Zeitschrift für Sozialpsychologie: Band 6, Heft 1 1975 [Reprint 2021 ed.]
 9783112470008, 9783112469996

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C. F. G R A U M A N N KLAUS HOLZKAMP MARTIN IRLE

BAN D 6

1975

HEFT1

VERLAG HANS HUBER BERN STUTTGART WIEN

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, Band 6, Heft 1 INHALT

Zu diesem Heft

1

THEORIE KRUSE, L . :

Crowding - Dichte und Enge aus sozialpsychologischer Sicht

2

EMPIRIE SPILLE, D . & GUSKI, R.: Langfristiger D r o g e n k o n s u m und Persönlich-

keitsmerkmale - Eine empirische Untersuchung H.: Medieneffekte in der Bewertung der Argumente einer Wahlkampfdiskussion WALLER, M . : Hemmende Effekte der Beobachtung altruistischer Verhaltensmodelle auf nutzenorientierte Verhaltenserwartungen 7- bis 8jähriger Kinder SILBEREISEN, R. K . , H E I N R I C H , P . & TROSIENER, H . - J . : Untersuchung zur Rollenübernahme: Die Bedeutung von Erziehungsstil, Selbstverantwortlichkeit und sozioökonomischer Struktur

31

BRANDSTÄTTER,

43

51

62

DISKUSSION TÄSCHNER, K . - L . :

Zur Frage gesellschaftlicher Ursachen des Drogen-

konsums

76

E.: Dissonanz, Attribution und Zuschreibung von Verantwortlichkeit. Ein Diskussionsbeitrag

80

LIEBHART,

Rezension:

ISRAEL, J . & TAJFEL, H . :

The context of social psychology

Besprechung durch C. F. Graumann

88

Besprechung durch M. Irle

96

LITERATUR Neuerscheinungen

103

Titel und Abstracta

107

AUTOREN

108

Vorankündigungen

109

Copyright 1975 by Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Wien Satz und Druck: Druckerei Heinz A r m Bern Printed in Switzerland Library of Congress Catalog Card N u m b e r 78 - 1 2 6 6 2 6 D i e Zeitschrift für Sozialpsychologie wird im Social Sciences Citation Index (SSCI) erfaßt.

1

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6

Zu diesem Heft Die Zeitschrift für Sozialpsychologie tritt mit diesem Heft in den sechsten Jahrgang ein. Wenn die Leser noch einmal auf die erste Umschlagseite zurückblättern, werden sie entdecken, daß uns in den folgenden Jahren nur noch ein Verlag begleitet. Aus praktischen Gründen hat ab Heft 1/1975 der Verlag Hans Huber in Bern die alleinige verlegerische Betreuung dieser Zeitschrift übernommen. Auch im vergangenen Jahr 1974 konnten ca. 50 o/o der eingereichten Beiträge nicht in diese Zeitschrift aufgenommen werden. Die Zahl der Beiträge, die aus Mißverständnissen über Ziele und Aufgaben dieser Zeitschrift eingereicht wurden und deshalb nicht angenommen werden konnten, hat sich verringert. Soweit die Herausgeber - bei gegebenem Umfang der Zeitschrift - Beiträge so weit nach unten in einer Rangfolge verwiesen, daß sie keinen Platz in der Zeitschrift fanden, möge man ihnen zugute

halten, daß sich keine Korrelation zwischen Status von Autoren in der Profession und Annahme/Zurückweisung ihrer Beiträge ergibt. Die Profession ist sehr klein. Auch deshalb haben es die Herausgeber in den ersten fünf Jahren auf sich genommen, keine Kollegen als Berater mit Voten für oder gegen eingereichte Beiträge zu belasten. Alle denkbaren oder empfundenen Fehlentscheidungen dieser Art gehen zu Lasten der Herausgeber. Sie haben jedoch beschlossen, in Zukunft von Fall zu Fall «Consulting editors» heranzuziehen. Es wäre Selbstattribution von Ursachen, wollten sie behaupten, daß ihre Entscheidungen über Annahme/Zurückweisung zu einer Erhöhung des Niveaus sozialpsychologischer Forschung, somit eingereichter Beiträge und folglich der Qualität der Zeitschrift geführt habe. Dennoch sei ihnen ein derartiges ^ ^ M Motiv für ihre Entscheidungen gestat^^^ tet. Martin Irle 1

2

Kruse: Crowding

Theorie Crowding Dichte und Enge aus sozialpsychologischer Sicht LENELIS K R U S E

Universität Heidelberg The crowd maybe not so madding after all! FREEDMAN

In die sozialpsychologischen Themen der Masse und des crowding wird unter Bezugnahme auf Dichte, eines der Hauptprobleme der Planung und der Urbanistik, eingeführt. Nach der Diskussion mehrerer Definitionen und Maße f ü r Dichte und crowding geht das Sammelreferat auf die verschiedenen psychologischen Dichtewirkungen ein, wie sie sich aus Befunden der (ethologischen) Tierforschung und aus humanpsychologischen Korrelationsstudien und Experimenten ergeben. Besondere Berücksichtigung findet der Zusammenhang dieser Befunde mit solchen über Gruppengröße und personalen Raum. Es kann gezeigt werden, daß sich die Forschung über Dichteeffekte entwickelt hat von der Konzeption einer eindimensionalen Abhängigkeit zum multivariaten Modell, das der Interaktion von räumlichen, sozialen und personalen unabhängigen Variablen Rechnung trägt. The socio-psychological topics of crowds and crowding are introduced with reference to one of the major problems of planners and urbanologists: density. After discussing the various definitions and measures of density and crowding the article reviews the different psychological effects of density in terms of findings from (ethological) animal research and from human correlational and experimental investigations. The relationship of findings on density effects with those on group size and personal space is emphasized. Research on crowding is shown to have developed from the conception of a univariate dependency on density toward a multivariate model which accounts for the interaction of spatial, social, and personal independent variables.

Übervölkerung, u n d crowding

Verdichtung,

Ballung,

Enge

sind S c h l ü s s e l - u n d R e i z w ö r t e r ,

Verstopfte

Innenstädte,

enge

Wohnungen,

überfüllte H ä u s e r u n d Stadtviertel, in E l e n d s -

mit d e n e n die ö f f e n t l i c h e u n d w i s s e n s c h a f t l i c h e

quartieren

D i s k u s s i o n eine b e s o n d e r s aktuelle Krise

pferchte Menschen, überbelegte Krankenhäuser

der

(Slums)

und

Gettos

zusammenge-

z e i t g e n ö s s i s c h e n G e s e l l s c h a f t zu b e g r e i f e n sucht,

u n d U n i v e r s i t ä t e n , überfüllte K a u f h ä u s e r , über-

g l e i c h o b v o n hochindustrialisierten o d e r v o n

lastete A u t o b a h n e n u n d - b u s s e , S t r a ß e n b a h n e n

E n t w i c k l u n g s l ä n d e r n die R e d e ist. D i e g l o b a l

u n d -haltestellen sind D i c h t e s i t u a t i o n e n , die je-

als « ö k o l o g i s c h e » b e z e i c h n e t e Krise hat

eine

der aus eigener o d e r z u m i n d e s t durch M e d i e n

U m w e l t b e w u ß t h e i t g e w e c k t b z w . erhöht, d e r e n

vermittelter

zentrales T h e m a

solcher

und

die ö k o n o m i s c h e n ,

psychologischen

Auswirkungen

Ü b e r v ö l k e r u n g u n d V e r d i c h t u n g sind.

sozialen solcher

Anschauung

Situationen

und

kennt.

Die

Effekte

Lebensbedingungen

sind v i e l f a c h - m e h r a n e k d o t i s c h als s y s t e m a tisch - b e s c h r i e b e n w o r d e n (vgl. z. B . B I D E R M A N

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 2 - 3 0

et al. 1 9 6 3 ; LEWIS 1 9 6 1 ; 1 9 6 5 ) , und gelegentlich wird das Problem von «zu vielen Menschen auf zu wenig Raum» als größte Bedrohung für die Zukunft der Menschheit (vgl. z. B. MEADOWS et al. 1 9 7 2 ) und für das Leben in unseren Städten angesehen. Häufig sind es jedoch (lediglich) Befunde aus Tierstudien, in denen meist dramatische Auswirkungen als Folge von crowding festgestellt werden, die für den Humanbereich verallgemeinert werden und Anlaß zu düsteren Prognosen geben (vgl. etwa CALHOUN 1 9 6 6 ; 1 9 7 0 ; HOLFORD 1 9 7 0 ) . Allzu große Popularität finden vor allem die Experimente von CALHOUN ( 1 9 6 2 ) über die Folgen von Überbevölkerung bei Ratten. Die von ihm beobachteten pathologischen Verhaltensweisen, die er als «Verhaltenszerfall» (behavioral sink) charakterisiert, müssen immer wieder zu Generalisierungen herhalten (vgl. z. B. WOLFE 1 9 6 8 ) oder als «Modell» für Untersuchungen menschlichen Verhaltens dienen (vgl. z. B. GALLE et al. 1 9 7 3 ; KÄLIN 1 9 7 2 ) . Die negativen crowding-Effekte bestimmen daher weitgehend den Tenor der öffentlichen und größtenteils auch der wissenschaftlichen Diskussion. Verstärkung kommt dabei noch aus einer weiteren Richtung, die allerdings weit weniger Beachtung findet als die Tierexperimente: Crowding (Enge) impliziert crowds (Menschenmengen, -massen), eine Beziehung, die sprachlich allerdings nur im Englischen unmittelbar evident ist. Menschen, die sich in großen Mengen auf Straßen und Plätzen zu Massen «zusammenrotten», «Haufen bilden» und im so entstandenen «Gedränge» einander bedrängen, wurden seit SIGHELE ( 1 8 9 1 ) , L E B O N ( 1 8 9 5 ) und TARDE ( 1 9 0 1 ) immer wieder als negatives soziales Phänomen charakterisiert und mit dem Verfall der Kultur in Verbindung gebracht (vgl. hierzu HOFSTÄTTER 1 9 5 7 ; MILGRAM & T O C H 1 9 6 9 ; KRONER 1 9 7 2 ) .

D a ß crowds und crowding aber nicht nur als extreme Situationen zu betrachten und negativ zu bewerten sind, ist seit dem Beginn der Sozialpsychologie bekannt. Einer ihrer Begründer, WILLIAM M C D O U G A L L , hat bereits 1 9 0 8 in seiner "Introduction to social psychology" - wenngleich noch unter dem damals gängigen Begriff

3

des Herdeninstinkts - die Meinung vertreten, "being one of a crowd" ( M C D O U G A L L 1 9 6 7 , p. 73) sei ein wesentliches Moment gelungener Freizeitbeschäftigung. " T h e normal daily recreation of the population of our towns is to go out in the evening and to walk up and down the streets in which the throng is densest - the Strand, Oxford Street, or the Old Kent Road..." (ebda.). Aber nicht nur bei Freizeitvergnügen spiele der «gregarious instinct» eine große Rolle, sondern vor allem beim Wachstum der Städte. Seit der Antike sehen Schilderungen Urbanen Lebens in der Bevölkerungsdichte das wesentliche Merkmal der Stadt. Städte - so M C D O U GALL - wüchsen jedoch nicht nur aus einer sogenannten ökonomischen Notwendigkeit oder weil das Landleben zu langweilig sei. Vielmehr sei es über ein wirtschaftliches und sozial vertretbares M a ß hinaus die Anhäufung von Menschen, die immer weitere Menschen anziehe. "It is the crowd in the towns, the vast h u m a n herd, that exerts a baneful attraction on those outside it. P e o p l e have lived in the country for hundreds of generations without finding it dull. A s in the case of animals, the larger the aggregation the greater is its p o w e r of attraction; hence, in spite of high rents, high rates, dirt, disease, congestion of traffic, ugliness, squalor, and sooty air, the larger towns continue to grow at an increasing rate, while the small towns diminish and the country villages are threatened with extinction" (p. 256).

So negativ die Effekte solcher Bevölkerungskonzentrationen sein können, so darf doch nicht übersehen werden, daß eine bestimmte Dichte geradezu die Voraussetzung für das Funktionieren unserer Städte und darüberhinaus für die Entwicklung unserer Urbanen Gesellschaft und Kultur ist. Diese These findet sich bei vielen Stadttheoretikern (z. B. G A N S 1 9 6 2 ; JACOBS 1971) und schlägt sich nieder in Städtekonzeptionen wie der «ville radieuse» von L E C O R B U SIER ( 1 9 3 5 ) , der «Arcology» von SOLERI ( 1 9 6 9 ) oder den Entwürfen von KENZO T A N G E ( 1 9 7 0 ) . Was für das städtische Leben gilt, trifft auch für manche soziale Situationen im Alltag zu, die erst bei einer bestimmten Dichte und Enge als angenehm empfunden werden, bzw. wo Dichte ein «gutes Zeichen» für die entsprechende Situation ist, etwa im Theater, im Sportstadion,

4 bei einer Party. Das heißt, Dichtesituationen, werden nicht nur gemieden, sondern auch freiwillig aufgesucht. Weitere alltägliche Beispiele mögen die Vielfalt und Verschiedenartigkeit von Dichtesituationen deutlich machen: Wir gehen auf eine Party, wo wir uns für relativ kurze Zeit mit sehr vielen Menschen auf begrenztem Raum zusammenfinden. - Die U-Bahn zur Zeit der Verkehrsspitze benutzen heißt, für kurze Zeit mit sehr vielen fremden Leuten auf engstem Raum zusammengepfercht eine Strecke zu einem bestimmten Ziel zurücklegen. Zur leichteren Bewältigung dieser Situation werden in Tokio sog. Gleitmäntel (slick coats) an die Fahrgäste verkauft, damit sie sich im engeren Sinne des Wortes reibungsloser in die Menge der Mitfahrenden einschleusen lassen (PROSHANSKY, ITTELSON & RIVLIN 1970 p. 181). - Ein Student geht zum ersten Mal in die «Hauptvorlesung» und stellt fest, daß der Hörsaal bis auf die letzte Fensterbank besetzt ist und er nur noch mit Mühe einen Stehplatz findet. - Auf einem dichtbelegten Campingplatz läßt sich beobachten, wie nach dem Abzug vieler Camper etwa zum Schulanfang die verbleibenden Urlauber wiederum dicht zusammenrücken (vgl. GARRISON 1967). - Jemand beschließt, aus seiner räumlichen und sozialen «Vereinzelung» in eine Kommune umzuziehen, wo er ständig mit anderen zusammen ist und oft jeden Anspruch auf einen Privatbereich aufgibt. - Mancher Stadtbewohner ist aufgrund seiner sozialen und materiellen Situation gezwungen, in einer Nachbarschaft zu wohnen, wo keiner seiner Schritte unbeobachtet bleibt, der Nachbar in Teller und Betten gucken kann oder akustisch ständig präsent ist. - Leben auf dem Lande ist auch heute noch oft dadurch gekennzeichnet, daß Nachbarn kilometerweit voneinander entfernt wohnen, in ihren Häusern aber als große (oder Groß-)Familie auf engstem Raum leben. Alles dieses sind Dichtesituationen, die sich jedoch nach mehreren Dimensionen unterscheiden lassen: temporär - überdauernd freiwillig - unfreiwillig

Kruse: Crowding

aktiv herbeigeführt - passiv erlitten regelmäßig - unregelmäßig erwartet - unerwartet. Diese Differenzierung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich verdeutlichen, daß Dichtesituationen von vornherein sehr unterschiedliche Qualitäten haben können und daher auch sehr verschiedene Wirkungen auf den Menschen bzw. Gruppen von Menschen erwarten lassen. Obwohl das jeder Zeitgenosse und vor allem der an städtischem Leben Interessierte weiß, werden die Wörter, die solche Dichten bezeichnen (Enge, Verdichtung, Ballung, Über(be)völkerung) meist nur im Sinne einer negativen Bewertung verwendet. D a ß dies nicht nur umgangssprachlich, sondern auch in sogenannten Expertisen von Fachleuten geschieht, konnten ZLUTNICK & ALTMAN (1972) zeigen, als sie zehn Jahrgänge des "Reader's Guide to Periodical Literature" analysierten im Hinblick auf populäre Hypothesen und Meinungen über «crowding» und Übervölkerung (zwei Begriffe, die in ihrer Studie leider synonym verwendet werden). Aus 35 Artikeln, deren Verfasser von Ökologen über Politiker bis hin zu Journalisten reichen, extrahierten ZLUTNICK & ALTMAN 17 Behauptungen, Auffassungen oder Hypothesen über «crowding»-Effekte, die sich drei Kategorien zuordnen lassen: Zu den physischen Auswirkungen zählen Hungersnot, Umweltverschmutzung, Slums, Krankheiten, körperliche Funktionsstörungen; die sozialen Effekte umfassen absinkendes Bildungsniveau, schlechte Versorgungseinrichtungen für somatische und psychische Krankheiten, Kriminalität, Aufstände, Krieg; und zu den interpersonalen und psychologischen Wirkungen zählen Drogenabhängigkeit, Alkoholismus, Familienzerrütung, Absonderung oder Rückzug, Aggressivität, verminderte Lebensqualität. Eine empirische Basis für solche Behauptungen und Prognosen fehlte entweder ganz oder beschränkte sich auf Befunde aus Tieruntersuchungen oder jenen Korrelationsstudien im H u manbereich, die über die Beziehungen zwischen Dichte und Kriminalität, Suizid, physischer und

5

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 2-30

psychischer Krankheit und anderen Verhaltenspathologien Aussagen machen. Will man die verschiedenen Dichtebegriffe als wissenschaftliche Konzepte retten, muß man sie zunächst von ihren negativen Konnotationen befreien und als neutrale Termini in die wissenschaftliche Diskussion einbringen. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

So zahlreich einseitig negative Meinungen und Behauptungen über Dichteeffekte sind, so wenig lassen sich diese durch harte Daten aus empirischen Untersuchungen bestätigen oder widerlegen. Die Befunde der neueren Dichteforschung im Humanbereich sind inkonsistent oder auch widersprüchlich. Zum Teil sind solche Widersprüchlichkeiten auf unklare und uneinheitliche Begriffsbestimmungen zurückzuführen, sowohl im Bereich der «physikalischen», d. h. objektiv meßbaren Dichten wie auch hinsichtlich der Begriffe, die das subjektive Beengtsein und seine Konsequenzen beschreiben. Eine wichtige, von STOKOLS (1972a) herausgearbeitete begriffliche Unterscheidung ist die zwischen density (Dichte) und crowding (Beengtsein). Während Dichte ein objektives Maß für die Anzahl und Verteilung von Dingen und Lebewesen in einem Raum (bestimmter Größe und Form) ist, bezeichnet crowding einen subjektiven Zustand der Enge, des Beengtseins 1, wie er von einem Individuum erfahren wird. Diese Enge ist jedoch nicht nur eine Funktion der räumlichen Dichtebedingungen, sondern auch von sozialen und personalen Faktoren. Das heißt, für das Erlebnis von Enge ist die räumliche Dichte eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Wenngleich diese Differenzierung in der neueren experimentellen Forschung weitgehend akzeptiert wird, wird der Begriff des crowding jedoch unterschiedlich weit gefaßt. Er bleibt nicht nur auf das subjektive Erlebnis des Beengtseins beschränkt, sondern wird auch verwendet für die physiologischen Korre-

1

late und verhaltensmäßigen Wirkungen dieses Erlebens und/oder für die adaptiven oder maladaptiven Reaktionen (coping) des Individuums auf die die crowding-Situation bedingenden Faktoren. DICHTEMASSE

UND

-BEGRIFFE

In den Korrelationsstudien sowie der experimentellen Dichteforschung wird räumliche Dichte (density) sehr unterschiedlich definiert und gemessen. Die Anzahl der verwendeten M e ß i n d i c e s ist g r o ß ( v g l . MICHELSON 1970):

Personen pro Quadratmeter oder Hektar Gesamtfläche; Personen pro Wohnung, Zimmer oder auch pro Bett; Personen pro Gebäude; oder Zimmer pro Wohnung; Wohnungen pro Gebäude; Wohneinheiten oder Gebäude pro Grundfläche; oder Quadratmeter (Wohnfläche etc.) pro Person. A m häufigsten benutzt und verglichen werden die Maße Person pro Gesamtfläche (Nachbarschafts-, Gemeindedichte) und Person pro Zimmer (Wohndichte) und dabei - vor allem in der soziologischen und Planungsliteratur - unterschieden als density und (over)crowding ( v g l . z. B . CAREY 1972; CARSON 1969; MICHELSON 1970; ROSENBERG 1968; SCHMITT

1966).

Da diese Termini inzwischen mit anderen Bedeutungen besetzt sind, sollten sie - Autoren w i e HÜTT und M C G R E W (1967) o d e r ZLUTNICK & ALTMAN (1972) f o l g e n d -

durch d i e U n t e r -

scheidung von «Außen»- und «Innen»-Dichte ersetzt werden. Die Beziehung zwischen beiden Maßen läßt sich folgendermaßen darstellen (vgl. CAREY 1972; ZLUTNICK & ALTMAN 1972):

Ich möchte in diesem Beitrag den Begriff crowding zumeist unübersetzt lassen, um eine schärfere Abgrenzung vom objektiv räumlichen Dichtebegriff zu erreichen als dies mit deutschen Entsprechungen möglich wäre.

6

Kruse: Crowding Innendichte (Pers./Zimmer) niedrig Außendichte (Person/ha) (Nachbarschaft)

Vorstädte «Suburbia»

ländl. Gegend

Hochhaus Luxuswohnungen in Städten

Getto

niedrig

hoch

hoch

In typischen Vorstadtgebieten leben relativ wenige Menschen in den einzelnen Häusern sowie in der ganzen Gemeinde. Dagegen leben in einem Getto Menschen in hoher Innen- und Außenkonzentration. Luxuswohnungen innerhalb von Städten haben eine niedrige Innendichte bei hoher Außendichte. Niedrige Außendichte bei hoher Innendichte ist charakteristisch für sogenannte ländliche Armut aber auch für viele Elendsviertel.

3. Außendichte (Personen oder auch Gebäude pro Hektar 2) ist ein Maß für die Kontaktoder Interaktionsmöglichkeiten von Personen außerhalb eines Gebäudes z. B. auf der Straße, im Einkaufszentrum etc. Wie wichtig solche Differenzierungen sind, ist inzwischen vielfach bekannt und durch empirische Ergebnisse erhärtet worden (vgl. z. B.

Aus einer interaktionspsychologischen Perspektive halten BICKMAN et al. (1973) eine Unterscheidung von drei Dichtetypen für sinnvoll: 1. Innendichte (gemessen als Personen pro Zimmer oder Wohnung oder auch als Zimmer pro Wohnung 2 ) ist ein Indikator für die (mögliche) Anzahl von überdauernden Interaktionen zwischen denselben Individuen, d. h. den Bewohnern einer Wohnung. Diese Art von Dichte kann sich als «interpersonaler Druck» (GALLE et al. 1973) auswirken und in Beziehung stehen zu pnvacy-Bedürfnissen, sozialen Verpflichtungen und Rücksichten sowie sozialer Reizüberflutung. 2. Innendichte innerhalb eines Gebäudes (gemessen als Person pro Gebäude oder auch Wohnungen pro Gebäude 2) verweist auf die Anzahl der verschiedenen Personen, mit denen man in Berührung kommen bzw. interagieren kann, etwa bei der gemeinsamen Benutzung von Aufzügen, Fluren, Eingangshallen oder Waschküchen.

Als Beispiel diene die Untersuchung von GALLE et al. ( 1 9 7 3 ) über pathologische Verhaltensweisen in verschiedenen Stadtbezirken Chicagos. Ursprünglich war hier nur ein Dichtemaß, Person pro Hektar, verwendet und keine Beziehung zwischen dieser Dichte und verschiedenen Pathologieindikatoren (Sterblichkeits- und Geburtenrate, Jugendkriminalität, Aufnahmerate psychiatrischer Kliniken) gefunden worden. Nachdem die Autoren dieses Dichtemaß jedoch auflösten in die Maße Person/Zimmer, Zimmer/ Wohnung, Wohnungen/Gebäude und Gebäude/ Hektar (bzw. acre4) ergab sich eine Reihe signifikanter Korrelationen zwischen verschiedenen Dichtemaßen und pathologischem Verhalten (und zwar auch dann, wenn sozioökonomischer Status und ethnische Zugehörigkeit kontrolliert wurden), wobei das Maß Personen pro Zimmer die höchsten Korrelationen lieferte.

2

3

4

CAREY 1 9 7 2 ; CHOMBART DE L A U W E 1 9 5 9 ; G A L LE e t

al. 1 9 7 3 ;

MITCHELL

1971;

ROSENBERG

1 9 6 8 ; SCHMITT 1 9 5 7 ; 1 9 6 3 ; 1 9 6 6 ) .

Dichtemaße werden nutz- und sinnlos, wenn nicht auch absolute Größen mit in Rechnung

Bei diesen Indices handelt es sich m. E. nicht mehr u m deskriptive, sondern nur noch um normative Maße, die mögliche Kontakthäufigkeiten postulieren. Vgl. SOMMERS (1969) Definition von «personal space» als ein Bereich, der den Leib einer Person wie ein unsichtbares Territorium umgibt, und in den m a n nicht ohne weiteres eindringen darf. acre = 4047 q m

7

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 2 - 3 0

gestellt werden: Die Dichte in einem PolynesierStamm mit 700 000 Personen pro Quadratmeile anzugeben und mit einer Dichte von 4 0 0 0 0 0 pro Quadratmeter in den Slums von Neu-Delhi zu vergleichen, erweist sich als unsinnig, wenn sich herausstellt, daß dieser Stamm aus 50 Individuen besteht. New York, bekannt und berüchtigt als übervölkerte Stadt, hat eine sehr viel geringere Dichte als Moskau. Betrachtet man jedoch Manhattan allein, ist dieses Gebiet nach allen Dichtemaßstäben übervölkert. Zwei weitere Dichtebegriffe finden sich in der Literatur, bei denen das Maß Person pro Flächeneinheit nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. CHAPIN ( 1 9 3 8 ; 1 9 6 1 ) spricht von «use crowding» und versteht darunter die Anzahl der Funktionen und Nutzungen, die in einem Raum stattfinden: Die Küche dient nicht nur zur Vorbereitung des Essens, sondern auch als Eßplatz, Schularbeits- und Spielplatz für die Kinder. LORING ( 1 9 5 6 ) benutzt neben dem räumlichen Dichtemaß Person pro Raumeinheit noch ein weiteres «Dichtemaß», das er als role density bezeichnet. Die Anzahl der verschiedenen Rollen und damit verbundenen Tätigkeiten von Personen pro Raum- oder Wohneinheit ist entscheidend für die «Dichte» eines Gebietes, einer Nachbarschaft. Eine Wohngegend, in der es keine Freiflächen, Spiel- und Sportplätze gibt, ist durch größere Rollendichte gekennzeichnet als ein Gebiet, in dem für die verschiedenen Rollen und Aktivitäten (Arbeit, Freizeit, Erholung, Sport...) geeignete Einrichtungen vorhanden sind, wodurch die verschiedenen Tätigkeiten der Bewohner auch an verschiedenen Orten, in verschiedenen Räumen ausgeführt werden können. Dieser Begriff, obwohl in Termini von density gefaßt, verläßt die Ebene eines räumlich-physikalischen Dichtemaßes, da hier bereits persönliche, soziale und andere Faktoren mit eingehen. In der experimentellen Dichteforschung stellt sich immer mehr eine weitere Unterscheidung als empirisch und theoretisch fruchtbar heraus: die Unterscheidung von räumlicher und sozialer Dichte, die zuerst von W . C . M C G R E W ( 1 9 7 0 )

expliziert worden ist. Zwei hochgradige Dichtesituationen können auf verschiedene Weise Zustandekommen: durch Verminderung des zur Verfügung stehenden Raumes pro Person oder durch Vermehrung der Anzahl der Individuen bei konstanter Grundfläche. Bei der räumlichen Dichte steht also das Dichtemaß Flächen- bzw. Raumeinheit pro Person im Vordergrund, während «soziale Dichte» die Gruppengröße pro Raumeinheit betont (weshalb LINDER (1974) diese Dichtedimension als numerosity bezeichnen möchte). Dichteexperimente beschränken sich meist auf eine der beiden Dichtesituationen. Während in den Experimenten von DESOR (1972), GRIFFITT & V E I T C H (1971), H Ü T T & VAIZEY (1966), ITTELSON et al. (1970), KÄLIN (1972), KUTNER (1973), SMITH & HAYTHORN (1972), SOMMER & BECKER (1971) u. a. Dichte durch Erhöhung der Personenzahl bei konstanter Raumgröße, also soziale Dichte manipuliert wird, wird bei BAXTER & DEANOVICH (1970), FREEDMAN et al. (1972), H Ü T T & M C G R E W (1967), Loo (1972), R O H E & PATTERSON (1974), Ross et al. (1973), STOKOLS et al. (1973) und anderen die räumliche Dichte durch Verkleinerung des Raumes bei konstanter Gruppengröße manipuliert. Nur in wenigen Experimenten wurden bisher Raum- und Gruppengröße systematisch variiert (vgl. FREEDMAN et al. 1971; H Ü T T & MCGREW 1967; P. L. MCGREW 1970; W . C.

1972; SAEGERT 1973b) und ihr unterschiedliches Gewicht als antezedente Variable für verschiedenartige crowdircg-Effekte analysiert (s. u.).

MCGREW

Eine andere Dimension, die für die Bestimmung von räumlichen Dichtesituationen zu berücksichtigen ist, ist ihre zeitliche Dauer. Wenn von extremem crowding die Rede ist, werden darunter meist Situationen längerer Zeitdauer von mehreren Tagen, Wochen, Monaten oder auch Jahren verstanden. Solche andauernden Dichtebedingungen sind Gegenstand vieler Feldstudien bei Tieren sowie der Korrelationsstudien im Humanbereich, wobei Dichte dann fast immer gleichbedeutend ist mit Übervölkerung. Alle humanpsychologischen und viele tierpsychologischen Experimente un-

Kruse: Crowding

8 tersuchen relativ kurzfristige Dichtesituationen.

toren wie Beleuchtung, Temperatur, Ventila-

Kaum ein Experiment mit menschlichen Ver-

tion sind es insbesondere die Form des Rau-

suchspersonen, in dem Dichte manipuliert wird,

mes, seine Innenausstattung, die Anzahl und

dauert länger als ein bis vier Stunden, und nur

Qualität der Einrichtungen,

selten (z. B. bei FREEDMAN et al. 1971) wird die

(vgl. DESOR 1972). In der experimentellen Dich-

Materialien

etc.

Bedeutung der zeitlichen Dauer einer Situation

teforschung kommt es zuweilen zu einer Kon-

überhaupt in Erwägung gezogen. Dabei ist ge-

fundierung von Dichte und Mangel an Ressour-

rade hier die aus vielen sozialpsychologischen

cen, etwa wenn bei der Erhöhung sozialer Dichte

Experimenten bekannte Tatsache, daß das Wis-

durch Steigerung der Gruppengröße die Menge

sen der Versuchspersonen um den temporären

der verfügbaren Ressourcen

Charakter experimenteller Situationen bedeut-

konnten zum Beispiel die Ergebnisse von HÜTT

gleichbleibt.

So

hat (vgl. z. B.

& VAIZEY (1966), die bei der Vergrößerung

ARONSON & CARLSMITH 1968), von besonderer

ihrer Kindergruppen die Menge des vorhande-

Wichtigkeit. Beim gegenwärtigen methodischen

nen Spielzeugs unverändert ließen und dabei

same Verhaltenskonsequenzen

und theoretischen Stand der Dichteforschung

einen Anstieg von aggressiven sowie eine A b -

lassen sich noch kaum Aussagen darüber ma-

nahme von positiven sozialen Reaktionen fest-

chen, inwieweit sich solche Laborbefunde (z. B.

stellten, von ROHE & PATTERSON (1974) diffe-

von FREEDMAN et al. 1971; 1972; GRIFFITT &

renziert und teilweise widerlegt werden, als die-

VEITCH 1971; SAEGERT 1973) einerseits verglei-

se Autoren soziale Dichte und Materialmengen

chen lassen mit Ergebnissen, die in weniger kon-

unabhängig voneinander variierten.

trollierten, dafür aber «naturalistischen» Dichte-

Daß den Qualitäten von Dichtesituationen

situationen gewonnen wurden (z. B. BICKMAN

(Raumaufteilung, Ausstattung usw.) vor allem

et al. 1973; P. L . MCGREW 1970; VALINS &

auch in der experimentellen Forschung mehr

BAUM 1973), andererseits übertragen lassen auf

Bedeutung beigemessen werden sollte, wird ver-

so

wie

ständlich, wenn man bedenkt, daß gerade in

Drängeln und Gedränge auf belebten Straßen

verschiedenartige

Alltagssituationen

diesem Bereich Planer, Architekten Und andere

(vgl. WOLFF 1971), in Theaterfoyers, an Kino-

Umweltgestalter Eingriffsmöglichkeiten haben,

ausgängen (vgl. STILITZ 1969; 1970) oder U -

die zur

Bahnstationen (vgl. WINKEL & HAYWARD 1971),

crowding-Eííekten

Dichte

und

Enge

in

Krankenhäusern

Milderung

oder

Verhinderung

von

beitragen können.

(vgl.

Zeitliche Dauer und Umweltressourcen sind

GOFFMAN 1972; ITTELSON et al. 1970), Gefäng-

einerseits Faktoren, die unmittelbar als Merk-

nissen (z. B. GLASER 1970),

Konzentrations-

male der objektiven Dichtesituation gemessen

lagern (BIDERMAN et al. 1963; COHEN 1953 u. a.)

werden, andererseits aber auch als Moderator-

und anderen totalen Institutionen

variablen fungieren können (s. u.).

GOFFMANS

(1972)

im

Sinne

(vgl. z. B. ELLENBERGER

1972), Gettos und Elendsvierteln (vgl. GANS

DICHTE, ENGE UND IHRE

1962; FRIED & GLEICHER 1961; JACOBS 1971;

Es lassen sich fünf verschiedene Bereiche der

LEWIS 1961; 1965 etc.). Eine Taxonomie von

Verhaltensforschung crowdi'ng-Situationen

steht noch aus; die Entwicklung von multidimensionalen crowding-Modellen

steckt noch in

den Anfängen. Ein weiterer Faktor, dem bisher bei der Beschreibung, Messung

und Manipulation

von

Dichtebedingungen noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist die Qualität

der Um-

welt, die zur Dichtesituation wird. Neben Fak-

Thema crowding

EFFEKTE

aufweisen, die

für

das

relevant sind:

1. Feldstudien und Experimente über Dichte und Übervölkerungseffekte bei Tieren, 2. Experimente, die den Gebrauch von Raum und Distanz im Kontext zwischenmenschlicher Kommunikation zum Thema haben, 3. Experimente über Gruppengröße und deren Auswirkungen auf das Verhalten,

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1975, 6, 2-30

9

4. Korrelationsstudien über die Beziehung zwischen Bevölkerungsdichte oder Wohnsituation und menschlichem Verhalten, 5. Experimentelle Untersuchungen über die Effekte von Dichte auf menschliches Erleben und Verhalten. 1. Dichte und Übervölkerung

bei Tieren

Seit den dreißiger Jahren hat man aufgrund von Beobachtungen an Tieren in ihrem natürlichen Habitat immer wieder Anzeichen dafür gefunden, daß bei vielen Tierarten Mechanismen zur Regulierung der Populationsgröße wirksam sind. Berichte liegen vor über den plötzlichen Bevölkerungsrückgang EVANS

1940;

mäusen

bei Hasen

GREEN &

(CHITTY

LARSON

1952),

(GREEN &

1938), Wühl-

Feldmäusen

(FRANK

1 9 5 3 ) , S i k a h i r s c h e n (CHRISTIAN, FLYGER & D A -

VIS 1960), Lemmingen (CHRISTIAN 1970) sowie

anderen Nage- und Säugetieren (vgl. dazu die Überblicke bei A D L E R 1967; ARCHER 1970; DAVIS

1971;

SOUTHWICK

1969;

THIESSEN

1964a). Nahrungsmangel, Mangel an Brut- und Nistplätzen oder auch Nistmaterial, Krankheiten oder die Zunahme natürlicher Feinde konnten dabei als Ursache ausgeschlossen werden. So nahm man, vor allem in Anschluß an CHRI-

(vgl. 1950; 1959; 1961; 1963a, b; 1970; sowie CHRISTIAN & D A V I S 1964; CHRISTIAN, FLYGER & D A V I S 1960) an, daß für diese plötzlichen Veränderungen physiologische und verhaltensmäßige Reaktionen als Ausdruck eines sozialen Streß-Syndroms verantwortlich seien STIAN

( v g l . DAVIS

1971;

ESSER

1972;

STOTT

untersuchte. In einer ersten Beobachtungsstudie hatte er entdeckt, daß in einem 1000 qm großen Gehege sich 40 Ratten n u r bis zu einer stabilen Populationsgröße von 150 Tieren vermehrten, obgleich R a u m , N a h r u n g und Nistplätze in ausreichendem M a ß zur Verfügung standen u n d angesichts der Reproduktionsund Sterblichkeitsrate der erwachsenen Tiere eine Bevölkerungszahl von 5000 zu erwarten gewesen wäre. C A L H O U N n a h m daher an, daß der Streß durch soziale Interaktionen sich so negativ auf das Verhalten der Rattenweibchen auswirkte, daß nur wenige Junge überlebten (1962 a, p. 139). In einem nächsten Experiment ließ C A L H O U N eine kleine Anzahl von Ratten in einem Gehege, das aus vier teilweise verbundenen Einzelgehegen bestand, versorgt mit ausreichend Futter, Wasser, Nistplätzen und Nestbaumaterial, sich ungehindert vermehren. Die Tiere erreichten schnell eine Populationsdichte, die sehr viel höher war, als sie unter natürlichen Lebensumständen eintreten könnte. U n t e r diesen Bedingungen zeigte sich eine Reihe dramatischer E f fekte; das soziale Verhalten brach zusammen: Einige M ä n n c h e n wurden extrem aggressiv, andere völlig passiv; sie zogen sich von jeder Interaktion zurück u n d bewegten sich wie «Schlafwandler» in ihrer Kolonie. Das Freßverhalten entartete in der Weise, daß entweder kein Tier f r a ß oder alle Tiere sich u m dieselbe Futterstelle drängten, obwohl weitere vorhanden waren. Nester wurden von Männchen überfallen, die Jungen gefressen; die Weibchen vernachlässigten den N e s t b a u oder gaben ihn ganz auf; die Sterblichkeitsrate besonders bei den Jungtieren stieg an; die Fruchtbarkeit der Weibchen n a h m ab. Das Sexualverhalten steigerte sich zuweilen zum Pansexualismus oder blieb ganz aus. Dieses als «behavioral sink» bezeichnete Fehlverhalten trat jedoch nicht in allen Gehegen auf. Einigen M ä n n c h e n in den beiden äußeren Gehegen, die nicht mit einem Eingang miteinander verbunden waren, also jeweils nur einen Durchgang zu den mittleren Gehegen hatten, gelang es, ihr Territorium zu verteidigen, unterlegene M ä n n c h e n in die mittleren Gehege abzudrängen und so eine extreme Dichte zu verhindern. In diesen Gebieten verlief die Entwicklung relativ n o r m a l , während in den Mittelgehegen das Fehlverhalten so schwerwiegende Auswirkungen hatte, daß es z u m Sterben ganzer Rattenstämme kam.

1962;

1969; W Y N N E - E D W A R D S 1962). Als Stressoren werden dabei ausschließlich soziale Interaktionen besonderer Art und Häufigkeit angenommen, etwa ein hohes Maß an intraspezifischem Wettbewerb, sozialer Druck, Rangordnungskämpfe. Gleiche oder ähnliche Reaktionen konnten auch bei Tieren in Gefangenschaft sowie an experimentellen TierpopulaWICKLER

t i o n e n g e f u n d e n w e r d e n (CALHOUN 1 9 6 2 ; MARS-

DEN 1972). 1 9 6 2 veröffentlichte C A L H O U N sein weithin bekanntes Experiment, das die Auswirkungen von Übervölkerung auf die soziale Struktur u n d das Verhalten von Ratten

Ähnliche Befunde sind auch in den Experim e n t e n b z w . F e l d s t u d i e n v o n CHITTY ( 1 9 5 2 ) , v . HOLST ( 1 9 6 9 ) , LOUCH ( 1 9 5 6 ) , MARSDEN ( 1 9 7 2 ) , MYERS et al. ( 1 9 7 1 ) ,

SOUTHWICK ( 1 9 6 7 )

und

vielen anderen berichtet worden. Als Verhaliemreaktionen auf sozialen Streß beobachtete man vermehrte Aggression, verstärkte territoriale Verteidigung bei den rangstärkeren Tieren, Rückzug aus der sozialen Interaktion, abnormes mütterliches Verhalten, Homosexualität, Hypersexualität oder auch völliges Ausbleiben sexuellen Verhaltens. Zu den physiologischen Effekten gehören all jene endokrinen Verände-

10

Kruse: Crowding

rungen, wie sie für Streßreaktionen (vgl. SELYE 1957) oder ein stark erhöhtes Aktivationsniveau (vgl. LINDSLEY 1957; D U F F Y 1962) charakteristisch sind, etwa erhöhte Adrenalinausschüttung und hormonale Veränderung, die zur Abnahme des Körpergewichts, verminderter Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, abnehmender Fruchtbarkeit und erhöhter Sterblichkeit, vor allem der Jungtiere, führen (vgl. CHRISTIAN 1963a; DAVIS 1971; M Y E R S et al. 1971; T H I E S SEN 1964a; THIESSEN & R O D G E R S 1961). Diese physiologischen Veränderungen wirken sich u. U. auch erst auf die Nachkommen a u s ( v g l . z . B . D E L O N G 1 9 6 7 ; LIEBERMAN

1963;

selbst dann, wenn diese gleich nach der Geburt von den unter Dichtebedingungen aufgewachsenen Müttern getrennt und von Ersatzmüttern aufgezogen wurden, wie KEELEY ( 1 9 6 2 ) bei Mäusen zeigen konnte. Die Jungen erwiesen sich als weniger reizempfänglich, was sich z. B. darin äußerte, daß sie in einer neuen Umwelt ihre Käfige langsamer verließen und weniger aktiv waren. Ein Befund von MORRISON & THATCHER ( 1 9 6 9 ) ergab, daß unter Dichtebedingungen aufgewachsene Ratten weniger emotionale Reaktionen zeigten, wenn fremde Ratten auftauchten, als solche, die unter normalen Umständen aufwuchsen. STOTT

1962),

In den meisten Tierexperimenten wurde die soziale und räumliche Dichte gleichzeitig verändert. In einigen Experimenten wurde jedoch auch versucht, die Rolle des Lebensraumes per se oder der Anzahl von Individuen per se aufzuzeigen. Im allgemeinen wird angenommen, daß die Anzahl der Tiere und die damit verbundenen negativen Dichtefolgen verantwortlich zu machen sind (vgl. z. B . BAILEY 1 9 6 6 ; CHRISTIAN 1 9 6 1 ; THIESSEN 1 9 6 6 ) . U m d i e W i r -

kung des Faktors Menge zu isolieren, brachte verschieden große Gruppen von Mäusen in einzelnen Käfigen unter, wobei für jede Maus gleichviel Raum zur Verfügung stand. Er stellte fest, daß das Gewicht der Nebennieren proportional zur Gruppengröße der Tiere anstieg, ein Effekt, der auch dann eintrat, wenn die Anzahl der Tiere pro Käfig bei konstanter Käfiggröße erhöht wurde. BAILEY

Andere Experimente versuchten, die Raumgröße als entscheidende Variable auszuweisen ( z . B . ERICKSON 1 9 6 7 ; M Y E R S e t a l . 1 9 7 1 ;

PE-

TRUSEWICZ & TROJAN 1 9 6 3 ; SOUTHWICK 1 9 6 7 ) .

et al. fanden, daß sich bei Kaninchen eher in kleinen als in großen Gruppen negative Auswirkungen zeigten, wenn die Dichte der Gruppe konstant gehalten wurde. Sie erklären dies damit, daß der größere Raum trotz höherer Individuenzahl bessere Lebensbedingungen bietet und daß diese Tiere stärker affiziert werden durch ein reduziertes Gesamtterritorium als durch die Anwesenheit vieler Artgenossen. Eine zusätzliche Interpretation wird durch Ergebnisse von EISENBERG ( 1 9 6 7 ) nahegelegt, der je verschiedene Dichteeffekte bei acht Nagetierarten fand, je nachdem, ob diese Tiere dazu neigen, sich zusammenzurotten (wie z. B. Mäuse und Ratten) oder mehr auf Abstand leben (wie z. B. Kaninchen). MYERS

Zwei auch humanpsychologisch relevante Faktoren scheinen demnach für die Wirkung von Dichtesituationen bei Tieren verantwortlich zu sein, die sich zwar als unabhängige Erklärungshypothesen formulieren lassen, im natürlichen Habitat der Tiere jedoch meist zusammenwirken: a) Die erhöhte Individuenzahl und die daraus resultierenden vermehrten sozialen Interaktionen bedeuten ein Übermaß an kognitiver und sozialer Reizung. b)Die Verminderung des Raumes pro Individuum verkleinert die «personalen Distanzen» (vgl. H E D I G E R 1 9 4 2 ; 1 9 6 1 ) zwischen den Individuen, wodurch die soziale Kontrolle innerhalb der Gruppe erschwert wird. Das führt u. U. zur Bildung von Ranghierarchien auch bei solchen Tieren, bei denen Rangsysteme normalerweise fehlen (vgl. LEYHAUSEN 1 9 6 8 ) oder zum Rückzug aus jeder Interaktion. Die Befunde aus der Tierforschung sind in der Tat äußerst zahlreich (was ein Blick in die Bibliographie bestätigen wird, die zudem nur einen Teil dieser Forschung berücksichtigen konnte) und außerdem sehr provokativ, und so ist es nicht verwunderlich, daß sie immer wieder vorschnell auf menschliche Verhältnisse über-

11

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 2 - 3 0

tragen werden, eine Tatsache, die nicht nur für die Dichtediskussion, sondern auch für andere humanökologische Themen zutrifft (vgl. hierzu KRUSE 1 9 7 4 ) .

Die Dichteforschung im Humanbereich ist sehr viel weniger umfangreich und kann nicht durch so eindeutige Ergebnisse imponieren wie die Verhaltensforschung an Tieren. Bevor ich mich derjenigen Forschung zuwende, die Dichte und ihre Effekte auf menschliches Verhalten explizit zum Thema hat, seien noch zwei sozialpsychologische Forschungsbereiche erwähnt, die für die Dichteforschung relevant sind oder z. T. direkt in sie einleiten. Da ist einmal die Forschung, die sich mit der Rolle räumlicher Variablen, z. B. Distanz und Anordnung, in menschlichen Kommunikationssituationen beschäftigt, wie sie vor allem von H A L L ( 1 9 5 9 ; 1966) angeregt und als «proxemics» etabliert wurde, dann insbesondere von SOMMER und seinen Mitarbeitern in ihren Studien zum «personalen Raum» aufgegriffen wurde, und die inzwischen einen beachtlichen Umfang erreicht hat. Zum anderen wird für den Kontext Dichte derjenige Fragenkomplex aus der Sozialpsychologie der Kleingruppe relevant, der sich mit der Gruppengröße und ihren Einflüssen auf soziale und Arbeitsorganisation, Zufriedenheit, Leistungsgüte, Schnelligkeit etc. befaßt. Betrachtet man diese beiden Forschungsrichtungen sozusagen als Zulieferer zur Dichteforschung, so ist eine Parallele zu den erwähnten Erklärungshypothesen in der Tierforschung nicht zu übersehen. Der erstgenannte Themenkomplex pointiert stärker die räumlichen Faktoren (z. B. in einer dyadischen Kommunikationssituation), während der zweite Bereich die Anzahl der Individuen in solchen Kommunikationssituationen in den Vordergrund stellt. Beide Ansätze verweisen unmittelbar auf die Dichteforschung, die neben der Analyse von Situationen mit «zu vielen auf zu wenig Raum» ja gerade auch an der Differenzierung von räumlichen und sozialen Dichteeffekten interessiert ist.

2. Der Gebrauch des Raumes Interaktion

in der

sozialen

Fragestellungen in diesem Bereich lauten: Wie nutzen Menschen einen gegebenen Raum bestimmter Größe, Form und Einrichtung zu bestimmten Zwecken (vgl. u. a. AHRENS 1 9 6 9 ; COOK

1970;

HALL

1959,

1966;

KAMINSKI

&

OSTERKAMP 1 9 6 2 ) ?

Wie nah stehen oder sitzen Menschen beieinander, um sich zu unterhalten, einander Sympathie zu zeigen, gemeinsam oder konkurrierend Aufgaben zu lösen (vgl. N O R U M et al. 1 9 6 7 ; R O SENFELD 1 9 6 5 ; SOMMER 1 9 5 9 , 1 9 6 2 ,

1967)?

Wie reagieren Menschen, wenn man ihnen «zu nahe kommt», das heißt, in ihren «personalen Raum» 3 eindringt (vgl. BARASH 1973; BAUM e t a l . 1 9 7 4 ; BAXTER & DEANOVICH 1 9 7 0 ; EFRAN

&

CHEYNE

1974;

FELIPE

&

SOMMER

1966; H O R O W I T Z et al. 1964) - eine Fragestellung, die insofern Bedeutung für die Dichteproblematik hat, als hier interpersonale Distanzen soweit verringert werden, bis die so bedrängten Personen durch Abwehr, Rückzug oder andere verbale und nonverbale Verhaltensweisen reagieren. Ein großer Teil dieser Forschung befaßt sich mit der Untersuchung von kultur-, geschlechts- und altersspezifischen sowie weiteren persönlichkeitsspezifischen Variationen räumlichen Verhaltens (vgl. u. a. A I E L L O & JONES 1 9 7 1 ; BAXTER 1 9 7 0 ; HALL 1 9 6 6 ; HAASE

1970;

JONES 1 9 7 1 ; LEIBMAN 1 9 7 0 ; LITTLE e t a l . 1 9 6 8 ; SOMMER 1 9 6 8 ; WATSON & GRAVES 1 9 6 6 ; W I L -

LIS 1966). Uberblicksdarstellungen der Forschungen zum personalen Raum finden sich bei EVANS & H O W A R D (1973); LINDER (1974); LITTLE (1965); PATTERSON (1968); SOMMER (1967b; 1969). Auch diese Forschung steht noch in den Anfängen, und die Validität ihrer Befunde bedarf großenteils noch der methodischen Uberprüfung, doch "despite conflicting data and frequent lack of experimental control in much of the personal space research, several conclusions can be made because of the preponderance of evidence in their favor" (EVANS & H O W A R D 1973, p. 337).

12

Kruse: Crowding

Eine der ersten Untersuchungen zur «Verletzung» des personalen Raumes stammt von FELIPE & SOMMER ( 1 9 6 6 ) , die zeigen k o n n t e n ,

daß Versuchspersonen - männliche psychiatrische Patienten sowie weibliche Bibliotheksbenutzer - eher ihren Platz aufgaben, wenn sich ein Experimentator zu dicht an sie heransetzte, als Kontroll-Vpn, die nicht «belästigt» wurden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch PATTERSON e t al. ( 1 9 7 1 ) . I n S i t u a t i o n e n ,

die

von

Vpn als Belastung (Streß) empfunden werden, werden größere interpersonale Distanzen gewählt, als wenn kein Streß induziert wurde

Sozialpsychologie die leitende Fragestellung die Beeinflussung der Leistung durch das Arbeiten in Gegenwart anderer, zusammen oder im Wettbewerb mit anderen (Arbeitsteilung, soziale Erleichterung etc.), so differenzierte sich mit der Entwicklung der Sozialpsychologie im ganzen auch die Forschungsthematik zum Problem der Gruppengröße, so daß heute neben dem «Leistungsvorteil» (HOFSTÄTTER) auch Fragen der Gruppenkohäsion und -Stabilität und der Zufriedenheit ihrer Mitglieder im Vordergrund stehen, und Gruppengröße nicht nur als quantitative, sondern vor allem auch als qualitative

1963).

Variable Beachtung findet (vgl. KRUSE 1972).

Kleinere Abstände werden bevorzugt, wenn eine Person, der sich die Vpn annähern soll, schon von vornherein, d. h. durch Instruktion, als sympathisch, freundlich oder kooperativ bezeichnet worden war (vgl. LITTLE et al. 1968;

Im Hinblick auf die Dichtethematik (d. h. Gruppen in räumlicher Beschränkung) sind folgende Aspekte der Gruppengröße relevant: Die Zunahme der Mitglieder in einer Situation wird zu einer potentiellen Beschränkung des Bewegungsspielraums jedes einzelnen, was sich um so stärker auswirkt, je mehr Koordination der Bewegung verlangt ist. Mehr Leute bedeutet, daß mehr soziale Reize, hier vor allem als Informationen verstanden, zu bearbeiten sind. Je mehr Menschen, desto größer die Vielfalt individueller Charakteristika, die zu beachten sind - und sei es nur durch die Unausweichlichkeit von Blickkontakten. Die Möglichkeiten zu sozialen Beziehungen wachsen, die Situation gewinnt an Komplexität, deren Bewältigung ein höheres individuelles Aktivationsniveau mit sich bringen kann.

(vgl. DOSEY & MEISELS 1 9 6 9 ; LEIPOLD

MEHRABIAN 1 9 6 8 ; 1 9 6 9 ; ROSENFELD 1 9 6 5 ) .

Gegenüber Personen, denen man in bezug auf Alter (peers), Rasse, Status oder Einstellung ähnlich ist oder sich ähnlich fühlt, wird eine geringere Distanz eingehalten als wenn dies nicht d e r F a l l ist (vgl. CAMPBELL et al. 1 9 6 6 ; LEIBMAN 1 9 7 0 ; L O T T & SOMMER 1 9 6 7 ) .

Eine Reihe von Befunden liegt zur Geschlechtsspezifität des personalen Raumes vor: Allgemein scheinen Frauen geringere personale Distanzen zu wahren als Männer, Menschen gleichen Geschlechts geringere als Menschen verschiedenen Geschlechts (vgl. HOROWITZ et al. 1 9 7 0 ; LEIBMAN 1 9 7 0 ; LOTT & SOMMER 1 9 6 7 ; WILLIS 1 9 6 6 ) .

Transkulturelle Studien ergaben, daß Nordamerikaner und Nordeuropäer größere interpersonale Distanzen wählen als Menschen aus den lateinamerikanischen und Mittelmeerländern (vgl. AIELLO & JONES 1 9 7 1 ; HALL 1 9 5 9 , 1 9 6 6 ; LITTLE 1 9 6 8 ; SOMMER 1 9 6 8 ; WATSON & GRAVES 1966). 3.

GRUPPENGRÖSSE

In der Kleingruppenforschung nimmt das Thema Gruppengröße und ihre Auswirkungen auf Gruppenstruktur und -effektivität breiten Raum ein. War zu Beginn der experimentellen

THOMAS & FINK ( 1 9 6 3 ) k o m m e n

aufgrund

einer Analyse der einschlägigen Kleingruppenforschung zu folgenden Schlußfolgerungen im Hinblick auf die Bedeutung der Gruppengröße: a) Mit steigender Gruppengröße scheint die Zufriedenheit der Mitglieder mit der Gruppe abzunehmen, und zwar vor allem deshalb, weil die Größe die Kommunikation innerhalb der Gruppe einschränkt. b)Die Lösung von Aufgaben gelingt schneller in kleinen Gruppen. c) Wenn jedoch Geschwindigkeit keine Rolle spielt, werden Aufgaben meist besser von großen Gruppen gelöst.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 2-30

d) Größere Gruppen zeigen weniger Kohäsion; sie tendieren zur Bildung von Untergruppen und Cliquen. Die Autoren interpretieren diese Befunde in Termini von Inputmenge, Gruppengröße und Komplexität der Beziehungen: Mehr Menschen bedeuten mehr und verschiedenartige Ressourcen, aber auch mehr und verschiedenartige Forderungen und Erwartungen. Beides kann potentiell bessere Aufgabenlösungen und Befriedigungsmöglichkeiten zur Folge haben, verlangt aber auch mehr Zeit, Organisation und Kontrolle. Die komplexen Möglichkeiten sozialer Beziehungen bedeuten einerseits mehr Alternativen für jede Person, andererseits aber Druck oder Zwang zur Entscheidung für eine Alternative. Cliquenbildung und Zerfall in Untergruppen werden als Ausdruck der Unfähigkeit gesehen, mit solchen sozial und kognitiv komplexen Situationen, wie sie große Gruppen konstituieren, umzugehen. In welchem Umfang solche Befunde und Interpretationen für die Dichteforschung relevant sind oder sein können, wird in der nun folgenden Diskussion der Korrelationsstudien zum Einfluß von Dichte und Überbevölkerung und der experimentellen Manipulationen von räumlicher und sozialer Dichte zu zeigen sein. 4.

KORRELATIONSSTUDIEN

Korrelationsstudien sind nach der Auffassung mancher Wissenschaftler aller Laster Anfang; alles ist mit allem assoziierbar, prinzipiell also auch korrelierbar und irgendwann auch signifikant, letzteres allerdings nur im statistischen Sinne. Andererseits ist es eine unbestrittene Tatsache, daß viele neue Wissensgebiete überhaupt erst durch Korrelationsstudien in Gang gekommen sind, auch wenn die ersten «Befunde» sich im weiteren Verlauf der Forschung, besonders der experimentellen (s. u.) als «sogenannte» herausgestellt haben. Ganz besonders in einem von seiner Begründung her interdisziplinären Gebiet, wie dem crowding, an dem sich Verhaltenswissenschaftler jedweder Provenienz (Humangeographen, Epidemiologen, Stadtso-

13

ziologen, Ethologen, Psychologen) versuchen, lag die - erst einmal - korrelationsstatistische Überprüfung von vermuteten Zusammenhängen ganz besonders nahe, da angesichts der zu untersuchenden Verhältnisse die experimentelle Methodik nicht durchweg möglich war. Das gilt in besonderem Maße für die an Menschen kaum mögliche (experimentelle) Überprüfung von großräumigen und langzeitigen Effekten. Angesichts der in jüngster Zeit immer stärker geforderten «naturalistischen» Forschungsmethodik, zumindest der Verwendung nicht-reaktiver Verfahren in den Umweltwissenschaften (vgl. W E B B e t a l . ; WILLEMS & R A U S H 1 9 6 9 ; B R A N D T

1972), wäre gegen die anfängliche Dominanz von Korrelationsstudien nichts einzuwenden. Leider sind diese hier zu referierenden Korrelationsstudien kaum als im engeren Sinne verhaltenswissenschaftliche zu bezeichnen, handelt es sich doch fast ausschließlich um die statistische Aufbereitung von zu anderen Zwecken archivierten Daten. Andererseits leidet die Psychologie als Wissenschaft vom Verhalten, wie es einer der führenden Vertreter ihrer ökologischen Orientierung immer wieder kritisiert hat, im allgemeinen an der Unkenntnis über die Verteilung von verhaltensrelevanten Daten in der Welt, speziell fehlen ihr Informationen über die Umweltspezifität des ihr aus Laborexperimenten bekannten Verhaltens (vgl. BARKER 1 9 6 8 ; 1969). Für die Weiterentwicklung der ökologischen Perspektive in der Psychologie ist es deshalb besonders wichtig zu überprüfen, welche dieser Archivdaten umweltpsychologisch bedeutsam sind, und welche Art der Datenverarbeitung wissenschaftlich vertretbar ist. Tatsächlich litten und leiden manche der besagten Korrelationsstudien an methodischen Mängeln, vornehmlich zweierlei Art: a) an der Konfundierung von Variablen, b)an unzulänglicher statistischer Kontrolle. ad a) Wenn z. B . SCHMITT ( 1 9 5 7 ) in Honolulu fünf verschiedene Dichtemaße (Personen pro acre 4, Anzahl der Wohnungen mit = 1 . 5 1 Person pro Zimmer, durchschnittl. Haushaltsgröße, Ehepaare ohne eigenen Haushalt) mit Maßen der Jugendlichen- und Erwachsenenkriminalität

14

korreliert, so läßt er über der Häufung von Dichtemaßen völlig ungeprüft, welche anderen sozialen Indices konfundierend in sie eingehen, wie z. B. Einkommen, Schichtzugehörigkeit, Bildungsstand. Wenn SCHMITT in einer späteren Untersuchung (1966) dieses Versäumnis dadurch gutzumachen sucht, daß er Einkommen und Bildungsstand über partielle Korrelationen kontrolliert, so muß ihm mit FREEDMAN et al. (1971) vorgeworfen werden, daß die von ihm verwendeten Indices die wirklichen Verhältnisse unzureichend abbilden, so die Einkommenshöhe lediglich durch zwei Einkommensklassen. Im übrigen ist die mangelhafte Definition sogenannter sozioökonomischer Kategorien (Schicht, Klasse, Status, Bildungshintergrund) eine bekannte Schwäche vieler sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. ad b) Eine unzulängliche statistische Kontrolle charakterisiert demgegenüber gerade diejenigen Untersuchungen, die mit Hilfe partieller Korrelationen mehrere Variablen «auszufiltern» versuchen, so WINSBOROUGH ( 1 9 6 5 ) u. a. die Variablen: Anteil der Berufstätigen in Facharbeiter-, technischen u. ä. Berufen, mittleres Familieneinkommen, durchschnittliche Dauer des Schulbesuches, Prozentsatz der Einwanderer, mittleres Alter, durchschnittlicher Mietzins, Anteil der Wohnungen ohne fließendes Wasser, ohne Bad oder in verkommenem Zustand. WINSBOROUGH fand immer noch eine positive Korrelation (.33) mit Säuglingssterblichkeit, aber Gesamtsterblichkeit, Tuberkulose-Inzidenz und Fürsorgequote korrelierten dann mit Dichte alle negativ. Die Fragwürdigkeit dieser Ergebnisse kritisierten wiederum FREEDMAN et al. (1972): «Partielle Korrelationen, bei denen mehr als ein Faktor eliminiert wird, sind meist schwierig zu interpretieren. Da jeder Faktor sowohl mit Dichte wie mit den anderen Faktoren korreliert, besteht die Möglichkeit, daß die Auswirkung beispielsweise des ökonomischen Niveaus gewissermaßen mehr als einmal beseitigt wird» (p. 10). Doch auch wenn angesichts der Unbestimmtheit der Kategorien, der Konfundierung von Variablen und der oft inadäquaten Statistik eine

Kruse: Crowding

ganze Reihe der Korrelationen mit Dichte fragwürdig erscheint, so zeigen spätere differenziertere Korrelationsstudien, daß gleichwohl Dichte ein ernstzunehmender Faktor verschiedener sozialer Auffälligkeiten ist (vgl. GALLE et al. 1 9 7 3 ) . Mit den sozialen Auffälligkeiten ist denn auch die dominierende Thematik dieser Korrelationsstudien angezeigt. Sie handeln überwiegend vom Einfluß der Dichte auf die verschiedensten Manifestationen sozialer «Anomie» bzw. «Pathologie»: soziale Desorganisation, Krankheit, Kriminalität. Wie aus der engen Verwandtschaft der Dichteproblematik mit der älteren Massenproblematik (s. o.) naheliegt, kam als erster mutmaßlicher Dichteeffekt die Kriminalität und jugendliche Delinquenz in den Blick. SCHMID ( 1 9 3 7 ; 1 9 6 0 ) fand eine höhere Kriminalitätsrate in den Gettos und Kerngebieten von Minneapolis und Seattle als in den Randgebieten dieser Städte, ein Ergebnis, das auch für andere Großstädte bestätigt wurde (vgl. BORDUA 1 9 5 8 ; GALLE e t a l . 1 9 7 3 ; LANDER 1 9 5 4 ; LOTTIER 1 9 3 5 - 3 9 ; SCHMITT 1 9 5 7 ; 1 9 6 6 ; SHAW & M C K A Y 1 9 4 2 ; WATTS 1 9 3 1 ) , und gleicherweise scheinen die höheren Kriminalitätsraten in großen im Vergleich zu kleinen Städten gut belegt zu sein (vgl. National Commission on the Cause and Prevention of Violence 1970). Bei diesen beiden Befunden ist jedoch unklar, welcher Varianzanteil auf die Dichte im engeren Sinne fällt. So konnten denn auch SHAW & M C K A Y ( 1 9 4 2 ) und SCHMID ( 1 9 6 0 ) keine oder nur eine geringe Beziehung zwischen Kriminalität und Dichte feststellen, während SCHMITT (1957) eine hohe Korrelation zwischen beiden Bedingungen fand.

Was für das angebliche Dichtekorrelat Kriminalität gilt, trifft auch für somatische und psychische Krankheiten zu. SCHMIDS Kriminalitätsbefunden vergleichbar fanden auch FARIS & DUNHAM ( 1 9 3 9 ) eine Konzentration psychischer Krankheiten in den städtischen Kerngebieten, ähnlich auch LAIRD ( 1 9 7 3 ) , der Psychosehäufigkeit und Drogenmißbrauch in städtischen und ländlichen Gebieten verglich. Weitere Daten über die Beziehung zwischen Dichte und psychiatrischen Erkrankungen finden sich bei LAN-

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1975, 6, 2 - 3 0

DIS & P A G E ( 1 9 3 8 ) ; L A N T Z ( 1 9 5 3 ) ;

HOLLINGS-

HEAD & R E D L I C H ( 1 9 5 8 ) u . a . M A R T I N ( 1 9 6 7 ) referiert verschiedene signifikante Korrelationen zwischen Übervölkerung und Häufigkeit verschiedener Krankheiten. Aus diesem Bericht, der im großen und ganzen die Beziehung zwischen Krankheit auf der einen, sozioökonomischen Bedingungen, Übervölkerung und Luftverschmutzung auf der anderen Seite bestätigt sieht, wird jedoch zugleich die Schwierigkeit deutlich, die Übervölkerung als unabhängige Determinante zu isolieren. Wenn beispielsweise frühere epidemiologische Untersuchungen eine enge Beziehung zwischen Rheuma-Inzidenz und Übervölkerung feststellten, spätere jedoch eine noch höhere Korrelation zwischen der Häufigkeit rheumatischer Beschwerden und Schichtzugehörigkeit, wird wiederum deutlich, wie leicht Dichte mit anderen sozialen Variablen konfundiert werden kann. So muß auch M A R T I N sein epidemiologisches Sammelreferat mit dem Hinweis auf methodische Schwierigkeiten und der Mahnung zu vorsichtiger Interpretation aller Befunde beschließ e n (1967, p. 18).

fand 1 9 6 6 in seiner Untersuchung der Honolulu Standard Metropolitan Statistical Area eine mittlere (multiple) Korrelation von 0.77 zwischen Dichte und den von ihm verwandten Indikatoren sozialer Desorganisation und Pathologie (u. a. Sterblichkeitsrate, Säuglingssterblichkeit, Selbstmordrate sowie Inzidenzraten für Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, hospitalisierte Geisteskrankheiten, uneheliche Geburten usw.). Berücksichtigt man die verschiedenen von ihm verwendeten Dichtemaße, so korreliert eindeutig das M a ß für Außendichte (Person pro acre) höher mit den genannten Indices als die Maße für Innendichte. Andere Befunde können dies jedoch nicht bestätigen. Während GALLE et al. die Anzahl der Personen pro Zimmer für die wichtigste Dichtekomponente halten, ist es für CHOMBART DE L A U W E ( 1 9 5 9 ) die Größe Quadratmeter Wohnfläche pro Person. Die Kritik an den oft recht groben Maßen für die verschiedenen Formen von Pathologie sowie an den benutzten KorreSCHMITT

15

lationsverfahren läßt in neuerer Zeit manche Wissenschaftler zu dem Schluß kommen, daß keine Beziehung zwischen Dichte und Krankheit aufzuweisen ist (vgl.z.B.DE G R O O T et al. 1 9 7 0 ) . Auch die Beziehung zwischen Dichte und den verschiedenen Formen sozialer Desorganisation (speziell der Familie) sind alles andere als eindeutig. Während LORING ( 1 9 5 6 ; 1 9 6 4 ) hohe Innen- und Außendichte als Determinante sozialer Desorganisation ansetzt (vgl. auch C H O M DART DE L A U W E 1 9 5 9 ; SCHORR 1 9 6 3 ; G A L L E e t

al. 1973) wird von anderen Autoren die Eindeutigkeit dieser Beziehung in Frage gestellt (vgl. MITCHELL 1 9 7 0 ; 1 9 7 1 ) . Tatsächlich dürfte hier größtes Gewicht sogenannten Moderatorvariablen zugemessen werden, die als mögliche, aber nicht notwendige Auswirkungen hoher Dichte auch als mögliche, aber nicht notwendige Bedingungen der Störung bzw. Anomalie sozialen Verhaltens fungieren können. Als solche kommen in Frage: Belastbarkeit, Reizbarkeit, Kontakthäufigkeit, Erziehungsstil, privacy. Außerdem ist hier, wie aus dem Vergleich von Untersuchungen in asiatischen und westlichen Ballungsräumen eindeutig hervorgeht, mit einer hochgradigen Kulturspezifität und Schichtspezifität des Sicheinrichtens auf engem Raum zu rechnen (vgl. SCHMITT 1 9 6 3 ; sowie W I L N E R & BAER 1 9 7 0 ) . So ergaben auch Untersuchungen in den Slumgebieten Bostons (vgl. F R I E D & GLEICHER 1 9 6 1 ; G A N S 1 9 6 2 ; JACOBS 1 9 7 1 ) ,

daß

räumliche Dichte, die für mittelständische Angelsachsen leicht unerträglich wird, für Unterschichtangehörige mediterraner Herkunft kein Grund zur Klage bzw. kein Motiv zum Umzug ist. Entscheidend ist die auf eine bestimmte Kontaktdichte angewiesene Sozialstruktur, die u. U. bei der Umsiedlung solcher Slumbewohner in großzügigere räumliche Verhältnisse zerstört wird, wodurch sich das scheinbare Paradoxon ergibt, daß soziale Desorganisation eine Folge der Aufhebung hoher Wohndichte ist! Allerdings darf man wohl auch nicht übersehen, daß der Mensch - worauf D U B O S ( 1 9 6 5 ; 1 9 6 9 ; 1971) immer wieder hingewiesen hat — eine ungeheure Fähigkeit hat, sich auch an potentiell gefährliche Bedingungen anzupassen und bereit

16

Kruse: Crowding

ist, Unerträgliches zu ertragen, Unakzeptables zu akzeptieren.

m e n g e ) ( R O H E & PATTERSON 1 9 7 4 ) , G e s c h l e c h t ( F R E E D -

MAN et al. 1972; R o s s et al. 1973; SAEGERT 1973 b; STOKOLS et al. 1973), K r a n k h e i t vs. G e s u n d h e i t v o n V p n ( H Ü T T & VAIZEY 1 9 6 6 ) .

EXPERIMENTELLE

Abhängige Variablen: physiologische Maße (SAEGERT 1973 b), subjektive Erfahrung von crowding (SAEGERT

UNTERSUCHUNGEN

Lassen schon die Korrelationsstudien wenig Hoffnung, künftig noch von eindeutigen oder gar einsinnigen Dichteeffekten zu sprechen, so trifft dies in verstärktem Maße für die experimentelle Erforschung dieses Gebietes zu. Versucht man, die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen allgemein zusammenzufassen, kann man sagen, daß Dichte keine oder nur sehr geringe Auswirkungen auf die Leistungen in einer Aufgabensituation hat, wohl aber auf interpersonales Verhalten sowie Selbst- und Fremdeinschätzung. Dabei ist die Richtung der Effekte jedoch keineswegs einsinnig. So werden mit steigender Dichte sowohl vermehrte wie verminderte Aggressivität, mehr oder weniger positive soziale Interaktionen gefunden. Allerdings muß man dabei die z. T. bereits erwähnten Faktoren im Auge behalten, die mögliche Dichteeffekte kaschieren: Die Versuchspersonen befinden sich nur kurze Zeit in der Dichtesituation - zwischen 5 Min. (Ross 1973) und 4 Stunden (FREEDMAN et al. 1971) - und wissen außerdem meistenteils, daß die Zeit der Dichtesituation begrenzt ist. In den meisten Experimenten, ausgenommen solche, die mit Kindergartenkindern etc. arbeiten, ist es den Versuchspersonen bewußt, daß sie an einem Experiment teilnehmen. Zudem ist die Situation für sie meistens strukturiert im Hinblick auf das, was in der Zeit gemacht werden soll, jedoch unstrukturiert im Hinblick auf die sozialen Beziehungen in der Versuchspersonengruppe, zwei Bedingungen, die möglicherweise einander neutralisieren. In den Experimenten wurden im einzelnen folgende Variablen untersucht: Unabhängige Variablen: räumliche und soziale Dichte (getrennt und kombiniert) (s. u.), Temperatur ( z . B . GRIFFIT & VEITCH 1 9 7 1 ) , i n t e r p e r s o n a l e

Distanz

1 9 7 3 b ; STOKOLS e t a l .

1973;

VALINS &

BAUM

1973),

E m o t i o n a l i t ä t (BAXTER & DEANOVICH 1 9 7 0 ; FREEDMAN et al.

1972;

KUTNER

1973;

SAEGERT 1 9 7 3 b ; SMITH

HAYTHORN 1972), Selbst- u n d F r e m d e i n s c h ä t z u n g

&

der

V p n (FREEDMAN e t a l . 1 9 7 2 ; GRIFFITT & VEITCH 1 9 7 1 ;

KUTNER 1973; R o s s e t a l . 1973; SAEGERT 1 9 7 3 b; STOKOLS e t a l . 1 9 7 3 ) , L e i s t u n g s m e n g e

und -güte

(FREED-

MAN e t a l . 1 9 7 1 ; SAEGERT 1 9 7 3 a , b ; STOKOLS e t a l . 1 9 7 3 ) ,

soziales bzw. antisoziales Verhalten (BICKMAN et al. 1973; HÜTT

FREEDMAN &

MCGREW

etal.

MCGREW 1970;

1972;

1967;

ROHE

HÜTT

KXLIN

&

&

VAIZEY

1972;

PATTERSON

1966;

Loo

1974;

1972;

STOKOLS

et al. 1973).

Die Dichtebedingung wird in den Experimenten entweder als soziale Dichte (Variation der Gruppengröße bei konstanter Raumgröße), als räumliche Dichte (Variation der Raumgröße bei konstanter Gruppengröße) oder als Kombination räumlicher und sozialer Dichte manipuliert. Räumliche Dichte wird manipuliert oder kontroll i e r t b e i : BAXTER & DEANOVICH ( 1 9 7 0 ) ; FREEDMAN e t a l . ( 1 9 7 2 ) ; H Ü T T & M C G R E W ( 1 9 6 7 ) ; L o o ( 1 9 7 2 ) ; ROHE & PATTERSON ( 1 9 7 4 ) ;

Ross

etal.

(1973);

STOKOLS

etal.

(1973).

Soziale

Dichte wird manipuliert oder kontrolliert

b e i : DESOR ( 1 9 7 2 ) ; GRIFFITT & VEITCH ( 1 9 7 1 ) ;

HÜTT

& VAIZEY ( 1 9 6 6 ) ; KALIN ( 1 9 7 2 ) ; SAEGERT ( 1 9 7 3 a ) .

Soziale

und räumliche

Dichte werden variiert bei

FREEDMAN e t a l . ( 1 9 7 2 ) ; KUTNER ( 1 9 7 3 ) ; P . L . M C G R E W ( 1 9 7 0 ) ; W . C . M C G R E W ( 1 9 7 0 ; 1 9 7 2 ) ; SAEGERT ( 1 9 7 3 b ) ; SMITH & HAYTHORN ( 1 9 7 2 ) .

Bei der Darstellung der Experimente sollen in besonderem Maße berücksichtigt werden die Auswirkungen von Dichte auf interpersonales Erleben und Verhalten, die unterschiedlichen Effekte räumlicher und sozialer Dichte und schließlich die Differenzierung zwischen Dichte, crowding, als subjektive Erfahrung von Dichte, und den Auswirkungen dieser Erfahrung auf andere kognitive Prozesse und Verhaltensweisen. Eine der ersten Fragestellungen, die im Umkreis unseres Themas experimentell untersucht wurde, betraf die Auswirkungen räumlicher und/oder sozialer Dichte auf das soziale Verhalten von Kindern:

und

HÜTT & VAIZEY (1966) u n t e r s u c h t e n den E i n -

-Schwierigkeit (FREEDMAN et al. 1971), Aufgabensituation (kooperativ, kompetitiv) (STOKOLS et al. 1973), Möglichkeit visueller Kommunikation (KUTNER 1973), Raumform (DESOR 1972), Ressourcen (z. B. Material-

fluß «sozialer» Dichte - ein Begriff, der zur Zeit dieser Untersuchung noch nicht existierte, sondern erst durch W. C. MCGREWS Differenzie-

(KUTNER 1973; R o s s

et al.

1973); A u f g a b e n a r t

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 2 - 3 0

rung 1970 eingeführt wurde - auf das Verhalten beim Spielen von Gruppen autistischer, hirngeschädigter und normaler Kinder im Alter zwischen 3 und 8 Jahren. Dieselbe Spielfläche von 8,1 m x 5,25 m wurde von Gruppen mit weniger als sechs, sieben bis elf oder über zwölf Mitgliedern benutzt. Normale und hirngeschädigte Kinder waren in größeren Gruppen aggressiver und zeigten - vor allem die normalen - weniger positive soziale Interaktionen. Autistische Kinder zogen sich zudem mit steigender Dichte immer mehr aus der Gruppe zurück und verbrachten mehr Zeit an der Peripherie des Raumes. Ob hier allerdings ein Dichteeffekt vorliegt, läßt sich kaum interpretieren, angesichts der Tatsache, daß mit steigender Gruppengröße die Spielzeugmenge gleich blieb. So ist es nicht weiter erstaunlich, daß mehr Aggression und Streit um Spielzeug beobachtet wurden. Ähnlich sind auch Versuchsdesign und Ergebnisse bei KÄLIN (1972). Seine von 5, dann auf 11 und schließlich auf 17 Mitglieder erweiterten Kindergartengruppen 4- bis öjähriger Kinder zeigten ein signifikant zunehmendes Maß an Aggression bei abnehmender sozialer Interaktion. Uber verfügbare Spielzeugmengen wird in dieser Studie nichts berichtet; da es sich jedoch um einen normalen Kindergartenraum handelte, darf man annehmen, daß auch für die größte Kindergruppe genügend Spielzeug vorhanden war. Das experimentelle Design ist jedoch insofern zu kritisieren, als die Kinder unterschiedlich lang am Spielgeschehen beteiligt waren. Dadurch legt sich die Interpretation nahe, daß die Abnahme sozialer Interaktionen in der letzten Spielphase auf die Ermüdung der am längsten spielenden Kinder zurückzuführen ist. In einer weiteren Studie, in der diesmal die räumliche Dichte variiert wurde, stellen H Ü T T & M C G R E W (1967) fest, daß die Anzahl von positiven Interaktionen zwischen den Kindergartenkindern und zwischen Kindern und Kindergärtnerinnen zunahmen. Teilweise abweichende Ergebnisse findet auch Loo (1972) in bezug auf aggressives Verhalten bei 4- bis 5jährigen Kindern, die in Sechsergruppen entweder eine 25 m 2 oder eine 8 m 2 große Spielfläche zur Verfügung hatten. Hier wurde auf

17 der kleineren Spielfläche signifikant weniger aggressives Verhalten beobachtet, allerdings auch - analog den Befunden H Ü T T & VAIZEYS (1966) und KÄLINS (1972) - weniger soziale Interaktionen. Loo erhielt zudem einen signifikanten Geschlechtereffekt: Die Jungen waren in der Situation großer Dichte weniger aggressiv als Mädchen. Die Interrater-Reliabilität, über die in anderen Untersuchungen nichts berichtet wird, ist bei Loo sehr niedrig. Und so darf denn auch nicht ausgeschlossen werden, daß ein Beobachterbias für die Inkonsistenz mancher Ergebnisse verantwortlich ist. Eine Abnahme des «sozialen» sowie eine Zunahme «solitär passiven» Verhaltens fanden auch ITTELSON et al. (1970a, b) auf psychiatrischen Stationen in Beziehung zur Größe der Schlafsäle (Anzahl der Betten), wobei jedoch, da es sich hier um eine Beobachtung einer «natürlichen» Umweltsituation handelt, nicht auszumachen ist, ob die Anzahl der Patienten pro Saal oder die räumliche Dichte dafür verantwortlich sein kann. Das Problem der oben vermuteten Konfundierung von Dichte und Spielzeugmenge wird in der Untersuchung von ROHE & PATTERSON (1974) aufgegriffen, wenn sie in einem 2 x 2 Design räumliche Dichtebedingungen und Ressourcenmenge unabhängig voneinander variieren. Zwölf Kinder zwischen 2 und 5 Jahren durften einmal in einem kleinen (2,2 m 2 pro Kind), einmal in einem großen Raum (4,5 m 2 pro Kind) spielen, der entweder viel oder wenig Beschäftigungsmaterial (z. B. 80 vs. 40 Bauklötze, 6 vs. 3 Puzzlespiele, 8 vs. 4 Bleistifte) enthielt. Es ergab sich, daß hohe Dichte eher mit aggressivem, destruktivem und unproduktivem Verhalten einherging und reichhaltige Ressourcen eher mit kooperativem, konstruktivem und sozial-assoziativem Verhalten. Analysierte man jedoch die Interaktion von Dichte und Menge der Ressourcen, zeigte sich ein starker Anstieg kooperativen und nur ein geringer Anstieg destruktiven Verhaltens bei hoher Dichte, wenn genügend Material zur Verfügung stand. Als mögliche Erklärung für die Zunahme des kooperativen Verhaltens bieten die Autoren an,

18 daß die größere räumliche Nähe der Materialien mehr Funktions- und Kombinationsmöglichkeiten nahelegte und neue Spielaktivitäten förderte. Solche Ergebnisse lassen sich als Hinweis darauf verstehen, daß negative Auswirkungen von reiner Dichte sich abschwächen oder modifizieren lassen, wenn in der Dichtesituation genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Handelte es sich hier um die Rolle von Ressourcen in Form von Materialien, so untersuchte DESOR (1972), wie die Auswirkung reiner Raumgröße durch architektonische Momente, wie Raumform, Raumteiler, Anzahl von Türen beeinflußt werden kann. Er ließ seine Versuchspersonen Modellräume verschiedener Größe und je unterschiedlicher Ausstattung mit Stoffpuppen, die als Menschen bei einer Cocktailparty, auf einem Flughafen wartend, für sich lesend oder in Konversation vorzustellen waren, solange anfüllen, bis ihnen der Raum überfüllt vorkam. Die Ergebnisse zeigten, daß mehr Menschen in einem Raum plaziert werden, wenn der Raum verschiedene Arten von Raumteilern, weniger Türen und eine rechteckige Form (im Vergleich zu einer quadratischen) hatte. Für kleinere Räume wurden größere Dichten für adäquat gehalten als für größere, was als Hinweis dafür angesehen wird, daß die Gruppengröße unabhängig vom verfügbaren Raum pro Person als bedeutsam für das Erleben von Dichte angesehen wird. Demgegenüber sieht W. C. MCGREW (1970) die Effekte von Dichte eher im Zusammenhang mit dem Problem der Einhaltung bestimmter optimaler zwischenmenschlicher Distanzen. Sie beobachtete das freie Spiel von Kindergruppen, die entweder aus 8 - 1 0 oder 1 6 - 2 0 Kindern bestanden, in einem Raum von 72 m 2 bzw. 55 m 2 Größe. In den vier Dichtebedingungen standen also pro Kind ca. 8.8 m 2 oder 7.15 m 2 in den kleineren sowie 4.7 m 2 bzw. 3.6 m 2 in den größeren Gruppen zur Verfügung. Als unabhängige Variablen wurden interpersonale Nähe zu den anderen Kindern, Nähe zu anwesenden Erwachsenen sowie solitäres Spiel untersucht. MCGREW fand (1), daß in den Situationen niedriger Dichte die Kinder näher zusammenblieben als nach

Kruse: Crowding

dem Zufall zu erwarten gewesen wäre, (2), daß diese Nähe zueinander noch zunahm, wenn höhere Dichte rein räumlich hergestellt wurde, nicht aber, wenn sie durch Vergrößerung der Kinderzahl als soziale Dichte induziert wurde. Sie interpretiert diese Ergebnisse im Hinblick auf Befunde zum «personalen Raum» (s. o.), die besagen, daß es optimale interpersonale Distanzen für bestimmte Situationen gibt. Und so wurden auch in diesen Kindergruppen bestimmte Distanzen eingehalten, unabhängig von der Anzahl der Kinder pro Spielfläche. Eine Reihe experimenteller Untersuchungen befaßt sich mit der Auswirkung von Dichte auf emotionale Reaktionen, die Selbsteinschätzung der Vpn sowie interpersonales Erleben und Verhalten. Bei SMITH & HAYTHORN (1972) wurden ebenso wie bei den verschiedenen Untersuchung e n P. L. u n d W . C. MCGREWS R a u m g r ö ß e und

Gruppengröße unabhängig voneinander variiert, allerdings in kleinen Grenzen, dafür jedoch über lange Zeit hinweg. Gruppen von 2 oder 3 Mann lebten 21 Tage lang in relativer Isolierung unter einer hohen (= 2.12 m 3 pro Person) oder niedrigen (5.66 m 3 ) Dichtebedingung. Die für unseren Kontext wesentlichen Befunde waren (1) ein Gruppengrößeneffekt: Triaden zeigten weniger subjektiven Streß und Ärger über die physische Umwelt und waren besser angepaßt als Dyaden; (2) zeigte sich ein Gruppengröße x Dichte-Effekt: In der Situation größerer Dichte zeigten die Triaden mehr Streß und Angst als die Dyaden, in den weniger dichten Bedingungen waren sie jedoch weitaus besser angepaßt als die Dyaden; (3) ergab sich ein unerwarteter Dichteeffekt: Bei geringerer Dichte wurde mehr Feindseligkeit gegenüber Partnern empfunden als bei hoher Dichte. Der scheinbare Vorteil von Dreiergruppen für das Zusammenleben in sozialer Isolierung wird dann aufgehoben, wenn räumliche Enge als Bedingung hinzutritt. Mehr Angst, negative Affekte und weniger Sympathie für den Partner als Folge von Dichte waren die Ergebnisse der Experimente von ALBERT & DABBS ( 1 9 7 0 ) ; BAXTER &

DEANOVICH

(1970); DABBS (1970, 1971); GRIFFITT & VEITCH (1971); KUTNER (1973); Ross et al.

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(1973), Experimente, die nur im Hinblick auf die abhängigen Variablen einen Vergleich erlauben, im übrigen aber sehr unterschiedlichen Designs sind. Neben Dichte manipulierten GRIFFITT & VEITCH (1971) auch die Temperatur als unabhängige Variable, wobei Wärme und Dichte dieselben Wirkungen hatten, jedoch kein Interaktionseffekt von Dichte x Temperatur gefunden wurde. In der Untersuchung von Ross et al. (1973) tritt ein bedeutsamer Geschlechtereffekt auf, der auch in anderen Untersuchungen bestätigt wird: Die männlichen Vpn schätzten sich und andere in der Situation geringerer Dichte positiver ein, während die weiblichen Vpn dies in der Situation größerer Dichte taten. In STOKOLS' et al. (1973) Experimenten erlebten sich die männlichen Vpn als signifikant aggressiver im kleinen Raum, also bei hoher Dichte, die weiblichen Vpn dagegen dort weniger aggressiv als im großen Raum bei geringerer Dichte. Außerdem empfanden die weiblichen Vpn den kleinen Raum als gemütlicher als den großen, während die männlichen Vpn den kleinen Raum als kahl und unwirtlich beurteilten. FREEDMAN et al. (1972) fanden in einem ersten Versuch, daß männliche Vpn kompetitiver in kleinen, weibliche Vpn dagegen in großen Räumen waren. Die Härte eines Urteilsspruchs wurde in einem zweiten Versuch als abhängige Variable gemessen. Hier zeigten die männlichen Vpn mehr Milde in großen, die weiblichen Vpn in kleinen Räumen. Die Interpretation solcher Befunde ist nicht einfach. FREEDMAN et al. bieten verschiedene Erklärungsmöglichkeiten dafür an, daß Dichte von weiblichen Personen positiver empfunden wird, daß sie weniger Aggression oder Wettbewerb zeigen als männliche Personen: (a) Es gibt angeborene Unterschiede in bezug auf räumliches Verhalten und das Einhalten interpersonaler Distanzen. Allerdings würde diese Hypothese nicht die positive Reaktion der Frauen in der Situation hoher Dichte erklären, (b) Männer sind aktiver als Frauen und brauchen mehr Raum, fühlen sich eher unbehaglich, wenn dieser Raum eingeschränkt wird. Auch hier kann die positive Reaktion nicht erklärt

19 werden, (c) Männer und Frauen lernen in unserer Gesellschaft, unterschiedliche Erwartungen in bezug auf physische Nähe und Kontakt zu haben. Enge physische Nähe ist eher für Frauen als für Männer angemessen (vgl. auch die oben zitierten Befunde zum «personalen Raum»). Demnach würden die Frauen auf große zwischenmenschliche Nähe positiv reagieren und sie als Beweis von Sympathie, Freundschaft interpretieren, (d) Crowding aktiviert oder intensiviert typische Reaktionen auf bestimmte Situationen: "If the subject is expecting to have a good time he will have a better time under crowded than uncrowded conditions; if he is expecting to be threatened he will feel more threatened under crowded than not-crowded conditions and so on" (FREEDMAN et al. 1972, p. 545). Wenn hinzukommt, daß Frauen eine Gruppe anderer Frauen allgemein eher positiv und freundlich erlebt, Männer andere Männer bedrohend, so müßte man angesichts der experimentellen Befunde schlußfolgern, daß Männer und Frauen nicht unterschiedlich auf Dichte per se reagieren, sondern daß sie unterschiedlich auf ihre eigenen Geschlechtsgenossen reagieren und diese Reaktion lediglich durch Dichte verstärkt wird. Die Erleichterung typischer, gut gelernter Responses im Zustand erhöhter Aktivation ist ein Bestandteil der Theorie der «sozialen Erleichterung», wie sie zuerst von ALLPORT (1924) und schließlich von ZAJONC (1965) konzipiert worden ist. Sie bildet die Grundlage für zwei weitere Experimente (FREEDMAN et al. 1971 und SAEGERT 1973b), in denen die Auswirkung von Dichte auf die Leistung untersucht werden sollte. Der These der «sozialen Erleichterung» entsprechend, daß durch die Anwesenheit anderer in einer Situation das Aktivationsniveau der einzelnen ko-agierenden Individuen erhöht und dadurch die Lösung einfacher, gut gelernter Aufgaben erleichtert, die Lösung komplexer Aufgaben jedoch erschwert wird, bilden FREEDMAN et al. (1971) die Hypothese, daß große Dichte diesen Effekt noch verstärkt. Dichte wird hier konzipiert als «aversiver Reiz», der ein höheres Aktivationsniveau bewirkt. Die Ver-

20 suchsbedingungen sahen vor, daß unter verschiedenen räumlichen und sozialen Dichtebedingungen (5 oder 9 Vpn in ca. 15 m 2 , 7,5 m 2 oder 3,2 m 2 großen Räumen) mehrere Aufgaben ausgeführt werden mußten: 20minütige Gruppendiskussion, Durchstreichaufgabe, Wortbildungsaufgabe, divergentes und kreatives Denken (verschiedene Möglichkeiten des Objektgebrauchs), Gedächtnisaufgabe, Konzentrationsaufgabe und schließlich nochmals das Denkproblem, diesmal als Gruppenaufgabe. Die Dauer betrug ca. 4 Stunden, alle Vpn durchliefen alle (räumlichen) Dichtebedingungen an 3 aufeinanderfolgenden Tagen. Die Befunde ergaben keinerlei signifikante oder auch nur der Tendenz nach abzusichernde Auswirkungen der einzelnen Dichtebedingungen auf die Leistungen bei den verschiedenen Aufgaben. Auch in einem zweiten und dritten Experiment mit geringfügig veränderten Untersuchungsbedingungen, einmal mit 306 High School-Schülern, das andere Mal mit 180 Frauen zwischen 25 und 60 Jahren, die über eine Arbeitsvermittlungsstelle angeworben waren, wurden keine Leistungsunterschiede als Folge unterschiedlicher Dichtebedingungen gefunden. SAEGERT (1973b) kritisiert die Versuchsanlage FREEDMANS et al. in zweierlei Hinsicht: (1) Da die verwendeten Aufgaben noch in keinem Experiment zur «sozialen Erleichterung» verwendet worden waren, war nicht sicher, ob die Aufgaben wirklich «aktivationsempfindlich» waren; (2) bedingt durch die Art der Aufgaben sowie das räumliche Arrangement wurden soziale Stimulierung und räumliche Restriktion auf ein Minimum begrenzt; wenn es jedoch zu sozialer Interaktion kam, so nur in einer aufgabenorientierten, kooperativen Situation. SUSAN SAEGERT hatte sich mit ihrer bisher unveröffentlichten Untersuchung das doppelte Ziel gesetzt, a) die Auswirkung von Dichte auf verschiedene physiologische und psychologische Aktivationsindikatoren, auf Emotionalität (Angst, Stimmung) sowie die soziale Orientierung gegenüber anderen festzustellen, und b) zu klären, ob soziale und räumliche Dichte unterschiedliche Effekte hervorrufen. Sie arbeitete mit einander

Kruse: Crowding

fremden Versuchspersonen, die entweder allein, zu zweit, zu viert oder zu zwölft Aufgaben zu lösen hatten, und zwar in reiner Ko-aktion mit ausreichenden Ressourcen, so daß Wettbewerb untereinander nicht angezeigt war. Zwei verschiedene Dichtebedingungen v o n 0,6 m 2 bzw. 2,2 m 2 R a u m pro Person wurden geschaffen. Als Aktivationsindikatoren dienten als physiologisches Maß Handschweiß, als psychologisches Maß die Menge der zu einem Reizwert assoziierten Wörter - eine durch andere Versuche als geeignet ausgewiesene Aufgabe. D e m Wortassoziationstest ging eine «Kartenaufgabe» voran, bei der jedes Gruppenmitglied 200 bestimmte Karten, die an den Wänden befestigt waren, einzusammeln hatte. Diese nur als zeitfüllender Vorspann gedachte A u f g a b e diente gleichzeitig dazu, die Vpn sozialer bzw. kognitiver Reizung auszusetzen und, je nach Situation, auch Bewegungsrestriktionen fühlbar werden zu lassen. Z u m Abschluß des Experiments hatten sich die V p n auf einer Eigenschaftsliste für Stimmungen (NOWLIS M o o d Adjective List) einzustufen, die Skalen zu Konzentration, Müdigkeit, Energie, Angst, Beschwingtheit, Niedergeschlagenheit, Aggression, Skeptizismus usw. enthielt, und verschiedene Fragen zu beantworten, die sich auf den Raum, die A u f gaben, auf das Verhältnis zu den anderen Mitgliedern bezogen.

Folgende Ergebnisse werden berichtet: Steigende Dichte wirkte sich, wie vorhergesagt, auf die Aktivationshöhe aus, wobei sich räumliche Dichte nur auf das Maß Handschweiß, die soziale Dichte auch auf die Menge der Wortassoziationen auswirkte. Erhöhte Aktivation war jedoch nicht mit negativen Reaktionen auf anderen Meßinstrumenten gekoppelt. SAEGERT interpretiert dies als Fehlen von Streß und sieht damit FREEDMANS et al. (1971) Annahme, daß Dichte als aversiver Stimulus fungiert, nicht bestätigt. Im ganzen findet SAEGERT mehr Effekte, die auf soziale Dichte zurückzuführen sind (etwa schlechtere Leistung, sich mehr durch andere gestört fühlen etc.). Beide Arten von Dichte wirkten sich auf Wettbewerb und den Wunsch nach mehr Raum aus. Positive oder negative Gefühle in bezug auf Situationen oder Aufgaben waren nicht durch Dichtemanipulationen beeinflußbar. Das heißt, räumliche und soziale Dichte, auch wenn sie nicht als unangenehm wahrgenommen werden, wirken sich auf die Aktivation sowie bestimmte interpersonale Erlebnis- und Verhaltensweisen aus. Ge-

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Schlechtereffekte wurden in dieser Untersuchung nicht gefunden. Die Unterscheidung zwischen Dichte und crowding als subjektives Erlebnis des Beengtseins bilden den Ausgangspunkt des Experiment e s v o n STOKOLS u n d s e i n e n M i t a r b e i t e r n ( 1 9 7 3 ) ,

in dem gezeigt werden sollte, daß crowding nicht nur durch die objektive Dichte in einer Situation, sondern durch die Interaktion von Dichte mit sozialen- und Persönlichkeitsfaktoren bestimmt wird. Als Dichtemaß wurde bei konstanter Gruppengröße die Raumgröße zweifach variiert. Als soziale Variable fungierte die Aufgabensituation (kooperativ vs. kompetitiv) und als Persönlichkeitsfaktor wurden Geschlechtsunterschiede berücksichtigt. Die Autoren stellten folgende Hypothesen auf: 1. Je größer die räumliche Dichte, desto mehr crowding wird erlebt. Der Raum wird als beengend wahrgenommen, und es treten Streßsymptome wie Feindseligkeit, Angst, Unzufriedenheit auf. 2. Diese Reaktionen sind stärker in einer Wettbewerbs- als in einer kooperativen Situation. 3. Frauen erleben weniger Enge und zeigen weniger Streßmanifestationen als Männer in der gleichen Situation (eine Hypothese, die sich auf Befunde von FREEDMAN et al. (1972) und Ross et al. (1973) stützt). Als Aufgabe wurde 70 Minuten ein Quiz veranstaltet, für den es - je nach Aufgabensituation - individuelle oder Gruppenpunkte gab. Als abhängige Variablen wurden crowdingEmpfindungen, körperliches Wohlbefinden, Spaß am Spiel, Angst, Aggressivität, Sympathie gegenüber den Mitspielern durch Fragebogenitems und das Semantische Differential erhoben; außerdem erfaßte man Beobachtungsdaten wie Anzahl der freundlichen Witze, Gelächter der Gruppe und feindselige Kommentare und schließlich wurde noch ein Leistungsmaß berechnet. Die multivariate Analyse der Daten brachte folgende Ergebnisse: Die 1. Hypothese wurde bestätigt; Vpn erlebten mehr Enge im kleinen als im großen Raum. Der kleine Raum

21 wurde als begrenzt, unbequem, wärmer, stickiger erfahren. Diese Erfahrung spiegelte sich jedoch nicht, wie vorhergesagt, in Streßreaktionen wider, mit Ausnahme der von den Vpn berichteten Angst. Crowding wirkte sich weder auf die Aufgabenleistung noch auf die Freude am Spiel, auf die Sympathie gegenüber oder die Beliebtheit von anderen Vpn negativ aus, ein Ergebnis, das die Befunde von FREEDMAN et al. (1971) und SAEGERT (1973b) bestätigt. Die 2. Hypothese, daß mehr Beengtheit in kompetitiven als in kooperativen Situationen erlebt wird, konnte nicht bestätigt werden. Zwei Erklärungen könnten dafür in Frage kommen: a) Der starke Raumgrößeneffekt hat den relativ geringen Aufgabensituationseffekt überlagert, b) Die möglicherweise anfangs empfundene große Beengtheit wurde durch cop/ng-Reaktionen, wie vermehrtes Gelächter etc. überspielt. Einige univariate Analysen ergaben jedoch Hinweise auf mögliche Auswirkungen des sozialen Faktors auf die Erfahrung von crowding: Vpn in der kompetitiven Situation fühlten sich mehr beengt und eingeschränkt, nahmen aber den Raum als wenig beengend wahr. Oder: Die Analyse der Interaktion von Situation x Geschlecht zeigte, daß Frauen im Vergleich zu Männern den kleinen Raum in der kooperativen Situation als beengender wahrnehmen als in der kompetitiven. Weitere geschlechtsspezifische Differenzen sind bereits weiter oben berichtet worden. Daß Frauen kleine Räume gemütlicher empfinden, sich dort wohler fühlen und weniger Aggressionen zeigen als Männer, ist als Befund in unterschiedlichen sozialpsychologischen Experimentalsituationen mehrfach bestätigt worden und läßt den vorsichtigen Schluß zu, daß crowding eine geschlechtsspezifische Angelegenheit ist. Als Zusammenfassung dieser experimentellen Befunde und im Hinblick auf den allgemeinen Stand der Dichteforschung läßt sich mit STOKOLS et al. (1973) festhalten, daß die Wahrnehmung der Umwelt wie auch das Erlebnis des Beengtseins zwar durch soziale und personale Faktoren beeinflußt werden. Die Wahrnehmung eines Raumes als eng oder überfüllt muß jedoch

22

Kruse: Crowding

nicht mit einem Sich-beengt-fühlen gekoppelt sein und sich dann negativ auf Leistung, soziale Orientierung, Selbsteinschätzung etc. auswirken. Nur die Interaktion von Raum-, Persönlichkeitsund sozialen bzw. Situationsvariablen kann als Bedingung von crowding-Eilekien angesetzt werden. Die sich daraus ergebenden Implikationen werden von STOKOLS in einem theoretischen Modell dargestellt. CROWDING ALS M U L T I V A R I A T E S

KONZEPT

(Ansätze zu einer Theorie) Wie das Design des letzten Experimentes erkennen läßt, ist in der psychologischen Erforschung von Dichte und Enge ein weiter Weg zurückgelegt worden von den einfachen univariaten Modellen, wonach physikalische Dichte als solche irgendwelche Verhaltensfolgen hat, zu dem multivariaten Modell, in dem räumliche Dichte nur mehr ein Faktor neben anderen gleichgewichtigen ist. Vor allem ist die Dichteforschung eindeutig psychologischer geworden d u r c h die von KWAN (1967) u n d PROSHANSKY

et al. (1970) vorbereitete und, wie bereits angedeutet, von STOKOLS (1972a, b) eingebrachte Unterscheidung von (räumlicher und sozialer) Dichte und (psychologischem) Beengtsein. Nach STOKOLS ist Beengtsein (crowding) eine erlebnisdeskriptive Kategorie, die den Zustand bezeichnet, der eintritt und als solcher wahrgenommen wird, «wenn der Raumanspruch des einzelnen den verfügbaren Vorrat solchen Raumes übersteigt» (1972a, p. 75). Es ist mit anderen Worten erst die Erkenntnis dieser Differenz, die einen «crowding» genannten psychologischen Streßzustand auslöst, womit das STOKOLSsche zu einem im engeren Sinne kognitiven Modell der Dichtewirkung wird, dessen Nähe zum LAZARUSschen Streßmodell (1966) unverkennbar ist, wenngleich dies von STOKOLS eigenartigerweise nicht anerkannt wird. Ein Blick auf das (hier vereinfacht wiedergegebene) «Gleichgewichtsmodell menschlicher Reaktion auf Beengtsein» (Abb. 1) zeigt deutlich, welche Bedeutung STOKOLS der Interaktion zwischen den verschiedenen Grundvariablen

Abbildung 1 Ein Gleichgewichtsmodell der menschlichen Reaktion auf crowding. (Vereinfacht nach D. STOKOLS: A socialpsychological model of human crowding phenomena.) American Journal of the Institute of Planners 1972, 38, 72-83; p. 77.

zumißt, deren er vier unterscheidet: Umweltvariablen (U), Persönlichkeitsmerkmale (P), Streßausmaß und -art (S) und angepaßte oder unangepaßte Reaktionen auf Streß (R). Die räumlichen und sozialen Dichtefaktoren stehen in Interaktion mit den P-Variablen, woraus sich ergeben muß, ob überhaupt und welche Dichtebedingungen als beengend erfahren werden. Denn letzteres ist entscheidend. «Halten sich mehrere Leute in einem kleinen Raum auf, in dem es relativ wenig Platz pro Person gibt, und fühlen sich dabei völlig wohl und unbehindert, dann gibt es keine Situation des Beengtseins. Wenn sich andererseits weniger Leute in einem größeren Raum eingeschränkt und voneinander beeinträchtigt fühlen, dann gibt es einen Zustand des crowding» (STOKOLS 1972 a, p. 77).

Der als psychologisch angesetzte Streßzustand der Beengtheit (crowding stress) ruft dann im Individuum spannungsverminderade Prozesse im Sinne von kognitiven, perzeptiven und verhaltensmäßigen Anpassungen hervor. Entweder geht es dabei um Veränderungen der Umweltgegebenheiten oder um Änderungen des eigenen Verhaltens. Sowohl P- wie U-bezogene Änderungen müssen zu Angepaßtheit oder Unangepaßtheit an den «Dichtestreß» führen, was zu

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entsprechend unterschiedlichen Rückmeldungen an die Ebene der P- und U-Erfahrung führt. Nach diesem Modell dürfte klar sein, daß es unmöglich ist, rein aus der Kenntnis räumlicher oder sozialer Dichte auf abträgliche Verhaltenseffekte zu schließen. Immer muß die Interaktion mit den verschiedenen P-Variablen (momentaner Zustand, Lerngeschichte, Persönlichkeitseigenschaften im engeren Sinn) mit in Rechnung gestellt werden. Nicht unmittelbar dem Modell zu entnehmen, doch vom Autor so gemeint, sind die zwei Arten der psychologischen Belastung: (a) die aus der Erkenntnis, daß der eigene Raumanspruch das verfügbare Raumangebot übersteigt, resultierende «kognitive Inkonsistenz», (b) das emotionale Ungleichgewicht, das sich aus dem Gefühl der Enge, der Entfremdung, des Mangels an Privatsphäre ergibt. Psychophysiologisch schließlich muß die aus der Enge u. U. erwachsende Angst konzipiert werden (ebda.). Ebenfalls nicht aus dem Modell ersichtlich, aber wiederum von STOKOLS ausdrücklich unterstrichen, ist, daß crowding ein Phänomen ist, das, je nach der U-P-Interaktion, seine Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Da beide Momente, Streßart und Verlaufsform, nicht im Modell enthalten sind, können hierzu auch keine Hypothesen abgeleitet werden. Doch auch die von STOKOLS aufgeführten Thesen über die Auswirkungen von erhöhter Raumtemperatur, stickiger Luft, Lärm, Unordnung etc. (1972a, p. 82) sind bei aller Plausibilität und bei gelegentlicher Stützung durch empirische Untersuchungen nicht aus dem obigen Modell herzuleiten, das im ganzen eine zwar wichtige, aber doch mehr begriffsklärende Funktion haben dürfte. Über die Determination der Erfahrung des Beengtseins haben auch andere Umweltpsychologen Thesen entwickelt. Für ZLUTNICK & A L T MAN ist entscheidend die «Fähigkeit oder Unfähigkeit, Interaktionen mit anderen zu kontrollieren» (1972, p. 52). Menschen grenzen sich gegen ihre Mitmenschen ab, schützen sich gegen unerwünschte Interaktionen und Kontakte und versuchen, den Informationsfluß in beiden

Richtungen zwischenmenschlicher Kommunikation zu kontrollieren. Das geschieht auf sehr unterschiedliche Weise; intra- und interpersonale sowie situative Faktoren sind hier von Bedeutung, und manches, was über den «personalen Raum», über «Territorialität» und Interaktionsdistanzen geschrieben und geforscht wird, mag in diesem Zusammenhang relevant sein. Zum Zwecke der Interaktionskontrolle manipulieren wir unsere physikalische Umwelt, bauen Mauern und Zäune. Aber auch nonverbale Ausdrucks- und Sprachmittel setzen wir zur Kontrolle ein: Wir vermeiden Blickkontakt mit unserem Gegenüber, versuchen einen Eindringling «wegzustarren». Mimik, Gestik und Körperhaltung, aber auch Stimmlage, Sprechtempo, Gebrauch von Pausen etc. sind in ihrer distanzund interaktionsregulierenden Funktion vielfach untersucht worden. Hinzu kommen noch solche Prozesse, in denen Interaktionen durch ein inneres Aus-dem-Felde-gehen, wie Tagträumen und «Abschalten» kontrolliert werden. Je nach Dichtesituation mögen die Kontrollmechanismen andere sein. Eine Gettosituation mit hoher Innen- und Außen-Dichte, kontinuierlichem Kontakt mit Anderen, begrenzten Umweltressourcen (Türen, Möbel etc.) und langer zeitlicher Dauer ist sicherlich schwieriger, das heißt psychophysiologisch «kostspieliger» zu kontrollieren als eine Villengegend mit niedriger Innenund Außendichte. Interaktionen bei hoher Innen- und niedriger Außendichte wie in manchen ländlichen Gegenden, sind dadurch zu kontrollieren, daß das Individuum einfach die Wohnung verläßt. In Manhattan zieht man es manchmal vor, zu Hause zu bleiben, um der extremen Außendichte zu entgehen. Zu den die crowcfeg-Situation bedingenden Persönlichkeitsfaktoren gehören einmal Variablen wie Alter, Geschlecht, Rasse usw., daneben aber auch methodisch schwerer zu fassende, etw a die frühere

Erfahrung

des I n d i v i d u u m s in

bezug auf crowding-Situationen. Ein Mensch, der in ländlichen Gegenden geringer Dichte groß geworden ist, hat sicherlich größere Schwierigkeiten, sich an das Leben in Mietskasernen anzupassen. Das Einzelkind aus einem

24 Villenvorort wird ein Zimmer mit sechs Personen als enger erleben als ein Kind aus einer kinderreichen Familie. Ein anderer Persönlichkeitsfaktor bezieht sich auf die dem Individuum selbst bewußte Fähigkeit, die in Situationen verschiedener Dichte vorhandenen Reize und Interaktionen mit anderen zu kontrollieren. Diese Fähigkeit kann physische, psychische und soziale Komponenten umfassen. Manche Situationen machen es bereits physisch unmöglich, Kontakt mit anderen zu vermeiden, etwa in einer überfüllten Straßenbahn oder in überbelegten Wohnungen. Es kann jedoch auch eine psychische Unfähigkeit hinzukommen, die eine Anpassung an Dichtesituationen unmöglich macht. Eine Party, die ein introvertierter Mensch als beengend empfindet, mag für einen extravertierten gerade erst gemütlich sein. Ein weiterer psychologisch wichtiger Faktor sind die Erwartungen eines Individuums bezüglich einer anzutreffenden Dichtesituation. Wenn ich zur Zeit der Verkehrsspitze die U-Bahn benütze, erwarte ich nichts anderes, als daß ich kaum Platz für meine Füße habe. Wer sich jedoch im Park auf einer Bank mit der Sonntagszeitung niedergelassen hat, fühlt sich beengt, wenn ein zweiter Platz nimmt, selbst wenn für vier Platz wäre. Dem Konzept der Interaktionskontrolle verwandt ist das der «Wahlfreiheit» (freedom of choice), wie es PROSHANSKY, ITTELSON & RIVLIN (1970) zur Definition von crowding eingeführt haben. Nach diesen Autoren tritt der Zustand des Beengtseins dann ein, wenn die Anzahl der Menschen, mit denen ein Individuum Kontakt hat, es daran hindert, bestimmte Aktivitäten auszuführen, und damit seine Wahlfreiheit einschränkt (p. 182) oder, in mehr allgemeinpsychologischer Terminologie, wenn «das Verfolgen eines Zweckes aufgrund der Anwesenheit anderer frustriert wird» (ebda.). Das kann selbstverständlich eine andere Person ebenso bewirken wie eine ganze Masse. Insofern müssen die Umweltpsychologen der City University New York konsequent crowding von der Anzahl von Menschen, von sozialer Dichte abkoppeln.

Kruse: Crowding

Andererseits ist ihnen nicht entgangen, was vielfach ignoriert oder - wie bei STOKOLS per Streßdefinition - ausgeschlossen wird, daß "crowding may be pleasurable as well as painful" (p. 181). Tatsächlich wäre es von der «Phänomenologie des crowding» (ebda.) her bedauerlich, wenn das Gedränge, Gewoge, Gewühle und Getöse etwa des Oktoberfests, in das sich tausende stürzen, um «dabeizusein», «mitzumachen» und Freude zu haben, nur wegen der Lustbetontheit nun in eine eigene Kategorie gegossen werden müßte. Ohnehin ist für manche, selbst freiwillige, Teilnahme an solchen (z. B. politischen) Massenveranstaltungen der Zustand des Beengtim-Gedränge-Seins ausgesprochen ambivalent, wie die immer wieder scheinbar unvermittelt ausbrechenden Aggressionshandlungen nahelegen. Als ähnlich ambivalent muß die im Zusammenhang mit crowding von einigen Autoren betonte Reizfülle angesehen werden. Sicher sind die Begriffe der Reizüberflutung oder Reizüberladung als negative Größen und Belastungsfaktoren gemeint, doch ist die große Reizfülle oder -dichte wiederum ein Charakteristikum großstädtischer Umwelten, das für manche gerade den Reiz von Metropolen ausmacht. MILGRAM (1970), der den Versuch gemacht hat, das Erleben des einzelnen mit den rein demographischen Fakten der Anzahl, Dichte und Heterogenität zu verbinden, setzt deshalb an die Stelle der Reizüberflutung den systemtheoretischen Begriff der Überlastung (overload) als Bezeichnung für «die Unfähigkeit eines Systems, Inputs aus der U m g e bung zu verarbeiten, weil die Zahl der Inputs zu groß ist, als daß das System damit fertig werden könnte, oder weil die aufeinanderfolgenden Inputs so schnell kommen, daß Input A nicht verarbeitet werden kann, w e n n Input B dargeboten wird» (p. 143).

Großstädtisches Leben zwingt nach MILGRAM fortwährend zu Anpassung an die Uberbelastung und wird von ihr auf den verschiedenen Ebenen des Erlebens und Verhaltens «verformt» (ebda.), was MILGRAM mit einer Reihe von Beobachtungen und Feldexperimenten zu belegen sucht. Diese overload-These ist von vielen Autoren zur Interpretation ihrer eigenen Befunde

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 2-30 b e n u t z t w o r d e n (vgl. SAEGERT

DESOR

1972;

25 1972;

ESSER

1 9 7 3 a , b).

W e n n die hier g e n a n n t e n Erklärungsansätze ein M o m e n t g e m e i n s a m h a b e n , d a n n liegt es i m V e r l u s t an K o n t r o l l e b z w . W a h l m ö g l i c h k e i t . E s erscheint m ö g l i c h , b e i d e K o n z e p t e trotz ihrer verschiedenen Bedeutung zusammenzunehmen, w e i l sie letztlich d o c h nur e i n e n Sachverhalt in z w e i v e r s c h i e d e n e P e r s p e k t i v e n rücken.

Kon-

trolle b e z i e h t sich auf R e g i o n e n , W e g e ,

Zu-

g ä n g e , g l e i c h o b an der Peripherie des E i g e n leibs o d e r d e n G r e n z e n eines w i e i m m e r verteidigten Territoriums. W a h l f r e i h e i t d a g e g e n b e zieht sich - LEWiNsch formuliert - auf die M ö g lichkeit v o n L o k o m o t i o n e n in R e g i o n e n u n d b e s o n d e r s an Z u g ä n g e n . D e r V e r l u s t der K o n t r o l l e bzw. Freiheit bedeutet den Verlust von Einbuße

a n Spielraum,

restriktion (behavioral Abhängigkeit

von

bedeutet

constraint)

Verhaltensb z w . größere

den Verhältnissen -

B e s t i m m u n g s s t ü c k e , d i e in d i e n e u e r e n ing-Konzepte

eingegangen

sind.

privacy,

Sie

alles crowdstellen

e b e n s o v i e l e T h e s e n dar, die d i e weitere p s y c h o logische Erforschung von Dichte, Enge und Beengtheit leiten k ö n n e n .

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B

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1975, 6, 31-42

31

Empirie Langfristiger Drogenkonsum und Persönlichkeitsmerkmale Eine empirische Untersuchung D I E T E R SPILLE

RAINER GUSKI

Technische Universität Berlin

Freie Universität Berlin

An einer Gesamtgruppe von 220 Jugendlichen, darunter 64 Haschisch-Rauchern und 64 Konsumenten auch anderer Drogen, wurde festgestellt, daß vor allem jüngere männliche Schüler zum Haschisch-Konsum neigen, und daß diejenigen Persönlichkeitsvariablen des Freiburger Persönlichkeits-Inventars (FPI), die bei univariater Betrachtung am ehesten mit Drogenkonsum verknüpft sind, Nervosität, Aggressivität, Depressivität (positiv) und Offenheit (negativ) genannt werden können. Bei multivariater Betrachtung der Zusammenhänge zwischen differenzierten Angaben zum Drogenkonsum, Alter, Geschlecht, Ausbildung einerseits und FPI-Variablen andererseits stellen sich differentielle Beziehungen heraus: längerfristiger Haschich-Konsum bei geringem Ausbildungsstand ist eher mit Depressivität und Nervosität verbunden; Meskalin-Gebrauch mit höherem Alter, geringer Geselligkeit, geringer emotionaler Labilität und geringer Depressivität; LSD-Gebrauch mit kurzen Anwendungszeiträumen und hoher emotionaler Labilität. Obwohl Ursache und Wirkung in einer Querschnittsuntersuchung kaum getrennt werden können, sprechen unsere Daten eher für die Annahme, daß bestimmte Persönlichkeitsmerkmale den längerfristigen Drogenkonsum begünstigen. In a study of 220 juveniles, of which 64 used cannabis and 64 halluzinogenes besides cannabis, it turned out that mainly young male pupils tend to use cannabis. Those personality variables of the "Freiburger Personality Inventary" (FPI), which have univariate association with drug use, can be called nervousness, aggressiveness, depression (positive association), and frankness (negative association). Multivariate analyses of the association between specified data of drug use, age, sex and education on the one hand and FPIvariables on the other show differential relations: long-term use of cannabis and low education are associated with depression and nervousness; use of mescal with older youth, lower sociality, lower emotional lability and lower depression; use of LSD with shorter application times and higher emotional lability. While causes and effects can hardly be separated in a cross section study, our data seem to support the hypothesis that personality traits favour the long-term use of drugs.

Seit M i t t e der f ü n f z i g e r Jahre wird in der west-

u n d wird hier v o r a l l e m v o n J u g e n d l i c h e n mitt-

l i c h e n W e l t über das A n w a c h s e n des K o n s u m s

lerer u n d h ö h e r e r G e s e l l s c h a f t s s c h i c h t e n k o n -

psychodelischer

«bewußtseinserweiternder»

sumiert (BRAUCHT et al. 1 9 7 3 ) . V e r s t ä n d l i c h e r -

D r o g e n ö f f e n t l i c h diskutiert. D i e a m häufigsten

w e i s e sind die g e n a u e n M e n g e n der k o n s u m i e r -

v e r w e n d e t e D r o g e , das H a s c h i s c h , wird aus der

ten C a n n a b i s p r o d u k t e nicht b e k a n n t - e i n e n A n -

weiblichen Pflanze des indischen Hanfs (canna-

haltspunkt dafür m a g j e d o c h d i e i n n e r h a l b der

b i s sativa) g e w o n n e n ,

Bundesrepublik

gelangt über

Händler-

Organisationen nach Europa und Nordamerika

Deutschland

beschlagnahmte

M e n g e g e b e n : w a r e n es i m Jahre 1 9 6 7

noch

Spille & Guski: Drogenkonsum und Persönlichkeitsmerkmale

32

167 Kilogramm, so stieg diese Menge über 381 und 2278 kg in den Jahren 1968 und 1969 bis auf 4332 kg im Jahre 1970. Die letztgenannte Menge reicht aus, um etwa 10 Millionen Rauschzustände zu erzeugen (HOBI 1973). Die enorme Verbreitung des Drogenkonsums unter Jugendlichen hat zu beunruhigten Pressemeldungen und einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen zu Konsum-Motivationen, KonsumGewohnheiten und Persönlichkeits-Korrelaten der Drogenbenutzung geführt. Aus gesundheitspolitischer Sicht erscheint es wichtig, nicht nur somatische Veränderungen bei länger anhaltendem Drogenkonsum zu studieren, sondern auch mögliche psychische Korrelate - unter Umständen könnte man über diese einen Weg zur Sucht-Therapie finden. Dabei erscheint es jedoch ethisch nicht vertretbar, die Wirkung längerfristigen Drogenkonsums experimentell zu untersuchen - insofern ist bei den vorherrschenden medizinischen, psychologischen und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen nicht zu unterscheiden, ob bestimmte Persönlichkeitsmerkmale einen bestimmten Drogenkonsum begünstigen oder der Drogenkonsum zur Ausprägung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale beiträgt. Auch die hier darzustellende Fragebogen-Untersuchung vermag Ursache und Wirkung nicht definitiv zu trennen, erlaubt jedoch Hinweise. P E R S Ö N L I C H K E I T S K O R R EL ATE DES

DROGENKONSUMS

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Frage des Zusammenhangs zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und längerfristigem Drogenkonsum wurden bisher überwiegend an klinischen Gruppen mit Hilfe nicht-standardisierter Verfahren und simplifizierter Datenanalyse durchgeführt. Die daraus entstandenen, teilweise alarmierend wirkenden Berichte müssen bei Anwendung empirischer Kriterien zurückhaltend beurteilt werden. Dies hauptsächlich aus folgenden Gründen: 1. Die Referenzpopulationen rekrutieren sich fast ausschließlich aus hospitalisierten Patienten und Klienten, die in psychiatrischer Behandlung sind. Von diesen kann nicht ohne wei-

teres auf den ,gesunden' Cannabiskonsumenten geschlossen werden. 2. Die psychiatrischen Fallsammlungen sind oft miteinander nicht vergleichbar und erscheinen kaum generalisierbar. 3. Diagnostische Systeme verschiedener Autoren scheinen kaum untereinander vergleichbar, standardisierte Verfahren fehlen meistens. 4. Beobachtete Fälle werden wenig differenziert beschrieben, was eine Unterscheidung zwischen Drogenwirkungen und Einflüssen von anderen Faktoren selten möglich macht. 5. Die Bedeutung des Drogenkonsums wird im diagnostischen Gesamtbild oft unkontrollierbar gewichtet (beispielsweise bei TYLDEN 1970).

Die bisher veröffentlichten Untersuchungen über Zusammenhänge zwischen Drogenkonsum und Persönlichkeitsvariablen erbrachten widersprüchliche Resultate. So berichtet VIERTH (1967), daß längerfristige Haschisch-Anwendung zu psychosomatischen Erregungszuständen, maniformen Bildern und irreparablen Störungen des Ich-Bewußtseins, Antriebssteigerung, Kontaktschwierigkeiten, Beeinträchtigung des Zeitgefühls, Gereiztheit, Aggressivität und anderen Veränderungen der Persönlichkeit führt. HOLE ( 1 9 6 7 ) meint, daß Cannabis latente Entgleisungsmuster bei gewissen vorstrukturierten Personen auslösen kann. Nach einer klinischen Untersuchung an 120 Drogenkonsumenten berichten KIELHOLZ & LADEWIG ( 1 9 7 0 ) , daß mehr als die Hälfte der Untersuchten Entwicklungskrisen oder verspätete Pubertätskrisen zeigten, weiterhin ein «broken home» und gute bis überdurchschnittliche Intelligenz. Die Autoren meinen, daß Drogenkonsumenten durch ihre Impulsivität und ihren Einfallsreichtum fortwährend Umweltkonflikten ausgesetzt sind; ihre auffällige Empfindsamkeit und hohe Triebspannung würde auf Infantilität und verzögerte Pubertät hinweisen. Eine Relativierung der von Klinikern gelegentlich geäußerten «psychotischen Manifestation» des Drogenkonsums hat KEELER ( 1 9 6 7 , zitiert nach BATTEGAY et al. 1 9 6 9 ) vorgeschla-

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1975, 6, 3 1 - 4 2

gen: ängstliche und mißtrauische Verhaltensweisen von Cannabiskonsumenten seien überwiegend von der den Drogenkonsum tolerierenden oder ablehnenden Umwelt gesteuert (siehe auch MÖLLHOFF 1970). Dagegen meinen ISEBELL et al. (1967), eine Klinik spende Geborgenheit, und selbst in dieser Umgebung würden nach Cannabisgebrauch Psychosen auftreten. SCHUSTER (1970) meint, daß sich die vorübergehende verwirrende Wirkung psychotroper Substanzen bei längerem Gebrauch als allmählich fortschreitende Persönlichkeitsveränderung manifestiere; es würden «Niveauverlust» mit Einengung des Interessengebietes, Egozentrik, Unzuverlässigkeit und ein Gefühl des SichZurückziehen-Müssens oder AusgeschlossenSeins von der Gesellschaft auftreten. H O B I (1973) untersuchte 53 cannabis-unerfahrene Probanden, die im Verlaufe eines Experiments mit einer 3500-, 4000- und 4500-Milligramm-Tetrahydrocannabiniol- (THC-) Dosis behandelt wurden. Dabei erfaßte er Persönlichkeits-, Befindlichkeits- und psychomotorische Variablen vor, während und 18 Stunden nach Drogeneinwirkung. Das T H C bewirkte im Tapping-Versuch eine leichte, streßintolerante Stimulierung, jedoch bei größerer Aufgabenschwierigkeit signifikant verschlechterte Reaktions- und Wahrnehmungskapazität. In vier Persönlichkeitsdimensionen des Freiburger Persönlichkeits-Inventars (FPI) sind signifikante Veränderungen unter THC-Einwirkung registriert worden: die Probanden wurden im allgemeinen zurückhaltender, unkritischer, mehr sich selbst vertrauend und introvertierter. Bei Betrachtung der individuellen Cannabis-Wirkungen auf Persönlichkeitsvariablen zeigten sich jedoch bemerkenswerte individuelle Unterschiede. Der Autor meint, daß die Uneinheitlichkeit der Veränderungen eher auf persönlichkeitsspezifische Erwartungshaltungen gegenüber der Drogenwirkung zurückzuführen sei als auf Dosis- oder Geschlechts-Variablen. Hinsichtlich der Befindlichkeit bei Drogenwirkung würden nach H O B I (1973) Veränderungen von drei sogenannten «psychischen Instanzen» auftreten: eine Milderung des Uber-

33 Ichs, Aktivierung der es-haften, libidinösen, sexuellen oder aggressiven Kräfte und eine Schwächung der Ich-Funktionen. Die tiefgreifenden Veränderungen der «weichen» Droge Cannabis bestünden in einer intensiveren Wahrnehmung von Farben, Konturen, akustischer Reize, des Körperschemas, der Zeit und der räumlichen Umwelt, einer Steigerung von Assoziationen und Verminderung des Antriebs, Steigerung der Bedürfnisse und Nachlassen der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit in objektiven Tests. Mit dem oben angesprochenen sozialen oder ,antisozialen' Aspekt des Drogenkonsums hat sich eine ganze Reihe von Forschern beschäftigt. Nach STEINBRECHER (1964) führt CannabisMißbrauch von körperlicher und geistiger Ermüdung über Störungen der Merkfähigkeit bis zu schwerer Demenz und in der Folge zu erhöhter Kriminalität. Auch STÜBING (1970) meint, daß die in der Folge des Haschisch- und Marihuana-Konsums auftretenden Halluzinationen und Illusionen zu antisozialen Verhaltensweisen prädisponieren. Zur Frage der antisozialen Verhaltensweisen junger Haschischraucher hat LENNERTZ (1970) 47 Cannabiskonsumenten (Schüler, Studenten, Lehrlinge, Berufstätige und Personen ohne regelmäßige Tätigkeit im Alter von 15 bis 30 Jahren) und 53 Nichtkonsumenten (Schüler im Alter von 15 bis 19 Jahren) unter anderem mit Hilfe eines Persönlichkeitstests untersucht, in dem Skalen zu Extraversion, Neurotizismus, Rigidität, Dogmatismus und Intoleranz gegen Ambiguität verwendet wurden. Bei der Diskriminanzanalyse zwischen Drogenkonsumenten und Nichtkonsumenten ergab sich, daß die Drogengruppe weniger Intoleranz gegen Ambiguität bei höheren Dogmatismuswerten aufwies. LENNERTZ (1970) kommt zu dem Schluß, daß die allgemein verbreitete Ansicht, Drogenkonsumenten seien psychisch labile Personen, nicht bestätigt werden konnte, es hätten sich auch keinerlei Anfälligkeiten oder Auffälligkeiten im klinischen Sinne nachweisen lassen. Eher habe sich gezeigt, daß Drogenkonsumenten einen hohen Grad an Toleranz aufwiesen. Man kann al-

34

Spille & Guski: Drogenkonsum und Persönlichkeitsmerkmale

lerdings fragen, wieweit diese Toleranz gegen Ambiguität generalisierbar ist, und weshalb die Variablen «Alter» und «berufliche Tätigkeit» nicht zur Prädiktion der Gruppenzugehörigkeit herangezogen wurden, zumal sich Drogen- und Kontrollgruppe in dieser Hinsicht unterscheiden. Weiterhin bleibt offen, ob eine Spezifikation von Drogentypen, Konsummengen und Konsumzeiträumen in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist. WORMSER ( 1 9 7 3 ) machte multivariate Untersuchungen an Gymnasiasten der 10. bis 12. Klasse und konnte zeigen, daß Kreativität mit Drogenkonsum positiv korrelierte (r = .35 bis .45) und die Schulnoten eine negative Korrelation (-.45 bis -.50) aufwiesen. In seiner Studie fielen keine Zusammenhänge zwischen Konzentrationsfähigkeit oder Intelligenz und Drogenkonsum auf. Die Persönlichkeitsdimensionen «Angst» und «innere Zwiespältigkeit» hätten nichts mit der Droge zu tun; gerade die Unabhängigkeit dieser Verhaltensdimensionen dokumentiere, daß die Droge nicht als Fluchtvehikel aus der Realität gebraucht werde. Auch hier werden Zusammenhänge zwischen Drogenkonsum einerseits, «familiärer Disharmonie» und «Schul- und Leistungsverdrossenheit» andererseits berichtet (r = .60, .40, .50). «Väterliche Vernachlässigung» und «mütterliche Berufstätigkeit» determinieren das «broken home» allerdings nicht, eher das Bildungsniveau der Eltern und eine «mütterliche Überbesorgtheit». HOBI (1973) untersuchte 3 Probandengruppen, die hinsichtlich Alter, Geschlecht und Allgemeinwissen (HAWIE) vergleichbar waren. Er fragte nach Motivation und Art des Drogenkonsums, dem familiären und soziokulturellen Hintergrund, der Einstellung gegenüber der Religion, dem Freizeit- und Gruppenverhalten; er benutzte als Leistungstest den «d2» und als Persönlichkeitstests das FPI, MMPI und 16-PF. Untersucht wurden 50 Jugendliche, die keine Drogen nahmen, 50 Jugendliche, welche Drogen nahmen, psychiatrisch aber nicht erfaßt sind, und 50 Jugendliche, die Drogen nahmen und in einer Klinik behandelt wurden. Der Drogenkonsum (überwiegend Haschisch) wurde

für multivariate Analysen als Alternativdatum verwendet. Diese Variable korreliert unter anderem negativ mit der Leistung im Durchstreichtest (r = -.60), positiv mit Psychopathie (MMPI, .42), mit familiären Problemen (MMPI, .40), Psychotizismus (MMPI, .37), negativ mit UberIch-Stärke (16-PF, -.36). Unter den FPI-Variablen haben vor allem Nervosität (.28), emotionale Labilität (.26) und Gehemmtheit (.26) Beziehungen zum Drogenkonsum. Offen bleibt die Frage, in welchem Ausmaß von diesen Beobachtungen an teilweise hospitalisierten Drogenkonsumenten Rückschlüsse auf nicht-hospitalisierte Konsumenten gezogen werden können, und weiterhin, welchen Einfluß Drogenart und -menge auf Persönlichkeitsvariablen haben.

FRAGESTELLUNGEN In der hier darzustellenden Untersuchung sollte herausgefunden werden, ob bei nicht-hospitalisierten jugendlichen Drogenkonsumenten Zusammenhänge zwischen längerfristigem Drogenkonsum und solchen Persönlichkeitsmerkmalen bestehen, welche durch standardisierte Verfahren erfaßt werden können. Dabei ging es zunächst um die Frage, ob sich jugendliche Drogenkonsumenten hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsmerkmale von Nicht-Konsumenten unterscheiden, und ob sich Haschisch-Konsumenten in dieser Hinsicht von Konsumenten ,härterer' Drogen (LSD, Meskalin, Heroin und andere) unterscheiden. Ebenso interessierte der spezifische Zusammenhang zwischen Menge, Häufigkeit, Dauer und Art des Drogenkonsums zu den erfaßten Persönlichkeitsmerkmalen. Zudem sollte die Hypothese überprüft werden, daß unterschiedliche Drogen-Merkmals-Kombinationen differentielle Beziehungen zu Persönlichkeits-Merkmals-Kombinationen haben. Schließlich sollte der Versuch unternommen werden, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob kausale Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Drogenkonsum bestehen.

35

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 31-42

DURCHFÜHRUNG DER

UNTERSUCHUNG

Durch Kontaktgespräche mit Lehrlingen, Schülern und Studenten sind mehrere Begegnungszentren von jugendlichen Drogenkonsumenten in Würzburg bekannt geworden. Ohne daß die Jugendlichen vorher unterrichtet wurden, hat sie einer der Autoren angesprochen und darüber informiert, daß zurZeit ein psychologischer Test zum Drogenkonsum durchgeführt wird, an dem teilzunehmen Gelegenheit besteht. Als Testinstrument zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen wurde das Freiburger Persönlichkeits-Inventar (FPI) gegeben, und anschließend sollten die Probanden auf einem weiteren Fragebogen Angaben zu Häufigkeit, Menge und Zeitraum des bisherigen Haschisch-Konsums und zur Frage des Konsums von Meskalin, Marihuana, LSD oder sonstigen Halluzinogenen machen; hinzu kamen Fragen zu Alter, Geschlecht und Ausbildung. Die Erhebung fand zum Teil in der Mensa der Universität, in einer Milchbar und einem Tanzlokal statt. DIE

ERHOBENEN

VARIABLEN

Das FPI umfaßt 212 Items, die jeweils mit «stimmt» oder «stimmt nicht» zu beantworten sind und nach den Faktorenanalysen von FAHRENBERG & SELG (1970) 9 Persönlichkeitsmerkmale beschreiben (im folgenden FPI1 bis FPI9 genannt) und drei weitere Persönlichkeitsmerkmale (FPIE, FPIN, FPIM), welche nicht unabhängig von den erstgenannten sind. Entsprechend dem Vorschlag der Testautoren wurden die FPI-Rohwerte zu 12 Variablen zusammengefaßt (obwohl die veröffentlichte VariablenStruktur in unseren Daten nicht repliziert werden konnte): 1. FPI 1 2. FPI 2 3. FPI 3 4. FPI 4 5. FPI 5 6. FPI 6 7. FPI 7 8. FPI 8 9. FPI 9 10. FPIE

(Nervosität), (Aggressivität), (Depressivität), (Erregbarkeit), (Geselligkeit), (Gelassenheit), (Dominanzstreben), (Gehemmtheit), (Offenheit), (Extraversion),

11. FPIN (emotionale Labilität), 12. FPIM (Maskulinität).

Auf einem getrennten Fragebogen wurden 10 weitere Variablen erhoben, die im folgenden mit ihren Abkürzungen und Kommentaren zur Codierung dargestellt werden: 13. MHK Menge des Haschisch-Konsums (Eigenschätzung des Probanden über die Gesamtzahl der bisherigen «trips»), 14. FH/M Häufigkeit des Haschisch-Konsums im Monat, 15. ZHM Zeitraum des bisherigen Haschisch-Konsums in Monaten, 16. MSK Meskalin genommen (0 = nein, 1 = ja), 17. LSD LSD genommen (0 = nein, 1 = ja), 18. MARI Marihuana genommen (0 = nein, 1 = ja), 19. AHZ Andere Halluzinogene genommen (0 = nein, 1 = ja), 20. A d E Alter in Jahren, 21. SEX Geschlecht (0 = männlich, 1 = weiblich) und 22. AUSB Ausbildungsstufe (1 = Schüler, 2 = Lehrling oder Angestellter, 3 = Student). STATISTISCHE

ANALYSEN

Insgesamt konnten 220 Probanden für die Untersuchung gewonnen werden; darunter befanden sich 92 Personen ohne Drogenkonsum, 64 Personen, die nur Haschisch geraucht haben, und 64, die außer Haschisch auch andere Halluzinogene gebrauchten. Diese Gruppierung machte es möglich, multivariate statistische Analysen sowohl mit den 220 Probanden der Gesamtgruppe als auch mit den 128 Drogenkonsumenten oder einer bestimmten Drogengruppe für sich durchzuführen. Die statistischen Analysen (Verteilungsprüfungen, Diskriminanzanalysen, multiple Regressionen, kanonische Korrelationen, Pfadanalysen) erfolgten am Großrechenzentrum für die Wissenschaft in Berlin auf der Basis der von VELDMAN (1967) und HÄRTUNG & MÜLLER (1972) geschriebenen und von uns modifizierten Programme. Da die Häufigkeitsverteilungen der drei Haschisch-Variablen zum Teil erhebliche Abweichungen von der Normalverteilung aufwiesen, wurden diese Urwerte so umcodiert, daß ,normale' oder Rechteckige' Verteilungen entstanden und parametrische Rechentechniken angewendet werden konnten.

Spille & Guski: Drogenkonsum und Persönlichkeitsmerkmale

36 ERGEBNISSE

gene benutzten ( H A L Z ) . Die Ergebnisse dieser Analyse sind in Tab. 1 dargestellt. Daraus er-

Die Gesamtgruppe bestand aus 84 Studenten,

gibt sich, daß sich die 3 Gruppen hinsichtlich

79 Schülern und 57 Angestellten oder Lehrlin-

des Alters, des Geschlechts, der F P I 1 - und

gen, die zwischen 14 und 31 Jahre alt waren.

FPI9-Variablen (Nervosität und Offenheit) si-

Die Drogenkonsumenten hatten zwischen 1 und

gnifikant unterscheiden, solange man die Varia-

900mal Drogen benutzt, und zwar zwischen 1

blen nur univariat betrachtet. Bei multivariater

und 80mal im Monat über Zeiträume zwischen

Analyse ergeben sich 2 Trennfunktionen, von

1 und 50 Monaten. L S D hatten 49 Probanden

denen jedoch nur eine die Gruppen signifikant

benutzt, Meskalin 27, andere Halluzinogene 17

trennen kann, und diese ist überwiegend durch

und Marihuana 7.

die Variablen Geschlecht, Alter und Ausbil-

Unsere erste Frage richtete sich darauf, ob

dung definiert. Die Drogenkonsumenten unserer

überhaupt ein Unterschied zwischen Drogen-

Untersuchungsgruppe sind jünger, eher männ-

konsumenten und Nicht-Konsumenten hinsicht-

lich und weniger ausgebildet (Schüler) als die

lich einiger Persönlichkeitsmerkmale

Kontrollgruppe.

besteht.

Unterschiede

Dazu wurde eine Diskriminanzanalyse der F P I -

scheinen

variablen und Alter, Geschlecht und Ausbil-

Größen bedingt zu sein.

dung (im folgenden «demographische

eher durch

diese

der

FPI-Werte

demographischen

Varia-

Weitere Diskriminanzanalysen zwischen der

blen» genannt) zwischen 3 Gruppen durchge-

Gruppe der Nicht-Konsumenten und der kom-

führt: den Nicht-Konsumenten

den

binierten Gruppe der Konsumenten einerseits

den

und zwischen den beiden Konsumentengruppen

Personen, die außer Haschisch noch Halluzino-

andererseits erbrachten, daß sich die beiden

Haschisch-Konsumenten

(KONT),

(HASCH)

und

Tabelle 1

Diskriminanzanalyse zwischen K O N T , H A S C H und H A L Z Spur der Matrix W I L K s Lambda Variable

0.277 0.773

p = 0.0049

Ladung 1. Achse

Ladung 2. Achse

AGE SEX AUSB FPI1 FPI2 FPI3 FPI 4 FPI 5 FPI 6 FPI 7 FPI 8 FPI 9 FPIE FPIN FPIM

-.46 -.52 -.29 0.19 0.23 0.18 -.13 -.01 0.22 -.04 -.12 -.11 -.03

-.29 -.10 -.20 -.52 0.11 -.17

CHI2

36.98 * *

"KONT =

0.00 0.04

92>

"HASCH =

0.00 0.41 0.04 0.07 -.30 0.57 0.38 -.14 0.54 17.22 64> nHALZ

Mittel KONT

21.20 0.48 2.15 11.64 10.65 14.97 9.73 16.13 10.14 7.33 9.24 10.77 13.62 13.53 12.67

Mittel HASCH

Mittel HALZ

Univar. F-Wert

19.61 0.27 1.89 11.00 11.59 15.27 9.28 17.08 10.81 7.34 8.27 11.16 14.31 13.19 13.88

20.03 0.25 1.97 13.50 11.45 16.22 9.14 15.55 10.86 7.11 9.11 10.25 13.06 13.70 12.25

4.7* 6.0* 1.9 3.1 * 1.1 0.8 0.3 1.4 0.9 0.1 1.1 3.0 * 1.3 0.2 2.6

(Signifikanztest der Achsen) = 64. * = p
1, einen Wertungsfaktor und einen Aktivitätsfaktor, die 38 %> bzw. 25 %, insgesamt also 63 % der Gesamtvarianz abdeckten. Die Einstufungen eines Politikers durch eine Vp in den Items mit den höchsten Ladungen im Wertungsfaktor, durchwegs über 0,60 (tief - flach, angenehm unangenehm, sachlich - überredend, klar - verschwommen, rücksichtsvoll - verletzend, kultiviert - unkultiviert, überzeugend — fragwürdig), wurden zu einem Gesamtmaß der Bewertung des betreffenden Politikers durch die betreffende V p zusammengefaßt. Für jede V p wurde dann ein Maß für die Präferenz von Brandt und Scheel einerseits gegen Barzel und Strauß andererseits gebildet, indem die Gesamtbewertungen der vier Politiker summiert wurden; die Bewertungen der Oppositionspolitiker gingen dabei mit negativem Vorzeichen ein. Die Zusammenfassung erschien sinnvoll, da die Beurteilung von Brandt und Scheel, bzw. Barzel und Strauß hoch positiv, die Beurteilung von Brandt/Barzel, Brandt/Strauß, Scheel/Barzel und Scheel/ Strauß hoch negativ korreliert waren.

46

Brandstätter: Medieneffekte

Nach diesem Gesamtpräferenzmaß wurden drei etwa gleich große Gruppen gebildet: - starke Präferenz für Brandt/Scheel (b 1) - schwache Präferenz für Brandt/Scheel (b 2) - schwache Präferenz für Barzel/Strauß (b 3) Zusammen mit der Medienvariation - Sehen (a 1) - Hören (a 2) - Lesen (a 3) ergibt sich daraus der Plan für eine 3 x 3fache Varianzanalyse mit dem Faktor Medium (A) und Politikerpräferenz (B). Als abhängige Variable fungiert die Differenz «durchschnittliche Bewertung der Argumente der politischen Freunde minus durchschnittliche Bewertung der Argumente der politischen Gegner». 1

ERGEBNISSE Tab. 1 und Abb. 1 zeigen für die Klassen b 1 und b 2 erwartungsgemäß die stärkste Polarisierung unter a 1 (Sehen), eine etwas geringere unter a 2 (Hören), die schwächste unter a 3 (Lesen). Die Argumente der Regierungspolitiker werden also im Medium a 1 wesentlich positiver, die der Oppositionspolitiker wesentlich negativer bewertet als im Medium a 3. Tabelle 1 Differenzen der mittleren Argumentbewertung (= Ausmaß der Polarisierung zwischen «Freund» und «Feind»), gegliedert nach den Kategorien der Faktoren A (Medium) und B (Politikerpräferenz)

b, b2 b,

1

ai

a2

a3

3,69 2,49 1,53

3,22 1,54 1,85

1,58 0,80 0,84

2,57

2,20

1,07

A u s m a s s der Polarisierung

4.

a1 = a2 = a3 =

Sehen Hören Lesen

b1 =

starke Präferenz für Brandt/Scheel schwache Präferenz für Brandt/Scheel schwache Präferenz für Barzel/Strauss

b2 =

b3 =

~~1 a1

T" a2

I a3

Abbildung 1 Veranschaulichung der Werte von Tabelle 1

In der Klasse b 3 (schwache Präferenz für Barzel/Strauß) ist die Polarisierung unter a 2 geringfügig größer als unter a 1, am schwächsten auch hier unter a 3. Tab. 2 weist nur die beiden Haupteffekte der Faktoren A und B als signifikant aus, so daß eine nach Klassen der Politikerpräferenz differenzierte Interpretation des Medieneffektes nicht nötig ist. Eine genauere Prüfung der Medienwirkung in orthogonalen Vergleichen zeigt, daß sich a 1 (Sehen) nicht signifikant von a2 (Hören) unterscheidet. Unter der Bedingung a 3 (Lesen) ist die Polarisierung jedoch signifikant geringer als im Durchschnitt von a 1 und a 2. Tab. 3 verdeutlicht nochmals auf andere Weise den Haupteffekt des Mediums. Man sieht, daß unter a 1 (Sehen) die Argumente der Politiker von ihren Anhängern im Durchschnitt mit 5,07, von ihren Gegnern mit 2,50 (auf einer 6stufigen Skala) bewertet werden, während die entsprechenden Werte unter der Bedingung a 3 (Lesen) 4,49 und 3,42 betragen. Das Ausmaß

Der Varianzanalyse liegen die Daten von 43 Vpn zugrunde. D i e Daten von 8 Vpn konnten für die Varianzanalyse wegen Unvollständigkeit nicht verwendet werden. Eine Vp wurde als «Ausreißer» eliminiert, da ihre Argumentbewertung im krassen Gegensatz zu ihrer Politikerpräferenz stand. Die Abweichung von der Regression «Polarisierung in der Argumentbewertung auf die Politikerpräferenz» erreichte bei ihr den 5fachen Betrag des Standardschätzfehlers. Wegen der ungleichen Zellenhäufigkeiten wurde das Verfahren der ungewichteten Mittelwerte verwendet (WINER 1 9 7 1 , p . 7 0 2 ) .

47

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 43-50 Tabelle 2 Ergebnisse der Varianzanalyse Variation

QuadratSumme

Zwischen A (Medium) Zwischen B (Politikerpräferenz) Zwischen A x B Versuchsfehler

15,974 15,597

2 2

7,987 7,799

11,41 11,15

3,394 23,792

4 34

0,848 0,700

1,21

Tabelle 3 Bewertung der Argumente durch Anhänger und Gegner, differenziert nach Medium ( a l = Sehen; a 2 = Hören; a 3 = Lesen) Anhänger (1)

Gegner

(2)

A. M. (1) + (2)

Differenz (1) - (2)

5,07 5,11 4,49

2,50 2,91 3,42

3,79 4,01 3,96

2,57 2,20 1,07

4,89

2,94

3,92

1,95

Freiheitsgrade

Durchschnittsquadrat

F-Test

S. S.

Parteipräferenz (= Partei, der bei der Bundestagswahl die Zweitstimme gegeben wurde) und Politikerpräferenz nicht weiter verwunderlich (vgl. Tab. 4).

DISKUSSION at = S a2-H a3 = L

Anmerkung: Für Brandt und Scheel zählen als Anhänger die Klassen b 1 und b 2, als Gegner die Klasse b 3; für Barzel und Strauß gelten b 3 als Anhänger, b 1 und b 2 als Gegner. Die Argumentbewertungen wurden in den Spalten (1) und (2) über die 3 b-Klassen pro Sprecherpaar gemittelt.

der Polarisierung geht aus der letzten Spalte hervor. Die Wirkungen der beiden Faktoren stellen sich im übrigen ganz ähnlich dar (hier nicht wiedergegeben), wenn als Faktor B anstelle der Politikerpräferenz die Parteipräferenz der Vp verwendet wird (SPD, FDP, CDU/CSU). Dies ist bei der ziemlich hohen Korrelation zwischen

Tabelle 4 Beziehung zwischen Partei- und Politikerpräferenz

SPD FDP CDU/CSU

b2

bi starke Präferenz für SPD/FDPPolitiker

schwache Präferenz für SPD/FDPPolitiker

11 4

9 7

b3

schwache Präferenz für CDU/CSUPolitiker

1 9

Es ist zunächst der Frage nachzugehen, woran es liegen könnte, daß Zuschauer und Zuhörer wider Erwarten in der Argumentbewertung etwa gleich stark polarisieren. Der für die beiden Medien vorhergesagte Unterschied kann im Einzelfall dadurch verwischt werden, daß manche Personen bei audiovisueller Darstellung insgesamt positiver bzw. negativer wirken als bei akustischer. Wie Abb. 2 zeigt, werden die Argumente von Scheel von den Zuschauern aller drei Präferenzgruppen höher bewertet als von den Hörern; das Gegenteil trifft für die Argumente von Barzel und Strauß zu. Daraus folgt für die Präferenzgruppe b 3 eine stärkere Polarisierung bei den Hörern als bei den Zuschauern, was insgesamt zu einer Verminderung des Unterschieds zwischen den Bedingungen «Sehen» und «Hören» führt. Ob sich darin stabile Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeit des Sprechers und Medium manifestieren, läßt sich anhand der vorliegenden Daten nicht entscheiden, da zur Frage der Unterschiede innerhalb der Regierungspolitiker bzw. innerhalb der Oppositionspolitiker keine spezifischen Hypothesen gebildet worden waren. Eine nachträgliche, auf Dateninspektion beruhende Signifikanzprüfung von auffälligen Er-

48

Brandstätter: Medieneffekte

b2

6

b3

Scheel Brandt Barzel Strauss

5 4 /

3 _

s

y

2

1_ a1

~~I

a2

a3

a2

I

a2

a3

i

a3

I

Abbildung 2 Durchschnittliche Bewertung der Argumente (östufige Skala), differenziert nach Sprechern (Brandt, Scheel, Barzel, Strauß), Medium (a 1 = Sehen, a 2 = Hören, a 3 = Lesen) und Politikerpräferenz (b 1 = starke Präferenz für Brandt/ Scheel; b 2 = schwache Präferenz für Brand/Scheel; b 3 - schwache Präferenz für Barzel/Strauß)

gebnissen mit Hilfe der Methode von SCHEFFÉ (vgl. WINER 1971, p. 387) erweist die Unterschiede als nicht signifikant. Es ist in weiteren Experimenten mit jeweils verschiedenen Sprechern zu prüfen, ob die Polarisierung zwischen «Freund» und «Feind» bei audiovisueller Präsentation der Sprecher nicht doch erheblich größer ist als bei akustischer. Für die theoretisch erwartete stärkere Polarisierungswirkung der audiovisuellen Darbietung im Vergleich zur akustischen, die sich in diesem Versuch nicht als statistisch signifikant nachweisen ließ, spricht auch das Ergebnis einer Felduntersuchung von POOL ( 1 9 5 9 ; zit. nach WEISS 1 9 6 9 ) , wenn man voraussetzen kann, daß die dort gefundenen Unterschiede wirklich auf das Medium und nicht auf Bedingungen zurückzuführen sind, die zur Bevorzugung eines Mediums (Fernsehen bzw. Rundfunk) führten: Die Präsidentschaftskandidaten des Jahres 1952, nämlich Eisenhower und Stevenson, wurden von ihren jeweiligen Anhängern und Gegnern unter jenen College-Studenten, die den Wahlkampf vorwiegend im Fernsehen verfolgten, gegensätzlicher beurteilt, als von solchen Studenten, die vorwiegend Radio-Hörer waren. "There is some suggestion in the data that televisión increased partisanship, for differences between supporters 'and opponents' assignments of attributes to either candidate were greater

among watchers than among listeners. However, Stevenson fared better on radio, for the listeners' image was more favorable than the watchers', regardless of which candidate they favored" (WEISS 1 9 6 9 , p . 1 7 5 ) .

Andererseits kommen STURM et al., die den Wissensstand, geprüft mit einem Kenntnistest, und die emotionalen Eindrücke, erfaßt mit einem semantischen Differential, bei Zuschauern und Zuhörern einer experimentell dargebotenen Informationssendung varianzanalytisch verglichen, hinsichtlich der Gefühlseindrücke zu folgendem Schluß: «Fragt man nach der Intensität der mit der Sendung verbundenen Gefühlseindrücke, so zeigten sich auch hierbei Unterschiede zwischen Sehern und Hörern, es ergibt sich jedoch keine generalisierbare Aussage. Aus den Ergebnissen läßt sich nicht ablesen, daß die Seher generell intensiver reagierten als die Hörer oder die Hörer intensiver reagierten als die Seher» (STURM et al. 1972, p. 43). Die dort berichteten Mittelwerte erweisen sich aber bei genauerer Betrachtung als wenig nützlich zur Klärung unserer Frage; denn man muß vermuten, daß die zum jeweiligen Mittelwert gehörigen Einzelwerte teils über, teils unter dem Indifferenzpunkt der verschiedenen Skalen liegen. Ein besserer Indikator für die Intensität der Gefühlseindrücke wäre die abso-

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 4 3 - 5 0

lute Abweichung vom Indifferenzpunkt der bipolaren Skalen gewesen. Der Haupteffekt des Faktors B (Politikerpräferenz) bedarf wegen seiner Selbstverständlichkeit keiner weiteren Erklärung. Er besagt nur, was niemand bezweifelt, daß man im allgemeinen die Argumente eines Politikers, den man - nicht zuletzt wegen gemeinsamer politischer Auffassungen und Ziele - bevorzugt, wesentlich besser findet als die Argumente eines Politikers, den man ablehnt. Zur Erklärung dieser Ubereinstimmung von Sprecher- und Argumentbewertung kann man sich konsistenztheoretischer Konzepte bedienen. Die enge Beziehung zwischen den Parteipräferenzen und der Wertschätzung der betreffenden Parteivorsitzenden steht in Übereinstimmung mit den Ergebnissen einer während des Präsidentschaftswahlkampfes zwischen Kennedy und Nixon 1960 von SIGEL (1964) durchgeführten Untersuchung, nach der das Bild, das sich Anhänger der Demokratischen Partei vom demokratischen Präsidentschaftskandidaten Kennedy machten, ganz ähnlich jenem Bild war, das die Anhänger der Republikanischen Partei von Nixon entwarfen. Sehr ähnlich waren auch jeweils die Beurteilungen Kennedys durch die Republikaner und Nixons durch die Demokraten. Sofern überhaupt eine Ubereinstimmung zwischen Republikanern und Demokraten in der Beurteilung Nixons bzw. Kennedys bestand, war dies mehr auf allgemein geteilte Überzeugungen bezüglich bestimmter Merkmale der Partei des betreffenden Politikers als auf dessen persönliche Eigenschaften zurückzuführen. Es scheint demnach so zu sein, daß Sympathie und Ablehnung, die den Spitzenkandidaten einer Partei von den Wählern entgegengebracht werden, wesentlich mehr von der Parteipräferenz der Wähler als von persönlichen Merkmalen der Kandidaten bestimmt werden. Wenn sich die Vorhersage insofern bestätigt hat, daß die Polarisierung in der Argumentbewertung bei schriftlicher Darbietung wesentlich geringer ist als bei audiovisueller und akustischer, so bleiben doch einige Zweifel an der Begründung der Hypothese. Die medienspezifisch

49 stärkere oder schwächere Polarisierung in der Argumentbewertung muß nicht eine Folge der stärkeren oder schwächeren Polarisierung in der Bewertung der Sprecher sein. Vielmehr könnten beide Arten von Polarisierung unmittelbar von der medienspezifischen Aktivierung abhängen. Die schriftliche Darbietung konnte einfach generell weniger aktivieren, so daß bei der Beurteilung der Argumente weniger extreme Skalenwerte gewählt werden. Diese Interpretation würde mit den Befunden von SCHÖNPFLUG (1966) übereinstimmen, der den Einfluß von Aktivierung auf das Urteilsverhalten untersuchte und bei aktivierten Vpn extremere Einstufungen der Zeitdauer eines Summtones fand als bei nicht aktivierten. Eine gewisse Bestätigung dieser Vermutung könnte man auch darin sehen, daß sich die Korrelationen zwischen den Differenzen «Wertschätzung der Regierungspolitiker minus Wertschätzung der Oppositionspolitiker» einerseits und den Differenzen «Bewertung der Argumente der Regierungspolitiker minus Bewertung der Oppositionspolitiker» andererseits in den verschiedenen Medien nicht signifikant voneinander unterscheiden (Chi-Quadrat-Test zur Prüfung der Homogenität von Korrelationskoeffizienten; vgl. RAO 1965, p. 365). Die Korrelationen betragen r = 0.90 in der Gesamtgruppe (n = 43) r t = 0.92 für die Zuschauer (n t = 18), r2 = 0.96 für die Zuhörer (n 2 = 12), r 3 = 0.84 für die Leser (n 3 = 13). Zumindest nach dem FESTiNGERschen Modell der Reduktion kognitiver Dissonanz, das im Unterschied zum Ansatz von OSGOOD & T A N NENBAUM (1955) die jeweilige Wichtigkeit der kognitiven Elemente ausdrücklich einbezieht (FESTINGER 1957), wäre zu erwarten gewesen, daß mit der medienspezifischen Intensivierung der Sympathie- und Antipathiegefühle gegenüber den Sprechern nicht nur die Extremität der Argumentbewertung, sondern auch die Korrelation zwischen Personenbewertung und Argumentbewertung steigt; denn eine nur schwach aktualisierte Sympathie bzw. Antipathie läßt eher eine von der Sympathie unbeeinflußte Bewertung der Argumente nach ihrer Stichhai-

50

Brandstätter: Medieneffekte

tigkeit zu als eine starke emotionale Stellungnahme zur Person des Sprechers. In weiteren Experimenten wird man die Beziehung zwischen medienspezifischer FreundFeind-Polarisierung in der Sprecher- und Argumentbewertung einerseits und der medienspezifischen Korrelation von Sprecher- und Argumentbewertung andererseits genauer untersusuchen müssen. Auf diesem Wege wäre zu entscheiden, ob sich die Konsistenz- oder die Aktivierungshypothese besser zur Erklärung des medienspezifischen Polarisierungseffektes eignet bzw. wie die beiden Ansätze miteinander verbunden werden können.

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ZU DIESEM

BEITRAG

Die Versuche wurden von den Teilnehmern eines Forschungsseminars, den Studierenden M.Appel, W. Bernat, H. Engelhard, M.Held, A. Kompa, M. Scherschinski, H. Stapf und B. Wißner in den beiden ersten Wochen nach der Bundestagswahl 1972 durchgeführt. Frau Gisela Albers und Herr Dr. W. Molt wirk- j^^M ten bei der statistischen Auswertung ^ ^ ^ mit. J

51

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1975, 6, 51-61

Hemmende Effekte der Beobachtung altruistischer Verhaltensmodelle auf nutzenorientierte Verhaltenserwartungen 7- bis 8jähriger Kinder MANFRED WALLER

Universität M a n n h e i m

Ausgehend von der Annahme, daß eine der Funktionen der Beobachtung interpersonalen Verhaltens in der Korrektur situationsinadäquater Verhaltenserwartungen besteht, wurden folgende Hypothesen überprüft: (a) Nutzenorientierte Verhaltenserwartungen, die in bezug auf eine spezifische interpersonale Situation bestehen, werden durch die Beobachtung altruistischer Verhaltensmodelle in eben dieser Situation gehemmt, (b) Werden solche Verhaltenserwartungen vor der Beobachtung altruistischer Verhaltensmodelle aktualisiert, steigt das A u s m a ß ihrer H e m m u n g an. (c) D e r a n g e n o m m e n e H e m m u n g s e f f e k t resultiert aus der Unvereinbarkeit nutzenorientierter Verhaltenserwartungen mit einer durch die Beobachtung altruistischen Verhaltens aktualisierten übergeordneten altruistischen N o r m und hängt daher nicht von dessen situationsspezifischen motivationalen Determinanten (i. e. Hilfsbedürftigkeit vs. Freundschaft) ab. 60 Kinder im Alter von 7 bis 8 Jahren wurden im R a h m e n eines faktoriellen Experiments untersucht. Die postexperimentelle Ausprägung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen entspricht den gemachten Vorhersagen. Supposing that one function of observing interpersonal behavior consists in the adjustment of social expectations, inappropriate with regard to a particular interpersonal situation, the following hypotheses were tested: (a) Subsisting utilitaristic expectations, referring to a peculiar interpersonal situation, are inhibited as a result of observing altruistic models in just this situation, (b) By means of activating such expectations prior to the observation of altruistic models, the extent of their inhibition is increasing, (c) T h e assumed inhibitory effect is due to inconsistencies between utilitaristic expectations and a superordinated altruistic norm, activated by observing altruistic behavior, and therefore, does not depend upon the particular motivational antecedents (i. e. neediness vs. friendship) of this behavior. 60 children, aged 7 to 8 years, were subjected to the treatments of a factorial experiment. T h e proportion of utilitaristic expectations elicited postexperimentally showed to be in accordance with the hypotheses.

Funktionen des Beobachtungslernens bei der Ausbildung von Verhaltenserwartungen Geht man davon aus, daß Verhaltenserwartungen kognitive Modelle beobachteter Verhaltensmuster darstellen, ist als grundlegender Lernprozeß ihrer Ausbildung das Beobachtungslernen anzunehmen (WALLER 1973 a). Unter Verhaltensmustern sind dabei zu verstehen: Überdauernde und damit erkennbare Regelbeziehungen zwischen situationsbezogenen (Ss) und personalen Attributen (Sp) einerseits so-

wie Verhaltensmerkmalen (Sb) andererseits (Ss/p - Sb). Werden solche Regelbeziehungen in alltäglichen Verhaltenssituationen beobachtet, lassen sich im Hinblick auf die Ausbildung von Verhaltenserwartungen analytisch verschiedene Funktionen des Beobachtungslernens unterscheiden, je nach dem, welcher Hintergrund an bereits ausgebildeten Verhaltenserwartungen bei einem Beobachter jeweils besteht. Die elementarste Funktion des Beobachtungslernens besteht in der Ausbildung neuer Verhaltenserwartungen. Ein entsprechender Lern-

Waller: Beobachtung altruistischen Verhaltens

52

effekt ist unter der Bedingung zu erwarten, daß (noch) unbekannte Ss/p - Sb-Beziehungen beobachtet und zutreffend erfaßt werden. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der Beobachter noch keine kognitiven Verhaltensmodelle (S's/p - S'b) ausgebildet hat, die mit dem beobachteten Verhaltensmuster übereinstimmen, ihm ähnlich oder i. S. einer allgemeinen Verhaltensregel (S's/p - S'b) übergeordnet sind. Diese Voraussetzung entzieht sich allerdings weitgehend einer direkten Kontrolle. Insofern ist der Nachweis der Ausbildung neuer Verhaltens erwartungen vermutlich ebenso schwer zu führen wie der Nachweis der von BANDURA & WALTERS ( 1 9 6 3 ) angenommenen analogen Funktion des Imitationslernens, der Ausbildung neuer VerhaltensmMiter (vgl. hierzu ARONFREED 1 9 6 9 , p .

2 5 1 f).

Eine zweite Funktion des Beobachtungslernens bei der Ausbildung von Verhaltenserwartungen besteht in deren Stabilisierung. Sie ist dann zu erwarten, wenn bestehende Verhaltenserwartungen und beobachtete Verhaltensmuster in dem Maße übereinstimmen, daß sie sich auf ein und dieselbe Verhaltenssituation beziehen und dabei eine isomorphe Regelbeziehung aufweisen. Unter dieser Bedingung werden bestehende Verhaltenserwartungen durch die Beobachtung von Verhaltensmustern bestätigt und erhalten damit einen höheren Grad an subjektiver Verbindlichkeit. Empirisch müßte sich diese Funktion in einer verstärkten Äußerung solcher Verhaltenserwartungen nach der Beobachtungsphase erweisen, d. h. in einem vergleichbaren Effekt, wie er von BANDURA & WALTERS (1963) für die enthemmende Funktion des Imitationslernens angenommen wird und als solcher auch nachgewiesen werden konnte (vgl. dazu u. a. B A N D U R A 1969). In der sozialen Realität stellt die auf einzelne Verhaltenssituationen bezogene Ubereinstimmung zwischen bestehenden Verhaltenserwartungen und beobachteten Verhaltensmustern jedoch sicher die Ausnahme dar. In der Regel werden beide vielmehr nur insoweit übereinstimmen, als sie zwar einer gemeinsamen Verhaltensnorm untergeordnet sind, in der spezifi-

schen Ausprägung der situativen, personalen und/oder behavioralen Elemente ihrer zugrundeliegenden Regelbeziehung aber voneinander abweichen. Setzt man dies voraus, ist eine weitere Funktion des Beobachtungslernens anzunehmen, die über die bloße Stabilisierung von Verhaltenserwartungen hinausgeht: die Ausbildung komplexer Verhaltenserwartungen. Ein entsprechender Lerneffekt ist zu erwarten, wenn die in ihrer spezifischen Ausprägung voneinander abweichenden situativen, personalen und/oder behavioralen Elemente beobachteter Verhaltensmuster und bestehender Verhaltenserwartungen durch informationsverarbeitende Prozesse verallgemeinert werden. Als Folge einer solchen Verallgemeinerung werden die auf spezifische Verhaltenssituationen bezogenen elementaren Verhaltenserwartungen (S's/p - S'b) zu komplexen Verhaltenserwartungen (S's/p - S'b) transformiert. Deren Geltungsbereich erstreckt sich im Gegensatz zu elementaren Verhaltenserwartungen nicht lediglich auf einzelne Verhaltenssituationen, vielmehr auf ganze Klassen von solchen. Bei der empirischen Überprüfung dieser Funktion des Beobachtungslernens wäre dementsprechend von der Annahme auszugehen, daß die zugrundeliegende Regelbeziehung einer bestehenden Verhaltenserwartung nach der Beobachtung von davon in der beschriebenen Weise abweichenden Verhaltensmustern auf neue, noch nicht beobachtete Verhaltenssituationen übertragen wird. Bezieht sich die Abweichung beobachteter Verhaltensmuster von bestehenden Verhaltenserwartungen auf die Struktur der ihnen zugrundeliegenden Regelbeziehung und nicht lediglich auf die situationsspezifische Ausprägung ihrer Elemente (Ss, Sp, Sb), sind zwei weitere Funktionen des Beobachtungslernens zu unterscheiden: eine hemmende und eine differenzierende. Ein hemmender Effekt der Beobachtung von Verhaltensmustern ist zu erwarten, wenn deren Regelbeziehung eine gegensätzliche Struktur zu derjenigen einer bereits bestehenden Verhaltenserwartung aufweist (z. B. S's/p - S'b vs.

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Ss/p - nonSb). Unter dieser Bedingung wird eine bestehende Verhaltenserwartung durch die beobachtete Regelbeziehung nicht bestätigt und damit in ihrer subjektiven Verbindlichkeit eingeschränkt. Dementsprechend ist anzunehmen, daß die hemmende Funktion des Beobachtungslernens bei der Ausbildung von Verhaltenserwartungen zu einem analogen Effekt führt, wie er von

BANDURA & WALTERS ( 1 9 6 3 )

für

das

Imitationslernen unter der Bedingung vorhergesagt wird, daß das beobachtete Modellverhalten mit negativen Konsequenzen verbunden ist, d. h. zu einer Abnahme der Äußerungsrate bestehender Verhaltenserwartungen und schließlich dazu, daß sie vollständig gelöscht und durch solche ersetzt werden, deren Regelbeziehung den beobachteten Verhaltensmustern entspricht. Der beschriebene Hemmungseffekt beschränkt sich auf die Bedingung, daß die Regelbeziehungen beobachteter Verhaltensmuster und bestehender Verhaltenserwartungen eine gegensätzliche Struktur aufweisen. Ein geringerer Grad an Abweichung liegt dagegen vor, wenn die zugrundeliegende Regelbeziehung von Verhaltensmustern gegenüber derjenigen einer bestehenden Verhaltenserwartung lediglich modifiziert ist. Empirisch ergibt sich eine solche Modifikation etwa daraus, daß im Rahmen einer definierten Verhaltenssituation, in bezug auf die bereits Verhaltenserwartungen bestehen, ein bisher nicht relevantes bzw. nicht beachtetes situatives und/oder personales Attribut (Sx) verhaltensbestimmend wird. Unter dieser Voraussetzung weist die Regelbeziehung eines beobachteten Verhaltensmusters (Ss/p, S x - S b ) gegenüber der Regelbeziehung der bestehenden Verhaltenserwartung (S's/p - S'b) keine gegensätzliche Struktur auf, vielmehr eine differenziertere. Insofern ist auch nicht zu erwarten, daß die Beobachtung solcher Verhaltensmuster zur Hemmung oder Löschung bestehender Verhaltenserwartungen führt, sondern zu ihrer Differenzierung.

FRAGESTELLUNG UND

HYPOTHESEN

Versuche, die unterschiedenen Funktionen des Beobachtungslernens einer empirischen Uberprüfung zu unterziehen, fehlen bisher noch weitgehend. Einen der angenommenen Stabilisierungsfunktion entsprechenden Effekt konnte WALLER (1973 a) nachweisen. Bei den von ihm untersuchten vier- bis neunjährigen Kindern stieg die Häufigkeit nutzenorientierter Verhaltensprognosen nach der Beobachtung symmetrischer Austauschbeziehungen deutlich an. Beobachteten die Kinder symmetrische und asymmetrische Austauschbeziehungen in systematischem Wechsel, wurden ihre nutzenorientierten Verhaltenserwartungen bei ausreichender Beobachtungshäufigkeit gelöscht und zu einem beträchtlichen Teil (in ca. 50 °/o der Fälle) durch solche ersetzt, die den beobachteten Wechsel zwischen symmetrischem und asymmetrischem Austausch widerspiegeln. Dieser Befund entspricht dem oben vorhergesagten Effekt der hemmenden Funktion des Beobachtungslernens. Seine Bedeutung wird allerdings eingeschränkt angesichts der zweifellos künstlich anmutenden Operationalisierung einer gegensätzlichen Struktur der Regelbeziehung bestehender Verhaltenserwartungen und beobachteter Verhaltensmuster. Die Abweichung beobachteter Verhaltensmuster von bestehenden Verhaltenserwartungen in der Form, daß ihre Regelbeziehung deren übergeordnete Norm abwechselnd bestätigt und negiert, stellt in alltäglichen Sozialbeziehungen nämlich sicher eine seltene Ausnahme dar. Empirisch wahrscheinlicher erscheint demgegenüber ein Diskrepanzverhältnis, das sich aus dem Konflikt der übergeordneten Norm bestehender Verhaltenserwartungen mit Verhaltensmustern ergibt, deren Regelbeziehungen eine alternative positive Norm widerspiegeln. Davon ausgehend ergibt sich auch die spezifische Zielstellung der vorliegenden Untersuchung: Die Überprüfung der hemmenden Funktion der Beobachtung solcher Verhaltensmuster auf nutzenorientierte Verhaltenserwartungen,

Waller: Beobachtung altruistischen Verhaltens

54

die einer Verhaltensnorm folgen, welche das Austauschprinzip ausschließt. Zu denken ist ,dabei in erster Linie an altruistische, dem Grundsatz der Generosität folgender Verhaltensmuster wie Hilfeverhalten, Aufteilungsverhalten, nicht-eigennütziges Geben etc. Wie übereinstimmend aus Befunden verschiedener Untersuchungen hervorgeht, sind prosoziale Verhaltensmuster dieser Art bereits im Kindesalter beobachtbar (vgl. dazu zusammenfassend BRYAN & L O N D O N 1 9 7 0 ) . Gesichert ist danach auch, daß die Häufigkeit altruistischen Verhaltens bei Kindern mit fortschreitendem Alter ansteigt (vgl. dazu u. a. HANDLON & GROSS 1 9 5 9 ; MIDLARSKY & BRYAN 1 9 6 7 ; UGUREL-SEMIN

1952).

Von besonderem Interesse sind im Zusammenhang unserer Fragestellung die Untersuchungen von BRYAN & T E S T ( 1 9 6 7 ) , HARRIS ( 1 9 7 0 ) , HARTUP & COATES ( 1 9 6 7 ) ,

ROSENHAN

& WHITE ( 1 9 6 7 ) u. a., aus denen hervorgeht,

daß die Beobachtung altruistischen Modellverhaltens zu einer Steigerung altruistischen Verhaltens beim Beobachter führen kann. nehmen als intervenierende Variable dieses Modelleffekts eine situationsspezifische Erhöhung der subjektiven Verbindlichkeit (salience) der «Norm der sozialen Verantwortlichkeit» an (BERKOWITZ & DANIELS 1 9 6 4 , p. 275). Ubertragen auf unsere Fragestellung heißt dies: Die Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster führt zur Aktualisierung einer übergeordneten altruistischen Verhaltensnorm. Mit zunehmender Beobachtungshäufigkeit erhöht sich deren subjektive Verbindlichkeit - entsprechend der zunehmenden Stabilisierung altruistischer Verhaltenserwartungen durch die beobachteten Verhaltensmuster. Umgekehrt werden nutzenorientierte Verhaltenserwartungen durch die Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster nicht bestätigt, was eine fortschreitende Einschränkung der subjektiven Verbindlichkeit der ihnen übergeordneten Austauschnorm zur Folge hat. BERKOWITZ & DANIELS ( 1 9 6 4 )

Geht man von dieser Rahmenhypothese aus, so folgt daraus, daß der hemmende Effekt der

Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster auf nutzenorientierte Verhaltenserwartungen nicht von der spezifischen Ausprägung ihrer situativen, personalen und/oder behavioralen Elemente abhängt. Entscheidend ist danach vielmehr in erster Linie, ob die Struktur der den beobachteten Verhaltensmustern zugrundeliegenden Regelbeziehungen einer übergeordneten Verhaltensnorm entspricht, die das Austauschprinzip als verhaltensbestimmende Norm ausschließt. Davon ausgehend ist zu erwarten, daß das Ausmaß der Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen nicht davon beeinflußt wird, welche motivationalen Determinanten den beobachteten altruistischen Verhaltensmustern zugrundeliegen. Dagegen ist zu vermuten, daß die Stärke des angenommenen Hemmungseffekts eine Funktion der Aktualisierung der Austauschnorm während der Beobachtungsphase ist, und zwar auf Grund folgender Überlegung: Aktualisiert der Beobachter das Austauschprinzip während der Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster, führt dies zu einer unmittelbaren Einschränkung der subjektiven Verbindlichkeit dieses Prinzips. Genauer gesagt: Als Folge der Nicht-Bestätigung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen wird das Austauschprinzip im Rahmen des beobachteten Verhaltenskontexts als verhaltensbestimmende Norm ausgeschlossen. Insofern ist unter dieser Bedingung ein maximaler Hemmungseffekt zu erwarten. Bleibt die Austauschnorm subjektiv dagegen latent, führt die Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster nur mittelbar - als Folge der Aktualisierung einer übergeordneten altruistischen Verhaltensnorm - zur Einschränkung ihrer Verbindlichkeit. Dementsprechend ist zu vermuten, daß die subjektive Wahrscheinlichkeit nutzenorientierter Verhaltenserwartungen nach der Beobachtungsphase zwar verringert wird, doch wird das Austauschprinzip im Rahmen des beobachteten Verhaltenskontexts als verhaltensbestimmende Norm keineswegs ausgeschlossen. Davon ausgehend ist unter dieser Bedingung ein vergleichsweise geringerer Hemmungseffekt zu erwarten.

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55

Zusammenfassend ergeben sich somit folgende Hypothesen: (1) Auf einen spezifischen Interaktionskontext bezogene nutzenorientierte Verhaltenserwartungen werden durch die Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster in eben diesem Interaktionskontext gehemmt. (2) Erfolgt die Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster nach vorheriger Aktualisierung der Austauschnorm, wird das Ausmaß der Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen gesteigert. (3) Die motivationale Determination der beobachteten altruistischen Verhaltensmuster beeinflußt das Ausmaß des angenommenen Hemmungseffekts dagegen nicht.

mentellen Bedingung in dem Hinweis von Px auf seine Abhängigkeit von P bzw. seine damit zusammenhängende Hilfsbedürftigkeit («... sonst bin ich ganz allein»). Unter einer zweiten Bedingung wies Px dagegen auf ein zwischen ihm und P bestehendes Freundschaftsverhältnis hin («... du bist doch mein Freund»). Grundlage dieser Form der experimentellen Manipulation bildeten vorliegende Befunde über unabhängige Variablen der Auslösung altruistischen Verhaltens. Als solche konnten u.a. die Abhängigkeit des Objekts altruistischen Verhaltens von einem altruistischen Subjekt, seine Hilfsbedürftigkeit sowie der Grad der gegenseitigen Sympathie und Freundschaft identifiziert werden (vgl. dazu zusammenfassend KREBS 1970, pp. 277-281).

METHODE

Die Aktualisierung der Austauschnorm erfolgte in der Weise, daß P sein Angebot an Px und Py mit der Forderung einer Gegenleistung verband - eine Bedingung, die bei Kindern im Alter von sechs bis neun Jahren im Rahmen des zugrundegelegten Interaktionskontexts nach den Befunden von WALLER (1973 a) mit überzufälliger Häufigkeit nutzenorientierte Verhaltenserwartungen auslöst. Py erklärte unter dieser Bedingung seine Bereitschaft, die Forderung von P zu erfüllen. Px dagegen ging auf diese Forderung nicht ein und reagierte darauf mit dem bereits beschriebenen Appell an P, ihn seiner Hilfsbedürftigkeit bzw. des bestehenden Freundschaftsverhältnisses wegen an G teilnehmen zu lassen. Entsprechend der den Interaktionen zugrundegelegten Regelbeziehung ließ P daraufhin den Px jeweils an G teilnehmen. Unter der Bedingung einer fehlenden Aktualisierung der Austauschnorm verband P sein A n gebot nicht mit der Forderung einer Gegenleistung.

Beobachtungsmaterial Als Beobachtungsmaterial diente ein bereits in einer früheren Untersuchung (WALLER 1973 a) verwandter Filmstreifen. Dieser zeigt eine Sequenz von 8 Interaktionsszenen, die folgende formale Struktur aufweisen: Im Rahmen einer 3-Personen-Situation (P, Px und Py), in der P eine von ihm, Px und Py angestrebte kooperative Zielaktivität (G) instrumenteil kontrolliert, läßt dieser den Px an G teilnehmen, den Py dagegen nicht. Den Interaktionsszenen, deren Aufbau und inhaltliche Gestaltung im einzelnen an anderer Stelle beschrieben ist (WALLER 1973 a), lag dabei folgende Regelbeziehung zugrunde: Px und Py äußern auf ein entsprechendes Angebot von P in Form gleichlautender sprachlicher Signale ihren Wunsch, an G teilzunehmen. Px verbindet damit im Gegensatz zu Py einen zusätzlichen Appell, durch den altruistisches Verhalten ausgelöst werden sollte. An diesem Appell war das Verhalten von P orientiert, er ließ jeweils und ausschließlich den Px an G teilnehmen. Die Kontrolle der motivationalen Determination des altruistischen Verhaltens von P erfolgte durch inhaltliche Variation des Appells von Px, und zwar bestand dieser unter einer experi-

Wie aus der Beschreibung des Filmmaterials hervorgeht, erfolgten die zwischen P, Px und Py stattfindenden Interaktionen in Form des Austauschs standardisierter sprachlicher Äußerungen. Diese wurden während der Filmvorführung vom VI gesprochen, wobei die Reihenfolge, in der Px und Py mit P interagierten, systematisch variierte.

Waller: Beobachtung altruistischen Verhaltens

56 Im übrigen war sichergestellt, daß das Filmmaterial außer den beschriebenen Appellen keinerlei Hinweisreize enthielt, an denen sich die Vpn orientieren konnten, um Px gegenüber Py als Objekt des altruistischen Verhaltens von P zu unterscheiden (vgl. dazu im einzelnen WALLER 1973 a). VERSUCHSPLAN

UND

VERSUCHSDURCHFÜHRUNG

Die Überprüfung der Hypothesen erfordert die Kontrolle der unabhängigen Variablen (a) Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster (b) Aktualisierungsgrad der Austauschnorm und (c) motivationale Determination der beobachteten altruistischen Verhaltensmuster. Die Variablen (b) und (c) wurden experimentell in der bereits beschriebenen Weise jeweils auf zwei Stufen realisiert. Um Hypothese (1) überprüfen zu können, wurde das Ausmaß nutzenorientierter Verhaltenserwartungen bei zwei Kontrollgruppen ohne vorherige Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster bestimmt, und zwar nachdem zuvor über die oben beschriebenen sprachlichen cues nutzen- und altruistisch orientierte Verhaltenserwartungen ausgelöst worden waren. Entsprechend der zweistufigen Realisation der Variable (c) lagen letzteren dabei zwei verschiedene motivationale Determinanten zugrunde. Somit ergibt sich ein faktorieller Kontrollgruppenplan mit zwei auf die Stufen des Faktors (C), motivationale Determination altruistischen Verhaltens, verteilten Kontrollgruppen und vier Experimentalgruppen, die den Treatmentkombinationen der Faktoren (B), Aktualisierungsgrad der Austauschnorm, und (C) unterzogen wurden. Pro Versuchbedingung wurden 10, insgesamt also 60 Kinder im Alter zwischen 7 und 8 Jahren untersucht, und zwar zur Hälfte Jungen und Mädchen. Bei Kindern dieser Altersstufe konnte nach den Befunden von WALLER (1973 a) angenommen werden, daß sie in bezug auf den zugrundegelegten Interaktionskontext mit überzufälliger Häufigkeit nutzenorientierte Verhaltenserwartungen äußern - eine für die Unter-

suchung der gegebenen Fragestellung unabdingbare Voraussetzung. Die Vorführung des Filmstreifens erfolgte im Einzelversuch in einem Abteil eines fahrbaren Testlaboratoriums. Für die Kinder der Experimentalgruppen sprach der VI dabei einen auf die jeweilige Versuchsbedingung abgestimmten standardisierten Begleittext. Unter der Kontrollbedingung dagegen gab der VI keinen Kommentar, d. h ., die Kinder beobachteten zwar das Geschehen im Film, konnten aber nicht unterscheiden, ob das Verhalten von P jeweils altruistisch oder nutzenorientiert war. An die Beobachtungsphase schloß sich nach einer Zwischenzeit von 3 Min. in einem zweiten Abteil des Testlaboratoriums die Testphase an. Messung der abhängigen

Variablen

Die Messung der abhängigen Variablen erfolgte anhand von Testsituationen (Standfotos von P, Px und Py), die dieselbe formale Struktur aufweisen, wie die im Film beobachteten Interaktionsszenen, von diesen aber thematisch abweichen. Über die Forderung von P nach einer Gegenleistung bzw. durch die Appelle von Px an P löste der VI zunächst sowohl nutzenorientierte als auch altruistische Verhaltenserwartungen aus. Daraufhin wurden die Kinder aufgefordert vorherzusagen, wen P jeweils an G teilnehmen lasse, den Px oder den Py. Gemessen wurde, ob und in welchem Ausmaße sich die Kinder in ihren Vorhersagen systematisch von nutzenorientierten (Vorhersage: P läßt Py an G teilnehmen) oder von altruistischen Verhaltenserwartungen (Vorhersage: P läßt Px an G teilnehmen) leiten ließen. Kriterium einer systematischen Reaktionsweise war dabei die Konsistenz der Vorhersagen in jeweils vier dargebotenen Versionen von sechs Testsituationen. Dementsprechend konnten die Kinder bei insgesamt 24 Vorhersagen einen maximalen Punktwert von 6 als M a ß für die Orientierung an altruistischen vs. nutzenorientierten Verhaltenserwartungen erreichen.

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ERGEBNISSE Wie aus Schaubild I hervorgeht, liegen die Mittelwerte nutzenorientierter Verhaltensprognosen bei den Experimentalgruppen deutlich unter denjenigen der beiden Kontrollgruppen.

-O

Freundschaft

als m o t i v a t i o n a l Determinante

- ù . Hilfsbedürftigkeit

altruistischen Verhaltens

Schaubild I Mittelwerte nutzenorientierter Verhaltensprognosen unter der Kontrollbedingung (K) sowie bei niedrigem (B t ) vs. hohem (B 2 ) Aktualisierungsgrad der Austauschnorm während der Beobachtungsphase

Die Bereitschaft der Kinder, nutzenorientierte Verhaltenserwartungen zu äußern, wurde demgemäß durch die vorherige Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster offensichtlich stark eingeschränkt. Besonders deutlich zeigt sich dieser hemmende Effekt der Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster bei hohem Aktualisierungsgrad der Austauschnorm: systematisch am Austauschprinzip orientierte Verhaltensprognosen fehlen unter dieser Bedingung

völlig. Wie Schaubild I weiterhin zu entnehmen ist, wurde das Ausmaß der Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen offensichtlich auch davon beeinflußt, welche motivationalen Determinanten den beobachteten altruistischen Verhaltensmustern zugrundelagen. Bemerkenswert ist dabei, daß sich dieser Einfluß unter den verschiedenen Treatmentkombinationen unterschiedlich auswirkte. Nach dem Verlauf der Kurven zu urteilen, führte unter der Kontrollbedingung der Hinweis auf die bestehende Hilfsbedürftigkeit, unter B t dagegen der Appell an die gegenseitige Freundschaft zu einer relativ stärkeren Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen. Unter Bedingung B 2 schließlich ist ein entsprechender Einfluß überhaupt nicht festzustellen. Infolge der vollständigen Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen unter Bedingung B 2 ist die Varianz innerhalb bei den auf der Basis nutzenorientierter Verhaltensprognosen gewonnenen Meßwerten unter dieser Versuchsbedingung Null. Aus diesem Grunde erfolgte die statistische Überprüfung der beschriebenen Befunde auf der Grundlage derjenigen Meßwerte, die sich auf das Ausmaß altruistischer Verhaltensprognosen beziehen. Beide Meßwertreihen sind in Anbetracht der logischen Komplementarität der Einzelmessungen theoretisch zwar äquivalent, doch weicht ihre empirische Verteilung aufgrund des zugrundegelegten Konsistenzkriteriums von der theoretisch zu erwartenden Symmetrie geringfügig ab. Unter varianzanalytischen Gesichtspunkten war dabei ausschlaggebend, daß aufgrund eben dieser Abweichung die Varianz innerhalb bei den altruistisch- im Gegensatz zu den nutzenorientierten Verhaltensprognosen unter keiner Versuchsbedingung Null ist.

Die Mittelwerte der altruistisch orientierten Verhaltensprognosen sind in Tab. I zusammengefaßt, die Ergebnisse der Varianzanalyse in Tab. II.

Tabelle I Mittelwerte altruistisch orientierter (in Klammern: nutzenorientierter) Verhaltensprognosen unter den Kontroll- (K) und Experimentalbedingungen (B„ B 2 ) Motivationale Determination altruistischen Verhaltens

Freundschaft Hilfsbedürftigkeit

K

Beobachtungsbedingung Bi

B>

0.2 (5.4) 1.5 (3.8)

4.8 (0.8) 3.6 (1.7)

5.7 (0.0) 5.6 (0.0)

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Waller: Beobachtung altruistischen Verhaltens

Wie ein Blick auf Tabelle I bestätigt, ist die Abweichung der Mittelwerte altruistisch orientierter Verhaltensprognosen von dem jeweiligen komplementären Wert, der Differenz des maximalen mittleren Punktwerts und dem Mittelwert nutzenorientierter Verhaltensprognosen, nur gering. D a unter allen Treatment-

kombinationen ein Teil der Verhaltensprognosen weder systematisch am Austauschprinzip noch altruistisch orientiert war, summieren sich die Mittelwertpaare allerdings in keinem Fall zum maximalen mittleren Punktwert.

Tabelle II Varianzanalyse der Kontroll- und Experimentalgruppen Quelle der Variation

Kontroll- vs. Experimentalbedingung Aktualisierungsgrad der Austauschnorm Motivationale Determination altr. Verhaltens BxC Innerhalb

SS

df

MS

F

(A)

132.84

1

132.84

51.09

(B)

21.02

1

21.02

8.08

.10 < .25

3.00 143.05

1 55

3.00 2.60

1.15

>.25

Hypothese (1) wird durch das Ergebnis der Varianzanalyse in aller Deutlichkeit bestätigt: Die Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster führte zu einer starken Ausprägung altruistischer Verhaltenserwartungen und damit - im Vergleich zu den Kontrollgruppen - zur Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen. Ein entsprechender Effekt ist nicht nur als over-all-Effekt, sondern auch im Einzelvergleich der Kontrollgruppen mit den vier Experimentalgruppen gesichert: Die t-Werte aller Einzelvergleiche liegen über dem kritischen Wert (t = 2.92, df = 40/5, p < .01). Entsprechend der in Hypothese (2) gemachten Vorhersage ist auch ein Effekt des Faktors B gesichert: Der hemmende Einfluß der Beobachtung altruistischer Verhaltensmuster auf nutzenorientierte Verhaltenserwartungen steigt mit dem Aktualisierungsgrad der Austauschnorm vor der Beobachtungsphase signifikant an. Dagegen wird das Ausmaß der Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen nicht nennenswert dadurch beeinflußt, welche motivationalen Determinanten den beobachteten altruistischen Verhaltensmustern zugrundeliegen. Ein Effekt des Faktors C läßt sich nicht nachweisen - weder als Haupteffekt noch in Interaktion mit Faktor B. Zu berücksichtigen

-

P

< .001

-

ist dabei allerdings, daß bei dem zugrundegelegten varianzanalytischen Plan die Kontrollgruppen nicht in die faktorielle Analyse einbezogen werden. Wie eine Inspektion der Daten zeigt, ist ein Einfluß des Faktors C aber gerade unter der Kontrollbedingung relativ stark ausgeprägt. Um dem Rechnung zu tragen, wurde der Effekt des Faktors C in einer ex-post-Analyse unter Einbezug der Kontrollgruppen in die faktorielle Analyse überprüft. Dabei ergab sich: Auch bei Zugrundelegung eines 3 x 2-varianzanalytischen Plans, in dem die Kontrollbedingung als Stufe (B 0 ) des Faktors B zu betrachten ist, läßt sich ein Haupteffekt des Faktors C nicht sichern (F c = .00), vielmehr nur ein solcher des Faktors B (F b = 48.68(2/54), p < .001). Dagegen zeigt sich, daß der Faktor C auf den Stufen von B eine unterschiedliche Wirkung hat (F bc = 3.15(2/54), p = .054). Abschließend ergibt sich somit folgendes Bild der Wirkung des Faktors C: Im Gegensatz zu Bedingung B 2 hatte die motivationale Determination altruistischen Verhaltens unter der Kontrollbedingung sowie unter Bedingung B, einen Einfluß auf das Ausmaß der Hemmung nutzenorientierter Verhaltensprognosen. Dieser Einfluß ist allerdings nur der Tendenz nach und nicht so stark ausgeprägt, daß er sich in Form

59

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von Einfacheffekten ausreichend absichern läßt (c auf b 0 : F = 3.39 (1/54), p > .05 < .10; c auf b t : F = 2.89 (1/54), p > .05 < .10 und im Vergleich dazu c auf b 2 : F = .02 (1/54), p > .25). Hinzu kommt, daß seine Richtung unter den Versuchsbedingungen B 0 und B, gegenläufig ist, so daß er nicht in Form eines Haupteffekts in Erscheinung tritt.

DISKUSSION Als Ergebnis des vorliegenden Experiments ist zunächst hervorzuheben: Der vorhergesagte Effekt der angenommenen hemmenden Funktion des Beobachtungslernens bei der Ausbildung von Verhaltenserwartungen zeigte sich in aller Deutlichkeit. Durch die Beobachtung von Verhaltensmustern, deren übergeordnete Verhaltensnorm mit derjenigen bereits ausgebildeter Verhaltenserwartungen nicht vereinbar ist, werden diese in ihrer subjektiven Verbindlichkeit eingeschränkt und, gemessen an der Wahrscheinlichkeit ihrer Auslösung, gehemmt. Entsprechend der gewählten Versuchsanordnung beschränkt sich das Experiment auf den Nachweis einer situationsspezifischen Einschränkung der subjektiven Verbindlichkeit der Austauschnorm und daraus abgeleiteter nutzenorientierter Verhaltenserwartungen. Ob damit auch eine allgemeine, über den beobachteten Interaktionskontext hinausreichende Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen verbunden ist, bleibt eine offene Frage. Aussagen hierüber zu machen lag jedoch auch nicht in unserer Absicht. Denn, gerade in dem nachgewiesenen begrenzten Lerneffekt liegt u. E. die sozialisationstheoretische Bedeutung der hemmenden Funktion des Beobachtungslernens bei der Ausbildung von Verhaltenserwartungen, genauer gesagt: in der Korrektur situationsspezifischer Verhaltenserwartungen, die aus Verhaltensnormen abgeleitet sind, deren Aktualisierung im Rahmen eines gegebenen Interaktionskontexts inadäquat ist. So verstanden bildet die hemmende Funktion des Beobachtungslernens in Verbindung

mit der ebenfalls angenommenen Funktion der Modifikation bestehender Verhaltenserwartungen die lerntheoretische Grundlage einer situationsspezifischen Differenzierung allgemeiner Verhaltensnormen. Als solche erscheint sie insbesondere im Hinblick auf die Vermittlung einer situationsspezifisch flexiblen Verhaltensplanung und -kontrolle von Bedeutung - einem Aspekt der Entwicklung interpersonalen Verhaltens, der von der Sozialisationsforschung bisher vernachlässigt wurde (vgl. dazu WALLER 1 9 7 3 b). Entsprechend unserer Erwartung erhöhte sich das Ausmaß der Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen unter der Bedingung, daß die Austauschnorm vor der Beobachtungsphase aktualisiert wurde. Bei der Erklärung dieses Befundes ist davon auszugehen, daß der beobachtete Interaktionskontext durch die Aktualisierung der Austauschnorm in seinen normativen Bezügen dimensional leichter strukturiert werden konnte. Bedingt dadurch erhöhte sich die Unterscheidbarkeit der konkurrierenden Verhaltensnormen. Genauer gesagt: Als Folge der Aktualisierung der Austauschnorm vor der Beobachtungsphase konnte diese leichter als nicht, die während der Beobachtungsphase aktualisierte altruistische Verhaltensnorm dagegen leichter als allein verhaltensbestimmende Norm diskriminiert werden. Dieser Erklärungsversuch läßt sich durch empirische Befunde stützen, aus denen hervorgeht, daß Stimuli im Diskriminationsversuch bei simultaner Darbietung vergleichsweise schneller gelernt werden als bei sukzessiver Darbietung ( v g l . d a z u u . a . JEFFREY 1 9 6 1 , SPIKER &

LUB-

KER 1965). Des weiteren ist aus Untersuchungen über die Entwicklung informationsverarbeitender Prozesse bekannt, daß die Ökonomie der Informationsselektion eine Funktion der dimensionalen Strukturiertheit des dargebotenen Reizmaterials ist (vgl. dazu u. a. BRUNER 1966 MACCOBY 1 9 6 9 ) .

Gemessen am Verhalten der Experimentalgruppen bewährte sich auch Hypothese (3): Das Ausmaß der Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen wurde nicht nennenswert

60 dadurch beeinflußt, ob die Kinder freundschaftliches Verhalten oder Hilfeverhalten beobachteten. Doch bleibt dabei die unterschiedliche Ausprägung des hemmenden Effekts der Beobachtung motivational durch gegenseitige Freundschaft vs. Hilfsbedürftigkeit determinierter altruistischer Verhaltensmuster außer Betracht. Dasselbe gilt für den u. E. bemerkenswerten Befund, daß sich das relative Stärkeverhältnis des Hemmungseffekts der beiden motivationalen Determinanten unter Bedingung B, gegenüber der Kontrollbedingung umkehrt. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß sich beide Befunde in unserem Datenmaterial nur der Tendenz nach zeigen. Hinzu kommt, daß es sich um ex-post-facto-Befunde handelt. Insofern beschränken wir uns im folgenden auch auf die Formulierung mehr oder weniger plausibler Hypothesen. Eines kann u. E. allerdings trotz der gebotenen Reserve festgehalten werden: Daß Appelle an die gegenseitige Freundschaft im Vergleich zu solchen an die eigene Hilfsbedürftigkeit unter der Kontrollbedingung kaum zu altruistischen Verhaltensprognosen bzw. zur Hemmung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen führten, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht darauf zurückzuführen, daß gegenseitige Freundschaft für Kinder der untersuchten Altersstufe im allgemeinen kein Auslöser für altruistische Verhaltenserwartungen wäre. Zumindest stimmt eine solche Erklärungshypothese weder mit dem Verhalten der von uns unter Bedingung B t untersuchten Kinder noch mit Befunden von STAUB & SHERK (1970) überein, nach denen sich neunjährige Kinder einem anderen Kind gegenüber um so altruistischer verhielten, je größer die gegenseitige Schätzung war. Bedenkt man, daß sowohl freundschaftliches als auch nutzenorientiertes Verhalten dem Prinzip der Reziprozität folgen, Hilfeverhalten dagegen nicht, drängt sich eine andere Hypothese zur Erklärung der in Frage stehenden Befunde auf: Bedingt durch die Auslösung nutzenorientierter Verhaltenserwartungen während der Testphase, wurde mit der Austauschnorm gleichzeitig auch das Reziprozitätsprinzip ak-

Waller: Beobachtung altruistischen Verhaltens

tualisiert. Unter der Kontrollbedingung bildete Hilfeverhalten gegenüber diesem Prinzip einen stärkeren Kontrast als das ihm untergeordnete freundschaftliche Verhalten. Aus eben diesem Grunde hatte Hilfeverhalten als Alternative zu nutzenorientiertem Verhalten für die Kinder aber vermutlich eine höhere subjektive Wahrscheinlichkeit als freundschaftliches Verhalten. Dies gilt allerdings nur für die unter der Kontrollbedingung untersuchten Kinder, denn bei den Experimentalgruppen wurde das Reziprozitätsprinzip durch die Beobachtung freundschaftlichen Verhaltens in einer auf Freundschaftsbeziehungen zentrierten Form aktualisiert, die nutzenorientiertes Verhalten ausschließt. Aus diesem Grunde konnte freundschaftliches Verhalten unter der Experimentalbedingung als Alternative zu nutzenorientiertem Verhalten einen höheren Grad an subjektiver Wahrscheinlichkeit erhalten als unter der Kontrollbedingung. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß das Reziprozitätsprinzip während der Testphase vermutlich stärker aktualisiert wurde als die dem Hilfeverhalten übergeordnete Norm der Generosität. Dies ist deswegen anzunehmen, weil das Reziprozitätsprinzip nicht nur durch Appelle an die gegenseitige Freundschaft aktualisiert wurde, sondern auch und zusätzlich durch die unter allen Versuchsbedingungen von P erhobene Forderung einer Gegenleistung. Davon ausgehend ließe sich auch der Befund erklären, daß Appelle an die gegenseitige Freundschaft unter Bedingung B, vergleichsweise mehr altruistische Verhaltenserwartungen auslösten als solche an die bestehende Hilfsbedürftigkeit - und zwar als Effekt der Dominanz des Reziprozitätsprinzips. Inwieweit diese auf ex-post-Analysen basierenden Erklärungshypothesen zutreffen, kann auf Grund unseres Datenmaterials allein nicht entschieden werden und bleibt daher zu überprüfen.

61

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ZU

DIESEM

BEITRAG

D i e s e A r b e i t ist i m S o n d e r f o r s c h u n g s b e r e i c h 2 4 , Sozial- und Wirtschaftspsychologische Entscheidungsforschung,

der

Universität

Mannheim,

unter V e r w e n d u n g der v o n der D e u t s c h e n F o r s c h u n g s g e m e i n s c h a f t zur V e r f ü g u n g

gestellten

Mittel und mit Unterstützung des Landes B a d e n W ü r t t e m b e r g entstanden. H e r r n W o l f g a n g H u s s o n g , der bei der P l a n u n g dieser U n t e r s u c h u n g beteiligt w a r u n d d i e D a t e n e r h e b u n g d u r c h f ü h r te, gilt a n dieser Stelle m e i n b e s o n d e r e r D a n k . F ü r die f r e u n d l i c h e U n t e r s t ü t z u n g u n d M i t h i l f e bei der R e k r u t i e r u n g der V p n d a n k e i c h a n d i e ser Stelle d e m D i r e k t o r d e s S c h u l a m t s der Stadt M a n n h e i m s o w i e d e n L e h r -

^^^

kräften der u n t e r s u c h t e n S c h u l k l a s s e n .

J

62

Silbereisen et al.: RolIenLibernahme

Untersuchung zur Rollenübernahme: Die Bedeutung von Erziehungsstil, Selbstverantwortlichkeit und sozioökonomischer Struktur RAINER K . SILBEREISEN

PETER HEINRICH

H A N S - J Ü R G E N TROSIENER

Institut für Psychologie Technische Universität Berlin

Als ein wesentlicher Bestandteil Interpersonaler Kompetenz kann die Fähigkeit zur Rollenübernahme (role taking) angesehen werden. Die vorliegende Untersuchung an 114 Kindern zweier nach der sozioökonomischen Struktur der Einzugsgebiete unterschiedener Westberliner Grundschulen setzt die Fähigkeit zur Rollenübernahme zur mütterlichen Unterstützung und Strenge sowie zur erlebten Selbst- vs. Fremdverantwortlichkeit in Beziehung. Die Ergebnisse lassen bei Ausschluß von Intelligenzunterschieden allgemein einen differentiellen Effekt dieser Variablen auf die Rollenübernahme in Abhängigkeit von der sozioökonomischen Struktur des Lebensraumes der Kinder erkennen. Role taking skills are fundamental constituents of interpersonal competence. The experiment under consideration using 114 children from two West-Berlin schools, located in regions differing in socioeconomic structure, relates role taking to mother's support and control, and perceived locus of control. With intelligence held constant, the results show in general differential effects of these variables on role taking, dependent on the socioeconomic structure of children's environmental setting.

EINLEITUNG In jüngster Zeit zeichnen sich vielversprechende Ansätze zur Erforschung der Wirkung kognitiver Prozesse auf die soziale Interaktion ab. So wurden etwa von FLAVELL et al. ( 1 9 6 8 ) in der PIAGET-Tradition konzipierte Vorstellungen über den kindlichen Egozentrismus mit rollentheoretischen Konzepten verbunden und auf kognitive Prozesse der interpersonalen Sphäre angewendet. FEFFER ( 1 9 7 0 ) versucht eine Integration des gleichfalls von PIAGET stammenden Begriffs der Dezentrierung mit sozialpsychologischen Vorstellungen A S C H S . WALLER ( 1 9 7 1 ) formuliert eine Konzeption, die ebenfalls neuere rollentheoretische Modelle mit kognitionspsychologischen Ansätzen verbindet.

Im Mittelpunkt dieser Forschungsbemühungen steht die Untersuchung der Rollenübernahme (role taking, taking-the-role-of-the-other). Rollenübernahme ist (vgl. A R G Y L E 1 9 7 4 ; F L A VELL e t a l . 1 9 6 8 ; M E A D 1 9 6 8 ; SARBIN & A L L E N 1 9 6 9 ; T U R N E R 1 9 6 2 ; WALLER 1 9 7 1 ) als antizipatorische soziale Kognition zu verstehen, die zur Zuschreibung von Verhaltensbereitschaften und anderen intrapsychischen Prozessen zu Sozialpartnern führt. Kognitive Prozesse dieser Art fallen in das Repertoire solcher Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die gemeinhin als Inter-

personale

Kompetenz

(WEINSTEIN

1969)

be-

zeichnet werden. Die Befähigung zur Attribuierung von Verhaltensbereitschaften ist eine fundamentale Voraussetzung für soziales Verhalt e n (vgl. HARTUP

1970).

63

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 62-75

Eine heuristische Taxonomie der Prozeßvariablen bzw. der ontogenetischen Voraussetzungen der Rollenübernahme formulieren FLAVELL et al. (1968, p. 208): (a) Einsicht in die Möglichkeit der Standortgebundenheit von Kognitionen, (b) Motivation zur Exploration der Verhaltensbereitschaften des Sozialpartners, (c) Befähigung zur Identifizierung situativ relevanter Attribute, (d) Koordination eigener und fremder Perspektive und (e) schließlich die Umsetzung in zielgerichtetes Handeln.

GEGENWÄRTIGER FORSCHUNGSSTAND

und physikalischen Konzeptentwicklung - vgl. FEFFER & GOUREVITCH ( 1 9 6 0 ) , FEFFER & J A HELKA ( 1 9 6 8 ) , LOWENHERZ & FEFFER

(1969),

HOLLOS & COWAN ( 1 9 7 3 ) u n d RUBIN ( 1 9 7 3 )

-

empirisch kaum untersucht. Die wenigen einschlägigen Arbeiten betreffen überwiegend Hypothesen zum Erwerb der Rollenübernahme durch soziales Lernen und zu (sozioökonomisch spezifischen) Merkmalen der Interaktion und Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Als wesentlich für die Vermittlung von Fertigkeiten zur Rollenübernahme werden generell Ausmaß und Qualität der sozialen Interaktion im familialen und extrafamilialen Bereich anges e h e n (FLAVELL et al. 1 9 6 8 ; KOHLBERG 1 9 6 9 ; WEINSTEIN 1 9 6 9 ; HARTUP 1 9 7 0 ) . D i e L e r n p r o -

Zur Deskription von Entwicklungsverläufen

lie-

gen U n t e r s u c h u n g e n von ALVY (1968), DEVRIES ( 1 9 7 0 ) , KRAUSS & GLUCKSBERG ( 1 9 7 0 ) , MILLER, KESSEL & FLAVELL ( 1 9 7 0 ) , SELMAN ( 1 9 7 1 b ) u n d

FLAVELL et al. (1968) vor, wonach Kinder in der Altersphase zwischen etwa 8 und 12 Jahren die bedeutendsten Fortschritte zeigen. Empirische Arbeiten zur instrumentellen Funktion betreffen bisher vornehmlich die verbale Kompetenz, etwa COWAN (1966), FEFFER & SUCHOTLIFF ( 1 9 6 6 ) , COHEN & KLEIN ( 1 9 6 8 )

und MARATSOS (1973). Daneben sind weitere Arbeiten erschienen, die aber nicht in einem systematischen Forschungszusammenhang stehen:

MOUTON, BELL &

ROW

(1970)

&

CAMPBELL

und

RARDIN

BLAKE ( 1 9 5 6 ) , (1963),

&

MOAN

YAR-

ROTHENBERG

(1971)

zur

Abhängigkeit von Positions- und Prozeßmerkmalen der sozialen Interaktion in Peer-Gruppen von der Fähigkeit zur Rollenübernahme. Weiterhin

STEIN, GOUGH & SARBIN ( 1 9 6 6 )

und

CHANDLER (1973) bzgl. Zusammenhängen zur jugendlichen Delinquenz, STUART (1967), SELMAN (1971a) u n d RUBIN & SCHNEIDER (1973)

zum Thema Rollenübernahme und moralisches Verhalten oder FINLEY & HUMPHREYS (1971)

über die Verbindung zu Strategien der Verhaltenssteuerung des Sozialpartners. Antezedente Bedingungen wurden außer in wenigen Arbeiten zur Stellung der Rollenübernahme im Kontext der logisch-mathematischen

zesse werden als Lernen an relevanten Modellen charakterisiert, das zur Ausbildung der antizipatorischen kognitiven Schemata und entsprechender Motivationsstrukturen führt, die ihrerseits Rollenübernahme ermöglichen. Ohne empirische Prüfung haben sich KERCKHOFF (1969) aus der Sicht der SEARSschen Identifikationst h e o r i e (SEARS, MACCOBY & LEVIN 1 9 5 7 ) WALLER

(1971)

in

Anlehnung

an

und

BANDURA

(1965, 1969) zu Bedingungen und Umständen der relevanten Lernprozesse geäußert. Merkmale der Interaktion und Kommunikation in der Familie werden von beiden Autoren als besonders zentral angesehen: Elterliche Fürsorge und Anleitung werden von KERCKHOFF als positiv mit der Kompetenz zur Rollenübernahme korreliert postuliert. WALLER sieht den Einfluß schichtspezifischer Stile der familiären Verhaltenskontrolle, wobei statusorientierte Kontrolle zwar frühzeitigere Kompetenz zur Rollenübernahme bedingen soll, der es aber im Vergleich zu personorientiert erworbener Kompetenz an Flexibilität mangelt. Die Untersuchung von geplanten Interventionsmöglichkeiten steht, wie nicht anders zu erwarten, gänzlich am Anfang. Bislang kann ledigl i c h a u f FRY ( 1 9 6 7 , 1 9 6 9 ) u n d CHANDLER ( 1 9 7 3 )

verwiesen werden; RAUH (1973 betont die mögliche Rolle der institutionalisierten Elementarerziehung.

Silbereisen et al.: Rollenübernahme

64

PROBLEMSTELLUNG

chende Lernmodalität - konzeptualisiert. Folgt m a n der H y p o t h e s e n b i l d u n g v o n STAPF et al.

Die vorliegende Untersuchung ist als Erkundungsstudie im Problembereich antezedenter Bedingungen der Rollenübernahme konzipiert. Gefragt wird nach dem Zusammenhang zwischen dem Grad der perzipierten mütterlichen Strenge und Unterstützung, der erlebten Selbstbzw. Fremdverantwortlichkeit und der sozioökonomischen Struktur des Lebensraumes einerseits und der Fähigkeit zur Rollenübernahme andererseits; die Intelligenz wird als Kovariate berücksichtigt. Die Untersuchung erfolgt an Schülern der 3. Klassenstufe im Alter von etwa 8 bis 9 Jahren. Rollenübernahme Die Modellsituation zur Erhebung solcher Fertigkeiten ist in Anlehnung an FLAVELL et al. (1968) entworfen: Dem Kind wird eine Bilderserie als Illustration eines aus alltäglichen Lebensbereichen vertrauten Geschehens vorgelegt, die für das Handeln der abgebildeten Personen leicht faßbare Motive nahelegt. Nachdem das Kind den Ablauf der Ereignisse aus seiner Sicht erzählt hat, wird der Aufforderungscharakter der Serie durch Entfernen einiger Bilder vollständig verändert. Das Kind soll nun das durch die reduzierte Serie illustrierte Geschehen vom Standpunkt eines uninformierten Beobachters erzählen, dem die vollständige Serie nicht bekannt ist. Der Grad der korrekten Antizipation des fremden Standpunkts wird als M a ß der individuellen Leistungsfähigkeit in der Rollenübernahme verwendet. Unterstützung

und Strenge

Ausmaß und Qualität der Interaktion und Kommunikation in der Familie werden als wesentliches Moment der Entwicklung von Fähigkeiten zur Rollenübernahme angesehen. Für diese Untersuchung orientieren wir uns am Zweikomponenten-Konzept elterlicher Bekräftigung von STAPF et al. (1972), das Erziehungsstile und zugeordnete Erziehungswirkungen - beschränkt auf die elterliche Bekräftigung bzw. die entspre-

(1972), korrespondiert dem Uberwiegen elterlicher Unterstützung (positiver Bekräftigung) die Gebotsorientierung, die bei entsprechender Ausprägung durch die positive Verhaltensselektion zu ausgewogen modulierten Verhaltensweisen und einem unbefangenen, aktiven Sozialstil führt. Dem Uberwiegen elterlicher Strenge (negativer Bekräftigung) folgt eine Aktivitätsminderung mit einer Scheu vor Abweichung und Risiko. Aus dieser Typisierung der allgemeinen Konsequenzen von Unterstützung und Strenge läßt sich die Entwicklung von Fertigkeiten zur Rollenübernahme nicht global ableiten. Eine simple Beziehung: «Je mehr Unterstützung, desto mehr Kompetenz zur Rollenübernahme» kann einer differenzierenden Betrachtung nicht standhalten, da die Erwartungen der jeweiligen Bezugsgruppe und die realen Anforderungen im persönlichen sozialen R a u m mitgedacht werden müssen. Ein markantes Defizit an Möglichkeiten zum sanktionsfreien Explorieren interpersoneller Sachverhalte muß freilich der Entwicklung der Rollenübernahme hemmend entgegenstehen, wenn für deren Ausbildung die Motivation zur Erkundung der Verhaltensbereitschaften anderer konstitutiv ist (FLAVELL et al. 1968). Demgegenüber sollten unterstützend Erzogene mehr Gelegenheiten zur Sammlung sozial-kognitiv relevanter Erfahrungen haben. Freilich fällt möglicherweise nicht die Kompetenz zur Rollenübernahme schlechthin unterschiedlich aus, sondern einzelne ihrer Merkmale, wie die Bandbreite oder Flexibilität (vgl. WALLER 1 9 7 1 ) .

Selbstverantwortlichkeit Selbstverantwortlichkeit (internal control) liegt vor, wenn Erfolge bzw. Mißerfolge eigenen Handlungen, Kapazitäten oder Attributen zugeschrieben werden. Fremdverantwortlichkeit (external control) ist gegeben, wenn Erfolge bzw. Mißerfolge nicht als unter eigener Kontrolle stehend erlebt werden.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 62-75

Die vorliegende Untersuchung bezieht sich auf die Konzeption eines Fragebogens zur Selbstverantwortlichkeit von CRANDALL, KATKOVSKY & CRANDALL ( 1 9 6 5 ) : Thematisch ist die Einstellung zu Ursachen von Erfolgs- und Mißerfolgsausgängen eigener Leistungsbemühungen im intellektuellen Bereich, wobei als verantwortlich neben der eigenen Person konkrete Sozialpartner angeboten werden. Einige Untersuchungen lassen einen positiven Zusammenhang zwischen Fähigkeit zur Rollenübernahme und der erlebten Selbstverantwortlichkeit vermuten: PHARES ( 1 9 6 5 ) und PHARES, RITCHIE & DAVIS ( 1 9 6 8 ) konnten zeigen, daß eher selbstverantwortliche Personen mehr Initiative zur Durchsetzung ihrer Intentionen entwickeln. DAVIS & PHARES ( 1 9 6 7 ) stellten bei Selbstverantwortlichkeit größere Bereitschaft zur aktiven Informationssuche und Adaptation eigenen Verhaltens zwecks Beeinflussung des Verhaltens von Sozialpartnern fest. Eher external orientierte Personen zeigen nach Untersuchungen von HERSCH & SCHEIBE ( 1 9 6 7 ) und MILLER & MINTON ( 1 9 6 9 ) einen durch Mißtrauen und geringes Bedürfnis nach sozialer Anerkennung charakterisierten Sozialstil. Sozioökonomische

Struktur

Der Einfluß der sozioökonomischen Struktur des Lebensraumes auf die Kompetenz zur Rollenübernahme wird insbesondere auf zwei Wegen wirksam: Einerseits reflektieren solche Variablen bestimmt geartete Möglichkeiten sozialer Erfahrungen schlechthin, andererseits wird die familiäre Interaktion und Kommunikation bestimmte Inhalte und Formen zeigen, die im Kontext gerade dieses Lebensraumes funktional sind. Wichtig für die Hypothesenbildung ist eine Arbeit von HOLLOS & COWAN (1973), die den Einfluß sozioökonomisch bedingter sozialer Iso1

65

lation des unmittelbaren Lebensbereiches auf die Ausbildung von Fähigkeiten zur Rollenübernahme untersuchten und eine deutliche Benachteiligung von Kindern aus ökonomisch deprivierten ländlichen Ansiedlungen im Vergleich zu Kindern aus städtischen Kommunen feststellen konnten. Intelligenz Die Fähigkeit zur Rollenübernahme ist als eng verknüpft mit dem Niveau der kognitiven Ausstattung i. w. S. zu denken. Zwischen Leistungen in verschiedenen Operationalisierungen von Rollenübernahme und Intelligenztests ist nach ROTHENBERG (1970), COIE & DORVAL (1973) u. a. ein positiver Zusammenhang zu erwarten. Hypothesen Aus den genannten Erwägungen ergeben sich folgende Hypothesen: H l : Kinder mit höherer erlebter Selbstverantwortlichkeit zeigen durchschnittlich höhere Leistungen der Rollenübernahme. H2: Kinder, die von mehr mütterlicher Unterstützung bzw. von weniger Strenge berichten, zeigen durchschnittlich höhere Leistungen der Rollenübernahme. H3: Die Leistungen der Rollenübernahme unterscheiden sich in Abhängigkeit von der sozioökonomischen Struktur des Lebensraumes. Als Rahmenbedingung wird für alle Hypothesen Vergleichbarkeit bzgl. der allgemeinen intellektuellen Leistungsfähigkeit vorausgesetzt.

METHODE VERSUCHSPERSONEN

Untersucht wurden je 2 dritte Grundschulklassen aus 2 Westberliner Schulen 1 , insgesamt 114

Für die Unterstützung bei der Durchführung der Untersuchung danken wir dem Senator für Schulwesen sowie den beteiligten Rektoren (Herr Ansorge, Herr Aust) und Lehrern (Frau Düllberg, Frau Fütterer-Schumann, Herr Kassube, Frau Wilschek) der Grundschule am Rüdesheimer Platz und der Otto-Wels-Grundschule. Weiterhin sind wir den Teilnehmern der Übung «Empirisch-Psychologische Forschungsmethoden» (WS 1973) für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Organisation, Durchführung und Auswertungsvorbereitung der Untersuchung dankbar.

66

Silbereisen et al.: Rollenübernahme

Schüler (51 Mädchen, 63 Jungen; A M des Alters 8;9 Jahre). Die Schulen wurden nach der extrem gegensätzlichen Position der sie umgebenden statistischen Gebiete bzgl. der Merkmale Stellung im Beruf und Wirtschaftsbereich der Erwerbstätigen ausgewählt (vgl. Tab. 1). Global lassen sich diese Teile der Bezirke Wilmersdorf (Schule A) und Kreuzberg (Schule B) als traditionelle Mittelschicht* bzw. Unterschichtwohngebiete kennzeichnen. Tabelle 1 Erwerbstätige nach Stellung im Beruf und Wirtschaftsbereich (°/o)

Stellung

Schule A

Schule B

22 66 12

72 22 6

26 21 53

56 18 26

im Beruf

Arbeiter Beamte, Angestellte Selbständige Wirtschaftsbereich Prod. Gewerbe Handel, Verkehr Sonstige

Quelle: Berliner Statistik, A / V o l k s z ä h l u n g 1970/4; stat. Geb. 45 (A) und 13 (B).

VARIABLEN

Rollenübernahme

(RÜ)

Für die eigene Untersuchung wurden 3 Bilderserien zu je 7 Bildern entworfen, die bei nahezu jedem der untersuchten Kinder die folgenden Erzählelemente stimulierten 2 : RÜ1: Ein Junge fährt mit dem Roller über unwegsames Gelände. Ein anderer Junge bittet vergeblich, auch fahren zu dürfen. Daraufhin läßt er die Luft aus dem Hinterrad, und der erste Junge muß den Roller schieben. RÜ2: Ein Junge wird beim Spazierengehen von einem Hund verfolgt. Der Junge flüchtet auf einen Baum und ißt einen Apfel, bis der Hund wegrennt.

2

RÜ3: Zwei Jungen streiten sich um einen Ball. Der eine Junge stößt den anderen zu Boden und schießt den Ball in eine Fensterscheibe. Ein Mann kommt aus dem Haus und schimpft wegen der zerbrochenen Scheibe. In der Versuchssituation wird das Kind mit dem Versuchsleiter (VI) und seinem Helfer (H) bekannt gemacht und wie folgt instruiert: «Hier sind sieben Bilder. Diese Bilder erzählen eine kleine Geschichte, genauso wie in Bilderheften. Erzähl mir mal, was dort passiert.» Wird bei der Geschichte spontan kein Motiv für das Verhalten der Personen genannt, erfolgt vom VI eine entsprechende Rückfrage. Danach werden z. B. bei R Ü 1 die Bilder mit Handlungen des zweiten Jungen entfernt und wie folgt instruiert: «Das hast Du gut gemacht. H hat bis jetzt noch keines von diesen Bildern gesehen. Nicht wahr? Jetzt machen wir ein Ratespiel: Wir werden H gleich hereinrufen, und wir zeigen H gerade diese Bilder, und Du rätst dann, was H für eine Geschichte erzählen wird. Du stellst Dir also vor, Du bist H und erzählst mir, was H wohl für eine Geschichte erzählen wird.» Wird bei der folgenden Erzählung spontan kein Motiv für das Verhalten der Personen genannt, erfolgt eine Rückfrage in der Art «Was meintH, warum...?». Die Erzählungen der Kinder wurden auf Band mitgeschnitten und vollständig transskribiert. Zur Auswertung wurde eine 5stufige Skala benutzt, die das Ausmaß der Konfundierung von eigener (1. Erzählversion) und erschlossener fremder (2. Erzählversion) Sichtweise darstellt: U Berücksichtigung der Standortgebundenheit fehlt völlig. 1 Die Nennung relevanter Motive wird zunächst vermieden, bei entsprechender Nachfrage fehlt Berücksichtigung der Standortgebundenheit. 2 Es werden Motive der 1. Erzählversion genannt, diese aber als mögliche, wahrscheinliche o. ä. qualifiziert.

Wir danken Frau Sieveking für die Erstellung der Bildvorlagen.

67

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 62-75

3 Die Nennung relevanter Motive wird zunächst vermieden, bei entsprechender Nachfrage Berücksichtigung der Standortgebundenheit. 4 Spontane Berücksichtigung der Standortgebundenheit. Die Auswertung erfolgte durch mehrere unabhängig voneinander arbeitende Beurteiler, die hohe Ubereinstimmungen erzielten. Die statistischen Kennwerte der Verteilungen für RÜ1, RU2, RÜ3 und den Summenwert RÜG sind Tab. 2 zu entnehmen. Die Interkorrelationen betragen r R ü l j 2 = .40, r Kül>3 = .17 und r RÜ2 3 = .50, deren Betrag durch die stark unterschiedliche Schwierigkeit beeinflußt wird.

Tabelle 2 Kennwerte der Rohwert-Verteilungen

RÜ1 RÜ2 RÜ3 RÜG U S I+ IBT 1

AM

SD

Schiefe

2.48 1.84 .75 5.06 27.40 36.79 7.02 5.06 8.03

1.32 1.29 .98 2.72 5.80 5.59 2.03 2.10 2.32

-.50 .17 1.16 .07 .06 -.84 -.37 -.10 -.51

Selbstverantwortlichkeit

(I)

Aus dem von CRANDALL et al. ( 1 9 6 5 ) berichteten Fragebogen wurden 22 Items übersetzt und in forced-choice-Form zusammengestellt. Je 11 betreffen Erfolgs- bzw. Mißerfolgserlebnisse, davon je 7 im schulischen Leistungsbereich und je 4 im Bereich sozialer Interaktion mit Peers. Jede die eigene Person statt des Lehrers bzw. Peers als verantwortlich bezeichnende Antwort wird mit einem Punkt für 1+ (Erfolge) bzw. I - (Mißerfolge) bewertet. Die statistischen Kennwerte der Verteilungen sind Tab. 2 zu entnehmen.

3

Unterstützung und Strenge (U, S) Die von STAPF et al. (1972) berichteten Skalen zur perzipierten mütterlichen Unterstützung und Strenge wurden angesichts des Alters der Kinder in den Antwortalternativen auf die drei Kategorien «oft», «manchmal» und «selten» reduziert. Antworten zu den Kategorien wurden entsprechend mit 1, 2 oder 3 bewertet. Die statistischen Kennwerte der Verteilungen sind Tab. 2 zu entnehmen. Intelligenz

(BT1)

Verwendet wurde der Subtest «Anweisungsverständnis» des BT 2 - 3 von INGENKAMP (1966). Den ganzen Test vorzugeben war aus Zeitgründen nicht möglich. Dieser Subtest repräsentiert nach den Angaben des Autors den Gesamt-Test am besten. Geprüft wird nach den Anmerkungen INGENKAMPS das Verstehen und Befolgen mündlich gegebener Anweisungen, das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Gestaltanalyse und Auffassungsschnelligkeit. Die statistischen Kennwerte der Verteilung sind Tab. 2 zu entnehmen. Die Items wurden faktorisiert 3 , die Faktorwerte auf dem varianzmächtigsten Faktor (50 % d. gem. Var.) bestimmt und für die weitere Datenverarbeitung statt der Rohwerte verwendet. VERSUCHSABLAUF

Die Untersuchung erfolgte während der Schulzeit. Bei je einer Zufallshälfte jeder Klasse wurden zunächst im Gruppenversuch BT1, U, S, I, dann im Einzelversuch RÜ1, 2, 3 gegeben; bei der anderen Hälfte erst Einzel-, dann Gruppenversuch. Bei den Gruppenversuchen standen mehrere Helfer zur Verfügung. Die Anweisungen waren um größte Anschaulichkeit bemüht; die Fragebogenitems wurden zum Ausgleich von Leseschwierigkeiten überwiegend mündlich vorgetragen. Die Gruppenversuche beanspruchten einschließlich Pausen etwa eine Stunde. Die Einzelversuche erfolgten in Schule A in

Mit Kommunalitäten-Iteration, ohne Rotation; Abbruchkriterium: Eigenwert kleiner 1.0.

68

Silbereisen et al.: Rollenübernahme

der Turnhalle, wobei durch Stellwände einzelne Kabinen abgeteilt wurden. In Schule B standen mehrere Räume zur Verfügung. Die Kinder wurden nach Zufall einem von 8 Interviewerpaaren (VI und H ) zugewiesen, wobei bei einer Hälfte der Interviewerpaare der V I weiblich, H männlich war, bei der anderen Hälfte umgekehrt. Die Einzelversuche beanspruchten etwa 20 min. Zwischen Einzel- und Gruppenversuch war eine Pause, während der die Kinder unter Anleitung einer Helferin spielten.

ERGEBNISSE DIMENSIONALE DER

STRUKTUR

FRAGEBÖGEN

Faktorenanalysen Unterstützung und Strenge

4

Angesichts des Tab. 3 zu entnehmenden Ladungsmusters des Fragebogens zur Unterstüt-

zung scheint eine vorsichtige Interpretation von Faktor I als eher emotionalem ( U l ) und Faktor I I als eher problemorientiertem (U2) Aspekt mütterlicher Unterstützung zulässig. Die Interpretation des Tab. 4 zu entnehmenden Ladungsmusters des Fragebogens zur Strenge ergibt recht eindeutig für Faktor I eine mütterliche Disziplinierungstechnik durch Beschränkung des Freiheitsspielraums ( S l ) und für Faktor I I durch körperliches Strafen (S2). Besonders bei der Skala Strenge erscheint die Aufspaltung in Beschränkung des Freiheitsspielraums und körperliches Strafen beim gegebenen Iteminhalt sehr plausibel. Andererseits wurden beide Skalen von STAPF et al. (1972) als eindimensional konzipiert und empirisch verifiziert. Verantwortlich für diesen Widerspruch kann die Tatsache sein, daß das Alter der hier untersuchten Kinder um fast 3 Jahre unter dem der jüngsten von STAPF et al. berichteten Untersuchungsgruppe liegt: Möglich ist, daß Mütter die

Tabelle 3 Ladungen auf den Faktoren von Unterstützung Item

U 1

U 2

h2

1

.10

.07

.01

2

.03

.12

.01

3

.24

.54

.35

4

.27

-.06

.08

5

.17

.53

.31

6

.10

.14

.03

7

-.05

.26

.07

8

.58

.15

.36

9

.05

.26

.07

10

-.02

.41

.17

11

.53

.19

.32

12

.16

.37

.16

13

.60

.19

.40

14

.24

.21

.10

15

.27

.14

.09

o/o

24

22

Wortlaut

Sie tröstet mich und hilft mir, wenn etwas schief gegangen ist. Sie bringt mir Dinge bei, die ich können möchte.

Sie lobt mich, wenn ich mich wie ein Erwachsener benehme.

Meine Mutter antwortet mir geduldig, wenn ich ihr viele Fragen stelle. Wenn ich mich über etwas freue, merke ich, daß sie sich mit mir freut.

gem. Var.

4

Mit Kommunalitäten-Iteration, Varimax-rotiert; Abbruchkriterium: Eigenwert kleiner 1.0.

69

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1975, 6, 62-75 Tabelle 4 Ladungen auf den Faktoren von Strenge Item

S1

S 2

h2

1 2

.17 .51

.19 .17

.06 .29

3 4 5

-.07 .32 .66

.29 .19 .01

.09 .14 .44

6 7

.07 .23

.14 .54

.02 .34

8 9 10 11 12 13 14 15

.10 .13 .42 .05 .35 .09 .40 .48

.09 .48 .39 .70 -.01 .16 .34 .26

.02 .25 .33 .49 .12 .03 .28 .30

°/o

25

24

Wortlaut

Wenn ich etwas ausgefressen habe, schickt sie mich ins Bett.

Zur Strafe verbietet sie mir, mit meinen Freunden zu spielen. Wenn ich etwas Vorlautes sage, schlägt sie mir auf den Mund.

Zur Strafe gibt sie mir Schläge.

gem. Var.

Tabelle 5 Ladungen auf den Faktoren von Selbstverantwortlichkeit 1-

I+

h2

1 2 3 4 5

.10 -.07 .00 .25 .12

.23 -.01 .21 .37 .65

.06 .01 .04 .20 .44

6 7

-.02 -.11

.31 .39

.10 .16

8

.44

.11

.21

9 10

.15 .58

.01 -.05

.02 .34

11 12

.24 .43

.14 .05

.08 .19

13

.45

-.14

.22

14

.03

-.10

.01

%> gem. Var.

30

26

Item

Wortlaut

Nimm an, Deine Antwort auf eine Frage vom Lehrer war richtig. Wenn Du etwas noch gut weißt, was Du einmal in der Klasse gehört hast. Wenn Du in der Schule etwas nicht richtig verstehst. Wenn Du etwas vergißt, das Du im Unterricht gehört hast. Nimm an, D u bist in irgendeinem Fach nicht so gut wie sonst. Nimm an, Deine Antwort auf eine Frage vom Lehrer war falsch.

Silbereisen et al.: Rollenübernahme

70 Unterstützung und Strenge gegenüber jüngeren Kindern differenzierter einsetzen.

Tabelle 6 F-Werte der Kovarianzanalysen Erziehungsstil und Selbstverantwortlichkeit Quelle der Variation

Selbstverantwortlichkeit5

Faktorenanalyse

Abh. Var.

Zunächst wurden sämtliche 22 Items berücksichtigt. Dabei stellte sich heraus, daß die nicht auf schulische Leistungssituationen bezogenen Items nur unzureichend mit dem Gros der Items kovariieren. Daraufhin wurde der Itempool auf die unterrichtsbezogenen Items beschränkt. Wie aus dem Ladungsmuster in Tab. 5 ersichtlich ist, wird Faktor I durch Items bestimmt, die Mißerfolge (I-) beschreiben. Auf Faktor II laden entsprechend einige Items über Erfolge (I+). Die durchweg recht niedrigen Kommunalitäten zeigen, daß auch bei bloßer Berücksichtigung von Leistungssituationen im Unterrichtsgeschehen die überwiegende Zahl der Items spezifischen Charakter hat. Wie auch von CRANDALL et al. ( 1 9 6 5 ) für das Grundschulalter demonstriert, zeigen die eigenen Daten eine weitgehende Unabhängigkeit der erfolgs- und der mißerfolgsbezogenen Kausalattribuierung. Eine einheitliche Dimension der Verantwortlichkeit anzunehmen (ROTTER 1 9 6 6 ) , ist demnach wenig realistisch (s. STEPHENS & DELYS 1 9 7 3 ) . ERZIEHUNGSSTIL, SELBSTVERANTWORTLICHKEIT, ROLLENÜBERNAHME: ABHÄNGIGKEIT VON SOZIOÖKONOMISCHER STRUKTUR U N D GESCHLECHT

Kovarianzanalyse

6

Erziehungsstil

Die Klassifikationsvariablen dieser Kovarianzanalysen sind Geschlecht und Schule, als Kovariate werden die Faktorwerte des BT1 (Intelligenz) verwendet. Abhängige Variablen sind die Faktorwerte aus den Faktorenanalysen der Fragebögen zur Unterstützung, Strenge und Selbstverantwortlichkeit. 5 6

Geschlecht

Schule

Interaktion

1.08 1.44* 1.72+ .36 1.92* .02

.11 .59 .11 .23 2.48+ 4.49«*

.08 .76 .72 .93 .87 .01

U 1 U 2 S1 S2 1+ Idf = 1,109;

+

= p < .25;

= p < .05

Wie Tab. 6 zu entnehmen, ist für die Faktorwerte des Erziehungsstils keiner der Haupt- oder Nebeneffekte hinreichend statistisch gesichert. Lediglich der Einfluß des Geschlechts bei U2 und S1 ist immerhin so groß, daß eine vorsichtige Betrachtung der Tendenz in den Mittelwerten erlaubt ist: Danach erfahren Mädchen mehr Unterstützung und weniger Strenge - eine Tendenz, die voll den gängigen Erwartungen entspricht (vgl. CAESAR 1972). Kovarianzanalyse

Selbstverantwortlichkeit

Wie ebenfalls Tab. 6 zu entnehmen, besteht bzgl. der Selbstverantwortlichkeit für Mißerfolge (I-) ein gesicherter Unterschied zwischen den Schulen (p < .05): Die Kinder der Schule des Arbeiterbezirkes halten sich in höherem Maße für schulische Mißerfolge verantwortlich. Dieses Ergebnis scheint zunächst solchen Untersuchungen zu widersprechen, die bei Kindern aus der Unterschicht geringere Selbstverantwortlichkeit feststellten. Man muß aber bedenken, daß etwa bei BATTLE & ROTTER (1963) ganz offensichtlich (vgl. STEPHENS & DELYS 1973) eine Konfundierung von Internalitätsorientierung und Erfolgserwartung vorliegt, so daß nicht Selbstverantwortlichkeit, sondern erlebte persönliche Kompetenz zur Erreichung einer Klasse von sozial wünschbaren Zielen thematisch

Eine Inspektion der 4-Felder-Besetzungen erbrachte die Zulässigkeit der Bildung von Produktmomenten. Wegen ungleicher Zellenbesetzungen wird mit dem harmonischen Mittel gearbeitet (vgl. W I N E R 1970, p. 595606).

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 62-75

71

ist - die allerdings dürfte von Unterschichtkindern realistisch als relativ gering angesehen werden. Hier aber handelt es sich um den schulischen Leistungsbereich ohne die genannte Konfundierung im Wortlaut der Items. Unterstellt man, daß der Unterschied zwischen den beiden Schulen vornehmlich ein Unterschied des Grades von Attribuierungsfehlern ist, ermöglicht dies eine bündige Erklärung: Die Kinder der Schule des Arbeiterbezirkes sind womöglich verstärkt solchen Sozialisationseinflüssen ausgesetzt (vgl. HECKHAUSEN 1972), die einer unspezifischen Konditionierung zur persönlichen Verantwortung bei Versagen förderlich sind. Dieses Konzept der Individualisierung eigentlich nicht persönlich zu verantwortender Mißerfolge ist den Ideologien einer bürgerlichen Leistungsgesellschaft über vermeintliche Ursachen sozialer Benachteiligung bekanntlich nicht fremd. Kovarianzanalyse

Rollenübernahme

Abhängige Variable sind die Summenwerte der Scores aus der Analyse der RO-Protokolle. Als Kovariate werden wiederum die Faktorwerte des BT1 verwendet. Tabelle 7 F-Werte der Kovarianzanalysen Rollenübernahme Quelle der Variation Abh. Var. RÜG RÜG RÜG RÜG RÜG RÜG RÜG

Faktor Geschl. U 1 U 2 Sl S 2 1+ I-

Schule .07 .16 .67 .00 .21 .11

1.15 .86 .94 .79 .86 .82 .90

Interaktion +w

3.93 1.96* 3.02" .43 .16 .21 3.26++

df = 1, 109; + = p < .25, ++ = p < .10, = p < .05 Erziehungsstil und Selbstverantwortlichkeit am Median halbiert.

Aus Tab. 7 sind die F-Werte für die Klassifikation nach Geschlecht und Schule zu entnehmen. Danach sind die Haupteffekte nicht, wohl aber die Interaktion hinreichend statistisch gesichert (p < .05): Die Leistungen der Mädchen aus dem

Arbeiterbezirk liegen erheblich niedriger als die Werte der anderen Mädchen (AM: 4.20 vs. 5.76). Die sich in den Mittelwerten zwischen den Schulen lediglich abzeichnende Tendenz in Richtung der erwarteten geringeren Leistung der Kinder aus dem Arbeiterbezirk (AM: 4.77 vs. 5.33) wird also vornehmlich durch die Unterschiede zwischen den Mädchen der beiden Schulen bedingt. Eine Hypothese, um diese Feststellung plausibel zu machen, geht vom Rekurs auf die Aufgabensituation aus: Dargestellt werden in den Bilderserien Alltagsgeschehnisse, die den Erfahrungen von Jungen wohl etwas mehr entsprechen als den gängigen Aktivitäten von Mädchen. Nun ist aus Forschungen zur sozialen Schicht als Determinante geschlechtsspezifischen Verhalhaltens bekannt (vgl. CAESAR 1 9 7 2 ) , daß gerade in Familien der Unterschicht die traditionellen Definitionen der Geschechtsrollen besonders prägnant vermittelt werden. Trifft dies auf die untersuchte Gruppe zu, wäre mit WALLER ( 1 9 7 1 ) zu vermuten, daß sich in der hier diskutierten Interaktion Schule x Geschlecht die geringere Flexibilität der Kompetenz zur Rollenübernahme bei schichtspezifisch statusorientierter Verhaltenskontrolle niederschlägt. Die Hypothese H3 kann also nur mit der Einschränkung auf Mädchen in der untersuchten Gruppe bestätigt werden. ROLLENÜBERNAHME: VON E R Z I E H U N G S S T I L

ABHÄNGIGKEIT UND

SELBSTVERANTWORTLICHKEIT

Aus Tab. 7 sind die F-Werte für die Klassifikation nach Medianhälften der Variablen U l , U2, Sl, S2, I+, I - und Schule zu entnehmen. Als Kovariate werden wiederum die Faktorwerte des BT1 verwendet. Für den emotionalen ( U l ) und den problemorientierten (U2) Aspekt mütterlicher Unterstützung ist keiner der Effekte hinreichend statistisch gesichert. Eingedenk der nur relativen Bedeutung von Median-«Extremgruppen» werden die Tendenzen in den Interaktionen betrachtet: Danach ist wahrscheinlich, daß zukünftige Untersuchungen mit einem differen-

Silbereisen et al.: Rollenübernahme

72 tiellen Effekt von Erziehungsstilen, abhängig vom sozialen Kontext, rechnen müssen. Im vorliegenden Fall sind nach Tab. 8 die Effekte von problemorientierter und emotionaler Unterstützung zwischen den Schulen gegensinnig: mehr emotionale und weniger problemorientierte Unterstützung korrespondiert jeweils den höheren RÜ-Werten bei den Kindern des Arbeiterbezirkes. Bei den Kindern der anderen , Schule zeichnet sich eine umgekehrte Tendenz ab. Tabelle 8 Mittelwerte der RÜ-Summenwerte nach Schule und Medianhälften von U 1 u n d U 2 weniger Ul U2 Schule A Schule B

5.52 4.33

5.07 5.43

mehr Ul U2 5.02 5.23

erfolg zeigen den niedrigsten, die ebenfalls unter dem Median lokalisierten Kinder der anderen Schule den höchsten RÜ-Wert (AM: 4.28 vs. 5.72; vgl. Tab. 9). Möglich ist, daß vom gängigen Durchschnitt ihrer Gruppe stark abweichende Attribuierungsmuster dem Erwerb von Fähigkeiten zur Rollenübernahme deshalb nicht förderlich sind, weil die relevante Umgebung der Kinder auf solche Abweichungen mit sozialen Sanktionen reagiert. Die Hypothese Hl kann demnach ebenfalls nicht mit der gewünschten Sicherheit bestätigt werden. Tabelle 9 Mittelwerte der RU-Summenwerte nach Schule und Medianhälften von I -

5.54 4.15 Schule A Schule B

Wie Tab. 7 zu entnehmen, besteht bzgl. des Aspekts mütterlicher Strenge durch körperliche Strafen (S2) ein schwacher Effekt in der erwarteten Richtung: Strenger erzogene Kinder zeigen geringere Leistungen (AM: 4.73 vs. 5.33). Dieser Unterschied erscheint bemerkenswert, wenn er auch nicht besonders ausgeprägt ist, angesichts der deutlichen Schiefe der Originalwerte, wonach die untersuchte Gruppe bei weitem nicht den möglichen Spielraum mütterlicher Strenge abdeckt. Die Hypothese H2 kann nicht mit der gewünschten Sicherheit bestätigt werden. Dies wird einerseits komplexen differentiellen Effekten von sozioökonomischen Determinanten und elterlichen Verhaltensweisen, andererseits dem Fehlen extremer Varianten der Erziehungsstile zugeschrieben. Wie bereits bzgl. der Unterstützung vermerkt, ist auch im Fall der erlebten Selbstverantwortlichkeit für Mißerfolge ( I - ) mit einem vom sozialen Kontext abhängigen differentiellen Effekt zu rechnen: Wie Tab. 7 zu entnehmen, ist diese Tendenz einer Interaktion Selbstverantwortlichkeit x Schule nur für die Mißerfolgsattribuierung festzustellen. Kinder aus der Schule des Arbeiterbezirks unter dem Median bzgl. Miß-

weniger I-

mehr I-

5.72 4.28

4.62 5.04

DISKUSSION Die von STAPF et al. (1972) berichteten Fragebögen zur Unterstützung und Strenge erwiesen sich entgegen der Erwartung als mehrdimensional: Unterscheiden lassen sich ein emotionaler und ein problemorientierter Aspekt der Unterstützung. Strenge i. S. des Fragebogens ist gegliedert in Disziplinierung durch Beschränkung des Freiheitsspielraums und durch körperliche Strafen. Der von CRANDALL et al. ( 1 9 6 5 ) übernommene Fragebogen zur Selbstverantwortlichkeit ist nur beschränkt geeignet, ein homogenes Konzept der Verantwortlichkeit bei der untersuchten Altersgruppe aufzuweisen: Selbst bei Beschränkung der Thematik auf schulische Leistungssituationen hat die überwiegende Zahl der Items spezifischen Charakter. Die Ergebnisse zeigen, daß sich die Kinder der Schule des Arbeiterbezirks in höherem Maße für schulische Mißerfolge verantwortlich halten als die Schüler des Mittelschichtwohngebiets. Die Hypothese, wonach eine Abhängigkeit zwischen der sozioökonomischen Struktur des

Zeitschrift f ü r S o z i a l p s y c h o l o g i e 1975, 6, 6 2 - 7 5

Lebensraumes und Rollenübernahme besteht, konnte nicht voll bestätigt werden. Die Daten sprechen aber für die Richtigkeit der Annahme von WALLER ( 1 9 7 1 ) , daß weniger die Leistung in der Rollenübernahme schlechthin unterschiedlich ausfällt, wohl aber die Bandbreite oder Flexibilität gegenüber weniger vertrauten sozialen Situationen. Mehr Unterstützung bzw. weniger Strenge (verstanden als Medianhalbierung) entsprechen nicht global, wie angenommen wurde, höherer Leistung in der Rollenübernahme. Vielmehr ist mit einem differentiellen Effekt von Erziehungsstilen, abhängig vom sozialen Kontext, zu rechnen. Die Annahme, wonach Kinder mit höherer erlebter Selbstverantwortlichkeit (verstanden als Medianhalbierung) höhere Leistungen in der Rollenübernahme zeigen, gilt gleichfalls nicht allgemein. Der Zusammenhang zwischen Rollenübernahme und Selbstverantwortlichkeit scheint vom gängigen Durchschnitt in der schulischen Bezugsgruppe des Kindes abhängig zu sein. Kompetentes interpersonales Verhalten erfordert von den Beteiligten gültige antizipatorische Analysen der Verhaltensbereitschaft des jeweiligen Partners und der Situationsbedingungen, um die Realisierung der eigenen Ziele in der Interaktion zu erreichen bzw. um die Position des Gegenüber angemessen berücksichtigen zu können. Die Perspektive des Sozialpartners muß dafür ebenso kognitiv präsent sein wie die eigene Perspektive, da das konkrete Erkennen von Abweichungen eine der Voraussetzungen für zutreffende Schlüsse über die Verhaltensbereitschaften des Partners sein wird. Die untersuchte Aufgabensituation stellt eine vereinfachte Modellierung solcher Prozesse dar: Die Gültigkeit der eigenen Perspektive wird durch die Vorgabe solcher Bildmaterialien gewährleistet, die hochgeneralisierte Erwartungen über die internen Prozesse (Motive) der abgebildeten Personen aktualisieren. In der Tat hatte auch kaum eines der Kinder Schwierigkeiten, das Geschehen i. S. des intendierten Aufforderungscharakters der Bilder zu erfassen. Dieser Teil der Aufgabensituation diente aber lediglich

73 dazu, eine protokollierbare eigene Perspektive zu etablieren. In gewohnten interpersonalen Prozessen erfolgt, anders als in der Untersuchungssituation, die Aufforderung zur Vergegenwärtigung der Perspektive des Sozialpartners allenfalls implizit. Das Ergebnis der Initiative zum Erschließen der Fremdperspektive steht also in gewohnten sozialen Situationen in einem funktionalen Kontext mit eigenem, auf den Sozialpartner bezogenem Handeln. Die genannten Merkmale interpersonalen Verhaltens werden in der untersuchten Aufgabensituation nicht realisiert. Wir können indessen erfahren, ob ein Kind seine abstrakte Einsicht in die Standortgebundenheit von Kognitionen über soziale Sachverhalte, die in der untersuchten Altersgruppe gegeben ist ( D E V R I E S 1970; SELMAN 1971b), ohne Interferenz zwischen eigener und fremder Perspektive anwenden kann, wobei diese als «Uninformiertheit» des Gegenüber konkretisiert wird. In weiteren Untersuchungen sollte darüberhinaus das Merkmal der Zugänglichkeit bzw. Verdecktheit der Attribute des Sozialpartners (äußere Verhaltensmerkmale vs. innere psychische Prozesse), die seine Perspektive bzw. seine Verhaltensbereitschaften bestimmen, beachtet werden (vgl. WALLER 1973). Um die Ergebnisse der eigenen Arbeit zu fundieren, wird es nötig sein, den in dieser Untersuchung nicht aufgelösten Komplex sozioökonomischer Randbedingungen i. S. spezifischer Merkmale des individuellen Erfahrungs- und Gestaltungsfeldes der Kinder zu konkretisieren. Dazu wird es fruchtbar sein, aus der Biographie des Kindes solche Merkmale herauszugreifen, die aus der Tätigkeit der unmittelbaren Bezugspersonen - etwa als Produktionsarbeiter mit den Problemen der Nacht- und Schichtarbeit, der Berufstätigkeit der Mutter, persönlichkeitsdeformierenden Arbeitsprozessen usf. - abzuleiten sind: Zu denken ist an den beschränkten Umfang des Kontakts mit beiden Eltern, wechselnde Betreuung beim Besuch von Kinderhorten oder die Übernahme nicht altersgerechter Verpflichtungen. Die Dimensionen elterlichen Verhaltens werden breiter zu erfassen sein, hier wurde ledig-

Silbereisen et al.: Rollenübernahme

74

lieh die mütterliche Unterstützung und Strenge berücksichtigt. Dabei scheint uns die Stimulation durch Anleitung oder Vorbild, sich in interpersonalen Inferenzprozessen zu engagieren, besonders wichtig. Neben der Familie, die solchen Aufgaben oft nur unvollkommen gerecht werden kann, sei an die potentielle Rolle der institutionalisierten Elementarerziehung erinnert. Bevor allerdings die sich hier anbietenden Möglichkeiten ausgeschöpft werden können (vgl. CHANDLER 1 9 7 3 ; RAUH 1 9 7 3 ) , müssen die zur Ausbildung sozial-kognitiver Fertigkeiten konstitutiven Lernprozesse eingehender als bisher untersucht werden.

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Täschner: Drogenkonsum

76

Diskussion Zur Frage gesellschaftlicher Ursachen des Drogenkonsums Jugendlicher KARL-LUDWIG TÄSCHNER Zentrum der Psychiatrie im Fachbereich Humanmedizin der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt a. M.

Seit wir in der Bundesrepublik Deutschland in zunächst steigendem, in letzter Zeit eher rückläufigem Umfang mit drogenkonsumierenden Jugendlichen konfrontiert sind, ist es nicht gelungen, die Ursachen dieser Erscheinung auch nur annähernd zu erkennen. Zwar wurden mehr oder weniger gezielte epidemiologische Untersuchungen vorgenommen, so daß wir über die Verbreitung des Phänomens - wenn auch mit starker zeitlicher Verzögerung - ziemlich genau Bescheid wissen, doch ist unser Wissen über die auslösenden und verursachenden Faktoren bruchstückhaft geblieben. Dabei hat uns auch die Betrachtung sozialer Faktoren in der Umgebung von Drogenkonsum bei Jugendlichen u. a. deshalb nicht wesentlich weitergebracht, weil wir Ursachen, Wirkungen und Begleiterscheinungen (im Sinne von Nebenwirkungen) nur schwer voneinander unterscheiden können. In der medizinischen Forschung dominiert eine multifaktorielle Betrachtungsweise der süchtigen Entwicklung. Sucht wird hier als überwiegend biologisch begründeter, an somatisches Substrat gebundener, soziogenetisch komplettierter Sachverhalt verstanden. Familiäre, persönlichkeitsbedingte, psychopathologische und für die Jugendphase spezifische, aber auch soziologische Momente im weitesten Sinne sowie ideologische Faktoren bilden ein Bündel, das in 1

sich Interaktionen zeigt und zusammengenommen neben der Verfügbarkeit der suchterzeugenden Substanzen und ihren spezifischen Wirkungen für süchtige Entwicklungen verantwortlich ist (vgl. TÄSCHNER 1 9 7 3 ) . VON FERBER ( 1 9 6 8 ) hat darauf hingewiesen, daß Verzerrungen im Verständnis des Verhältnisses zwischen Krankheit und Gesellschaft durch die einseitige Entwicklung der medizinischen Forschung in Richtung auf physisch-materielle unter Verzicht auf psycho-soziale Bedingungen eingetreten sei. Hierzu muß allerdings bemerkt werden, daß sich innerhalb der Medizin ganze Fachrichtungen etabliert haben, die die sozialen Faktoren im Umkreis von Krankheit bearbeiten. Sozialmedizin, Arbeitsmedizin, Sozialpsychiatrie sind Stichworte in diesem Zusammenhang Daß soziogenetische Faktoren gerade bei der Drogenabhängigkeit eine besonders wichtige Rolle spielen, ist oft behauptet worden, zumal gewisse Befunde, wie z. B. der hohe Anteil von sogenannten «broken-home»-Situationen bei Abhängigen, dafür sprechen. Die Vorstellung einer annähernd reinen Soziogenese der Sucht, zumal der süchtigen Entwicklung bei Jugendlichen, ist Gegenstand einer Ideologie geworden, der offensichtlich auch durchaus namhafte Autoren erlegen sind. So meint z. B. AMMON ( 1 9 7 1 ) in einem wohl

So existiert beispielsweise im Fachbereich Humanmedizin des Klinikums der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt ein «Zentrum der psycho-sozialen Grundlagen der Medizin».

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 76-79

kritisch gemeinten Beitrag, «angstvolle Abwehr» spreche aus den «vielfältigen Bemühungen, die Wirkung der Drogen ausschließlich in der körperlichen Abhängigkeit vom gebrauchten Mittel zu sehen». Dahinter verbirgt sich anscheinend die Vorstellung, es sei eine bestimmte Richtung innerhalb der «Schulmedizin», die - in somatisch orientierten Begriffen befangen andere als körperliche, wenn auch mit Händen zu greifende Befunde als Ursachen psychischer Fehlhaltungen nicht sehen wolle, und es sei das Verdienst u. a. tiefenpsychologisch ausgerichteter Autoren, den Blick weg von den somatischen Befunden gelenkt zu haben. Wir halten es auch für ein Stück Ideologie im klassischen Sinne, wenn von «undurchsichtigen sozialen Vorgängen, welche eine steigende Anzahl junger Menschen zur Droge greifen lassen» (AMMON 1971) gesprochen wird. Wer die sozialen Verhältnisse, die hier wirksam sind, als undurchsichtig bezeichnet, begibt sich jeder Erkenntnismöglichkeit und Veränderungschance auf diesem Gebiet. Wir kennen wirkungsvolle Ansätze, gerade soziale Phänomene, die mit dem Drogenkonsum der Jugendlichen zusammenhängen, zu erleuchten (BSCHOR et al. 1971, REDHARDT 1971, WANKE et al. 1 9 7 1 ) . Wer etwas für undurchsichtig hält, kapituliert vor der Aufgabe des Transparentmachens, vor Forschung auf dem betreffenden Gebiet schlechthin. Diese Haltung wäre verhängnisvoll, hielte sie Einzug in die psychiatrische und auch jede andere Forschung. Wie grotesk soziogenetische Faktoren überbewertet werden können, soll an einem weiteren Beispiel demonstriert werden. So meinen etwa HAMEISTER U. Mitarbeiter ( 1 9 7 1 ) , «die menschenfeindliche Organisation unserer Gesellschaft» beinhalte eine krankmachende und suchterzeugende Wirkung. Das ist eine schlichte Leerformel, die keinen Erkenntniszuwachs bringt, auf einseitiger Betrachtung beruht, nicht empirisch gestützt ist und lediglich die tatsächlichen Verhältnisse verschleiert, aus der ferner-

2

77

hin auch keine praktikablen Möglichkeiten einer Änderung dieser Situation erwachsen. Verhängnisvoll scheint uns diese ideologisierende Einstellung nun besonders an der Stelle, wo ein Großteil von «bad trips», womit offenbar atypische Rauschverläufe gemeint sind, nicht als Drogenwirkung, sondern als Folge des «starren gesellschaftlichen Verbots des Drogengenusses» erklärt werden. Wäre diese Behauptung nicht einfach indiskutabel, so müßte man sie als Verharmlosung von meist abhängigmachenden, psychotoxisch wirkenden Substanzen auffassen, von deren Dauerkonsum u. a. Dauerschädigungen zu erwarten sind, wenn nicht schnelles Umsteigen auf eine stärkere Droge die Tür zu einer schnell die Persönlichkeit zerstörenden Drogenkarriere öffnet. Damit begeben sich die Autoren auf das Argumentationsniveau etwa LEONHARDTS 2. Auch wenn bei HAMEISTER et al. einige Zeilen weiter auf die «zumeist bewußtseinszerstörende Wirkung» der Drogen bei pubertierenden Jugendlichen hingewiesen wird, bleibt die oben erwähnte Form der Argumentation fragwürdig. Daß die relevanten Untersuchungen über die Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen die Soziogenese dieses Phänomens bisher nur in Ansätzen gestützt haben, spricht nicht gegen den Wahrheitsgehalt dieser Annahme an sich. Die Uberbewertung gesellschaftlicher Ursachen des Drogenkonsums bei den Jugendlichen erwächst aus mindestens fünf Gründen: 1. Aus dem sozialkritischen Anstrich der sogenannten «Drogenbewegung» am Anfang ihres E r s c h e i n e n s (REDHARDT 1 9 7 1 ) ;

2. aus dem zeitlichen Zusammenfallen von Studentenrevolten in mehreren westeuropäischen Ländern um 1967/68 und dem Aufkommen der «Drogenwelle» in der Bundesrepublik Deutschland; 3. aus der Neigung der Drogenkonsumenten zu Gruppenbildungen und Ansiedlung in subkulturell orientierten Strukturen (siehe hierzu a u c h MADER & SLUGA 1 9 6 9 ) ;

R. W. LEONHARDT: Aufsatz in der Wochenzeitschrift «Die Zeit» vom 28.11.1969.

78

Täschner: Drogenkonsum

4. aus der für viele Laien mangelnden Evidenz körperlichen Krankseins bei jugendlichen Drogenabhängigen, was bis hin zur Negierung des Phänomens der Abhängigkeit etwa vom Cannabis-Typ reicht, die sich viele Kritiker der sogenannten Schulmedizin schnell zu eigen machten (LEARY 1 9 7 0 ; LEONHARDT 1 9 7 0 ; GELPKE o . J . ; LENZ 1 9 6 9 ) ;

5. schließlich aus der vielen Laien plausiblen und einfühlbaren, weil von den Abhängigen selbst geglaubten Anschauung, daß ihre Sucht keine behandlungsbedürftige Krankheit, sondern ein Zustand sei, der durch eigene Willensanstrengung überwindbar ist. Häufig wird bei der Diskussion des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichen Strukturen und Drogenphänomenen übersehen, daß nicht jeder bei einem fortgeschritten Abhängigen querschnitthaft erhobene Befund, sei er klinisch-psychiatrischer, soziologischer oder auch psychologischer Art, Ausdruck eines Folgezustandes nach Drogeneinnahme ist. Desgleichen ist nicht jeder Aktualbefund bei einem Abhängigen vom Cannabis-Typ Ausdruck der Ausgangssituation vor Beginn der Drogeneinnahme. Auf diese Weise sind besonders Untersuchungen zum sozialen Status und zur Persönlichkeit der Abhängigen vor Beginn der Drogeneinnahme problematisch, wenn die Untersuchung an bereits Abhängigen erfolgt. Einige Arbeiten, auf die sich Aussagen zur Soziogenese der Drogenabhängigkeit stützen könnten, weisen zudem methodische Unzulänglichkeiten auf. So beschrieb LENNERTZ ( 1 9 7 0 ) z. B. eine Stichprobe, deren einziges gemeinsames Merkmal «regelmäßiges Haschischrauchen» darstellt. Ungeklärt blieb, ob der Konsum seit einer Woche oder einem Jahr andauert, ob insgesamt schon 10 g oder 10 kg konsumiert wurden usw. Schließlich wird überraschenderweise (worauf auch schon REMSCHMIDT [ 1 9 7 2 ] hinwies) der Schluß gezogen, «die Sucht nach Haschisch (sei) allenfalls als eine Sehnsucht zu umschreiben» nach einer bestimmten sozialen Gruppenzugehörigkeit. Auch die Ergebnisse BSCHORS et al. ( 1 9 7 1 ) , nach denen mit fortschreitender Drogenkarriere

die soziale Desintegration der Betroff enen wächst, sind ohne Kontrollgruppe schwer zu bewerten, weil nicht feststeht, inwieweit «normale Personen» ebenfalls per definitionem soziale Entordnungszeichen tragen. Eine Wiederholungsbefragung an Schülern (SCHWARZ et al. 1972) übersah, daß aus dem Rückgang bestimmter Gebrauchsmuster bei Schülern der Schluß auf die Verhältnisse in der Gesamtbevölkerung unzulässig ist, da drop-outExistenzen in der Regel nicht mehr unter Schülern zu finden sind. Schließlich existieren kaum repräsentative Erhebungen zur Epidemiologie des Drogenkonsums. Hier ist bislang lediglich die von SCHMIDT et al. (1972) veröffentlichte Untersuchung in Baden-Württemberg zu nennen, so daß insgesamt unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet zwangsläufig bruchstückhaft geblieben sind. Zusammenfassend kommen wir zu dem Ergebnis, daß den zahlreichen Aussagen zur Soziogenese besonders von journalistisch-publizistischer, aber auch von medizinischer und psychologischer Seite ein Defizit an empirisch gesicherten Ergebnissen gegenübersteht. Die Erforschung der Fragen gesellschaftlicher Bedingtheit des Drogenkonsums der Jugendlichen befindet sich weitgehend im Stadium der Hypothesenbildung und geht nur ansatzweise darüber hinaus (TÄSCHNER & WANKE 1972 und 1973). Wenn auch gewisse Hypothesen zur gesellschaftlichen Ursache des Drogenkonsums der Jugendlichen unmittelbare Verstehbarkeit für sich haben, wird man sie in Zukunft kritisch prüfen müssen. Entsprechend der Wichtigkeit dieser Frage wird man strenge Maßstäbe anlegen müssen. Eine Aufklärung dieses Zusammenhanges wird dann möglich sein, wenn die Ergebnisse prospektiver Studien und von Längsschnittuntersuchungen vorliegen werden. Zu ihrer Durchführung sind die Methoden der Epidemiologie (PFLANZ 1970a, 1970b, 1973) heranzuziehen. So wird es uns eines Tages möglich sein, die viel diskutierte Frage gesellschaftsbedingter Verursachung des Drogenphänomens präzise und zuverlässig zu beantworten.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 76-79

79

ZUSAMMENFASSUNG

HAMEISTER, H . J . , V . KRIES, D . , A M M O N , G . & E L SAFTI,

D i e G e n e s e der D r o g e n a b h ä n g i g k e i t bei J u g e n d l i c h e n wird a l l g e m e i n als multifaktoriell aufgefaßt. N a c h d e m h e u t i g e n Stand unserer K e n n t nisse sind dabei s o z i o g e n e F a k t o r e n ebenfalls z u berücksichtigen. D i e v o r l i e g e n d e A r b e i t versucht, Ü b e r b e w e r t u n g e n der B e d e u t u n g einzelner, b e s o n d e r s s o z i o g e n e r F a k t o r e n zu relativieren, die angesichts 1) sozialkritischer A s p e k t e der « D r o g e n b e w e g u n g » ; 2) des B e g i n n s in der Z e i t der p o l i t i s c h e n U n r u h e 1 9 6 7 / 6 8 ; 3) d e m subkulturellen G r u p p e n g e p r ä g e der « D r o g e n b e w e g u n g » ; 4 ) der s p e z i f i s c h e n E r s c h e i n u n g s f o r m süchtiger

Entgleisung;

5)

Krankheitsuneinsichtigkeit

der

weitgehenden

vieler

Abhängiger

verständlich sein m ö g e n . In der A r b e i t

wird

weiterhin versucht, auf m e t h o d i s c h e U n z u l ä n g lichkeiten m a n c h e r U n t e r s u c h u n g e n

hinzuwei-

sen, aus d e n e n ein S c h l u ß auf die starke Beteiligung soziogenetischer Faktoren gezogen

wer-

d e n kann. D i e i d e o l o g i s c h e U b e r w u c h e r u n g d e s D r o g e n p r o b l e m s u n d seine o f t empirisch u n z u reichend b e l e g t e V e r q u i c k u n g mit g e s e l l s c h a f t l i c h - p o l i t i s c h e n G e g e b e n h e i t e n o d e r gar Interpretationen k a n n e b e n f a l l s die Sicht auf andere, a u c h individuelle M o t i v e u n d

substanzeigene

W i r k u n g s q u a l i t ä t e n versperren. Erst durch g e zielte,

breit

angelegte

empirische

Forschung

n a c h e p i d e m i o l o g i s c h e n G e s i c h t s p u n k t e n wird hier m e h r Klarheit g e s c h a f f e n w e r d e n k ö n n e n .

LITERATUR AMMON, G. 1971. Einleitung zum Sonderheft 1. Dynamische Psychiatrie 4, Sonderheft 1, 1-3. BSCHOR, F., DENNEMARK, N . & H E R H A , J. 1 9 7 1 . Junge Rauschmittelkonsumenten. Ergebnisse einer Feldstudie 1 9 6 9 / 7 0 in Berlin. Beitr. gerichtl. Med. 2 8 , 16-28.

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Empi-

rische Untersuchungen zum Rauschmittelgebrauch in Frankfurt. In: EHRHARDT, H. (Hrsg.): Perspektiven der heutigen Psychiatrie. ^^H Frankfurt a. M.: Gerhards & Co.

80

Liebhart: Dissonanz und Attribution

Dissonanz, Attribution und Zuschreibung von Verantwortlichkeit Ein Diskussionsbeitrag 1 ERNST H . LIEBHART Universität Gießen

Determinanten der Zuschreibung von Verantwortlichkeit (ZV) haben neuerdings zunehmend das Interesse von Sozialpsychologen erregt. In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit von FREY et al. ( 1 9 7 3 ) wird eine «Konfrontation» (p. 3 7 0 ) von Attributionstheorie (AT) und Theorie der kognitiven Dissonanz (DT) hinsichtlich Vorhersage von ZV angestrebt. Der vorliegende Beitrag bringt einige grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von DT und AT und untersucht im Anschluß daran den Theoriebezug der experimentellen Hypothesen von FREY et al. ( 1 9 7 3 ) . Das unserer Argumentation zugrundeliegende theoretische Modell von ZV wird an anderer Stelle (LIEBHART 1975) dargelegt.

DI SSONANZUND

ATTRIBUTIONSTHEORIE

Die Kontroverse zwischen diesen Theorien hat eine umfangreiche Literatur hervorgebracht, die hier nicht erörtert werden soll. Erstaunlicherweise ist jedoch die Äquivalenz zweier zentraler Annahmen beider Ansätze unbeachtet geblieben, nämlich die Äquivalenz der durch DT naiven Urteilern unterstellten Erwartungen (ARONSON 1 9 6 8 ) oder Hypothesen (IRLE 1 9 7 3 ) einerseits und der durch eine verallgemeinerte 1

AT angenommenen kausalen Schemata (KELLEY 1972) andererseits. «Eine Hypothese erklärt empirische Ereignisse, das heißt das Auftreten von Kognitionen an demselben Ort in Raum und Zeit» (IRLE 1973, p. 1); "a causal schema refers to the way a person thinks about plausible causes in relation to given effects" (KELLEY 1973, p. 114). Im Rahmen der DT bzw. AT bezeichnen beide Begriffe vorwissenschaftliche Vorstellungen über bedingte Verteilungen von Ereignissen, mit anderen Worten: implizite statistische Gesetzesaussagen 2 . Eine derartige Hypothese könnte z. B. lauten: «Von den Personen, die über bestimmte Fähigkeiten verfügen (h), werden P(d I h) einen bestimmten Erfolg d erzielen.» Gilt es, ein einzelnes Leistungsresultat vorherzusagen, so entspricht der «statistischen» Wahrscheinlichkeit der erwähnten Gesetzesaussage die subjektive Wahrscheinlichkeit P(d I h) des Erfolgs, wenn die Randbedingungen (Fähigkeiten) vorliegen (vgl. HEMPEL 1965, p. 334 f.). Ist der Erfolg bereits eingetreten, so erfolgt der Schluß auf das Gegebensein der bestimmten Fähigkeiten mit einer subjektiven Wahrscheinlichkeit P(dlh). P(dlh) ist in P(h I d) überführbar, sofern noch P(d I h) (subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit bei Fehlen der Fähigkeiten) und P(d) (gesamte Erfolgswahrscheinlichkeit) bekannt sind. Abb. l a und l b

Der Verfasser dankt Herrn Dr. Dieter Frey und Herrn Martin Kumpf für freundliche Auskünfte, Frau Dipl.Psych. Gerda Liebhart für wertvolle Hinweise. 2 Die Einführung des Schemabegriffs (KELLEY 1972) markiert eine wesentliche Weiterentwicklung des Attributionsmodells - weg von seiner ursprünglichen induktionistischen Konzeption, welche FREY et al. (1973) kritisieren, hin zu einer eher dem logischen Empirismus analogen Auffassung vorwissenschaftlicher Urteilsbildung.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 80-87

zeigen demgemäß zwei äquivalente Formen eines einfachen Schemas des Zusammenhangs von Erfolg und Fähigkeiten. Abb. la entspricht einem "assumed pattern of data in a complete analysis of variance framework" (KELLEY 1972, p. 2) und dient der Vorhersage von Erfolg, während Abb. lb der Erklärung von Erfolg auf Grund von Fähigkeiten zugeordnet ist. Im letz-

Vorhergesagtes Ereignis

Angenommener Kausalfaktor Fähigkeiten vorhanden (h) fehlend (h)

Erfolg (d)

P (d I h)

P(d|h)

Mißerfolg (dj

P (dl h)

P (d I h)

1 a) Subjektive Wahrscheinlichkeiten von Erfolg bzw. Mißerfolg in Abhängigkeit von Fähigkeiten.

Eingetretenes Ereignis

Erschlossener Kausalfaktor Fähigkeiten vorhanden (h) fehlend (h)

Erfolg (d)

p (h i d)

P (h| d)

Mißerfolg (dj

P (h! d)

P(h|d)

1 b) Subjektive Wahrscheinlichkeiten des Vorliegens bzw. Fehlens von Fähigkeiten in Abhängigkeit vom Erfolg. Abbildung 1 Äquivalente Formen eines kausalen Schemas

teren Fall werden singulare, durch bestimmte subjektive Wahrscheinlichkeiten gekennzeichnete Aussagen über das Vorliegen einer Randbedingung (Fähigkeiten) der impliziten Gesetzeshypothese bei je bestimmten Ereignissen gemacht. Sofern die Gesetzeshypothese als Ausdruck eines Kausa/zusammenhangs betrachtet wird, ist aber eine Aussage über das Gegebensein einer Randbedingung gleichbedeutend mit einer Attribution, d. h. mit der Zuschreibung von Kausalität für das Explanandum (Erfolg) an die Randbedingung (Fähigkeiten). DT und AT scheinen sich nach diesen Überlegungen nur hinsichtlich ihrer Explizitheit der kausalen Interpretation impliziter Gesetzeshypothesen sowie hinsichtlich ihrer Akzentuierung von Vor-

81 hersage bzw. Erklärung zu unterscheiden; sie sind «strukturell identisch» (vgl. HEMPEL 1 9 6 5 , p. 3 6 4 ff.). Nun können wir uns die meisten Ereignisse auf mehr als eine Weise - d. h. auf Grund verschiedener Gesetzeshypothesen nebst zugehörigen Randbedingungen - erklären. Die entsprechenden Kausalurteile sind unterschiedlich plausibel; ihre subjektiven Wahrscheinlichkeiten P(h; I d) - die für die folgenden Überlegungen die a-priori-Wahrscheinlichkeiten P(Hj) von Erklärungshypothesen darstellen - können durch zusätzliche Information beeinflußt werden. Nehmen wir - anknüpfend an das obige Beispiel und im Vorgriff auf eine experimentelle Hypothese von FREY et al. (1973, p. 371) - an, für einen Beobachter sei die wahrscheinlichste Erklärung eines bestimmten Erfolgs die Annahme hoher Fähigkeiten (HJ. Solange keine widersprechende Information vorliegt, wird ein derartiges Ereignis überwiegend und mit hoher subjektiver Sicherheit durch Zuschreibung von Fähigkeiten erklärt: P(Hj) > P(H;), wobei i = 2, 3, ... n. Bei Eintreffen eines relevanten empirischen Datums D sollte die a-priori-Wahrscheinlichkeit P(Hj) eines solchen Kausalurteils gemäß den Prinzipien der Wahrscheinlichkeitslogik revidiert werden. Beispielsweise werde glaubwürdige verbale Information über die Unfähigkeit eines Erfolgreichen verfügbar - ein aussagekräftiges, aber der ursprünglichen Erklärung widersprechendes, d. h. durch einen Likelihood-Quotienten L(Hj; D) < 1 gekennzeichnetes Datum; dies sollte die subjektive Wahrscheinlichkeit der Fähigkeitserklärung vermindern - P(Hj I D) < P(Hj) u. U. so sehr, daß sie geringer wird als die einer anderen Erklärung H2: P(HX I D) < P(H2). ES mag sein, daß nach Falsifikation einer Fähigkeitserklärung (HJ der betreffende Erfolg nunmehr kausal auf große Anstrengung als plausibelsten Faktor (H2) zurückgeführt wird; derartige Änderungen kausaler Zuschreibungen bezeichnen wir als Reattributionen. In anderen Fällen ist der Hx widersprechende Sachverhalt D von Anfang an bekannt; H 2 wird dann ohne Reattribution sogleich akzeptiert.

82

Liebhart: Dissonanz und Attribution

Die zwei oder mehreren Erklärungshypothesen zugeordneten subjektiven Wahrscheinlichkeiten P(H;) = P(h ; [ d) dürften in der Regel nicht unabhängig voneinander sein; z. B. sollte - wie eben dargelegt - die Plausibilität P(h t I d) einer Fähigkeitserklärung eines Erfolgs d geringer sein, wenn auch eine Erklärung in Anstrengungsbegriffen (h 2 ) in Betracht gezogen wird d. h. wenn P(h 2 [ d) 0 - als wenn dies nicht der Fall ist.

D falsifiziert wird, so ändert sich nicht nur die subjektive Wahrscheinlichkeit P(Hj ID) P(H 2 ) - und zwar auch dann, wenn die Information D für H 2 selbst nicht unmittelbar relevant ist, d. h. wenn L(H 2 ; D) ~ 1. Es kann also im Fall des Schemas der hinreichenden Gründe eine Alternativerklärung H 2 , die an Fähigkeiten und Anstrengung werden ver- sich sowie unter Hj subjektiv wenig wahrscheinmutlich bei Aufgaben geringer und mittlerer lich ist - P(Hj A H 2 ) < P(Hj A H 2 ) - nach FalSchwierigkeit zumeist nach dem Schema der sifikation der ursprünglichen Hypothese Hj erhinreichenden Gründe interagierend gedacht, hebliche Plausibilität erlangen: PfHj A H 2 1 D) d. h. P(d I hj_A h 2 ) j - P(d I h t A h 2 ) < P(d I h, > P(H t A H 2 1 D ) (vgl. Abb. 3). A h 2 ) - P(d I h 1 A h 2 ) (vgl. Abb. 2). (Dem ScheSowohl D T als auch A T nehmen demgemäß ma der notwendigen Gründe würde die entge- in der Regel eine Mehrzahl ereignisspezifischer gengesetzte Ungleichheitsrelation entsprechen.) impliziter Gesetzesaussagen an, genauer: sie Solange eine Anstrengungserklärung H 2 sub- schreiben dem Urteilenden flexible Hierarchien jektiv sehr unwahrscheinlich ist, gilt P(H 1 A von Hypothesen zur Vorhersage und Erklärung H 2 ) ~ P ^ ) , d. h. H 2 beeinflußt im Grenzfall der jeweiligen Ereignisse zu; diese Aussagen köndie Plausibilität der Fähigkeitserklärung nicht. nen hinsichtlich ihrer subjektiven WahrscheinWenn aber - wie oben dargestellt durch lichkeiten in einer Rangfolge gebracht werden

Fähigkeiten fehlend (hi)

vorhanden (h,)

Anstrengung

vorhanden (h 2 )

P (d ] h t

A h2)

P (d |"hj

A h2)

fehlend (h 2 )

P (d |

Ah 2 )

P (d 1hi

A h2)

Subjektive Wahrscheinlichkeiten von Erfolgsereignissen in Abhängigkeit von Fähigkeiten und Anstrengung Abbildung 2 Bikausales Vorhersage-Schema

Fähigkeiten vorhanden (H,)

fehlend (Hi)

vorhanden (H 2 )

P (Hi

A H 2 1 D)

P (H!

A H 2 ! D)

fehlend (H 2 )

P (Hi A H , | D)

P (H,

A H 2 1 D)

Anstrengung

Subjektive Wahrscheinlichkeiten zweier Kausalerklärungen unter dem Einfluß von Zusatzinformation Abbildung 3 Revidiertes bikausales Erklärungs-Schema

83

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1975, 6, 8 0 - 8 7

(Hierarchie) und diese Rangfolge kann sich angesichts zusätzlicher Information ändern (Flexibilität). In Begriffen der D T stellen sich diese Prozesse der Revision subjektiver Wahrscheinlichkeiten von Erklärungshypothesen näherhin folgendermaßen dar: Ein Datum D, welches einer vom Urteilenden akzeptierten Hypothese H x widerspricht, erzeugt Dissonanz, deren Stärke von der a-priori-Wahrscheinlichkeit der Hypothese und dem Ausmaß des Widerspruchs abhängen und somit eine Funktion von [ ß ( H j ) 1] • [1 - L ( H j ; D)] sein sollte. Sofern nach Falsifikation von H, eine Alternativerklärung H 2 v e r f ü g b a r s t - derart, daß P ( H j A H 2 I D ) > P i H j A H 2 1 D), während zuvor P ( H j A H 2 1 D) < P ( H t A H 2 1 D) - so tritt «Addition» einer Kognition (IRLE 1973) ein, d. h. H 2 wird subjektiv wahrscheinlicher - P(H 2 1 D) > P(H 2 ) und zwar um so mehr, je stärker die Dissonanz ist. Wie man sich in Anbetracht der relativen Symmetrie von H j und H 2 in dem angenommenen Schema der hinreichenden Gründe leicht überlegt, gilt aber auch P(Hl IH 2 ) < P(H X (îï 2 ); in unserem Beispiel würde die Akzeptation der Anstrengungshypothese (H 2 ) die subjektive Wahrscheinlichkeit der Fähigkeitserklärung (Hj) vermindern. Dies reduziert nach der obigen Überlegung die Dissonanz zwischen H t und D. Setzen wir Q'(Hj) gleich den Chancen von H j unter Berücksichtigung von P(H 2 1 D), so sollte das Ausmaß der Dissonanzreduktion eine Funktion von [Q(H X ) - Q ' i H j ] • [1 - L ( H i ; D)] sein; da wohl zumeist Q'(Hj) > 1, verbleibt eine gewisse Dissonanz. Diese Analyse legt übrigens bisher ungetestete dissonanztheoretische Vorhersagen über die Abhängigkeit der Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Dissonanzreduktion von impliziten Annahmen über die spezifische Art der Interdependenz von Erklärungshypothesen (Interaktion von Kausalfaktoren) nahe. Diskrepanzen zwischen dissonanz- und attributionstheoretischen Formulierungen scheinen weniger in der Struktur der Theorien als in Präferenzen der Forscher für bestimmte Paradigmen begründet zu sein. Einige Aspekte dieses

Sachverhalts wurden oben bereits erwähnt. Weiterhin etwa beschäftigt sich Dissonanzforschung eingehend mit Determinanten der Stärke kognitiver Dissonanz (in Attributionsbegriffen: mit dem Zusammenwirken von Schemata und aktueller Information), während Attributionsforschung ihr Augenmerk mehr auf Determinanten der Wahl zwischen gleichzeitig verfügbaren kausalen Erklärungen (in Dissonanzbegriffen: Präferenzen für Modi der Dissonanzreduktion) richtet. Schließlich scheint D T sukzessive Verwendung impliziter Hypothesen nahezulegen, während der Schemabegriff gleichzeitige Verfügbarkeit kausaler Erklärungen impliziert. Dieser Unterschied dürfte aber eher sprachbedingt als substantiell sein. Es besteht auch kein G f u n d , eine Theorie auf dissonante B e z i e h u n g e n - L ( H ; D) < 1 - zu beschränken; dies ist lediglich ein Sonderfall der Revision subjektiver Wahrscheinlichkeiten. Obgleich es endlich durchaus möglich ist, Ergebnisse der Dissonanzforschung als Manifestationen der Reduktion einer Bedürfnisspannung zu sehen, erlauben sie - wie anderswo nachgewiesen wurde (LIEBHART 1 9 7 2 ) - ausnahmslos Alternativinterpretationen in Begriffen kausaler Schemata; die obige Analyse der Dissonanzerzeugung und -reduktion konnte auf psychodynamische Postulate gänzlich verzichten. (Auch die Befunde der neusten diesbezüglichen Untersuchung von G Ö T Z - M A R C H A N D et al. ( 1 9 7 4 ) können durch Annahme logisch folgerichtiger Revisionen subjektiver Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von den experimentellen Bedingungen erklärt werden.) Insgesamt dürfte sich schwerlich ein empirisches Datum finden, welches eine Entscheidung zwischen beiden Theorien ermöglichte. Ein Vorzug der Attributionsformulierung besteht u. E. in ihrer Fähigkeit zur Integration unterschiedlicher theoretischer Ansätze (vgl. KELLEY 1 9 7 2 ; 1 9 7 3 ) und in ihrer Unabhängigkeit von motivationalen Konstrukten. (1971) und GRABITZ & GRABITZ(1972a, b) betrachten Dissonanzreduktion nicht - wie es hier geschieht - als Metapher für einen der Wahrscheinlichkeitslogik entsprechenden Schlußprozeß, sondern als DeterGRABITZ

GNIECH

84

Liebhart: D i s s o n a n z und Attribution

minante des Inertia-Ellekis, d. h. der Tendenz, P(H ID) nach diskrepanter Information zu überschätzen (irrationale Immunisierung einmal akzeptierter Hypothesen). Die experimentellen Befunde sind jedoch mit dem Modell zweifaktorieller kausaler Schemata völlig konsistent. Beispielsweise seien Nichtzutreffen einer fokalen Hypothese (Hj) und Fehlinformation durch den VL (H 2 ) für die Beurteiler hinreichende Gründe für das Auftreten einer mit H t diskrepanten Information D; wenn nun - wie bei den zitierten Untersuchungen - die Information von vorneherein als unverläßlich hingestellt wird (also PCH,) >_P(H 2 )_und_P(H 1 I H 2 ) P(HX i H 2 ) > P(H 2 1 H ^ - P(H 2 1 Hj)), so dürfte P(H 2 I D) > P(H 2 1 D) - d. h. die Annahme, daß die Information falsch ist, als Indikator für den Inertia-Effekt - eher bzw. häufiger eintreten als P(Hj ID) > P(H 1 I D) und zwar um so mehr, je stärker diskrepant die Information ist (vgl. G R A B I T Z & G R A B I T Z - G N I E C H 1972a); ein Verstoß gegen die Wahrscheinlichkeitslogik liegt hier nicht vor.

HYPOTHESEN ÜBER VON

ZUSCHREIBUNG VERANTWORTLICHKEIT

Nehmen wir an, daß bestimmte Pbn Kausalurteile über einen bestimmten Erfolg (vs. Mißerfolg) auf Grund des oben analysierten Schemas der hinreichenden Gründe mit Fähigkeiten und Anstrengung als Faktoren abgeben, ferner, daß über Verantwortlichkeit für diesen Erfolg (vs. Mißerfolg) auf der Basis von Anstrengung (vs. des Fehlens von Anstrengung) als wahrgenommener Ursache dieses Erfolgs geurteilt wird. Dies bedeutet z. B., daß Verantwortlichkeit für einen Erfolg zugeschrieben wird, wenn dieser durch

3

Anstrengung bedingt erscheint, nicht jedoch, wenn sein Grund in den Fähigkeiten des Handelnden gesehen wird. (Insofern Anstrengung ein Response-Aspekt ist, sprechen wir in derartigen Fällen von Verantwortlichkeitszuschreibung (ZV) auf der Response-Ebene - im Unterschied etwa zur Dispositions-Ebene; vgl. L I E B HART 1975). Diese oder ähnliche Annahmen können zu der Vorhersage von F R E Y et al. (1973, p. 371) führen, daß nämlich Zuschreibung von Verantwortlichkeit mit der Inkonsistenz von Dispositionen («Qualität des Entscheiders» z. B. Fähigkeiten) und Erfolg (vs. Mißerfolg) wächst. Diese - z. T. bestätigte - Vorhersage wird von den Autoren der DT zugeordnet. Indes sind die genannten, zur Ableitung der Hypothese erforderlichen Zusatzannahmen ganz offenbar theorieunspezifisch; überdies können im Rahmen von DT und AT andere Annahmen sowohl zur gleichen 3 als auch zu abweichenden Hypothesen führen. Der AT ordnen F R E Y et al. (1973, p. 371) eine mit der soeben erörterten konkurrierende Hypothese zu, nämlich daß die Tendenz, bei Konsistenz von Disposition (Qualität des Entscheiders) und Erfolg (vs. Mißerfolg) mehr Verantwortlichkeit zuzuschreiben als bei Inkonsistenz, im Fall schwerwiegender Konsequenzen stärker sei als in dem geringfügiger (falsifiziert). Indes kann diese Hypothese (Nr. 9) gleichermaßen aus DT wie AT abgeleitet werden, erfordert aber stets andere Zusatzannahmen als oben. Es müßte z. B. postuliert werden, daß — bei schwerwiegenden Konsequenzen - die subjektiv zweitwahrscheinlichste (also nach Widerlegung einer Fähigkeits-Hypothese in Frage kommende) Erklärung sich nicht auf interne Faktoren wie Anstrengung, sondern auf externe (z. B. Aufgabenschwierigkeit, Zufall) bezieht. Externe Attribution von Verhaltenskonsequenzen (die demnach

B e i s p i e l s w e i s e k a n n D i s s o n a n z a u c h d u r c h « S u b t r a k t i o n » e i n e r K o g n i t i o n r e d u z i e r t w e r d e n (IRLE 1973): W e n n d i e F ä h i g k e i t s - E r k l ä r u n g s e h r ä n d e r u n g s r e s i s t e n t , d. h. b e i relativ w e n i g a u s s a g e k r ä f t i g e n D a t e n a priori e t w a i n f o l g e v i e l f a c h e r v o r a n g e h e n d e r B e s t ä t i g u n g - s e h r w a h r s c h e i n l i c h ist, s o ü b e r t r i f f t sie a u c h a p o s t e r i o r i a l l e a l t e r n a t i v e n E r k l ä r u n g e n ; e s e n t s t e h t d a n n d e r E i n d r u c k , als sei d i e d i s k r e p a n t e I n f o r m a t i o n u n b e a c h t e t g e b l i e b e n , w ä h r e n d sie in der T a t einer i r r e l e v a n t e n U r s a c h e (z. B. T ä u s c h u n g s a b s i c h t ) attribuiert w i r d . D i e s e Ü b e r l e g u n g ist g l e i c h f a l l s k o n s i s t e n t m i t d e r A b l e i t u n g b e i FREY et al. ( 1 9 7 3 ) ; sie setzt Z V ü b e r w i e g e n d auf d e r dispositionalen E b e n e (auf der B a s i s der A t t r i b u t i o n v o n K o n s e q u e n z e n a n F ä h i g k e i t e n ) v o r a u s .

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 80-87

im Fall von Inkonsistenz Disposition - Erfolg zu erwarten wäre) sollte aber ZV verringern. Es wird hier also eine andere hierarchische Ordnung der Hypothesen (andere a-priori-Wahrscheinlichkeitsverteilung im kausalen Schema), ferner eine andere Ebene von ZV unterstellt; zusätzlich müßte vorausgesetzt werden, daß sowohl Schemata als auch Ebenen von ZV zwischen den Levels der Stärke von Konsequenzen variieren. Zusammenfassend: Bei schwerwiegenden Konsequenzen müßten ZV auf der Ebene externer Rechtfertigung und eine Hierarchie impliziter Hypothesen mit externen Kausalerklärungen (z. B. in Begriffen von Zufall oder Aufgabenschwierigkeit) an zweiter Stelle angenommen werden; bei geringfügigen Konsequenzen ZV auf der Response-Ebene und eine Hierarchie mit Response-Attributionen (z. B. Anstrengungserklärungen) an zweiter Stelle. Während diese Möglichkeiten prinzipiell denkbar und auch von Interesse sind, erlauben Tests der genannten Vorhersage keine Entscheidung zwischen D T und AT, sondern lediglich zwischen Typen von Zusatzannahmen. Aus Raumgründen soll auf eine vollständige Diskussion der Hypothesen von F R E Y et al. (1973) verzichtet werden, zumal unser Einwand - Ableitung von Vorhersagen aus D T und A T mittels z. T. unterschiedlicher, jedoch theorieunspezifischer Zusatzannahmen - prinzipiell in jedem Fall derselbe ist. Wir gehen nur kurz auf einige im Rahmen der Konfrontation von DT und A T konkurrierende Hypothesen 4 ein. Die der A T zugeordnete Hypothese Nr. 6 sagt vorher: «Sowohl bei freiwilliger als auch bei unfreiwilliger Übernahme der Entscheiderposition wird um so mehr Verantwortung zugeschrieben, je weniger der Entscheidende selbst von den Konsequenzen betroffen ist» 5 , während die konkurrierende, der D T zugeschriebene Hypo-

4

85 these den Effekt auf Fälle nicht freiwilliger Übernahme beschränkt (p. 370; verifiziert). Offenbar wird beidemale ZV für Fehlentscheidungen auf der Basis eines zugeschriebenen Mangels an Vorsicht (oder Anstrengung usw.) unterstellt, aber Zuschreibung vorsichtigen Verhaltens bei der AT-Hypothese auf Grund des Anreizes (Grad der eigenen Betroffenheit) allein, bei der DT-Hypothese jedoch zusätzlich (Schema der hinreichenden Gründe) auf der Basis von Freiwilligkeit der Rollenübernahme (bzw. von hierdurch implizierten Dispositionen) - also im Rahmen einer komplexeren Struktur angenommen. Diese Diskrepanz korrespondiert aber nicht irgendwelchen systematischen Unterschieden zwischen den Theorien. Sicher ist es eine naheliegende Versuchung, die Differenziertheit der eigenen Zusatzüberlegungen der favorisierten Theorie «gutzuschreiben». Hypothese 1 lautet, daß bei interpersonaler Beurteilung für positive Konsequenzen mehr Verantwortlichkeit zugeschrieben werde als für negative (AT; auf Grund von D T wird ein derartiger Unterschied nicht vorhergesagt) (FREY et al. 1973, p. 368; falsifiziert). In der Tat ergab sich auch außerhalb des Bereichs der defensive attribution theory - die hier wegen der Art der Konsequenzen nicht anwendbar ist - gelegentlich, jedoch nie vorhergesagt, ein solcher Effekt ( z . B . FEATHER & SIMON 1 9 7 1 ; K U N & W E I N E R

1973). Eine spekulative Interpretation schreibt Urteilern die Anwendung eines Schemas kompensatorischer Ursachen 6 bei der Erklärung von Erfolg (vs. Mißerfolg) durch interne und externe Faktoren zu sowie die Annahme, daß Handelnde das für erfolgreiche Tätigkeit erforderliche Maß der letzteren (Fähigkeiten, Anstrengung) aufweisen. Unter diesen Voraussetzungen bedarf es zur Erklärung von Mißerfolg der Unterstellung extrem ungünstiger externer

Die aus der A T abgeleitete Hypothese 3 ist mit der dissonanztheoretisch fundierten (p. 369) identisch; im Untersuchungsbericht entsteht infolge eines Druckfehlers der gegenteilige Eindruck (FREY & KUMPF, persönliche Mitteilung). 5 FREY & KUMPF (persönliche Mitteilung). Im publizierten Text findet sich versehentlich eine abweichende Formulierung. 6 Ein Schema kompensatorischer Gründe liegt vor, wenn ein Effekt sowohl erwartet wird, wenn eine von zwei Bedingungen maximal günstig ist als auch wenn beide Bedingungen mäßig günstig sind.

86 Bedingungen - daraus folgt geringe Verantwortlichkeit —, während zur Erklärung von Erfolg das Vorliegen mäßig günstiger oder mäßig ungünstiger externer Bedingungen genügt, woraus sich hohe Verantwortlichkeit ergibt. Danach ist der in Hypothese 1 vorhergesagte Effekt nur zu erwarten, wenn den Urteilern die genannte Annahme über das Gegebensein der internen Voraussetzungen nicht - wie bei FREY et al. ( 1 9 7 3 ) auf einem Level durch Information über geringe Anstrengung, Motivation bzw. Erfahrung oder bei HARVEY et al. ( 1 9 7 4 ) durch die Art der Aufgaben - unmöglich gemacht wird. Hypothese 2 schließlich besagt, daß große (vs. geringe) Anstrengung (oder Motivation oder Erfahrung) viel (vs. wenig) ZV bewirke, und zwar unabhängig von Erfolg vs. Mißerfolg (gleichfalls der AT, nicht jedoch der DT, zugeordnet) (FREY et al. 1973, p. 368; falsifiziert). Diese Vorhersage unterstellt eine keiner der Ebenen des Alltagsverständnisses (HEIDER 1958) entsprechende Bedeutung von «Verantwortlichkeit», nämlich Wahrnehmung von inneren Zuständen oder Ereignissen statt von kausalen Relationen zwischen diesen und den manifesten Effekten.

SCHLUSSBEMERKUNGEN Unsere Überlegungen zeigten, daß DT und AT mindestens weitgehend isomorph sind; die Planung von Entscheidungsexperimenten dürfte außerordentlich schwierig sein. Beide Ansätze lassen sich-ebenso wie die übrigen Konsistenztheorien (vgl. KELLEY 1 9 7 2 ; 1 9 7 3 ) - unter ein Modell subsumieren, welches die Revision subjektiver Wahrscheinlichkeiten von Hypothesen bezüglich der Interaktion von Kausalfaktoren beschreibt und mit anderen probabilistischen Ansätzen im Bereich der Erforschung von Mein u n g s ä n d e r u n g e n (vgl. FISHBEIN & AJZEN 1972)

in Einklang steht. DT und AT sind ähnlich wie die Theorie der personellen Konstrukte (KELLY 1955) Metatheorien «naiven» Psychologisierens; sie erlauben eindeutige Vorhersagen nur, wenn die jeweils spezifischen vorwissenschaftlichen

Liebhart: Dissonanz und Attribution

Theorien - implizite Gesetzeshypothesen im Fall der DT, kausale Schemata in dem der AT samt subjektiven Wahrscheinlichkeiten bekannt sind. Die in den Experimenten von FREY et al.

erkennbare Schwierigkeit der Vorhersage von ZV auf Grund von DT und AT dürfte entgegen der Auffassung der Autoren ihre Ursache weniger in theoretischen Unzulänglichkeiten haben als vielmehr darin, daß - wie fast allgemein in der einschlägigen Forschung - die impliziten Schemata intuitiv unterstellt statt empirisch ermittelt wurden. Tatsächlich sind die der Untersuchung zugrundeliegenden Hypothesen - obgleich durchwegs sowohl mit DT als auch AT konsistent - aus keiner der beiden Theorien stringent (d. h. ohne ungeprüfte Zusatzannahmen) ableitbar. Die Weiterentwicklung bzw. Adaptation von Methoden zur Messung kausaler Schemata und der mit ihnen assoziierten subjektiven Wahrscheinlichkeiten (vgl. z. B. KELLEY (1973)

1 9 7 2 ; MCNEEL & MESSICK 1 9 7 0 ; D E FINETTI 1 9 7 0 ; STAEL VON HOLSTEIN 1 9 7 0 ) wäre für DT und AT gleichermaßen von Bedeutung, zumal vorwissenschaftliche Hypothesen ohne Zweifel zwischen Urteilern sowie zwischen Arten von - vorherzusagenden oder zu erklärenden - Ereignissen variieren und stark durch situative Gegebenheiten (z. B. sogar Modalitäten der Frage-

stellung; vgl. GÖTZ-MARCHAND et al. 1974) be-

einflußt werden.

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^ ^ H

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"1

chol. 34, 146-159.

J

88

REZENSION Joachim ISRAEL & Henri TAJFEL. (Eds.) 1 9 7 2 . The context of Social Psychology - A Critical Assessment. Band 2 der "European Monographs in Social Psychology". London/New York: Academic Press. VII + 438 p.

Im Wind der Veränderung ? C . F . GRAUMANN Universität Heidelberg

Wenn zehn Soziologen und Sozialpsychologen aus sieben europäischen Ländern eine «Europäische Monographie in Sozialpsychologie» herausbringen und sich eine kritische Einschätzung der Sozialpsychologie zum Ziel setzen, dann mag allein dies Geschehnis die Erwartung auf ein Ereignis wecken. Denn eine solche Versammlung repräsentativer europäischer Sozialpsychologen und Soziologen, monographisch verpflichtet auf das Thema «Kontext der Sozialpsychologie», ist an sich ein Novum. Nimmt man hinzu die so verschiedenartige wissenschaftliche und philosophische Herkunft der Autoren und die Entstehung des Buches im «Wind der Veränderung» (p. 12), dann kann ein Sozialpsychologe die Lektüre dieses Buches nur mit hochgespannten Erwartungen beginnen. Das Buch gliedert sich - nach einer synoptischen Einleitung von TAJFEL - in drei Teile. Den ersten eröffnet der Beitrag «Gesellschaft und Theorie in der Sozialpsychologie» von SERGE MOSCOVICI (Paris). Betont als europäischer Sozialpsychologe argumentierend nimmt der Verfasser einerseits sein eigenes Befremden über den fast ausschließlich (US-amerikanischen Charakter der Sozialpsychologie (p. 19), andererseits die politische Studentenbewegung zum Anlaß, um über die Beziehung der Sozialpsychologie zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu reflektieren. Dem Bedauern, daß die derzeitige Sozialpsychologie eher eine Wissenschaft

der «Ordnung» als der «Bewegung» sei, folgen dann Überlegungen M.s, wie die Sozialpsychologie zu verändern sei (und damit ist das Leitmotiv des Buches angeschlagen), so daß sie - als soziale Psychologie - «relevant» wird, d. h. den sozialen Problemen Europas besser gerecht wird. Zu diesem Zweck wird zuerst die Frage aufgeworfen: «Wer stellt die Probleme, und wer liefert die Antworten?» (p. 24). Die gleich mitgelieferte Antwort, «Gegenwärtig stellt ,die Gesellschaft' (d. h. industrielle und politische Gruppen usw.) die Probleme und legt auch nahe, welche Art Antworten zu geben sind» (ebda.), exemplifiziert M. an Kleingruppenforschung, Konfliktstudien und Spieltheorie sowie an der Anwendung der Grenznutzentheorie in der Interaktionsforschung (THIBAUT & KELLEY). Sozialpsychologen, die in diesen Gebieten arbeiten, wenn nicht überhaupt wir alle, laufen demnach Gefahr, nur noch Fragen und Antworten zu operationalisieren, die anderen Orts ausgedacht worden sind, was allerdings eher einem «engineering», nicht aber wissenschaftlicher Analyse gleichkäme (p. 32). Die herrschende «wissenschaftliche Ideologie» (TAJFEL), besonders die positivistische Erkenntnistheorie, die das so notwendige «System theoretischer Aktivitäten» unterbindet, verhindert, daß die Sozialpsychologie, deren Einheit ohnehin eine «Illusion» ist, eine wirkliche Wissenschaft wird (p. 33).

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 88-95

In Form eines «stillen Kompromisses» vermeiden Sozialpsychologen Fragen nach der Natur sozialpsychologischer Gesetze und ihrer Validierung und betrachten die Sozialpsychologie entweder als Verlängerung der Allgemeinen Psychologie (z. B. F. H. ALLPORT oder R. ZAJONC) oder als Zweig der Soziologie. Folgen der Theoriescheu sieht M. wohl mit Recht in der Partikularisierung der Forschung, die theoretische Generalisierungen meidet, wie am Beispiel des isolierten risky-shift-Phänomens demonstriert wird (p. 39ff.), aber auch in der allzu schlichten Übernahme neuer Theorien, wofür als Beispiel FESTINGERS Dissonanztheorie dienen kann. Stattdessen sammeln wir weiter Daten in heterogenen theoretischen Bezugssystemen, von denen, so sieht es wohl nicht nur M., längst feststeht, daß sie einander ausschließen. Sollten wir nicht mit dem Datensammeln innehalten (p. 48) und stattdessen die theoretische Konfrontation suchen, die wir bisher gemieden haben? Von den drei koexistierenden Typen Sozialpsychologie, einer «taxonomischen», einer «differentiellen» und einer «systematischen», vermag nur der dritte das «Soziale» der Sozialpsychologie begrifflich und theoretisch klar zu entwickeln, wenn als zentraler und ausschließlicher (!) Gegenstand der Sozialpsychologie (so M.s Vorschlag) Ideologie und Kommunikation angesetzt werden (p. 55ff.). Dann «besteht das Gebiet der Sozialpsychologie aus sozialen Subjekten, d. h. aus Gruppen und Individuen, die ihre soziale Wirklichkeit (die in der Tat ihre einzige Wirklichkeit ist) schaffen, einander kontrollieren und ihre sozialen Bindungen und ihre Differenzen schaffen. Ideologien sind ihre Produkte, Kommunikation ist ihr Medium des Austauschs und Verbrauchs, und Sprache ist ihre Währung», formuliert M. in einer bewußt analogisierenden Ökonomiesprache (p. 60). Ohne auf den «sozialen Behaviorismus» G. H. MEADS Bezug zu nehmen, fordert dann M . , nicht das «Soziale» im Verhalten, sondern das Verhalten im «Sozialen» anzusiedeln, wodurch soziales Verhalten wesenhaft symbolisch wird (p. 61). Zum Schluß greift der Verf. noch einmal die Relevanzthematik auf. Nicht nur muß die So-

89 zialpsychologie sich der wirklichen Probleme der Gesellschaft annehmen; erst «die Erkundung neuer Wirklichkeiten» (p. 65) kann sie aus ihrer jetzigen Begrenztheit herausführen. Dazu muß sie die Isolierung gegenüber den Nachbarwissenschaften aufgeben, aus dem amerikanisch-mittelständisch-akademischen « Getto » ausbrechen (p. 64), Lehren von Künstlern und Schriftstellern annehmen und - noch einmal den Methodenfetischismus aufgeben, um, solchermaßen befreit, dann als wahre Wissenschaft «gefährliche Wahrheiten» auszusprechen und für sie zu kämpfen (p. 66). M.s Plädoyer für eine Wissenschaft der «Bewegung» (vielleicht sollte man als Deutscher doch lieber auf das französische «mouvement» zurückgreifen), stellenweise wie eine zündende Rede zu lesen, greift sehr geschickt die Argumente auf, die im Rahmen der politischen Studentenbewegung gegen die bürgerliche Psychologie aufkamen. Zugleich jedoch distanziert sich der Fachpsychologe M. von den wissenschaftsunkundigen «Verbesserern», die Siege auf dem Papier erringen und - bald vergessen sein werden (p. 23). Weil M. weiß, was machbar ist und was Rhetorik bleibt, wird vieles von seiner Kritik ernst genommen werden müssen. In einem entscheidenden Punkt aber, der leider der «Aufhänger» seiner ganzen Kritik ist, ist M. den Nachweis schuldig geblieben. Er behauptet, die Sozialpsychologie sei «fast ausschließlich amerikanisch» (p. 19) und wir (Europäer) arbeiteten «im Abstrakten, um die Probleme der amerikanischen Gesellschaft zu lösen» (ebda.). Nirgendwo aber wird deutlich, daß die Sozialpsychologie, «isoliert», «sekundär» (p. 62) und «privat» (p. 63), wie M. sie kennzeichnet, Probleme irgendeiner Gesellschaft löst. Noch findet der Leser Überlegungen darüber, wieso die amerikanische (industrielle) Gesellschaft dem Sozialpsychologen so andere Probleme bietet als die europäische (industrielle). M. will doch wohl nicht die kapitalistische Gesellschaftsform, deren Psychologisierung er p. 30 zu Recht kritisiert, auf «Amerika» beschränken? Hier, wo politisch-ökonomische Fragen angeschnitten werden, erweist sich die Einteilung der Sozial-

90 Psychologie nach Kontinenten als doppelt problematisch. Und wo endet «Europa»? Gegenüber MOSCOVICIS weitreichendem Beitrag hat der nachfolgende, «Experiment in einem Vakuum» von H E N R I TAJFEL, ein begrenztes Ziel. Für T., der (in Abhebung von MOSCOVICI) betont als Experimentalpsychologe argumentiert, liegt die Irrelevanz so mancher Befunde in dem «sozialen Vakuum» begründet, in dem experimentiert wird: Die Beziehungen zwischen dem experimentell untersuchten Verhalten und dem sozialen Kontext, in dem es stattfindet, bleiben unbefragt. T. zeigt aber, daß jedes Experiment bestimmte Arten der Extrapolation auf das soziale Verhalten in Alltagssituationen impliziert und keines in einem sozialen Vakuum stattfinden kann. Möglichkeiten, diese Extrapolation besser zu begründen, sieht T. in der Kombination von experimenteller und «kultureller» Analyse (p. 85f.). Auch er führt die mangelhafte Theoriebildung als Ursache für das Vakuum an: Die meisten Theorien der Sozialpsychologie sind letztlich Theorien individuellen, bestenfalls interindividuellen Verhaltens, was allein schon zu der falschen Frage nach der Beziehung des wesenhaft individuellen Menschen zur Gesellschaft führt. Als ein Beispiel für die konsequent individuen-zentrierte Konzeption «sozialen Verhaltens» kann T. auf das weitverbreitete Lehrbuch von JONES & GERARD (1967) verweisen. Als Kehrseite dieser Zentrierung beklagt der Verfasser die Dürftigkeit experimenteller Untersuchungen der Beziehungen zwischen Gruppen. Die - ebenfalls reduktionistische - Umkehrung des psychologischen Individualismus liegt in der Soziologie des «leeren Organismus», in der input- direkt mit Output-Variablen korreliert werden (p. 98). Was T. positiv einbringen möchte in die Theorienbildung der Sozialpsychologie, läßt sich unter die Kategorien «Veränderung» und «Entscheidung» fassen (p. 105 ff.). «Veränderung ist das Hauptcharakteristikum der sozialen Umwelt» und selbstverständlich ein «ontogenetisches Phänomen»: «Dadurch, daß das Individuum sich selbst verändert, ändert es seine soziale Umwelt, dadurch, daß es sie verändert,

ändert es sich selbst» (p. 108). In kritischer Auseinandersetzung mit (SKINNER-) HOMANS zeigt T. von der Warte der kognitiven Sozialpsychologie, wie, wenn jede Veränderung gewisse Erwartungen enttäuscht und Wertungen erschüttert, Entscheidungen bezüglich neuer Erwartungen und Bewertungen getroffen werden müssen. Und: «Die Prozesse, die diesen Entscheidungen zugrundeliegen und somit die psychologischen Aspekte sozialer Veränderung begründen, sind das eigentliche Thema der Sozialpsychologie» (p. 115). T. will keine «große Theorie des Sozialverhaltens» geben, hält sie auch kaum für möglich (p. 115). Aber er vermag - im ungewohnten Rückgriff auf Parallelen bei PIAGET und F E S T I N GER - zu zeigen, daß ein theoretischer Bezugsrahmen für social change schon dann gewonnen ist, wenn wir auf die Interaktion achten, die zwischen Umweltanforderungen, kognitiven Strukturen und den Rückwirkungen aus Veränderungen in Person und Umwelt ins Spiel kommt; auch hier also, ohne daß der Name G. H. M E A D S erwähnt wird, eine Verlagerung des theoretischen Schwerpunkts zum Interaktionalen. Der zweite Teil des Bandes, betitelt «Vorannahmen undWerte», umfaßt vier Beiträge, von denen die ersten die Thematik des ersten Teils aufgreifen und fortführen. Der mit 89 Seiten umfangreichste Beitrag des ganzen Buches, JOACHIM ISRAELS «Stipulations and constructions in the social sciences» handelt von Grundannahmen und ihnen aufruhenden theoretischen Konstrukten in den Sozialwissenschaften. I., Soziologe an der Universiät Lund, nennt die Grundannahmen über (1) das Wesen des Menschen, (2) das Wesen der Gesellschaft und (3) das Wesen der Beziehung zwischen beiden deswegen «stipulative», weil sie - wie eine Abmachung oder Klausel (stipulation) - «regulative Funktionen» haben (p. 124), d. h. die Theoriebildung festlegen, die wiederum die Forschungsstrategie beeinflußt. Mit Hilfe eines stark vereinfachten MARX-Modells (p. 128) begibt sich I. sodann in die erkenntnistheoretische Diskussion, in der PIAGET das «dialektische», SKINNER das «empirische» Lager verkörpern.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 8 8 - 9 5

Beispiele für die normative Konzeption des Menschen in den Sozialwissenschaften bilden das «relationale» Modell (MARX/MEAD) und das Rollenmodell (PARSONS) (p. 137ff.). Was die Konzeption der Gesellschaft betrifft, so spielen (mechanische, organische und Prozess-) Analogie-Modelle eine große Rolle (p. 143); ihnen lassen sich Konsensus- bzw. KonfliktTheorien zuordnen. Überraschend knapp diskutiert I. normative Annahmen über die Stellung des Menschen in der Gesellschaft (p. 155). Ein «Sachregeln» überschriebenes Kapitel kritisiert unter dem Stichwort des «methodologischen Individualismus» erneut die empiristische Position, die durch ihre Orientierung am «Gegebenen» die Probleme der Veränderung, die kritische Analyse der gegebenen Ordnung und die Entwicklung alternativer Ordnungen vernachlässige und damit zu rein «instrumentellen» Theorien führe. Demgegenüber entwickelt I. die Notwendigkeit, einen nicht-verdinglichenden methodologischen Individualismus (MARXscher Provenienz) mit einem nicht-reduktionistischen Erklärungsansatz zu verbinden, um zu Theorien zu gelangen, in denen menschliche Handlungen in Interaktion mit sozialen Ereignissen als unabhängige Variablen behandelt werden können (p. 165). Schließlich legt der Verf. ein Modell des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses vor (p. 180 u. 189), das soziale Interessen, außerund innerwissenschaftliche Werte mit den R e geln des wissenschaftlichen Verfahrens verknüpft. In Anlehnung an HABERMAS kommt I. so zur Konzeption einer kritisch-emanzipatorischen Sozialwissenschaft, deren normative erkenntnis-leitende Interessen er zu akzeptieren empfiehlt (p. 198). «Von Wert» ist eine solche Theorie jedoch nur, wenn sie undogmatisch bleibt (p. 208), d. h. nach allem, daß sie offen bleibt für die ständige kritische Überprüfung ihrer Leitinteressen und «Stipulationen». Während noch MOSCOVICI es beklagt, daß der Marxismus bisher ohne nennenswerten Einfluß auf die Sozialwissenschaften geblieben ist (p. 22), zeigt I., der sich von allen Autoren am häufigsten auf MARX bezieht, wie sich am ehesten die MARXsche Anthropologie als Korrektiv an-

91 derer Modelle verwerten läßt; mehr, scheint es, als in der Diskussion von Gesellschaftstheorien MARX nützlich ist (pp. 1 4 3 - 1 5 8 ) . Zwar glaubt der Rezensent nicht, daß I. die Gleichsetzung von empiristischer und «positivistischer» Wissenschaft gelungen ist und damit auch nicht der Nachweis, europäische Sozialwissenschaft sei heute weitgehend dogmatisch (p. 2 0 7 ) . Und auch die Auseinandersetzung mit der kritischen Sozialwissenschaft, die von Tatsachen handelt, die es nicht gibt oder noch nicht gibt (I.s Alternative zur empirischen Sozialwissenschaft), wird erst möglich sein, wenn es sie gibt, d. h. wenn sie im alten Sinne des Wortes Tatsache geworden ist. Inzwischen wird man jedoch mehr als bisher auf Lund achten müssen. D e r P s y c h o l o g e RAGNAR ROMMETVEIT ( O s l o )

sucht mit seinem Beitrag «Sprachspiele, Syntaktische Strukturen und Hermeneutik» Bescheideneres zu erreichen. E r ist laut Untertitel «auf der Suche nach einem Vorwort zu einem begrifflichen Rahmen für die Erfassung von Sprache und menschlicher Kommunikation». R . bezieht gleich zu Beginn Stellung zur «hermeneutisch-dialektischen» Philosophie, doch im Unterschied zu seinem skandinavischen Kollegen ISRAEL als «Protest eines empirisch orientierten Psychologen gegen den ständigen Versuch der Philosophen, ihn in die diversen Fallen zu lokken, die zu monistischen Systemen und Weltanschauungen gehören» (p. 212f.). Der oft beklagten philosophischen Ahnungslosigkeit des Wissenschaftlers stellt R . die wissenschaftliche Ahnungslosigkeit des Philosophen entgegen. A m Beispiel seines eigenen Forschungsthemas, Sprache und menschliche Kommunikation, speziell an der Deixis- und Referenzproblematik, versucht R . zwischen den Einseitigkeiten des geisteswissenschaftlichen oder dialektisch-hermeneutischen Verstehens und des naturwissenschaftlich-behavioristischen Erklärens die Potenz einer kognitiv-psychologischen Empirie aufzuweisen. Befunde, vor allem der neueren Psycholinguistik, über den intuitiven, spontanen und «automatisierten» Charakter des Sprechens und Sprachverstehens zeigen sowohl die Unzulänglichkeit eines physikalischen Vorgehens wie

92 die Unmöglichkeit ihrer Überführung in Einsichten, die einem emanzipatorischen Selbstverständnis (Ä la HABERMAS) dienlich wären (p. 235). Entschieden wendet sich R. als Sprachund Kommunikationspsychologe gegen die emanzipatorische «Stipulation», nur das zu erforschen, was in emanzipatorische Einsichten eingehen kann (p. 252ff.). Das gilt vor allem für Bemühungen um eine «Grammatik menschlicher Kommunikation», deren Entstehung ohnehin zuerst die Aufhebung der «irrationalen und traditionellen Grenzen zwischen Sprachwissenschaft und einer Sozialpsychologie der Kommunikation» verlangt (p. 251). Man kann den Herausgebern ISRAEL und TAJFEL dankbar sein, daß sie den Artikel ROMMETVEITS unmittelbar dem ISRAELS folgen ließen. So geht nichts von der Unmittelbarkeit einer unausgetragenen Konfrontation verloren. Zwar attackiert R. vor allem HABERMAS und SKJERVHEIM. Aber deren Vorstellung vom bürgerlich-kapitalistisch-positivistischen Sozialwissenschaftler (ein «Schrekkensbild» laut R.) ist im Prinzip ja auch die ISRAELS. Daß R. dieses Stereotyp des im Dienste der herrschenden Klasse kontrollierenden und manipulierenden Sozialpsychologen nicht teilen kann, wird immer dann besonders deutlich, wenn er der kritischen Vernunft des Wissenschaftlers nicht nur zutraut, ideologische «Fehlerquellen» zu erkennen, sondern auch sich dagegen zu wappnen (p. 223). R. scheut sich allerdings auch nicht anzunehmen, daß mancher Wissenschaftler sich einen «positivistischen Überbau» zulegt, um sich gegenüber denen, die ihn edieren oder gar bezahlen, zu tarnen (p. 226) - ein nicht unbedingt jeden überzeugendes Argument für die Unabhängigkeit des rein der Erkenntnis verpflichteten Wissenschaftlers. Oder sollte man R. für den Hinweis dankbar sein, daß in den uns bekannten Gesellschaftsformen Philosophen und Wissenschaftler gelegentlich ihre Erkenntnisse, gerade um sie verbreiten zu können, tarnen mußten? Auch das gehörte und gehört zum sozialen Kontext der Wissenschaft. Zog sich schon bei ROMMETVEIT die kritische Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen

Thesen über Relevanz und Wertfreiheit bzw. Wertneutralität der Wissenschaft als roter Faden durch seine Abhandlung, wird der «Begriff der Wertrelevanz» Titel und Thema des von JOHAN A S P L U N D (Kopenhagen) verfaßten Kapitels. Allerdings nicht die tatsächliche oder angebliche Wertneutralität wissenschaftlicher Theorien ist A.s Problem. Für ihn sind die «klassischen» Soziologen wie DÜRKHEIM, P A RETO und WEBER immer auch Moralisten, nicht wegen der normativen Aussagen, die sie machen, sondern wegen des untrennbar moralischen Charakters ihrer Werke. Entsprechend interessiert sich A. für die moralische Wirkung nicht nur moralisch gemeinter zeitgenössischer Untersuchungen (wie über das «sogenannte Böse» und den «nackten Affen»), In der heutigen Sozialwissenschaft beschäftigt A. vor allem der moralische Effekt des HoMANSschen Individualismus, den er dem DuRKHEiMschen Ansatz gegenüberstellt. Wenn A. schließlich dem symbolischen Interaktionismus zuneigt, dann tut er dies konsequent auch deswegen, weil dessen zentrale Lehre vom sozialen Wesen des Menschen ihm die moralisch bessere zu sein scheint. Doch A. geht in seiner Wertschätzung der MEADschen Position noch weiter. Hinsichtlich Morallehren, die von der Existenz des «isolierten Individuums» ausgehen, ist der symbolische Interaktionismus «potentiell revolutionär» (p. 275). Wenn A. dabei der interaktionale Charakter des Selbst und des Bewußtseins vorschwebt, dann hat er versäumt zu zeigen, wie sich denn diese Konzeption in moralisches oder politisches Handeln umsetzen läßt. Rein von der Konzeption her sind schließlich auch die Verfassungen von so unterschiedlichen Staaten wie USA und D D R «potentiell revolutionär»; d. h. wenn man sie verwirklichte... «Über den MARXschen Begriff der Praxis» schreibt JAROMIR JANOUSEK (Prag) und vergleicht dabei die von der Produktion her denkende MARXsche Konzeption zwischenmenschlicher Beziehungen mit anderen sozialwissenschaftlichen ( M E A D , HOMANS, WYGOTSKI) und neo-psychoanalytischen (SULLIVAN und FROMM), letztere vor allem im Hinblick auf den Prozeß

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der Entfremdung. Seine Kritik der genannten Positionen führt J. wesentlich mit Hilfe der Kategorie der Vermittlung. Nur ihre zentrale Verwendung kann die theoretisch problematische Trennung von gesellschaftlichen Verhältnissen und sozialer Interaktion, aber auch von «I» und «Me» (MEAD) und damit letztlich von Individuum und Gesellschaft verhindern. Der «Methoden und Modelle» überschriebene dritte und letzte Teil des Buches wird durch ein umfangreiches und breit angelegtes Kapitel von H A K A N W I B E R G , wie ISRAEL Soziologe aus Lund, über «Rationale und nicht-rationale Modelle des Menschen» eingeleitet. Die Bestimmung dieser Modelltypen, die Klärung der in sie eingehenden Grundannahmen und ihrer Problematik sind die Aufgaben, die sich W. gesetzt hat. Nach einer bei M. W E B E R einsetzenden Klärung der Rationalitätskonzepte diskutiert W. vor allem Typen rationaler Entscheidung; unter den Bedingungen der Gewißheit, des Risikos, der Abhängigkeit von mindestens einem Partner im «Spiel» und der Ungewißheit. Die sich anschließende Kritik am rationalen Modell, die schon die definienda des «Spiels» betrifft, faßt im großen und ganzen das geordnet zusammen, was bisher an Kritiken rationaler Modelle vorgetragen worden ist. Der Abschnitt über nichtrationale Modelle unterscheidet lediglich zwischen Instinkt- und Motiv-Theorien, was an den Problemen der Aggression und des Krieges exemplifiziert wird. Im Vergleich rationaler und nicht-rationaler Modelle wird dem Verfasser die Notwendigkeit deutlich, daß wir mehr über kognitive und Bewertungsprozesse wissen sollten. In Übereinstimmung mit MOSCOVICI, T A J FEL, ISRAEL und A S P L U N D kritisiert W . abschließend den mangelnden sozialen Charakter der beiden Modelltypen. Im Grunde ist diese Klage erstaunlich nach fast 70 Jahren Sozialpsychologie. Die Psychologie, ob als Wissenschaft vom individuellen Bewußtsein oder vom Verhalten von Organismen war immer individuen- (oder organismus-)zentriert. Und, was jeder Student beim Vergleich von Lehrbüchern (manchmal erstaunt) feststellt, auch die Sozialpsychologie bleibt beim Indivi-

93 duellen und Interindividuellen stehen. Noch erstaunlicher erscheint aber, daß in diesem Buch der Name desjenigen, der das Interaktionale, die Person-Umwelt-Interaktion, zum methodologischen Prinzip erhoben hat, nicht einmal im Autorenregister erscheint: K U R T L E W I N . M A R I O VON CRANACHS Beitrag «Ethology and Human Behavior» ist in der Uberzeugung geschrieben, «daß die Psychologie, wenn sie den Menschen zu verstehen sucht, die Befunde der Ethologie berücksichtigen muß» (p. 370). Mit Hilfe von Kategorien und Sätzen der Evolutionsund Allgemeinen Systemtheorie versucht der Berner Psychologe zu belegen, wie sich menschliche Verhaltensmuster (qua Systeme) aus tierlichen entwickelt haben können, und welche methodischen Probleme (z. B. der Homologieund der Analogie-Bestimmung) sich dabei stellen. (Leider ist in dieser wichtigen Argumentation die Trennung der beiden Begriffe «evolution» und «development» nicht klar vollzogen, was zu Ambiguitäten führt.) Die (bekannte) Hauptschwäche von Analogien, daß sie (verschiedene) Ursachen haben können (p. 385) und die Unmöglichkeit, für den ethologischen Vergleich von kognitiven Schemata und motivationalen Dispositionen homologe Strukturen nachzuweisen, so daß hierfür nur Analogiebildungen verbleiben, ist die wohl stärkste Kritik der Verfassers an gewissen Ethologen. Leider wird sie - im Kleindruck einer Fußnote - dadurch wieder zurückgenommen, daß v. C. bekennt, den Behauptungen «gewisser Ethologen (z. B. K. L O R E N Z ) » gleichwohl Glauben zu schenken, da er aus persönlicher Erfahrung wisse, daß sie über eine «expert visión» verfügen! (Der Rezensent scheut sich hier, den deutschen Originalausdruck zu erraten.) Den Abschluß bildet dann die Zurückweisung einiger, gleichwohl ernstzunehmender «Argumente gegen den biologischen Ansatz» (p. 390). Dabei mag v. C.s eigenes methodologisches Postulat besondere Erwähnung finden, das unmittelbar der phänomenologischen Literatur entnommen sein könnte: «Keine Wissenschaft kann es sich auf die Dauer leisten, sich ihre Probleme von ihren Methoden vorschreiben zu lassen. Viel-

94 mehr wird der Weg, den wir einschlagen müssen, von Fragen bestimmt, für die wir angemessene Lösungsmethoden finden müssen» (p. 389). CLAUDE FLAMENT, Sozialpsychologe aus Aixen-Provence, den seit einiger Zeit die Beziehungen zwischen kognitiven Strukturen und sozialem Verhalten interessieren, faßt die kognitive Struktur als Repräsentation und in diesem Sinne als «Theorie» eines bestimmten Weltausschnitts auf. Dadurch gelingt es ihm, die kognitive Struktur eines einzelnen wie auch eines Kollektivs wie auch deren kognitive Repräsentation beim Forscher prinzipiell gleich zu behandeln. Das Mittel dazu liefert ihm die BooLEsche Algebra, die er zu einer «Kommunikations-Algebra» entwickelt. Um allerdings die kognitive Struktur z. B. eines Probanden A in das Beobachtungssystems eines Wissenschaftlers B zu übersetzen, bedarf es einer formalen «Wörterbuchtheorie», zu der F. Ansätze an Beispielen aufweist. Auf einem anderen Wege als andere Autoren dieses Buches versucht F. zu zeigen, wie die wissenschaftliche Theorie eines Individuums mit dessen Einstellungen, Normen und Werthaltungen in Beziehung steht. Auch wenn wir in der Lage sind, die «außer-wissenschaftlichen Werte» zu identifizieren, der Prozeß der Identifikation ist selbst wieder durch derartige Werte relativiert; doch glaubt F., mit Hilfe seiner «dictionary theory» die Bedingungen der Größe der Abweichungen von Theorien untereinander letztlich doch ermitteln zu können. Zumindest, so schließt F., ließe sich das metatheoretische Problem mathematisch stellen (p. 405), eine Hoffnung, die sich allerdings nach der Lektüre gerade dieses Bandes auch als Resignation lesen läßt. Schließlich stellt ROM HARRE, Philosoph und Wissenschaftstheoriker in Oxford, mit der «Analyse von Episoden» einen (Erklärungs-) Ansatz vor, den er zusammen mit P. F . SECORD im gleichen Jahr in einer Monographie ausführlicher dargestellt hat \ Klarer als andere drückt er aus, daß Sozialpsychologie noch keine echte Wissenschaft ist. Nicht einmal «kritische Natur1

geschichte» ist sie richtig, weil sie mit manifesten Verhaltensmustern und deren Bedingungen befaßt ist, statt «Ethogenie» zu treiben, d. h. die «Kausalmechanismen sozialer Interaktion» zu untersuchen (p. 407). Allerdings sieht H. die einscheidenden Mechanismen in den «Bedeutungszusammenhängen, wie sie die Interagierenden wahrnehmen» (ebda.) Ganz im Sinne neuerer phänomenologischer Soziologie und Sozialpsychologie geht H. davon aus, daß «wie Leute reagieren, bestimmt wird durch die Art, wie sie die Bedeutung der Situationen, in denen sie sich befinden, verstehen, und durch die Regeln und Konventionen, die sie hinsichtlich solcher Bedeutungen akzeptieren» (ebda.). Das an GOFFMAN orientierte «dramaturgische Spielmodell» operiert mit den analytischen Grundkategorien «action» - «act» (Aa-Struktur) und «role» - «rule» (Rr-Struktur), mit denen die Ethogenie von rituellen, Routine-, Spiel- und Unterhaltungs-Episoden dargestellt und durchsichtig gemacht werden kann. Da die gleichen Handlungen (actions) sehr verschiedenen Akten (acts) dienen können, kann die gleiche Episode sehr verschiedene Aa-Strukturen haben. Welche ist dann die wahre? Die Antwort H.s ist wahrhaft interaktional: diejenige, die am ehesten zwischen «actors» und «audience» vereinbart oder ausgehandelt (negotiated) wird. Der Sozialpsychologe, der sich entschließt, Wissenschaftler zu werden und dazu den dramaturgischen Standpunkt wählt (immerhin wird G O F F MAN als «Kopernikus der Humanwissenschaften» genannt, p. 413), muß sich prinzipiell als «Akteur» auf «Aufführungen» vor «Publikum» gefaßt machen (p. 417), wenn er nicht gar «garfinkeln» geht (vgl. hierzu statt HARRE HARRE & SECORD sub titulo «garfinkelling»). Der Rezensent, der aus anderen Gründen, als die meisten der zehn Autoren sie explizieren, mit dem gegenwärtigen Stand der Sozialpsychologie unzufrieden ist, glaubt, daß der «Erklärung des sozialen Verhaltens» von HARRE & SECORD, in der er einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Sozialpsychologie sieht, mit den knapp 18 Seiten

HARR£, R. & SECORD, P. F. 1972. The explanation of social behaviour. Oxford: Blackwell.

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keine genügend klare Gerechtigkeit widerfahren ist. Doch mag die Lektüre dieses Beitrages, der wie alle anderen zum Nachdenken anregt, die Neugierde auf das genannte Buch wecken. Als sich im Herbst 1973 die amerikanische «Society of Experimental Social Psychology» traf, wurde ihren Mitgliedern empfohlen, sich mit den beiden wichtigsten Beiträgen, die aus Europa kamen, auseinanderzusetzen, mit ISRAEL & TAJFEL und mit HARRE & SECORD. Doch auf der gleichen Tagung in Iowa City wurde auch deutlich, daß die kritische Reflexion des Standes der Sozialpsychologie, die H E N R I TAJFEL «eine der Grundlagen des europäischen Beitrags zu einem Fortschritt in der Sozialpsychologie» nennt, keineswegs nur den «europäischen Sozialpsychologen» (MOSCOVICIS unglücklicher Ausdruck) charakterisiert. Erfreulicherweise heißt die von TAJFEL herausgegebene Reihe «European Monographs in Social Psychology» und nicht «Monographs in European Social Psychology». Wenn im European Journal dieser Gesellschaft, wenn im Scandinavian, Australian, Japanese etc. Journal of Psychology keine wesentlich andere Psychologie zu finden ist als im altehrwürdigen American Journal of Psychology (ab 1887, also vor Z. Psychol, und Arch, ges. Psychol.), dann mag das zu verschiedenen Zeiten in einigen Köpfen nationalistische oder sozialistische Befürchtungen auslösen; der prinzipiell internationale Charakter jeder Wissenschaft ist damit stärker ausgewiesen als durch entsprechende Bekundungen. Eine andere Frage ist es, ob schon alle Nationen, Rassen, R O M HARRES

95 Schichten, Gruppen an dieser Internationalität teilhaben können. Doch diese Frage wird nicht einmal im vorliegenden Buch thematisiert. Angesichts der Ansprüche auf eine «Black Psychology» in den USA, auf eine «marxistische Psychologie» in Europa - und sei beides nur ein verständlicher Nachholbedarf - ist das im «Wind der Veränderung» entstandene Buch in seinen Veränderungsabsichten alles andere als radikal. Vielleicht kann man es dafür ehrlich nennen, ehrlich nicht im Sinne einer zweifelhaften Charakterologie, sondern einer nur geringfügig kosmetisch korrigierten Selbstdarstellung von ernstzunehmenden Sozialpsychologen. Einige von ihnen haben die Antworten auf kritische Fragen, die ihnen andere gestellt haben, oder auch auf eigene Zweifel in eine Sprache gebracht, die ihnen die Stunde angemessen erscheinen ließ. Andere, für die kritische Reflexion auf das eigene Tun zu den Kriterien wissenschaftlicher Arbeit zählt, lassen uns an ihren Reflexionen teilhaben. Beide Formen der Kritik zusammen ergeben die Rechtfertigung und den Spannungsbogen dieses Buches, das im übrigen, obwohl es ein Novum ist, keine eigentlichen theoretischen Neuigkeiten enthält. Selbstververständlich wird - wie immer in der Geschichte der Wissenschaft - erst die Forschung, die aus dem kritisch definierten Kontext der Sozialpsychologie hervorgeht, die wissenschaftliche und praktische Auswirkung dieser kritischen Bewertung erweisen können. Die Auswirkung des «Windes der Veränderung» auf die Sozialpsychologie ist jedoch auf keinen Fall die eines Sturmes gewesen.

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REZENSION Joachim ISRAEL & Henri TAJFEL. (Eds.) 1 9 7 2 . The context of Social Psychology - A Critical Assessment. Band 2 der "European Monographs in Social Psychology". London/New York: Academic Press. VII + 438 p.

Eine Flaute in der Sozialpsychologie? MARTIN IRLE Universität Mannheim

Dieses Buch enthält die überarbeiteten Referate eines der «Small working group meetings» der «European Association of Expérimental Social Psychology». Von den Ergebnissen der Gruppenarbeit findet sich nichts in diesem Buch. Waren sie nicht der Rede wert oder ist die Arbeitsgruppe entgegen der Politik der «Association» in einen Miniatur-Kongreß entartet, in dem die Teilnehmer sich in den Rollen von Referent und Auditorium auswechselten? Die Initiative zu solchen «Meetings» ergreifen die Mitglieder der «Association»; sie bestimmen das jeweilige Thema und gewinnen weitere Teilnehmer, die nicht alle zwingend Mitglieder der «Association» sein müssen, so im vorliegenden Fall ASPLUND, HARRE und W I B E R G . Der thematische Anspruch dieser Arbeitsgruppe ragte über die der anderen hinaus; er war aber nicht allumfassend für die Sozialpsychologie. Über die Kriterien zur Auswahl der Teilnehmer und deren Beiträge könnte der Rezensent - als seinerzeitiger Angehöriger des «Executive Committee» der «Association» — nur plausibel spekulieren. Er hat voraus die Rezensionen von GRAUMANN (1975) \ JAHODA (1974) und SHAVER (1974) gelesen. Die Rezension von SHAVER (1974) ist irreführend. Er macht aus diesem «Small working 1

group meeting» die Repräsentation der europäischen Sozialpsychologie, die auf eine Krise der US-amerikanischen Sozialpsychologie antworte und führt uns damit ein für einen Sozialpsychologen ganz erstaunlich dichotom klassifizierendes Vorurteil vor: "Now in The Context of Social Psychology (...) we have the Europeans' reply, ..." (p. 356). Die «Association» vermeidet, schon durch ihren Namen und selektive Zuwahl neuer Mitglieder, in den Verdacht zu geraten, eine allumfassende oder repräsentative wissenschaftliche Gesellschaft jeglicher Sozialpsychologie in Europa zu sein; eine ihrer manchen «Small working groups» aus persönlichen Mitglieder-Initiativen erhebt diesen Anspruch ebensowenig. SHAVER (1974) setzt seine Konstruktionen fort und behauptet, daß durch den ganzen Band, also durch alle Beiträge "The Marxist thread (is) running" als Antithese zu "unidirectional causal models" der US-amerikanischen Sozialpsychologie (p. 357). Tatsächlich kann man nur zwei Beiträge als aus minder oder mehr marxistischer Perspektive geschrieben identifizieren (ISRAEL und JANOUSEK). F L A MENT, ein profunder Marxismuskenner und selbst Kommunist, sieht keinen Anlaß, M A R X in seinem Beitrag 'als ob' zu bemühen. Es ist hinlänglich bekannt, wie selten sogar englischspra-

Dieser Zweit-Rezensent (nach der Politik dieser Zeitschrift) profitiert nach dieser Lektüre ungerechtfertigt davon, daß der Erst-Rezensent schon die Rolle des Berichterstatters übernommen hat; als Leser dieser fair berichtenden und kritischen Erst-Rezension kann er sich unmittelbar auf Kritik konzentrieren.

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chige sozialpsychologische Zeitschriften und Monographien aus Europa von unseren Kollegen in den USA studiert werden. So drängt sich der Verdacht auf, dieses sei die erste Begegnung von SHAVER mit Sozialpsychologie in Europa, bei der seine perzeptiven und kognitiven Hypothesen - noch - über mit ihnen nicht vereinbare empirische Fakten gesiegt haben. Diesen Rezensenten irritiert das so sehr, wie SHAVER ( 1 9 7 4 , p. 357) "is disappointed by the Europeans", wenn er uns auf unsere großen Psychologen und sozialen Denker rückverweist - FREUD, PIAGET, MARX, WEBER, DURKHEIM, LÉVI-STRAUSS

und

dabei KURT LEWIN vergißt. In dieser Abstinenz darf sich SHAVER jedoch mit manchen Autoren des rezensierten Buches konform wissen. Mit den Jahren ist die US-amerikanische Sozialpsychologie für MOSCOVICI verständlicher in ihrer Fremdheit geworden. Er meint, sie anfangs isoliert von ihren Wurzeln und Funktionen in ihrer eigenen Gesellschaft studiert zu haben. Als prominente Beispiele seiner frühen Lektüre zählt er zwölf Autoren auf (p. 18), von denen jedoch vier aus Deutschland oder Österreich emigriert sind und ein weiterer aus dem Vorderen Orient; von den restlichen sieben sind fünf unmittelbar Schüler von LEWIN; einer hat zeitweise in seiner Nähe gearbeitet (KELLEY), und einer hat sich als der Kenner par excellence der psycho-analytischen und ethologischen Schulen der Aggressionsforschung in Europa ausgewiesen (BERKOWITZ). Weiß MOSCOVICI nicht, daß die Sozialpsychologie sich in den USA in erheblichem Maße unter dem Einfluß von LEWIN als kognitive Psychologie gegen den frühen Behaviorismus emanzipiert hat, und daß die Verwandtschaft von Behaviorismus und (in der Sowjetunion entstandener) Reflexologie innig ist? MOSCOVICI nimmt Ärger an der "Social Psychology of the nice person" (p. 18) und beruft sich auf THIBAUT & KELLEY ( 1 9 5 9 ) ; doch genau dort hätte er sich auch über «fate control» orientieren können und damit ein Instrumentarium kennengelernt, mit dem die sozialen Interaktionen in den Konzentrationslagern totalitärer Gesellschaften aus sozialpsychologischer Perspektive untersucht werden könnten. MOS-

ist indigniert über jegliche Austauschoder Markt-Theorie, womit er Leerformeln auf den Leim geht. Dieser Rezensent glaubt nicht, daß mit den Etiketten 'soziale Interaktionen' und 'Austausch von Handlungen' irgendetwas mehr ausgesagt wird als die Präferenz einer Weltperspektive, die allerdings noch wenig zu tun hat mit den Aussagen der einen oder anderen bestimmten realwissenschaftlichen Theorie. So einfach bläst der Wind der Veränderung nicht in eine Richtung: Die sozialen Beziehungen in feudalistischen und sozialistischen Gesellschaften können aus dieser Perspektive analysiert werden, nicht nur der 'Markt' kapitalistischer Gesellschaften. MOSCOVICI (p. 26) zitiert sehr verkürzt den CL und den CL aU von THIBAUT & KELLEY ( 1 9 5 9 ) . Er verschweigt, daß diese Autoren zulassen und sogar erwarten, daß die Genese dieser Standards im konkreten Fall durch die eine oder andere Theorie erklärt werden muß und daß ihre empirischen Aussagen nur unter den Anfangsbedingungen gegebener Standards gelten. MOSCOVICI beklagt den Reduktionismus von THIBAUT & KELLEY ( 1 9 5 9 ) , ist selbst aber gar nicht geneigt, diesen aufzugeben, indem er soziale Interaktionen als das Kernstück sozialpsychologischer Forschung ansieht, also aus verhaltenstheoretischer und nicht aus systemtheoretischer Perspektive sozialwissenschaftlich zu operieren sucht. COVICI

Moscovici wählt COCH & FRENCH ( 1 9 4 8 ) um zu demonstrieren, in welchem Maße sozialpsychologische Forschungsaktivitäten durch den Bedarf einflußreicher Gruppen in derjenigen Gesellschaft determiniert werden, in der diese Aktivitäten vonstatten gehen. Er wählt die Forschung zum Risiko-Schub als Beispiel, um zu demonstrieren, in welchem Maße sozialpsychologische Forschungsaktivitäten atheoretisch sind. Beide Vorwürfe waren zur Zeit des «meetings» keineswegs neu, und sie wurden schon mit besseren Argumenten gestützt. Man kann Moscovici nicht bestreiten, daß theoretische Abstinenz zu nicht generalisierbaren Ergebnissen empirischer Forschung führt, zur bloßen Deskription mannigfacher empirischer Fakten in Experimental-Situationen, so bei ei-

98 nigen, nicht bei allen Autoren zum RisikoSchub. Man wird ihm auch nicht bestreiten wollen, daß diese Strategie noch schrecklichere Folgen hat, wenn unter theoretischer Abstinenz angewandte Forschung getrieben wird, wenn also nicht empirische Forschung eine Theorie revidiert, welche dann bei ausreichendem Vertrauen in ihre Brauchbarkeit praktisch («externe Validität»!) angewandt wird, also in Techniken transformiert wird, sondern wenn solche singulären Forschungs-Ergebnisse direkt in Techniken 'generalisiert' werden (aus den Erg e b n i s s e n v o n COCH & FRENCH [1948]

wird

vielfach die Mitbestimmung am Arbeitsplatz 'abgeleitet'). Das weiß man aber doch alles längst aus dem kritischen Rationalismus und seiner Auseinandersetzung mit dem logischen Positivismus; das weiß man schon ebenso früh w i e v o n POPPER ( 1 9 3 5 ) a u c h v o n LEWIN ( 1 9 3 6 )

u n d n o c h f r ü h e r von DÖLLE (1927), wie auch

dieser Rezensent soeben erst bei ALBERT (1974) entdeckte. Natürlich gehört MOSCOVICI nicht zu den geistig Armen, für die alles Positivismus ist, was nicht Marxismus, Psychoanalyse oder Hermeneutik ist, je nach ihrer eigenen Position. MOSCOVICI weiß sehr wohl, daß sozialpsychologische Forschung in den USA in weiten Feldern durchaus von Theorien her generiert wird; er lobt unter anderen FESTINGER (1957) u n d BREHM (1966). In E u r o p a findet m a n keine ver-

gleichbar ähnlich fruchtbaren Theorien, die in der Sozialpsychologie nach 1945 formuliert wurden. Dem ungeheuren Leerlauf der Forschung in den U S A 2 einschließlich oberflächlicher und inadäquater theorien-orientierter Forschung (die Mehrzahl der Experimente zur Dissonanz-Theorie dürfte Makulatur sein) aus Publikations-Druck folgt vielfach naive Nachahmung in Europa. Moscovici kritisiert die Sozialpsychologie in den USA, weil mangels Masse bei uns wenig zu kritisieren ist (p. 24). Zwar kritisiert Moscovici heftig den verbreiteten, naiven Positivismus und Induktionismus der Forschung. Aber seine Vorschläge zu theo2

retischer Orientierung beschränken sich eher auf eine große, umfassende Theorie; er müßte eigentlich wissen, daß in der Physik viele kleine, empirisch brauchbare Theorien mit engen empirischen Geltungsbereichen existieren, von denen kaum eine logisch folgerichtig auf eine der großen physikalischen Welt-Theorien reduzierbar ist. Sein Programm für die Sozialpsychologie ist romantisch. Da er selbst keine neue Theorie vorführen kann, was ihm nicht vorzuwerfen ist, konzentriert er seine Vorschläge mehr auf die 'richtige' Weltperspektive sozialpsychologischer theoretischer und empirischer Forschung und auf die 'richtigen' Entdeckungszusammenhänge, innerhalb der Theorien generiert werden sollten. Nach Meinung dieses Rezensenten ist ein solches Geschäft müßig, da die empirische Geltung und Fruchtbarkeit einer Theorie nicht aus Weltperspektiven und Entstehungsgeschichten abgeleitet oder vorhergesagt werden können. Eine Theorie muß sich als empirisch brauchbar bewähren; das ist alles. Damit wird die Frage, ob Sozialpsychologie eine Extension von Psychologie oder Soziologie sein solle, ein scholastisches Parteiengezänk. Der Erfolg einer Theorie bei der Erklärung empirischer Realitäten zählt, nicht wo sie herstammt und unter welchen Umständen sie entstanden ist. Die empirische Widerlegbarkeit einer Theorie zählt, nicht ihre Honorigkeit. Mosco vicis Absichtserklärung, Ideologie und Kommunikation oder symbolische soziale Interaktionen zum wesenhaften Kern der Sozialpsychologie zu machen, ist vorerst nur honorig. TAJFEL variiert das Klagelied von Moscovici in einem engeren Rahmen. Dieser Rezensent kann es TAJFEL nicht ersparen, ihn mindestens ebensolcher wissenschaftstheoretischer Naivität zu zeihen wie MOSCOVICI. Was sind Experimente in einem Vakuum? Was ist ein Vakuum? Merkwürdig, Galilei hatte selbst keine Chance, seine Theorie optimal empirisch zu prüfen, weil es ihm unmöglich war, optimale Bedingungen für den freien Fall herzustellen;

Eine deutsche Austausch-Studentin in Stanford charakterisiert: Es werden immer wieder dieselben Hunde ins Hunderennen geschickt und niemand merkt, daß sie längst tot sind.

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die Herstellbarkeit eines Vakuums zu empirischen Prüfungen der Gravitationstheorie hätte ihn unendlich glücklich machen müssen. Ändert TAJFEL den Sprachgebrauch für den Terminus 'Vakuum'? Eine Theorie kennt Variablen vom Typ des 'Explanans' (unabhängige Variable) und vom Typ des 'Explanandum' (abhängige Variable). Die Frage kann nicht so gestellt werden, ob beispielsweise eine Frustration regelmäßig zu einer Aggression führt (p. 72ff.), oder ob sie nur unter spezifischen Randbedingungen, hier als soziale Kontexte (genauso aber auch als spezifische Ausprägungen differentieller Persönlichkeitseigenschaften), Ursache für bewirkte Aggressionen sein könne. Unter einem Vakuum scheint TAJFEL das Fehlen eines sozialen Kontextes zu verstehen. Eine Theorie kann aussagen: Welche Randbedingungen immer gegeben sind, das Ereignis X (Frustration) verursacht das Ereignis Y (Aggression). Durch Variationen von Randbedingungen wird sie korrigiert: Das Ereignis verursacht das Ereignis Y x ; die Ereignisse X 2 3 n verursachen die Ereignisse Y 2 3 n ; Ereignisse wie X 1 + 2 oder X ^ verursachen Ereignisse Y 1 + 2 oder Y1>2 und so fort, zum Beispiel X x verursacht Y p wenn Z, gegeben ist; X1 verursacht Y 2 , wenn Z., gegeben ist. Es ist zu erklären, wann Aggressionen oder Non-Aggressionen auf Frustration folgen und wann auf Frustrationen/Non-Frustrationen Aggressionen/Non-Aggressionen folgen. Das Vakuum von TAJFEL kann nur bei Theorien von Eine-Hypothese-Charakter existieren: Eine Theorie besteht aus einer empirischen Prüfhypothese. Die Theorie wird zur Deskription eines einzigen konkreten Falles; wenn induktive Logik nicht möglich ist, dann ist auch jede Generalisierung dieses konkreten Falles auf andere Fälle unmöglich. Prinzipiell läßt eine Theorie unendlich viele Folgerungen zu. Die Deskription eines singulären, individuellen Sachverhaltes in sozialpsychologischer Sprache ist nichts als die Wiederholung dessen in neuer Sprache, was jedermann zu wissen vermeint. TAJFEL lastet unter "Experiments in a Vacuum" der 3

empirischen Forschung solche Mängel an, welche der naiven positivistischen Methodologie oder manchen Ein-Hypothesen-Theorien anhaften, die jeweils nur eine oder sehr wenige Folgerungen zulassen. Solche Pseudo-Theorien sind durch empirische Prüfungen unter variierenden Randbedingungen falsifizierbar. Das erste Argument von TAJFEL, daß vorhandene Theorien nicht unter systematisch variierten, soziologisch definierten Randbedingungen auf die Generalität ihrer empirischen Geltung geprüft werden 3, bereitet das zweite Argument vor: Als Einheit der Beobachtung und Analyse werden bevorzugt Individuen gewählt, statt komplexere Muster sozialer Interaktionen in den Fokus der Aufmerksamkeit zu bringen. Diese Feststellung zum Erkenntnisinteresse von theoretischer und empirischer sozialpsychologischer Forschung mag richtig oder falsch sein. In dem einen oder anderen Fall ändert sich nichts daran: Erstens, man kann niemandem vorschreiben, welche Probleme er unter dem Stichwort Sozialpsychologie in Erkenntnis-Entscheidungen zu lösen sucht; man kann nur Vereinbarungen darüber treffen; das Erkenntnis-Interesse am Verhalten von Individuen in sozial definierten Umwelten und an sozialen Interaktionen von je zwei Individuen findet als Konvention keine Zustimmung mehr von TAJFEL. Zweitens, man kann vorerst versuchen, theoretisch und empirisch mit solchen relativ 'simplen' problematischen Sachverhalten zu hantieren, ehe man das Rüstzeug besitzt, aus dieser 'reduktionistischen' Wissenschaftsperspektive mit 'komplexeren' Sachverhalten auf höheren AggregatsStufen zu forschen. Die Variationen der Komplexität sozialer Beziehungen und Interaktionen bedingt nicht notwendig einen Wechsel benutzter Theorien. Drittens, man kann - wie anscheinend neuerdings auch TAJFEL - meinen, daß aus systemtheoretischer, hier wohl makrosoziologischer Perspektive auch bisherige Probleme der Sozialpsychologie behandelt werden 'müssen'. Man kann fordern, daß Sozialpsychologie eine Extension der Makro-Soziologie auf Individuen

So kann m a n dieses Argument wohlmeinend reformulieren.

100 zu leisten habe, also gewissermaßen Mikro-Soziologie werden müsse. Aber das kann sich doch jeder Sozialpsychologe nur selbst verordnen; wer gibt ihm das Recht, solches päpstlich anderen vorzuhalten, zumal wenn er selbst dieses Programm nicht erfüllt? Der Rezensent kennt kein Beispiel aus dem Arsenal makrosoziologischer System-Theorien, welches bisher die Erklärung problematischer Sachverhalte auf Aggregations-Stufen höherer Komplexität sozialer Beziehungen besser leistet als reduktionistische Theorien, als Theorien mit allgemeinerem empirischen Geltungsanspruch aus der Sozialpsychologie. Warum muß Sozialpsychologie nach bisherigen Konventionen dann ihr Programm aufgeben und in Soziologie aufgehen? Warum ist es nicht fruchtbarer für den Fortschritt der Sozialwissenschaften, wenn Verhaltens- und systemtheoretische Gruppen von Theorien miteinander konkurrieren? Der dritte Beitrag in dieser Runde stammt, trotz anderer Einteilung in diesem Buch, von ISRAEL. Anscheinend versteht er unter Stipulationen präskriptive Aussagen, von denen die Aussagenden annehmen, daß sie deskriptive Aussagen seien oder doch ohne weiteres in solche umgewandelt werden können. Solche Aussagen gehen sicherlich oft und auch unbemerkt in Theorien ein. Wenn aber diese Theorien empirisch prüfbar sind, anderenfalls interessieren sie den Realwissenschaftler ohnehin nicht, dann sind solche Anteile auch falsifizierbar. (Was ISRAEL unter "verified empirical statements" im Gegensatz zu einfachen "empirical statements" (p. 124) versteht, bleibt dem Rezensenten schleierhaft.) ISRAEL springt mit seinen Gewährsleuten etwas willkürlich um. Die Vorstellungen von MARX über die Natur des Menschen muten wie das Basismodell eines modernen 'kognitivistischen' Psychologen an, nämlich v o n KURT LEWIN. U n r e f l e k t i e r t rutscht die ak-

zeptable Annahme in dieses Modell ein, daß kein prinzipieller Unterschied zwischen Erkenntnis- und Handlungs-Entscheidungen bestehe. PIAGET - nur aus zweiter Hand zitiert erhält ein Drehbuch zugewiesen, mit dem er die Rolle des lichten Dialektikers auf ISRAELS klei-

ner Bühne gegen den dunklen SKINNER spielen muß; wie vorteilhaft für ISRAEL, wenn er sich der tatsächlichen Auseinandersetzung zwischen LEWIN u n d HULL u n d seinen Schülern bedient

hätte, um die seines Erachtens bessere Philosophie über die Natur des Menschen zu verdeutlichen. ISRAEL bemängelt die Entstehungszusammenhänge mancher sozialwissenschaftlicher, theoretischer Positionen, obwohl diese doch nicht über die empirische Geltung solcher Theorien entscheiden. Er bekämpft in diesem Sinne den Behaviorismus und den (welchen?) Reduktionismus. Schließlich, am Ende eines Beitrages, dessen Vortrag in der Konferenz mehr als fünf Stunden beansprucht haben müßte, und der dennoch wie eine 'diagonal' gelesene, große Hauptvorlesung anmutet, versöhnt ISRAEL die feindlichen Brüder. Er nimmt uns nicht die empirischen Theorien, die aber deskriptiv (!) und dogmatisch (!) seien, solange sie nicht durch kritische Theorien hiergegen kontrolliert werden. Diese kritischen Theorien befassen sich, so ISRAEL, also nicht im geringsten mit empirischen Problemen (p. 201f.), sondern mit den empirischen Theorien. Wie nun, wenn man das Zustandekommen empirischer (nomologischer) Theorien als empirische Probleme anhand von Hypothesen aus einer kritischen Theorie systematisch und empirisch erforscht? Darf man dann nicht auch mit solcher Forschung versuchen, kritische Theorien (im Sinne von ISRAEL) ZU falsifizieren? Oder sind diese kritischen Theorien gegen empirische Falsifikation immunisiert? Der Nachholbedarf an Wissenschaftstheorie und Methodologie steigt von MOSCOVICI und TAJFEL ZU ISRAEL hin an. D e r Leser lernt nicht

viel hinzu, was er nicht schon aus dem sogenannten Positivismus-Streit in Soziologie und Sozialpsychologie kennt. Weitere Beiträge zu dieser Konferenz und der aus ihr entstandenen Publikation lassen den Rezensenten einfach deshalb unbefriedigt, weil man nichts aus eigenen wissenschaftlichen Aktivitäten der Autoren erfährt, ob in theoretischer und/oder empirischer Forschung. ASPLUND erläutert seine Präferenzen für be-

101

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6, 96-102

stimmte Theorien-Typen und seine Aversionen gegen andere. Entscheiden wird aber die Erklärungskraft von Theorien, so wie sie empirisch nachgewiesen werden kann. Der Rezensent ist sicherlich kein'HoMANS-Fan'; er beugt sich aber vorläufig den Ergebnissen der Forschung zur Modifikation dieser Theorie von STACEY ADAMS

und seinen Freunden, bis sich brauchbarere und schlüssigere Erklärungssysteme anbieten. WiBERG diskutiert in einem Sammelreferat rationale und nicht-rationale Modelle des Menschen. Eingangs bespricht er Modelle aus der Spieltheorie, deren Präskriptionen durch sozialpsychologische Autoren in ihrem empirischen Generalitätsanspruch längst als unhaltbar nachgewiesen wurden. Beiläufig zitiert er dann (p. 3 3 7 ) MARCH & SIMON ( 1 9 5 8 ) , deren Diskussion

von der Verkürzung der Problemsicht durch Dichotomisierung in 'rational' und 'nichtrational' allerdings schon von SIMON (1945;

p. 61-78) vorgezeichnet wurde. Die anschließende Diskussion nicht-rationaler Modelle, Instinkt- und Motiv-Theorien (als Trieb-Theorien) zeigt, daß dem Autor der gegenwärtige Stand motivations-theoretisch orientierter Forschung nicht ganz geläufig zu sein scheint. Aus hier nicht zu erörternden Gründen liegt von JANOUSEK nur ein sehr kurzer, summarischer Beitrag vor. Man müßte mehr von seinen Ideen zur Praxis, zu Handlungsentscheidungen, zur Transformation von Theorien in Techniken, also zur Sozialtechnologie in sozialistischen Gesellschaften erfahren, um sie diskutieren zu können. Auch die Ausführungen von HARRE reichen in der Kürze nicht aus, in der sie an diesem Platz vorgetragen werden, um zu prüfen, ob seine Analyse von Interaktions-Episoden nicht vielleicht doch vereinbar ist mit 'reduktionistischen' Theorien: Unter Umständen bietet sich sein System als eine Alternative an, um mit solchen Theorien empirische Probleme auf komplexeren Aggregats-Ebenen besser in den Griff zu bekommen. V. CRANACH, in der Ethologie so zuhause wie in der Sozialpsychologie, demonstriert die noch nicht überwundenen Barrieren eines humanethologischen Programmes: Homologie-Schlüsse

von Art zu Art (Evolution der Arten, Stammesgeschichte) gelingen in der Morphologie (Anatomie). Physiologische Homologien sind schon weit schwieriger nachzuweisen, am ehesten bei noch lebenden (nicht ausgestorbenen) Arten. Die Vergleiche tierischen und menschlichen Verhaltens in der Suche nach Homologien von Verhalten enden zur Zeit bei Analogien. Die wenigen Varianten tierischen aggressiven Verhaltens lassen sich eindeutig an fast zwei Händen aufzählen und exakt beschreiben; die Varianten menschlichen aggressiven Verhaltens sind fast beliebig. Es fehlt sogar die gemeinsame Protokollsprache, um überhaupt erst mögliche Homologien beschreiben zu können. Die «expert vision» seines väterlichen Freundes KONRAD LORENZ (p. 388) meint wohl eine Demutsgebärde vor Ethologen, die stimuliert durch Analogie-Beobachtungen, Hypothesen kreieren, zu deren empirischer, wissenschaftlich haltbarer Prüfung leider noch die Methoden fehlen (so ausführlicher V. CRANACH, 1974).

Sozialpsy-

chologen und noch mehr Human-Ethologen sollten sich hier vorerst methodologischer Forschung widmen. Wissenschaft besteht darin, das Nicht-Meßbare meßbar zu machen; oder: Was meßbar ist, ist auch real. (Auch das konnte man schon von KURT LEWIN lernen, als er die Psychologie der

Gruppe kreierte.) Durch ständige Wiederholungen analogisierender Anekdoten von HumanEthologen wird allerdings kognitive Realität bei vielen Lesern erreicht. Dieses Buch wäre sogar dann seine Publikation wert, wenn dieser Rezensent mit seiner auf weiten Strecken unnachgiebigen Kritik recht hätte. Zwei Beiträge, die von ROMMETVEIT und FLAMENT sind «outstanding», und viel mehr Ertrag kann man erfahrungsgemäß selten von einem Symposium erwarten. Gemeint ist weniger die brillante Auseinandersetzung des forschenden Sozialpsychologen und

Psycholinguisten

ROMMETVEIT mit

den

Philosophen jeder Art, die ihm so oder so vorschreiben wollen, was er im Forschungsalltag zu tun habe, wie er es zu tun habe und welche Ergebnisse seiner Produktion allein als legitim

102 akzeptiert werden könnten. Gemeint ist vielmehr sein Versuch einer Grammatik sozialer Kommunikation. Sein Programm ist schon kein bloßes Programm mehr, weil er Schritte zu seiner Realisierung vorführt: "What is emerging as the common denominator of these studies is not yet sufficient for the formulation of a theory; but it provides the beginning of a preface to a theory in which irrational and traditional boundaries between linguistics and a social psychology of communication tend to disappear." (p. 251) Fast nirgends so sehr wie im Anschluß an diesen Beitrag hätte der Rezensent gerne einen Diskussionsbeitrag aus der Konferenz gelesen, etwa von MOSCOVICI, der in seinem Beitrag Sozialpsychologie präskriptiv definiert: "Social psychology is a science of behaviour only if this is understood to mean that its interest is in a very specific mode of that behaviour - the symbolic mode." (p. 62) FLAMENT gehört zu der kleinen Gruppe von Sozialpsychologen, die sich scheinbar sehr reduktionistisch und a-sozialpsychologisch mit Theorien befassen, welche das Zustandekommen und den Wandel der Erkenntnis-Entscheidungen von Individuen mit 'kognitivistischen' Theorien zu erklären versuchen. Dank seiner mathematischen Vorbildung gelingen FLAMENT adäquatere Schritte zur Formalisierung (und (Axiomatisierung!) theoretischer Aussagen als seinen meisten Kollegen. Dank seines sozialen Interesses versucht er, theoretische und empirische Anwendungen solcher Theorien auf Erkenntnis-Entscheidungen in sozialen Interaktionen zu erreichen. Dank seiner steten, kritischen Reflexion als politisch engagierter Wissenschaftler sucht er, die kognitiven Strukturen und deren Wandel von Wissenschaftlern zum empirischen Gegenstand seiner Forschung zu machen: Hier vollziehen sich die ersten Schritte zur empirischen Erforschung (geleitet von Theorien kognitiver Balance) der Entstehungs-

zusammenhänge von Theorien in der Interaktion mit «scientific communities» und anderen Bezugsgruppen und mit den Schritten und Ergebnissen zugeordneter empirischer Forschung. Der Rezensent ist mehrfach voreingenommen für FLAMENTS Forschungsinteressen und seine Lösungsvorschläge. Erkenntnis-Entscheidungen determinieren Handlungs-Entscheidungen, oder besser: Sie lassen sich in solche umwandeln. Nirgends so sehr wie im Anschluß an diesen Beitrag hätte der Rezensent sehr gerne einen Diskussionsbeitrag aus der Konferenz gelesen, etwa von ISRAEL, dessen Klassifikation in kritische und empirische Theorien von FLAMENT hier implizit so sehr in Frage gestellt wird. LITERATUR ALBERT, H. W. 1974. Dölle und der Positivismusstreit. In: HERRMANN, T . W . (ed.) 1974. Dichotomie und Duplizität. Bern: Huber. BREHM, J. W. 1966. A Theory of Psychological Reactance. N e w York: Academic Press. COCH, L. & FRENCH, J. R. P. 1948. Overcoming Resistance to Change. Human Relations 1, 512-532. CRANACH, M. V. 1974. Duplizität und Dubiosität. In: HERRMANN, T. W. (ed.) 1974. Dichotomie und Duplizität. Bern: Huber. DÖLLE, E. A. 1927. Das Problem der Dualität bei Fortlage und Freud. (Band 1 der Seelenlogischen Monographien). Leipzig: Meiner. FESTINGER, L. 1957. A Theory of Cognitive Dissonance. Evanston, 111.: Row, Peterson. GRAUMANN, C. F. 1975. Im Wind der Veränderung? Zeitschrift für Sozialpsychologie 6, 88-95. IAHODA, G. 1974. Book Review: The Context of Social Psychology: A Critical Assessment. European Journal of Experimental Social Psychology 4, 105-112. LEWIN, K. 1936. Principles of Topological Psychology. New York: McGraw-Hill. MARCH, J. G . & SIMON, H . A . 1958. O r g a n i z a t i o n s . N e w

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SCHUHMACHER, G . & CATTELL, R . B . 1 9 7 4 . F a k -

torenanalyse des deutschen HSPQ (High School Personality Questionnaire) - Untersuchungen zur interkulturellen Konstanz der primären Persönlichkeitsfaktoren. Zeitschr. f. exp. angew. Psych. 21, 621-636. - ... läßt sich schließen, daß die Struktur der primären Persönlichkeitsfaktoren bei deutschen und amerikanischen Schülern sich grundsätzlich gleichen. Die hier vorgestellte Versuchsform des deutschen HSPQ geht nach dem Austausch einiger «weicher» items in die endgültige Standardisierung, um nächstes Jahr einen möglichst sicheren Persönlichkeitstest für Kinder bzw. Jugendliche auf den Markt zu bringen.

108

Autoren HERMANN BRANDSTÄTTER

Lic. phil. 1952 (Innsbruck) Dipl. Psych. 1954 (München) Dr. phil. 1960 (Innsbruck) Habilitation 1970 (München) Professor am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Augsburg Wichtige Veröffentlichungen Leistungsprognose und Erfolgskontrolle (1970) Die Beurteilung von Mitarbeitern (1970) Psychologie der Person (mit H. SCHULER und G . STOCKER-KREICHGAUER 1 9 7 3 )

Derzeitige Forschungsarbeiten Soziale Verstärkung in Entscheidungsgruppen Wirkung von Unterrichtsstilen RAINER GUSKI

Dipl.-Psych. 1967 (FU Berlin) Forschungsassistent im Fluglärm-Projekt der DFG Veröffentlichung Der psychologische Untersuchungsteil, in: DFGForschungsbericht Fluglärmwirkungen (Bonn, 1974) Derzeitige Forschungsarbeiten Zusammenhang zwischen Schallstärke, Valenzurteil und Leistung Psychologische Moderatoren physiologischer Geräuschreaktionen PETER HEINRICH

Dipl.-Psych. 1966 (Berlin) Dr. phil. 1972 (Berlin) Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Psychologie der TU Berlin Wichtige Veröffentlichungen «Free looking time»: Eine Methode zur Präferenzbestimmung ( 1 9 7 0 ) Zum Berufsbild eines Kurpsychologen (mit HEINRICH-EVERS 1 9 7 2 )

Zur Sozialpsychologie der Geschlechts-Präferenzen (1974) Laufende Forschungsarbeiten Psychologie als Beruf Kollektive Sozialisation

LENELIS KRUSE

Dipl.-Psych. 1966 (Heidelberg) Dr. phil 1972 (Heidelberg) Wiss. Ass. am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg Wichtige Veröffentlichungen Gruppen und Gruppenzugehörigkeit (1972) Räumliche Umwelt (1974) Derzeitige Forschungsarbeiten Soziale Beziehungen in einem Neubaugebiet Identifikation mit und Identität von Städten Transkulturelle Untersuchungen zum Thema «privacy»

ERNST H . LIEBHART

Dr. phil. 1968 (München) Prof. am FB Psychologie der Universität Gießen Wichtige Veröffentlichungen Empathy and emergency helping: The effects of personality, self-concern, and acquaintance (1972) Attributionstherapie. Beeinflussung herzneurotischer Beschwerden durch Externalisierung kausaler Zuschreibungen (1974) Derzeitige Forschungsarbeiten Attributionsprozesse in der interpersonalen Wahrnehmung und in der Verhaltensmodifikation

RAINER K . SILBEREISEN

Dipl.-Psych. 1972 (Berlin) Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Psychologie der TU Berlin

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Zeitschrift für Sozialpsychologie 1975, 6

Laufende Forschungsarbeiten Untersuchungen zur Wirkung von Dämpfungsverzerrung auf den Expressivgehalt von Sprechstimmen (Manuskript) Antezedente Bedingungen sozialer Kognition Psychologische Probleme in der Gestaltung der Sozialhilfe nach dem BSHG

D I E T E R SPILLE

Dipl.-Psych. 1972 (Würzburg) Wiss. Assistent im Fachbereich Umwelttechnik der Technischen Universität Berlin Derzeitige Forschungsarbeiten Zusammenhang zwischen Beleuchtungsstärke, Halbierungs- und Verdoppelungsurteilen und Persönlichkeits-Dimensionen Einfluß der spektralen Zusammensetzung des Lichts auf Variablen des Stimmungsbereichs (mit einer Projektgruppe)

K A R L - L U D W I G TASCHNER

Dr. med. 1969 (Frankfurt) Seit 1971 beim Zentrum der Psychiatrie der Universität Frankfurt, Abt. Klin. Psychiatrie Wichtige Veröffentlichungen Mehrere Arbeiten zu Epidemiologie und Ätiologie der Drogenabhängigkeit Mehrere Arbeiten zu forensisch-psychiatrischen Problemen

Derzeitige Forschungsarbeiten Struktur von Psychosen bei Drogenkonsumenten Behandlungssituation Süchtiger in psychiatrischen Kliniken der Bundesrepublik und Westberlins H A N S - J Ü R G E N TROSIENER

cand. psych. 1972 (Berlin) Tutor am Institut für Psychologie der TU Berlin M A N F R E D WALLER

Dipl.-Psych. 1963 (Freiburg i. Brsg.) Dr. phil 1968 (Mannheim) Wiss. Assistent am Otto-Selz-Institut für Psychologie und Erziehungswissenschaft der Universität Mannheim. Z. Z. beurlaubt als Stipendiat der DFG Wichtige Veröffentlichungen Die Entwicklung der Rollenwahrnehmung: Ihre Beziehung zur allgemein kognitiven Entwicklung und sozial-strukturellen Variablen (1971) Zur Kritik der rollentheoretischen Orientierung der psychologischen Sozialisationsforschung (1973) Derzeitige Forschungsarbeiten Entwicklungspsychologische Bedingungsanalyse sozialer Lernprozesse, insbesondere Rollenlernen und Imitations- und Beobachtungslernen

VORANKÜNDIGUNGEN: AHRENS, H. J. & STÄCKER, K. H.: Diagnostische Urteilsbildung und sprachliche Kommunikation. PEUCKERT, R.: U b e r geschlechtsspezifische Unterschiede im konformen Verhalten. KAUFMANN, M. & TACK, W. H.: Koalitionsbildung und Gewinnaufteilung bei strategisch äquivalenten 3-Personen-Spielen. FEGER, H. & FALTIN, G.: D i e Einstellungsstruktur von Gruppen: Anmerkungen zur Arbeit von HARTMANN & WAKENHUT.

Psychologie Bergler, Reinhold

Prof. Dr. phil., Bonn (Herausgeber)

Das Eindrucksdifferential Theorie und Technik 1975. 248 Seiten, 20 Abbildungen, 5 Tabellen, flexibler Einband Fr. 21 .—/DM19.— (ISBN 3-456-80079-7) Wissenschaftliches Taschenbuch Nach einer Erörterung des psycholinguistischen Bezugssystems für die quantitative Erfassung von Bedeutung wird die Technik des Eindrucksdifferentials behandelt. Die einzelnen Beiträge befassen sich mit den formalen und informalen Problemen dieser Technik. Die in der praktischen Arbeit mit diesem Meßinstrument anfallenden Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten stehen im Mittelpunkt; im einzelnen sind dies: Konstruktion des Instruments (mit einem Beispiel), Datenanalyse sowie die Verwendung des Eindrucksdifferentials in der Einstellungsforschung.

Fischer, Gerhard Professor Dr. phil., Wien

Einführung in die Theorie psychologischer Tests Grundlagen und Anwendungen 1974. 606 Seiten, 28 Abbildungen, 45 Tabellen, Programmausdruck, kartoniert Fr. 78.—/ DM 70.— In drei Teilen werden Grundlagen und Anwendungen der Testtheorie dargestellt. Kritische Auseinandersetzung mit der klassischen Testtheorie, Beschreibung der praktischen Verwendung testtheoretischer Modelle und Bewertung der praktischen Wirksamkeit der Ergebnisse sind die Hauptgegenstände dieses Buches.

Verlag Huwis Huber

L--

Psychologie

Kempf, Wilhelm Dr. phil., Kiel (Herausgeber)

Probabilistische Modelle in der Sozial Psychologie Mit Beiträgen von E. B. Andersen, G. H. Fischer, U. Fitting, N. Mai, D. Rebenstorff, H. H. Scheiblechner, R. Wegscheider. 1974.204 Seiten, 11 Abbildungen, 14 Tabellen, kartoniert Fr. 42.—/DM38.— Das Buch informiert über neuere Anwendung probabilistischer Modelle in der Sozialpsychologie und setzt sich mit der Frage auseinander, was die Formalisierung sozialpsychologischer Konzepte für die sozialpsychologische Theoriebildung zu leisten vermag. Der Praxisbezug ist Hauptanliegen des Buches.

Wakenhut, Roland Dozent Dr. phil., Giessen

Messung gesellschaftlichpolitischer Einstellungen mithilfe der Rasch-Skalierung

1974.176 Seiten, 12 Abbildungen, 36 Tabellen, kartoniert Fr. 36.— / DM 32.— Die Darstellung einer empirischen Untersuchung im Bereich der gesellschaftlich-politischen Einstellungen mithilfe der Rasch-Skalierung ist Gegenstand dieses Buches. Einstellungsfragebogen zu den Themen «Strafrechtsreform», «Sexualmoral» und «Kommunismus» wurden nach den Kriterien von Rasch skaliert.

Verlag Hans

Huber

TM

Psychologie

Studien zur Sprachpsychologie Herausgegeben von G. Flores d'Arcais, K. Foppa und C. F. Graumann

Band 1

Manfred Wettler: Syntaktische Faktoren im verbalen Lernen Mit einem Geleitwort von K. Foppa. 1970. 151 Seiten, 33 Abbildungen, kartoniert Fr. 2 9 . — / DM 26 — Der Autor berichtet über ein von ihm entwickeltes grammatisches System, mit welchem sich die Schriftsprache quantitativ erfassen läßt. Es wird gezeigt, nach welchen Gesetzen Reproduktionsverläufe gesteuert und wieweit dabei Einflüsse des Sprachsystems wirksam sind.

Band 2

Peter Teigeier: Satzstruktur und Lernverhalten 1972.110 Seiten, 11 Abbildungen, 2 Tabellen, kartoniert Fr. 2 7 . — / D M 2 4 — Auf der Grundlage des syntaktischen Strukturmodells der inhaltsbezogenen Grammatik entwickelt der Verfasser eine Selektions-Hypothese über die Beziehung zwischen dem Lernen von Sätzen und ihrer syntaktischen Struktur.

Band 3

Hannelore Grimm Strukturanalytische Untersuchung der Kindersprache 1973.204 Seiten, 27 Tabellen, kartoniert Fr. 3 7 . — / DM 3 4 . — Anhand von über 10 000 Äußerungen, die bei Kindern im Vorschulalter erhoben wurden, beschreibt die Autorin die Entwicklung sprachlicher Strukturen als einen «dynamischen Prozeß der Bildung, der Korrektur, der Verwerfung und der Neubildung innersprachlicher Regeln».

Band 4

Johannes Engelkamp Semantische Struktur und Verarbeitung von Sätzen Mit einem Geleitwort von H. Hörmann. 1973.167 Seiten, 20 Abbildungen und 4 Tabellen, kartoniert Fr. 32 — / DM 2 9 . — Diese Arbeit untersucht den Einfluß der Wortbedeutung auf das Behalten von Sätzen im Rahmen einer semantischen Theorie, die Wortbedeutung als eine Sequenz semantischer Merkmale auffaßt und Satzbedeutung als die Interaktion solcher Merkmalssequenzen. Dabei wird dem Verbum eine zentrale Rolle zugewiesen.

Verlag Hans

Huber

ANZEIGENANNAHME Verlag Hans Huber Länggaßstraße 76 CH - 3000 Bern 9

Erscheinungsweise: 4 Hefte jährlich Abonnementspreise pro Band: SFr. 79.-, D M 68.-; für Studenten SFr. 39.50, DM 34.Porto und Versandgebühren: Schweiz SFr. 3.-; Ausland SFr. 3.-, D M 3 . Einzelheft: SFr. 23.-, D M 21.-; für Studenten SFr. 11.50, D M 10.50 Einbanddecke: SFr. 1 0 - , D M 9 Die Zeitschrift für Sozialpsychologie ist für den deutschen Sprachraum das erste Organ, welches Forschungsarbeiten aus den Gebieten der Sozialpsychologie sowie der Sprachpsychologie und der politischen Psychologie an einem Ort vereinigt, und das der wissenschaftlichen Kontroverse zwischen verschiedenen theoretischen Standpunkten das ihr gemäße Forum schafft. Eine weitere Aufgabe sehen die Herausgeber in der Dokumentation von Neuerscheinungen, von Artikeln aus anderen deutschsprachigen Zeitschriften und von Dissertationen und Diplomarbeiten. Die Autoren werden gebeten, ihre Manuskripte in 4facher Ausfertigung beim geschäftsführenden Herausgeber einzureichen: Prof. Dr. Martin Irle, 68 Mannheim 1, Universität Mannheim, Lehrstuhl für Sozialpsychologie, Schloß Für die Manuskriptgestaltung sind die im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Psychologie von Prof. Dr. Günther Reinert verfaßten Richtlinien maßgebend, die der geschäftsführende Herausgeber den Autoren auf Anfrage zusendet. Der Umfang der eingesandten Arbeiten sollte 25 Schreibmaschinenseiten (1V2 Zeilenabstand, 32 Zeilen ä 60 Anschläge) nicht übersteigen. - Den Arbeiten sind Abstracta in deutscher und englischer Sprache von je 10 Zeilen voranzustellen. - Beizufügen ist der Hinweis, daß der Beitrag nicht bereits an anderer Stelle publiziert wurde. - Die Autoren werden um maximal 5 Stichwörter zur Kennzeichnung ihrer Arbeit und schließlich um biographische Daten gebeten: Jahr und Ort akademischer Prüfungen, das jetzige Arbeitsverhältnis, die wichtigsten Veröffentlichungen (Titel, Jahr) sowie derzeitige Forschungsarbeiten. Uber die Annahme von Manuskripten entscheidet das Kollegium der Herausgeber. Bezüglich der Anforderungen, die an empirische Arbeiten gestellt werden, informiert der Artikel von Bredenkamp/Feger «Kriterien zur Entscheidung über die Aufnahme empirischer Arbeiten in die Zeitschrift für Sozialpsychologie» in Bd. 1, H. 1, 4 3 - 4 7 dieser Zeitschrift. Die Autoren erhalten von ihrem Beitrag 30 Sonderdrucke kostenlos, weitere zum Selbstkostenpreis. Die Zusendung von Besprechungsexemplaren verpflichtet die Herausgeber lediglich zur Dokumentation, nicht aber zur Rezension.

Psychologie Theo Herrmann Prof. Dr. phil., Marburg (Herausgeber)

Dichotomie und Duplizität Grundfragen psychologischer Erkenntnis. Ernst August Dölle zum Gedächtnis 1974. 248 Seiten, flexibler Einband Fr. 32 — Endlich die umfassende Würdigung des jüngst verstorbenen Psychologen, dem die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Karlsruhe soeben den Dr. h. c. postum verliehen hat!

Mit Beiträgen von: Theo Herrmann: Ernst August Dölle — das Leben eines Psychologen. Walter Toman: Dölle als Prototyp aus dem Pfarrhaus (Seine Familienkonstellation). Aiga Ch. Stapf: E. A. Dölle und sein Verhalten zu Frauen. Einige Anmerkungen zur Biographie. Thomas Ellwein: Ernst August Dölle und der Wald. Kritische Anmerkungen zur Biographie. Kurt H. Stapf (mit Theo Herrmann): E. A. Dölles Seelenlogik. Igor O. Zehrfasel: Hermeneutik als «Logik» des Handelns. Dölle und das Problem des Verstehens. Hans W. Albert: Dölle und der Positivismusstreit. Zu den wissenschaftstheoretischen Auffassungen Ernst August Dölles. Carl F. Graumann: War E. A. Dölle ein Phänomenologe? Kurt H. Stapf: E. A. Dölles Theorie der binauralen Rivalität. Walter St. Wegbauer: Sachverhalte und Wertverhalte. Zu Dölles Behandlung der Wertproblematik. Jochen Moshaber: Dölles Dualitätsprinzip in der Perspektive der materialistischen Dialektik. Herbert Kallina: Die Bedeutung des Religiösen im Leben E. A. Dölles. Impressionen über das Zusammentreffen mit einem promotor scientiae universalis. Klaus M. Foppa: Aporetisches in E. A. Dölles Lerntheorie. Otto M. Ewert: Werden und Wachsen. E. A. Dölles Beitrag zur Pädagogischen Psychologie. A. Vukowich: E. A. Dölles linguistische Durchbrüche. Werner H. Tack: Dölles Zusammentreffen mit Hochstösser — ein Beitrag zur Theorie probabilistischer Messung. Mario von Cranach: Duplizität und Dubiosität. E. A. Dölles Eventual-Relation zur Biologie des Zweifels. Werner D. Fröhlich: Ernst August Dölle als Experimentiertechniker. Heinz Weder: Dölle in Bern.

Verlag Hans Huber