Zeitschrift für Sozialpsychologie: Band 19, Heft 3 1988 [Reprint 2021 ed.]
 9783112469262, 9783112469255

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HERAUSGEBER HUBERT FEGER KLAUS HOLZKAMP GEROLD MIKULA AMÉLIE MUMMENDEY BERNHARD ORTH

BAND

19 1988 H E F T 3

V E R L A G HANS HUBER BERN S T U T T G A R T

TORONTO

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, Band 19, H e f t 3 INHALT Theorie und Methoden SCHIFFMANN, R . & WICKLUND, R . A . :

Eine Kritik der Social Identity T h e o r y von

TAJFEL &

TURNER

159

K., H A N N E M A N N , J . & W E S T M E Y E R , H . : Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden: Ein T h e o r i e - E l e m e n t u n d seine empirische B e w ä h r u n g

175

NELL, V., VÖLKEL, U., W I N K E L M A N N ,

Empirie PFRANG, H . & SCHENK, J.:

Generalisierte Kontrollüberzeugungen als verdeckte politische Ein-

stellungen R E H M , J . , LILLI, W . & S T R A C K , F.:

193 Soziale Kategorisierung u n d G e d ä c h t n i s s p e i c h e r u n g von

individuellen A t t r i b u t e n

202

Review P r o b l e m e u n d Ergebnisse der interdisziplinären Friedens- u n d K o n f l i k t f o r s c h u n g : Eine Literaturübersicht f ü r den Zeitraum von 1970-1983

DOLL, J.:

206

Literatur Neuerscheinungen Titel u n d A b s t r a c t a

225 226

Nachrichten und Mitteilungen

227

Autoren

230

C o p y r i g h t 1988 Verlag H a n s H u b e r Bern Stuttgart Toronto Herstellung: Lang Druck AG, Liebefeld Printed in Switzerland G e d r u c k t mit U n t e r s t ü t z u n g der Deutschen F o r s c h u n g s g e m e i n s c h a f t . Library of Congress C a t a l o g C a r d N u m b e r 78-126626 Die Zeitschrift für Sozialpsychologie wird in Social Sciences Citation Current Contents / Social and Behavioral Sciences e r f a ß t .

Index

(SSC1) und

159

Zeitschrift f ü r S o z i a l p s y c h o l o g i e 1988, 159-174

Theorie und Methoden Eine Kritik der Social Identity Theory von RUDOLF SCHIFFMANN & ROBERT A . Universität Bielefeld

TAJFEL &

TURNER1

WICKLUND

Nach der Social Identity Theory von TAJFEL & HJRNER (1979; 1986) streben Menschen danach, eine positive soziale Identität zu erreichen oder zu erhalten, indem soziale Vergleiche zwischen ihrer Ingroup und relevanten Outgroups als zugunsten der Ingroup ausgehend wahrgenommen werden. Diese Konzeptualisierung wird zusammen mit zwei Zusatzannahmen dargestellt und ein Resümee des Standes ihrer empirischen P r ü f u n g gezogen. Kritisiert wird diese Konzeptualisierung in folgender Hinsicht: 1. Intergruppenverhalten wird auf Konflikte zwischen Gruppen eingeengt; 2. die Konzeptualisierung der sozialen Identität ist soziologistisch; 3. die Theorie besteht aus einem Nebeneinander von soziologischen und psychologischen Variablen; 4. der zentrale Befund, d a ß Diskriminierung der Outgroup zur E r h ö h u n g der Selbsteinschätzung f ü h r t , ist alternativ erklärbar.

Beschreibung der Theorie Von TAJFEL & TÜRNER wurde 1979 ein sozialpsychologischer Ansatz vorgelegt, der beanspruchte, eine «integrative Theorie des Intergruppenkonflikts» zu sein. Er fand als «Social Identity Theory» Eingang in die Literatur (TAJFEL & TURNER, 1979; 1986). Das zentrale Konzept dieser Theorie, soziale Identität, wurde von TAJFEL definiert als «der Teil des Selbstkonzepts eines Individuums, der sich ableitet aus dem Wissen, einer Gruppe (oder Gruppen) anzugehören, zusammen mit dem Wert und der emotionalen Bedeutung, die mit der Mitgliedschaft verbunden ist» (TAJFEL, 1978a, 63). Soziale Identität impliziert demnach in zwei Aspekten den Prozeß der sozialen Kategorisierung: (1) die Segmentierung der Gesellschaft in distinkte Gebilde

1 Wir danken Alois ANGLEITNER, M a n f r e d BORNEWASSER, U d o ENGLER und Ulrich WAGNER f ü r das sehr hilfreiche Feedback auf frühere Fassungen des Manuskriptes.

According to social identity theory by TAJFEL & HJRNER (1979; 1986), individuals strive toward maintaining or achieving positive social identity by perceiving social comparisons between their ingroup a n d relevant outgroups as favouring the ingroup. This conceptualization, together with two corollaries, is reviewed together with an examination of pertinent empirical tests. The formulation is criticized on the grounds that 1. the scope of intergroup behaviour is limited to conflicts between groups, 2. the conceptualization of social identity is sociologistic, 3. the theory implies a juxtaposition of sociological a n d psychological variables, 4. the central finding, which is that discrimination of the o u t g r o u p leads to enhancement of self-esteem, is subject to alternative explanations.

(Klassen, Kategorien oder Gruppen), (2) die Selbstzuordnung des Individuums zu bestimmten sozialen Gruppen (TAJFEL, 1975, 369). Die Kernannahme

der Social Identity

Theory

Als Kern der Theorie kann die Annahme bezeichnet werden, daß Menschen dazu motiviert sind, eine positive soziale Identität zu erreichen oder zu erhalten. Dies geschieht dadurch, daß Vergleiche zwischen ihrer Ingroup und relevanten Outgroups zugunsten der Ingroup ausgehen, «die Ingroup muß als positiv abgehoben oder distinkt von relevanten Outgroups wahrgenommen werden» (TAJFEL & H J R N E R , 1979, 40). Begründet wird dieser Zusammenhang mit dem Verweis auf das allgemeine Streben der Menschen, ihre Selbsteinschätzung (self-esteem) zu erhalten oder zu erhöhen (TAJFEL & TÜRNER, 1979, 40f.). Da sich unsere Überlegungen im folgenden weitgehend auf die Kernannahme der Theorie und deren Begründung beziehen, soll der von

160 als «allgemeine Annahmen» und «theoretische Prinzipien» bezeichnete Begründungszusammenhang vorgestellt werden. Unter «allgemeinen Annahmen» führen TAJFEL & H J R N E R wörtlich auf: 1. Individuen streben danach, ihre Selbsteinschätzung zu erhalten oder zu erhöhen: sie streben nach einem positiven Selbstkonzept. 2. Soziale Gruppen oder Kategorien und die Mitgliedschaft in ihnen sind mit positiven oder negativen Wert-Konnotationen verbunden. Soziale Identität kann daher positiv oder negativ sein, je nach Bewertung der Gruppen, die zur sozialen Identität eines Individuums beitragen (diese Bewertungen tendieren dazu, innerhalb von oder zwischen Gruppen übereinzustimmen). 3. Die Bewertung der eigenen Gruppe wird hinsichtlich spezifischer anderer Gruppen determiniert durch soziale Vergleiche in Termini werthaltiger Attribute und Charakteristika. Positiv abweichende Vergleiche zwischen Inund Outgroup führen zu hohem Prestige; negativ abweichende Vergleiche zwischen Inund Outgroup resultieren in niedrigem Prestige. TAJFEL & H J R N E R ( 1 9 7 9 , 4 0 )

Aus diesen «allgemeinen Annahmen» leiten TAJFEL & H J R N E R ( 1 9 7 9 , 4 0 ) folgende «theoretische Prinzipen», wörtlich übersetzt, ab: 1. Individuen streben danach, eine positive soziale Identität zu erreichen oder aufrechtzuerhalten. 2. Eine positive soziale Identität basiert weitgehend auf günstigen Vergleichen, die zwischen der Ingroup und relevanten Outgroups gezogen werden: die Ingroup muß als positiv abgehoben oder distinkt von relevanten Outgroups wahrgenommen werden. 3. Wenn die soziale Identität unbefriedigend ist, streben Individuen entweder danach, ihre bestehende Gruppe zu verlassen und sich einer stärker positiv abgehobenen Gruppe anzuschließen, und/oder sie streben danach, ihre bestehende Gruppe positiver abzuheben. Die Bedeutung von wahrgenommener Instabilität bzw. Illegitimität zwischen Gruppen Als Ziel der Differenzierung zwischen Gruppen wird von TAJFEL & H J R N E R ( 1 9 7 9 , 4 1 ) das «Erhalten oder Gewinnen von Überlegenheit gegenüber

S c h i f f m a n n & Wicklund: G r u p p e u n d Identität

einer Outgroup auf einigen Dimensionen» genannt. Dieser Vorgang soll «im wesentlichen wettbewerbsartig» sein. Als Determinanten des sozialen Wettbewerbs machen die Autoren zwei Faktoren aus: Wahrgenommene Instabilität von Statusunterschieden zwischen Gruppen Gesellschaftliche Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Status' voneinander (Weiße und Farbige in den USA oder Französischsprechende und Englischsprechende in Kanada als häufig in diesem Kontext genannte Beispiele). Wo eine Gruppe ihre Über- oder Unterlegenheit einer anderen Gruppe gegenüber als fixiert und unveränderbar wahrnimmt, wird von einer stabilen Relation zwischen den Gruppen gesprochen. Wenn die Statusunterschiede dagegen als potentiell umkehrbar wahrgenommen werden, spricht man von einer instabilen Relation zwischen den Gruppen. Angenommen wird nun, daß saliente Statusunterschiede zwischen Gruppen in einer Situation, die als instabil wahrgenommen wird, zu Vergleichen und Wettbewerb zwischen Gruppen motivieren (HJRNER, 1978, 237). Wahrgenommene Illegitimität von Statusunterschieden zwischen Gruppen « . . . die wahrgenommene Illegitimität einer existierenden Beziehung hinsichtlich Status', Macht, Herrschaft oder irgendeines anderen Differentials impliziert die Entwicklung von Vergleichsdimensionen . . . , wo vorher keine solche Vergleichsdimension existierte» (TAJFEL, 1978a, 75). Wahrgenommene Illegitimität der Statusrelationen zwischen Gruppen erhöht also die Vergleichbarkeit zwischen Gruppen. Zusammenfassend kann der Kern der Social Identity Theory in der folgenden Hypothese ausgedrückt werden: der Druck, die Ingroup positiv wahrzunehmen, führt zur Differenzierung zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen (TAJFEL & TURNER 1979, 40f.). Diese Differenzierung hat vor allem wettbewerbsartigen Charakter (TAJFEL & HJRNER, 1979,41); Wettbewerb zwi-

schen Gruppen wird durch wahrgenommene Illegitimität ünd/oder Instabilität der Statusunterschiede dieser Gruppen verschärft (TAJFEL & HJRNER, 1979, 45)2. 2 Diese Beschreibung der Theorie, insbesondere die Festlegung des Kerns der Social Identity Theory, wurde von uns

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 159-174

161

Versuche einer empirischen Prüfung der Theorie Was das Potential zur Anregung empirischer Arbeiten anbelangt (vgl. insbesondere TAJFEL, Ed., 1 9 7 8 und 1 9 8 2 ) , hat sich dieser Ansatz als fruchtbar erwiesen. Um so mehr überrascht es, daß sich nur relativ wenige Versuche finden lassen, die das eigentliche Theoriegebäude betreffen. Die empirischen Arbeiten in den beiden von TAJFEL zur Social Identity Theory herausgegebenen Büchern (TAJFEL, Ed., 1978; 1982) beschäftigen sich durchweg mit Forschungsfragen, die (außer den unten beschriebenen Ausnahmen) einen geringen Bezug zur oben dargestellten Theorie aufweisen. Die behandelten Forschungsfragen haben folgende Gegenstände: Auswirkungen sozialer Kategorisierung (DESCHAMPS & DOISE, 1 9 7 8 ; DOISE e t a l . , 1 9 7 8 ; TÜRNER, 1978);

Differenzierungsprozesse bei Fußballanhängern Kindern (VAUGHAN, 1 9 7 8 ) , Fabrikarbeitern (BROWN, 1 9 7 8 ) , Dozenten an britischen Hochschulen (BOURHIS & HILL, 1 9 8 2 ) und ethnischen Gruppen in Italien (CAPOZZA et al. 1 9 8 2 ) , in Indonesien (JASPARS & WARNAEN, 1 9 8 2 ) und Finnland (LIEBKIND, 1 9 8 2 ) ; weitere Untersuchungen beziehen sich auf die Bedrohung der Identität (BROWN & Ross, 1 9 8 2 ) , die Auswirkungen von spezifischer Machtverteilung (NG, 1982) und sozialer Kategorisierung im Kulturvergleich (WETHERELL, 1 9 8 2 ) . (BREAKWELL, 1 9 7 8 ) ,

Das Streben nach positiver sozialer Identität die Differenzierung zwischen Gruppen

und

Der Zusammenhang zwischen dem Streben nach einer positiven sozialen Identität und der Inter-

gruppendifferenzierung war Gegenstand von drei publizierten Untersuchungen (LEMYRE & SMITH, 1 9 8 5 ; OAKES & H J R N E R , 1 9 8 0 ; WAGNER e t

al., 1986). Da sie den Kern der Social Identity Theory berühren, soll unten auf S. 166ff. ausführlich auf diese Untersuchungen eingegangen werden. Auswirkungen wahrgenommener von Statusrelationen

Instabilität

H J R N E R ( 1 9 7 8 ) u n d MUMMENDEY & SCHREIBER ( 1 9 8 4 ) prüften experimentell, wie sich die wahrgenommene Instabilität der Statusrelationen auf die Differenzierung zwischen Gruppen auswirkt. Nach H J R N E R ( 1 9 7 8 , 2 3 7 ) ist zu erwarten, daß die wahrgenommene Instabilität von Statusunterschieden zwischen Gruppen zur Erhöhung der Differenzierung zwischen diesen Gruppen führt. Diese Annahme konnte H J R N E R ( 1 9 7 8 ) bestätigen; er stellte hypothesengemäß fest, daß Instabilität dann die Bevorzugung der eigenen Gruppe förderte, wenn die Ingroup mit einer relativ unähnlichen Outgroup konfrontiert wurde. MUMMENDEY & SCHREIBER ( 1 9 8 4 ) dagegen belegten die postulierte erhöhte Favorisierung der Ingroup gegenüber der Outgroup bei wahrgenommener Instabilität der Beziehung zwischen diesen Gruppen, wenn die Outgroup als relativ ähnlich perzipiert wurde.

Die Befundlage zum Einfluß wahrgenommener Instabilität der Statusrelationen ist somit als zumindest uneinheitlich zu kennzeichnen. Auswirkungen wahrgenommener von Statusrelationen

Illegitimität

Empirische Untersuchungen hierzu liegen von extrahiert aus der Vielzahl von Überlegungen, die TAJFEL & T\JRNER (1979) anstellen, d.h., es gibt unseres Wissens nicht «die» Theorie im Sinne eines Systems aus theoretischen Konzepten und verbindenden Sätzen über die oben zitierten «allgemeinen Annahmen» und «theoretischen Prinzipien» hinaus. Vor allem ist der Kern der Theorie unklar geblieben, obwohl es Versuche der Klärung gegeben hat: A. MUMMENDEY (1985) macht den Kern «im wesentlichen» in «vier miteinander verbundenen Konzepten über psychologische Prozesse» fest: «soziale Kategorisierung, soziale Identität, sozialer Vergleich und soziale Distinktheit» (MUMMENDEY, 1985,195); bezeichnend für diese konzeptuellen Probleme erscheint uns auch, daß TAJFEL & HJRNER bei der Etikettierung ihres Ansatzes schwanken zwischen «Integrative Theory of Intergroup Conflict» (1979, Überschrift des Aufsatzes), «social-identity/social-comparison theory» (1979, 41) und «Social Identity Theory» (1986).

HJRNER &

BROWN ( 1 9 7 8 ) u n d

von

CADDICK

vor. Doch auch deren Befunde sind uneinheitlich: während CADDICKS ( 1 9 8 2 ) statusüberlegene Gruppen darauf bedacht waren, ihre Überlegenheit zu wahren, wenn sie die Statusrelationen zwischen In- und Outgroup als illegitim empfanden (insofern ist dieser Befund hypothesenkonform), zeigten sich bei H J R N E R & BROWN ( 1 9 7 8 ) abweichende Ergebnisse: hier verminderten gerade die statusüberlegenen Gruppen die Favorisierung der Ingroup, wenn sie die Statusrelationen als illegitim wahrnahmen (und zusätzlich als instabil). (1982)

162 Die Notwendigkeit der Hinzuziehung theoriefremden Variablen

Schiffmann & Wicklund: Gruppe und Identität

von

weist daraufhin, daß Variablen, die nicht aus der Social Identity Theory stammen, zur Erklärung der widersprüchlichen Befunde zu wahrgenommener Illegitimität der Statusunterschiede herangezogen werden müssen. Speziell führt er die Equity Theory (u.a. WALSTER et al., 1973) an. Wenn Ungerechtigkeit oder Unfairneß in den Beziehungen zwischen Gruppen deutlich wird, kann eine Person dazu motiviert sein, die als ungerecht empfundene Situation zu ändern, indem die Person die Diskrepanz zwischen statusüber- und statusunterlegener Gruppe verringert (vgl. H J R N E R & BROWN, 1 9 7 8 ) . Aus den Erörterungen von CADDICK ( 1 9 8 2 ) geht nicht hervor, wie die unterschiedlichen Befunde zu Instabilität und Illegitimität der Beziehungen zwischen Gruppen einheitlich erklärt werden könnten. Jedoch weist CADDICK ( 1 9 8 2 ) auf zwei bemerkenswerte Aspekte hin: Zum einen reicht die im Rahmen der Social Identity Theory abgeleitete Hypothese nicht zur Erklärung der von CADDICK ( 1 9 8 2 ) und von H J R N E R & BROWN ( 1 9 7 8 ) gefundenen Datenmuster aus. Es sind also an dieser Stelle theoriefremde Annahmen erforderlich. Zum anderen führt CADDICK ( 1 9 8 2 ) psychologische Variablen ein, nämlich wie die Situation, Mitglied einer statusüberoder statusunterlegenen Gruppe zu sein, vom Individuum wahrgenommen wird und welche Möglichkeiten das Individuum hat, mit dieser Situation umzugehen. Dies sind Fragen, die zumindest bei ITRRNER & BROWN ( 1 9 7 8 ) nicht gestellt wurden. CADDICK ( 1 9 8 2 )

Dieser letzte Punkt spricht ein allgemeines Problem an, das sich für die Theorie von TAJFEL & TÜRNER (1979) im Zusammenhang mit instabilen und illegitimen Statusverhältnissen ergibt: TAJFEL & TLTRNER (1979, 45) leiten erhöhte Differenzierung zwischen Gruppen (auch) aus TAJFELS Konzept von «sicheren vs. unsicheren Vergleichen zwischen Gruppen» ab (TAJFEL, 1978b, 87). Diese Unterscheidung soll darauf beruhen, daß «kognitive Alternativen» (die nicht weiter spezifiziert werden) zur momentanen Relation zwischen den Gruppen «verfügbar» sind = «unsicherer Vergleich» oder nicht «verfügbar» sind = «sicherer Vergleich» (TAJFEL & HJRNER, 1979,

45). Mit diesem Konzept, so behaupten HJRNER

(1978, 206), lasse sich nun die Theorie sozialer Vergleichsprozesse (FESTINGER, 1954) erweitern. Die Theorie sozialer Vergleichsprozesse soll den Autoren zufolge Vergleichsprozesse zwischen Gruppen mit unterschiedlichem Status ausschließen und nur Vergleiche zwischen ähnlichen Gruppen vorsehen. Diese Schlußfolgerung jedoch wird FESTINGERS Theorie nicht gerecht, und zwar aus den folgenden Gründen: (1) FESTINGER (1954, 128f.) spricht von «Tendenzen, Vergleiche mit sehr stark in einer Gruppe Abweichenden zu beenden». Dieses Beenden von Vergleichen kann von Feindseligkeit und Abwertung der Abweichler begleitet werden und zur Bildung von Statusunterschieden («Überlegene vs. Unterlegene») führen. (2) Das Vornehmen von Vergleichen zwischen Gruppen mit unterschiedlichem Status wird von FESTINGER (1954, 136) weiter ausgearbeitet. Dabei erwähnt er ebenfalls schon das Problem der Sicherheit von Selbstbewertungen: diese ist z.B. in Minderheiten herabgesetzt, so daß der Druck zur Konformität innerhalb der Gruppe stärker in der Minderheit als in der Mehrheit ausgeprägt ist. Dies kann die Bildung von Cliquen bis hin zur Zersplitterung der Minderheit zur Folge haben. & BROWN

FESTINGER beschreibt damit Feindseligkeit und Abwertung von «Abweichlern» durchaus als Bestandteil von Vergleichsprozessen und zeigt darüberhinaus auf, welche Folgen unsichere Selbstbewertungen innerhalb eines Systems aus Mehrheit und Minderheit speziell für die Differenzierung zwischen Gruppen haben. Die Befunde zur wahrgenommenen Instabilität und Illegitimität können somit nur erklärt werden, wenn Variablen aus anderen Theorien, z.B. der Equity Theory «entliehen» werden. Das Konzept «unsichere vs. sichere Vergleiche zwischen Gruppen» verdeutlicht, daß die Autoren die Notwendigkeit, die Social Identity Theory zu erweitern, sehen. Gleichzeitig wird gerade am Beispiel dieser Problematik klar, daß die Abgrenzung der Social Identity Theory von der Theorie sozialer Vergleichsprozesse (FESTINGER, 1954) erst zu diesen Problemen geführt hat.

163

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 159-174

«Daten auf der Suche nach einer Theorie» Die Social Identity T h e o r y entwickelte sich aufgrund von « D a t e n auf der Suche nach einer Theorie» (BROWN et al., 1980, 410). Gemeint war damit das Resultat der Untersuchungen im M i n i m a l - G r o u p - P a r a d i g m a (TAJFEL et al., 1971). Dieses P a r a d i g m a besagt: die bloße Kategorisierung von Menschen nach einem trivialen ad-hocKriterium genügt, um unter bestimmten Bedingungen die Differenzierung zwischen G r u p p e n auszulösen. Es sollte eine Theorie g e f u n d e n werden, die dieses Ergebnis «auf der Basis des allgemeinen und alltäglichen P h ä n o m e n s der Intergruppendiskriminierung erklären» (BROWN et al., 1980, 410) kann. Allerdings scheint uns die Social Identity T h e o r y aus grundsätzlichen Erwägungen kein Kandidat f ü r die gesuchte T h e o rie zu sein u n d der A n s p r u c h TAJFEL & HJRNERS, eine sozialpsychologische Theorie des Verhaltens zwischen G r u p p e n und der sozialen Identität (TAJFEL & TURNER, 1986) aufgestellt zu haben, nicht aufrechterhalten werden zu können. Begründet werden soll unsere A u f f a s s u n g in den folgenden vier kritischen A n m e r k u n g e n . Sie n e h m e n von sozialen/gesellschaftlichen Aspekten ihren Ausgang: der E b e n e des Verhaltens zwischen G r u p p e n u n d der Statusrelationen zwischen G r u p p e n . Wir betrachten d a n n , wieweit soziale u n d psychische Faktoren in der Social Identity T h e o r y a u f e i n a n d e r bezogen werden. Die Schwerpunkte liegen dabei auf dem Konzept der sozialen Identität und auf der motivationalen K o m p o n e n t e dieses Ansatzes, dem Streben nach positivem Absetzen der Ingroup von relevanten Outgroups.

Die Kritikpunkte im einzelnen

1. Die antagonistische Sicht der Beziehung zwischen In- und Outgroup engt Intergruppenverhalten auf Konflikte zwischen Gruppen ein Das Bild, das TAJFEL von Gesellschaften hat, wird nach eigener A u s k u n f t (TAJFEL, 1982) wesentlich von SUMNER geprägt. Dieser Autor e r f a n d u m die J a h r h u n d e r t w e n d e den Begriff des Ethnozentrismus: « E t h n o c e n t r i s m is the technical n a m e for this view of things in which one's own g r o u p is the center of everything, a n d all others are scaled

and rated with reference to it» (SUMNER, 1906, 12ff.). N a c h SUMNERS Ansicht ist die Beziehung zwischen sozialen G r u p p e n antagonistisch. Innerhalb der G r u p p e n dagegen sollen Friede, Ordnung u n d H a r m o n i e herrschen. Wir halten es zunächst f ü r fraglich, ob E t h n o zentrismus ü b e r h a u p t ein strukturelles Prinzip von Gesellschaften sein kann, d a u.E. Grenzen zwischen G r u p p e n o f t nicht eindeutig festgelegt werden können. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der großen Abhängigkeit von Situationsm e r k m a l e n (vgl. TURNER, 1982): je nach Situation ordnet sich das I n d i v i d u u m der einen oder anderen G r u p p e zu, so d a ß es schwerfällt, von Mitgliedschaft in «der I n g r o u p » zu sprechen. N u n könnte m a n argumentieren, E r ö r t e r u n g e n des Bildes, das Wissenschaftler von der Gesellschaft haben, seien unwichtig oder n u r die Sache von K o m m e n t a t o r e n , die Theorieentwicklungen vereinfacht f o r m e l h a f t nachvollziehen, wie es z.B. bei der Diskussion des Menschenbildes in den Attributionstheorien geschieht: « m a n as a scientist», « m a n as a lawyer», « . . . as an Inform a t i o n processor». Wenn m a n zurecht bezweifelt, d a ß die Diskussion der Attributionstheorien unter dem A s p e k t des jeweiligen Menschenbildes irgendeinen Nutzen hat, welchen Erkenntnisgewinn k a n n m a n aus Überlegungen zum «Gesellschaftsbild» bei TAJFEL & HJRNER ziehen? Ist das nicht im besten Falle n u r der Versuch einer wissenschaftsgeschichtlichen E i n o r d n u n g ? Diese Diskussion erreicht im Fall von TAJFEL mehr. Sie berührt den Kern ihres M o dells. Die Sicht der gesellschaftlichen Verhältnisse bleibt bei dem vorliegenden A n s a t z n ä m lich nicht n u r impliziter R a h m e n der Konzeption, m e h r oder weniger t h e o r i e f r e m d , sondern: gesellschaftliche Bedingungen werden expliziter Bestandteil der Theorie. Vor allem in der theoretischen Bedeutung der Statusrelationen zwischen sozialen G r u p p e n f ü r die soziale Identität k o m m t dies z u m Ausdruck (vgl. TAJFEL & HJRNER, 1979, 40, die allgemeinen A n n a h m e n 2 u n d 3). Aber auch in der spezifisch antagonistischen Begriffsbestimmung der I n g r o u p - O u t g r o u p - B e ziehung (vgl. KRUSE, 1 9 7 2 ) schlägt sich TAJFEL & TURNERS Sichtweise der Gesellschaft in ihrer Konzeptualisierung nieder (vgl. insbesondere TAJFEL & H J R N E R , 1 9 7 9 , 4 0 , allgemeine A n n a h m e 3 u n d theoretisches Prinzip 3). Kritik an der Einengung der Beziehungen zwischen G r u p p e n auf & TURNER

164

Antagonismen wird auch von «Vertretern» der Social Identity Theory erhoben. So kritisiert WILLIAMS ( 1 9 8 4 ) z.B., die Social Identity Theory impliziere bzw. betone typisch männliche Vorstellungen von Intergruppenbeziehungen: Differenzierung zwischen Gruppen («agency»), und vernachlässige «feminine» Anteile («communality»), die die Integration von Gruppen und Individuen miteinbezögen. VAN KNIPPENBERG ( 1 9 8 4 ) weist in einer Reihe von Untersuchungen nach, daß die Social Identity Theory insofern ergänzungsbedürftig ist, als sie «strategisches Verhalten» von Gruppenmitgliedern nicht berücksichtigt: Mitglieder statusüberlegener Gruppen z.B. können danach durchaus bereit sein, auf die Favorisierung der eigenen Gruppe zu verzichten und Merkmale statusunterlegener Gruppen anzuerkennen, wenn dies dem Ziel der Wahrung der eigenen Statusüberlegenheit dient (vgl. zur Problematik der zum Intergruppenvergleich herangezogenen Dimensionen auch M U M M E N D E Y & SCHREIBER, 1 9 8 3 ) . Diese zuletzt beschriebenen Erwägungen machen deutlich, daß die Social Identity Theory erheblich erweitert werden müßte, um der gesellschaftlichen Realität (z.B. kooperatives Nebeneinander verschiedener Gruppen) nahezukommen. Wenn man sich dann jedoch vor Augen hält, welche Vielfalt von Interaktionsformen zwischen Gruppen bei Konflikten, um so mehr bei Intergruppenverhalten überhaupt, auftritt, würden die ursprünglichen Annahmen der Social Identity Theory bei Hilfskonstruktionen der oben genannten Art völlig verwässert: ein Dilemma, das wesentlich in der starren Konzeptualisierung von antagonistischen Beziehungen zwischen Gruppen begründet ist.

2.

TAJFEL & TURNERS Konzeptualisierung der sozialen Identität ist soziologistisch, weil reduzierbar auf Statusrelationen zwischen Gruppen

Das Konzept der Statusrelationen muß als ein sehr wichtiges Konzept, wenn nicht als das Kernkonzept der Theorie betrachtet werden. Die Selbstdefinition, zumindest was die soziale Identität anbelangt, wird über soziale Vergleiche gewonnen, und diese wiederum basieren auf bzw. drücken sich aus in der Wahrnehmung von Relationen zwischen sozialen Gruppen, die sich hin-

S c h i f f m a n n & Wicklund: Gruppe und Identität

sichtlich ihres Status' voneinander unterscheiden. Wie wird die soziale Identität aus der Wahrnehmung der in einer Gesellschaft existierenden Beziehungen zwischen Subgruppen aufgebaut? TURNER ( 1 9 8 2 ) nimmt an, daß die soziale Identität eines Menschen als Summe der situationsspezifischen sozialen Identifikationen, mit denen sich das Individuum jeweils innerhalb eines Systems von sozialen Kategorien definiert, zu denken ist. Der Inhalt der sozialen Identität einer bestimmten Person wäre nach H J R N E R ( 1 9 8 2 ) gleich der Summe der Gruppenmitgliedschaften dieser Person. Aber was bedeutete das: Sollte ein Psychologe also, um die soziale Identität der Person zu erfassen, Fragen nach der Art von «Who am I »-Tests stellen und die Antworten aufsummieren? Das Ergebnis einer solchen Aktion könnte z.B. folgendermaßen aussehen: «Die soziale Identität der Person X ist Mann + Mechaniker+ Lutheraner.» Manche Personen nennen vielleicht 200 solcher Gruppenmitgliedschaften; wie kann die Summe dieser 200 sinnvoll als soziale Identität verstanden werden? Vermutlich fänden TAJFEL & H J R N E R selbst diese Methode unangemessen, aber wie ließe sich soziale Identität besser erfassen, solange sie als Summe von Gruppenmitgliedschaften definiert wird? Vorstellungen über Inhalte des Selbst oder der Identität, also Versuche, Selbst bzw. Identität inhaltlich zu füllen (nicht bloß als Summe von Gruppen-Etiketten zu betrachten), finden sich in verschiedenen anderen Selbst- und Identitätsansätzen, aber auch in der Theorie sozialer Vergleichsprozesse. M A R K U S ( 1 9 7 7 , 1 9 8 3 ) diskutiert im Zusammenhang mit Selbst-Schemata und Selbst-Kenntnis die Bedeutung von überdauernden Zielen, Motiven und Strategien für den Inhalt und die Organisation des Selbst. T^SSER ( 1 9 8 6 ; I t s s E R & CAMPBELL, 1 9 8 3 ) betont, daß Selbstdefinitionen auf bestimmte inhaltliche (Leistungs-)Dimensionen bezogen sind, d.h. auf Ansprüche eines Menschen, in bestimmten Bereichen gute Leistungen zu erbringen. W I C K L U N D & GOLLWITZER ( 1 9 8 2 ; 1 9 8 5 ) beschreiben Selbstdefinitionen als selbstbezogene Ziele, wie z.B. «kreativ zu sein», «religiös zu sein». In allen diesen Ansätzen geht es um Inhalte des Selbst oder der Identität: psychologische Merkmale des Individuums, die allgemeiner als Verhaltenspotentiale verstanden werden können.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 159-174

Als ein vergleichbares psychologisches Merkmal des Individuums läßt sich FESTINGERS (1954) Konzept der Kognition einer Person begreifen: Meinungen und Auffassungen über die Situation, in der sich die Person befindet, und ihre Einschätzung dessen, was sie zu tun in der Lage ist, werden von FESTINGER (1954, 117) als Kognitionen bezeichnet. Abgesehen vom Fehlen eines Inhalts der sozialen Identität bei TAJFEL & HJRNER, tritt ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang auf: soziale Kategorien, die quasi in der Gesellschaft bereitliegen, sollen unmittelbar «verinnerlicht» werden, was das auch immer sein mag. Soziale Gruppen in ihren Statusrelationen und ihre Repräsentation, die soziale Identität, müßten jedenfalls nach H J R N E R (1982) in einer eins-zueins-Beziehung zueinander stehen. Wenn man davon ausgeht, daß soziale Wahrnehmung nur einen Spezialfall von allgemeinen Wahrnehmungsprozessen darstellt, bekommt man mit HJRNERS Vorgehen jedoch erhebliche Probleme. Mentale Repräsentationen der Außenwelt, «Wahrnehmungen», werden aus sensorischen Reizen, «Empfindungen», erstellt, wobei kognitive Prozesse, an denen vor allem auch das Gedächtnis beteiligt ist, vermittelnde Funktion haben (vgl. NEISSER, 1 9 6 7 ) . Dann dürfte auch die soziale Identität eines Menschen als subjektive Repräsentation der sozialen Außenwelt nicht als einfaches Abbild konzipiert werden. Wenn die soziale Identität eines Menschen aber als Summe der jeweiligen sozialen Identifikationen verstanden wird und wenn weiterhin nicht beschrieben wird, wie die behauptete Internalisierung der sozialen Kategorien geschieht, so kann HJRNER der Vorwurf des Soziologismus nicht erspart werden: Die soziale Identität eines Menschen ist dann nämlich reduzierbar auf Systeme sozialer Gruppen, speziell deren Statusrelationen. 3. Die Social Identity Theory besteht aus einem Nebeneinander von soziologischen und psychologischen Variablen Wenn man sich den Kern der Theorie, vor allem «allgemeine Annahmen» und «theoretische Prinzipien» (TAJFEL & HJRNER, 1979, 40; s.o. S. 159f. in diesem Artikel) ansieht, so wird deutlich: soziologische Variablen, speziell Prestigeunterschiede zwischen der eigenen TAJFEL & HJRNERS

165 Gruppe und anderen Gruppen, sind die «Bausteine» dieser Konzeption. Andererseits werden wiederholt Begriffe verwendet, die psychologisch klingen: Selbsteinschätzung, Selbstkonzept, werthaltige Attribute, Wahrnehmen. Damit muß es erlaubt sein, «psychologische Fragen» zu stellen: z.B. welcher Art sollen die gespeicherten Wissensbestände der sozialen Identität und ihre Beziehungen zu anderen Gedächtnisinhalten sein? Wie soll man sich die Verbindung zwischen emotionalen, evaluativen und kognitiven Bestandteilen der sozialen Identität vorstellen (vgl. TAJFEL, 1978a, oben auf S. 159 dieses Artikels)? Solche psychologischen Fragen müßten von einer Theorie, die eine sozialpsychologische Theorie zu sein beansprucht (TAJFEL & H J R N E R , 1979, 34) und die am Begriff der sozialen Identität ansetzt, beantwortet werden. Darauf haben wir in dieser Theorie keine Antwort gefunden - vielleicht ist z.B. die Annahme eines Gedächtnisses für diese Theorie gar nicht relevant, da sie eh auf die Einteilung in Gruppen/Kategorien abhebt? Man muß sich diesen Zwiespalt, einmal vor Augen halten: der Theorie liegen soziologische Dimensionen zugrunde, vor allem Statusrelationen zwischen Gruppen und ihre Legitimität (TAJFEL, 1978a), formuliert werden die «allgemeinen Annahmen» und «theoretischen Prinzipien» (TAJFEL & UTRNER, 1979, 40) jedoch weitgehend in traditionellen psychologischen Konzepten. Es verwundert daher nicht, daß sich ein eigentümliches Schillern der Begriffe ergibt, Vagheit vor allem des Identitätsbegriffes, und daß der Eindruck eines nicht ganz geglückten Spagats zwischen soziologischen und psychologischen Variablen entsteht. Wie die Brücke zwischen Gruppen-Terminologie und Terminologie des Individuums geschlagen werden soll, bleibt dabei unklar. Vielleicht kann ja auch gar nicht diese Brücke zwischen soziologischen Variablen (Status, Statusrelationen, Prestige) und psychologischen Variablen (Selbsteinschätzung, Selbstkonzept, Wahrnehmen, Differenzieren) geschlagen werden. Die Problematik eines solchen Vorhabens soll am Beispiel der Theorie informeller Kommunikation von FESTINGER (1950) verdeutlicht werden. In dieser Theorie liegt ein Nebeneinander von soziologischen und psychologischen Variablen vor: es überwiegen aber soziologische Zusammenhänge, insofern als der Druck zur Uniformität von Meinungen innerhalb einer

166 Gruppe die Kommunikation in dieser Gruppe beeinflussen soll; die funktionale Basis hierfür soll die «Group Locomotion» sein, d.h. die Bewegung der Gruppe (nicht der Individuen) auf ein Ziel hin. Diese soziologischen Variablen dominieren die Gesamtheit der in der Theorie formulierten Hypothesen. Psychologische Variablen werden genannt, aber quasi «in den Raum gestellt»: «soziale Realität» als Notwendigkeit, Meinungen, Einstellungen und Auffassungen zu validieren; diese Notwendigkeit soll, gleichgeordnet mit «Group Locomotion», den Druck zur Uniformität in Gruppen begründen. Ansonsten wird die Fülle psychologischer Prozesse in einem relativ kurzen Abschnitt («emotional expression») abgehandelt. FESTINGER veröffentlichte 1 9 5 4 die Theorie sozialer Vergleichsprozesse. In ihr gelang es nun, das bloße Nebeneinander von soziologischen und psychologischen Variablen zu vermeiden. Ausgangspunkt ist hier eine psychologische Variable: die Motivation, eigene Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten; Instabilität der Bewertung wird als Folge des Ausbleibens sozialer Vergleiche definiert; der Vergleich mit ähnlichen anderen Menschen wird zum Prinzip erhoben, d.h. ähnliche andere werden als Vergleichspersonen ausgewählt; Gruppen mit ähnlichen anderen werden aufgesucht. In diesem Sinne ist die Ähnlichkeit mit anderen Personen die kritische psychologische antezedente Bedingung für Vergleichsprozesse. Welche Implikationen diese psychologischen Prozesse für Gruppenbildung und gesellschaftliche Strukturen haben können, wird aber auch durch FESTINGERS Analyse erhellt: Mobilität des einzelnen, auf unterschiedliche Gruppen bezogen; Segmentierung der Gesellschaft in Gruppen und Entstehen von Statusunterschieden; Beziehungen zwischen Mehrheit und Minderheit. Dabei wird allerdings immer wieder sehr deutlich gemacht, daß sich die soziologischen Konzepte (auf der Ebene der Beziehungen zwischen Gruppen oder auf gesamtgesellschaftlicher Ebene) als psychologische Prozesse verstehen lassen. Bei FESTINGER ( 1 9 5 4 ) sind soziologische Aspekte nicht mehr als eine mögliche Bezeichnung der sozialen Verhältnisse, die durch Vergleichsbedürfnisse zustande kommen. Im Grunde ist das Resultat der Vergleichsprozesse die erhöhte bzw. hergestellte Sicherheit der ein-

Schiffmann & Wicklund: Gruppe und Identität

zelnen Personen; die Gruppen-Verhältnisse, die sich daraus ergeben, gelten als Nebenprodukt. Dieser Grad der Integration von soziologischen und psychologischen Konzepten wurde in der älteren Theorie von FESTINGER ( 1 9 5 0 ) nicht erreicht, und er ist auch bei TAJFEL & TURNER ( 1 9 7 9 ) nicht festzustellen. 4. Erhöhen der Selbsteinschätzung nach Diskriminierung der Outgroup oder Konfrontation mit einer «andersartigen Person»? behaupten, daß ein motivationaler Prozeß stattfindet: Individuen definieren sich nach Maßgabe ihrer Gruppenmitgliedschaften, sie streben eine positive Selbsteinschätzung aus diesen Selbstdefinitionen an, eine positive soziale Identität; diese positive soziale Identität wird über Vergleiche zwischen In- und Outgroup erreicht; daher sind Menschen motiviert, Intergruppendifferenzierungen zugunsten ihrer Ingroup vorzunehmen. Als Kernaussage dieses motivationalen Modells gilt: Intergruppendifferenzierung erhält oder erhöht die Selbsteinschätzung. Dazu liegen drei empirische ArbeiTAJFEL & H J R N E R ( 1 9 7 9 )

t e n v o r : LEMYRE & SMITH ( 1 9 8 5 ) ; OAKES & H J R NER ( 1 9 8 0 ) ; WAGNER e t a l . ( 1 9 8 6 ) . OAKES & H J R N E R ( 1 9 8 0 ) versuchten, die postulierte Auswirkung der Intergruppendifferenzierung auf die Höhe der Selbsteinschätzung in einem Laborexperiment zu belegen. Die Versuchspersonen wurden dabei einer von zwei Versuchsbedingungen unterworfen: die Experimentalbedingung bestand aus einer «MinimalGroup»-Situation, d.h., dieser Teil der Versuchspersonen wurde aufgrund eines trivialen ad-hocKriteriums in zwei distinkte Gruppen eingeteilt

(«KLEE- vs. KANDINSKY-Liebhaber»); bei völliger

Anonymität der Gruppenmitgliedschaft und Ausschalten der Möglichkeit zu interagieren wurden die Versuchspersonen aufgefordert, Punkte an Ingroup- bzw. Outgroup-Mitglieder zu verteilen. Dies war das Maß für Intergruppendifferenzierung. Die Versuchspersonen in der Kontrollbedingung wurden dem gleichen Verfahren unterzogen, mit einer Ausnahme: sie erhielten keine Möglichkeit zur Intergruppendifferenzierung per Punktevergabe, sondern lasen stattdessen einen Zeitungsartikel. Nach dieser je nach Versuchsbedingung unterschiedlichen Phase des

167

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 159-174

Versuchsablaufs wurden bei allen Versuchspersonen Selbstwertmaße mit drei Self-Esteem-Fragebögen erhoben. Einfaktorielle Varianzanalysen erbrachten signifikante Mittelwertunterschiede auf zwei von den drei Selbstwertmaßen wie auch auf einem aus allen drei Meßinstrumenten gewonnenen Selbstwertfaktor. Wie erwartet, zeigten die Versuchspersonen in der Experimentalbedingung (mit der Möglichkeit der Intergruppendifferenzierung also) signifikant höhere Selbsteinschätzungen als Versuchspersonen der Kontrollbedingung. LEMYRE & SMITH ( 1 9 8 5 ) fanden, daß kategorisierte Versuchspersonen («blaue vs. rote»), die die Gelegenheit zur Diskriminierung der Outgroup bekamen, danach signifikant höhere Selbstwertmaße erzielten, als kategorisierte Versuchspersonen ohne diese Möglichkeit zur Diskriminierung. In der dritten einschlägigen Arbeit, WAGNER, LAMPEN & SYLLWASSCHY ( 1 9 8 6 ) , wurde u.a. danach gefragt, wie sich Versuchspersonen selbst einschätzten, wenn ihre Ingroup a) einer Outgroup auf einer speziellen Vergleichsdimension unterlegen war oder b) nur kategorial sich von anderen Gruppen unterschied oder c) wenn kein Hinweis auf Intergruppenvergleiche gegeben wurde. Zusätzlich wurde den Versuchspersonen eine zweite Outgroup vorgestellt, die von den Versuchspersonen abgewertet werden konnte. Der Ablauf dieses Teils des Versuchs sah folgendermaßen aus: - Einführung der Versuchsbedingungen: a) Kategorisierung in In- und Outgroup und Abwertung der Ingroup im Vergleich zur Outgroup b) nur Kategorisierung in In- und Outgroup c) Kontrollgruppe (keine Kategorisierung), danach: - Möglichkeit der Abwertung einer weiteren Outgroup durch die Versuchspersonen, abschließend: - Self-Esteem-Messung. Erwartet wurden u.a. höhere Self-EsteemWerte in den Bedingungen «Kategorisierung mit Abwertung der Ingroup» und «nur Kategorisierung» im Vergleich mit der Kontrollgruppe. Die gefundenen Mittelwerte der Selbstwertmaße unterschieden sich nicht signifikant voneinander, ein Befund, der der Erwartung der

Social Identity Theory zuwiderläuft. Allerdings wird das Gewicht dieses für die Social Identity Theory negativen Ergebnisses dadurch gemindert, daß die Versuchspersonen möglicherweise die in Frage stehende Gruppe nicht als Bezugsgruppe ansahen (was nicht direkt erhoben wurde) und weiterhin dadurch, daß die Abwertung der zweiten Outgroup nicht sichergestellt war. Es bleiben also zwei Untersuchungen übrig, in denen belegt wird, daß die Diskriminierung der Outgroup zu einer Erhöhung der Selbsteinschätzung führt: OAKES & HJRNER ( 1 9 8 0 ) und LEMYRE & SMITH ( 1 9 8 5 ) . Die Befunde dieser Arbeiten lassen jedoch auch eine Alternativerklärung zu: Die Einführung von Mitgliedern der Outgroup, die von den Versuchspersonen diskriminiert werden können, ist vergleichbar der Konfrontation mit einer Person, die einfach als andersartig wahrgenommen wird. Wie MORSE & GERGEN (1970) experimentell zeigen konnten, erhöht die bloße Anwesenheit einer Person mit andersartigen äußeren Merkmalen die Selbsteinschätzung der Versuchspersonen. Bereits einer solchen Person gegenüberzusitzen, die extrem nachlässige Kleidung trug, ein wenig verwirrt wirkte und mit dem Ausfüllen von Formularen nicht zurechtzukommen schien, genügte bei einer studentischen Stichprobe, die Werte der Selbsteinschätzung tendenziell ansteigen zu lassen. Auf die Experimente von OAKES & HJRNER ( 1 9 8 0 ) und LEMYRE & SMITH ( 1 9 8 5 ) bezogen, bedeutet das, daß nicht notwendigerweise die Unterscheidung nach Inund Outgroup-Mitgliedschaft die Selbstwert-Erhöhung nach sich zog, sondern die (vorgestellte) Präsenz einer Person, die von der Versuchsperson als andersartig wahrgenommen wurde. Damit wäre die festgestellte Selbstwert-Änderung nur ein «Kontrast-Effekt». Er ist als Ergebnis der Konfrontation mit einer sehr unterschiedlichen Person zu charakterisieren und bedürfte nicht des Rückgriffs auf die «soziale Identität» der Befragten. Erwähnt werden soll, daß die Arbeiten von OAKES & HJRNER ( 1 9 8 0 ) u n d

von

LEMYRE

&

ein Grundproblem aufweisen, das sich aus dem «Minimal Group Paradigm» ergibt (TAJFEL et al., 1 9 7 1 ) : Kategorisierung, z.B. in SMITH ( 1 9 8 5 )

«KLEE- o d e r K A N D I N S K Y - L i e b h a b e r » , w i r d

mit

der Ähnlichkeit zwischen den Mitgliedern einer Kategorie konfundiert. Damit läßt sich die fest-

168

Schiffmann & Wicklund: Gruppe und Identität

gestellte Diskriminierung von Mitgliedern der jeweils anderen Kategorie alternativ zur TAJFELschen Konzeption erklären: Nach der Ähnlichkeits-Attraktions-Hypothese (BYRNE, 1969) wer-

den ähnliche andere gegenüber unähnlichen bevorzugt, was dem Befund der Differenzierung zwischen «minimalen Gruppen» entspricht. Versuche, Kategorisierung und Ähnlichkeit unabhängig voneinander experimentell zu variieren, wurden von BILLIG & TAJFEL ( 1 9 7 3 ) und von HEWSTONE et al. (1981) unternommen. Beide Untersuchungen konnten jedoch nicht die Wirkung des Ähnlichkeitsfaktors als Erklärung der Differenzierung zwischen Gruppen ausschließen. Weiterhin stellt ein zentrales Problem dieser Untersuchungen die Frage dar, ob es sich bei den untersuchten Entitäten überhaupt um Gruppen handelt (vgl. zu dieser Problematik BORNEWASSER & BOBER, 1 9 8 7 ) . Gruppen sollten z . B . in der Operationalisierung von BILLIG & TAJFEL ( 1 9 7 3 ) dann vorliegen, wenn das Wort «Gruppe» in den Instruktionen an die Versuchspersonen verwandt wurde: «Ihr werdet in zwei Gruppen eingeteilt, ...

die

,KANDINSKY-Gruppe'

und

die

,KLEE-

Gruppe'», während es in der Vergleichsbedingung hieß, es gebe unter den Versuchspersonen KANDINSKY- und KLEE-Liebhaber. Wie weit Versuchspersonen diese Einteilungen in «Gruppen» mit einem inhaltlichen Gruppenbegriff in Verbindung brachten, blieb ungeprüft; von Gruppenverhalten oder Intergruppen-Verhalten in diesem Zusammenhang zu sprechen, muß daher willkürlich erscheinen.

Zusammenfassung der Kritik und Ausblick Die Schwerpunkte unserer Kritik lagen auf der Konzeptualisierung von sozialer Identität durch TAJFEL & H J R N E R :

- psychische Inhalte von sozialer Identität bleiben unklar oder werden auf Abbilder der sozialen Verhältnisse reduziert; - das Streben nach Erhöhen der Selbsteinschätzung als Basis des Strebens nach positiver sozialer Identität konnte bisher nicht empirisch eindeutig gesichert werden. Wie könnte eine psychologisch angemessene Konzeptualisierung von Identität aussehen, die zugleich eine Erklärung für die Diskriminierung anderer Menschen liefert?

Eine solche Konzeptualisierung wurde von TfessER ( u . a . TESSER, 1 9 8 0 , 1 9 8 6 ; ItssER & C A M P -

vorgelegt («Self-Evaluation Maintenance»). Hier soll nicht in extenso auf T^SSERS Modell eingegangen werden, sondern nur dessen Bestandteile im Vergleich zu TAJFEL & HJRNERS ( 1 9 7 9 ) Ansatz herausgearbeitet werden insofern, als die für TAJFEL & H J R N E R relevanten Phänomene berührt werden. Eine Stärke von TESSERS Modell liegt darin, daß es ausdrücklich auf das Selbst Bezug nimmt, d.h. von psychologischen Variablen ausgeht. Bereiche bzw. Inhalte des Selbst finden als Selbstdefinitionen ihren Niederschlag im Modell, insofern als sie die Relevanz von Dimensionen (z.B. «eine gute Köchin sein», «ein guter Autofahrer sein») bestimmen, auf denen sich eine Person mit anderen vergleicht. Es werden somit geläufige Bestimmungsstücke von Identität als Verhaltenspotential angesprochen. Die Bestimmung der Identität aufgrund von Gruppenetiketten wie bei TAJFEL & H J R N E R kann für TESSER nicht ausschlaggebend sein. BELL, 1 9 8 3 )

Die Relevanz der jeweiligen Vergleichsdimensionen entscheidet nach TESSER über die nachfolgenden Prozesse. Relativ niedrige Relevanz setzt den «Reflexions-Prozeß» in Gang: nicht im Sinne von «Nachdenken», sondern: «sich im Glänze eines anderen sonnen», der nämlich gute Leistungen erbringt und dem die Person nahe ist (z.B. «Ich habe einen Cousin, der erste Violine in einem bedeutenden Symphonie-Orchester spielt»; «in meiner Nachbarschaft wohnt jemand, der schon an Olympischen Spielen teilgenommen hat»; vgl. CIALDINI et al., 1 9 7 6 ) . Relativ hohe Relevanz einer Dimension führt dagegen dazu, daß «Vergleichsprozesse» im engeren Sinne einsetzen: Die gute Leistung eines anderen bedroht bei relativ hoher Relevanz den Selbstwert der Person, was durch die Nähe des anderen noch verstärkt wird. Die vorhergesagte Reaktion auf diese Vergleichssituation ist es, die Nähe zum anderen zu verringern. Im Labor wie auch im Feld konnte diese Hypothese bestätigt werden. PLEBAN & TESSER (1981; auch in TESSER, 1 9 8 6 ) ließen jeweils eine Versuchsperson im Labor gegen einen Konföderierten des Versuchsleiters spielen, d.h. eine Aufgabe bearbeiten, die entweder von hoher oder niedriger Relevanz war und bei der anschließend der Versuchsperson zurückgemeldet wurde, daß sie besser, gleich gut oder schlechter als der Kon-

169

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föderierte abgeschnitten hatte. Abhängige Variablen waren u.a. Einschätzungen der Nähe des anderen zur Versuchsperson, in dem Sinne, daß Gemeinsamkeiten von Versuchsperson und Konföderierten von der Person bestimmt werden sollten. Weiterhin wurde gemessen, wie weit entfernt sich die Versuchsperson vom Konföderierten nach der Rückmeldung über den eigenen Leistungsstand setzte; schließlich wurde nach dem Wunsch und der Bereitschaft, noch einmal mit dem Konföderierten zusammenzuarbeiten, gefragt. Auf diesen drei abhängigen Variablen wobei alle drei die Variable Nähe zum anderen operationalisierten - ergab sich konsistent das erwartete Datenmuster: war die Relevanz der Aufgabe relativ hoch und zudem die Versuchsperson dem anderen unterlegen, dann wurden die Gemeinsamkeiten zwischen beiden als geringer eingeschätzt, die räumliche Distanz zwischen ihnen war vergrößert, und die Versuchsperson wünschte weniger, noch einmal mit dem anderen zusammenzuarbeiten. Ebenso hypothesenkonform fielen die Ergebnisse zur relativ wenig relevanten Aufgabe aus: bei Unterlegenheit dem Konföderierten gegenüber wurde ein höheres Maß an Gemeinsamkeit wahrgenommen, eine geringere räumliche Entfernung gewählt und eine höhere Bereitschaft zu erneuter Zusammenarbeit gezeigt. Hinweise auf solche Prozesse der SelbstwertErhaltung bekam T^SSER (1980) aus der Analyse von Daten über die Beziehungen zwischen Geschwistern. Die Relevanz der Vergleichsdimensionen zwischen den Befragten und ihren Geschwistern war dabei konstant, und zwar relativ hoch. Wiederum ergab sich hypothesenkonform: Je besser die Leistungen der Geschwister im Vergleich mit den Leistungen der Befragten waren und je näher sich die Befragten und ihre Geschwister im Alter waren, um so größer wurde die Distanz zwischen Befragten und Geschwistern eingeschätzt, operationalisiert als Rivalität und «Reibereien» zwischen diesen Personen (Befragten vs. Geschwistern). Wahrgenommene und aufgesuchte Nähe zu anderen wird somit durch TESSERS Modell erklärt (neben einer Vielfalt weiterer Prozesse, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann). Daraus ergibt sich die unmittelbare Vergleichbarkeit des Modells von T^SSER mit dem Ansatz von TAJFEL & HJRNER ( 1 9 7 9 ) , da wahrgenommene

bzw. aufgesuchte Nähe von anderen als äquivalent der Akzentuierung von Unterschieden zwischen sich und anderen, zwischen In- und Outgroup nach TAJFEL & TÜRNER ( 1 9 7 9 ) , angesehen werden kann. TESSERS Modell scheint klar überlegen zu sein: 1. Es unterscheidet Prozesse der Distanzierung von solchen des Aufsuchens anderer Menschen, während TAJFEL & H J R N E R nur ein Mehr oder Weniger an Differenzierung zwischen In- und Outgroup zulassen. 2 . I t s s E R s Modell ist ein einheitliches psychologisches Modell: es integriert die psychologischen Variablen als wahrgenommene Qualität der Leistung von anderen, Relevanz dieser Leistung für das Selbst und wahrgenommene bzw. aufgesuchte Nähe zu diesen anderen. Soziologische Variablen, wie z.B. die Beziehungen zwischen Gruppen, sind in diesem Modell direkt impliziert, etwa zwischen Vätern und Söhnen in I t s s E R ( 1 9 8 0 ) . Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, daß Aussagen über die Ablehnung von Gruppen oder den Anschluß an Gruppen aus mehreren psychologischen Ansätzen außer den schon beschriebenen von FESTINGER ( 1 9 5 4 ) und T6SSER ableitbar sind. GREENBERG et al. ( 1 9 8 6 ) entwickelten einen Ansatz, den sie selbst als «Theorie des TerrorManagements» charakterisierten: Menschen sind danach ständig durch das Gewahrwerden der Tatsache gefährdet, daß sie in vielerlei Hinsicht verletzbar sind und daß ihr Dasein zeitlich begrenzt ist; ihre Gefährdung liegt darin, daß sie durch diese Ahnungen in jedem Moment ihres Lebens «gelähmt» werden können. Allerdings haben Menschen die Chance, mit dieser Gefährdung fertig zu werden: Sie können einen (kulturell bestimmten) Sinn für den Wert ihrer Person gewinnen. Dieser Sinn für den Wert der eigenen Person besteht aus zwei Komponenten: Zum einen aus dem Glauben an kulturelle Werte («cultural drama»), die menschliches Leben sinnvoll, wichtig und beständig erscheinen lassen; zum zweiten aus der Meinung, daß die Person selbst eine bedeutende Rolle in diesem «Drama» spielt. An dem Glauben an kulturelle Werte machen et al. ( 1 9 8 6 ) ihre Annahmen über die Ablehnung von Gruppen fest: Jede Erfahrung, die nahelegt, daß unser «cultural drama» falsch oder nicht das einzig richtige sein könnte, bedroht den Selbstwert einer Person und wird zu GREENBERG

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einer Ursache für Angst. Solche Bedrohungen des Selbstwerts resultieren häufig aus dem Wissen, daß andere nicht das «cultural drama» tragen. Outgroups haben z.B. oftmals stark abweichende Überzeugungen und Werte, verglichen mit dem kulturellen «mainstream». Die durchgängige Tendenz von Ingroup-Mitgliedern, negative Einstellungen, Auffassungen und Verhaltensweisen gegenüber Outgroup-Mitgliedern zu zeigen, ist ein Versuch, der durch die Existenz der Outgroup ausgelösten Bedrohung des eigenen Glaubenssystems zu begegnen. Der Punkt, auf den es hier ankommt, ist folgender: GREENBERG et al. ( 1 9 8 6 ) kommen zu den gleichen Konsequenzen wie TAJFEL & H J R N E R (1979): ihre abhängigen Variablen beinhalten Differenzierungsprozesse zwischen In- und Outgroup; ihre unabhängigen Variablen und ihre Konzeptualisierung heben jedoch auf psychologische Prozesse der allgemeinen Person-Situations-Beziehung, des Selbstwerterhalts bzw. der Angstreduktion ab und nicht auf soziologische Variablen, wie dies in TAJFEL & HJRNERS ( 1 9 7 9 ) Ansatz geschieht. Als ein weiterer psychologischer Ansatz, der Aussagen über Abwertung und Ablehnung von anderen und über den Anschluß an sie impliziert, sei noch die Theorie der symbolischen Selbstergänzung von WICKLUND & GOLLWITZER ( 1 9 8 2 , 1985) skizziert. Die Theorie geht von Zielsetzungen eines Individuums in spezifischen inhaltlichen Bereichen aus, z.B. im intellektuellen, künstlerischen oder sportlichen Bereich. Solche Zielsetzungen werden als Commitment im Hinblick auf selbstbezogene Ziele bezeichnet. Die Realisierung des Commitments an eine spezifische Selbstdefinition wird nach W I C K LUND & GOLLWITZER mit Hilfe von «Symbolen» erreicht. Symbole sind Indikatoren, durch deren Gebrauch das Individuum anderen Menschen nahelegt, daß es im Besitz der angestrebten Selbstdefinition (z.B. Gärtner sein) ist. Solche Symbole können z.B. Selbstbeschreibungen sein, die die erwünschte Selbstdefinition unterstützen (z.B. «Ich bin ein exzellenter Gärtner»), da die sich so beschreibende Person dazu tendiert anzunehmen, daß andere (die Rezipienten dieser Behauptung) aufgrund der Selbstbeschreibung auf den Besitz der angestrebten Selbstdefinition schließen. Eine weitere zentrale Annahme der eben ge-

Schiffmann & Wicklund: Gruppe und Identität

nannten Theorie ist das «Substitutionsprinzip»: ein selbstbezogenes Ziel kann nicht nur durch ein einziges Symbol erreicht werden, sondern eine Vielzahl von Symbolen ist mit einem selbstbezogenen Ziel kompatibel. Auf der Grundlage dieser Annahmen wurden die folgenden Hypothesen formuliert: 1. Personen, die sich ein selbstbezogenes Ziel gesetzt haben, versuchen den Mangel an relevanten Symbolen durch das Zurschaustellen alternativer Symbole auszugleichen. Derartige Anstrengungen einer Person werden «selbstsymbolisierende Handlungen» genannt. 2. Die Effektivität selbstsymbolisierender Handlungen im Sinne der Ausgestaltung einer Selbstdefinition ist an die soziale Kenntnisnahme erworbener Symbole gebunden («soziale Realität»), Distanzierung bzw. Abwertung von bestimmten anderen Menschen kann unter bestimmten Umständen den Charakter einer selbstsymbolisierenden Handlung bekommen: eine Person kann durch die Assoziation mit einer Organisation, Schule, Gruppe oder anderen Menschen, die in spezifischen Bereichen inkompetent sind, nun selbst der Kategorie «inkompetent» zugeordnet werden und sich selbst so einschätzen. Wenn es nun der Person gelingt, inkompetente andere auf Distanz zu sich zu bringen, kann die Selbstergänzung der Person gefördert werden. Auf operationaler Ebene würde das z.B. bedeuten, daß die Person, deren Selbstdefinition bedroht wird, die Verbindung mit anderen leugnen und andere auf der Dimension dieser Selbstdefinition abwerten würde. Diese Hypothese konnte in einem Experiment von WAGNER ( 1 9 8 6 , April) bestätigt werden: Versuchspersonen, die in ihrer Selbstdefinition (hier: «Psychologe sein») bedroht wurden und die außerdem ein relativ hohes Commitment an diese Selbstdefinition äußerten, werteten eine zu beurteilende andere Person signifikant ab, wenn diese Person als inkompetent wahrgenommen wurde. Distanzierung und Abwertung dieser anderen Person wurden dabei hinsichtlich derjenigen Eigenschaften der anderen Person nachgewiesen, die für die Selbstdefinition der urteilenden Person relevant waren. Wie von der Theorie vorhergesagt, wurden diese Abwertungs- und Distanzierungsprozesse nur beim Vorliegen von re-

Zeitschrift für Sozialpsychologie

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S c h i f f m a n n & W i c k l u n d : G r u p p e u n d Identität

lativ hohem Commitment in Gang gesetzt. Dabei waren die Korrelationen zwischen den einzelnen Maßen der Distanzierung und Abwertung bei Personen mit relativ hohem Commitment deutlich höher als bei Personen mit relativ niedrigem Commitment an die betreffenden Bereiche. Das legt nahe, daß die Tendenz, alle möglichen sich bietenden Gelegenheiten, Selbstergänzung zu erreichen, bei Personen mit hohem Commitment stärker ausgeprägt ist, als bei Personen mit niedrigem Commitment.

dürfnis nach Beseitigen von konkreten Unsicherheiten postuliert würde. Aber auch das ist nicht neu. Es gehört bei FESTINGER ( 1 9 5 4 ) ebenso zum Ausgangspunkt wie bei GREENBERG et al. ( 1 9 8 6 ) , TESSER ( 1 9 8 0 , 1 9 8 6 ) u n d W I C K L U N D & GOLLWITZER ( 1 9 8 2 ) .

Aus diesen Gründen erscheint es uns eher problematisch, von der Social Identity Theory originäre Fortentwicklungen zu erhoffen.

Literatur Eine abschließende Identity Theory

Bewertung der Social

Um zu einer abschließenden Bewertung der Social Identity Theory zu kommen, haben wir diesen Ansatz den fünf anderen Ansätzen, mit deren Hilfe Distanzierung und Abwertung anderer Menschen erklärt werden können, gegenübergestellt (es gibt weitere einschlägige Ansätze hierzu (z.B. von CIALDINI und seinen Mitarbeitern, etwa CIALDINI et al., 1 9 7 6 ) . Aus Platzgründen verzichten wir darauf, sie darzustellen. Die Ergebnisse unseres Vergleichs sind in Tabelle 1 aufgeführt. In welche Richtung sollte nun die Social Identity Theory fortentwickelt werden, gerade wenn man sie mit anderen Ansätzen vergleicht? Eine denkbare Möglichkeit wäre, bloße Gruppenmitgliedschaft aufgrund ihrer Trivialität als kausalen Faktor außer acht zu lassen und Ablehnung von anderen Menschen auf inhaltliche Bereiche der Identität zu beziehen (vgl. TESSER, 1 9 8 6 ; WICKLUND & GOLLWITZER, 1 9 8 2 ) . Inhalte des Selbst müßten dann weiterhin nach ihrer Bedeutung für die Person gewichtet werden: beide Erweiterungen sind allerdings bereits in TESSERS Ansatz vorweggenommen worden. Eine andere Möglichkeit wäre, Ähnlichkeit zwischen Menschen als psychologische Dimension zu behandeln und nicht als soziologische Dimension der in der Gesellschaft vorgefundenen Einteilung in sich ausschließende Kategorien: eine solche psychologische Dimension der Ähnlichkeit legte FESTINGER seiner Theorie sozialer Vergleichsprozesse zugrunde, aber auch in TESSERS Modell findet sich dieser Sachverhalt. Die dritte und letzte uns sinnvoll erscheinende Möglichkeit könnte darin liegen, die psychologische Basis der Social Identity Theory zu verbreitern bzw. herzustellen, indem z.B. ein Grundbe-

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B

175

Z e i t s c h r i f t f ü r S o z i a l p s y c h o l o g i e 1988, 175-192

Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden: Ein Theorie-Element und seine empirische Bewährung1 VERENA NELL, ULRIKE VÖLKEL, KATHARINA WINKELMANN, JÖRG H A N N E M A N N u n d H A N S WESTMEYER Institut f ü r Psychologie der Freien Universität Berlin Bezogen auf den intendierten Anwendungsbereich «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» wird als Teil eines umfassenderen Theoriennetzes zur Verhaltensinteraktion ein Theorie-Element präsentiert, das Erklärungen und bedingte Vorhersagen von Verhaltensänderungen im Rahmen intrasituationaler dynamischer Interaktion in Triaden erlaubt. Das Theorie-Element wird in experimentellen Einzelfallstudien an sechs Familien ü b e r p r ü f t . P r o Triade wird an mehreren Terminen pro Woche für einen Zeitraum von fünf bis sechs Wochen die Interaktion zwischen Vater, Mutter und Kind in einer gering strukturierten, aufgabenbezogenen Situation per Video aufgezeichnet und von trainierten Beobachtern unter Verwendung eines eigens zu diesem Zweck entwickelten systematischen Beobachtungsverfahrens kodiert. Durch ein gezieltes Verhaltenstraining eines Elternteils werden Veränderungen im Interaktionsgeschehen induziert, die zur Ü b e r p r ü f u n g der Spezialgesetze u n d speziellen Nebenbedingungen unseres Theorie-Elements herangezogen werden können. In allen sechs Einzelfällen verläuft die Ü b e r p r ü f u n g erfolgreich. Dies wird durch Simulationsstudien auf der G r u n d l a g e einer veränderten speziellen Nebenbedingung zusätzlich untermauert.

Referring to the d o m a i n of intended applications «behavior interaction in f a t h e r - m o t h e r - c h i l d triads» a theory-element being a part of a more comprehensive theory-net is presented which allows explanations and conditional predictions of behavior changes in the realm of intrasituational d y n a m i c interaction in triads. The theory-element is tested by experimental single-case studies of six families. For each triad the interaction between father, mother, and child in a low-structured, task related situation is recorded by video at several times per week for a period of five to six weeks a n d coded by trained observers using a systematic observation procedure developed for this purpose. By a specific behavior training of one parent changes in the interaction are induced enabling a test of the special laws a n d the special accessory conditions of our theory-element. For each of the six single-cases the test turns out to be successful. This is f u r t h e r c o n f i r m e d by simulation studies on the basis of a modified special accessory condition.

Eine Theorie der Verhaltensinteraktion

hinaus werden in diesen Arbeiten nur «secondorder effects» im Sinne von BRONFENBRENNER (1974) und nicht die triadische Interaktion als solche untersucht. SCHAFFER ( 1 9 8 4 , S. 2 0 3 ) weist auf diese Defizite in aller Deutlichkeit hin. Theoretische Überlegungen beschränken sich auf begriffliche Analysen von Teilaspekten triadischer Interaktion (z.B. LEWIS & FEIRING, 1981; PARKE,

Arbeiten zur Interaktion in Vater-Mutter-KindTriaden sind in der Psychologie eine Seltenheit. KÖCHER & NICKEL ( 1 9 8 5 ) stießen im Rahmen ihrer Umfrage an 193 Forschungsstätten in allen deutschsprachigen Ländern nicht auf eine einzige Arbeit, die sich mit der familiären Triade beschäftigt. Nicht viel anders ist die Situation in den englischsprachigen Ländern. In der einschlägigen Literatur (z.B. BELSKY, 1981; LEWIS et al., 1 9 8 4 ; M A C O B Y Ä M A R T I N , 1 9 8 3 ; PEDERSON, 1 9 8 0 ;

wird immer wieder auf dieselben, fast an den Fingern einer Hand abzählbaren, empirischen Untersuchungen Bezug genommen (vor allem BELSKY, 1979; CLARKE-STUART, SCHAFFER, 1984)

1 9 7 8 ; LAMB, 1 9 7 6 , 1 9 7 7 ; LYTTON, 1 9 7 9 ; PARKE & O ' L E A R Y , 1976; PEDERSON

et al., 1980). Darüber

1 Die Entwicklung u n d Ü b e r p r ü f u n g der hier präsentierten Theorie erfolgte im R a h m e n eines von der D F G geförderten Forschungsprojekts.

1979).

Wir haben eine Theorie der Verhaltensinteraktion in kleinen Gruppen entwickelt und erfolgreich auf Verhaltensinteraktionen zwischen Mutter und Kind in der häuslichen Umgebung (HANNEMANN e t a l .

1 9 8 5 ; WESTMEYER e t a l . ,

1984,

1985) und auf Verhaltensinteraktionen in dyadischen Face-to-Face-Situationen bei der Aufnahme und Weiter führung von Kontakten (NELL, 1982; WESTMEYER, 1 9 8 7 ) angewendet. Diese Theorie kann auf Verhaltensinteraktionen in Vater-Mutter-Kind-Triaden erweitert und hinsichtlich ihrer Bewährung für diese intendierte Anwendung überprüft werden.

175

Z e i t s c h r i f t f ü r S o z i a l p s y c h o l o g i e 1988, 175-192

Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden: Ein Theorie-Element und seine empirische Bewährung1 VERENA NELL, ULRIKE VÖLKEL, KATHARINA WINKELMANN, JÖRG H A N N E M A N N u n d H A N S WESTMEYER Institut f ü r Psychologie der Freien Universität Berlin Bezogen auf den intendierten Anwendungsbereich «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» wird als Teil eines umfassenderen Theoriennetzes zur Verhaltensinteraktion ein Theorie-Element präsentiert, das Erklärungen und bedingte Vorhersagen von Verhaltensänderungen im Rahmen intrasituationaler dynamischer Interaktion in Triaden erlaubt. Das Theorie-Element wird in experimentellen Einzelfallstudien an sechs Familien ü b e r p r ü f t . P r o Triade wird an mehreren Terminen pro Woche für einen Zeitraum von fünf bis sechs Wochen die Interaktion zwischen Vater, Mutter und Kind in einer gering strukturierten, aufgabenbezogenen Situation per Video aufgezeichnet und von trainierten Beobachtern unter Verwendung eines eigens zu diesem Zweck entwickelten systematischen Beobachtungsverfahrens kodiert. Durch ein gezieltes Verhaltenstraining eines Elternteils werden Veränderungen im Interaktionsgeschehen induziert, die zur Ü b e r p r ü f u n g der Spezialgesetze u n d speziellen Nebenbedingungen unseres Theorie-Elements herangezogen werden können. In allen sechs Einzelfällen verläuft die Ü b e r p r ü f u n g erfolgreich. Dies wird durch Simulationsstudien auf der G r u n d l a g e einer veränderten speziellen Nebenbedingung zusätzlich untermauert.

Referring to the d o m a i n of intended applications «behavior interaction in f a t h e r - m o t h e r - c h i l d triads» a theory-element being a part of a more comprehensive theory-net is presented which allows explanations and conditional predictions of behavior changes in the realm of intrasituational d y n a m i c interaction in triads. The theory-element is tested by experimental single-case studies of six families. For each triad the interaction between father, mother, and child in a low-structured, task related situation is recorded by video at several times per week for a period of five to six weeks a n d coded by trained observers using a systematic observation procedure developed for this purpose. By a specific behavior training of one parent changes in the interaction are induced enabling a test of the special laws a n d the special accessory conditions of our theory-element. For each of the six single-cases the test turns out to be successful. This is f u r t h e r c o n f i r m e d by simulation studies on the basis of a modified special accessory condition.

Eine Theorie der Verhaltensinteraktion

hinaus werden in diesen Arbeiten nur «secondorder effects» im Sinne von BRONFENBRENNER (1974) und nicht die triadische Interaktion als solche untersucht. SCHAFFER ( 1 9 8 4 , S. 2 0 3 ) weist auf diese Defizite in aller Deutlichkeit hin. Theoretische Überlegungen beschränken sich auf begriffliche Analysen von Teilaspekten triadischer Interaktion (z.B. LEWIS & FEIRING, 1981; PARKE,

Arbeiten zur Interaktion in Vater-Mutter-KindTriaden sind in der Psychologie eine Seltenheit. KÖCHER & NICKEL ( 1 9 8 5 ) stießen im Rahmen ihrer Umfrage an 193 Forschungsstätten in allen deutschsprachigen Ländern nicht auf eine einzige Arbeit, die sich mit der familiären Triade beschäftigt. Nicht viel anders ist die Situation in den englischsprachigen Ländern. In der einschlägigen Literatur (z.B. BELSKY, 1981; LEWIS et al., 1 9 8 4 ; M A C O B Y Ä M A R T I N , 1 9 8 3 ; PEDERSON, 1 9 8 0 ;

wird immer wieder auf dieselben, fast an den Fingern einer Hand abzählbaren, empirischen Untersuchungen Bezug genommen (vor allem BELSKY, 1979; CLARKE-STUART, SCHAFFER, 1984)

1 9 7 8 ; LAMB, 1 9 7 6 , 1 9 7 7 ; LYTTON, 1 9 7 9 ; PARKE & O ' L E A R Y , 1976; PEDERSON

et al., 1980). Darüber

1 Die Entwicklung u n d Ü b e r p r ü f u n g der hier präsentierten Theorie erfolgte im R a h m e n eines von der D F G geförderten Forschungsprojekts.

1979).

Wir haben eine Theorie der Verhaltensinteraktion in kleinen Gruppen entwickelt und erfolgreich auf Verhaltensinteraktionen zwischen Mutter und Kind in der häuslichen Umgebung (HANNEMANN e t a l .

1 9 8 5 ; WESTMEYER e t a l . ,

1984,

1985) und auf Verhaltensinteraktionen in dyadischen Face-to-Face-Situationen bei der Aufnahme und Weiter führung von Kontakten (NELL, 1982; WESTMEYER, 1 9 8 7 ) angewendet. Diese Theorie kann auf Verhaltensinteraktionen in Vater-Mutter-Kind-Triaden erweitert und hinsichtlich ihrer Bewährung für diese intendierte Anwendung überprüft werden.

Neil et al.: Verhaltensinteraktion in Triaden

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Die Theorie ist in ihrem Aufbau der strukturalistischen Konzeption wissenschaftlicher Theorien (STEGMÜLLER, 1 9 8 6 ) verpflichtet und demgemäß als Spezialisierungsnetz konzipiert, das in seinen wesentlichen Teilen in Abbildung 1 veranschaulicht wird. Eine genauere Darstellung der innerhalb dieses Netzes geltenden theoretischen Relationen geben WESTMEYER & NELL ( 1 9 8 7 ) . Die Theorie läßt sich auf der Ebene ihres Basiselements mit einer Reihe anderer Konzeptionen in Verbindung bringen und so näher erläutern.

WESTMEYER & NELL ( 1 9 8 7 , S. 181) haben die Beziehungen zu einem Basiselement eines umfassenden verhaltenstheoretischen Netzes aufgewiesen, WESTMEYER et al. ( 1 9 8 8 ) , ausgehend vom Interaktionskonzept von MAGNUSSON ( 1 9 8 0 ) , die Verbindung zu dem Basiselement eines interaktionistischen Theorie-Netzes hergestellt, und WESTMEYER ( 1 9 8 8 , S. 22) ist auf begriffliche Entsprechungen zwischen der Theorie der Verhaltensinteraktion und der Theorie des operanten Verhaltens eingegangen.

Basiselement des Spezialisierungsnetzes zur Verhaltensinteraktion

i T

Theorie-Element .Verhaltensinteraktion" Theorie-Element .Verhaltensinteraktion in kleinen Gruppen" Theorie-Element .Verhaltensinteraktion in Dyaden"

Theorie-Element .Verhaltensinteraktion in Triaden"

Abb. 1: Unsere Theorie der Verhaltensinteraktion als Spezialisierungsnetz unter Einbezug der für die intendierten Anwendungen paradigmatischen Beispielsmenge

177

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 175-192

Um die Kernaussagen unserer Theorie ganz allgemein zu skizzieren, ist davon auszugehen, daß das Verhalten der interagierenden Personen mit Hilfe von Verhaltenskategorien beschrieben werden kann. Verhaltenskategorien einer Person werden mit Verhaltenskategorien anderer Personen in Beziehung gesetzt; Verhaltens kategorien können andere Verhaltenskategorien kontrollieren; dabei kann die Art der Kontrolle in einer fördernden oder hindernden Kategorienbeziehung zum Ausdruck kommen. Der zentrale Parameter, der bei Verhaltenskategorien interessiert, ist die absolute oder relative Frequenz. Die Kernaussage der Theorie beinhaltet, daß der Frequenzverlauf einer kontrollierten Verhaltenskategorie eine Funktion der Frequenzverläufe kontrollierender Verhaltenskategorien ist. Es wird von einem Interaktionsgefüge, d.h. einer Menge kontrollierender Kategorienbeziehungen, ausgegangen, und es wird die Dynamik innerhalb eines solchen Interaktionsgefüges betrachtet, wobei sich diese Dynamik in den Frequenzverläufen (Ansteigen, Fallen, Gleichbleiben der Frequenz) kontrollierender und kontrollierter Kategorien zeigt. Dieser Dynamik werden durch die Theorie Beschränkungen auferlegt: Bei bestimmten Frequenzverläufen kontrollierender Kategorien sind nur bestimmte Frequenzverläufe kontrollierter Kategorien mit der Theorie vereinbar, andere ebenso denkbare stehen mit der Theorie im Widerspruch. Dieser allgemeine Rahmen ist nun durch die Formulierung eines geeigneten Theorie-Elements für die intendierte Anwendung «Verhaltensinteraktion in Triaden» zu spezialisieren und für Verhaltensinteraktionen in Vater-MutterKind-Triaden empirisch zu überprüfen. Zuvor sei jedoch noch ein Charakteristikum unserer Theorie angesprochen, das im Hinblick auf den main stream heutiger psychologischer Theorienbildung zumindest Erwähnung verdient: Unsere Theorie ist eine Theorie der Verhal/mrinteraktion in kleinen Gruppen, die eine Erklärung bestimmter Aspekte intrasituationaler dynamischer Interaktion versucht, ohne dabei die Verhaltensebene zu verlassen. Auf Wahrnehmungen, Interpretationen oder Bewertungen des Interaktionsgeschehens auf Seiten der beteiligten Personen wird nicht Bezug genommen. Welche Probleme bei dem Bemühen auftreten, derartige Begrifflichkeiten in die Analyse intrasituationa-

ler dynamischer Interaktion einzubeziehen, wird in WESTMEYER et al. (1988) angedeutet. Im übrigen kann es auch für den Vertreter eines kognitiven Ansatzes keine strengere Prüfung der von ihm unterstellten Unentbehrlichkeit dieser Begrifflichkeiten geben als den Versuch, Verhalten einzelner Personen im Rahmen intrasituationaler dynamischer Interaktion unter ausdrücklichem Verzicht auf diese Begrifflichkeiten und die damit in Verbindung stehenden Annahmen zu erklären und, soweit dies überhaupt möglich ist, vorherzusagen.

Das Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Triaden»

Spezialgesetze Wesentlicher Bestandteil eines Theorie-Elements eines Spezialisierungsnetzes unterhalb des Basiselements sind die sog. Spezialgesetze, die dem entsprechen, was in der Psychologie gewöhnlich als theoretische Annahmen bezeichnet wird. Tabelle 1 enthält die Spezialgesetze 1-7 in einer Version, die wesentliche zeitliche Relationen zwischen den verschiedenen Ereignissen, von denen die Spezialgesetze handeln, bereits explizit berücksichtigt (vgl. WESTMEYER et al., 1987), Abbildung 2 verdeutlicht ihre allgemeine Struktur. Die Spezialgesetze 1-6 gehen davon aus, daß bestimmte fördernde und/oder hindernde Beziehungen zwischen Verhaltenskategorien vorliegen. Änderungen der Frequenz kontrollierender Verhaltenskategorien haben bestimmte positive und/oder negative Einflüsse auf die kontrollierte Verhaltenskategorie zur Folge. Da in der Regel eine Verhaltenskategorie einer Person nicht nur durch eine einzige Verhaltenskategorie einer anderen Person kontrolliert wird, sondern durch eine ganze Reihe von Verhaltenskategorien, ist damit zu rechnen, daß auf ein und dieselbe Kategorie mehrere positive und/oder negative Einflüsse einwirken. Es ist deshalb erforderlich, diese verschiedenen Einflüsse miteinander zu kombinieren, um eine Aussage über den zu erwartenden Frequenzverlauf der kontrollierten Verhaltenskategorie machen zu können. Diese Kombination der verschiedenen auf eine kontrollierte Verhaltenskategorie einwirkenden Einflüsse wird in Spezialgesetz 7 vorgenommen. Da-

178

Neil et al.: V e r h a l t e n s i n t e r a k t i o n in Triaden

Tab. I: Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Triaden» Spezialgesetze 1-7 (zeitbezogene Variante) c und c' seien unterschiedliche Verhaltenskategorienvariablen für die Person, deren Verhalten erklärt werden soll. Ci sei eine Verhaltenskategorienvariable für den ersten oder den zweiten Interaktionspartner. Ist ci eine Verhaltenskategorienvariable für den ersten Interaktionspartner, sei C2 eine Verhaltenskategorienvariable für den zweiten Interaktionspartner; ist Ci eine Verhaltenskategorienvariable für den zweiten Interaktionspartner, sei C2 eine Verhaltenskategorienvariable für den ersten Interaktionspartner, «einen . . . E i n f l u ß » meint in SGTz 1-6 «genau einen . . . Einfluß», t, t ' , t i , t2 sind Zeitbereichsvariablen, ti liegt vor t2 und t. (SGTz 1)

Ci sei eine fördernde Kategorie für c in t ' . Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti steigt, dann hat das einen positiven E i n f l u ß auf c in t. (b) Wenn die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti fällt, dann hat das einen negativen Einfluß a u f c in t.

(SGTz 2)

ci sei eine hindernde Kategorie für c in t ' . Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti steigt, dann hat das einen negativen E i n f l u ß a u f c in t. (b) Wenn die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti fällt, dann hat das einen positiven E i n f l u ß a u f c in t.

(SGTz 3.1)

c sei eine fördernde Kategorie für ci in t ' . ci sei eine fördernde Kategorie für c in t ' . Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von c in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu t gleichbleibt, dann hat das zweifach positiven Einfluß a u f c in t. (b) Wenn die Frequenz von c in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti gleichbleibt, dann hat das zweifach negativen Einfluß a u f c in t.

(SGTz 3.2)

c' sei eine fördernde Kategorie ci sei eine fördernde Kategorie Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen (b) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen

für Ci in t ' . für c in t ' .

C2 sei eine fördernde Kategorie ci sei eine fördernde Kategorie Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von C2 bleibt, dann hat das einen (b) Wenn die Frequenz von C2 bleibt, dann hat das einen

für ci in t ' . für c in t ' .

c' sei eine fördernde Kategorie ci sei eine hindernde Kategorie Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen (b) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen

für ci in t \ für c in t ' .

C2 sei eine fördernde Kategorie Ci sei eine hindernde Kategorie Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von C2 bleibt, dann hat das einen (b) Wenn die Frequenz von C2 bleibt, dann hat das einen

für ci in t ' . für c in t ' .

c' sei eine hindernde Kategorie ci sei eine fördernde Kategorie Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen (b) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen

für ci in t ' . für c in t ' .

(SGTz 3.3)

(SGTz 4.1)

(SGTz 4.2)

(SGTz 5.1)

(SGTz 5.2)

in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichpositiven E i n f l u ß a u f c in t. in t2 relativ zu t] fällt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichnegativen Einfluß auf c in t.

in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichpositiven Einfluß a u f c in t. in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti gleichnegativen Einfluß a u f c in t.

in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti gleichnegativen E i n f l u ß a u f c in t. in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichpositiven E i n f l u ß auf c in t.

in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichnegativen Einfluß a u f c in t. in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichpositiven Einfluß a u f c in t.

in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichnegativen Einfluß a u f c in t. in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichpositiven Einfluß a u f c in t.

C2 sei eine hindernde Kategorie für ci in t ' . ci sei eine fördernde Kategorie für c in t'. Dann gilt:

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1988, 175-192

179

(a) Wenn die Frequenz von c 2 in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von Ci in h relativ zu ti gleichbleibt, dann hat das einen negativen Einfluß auf c in t. (b) Wenn die Frequenz von C2 in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti gleichbleibt, dann hat das einen positiven Einfluß auf c in t. (SGTz 6.1)

c sei eine hindernde Kategorie für Ci in t'. Ci sei eine hindernde Kategorie für c in t'. Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von c in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichbleibt, dann hat das zweifach positiven Einfluß auf c in t. (b) Wenn die Frequenz von c in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichbleibt, dann hat das zweifach negativen Einfluß auf c in t.

(SGTz 6.2)

c' sei eine hindernde Kategorie Ci sei eine hindernde Kategorie Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen (b) Wenn die Frequenz von c' bleibt, dann hat das einen

für Ci in t'. für c in t'. in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti gleichpositiven Einfluß auf c in t. in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu t, gleichnegativen Einfluß auf c in t.

(SGTz 6.3)

C2 sei eine hindernde Kategorie für ci in t'. Ci sei eine hindernde Kategorie für c in t'. Dann gilt: (a) Wenn die Frequenz von C2 in t2 relativ zu ti steigt und die Frequenz von ci in t2 relativ zu ti gleichbleibt, dann hat das einen positiven Einfluß auf c in t. (b) Wenn die Frequenz von C2 in t2 relativ zu ti fällt und die Frequenz von Ci in t2 relativ zu ti gleichbleibt, dann hat das einen negativen Einfluß auf c in t.

(SGTz 7)

ME ( i sei die Menge aller positiven und/oder negativen Einflüsse, die Frequenzänderungen kontrollierender Kategorien auf eine (unmittelbar und/oder mittelbar) kontrollierte Kategorie c in t haben. Dann gilt: (a) Wenn in MEC, die Zahl der positiven Einflüsse größer ist als die Zahl der negativen Einflüsse, dann steigt die Frequenz von c in t2 im Vergleich zu ti oder sie bleibt gleich. (b) Wenn in MEC, die Zahl der positiven Einflüsse kleiner ist als die Zahl der negativen Einflüsse, dann fällt die Frequenz von c in t2 im Vergleich zu ti oder sie bleibt gleich.

fördernde und/oder hindernde Beziehungen zwischen Kategorien Frequenzänderungen kontrollierender Kategorien Spezialgesetze 1-6

positive und/oder negative Einflüsse auf eine kontrollierte Kategorie Spezialgesetz 7

erwarteter Frequenzverlauf der kontrollierten Kategorie Abb. 2: Struktur der Spezialgesetze unseres Theorie-Elements «Verhaltensinteraktion in Triaden»

bei wird die einfachste Lösung des Problems gewählt: Aus einer Gegenüberstellung der Zahl der positiven und der Zahl der negativen Einflüsse auf eine kontrollierte Verhaltenskategorie wird ein Ansteigen oder Gleichbleiben bzw. ein Fallen oder Gleichbleiben der Frequenz der kontrollier-

ten Kategorie abgeleitet, jenachdem, ob die positiven oder die negativen Einflüsse überwiegen. In SGTz 1 und 2 kommen direkte Einflußnahmen auf die kontrollierte Kategorie zum Ausdruck, in SGTz 3 - 6 indirekte Einflußnahmen, die durch das Verhalten einer anderen Person vermittelt werden. Dabei sind drei Fälle zu unterscheiden: (a) Eine Verhaltenskategorie einer Person nimmt vermittelt durch eine Verhaltenskategorie einer anderen Person auf sich selbst Einfluß (SGTz 3.1,6.1), (b) eine Verhaltenskategorie einer Person nimmt vermittelt durch eine Verhaltenskategorie einer anderen Person auf eine andere Verhaltenskategorie der einen Person Einfluß (SGTz 3.2, 4.1, 5.1, 6.2), (c) eine Verhaltenskategorie einer Person nimmt vermittelt durch eine Verhaltenskategorie einer anderen Person auf eine Verhaltenskategorie einer dritten Person Einfluß (SGTz 3.3, 4.2, 5.2, 6.3). Aus SGTz 3.1 und 6.1 geht hervor, daß der Einfluß, der aus einer mittelbaren Einwirkung einer Kategorie auf sich selbst resultiert, doppelt gewichtet wird, während alle anderen Einflußnahmen nur ein-

180

Neil et al.: Verhaltensinteraktion in Triaden

fach gezählt werden. Diese Sonderbehandlung wird durch eine gewisse Ähnlichkeit dieser Fälle mit Feedback-Prozessen nahegelegt. Im Anhang wird die Anwendung der Spezialgesetze an einem einfachen Beispiel verdeutlicht. Spezielle

Nebenbedingungen

Neben den Spezialgesetzen sind die speziellen theoretischen und methodischen Nebenbedingungen integrativer Bestandteil eines TheorieElements (s. d. WESTMEYER & NELL, 1987). Durch sie werden die theoretischen Annahmen in den Spezialgesetzen direkt auf die intendierte Anwendung bezogen. Wie aus Tabelle 2 deutlich wird, unterscheiden wir im Hinblick auf die intendierte Anwendung «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» zwei theoretische und vier methodische Nebenbedingungen. Die erste spezielle theoretische Nebenbedingung enthält Anwendungsvoraussetzungen für das Spezialgesetz 7, die ausschließen sollen, daß es zu einer Selbsterklärung einer Frequenzänderung einer Verhaltenskategorie kommt. Die zweite spezielle theoretische Nebenbedingung legt weitere zeitliche Relationen fest, die für die verschiedenen Ereignisse, von denen in den Spezialgesetzen die Rede ist, gelten müssen. Wäh-

rend SGTz 1-7 die zeitliche Aufeinanderfolge der Antezedens- und Sukzedens-Ereignisse nur partiell bestimmen, wird diese durch STN 2 vollständig fixiert. Die erste spezielle methodische Nebenbedingung regelt die Modalitäten der Verhaltensregistrierung und schreibt für die intendierte Anwendung «Verhaltensinteraktion in Vater-MutterKind-Triaden» das systematische Beobachtungsverfahren BEKIT 15 vor. Dieses Beobachtungsverfahren erlaubt eine fortlaufende Kodierung des Verhaltens aller drei Interaktionspartner durch trainierte Beobachter, wobei für jedes Zeitintervall von zwei Sekunden für jeden Interaktionspartner eine Kategorisierung vorgenommen wird. BEKIT 15 (Beobachtungsverfahren für Eltern-Kind-Interaktionen in Triaden) enthält für jeden Interaktionspartner 15 Kategorien, die aus sechs inhaltlichen Bestimmungen in Verbindung mit bei Triaden erforderlichen Angaben, an welchen Interaktionspartner sich das Verhalten richtet, resultieren. Eine Übersicht über die Namen der Kategorien zur Erfassung des Verhaltens aus BEKIT 15 gibt Tabelle 3. Eine genauere Darstellung der Regel-, Symbol-, Instruktionen- und Bedingungenmenge (WESTMEYER & M A N N S , 1977) findet sich in WESTMEYER (in Vorb.).

Tab. 2: Spezielle Nebenbedingungen für die Anwendung des Theorie-Elements «Verhaltensinteraktion in Triaden» auf die intendierte Anwendung «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» I. Spezielle theoretische

Nebenbedingungen

1. Anwendungsbedingungen für Spezialgesetz 7 (STN 1A) Im Falle der Erklärung ist SGTz 7 nicht auf eine kontrollierte Kategorie c anzuwenden, wenn die Einflüsse auf c in t, die in die Richtung des tatsächlich eingetretenen Frequenzverlaufs von c in h weisen, nur aus Instanzen von SGTz 3.1 und 6.1 erwachsen. 2. Festlegung weiterer zeitlicher Relationen (STN 2A) t' ist identisch mit ti. t ist identisch mit t2. II. Spezielle methodische

Nebenbedingungen

1. Modalitäten der Verhaltensregistrierung (SMN 1.3A) Bei der Erfassung des Verhaltens in Vater-Mutter-Kind-Triaden ist das Beobachtungsverfahren BEKIT 15 zu verwenden. 2. Verfahren zur Identifikation kontrollierender Kategorienbeziehungen (SMN 2A) Bei der Identifikation fördernder und hindernder Kategorienbeziehungen ist das heuristische Verfahren INSEDA zu verwenden. 3. Modalitäten der Verfahrensanwendung (SMN 3A) Das Identifikationsverfahren ist auf die Daten aus t' anzuwenden. Der kritische Wert wird auf 0.1/s festgesetzt, wobei s der Anzahl der insgesamt durchgeführten statistischen Tests pro Interaktionsrichtung entspricht. 4. Berechnung der Indifferenzbereiche (SMN 4B) t, sei in n aufeinander folgende Phasenabschnitte unterteilt. Dann sind die Grenzen des Indifferenzbereichs einer Kategorie c in ti wie folgt zu berechnen: Die Standardabweichung der Verteilung der Frequenzen von c in den n Phasenabschnitten wird dem Mittelwert der Frequenzen von c in den n Phasenabschnitten hinzuaddiert (obere Grenze) bzw. von ihm abgezogen (untere Grenze).

181

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 175-192 Tab. 3: BEK1T 15 Kategorien zur Erfassung des Verhaltens Kl.l Kl.2 V/M 1.3 V/M 1.4 Kl.4 M/K2.1 V/K2.2 V/M2.3 V/M/K2.4 V/M3.3

Störendes Störendes Störendes Störendes Störendes

oder oder oder oder oder

Freundliches Freundliches Freundliches Freundliches

verletzendes verletzendes verletzendes verletzendes verletzendes

oder oder oder oder

Verhalten gegenüber V Verhalten gegenüber M Verhalten gegenüber K Verhalten, das nicht oder nicht nur auf K gerichtet ist Verhalten, das auf keinen einzelnen Elternteil gerichtet ist

anerkennendes anerkennendes anerkennendes anerkennendes

Verhalten gegenüber V Verhalten gegenüber M Verhalten gegenüber K Verhalten, das an keinen einzelnen Interaktionspartner gerichtet ist

Aufgabenbezogene Verhaltensanweisungen gegenüber K

V/M/K4.0

Spielerisches Verhalten

V/M/K5.0 M/K5.1 V/K5.2 V/M5.3 V/M/K5.4

Aufgabenbezogenes Aufgabenbezogenes, Aufgabenbezogenes, Aufgabenbezogenes, Aufgabenbezogenes

V/M/K6.0 M/K6.1 V/K6.2 V/M6.3 V/M/K6.4

Neutrales, Neutrales, Neutrales, Neutrales, Neutrales,

Verhalten, das an keinen Interaktionspartner gerichtet ist an V gerichtetes Verhalten an M gerichtetes Verhalten an K gerichtetes Verhalten Verhalten, das an beide Interaktionspartner gerichtet ist

nichtaufgabenbezogenes nichtaufgabenbezogenes nichtaufgabenbezogenes nichtaufgabenbezogenes nichtaufgabenbezogenes

Verhalten, Verhalten, Verhalten, Verhalten, Verhalten,

das das das das das

an an an an an

keinen Interaktionspartner gerichtet ist V gerichtet ist M gerichtet ist K gerichtet ist beide Interaktionspartner gerichtet ist

«V/M/K—» drückt aus, daß — als Verhaltenskategorie beim Vater, bei der Mutter oder beim Kind auftreten kann.

Die zweite spezielle methodische Nebenbedingung bezieht sich auf das Verfahren zur Identifikation von fördernden und hindernden Kategorienbeziehungen, die in ihrer Gesamtheit das Interaktionsgefüge in einer Triade bilden. Hier wird für Triaden die Anwendung des heuristischen Verfahrens INSEDA (Interaktionsanalyse sequentieller Daten) gefordert (s. d. HOLLING & SCHULTZE, 1 9 8 5 ) . Bei INSEDA handelt es sich um ein Verfahren zur Analyse sequentieller Beobachtungsdaten, das bei der statistischen Prüfung nicht auf Standardverteilungen Bezug nimmt, wie dies z.B. ALLISON und L I K E R ( 1 9 8 2 ) oder D U M A S ( 1 9 8 6 ) tun, sondern unter besonderer Berücksichtigung der Abhängigkeiten innerhalb des Verhaltens jeder an der Interaktion beteiligten Person für jede Richtung der Einflußnahme bei direkter Verhaltensbeeinflussung in jeder Triade die Prüfverteilung in jeweils 200 Simulationsläufen eigens generiert. In der dritten speziellen methodischen Nebenbedingung werden die Modalitäten der Anwendung dieses Verfahrens geregelt. Mit der vorgenommenen Festlegung des kritischen Wertes soll einer Häufung von Fehlern erster Art entgegengewirkt werden.

Die vierte spezielle methodische Nebenbedingung schließlich legt fest, wie und unter Bezugnahme auf die Daten aus welchen Zeitbereichen die Berechnung von Indifferenzbereichen erfolgt. Die Frequenz einer Verhaltenskategorie gilt als gleichgeblieben, wenn ihr Wert innerhalb der Grenzen eines Indifferenzbereichs verbleibt, als gestiegen, wenn ihr Wert die obere Grenze des Indifferenzbereichs überschreitet, als gefallen, wenn ihr Wert die untere Grenze des Indifferenzbereichs unterschreitet. Der Frequenzverlauf einer Kategorie (Steigen, Fallen, Gleichbleiben der Frequenz) wird also relativ zu einem Indifferenzbereich bestimmt. Die in Tabelle 2 getroffenen Festlegungen der speziellen Nebenbedingungen sind natürlich nicht die einzig möglichen. Es sind andere Bestimmungen denkbar, die allerdings zu einer veränderten Bewährung der Spezialgesetze führen können. Für das Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Dyaden» haben wir z.B. 13 Varianten der speziellen Nebenbedingungen - zudem noch in jeweils zwei Unterarten - mit ein und denselben Spezialgesetzen kombiniert und die Konsequenzen für die empirische Bewährung der Spezialgesetze untersucht (s. d. W E S T M E Y E R , 1 9 8 7 ) .

182 Empirische Überprüfung des Theorie-Elements

Spezifizierung des intendierten Anwendungsbereichs und Festlegung der Untersuchungssituation

Neil et al.: Verhaltensinteraktion in Triaden

tersuchungsraum, der zweckentsprechend eingerichtet und mit einer großen Menge verschiedenartigen Bastelmaterials ausgestattet war.

Design und Ablauf der Untersuchung Die empirische Überprüfung des Theorie-Elements «Verhaltensinteraktion in Vater-MutterKind-Triaden» erfordert eine Untersuchungssituation, in der die drei Interaktionspartner einer Familientriade in «Face-to-Face»-Situationen miteinander interagieren und dabei beobachtbar sind. Befragungen und Videoaufzeichnungen von Familien machten deutlich, daß die im natürlichen Tagesablauf auftretenden Interaktionssituationen, an denen alle drei Familienmitglieder ohne Unterbrechnung beteiligt sind, für die Erhebung einer ausreichenden Datenmenge zur Analyse des Interaktionsgeschehens entweder zu selten oder von zu kurzer Dauer oder zu variationsarm (z.B. Mahlzeiten, Regelspiele) sind. Wir entschlossen uns daher zur Herstellung einer Interaktionssituation, in der die Familie etwas basteln sollte. Außer der ungefähren Dauer des gemeinsamen Basteins (1 !4 Std.) und der Anwesenheit der drei Familienmitglieder während dieser Zeit im Bastelraum bestanden keine Verhaltensvorschriften, so daß die Familien in dem gesteckten Rahmen frei interagieren konnten. Mit dieser Untersuchungssituation konnte zum einen der für SCHAFFER (1984) bei der Untersuchung triadischer Interaktionen zentrale Aspekt des Verhaltens unter einer gemeinsamen Zielsetzung, zum anderen Alltagsnähe und geringer Strukturiertheitsgrad realisiert werden. Da die Wahl des Bastelvorhabens und seine Ausführung ganz der Familie überlassen blieben, konnten verschiedene Bereiche familiärer Interaktion, z.B. gemeinsame Zielfindung, Motivierung, Verhaltensregulierung, Anerkennung, Kritik, Konfliktregelung, Spiel oder Gespräche, einbezogen werden. Als Versuchspersonen nahmen an der Untersuchung sechs Familien mit einem Kind zwischen fünf und acht Jahren teil. Das Interaktionsgeschehen zwischen Vater, Mutter und Kind wurde auf Videoband aufgezeichnet. Die Aufnahmen erfolgten im Aufnahmeraum des Instituts für Psychologie über eine ferngesteuerte Kamera. Die Familien befanden sich während der Aufnahmen allein in dem Un-

Die Prüfung des Theorie-Elements «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» erfolgte in sechs Einzelfallanalysen. Jede Einzelfallanalyse besteht aus einem Interventionsexperiment, das drei Phasen vorsieht, in denen das Interaktionsgeschehen zwischen Vater, Mutter und Kind auf Videoband aufgezeichnet wird. Die erste Phase ist die Baselinephase. Sie ist in vier Phasenabschnitte untergliedert, denen jeweils Aufnahmetermine von 1 lA Std. Dauer entsprechen. Die in dieser Phase erhobenen Beobachtungsdaten werden der Berechnung des Indifferenzbereichs zugrundegelegt und dienen zudem der Identifikation des Interaktionsgefüges (s. SMN 3A) mit Hilfe von INSEDA (s. SMN 2A). Bei der zweiten Phase handelt es sich um eine Interventionsphase. In ihr wird mit einem Elternteil ein Training durchgeführt mit dem Ziel, die Frequenz von auf der Basis des für die Baselinephase identifizierten Bedingungsgefüges ausgewählten kontrollierenden Kategorien gegenüber der Ausgangslage zu steigern bzw. zu senken. Parallel zur Durchführung des Häufigkeitstrainings werden auch in dieser Phase triadische Familieninteraktionen aufgezeichnet, um mit Hilfe von Frequenzanalysen Aufschluß über den Trainingserfolg zu gewinnen. Die dritte Phase ist die Prüfphase, in der wie in Phase A in vier Phasenabschnitten Beobachtungsdaten erhoben werden. Die in dieser Phase beobachteten Frequenzverläufe werden mit den aufgrund unseres Theorie-Elements zu erwartenden verglichen. Die hierfür notwendige Berechnung der Indifferenzbereiche erfolgt auf der Basis der Werte aus den Phasenabschnitten der Baselinephase (s. SMN 4B). Auf der Grundlage dieses Untersuchungsdesigns lassen sich die in den Spezialgesetzen und in der speziellen theoretischen Nebenbedingung STN 2A festgelegten zeitlichen Relationen für das Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» in folgender Weise konkretisieren: Die Baselinephase bildet den

183

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 175-192

Zeitbereich t', der mit ti identisch ist. Die Prüfphase entspricht dem Zeitbereich t, der mit t 2 identisch ist. Jede Einzelfallstudie dauerte fünf bis sechs Wochen und umfaßte zehn Basteltermine. Während der grobe Ablauf der einzelnen Termine mit Planung und Durchführung eines Bastelvorhabens und anschließendem Aufräumen bei allen Familien ähnlich verlief, zeigten sich deutliche interfamiliäre Unterschiede in der Art, miteinander (z.B. hinsichtlich Unterstützung, Kritik, Konkurrenz, Kooperation, Koalitionsbildung) und mit der Aufgabenstellung umzugehen. Nach der Erhebung, Registrierung und Analyse der Beobachtungsdaten aus den vier Phasenabschnitten der Baselinephase erfolgte auf der Grundlage der identifizierten familienspezifischen Interaktionsgefüge die Auswahl der zu trainierenden Kategorien und des zu trainierenden Elternteils. Dieser wurde zu Beginn des Trainings gebeten, mit dem Partner und dem Kind nicht über das Training zu sprechen. Das Training selbst ist nicht Gegenstand unserer Untersuchung. Es dient lediglich dazu, die Wahrscheinlichkeit für eine Frequenzänderung einer kontrollierenden Kategorie zu erhöhen. Zu diesem Zweck wurde zunächst die in ihrer Frequenz zu verändernde Verhaltenskategorie mit den ihr zugehörigen Verhaltensweisen erläutert und in Videofilmen mit eher lobendem (wenn die Frequenz gesteigert werden sollte) oder eher kritischem (wenn die Frequenz gesenkt werden sollte) Kommentar gezeigt. Dann wurde der am Training teilnehmende Elternteil gebeten zu versuchen, das in die gelernte Kategorie fallende Verhalten bei den folgenden Videoaufnahmen möglichst häufig bzw. möglichst selten zu zeigen. Nach den Aufnahmeterminen aus der Interventionsphase erhielt er anhand der Videoaufzeichnungen Feedback über den Erfolg seiner Bemühungen. Mit diesen Schritten ist bei allen Familien eine Frequenzänderung der trainierten Verhaltenskategorie erreicht worden. In zwei Familien haben sich die Väter, in vier Familien die Mütter an dem Elterntraining beteiligt. Bis auf die Verhaltensklassen 1 (Störendes oder verletzendes Verhalten) und 6 (Neutrales, nichtaufgabenbezogenes Verhalten) sind Kategorien aller Verhaltensklassen trainiert worden. Darunter sind sowohl Kategorien, die sich auf das Kind, die Mutter oder den

Vater beziehen, als auch Kategorien, die an beide oder keinen Interaktionspartner gerichtet sind. In der auf die Interventionsphase folgenden Prüfphase fanden erneut für jede Familie vier Aufnahmetermine statt, in denen die Daten zur Prüfung der Spezialgesetze erhoben wurden. Kodierung der Eltern-Kind-Interaktion Videoband

vom

Zur Kodierung der Videofilme wurden fünf Beobachter (ein Diplomsoziologe, vier Studenten) im Alter zwischen 23 und 29 Jahren gewonnen und in der Anwendung des Beobachtungsverfahrens BEKIT 15 trainiert. Das Training erstreckte sich über sieben Wochen und umfaßte 66 Trainingsstunden. Die Kodierung der Videofilme erfolgte an einer rechnergesteuerten Videoanlage. Mit diesem System wurde die Aufnahme jedes Phasenabschnitts mit einem Zeitraster von einer Sekunde versehen. Auf der Basis dieses Sekundenrasters war es möglich, den Videofilm beim Abspielen in Zyklen einzuteilen und bestimmte Teile jedes Zyklus als Bild und andere mit einer grauen Maskierung (der Monitor blieb gleichermaßen grau) erscheinen zu lassen. Da für die Anwendung von BEKIT 15 Beobachtungseinheiten von zwei Sekunden festgelegt sind, wurde mit dem in Abbildung 3 beschriebenen Darbietungsmuster gearbeitet. Die Aufnahme eines Phasenabschnitts wurde in Zyklen von vier Sekunden zerlegt und jeder Zyklus wieder in Zwei-Sekunden-Intervalle aufgeteilt. Zum Kodieren wurde der Film im ersten Durchgang mit der Maskierung des zweiten Intervalls eines jeden Zyklus abgespielt. Der Beobachter beobachtete eine der drei Personen im ersten Intervall eines Zyklus und notierte die Kodierung im zweiten (maskierten) Intervall. Wenn der Phasenabschnitt auf diese Weise durchkodiert war, wurde die Maskierung jeweils auf die ersten Intervalle gelegt und alle zweiten Intervalle kodiert. Für die Kodierung aller drei Interaktionspartner waren somit sechs Beobachtungsdurchgänge erforderlich. Die Kodierung des Verhaltens einer Person in dem sehr kurzen Intervall von zwei Sekunden beanspruchte die gesamte Aufmerksamkeit eines Beobachters, so daß er das parallel auftretende Verhalten der beiden anderen Personen kaum verfolgen konnte. Hierdurch und durch die Mas-

184 Zeit (sec) Darbietungsmodal ität Intervall Zyklus

H

Neil et al.: Verhaltensinteraktion in Triaden

1 | 2 | 3 h | 1i | 2| |23 y| 4j | i1 | 22| 3l y j

1

~

H? 2

1

| 2 | 3 | 4 |1 V / ^ | 1 | 2 | 3 | 4 | 1 | 2

^2 3

Videoaufnahme eines

Videobild

Phasenabschnittes

Maskierung

Abb. 3: Zerlegung eines Phasenabschnittes in Beobachtungseinheiten

kierung des dem Beobachtungsintervall unmittelbar vorangehenden und nachfolgenden Intervalls war weitgehend ausgeschlossen, daß das Verhalten einer Person in Kenntnis des Verhaltens ihrer Interaktionspartner kodiert wurde. In unregelmäßigen Zeitabständen kodierten alle Beobachter, ohne daß sie dies wußten, zur Kontrolle der Genauigkeit der Kodierungen dieselben Filmausschnitte des zur Bearbeitung anstehenden Materials. Diese Kodierungen wurden mit einem Normprbtokoll verglichen und die Genauigkeitswerte für jeden Beobachter zur Überprüfung seiner Kodierleistung berechnet. Die Durchschnittswerte dieser Übereinstimmungsprüfungen sind in Tabelle 4 aufgeführt. Sie lassen deutlich werden, daß insgesamt die Beobachterleistungen zufriedenstellend ausgefallen sind. Die unterschiedliche Anzahl der einbezogenen Kodierungen ist darauf zurückzuführen, daß bestimmte Beobachter zum Zeitpunkt der Überprüfung aufgrund von Krankheit oder Urlaub nicht an den Kodierungen teilgenommen haben.

Tab. 4: Genauigkeitswerte aus der Beobachtungsdurchführung (Durchschnittliche Signierte Platzübereinstimmung in % zwischen Protokollen von Beobachtungen in allen sechs Familien und dem Normprotokoll) Beobachter

Anzahl der Kodierungen

SPÜ %

1 2 3 4 5

1724 1724 1652 1580 1580

81,8 83,4 80,6 78,5 82,8

Ergebnisse der empirischen

Überprüfung

Einen Überblick über die Ergebnisse für die sechs von uns untersuchten Familien gibt Tabelle 5. In ihr sind die theoriebezogen aufbereiteten Ergebnisse in absoluten Zahlen zusammengefaßt. Die erste Spalte der Tabelle enthält die maximale Anzahl der Kategorien, auf die die Spezialgesetze der Theorie angewendet werden können. Als Wert für Gmax ergibt sich bei allen Familien 45, da grundsätzlich jede der 15 Verhaltenskategorien von jedem der drei Mitglieder einer Familientriade zum potentiellen Anwendungsbereich der Spezialgesetze gehört. Damit diese aber tatsächlich auf den Frequenzverlauf einer Kategorie angewendet werden können, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein, die sich aus der Formulierung der Spezialgesetze ergeben. Zunächst einmal muß es sich bei der Kategorie um eine kontrollierte Kategorie handeln. Wie in der zweiten Spalte angegeben, ist diese Anwendungsvoraussetzung bei den Familien 3, 5 und 6 mit 39 Fällen am häufigsten und bei der Familie 2 mit 34 Fällen am seltensten erfüllt. Im Mittel über alle sechs Familien ist sie für 84,1% der Kategorien erfüllt. Die Anwendung der Spezialgesetze 1-6 setzt weiterhin voraus, daß bei mindestens einer der eine bestimmte Kategorie kontrollierenden Kategorien eine Frequenzänderung aufgetreten ist. Spalte 7 (OV), in der sich, von einer Ausnahme abgesehen, nur «((»-Eintragungen finden, zeigt, daß diese Voraussetzung bis auf eine Ausnahme bei FT4 für alle kontrollierten Kategorien erfüllt ist. Die Formulierung von Erwartungen hinsichtlich bestimmter Frequenzverläufe bei kontrollierten Kategorien erfordert neben der Anwendung der Spezialgesetze 1-6

185

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1988, 1 7 5 - 1 9 2 Tab. 5: Ergebnisse im Überblick: Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» Gesamtzahl der Kategorien

G raax

Anzahl der kontrollierten Kategorien

G

Anzahl der kontrollierten Kategorien, für die sich aufgrund von SGT^ 1-7 bestimmte Frequenzverläufe erwarten lassen

Total T

Erwartungen erfüllt t oder 4 = TE TEG

Erwartungen nicht erfüllt TNE

Anzahl der kontrollierten Kategorien, bei denen bei keiner kontrollierenden Kategorie eine Frequenzänderung aufgetreten ist OV

Anzahl der kontrollierten Kategorien, die unter SGT, 1-6, nicht aber unter SGT, 7 fallen

R

FT 1

45

38

34

18

14

2

0

4

FT2

45

34

32

17

13

2

0

2

FT 3

45

39

37

21

13

3

0

2

FT4

45

38

34

15

19

0

1

3

FT 5

45

39

36

18

15

3

0

3

FT6

45

39

38

19

18

1

0

1

270

227

211

108

92

11

1

15

auch die Anwendung des Kombinationsgesetzes 7. Die Anzahl der kontrollierten Kategorien, auf die Spezialgesetz 7 nicht anwendbar ist, ist in der letzten Spalte (R) enthalten. Hier sind die Fälle eingeordnet, auf die aufgrund der ersten speziellen theoretischen Nebenbedingung SGTz 7 nicht anzuwenden ist, und die Fälle, bei denen die Zahl der positiven Einflüsse der Zahl der negativen entspricht und so bei ausgeglichener Bilanz eine andere Anwendungsvoraussetzung von SGTz 7 nicht erfüllt ist. Die Gesamtzahl der Kategorien, für die sich bestimmte Frequenzverläufe erwarten lassen (Spalte 3, T), ergibt sich aus G abzüglich OV und R. Über alle Familien lassen sich für 211 von 227 kontrollierten Kategorien (93%) bestimmte Frequenzverläufe erwarten. Von diesen Erwartungen werden 108 durch eine Frequenzänderung (TE) und 92 durch ein Gleichbleiben der Frequenz (TEG) bestätigt, also 94,8%. Für elf Kategorien (5,2%) erfüllen sich die Erwartungen nicht (TNE). Die genannten Zahlen und Prozentangaben zeigen, daß für eine große Zahl von Kategorien alle Anwendungsvoraussetzungen der Spezialgesetze vorliegen und daß sich die aufgrund der Spezialgesetze formulierten Erwartungen in hohem Maße bestätigen. In Anbetracht der vielfältigen Fehlermöglichkeiten, die zwangsläufig mit den verwendeten Verfahren verbunden sind und insbesondere die statistische Validität (COOK & CAMPBELL, 1979) beeinträchtigen - unter dem Maximalwert lie-

gende Beobachtergenauigkeiten, Fehler 1. und 2. Art bei der Auswertung mit INSEDA, Spontanfluktuationen der Kategorienfrequenzen über den Indifferenzbereich hinaus - , sind die wenigen nicht erfüllten Erwartungen zu vernachlässigen. Der Versuch, das von uns formulierte TheorieElement auf die intendierte Anwendung «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» anzuwenden, kann deshalb als erfolgreich bezeichnet werden. Vergleich mit Zufallsvarianten Theorie-Elements

des

Diese Einschätzung wird weiter gestützt durch den Vergleich dieser Ergebnisse mit Ergebnissen, die an sog. Zufallsvarianten unseres Theorie-Elements gewonnen wurden. Die Zufallsvarianten unterscheiden sich von der Ursprungsvariante, also dem bisher vorgestellten Theorie-Element, nur hinsichtlich der zweiten speziellen methodischen Nebenbedingung, des Verfahrens zur Identifikation kontrollierender Kategorienbeziehungen. An die Stelle von SMN 2A tritt in den Zufallsvarianten SMN 2B: (SMN 2B) Bei der Identifikation der Anzahl fördernder und hindernder Kategorienbeziehungen ist das heuristische Verfahren INSEDA zu verwenden. Zwischen welchen Kategorien die anzahlmäßig durch INSEDA vorgebe-

186

Neil et al.: Verhaltensinteraktion in Triaden

nen fördernden bzw. hindernden Kategorienbeziehungen bestehen, wird nicht durch INSEDA, sondern per Zufall entschieden. SMN 2B macht deutlich, daß in den Zufallsvarianten die fördernden und hindernden Kategorienbeziehungen nicht durch INSEDA indentifiziert, sondern zufällig festgelegt werden. Dabei wird zwar ausgegangen von der Anzahl der durch INSEDA bei einer Familie identifizierten fördernden und hindernden Kategorien, es wird aber zufällig bestimmt, zwischen welchen Kategorien diese anzahlmäßig vorgegebenen kontrollierenden Kategorienbeziehungen bestehen sollen. Sind diese aufgrund eines Zufallsverfahrens gewonnenen Interaktionsgefüge erst einmal festgelegt, erfolgt die übrige Auswertung wie bei der Ursprungsvariante. Aus dem Vergleich zwischen den Ergebnissen der Ursprungsvariante und den Zu falls Varianten ist ersichtlich, inwieweit sich die tatsächlich festgestellten Frequenzverläufe kontrollierter Kategorien ohne die Berücksichtigung empirisch gefundener Abhängigkeiten innerhalb des Interaktionsgefüges erklären lassen. Natürlich können hier nicht die Ergebnisse aller 100 Zufallsvarianten im einzelnen präsentiert werden. Es wird deshalb nur ein Vergleich auf der Grundlage eines Bewertungskriteriums vorgenommen, in dem Größen miteinander kombiniert werden, die in der Ergebnistabelle 5 enthalten sind (zur Entwicklung dieses Index s. WESTMEYER, 1987). Der Wert für das von uns als Index 5 bezeichnete Kriterium ergibt sich aus der Gesamtzahl der Kategorien (Gmax) und aus der Anzahl erwartungskonformer (TE) und erwartungskonträrer Frequenzänderungen (TNE) von Kategorien. Ist die Anzahl erwartungskonformer Frequenzänderungen größer als die Anzahl erwartungskonträrer, nimmt er positive Werte, im umgekehrten Fall negative an. Bei gleicher Anzahl erwartungskonformer und erwartungskonträrer Frequenzänderungen wird er Null. Wir haben für jede Familientriade 100 Zufallsvarianten ausgewertet und für jede Zufallsvariante Index 5 berechnet. Eine Übersicht über die Ergebnisse und eine Gegenüberstellung mit den Werten der Ursprungsvariante bietet Tabelle 6. Betrachtet man pro Familie die minimalen und maximalen Index 5-Werte für die 100 Zufallsvarianten und vergleicht sie mit dem Index 5-Wert

Tab. 6: Vergleichende Bewertung der Bewährung des Theorie-Elements: «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-KindTriaden»: Ursprungsvariante vs. Zufallvarianten Index5-Wert für die Ursprungsvariante

Index5-Werte aus 100 Zufallsvarianten pro Familie MaximalMinimal- Modalwert wert wert

I-Tl

.228

-.037

.000

.082

FT2

.208

-.096

.000

.096

FT3

.225

-.049

.000

.120

FT4

.333

-.026

.000

.119

FT5

.170

-.037

.000

.079

FT6

.324

-.037

.000

.152

3

Index5 = (TE-TNE) /((TE + TNE)

2

• Gmax)

unserer Ursprungsvariante, wird deutlich, daß sich in keinem Fall Überschneidungen ergeben. Ganz im Gegenteil finden sich relativ große Differenzen zwischen dem Index 5-Wert der Ursprungsvariante und dem Maximalwert der Zufallsvarianten. Damit ist gezeigt, daß die Erklärung von Frequenzänderungen von Verhaltenskategorien aus triadischen Eltern-Kind-Interaktionen auf der Basis von Interaktionsgefügen, die durch INSEDA identifiziert werden, einer Erklärung auf der Basis von «zufälligen» Interaktionsgefügen weit überlegen ist. Das unterstreicht zusätzlich den empirischen Gehalt des Theorie-Elements. Ergebnisse im einzelnen An einem Beispiel wollen wir uns die Einflußnahme auf eine kontrollierte Kategorie genauer ansehen. Betrachten wir z.B. M2.3 in FT6. Abbildung 4 veranschaulicht den für die Erklärung des Frequenzverlaufs dieser Kategorie relevanten Ausschnitt aus dem Interaktionsgefüge dieser Familientriade. Aus den unter den Kategoriennamen (vgl. Tab. 3) eingezeichneten Symbolen ergibt sich der Frequenzverlauf, den die jeweiligen Kategorien in der Prüfphase genommen haben («T», wenn die Kategorienfrequenz gestiegen, «4», wenn die Kategorienfrequenz gefallen, und « = », wenn sie gleichgeblieben ist). Eine direkte Einflußnahme auf M2.3 übt im Zeitbereich t nur V2.3 aus. Alle anderen Einflußnahmen gehören in den Bereich indirekter Verhaltensbeeinflussung. Eine Selbststeuerung von M2.3 wird einmal durch K2.2, zum anderen durch K2.4 vermittelt. K2.4 vermittelt darüber

187

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 175-192

hinaus ebenso wie K5.0 Einflußnahmen von anderen Kategorien der Mutter auf M2.3. K2.4 vermittelt außerdem eine Fremdsteuerung von M2.3 durch V2.4 bzw. V4.0. Von der ebenfalls in Abbildung 4 eingetragenen Kategorie M3.3 geht, obwohl sie zum relevanten Ausschnitt aus dem Interaktionsgefüge gehört, kein Einfluß auf M2.3 aus, da sich M3.3 in ihrer Frequenz nicht verändert hat. Trotzdem ist es sinnvoll, eine solche Kategorie mit aufzuführen, da innerhalb eines Interaktionsgefüges auch andere Frequenzverläufe denkbar sind, für die die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit den Erwartungen, die aus den Spezialgesetzen SGTz 1-7 resultieren, ebenfalls gestellt und beantwortet werden kann. Abbildung 4 läßt zugleich deutlich werden, daß es im Bereich intrasituationaler dynamischer Interaktion so gut wie ausgeschlossen ist, den Frequenzverlauf einer kontrollierten Kategorie, die in ein komplexes Gefüge eingebettet ist, zu prognostizieren, wenn nur Informationen über den Frequenzverlauf einer einzigen kontrollierenden Kategorie verfügbar sind. Prognosen sind in diesem Bereich fast immer bedingte Prognosen und setzen als Bedingungen voraus, daß die Frequenzen der anderen direkt oder indirekt Einfluß nehmenden Kategorien in bestimmter Weise verlaufen. Bei Prognosen ist über das in Abbildung 4 veranschaulichte Beziehungsgeflecht hinaus zu berücksichtigen, in welchen Beziehungen die kontrollierenden Kategorien untereinander stehen. So ist zu beachten, daß ein durch ein geeignetes Elterntraining herbeigeführtes Sinken der Frequenz von V2.3 nicht nur einen negativen Einfluß auf M2.3 ausübt, sondern sich darüber hinaus auch, vermittelt über K5.1, auf M5.3 positiv auswirkt. Ob das allerdings bereits einen ver-

Abb. 4: Für die Erklärung des Frequenzverlaufs von M2.3 relevanter Ausschnitt aus dem Interaktionsgefüge von FT6

änderten Frequenzverlauf von M5.3 zur Folge hat, hängt wiederum vom Frequenzverlauf der Kategorien ab, die M5.3 sonst noch direkt oder indirekt beeinflussen können. Konkrete Angaben hierzu wären in das Bedingungsglied einer Prognose des Frequenzverlaufs von M2.3 mit aufzunehmen. Dabei kann es, gerade bei den engen Vernetzungen, wie wir sie in Triaden finden, sehr leicht geschehen, daß der größte Teil eines Interaktionsgefüges in eine solche Analyse einbezogen werden muß. Für Erklärungszwecke ist dies nicht erforderlich. So läßt sich Abbildung 3 sehr einfach in die Form bringen, die als H-O-Schema der wissenschaftlichen Erklärung bekannt ist (s. d. GROEBEN & WESTMEYER, 1981, S. 80f.). Tabelle 7 zeigt, wie eine solche Überführung aussieht. Dabei handelt es sich noch um ein für Triaden relativ einfaches Argument, bei dem am Ende nur acht positive und zwei negative Einflüsse auf M2.3 zu bilanzieren sind. Hier sind auch ganz andere Verhältnisse möglich, die zu umfänglicheren Erklärungsargumenten führen. Ein Beispiel ist M5.2 in FT2 mit einem Verhältnis von 12 positiven zu 33 negativen Einflüssen.

Diskussion Wir haben als Bestandteil einer als Spezialisierungsnetz konzipierten Theorie der Verhaltensinteraktion das Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Triaden» vorgestellt und über die Ergebnisse seiner Überprüfung im intendierten Anwendungsbereich «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-Kind-Triaden» berichtet. Üblicherweise wird an dieser Stelle die Frage der Generalisierbarkeit der Befunde, ihrer externen Validität (COOK & CAMPBELL, 1 9 7 9 ) erörtert. Eine solche Fragestellung ist jedoch innerhalb der strukturalistischen Konzeption wissenschaftlicher Theorien (STEGMÜLLER, 1 9 8 6 ) , die unserem Ansatz zugrunde liegt, unangemessen. In dieser Konzeption werden die Anwendungen einer Theorie nicht durch Generalisierung aus einem Untersuchungsergebnis erschlossen, sie gehen vielmehr als Elemente der Menge intendierter Anwendungen in die Formulierung der Theorie bzw. eines Theorie-Elements mit ein. Schon bei der Formulierung eines Theorie-Elements ist deshalb zu entscheiden, worauf es sich

Neil et al.: Verhaltensinteraktion in Triaden

188 Tab 7: Beispiel für ein Erklärungsargument triade 6)

(Familien-

M2.3 (Freundliches oder anerkennendes Verhalten gegenüber dem Kind) fördert K2.2 (Freundliches oder anerkennendes Verhalten gegenüber der Mutter). K2.2 fördert M2.3. Die Frequenz von M2.3 ist gestiegen. Die Frequenz von K2.2 ist gleichgeblieben. Spezialgesetz 3.1a M2.3 fördert K2.4 (Freundliches oder anerkennendes Verhallen, das auf keinen einzelnen Interaktionspartner gerichtet ist). K2.4 fördert M2.3. Die Frequenz von K2.4 ist gleichgeblieben. M2.4 fördert K2.4. Die Frequenz von M2.4 ist gestiegen. Spezialgesetz 3.2a V2.4 fördert K2.4. Die Frequenz von V2.4 ist gestiegen. Spezialgesetz 3.3a V4.0 (Spielerisches Verhalten) fördert K2.4. Die Frequenz von V4.0 ist gestiegen. M5.1 (Aufgabenbezogenes, an den Vater gerichtetes Verhalten) fördert K5.0 (Aufgabenbezogenes-Verhalten, das an keinen Interaktionspartner gerichtet ist). K5.0 hindert M2.3. Die Frequenz von M5.1 ist gestiegen. Die Frequenz von K5.0 ist gleichgeblieben. Spezialgesetz 4.1a M5.3 (Aufgabenbezogenes, an das Kind gerichtetes Verhalten) hindert K5.0. Die Frequenz von M5.3 ist gefallen. Spezialgesetz 5.1b V2.3 fördert M2.3. Die Frequenz von V2.3 ist gestiegen. Spezialgesetz la MEm2.3 enthält acht positive und zwei negative Einflüsse auf M2.3. Spezialgesetz 7 Die Frequenz von M2.3 ist gestiegen (oder gleichgeblieben).

beziehen soll. Und ob eine Anwendung des Theorie-Elements auf ein Element aus der ihm zugeordneten Menge intendierter Anwendungen tatsächlich möglich ist, ist keine Frage der Generalisierbarkeit, sondern des Erfolgs entsprechender Anwendungsbemühungen. Unser Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Triaden» bezieht sich nicht nur auf Verhaltensinteraktionen in Vater-Mutter-KindTriaden in der Untersuchungssituation, sondern ebenso auf Verhaltensinteraktionen in derartigen Familientriaden in anderen Situationen. Zu den

intendierten Anwendungen gehören Verhaltensinteraktionen in anders zusammengesetzten Familientriaden (Vater-Kind-Kind, MutterKind-Kind, Kind-Kind-Kind, . . . ) ebenso wie triadische Verhaltensinteraktionen außerhalb der Familie (WESTMEYER & NELL, 1987). Verhal-

tensinteraktionen in Vater-Mutter-Kind-Triaden in der Untersuchungssituation sind Elemente der paradigmatischen Beispielmenge, für die eine Anwendbarkeit des Theorie-Elements bereits erfolgreich nachgewiesen wurde. Ob dies auch für die anderen intendierten Anwendungen gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob, auf sie bezogen, geeignete spezielle methodische Nebenbedingungen formuliert und im Rahmen entsprechender Untersuchungen umgesetzt werden können. Natürlich muß darüber hinaus die beschriebene Dynamik innerhalb der identifizierten Interaktionsgefüge auch den aus den Spezialgesetzen 1-7 resultierenden Beschränkungen genügen. Vorgängig ist aber das Aufsuchen bzw. Herstellen von Situationen, in denen sich die Interaktionen zwischen den betreffenden Personen in einem hinreichend langen Zeitraum mit ausreichender Genauigkeit beobachten läßt. Dies ist schon für Triaden nicht immer leicht zu bewerkstelligen. Bei Tetraden, Pentaden usw. vervielfachen sich die Probleme, obwohl die Spezialgesetze des Theorie-Elements «Verhaltensinteraktion in Triaden» sehr einfach auf Verhaltensinteraktionen in kleinen Gruppen mit mehr als drei Mitgliedern erweitert werden können. Dazu sind nur die in Tabelle 1 vorgenommenen Zuordnungen der Verhaltenskategorienvariablen, die in den Spezialgesetzen vorkommen, zu den an der Interaktion beteiligten Personen zu ändern, der Wortlaut der Spezialgesetze selbst bleibt im wesentlichen erhalten. Eine empirische Überprüfung eines aus einer derartigen Erweiterung hervorgehenden neuen Theorie-Elements «Verhaltensinteraktion in Tetraden» ist sicher lohnend, steht aber bislang noch aus. Welche Alternativen gibt es zu dem von uns formulierten Theorie-Element «Verhaltensinteraktion in Triaden» für eine Erklärung von Ereignissen im intendierten Anwendungsbereich «Verhaltensinteraktion in Vater-Mutter-KindTriaden», wie sie sich in der Untersuchungssituation beobachten und mit Hilfe von BEKIT 15 beschreiben lassen? Diese Frage verweist auf Aspekte der internen Validität. Dabei ist davon

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 175-192

auszugehen, daß Theorie-Elemente im Unterschied zu den einfachen Bedingungshypothesen die C O O K und CAMPBELL in diesem Zusammenhang ( 1 9 7 9 , S. 51 ff.) behandeln, nur durch andere Theorie-Elemente in Frage gestellt werden können (s. auch G A D E N N E , 1 9 8 4 ) . Zu unserem Theorie-Element müßten deshalb innerhalb des Spezialisierungsnetzes zur Verhaltensinteraktion oder ausgehend von einem anderen Basiselement konkurrierende Theorie-Elemente formuliert werden, deren Spezialgesetze eine ebenso gute oder bessere Erklärung der Verhaltensinteraktionen in Vater-Mutter-Kind-Triaden in der Untersuchungssituation unter der Beschreibung mit BEKIT 15 erlauben. Wenn ein konkurrierendes Theorie-Element dem unseren an Erklärungskraft ebenbürtig ist, müßte es in seinen Annahmen (Spezialgesetzen) einfacher bzw. voraussetzungsärmer sein. Derartige konkurrierende Theorie-Elemente sind uns weder aus der Literatur bekannt, noch selbst eingefallen; verfügten wir über sie, hätten wir sie anstelle unseres Theorie-Elements präsentiert. Leichter ist es dagegen, sich schwächere Versionen auszudenken. So lassen sich die Interaktionsgefüge (unnötig) komplizieren, indem mit kontrollierenden Beziehungen nicht nur Kategorien einer Person mit Kategorien einer anderen in Verbindung gebracht werden, sondern z.B. auch Paare von Kategorien zweier Personen mit Kategorien einer dritten Person. So ergeben sich Aussagen der Form: Die Kombination von Kategorie ci des ersten und Kategorie C2 des zweiten Interaktionspartners steht in einer kontrollierenden Beziehung zur Kategorie c des dritten. Auch die Selbst- und/oder Fremdsteuerung des Verhaltens kann als nicht nur über ein Zwischenglied vermittelt konzipiert werden, eine Vermittlung über mehrere Zwischenglieder ist ebenso denkbar. Schließlich kann auch mit variierenden Lags bei der Bildung der Übergangsmatrizen gearbeitet werden. Übergänge von einer Kategorie zu einer anderen, wie sie der Identifikation kontrollierender Kategorienbeziehungen mit Hilfe von INSEDA zugrunde liegen, müssen sich nicht in unmittelbar aufeinander folgenden Zeitintervallen ereignen. Für alle diese Fälle lassen sich Spezialgesetze formulieren, von denen allerdings solange kein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist, wie sich unser Theorie-Element, das ohne sie auskommt,

189

ebenso erfolgreich auf die Elemente der Menge intendierter Anwendungen beziehen läßt. Natürlich bleiben auch dabei Wünsche offen. Mancher wird es als Mangel empfinden, daß mit Spezialgesetz 7 nur ein «Steigen oder Gleichbleiben» bzw. «Fallen oder Gleichbleiben» der Frequenz kontrollierter Kategorien erklärt werden kann. Es wird ein Frequenzverlauf von drei möglichen ausgeschlossen, welcher der beiden verbleibenden eintreten wird, bleibt offen. Es wäre sicher von Vorteil, wenn auch zwischen diesen beiden differenziert und ganz gezielt ein «Steigen», «Fallen» oder «Gleichbleiben» erwartet werden könnte. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Spezialgesetze vorwiegend qualitative und komparative Begrifflichkeiten enthalten und keine freien Parameter, daß die Daten, an denen sich die Spezialgesetze bewähren müssen, «weiche» Daten sind und daß mit dem Verhalten der an der Interaktion beteiligten Personen nicht alle auf das Verhalten einer Person Einfluß nehmenden intrasituationalen Faktoren (vgl. MAGNUSSON, 1 9 8 0 ) erfaßt werden. Dem oben bezeichneten Mangel könnte durch die Einführung eines freien Parameters in die Spezialgesetze 1-6 und eine entsprechende Änderung von Spezialgesetz 7 abgeholfen werden. In dem Parameter würde das Gewicht eines Einflusses auf eine kontrollierte Kategorie zum Ausdruck kommen. Außerdem wären die Begriffe der kontrollierenden Kategorienbeziehung und des Frequenzverlaufs einer Kategorie zu quantifizieren. Diese Maßnahmen garantieren allerdings nicht, daß ein empirisch gehaltvolleres Theorie-Element resultiert. Mit der Einführung freier Parameter geht in der Regel eine Einbuße an empirischem Gehalt einher, die sich negativ auf die Erklärungskraft eines Theorie-Elements auswirkt. Dem läßt sich wiederum durch Einschränkung des zulässigen Wertebereichs des Parameters entgegenwirken. Wir sind allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit den Erklärungsleistungen unseres Theorie-Elements durchaus zufrieden und sehen im Nachweis seiner Anwendbarkeit auf weitere Elemente der Menge intendierter Anwendungen die vordringlichere Aufgabe.

190

N e l l et al.: V e r h a l t e n s i n t e r a k t i o n in T r i a d e n

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Anhang

für K . .2 einen

Um die Anwendung der Spezialgesetze (s. Tab. 1) unter Berücksichtigung der speziellen Nebenbedingungen (s. Tab. 2) an einem einfachen Beispiel im Detail zu erläutern, gehen wir von einer auf wenige Kategorien reduzierten Fassung des Kategoriensystems B E K I T aus. In diesem B E K I T 3 (s. Tab. 8) wird das Verhalten jedes Interaktionspartners nur noch mit drei Kategorien beschrieben, die lediglich Richtungsangaben enthalten. Nehmen wir Familientriade FT3. Durch die Anwendung von I N S E D A (SMN 2A) g e m ä ß S M N 3A (es gibt in diesem Fall 6 Interaktionsrichtungen und 9 statistische Tests pro Interaktionsrichtung, also s = 9) auf die durch Verwendung von B E K I T 3 gewonnenen Beobachtungsdaten aus dem Zeitbereich t' ( = ti a u f g r u n d von STN 2A), ergibt sich die in Tabelle 9 dargestellte Interaktionsstruktur in der FT3 im Zeitbereich t ' . In der letzten Zeile dieser Tabelle ist der Frequenzverlauf jeder Kategorie in t2 ( = t a u f g r u n d von STN 2A) relativ zu ti angegeben. Er ergibt sich durch Vergleich der beobachteten Kategorienfrequenzen in t2 mit den auf der Basis der Kategorienfrequenzen in ti gemäß S M N 4B errechneten Indifferenzbereichen.

Für die A n w e n d u n g von SGTz3.1 ist es erforderlich, d a ß M . . 1 von einer V- oder K-Kategorie gefördert wird, deren Frequenz sich nicht verändert hat, die aber selbst von M . . 1 gefördert wird. V . . 2 fördert M . . 1 und wird selbst von M . . 1 gefördert. Die Frequenz von V . .2 ist gleichgeblieben. Aufgrund von SGT3.1b ergibt sich d a r a u s ein zweifach negativer

Tab. 8: B E K I T 3 Kategorien zur Erfassung des Verhaltens

Für die A n w e n d u n g von SGTz4.1 ist es erforderlich, d a ß M . . 1 von einer V- oder K-Kategorie gehindert wird, deren Frequenz gleichgeblieben ist, die aber selbst von einer von M . . 1 verschiedenen M-Kategorie gefördert wird, bei der es zu einer F r e q u e n z ä n d e r u n g g e k o m m e n ist. N u r K . . 4 ist eine solche M . . 1 hindernde Kategorie. Ihre Frequenz hat sich nicht verändert, sie wird von M . .4 gehindert, u n d die Frequenz von M . . 4 ist gestiegen. A u f g r u n d von SGTz4.1a ergibt sich daraus ein negativer Einfluß auf M . .1.

M / K . .1 V/K. .2 V / M . .3 V / M / K . .4

negativen

Einfluß

auf M . .1, SGTz2b f ü r

V. .4 einen positiven Einfluß auf M. .1.

An An An An

V gerichtetes Verhalten M gerichtetes Verhalten K gerichtetes Verhalten keinen einzelnen gerichtetes Verhalten

Betrachten wir z.B. die Kategorie M . .1, deren Frequenz in t2 relativ zu ti gefallen ist, u n d verfolgen wir, wie sich die Spezialgesetze des Theorie-Elements auf diese Kategorie anwenden lassen. M . . 1 ist zunächst f ü r die Kategorie c in den Spezialgesetzen einzusetzen. Es ist d a n n zu p r ü f e n , ob SGTzl-6 auf M . . 1 a n w e n d b a r sind. Für die A n w e n d u n g von SGTzl ist es erforderlich, daß M . . 1 von einer Vater- oder Kind-Kategorie gefördert wird, deren Frequenz gestiegen oder gefallen ist. M . . 1 wird von V . . 2 u n d K . . 1 gefördert, aber nur K . . 1 hat sich in ihrer Frequenz geändert (-1). Es kann also SGTzlb angewendet werden. Daraus ergibt sich ein negativer Einfluß auf M . .1. Für die A n w e n d u n g von SGTz2 ist es erforderlich, daß M . . 1 von einer V- oder K-Kategorie gehindert wird, deren Frequenz gestiegen oder gefallen ist. M . . 1 wird von V. . 4, K . . 2 u n d K . . 4 gehindert. Die Frequenz von V . . 4 ist gefallen, die von K . .2 gestiegen, die von K . . 4 gleichgeblieben. SGTz2 kann also zweimal angewendet werden. SGTz2a ergibt

Einfluß auf M. .1. Für die A n w e n d u n g von SGTz3.2 ist es erforderlich, d a ß M . . 1 von einer V- oder K-Kategorie gefördert wird, deren Frequenz sich nicht verändert hat, die aber selbst von einer von M . . 1 verschiedenen M-Kategorie gefördert wird, bei der es zu einer Frequenzänderung g e k o m m e n ist. Eine solche Voder K-Kategorie gibt es nicht. Für die A n w e n d u n g von SGTz3.3 ist es erforderlich, d a ß M . . 1 von einer V- bzw. K-Kategorie gefördert wird, deren Frequenz sich nicht verändert hat, die aber selbst von einer K- bzw. V-Kategorie gefördert wird, bei der es zu einer Freq u e n z ä n d e r u n g gekommen ist. N u r V . . 2 ist eine solche M . . 1 fördernde Kategorie. Sie wird von K . . 1 gefördert, u n d die Frequenz von K . . 1 ist gefallen. A u f g r u n d von SGTz3.3b ergibt sich daraus ein negativer Einfluß auf M . .1.

Für die A n w e n d u n g von SGTz4.2 ist es erforderlich, d a ß M . . 1 von einer V- bzw. K-Kategorie gehindert wird, deren Frequenz sich nicht verändert hat, die aber selbst von einer K- bzw. V-Kategorie gefördert wird, bei der es zu einer Freq u e n z ä n d e r u n g gekommen ist. Eine solche V- bzw. KKategorie gibt es nicht. Für die A n w e n d u n g von SGTz5.1 ist es erforderlich, d a ß M . . 1 von einer V- oder K-Kategorie gefördert wird, deren Frequenz sich nicht verändert hat, die aber selbst von einer M . . 1 verschiedenen M-Kategorie gehindert wird, bei der es zu einer F r e q u e n z ä n d e r u n g gekommen ist. N u r V . . 2 ist eine solche M . . 1 f ö r d e r n d e Kategorie. Ihre Frequenz hat sich nicht verändert, sie wird von M . . 3 gehindert, u n d die Frequenz von M . . 3 ist gestiegen. A u f g r u n d von SGTz5.1a ergibt sich d a r a u s ein negativer Einfluß auf M . .1. Für die A n w e n d u n g von SGTz5.2 ist es erforderlich, d a ß M . . 1 von einer V- bzw. K-Kategorie gefördert wird, deren

192

Neil et al.: Verhaltensinteraktion in Triaden Tab. 9: Interaktionsstruktur der FT3 im Zeitbereich t' (Zeilenkategorie fördert, wenn F, bzw. hindert, wenn I in der Zelle steht, Spaltenkategorie) V..2

V..3

V..4

V. .2 V. .3 V. .4

F I

M. .1 M..3 M. .4

F I

K. .1 K. .2 K. .4

F I

Frequenzverlauf in t 2

M..1 M..3

I F

t

I I F

M..4

K..2

F

I

K..4

F

I F I I F

F I I

I F

I F F

l

i

t

t

Frequenz sich nicht verändert hat, die aber selbst von einer K- bzw. V-Kategorie gehindert wird, bei der es zu einer Frequenzänderung gekommen ist. Nur V . . 2 ist eine solche M . . 1 fördernde Kategorie. Ihre Frequenz hat sich nicht verändert, sie wird von K. .2 gehindert, und die Frequenz von K. .2 ist gestiegen. Aufgrund von SGTz5.2a ergibt sich daraus ein negativer Einfluß auf M . . 1. Für die Anwendung von SGTz6.1 ist es erforderlich, daß M . . 1 von einer V- oder K-Kategorie gehindert wird, deren Frequenz sich nicht verändert hat, die aber selbst von M . . 1 gehindert wird. Nur K . . 4 ist eine solche Kategorie. Ihre Frequenz ist gleichgeblieben, und sie wird selbst von M . . 1 gehindert. Aufgrund von SGTzö.lb ergibt sich daraus ein zweifach negativer Einfluß auf M . . 1. Für die Anwendung von SGTz6.2 ist es erforderlich, daß M . . 1 von einer V- oder K-Kategorie gehindert wird, deren Frequenz gleichgeblieben ist, die aber selbst von einer von M . . 1 verschiedenen M-Kategorie gehindert wird, bei der es

K..1

I

F

F I I

I F F

4

t

I I

zu einer Frequenzänderung gekommen ist. Eine solche Voder K-Kategorie gibt es nicht. Für die Anwendung von SGTz6.3 ist es erforderlich, daß M . . 1 von einer V- bzw. K-Kategorie gehindert wird, deren Frequenz gleichgeblieben ist, die aber selbst von einer K- bzw. V-Kategorie gehindert wird, bei der es zu einer Frequenzänderung gekommen ist. Eine solche V- bzw. K-Kategorie gibt es nicht. Damit sind alle Spezialgesetze 1-6 in bezug auf ihre Anwendbarkeit überpüft und, soweit möglich, angewendet worden. Es haben sich dabei insgesamt ein positiver Einfluß und zehn negative Einflüsse auf M . . 1 ergeben. Aufgrund von SGTz7b folgt daraus, daß die Frequenz von M . . 1 in (im Vergleich zu t • > gefallen (oder gleichgeblieben) sein wird. Die theoretische Erwartung stimmt mit dem beobachteten Frequenzverlauf überein, so daß Kategorie M . . 1 als TE-Fall (s. Tab. 5) verbucht werden kann.

193

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1988, 193-201

Empirie Generalisierte Kontrollüberzeugungen als verdeckte politische Einstellungen HORST PFRANG u n d JOSEF SCHENK Universität Würzburg Eine Durchsicht der Skalen zur Messung generalisierter Kontrollüberzeugungen legte die Hypothese nahe, daß diese neben Erwartungen (wahrgenommenen Verhaltens-Verstärkungs-Kontingenzen) auch Bewertungen (Zustimmung oder Ablehnung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung) erfassen. In einer Stichprobe von Rekruten (JV= 861) können entsprechende Korrelationen in mittlerer Höhe zwischen «External» und «Politischer Entfremdung» und «Internal» und «Konservatismus» nachgewiesen werden. Die Analyse von Subskalen und Einzelaussagen verweist darauf, daß die Zusammenhänge auf gemeinsame ähnliche Aussagen und auf gemeinsame Drittvariablen («Meritokratie», «Machtlosigkeit») zurückzuführen sind. Bei Einsatz in ROTTERS Erwartungs-Wert-Formel würde im Widerspruch zur Theorie ein klar erfasster Wert («Verstärkungswert») mit einem unklar erfaßten Wert kombiniert. Die fehlende Validität der Skalen resultiert letztlich aus Fehlern der RorTERschen Theorie: Auf generalisierter Ebene sind Kontrollüberzeugungen notwendigerweise Bewertungen und Bestandteil politischer Ideologien und allgemeiner Menschenbilder. Es wird empfohlen, ROTTERS Ansatz aufzugeben.

In reviewing the items of scales measuring generalized expectancies of internal versus external Locus of Control, the hypothesis was proposed that these scales may assess political evaluations indirectly. In a sample of recruits (W= 861) confirming correlations could be shown between «Internal Control» and «Conservatism», and between «External Control» and «Political Alienation». The high correlations could be attributed to common elements (similar items) and common variables («Meritocracy», «Powerlessness»). Contrary to ROTTERS expectancy-value theory two values would be combined when using his formulae: an explicit value («value of reinforcement») and a vague value (IE). The lack of validity of IE-scales is considered as a failure of ROTTERS theory: On the generalized level control beliefs are necessarily evaluations and a part of political ideologies or everyday-philosophical conceptions of man and the world.

1. Problemstellung

In früheren Arbeiten zur Logik der RorTERschen Theorie und Methodik zeigte sich, daß die Operationalisierung der «Umsetzungs»-Variable nur ungenügend gelungen ist. Die I-E-Skala (ROTTER, 1966) sowie weitere Skalen zur Messung von Kontrollüberzeugungen weisen so schwerwiegende Mängel auf, daß sie als Forschungsinstrumente nahezu unbrauchbar sind (SCHENK,

D i e s o z i a l e L e r n t h e o r i e ROTTERS ( 1 9 5 4 ,

1982)

hebt sich von der klassischen Einstellungsforschung dadurch ab, daß ROTTER neben die Einstellung zum Gegenstand die Messung der Überzeugung des Individuums stellt, seine Einstellung erfolgreich umsetzen zu können (ROTTER, 1972). In seiner Formel zur Verhaltensvorhersage tritt somit neben eine auf einen konkreten Inhalt bezogene Wert-Variable eine formale «Umsetzungs»-Variable, die im Fall der generalisierten Kontroll-Überzeugung nicht das Objekt der Handlung, sondern die Person des Handelnden beschreibt. Die Einbeziehung dieser formal-kognitiven Variablen ist das Besondere an ROTTERS Ansatz.

1979; PFRANG & S C H E N K , 1 9 8 3 ; S C H E N K e t a l . ,

1985; PFRANG, in Druck). Es ist möglich, Skalen zu entwickeln, die eine stringente Logik besitzen und z.B. dem Postulat der Bipolarität zwischen internaler und externaler Überzeugung genügen (HOFFMANN & S C H E N K , 1 9 8 5 ) . I n w e i t e r e n A r b e i -

ten konnte gezeigt werden, daß die bisherige Verknüpfung der inhaltlich-bewertenden und der formal-kognitiven Variablen in ROTTERS Formel

194 unpräzise ist und die übliche Praxis der direkten Korrelation von Kontrollüberzeugung mit Verhalten im Widerspruch zu ROTTERS Theorie steht (SCHENK e t a l . , 1 9 8 5 ; PFRANG & SCHENK, 1 9 8 5 ; PFRANG & SCHENK, 1986). Im Sinne dieses Ansatzes muß Kontrollüberzeugung als ModeratorVariable behandelt werden (PFRANG & SCHENK, 1986). Diese Analysen machen deutlich, warum die bisherigen Forschungsergebnisse so unbefriedigend sein mußten und ließen erwarten, daß ein theorie- und methodenbewußteres Vorgehen zu besseren Ergebnissen führen würde. Nach einer nochmaligen, weitergehenden Analyse zweifeln wir jedoch grundsätzlich an der Tragfähigkeit des Ansatzes von ROTTER. Nach unserer Ansicht ist der Grundsatz von ROTTER, neben eine inhaltliche Variable eine rein formale Variable zu stellen, verfehlt. Es erscheint uns nicht möglich, eine solche formale, bewertungsfreie Variable mit einer Skala zu erfassen. Stattdessen wird unwissentlich und damit unkontrollierbar doch wiederum die Einstellung zu einem Gegenstand i.S. der Bewertung dieses Gegenstandes erfaßt, wobei die Einstellungsobjekte in vorliegenden Skalen die Welt generell, der Mensch oder das Leben an sich, die Gesellschaft sowie diverse andere Objekte sind. Abstraktheit oder Heterogenität des Gegenstands ändern nichts an der Tatsache, daß der Beurteiler sich notwendigerweise auf ein Objekt bezieht und beziehen muß. Wenn dem aber so ist, so entspricht ROTTERS Variable der generalisierten Kontrollüberzeugung letztlich in einer wenig transparenten Form Weltanschauungen, Menschenbildern oder Ideologien. Die Praxis seines Ansatzes liefe dann darauf hinaus, daß er eine mehr oder weniger präzis erfaßte Einstellung (Wert-Variable) mit einer diffus erfaßten Einstellung kombiniert. Trifft dies zu, so fiele das Neuartige am Ansatz von ROTTER, sein Ansatz erwiese sich als Denkfehler. «Kontrollüberzeugung» wäre dann keine Moderatorvariable, sondern könnte direkt mit Verhalten korreliert werden.

Im folgenden soll der Fehler ROTTERS - die Wertinhalte in den Kontrollüberzeugungen übersehen zu haben - am Beispiel politischer Einstellungen erläutert werden: Aussagen aus Kontrollüberzeugungsskalen erfassen implizit oder explizit die Bewertung gesellschaftlicher Verhältnisse und damit politische Einstellungen. Internale

Pfrang & Schenk: Kontrollüberzeugung als Bewertung

Aussagen entsprechen zum Teil den Konzepten des Liberalismus und Konservatismus, externale dem Konzept der Entfremdung. Die RoTTER-Skala korreliert (meist in mittlerer Höhe) mit der «Just World Scale» (RUBIN & PEPLAU, 1975; ZUCKERMAN & GERBASI, 1977a, b), der «Protestant Ethic Scale» (MIRELS & GARETT, 1971) sowie der «Interpersonal Trust Scale» (ZUCKERMAN & GERBASI, 1977a). Man könnte nun argumentieren, eine generalisierte internale Kontrollüberzeugung setze die Wahrnehmung einer geordneten, gerechten und durch eigene Handlungen gestaltbaren Welt voraus, in der man sich auf andere Menschen und auf Institutionen verlassen kann und in der sich Anstrengung und Wettbewerb lohnen, da jeder das erhält, was er aufgrund seiner Leistung verdient. Der Selbstwahrnehmung des Internalen entspräche notwendigerweise diese Weltwahrnehmung. Dadurch würde die Logik ROTTERS nicht verletzt, da in beiden Fällen Wahrnehmungen vorlägen. Jedoch ist Erfolg durch harte Arbeit im offenen Wettbewerb mit anderen zum gemeinsamen Nutzen aller im Rahmen einer konservativ-liberalen Einstellung auch als zentraler Wert oder als Bewertung verstehbar. Die internal formulierten Aussagen der RorTER-Skala sowie anderer Kontrollüberzeugungskalen erfassen implizit oder explizit diese Wertung (Itembeispiel aus ROTTERS Skala: «Auf die Dauer gesehen bekommt jeder die Anerkennung, die er verdient»; «Unsere Fehlschläge sind entweder auf Unfähigkeit, Unwissenheit oder Faulheit, oder auf alle drei zurückzuführen»), Die Korrelation mit Skalen liberalkonservativen Inhalts kann dann durch Itemüberlappung sowie der inhaltlichen Ähnlichkeit vieler Aussagen erklärt werden. Das wird z.B. deutlich im Vergleich der internalen Aussagen und der «Just World Scale» (Itembeispiel: «Schüler erhalten in der Schule immer die Noten, die sie verdienen») von RUBIN und PEPLAU (1975). In Likert-Versionen der RorTER-Skala ergibt sich regelmäßig ein Faktor, der fast ausschließlich aus internal formulierten Aussagen besteht und als «Glaube an eine gerechte Welt» bezeichnet wird (z.B. COLLINS, 1974). Es wäre nun zu erwarten, daß Kontrollüberzeugungsskalen auch direkt mit Konservatismusskalen korrelieren. Die Befunde sind aber inkonsistent und die Richtung des Zusammenhangs ist eine Folge der unterschiedlichen Defini-

195

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1988, 193-201

tionen von Konservatismus. Wird Konservatismus fälschlicherweise primär als Ablehnung und Unmöglichkeit der rationalen Aufarbeitung der Lebensverhältnisse, als Mißtrauen gegenüber der Natur und den Fähigkeiten des Menschen, verbunden mit einem Bedürfnis nach Ordnung operational definiert (CLOETTA, 1983), so verwundert eine positive Korrelation mit Externalität nicht ( K R A M P E N , 1979; 1980). Der Externale bewertet die Welt als komplex und schwer durchschaubar und mißtraut anderen Menschen. AntiRationalismus ist aber eher ein Kennzeichen der Rechtsextremen als der Konservativen (z.B. ASHFORD, 1983). Wird unter konservativ die Zustimmung zur Leistungsgesellschaft verstanden, der Wunsch nach Aufstieg, die Betonung von Ehrgeiz, Fähigkeit und Selbstkontrolle ( F I N K & HJELLE, 1973), oder die Zustimmung zur Leistung, die Ablehnung des Sozialstaates (leistungsunabhängige Gratifikationen), sowie die aktive Verteidigung dieser gerechten Ordnung nach Innen und Außen (ZUCKERMAN & GERBASI, 1977a), so sind Internale konservativer als Externale. Im Unterschied zu Konservatismus beziehen sich Entfremdung oder Anomia auf die negative Bewertung gesellschaftlicher Zustände, auf Macht- und Normlosigkeit und Isolation (FISCHER, 1 9 7 0 ) . Mit unterschiedlichen I-E Skalen und unterschiedlichen Entfremdungsskalen konnten meist Zusammenhänge in mittlerer Höhe in der erwarteten Richtung (je externaler desto entfremdeter) nachgewiesen werden (z.B. WOLFE, 1 9 7 2 ; TOLOR, 1 9 7 4 ; RAY, 1 9 8 0 ; PFRANG &

Der Entfremdete lehnt diese Gesellschaft und ihre Repräsentanten ab und externale Kontrollüberzeugung kann als ein Entfremdungsmaß und damit als eine Bewertung der existierenden Gesellschaft angesehen werden. SCHENK, 1 9 8 3 ) .

Es erscheint uns bereits durch die inhaltliche Analyse der Kontrollüberzeugungsskalen evident, daß diese letztlich Einstellungsskalen traditioneller Art sind und damit der theoretische Ansatz von ROTTER keine Basis hat. Zur Illustration dieses Sachverhalts soll jedoch eine empirische Studie vorgestellt werden. Wir gehen dabei davon aus, daß internale Kontrollüberzeugung und Konservatismus die Variable Gerechte Welt und externale Kontrollüberzeugung und Politische Entfremdung die Variable Machtlosigkeit gemeinsam haben und somit a, zwischen diesen

Variablen bedeutsame positive Korrelationen nachweisbar sind, b, der Externale durch politische Entfremdung, der Internale durch Konservatismus gekennzeichnet sind und c, die Kontrollüberzeugungsskalen als Einstellungsskalen wie die politischen Skalen mit Verhalten korrelieren.

2. Methodik Stichprobe Die Stichprobe besteht aus 861 Soldaten. Aufgrund der Stichprobenzieheung ( S C H E N K , 1979) sind Abiturienten mit 34% überproportional vertreten (14% Fachoberschüler, 12% Realschule oder Gymnasium mit oder ohne mittlere Reife und 39% Volksschule). Die großen Konfessionen sind in etwa gleich stark vertreten (Katholiken 49%, Protestanten: 46%). Skalen Kontrollüberzeugungen Kontrollüberzeugungen werden mit zwei unipolaren Derivaten der RorTER-Skala «Internal» (Cronbach's Alpha: .83) und «External» (Cronbach's Alpha: .78) mit je 15 Aussagen erfaßt ( S C H E N K , 1979). «Internal» enthält in der Langform noch sechs Originalaussagen und «External» acht. Im Unterschied zu ROTTER fehlt die direkte und starke Konzentration auf Politik und Leistung. Beide Skalen korrelieren nicht bedeutsam miteinander (r=.02). Um zu kontrollieren, ob die erwarteten Korrelationen allein auf die neu formulierten Aussagen zurückzuführen sind, und möglicherweise mit den Original-Aussagen nicht nachweisbar sind, wurden Skalen konstruiert, die nur die verbliebenen OriginalAussagen enthalten. Zusätzlich sind die Aussagen der Skalen «Internal» und «External» nach Inhalt getrennt skaliert worden, um so die Bedeutung des politischen Inhalts besser demonstrieren zu können. «Meritokratie» besteht aus sieben Aussagen der Skala «Internal», in denen die Bewertung der Gerechtigkeit der Verteilung von Gratifikationen direkter thematisiert wird als in anderen Aussagen (Direkt: «Auf die Dauer gesehen bekommt jeder die Anerkennung, die er verdient» vs. Nichtdirekt: «Es war für mich immer besser, klare Ent-

196

Scheidungen zu treffen, als mich auf das Schicksal zu verlassen»). «Machtlosigkeit» besteht aus vier Aussagen der Skala «External», die das Thema direkter erfassen als andere Aussagen (Direkt: «Wir sind alle dem, was in der Welt geschieht, ausgeliefert, ohne daß wir es ändern können»; Nicht-direkt: «Die meisten Leute machen sich gar nicht klar, wie sehr ihr Leben vom Zufall abhängt»). Die jeweils verbleibenden weniger direkten Aussagen werden als «Rest-Internal» bzw. «Rest-External» bezeichnet.

Politische Einstellungen und Verhalten Zur Messung politischer Entfremdung werden die Skalen «Politische Entfremdung», «Politik als Störfaktor» und «Unpolitische Haltung» von ELLWEIN und ZOLL (1973) eingesetzt. Politischweltanschauliche Orientierung wird mit drei Skalen erfaßt: «Konservatismus» und «Klerikalismus» (SCHENK, 1980) sowie «Militarismus-Pazifismus» (FESER, 1972). Unterschiediche Aspekte politischen Verhaltens werden mit den Skalen «Passive politische Teilnahme», «Individuelle politische Teilnahme» und «Demonstrative politische Teilnahme» erfaßt (ELLWEIN & ZOLL, 1973).

Auswertung Die Auswertung erfolgt mit Produkt-MomentKorrelationen und Goodman-Kruskals Gamma. Aufgrund der Stichprobengröße wird als Signifikanzgrenze das Ein-Promille-Niveau gewählt.

3. Ergebnisse

Pfrang & Schenk: Kontrollüberzeugung als Bewertung

anderen Entfremdungsskalen signifikant, aber mit diesen korreliert auch «Internal», wobei der Koeffizient für «Internal» bei «Unpolitische Haltung» sogar etwas höher liegt als für «External». Auf dieses Problem wird bei der Analyse der Einzelaussagen noch eingegangen. Sehr eindeutig gelingt die Zuordnung der Skala «Internal» im Bereich politisch-weltanschauliche Orientierung. Sie korreliert nicht signifikant mit «Klerikalismus», eine Einstellung, die unabhängig von Konservatismus ist (SCHENK, 1980), und niedrig positiv und signifikant mit «Militarismus-Pazifizismus», mit der aber auch «External» signifikant korreliert. Das Korrelationsmuster der beiden unipolaren Skalen läßt sich auch mit den Aussagen reproduzieren, die aus der RoTTER-Skala verblieben sind, d.h. die Korrelationen können nicht auf die zusätzlich formulierten Aussagen zurückgeführt werden. Tab. 1: Produkt-Moment-Korrelationen zwischen Kontrollüberzeugungsskalen und politischen Einstellungen (N = 861) Kontrollüberzeugungsskalen Einstellungs-

SCHENK & PFRANG

R o T T E R - I t e m s in

Skalen

Skalen

SCHENK & PFRANG

External

1. Politische Entfremdung Politische .09 Entfremdung .55* Politik als .17* Störfaktor .48* Unpolitische Haltung .29* .43*

Die Produkt-Moment-Korrelationen der Kontrollüberzeugungsskalen zu den Bereichen politische Entfremdung und politisch-weltanschauliche Orientierung sind in Tabelle 1 dargestellt. Inhaltlich können die erwarteten differentiellen Korrelationen der unipolaren Skalen größtenteils nachgewiesen werden. Mit der Skala «Politische Entfremdung» korreliert nur die Skala «External» signifikant und in mittlerer Höhe, mit der Skala «Konservatismus» nur die Skala «Internal». «External» korreliert auch mit den beiden

Skalen External

Internal

.53*

-.02

.47*

.08

.30*

.31*

2. Politisch-Weltanschauliche Orientierung .52* .10 Konservatismus .08 .08 -.12 Klerikalismus -.06 Militarismus .14* .12* .25* Pazifismus Anmerkung:

3.1 Korrelationen der Kontrollüberzeugungsskalen mit politischen Einstellungen

Internal

.45* .09 .19*

*p=.25 als Selektionskriterium festgelegt. Zur Illustration des bewertenden Inhalts sind Beispiele angegeben. Bezüglich «Externale Kontrollüberzeugung» erfüllen alle zwölf Aussagen der Skala «Politische Entfremdung», sechs der acht «Politik als Störfaktor», eine der acht der Skala «Unpolitische Haltung» und eine der 27 Aussagen der Skala «Konservatismus» das Kriterium. Die Aussagen der Skala «Politische Entfremdung» sind eine Mischung aus direkt external formulierten Sätzen («Es hat wenig Sinn, an Abgeordnete zu schreiben, weil sie sich wenig für die Probleme des kleinen Mannes interessieren») und Sätzen, in denen der «kleine Mann» als machtloses Opfer zynischer und desinteressierter Politiker erscheint (z.B. «Die Bevölkerung wird sehr oft von den Politikern betrogen»). Hilflosigkeit, Mißtrauen und Ablehnung gegenüber politischen Parteien und der Politik generell werden in den sechs Aussagen der Skala «Politik als Störfaktor» ausgedrückt (z.B. «Leider bringen die politischen Parteien meist nur Unruhe in die Bevölkerung»), Externale Kontrollüberzeugung bedeutet damit auch die Überzeugung des Ausgeliefertseins und der Machtlosigkeit gegenüber der Politik. Ähnliche Überzeugungen müßten gegenüber dem ökonomischen System bestehen und mit der einzigen Aussage der analysierten Skalen, die Machtlosigkeit zum Inhalt hat, korreliert «External» erwartungsgemäß positiv («in jedem kapitalistischen Land werden die Arbeiter von den Fabrikbesitzern ausgebeutet; . . . » Invers zu verrechnende Aussage aus «Konservatismus»). Bei «Internal» erfüllen zwölf der 27 Aussagen der Skala «Konservatismus», fünf der acht Aussagen der Skala «Unpolitische Haltung» und eine der 20 Aussagen der Skala «MilitarismusPazifismus» das Kriterium. Die höchsten Korre-

197 lationen ergeben sich mit sozioökonomischen Aussagen: «In einem kapitalistischen Land hat jeder eine gute Chance, reich zu werden» (r= .47) und «Es muß immer Arme und Reiche geben» (r=.38). Diese Aussagen erfassen Meritokratie direkt. Die zweithöchsten Korrelationen ergeben sich bei vier Aussagen zur Verbrechensbekämpfung (zwischen .31 und .38), die sich dadurch auszeichnen, daß eine aktive, auf Vergeltung zielende Haltung eingenommen wird (z.B. «Die Gesellschaft muß sich vor dem Verbrecher schützen - wenn es sein muß, mit schärfsten Maßnahmen»), Die nächst höchsten Korrelationen (zwischen .27 und .34) ergeben sich mit acht Aussagen, in denen den selbst gewählten Interessenvertretern und den Repräsentanten des Staates generell das Vertrauen ausgesprochen («Die Regierenden haben einen berechtigten Anspruch auf das Vertrauen ihrer Wähler») und eine kämpferische Haltung zur Verteidigung des Staates gegen unqualifizierte Kritiker eingenommen wird (z.B. «Wer dauernd durch Demonstrationen zeigt, daß ihm etwas nicht paßt, sollte doch lieber gleich unseren Staat verlassen»). Drei Aussagen (Korrelationen zwischen .26 und .30) beziehen sich auf außenpolitische Sicherheit durch eine Politik der Stärke (aus «Konservatismus»: «Der Frieden kann nur durch eine Politik der Stärke gesichert werden»). Die Inhalte der Aussagen belegen, daß sich eine liberal-konservative Haltung und internale Kontrollüberzeugung so stark überlappen, daß ein Teil der Aussagen zur Messung des einen Konstrukts das andere gleichzeitig miterfasst. Die Zustimmung zu anderen Aussagen folgt aus der Bejahung der bestehenden Ordnung: Zum Schutze der Gesellschaft sind innen- (Verbrecher, Kritiker) und außenpolitische Feinde zu bekämpfen, um die gewachsene Ordnung zu verteidigen. Die inhaltliche Einordnung der Skalen «Internal» und «External» im Rahmen politischer Einstellungen entspricht den Erwartungen. Die Skala «Unpolitische Haltung», d.h. die Ablehnung kritischen Engagements, kann nicht eindeutig dem Entfremdungsbereich zugeordnet werden: Die Verteidigung der repräsentativen Demokratie und ihrer Vertreter gegen eine Politik der Straße ist stärker ein Thema des Konservativen und Internalen, der seine geordnete Welt durch Kritik nicht stören lassen will.

198 3.3 Anmerkungen zur Stärke des Zusammenhangs Die Analyse der einzelnen Aussagen verweist darauf, daß die Korrelationen zwischen Kontrollüberzeugungsskalen und Konservatismus bzw. Politische Entfremdung zum Teil durch gemeinsame Elemente (ähnliche Aussagen) und zum Teil durch gemeinsame inhaltliche, bewertende Variablen erklärt werden können («Gerechte Welt» und «Machtlosigkeit»). Die Vorgehensweise KRAMPENS (1987, S. 152), der die quadrierte Korrelation (16% gemeinsame Varianz) als Maß der «Konfundierung» zwischen Gerechter Welt und der RorTER-Skala verwendet, ist in diesem Fall nicht gerechtfertigt. Itemüberlappung und gemeinsame Variablen sind der Reliabilität zuzurechnen und der Produkt-MomentKorrelationskoeffizient könnte bei vollständigem Zutreffen dieses Spezialfalls direkt als Maß der gemeinsamen Varianz interpretiert werden: Die gemeinsame Varianz von Konservatismus und Internale Kontrollüberzeugung wäre dann 52% und die von Entfremdung und externaler Kontrollüberzeugung 55%. Da die Skalen neben «Gerechter Welt» oder «Machtlosigkeit» auch andere Variablen enthalten, muß von mehreren korrelierenden Variablen ausgegangen werden, und die Frage nach der gemeinsamen Varianz kann nicht mehr durch eine einzige Zahl beantwortet werden. Als Alternative bietet sich die Güte der Vorhersage an. Bei Kenntnis des Rangs in der einen Skala läßt sich der Rang der Person in der anderen Skala gut vorhersagen. Zieht man aus der Stichprobe zufällig zwei Versuchspersonen und die zweite Vp hat z.B. einen höheren Wert in «Internal» als die erste, so ist sie mit einer Wahrscheinlichkeit von .75 auch konservativer (und umgekehrt), wenn keine Bindungen vorliegen. Hat die zweite Vp einen höheren Wert in «External» als die erste Vp, so ist sie mit einer Wahrscheinlichkeit von .79 auch politisch entfremdeter als die erste. In beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeit der Vorhersage derselben Reihenfolge um etwas mehr als .50 höher als die Vorhersage der umgekehrten Reihenfolge (InternalKonservativ: Gamma .52; External-Politische Entfremdung: Gamma .56). Betrachtet man neben der Rangreihe die absolute Höhe der Werte in den politischen Skalen,

Pfrang & Schenk: Kontrollüberzeugung als Bewertung

so ergibt sich, daß die «Externalen» (obere 23% der Verteilung der Skala «External») im Durchschnitt entfremdet und die «Internalen» (obere 23% der Verteilung der Skala «Internal») konservativ sind. Der Mittelwert der Externalen in der Skala «Politische Entfremdung» beträgt M= 29.3 und liegt damit über dem theoretischen Mittelwert (M= 24). Der Mittelwert der Internalen in der Skala «Konservatismus» beträgt M= 121.2 und liegt auch über dem theoretischen Mittelwert (M= 108). Die Nicht-Internalen (untere 23%) sind auch nicht konservativ (M= 89.9) und die Nicht-Externalen nicht entfremdet (M= 19.7), da beide Mittelwerte im ablehnenden Bereich der Skalen liegen. In keiner der anderen Skalen erreichen liegen Internale oder deutlich über dem theoretischen Mittelwert. Die Stärke des Zusammenhangs, die Güte der Vorhersage und die absolute Höhe der Werte verweisen darauf, daß Kontrollüberzeugungsskalen und Skalen zur politischen Einstellung ähnliches - und zwar die Bewertung gesellschaftlicher Verhältnisse - erfassen. Es ist daher zu erwarten, daß sie auch mit Verhaltensmaßen gleichsinnig korrelieren. 3.4 Zusammenhänge

mit Verhalten

Die Korrelationen der Kontrollüberzeugungsund der Einstellungsskalen mit den Verhaltensskalen sind in Tabelle 2 dargestellt. Wie erwartet, korrelieren die Einstellungsskalen «Konservatismus» und «Politische Entfremdung» negativ und in fünf Fällen signifikant mit den Verhaltensskalen.

Tab. 2: Zusammenhänge der Kontrollüberzeugungsskalen und der politischen Skalen mit Skalen zur Messung politischen Verhaltens (Produkt-Moment-Korrelationen, N = 861) Kontrollüberzeugung Einstellung

Politische Teilnahme Passiv IndiviDemonstrativ duell

Konservatismus Internal

-.20* -.08

-.25* -.07

-.30* -.14*

Politische Entfremdung External

-.31* -.25*

-.21* -.16*

-.10 -.09

Meritokratie Machtlos Rest-Internal Rest-External

-.17* -.36* .03 -.16*

-.15* -.31* .01 -.05

-.19* -.23* -.08 -.01

Anmerkung:

*p