn wie gezeigt, sind alle in der Erfahrung vorkommenden Qualitäten in einer Oktave schon enthalten und infolgedessen müssen auch alle Segmente innerhalb einer Oktave hergestellt werden können. Deswegen entsprechen den sogenannten erweiterten Intervallen nicht andere Segmente als den engen. Dem Intervall c 1 —e 1 entspricht also dasselbe Segment wie c 1 —e 2 , oder c 1 — e° genau dasselbe wie c 1 —E, da c 1 —e 1 und c 1 —e 2 das Segment c d e und c 1 —e° und c 1 —E das Segment e h a g f e darstellen. (Siehe die Figur.) *
Die Ähnlichkeit des Erlebnisses bei weiten und engen Intervallen kann man sich ohne die Annahme eines Segmentes, das in diesen Fällen gleich ist, kaum erklären; daß sie doch nicht identisch sind, beruht natürlich auf der verschiedenen Distanz. Und zwar wird dieser Unterschied des Erlebens immer da sein, wenn die Distanzen genügend verschieden sind. Dadurch erklärt sich, daß im konstanten Pseudogebiet ein Terzsegment den Eindruck der Dezime erweckt, wenn die Distanz beträchtlich größer ist als es bei der Terz in dieser Eegion gewöhnlich der Fall ist; ferner wird es dadurch verständlich, daß das Intervall höhenverschiedener Primtöne schon dann für eine Oktave gehalten wird, wenn die ihnen entsprechende Tondistanz z. B. die der Quarte überschreitet. Durch unsere Auffassung des Intervalles kann weiter die Frage nach der U m k e h r u n g d e r I n t e r v a l l e beantwortet werden. Bekanntlich sind die Tonverhältnisse c 1 —e 1 und c 1 — e° verschiedene, wenn auch ähnliche Intervalle. Die Ähnlichkeit rührt natürlich von der Identität der Qualitäten her, die Verschiedenheit vor allem von der Verschiedenheit der
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entsprechenden Segmente. Und erst in zweiter Reihe auch von der der entsprechenden Distanzen. Denn bei der geringsten Änderung der Qualitäten und hiermit der Segmentgröße ändert sich auch der Intervalleindruck, hingegen macht sich eine Änderung der Höhendistanz beim Intervallerlebnisse erst bei ganz beträchtlichem Betrage geltend. Und sogar im letzteren Falle wird der Beobachter nur konstatieren können, daß die mit dem Segment diesmal auftretende Distanz kleiner als gewöhnlich ist, aber es wird sich trotzdem nicht veranlaßt fühlen, sein früheres Intervallurteil zu ändern. So z. B. wenn ein Quartsegment unter pathologischen Umständen mit der regionären Terzdistanz verbunden vorkommt, wird das Intervall ohne weiteres als Quarte beurteilt; wenn es mit Sekundendistanz auftritt, so wird zwar die ungewöhnliche, in der betreffenden Lage nicht dem Quartsegment entsprechende Höhendistanz wahrgenommen werden, und der Intervalleindruck darunter leiden, aber- das Urteil wird dennoch Quart lauten. Das Segment ist es also, was hier das Intervall bestimmt. Wo unter pathologischen Umständen die das Segment bildenden beiden Qualitäten in derselben Höhe erscheinen (S. 63f.), verliert das Intervall seine Eindeutigkeit und daher kann es (auf Grund der beiden Qualitäten) sowohl für das eine Intervall wie für seine Umkehrung gehalten werden. Endlich noch einige Worte über die Auffassung r e i n e r Distanzen. Die Verbindung zwischen Segment und Distanz ist im allgemeinen so eng, daß die letztere in besonderen Fällen sogar durch eine Art von Illusion als volles musikalisches Intervall aufgefaßt und als solches in der Mehrzahl der Fälle sogar objektiv richtig beurteilt wird (reine Distanzurteile,
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S. 105 f.). Da aber in den verschiedenen Tonregionen demselben Intervalle verschiedene Distanzen entsprechen, erhebt sich nun die weitere Frage, wie wir unter diesen Umständen in einer reinen oder qualitätsgleichen Höhenreihe Distanzen richtig beurteilen können, wo uns doch die musikalische Erfahrung nur I n t e r v a l l e eingeprägt hat. In jeder Region der realen Tonreihe ist jedes Terz-, Quart-, usw. -Segment mit einer bestimmten, die Region charakterisierenden Distanz verbunden, die ich oben (S. 126) als regionäre Distanz bezeichnet habe. Die einem bestimmten Segment entsprechende Distanz ist zwar variabel, aber in derselben Tonregion (z. B. innerhalb einer Quinte) nahezu konstant. Werden also im qualitätsgleichen Tongebiete die objektiven Töne c 3 und e 3 gegeben, so kann das objektive Intervall auf Grund der regionären Distanz allein als Terz beurteilt werden. Dieselbe Distanz, die hier als Terz beurteilt wurde, könnte vielleicht in der Kontraoktave schon für die eines Oktaven-Intervalles gehalten werden. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die V e r s c h i e d e n h e i t der I n t e r v a l l e i n d r ü c k e vor a l l e m auf die v e r s c h i e d e n e n S e g m e n t g r ö ß e n z u r ü c k z u f ü h r e n ist, die Größe der D i s t a n z s p i e l t d a b e i nur eine sekundäre R o l l e . Sie trifft die Entscheidung zwischen engem und erweitertem Intervall. Unter Umständen kann aber die regionäre Größe der Distanz bei der Beurteilung des objektiven Intervalles das Segment sogar mehr oder weniger vertreten. Ich bin darauf gefaßt, daß mancher Leser den Eindruck haben wird, die Einführung des Segmentbegriffes bringe die Erscheinungen der sukzessiven Tonverbindungen dem Verständnis nicht näher, da mit Segment doch nichts anderes
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als Tonbeziehung, Tonverhältnis oder etwas ähnliches gemeint sein könne und wir damit nur um einen Terminus reicher geworden seien. Demgegenüber möchte ich betonen, daß der Segmentbegriff auf der Tatsache der n a t ü r l i c h e n O r d n u n g d e r T o n q u a l i t ä t e n beruht. Infolgedessen bedeutet Segment nicht irgendeine schwer faßbare Beziehung zwischen den Qualitäten, sondern ihren A b s t a n d in dieser Reihe. Daß dieser Abstandsbegriff nicht etwa mit dem alten Distanzbegriff zusammenfällt, brauche ich kaum noch zu bemerken; es soll ja eine Beziehung zwischen den T o n q u a l i t ä t e n sein, die bis jetzt gar nicht scharf aus der Tonempfindung herausgeschält worden sind und andererseits macht ja der Segmentbegriff Erscheinungen verständlich, für die eine Erklärung aus dem Distanzbegriff gar nicht versucht werden konnte. Sollte aber jemand daran Anstoß nehmen, daß das Segment einen Abstand in einer Reihe bedeuten soll, die niemals rein erlebt werden kann, daher selbst nicht Abstand im phänomenalen Sinne sein kann, und sich im Intervall doch phänomenal äußern soll, so ist dazu zu bemerken, daß der Abstand der Qualitäten Abstand der Q u a l i t ä t e n bleibt, auch wenn diese ihrer Natur nach nie ohne Höhen erscheinen können. Wem es aber darauf ankommt, daß sich eine phänomenale Qualitätenreihe herstellen lasse, an der die Qualitätenabstände allein erlebt werden könnten, der wird wohl zugeben, daß das, was sich aus dem Ergebnis an der höhenlosen Qualitätenreihe für den psychologischen Sinn des Begriffes Qualitätsabstand etwa entnehmen ließe, auch aus einer Reihe zwar nicht höhenloser aber höhengleicher Qualitäten wird entnehmen lassen. Eine solche Reihe läßt sich aber durch binaurale Tonmischung herstellen.
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Intervalle.
Daß der Versuch, den Anteil des Segmentes am Intervall daran anschaulich zu machen, wegen des störenden Einflusses der Erfahrung gescheitert ist, ändert an der prinzipiellen Möglichkeit eines solchen Erlebnisses nichts.
Harmonie und Melodie.
Im vorigen Kapitel habe ich gezeigt, daß an der Bildung der Intervalle die beiden musikalischen Eigenschaften beteiligt sind, und daß man die elementaren Tatsachen der Intervallerlebnisse, die mit den Intervallen in Beziehung stehen, durch das Zusammenspiel der beiden musikalischen Eigenschaften ohne Schwierigkeit erklären kann. Es entsteht nun die weitere, mit den Intervallen in engster Beziehung stehende Frage, wie aus den elementaren musikalischen Eigenschaften die Melodie entsteht. Es ist ohne weiteres klar, daß bei dieser Aufgabe den Ausgangspunkt nur das Intervall bilden kann, denn die Melodie ist nichts anderes als eine rhythmisch gegliederte Reihe von Intervallen. Infolgedessen werden wir bei der Analyse der Melodie dieselben Anschauungen anwenden müssen, die wir beim Intervall entwickelt haben. Wir wollen nun die Holle der beiden Eigenschaften bei der Bildung der Melodie näher ins Auge fassen. Als ich die Rolle der Qualität und Höhe bei den Intervallen besprach, habe ich gezeigt, wie sich die wichtige Rolle der Höheneigenschaft unter anderem dadurch dokumentiert, daß Distanzen bei qualitätslosen Tönen oder bei Tönen mit undeutlich erkennbarer Qualität (Geräusche)" unter günstigen Bedingungen als volle musikalische Intervalle erscheinen, indem die den Intervallen entsprechenden Qualitäten in die
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Töne hineinsuggeriert werden. Es ist jedoch schon dort klar geworden, daß die Fehler, die bei der Beurteilung vorkommen, obschon sie von geringem Betrage sind, doch das Spezitische des Intervalles gänzlich verfälschen müssen. Daraus ergibt sich für die Auffassung der Melodie, daß sie bei gefälschten Qualitäten trotz normaler Höhen gänzlich entstellt wird. Das zeigen die Melodieversuche, die ich auf Seite 108 f. mitgeteilt habe und aus denen hervorgeht, daß richtige Qualitäten für die Erkennung der Melodie unentbehrlich sind; sie sind es eben, die die Intervalle f e s t bestimmen. Die ßolle, die die Qualitäten bei der Melodiebildung spielen, geht ferner aus der Art hervor, wie die Völker die Auswahl der Töne aus dem Tonkontinuum für ihre Musik getroffen haben. Bekanntlich findet sich durchgehend die Gliederung in Oktaven, und innerhalb jeder Oktave sind die Töne so gewählt worden, daß wir von einem beliebigen Tone ausgehend immer wieder auf die Oktaveneinteilung kommen. Da nun das Oktavenverhältnis identische Qualitäten bedeutet, so ist die Auswahl auf Grund der Qualitäten geschehen, und zwar derart, daß die ganze Tonreihe hindurch dieselben Qualitäten gewählt worden sind. Qualitäten sind es also, durch deren Auswahl wir instand gesetzt sind einer Melodie beliebig großen Umfang zu geben, ohne eine übermäßige Anzahl verschiedener Intervalle einzuführen; von der Auswahl der Qualitäten kommt es ferner, cfoß wir eine Melodie beliebig transponieren können. Diese Verhältnisse konnte die ältere Anschauung von der Tonreihe, nach der die Melodie einfach in einer stufenweisen Änderung der „Tonhöhe" bestand, psychologisch nicht oder wenigstens nicht befriedigend verständlich machen, da
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Intervalle.
sie sich auf die physikalische Betrachtung der Schwingungszahlenverhältnisse beschränkte. Und nun ein Wort über die sogenannte T o n a r t e n charakteristik. Die verschiedenen Tonleitern eines Geschlechtes machen verschiedenen Eindruck. Da nun die verschiedenen Tonleitern nicht aus denselben Qualitäten bestehen, so hängt ihr Charakter von den sie bildenden Gliedern ab. Ahnlich wäre es, wenn man aus der Farbenreihe verschiedene Reihen herstellte, die sich zwar alle über die ganze Farbenreihe erstreckten, jedoch so, daß ihren Gliedern wenigstens zum Teil verschiedene Nuancen entsprächen. Für die Eichtigkeit meiner Anschauung kann ich einen interessanten Beweis liefern. Wenn ich nämlich aus qualitätslosen Tönen eine Höhenreihe herstelle, deren Glieder voneinander um kleine Höhendistanzen abstehen, so nehme ich eine Art von Tonleiter ohne Tonartencharakteristik wahr. Man kann nämlich in diese Tonleiter jede Tonart hineinsuggerieren. Die Höhen also, die keine Individualität haben, sind an der Unterscheidung der Tonarten nicht beteiligt. Die Tonart bleibt ja auch bestehen, wenn wir ein Stück um beliebig viele Oktaven transponieren. Das zeigt, daß die Verschiedenheit der Tonarten nur auf der Verschiedenheit der Qualitäten beruhen kann. Was die sogenannte Tonartencharakteristik und ihre musikalische Bedeutung anbelangt, wenn die allgemein verbreiteten Ansichten hierüber tatsächlich auf unvoreingenommener Beobachtung beruhen, so werden wir die Unterschiede der Tonarten nach dem Vorgetragenen verständlich finden, 'da wir nicht mehr gezwungen sind alles auf bloße Höhenunterschiede zurückzuführen. Der Hinweis auf diese konnte
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nämlich keineswegs befriedigen. Transposition um einen halben Ton soll ja das Wesen der Tonart durchaus verändern, ferner sollen verschiedene Stücke etwas Gemeinsames haben, wenn sie in derselben Tonart stehen, und dieses Gemeinsame soll sich selbst dann noch äußern, wenn die Tonarten nicht identisch, sondern nur verwandt sind. Gerade das letzte wird durch die neue Anschauung verständlich, da verwandte Tonarten die meisten gemeinsamen Qualitäten haben. Wenn es also mit der Toncharakteristik seine Richtigkeit hat, so ist sie verständlich, vor allem aber müßte die Sache selbst außer Zweifel gestellt werden; denn es ist jedenfalls auffallend, daß Musiker, die auf Tonartencharakteristik solchen Wert legen, die Werke B a c h s und H ä n d e i s mit der größten Seelenruhe e i n e n g a n z e n T o n t i e f e r aufführen, als sie die Komponisten gesetzt haben. Der Chorton der Orgel stand nämlich im 16. und 17. Jahrhundert um einen ganzen Ton höher als der neue internationale Kammerton. Endlich noch eine Bemerkung über die Rolle, die die beiden musikalischen Eigenschaften bei der H a r m o n i e spielen. Auf die Phänomenologie des Akkordes will ich hier nicht eingehen, ich möchte an dieser Stelle nur einiges darüber sagen, wie die Elementareigenschaften einen Akkord entstehen lassen, jedoch nur soweit als es mit meinen hier geschilderten Grundanschauungen im Zusammenhang steht. Ich habe nachgewiesen, daß das Intervall und die Melodie auf dem Zusammenwirken der beiden musikalischen Eigenschaften beruht. Es ist klar geworden, daß es Segment und Distanz sind, die zur Intervallbildung führen. Es erhebt sich nun die Frage, worauf s i c h d e n n der Z u s a m m e n k l a n g gründet; wird auch er durch beide Elemente der
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sukzessiven Tongestalten, durch das Segment und die Distanz bestimmt? Die Erscheinung der O r t h o s y m p h o n i e , d. h. des richtigen Zusammenklanges bei falschen Qualitäten zwingt uns, diese Frage mit nein zu beantworten, denn sie zeigt, daß die Qualitäten für den Zusammenklang nicht die Bedeutung haben, wie für die sukzessiven Tongebilde. Dieses negative Resultat steht fest. Positiv läßt sich zurzeit soviel sagen, daß bei den Versuchen mit L i e b e r m a n n die Töne, die orthosymphonisch zusammenklangen, normale Höhen hatten, und daß es daher nahe liegt, das Spezifische des Zusammenklanges von der Höhe und nicht von den Qualitäten abhängig zu denken. Dies darf aber nicht so verstanden werden, daß die Qualitäten für die H a r m o n i e ohne Bedeutung wären. Denn Harmonie ist keineswegs identisch mit Zusammenklang. Erst kürzlich hat S t u m p f Konkordanz und Konsonanz unterschieden. Wir brauchen ja nur an die gebrochenen Akkorde zu denken, um den Unterschied zu erkennen. Ein gebrochener Akkord ist Melodie und Harmonie zugleich, so daß die Bedeutung der Qualitäten für die Harmonie schon aus ihrer Bedeutung für die Melodie hervorgeht. Ein tieferes Eindringen in das Wesen der Harmonie und in das Verhältnis der Melodie zur Harmonie und in die Art, wie sich einfache akustische Gebilde zu Gebilden höherer Ordnung erheben, ist die Aufgabe weiterer Forschung.
Namen- und Sachregister. ». Distanz und Distanzurteil 5, 8, 9, Absolutes Gehör 60, 85, 90 f. 11, 31, 36, 102, 105f., 123f., Totales und regionäres absol. 126. Gehör 91, 100. Tonqualitätserkennung 91 f. Beine Distanzen 122, 137. Tonhöhenerkennung 58, 60, 91f. Regionäre Distanzen 126, 138. Übung beim absol. Gehör 96 f. Musikalische Bedeutung der Absolute Höhenurteile 58f., 93f. Distanzen 72, 107 f., 118, 121. Distanzähnlichkeit 31. — Qualitätenurteile 93 f. Ähnlichkeit und Ähnlichkeitsurteil Drobisch 20, 26. bei Tönen 4 f., 8, 9, 11, 36, vergl. Oktavenähnliehkeit, DiE Edgreen 79. stanzähnlichkeit Äquivalenz der engen und weiten Exner, S. 75. Intervalle 123, 130. Alt, F. 77, 79. , Fischer, E. 24. Akkord 101. | Freund, C. S. 81. Auerbach 9, 73. B Berlioz 74. Binaurale (sukzessive) Vorführung von Tönen 112. — Tonmischung 63, 132. Bizantynische Notenschrift 23. Brentano 17, 26, 33, 36, 37, 38, 39, 41, 72. Brazier 79.
Chinesische Tonbenennung 22. Ii 6 v 6 8 z, Tonpsychologie.
ii
Gegenstand höherer Ordnung 83. Geräuschempfindungen 70f., 121. ! — Töne 70 f. Grant Allen 31. ! Griechische Notenschrift 23. H Harmonie 143. Hauptmann, M. 25. Helligkeit, siehe Tonhelligkeit. Helmholtz 5, 25, 27, 28, 29. 10
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Namen- und Sachregister.
Herbart 25. Höhe des Tones 16 f. Absolute Höhe, siehe Tonhöhenerkennung. Individuelle Höhe 56, 58, 100. Regionäre Höhe 19, 55, 56, 100. Höhenerkennung, siehe absolutes Gehör. —reihe 17, 88, 132. —distanz, siehe Distanz. —unterschied 75, 105. —schritt 105, 115 f. Rolle der Höhe bei der Bildung von Intervallen 105 f. Musikalische Bedeutung der Höhe 107. Hohe Töne 69 f. Hornbostel, E. v. 24, 25.
J Jaensch, E. R. 15. Jodl 75. K Kast 77. Köhler, W . 16, 42, 84, 89, 90, 91. Kries, v. 84, 101. Külpe 25. L Lichtheim 81. Liebermann, P. v. 49, 64, 66, 103. Lotze 20. Lückenlose Qualitätenreihe bei gleicher Höhe 63.
M Mach 38, 39, 41. Mehrklänge 101. Meinoug 82. I Melodie 83, 107f., 140f. Identität der Oktaventöne 11, 12, —taubheit 7 6 f. 13, 29, 62, 124. Membrantöne 71 f. Indische Notenschrift 23. Meyer, M. 42. Intervall 101 f. Mischton 63 f. — und Höhe 105 f. Müller, Gr. E. 19, 40, 41. — und Qualität 122 f. Musikalische Qualität 16, vgl. — und Distanz 123f. Qualität. —urteil und Distanzurteil 106 f. — Tonreihe 132 f., 135. —beziehung bei höhengleichen Qualitäten 113, 123. N . Erweiterung der Intervalle 130, Namengebung dei Töne 22. 136. Umkehrung der Intervalle 123, Neue Tonbezeichnungen 5 7 f. Notenschrift bei verschiedenen 126, 130 f., 136. Völkern 22 f. Umkehrung der Intervalle bei Qualitäten von gleicher Höhe 0 114 f. Intervalle als Komplex von Seg- Oktavenähnlichkeit 6 f., 16, 21 f., ment und Distanz 135. 25 f., 28, 61, 141. Intervallbegriff 101. Oktavenähnlichkeitssatz 14.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig
Grundzüge der Psychologie von Dr. Hermann Ebbinghaus,
weiland o. Professor der Philosophie 'an wer Universität Halle.
E r s t e r Band.
Mit zahlreichen Figuren im Text und einer Tafel. D r i t t e Auflage.
Bearbeitet von Dr. Ernst Dürr,
o. Professor der Philosophie an der Universität Bern.
gr. 8. 1911. geh. 18 Ji, geb. in Halbfranz 20 Ji 50 Z w e i t e r Band. Mit achtundfünfzig Figuren im Text. E r s t e bis d r i t t e A u f l a g e .
Begonnen von H e r m a n n Ebbinghaus, fortgeführt von Dr. Ernst Dürr, o. Professor der Philosophie an der Universität Bern. gr. 8. 1913. geh. 16 Ji, geb. in Halbfranz 18 Ji 50
Abriss der Psychologie von Dr. Hermann Ebbinghaus,
weiland o. Professor der Philosophie an der Universität Halle.
Vierte Auflage
durchgesehen von Professor Dr. Ernst Dürr in Bern. Mit 18 F i g u r e n ,
gr. 8.
1912. geh. 3 Ji, geb. 4 Ji.
E. von Cyon: Gott und Wissenschaft. Zwei Bände. Autorisierte deutsche Ausgabe, gr. 8. 1912. geh. 1 Ji, geb. in einem G-anzleinenband 8 Ji. Erster Band. P s y c h o l o g i e der g r o ß e n N a t u r f o r s c h e r . Mit einem Bildnis des Verfassers von J. C. Chaplain. geh. 3 Ji. Zweiter Band. N e u e G r u n d l a g e n e i n e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n P s y c h o logie. Mit zwei anatomischen Tafeln. geh. 4 Ji.
Psychologie der Naturvölker. Entwicklungspsychologische Charakteristik des Naturmenschen in intellektueller, ästhetischer, ethischer u. religiöser Beziehung. Eine
natürliche Schöpfungsgeschichte menschlichen Vorstellens, Wollens und Glaubens
von Dr. Fritz Schultze,
0. Professor der Philosophie an der Technischen Hochschule zu Dresden,
gr. 8. geh. 10 Ji.
Die neue Tierpsychologie von Georges Bohn.
Autorisierte deutsche Übersetzung von Dr. Rose T h e s i n g . Preisgekrönt von der Pariser' Académie des sciences morales et politiques. 8. 1912. geh. 3 Ji. Metzger & Wittig, Leipzig.