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German Pages 284 Year 1981
Linguistische Arbeiten
103
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Peter Rolf Lutzeier
Wort und Feld Wortsemantische Fragestellungen mit besonderer Berücksichtigung des Wortfeldbegriffes
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1981
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Lutzeier, Peter Rolf: Wort und Feld : wortsemant. Fragestellungen mit bes. Berücks. d. WortfeldbegriCfes / Peter Rolf Lutzeier. - Tübingen : Niemeyer, 1981. (Linguistische Arbeiten ; 103) ISBN 3-484-30103-1 N E: GT
ISBN 3-484-30103-1
ISSN 0344-6727
) Max Niemeyer Verlag Tübingen 1981 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: fotokop wilhelm weihert KG, Darmstadt.
Wer mag hier nicht 'Linguistik1 für 'Philosophie' einsetzen? " ( . . . ) wer seine Kraft an philosophischen Fragen wagt, mit einer erheblichen Chance zu irren an die Arbeit gehen muß, - und es scheint mir mit Rücksicht auf die Zukunft der Philosophie praktisch von größter Bedeutung, daß jeder Forscher diese Tatsache sich klar gegenwärtig halte, nicht nur, weil ihn dies zum heilsamen Mißtrauen gegen sich selbst wahrend der Arbeit veranlassen wird, sondern vielleicht noch mehr darum, weil er nur dann imstande ist, seine Arbeit der Öffentlichkeit zu übergeben, nicht als ein Abgeschlossenes, Unveränderliches, sondern als ein Ergebnis ehrlichen Strebens, an dem nach Kräften selbst zu bessern und jeden Berufenen bessern zu lassen er fest entschlossen ist, ohne seinem etwaigen Selbstgefühle dadurch das Geringste zu vergeben."
Alexius Meinong, Abhandlungen zur Erkenntnistheorie und Gegenstandstheorie (bearbeitet von R.Haller). Graz: Akademische Druckund Verlagsanstalt 1971, 168/169.
VI
VDBWDRT
Der Antrieb für meine gleichlautende Habilitationsschrift ergab sich aus der für mich bestehenden Notwendigkeit, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Mängel und Leerstellen, die in einigen attraktiven spradiphilosonhischen und formalen Ansätzen auftreten, beseitigt werden können. Diese Notwendigkeit, bereits in meiner Stuttgarter Dissertation angedeutet, wurde mir während meiner Gxforder Zeit schließlich zur Gewißheit. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Arbeit von mir geworden. Nirgendwo findet eine ausführliche und damit einzig getreue Darstellung der erwähnten Theorien anderer Autoren statt. Somit erübrigen meine bescheidenen Hinweise keinesfalls eine Lektüre der angeführten Arbeiten. Alle diejenigen mögen mir verzeihen, die erwähnt hätten werden müssen, aber unbewußt nicht erwähnt wurden. Da ich mich selbst iirmer bei der Lektüre umfangreicherer Arbeiten über Fußnoten geärgert habe, weil sie ein für mich lästiges Hin- und Herblättern zwischen vorne und hinten oder ein Hin- und Herschauen auf derselben Seite mit sich bringen, sucht man solche hier vergebens. Anhänger pedantischer Formulierungen müssen teilweise enttäuscht werden. Diese Arbeit hat das Ziel der Lesbarkeit! Die Kolloquien in Amsterdam 1976,1978, in Hannover 1978, in Stuttgart 1979 und das Forschungsprojekt 'Sprach- und Grammatiktheorie - Untersuchungen zum Deutschen' an der Fü Berlin unter der Leitung von Prof. Hans-Heinrich Lieb gaben mir die geschätzte Gelegenheit, dort einige meiner Ideen vorzutragen und zu diskutieren. Der recht pauschale Dank an alle Teilnehmer und Organisatoren dieser Kolloquien muß hier genügen. Für die hiermit vorliegende, leicht revidierte Fassung meiner Habilitationsschrift halfen mir besonders die Kaimentare von Michael Grabski, Hans-Heinrich Lieb und Arnim von Stechow, sowie die aufgrund einer von DAAD freundlicherweise finanziell unterstützten Reise nach England möglichen Kontakte mit Peter Matthews und D. Alan Gruse. Selbstverständlich zog ich es bei einigen Punkten weiterhin vor, meine eigene Meinung zu vertreten. So viel verdanke ich meiner Familie, daß schriftlicher Dank wirklich zu pauschal wäre. Das erledige ich besser mündlich. Glücklicherweise besteht dazu von nun an wieder ausreichend Gelegenheit. Berlin, im Februar 1981.
INHALTSVERZEICHNIS
Symbolverzeichnis und Abkürzungen Einleitung
IX 1
1.1 Methodologische Bemerkungen 1 .2 Abgrenzungen 5 Einige Grundfragen 7 2.1 Wbrtsetnantik versus Satzsemantik 7 2.2 Logische Ausdrücke 15 2.3 Ausdrücke als Konstanten 19 2.4 Anmerkungen zu Subklassifikationen 24 2.5 Einschätzung der Bedeutungspostulate 28 2.6 Ähnlichkeit als Kriterium 30 2.7 Übersicht über das bisher Erreichte 34 Einiges zum Wort 37 3.1 Zur Formseite des Wortes 37 3.1.1 Hinführung 37 3.1.2 Die Pormseite als Paradigma 39 3.2 Zur Inhaltsseite des Wortes 53 3.2.1 Hinführung 53 3.2.2 Beurteilung der Komponentialanalyse 57 3.2.3 Die Inhaltsseite als Struktur über Stereotypen 62 Wortfeld 82 4.1 Wozu Wortfelder? 82 4.2 Verbaler Kontext 86 4.3 Wörterformen-Paradigma und Worter-Paradigma 96 4.4 Weitere Schritte in Richtung auf Wortfelder 1O9 4.5 Dimensionen 114 4.6 Semantische Relationen zwischen Wörtern 119 4.6.1 Hyponymie 122 4.6.2 Inkompatibilität und andere Relationen des Bedeutungsgegensatzes .. 128 4.6.3 Einige Regeln untereinander 136 4.7 Definition 'Wortfeld' 138 4.8 Rückblick auf mein Vorgehen bei Wortfeldern 150 Einzeluntersuchungen 155 5.1 Beispiele von Wortfeldern
155
5.1.1 Bezeichnungen für Turngeräte
156
VIII
5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.1.7
Verwandtschciftsbezeichnungen Wortfeld 'Finanzielle Einnahmen1 Temperaturadjektive Erstes Wortfeld 'In Gedanken' Einige Wörter um ruhig und unruhig Wortfeld 'Reaktion auf einen Vorschlag1
16O 164 170 173 177 182
5.1.8 Zweites Wortfeld 'In Gedanken1 5.1.9 Lautliche Äußerungen eines Hundes 5.1.10 Ruhepositionen eines Vierbeiners
186 189 192
5.1.11 Positionen eines Vierbeiners 5.1.12 Einige tanporale Konjunktionen 5.2 Typologische Bemerkungen Anwendung einiger Erkenntnisse aus dem Bereich 'Wortfeld' 6.1 Mehrdeutigkeit 6.2 Zwei Ähnlichkeitsbegriffe für Lesarten eines Wbrtparadigmas
194 196 2O1 2O7 2O7 211
6.3 Homonymie versus Polysemie 6.4 Nutzen der Wortfelder im Hinblick auf eine künstliche Semantik und ein Ähnlichkeitsbegriff für Wortparadigmen 6.5 Ausblick Bibliographie Personenregister Sachregister
218 23O 243 247 264 267
IX
SYMBOLVERZEICHNIS UND ABKÜRZUNGEN
{ } ... Mengenklanmern , , ... Mengen ... Elementbeziehung £ ... Teilmengenbeziehung U ... Vereinigung U ... Vereinigung über Mengensysteme 0 ... Durchschnitt (P ... Potenzmenge 0 ... leere Menge \ ... Komplement card ... Kardinalität 1 ... kleiner gleich fc ... größer gleich m ... maximales Element IN ... Menge der natürlichen Zahlen R ... 2-stellige Relation 3 ... Definitionsbereich (B ... Bildbereich f,f rf ,—,g ... Abbildungen oder Folgen f ... Denotationsfunktion ... Verkettung • ... Verknüpfung [ ... Herausnahme eines Elementes ... ausgezeichnetes Element f**'* ,^ ··· Substitution von f an der Stelle i,Y der Folge f L ... Länge der endlichen Folge I,J,J' ... Indexmengen t ... Kontextmenge *, ... Kontext Prop ... Menge der Propositionen p,p1 ... Propositionen Ind ... Individuenmenge V ... Einteilung £ ... System von Einteilungen K ... Klassifikation
S ... Sprache oder Idiolekt Mark (-,S) ... Menge der markierbaren Wbrtformen der Sprache S NMark (-,S) ... Menge der nicht markierbaren Wortformen der Sprache S WF(-,S) ... Menge der Wortformen der Sprache S w,w ,w ... Wortformen W(-,S) ... Wortparadigma in S T ... Fragment Syn ... Syntaxteil des Fragmentes s,s ,s ... Sätze et, « L , et.,...,ß ... Verkettungen von Wbrtformen oder verbale Kontexte G — Menge der Grundwörter F ... Wörterformen-Paradigma P ... Wörter-Paradigma A,A ,A ... Aspekte H ... Hyponymie-Relation in X bezüglich A I ... Inkompatibilitäts-Relation in X bezüglich A XrA AN ... Antonymie-Relation in X bezüglich A KV ... Konversen-Relation in X bezüglich A f n K ... Komplementaritäts-Relation in X bezüglich A X/A D ... Dimensionen i "fr. ... Zerlegungen Z ... Zerlegungsmengen N ... Namen ir U,U ,\y ... Wortfelder Sub ... Subklassifikationszerlegung S ... Subklassif ikationsklasse l/l ,1 ... Lesarten jf ... Ausdruck Jt- ... Bedeutung "f ... Struktur über Stereotypen Spr ... Sprecher Int ... Interesse X ... Sprachgemeinschaft c ... syntaktische Kategorie ... Kategorie 'Satz' * ... Kategorie "Substantiv1 f ... semantischer lyp f
A
f
XI
gdw ... genau dann, wenn w.z.z.w. ... was zu zeigen war z.z. ... zu zeigen Ab. ... Abschnitt
Fn. ... Fußnote Kap. ... Kapitel S. ... Seite Sp. ... Spalte.
EINLEITUNG
1.1
Methodologische Bemerkungen
Es war einmal ein unterentwickeltes Land, dessen Einwohner gerade so am Existenzminiiram dahinvegetierten. Irgendwie war ihnen die potentielle Bedeutung ihres Landes bewußt. Sie hatten jedoch kaum eine Vorstellung, wie sie dies zu ihrem eigenen Vorteil ausnützen sollten. Plötzlich entdeckten einige reiche Länder, daß ihr eigener Lebensstandard über kurz oder lang sehr wohl von der zukünftigen Entwicklung dieses Landes abhängen könnte. Naive Eroberungsgelüste mußten allerdings rasch wieder gedämpft werden, dazu war das Land einfach zu exotisch und verschieden. So entschlossen sie sich, eine grosse Anzahl von Gütern und Geld zu liefern, in der Hoffnung, fteR die Einwohner damit ihr Land eine gehörige Portion vorwärts brächten. Im Land selber brach darüber eine Euphorie aus; Leute dachten, von nun an im Schlaraffenland zu leben. Binnen kurzer Zeit stellte sich jedoch heraus, daß die Gaben den Bedürfnissen des Landes nicht entsprachen. Außerdem gab es im Land selber kein Programn, wie die Gaben sinnvoll Verwendung finden sollten. So lief alles auf eine einzige Verschwendung potentiell nützlicher Güter hinaus. Die reichen Länder stoppten daraufhin ihren Nachschub, da sie ihrer Meinung nach keine Gegenleistung erwarten konnten. Im Endeffekt befand sich das Land in einem schlirrmeren Zustand als zuvor. Diese Geschichte behandelt nicht den ölboom einiger Scheichtümer. Es geht mir vielmehr um eine Analogie zur Situation in der Linguistik; genauer, zur Situation in der linguistischen Semantik. Speziell in den letzten Jahrzehnten wurde die linguistische Semantik geradezu überschüttet mit Methoden und Vorschlägen aus der Logik, Philosophie und Psychologie. Einen Eindruck darüber kann man vom Kapitel 3 in Kutschera (1971) und von den Abschnitten 1.2, II.3 und II.4 in Stegmüller (1975) gewinnen. Allzuoft waren Linguisten bereit, diese Methoden und Vorschläge ohne jeglichen kritischen Abstand zu übernehmen. Die Ergebnisse ihrer Anwendung waren ja auch meist auf den ersten Blick erfolgversprechend. Jedoch bewirkte die übliche Allgemeinheit dieser Methoden oft einen peinlichen Mangel an Erkenntnissen über linguistische Fakten. Dies könnte bereits in naher Zukunft unerwünschte Folgen haben. So könnten zum Beispiel diese Methoden und Vorschläge bald wieder vergessen werden, einmal, weil Logiker, Philosophen oder Psychologen keine interessanten Aufgaben auf sich zukommen sehen und zum ändern, weil Linguisten mit den Methoden und Vorschlägen nicht richtig umzugehen wissen. Da der Verzicht auf Methoden anderer
Disziplinen keine Alternative sein kann, müssen zumindest wir als Linguisten unsere Einstellung gegenüber diesen Methoden ändern. Bevor wir an eine konkrete Anwendung in der Linguistik denken, sollten wir uns die entsprechenden Vorkenntnisse aneignen, um diese Vorschläge in ihrer ursprünglichen Umgebung überhaupt verstehen zu können. Nur dann werden diese Vorschläge bei der Übertragung den Charakter einer heiligen Kuh verlieren. Ferner sind mindestens folgende Fragen zu beantworten: 1. Was für Änderungen müssen an der Methode vorgenoninen werden, damit sie überhaupt auf das vorgegebene linguistische Problem in vernünftiger Weise angewendet werden kann? Diese Frage betrifft besonders alle definitorischen Einführungen. 2. Welche Regeln bestürmen den Allgemeinheitsgrad dieser Methode? Diese Frage ist unerläßlich, um linguistische Interessen befriedigen zu können. Es ist klar, daß beide Fragen unmittelbar zusammenhängen. So werden zum Beispiel gerade Änderungen an der Methode häufig den Allgemeinheitsgrad im Hinblick auf linguistische Interessen einschränken. Ein Beispiel für diese Ausführungen wird übrigens im Abschnitt 2.2 des nächsten Kapitels den Ausgangspunkt für zentrale Fragestellungen dieser Arbeit darstellen. Es handelt sich um einen Interpretationsbegriff für Fragmente einer natürlichen Sprache, wobei dieser Interpretationsbegriff innerhalb der Modelltheorie für Sprachen im Rahmen der Prädikatenlogik entwickelt wurde. Einzelheiten zur Modelltheorie auf elementare Weise erfährt man aus allen Einführungen in die Logik; speziell für Linguisten auch aus Lutzeier (1973). Obwohl sich dadurch die Grundfragen meiner Arbeit auf dem Hintergrund einer speziellen Semantikauffassung ergeben werden, möchte ich im Verlauf der Arbeit dafür Sorge tragen, daß meine Antwortversuche für verschiedene Semantikauffassungen interessant sein können. Dies gilt nicht zuletzt für meine angestrebte Definition des Wortfeldbegriffs. Eine solche Haltung bringt unabdingbar offene, nicht präzisierte Stellen mit sich. Allerdings dürfen diese nur insoweit offen sein, als sie Präzisierungen im Sinne der jeweiligen Semantikauffassungen zulassen. Wortsemantik und speziell Wortfeldtheorie ist ein Gebiet, auf dem die Intuition traditionellerweise großen Einfluß hat. Leider ist sie nicht nur im Sinne von Sprachgefühl vertreten, sondern auch im Sinne von einem solch unmittelbaren Bewußtwerden, daß es keiner weiteren Erörterung bedarf. Ich betrachte eine im Sinne von Sprachgefühl verstandene Intuition als ein unerläßliches heuristisches Prinzip. Sie hat ihren Platz überall da, wo es darum geht,
Anhaltspunkte für ein Theoriegerüst zu bekamen. Das Sprachgefühl beim Linguisten ist für mich vergleichbar mit dem, was oft 'Intuition1 beim Künstler
genannt wird. Also derjenige Anteil, der über das rein technische Können hinausgeht. Weisgerber (1962) trifft bereits Wichtiges: "Dieses vielberufene Sprachgefühl ist nun alles andere als etwas Gefühlsmäßiges im Sinne des Emotionalen. Vielmehr handelt es sich um ein unreflektiertes Wissen, ein Haben, das nicht ausdrücklich durchdacht und durch schaut ist, aber unmittelbar wirksam werden kann." ( S . 1 6 5 ) .
Gefährlich wird es dann, wenn die Intuition als Ersatz für die Formulierung einer Theorie dient. Chne Entscheidendes vorwegzunehmen, kann ich bereits hier gestehen, Haft auch in meinem Ansatz die Intuition nicht völlig auf die Heuristik beschränkt sein wird, sondern ininer wieder handfest in die Theorie mit eingeht. Jedoch möchte ich mich nicht mit dem Eingeständnis eines schlechten Gewissens zufriedengeben, wie es Rupp (1968,3.36) und Weinreich (1958,5.346) tun. Mir wird es hauptsächlich darum gehen, diejenigen Stellen aufzuzeigen, an denen die Intuition eingeflossen ist.
Sind diese Stellen erst einmal offengelegt, dann wird
das lingehen mit der Intuition kontrollierbarer. So ergeben sich zum Beispiel für den Leser explizit Ansatzpunkte für Kritik, falls er Wege sieht, wie die Intuition an den offengelegten Stellen hätte vermieden werden können oder zumindest mit weiteren Argumenten hätte untermauert werden können. Eine ähnliche Haltung nahm Lyons (1963) ein: " ( . . . ) the result of investigations of the kind that I have made is to organize and make explicit this previously intuitive knowledge of the lexical fields and the relations holding between their constituent lexemes ( . . . ) . " (S.95/96).
Selbstverständlich kann das Sprachgefühl nicht ausschließlicher Anhaltspunkt für unsere Theorien bleiben, wie Schwarz (1973b,S.435) und Gipper (1976a,S.244) richtig bemerken. Insbesonders dann, wenn uns an überindividuellen Theorien gelegen ist.
Was uns an anderen Prinzipien, neben der Intuition,
noch offensteht, führe ich jeweils im einzelnen bei den aufkormenden Problemen der nächsten Kapitel an. Es wäre verfrüht, sie bereits jetzt anzugeben, da das nötige Problembewußtsein noch nicht vorhanden ist.
Im gesamten Verlauf meiner
Arbeit werden nach wichtigen Schritten inner wieder methodologische Überlegungen auftreten. Diese Stellen haben die Funktion von Wegmarkierungen für den Leser. An ihnen kann er immer wieder überprüfen/ ob eines der allgemeinen Ziele dieser Arbeit erfüllt worden ist: Der Nachweis, daß das Argumentieren auf relativ informeller Ebene - was für diese Arbeit gilt - nicht notwendigerweise große Abstriche am methodischen Standard mit sich bringt.
Unabhängig davon, cb wir Linguist oder Nicht-Linguist sind, ist für uns zumindest unser eigener Idiolekt eine natürliche Sprache, deren Interpretation für uns selbstverständlich ist. Als Sprecher dieser natürlichen Sprache verfügen wir über ein nur teilweise bewußtes Wissen über die semantische Struktur dieser Sprache. Wahrig (1973,S.1O8) spricht hier von 'Vorwissen1. Jene Interpretation, die insofern inhärent mit der angenommenen natürlichen Sprache verbunden ist, als einzig sie im semantischen Bereich die angenontiene natürliche Sprache dem Verständnis ihrer kompetenten Sprecher nach zu genau dieser natürlichen Sprache macht, möchte ich natürliche Semantik nennen. Die natürliche Semantik einer natürlichen Sprache ist für ihre jeweiligen konpetenten Sprecher gegeben. Alle ändern mögen damit ihre liebe Not haben. Der Erwerb dieser natürlichen Sprache im semantischen Bereich heißt ja gerade, sich diese natürliche Semantik anzueignen und dies kann, speziell bei Fremdsprachen, ein langwieriges oder sogar vergebliches Unterfangen sein. Wir finden die natürliche (lexikalische) Semantik mehr oder weniger gut fixiert in Wörterbüchern der betreffenden Sprache und unser Sprachgefühl im semantischen Bereich wird gespeist von ihr. Formale, künstliche Sprachen, wie zum Beispiel Sprachen in Logik und Mathematik, aber auch Programmiersprachen, sind dagegen zunächst uninterpretierte Sprachen. Deswegen gibt es für sie keine natürliche Semantik. Es bleibt mit anderen Worten noch offen, worüber wir mit diesen Sprachen reden können. Um dies festzulegen, müssen wir den Sprachen eine Interpretation geben. Naturgemäß handelt es sich dabei um eine konstruierte, künstliche Semantik. Eine solche Konstruktion unterliegt an Adäquatheitsbedingungen üblichen Kriterien im Wissenschaftsbetrieb; also solchen Kriterien wie Einfachheit und Widerspruchsfreiheit. Dies kann bereits alles sein, aber es muß nicht. Ist nämlich die Intention des 'Erfinders1 der formalen Sprache über deren Anwendungsbereich bekannt, dann wird normalerweise die Abschätzung, inwieweit die künstliche Semantik dieser Intention nahekommt, als zusätzliches Adäquatheitskriterium hinzukommen. Sind wir als Linguisten nun mit einem Fragment einer natürlichen Sprache konfrontiert und ergibt sich die Aufgabe, Aussagen über die Semantik dieser Sprache zu machen, dann heißt dies meiner Meinung nach, daß wir eine künstliche Semantik aufstellen müssen. Da wir es jedoch mit einer natürlichen Sprache zu tun haben, kennen nicht nur die eben erwähnten Adäquatheitskriterien zum Zuge. Jede natürliche Sprache ist ja als genau diese natürliche Sprache mit ihrer natürlichen Semantik, über die ihre kompetenten Sprecher verfügen, verbunden. Der Erfolg des Unternehmens wird also letztlich an der natürlichen Semantik
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dieser Sprache gemessen und nicht jede beliebige künstliche Semantik für das Fragment kann als Semantik dieser Sprache akzeptiert werden. Mit anderen Worten, unsere künstliche Semantik muß eine möglichst gute Approximation der natürlichen Semantik dieser Sprache sein. Damit wird auch die Wichtigkeit von Untersuchungen deutlich, die sich mit der natürlichen Semantik beschäftigen. Sie bringen uns den letztlich einzig relevanten Vergleichsmaßstab einer künstlichen Semantik klarer vor Augen. Da ein Großteil meiner Arbeit beansprucht, Kenntnisse von natürlichen Semantiken von Idiolekten des Deutschen auszuformulieren, kann ihr Erfolg unter anderem an dieser Hilfsfunktion für die Formulierung künstlicher Semantiken dieser Idiolekte gemessen werden. Die wichtigen Punkte hier seien in einer Gegenüberstellung aufgeführt: Eine natürliche Sprache besitzt Eine formale Sprache ist zunächst unintereine natürliche Semantik (ihre pretiert, deshalb gibt es keine natürliche kompetenten Sprecher verfügen Semantik für diese Sprache über diese Semantik) deshalb ist eine natürliche Sprache inmer bereits eine interpretierte Sprache Eine künstliche Semantik tritt Eine künstliche Semantik ist die einzige als Approximation der natürForm der Interpretation liehen Semantik auf l.2
Abgrenzungen
Dies ist eine Arbeit mit semantischen Fragestellungen. Syntaktische und pragmatische Überlegungen spielen nur insoweit eine Rolle, als sie zum Verständnis und zur Beantwortung der semantischen Fragen nötig sind. Umgekehrt können wir sehr wohl erwarten, daß meine Antwortversuche sowohl für die Syntax als auch für die Pragmatik Relevanz haben werden. Als Beispiele mögen dienen: 1. Im Rahmsn der Kategorialgrammatik stehen Fragen nach der syntaktischen Kategorienzugehörigkeit eines Ausdruckes in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner semantischen Funktion. Dies kann im Kapitel 3 von Bartsch/Lenerz/Ullmer-Ehrich (1977) nachgelesen werden. 2. Innerhalb der integrativen Grammatik werden syntaktische Relationen angesetzt, die zur Bedeutungsfestlegung herangezogen werden. Somit ergeben sich Restriktionen für diese syntaktischen Relationen, die von der gewünschten Semantik her motiviert sind. Einzelheiten hierüber findet man in Kapitel 3 von Lieb (1977a) .
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3. Das Verständnis von Sprechakten scheint eng an die lexikalische Bedeutung der geäußerten Ausdrücke gebunden. Diese Meinung vertritt Wiggins (1971,S.2O/ 21). Ich werde bevorzugt einfache Ausdrücke diskutieren, die allerdings nicht inner im intuitiven Sinne nicht-zusanmengesetzte Ausdrücke sein werden. Insbesonders bleiben alle Betrachtungen über eine etwaige interne Struktur der Ausdrücke außer Betracht. Dies betrifft speziell die innerhalb der Morphologie interessierenden Fragen nach der Behandlung der Konposita und einen etwaigen Ansatz für die Behandlung idiomatischer Wendungen. Für eine Kategorialgrammatik handelt es sich bei meinen einfachen Ausdrücken um die sogenannten Grundausdrücke. Diese werden über eine Aufzählung definitorisch eingeführt. Eine so entstehende Liste von Grundausdrücken bildet das Lexikon der Grammatik. Ich bin mir bewußt, daß dieses Vorgehen in größerem Rahmen nicht befriedigend ist. Man müßte eventuell innerhalb der Morphologie eine Charakterisierung der 'echten1 Grundausdrücke versuchen. Dabei kann man sich an den plausiblen Kriterien von Lehrer (1974,S.1O/11) orientieren. Auch auf eine Auseinandersetzung mit in der Lexikologie üblichen Kriterien der sogenannten Grundwortschatzbestimmung dürfte man hierbei nicht verzichten. Kühn (1979,3.23-40) bietet eine hilfreiche Zusammenstellung solcher Kriterien. Es wird kaum Stellen geben, an denen ich Reflexionen über das Wörterbuchmachen vornehme. Meine Arbeit ist also sicherlich nicht in der Lexikographie anzusiedeln. Mit wenigen Ausnahmen entstammen meine Beispiele Idiolekten des Deutschen. Bei der Entwicklung des Wortfeldbegriffs werden einige Entscheidungen mit Rücksicht auf Gegebenheiten im Deutschen getroffen. An den entsprechenden Stellen sollte jedoch klar werden, daß meine zentralen Begriffe genauso gut Eingang in die Wortsemantik anderer natürlicher Sprachen finden können. Ehe ich mit diesem Abschnitt Gefahr laufe, beim Leser Langeweile aufkamen zu lassen, möchte ich an dieser Stelle abbrechen. Meinen jeweiligen Charaktersierungen des konkreten Vorhabens im Verlauf der Arbeit werden sowieso implizit Informationen über das entnommen werden können, was an der jeweiligen Stelle nicht behandelt wird.
EINIGE GRUNDFRAGEN
2.1
Wortsemantik versus Satzsemantik
Um etwaigen Mißverständnissen über den Verlauf und die Zielsetzung dieser Arbeit von vornherein zu begegnen, möchte ich deutlich machen, wo mein Interesse an einer Wortsemantik herrührt: Es entwickelte sich aus der Beschäftigung mit Fragen der SätzSemantik. Doch ist es überhaupt gerechtfertigt, eine Aufspaltung der linguistischen Semantik in eine Wort- und eine Satzsemantik vorzunehmen? Der naheliegende Hinweis, daß Wortsemantik als Semantik des Wortes und Satzsemantik als Semantik des Satzes zu verstehen sind und beide sich somit auf etwas verschiedenes beziehen, ist ohne weitere Erläuterungen nicht stichhaltig, da wir Ein-WortSätze haben. Vergleichen Sie die Sätze ( 1 ) - ( 3 ) : (1) Hilfe! (Ausrufeintonation} ( 2 ) Komm. (Aufforderungsintonation) (3) Und? (Frageintonation).
Man kann sich wohl für jeden Grundausdruck im Lexikon eine Situation ausdenken, in der dieser Ausdruck als Satz auf sinnvolle Weise verwendet werden kann. Diese Behauptung kann nicht bewiesen werden; unter anderem deshalb nicht, weil wir keine algorithmischen Verfahren zur Erzeugung von Situationen für Grundausdrücke aus einer potentiell unendlichen Menge kennen. Sie kann jedoch für sich sicherlich einige Plausibilität in Anspruch nehmen. Dies äußert sich darin, daß bei Diskussionen über Definitionsmöglichkeiten des Begriffes Wort immer wieder ähnliche Feststellungen erwähnt werden. So zum Beispiel bei Bloomfield (1935,5.177-179) und bei Kramsky (1969,S.28/29). Ist die Wortsemantik damit als Spezialfall der übergreifenden Satzsemantik aufzufassen; etwa im Sinne von: Wortsemantik als Satzsemantik der Ein-WortSätze? Die erwähnte Aufspaltung der linguistischen Semantik wäre dann abzulehnen, denn die Satzsemantik würde den Bereich der so verstandenen Wortsemantik abdecken. Falls wir dem zustimmen, bezahlen wir einen ziemlich hohen Preis. Lexikalische Bedeutungen 'an sich1 gibt es nicht mehr. Dies resultiert aus folgender Tatsache: Der Satzsemantik (in einem vortheoretischen Sinne) von EinWort-Sätzen ist mit der etwaigen lexikalischen Bedeutung des verwendeten Ausdrucks allein herzlich wenig gedient. Dinge wie Intonationspattern, allgemeine Merkmale des textuellen und situativen Kontextes fließen entscheidend mit ein, denn der Ausdruck muß ja in seiner Eigenschaft als Satz behandelt werden. Eine Abstraktion hierüber würde nun meiner Meinung nach nicht die lexikalische
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Bedeutung des Ausdruckes liefern, sondern eher so etwas wie die notwendigen Bedingungen für den sinnvollen Gebrauch des Ausdruckes als Satz. Dies entspricht übrigens der Auffassung von syntaktischen Bedeutungen in der integrativen Grainnatik; nachzulesen an verschiedenen Stellen, so zum Beispiel bei Lieb (1977b,S.31). Vor ihrem möglichen Gebrauch haben aber Grundausdrücke eine lexikalische Bedeutung 'an sich1. Davon gehe ich aus. Traditionell wird hierbei von einem semantischen Eigen- und Stellenwert im Sprachsystem gesprochen; vergleichen Sie Gipper (1971,S.2O3). Erst aufgrund dieses Eigenwertes kann sich die Mbglichkeit eines sinnvollen Gebrauchs ergeben. Letzteres impliziert ja die Angemessenheit von etwas in einer Situation. Im Falle der deiktischen Ausdrücke zähle ich etwa die Festlegung derjenigen situativen Aspekte, die sie erfordern, zur lexikalischen Bedeutung "an sich'. Dies ist das Vorgehen in meiner kontextuellen Grammatik in Lutzeier (1974). Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die genauen Beziehungen zwischen Wort als 'Wort1 und Wort als 'Satz' noch ziemlich im dunkeln liegen. Hier angelangt, muß man eine Disziplin innerhalb der linguistischen Semantik fordern, die sich um die lexikalischen Bedeutungen 'an sich' von Grundausdrücken künmert; genauer, die sich um die lexikalischen Bedeutungen "an sich" von Grundausdrücken als Elemente bestimmter syntaktischer Kategorien kümmert. Wie anders als Wortsemantik sollen wir diese Disziplin nennen? Wortsemantik also als Semantik des Wortes in seiner Eigenschaft als Wort und nicht in seiner Eigenschaft als möglicher Satz. In der traditionellen, weniger formal orientierten Linguistik oder besser Sprachwissenschaft unseres Jahrhunderts lag das Hauptinteresse gerade an einer solchen Wortsemantik. Dabei stach besonders das historische Element in Form einer beliebten Aufstellung von Etymologien hervor. Überlegungen im Hinblick auf Satzbildung und speziell die Frage der Stellung von Grundausdrücken im Satz kamen zusanmen mit Fragen der Wortart beziehungsweise innerhalb der Wortart mit Fragen der syntaktischen Kategorie auf. Aber eine Satzsemantik, im Sinne einer Semantik für komplexe Ausdrücke, letztlich also für Sätze, war nicht vorhanden. Dies wurde keineswegs als Nachteil empfunden, eher schon als natürlich, gemessen an dem Stand, den die Sprachwissenschaft erreicht hatte. Selbst in neueren Semantikabhandlungen werden noch entsprechende Auffassungen vertreten. Geckeier (1973,3.11) spricht von einer logischen und praktischen Priorität der Wortsemantik gegenüber der Satzsemantik. Wie eine solche Haltung einzuordnen ist, wird weiter unten klar werden. Als Aufgabe der Satzsemantik sehe ich an, Bedeutungen von Sätzen bezüglich
einer syntaktischen Struktur anzugeben. Allgemeiner geht es natürlich um die Bedeutungen beliebig konplexer Ausdrücke bezüglich syntaktischer Strukturen, wobei die Komplexität mindestens bis zur Satzebene reicht. Im Falle von Sätzen dürfen solche (Satz-)Bedeutungen "an sich", häufig 'Propositionen' genannt, nicht mit den Sätzen bezüglich einer syntaktischen Struktur innerhalb Situationen zuzuschreibenden 'Behauptungen' ('statements') verwechselt werden. Eine gute Darstellung der unterschiedlichen Ebenen gibt Lemmon (1966). Wie hinreichend bekannt, kann die Angabe solcher Bedeutungen 'an sich* auf verschiedenerlei Weisen versucht werden. So stehen unter anderem folgende Möglichkeiten zur Debatte: 1. Die Angabe von Paraphrasen; ein Verfahren, das wir tagtäglich im praktischen Umgang mit der Sprache vornehmen. 2. Die Angabe von Übersetzungen in eine andere semantische Beschreibungssprache. Dies ist 'das' Verfahren der indirekten Bedeutungszuordnung. Dabei muß die Beschreibungssprache als bereits interpretierte Sprache vorausgesetzt werden. Ansonsten kann sowohl eine natürliche Sprache als auch eine formale Sprache als Beschreibungssprache Anwendung finden. 3. Die Angabe von Wahrheitsbedingungen; ein Verfahren der direkten Bedeutungszuordnung. 4. Die Angabe von Gebrauchsbedingungen, womit der klassische Bereich einer Satzsemantik bereits überschritten wird. Keine Frage, die Zuordnung der Bedeutung zu vorgegebenen Sätzen nach einer dieser Möglichkeiten involviert zunächst explizit noch keine Wortsemantik. Kempson (1975,3.33) meint zum Beispiel gerade über die dritte Möglichkeit, eine von Wortbedeutung unabhängige Satzbedeutung einführen zu können. Unabhängig von der gewählten Möglichkeit bestehen allerdings berechtigte Zweifel, ob ein solches Unterfangen auf irgendeine systematische Weise erfolgen kann. Berechtigte Zweifel ergeben sich aufgrund folgender Gegebenheit: Wir müssen von einer potentiellen Unendlichkeit der Klasse der Sätze einer natürlichen Sprache ausgehen. Dies wird dann auch für alle interessanten Fragmente gelten, die wir als Linguisten zu entwickeln haben. Außerdem ist diese potentielle Unendlichkeit nicht nur für die syntaktische Ebene, sondern auch für die semantische und die pragmatische Ebene anzunehmen. An uns selbst und an anderen haben wir erfahren, daß natürliche Sprachen dennoch lernbar sind und zwar lernbar von Sprechern mit offensichtlich begrenzten, endlichen Fähigkeiten. Diese Tatsache ist nichts geheimnisvolles. Die Beschäftigung mit formalen Sprachen hat uns gelehrt zu verstehen, wie solche Situationen gemeistert werden können. Es geschieht mit Hilfe von rekursiven Mechanismen.
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Den Zugang zu einem rekursiven Verfahren auf semantischer Ebene öffnet uns ein Prinzip über die Bedeutungskanposition. Es läßt sich salopp folgendermaßen formulieren: (P) Die Bedeutungen eines Satzes oder allgemein eines komplexen Ausdrucks bezüglich einer syntaktischen Struktur ergeben sich aus den Bedeutungen der Grundausdrücke, die den Satz oder den komplexen Ausdruck bilden und den Bedeutungen ihrer syntaktischen Verknüpfungen untereinander.
Margalit (1978) widmete diesem Prinzip einen kritischen Artikel. Ein paar eigene Bemerkungen zu (P) sind trotzdem notwendig: So werden Einwände von Anhängern einer Ganzheitstheorie meist viel zuwenig ernst genommen. Dies schließt Margalits Artikel mit ein. Als typisches Zitat einer ganzheitlichen Position mag Stern (1965) dienen: "It is characteristic of a configuration that it contains supra-summative properties that belong to it as a whole, and are lost in analysis." ( S . I 5 5 )
Unabhängig von ihrer Attraktivität auf den ersten Blick, sollten solche Auffassungen genauestens überprüft werden. So betrifft das Zusätzliche in unserm Fall häufig gar nicht die Bedeutung 'an sich1, sondern die mit der möglichen Äußerung des Satzes verbundene Behauptung. Also könnte Information über den konkreten textuellen und situativen Kontext eine Erklärung für zusätzliche Eigenschaften liefern. Übrigens können die für die Bedeutung 'an sich1 allein relevanten allgemeinen Merkmale solcher Information größtenteils auf rekursive Weise erfolgen. Dies zeigt meine kontextuelle Grammatik in Lutzeier (1974). Wirkliche Probleme werfen einige non-verbale Elemente, wie Gesten, Mimik und Körperhaltung auf. Sicherlich sind dies alles Elemente, die die Äußerung eines Satzes bedeutungsvoll begleiten können. Aber wie gesagt, es geht dann dabei um Behauptungen und nicht um Bedeutungen "an sich1. Somit wären diese Erscheinungen keine Widerlegung des Prinzips (P), da (P) Aussagen über die Bedeutungen macht. Wie sieht es jedoch mit den idiomatischen Wendungen aus? Hier können wir nicht mehr auf 'Behauptungen' ausweichen. Bei der 'nicht-wörtlichen' Auffassung handelt es sich ebenfalls um eine Bedeutung 'an sich'. Meist wird deshalb der Fall der idiomatischen Wendungen ausdrücklich als Ausnahme des Prinzips (P) anerkannt. Dem wird versucht Rechnung zu tragen, indem man den komplexen Ausdruck, wie zum Beispiel jemandem einen korb geben, als Einheit und somit auf gleicher Stufe wie die Grundausdrücke behandelt. Der Ausdruck tritt bei dieser Auffassung als Ganzes im Lexikon auf und bekannt als Ganzes eine Bedeutung 'an sich" zugesprochen. Da es nur endlich viele solcher Ausdrücke gibt, ist ein solches Vorgehen sicherlich möglich. Als befriedigend würde ich es dennoch
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nicht bezeichnen. Zu jedem dieser komplexen Ausdrücke gibt es ja immer noch die 'wörtliche1 Auffassung. Eine Auffassung, die gemäß (P) ermittelt werden kann. Bei dem angegebenen Vorgehen bestehen keine Beziehungen zwischen der 'wörtlichen' und 'nicht-wörtlichen' Auffassung. Dies steht im Widerspruch zu den meist systematischen, zugegeben beim Sprecher oft nicht mehr präsenten Beziehungen zwischen den beiden Auffassungen. Alles in allem scheint mir dies ein Beispiel für die negativen Effekte einer allzu strikten Trennung zwischen diachronischer und synchronischer Betrachtungsweise zu sein. Wohlgemerkt, es geht mir in erster Linie um ein Vorgehen, das nicht blind gegenüber den Beziehungen zwischen 'wörtlichen' und 'nicht-wörtlichen' Auffassungen ist.
Mit Rücksicht auf oft unüber-
windliche Schwierigkeiten bei diachronischen Vorgehensweisen in einzelnen Fällen, wegen unsicheren Quellen etwa, wäre es kaum angemessen, nur solche hierfür zuzulassen. Eine ähnliche Haltung werde ich im letzten Kapitel (Kap.6) bei Mehrdeutigkeitsfragen einnehmen. Im Falle der Metaphern, wie zum Beispiel bei der flankengott vom kohlenpott oder der fuß des bevges, bestehen in noch viel stärkerem Maße, nicht zuletzt weil sie präsent sind, Beziehungen zwischen "wörtlicher1 und 'nicht-wörtlicher' Auffassung. Mit anderen Worten, da hier die 'nicht-^wörtliche' Auffassung erst auf dem direkten Hintergrund der 'wörtlichen' Auffassung entsteht und die 'wörtliche1 Auffassung über das Prinzin (P) erfaßt wird, ist das Prinzip (P) auch für die 'nicht-wörtliche1 Auffassung unentbehrlich. Mir ist im Augenblick nicht klar, auf welche Weise diese als Ausnahme bezeichneten Fälle von idiomatischen Wendungen und Metaphern mit dem Prinzip (P) direkt zu behandeln sind. Einen Ansatzpunkt sehe ich in folgender Eigenschaft von (P) gegeben: Es schließt zumindest die Modifikation der Bedeutungen der Grundausdrücke im Verlauf der Bedeutungsermittlung des komplexen Ausdrucks nicht aus. Dies möchte ich analog zu Freges Vorgehen verstanden wissen. Frege (1975) hat ja keinesfalls stur an seinen Bedeutungen, was wir heute besser 'Referenz' nennen würden, der Ausdrücke festgehalten, sondern ist im Zusammenhang mit indirekten Kontexten zum Sinn der Ausdrücke übergegangen. Zweifellos würde zuviel Freiheit bei den Modifikationen das Prinzip (P) letztlich wertlos machen. Also stellt sich als zukünftig genauer zu erforschendes Problem, die erlaubten Modifikationstypen herauszufinden. Sicherlich könnte die Diskussion beim Übergang von kontext-freien Grammatiken zu kontext-sensitiven Grammatiken innerhalb der Syntax als Anschauungsunterricht dienen. Einen Einblick in diesen Übergang gibt Gross (1972,Kap.VII/VIII). Sollte ein direkter Bezug auf das Prinzip (P) fehlschlagen, dann bleibt, wie wir gesehen haben, immer noch der indirekte Bezug auf das Prinzip (P) über die 'wörtlichen' Auffassungen. Bereits dies wäre ein
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Fortschritt, verglichen mit der üblichen Praxis bei idiomatischen Wendungen. Ungeachtet einiger offensichtlichen Ungereimtheiten beim Prinzip (P) ist dieses Prinzip in zahlreichen Semantikauffassungen vertreten. Auf konsequenteste Weise wurde es wohl von Montague (1970,Kap.3) in Form eines Hcmonorphismuses zwischen Syntaxalgebra und Semantikalgebra ausformuliert. Den Bogen zur Lernbarkeit und zur Wortsemantik schlägt folgendes Zitat aus Duirmett (1976) : " ( · · · ) a speaker of a language derives his understanding of any sentence of that language from his knowledge of the meanings of the words." ( S . 6 9 ) .
Das Wissen ergibt sich aus dem Wissen der Bedeutungen der Grundausdrücke. Es ist offensichtlich, daß durch das Prinzip (P) die Wortsemantik für eine Satzsemantik relevant wird und meiner Meinung nach wird sie auch erst durch dieses Prinzip für die Satzsemantik relevant. Mit anderen Worten, eine Semantiktheorie, die von der Bedeutung der Wortsemantik für die Satzsemantik spricht, muß zumindest implizit bereits unser Prinzip (P) akzeptiert haben. Doch wieviel von unserer Wortsemantik wird durch dieses Prinzip interessant? Einige konkrete Ansprüche von selten der Satzsemantik an die Wortsemantik werde ich im nächsten Abschnitt (2.2) formulieren. Unabhängig davon handelt es sich im allgemeinen um folgendes: Es geht um den systematischen Beitrag des einzelnen Ausdrucks als Element einer bestimmten syntaktischen Kategorie für die Satzbedeutung. Die Systematik des Beitrags wird auch von Kratzer (1977a, S.28) hervorgehoben. Es geht also nicht um das Wort "an sich1; um die Erfassung all seiner Bedeutungen, besonders im Sinne eines etymologischen Überblickes. Im Rahmen einer Wahrheitstheorie wurde diese Reduktion des Beitrages einer Wortsemantik bei Schnelle (1973) formuliert, wobei er diese Reduktion für meine Begriffe als zu radikal ansetzt: "Man beachte ( . . . ) , daß hier der semantische Aspekt, der mit einer Ausdrucks gestalt verknüpft ist, keine Bedeutung und kein Sachbezug ist, sondern allein ein Beitrag zum Ganzen der Bedeutung des Satzes. Die Theorie ordnet den Ausdrucksteilen von Sätzen also allenfalls semantische Funktionen im Satz zu, keine unabhängigen Bedeutungen." (S.185).
Zumindest der Sachbezug kann meist relativ leicht mit Hilfe der semantischen Funktionen ermittelt werden. Es gibt zahlreiche Beispiele für Anwendungen einer so verstandenen Wortsemantik innerhalb der formalen Semantik. Einige Anwendungen aufs Deutsche ofer aufs Englische seien herausgegriffen: Eisenberg (1976) im Bereich der Adjektive, Grabski (1974), Kratzer (1975) und Kratzer (1977b) im Bereich der Modalverben, Bäuerle (1977), Bartsch (1976), König (1977)
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und Wunderlich (197O) im Bereich der Adverbien, Lutzeier (1976), Lutzeier (1981b) und Rohrer (1977) im Bereich der Konjunktionen und Lutzeier (1974) und Moilanen (1979) im Bereich der Präpositionen. Falls wir den etymologischen Asoekt bei einer reinen Wortsemantik ignorieren, wird es schwieriger, den Unterschied zwischen einer reinen Wortsemantik und einer Wbrtsanantik für die Zwecke einer Satzsemantik, wie sie durch das Prinzip (P) erforderlich wird, anzugeben. Ich sehe dennoch mindestens folgende zwei Unterschiede: 1. Für eine reine Wortsemantik gibt es nicht die Möglichkeit, Grundausdrücke 1
synkategorematisch' einzuführen. Unter einer synkategorematischen Einführung
verstehe ich salopp gesprochen folgendes: Der Grundausdruck erhält für sich allein keine Bedeutung 'an sich1 zugesprochen, sondern nur in Beziehung zu Ausdrücken, die mit dem jeweiligen Ausdruck syntaktisch kombiniert werden können. Die zugehörigen Syntax- und Semantikregeln müßten also in diesem Fall komplexere Ausdrücke - häufig ganze Sätze - zur Beschreibung des Grundausdruckes ins Spiel bringen; ein Vorgehen, rteg für eine reine Wortsemantik nicht erlaubt sein kann. Findet man bezüglich seiner eigenen Theorie synkategorematisch einzuführende Ausdrücke vor, so ist für deren Beschreibung die reine Wortsemantik nicht zuständig. Dagegen besteht bei einer Wortsemantik für die Zwecke einer Satzsemantik prinzipiell bei jedem Grundausdruck die Möglichkeit, ihn als synkategorematisch einzuführenden Ausdruck zu behandeln. Davon wird auch inner wieder Gebrauch gemacht. Als Beispiele führe ich an: Lieb (1976a,S.45 und 57) oder Lieb (1976b,Ab.3.4) für den bestimmten Artikel und Montague (1973,Regeln S11 und T11) für Konjunktionen. Dem Beispiel bei Montague kann man entnehmen, daß im Fall der Kategorialgrammatik die Zuordnung einer komplexen syntaktischen Kategorie zu einem Ausdruck nicht als synkategorematische Einführung zu betrachten ist.
Um überhaupt eine syntaktische Kategorie zugeordnet zu bekommen, muß
der Ausdruck für sich allein im Lexikon vorkommen. Im Fall der synkategorematischen Einführung eines Ausdrucks in der Kategorialgrammatik tritt der Ausdruck nicht im Lexikon auf, sondern erst im Syntaxteil mit Hilfe einer syntaktischen Regel. Als Nachteil einer synkategorematischen Einführung ergibt sich die Tatsache, daß wir dabei keinen direkten Zugriff auf den jeweiligen Grundausdruck haben. Beziehungen untereinander können damit erst über Umwege, zum Beispiel in Form von den im Abschnitt 2.5 andiskutierten Bedeutungspostulaten, formuliert werden. Als Beispiele seien die Unterschiede in der 'Behauptungsstärke' sowohl bei den Konjunktionen und und oder als auch bei dem bestimmten Artikel und dem unbestimmten Artikel erwähnt; allesamt Ausdrücke, die gerne als synkategorematisch einzuführende Ausdrücke behandelt werden. Dahl (1974)
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diskutiert ebenfalls Fragen dieser synkategorematischen Einführung mit etwas anders gelagertem Interesse. Weshalb ich die Redeweise der synkategorematischen Einführung gegenüber der Rede von synkategorematischen Ausdrücken bevorzuge, wird dem Leser im Abschnitt 3.2 deutlich gemacht. Im Augenblick tut dies nichts zur Sache. Doch nun zum zweiten Unterschied. 2. Falls wir einen Grundausdruck finden können, der nur in einer festen Wendung, aber nie für sich allein in komplexeren Ausdrücken vorkommt und trotzdem noch als Ausdruck erkannt wird, dann hätten wir einen Ausdruck, der von der reinen Wortsemantik unterschiedlich zur Wortsemantik für die Zwecke einer Satzsemantik behandelt würde. Die reine Wortsemantik muß eine Semantik für einen solchen Ausdruck nach ihrem Verständnis liefern. Im Hinblick auf die Satzsemantik ist dagegen die feste Wendung als Einheit im Lexikon zu behandeln. Der 'Grundausdruck' für sich taucht dort gar nicht auf. Also kann auch bei der Anwendung des Prinzips (P) keine Aufspaltung der festen Wendung erfolgen. Mit anderen Worten, für eine Wortsemantik für die Zwecke einer Satzsemantik ist nur die feste Wendung, aber nicht der 'Grundausdruck1 selbst, existent. Als Beispiel fällt mir zunächst das Adverb dannen ein, das nur noch in der festen Wendung von dannen auftritt. Vergleichen Sie etwa Drosdowski (1976b,S.484) oder für eine etymologische Ableitung Kluge (1967,3.121). Die Wortsemantik für die Zwecke einer Satzsemantik ordnet nur der Wendung von dannen eine Bedeutung 'an sich" (zum Beispiel: weg, fort) zu und eine Aufspaltung der Wendung steht nicht zur Debatte. Bei den Substantiven finden wir fug, das nach Wahrig (1975,Sp.1398) nur noch in der Wendung mit fug und recht vorkommt. Die nach Wasserzieher (1974,3.195) ursprüngliche Bedeutung 'an sich1 (mhd vuoc 'Schicklichkeit1), welche für eine reine Wortsemantik interessant und wohl die augenblickliche Bedeutung 'an sich1 wäre, haben wir noch heute im negativen Sinne bei unfug. Diese Ausführungen legen es nahe, bei der Wortsemantik für die Zwecke einer Satzsemantik sehr wohl von einer Priorität gegenüber der Satzsemantik zu reden. Bereits das Prinzip (P) legt dieses Verhältnis fest. Selbstverständlich muß in einem vortheoretischen Sinne, das heißt auf der Ebene der natürlichen Semantik, auch innerhalb der Wortsemantik für die Zwecke einer Satzsemantik immer wieder auf verbale Kontexte bezug genommen werden. Kutschera (1971) macht darauf aufmerksam: "Die Bedeutung eines Satzes bestimmt sich zwar einerseits aus den Bedeutungen der Wörter, aus denen er sich zusammensetzt ( . . . ) umgekehrt bestimmt sich aber die spezifische Bedeutung der einzelnen Wörter im Satz auch aus dem Kontext, der Beziehung, in der sie im Satz zu den anderen Wörtern stehen. Die Wörter haben so eine gewisse Unbestimmtheit in ihrer Bedeutung,
15 die erst im Kontext aufgehoben wird. Daß wir den Satzsinn nicht nur aufgrund der Wortbedeutungen verstehen, sondern umgekehrt auch die Wortbedeutung aufgrund des Satzsinns, ergibt sich auch daraus, daß wir die Wörter nur im Kontext von Sätzen erlernen und gebrauchen." ( S . 4 9 ) .
Meinen wir jedoch eine reine Wortsemantik und das klingt bei der oben erwähnten Haltung von Geckeier an, dann hat es überhaupt keinen Sinn von einer irgendwie gelagerten Priorität zu reden, da die Satzsemantik eine solche reine Wbrtsemantik gar nicht berührt. Auch Kotschi (1974,5.4) wendet sich gegen Geckelers Auffassung. Ich hoffe, diese Ausführungen genügen, um dem Leser eine Vorstellung von meiner Auffassung über Wort- und Satzsemantik zu geben. Mit Wortsemantik meine ich von nun an immer Wortsemantik für die Zwecke einer Satzsemantik.
2.2
Logische Ausdrücke Ein gesteigertes Interesse an der Behandlung einzelner Ausdrücke führt uns
gleichzeitig zurück auf generelle Fragen über die Nützlichkeit eines modelltheoretischen Ansatzes für die Beschreibung natürlicher Sprachen. Dies soll im folgenden im Zusanmenhang mit dem Interpretationsbegriff gezeigt werden. Für meine Argumentation setze ich die Angabe der erlaubten syntaktischen Kategorien auf der Basis von endlich vielen syntaktischen Grundkategorien und eine syntaktische Klassifikation der Grundausdrücke des zu behandelnden Fragmentes voraus. Dies ist selbstverständlich keine triviale Voraussetzung! Bereits die Frage nach sinnvollen Grundkategorien des Fragmentes, ganz zu schweigen von den Fragen nach einer angemessenen syntaktischen Klassifikation der Grundausdrücke, erfordert gründliche Diskussionen und wird ohne semantische Überlegungen nicht auskommen. Nur möchte ich mich hier nicht damit befassen, da ich auf andere Fragestellungen abziele. Einen Eindruck von der Komplexität der Frage nach der angemessenen syntaktischen Klassifikation eines gegebenen Ausdrucks kann man aus der Arbeit von Grabski (198O,S.76-78) gewinnen. Er versucht eine Analyse des Entscheidungsprozesses. Erste Aufgabe der Modelltheorie ist es dann, jeder erlaubten syntaktischen Kategorie c einen semantischen Typ T zuzuordnen. Mittels dieses semantischen Typs T ist für jeden Ausdruck der syntaktischen Kategorie c, damit insbesonders auch für jeden Grundausdruck der syntaktischen Kategorie c, der Definitionsbereich und der Wertebereich seiner Denotationsfunktion festgelegt. Das ist nun normalerweise auch schon alles, was an Information über die Denotation des
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fraglichen Grundausdruckes festgelegt wird. Mit anderen Worten, es bleibt normalerweise unspezifiziert, welche Denotationsfunktion wir für den gegebenen Grundausdruck aus der gesamten Klasse von Funktionen vom spezifizierten Definitionsbereich in den spezifizierten Wertebereich auswählen sollen. Alle Funktionen dieser Klasse sind zunächst gleich gute Kandidaten. An dieser Stelle klingt einem bereits die Kritik von Katz (1975) schrill in den Ohren: "For the eclectic position to be relevant ( . . . ) it must provide some account of the speaker's ability to map atomic predicates and terms into sets of things in possible worlds, not simply assume one ( . . . ) . " ( S . 1 2 7 ) .
Der Einwand ist richtig. Aber für meine Begriffe auf uninteressante Weise richtig, weil er nichts zur Lösung des anstehenden Problems beitragen kann. Deshalb versuche ich, auf etwas subtilere Art vorzugehen. Ich werde die geschilderte Situation sorgfältig betrachten und unliebsame 'innersprachliche1 Konsequenzen aufzeigen. Dabei wird sich dann sehr wohl eine Lösungsstrategie herausbilden. Soviel ich weiß, ist noch nie die Meinung ernsthaft vertreten worden, daß keiner der gegebenen Grundausdrücke eine spezifizierte Denotationsfunktion besitzen solle. Das Fehlen einer solchen Meinung ist nicht weiter verwunderlich. Einer der Unterschiede zwischen einer (sprechbaren) Sprache und einem 'System1 zum Produzieren beliebiger Geräusche ist ja, daß eine Sprache ein Mittel haben muß, um 'Negation' ausdrücken zu können. Das heißt, die Existenz von Konventionen für eine Negation ist eine notwendige Bedingung für Sprachen. Dies wurde von Quinten (1967,3.116/117) klar erkannt und auch Lyons (1968,8.445) geht von einer solchen Annahme aus. Um eine natürliche Sprache korrekt zu beschreiben, müssen wir das vorhandene Mittel der Negation als 'Negation1 interpretieren. Falls wir etwas anderes als 'Negation' interpretieren, mögen wir zwar immer noch eine Sprache erhalten, aber nicht mehr diejenige, die wir ursprünglich beschreiben wollten. Damit wir zum Beispiel beanspruchen können, Deutsch oder Englisch als deutsche oder englische Sprache ernst zu nehmen, müssen wir garantieren, daß die 'Negations'-Partikeln nicht beziehungsweise not als Negationspartikel interpretiert werden. Zweifellos sind noch andere Funktionen für diese Partikeln zu berücksichtigen. Das gilt besonders für not im Englischen, dessen Funktion in Satz (4) aber iirmer noch mit der Verneinungsfunktion verknüpft ist: (4) It's
good here, isn't it?
Traditionellerweise werden allen Schlüsselausdrücken von Sprachen im Rahmen der Prädikatenlogik, als da sind nicht, und, oder, wenn ... dann, alle, einige,
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feste Denotationsfunktionen zugeschrieben. Alle erfolgreichen Schritte in Richtung auf sogenannte 'pragmatische1 Sprachen brachten die Auszeichnung weiterer Schlüsselausdrücke mit sich. So finden wir spezifizierte Denotationsfunktionen für modale Ausdrücke, wie möglicherweise, lokale Ausdrücke, wie hier, überall, temporale Ausdrücke, wie es war der Fall, gestern und Personalpronomen, wie •ich und au. Als vorbildliches Beispiel für ein solches Vorgehen nehme man Montague (1968). Solche Schlüsselausdrücke werden häufig logische Ausdrücke genannt. Bis heute kennen wir keine von der subjektiven Methode des Aufsteilens einer Liste unabhängige Charakterisierung dieser logischen Ausdrücke. Als Beispiel für einen der wenigen Autoren, die diese Situation bemängeln, sei Cresswell (1978,5.29) erwähnt. Die von Peacocke (1976,3.229) vorgeschlagene 'Topik-Neutralität' der logischen Ausdrücke ist für natürliche Sprachen nicht stichhaltig. Für die Bedeutung des gesamten Ausdruckes spielt es häufig durchaus eine Rolle, mit welchen Ausdrücken der sogenannte logische Ausdruck verknüpft ist. Anders ausgedrückt, die durch das Vorkamen der logischen Ausdrücke bestimmte 'logische Form" ist nicht immer für die Bedeutung allein entscheidend. Dies wird bei meiner Diskussion im Anschluß an das nächste Zitat von Quine deutlich werden. Ehe ich von dem Stellenwert der logischen Ausdrücke in der Logik ausgehe, ist es angebracht, den Stand zu reflektieren, den wir mit unserem Interpretationsbegriff aus der Modelltheorie erreicht haben. Dies knüpft auch an meine einleitenden Bemerkungen in Kapitel 1 an. Wie wir wissen, haben wir es bei natürlichen Sprachen mit Sprachen zu tun, für die eine natürliche Semantik vorhanden ist.
Wir sind nur an den sogenannten intendierten Interpretationen in-
teressiert; das heißt, an Interpretationen, die der jeweiligen natürlichen Semantik nahekommen. Man muß sich hierüber im klaren sein, um überhaupt die Frage 1 über das Verhältnis von Methode und linguistischem Problem in Abschnitt 1.1 für unser konkretes Problem beantworten zu können. Zur Rechtfertigung der eben geschilderten Methode zur Interpretation eines Fragmentes einer natürlichen Sprache wird normalerweise folgendes vorgebracht: Anstatt mit nur einer Interpretation zu arbeiten, arbeiten wir tatsächlich mit einer ganzen Klasse von Interpretationen. Vergleichen Sie das Zitat bei Schnelle (1974): "If meanings are conceived as functions, as just indicated, linguistic semantics is therefore only concerned with conditions determining a subsystem of functions from the system of all possible functions, but not with determining exactly one function for each word or phrase." ( S . 1 4 ) .
Es sind all jene Interpretationen, die der Typenzuordnung zwischen den
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erlaubten syntaktischen Kategorien und den senantischen Typen und den festgelegten Denotationsfunktionen der logischen Ausdrücke gehorchen. Vorausgesetzt, die Typenzuordnung entspricht unserer Intuition und die Semantik der logischen Ausdrücke erfaßt zumindest einen Aspekt ihrer natürlich-sprachlichen Gegenstücke, dann sollten einige der Interpretationen in unserer Klasse den -intenierten Interpretationen entsprechen. Auf mehr oder weniger zufällige Weise zwar, aber immerhin. So falsch kann also dieser Ansatz gar nicht sein. Können wir diesem Argument mit ruhigem Gewissen zustinmen? Ohne einer genaueren Einsicht in den Stellenwert der logischen Ausdrücke sicher nicht. Gemeinhin wird angenommen, daß die Auszeichnung der logischen Ausdrücke eine notwendige Bedingung ist, um die logischen Wahrheiten einer Sprache, also diejenigen Sätze der Sprache, die an allen Kontexten der zugelassenen Interpretationen wahr sind, erfassen zu können. Ein berühmtes Zitat hierzu stanmt von Quine (1953) : "Statements which may be called logically true, are typified by: [l3 No unmarried man is married. The relevant feature of this example is that it not merely is true as it stands, but remains true under any and all reinterpretations of 'man' and 'married 1 . If we suppose a prior inventory of logical particles, comprising ' n o ' , ' u n - ' , ' n o t ' , ' i f , ' t h e n 1 , 'and' etc., then in general a logical truth is a statement which is true and remains true under all reinterpretations of its components other than the logical particles." ( S . 2 2 / 2 3 ) .
Mit anderen Worten, nach Quine sind alle Instanzen des Schemas C1']: [ 1'] No un-P C is P mit P als Variable für Adjektive und C als Variable für Substantive logische Wahrheiten. Ich wähle diese Instanzen-Lesart im Gegensatz zu der Reinterpretations-Lesart der Ausdrücke man und married, da mir die Instanzen-Lesart leichter verständlich scheint und den Grundintentionen Quines kaum zuwiderläuft. Ferner sind beide Lesarten in den abgesteckten Rahmen äquivalent zueinander. Ohne Frage, die logischen Wahrheiten in einer Sprache sind ein Teil, der adäquat erfaßt werden muß. Nur stellt sich diese Frage im Rahmen einer natürlichen Sprache in etwas komplexerer Form als wir es von der Logik her gewohnt sind. So ist es auch nicht überraschend, daß selbst ein so vorsichtiges Gemüt wie Quine, zumindest was die natürlichen Sprachen betrifft, fehlgeht. Quines Beispiel [1] als Satz des Englischen wird im strengen Sinn nicht als logische Wahrheit empfunden. Wir können uns leicht eine Situation vorstellen, in der ein Schauspieler, der Junggeselle ist,
die Rolle eines verheirateten Mannes spielt. Zuge-
geben, dies ist ein komplexerer Kontext als er normalerweise in der Logik vorkommt. Es handelt sich nämlich um einen geschachtelten Kontext, bei dem die
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Alltagsebene und die Iheaterebene miteinander verbunden sind. Der Versuch einer generellen Charakterisierung solcher Kontexte, um mit Ihrem Ausschluß die logischen Wahrheiten retten zu können, wäre zumindest keine triviale Aufgabe. Schlimmer noch, es würde sowieso nicht viel weiter helfen. Selbst bei der freiwilligen Beschränkung auf "normale1 Kontexte ergeben einige Instanzen des Schemas [l'} keine logischen Wahrheiten, sondern zumindest an einigen 'normalen1 Kontexten sinnlose Sätze. So zum Beispiel Satz ( 5 ) : (5) No unmarried table is married.
Es handelt sich um ein stichhaltiges Beispiel, da dessen Negation (Satz ( 6 ) } : (6) Some unmarried tables are married
an allen Kontexten, an denen Satz (5) sinnlos ist, ebenfalls sinnlos ist. Ich führe dies an, da ich mir nicht im klaren bin, ob wir Sätze wie ( 7 ) : (7) Worms worry about money, deren Negation (Satz ( 8 ) ) : (8) Worms don't worry about money
nicht sinnlos ist, als sinnlos im gleichen Sinne bezeichnen sollen. Kempson (1975,5.5) hat auf diese Möglichkeit deutlich hingewiesen. Was können wir von derartigen Resultaten lernen? Mindestens zweierlei: Einmal können wir uns als Linguisten nicht auf irgendwelche logischen Formen wie [1'] verlassen. Wir müssen uns vielmehr um den Beitrag aller bedeutungstragenden Teile des Satzes zu seiner Gesamtbedeutung kümmern. In dem Beispiel von Quine [1] dürfen wir also nicht die Bedeutung des jeweils verwendeten Adjektivs und die Bedeutung des jeweils verwendeten Substantivs ignorieren. Dies machte Satz (5) deutlich. Dowty (1979,3.32) ist sogar der Meinung, daß selbst die adäquate Analyse der sogenannten logischen Ausdrücke in natürlichen Sprachen vom Verständnis der sogenannten nicht-logischen Ausdrücke abhängt. Zum ändern ist der Interpretationsbegriff aus der Logik zu allgemein für ein Fragment einer natürlichen Sprache. Die spezifische Behandlung einiger weniger logischen Ausdrücke reicht nicht aus. Mit dieser Einsicht ist die Frage 2 von Abschnitt 1.1 für unser konkretes Problem angesprochen.
2.3
Ausdrücke als Konstanten
Die extreme Konsequenz aus der Einsicht, daß die Auszeichnung einiger
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logischen Ausdrücke nicht avisreicht, wäre nun folgendes: Alle Grundausdrücke sind wie die logischen Ausdrücke zu behandeln. Mit anderen Worten, für alle Grundausdrücke sollen feste Denotationsfunktionen vorgegeben werden. Diese Ansicht wird von namhaften Leuten explizit vertreten. So, zum Beispiel von Cresswell (1974): " ( . . . ) it is my belief that every word in a natural language is, in some sense, a constant. Although words like ' a n d ' , O r ' , 'if and so on are, in some vague way, more pervasive than others, yet no hard and fast line can be drawn between them and other words." ( S . 1 6 ) ,
und von Katz (1975): " ( . . . ) we admit that a full theory of logical form for natural language will require definitions of every other word in language, and this means that we drop the distinction between logical and extralogical vocabularies as an absolute epistemological distinction, perhaps retaining it as a relative one, expressing the degree to which present research has provided descriptions of the meaning of the words in natural language." (S.81, Fußnote 63) ,
und auch Stechcw/Radvila (1975,5.25) schließen sich dieser Meinung an. Es sagt sich so leicht: "Wörter der natürlichen Sprache als Konstante behandeln" und irgendwie verbindet es ja auch jeder mit einer Vorstellung der Fixiertheit oder gewissen Unveränderbarkeit. Aber was kann das eigentlich im Zusammenhang mit Ausdrücken einer natürlichen Sprache bedeuten? Dies müssen wir erst versuchen herauszufinden, bevor wir uns zu dieser Auffassung eine Meinung bilden können. Um an diesem Punkt unnötige Schwierigkeiten zu vermeiden, bleibt die Erscheinung der Mehrdeutigkeit bei einigen Ausdrücken aus natürlichen Sprachen unberücksichtigt. Beginnen wir mit dem Fall eines logischen Grundausdruckes; etwa mit dem Ausdruck nicht. Die Verwendung von nicht, die ich im Auge habe, entspricht derjenigen des Negationspartikels in Sprachen im Rahmen der Aussagenlogik. Es ist wiederum keine triviale Frage, ob es überhaupt solche Verwendungen in natürlichen Sprachen gibt. Als Beispiel für neuere Argumente für eine bejahende Antwort verweise ich auf Posner (1979) . Nicht wird innerhalb der Kategorialgrammatik in dieser Verwendung syntaktisch als einstelliger Satzoperator (formal: */$ roit > als Grundkategorie 'Satz') eingestuft. Sprechen wir im Augenblick bei Satzbedeutungen von Propositionen, dann ergibt sich als Bedeutung von nicht als einstelliger Satzoperator eine Funktion von der Menge der Propositionen in die Menge der Propositionen. Da nicht ein logischer Ausdruck ist, handelt es sich nicht um irgendeine beliebige Funktion aus dieser Klasse der
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Funktionen von der Menge der Propositionen in die Menge der Propositionen, sondern um eine ganz spezifische Funktion f_,:Prop —»Prop (Prop ... Menge der Propositionen).
—, können wir salopp folgendermaßen charakterisieren (f ...
Kontextmenge): Für p e. Prop ist
f-iip) diejenige Proposition p " , für die gilt:
1
Für alle -eef (p ist wahr an ,}, wobei jedes der Zweitglieder, also Thomas t liest, ein und buch, selber wieder ein Name für eine Folge von Mengen von Lautereignissen ist. Ebenso stehen natürlich Vorkcnmen von meinen sogenannten Grundausdrücken in Sätzen wie (21) für solche Folgen von Mengen von Lautereignissen. Im Abschnitt 4.2 finden Sie einige Definitionen im Zusanrnenhang mit Folgen, die hier nur den Gedankengang stören würden.
Bisher habe ich den Wortbegriff tunlichst vermieden und dafür informell den Begriff 'Ausdruck1 benutzt. Letzterer schien mir der neutralere Begriff zu sein; einfach weniger schillernd und emotional und metaphorisch belastet. Allerdings weist auch der Begriff 'Ausdruck' einige elementare Mehrdeutigkeiten des Wortbegriffes auf, die ich bisher nicht deutlich genug unterschieden habe. Ich denke dabei an Bemerkungen wie "der Ausdruck schläft* im Vergleich zu 'der Ausdruck schlafen1. Besser wäre es sicherlich, in diesem Fall von der Ausdrucksform sahläft des Ausdruckes schlafen zu sprechen. Dies ist noch nicht der Weisheit letzter Schluß, denn wir finden auch eine Ausdrucksform schlafen des Ausdruckes schlafen vor. Eine entsprechende Mehrdeutigkeit gilt für den Wortbegriff. Es gibt noch weitere Mehrdeutigkeiten im Hinblick auf den Wortbegriff, die uns aber im Augenblick nicht zu interessieren brauchen. Da ich mich nicht so weit von der traditionellen Terminologie entfernen möchte, dies gilt speziell später für den Begriff Wortfeld, werde ich nun anstatt von Ausdrücken meist von Wörtern reden. Dies ist gerechtfertigt, da in diesem Kapitel mein Verständnis des Wortbegriffes deutlich gemacht werden soll. Insbesonders will ich eine Klärung der eben angesprochenen Mehrdeutigkeit herbeiführen. In diesem Abschnitt will ich so weit wie möglich von der inhaltlichen Seite des Wortbegriffes absehen. Es geht mir hier um die Formseite des Wortes. Damit ist schon klar, daß ich das Wort in einer Sprache letztlich als Einheit von Form und Inhalt betrachte. Diese gewöhnliche Unklarheit über die Behandlung des Wortes als Einheit von Form und Inhalt oder nicht ist übrigens eine der weiteren Mehrdeutigkeiten des Wortbegriffes. Cbwohl immer wieder versucht, ist es für den Wortbegriff noch nicht gelungen, eine stichhaltige, 'natürliche1 Definition zu finden. Einen vorzüglichen Überblick der Versuche und der angewandten Kriterien bietet Forsgren (1977,Kap. 2 ) . Der häufig in der Morphologie beschrittene Weg der ausschließlichen Konzentration auf sogenannte Morpheme ist keineswegs zufriedenstellend, denn es führt kein Weg an folgender, von Krämsky (1969) erwähnten Tatsache vorbei:
39 " ( · · · ) when we perceive an utterance in a language familiar to us, we can dissect it into certain units. It is usually not morphemes but words which are dissected most easily from the flow of speech." ( S . 7 ) .
Ferner ist es nach Krämsky (1969,3.76) zu erwarten, daß wir solche 'Wörter' oder in der Rede solche 'Wbrtformen1 in allen natürlichen Sprachen vorfinden. Dies, weil alle Sprachen die Möglichkeit haben sollten, Namen für Objekte einzuführen. Damit hat Krämsky auf ein, zugegebenermaßen einleuchtendes, hinreichendes Kriterium für den Wbrtbegriff zurückgegriffen.
Wie unproblematisch es
ist, für den der jeweiligen Sprache mächtigen, die Wörter dieser Sprache zu identifizieren, hebt auch Ullmann (1962,5.27) hervor. Allerdings wäre ich bei derartigen Behauptungen doch etwas vorsichtiger. Ich würde eher von den 'möglichen' Wörtern der jeweiligen Sprache sprechen, da wir manchmal nicht so sicher sind. Diese Unsicherheit im Urteil rührt meist von dem uns unbekannten Inhalt der vorgelegten Form her. Dagegen gilt wohl uneingeschränkt die Identifizierbarkeit der Wörter für den eigenen Idiolekt. Nach der Substitution von 'Idiolekt' für 'Sprache' können wir es auch mit Gauger (1970) als Fähigkeit des Bewußtseins ausdrücken: "Es kennt die Wörter, die zu seiner Sprache gehören: es kann sie aussprechen, und es weiß, was sie meinen ( . . . ) . " ( S . 4 5 ) .
Diese Fähigkeit sollten wir meiner Meinung nach als gegeben akzeptieren und den Wortbegriff als fest in der Intuition verankert ansehen.
3.1.2
Die Formseite als Paradigma
Viel wichtiger als eventuell vergeblich nach einer weiteren Wortdefinition Ausschau zu halten, ist es der oben bereits erwähnten Mehrdeutigkeit zwischen dem Gebrauch von "Wort1 bei schläft und bei schlafen Rechnung zu tragen und für diese Frage eine Klärung herbeizuführen. Auf dem jetzigen Stand salopp formuliert gilt als Ziel: Für einen Idiolekt des Deutschen soll schläft
als Wort-
form des durch schlafen repräsentierten Wortes erkannt werden; was auch ganz auf der Linie von Lyons (1970,3.21)liegt. Mit diesem Ziel vor Augen liegt es zunächst nahe, jeweils eine Zusammenfassung aller derjenigen Wortformen vorzunehmen, die man intuitiv als Wortformen desselben Wortes auffassen würde. Die jeweils entstehende Menge von Wortformen könnte dann als Repräsentant (der Formseite) des 'abstrakten1 Wortes dienen und die mengentheoretische Relation 'ist Element von1 könnte als "ist eine Wortform von" gelesen werden. Einen Ansatz in dieser Richtung finden wir bereits bei Matthews (1965). Matthews beginnt mit einer Menge L von sogenannten Lexemen
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eils Grundmenge. Femer soll die Gramnatik eine Relation 'ist eine (Wort-)Form von1 zwischen Wertformen und Lexemen definieren. Durch die Einführung von Lexemen fällt bei Matthews das "Wort an sich1 völlig unter den Tisch. Man fragt sich, ob damit etwas gewonnen ist? Lexeme ihrerseits sind Grundbegriffe, also etwas Undefiniertes. Sie werden durch die Großschreibung ausgezeichneter Wortformen angegeben. Vergleicht man diese Situation mit der vorhandenen Intuition über den Wortbegriff, so ergibt sich sicherlich kein zwingender Grund, Lexeme vorzuziehen. Dies ist also ein Punkt, an dem ich Matthews nicht folgen werde. Mir schwebt eher ein Versuch in Richtung der oben angegebenen Zusanmenfassung aller Wertformen 'eines Wortes" vor. Eine Zusammenfassung von Wortformen desselben Wortes allein genügt jedoch auf keinen Fall. Wir hätten zwar ein Gegenstück zu der Redeweise 'reden ist eine Wortform des Wortes reden' in der Form von 'reden ist eine Wortform des durch die Menge { rede,redest,redet,reden,..., redete,...,hat geredet,...,tiird reden,... } repräsentierten Wortes' gefunden, aber da in einer Menge jedes Element nur einmal vorkamen kann, hätten wir keine Erklärungsmöglichkeit für die mit der Wortform reden verbundenen unterschiedlichen Verwendungsweisen. So tritt die Wortform reden im Deutschen als Infinitivform in Satz (22): (22) Heidi beginnt zu reden,
als 2. Person Singular Präsens in der Höflichkeitsform in Satz (23): (23) Sie reden,
als 1. Person Plural Präsens in Satz (24): (24) Wir reden,
und als 3. Person Plural Präsens in Satz (25): (25) Sie reden
auf. Mit anderen Worten, wir müssen das gesamte Paradigma des Wortes reden erfassen und nicht nur die auftretenden Wortformen. Dies hatte übrigens auch Matthews erkannt, denn neben der Relation 'ist eine (Wort-)Form von1 zwischen Wortformen und Lexemen muß die Gramnatik eine weitere Relation 'hat die Eigenschaft' zwischen Wortformen und norpho-syntaktischen Eigenschaften definieren. Seine Formulierung ist äußerst ungeschickt, da es auf die gesamte Menge der morpho-syntaktischen Eigenschaften der betreffenden Wortform bezüglich allen 'relevanten1 morpho-syntaktischen Kategorien ankamt. Wie wir gesehen haben, im Deutschen schöpft die Wertform reden bezüglich der Kategorie Person alle drei Möglichkeiten: 1. Person, 2. Person und 3. Person voll aus. Dies ist bereits
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ein Gegenbeispiel zu der Bedingung 4 an die Relation 'hat die Eigenschaft' in Matthews (1965): " ( . . . ) no word [im Sinne von Wertform!] may be assigned more than one property from the same morphosyntactic category." ( S . 2 7 3 ) .
Eindeutigkeit kann nur erzielt werden, wenn wir alle weiteren für das Beispiel 'relevanten1 Kategorien wie zum Beispiel Numerus, Tempus und Modus hinzunehmen. In diesem Fall kann zum Beispiel die Menge { 1.Person,Plural,Präsens,Indikativ, Aktiv) für die Wortform reden in Satz (24) der Menge { 3.Person,Plural, Präsens,Indikativ,Aktiv } für die Wbrtform reden in Satz (25) gegenübergestellt werden. Anstatt einer Relation zwischen Wortformen und morpho-syntaktisdien Eigenschaften benötigen wir also eine Relation zwischen Wortformen und Mengen von morpho-syntaktischen Eigenschaften. Dabei soll gelten, daß für jede 'relevante' Kategorie genau eine Eigenschaft der Kategorie Element der Menge
ist.
Damit haben wir wohl eine korrekte Formulierung für Matthews Idee von der zweiten Relation gefunden. Alles in allem haben wir folgenden Stand erreicht: Als Repräsentant (der Formseite) eines Wortes an sich ergibt sich eine Menge, die aus den (geordneten) Paaren besteht, an deren ersten Stelle jeweils eine der möglichen Wortformen des Wortes und an der zweiten Stelle eine der möglichen Mengen aller morphosyntaktischen Eigenschaften der jeweiligen Wortform steht. Kurz: Die Menge stellt das gesamte Paradigma des jeweiligen Wortes an sich dar und könnte letztlich definitorisch als die Formseite des Wortes selbst aufgefaßt werden. Einen Fortschritt gegenüber Matthews können wir sicherlich verbuchen, wir kamen nämlich ohne die Einführung von Lexemen aus. Dennoch, auch unsere Auffassung müßte noch mit einigen Problemen fertig werden. Einiges hierüber und einige notwendigen Präzisierungen meiner Auffassung werden sich bei der kurzen und kritischen Darstellung einer Konzeption des Wortbegriffs ergeben, deren Grundidee ich für meine Auffassung übernommen habe. Es handelt sich um die innerhalb der 'integrativen Linguistik1 geltende Auffassung. Lieb (1975b,S.172) setzt bei einer Einteilung der Menge der syntaktischen Einheiten an. Um Klarheit über die Unterschiede von Einteilungen und Klassifikationen zu erhalten, will ich die Begriffe kurz definieren. Den Begriff Zerlegung schließe ich noch gleich an, da wir ihn später im Zusammenhang mit der Diskussion von Dimensionen bei Wortfeldern (Ab.4.5) gut gebrauchen können. Als Grundlage muß uns eine naive Mengenlehre genügen. Ich setze die elementarsten Begriffe als bekannt voraus:
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Definition _1_: Sei X eine Menge und B£ (P X. a) B ist eine Einteilung von X gdw 1. X = U B und 2. 04B. b) B ist eine Klassifikation von X gdw 1. X = Ü B und 2. cardBi2 und 3. Für alle n ,n £ BrFalls n n , dann n n„ und n . . Im Vergleich zur Einteilung sind bei einer Klassifikation nur noch Überlappungen, aber keine Teilmengen mehr erlaubt. c) B ist eine Zerlegung von X gdw 1. X = U B und 2. cardB * 2 und 3. 0 und 4. Für alle ., 6B:Falls n[ " 2 , dann n n„ = 0. Im Vergleich zur Klassifikation sind bei einer Zerlegung keine Überlappungen mehr erlaubt. Bemerkungen Jk Sei X eine Menge und B fe(?X. a) Wenn B eine Klassifikation von X ist, dann ist B auch eine Einteilung von X. b) Wenn B eine Klassifikation von X ist, dann ist 0. c) Die einzige Einteilung der leeren Menge ist die leere Menge selbst. d) Wann B eine Zerlegung von X ist, dann ist B auch eine Klassifikation von X.
z.z.: 1. X = U B und 2. ad 1. X = U B nach Bedingung 1 für 'B Klassifikation von X 1 . ad 2. Indirekter Beweis: Angenatmen 0£B. Mit Bedingung 2 für 'B Klassifikation von X ' : Es gibt ein n £.B:n 0. Andererseits gilt für alle Mengen M:06M, also ergibt sich ein Widerspruch zu Bedingung 3 für 'B Klassifikation von X 1 . w.z.z.w. ad b) z.z.: X 4= 0. Indirekter Beweis: Angenomnen X = 0. Damit i?X ={0} . Also gibt es für B (B£/Px) 2 Möglichkeiten: 1. B = 0. Widerspruch zu Bedingung 2 für 'B Klassifikation von X 1 . 2. B ={0} . Widerspruch zu Bedingung 2 für 'B Klassifikation von X ' . w.z.z.w. ad c) z.z.: Wenn X = 0 und B eine Einteilung von X ist, dann B = 0. X = 0, damit (?X = { 0} . Wiederum 2 Möglichkeiten für B (B £^X) : 1. B = 0. B ist eine Einteilung von X. 2. B = {0} . Bedingung 2 für
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'B Einteilung von X 1 ist nicht erfüllt, w.z.z.w. ad d) Bedingungen 1 und 2 identisch. z.z.: Für alle n, ,n„ fe B:Falls n n„, dann n und _ . 1 n L 4= \', mit Bedingung 4 für 'B Zerlegung von X : n L = 0, das £. , heißt: Für alle x£.X:Falls x e n , dann x $ n und falls x e n , dann . Mit Bedingung 3 für "B Zerlegung von X' können wir daraus auf n ,... , ,,...[· sein oder sie kann Erstglied eines Paares aus dem Paradigma j < vermisse, £l .Person(-,S) ,..
> ,... t ,
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, ...j sein. Auch bei (35) Die dosen sind für seine Bedürfnisse viel zu klein
kann die Wbrtform dosen Erstglied eines Paares aus dem Paradigma ·(< dose, { Singular(-,S),...}> , l oder Erstglied eines Paares aus dem Paradigma { , / · sein. Mit der Wertform dosen habe ich ein Beispiel aus Weber (1974,3.15) entnamien. Meine Sätze (26) und (33) können für die Wortformen dummheit beziehungsweise glasses als entsprechende Beispiele dienen. Allen diesen Beispielen ist eines gemeinsam: Es ist die Tatsache, daß auch unter Hinzuziehung des unmittelbaren verbalen Kontextes eine Entscheidung über die Zuordnung des Paradigmas zur Wortform nicht getroffen werden kann. Dieses Resultat wollen wir festhalten. Ich werde im Zusammenhang mit dem Wortfeldbegriff im nächsten Kapitel wieder darauf zurückkönnen. Selbstverständlich wird man meistens eine Entscheidung fällen können, indem man auf den größeren Rahmen, der verbal oder non-verbal sein kann, zurückgreift. Bei einigen Wortformen allein, kann man noch nicht einmal die Wortart oder die syntaktische Kategorie eindeutig ablesen. Dies lehrt uns das Beispiel der Wortform auffinden
und die Sätze (36) und (37):
(36) Das auffinden einiger wrackteile nährte frische (37) Niemand konnte irgendwelche spuren auffinden.
hoffnung
Es ist also wichtig, die syntaktische Kategorie vorher festzulegen. Der Verweis auf den verbalen Kontext wäre nicht realistisch, da die Wortformen nur als Elemente bestiitmter syntaktischer Kategorien in komplexe Ausdrücke eingehen. Somit muß die Festlegung der syntaktischen Kategorie 'vorher' erfolgen. Bei Lieb ist die Angabe der syntaktischen Kategorie konsequent durchgeführt, so etwa in Lieb (1977a,S.81) und auch ich werde im nächsten Kapitel Nutzen daraus ziehen können. Weber (1974,3.38) versucht mit seinem Begriff Lemma eine Verallgemeinerung des Paradigmabegriffes, bei der syntaktische Kategorienwechsel erlaubt sind Aber mit meinem Ziel vor Augen, mehr Kenntnisse über Subklassifikationen innerhalb syntaktischer Kategorien zu gewinnen, habe ich für solche Vorschläge keine Verwendung. Wir haben erfahren, daß der Übergang von einer Wortform zu einem Paradigma, selbst bei Festlegung der syntaktischen Kategorie, problembeladen ist.
Aber auch
die umgekehrte Richtung, vom Paradigma zu einer eventuell für das Paradigma 'repräsentativen1 Wortform, bereitet Kummer. Es wäre sehr zu begrüßen, falls wir einzelne Wortformen als Vertreter ganzer Paradigmen haben könnten, denn dies ist offensichtlich in der Umgangssprache gang und gäbe und auch ich bin an
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verschiedenen Stellen so verfahren. Eines wissen wir bereits: Abgesehen von den uneigentlichen Paradigmen kann nicht irgendein beliebiges Erstglied des Paradigmas als Vertreter genommen werden, da einige Erstglieder in verschiedenen Paradigmen auftreten. Es wäre dennoch ausreichend, wenn es für jedes Paradigma wenigstens eine charakteristische Wbrtform, wie Lieb (1977a,S.74) es nennt, gäbe. Wahrig (1973) macht folgende Vorschläge: "Ich schlage vor, daß man die funktional oder im Ausdruck am wenigsten Merkmale tragenden Lemmata einträgt, also für das Substantiv den Nominativ Singular, für das Verb den Infinitiv, für das Adjektiv die unflektierte Form oder die maskulinen, femininen oder neutralen Formen des Nominativ Singular (bei unflektiert nicht gebräuchlichen Adjektiven sowie den zur adjektivischen Deklination gehörenden Substantiven)." ( S . 4 1 ) .
Ullmann (1957,3.53) trifft dieselbe Auswahl und findet es nicht weiter schlimm, keinen neutralen, außerhalb der Paradigmen auftretenden Term zur Verfügung zu haben. Breal (1964) versucht die Wahl des Infinitivs für Verben so zu rechtfertigen: "The infinitive represents the verbal idea, disburdened of all accessory and adventitious elements. It knows neither person nor number." ( S . 7 9 ) .
Für die Wahl des Noninativ Singular bei Substantiven gibt es offensichtlich einige Beispiele, die zeigen, daß diese Wahl nicht immer das Wortparadigma eindeutig bestürmen. Und zwar sind es alle jenen Fälle, bei denen unterschiedliche Pluralformen mit einheitlichen Singularformen zusammengehen. Ullmann (1962,5.169) zählt solche Beispiele auf: im Deutschen haben wir etwa die Singularform band, die gleich drei Pluralformen haben kann, nämlich bände, bände und bander. Jeweils zwei Pluralformen treten bei der Singularform tuch mit tuche, tüaher und im Englischen bei der Singularform brother mit brothers und brethren auf. Umgekehrt nützt uns die generelle Angabe der Pluralform auch nichts, da wir Substantive wie mut, sand und dummheit (in einer Lesart) haben, für die es gar keine Pluralform gibt. Mit anderen Worten, wenn es um Eindeutigkeit bei den Substantiven geht, können wir uns nur auf die Angabe des Wortparadigmas verlassen. Ansonsten bleibe ich mit diesem Vorbehalt bei dem Vorschlag des Nominativ Singular als Repräsentant, denn liebgewordene Gewohnheiten lassen sich nicht so leicht ablegen. Auf den ersten Blick scheint die Situation bei den Verben besser zu sein. Dennoch fällt mir auch bei den Verben mit dem Infinitiv als Vertreter ein Beisniel ein, das zeigt, daß im Deutschen aufgrund der Infinitivform nicht in jedem Fall das zugehörige Paradigma eindeutig feststeht. Nehmen wir die Infinitivform bewegen. Einmal kann dies Erstglied eines Paares aus dem Paradigma [< bewege, ·[ 1.Person(-,S),Singular (-,S) ,Präsens(-,S) ,...}> ,... , ,...} - also bewegen im Sinne von 'Veränderung der Lage" - sein oder es kann Erstglied eines Paares aus dem Paradigma •Ubewege, { 1.Person(-,S) ,Singular (-,S) ,Präsens (-,S) ,.. .\ > ,... , £ Inhalt ( x ) ) ." ( S . 3 8 ) .
Für diesen Kern von Eigenschaften oder Relationen treten nun genau dieselben Probleme auf, die ich bisher für die Merkmalsbeschreibung erwähnt habe. Implizit muß man auch hier mindestens soviele Eigenschaften oder Relationen fordern, daß eine Differenzierung zu anderen Begriffen möglich ist. Andernfalls könnte zum Beispiel bei zwei Begriffen b « » ^ mit ^i untergeordnet zu b gerade keine Differenzierung geleistet werden, da man, um der Annahme 2(a) zu genügen, für b auch auf den Kern von b angewiesen wäre. Dies kann sich der Leser am Beispiel b ='Linde" und b„ =*Baum' überlegen, wobei ich für die Angabe der Begriffe Liebs Schreibweise übernonnen habe. Eng damit verbunden ist die Frage, an welchen Punkt man mit der Auflistung von Eigenschaften oder Relationen haltmachen kann. Betrachten wir Liebs Beispiel* wohnhaus' auf S.39, dann fällt unangenehm auf, daß die berühmten drei Punkte bereits nach der Angabe einer einzigen Eigenschaft auftreten. In Lieb (198O,S.16 und 51) wird die Neutralität gegenüber der Komponentialanalyse beteuert. Insbesondere weist Lieb auf die Möglichkeit der Angabe einzelner komplexer Eigenschaften oder Relationen c hin, die im Inhalt enthalten sind. Un der damit verschärften Problematik der Differenzierung untereinander zu entgehen, sehe ich mit diesem Vorgehen die Gefahr der Angabe ziemlich trivialer Eigenschaften im Sinne der mehr oder weniger direkten Übertragung der objektsprachlichen Ausdrücke verbunden. Dies bewahrheitet sich bereits in Lieb (1979b),
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wo zum Beispiel für das Adjektiv clever ein unanalysiertes CLEVER (S.5) und für das Verb walk eine nicht näher spezifizierte Handlung WALK angegeben wird (S.6). Ein äußerst kontroverses Thema für die Kcmponentialanalyse ist der Status der Merkmale. Für Katz (1966,3.155) sind sie zwar formal primitive Elemente, jedoch gibt es Gegenstücke für sie im Denken. Bierwisch (1967,3.3) oder Bierwisch (1971,3.433) geht noch sehr viel weiter und schlägt als Interpretation angeborene Eigenschaften vor. Der Nachweis des Offenlegens der kognitiven Struktur mittels einer Merkmalsbeschreibung steht irritier noch aus und Burling (1964, S.26) stellt jegliche Beziehung zwischen Analyse und kognitiver Struktur als zweifelhaft dar. Andere begnügen sich noch nicht einmal mit der bloßen Möglichkeit einer geeigneten Interpretation, sondern sind auf den Nachweis der psychologischen Realität semantischer Komponenten aus, wie zum Beispiel Gentner (1975, S.246). Er verfällt jedoch dabei dem Fehler, von der Richtigkeit der Beschreibung im Hinblick auf intuitiv geforderten Beziehungen zwischen Verben auf das tatsächliche Vorhandensein des Beschreibungsmittels zu schließen. Solange wir nicht mehr über die Merkmale wissen, bleibt nichts anderes übrig, als sie so zu nehmen, wie sie in konkreten Analysen auftreten. Dabei handelt es such um Ausdrücke einer Sprache, die meist beträchtliche Ähnlichkeit mit einer bekannten natürlichen Sprache hat. Bei Hilty (1972) heißt es: "Jede natürliche Sprache ist grundsätzlich für die (ohnehin behelfsmäßige) Wiedergabe von Semen gleich gut - und auch gleich schlecht - geeignet." (S.42,Fn.7).
Implizit kann der Autor davon ausgehen, daß wir die Merkmalssprache - Lewis (1970,3.18) nennt sie markerese - verstehen und die Wortbedeutung ist letztlich nichts anderes als eine Übersetzung in diese Sprache. Dies hebt auch Wunderlich (1974,5.279) hervor. Was an der Bedeutung erfassen eigentlich die Merkmale nach Meinung der Vertreter der Methode der Kcmponentialanalyse? Normalerweise dienen sie zur Festlegung der Extension. Die Kombination der Merkmale stellt eine notwendige und hinreichende Bedingung für Cbjekte dar, um Element der Extensionen zu sein. Genauso formulieren es zum Beispiel Püschel (1975,3.34) und Lounsbury (1978,3. 165/166) und Bierwisch (1979,3.49) spricht von Klassifikationsbedingungen. Was unter 'Kombination der Merkmale' wirklich zu verstehen ist, bleibt völlig unklar. Einmal kann es 'konjunktiv1 gemeint sein, dann gibt es aber auch Fälle, wo es teilweise "disjunktiv1 gemeint ist. Auf die damit verbundenen Unklarheiten hebt besonders Lyons (1977a,S.320) ab. Abgesehen von dieser Schwierigkeit, ist, solange wir beliebige Merkmale zulassen, diese Annahme über die Bestimmung der Extension trivial erfüllt. Da eben zum Beisniel die Extension von zitrone die
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Menge der Zitronen ist,
ergibt die Eigenschaft 'eine Zitrone zu sein1 ein not-
wendiges und hinreichendes Kriterium für jedes Cbjekt, um der Extension von zitrone anzugehören. Dies ist aber sicherlich nicht Zweck der Übung, wie auch Putnam (1975a,S.14O) hervorhebt. Was den Vertretern der Konponentialanalyse vorschwebt, sind nicht triviale Merkmale, sondern solche, die eine erklärende Funktion haben. IM dem oben formulierten Anspruch zu genügen, muß jedes einzelne Merkmal aus dem gesamten Bündel eine notwendige Bedingung für die der Extension angehörenden Objekte darstellen. Deshalb sollte man die sogenannten essentiellen Merkmale heraussondern. Rommetveit (1968) meint, daß die Hinzuziehung anderer Wörter hierzu hilft und veranschaulicht es mit dem Substantiv cup: " ( . . . ) context of a whole network of related emerging concepts and words. In order for object status to emerge, for instance, word forms like "pour", "drink", and "wash" must be available to single out contextual activity aspects. Similarly, a specific word "glass" ( . . . ) must be available in order for a particular form property (the handle) to acquire distinctiveness. In general, therefore, we may conclude that relevant, invariant properties of cups acquire distinctiveness in the act of labeling only to the extent that irrelevant, variant, contextual features are being singled out as focal features of reference for other words." ( S . 1 2 5 ) .
Positiv ist zu vermerken, daß das Problem nicht blind nur mit einem Wort diskutiert wird, über den Kontrast zu anderen Wörtern kann man danach versuchen, relevante Merkmale zu finden. Aber was sollen für cup die relevanten, invarianten Eigenschaften sein? Ganz sicher nicht die Eigenschaften "einen Henkel zu haben'. Eine Tasse mit gebrochenem Henkel ist wohl inmer noch eine Tasse. Sicher, denn sonst hätte ich den letzten Satz gar nicht so schreiben können. Ich kann ja nicht sagen: "Der Becher oder die Schale mit gebrochenem Henkel" oder sollte man vorsichtiger sein und sagen: "Dies hier war eine Tasse, nun ist sie - Verzeihung, ist dieses Objekt - ein Becher"? Die Verfeinerung der Eigenschaft zu 'zu einem Zeitpunkt einen Henkel haben1 bringt uns nicht weiter, da es Teetassen ohne Henkel gibt. Ich fürchte, die Suche nach nicht trivialen, essentiellen Merkmalen ist vergebliche Liebesmüh. Soviel sollten wir von der langen Diskussion in der Philosophie gelernt haben, obwohl ich nicht verschweigen will, daß inner wieder Kandidaten hierfür vorgeschlagen werden. So geht es im Augenblick für biologische Arten um den jeweiligen Ursprung. McGinn (1976) macht sich dafür stark. Als neuere generelle Behandlung neben Kripke (1972) lege ich jedem Leser den bereits erwähnten Artikel von Putnam (1975a) ans Herz. Falls er nur den Effekt hat, daß wir von nun an eine kritischere Haltung gegenüber Merkmalsbeschreibungen einnehmen, ist für die Linguistik viel gewonnen. Wo Merkmalsbeschreibungen im Sinne von notwendigen und hinreichenden
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Bedingungen für die Bestirmtung der Extensionen tatsächlich funktionieren, sind sie meist willkürliche Festsetzungen zum Zwecke von Klassifikationen im Bereich von Wissenschaften, wie zum Beispiel Taxinomien in der Biologie. Typischerweise werden diese selten in die Umgangssprache mit übernommen. Allerdings kann man davor nicht die Augen verschließen, daß im Alltag bei der Erklärung der Bedeutung eines Wortes zunächst Eigenschaften normaler Mitglieder seiner Extension genannt werden und dies für den normalen Gebrauch des Wortes als ausreichend erachtet wird. Dies gesteht auch Putnam (1975a) zu und formuliert folgende empirische Hypothese: " ( . . . ) there are, in connection with almost any word ( . . . ) , certain core facts such that ( 1 ) one cannot convey the normal use of the word (to the satisfaction of native speakers) without conveying those core facts, and (2) in the case of many words and many speakers, conveying those core facts is sufficient to convey at least an approximation to the normal use." ( S . I 4 8 )
HöUcer (1977,3.97-103) betrachtet - sicherlich richtig - sinnlich wahrnehmbare Kriterien als die zweckmäßigsten Kandidaten für solche Eigenschaften, obwohl sie nicht einen hohen Grad an Sicherheit für die Extensionsbestimnung mit sich bringen mögen. Interessanterweise sind es gerade diese Kriterien, die bei nicht realen Situationen beibehalten werden. Dagegen können oft für die reale Sitution mehr charakteristische Kriterien problemlos aufgegeben werden. So sprechen in Märchen plötzlich Pflanzen oder Tiere, aber ihre Form oder Gestalt wird kaum verändert. Ich werde etwas später detaillierter darauf zurückkamen, welche Funktion diese Kerneigenschaften im Zusammenhang mit Bedeutungsangaben für den Einzelnen und für eine Sprachgemeinschaft hat. Eines haben wir bereits gelernt: Die beliebte Methode der Komponentialanalyse ist für die Erfassung des Bedeutungsbegriffes 'an sich1 nutzlos, da jegliche Merkmalsbeschreibung bestenfalls Teile der Bedeutung der Wörter in bezug auf andere Wörter erfaßt. Moch schliimer, sie kann auch nicht zur Bestimmung der jeweiligen Extension herangezogen werden. Die von den einzelnen Merkmalen benannten Eigenschaften stellen keine notwendigen Eigenschaften der Objekte dar, die Element der Extension des Wortes sind. Also fangen wir am besten wieder ganz von vorne an, um vielleicht auf eine Spur zu kamen, die vielversprechender ist.
3.2.3
Die Inhaltsse-ite als Struktur über Stereotypen
Was zählt überhauot zur lexikalischen Bedeutung 'an sich1? Die syntaktische Kategorie eines Wortes gibt Auskunft über die Verkettungsmöglichkeiten des Wortes mit solchen Ausdrücken, die im resultierenden komplexen Ausdruck dem Wort
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unmittelbar vorangehen oder unmittelbar nachfolgen. Die syntaktische Kategorie bestimmt ferner den semantischen Typ. Deshalb werden auch bei der lexikalischen Bedeutung eines Wortes höchstens Einflüsse auf beziehungsweise von den Bedeutungen unmittelbar vorangehender Ausdrücke oder unmittelbar nachfolgender Ausdrücke wirksam. Finden wir systematische Einwirkungen von entfernteren Ausdrükken, so ist das ebenfalls unproblematisch, da wir hierfür syntaktische Relationen etwa im Stile der integrativen Granmatik, vergleichen Sie Lieb (1977a,Ab. 3 . 2 ) , ansetzen können. Wir brauchen also für diese Erscheinungen unsere Auffassung von lexikalischer Bedeutung nicht ändern. Wie sieht es aber bei folgender Annahme zu Satz (38) aus? (38) Maria schreit fürchterlich.
Angenomien, fürchterliches Schreien bei Maria ist inmer der Beginn eines Anfalls. Dann würde man umgangssprachlich sehr wohl sagen, daß 'fürchterliches Schreien' bei Maria 'Anzeichen für einen Anfall' bedeutet. Keinesfalls wird dies aus der Modifikation der lexikalischen Bedeutung von geschrien mit der lexikalischen w Bedeutung von fürchterlich hervorgehen. Es wäre nun einfach absurd so weit zu gehen, daß man eine spezielle syntaktische Relation zwischen dem Eigennamen w Maria , und zwar nur, falls er auf die besagte Maria referiert, und eventuell fürchterlich
W
ansetzte. Die für solche Spezialfälle benötigte Information ist
generell besser im nicht verbalen Kontext aufgehoben. Kramsky (1969,3.47/48) versucht all die Faktoren mit seinem Begriff dktuale Bedeutung zu beschreiben, während meine lexikalische Bedeutung bei ihm potentielle Bedeutung genannt wird. Unabhängig davon müssen natürlich systematische Einflüsse des nicht verbalen Kontextes für die lexikalische Bedeutung herangezogen werden. So ist zum Beispiel die Feststellung der erforderlichen Aspekte des Kontextes notwendig, um den indexikalischen Anteil der Bedeutung des jeweiligen Wortes zu erfassen. Die Unterscheidung von Erdmann (1922,S.1O7) in begrifflichen Inhalt, Nebensinn und Gefühlswert ist berühmt, aber aufgrund seiner kargen Ausführungen für mich nicht klar zu sehen. Es gibt sehr viele Wörter, bei denen gewohnheitsmäßig und unwillkürlich gewisse Begleitvorstellungen geweckt werden; also das, was bei Erdmann der Nebensinn ist. Man denke nur an Substantive wie intellektueller, dissident, viererbande oder an Ortsnamen wie Paderborn und Las Vegas. Die lexikalische Bedeutung sollte Raum für diesen Bereich haben. Allerdings scheint mir gerade dieser Bereich analytischer verbaler Beschreibung relativ schwer zugänglich. Die lexikalische Bedeutung eines Wortes ist ferner unter anderem abstrahiert von individuellen Empfindungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Wort. Deshalb zähle ich Erdmanns Gefühlswert nicht zur lexikalischen Bedeutung 'an
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sich'. Ähnlicher Meinung ist Schmidt (1961,5.234). Natürlich sollte dieser Aspekt bei der Untersuchung einer Äußerungssituation nicht vernachlässigt werden. Indem diese Empfindungen vor allem die Reaktion und den "Ton* der Reaktion bestinmen, beeinflußt er die Situation um den Sprecher herum entscheidend. Da nach Ansicht der meisten Linguisten eine Beschreibung der lexikalischen Bedeutung eines Wortes nicht mit dem Beitrag über seine Referenten in einer Enzyklopädie gleichzusetzen ist, wird initier wieder versucht, eine sinnvolle Trennung zwischen semantischen Fakten über das Wort und empirischen Fakten über die Referenten aufzuzeigen. Nida (1975a,S.21) zählt nur das, was als Kontrast zu anderen Ausdrücken notwendig ist,
zu den semantischen Fakten. In Nida (1975b) wird
er für das Substantiv father etwas deutlicher: "Information about the age of males when they become fathers, the extent of paternal legitimacy, and legal requirements of paternity are all important sociological facts, but these facts are encyclopedic data; they would become semantic data only if they become a part of some contrast in lexical structures. ( . . . ) Only what is marked by structural contrasts becomes a part of the language structure; all the rest is part of the structure of the culture. It may be discussed by means of language, but is not a part of the language system itself." (S.35/36).
Daß Nida so großen Wert auf den Kontrast mit anderen Ausdrücken legt, hängt mit seiner Vorliebe für Merkmalsbeschreibungen zusammen. Gerade bei dieser Art von Semantik muß es aber einige Charakteristiken für father geben, die es erlauben, dieses Wort auch auf andere Kulturen anzuwenden. Und diese Charakteristiken können wohl nicht nur vom Sprachsystem beziehungsweise von Kontrasten zu anderen Wörtern - welchen? - abgeleitet werden, sondern müssen, wie ich es weiter unten sagen werde, mit dem Stereotyp "Vater1 etwas zu tun haben. Katz (1975,3.85) versucht es über Folgerungen. Nur diejenigen Informationen, die essentiell in die Erklärungen von Folgerungen und anderen semantischen Relationen eingehen, sollen als semantischer Bestandteil des Wortes auftreten. Katz läßt uns jedoch bei der Frage im Stich, was unter 'essentiell' zu verstehen sei. Zunächst einmal kann jede empirische Erfahrung in eine Folgerung umgewandelt werden. Eine ganze Menge solcher empirischer Erfahrungen sind in der Sprachgemeinschaft weitverbreitet und sind dem jeweiligen Wort direkt zugeordnet. Dies trifft speziell auf Wörter für natürliche Arten wie wasser zu. Wie sollen wir uns zum Beispiel mit dem Kriterium von Katz bei der Folgerung (39) verhalten? (39) Falls diese flüssigkeit wasser 1st, dingungen bei 1OO" Celsius.
dann siedet sie unter normalen Be-
In Gauger (1970) finden wir den interessanten Hinweis darauf, daß durch das Netz
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der Beziehungen zu anderen Wörtern häufig auf den ersten Blick außersprachliches als innersprachlicher Inhalt eines Wortes zu berücksichtigen ist: " ( . . . ) was uns als >außerinhaltlichaußersprachliche< Kenntnis über ein bestimmtes Ding erscheinen mag, in Wirklichkeit auf der Kenntnis anderer Wortinhalte beruht. Gehört zum Inhalt des Adjektivs rot das Wissen, daß Blut rot ist? An Blut ( . . . ) zeigt sich gewiß diese Eigenschaft in einer paradigmatischen Weise: das ist mehr als eine >Assoziation< , die sich einstellen kann oder nicht; jedenfalls fehlt dieses Wissen über »rot« bei keinem Angehörigen der Sprachgemeinschaft. Daß nun aber die rote Farbe vor allem anderem dem Blut zukommt, weiß ich, weil ich den Inhalt des Wortes Blut kenne. Ebenso weiß ich, daß Eier, wie sie mir in der Küche begegnen, in der Regel von Hühnern stammen, weil ich den Inhalt von » Huhn«· kenne usw." (S.66/67).
Aus diesem Grunde ist es auch unproblematisch, wenn er sich in Gauger (1972,S. 32) und in Gauger (1976b,S.116) auf die Seite der Hinzuziehung außersprachlicher Kenntnisse schlägt. Stern (1965,5.43/44) sieht mit seiner 'symbolischen' Funktion des Wortes ausdrücklich Beziehungen zu empirischen Fakten der Referenten vor. Diese Haltung ist mir sympathisch. Sprache dient unter anderem dazu, außersprachliches zu benennen, wonit es ganz natürlich ist,
daß Charakteristiken der Re-
ferenten in die Sprache mit eingehen. Die gesamte Arbeit von Dahlgren (1976) kreist um diese Gedanken. Wie das unterschiedliche Wissen beim Einzelnen über Referenten des Wortes, wie zum Beispiel über Referenten des Substantivs linde, mit der Akzeptierung der einheitlichen Extension des Wortes innerhalb einer Sprachgemeinschaft, im Beispiel die jeweilige Menge der Lindenbäume, einhergehen kann, werde ich versuchen, weiter unten mit Hilfe einer Hypothese zu erklären. Wörter referieren nicht, nur Sprecher referieren auf etwas beim Äißern der Wörter. Sind nun die Referenten beim Äjßerungsakt Element der Extension des Wortes, das heißt, sind sie durch die lexikalische Bedeutung und den Kontext bestimmt, oder müssen wir etwa der Intention des Sprechers Vorrang geben und zulassen, daß die Referenten beim fiußerungsakt auch außerhalb der Extension des Wortes liegen? Lieb (1976b,S.25-27) diskutiert Situationen, bei denen der Referent von the thief außerhalb der Extension von thief liegen kann. Er nennt den jeweiligen Gebrauch 'specific-referential-gestural1 und 'specific-referentialdoxastic'. Der Leser mag stutzen, wenn er sich noch an meine Fragestellung erinnert. Es ging bei mir um Wörter und nicht um konplexe Ausdrücke wie zum Beispiel definite Noninalphrasen. Also müssen wir uns um andere Beispiele kümmern. Nehmen wir doch Eigennamen, denn diese haben normalerweise ebenfalls in entsprechenden Kontexten einzelne Referenten; zum Beispiel in Satz (4O): (4O) Hubert ist
ein postbeamter.
66 Vollzieht der Sprecher von (40) 'unmittelbar1 vorher oder bei und mit der Äußerung von Hubert einen Benennungsakt ('Taufakt') einer Person, dann müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß der Referent von Hubert in dieser Äußerung nicht mit der Extension von Hubert in dieser Situation zusaittnenfällt. Abgesehen von bewußten Täuschungen und Tests der Hörer wird man dem Sprecher als Annahme folgendes zubilligen: Hubert ist der Name der von mir intendierten Person. Was ist unter einem Benennungsakt zu verstehen? Unter einem Benennungsakt verstehe ich die Zuordnung des in der Äußerung gefallenen Namens zu einer anderweitig zumindest für den Sprecher festgelegten Person. Diese anderweitige Festlegung kann bei der Äußerung des Namens durch einen direkten Verweis, etwa gestisch, erfolgen, aber auch im Sinne von Donnellan (1966,5.285) 'referentiell1 gemeinte Kennzeichnungen in einem vorausgehenden Text sind möglich. Beides schließt natürlich Mißverständnisse auf der Hörerseite nicht aus. Entscheidend beim Benennungsakt ist also, daß der geäußerte Name nicht dazu dient, eine bestürmte Person aus einer in der Situation in Frage kommenden Personenmenge herauszupicken. Der Name stellt in diesem Fall eigentlich nur eine bequeme Abkürzung für Kennzeichnungen wie in (41) und (42) dar: (41) Dieser mann, auf den ich nun deute, ist ein postJbeamter (42) Der mann, der gerade als der spaßvogel in der familie bezeichnet wurde, ist ein Postbeamter.
Die Phrase 'in diesem Fall' ist wichtig; der Eigenname Hubert und die Kennzeichnungen in den Sätzen (41) und (42) haben natürlich unterschiedliche Bedeutungen. Eine neuere anregende Lektüre über diese Fragestellungen bietet Kaplan (1977) . Mit Hilfe des für die anderweitige Festlegung notwendigen Verweises werden Benennungsakte vom Sprecher dem Hörer irgendwie signalisiert. Bleibt ein solcher Verweis aus, dient der Eigenname dazu, die Person mit diesem Namen, falls es in der in Frage kommenden Personenmenge eine solche gibt, herauszupicken. In diesem Fall ist der Referent des Namens garantiert Element der Extension des Namens in dem jeweiligen Kontext. Eine entsprechende Situation im Zusanmenhang mit Satz (4O) wäre ein Gespräch über die Familie X, wobei man schließlich zu den Berufen der Söhne konmt. Selbstverständlich ist ein Benennungsakt nicht auf Eigennamen beschränkt. Praktisch kann er bei jeder syntaktischen Kategorie auf analoge Weise vorgenommen werden. Es handelt sich dabei um eine der wichtigsten Arten, wie Abweichungen vom normalen Sprachgebrauch in der Sprachgemeinschaft akzeptabel sind. Denken Sie zum Beispiel an einen ungestümen Fahrer bei seinem Kavaliersstart. Die Reifen kreischen auf und machen für die meisten Beteiligten einen unerträglichen Lärm. Er aber äußert dabei Satz (43):
67 (43) Dies ist
für mich musik.
Für ihn ist der Referent des Substantivs musik das besagte Geräusch der Reifen, während dieses Geräusch normalerweise nicht zur Extension von musik gezählt wird. Alles in allem können wir also nicht in jedem Fall davon ausgehen, daß - wie die jeweilige Extension - die Referenten geäußerter Wörter allein aus der lexikalischen Bedeutung und der jeweiligen Situation abzuleiten sind. Die Intention des Sprechers kann die Oberhand gewinnen, wodurch die Bindung des Referenten an die jeweilige Extension des Wortes aufgehoben wird. Eine solche Freiheit herrscht jedoch nur beim Benennungsakt. Falls ohne das damit verbundene Signal jeder Sprecher in jeder Situation nach Belieben Referenten bestimmen könnte, wäre Kommunikation innerhalb einer Sprachgemeinschaft schlechterdings undenkbar. Ganz besonders gilt dies für Gespräche über Gegenstände, Personen, Situationen und so weiter, die nicht präsent sind. Feste Referenzbeziehungen über einen gewissen Zeitraum sind normalerweise eine der Bestandteile, die Komnunikation erleichtern. Das heißt wiederum für mich als Teilnehmer an der Sprachgemeinschaft, daß ich bereit sein muß, Sanktionen und Belehrungen zu ertragen, falls meine Referenten außerhalb Benennungsakten nicht Elemente der jeweiligen Extensionen sind und somit mein Gebrauch der Wörter nicht mit dem allgemeinen Verständnis in der Sprachgemeinschaft konform geht. Keine Frage, diese Fakten haben Auswirkungen auf die Satzsemantik, insbesonders erfordern sie eine Modifikation der üblichen Wahrheitsdefinition. Jedoch ist dies nicht der Platz, hierauf einzugehen. Im Benennungsakt haben wir eine Situation, bei der der Sprecher etwas zumindest für den Sprecher bestimmtes benennt, das heißt, diesem etwas einen Namen gibt. Wonach richten wir uns eigentlich, wenn wir etwas sprachlich benennen, zum Beispiel, wenn wir Satz (44) äußern? (44) Dies ist
ein
pferd.
Es herrscht ziemliche Einigkeit darüber, daß das Objekt, auf das der Sprecher mit seiner Äußerung referiert, eine Ähnlichkeit zu den Dingen aufweist, die er und andere aus der Sprachgemeinschaft 'Pferd' genannt haben. Das Stichwort Ähnlichkeit finden wir tatsächlich bei so unterschiedlichen Leuten wie Gauger (1976c,S.155), Wallach (1961,3.166) und im Hinblick auf 'natürliche Arten'-Wörter bei McKay/Stern (1979,5.34 Fußnote?). Nachzufragen, worin und bezüglich was denn nun diese Ähnlichkeit bestehe, wird allerdings meist als lästig empfunden. Bei der künstlichen Intelligenzforschung hängt die Erkennung von Gegenständen in
.68
erster Linie von Gestalteindrücken ab. Deshalb liegt bei unserm Beispiel die Vermutung nahe, daß die Gestalt des Pferdes eine wichtige Rolle spielt. Verlassen wir jedoch die Welt der Figuren in Geometrie und Topologie, dann sind selbst die Gestalten und Figuren nicht mehr so ganz einfach. Es könnt aber noch schlimmer: Einige Dinge, besonders solche mit beweglichen Teilen, unterliegen Transformationen und ändern somit ihre Gestalt immer wieder. Trotzdem erhalten sie in vielen Sprachen einen Namen. Miller/Johnson-Iaird (1976,8.214) machen darauf aufmerksam. Im Deutschen wären als Beispiele die Substantive wölke und buch zu nennen. Entscheidend ist wohl, daß es sich um einen induktiven Prozeß handelt. Aus der bisherigen Erfahrung haben sich typische Beispiele, zum Beispiel für Pferde, herausgebildet, die ich zum Vergleich heranziehe. Was mit.diesen typischen Beispielen alles zusammenhängt, ist im Augenblick ziemlich offen. Ich werde weiter unten darauf zu sprechen kommen. Da wir unterschiedliche Erfahrungen und Kenntnisse haben, ergeben sich bezüglich einzelner Gebiete unterschiedliche Genauigkeitsgrade für die typischen Beispiele, manchmal sogar völlig unterschiedliche Arten von typischen Beispielen. Bei Wörtern für Gegenstände, mit denen wir täglich umgehen, ist das nur schwer einsehbar. Man denke aber nur an ein Substantiv wie linde. Wichtig ist, daß der jeweilige Sprecher bereits ein gewisses Maß an Wissen und Erfahrung über Lindenbäume haben muß, um überhaupt über für ihn 'typische1 Beispiele mitreden zu können. Ich glaube, Sprecher als Mitglieder einer Sprachgemeinschaft sind sich darüber sehr wohl bewußt, mehr jedenfalls als viele Linguisten und Philosophen ihnen zugestehen wollen. Wie solche individuellen Beschränkungen in einer Sprachgemeinschaft überwunden werden können, wird uns noch beschäftigen. 3m Falle von Wörtern für natürliche Arten setzt Putnam (1975c,S. 141/142) eine theoretische Gleichheitsrelation an. Worin diese Gleichheitsrelation besteht, kann seiner Meinung nach variieren und wird je nach Interesse bestimmt. Dadurch setzt er zum Beispiel auf S.157 verschiedene Sinne von was s er an. Egal, ob es sich um eine Ähnlichkeitsrelation oder Gleichheitsrelation handelt, auf jeden Fall wird bei dem induktiven Prozeß eine Organisation und Strukturierung von vorwiegend sensorischen Eindrücken vorgenommen. Geht diese Strukturierung in Richtung auf die Abstrahierung von 'Unwichtigem1 (Prägnanztendenz), dann führt dieser Prozeß letztlich auf das, was traditionellerweise in einem Bereich der Psychologie, so etwa bei Koffka (1935,5.682), eine Gestalt genannt wurde. Mit Gestalt kann nicht ernsthaft der umgangssprachliche, figürliche Sinn gemeint sein, falls für unsere Interessen überhaupt die Chance bestehen soll, diesen Begriff nutzbringend anzuwenden. Soviel haben wir soeben im Zusammenhang mit dem Beispiel pferd gelernt. Da ich mehr an der Frage: Was sind Bedeutungen? interessiert bin, gehe ich
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nicht weiter auf Spekulationen ein, wie Bedeutungen entstehen mögen. Dennoch werde ich versuchen, aus dem Hinweis auf den Gestaltbegriff
Nutzen zu ziehen.
Was der Sprecher von Satz (44) in der jeweiligen Situation ein Pferd nennt, muß den Kriterien genügen, die sich aus seiner Idee von Pferden im Hinblick auf die durch die Situation bestinmten Interessen ergeben. Die Idee von Pferden und sonit auch wohl einige Kriterien werden variieren, je nachdem, ob das Interesse für Pferde in ihrer Verwendung als Last- und Zugtiere oder als Reit- und Springtiere besteht. Diese Interessenabhängigkeit erklärt vor allem die bei der Diskussion der Merkmalsbeschreibungen gefundene Tatsache, daß es keine nicht-trivialen Eigenschaften gibt, die einem Pferd notwendigerweise zukommen. Die jeweilige Idee oder Vorstellung von Pferden nennen wir mit Putnam (1975c) ein Stereo-
typ: "In ordinary parlance a "stereotype" is a conventional (frequently malicious) idea (which may be wildly inaccurate) of what an X looks like or acts like or is." ( S . 1 6 9 ) .
So ein Stereotyp entsteht durch Abstraktion. Dies können wir nach meinen Ausführungen erwarten und es wird in dem interessanten Artikel von Rösch (1973) bestätigt, wobei ich mich im Augenblick eher an die zentrale Tendenz als an den Prototyp halte: " ( . . . ) subjects appear to operate inductively by abstracting a "prototype" (a central tendency) of the distribution ( e . g . of dot patterns, schematic face f e a t u r e s ) / a "prototype" which then appears to "operate" in classification and recognition of instances." ( S . 1 1 3 ) .
Informationen über Proto- oder Stereotypen dürfen nicht vernachlässigt werden. Soviel ist für einen Wahrnehmungstheoretiker wie Palmer (1975) klar: "I propose that representations of categories include information about prototypical values. In some cases this information concerns a central tendency such as the typical dimensions of a face, but in other cases this information concerns ideals such as the purest, most saturated shade of blue." ( .293).
Miller/Johnson-Laird (1976,3.290) rücken diese Ideen oder Vorstellungen sogar in die Nähe von Theorien. Ich bevorzuge den Putnamschen Begriff Stereotyp, da er mir insgesamt klarer scheint als der Begriff Prototyp. Deshalb ist auch meine vorgenommene Austauschbarkeit der beiden Begriffe mit Vorsicht zu genießen. Eine klare Stellung zur naheliegenden Frage, ob es sich bei Prototypen um Elemente oder Ideen handele, ist leider nicht in Sicht. Vergleichen Sie hierzu die Zitate aus Rösch (1978):
70 "By prototypes of categories we have generally meant the clearest cases of category membership defined operationally by people's judgments of goodness of membership in the category. ( . . . ) the notion of prototypes has tended to become reified as though it meant a specific category member or mental structure." ( S . 3 6 ) .
Eine Seite weiter (Rösch (1978,3.37)) spricht sie von prototypischen Elementen. Analoges finden wir schon in Rosch/Mervis (1975): " ( . . . ) we viewed natural semantic categories as networks of overlapping attributes; the basic hypothesis was that members of a category come to be viewed as prototypical of the category as a whole in proportion to the extent to which they bear a family resemblance to (have attributes which overlap those of) other members of the category." ( S . 5 7 5 ) .
Mit dieser zunächst attraktiv klingenden 'Prototypen'-Auffassung über sogenannte (Wittgensteinsche) Familienähnlichkeiten schwören die beiden Autorinnen zwar ebenfalls der Idee von Merkmalen ab, die allen Elementen einer Kategorie zukommen, doch kann ich in ihrer Formulierung der jeweiligen Übereinstimmung in wenigstens einigen Merkmalen kaum große erklärerische Kraft finden. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb ich mit dem Begriff Stereotyp glücklicher bin. Fairerweise wollen wir aber nicht unter den Tisch fallen lassen, daß Rosch/Mervis (1975) folgendes anmerken: "Family resemblances ( . . . ) are undoubtedly not the only principle of prototype formation ( . . . ) . " ( S . 5 9 9 ) .
Interessanterweise verweisen sie auch auf Gestaltprinzipien. Ich betone, ein einzelner Sprecher kann durchaus verschiedene Stereotypen mit demselben Wort verbinden, je nach den Gesichtspunkten, die eine Rolle spielen. Man denke an das Substantiv doktor im medizinischen Sinne. Das Stereotyp, das ein Sprecher eines Idiolekts des Deutschen diesem Wort unter dem Gesichtspunkt 'Status und Besitz' zuordnet, ist wahrscheinlich verschieden von dem Stereotyp, das dieser Sprecher diesem Wort unter dem Gesichtspunkt "berufliche Fähigkeiten1 zuordnet. Auch das Stereotyp für kirsche beim Gesichtspunkt 'nicht reifes Stadium' wird als Kriterium der Farbe "gelblich, blaß1 liefern, während das Stereotyp für kirsche beim Gesichtspunkt "reifes Stadium" für die Farbe "volles Rot" bestimmt. Diese Möglichkeit für einen Snrecher mehrere Stereotypen mit einem Wort zu verbinden, wobei die jeweilige Auswahl vom Gesichtspunkt, den Interessen und so weiter abhängt, möchte ich ausdrücklich zulassen. Hätten wir einen präzisen Begriff Stereotyp, so wäre es für einzelne Wörter eine empirische Frage, ob ein Sprecher nur ein Stereotyp benutzt. Was ist noch einmal die Funktion eines ausgewählten Stereotyps für ein bestimmtes Wort, wie zum Beispiel pferd? Das Stereotyp für den Gesichtspunkt 'Last- und Zugtier' bestimmt die Kriterien für
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die für den jeweiligen Sprecher typischen, normalen Mitglieder derjenigen Objekte, die für den Sprecher unter das Vfort pferd bei besagtem Gesichtspunkt fallen. Mit anderen Vforten, es geht hier um (typische) Acker- und Brauereigäule. Die Modifikation mit "typisch1 und 'normal' ist wichtig, da sich die Sprecher im allgemeinen bewußt sind, daß ihre Kriterien den Objekten nicht notwendigerweise zukamen. Selbstverständlich wissen wir aus eigener Erfahrung, daß verschiedene Sprecher einem Wort bei festgelegtem Gesichtspunkt unterschiedliche Stereotypen zuordnen können. Dennoch mag dies nicht weiter stören, insbesondere dann nicht, wenn sich die Sprecher über die typischen, normalen Mitglieder einig sind. Die Tendenz einer weitgehenden Übereinkunft über die typischen Beispiele fanden Kay/McDaniel (1978,3.613) bei den Farben bestätigt. Der umgekehrte Schluß, von einheitlichen Referenten auf die verwendeten Kriterien, darf sicherlich nicht gemacht werden. Osgood (1976) warnt davor: "Agreement on the referents of signs implies nothing whatsoever about similarity of the representational states associated with these signs, ( . . . ) . " (S.41).
Dem Problem unterschiedlicher Kriterien und ihrer Nützlichkeit für die Festlegung dessen, worüber man reden will, widmet sich Gasking (1960,5.11 und S.17-19) ausführlich. So wie ich Stereotyp bisher gebraucht habe, handelt es sich um etwas individuelles und sicherlich mentales. Oft sind Stereotypen so, daß die jeweiligen Sprecher unheilvolle Dinge aus ihnen ableiten. Als bekanntes Beispiel verweise ich auf das Substantiv ausländer. Bei vielen Sprechern des Deutschen würde bezüglich dem Gesichtspunkt 'Verhalten' Eigenschaften wie 'arbeitsscheu', 'hinterlistig1 und 'kriminell' aus dem dazugehörigen Stereotyp folgen. Femer wird man solche Dinge erwarten, die traditionell zur Konnotation gezählt werden. Mehr Erläuterungen zu diesen individuellen Stereotypen darf der Leser hier nicht verlangen. Dies wäre meiner Meinung nach eine äußerst interessante Aufgabe für die Psycholinguistik. Als erwägenswerter Ansatz bietet sich die von Lieb (1977b,S. 38/39) vorgeschlagene Explikation des Begriffes Begriff an, indem man versucht, diese für den Begriff (individuelles) Stereotyp nutzbar zu machen. Lieb selber führt in Lieb (1980,5.23) einen Begriff von Stereotyp an, der meinem nahekamt. Die Tatsache, daß die Kriterien der Stereotypen den Objekten nicht notwendigerweise zukamen, führt jedoch bei ihm nicht zu einer Änderung, der von mir auf S. 59 erwähnten Annahme 2(a) . Im Gegenteil, es trifft die Stereotypen, denn in Lieb (198O,S.29) werden Stereotypen schließlich von Wortbedeutungen ausgeschlossen. Eine Klärung des von mir verwendeten Stereotypbegriffs ist sicherlich auch
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deshalb wünschenswert, weil er sich in einigen Eigenschaften von Stereotypbegriffen der Sozialpsychologie unterscheidet. Dort beziehen sich Stereotypbegriffe meist nur auf soziale Gruppen oder einzelne Personen als deren Mitglieder, während sich der Begriff soziale Topik auf allgemeinere Bereiche bezieht. Dagegen ist die weitere Charakteristik, daß Stereotypen nicht aus der persönlichen Erfahrung des einzelnen resultieren, durchaus mit meinen 'individuellen' Stereotypen verträglich. Das Wissen und die Erfahrung, die ich als Voraussetzung ansetzte, kann ja sehr wohl von anderen Leuten stanmen. Von linguistischer Seite gibt es ebenfalls einen Vorschlag von Quasthoff (1973), die zusätzlich einen guten Überblick der sozialpsychologischen Vorstellungen zum Stereotypbegriff liefert: "Ich schlage ( . . . ) vor, die verbale Äußerungsform von Überzeugungen, die sich auf soziale Gruppen beziehen, Stereotyp zu nennen." ( S . 2 7 ) .
Dieser Vorschlag ist jedoch für die von mir diskutierten Probiene offensichtlich fehl am Platze. Sind eigentlich die vom Sprecher einem Wort zugeordneten Stereotypen nicht die Bedeutung des Wortes in dem Idiolekt des Sprechers? Stellen wir uns eine Person vor, die Ulmen und Buchen nicht voneinander unterscheiden kann. Gleichzeitig nehmen wir an, daß diese Person weiß, daß Unterschiede zwischen Ulmen und Buchen bestehen. Damit gilt für mich folgendes: Die Bedeutung von ulme für die Person ist verschieden von der Bedeutung von buche für die Person. Mit anderen Worten, im Idiolekt der Person haben die Substantive ulme und buche unterschiedliche Bedeutungen. Stereotypen, die diese Person dem Substantiv ulme unter verschiedenen Gesichtspunkten zuordnet, dienen dazu, Kriterien für die Person zu liefern, um die Bäume zu bestimmen, die für diese Person 'normale1 Ulmen bei besagten Gesichtspunkten sind. Genauso dienen die Stereotypen, die die Person dem Substantiv buche unter verschiedenen Gesichtspunkten zuordnet, dazu, Kriterien für die Person zu liefern, um die Bäume zu bestimmen, die für diese Person 'normale' Buchen bei besagten Gesichtspunkten sind. Das Wissen, daß Unterschiede bestehen, kann nun bei den Stereotypen selber nicht zum Tragen können, denn die Person kann ja nicht angeben, worin die Unterschiede zwischen Ulmen und Buchen bestehen. Theoretisch ist damit zumindest nicht der Fall auszuschließen, daß alle für diese Person für ulme in Frage kennenden Stereotypen auch Stereotypen für diese Person von buche sind und umgekehrt. Nur mit etwas Zusätzlichem können wir dann die verschiedenen Bedeutungen garantieren, übrigens geht es bei dieser Argumentation um die Bedeutung für die Person beziehungsweise um die Bedeutung im Idiolekt der Person. Da ich diese nicht mit der lexikalischen Bedeutung 'an sich' in der
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Sprachgemeinschaft, zu der die Person mit ihrem Idiolekt zählt, gleichsetze, wende ich das Postulat, daß die lexikalische Bedeutung die Extension bestimme (in dem Sinne: verschiedene Extensionen, also verschiedene lexikalische Bedeutungen) , hier nicht an. Bei einem Wort mit mehreren Stereotypen für verschiedene Gesichtspunkte liegt es nahe, als Zusätzliches - zur Komplettierung der Bedeutung für die Person - zumindest das anzunehmen, was die einzelnen Stereotypen des Wortes organisiert und strukturiert. Falls es Wörter mit nur jeweils einem Stereotyp gibt, dann ist dies vielleicht auf den ersten Blick weniger einsichtig. Allerdings würde ich in diesem Fall sagen, daß über das jeweils einzelne Stereotyp hinaus auch das Wissen über Abgrenzungen gegenüber anderen Wörtern, vergleichen Sie mein Gedankenexperiment mit ulme und buche, zur Bedeutung für die Person gehört. Insgesamt kommen wir somit zu folgendem Resultat: Die Bedeutung eines Wortes für eine Person ist, allgemein gesprochen, eine Struktur über (individuellen) Stereotypen. Gleichheit der Stereotypen bei allen möglichen Gesichtspunkten für zwei Wörter hat damit nicht unbedingt die Gleichheit der Bedeutungen für die Person zur Folge. Vielleicht erfasse ich damit auch was Leisi (1967,8.23) als Kcmplex von Bedingungen für den Wortinhalt anspricht? Was bei einem Gesichtspunkt an einem Kontext für die Person normalerweise unter das Wort 1 fällt', bestimmt das Stereotyp des Wortes, das für diesen Gesichtspunkt zuständig ist. Die Explikationsebene, die ich mir für die Probleme der Bedeutung in dieser Arbeit gesetzt habe, ist mit einer solchen Erklärung erreicht. Bei dem Begriff Stereotyp war ich in einer etwas besseren Position, da ich auf einen Ansatz für den Begriff Begriff [Lieb (1977b)] verweisen konnte, der eventuell nutzbringend für eine weiterführende Analyse herangezogen werden könnte. Für meine Idee vom Bedeutungsbegriff für eine Person läßt sich dies nun nicht so einfach erledigen. Deshalb führe ich hierzu noch einige Bemerkungen an, die nicht mehr als Vorschlagscharakter beanspruchen. Mit der Auffassung von Bedeutung als einer Struktur wir die Auffassung von Bedeutung als etwas Ganzes hervorgehoben. Dies ist für mich erkenntnistheoretisch die einzige plausible Weise, wie Bedeutungen erfaßt und im Zusammenhang mit Wörtern 'aktiviert' werden. Wir erfahren tagtäglich, daß zum Beispiel Gegenstände und Vorgänge als Ganzes einfacher zu verstehen sind als irgendwelche Teile vcn ihnen. So denke man an den Vorgang 'eine Faust machen1 und an den Versuch, diesen Vorgang in einzelne Handlungen 'sinnvoll1 zu zerlegen. Die Verarbeitung visueller Eindrücke ist gerade ein beliebtes Modell auch für das tircjehen mit Bedeutungen. Dies ist keineswegs abwegig, wenn man sich mit Porzig (1971,8.209/210) darüber
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klar wird, daß alle Sprachen unanschauliche Verhältnisse in visuelles und räumliches übersetzen. Ferner weist Gauger (1976b,S.131) bemerkenswerterweise auf die doninant visuelle Sprache des Unbewußten hin. Offensichtlich tritt sie auf diese Weise in der Traumsprache hervor. Egal, auf welche Weise und in welcher Form Erfahrungen und visuelle oder andere Arten von Eindrücken im Gedächtnis bewahrt werden - Anderson (1978) bringt für mich ziemlich überzeugende Argumente dafür, daß im Augenblick keine Entscheidung zwischen visuellen Repräsentationen und propositionalen Repräsentationen möglich ist und Hoffmann/Klix (1979,3*259) arbeiten sinnvollerweise im Augenblick mit beiden Repräsentationen -, zumindest ist man in der Lage, davon wieder bildhafte und somit 'ganze' Eindrücke abzuleiten. Norman/Rumelhart (1975,5.17/18) heben dies hervor. Femer deuten einige Resultate von Kosslyn (1978) darauf hin, daß mit mentalen Bildern selbst im Gehirn Prozesse vorgenoimen werden: " ( - · · ) three sorts of effects, on detection, scanning, and overflowing, converge to support the claim that the spatial, quasi-pictorial images we experience can in fact be used in cognitive processing." ( S . 2 2 8 ) .
Selbst Kritiker visueller Repräsentationen geben die Existenz mentaler Bilder zu. So zum Beispiel Pylyshyn (1973,3.2). Daß auch Erinnerungen den Charakter des Ganzen haben müssen, entnehmen wir seiner Bemerkung: "We do not ( . . . ) recall a scene with some arbitrary segment missing like a torn photograph. What is missing is invariably some integral perceptual attribute o r relation ( . . . ) . " ( S . l O ) .
Dieses Fehlen einer perzeptuellen Eigenschaft oder Relation zerstört jedoch nicht den Eindruck, etwas Ganzes "vor einem1 zu haben. Der vorherrschende Zugriff auf das Ganze bei Sinneseindrücken ist natürlich nur möglich, weil es sich um interpretierte Eindrücke handelt. An jedem Zeitpunkt kann zum Beispiel die Perzeption einer Tür nur Teile dieser Tür erfassen. Wie komme ich dann dazu zu behaupten, daß ich eine Tür sehe? Einzig über die Interpretation ist eine Lösung für dieses alte philosophische Problem anzustreben. Eine vorzügliche Darstellung dieser Frage findet man in Grossmann (1974,3.191-194). Erinnern Sie sich; weiter oben (3.101) erwähnte ich Koffka, für den die Organisation von sensorischen Eindrücken in Richtung auf eine Gestalt führt? Nun haben wir einmal herausgefunden, daß Bedeutungen für eine Person als bestimmte Strukturen aufgefaßt werden können, zum ändern sahen wir eben die Beziehungen zwischen dem Umgehen mit Bedeutungen und bildhaften Vorstellungen. Beün Begriff Gestalt schwingt dies alles mit. Ferner versteht Grossmann (1974,3.63) Gestalten gerade als Strukturen. Was liegt also näher als eine Erklärungsmöglichkeit für meine Idee von Bedeutungen im Gestaltbegriff zu sehen? Zusätzlich könnte dies
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wohl Ausgangspunkt einer von mir nicht angestrebten Erklärung der ' Gesamt' -Ähnlichkeiten zwischen Wörtern sein, wie wir dem brillanten Artikel von Goldmeier (1972) über 'Gesamt'-Ähnlichkeiten entnehmen können. Nun ist es leider nicht so, daß sich die Gestaltpsychologen - geschweige denn andere Psychologen - einig wären, was denn genau Gestalten seien. Es wird also noch etlicher Anstrengungen und Diskussionen in der Psychologie bedürfen, ehe Linguisten aus dem Vollen schöpfen können. Darüber hinaus erleichtert der Stil, in dem die traditionellen Abhandlungen abgefaßt sind, häufig nicht das Verständnis für einen in Psychologie ungeübten Leser wie ich es bin. Was ich deshalb im folgenden tun werde, um nicht in die von mir zu Beginn der Arbeit (Ab. 1.1) angeprangerten Fehler zu verfallen, ist nichts weiter als einige Eigenschaften von Gestalten anzugeben, die vermutlich bei der Verwendung des Gestaltbegriffs als Bedeutungsbegriffs nützlich sind: 1. Eine Gestalt kann Teile haben, die als Teil des Ganzen aufgefaßt, eine spezielle Bedeutung oder Funktion erhalten. Sander (1962,3.68) nennt dies auch die Dominanz des Ganzen und weist darauf hin, daß mit dieser Eigenschaft viele optischen Täuschungen erklärt werden können. Arnheim (1961,3.91) und Goldireier (1972,3.62) stellten diese Eigenschaft ebenfalls heraus; selbst der Linguist Porzig (1971,3.201) diskutiert ein Beispiel mit einer Schreibmaschinentype l, die je nach Zusammenhang (Gestalt) als Buchstabe l oder als Zahl 1 interpretiert wird. Für meine Auffassung von Bedeutung können wir einmal den Einfluß des Ganzen auf das Verständnis einzelner, unter einer Struktur zusammengefaßter Stereotypen sehen, und zum ändern wohl Einsichten in die später diskutierte Hyponymie-Beziehung, je nach Wahl des Cberbegriffs. 2. Je nach Gesichtspunkt kann man Teile aus der Gestalt aussondern, aber die Gestalt läßt sich nicht als einfache Kombination der Teile auffassen. Das Zitat von Arnheim (1961) verdeutlicht diese berühmte Eigenschaft: "We do not say: the whole is "more" than the sum of the parts; we prefer to assert that the whole is "something else" than the sum of its parts." ( S . 9 1 ) .
Schon Wertheimer (1923) widmete sich ausführlich diesen Fragen: "Ist eine Anzahl von Reizen zusammen wirksam, so ist für den Menschen im allgemeinen nicht eine entsprechende ("ebenso große") Anzahl einzelner Gegebenheiten da, die eine und die andere und die dritte und so fort; sondern es sind Gegebenheiten größeren Bereichs da, in bestimmter Abhebung, bestimmtem Zusammen, bestimmter Getrenntheit." ( S . 3 O 2 ) .
Er bringt zahlreiche Beispiele von Konfigurationen und diskutiert Faktoren, die für die Zusammenfassung eine Rolle spielen. Dabei konrnen vor: Nähe (S.3O8), Gleichheit (S.309), Geschlossenheit (3.325) und Gewohnheit (S.331). Volkelt (1962,
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S.45) stellt die Gestaltetheit in Gegensatz zur Zerstücktheit des Ganzen und zur Diffusität im Sinne einer ungegliederten Ganzheitlichkeit. Aus meinen bisherigen Ausführungen zur Bedeutung sollte klar hervorgegangen sein, daß Bedeutungen meiner Meinung nach nur als
(dieserart) Ganzes gesehen werden können.
3. Eine Gestalt kann eine Eigenschaft besitzen, die keine seiner Teile besitzt. Grossmann (1974) bringt das Beispiel eines Quadrats A, das aus 4 Dreiecken zusammengesetzt ist:
" ( . . . ) A has the property of being square, even though none of its parts has this property." ( S . 6 3 ) .
spatial
In Grossmann (1975) finden wir weiteres hierzu in knapper Form: " ( . . . ) shape - just like color - is an emergent property. It is not reducible ( . . . ) to the properties of and relations among the spatial parts of the shaped object." ( S . 1 4 2 ) .
Selbstverständlich hängt diese Eigenschaft von Gestalten eng mit der in 2. ausgesagten zusammen. Als linguistisches Beispiel können wir zu meinem Gedankenexperiment mit den Substantiven ulme und buche zurückgehen. Falls die einzelnen Stereotypen jeweils für beide Substantive für die Person akzeptabel sind, dann ist das Wissen der Person über die Existenz von Unterschieden nur der Bedeutung selbst zuzuordnen, nicht aber Teilen der Struktur. 4. Gestalten können Relationen zu anderen Gestalten eingehen. Dabei fallen einem als Erklärungsmöglichkeit sofort die semantischen Relationen zwischen Ausdrücken ein. 5. Falls es 'Hintergrund'-Eigenschaften gibt, dann werden sich diese in Opposition zueinander stehende Gestalten teilen. Die Absetzung gegenüber einem Hintergrund hat schon irritier eine wichtige Rolle für Gestalten gespielt; vergleichen Sie Volkelt (1962,5.43). Bei den semantischen Relationen werden wir noch sehen, daß 'in Opposition zueinander stehen' meist bezüglich eines gemeinsamen Gesichtspunktes gilt. Ich muß noch auf eine Arbeit von Lakoff (1977) verweisen, weil dies eine der wenigen Arbeiten ist, in denen für ein Gestaltbegriff in der Linguistik geworben wird. Der von Lakoff angestrebte Begriff ist allerdings umfassend gemeint, zum Beispiel soll er auch für syntaktische Phänomene Anwendung finden. Ferner darf auch der Versuch einer exakten Analyse des Gestaltbegriffs von Grelling/Oppenheim
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(1938) nicht vergessen werden. Sie sehen 2 Möglichkeiten vor: Einmal ergibt sich eine Gestalt als Invariante gewisser Transformationen
(S.216). Dies ist ganz in
1
der Tradition des sogenannten 'Erlanger Programms in der Geometrie, wonach das Auffinden von Invarianten gegenüber gewissen Abbildungen als Hauptaufgabe angesehen wurde. Mit diesem Gestaltbegriff kann in der Musiktheorie positiv gearbeitet werden, denn die Melodie einer Tonfolge ergibt sich damit als Gestalt der Tonfolge. Für meine Idee von Bedeutungen für eine Person halte ich diese Gestaltauffassung als zu allgemein. Sie mag jedoch durchaus hilfreich bei der Frage sein, wie sich eine Bedeutung im Verlauf des Sprachenlernens herausbildet. Was ich vage mit Ähnlichkeiten angedeutet hatte, könnte eventuell als Invariante verstanden werden. Die andere Version der Autoren lehnt sich an physikalische Vorbilder an und versteht Gestalten als Wirkungssysteme (S.222). Damit kann besonders gut die Ordnung aufgrund der Güte von Gestalten nach Prinzipien, die Extremalgesetzen in naturwissenschaftlichen Systemen ähneln, erklärt werden. Diese Auffassung ist meiner Meinung nach zu stark an den Interessen der Psychologie, bei der etwa ein Wahrnehmungsfeld mit einem Wirkungssystem gleichgesetzt werden kann, ausgerichtet, um für den Bedeutungsbegriff erhellende Resultate liefern zu können. Als Randbemerkung sei noch auf das interessante Problem hingewiesen, ob nicht nur Wortbedeutungen, sondern auch Bedeutungen komplexerer syntaktischer Einheiten mit Gestalten in Verbindung gebracht werden können. Dies muß jedoch Gegenstand einer späteren Untersuchung bleiben. Soweit der reichlich spekulative Ausflug in die Welt der Gestalten. Ich fasse jetzt noch einmal meine Resultate über Bedeutungen für eine Person in Form einer Figur zusammen: Spr sei ein Sprecher des Idiolekts S; W ein Wort des Idiolekts S.
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W bedeutet für Spy in S bedeutet für Spr in S W: Wortparadigma \
\
if: Struktur über Spr ' s Stereotypen für W in S [Gestalt?]
\
evoziert im Kopf von Spr bei bestimmtem Interesse Int
St ( if , Int) : ein Stereotyp aus if bei
•v
bestimmt für Spr bei bestimmtem Interesse Int und im Kontext c
\ \
Spr referiert nach seinem Verständnis mit W in S bei bestimmtem Interesse Int im Kontext c außerhalb Benennungsakten auf
Int
\
(W, Int,c) : 'normale' Mitglieder für W bei Int in c (Referenten)
Als eines der Ziele für eine Wortbedeutung gilt, daß sie zur Erklärung der Bedeutung komplexer syntaktischer Einheiten, besonders zur Erklärung der Bedeutung von Sätzen, herangezogen werden kann. Nun ist meiner Meinung nach eine Wahrheitsdefinition für Sätze ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Satzsemantik. Damit sollte aus der lexikalischen Bedeutung "an sich1 eines Wortes dessen Beitrag zur Wahrheitsdefinition derjenigen Sätze, in denen das Wort vorkamt, abgeleitet werden können. In allen Versionen von Wahrheitsdefinitionen läuft dies letzten Endes über die jeweiligen Extensionen der beteiligten Wörter. Mit anderen Worten, die lexikalische Bedeutung 'an sich1 legt die Extension an Kontexten fest. Ferner kann ich keinen großen Sinn darin sehen, Wahrheit nur als individuelle Wahrheit zu verstehen. Damit wissen wir aber bereits, daß die bis jetzt erfaßte Bedeutung eines Wortes für eine Person Spr nicht mit der lexikalischen Bedeutung 'an sich' s*j dieses Wortes in der Sprachgemeinschaft X, der Spr mit seinem Idiolekt S angehört, identifiziert werden kann. Dies geht nicht, weil Spr 's Stereotypen für das Wort normalerweise alles andere als sichere Kriterien zur Bestürmung der jeweiligen Extension abgeben. Ein extremes Beispiel war der Fall mit den Substantiven ulme und buche. Die individuellen Stereotypen lieferten keine Kriterien für eine Unterscheidung. Dennoch ist sich der Sprecher mit seinem Wissen, daß zwischen Ulmen und Buchen ein Unterschied besteht, im klaren darüber, daß die Extension
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von ulme eben die jeweilige .Menge der Ulmen und die Extension von buohe die
je-
weilige Mengen von Buchen sind und diese Mengen an realen Kontexten einen leeren Durchschnitt haben. Wir müssen also, um über Extensionen reden zu können, meine obige Figur etwas objektiver gestalten. Alles andere kann im Prinzip nach bleiben: Auch die lexikalische Bedeutung 'an sich1 soll eine Struktur von Stereotypen sein. Aber wessen Stereotypen treten hier auf, wenn Spr's Stereotypen nichts taugen? Es besteht kein Anlaß, Spr deshalb zu schelten. Zum Glück, für uns und ganz besonders für Spr, ist ja Spr mit seinem Idiolekt nicht allein. Spr ist Mitglied einer Sprachgemeinschaft, in der sein Idiolekt eingeht. Dies ist der einzige Zugang zu Sprache, bei der sie nicht zum Privatvergnügen degradiert wird, sondern bei dem sie als das gesehen wird, was sie unbestreitbar ist:
ein soziales Phänomen. Dies un-
terstreicht auch Dummett (1975): " ( . . . ) individual speakers frequently exploit the existence of an established use for a name or other word, holding themselves responsible to the established means for determining the application of the word without themselves having a complete mastery of it; this often applies strikingly to placenames. This is a consequence of the fact that a language is a social phenomenon rather than a family of similar idiolects ( . . . ) . " ( S . 1 3 1 ) .
Eine plausible Erklärung, wie ein Informationsaustausch innerhalb einer Sprachgemeinschaft funktioniert, gibt Putnam (1975c): "Every linguistic Community exemplifies the sort of division of linguistic labor just described, that is, possesses at least some terms whose associated "criteria" are known only to a subset of the speakers who aquire the terms, and whose use by the other speakers depends upon a structured cooperation between them and the speakers in the relevant subsets." ( S . 1 4 6 ) .
Mit dieser sprachlichen Arbeitsteilung ist also das einzelne Mitglied in der Lage, falls es notwendig ist,
seine eigenen Beschränkungen im Hinblick auf die Fest-
legung der Extension zu überwinden. Selbstverständlich gelingt diese Objektivierung nur relativ zu dem jeweiligen Wissensstand der Sprachgemeinschaft beziehungsweise derjenigen Sprachgemeinschaften, mit denen ein Informationsaustausch stattfindet. Putnam scheint zu meinen, sobald wir Kenntnisse über die jeweilige atomare Struktur hätten, dann wäre diese Relativierung überflüssig. Aber wer garantiert uns, daß nicht eines Tages selbst für Wasser ein Fehler in der Analyse H O entdeckt wird? Wir können uns nie über mehr, als daß Wasser Wasser ist, sicher sein. Nach Margalit (1979,S.2O) erhebt Putnam die 'wahre' Wissenschaft zur letzten Kontrollinstanz. Diese extreme Position Putnams finde ich auch nicht haltbar und stimme an diesem Punkt ebenfalls mit der Kritik von Schnelle (1978,3.297) an Putnam überein. Offensichtlich ist die jeweils bekannte atomare Struktur
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beziehungsweise was dem am nächsten kcnntt, in den meisten Situationen, auch wenn es um die Festlegung der Extension geht, überhaupt nicht gefragt. Dafür finden eventuell von einer einflußreichen Gruppe entwickelte Stereotypen Anwendung, die zwar weniger präzis, aber dennoch als verbindlicher Maßstab von den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft anerkannt sind. Die Auswahl, der für die jeweilige Situation geeigneten und verbindlichen Stereotypen eines Wortes zähle ich zu den zentralen 'Arbeiten' innerhalb einer Sprachgemeinschaft; eine Arbeit, die nie zu Ende geht, da es such um einen dynamischen Prozeß handelt. Eine interessante Studie, die sich unter anderem mit der Kontextabhängigkeit der jeweils geforderten Genauigkeitsgrade befaßt, stammt von Eikmeyer/Rieser (1978). Ich fasse die Resultate über lexikalische Bedeutung "an sich1 beziehungsweise Bedeutung in einer Sprachgemeinschaft wieder in einer Figur zusammen: X sei eine Sprachgemeinschaft, die die Sprache S spricht; W ein Wort der Sprache S W bedeutet in S bedeutet in S W: Wortparadigma
Struktur über von X als verbindlich angesehene Stereotypen für W in S, wobei diese Stereotypen von einer Gruppe in X, die bezüglich dem durch typische Mitglieder für W angegebenen Bereich einflußreich sind, entwickelt werden. [Gestalt?]
\ \ \ \
legt bei bestimmtem Gesichtspunkt oder Interesse Int fest
St( if ,Int) : ein Stereotyp aus *f bei
Int
\
ein Sprecher aus X von W referiert nach dem Verständnis von X mit W in S bei Int in c auf
legt bei bestimmtem Gesichtspunkt oder Interesse Int und im Kontext c fest \ '*Ext(W,Int,c): Extension von W bei Int in c
Wenn wir die lexikalische Bedeutung 'an sich1 des Wortes W mit der Bedeutung des Wortes W für ein Mitglied Spr der Sprachgemeinschaft vergleichen, dann drängt sich als eine der vielen Fragen auf, wie "gut1 denn die individuellen (Spr's) Stereotypen für W sein müssen, damit Spr einen akzeptablen Part in der
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Sprachgemeinschaft spielen kann? Die Anforderungen hierbei schwanken natürlich von Wort zu Wort und schließlich von Sprachgemeinschaft zu Sprachgemeinschaft. Vor allem die natürliche Umgebung der Mitglieder der Sprachgemeinschaft hat ihren Einfluß. Ähnliche Beobachtungen erwähnt Putnam (1975c,S.168/169). Hier liegt noch ein ittmenses Gebiet für die Soziolinguistik völlig brach. In den vorigen Kapiteln habe ich irtmer salopp von Denotationsfunktionen geredet, wenn es um Bedeutungen von Worten ging. Mit Hilfe der Denotationsfunktionen können wir, zumindest für einige Wortarten, bei gegebenem Kontext, die Extensionen der Wörter bestimmen. Damit ist wohl die Beziehung zu meinem Schema oben klar: Die Zuordnungsvorschrift zwischen Kontextmenge und Individuenmenge liefern die einzelnen Stereotypen des Wortes. Vorsichtigerweise habe ich die Phrase "zumindest für einige Wortarten" eingefügt. Bei Adverbien zum Beispiel bestimmen die Denotationsfunktionen nur bezüglich vorgegebener Mengen, die etwa Extensionen von intransitiven Verben sind, Extensionen, da ihre Funktion ja die Modifikation ist. Entsprechend müßte für diese 'modifizierenden' Wortarten auch mein obiges Schema geändert werden. Jedoch gehe ich darauf hier nicht mehr näher ein. So viele Fragen zum Bedeutungsproblem könnten nur kurz angesprochen werden und, ich mache mir keine Illusionen, etliche wichtige Fragen wurden erst gar nicht erwähnt. Ich glaube dennoch, daß dieser Abschnitt die Funktion erfüllen kann, für die er gedacht war: Übereinkunft der Sprechweisen und Hilfsfunktion für die nun eigentlich erst richtig interessanten folgenden Kapitel.
WDRTFELD
Ein Hubschrauber verwechselt eine Herde von/ Schafen mit einem Landeplatz; Herden von/ Schafen oder Rindern auf Schienensträngen verursachen Zugkatastrophen; im Umkreis um ein in den Bergen verunglücktes Flugzeug werden auch die Kadaver eines Rudels von/ Gemsen gefunden; ein Schwärm von/ Hornissen dient als Waffe im Dschungelkrieg; eine Horde von/ Radaubrüdern legt den Verkehr lahm; ein Ordnungshüter greift sich den Hauptschreier aus einer Rotte von/ Aufwieglern; ein Klüngel von/ Verbrechern wird unbarmherzig ausgerottet; eine Kette von/ Warenhäusern wird neugegründet; eine Riege von/ Turnern tritt auf das Siegespodest; eine Runde von/ fröhlichen Zechern sitzt rund um den Tisch; der Sturm schmeißt eine Faust von/ Hagelkörnern gegen die Stallfensterscheiben,· Auszug aus P. Handke Die Wortfamilie (1969,8.99-103).
4.1
Wozu
in Handke
Wortfelder?
Nach Meinung vieler Linguisten ist diese Frage mehr als berechtigt. So lesen wir von dem 'stets irgendwie willkürlich gearteten Hilfsmittel der lexikalischen Forschung1 bei Gabka (1956,3.88) oder von der 'Misere der Konzeption1 bei Limper (1978,5.2) und finden relativ vernichtende Zitate bei Scur (1973): "Was ( . . . ) ein Feld ist, und wie man sich sein Verhältnis zu anderen Kategorien zu denken hat, dies überläßt man dem Urteil des Lesers ( . . . ) . " (S.348)
und bei Müller (1976): "Die Wortfeldlehre ist zwar über vier Jahrzehnte alt, aber trotzdem gibt es
83 keine befriedigende Methodik, auf die man sich bei der Festlegung von Wortfeldern stützen könnte." ( S . 4 9 7 )
und Lyons (1977a): "Most authors who have written recently on the subject of semantic fields have conceded that the majority of lexical fields are not so neatly structured or as clearly separated one from another as Trier originally suggested; and this concession of a point that has been constantly urged against field theory by its critics may be held to detract from its value as a general theory of semantic structure, for it necessarily makes the theory more difficult to formalize." ( S . 2 6 7 ) .
Die Urteile von Lyons scheinen mich geradezu zu verfolgen. Der Leser mag sich noch an die abschätzige Meinung ^on Lyons über Ansätze zu einem Ähnlichkeitsbegriff im Abschnitt 2.6 erinnern. Nun habe ich bereits dort für Wortfelder als Untersuchungsgegenstand im Hinblick auf einen Ähnlichkeitsbegriff zwischen Wörtern geworben, aber auch Wortfelder scheinen nicht unter einem guten Stern zu stehen. Keine Bange, der Leser wird auf seine Kosten können. Ich lasse mich nicht durch negative Urteile von meinem eigenen Vorhaben abbringen. Eher wird dadurch noch mein Ehrgeiz verstärkt. Unbestritten hat die Idee des Wortfeldes eine starke Anziehungskraft; man hat das Gefühl, da muß was dran sein. Aber was? Nun kann man sagen, auf solch eine Frage kann man nicht eher eine Antwort geben, bis man tatsächlich weiß, worum es sich eigentlich bei Wortfeldern handelt. In diesem Fall bittet man den verehrten Leser einstweilen um etwas Geduld und Vertrauen, bis man soweit ist. Zudem wäre es sicherlich auch schon ein Erfolg, endlich einmal klar vor Augen zu haben, was Wortfelder sind. Andererseits ist auch klar - und das wird im weiteren Verlauf inmer klarer werden -, daß meine Festlegungen für Wortfelder nicht unabhängig davon sein werden, was ich mir insgeheim von ihnen erhoffe. Deshalb muß ich hier doch etwas über das von Wortfeldern zu Erwartende aussagen. Wie Sie wissen, verspreche ich mir von Wortfeldern Informationen für einen Ähnlichkeitsbegriff zwischen Wörtern, der ein zusätzliches Kriterium für Subklassifikationen innerhalb syntaktischer Kategorien im Hinblick auf einen Interpretationsbegriff liefern würde. Es liegt meiner Meinung nach nahe zu vermuten, daß eine Relation der Ähnlichkeit schon inmer zumindest intuitiv eine entscheidende Rolle bei der Zusanmenfassung von Wörtern zu Wortfeldern gespielt hat. Wie wir ebenfalls gesehen haben, muß das Problem weiterer Kriterien für Subklassifikationen gelöst werden. Nur so erhalten wir uns die Chance für eine Verbesserung unseres Interpretationsbegriffes. Die Aussicht auf solch eine Lösung sollte also Grund genug sein, um sich mit der Wortfeldidee eingehender zu beschäftigen. Weitere Gründe bieten sich von selbst an: Mit der Erfassung des Wortfeldbegriffs
84
wird das umfangreiche Material der traditionellen Sprachwissenschaft moderner Linguistik zugänglich gemacht. Es würde mich freuen, wenn ich damit eine Tendenz des Aufeinanderzubewegens einleiten könnte. Ferner ist die Wortfeldidee sicherlich für komparative Untersuchungen nützlich. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß wir mit Wortfeldern einen direkten Zugang zu dem Wortschatz der Sprachen haben, wie auch Müller (1957,3.159) richtig bemerkt. Damit ist aber gerade mittels Wortfelder für einen bestimmten semantischen Bereich eine Möglichkeit des Vergleichs des Wortschatzes unterschiedlicher Sprachen gegeben. Überhaupt, für jeden holistischen Ansatz scheinen Wortfelder genau das Gegebene zu sein. Vergleichen Sie hierzu Ricken (1961): "Was der Feldtheorie ein so nachhaltiges Echo verschaffte, war ( . . . ) der Gedanke, daß der Wortschatz eine Struktur aufweist, die durch die Wechselbeziehungen zwischen zusammengehörigen Wörtern und Gruppen von Wörtern gegeben i s t ( . . . ) . " (S.193)
und Kutschera (1973): "Die Bedeutung, speziell die sprachphilosophische Bedeutung dieses Feldbegriffs liegt vor allem darin, daß mit dieser Konzeption der Atomismus aufgegeben worden ist, der bis dahin implizit oder explizit den meisten Bedeutungstheorien zugrunde lag." ( S . 7 2 ) .
Ich möchte es bei diesen Bemerkungen zunächst belassen. Hoffentlich genügen sie, um dem Leser zu zeigen, daß es im Rahmen meiner Argumentation sinnvoll ist, sich nun dem Wortfeldbegriff zuzuwenden. Aus meiner Konzeption von Wortfeldern werden sich noch weitere Anwendungen auf linguistische Fragestellungen ableiten lassen. Hierauf und auf anderer Leute Vorschläge zur Verwendung von Wortfeldern werde ich jedoch erst sehr viel später zurückkönnen. Wir sollten die Gründe für die Beschäftigung mit Wortfeldern nicht aus den Augen verlieren, dennoch wird es kaum überraschen, wenn sich diese Beschäftigung etwas verselbständigt. Ich bin nicht an einer Exegese der ursprünglichen Ansätze zum Wortfeldbegriff interessiert. Selbstverständlich will ich wichtige Ideen traditioneller Ansätze mit aufnehmen. Ich strebe einen präzisen Begriff von Wortfeld an, der - wir erinnern uns an meine Ausführungen im Abschnitt 1.1 - allerdings den verschiedenen (künstlichen) Semantikauffassungen in der Linguistik gegenüber ziemlich neutral gehalten sein soll. Eine genaue Vorstellung von Wortfeldern ist sicherlich Voraussetzung dafür, daß wir das vorliegende traditionelle Material eventuell gemäß unseren Interessen verwenden können. Ferner steht eine präzise Idee trivialerweise jeglicher Kritik offener gegenüber. An letzterem muß uns besonders im Sinne einer Erkenntniserweiterung gelegen sein.
85 Daß eine Präzisierung traditioneller Auffassungen dringend nötig ist, kann man aus folgenden Zitaten ablesen: Zuerst Trier (1973b): "Aus der Machtvollkommenheit unseres heutigen, uns gemeinsamen Sprachbesitzes und seiner inhaltlichen Ordnung setzen wir das Feld." ( S . 1 4 9 )
und dann Weisgerber (1973a): "Mit dem Begriff des Wortfeldes ist zunächst die Kraft herausgehoben, die eine Gruppe von Wörtern vereinigt, inhaltlich aufeinander abstimmt und zum Begreifen eines Lebensbereiches, eines Sinnbezirks zusammenfügt ( . . . ) . " (S.211).
Wir können uns mit meinen Zielen für Wortfelder nicht mit solchen nebulösen Phrasen zufriedengeben. Nach meinen hoffentlich klärenden Ausführungen zum Wort im letzten Kapitel sehe ich keinen Grund, weshalb ich nicht den Namen Wortfeld für meine angestrebte Konstruktion verwenden soll. Diese Entscheidung hängt natürlich damit zusammen, daß ich es im Feld auf lexikalische Einheiten und nicht etwa auf semantische Einheiten abgesehen habe. Semit wäre auch lexikalisches Feld ein akzeptabler Name, Wortfeld ist nur enger an der Tradition. Dagegen sind alle Namen, die auf semantische Einheiten abzielen oder zumindest dieses Verständnis nicht ausschließen, wie zum Beispiel Begriffsfeld und Bedeutungsfeld, für mich abzulehnen. Gegen Bedeutungsfeld hat sich schon Trier (1973b) gewandt: "Der Ausdruck bringt ( . . . ) die Gefahr mit sich, daß man die Bedeutung, und das ist immer die Bedeutung des Einzelwortes, zur Grundlage und Ausgangsstellung macht und also nicht durchstoßen kann zur Einsicht in den Vorrang der Gliederung vor der Bedeutung ( . . . ) . " ( S . 1 5 1 ) .
Überblicke über verschiedene Namensgebungen und Vorstellungen zum Gegenstandsbereich der Wortfeldtheorie finden wir bei Bergenholtz (1975), Duchäcek (1968) und Vassilyev (1974). Letzterer ist wichtig, da er zahlreiche Hinweise auf nicht übersetzte osteuropäische Literatur bringt. Beiträge, die mir in der Qriginalform auf Grund meiner Unkenntnis dieser Sprachen unzugänglich blieben. Die definitorische Frage: Was ist ein Wortfeld (in der Sprache S)? möchte ich erst am Ende meiner Überlegungen zum Wortfeldbegriff beantworten. Aus hauptsächlich heuristischen Gründen widme ich mich zunächst Fragen wie: Wie kommen wir zu Wortfeldern? oder Nach welchen Methoden und Leitlinien sollen wir uns richten, um zu Wortfeldern zu können? Dabei geht es letztlich, grob gesprochen, um die Abgrenzung der Klasse von Wortfeldern zu anderen Klassen von Wörtern. Als Antrieb dient uns ein zunächst noch intuitiver Begriff Wortfeld. Es versteht sich von selbst, daß diese Fragen auch wichtige Einsichten zur Beantwortung der definitorischen Frage liefern werden. Deshalb kcmnt folgendes etwas überraschend:
86
Praktisch keiner der zahlreichen Autoren zur Wortfeldtheorie hat zu diesen Fragen Stellung genommen. Allenfalls kann man versuchen, aus Einzeluntersuchungen generelle Prinzipien abzulesen.
4.2
Verbaler Kontext Wortfelder stellen salopp ausgedrückt nach meinem intuitiven Verständnis
von Wortfeldern spezielle Paradigmen dar, wobei diese Paradigmen aus verbalen Kontexten hervorgehen. Die Elemente solcher Paradigmen repräsentieren die Aussageintentionen, die in dem vorgegebenen verbalen Kontext möglich sind. Mit anderen Worten, diese Paradigmen sind die Paletten sprachlich realisierbarer Aussageintentionen im Hinblick auf gegebene verbale Kontexte und Wortfelder müssen spezielle Typen von solchen Paradigmen sein. Es sollte keine Gefahr bestehen, diesen hier zunächst nur vage angedeuteten Paradigmeribegriff mit meinem Wortparadigmenbegriff zur Klärung des Wortbegriffes in Kapitel 3 zu verwechseln. Dort handelte es sich unter anderem um die Zusammenfassung der Wortformen ein- und desselben Wortes, während es hier um die Zusammenfassung von Wortformen verschiedener Wörter derselben Sprache geht. Letzteres wird selbstverständlich noch im Hinblick auf den Wortfeldbegriff modifiziert und vor allem präzisiert werden. Mit dieser Auffassung von Wortfeldern stehe ich keineswegs allein da. Herausragender Vertreter ist etwa Coseriu (197Cb) : "Ein Wortfeld ist eine paradigmatische Struktur, die aus lexikalischen Einheiten besteht, die sich eine gemeinsame Bedeutungszone teilen und in unmittelbarer Opposition zueinander stehen. ( . . . ) Es handelt sich immer um lexikalische Einheiten, zwischen denen man an einem gewissen Punkt der chaine parlee die Wahl hat." (S. 111).
Auch Schwarz (1973a,S.34O) empfiehlt die Beachtung von Redefügungen, also verbale Kontexte, für Wortfelder und Anglin (197O,S.73) berichtet, daß häufig Beziehungen zwischen Wörtern erst mit Hilfe eines verbalen Kontextes erkannt werden. Dies ist wichtig für uns, da Wortfelder unter anderem zur Klärung von Subklassifikationsproblemen beitragen sollen, wo es gerade um Beziehungen zwischen Wörtern aus einer syntaktischen Kategorie geht. Sowohl Betz (1954,3.195) als auch Ipsen (1973, S.73) liegen wohl nahe an meiner Aussageintention, wenn sie die Gliederung auf das Gemeinte hin betonen. Selbstverständlich kann es bei gegebener und von verbalen Kontext nicht ausgeschlossenen Aussageintention nicht gewährleistet sein, daß wir hierfür in der Sprache überhaupt ein geeignetes Wort finden oder daß es eindeutig bestimmt wäre. Eindeutigkeit ist sowieso nur bis auf Synonymie garantiert. Semit können
87
verschiedene, nicht synonyme Wörter die Aussageintention abdecken, insbesondere , falls diese Nuancen zuläßt. So gibt es bei dem verbalen Kontext: Ein königveiah für ein ... für die Aussageintention: 'Etwas, das mich hier wegbringt1 verschiedene Substantive, die dazu passen; zum Beispiel taxi, flugzeua , pferd, pony und so weiter. Dies ist der Hauptgrund, weshalb wir bei zwei Sprachen A und B für ein Wortfeld in der Sprache A normalerweise keine exakte Entsprechung im Sinne eines 1-1 - Bildes in der Sprache B vorfinden; ganz unabhängig von der Frage, ob wir überhaupt synonyme verbale Kontexte in den beiden Sprachen haben. Die Aussageintention, von der hier die Rede ist, darf übrigens nicht mit dem tatsächlichen Motiv des Sprechens verwechselt werden. Cb der Sprecher etwa mit seiner Äußerung den Hörer hinters Licht führen will, ist völlig unwichtig für die Frage, welche Wahl der Sprecher treffen soll, um seine Intention, etwas bestimmtes auszudrücken, am besten zu treffen. Mit anderen Worten, es zählt nur die Adäquatheit auf der Ausdrucksebene im Hinblick auf seine Aussageintention, aber nicht, was er tatsächlich mit seiner Äußerung erreichen will. Letzteres kann meiner Meinung nach nicht von Wortfeldern erwartet werden. Hier verstehe ich Gabka (1967,3.26) nicht ganz, der dies für Wortfelder etwas vorwurfsvoll konstatiert. Diese von mir angestrebte Trennung zwischen Motiv des Sprechens und Aussageintention ist wohl nicht völlig aus der Luft gegriffen. Sie findet Unterstützung bei Viehweger (1977) : "Für die innere Struktur einer verbalen Handlung als einer Einheit der Tätigkeit wird dabei folgender Aufbau angenommen. Eine verbale Handlung beginnt mit dem Entstehen einer Problemsituation, eines Motivs bzw. Bedürfnisses. Das zweite, sehr wichtige Glied im Prozeß der sprachlichen Tätigkeit ist die Herausbildung der Redeintention, die der Situationsanalyse und Aufgabenformulierung gleichgesetzt wird. Auf dieser Stufe der Sprachproduktion weiß der Sprecher bereits, was er sagen will, welcher Aufgabe seine Äußerung entsprechen muß, er weiß jedoch noch nicht; wie er es sagen wird, mit welchen lexikalischen Mitteln und syntaktischen Konstruktionen er die Redeintention realisiert." (S. 37/38).
Somit sind Wortfelder, wie ich sie intuitiv gesehen haben will, unbestreitbar Teil der Semantik und nicht etwa Teil der Pragmatik. Allerdings ist es nur die Intention des Sprechers, die zählt. Deshalb darf für Wortfelder auch die Frage nach den Wahrheitswerten der möglichen Äußerung keine Rolle spielen. Darin liegt der entscheidende methodologische Fehler bei dem ansonsten äußerst interessanten formalen Ansatz von Been (1973) , denn er versucht, seine Wortfeldtheorie auf einer Wahrheitstheorie aufzubauen. Hierauf und auf einige der positiven Seiten werde ich später kurz zurückkamen. Damit genug der intuitiven Vorrede zu Wortfeldern! Ich werde mich nun im Detail um den Wortf eidbegriff kümmern.
88
Die Paradigmen, aus denen Wortfelder hervorgehen, stammen von verbalen Kontexten ab: Also müssen wir uns zuerst darüber klar werden, welche Art von verbalen Kontexten wir zulassen wollen. Betrachten wir die folgenden Beispiele: 1.
...ot/r,t,...
2. sag.../e,st,t,en,t,en 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
...ung/Beruf, Vermut,Gesund,Verleumd,... ...schlafen/aus,ein,weiter ... macht mich krank/Radfahren,Schlafen,das Wetter,... die ... stimmt mich fröhlich/Nachricht,Party,Frau,... eine ... frau/arme,gute,hübsche,kranke,... ein mann, der .../schlaft,lügt,singt,... überraschenderweise oder mann ... lachen/?
Als Ziel stehen mir Wortfelder vor Augen, das heißt, ich kann kein Interesse an phonologischen Paradigmen oder solchen, die aus Inflektionen gebildet sind, haben. Also muß ich verbale Kontexte wie in Beispiel 1 oder in Beispiel 2 ausschließen. Auch stelle ich mir nicht vor, daß Wortfelder aus Wortstänraen beziehungsweise Präfixen oder Suffixen bestehen. Deshalb will ich verbale Kontexte, die entsprechende Paradigmen liefern würden, vergleichen Sie die Beispiele 3 und 4, ebenfalls ausschließen. Falls einige Prä- oder Suffixe, wie bei Beispiel 4, als eigenständige Wörter auftreten können, werden sie im Rahmen erlaubter verbaler Kontexte auftreten. Die Beispiele 5 bis 8 sind in Ordnung, denn ich brauche nicht zu verlangen, daß die Substitution mit einem Element aus dem Paradigma einen Satz ergibt. Wie die Beispiele 7 und 8 zeigen, wäre dies eine unnötige Einschränkung. Andererseits sollte man bei der Verkettung für einen verbalen Kontext, abgesehen von der Leerstelle, innerhalb der Verkettung ohne Erweiterungen auskommen, falls man die Verkettung in einen Satz einbettet. Nur dann kann wohl sinnvollerweise von einem verbalen Kontext gesprochen werden. Die beiden Beispiele 7 und 8 sind offensichtlich solche Verkettungen, dagegen könnte Beispiel 9 nicht ohne weiteres in einen Satz des Deutschen eingebettet werden. Als mögliche Erweiterung, zwar innerhalb der Verkettung, aber außerhalb der Leerstelle, böte sich an: überraschenderweise sah er einen jungen oder mann ... lachen. Ehe ich zur Definition des Begriffes verbaler Kontext können kann, müssen wir noch einige eher technische Voraussetzungen klären. Der ungeduldige oder an Präzision nicht so interessierte Leser kann sich sofort Definition 7 (S.94) und den sich daran anschließenden informellen Bemerkungen widmen. Implizit hat es schon immer mitgeschwungen: Wir müssen vorausschicken, von welcher Sprache wir überhaupt reden wollen. Allgemein gesprochen wird es sich um ein Fragment T einer natürlichen Sprache S handeln und speziell in den Beispielen und Anwendungen meist um ein Fragment des Deutschen. Die natürliche Sprache S kann beliebig eingeengt werden, so etwa bis auf Idiolekte. Letzteres schwebte
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Betz (1954,5.190) offenbar für Wbrtfeider vor und ist schließlich bei Lieb (1979a, S.68) konsequent durchgeführt. Um genau zu sein, an dieser Stelle genügt der Syntaxteil des Fragmentes 7 . Die natürliche Semantik der Sprache S sehen wir sowieso als gegeben an. Der Syntaxteil des Fragmentes 7 der Sprache S schließt unter anderem eine Festlegung der Grundwörter von 7 , der Sätze von 7 und der Quotationsoperation in 7 ein. Welche Syntax wir hierzu verwenden, soll ausdrücklich offen bleiben. Damit müssen auch die folgenden Definitionen möglichst neutral gegenüber verschiedenen Syntaxtheorien formuliert werden. Von Wortfeldern des Fragmentes T soll also die Rede sein. Nun haben wir den Syntaxteil eines Fragmentes 7 als Voraussetzung. Man darf sich dadurch nicht irremachen lassen. Wir wollen gerade Wortfelder im Gegensatz zu Begriffsfeldern. Die Zusammenfassung von Wörtern in Wortfeldern muß auch syntaktischen Beschränkungen unterliegen. Daß jemand die Idee des Wortfeldes einigermaßen klar sein kann, ohne über die Voraussetzungen wirklich Rechenschaft abgeben zu können, sind wir von anderen Begriffen, wie etwa dem Satzbegriff, bereits gewohnt. Im Abschnitt 3.1 habe ich gezeigt, wie wir (komplexe) Ausdrücke als Folgen auffassen können. Diese Möglichkeit könnt uns nun zugute, denn dadurch lassen sich einige Begriffe wie Verkettung von (komplexen) Ausdrücken und Vorkommen eines (komplexen) Ausdruckes in einem ändern (komplexen) Ausdruck relativ leicht festlegen. Eine Klärung dieser Begriffe brauchen wir, um die Definition des nun angestrebten Begriffes verbaler Kontext und des später an die Reihe könnenden Begriffes Wörterformen-Paradigma verständlich zu machen. Deshalb führe ich jetzt einige Definitionen im Zusammenhang mit Folgen an. Als Grundlage muß uns wieder eine naive Mengenlehre genügen. Neben den elementaren Begriffen der Mengenlehre sei ferner klar, was wir unter natürlicher Zahl verstehen. Definition 2: B ,/ B 2 seien zwei Mengen und R eine 2-stellige Relation zwischen B und B2; also RSB^ B 2 a) Der Definitionsbereich £ R der Relation R ist folgende Menge: ÄR:= {X[ES gibt ein y £ B mit £RJ . b) Der Bildbereich R der Relation R ist folgende Menge: ÖR:= -[y|Es gibt ein x f c B 1 mit < x , y > e R } . c) f ist eine Abbildung von B in B (f:B —*· ) gdw f ftB B und 5)f=B und für alle x,y,z: Wenn < x , y > f c f und < x , z > £ f , dann y=z. Die Abbildung f ordnet also jedem Element aus B genau ein Element f(x) aus B zu. Es sei IN die Menge der natürlichen Zahlen (beginnend mit 1) .
90
d) f ist eine Folge von Elementen aus B gdw f : IN —*· . e) f ist eine endliche Folge von Elementen aus B gdw Es gibt ein ne|N, so daß f: (x|xelN und x^n} —*"B oder Jf=0. Falls 2) ft0, ist aufgrund der Qrdnungseigenschaften der natürlichen Zahlen diese Zahl n eindeutig bestimmt. Man nennt sie dann die Länge der endlichen Folge (L(f)=n) . Die leere Menge 0 ist mit dem Fall «9f=0 trivialerweise als endliche Folge von Elementen aus B erfaßt. Ihre Länge wird mit 0 festgesetzt. ,
'V
Es seien f , f f 2 ^^ endliche Folgen von Elementen aus B mit L(f )=n ,L(f ) = n . f) Die Verkettung von f mit f „ (f. f J ist folgende Menge: f := | | < k , x > £ f oder es gibt ein k' tlN, so daß < k' , x > e f 2 und f wird einfach an f angefügt. Diese Definition der Verkettung entnahm ich Lieb (1976c,S.91) . Es entsteht dabei wiederum eine endliche Folge von Elementen aus B: Bemerkungen 2^ a) Es seien f ,f „ zwei endliche Folgen von Elementen aus B mit Die Verkettung von f mit f ergibt eine endliche Folge von Elementen aus B der Länge n +n„. i *· b) Es seien f ,f ,f drei endliche Folgen von Elementen aus B mit L(f )=n , L(f )=n ,L(f J )=nJ . ^ s^ >-^ ^ s~\ Die Verkettung ist assoziativ, das heißt (f f 2) f =f (f 2 f 3 ) . Beweis; ad a) Fallunterscheidung: 1. f =f =0. Nach Definition 3f) &f=0, also f ist eine endliche Folge von Elementen aus B. L(f)=O. 2. f ^0,f =0. 3f 2 =0, also gibt es kein k ' f c I N , so daß | Es gibt ein k ' £ l N , so daß < k ' ,x>£f 2 und k=k'} = f 2 · L(f) = L(f2). 4. f t0,f +0. z. z. nach Definition 3e) Es gibt ein nfelN, so daß f: ^xjxfelN und ^ —»-B. n:=n +n . Aus der Festlegung für f ergibt sich: S)f= {k|k£ n +n 2 } ;(3f£B, da (3f SB und (3f tB. Es seien nun k,y,z mit £.f und fcf gegeben. Fallunterscheidung: 4.1 kin : y=z, da f : {xlxfelN und x ^ n j —*-B
91
4.2 n. < k ^ n +n . Damit: Es gibt ein k'e. IN, so daß < k ' , y > £ f 2 und und k=n -t-k1 . Also auch y=z, da f :{ xjxelN und x ^ n j—»-B.
e f , und k'= n + k 1 1 ) und k=n +k']} = { ) < k , x > £ f oder es gibt ein k ' e f N , so Distributivität für das letzte 'und'
daß [ < k ' , x > e f 2 und k^+k1 oder es gibt ein k 1 'd(N, so daß ( < k ' ' , x > e f und k ' = n + k ' ' undk=n+k')]} = { |ck,x>£ f
öderes
mit k ' = n + k ' ' in ( )
es gibt ein k ' £ IN, so daß < k ' ,x>e f _ und k=n.-fk' oder es gibt ein k' '£ fN, so daß < k ' ' , x > £ f und k=n +(n +k' ')| = | < k , x > | < k , x > € f 1 oder Assoziativität für natürliche Zahlen 1
es gibt ein k N, so daß k 1 ,x f und k=n +k* oder es gibt ein k"£nsi, so daß < k " , x > 6 f 3 und k=(n 1 +n 2 )+k"j = ( < k , x > j < k , x > £ f ^ f 2 Definition 3f) für f oder es gibt ein k' 'eIN, so daß < k ' ' , x > £ f ^\
(f
f
und k=(n +n )+k' ']· =
^%
f
) f
.
W.Z.Z.W.
Als Beispiel für die Verkettung zweier endlicher Folgen erwähne ich: f]={,, , t f : e x und 2.3 Für alle e.X gibt es ein k 1 ^ - ' ' , mit g (k')=k und e f 1 ·
g:=g 2 ° g1 ad 3.1 n ,n € Ä f
mit n < n : mit 1.1 g (n ) < g (n 2 ) . g (n ) 6 2rf und
g 1 (n 2 ) £ f e f ; f ' sei eine endliche Folge von Elementen aus B der Länge n ' , für die es kein i ' £ f N gibt mit < i ' , Y > f c f ' . Die Substitution von f ' an der Stelle der Folge f (f
' ) liefert
folgende Menge: f*1' * ) := j < k , z > < k , z > £ f für k < i oder es gibt ein k11 (N, L
so daß < k ' , 2 > £ f ' und k=k'+(i-1) oder es gibt ein k ' f e l N , so daß < k ' , z > £ f und k 1 > i und k=k'+(n'-1)} . Bemerkungen £: B sei eine Menge, die das ausgezeichnete Element
enthält, f sei
eine endliche Folge von Elementen aus B der Länge n mit genau einem ifelN, so daß 1
und < i , Y > £ f ; f
sei eine endliche Folge von Elementen aus B der
Länge n ' , für die es kein i ' f e l N gibt mit < i ' , Y > € . f .
a) f ' ist eine endliche Folge von Elementen aus B der Länge n+(n'-1).
b) Die Substitution erfaßt natürlich auch den FallÄf'=0, also die Substitution der leeren Menge. Dabei ergibt sich f* 1 ' = f [ . *i,f> Beweis: Beide Bemerkungen sind bei Anwendung der Definition 8 wirklich leicht nachzuweisen.
w. z.z.w.
Ein Beispiel einer Substitution mit uns interessierenden Wortformen kamt wohl nicht ungelegen: f= das mädchen wirkt wie
auf das publikum; f ' = eine bombe. Damit f
kommt in s vor und fc '
2. es gibt endliche Folgen f ,f
könnt in s vor und
von Vfortformen von Grundwörtern aus Syn, so
Einige informelle Bemerkungen zu dieser Definition sind an der Reihe: 1. Um den definierten Begriff von meinem Vfortbegriff, salopp gesprochen als Paradigma der Vfortformen eines Wortes, abzugrenzen, spreche ich hier von Wörterformen. Die Menge F enthält normalerweise Vfortformen verschiedener Wörter. 2. Quotation schließe ich wieder vorsichtshalber aus. Andernfalls wäre jedes F£E ein Vförterformen-Paradigma. Als verbalen Kontext nehme man: ec = ist schön und für jedes feF den Satz: ev sagt: '/S ist schön', womit alle Bedingungen erfüllbar wären. 3. Die Existenzforderung der Sätze s ,s
ist nicht unnötig, denn ich habe ja
'unvollständige' verbale Kontexte wie: ein kind3 das zugelassen. Erst auf dem Hintergrund 'eines' Satzes wird sozusagen das Paradigma bestimmt. Ich kann tatsächlich vom Hintergrund 'eines' Satzes reden. Dies hängt mit der Bedingung 2 für die Sätze s ,s„ zusammen. Diese Bedingung fordert von den Sätzen, daß sie sich höchstens beim substituierten Element unterscheiden, ansonsten aber völlig identisch sind. Damit ist wohl erfaßt, was wir intuitiv für ein Paradigma haben wollen, das aus einem Substitutionsprozeß hervorgeht. Da die Elemente aus F nicht unbedingt auf eine syntaktische Kategorie beschränkt sein müssen, wird über irgendwelche syntaktischen Strukturen der Sätze s , / s nichts ausgesagt. Langsam bezüglich des verbalen Kontextes et. = hans läuft wäre ein solches Element. Allein aufgrund meiner Forderung über ihren Aufbau ist garantiert, daß beide Sätze syntaktische Strukturen haben können, die in intuitivem Sinne ähnlich zueinander sind. Genauso kann für die Intqnationspattern nichts bestimmtes festgelegt werden, da die unterschiedlichen Elemente aus F ja die Gesamtintonation beeinflussen können. 4. Es gibt keine Vollständigkeitsbedingung für ein Wörterformen-Paradigma. Sie wäre etwa denkbar im Stile von: Alle möglichen zugelassenen Elemente aus E, die im verbalen Kontext auf dem Hintergrund des angenommenen Satzes substituierbar sind, sind Element von F. Etwas ähnliches wird erst bei Wortfeldern interessant werden. Da diese Vollständigkeit nicht gefragt ist, können aus einem verbalen Kontext und auf dem Hintergrund eines Satzes verschiedene Wörterformen-Paradigmen entstehen. Diese Paradigmen mögen über die Teilmengenbeziehung untereinander
105
geordnet sein oder auch nicht. Die Vereinigung oder der Durchschnitt zweier solcher Paradigmen wird wieder ein Paradigma bezüglich des Ausgangskontextes und Ausgangssatzes sein. Für Paradigmen, die zwar bezüglich des gleichen verbalen Kontextes aber auf dem Hintergrund 'echt1 unterschiedlicher Sätze gebildet sind, gelten diese Aussagen natürlich nicht mehr. Man denke etwa an den verbalen Kontext: hans läuft Y. Auf dem Hintergrund des Satzes hans läuft schnell erhalten wir, wie wir bereits gesehen haben, unterschiedliche Paradigmen zu solchen, die auf dem Hintergrund eines Satzes wie hans lauf t} weil er benzin spart gebildet sind. Erstere sind Paradigmen aus echten oder unechten Adverbien, während letztere Paradigmen aus Konjunktionen sind. 5. Selbstverständlich kann ein Wörterformen-Paradigma von verschiedenen verbalen Kontexten erzeugt werden. Ein trivialer Fall ergibt sich, wenn wir im verbalen Kontext (komplexe) Ausdrücke durch synonyme (komplexe) Ausdrücke ersetzen. Als Beispiel: et = martin suaht naah seinem
und e t = martin ist auf der suche nach
seinem Y. Weniger trivial ist das folgende Beispiel: et = das wetter ist heute und ot = das wetter war gestern Y, Hier erkennen wir, daß der außersprachliche Kontext praktisch unberücksichtigt bleiben kann. Eine Folge der Unwichtigkeit der Wahrheitswerte. Mein Begriff des Wörterformen-Paradigmas ist eine Präzisierung einer fest etablierten Idee. Seiler (1967,3.51) nennt es substitution class in Anlehnung an Hjelmslev (1966): " ( . . . ) classe d'elements pouvant occuper une meme place de la chaine." (S. 176).
Besonders im Strukturalismus erlebt sie eine wahre Blüte. So geht dieser Paradigmabegriff entscheidend in die Vorstellungen Coserius mit ein, was zum Beispiel in dem von mir auf S.86 angeführten Zitat von Coseriu angedeutet ist. Die allgemein gehaltene Definition eines n paradigmatischen Paradigmas von Been (1973, S.42) ist für m=1 mit meiner Definition vergleichbar. Auch er geht von einem konstanten verbalen Kontext aus und hat eine Teil von-Relation, die für meine Vorkommens-Relation steht. Allerdings bleiben die Voraussetzungen, falls es irgendwelche gibt, für den Substitutionsprozeß völlig im Dunkeln. Dies hängt wohl damit zusarrmen, daß sich Been nur für Verwendungen COkkurrenzen1) von Ausdrücken interessiert. Die Idee des 'Wörterformen'-Paradigmas hat sicherlich Anspruch auf gewisse Realität. Da ist einnmal der naheliegende Fall des Schriftstellers, der bei einem gegebenen verbalen Kontext verzweifelt nach dem für ihn 'richtigen' Wort sucht. Bereits Eberhard/Maass (1826) waren sich dessen bewußt:
106 " ( . . . ) wer kann das, was er denkt, mit aller Genauigkeit der Umrisse, mit allen bedeutenden Nebenbegriffen im Ausdrucke darstellen, wenn er nicht das einzige Wort gebraucht, das die ganze Form seines Gedankens abbildet ( . . . ) ? (S.XXXVII).
Dies kann für die Interpretation eines Textes nach Heintz (1978) nicht ignoriert werden: "Der interpretatorische Kunstgriff besteht jeweils darin, die valeur eines Schlüsselwortes durch Supposition angrenzender Glieder seines Feldes zu ermessen. Dem Verfahren liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der poetische Ausdruck das Resultat eines Selektionsvorganges darstellt, in dessen Verlauf aus einem zur Diskussion stehenden Paradigma dieser eine Ausdruck herausgefiltert wird."(S.63).
Sicherlich, der Schriftsteller hat praktisch unbeschränkt Zeit für seine Auswahl, während dies für die gesprochene Sprache nur sehr begrenzt gilt. Dennoch hat ein ähnlicher Mechanismus auch für die gesprochene Sprache Gültigkeit. Zunächst spielt er sich meist im Vorbewußten ab, wie Gauger (1976c,S.172) richtig sieht. Die unbewußte oder bewußte Auswahl eines Wortes erfolgt nicht nur bezüglich der bereits gewählten und ausgesprochenen Worte, sondern in erster Linie bezüglich des Auszusagenden als Ganzes, was etwa als Gedanke oder Idee faßbar wäre. Wahrscheinlich kcnmen zumindest im eigenen Idiolekt einige Konstruktionen 'automatisch1, was die Konzentration auf wichtige Teile im Satz erlauben würde. Zu den 'automatischen' Konstruktionen sind wohl Füllsel, die einem Zeit geben, wie ah, jaa zu zählen, während die Besetzung der Verbkategorie als wichtiger Teil anzusehen ist. Nur im Hinblick auf das Ganze ist es auch plausibel, daß im Falle der Auswahl einer Konjunktion diese bereits nach dem ersten Satz ausgesprochen werden kann, ehe der zweite neben- oder untergeordnete Satz ausgesprochen wird. Als Gedanke muß also mindestens die Art der Verknüpfung zweier Vorgänge bereits bei der Auswahl der Konjunktion präsent sein. Die zeitliche Aufeinanderfolge der ausgesprochenen Worte spiegelt nicht die Reihenfolge der Teile des Gedankens wider, falls es so etwas wie das Letzte überhaupt gibt. Die zeitliche Reihenfolge erfolgt aufgrund syntaktischer, physikalischer und physiologischer - wir haben eben nur ein Sprechorgan zur Verfügung - Gegebenheiten und aufgrund von Relevanzprinzipien. Für die Wortwahl selbst, bei der letztlich die linguistische Stilistik in ihrem augenblicklichen Verständnis ansetzt, sind mit Sanders (1977,5.21) individuelle und soziale Voraussetzungen zu beachten. Seiffert (1968) nennt einige Zwänge: "Nun kann es zwar sein, daß beim Sprechen eine unbewußte oder instinktmäßige Auswahl unter begrifflich verwandten Wörtern geschieht. In gewissen Situationen ist man bei der Wortwahl ganz bestimmt sehr vorsichtig. Aber es kommen andere Faktoren hinzu, z.B. inner- und außersprachliche Anregungen, oder die Form eines einmal begonnenen Satzes. Ein im Gespräch einmal gefallenes Wort, ein Modewort, ein Lieblingswort des Sprechers mag an entscheidenden Punkten
107 prägend wirken. Umgekehrt kann ein Wort mit begrifflich irrelevanten aber psychologisch maßgeblichen, für den Sprecher unangenehmen Assoziationen vermieden werden, auch wenn es an und für sich das mot juste wäre." ( S . 3 1 ) .
Nichtsdestotrotz handelt es sich inner noch um eine Auswahl, die eventuell bereits zu einem lange zurückliegenden Zeitpunkt getroffen wurde, und nur darum geht es mir im Augenblick. Beispiele für eventuelle kcmmunikative Unterschiede bei der Auswahl aus einem Wörterformen-Paradigma finden sich in Gruse (1977). Eines dürfen wir nicht vergessen: Im Hinblick auf die gesamte Kotinunikaticnssituation betonen wir bei diesen Betrachtungen die Sprecherseite. Darauf weist Baidinger (1978,3.398) ausdrücklich hin. Die Definition des Wörterformen-Paradigmas über einen verbalen Kontext bringt es mit sich, daß wir kaum verschiedene Wortformen ein- und desselben Wortes im Paradigma vorfinden. Formen des Adjektivs alt , wie alter und alte, treten nicht gemeinsam in einem Wörterformen-Paradigma auf. Eine Ausnahme bildet die Tempusflektion bei Verben. Als Beispiele mögen dienen: 1. Hans 2. John
ein lied/singt,sang,komponiertfkomponierte,lernt,lernte,... a song/sings,sang,is singing,knows,knew,...
Wie das englische Beispiel zeigt, ist selbst beim Tempus kein einheitliches Verfahren zu erzielen, da gewisse Verben gewisse Tempusformen nicht zulassen. So ist für knew die Progressivform ausgeschlossen. Vergleichen Sie eine Diskussion über diese Problematik in König/Lutzeier (1973,S.30O-3O3). Sprachtypologisch gesehen ist die Chance groß, bei einer synthetischen Sprache Variabilität bezüglich verschiedener Faktoren, wie Tempus, Genus, Fall, zu erhalten. Dagegen würden bei analytischen Sprachen vorwiegend nur einzelne Wortformen eines Wortes im Paradigma vorkamen. Solche doch besonders im Hinblick auf Wortfelder unschönen Ergebnisse müssen korrigiert werden. Gefragt ist gewissermaßen eine Abstraktion von den durch den jeweiligen verbalen Kontext diktierten Wortformen, übrigens auch für den bei markierbaren Formen unwahrscheinlichen Extremfall, wo wir alle Wortformen eines Wortes im Paradigma hätten, wollten wir im Hinblick auf Wortfelder eine Möglichkeit der Zusammenfassung aller dieser Wortformen haben. Dies doch insbesonders deshalb, weil die lexikalische Bedeutung 'an sich' eines Wortes nicht mit seinen unterschiedlichen Wortformen variiert. Wie wir im Abschnitt 3.1 gesehen haben, war dies letztlich das entscheidende Kriterium für die Zusammenfassung bestimmter Wortformen zu Wörtern. Gleicher Ansicht über die einheitliche lexikalische Bedeutung sind Porzig (1959,3.166), Porzig (1971,3.128) und Rosengren (1969,3.108). Damit wird die Erklärung eventueller Unterschiede bei Wortformen eines Wortes der Morphologie zugewiesen. Man denke etwa an Komparativ- und Superlativformen bei
108
Adjektiven und Adverbien. Bei Brekle (1972) bin ich mir nicht klar darüber, ob er nicht doch Wortfeider bestehend aus Wortformen zulassen will. Wir finden bei ihm: " ( . . . . ) das Feld der sog. "performativen" Verben: schwören, versprechen, in der l.Pers.sing.präs. ( . . . ) . " ( S . 8 2 ) .
taufen
Intuitiv gesehen will ich nun den Übergang von einem Wörterformen-Paradigma zu einem Wörter-Paradigma leisten. Ein Wörter-Paradigma wird eine Menge sein, die nur Grundwörter im Sinne des Fragmentes enthält. Jedes Grundwort kann gemäß Abschnitt 3.1 als ein Wortparadigma verstanden werden. Bei einer Verbindung aus Artikelform + Substantivform werden wir zu einem der möglichen entsprechenden Substantive übergehen. Definition 1O: Gegeben sei der Syntaxteil Syn eines Fragmentes T eines Idiolekts S des Deutschen. WF sei die Menge der Wortformen von Grundwörter in 7 . G sei die Menge der Grundwörter in f . P6 G. P ist ein Wörter-Paradigma in 7 gdw Es gibt ein Wörterformen-Paradigma F in f , so daß 1. Für alle W t P gibt es ein feF mit ( ist eine Wortform von W und L(ß )=1 oder es gibt zwei endliche Folgen f ,f von Elementen aus WF der Längen 1 mit fi =f f und f ist eine Wortform von W) und 2. Für alle fieF mit L(ß )=1 gibt es ein W £ P mit ist eine Wortform von W und 3. Für alle /l fe F mit L ( ß ) = 2 gibt es endliche Folgen f ,f„ von Elementen aus WF mit =f/^f und es gibt ein W f c P , so daß f. eine Wortform von W ist. Bedingung 1 garantiert, daß das Wörterformen-Paradigma das Wörter-Paradigma sozusagen ausschöpft. Umgekehrt soll das Wörterformen-Paradigma nicht unnötigerweise groß sein. Dies legen die Bedingungen 2 und 3 fest. Selbstverständlich gibt es bei gegebenem Wörter-Paradigma im allgemeinen viele Möglichkeiten für ein geeignetes Wörterformen-Paradigma. Als Beispiel: f W W W\ f "\ P= 4 gespielt ,gekickt ,geworfen \ . F = (werfen,spielen,kieken^ mit 0t = wir uns den ball zu; F = {, vorf , spielte,kickte j mit Ot = rolf maria den ball zu. Umgekehrt, beim praktischen Vorgehen gelangt man über einen verbalen Kontext zu einem Wörterformen-Paradigma. Der Übergang zu einem Wörter-Paradigma ist auch hier nicht in jedem Fall eindeutig. Vergegenwärtigen Sie sich folgendes Beispiel: ÖL = anton den aaker und F= {pflügt,vermißt} . Rein formal ergeben sich drei
( vermißt W ,gepflügt
{ vermessen
W
,gepflügt
Wl
W
\ und P = \ vermißt ,vermessen ,gepflügt
WT
W?
$,
\ . Dies ist
weiters keine Überraschung, semantische Kriterien haben ja bis jetzt keine Rolle
109
für die Paradigmen gesnielt. Im Hinblick auf Paradigmen sehe ich diese Möglichkeiten als einen Vorteil dieses Ansatzes an. Bei meinem schrittweisen Vorgehen auf Wortfelder zu, werde ich zu gegebener Zeit semantische Kriterien einführen. Für eine Sprache wie das Englische erübrigte sich die Rücksichtnahme auf Verbindungen von Artikelform mit Substantivform. Ein Wörter-Paradigma ist natürlich auch eine Wortsarnnlung. Gleichzeitig ist es aber sehr viel mehr als eine bloße Vfortsammlung: Ein Wörter-Paradigma ist indirekt, über ein Wörterformen-Paradigma, aus einem Substitutionsprozeß in einen verbalen Kontext hervorgegangen. Am Anfang des Abschnitts 4.2 habe ich Wortfelder intuitiv als spezielle Typen von Paradigmen bezeichnet. Wir haben nun meiner Meinung nach mit den Wörter-Paradigmen solch eine Klasse von Paradigmen gefunden, von denen grob gesprochen die Klasse der Wortfelder eine echte Teilklasse darstellen sollte. Meine Fomulierungen der Definitionen 7 bis 10 waren im Hinblick auf unser Ziel 'Wortfelder' keineswegs überflüssig. Bisherige Definitionen, falls sie überhaupt auftreten, zum Beispiel des Begriffes verbaler Kontext, sind für meine Zwecke viel zu unspezifisch; vergleichen Sie etwa Marcus (1967,3.6). Meistens wird noch zusätzlich die Unterscheidung zwischen Wortformen und Wort völlig verwischt. 4,4
Weitere Schritte in Richtung auf
Wortfelder
Wörter-Paradigmen können noch bunt durcheinandergewürfelte Mengen sein. So finden wir zum Beispiel ohne weiteres echte und unechte Adverbien aus den Kategorien Satzoperator und Prädikatsmodifikator zusammen in einem Paradigma. Man denke
{ schnell W ,wahrscheinlich W notwendigerweise W ,
langsam W 1j . Von Mitgliedern eines Wortfeldes erwarten wir sicherlich, daß sie semantisch gesehen etwas gemeinsam haben sollten. Nun können (komplexe) Ausdrücke aus verschiedenen syntaktischen Kategorien etwas semantisches gemeinsam haben, besonders wenn sie aus dem gleichen verbalen Kontext hervorgehen. Als morphologisch herausragendes Beispiel fällt mir ein: schön und eine Schönheit mit dem verbalen Kontext ÖL = sie ist Y. Aber dies ist nun nicht immer so; siehe oben mein Beispiel der Adverbien, bei dem es für langsam als Prädikatsmodifikator schwerfällt, einen gemeinsamen 'semantischen Nenner1 mit den übrigen Satzoperatoren zu finden. Zu diesem Ergebnis kamt auch Scur (1977,5.125) für Elemente, die durch Substitution auseinander hervorgehen. Wie es im konkreten Einzelfall auch inner sei; Elemente aus verschiedenen syntaktischen Kategorien würden nichts zur Herausbildung innerer semantischer Relationen zwischen Elementen aus einer syntaktischen Kategorie beitragen. Letzteres
110
ist genau was ich will, denn ich verspreche mir ja Hilfe für Fragen der Subklassifikationen innerhalb einzelner syntaktischer Kategorien. Aus diesem Grunde werde ich für Wortfelder verlangen, daß sie solche Wörter-Paradigmen sind, bei denen alle Elemente des Paradigmas jeweils einer syntaktischen Kategorie angehören. Wenn wir somit beim praktischen Vorgehen für Wortfelder aus einem Wörter-Paradigma Elemente einer bestürmten syntaktischen Kategorie aussondern, dann heißt dies, daß wir diejenigen Elemente wollen, die in der vorgegebenen syntaktischen Kategorie fungieren können. Sie werden dann im Wortfeld selbst als Elemente dieser syntaktischen Kategorie behandelt, ungeachtet der Möglichkeit, daß sie noch anw deren syntaktischen Kategorien angehören können. Vergleichen Sie langsam , das als Satzoperator und als Prädikatsmodifikator fungieren kann. Ballmer (1977,5.584) trifft die gleiche Vorkehrung, während es Porzig (1971,3.119) und Lekomcev (198O, S.134) nur auf Glieder derselben Wortart einengen. Weisgerber (1962,3.272/273) scheint die Zulassung von Elementen aus verschiedenen Wortarten in einem Wortfeld zu erwägen. Lehrer (1974,5.39 und 3.41) und Sotmerfeldt (1980,5.103) schließlich befürworten einen solchen Schritt. Mit der Beschränkung auf jeweils eine syntaktische Kategorie für die Elemente des Wortfeldes sind wir meiner Idee von Wortfeldern schon ein gutes Stück näher gekdtinen. Sich zufrieden in einen Sessel zurückzulehnen, dazu besteht dennoch kein Anlaß. Ich gehe nämlich davon aus, daß Wortfelder nicht nur Paletten sprachlich realisierbarer Ausdrucksintentionen relativ zu einem verbalen Kontext sind, sondern auch - neben dem verbalen Kontext - relativ zu einem bestimmten Aspekt. Lassen Sie mich diese Aussonderung bezüglich Aspekten an einem Beispiel illustrieren: Aus dem verbalen Kontext ÖL = das buch ist kann etwa das Wörterformen-Paradigma F= \jsin plagiat,alt,der knüller,interessant,eine neuheit,neu,originell·,umfangreich, dick,langweilig,faszinierend,erschienen,erhältlich,verkauft,vergriffen,veraltet, langatmig} hervorgehen. Der Übergang zu einem Wörter-Paradigma P liefert P= -, . ^W , ..,, W , .^W ,^W . , ,W W . . , W ,, . , W ,, W olagtat ,knuller lneuhe^t ,alt interessant ,neu ,o "Lg^nell7 ,w^^fangre^cn ,a^a 7 , W W W W W · W W langweilig faszinierend ,erschienen ,erhältliah ,verkauft ,vergriffen ,veraltet , langatmig*}. In Richtung auf Wortfelder wähle ich die syntaktische Kategorie 'Ad-
{
f
jektiv'. Damit ergibt sich aus dem Wörter-Paradigma P das Wörter-Paradigma P'= w w w w w · w . * w · · w ilt ,interessant ,neu ,originell ,umfangreich ,dick ,langweilig ,faszinierend , erschienen W ,erhältlich W ,verkauft Wrvergriffen W,veraltet Wrlangatmig W\ j . Dies ist wohl
immer noch etwas undurchsichtig für ein Wortfeld. Besser wird es sicherlich, wenn wir eine Aussonderung bezüglich Aspekten wie 'Erwerbsmöglichkeit' oder 'Bewertung des Inhalts1 vornehmen:
111
1. Aussonderung bezüglich des Aspektes 'Erwerbsmöglichkeit1: P = {_alt ,neu ,erw w w w schienen ,erhältlich ,verkauft ,vergriffen J· . W
W
W
W
Wl
originell ,langweilig faszinierend ,veraltet ,langatmig j.
iinteressant w ,
P und P 2 würden wir wohl intuitiv als Kandidaten für Wortfelder bezeichnen. Aus diesem Beispiel können wir ferner ablesen, daß im Falle von Adjektiven diese Aspekte nichts anderes sind, als was bei Bartsch/Vennemann (1972,3.67) Dimensionen genannt wurde. Den Begriff Dimension möchte ich mir jedoch für die spätere Erfassung der Struktur eines Wortfeldes reservieren. In meinem Beispiel tauchen zwei verschiedene Aspekte auf: erstens, 'Erwerbsmöglichkeit ' und zweitens, 'Bewertung des Inhalts'. Was sollen wir generell unter solchen Aspekten auf dieser Ebene verstehen? Ein Aspekt ist eine Bedeutung im Sinne der natürlichen Semantik, die notgedrungen in der gewählten Beschreibungssprache unter Anführungszeichen irgendwie angegeben werden muß. Müller (1976,3.499) liegt hier auf meiner Linie der Argumentation. IM unnötige Schwierigkeiten zu vermeiden, sollten wir nur solche Aspekte wählen, die im Sinne der natürlichen Semantik Eindeutigkeit gewährleisten. Weitere Gründe, neben der problemlosen Aussonderung, werden im Verlauf der Arbeit klar. Die Kriterien dieser natürlichen Semantik, blättern Sie zurück zu Abschnitt 2.7, können herangezogen werden, um die Hinzunahme oder Weglassung eines Grundwortes aus dem Wörter-Paradigma in das Wortfeld unter dem vorgegebenen Aspekt zu rechtfertigen. Ein Grundwort der Sprache S fällt damit unter einen vorgegebenen Aspekt genau dann, wenn es im Sinne der natürlichen Semantik der Sprache S eine Bedeutung für dieses Grundwort gibt, die im Sinne der natürlichen Semantik der Sprache S unter den vorgegebenen Aspekt fällt. Die Bedeutungen für die Grundwörter müssen zum Aspekt im Sinne einer Spezifizierung passen. Allein dadurch wären der Vielfalt der syntaktischen Kategorien innerhalb eines Wortfeldes Grenzen gesetzt. Damit habe ich im Nachhinein eine weitere Begründung gefunden, weshalb meine Beschränkung auf jeweils eine syntaktische Kategorie sinnvoll ist.
Da es sich bei den Aspekten um Bedeutungen (im Sin-
ne der natürlichen Semantik) handelt, ist nicht irtmer garantiert, daß sich der Aspekt überhaupt oder auf relativ einfache Weise in einer fixierten Beschreibungssprache ausdrücken läßt. Das heißt insbesonders, daß es nicht ein Grundwort Im Fragment f geben muß, das als eine seiner Bedeutungen im Sinne der natürlichen Semantik den Aspekt besitzt. Selbstverständlich wird es Fälle geben, wo die Hinzunahme eines Grundwortes unter den vorgegebenen Aspekt speziell über die (intuitive) Extension des Grundwortes geklärt werden kann. Zum Beispiel iitmer dann, wenn wir eine syntaktische Kategorie auswählen, deren Elemente intuitiv gesehen keine Probleme bezüglich Referenz machen und wenn der Aspekt selber eine Klasse
112
von Objekten bestürmt. Auf ein später noch näher einzugehendes Beispiel (Ab.5.1.1) verweise ich hierzu: Substantive unter dem Aspekt "Turngerät1. Wir können uns jedoch nicht auf diese Fälle beschränken, ohne von vornherein Wortfelder auf einige wenige syntaktische Kategorien einzuschränken. Im. Gegenteil, ich will ja einen Begriff von Wortfeld, der zumindest prinzipiell Wortfelder für alle syntaktischen Kategorien ermöglicht. Die Forderung eines Aspektes für ein Wortfeld ist mein erstes echtes semantisches Kriterium. Als solches ist es in der Feldtheorie wohlbekannt. Ein typisches Zitat findet man bei Coseriu (197Oa): "Ein Wortfeld ist die Gesamtheit der durch einen gemeinsamen lexikalischen Feldwert vereinten Lexeme, den diese durch gegenseitige Oppositionen von minimalem lexikalisch-inhaltlichem Unterschied weiter unterteilen." ( S . 4 9 ) .
Neben Felduert finden wir besonders Sinribezirk, so etwa bei Schwarz (1973b,S.429). Die Existenz eines Aspektes bei Wortfeldern ist offensichtlich wichtig. Gleichzeitig kann es aber nicht das einzige Kriterium für Wortfelder sein; meine syntaktischen Kriterien dürfen nicht unter den Tisch fallen. Dies setzt meine Vorstellung von Wortfeld in Gegensatz zu den sogenannten ononasiologischen Paradigmen, wo die gemeinsame semantische 'Klammer1 alleine zählt. Vergleichen Sie Lewandowski (1975,5.466). Auch Schwarz (1973a,S.344) wendet sich gegen die alleinige Annahme einer Begriffsklanmer. Ich stimme allerdings mit dieser Idee darin überein, daß der Aspekt eines Wortfeldes vorgegeben wird und diesem Aspekt entsprechend die Grundwörter ausgewählt werden. Der Aspekt bildet sich also nicht erst auf geheimnisvolle Weise aus der Gesamtheit des Wortfeldes heraus. Zumindest bei Trier (1973a) ist dies anfangs nicht klar: "Das Wortfeld ist zeichenhaft zugeordnet einem mehr oder weniger geschlossenen Begriffskomplex, dessen innere Aufteilung sich im gegliederten Gefüge des Zeichenfeldes darstellt, in ihm für die Angehörigen einer Sprachgemeinschaft gegeben ist." (S.l).
Da ein Aspekt vorgegeben ist,
gehen die Grundwörter in Wortfelder als Einheit von
Form und Inhalt ein. Soweit so gut. Jedoch handelt es sich beim Inhalt um einen Inhalt im Sinne der natürlichen Semantik. Unter anderem mit Hilfe der auf dieser Ebene erzielten Wortfelder will ich mir ja erst Informationen beschaffen, die zu Kriterien für Inhalte im Sinne einer künstlichen Semantik einzelner Grundwörter fuhren können. Lieb (1979a) hat diese Interessen nicht. Er arbeitet deshalb sowohl beim Aspekt (S.76) als auch bei den Inhalten der Wörter (S.76) mit Bedeutungen im Sinne seiner künstlichen Semantik. Die Frage der Zugehörigkeit zum Wortfeld bezüglich des vorgegebenen Aspektes wird leider rein extensional entschieden, womit für mich eine unschöne Einschränkung für den Anwendungsbereich von
113
Vtortfeidern einhergeht. Mit meinem hoffentlich ausreichend erläuterten Verständnis von Aspekten für Vfortfeider sollte klar sein, daß diese Aspekte nicht mit den Aspekten in Lutzeier (1974,8.48) zu verwechseln sind. Letztere werden von nicht-verbalen Kontexten spezifiziert und besitzen Aspekt-Mengen. Da diese Aspekte unmittelbar in den Interpretationsbegriff (S.176-193) eingehen, lege ich bezüglich diesen Aspekten eine etwas kritischere Haltung an den Tag als gegenüber den Aspekten für die Wortfelder. Soviel wissen wir nun: Verglichen mit allgemeinen Wörter-Paradigmen zeichnen sich Wortfelder durch mindestens zwei zusätzliche Bedingungen aus. Es handelt sich um eine syntaktische Bedingung: Es gibt eine syntaktische Kategorie, so daß alle Elemente dieser syntaktischen Kategorie angehören, und um eine semantische Bedingung: Es gibt einen Aspekt, so daß alle Elemente unter diesen Aspekt fallen. Wir sind bis jetzt den Weg der schrittweisen Restriktionen konsequent gegangen. In erster Linie, weil wir vor der Lösung der rein definitorischen Frage für Wortfelder zunächst nach Antworten für die Fragen: Wie kamen wir zu Wortfeldern? oder Nach welchen Methoden und Leitlinien sollen wir uns richten, um zu Wortfeldern zu kommen? Ausschau halten wollten. Mit diesan Vorgehen kennte ich auch einer Auffassung von Seiler (1968,3.274) nahe, der Feldstrukturen durch selektive Restriktionen entstehen sieht. Kandidaten für Wortfelder sind jene Wörter-Paradigmen, die die zwei zusätzlichen Bedingungen erfüllen, allemal. Nur, ob sie es wirklich sind; zur Beantwortung dieser Frage fehlt uns noch jegliche Handhabe. Besonders beim verbalen Kontext, aus den das Wörter-Paradigma über ein Wörterformen-Paradigma hervorgegangen ist, sind zwei Fälle leicht denkbar: Einmal haben wir gar nicht alle Möglichkeiten für das Wortfeld ausgeschöpft; zum ändern schließt der verbale Kontext, vielleicht aufgrund einiger Gebrauchsbedingungen, Grundwörter aus, die wir gerne im Wortfeld präsent hätten. Fälle dieser Art und die generelle Frage, ob ein Kandidat für ein Wortfeld denn nun wirklich ein Wortfeld sei,
können nur im Hinblick auf
die zu fordernde Struktur des Wortfeldes entschieden werden. Wir müssen uns also von nun an Gedanken darüber machen, welche Struktur ein Wortfeld aufweisen soll. Die Annahme einer Struktur ist ein traditionelles Unterfangen. Trier (1975, S.8) spricht deutlich von Gefüge des Feldes, bei Weisgerber (1973b,S.281) lesen wir von innersprachlicher Struktur und bei Kandier (1973,3.365) von Feldstrukturen. Daß solche etwaigen Strukturen bei Wortfeldern den jeweiligen Sprechern der betreffenden Sprachgemeinschaft noch lange nicht bewußt sein müssen, versteht sich wohl von selbst. Schwarz (1973b,S.434) sagt hierzu noch einmal ein klärendes Wort.
114
4.5
Dimensionen
Was wir sicherlieh zur Struktur eines Wortfeldes hinzuzählen, ist die Zuordnung von endlich vielen Dimensionen zum Vförter-Paradigma. Jede einzelne Dimension bewirkt eine Zerlegung des Wörter-Paradigmas in Mengen. Der Begriff Zerlegung wurde übrigens in Definition 1c) (Ab.3.1) eingeführt. Jede dieser entstehenden Mengen erhält einen Namen. Diese Namen können wiederum nicht völlig beliebig gewählt werden, da ihnen eine gewisse Rolle für den semantischen Teil der Wortfelder zugedacht ist. Stellen wir uns etwa das Wortfeld der Substantive unter dem Aspekt 'Einnahmen' vor. Als Dimension trete 'Berufsgruppen' auf, wobei eine der Zerlegungsmengen den Namen 'Soldaten' trage. Das Substantiv sold wäre nun Element der Menge 'Soldaten' bezüglich der Dimension 'Berufsgruppen1. Was sollen wir darunter verstehen? Ich sehe es folgendermaßen: Aus einer Paraphrasierung der Bedeutung von sold unter dem Aspekt 'Einnahmen' würde sich unter anderem inhaltsmäßig normalerweise so etwas wie für Soldaten ergeben. Mit anderen Worten, der Name "Soldaten1 gibt normalerweise einen notwendigen Anteil an der Bedeutung (im Sinne der natürlichen Semantik) von sold unter dem Aspekt 'Einnahmen1. Oder nehmen wir ein Wortfeld von Adjektiven unter dem Aspekt 'Stimnung' und geben die Dimension 'Einschätzung der Lage' vor. Diese Dimension bewirkt eine Zerlegung, eine der Mengen sollte den Namen 'positive Einschätzung der Lage' bekommen. Enthusiastisch ist Element dieser Menge. Damit wäre die Behauptung verbunden, daß eine Paraphrasierung der Bedeutung von enthusiastisch unter dem Aspekt 'Stimmung1 unter anderem inhaltsmäßig normalerweise so etwas wie positive Einschätzung der Lage hervorbringt. Verallgemeinert können wir sonit den Namen der Zerlegungsmengen folgenden Status zusprechen: Die Namen der Zerlegungsmengen einzelner Dimensionen repräsentieren normalerweise notwendige Anteile an der Bedeutung (im Sinne der natürlichen Semantik) der in den jeweiligen Zerlegungsmengen enthaltenen Grundwörter bezüglich des vorgegebenen Aspektes. Auf die vorgenommene Modifizierung mit normalerweise komme ich noch zu sprechen. Es gibt zwei Ausnahmen bei meiner Charakterisierung der Namen von Zerlegungsmengen zu berücksichtigen, nämlich die Namen 'Neutral' und "Weder noch'. Was soll für Zerlegungsmengen mit diesen Namen gelten? Ist ein Grundwort Element der Zerlegungsmenge 'Neutral* bezüglich einer Dimension, dann bleibt die Bedeutung des Grundwortes offen gegenüber den von 'Weder noch1 verschiedenen Namen der übrigen Zerlegungsmengen dieser Dimension. Im Grunde bleibt also die Bedeutung des Grundwortes unter dem Aspekt von den Unterscheidungen der übrigen Zerlegungsmengen
115
der Dimension unberührt. Die Bedeutung des Grundwortes unter dem vorgegebenen Aspekt ist in diesem Fall selbstverständlich nicht offen gegenüber dem Namen 'Weder noch1 der betroffenen Dimension. Deshalb müssen wir die Zerlegungsmenge mit diesem Namen ausschließen. Im vielzitierten Wortfeld der Substantive unter dem Aspekt 'Verwandtschaftsbezeichnungen1 wäre das Substantiv kind sicherlich Element der Zerlegungsmenge 'Neutral1 bezüglich der Dimension 'Geschlecht1. Die Namen der übrigen Zerlegungsmengen wären 'Männlich', 'Weiblich1 und 'Weder noch1. Eine Paraphrasierung der Bedeutung von kind unter dem Aspekt 'Verwandtschaftsbezeichnungen1 trifft normalerweise keine Entscheidung bezüglich männliches oder weibliches Geschlecht. In der Komponentialanalyse wird dieser Fall üblicherweise mit '+' bezeichnet. Vergleichen Sie die Erläuterung bei Wotjak (1971) : "Dabei ( . . . ) treten naturgemäß ( . . . ) auch + Eintragungen a u f , die ( . . . ) bedeuten, daß das entsprechende Merkmal für eine semantische Beschreibung des jeweiligen Semems weitgehend irrelevant ist." ( S . 1 8 9 ) .
Anders sieht die Situation im Falle der Zerlegungsmenge 'Weder noch" bei einer Dimension aus. Wird ein Grundwort bezüglich einer Dimension der Zerlegungsmenge "Weder noch' zugeteilt, dann heißt dies folgendes: Aus der Paraphrasierung der Bedeutung des Grundwortes unter dem vorgegebenen Aspekt ergibt sich unter anderem, daß die von 'Neutral' verschiedenen Namen der übrigen Zerlegungsmengen dieser Dimension inhaltsmäßig normalerweise nichts mit der Bedeutung (im Sinne der natürlichen Semantik) des Grundwortes zu tun haben. Die Paraphrase der Bedeutung eines Grundwortes aus der Menge 'Weder noch1 sagt also im Hinblick auf die von 'Neutral' verschiedenen Namen der Zerlegungsmengen dieser Dimension sehr wohl etwas aus: Für jeden dieser von 'Neutral' verschiedenen Namen repräsentiert dessen im Sinne der natürlichen Semantik vorgenommene Verneinung normalerweise einen notwendigen Anteil an der Bedeutung dieses Grundwortes unter dem Aspekt. Das Substantiv eitern wäre zum Beispiel in der Menge "Weder noch1 bei der Dimension "Geschlecht1 im Wortfeld der Verwandtschaftsbezeichnungen aufzufinden. Die Verneinung der einzelnen von "Neutral1 verschiedenen Namen der Zerlegungsmengen der betroffenen Dimension bringt natürlich mit sich, daß auch die Verneinung der Neutralität bezüglich den von der betroffenen Dimension getroffenen Unterscheidungen gilt. Ein auf die getroffenen Unterscheidungen relativierter Name 'Neutral' könnte also ohne "Schaden" in die Charakterisierung des Namens "Weder noch" mit eingehen. Die Rechtfertigungen der erwähnten Paraphrasierungen erfolgen natürlich im Sinne der natürlichen Semantik. Deren Kriterien können nutzbringend herangezogen werden. Filipec (1968,5.116) hebt besonders die Berücksichtigung von Kontextverbindungen hervor. Interessanterweise verwendet Baumgärtner (1967) im Rahmen der von mir als Bedeutungsbeschreibung abgelehnten Kcmponentialanalyse ebenfalls
116
das Mittel der Paraphrasierung: " ( . . . ) können, da ( . . . ) die Sätze in ( l i b ) [die Frau geht schnell, mit kurzem Schritt durch das Zimmer/die Frau trippelt durch das Zimmer] Paraphrasen darstellen, die Adv-Lexeme schnell und mit kurzem Schritt zu semantischen Komponenten f (Schnell) und } (Mit kurzem Schritt) für trippeln erhoben werden." (S.182).
Solche in der Komponentialanalyse auftretenden Merkmale sind letztlich auch Namen, die zur Paraphrasierung in meinem Sinne herangezogen werden können. Die Einschränkung mit normalerweise ist allerdings noch nicht vorhanden. Was soll die überhaupt bei meinen Charakterisierungen? Wir haben im Abschnitt 3.2 gelernt, daß die lexikalische Bedeutung eines Wortes innerhalb einer Sprachgemeinschaft nichts anderes als eine Struktur über den von der Sprachgemeinschaft als verbindlich angesehenen Stereotypen für das Wort ist.
Verwende ich nun normalerweise in meinen
Formulierungen, dann gehe ich von folgender Annahme aus: Aufgrund der Angabe des Aspektes und der Dimension wird ein Stereotyp spezifiziert, der für die jeweiligen Paraphrasierungen herangezogen wird. Außerhalb den "Grenzen1 dieses Stereotyps und auf dem Hintergrund eines anderen Stereotyps ist selbstverständlich nicht mehr sicher, ob die gefundenen Namen noch notwendige Anteile an der Bedeutung des Wortes repräsentieren, übrigens ist zumindest theoretisch der Fall nicht auszuschließen, bei dem wir eine gewisse Variabilität der Stereotypen einzelner Wörter gerne hätten. Dies könnte eventuell in Form einer weiteren, ausgezeichneten Dimension bewerkstelligt werden. Ballweg (1976) führt eine Analyse vor, bei der er für die Hereinnahme einer extra Dimension 'Präzisionsgrad1 plädiert. Diese Dimension kann wohl mit der Variabilität von Stereotypen in Verbindung gebracht werden. Ich habe bewußt vermieden, an dieser Stelle mit Extensionen zu argumentieren, da mein Ansatz ja prinzipiell Gültigkeit für alle syntaktischen Kategorien beansprucht. Es ist mit Dimensionen zu rechnen, für die die Namen ihrer Zerlegungsmengen einer Ordnungsskala entnommen sind. Nida (1975b,S.lO2) bringt die Beispiele "Grosse1 (boat,ship) und "Intensität" (like,love) . Mein Gebrauch von Dimensionen bei Wortfeldern mag bei dem einen oder ändern eine Raumvorstellung hervorrufen. Da diese Dimensionen als Teil der Struktur des Wortfeldes anzusehen sind, habe ich nichts dagegen einzuwenden. Die Dimensionen bewirken jeweils Zerlegungen des Wörter-Paradigmas, also spiele ich damit bis zu einem gewissen Grade die strukturalistische Grundidee der Oppositionen nach, siehe etwa bei Coseriu (1970b,S.113). Aber eben nur bis zu einem gewissen Grade, nämlich bis zu dem Grade, wo ich es gerade noch für sinnvoll halte. Meiner Meinung nach habe ich die Funktion der Dimensionen für Wortfelder mit meinen Bemerkungen erschöpft. So ist es nicht der Fall, daß die Dimensionen über
117
die Namen der Zerlegungsmengen umgekehrt die Bedeutung der Grundwörter des Wortfeldes bezüglich des vorgegebenen Aspektes konstituieren. Diese Annahme ist traditionellerweise immer wieder gemacht worden. Wir finden typische Formulierungen bei Lyons (1968): " ( . . . ) and the sense of each lexical item is the 'product' of its semantic components." (S.476)
constituent
oder bei Marcus (197O): "Les traits distinctifs utilises dans uns representation, ( . . . ) , sont des veritables axiomes de la description lexicale; ils constituent un Systeme de reference, un Systeme de coordonees od chaque mot du champ lexical envisage trouve sa place bien determinee." ( S . 9 1 ) .
Nun hat bereits Lyons (1977a,S.320) gezeigt, daß die konjunktive Auflistung der Namen der Zerlegungsmengen, denen das betreffende Grundwort angehört, nicht ausreicht. Zumindest braucht man auch disjunktive Teile. Auch Nida (1975b) äußert sich relativ vorsichtig: " ( . . . ) in arriving at an ultimate description of any meaning, one cannot assume that the features of a matrix will add up automatically to a satisfactory definition." ( S . 7 6 ) .
Der etwaige Versuch, eine Gewichtung der Dimensionen einzuführen, kann meiner Meinung am Prinzipiellen ebenfalls nichts ändern: Wie wir in Abschnitt 3.2 gesehen haben, ist es unmöglich, die Bedeutung eines Wortes durch die Kombination von einzelnen Komponenten zu beschreiben. Die Bedeutung ist etwas Ganzes und die einzelnen Namen der Zerlegungsmengen, denen das Wort angehört, repräsentieren höchstens normalerweise einen notwendigen Anteil an der Bedeutung unter dem vorgegebenen Aspekt. Interessanterweise ist auch Gipper (1976b,S.41) im Zusammenhang mit Wortfeldern skeptisch gegenüber Faktorenanalysen. Meine Interpretation der Rolle der Dimensionen für Wortfelder unterscheidet sich ganz besonders von der traditionellen Interpretation im Falle eines WörterParadigmas mit referentiellen Wörtern. Meist wird in diesem Fall davon ausgegangen, daß der Name einer Zerlegungsmenge notwendige Eigenschaften der Cbjekte angibt, die in der Extension der Wörter aus dieser Zerlegungsmenge liegen. Cbwohl zum Beispiel Lieb (1979a,S.78) erfreulicherweise die Konstitution der Bedeutung aus den Dimensionen ablehnt, dienen sie dennoch auf S. 71 zur Extensionsbestimmung. Meine eigene Haltung kann für den aufmerksamen Leser kaum eine Überraschung sein: Auch dieser Interpretation der Rolle der Dimensionen bei Wortfeldern mit referentiellen Wörtern stimme ich nicht zu. Die Cbjekte in der Extension eines Grundwortes unter dem vorgegebenen Aspekt müssen die durch die Namen der Zerlegungsmengen, denen da