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German Pages 274 [276] Year 1949
WILHELM VON OCKHAM UNTERSUCHUNGEN ZUR ONTOLOGIE DER ORDNUNGEN
Von
Gottfried Martin Professor a. d. Universität Köln
WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer . Karl J. Trübner • Veit & Comp. BERLIN
1949
Archiv-Nr. 4q 49 49 Gedruckt bei Thormann & Goetsch, Berlin SW 61
. t e m p u s a b s o l u t u m non d a t u r , sed nihil aliud est q u a m ordo snccessionum. . . . s p a t i u m absolutum aliquid i m a g i n a r i u m est, et n i h i l ei reale inest, q u a m distantia corporum. Verbo, sunt ordines, non res. Leibniz an Des Bosses
29. 5. 1716
V O R W O R T 1958 Jede Beschäftigung m i t Ockham stößt auf S c h w i e r i g k e i t e n , die a u s der schlechten Ü b e r l i e f e r u n g des W e r k e s h e r r ü h r e n . W i r v e r f ü g e n bis jetzt n u r über eine zuverlässige Einzelausgabe. E. B. Birch hat den T r a k t a t » D e sacrarnento a l t a r i s « a u f Grund der beiden alten Drucke u n t e r H i n z u z i e h u n g dreier Handschriften i m J a h r e 1930 n e u h e r a u s g e g e b e n . Bei allen anderen W e r k e n stehen uns, soweit sie ü b e r h a u p t gedruckt sind, n u r die alten Ausgaben zur V e r f ü g u n g , die fast alle aus d e m 15. J a h r h u n d e r t s t a m m e n . Nun ist zwar durch die n e u e r e n U n t e r s u c h u n g e n von Hochstetter, Abbagnano, Moody, Moser, Little, Ilofer, l'elzer, Federhofer und Koch eine K l ä r a n g eingeleitet,
aber bis jetzt liegen eben weder
zuverlässige Texte vor, noch ist auch n u r die Frage der Echtheit f ü r Ockhams einzelne W e r k e geklärt. Sicherheit besitzen wir, wie ich i m Vorwort zu den T e x t e n gezeigt habe, durch die U n t e r s u c h u n g e n von l'elzer und Koch allein iib: j r den S e n t e n z e n k o m m e n t a r . Die beiden Drucke, des ersten Burhes von 1485 und aller vier Bücher von 1495, stellen inhaltlich den von Ockham selbst fertiggestellten T e x t dar. U m einen sicheren Ausgangspunkt zu g e w i n n e n , habe ich den T e x t der Ausgabe von 1495, der sich mit d e m Text von 1485 bis auf D r u c k f e h l e r völlig deckt, f ü r die im R a h m e n der vorliegenden U n t e r s u c h u n g
wesentlichen
Distinktionen — in I. seilt, d. 24 (über die Einheit) und in I. sent. d. 30 und 51 (über die Relation) — an Hand der mir erreichbaren 5 bzw. 8 Handschriften n a c h g e p r ü f t . III
Den im Anschluß an die Sentenzenvorlesung entstandenen Traktat »De sacramento altaris« können wir in der schönen Ausgabe von Birch benutzen. Dieser Traktat und der Sentenzenkommentar müssen also vorläufig die Grundlage jeder Arbeit über Ockham bilden. Die Quodlibeta stehen uns in zwei Drucken zur Verfügung, der erste Druck aus Paris 1487, der zweite aus Straßburg 1491. Ich bin in meiner Arbeit ursprünglich von diesem Werk ausgegangen. Die Quodlibeta enthalten nämlich von Buch VI q. 8 bis zum Buch VIIq. 7 in insgesamt 25 Quaestionen eine geschlossene und systematische Darstellung der Belationstheorie. Im Fortgang der Arbeit erkannte ich aber, daß diese Quaestionen der Quodlibeta lediglich lose zusammengereihte Abschriften aus dem Sentenzenkommentar und aus der Logik darstellen. Eine daraufhin vorgenommene Prüfung ergab, daß die Überlieferung der Quodlibeta sehr schlecht ist. Sowohl die beiden Drucke als auch die wenigen uns erhaltenen Handschriften weichen alle voneinander nicht nur im Text, sondern auch im Quaestionenbestand erheblich ab. Es wird daher erst durch neue Untersuchungen festgestellt werden müssen, ob und in welchem Umfang die Quodlibeta als ein echtes Werk Ockhams betrachtet werden können. Für unsere Betrachtungen jedenfalls haben Quaestionen der Quodlibeta, die bloße Abschriften aus anderen Werken sind, keinen Wert. Bei dieser Sachlage mußte ich alle auf die Quodlibeta gestützten Untersuchungen wieder ausscheiden. Die politischen Streitschriften habe ich nicht in den Kreis der Untersuchung einbezogen. Die Logik Ockhams —- summa totius logicae — ist ein als studentisches Lehrbuch 1 gedachter kurzer Abriß des aristotelischen Organons, wobei nach scholastischem Brauch im Eingang auch die Isagoge des Porphyrius kommentiert-wird. In der uns vorliegenden Form ist das W e r k wohl überarbeitet. Eine Nachprüfung vermittels der Handschriften war mir nicht möglich. Wegen der großen geschichtlichen Wirksamkeit dieser Logik habe ich oft auf dies Werk Bezug genommen. Es hat sich in den einzelnen Untersuchungen aber gezeigt, 1
IV
sum. tot. log. I, 57: ad iuniorum utilitatem.
daß die Logik für die ontolo'gischen Fragen bei weitem nicht die Bedeutung des Sentenzenkommentars hat. Die Arbeiten Ockhams über Aristoteles scheinen sehr umfangreich zu sein. Gedruckt sind die Expositio aurea (ein Kommentar zum Organon), die Summulae in libros physicorum und anscheinend noch ein weiterer Kommentar zur Physik. Neben diesen gedruckten Werken scheint eine größere Zahl bis jetzt ungedruckter Handschriften zu existieren, deren Zusammenhang untereinander und mit den gedruckten Werken noch dunkel ist. Dieser Apparat zu Aristoteles wird daher erst nach sehr mühsamen Untersuchungen wirklich verfügbar sein. Eine Durcharbeitung der Expositio aurea und der Summulae verglichen mit den Ergebnissen der Arbeiten von Moody 1 und Moser 2 hat mir gezeigt, daß diese beiden Werke im Verhältnis zum Sentenzenkommentar nichts wirklich Neues bringen. Ich habe auf die Berücksichtigung der Aristoteleskommentare verzichtet. Die folgende Untersuchung stützt sich daher zunächst auf den Sentenzenkommentar Buch I D. 24, D. 30 und D. 51 und den Traktat »De sacramento altaris«. Hilfsweise sind dann der Sentenzenkommentar in seinen übrigen Teilen und die Logik herangezogen worden. Durch diese Beschränkung wurde erreicht, daß die Unterlagen der Untersuchung sowohl in der Frage der Echtheit überhaupt, als auch in der Frage der Richtigkeit des Textes als zuverlässig gelten können. Wenn ich zu wesentlich anderen Ergebnissen gekommen bin, als wohl alle anderen Bearbeiter, so ist dies nicht zuletzt im Ausgang dieser Untersuchung vom Sentenzenkommentar begründet. Ich muß zugeben, daß weder von den Quodlibeta, noch von der Logik, noch von den Aristoteleskommentaren her die hier vorgetragene Auslegung hätte begründet werden können. Dies liegt daran, daß Ockham vom Grundproblem unserer Untersuchung, von den Transzendentalien, nur im Sentenzenkomnientar handelt. Ich hoffe aber, daß bei der Bedeutung der Sentenzenkommentare in der Scholastik ein E. A. Moody, The Logic of W. of Ockham. London 1935. S. Moser, Die Summulae in libros physicorum des W . v. Ockham. Innsbruck 1932. 1 1
V
solcher Ausgang n i c h t von k l e i n e r e n S c h r i f t e n , sondern v o m Sentenz e n k o m m e n t a r als g e r e c h t f e r t i g t g e l t e n k a n n . D i e Arbeit ist e n t s t a n d e n aus U n t e r s u c h u n g e n ü b e r die geschichtlichen Voraussetzungen d e r Kritik d e r r e i n e n V e r n u n f t . Dieser U r s p r u n g ist auch f ü r den A u f b a u u n d die D u r c h f ü h r u n g m a ß g e b e n d geblieben. D i e Landesbibliothek in Kassel u n d die Universitätsbibliothek in F r e i b u r g h a b e n m i r die A r b e i t allererst d a d u r c h ermöglicht, sie m i r die wertvollen I n k u n a b e l n in der
daß
entgegenkommendsten
Weise zur V e r f ü g u n g gestellt h a b e n . Ich bin den L e i t e r n dieser beiden Bibliotheken zu b e s o n d e r e m D a n k e verpflichtet. Ransbach ü b e r Hersfeld, den 5. A u g u s t 1938
Vi
V O R W O R T 1949 Ein Vorwort ist wohl fast immer ein Nachwort. Ist freilich die Arbeit schon vor zehn Jahren abgeschlossen, so ist es nicht leicht, ein Vorwort zu schreiben, zumal wenn diese zehn Jahre das Jahrzehnt von 1939 bis 1949 gewesen sind. Hat dies Jahrzehnt nicht überhaupt eine Arbeit wie die vorliegende in Frage gestellt? Ich glaube, wir dürfen zuversichtlich antworten, daß die stille Arbeit der Philosophie niemals notwendiger gewesen ist. Ob die vor so langer Zeit beendete Untersuchung hätte umgearbeitet, ob sie hätte weitergeführt werden sollen, diese Frage war nicht leicht zu beantworten. Es gibt nur wenig Einzelheiten, die ich heute nicht mit größerer Behutsamkeit, mit vorsichtigeren Einschränkungen formulieren würde. Das Gesamtergebnis jedoch hat sich mir in der weiteren Arbeit durchaus bestätigt. Die Zusammenhänge, die die vorliegende Untersuchung in einem Teilbereich zu erfassen versucht, haben sich als fundamental erwiesen, sie haben sich mir ständig weiter vertieft. Es mag daher gut sein, diese umfassenden Zusammenhänge wenigstens in einem knappen Umriß zu skizzieren. Dagegen wird es unter den verschiedensten Gesichtspunkten richtig sein, die vorliegende Untersuchung ohne jede Änderung und i m genauen Wortlaut der Öffentlichkeit 7.u übergeben, so wie sie 1958 abgeschlossen und kurz darauf der philosophischen Fakultät der Universität Köln als Habilitationsschrift eingereicht wurde. Der der Untersuchung beigegebene, auf Grund der Handschriften revidierte Text von in I. sent d. 24, d. 50 und d. 31 konnte leider nicht mit abgedruckt werden. Die Zitate beziehen sich auf den revidierten Text. Die vorliegende Untersuchung versucht zu zeigen, daß Ockham wesentlich vom Problem der Einheit ausgegangen ist. Ockham bestreitet die Realität der Quantität und die Realität der Relation, er bestreitet die Realität aller Kategorien außer der Substanz und der Qualität. Die Bestreitung der Realität dieser acht letzten Kategorien VII
würde nach der üblichen Auffassung bedeuten, daß diese Kategorien ontologisch als bloße Vorstellungen, ja als bloße Namen verstanden werden. In einem solchen Sinne wäre dann Ockham ein Nominalist. Nun stützt sich der Begriff des Nominalismus wesentlich auf das Universalienproblem, und das Universalienproblem ist in der vorliegenden Arbeit nicht mit in den Bereich der Untersuchung gezogen worden. Es wäre gewiß wichtig, auch das UniVersalienproblem bei Ockham zu untersuchen, die gewählte Einschränkung hat es aber auf der anderen Seite möglich gemacht, konkret nachzuweisen, daß der ontologische Standpunkt Ockhams im Seinsproblem der acht letzten Kategorien, insbesondere der Quantität und der Relation, nicht als Nominalismus bezeichnet werden darf. Ockham bestimmt vielmehr das Sein dieser Kategorien als ein transzendentales Sein. Thomas von Aquin hatte zwischen einer transzendentalen und einer akzidentalen Einheit unterschieden. Die transzendentale Einheit ist dadurch charakterisiert, daß sie dem Sein keine neue distinkte Realität hinzubringt, und daß sie von den anderen Bestimmungen des Seienden nicht durch eine reale Distinktion unterschieden ist. In Verfolg dieser Unterscheidung hatte dann Thomas eine ähnliche Unterscheidung auch zwischen einer transzendentalen und einer akzidentalen Zahl getroffen, eine Unterscheidung zwischen realer und transzendentaler Relation hat er zum mindesten in Betracht gezogen. Es läßt sich nun zeigen, daß diese Unterscheidung des Aquinaten der Ausgangspunkt für Duns Scotus und für Wilhelm von Ockham ist. Dabei hält Duns Scotus an der Unterscheidung fest, er erweitert sie zum mindesten in Bezug auf die Relation und fixiert sie durch den BegTiff des formalen Seins. Ockham dagegen geht zwar auch von dieser Unterscheidung aus, er fragt aber dann nach der Notwendigkeit einer solchen Unterscheidung. Muß man, das wird Ockhams Frage, wirklich zwischen einer transzendentalen und einer akzidentalen Einheit, zwischen einer transzendentalen und einer akzidentalen Zahl, zwischen einer transzendentalen und einer akzidentalen Relation unterscheiden? Wenn auch die transzendentale Einheit, die transzendentale Zahl, die transzendentale Relation ein reales Sein im weiteren Sinne darstellen, bleibt dann die Realität von Einheit, Zahl.und Relation nicht auch dann gesichert, so fragt Ockham, wenn man alle Einheiten, alle
vm
Zahlen, alle Relationen als transzendentale versteht? W e n n Ockham die Realität der acht letzten Kategorien bestreitet, so bedeutet das eine Auslegung dieser Kategorien als transzendentales Sein. Die Aufh e b u n g der von Thomas getroffenen und von D u n s Scotus fortgesetzten Unterscheidung u n d die Beschränkung auf die transzendentalen Modi mag richtig oder falsch sein, jedenfalls bleibt diese These i m R a h m e n der grundsätzlichen ontologischen Bestimmungen von Thomas und Duns Scotus, und ein auf diesen Sachverhalt gestützter Vorwurf des Nominalismus und des Subjektivismus würde in gleicher Weise auch Thomas u n d Duns Scotus treffen. Ein solcher Nominalismus u n d Subjektivismus könnte n u n allerdings noch bei der Gesamtinterpretation des transzendentalen Seins a u f t r e t e n , in d e m Sinne also, daß Ockham n u n alle transzendentalen Bestimmungen als bloße nomina versteht. Unsere Untersuchung k o m m t zu dem Ergebnis, daß eine solche nominalistische Gesamtinterpretation des transzendentalen Seins sich bei Ockham nicht ausdrücklich vorfindet. Was den Bezug des transzendentalen Seins auf die Ratio anbetrifft, so scheint Ockham nicht wesentlich über Aristoteles und Thomas hinauszugehen. Ockham jedenfalls bestreitet die Realität der acht letzten Kategorien, insbesondere der Quantität u n d der Relation, grundsätzlich n u r in d e m Sinne, in d e m auch Thomas die distinkte Realität der transzendentalen Einheit bestreitet. Kategorialanalytisch u n d ontologisch werden also die Quantität u n d die Relation als Einheiten verstanden. Kategorien —• bezogen auf die letzten acht — sind Einheiten, dieser Gedanke erweist sich als der tragende Gedanke bei Ockham. Damit tritt die philosophische Arbeit Ockhams ein in die ontologische G r u n d f r a g e : Was ist Einheit? Mit dieser Fragestellung tritt Ockham weiter ein in den systematischen u n d geschichtlichen Z u s a m m e n h a n g der G r u n d f r a g e n der Ontologie, i n den großen Z u s a m m e n h a n g der
transzendentalphilosophischen
G r u n d f r a g e n : was ist Einheit? was ist W a h r h e i t ? was ist Vollkommenheit? was ist das Sein? Man darf die Transzendentalphilosophie nicht erst bei Aristoteles suchen, m a n m u ß sie vielmehr schon bei Plato als das Grundproblem sehen. I n den dialektischen Dialogen gehört die Frage nach d e m Verhältnis von Einheit u n d Sein, nach der Verflechtung von Einheit
IX
und Sein g e w i ß zu den G r u n d f r a g e n . Aber auch der strengen Ideenl e h r e , wie sie im Paiden oder im T i m ä u s vertreten wird, liegt doch wohl dies T h e m a , die Frage nach d e m Sein der Einheit zugrunde. Vielleicht kann man von hier aus ein tieferes Verständnis der aristotelischen Kritik der Ideenlehre g e w i n n e n , vielleicht liegt in den transzendentalphilosophischen Problemen der eigentliche Z u s a m m e n h a n g zwischen Aristoteles and Plato. Aristoteles jedenfalls legt dann in der Metaphysik ausdrücklich den Grund zur Leh^e von den Transzendentalien, die Frage nach d e m Verhältnis von Einheit und Sein wird thematisch zum ontologischen Grundproblem erhoben. W e n n Thomas die k ü h n e W e n d u n g von der platonischen Ideenlehre zur aristotelischen Ontologie vollzieht, dann sind gerade die Grundprobleme der Transzendentalphilosophie eine der wesentlichen Ursachen f ü r diese k ü h n e W e n d u n g gewesen. Mit noch größerer Kühnheit setzt dann Thomas die transzendentalphilosophischen Thesen der aristotelischen Ontologie f ü r die ontologischen Probleme der christlichen Dogmatik ein. Das Verhältnis von Einheit, Vollkommenheit, W a h r h e i t und Sein, w i e es Aristoteles zu bestimmen versucht, m u ß jetzt seine Probe bestehen, w e n n es u m die Frage geht, wie die Einheit, die Vollk o m m e n h e i t , die W a h r h e i t , das Sein Gottes zu bestimmen seien. W i e sehr auch f ü r Thomas diese ontologischen Fragen der christlichen Dogmatik im Vordergrund stehen, und w i e groß die Verschiebung des philosophischen Interesses g e g e n ü b e r Plato und Aristoteles auch sein m a g , es ist doch tief erstaunlich, zu sehen, daß eine Verschiebung des thematischen Interesses die ontologischen Grundf r a g e n : was ist die E i n h e i t ? was ist das S e i n ? ungeändert läßt. Nicht w e n i g e r erstaunlich ist es, daß diese G r u n d f r a g e n auch i n der Neuzeit die Grundprobleme bleiben. Es k o m m t ja zu einer n e u e n Verschiebung des philosophischen Interesses. Neben die theologischen Probleme treten die naturwissenschaftlichen Probleme. Die Frage der Griechen geht nach der Einheit des L e b e n d i g e n , die Frage der Scholastik geht nach der Einheit Gottes, die F r a g e der Neuzeit geht nach der Einheit der W e l t als eines mechanischen Systems. Aber gerade diese Frage nach der Einheit der W e l t als eines mechanischen Systemes f ü h r t dort, wo sie in L e i b n i z und Kant ihren Höhepunkt erreicht, auf die alte F r a g e nach d e m Verhältnis von
.'Sein u n d E i n h e i t ü b e r h a u p t . D i e v o r l i e g e n d e U n t e r s u c h u n g
ver-
b u c h t zu zeigen, d a ß in dieser n i e m a l s a b r e i ß e n d e n F r a g e n a c h d e m • Sein u n d n a c h der E i n h e i t O c k h a m einen w i c h t i g e n T e i l a b s c h n i t t • darstellt. In dem i m m e r stärkeren Heraustreten der großen
Zusammen-
h ä n g e h a b e n sich m i r die G e w i c h t e d e r e i n z e l n e n D e n k e r gleichw o h l verschoben. D i e v o r l i e g e n d e U n t e r s u c h u n g b r i n g t es m i t sich, d a ß T h o m a s von A q u i n , D u n s Scotus u n d W i l h e l m von O c k h a m als g l e i c h r a n g i g erscheinen. Das bleibt in e i n e m gewissen S i n n e a u c h b e s t e h e n , insbesondere f ü r die Diskussion, wie sie in der Scholastik tatsächlich g e f ü h r t w o r d e n ist. I n der z u s a m m e n s c h a u e n d e n B e t r a c h t u n g h e b t sich aber T h o m a s als d e r f ü h r e n d e D e n k e r h e r a u s . W e n d u n g zur aristotelischen Transzendentalphilosophie,
Die
so wie sie
T h o m a s d u r c h g e f ü h r t hat, ist d i e eigentliche philosophische
Ent-
s c h e i d u n g d e r Scholastik. Von h i e r aus b e d e u t e t die philosophische Arbeit von D u n s Scotus u n d O c k h a m in e i n e m gewissen S i n n e doch n u r ein W e i t e r d e n k e n , ein W e i t e r v e r f o l g e n d e r von T h o m a s g r u n d sätzlich gestellten A u f g a b e . I n d e n G r u n d f r a g e n : was ist die E i n h e i t ? was ist das Sein? bleibt die F ü h r u n g
bei den
großen
Denkern,
bei Plato, Aristoteles, A u g u s t i n , T h o m a s , Leibniz, Kant. Gleichwohl n i m m t O c k h a m in d i e s e m Gespräch der g r o ß e n D e n k e r e i n e n h e r v o r r a g e n d e n Platz ein, d e n n er hat z u m transzendentalphilosophischen G r u n d p r o b l e m von E i n h e i t u n d Sein einen f u n d a m e n t a l e n Beitrag geliefert. Köln, den 12. 4. 194?)
VI
INHALTSVERZEICHNIS Stite
Vorwort 1938
III
Vorwort 1949
VII
Inhaltsverzeichnis
Teil I : E i n h e i t u n d Kapitel § § § § § § § § §
1 2 5 4 5 6 7 8 9
Zahl
1: Die Einheit Aristoteles Plotin Avicenna . . . T h o m a s von Aquin Duns Scotus Die Auseinandersetzung m i t T h o m a s Jede E i n h e i t h a t ein transzendentales Sein G a b r i e l Biel Suarez
Kapitel 2: Die § 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19 §20
XIII
21 22 23 24 25 26
1 4 8 9 12 16 19 25 27
Zahl
Aristoteles Plotin T h o m a s von Aquin Duns Scotus P e t r u s Aureolus D i e Zahl ist kein Akzidens Die Zahl ist ein Transzendens Die B e h a n d l u n g der Zahl in d e r sum. tot. log G a b r i e l Biel Suarez Leibniz
Kapitel 3: Die Ausdehnung § § § § § §
1
T h o m a s von Aquin Duns Scotus Die Darstellung im Sentenzenkommentar Die Darstellung in der sum. tot. log D i e D a r s t e l l u n g in de sacramento altaris G a b r i e l Biel
53 36 39 44 46 47 56 59 64 65 67 71 72 75 78 81 83 87
XIII
Stile
S 27 Suarez § 28 Leibniz § 29 Die einheitliche Auslegung der Quantität als transzendentales Sein
88 92 96
Teil I I : D i e R e l a t i o n § 50 § 51 § 32 § 55 § 54 § 55 § 56 § 57 §58 § 59 § § § § § § §
40 41 42 45 44 45 46
Allgemeine Übersicht Aristoteles Plotin . . Thomas von Aquin Duns Scotus Petrus Aurcolus Die rationalen Relationen Die kategorialen Relationen Die transzendentalen Relationen Die Beziehungen der Kreatur zu Gott und die innergöttlichen Relationen der Gleichheit und der Ähnlichkeit Die sechs letzten Kategorien und die Qualitäten der vierten Klusse Abstand, Lage, Ordnung Die Behandlung der Relation in der sum. tot. log Gabriel Biel Suarez Leibniz . . . Die einheitliche Auflassung der Relation bei Ockham
Teil I I I : A k z i d e n t a l e s u n d t r a n s z e n d e n t a l e s § § § §
47 48 49 50
§ § § § §
51 52 53 54 55
99 102 106 110 120 157 159 1+5 155 160 165 166 169 171 175 176 180
Sein
Das akzidentale Sein als ein Sein möglicher Selbständigkeit . . Entspricht jeder Kategorie ein besonderes Ding (res^? . . . . Entspricht jedem wahren Begriff ein besonderes Ding ,res)V . . Die Auslegung des transzendentalen Seins bei Thomas als ens rationis cum fundamento in re, bei Duns Scotus als ens formale Das transzendentale Sein als intentio secunda Das transzendentale Sein als connotatio Das transzendentale Sein als ,,multae res" Die transzendentalen Kategorien als Weisen der Einheit . . . Ockham und Kant
183 201 207 211 216 221 228 234 243
Quellenverzeichnis
255
Personenregister
258
XJV
Buch I
E I N H E I T U N D ZAHL
Kapitel 1
DIE E I N H E I T § 1.
Aristoteles
Aristoteles handelt von der -Einheit im Buch X der Metaphysik. Nachdem er dort im ersten Kapitel die Bedeutungen und die Definition der Einheit dargelegt hat, fragt er im zweiten Kapitel nach dem Sein der Einheit. Er prüft zunächst die Bestimmung der Einheit als Substanz. Die Pythagoräer und Plato hatten die Einheit als oücria aufgefaßt. M u ß m a n , so fragt Aristoteles, dieser Auffassung folgen oder liegt der Einheit stets ein aus sich selbst schon bestimmtes Sein z u g r u n d e ? 1 Daß Plato die Einheit als Substanz bestimmt, berichtet Aristoteles in der großen geschichtlich-systematischen Darstellung der griechischen Philosophie i m ersten Buch der Metaphysik 2 .
Dieser Auf-
fassung der Einheit als Substanz setzt Aristoteles seine eigne L e h r e vom transzendentalen Sein der Einheit entgegen. Aristoteles erläutert seine Bestimmungen durch ein Beispiel von den Farben; dies Beispiel ist dabei nicht n u r ein Beispiel, sondern zugleich die Bestimmung der Einheit in einem konkreten Seinsbereich, f ü r die Farben, allgemeiner f ü r die Qualitäten. Aristoteles setzt dabei voraus, daß alle Farben aus zwei Grundfarben, aus dem Weiß und dem Schwarz, aufgebaut sind. Jede andere Farbe, also etwa das Rot, stellt sich als eine durch ein Zahlenverhältnis gegebene Mischung von Weiß und Schwarz dar. Von den beiden Grundfarben ist n u r das Weiß eine Farbe im eigentlichen Sinne, während das Schwarz als Steresis des Weiß kein Sein i m eigentlichen Sinne darstellt 3 . 1
Met. X, 2, 1 0 5 5 M 1 : (vgl. auch Met. m , 4; 1001» 4—1001«> 25). » Met. I, 6; 987»> 22. 3 Met. X, 2; 1053 28. I
Martin
1
Um die Frage nach dem Sein der Einheit in voller Anschaulichkeit durchführen zu können, nimmt Aristoteles an, die Welt bestände nur aus Farben. Was wäre dann in einer solchen Welt das Eine? Das Bunte im Sinne des Vielfarbigen — ein bunter Herbstwald •— ist dann gewiß nicht Eines, sondern Vieles. Aber auch einheitliche Farben, also etwa das Rot, sind auf Grund der aristotelischen Farbenauffassung nicht Eines, sondern Vieles, da sie ja als zahlenmäßig gegebene Verbindungen von Weiß und Schwarz bestimmt werden. Solche Faxben sind also nicht Eines, sondern Vieles, sogar eine ganz bestimmte Zahl, eben die Zahl, die das Verhältnis von Weiß und Schwarz in ihnen angibt. Also ist auch das zunächst als Einheit sich zeigende Rot nicht Eines, sondern Vieles. So kommt, da das Schwarz als Steresis von vorn herein ausfällt, als Einheit nur das Weiß in Frage. Wenn nun das Weiß die Einheit ist, dann müßte, wenn nach Plato die Einheit als ouaia bestimmt wird, das Weiß Einheit und nur Einheit sein. Aristoteles aber bestimmt das Weiß zunächst als Farbe und dann erst, als eine ganz bestimmt qualifizierte Farbe, als die einfache Farbe, als Einheit. Einheit ist also für Aristoteles nicht Einheit an sich, sondern die Einheit einer aus sich selbst bestimmten Farbe, eben des Weiß:
TÖ
fv ?|v &v TI iv, olov
TÖ AEUKGV 1 .
Dieselbe Erwägung gilt nun auch für alle anderen Seinsbereiche. In jeder Gattung ist ein bestimmtes Seiendes dieser Gattung die Einheit. Die Einheit ist also stets sachhaltig bestimmt, eine Farbe, ein Ton, eine Substanz. Es gilt daher allgemein: Das Eine ist niemals Einheit an sich, sondern stets Einheit eines zugrundeliegenden, aus sich selbst heraus sachhaltig bestimmten Seins: TÖ ev TI EV.1 Einheit ist nun zweitens auch keine Gattung des Seins, ebensowenig wie das Sein selbst. Wären nämlich das Sein oder die Einheit Gattungen, so müßten die artbildenden Differenzen, die diese Gattung spezialisieren sollen, gleichfalls je ein Seiendes oder je ein Eines sein. Dann aber wäre dasselbe Gattung und artbildende Differenz, und dies ist unmöglich 3 . i Met. X, 2; 1053t> 34. » Met. X, 2 ; 1054» 4.
» Met. III, 3; 998 b 22—28, 2
E i n h e i t ist aber d r i t t e n s a u c h k e i n Akzidens. Dies ergibt sich zun ä c h s t daraus, d a ß Sein u n d E i n h e i t d e r a r t m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n sind, daß jedes Seiende Eines u n d daß jedes E i n e auch ein Seiendes istl.
W i r d d a h e r etwas als ein Seiendes oder als Eines b e s t i m m t ,
so bedeutet diese B e s t i m m u n g k e i n e n e u e selbständige Sachhaltigkeit, 'wie sie etwa die B e s t i m m u n g eines Menschen als weiß oder als gebildet b e d e u t e t 2 . U n t e r diesem Gesichtspunkt wird d a h e r die E i n h e i t charakterisiert i m Gegensatz z u m Akzidens. Diese U n t e r s c h e i d u n g eines transz e n d e n t a l e n Seins d e r E i n h e i t i m Gegensatz z u m akzidentalen Sein e t w a der Qualitäten wird die G r u n d l a g e unserer U n t e r s u c h u n g ausm a c h e n . F ü r das Akzidens gibt Aristoteles als ständige Beispiele das W e i ß - s e i n u n d das Gebildet-sein. Diese B e s t i m m u n g e n sind Eigenschaften des Menschen, die sich ä n d e r n k ö n n e n , o h n e daß der Mensch als solcher sich ä n d e r t . Es gibt w e i ß e Menschen, wie es schwarze M e n s c h e n gibt, u n d es gibt gebildete Menschen, wie es nicht-gebildete M e n s c h e n gibt. I n e i n e m gewissen S i n n e k ö n n e n also diese E i g e n schaften als Zugabe zu e i n e m u n v e r ä n d e r l i c h e n G r u n d b e s t a n d des M e n s c h e n angesehen w e r d e n 3 .
D e r Mensch wird weiß oder ge-
bildet, i n d e m er diese Qualitäten als Z u g a b e erhält. Infolgedessen ist das Weiß-sein f ü r d e n Menschen eine h i n z u k o m m e n d e ständige Eigenschaft, das Mensch-sein ist v o m Weiß-sein
selbunter-
schieden u n d der Mensch k a n n zwar ein w e i ß e r Mensch sein, aber n i c h t das Weiß-sein selbst 4 . D i e Einheit, dagegen m u ß grundsätzlich anders b e s t i m m t w e r d e n . D e r Mensch ist E i n e r , sobald er ü b e r h a u p t Mensch ist, d u r c h sein Sein schon ist er auch E i n e r . Die E i n h e i t ist also kein selbständigesAkzidens, das d e m M e n s c h e n z u k o m m e n u n d
fehlen könnte.
In
dieser A b h e b u n g gegen das Akzidens liegt n u n die eigentlich t r a n szendentale B e s t i m m u n g der Einheit. Das Seiende besitzt seine E i n heit nicht a b eine Zugabe, als ein D i n g an e i n e m Ding, das Seiende ist v i e l m e h r d u r c h sein Sein zugleich seine Einheit. Das Seiende 1
Met. X, 2; 1054* 13f., vgl. auch Met. IV, 2; 1003b 22f.' » Met. X, 2; 1054» 16. » De gen. I, 4; 519»> 25. • Met. IV, 4; 1007» 51.
hat nicht seine Einheit, sondern ist seine Einheit. In diesem Sinne gilt für jedes Sein, was Aristoteles von der Substanz sagt:
F) ¿KÖKTTOV
oücria ev ¿oiiv ou Korrä ovpßeßTiKÖs1. Wir erhalten drei grundlegende Bestimmungen der Einheit. Die Einheit ist weder o u a ( a noch yivo$ noch Korrd