Wissenschaft und Geselligkeit: Friedrich Schleiermacher in Berlin 1796-1802 9783110219623, 9783110203493

With his appointment as Preacher at the Charité (1796) Friedrich Schleiermacher enters the cultural life of Berlin. For

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German Pages 157 [160] Year 2009

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Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Zur Einführung
Eine literarische Ehe. Schleiermachers Wohngemeinschaft mit Friedrich Schlegel
Seelsorge ganz unten – Schleiermacher, der Charité-Prediger
Liebe, Freundschaft, Faublastät – der frühe Schleiermacher und die Frauen
Der Chemiekult der Frühromantik
„Fahre fort mich zu lieben.“ Zum Beginn der Freundschaft und Verlagsbeziehung von Schleiermacher und Georg Andreas Reimer – mit Blick auf die spätere Zeit
Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)
Backmatter
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Wissenschaft und Geselligkeit: Friedrich Schleiermacher in Berlin 1796-1802
 9783110219623, 9783110203493

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Wissenschaft und Geselligkeit



Wissenschaft und Geselligkeit Friedrich Schleiermacher in Berlin 1796-1802

Herausgegeben von Andreas Arndt

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Dieser Band wurde durch die Gemeinsame Wissenschaftskommission im Akademienprogramm mit Mitteln des Bundes (Bundesministerium für Bildung und Forschung) und des Landes Berlin (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung) gefördert.

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-020349-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen unter Verwendung eines Porträts von F. D. E. Schleiermacher (um 1800), akg-images

Vorwort Der vorliegende Band versammelt die Beiträge eines Symposions, das am 6. Juli 2007 im Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vor einem zahlreichen Publikum stattgefunden hatte. Das Symposion wurde von der Schleiermacherforschungsstelle an der BBAW ausgerichtet, die sich der Edition des Schleiermacherschen Briefwechsels im Rahmen der Kritischen Schleiermacher-Gesamtausgabe widmet. Thema der Veranstaltung war Schleiermachers Zeit als reformierter Prediger an der Berliner Charité von 1796 bis 1802. Die Edition des Briefwechsels hat diese Zeit quellenmäßig neu erschlossen und das bisherige Bild korrigiert und vervollständigt. Auf dieser Basis sollte das Symposion grundlegende Aspekte des wissenschaftlichen und geselligen Lebens Schleiermachers in Berlin beleuchten und auch den Spuren nachgehen, die es in seiner weiteren Biographie hinterlassen hat. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher wurde am 21. November 1768 in Breslau als Sohn eines reformierten preußischen Feldpredigers geboren. Mit seinen Geschwistern wurde er 1783 in die Obhut der Herrnhuter Brüdergemeine gegeben, deren P dagogium (Gymnasium) und Seminarium (Universität) er besuchte, bevor er sich nach schweren inneren Kämpfen 1787 von der Brüdergemeine löste. Nach dem Studium der Theologie und mehr noch der Philosophie an der Hallenser Universität bis Mai 1789 unterzog er sich 1790 in Berlin dem ersten theologischen Examen, um anschließend eine Hauslehrerstelle bei dem Grafen Dohna in Schlobitten (Ostpreußen) anzutreten. Nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Grafen über die Erziehungsgrundsätze gab Schleiermacher diese Stelle schließlich auf und trat in Berlin in Gedikes Seminar für gelehrte Schulen ein, um eine Laufbahn als Lehrer einzuschlagen. 1794 wechselte er jedoch nach seinem zweiten theologischen Examen auf eine Hilfspredigerstelle in Landsberg an der Warthe. Dort setzte er nicht nur seine philosophischen Studien fort, sondern trat auch als Übersetzer aus dem Englischen hervor und erwarb sich den Ruf eines ausgezeichneten Predigers. 1796 wurde Schleiermacher als reformierter Prediger an die Berliner Charité berufen.

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Vorwort

Schleiermachers Lebenswege hatten ihn bis dahin mehrmals nach Berlin geführt, jedoch wurde er erst jetzt in den Bann der städtischen Kultur gezogen, in der er bald heimisch und die ihm zum Lebenselement wurde. Das kulturelle Leben in Berlin um 1800 war – neben den zahlreichen Institutionen der Bildung, Kunst und Wissenschaft – geprägt durch gelehrte und literarische Vereinigungen, Salons und einen umfänglichen privaten Vorlesungsbetrieb, der sich über alle Zweige der Wissenschaften erstreckte. Schleiermacher wurde Mitglied der „Mittwochgesellschaft“ Ignaz Aurelius Feßlers, in der wissenschaftliche Vorträge vor einem breiten, bildungsbürgerlichen Publikum gehalten und diskutiert wurden, und er wurde, wohl durch seinen Studienfreund, den schwedischen Diplomaten Carl Gustav von Brinkmann, in den Salon der Henriette Herz eingeführt, mit der ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. In diesen Gesellschaften lernte Schleiermacher Friedrich Schlegel kennen, mit dem er von Ende 1797 bis zu Schlegels Übersiedlung nach Jena im September 1799 zusammen lebte und arbeitete. Es war eine Begegnung auf Augenhöhe, denn beide hatten sich unabhängig voneinander im wesentlichen übereinstimmende Grundpositionen erarbeitet, die nun in den Diskurs der Berliner Frühromantik zusammenflossen. Das „Symphilosophieren“ Schlegels und Schleiermachers fand Niederschlag in literarischen Arbeiten, zu denen Schlegel den Freund drängte. Schleiermacher arbeitete am „Athenaeum“ der Brüder Schlegel mit und übernahm zeitweilig auch die Redaktion der Zeitschrift; viele gemeinsame Projekte – so ein Anti-Leibniz – blieben unausgeführt. Daneben veröffentlichte Schleiermacher den Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799), die Reden ber die Religion (1799), die Vertrauten Briefe ber Friedrich Schlegels Lucinde (1800) und die Monologen (1800), wobei alle diese Schriften anonym erschienen. Schleiermacher trat auch weiterhin als Übersetzer aus dem Englischen hervor – zum Teil gemeinsam mit Henriette Herz – und begann, angeregt durch Friedrich Schlegels Projekt einer gemeinsamen Übersetzung, mit intensiven Studien zu Platon. Damit war ein glänzender Eintritt in die literarische und gelehrte Welt vollzogen, der Schleiermachers Ruhm – die Anonymität konnte er nicht lange wahren – dauerhaft begründete. Mit der Zusammenarbeit von Schlegel und Schleiermacher in der Blütezeit der Berliner Frühromantik und ihren Nachwirkungen befaßt sich der erste Beitrag des vorliegenden Bandes. Nach den Glaubenskrisen seiner Jugendzeit und nachdem er sich im Studium und danach mehr der Philosophie als der Theologie gewidmet

Vorwort

XI

hatte, war Schleiermacher in seiner Landsberger Zeit zu einem Prediger und Seelsorger gereift, dem sein Beruf ein Bedürfnis geworden war, wobei er jedoch den religiösen Geist und die religiöse Praxis verglichen mit der theologischen Dogmatik und den Hierarchien der Amtskirche vorzog. Sein Amt als Charité-Prediger versah er daher auch mit Hingabe und festigte nicht zuletzt seinen Ruf als ein ausgezeichneter Kanzelredner, was ihn auch zeitweilig nach Potsdam brachte, wo er vor dem König zu predigen hatte. Schleiermacher widmete sich aber auch dem Armenwesen – die Charité unterstand dem Armendirektorium – und erarbeitete zusammen mit seinem lutherischen Kollegen Vorschläge zur Liturgie und seelsorgerlichen Praxis, in denen vielfach der Gedanke der später von Schleiermacher maßgeblich beförderten Union der protestantischen Kirchen vorweggenommen wird. Diese und weitere Aspekte der Tätigkeit Schleiermachers als Charité-Prediger beleuchtet Simon Gerber im zweiten Beitrag des Symposions. Mit dem bereits erwähnten Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799) wird Schleiermacher zum Theoretiker des geselligen Lebens in Berlin, das für ihn als selbstzweckhafte Sphäre neben dem Geschäftsleben steht und in besonderer Weise durch die Frauen geprägt ist. Auch der in den Athenaeum-Fragmenten veröffentlichte Katechismus der Vernunft f r edle Frauen macht deutlich, daß Schleiermacher die Rolle der Frauen jenseits der zeittypischen Beschränkungen weiter faßt und ihnen als den wahren Stifterinnen der Geselligkeit Bildung und Selbstbestimmung zugesteht. Hierin trifft er sich mit dem Frauenbild der Frühromantik, was Schleiermacher auch zur öffentlichen Verteidigung des skandalumwitterten Romans Lucinde seines Freundes Friedrich Schlegel veranlaßt. Die Schrift Vertraute Briefe ber Friedrich Schlegels Lucinde enthält darüber hinaus wohl auch Brieftexte aus der Feder seiner damaligen Freundin Eleonore Grunow. Die Geschlechterverhältnisse bei Schleiermacher um 1800 sind Thema des Beitrags von Wolfgang Virmond, der in besonderer Weise die Ergebnisse der kritischen Edition des Schleiermacherschen Briefwechsels auswertet. Wissenschaft und Geselligkeit sind die Pole des Schleiermacherschen Lebens in Berlin, wobei die Wissenschaft nicht nur das „Symphilosophieren“ im frühromantischen Freundeskreis umfaßt, sondern auch die Teilnahme an wissenschaftlichen Gesellschaften und an wissenschaftlichen Vorlesungen. Ursula Klein geht in ihrem Beitrag den Spuren nach, den Schleiermachers Besuch der experimentalchemischen Vorlesungen Klaproths hinterlassen hat, und sie zeigt, daß diese im Kontext des damaligen „Chemiekults“ in Berlin stehen, den sie – auch

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Vorwort

im Blick auf Friedrich Schlegel und Novalis – aus wissenschaftshistorischer Sicht rekonstruiert. Das Bild von Schleiermachers Interessen und Tätigkeiten in seiner Zeit als Charité-Prediger wird damit um eine bisher kaum beachtete Facette bereichert. Nicht zuletzt lernte Schleiermacher in Berlin den Verleger Georg Andreas Reimer kennen, der zu dem Verleger der Romantik wurde und mit dem Schleiermacher eine lebenslange Freundschaft und Verlagsbeziehung verband. Den Beginn dieser Freundschaft zeichnet Doris Reimer in ihrem Beitrag nach, der zugleich auch in die späteren Lebensjahre Schleiermachers hineinführt. Im Anhang findet sich ein Beitrag von Wolfgang Virmond, in dem Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit aufgelistet werden; für die Erlaubnis zum Wiederabdruck dieses wichtigen Forschungsinstruments ist der Edwin-Mellen-Press herzlich zu danken.* Die Beiträge des vorliegenden Bandes wollen wesentliche Aspekte des Lebens und Wirkens Schleiermachers in seiner Zeit als Prediger an der Berliner Charité deutlich machen. Sie stützen sich dabei auf dasjenige Material, was durch die Kritische Gesamtausgabe und besonders durch die Edition des Briefwechsels bereitgestellt wurde. Sie sind auch eine Einladung an alle Forscher und alle Interessierten, diese Quellen weiter auszuschöpfen und neue Aspekte zu entdecken.

*** Die BBAW hat die Durchführung des Symposions gesichert und die Drucklegung der Beiträge finanziell unterstützt, wofür den Verantwortlichen an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Ein besonderer Dank gilt dem Verlag de Gruyter, der es sich nicht nehmen ließ, auch dieses Büchlein in sein Programm aufzunehmen. Berlin, im Juli 2008

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Andreas Arndt

Der ursprüngliche Abdruck erfolgte in: Schleiermacher, Romanticism, and the Critical Arts. A Festschrift in Honor of Hermann Patsch, ed. by Hans Dierkes, Terrence N. Tice and Wolfgang Virmond, Lewiston u. a. 2008, S. 391 – 403.

Inhalt Wilhelm Voßkamp Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Andreas Arndt Eine literarische Ehe. Schleiermachers Wohngemeinschaft mit Friedrich Schlegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Simon Gerber Seelsorge ganz unten – Schleiermacher, der Charité-Prediger .

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Wolfgang Virmond Liebe, Freundschaft, Faublastät – der frühe Schleiermacher und die Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ursula Klein Der Chemiekult der Frühromantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Doris Reimer „Fahre fort mich zu lieben.“ Zum Beginn der Freundschaft und Verlagsbeziehung von Schleiermacher und Georg Andreas Reimer – mit Blick auf die spätere Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Virmond Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

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Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Einführung Wilhelm Voßkamp Wissenschaft entsteht nicht im geschichts- und gesellschaftsfreien Raum. Das zeigt die Tätigkeit des großen Theologen Friedrich Schleiermacher in Berlin besonders anschaulich. Schleiermacher, dessen 240. Geburtstag wir im nächsten Jahr feiern, war als Prediger, Hochschullehrer, Schriftsteller und Literaturkritiker einer der prägenden Gestalten in der Zeit um 1800 in Berlin. Er gehört zum Kreis jener ,Klassiker’, die in dieser Zeit das geistige Klima der preußischen Hauptstadt und die Kultur in Preußen maßgeblich mitbestimmen. Nachdem Schleiermacher 1796 als Prediger an die Charité kam, wurde er bald Mitglied eines ebenso intellektuellen wie geselligen Lebens, das sich in verschiedenen kommunikativen Kreisen abspielte. Zentral war die Mittwochsgesellschaft des Aufklärers Ignatius Feßler und der Salon von Henriette Herz, der Frau des jüdischen Arztes und Kantschülers Markus Herz. Hier trafen sich viele preußische Reformer wie die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt oder Dorothea Veit, die Tochter Moses Mendelssohns und spätere Frau des Frühromantikers Friedrich Schlegel. Vor allem mit Friedrich Schlegel verband Schleiermacher eine enge und produktive Freundschaft. Zeitweilig lebte Friedrich Schlegel im Hause Schleiermachers. Dieser schreibt, dass er in dessen Gegenwart nicht nur seine in ihm selbst vorhandenen eigenen Gedanken „ausschütten“ könne, sondern dass „durch den unversiegbaren Strom neuer Ansichten und Ideen“, der Schlegel unaufhörlich zuflösse, auch in ihm „manches in Bewegung gesetzt“ werde, „was geschlummert“ habe. „Kurz: für mein Dasein in der philosophischen und literarischen Welt geht seit meiner näheren Bekanntschaft mit ihm gleichsam eine neue Periode an.“ Ohne Zweifel sind die Jahre seit 1796 in Berlin eine besonders produktive Zeit für Friedrich Schleiermacher gewesen. Erst später spielt er wieder als Universitätsgründer neben Wilhelm von Humboldt eine so zentrale Rolle. Er war viermal Dekan der Philosophischen Fakultät und 1815/16 Rektor der Universität. Unser Kolloquium beschäftigt sich mit der ersten zentralen Epoche Schleiermachers in Berlin, in welcher sowohl die theologische und

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Wilhelm Voßkamp

wissenschaftliche, als auch private und gesellige Rolle thematisiert werden. Deshalb freue ich mich, dass wir eine Reihe ausgezeichneter Kolleginnen und Kollegen dafür gewonnen haben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass sich die an der Berlin-Brandenburgischen-Akademie der Wissenschaften befindliche Arbeitsstelle in erster Linie auf den Briefwechsel Schleiermachers konzentriert. Hier erfährt man im Einzelnen, wovon in diesem Kolloquium nur im Überblick die Rede sein kann. Ich empfehle Ihnen deshalb besonders nachdrücklich diese Edition. Ich schließe mit einem Dank an die Referentinnen und Referenten und mit Sätzen von Friedrich Schleiermacher, die dessen ungewöhnliche Begabung zur Selbstbeobachtung, mitmenschlichen Einfühlung und geselligen Kommunikation dokumentieren: „Jeder Mensch muss schlechterdings in einem Zustande moralischer Geselligkeit stehen, er muss einen oder mehrere Menschen haben, denen er das Innerste seines Wesens, seines Herzens und seine Führungen kundtut, nichts muss in ihm sein, womöglich was nicht noch irgendeinem außer ihm mitgeteilt wurde. Das liegt in dem göttlichen Ausspruche, es ist nicht gut dass der Mensch allein sei, mehr als irgendetwas anderes.“

Eine literarische Ehe. Schleiermachers Wohngemeinschaft mit Friedrich Schlegel Andreas Arndt In seiner Abhandlung ber den Begriff der Hermeneutik, die Schleiermacher am 13. August 1829 vor dem Plenum der Berliner Akademie vortrug, erinnerte er sich „eines ausgezeichneten Kopfes der uns nur eben entrissen worden ist“.1 Gemeint war der am 12. Januar desselben Jahres verstorbene Friedrich Schlegel. Es ist wohl – wie ich noch näher erläutern werde – kein Zufall, daß Schleiermacher sich im Zusammenhang mit der Hermeneutik des früheren Freundes erinnerte; und ganz gewiß ist es kein Zufall, daß er dabei auf die bewegte Zeit der Frühromantik zurückblickte, indem er „das sonst ziemlich paradoxe Wort“ aus dem Athenaeum-Fragment 82 (1798) zitierte, „daß Behaupten weit mehr ist als Beweisen“.2 Dieses Schlegelsche Fragment ist eine kleine Abhandlung über Demonstrationen in der Philosophie und aus zahlreichen Notizen in verschiedenen Heften Schlegels komponiert. Schleiermacher mag sich erinnert haben, daß er Ende 1797/Anfang 1798 Schlegels philosophische Notizhefte gelesen hatte, um sie auf Fragmente für das Athenaeum hin abzuklopfen. So hatte er am 15. Januar 1798 an August Wilhelm Schlegel berichtet, Friedrich habe ihm, „da er mir einen Spaziergang durch seine philosophischen Papiere erlaubte, das onus aufgelegt daß ich sie, wie ein Trüffelhund habe abtreiben müßen, um Fragmente oder Fragmentensamen aufzuwittern“.3 Zu dieser Zeit lebte Schleiermacher mit Friedrich Schlegel in seiner (provisorischen4) Predigerwohnung vor dem Oranienburger Tor in einer Wohngemeinschaft, und die Reminiszenz von 1829 ist nicht die einzige Spur,

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KGA I/11, S. 611. Ebd. – Vgl. KFSA 2, S. 177. KGA V/2, S. 250. Die Dienstwohnung in der Charité stand aufgrund von Umbauarbeiten seit Anfang Mai 1797 bis 1800 nicht mehr zur Verfügung. Vgl. KGA V/2, S. XVII.

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Andreas Arndt

die diese glückliche und literarisch produktive Zeit des Zusammenlebens in seinem Werk hinterlassen hat. Auch an Friedrich Schlegel ist das ,Symmenschen’ und ,Symphilosophieren’ in der gemeinsamen Wohnung nicht spurlos vorübergegangen, obwohl er auf theoretischem Gebiet zumeist eher der Gebende als der Nehmende zu sein schien. Schleiermacher imponierte Schlegel von Anfang an durch seine moralische Haltung, eine Haltung freilich, die sich über alle moralischen Konventionen souverän hinwegsetzte, wie es im Titel eines – leider nicht überlieferten – Vortrags deutlich zum Ausdruck gebracht wurde: Immoralit t aller Moral. „Schleyermacher“, so schrieb Schlegel bereits am 28. November 1797, „ist ein Mensch, in dem der Mensch gebildet ist […] Er ist nur drey Jahre älter wie ich, aber an moralischem Verstand übertrifft er mich unendlich weit. Ich hoffe noch viel von ihm zu lernen. – Sein ganzes Wesen ist moralisch, und eigentlich überwiegt unter allen ausgezeichneten Menschen, die ich kenne, bey ihm am meisten die Moralität allem andren“.5 Schlegel schätzte Schleiermacher aber nicht nur als moralischen Menschen, sondern auch als spekulativen philosophischen Kopf, wobei er jedoch mit dem Theologen Schleiermacher immer wieder Schwierigkeiten hatte. So äußerte er noch 1804 sein Bedauern, dass Schleiermacher an die Hallenser und nicht an die Würzburger Universität ging, wo auch Schelling lehrte: dort wäre er eher ganz auf das Gebiet der spekulativen Philosophie gezogen worden.6 Das Verständnis des Christentums trennte Schleiermacher und Schlegel zeitlebens. Der junge Schlegel stand, auch wenn er von Religion sprach, dem Christentum distanziert gegenüber; und als er sich später zum Christentum bekannte, war es katholisch gemeint, was den Erzprotestanten Schleiermacher zurückstieß. 1797, am Beginn ihrer Beziehung, waren Schleiermacher und Schlegel sich dieser und anderer Differenzen noch nicht bewußt. Ihre Begegnung hatte etwas Erotisches – im Sinne des platonischen Eros, der affektiv auf den dialektischen Weg zur Idee des Schönen führt, in der das Wahre, Schöne und Gute konvergieren.7 Es war, wie alle Zeugnisse 5 6 7

KFSA 24, S. 45 f. Vgl. Briefe von Dorothea und Friedrich Schlegel an die Familie Paulus, hg. von R. Unger, Berlin 1913, S. 17. Zur romantischen Deutung des Symposion vgl. Wo das philosophische Gespr ch ganz in Dichtung bergeht. Platons Symposion und seine Wirkung in der Renaissance, Romantik und Moderne, hg. von Stefan Matuschek, Heidelberg 2002.

Eine literarische Ehe

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belegen, intellektuell so etwas wie eine Liebe auf den ersten Blick. – Im folgenden möchte ich zunächst die Begegnung zwischen Schleiermacher und Schlegel sowie die Entwicklung dieser Beziehung kurz nachzeichnen und sodann fragen, welche Spuren dies bei Schleiermacher hinterlassen hat.

1. Schleiermacher war Ende August 1796 von Landsberg/Warthe nach Berlin gekommen, um hier – nach bestandener Probepredigt – eine Stelle als reformierter Prediger an der Charité zu übernehmen. Als Hilfsprediger in Landsberg hatte er Anschluß an das (offenbar ausgedehnte) gesellige Leben der Provinzstadt gefunden und suchte dergleichen auch in Berlin. Bereits vom Oktober 1793 bis Anfang April 1794 war Schleiermacher als Schulamtskandidat in Berlin gewesen, hatte dort aber zurückgezogen gelebt.8 Jetzt nahm er u. a. an der „Mittwochgesellschaft“ des Aufklärers Ignatius Aurelius Feßler teil und fand Eingang in den Salon der Henriette Herz. Im Juli 1797 siedelte auch Friedrich Schlegel nach Berlin über; er traf Schleiermacher in der „Mittwochgesellschaft“ und sah ihn dann bei Henriette Herz und seinem Studienfreund, dem Schwedischen Diplomaten Carl Gustav von Brinckmann, wieder, der sie näher zusammenbrachte.9 Ihr erster Bezugspunkt ist die Philosophie und besonders das Studium Fichtes. Bereits am 26. August berichtet Schlegel an Friedrich Niethammer, mit Fichte Herausgeber des einflußreichen Philosophischen Journals: „Ich halte mich mehr an die angenehmen als an die gelehrten Gesellschaften. Die Philosophie liegt freylich hier im Argen. Doch habe ich einen Prediger Schleyermacher gefunden, der Fichtes Schriften studirt und das Journal mit einem andern Interesse als dem der Neugier und Persönlichkeit liest.“10 Spätestens seit September traf man sich, um – wie Schlegel schreibt – „zu Fichtisiren“.11 Schleiermacher berichtete seiner Schwester Charlotte im Oktober umfassend über seine neue Bekanntschaft: „Es ist nichts weibliches sondern ein junger Mann, der […] Schlegel heißt […] Er ist ein junger Mann von 25 Jahren, von so ausgebreiteten Kenntnißen, daß man nicht 8 9 10 11

Brief 281, S. 24 ff. (KGA V/1). Vgl. an die Schwester Charlotte unter dem 22. 10. 1797; KGA V/2, S. 177 f. An Niethammer, 26. 8. 1797, KFSA 24, S. 12. An C.G. von Brinckmann, ebd., S. 23.

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Andreas Arndt

begreifen kann, wie es möglich ist bei solcher Jugend soviel zu wißen, von einem originellen Geist […], und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offenheit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allem vielleicht bei weitem das wunderbarste ist.“12 Vor allem, so betont Schleiermacher, habe er in dem Freund einen Geistesverwandten gefunden, dem er seine „philosophischen Ideen so recht mittheilen konnte und der in die tiefsten Abstraktionen mit mir hineinging […] ich kann ihm nicht nur was schon in mir ist ausschütten sondern durch den unversiegbaren Strom neuer Ansichten und Ideen der ihm unaufhörlich zufließt wird auch in mir manches in Bewegung gesezt was geschlummert hatte. Kurz für mein Daseyn in der philosophischen und litterarischen Welt geht seit meiner nähern Bekanntschaft mit ihm gleichsam eine neue Periode an“.13 Vor allem aber wird Schleiermacher bedrängt, endlich etwas zu „machen“; d. h.: literarisch hervorzutreten. „An mir rupft er beständig ich müßte auch schreiben, es gäbe tausend Dinge die gesagt werden müßten und die grade ich sagen könnte“.14 Schon damals beraten sie, daß Schlegel „auf Neujahr“ zu Schleiermacher ziehen soll. Und weiter berichtet Schleiermacher, er habe seit 8 Tagen „einen großen Theil meiner Vormittage die ich sonst sehr heilig halte bei ihm zugebracht um eine philosophische Lektüre mit ihm zu machen die er nicht gut aus den Händen geben konnte.“ Hierbei könnte es sich um Schlegels eigene Hefte zu einer Philosophie der Philologie, d. h. einer Theorie der Hermeneutik und Kritik handeln, an der er zu dieser Zeit arbeitete.15 Die Gemeinschaft gerade auf philosophischem Gebiet ist das Ergebnis einer Konvergenz eigenständiger philosophischer Entwicklungen, die zu einer Fülle gemeinsamer, „symphilosophischer“ Projekte führte, welche nur zum Teil realisiert wurden. So wurde der Plan eines AntiLeibniz verfolgt, der in Schleiermachers und Schlegels Notizheften Niederschlag fand,16 ein gemeinsames Philosophisches Journal wurde ins Auge gefaßt und weitere Projekte wurden verabredet.17 Kristallisationskern ihrer Symphilosophie aber war vor allem das Athenaeum der Brüder Schlegel, in dessen Planung Schleiermacher von Anfang an 12 13 14 15 16 17

KGA V/2, S. 177. An Ch. Schleiermacher, 22. 10. 1797, KGA V/2, S. 177. Ebd., S. 178 (auch das folgende). Vgl. an Niethammer, 26. 8. 1797, KFSA 24, S. 12. Vgl. KGA I/2, S. 75 – 103. Vgl. die Register in KGA V/2, V/3 und V/4.

Eine literarische Ehe

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einbezogen wurde und auf dessen Konzeption er Einfluß nahm; so steuerte er nicht nur Vorschläge für den Titel bei,18 auch das Konzept des von den zeitgenössischen Aufklärern als besonders anstößig empfundenen Literarischen Reichsanzeigers im „Athenaeum“ (1799) geht auf Schleiermacher zurück.19 Nach dem Weggang Friedrich Schlegels nach Jena im September 1799 fungierte Schleiermacher als Redakteur, der Satz und Druck überwachte und zwischen dem Verleger und den Jenaer Freunden vermittelte. Schleiermacher half Schlegel bei der Zusammenstellung seiner Fragmente für das zweite Stück des Athenaeum und steuerte selbst Fragmente sowie späterhin Rezensionen für die Zeitschrift bei. Und noch ein weiteres gemeinsames Projekt ist zu nennen, das ursprünglich von Schlegel ausging, später nicht unerheblich zum Zerwürfnis der Freunde beitrug, schließlich von Schleiermacher allein durchgeführt wurde und ihm bis heute Ruhm einträgt: die Übersetzung des Platon.20 Über den Tagesablauf in der Wohngemeinschaft vor dem Oranienburger Tor berichtet Schleiermacher seiner Schwester Charlotte ausführlich unter dem 31. Dezember 1797. Er, Schleiermacher, schlafe – da er erst um 2 zu Bett gehe – gewöhnlich bis halb neun, während Schlegel schon eine Stunde früher wach sei: „ich erwache gewöhnlich durch das Klirren seiner Kaffeetasse. Dann kann er von seinem Bett aus die Thüre, die meine Schlafkammer von seiner Stube trennt öfnen und so fangen wir unser Morgengespräch an.“21 Nach dem Frühstück arbeite bis zum gemeinschaftlichen Mittagessen um halb zwei jeder für sich, unterbrochen durch eine Pause, in der über die Studien gesprochen werde. Der Nachmittag verlaufe nach einem weniger festen Fahrplan; er (Schleiermacher) höre Privatcollegia (z. B. bei Klaproth) und lese auch selbst welche; später widme er sich dem geselligen Leben. Wenn er dann um 10 oder 11 zurückkomme, sei Schlegel noch wach, um ihn zu begrüßen, gehe dann aber zu Bett, während er noch arbeite. „Unsere Freunde“, so heißt es abschließend, „haben sich das Vergnügen gemacht unser Zusammenleben eine Ehe [zu nennen] und stimmen allgemein

18 Vgl. KGA V/2, S. XVIII. 19 Vgl. KGA V/3, S. XXVf. 20 Vgl. Andreas Arndt: Schleiermacher und Platon, in: Schleiermacher: ber die Philosophie Platons, hg. und eingel. von Peter M. Steiner, mit Beiträgen von Andreas Arndt und Jörg Jantzen, Hamburg 1996, S. VII–XXII. 21 KGA V/2, S. 217; vgl. zum folgenden S. 217 – 219.

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Andreas Arndt

darin überein, daß ich die Frau seyn müßte, und Scherz und Ernst wird darüber genug gemacht.“ Die vollkommene Harmonie bedeutete diese „Ehe“ jedoch auch nicht, sondern es stellten sich bald kleinere und größere Verstimmungen ein, die bearbeitet werden mußten. Dass ihre Charaktere sehr verschieden seien, war Schleiermacher schon Ende 1797 bewußt: „Was ich aber doch vermisse ist das zarte Gefühl und der feine Sinn für die lieblichen Kleinigkeiten des Lebens und für die feinen Aeußerungen schöner Gesinnungen die oft in kleinen Dingen unwillkührlich das ganze Gemüth enthüllen. So wie er Bücher am liebsten mit großer Schrift mag, so auch an den Menschen große und starke Züge; das bloß sanfte und schöne fesselt ihn nicht sehr, weil er zu sehr nach der Analogie seines eignen Gemüths alles für schwach hält, was nicht feurig und stark erscheint.“22 Offenbar wollte Schlegel auch Schleiermacher nach seinem Ideal umformen, wobei er das Haupthindernis in dem Einfluss der Henriette Herz erblickte. In einem Brief an Caroline Schlegel klagt er bereits im Januar 1798: „Schleyermacher verdirbt durch den Umgang mit der Herz an sich und auch für mich und die Freundschaft. […] Sie machen sich einander eitel […]. Jede kleine noch so lausige Tugendübung rechnen sie sich hoch an: Schl[eiermacher]’s Geist kriecht ein, er verliehrt den Sinn für das Große. Kurz ich möchte rasend werden über die verdammten und winzigen Gem thereyen! […] Das schlimmste ist, daß ich keine Rettung für Schleyermacher sehe, sich aus den Schlingen der Antike [H. Herz, A.] zu ziehen.“23 Schleiermacher beklagte zwar später, dass Schlegel ihn in seinem innersten Wesen nicht verstehe,24 ließ sich von der Kritik des Freundes aber nicht beeindrucken. Die erste größere Publikation, die er den wiederholten Aufforderungen Schlegels gemäß „machte“, war ausgerechnet eine Theorie der nach Schleiermachers Auffassung von Frauen wie Henriette Herz gestifteten Geselligkeit, nämlich der 1799 anonym erschienene und Fragment gebliebene Aufsatz Versuch einer Theorie des geselligen Betragens. 25 Es ist wohl bezeichnend, dass von Schlegel zu diesem Produkt des Freundes keine Stellungnahme überliefert ist. 22 23 24 25

Ebd., S. 220. KFSA 24, S. 211; zur abweichenden Datierung vgl. KGA V/2, S. XXXI. Vgl. an Henriette Herz, 1. 7. 1799, KGA V/3, S. 133 – 137. KGA I/2, S. 165 – 184. – Vgl. Andreas Arndt: „Geselligkeit und Gesellschaft. Die Geburt der Dialektik aus dem Geist der Konversation in Schleiermachers ,Versuch einer Theorie des geselligen Betragens’“, in: Salons der Romantik, hg. von H. Schultz, Berlin und New York 1997, S. 45 – 61.

Eine literarische Ehe

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Ungeachtet solcher Verstimmungen und in gegenseitigem Respekt vor der Unterschiedlichkeit der Charaktere und Anschauungen blieb das Verhältnis der Freunde auch über die häusliche Gemeinschaft hinaus zunächst weitgehend ungetrübt. Schlegels Weggang nach Jena veranlasste in der Folge einen intensiven Briefwechsel, der über die räumliche Distanz hinweg weiterhin ein Symphilosophieren ermöglichte, jedoch das „Symmenschen“, an dem vor allem Schleiermacher so sehr gelegen war, nicht ersetzen konnte. Literarisch stützten die Freunde einander: Schlegel trat als Propagandist der Reden ber die Religion auf und Schleiermacher als Verteidiger des – wie es meistens geschieht, wohl überwiegend von Nichtlesern als skandalös empfundenen – Romans Lucinde auf. Menschlich entfremdeten sie sich in dem Maße, wie ihre Lebenskreise auseinanderdrifteten und sie den gemeinsamen, zum Teil symphilosophisch erarbeiteten Ideenvorrat jeweils eigenständig weiterentwickelten. Die zeitliche Koinzidenz von Schlegels Weggang aus Jena 1802, Schleiermachers Umzug nach Stolp in demselben Jahr und dem Scheitern der gemeinsamen Platon-Übersetzung macht deutlich, dass die frühromantische Epoche des großen „Sym“ auch in dem Verhältnis zwischen Schlegel und Schleiermacher vorbei war. Der „Traum vom Zusammengehen“, so schrieb Georg Lukács in seinem Novalis-Essay von 1907, „zerstob wie ein Nebel und schon nach wenigen Jahren verstand kaum mehr einer die Sprache des andern“.26 Lukács’ Ansicht, dass die Protagonisten der Frühromantik nach dem Rausch der Gemeinsamkeit „nicht mehr auf einsamen Pfaden einen Aufstieg versuchen“27 konnten, muss jedoch widersprochen werden. Gerade Schleiermacher gelang es, gemeinsame Überzeugungen, die er mit der Frühromantik und besonders mit Friedrich Schlegel teilte, aufzunehmen und umzubilden und so für seinen weiteren Denkweg fruchtbar zu machen. Dem wende ich mich jetzt zu.

2. Rudolf Hayms monumentales Werk über Die romantische Schule, das 1870 in Berlin nahezu zeitgleich mit Wilhelm Diltheys Leben Schleiermachers erschien, endet mit einem Ausblick auf Friedrich Schleiermacher. Schleiermacher habe Friedrichs Schlegels Grundgedanken, „daß 26 Georg Lukács: Die Seele und die Formen, Neuwied und Berlin 1971, S. 76. 27 Ebd., S. 77.

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die Philosophie und Schriftstellerei Platon’s in einem lebendigen, einheitlichen Geiste wurzle und aus diesem Geiste erklärt werden müsse“, „gerettet“, „wenn auch in harter Schale“.28 Noch mehr aber habe Schleiermacher mit seinem 1803 erschienenen Buch Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre 29 geleistet, „denn für das Ethische war nicht er der Romantik, sondern die Romantik ihm verpflichtet.“30 In diesem Werk habe Schleiermacher die ethischen Ideen der Frühromantik aus ihrer flüssigen Form geborgen und den „revolutionären Geist“ der Frühromantik „an das Gesetz unverbrüchlicher Ordnung“ gebunden sowie „Subjectivismus und Individualismus, mit ihren Gefühls- und Phantasiebedürfnissen der Zucht der Logik und des Systems zu unterwerfen“ versucht; dies entspreche dem, was Hegel 1807 in der Ph nomenologie des Geistes in bezug auf den frühen Schelling geleistet habe.31 Tatsächlich, so werde ich im folgenden zu zeigen versuchen, ist aber gerade auch der systematische Grundgedanke, den Schleiermacher in seinem Buch 1803 formuliert und den er in seinen Vorlesungen ber die Dialektik weiterentwickeln wird, Friedrich Schlegel verpflichtet. Als ein Grundzug des Schleiermacherschen Denkens gilt zurecht die Überwindung des Gegensatzes von Idealismus und Realismus. Dieses Programm teilt Schleiermacher mit Friedrich Schlegel und ist sich dessen auch bewusst. So heißt es im März 1801 in einem Brief: „Die Vereinigung des Idealismus und des Realismus ist das, worauf mein ganzes Streben gerichtet ist, und ich habe darauf nach Vermögen hingedeutet in den Reden sowohl als in den Monologen; aber freilich liegt der Grund davon sehr tief, und es wird nicht leicht sein, beiden Parteien den Sinn dafür zu öffnen. Schlegel, der schon so viel dahin Abzielendes gesagt hat, wird nicht verstanden, und meine Sachen hat man wohl anderwärts noch gar nicht darauf angesehen.“32 Die Vereinigung des Idealismus und Realismus bedeutet nicht nur eine starke Orientierung auf die emprischen Wissenschaften – und auch hierin trifft sich Schleiermacher mit Schlegel –, sie hat auch Konsequenzen für die Systematik und vor allem für die Begründung der Philosophie. Dies hatte Schlegel, der das philosophische Verfahren im Ausgang von der Geschichtlichkeit des menschlichen Handelns und Wissens als „Tota28 29 30 31 32

Rudolf Haym: Die romantische Schule, Berlin 1870, S. 863. KGA I/4, S. 27 – 357. Haym: Die romantische Schule, Berlin 1870, S. 863. Ebd., S. 864. An F.H.C. Schwarz, 28. 3. 1801, KGA V/5, S. 73.

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lisazion von unten herauf“33 bestimmte, zuerst klar erkannt. Wenn das Reale unhintergehbares, konstitutives Moment der Philosophie ist, dann ist die Philosophie keines Prinzips mächtig, aus dem heraus sie das Reale deduktiv entwickeln könnte. Gegen die Grundsatzphilosophie Reinhold-Fichtescher Prägung, die die Philosophie im Ausgang von einem unbedingten obersten Grundsatz begründen wollte, setzt Schlegel daher in seiner 1796 geschriebenen und erschienenen Rezension von Jacobis Roman Woldemar die Konzeption eines „Wechselerweises“. Sei etwa, so heißt es – verkleidet in eine rhetorische Frage – ein „von außen unbedingter, gegenseitig aber bedingter und sich bedingender Wechselerweis der Grund der Philosophie“.34 Wie immer dies auch im einzelnen zu interpretieren sein mag, in jedem Falle denkt Schlegel das Unbedingte – also den Grund der Philosophie – nicht als Prinzip und telos außerhalb des von ihm Bedingten denkt, sondern als Totalität des Sich-Bedingenden.35 In seinen Notizen zur Philosophie der Philologie spricht Schlegel den Gegensatz zu Fichte klar aus: „Die Cyklisation ist wie eine Totalisazion von unten herauf. Bey Fichte doch ein Herabsteigen.“36 Schleiermacher übernimmt diese Konzeption, die Schlegel kurz vor der Übersiedlung nach Berlin erstmals formuliert hatte und die ohne Zweifel Gegenstand ihrer Gespräche über die Fichtesche Philosophie am Beginn ihrer Freundschaft war. Unter deutlicher Anspielung auf Schlegels Konzept des Wechselerweises heißt es in den Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, die oberste Wissenschaft, also die „Wissenschaft von den Gründen und dem Zusammenhang aller Wissenschaften“, dürfe „selbst nicht wiederum, wie jene einzelnen Wissen33 KFSA 16, S. 68, Nr. 84. 34 KFSA 2, S. 74. 35 Zum Theorem des Wechselerweises vgl. Manfred Frank: „,Wechselgrundsatz‘. Friedrich Schlegels philosophischer Ausgangspunkt“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 50 (1996), S. 26 – 50; ders.: ,Unendliche Ann herung‘. Die Anf nge der philosophischen Fr hromantik, Frankfurt/M 1997, S. 858 – 882; Guido Naschert: „Friedrich Schlegel über Wechselerweis und Ironie“, in: Athenaeum. Jahrbuch f r Romantik 6 (1996), S. 47 – 91 und 7 (1997), S. 11 – 37; Birgit Rehme-Iffert: Skepsis und Enthusiasmus. Friedrich Schlegels philosophischer Grundgedanke zwischen 1796 und 1805, Würzburg 2001, S. 31 ff. 36 KFSA 16, 68, Nr. 84. Die „Cyclisation“ ist offenkundig nichts anderes als der Wechselerweis der Elemente einer historischen Totalität. Diese Methode nimmt Schlegel unabhängig von Fichte in Anspruch: „Auch die Methode der materialen Alterthumslehre erkannte ich selbst, lange ehe ich von Fichte wußte, für cyklisch“ (KFSA 16, S. 66, Nr. 62).

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schaften, auf einem obersten Grundsaz beruhen; sondern nur als ein Ganzes, in welchem jedes der Anfang sein kann, und alles einzelne gegenseitig einander bestimmend nur auf dem Ganzen beruht, ist sie zu denken, und so daß sie nur angenommen oder verworfen, nicht aber begründet und bewiesen werden kann.“37 Das besagt zweierlei. Erstens ist die oberste Wissenschaft nur als ein Ganzes einander bedingender und einander stützender Sätze zu denken. Und zweitens bleibt die Idee einer solchen obersten Wissenschaft problematisch, weil das Ganze (in Schlegels Terminologie: die Allheit der Wechselerweise) unerschöpflich ist und das Wissen immer nur werden, nie aber abgeschlossen sein kann. Eben deshalb kann die oberste Wissenschaft nicht im strengen Sinne bewiesen, sondern nur in Anspruch genommen und damit plausibel gemacht werden. Eine solche Alternative zur Fichteschen Wissenschaftslehre entwickelt Schleiermacher dann seit 1811 in bewußter Konkurrenz zu Fichte in seinen Vorlesungen ber die Dialektik. 38 Bevor ich darauf eingehe, sei jedoch noch ein Wort zu Schleiermachers Hermeneutik gesagt. In der Zeit seiner Begegnung mit Schleiermacher arbeitete Schlegel an seiner Philosophie der Philologie, also an seiner Theorie der Hermeneutik und Kritik, und es ist – wie bereits erwähnt – in hohem Maße wahrscheinlich, dass Schleiermacher diese Entwürfe gekannt und darüber mit dem Freund gesprochen hat. Schlegels Notizen wurden von dem Prager Romantik-Forscher Josef Körner 1928 erstmals ediert, wobei er auch auf die auffälligen Parallelen zu Schleiermachers Hermeneutik hinwies.39 Hermann Patsch hat dann 1966 in einem bahnbrechenden Aufsatz gezeigt, dass Schlegel, nicht Schleiermacher als Urheber der romantischen Wende in der Hermeneutik um 1800 anzusehen ist, ungeachtet der eigenständigen Leistung und Bedeutung der Schleiermacherschen Theorie der Hermeneutik.40 Diese These wird seither in der Forschung allgemein akzeptiert, und die eingangs zitierte Reminiszenz an Schlegel in Schleiermachers Akademievorlesung macht deutlich, dass Schleiermacher selbst sich bewusst war, dass er auf diesem Gebiet wesentliche Anstöße von Schlegel erhalten hatte. Der wesentliche Unterschied, auf 37 KGA I/4, S. 48. 38 KGA II/10, 1.2; vgl. besonders die „Historische Einführung“ . 39 Vgl. Friedrich Schlegel: „Philosophie der Philologie“, hg. und eingel. von J. Körner, in: Logos 17 (1928), S. 1 – 72. 40 Hermann Patsch: „Friedrich Schlegels ‘Philosophie der Philologie’ und Schleiermachers frühe Entwürfe zur Hermeneutik“, in: Zeitschrift f r Theologie und Kirche 63 (1966), S. 434 – 472.

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dessen Ursachen ich hier nicht weiter eingehen kann,41 besteht indessen darin, daß Schlegel gemäß seinem Verfahren der „Totalisation von unten herauf“ einen einheitlichen hermeneutisch-kritischen Prozess konzipiert, der in eine transzendentalphilosophische Dialektik mündet; für Schleiermacher dagegen ist die Hermeneutik bloß eine technische Disziplin noch unter den kritischen Disziplinen und nicht unmittelbar auf die Dialektik bezogen.42 Auch als Schleiermacher 1811 die oberste Wissenschaft als eigenständige Disziplin als eigenständige Disziplin an der Berliner Universität unter dem Titel Dialektik vortrug, mag er sich der Konzeption seines früheren Weggefährten Friedrich Schlegel erinnert haben, der bereits seit 1796 die Problembestände der transzendentalen Dialektik Kants mit einer an die Antike und besonders Platon anknüpfenden Auffassung von „Dialektik“ bearbeiten wollte: „Sehr bedeutend ist der Griechische Nahme Dialektik. Die chte Kunst, (nicht der Schein wie bey Kant), sondern die Wahrheit mitzutheilen, zu reden, gemeinschaftlich die Wahrheit zu suchen, zu widerlegen und zu erreichen (so bey Plato Gorgias – cfr. Aristoteles); ist ein Theil der Philosophie oder Logik und notwendiges Organ der Philosophen.“43 Man vergleiche hiermit das, was Schleiermacher (laut Nachschrift Twesten) in den ersten Vorlesungsstunden 1811 zur Erläuterung des Terminus „Dialektik“ vortrug: „Unter Dialektik verstehn wir […] die Prinzipien der Kunst zu philosophieren. […] Das Höchste und Allgemeinste des Wissens also und die Prinzipien des Philosophierens selbst sind dasselbe. […] Konstitutive und regulative Principe lassen sich also nicht mit Kant unterscheiden. Diesem Begriffe ganz angemessen ist der Name der Dialektik, welcher bei den Alten gerade diese Bedeutung hatte. […] Der Name bezieht sich auf die Kunst, mit einem Andren zugleich eine philosophische Konstruktion zu voll41 Vgl. Andreas Arndt: „Hermeneutik und Kritik im Denken der Aufklärung“, in: Die Hermeneutik im Zeitalter der Aufkl rung, hg. von. M. Beetz u. G. Cacciatore, Köln u. a. 2000, S. 211 – 236. 42 Vgl. Andreas Arndt: „Dialektik und Hermeneutik. Zur kritischen Vermittlung der Disziplinen bei Schleiermacher“, in: Synthesis philosphica 12, Zagreb 1997, Nr. 1, S. 39 – 63. 43 KFSA 18, S. 509 (Beilage I, Nr. 50). – Vgl. Andreas Arndt: „Zur Vorgeschichte des Schleiermacherschen Begriffs von Dialektik“, in: Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums. Festschrift für Hans-Joachim Birkner zum 60. Geburtstag, hg. von G. Meckenstock in Verb. mit J. Ringleben, Berlin und New York 1991, S. 313 – 333; „Zum Begriff der Dialektik bei Friedrich Schlegel 1796 – 1801“, in: Archiv f r Begriffsgeschichte 35 (1992), S. 257 – 273.

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ziehen. […] Die Dialektik […] kann mit Recht das Organon aller Wissenschaft heißen.“44 – Bis dahin hatte Schleiermacher, im Gefolge der rhetorischen Tradition, Dialektik weitgehend mit Virtuosität im Argumentieren gleichgesetzt, und nichts – auch seine Interpretation der platonischen Dialektik nicht – hatte darauf hingedeutet, daß er ihr den Rang einer obersten Wissenschaft zusprechen wollte. Das einzige Vorbild, was hierfür in Frage kommt, ist Friedrich Schlegels Konzeption transzendentalphilosophischer Dialektik. Auch in bezug auf die Dialektik hatte Josef Körner bereits 1934 die These vertreten, sie lasse „gewisse Gedanken der Jenaer Transzendentalphilosophie [Friedrich Schlegels] aufscheinen“.45 In der Forschung setzt sich diese Einsicht erst heute zunehmend durch, denn hierfür bedurfte es zunächst der Wiederentdeckung und Rekonstruktion der Schlegelschen Dialektik-Konzeption.

___ Ich bin damit für jetzt am Ende meiner Spurensuche angelangt und möchte noch eine kurze Bilanz ziehen. Schleiermacher, so ließe sich behaupten, vermittelt die frühromantische Philosophie in die von Hegel dominierte und in die nachhegelsche Epoche der Philosophie. Er tut dies, indem er den in dem symphilosophischen Theorielabor erzeugten Ideenvorrat sich systematisch gerichtet aneignet und damit in eine diskursive Form jenseits der Paradoxien der Frühromantik transformiert. Wie tief aber dieses Vorhaben in der häuslichen und philosophischen Gemeinschaft mit Friedrich Schlegel verwurzelt ist, läßt sich daran ermessen, dass alle drei entscheidenden, auf Friedrich Schlegel zurückgehenden Konzeptionen – in Stichworten: Platon, Hermeneutik, Dialektik – von Schlegel im unmittelbaren Umkreis der Begegnung mit Schleiermacher ausgearbeitet worden waren. Die literarische Ehe vor dem Oranienburger Tor blieb für den mutmaßlich weiblichen Part nicht folgenlos. Das bedeutet indessen nicht, wie oft geargwöhnt wird, eine Abhängigkeit Schleiermachers von den Ideen des Freundes. Partner finden sich – oder sollten sich finden – nur auf einer gemeinsamen Grundlage, und Kinder, auch geistige, gehören immer beiden Elternteilen zu. 44 KGA II/10, 2, S. 5 – 7. 45 Friedrich Schlegel: Neue Philosophische Schriften, hg. von J. Körner, Frankfurt/ Main 1935, S. 51.

Seelsorge ganz unten – Schleiermacher, der Charité-Prediger Simon Gerber Von 1796 bis 1802 lebte Friedrich Schleiermacher zum ersten Mal in Berlin. In der Haupstadt der königlich preußischen Staaten, die damals als „Spree-Athen“ in ihrer klassischen Blüte stand, gehörte er bald zum Kreis der Frühromantiker, schloß Freundschaft mit Friedrich Schlegel, Henriette Herz und anderen, machte sich u. a. mit den „Reden über die Religion“ und den „Monologen“ einen literarischen Namen und verliebte sich in die unglücklich verheiratete Pfarrfrau Eleonore Grunow. Daneben gab es schließlich auch noch den Beruf, dessentwegen Schleiermacher überhaupt nach Berlin gekommen war: Er war reformierter Prediger am Berliner Krankenhaus „Charité“. Unter Schleiermachers Biographen hat die Predigertätigkeit an der Charité recht wenig Beachtung gefunden.1 Das mag daran liegen, daß sich die Seelsorge an einer Anstalt der Kranken- und Armenfürsorge wenig glänzend ausnimmt, verglichen mit dem Kreis der geistigen und literarischen Avantgarde. Es ist aber auch der Quellenlage geschuldet: Im Briefwechsel Schleiermachers mit Freunden und Verwandten wird die Arbeit an der Charité nur sehr selten erwähnt. Unsere Hauptquellen sind Schleiermachers amtlicher Briefwechsel und seine Konzepte für Gottesdienste und Betstunden; der erste wurde erst in den letzten Jahren ediert,2 die letzten sind noch zum großen Teil unveröffentlicht.3 1

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Vgl. Daniel Schenkel: Friedrich Schleiermacher, Elberfeld 1868, S. 63 f. 71; Eduard Reuß: Art. „Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, gest. 1834“, in: Realencyklop die f r protestantische Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 17, Leipzig 1906, S. 587 – 617, hier 591; Wilhelm Dilthey: Lebens Schleiermachers, Bd. 1, 2. Aufl. hg. von Hermann Mulert, Berlin und Leipzig 1922, S. 230 – 232; Martin Redeker: Friedrich Schleiermacher, Berlin 1968, S. 37 – 39. Grundlegend ist Kurt Nowak: „Schleiermacher als Prediger am Charité-Krankenhaus in Berlin (1796 – 1802)“, in: Theologische Zeitschrift 41 (1985), S. 391 – 411; vgl. auch ders.: Schleiermacher und die Fr hromantik, Weimar 1986 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 9), S. 98 – 102; Ders: Schleiermacher, Göttingen 2001, S. 74 – 78. KGA V/2 bis V/5.

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I Die Charité, Alters- und Siechenheim, Anstalt der Krankenheilung und praktische Ausbildungsstätte für angehende Ärzte, war 1710 gegründet worden, zunächst als Pesthaus vor der Stadt; ihr Name verdankt sich einer Aktennotiz König Friedrich Wilhelms I. von 1727. Zunächst als geschlossenes Karree aus vier Fachwerkflügeln mit einigen Anbauten errichtet, wurde die Charité seit 1785 im großen Stil umgebaut und erweitert. Zugleich spezialisierte sich die Charité immer mehr auf die Krankenheilung und die medizinische Ausbildung; auch die sechs Jahre, die Schleiermacher an ihr verbrachte, waren geprägt von der allmählichen Umstrukturierung des Armenhospitals und Armenlazaretts zu einem modernen Universitätskrankenhaus.4 1726 und 1737 waren für die seelsorgerliche Betreuung der Insassen eine lutherische und eine reformierte Predigerstelle eingerichtet worden. Die Patronatsrechte über die reformierte Predigerstelle hatte das königliche Armendirektorium inne, dem überhaupt die Aufsicht und Verwaltung der Charité oblag.5 3

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Die Entwürfe befinden sich im Schleiermacher-Nachlaß im Archiv der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter Nr. 52 und 53 und dokumentieren Gottesdienste und Betstunden der Jahre 1797, 1800 und 1801. Eine Auswahl aus ihnen hat Friedrich Zimmer herausgegeben: „Predigtentwürfe aus Friedrich Schleiermacher’s erster Amtsthätigkeit“, in: Zeitschrift f r praktische Theologie 4 (1882), S. 281 – 290. 369 – 378; Ders.: Predigtentw rfe von Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1800, Gotha 1887. Vgl. zur Geschichte der Charité besonders die Jubiläumsschrift meines Ururgroßvaters Oskar Scheibe: „Zweihundert Jahre des Charité-Krankenhauses in Berlin“, in: Charit -Annalen 34 (1910), S. 1 – 178, hier 1 – 57. 81 – 93; außerdem Friedrich Nicolai: Beschreibung der Kçniglichen Residenzst dte Berlin und Potsdam, 3. Aufl., Berlin 1786, S. 47 f. 631 – 634; Nowak: Schleiermacher als Prediger (Anm. 1), S. 397 – 399; Ingo Wirth, Bernd Luther und Jürgen Großer: „Zur Topographie und baulichen Entwicklung der Charité“, in: Zeitschrift f r die gesamte Hygiene und ihre Grenzgebiete 31 (1985), S. 2 – 15, hier 2 – 7; Georg Harig und Hans-Uwe Lammel: „Zur Geschichte der Beziehungen zwischen der Charité und Berlin“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universit t zu Berlin, Mathematisch Naturwissenschaftliche Reihe 36 (1987), S. 14 – 21, hier 14 – 18; Ingo Wirth und Bernd Luther: „Das Territorium der Charité und seine Einbeziehung in das Weichbild Berlins“, in: Ebd. S. 22 – 26; Heinz David: „… es soll das Haus die Charit heißen“, Bd. 1, Hamburg 2004, S. 3 – 5. Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 31. 112 f. 153 f.; Nowak: Schleiermacher als Prediger (Anm. 1), S. 399; Harig/Lammel: Zur Geschichte (Anm. 4), S. 14 – 17. Die Einrichtung der reformierten Stelle verdankte sich

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Schleiermachers Vokationsurkunde vom März 1796 mit beiliegender Instruktion beschrieb die Pflichten des angehenden Predigers:6 Er sollte sonntags wechselweise mit dem lutherischen Prediger vor- bzw. nachmittags in der Charité Gottesdienst halten, ebenso im (nördlich der Charité gelegenen) Invalidenhaus, das keinen eigenen reformierten Geistlichen hatte,7 er sollte die Armen und Kranken reformierter Konfession in der Charité und auch in der Dorotheenstadt und der Spandauer Vorstadt8 besuchen und sich bei allem eines exemplarischen 6 7

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einer Stiftung eines Geheimrats von Risselmann und des damaligen Pfarrers an der Parochialkirche Jakob Elsner. KGA V/2, S. XIV–XVI Die reformierte Predigerstelle am Invalidenhaus war nicht etwa vakant (so Nowak: Schleiermacher als Prediger [wie Anm. 1], S. 402), sondern es gab sie gar nicht; die Reformierten im Invalidenhaus hatte eben der reformierte Prediger an der Charité zu versorgen. Vgl. Otto Fischer: Evangelisches Pfarrerbuch f r die Mark Brandenburg, Band 1, Berlin 1941, S. 15. Das entspricht in etwa dem Nordwesten des Bezirks Berlin-Mitte vor 2001 bzw. dem des heutigen Ortsteils Mitte im Bezirk Berlin-Mitte.

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Lebenswandels befleißigen. Das jährliche Gehalt betrug neben freier Kost, Wohnung und Wäsche 95 Taler, 75 aus der Stiftung für den reformierten Prediger an der Charité und 20 vom Invalidenhaus; hinzu kamen auch noch die Gebühren für die Amtshandlungen. Der Prediger sollte sich nicht verehelichen und im Falle einer Eheschließung seine Frau nicht in der Charité wohnen lassen. In den Predigten dürfe er nicht gegen die Lutheraner polemisieren, ja solle des Unterschiedes zwischen lutherischer und reformierter Konfession gar nicht erwähnen, solle vielmehr mit dem lutherischen Kollegen in brüderlicher Freundschaft verbunden sein. In Hinblick auf die anvertrauten Seelen wird in der Instruktion noch besonders auf die grassierende Unkirchlichkeit hingewiesen: „Übrigens muß er keine schikliche Gelegenheit vorbey gehen laßen, der unter dem gemeinen Haufen seiner Zuhörer herrschenden Unwißenheit wegen, die Wahrheiten der Religion, deutlich und faßlich zu catechesiren. Auch wird er sich oft bei den Invaliden sowol, als Kranken nach ihrer in der Religion erlangten Erkenntniß zu erkundigen haben, und die Unwißenden, so wie ins besondere die aus grober Unwißenheit lasterhaft gewordenen, durch beßern Unterricht und durch Ermahnungen, eines Beßern belehren, die etwanigen widerspenstigen ReligionsVerächter aber, hat er dem Königlichen ArmenDirectorio zur nachdrücklichen Ahndung anzuzeigen.“ Die Seelsorge ist also zugleich Teil der Kontrolle, Disziplinierung und versuchten Resozialisierung der Randgruppen.9 Nach einem Berufungsverfahren, das sich länger hingezogen hatte,10 trat Schleiermacher im Herbst 1796 seine Stelle an. Die Antrittspredigt hielt er am 18. September 1796 unter dem Titel „Aus welchen Gründen ein christlicher Lehrer immer Freudigkeit haben könne zu seinem Amte“; Text war 2. Korinther 1,3 f., zwei Verse über den Trost, den der Apostel von Gott bekommen hat und den er weitergibt an die, „die da sind in allerlei Trübsal“.11 Schleiermacher geht ausführlich auf die besonderen Verhältnisse an seiner neuen Stelle ein: „Es ist wahr, ich sehe hier nicht viele, die von der Welt sehr geachtet und geehrt sind 9 Vgl. Nowak: Schleiermacher als Prediger (Anm. 1), S. 403 f. 10 Vgl. ebd., S. 399 f.; Ders.: Schleiermacher und die Frühromantik (Anm. 1), S. 98 – 100; Ders.: Schleiermacher (Anm. 1), S. 74 – 76; auch Brief 328a (KGA V/7, S. 541). 11 Schleiermacher: S mmtliche Werke II/7, hg. von Adolf Sydow, Berlin 1836, S. 367 – 380. Im Folgenden wird aus S. 370 – 375 zitiert.

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und an ihren Freuden und Güter einen großen Antheil erhalten haben, sondern meistens arme und niedrige, aber ich weiß auch, daß der Herr die Person nicht ansieht [Apostelgeschichte 11,34]. […] Es ist wahr, ich sehe unter euch nicht viele, die in der Weisheit der Welt geübt sind und ihren Geist mit allerlei Kenntnissen ausgeziert haben, sondern solche, welche die Welt einfältig und ungebildet nennt; aber die Wahrheiten, die ich lehren soll, wenden sich so sehr an den gemeinen Verstand, der jedem gegeben ist, die Gebote, die ich einschärfen soll, empfehlen sich so sehr dem innersten Gefühl, daß Unbekanntheit mit weltlicher Weisheit ihrem Eingange keinen Eintrag thun kann […] Es ist wahr, ich habe nicht viele Hunderte zu Zuhörern und trete nicht mitten unter den Palästen der Königsstadt auf, sondern vor einem kleinen Häuflein und in dem Hause, welches die christliche Liebe gebauet hat; aber ich weiß, daß schon Christus es sich zur Ehre rechnete den armen das Evangelium zu predigen [Matthäus 11,5] […] Es fehlt den Bewohnern dieses Hauses nicht an manchen beschwerlichen Dienstleistungen; einige müssen sich um kranke, unglükkliche Menschen mit Sorgfalt bekümmern […] andere müssen diese unglükklichen wenigstens dulden, sich ihre Nähe und ihre mancherlei unangenehmen Eigenheiten gefallen lassen, ihre Launen ertragen, und so ihre eigene Last noch vermehren […] Hier, wo so viel allem Anschein nach unverschuldetes Elend zusammengehäuft ist und so viele klägliche Stimmen des Jammers hervorbringt, und wo dagegen dem verschuldeten Elend mit so stumpfer Gleichügltigkeit, mit so schamloser Frechheit getrozt wird, kann gar leicht der Gedanke entstehn, ob es auch wol wahr sei, daß der Herr vom Himmel herabschaut auf die Menschenkinder und seinen Thron aufgerichtet hat zum Gericht [Psalm 33,13 f.; 9,8].“ Doch gerade an einem Ort wie der Charité müsse es den Diener der Religion ebenso erfreuen wie seine Gemeinde, die Gemüter über Kummer und Sorgen des Alltags zu erheben. „Empor soll ich euch richten, meine Brüder, indem ich euch zeige wie viel Gott von euch fordert, zu wie andern Dingen er euch berufen hat; soll euch aufmerken helfen auf die herrlichen Kräfte, die Gott in euch gelegt hat, auf die väterliche Weisheit, mit welcher er euch erzieht, auf die ganze Würde des Menschen, die aus diesen Forderungen und Veranstaltungen so deutlich hervorleuchtet. Indem ich euch erinnere, daß Christus für euch in die Welt gekommen und gestorben ist, daß er euch Brüder nennt und euch ein Leben verheißen hat da wo er ist, soll ich euch zum Gefühl eurer ganzen Würde als Christen erheben.“

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II So also blickte Schleiermacher bei Amtsantritt auf seine Arbeit voraus. Was die Arbeitsbedingungen an der Charité betrifft, so ist zuerst das Gute hervorzuheben: Mit seinem lutherischen Amtsbruder Wilhelm Prahmer, der seine Stelle an der Charité etwa gleichzeitig mit Schleiermacher angetreten hatte, stand Schleiermacher von Anfang an in einem ausgezeichneten Verhältnis. Der Onkel Ernst Stubenrauch schrieb Schleiermacher noch im September 1796: „Wir freuen uns sämtlich recht sehr, daß Sie an Ihrem lutherischen Collegen einen so biedren freundschaftlichen Mann gefunden haben“; für so etwas könne man Gott nicht genug danken.12 Auch das Verhältnis zu Heinrich Wilhelm Ferdinand Klaproth, der Prahmer 1800 nachfolgte, war gut.13 Daß Schleiermacher mit dem lutherischen Kollegen am Invalidenhaus, August Christian Wilhelm Grunow, auf weniger gutem Fuß stand, versteht sich freilich von selbst, war Grunow doch mit der Frau verheiratet, die Schleiermacher liebte, und machte ihr durch seine Launen und Lieblosigkeit das Leben zur Hölle.14 Schleiermachers Dienstvorgesetzte waren das Kirchendirektorium als oberste reformierte Kirchenbehörde der preußischen Staaten und, wie gesagt, als Patron der Predigerstellen an der Charité das königliche Armendirektorium. Mit letzterem kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen, wobei es wohl nicht nur die natürliche Parteilichkeit des Schleiermacherforschers ist, wenn er die Schuld mehr beim Armendirektorium als bei Schleiermacher sieht. Der Kriegs- und Domänenrat Steffeck, ein Mitglied des Armendirektoriums, schrieb im Januar 1798 an Schleiermacher und seinen Kollegen Prahmer: „Es ist ja ganz sonderbar, daß die Herren Prediger bey jeder Gelegenheit Schwierigkeiten machen den Anordnungen des Königlichen Armen-Directorii Folge zu leisten.“15 Schleiermacher forderte Steffeck auf, sich näher zu erklären, und beschwerte sich, als dieser nicht antwortete, bei dem Minister Johann Christoph von Wöllner, dem Chef des Armendirektoriums, über 12 Brief 337 (KGA V/2, S. 11 f.) 13 Kurz nach Klaproths Amtsantritt seufzt Schleiermacher freilich noch in einem Brief an seine Schwester Charlotte, daß der neue Kollege noch mit nichts Bescheid wisse und er, Schleiermacher, ihn erst einweisen und tausenderlei für ihn tun müsse: Brief 997 (KGA V/4, S. 370). 14 Vgl. KGA V/3, S. LXXIV–LXXVII. 15 Brief 438 (KGA V/2, S. 259)

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Steffeck und seine „beleidigenden Ausdrücke“.16 Die Sache klärte sich dann so: Das Armendirektorium hatte Schleiermacher und Prahmer brieflich zur Angabe ihrer Amtseinkünfte aufgefordert, doch der Küster hatte vergessen, die Briefe weiterzugeben, die Herren Prediger hatten also auf die Aufforderung nicht reagiert, und Steffeck hatte ihnen den unfreundlichen Brief geschrieben. Im Oktober 1798 zeigte Schleiermacher an, daß er am Sonntagmorgen auf dem Weg zum Gottesdienst im Garten der Charité von zwei nicht angeketteten Hunden angefallen worden war.17 Das Armendirektorium schärfte Schleiermacher im April 1798 aus gegebenem Anlaß ein, er müsse für Reisen stets eine Erlaubnis einholen; Schleiermacher hatte das für unnötig gehalten, die Abwesenheit vom Arbeitsplatz habe ja nur anderthalb Wochen gedauert.18 1799 stritten sich dann beide Seiten, ob das Armendirektorium über eine solche Erlaubnis zu befinden habe oder ob die Genehmigung durch das reformierte Kirchendirektorium hinreiche und dem Armendirektorium nur anzuzeigen sei.19 Schleiermacher und Klaproth beschwerten sich im Dezember 1801, daß ihnen ihr Gehalt seit Oktober nicht mehr in Courant, sondern in kleiner Münze ausgezahlt werde, was faktisch eine Gehaltsminderung sei.20 Ein nicht allzu gutes Licht wirft ein anderer Konflikt auf das Armendirektorium: Zur Entlohnung des Predigers gehörte neben dem Gehalt die Kost. Schleiermacher monierte 1798 in einem Brief, daß das Armendirektorium zuletzt bei Abwesenheit eines Predigers das diesem zustehende Essen einfach einbehalten habe, statt es wie sonst den Domestiken vorzusetzen: Die Domestiken beklagten sich oft über das Hospitalessen, das sie sonst bekämen, und sähen das ihnen gelegentlich verabreichte Essen der Prediger als Teil ihres ohnehin spärlichen Einkommens an, so daß die Prediger sie jetzt für das vorenthaltene Essen aus eigener Tasche schadlos halten müßten, um sie bei gutem Willen zu erhalten. Das Armendirektorium solle also entweder zum alten Brauch zurückkehren, oder es solle den Predigern den Gegenwert des einbe16 Brief 444 (KGA V/2, S. 270 f.) 17 Brief 531 (KGA V/2, S. 423 f.), vgl. auch Nr. 532 (ebd. S. 424); 539 (ebd. S. 433). 18 Briefe 465 – 467 (KGA V/2, S. 311 f.) 19 Briefe 679 (KGA V/3, S. 152 – 154); 716 (ebd. S. 229 f.) 20 Brief 1134 (KGA V/5, S. 281 f.), vgl. Nr. 1136 (ebd. S. 285).

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haltenen Essens auszahlen.21 Das Armendirektorium fand sich jedoch weder zu diesem noch zu jenem bereit,22 auch nicht, als Schleiermacher von Februar bis Mai 1799 eine Kanzelvertretung in Potsdam wahrnahm.23 Einen ähnlichen Fall gab es Anfang 1800: Schleiermacher und Prahmer trugen darauf an, daß ihre Aufwärter für ihren nicht leichten Dienst am Domestikentisch essen dürften und den sonst üblichen Aufwärterlohn erhielten.24 Auch diesen Antrag beschied das Armendirektorium negativ.25 Seinen Tiefpunkt erreichte das Verhältnis zwischen Schleiermacher und dem Armendirektorium zweifellos im Herbst 1800. Was war geschehen? Die Wohnräume der beiden Prediger hatten im alten CharitéGebäude nebeneinander im zweiten, dem obersten Stock des Südflügels gelegen.26 Der erwähnten Umbauten wegen mußten Schleiermacher und Prahmer sie 1797 verlassen und bezogen am 1. Mai Wohnungen in der unteren Etage eines Hauses vor dem Oranienburger Tor, das Schleiermachers Vorgänger, dem Prediger Gottfried Schlemüller, gehörte.27 Das Haus ist wohl an der Charitéstraße (etwa da, wo heute die Philippstraße ist) zu lokalisieren, nahe der Panke.28 Mit dieser neuen 21 Brief 514 (KGA V/2, S. 399 f.) 22 Briefe 519 (KGA V/2, S. 405); 526 (ebd. S. 413); 542 (ebd. S. 436) 23 Briefe 581 (KGA V/3, S. 37); 584 (ebd. S. 40 f.); 609 (ebd. S. 63 – 66); 652 (ebd. S. 115); 656 (ebd. S. 119 f.) 24 Brief 788 (KGA V/3, S. 373). – Offenbar bekamen die Domestiken also inzwischen nicht mehr wie noch 1798/99 das Krankenessen (s. o.), sondern wurden eigens beköstigt. 25 Brief 799 (KGA V/3, S. 404) 26 Vgl. Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 29 f. Ein durchreisender Pastor hatte die herrliche Aussicht gepriesen, die man von diesen Wohnungen aus über ganz Berlin hatte (ebd. S. 31). 27 KGA V/2, S. XVII. Das genaue Umzugsdatum ergibt sich aus einem Brief Schlemüllers an den Oberinspektor der Charité Carl Emanuel Oehlschläger vom 27. 6. 1797 (Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv, Charité 1778, fol. 50). Zum Umzug der Prediger vgl. auch einen Brief Kriegsrat Steffecks an das Polizeidirektorium vom 12. 4. 1797 und einen Brief Oehlschlägers an das Armendirektorium vom 24. 4. 1797 (ebd. fol. 28. 35). 28 Das ergibt sich aus dem erwähnten Brief Oehlschlägers, in dem es heißt, das Haus grenze an den Charité-Kirchhof und den Garten der Charité (HumboldtUniversität zu Berlin, Archiv, Charité 1778, fol. 35). Diese lagen zwischen der Stadtmauer an der Charitéstraße und der Invalidenstraße, die Panke bildete ihre Grenze gegeneinander. Neander von Petersheiden: Neue Anschauliche Tabellen von der gesammten Residenz-Stadt Berlin, Berlin 1801, verzeichnet das Haus nicht.

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Wohnung war Schleiermacher sehr zufrieden;29 in ihr befand sich vom Dezember 1797 bis September 1799 die legendäre Wohngemeinschaft mit Friedrich Schlegel. Im Sommer 1800 war es dann so weit: Das alte, schon baufällige Karree war abgetragen worden, an seine Stelle ein barockisierender Neubau, das sog. Corps de logis, errichtet, und die Prediger sollten dort ihre neue Wohnstätte finden.30 Im August entspann sich ein kontroverser Briefwechsel über die neuen Wohnungen. Schleiermacher meldete zwei Mängel: Die Wohnungen seien nur entweder durch den Krankentrakt oder durch die Waschküche zu betreten, wo doch „kein anständiger Mensch gewohnt ist durch einen Waschkeller zu kriechen um einen andern anständigen Menschen aufzusuchen“, und die gemeinsame Küche für die Prediger sei nur ein kleiner dunkler Verschlag. Leider seien die Prediger während des Baus gar nicht über die laufenden Arbeiten unterrichtet worden.31 Auf eine kurze abschlägige Antwort hin32 schrieb Schleiermacher, diese sei ihm „ein neuer niederschlagender Beweis“, wie das Armendirektorium mit den Predigern umgehe. Er drohte, das reformierte Kirchendirektorium einzuschalten.33 Das Armendirektorium antwortete, die Predigerwohnungen hätten sich gegenüber dem alten Zustand doch deutlich verbessert, und bei einem Krankenhaus könne generell „auf die äußere Zierlichkeit nicht so sehr gesehen werden“. „Wir hoffen daher, daß […] er sich doch endlich des vorzüglich für einen Prediger sich schickenden 29 Vgl. Brief 388 (KGA V/2, S. 133). Die Miete (für jede Wohnung oder für beide zusammen?) gibt Schlemüller mit 13 Talern 8 Groschen an; Schleiermachers Wohnung müßte er sonst aber teurer vermieten (Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv, Charité 1778, fol. 50). 30 Das Corps de logis verband als Mittelbau die beiden 1785 – 1794 gebauten Flügelbauten miteinander; der Gesamtkomplex aus Mittelbau und Flügeln war die sog. „Alte Charité“, die um 1900 einer erneuten Erweiterung weichen mußte. Vgl. Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 47 – 56. 74 – 81; Wirth/ Luther/Große: Zur Topographie (Anm. 4), S. 6 f. 10 – 13. Wo genau die Predigerwohnungen sich befanden, ist ungewiß, da die Akten zwar gelegentlich Grundrißzeichnungen des Corps de logis erwähnen (Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv, Charité 1778, fol. 54 vom 19. 7. 1797; fol. 62 f. vom 20.–21. 4. 1798), diese aber nicht enthalten. Da die Wohnungen durch das Haupttor des alten Flügels (d. h. des Nordflügels) oder durch den Eingang des Waschkellers zugänglich waren (vgl. Brief 958, KGA V/4, S. 275), lagen sie wohl in der nördlichen Hälfte des Corps de logis im Souterrain, also etwa unter der Charitékirche (vgl. unten Anm. 44). 31 Brief 936 (KGA V/4, S. 226 – 228) 32 Brief 945 (KGA V/4, S. 248) 33 Brief 950 (KGA V/4, S. 262 – 264)

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friedfertigen Betragens befleißigen, und dahin mit sorgen wird, damit Ruhe und Einigkeit in der Charité herrsche.“34 Schleiermacher gab zurück: „Es ist in der That mehr als die äußerliche Zierlichkeit, auf welche wir allerdings keinen solchen Anspruch zu machen haben, was durch die Gefahr den Kopf zu zerstoßen, durch das Einathmen des Wäschegeruchs und durch das immerwährende Begegnen der Wäscherinnen von denen ja bekannt ist was für Personen es größtentheils sind, beleidigt wird […] Die Einigkeit anlangend, so wird sie unstreitig am besten befördert werden, wenn in dieser Anstalt ein Jeder seine Schuldigkeit thut, und man nirgends gegen den gesunden Menschenverstand verstößt, zwei Regeln, denen wie mein Gewissen mir bezeugt ich selbst immer gefolgt bin, und auf die ich auch in meinen Vorträgen, wenn sie nur beßer besucht würden, häufig genug hinweise. Was aber das friedfertige Betragen betrift, so möchte wol kein Beispiel vorhanden sein, daß ich einen Streit angefangen hätte wenn nicht das Recht vollkommen auf meiner Seite war“.35 Das Armendirektoirum beharrte zwar darauf, Schleiermacher sein „unzufriedenes Betragen“ und seinen „Hang zu Beschwerden“ zu verweisen.36 Schließlich aber einigte man sich, daß bei den noch kommenden Umbauten am Nordflügel auch der Eingang zu den Predigerwohnungen verbessert werden sollte.37

III 1798 prangerte der christliche Pulbizist Johann Daniel Falk in seinem jährlich erscheinenden „Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire“ die Zustände an der Charité mit ätzendem Spott an: Die Charité sei ein probates Institut zur Dezimierung der Bevölkerung; schon die Lage in regelmäßig überschwemmten Wiesen, aber auch die Unreinlichkeit und schlechte Luft in der Anstalt förderten Infektionen aller Art, die Gesunden steckten sich alsbald bei den Kranken an, die Ärzte seien unerfahren und probierten an den Kranken herum, die Sterblichkeits34 35 36 37

Brief 955 (KGA V/4, S. 270 – 272) Brief 958 (KGA V/4, S. 275 – 277) Brief 960 (KGA V/4, S. 279) Brief 955 (KGA V/4, S. 271); 958 (ebd. S. 275); 960 (ebd. S. 280); 963 (ebd. S. 288). – Den quälenden Konflikt mit dem Armendirektorium erwähnt Schleiermacher auch in mehreren privaten Briefen, vgl. Brief 941 (ebd. S. 242); 949 (ebd. S. 260); 969 (ebd. S. 303); 997 (ebd. S. 370).

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rate unter den Krankenwärtern sei ungeheuer, und in summa: für Berlin leiste die Charité das, was in anderen Städten Guillotine, Schnapsdestillen und Findelhäuser täten. Der damit entfachte Streit schlug Wellen bis hin zum König und zur Königin und hatte auch Einfluß auf die schon begonnene Umorganisation der Charité. Auch Schleiermachers Amtsbruder Prahmer mischte sich ein. Dem Bibliothekar an der königlichen Bibliothek Johann Erich Biester, der die Charité gegen Falks Satire verteidigte, hielt Prahmer vier entscheidende Mängel entgegen: Die Aufwärter – arme Hospitaliten oder frisch entlassene Kranke, die sonst keine Gelegenheit hätten, ihr Leben zu fristen – seien für die Krankenpflege meist ungeeignet und mit ihr überfordert, ja sie stählen und betrögen gar oder betrieben das Gewerbe der Prostitution weiter; das Essen sodann und die Wäsche seien ungenügend, und die ganze Anstalt sei chronisch unterfinanziert.38 Schleiermacher trat in diesem Streit nicht öffentlich hervor, stand aber auf Prahmers Seite und fürchtete, das Armendirektorium werde dessen Schrift übel aufnehmen.39 Er selbst schrieb in ein Heft einige Notizen über das Armenwesen,40 nach Art seiner Gedankenhefte und der späteren Aphorismensammlungen für Vorlesungen. Das ganze hätte offenbar eine Abhandlung werden solle, wurde dann aber nicht weiter ausgearbeitet. Schleiermacher schreibt, die Aufsicht über das Armenwesen sollte am besten der Pfarrer zusammen mit zwei Bürgern führen; er überlegt, ob die Armen und Tollen nicht, wo das möglich sei, in den Familien als in Hospitälern und Irrenhäusern unterzubringen seien, und ob die geringere Krankensterblichkeit in Hamburg damit zusammenhänge, daß in Republiken und kleinen Staaten das Armen- und Krankenwesen besser zu organisieren sei als in großen Staaten wie Preußen.

38 Vgl. zu dieser Kontroverse ausführlich Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 56 – 67; KGA I/2, S. XXXIX–L; Gerhard Jaeckel: Die Charit , 2. Aufl., Bayreuth 1987, S. 148 – 157. Ähnliche Vorwürfe gegen die Charité wie Falk hatte schon 1796 der Arzt Johann Ludwig Formey erhoben, vgl. KGA V/2, S. 133 f. Fußtext. 39 Vgl. Brief 539 (KGA V/2, S. 433). 40 KGA I/2, S. 157 – 161. Vgl. Nowak: Schleiermacher als Prediger (Anm. 1), S. 403 – 405.

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IV Gottesdienst hielt Schleiermacher in der Regel Sonntags am Vor- oder Nachmittag in der Charité und etwa alle drei Wochen auch im Invalidenhaus. Weitere Gottesdiensttermine waren, neben den Feiertagen, die nicht auf einen Sonntag fielen, die Vorbereitungspredigt auf den Empfang des Abendmahls an manchen Sonnabenden mittags41 und schließlich die Wochenpredigt oder Betstunde unter der Woche, in der Regel am Dienstag. Auch in anderen Berliner Kirchen hielt Schleiermacher von Zeit zu Zeit einen Gottesdienst.42 Als Kirche für die Gottesdienste der Charité diente bis 1800 der große Speisesaal in einem nördlichen Anbau an den Westflügel.43 Am 1. Advent 1800 wurde dann die neue Charitékirche im Corps de logis eingeweiht.44 Die Betstunden wurden dagegen auf den Stationen gehalten. Schleiermacher notiert in seinen Aufzeichnungen gelegentlich die Station: die „inneren Weiber“ und die „äußeren Weiber“, die „inneren Männer“ und die „äußeren Männer“;45 sehr oft heißt es 41 Nach Brief 686 (KGA V/3, S. 174) fand in der Charité viermal im Jahr eine allgemeine Abendmahlsfeier statt. – Friedrich Nicolai berichtet aus den 1780er Jahren, daß im Rahmen der Vorbereitungsgottesdienste die Möglichkeit zur Einzelbeichte bestand (Beschreibung, [Anm. 4], S. 614). 42 Vgl. dazu Wolfgang Virmond: „Schleiermachers Predigttermine zur CharitéZeit (1796 – 1802)“ im Anhang dieses Bandes. Dort werden Schleiermachers Predigttermine in und außer der Charité mitgeteilt, wie sie den Vorankündigungen der Gottesdienste im „Berliner Intelligenzblatt“ zu entnehmen sind, einer Zeitschrift, die inzwischen nur noch lückenhaft und in wenigen Exemplaren erhalten ist. Vgl. ansonsten Schleiermachers Predigtaufzeichnungen (Anm. 3). 43 Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 22. 154; Wirth/Luther/Große: Zur Topographie (Anm. 4), S. 3 – 5; KGA V/3, S. 171 f. Fußtext 44 Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 56. 154. Die Kirche lag im ersten und zweiten Stock, vom Haupteingang aus ganz links, also an der Ecke des Corps de logis zum nordwestlichen Flügel, vgl. Scheibe: a.a.O., S. 54; Grundrisse und Pl ne von den Geb uden des Kçniglichen Charit -Krankenhauses zu Berlin, Berlin 1865, Bl. IV und V. 45 „Innere Weiber“ am 24.1., 4.4. und 16. 5. 1797 (SN 52, pag. 9. 20. 27), „äußere Weiber“ am 21. 2. 1797 (SN 52, pag. 13), „innere Männer“ am 10. 1. 1797 (SN 52, pag. 5), „äußere Männer“ am 7.2. und 30.5. 1797 (SN 52, pag. 11. 29) und am 13. 1. 1801 (SN 53, pag. 95). Aus dem von Scheibe mitgeteilten Plan des alten Karrees erhellt, daß die „Innerlichen Krankheits-Stuben für Männer“, die „Innerliche Schaden-Stube für Weiber“ und die „Äußerliche Schaden-Stube für Weiber“ im ersten Stock lagen (Zweihundert Jahre [Anm. 4], S. 27 – 29). Wo die „äußeren Männer“ lagen, geht daraus nicht

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einfach „Männer“ oder „Weiber“. Von Betstunden bei den Krätzigen, den venerisch Kranken (d. h. Geschlechtskranken), den Irren und im Accouchement (der Entbindungsstation) ist nichts bekannt. Als das Hospital (das Armen- und Altenheim), das im Erdgeschoß des alten Karrees gelegen hatte, im Zuge des Umbaus im Herbst 1799 ganz aufgelöst wurde zugunsten des Neuen Hospitals an der Wallstraße,46 nahmen Schleiermacher und Prahmer das zum Anlaß für einen gemeinsamen Brief an das Armendirektorium, in dem sie vorschlugen, nun auch die Arbeit der Prediger umzuorganisieren. In die Gottesdienste seien bisher hauptsächlich die Insassen des Hospitals gegangen, vereinzelt auch Besucher aus der Stadt. Nach dem Abgang der Hospitaliten reiche wohl ein Gottesdienst aus, und statt des bisherigen Nachmittagsgottesdienstes solle man lieber eine weitere Betstunde für die Kranken auf den Stationen halten.47 Das Armendirektorium antwortete, die Prediger seien ohnehin zu täglichen Betstunden auf den Stationen verpflichtet, nur sei dieser Brauch in Abnahme gekommen. Statt wie vorgeschlagen auf den Nachmittagsgottesdienst am Sonntag solle eher auf den am Vormittag verzichtet werden.48 Dies geschah dann auch wirklich: Aus Schleiermachers Aufzeichnungen von 1800 und 1801 geht hervor, daß sonn- und feiertags in der Charité nur noch nachmittags ein Gottesdienst in der Kirche stattfand. Vormittags wurde nunmehr statt des Gottesdienstes Betstunde auf einer Station gehalten, und zwar offenbar am späteren Vormittag, denn manchmal hatte Schleiermacher vor der Betstunde schon im Invalidenhaus einen Gottesdienst zu halten.49

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hervor. – Schleiermacher nennt die äußeren Männer auch die „Krankenstation Oschaz“ und die inneren Weiber „Königin“. Die Station „Männer Teubert“ (21. 3. 1797, SN 52, pag. 17) ist wohl mit den inneren Männern zu identifizieren. Vielleicht handelt es sich um charitéinterne Bezeichnungen der Stationen. Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 26 f.; Harig/Lammel: Zur Geschichte (Anm. 4), S. 17; KGA V/3, S. 170 f. Fußtext Brief 686 (KGA V/3, S. 170 – 172) Brief 735 (KGA V/3, S. 267) Zwischen dem 1. 1. 1800 und dem 8. 2. 1801 verzeichnet Schleiermacher an 28 Sonn- und Feiertagen vormittags eine Betstunde. Am 22.5. (Himmelfahrt) und 27. 7. 1800 hielt er vor der Betstunde einen Gottesdienst im Invalidenhaus, vgl. SN 53, pag. 38. 53. Von dieser Umorganisation 1799/1800 handeln auch die Briefe 758a und 768 (KGA V/7, S. 542 f.): Schleiermacher bat, daß die Alumnen (Domkandidaten) entsprechend ihrem bisherigen Dienstplan nun auch sonntägliche Betstunden auf den Stationen halten möchten; der König bewilligte aber nur eine Beteiligung an den Gottesdiensten am Nachmittag.

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V Als 1801 Schleiermachers erste Predigtsammlung erschien, schrieb er in der Widmung an Onkel Ernst Stubenrauch, keine der hier veröffentlichten 12 Predigten sei an seiner jetzigen Gemeinde, also an der Charité, vorgetragen worden: „Wie Sie diese kennen, wären schon die hier behandelten Gegenstände und der ganze Zuschnitt, wenn auch der Styl ursprünglich noch so populär gewesen wäre, eine unverzeihliche Sünde, deren ich mich bei meiner Liebe zu diesem Amte nicht schuldig machen konnte“.50 Schleiermacher unterschied also genau zwischen dem Niveau, das für seine Gemeinde im Krankenhaus und im Hospital geeignet war, und dem, was sich für ein gebildetes Lesepublikum schickte, und das war der Sache sicher angemessen. In der Instruktion für den Prediger hatte es ja schon geheißen, die Insassen der Charité brauchten vor allem eine leicht faßliche Katechisation über die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens und die Grundlagen der christlichen Lebensführung.51 In einem oben zitierten Brief schreibt Schleiermacher, er habe in seinen Vorträgen stets auf die zwei Regeln des gedeihlichen Zusammenlebens hingewiesen, daß jeder seine Schuldigkeit tue und daß man nirgends gegen den gesunden Menschenverstand verstoße, nur daß die Vorträge besser besucht werden müßten.52 Das letzte ist eine der wenigen Nachrichten darüber, welches Echo die Gottesdienste und Betstunden tatsächlich fanden. Das erste läßt darauf schließen, daß die praktischvernünftige Moral ein wesentlicher Teil dessen war, was er predigte. Und tatsächlich kreisen die Charité-Predigten immer wieder um die Themen Rechtschaffenheit und Pflichterfüllung, Gottvertrauen, Trost und Geduld. Die Predigttexte wählte Schleiermacher frei, meist nur ein bis zwei Verse, oft auch aus dem Alten Testament, besonders dem Psalter.53 Die

50 Friedrich Schleiermacher: Predigten, Berlin 1801 (in den späteren Auflagen 1806 und 1816 als „Erste Sammlung“ gezählt), Widmung (ohne Seitenzählung) 51 Vgl. oben Anm. 6. 52 Vgl. oben Anm. 35. 53 Vom 7.9. bis 2. 11. 1800 etwa hielt Schleiermacher eine regelrechte Predigtreihe über Psalm 37, vgl. SN 53, pag. 63 – 79. Daß „der jüdische Codex“ kein Teil des christlichen Kanons sei (Kurze Darstellung des theologischen Studiums, 1. Aufl., Berlin 1810, S. 33, § 3, KGA I/6, S. 272) und „keine normale Darstellung eigenthümlich christlicher Glaubenssäze enthalte“ (Kurze Darstellung

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Entwürfe von 1800 und 1801 teilen auch mit, welches Lied zur Predigt gesungen wurde. Daraus geht hervor, daß im Invalidenhaus, der Dreifaltigkeitskirche und der Friedrichswerderschen Kirche das „Alte Gesangbuch“ in Gebrauch war, d. h. das orthodox-pietistische, bis ins 20. Jahrhundert beliebte Gesangbuch von Johann Porst, während an der Charité das „Neue Gesangbuch“ eingeführt war, das am Liedgut der Aufklärung orientierte und nie sehr populäre Myliussche Gesangbuch.54 Ein Beispiel für die Eigenart der Schleiermacherschen Predigten an der Charité: Am Sonntag Trinitatis 1797 predigte er über einen Vers aus dem altkirchlichen Evangelium dieses Tages, der Perikope von Jesus und Nikodemus. Auf Jesu Rede: „Ihr müßt von neuem geboren werden“, und Nikodemus’ Rückfrage, wie das geschehen solle, fragt Jesus: „Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht?“ ( Johannes 3,10) Über diese Frage Jesu macht Schleiermacher folgenden Predigtentwurf:55 „Eingang. Die Unwissenheit in mancherlei Kenntnißen um deretwillen Andere geschäzt werden ist uns nicht zuzurechnen, aber es giebt Kenntnisse, welche auch wir zu haben verpflichtet sind. Beides muß man unterscheiden Thema. Um welcher Unwissenheit willen verdient der Mensch Tadel und Vorwürfe? I Wenn er nicht weiß, was er in seinem Beruf zu wißen verbunden ist. 1. in der Gesellschaft a. die Geschäfte b. die Rechtsverhältnisse des theologischen Studiums, 2. Aufl., Berlin 1830, § 115, KGA I/6, S. 369), ist also nicht Schleiermacher einziges Wort über das Alte Testament. 54 Vgl. zu den Gesangbüchern Johann Friedrich Bachmann: Zur Geschichte der Berliner Gesangb cher, Berlin 1856, S. 164 – 186. 208 – 217. 231 – 260, bes. 215 – 217; Walter Wendland: „Die praktische Wirksamkeit Berliner Geistlicher im Zeitalter der Aufklärung (1740 – 1806)“, in: Jahrbuch f r Brandenburgische Kirchengeschichte 9 – 10, 1913, S. 320 – 376; 11 – 12, 1914, S. 233 – 303, hier 11 – 12, S. 280 – 286. – Ein interessantes Detail bieten die Aufzeichnungen zur Nachmittagspredigt am Invalidenhaus am 10. 8. 1800 über 1. Korinther 6,7 (Thema: Über das Verbot, nicht zu rechten): Schleiermacher hatte als Lied zunächst Nr. 787 aus dem Porstschen Gesangbuch ausgesucht („Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ von Christian Friedrich Richter), das aber in Nr. 809 abgeändert („Was willst du, armer Erdenkloß! so sehr mit Hoffart prangen“ von Johann Heermann) mit der Begründung „weil sie jenes nicht singen konnten“ (SN 53, pag. 57). 55 SN 52, pag. 31

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c. die besonderen Pflichten und dazu gehörigen Geschiklichkeiten 2. als Mensch a. was überhaupt recht und unrecht ist b. den Werth der verschiedenen Bestrebungen 3. als Christ a. was Gott von ihm fodert b. was er von Gott erwarten darf II Was er in seiner Lage Gelegenheit hatte zu lernen 1. allerlei Einsichten ohne Rüksicht auf unmittelbaren Nuzen a. weil sie an sich einen Werth haben b. weil man doch irgend Jemand damit nüzlich seyn kann 2. Kenntniße der Welt und der Menschen a. um zu wißen was gelingen kann, und was vergeblich ist b. um zu wißen wie man dies und jenes behandeln muß. 3. Beobachtungen über unser eignes Gemüth a. was wir vermeiden müßen um uns unsre Zufriedenheit zu erhalten b. was uns vorzüglich beruhigen kann bei diesem und jenem Schluß. Wenn wir dies alles erlernen und anwenden so sind wir so viel werth als die Gelehrtesten in ihrer Art, unser Verstand ist eben so ausgebildet, und wir können eben so sicher auf einen größern WirkungsKreis in der Ewigkeit rechnen.“ Statt der Wiedergeburt aus Wasser und Geist auf den Namen des Dreieinigen behandelt Schleiermacher also die Frage, was dem Menschen zu wissen nötig ist, um in der Welt den Willen Gottes erfüllen zu können und Trost zu finden. Es geht ihm um Hilfe zur Lebensbewältigung aus dem Geist der christlichen Religion, dem Geist der Geduld und Liebe, des Gottvertrauens und der Nachfolge Jesu.56 Daß Schleiermacher sich dabei nicht dazu hinreißen läßt, moralische Standpauken zu halten, mag ein weiteres Beispiel zeigen: Am Sonntag, dem 23. Februar 1800 hält er die vormittägliche Betstunde über Psalm 12,2: „Hilf Herr! die Heiligen haben abgenommen, und der Gläubigen ist wenig unter den Menschenkindern.“57 Dieser Vers hätte dem Pre56 Eine Predigt vom 27. 7. 1800 über Psalm 28,1 z. B. schließt mit einer „Ermahnung zur Nachfolge Jesu“ (SN 53, pag. 53). 57 SN 53, pag. 14 f.; Zimmer: Predigtentwürfe von Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1800 (Anm. 3), S. 20 f.

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diger ein willkommener Anlaß zu einer wahren Gardinenpredigt sein können: über die verbreitete religiöse Indifferenz, und wie aus ihr unfehlbar Liederlichkeit, geistige und sittliche Verwahrlosung, uneheliche Kinder und venerische Krankheiten, Trunksucht, Verarmung und sozialer Abstieg folgten; für all das seien ja sie, die Insassen der Charité, ein geradezu unerschöpfliches Bilderbuch. Schleiermacher aber konzipiert die Predigt anders. Als Lied hat er sich Nr. 239 aus dem Myliusschen Gesangbuch ausgesucht, ein Lied nach der Melodie „Wer nur den lieben Gott läßt walten“, in dem es u. a. heißt: „Mein Gott, du wohnest zwar im Lichte, dahin kein sterblich Auge dringt, doch giebst du uns zum Unterrichte dein Wort, das uns Erkenntniß bringt, was du, o Allerhöchster bist; was mit uns deine Absicht ist. […] Was hilft die richtige Erkenntniß, wenns nicht zu deiner Liebe treibt? was nützt ein aufgeklärt Verständniß, wenn doch das Herz noch böse bleibt? Drum hilf, daß ich der Wahrheit treu, und daß mein Glaube thätig sey.“

Schleiermacher führt nun aus, es sei keineswegs so, wie der Psalmist sage, daß die Zahl der Frommen immer kleiner werde. Denn erstens gäbe es dann inzwischen gar keine Frommen mehr, und zweitens vertrüge sich es auch nicht mit der göttlichen Weisheit, wenn die Heilsgeschichte fortschritte, aber die Gemeinde abnähme. Die Meinung des Psalmisten sei aber nicht nur falsch, sondern auch schädlich, denn sie dämpfe den Eifer für die gute Sache, nehme den Mut, mache träge und verführe zur Menschenverachtung. Wenn wir aber alles dem Herrn empfählen und anheimstellten und in der Menschenliebe nicht nachließen, dann könne diese falsche Meinung kaum aufkommen. Schleiermacher nimmt also den Klageruf des Psalmbeters zum Anlaß, den Mühseligen und Beladenen in der Charité einzuschärfen, daß sie sich – trotz allen widrigen Erfahrungen und irdischen Wechselfällen – nicht von dessen Stimmung anstecken lassen und sich nicht abbringen lassen sollen vom Tun ihrer Christenpflicht und vom Vertrauen auf die Güte und Weisheit des himmlichen Vaters.

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VI Die Krankenseelsorge – von Besuchen bei den Armen in den Vorstädten ist nichts bekannt – bestand nicht zuletzt in der Privatkommunion, also der Feier des Abendmahls am Krankenbett. In dem schon erwähnten Brief vom September 1799 regten Schleiermacher und Prahmer eine gerechtere und rationellere Aufteilung dieser Arbeit an:58 Statt daß wie bisher jeder seine Konfessionsgenossen betreue, deren es für den reformierten Prediger eben bedeutend weniger gebe, solle man sich lieber wöchentlich abwechseln mit dem Dienst auf den Stationen und sich auch die Gebühren für die Privatkommunion brüderlich teilen. Besonders diese Privatkommunionen könne man verbessern, um den Predigern die Arbeit zu erleichtern und Mißbräuchen zu steuern: Die Krankenwärter sollten nicht mehr auf eigene Initiative den Prediger dazu zu den Kranken rufen, sondern sie sollten am Vorabend die Kranken fragen, wer kommunizieren oder sonst den Prediger sprechen wollte, das dann dem Küster weitergeben, und dieser solle es dem diensthabenden Prediger sagen. Der könne dann am nächsten Vormittag, wenn auf der Station einigermaßen Ruhe herrsche, Abendmahl halten und dabei auch für die anderen Kranken auf der Station eine kleine Ansprache halten. Bei den Mißbräuchen handelt es sich offenbar um Vorstellungen, wonach das Abendmahl eine Art zauberkräftige Arznei sei, die die Sterbenskranken alsbald entweder heile oder zum Tode befördere;59 durch mehr Ordnung in der Sakramentsverwaltung und eine angemessene Belehrung hofften die Prediger derlei abergläubischen Vorstellungen und Praktiken entgegenzuwirken. Schließlich aber, wenn sich die Prediger wöchentlich abwechselten und jeder auch mit den Genossen der jeweils anderen Konfession das Abendmahl halte, dann sei für die private Kommunion – nicht für die vierteljährliche allgemeine Abendmahlsfeier – ein beiden Konfessionen gemeinsames Formular wünschenswert. Das Armendirektorium möge sich also bei den geistlichen Behörden dafür verwenden, daß den beiden Predigern erlaubt werde, zusammen eine solche gemeinsame Liturgie auszuarbeiten.

58 Brief 686 (KGA V/3, S. 172 – 174) 59 Vgl. dazu Oskar Rühle: Art. „Abendmahl“, in: Handwçrterbuch des deutschen Aberglaubens 1, Berlin und Leipzig 1927, S. 42 – 55.

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Das Armendirektorium60 prüfte Schleiermachers und Prahmers Reformvorschläge nicht ohne Wohlwollen und akzeptierte die Aufteilung des Dienstes nach Wochen; daß Schleiermacher seinem Amtsbruder freiwillig Arbeit abnehmen wolle, gereiche ihm zur Ehre. Der von den Predigern vorgeschlagene Geschäftsgang von den Kranken über die Aufwärter und den Küster zum Prediger schien dem Armendirektorium zu umständlich. Auch sei es zwar gut, wenn sich die Kranken schon am Vorabend zum Abendmahl anmeldeten, auch um sich auf die Kommunion vorbereiten zu können; doch sollten die Prediger bereit sein, auf Verlangen auch sofort zu den Kranken zu kommen und ihnen das Sakrament zu reichen. Eine gemeinsame Liturgie für die Privatkommunion hielt das Armendirektorium für überflüssig; es reiche aus, wenn der Prediger der Liturgie seiner Konfession folge, und die Gebete und Vermahnungen werde er sowieso für jeden Kranken indiviudell gestalten. Den Vorschlag zur Teilung der Seelsorge nach Dienstwochen statt nach Konfessionen und zu einem gemeinsamen Ritus für das Krankenabendmahl kann man als ein kleines Vorspiel der preußischen Union ansehen. Schon 1804 erwähnte Schleiermacher in seinen „unvorgreiflichen Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens“ die zukunftsweisende Regelung, die man 1799 an der Charité getroffen hatte,61 und auch später hat er die lutherisch-reformierte Union nie anders angesehen denn als eine praktische Vereinfachung des Kirchenregiments und der Parochialstruktur und als Teil eines unaufhaltsamen Prozesses.62 Das Armendirektorium lehnte den gemeinsamen Ritus ebenfalls nicht aus grundsätzlichen Bedenken ab, schließlich hatte

60 Brief 735 (KGA V/3, S. 266 – 269); vgl. auch schon die Randbemerkungen Johann Friedrich Zöllners zum Brief der Prediger (KGA V/3, S. 169 f. Fußtext). 61 Zwei unvorgreifliche Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens zunächst in Beziehung auf den preußischen Staat, Berlin 1804, S. 72 f. (KGA I/ 4, S. 403 f.) 62 Vgl. z. B. die Vorlesung zur kirchlichen Statistik 1827, 62.–63. Stunde (KGA II/16, S. 419 – 425). Zur Geschichte der Union zählt er hier u. a. die Bestimmung des Allgemeinen Landrechts, daß beide Konfessionen einander zum Sakrament zulassen sollten, ohne eine solche Teilnahme als Übertritt anzusehen, die gemeinsame Verwaltung der evangelischen Kirchen im Rheinland in der Franzosenzeit und die Vorarbeiten zu einer allgemeinen protestantischen Synodalverfassung in Preußen.

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es die Prediger ja zu brüderlicher Eintracht verpflichtet und jede Polemik verboten,63 sondern weil es ihn für überflüssig hielt. Ein gutes Jahr danach, im Januar 1801, kam es zu einem schweren Konflikt um die Seelsorge: Der fast 70jährige Arzt Johann Friedrich Fritze schrieb in Briefen an Schleiermacher und an das Armendirektorium, einer Kranken sei von Schleiermacher der geistliche Zuspruch und das heilige Abendmahl verweigert worden. Schleiermacher und Klaproth, der Prahmer inzwischen nachgefolgt war, forderten das Armendirektorium auf, Fritze sein anmaßendes Betragen zu verweisen,64 doch das Armendirektorium gab Fritze recht: Schleiermacher habe sich unerlaubt von seinem Dienst entfernt, er hätte wenigstens Klaproth Bescheid geben müssen, und Klaproth, der zwar nicht seine Dienstwoche hatte, aber sich offenbar in seiner Wohnung in der Charité aufhielt, hätte auch ohne das Kranke besuchen müssen, die sich an ihn gewandt hätten.65 Schleiermacher antwortete darauf mit einer umfangreichen Richtigstellung und Rechtfertigung seines Verhaltens: Er habe sich genau an die vernünftige Dienstanweisung von 1799 gehalten. Die Kranke habe ja weder ihn noch Klaproth gerufen, sondern eine Aufwärterin habe sich abends beim Küster gemeldet, er selbst habe abends keine Anwesenheitspflicht, und am nächsten Tag habe er erst Zeit gehabt, als schon das Mittagessen aufgetragen wurde und es auf der Station zu unruhig für eine Sakramentsfeier gewesen sei. Vor allem aber sei das Verlangen nach dem Abendmahl für eine Sterbende, die nicht mehr in der Lage sei, auf den Zuspruch des Predigers zu hören, doch gerade der Aberglaube, den er mit Wort und Tat immer bekämpft habe, und zwar, wie er immer gemeint habe, im Einvernehmen mit dem Armendirektorium. Denn das Abendmahl an sich helfe weder zur Genesung des Leibes noch zur Seligkeit. Leider sei es unter den Lutheranern recht verbreitet, immer nur das Sakrament zu verlangen und auf Zuspruch und Belehrung durch den Prediger gar nicht viel zu geben.66 Schon am Tag nach Fritzes unfreundlichem Brief hatte Schleiermacher eine Betstunde bei den „inneren Männern“ ganz diesem Thema gewidmet und dargelegt, warum es richtig sei, daß in der Charité die Krankenkommunion erst einen Tag nach der Anmeldung gehalten werde: Habe ein Kranker gerade erfahren, daß es schlimm um 63 64 65 66

Vgl. oben Anm. 6. Brief 1011 (KGA V/5, S. 12 f.) Brief 1012 (KGA V/5, S. 14 f.) Brief 1018 (KGA V/5, S. 38 – 44)

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ihn stehe, dann denke er vor allem an seinen Körper und sei in gar keiner andächtigen Stimmung, und sei er schon im Sterben, so gebe es unter den Anwesenden erst recht keine Andacht, alle seien vielmehr in Trübsinn oder gar in Gedanken des Aberglaubens befangen.67 Das Armendirektorium wandte sich nun an das reformierte Kirchendirektorium und bat es, auf Schleiermacher einzuwirken, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß Schleiermacher ohnehin schon oft durch unzufriedenes Betragen aufgefallen sei. Das Kirchendirektorium stellte sich allerdings hinter Schleiermacher, und so ließ man die Sache für dieses Mal auf sich beruhen.68 Schleiermacher war es darum zu tun, falschen Vorstellungen und Mißbräuchen zu wehren und seiner Gemeinde zu besseren Begriffen vom Sinn und Zweck des Sakraments zu helfen. Doch aus ihm spricht nicht nur der aufgeklärte Feind des Aberglaubens, sondern auch der reformierte Theologe, der bestreitet, daß das Geistige an das Leibliche gebunden oder von ihm abhängig sei. Wird im Luthertum das Sakrament neben das gepredigte Wort gestellt als eigene, mit anderen Sinnen erfahrbare Form des Evangeliums, so ordnet Schleiermacher es dem Wort unter und kennt keine direkte Wirkung des Sakraments, sondern nur eine durch das gesprochene Wort vermittelte auf die, die dem Wort zugänglich sind. Das Armendirektorium forderte Schleiermacher und Klaproth im Februar 1802 auf, auch die Irrenstation der Charité fleißig zu besuchen: Bisher hätten die Prediger das kaum getan und so „an dem psychologischen Theil der Kur dieser unglücklichen Kranken wenig Antheil genommen“. Viele der Gemütskranken würden von religiösen Wahnvorstellungen geängstigt, und bei anderen sei die Religion das beste Mittel, ihren Geist zu beruhigen, so daß die Prediger gerade hier auch medizinisch nützlich sein könnten. Auch sollten sie – in Rücksprache und Zusammenarbeit mit den beiden zuständigen Ärzten – prüfen, wer von den Gemütskranken einer geistlichen Einzelbetreuung bedürfe, wen man zum öffentlichen Gottesdienst der Charité zulassen könne und für wen – wegen zu befürchtender Störungen des Gottesdienstes – lieber auf der Station eigene Betstunden gehalten werden müßten.69 Diese Aufforderung war Teil eines größer angelegten Pro67 Betstunde am 13. 1. 1801 (SN 53, pag. 95) 68 KGA V/5, S. 38 f. Fußtext 69 Brief 1159 (KGA V/5, S. 323 f.). – Das alte Irrenhaus an der Krausestraße (zwischen Charlotten- und Friedrichstraße) war Anfang September 1798 ab-

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gramms, das darauf abzielte, zugleich mit dem Umbau des Nordflügels und des ehemaligen Speise- und Kirchsaals auch die Versorgung der Kranken zu verbessern.70 Ob der Vorschlag, Betstunden bei den Irren zu halten, noch in die Tat umgesetzt worden ist, wissen wir nicht. 1799 hatten es Schleiermacher und Prahmer in ihren Reformvorschlägen jedenfalls nicht für zweckmäßig gehalten, bei den Irren Betstunden zu halten, und sich auch über einen Beitrag der Prediger zu ihrer Besserung eher skeptisch geäußert.71

VII So oder so, Schleiermachers Zeit an der Charité neigte sich dem Ende zu. Am 15. März 1802 teilte Schleiermacher dem Armendirektorium seine Berufung zum reformierten Hofprediger nach Stolp in Hinterpommern mit.72 Am 21. Mai lud er die Mitglieder des Armendirekotriums zu seiner Abschiedspredigt ein. Er dankte „mit gerührtem Herzen“ für das in seiner sechsjährigen Amtszeit genossene Wohlwolgebrannt; die Insassen wurden an die Charité verlegt. 1802 befand sich ihre Station im Nordflügel; ein eigenes Irrenhaus wurde erst in den 1820er Jahren errichtet, vgl. Nicolai: Beschreibung (Anm. 4), S. 188. 634 – 636; Scheibe: Zweihundert Jahre (Anm. 4), S. 68 f.; Wirth/Luther/Großer: Zur Topographie (Anm. 4), S. 7. 70 Vgl. Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv, Charité 1778, fol. 126 – 129 (13.–22. 12. 1800). 138 – 154 (27.1.–27.2. und 14. 12. 1802). Der Brief an Schleiermacher und Klaproth findet sich fast wörtlich in einem Brief des Armendirektoriums an den Minister Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert vom 27. 1. 1802, in dem dieser über die Ergebnisse einer Konferenz mit den Ärzten über die Abänderung bisheriger Mißbräuche unterrichtet wird: „Müssen die Prediger des Hauses sich dieser Station [für Irre und Gemütskranke] mehr annehmen, an dem psychologischen Theil der Cur selbst Antheil nehmen und dem Kranken wo es nöthig ist, ihren geistlichen Zuspruch nicht versagen. Viele Kranken werden von religioesen Vorurtheilen geängstiget, der vernünftige Geistliche kan hier das beste thun, ja selbst die Ursache der GemüthsKrankheit heben. Bei andern ist die Religion das beste Mittel sie zu beruhigen, auf ihren Geist zu würken, und ihn auf den rechten Weg zurückzuführen. Es wird daher auch nöthig, daß entweder besondere Betstunden für diese Classe der Unglücklichen gehalten, oder sie nach näherer Bestimmung an dem Sonttaglichen Gottesdienst förmlichen Antheil nehmen, wovon sie bishero ganz ausgeschlossen gewesen.“ (Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv, Charité 1778, fol. 138 – 147, hier 145 f.) 71 Brief 686 (KGA V/3, S. 174) 72 Brief 1180 (KGA V/5, S. 345 f.)

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len,73 und das Armendirektorium äußerte seine Anerkennung über das von Schleiermacher „gestiftete viele Gute“ und entließ ihn mit Segenswünschen.74 Am Himmelfahrtstag, dem 27. Mai 1802, hielt Schleiermacher den Abschiedsgottesdienst.75 Blicken wir zurück, so sieht es fast so aus, als hätte es zwei Schleiermacher gegeben, die nebeneinander herlebten: einen frühromantischen Schriftsteller und einen Krankenhauspfarrer. Sicher war es seinerzeit gang und gäbe, daß sich ein Pfarrer neben dem Amt z. B. literarisch oder wissenschaftlich betätigte; doch in Schleiermachers erster Berliner Zeit scheint beides nahezu unverbunden zu sein. Im geselligen Verkehr, im geistigen Austausch, überhaupt in der nichtamtlichen Korrespondenz spielt der Krankenhauspfarrer fast gar keine Rolle; dieser wiederum läßt sich wenig anmerken von seinen schöngeistigen Beschäftigungen, und sein Arbeitgeber scheint auch herzlich wenig daran interessiert zu sein.76 Der Prediger und Seelsorger am Krankenhaus bewegt sich im konventionellen Rahmen einer milden Aufklärungstheologie. Der ihm anvertrauten Herde, die, was Rang und Bildung betrifft, zum unteren Rand der Gesellschaft gehört, legt er wohldisponiert, aber mit möglichst schlichten Worten dar, welche Pflichten sie als Menschen und Christen hätten und welcher Trost ihnen bereitet sei: Die wahre Glückseligkeit liege nicht in irdischen Gütern und irdischer Größe, sondern darin, sich an der himmlischen Berufung und der auf ihr liegenden Verheißung auszurichten, und dazu sei niemand zu gering. Gegen Mißstände und Aberglauben kämpft er unerschrocken mit der Macht des Wortes und im Vertrauen auf die Kraft der besseren Einsicht. Der Romantiker, fruchtbar als Schriftsteller und als Übersetzer, beteiligt an zahlreichen literarischen Projekten, ein Genie der Geselligkeit, verkündet in seinen „Reden an die Gebildeten unter den Verächtern“ der Religion, daß die Religion kein Mittel zu intellektuellen oder moralischen Zwecken außerhalb ihrer selbst sei, sondern etwas eigenes, die Anschauung und das Ergriffenwerden vom unendlichen und unendlich vielfältigen, romantisch-chaotischen Universum.

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Brief 1235 (KGA V/5, S. 428 – 430) Brief 1238 (KGA V/5, S. 432) Brief 1244 (KGA V/5, S. 437) Vgl. Nowak: Schleiermacher als Prediger (Anm. 1), S. 402. 409 f.

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Die Diskrepanz in Form und Inhalt zwischen den „Reden“ „Über die Religion“ und den Predigten77 ist von Schleiermacher durchaus gewollt, erklärt er doch schon zu Beginn der „Reden“, er spreche so, daß man ihm den Pfarrer nicht anmerke.78 Während aber wir eher bedauern, daß der Prediger mit dem genialen Wurf der „Reden“ nicht Schritt hielt, meinte der Hofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack, Schleiermachers väterlicher Freund, daß Schleiermacher sich durch die „Reden“ als Pantheist und Spinozist entlarvt habe; seine Predigten seien allerdings untadelig, aber sie seien vielleicht nur eine Herablassung zum Glauben des Pöbels, und eigentlich denke Schleiermacher über Gott und die Welt ganz anders.79 Fragen wir nun, für welche Seite dieser Doppelexistenz Schleiermachers Herz mehr schlug, so wird es wohl die romantisch-literarische gewesen sein. Eine ihm von Sack angetragene Stelle als reformierter Prediger in Schwedt an der Oder schlug Schleiermacher im Sommer 77 Vgl. Christoph Meier-Dörken: Die Theologie der fr hen Predigten Schleiermachers, Berlin und New York 1988 (Theologische Bibliothek Töpelmann 45), S. 177 f. und passim; Nowak: Schleiermacher (Anm. 1), S. 391 f. Meier-Dörkens Studie zu Schleiermachers frühen Predigten geht freilich auf die ( ja nur als Aufriß erhaltenen und großenteils noch ungedruckten) Charité-Predigten kaum ein. Er konstatiert „,Individualität‘ als Kernbegriff des romantischen Gehaltes der Predigten“ (S. 243 und passim); doch davon ist in den Predigten an der Charité wenig zu finden. – An das Thema der Reden ber die Religion, daß Religion weder Metaphysik noch Moral sei, erinnert eine Wochenpredigt vom 22. 9. 1797 über Lukas 7,50 („Er aber sprach zu dem Weibe: Dein Glaube hat dir geholfen, geh hin in Frieden“), doch läuft es auch hier auf etwas anderes hinaus: „Thema Was unser Erlöser voraussezt zur Vergebung der Sünden. 1. Es war nicht die äußere Handlung, hätte sie darauf einen Werth gelegt so wäre sie in den Tempel gegangen. 2. Es war nicht der spekulative Glaube, sonst hätte unser Erlöser sie nach dem Spruch beurtheilt Nicht alle die zu mir sagen [Herr, Herr! werden in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel, Matthäus 7,21]. 3. Sie glaubt an seine Lehre und verstand ihren Geist, a. bei ihr kanns leicht bloß an der Erkenntniß gelegen haben, b. bei uns muß es am Willen liegen.“ (SN 52, pag. 43) 78 ber die Religion, Berlin 1799, S. 4 f. (KGA I/2, S. 190 f.) 79 Brief 1005 (KGA V/5, S. 3 – 7). – Kurt Nowak machte darauf aufmerksam, daß die „Reden“ das Milieu der Charité doch nicht ganz verleugnen könnten, kämen in ihnen doch zahlreiche Begriffe der medizinischen Fachsprache vor wie „Asphyxie“ und „sthenischer Tod“ und überhaupt die hypothetische Beschreibung der Religion als ansteckende Gemütskrankheit zu Beginn der vierten Rede. Vgl. ders.: Schleiermacher als Prediger (Anm. 1), S. 406 – 408; Schleiermacher: Über die Religion (Anm. 78), S. 103 f. 160. 174 f. (KGA I/2, S. 234. 259. 266).

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1798 aus, und zwar, wie er seiner Schwester Charlotte schrieb, weil damit nicht nur seine freundschaftlichen Verbindungen in Berlin auf dem Spiel stünden, sondern sein ganzes literarisches Bestreben.80 Eine Stelle wie die an der Charité, schlecht bezahlt und nur für Junggsellen, wäre allerdings auch für keinen anderen der Grund dafür gewesen, in Berlin alt zu werden. Andererseits weist Schleiermacher gegenüber Sack nicht nur den Vorwurf zurück, Spinozist zu sein, sondern schreibt auch, wie wert und edel ihm der Beruf des Predigers sei,81 andererseits schreibt er der Schwester im Juni 1800, wie ihn die Amtsgeschäfte bis an den Rand seiner Kräfte beanspruchten.82 Daß also Schleiermacher in seiner ersten Berliner Zeit nicht nur Schriftsteller im Kreise der Romantiker war, sondern auch mit Hingabe und Liebe Prediger und Seelsorger, daran ist nicht zu zweifeln.

Zeittafel 1710

Die Charité wird vor den Toren Berlins als Pesthaus gegründet. 1726 Einrichtung einer lutherischen Predigerstelle an der Charité 1737 Stiftung einer reformierten Predigerstelle an der Charité 1785 – 1794 Bau der neuen Seitenflügel 28. 12. 1795 Das reformierte Kirchendirektorium schlägt Friedrich Schleiermacher als Prediger an der Charité vor. 18. 9. 1796 Schleiermachers Antrittspredigt in der Charité 1. 5. 1797 Umzug Schleiermachers vor das Oranienburger Tor 1797 – 1800 Abriß des alten Karrees und Bau des Corps de logis Dezember 1797– Wohngemeinschaft Schleiermachers mit Friedrich Mai 1799 Schlegel 1798 Kontroverse über Johann Daniel Falks satirische Kritik an den Zuständen in der Charité Juli 1798 Schleiermacher schlägt eine Stelle als Hofprediger in Schwedt aus. Februar–Mai 1799 Predigtvertretung Schleiermachers in Potsdam 80 Brief 530 (KGA V/2, S. 419) 81 Brief 1065 (KGA V/5, S. 130 – 132) 82 Brief 862 (KGA V/4, S. 27 f.)

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Juli 1799 2. 9. 1799 Oktober 1799 August 1800 August–Oktober 1800 10. 10. 1800 30. 11. 1800 Januar 1801 April 1801 17. 2. 1802 15. 3. 1802 27. 5. 1802

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Die „Reden“ „Über die Religion“ erscheinen. Reformvorschläge Schleiermachers und seines lutherischen Amtsbruders Wilhelm Prahmer an das Armendirektorium über die Aufgaben der Prediger Auflösung des Hospitals (Armen- und Altersheim) in der Charité Heinrich Wilhelm Ferdinand Klaproth wird Nachfolger Prahmers als lutherischer Prediger an der Charité. Brieflicher Streit Schleiermachers mit dem Armendirektorium über die neue Predigerwohnung Umzug Schleiermachers in die neue Predigerwohnung im Corps de logis Einweihung der neuen Charitékirche im Corps de logis Konflikt mit dem Arzt Johann Friedrich Fritze und dem Armendirektorium über die Kommunion am Krankenbett Schleiermachers erste Predigtsammlung erscheint; sie enthält keine an der Charité gehaltene Predigt. Das Armendirektorium fordert Schleiermacher und Klaproth auf, das Irrenhaus zu besuchen. Schleiermacher meldet dem Armendirektorium seine Berufung nach Stolp. Schleiermachers Abschiedspredigt an der Charité

Liebe, Freundschaft, Faublastät – der frühe Schleiermacher und die Frauen Wolfgang Virmond Persönliches Zu Schleiermachers persönlichen Beziehungen zu Frauen lassen sich nur einige vorläufige Beobachtungen anbieten, denn die Quellen fehlen größtenteils und die Forschungsliteratur ist ganz unbefriedigend. Die neue kritische Ausgabe der Briefe war sehr bemüht, die Brieftexte möglichst zu korrigieren, zu ergänzen, sie um neue Briefe zu bereichern, die Sachverhalte zu ermitteln und sorgfältig zu erläutern und der Forschung alles zur Verfügung zu stellen, was nur menschenmöglich ist. Dabei haben sich nicht etwa nur kleine, unbedeutende Veränderungen ergeben, sondern mitunter entstand ein völlig neues Bild. – Vor über 20 Jahren (1985) ist der erste Briefband erschienen, und große Popularität konnte er nicht gewinnen – doch selbst die einschlägige Forschung hat bislang wenig Interesse daran, und es möchte scheinen, als habe kaum jemand auch nur diesen ersten Band studiert. Bald nach 1985 haben Frauen sich des Themas angenommen, und zwar zunächst in Amerika. Die wichtigste dieser Studien ist: ,The Role of Women in the Life and Thought of the early Schleiermacher (1768 – 1806). An Historical Overview‘ von Ruth D. Richardson (Lewiston: Mellen 1991). Die Schwächen dieses grundlegenden und einflußreichen Buchs lassen sich zunächst an einem Detail demonstrieren. Im Juli 1792 war Schleiermacher – damals Hauslehrer in Schlobitten – zur Hochzeit seines Studienfreundes Friedrich Duisburg nach Danzig eingeladen und verliebte sich bei dieser Gelegenheit in die Schwester der Braut; im folgenden September äußerte er Heiratsabsichten, doch die Ersehnte entschied sich anders. Durch glückliche Umstände ließ sich aus den Danziger Kirchenbüchern nachweisen, daß es sich um Sara Agatha Bestvater handelte, die zunächst für mehrere Jahre einen Konkurrenten namens ,Karl‘ vorzog und schließlich gegen Ende 1800 den Kaufmann

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Jacob Kraske heiratete und Anfang 1801 ihr erstes Kind (eine Tochter) gebar. Schleiermacher war 24 Jahre alt, ein gutes Heiratsalter, aber ein armer Hauslehrer ohne Versorgung war ein bloßes Nichts, einen solchen heiratete man nicht; insofern ist an der kleinen Geschichte nichts besonderes. Irritierend ist aber, daß diese Sara oder Sarchen, immerhin die erste Liebe Schleiermachers, von der wir wissen,1 in der Literatur keine Erwähnung findet, obwohl ja die Forschungsergebnisse im ersten Briefband von 1985 (besonders in der Einleitung) publiziert sind. Richardson hat offenbar in ihrem bereits fertigen Buch lediglich den Nachweis der bereits vorhandenen Zitate auf den neuen Briefband der KGA umgestellt, ohne diesen oder doch wenigstens die Einleitung wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Da auch Hartlieb (2006; siehe unten) das Quellenstudium verabsäumt und lediglich Richardson referiert hat, ist es mir eine Freude, Schleiermachers erste Liebe noch einmal bekannt zu machen. Nun könnte man annehmen, die Sara-Geschichte sei eine bloße Einzelheit, die am Gesamtbild nichts ändere. Tatsächlich aber wird dieses Gesamtbild, wie Richardson es bietet, völlig neu gezeichnet und vom Kopf auf die Füße gestellt. Man kann nämlich diese Heiratsabsicht Schleiermachers zusammen sehen mit einer zweiten Affäre, die er später (1808) seiner Braut Henriette brieflich beichtet und die wohl auch in die Hauslehrerzeit der frühen 90er Jahre fällt: in Königsberg habe er sich seinerzeit „ein wenig verliebt“, und zwar „in ein gar niedliches Mädchen“ mit Namen Ida von Auerswald und ihr „recht ordentlich die Cour gemacht“, freilich ohne daß es zu einem Kuß gekommen sei. Sie war eine Freundin der Töchter Johann Christoph Wedekes, und wenn die Andeutungen auf einen weiteren Heiratsantrag hinweisen, so können wir sagen, daß Schleiermacher sich nach Abschluß seines Studiums im Alter von ca. 25 Jahren offenbar heiratsfähig fühlte und sein Auge auf ,normale‘ Mädchen warf; die Ida etwa hat „ein pikantes Gesicht, ein einnehmendes freies offnes, dabei gar bescheidenes Wesen, singt sehr niedlich zur Guitarre und ist einzig und hat eine sehr schöne kleine Hand“ (Brautbriefe 151). Zur gleichen Zeit war Schleiermacher fasziniert von den Gräfinnen im Hause Dohna, von der Hausfrau und mehr noch von den Töchtern, 1

Noch früheres aus Schleiermachers Schul-, Studien- und Examenszeit mag im Briefwechsel mit den Eltern angedeutet gewesen sein, den jedoch seine Witwe vernichtet hat.

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ganz besonders aber bewunderte er die (kränkelnde) Comtesse Friederike. Daraus folgert Richardson nun, er habe insgeheim diese Friederike heiraten wollen: „it appears that Schleiermacher would have liked to marry Friederike“ (48) – ein völlig abwegiger Gedanke. In solchem Licht nun erscheint jene Ida von Auerswald als eine freche Konkurrentin, denn die Bewunderung für Friederike „did not deter him from courting someone else“. Ja es kommt noch schlimmer: die Affäre mit Ida habe sich nicht weiter entwickelt, weil diese (im Vergleich mit der herrlichen Friederike) doch allzu schlicht und gewöhnlich gewesen sei: „it is no wonder that the relationship came to nothing“ (49). – Man muß sagen: Umgekehrt wird ein Schuh draus: nur einfache Mädchen wie die Ida kommen für Schleiermacher zur Heirat in Frage; daneben pflegt er Beziehungen völlig anderer Art zu herausragenden Frauen. – Derlei Fehlurteile und Schiefheiten in Richardsons materialreichem Buch geben Anlaß zu einer sehr vorsichtigen und kritischen Lektüre. Weitere Darstellungen sind folgende: Padilla, Katherine Mary: The Embodiment of the Absolute: Theories of the Feminine in the Works of Schleiermacher, Schlegel and Novalis. Phil. Diss. (Germanistik) Princeton 1988 [die Autorin publiziert seitdem unter ihrem Mädchennamen Faull]. – Das ungedruckte Buch hat einen unglücklichen Titel; besser ist der ursprünglich geplante Titel ,The Woman as Mediator of Religious Consciousness in Early German Romanticism‘, kurz gesagt: Frau & Religion in der Romantik. Diese kluge Arbeit wird in der späteren Literatur zwar genannt, aber nirgends diskutiert; nicht alle ihre Thesen sind überzeugend; für die (wünschenswerte) Drucklegung wäre eine gründliche Revision erforderlich. Schleiermacher and Feminism. Sources, Evaluations, and Responses. Ed. Iain G. Nichol. Lewiston: Mellen 1992 (enthält überwiegend Beiträge von Frauen, insbesondere von Richardson, Padilla und Guenther-Gleason) Guenther-Gleason, Patricia E.: On Schleiermacher and Gender Politics. Harrisburg, PA: Trinity Press 1997 (Harvard Theological Studies, 43) [zuvor theol. Diss., Harvard 1994]. – Das Buch ist zur Hauptsache ein hervorragend geschriebener Vergleich von Schleiermachers und Schillers Geschlechterkonzeption. Hartlieb, Elisabeth: Geschlechterdifferenz im Denken Friedrich Schleiermachers. Berlin: de Gruyter 2006 [zuvor theol. Habil. Marburg 2004]. Dieser vielversprechende Titel ist im ersten Teil (zum frühen Schleiermacher) ganz unselbständig und referiert, zitiert und paraphra-

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siert offenbar nur die Sekundärliteratur, insbesondere Richardson – einschließlich der vorkommenden Mängel. Ein zweiter Teil ist dem späteren Schleiermacher und der ,Feminisierung‘ der Theologie gewidmet. Insgesamt kann man sagen, daß das Thema in den Händen der Frauen nicht besser aufgehoben ist als in denen der Männer, und es scheint, daß nur in Kooperation der Geschlechter das heikle Thema angemessen dargestellt werden könnte. Dieser unbefriedigende Forschungsstand wird noch übertroffen von der desolaten Quellenlage. Schleiermacher selbst hat die erhaltenen Briefe sehr sorgfältig archiviert und auch seine eignen Briefe an die Eltern oder an die Schwester nach deren Tod zurück erhalten und in die Sammlung integriert. Doch nach Schleiermachers Tod hat die Witwe im Verein mit ihren Kindern Ehrenfried und Hildegard dieses Briefarchiv systematisch gereinigt, d. h. alle Briefe von irgendwie verdächtigen Frauen wurden vernichtet: besonders die der verheirateten Cousine Beneke in Landsberg, von der sich bis heute weder der Vorname noch der Mädchenname ermitteln ließ; die von Eleonore Grunow; die von Henriette Herz; Schleiermachers eigne Briefe wurden womöglich von den Empfängerinnen zurückgefordert und verbrannt oder aber von diesen selbst vernichtet (wie bei H. Herz). Der besonders vertraute Briefwechsel mit der Schwester wurde genauer geprüft und nur teilweise vernichtet, die Briefe sind darum noch teils vollständig, teils fragmentarisch in einzelnen Blättern erhalten. Besonders schwer wiegt, daß auch der Briefwechsel mit den Eltern, also gewiß das wertvollste Paket, vernichtet wurde, und es ist völlig unbekannt, welche pubertären Probleme oder dgl. wohl darin erörtert worden sein mögen. Immerhin gibt es Reste: einzelne Briefe in fremdem Besitz; die seinerzeit gedruckten, freilich zensierten Auszüge; einzelne übersehene Sätze in den Briefen an die Schwester; manche Stellen im glücklicherweise erhaltenen Druckmanuskript der Briefausgabe (,Aus Schleiermachers Leben‘), die kurz vor dem Druck noch getilgt wurden, aber in mühseliger Detektivarbeit für den Druck in der KGA entziffert werden konnten. Es gibt sogar unpublizierte Nachforschungen Diltheys (in seinem Nachlaß im Archiv der BBAW). Insgesamt freilich ein kümmerlicher Rest. Es kann hier nicht um ein Panorama von Schleiermachers Frauenbekanntschaften gehen, so notwendig dies wäre, um all die abenteuerlichen Gerüchte und Fehldeutungen, die allenthalben umherschwirren, richtig zu stellen. Als vorläufige Richtschnur mag folgendes

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dienen: Schleiermacher war sehr interessiert an Mädchen und Frauen, gleichviel ob ledig, verheiratet oder geschieden, aber nicht immer war dieses Interesse ein erotisches oder zielte gar auf Heirat. Die ihn erotisch anziehenden Frauen waren nicht von herausragender Art (wie etwa die berühmten Dorothea Mendelssohn, Caroline Böhmer, Rahel Levin oder Bettina Brentano), sondern eher einfacher Natur; dies gilt auch für Eleonore Grunow und noch für Henriette Willich, die dann für ein Vierteljahrhundert seine Frau war, sich so brüsk von ihm abwandte und die er doch unerklärlicherweise dauerhaft liebte.2 Schleiermachers libidinöser Haushalt war also sehr einfach: es war jeweils immer nur eine, die er liebte und um die er warb, mochte diese Werbung nun wenige Tage, mehrere Monate oder viele Jahre dauern. Zur Zeit der Charité, in Stolp und noch in Halle, insgesamt ein Jahrsiebt lang, war dies Eleonore Krüger, verheiratete Grunow, auch Leonore genannt. Deren Ehemann, August Christian Wilhelm Grunow, war ein lutherischer Amtsbruder Schleiermachers (nicht in der Charité, sondern in der zweiten Dienststelle, im Invalidenhaus), mit dem er selbstverständlich oft zu tun hatte und bei dem er offenbar auch eingeladen wurde. Die Liebe zu Frau Grunow begann wohl noch im Jahre 1798; eine Art Heiratsantrag folgte offenbar im nächsten Jahr. Was Schleiermacher an Eleonore eigentlich fand, wissen wir nicht so recht; ihre Briefe sind vernichtet und die gedruckten Auszüge lassen sich darum nicht überprüfen; immerhin gewinnt man den Eindruck, daß sie ihr Gefühl und ihr Urteil auch im Umgang mit Literatur derart kultiviert hatte, daß Schleiermacher die Briefe, die sie ihm über Schlegels Lucinde schrieb, nach eigner Aussage irgendwie in seine Verteidigung der Lucinde integrieren konnte, ohne daß wir freilich eine Möglichkeit zur Nachprüfung hätten. Gewiß war sie nicht nur eine anziehende Frau, sondern konnte zugleich als kultivierte Freundin gelten. Sehr bald kam Schleiermacher aufgrund von Berichten und eignen Beobachtungen zu der Auffassung, der Mann quäle und mißhandle seine Frau und sei über2

Wenig glaubhaft ist Bettina von Arnims Bericht im September 1820 an ihren Mann: „Vorgestern war ich bei Schleiermacher, seine Frau ging einen Augenblick hinaus, da wollte er mich küssen, welches ich aber sehr geschickt und kaltblütig ausparierte, der Sappermenter; ich versicherte ihm auch ganz ruhig, daß ich nie gern geküßt habe, und wenn ich den Leuten sonst noch so gut wär, könne ich bei solcher Gelegenheit dem Ekel nicht widerstehen. Ich hab mich doch sehr geändert, sonst hätt ich ihm wahrscheinlich eine Rippe eingetreten.“ (Achim und Bettina in ihren Briefen, hg. Vordtriede, Frankfurt am Main 1961, Bd. 1, S. 214 f.)

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haupt ein rechter Kotzbrocken, dessen Ehe mithin zu Unrecht bestehe und aufgelöst werden solle und müsse. Grundsätzlich war auch Eleonore dieser Auffassung und wollte die Trennung, aber jedesmal, wenn ein Zimmer oder eine Wohnung für ihren Auszug schon gemietet und eingerichtet war und die Kutsche vor der Tür der Grunowschen Wohnung hielt, machte sie einen Rückzieher, teils aus religiösen Bedenken, teils aus Mitleid mit Grunow. Schleiermacher war dann freilich verzweifelt, wie wir aus dem Briefwechsel mit Freunden wissen, gab aber die Hoffnung nicht auf, und so ging die Geschichte immer weiter von 1798 bis ins Jahr 1805, als sie sich entschloß, nun wirklich und endgültig bei ihrem ungehobelten Mann zu bleiben. Die Schlußzene ist sehr dramatisch; Schleiermacher befand sich ja als Professor in Halle; am 18. Oktober erfuhr er von den Berliner Ereignissen und schrieb sofort an Willichs: „Eleonore ist plözlich, unmittelbar vor der Bekanntmachung des TrennungsUrtheils von ihren alten Zweifeln und GewissensScrupeln überfallen worden, ist sogleich zu Grunow zurükgegangen und hat jede Gemeinschaft mit mir aufgehoben. Ich weiß nicht ob sich irgend Jemand meinen Zustand denken kann, es ist das tiefste ungeheuerste Unglük“; und noch einmal am 16. 11. 1805 rückblickend an Gaß: „Gegen Ende September verließ Eleonore das Haus ihres Mannes; ihr Bruder erfuhr es kaum als er sie zu sich einlud und ihre Ehescheidung selbst übernahm. Ich sah sie wenige Tage darauf ganz fest und entschlossen, Briefe und Unterredungen mit ihrem Gatten machten sie nicht wankend. Gleich nach meiner Abreise wurde die Klage eingereicht, ihr Gatte erklärte sich in die Scheidung einzuwilligen, der Decernent hatte schon auf Trennung der Ehe ohne weiteres decretirt und so sollte die Sache in der nächsten Session zum Vortrag kommen. Aber am Tage vorher, Eleonore hatte schon den Stand der Sache erfahren, ergriff sie auf einmal ihre alte ängstliche Gewissenhaftigkeit so heftig daß sie nach einigen Stunden fürchterlicher innerer Unruhe von selbst sich wieder aufmachte zu ihrem Manne und sich aufs neue mit ihm vereinigte. Mir hat sie unmittelbar darauf was sie von mir hatte zurükgeschikt und weiter habe ich nichts von ihr erfahren. Die Unglükselige warum mußte sie so lange sich selbst und mich täuschen.“3 Die gesamte Beziehung zu Eleonore verdient (trotz der dürftigen Quellenlage) eine eigne, gründliche und detaillierte Darstellung. – Dabei ist zweierlei zu beachten: 3

Brief 2072, 139 – 153 (KGA V/8, S. 367 f.)

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1) die Grunowsche Ehe blieb kinderlos. Diese Tatsache sollte man nicht in frauenfeindlicher Weise umformulieren und (mit Richardson 135, Fn. 6) allein der Frau die Schuld geben: „Eleonore was unable to bear children“, selbst wenn (was wir nicht wissen) auch Schleiermacher so gedacht haben sollte, denn die Entscheidung über die Unfruchtbarkeit der Frau oder die Zeugungsunfähigkeit des Mannes war damals medizinisch wohl nicht möglich. 2) Über der ganzen Affäre Eleonore hängt ein dunkler Schatten, denn sie war nun einmal verheiratet und gar mit einem Amtsbruder, und Schleiermacher, obwohl Geistlicher, war bemüht, sie bei der Trennung und nachfolgenden Scheidung von ihrem Mann zu unterstützen aus scheinbar eigensüchtigem Motiv, um sie nämlich anschließend für sich zu gewinnen. Dies klingt schon schlimm genug, und es war in den Augen besonders seiner (kirchlichen) Vorgesetzten gewiß einigermaßen skandalös, wurde aber auch im Freundeskreis nicht immer gebilligt. Doch es kommt scheinbar noch schlimmer. – Im ,Brouillon‘ zur Hallenser Ethik-Vorlesung definiert Schleiermacher die Ehe als von Natur „unauflöslich“. Dies kommentiert Richardson (139): „Schleiermacher further changed his stand on divorce. It appears that Eleonore made him aware of the sanctity of the marriage vows“, und so wäre denn die endgültige Trennung ,im beiderseitigen Einverständnis‘ erfolgt. Doch der Kirchenvater des 19. Jh. hatte keineswegs jahrelang die Heiligkeit der Ehegelübde vergessen und wurde schließlich durch Eleonores Bigotterie daran erinnert; seine Einstellung blieb vielmehr immer die gleiche. Die Unauflöslichkeit der Ehe war unzweifelhaft gültig, insofern es eine wirkliche Ehe war; eine verfehlte und unglückliche Ehe jedoch hätte nie geschlossen werden dürfen und sollte darum besser getrennt werden. Es ist dies ein wichtiger Punkt, bei dem es um Schleiermachers moralische Integrität geht, darum nun der Bericht der Stiefkinder Ehrenfried und Hildegard im ersten Band der alten Briefausgabe (,Aus Schleiermachers Leben‘); es ist eine Paraphrase offenbar nach Briefen oder Aufzeichnungen Schleiermachers, die heute nicht mehr vorhanden sind: „Eleonore G. lebte in einer kinderlosen Ehe, in einer Verbindung, die nach Schleiermacher’s Urtheil keine Ehe zu sein verdiente, weil ihr die wesentlichsten inneren Bedingungen einer wahrhaften Ehe fehlten […] seine Ansicht war […] daß die Auflösung eines solchen innerlich unwahren Verhältnisses […] eine sittliche Pflicht sei, indem er das äußerlich bestehende als ein unsittliches

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ansah, welches niemals hätte eingegangen werden sollen.“4 An dieser Auffassung hat Schleiermacher lebenslang festgehalten; noch im Konfirmandenunterricht von 1830 – 1832 in der erst seit kurzem zugänglichen Nachschrift der Auguste Kunzmann fragt er in bezug auf die staatliche Ehescheidung: „Wenn nun Christus unser jetziges Verhältniß sähe, würde er dann mit unserer Ehescheidung zufrieden sein?“ und die Antwort der Mädchen lautet aufgrund des vorherigen Unterrichts: „Wohl nicht ganz; aber doch weniger unzufrieden, wie mit dem Schließen einer solchen Ehe, die nachher geschieden werden muß; denn wo eine Scheidung statt finden muß, hat sie immer einen Grund in einer schon älteren Schuld, welche gewöhnlich darin liegt, daß die Ehe von Anfang an verfehlt war; daß sich zwei Leute zusammen gaben, die sich nicht genug kannten oder nicht zusammen paßten, und nun von Anfang an einen falschen Weg gingen, um zum Ziele der Ehe zu gelangen, das in häuslicher Glückseligkeit besteht […] es ist einmal die Unvollkommenheit da, daß manche Ehe geschlossen wird, die dann nicht glücklich ist und sein kann. Bei einer solchen Ehe ist Scheidung zwar immer etwas Trauriges und Schreckliches, aber doch am Ende etwas Gutes, denn sie verringert das Übel, während der Zwang des Zusammenbleibens es immer vergrößern würde“.5 – Mag also die Eleonorenaffaire manches Befremden ausgelöst haben, – Schleiermacher selbst war und blieb überzeugt von der moralischen Integrität seines Verhaltens; und von einer besseren Einsicht oder gar ,Umkehr‘ kann keine Rede sein.6 In diesen vielen Jahren der Werbung um Eleonore war Schleiermacher immun gegen andere erotische Attraktionen; für ihn galt der Grundsatz „one at a time“, und die populäre Frage, ob er nicht doch ,etwas mit der Herz gehabt‘ habe, ist verfehlt. Umgekehrt jedoch gab es 4 5

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Aus Schleiermachers Leben in Briefen Bd. 1, S. 138 f.; KGA V/3, LXXVII f. Virmond: Schleiermachers Konfirmandenunterricht. Nebst einer bislang unbekannten Nachschrift. In: Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006. Hg. A. Arndt, U. Barth, W. Gräb. Berlin, New York 2008 (Schleiermacher-Archiv, Bd. 22), S. 653 – 746, hier S. 722. Ein Echo des hoffnungsvollen und zugleich vertrackten Werbens um Leonore mag man in Schleiermachers zweitem Buch, den ,Monologen‘ von 1800, erkennen: „Verschmelzen muß ich mich zu Einem Wesen mit einer geliebten Seele […] wenn ich sie nun finde unter fremden Gesetz, das sie mir weigert; werd ich sie erlösen können? Und wenn ich sie gewonnen, hängts dann von meinem Willen ab, ob auch dem Gattenrecht der süße Vatername sich beigesellen wird?“ (KGA I/3, S. 47)

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Mädchen (oder Frauen), die ihn begehrten, wie er denn auch in späteren Jahren vielfach angehimmelt wurde, obwohl er ja doch nur ein ,bucklicht Männlein‘ war. Konkret ist zu berichten von der 1781 geborenen Henriette Sack. Der Berliner Oberhofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack, Schleiermachers väterlicher Freund und Förderer, aber auch sein oberster Vorgesetzter, hatte mehrere Töchter, und eine von ihnen hatte sich offenbar in Schleiermacher verguckt; wir wissen natürlich nichts Genaueres, aber die Geschichte – sie fällt ins Jahr 1802, und schon Ende Mai ging Schleiermacher ab nach Stolp – war in Stadt und Land bekannt. In einem nicht erhaltenen Brief hat Schleiermacher seiner Schwester davon und von seiner Ablehnung berichtet; nach einem Besuch des Feldpredigers Wunster in Gnadenfrei schreibt Charlotte am 19. 9. 1802 dem Bruder: „natürlich war seine angelegentliche Frage ob Du geheiratet hättest – Nein noch nicht – wird er die Sack nehmen – Nein“.7 Schleiermachers Freundin Lucie Eichmann schreibt ihm am 1. 8. 1802: „das Mädchen hätte Sie mit ihrem leichten und ernsten Sinn wohl glücklich gemacht, und hätte von Ihnen gelernt was ihr fehlt“;8 entsprechend berichtet Schleiermacher am 15. 9. 1802 an seinen Freund Willich: „Meine Freundin [Lucie] Eichmann […] erwähnt fleißig eines Mädchens von dem sie immer heimlich wünschte daß ich es lieben möchte“;9 und schließlich schreibt Lucie noch einmal am 26. 4. 1803: „O hätte Sie ein freies Mädchen gefeßelt wie glücklich wären Sie, und dies Mädchen! die Einzige die ich Ihnen so gern zugeeignet hätte, ist nun eine sehr glückliche Braut“.10 Eine solche Heirat mußte geradezu als ideal erscheinen: Schleiermacher wäre gewiß Hofprediger am Dom und schließlich Sacks Nachfolger geworden – so jedenfalls konnten Verwandte und Freunde die Dinge sehen. Doch Schleiermacher fühlte sich durch Eleonore gebunden (oder blockiert) und zeigte schlechterdings kein besonderes Interesse für diese Henriette; und so hat sie denn im nächsten Jahr, am 1. 8. 1803 den Regierungsrat Johann Wichard Erbkam geheiratet, mit dem sie seit Februar verlobt war. – Diese Geschichte gehört zu den vielen Dingen, die erstmals in der neuen Briefausgabe bekannt gemacht wurden, ohne daß freilich die Forschung irgendwelche Notiz davon genommen hätte. – 7 8 9 10

Brief Brief Brief Brief

1334, 1290, 1342, 1480,

137 – 139 (KGA V/6, S. 126) 18 – 20 (KGA V/6, S. 65) 45 – 52 (KGA V/1, S. 145 f.) 71 – 73 (KGA V/6, S. 354)

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Die erotischen Beziehungen Schleiermacher in der Zeit der Charité und in Stolp sind also überraschend einfach und zugleich verhext: rüde verschmäht er die ideale, junge, fruchtbare, karrieregünstige und liebenswerte Sack-Tochter; gleichzeitig liebt er eine Frau, die verheiratet und darum tatsächlich unerreichbar (und überdies möglicherweise unfruchtbar) ist – wirbt jahrelang scheinbar erfolgreich, doch letztlich vergebens um sie.

Frauenfrage Schleiermacher wurde in die Epoche der Geschlechterdebatten hineingeboren, die um 1770 einsetzte und in deren Verlauf ein Wiener Verleger 1782 tatsächlich eine Schrift von Johann Michael Ambros zu publizieren wagen konnte: ,Beweis, daß die Weibsbilder keine Menschen sind aus der Schrift, und aus der gesunden Vernunft dargethan‘. Für diese Auseinandersetzungen hat man sozialgeschichtliche Veränderungen verantwortlich zu machen gesucht; weithin aber hat die Erscheinung den Charakter einer Mode, wie wir sie ja auch in unsern Tagen kennen.1 Die goethezeitliche Diskussion wurde auf allen Ebenen geführt und war vordringlich darauf ausgerichtet, den Charakter des ,Weibes‘ festzulegen, also zu normieren. Zeittypisch ist der Roman der Wilhelmine Karoline von Wobeser: ,Elisa oder das Weib wie es sein sollte‘. Das Buch erschien 1795 und erlebte immer neue Auflagen; die Anzeigenseiten der damaligen Presse waren voll davon wie auch von zahlreichen Ergänzungen, Nachahmungen, Widerlegungen und Parodien. Die Philosophen Rousseau, Kant, Fichte, Humboldt und die vielen heute weniger bekannten Popularphilosophen stimmten darin überein, daß Frauen von Natur nicht allein physiologisch, sondern im Wesen anders seien als Männer, und die vermeintliche Polarität der Geschlechter 1

Im vergangenen Jahrzehnt hat John Gray die begeisterte Welt beglückt mit seiner in immer neuen Büchern vorgetragenen These, daß Männer vom Mars seien und Frauen von der Venus, mithin himmelweit verschieden; heute lebt das australische Ehepaar Pease davon, unter ständiger Berufung auf eine vermeintliche Wissenschaft in Büchern, Vorträgen und Seminaren unter dem begierigen Publikum weltweit die Botschaft zu verbreiten, das weibliche Gehirn habe sich in Urzeiten anders entwickelt als das männliche, und darum könnten Frauen keine Stadtpläne lesen usw. Wer auf die Bestsellerlisten achtet, findet immer wieder Bücher über das weibliche Gehirn, das ,vom ersten Tag an anders‘ sei.

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wurde bestimmt als herrschend und gehorchend, aktiv und passiv, erhaben und schön und dergleichen mehr. In Schleiermachers nachgelassener Bibliothek fanden sich viele wichtige Bücher aus dieser Diskussion, und man kann vermuten, daß er den Gang der Dinge zumindest in den 90er Jahren genau verfolgt hat. Nach der Begegnung mit Friedrich Schlegel, in der Phase des ,Symphilosophierens‘ (von Ende 1797 bis September 1799 wohnten beide in Schleiermacher Dienstwohnung zusammen) bildet die Geschlechterfrage ein wichtiges gemeinsames Thema. Schlegel seinerseits war keineswegs überzeugt von der natürlichen Polarität der Geschlechtscharaktere. 1799 schrieb er in seinem offenen Brief an Dorothea:2 „Die Geschlechtsverschiedenheit ist nur eine Äußerlichkeit des menschlichen Daseyns […] in der That sind die Männlichkeit und die Weiblichkeit, wie sie gewöhnlich genommen und getrieben werden, die gefährlichsten Hindernisse der Menschlichkeit“ (8); statt aktiver Männlichkeit und passiver Weiblichkeit formuliert er umgekehrt als seinen Glauben, „nur sanfte Männlichkeit, nur selbständige Weiblichkeit sey die rechte, die wahre und schöne“ (9). In seinem Roman ,Lucinde‘ von 1799 sieht er „die volle ganze Menschheit in mir und in dir“; „was Gewohnheit oder Eigensinn weiblich nennen, davon weißt du nichts“; Mann und Weib seien „Blüten Einer Pflanze oder Blätter Einer Blume“ und die Vision schließlich ist „die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit“.3 Dies stimmt überein mit Schleiermachers erstem Glaubenssatz in seinem berühmten ,Katechismus der Vernunft für edle Frauen‘: „Ich glaube an die unendliche Menschheit, die da war, ehe sie die Hülle der Männlichkeit und der Weiblichkeit annahm“. Im 2. Glaubenssatz ist für die Frau das Programm aufgestellt, „mich dem Unendlichen wieder zu nähern, mich aus den Fesseln der Mißbildung zu erlösen, und mich von den Schranken des Geschlechts unabhängig zu machen“.4 – Mit wenigen Federzügen ist hier die jahrzehntelange Normierung des weiblichen (und männlichen) Geschlechtscharakters weggewischt. Und doch ist dies nicht die ganze Wahrheit. Frauen sind für Schleiermacher etwas anderes, er bewundert sie und gelegentlich sagt er, er selbst wolle lieber eine Frau sein. Nur sind die Wesensunterschiede 2 3 4

Über die Philosophie; Athenäum 2.1799, S. 1 – 38 KFSA, S. 10 – 13; dithyrambische Fantasie. Athenäum 1.1798, S. 110 f.; Reprint ed. Behler S. 286 f.; KGA I/2, S. 154

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zwischen Männern und Frauen sehr viel sublimer als in der zeitgenössischen Geschlechterdebatte; statt der Polarität ist Differenzierung angebracht. Schleiermacher sieht keinerlei männliche Dominanz, sondern eine Kooperation der Geschlechter, wobei oft gerade die Männer die Hilfsbedürftigen sind und die Frauen die Helfer. Es ist ein Zweck der Anfang 1806 erschienenen ,Weihnachtsfeier‘, dieser Frage nachzugehen. Gleich zu Beginn der Feier sollen die Beschenkten die jeweiligen Geber erraten, was den „Frauen und Mädchen“ mühelos gelingt, „aber die Männer begingen viele Mißgriffe“ (KGA I/5, S. 45). Schon hier zeigt sich das intuitive, unmittelbare weibliche Wissen gerade hinsichtlich der zwischenmenschlichen Beziehungen. Dies mühelos Selbstverständliche liegt auch im weiblichen ungebrochenen Verhältnis zur Religion und ihren Festen: es scheint so, daß die Frauen den Kinderglauben ohne weiteres in die Erwachsenenwelt retten und derart die Tradition aufbewahren können (70); so sind denn auch „überall Frauen und Mädchen die Seele dieser kleinen Feste“ (71), wohingegen die Männer der Umkehr, der metanoia bedürfen „in jenem unruhigen Streben, jenem leidenschaftlichen Kampf mit der Welt und sich selbst“ (70). So ist es denn kein Zufall, daß die Frauen Erzählungen (Traditionen) vortragen und so eine ungebrochene Religiosität zeigen, während „das Erzählen … nicht die Gabe der Männer ist“ (83) – sie sprechen vielmehr nach Weise der Theologen über bestimmte Gegenstände. Die Geschlechter scheinen sich zu ergänzen, wobei allerdings die Frauen die sichere und unbezweifelbare Basis bilden und den Männern Hilfe zu bieten imstande sind.5 Daß Frauen den leichteren Zugang zur Religion haben, war eine unter den Frühromantikern verbreitete Überzeugung,6 und Caspar David Friedrich hat ihr den abschließenden bildlichen Ausdruck gegeben in seinem symbolisch-programmatischen Gemälde ,Morgen im Riesengebirge‘ von 1810/11: auf einem Berggipfel, genau genommen auf dem mittleren und höchsten von drei Teilgipfeln, ist (im Verhältnis zum gesamten Bild recht klein) ein monumentales Kruzifix errichtet; der Gekreuzigte ist dem Betrachter zugewandt und er allein erhebt sich über den Horizont, also in den Bereich des Himmlischen; eine sehr leicht und hell (weiß) gekleidete Dame steht mühelos am Fuß des 5 6

Auf dem Gebiet des Intellekts mag es umgekehrt sein, und so ergäbe sich insgesamt ein Verhältnis der wechselseitigen Ergänzung und Hilfe. Dazu siehe besonders die Dissertation von Padilla, die auch auf Novalis eingeht.

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Kreuzes, im Bereich zwischen dem Berggipfel und der höher gelegenen Horizontlinie, und umfaßt mit einem Arm elegant den Stamm (unterhalb des Gekreuzigten); die andre Hand reicht sie einem dunkel gekleideten Wanderer, der sichtlich Mühe hat, nach der anstrengenden Kletterpartie nun die Spitze zu erklimmen, größtenteils mit dem dunklen Fels wie verwachsen und nur Kopf und Arm mühsam und hilfsbedürftig darüber erhebend, dabei mit dem andern Arm und einem Stock sich abstützend.7 Die Aussage – daß nämlich die Frau mühelos zum religiösen Bereich (über dem Gipfel, aber unterm Horizont) Zugang findet, währenddem der Mann in seiner Erdenschwere kaum allein über das Irdische sich erheben kann und allenfalls durch ihre Vermittlung den Gipfel zu erreichen vermag – ist sehr präzis ablesbar.8 Mit diesem Konzept der starken Weiblichkeit und schwachen Männlichkeit, also einem durch gegenseitige Hilfe geprägten Äquilibrium, standen Schlegel und Schleiermacher einsam in ihrer Epoche, die gebannt auf eine vermeintliche Polarität der Geschlechter starrte und kaum je einen Zweifel an der männlichen Dominanz erkennen ließ. Allenfalls im Kreis der Romantiker konnten sie ein partielles Verständnis finden.

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Das Bild findet sich heute leider nicht mit den andern Hauptwerken Friedrichs in der Berliner Nationalgalerie, sondern unglücklicherweise (nach langer ,Uneinigkeit‘ der beiden Institutionen) im allzu oft geschlossenen Schinkelschen ,Neuen Pavillon‘ des Charlottenburger Schlosses. Eine Wiedergabe z. B. in Werner Hofmanns Monographie von 2000, Abb. 58, S. 104 f.; auch www.zeno.org u. a. Insgesamt sind Friedrichs programmatische Aussagen zu Religion und Kirche innerhalb seiner Bilder bislang keineswegs mit dem notwendigen Ernst und der erforderlichen Genauigkeit beschrieben worden. Auch Hofmanns Beschreibung (S. 101 f.) ist hier mehrfach schief; so erklärt er die äußerst knapp und elegant gekleidete Salondame zu einer Allegorie des Glaubens, die auf Christus blicke (tatsächlich schaut sie weg von ihm und auf den Wanderer). Er stützt sich hier statt auf eigne Anschauung vermutlich auf eine unglückliche Bemerkung Börsch-Supans in seinem Standardwerk von 1973, S. 315, die Frauengestalt sei „wohl eher als Allegorie – vielleicht des Glaubens, da sie das Kreuz umklammert – zu verstehen“. – Wenn man tatsächlich in diesem einen Bild Friedrichs eine gewisse Nähe zu Schleiermacher erkennen kann, so ist eine solche Nähe insgesamt doch keineswegs gegeben (obwohl sie neuerlich allzu oft – und gern mit hanebüchenen Argumenten – behauptet wird).

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Chevalier de Faublas Und doch: es gab einen Zeitgenossen, der an denselben Ideen laborierte – ein französischer Bestsellerautor und Politiker, der im Konvent in einer flammenden Rede Robespierre angegriffen hatte, daraufhin in die Berge fliehen mußte und schon darum in Europa in aller Munde war; ein Autor, der bei uns heute zu Unrecht fast vergessen ist. Sein Name ist Jean-Baptiste Louvet (1760 – 1797); er war Sohn eines Handwerkers, hatte als Buchhandelsgehilfe offenbar leichten Zugang zur jüngeren heimischen Literatur und Philosophie von Voltaire und Rousseau bis zu Choderlos de Laclos1 und machte davon als einer Art Humus so guten Gebrauch, daß sein eigner Roman, den er unter der geschickt erweiterten Namensform ,Louvet de Coupevray‘ und schließlich ,Louvet de Couvray‘ publizierte, den Nerv der Zeit traf. Nach dem Vorbild der französischen Philologen ist es sinnvoll, den wirklichen, wenn auch bescheideneren Namen ,Louvet‘ zu verwenden. Sein ,Faublas‘ war 1787 – 91 erschienen – ein dreiteiliger und vielbändiger voluminöser Roman mit dem späteren Gesamttitel ,La vie du Chevalier de Faublas‘ und schließlich ,Les amours du Chevalier de Faublas‘ – der letzte der großen erotischen Romane des ancien régime. Heute ist er uns fern und fremd; damals aber war er von größter Nähe, und einer seiner entschiedensten Bewunderer war Friedrich Schlegel; es scheint, als sei die Begeisterung der beiden Berliner Freunde von ihm ausgegangen. 1797 faßte er einen „Roman wie Faublas“ ins Auge (KFSA 16, 130, Nr. 553); im Lyceums-Fragment Nr. 41 (1797) versicherte er öffentlich: „An geselligem Witz und geselliger Fröhlichkeit sind wenige Bücher mit dem Roman ,Faublas‘ zu vergleichen. Er ist der Champagner seiner Gattung.“ Am 19. Februar 1799 schrieb er an Ca1

Eine Lektüreliste Faublas’ im Roman S. 629 f. der Pléiade-Ausgabe [wie Fn. 34] (während eines vom Vater verhängten Stubenarrests) mag wohl manches von Louvets eigner Lektüre enthalten: „Je lus Moncrif et Florian; Lemonnier et Imbert; Deshoulières et Beauharnais; La Fayette et Riccoboni; Colardeau et Léonard; Dorat et Bernis; de Belloy et Chénier; Crébillon fils et de La Clos; Sainte-Foi et Beaumarchais; Duclos et Marmontel; Destouches et de Bièvres; Gresset et Colin; Cochin et Linguet; Helvétius et Cerutti; Vertot et Raynal; Mably et Mirabeau; Jean-Baptiste [Rousseau] et Le Brun; Gessner et Delille; Voltaire et ‹Philoctète et Mélanie›, ses élèves; Jean-Jacques [Rousseau] surtout, Jean-Jacques et Bernardin de Saint-Pierre.“ Heute unbekannte Namen sind im Kommentar erläutert. „Dans ses lectures, Faublas n’est pas plus critique que dans ses amours“, kommentiert Delon [wie Fn. 35] S. 1146.

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roline: „Dorothea … arbeitet auch schon am Faublas, den wir für Fröhlich übersetzen und umarbeiten.“2 1802 stellte er in allerlei rätselhaften tabellarischen Notizen den Faublas mehrfach zusammen mit Christus, Maria, Mohammed, Faust, Macbeth, Figaro und Robin Hood (KFSA 16,363.365.408) und 1803 schrieb er in der ,Europa‘ (1,1,60; KFSA 3,15) über die französische Literatur, worin sich „die ursprüngliche Fröhlichkeit des französischen Charakters“ zeige, und nannte (neben Voltaire, Diderot und Beaumarchais) den Faublas „das vorzüglichste und beste“. – Von Schleiermacher haben wir weit weniger Aussagen; immerhin notierte er 1798 oder 1799: „Idee zu einem Roman: Geschichte eines geistigen Faublas“3 und bildete eigens einen Begriff von „Faublastät“. Was konnte nun die beiden Freunde an dem Buch so fesseln, daß sie es derart hoch schätzten und beide Pläne für eigne Versionen aufstellten? Es ist gewiß weniger der geistreiche Stil als vielmehr der Inhalt des Buchs. Im Grunde ist es ein von philosophischem Interesse getragener experimenteller Roman mit der Fragestellung: was geschieht, wenn ein wohlerzogener, unschuldiger (adliger) Jüngling aus der Provinz nach Paris kommt und dort den Frauen und der Liebe begegnet? Dargestellt ist die französische (und polnische) Adelswelt, und es geht zunächst um die Adoleszenz, die Lehrjahre des jungen Faublas, der nach einer ausgezeichneten Erziehung in der Provinz im Alter von 15 Jahren von seinem Vater (die Mutter ist früh verstorben) nach Paris gebracht wird und dort mithilfe eines Hofmeisters (und eines Dieners) seine Ausbildung vollenden soll. Diese verläuft freilich ganz anders als geplant, denn während der folgenden anderthalb Jahre (von Oktober 1783 bis zum Frühjahr 1785) findet sich der junge Faublas gleichzeitig in mehrere Liebesverhältnisse verstrickt, begleitet von einem schier unerschöpflichen Arsenal von Verkleidungen, Verwechslungen, abenteuerlichen, absurden und peinlichen Situationen, Mystifikationen, Duellen etc., wovon hier abstrahiert werden muß. Bereits auf der zweiten Seite des Textes trifft Faublas im Besuchszimmer des Klosters und Erziehungsinstituts seiner Schwester die Liebe 2 3

KFSA 24, S. 230; das zwittrige Projekt blieb liegen; vgl. auch Dorothea Veit an Schleiermacher, KGA V/3, S. 389, Brief 795, Z. 126 – 129. KGA I/2, S. 42. – Es ist besonders auffällig, daß die in unsern Augen so viel bedeutenderen ‹Liaisons dangereuses› des Choderlos de Laclos, deren französische Erstausgabe von 1782 in Schleiermachers nachgelassener Bibliothek verzeichnet ist (KGA I/15, S. 691, Nr. 426), keinerlei Beachtung finden.

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seines Lebens: in Rousseauscher Tradition heißt sie Sophie (ihr wahrer Name aber ist Dorliska und sie wird sich später erweisen als die lang verlorene Tochter DuPortails, die Faublas nach väterlicher Abrede zu heiraten ohnehin bestimmt ist): nonnenhaft unter strenger klösterlicher Überwachung lebend, „une Vénus à quatorze ans“,4 in die sich Faublas auf der Stelle und unumstößlich verliebt, die er schließlich auch wirklich heiratet, die ihm aber von seinem Schwiegervater im selben Moment wieder entführt wird (723), bis am Ende die Wiedervereinten in Warschau ein bescheidenes Eheglück finden. Hier folgt Louvet der literarischen Tradition des antiken Romans (Heliodors ,Aithiopika‘ bzw. ,Theagenes und Chariklea‘) und seines Echos im Barockroman, wenn auch in sehr eigener Weise und Zuspitzung. Dabei ist es unübersehbar, daß die andauernde und schließlich erfüllte Liebe zu dieser Sophie auf die Philo-Sophie hindeuten soll. Dieser Strang der Erzählung5 wird dramatisch kompliziert durch weitere und insbesondere zwei durchaus irdische Amouren. Auf der elften Seite der Erzählung (429) trifft Faublas „une très belle femme“ (429), nämlich die 25jährige ,Marquise de B.‘; sie ist verheiratet, holt aber den als Mädchen mit Namen DuPortail verkleideten Faublas (unter den Augen und mit Billigung ihres einfältigen Ehemannes) ins Bett und führt ihn in die Freuden der Liebe ein; fortan bleibt sie seine „chère maman“ (436) oder „belle maman“ (1178). Was zunächst wie eine bloße Episode sich anläßt, wird tatsächlich zu einer zweiten, den Roman hindurch andauernden Liebesgeschichte, in der die Frau die Männerrolle innehat: sie wählt, sie verführt, sie intrigiert, sie hat die Fäden in der Hand. – Etwa in der Mitte des Romans (810) wird Faublas, wiederum als Mädchen verkleidet und diesmal unter dem Namen eines Fräulein von Brumont, als Vorleserin bei der 16jährigen und mit einem 50jährigen impotenten Mann verheirateten Comtesse Eléonore de Lignolle eingeführt, in deren Bett er alsbald landet und die ihn unbedingt heiraten oder zumindest von ihm entführt werden möchte. Der wiederum lächerlich einfältige Ehemann hält sich für einen großen Verfertiger von Charaden und ist höchst zufrieden, wenn die beiden 4 5

S. 420. – Alle Zitate sind der Pléiade-Ausgabe von 1965 entnommen [wie Fn. 34]. Daneben gibt es noch den ,polnischen‘ Strang mit der abenteuerlich ergreifenden Liebesgeschichte von Sophies Vater Lovzinski (DuPortail) und seiner so früh verstorbenen Lodoiska, die besonders in den Opernbearbeitungen, aber auch in Teildrucken und Teilübersetzungen – sogar in Amerika – aufgegriffen wird und hier nicht beachtet werden kann.

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jungen Leute sich gemeinsam einschließen, um ebenfalls ,Charaden zu machen‘. Auch diese Affäre entwickelt sich zu einer stabilen Liebesbeziehung, die erst durch den Tod der Eléonore gelöst werden kann. Dabei erweist sich die Gräfin als eine sozialreformerisch engagierte Persönlichkeit, die ihren eignen läppischen und ridikülen Mann an Vorstellungsvermögen und Tatkraft weit überragt. Die äußere, vielfältige Handlung ergibt sich u. a. daraus, daß einerseits beide Ehemänner schließlich doch ihres Irrtums gewahr werden, was beidemal zum Duell oder ähnlichem führt; andrerseits die drei Frauen einander als Konkurrentinnen wahrnehmen. Der junge Faublas steht im Zentrum des Romans, er ist der Erzähler, aber nicht eigentlich der Held. Gewiß – im Duell vermag er auch ältere und erfahrene Kämpen zu besiegen und auf Frauen wirkt er unwiderstehlich; aber insgesamt stolpert er (oft verkleidet als Mädchen) doch mehr durch die oft gefährlichen Episoden, die ihn gar monatelang in die Bastille bringen, woraus Frauenhand ihn befreien muß. Als vagen Hintergrund spürt man noch den Pikaro-Roman, und die pädagogischallegorische Seite der Erzählung zielt auf die Weisheit der Philo-Sophie, dargestellt durch die unverbrüchliche Liebe zu Sophie. Das übergeordnete (und erst der nachgängigen Reflexion zugängliche) Konzept des Romans ist, im freudigen Durchgang durch Hoch und Tief der abenteuerlichsten Situationen dieser ebenso verlockenden wie gefährlichen Welt und nach einer offenkundig durch den Tod der beiden Geliebten (der Marquise und der Comtesse) ausgelösten reinigenden Phase des klinischen Wahnsinns6 schließlich den Ausgang zu finden in das von Ruhe und bescheidenem Glück gekennzeichnete polnische Exil, allwo die Sirenen schweigen. Das Verhältnis der Geschlechter ist derart dargestellt, daß es unsre Berliner Freunde fesseln mußte.7 Faublas ist beileibe kein Verführer, er wird vielmehr selbst verführt von den Frauen, fühlt sich stark zu ihnen 6

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Eine völlig andere, den Text kühn überholende Theorie hat Michèle BokobzaKahan in ihrer Pariser Th se von 1999 (Folie et libertinage dans le roman libertin du 18e siècle) vorgelegt: demnach hätten die vielen Verkleidungen zum Persönlichkeitsverlust, zur Krise und schließlich zum Wahnsinn geführt (publiziert als: Libertinage et folie dans le roman libertin du 18e siècle. Louvain: Peeters 2000; Kurzfassung in Hartmann [siehe unten] S. 51 – 61: ,du déguisement à la folie‘). Chrolologisch ist es möglich, daß Louvet die neue Berliner Sicht des Geschlechterverhältnisses angeregt hat.

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hingezogen und liebt sie;8 trotz aller Versuche einer Rangliste kann er sich jedoch nicht für eine von ihnen entscheiden. Nachdem die Marquise (statt seiner) von ihrem Mann tödlich verletzt ist, vermag er noch immer nicht, zwischen Sophie und Eléonore eine Wahl zu treffen. In einer höchst dramatischen Szene ist Eléonore im oberen Stockwerk und Sophie unten; Faublas läuft hektisch auf und ab und versucht verzweifelt, jede zu beschwichtigen, und so macht denn die Comtesse ihrem Leben ein Ende, indem sie ins Wasser geht; ihr Leichnam wird zu der soeben im Sterben liegenden Marquise gebracht (1203). Diese beiden Frauen sind also keineswegs als Objekte eines lüsternen Jünglings dargestellt, sondern als Subjekte mit weitreichendem Handlungsspielraum – auch in Liebesdingen. Es ist die Marquise, die Faublas ins Liebesleben einführt und auch künftig immer wieder entscheidend in sein Leben eingreift, indem sie im Hintergrund die Fäden spinnt und mehrfach als Retterin auftritt. Die junge Comtesse Eléonore hat einen „caractère impérieux“ (815), und besonders ihrem Mann gegenüber setzt sie stets ihren Willen durch mit einem bloßen „je le veux“ (810). Erst am Ende, als keine von beiden den Faublas endgültig für sich zu gewinnen vermag, gehen sie in den Tod. – Ein spannungsreiches Gleichgewicht der Geschlechter besteht nur zwischen Sophie und Faublas, und dies führt schließlich in eine dauerhafte Ehe. Will man diesem der Lebenswelt seines Autors gänzlich entrückten, aus Literatur und Phantasie geborenen9 Werk etwas Besonderes, etwas Eigenes gegenüber dem antiken wie dem modernen Roman zusprechen, so ist es gewiß dieses Konzept der auch in Liebesdingen selbständigen Frau und des von mehreren Frauen durch die Liebe ,gefesselten‘, dabei eher androgyn als männlich wirkenden Mannes. Faublas hängt so sehr an den Frauen, daß er sich ,auf den Tod‘ nicht zu entscheiden vermag.10 –

8 Richtig sagt er: „jamais je n’ai séduit, je me suis trouvé toujours entraîné“ (1144). 9 Delon [wie Fn. 35] nennt dies in seinem préface ,rêverie compensatoire‘ (9). 10 Die vorschnelle Lesart, Faublas habe „in egoistischer Gedankenlosigkeit zwei Frauen auf dem Altar seiner Amouren geopfert“ (so Johanna Dorothea Hosbach im ,Lexikon der Weltliteratur‘, Bd 2, Stuttgart: Kröner S. 166; 31993, S. 212) ist verfehlt, wobei die Autorin des nur wenige Zeilen umfassenden Artikels zudem Lodoiska (die Mutter) mit Dorliska/Sophie (der Tochter) verwechselt. – In einem andern Handbuchartikel (KLL) dämonisiert Sabine Laußmann fälschlich die Marquise; als Erklärung für Faublas’ klinischen Wahnsinn will sie

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Wie konnte dieser Roman je vergessen werden? Zunächst folgten die Auflagen dicht aufeinander, und schon 1791 wurden Auszüge daraus zu zwei Opern (von Cherubini und Kreutzer) verarbeitet (später kamen weitere hinzu, und zwar bis 1849); in Paris wurden bald für die Touristen sogar fremdsprachige Versionen des Romans gedruckt.11 Ein Zeugnis für die Beliebtheit des Buchs gibt etwa Kotzebue 1804 in seinem Vorwort zu der (unvollständig gebliebenen) Übersetzung von Philipp Christoph Weyland – der „allerliebste Roman“ sei „ein herrliches Tonicum, welches durch Witz und Lachen den Verdrüßlichen erheitert und dem Hypochondristen frohe Laune giebt“ und „den Leser vom Anfang bis zum Ende in der heitersten Stimmung“ erhalte.12 Bis gegen Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte das Buch auch in Deutschland zum Kanon; noch 1849 konnte Georg Weerth im ,Vorspiel‘ zu seinem Roman vom Ritter Schnapphahnski den Faublas neben Cervantes und Rabelais als einen nicht genialen, aber lesenswerten und wichtigen Roman anführen, den jedermann kannte. Um die Mitte des 19. Jh. kehrte sich die Stimmung um, und Oskar Ludwig Bernhard Wolff schrieb bereits 1841: „Das Ganze ist ein Gewebe von Alkoven- und Boudoirsgeschichtchen, in welchen sich alle Stände [!] durch einander bewegen, lieben und sich lieben lassen, verführen, betrügen und betrogen werden; eine Welt von Lüge und Gemeinheit, aber alles mit Manier. Hier ist Wohlgefallen an der Verderbtheit, der Verfasser [!] steht nicht darüber, sondern mitten darin, was auch durch die Tradition bestätigt wird, Louvet habe sich selbst [!] in seinem Helden geschildert.“13 – Die viktorianische Prüderie Europas hat das Werk dann vollends in die dunkle Ecke der ,schlüpfrigen‘ Romane geschoben, und noch 1929 urteilt der Wiener Literarhistoriker banalerweise seine Erschöpfung nach dem vergeblichen Versuch der Rettung Eleonores geltend machen. 11 Delon [wie Fn. 35] S. 1119. Zu den zahllosen Adaptionen des Stoffs oder auch nur des Namens ,Faublas*, den oft belanglosen oder unsinnigen Fortsetzungen etc. siehe Delon S. 31 – 35 und 1119 – 1121 sowie Delon in Hartmann [wie Fn. 36] S. 265 – 273. 12 Die Abentheuer des jungen Faublas. Bd. 1. Leipzig: Kummer 1804. – Ein zweiter Band erschien erst 1810 in Hamburg. 13 Allgemeine Geschichte des Romans, Jena 1841, S. 355 – 360, hier S. 356. Immerhin rechnet Wolff (der offenbar nur Auszüge gelesen hat) den Roman noch immer zum Kanon und lobt ihn wegen seines geistreichen Stils, auch wenn er insgesamt „verwerflich“ (360) sei. – Wolff war dank Goethes und Karl Augusts Förderung in Jena untergekommen und schließlich 1837 Professor geworden; sein Buch ist noch immer lesenswert.

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Gustav Gugitz, Faublas sei der „Gattungsbegriff für den berufsmäßigen Verführer und Lebemann“14 – eine Verquertheit, die selbst im Kommentar der KGA wieder aufgenommen ist. – Aus der Schmuddelecke ist der Roman dann mit der Pléiade-Ausgabe von 1965 herausgetreten und wird sich künftig wohl auch in Deutschland Achtung verschaffen. Zum Text muß etwas gesagt werden, da es allzu viele verstümmelte Drucke gibt. Louvet selbst hat in kurzer Folge mehrere Auflagen seines Romans publiziert: die erste erschien 1787 – 1790; die Ausgabe letzter Hand kam kam 1798 (kurz nach seinem frühen Tod) heraus.15 Diese ist die Basis für den (in Orthografie und Zeichensetzung sinnvoll modernisierten) Pléiade-Text von 1965.16 Er wurde 1996 von Michel Delon unverändert wiedergegeben,17 und diese unscheinbare Taschenbuchausgabe ist für das wissenschaftliche Studium des Romans unerläßlich, da sie wichtige textkritische und erläuternde Anmerkungen nebst einer umfänglichen Bibliographie etc. bietet; inzwischen ist der Band (1172 pp.) in einer neuen Auflage (2008) erhältlich. Dort sagt Delon vom Pléiade-Text, er habe „relancé l’intérêt pour l’oeuvre de Louvet, qui est ansi passé du second au premier rayon“18 – was freilich noch nicht für Deutschland gelten kann. – Hier nämlich sieht es schon bei den Übersetzungen bös aus. Von einer ersten, bisweilen genannten deutschen Fassung ist bislang nur der erste Teil (1789) in Bibliotheken nachweisbar; ein Exemplar des zweiten Teils (ebenfalls 1789) ist im 14 So im renommierten ,Bilderlexikon der Erotik‘, Bd. 2, S. 638. 15 Abbildungen der frühen Drucke sind im Netz vorhanden – teils von Google digitalisiert, teils innerhalb der Sammlung ,Eighteenth Century Collections Online‘ bei Thomson-Gale, die in wissenschaftlichen Bibliotheken und Institutionen leicht zugänglich ist. 16 Er ist bearbeitet von Marguerite du Cheyron; in: Romanciers du xviiie siècle, vol. 2, Paris: Gallimard 1965, S. 403 – 1222 und S. 1961 – 1977; hiernach wird zitiert. 17 Les amours du chevalier de Faublas. Édition présentée, établie et annotée par Michel Delon. Paris: Gallimard 1996 (Collection folio, vol. 2829) 18 S. 1114. – Ein Straßburger Kolloquium zum 200. Todestag Louvets ist dokumentiert in: Entre Libertinage et Révolution. Jean Baptiste Louvet (1760 – 1797). Hg. Pierre Hartmann. Straßburg 1999; dort ist die relevante Sekundärliteratur genannt. – Inzwischen ist auch Louvets zweiter, 1791 publizierter (und ebenfalls international erfolgreicher) Roman, ,Emilie de Varmont‘, neu herausgegeben worden von Geneviève Goubier-Robert und Pierre Hartmann, Aix 2001. – Der Pléiade-Text des Faublas ist auch zugänglich in der 1966 im Verlag Tchou erschienenen Ausgabe mit Vorwort von Paul Morand; sie ist weniger zuverlässig, aber schön gestaltet und antiquarisch vielfach sehr günstig zu haben.

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Krieg untergegangen, und der dritte Teil ist nicht nachweisbar und vielleicht nie erschienen. Die verbreitetste Übersetzung ist die in bibliophiler Form 1910 bei Müller in München vierbändig mit kurzer Einleitung von Franz Blei erschienene und möglicherweise auch von Blei verantwortete (ca. 1150 S.); sie wurde als zweibändiger Neusatz ab 1918 mehrfach nachgedruckt (864 S.) und ist offenkundig auch Druckvorlage für die zweibändig 1979 bei Kiepenheuer in Leipzig und Weimar und zugleich bei Beck in München in der ,Bibliothek des 18. Jahrhunderts‘, vermeintlich „nach der anonym erschienenen Übersetzung von Christoph Martin Wieland“ (837 S.) erschienene Version, die sodann 1984 als Neusatz (851 S.), doch nunmehr „nach einer anonym erschienenen Übersetzung“ publiziert wurde und im Antiquariat zahlreich erhältlich ist. Sie ist stillschweigend vielfach gekürzt und schon darum nur für eine erste, oberflächliche Lektüre geeignet. Dasselbe gilt von der älteren, angeblich vollständigen Übertragung von Gustav von Joanelli (Prag 1899, 3 Bde., Fraktursatz), die neuerlich (mit tausenden von Scan-Fehlern) bei gutenberg.de zugänglich ist, obwohl sie schon sprachlich nur schwer genießbar ist. Von den ,vollständig‘ genannten Übersetzungen des früheren 19. Jh. (1837 und 1848) ist die erste in Bibliotheken gar nicht, die zweite nur in Wien nachweisbar (angeblich haben die Zensurbehörden beide größtenteils vernichtet, doch ist die zweite gelegentlich antiquarisch erhältlich). – Eine vollständige, zuverlässige und lesbare Übersetzung, die nicht nur die Erotika-Sammler, sondern auch die Literarhistoriker zufriedenstellt, ist mithin ein Desiderat.19

Noch einmal Persönliches Die Konstellation des jungen Faublas mit seinen drei Frauen, darunter zwei verheirateten, hatte eine kuriose Analogie mit Schleiermachers Situation und man kann sich leicht vorstellen, wie Schlegel den Freund geneckt haben mag, der ja ebenfalls an zwei verheirateten Frauen (wenn 19 Trotz seiner langen literarhistorischen Vergessenheit ist der Roman bei ErotikaSammlern stets populär geblieben und wurde in immer neuen, meist verkümmerten Fassungen und Übersetzungen (oft unter 500 Seiten) verbreitet. – Die lange Reihe der Adaptionen, Fortsetzungen und literarischen Repliken begann schon im 18. Jh. (neben den Opern) mit dem ,Nouveau Faublas‘ von Mimault (dazu Delons Beitrag ,Amour et révolution‘ in Hartmann, S. 265 – 273).

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auch in andrer Weise) hing, von denen die eine, freilich ganz und gar nicht comtessenhafte, immerhin Eleonore hieß.1 Eine dritte, die Comtesse Friederike zu Dohna, die Schleiermacher gewiß bewundert hat, lebte noch bis 1801. Und angehimmelt wurde er gewiß von vielen Mädchen und Frauen. – Tatsächlich aber litt Schleiermacher keineswegs an Entscheidungsschwäche; er wußte sehr genau zu unterscheiden zwischen der singulären Liebe, an der er unter allen Umständen festhielt, und den mehreren Freundschaften mit Frauen oder Männern. Wenn er im 4. Gedankenheft (vermutlich 1800; KGA I/3,135) als Nr. 12 sehr lakonisch notiert: „Ueber meine intellectuelle Faublastaet“2, so meint er hier wohl einen andern Bereich, nämlich seine mehrfache Neigung, ja Liebe zu mehreren Gebieten geistiger Beschäftigung und Publikation: Theologie, Philosophie, Literatur, von denen er sich für keines entscheiden kann (die Neigung zur Literatur stirbt notgedrungen nach und nach), und (wie sich später zeigen wird) innerhalb der Philosophie für sehr viele Disziplinen (von denen er – trotz mehrerer Ansätze – keine selbst zum Druck zu bringen vermag). Er verknüpft diese rätselhafte Eintragung mit 2 weiteren zum Thema Treue. Jedenfalls ist die Liebe als Problem inzwischen ausgeschieden – denn Schleiermacher hat sich längst völlig festgelegt auf Eleonore Grunow; und auf dem Feld der Freundschaft ist Untreue zwar vorhanden, aber eben kein Problem. – Jedenfalls bestätigt der Begriff der ,Faublastät‘, daß die Freunde in dem Roman ein definierbares Prinzip erkannt haben. Die oben nur verkürzt zitierte Notiz vom geistigen Faublas lautet vollständig: „187. Idee zu einem Roman: Geschichte eines geistigen Faublas. Er liebt drei Frauen und einige Mädchen, tritt die ab die er genoßen hat, behält die die er nicht genießt und will die nicht genießen die er liebt. Er ist immer zwischen Liebe und Freundschaft. Die eine ist höchst eifersüchtig die zweite höchst unbefangen und die dritte höchst discret. Die Intrigue entsteht daraus daß er nicht länger eine vor der andern geheim halten kann. Kein tragisches Ende. Die unbefangene geht unter, die abgetretene kommt zurük, die discrete zieht sich in die 1

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Die engen (wenn auch nicht erotischen) Beziehungen zu Henriette Herz waren sogar Gegenstand der zeitgenössischen Karikatur (vgl. KGA V/4, S. 320 f ). Überhaupt stieß das eigentlich private Thema ,Schleiermacher und die Frauen‘ damals offenbar auf ein verbreitetes Interesse im Bekanntenkreis, bei den Vorgesetzten und sogar in der Öffentlichkeit. Es ist dies die einzige Notiz mit diesem Begriff, aus der man aber doch folgern kann, daß es auch eine nicht ,intellectuelle‘ Faublastät gab, über die nur mündlich gesprochen wurde.

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vollkommene Freundschaft. Soll zuletzt ein Mädchen geheirathet werden? Nicht in Briefen denn ein solcher schreibt keine Briefe. Von den Frauen kommen aber welche untermischt.“ (1798/99; KGA I/2, S. 42) Leicht zu verstehen ist dies nicht, auch nicht vor dem Hintergrund von Louvets Roman, dessen experimenteller Charakter hier anscheinend potenziert werden soll, indem der geistige Faublas nicht in der Sphäre der Erotik verstrickt bleibt, sondern verschiedenartige Beziehungen „zwischen Liebe und Freundschaft“ unterhält, wobei eine Möglichkeit „die vollkommene Freundschaft“ ist und die Heirat mit einem ,Mädchen‘ erwogen wird. Die Passage ist gewiß keine Analyse der eignen Berliner Situation, enthält aber doch mehrere autobiographische Züge und zeigt die Absicht, die verschiedenen Elemente bewußt zu machen, Klarheit zu gewinnen und gewissermaßen Ordnung zu machen. Entscheidend ist, daß der ,geistige‘ Faublas eine Variante, eine Sublimierung des sinnlichen Faublas ist, und daß Freundschaft etc. sich somit aus der grundlegenden Liebe oder dem erotischen Element entwickelt. Freundschaft zu Frauen, wie Schleiermacher sie so vielfältig und dauerhaft gepflegt hat, leugnet mithin nicht ihre Herkunft aus der Geschlechterspannung, ist aber eine eigne und in sich ,vollkommene‘ Form der Beziehung.

Der Chemiekult der Frühromantik Ursula Klein Die chemische Natur des Romans, der Kritik des Witzes, der Geselligkeit, der neuesten Rhetorik und der bisherigen Historie leuchtet von selbst ein (F. Schlegel) 1 Die Chemie ist von der ausgebreitetsten Anwendung und von dem grenzenlosesten Einfluß aufs Leben (Goethe) 2 Im Mai 1800 schrieb Schleiermacher an seine Schwester Charlotte, dass er jetzt „Vorlesungen über allerlei Wissenschaften“ höre, „unter andern auch über die Chemie“.3 Damit waren öffentliche Vorlesungen zur Chemie gemeint, die der Chemiker und Apotheker Martin Heinrich Klaproth seit 1783 regelmäßig in Berlin abhielt. Das Interesse des Seelsorgers und Philosophen an der Chemie war keineswegs oberflächlich, wie seine Vorlesungsnotizen belegen. Was faszinierte Schleiermacher an der Chemie? Goethes Wahlverwandtschaften kommen einem sofort in den Sinn, in denen ein tragischer Konflikt zwischen ehelicher Bindung und Liebe im Lichte chemischer Affinitäten oder „Wahlverwandtschaften“ dargestellt wird, oder auch Johann Wilhelm Ritters spektakuläre elektrochemischen Experimente und naturphilosophische Spekulationen. Ein Blick in Schleiermachers Notizen zu Klaproths Vorlesungen aus dem Jahre 1800 belehrt uns eines besseren. Von chemischen Theorien war in Klaproths Vorlesungen kaum die Rede, geschweige denn von spekulativer Naturphilosophie. Klaproth 1 2

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KFSA 2, S. 284. Johann Wolfgang von Goethe: Die Schriften zur Naturwissenschaft, hg. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Abt. 1, Bd. 11, „Aufsätze, Fragmente, Studien zur Naturwissenschaft im Allgemeinen“, bearbeitet von Dorothea Kuhn und Wolf von Engelhardt, Weimar: Böhlau 1970, S. 352. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond: „Historische Einführung“ in KGA V/ 4, S. LVf.

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begab sich in seinen Vorlesungen vielmehr in die facettenreiche Welt chemischer Stoffe und Materialien. Schleiermachers Interesse an der Chemie, und insbesondere auch an der empirischen Stoffchemie Klaproths, war kein Einzelfall. Im Winter 1811/12 besuchte Arthur Schopenhauer die Vorlesungen Klaproths an der neu gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.4 Auch Novalis beschäftigte sich intensiv mit Chemie und studierte unter anderem auch die Schriften Klaproths. In den Werken Goethes, Schellings und F. Schlegels spielt die Chemie ebenfalls eine unübersehbar große Rolle, wie auch bei den englischen Romantikern S. T. Coleridge und W. Wordsworth.5 In den Jahren um 1800 huldigten nicht nur Philosophen und Dichter einem regelrechten Chemiekult. Öffentliche Chemievorlesungen waren vielmehr eine große Publikumsattraktion über alle Berufs-, Standes- und Geschlechtergrenzen hinweg.6 Ein Brief an den Herausgeber der Zeitschrift Chemische Annalen hatte folgendes über die Chemievorlesungen Klaproths in Berlin zu berichten:7 4

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Schopenhauer hinterließ Vorlesungsnotizen, deren Inhalt frappant mit dem von Schleiermachers Notizen übereinstimmt. Siehe Martin Heinrich Klaproth: Chemie. Nach der Abschrift von Arthur Schopenhauer, nebst dessen Radbemerkungen, Winter 1811/12. Bearbeitet und herausgegeben von Britta Engel, Berlin: Verlag für Wissenschafts- und Regionalgeschichte Dr. Michael Engel 1993. Zum Verhältnis von Chemie und Poetik bei Schelling siehe Manfred Durner: „Die Rezeption der zeitgenössischen Chemie in Schellings früher Naturphilosophie“, in: Reinhard Heckmann, Hermann Krings und Rudolf W. Meyers (Hg): Natur und Subjektivit t. Zur Auseinandersetzung mit der Naturphilosophie des jungen Schelling, Stuttgart: Fromann-Holzboog, 1985, S. 15 – 38. Zu Coleridges Verhältnis zur Chemie siehe Trevor H. Levere: Poetry Realized in Nature. Samuel Taylor Coleridge and Early Nineteenth-Century Science, Cambridge: University Press 1981. Nach Nicolai wurden in Berlin um 1786 insgesamt 21 naturwissenschaftliche Vorlesungen angeboten; siehe Friedrich Nicolai. Beschreibung der Kçniglichen Residenzst tte Berlin und Potsdam, Berlin: Nicolai 1786, S. 726 – 728. Die Vorlesungen wurden in Zeitungen regelmäßig angekündigt. Siehe auch Arndt und Virmond: „Historische Einführung“, KGA V/4, S. LVII. Annalen der Chemie 1784, Teil 1, S. 342 (der Brief wurde anonym veröffentlicht). Mit der „chemischen Werkstätte“ ist vermutlich Klaproths Laboratorium in der Apotheke Zum B ren in der Spandauer Straße 17 gemeint; Nicolai nennt die Spandauerstraße explizit als einen Ort von Klaproths Vorlesungen (Nicolai, S. 727). Nach Dann hielt Klaproth zu dieser Zeit öffentliche Vorlesungen in einem Kreis, der von einem Hauptmann Gohl organisiert wurde, und an dem auch Frauen teilnahmen; siehe Georg Edmund Dann: Martin Heinrich Klaproth (1743 – 1817): ein deutscher Apotheker und Chemiker, sein Weg und seine Leistung, Berlin: Akademie Verlag 1958, S. 66. Dass es bei der Schilderung um Klaproths

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„Sie glauben nicht, wie sehr hier jetzt das Studium der Chemie geschätzt wird, und dazu haben Ihre – Schriften – beigetragen. In den chemischen Vorlesungen finden sich Personen von allen Ständen; ja, was noch mehr ist, seit diesem Winter befinden sich unter den ordentlichen Zuhörern auch distinguirte Personen vom schönen Geschlecht. Ich weiß nicht, ob in Deutschland, außer unserm Berlin, sonst ein Ort sich des Vorzugs rühmen kann, solche Damen zu besitzen, die aus edlem Eifer, mit chemischen Kenntnissen sich zu bereichern, entschlossen genug sind, Kaffee- und Spieltische, Assemblees und Pickniks etc. hintanzusezen, und dagegen Kälte und Hitze, Dünste und Kohlenstaub, und alle sonstigen Unbequemlichkeiten einer chemischen Werkstätte standhaft zu ertragen?“ Ähnliches gab es auch aus anderen Städten zu berichten, wie etwa der Residenzstadt Weimar: „Man sprach jetzt in Weimar von nichts als von Gas, Oxigna, brennbaren Stoffen, leicht- und strengfl ssigen Dingen. Alle Weimaraner und Weimaranerinnen schienen Chemiker und Weimar ein großer Schmelzofen werden zu wollen“.8 Die Schilderung aus dem Jahre 1799 blickt zurück auf das vorangegangene Jahr, in dem der Chemiker Alexander Nicolaus Scherer in Weimar erstmals „chemische Vorlesungen für alle Stände“ anbot. Klaproth war einer der renommiertesten Chemiker seiner Zeit, dessen Weltruhm auf der Genauigkeit seiner Experimente und der chemischen Analyse einer Vielzahl von Stoffen beruhte. Sein Hauptwerk, Beitr ge zur chemischen Kenntniss der Mineralkçrper (1795 – 1810), besteht in einer sechsbändigen Kompilation von 207 Aufsätzen, die sich mit nahezu ebenso vielen verschiedenen Stoffen befassen. In einer vor den Mitgliedern der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltenen Gedenkrede wird Klaproth als ein Chemiker beschrieben, unter dessen Abhandlungen „nicht Eine ist, wodurch wir nicht an genauerer Kenntnis irgend eines Natur- oder Kunstproduktes gewonnen hätten“, der mittels seiner „scharfsinnigen Erfindung genauer und vollständigerer Scheidungswege“ auch „eine Menge neuer Grundstoffe kennen lehrte“ und dem es stets um die Feststellung von

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Vorlesungen handelt, kann aber nicht mit letzter Sicherheit behauptet werden, da zur selben Zeit auch Franz Carl Achard und Carl Abraham Gerhard Chemievorlesungen anboten (siehe Nicolai 1786, S. 726 – 728). Joseph Rückert: Bemerkungen ber Weimar 1799, hg. und mit einem Nachwort versehen von Eberhard Haufe, Weimar: Kiepenheuer 1969, S. 53 f.

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„Thatsachen“ in „Experimental-Untersuchungen“ gegangen sei.9 Klaproth war somit als Empiriker bekannt, der hunderte von Stoffen einer genauen chemischen Analyse und Beschreibung unterzog. Seine Vorlesungen waren auf die Stoffchemie und experimentelle Analysen ausgerichtet, und zwar weitgehend unabhängig von der Art seines Publikums. Er behandelte solche Themen gleichermaßen in seinen öffentlichen, von Laien besuchten Vorlesungen, wie in seinen Vorlesungen an der Berliner Chirurgenschule, dem Collegium medico-chirurgicum, der Bergakademie, der Artillerieschule, und der 1810 gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität. In Hinblick auf Hypothesen und Theorien war Klaproth als Skeptiker bekannt. Aus seinen Vorlesungen geht hervor, dass er in die Theorie der chemischen Affinitäten zwar große Hoffnungen setzte, sie aber für unabgeschlossen hielt. Zu Recht stellen Arndt und Virmond daher fest: „Mit dem Verzicht auf Hypothesen und der Beschränkung auf die Erfahrung stand Klaproth im Gegensatz zu den Naturauffassungen der spekulativen Philosophie seiner Zeit, aber auch zu empirischen Naturforschern wie dem Physiker J. W. Ritter, der seine Forschungsergebnisse im Sinne frühromantischer Theorien interpretierte“.10 Dieses Bild eines empirischen Stoffchemikers und Analytikers bestätigen auch Schleiermachers Notizen über die Vorlesungen Klaproths im Jahre 1800.11 So befasst sich die erste Vorlesungsnotiz, die in Schleiermachers Handschrift 16 Blätter umfasst, zuerst mit Zinn und Zinnverbindugen, dann mit einem Kupfererz und schließlich mit der Sauerkleesäure; in der zweiten, kürzeren Aufzeichnung geht es ebenfalls um Zinn und Zinnverbindungen. Schleiermachers Notizen beginnen im Stil der Stoffabhandlungen damaliger Chemielehrbücher mit dem natürlichen Vorkommen eines Stoffs, seinen Lagerstätten und seiner technischen Gewinnung. Es folgen Beschreibungen von Experimenten, in denen z. B. das Reaktionsverhalten von Zinn und Zinnverbindungen untersucht wird und Bemerkungen zum Nutzen der Stoffe. In diese deskriptiven, an die damalige Naturhistorie angelehnten Teile, sind „Erörterungen“ und „Fragen“ eingestreut, die teils von Klaproth, teils aber auch von Schleiermacher selbst stammen. 9 E.G. Fischer: „Denkschrift auf Klaproth“, in: Abhandlungen der Kçniglichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, Bd. 1818/19 (1820), S. 11 – 26, besonders S. 14, 15, 18. 10 Arndt und Virmond: „Historische Einführung“, KGA V/4, S. LX. 11 KGA I/3, S. 101 – 128.

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Um ein Beispiel zu geben, so beschreibt Schleiermacher eines der Demonstrationsexperimente Klaproths zur „Verglasung des Zinnsteins“ wie folgt:12 „In das(selbe) Feuer ward ein kleiner Thontiegel mit 180 Gran pulverisirtem Zinnstein ohne Zusatz gethan. Er war aber nicht zum Fluß gekommen. Dies wurde in der Folge im Porzellanofen bewerkstelligt. Die Masse war geflossen, und hatte wie es bei dieser Arbeit immer geschieht oberwärts eine bräunliche matte Rinde, die sich als Anflug auch weiter über die [Wände] des Tiegels verbreitete. Unter ihr fand sich ein reines gelbes Glas. Der untere Theil hatte das Ansehn als ob er zwar geflossen gewesen wäre, sich aber hernach schlakenartig krystallisert hätte. Anderen schien er eine wahre Schlake zu enthalten, welches nicht weiter untersucht ward.“ Dieser Beschreibung des Experiments folgen die „Erörterungen“: „Erörterungen. Man hielt sonst diese Zerlegung für unmöglich. Bergmann gab zuerst eine einigermaßen gelingende Methode an. Er ließ den Zinnstein anhaltend und heiß mit concentrirter Schwefelsäure digeriren und sezte hernach Salzsäure zu. Er gewann aber doch dem Zinnstein nur einige Procent ab. Man muß statt der sauren alkalische Auflösungsmittel anwenden. Da diese in den meisten Fällen einen beträchtlichen Grad von Hize erfordern, so wendete man sie sonst fast ganz allein auf troknem Wege an, indem man die aufzulösenden Substanzen mit kohlensaurem Laugensalz glühte. Klaproth bediente sich zuerst mit Erfolg der flüssigen Aezlaugen. Die Mischung (sehr harte Mineralien müßen zuerst gepulvert werden) wird bis zur Trokne evaporirt und in freiem Feuer geglüht. Klaproth erklärt sich das Ganze so, daß die Behandlung mit Alkali das Mineral für die Wirkung der Säuren aufschließe, dagegen Guiton [Mordeau] sie nur als eine mechanische Zertheilung gelten laßen will. Klaproth denkt hierauf zu antworten. Ich verstehe die Klaprothische Idee nicht recht: denn was heißt aufschließen? und der Guitonschen kann ich nicht beistimmten“.13 Das Beispiel wurde in voller Länge zitiert, um den Hauptgegenstand der Klaprothschen Vorlesungen zu verdeutlichen, nämlich technisch detaillierte, auf die Eigenschaften und das Reaktionsverhalten einzelner Stoffe bezogene Experimente, die dem Zuhörer umfangreiche Spezialkenntnisse chemischer Reagenzien und Verfahren abverlangten. Aber der Prediger und Philosoph Schleiermacher verfolgte diese Vor12 KGA I/3, S. 105. 13 Ebd., S. 106.

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lesungen offenbar mit großem Interesse, denn er diskutiert Klaproths chemische Erklärung des Experiments und erwartet mit Spannung die Widerlegung der alternativen, „mechanischen“ Erklärung des französischen Chemikers Louis Bernard Guyton de Morveau. Die eingangs aufgeworfene Frage nach Schleiermachers Interesse an der Chemie gewinnt auf diesem Hintergrund noch an Schärfe. Wir müssen nicht nur fragen, was ihn an der Chemie insgesamt, einschließlich ihrer theoretischen und naturphilosophischen Gebiete faszinierte, sondern insbesondere warum sich diese Faszination auch auf die empirische Stoffchemie, wie sie Klaproth vertrat, erstreckte. Ist es denkbar, dass Schleiermachers Naturbild von dieser Art Stoffchemie geprägt wurde? Arndt und Virmond äußern sich in dieser Hinsicht vorsichtig: „Ob Klaproths Empirismus Schleiermachers Naturauffassungen entsprach bzw. auf sie abgefärbt hat, ist kaum zu entscheiden, denn immerhin fühlte er sich ja –– trotz aller Vorbehalte –– auch später zur Naturphilosophie Schellings und seiner Schüler hingezogen.“14 Im folgenden gehe ich diesen Fragen nach, indem ich das umfassendere kulturelle Phänomen, den Chemiekult der Zeit, genauer untersuche. Was auch immer die individuellen Nuancen von Schleiermachers Interessen an Klaproths Chemie und der Chemie insgesamt gewesen sein mögen, und was auch immer die Facetten seiner Naturauffassung und seines Moral- und Gesellschaftsbilds waren, so lassen sich diese im Kontext des allgemeinen Chemiekults der Zeit vielleicht etwas besser verstehen. Ich fasse diesen Chemiekult aus zwei unterschiedlichen Perspektiven ins Auge; zum einen aus einer wissenschaftshistorischen Perspektive, die die Chemie einordnet in das Gesamtgefüge der damaligen Wissenschaften und ihre Funktionen in der Gesellschaft. Zum anderen aus einer kultur- und philosophiehistorischen Perspektive, aus der nach der Partizipation frühromantischer Schriftsteller und Philosophen am Chemiekult gefragt wird. Läßt sich das Interesse der Frühromantiker an der Chemie genauer bestimmen? Und wie ordnet sich die emiprische Stoffchemie eines Klaproth in das Gesamtbild? Den beiden letzten Fragen gehe ich im Folgenden als erstes nach, wobei es eher um die grobe Skizzierung eines Kontexts als um ein detailgetreues Bild gehen kann.

14 Arndt und Virmond: „Historische Einführung“, KGA V/4, S. LX.

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1. Chemie, Naturphilosophie und Poesie Die Frühromantik wird nicht selten als eine wissenschaftsfeindliche Haltung und Gegenreaktion auf den Rationalimus und die Wissenschaftsgläubigkeit der Aufklärung karikiert, wie etwa von Hans Eichner, wenn er behauptet: „Romanticism is, perhaps predominantly, a desperate rearguard action against the spirit and the implications of modern science“.15 „Moderne Wissenschaften“ werden in solchen Einschätzungen meist gleichgesetzt mit Mechanik und Physik, so dass sich die Frage nach dem Verhältnis der Frühromantik zu den Naturwissenschaften unter dem Hinweis auf deren Ablehnung des mechanischen Weltbilds als irrelevant abtun lässt. Demgegenüber hat eine inzwischen beträchtliche Zahl von Studien eindrucksvoll nachgewiesen, dass sich die Frühromantiker sehr wohl intensiv mit den Naturwissenschaften ihrer Zeit auseinandergesetzt haben. Naturphilosophie und Dichtkunst bezogen in den Jahrzehnten um 1800 wichtige Impulse aus der Chemie, Mineralogie, Geologie, Physiologie, dem Galvanismus und ab 1820 dem Elektromagnetismus. Dabei war der Stellenwert, den Goethe, Schelling, F. Schlegel oder Novalis insbesondere der Chemie beimaßen nicht in jeder Hinsicht gleich. In Schellings Naturphilosophie spielte die Chemie eine Schlüsselrolle, was F. Schlegel zu der Behauptung veranlasste, „das Beste in Schelling ist eine gewisse chemische Besessenheit“.16 Die in der damaligen Chemie unangefochtene Theorie der chemischen Affinität oder Attraktion und Repulsion, das ebenso fundamentale Konzept der binären Konstitution chemischer Verbindungen sowie der elektrochemische Dualismus wurden in Schellings Naturphilosophie zu universellen Prinzipien eines Systems der Natur weiterentwickelt. Eine ähnlich zentrale Rolle übernimmt die Chemie auch in den naturphilosophischen Entwürfen von Novalis aus den Jahren 1797/98. Friedrich Schlegel, der enge Freund von Novalis wie auch von Schleiermacher, beschäftigte sich ab 1798 ebenfalls mit Chemie, wenn auch bedeutend weniger intensiv als Novalis und Schelling. Als enger Freund Schleiermachers, der mit diesem von 1797 an auch eine gemeinsame Wohnung in Berlin teilte, dürfte er an dessen Neugier auf die Chemie nicht ganz unbeteiligt gewesen sein. Und auch für Goethes 15 Hans Eichner: „The Rise of Modern Science and the Genesis of Romanticism“, in: PLMA (Publications of the Modern Language Association of America) 97 (1982), S. 8 – 30; besonders S. 8. 16 KFSA 18, S. 135.

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Wahlverwandtschaften (1809) war die Chemie bekanntermaßen eine wichtige Quelle. Goethe beschäftigte sich darüber hinaus Zeit seines Lebens immer wieder mit chemischen Experimenten, Fakten und Theorien und trat vielfach als Förderer der Chemie auf. Um das kulturelle und philosophische Terrain abzustecken, in dem vermutlich auch Schleiermachers Interesse an der Chemie geweckt wurde, gehe ich im folgenden den chemischen Beschäftigungen von Novalis und F. Schlegel etwas ausführlicher nach, auch weil sie neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede dieses Terrains markieren. Novalis Novalis’ Beschäftigung mit der Chemie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie sich nicht nur auf Grundzüge chemischer Begriffe und Theorien beschränkte, sondern auch die empirische Stoffchemie einbezog. In seinen Freiberger Naturwissenschaftlichen Studien 1798/99 und seiner Materialsammlung zur Enzykopädie aus derselben Zeit, Das Allgemeine Brouillon, diskutiert Novalis eine Vielzahl stoffchemischer Experimente bis hin zu technischen Details und Verbesserungsvorschlägen für chemische Instrumente. Er befasst sich mit chemischer und mineralogischer Klassifikation, kritisiert die mineralogischen Identifikations- und Klassifikationsmethoden seines Freiberger Lehrers Abraham Gottlob Werner, schmiedet Pläne für eine umfangreiche Sammlung von Materialien für eine neue Enzyklopädie aller Wissenschaften und legt, ähnlich wie Schleiermacher, Exzerpte zur Stoffchemie Klaproths und des französischen Chemikers und Apothekers Louis Nicolas Vauquelin an.17 In diesen Exzerpten geht es um Experimente, die der Exploration der Eigenschaften, chemischen Zusammensetzung und des Reaktionsverhaltens einzelner Stoffe wie Feuerstein, Demantspath oder Corund dienten, also um spezielles Faktenwissen über Stoffe, das ebenso wie bei Schleiermacher die Frage nach ihrer naturphilosophischen Relevanz aufwirft. Waren solche Details über die chemische Zusammensetzung und Eigenschaften einzelner Stoffe nicht völlig entbehrlich für die frühromantische Naturphilosophie? 17 Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenberg, hg. Von Paul Kluckhohn und Richard Samuel, Bd. 3: Das Philosophische Werk II (Hg. R. Samuel), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1968, S. 182 – 183, 189 – 194.

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Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn man der Interpretation von Gerhard Schulz folgt, nach der die naturwissenschaftlichen Beschäftigungen von Novalis Teil seines groß angelegten Versuchs „der romantischen Synthese aller Wissenschaften“ waren, dem damaligen Zeitgeist entsprechend.18 Denn: „Überall ging es ja darum, ein einziges Prinzip, einen einzigen Stoff zu finden, der den vielfältigen, zum Teil neu entdeckten Erscheinungen einzelner Wissenschaften und vielleicht dem Leben überhaupt zugrunde lag“.19 Einem ähnlichen Grundanliegen wie Schelling folgend, so heißt es weiter, versuchte auch Novalis, „das Einende, Verbindende der Natur zu entdecken“.20 Diese Interpretationslinie setzt sich auch in einigen neueren Veröffentlichungen fort, wie etwa in F. R. Hendersons ansonsten innovativer Studie über die „Experimentalphilosophie“ von Novalis.21 Auch Henderson kommt zu dem Schluss, Novalis habe, in Übereinstimmung mit dem zentralen Anliegen der romantischen Naturphilosophie, den Glaube an eine einheitliche, Geist und Natur umspannende Kraft bestärken wollen. Wenn Novalis’ Synthese der Wissenschaften in der Tat vornehmlich die Reduktion auf ein einziges Prinzip, eine Urkraft, angestrebt haben sollte, so wäre seine Beschäftigung mit den stofflichen Partikularitäten der Chemie kontraproduktiv gewesen. Im Fall von Novalis liegt die Versuchung nahe, die Frage nach der naturphilosophischen Relevanz seiner Beschäftigung mit empirischem, stoffchemischem Detailwissen vorschnell mit dem Hinweis auf berufliche Erfordernisse abzutun. Denn sein Studium an der Freiberger Bergakademie von Dezember 1797 bis zum Frühjahr 1799 diente ja auch der Ausbildung für die Laufbahn eines sächsischen Salinenbeamten. Einer solchen Interpretation widersetzen sich jedoch zahlreiche Äußerungen von Novalis sowohl in den Freiberger Naturwissenschaftlichen Studien als auch im Allgemeinen Brouillon. 22 Aus diesen geht nämlich hervor, dass Novalis genuin fasziniert war von der Mannigfaltigkeit der Stoffe und Phänomene, die die Chemie untersuchte. Weiterhin zeigt 18 Gerhard Schulz: „Einleitung“ zu den Freiberger naturwissenschaftlichen Studien 1798/99, in: Novalis Schriften (Anm. 17), Bd. 3, S. 18. 19 Ebd., S. 6. 20 Ebd., S. 19. 21 Fergus Roy Henderson: Novalis’s Idea of ‘Experimentalphilosophie’. A Study of Romantic Science in its Context, Dordrecht: Kluwer 2001. 22 Zu Novalis’ Rezeption der Chemie siehe auch Peter Kapitza: Die fr hromantische Theorie der Mischung. ber den Zusammenhang von romantischer Dichtkunst und zeitgençssischer Chemie, München: Max Hueber 1968.

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sich bei genauerer Analyse, dass er zwar auf der Suche nach einem einheitlichen System der Wissenschaften war, jedoch nach einem System, das von der Kenntnis der Mannigfaltigkeit der Natur und Kunst ausging. So hebt Novalis in einer Bemerkung über die Chemie im Allgemeinen Brouillon nicht etwa die chemische Theorie der Attraktion und Repulsion oder die chemischen Grundbegriffe der Analyse und Synthese hervor, sondern die Beschäftigung mit einer Mannigfaltigkeit von Stoffen: „CHEMIE. Mannichfache Arten der chymischen Berührungen oder Verhältnisse –– z. B. in den monotonischen Pflanzen und Thierstoffen“.23 Novalis’ Interesse an der Vielfalt der Natur kommt auch in seiner intensiven Auseinandersetzung mit der mineralogischen Klassifikation A. G. Werners sowie der Materialsammlung zu einer Enzyklopädie zum Ausdruck. „Jezt will ich alle W[issenschaften] speciell durchgehen –– und Materialien zur Encyclopaedistik sammeln“, heißt es an einer Stelle im Allgemeinen Brouillon. 24 Der von Schulz betonte romantische Plan der „Synthese aller Wissenschaften“ schloss offenbar das mühsame Sammeln von Fakten und die arbeitsintensive Beschäftigung mit den Einzelwissenschaften ein. Dies wird an einer anderen Textstelle damit begründet dass: „die Gattung oder das Gemeinsame später, als das Einzelne entsteht – indem es erst durch den Contact der gebildeten Individuen erzeugt wird –– h[oc] erst ins Fleisch kommt“.25 Novalis’ Überlegungen zum Verhältnis von Natursystem, Klassifikation und der Mannigfaltigkeit empirischer Naturphänomene kulminieren zuweilen in paradoxen Formulierungen wie: „ENC[YKLOPAEISTIK]. „Nicht das Wesentliche – karacterisirt – nicht die Hauptmassen – sondern das Unwesentliche – Eigenthümliche. Werners Oryktogn[osie]. Die voll[kommen] unabh[ängigige] Oryktogn[osie] und die voll[kommen] unab[hängige] mineralische Chemie machen als völlig Heterogène ein System“.26 23 24 25 26

Novalis Schriften (Anm. 17), Bd. 3, S. 270 (158). Ebd., S. 279 (229). Ebd., S. 257 (90). Ebd., S. 278 (222). Oryktognosie ist eine veraltete Bezeichnung für Mineralogie. Novalis diskutiert wiederholt die Unterschiede einer Oryktognosie, die die Mineralien auf der Grundlage ihrer beobachtbaren Eigenschaften identifiziert und klassifiziert, und einer „chemischen Mineralogie“, in der die auf der chemischen Analyse beruhende Kenntnis der Zusammensetzung der Mineralien das ausschlaggebende Identifikations- und Klassifikationskriterium ist.

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Novalis Suche nach einem System der Natur, das nicht auf ein einziges Naturprinzip oder eine einzige Urkraft reduziert war, sondern die Mannigfaltigkeit der Natur repräsentierte, schloss zahlreiche methodische Überlegungen über das Experimentieren und eine „elastische Art zu denken“ ein. Zu Letzterem bemerkt er, es komme darauf an, „von den Erscheinungen zu den Principien, und umgekehrt hin und her zu gehn ––oder besser zugleich hierhin und dorthin zu gehn –– in doppelten Richtungen unaufhörlich sich zu reiben“.27 Kurz danach notiert er: „Die Betrachtung des Großen und die Betrachtung des Kleinen müssen immer zugleich wachsen –– jene mannichfacher, diese einfacher werden. Zusammengesetzte Data sowohl des Weltgebäudes, als auch des Individuellsten Theils desselben (Macroscosm und Microcosm)“.28 Die thematische Vielfalt der Aufzeichnungen, in die diese Methodenüberlegung eingebettet ist – ihr gehen Bemerkungen über Temperatur- und Luftdruckmessungen sowie über farbige, schwarze und leuchtende Körper unmittelbar voraus, es folgen solche über mineralogische Klassifikation, die Entzündung des Phosophors und die Erzeugung von Phosphor und Schwefel im Tierkörper –– scheint das „unaufhörliche Reiben“ an den Phänomenen geradezu exemplarisch vorzuführen. Wie immer daher Novalis’ methodische Anmerkung genauer zu bestimmen wäre, sie implizierte die Abarbeitung an der Fülle des empirischen Materials der Chemie und anderer Einzelwissenschaften. Dies setzte die Kenntnis dieser Materialfülle aus der Beschäftigung mit den Einzelwissenschaften voraus. Novalis’ Methode einer Systemkonstruktion war nicht als lineares logisches Induktionsverfahren gedacht, sondern als eine Bewegung in beide Richtungen von der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zu einfacheren Prinzipien und umgekehrt, wie nicht zuletzt auch aus der folgenden Bemerkung im Allgemeinen Brouillon hervorgeht: „Man geht mit den Erfahrungen und Experimenten noch viel zu sorglos um – Man versteht sie nicht zu benutzen – Man betrachtet zu wenig die Erfahrungen – als Data zur Auflösung und mannichfaltigen Combinationen zum Calcül – Man überlegt die Erfahrungen, in Beziehung auf Schlüsse, nicht sorgfältig genug – Man nimmt nicht jede Erfahrung, als Function und Glied einer Reihe an – man ordnet – vergleicht – und simplificirt die Erfahrungen nicht genug – man prüft einen Gegenstand nicht mit allen Reagentien – 27 Ebd., S. 58, meine Hervorhebung. 28 Ebd., S. 59.

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man vergleicht ihn nicht fleißig – und mannichfach genug“.29 Schlüsse und Vereinfachungen werden hier gebunden an die Akkumulation von Erfahrung, an Erfahrungsreihen, sowie an Versuche der unterschiedlichen Kombination von Erfahrungsdaten durch das Kalkül oder andere Formen der Repräsentation; zugleich wird die Vervielfältigung von Experimenten angemahnt, so wie es in der Chemie durch die Anwendung aller verfügbarer Reagenzien auf einen zu identifizierenden Stoff der Fall war. Novalis’ war gleichermaßen gefesselt von der Vielfalt der Phänomene, die die Chemie untersuchte, wie von der materiellen Produktivität chemischer Experimente. Wie keine andere Naturwissenschaft führte die Chemie nicht nur die fertigen Naturprodukte, sondern die tätige Natur, natura naturans, vor Augen. Die Chemie war um 1800 die einzige Wissenschaft, die spezielle Räume für das Experimentieren, Laboratorien, etabliert hatte, und in der kontinuierlich und tagtäglich experimentiert wurde.30 Sie war die paradigmatische Laborwissenschaft der Zeit, die dem Experimentieren lange vor der Physik oder Physiologie denselben zentralen epistemologischen Stellenwert zuschrieb, den wir aus den heutigen experimentellen Teildisziplinen der Naturwissenschaften kennen. Wenn Novalis daher fordert, dass „jeder Ort seine Naturforscher und Laboratorien“ haben müsse, so war dafür die Chemie sein Vorbild.31 Stoffumwandlungen, die Reproduktion natürlicher Stoffe und die Herstellung neuer, nicht in der Natur vorkommender Stoffe durch chemische Analyse und Synthese standen seit Mitte des 18. Jahrhunderts im Zentrum dieser experimentellen Wissenschaft.32 Novalis’ Experimentbegriff zeigt eine verblüffende Übereinstimmung mit diesem chemischen Experimentalstil. Er hat dagegen wenig gemeinsam mit dem traditionellen wissenschaftstheoretischen Verständnis des Experimentierens als einer Methode des Testens von Hypothesen und Theorien, das in den vergangenen Jahrzehnten durch zahlreiche wissenschaftshistorische und philosophische Studien in Frage gestellt wurde.33 Das Experimentieren in der Chemie des 18. Jahrhunderts und 29 Ebd., S. 427 (805). 30 Siehe Ursula Klein: „Die technowissenschaftlichen Laboratorien der Frühen Neuzeit“, N.T.M. 2008, S. 5 – 38. 31 Novalis Schriften (Anm. 17), Bd. 3, S. 179. 32 Siehe Ursula Klein und Wolfgang Lefèvre: Materials in Eighteenth-Century Science. A Historical Ontology, Cambridge (Mass.): MIT Press 2007. 33 Siehe z. B. Ian Hacking: Representing and Intervening. Introductory Topics in the Philosophy of Natural Science, Cambridge: University Press 1983; Peter Galison:

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der gesamten klassischen Stoffchemie bis ins 20. Jahrhundert diente nicht in erster Linie dem Testen von Hypothesen und Theorien –– es setzte vielmehr in der Regel gewisse Begriffe und Theorien als unhinterfragte Bedingungen des Experimentierens voraus –– sondern der Erforschung der Eigenschaften von Stoffen, der Analyse ihrer unsichtbaren Zusammensetzung und dem Studium ihrer chemischen Reaktionen und Umwandlungen zu neuen Stoffen. Dieser an der stofflichen Vielfalt und der materiellen Produktivität der Natur und Technik ausgerichtete experimentelle Forschungsstil der Chemie des 18. Jahrhunderts ist von Novalis treffsicher aufgespürt worden. Er spielt darauf an in Bemerkungen wie der folgenden, deren Bezug auf die Chemie mit der Erwähnung von Phosphor und Kampfer deutlich wird: „Vervielf ltigung – Wiederholung – Zertheilung – (Addition – Multiplikation – Exponenziation etc.) von Experimenten. Zusammensetzung von Experimenten. […] Muster des Experimentirens. (Phosphor – Kampfer)“.34 In einer anderen Notiz, in der es um die „Aufsuchung reiner chymischer Erfahrungen“ und Experimente des französischen Chemikers Antoine-Laurent Lavoisier geht, bemerkt er: „Ließen sich nicht die chymischen Werckzeuge noch sehr verbessern? Vermannichfaltigung und Exhaustion eines Phaenomens durch Vermannichfaltigung der tangirenden und cooperirenden W[erck]z[euge]“.35 Novalis verstand diese eminent aktive, experimentelle Wissenschaft Chemie als Vorbild, nicht nur für die experimentelle Naturforschung, sondern auch für die Poetik, Philologie und Philosophie.36 „Philologisiren“, so Novalis im Allgemeinen Brouillon, „ist die wahrhaft gelehrte Beschäftigung. Es entspricht dem Experimentiren. (Ich muß einmal ein vollst[ ndiges] Experiment machen)“.37 Kurz zuvor schreibt er: „Am Ende scheint alles Nachdenken auf ächtes Experimentiren zu führen – und die sog[enannte] Vernunftlehre – die Nothwendigkeit, Methode, etc. des

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How Experiments End, Chicago: The University of Chicago Press 1987; Michael Heidelberger und Friedrich Steinle (Hg.): Experimental Essays – Versuche zum Experiment, Baden-Baden: Nomos 1998. Novalis Schriften (Anm. 17), Bd. 3, S. 435 (863). Ebd., S. 426 (802). Dies schließt selbstverständlich andere, vorwiegend philosophische Quellen seines Experimentbegriffs, wie sie von Henderson herausgearbeitet wurden, nicht aus (siehe Henderson 2001; Anm. 21). Zur Rolle der chemischen Experimentalpraxis für Novalis’ Naturphilosophie siehe auch Ralf Liedtke: Das romantische Paradigma der Chemie. Friedrich von Hardenbergs Naturphilosophie zwischen Empirie und alchemistischer Spekulation, Paderborn: Mentis 2003. Novalis Schriften (Anm. 17), Bd. 3, S. 408 (724).

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Experimentirens und Lebens, als eines beständigen Experimentirens zu enthalten und beweisen“.38 Der sechsundzwanzigjährige Novalis brachte seine Überzeugung von der Notwendigkeit der aktiven Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, in Analogie zur körperlichen, experimentellen Manipulation materieller Stoffe in der Chemie, zuweilen recht drastisch zum Ausdruck: „Um einen Gegenstand wahrzunehmen, muß ich ihn erst essen, und mich dann mit ihm begatten, dann ihn als Keim setzen, ihn befruchten, selbst empfangen und geb hren. Die gemeine philosophische Analyse hat viel Ähnlichkeit mit d[er] Onanie“.39 Wie F. R. Henderson bereits argumentierte, ist der Experimentbegriff a „key term under which Novalis’s thought can be analyzed with effective results“.40 Besonders hervorzuheben ist dabei jedoch, dass es ein besonderer, nämlich an der Chemie orientierter Experimentbegriff war, den Novalis sowohl für sein Naturbild als auch für seine Poetik und Linguistik fruchtbar zu machen versuchte. Der chemische Experimentalstil implizierte die explorierende, tätige Auseinandersetzung mit materiellen Gegenständen ebenso wie die kontinuierliche Ausweitung auf neue Gegenstände, aus der empirisches Wissen über eine große Vielfalt von Gegenständen resultierte. Friedrich Schlegel Friedrich Schlegel hielt die Chemie für die wichtigste Naturwissenschaft seiner Zeit und bemühte sich entsprechend, einen Überblick über diese Wissenschaft zu gewinnen. In den Athen ums-Fragmenten bemerkt er: „Es ist natürlich, dass die Franzosen etwas dominieren im Zeitalter. Sie sind eine chemische Nation, der chemische Sinn ist bei ihnen am allgemeinsten erregt, und sie machen ihre Versuche auch in der moralischen Chemie immer im Großen. Das Zeitalter ist gleichfalls ein chemisches Zeitalter“.41 Im Vergleich zu Novalis bezog Schlegel aus der Chemie hauptsächlich Impulse für die Poetik und weniger für die Naturphilosophie. Sein Bekenntnis gegenüber Schleiermacher im Sommer 1798, ihm sei „doch etwas bange“ vor den Naturwissenschaften, und er werde „wohl immer nur Gast sein“ auf diesem Gebiet 38 39 40 41

Ebd., S. 402 (702). Ebd., S. 88. Henderson, Anm. 21, S. 33. KFSA 2, S. 284 [426].

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dürfte eine zutreffende Selbsteinschätzung gewesen sein.42 Naturwissenschaftliches Faktenwissen und stoffchemische Details vermochten Schlegels Aufmerksamkeit kaum zu fesseln.43 Denn im Vergleich zu Novalis war Schlegels naturphilosophisches Interesse sehr viel stärker auf das einigende Prinzip des Naturganzen gerichtet. „Die Mannichfaltigkeit“, so bemerkt er um 1800, „ist nur d[er] Wiederschein, d[ie] Verwirrung d[er] Monaden“.44 Schlegels Notizen zur Stoffchemie beschränken sich daher auf knappe, mehr oder weniger ideosynkratische Anmerkungen wie: „Das Salz (so die Natur in grossen Massen hervorbringt) scheint das zu sein, was die Metalle und Steine mit andren Sphären en rapport setzt“.45 Oder: „Ehe mans nicht im Hydrogeniren so weit gebracht hat als im Oxydiren ist an kein System d[er] Chemie zu denken“.46 Ein „System der Chemie“ lag um 1800 in der Tat nicht vor – auch die Lavoisiersche Chemie systematisierte nur ein Teilgebiet der Chemie, wobei viele Fragen offen blieben – und die meisten Chemiker dieser Zeit standen Systembildungen eher skeptisch gegenüber.47 Die chemische Metaphorik von Schlegels Poetik deutet darauf hin, dass er in der Chemie etwas sah, was vielleicht für die romantische Bewegung insgesamt und ihren Chemiekult charakteristisch war, und worauf im Zusammenhang mit der Diskussion von Novalis bereits hingewiesen wurde. Aphorismen wie „Der Ess.[ay] nicht Ein Exp.[eriment] sondern ein beständiges Experimentiren“48 oder „Ironie ist Univ[erselles] Experiment“49 belegen die Modellfunktion, die Schlegel, ebenso wie Novalis, im wissenschaftlichen Experimentieren für das Schreiben sieht. Anders als heute wurde der Terminus „Experiment“ um 1800 gewöhnlich nur im Kontext der Naturforschung verwendet, so dass Schlegels und Novalis’ metaphorische Übertragung 42 Zitiert nach Ernst Behler: „Einleitung“, in: KFSA 18, S. IX–LXX, besonders S. XXXI. 43 Michel Chaouli bemerkt daher zu recht: „What distinguishes him [F. Schegel] from some of his contemporaries is not his knowledge of this emerging science [chemistry], but in fact his lack of systematic understanding“; Michel Chaouli: The Laboratory of Poetry. Chemistry and Poetics in the Work of Friedrich Schlegel, Baltimore and London: The Johns Hopkins University Press 2002, S. 2. 44 KFSA 18, S. 421 [1223]. 45 Ebd., S. 162 [462]. 46 Ebd., S. 181 [656]. 47 Siehe Klein und Lefèvre (Anm. 32). Schlegel spielt in dieser Bemerkung auf die zentrale Rolle von Sauerstoff und Wasserstoff in diesem Teilgebiet an. 48 KFSA 18, S. 215 [248]. 49 Ebd., S. 217 [279].

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auf die Poetik etwas Ungewöhnliches waren. Die Chemie war, wie dies oben schon ausgeführt wurde, zu dieser Zeit die paradigmatische Laborwissenschaft. Tägliches Experimentieren im Laboratorium und eine kontinuierliche, sich ständig erweiternde experimentelle Exploration einer Vielzahl von Stoffen war der Normalfall in der Chemie. Was also interessierte Schlegel an dieser Art des Experimentierens, wenn es nicht die Stoffchemie und die stoffliche Vielfalt war? Wie im Fall von Novalis, so dürfte sich auch Schlegels Bild einer tätigen Natur, oder wie Ernst Behler dies ausgedrückte, das „Erlebnis der natura naturans“, insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem chemischen Experimentieren, mit seiner charakteristischen Kontinuität, Eigendynamik und außergewöhnlichen stofflichen Produktivität, entwickelt und verfeinert haben.50 Schlegel weist auf die methodische Relevanz dieses Experimentalstils für das Schreiben mit seiner Charakterisierung des Essays als ein „beständiges“ Experimentieren hin. „Beständiges Experimentieren“ im Sinne einer ergebnisoffenen, kontinuierlichen und relativ eigenständigen Form von Forschung, deren Ziele und Handlungstechniken weder durch die Erfordernisse der Theorie noch der Lehre determiniert waren, sondern aus der experimentellen Praxis selbst resultierten und damit ein gewisses Eigenleben entfalteten, gab es in den Wissenschaften um 1800 nur in der Chemie. Dieser Stil des Experimentierens war zudem direkt gebunden an die Stoffchemie und die damaligen Fragestellungen, Methoden und Techniken der Stoffchemie. Stoffchemie bedeutete zum einen, vergleichbar mit Botanik und Zoologie, die Beschäftigung mit einem riesigen Reservoir von Partikularitäten, und dies allein regte bereits den kontinuierlichen Fortgang des Experimentierens an. Zum anderen aber, und dies ist hier der wichtigere Gesichtspunkt, produzierte das chemische Experimentieren ständig neue, in der Natur nicht vorkommende Stoffe. Alle chemischen Experimente, die der Erforschung der Zusammensetzung und des Reaktionsverhaltens eines besonderen Stoffs dienten, eines Stoffs, der entweder aus der Natur oder dem Handel und Gewerbe bekannt war, führten zu stofflichen Reaktionsprodukten. Unter diesen stofflichen Reaktionsprodukten befanden sich häufig nicht nur bekannte, sondern auch neue, bisher noch nie beobachtete Stoffe. Die experimentelle Stoffchemie des 18. und 19. Jahrhunderts generierte somit aus sich selbst heraus beständig neue Objekte, deren Studium wiederum neue Experimente erforderten. Sie war von der Sache her, 50 Behler „Einleitung“ (Anm. 42), S. XXXII.

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durch die Art der materiellen Objekte des Experimentierens, ein prinzipiell unabgeschlossenes Experimentieren. Der Germanist Michel Chaouli hat in seinem The Laboratory of Poetry. Chemistry and Poetics in the Work of Friedrich Schlegel (2002) mit überzeugenden Argumenten auf den Modellcharakter dieses produktiven, ergebnisoffenen Stils des chemischen Experimentierens für Schlegels Poetik aufmerksam gemacht. „The concept of the experiment – of Versuch or essay“, so Chaouli, „plays a crucial role in Schlegel’s reconfiguration of poetics“, und er fügt über die Chemie die Bemerkung hinzu, dass „far from anchoring itself in a single starting point, chemistry in practice begins with a multiplicity that, moreover, threatens continually to proliferate“.51 Chaoulis Schrift verdanken wir das Aufdecken weiterer Facetten von Gemeinsamkeiten zwischen Schlegels Poetik und dem chemischen Experimentalstil. Die Stoffchemie des 18. Jahrhunderts hatte eine Form der experimentellen Praxis entwickelt, in der es ständig Überraschungen und Entdeckungen gab. Anders als in den Kernbereichen der damaligen „Experimentphilosophie“ (d. h. dem Gebiet, das sich im 19. Jahrhundert zur „experimentellen Physik“ entwickelte) war das Neue und Unerwartete in der Chemie der Stoffe nicht erst Ergebnis langwieriger, oftmals jahrelanger Arbeit, sondern ein beständiger Begleiter des Experimentierens. Wie Chaouli zu Recht feststellt, interpretierten die Chemiker dieser Zeit die experimentelle Produktion neuer Stoffe mit den Begriffen der chemischen Analyse und Synthese sowie Element und chemische Verbindung und erklärten sie somit als Resultat einer chemischen Kombinatorik, die eine immense Zahl von Kombinationsmöglichkeiten chemischer Elemente zuließ.52 Diese produktive chemische Kombinatorik, so Chaouli, übertrug Schlegel auf die Poetik. Er charakterisiert seine ars combinatoria daher als eine „thoroughly chemical combinatorics“; „Schlegel’s true invention in aesthetics“, so Chaouli, „lies in bringing to bear on poetry a combinatorial method gleaned from chemistry“.53 51 Chaouli (Anm. 43), S. 97. 52 Zu diesem Begriffssystem der Chemie des 18. Jahrhunderts siehe auch Ursula Klein: Verbindung und Affinit t, Basel: Birkhäuser 1994. 53 Chaouli (Anm. 43), S. 120, 121. Chaouli führt für diese Behauptung eine Reihe überzeugender Zitate Schlegels an wie z. B.: „Dieses Kombinatorische ist es, was ich […] als wissenschaftlichen Witz bezeichne. Es kann nicht entstehen ohne Universalität, denn nur wo eine Fülle verschiedenartiger Stoffe

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Chaoulis Argument, die Schlegelsche ars combinatoria habe signifikante Impulse aus den zeitgenössischen chemischen Begriffen und der experimentellen Praxis des Kombinierens, Analysierens und Synthetisierens bezogen, ist ansatzweise bereits von Peter Kapitza und Matthew Tanner vorgebracht worden. „In his Athenaeum fragments“, so Tanner, „Friedrich Schlegel explores and utilises this property of chemical combination to the point where chemistry assumes a pivotal role in his thinking“.54 Kapitza hat insbesondere das Verhältnis zwischen Poetik und dem chemischen Konzept der „Mischung“ oder chemischen Verbindung untersucht. „Das Experimentierende der romantisch-chemischen Schriften“, so Kapitza, kommt bei Friedrich Schlegel zum Ausdruck in der ständigen Suche nach Elementen, die zur Mischung gebracht werden können“.55 Chaouli geht aber insofern über Kapitza und Tanner hinaus als er spezifische Aspekte der Chemie der damaligen Zeit konkreter in sein Argument zu integrieren vermag. Dazu gehört über den besonderen Experimentalstil und die stoffliche Kombinatorik der Chemie des 18. Jahrhunderts hinaus auch deren Kräftetheorie. Die Chemie des 18. Jahrhunderts erklärte das Reaktionsverhalten chemischer Stoffe und deren auffälliges „Wahlverhalten“ mit den unterschiedlichen chemischen Affinitäten zwischen verschiedenen Stoffen. Bereits im frühen 18. Jahrhundert bemühten sich Chemiker, Regelmäßigkeiten der chemischen Affinitäten durch das Aufstellen von Affinitätstabellen darzustellen.56 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die chemische Affinitätstheorie dann durch den Begriff der Repulsion ergänzt, wobei man die Repulsionskraft einem hypothetischen Wärmestoff zuschrieb, der mit allen Stoffen in unterschiedlichen Quantitäten verbunden sein sollte. Damit schienen chemische Reaktionen im Prinzip als Ergebnis zweier entgegenwirkender Kräfte erklärbar zu sein. Nicht nur Schelling stützte seine Naturphilosophie auf diese chemische Theorie der Attraktion und Repulsion, auch für Schlegel war das Spiel sich „ewig scheidender und mischender Kräfte“ ein Faszinosum.57 Die besondere Faszination, so Chaouli, die für Schlegel von dieser Kräftetheorie ausging, entstand aber nicht nur in der 54 55 56 57

vereinigt ist, können neue chemische Verbindungen und Durchdringungen derselben vor sich gehen“ (zitiert nach Chaouli, S. 244, Fußnote 48). Mattew Tanner: „Chemistry in Schlegel’s Athenäum Fragments“, in: Form for Modern Language Studies 31 (1995), S. 140 – 53, S. 140. Kapitza (Anm. 22), S. 37; siehe auch S. 72 – 80. Siehe Klein 1994 (Anm. 52). Chaouli (Anm. 43), S. 87, 237.

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Verbindung einer chemischen Kombinatorik mit einer chemischen Dynamik, sie resultierte zudem auch aus dem eigenartigen Verhältnis von mechanischem Determinismus und faktischer Unberechenbarkeit chemischer Verbindungsbildungen. In der Tat erlaubten die chemischen Affinitätstabellen des 18. Jahrhunderts zwar Aussagen darüber, welche Stoffe in der gewöhnlichen Laborpraxis häufig miteinander reagierten oder nicht reagierten, sie ermöglichten aber weder sichere Voraussagen noch exakte Berechungen chemischer Reaktionen. Die damalige chemische Affinititätstheorie war zwar relativ erfolgreich in der Aufstellung von Regeln des Reaktionsveraltens zahlreicher Stoffe, aber sie erstreckte sich zum einen nicht auf alle chemische Stoffe, und sie vermochte es zum anderen nicht, die Regeln der chemischen Affinität in quantifizierte Gesetze zu transformieren. Im Gegenteil, um 1800 stand das Scheitern solcher Quantifizierungs- und Mathematisierungsbemühungen fest, und es zeichnete sich zudem ab, dass noch ein weiter experimenteller Weg bis zur vollständigen Erfassung und Kontrolle aller materiellen Rahmenbedingungen des Wirkens der chemischen Affinität zurückzulegen war.58 Chaouli kommt daher zu dem interessanten Schluß: „It is to the degree that late-eighteenth-century chemistry fails to master its material through mathematical abstraction that it becomes a rich model for the kind of poetics that Schlegel’s writing encodes“.59 Zusammenfassung Das Anliegen dieses Abschnitts war eine Skizzierung der Beschäftigung der Frühromantiker mit der Chemie ihrer Zeit, wobei sich insbesondere die Frage stellte, wie deren Interesse an der empirischen Stoffchemie wie sie Klaproth vertrat zu erklären sei. Zwei Aspekte der Chemie um 1800 erwiesen dabei sowohl für Novalis als auch für Schlegel als besonders relevant: das Bild einer aktiven Natur, natura naturans, und der chemische Stil des relativ eigenständigen, kontinuierlichen und explorativen Experimentierens, der gerade für die Stoffchemie charakteris58 Dieser Sachverhalt wurde insbesondere in Claude-Louis Berthollets Essai de statique chimie (1803) thematisiert. Mit diesem Werk wurde Berthollet, ein enger Mitstreiter Antoine-Laurent Lavoisiers in der „chemischen Revolution“, einer der weltweit einflussreichsten Chemiker. 59 Chaouli (Anm. 43), S. 84.

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tisch war. Beides dürfte den Chemiekult der Frühromantiker maßgeblich beflügelt haben. Der Vergleich von Novalis und Schlegel zeigt aber ebenfalls, dass sich die Frühromantiker nicht in jeder Hinsicht und in gleichem Maße mit den Details einer empirischen Stoffchemie in der Art Klaproths beschäftigten. Gleichwohl kann angenommen werden, dass die eher theoretisch und naturphilosophisch interessierten Zuhörer Klaproths den dargebotenen Stoff im Lichte einer umfassenderen, theoretische Erörterungen einschließenden chemischen Lektüre rezipierten. Die zahlreichen stoffchemischen und methodischen Details seiner Vorlesungen waren aus dieser Perspektive dann weniger sui generis interessant denn als willkommene anschauliche Demonstrationen und Erläuterung chemischer Theorien und Naturauffassungen. Letzteres dürfte auf Friedrich Schlegel zutreffen, der kein genuines philosophisches Interesse an der empirischen Stoffchemie an den Tag legte und dessen Bemerkungen über dieses Gebiet keine vertieften Kenntnisse bezeugen. Dem steht die Novalis’ Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Mannigfaltigkeit und Einheit der Natur gegenüber, die empirische Kenntnisse dieser Mannigfaltigkeit voraussetzte. Der romantische Begriff der Einheit der Natur schloss somit bei Novalis die Beschäftigung mit Partikulariäten ein. Die Frage, wie Schleiermacher zwischen diesen beiden Polen einzuordnen ist, muss hier offen bleiben. Dazu ist anzumerken, dass Schleiermachers „Erörterungen“ in seinen Notizen zu Klaproths Vorlesungen eine gewisse Vertrautheit mit stoffchemischen Sachverhalten belegen. Eine dritte Dimension des Chemiekults der Frühromantiker ergab sich aus dem Verhältnis von Dichtkunst und Chemie, insbesondere den Anregungen, die die romantische Poetik aus der chemischen Experimentalpraxis bezog.

2. Die Nützlichkeit der Wissenschaften Während sich der vorangegangene Abschnitt mit dem Chemiekult der Frühromantiker und somit einer kleinen Bildungsschicht befasste, soll nun der Frage nachgegangen werden, ob es neben den bisher analysierten philosophischen und literarischen Aspekten dieses Chemiekults noch weitere Seiten gab, die auch für andere Schichten relevant waren. Abgesehen davon, dass naturwissenschaftliche Vorlesungen insgesamt um 1800 in Mode gekommen waren, so dass die Teilnahme an ihnen auch eine Frage der Geselligkeit und des Vergnügens war, zumal wenn sich durch Experimente die Spannung und der Nervenkitzel erhöhen

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ließ, so geht es hier spezifischer um die Frage was das breitere Publikum einer empirischen Stoffchemie abgewinnen konnte. Heute ist es nur schwer vorstellbar, dass sich ein größeres Publikum von einem Vortrag über das Vorkommen, die technische Gewinnung und die Eigenschaften des Eisens sowie seine Reaktionen mit Säuren, Schwefel, Sauerstoff, Kohlenstoff usw. und seine vielfältigen praktischen Anwendungen begeistern ließe, um sich dann anschließend ähnliche Ausführungen über Blei, Zink, Zinn, Kupfer und eine Vielzahl anderer Stoffe und Materialien anzuhören. Unvorstellbar ist ein heutiges Berlin oder Weimar von dem sich wie Ende des 18. Jahrhunderts sagen ließe „alle Weimaraner und Weimaranerinnen schienen Chemiker und Weimar ein großer Schmelzofen werden zu wollen“.60 Was machte um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert diese große Attraktion der Chemie für breite Bevölkerungsschichten aus? Dazu zunächst ein kleines Detail aus Schleiermachers Notizen zu Klaproths Vorlesungen, bevor ich versuche, dieses Interesse an der Chemie als ein kulturelles Phänomen der Zeit zu erklären, das mit einem bestimmten Wissenschaftsbild einherging. Es fällt nämlich auf, dass Klaproths Demonstrationsexperimente und stoffchemische Themenauswahl nicht nur von rein wissenschaftlichem Interesse waren. Vielmehr scheint er auch gezielt gewerblich bedeutsame Verfahren und Anwendungen ausgesucht zu haben. So enthält zum Beispiel Schleiermachers Vorlesungsnotiz über die Wirkung einer Zinnauflösung auf Farbstoffe den folgenden praktischen Hinweis: „Die Färber bedienen sich derselben unter dem Namen Komposition um mehrere Farben zu erhöhen. Sie erhöht die Chochenille zu Scharlach und auf ihr beruht auch die geheim gehaltene Bereitung des rothen Karmins“.61 Dem folgt ein Experiment zur Herstellung des „Spiritus fumans Libavii“, einer Zinnverbindung, die seit dem 16. Jahrhundert als chemisches Medikament verwendet und fast ausschließlich zu diesem gewerblichen Zweck hergestellt wurde. Danach wird ein Experiment zur Herstellung von „Musivgold“ beschrieben, einer goldfarbenden Zinnverbindung, die in der Malerei verwendet wurde.62 Die mit diesen Experimenten bekundeten praktischen, gewerblichen Interessen Klaproths stehen nicht zuletzt in einem Zusammenhang mit seiner beruflichen Karriere. 60 Rückert (Anm. 8), S. 53 f. 61 KGA I/3, S. 110. 62 Ebd., S. 111 – 112.

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Martin Heinrich Klaproth (1743 – 1817) hatte fast dreißig Jahre lang den Apothekerberuf ausgeübt, bevor er eine rein akademische Karriere antrat. Er hatte zunächst eine ganz normale fünfjährige Apothekerlehre und eine siebenjährige Gesellenzeit absolviert, und nahm dann 1771 eine Stelle als Provisor in einer Berliner Apotheke an.63 Durch eine vorteilhafte Heirat erlangte er die nötigen finanziellen Mittel, um sich 1780 eine eigene Apotheke zu kaufen, die Apotheke Zum B ren in der Spandauer Straße. Wie es bei allen Apotheken dieser Zeit üblich war, so gehörte auch zu dieser Apotheke ein Laboratorium, in dem die chemischen Medikamente hergestellt wurden. In diesem Apotheker-Laboratorium führte Klaproth von 1780 bis 1800 alle chemischen Experimente durch, die in insgesamt 84 Veröffentlichungen dokumentiert sind. Hier analysierte er unzählige Stoffe, entdeckte 1789 die Elemente Uran und Zirkonium und bestätigte die Entdeckungen einer Reihe weiterer chemischer Elemente. Gleichzeitig begann er, Vorträge über Chemie abzuhalten. Ab 1782 lehrte er Chemie am Collegium medicochirurgicum, einer 1724 gegründeten Schule für Chirurgen, kurz danach begannen die oben erwähnten Vorlesungen im Kreise des Hauptmanns Gohl; 1784 erhielt er einen Lehrauftrag an der Berliner Bergakademie und drei Jahre später eine Dozentur an der Artillerieschule (1791 zur Königlichen Artillerieakademie umbenannt). Mit seiner Aufnahme in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Jahre 1788 erhielt Klaproth die gebührende Anerkennung für seine wissenschaftlichen Leistungen. Zwei Jahre später, also zu der Zeit als Schleiermacher seine Vorlesungen besuchte, wurde er zum Direktor des Laboratoriums der Berliner Akademie der Wissenschaften ernannt, und 1810 erhielt er eine Professur für Chemie an der neu gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität. Vom Apothekerlehrling zum Direktor des Akademielaboratoriums und schließlich zum Universitätsprofessor, das erscheint zunächst als eine sehr ungewöhnliche Laufbahn. Klaproth hatte ja nie eine Universität besucht, er hatte nur eine handwerkliche Lehre absolviert, und er hatte die größte Zeit seines Berufslebens in seiner Apotheke verbracht. Aber diese Karriere war keineswegs ungewöhnlich im 18. Jahrhundert. Klaproths Vorgänger als Direktor des Akademielaboratoriums war Franz Carl Achard, der ebenfalls keine Universität besucht hatte. Achard zeichnete sich durch seine technologischen Fähig63 Diese Apotheke Zum Weißen Schwan gehörte dem Apotheker und Chemiker Valentin Rose. Zu Klaproths Biographie siehe Dann (Anm. 7).

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keiten aus und wurde nach 1800 durch seine Erfolge in der Extraktion von Zucker aus Zuckerrüben im technischen Maßstab berühmt. Der Vorgänger Achards und erste Direktor des 1754 errichteten Akademielaboratoriums, Andreas Sigismund Marggraf, war ebenfalls zunächst ein Apotheker, der seine wissenschaftlichen und gewerblichen Interessen geschickt zu verbinden verstand. Alle drei Chemiker waren empirisch orientierte Stoffchemiker und Analytiker, die wenig Interesse an chemischen Theorien, geschweige denn Naturphilosophien, hatten. Karrieren wie die von Klaproth, Achard und Marggraf geben nicht zuletzt auch Aufschluss darüber, wer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland als Naturforscher anerkannt war, was als Naturwissenschaft galt, und warum die Chemie unter allen Naturwissenschaften dieser Zeit einen Kultstatus erlangt hatte.64 In seinen Metaphysischen Anfangsgr nden hatte Kant behauptet, die Chemie sei keine Wissenschaft, sondern eine bloße Kunst, weil sie nicht auf apriorisch gewissen, mathematisch formulierten Prinzipien beruhe. Kants Wissenschaftsverständnis orientierte sich an der Newtonianischen Physik. Für Goethe stand dagegen nicht nur der Status der Chemie als Wissenschaft außer Frage, er verstand zudem auch Teile der Pharmazie als Wissenschaft, und seine große Wertschätzung für die Chemie beruhte nicht zuletzt auf deren Nutzen für die Pharmazie. „Bei uns im Weimarischen, wie überhaupt in Deutschland“ so Goethe, „nimmt der Apotheker eine sehr geachtete Stellung in der Gesellschaft ein. Den Naturwissenschaften, insbesondere der Chemie, verdankt auch die Pharmazie ihre gegenwärtige Bedeutung als Kunst und Wissenschaft.“65 Die Auffassungen von „Wissenschaft“ waren im 18. Jahrhundert sehr verschieden, so dass dem Ideal einer reinen, theoretischen Wissenschaft mit hypothetisch-deduktiver Struktur, das einer empirischen und nützlichen Wissenschaft gegenüber stand. Das Ideal nützlicher Wissenschaften war schon im frühen 17. Jahrhundert von Francis Bacon in programmatischer Form verkündet worden. Die Aufklärung übernahm dieses Ideal und fügte 64 Zu den Wissenschaften in den deutschsprachigen Ländern des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts siehe auch John Theodore Merz: A History of European Thought in the Nineteenth Century, 4 Bde., New York: Dover 1965; Bd. 1; David M. Knight: „German Science in the Romantic Period“, in: Maurice Crosland (Hg.): The Emergence of Science in Western Europe, London: Macmillan 1975, S. 161 – 178. 65 Zitiert nach A. Adlung und G. Urdang: Grundriß der Geschichte der deutschen Pharmazie, Berlin: Springer 1935, S. 418

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weitere Facetten hinzu. In Frankreich, Deutschland und anderen merkantilistischen Staaten Europas war die tatsächliche oder erhoffte Nützlichkeit der Wissenschaften ein wichtiges Motiv der Wissenschaftsförderung. Die Gründung wissenschaftlicher Akademien wie die Royal Society in England (1660) und die Pariser Akademie der Wissenschaften (1666) stand in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Programm der Anwendung der Wissenschaften in den handwerklichen Künsten und der Landwirtschaft. Die Mitglieder der Pariser Akademie der Wissenschaften übernahmen zum Beispiel von Anfang an Gutachterfunktionen für gewerbliche Projekte und im 18. Jahrhundert auch leitende und kontrollierende Positionen in den staatlichen Manufakuren. Die Preisausschreiben der Akademien galten als wichtige Anreize für technologische Studien und die Förderung des Gewerbes, und Akademieprojekte wie die Description des Arts et M tiers dienten nicht zuletzt der empirischen Fundierung solcher Projekte. Auch die Königlich Preußische Societät der Wissenschaften zu Berlin, die 1744 den Namen „Akademie“ annahm, verfolgte das Ziel der Förderung der nützlichen Wissenschaften. Die Gründung beruflicher Schulen, die der Ausbildung von Chirurgen, Bergbeamten, Ingenieuren, Offizieren und anderen wissenschaftlich-technischen Experten dienten, war ebenfalls mit der Idee der Nützlichkeit der Wissenschaften verbunden. In Berlin wurde 1724 das Collegium medico-chirurgicum gegründet, um Chirurgen und insbesondere Militärchirurgen, für die es damals kein Universitätscurriculum gab, eine wissenschaftliche Ausbildung zukommen zu lassen. 1765 wurde eine Schule des Feld-ArtillerieCorps eingerichtet (ab 1795 „Militär-Akademie“), 1770 eine Bergschule (ab 1774 „Bergakademie“) und 1790 eine Schule für Tiermedizin. In anderen deutschen Städten wurden Gewerbeschulen und Lehrstühle für Cameralwissenschaften und Technologie gegründet. Gleichzeitig versuchten verschiedene gelehrte Gesellschaften die nützlichen Wissenschaften zu fördern und in der Bevölkerung zu propagieren. In zahlreichen Städten Deutschland und Europas entstanden „ökonomische Gesellschaften“, die sich insbesondere der wissenschaftlichen Untersuchung der Landwirtschaft widmeten mit dem Ziel der Intensivierung der Landwirtschaft und besseren Nutzung der pflanzlichen Resourcen. Öffentliche Vorlesungen und Zeitschriften galten als unentbehrliche Vehikel der Verbreitung wissenschaftlichen Wissens und Förderung einer wissenschaftlich fundierten Landwirtschaft. Nicht selten engagierten sich in den ökonomischen Gesell-

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schaften auch protestantische Dorfpfarrer und übernahmen die Rolle von Vermittlern im Wissenstransfer zu den Bauern. Bei fast allen diesen institutionellen wissenschaftlichen Neugründungen war die Chemie einbezogen. Am Collegium medico-chirurgicum unterrichten gleichzeitig zwei Chemiker, beginnend mit Johann Heinrich Pott und Caspar Neumann; an der Berliner Bergschule unterrichteten zuerst Carl Abraham Gerhard und Valentin Rose; Rose wurde durch Achard und dieser durch Klaproth abgelöst; Klaproth unterrichtete, wie erwähnt, auch an der Militärakademie.66 Darüber hinaus hielt Klaproth auch Vorträge bei der Potsdamer Ökonomischen Gesellschaft. Zugleich aber trugen die Berliner Chemiker in nicht geringem Maße zum internationalen Renommee der Preussischen Akademie der Wissenschaften bei, wie Maupertuis im Jahre 1748 in einem Bericht an den König festhielt: „Unsere Chemiker“, so Maupertuis, „stechen alle Chemiker Europas aus“.67 Wenige Jahrzehnte danach war die Chemie eine Kultwissenschaft, und sie behielt diesen Status das ganze 19. Jahrhundert hindurch bis in die 1940iger Jahre hinein, als sie durch die Atomphysik abgelöst wurde. Der Chemiekult um 1800 war nicht zuletzt auch der Nützlichkeit dieser Wissenschaft geschuldet. Er stand im Einklang mit dem Fortschrittsglaube der Aufklärung und der Idee einer durch die Wissenschaften geförderten allgemeinen gesellschaftlichen Wohlfahrt, die sich bereits im 16. und 17. Jahrhundert in den großen Sozialutopien eines Morus, Campanella oder Bacon niederschlug. Wie in keiner anderen Wissenschaft der Zeit trafen jedoch in der Chemie Ideal und Wirklichkeit einer nützlichen Wissenschaft zusammen. Dabei war es weniger die Theorie als die experimentelle Praxis, die die Nützlichkeit dieser Wissenschaft ausmachte. Die experimentellen Methoden der chemischen Analyse, die daraus resultierende Kenntnisse der Zusammensetzung der Stoffe, die experimentellen Verfahren zur eindeutigen Identifikation der Stoffe, das experimentelle Wissen über die Herstellungsverfahren von Stoffen und der gesamte Reichtum der empirischen Stoffkenntnisse der Chemie waren für alle Gewerbe nützlich, in denen eine Vielzahl verschiedener stofflicher Materialien verwendet wurden, wie insbesondere die Apothekerkunst, Metallurgie, Färberei und Ke66 Siehe dazu auch Karl Hufbauer: The Formation of the German chemical Community (1720 – 1795), Berkeley: University of California Press 1982, S. 232 – 234. 67 Adolf Harnack: Geschichte der Kçniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 1, 1, Berlin: Reichsdruckerei 1900, S. 440.

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ramik- und Porzellanherstellung.68 Klaproth war sowohl ein Apotheker als auch ein Chemiker, der sich wenig mit chemischer Theorie, dafür aber umso mehr mit Verfahren der eindeutigen Identifikation von Stoffen sowie ihrer chemischen Analyse und dem Studium des Reaktionsverhaltens von Stoffen beschäftigte. Die empirische, analytische Stoffchemie, für die er stand und internationales Renommee besaß, war der nützliche Teil der Chemie. Klaproths Vorlesungen waren daher eine Manifestation der Nützlichkeit der Chemie und der Naturwissenschaften insgesamt. Auch aus dieser Perspektive ergibt sich ein plausibles Bild von Schleiermachers Interesse an der Chemie. Das Moral- und Gesellschaftsbild des Protestanten und Theologen Schleiermacher dürfte dem Interesse an einer nützlichen, der allgemeinen Wohlfahrt dienenden Wissenschaft entgegengekommen sein. Individuelle biographische Umstände, die Tatsache, dass sein Bruder Karl Apotheker war und dass beide Brüder in jungen Jahren gemeinsamen naturwissenschaftlichen Interessen nachgingen, mögen in dieselbe Richtung gewirkt haben. Schleiermachers Protestantismus wird in dieser Hinsicht eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Denn wie nicht zuletzt aus den Arbeiten Max Webers bekannt ist, war mit der protestantischen Ethik eine insgesamt positive Einstellung gegenüber den Naturwissenschaften und dem Gewerbe verbunden.69 Im Kontext des Chemiekults um 1800 lassen sich somit die eingangs aufgeworfenen Fragen hinsichtlich Schleiermachers Interesse an den Klaprothschen Chemievorlesungen weitgehend beantworten. In diesem Chemiekult konvergierten zwei, ansonsten relativ unabhängige kulturelle Linien: die Wertschätzung der nützlichen Wissenschaften und die Modellfunktion der Chemie für die Naturphilosophie und Poetik der Frühromantik.

68 Siehe dazu auch Klein und Lefèvre (Anm. 32). 69 Siehe dazu auch Robert K. Merton: Science, Technology and Society in Seventeenth-Century England, New York: Harper & Row 1970.

„Fahre fort mich zu lieben.“ Zum Beginn der Freundschaft und Verlagsbeziehung von Schleiermacher und Georg Andreas Reimer – mit Blick auf die spätere Zeit Doris Reimer „[…] auch ist gerade das am folgereichsten (in der intellectuellen Welt eben wie in der Natur) was still fortwächst und ruhig sein Theil zum Ganzen bildet, unkenntlich und unbemerkbar; nach Jahrhunderten erst verbreitet der heute gelegte Keim seine Segnungen. So auch zerreißt kein Band, das einmal geknüpft war, denn die Schicksalsfäden der Menschen sind ja nur der Einschlag zu dem großen unendlichen Gewebe; die sich einmal berührten sind nicht mehr allein durch sich sondern durch die Gesammtheit auf ewig verbunden.“ Dies schreibt der Verleger und Buchhändler Georg Andreas Reimer (1776 – 1842) am 6. Juli 1803 – also auf den Tag genau 204 Jahre vor unserem Symposion – an seinen Freund Friedrich Schleiermacher.1 In einem Brief, in dem es um Honorar für die Platon-Ausgabe, Verlegerrisiko, das richtige Format der Bände, Erscheinungstermine und Buchhändleranzeigen einerseits, sowie Schleiermachers Talent zur Polemik in seiner „Kritik der Moral“, ärgerliche Druckerfehler und den verfehlten Chor in Schillers „Braut von Messina“ andererseits geht, schwingt sich Reimer, damals noch keine 27 Jahre alt, zu regelrecht philosophischen Äußerungen auf, bevor er den Brief beendet mit „Mein Weib grüßt Dich. Ewig in treuer Liebe Dein G.R.“ Über 30 Jahre später, nach Schleiermachers Tod, wird Reimer das Gefühl haben, „fast 2/3“ seiner Lebenszeit mit ihm verbunden gewesen zu sein; er schreibt am 12. März 1834 an seinen Sohn Karl: „Ich habe fast nichts gelebt, gethan, ja gedacht, wobei ich nicht alles auf ihn bezog“.2 1 2

Reimer an Schleiermacher, Berlin, 6. 7. 1803, KGA V/6, S. 405 – 408 (Brief 1511), hier Z 114 – 123. Abschrift in Berlin, Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (=StaPK), Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer.

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Schleiermacher ist nicht nur sein treuester Autor, sondern auch sein Freund, der an allem teilnimmt, und dessen Philosophie und Theologie großen Einfluss auf Reimer hat, der selbst ein tief gläubiger Mensch war, wie man an manchen seiner Briefe zeigen kann. Während er lutherisch aufwuchs, kam seine Frau aus einer reformierten Familie. So könnte es auch ganz persönlich motiviert sein, dass er das erste gemeinsame Gesangbuch der beiden evangelischen Konfessionen in seinen Verlag nahm.3 Der Beginn der Freundschaft zwischen Reimer und Schleiermacher ist genau zu datieren: auf den 26. Mai 1802. In den wenigen erhaltenen Briefen aus der Zeit vor diesem Tag haben die beiden sich noch gesiezt. Schleiermacher schreibt an seine Schwester Charlotte: „Der gestrige Tag ist mir noch recht merkwürdig geworden durch einen Abendbesuch bei Reimer. Eine herzliche Anhänglichkeit hatte ich schon lange bei ihm mit Freuden bemerkt; auch ich liebte seinen schönen reinen Sinn. Gestern machte sich ein Moment, […] indem wir gleichsam Besiz von einander genommen haben, zu inniger, herzlicher Freundschaft. Verlange nur nicht, daß ich Dir jezt so etwas beschreibe, ich bin viel zu überfüllt und zerstreut; Dein eignes Gefühl muß ganz nachhelfen. Ich sprach mit ihm über meine Freude an seiner Frau, mit großer Offenheit zeigte er mir recht kindlich fromme, liebevolle Briefe von ihr, worin ich ihr ganzes Leben und ihr Verhältniß zueinander recht lebendig anschauen konnte. Ich drückte ihm die Hand, und nach einer kleinen Pause sagte ich ihm: ,Wenn mein Leben erst klar und vollständig dasteht, sollst Du es auch so rein anschauen.’ Er schloß mich in seine Arme mit den Worten: ,Nichts fremdes sei mehr zwischen uns.’ – So war es und so wird es nun auch bleiben. – Wir sprachen hernach noch viel darüber, wie die Freundschaft sich macht, und wie man den rechten Moment erwarten muß.“4 Wie kam es zu diesem „rechten Moment“? 1795 war Georg Andreas Reimer nach der Lehrzeit in seiner Geburtsstadt Greifswald zum Buchhändler und Musikverleger Lange nach Berlin gekommen; drei Jahre später wurde er Geschäftsführer des 3

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Vgl. Doris Reimer: „Der Druck muß mit Vollziehung des Contraktes beginnen …“ Verträge des Verlegers Georg Andreas Reimer aus der Zeit von 1802 bis 1837, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 5 (1995), S. 167 – 199, hier S. 187 Anm. 9. Schleiermacher an seine Schwester Charlotte, Berlin, 27. 5. 1802, KGA V/5, S. 436 f. (Brief 1244), hier Z 2 – 19.

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Langeschen Hauptgeschäftes, und im Jahr 1800 machte er sich selbstständig, indem er die Buchhandlung der Realschule zunächst in Erbpacht übernahm.5 Noch im selben Jahr heiratete er eine Magdeburger Pfarrerstochter, die er im Verlagshaus Lange zuerst gesehen hatte; sie war eine Nichte der Verlegergattin. Wilhelmine Philippine Charlotte Susanne Reinhardt (1784 – 1864) sollte Georg Reimer 16 Kinder gebären und ihn schließlich um 22 Jahre überleben.

Im Berlin der Salonkultur um 18006 unterstützte der Verleger, Übersetzer und Musiker Johann Daniel Sander (1759 – 1826) den jun5

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Mit Datum vom 8. September 1800 meldet er seinen Kollegen per Geschäftsrundschreiben, er habe seit dem ersten Juni des Jahres „die hiesige Realschulbuchhandlung übernommen und werde sie unter der bisher bestandenen Firma“ für seine eigene Rechnung fortführen. Zu den Quellen hierzu siehe Doris Reimer: Passion & Kalk l. Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776 – 1842), Berlin und New York: de Gruyter 1999, S. 65 – 71. Hierzu u. a.: Petra Wilhelmy: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780 – 1914). Berlin und New York: de Gruyter 1989.

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gen Reimer beruflich und privat und verfasste dem frisch Verliebten ein Empfehlungsschreiben an den Magdeburger Bürgermeister, in dem er den 24jährigen Reimer als „jungen Weisen“ bezeichnete.7 Wenn etwas stimmt an dieser Charakterisierung, dann, so kann man vermuten, lag es sicher auch an Reimers Wesen, dass er und Schleiermacher ins Gespräch miteinander kamen. Und wo sind sie sich zum ersten Mal begegnet? Reimer hat den acht Jahre älteren Theologen Schleiermacher vermutlich noch vor dem Schritt in die selbstständige Verlagstätigkeit am Teetisch des Kollegen Daniel Sander und seiner Frau – oder beim Mittag- oder Abendessen in ihrem Haus8 – kennen gelernt. In der Breiten Straße, die – zentral gelegen – direkt zum Schlossplatz führt, hatten die Sanders sich im Jahr 1795 in dem Patriziergebäude Nr. 23 eingerichtet und führten dort ein offenes Haus, in dem das literarische und gelehrte Berlin verkehrte. Reimer ist hier wohl auch Friedrich Schlegel und Fichte zum ersten Mal begegnet. Auf jeden Fall kommt er durch Sander in Kontakt mit den Frühromantikern, die wenig später seine Hausautoren werden. Doch es ist nicht so, dass Reimer dem älteren Kollegen die Autoren abwirbt. Sander hätte diese jungen Autoren, wenn man den Quellen glauben darf, selbst gar nicht verlegen wollen. Warum also wurde Reimer der Verleger der Romantiker und nicht Sander, der sich nur anderthalb Jahre vor ihm in Berlin selbstständig gemacht hatte? Die innere Distanz Sanders zu Fichte und den SchlegelBrüdern ist vielleicht auch damit zu erklären, dass Sander selbst noch der älteren Generation angehörte ( Jahrgang 1759), während Reimer mit seinen ersten Autoren eher auf einer Altersstufe stand. Die Vorbehalte, die Sander sogar gegen die Autoren hatte, die er selbst verlegen wollte und verlegte, finden sich bei Reimer so nicht. Im Gegenteil, er ist erfüllt von den Inhalten der von ihm verlegten Schriften. „Der Mensch gehört aber zu Fichte’ns u. Schlegels Anhängern, spricht auch oft vom Heiligen und Undendlichen pp“ – diese distanzierte Äußerung Sanders über Reimer mag als Beleg dafür gelten, dass Reimer ein aufmerksamer und beeinflussbarer Leser der Bücher seiner Realschulbuchhandlung war. 7 8

Abschrift in Berlin, StaPK, Rep 92, Nachlaß G. A. Reimer. I (1800 – 1813). Anders als in manchen anderen literarischen Salons der Zeit gab es bei Sanders nicht nur dünnen Tee. Else Lüders: Die Sanders. Eine Familiengeschichte aus Preußens Notzeit und Aufstieg, Leipzig: Klotz 1940, S. 46. Auch im Reimerschen Haus wurden die Gäste später gut bewirtet.

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Obwohl oder vielleicht gerade weil das Sandersche Haus bekannt war für den toleranten Geist, der „Christen und Juden, Freidenker und konfessionell Gebundene, Politiker aller Richtungen, vor allem auch die damals besonders hart zusammenprallenden Richtungen der ,Alten’ und der ,Jungen’“9 an einen Tisch brachte, wurde hier der Literaturstreit der Jahrhundertwende ausgetragen, der sich an Goethes Xenienkampf anschloss und bei dem die Frühromantiker gegen philiströses bürgerliches Leben und verkrustete Kultur polemisierten und mit originären ästhetischen Konzepten die Sinnfrage neu stellten. Ihre Lieblingsgegner waren die Erfolgsschriftsteller August von Kotzebue, Lafontaine (beide Autoren im Sanderschen Verlag) wie auch Garlieb Merkel und Daniel Jenisch. Satirisch-gehässige Kritik gab es auf beiden Seiten10 und zumindest von der jungen Fraktion – von Ludwig Tieck, Schelling, den Brüdern Schlegel und nicht zuletzt Schleiermacher – weiß man, dass sie sich auch köstlich amüsierten bei dieser „ästhetischen Prügeley“, die, wie gesagt, mehrmals im Hause Sander stattfand und auch zu unliebsamen Szenen führte.11 Mittendrin stellen wir uns den jungen, etwas ungelenken Buchhändler Reimer aus Schwedisch-Vorpommern vor, der wenig später selbst dem denkenden, schreibenden und handelnden Berlin sein Haus öffnet und dies allerdings auch unter politischen Vorzeichen tut. Reimer sprach die Schriftsteller und Wissenschaftler an, die ihm für seinen Verlag interessant erschienen, aber umgekehrt gilt auch, dass die Autoren ihn zu ihrem Verleger machten. Zu diesen Autoren gehört gleich zu Beginn Friedrich Schleiermacher. Er erwähnt Reimer zuerst in einem Brief an August Wilhelm Schlegel vom 14. Oktober 1800 als möglichen Verleger für die von den Brüdern Schlegel und Schelling geplante kritische Zeitschrift; zwar sei er ein Freund von Fichte, dessen Schriften er auch verlege – also auch hier Skepsis gegenüber Fichte, obwohl der sich nach dem „Atheismusstreit“ den Romantikern angenähert hatte –, jedoch könne man auf Reimers Verschwiegenheit auch Fichte gegenüber rechnen.12 9 Else Lüders: Die Sanders, S. 45. 10 Hierzu: Die sthetische Pr geley. Streitschriften der antiromantischen Bewegung, hg. von Rainer Schmitz, Göttingen: Wallstein 1992. 11 Vgl. das Kapitel: Das gesellschaftliche Umfeld (Im Haus des Buchhändlers Sander / Der Literaturstreit / Sander fördert Reimer / Zunehmende Konkurrenz zwischen Sander und Reimer) in: D. Reimer: Passion & Kalk l (Anm. 5), S. 45 – 60. 12 KGA V/4, Brief 964; vgl. die Historische Einführung in V/5, S. LIX.

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Um diese Zeit beginnt Schleiermachers Verlagsbeziehung mit Reimer. Da daraus eine innige Freundschaft wurde, pflegt er den Geschäftskontakt zu Johann Carl Philipp Spener (1749 – 1827), dem Verleger seiner Monologen, nicht weiter, obwohl der Umgang mit ihm vorher durchaus auch freundschaftlichen Charakter hatte.13 Das erste Werk, das Schleiermacher der Reimerschen Realschulbuchhandlung zum Verlag gab, ist eine Sammlung Predigten, die 1801 erschien. Aus diesem Jahr ist nur ein Brief Schleiermachers an Reimer überliefert, mit dem er ihm einen Auftrag verschaffen und Dorothea Schlegel einen Gefallen tun will. „Der Verfasser des Florentin habe Lust die Memoiren der Margarethe von Valois – ersten Gemahlin Heinrichs IV. zu übersetzen. Es sei ein romanähnlich interessantes Werkchen wie weibliche Confessions und da sie eine politisch so bedeutende Person war, selbst als historische Urkunde wichtig“.14 Reimer ging dennoch nicht darauf ein und die Übersetzung erschien, herausgegeben von Friedrich Schlegel, 1803 bei Junius in Leipzig.15 Schleiermachers nächster erhaltener Brief an Reimer vom 30. April 1802 ist nicht nur länger, sondern auch viel persönlicher, denn er hat vor allem zum Inhalt, dem neuen Freund von Gnadenfrei aus von „wunderbaren Eindrüken einer früheren Lebenszeit“ zu berichten, die er am Ort seiner Kindheit „bei einer zärtlich geliebten Schwester, in einer herrlichen Gegend“ habe. „Hier ging mir zuerst das Bewußtsein auf von dem Verhältniß des Menschen zu einer höheren Welt, freilich in einer kleinlichen Gestalt, wie man sagt, daß auch Geister oft als Kinder und Zwerge erscheinen aber es sind doch Geister und für das wesentliche ist es einerlei. Hier entwikelte sich zuerst die mystische Anlage die mir so wesentlich ist, und mich unter allen Stürmen des Skepticismus erhalten und gerettet hat.“16 Schleiermacher schreibt, weil er weiß, dass er, zurück in Berlin, Reimer nicht gleich antreffen werde, da dieser dann auf der Leipziger Buchmesse sei; aber Reimers Frau und deren Schwester, „Minchen und Ludchen“, wolle er bald „heimsuchen“. Und „dann wollen wir uns auf Rügen freuen“.17 13 Historische Einführung in KGA V/5, S. LXVIII. 14 Schleiermacher an Reimer. Berlin, wohl Ende September 1801, KGA V/5, S. 217 f (Brief 1103), hier Z 3 – 7. 15 KGA V/5, Historische Einführung, S. XXIV, Fußnote 71. 16 Schleiermacher an Reimer, Gnadenfrei, 30. 4. 1802, KGA V/5, S. 392 f (Brief 1220), hier Z 9 – 19. 17 Ebd., Z 30 – 36.

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Die Aussicht auf diese Reise nach Rügen wurde Schleiermacher dann bald nach seinem Amtsantritt als Hofprediger im Pommerschen Stolp doch „ganz zu Wasser“,18 was er Reimer spätestens Ende Juni/Anfang Juli 1802 in einem nicht erhaltenen Brief mitteilte,19 in dem er wohl auch ausführlich über sein Verhältnis zu Eleonore Grunow berichtete. Reimer hat zumindest in seinem Antwortbrief aus Greifswald das Gefühl, der Freund habe ihm damit den „Mittelpunkt“ seines Lebens „aufgeschloßen“. „Versäume daher keinen Augenblick, sobald es thunlich, mir die Bekanntschaft Deiner Freundin zu verschaffen.“20 Diesen Wunsch allerdings wird er in vielen weiteren Briefen wiederholen, ohne dass er erfüllt wird. Henriette Herz jedoch lernte Reimer eher kennen und freundete sich mit ihr an. Schleiermachers Kommentar: „Es ist lange mein Wunsch gewesen, dass Du und die Herz sich näher sollten kennen lernen; denn es ist das Schönste im Leben, die Freunde so weit es geht auch untereinander zu verbinden; nur bin ich ein abgesagter Feind von allem Machen und Veranstalten, und mag gern warten, bis, was sich schickt, auf dem natürlichsten Wege kommt, wie dieses nun zu kommen scheint.“21 Im selben Brief fragt Schleiermacher – nach einer Erinnerung an Kotzebues und Merkels Freim thigen: „Ereignet sich denn sonst nichts Merkwürdiges in der Literatur? Es ist ja eine rechte Todtenstille; selbst die Polemik der Parteien scheint zu ermüden.“22 Reimer überlegte mit Henriette Herz gemeinsam, wie man Schleiermacher in seiner unglücklichen Beziehung zu Eleonore Grunow helfen könne. Doch „kaum hatten wir ein Mittel erdacht, das mich vielleicht zu Grunows Bekanntschaft, und dadurch zu der von Leonore verhelfen konnte, so bekam ich Tages darauf die Nachricht von der Herz, daß alles durchaus vergeblich sey, indem Grunow schon Verdacht gegen mich hege.“23 18 Schleiermacher an J.E.Th. von Willich, Stolp, 15. 6. 1802, KGA V/6, S. 10 – 13 (Brief 1254), hier Z 8 f. 19 Schleiermacher an Reimer, Stolp, wohl Ende Juni/Anfang Juli 1802, KGA V/ 6, S. 30 (Brief 1271). 20 Reimer an Schleiermacher, Greifswald, 10.7. bis 15. 7. 1802, KGA V/6, S. 42 – 45 (Brief 1278), hier Z 7 f und 23 f. 21 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 12. 1. 1803, KGA V/6, S. 269 – 271 (Brief 1420), hier Z 17 – 22. 22 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 12. 1. 1803, KGA V/6, S. 269 – 271(Brief 1420), hier Z 51 – 53. 23 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 23. 2. 1803, in: KGA V/6, S. 292 – 295 (Brief 1439), hier Z 18 – 22.

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Ein beliebtes Thema der Briefe ist das Philosophieren über Art, Charakter und natürlich Schwächen gemeinsamer Freunde und Bekannte, und so verwundert es nicht, dass auch Reimer Gegenstand solcher Betrachtungen wird, die zuweilen auch die Freude an rhetorischen Mitteln und Sprachspielen durchschimmern lassen. Dem Freund Willich gegenüber äußert sich Schleiermacher als hellsichtiger Psychologe: „Uebrigens lebt Reimer zu sehr in seiner Frau und seinem Kinde als daß ich glauben könnte er lebe zu sehr in sich selbst. Doch mag er wohl noch leiden an etwas gehemmter Mittheilung die ich erst verstehen werde wenn ich mehr von seiner Geschichte weiß: denn so viel glaube ich zu sehn daß sie mehr zu seinem Werden gehört als zu seinem Sein.“24 Schleiermacher, der Elenore Grunow am 19. August 1802 gebeten hat, ihm „kategorisch“ den Beginn der Niederschrift an der Kritik der Moral zu befehlen,25 wird im Brief des Verlegers vom 8. Oktober 1802 daran erinnert: „Es wird mir sehr lieb seyn, wenn Du mir bald einen Abschnitt der Critik der Moral schicken kannst, damit der Druck noch vor Neujahr beginnen könne, weil gewöhnlich nachher die Pressen alle sehr besetzt sind“.26 Am 7. Dezember berichtet Schleiermacher, „nur Vorrede, Einleitung zum Ganzen und ein Theil der Einleitung zum ersten Buch“ „bis auf kleine Aendrungen“ fertig zu haben.27 Als der Verleger gut einen Monat später seinen Autor eigentlich gern zur Fertigstellung der Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre drängen würde, schreibt er „Aber auch als Buchhändler mußt Du mir so viel Rechtlichkeit zutrauen, daß ich durch Ungeduld nichts zu übereilen suchen werde; indem der geringe Nachtheil, den die Verzögerung der Erscheinung für mich zur Folge haben könnte, wohl nicht in Betracht kommen dürfte gegen den, welchen das Ganze durch eine solche übelangebrachte Beschleunigung erleiden würde. Traue mir das immer zu! Verhelen mag ich es aber eben so wenig, daß es mir lieb seyn würde, um meiner Verhältniße willen das Buch zu Ostern ganz fertig gedruckt zu sehen: hast Du also bloß Aeußerlichkeiten zu überwinden, so er24 Schleiermacher an J.E.Th. von Willich, Stolp, 18. 8. 1802, in: KGA V/6, S. 77 – 80 (Brief 1304), hier Z 85 – 90. 25 KGA V/6, Brief 1311, Z 56 – 60. 26 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 8. 10. 1802, KGA V/6, S. 158 – 164 (Brief 1356), hier Z 124 – 127. 27 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 7. 12. 1802, KGA V/6, S. 234 (Brief 1401), Z 3 – 5.

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zeigst Du mir eine Gefälligkeit, wenn Du Dich treibst, wo aber nicht so weißt Du, wie ich es meine.“28 Im selben Brief spricht Reimer die Honorarfrage an: „Da ich nicht im Stande bin den Absatz und den daher rührenden Gewinn vorher zu sehen, um darnach das Honorar bestimmen zu können, so laß uns einstweilen das annehmen, was Dir Unger, Spener, oder Deine anderen Verleger gegeben haben, bis ich späterhin im Stande seyn werde, Dir nach meiner redlichsten Ueberzeugung, dem Absatze gemäß mehr zu bieten. Auch von den Predigten werde ich Dir nächstens eine Berechnung machen können, einigen Gewinn hoffe ich werden sie schon jetzt abgeworfen haben, und jetzt fängt man erst recht an sie zu kaufen.“29 Ende Februar/Anfang März 1803 gesteht Schleiermacher seinem Verleger, es gebe „viele Stunden wo ich nicht arbeiten kann“, und führt als Gründe den Tod des Gatten von Henriette Herz und die Sorgen um Eleonore an. Gleichzeitig empfiehlt er dem Freund die Geliebte und bittet ihn um „einiges Mitleid“.30 Im nächsten Brief heißt es: „Es wird dich wohl nicht wundern, lieber Freund, wenn ich dir sage daß bis jezt vom zweiten Buche der Kritik noch keine Zeile eigentlich fertig ist, denn ich seze voraus daß Du durch die Herz einigermaßen weißt wie mir zu Muthe ist.“31 Novalis zu lesen, dessen Werk, herausgegeben von Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck, in der Realschulbuchhandlung erschien, ist für Schleiermacher in dieser für ihn persönlich so schwierigen Zeit ein großer Trost, „wenn mir der Gedanke kommt, ich könnte wol auch bestimmt sein eine tragische Person zu werden.“32 Noch Mitte März will sich Reimer für Schleiermacher erkundigen, was Eleonore Grunow im Fall der Scheidung rechtlich zu erwarten habe, doch Schleiermacher bittet ihn um äußerste Diskretion und: „Fahre fort mich zu lieben.“33 Reimer schickt ihm am 20. März 1803 „den Rest der Aushängebogen, so weit das Manuscript reicht“ – in der Hoffnung, dass 28 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 12. 1. 1803, KGA V/6, S. 271 – 273 (Brief 1421), hier Z 7 – 16. 29 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 12. 1. 1803, KGA V/6, S. 271 – 273 (Brief 1421), hier Z 29 – 37. 30 Schleiermacher an Reimer, Stolp, Ende Februar/Anfang März 1803, KGA V/ 6, S. 305 (Brief 1443), hier Z 8 – 11. 31 Schleiermacher an Reimer, Stolp, Anfang März 1803, KGA V/6, S. 310 f (Brief 1446), hier Z 1 – 4. 32 Ebd., Z 8 – 11. 33 Schleiermacher an Reimer, Stolp, wohl Mitte März 1803, KGA V/6, S. 317 (Brief 1456), Z 1 – 3 und 13.

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darin „wenig erhebliches an Druckfehlern“ zu finden sei34, „das erste Stück der Europa“ von Friedrich Schlegel, die von Schleiermacher gewünschte Titelvignette und bietet ihm finanzielle Unterstützung für die geplante Reise nach Rügen an.35 Da Eleonore sich Ende des Monats entschließt, bei ihrem Mann zu bleiben und das Verhältnis zu Schleiermacher zu beenden, überlegt er, sich „anzuschließen an eine Familie die ich liebe, ganz als Hausgenoß als Lebensgehülfe als Theilhaber an der Erziehung ihrer Kinder. Aber dazu sehe ich keine Aussicht als in Berlin da hätte ich die Wahl zwischen Eichmanns wo ich vielleicht nüzlicher wäre und zwischen Reimers wo es noch stiller reiner und ungestörter sein würde. Wie aber dahin kommen?“36 Als Reimer, zunächst durch Henriette Herz, die Nachricht erhält, dass Schleiermachers Hoffnung, Eleonore Grunow ehelichen zu können, gescheitert sei, schreibt er ihm sofort einen langen Brief, in dem es nur um Schleiermachers Schmerz geht: „Du leidest doppelt, indem Du zugleich auch den Kummer des fremden Herzens trägst“37; „Dein bitteres Geschick habe ich schmerzlich mit Dir beweint, obgleich […] es mir […] nicht so überraschend und unerwartet kam, wie Dir selbst.“38 Er wünscht sich, der „theure Freund“ könne sich „ausweinen“ bei ihm: „Möchtest Du doch zu uns kommen!“ und schließt mit den Worten: „Meine Liebe zu Dir ist unermesslich, und so ewig wie mein Leben Dein G.R.“39 In seinem Brief vom 20. 4. 1803 macht Schleiermacher sich Vorwürfe, nach Stolp gegangen zu sein, statt Eleonore bei der Trennung von ihrem Mann beizustehen;40 er freut sich darüber, dass Jette Herz inzwischen Reimers Frau kennen gelernt hat und stellt fest: „Wiewohl das Arbeiten meine einzige Arznei ist, gedeiht es doch nur sehr langsam“.41 Ende April 1803 schickt er Reimer das zweite Buch der Kritik 34 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 20. 3. 1803, KGA V/6, S. 323 – 326 (Brief 1459), hier Z 2 – 5. 35 Ebd., Z 27 – 52. 36 Schleiermacher an Ehrenfried von Willich, Stolp, 1. April 1803, KGA V/6 (Brief 1468), hier Z 72 – 78. 37 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 2. 4. 1803, KGA V/6, S. 335 f (Brief 1469), hier Z 30 f. 38 Ebd., Z 37 – 39. 39 Ebd., Z 43 – 51. 40 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 20. 4. 1803, KGA V/6, S. 348 – 350 (Brief 1476), hier Z 6 – 24. 41 Ebd., Z 64 f.

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der Moral. 42 Anfang Juni sieht er, dass aus seiner „Reise nach Rügen wol nichts werden wird“43 und hofft nun umso mehr auf den Urlaub im nächsten Jahr „wenn wir Alle zusammen sind – bis auf die arme Eleonore!“44 Im Gefühl, sich selbst in seinem Stolper Exil etwas Gutes tun zu sollen, entschließt sich Schleiermacher, Platon zu übersetzen: „Der Plato und was er noch in mir bewirken und aus mir heraustreiben kann, wird mir wieder einigermassen Lust zum Leben machen.“45 Bestärkt wird er durch seinen Verleger Reimer, der sich sehr wünscht, Schleiermacher möge den Platon für seinen Verlag übersetzen46 und ihm am 20. Juni mitgeteilt hat, Frommann habe „sich seiner ganz entsagt“47. Aus den Briefen dieser Zeit erhält man einen guten Eindruck von den komplexen Überlegungen und den oft ausgefeilten – wenn auch durchschaubaren – Verhandlungsstrategien beim Aushandeln des Honorars, die auch unter Freunden praktiziert werden können. Schleiermacher schreibt: „Friedrich hatte mit Frommann contrahirt auf 10 rth für den Bogen Uebersetzung und 15 rth für den Bogen Einleitungen und Anmerkungen. Es ist leicht zu berechnen daß dieses für das ganze Werk ein Kapital von 5 – 6000 rth erfodern würde. […] Es fällt mir gar nicht ein auf diesen Bedingungen zu bestehen, und Du mußt auch gar nicht von mir fordern daß ich Dir Bedingungen sezen soll, welches ich ja auch bei keinem Buchhändler jemals gethan habe weil ich die Sache

42 Schleiermacher an Reimer, Stolp, Ende April 1803, KGA V/6, S. 358 (Brief 1485). 43 Schleiermacher an Reimer, Stolp, wohl Anfang Juni 1803, KGA V/6, S. 372 (Brief 1494), Z 3. 44 Ebd., Z 6 f. Im Sommer 1803 fuhren Reimers zu den Schwiegereltern nach Kloster-Berge bei Magdeburg, und Reimer hätte sowieso keine Reise nach Rügen unternehmen können. Vgl. KGA V/6, Brief 1459, Z 54 – 57. 45 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 23. 6. 1803, KGA V/6, S. 399 – 402 (Brief 1507), hier Z 120 f. Was in KGA V/6, S.278 als Brief 1427 vom „23. Jan“ bezeichnet wurde, muss entfallen, da es offensichtlich identisch ist mit Z 120 – 127 in Brief 1507 vom „23. Jun“. 46 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 20. 6. 1803, KGA V/6, S. 392 – 394 (Brief 1503), Z 24 – 40. 47 Ebd., Z 7 f. – Die Auseinandersetzungen mit Frommann ziehen sich eine Weile hin: „Gegen Deinen Brief an Frommann habe ich nichts, […] ich denke so und so gesalzen ist er lange nicht gewaschen worden“ schreibt Reimer an Schleiermacher, Berlin, 5. 12. 1803, KGA V/7, S. 144 – 149 (Brief 1609), hier Z 38 – 40.

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nicht verstehe.“48 Er führt zu bedenkende Prämissen an und bittet Reimer: „überlege Dir die Sache, und wenn du dich entschlossen hast so thue mir deine Vorschläge: so wie ich auch von Dir zu hören wünsche, welches Format, welche Stärke der Bände, welche Zwischenräume der Erscheinung Du für die vortheilhaftesten hältst, welchem Allen ich unbedingt beistimmen werde ausgenommen wenn Du ein zu großes Honorar festsezen wolltest welches mir nur ohne wesentlichen Nuzen für mich GewissensSkrupel machen würde.“49 Darauf antwortet Reimer, der dem Freund gegenüber doch auch den Geschäftsmann nicht vergisst, in einem der nächsten Briefe: „Mit dem Platon, lieber Schleiermacher, geht es gewiß, und daher laß uns nur gleich über die Bedingungen etwas festsetzen. Du wirst es mir als Wahrheit zutrauen wenn ich Dir sage, daß ich glaube Frommanns Erbieten sei zu hoch gewesen, und daher schlage ich vor daß wir als Grundhonorar das festsetzen, was bisher das eigentliche, geringe Honorar Deiner schriftstellerischen Arbeiten gewesen ist, nemlich 5 Rth für den Bogen, und so nehme ich es auch bei der Kritik an, wo Du es eigentlich in Vorschlag brachtest. Bei einem solchen Verhältniß decken, das Honorar mit eingerechnet, etwa 375 Exemplare hçchstens die gesammten Kosten, und daß es wohl unmöglich sei nicht einmal soviel abzusetzen, davon brauche ich Dich wohl nicht erst zu überzeugen, wenn es auch gleich sonst Bücher genug geben mag deren gesammter Absatz sich kaum auf hundert belaufen mag.“50 Am 20. August 1803 schickt Schleiermacher „endlich das lezte der Kritik mit meinem wärmsten Dank für deine wirklich unendliche Geduld und Langmuth.“51 Wenig später, in der Hoffnung, Reimer könne ihn im Jahr 1803 noch in Stolp besuchen, heißt es: „Meine Lust zum Plato wächst täglich […], der Plato ist auch der rechte Schriftsteller um überhaupt das Verstehen anschaulich zu machen […]. Kurz lieber Freund wenn du kommst und einige Spuren von Leben in mir findest, so schreibe es dem zu, daß du dieses Werk wieder belebt hast. […] Dein Herkommen wird mir auch eine Arznei sein, ich fühle die guten 48 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 23. 6. 1803, KGA V/6, S. 399 – 402 (Brief 1507), hier Z 29 – 37. 49 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 23. 6. 1803, KGA V/6, S. 399 – 402 (Brief 1507), hier Z 56 – 62. 50 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 6. 7. 1803, KGA V/6, S. 405 – 408 (Brief 1511), hier Z 7 – 19. 51 Schleiermacher an Reimer, Stolp, 20. 8. 1803, KGA V/6, S. 451 (Brief 1535), hier Z 2 f.

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Wirkungen davon schon im voraus.“52 Zu diesem Besuch kommt es zwar nicht,53 aber die langersehnte gemeinsame Rügenreise kann im Sommer 1804 verwirklicht werden und Schleiermachers Platon-Ausgabe wird ein Erfolg.54 Reimer verlegt bereits in den ersten Jahren seiner Selbstständigkeit auf wissenschaftlichem, philosophischem und literarischem Gebiet Werke, die programmatisch für seine Tätigkeit als Verleger bleiben werden. Die teilweise revolutionären Gedanken der Frühromantik und die Überzeugungen der sogenannten Glaubensphilosophen bilden den Hintergrund seiner Aktivitäten auch in späterer Zeit. Außerdem sind Schleiermachers Theorie des geselligen Betragens und Fichtes Philosophie der Freiheit ihm auch privat Vorbild; er versucht zu realisieren, was seine Autoren postulieren. Wilhelm Dilthey bezeichnet die Freundschaft zwischen Reimer und Schleiermacher als eine, die auch in Schleiermachers Leben „tief eingreifen sollte“.55 Dieses Freundschaftsverhältnis bot für Schleiermachers literarische Bestrebungen Bedingungen, „wie seine Natur sie bedurfte. So die Veröffentlichung seiner Werke auf ein freundschaftliches Verhältnis zu gründen“, schreibt Dilthey, „entsprach ganz seiner Neigung. Langsam, stetig sieht man nun fast von Woche zu Woche diese Freundschaft wachsen. Auf Schleiermachers nächsten Lebensbedürfnissen selbst war sie gegründet; wie man sich auf das, was in der Wohnung steht und liegt, verläßt, es täglich gebraucht, es immer an seiner Stelle findet, so häuslich sicher formierte sich dieses Verhältnis. Reimer war gleichsam der Repräsentant Schleiermachers für seine Lebensbeziehungen in Berlin, sein Berichterstatter, der ihn auf dem Laufenden erhielt und ihm die wichtigere neuere Literatur verständnisvoll übermittelte.“56 Naheliegenderweise war die zuletzt genannte „Funktion“ Reimers besonders wesentlich in der Zeit von Schleiermachers „Verbannung“ als Hofprediger in Stolp. Doch auch als er 1804 als außerordentlicher Professor 52 Schleiermacher an Reimer, Stolp, Anfang September 1803, KGA V/7, S. 3 f (Brief 1542), hier Z 7, 10 f, 16 – 18, 26 f. 53 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 10. 10. 1803, KGA V/7, S. 45 – 50 (Brief 1572), hier Z. 31 – 33. 54 Vgl. Reimer an Schleiermacher, Berlin, 6. 8. 1804, KGA V/7, S. 427 – 429 (Brief 1804), hier Z 20 – 22. 55 Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers. Auf Grund des Textes der 1. Aufl. von 1870 und der Zusätze aus dem Nachlaß hrsg. von Martin Redecker, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1970. 2. Halbbd., S. 12. 56 Ebd., S. 13.

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nach Halle berufen wurde, war es wichtig, dass er den Kontakt zu Berlin hielt, zumal 1806 die Universität in Halle geschlossen wurde und er bei den Vorbereitungen für die Gründung der Berliner Universität mitwirkte. Umgekehrt ist die Bedeutung Schleiermachers für Reimer gar nicht hoch genug einzuschätzen. Was das erwähnte persönliche Leben und Denken betrifft, was es bedeutete, den beim Publikum beliebten (und von der Obrigkeit teilweise gefürchteten) Philosophen und Theologen als festen Hausautor an den Verlag (und zwar lange über den Tod hinaus) gebunden zu haben; aber auch, was es für die Entwicklung des Verlags bedeutete, dass Schleiermacher seine Kontakte und Verbindungen nutzte, um den Verlag des Freundes seinen akademischen Kollegen zu empfehlen; so dass einige, angezogen durch den Namen Schleiermacher, ihre Schriften der Realschulbuchhandlung übergaben, und sich der (spätere Reimer–)Verlag zu einem vornehmlich die Wissenschaften repräsentierenden Unternehmen entwickelte. In gewissem Sinn zeugt schon die lange Liste der Publikationen Schleiermachers im Reimer Verlag von ihrer guten Beziehung. Doch wir haben gesehen, dass die Rolle, die diese Freundschaft für beide Männer im privaten Bereich spielte, besonders durch die Briefe erhellt wird. Wie sie in der frühen Zeit von Schleiermachers unglücklicher Beziehung zu Eleonore Grunow erzählen, von Plänen, gemeinsam nach Rügen zu reisen – wobei Reimer, als er vermutet, dem Freund fehle das Geld dafür, sofort hilfreich einspringen will – so berichten sie auch von Neuerscheinungen in Reimers Verlag und auf dem Buchmarkt überhaupt und natürlich erfahren wir interessante Details über die Entstehung sowie Veröffentlichung von Schleiermachers Werken. Die Briefe zeigen, wie innig die Beziehung war und welch große Bedeutung dem geselligen Leben beigemessen wurde – gerade in Schleiermachers Stolper Zeit, als er die Anregungen und Abwechslungen der Hauptstadt vermisste. Außerdem wird die Autor-Verleger-Beziehung aus Verlagsunterlagen lebendig, obwohl im Fall Schleiermachers keine Verlagsverträge erhalten sind. Das scheint kein Zufall zu sein, sondern hat wohl mit der besonderen Beziehung zwischen beiden zu tun. Aber es gibt Eintragungen im Reimerschen Hauptbuch, einer wichtigen Quelle für das literarische Leben der Zeit nach 1800.57

57 Hermann F. Weiss: „Georg Andreas Reimers ,Großes Hauptbuch‘ als Quelle für das Literarische Leben“. In: AGB 41 (1994). S. 261 – 269.

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Günter Meckenstock58 stellte in dem Band Schleiermachers Bibliothek, in dem er den faksimilierten und bearbeiteten Rauchschen Auktionskatalog von Schleiermachers nachgelassener Bibliothek herausgab, auch die Schleiermacher betreffenden Kontoseiten des Reimerschen Hauptbuches59 vor. Während die Buchkäufe bei Reimer, die auch im Auktionskatalog vorkommen, dort nur mit Sigle versehen wurden, und die anderen, die nur in Reimers Hauptbüchern vorkommen, in einer eigenen Liste veröffentlicht und auch die für die Familie erworbenen Titel in ein eigenes Verzeichnis gestellt wurden, sind die nichtliterarischen Rechnungsnotizen in einem Anhang transkribiert. So kann man auf den ersten Blick sehen, dass Schleiermacher über Reimer beispielsweise etliche Bouteillen Franzwein, Rheinwein und „Coniac“ bezog, dass er mit Reimer gemeinsam Lotterielose kaufte (was auch im Briefwechsel Thema ist), dass der Verleger für ihn Briefporto entrichtete und seinem Freund Schreibfedern und Tinte, aber auch Beinkleider aus Kaschmir besorgte. Als Meckenstock die Reimerschen Hauptbücher in Bezug auf Schleiermacher untersuchte, galt das Reimersche Hauptbuch I als verloren. Er konnte also nur die Einträge ab 1808/9 auswerten. Während der Arbeit an meiner Promotion hatte ich das Glück, dass das erste Große Hauptbuch im Walter de Gruyter Verlag wiedergefunden wurde. Es enthält sechs Schleiermacher-Seiten, auf denen vor allem Buchkäufe verzeichnet sind. Die erste Eintragung stammt vom 25. November 1800 und betrifft Fichtes Handelsstaat. Bemerkenswerterweise erhält Schleiermacher bei Reimer von Anfang an 25 % Rabatt auf alle seine Bucheinkäufe (auch aus anderen Verlagen). Dies ist sehr ungewöhnlich und ein weiterer Beleg für die früh schon besondere Verbindung zwischen Verleger und Autor. Auffallend an den Honorareinträgen für Schleiermacher im Reimerschen Hauptbuch ist auch – verglichen mit den Einträgen für andere Autoren – die Notierung von „vorläufigem Honorar“. Die Praxis, dass er seinen Autoren bei gut gehenden Werken freiwillig Honorar nachgezahlt hat, hat Reimer zwar auch bei manchen anderen (z. B. Jean Paul) geübt, sie aber selten von Anfang an so angekündigt. 58 Günter Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek. Bearbeitung des faksimilierten Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer. Im Anhang eine Liste der nichtliterarischen Rechnungsnotizen der Hauptbücher Reimer, Berlin: de Gruyter 1993 (= Schleiermacher-Archiv 10). 59 Aus Hauptbuch II, III und IV. Hauptbuch I war damals nicht aufzufinden. Hauptbuch I-IV: Archiv Walter de Gruyter, Berlin.

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Zu den Predigten Schleiermachers trägt Reimer am 24. Dezember 1803 ins Hauptbuch (I, 90) ein: „als vorläufiges Honorar für die Predigten schreibe ihm gut ….. 32.– Von den Predigten bleiben noch zu berechnen 182 Exempl., wenn ihm nach gemachtem Verkaufe die Hälfte des reinen Gewinns, oder 8 prz. von jedem Exempl. zukommen wird; demnach würde er annoch erhalten 60 Rß 16 gr. Bei der obigen Berechnung sind nemlich schon die gesammten bisher vorgefallenen und noch sich ergebenden Unkosten in Anschlag gebracht“. Laut Verlags-Inventur bis Ende 1802 waren von Schleiermachers Predigten in Berlin noch 166 und in Leipzig 86 Exemplare des 19 Bogen starken Werkes vorhanden,60 Ende 1803 sind es in Berlin 144 und in Leipzig 51 Exemplare und ein Jahr später in Berlin 111 und in Leipzig 11 Bücher. Da es Ende 1805 nur noch 26 und 10 Exemplare sind, besteht Handlungsbedarf: Es wird eine zweite Auflage gedruckt, deren Entstehen ein Gegenstand des Briefwechsels im Jahr 1806 ist.61 So sind Ende 1806 von Schleiermachers Predigten in Berlin 32 und in Leipzig wieder 616 Stück auf Lager.

60 Die jährlichen Inventurlisten der Reimerschen Realschulbuchhandlung sind nur bis zum Jahr 1806 erhalten. Hierzu D. Reimer: Passion & Kalk l (Anm. 5), S.71 – 76. 61 Die Briefe hierzu werden in KGA V/8 und V/9 veröffentlicht werden.

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Blicken wir über die allerersten Jahre von Reimers und Schleiermachers Verlagsbeziehung und Freundschaft hinaus: Wie überall im Buchhandel schlägt sich auch im Reimerschen Verlag die durch die Napoleonischen Kriege verursachte Krise nieder, indem weniger produziert werden kann. Das Jahr 1806 stellt einen Einschnitt dar – in der Geschichte, im Buchhandel, in Berlin und nicht zuletzt im Bewusstsein der Menschen. Mit der napoleonischen Besetzung ist die Welt nicht mehr wie früher. „Wenn ich noch ein Paar mal in dieser Zeit zum Predigen komme, dann ließ ich gern diese Predigten, die sich so ganz auf die gegenwärtige Zeit beziehn zusammen drukken, weil ich sie wirklich für ein gutes Wort halte. Ich will auch gern dafür stehen und meinen Namen drauf sezen; allein gedrukt können sie wol schwerlich werden in einer Stadt die in französischem Besiz ist, und so werde ich es wol aufgeben müssen wenn es nicht etwa in Stralsund geschehen könnte. Nöthig und wünschenswerth scheint es mir mehr als je zumal seit ich höre wie schlechte Gesinnung im Ganzen in Berlin herrscht.“62 Varnhagen von Ense berichtet über diese Zeit: „Die Gesellschaft bei Reimer war damals sehr belebt. Eine kleine Sommerwohnung im Tiergarten, die kaum für seine Familie ausreichte, nahm Abends die zahlreichsten Gäste auf, und eine Hauswirtschaft, welche in den Bedrängnissen der Zeit oft kaum für den andern Tag Rat wußte, bot immer noch Mittel genug, um Tee und Brot für die Abendgesellschaft nicht fehlen zu lassen.“63 Im Sommer 1807, in dem der alle preußischen Patrioten enttäuschende Tilsiter Frieden geschlossen wurde, ging Schleiermacher aus dem „von Feinden besetzten, vereinsamten Halle“ nach Berlin, wo er allerdings (so Dilthey) „keine äußere Stütze [hatte], als eine ungewisse entfernte Aussicht auf eine Berliner Universität und die edle Freundschaft Georg Reimer’s.“64 1808 hielt Fichte seine berühmten Reden an die deutsche Nation in Berlin. „Die gewichtigsten Zeugen bestätigen“, (so Dilthey), dass durch Schleiermacher und Fichte „der Geist der Stadt 62 Schleiermacher an Reimer, Halle, 12. 12. 1806, in: Archiv der BBAW, SN 761/1 Bl. 68. 63 Karl August Varnhagen von Ense: Denkw rdigkeiten des eigenen Lebens, in: Werke in f nf B nden, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Frankfurt/M: Deutscher Klassiker Verlag 1987, Bd. 1, S. 453 (Elfter Abschnitt: Studien und Störungen. Berlin 1807). 64 Wilhelm Dilthey: „Schleiermacher’s politische Gesinnung und Wirksamkeit“, in: Preußische Jahrb cher 10 (1862). S. 234 – 277, hier S. 253.

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in diesen Jahren völlig umgewandelt wurde.“65 Eine Anspielung Sanders auf Schleiermachers politische Tätigkeit findet sich in Sanders Briefen an Böttiger: „Es interessirt Sie vielleicht, zu erfahren, wer an die Spitze der Section für den Cultus im Ministerium des Innern gekommen ist. Der Präsident von Schuckmann, ehemals in Anspach, ein heller Kopf, u. ein Feind aller Mystik. Man freuet sich bei uns, daß mit der Entlassung des Grafen von Dohna das Reich des Hrn. pp Schleyermacher zu Ende gegangen ist; denn dieser Mystiker hätte sonst noch großen Unfug angerichtet. Ich könnte Ihnen von seinen Planen, u. von den Schritten, die er schon zur Ausführung derselben gethan hat, seltsame Dinge erzählen.“66 Die hier angedeuteten, teilweise konspirativen Unternehmungen und Organisationsversuche, in die Schleiermachers und Reimers Freundeskreis engagiert war, wurden – was die Zeit vor den Befreiungskriegen angeht – noch immer nicht hinreichend aufgearbeitet. Es bedarf regelrechter Entschlüsselungsprogramme, um aus den Briefen des patriotischen Kreises, die teilweise „nach einem System von Wortvertauschungen geschrieben“67 wurden, die tatsächlichen Begegnungen herauszulesen, die bis in die Familie des nach Königsberg geflohenen Königs und in ausländische Delegationen bis in die Umgebung des Zaren Nikolaus beim Erfurter Fürstentag (1808) gereicht und in die Vorbereitungen für den unvermeidlich scheinenden Krieg gemündet und schließlich mit den Befreiungskriegen erfolgreich waren. Zu diesem Kreis gehörten Schleiermacher, Arndt, Scharnhorst, Gneisenau, Graf Alexander von Dohna, Graf Chasot, der spätere Unterrichtsminister Eichhorn und auch Reimer, der 1811 mit Eichhorn im Auftrag Gneisenaus eine Reise über Schlesien nach Wien68 unternommen hat, deren Auftrag und Inhalt die Beteiligten aus verständlichen Gründen geheim hielten. Umso mehr sollte sich in den Jahren der Restauration unter Metternich auch die preußische Polizeiführung dafür interessieren; der in diesen Jahren als Polizeipräsident agierende Kamptz wird seine Untersuchungsmethoden mit dem Hinweis verteidigen, diesem als 65 Ebd., S. 256. 66 Sander an Böttiger, Berlin, 17. 11. 1810, in: Die Briefe Johann Daniel Sanders an Carl August Bçttiger, hg. von Bernd Maurach., 4 Bde., Bern: Peter Lang 1990 – 1993; Bd. 4, S. 195 – 197, hier S. 196. 67 Dilthey: Schleiermacher’s politische Gesinnung (Anm. 64), S. 260. 68 Reimers Privates Ausgabenbuch (Archiv Walter de Gruyter), August/September 1811: „Reisekosten auf der Reise nach Schlesien mit Eichhorn“ und „Ausgaben in Wien“.

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Bedrohung empfundenen Netzwerk konspirativer Aktionen durch Beschlagnahmung und Verhöre u. a. Reimer und seinen Mitstreitern nachspüren zu müssen, um ihnen auf die vermuteten Schliche zu kommen. Eine Sonderrolle sowohl in Reimers Verlag als auch für Schleiermachers Autorentätigkeit spielt das Zeitungsprojekt Der Preußische Correspondent während der Befreiungskriege. Die Probleme, die Schleiermacher dabei als Herausgeber mit der ängstlichen Zensurbehörde hatte, zeigen deutlich seine aufrechte Haltung. Zwei bis drei Monate nach Reimers Gesuch auf Gründung einer Zeitung, das sich auf ein Privileg der Realschulbuchhandlung und die zwei Jahre zuvor eingeführte allgemeine Gewerbefreiheit berief, stellten Niebuhr und Schleiermacher – aus Freundschaft zu ihrem Verleger – gemeinsam einen neuen Antrag auf Genehmigung der Zeitungsgründung; auch dieser stößt zunächst auf Widerspruch.69 Erst die wiederholte und eindringliche Fürsprache des Generalstabchefs Scharnhorst70 hat Erfolg.71 Darüber hinaus sind es die Zeitumstände selbst, die jetzt Hardenbergs Genehmigung zur Herausgabe der Zeitung „für die Dauer der gegenwärtigen Verhältnisse“ bewirken.72 Am Sonntag, 17. März 1813, wurde der von Friedrich Wilhelm III. in Breslau erlassene Aufruf „An mein Volk“ von allen Kanzeln verlesen und damit begann der Befreiungskrieg gegen Frankreich; vierzehn Tage später erscheint die erste Ausgabe des Preussischen Correspondenten, der somit von Anfang an auf die Kriegsberichterstattung ausgerichtet ist. Von Regierungsseite wird es nun doch für nützlich gehalten, ein zusätzliches Zeitungsblatt für und mit Kriegsberichterstattung zu haben; dass diese von Anfang an

69 Max von Lettow-Vorbeck: Zur Geschichte des Preussischen Correspondenten von 1813 und 14, Berlin: Ebering 1911, Bd. 1, S. 5. 70 Scharnhorsts Schreiben an den Staatskanzler Hardenberg vom 9., 12. und 18. 3. 1813, in: Ebd., Bd. 1, S. 7. 71 So schreibt auch Max Lenz (Geschichte der Königlichen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin, 2 Bde., Halle a. d.S.: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1918, hier Bd. 1, S. 497) zur Genehmigung der Zeitung: Es war Scharnhorst, „der endlich am 25. März nach wiederholten Anläufen dem Staatskanzler die Einwilligung entriß.“ 72 Berlin, StaPK, Rep 9 F 2a Nr. 23, Acta Generalia betr. das Censur-Reglement; zit. in: Lettow-Vorbeck: Geschichte des Preussischen Correspondenten 1813/ 14, Bd. 1, S. 7.

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beabsichtigt war, darauf deutet schon der Titel der Zeitung hin, der für ein rein lokales Blatt verwunderlich wäre. Reimer selbst rückte Mitte Mai mit der Landwehr aus und kam zunächst als Leutnant zur zweiten Kompagnie des Bataillons von Grolmann. Der Verlag leidet in Reimers Abwesenheit; den Preussischen Correspondenten sieht der Verleger aus der Ferne schon an Schwindsucht sterben.73 Am 1. Juni 1813 teilt er Niebuhr mit, daß „das gänzliche Einschlafen der Zeitung mit dem Ablauf des Quartals unvermeidlich“ wäre, wenn es so weiter ginge wie bisher; „es bleibt daher kein anderer Ausweg übrig, als das Ganze aufzugeben, oder wenn Du dich der Leitung nicht selbst ernster unterziehen kannst, sie jemand zu übertragen, der mit angemessener Vollmacht sich ihr unterzieht.“74 Aus Freundschaft zu Reimer übernimmt Schleiermacher die Redaktion für das Quartal vom 1. Juli bis 30. September 1813.75 Als Herausgeber und Autor hat er sofort heftigen Streit mit der strengen und kleinlichen Zensurbehörde. Mehr noch: der damals für die Zensur zuständige Geheime Legationsrat von Schultz wird wegen eines Artikels über „Gerüchte von einem in Prag zu haltenden Friedenskongreß“76, den er hatte durchgehen lassen, sofort seines Amtes enthoben;77 Schleiermacher wird bei Schuckmann vorgeladen und erhält eine Verwarnung.78 Am 2. August 1813 berichtet Le Coq an Hardenberg, „daß die Redaktion des Preußischen Correspondenten, der gegebenen geschärften Erinnerungen ungeachtet, wie es scheint, absichtlich damit fortfährt, ihre widerspenstigen Tendenzen versuchsweise durch Vorlegung von Artikeln zu verfolgen, die nicht bloß durch eine ungemäßigte Schreibart und durch Leidenschaftlichkeit sich auszeichnen, wie sie unter dem Verhältniß des Waffenstillstandes am wenigsten als zweck73 So auch wieder im Brief an Rühs, 11. 8. 1813, vgl.: Hermann Reimer: Georg Andreas Reimer. Erinnerungen aus seinem Leben insbesondere aus der Zeit der Demagogen-Verfolgung, Berlin: Reimer 1900, S. 13. 74 Reimer an Niebuhr, 1. 6. 1813, in: Zum 27. August 1776. Briefe von B. G. Niebuhr und G. A. Reimer. Mitgeteilt von Heinrich von Treitschke. In: Preußische Jahrbücher 38 (1876), S. 172 – 201, hier S. 176. 75 Lettow-Vorbeck: Geschichte des Preussischen Correspondenten 1813/14, Bd. 1, S. 113 f; S. 136 f (mit Zitaten aus Briefen). Vgl. auch Max Lenz: Geschichte der Universität Berlin (Anm. 71), hier: Bd. 1, S. 515. 76 Preuss. Correspondent Nr. 60, 14. 7. 1813; Lettow-Vorbeck: Geschichte (Anm. 69), Bd. 1, S. 148 f. 77 Lettow-Vorbeck: Geschichte (Anm. 69), Bd. 1, S. 151 f. 78 Ebd., S. 152.

116

Doris Reimer

mäßig zu billigen ist, sondern auch oft unverkennbar die Ansichten und Anordnungen der Regierungen angreifen“.79 Mit Datum vom 25. September 1813 erhält Schleiermacher einen zurechtweisenden Bescheid Le Coqs, gegen dessen „gehässige“ und „ehrenrührige Beschuldigung“ er sich aber (am 1. Oktober 1813) verwahrt. Er bedauert, dem Zensor „oder vielmehr seinem Stellvertreter“ Anlaß zu vielen Streichungen gegeben zu haben – „nicht Berichtigungen“, denn die seien „nicht die Sache des Censors“. Im Übrigen seien seine Korrespondenten „nicht bezahlte Personen, sondern stellten sich ihm aus Gefälligkeit zur Verfügung: da müsse er Rücksichten auf sie nehmen und könne ihnen doch nicht gut sagen, er habe manches weggelassen, weil es der Zensor voraussichtlich doch streichen werde.“80 In solchen Fällen werde er auch künftig nicht anders handeln können. Schließlich bittet er den Zensor, ihm die Gesetzesstelle nachzuweisen, kraft deren die Zensurbehörde das Recht habe, „Verweise zu ertheilen und Drohungen zu erlassen“, denn „diesen Ton“ habe er „nicht ohne Befremden in Ew. Hochwohlgeboren geehrter Zuschrift gefunden“.81 Es überrascht nicht, daß daraufhin Le Coq in einer Eingabe an Hardenberg den „Geist der Anmaßung und Renitenz“ in Schleiermachers Antwortschreiben beklagt, der „einer nachdrücklichen Zurückweisung in die Schranken der Ordnung und des Gehorsams“ bedürfe.82 Mit Datum vom 22. Oktober erhält Schleiermacher denn auch noch eine „Zurechtweisung“ Hardenbergs mit der Aufforderung „sich künftig bescheidener gegen Königliche Behörden zu betragen und zu äußern“. „Seine Königliche Majestät erwarten von der gebildeten Klasse der Nation, daß sie das Beispiel einer willigen Fügung in die gesetzlichen Vorschriften gebe. Sie haben hierzu als Volkslehrer eine

79 Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 1 betr. Gesuche um das Imprimatur, Bl. 51; zit. in: Lettow-Vorbeck: Geschichte (Anm. 69), Bd. 1, S. 251 f. 80 Lettow-Vorbeck: Geschichte (Anm. 69), Bd. 1, S. 252 f. – Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 151 ff. Abgedruckt in: Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bd. 4, Berlin: Reimer 1863, S. 420 ff. 81 Lettow-Vorbeck: Geschichte (Anm. 69), Bd. 1, S. 253. – Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 151 ff. Abgedruckt in: Aus Schleiermacher’s Leben, Bd. 4, S. 420 ff. 82 Lettow-Vorbeck: Geschichte des Preussischen Correspondenten 1813/14, Bd. 1, S. 253 f. – Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 141.

„Fahre fort mich zu lieben.“

117

doppelte Verpflichtung, und sind doppelt straffällig, wenn sie denselben entgegenhandeln.“83 Enttäuscht über die illiberale Haltung der Regierung legte Schleiermacher die Redaktionsarbeit am 30. September 1813 nieder; ja, er war zeitweise so verbittert, dass er ernsthaft erwog, Berlin zu verlassen;84 für die Zeitung schrieb er nur noch einen Nachruf auf den Grafen Ludwig zu Dohna, der in der Realschulbuchhandlung auch als kleiner Sonderdruck erschien.85 Nach den Befreiungskriegen kann Reimer mithilfe erheblicher Kredite das Schwerinsche Palais in der Wilhelmstraße 73 erwerben. Er richtet hier nicht nur den Verlag und die Buchhandlung ein, sondern auch eine eigene Druckerei. Und natürlich lebt er hier mit seiner noch stetig wachsenden Familie und vermietet Wohnraum an befreundete Familien. Jeden Donnerstag hat er ein offenes Haus für Verlagsautoren und das politisch und literarisch interessierte Berlin. Schleiermacher lebt die letzten siebzehn Jahre seines Lebens mit seiner Familie unter einem Dach mit seinem Verleger in der Wilhelmstraße 73: sicher der Hauptgrund, dass in dieser Zeit nur noch wenig Briefe gewechselt wurden. Nur erwähnen möchte ich noch, dass Reimer und Schleiermacher und viele ihrer Freunde86 von der Demagogenverfolgung betroffen waren. Rechtsgrundlage für die „strenge Überwachung und Verfolgung geheimer Gesellschaftsbildungen in der Restaurationszeit“ war das Zensur-Edikt von 1798, dessen Bestimmungen im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse durch die Zensur-Verordnung vom 18. Oktober 1819 verschärft wurden.87 83 Lettow-Vorbeck: Geschichte (Anm. 69), Bd. 1, S. 254 f. – Berlin, StaPK, Rep 74 J. X, 9. betr. die Beschwerden über verschiedene Artikel, Bl. 157. 84 Vgl. Achim von Arnim: Werke, hg. von Roswitha Burwick, Jürgen Knaak u. a.,. Bd. 6, Frankfurt/M: Deutscher Klassiker Verlag 1994, S. 1236. 85 „Zum Andenken des Grafen Ludwig Moritz Achatius zu Dohna“. Aus dem Preußischen Correspondenten. Berlin 1814 in der Realschulbuchhandlung, in: Lettow-Vorbeck: Geschichte (Anm. 69), Bd. 1, S. 257. 86 Vgl. Ernst Müsebeck: „Siegmund Peter Martin und Hans Rudolph v. Plehwe, zwei Vertreter des deutschen Einheitsgedankens von 1806 – 1820“, in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, hg. von Herman Haupt, Bd. 2. Heidelberg: Winter 1911. S. 75 – 194. 87 Otto Dann: „Geheime Organisierung und politisches Engagement im deutschen Bürgertum des frühen 19. Jahrhunderts. Der Tugendbundstreit in

118

Doris Reimer

Noch im Januar 1823 hat Schleiermacher sich in drei Verhören über die Briefe, die er an Arndt und Reimer geschrieben hatte, zu erklären.88 Reimer, der sich im Sommer 1824 bitter über die harten Maßregeln im Vertrieb seiner Bücher beklagt, in diesem Jahr aber gerichtlich vollständig rehabilitiert wird, erlangt schließlich im Januar darauf in persönlicher Unterredung mit Kamptz alles, was er wünschte. In bezug auf die Schriften der Universität wurde festgestellt, dass die Gelegenheitsund andere offizielle Schriften außer den Dissertationen, die sogleich freiblieben, dem Regierungsbevollmächtigten vorgelegt werden müssten, sonst aber weiterer Zensur nicht unterworfen werden sollten.89 In einem frühen Brief an seinen Freund Schleiermacher beschrieb Reimer selbstkritisch, wie es ihm in seiner Arbeit ergeht: „Ich kann wahrhaftig vor überhäuften Geschäften zu nichts kommen, und ich komme um so weniger aus dem Gedränge derselben ganz heraus je weniger ich mich überwinden kann selbst daran zu glauben, daß es geschehen könne; und je mehr mich meine fatale Natur in die kleinsten Details derselben wider Willen hinein treibt.“90 Mit manchen seiner Autoren verkehrte er so freundschaftlich, dass die Freundschaft Auswirkungen auf das geschäftliche Gebaren hatte. Dies ist im positiven Sinn sicher der Fall bei Schleiermacher. Seine Liebe zu ihm bringt ihn dazu, sich als Verleger hin und wieder in die Rolle des Literaturagenten für seinen Autor zu versetzen, wenn er dem Freund beispielsweise schreibt – und damit möchte ich schließen – „wir haben wirklich unsere Geschäftsverhältnisse zu leicht genommen, und zu lose gehalten, laß mir also hiebei bestimmt die Bedingungen wissen. So auch bist Du mir noch schuldig anzuzeigen, was eigentlich das Grundhonorar für die Kritik seyn soll. Im allgemeinen zwar hast Du meinen Vorschlag angenommen, aber keinesweges, wie es sich gehörte, Preußen“, in: Geheime Gesellschaften, Heidelberg: Schneider 1979 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung V, 1), S. 399 – 428, hier: S. 413. – Was die Probleme mit der Zensur betrifft, die Reimer im Fall der Hutten-Ausgabe und der Ausgabe der Memoiren Napoleons hatte, sei auf die Untersuchung von Doris Fouquet-Plümacher verwiesen: „,Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden.’ Georg Andreas Reimer und die preußische Zensur während der Restauration“, in: AGB 29 (1987), S. 1 – 150. 88 Vgl. Lenz: Geschichte der Universität Berlin (Anm. 71), Bd. 2.1, S. 174. 89 Ebd:, S. 183. 90 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 9. 11. 1803, KGA V/7 (Brief 1589), S.90 – 92, hier Z 49 – 54.

„Fahre fort mich zu lieben.“

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mir bestimmt wie viel festzusetzen sey; und willst Du denn nun nicht bald Geld und wann?“91

91 Reimer an Schleiermacher, Berlin, 20. 6. 1803, KGA V/6, S. 392 – 394 (Brief 1503), hier Z 41 – 47.

Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802) Wolfgang Virmond Um die Alltagsgeschichte der Menschen im Mittelalter und in der Neuzeit haben sich Historiker in den letzten Jahrzehnten intensiv bemüht; in der Kirchengeschichte werden derlei Fragen noch immer kaum gestellt oder vielmehr der Praktischen Theologie zugewiesen, die sich selbst aber weniger historisch als vielmehr gegenwärtig praktisch versteht. So sind ganz elementare Fragen der Liturgie, des Gesangbuchs, des Konfirmationsunterrichts oder der Predigt in Brandenburg und besonders in Berlin noch immer Zukunftsaufgaben.1 Die Frage etwa, wer wann in welcher Berliner Kirche gepredigt hat, läßt sich weitgehend beantworten. Zu den Predigten allgemein schreibt Friedrich Nicolai in seinem Standardwerk „Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam“ (Berlin 1786, S. 612 – 614): „Der Anfang des Gottesdienstes an den Sonntagen ist in allen deutschen Kirchen Vormittags um 9; und Nachmittags um 2 Uhr; ausgenommen im Dom, wo er Vormittags um 10, Nachmittags um halb drey und in der Parochialkirche, wo er Vormittags um halb zehn angeht. Ferner um halb neun gehet auf der Dorotheenstadt der deutsche Gottesdienst, der französische aber Vormittags gegen 11 Uhr und Nachmittags gegen 4 Uhr an. In der Gertraudenhospitalkirche geht er auch erst Nachmittags um 4 Uhr an. In der böhmischen Kirche wird Morgens um halb 8 deutsch gepredigt; um 9 Uhr halten daselbst die beiden Regimenter von Möllendorf und von Braun ihren Gottesdienst wechselsweise; und nach dessen Endigung geht der böhmische Gottesdienst an. Nachmittags wird um 2 Uhr böhmisch gepredigt. Im grauen Kloster, in der Petrikirche, der Friedrichswerderschen, der Jerusalem-[,] der neuen Kirche, und der Dreyfaltigkeitskirche, werden des Morgens bereits um 6, oder halb 7 und 7 Uhr, Frühpredigten gehalten. Desgleichen in der 1

Ansätze finden sich etwa in Andreas Reichs Monographie: Schleiermacher als Pfarrer an der Berliner Dreifaltigkeitskirche. Berlin: de Gruyter 1992 oder in Bernhard Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt im Festgottesdienst Friedrich Schleiermachers. Berlin: de Gruyter 2002.

122

Wolfgang Virmond

Dreyfaltigkeitskirche Abends um 5 Uhr Wiederholungen. In dem grauen Kloster und der Hospitalkirche zum heil. Geist kann man auch Mittags um 12 Uhr eine Predigt hören. – Auch in der Woche fehlt es den Berlinischen Kirchen an öffentlichem Gottesdienst nicht; vielmehr ist dessen mehr als nöthig wäre. In einigen Kirchen werden fast an allen Tagen in der Woche Predigten, Betstunden, und öffentliche Katechisationen gehalten. Manche Kirchen haben mehrere, manche weniger. In der Nikolaikirche fällt darin nur der Donnerstag aus, und in dem Winterhalbenjahre der Mittwoch. In der Garnisonkirche und dem grauen Kloster aber ist der wöchentliche Gottesdienst gar nicht mehr eingeführt. Wo er gehalten wird, da geschieht es Vormittags um 8 oder 9 Uhr. In ein Paar andern Kirchen sind auch Nachmittags um 2, 3 oder 4 Uhr an gewissen Tagen Betstunden. […] Das heil. Abendmal wird in den deutschen reformirten Kirchen nur alle 2, 4, 6 oder 12 Wochen gehalten. In den lutherischen großen Kirchen ist jeden Sonntag Kommunion, sowohl frühe als nach der Hauptpredigt und in den Kirchen, wo die Gemeinden klein sind, hält man sie ebenfalls nur alle 6 Wochen. Für die Kommunikanten ist in den meisten Kirchen Sonnabends Nachmittag um 1 oder 2 Uhr eine Vorbereitungspredigt. Vormittags in der 10ten, und Nachmittags in der 2ten Stunde, wird Beichte gehört. Die besondere Beichte ist aber für den, der kommuniciren will, nicht schlechterdings nothwendig; sondern schon seit mehr als 50 Jahren ist auf Königl. Befehl jedem die völlige Freyheit gelassen, sich derselben zu bedienen oder nicht. Wer es dem Prediger, dem er sich besonders anvertraut, vorher anzeigt, und der Vorbereitung, wobey die allgemeine Beichte verlesen wird, beywohnt wird zum heil. Abendmal zugelassen, wenn er auch nicht im Beichtstuhle oder in der Sakristey zu einer Privatvorbereitung erschienen ist. Hierdurch wird allem Mißbrauche der Beichte vorgebeugt, allem Gewissenszwange abgeholfen und der Zweck der Kommunion, von denen die ihn erreichen wollen, doch erreicht.“ Damit sind viele Fragen geklärt, auf die man anderswo keine Antwort finden kann. Die oben ausgelassene Passage lautet: „Alle Sonnabend ist bey den Küstern jeder Kirche ein Zettel für 3 Pf. zu haben, worauf die Namen der Prediger verzeichnet sind, die den folgenden Sonntag in allen deutschen Kirchen predigen, und dieß wird auch im Intelligenzblatte alle Sonnabend angezeigt.“ Von diesen Kirchenzetteln ist weiter nichts bekannt (obwohl viele erhalten sein mögen); dagegen sind zahlreiche Jahrgänge des Berliner Intelligenzblatts (oft lückenhaft) mitsamt dem dort abgedruckten Kirchenzettel erhalten, woraus sich für Schleier-

Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

123

machers Predigten die Daten der folgenden Liste ergeben (der Ort ist nur angegeben, wenn er nicht die Charité, sondern etwa das Invalidenhaus ist; die ‘Seite’ findet sich im jeweiligen Band des Intelligenzblatts). – Für vielfache Unterstützung bei diesem vorläufigen Versuch einer Zusammenstellung ist der Schleiermacher-Forschungsstelle Kiel (Prof. Dr. Meckenstock) zu danken. – Um die Institution und insbesondere die Vertretungsprediger sichtbar zu machen, ist die Charité auch dann aufgenommen, wenn Schleiermacher nicht gepredigt hat; das Invalidenhaus jedenfalls, soweit er dort aufgeführt ist. Die Frühpredigten der Dreifaltigkeitskirche (um 6:30) sind nicht berücksichtigt, da hier in der Regel Hertzberg, niemals aber Schleiermacher predigt. Soweit zu einer Predigt Aufzeichnungen oder Notizen von Schleiermachers Hand bzw. ein Druck erhalten sind, ist seinem Namen ein * hinzugefügt; nicht angekündigte Predigten (Wochenpredigten, Vorbereitungspredigten u. a.) sind an passendem Ort eingefügt (bei ihnen fehlt notwendig die Seitenangabe). – Man sollte sich gegenwärtig halten, daß Schleiermacher als reformierter Prediger sowohl in der Charité als auch im Invalidenhaus amtierte, jeweils in Zusammenarbeit mit einem lutherischen Prediger. Seine Vokation und Instruktion finden sich in KGA 5,2 (Briefwechsel 1796 – 1798), S. XIV–XVI (Fußnote). Daneben hielt Schleiermacher immer wieder an andern reformierten Kirchen (bzw. Simultankirchen) Gottesdienst; er selbst wurde bisweilen von (reformierten) Predigtkandidaten vertreten. – Berliner Predigtorte sind die Charité (keine Angabe), Invalidenhaus (Inv.), Dreifaltigkeitskirche (Dreif.), Friedrichswerdersche Kirche (Werder), Jerusalemskirche ( Jerus.), Neue Kirche (Neue K.), Parochialkirche (Parochial), Dom.

Monat

9 9 9 10 10 10 10 10 10 10 11 11 11 11 12 12 12 12 12 12

1 1 1 1 1

Jahr

1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796 1796

1797 1797 1797 1797 1797

Tabelle

1 1 3 8 10

4 18 25 2 9 9 16 23 30 30 6 13 20 27 4 11 11 18 25 26

Tag

Di

Neuj. Neuj. Di

Weihn. Weihn.

Fest

Nachmittags

Schleiermacher* Prahmer Grunow Schleiermacher* Schleiermacher Wochenpredigt* Herzog, Cand. Prahmer Schleiermacher*

Schleiermacher Gastpredigt Hecker Schleiermacher Introduktion und Antrittspredigt* Ahrends Schleiermacher Schleiermacher Ahrends Ahrends Schleiermacher Schleiermacher Antrittspr. Grunow Pauli Ahrends Ahrends Schleiermacher Schleiermacher Ahrends Grunow Schleiermacher Ahrends Schleiermacher Schleiermacher Belling, Candidat Ahrends Marot Ahrends Schleiermacher Ahrends Schleiermacher Schleiermacher Beust, Cand. Grunow Schleiermacher Ahrends Abschiedspredigt Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Fallenstein (Wesel)

Vormittags

52

3016 3016

2072 2184 2232 2300 2364 2364 2424 2476 2528 2528 2588 2636 2688 2740 2796 2852 2852 2912 2968 2968

Seite

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Dreif.

Ort

124 Wolfgang Virmond

Monat

1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4

Jahr

1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797

15 21 22 22 24 29 5 7 11 12 12 19 21 26 5 5 12 19 21 26 26 1 2 4 9 14

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Karfr.

Di

Sa

Di

Di

Di Sa

Di

Sa

Fest

Nachmittags

Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher Vorbereitungspredigt* Schleiermacher* Prahmer Grunow Schleiermacher* Schleiermacher* Wochenpredigt Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Wochenpredigt Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Inv. Prahmer Intro u. Antrittspr. Schleiermacher* Schleiermacher* Grunow Herzog, Cand. Prahmer Schleiermacher* Wochenpredigt Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Prahmer Grunow Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Lemcke, Cand. Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Dom Marot Prahmer Schleiermacher* Wochenpredigt Prahmer Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher*

Vormittags

808 848

744

[L cke] [L cke]

448 508 508 568 628

328 328 392

220 276

164 164

100

Seite

Inv. Dom

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

125

Monat

4 4 4 4 4 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 6 7

Jahr

1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797

16 16 17 23 30 7 7 10 14 16 21 25 27 28 28 30 4 5 11 13 17 18 18 25 25 2

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Di Sa

Di Pfingst Pfingst

Hmf. Sa

Di

Bußtag

Ostern Ostern Ostern

Fest

Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Prahmer Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Grunow Schleiermacher* Prahmer Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Pauli, Cand. Schleiermacher*

Schleiermacher*

Vormittags

Schleiermacher* Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Prahmer Schleiermacher* Wochenpredigt Schleiermacher* Schleiermacher* Prahmer Wochenpredigt Vorbereitungspredigt Schleiermacher2 Grunow Prahmer

Wochenpredigt

Prahmer Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Grunow Schleiermacher* Boigues, Cand.

Nachmittags

[L cke]

1368 1368 1416

1248 1248 1300

1192 1192

1132 1160

864 912 968 1024 1024 1040 1076

864

Seite

Landsberg

Inv.

Inv.

Inv.

Dreif.

Inv.

Inv.

Ort

126 Wolfgang Virmond

Monat

7 7 7 7 7 7 7 7 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 9 9 9 9 9 9 9 9

Jahr

1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797

9 9 11 16 23 25 30 30 5 6 8 13 17 19 20 20 22 27 3 5 10 10 17 22 24 30

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Sa

Fr

Di

Di

Do Sa

Di

Sa

Di

Di

Fest

Nachmittags

Schleiermacher* Prahmer Grunow Schleiermacher* Schleiermacher* Wochenpredigt Schleiermacher* Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Grunow Schleiermacher*3 Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Prahmer Pauli, Cand.4 Schleiermacher* Wochenpredigt Hunger, Cand. Schleiermacher* Schleiermacher* Wochenpredigt Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Schleiermacher* Prahmer Grunow Schleiermacher* Schleiermacher* Wochenpredigt Prahmer Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher5 Schleiermacher* Wochenpredigt Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Grunow Herwig, Cand. Prahmer Schleiermacher* Wochenpredigt Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Vorbereitungspredigt

Vormittags

2144

2036 2036 2088

1912 1976

1860 1860

1796

1744

1692

[L cke] 1636

1532 1532

Seite

Parochial

Inv.

Inv.

Dom

Parochial

Inv.

Inv.

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

127

Monat

10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 11 11 11 11 11 11 12 12 12 12 12 12 12 12

Jahr

1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797 1797

1 1 3 8 14 15 17 21 22 22 29 29 5 12 12 14 19 26 3 3 10 17 24 25 25 26

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Weihn. Weihn. Weihn.

Di

Di Sa

Sa

Di

Fest

Schleiermacher Schleiermacher Grunow Hunger, Cand.

Schleiermacher* Grunow Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Schleiermacher* Wilmsen, Cand. Prahmer Schleiermacher* Grunow Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Herzog, Cand.

Vormittags

Prahmer Prahmer Schleiermacher Schleiermacher

2604 2660 2720 2720 2780 [L cke] 2909 2909 2909 2916

2384 2384 2440 2440 2500 2552 2552

2316

2256

Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Prahmer Wochenpredigt Vorbereitungspredigt Schleiermacher* Grunow Hecker Hunger, Cand. Schleiermacher* Prahmer Schleiermacher* Wochenpredigt6 Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Grunow Prahmer

Wochenpredigt

2200 2200

Seite

Prahmer Schleiermacher*

Nachmittags

Inv.

Inv.

Inv.

Inv. Dreif.

Inv.

Inv.

Ort

128 Wolfgang Virmond

Monat

12 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4

Jahr

1797 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798

31 1 7 14 14 21 28 4 4 11 18 25 25 4 4 11 18 18 25 1 6 8 8 9 9 15

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Karfr. Oster Oster Oster Oster

Neuj.

Fest

Schleiermacher Grunow Hecker Prahmer Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Schleiermacher

Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Wilmsen, Cand. Prahmer Schleiermacher Grunow Prahmer Schleiermacher Prahmer Prahmer Schleiermacher Hunga [Hunger], Cand. Schleiermacher Pauli, Cand. Schleiermacher Grunow Prahmer

Schleiermacher Schleiermacher Grunow Prahmer Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Schleiermacher

Nachmittags

Hunger, Cand. Prahmer Schleiermacher Schregel, Cand. Prahmer Schleiermacher Grunow Prahmer

Vormittags [L cke] [L cke] 56 120 120 184 236 292 292 344 [L cke] 464 464 524 524 584 644 644 712 776 820 840 840 840 840 900

Seite

Inv.

Werder

Inv.

Inv. Dreif.

Inv.

Inv.

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

129

Monat

4 4 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 7 7 7 7 7 7 7 8 8

Jahr

1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798

22 29 2 2 6 13 13 17 20 27 27 28 3 10 10 17 24 1 1 8 15 22 22 29 5 5

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Grunow Prahmer Gau, Cand. Schleiermacher Schleiermacher Gau, Cand. Schleiermacher

Schleiermacher Grunow Lemcke, Cand. Schleiermacher Grunow

Prahmer Schleiermacher

Schleiermacher Grunow [kein Eintrag] Hunger, Cand. Schleiermacher Rolle, Cantor Prahmer Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Jablonsky, Cand.

Pfingst Pfingst Pfingst

Hmf.

Hunger, Cand. Schleiermacher Schleiermacher Schleiermacher Hecker Prahmer

Schleiermacher

Nachmittags

Schleiermacher Grunow Prahmer Prahmer Schleiermacher Schleiermacher

Prahmer

Vormittags

Bußtag Bußtag

Fest 968 [L cke] 1040 1040 1080 1136 1136 1164 [L cke] 1264 1264 1264 1312 1372 1372 1424 1484 1544 1544 1616 [L cke] 1740 1740 1792 1844 1844

Seite

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Dreif.

Inv.

Ort

130 Wolfgang Virmond

Monat

8 8 8 8 9 9 9 9 9 9 9 10 10 10 10 10 10 11 11 11 11 11 11 11 12 12

Jahr

1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798

12 12 19 26 2 2 9 16 23 23 30 7 7 14 14 21 28 4 4 11 18 18 25 25 2 9

Tag

Tabelle (Fortsetzung) Fest 1900 1900 1960 2012 2064 2120 [L cke] 2240 2240 2296 2360 2360 2416 2416 2476 2536 2596 2596 [L cke] 2712 2712 2768 2768 2820 2880

Wiedekind, Cand. Schleiermacher Grunow Prahmer Schleiermacher Himmerlich, Cand. Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Grunow Schleiermacher Bernhard, Cand. Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Prahmer

Prahmer Schleiermacher Pauli, Cand. Prahmer Grunow Schleiermacher Grunow Prahmer Schleiermacher Prahmer Schleiermacher Lemcke, Cand. Grunow Schleiermacher Grunow Prahmer Schleiermacher

Seite

Schleiermacher Grunow Gau, Cand. Herwig, Cand. Prahmer

Nachmittags

Fürgang, Cand. Schleiermacher Schleiermacher Prahmer Wirth, Cand. Schleiermacher (Brief 516, 7 ff) Prahmer

Vormittags

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Landsberg

Inv.

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

131

12 12 12 12 12 12 12

1798 1798 1798 1798 1798 1798 1798

16 16 23 23 25 26 30

Tag

Weihn. Weihn.

Fest Prahmer Schleiermacher Schmidt, Cand. Schleiermacher Schleiermacher Prahmer Prahmer

Vormittags Schleiermacher Grunow Prahmer Hecker Prahmer Schleiermacher Schleiermacher

Nachmittags

1799 1 1 Neuj. Schleiermacher Prahmer 1799 1 1 Neuj. Grunow Schleiermacher 1799 1 6 1799 1 13 Prahmer Schleiermacher 1799 1 20 Schleiermacher Prahmer 1799 1 27 1799 2 3 Soyeaux, Cand. Prahmer 1799 2 10 Lemcke, Cand. Schleiermacher 14. Februar bis 14. Mai war Schleiermacher an der Garnisonkirche in Potsdam als Bambergers Stellvertreter 1799 2 17 Soyeaux, Cand. Prahmer 1799 2 17 Grunow Soyeaux, Cand. 1799 2 24 1799 3 3 Jablonsky, Cand Prahmer 1799 3 3 Gillet Grunow 1799 3 10 Prahmer Schmidt, Cand. 1799 3 10 Schmidt, Cand. Grunow 1799 3 17 Braumüller, Cand. Prahmer 1799 3 22 Karfr. Pauli, Cand. Prahmer

Monat

Jahr

Tabelle (Fortsetzung)

384 384 [L cke] 500 560 560 560 628 676

3056 3056 [L cke] 112 168 [L cke] 276 332

2940 1940 3000 3000 3008 3016 3048

Seite

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Dreif.

Inv.

Ort

132 Wolfgang Virmond

Monat

3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6

Jahr

1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799 1799

22 22 24 24 25 25 31 31 7 14 17 17 17 21 28 2 5 12 13 19 26 26 2 2 9 9

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Pfingst Pfingst

Hmf.

Jablonsky, Cand. Prahmer Grunow Kayser, Cand. Schleiermacher* (gedruckte Predigt) Prahmer Soyeaux, Cand. Schmidt, Cand. Prahmer Pauli, Cand. Prahmer Prahmer Jablonsky, Cand. Soyeaux, Cand. Prahmer Schmidt, Cand. Prahmer Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Prahmer Grunow Becker, Cand. Prahmer Schleiermacher Schleiermacher Kayser, Cand. Pauli, Cand. Prahmer Grunow Grunow

Bußtag Bußtag Bußtag

Nachmittags

Grunow Bernhard, Cand. Schleiermacher* (gedruckte Predigt) Prahmer Jablonsky, Cand. Grunow Kayser, Cand. Hunger, Cadettengouverneur Schmidt, Cand. Grunow Kayser, Cand. Soyeaux, Cand. Prahmer Grunow Soyeaux, Cand. Prahmer Jablonsky. Cand.

Vormittags

Karfr. Karfr. Oster Oster Oster Oster

Fest

948 1012 1040 1068 1132 1132 1188 1252 1252 1316 1316 1376 1376

692 692 692 692 744 744 808 [L cke] 904 904

676

Seite

Inv.

Inv.

Inv.

Inv. Potsdam

Inv.

Inv.

Inv.

Inv. Potsdam

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

133

1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2 2 2 3

1 1 5 12 12 14 26 26 28 2 2 2 4 9 23 23 25 9 Schleiermacher* Betstunde Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Betstunde Schleierm.* Betstunde

Di

Di

Di

Schleiermacher* Schleiermacher*

Schleiermacher*

Di

Neujahr Neujahr

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Inv.

Dreif.

Inv.

Inv.

Inv. Dreif.

Inv.

Ort

[fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt]

Seite

1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800

Nachmittags

Dreif.

Vormittags

[fehlt]

Fest

Inv.

Tag 1444 1512 1512 1568 1568

Monat

1799 6 16 Prahmer Schleiermacher 1799 6 23 Schleiermacher Prahmer 1799 6 23 Grunow Schleiermacher 1799 6 30 Prahmer Schleiermacher 1799 6 30 Grunow Grunow 2. Halbjahr 1799 und der Jahrgang 1800 der Zeitung sind nicht erhalten 1799 11 24 Schleierm. (Brief 732, 12 f.; 738, 51)

Jahr

Tabelle (Fortsetzung)

134 Wolfgang Virmond

Monat

3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 5 5 5 5 5 5 5 5

Jahr

1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800

9 11 15 16 23 23 25 6 6 11 11 13 20 20 23 27 27 27 4 4 7 7 11 18 18 18

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Bußtag Bußtag

Mi

Karfr. Karfr. Ostern

Di

Di Sa

Fest

Nachmittags

Schleiermacher* Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleiermacher*

Vormittags [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt]

Seite

Inv. Inv.

Inv. Dreif.

Inv.

Inv. Werder

Inv.

Inv. Inv.

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

135

Monat

5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 7 7 7 7 7 7 7 7 8 8 8 8

Jahr

1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800

22 22 22 1 1 2 2 8 15 15 17 22 29 29 2 13 13 17 19 20 27 27 1 3 10 10

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Fr

Do Sa

Mi

Di

Hmf. Hmf. Hmf. Pfingst Pfingst Pfingst Pfingst

Fest

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Nachmittags

Schleiermacher* Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher*

Schleiermacher* Betstunde Schleierm.* Betstunde

Schleierm.* Betstunde

Schleiermacher* Betstunde

Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde

Schleierm.* Betstunde

Schleierm.* Betstunde

Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde

Vormittags [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt]

Seite

Inv.

Inv. Inv.

Inv.

Werder

Inv.

Inv.

Ort

136 Wolfgang Virmond

Monat

8 8 8 8 8 9 9 9 9 9 9 9 10 10 10 10 10 10 10 10 10 11 11 11 11 11

Jahr

1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800

14 17 17 26 31 7 7 14 16 21 21 22 5 5 7 12 12 19 19 21 26 2 2 4 16 16

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Betstunde Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher*

Di

Di Mo Di

Schleiermacher* Betstunde Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Betstunde Schleierm.* Betstunde

Di

Di

Schleiermacher* Betstunde

Schleiermacher* Betstunde Schleierm.* Betstunde

Vormittags

Do

Fest

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher*

Schleiermacher* Schleiermacher*

Schleiermacher*

Nachmittags [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt]

Seite

Inv.

Dreif.

Inv.

Werder

Inv.

Inv.

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

137

Monat

11 11 11 11 12 12 12 12

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2

Jahr

1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800 1800

1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801

1 4 4 11 13 17 18 18 25 25 27 1 1 8 8 8 10

18 22 23 30 2 25 26 28

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Di

Di

Di Sa

Neujahr

Di Weihn. Weihn.

Di Sa

Fest

Nachmittags

Klaproth Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Betstunde Klaproth Grunow Schleierm.* Betstunde Grunow Schleierm.* Betstunde Klaproth Grunow Klaproth Grunow Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Betstunde

[L cke] 28 28 100 172 172 244 244 308 308 376 376

Klaproth Grunow Jablonsky, Cand. Schleiermacher* Klaproth Grunow Klaproth Grunow Schleiermacher*

[fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt] [fehlt]

Seite

Schleiermacher*7 Klaproth Schleiermacher*8 Schleiermacher*

Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* Vorbereitungspredigt Schleiermacher* Schleiermacher* Schleierm.* Betstunde Schleiermacher* (Brief 997, 247 f.) Schleiermacher* (Brief 997, 247 f.) Schleiermacher* 2 Predigten (Brief 997, 444)

Vormittags

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv. Inv.

Ort

138 Wolfgang Virmond

Monat

2 2 2 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Jahr

1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801 1801

15 15 22 1 1 1 8 8 15 15 15 22 29 29 3 3 5 5 6 12 12 19 19 26 26 29

Tag

Tabelle (Fortsetzung)

Bußtag

Karfr. Karfr. Oster Oster Oster

Fest Klaproth Schleiermacher Schleiermacher Klaproth Klaproth [!] Schleiermacher Schleiermacher Klaproth Schleiermacher Klaproth Grunow Schleiermacher Klaproth Schleiermacher Klaproth Grunow Schleiermacher Klaproth Schleiermacher Schleiermacher Klaproth Schleiermacher Grunow Klaproth Grunow Klaproth

Vormittags Klaproth Grunow Schleiermacher Klaproth Schleiermacher Hecker Soyeaux, Cand. Schleiermacher Schultze Klaproth Soyeaux, Cand. Schleiermacher Klaproth Grunow Klaproth Schleiermacher Stegemann Klaproth Schleiermacher Schultze Klaproth Schmidt, Cand. Schleiermacher Klaproth Schleiermacher Klaproth

Nachmittags 444 444 508 580 580 580 652 652 724 724 724 796 868 868 916 916 940 940 940 1012 1012 1084 1084 1156 1156 1180

Seite

Inv.

Inv.

Jerus.

Inv. Neue K.

Inv.

Inv.

Inv. Jerus.

Inv. Dreif.

Inv.

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

139

Monat

Tag

Fest

Vormittags

Nachmittags

1801 4 29 Grunow Beyer 1801 5 3 Schleiermacher Schleiermacher 1801 5 10 Klaproth Klaproth 1801 5 10 Schleiermacher Grunow 1801 5 14 Hmf. Schleiermacher Hecker 1801 5 14 Hmf. Klaproth Klaproth 1801 5 14 Hmf. Grunow Schleiermacher 1801 5 17 Schleiermacher Schleiermacher 1801 5 24 Pfingst Klaproth Klaproth 1801 5 24 Pfingst Grunow Schleiermacher 1801 5 25 Pfingst Schleiermacher Schleiermacher 1801 5 31 Schleiermacher Pischon, Cand. 1801 5 31 Grunow Schleiermacher 1801 6 7 Schleiermacher Klaproth 1801 6 7 Grunow Grunow 1801 6 14 Klaproth Schleiermacher 1801 6 14 Grunow Grunow 1801 6 21 Klaproth Klaproth 1801 6 21 Schleiermacher Grunow 1801 6 28 Schleiermacher Schleiermacher 2. H lfte 1801 und 1. H lfte 1802 der Zeitung sind nicht erhalten. 1802 5 16 Schleiermacher 3 Predigten (Brief 1228, 4 f)

Jahr

Tabelle (Fortsetzung)

[fehlt]

1180 1228 1300 1300 1336 1336 1336 1372 1444 1444 1444 1516 1516 1588 1588 1660 1660 1732 1732 1804

Seite

?

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv.

Inv. Dreif.

Inv.

Ort

140 Wolfgang Virmond

27

Tag Hmf.

Fest

Nachmittags

Schleiermacher Abschiedspredigt (Brief 1244, 20 – 22)

Vormittags

Diese Predigt ist wohl ausgefallen wegen Reisevorbereitung. Das Ms. gibt keinen Ort an; in der Invalidenkirche war Grunow angekündigt. Laut Ms. predigte vielmehr Candidat Herzog. Laut Brief 402, 48 – 53 wollte F. S. G. Sack statt Schleiermacher predigen. Im Ms. versehentlich auf 12. November datiert. Vgl. auch Brief 1021, 192 f.: „Ich hatte am Neujahrstage nur Nachmittags zu predigen“. Angekündigt war Grunow.

5

1802

2 3 4 5 6 7 8

Monat

Jahr

Tabelle (Fortsetzung) [fehlt]

Seite

Ort Schleiermachers Predigttermine zur Charité-Zeit (1796 – 1802)

141

Siglen KFSA =

KGA =

KGA I/1: KGA I/2: KGA I/3: KGA I/4: KGA I/5: KGA I/6: KGA I/7, Teilband 1 und 2: KGA I/7, Teilband 3: KGA I/8: KGA I/9:

Schlegel, Friedrich: Werke. Kritische Ausgabe. Hg. Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Paderborn u. a.: Schöningh 1958 ff. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe. In 5 Abteilungen. Hg. v. Hans-Joachim Birkner, Hermann Fischer u. a., Berlin und New York: de Gruyter 1980 ff.; bisher erschienen sind folgende Bände: Jugendschriften 1787 – 1796, hg. v. Günter Meckenstock, 1983 Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799, hg. v. Günter Meckenstock, 1984 Schriften aus der Berliner Zeit 1800 – 1802, hg. v. Günter Meckenstock, 1988. Schriften aus der Stolper Zeit 1802 – 1804, hg. v. Eilert Herms, Günter Meckenstock und Michael Pietsch, 2002 Schriften aus der Hallenser Zeit 1804 – 1807, hg. v. Hermann Patsch, 1995 Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums, hg. v. Dirk Schmid, 1998 Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22), hg. v. Hermann Peiter, 1980 Marginalien und Anhang, hg. v. Ulrich Barth unter Verwendung vorbereitender Arbeiten v. Hayo Gerdes u. Hermann Peiter, 1983 Exegetische Schriften, hg. v. Hermann Patsch und Dirk Schmid, 2001 Kirchenpolitische Schriften, hg. v. Günter Meckenstock unter Mitwirkung v. Hans-Friedrich Traulsen, 2000

144 KGA I/10:

Siglen

Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften, hg. v. Hans-Friedrich Traulsen unter Mitwirkung v. Martin Ohst, 1990 KGA I/11: Akademievorträge, hg. v. Martin Rössler unter Mitwirkung v. Lars Emersleben, 2002 KGA I/12: Über die Religion (2.–)4. Aufl.; Monologen (2.–)4. Aufl., hg. v. Günter Meckenstock, 1995 KGA I/13, Teil- Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der band 1 und 2: evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31), hg. v. Rolf Schäfer, 2003 KGA I/14: Kleine Schriften 1786 – 1833, hg. v. Matthias Wolfes und Michael Pietsch, 2003 KGA I/15: Register zur I. Abteilung, erstellt v. Lars Emersleben unter Mitwirkung von Elisabeth Blumrich, Matthias Hoffmann, Stefan Mann und Wilko Teifke; Addenda und Corrigenda zur I. Abteilung; Anhang: Günter Meckenstock, Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer (Zweite, erweiterte und verbesserte Auflage), 2005 KGA II/6: Vorlesungen über die Kirchengeschichte, hg. v. Simon Gerber, 2006 KGA II/8: Vorlesungen über die Lehre vom Staat, hg. v. Walter Jaeschke, 1998 KGA II/10, Teil- Vorlesungen über die Dialektik, hg. v. Andreas Arndt, band 1 und 2: 2002 KGA II/16: Vorlesungen über die kirchliche Geographie und Statistik, hg. v. Simon Gerber, 2005 KGA V/1: Briefwechsel 1774 – 1796 (Briefe 1 – 326), hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 1985 KGA V/2: Briefwechsel 1796 – 1798 (Briefe 327 – 552), hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 1988 KGA V/3: Briefwechsel 1799 – 1800 (Briefe 553 – 849), hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 1992 KGA V/4: Briefwechsel 1800 (Briefe 850 – 1004), hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 1994 KGA V/5: Briefwechsel 1801 – 1802 (Briefe 1005 – 1245), hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 1999 KGA V/6: Briefwechsel 1802 – 1803 (Briefe 1246 – 1540), hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 2005

Siglen

KGA V/7: KGA V/8:

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Briefwechsel 1803 – 1804 (Briefe 1541 – 1830), hg. v. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, 2005. Briefwechsel 1804 – 1806 (Briefe 1831 – 2172), hg. v. Andreas Arndt und Simon Gerber, 2008.