Wirtschaftsfragen der Gegenwart: Festschrift für Hans Carl Barz zum 65. Geburtstag am 6. Dezember 1974 [Reprint 2018 ed.] 9783110909173, 9783110042641


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German Pages 585 [592] Year 1974

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Zueignung
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Carl Hans Barz
I. RECHT DER PERSONENGESELLSCHAFTEN
Probleme des Kommanditvertrages
Gedanken über einen Minderheitenschutz bei den Personengesellschaften
Zur Zulässigkeit von Abfindungsklauseln in den Verträgen der Handelsgesellschaften
Die GmbH & Co KG als Einheitsgesellschaft
Ausgleichsansprüche des Kommanditisten, dessen Haftsumme die Pflichteinlage übersteigt, bei Inanspruchnahme von Gläubigern der KG
II. RECHT DER JURISTISCHEN PERSONEN
Zur Anfechtung wegen Strebens nach Sondervorteilen (§ 243 Abs. 2 AktG)
Das Ausscheiden aus der GmbH nach geltendem und künftigem Recht
Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen
Die Bereinigung fehlerhafter GmbH-Anteile
Unternehmensträger-Stiftung und Unternehmensrechtsreform
Zur rechtlichen Beurteilung von Vorstandsverträgen mit nicht beschlußfähigem Aufsichtsratsausschuß
Teilfusionen im Gesellschaftsrecht
Bemerkungen zum Internationalen Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns
Das Aktienpaket Teilaspekt einer Veränderung des Rechts
Zur Existenzberechtigung der Kommanditgesellschaft auf Aktien
Die Vorstandshaftung gegenüber sog. Neugläubigern bei Verletzung der Konkursantragspflicht des § 92 Abs. 2 AktG
Zum Umkreis der von § 114 AktG Betroffenen
Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren
III. BILANZIERUNG UND STEUERRECHT
Sinngehalt und Ausformung der Sonderprüfung wegen Unterbewertung
Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen
Die Zwischengesellschaft und ihre amerikanischen Schwestern
Zur Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in Einzel- und Konzernabschlüssen
Leasing-Geschäfte und ihre Bilanzierung — eine Lücke im Aktiengesetz
IV. ALLGEMEINES ZUM WIRTSCHAFTSRECHT
Unlauterer, relevanter und potentieller Wettbewerb
Zur Rechtsstellung des gutgläubigen Wechselerwerbers
Subventionen nach Art. 104 a Grundgesetz und ihre rechtliche Überprüfbarkeit
Die Gütergemeinschaft im Blickfeld des Erbschaftsteuergesetzes 1974
Einigungsstelle und tarifliche Schlichtungsstelle nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972
Zum Begriff und Inlandsschutz des „Handelsnamens" (Nom commercial) im deutschen und französischen Recht gemäß Art 8 PVÜ
Die Zulassung von Personen zum Börsenhandel mit Wertpapieren im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG
Das Verhältnis von Standesregeln und guten Sitten im Wettbewerbsrecht
Unternehmerische Verantwortlichkeit und formale Unternehmensziele in einer zukünftigen Unternehmensverfassung
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Wirtschaftsfragen der Gegenwart: Festschrift für Hans Carl Barz zum 65. Geburtstag am 6. Dezember 1974 [Reprint 2018 ed.]
 9783110909173, 9783110042641

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Wirtschaftsfragen der Gegenwart

WIRTSCHAFTSFRAGEN DER GEGENWART Festschrift für CARL HANS ΒARZ zum 65. Geburtstag am 6. Dezember 1974

Herausgegeben von

Robert Fischer, Philipp Möhring und

Harry Westermann

w DE

G

1974 Walter de Gruyter · Berlin · New York

ISBN 3 11 004264 9

Copyright 1974 by Walter de G r u y t e r & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, K a r l J . Trübner, Veit Sc Comp., 1 Berlin 30. Alle Redite, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. P r i n t e d in Germany Satz und Druck: Saladruck, 1 Berlin 36 Buchbinderarbeiten: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe-GmbH, Berlin 61

Inhaltsverzeichnis Zueignung

IX

Verzeichnis der Veröffentlichungen von Carl Hans Barz

1

I. Recht der Personengesellschaft H . F R E I H E R R V O N F A L K E N H A U S E N , Rechtsanwalt, Wetzlar: Probleme des Kommanditvertrages

9

Dr. iur. Dr. iur. h. c., Präsident des Bundesgerichtshofes, Karlsruhe: Gedanken über einen Minderheitenschutz bei den Personengesellschaften

33

Dr. iur. Dr. rer. pol. h. c., Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an den Universitäten Köln, Heidelberg und Salzburg: Zur Zulässigkeit von Abfindungsklauseln in den Verträgen der Handelsgesellschaften

49

S C H I L L I N G , Dr. iur., Rechtsanwalt, Honorarprofessor an der Universität Heidelberg: Die GmbH & Co KG als Einheitsgesellschaft

67

KURT

ROBERT

FISCHER,

PHILIPP MÖHRING,

WOLFGANG

H A R R Y WESTERMANN,

Dr. iur., ordentlicher Professor an der Uni-

versität Münster: Ausgleichsansprüche des Kommanditisten, dessen Haftsumme die Pflichteinlage übersteigt, bei Inanspruchnahme von Gläubigern der KG

81

II. Recht der juristischen Personen GESSLER, Dr. iur., Honorarprofessor an der Universität Bonn, Ministerialdirektor a. D.: Zur Anfechtung wegen Strebens nach Sondervorteilen (§ 243 Abs. 2 AktG)

ERNST

97

Dr. iur., Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied der Vereinigte Deutsche Treuhand-Gesellschaft, Frankfurt: Das Ausscheiden aus der GmbH nach geltendem und künftigem Recht 113 H A N S H E N G E L E R , Dr. iur. h. c., Rechtsanwalt, Düsseldorf: Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen . . . . 129

REINHARD GOERDELER,

VI

Inhaltsverzeichnis

Dr. iur., Rechtsanwalt, Frankfurt: Die Bereinigung fehlerhafter GmbH-Anteile

GEORG H O H N E R ,

147

Professor Dr. rer. pol., Rechtsanwalt, Düsseldorf: Unternehmensträger-Stiftung und Unternehmensrechtsreform . . 171

OTTO KUNZE,

Dr. iur., Rechtsanwalt, Frankfurt: Zur rechtlichen Beurteilung von Vorstandsverträgen mit nicht beschlußfähigem Auf sich tsratsausschuß 189

K A R L H E I N Z LEHMANN,

Dr. iur., ordentlicher Professor an der RuhrUniversität Bochum: Teilfusionen im Gesellschaftsrecht 199

MARCUS LUTTER,

F . Β. Α., Dr. iur., LLD, Rechtsanwalt in London; Honorarprofessor an der Universität Bonn, Associé de l'Institut de Droit International: Bemerkungen zum Internationalen Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns 219

FREDERICK ALEXANDER M A N N ,

Dr. iur., Bad Homburg: Das Aktienpaket. Teilaspekt einer Veränderung des Rechts . . . . 239

H E I N Z MAYER-WEGELIN,

Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität Frankfurt: Zur Existenzberechtigung der Kommanditgesellschaft auf Aktien 253

H A N S - J O A C H I M MERTENS,

Dr. iur., Rechtsanwalt, Düsseldorf: Die Vorstandshaftung gegenüber sog. Neugläubigern bei Verletzung der Konkursantragspflicht des § 92 Abs. 2 AktG 271

JOACHIM M E Y E R - L A N D R U T ,

Dr. iur., Rechtsanwalt, Köln: Zum Umkreis der von § 114 AktG Betroffenen

WALTER OPPENHOFF,

283

WERNER, Dr. iur., Rechtsanwalt, Chefsyndikus der Deutschen Bank AG, Frankfurt: Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren 293

WINFRIED

I I I . Bilanzierung

und

Steuerrecht

P. CLAUSSEN, Dr. iur., MdBü., Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied der Gerling Global Bank AG, Hamburg: Sinngehalt und Ausformung der Sonderprüfung wegen Unterbewertung 317

CARSTEN

Dr. rer. pol., Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Honorarprofessor an der Universität Frankfurt, Vorstandsmitglied der TREU ARBEIT AG, Frankfurt: Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen . . . . 335

K A R L - H E I N Z FORSTER,

Inhaltsverzeichnis

VII

J. FRANK, Dr. iur., Rechtsanwalt, New York City, New York und Washington, D. C.; GERHARD H A A S , Dr. rer. pol., Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, München; WOLFGANG SCHEUER, Dr. rer. pol., Rechtsanwalt, München: Die Zwischengesellschaft und ihre amerikanischen Schwestern . . 349 HANS

H A V E R M A N N , Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Vorstandsmitglied der Vereinigte Deutsche Treuhand-Gesellschaft, Köln: Zur Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in Einzel- und Konzernabschlüssen. Einige Anmerkungen zum Equity-Accounting 387

HANS

Dr. rer. pol., ordentlicher Professor an der Technischen Universität Berlin: Leasing-Geschäfte und ihre Bilanzierung — eine Lücke im Aktiengesetz 409

K O N R A D MELLEROWICZ,

I V . Allgemeines

zum

Wirtschaftsrecht

Dr. iur., em. ordentlicher Professor an der Universität Mainz: Unlauterer, relevanter und potentieller Wettbewerb 431

H O R S T BARTHOLOMEYCZIK,

Dr. iur. Drs. h. c., ordentlicher Professor an der Universität Frankfurt, Direktor des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte: Zur Rechtsstellung des gutgläubigen Wechselerwerbers. Der Entwurf der Kommission f ü r internationales Handelsrecht bei den Vereinten Nationen im Vergleich zur Genfer Wediselrechtskonvention 443

HELMUT COING,

KNIESCH, Dr. iur., Bundesrichter i. R . , Verwaltungsgerichtspräsident i. R., Frankfurt: Subventionen nach Art. 104 a Grundgesetz und ihre rechtliche Überprüfbarkeit 459

JOACHIM

Dr. iur., Notar, Bonn-Bad Godesberg, außerplanmäßiger Professor an der Universität Bonn: Die Gütergemeinschaft im Blickfeld des Erbschaftsteuergesetzes 1974 475

ALEXANDER K N U R ,

Dr. iur., Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Kassel, Honorarprofessor an der Universität zu Köln: Einigungsstelle und tarifliche Schlichtungsstelle nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 489

GERHARD MÜLLER,

Vili

Inhaltsverzeichnis N I R K , Dr. iur., Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Universität Heidelberg: Zum Begriff und Inlandsschutz des „Handelsnamens" (Nom commercial) im deutschen und französischen Recht gemäß Art. 8 PVÜ 509

RUDOLF

Rechtsanwalt und Notar, Frankfurt: Die Zulassung von Personen zum Börsenhandel mit Wertpapieren im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG 525

ALBRECHT STOCKBURGER,

Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität Bielefeld: Das Verhältnis von Standesregeln und guten Sitten im Wettbewerbsrecht 545

H A R M PETER WESTERMANN,

Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität zu Köln: Unternehmerische Verantwortlichkeit und formale Unternehmensziele in einer zukünftigen Unternehmensverfassung. Eine rechtsvergleichende und rechtpolitische Studie 561

HERBERT WIEDEMANN,

Zueignung Es ist uns eine große Freude, Ihnen im Namen aller Ihrer Freunde und Kollegen zur Vollendung des 65. Lebensjahres unsere herzlichen Glückwünsche auszusprechen und Ihnen diese Festschrift zu überreichen. Schon mit jungen Jahren haben Sie im Rahmen einer Anwaltsgemeinschaft, die besonders dem Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht verbunden war, mit einer Fülle von wissenschaftlichen Beiträgen das Schrifttum auf das fruchtbarste bereichert. Es nimmt daher nicht wunder, daß Sie mit Ihrem Wissen und Ihrer T a t k r a f t schon bald zu den führenden Praktikern auf diesem Gebiete zählten, dessen Schaffen dort nicht wegzudenken ist, wo gesellschaftsrechtliche und wirtschaftsrechtliche Probleme im Vordergrund stehen. Ungeachtet Ihrer ungewöhnlichen beruflichen Belastung haben Sie es während Ihrer ganzen Tätigkeit nicht daran fehlen lassen, auch weiterhin Ihr Wissen auszubreiten. Kommentare, Zeitschriftenaufsätze und anderweitige Publikationen legen ein beredtes Zeugnis hiervon ab. Für alle, nicht nur f ü r jene, die mit diesen Rechtsfragen wissenschaftlich konfrontiert sind, ist es von größtem Wert, daß ein Kenner der Materie wie Sie, der zugleich Pragmatiker ist, seine vielfältigen Erfahrungen immer wieder zum Anlaß nimmt, sie neu zu durchdenken. Was Sie sagen und schreiben, ist nicht am Schreibtisch ersonnen,· sondern beruht auf Erkenntnissen und eigenen Anschauungen, die Sie in täglicher Arbeit gewinnen konnten. Neben dieser so produktiven publizistischen Tätigkeit zeichnet Sie auch eine besonders klare Darstellungsweise aus. Sie sind kein Freund vieler Worte, wohl aber der richtigen und gut gewählten, wie jeder von uns aus Gesprächen mit Ihnen und aus Ihren Vorträgen weiß. So liegt das Geheimnis der Wirkung Ihrer Persönlichkeit gewiß zu einem guten Teil auch in der Fähigkeit, die richtigen Akzente zu setzen, wenn es darum geht, den Problemen in ihrer spezifisch juristischen und wirtschaftlichen Bedeutung gerecht zu werden. Keiner von uns, die wir Ihnen diese Beiträge als Zeichen des Dankes für Ihr Schaffen und Ihr Wirken widmen, hat sich je dem überzeugenden Einfluß Ihrer Persönlichkeit entziehen können. Nehmen Sie also, lieber, sehr verehrter Herr Barz, dieses Buch hin als Gabe von Freunden, die dankbar sind f ü r alle Anregungen, die sie von Ihnen erfahren durften und die hoffen, daß dem noch lange so sein wird.

Verzeichnis der Veröffentlichungen von Carl Hans Barz 1933 Das Klagezurücknahmeversprechen. Dissertation Frankfurt am Main 1933, 73 S. Erschienen als Heft 15 der Reihe: Beiträge zum Zivilprozeß, hrsg. von Wilhelm Kisch, Albrecht Mendelssohn Bartholdy und Max Pagenstecher. Deutsches Druck- u. Verlagshaus GmbH, Mannheim/Berlin/Leipzig 1933. 1936 Anmerkung zum Urteil des OLG Königsberg vom 16. 4.1936 (Zum Grundsatz der Surrogation in der Zwangsversteigerung). In: J W 1936,2359. Anmerkung zum Urteil des RG vom 4. 9. 1936 (RGZ Bd. 152, 119) (Zu § 242 BGB). In: J W 1936, 3530. Hesse-Saage-Fischer, Kommentar zur Grundbuchordnung. 1. Aufl. Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 1936. In: J W 1936, 3225. (Besprechung) 1937 Das Mindestgrundkapital im neuen Aktiengesetz unter besonderer Beachtung der Ubergangsregelung. In: J W 1937,1688 ff. Die Verantwortlichkeit der Aktionäre für Fehler in der Geschäftsführung, die auf ihre Veranlassung vom Vorstand begangen wurden. (Landesreferat auf dem II. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Den Haag 1937.) In: Sonderheft der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, 1937, 373 ff. Anmerkung zum Urteil des RG vom 16. 2 . 1 9 3 7 (Zur Kündigung des Handelsvertreters aus wichtigem Grund). In: J W 1937, 1311. Anmerkung zum Urteil des RG vom 8. 12.1936 (RGZ 154, 65) (Zur Haftung der Gründer einer Aktiengesellschaft). In: J W 1937, 1990. Anmerkung zum Urteil des RG vom 29. 1. 1937 (Zum aktienrechtlichen Anfechtungsprozeß). In: J W 1937, 2276. Anmerkung zum Urteil des RG vom 6. 4 . 1 9 3 7 (Zu § 60 HGB). In: J W 1937, 2655. Lehmann, Heinrich: Reform der Kreditsicherung an Fahrnis und Forderungen. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart und Berlin 1937. In: J W 1937, 2441 f. (Besprechung)

2

Verzeichnis der Veröffentlichungen v o n Carl Hans Barz

1938 Vertraglicher Kündigungsausschluß bei Personalgesellschaften. Ein Beitrag zur „Kapitalistischen Kommanditgesellschaft". In: J W 1938, 490 ff. Anmerkung zum Urteil des RG vom 29.10. 1937 (Zum Börsentermingeschäft). In: J W 1938, 238. Anmerkung zum Urteil des RG vom 2. 2.1938 (RGZ 157, 52) (Zur Stimmrechtsermächtigung für gepfändete GmbH-Anteile). In: J W 1938, 1400. Obst, Georg: Geld-, Bank- und Börsenwesen. 30. Aufl. Verlag C. E. Poeschel. Stuttgart 1937. In: J W 1938, 361. (Besprechung) Grossmann, H.: Der Jahresabschluß der Aktiengesellschaft. Industrieverlag Spaeth & Linde, Berlin 1938. In: J W 1938, 1157. (Besprechung) 1940 Hesse-Saage-Fischer: Kommentar zur Grundbuchordnung 2. Aufl. Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 1939. In: DR 1940, 151. (Besprechung) 1941 Anmerkung zum Urteil des RG vom 26. 10. 1940 (Zur Vereinbarung eines Sondervorteils für den Gründer einer GmbH). In: DR 1941, 506. Anmerkung zum Urteil des RG vom 28. 11. 1940 (Zur Firmierung einer Kommanditgesellschaft). In: DR 1941, 874. Anmerkung zum Urteil des RG vom 6. 1. 1940 (Zum Ausscheiden eines Kommanditisten aus der Kommanditgesellschaft). In: DR 1941, 1303. Anmerkung zum Urteil des RG vom 20. 2. 1941 (Zur Innengesellschaft). In: DR 1941, 1408. Anmerkung zum Urteil des RG vom 28. 4.1941 (Zur Anfechtung und zum Rücktritt vom Gesellschaftsvertrag einer oHG). In: DR 1941,1944. Anmerkung zum Urteil des RG vom 12. 6.1941 (Zum Auskunftsrecht des Aktionärs). In: DR 1941, 2124. 1942 Anmerkung zum Urteil des RG vom 1 1 . 9 . 1 9 4 1 (Zur Haftung aus Anscheinsvollmacht im bürgerlichen Recht). In: DR 1942, 172. Anmerkung zum Urteil des RG vom 1 . 9 . 1 9 4 1 (Zur Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses wegen Sittenwidrigkeit). In: DR 1942,278.

Verzeichnis der Veröffentlichungen v o n Carl Hans Barz

3

Künne, Karl: Außergerichtliche Vergleichsordnung. 4. Aufl. Deutscher Rechtsverlag GmbH, Berlin/Leipzig/Wien 1942. In: DR 1942, 1780. (Besprechung) 1943 Anmerkung zum Urteil des RG vom 7.12. 1942 (Zum Gesellschafterausschluß aus oHG oder KG). In: DR 1943, 809. 1947 Treuhandverwaltung und persönliche Haftung des Vermögensinhabers. In: N J W 1947/48, 44 ff. Dölle, Hans und Konrad Zweigert: Gesetz Nr. 52 über Sperre und Beaufsichtigung von Vermögen. Kommentar. Verlag C. E. Poeschel, Stuttgart 1947. In: N J W 1947/48, 98. (Besprechung) 1948 Aufbauverträge und Umstellungsgesetz. In: N J W 1947/48, 537 ff. 1957 Grenzen des Auskunftsrechts des Aktionärs (Gutachten). In: BB 1957, 1253 ff. 1959 Die Feststellung der Bilanz. In: Beiträge zur Aktienrechtsreform, hrsg. von Hans Hengeler, Max Kreifels u. a., Verlagsgesellschaft „Recht und Wirtschaft" m. b. H., Heidelberg 1959, S. 61 ff. Know how als Einbringungsgegenstand. In: Aktuelle Probleme aus dem Gesellschaftsrecht und anderen Rechtsgebieten. Festschrift für Walter Schmidt zum 70. Geburtstag. Berlin, Verlag Walter de Gruyter & Co., 1959, S. 157 ff. 1961 Aktiengesetz. Großkommentar. Begründet von W. Gadow, E. Heinichen u. a. 2. Aufl. bearbeitet von Carl-Hans Barz u. a. Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin, 1961 ff. §§ 203—232 (1965). Barz, Carl Hans und Rolf Berninger: Offene Handelsgesellschaft. In: Der Wirtschafts-Kommentator, Teil D: Wirtschaftsrecht II D 1/3. Verlag Kommentator G . m . b . H . Frankfurt am Main 1961, I V + 78 S. Bericht über die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins zur Aktienrechtsreform. In: Die AG 1961, 149 ff.

4

Verzeichnis der Veröffentlichungen v o n Carl Hans Barz

1962 Barz, Carl Hans und Rolf Berninger: Kommanditgesellschaft. In: Der Wirtschafts-Kommentator, Teil D: Wirtschaftsrecht II D1/4. Verlag Kommentator G . m . b . H . , Frankfurt am Main 1962 I V + 28 S. Das Frankfurter Publizitätsgespräch. Vorträge und Diskussionen der gleichnamigen Tagung in Königstein/Ts. am 13. und 14. April 1962. Hrsg. von den Veranstaltern Carl Hans Barz u. a.. Fritz Knapp Verlag Frankfurt/Main 1962. Diskussionsbeitrag S. 121. Schlußwort S. 294 ff. Die große Hauptversammlung. In: Die AG 1962, Sonderbeilage I, 1 ff. Geldeinlage-Zahlungen der Gesellschafter vor Eintragung der GmbH. In: GmbH-Rdsch. 1962, 189 ff. 1963 Die Reform des GmbH-Rechts. (Referat auf dem 32. Deutschen Anwaltstag in Goslar 1963.) In: GmbH-Rdsch. 1963, 124 ff. 1964 Rittner, Fritz: Handelsrecht und Zugewinngemeinschaft. Sonderdruck aus: FamRZ 1961, 1 ff., 185 ff. und 505 ff. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962. In: Z. f. d. g. Handels- und Wirtschaftsrecht 1964, 170 ff. (Besprechung) 1965 Gestaltungen in der erbrechtlichen Praxis heute. In: Sonderheft der DNotZ zum Deutschen Notartag 1965, 52 ff. Kuhn, Ottmar: Strohmanngründung bei Kapitalgesellschaften. Tübingen, Verlag J. C. B. Mohr 1964. In: Jur. Rdsch. 1965,198. (Besprechung) Hartmann, Bernhard: Der lästige Gesellschafter in der Wirtschaftspraxis. 2. Aufl. Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln-Marienburg 1963. In: Jur. Rdsch. 1965, 359. (Besprechung) 1966 Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag mit ausländischer Aktiengesellschaft. Einschränkende Auslegung des § 293 Abs. 2 AktG. In: BB 1966, 1168. Die durch die Aktienrechtsreform 1965 veranlaßten Satzungsänderungen. In: Die AG 1966, 39 ff.

Verzeichnis der Veröffentlichungen v o n Carl Hans Barz

5

1970 Aktiengesetz. Großkommentar. Begründet von W. Gadow, E. Heinichen u. a. 3. Aufl. bearbeitet von Carl-Hans Barz u. a. Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin, 1970 ff. §§ 23—75, 118—147, 258—261, 278—290, 329—338. Kapitalfragen im Referentenentwurf eines GmbH-Gesetzes. In: Rechtspolitik und Gesetzgebung, hrsg. von Ernst Geßler u. a., Bd. 1 GmbH-Reform, Bad Homburg v. d. H./Berlin/Zürich, Verlag Dr. Max Gehlen, 1970, S. 37 ff. Mängel bei der Gründung einer GmbH. In: Blick durch die Wirtschaft, hrsg. von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Nr. 85 vom 13.4. 1970. Probleme der GmbH-Reform. Zugleich Bericht über die Arbeitstagung „GmbH-Reform" in Bonn vom 29. 9. — 1.10. 1969. Heft 25 der Schriftenreihe: Rechtsfragen der Handelsgesellschaften. Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln-Marienburg 1970. In: GmbH-Rdsch. 1970, 103. (Besprechung) 1972 Rechtliche Fragen zur Verschmelzung von Unternehmungen. (Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Betriebswirtschaft 1970.) In: Die AG 1972,1 ff. Das 50 : 50 Gemeinschaftsunternehmen und das Konzernrecht. In: Beiträge zum Wirtschaftsrecht. Festschrift für Heinz Kaufmann zum 65. Geburtstag. Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln-Marienburg 1972, S. 59 ff. Listenwahl zum Aufsichtsrat. In: Freundesgabe für Hans Hengeler zum 70. Geburtstag. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York, 1972, S. 14 ff. Die vertragliche Entnahmeregelung bei oHG und KG. In: Festschrift für Alexander Knur zum 75. Geburtstag. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1972, S. 25 ff. Gesellschaftsrecht und Umwandlungsrecht. Übrige Rechtsnormen. In: Handbuch der Unternehmenszusammenschlüsse, hrsg. von Arno Sölter und Carl Zimmerer, Verlag Moderne Industrie, München 1972, S . 2 4 7 ff. Das Ende der GmbH & Co. KG. In: N J W 1972, 465 ff. 1973 Gesellschaftsvertragliche Regelung der Übertragung einer Kommanditbeteiligung. In: Festschrift für Wilhelm Westenberger zum

6

Verzeichnis der Veröffentlichungen von Carl Hans Barz

70. Geburtstag. Verlag Herbert Lang & Cie AG, Bern und Frankfurt 1973, S. 29 ff. Abänderung festgestellter Jahresabschlüsse einer Aktiengesellschaft. In: Gesellschaftsrecht und Unternehmensrecht. Festschrift für Wolfgang Schilling zum 65. Geburtstag. Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 1973, S. 127 ff. Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff: Aktiengesetz. Kommentar. Lfgn 1—3, Verlag Franz Vahlen, München 1973. In: N J W 1973, 1873 f. (Besprechung) Barz, Carl Hans und Georg Hohner: Zum Schachtelprinzip bei „Zwischenschaltung" einer Personengesellschaft. In: DB 1973, 2109 ff. Formular-Kommentar. Formulare für Freiwillige Gerichtsbarkeit und Vertragsgestaltung mit Erläuterungen. Hrsg. von Egon Arnold, Georg Augustin, Kurt Bartenbach, Carl Hans Barz u. a. 1. Band: Handels- und Wirtschaftsrecht I. Unter Mitwirkung von Wilhelm Happ neu bearbeitet von Carl Hans Barz, Gerhard Boldt u. a. 21. Aufl. Carl Heymanns Verlag KG, Köln/Berlin/Bonn/München 1973.

I. RECHT DER PERSONENGESELLSCHAFTEN

Probleme des Kommanditvertrages K U R T F R E I H E R R VON FALKENHAUSEN

Der folgende Beitrag ist in erster Linie praktischen Fragen gewidmet, die bei der Gestaltung des Kommanditvertrages anscheinend häufig nicht gesehen oder doch nicht ausreichend überdacht werden, obwohl ihre den Gegebenheiten des Falles glücklich angepaßte Lösung f ü r das spätere Funktionieren und Gedeihen der Gesellschaft entscheidend sein kann. Einige der angestellten Erwägungen könnten auch de lege ferenda als Anregungen von Interesse sein, eine erschöpfende Behandlung ist jedoch im gegebenen Rahmen weder möglich noch beabsichtigt. Die Rechtsverhältnisse der Aktiengesellschaft hat der Gesetzgeber so fast umfassend geregelt, daß eine auf den gesetzlichen Mindestinhalt und einige Entscheidungen zu den vom Gesetzgeber eingeräumten Wahlmöglichkeiten beschränkte Satzung die Bedürfnisse der meisten Fälle decken wird. Auch in der G m b H wird man in der Regel mit wenigen, dem Einzelfall angepaßten Ergänzungen im übrigen bewährter Muster auskommen können. Die Kommanditgesellschaft bietet dagegen bei einem Minimum, noch dazu überwiegend dispositiver, gesetzlicher Rahmenvorschriften, — und weitgehend gerade hierdurch bedingt, — eine so ungeheure Fülle individueller Gestaltungsmöglichkeiten, wie wohl kein anderer Gesellschaftstyp. Sie werden in der Praxis auch in voller Breite (und gelegentlich vielleicht audi noch darüber hinaus) ausgeschöpft. Deshalb sollte jeder Kommanditvertrag ein Maßanzug sein, der, eigens auf die speziellen Bedürfnisse der Gesellschafter zugeschnitten, bei jeder Bewegung bequem sitzt, weder drückt nodi Falten schlägt und auch nicht in den Nähten reißt, wenn man einmal in die Knie gehen muß.

I. l.

Das setzt voraus, daß die Parteien sich klar werden und auch aussprechen, was genau sie wollen, und, wichtiger noch, was sie jedenfalls nicht wollen. Erst anhand dieser Klarheit können die Abläufe des gesellschaftlichen Geschehens in ihren Varianten durchgespielt, wahrscheinliche oder mögliche Verschiebungen der Gegebenheiten in die Erörterung einbezogen und ihnen gemäße Lösungen entwickelt werden.

10

K u r t Freiherr von Falkenhausen

2. Soweit und solange die Interessen der Beteiligten parallel laufen, werden sich die Dinge mehr oder weniger von selbst regeln. Was vertraglich festgelegt werden muß, sind mithin in erster Linie Kollisionsnormen, die einen gemessen an den jeweiligen Umständen billigen Ausgleich widerstreitender Interessen ermöglichen. Mit dem Hinweis auf die von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ist den Beteiligten nur wenig geholfen. Ihre Übertragung auf den konkreten Fall ist schwierig, denn mancher Tatbestand läßt verschiedene Deutungen zu; vielfach hängt die Entscheidung auch von Nuancen ab, f ü r die das Schrifttum keine Hinweise bietet. Auch werden die Beteiligten o f t aus persönlichen, familiären oder unternehmerischen Rücksichten vor Prozessen zurückschrecken, zumal wenn deren Ausgang nicht völlig gesichert erscheint. Wenn jedoch der Gesellschaf tsvertrag die streitige Frage regelt oder doch die dem Vertragswillen entsprechende Regelung mit überzeugender Deutlichkeit aus ihm gefolgert werden, sich also niemand hinter einer behaupteten Ungewißheit verschanzen kann, wird man eher bereit sein, sich dem geschriebenen Wort zu beugen. Natürlich ist es ausgeschlossen, jeden absehbaren Fall und erst recht die Fälle unvorhersehbarer Komplikationen vorausschauend kasuistisch zu regeln, — obwohl auch das o f t genug versucht wird. Es wird also darauf ankommen, fallbezogene, d. h. so genau wie irgend möglich an die unternehmerischen Pläne der demnächstigen Gesellschafter angepaßte Generalklauseln als Spielregeln zu entwickeln, an die die Beteiligten sich halten und deren Innehaltung sie fordern können. Dabei läßt sich gelegentlich eine Gestaltung finden, die die gegenläufigen Interessen so gewichtet, daß sie sich gegenseitig auf die gewünschte Lösung hin auspendeln und Exzesse sich von selbst totlaufen. Eine solche „negative Rückkoppelung" ist jedem anderen Mechanismus vorzuziehen. 3.

Eine Kommanditgesellschaft kann in die Lage kommen, auch ihre Verfassung unerwarteten Änderungen der Verhältnisse anpassen zu müssen. Deshalb gilt hier in besonderem Maße die alte Regel, daß eine gute Satzung Freizügigkeit und Anpassungsmöglichkeiten nur insoweit versperren soll, als das zur Sicherung der Beteiligten unerläßlich ist. Das setzt voraus, daß diese Schutzbedürfnisse so genau wie möglich „definiert", d. h. sowohl „beschrieben" wie „eingegrenzt" werden. Je präziser die Definition ist, desto größer kann der Freiheitsraum gehalten werden, ohne daß schuztbedürftige Interessen gefährdet werden.

Probleme des Kommanditvertrages

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4. Hierher gehört auch die Bestimmung genauer Unternehmensziele. Damit ist mehr gemeint als die Bestimmung des „Unternehmenszwecks" : hier gilt es u. a. die Prioritäten festzulegen, ζ. B. wie weit und unter welchen Voraussetzungen die Gesellschafter eine expansive Politik, etwa unter Inkaufnahme von Nachschüssen oder der Aufnahme neuer Gesellschafter oder zu Lasten der Gewinnausschüttung mitmachen müssen, wie hoch die Geschäftsführung ins Risiko gehen darf, ob bei Überschreitung gewisser Grenzwerte ein Gesellschafter — nur — ausscheiden darf oder — auch — ein Vetorecht haben soll, wie lange er bei ungünstiger Entwicklung stillhalten muß und ähnliches. Jede Verfassung eines nicht ganz unbedeutenden Unternehmens sollte einen Konsens zumindest über solche Grundprinzipien enthalten; wenn nicht im Gesellschaftsvertrag selbst, dann in Form eines Zusatzvertrages oder Grundsatzbeschlusses, die nur in festgelegter Weise geändert werden können.

II. Zu besserer Ubersicht der verschiedenen Interessengegensätze, für die Lösungsmöglichkeiten vorgesehen werden sollten, bietet sich folgende Gruppierung an: Nada Beteiligten: — zwischen dem oder den Komplementären und dem oder den Kommanditisten, — wohl der wichtigste und häufigste Fall — — zwischen den Mitgliedern jeder dieser beiden Gruppen, — Außenseiterinteressen einzelner Gesellschafter, — Komplementäre wie Kommanditisten — . Nach Gegenständen: — Information und Mitwirkung im laufenden Geschäft, — Grundsatzentscheidungen, — Unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten, — Sonderinteressen außergesellschaftlicher Begründung. 1. Der Gegensatz zwischen Komplementär und Kommanditist tritt bei Fragen der Kontrolle und Mitwirkung am stärksten hervor. Das Gesetz geht von der Vorstellung aus, daß der Komplementär als Träger des unbeschränkten Risikos und damit eigentlicher Unternehmer auch

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freie Entscheidung haben müsse und außer in Sonderfällen nicht behindert werden dürfe. Es räumt deshalb den Kommanditisten nur ein Minimum von Rechten ein: — Sie haben Anspruch auf eine Abschrift der Jahresbilanz und — dürfen deren Richtigkeit anhand der Bücher prüfen — § 166 Abs. 1 HGB —, — sie können außerordentlichen Geschäften widersprechen — § 164 HGB —. Das ist im Regelfall alles. Obwohl die Kommanditisten rechtlich als „Mitunternehmer" gelten, sind nach dem Gesetz ihre Rechte und Einwirkungsmöglichkeiten weit geringer als etwa die des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft. Daß mit einer solchen Regelung — trotz mancher Modifizierung durch Rechtsprechung und Lehre — heute meist nicht mehr auszukommen ist, liegt auf der Hand. Die Kommanditgesellschaft hat den Raum, den ihr das Leitbild des Gesetzgebers zuweist, gesprengt. Auch die wenigen Rechte selbst, die das Gesetz dem Kommanditisten zugesteht, bieten ihm nicht mehr das, was sie früher einmal gewesen sein mögen. Angesichts immer komplizierter und wechselvoller gewordener Wirtschaftsabläufe ist die Substanzstatik der Bilanz gegenüber der Dynamik der Ertragsrechnung, insbesondere der Bewertung zukünftiger Ertragschancen relativ uninteressant geworden. Auch in der Wirtschaftsprüfung selbst ist die hier vom Gesetzgeber angesprochene Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit gegenüber der betriebswirtschaftlichen Bewertung der getroffenen Entscheidungen in den Hintergrund getreten. a) Auch wenn unter dem Gesetzesbegriff „Bilanz" nicht mehr diese allein verstanden wird, sondern ein noch den Regeln ordnungsmäßiger Buchführung entsprechender Abschluß, der Handelsbilanz, Gewinn und Verlustrechnung und auch die Steuerbilanz 1 umfaßt, kann der Kommanditist damit doch noch recht wenig anfangen. Ohne eine angemessene Tiefengliederung und ohne entsprechende Erläuterung, wie sie für die Aktiengesellschaft nicht ohne guten Grund zwingend vorgeschrieben sind, ist die Aussagekraft eines solchen Abschlusses minimal. Der Kommanditist erfährt gerade, welchen Gewinn (oder Verlust) der oder die Komplementäre — nicht etwa erzielt, sondern nur — auszuweisen sich entschlossen haben 2 , aber über das Warum 1 Baumbach-Hueck HGB § 166, Anm. 2 A, Großkommentar z. HGB (früher RGR) § 166, Anm. 1. 2 Großkommentar § 166, Anm. 2.

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dieses Entschlusses, über bestehende Alternativen und vor allem über die in dem Abschluß steckenden Risiken erfährt er nichts. Denn weitere Auskünfte — über etwa das hinaus, was er für seine Steuererklärung wissen muß 3 —, stehen ihm, da und soweit die Bilanzfeststellung nicht seine Sache ist, nicht zu 4 . Auch das Prüfungsrecht hilft hier nicht weiter, denn es kann — normalerweise — nur persönlich ausgeübt werden 5 . Welcher K o m manditist ist aber in der Lage, den Abschluß seiner Gesellschaft zu prüfen? Selbst wenn er die entsprechenden Fachkenntnisse hat, hat er jedenfalls nicht die für die Prüfung eines Buchwerkes nötige Zeit. Auf der anderen Seite würde eine solche Prüfung durch den K o m manditisten — oder gar mehrere von ihnen — auch für die Buchhaltung des Unternehmens selbst eine kaum zu bewältigende Belastung bedeuten. Schließlich muß der Fälle gedacht werden, in denen selbst der vollkommenste und informativste Jahresabschluß kein deutliches Bild von L a g e und Aussichten der Gesellschaft mehr vermitteln kann, weil der Raster jährlicher Berichterstattung für eine sinnvoll vergleichende Darstellung ihres wechselvollen Geschäfts einfach zu grob ist, wo also monatliche oder vierteljährliche Zwischenberichte unerläßlich sind. Auch auf ihre Mitteilung oder Einsicht hat der Kommanditist zunächst keinen Anspruch 6 . Wo der Kommanditist aktiv am Leben der Gesellschaft teilnehmen kann und will, und wo deren Wohlergehen auch für ihn eine Lebensfrage ist, wäre ein Verlangen nach so umfassender Unterrichtung aber keineswegs unbillig. Auf der anderen Seite bedeutet die Berichterstattung allein keine Beeinträchtigung der Rechte der Komplementäre und, soweit sie auf die Unterlagen beschränkt ist, die die Gesellschaft ohnehin hat oder doch im eigensten Interesse erstellen sollte, auch nur eine unwesentliche Belastung der Organisation. Im Gegenteil, die Pflicht zur Berichterstattung bildet auch für den Berichtenden einen heilsamen Zwang zu ehrlicher Rechenschaft vor sich selbst, für den er im Grunde dankbar sein muß. Deshalb kann und sollte im Interesse aller Beteiligten in jedem Kommanditvertrag eine den Verhältnissen des Unternehmens angepaßte, einigermaßen ausführliche Berichterstattung, ggf. mit angemessenen Zwischenberichten, festgelegt werden. Dabei wären MindestA. a. O., Anm. 1. A. a. O., Anm. 2 und 5. 5 Baumbach § 166, Anm. 2 B, Großkommentar § 166 Anm. 4. • Großkommentar, § 166, Anm. 5, Baumbach § 166 Anm. 2 A.

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Bestimmungen für die Aufmachung des Abschlusses, — etwa durch Verweis auf bekannte Muster oder gesetzliche Regelungen, wie z. B. das AktGes., — vorzusehen. Ferner sollte neutrale Abschlußprüfung, in der Regel durch einen Wirtschaftsprüfer, vereinbart werden. Dabei wäre festzulegen, daß dessen Prüfungsbericht allen Gesellschaftern zuzustellen ist, denn sonst haben sie nur ein Einsichtsrecht7, das für eine eingehende Beschäftigung mit der Materie kaum ausreicht. b) Berichterstattung allein ohne Mitwirkungsrechte bleibt ein Torso. Deshalb kann der Kommanditist einer Maßnahme widersprechen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgeht — § 164 H G B —. Das wird dahin verstanden, daß die Komplementäre die Kommanditisten über solche Pläne zu unterrichten und einen förmlichen Gesellschafterbeschluß herbeizuführen haben 8 . Eine für die Praxis brauchbare, konkrete Abgrenzung dieses Begriffs ist jedoch sehr schwierig. Sogar das gleiche Geschäft des gleichen Unternehmens könnte in der einen Lage alltäglich, in einer anderen aber so riskant sein, daß es über das Betriebsnormale hinausgeht. Man denke etwa an die Länge einer Zeitcharter einer Reederei in wechselhaftem Frachtmarkt oder an Exzeßbevorratung gegen Kredit mit spekulativem Einschlag. Deshalb wird in die Gesellschaftsverträge meist ein Katalog von Geschäften aufgenommen, deren Abschluß der Genehmigung der Gesellschafterversammlung vorbehalten sein soll. Aber auch diese, in der Regel den Verträgen anderer Gesellschaftsformen mit mehr oder weniger großen Abänderungen entlehnten Kataloge sind meist noch zu formal empfunden, um den eigentlichen Kern der Sache zu treffen. Die Erteilung etwa einer Prokura oder der Verkauf eines Grundstücks werden oft weit weniger bedeutsam sein als ein riskantes Tagesgeschäft. Solche Genehmigungskataloge sollten deshalb unmittelbar auf das Geschäft des Unternehmens bezogen sein und entsprechend den Risikovorstellungen der Beteiligten einen Rahmen abgrenzen, zu dessen Überschreitung die Geschäftsführung der Zustimmung der Kommanditisten, sei es aller, sei es der Mehrheit, sei es eines hierzu von ihnen oder für sie bestellten Organs bedarf. Als Parameter hierfür bieten sich der finanzielle Umfang des Geschäfts — für sich allein und/oder 7 8

Großkommentar, § 166, Anm. 3 a. R G 1 5 8 / 3 0 3 ; Großkommentar, § 164, Anm. 5 (und die dort zitierten).

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in der H ä u f u n g mit anderen, — die Dauer der Verpflichtung oder Mittelbindung, die Belastung der Kapazität des Unternehmens, der Fremdmittelbedarf und ähnliches an. Ein Streit um diese Frage wird allerdings erst dann mit Sicherheit ausgeschlossen, wenn die Bestimmung so formuliert wird, daß sie alle Geschäfte erfaßt, die nach dem Willen der Gesellschafter als „außerordentlich" der Zustimmungspflicht unterworfen werden sollen, und gleichzeitig zum Ausdruck gebracht wird, daß damit der in § 164 H G B gesteckte Rahmen f ü r diese Gesellschaft abschließend bestimmt und ausgefüllt sei. Ein solcher Katalog f ü r sich allein gilt im Zweifel nur als Ergänzung der gesetzlichen Vorschrift bzw. Auslegungsregel f ü r diese 9 . c) Informations- und Kontrollzweck werden am besten erfüllt und abgesichert, wenn die Geschäftsführung verpflichtet wird, für bestimmte Zeiträume — ein oder mehrere Geschäftsjahre — bestimmte Planungen vorzulegen, die ganz oder abschnittweise genehmigt werden, worauf dann die Geschäftsführung innerhalb des jeweils genehmigten Rahmens freizügig nach eigenem Ermessen handeln kann. Eine solche Regelung kann im Gesellschaftsvertrag selbst oder in einer besonderen, einer Geschäftsordnung entsprechenden Vereinbarung festgelegt werden. Dabei wäre auch auszuführen, wann und wie über von der vorgegebenen Planung nicht nur unerheblich abweichende Entwicklungen zu berichten ist und wieweit dadurch schon erfüllte Bewilligungen gegenstandslos werden. Für eine Jahresplanung könnten ζ. B. vorgeschrieben werden Absatzplan, Ergebnisplanung, Finanz- und Liquiditätsplan, Investitionsplan, jeweils aufeinander bezogen und nach Zeiträumen — Monat, Quartal, Saison — aufgegliedert. Es hat sich bewährt, in solchen Plänen jeweils 3 Sätze von Zahlen, entsprechend der maximalen, der minimalen und der wahrscheinlichsten Entwicklung vorzusehen (wobei die wahrscheinlichste keineswegs in der Mitte zu liegen braucht). d) Nach dem Gesetz — § 708 BGB — haften Gesellschafter einander, und mithin auch der Komplementär seinen Mitgesellschaftern, nur f ü r die Sorgfalt, die sie in eigenen Dingen anzuwenden pflegen. Von dem verantwortlichen Leiter eines kaufmännischen Unternehmens sollte jedoch zumindest ein Einstehen f ü r die Sorgfalt eines ordent8

Großkommentar, § 164, Anm. 5 a.

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lichen Kaufmannes verlangt werden 10 . Das wäre im Gesellschaftsvertrag festzulegen. 2.

In Grundsatzfragen und Geschäftspolitik hat nach dem Gesetz der Kommanditist überhaupt nicht hineinzureden. Das scheint aus heutiger Sicht nur noch bedingt gerechtfertigt und kann auch auf einen Widerspruch innerhalb der gesetzlichen Regelung selbst hinauslaufen, denn über die Gestaltung der Geschäftspolitik könnte über die längere Sicht der Komplementär selbst bestimmen, welche Geschäfte als nunmehr unternehmensüblich auch dem Widerspruchsrecht der Kommanditisten entzogen sind. Das Bild, von dem der Gesetzgeber ausging, auf der einen Seite der unternehmerische Kaufmann, der nicht nur mit all seiner Habe, sondern auch mit seinem persönlichen Ruf f ü r das Unternehmen einsteht und damit auch seine persönliche Z u k u n f t aufs Spiel setzt, — z. B. bedeutete ein vorausgegangener Konkurs früher bleibende Unfähigkeit f ü r gewisse Ehrenämter, — und auf der anderen Seite der Kommanditist, der nur einiges aus seinem Vermögen zur Verfügung stellt, trifft heute oft nicht mehr zu. Einsatz und Risiko des Komplementärs haben sich vermindert, — bei gewissen Typen von Gesellschaften sind sie praktisch gleich null, — während derjenige des Kommanditisten größer geworden ist, sei es, daß wenige Kommanditisten in ihrer wirtschaftlichen Existenz vom Gedeihen des Unternehmens abhängen, sei es, daß eine Vielzahl von ihnen Mittel aufbringt, die diejenigen der Komplementäre weit übersteigen. Ihre Forderung, auch an den Grundsatzentscheidungen des Unternehmens beteiligt zu werden — bei der auch die heutige Einstellung gegenüber autoritären Positionen im Spiel sein mag, — scheint deshalb im Prinzip begründet. Die Frage ist aber, wie weit dieses Mitspracherecht gehen soll und wie es sinnvoll zum Tragen kommen kann. Eine allgemeine Antwort hierauf gibt es nicht. a) Über den Umfang der „Mitbestimmung" der Kommanditisten wird man sich leichter einigen können, wenn zuvor, wie eingangs angeregt, die Unternehmensziele und ihre Grenzen und die Prioritäten zwischen ihnen hinreichend genau ausgehandelt und festgelegt sind. Dann hat man Richtlinien, die für beide Seiten gelten und gröbliche Einbrüche in die berechtigten Interessen anderer weitgehend ausschließen. Innerhalb dieses Rahmens kann dergestalt differenziert werden, daß f ü r heiklere Entscheidungen ein jeweils höherer Grad von Uber10

Großkommentar, § 114, Anm. 7; vor § 161, Anm. 9.

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einstimmung auch mehrstufig bis hin zur Einstimmigkeit oder unbedingten Zustimmung einer Gruppe vorgeschrieben wird. So könnte ζ. B. bestimmt werden, daß eine normale Jahresplanung mit einfacher Mehrheit verabschiedet wird, während Entscheidungen über größere Investitionen oder Aufnahme von Anleihen nur mit Zustimmung aller Komplementäre, — die mehr in der Sache stehen und auch persönlich stärker durch sie betroffen werden, — und die Aufnahme eines neuen Geschäftszweiges oder eine entscheidende Vergrößerung des Unternehmens überhaupt nur einstimmig beschlossen werden könne. Hier die für das jeweilige Unternehmen geeigneten Lösungen zu entwickeln, ist eine Frage der wirtschaftlichen Phantasie und der Verhandlungskunst. Dabei muß natürlich Einfluß und Gewicht der Komplementäre um so größer sein, je stärker ihr Einsatz und ihre Bindung im Unternehmen sind — die ja von einer einem angestellten Geschäftsführer ähnlichen Stellung ohne Kapitalanteil bis zur Hauptbeteiligung und zum persönlichen Aufgehen im Unternehmen reichen können, — und je mehr es in der Einzelfrage auf ihre Sachkunde ankommt. b) Die meisten Fragen, die in diesem Zusammenhang anstehen können, werden im praktischen Ablauf schon im Zusammenhang mit der Jahresplanung gestellt und entschieden: jede Expansion z . B . hängt von den bewilligten Investitionsmitteln ab. Dennoch verdient das Problem eine nochmalige Betrachtung, weil aus dieser Sicht jene Entscheidungen eine andere Qualität erhalten. Jetzt und hier wäre also zu fragen, dürfen die Mittel für eine bestimmte Investition überhaupt verweigert werden, oder hat eine Gruppe einen Anspruch, daß ihre Pläne nicht gestört werden? Soweit die Antwort nicht aus einer Grundsatzvereinbarung über Unternehmensziele und Prioritäten — vgl. oben S. 11 — folgt, wird sie eindeutig kaum zu geben sein. Auch hier wird dann ein nach dem Grad des Eingriffs in die jeweiligen Interessen abgestuftes System von Beschlußmehrheiten noch die billigsten Ergebnisse liefern. Das sei am Beispiel der in diesem Zusammenhang wohl am häufigsten anstehenden Frage entwickelt, inwieweit die Komplementäre berechtigt sein sollen, erwirtschaftete Erträge in — offene oder stille — Rücklagen einzustellen oder die Ausschüttung ausgewiesener Gewinne zu verweigern. Die Extreme: Die Geschäftsführung nimmt in Anspruch, die Existenz des Unternehmens sei gefährdet, wenn es nicht sein Kapital durch Rücklagen verstärke bzw. die liquiden Mittel im Hause behalte, der Kommanditist erwidert, er verlange zumindest die Auszahlung des Betrages, den er als Steuer auf seinen Gewinnanteil an das Finanzamt zu entrichten habe. Alles andere liegt dazwischen.

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Eine Entscheidung, die die Existenz des Unternehmens aufs Spiel setzt, sollte nicht gegen die Stimme der Komplementäre möglich sein. Dabei muß die Behauptung, daß es so sei, — zumindest wenn sie von den Komplementären einstimmig vertreten wird, — zunächst einmal genügen, audi wenn eine andere Beurteilung ebenfalls nicht von der H a n d zu weisen ist. Wird dagegen die Stärkung der flüssigen Mittel des Unternehmens nur als sehr erwünscht bezeichnet, so könnte der Forderung des Kommanditisten auf Auskehr wenigstens der Gewinnsteuern schon das größere Gewicht zukommen, zumal das Unternehmen, wenn es eine Kapitalgesellschaft wäre, die Mittel f ü r diese Steuern ebenfalls aufbringen müßte. So könnte man vorsehen, daß der Komplementär einen bestimmten Anteil des Ertrages ohne weiteres in die Rücklage einstellen darf oder gar muß — ggf. beschränkt auf eine Gesamtrücklage bestimmter absoluter H ö h e — , darüber hinaus einen weiteren mit Zustimmung der Mehrheit der Gesellschafter, wenn man will einen noch höheren nur mit qualifizierter Mehrheit, den zur Deckung der Gewinnsteuern der Gesellschafter nötigen Teil des steuerlichen Gewinns aber nur mit Zustimmung aller, und das zur Sicherung der Existenz des Unternehmens in Anspruch genommene wiederum auch gegen jeden Widerspruch der Kommanditisten. Wo es um Fragen der Geschäftspolitik, der Expansion, des Entwicklungsaufwandes und ähnliches geht, könnte man die Skala der Mehrheiten vom vorsichtig-herkömmlichen Verfahren in Richtung auf das riskantere und spekulativere steigern. c) Ein auf Beweglichkeit und Anpassung an veränderte Verhältnisse angelegter Gesellschaftsvertrag wird eine Erhöhung des Gesellschaftskapitals — notfalls auch unter Aufnahme neuer Gesellschafter — durch Gesellschafterbeschluß zumindest für den Fall vorsehen müssen, daß die Weiterführung des Unternehmens mit der vereinbarten Zielsetzung ohne eine solche Maßnahme ausgeschlossen oder in Frage gestellt scheint. I m allgemeinen werden die Altgesellschafter das erste Anrecht erhalten, durch Erhöhung ihrer Einlagen die erforderlichen Mittel aufzubringen. Soweit sie das nicht können oder wollen, werden sie die mit der Aufnahme eines Dritten verbundene Minderung ihrer Mitgliedschaftsrechte in K a u f nehmen müssen. Eine Verminderung des Vermögenswertes ihrer Beteiligung wird ihnen jedoch nur insoweit zugemutet werden können, als die L a g e des Unternehmens dessen Realisierung unmöglich macht. D a s kann durch die Vereinbarung abgesichert werden, daß gegen die Stimme eines Gesellschafters die Aufnahme eines neuen Gesellschafters nur mit

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der Auflage beschlossen werden kann, daß dieser über seine nominale, d. h. die Gesellschafterrechte bestimmende Kapitaleinlage hinaus ein dem ihm auf diese zufallenden Anteil an den offenen und bewertbaren, stillen Reserven des Unternehmens entsprechendes Aufgeld einzuzahlen hat. 3.

Abstimmungsergebnisse regeln das Verfahren, aber sie überzeugen nicht unbedingt, — die Meinungen werden meist unterschiedlich bleiben. Soll der Gesellschafter, der einen ihm ungünstig oder gar verderblich erscheinenden Beschluß nicht hat verhindern können, dennoch weiterhin seinen Einsatz für den vereinbarten Gesellschaftszweck leisten, — d. h. seine Einlage stehen lassen —, oder als Komplementär eine Geschäftspolitik betreiben müssen, die er f ü r verfehlt hält, oder soll er das Recht haben, die Konsequenzen zu ziehen und die Gesellschaft zu verlassen? a) Das Gesetz — §§ 723 BGB, 132 H G B — gesteht jedem Gesellschafter das Recht zu, die Gesellschaft, soweit sie nicht auf eine bestimmte Zeit eingegangen ist, mit 6 Monaten Frist auf das Jahresende zu kündigen. Ob die Kündigung die Auflösung der Gesellschaft oder nur das Ausscheiden des Gesellschafters zur Folge hat, richtet sich danach, ob die Gesellschafter eine Regelung nach § 138 H G B vereinbart haben, was meist geschieht. Das Kündigungsrecht ist im Prinzip unabdingbar, kann aber eingeschränkt 11 und darf auch nicht mißbräuchlich („zur Unzeit", § 723 BGB 12 ) ausgeübt werden. Mit dieser Regel dürften die Bedürfnisse des Gesellschafters in den meisten Fällen abgedeckt sein, nicht aber die der Gesellschaft. Die Eigenmittel eines wirtschaftlichen, namentlich eines industriellen Unternehmens sind in aller Regel so fest gebunden, daß ein wesentlicherer Kapitalanteil auch bei längerer Streckung der Auszahlungsfristen nicht zur Abfindung freigemacht werden kann. Die Gesellschafter können also von ihrem Recht, die Gesellschaft gem. § 138 H G B fortzusetzen, nur Gebrauch machen, wenn sie in der Lage sind, das abfliessende Kapital termingerecht anderweit zu ersetzen. Wo sie hierzu aus Eigenem nicht in der Lage sind, wird es deshalb zweckmäßig sein, nicht nur die Auszahlungsfristen für die Abfindung sondern auch Kündigungstermine und Fristen selbst den finanzwirtschaftlichen Bedürfnissen des Unternehmens anzupassen, d. h. möglichst weiträumig zu strecken. Diese Möglichkeit findet, auch wenn und soweit es um berechtigte Interessen des Unternehmens geht, ihre Grenze bei dem Schutzbedürfnis des Ausscheidenden, das der Gesetz11 12

Großkommentar, § 132 Anm. 5, 23 ff. Vgl. a. a. O., Anm. 22 und die dort Zitierten.

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geber unbedingt garantieren will 13 . D a auch Kündigungsvereinbarungen stets nur aus gesamtschauender Abwägung aller Gegebenheiten gewürdigt werden können, wird sie um so weiter gesteckt werden können, als dem Gesellschafter anderweitiger Ausgleich geboten wird 1 4 . Hierfür kommt in erster Linie das Recht in Betracht, den Anteil auf einen Dritten zu übertragen, — mit oder ohne Vorbehalt eines Vorkaufsrechts oder der Einschränkung, daß der Dritte den Gesellschaftern annehmbar sein muß. Eine bindende Verpflichtung, dem Gesellschafter den Anteil auf Verlangen gegen wertgerechtes Entgelt abzunehmen, kann sogar den völligen Ausschluß dieses Rechts rechtfertigen 15 . Aber auch eine großzügige Regelung des Rechts zu außerordentlicher Kündigung wird in diesem Zusammenhang ebenfalls ins Gewicht fallen. In dem Maß, um das die ordentliche Kündigung eingeschränkt wird, bleibt die eingangs gestellte Frage offen und regelungsbedürftig. b) Das sollte durch Vereinbarungen über außerordentliche Kündigungsrechte geschehen. Für den Bereich der O H G und K G gewährt das Gesetz — § 133 H G B — an Stelle der auch f ü r die Gesellschaft sonst allgemein vorgesehenen außerordentlichen Kündigung — § 723 Abs. 1, Satz 2 und 3 BGB — nur die Auflösungsklage aus wichtigem Grund. Auch sie ist formell unabdingbar 1 6 , — Abs. 3 —, kann aber praktisch durch Vereinbarungen mit gleichem Interessenschutz abgelöst werden 17 . Eine Vereinbarung, die jeden Gesellschafter berechtigt, die Gesellschaft ebenfalls ganz allgemein aus wichtigem Grund zu kündigen, wäre mit dem Kriterium der Auflösungsklage deckungsgleich und würde f ü r diese keinen Raum mehr lassen. Das hätte den praktischen Vorteil 18 , daß die Maßnahme sofort und nicht erst mit der Rechtsk r a f t des Gestaltungsurteils wirksam wird, deren Termin zunächst nicht abzusehen ist. Sie kann mit einer § 138 H G B entsprechenden Regelung verbunden werden, die dem ausscheidenden Gesellschafter eine Abfindung sichert, die nicht schlechter wäre als sein Liquidationserlös. Die gerichtliche Nachprüfung des wichtigen Grundes selbst kann jedoch nicht ausgeschlossen werden 19 . 13 14 15 16 17

18 19

Vgl. a. a. O., Anm. 26 ff. A. a. O., § 133, Anm. 20, vgl. auch Anm. 18. A. a.O., §132, Anm. 29. A. a. O., § 133, Anm. 44 (möglicherw. etwas a. M. Anm. 67, Abs. 2). A. a. O., Anm. 69, 70, 73.

A.M.: a.a.O., Anm. 2.

A. a. O., Anm. 73.

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c) Eine solche allgemeine Vereinbarung löst die hier anstehenden Fälle ebenfalls noch nicht. Häufig werden sie die Schwelle des wichtigen Grundes nodi nicht erreichen; wo dies der Fall ist, ist das Kriterium „unzumutbar", das den Grenzwert für die Zulässigkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund bezeichnet 20 , zu ungenau und schon wegen des ihm stets innewohnenden subjektiven Elements zur Abgrenzung wenig geeignet. Hinzu kommt, daß der Gegensatz zwischen den Gesellschaftern oft nur auf unterschiedlicher Beurteilung von Risiken und Möglichkeiten beruht und die Unzumutbarkeit weiteren Verbleibens in der Gesellschaft deshalb objektiv erst beurteilt werden kann, wenn der unterlegene Gesellschafter recht behalten und die Frage sich damit von selbst erledigt hat. Deshalb sollten die Gesellschafter besser die Grenzen, über die hinaus mitzugehen sie nicht verpflichtet sein wollen, von vornherein — im Gesellschaftsvertrag unmittelbar oder in einer ihm angehängten Grundsatzvereinbarung — festlegen. D a damit jedoch ihre Mitwirkungspflicht im Sinne des § 705 B G B begrenzt würde, könnten weitergehende Maßnahmen zunächst wiederum nur durch einstimmigen Beschluß ermöglicht werden. Wenn das vermieden werden soll, muß also außerdem festgelegt werden, daß, wenn dennoch solche Maßnahmen mit einer bestimmten Mehrheit beschlossen werden, die nicht zustimmenden Gesellschafter nicht widersprechen, sondern nur unter — i. Zw. außerordentlicher — Kündigung gegen wertgerechte Abfindung aus der Gesellschaft ausscheiden können. Auch die Grenzen der Mitwirkungspflicht sollten, soweit möglich, auf konkrete, meßbare Kriterien — vgl. zu 1 b (S. 14) — abgestellt werden. Für das Kündigungsrecht könnte eine allgemein gefaßte Ergänzung ähnlich der folgenden Formel nützlich sein: „Wenn der Gesellschafter ein Risiko dartut, das nach U m f a n g und/oder Wahrscheinlichkeit so hoch ist, daß es durch die zur Verwirklichung des Unternehmenszwecks zwischen den Gesellschaftern getroffenen Vereinbarungen nicht mehr gedeckt ist". Dabei ist der Begriff „ R i s i k o " weder durch den eingesetzten Betrag für sich, nodi allein durch den G r a d der Gefahr eines Verlustes bestimmt, sondern stets erst das Produkt beider. d) Ein persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter sollte die Möglichkeit haben, sich schon dann von der Gesellschaft zu lösen, wenn er die von seinen Kollegen beschlossene Geschäftspolitik nicht mehr mitmachen zu können glaubt, oder anderweit die Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit nicht mehr gegeben 20

A. a. O., Anm. 8.

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sind. Hier sind sehr subjektive Dinge und persönliche Werte im Spiel, wie Arbeit, Ruf, persönliche Uberzeugungen und berufliche Leistung und Erfolg, die objektiver Wägung o f t kaum zugänglich sind. Andererseits dürfte die Gesellschaft durch das Ausscheiden eines von mehreren Komplementären im allgemeinen nicht allzu stark betroffen werden. Unter diesen Umständen wird ein solches Kündigungsrecht kaum einer Einschränkung bedürfen. e) Andererseits könnten auch die anderen persönlich haftenden Gesellschafter oder die Gesellschafter schlechthin ein berechtigtes Interesse haben, sich von einem Kollegen bzw. Komplementär zu trennen, der die Geschäfte nicht so führt, wie sie es wünschen, die gemeinsam festgelegte Geschäftspolitik durchkreuzt oder einfach sich nicht so in das Team einfügt, wie es f ü r eine fruchtbare Zusammenarbeit notwendig ist. Ähnliche Bedenken können audi gegen einen Kommanditisten bestehen, z. B. wenn dessen eigene geschäftliche Betätigung mit den Interessen der Gesellschaft kollidiert. Das Gesetz — § 140 H G B — sieht eine Ausschließungsklage vor, die analog zur Auflösungsklage nach § 133 H G B ausgestaltet ist. Sie setzt einen wichtigen Grund in der Person des Auszuschließenden voraus, der den anderen die Fortsetzung der Gesellschaft mit ihm objektiv unzumutbar macht. Der Ausschluß muß der einzige Ausweg, sein, auf dem eine Auflösung der Gesellschaft noch vermieden werden kann. D a ß der Auszuschließende den wichtigen Grund irgendwie zu verantworten habe, ist nicht prinzipiell erforderlich. Der gesetzliche Rahmen ist also eng gezogen. Hinzu kommt, daß bei der Klage alle — anderen — Gesellschafter mitwirken müssen, wozu sie allerdings k r a f t gesellschaftlicher Treupflicht verpflichtet sein können, und daß audi der Ausschluß erst mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird. Es kann deshalb im Interesse der Vertragspartner liegen, für bestimmte Umtsände und Fälle eine Pflicht des Gesellschafters zu vereinbaren, auf Verlangen der anderen aus der Gesellschaft auszuscheiden. Eine solche Vereinbarung ist in den Grenzen der ausgleichenden Interessenabwägung zulässig, die audi hier das vorgeordnet herrschende Rechtsprinzip ist. Solange auf der einen Seite f ü r das Unternehmen und/oder seine Gesellschafter bedeutsame Interessen dargetan und auf der anderen die Vermögensinteressen des Ausscheidenden — Abfindung ohne Einbußen — gewahrt werden, dürfte weder die Vereinbarung noch ihre Anwendung zu beanstanden sein.

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f) Ein Recht mit verkürzter — oder ganz ohne — Frist und/oder anderen Vorzugsbedingungen aus der Gesellschaft auszuscheiden, wird schließlich ganz allgemein als Kompensation f ü r die Zustimmung vorgeschlagen werden können, im Gesellschaftsvertrag Entscheidung durch Mehrheitsbeschluß für Angelegenheiten vorzusehen, die an sich einstimmiger Regelung oder der persönlichen Zustimmung bestimmter Gesellschafter unterworfen werden sollten. 4.

H a t eine Gesellschaft mehrere zur Geschäftsführung berufene Komplementäre, so ist nach dem Gesetz — § 115 H G B — im Regelfall, d. h. soweit nicht einstimmige Gesamtgeschäftsführung vereinbart ist, — Abs. 2 — jeder von ihnen f ü r sich allein zur Geschäftsführung befugt, aber jeder andere hat ein absolutes Vetorecht gegenüber jeder seiner Maßnahmen 2 1 . Für alle „außerordentlichen" Geschäfte ist ein einstimmiger 22 Beschluß aller Gesellschafter erforderlich. N u r im Ausnahmefall wird ein Unternehmen mit so organisierter Leitung im heutigen Wirtschaftskampf bestehen können. Diese Regelung wäre also durch eine zeitgemäßere zu ersetzen, die den Komplementären Aufgabenbereiche zuweist, die sie im Rahmen der von allen Komplementären — i. Zw. durch Mehrheitsbeschluß — festgelegten Geschäftspolitik und allgemeinen Richtlinien selbständig und selbstverantwortlich leiten. Einzelheiten könnten einer Geschäftsordnung vorbehalten werden. 5. Das Gesetz verpflichtet die Gesellschafter, die Erreichung des gemeinsamen Zweckes in der im Vertrag bestimmten Weise zu fördern. Bei einer Handelsgesellschaft wird man als Verkehrssitte voraussetzen können, daß eine uneingeschränkte Förderung des Unternehmenszweckes gewollt und vereinbart ist, wenn und soweit der Vertrag keine Einschränkungen ausweist. Insoweit müssen also alle Gesellschafter der K G in den Angelegenheiten der Gesellschaft ihr Handeln und ihre Entscheidungen vorrangig nach dem wohlverstandenen Interesse des Unternehmens ausrichten. Darüber hinaus sind sie nach Maßgabe ihrer unterschiedlichen Stellung in der Gesellschaft verpflichtet, positiv zum Gedeihen des Unternehmens beizutragen 23 . a) Es kommt aber vor, daß die Parteien ihr Unternehmen nicht unbedingt, sondern nur in gewissen Grenzen fördern wollen. Man denke 21 22 23

A. a. O., § 115 Anm. 4 und 6. A . a . O . , § 1 1 6 Anm. 3. A. a. O., § 105, Anm. 17, 31 b.

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etwa an ein zur Abdeckung von Rand- oder Substitutionsmärkten gegründetes Gemeinschaftsunternehmen, dessen eigenwirtschaftliche Interessen denen der Gesellschafter im H a u p t m a r k t zu weichen haben. Oder an den Fall, daß Familieninteressen, insbesondere eine eifersüchtige Familienparität oder Nachfolgewünsche dem Wohl des Unternehmens vorgeordnet werden. Das ist nicht schlechthin unzulässig, kann aber von Mitgesellschaftern in dem Maße beanstandet werden, als es nicht vertraglich vorbehalten ist. Der Vorbehalt muß m. E. nicht notwendig in dieser Form ausgedrückt sein. Wenn dem oder den Gesellschaftern gewisse Weisungs- und/oder Vetorechte vorbehalten sind, deren Ausübung an keine Bedingungen geknüpft ist, so wird dem Gesellschafter nicht verwehrt werden können, von ihnen aus bzw. zu solchen unternehmensfremden Motiven und Zwecken Gebrauch zu machen, mit denen die Mitgesellschafter auf Grund der ihnen bekannten Umstände rechnen konnten. Vereinbarungen über familiäre Rechte der genannten Art können insofern einen Sonderfall bilden, als sie meist nicht als Einschränkung der Mitwirkung zum gemeinschaftlichen Zweck, sondern als Methode zu seiner Verwirklichung gewollt und vereinbart sein werden. Dann kann ihre Beachtung wohl nicht mehr verlangt werden, wenn dies erkenntlich zum Nachteil der Gesellschaft wäre 24 , wie etwa die Bestellung eines objektiv Ungeeigneten zum persönlich haftenden und geschäftsführenden Gesellschafter. Dodi dürfte sich empfehlen, auch das im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck zu bringen und f ü r die absehbaren Fälle Ausweichlösungen vorzusehen, z. B. die Aufnahme einer G m b H als Komplementär, wenn der Familienkreis keinen qualifizierten Anwärter stellen kann. b) Ein Wettbewerbsverbot f ü r Gesellschafter einer O H G oder K G ist, so legitim das Bedürfnis hierfür oft sein mag, nur noch dort und insoweit zulässig, als es f ü r den Bestand und die Erhaltung des Unternehmens unerläßlich ist, insbesondere dann, wenn die betreffenden Gesellschafter selbst verantwortliche Träger und Leiter des Unternehmens sind, das auf ihre tätige und treue Mitarbeit angewiesen ist 25 . Das wird schon bei den Komplementären nicht immer, — siehe den der zitierten Entscheidung zu Grunde liegenden Fall, — und für Kommanditisten nur ausnahmsweise gelten. Dennoch, und nur in scheinbarem Widerspruch zu § 165 H G B dürfen sie sich auch nicht unbeschränkt im Geschäftszweig der Gesell24 25

Vgl. a. a. O. B G H 38/312 ff., vgl. audi Großkommentar, §§ 112, Anm. 16, 165, Anm. 7.

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Schaft betätigen. Ein Wettbewerb auch des Kommanditisten wird, wenn nicht allgemein, so doch jedenfalls in dem Augenblick gegen die Treupflicht zur Gesellschaft verstoßen, in dem er gegen diese selbst gerichtet wird 2 6 . Auch eine anderweitige geschäftliche Betätigung des Gesellschafters kann so erheblich mit den Interessen der Gesellschaft kollidieren, daß den anderen Gesellschaftern die Fortsetzung der Gesellschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden kann. Es kann zweckmäßig sein, im Gesellschaftsvertrag die Grenzen zu bezeichnen, die die Gesellschafter einander diesbezüglich setzen wollen, und die Konsequenzen festlegen, die eintreten sollen, wenn sie überschritten werden. c) Insbesondere seine Mitwirkungsrechte muß der Gesellschafter im alleinigen Interesse des Unternehmens ausüben. Deshalb können sich die Mitgesellschafter über einen Einspruch oder eine Gegenstimme, die dem Gesellschaftsinteresse zuwider läuft, oder über die eigennützige Verweigerung einer im Interesse der Gesellschaft notwendige Zustimmung hinwegsetzen 27 . Denoch kann es vorkommen, daß ein Gesellschafter, dessen Zustimmung oder Mitwirkung für eine im Interesse der Gesellschaft notwendige Maßnahme wichtig oder gar unentbehrlich ist, versucht, diese von der Einräumung gesellschaftsfremder, zumindest vertraglich nicht vorgesehener Vorteile abhängig zu machen; je wichtiger das Vorhaben für die anderen, desto höher der geforderte Preis. D a ß solche Erpressungsversuche treuwidrig und unzulässig sind und ersatzpflichtig machen können, liegt auf der H a n d . Dennoch kann es sich empfehlen, auch derartige Unternehmungen bereits im Vertrag abzuriegeln, damit es gar nicht erst zum Streit und Prozeß kommen kann; soweit möglich, durch Vermeidung einstimmiger Beschlüsse, notfalls durch eine positive Bestimmung, auf die gegebenenfalls verwiesen werden kann.

III. Die vorstehenden Ausführungen wurden bewußt so allgemein gehalten wie möglich, um die Breite der Einsatzmöglichkeiten der K G wenigstens einigermaßen zu erfassen. Dennoch scheinen zum Sonderfall der G m b H & C o . K G zusätzliche Ausführungen geboten. Dabei ist zwischen den Fällen zu unterscheiden, in denen die Kommanditisten auch Gesellschafter der G m b H sind, und solchen, in denen ein dritter " "

A. a. O., § 165, Anm. 3. A. a. O., §§ 105, Anm. 31 b; 164, Anm. 5 a.

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Kurt Freiherr von Falkenhausen

Unternehmer Kommanditisten einlädt, um den meist sehr erheblichen Kapitalbedarf seiner Pläne zu decken. 1.

Im ersten Fall bestimmen die Kommanditisten auch die Richtlinien und u. U. sogar die Einzelheiten der Führung der Geschäfte der Kommanditgesellschaft. Sie tun dies aber in ihrer gleichzeitigen Eigenschaft als Mitgesellschafter der persönlich haftenden GmbH 2 8 . Für diese Betätigung gilt mithin das G m b H Redit mit seinen teilweise sehr abweichenden Regeln. Deshalb ist es notwendig, die Verträge beider Gesellschaften aufeinander abzustimmen und in gegenseitige Rückbeziehung zu bringen, damit die Dinge nicht auf unterschiedlichen rechtlichen Gleisen auseinanderlaufen. Dabei wäre z. B. zu berücksichtigen, daß der Gesellschaftsvertrag der GmbH, — anders als der der KG, — grundsätzlich durch Mehrheitsbeschluß geändert werden kann und Geschäftsanteile der G m b H übertragbar sind und auch in einer H a n d kumuliert werden können. Andernfalls könnte ein Kommanditist u. U. bei einer Beschlußfassung unerwartet einer völlig anderen Stimmrechtsverteilung in der G m b H gegenüberstehen, als seiner und seiner Mitgesellschafter Stellung in der K G entspricht. Es wird sich ferner empfehlen, schon bei der Gründung festzulegen, wo innerhalb dieses Doppelgestirns der unternehmerische Schwerpunkt liegen und wo die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden sollen, und Funktionen, Mitwirkungsrechte und Gesellschaftsorgane von vornherein so zu planen, daß die Dinge auf nur einer Ebene den Vorstellungen entsprechend laufen und keine Doppelgleisigkeiten den Ablauf stören. 2.

Im zweiten Fall scheint dagegen die Absicherung der Kommanditisten das wichtigste Gebot, denn hier hat der Gesellschafterkreis der persönlich haftenden G m b H , der meist der unternehmerische Kopf der Gesellschaft ist, durch Gründung und Zwischenschaltung der G m b H klar zu erkennen gegeben, daß er gerade nicht persönlich und unbeschränkt haften will, obwohl es sich im Zweifel um die Verwirklichung seines unternehmerischen Konzepts handelt. Damit entfällt die Parallelität des Schutzbedürfnisses, die im Regelfall dem Kommanditisten eine gewisse Sicherheit gibt. Schon das rechtfertigt seine Forderung, durch entsprechende Informations- und Mitwirkungsrechte gesichert zu werden. 28

A. a. O., § 161, Anm. 23 b.

Probleme des Kommanditvertrages

27

Hinzu kommt, daß in diesen Fällen meist recht freigebig mit H a n delsregistervollmachten und Befreiungen von § 181 BGB umgegangen wird. Es soll nicht verkannt werden, daß beide Maßnahmen Verzögerungen und Erschwerungen der praktischen Arbeit vermeiden sollen, die neben erheblicher Lästigkeit f ü r alle Beteiligten auch ernsthafte geschäftliche Nachteile mit sich bringen können. So unentbehrlich sie aus dieser Sicht sein mögen, wird dennoch durch sie eine Lage geschaffen, in der der Kommanditist einem ihm nicht mehr verantwortlichen Unternehmer mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist. Andererseits hat auch dieser ein berechtigtes Interesse, daß das Projekt, das er mit Initiative und u. U. Einsatz seiner eigenen Mittel entwickelt hat, nicht durch unsachliche Abstimmungsergebnisse gefährdet wird, die er mit den wenigen Stimmen seines relativ geringen Kapitalanteils nicht verhindern kann. Das wird es oft rechtfertigen, ihm in der Gesellschafterversammlung zusätzliche Stimmen einzuräumen. Ihre Anzahl wäre nach den satzungsmäßigen Mehrheitserfordernissen zu bemessen, etwa so, daß ein mit qualifizierter Mehrheit zu fassender Beschluß nicht mehr von einer ganz geringen Minderheit gegen sein Votum und seine Stimmen zu Fall gebracht werden kann.

IV. Bisher war nur von den Rechten der Kommanditisten die Rede, aber nicht davon, ob und wie sie sich ihrer sinnvoll bedienen können. Das setzt geschäftliche Vorkenntnisse voraus, über die der Privatmann oft nicht verfügt. Ein Kommanditist, der die Dinge nicht übersieht und deshalb ängstlich oder mißtrauisch reagiert, wird zudem in der Gesellschafterversammlung sich selbst mehr schaden als nützen und auch in den Dingen der Gesellschaft manches Unheil stiften können. Man wird ihm also die Last erleichtern und helfen müssen, zu sachgerechter Entscheidung zu kommen.

1. Deshalb wird in Kommanditverträgen häufig ein besonderes Gesellschaftsorgan („Beirat", „Verwaltungsrat") vorgesehen, das den Kommanditisten gewisse Funktionen abnimmt. Ein solcher Beirat kann nur dann zum Segen aller Beteiligten — einschließlich des Unternehmens selbst — wirken, wenn seine Stellung klar definiert ist, wenn er Rechte hat und wenn er bereit ist, diese intensiv genug auszuüben. In der Regel werden die Beteiligten von der Vorstellung ausgehen, daß der Beirat ein Gegengewicht zur Geschäftsführung durch die persönlich haftenden Gesellschafter bilden und so — zumindest in

K u r t Freiherr von Falkenhausen

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erster Linie, — die Interessen der Kommanditisten wahrnehmen soll. Auch in dieser Stellung wird er aber oft genug nach beiden Seiten abzugleichen haben. Deshalb sollte vorgesehen werden, daß alle Mitglieder des Beirats von allen Gesellschaftern gewählt werden. Werden sie von einzelnen Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen (z. B. Familienstämmen) bestellt, so besteht die Gefahr, daß sie sich nur als deren Interessenvertreter verstehen und in der Gesellschafterversammlung bestehende Unstimmigkeiten nur auf die nächste Ebene verlagert werden. Das wird besonders gefährlich, wenn eine im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Parität zwischen Gesellschaftergruppen zu einem alle Tätigkeit lähmenden Patt führen kann. Anderes wird zu gelten haben, wo der Beirat lediglich als Arbeitsgruppe der Gesellschafter gedacht ist, in der deren Vertreter die gemeinsame Geschäftspolitik ausarbeiten, festlegen und ihre Durchführung durch die Geschäftsführung überwachen sollen. Es kann auch zweckmäßig sein, im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich noch einmal hervorzuheben, daß die Mitglieder des Beirats rechtlich der Gesellschaftergesamtheit verpflichtet sind und das Unternehmensinteresse den Parteiinteressen voranzustellen haben 29 . Der Beirat sollte umfassende Informationsrechte haben, d. h. alle Auskünfte und Einsicht in alle Vorgänge verlangen können, die ihm wichtig erscheinen. Als Befugnisse werden ihm in der Regel die Entscheidung über die zustimmungspflichtigen Geschäfte, o f t auch eine Mitwirkung bei der Feststellung des Abschlusses, — etwa die Zustimmung zur Bildung von Rücklagen, — oder andere Funktionen eines Aufsichtsrats übertragen. Maßgeblich hierfür ist das Konzept der Parteien, wie sie ihre Gesellschaft führen wollen. Dennoch wird es sich auch hier empfehlen, möglichst viel Bewegungsfreiheit vorzubehalten: Die Gesellschafterversammlung kann mit — ggf. qualifizierter — Mehrheit dem Beirat beliebig weitere Funktionen zuweisen, einmal übertragene aber nur einstimmig, zumindest nicht gegen die Stimmen derer zurücknehmen, die f ü r ihre Einführung gestimmt haben. Die Einrichtung des Beirats kann nur dann ein Erfolg werden, wenn seine Mitglieder eine Geschäftsführung beurteilen können und bereit sind, ihre Funktion voll und mit persönlichem Einsatz zu erfüllen. Deshalb sollten Bestimmungen über die zu fordernde Sachkunde und auch solche über eine angemessene Vergütung der von ihnen erwarteten Leistung vorgesehen werden. Auf dieser Grundlage kann ihnen dann auch eine entsprechende H a f t u n g zugemutet werden.

28

A. a. O., § 161, Anm. 38.

Probleme des Kommanditvertrages

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2. Bei Gesellschaften mit einem großen, u. U. auch örtlich weit gestreuten Kreis von Kommanditisten könnte ein Beirat keinen Kontakt mehr mit diesen halten. Eine in solchen Fällen vielfach angebotene, wenn auch nicht immer zufriedenstellend ausgestaltete Lösung sieht vor, daß eine zentrale Stelle auf Grund besonderen Rechtsverhältnisses alle Rechte der Kommanditisten in der Gesellschaft und gegenüber den Komplementären ausschließlich wahrzunehmen und auszuüben habe. Hierfür kommen zunächst drei rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht. Die schlichte Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, wie sie bei kleineren Gesellschaften — etwa für die Miterben eines verstorbenen Gesellschafters — häufig vorgesehen wird, hat den Nachteil, daß der „Kernbereich" der Mitgliedsrechte nicht mit ausschließender Wirkung auf den Vertreter übertragen werden kann 30 . Jeder Kommanditist könnte also neben dem Vertreter in der Gesellschafterversammlung auftreten und bei solchen Fragen, ζ. B. Änderungen des Gesellschaftsvertrages oder Entscheidungen, die wesentliche Eingriffe in seine Rechtsstellung bedeuten, verlangen, selbst statt seiner abzustimmen. Das wäre in Gesellschaften der gedachten Art wahrscheinlich organisatorisch kaum zu bewältigen. Hinzu kommt ferner, daß nach Rechtsprechung und Lehre der gemeinsame Vertreter die von ihm vertretenen Stimmen nur einheitlich, d. h. im Zweifel auf Grund vorangegangener Beschlußfassung der Vertretenen, soll abgeben können 31 . Diese Auffassung — insbesondere die zitierte Grundsatzentscheidung, gehen jedoch von der Prämisse aus, daß der Gesellschaf tsvertrag eine solche „einheitliche" Vertretung zumindest dem Willen nach implizite vorschreibe. Sie dürfte darüber hinaus keine Geltung beanspruchen, obwohl das nicht ausdrücklich gesagt ist, zumindest scheint ein anderer Grund, dem Mehrfachvertreter unterschiedliche Stimmabgabe entsprechend dem ihm erteilten Auftrag zu untersagen, nicht ersichtlich. Die Unterbeteiligung des Anlegers an einer von einer Zentralstelle gehaltenen Globalkommandite begründet keine unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen dem Unterbeteiligten und der Gesellschaft; er hat es rechtlich nur mit dem Hauptkommanditisten, also der Zentralstelle allein zu tun 32 . Das mag sich im späteren Ergebnis des Einzelfalles auch einmal als vorteilhaft erweisen können, eine nur abhängige „Beteiligung an einer Beteiligung" dürfte jedoch in aller Regel den Wünschen und Vorstellungen der Anleger nicht entsprechen. 3 0 B G H 20/363 ff. (in BGH 46/295 offen gelassen); Großkommentar, Anm. 32 und 37. 3 1 BGH 46/294, Großkommentar a. a. O. 32 Großkommentar, § 161 Anm. 30.

§161

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Wird die Zentralstelle jedoch als deren Treuhänder eingesetzt, so muß sie zwar ebenfalls formell und nach außen hin allein als Kommanditist erscheinen, wenn ausschließlich sie zur unmittelbaren Ausübung der Mitgliedschaftsrechte berufen sein soll. Wirtschaftlich sind aber die Treugeber die Beteiligten 33 , zumal wenn der Gesellschaftsvertrag selbst eine solche Treuhandschaft vorsieht bzw. vorschreibt. Soweit erkennbar, ist noch nicht ausdrücklich entschieden worden, ob die allgemeine Regel, daß ein Kommanditist rechtsbegrifflich nicht mehrere Kommanditanteile der Gesellschaft innehaben könne, auch auch diese Fälle einer offenen und im Gesellschaftsvertrag gewollten Treuhänderschaft für eine Vielzahl unabhängiger Treugeber erstreckt werden muß, im Hinblick auf die Außenwirkung muß das aber wohl bejaht werden. In allen Fragen, die nur das Innenverhältnis der Gesellschaft betreffen, können die Nachbeteiligten jedoch durch den Gesellschaftsvertrag grundsätzlich so gestellt werden, als ob sie die unmittelbar Beteiligten wären. Dann kann aber auch vereinbart werden, daß der Treuhänder seine Rechte unterschiedlich im Sinne der von jedem von ihnen erteilten Weisungen ausübt. Eine solche Regelung scheint in mancher Beziehung die ideale Zusammenfassung der mannigfachen Interessen einer Vielzahl von Anlern, die anderenfalls überhaupt nicht zum Zuge kommen würden: Die Einzelbeteiligungen sind meist nicht groß genug, um den A u f wand persönlicher Teilnahme an der Gesellschafterversammlung oder die Bestellung eines Individualvertreters zu rechtfertigen, und ein anderweitiges Äquivalent für das Depotstimmrecht gibt es für diesen Gesellschaftstyp nicht. So wird die Tagesordnung der Gesellschafterversammlung von einer Minderheit zufällig anwesender Gesellschafter entschieden, die verhältnismäßig leicht manipuliert werden kann, soweit nicht ohnehin die Eigenstimmen der Verwaltung zur Entscheidung ausreichen. Auch ein schriftliches Beschlußverfahren ist hier mangels ausreichender Unterrichts- und Diskussionsmöglichkeit kein sinnvoller Ersatz; es wird zur Henkersschlinge, wenn der Vertrag, wie es auch vorkommt, bestimmt, daß nicht abgegebene Stimmen für den Antrag der Verwaltung zu zählen seien. So attraktiv deshalb die Bestellung einer Globalvertretung erscheint, erfüllt sie dodi die ihr zugedachte A u f g a b e nur, wenn der Vertreter bestimmte Voraussetzungen erfüllt, die nicht immer gegeben sind. Erstes Gebot ist natürlich seine Unabhängigkeit gegenüber der persönlich haftenden Gesellschafterin. Wird, wie es öfter geschieht, eine 33

A. a. O., Anm. 29.

Probleme des Kommanditvertrages

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dieser nahestehende Gesellschaft zum Treuhänder bestimmt, so ist die Vertretung der Interessen der Kommanditisten zumindest nicht mehr gewährleistet. Er muß ferner beurteilen können, was im Unternehmen vor sich geht; Angemessenheit und Erfolg der Geschäftstätigkeit der persönlich haftenden Gesellschafterin, wie auch Förderung und Entwicklung der Chancen des Unternehmens selbst. Dies freilich nicht aus der K a p a z i t ä t des ausgesprochenen Fachmannes, aber doch mit dem Urteil eines guten Kreditinstituts, das bereit wäre, ein gleichartiges Projekt zu finanzieren. D a z u wird die mehr auf Ordnungsmäßigkeit ausgerichtete Sachkunde eines Wirtschaftsprüfers oft nicht ausreichen. Ferner sollte der Globalvertreter über genug eigenes Gewicht und Ansehen verfügen; er sollte seinen N a m e n zu verlieren haben. U n d schließlich müssen ihm auch in der Gesellschaft selbst die entsprechenden Rechte zustehen. Als mindestes wäre wohl ein uneingeschränktes Auskunfts- und Einsichtsrecht und der Vorbehalt seiner Zustimmung zu allen Geschäften zu verlangen, die sinnvollerweise der Zustimmung der Gesellschafter oder eines Beirats unterworfen werden sollten. Falls die Gesellschaft einen Beirat haben soll, müßte er in diesem die Mehrheit haben.

Gedanken über einen Minderheitenschutz bei den Personengesellschaften ROBERT FISCHER

Erst nach einer langen leidvollen Entwicklung hat sich die N o t w e n digkeit erwiesen, im Aktienrecht zur Wahrung eines gerechten Interessenausgleichs f ü r die verschiedenen G r u p p e n von Aktionären einen durchgreifenden Minderheitenschutz zu gewährleisten. D e r ursprüngliche Optimismus, die Mehrheit in der Generalversammlung ( H a u p t versammlung) werde schon im eigenen Interesse die berechtigten Belange des gemeinsamen Unternehmens vertreten, wurde durch die rauhe Wirklichkeit enttäuscht. Gleichwohl hielt sich das Reichsgericht in seiner Rechtsprechung erstaunlidh lange an das gesetzliche Leitbild, wie es in der amtlichen Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884 z u m Ausdruck gekommen w a r 1 . Noch im J a h r e 1907 sprach das Reichsgericht den f ü r uns heute nicht mehr verständlichen S a t z aus: „ D a s ist eine unabwendbare Folge des im Gesetz zur Anerkennung gelangten Grundsatzes, daß die Mehrheit der Aktienbesitzer über die Verwaltung der Gesellschaft und darüber entscheidet, w a s im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu tun und zu lassen ist. Mit dieser Tatsache muß sich jeder abgefunden haben, der Aktien erwirbt" 2 . D i e Erfahrungen mit dem Mißbrauch der Mehrheitsherrschaft, die in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg zuweilen skrupellos zur Verfolgung eigensüchtiger Sonderinteressen eingesetzt worden w a r , haben im L a u f e der folgenden Jahrzehnte zu der gesicherten Erkenntnis geführt, daß der Mehrheitsherrschaft immanente Schranken gezogen sind und daß den einzelnen Aktionären zur Wahrung ihrer Interessen zwingende Schutzrechte innerhalb der Gesellschaft zustehen müssen. A u f dieser Erkenntnis beruht der A u s b a u eines durchgreifenden Minderheitenschutzes, wie er f ü r die Aktiengesell1 „Individualrechte müssen, sofern sie überhaupt zugelassen werden, immer als eine notwendige Ausnahme erscheinen. Der Regel nach muß man von dem Grundsatz ausgehen, daß die Gesellschaftsorgane die ihnen durch Gesetz oder Statut verliehenen Befugnisse legal ausüben . . . und daß audi die Generalversammlung in ihren Mehrheitsbeschlüssen nicht die Sonderinteressen einzelner Aktionäre, sondern das Interesse des Ganzen verfolgt. D a r a u f beruht das Wesen einer Aktiengesellschaft und ihrer Organisation." Allgemeine Begründung zum Gesetz betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften S. 155/56. 2 R G Z 68, 246; dazu schon damals mit Recht kritisch Bondi D J Z 1908, 1007: „Noch niemals ist die brutale Macht der Aktienmehrheit gegenüber der Minderheit in einem Urteil schärfer betont werden."

34

R o b e r t Fischer

schaft in den Aktiengesetzen von 1937 und verstärkt von 1965 gesetzlich verankert und wie er für die G m b H in Anlehnung an diese Vorschriften von der Rechtsprechung ausgebildet worden ist.

I. Es mag auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen, daß es für das Recht der Personenhandelsgesellschaften an einer gleichen oder ähnlichen Entwicklung wie im Aktienrecht und im Recht der G m b H fehlt, und daß es hier bisher nicht zur Anerkennung eines entsprechenden Schutzbereichs für den einzelnen Gesellschafter gekommen ist. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig, ohne daß jedoch nach meinem Eindruck gesagt werden kann, daß sie zwingend gegen eine ähnliche Entwicklung sprechen. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß insoweit Unterschiede zwischen dem Recht der Kapitalgesellschaften und der Personenhandelsgesellschaften bestehen, und daß es bei diesen wohl ungleich schwieriger ist, die Grenzen für einen solchen Schutzbereich zugunsten des einzelnen Gesellschafters zu ziehen. 1.

Für den Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts stellte sich die Frage nach einem besonderen Schutzbereich für den einzelnen Gesellschafter nicht, da er — im Unterschied zu den Kapitalgesellschaften — hier den Gesellschaftern mit der Zubilligung der Vertragsfreiheit die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Interessen selbst überließ und damit die Erwartung verband, daß diese Gestaltungsfreiheit die sicherste Gewähr für eine auch sachlich gerechte Regelung des jeweiligen Gesellschaftsverhältnisses bietet 3 . Dabei wurde — und zwar auch hier im Unterschied zum Recht der Kapitalgesellschaften — die Zubilligung der Vertragsfreiheit mit dem Grundsatz der Einstimmigkeit bei der Fassung von Gesellschafterbeschlüssen verknüpft und so dem einzelnen Gesellschafter die Möglichkeit eröffnet, auch im weiteren Zeitablauf auf die Gestaltung des Gesellschaftsverhältnisses den seinen Interessen dienenden Einfluß zu nehmen. Bei dem Grundsatz der Einstimmigkeit blieb ihm namentlich die Möglichkeit, Beschlüsse in entscheidenden Fragen, besonders bei der Umgestaltung des Gesellschaftsverhältnisses durch eine Verweigerung seiner Zustimmung zu verhindern.

' Diese R e g e l u n g und die ihr zugrundeliegende Vorstellung des Gesetzgebers spielt bei der Rechtsanwendung noch heute eine entscheidende Rolle, wenngleich diese ständig bemüht ist, bei der Rechtsanwendung den heutigen Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung zu tragen.

Minderheitenschutz bei Personenhandelsgesellschaften

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In der Rechtswirklichkeit wurde dieser Grundsatz der Einstimmigkeit freilich in weitem Umfang aufgehoben und vielfach von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine spätere Änderung des Gesellschaftsverhältnisses im Wege von Mehrheitsbeschlüssen herbeizuführen. Für den damaligen Gesetzgeber erschien die Einräumung auch dieser Möglichkeit nicht problematisch, weil sie eine Willensübereinstimmung aller Gesellschafter voraussetzt und der Gesetzgeber der Meinung war, diese Entscheidung zur Herbeiführung einer sachgerechten und angemessenen Regelung des Gesellschaftsverhältnisses den Gesellschaftern überlassen zu können. Damit haben die Schwierigkeiten, die sich für den überstimmten Gesellschafter bei Mehrheitsbeschlüssen ergeben, auch bei den Personengesellschaften Eingang gefunden. 2. Ein weiterer Unterschied zum Recht der Kapitalgesellschaften, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, hängt mit der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse im Bereich der Personenhandelsgesellschaften zusammen, die sich einer Formalisierung der Rechtsstellung des einzelnen Gesellschafters und der Bestimmung eines festen Schutzbereichs zugunsten des einzelnen Gesellschafters weitgehend entzieht. In dieser Hinsicht tritt die positive Seite der Vertragsfreiheit in Erscheinung, die es ermöglicht, in diesem Bereich durch eine sinnvolle Gestaltungsfreiheit den verschiedenen Bedürfnissen der Beteiligten Rechnung zu tragen und durch das ihr eigene Element der Beweglichkeit der Rechtsfortbildung in einem besonderen Maße zu dienen 4 . Der große Reichtum der hier zu beobachtenden Gestaltungsformen, der ein bedeutendes Verdienst unserer deutschen Vertragsjuristen ist und der gerade auch im Lebenswerk des Jubilars seinen bemerkenswerten Niederschlag findet, beweist, in wie hohem Maß die Mannigfaltigkeit der hier in Betracht kommenden Lebensverhältnisse in den Gesellschaftsverträgen ihren rechtsformenden Ausdruck finden kann. Dabei geht es hier vom Standpunkt des einzelnen Gesellschafters aus nicht wie bei der Aktiengesellschaft nur um die Anlage und Sicherung von Vermögenswerten, die der einzelne der Gesellschaft zur Verfügung stellt, sondern um eine Regelung, die unter Umständen tief in die Gestaltung des persönlichen Lebensbereichs des einzelnen Gesellschafters eingreift und die die unmittelbare Führung des gemeinsamen Unternehmens betrifft. Diese Vielfalt der Erscheinungsformen, die durch die jeweils verschiedenartigen persönlichen Fähigkeiten und Vorstellungen der unmittelbar Beteiligten bestimmt wird, entzieht sich weitgehend einer formalisierenden Betrachtungsweise und macht es schwer, gene4

Vgl. dazu Raiser

Festschrift 100 Jahre Deutscher Juristentag I S. 119.

Robert Fischer

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relie Maßstäbe für den Schutzbereich der einzelnen Gesellschafter zu setzen. D e r Reichtum der hier gegebenen vertraglichen Gestaltungsformen, die an die individuellen und persönlichen Verhältnisse der Beteiligten ausgerichtet sind, enthält auch eine Schwäche, die hier von besonderer Bedeutung ist. Denn es entspricht einer allgemeinen Lebenserfahrung, daß die vertragliche Gestaltung eines Gesellschaftsverhältnisses nicht mit Sicherheit die zukünftige Entwicklung im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich vorauszusehen vermag, und daß gerade dadurch im Hinblick auf die individuelle Gestaltung des Gesellschaftsverhältnisses Konflikte zu Lasten einzelner Gesellschafter ausgelöst werden können. Das hat zur Folge, daß gerade dadurch das Schutzbedürfnis der einzelnen Gesellschafter gegenüber der vertraglichen Regelung besonders groß werden kann. 3. Im Unterschied zu den Kapitalgesellschaften wird das Gesellschaftsverhältnis bei den Personenhandelsgesellschaften in einem besonderen M a ß durch die gesellschafterliche Treuepflicht bestimmt 5 . Das hat zur Folge, daß hier die Rechte und Pflichten der Gesellschafter nicht wie bei der Kapitalgesellschaft eine feste umrissene rechtliche Ausformung aufweisen, sondern eine gewisse Elastizität in sich tragen, die eine Anpassung an die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles ermöglicht und einer sachgerechten gegenseitigen Rücksichtnahme im gesellschaftlichen Bereich audi rechtlich Raum läßt. Dadurch kann einer mißbräuchlichen Ausnutzung gesellschaftsrechtlicher Rechtspositionen zu Lasten einzelner Gesellschafter leichter begegnet werden als dort, wo eine solche Rücksichtnahme nicht im gleichen M a ß Inhalt und U m f a n g der Gesellschafterrechte bestimmt.

II. Eine kritische Prüfung der in diesem Zusammenhang bedeutsamen und hier nur kurz skizzierten Unterschiede zu den Kapitalgesellschaften zeigt an H a n d der Erfahrungen, die im Laufe der Zeit gemacht worden sind und jetzt deutlich werden, daß bei den Personenhandelsgesellschaften das Bedürfnis für die Anerkennung eines gesicherten Schutzbereichs für den einzelnen Gesellschafter m. E . nicht geleugnet werden kann, sie zeigt aber zugleich auch, daß eine solche Anerkennung unter sehr verschiedenartigen rechtlichen Aspekten vorgenommen werden muß. 5

Dazu Robert Fischer Groß. Komm. HGB § 105 Anm. 31 a ff.

Minderheitenschutz bei Personenhandelsgesellschaften

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1.

Die Erfahrungen, die ganz allgemein mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit gemacht worden sind, haben die Erwartungen, die an diesen Grundsatz geknüpft worden waren, nicht in jeder Hinsicht bestätigt. Man ging davon aus, daß im Rechtsverkehr jeder für die Wahrung seiner Interessen selbst sorgen kann und soll, und daß demzufolge der frei ausgehandelte Vertrag eine Richtigkeitsgewähr in sich trage, weil er auf einem sinnvollen Ausgleich entgegengesetzter Interessen im Sinne des „Richtigen" beruht. Diese ideale Vorstellung hat sich in weiten Bereichen des Rechts nicht verwirklicht, und zwar überall dort nicht, wo sich unter den Vertragsbeteiligten eine ungleiche Machtlage herausbildete und dadurch ein gerechter Ausgleich der entgegengesetzten Interessen durch die Vertragsgestaltung nicht möglich ist 6 . D a s zeigte sich insbesondere auf Gebieten, wo es zur rechtlichen oder faktischen Monopolbildung kam, auf Gebieten einseitiger Warenverknappung (etwa auf dem Wohnungsmarkt) sowie dort, wo sozial oder intellektuell unterlegene Vertragspartner nicht zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer Interessen bei der Festlegung des jeweiligen Vertragsinhalts im Stande waren. Schließlich versagte der Grundsatz der Vertragsfreiheit im Sinne einer Richtigkeitsgewähr in weiten Bereichen, die im Interesse einer kalkulatorischen Rationalisierung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen beherrscht werden, weil diese vielfach von einer betont einseitigen Interessenwahrnehmung ausgehen. Die rechtlichen Bedenken, die sich angesichts dieser Entwicklung gegen Mißbräuche der Vertragsfreiheit ergeben, gelten — auch bei einer besonders kritischen Beurteilung — im allgemeinen nicht für den Abschluß von Geschäftsverträgen bei Personenhandelsgesellschaften. Hier ist im allgemeinen die Sachlage so, daß der jeweilige Vertrag meist unter rechtskundiger Beratung aller Beteiligten von diesen individuell ausgehandelt und unter Berücksichtigung der verschiedenartigen persönlichen Interessen und Bedürfnisse der Vertragschließenden festgelegt wird. Im allgemeinen kann in diesem Bereich nicht davon gesprochen werden, daß unter den Gesellschaftern bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages eine ungleiche Machtlage besteht oder eine soziale oder intellektuelle Unterlegenheit einzelner eine sachgerechte Wahrnehmung ihrer Interessen nicht möglich macht. In dieser Tatsache liegt nach meiner Erfahrung auch der eigentliche Grund für die große Zurückhaltung, die die höchstrichterliche Rechtsprechung seit langem bei einer inhaltlichen Uberprüfung der Gesellschaftsverträge übt. Die Rechtsprechung läßt sich dabei von dem Gedanken leiten, 8 Vgl. dazu etwa Raiser Flume ebd. I S. 135 ff.

Festschrift 100 J a h r e Deutscher Juristentag I S. 101 ff.

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Robert Fischer

daß man es bei den hier gegebenen Verhältnissen den Beteiligten selbst überlassen sollte und auch überlassen kann, f ü r eine sachgerechte Regelung ihrer Rechtsbeziehungen zu sorgen. Gerade angesichts der Vielfalt und Unterschiede der hier zu ordenden Lebenstatbestände glaubt die höchstrichterliche Rechtsprechung, den Interessen der Beteiligten am besten dadurch Rechnung zu tragen, daß sie möglichst wenig generalisierende Richtlinien aufstellt und sich möglichst weitgehend von korrigierenden Eingriffen freihält. Denn es entspricht richterlicher Erfahrung auf diesem Gebiet, daß eine Regelung, die in dem einen Fall nicht den Grundsätzen von Treu und Glauben entsprechen mag, in einem anderen Fall der gegebenen Interessenlage einen durchaus sachgerechten Ausdruck geben kann. Diese Erfahrung nötigt den Revisionsrichter dazu, sich bei solchen Tatbeständen vor einer rechtlich generalisierenden Betrachtung in Acht zu nehmen und zu versuchen, dem einzelnen Tatbestand nur nach den sehr viel gröberen Maßstäben des § 138 BGB als Einzelfall gerecht zu werden. Mit dieser grundsätzlichen Einstellung hängt es nach meinem Eindruck zusammen, daß die Rechtsprechung bisher noch nicht dazu gekommen ist, sich gegenüber manchen gesellschaftsvertraglichen Einzelregelungen in stärkerem Maße um die Grenzen eines generell bestimmten Schutzbereichs zugunsten der einzelnen Gesellschafter zu bemühen. Die vorstehenden Ausführungen zur Bedeutung und Wirkungskraft der Vertragsfreiheit im gesellschaftsvertraglichen Bereich bedürfen aber noch einer Ergänzung. In neuerer Zeit bahnt sich bei der Errichtung von Kommanditgesellschaften bestimmter Art eine Entwicklung an, die auch in diesem Bereich die Möglichkeiten einer mißbräuchlichen Handhabung der Vertragsfreiheit deutlich macht. Es handelt sich dabei um die sog. Publikums- oder Anlage-Kommanditgesellschaften, die ihre Mitglieder mit Verkaufsprospekten in der Öffentlichkeit werben und den Fondszeichnern (Kommanditisten) einen bereits formulierten Gesellschaftsvertrag zur Unterzeichnung vorlegen 7 . Es liegt in der N a t u r der Sache, daß die Gesellschaftsverträge dieser Anlagegesellschaften nicht mit den einzelnen Kommanditisten besprochen und ausgehandelt werden können; die Kommanditisten können auf den Inhalt des einzelnen Vertrages keinen Einfluß nehmen, so daß hier eine interessengemäße Wahrnehmung durch die einzelnen Vertragspartner beim Abschluß des Vertrages auch nicht gewährleistet ist. Bei diesen Verträgen ergibt sich ein ähnliches Problem, wie wir es bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bereits kennen. Auch hier wird die Rechtsprechung aufgerufen sein, die notwendige Inhaltskontrolle der Verträge, die durch die Vertragsfreiheit nicht gewähr7 Vgl. dazu Schneider Betr. Westermann 1974 S. 590 f.

1973, 957; Wiedemann

Festsdirift für

Harry

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leistet ist, ihrerseits vorzunehmen und den notwendigen Schutz der Fondszeichner sicherzustellen. Dabei kann sich diese Kontrolle, wie Wiedemann 8 mit Recht hervorhebt, im allgemeinen nicht an den dispositiven Vorschriften der §§ 161 ff H G B ausrichten, da diese Vorschriften den Besonderheiten solcher Kapitalanlagegesellschaften nicht gerecht werden. Das ist aber kein Grund, insoweit zu resignieren. Vielmehr bin ich überzeugt, daß diese Aufgabe die Rechtsprechung zu meistern vermag. Es handelt sich hierbei um typische Vertragsgestaltungen, die von den Besonderheiten des einzelnen Falles, namentlich von den individuellen Verhältnissen der Beteiligten unabhängig sind. Diese Anlagegesellschaften, die als Kapitalsammelbecken für bestimmte Zwecke Funktionen wie die Aktiengesellschaften in früherer Zeit erfüllen, und bei denen die Kapitalzeichner (Kommanditisten) in einer bestimmten Form der Unternehmensführung gegenüberstehen, lassen sich nach generalisierenden Gesichtspunkten beurteilen. Des weiteren besteht bei diesen Gesellschaften ein besonderes Schutzbedürfnis für die Kommanditisten, die auf die Gestaltung des Vertragsinhalts keinen Einfluß haben und denen im allgemeinen auch die Geschäftserfahrung fehlt, die Unternehmensleitung sinnvoll zu kontrollieren (intellektuelle Unterlegenheit). Damit sind hier die typischen Kennzeichen einer ungleichen Machtlage gegeben, die die Rechtsprechung wie auch in anderen Fällen bei Mißbrauch der Vertragsfreiheit durch einseitig vorformulierte Verträge zur Inhaltskontrolle nötigt, solange der Gesetzgeber nicht selbst für diesen Teilbereich eine besondere gesetzliche Regelung geschaffen hat. Es ist in diesem Zusammenhang aber noch auf einen anderen Gesichtspunkt hinzuweisen, der für einzelne Gesellschaftergruppen bei der Abfassung von Gesellschaftsverträgen gewisse Gefahren heraufbeschwören kann. In Deutschland werden bei den Personengesellschaften die Gesellschaftsverträge und ihre notwendigen Änderungen meist von den ständigen rechtskundigen Beratern der Unternehmensleitung — also der persönlich haftenden Gesellschafter — mit den Gesellschaftern besprochen und von ihnen formuliert. Das kann unter Umständen zu einem Ubergewicht der Gesellschaftergruppe führen, die die Unternehmensleitung repräsentiert, und ein ausgewogenes Verhältnis der verschiedenen Gesellschaftergruppen beim Aushandeln des Vertrages beeinträchtigen 9 . Ich meine, daß sich die Rechtsprechung 8

A . a . O . S. 591. In diesem Zusammenhang ist als Gegenbeispiel auch auf den Beitrag von Barz in der Festschrift für Alexander Knur hinzuweisen. Hier sind in einer m. E. vorbildlichen und sachlich ausgewogenen Weise an H a n d des Entnahmeredits die Gesichtspunkte dargelegt, die bei einer anwaltlichen Beratung der gesellschaftsvertraglichen Regelung dieses Rechts v o n den Beteiligten bedacht werden sollten. 9

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dieser Rechtstatsache bei der Prüfung einzelner Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages bewußt sein und daran denken sollte, daß aus diesem Grund das Gleichgewicht beim Aushandeln des Vertrages gestört gewesen sein könnte 10 . Das kann aber immer nur dazu führen, daß sich die Rechtsprechung bei der Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 138 BGB bewußt ist, daß die der Geschäftsführung nicht zugehörige Gesellschaftergruppe unter Umständen die Tragweite der ihr nachteiligen Vertragsbestimmungen bei der Abfassung des Vertrages nicht voll erkannt hat, und daß diese Tatsache dann auch eine entsprechende Berücksichtigung erfordert. 2.

Sehr viel problematischer kann die Rechtslage werden, wenn bei den Personengesellschaften das der Vertragsfreiheit zugrunde liegende Einstimmigkeitsprinzip aufgegeben und auch für die Änderungen des Gesellschaftsvertrages das Mehrheitsprinzip übernommen wird. Hier wird die jedem Mehrheitsprinzip immanente Gefahr aktuell, daß die Mehrheit die ihr übertragenen Befugnisse mißbraucht und dadurch die Grenzen überschreitet, die ihr insoweit gezogen sind. Dabei ist hier die Gefährdung der überstimmten Gesellschafter ungleich größer als bei den Kapitalgesellschaften, da bei den Personengesellschaften nicht nur die Vermögensbeteiligung des überstimmten Gesellschafters beeinträchtigt werden kann, sondern auch Eingriffe in den persönlichen Lebensbereich des betreffenden Gesellschafters in Betracht kommen 11 . Es kann daher auch nicht verwundern, daß sich in neuerer Zeit gerade mit diesen Tatbeständen das Schrifttum zunehmend befaßt und sie einer kritischen Prüfung unterzieht 12 . Es ist bemerkenswert, in welcher Weise die Rechtsprechung der früh erkannten Gefahr eines Machtmißbrauchs bei Ausübung der Mehrheitsherrschaft in den Personenehandelsgesellschaften zu begegnen versucht hat. Sie hat dabei, wie das häufig in der höchstrichter10 So habe ich aus meiner früheren langjährigen Tätigkeit im handelsrechtlichen Senat des Bundesgerichtshofes den Eindruck gewonnen, daß bei der Formulierung von Nachfolgeklauseln das verständliche Interesse an einer Erhaltung und Fortführung des Unternehmens gegenüber den Interessen der übrigen Erben häufig ein w e n i g überbetont wird (Tendenz zur Entwicklung eines gewerblichen Höferechts); auch bei der Formulierung v o n Abfindungsregelungen ist derartiges zu bemerken. 11 Vgl. etwa den Tatbestand der Entscheidung B G H N J W 1973, 651 mit A n m . von Schneider a. a. O . S. 751. 12 Vgl. e t w a Rob. Fischer 2 H R 130, 366; Huber Vermögensanteil, Kapitalanteil und Geschäftsanteil in Personalgesellschaften des Handelsrechts S. 241 ff.; H . P. Westermann Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Redit der Personengesellschaften S. 159 f.; Schneider Z G R 1972, 357; Mertens Betr. 1973, 413; Wiedemann Festschrift für H a r r y Westermann S. 585 ff.

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liehen Rechtsprechung zu beobachten ist, wenn sie im Begriff steht, Neuland zu betreten und die Tragweite einer neu eingeleiteten Judikatur noch nicht recht zu übersehen vermag, auf eine zunächst ganz harmlos wirkende Auslegungsregel zurückgegriffen. In diesem Sinne hat das Reichsgericht in einer Reihe von Entscheidungen für die Zulässigkeit einer Abänderung des Gesellschaftsvertrages durch Mehrheitsbeschluß den (Auslegungs-) Grundsatz aufgestellt, daß sich die Zulässigkeit eines solchen Beschlusses, besonders auch für den in Frage stehenden Beschlußgegenstand unzweideutig aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben müsse 1 3 . Für die Erhöhung der Beitragspflicht ist das Reichsgericht sodann noch einen Schritt weiter gegangen, wobei es zunächst auch wieder den genannten Auslegungsgrundsatz erwähnt aber sodann hinzugefügt hat, daß der Zulässigkeit eines solchen Erhöhungsbeschlusses gewisse Grenzen gezogen seien, da eine schrankenlose Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit gegen die guten Sitten verstoßen würde 1 4 . Mertens 1 5 mißt dem vom Reichsgericht aufgestellten und vom Bundesgerichtshof übernommenen Bestimmtheitsgrundsatz für die Zulässigkeit einer Abänderung des Gesellschaftsvertrages durch Mehrheitsbeschluß „ein hohes Maß minderheitsschützender Prävention" zu, weil die Mehrheit in zahlreichen Fällen nicht auf eine solche spezielle Regelungskompetenz wird zurückgreifen können. Ich kann diesen Optimismus nicht teilen 16 . Es liegt im Wesen solcher Kunstgriffe, zu denen die höchstrichterliche Rechtsprechung zuweilen — und ich meine nicht zu Unrecht — greift, weil eine solche Methode für die Entscheidung des vorliegenden Streitfalls ausreicht, daß sie auf die Dauer nicht wirksam bleiben können. In diesem Fall fordert man die K a u telarjurisprudenz zu Vertragsgestaltungen heraus, die einem so aufgestellten Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung tragen, ohne daß dadurch das eigentliche Problem einer etwa notwendigen allgemeinen Beschränkung der Mehrheitsherrschaft aus der Welt geschafft ist. Es handelt sich hierbei um etwas Ähnliches, was wir früher bei der sog. Unklarheitenregel zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen erlebt haben. Für eine gewisse Zeit war eine solche Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich, sie mußte jedoch ihre Wirkungskraft verlieren, als die Verfasser dieser Bedingungen die entsprechenden Klauseln in aller nur möglichen Deutlichkeit formu13 Vgl. die Nachweise bei Rob. Fischer Groß. Komm. H G B § 119 Anm. 12. Dieser Auffassung hat sich der Bundesgerichtshof in einer grundsätzlich gehaltenen Entscheidung angeschlossen (vgl. B G H Z 8, 35, 41; ferner B G H WM 1961, 304). 14 Vgl. R G Z 151, 327. 15 A . a . O . S. 416. 16 Vgl. audi die Zweifel, die Mertens a. a. O. S. 418 selbst äußert.

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Herten und damit für die Annahme einer Unklarheit keinen Raum mehr ließen 1 7 . Man wird daher nach meiner Überzeugung von dem Bestimmtheitsgrundsatz auf die Dauer keinen wirksamen Schutz gegen Mißbräuche der Mehrheitsherrschaft erwarten können. Vielmehr wird man sich — und das gilt namentlich für die höchstrichterliche Rechtsprechung — dazu durchringen müssen, hier bestimmte Grenzen für die Mehrheitsherrschaft aufzustellen, wie es das Reichsgericht bereits für Mehrheitsbeschlüsse bei der Erhöhung der Beiträge getan hat. Das wird audi ungeachtet der Tatsache notwendig sein, daß bei den Personenhandelsgesellschaften angesichts der Vielgestaltigkeit und der großen Unterschiedlichkeit der hier zu regelnden Lebenstatbestände die Aufstellung solcher Grundsätze eine große Behutsamkeit erfordert und gegebenenfalls zunächst eine etwas stärkere Anlehnung an den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt nahelegen sollte. Für eine solche Beurteilung geben m. E . drei höchstrichterliche E n t scheidungen einen gewissen Anhaltspunkt für die Maßstäbe, an denen sich die Rechtsprechung insoweit ausrichten könnte. Es sind das die E n t scheidungen R G Z 91, 166, B G H Z 20, 3 6 3 1 8 , 48, 2 5 1 . In der ersten dieser Entscheidungen wird bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Erhöhung der Beitragspflicht durch Mehrheitsbeschluß bereits auf die entsprechenden Vorschriften bei den Kapitalgesellschaften, die §§ 2 7 6 H G B , 53 Abs. 3 G m b H G , hingewiesen und ihre Bedeutung auch in diesem Zusammenhang gewürdigt. Derselbe Gedanke kehrt in der zweiten der genannten Entscheidungen wieder. Es wird dabei hervorgehoben, daß die Bestimmung des § 53 Abs. 3 G m b H G (vgl. auch § 35 B G B ) zwar bei den Personenhandelsgesellschaften nicht — auch nicht entsprechend — angewendet werden könne, daß jedoch der allgemeine Rechtsgrundsatz, der letzten Endes auch der Vorschrift des § 53 Abs. 3 G m b H G zugrundeliegt, daß nämlich eine sachlich unbegrenzte Einschränkung der wirtschaftlichen und damit auch der persönlichen Freiheit eines einzelnen nicht gebilligt werden kann, auch im Bereich der Personenhandelsgesellschaften Berücksichtigung verlangt. Es scheint mir erwägenswert, den Hinweisen in diesen beiden Entscheidungen eine stärkere Beachtung zu widmen und zu versuchen, von hier aus eine nähere Konkretisierung der Schranken der Mehrheitsherrschaft auch bei den Personenhandelsgesellschaften zu gewinnen. Dieser Versuch darf m. E. nicht vorschnell zu einer schematisierenden Beurteilung führen, wie sie den §§ 53 Abs. 3 G m b H G , 35 B G B zugrundeliegt, sondern muß der Vielgestaltigkeit und Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse bei den Personenhandelsgesell-

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Vgl. dazu Rob. Fischer Z H R 125, 205 ff. Vgl. dazu auch meine Anm. bei LM N r . 1 zu § 119 H G B betr. B G H Z 8, 35.

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Schäften Rechnung tragen. Die Auffassung des Reichsgerichts, nach der dispositiven Vorschrift des § 707 B G B (keine Erhöhung der Beitragspflicht) solle nicht das Mehrheitsprinzip, sondern die Freiheit des einzelnen den Ausgangspunkt bilden 1 9 , kann insoweit eine Leitlinie geben, nämlich in der Richtung, daß bei umfassender objektiver Beurteilung aller im Einzelfall vorliegenden Umstände sachlich gerechtfertigte Gründe für einen derartigen Eingriff in die wirtschaftliche und damit auch persönliche Freiheit des einzelnen durch einen Mehrheitsbeschluß gegeben sein müssen. Dabei kann namentlich auch eine Veränderung der Verhältnisse, wie sie im Laufe einer langen E n t wicklung in dem Geschäftsunternehmen in persönlicher und sachlicher Hinsicht eingetreten ist und erfahrungsgemäß bei der Abfassung des Gesellschaftsvertrages noch nicht abgesehen werden kann, eine sachgerechte Berücksichtigung finden. Diese Auffassung berührt sich mit Gedanken, die im Schrifttum im Zusammenhang mit einer vorsichtigen Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 35 B G B geäußert werden 2 0 . In diesen Bereich wird man neben einer allgemeinen oder individuellen Erhöhung oder Ausdehnung von Gesellschafterpflichten auch die Änderung des Gesellschaftszwecks sowie Eingriffe in die Rechtsstellung eines einzelnen Gesellschafters zu rechnen haben, sofern diese nach dem Gesellschaftsvertrag auch ohne wichtigen Grund durch Mehrheitsbeschluß vorgenommen werden können. Die dritte der oben genannten Entscheidungen macht deutlich, in welcher Weise die höchstrichterliche Rechtsprechung überdies in der Lage ist, durch eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles seinen Besonderheiten gerecht zu werden und Ansätze für eine allgemeine Beurteilung zu entwickeln. Ich meine, daß diese E n t scheidung insbesondere deutlich macht, daß sich die Rechtsprechung in diesem Bereich nicht vorschnell mit allgemeinen Kategorien, wie der Vertragsfreiheit oder dem Vertragswillen, begnügen, sondern sich auch mit den Folgerungen befassen sollte, die sich im konkreten Einzelfall aus der Verwertung solcher allgemeinen Kategorien ergeben würden. Es liegt nahe, einer derartigen individuellen Betrachtungsweise den Einwand entgegenzuhalten, sie gefährde die Rechtssicherheit und führe zu einer unerwünschten Einzelfall-Rechtsprechung, die in erster Linie für die Beteiligten und die Vertragspraxis, aber auch für die Rechtsprechung der Instanzgerichte Unsicherheit mit sich bringe. Ich glaube nicht, daß dieser Einwand, dem man an sich in diesem Bereich RGZ 91, 166, 168. Vgl. etwa Spengler Festschrift für Philipp Möhring S. 179; Huber (Anm. 12) S. 41; Mertens Betr. 1973, 413. 18

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immer besondere Beachtung schenken muß, bei einer sachgerechten und behutsamen Handhabung berechtigt ist. Es drängt sich auf, in diesem Zusammenhang an die Erfahrungen zu erinnern, die mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes zu der Annahme eines wichtigen Grundes für Übernahme-, Ausschließungsund Auflösungsklagen gemacht worden sind. Seit den 30er Jahren hat das Reichsgericht in diesem Bereich in zunehmendem Maß einen betont individualisierenden Beurteilungsmaßstab angelegt, die umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gefordert und dabei immer wieder neue Gesichtspunkte hervorgehoben, die bei einer solchen umfassenden Berücksichtigung zu beachten seien 21 . Der Bundesgerichtshof hat sodann an diese Rechtsprechung angeknüpft und sie noch weiter entwickelt und ausgebaut 22 . Dabei hat die Rechtsprechung die Formel, die Ausschließung oder die Übernahme des Gesellschaftsunternehmens sei gleichsam nur das letzte Mittel, um dem aufgetretenen Zerwürfnis unter den Gesellschaftern Rechnung zu tragen, als Ansatzpunkt für eine Prüfung in der Richtung benutzt, ob nicht durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrages eine den betroffenen Gesellschafter weniger belastende Regelung herbeigeführt werden könne. Dabei ist die Rechtsprechung im Grunde erstaunlich weit gegangen, indem sie in diesem Zusammenhang etwa die Möglichkeit einer Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis, einer Zurückstufung des persönlich haftenden Gesellschafters in die Stellung eines Kommanditisten, die Einschränkung oder das Ruhen des Stimmrechts des betroffenen Gesellschafters, die vorzeitige Übertragung seines Gesellschaftsanteils auf seine späteren Erben in den Kreis ihrer Erwägungen einbezogen hat 2 3 . Diese Rechtsprechung hat es namentlich auch ermöglicht, grobe Unbilligkeiten bei der Berechnung des Abfindungsguthabens des betroffenen Gesellschafters auszuräumen und die klagenden Gesellschafter zu einem sachgerechten Abfindungsangebot zu veranlassen 24 . Man hätte fürchten können, daß diese individualisierende und ungemein stark in das Gesellschaftsverhältnis eingreifende Rechtsprechung, die sogar einen — allerdings nur mittelbaren — korrigie21 Vgl. etwa R G Z 146, 169; 153, 280; LZ 1932, 1145; Z A k D R 1938, 638; H R R 1941, 777; D R 1942, 733. 22 Vgl. B G H Z 4, 108; 6, 113; 18, 350; 31, 295; W M 1961, 886; 1966, 29; 1971, 20. 23 Vgl. e t w a R G Z 146, 169, 180; Seufferts A 93, N r . 8; B G H Z 18, 350, 362 ff.; W M 1961, 886, 1971, 22. Diese Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung hat im Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden; vgl. dazu statt anderen Hueck D a s Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. S. 440; U l m e r Gross. K o m m . H G B § 140 A n m . 18, 19; § 133 A n m . 41. 24 B G H W M 1971, 22; ferner B G H LM N r . 6 zu § 140 H G B .

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renden Eingriff in den Gesellschaftsvertrag zum Schutz des betroffenen Gesellschafters nicht scheut, zu einer Rechtsunsicherheit und zu einer H ä u f u n g von Prozessen dieser Art führen werde. Eine solche Gefahr hat sich nicht realisiert; im Gegenteil, die erwähnte Rechtsprechung hat nach meinem Eindruß in diesem Bereich zu einer Beruhigung geführt und den Instanzgerichten ein brauchbares Mittel in die H a n d gegeben, zu einem sachgerechten und ausgewogenen Ergebnis zu gelangen, das namentlich auch der Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit der hier gegebenen Lebensverhältnisse Rechnung zu tragen vermag. Ich glaube daher, daß gerade die richterlichen Erfahrungen, die im Anwendungsbereich der §§ 140, 142 H G B gemacht worden sind, die Rechtsprechung ermutigen sollten, ihr Augenmerk verstärkt der Frage zuzuwenden, ob und wie die Grenzen für einen Schutzbereich überstimmter Gesellschafter gegenüber Mehrheitsbeschlüssen näher konkretisiert werden können. 3. Im Unterschied zu den Kapitalgesellschaften bietet bei den Personenhandelsgesellschaften die Berücksichtigung der gesellschafterlichen Treuepflicht eine geeignete Handhabe, den berechtigten Belangen einzelner Gesellschafter gegenüber Mehrheitsbeschlüssen oder auch gegenüber gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen, die im L a u f e der Jahre durch die fortschreitende Entwicklung des Unternehmens den ursprünglichen Vorstellungen bei Abfassung des Vertrages nicht mehr entsprechen, in ausreichendem Maß Rechnung zu tragen. Einen praktisch bedeutsamen Anwendungsfall bietet in dieser Hinsicht das Entnahmerecht für den einzelnen Gesellschafter. Mit Rücksicht darauf, daß die dispositive gesetzliche Regelung in den §§ 121/22 H G B den heutigen Verhältnissen nicht mehr Rechnung trägt 2 5 , ist es üblich geworden und jedenfalls angebracht, für das Entnahmerecht eine besondere Regelung im Gesellschaftsvertrag zu treffen und die Beschlußfassung darüber der Gesellschafterversammlung zu übertragen. D a s hat zur Folge, daß namentlich bei den Kommanditgesellschaften, bei denen heute bei Beschlußgegenständen dieser Art in weitem U m f a n g das Mehrheitsprinzip gilt, mit der Gewinnfeststellung durch die Mehrheit diese praktisch auch über den U m f a n g des Entnahmerechts beschließt. Dadurch ergibt sich für die Kommanditisten, die auf ihr Gewinnbezugsrecht — schon mit Rücksicht auf ihre Steuerschulden — angewiesen sind, eine potentielle Gefährdung, da die in der Geschäftsleitung tätigen Gesellschafter schon wegen ihrer Geschäftsführervergütung, aber auch aus anderen Gründen (besonderes "

Vgl. Barz Festschrift für Alexander Knur S. 25 ff.

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Interesse an einer finanziellen Stärkung des Gesellschaftsunternehmens) nicht in gleicher Weise an einer möglichst hohen Gewinnausschüttung interessiert sind. Diese Gefährdung der Kommanditisten ist, wie die Erfahrung lehrt 26 , wohl nicht sehr aktuell, da die H a n d habung in der Praxis in diesem Bereich offenbar sachgerecht ist und den schutzwerten Belangen aller Gesellschafter Rechnung trägt. Sollte dies jedoch in einem Einzelfall nicht geschehen und etwa dem Interesse des Unternehmens an einer Vergrößerung der Eigenkapitalbildung über Gebühr Rechnung getragen werden, so kann einer solchen H a n d habung oder einem anderweitigen Mißbrauch der Mehrheit bei der Gewinnfeststellung unschwer mit dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht begegnet werden 27 . Für die Rechtsprechung werden sich dabei keine besonderen Schwierigkeiten ergeben. Ein anderer Anwendungsfall für die gesellschafterliche Treuepflicht, um mit ihr den Schutzbereich zugunsten einzelner Gesellschafter zu sichern, ist die Berechnung des Abfindungsguthabens beim Ausscheiden eines Gesellschafters. Bei älteren Gesellschaftsverträgen erweist sich die vertragliche Abfindungsregelung nicht selten durch die inzwischen eingetretene Entwicklung des Unternehmens als überholt. Das gilt namentlich von einer Regelung, die die Buchwerte für die Berechnung des Abfindungsguthabens zugrunde legt, wenn durch die inzwischen notwendig gewordene Eigenkapitalbildung in dem Unternehmen der wahre Wert des Gesellschaftsanteils ein Vielfaches des Buchwertes beträgt und durch diese Entwicklung die Vorstellungen der Beteiligten bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages in ihren Grundlagen verändert worden sind. Hier wird nach den Grundsätzen der gesellschafterlichen Treuepflicht häufig eine Korrektur notwendig werden, wie sie die Rechtsprechung — im Grund aus den gleichen Erwägungen — schon seit langem bei den Ausschließungs- und Übernahmeklagen vornimmt. Das ist in rechtlicher Hinsicht auch nichts besonderes, weil es sich hierbei um einen Anwendungsfall des Rechtsgedankens, wie er durch eine Anpassung des Vertrages beim nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage entwickelt worden ist, handelt, dem man jedoch 26 Ich habe während meiner fast 18jährigen Zugehörigkeit zum handelsrechtlichen Senat des Bundesgerichtshofes dieser Frage immer mein besonderes Augenmerk zugewendet und die mir damals zugänglichen zählreichen Gesellschaftsverträge in dieser Hinsicht geprüft, ohne eigentlich wesentliche Anstände feststellen zu können. Dem entspricht es, daß der Bundesgerichtshof bisher auch keine grundsätzliche Entscheidung über den Schutzbereich einzelner Gesellschafter bei der Bestimmung seines Entnahmerechts zu treffen brauchte. 27 Vgl. Barz a . a . O . S. 36; Ernst BB 1961, 380. Der Heranziehung des Reditsgedankens des § 315 BGB (so Huber a. a. O. (s. Anm. 12) S. 43) bedarf es insoweit m. E. nicht.

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hier durch den rechtlichen Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht besser gerecht werden kann. Denn unter diesem Gesichtspunkt ist eine gegenseitige Rücksichtnahme geboten, die auch dem ausscheidenden Gesellschafter im Hinblick auf den wirtschaftlichen Fortbestand des bisher gemeinsamen Unternehmens Bindungen auferlegt. Andererseits sollte man sich in diesem Bereich nicht auf die Tatbestände beschränken, bei denen erst durch eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse die Unbilligkeit der ursprünglich getroffenen Abfindungsregelung zutage getreten ist. Es erscheint mir vielmehr auch dann eine solche Prüfung unter dem Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht geboten, wenn eine solche Unbilligkeit schon in dem Zeitpunkt, in dem die betreffende gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen worden ist, vorgelegen hat. Das gilt in erster Linie zugunsten überstimmter Gesellschafter f ü r Änderungen des Gesellschaftsvertrages, die in zulässiger Weise durch Mehrheitsbeschluß herbeigeführt worden sind. Es ist m. E. nicht vertretbar, eine solche geänderte Regelung nur nach den sehr viel gröberen Maßstäben des § 138 BGB zu messen, sondern es erscheint mir notwendig, auch hier, wie bei der Gewinnfeststellung und dem darauf beruhenden Entnahmerecht, der Beachtung der gesellschafterlichen Treuepflicht Raum zu geben.

III. Die vorstehenden Ausführungen sind nur als eine Skizze für die Entwicklung eines besonderen Bestandschutzes zugunsten einzelner Gesellschafter innerhalb einer Personenhandelsgesellschaft gedacht. Sie sollen deutlich machen, daß hier im allgemeinen ein formalisierter Schutzbereich für den einzelnen Gesellschafter nur schwer bestimmt werden kann. Sie sollen andererseits den Blick dafür schärfen, daß das Problem eines solchen Schutzes nicht unter dem Gesichtspunkt der Vertragsfreiheit und der einverständlich gewollten Vertragsregelung beiseite geschoben werden kann. Das gilt namentlich für den weiten Bereich, in dem durch Beschlüsse einer Gesellschaftermehrheit in die Rechtsposition überstimmter Gesellschafter eingegriffen worden ist. Des weiteren sollte m. E. hier dem rechtlichen Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht ein erhöhtes Augenmerk zugewendet werden, zumal die Rechtsprechung schon seit langer Zeit die Möglichkeit einer Verpflichtung zur Änderung des Gesellschaftsvertrages unter diesem Gesichtspunkt bejaht hat 2 8 . 28 Vgl dazu die Nachweise bei Rob. Fischer Groß. Komm. H G B § 105 Anm. 31 c; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft 4. Aufl. S. 173 f.

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Für die Rechtsprechung wird sich in diesem Bereich nach meiner Überzeugung für die Z u k u n f t noch eine besondere Aufgabe stellen, die sie behutsam, aber doch auch mit einem offenen Blick auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und Folgen für alle Beteiligten lösen sollte.

Zur Zulässigkeit von Abfindungsklauseln in den Verträgen der Handelsgesellschaften PHILIPP M Ö H R I N G

I. Einleitung D a s Gesellschaftsrecht zählt seinem Wesen 1 nach zu den Rechtsgebieten, die in besonderem Maße dem Einfluß außergesetzlicher Faktoren unterworfen sind. Zwischen „Vertragsfreiheit" und „Typengesetzlichkeit" gibt es eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten, je nach den Intentionen welche die Beteiligten mit der Gründung einer Gesellschaft verfolgen. D a s Gesellschaftsrecht normiert zwar bestimmte Typen gesellschaftlicher Zusammenschlüsse, stellt aber regelmäßig deren nähere Ausgestaltung zur Disposition der Vertragspartner. U m so stärker muß sich gerade auf diesem Gebiet in der Spannung von Typenzwang und Privatautonomie die Normativität des Faktischen auswirken. Neben jenen Rechtsnormen, die nur eine im jeweiligen Gesellschaftsvertrag zu konkretisierende „Rahmenregelung" darstellen, gibt es Vorschriften, die sich im L a u f e der Zeit als obsolet erwiesen haben. Der Gesetzgeber ist hier entweder von Voraussetzungen ausgegangen, die durch die Realität des Wirtschaftslebens widerlegt bzw. überholt wurden oder er hat die weiterreichenden Konsequenzen seiner Regelung überhaupt nicht bedacht. Es liegt auf der H a n d , daß sich eine Rechtsfortbildung im Wege der Privatautonomie gerade dort — und unter ausdrücklicher Billigung durch die Rechtsprechung — verstärkt durchzusetzen vermochte, wo die gesellschaftsrechtlichen Normen zu den realen Bedürfnissen und Notwendigkeiten in Widerspruch treten mußten. Beispiele für eine solche Entwicklung sind vor allem die Bestimmungen über die Auflösung von O H G 2 und KG3·4·5. 1 Z u m sog. „Wesensargument" vgl. H a r m Peter 'Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 57 ff. 2 §§ 131 ff. H G B . 3 G e m ä ß § 161 Abs. 2 H G B gelten die §§ 131 ff. auch f ü r die Kommanditgesellschaft; allein der T o d eines Kommanditisten löst die K G nicht auf — § 177 H G B . 4 Sowohl die K ü n d i g u n g eines Gesellschafters als auch der K o n k u r s über das Vermögen eines Gesellschafters und die K ü n d i g u n g des Privatgläubigers eines Gesellschafters führen grundsätzlich zur A u f l ö s u n g von offener Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft, eine Rechtsfolge, die in der Praxis in f a s t allen Gesell-

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Als eine weitere „lex imperfecta" ist die gesetzliche Regelung über die Abfindung eines Gesellschafters bei Kündigung und Ausschluß anzusehen. Das H G B enthält nur Bestimmungen über die Beendigung einer Gesellschaft 6 und die Ausschließung eines Gesellschafters 7 . Art und Umfang der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters sind dagegen nicht näher geregelt. § 105 Abs. 2 H G B erklärt lediglich die Vorschriften des BGB (§§ 705 ff.) f ü r entsprechend anwendbar. Angesichts der völlig andersartigen Struktur der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts stellt sich aber schon die Frage, was „analoge" Anwendung der BGB-Vorschriften f ü r die Handelsgesellschaften überhaupt bedeutet. Gerade der Interessenwiderstreit zwischen dem verbleibenden und dem ausscheidenden Gesellschafter ist bei Handelsgesellschaften, nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Dauer des Gesellschaftsverhältnisses, anders zu beurteilen als f ü r die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Hinzu kommt, daß mit der Auflösung einer Handelsgesellschaft wirtschaftliche Werte zerschlagen werden, an deren Erhaltung ein volkswirtschaftliches Interesse besteht. Die nach dem BGB gebotene Auskehr des „wahren" Wertes des Geschäftsanteils eines ausscheidenden Gesellschafters führt regelmäßig zu

sdiaftsverträgen ausgeschlossen wird. ( S u d h o f f , Der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaften, 4. Aufl. 1973, S. 419 f., 439 ff. und 450 ff., insbesondere Τ 2 sowie U 2 ; derselbe, Handbuch der Unternehmensnachfolge, 1972, S. 470 ff.; Formularkommentar, Band I, 1973, S. 109; Buchwald-Tiefenbacher, Die zweckmäßige Gesellschaftsform nach Handels- und Steuerrecht, 3. Aufl. 1967, S. 238, A n m . 25; vgl. audi B G H Z 49, 364, 365.) 5 Hier zeigt es sich, d a ß der Gesetzgeber die Regelung des A D H G B (vom 24. 6. 1861) nahezu unverändert übernommen hat (Art. 123 f.; vgl. Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und eines Einführungsgesetzes, S. 97 ff.; auch abgedruckt bei Hahn-Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 6. Band, Materialien zum Handelsgesetzbuch, 1897, S. 269 ff.). Demgegenüber enthielten aber schon die Fugger-Verträge seit 1495 Vertragsbestimmungen zur Bestandssicherung der Gesellschaft. Beim T o d eines Gesellschafters wurde f ü r die Dauer von drei Jahren der Fortbestand der Gesellschaft fingiert. Die Abfindung an die Erben, deren Festlegung im Ermessen der Gesellschaft stand, w a r im Verlauf von drei weiteren Jahren zu zahlen. Seit 1502 ließen die geänderten Fugger-Verträge auch ein Ausscheiden unter Lebenden zu. (Vgl. Steiner, Die offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft in der deutschen Wirtschaft, 1950 S. 24 ff., Peterka, Zum handelsrechtlichen Inhalte der Gesellsdiaftsverträge J a k o b Fuggers des Reichen, Z H R 73 S. 387, 424 ff.; audi Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1973, S. 44 Fußnote 24.) Bestandssicherungsvorschriften enthielten auch die f ü r die Große Ravensburger Gesellschaft und das WeißhauptSchreiber'sche Handelshaus geltenden Verträge, auch der Sozietätsvertrag der Vettern Link und H a u g (vgl. Steiner, a. a. O., S. 22). β § 131 H G B . 7 § 140 H G B .

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einer ernsthaften wirtschaftlichen Gefährdung des Unternehmens, dessen Fortbestand in Frage gestellt wird. Daher stehen die Gesellschafter bei Gründung einer Handelsgesellschaft unter dem Zwang, im Gesellschaftsvertrag nicht nur für das Ausscheiden durch Tod, sondern auch bei Ausscheiden eines Gesellschafters und Fortbestand der Gesellschaft unter den verbleibenden Gesellschaftern klare Regelungen zu treffen. Als allgemeine Vertragspraxis hat sich entwickelt, den Abfindungsanspruch des Ausscheidenden auf den Buchwert seines Anteils zu beschränken. N u r so kann die Gesellschaft vor Schaden bewahrt werden, der vor allem dadurch droht, daß ein Gesellschafter plötzlich willkürlich kündigt oder durch schuldhaftes Verhalten die übrigen Gesellschafter zwingt, ihn auszuschließen. Eine Abfindung nach dem wirklichen Wert des Gesellschaftsanteils würde hier meist die übrigen Gesellschafter nötigen, die Gesellschaft auseinanderzusetzen. Im folgenden soll diese Abfindungsproblematik beim Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Handelsgesellschaft näher untersucht werden. Der Beitrag beschränkt sich dabei auf die Fälle des Ausscheidens unter Lebenden und verzichtet darauf, auch die Problematik der Bewertung von Unternehmen und Gesellschaftsanteilen 8 näher zu behandeln.

II. Allgemeines 1.

Es ist unmöglich, alle in der Praxis gebräuchlichen Abfindungsklauseln audi nur annähernd zu umschreiben. Üblich ist es sowohl, für alle Ausscheidensfälle dem Ausscheidenden unabhängig vom Ausscheidensgrund eine einheitliche Abfindung in gleicher Höhe zu gewähren, als auch unterschiedliche Regelungen zu treffen, etwa dem kündigenden oder dem ausgeschlossenen Gesellschafter nur eine Abfindung zum Buchwert, ihm in den übrigen Ausscheidensfällen dagegen eine

8 Im betriebswirtschaftlichen Schrifttum hat sich bisher nodi keine einheitliche Meinung gebildet. Vgl. etwa zum Stand der Meinungen Sudhoff, Die Berechnung des Auseinandersetzungsguthabens bei Personengesellschaften, Z G R 1972 S. 157 ff.; Weif Müller, Der Wert der Unternehmung, JuS 1974 S. 147 ff. (Heft 3). — Noch immer trifft der 1941 von Barz formulierte Satz den Kern der Sache: Die gesetzliche Regelung bedeutet „nichts anderes als die Maßgeblichkeit von Gutaditen, die mangels vertraglich festgelegter Anhaltspunkte einen Tummelplatz von volks- und betriebswirtschaftlichen Theorien, mehr oder minder kontrollierbaren Schätzungen, Diskontierungen der Zukunft und dergl." darstellen (DR 1941 S. 1303, 1304).

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h ö h e r e A b f i n d u n g z u z u g e s t e h e n . O b w o h l sich s o w o h l Literatur® als auch J u d i k a t u r 1 0 häufig m i t d e m P r o b l e m d e r G ü l t i g k e i t v o n A b f i n d u n g s k l a u s e l n z u beschäftigen h a t t e n , ist es bis h e u t e noch nicht g e l u n gen, eindeutige G ü l t i g k e i t s g r e n z e n z u verifizieren. I m m e r h i n h a t es den Anschein, als o b m a n c h e K o m m e n t a t o r e n 1 1 die Z u l ä s s i g k e i t v o n A b f i n d u n g s k l a u s e l n d a v o n a b h ä n g i g m a c h e n w o l l e n , o b sie f ü r s ä m t liche

Ausscheidensfälle

eine

einheitliche

gleichbleibende

Abfindung

v o r s e h e n o d e r nicht. A l s sachgerechte L ö s u n g des I n t e r e s s e n w i d e r s t r e i t e s zwischen bleibenden

und

ausscheidenden

Abfindung z u m Buchwert

Gesellschaftern

anerkannt12.

wird

allgemein

Demzufolge werden

dungsklauseln, die z u m i n d e s t eine B u c h w e r t a b f i n d u n g

verdie

Abfin-

gewährleisten,

ü b e r w i e g e n d f ü r zulässig e r a c h t e t 1 3 . D a g e g e n w i r d der p a u s c h a l e Abfindungsausschluß — jedenfalls im F a l l e des Ausscheidens u n t e r L e b e n d e n — nicht m e h r als rechtsgültig anerkannt14'15. T e i l w e i s e w i r d auch schon jede A b f i n d u n g , die d e n B u c h w e r t u n t e r schreitet, f ü r nichtig e r k l ä r t 1 6 . ' Vgl. neben der einschlägigen Kommentarliteratur vor allem Heckelmann, a. a. O., insbesondere S. 103 ff., dessen Habilitationsschrift mir erst vorlag, nachdem der vorstehende Beitrag in Angriff genommen war; sowie Olaf Glunz, Vertragliche Regelungen des Abfindungsanspruches bei der Offenen Handelsgesellschaft in den Fällen des Ausscheidens unter Lebenden, Diss. Münster 1963 sowie Adolf Andörfer, Ausschluß und Beschränkung des Kündigungsrechts bei Personengesellschaften, Diss. Köln 1967, insbesondere S. 63 ff., sowie Dieter Reuter, Die privatrechtlichen Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 1973, insbesondere S. 140 ff., 278 ff. 10 Vgl. schon R O H G 10, 58. Ferner R G Redit 1909, Nr. 2387; RGZ 117, 238, 240; RGZ 122, 149, 150; RGZ 145, 289, 293; R G LZ 1927, 1140, R G J W 1930, 3743; R G J W 1935, 417; R G J W 1938, 212; O G H Z 3, 203; B G H Z 17, 130, 132; B G H N J W 1954, 106; B G H N J W 1959, 1963; B G H WM 1962, 462; B G H WM 1966, 367; B G H WM 1967, 685; B G H M D R 1968, 28; B G H WM 1968, 532; B G H WM 1970, 711; B G H WM 1970, 850; B G H WM 1971, 1338; B G H WM 1971, 1450. 11 Baumbach-Duden, Handelsgesetzbuch, 19. Aufl. 1971, Anm. 1 A zu § 1 4 1 ; Sudhoff, Personengesellschaften, S. 356; für die BGB-Gesellschaft audi StaudingerKessler, BGB, 11. Aufl., Anm. 10 zu § 725 u. Anm. 15 zu § 738. 12 Und zwar sowohl die Buchwerte nach der letzten Handels- als audi der letzten Steuerbilanz. Dabei entsprechen die Buchwerte nach der Steuerbilanz erfahrungsgemäß eher den wahren Anteilswerten, da es im Handelsrecht keine die Bewertung nach unten beschränkenden Vorschriften gibt und daher die Gefahr der Bildung von beträchtlichen stillen Reserven größer erscheint. 13 Düringer-Hachenburg-Geiler, HGB, II, 1, 3. Aufl. 1932, Allgemeine Einleitung Anm. 290, S. 330; Düringer-Hachenburg-Flechtheim, HGB, II, 2, 3. Aufl. 1932, Anm. 10 zu § 1 3 8 , S. 850; Weipert, in: RGR-Kommentar (HGB), 2. Aufl. 1950, Anm. 23 zu § 1 3 5 u. Anm. 31 zu § 1 3 8 , S. 368; Schlegelberger-Geßler, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 1963, Anm. 26 zu § 138; Baumbach-Duden, a. a. O., Anm. 5 I zu § 1 3 8 ; Alfred Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, § 29 II 5 a; Harry Westermann, Handbuch der Personengesellsdiaften, Stand März

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2. M. E. kommt es bei der Beurteilung der Gültigkeitskriterien der Abfindungsklauseln nicht darauf an, ob der Gesellschaftsvertrag eine einheitliche Abfindungsregel für sämtliche Ausscheidensfälle oder differenzierte Abfindungsvorschriften vorsieht 17 . Auch wenn ein Gesellschaftsvertrag den Abfindungsanspruch generell auf den Buchwert beschränkt, so sollte die Zulässigkeit der Buchwertabfindung für jeden Ausscheidensgrund gesondert festgestellt werden. Einer unterschiedlichen Abfindungsregelung für einzelne Ausscheidungsgründe lassen sich allenfalls Anhaltspunkte über die Willensrichtung der Gründungsgesellschafter entnehmen, dagegen ist es für die Würdigung der objektiven Gültigkeitskriterien, auf die es vorwiegend ankommt, unerheblich, ob die Abfindungsregelung nur für bestimmte oder aber für alle Ausscheidensgründe gilt. 3. Von den gesellschaftsvertraglichen Regelungen, die die Abfindung der Höhe nach beschränken, sind solche zu unterscheiden, die sich 1973, Anm. I, 449; Ulmer, in: G r o ß k o m m . H G B , 3. Aufl. 1973, Anm. 33 zu § 1 3 2 u. Anm. 109 zu § 138; Potthoff-Zintzen-Halft, Handbuch der Gesellschaftsverträge in Personalgesellsdiaften, 3. Aufl. 1965, S. 360 ff.; Ulrich Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, § 1 4 , 3 b, S. 326 ff., 329; Andörfer, a . a . O . , S. 63; Maria Plum, Der fortschreitende Strukturwandel der Personalgesellschaft durch Vertragsgestaltung, in: H u n d e r t J a h r e deutsches Reditsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1960, Band I, S. 137 ff., 184; Knöcblein, Abfindungsvereinbarungen bei Personalhandelsgesellschaften, D N o t Z 1960, S. 452 ff., 465; Glunz, a . a . O . , S. 126; wohl auch Heymann-Kötter, H G B , 21. Aufl. 1971, Anm. 7 zu § 1 3 8 , S. 504 f.; f ü r die BGB Gesellschaft auch: Staudinger-Kessler, a.a.O., Anm. 23 zu § 738; Robert Fischer, in: R G R - K o m m e n t a r (BGB), 11. Aufl., Anm. 6 zu § 738, von Gamm, in: R G R K , 12. Aufl., Anm. 6 zu § 738 u. Soergel-Schultze-von Lasaulx, BGB, 10. Aufl., Anm. 25 zu § 705; R G Z 117, 238; R G J W 1930, S. 3743; R G D R 1942, 140; R G J W 1938, 212; O H G Z 3, 203, 213; B G H Z 34, 80, 83; B G H W M 1962, 462; B G H N J W 1973, 651. 14 Schlegelberger-Geßler, a . a . O . , A n m . 26 u. 27 zu § 138; H a r r y Westermann, a . a . O . , Anm. I, 449; Knöchlein, a . a . O . , 455; Heymann-Kötter, a . a . O . , Anm. 7 zu § 1 3 8 ; Geiler, a . a . O . , Anm. 237, S. 275 (anders aber Anm. 291); f ü r die BGB Gesellschaft auch: Soergel-Schultze-von Lasaulx, a . a . O . , Anm. 8 zu § 738 u. Staudinger-Kessler, a. a. O., Anm. 10 zu § 737 (anders aber Anm. 19 zu § 738). — R G Z 122, 150; R G Z 145, 289; R G Recht 1909, N r . 2387; R G J W 1935, 417; K G O L G E 25, 19. 15 Ein genereller Ausschluß gegenüber den Erben wird dagegen teilweise f ü r zulässig erachtet: so Baumbach-Duden, a. a. O., Anm. 5 H zu § 138; R G Z 145, 289, 294; R G Z 171, 345, 350 und B G H Z 22, 186, 194. 16 So wohl Ulmer, a . a . O . , Anm. 34 zu § 132, in diesem Sinne audi Schlegelberger-Geßler, a. a. O., Anm. 27 zu § 138. 17 So zutreffend Schlegelberger-Geßler, a. a. O., Anm. 27 zu § 138.

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allein mit dem Verfahren beschäftigen, den wahren Wert, auf den es nach der gesetzlichen Regelung ankommt, festzustellen. Diese Bestimmungen bedeuten nur eine Konkretisierung der betriebswirtschaftlich zulässigen Bewertungsverfahren und führen — da es einen mathematisch feststellbaren und nachprüfbaren wahren Unternehmenswert nicht gibt, sondern alle betriebswirtschaftlich vertretbaren Bewertungsergebnisse als wahre Werte zu verstehen sind 18 — nicht notwendig zu einer Abfindungsbeschränkung 19 .

III. Abfindungsklauseln für den Fall der Ausschließung eines Gesellschafters 1.

Nach § 140 H G B können die Gesellschafter einer Handelsgesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter eine Ausschließungsklage erheben. Die Rechtsprechung gibt Ausschließungsbegehren nur in Ausnahmefällen statt 20 . Die Ausschließung sei die ultima ratio und nur dann berechtigt, wenn keine weniger einschneidenden Maßnahmen geeignet erschienen, die gesellschaftsinterne Störungen zu überwinden. Dabei werden die Interessen der Gesellschafter gegeneinander abgewogen. Zugunsten des Auszuschließenden wird regelmäßig berücksichtigt, welche Abfindung er erhält mit der Folge, daß bei einer besonders ungünstigen Abfindung eine Ausschließung nur bei besonders schwerwiegenden Gründen für zulässig erachtet wird. Eine besonders

18 Bei Testberechnungen der Höhe eines Abfindungsguthabens zeigten sich enorme Ergebnisschwankungen. So ergaben sich im Jahre 1937 Ergebnisschwankungen zwischen 89 000 und über 305 000 RM ( K e r s t e n - B U b l i n g , Formularbuch und Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 14. Aufl. 1968, S. 1019), im Jahre 1969 Ergebnisschwankungen zwischen 346 000 und 500 000 D M (vgl. Glade, Stbjb. 1969/70, 287, 322) und im Jahre 1970 zwischen 969 000 und 1,2 Mio D M ( V i e l - B r e d t - R e n a r d , Die Bewertung von Unternehmungen und Unternehmungsanteilen, 3. Aufl. 1970, S. 109). Angesichts dieser Ergebnisstreuung müssen auch alle Ergebnisse, die nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten vertretbar erscheinen, als Wiedergabe des wahren Gesellschaftsanteils Anerkennung finden. 18 So sind etwa alle gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen unbedenklich zulässig, wonach nur eine bestimmte Bewertungsmethode, etwa die Substanzwertmethode, die Ertragswertmethode oder das Mittel aus beiden Verfahren, oder der Kapitalisierungszinsfuß festgesetzt wird. — Vgl. auch Rittner, Handelsrecht und Zugewinngemeinschaft, FamRZ 1961, 505, 509. 20 Vgl. RGZ 24, 136, 138; RGZ 146, 169, 179; RGZ 153, 275, 280; RG JW 1938, 2212, 2213; BGHZ 4, 108, 110; BGHZ 6, 113, 116 f.; BGHZ 18, 350, 362; B G H WM 1961, 886, 887; B G H WM 1966, 29, 31; BGH WM 1971, 20, 22.

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ungünstige Abfindung kann schon in der Beschränkung auf den Buchwert liegen 21 . 2. § 140 H G B ist in weitem Umfange disponibel. Die Ausschließungsklage kann vertraglich durch einen Ausschließungsbeschluß ersetzt werden. Auch die Ausschließungsvoraussetzungen können vertraglich festgelegt werden. Selbst der wichtige Grund ist keine zwingende Ausschließungsvoraussetzung. Es ist demzufolge danach zu differenzieren, — ob ein Gesellschafter einen die Ausschließung rechtfertigenden wichtigen Grund verschuldet hat, — ob ein wichtiger Grund nur objektiv in der Person des Ausgeschlossenen vorgelegen hat oder — ob ein Gesellschafter ohne wichtigen Grund ausgeschlossen wurde. Nach herrschender Meinung wird der Grundsatz der Vertragsfreiheit grundsätzlich erst dann verletzt, wenn jemand ohne wichtigen Grund ausgeschlossen werden kann und der Ausgeschlossene nur den Buchwert oder weniger erhalten soll 2 2 , 2 3 . Dabei wird übersehen, daß auch Sonderfälle denkbar sind wie etwa die Aufnahme eines Gesellschafters ohne Kapitaleinlage. Hierbei erscheint es interessengerecht, wenn sich die aufnehmenden Gesellschafter das Recht vorbehalten, den aufgenommenen Gesellschafter auch ohne wichtigen Grund auszuschließen. Sie werden sich hierzu ohnehin nur dann entschließen, wenn eine reibungslose Zusammenarbeit mit dem neuen Gesellschafter nicht gewährleistet ist. D a n n wäre es sogar unbillig, diesen Gesellschafter an den stillen Reserven teilhaben zu lassen, die vor seinem Eintritt gebildet wurden. 3. Die Gültigkeitsgrenze für die Abfindung eines Ausgeschlossenen wird allgemein in § 138 B G B gesehen 24 . 21 BGH WM 1971, 20, 22; vgl. auch BGH WM 1962, 462, 463 und BGH WM 1973, 326 sowie BGH NJW 1973, 1606. 22 BGHZ 34, 80, 83; BGH WM 1962, 462, 463; Schlegelberger-Geßler, a.a.O., Anm. 19 zu § 1 4 0 ; Ulmer, a . a . O . , Anm. 55 zu § 1 4 0 ; Harm Peter 'Westermann, a. a. O., S. 246. 23 Der BGH hält bei einer Ausschließung eine Buchwertabfindung dann für zulässig, wenn der Ausgeschlossene den Gesellschaftsanteil unentgeltlich erworben hat. So BGHZ 34, 80, 85; BGH WM 1962, 462, 463; vgl. zuletzt audi BGH NJW 1973, 651 m. Anm. v. U. H. Schneider, NJW 1973, 750; vgl. audi derselbe, Die Änderung des Gesellschaftsvertrages einer Personengesellschaft durch Mehrheitsbesdiluß, ZGR 1972, 357 ff., insbesondere 391 f. 24 Ulmer, a . a . O . , Anm. 55 zu § 1 4 0 ; vgl. audi Heckelmann, a . a . O . , S. 104 ff. m. w. N.

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§ 138 B G B soll dann Platz greifen, wenn die vertragliche Abfindungsbeschränkung zu einem nicht zu billigenden Vermögensnachteil des Ausgeschlossenen führen würde 2 5 . 4. Ein Sittenverstoß wird in jedem Verhalten gesehen, das das A n standsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt 2 6 . Mit dieserDefinition ist in der Praxis freilich wenig gewonnen. Von Rechtsprechung und Lehre wurde § 138 B G B im Laufe der Zeit durch die Schaffung von typisierten Anwendungsfällen hinreichend präzisiert 2 7 . Für die Gültigkeitsgrenze der Abfindungsbeschränkung durch Gesellschaftsvertrag kommt in erster Linie die Tatbestandsgruppe der übermäßigen Beschränkung der Freiheit und hierbei insbesondere der Gesichtspunkt des Knebelungsvertrages 2 8 zur Anwendung. 5. Bei der bisherigen Erörterung der Frage der Sittenwidrigkeit von Abfindungsklauseln ist die notwendige Differenzierung zu vermissen. § 1 3 8 B G B wendet sich gegen das sittenwidrige Rechtsgeschäft und erklärt dieses für nichtig. Sittenwidrig können daher nur gesellschaftsvertragliche Bestimmungen sein 29 . Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit kann dagegen grundsätzlich nicht gegen die Ausübung eines Gestaltungsrechtes erhoben werden. Demzufolge ist zu unterscheiden: a) Der Gesellschaftsvertrag sieht generell eine derartig geringe A b findung für den Ausgeschlossenen vor, daß sich bereits — abstrakt — aus dem Gesellschaftsvertrag ein Sittenverstoß ergibt. Die Voraussetzungen hierfür sind beispielsweise zu bejahen, wenn die Ausschließung in das Belieben der Mehrheit der Gesellschafter gestellt ist und der Ausgeschlossene — der den Gesellschaftsanteil nicht unentgeltlich erlangt hat — keine AbUlmer, ebenda. So die Formulierung der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, die auch vom B G H übernommen wurde. Vgl. z. B. R G Z 80, 221. 2 7 Vgl. z . B . Lindacher, Grundsätzliches zu § 1 3 8 BGB, A c P 173, S. 124 ff.; Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970, insbesondere S. 210 ff.; Larenz, Grundsätzliches zu § 138 BGB, Juristenjahrbuch, Band 7 (1966/67), S. 98 ff. jeweils m. w. N . 29 Larenz, a. a. O., S. 110. — Mit einer Spannungsklausel kann die Ratenzahlung gegen Geldentwertung abgesichert werden. 2 9 Dabei ist freilich § 139 BGB zu beachten. Grundsätzlich wird die Nichtigkeit einer Gesellschaftsvertragsklausel nicht die Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages zur Folge haben. Regelmäßig wird sich die Nichtigkeit nur auf die einzelne sittenwidrige Klausel beschränken. 25

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findung erhalten soll. Ob eine derartige gesellschaftsvertragliche Bestimmung sittenwidrig ist, wird vom Einzelfall abhängen. Grundsätzlich gehe ich davon aus, daß ein Partner, der in Kenntnis der Gefahr einer geringeren Abfindung einen Gesellschaftsvertrag unterschreibt, nur unter besonderen Voraussetzungen schutzbedürftig erscheint. Eine Sittenwidrigkeit kann nur dann angenommen werden, wenn noch weitere besondere Umstände hinzutreten. b) Erst spätere Entwicklungen führen zu einer Abfindungs„beschränkung". Die gesellschaftsvertraglichen Abfindungsregelungen ändern sich hier nicht. Die Abfindungs„beschränkung" stellt sich vielmehr als eine Folge der faktischen Entwicklung dar; durch die Bildung von stillen Reserven kann sich eine Diskrepanz zwischen dem Realwert und dem Buchwert ergeben. Gleichwohl wird — zu Unrecht, wie ich meine — auch in Fällen der letzteren Art für die Sittenwidrigkeit der gesellschaftsvertraglichen Abfindungsbestimmung plädiert 30 . Schon nach allgemeinen dogmatischen Grundsätzen kommt § 138 B G B in diesem Fall jedoch nicht zum Zuge. Die Vorschrift ist nämlich nur bei der generellen abstrakten Sittenwidrigkeit von Gesellschaftsvertragsklauseln anwendbar. Muß sich der Sittenverstoß auf das Rechtsgeschäft selbst beziehen, so kommt es auch für die Beurteilung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts an 3 1 . Auch daraus folgt, daß nachträgliche Veränderungen bei der Sittenwidrigkeitsprüfung außer Ansatz bleiben müssen. Die Sittenwidrigkeit einer Abfindungsklausel für den Ausschließungsfall ist danach die Ausnahme, zumal m. E. hierbei strenge Anforderungen gestellt werden müssen. Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit ist nicht schon dann gerechtfertigt, wenn ein Vertragspartner ein ungünstiges Rechtsgeschäft abschließen will. Zweifel setzen erst ein 32 , wenn sich jemand seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Freiheit begibt 33 . Vgl. die in Fußnote 24 genannten. Dies entspricht der herrschenden Meinung, die im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung nadi § 138 BGB auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abstellt. Vgl. RG J W 1937, S. 3221; BGH, LM Nr. 11 zu § 138 (Cd) BGB; vgl. auch Erman-Westermann, BGB, 5. Aufl., Anm. 18 zu § 138. 32 Das wird besonders bei einer Zusammenschau des § 138 mit § 310 BGB deutlich. Den Vorschriften läßt sich die Wertung entnehmen, daß Rechtsgeschäfte audi dann noch grundsätzlich als wirksam anzusehen sind, wenn das Äquivalenzverhältnis erheblich gestört ist. 3 3 Dabei kann dahinstehen, ob die freiwillige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Freiheit allein schon ausreicht, oder ob es auf die Beschränkung der persönlichen Freiheit ankommt. 30

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Daher ist die Buchwertabfindung mit den guten Sitten vereinbar und zwar selbst dann, wenn der Gesellschaftsvertrag die Ausschließung ohne wichtigen Grund zuläßt 3 4 . Bei der Buchwertabfindung wird der Widerstreit der Interessen zwischen den verbleibenden Gesellschaftern und dem ausgeschlossenen Gesellschafter in noch sachgerechter Weise gelöst. Dafür sprechen vor allem zwei Gesichtspunkte. Zum einen hat sich jeder Gesellschafter ausdrücklich und freiwillig auch für den Fall, daß er ausgeschlossen wird, mit der Buchwertabfindung einverstanden erklärt. Zum anderen bedeutet die Gesellschaftsvertragsbestimmung nicht einen Verzicht eines einzelnen Gesellschafters. Mit der Beschränkung der Abfindung auf den Buchwert verzichtet vielmehr jeder Gesellschafter — aufschiebend bedingt durch seine Ausschließung — auf den gesetzlichen Abfindungsanspruch. Jeder Gesellschafter geht gleichermaßen das Risiko ein, ausgeschlossen und dann nur mit dem Buchwert abgefunden zu werden. Umgekehrt hat jeder Gesellschafter die Chance, an dem Vorteil zu partizipieren, daß ein anderer Gesellschafter ausgeschlossen und mit dem Buchwert abgefunden wird 35 . Es besteht aber auch kein Bedürfnis, auf § 138 B G B zurückzugreifen, wenn sich die Buchwertabfindung ad hoc als unbillig erweist 350 . Das Verdikt der Nichtigkeit ist nämlich verfehlt, wenn es allenfalls darum geht, eine generell zulässige Regelung unter Berufung auf außergewöhnliche Umstände im Einzelfall zu modifizieren. Unbilligkeiten können und müssen über § 242 B G B korrigiert werden. Dabei greift der Gedanke von Treu und Glauben in doppeltem Sinne durch. Zum einen kann es nach § 242 B G B den verbleibenden Gesellschaftern untersagt sein, sich auf eine im konkreten Ausschließungsfalle für den Ausgeschlossenen übermäßig benachteiligende Abfindungsregelung im Gesellschaftsvertrag zu berufen: Ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung 36 . Zum anderen zeigen sich Ähnlichkeiten mit den Grundsätzen über den Wegfall bzw. die Veränderung der Geschäftsgrundlage, wenn eine nachträgliche — und obendrein unvorhersehbare — beträchtliche Ansammlung von stillen Reserven in einem konkreten Einzelfall 34 Heckelmann ( a . a . O . , S. 115) hält sogar den Abfindungsausschluß im Falle des Ausscheidens unter Lebenden nicht generell für sittenwidrig. 3 5 Eine Buchwertabfindung kann freilich dann sittenwidrig sein, wenn weitere besondere Umstände hinzutreten, denen der Makel des Sittenwidrigen anhaftet. 3 5 0 So jetzt auch Erman, Einige Fragen zur gesellschaftsvertraglidien Beschränkung der Abfindung des willentlich aus einer Personenhandelsgesellschaft ausscheidenden Gesellschafters, in: Festschrift für H a r r y Westermann, 1974, 75 ff. 78. 3 6 Vgl. hierzu etwa Hueck, a . a . O . , § 2 4 1 5 ; Andorf er, a . a . O . , S. 6 9 ; Maria Plum, a. a. O., S. 184; auch B G H N J W 1954, 106.

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zu einer besonderen Benachteiligung des Ausgeschlossenen führt. Eine Korrektur zugunsten des Ausgeschlossenen kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Ausschließung ohne wichtigen Grund zuläßt. Je mehr andererseits die Notwendigkeit der Ausschließung in der Person des Ausgeschlossenen begründet ist, umso mehr erscheint eine Abfindungsbeschränkung als sach- und interessengerecht. H a t der Ausgeschlossene den die Ausschließung rechtfertigenden wichtigen Grund obendrein zu vertreten, wird regelmäßig kein Raum für eine Anwendung des § 242 BGB sein. Bei der konkreten Einzelabwägung müssen auch andere das Verhältnis der Gesellschafter untereinander betreffende Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. So ist eine geringwertige Abfindung vor allem für den Gesellschafter unbillig, der selbst tatkräftig an dem Aufbau eines Unternehmens mitgearbeitet oder gar alleine die Gesellschaft zu Konkurrenzfähigkeit und Prosperität geführt hat. Erst wenn man diese Umstände berücksichtigt, die bei einer Prüfung nach § 138 BGB keine Beachtung finden könnten, wird man dem Einzelfall hinreichend gerecht. Die Anwendung von § 242 BGB erweist sich aber auch noch in anderer Hinsicht als vorteilhaft. § 242 BGB ermöglicht nämlich in zweifacher Hinsicht eine Korrektur. Nicht nur der ausgeschlossene Gesellschafter kann sich zur Heraufsetzung der vertraglichen Abfindung im Einzelfall auf § 242 BGB berufen; das gleiche Recht kann auch den verbleibenden Gesellschaftern zustehen. Sie können eine Herabsetzung der vertraglichen Abfindung nach § 242 BGB etwa dann verlangen, wenn der Vertrag eine hohe Abfindung vorsieht, das Unternehmen im Zeitpunkt der Ausschließung in einer Liquiditätskrise steckt, die vertragliche Abfindung den Fortbestand des Unternehmens stark gefährdet und der Auszuschließende die Ausschließung in grob treuwidriger und schuldhafter Weise herbeigeführt hat. Das wird von der Literatur grundsätzlich anerkannt. Dem Erhaltungsinteresse des Unternehmens wird jedenfalls insoweit Rechnung getragen, als über § 242 BGB auch in den Fällen im Interesse des Unternehmens die Berechtigung anerkannt wird, die Abfindung in Raten auszuzahlen, wenn der Vertrag eine Ratenzahlungsklausel nicht enthält 37 .

IV. Beschränkung und Ausschluß der Abfindung für den Fall der Kündigung durch einen Gesellschafter 1.

Der Grundsatz der Vertragsfreiheit wird für diesen Fall vor allem durch § 723 Abs. 3 BGB begrenzt. Die Bestimmung gilt nach herr37

Ulmer, a. a. O., Anm. 69 zu § 138.

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sehender Meinung audi für die Handelsgesellschaften, da das H G B keine Sonderregelungen enthält und somit die Voraussetzungen des § 105 Abs. I I H G B erfüllt sind 3 5 . Zu Recht prüft die herrschende Meinung 3 9 die Wirksamkeit von Abfindungsklauseln, die die Abfindung für den Fall der Kündigung eines Gesellschafters beschränken, an H a n d dieser Bestimmung. 2. Grundsätzlich wird eine maßvolle Beschränkung des Abfindungsanspruchs des Ausscheidenden für zulässig erachtet 4 0 . Uber den Umfang der möglichen Beschränkung gehen die Meinungen aber auseinander. So sollen Klauseln unwirksam sein, — die geeignet sind, den „Willen (des Ausscheidenden) zu beeinflussen und seine Freiheit zu hemmen" 4 1 , — die den Kündigenden „wirtschaftlich benachteiligen können" und sich nicht mehr „im normalen Rahmen halten" 4 2 , — wenn die „Ausübung (des Kündigungsrechts) derart erschwert wird, daß dies wirtschaftlich einer Ausschließung (des Kündigungsrechts) gleichkommt" 4 3 , — „wenn sie dazu bestimmt sind, einen solchen wirtschaftlichen Druck auf den Gesellschafter auszuüben, daß er auf die beabsichtigte Kündigung verzichtet" 4 4 , — „wenn wirtschaftlich die Nachteile für den Kündigenden so erheblich sind, daß sie seine Entschließungsfreiheit bezüglich der Kündigung beeinträchtigen" 4 5 , — wenn „die Abfindung des Ausscheidenden . . . so geregelt (ist), daß darin für ihn ein erheblicher Nachteil wirtschaftlicher Art liegt gegenüber dem, was ihm die Auflösung bringen würde" 4 6 , — wenn sie unbillig sind 4 7 · 4 8 . 3 8 Ausführlich Andörfer, a . a . O . , S. 15 ff. m. w. N . ; a. A. nur Siebel, D N o t Z 1954, 71 ff. 39 Schlegelberger-Geßler, a . a . O . , Anm. 16 zu § 1 3 2 ; Ulmer, a . a . O . , Anm. 31 u. 34 zu § 132. 4 0 Soweit ersichtlich, ist allein Würdinger (Betrachtungen zur Reform der Personalgesellschaften, A c P 144, S. 129 ff.) anderer Ansicht. Seiner Ansicht nach verstößt jede Beschränkung des Abfindungsanspruchs gegen das gesetzliche Verbot des § 723 Abs. 3 BGB und ist damit nichtig. 41 Flechtheim, a. a. O., Anm. 7 zu § 132, S. 760. 42 Schlegelberger-Geßler, a. a. O., Anm. 16 zu § 132. 43 Weipert, a. a. O., Anm. 15 zu § 132, S. 318. 44 Ulmer, a. a. O., Anm. 33 zu § 132. 4 5 H a r m Peter Westermann, a. a. O., S. 240. 46 R G Z 162, 388, 393. Für die BGB-Gesellschaft auch: Staudinger-Kessler, a . a . O . , Anm. 42 b zu § 7 2 3 ; Robert Fischer, a . a . O . , Anm. 15 zu § 723 und von Gamm, a. a. O., Anm. 15 zu § 723.

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3. Entgegen den zitierten Auffassungen bin ich der Meinung, daß im Rahmen der Prüfung des § 723 Abs. 3 B G B kein Raum für Billigkeitserwägungen ist. Wie noch zu zeigen sein wird, kommt es ohnehin nicht auf den Zeitpunkt des Ausscheidens, sondern auf den des Vertragsabschlusses oder einer Vertragsänderung an. Es ist daher ohne Bedeutung, ob die Abfindungsklausel wegen nachträglicher Veränderungen hic et nunc eine erhebliche wirtschaftliche Benachteiligung des Kündigenden zur Folge hat. Auch die spätere Ansammlung von beträchtlichen stillen Reserven führt nicht zur Nichtigkeit der Abfindungsbestimmung. 4. § 723 Abs. 3 B G B bezieht sich ausdrücklich nur auf das Kündigungsrecht und verbietet dessen Beschränkung. So ist unmittelbar ζ. B. der Fall erfaßt, daß im Gesellschaftsvertrag die Wirksamkeit der Kündigung von der Zustimmung der anderen Gesellschafter abhängig gemacht wird. Eine solche gesellschaftsvertragliche Regelung ist nichtig. Die herrschende Meinung wendet diese Bestimmung auch auf die Fälle an, in denen der Gesellschaftsvertrag dem Kündigenden eine Vertragsstrafe auferlegt 4 9 , 5 0 . Wie bei der Vertragsstrafe stellt sich auch bei der Abfindungsverringerung im Falle der Kündigung die Frage, ob damit nicht das gesetzliche Verbot des Kündigungsausschlusses oder der Kündigungsbeschränkung umgangen wird. Hierbei handelt es sich um ein Analogieproblem 51 . Wenn die herrschende Meinung 52 anerkennt, daß auch über die Abfindungsbeschränkung erreicht werden kann, daß ein Gesellschafter von einer geplanten Kündigung Abstand nimmt, so 47 Andörfer, a . a . O . , S. 65 f.; Lehmann-Dietz, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1970, § 23 1 1 1 b , S. 182. 48 Hueck (a. a. O., § 24 I 5, S. 366) hält Klauseln für unwirksam, die „völlig unbillig" sind. 49 Geiler, a. a. O., Anm. 237, S. 2 7 5 ; Ulmer, a. a. O., Anm. 37 zu § 132; Schlegelberger-Geßler, a. a. O., Anm. 18 zu § 132; Hueck, a. a. O., § 24 I 5, S. 3 6 5 ; Heckelmann, a . a . O . , S. 94 u. 163; Andörfer, a . a . O . , S. 8 9 ; R G Z 61, 3 2 8 ; R G Z 169, 328, 329 f.; R G J W 1905, 6 8 8 ; O L G Kiel O L G E 6, 4 4 6 ; audi R G Z 130, 209, 212 zu den mit § 723 Abs. 3 inhaltlich übereinstimmenden § 65 GenG. 5 0 Teilweise wird die Nichtigkeit nur für den Fall der erheblichen Vertragsstrafe bejaht: vgl. R G Z 61, 328, 329 f. — zu § 65 GenG; O L G Hamburg, Recht 1907, Nr. 3300, Sp. 1319; O L G Kiel, SeuffA 57, Nr. 147, R G Z 130, 209 ff. 5 1 Arndt Teichmann, Die Gesetzesumgehung, 1962, insbes. S. 78 ff.; vgl. zur Umgehung des § 723 Abs. 3 auch Ulmer, a. a. O., Anm. 122 zu § 138; H a r m Peter Westermann, a. a. O., S. 34 u. S. 4 2 9 ; ähnlich auch Scblegelberger-Geßler, a. a. O., Anm. 27 zu § 138. 5 2 Vgl. die in den Fußnoten 41 bis 48 Genannten m. w. N .

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verdient dies grundsätzlich Zustimmung. Wie jedes auf unbestimmte Zeit eingegangene Dauerschuldverhältnis muß auch die Handelsgesellschaft kündbar bleiben. Dies gilt umso mehr, als den Komplementär sowohl bei der O H G als auch bei der K G eine Mitwirkungspflicht bei der Geschäftsführung und eine Mithaftung gegenüber Dritten trifft. Unverzichtbar ist das Recht auf die Möglichkeit, sich von diesen Bindungen zu lösen. Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz unserer Rechtsordnung, daß sich niemand seiner persönlichen Freiheit begeben kann. Ob und inwieweit durch § 723 Abs. 3 auch die wirtschaftliche Freiheit geschützt ist 53 , mag dahinstehen. Jedenfalls werden wirtschaftliche Nachteile von der Vorschrift dann erfaßt, wenn sie so erheblich sind, daß sie die persönliche Entscheidungsfreiheit generell beeinträchtigen und jedermann davon abhalten würden, die Gesellschaft zu kündigen. Ist somit grundsätzlich anzuerkennen, daß Abfindungsregelungen dem gesetzlichen Verbot des § 723 Abs. 3 zuwiderlaufen können, so erscheint doch zweifelhaft, welche Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt werden müssen und auf welchen Zeitpunkt es für die Beurteilung ankommt. Während Heckelmann5i sich gegen jede generalisierende Wertung wendet und auf die konkreten Umstände in der Person des Kündigenden im Zeitpunkt der Kündigung abstellt, halten andere55 den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für maßgeblich und nehmen die Wertung anhand der voraussichtlichen Rechtsfolgen vor. Beide Ansätze vermögen nicht zu überzeugen. M. E. kommt es auf folgendes an: Nichtig ist nach § 723 Abs. 3 die das Kündigungsrecht beschränkende Vereinbarung. Beurteilungsgegenstand muß daher immer die Gesellschaftsvertragsklausel sein, die die Abfindung einschränkt. Da die Nichtigkeitsfolge sich auf die abstrakte vertragliche Vorschrift bezieht, kann entgegen der Ansicht von Heckelmann56 nicht auf die 5 3 Für den Schutz von persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit: Heckelmann, a . a . O . , S. 125, 138, 141 u. 1 5 0 ; Andörfer, a . a . O . , S. 65 u. 81; Nitscbke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S. 352 f.; Huber, a . a . O . , S. 3 2 8 ; Schlegelberger-Geßler, Anm. 17 zu § 1 3 2 u. Simon, Gesellsdiaftsrechtlidie Bindungen auf Lebenszeit, D B 1961, 1679, 1680. — Demgegenüber betonen mehr die persönliche Seite: R G Z 136, 236, 2 4 1 ; R G Z 156, 129, 136; R G Z 162, 388, 393 u. B G H J Z 1954, 194 m. Anm. Köhler. — Andererseits sehen Barz ( J W 1938, 490, 492) und Flechtheim (a. a. O., Anm. 7 zu § 132) allein die persönliche Freiheit als das durch § 723 Abs. 3 BGB geschützte Rechtsgut an (vgl. auch Ulmer, a. a. O., Anm. 30 zu § 132). 5 4 A. a. O , S. 147 f. 55 Andörfer, a. a. O., S. 66 und Ulmer, a. a. O., Anm. 34 zu § 132. 5 6 A. a. O., S. 147 f.

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konkreten Umstände im Zeitpunkt des Ausscheidens abgestellt werden. Notwendig und entscheidend ist vielmehr eine abstrakte Beurteilung 57 . Es haben daher alle Umstände außer Betracht zu bleiben, die sich auf die Bildung der stillen Reserven seit der Gründung oder auf die Vermögenssituation des Ausscheidenden stützen. Das hat folgende praktische Konsequenzen: Die Abfindung des Kündigenden mit dem Buchwert ist im Hinblick auf § 723 Abs. 3 BGB grundsätzlich zulässig. Bei der Buchwertabfindung werden die Interessen der verbleibenden Gesellschafter und die des Kündigenden noch in vertretbarem Maße gegeneinander abgewogen 58 . 6.

Stellt man auf die abstrakte gesellschaftsvertragliche Regelung ab, so bleibt der Gesellschafter nicht rechtsschutzlos, wenn der Buchwert im Laufe der Zeit nur einen geringen Bruchteil des wahren Wertes ausmacht und sich obendrein noch seine persönliche wirtschaftliche Situation verschlechtert hat. Diesen Unbilligkeiten im Einzelfall kann nämlich mit Hilfe der Generalklausel von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeholfen werden, wie bereits ausgeführt wurde 5 9 . Die dortigen Anmerkungen gelten nicht nur für die Ausschließung sondern für alle Ausscheidensfälle. Auch hier findet eine Interessenabwägung im Einzelfall statt, die die Belange von verbleibendem und ausscheidendem Gesellschafter zu berücksichtigen hat.

V. Abfindungsklauseln für die Fälle des Gesellschafterkonkurses und/oder der Kündigung durch einen Privatgläubiger Abfindungsklauseln werden teilweise mit dem Hinweis für sittenwidrig erachtet, daß sie eine anstößige Gläubigerbenachteiligung dann bedeuteten, wenn die Abfindung nur für die Ausscheidensfälle infolge 67 D i e Maßgeblichkeit der abstrakten Regelung im Gesellschaftsvertrag bedeutet nicht ohne weiteres, daß auf den Zeitpunkt der Gründung abzustellen wäre. Entscheidend ist vielmehr der Gesellschaftsvertrag in der jeweils geltenden Fassung unter Berücksichtigung der bisherigen Ü b u n g durch die Gesellschafter. Vgl. hierzu Ulmer, a. a. O., A n m . 105 zu § 138. 58 Ausnahmsweise kann eine Buchwertabfindungsklausel w e g e n Verstoßes nach § 723 Abs. 3 BGB nichtig sein, e t w a dann, w e n n die Mehrheit der Gesellschafter v o n der Kündigungsabsicht eines Mitgesellschafters erfährt und durch Mehrheitsbeschluß die Abfindung ad hoc für den Fall seiner Kündigung erheblich herabsetzt, um ihn d a z u zu bringen, seine bestehenden Kündigungsabsichten aufzugeben. 50 Vgl. oben III 5 S. 58 f.; vgl. audi Erman, a. a. O., S. 77 ff.

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Gesellschafterkonkurses und/oder Kündigung eines Privatgläubigers beschränkt wird. Dies wird vor allem dann angenommen, wenn ein Gesellschafter, der aus anderem Grunde ausscheidet, eine höhere A b findung erhält 6 0 . Dagegen wird die Abfindungsbeschränkung dann für zulässig gehalten, wenn sie generell für alle Ausscheidensfälle eingreift 6 1 . Im Schrifttum ist eine Tendenz feststellbar, die Sittenwidrigkeit des § 138 B G B allein objektiv zu verstehen 6 2 , um § 138 gegen § 826 B G B abgrenzen zu können. Die Judikatur dagegen ist dieser Meinung bisher nicht gefolgt. Gerade unter dem Stichwort Gläubigerbenachteiligung sei der V o r w u r f des Sittenverstoßes nur dann berechtigt, wenn die Parteien erkennen, daß ihr Verhalten einen anderen Gläubiger schädigt oder sie sich dieser Erkenntnis zumindest in grob fahrlässiger Weise verschließen 63 . Es mag dahinstehen, ob im Rahmen des § 138 B G B Platz für eine subjektive Komponente ist; beide Meinungen führen in aller Regel zu denselben Ergebnissen. Denn in den meisten Fällen ist das Verschulden zu bejahen, zumal bereits grob fahrlässiges Verhalten ausreichen soll. Den Gründern wird es sicher immer bekannt sein, daß eine Beschränkung des Abfindungsanspruchs eines Gesellschafters, der wegen der Konkurseröffnung über sein Vermögen oder wegen der Kündigung eines Privatgläubigers ausscheidet, andere Gläubiger dieses Gesellschafters benachteiligt. Regelmäßig wird diese Folge auch dem Willen der Gründer entsprechen. Andererseits wird in diesem Zusammenhang zu Recht auf die §§ 3, Abs. 1 N r . 1 A n f G und 31 N r . 1 K O verwiesen 6 4 . Diese V o r schriften bedeuten im Verhältnis zu der konkretisierungsbedürftigen Generalklausel des § 138 B G B die speziellere Regelung. Auch Recht80 Baumback-Duden, a . a . O . , Anni. 1 A zu § 1 4 1 ; Ulmer, a . a . O . , Anm. 24 zu § 1 4 1 ; Schlegelberger-Geßler, a . a . O . , Anm. 27 zu § 1 3 8 u. Anm. 14 zu § 1 4 1 ; Sudhoff, Personengesellschaften, S. 319 f.; für die BGB-Gesellschaft auch: Staudinger-Kessler, a. a. O., Anm. 10 zu § 725 u. Anm. 15 zu § 738. 61 Baumbach-Duden, a . a . O . , Anm. 1 A zu § 141; Sudhoff, Personengesellschaften, S. 319 f.; Weipert, a . a . O . , Anm. 23 zu § 1 3 5 u. Anm. 23 zu § 1 4 1 ; Schlegelberger-Geßler, a . a . O . , Anm. 13 f. zu § 1 3 5 ; für die BGB-Gesellschaft auch: Staudinger-Kessler, a . a . O . , Anm. 10 zu § 725 u. Anm. 15 zu § 7 3 8 ; Robert Fischer, a. a. O., Anm. 9 zu § 7 2 5 ; Erman-Schulze-Wenck, a. a. O., Anm. 5 zu § 725. 6 2 Vgl. Mayer-Maly, Das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit, Band 103 der Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, 1971, insbesondere S. 25 ff.; Larenz, a. a. O., insbesondere S. 104 ff. 6 3 B G H W M 1971, 800 f.; B G H WM 1971, 441, 4 4 3 ; B G H WM 1971, 69, 7 0 ; B G H BB 1970, 821, 8 2 2 ; B G H J Z 1969, 113, 114; B G H J Z 1968, 527, 5 2 9 ; B G H W M 1968, 195; B G H Z 32, 361, 3 6 6 ; B G H Z 30, 149, 153; B G H Z 20, 43, 5 2 ; B G H Z 10, 228, 2 3 3 ; R G Z 143, 48, 52. 84 Glunz, a. a. O., S. 199 f.; Heckelmann, a. a. O., S. 116 ff.

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sprechung und Judikatur haben dies — außerhalb der Diskussion der Abfindungsklauseln — anerkannt 65 . Aus der Wertung der Vorschriften des Anfechtungsgesetzes und der Konkursordnung ist zu entnehmen, daß § 138 B G B insoweit keine Anwendung findet, als der Verschuldensgrad der Vorschriften des Anfechtungsgesetzes und der Konkursordnung nicht überschritten wird. § 138 B G B wird in aller Regel erst dann anwendbar, wenn weitere Umstände hinzutreten, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründen. Ein Sittenverstoß wäre etwa dann zu bejahen, wenn Gesellschafter davon erfahren, daß ein Mitgesellschafter — außerhalb der Gesellschaft — in finanziellen Schwierigkeiten steckt und die Einzelzwangsvollstreckung oder gar der Konkurs über das Vermögen dieses Gesellschafters unmittelbar bevorsteht und sie im Hinblick darauf vereinbaren, daß der Gesellschaftsvertrag geändert und für die Fälle der Kündigung durch einen Privatgläubiger und/oder die Konkurseröffnung über das Vermögen eines Gesellschafters die Abfindung auf den Buchwert oder darunter beschränkt wird. Im übrigen wird § 138 B G B unter dem Gesichtspunkt der Gläubigerbenachteiligung kaum zur Anwendung kommen 66 .

VI. Zusammenfassung In den hier näher untersuchten Fällen hat sich gezeigt, daß auch für den Ausscheidenden nachteilige gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln grundsätzlich zulässig sind. Sie entsprechen einem praktischen wirtschaftlichen und damit auch rechtlich anerkennenswerten Bedürfnis, um den Fortbestand der Gesellschaft zu gewährleisten. In zahlreichen Fällen wäre die weitere Existenz des Unternehmens in Frage gestellt, wenn der ausscheidende Gesellschafter mit dem „wahren" Wert seines Gesellschaftsanteils abgefunden werden müßte. Eine solche Beschränkung des Abfindungsanspruchs, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag direkt ergibt und damit alle Gesellschafter gleicher6 5 R G Z 170, 328, 332; RGZ 74, 224, 226; R G Z 69, 143, 146; RGZ 56, 229, 230; R G D R 1940, 441; RG L Z 1928, 1324, 1325; RG L Z 1920, 642; R G L Z 1917, 257 f.; RG L Z 1912, 83; RG L Z 1910, 162 = J W 1909, 6 9 7 ; B G H Z 53, 174, 180; B G H Z 19, 12, 16; B G H WM 1971, 441, 443; B G H WM 1968, 1057; B G H WM 1966, 584; B G H WM 1965, 84, 86; B G H WM 1963, 526 f.; B G H WM 1958, 1278 f.; Staudinger-Coing, a. a. O., Anm. 18 zu § 138; Erman-Westermann, a. a. O., Anm. 4 zu § 138; Böhle-Stamschräder, Anfechtungsgesetz, 3. Aufl. 1967, Anm. VII 2 zu § 1; dieselben, Konkursordnung, 9. Aufl. 1969, Anm. 20 zu § 29. ββ § 138 BGB käme freilich nach den allgemeinen Gesichtspunkten dann zur Anwendung, wenn besondere Umstände hinzukämen, die in den Vorschriften des Anfechtungsgesetzes und der Konkursordnung nicht berücksichtigt sind.

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maßen trifft, bedeutet keine Pönalisierung f ü r den Fall, daß ein Gesellschafter aus dem Unternehmen ausscheidet. Indem die Gesellschafter eine bestimmte Abfindungsregelung vereinbaren, entscheiden sie sich im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit dafür, das Bestandsinteresse der Gesellschaft gegenüber dem Kapitalinteresse des ausscheidenden Gesellschafters vorrangig zu bewerten. Eine solche in der Satzung selbst antizipierte Interessen- und Güterbewertung ist gerade im Gesellschaftsrecht zweckmäßig. Auch dies illustriert die eingangs erwähnte Normativität des Faktischen im Bereich des Gesellschaftsrechts. Der einzelne Gesellschafter muß jederzeit frei entscheiden können, ob er dem Unternehmen noch weiterhin angehören will. Dies ist durch § 723 Abs. 3 und den dort normierten Bezug auf das freie Kündigungsrecht sichergestellt. Von einer Beschränkung des Kündigungsrechts kann daher nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidungsfreiheit selbst und unmittelbar betroffen ist. Dies kann nur nach dem jeweiligen Gesellschaftsvertrag beurteilt werden. Das Gesellschaftsrecht zwingt in den hier behandelten Fällen dazu, deutlich zwischen dem Gesellschaftsvertrag selbst und solchen Umständen zu unterscheiden, die als zusätzliche Elemente auf die Vertragsgestaltung einwirken. Derartige Umstände und Veränderungen gegenüber der vertraglichen Ausgangssituation können nur über § 242 BGB adäquat berücksichtigt werden. Das Verdikt einer Nichtigkeit nach § 138 BGB ist kein geeignetes Instrument, weil eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen auf den konkreten Einzelfall durch ein Verbot, das generell zu Lasten der Gesellschaft wirkt, nicht geleistet werden kann. Im Rahmen von § 242 BGB hat die Rechtsprechung längst eine Vielzahl justiziabler Kriterien f ü r eine richterliche Einzelfallgestaltung entwickelt. N u r so läßt sich auch sicherstellen, daß der Richter im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der neuesten Entwicklung Rechnung tragen kann. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit ist ein konstitutives Element des Gesellschaftsrechts. Einschränkungen dieser Privatautonomie, mit der wiederum die H a f t u n g der Gesellschafter f ü r Gesellschaftsverbindlichkeiten korrespondiert, sind nur ausnahmsweise zu verantworten. Für die Zulässigkeit nachteiliger Abfindungsregelungen läßt sich hieraus folgern, daß die Vermutung für die Wirksamkeit einer Abfindungsklausel spricht. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bildet somit die eigentliche Grenze für die Beschränkung des Abfindungsanspruchs: Die Anwendung von § 242 BGB führt unter Umständen zu variablen Abfindungsansprüchen. Erst damit ist aber die volle Berücksichtigung der im Einzelfall maßgeblichen Umstände gewährleistet.

Die GmbH & Co K G als Einheitsgesellschaft WOLFGANG SCHILLING

I. Vorbemerkung Carl Hans BARZ und mich verbinden vielfältige Interessen auf dem Gebiete des Gesellschafts- und Unternehmensrechts. Eines davon gilt der GmbH & Co. K G (i. f. GmbH & Co genannt), sowohl in der praktischen Anwendung wie rechtsdogmatisch und rechtspolitisch. Als der Arbeitskreis GmbH-Reform seinen Gesetzgebungsvorschlag zur „Handelsgesellschaft auf Einlagen" 1 vorlegte, begrüßen er 2 und ich3 diesen erneuten und überzeugenden Appell an den Gesetzgeber zur Schaffung einer Personengesellschaft mit beschränkter Haftung. Leider blieb der Appell erfolglos. Der Gesetzgeber scheint sich mit dem Vorschlag des Arbeitskreises nicht befassen zu wollen. So bleibt nichts anderes übrig, als mit der GmbH & Co weiter zu leben und allenfalls den Versuch zu machen, sie im Wege der Rechtsfortbildung dem Status einer „vollendeteren Rechtsbildung" 4 näherzubringen. Ein solcher Versuch soll hier gemacht werden. Gegenstand der Untersuchung (die Arbeit wurde im Dezember 1973 abgeschlossen) ist die sog. Einheitsgesellschaft 5 , also die GmbH Sc Co, bei der die K G die einzige Gesellschafterin der Komplementär-GmbH, ihres einzigen persönlich haftenden Gesellschafters, ist. Wie ist sie rechtsdogmatisch zu würdigen (II), wie steht es mit ihrer gesellschaftsrechtlichen Organisation (III) und wie mit dem Gläubigerschutz (IV)?

1 Arbeitskreis GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Bd. 1/1971, s. dazu audi H . P. Westermann Z R P 72, 93 und Immenga Z H R 136 (1972) 450. 2 Das Ende der GmbH & Co KG, N J W 72, 465. 3 Die Handelsgesellschaft auf Einlagen, die GmbH & Co K G und die GmbHReform, BB 72, 1. 4 Vgl. hierzu die Worte von Otto v. Gierke, die Hesselmann den Erläuterungen in seinem „Handbuch der GmbH & C o " voranstellt. 5 Der Ausdruck stammt von Sudhoff, Der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co, 1. Aufl. 1967 S. 47 (jetzt 2. Aufl. 1971 § 8 ) . Die von Mertens N J W 66, 1049 gewählte Bezeichnung „Einmann-GmbH & Co K G " möchte ich nicht übernehmen; sie sollte der Rechtsform vorbehalten bleiben, bei der nur eine und dieselbe natürliche Person Gesellschafter der GmbH und Kommanditist ist. In diesem Sinne wird die Bezeichnung auch gebraucht von Schäfer, Zulässigkeit und rechtliche Grenzen der GmbH & Co, Diss. Frankfurt 1966 S. 92.

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E i n w e i t e r e r B e i t r a g z u r rechts- u n d w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e n

Recht-

f e r t i g u n g d e r G m b H & C o 6 soll h i e r nicht geleistet w e r d e n . Sie ist h e u t e in R e c h t s p r e c h u n g u n d S c h r i f t t u m i m wesentlichen u n a n g e f o c h ten und

als R e c h t s f o r t b i l d u n g

praeter

legem oder

allenfalls

extra

l e g e m 7 a n e r k a n n t 8 . A u s d e m n e u e r e n S c h r i f t t u m ist v o r a l l e m a u f die H a b i l i t a t i o n s s c h r i f t e n v o n U l r i c h Huber, 'Westermann

u n d Reuter9

Nitschke,

Teichmann,

f e r n e r a u f H . P . Westermanns

V o r t r a g 1 0 hinzuweisen. D a ß

die T h e s e d e r E i n h e i t v o n

und H a f t u n g

Gesellschaftsrecht

im

deutschen

H . P.

Karlsruher Herrschaft

nicht b e g r ü n d e t

nicht z u b e g r ü n d e n ist, ist n e u e r d i n g s w i e d e r v o n Helm11

und

überzeugend

dargetan worden. Gescholten w i r d n a c h w i e v o r die E i n h e i t s g e s e l l s c h a f t 1 2 . A u c h ich h a b e B e d e n k e n gegen sie v o r g e b r a c h t 1 3 . Ich h a b e sie a b e r d a m a l s schon gegen den V o r w u r f , sie sei eine A u s g e b u r t ü b e r s p i t z t e r K a u t e l a r j u r i s p r u d e n z , v e r t e i d i g t u n d sie als einen unsicheren u n d t a s t e n d e n Schritt z u r E i n h e i t , z u einer

Gesellschaft f ü r ein U n t e r n e h m e n

bezeichnet14.

I n z w i s c h e n sind v e r d i e n s t l i c h e r w e i s e z w e i D i s s e r t a t i o n e n u n d Aufsatz

veröffentlicht

worden15,

die d e n P r o b l e m e n

der

ein

Einheits-

β S. dazu meinen Beitrag zur Festgabe für Otto Kunze (1969 S. 189), Rechtspolitische Gedanken zur GmbH & Co und den Aufsatz wie Fußn. 3). 7 Vgl. dazu Latenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. Kap. 4. 8 Eine Ausnahme von der rechtspolitischen Rechtfertigung wird man allerdings für die sog. Publikums-KG machen müssen, s. dazu Teichmann wie in Fußn. 9 und Duden Z G R 73, 364. In meinem Fußn. 3 zitierten Aufsatz (S. 3 I I I 2) habe idi ebenfalls auf die Problematik dieser Erscheinungsform der GmbH & Co. hingewiesen. 9 Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, sämtliche 1970; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen 1973. 1 0 Die GmbH Sc Co K G im Lichte der Wirtschaftsverfassung, Verlag C. F. Müller 1973. 1 1 Theorie und Sachanalyse im Recht atypischer Gesellschaften. Eine Besprechung der Habilitationsschriften von Immenga und Nitschke, Z G R 73, 478; vgl. auch die Besprechung von Reuters Habilitationsschrift (Fußn. 9) durch Rehbinder N J W 73, 2016, der mit Recht die Berücksichtigung der Interessenlage des typischen mittelständischen Unternehmens fordert. 12 Zuletzt H. P. Westermann Z R P 72, 98: „Akrobatenstücke". 1 3 S. den Aufsatz wie in Fußn. 6 S. 192 ff., ferner im Großkomm. z. HGB § 161 Anm. 26. 14 A. a. O. S. 197. 15 Ippen, Die GmbH Sc Co K G als Inhaberin sämtlicher Geschäftsanteile ihrer allein persönlich haftenden GmbH-Komplementärin, Münster 1967; Eltermann, Der verdeckte Kapitalentzug in der GmbH & Co KG, Köln 1972 S. 159 ff.; ders.: Zur Zulässigkeit der Einheits-GmbH & Co unter dem Gesichtspunkt des Gläubiger-

D i e G m b H & Co K G als Einheitsgesellschaft

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gesellschaft näher zu Leibe rücken. Und auch der Gesetzgeber hat von ihr Kenntnis genommen 16 .

II. Die Einheitsgesellschaft und die Natur der Sache 1.

Bei der G m b H & Co im engeren Sinn, bei der die Gesellschafter im gleichen Verhältnis an G m b H und K G beteiligt sind und beteiligt sein sollen, muß durch sorgfältige Vertragsbestimmungen die einheitliche Willensbildung gewährleistet sein und ein Auseinanderfallen der Beteiligungen vermieden werden. In der Einheitsgesellschaft fallen diese Schwierigkeiten weg, da Anteilbesitz und Willensbildung bei der K G liegen. Aber handelt man sich hierdurch nicht neue Schwierigkeiten ein? Da ist einmal die Gefahr der Funktionsunfähigkeit, wenn die Willensbildung bei der G m b H durch sie selbst als einzigen organschaftlichen Vertreter ihrer einzigen Gesellschafterin, der K G erfolgt. Haftungsrechtlich entsteht das Problem der Einlagenrückgewähr und des Scheinkapitals. Es fragt sich, ob diese Mängel der Einheitsgesellschaft notwendig anhaften, oder ob die darauf gegründeten Einwände sich bei richtiger Betrachtung der Einheitsgesellschaft als gegenstandslos erweisen. Das soll unter III und IV untersucht werden. Zuvor ist eine Bemerkung über die dabei angewandte Methode zu machen. 2. „Auch aus der N a t u r der Sache haben wir das Rechtssystem zu ergänzen. Die Lebensverhältnisse tragen, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, ihr Maß und ihre Ordnung in sich. Diese den Dingen innewohnende Ordnung nennt man N a t u r der Sache. Auf sie muß der denkende Jurist zurückgehen, wenn es an einer positiven Norm fehlt oder wenn dieselbe unvollständig oder unklar ist" 17 . sdiutzes, G m b H Rdsch. 73, 207. D i e im Sinne meines Aufsatzes weiterführende Arbeit v o n Hunscha, D i e G m b H & C o K G als Alleingesellschafterin ihrer G m b H Komplementärin, K ö l n 1974 (Diss. Köln), konnte nicht mehr berücksichtigt werden. 18 § 26 N r . 3 E G z. Reg. Entw. e. G m b H G (Bundestagsdrucks. V I 3088 S. 245) w i l l in § 1 7 2 H G B folgenden Abs. 6 einfügen: „Gegenüber den Gläubigern einer Gesellschaft, deren persönlich haftende Gesellschafter nur eine oder mehrere K a p i talgesellschaften sind, gilt die Einlage eines Kommanditisten als nicht geleistet, soweit sie in Anteilen an der Kapitalgesellschaft bewirkt ist." S. dazu unten IV. 17 Dernburg, Pandekten l . B d . 3. Aufl. 1892 S. 87; vgl. auch die Interpretation der zitierten Stelle durch Radbruch, Die N a t u r der Sache als juristische D e n k f o r m in Festschr. f. Laun 1948 S. 157 (161). Radbruch schreibt dort S. 158, Dernburg habe damit klassische Worte für den Begriff und die A u f g a b e der N a t u r der Sache gefunden.

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Die Einheitsgesellschaft als Gesellschaftsform ist ein Lebensverhältnis, das positivrechtlich nicht geregelt ist. Wir müssen versuchen, die vorhandenen Regeln für die K G und die GmbH so auszulegen, falls notwendig, zu ergänzen, daß wir der der Einheitsgesellschaft innewohnenden Ordnung gerecht werden. Zwei Grundsätze scheinen mir Maß und Ordnung der Einheitsgesellschaft zu bestimmen: a) Nach innen, in ihrer inneren Organisation sollen die beiden Gesellschaftsformen eine Einheit bilden. Willensträger sind dabei allein die Kommanditisten; s. III. b) Nach außen, im Verhältnis zu den Gläubigern, darf das Haftungspotential beider „Teilgesellschaften" durch ihre Vereinigung zur Einheitsgesellschaft nicht beeinträchtigt werden. Haftungsträger für beide Teilgesellschaften sind die Kommanditisten; s. IV. Im folgenden soll untersucht werden, wie weit sich diese Grundsätze nach geltendem Recht verwirklichen lassen.

III. Die Organisation der Einheitsgesellschaft 1. Die Zulässigkeit der Einheitsgesellschaft wird von Gonnella18 und Huber19 mit der Begründung verneint, sie führe zu einer der Keinmann-Gesellschaft rechtsähnlichen Situation, zu einer Gesellschaft ohne Gesellschafterversammlung. Diese Ansicht läßt den entscheidenden Unterschied der Keinmann-Gesellschaft zur Einheitsgesellschaft unberücksichtigt: Diese hat natürliche Personen als Gesellschafter, nämlich die Kommanditisten. Ausgangspunkt der Einwendungen gegen die Funktionsfähigkeit der Einheitsgesellschaft ist, daß die GmbH nicht in ihren eigenen Angelegenheiten tätig werden, nicht bei sich selbst die Gesellschafterrechte ausüben könne. Dieser Ausgangspunkt ist richtig. Die Rechtslage ist ähnlich wie bei eigenen Anteilen. Die Rechte hieraus müssen ruhen, sei es weil die Gesellschaft nicht an ihrer eigenen Willensbildung teilnehmen darf 20 , sei es weil sonst der Verwaltung (der Geschäftsführung der GmbH) ein Herrschaftsrecht ohne Einsatz von Kapital, und damit ein unberechtigter Machtzuwachs zufallen DB 65, 1165. Wie in Fußn. 9 S. 133 ff. 20 Barz, Großkomm. z. AktG § 71 Anm. 41 und Reg.Begr. zu dem Stimmreditsverbot aus eigenen Anteilen im Entw. z. e. GmbHG wie in Fußn. 16 S. 135. 18 19

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würde 21 . Könnte die G m b H durch Ausübung der Gesellschafterrechte autonom über sich bestimmen, so wären Maß und Ordnung der Einheitsgesellschaft auf den Kopf gestellt: Statt deren Instrument zu sein, wäre sie ihr Herrscher. 2. Ist der Ausgangspunkt — keine Rechte der G m b H bei sich selbst — zwar richtig, so ist die Folgerung daraus — Funktionsunfähigkeit — aber doch falsch. Ein Handeln für die Gesamthand unter Ausschluß des betroffenen Gesellschafters ist dem Personengesellschaftsrecht nicht fremd, vgl. die §§ 113 Abs. 2, 117, 127,140, 141 HGB. Bei der Einheitsgesellschaft ergibt sich aus der N a t u r der Sache, daß die eigentlichen und einzigen Herren der Gesellschaft, die Kommanditisten, auch die Rechte bei ihrem Geschäftsführungsorgan, der Komplementär-GmbH wahrzunehmen haben. Konstruktiv gibt es dazu zwei Wege: a) Der eine Weg ist, den Kommanditisten die Befugnis zur Vertretung der K G als Gesellschafterin der G m b H unter Ausschluß der Vertretungsbefugnis der G m b H zuzusprechen. Der Einwand, das verstoße gegen den zwingenden Charakter des § 170 HGB 2 2 , trifft mindestens hier nicht zu. Die Rechtslage ist ähnlich derjenigen beim Wegfall des einzigen Komplementärs. Zwar hat dies nicht wie dort 2 3 die Auflösung der Gesellschaft zur Folge, denn die Vertretungsbefugnis der Komplementär-GmbH im Rechtsverkehr mit Dritten bleibt bestehen, wohl aber tritt wie bei der Auflösung nach § 146 H G B die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Kommanditisten, beschränkt auf die Gesellschafterrechte bei der GmbH, ein. Im übrigen ist die These von dem zwingenden Charakter des § 170 H G B durch H . P. Westermanns Habilitationsschrift 2 4 stark ins Wanken geraten. Nach ihm ist die Vorschrift eine abdingbare Typregelung. Mit Recht weist er auf den Bruch in der herrschenden Meinung hin, die die Einräumung der Geschäftsführungsbefugnis an die Kommanditisten bis zur Ausschließlichkeit zuläßt, ihnen aber die 21 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden 1963 S. 132 und im Kölner Komm. z. AktG § 136 Anm. 68, Barz im Großkomm. z. AktG § 136 Anm. 13. 22 Huber wie in Fußn. 9 S. 139. 23 Vgl. Schilling im Großkomm. z. H G B § 177 Anm. 38, auch § 170 Anm. 7 a. 24 Wie in Fußn. 9 S. 257 ff. Die Zulässigkeit der Drittorgansdiaft bejaht auch Oldenburg in der Tübinger Dissertation: Fremdgeschäftsführung und -Vertretung in den Personengesellschaften, Göppingen 1973.

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Vertretungsbefugnis — die doch nur die Kehrseite ist — verweigert 25 . Auch der weitere Einwand gegen diese Konstruktion, sie verstoße gegen das Verbot der Abspaltung des Stimmrechts vom Geschäftsanteil 26 , trifft nicht zu. Das Stimmrecht wird nicht abgespalten, vielmehr ist die G m b H von der gesamthänderischen Mitberechtigung an den Gesellschafterrechten bei sich selbst ausgeschlossen. Auf das Abspaltungsverbot, das bei der G m b H noch zweifelhafter ist als bei der KG 2 7 , braucht daher nicht eingegangen zu werden. Die Vertretungsbefugnis der Kommanditisten muß, sofern der Kommanditgesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt, als Gesamtbefugnis angenommen werden. Dies ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 146, 150 HGB, Die Rechtslage ist auch ähnlich derjenigen beim Wegfall des einzigen vertretungsbefugten Gesellschafters einer o H G oder beim Wegfall von dessen Vertretungsbefugnis. In diesem Fall wird die Gesamtvertretungsbefugnis aller Gesellschafter angenommen 28 . Die der Ausübung der Vertretungsbefugnis zugrundeliegende Willensbildung der Gesellschafter erfolgt nach § 1 1 9 H G B oder nach den hiervon abweichenden Bestimmungen des Kommanditgesellschaftsvertrags, selbstverständlich auch hier ohne Mitwirkung der GmbH, also allein durch die Kommanditisten. b) Der andere Weg ist kühner, wird aber der der Einheitsgesellschaft innewohnenden Ordnung gerechter. Macht man mit der Einheit ernst, so handelt es sich bei den inneren Angelegenheiten der Komplement ä r - G m b H um Beziehungen der Gesellschafter untereinander im Sinne des Personengesellschaftsrechts. Es ist allgemeine Meinung, daß diese Beziehungen, das innere Verhältnis der Gesellschafter zueinander, nicht von der Vertretungsbefugnis umfaßt werden, sondern Angelegenheit aller Gesellschafter sind 29 . Dabei ist auch hier die G m b H aus den zu 1. genannten Gründen von der Wahrnehmung der Rechte bei sich selbst ausgeschlossen. Die Gesellschafterrechte bei der G m b H stehen vielmehr allein den Kommanditisten zu. Bei dieser Lösung handeln die Kommanditisten also nicht als Vertreter der Kommanditgesellschaft, sondern gewissermaßen gesamt25 Kritisch hierzu auch Dellmann, „Die Einräumung von Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnissen in Personenhandelsgesellschaften an gesellschaftsfremde Personen", Festgabe für Hengeler 1972 S. 65 (74). 26 Huber wie in Fußn. 9 S. 139. 27 Vgl. dazu Schilling im Großkomm. z. HGB § 161 Anm. 31 ff. 29 BGH 33, 108; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971 § 20 II 4 S. 289, Fischer in Großkomm. z. HGB § 125 Anm. 5. 29 RGZ 162, 374; Hueck § 20 III 1 c S. 293/4, Fischer § 114 Anm. 2 b, beide wie in Fußn. 28.

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handsintern aus je eigenem Recht. Die inneren Angelegenheiten der G m b H werden solche der KG. Ihr Maß und ihre Ordnung, die Willensbildung in der G m b H bestimmen sich nach dem Recht der KG. § 119 H G B oder an seine Stelle tretende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags der K G gelten auch für die Beschlüsse, die die Kommanditisten als Inhaber der Gesellschafterrechte bei der G m b H fassen. Die Gesellschafterversammlung der K G ist die Gesellschafterversammlung der G m b H . Deren Souveränität als oberstes Organ der G m b H bleibt gewahrt. Ihre Rechte und ihre Aufgaben (ihre Zuständigkeit) werden nicht auf Dritte oder auf ein anderes Organ übertragen, was bezüglich der Satzungsänderung und der Auflösung als unzulässig angesehen wird 3 0 . Ebensowenig entsteht das Problem der uneinheitlichen Stimmabgabe 31 , denn die Kommanditisten als eigentliche GmbH-Gesellschafter stimmen jeder für sich aus eigenem Recht ab. Als zwingende Bestimmungen bleiben die Formvorschrift und das Erfordernis der 3/4-Mehrheit des § 53 Abs. 2 G m b H G f ü r Änderungen des Gesellschafts Vertrags der G m b H . 3.

Beide zu 2) angebotenen Lösungen schützen die Kommanditisten auch gegen Eigenmächtigkeiten des Geschäftsführers der G m b H . a) Der Geschäftsführer der G m b H kann keine im Handelsregister eintragungsfähig und damit erst nach § 54 Abs. 3 G m b H G wirksam werdende Satzungsänderung beschließen. Das Handelsregister müßte die Eintragung ablehnen, weil die G m b H die K G entweder bei der Ausübung der Gesellschafterrechte nicht vertreten kann (Lösung 2 a) oder diese Gesellschafterrechte den Kommanditisten unmittelbar zustehen (Lösung 2 b). b) Der Geschäftsführer der G m b H kann auch nicht deren Geschäftsanteile an Dritte veräußern. Er würde damit die Grundlagen der Einheitsgesellschaft, nämlich ihren Besitz der Geschäftsanteile aufheben und damit ihren Status ändern, in ihre inneren Verhältnisse eingreifen. Das wird von der Vertretungsmacht der G m b H f ü r die K G nicht umfaßt 3 2 . Die Vertretungsbefugnis umfaßt die Veräußerung der Geschäftsanteile vielmehr ebensowenig wie die Veräußerung des gan30 Vgl. BGH 43, 261 (264); Schmidt-Goerdeler in Hachenburg Komm. z. GmbHG 6. Aufl. § 45 Anm. 46, 54. 31 Schmidt-Goerdeler a . a . O . § 4 7 Anm. 6 a; Ippen wie in Fußn. 15 S. 69 ff. m. weit. Nachw. 32 Knur in GmbH-Reform, Verlag Gehlen 1970 S. 183 Fußn. 73; s. auch die Zitate oben zu Fußn. 29.

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zen Unternehmens oder des ganzen Gesellschaftsvermögens 33 . gegenteilige Auffassung kann auch nicht mit dem Verkehrsschutz gründet werden, weil die Verbindung beider Gesellschaften Einheitsgesellschaft aus dem Handelsregister der K G und aus Gesellschafterliste der G m b H ersichtlich ist.

Die bezur der

IV. Der Gläubigerschutz Von den unter II 2 aufgestellten, sich aus Maß und Ordnung der Einheitsgesellschaft ergebenden Grundsätzen ist f ü r den Gläubigerschutz der zweite maßgeblich: Aufbringung und Erhaltung des Garantiekapitals beider Gesellschaften, also der Kommanditeinlagen und des Stammkapitals, dürfen durch Bildung und Bestehen der Einheitsgesellschaft nicht beeinträchtigt werden. Dabei sind die Kommanditisten auch als Haftungsträger der G m b H anzusehen. 1.

Der Erwerb der Geschäftsanteile der G m b H durch die KG, sei es von den Kommanditisten, sei es von Dritten, darf nur aus freiem, d. h. die Summe der Kommanditeinlagen übersteigendem Vermögen erfolgen. Das schließt die Belegung der Kommandit-Hafteinlagen durch die Geschäftsanteile aus. Soweit die Pflichteinlage 34 (die gesellschaftsvertraglich vereinbarte Einlage) die Hafteinlage (die eingetragene Haftsumme) übersteigt, können auf sie Geschäftsanteile eingebracht werden. Ebenso darf die KG, wenn sie die G m b H selbst gründet, die Stammeinlagen nur aus freiem Vermögen einzahlen. Die Gründe hierfür liegen auf der H a n d : Die Gläubiger der KG, denen die G m b H nach § 128 H G B unbeschränkt haftet, haben Anspruch auf Aufbringung und Erhaltung sowohl des G m b H - wie des Kommanditkapitals. Dieses kann nicht mit jenem belegt werden. Beide Haftungsmassen dürfen nicht „ineinandergerechnet" 35 , sondern müssen zusammengerechnet werden, müssen nebeneinander bestehen. Beide zusammen sind das H a f t k a p i t a l der Einheitsgesellschaft. Die Rechtslage ist also anders als beim Konzern. Hier wird in der Tat „ineinandergerechnet". Das Kapital der abhängigen Gesellschaft kann im Kapital der herrschenden (belegt durch das Beteiligungskonto) enthalten sein. Aber der Konzern ist keine Einheitsgesellschaft. Er unterliegt anderen Gesetzen als diese. Sein Maß und seine 33 34 35

Fischer wie in Fußn. 28 § 126 Anm. 3; RGZ 162, 370 (374). Vgl. Schilling wie in Fußn. 23 § 161 Anm. 12. Vgl. Barz wie in Fußn. 2 S. 466.

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Ordnung sind andere als die der Einheitsgesellschaft. Er ist nicht wie diese eine rechtliche Einheit mit zwei denselben Gläubigern haftenden Vermögensmassen. Es ergibt sich also, daß bei richtiger Betrachtung der in der GmbHReform vorgesehene § 172 Abs. 6 H G B 3 6 bereits geltendes Recht ist 37 . Mit Recht sagt Schmidt38, daß Einlage i. S. des § 171 Abs. 1 Halbs. 2 H G B nur eine Leistung ist, welche die den Gläubigern haftenden Vermögensmassen mehrt. Diese Mehrung ist nur gegeben, wenn die Kommanditeinlagen zum Stammkapital hinzukommen. Der geplante § 172 Abs. 6 H G B regelt im übrigen nur eine Teilfrage, nämlich die Einbringung der Geschäftsanteile als Kommanditeinlage. Dieselbe gläubigerschädliche Wirkung hat aber auch der originäre Erwerb, also die Einzahlung der Stammeinlage bei Gründung der GmbH durch die K G , oder der derivative durch Kauf der Geschäftsanteile, sei es von den Kommanditisten, sei es von Dritten, jeweils zu Lasten des Kommanditkapitals (also nicht aus freiem, das Haftkapital übersteigendem Vermögen). Auch ein solcher Erwerb ist mit der Natur der Einheitsgesellschaft nicht vereinbar. Er ist als Rückzahlung der Kommanditeinlage zu behandeln, die den Bestimmungen des § 172 Abs. 4 unterliegt 39 . Denn der Erwerb der Geschäftsanteile beruht auf dem Entschluß der Kommanditisten, eine Einheitsgesellschaft zu errichten, und zu ihren Gunsten, da sie als verantwortliche Haftungsträger das Kapital der Einheitsgesellschaft aufbringen müssen. 2. Streit besteht über die Frage, ob die K G teileingezahlte Geschäftsanteile erwerben darf 40 . Sie wurde bisher nur unter dem Aspekt einer analogen Anwendung des § 33 Abs. 1 GmbHG gesehen. Der Aspekt der Einheitsgesellschaft ist ein anderer. Von ihm aus ist gegen den Erwerb teileingezahlter Geschäftsanteile nichts einzuwenden (damit müssen die Gläubiger rechnen). Wird aber die restliche Einzahlung eingefordert, so haften die Kommanditisten der GmbH persönlich S. Fußn. 16. Ebenso Schäfer wie in Fußn. 5 S. 80 und Karsten Schmidt, Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung und Unterkapitalisierung bei der GmbH & Co, D B 73, S. 2227 (2231). 3 8 Wie in Fußn. 37. 39 B G H 47, 149 = L M § 172 N r . 5 m. Anm. von Robert Fischer; Schilling wie in Fußn. 23 § 1 7 2 Anm. 2 9 ; vgl. dazu audi Winkler, Die Haftungsverfassung der GmbH & Co (KG), N J W 69, 1009 (1012 unter II). 40 Bejahend Hesselmann, Handbuch der GmbH & Co, 14. Aufl. 1973 S. 219, Schmidt wie in Fußn. 37 S. 2 2 3 0 ; verneinend: Ippen wie Fußn. 15 S. 75 ff. (soweit die Einlage beim Erwerb durch die K G noch nicht rückständig war), Fetsch in Beilage z. D N o t Z 1969, 111 (119). 3e

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und gesamtschuldnerisch, soweit die Einlage nicht aus freiem (die Kommanditeinlagen übersteigendem) Vermögen der K G erbracht werden kann, vgl. unten 3 a). 3. Betrachten wir nun, wie sich der Grundsatz der Erhaltung des Haftkapitals der Einheitsgesellschaft auf den Schutz des zur Deckung des Stammkapitals der GmbH erforderlichen Vermögens (§ 30 GmbHG) auswirkt. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Zahlungen der GmbH zu Lasten dieses Vermögens an die K G (a) und solchen an die Kommanditisten (b) sowie Zahlungen der K G an die Kommanditisten, die das Stammkapital mittelbar beeinträchtigen (c). a) Zahlt die GmbH an die K G das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen (Deckungsmasse) aus, so ist ein unmittelbarer Anwendungsfall der §§ 30, 31 gegeben, da die K G ihr einziger Gesellschafter ist. Das gilt auch, wenn die GmbH zu Lasten der Deckungsmasse eine Kapitaleinlage bei der K G leistet. Zwar würde die GmbH eine Gegenleistung in Gestalt der Beteiligung bei der K G erhalten und ihre Kapitaleinlage würde neben den Kommanditeinlagen als Haftkapital den KG-Gläubigern zur Verfügung stehen. Aber eine solche Einlage wäre mit Maß und Ordnung der Einheitsgesellschaft nicht vereinbar. Diese verlangen vielmehr, daß die beiden Haftungsmassen, aus denen sich das Haftkapital der Einheitsgesellschaft zusammensetzt, unvermischt nebeneinander bestehen und jeweils den Gläubigern der GmbH und der K G , die verschieden sein können, zur Verfügung stehen 41 . Eine Kapitaleinlage der GmbH bei der K G kann daher nur aus freiem, die Deckungsmasse des § 30 übersteigendem Vermögen geleistet werden. Aus der der Einheitsgesellschaft innewohnenden Ordnung ergibt sich weiter, daß erstattungspflichtig nach § 31 GmbHG nicht nur die K G , sondern auch die Kommanditisten sind. Als Willensträger der Einheitsgesellschaft sind sie auch die Haftungsträger beider Teilgesellschaften. Für die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals haften sie neben der K G , und zwar nicht nach § 31 Abs. 3 GmbHG, sondern als für eine Verbindlichkeit der K G persönlich und gesamtschuldnerisch. Diese Haftung besteht auch dann, wenn ein Kommanditist seine Kommanditeinlage geleistet hat. Diese über § 171 H G B hinausgehende Haftung ergibt sich daraus, daß die Kommanditisten durch die Errichtung der Einheitsgesellschaft den Gläubigern ein 4 1 Ebenso mit ähnlicher Begründung Mertens wie in Fußn. 5 S. 1054 unter III. Man wird das übrigens nach dem Grundgedanken des § 30 audi für die gewöhnliche GmbH anzunehmen haben.

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Garantiekapital, bestehend aus den Kommanditeinlagen und dem Stammkapital versprochen haben 42 . b) Aus dem Vorstehenden ergibt sich schon, daß auch Zahlungen der G m b H an die Kommanditisten unter die Schutzvorschriften der §§ 30, 31 G m b H G fallen. Denn die Kommanditisten sind zwar nicht unmittelbar GmbH-Gesellschafter, sondern in ihrer gesamthänderischen Verbindung. So wie sie aber nach dem zu III 2 Gesagten die Willensträger der G m b H sind, müssen sie auch deren Haftungsträger sein, gleichgültig ob die Zahlung an die K G oder an die Kommanditisten erfolgt. Diese H a f t u n g ist die notwendige Kehrseite ihrer Herrschaft über die GmbH 4 3 . Die Kommanditisten der Einheitsgesellschaft müssen sich also haftungsmäßig als GmbH-Gesellschafter behandeln lassen und unterliegen in vollem Umfang dem § 31 GmbHG, auch dessen Abs. 3. c) Schließlich ist an den Fall zu denken, daß durch Leistungen aus dem KG-Vermögen die Deckungsmasse des Stammkapitals der G m b H beeinträchtigt wird. Er bietet f ü r die Einheitsgesellschaft gegenüber der gewöhnlichen G m b H & Co keine Besonderheiten. Er zeigt aber schon für die gewöhnliche G m b H & Co, wie sehr die Haftungsvorschriften beider Gesellschaften miteinander verzahnt sind. Sie müssen so miteinander kombiniert werden, daß sie der besonderen Rechtsnatur der G m b H & Co gerecht werden und dem Schutz der Gläubiger beider Gesellschaften dienen. Das BGH-Urteil vom 29. 3. 1973 44 ist ein wichtiger Beitrag hierzu. Danach verstößt eine Zahlung der K G an den Kommanditisten, der zugleich der G m b H angehört, auch dann gegen § 30 Abs. 1 G m b H G , wenn hierdurch mittelbar das Vermögen der G m b H unter den Nennwert des Stammkapitals herabsinkt. Wichtig ist das Urteil f ü r die Einheitsgesellschaft vor allem deshalb, weil es Ansätze zeigt zu einer Behandlung beider Gesellschaften als Haftungseinheit, in der entschiedenen Sache beschränkt auf den Fall 42 Demgegenüber nimmt Eltermann (wie in Fußn. 15) nur eine auf die Einlage beschränkte Haftung der Kommanditisten an. Er sieht in der von Ippen (s. Fußn. 15) vertretenen haftungsmäßigen Behandlung der Kommanditisten als GmbHGesellschafter einen unauflöslichen Widerspruch zur Eigenständigkeit der KG gegenüber den Kommanditisten und hält deshalb die Einheitsgesellschaft überhaupt für unzulässig. Ich glaube, diese Meinung mit dem hier vorgelegten Aufsatz widerlegt zu haben. 43 Hunscha, Die Anwendung der §§ 30 Abs. 1, 31 GmbHG auf Zahlungen der GmbH & Co KG an ihre Kommanditisten, GmbH-Rdsch. 73, 257 (260), bejaht auch bei der gewöhnlichen GmbH & Co die Anwendung der §§ 30, 31 auf Zahlungen der GmbH an Kommanditisten, die nicht GmbH-Gesellschafter sind. 44 II ZR 25/70, N J W 73, 1036 = GmbH-Rdsch. 73, 163 = WM 73, 507 = BB 73, 580 = DB 73, 916.

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der Uberschuldung beider Gesellschaften. Schon Kuhn hat darauf hingewiesen 45 , daß beide Gesellschaften für die Frage der Anwendbarkeit des Prinzips der Erhaltung des Stammkapitals als eine Einheit behandelt werden müssen. U n d Fischer46 hat bemerkt, die Verwendung der Rechtsfigur der G m b H & Co dürfe nicht dazu führen, die Schutzvorschriften des § 3 0 G m b H und des § 1 7 2 Abs. 4 H G B , die entweder nur auf die G m b H oder nur auf die K G zugeschnitten sind, durch eine Kombination beider Gesellschaftsformen zu umgehen. Weiter in diese Richtung führen auch die beiden Aufsätze von Karsten Schmidt47 und Hunschaia, die sich mit dem BGH-Urteil und seinen Konsequenzen befassen. Schmidt (unter IV 2 b) sagt, man müsse sich über das im Ausgangspunkt gebotene Trennungsdenken — hier K G , dort G m b H — vorsichtig hinwegsetzen, wo das Auseinanderhalten von Rechtsform und Unternehmensträgerschaft dies erfordere. Das ist auch ein unternehmensrechtlicher Hinweis, denn wir haben es bei der G m b H & Co mit zwei Gesellschaftsformen für ein Unternehmen zu tun. Die Bemerkung von Schmidt gilt für die gewöhnliche G m b H & Co. Bei der Einheitsgesellschaft wird man nicht das Trennungsdenken, sondern den Einheitsgedanken zum Ausgangspunkt nehmen und die Trennung nur dann beibehalten müssen, wo es im Gläubigerinteresse erforderlich ist. Hunscha (unter I I I 2 b) befürwortet die Vertauschbarkeit der Gläubigerschutz-Prinzipien beider Gesellschaftsformen. Er weist im übrigen — mit Recht — darauf hin, daß die G m b H nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung (vgl. § 157 Abs. 7 AktG) gegebenenfalls Rückstellungen bilden muß zur Abdeckung der Risiken aus ihrer unbeschränkten H a f t u n g für die KG-Verbindlichkeiten. Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen i. S. des § 30 muß unter Beachtung dieser Rückstellungspflicht errechnet werden.

V. Schlußbemerkung Der vorstehende Versuch, das geltende Recht nach der der Einheitsgesellschaft innewohnenden Ordnung auszulegen, soll nicht dazu verführen, bei der Vertragsgestaltung auf Bestimmungen zu verzichten, die im Rahmen der für beide Gesellschaften geltenden Vertragsfrei4 5 H a f t u n g s p r o b l e m e bei der G m b H & C o , Ehrengabe f ü r B r u n o Hensinger 1968, 203 ( 2 1 5 ) ; vgl. auch Kuhn, Konkursrechtliche Probleme bei der G m b H & C o K G , Festschrift für Schilling 1973, 69. 4 8 Wie in Fußn. 39. 4 7 Wie in Fußn. 37. 4 8 Wie in Fußn. 43.

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heit die inneren Verhältnisse im einzelnen regeln. Es handelt sich um einen Schritt ins Neuland, von dem ich hoffe, daß er Nachfolger findet. Folgt man auch meiner Meinung, daß die GmbH bei sich selbst von der Wahrnehmung der Gesellschafterrechte ausgeschlossen ist und diese den Kommanditisten aus eigenem Recht zustehen (oben I I I 2 b), so wird man dies doch in der Satzung der GmbH verankern müssen, indem man dort den Kommanditisten die Gesellschafterrechte zuweist und ihr Stimmrecht entsprechend dem KG-Vertrag regelt. Man wird zweckmäßigerweise und der Natur der Einheitsgesellschaft entsprechend der GmbH überhaupt das Stimmrecht in der K G versagen und sie auch vom Gewinn (soweit es steuerlich zulässig ist 49 ) und vom Verlust ausschließen. Gegen beides werden Bedenken geltend gemacht. Schultze-Osterloh50 sieht den gemeinsamen Zweck nur als gegeben an, wenn die Beteiligten sowohl am Gewinn als auch am Verlust beteiligt sind. Aber als Beteiligte sind hier nur die Kommanditisten anzusehen. Ihr Zweck ist auch der Zweck der GmbH. Weber-Jansen51 fürchten, daß ein Ausschluß der GmbH von der Verlusttragung zu einer unbeschränkten Haftung der Kommanditisten führen müsse. Sie meinen, ein Verlustausschluß sei nur dann ernst gemeint und steuerlich beachtlich, wenn damit ein Haftungsausschluß im Innenverhältnis mit der Folge eines dem Gläubigerzugriff offenstehenden Freistellungsanspruchs der GmbH gegen die Kommanditisten bezweckt sei. Mit einer solchen Auslegung wird aber dem Willen der Kommanditisten Zwang angetan. Diese wollen mit dem Verlustausschluß nicht die unbeschränkte Haftung der Komplementär-GmbH im Innenverhältnis aufheben und sie übernehmen. Verlustausschluß und Haftungsausschluß sind ebensowenig gleichzusetzen wie die gesellschaftsvertragliche (interne) Verlustverteilung mit der Haftung nach außen. Sind der Komplementär und der Kommanditist mit je 50 % am Verlust beteiligt, so haftet doch der Komplementär nach außen voll, der Kommanditist auf seine Einlage beschränkt. Hat er diese geleistet, so hat der Komplementär keinen Ausgleichsanspruch gegen ihn. Die beschränkte Haftung schlägt auch im Innenverhältnis durch 52 . 4 9 Vgl. insbesondere das Grundsatzurteil Β F H v. 1 5 . 1 1 . 6 7 BStBl. 1968 II 152, abgedruckt bei Hesselmann wie in Fußn. 40 S. 245. 5 0 Der gemeinsame Zweck der Personengesellschaften 1973 S. 66. 5 1 Unbeschränkt haftende Kommanditisten in der GmbH & Co K G N J W 71, 1678; ebenso Klamroth BB 72, 428. 5 2 Ebenso Huber wie in Fußn. 9 S. 308, Heime-Kieker N J W 72, 4 2 7 ; Ganssmüller N J W 72, 1 0 3 4 ; Schmidt GmbH-Rdsdi 73, 2 2 2 8 ; Schilling wie in Fußn. 23 § 167 Anm. 14, § 168 Anm. 7, vgl. audi § 177 Anm. 35, 48.

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Bleibt also den Vertragsgestaltern die bei der GmbH & Co besonders zu beachtende Sorgfaltspflicht aufgebürdet, so könnten die vorstehenden Gedanken doch bei Mängeln und Lücken der Gesellschaftsverträge einer Einheitsgesellschaft und bei Haftungsfragen eine Auslegungshilfe i. S. der oben I I 2 zitierten Ausführungen von Dernburg sein. Dabei ist die Natur des Lebensverhältnisses „Einheitsgesellschaft" und die ihm innewohnende Ordnung hier nicht als Rechtsquelle im Sinne eines normativen Tatbestands 53 herangezogen worden, wovor Engisch5, der die Dernburgsche Formel verführerisch nennt, warnt. Vielmehr ergab sich, daß eine teleologische Auslegung des geltenden Rechts unter dem Gesichtspunkt der Natur der Sache genügt, um zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen. Ich hoffe also, der „Verführung" Dernburgs nicht erlegen zu sein.

53 So Larenz in Festschr. f. A. Nikisch 1958 S. 288, s. audi dens. Methodenlelire der Rechtswissenschaft 2. Aufl. 1969 S. 389; zu dem Aufsatz von Larenz kritisch Engisch, Auf der Sudle nach der Gerechtigkeit — Hauptthemen der Rechtsphilosophie 1971 S. 237. 5 4 wie Fußn. 53.

Ausgleichsansprüche des Kommanditisten, dessen Haftsumme die Pflichteinlage übersteigt, bei Inanspruchnahme von Gläubigern der K G HARRY WESTERMANN

Die H a f t u n g des Kommanditisten wirft trotz des Alters des diesbezüglichen Rechts und seiner großen praktischen Bedeutung immer noch bedeutende Zweifelsfragen auf, wie insbesondere die auffällige Zahl höchstrichterlicher Entscheidungen und der literarischen Äußerungen 1 zum Recht der K G deutlich macht. Bisher sind Fragen, die aus der Unterschiedlichkeit von H a f t s u m m e und Pflichteinlage erwachsen, noch nicht aufgeworfen worden. D a s kann aber bald anders werden, zumal ζ. B. die sog. Abschreibungsgesellschaften zum Teil dazu übergehen, gesellschaftsrechtlich die Pflichteinlage höher zu bemessen als die Haftsumme 2 . Unabhängig von der evtl. praktischen Bedeutung ist das Thema interessant, da es zu grundsätzlichen Fragen führt. Die spezielle Problematik ergibt sich u. a. daraus, daß das Gesetz die Unterscheidung von H a f t s u m m e und Pflichteinlage nicht kennt. Diese hat sich vielmehr auf Grund der gesellschaftsrechtlichen Autonomie entwickelt. D a soweit eine gesetzliche Regelung fehlt, müssen — das ist das dogmatisch Interessante an dem zu behandelnden Gegenstand — die Fragen mittels der speziellen Prinzipien des Rechts der K G und notfalls mittels allgemeiner Grundsätze gelöst werden.

I. Haftsumme und Pflichteinlage 1.

a) §§ 161 ff. 3 sprechen nur von „Einlage" (§ 161 Abs. 1 von „Vermögenseinlage"), die nach §§ 161, 171, 172, 174, 175 „der Betrag ist, 1 Vgl. außer den in der folgenden Untersuchung zitierten Entscheidungen noch B G H 51, 391: Anrechnung der Einbringung einer Forderung gegen die K G durch Aufrechnung als Einlage auf die H a f t s u m m e ; B G H 59, 179 mit Fortsetzung in B G H N J W 73, 1691 ff.: Haftungsverhältnisse bei einer K G , die ein Bauunternehmen übernimmt, vor Eintragung der K G ; zugleich Stellungnahme zur H a f t u n g bei der Scheinhandelsgesellschaft als K G , vgl. d a z u Fischer N J W 73, 2188; B G H 60, 3 2 4 : Zur Frage, wie der Kommanditist haftet, wenn er nicht nur den Betrag der H a f t s u m m e , sondern darüber hinaus aus der K G entnimmt. 2 D a s ist wohl in dem Wunsch begründet, bei Liquiditätsüberschüssen den die H a f t s u m m e übersteigenden Teil der Pflichteinlage ohne G e f a h r e n aus § 172 Abs. 4 zurückgewähren zu können. 3 P a r a g r a p h e n ohne besondere A n g a b e sind P a r a g r a p h e n des H G B .

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bis zu dem der Kommanditist den Gläubigern der Gesellschaft haftet". Diese Abstellung auf die Haftung im Außenverhältnis wird besser mit dem Terminus „Haftsumme" ausgedrückt; es kommt nämlich für die angeführten §§ nicht darauf an, was „eingelegt oder eingebracht" ist oder eingebracht werden soll, sondern auf die Bestimmung der Haftung. Dafür ist nach § 172 Abs. 1 allein die Eintragung im Handelsregister maßgebend (ausgenommen bei nachträglicher Erhöhung der Haftsumme, die den Gläubigern gegenüber auch durch handelsübliche Kundmachung oder besondere Mitteilung geschaffen werden kann). Die Eintragung im Handelsregister ist also im doppelten Sinne konstitutiv: nur mittels Eintragung4 ist die aus der gesamthänderischen Beteiligung des Kommanditisten folgende unbeschränkte Haftung überhaupt, und zwar auf den Betrag der Haftsumme zu beschränken5. Die Kundgabe, die in der Eintragung liegt, ist Mittel der Haftungsbeschränkung6. Für das Verhältnis zwischen den Kommanditisten und der K G und/oder ihren Gesellschaftern sagt die Haftsumme grundsätzlich nichts aus. Sie ist insbesondere bei Bestimmung des Kapitalanteils nicht mitzurechnen. Angesichts der für das Innenverhältnis praktisch unbeschränkten Autonomie kann aber der Gesellschaftsvertrag an die Haftsumme gesellschaftsrechtliche Folgen knüpfen, ζ. B. eine im Vergleich zu anderen Gesellschaftern erhöhte Haftsumme wegen der durch sie begründeten Haftung mit einem zusätzlichen Gewinnbezugsrecht ausgleichen. Ohne derartige gesellschaftsrechtliche Vereinbarung bleibt aber die besondere Haftungsübernahme ohne Entgelt 7 . b) Der Haftsumme als Betrag der Haftung des Kommanditisten gegenüber den Gläubigern der K G steht die Einlage gegenüber; sie ist zu verstehen als das, was der Gesellschafter auf Grund des Gesellschaftsvertrages als seinen Beitrag zur Erreichung des Gesellschafts-

4 Ob die Eintragung als Kommanditist ohne Angabe des Höchstbetrages der Haftung, also ohne Haftsumme, haftungsbegrenzend wirkt, ist streitig, vgl. dazu die Einzelheiten bei W estermann, Handbuch der Personengesellschaften I, Rz. 909. 5 Die Eintragung wirkt materiell-rechtlich, nicht nur im Rahmen des § 15, vgl. R G R K (Weipert) zum H G B zu § 172 Anm. 4. Nur für den Fall, daß die vom Gesellschaftsvertrag abweichende Eintragung nicht angemeldet ist, wird eine Abschwächung zum Gutglaubenssdiutz angenommen, vgl. Baumbach-Hueck zu § 173 Anm. 1 A. β Vgl. dazu R G R K (Weipert) zum H G B zu § 164 Anm. 15; H . P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellsdiaften, S. 287 m. w. Nadiw. 7 Vgl. zu der insoweit gleichliegenden Haftungsübernahme gegenüber Dritten B G H N J W 73, 2101.

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zwecks in das Gesellschaftsvermögen tatsächlich eingelegt hat 8 . Die Einlage nach Maßgabe ihrer gesellschaftsvertraglichen Bewertung ergibt den ursprünglichen Kapitalanteil. Was eingebracht werden muß (Pflichteinlage), bestimmt der Gesellschaftsvertrag bezüglich Summe, Art und Fälligkeit der Leistung. Es gilt, da es sich ausschließlich um das Innenverhältnis handelt, die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit. Das bezieht sich auch auf die Bewertung des Eingebrachten; es muß sich aber um bilanzierungsfähige Güter handeln. Der von der Einlage beeinflußte Kapitalanteil bestimmt i. d. R. weitgehend den Anteil des Gesellschafters am Gewinn und Verlust, am Liquidationserlös, bei der körperschaftlich strukturierten K G auch das Stimmrecht usw., ist also f ü r das Gesellschaftsverhältnis sehr bedeutsam. 2.

a) Haftsumme, Einlage und Pflichteinlage sind danach begrifflich zu unterscheiden; in der Praxis setzt aber der Gesellschaftsvertrag die Haftsumme und die Pflichteinlage i. a. R. in gleicher Höhe fest. Die Einlage bestimmt sich nach dem Wert des tatsächlich Eingebrachten. Weiterhin hängen Haftsumme und Einlage dadurch eng zusammen, daß die Einlage (in der f ü r die Haftsumme kennzeichnenden Bewertung) die H a f t u n g beschränkt. b) Haftsumme und Pflichteinlage können aber verschieden sein, sei es, daß die Haftsumme die Pflichteinlage übersteigt oder hinter ihr zurückbleibt. Das kann als Ergebnis gesellschaftsvertraglicher Regelung gewollt sein oder aus mancherlei anderen Gründen folgen. Auch bei Verschiedenheit von Einlage, Pflichteinlage und H a f t summe hat der Kommanditist nur einen einheitlichen Kapitalanteil. Z . B . : Die Pflichteinlage von 100 000,— D M ist geleistet, im Handelsregister ist eine Haftsumme von 50 000,— D M eingetragen. Die Einlage und der Kapitalanteil betragen 100 000,— D M (vom Nennwert abweichende Bewertung von Geldeinlagen ist möglich, aber wohl nur bei A u f n a h m e weiterer Gesellschafter als Ausgleich f ü r die Anwachsung des Anteils am Gesellschaftsvermögen einschließlich stiller Reserven praktisch, was die Bewertung als Einlage angeht. Die anderweitige Festsetzung der H a f t s u m m e ist dadurch nicht ausgeschlossen).

8 Die Terminologie wechselt: von Hafteinlage und Pflichteinlage sprechen Schlegelberger-Geßler zu § 1 6 1 Anm. 10; Ritter H G B zu § 1 6 1 Anm. 4 b. Von Einlage und Haftsumme sprechen Baumbach-Duden zu § 1 6 1 6 a; Schilling zu § 1 6 1 Anm. 12. Vgl. audi RGZ 150, 163 (171); 163, 385 (388).

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Es gibt nicht etwa einen der Haftsumme und einen weiteren, der Pflichteinlage entsprechenden Kapitalanteil. Das ist insbesondere wegen § 172 Abs. 4 bedeutungsvoll. c) Die Gründe der Unterschiedlichkeit von Haftsumme und Pflichteinlage sind zahlreich, so daß hier nur eine Übersicht gegeben werden soll. aa) Setzt der Gesellschaf tsvertrag nur eine Einlage fest und wird ihr Betrag im Handelsregister eingetragen, sind damit die Haftsumme und Pflichteinlage festgesetzt. Gewollte Unterschiedlichkeit von Haftsumme und Pflichteinlage wird i. a. R. im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich vereinbart werden; f ü r die Haftsumme als Mittel der Haftungsbeschränkung ist die Eintragung im Handelsregister entscheidend, nur f ü r die nachträgliche Erhöhung reicht handelsübliche Kundgabe oder besondere Mitteilung aus. Melden die Gesellschafter (alle Gesellschafter haben die Gesellschaft mit den in § 162 aufgeführten Angaben anzumelden, vgl. § 161 Abs. 3 i. V. m. § 108) eine von der Pflichteinlage abweichende Haftsumme an, so kann darin eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung liegen. Bei unterschiedlicher Bestimmung von Haftsumme und Pflichteinlage im Gesellschaftsvertrag kann jeder Gesellschafter die entsprechende Gestaltung des Außen- und Innenverhältnisses fordern. Insbesondere kann jeder Gesellschafter von den anderen verlangen, daß sie bei der Änderung einer von der Vereinbarung abweichenden Eintragung der Haftsumme im Handelsregister mitwirken. Ohne besondere gesellschaftsvertragliche Bestimmung hat die Unterschiedlichkeit von Haftsumme und Pflichteinlage keine innergesellschaftsrechtliche Bedeutung (vgl. oben I 1 a). bb) Wird die Sacheinlage von den Gesellschaftern überbewertet, ist der im Handelsregister eingetragene Betrag die Haftsumme; den Gläubigern gegenüber ist die haftungsbefreiende Einlage nur im objektiven Wert des Eingebrachten geleistet 9 . Dabei ist es gleichgültig, ob den Gesellschaftern der Wertunterschied bekannt oder erkennbar war; das Gläubigerinteresse geht dem Interesse des Kommanditisten vor, nicht über die versprochene Einlage und ihre vertragliche Bewertung hinaus haften zu müssen. In der den Gesellschaftern bewußten Uberbewertung der Einlage ist i. a. R. eine Bestimmung der Pflichteinlage und ihrer Bewertung für den Kapitalanteil zu sehen. Der — wohl recht seltenen — bewußten Uberbewertung des Einzubringenden steht es gleich, wenn die » Vgl. B G H 39, 318 (330); Schilling zu § 171 Anm. 13; Westermann, I Rz. 917, 925.

Handbuch

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Gesellschafter bei ersichtlichen Schwierigkeiten, den wirklichen Wert zu bestimmen, und folglichen Zweifeln, einen festen Betrag als W e r t einsetzen, der sich später als zu hoch erweist. Für das Innenverhältnis der Gesellschafter zueinander kann weder eine weitere Einlage gefordert werden, noch muß der betroffene Gesellschafter dulden, daß sein Kapitalanteil herabgesetzt wird. Gehen die Gesellschafter zu Unrecht davon aus, die vertragliche Bewertung entspreche dem wirklichen Wert des Einzubringenden, ist ggf. nach § 493 B G B eine den Besonderheiten des Gesellschaftsverhältnisses anzupassende Sach- und Rechtsmängelhaftung gegeben 10 . In Ausnahmefällen kann bei erheblichen Wertunterschieden eine Anpassungspflicht des begünstigten Gesellschafters auf Grund der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht bestehen, auch wenn ein Sach- oder Rechtsmangel im technischen Sinn nicht vorliegt. Bei Unterbewertung von Sacheinlagen (praktisch ζ. B. bei Einbringung zum Buchwert) ist für die Haftsumme der wirkliche Wert des Geleisteten maßgebend, und zwar auch bei nachträglicher Erhöhung der Haftsumme 1 1 . cc) Durch Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern kann die Pflichteinlage herabgesetzt werden; Minderung der Haftsumme wird nicht dadurch, sondern nur durch Erfüllung des Tatbestandes des § 1 7 4 (Eintragung im Handelsregister ohne rückwirkende K r a f t ) bewirkt. Diese Verschiedenheit von Außen- und Innenverhältnis ist ein weiterer Grund für das Auseinanderfallen von Pflichteinlage und Haftsumme. Die Abgrenzung einer Rückzahlung der Einlage von anderen Leistungen, insbesondere aus dem Privatvermögen eines Gesellschafters, ist nicht immer einfach. Entscheidend ist die Minderung des Gesellschaftsvermögens und der Zufluß bei den Kommanditisten auf Grund seiner Einlage. Dieser Tatbestand kann auch erfüllt sein, wenn ein Dritter für die Rechnung der Gesellschaft leistet 1 2 . Vgl. Westermann, Handbuch I R z . 2 6 6 . R G 150, 1 6 3 ; Westermann, Handbuch I R z . 9 2 5 ; ausführlich Schilling zu § 171 Anm. 1 8 ; Felix N J W 73, 4 5 1 . Schlegelberger-Geßler zu § 171 Anm. 13 will bei nachträglicher Erhöhung darauf abstellen, ob die Gesellschafter die Einlagepflicht oder auch die Haftsumme erhöhen wollen. 1 2 Grundsätzlich läßt nur eine Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen auf die Einlage die H a f t u n g wieder aufleben. Leistungen aus dem nicht gesamthänderisch gebundenen Vermögen auch des persönlich haftenden Gesellschafters mögen zwar die Zugriffsmöglichkeit auf das Privatvermögen schwächen, fallen aber nicht unter § 172 Abs. 4. Diese Ansicht beruht auf der Überzeugung, daß den Gläubigern einer Personenhandelsgesellschaft nur der Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen und der auf das jeweilige Privatvermögen der Gesellschafter nach Maßgabe des jeweiligen Haftungsrechts zusteht, dieses Privatvermögen aber eben nicht gesellschaftsrechtlich gebunden ist. Aus dieser Überlegung ergibt sich die Ansicht von 10

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dd) In den unter aa) bis cc) aufgeführten Gruppen hat der Kommanditist verantwortlich an der unterschiedlichen Bestimmung von Haftsumme und Pflichteinlage mitgewirkt; denn auch durch die Bewertung der Sacheinlagen übernimmt der Kommanditist das Risiko, daß ihr wirklicher Wert die Haftsumme nicht erreicht. Da § 172 der Eintragung der Haftsumme im Handelsregister materielle Bedeutung zumißt, bestimmt auch die durch keinerlei Vereinbarung gedeckte Eintragung die Haftsumme. Nach dem Text des § 1 7 2 ist die Eintragung auch dann maßgebend, wenn sie von der Anmeldung abweicht13. Weitgehend wird die Ansicht vertreten, auf die „unrichtige Eintragung der Haftsumme" könne sich nur der gutgläubige Dritte berufen14. Diese Ansicht führt zu einer gewissen „Relativierung der Haftsumme" mit einer Unterschiedlichkeit von Pflichteinlage und Haftsumme und einer Verschiedenheit der Haftsumme gegenüber gutgläubigen Dritten und anderen.

II. Einzelheiten zum Ausgleichsanspruch 1.

Ausgangspunkt für die Untersuchung evtl. Ausgleichsansprüche des Kommanditisten, der einem Gläubiger der K G auf Grund der die Pflichteinlage übersteigenden Haftsumme befriedigt hat, ist, daß der Kommanditist mehr geleistet hat, als er nach dem Gesellschaftsvertrag zu leisten hatte. Das Gesellschaftsvermögen ist durch den Wegfall der Schuld gegenüber dem Gläubiger vermehrt, das Vermögen des Kommanditisten um das Geleistete geringer geworden. B G H N J W 73, 1678, daß dann, wenn die gesamthänderische Bindung und damit die Trennung des Privatvermögens des Gesellschafters und des Gesellsdiaftsvermögens entfällt, ein anderer Standpunkt am Platz ist. Die Entscheidung hat daher bei Abfindungszahlungen aus dem Vermögen des persönlich haftenden Gesellschafters an den Kommanditisten Rückgewähr der Einlage angenommen, wenn die Abfindung im Zusammenhang mit der Übernahme des Unternehmens durch den persönlich haftenden Gesellschafter geschieht, weil dadurch der persönlich haftende Gesellschafter zum Alleininhaber des Unternehmens und damit des früheren Gesellschaftsvermögens geworden ist. 1 3 Ein solcher Fall ist angesichts der Anmeldung durch alle Gesellschafter, vgl. § 108, praktisch wohl nur als Folge eines Versehens des Registerführers möglich. 1 4 Vgl. Scblegelberger-Geβ 1er zu § 176 Anm. 3 ; Westermann, Handbuch I Rz. 913 (jeweils m. w. Nachw.); a. M. Heymann-Kötter zu § 172 Anm. 1; R G R K (Weipert) zum H G B zu § 172 Anm. 4. Insoweit kommt es für die h. M. auf die Neufassung des § 15 Abs. 3 nicht an. Bedeutungsvoll kann die Neufassung aber werden, wenn — entgegen § 162 Abs. 2 — eine der Anmeldung und Eintragung nicht entsprechende Haftsumme bekanntgemacht wird, vgl. dazu Heymann-Kötter zu § 172 Anm. 1.

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a) Die Haftsumme, auf die der Kommanditist leisten mußte, bestimmt das Außenverhältnis. Auch wenn die Unterschiedlichkeit von Pflichteinlage und Haftsumme im Gesellschaftsvertrag vereinbart worden ist, hat die K G keinen Anspruch darauf, daß der Kommanditist den Gläubiger befriedigt. Die Vereinbarung der die Pflichteinlage übersteigenden Haftsumme begründet nämlich auch in bezug auf das Innenverhältnis nur die Haftungsübernahme nach außen, sie bedeutet keine „bedingte Pflichteinlage". b) Die gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit läßt aber die Abrede zu, daß der Kommanditist unter bestimmten Umständen (ζ. B. drohende Illiquidität der KG, Fehlschlagen eines bestimmten Geschäfts oder schlechthin bei Inanspruchnahme durch einen Gläubiger der KG) der K G gegenüber zur Leistung an den Gläubiger verpflichtet sein soll. Das beinhaltet eine — durch den Eintritt des betreffenden Umstandes — bedingte Einlagepflicht. Mit der Befriedigung des Gläubigers erhöht sich die Einlage des Kommanditisten in Höhe der getilgten Schuld15, für einen Ausgleichsanspruch des Kommanditisten ist ebensowenig Raum, als wenn er unbedingt die Befriedigung eines Gläubigers als Einlage versprochen hätte. Diese bedingte Einlagepflicht ist aber, wie gesagt, Folge einer besonderen Vereinbarung, das bloße, wenn auch bewußt herbeigeführte Übersteigen der Haftsumme über die Pflichteinlage reicht dazu nicht aus. Eine besondere Form ist für die Vereinbarung nicht erforderlich. Der entsprechende Vertragswille kann auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden oder durch Auslegung der auf die Haftsumme bezogenen Erklärung festgestellt werden. Anhaltspunkte für die Auslegung können, wie immer, alle den Gesellschaftern bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages ersichtlichen U m s t ä n d e sein. Dabei kann die A r t , wie die überschießende H a f t s u m m e vereinbart w o r d e n ist, bedeutungsvoll sein. Es liegt z. B . m. E . nahe, bei einer v o n dem Gesellschafter als möglich erkannten Uberbewertung der Sacheinlage eine Pflicht des K o m m a n d i t i s t e n anzunehmen, bei Inanspruchnahme durch den Gläubiger die Einlage durch Befriedigung des Gläubigers bis zur H a f t s u m m e zu ergänzen. Ähnlich k a n n es bei Rückzahlung der E i n 1 6 Daß in einem Fall der Vereinbarung der Befriedigung des Gläubigers durdi den Kommanditisten mit der Befriedigung des Gläubigers der Kommanditist unmittelbar seine Einlage leistet, ist allgemein anerkannt; vgl. RG 63, 265; Schilling zu § 1 7 1 Anm. 2 0 ; Westermann, Handbuch I Rz. 922. Ohne eine solche Vereinbarung erhält der Kommanditist einen Ersatzanspruch gegen die KG, mit dem er gegen eine auf Geld gerichtete Einlagepflicht aufrechnen kann, Schilling zu § 171 Anm. 27.

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läge liegen. Aber auch in den Fällen naheliegender bedingter Pflichteinlagen müssen Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen der Gesellschafter festgestellt werden, wenn diese Alternative angenommen werden soll.

Ist eine bedingte Pflichteinlage nicht vereinbart worden, liegt die Frage nach einem Ausgleichsanspruch des Kommanditisten, der auf die überschießende Haftsumme geleistet hat (im Folgenden „zahlender Kommanditist" genannt), besonders nahe, da die Zahlung des Kommanditisten eine im Gesellschaftsvertrag nicht vorgesehene Leistung bedeutet, die i. a. R. den zahlenden Kommanditisten im Verhältnis zu den übrigen Gesellschaftern ungleich belastet. 2.

Wie im Regelfall der Identität von Pflichteinlage und Haftsumme ist zwischen dem Ausgleichsanspruch gegen die K G und gegen die anderen Gesellschafter zu unterscheiden. a) Der Ersatzanspruch gegen die KG liegt näher als der gegen die anderen Gesellschafter: er trifft angesichts der Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen nicht den einzelnen Gesellschafter persönlich, sondern alle in und nach Maßgabe der Beteiligung an der Gesellschaft und damit am Gesellschaftsvermögen; die u. U. schwierige Inhaltsbestimmung des Anspruchs nach der Verlustbeteiligung der zum Ausgleich verpflichteten Gesellschafter und evtl. Ausgleichsansprüche gegen weitere Gesellschafter entfallen. Es gilt daher der Grundsatz der Subsidiarität des Ausgleichsanspruchs gegen andere Gesellschafter gegenüber der Möglichkeit der Befriedigung des zahlenden Kommanditisten aus dem Gesellschaftsvermögen 16 . Der Grundsatz ist, wie die gesamte Lehre vom Ausgleich zwischen dem zahlenden Gesellschafter und der Gesellschaft und den anderen Gesellschaftern im Recht der O H G entwickelt worden. b) Die konstruktive

Grundlage ist nach der h. M. § 110 17 .

Die Anwendung des § 110 ist nicht immer zweifelsfrei. Man kann in 18 D i e Rechtsprechung z u m A H G B leugnete ü b e r h a u p t Ansprüche der G e s e l l schafter gegen andere Gesellschafter bei Bestehen der Gesellschaft, v g l . R G 31, 1 4 1 ; 59, 143. D i e heute absolut herrschende Ansicht v o n der Subsidiarität der Ansprüche gegen die anderen Gesellschafter (vgl. statt aller B G H 37, 2 9 9 ( 3 0 2 ) ; Prediger B B 70, 8 6 8 ; a. M . Buchner A c P 169, 4 8 3 , 5 0 6 ) außer in den o b e n a n g e f ü h r t e n Gesichtspunkten der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht begründet, die es verbietet, den e i n z e l n e n Gesellschafter in Anspruch z u n e h m e n , w e n n der Zugriff auf das G e s e l l s c h a f t s v e r m ö g e n E r f o l g verspricht. 17 V g l . Fischer z u § 110 A n m . 3 ; Schilling z u § 171 A n m . 2 7 ; Hueck, Recht der O H G § 15 I I 1. B G H 37, 2 9 9 (301) geht v o n der A n w e n d b a r k e i t des § 110 als

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der H a f t u n g s ü b e r n a h m e durch den Gesellschafter mittels einer überschießenden H a f t s u m m e ein freiwilliges O p f e r , also eine A u f w e n d u n g im rechtstechnischen Sinne sehen, denn darunter fällt schon die Ü b e r n a h m e eines Risikos, das dann zur Pflicht f ü h r t 1 8 .

Bei der nicht bewußt übernommenen Haftung paßt aber § 110 nicht. Es muß dann die analoge Anwendung oder ein Rückgriff auf § 8 1 2 B G B helfen. Im Verhältnis zwischen zahlenden Kommanditisten und dem Gesellschaftsgläubiger stellt zwar die Haftung des Kommanditisten auf Grund der Haftsumme einen Rechtsgrund für die Leistung dar; das schließt aber nicht aus, im Verhältnis zwischen dem zahlenden Kommanditisten und der K G die in einer Einlagepflicht nicht begründete Haftung und Leistung als nicht ausreichenden Rechtsgrund anzusehen, so daß ein Anspruch aus § 812 BGB gegeben ist. c) Die Befriedigung des Ausgleichsanspruchs aus dem Gesellschaftsvermögen läßt die Haftung auf Grund der überschießenden Haftsumme wieder aufleben. Dem steht nicht entgegen, daß die K G zahlen m u ß t e. Die Haftsumme bestimmt das Außenverhältnis des Kommanditisten zu den Gläubigern der KG, für das allein entscheidend ist, ob der Kommanditist einen der Haftsumme entsprechenden Wert in das Gesellschaftsvermögen eingebracht hat; auf die Wertfestsetzung im Gesellschaftsvertrag kommt es nicht an. 3. Der Ausgleichsanspruch gegen andere matischer als der gegen die KG.

Kommanditisten

ist proble-

a) Ein solcher Anspruch kann nur gegen einen Kommanditisten bestehen, der seinerseits den Gläubigern der K G haftet, sei es, daß er bei Identität von Pflichteinlage und Haftsumme die Einlage nicht geleistet hat, sei es, daß er wie der zahlende Kommanditist auf Grund einer überschießenden Haftsumme haftet 19 . selbstverständlich aus (es kam auf die Art der Ansprudisbegründungen in dem zu entscheidenden Fall allerdings nicht an). Vgl. im übrigen die Aufzählung bei Kornblum, Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten von Personengesellschaften, Sammlung Athenäum Bd. III, S. 98. 1 8 Vgl. Kornblum a. a. O., S. 169. 1 9 Nur die letzte Alternative soll hier behandelt werden. Wenn der andere Kommanditist seine fällige Pflichteinlage nicht geleistet hat, kann sich der zahlende Kommanditist audi aus der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Forderung der K G auf Leistung der Einlage befriedigen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Einlagepflicht eine Haftung im Außenverhältnis entspricht oder nidit.

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Eine von der Pflichteinlage und Haftsumme unabhängige Ausgleichspflicht des Kommanditisten würde dem f ü r die K G maßgebenden Prinzip der beschränkten H a f t u n g des Kommanditisten widersprechen; daß der zahlende Kommanditist ohne Ausgleichsanspruch gegen andere Kommanditisten auch bei Vermögenslosigkeit der K G leisten muß, beruht auf der gesellschaftsvertraglichen Übernahme eines zusätzlichen Risikos des zahlenden Kommanditisten. b) Das Ergebnis, daß der zahlende Kommanditist gegen die sonstigen haftenden Gesellschafter bei Bestehen der Gesellschaft auch für den Fall keinen Ausgleichsanspruch hat, daß die Befriedigung seines Anspruchs aus § 110 gegen die K G aus dem Gesellschaftsvermögen nicht möglich ist, ist nicht erträglich. Es ist daher allgemeine Ansicht, daß ein solcher Anspruch zu geben ist. Ebenso allgemein ist die Uberzeugung, daß dieser Anspruch nicht auf vollen Ersatz des Geleisteten gehen kann, sondern nur auf den Anteil, der der gesellschaftsvertraglichen Verlustverteilung entspricht 20 . Diese Rechtsüberzeugung beruht auf der Überlegung, daß ohne einen Ausgleichsanspruch des Gesellschafters, der von einem Gesellschaftsgläubiger in Anspruch genommen ist, die zufällige Wahl des Gläubigers bestimmen würde, welchen von mehreren haftenden Gesellschaftern die Last treffen soll, den Gläubiger ohne Rückgriffsmöglichkeit auf das Gesellschaftsvermögen befriedigen zu müssen. Der Gleichheitssatz bestimmt dann gleichzeitig, daß der zahlende Kommanditist nicht vollen Ersatz des Geleisteten vom haftenden Kommanditisten fordern kann, sondern daß die Gesellschafter nur nach Maßgabe ihrer Verlustbeteiligung im Innenverhältnis zur Tragung der Verbindlichkeit der Gesellschaft beitragen müssen. Eine eigentliche rechtstechnische Grundlage für den Ausgleichsanspruch zeigt diese Überlegung aber noch nicht auf; es handelt sich um einen der Fälle, bei denen das Ergebnis feststeht, bevor die konstruktive Anspruchsgrundlage ermittelt ist. c) Da der Ausgleichsanspruch von der Begründung der H a f t u n g des haftenden Kommanditisten durch eine überschießende Haftsumme nicht beeinflußt wird, ist von der Anspruchsgrundlage des allgemeinen Ausgleichsrechts der Personenhandelsgesellschaft auszugehen. Weil der Ausgleichsanspruch auf dem Gesellschaftsverhältnis beruht, kann der zahlende Kommanditist den haftenden Kommanditisten nicht für die Ausgleichspflicht der K G gem. § 128 i. V. m. § 171 in Anspruch nehmen. Die H a f t u n g aus § 128 gilt nämlich nur für

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V g l . statt aller B G H 37, 299 (301) m . Nachw.

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das Außenverhältnis 21 . Das ist auch zweckmäßig, weil so am besten gewährleistet wird, daß das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis, insbesondere die Maßgeblichkeit der Verlustbeteiligung den Anspruch gestaltet. Als Anspruchsgrundlage kommt § 426 B G B und § 110 (ggf. analog) oder eine auf der gesellschaftsvertraglichen, gemeinsamen Haftung beruhende spezielle Ausgleichspflicht in Betracht. Die Anwendung des § 110 ist insofern problematisch, als dort von der E r s a t z p f l i c h t d e r G e s e l l s c h a f t die Rede ist. Die Aufwendungen, die in der Haftungsübernahme mit der folgeweisen Zahlungspflicht bestehen, werden auch — zumindest primär — im Interesse der Gesellschaft, d. h. aller Gesellschafter und nicht eines einzelnen von ihnen, erbracht. Die Haftung der Gesellschafter aus § 1 2 8 fehlt, wie ausgeführt, für einen solchen Anspruch. § 426 könnte zumindest analog angewandt werden, da eine Haftungsgemeinschaft besteht 22 . Ohne spezielle Vorschriften kommt die Ansicht aus, die in Verbindung von Gesamtschuldnerschaft der Gesellschafter und dem Gesellschaftsverhältnis eine Rechtsgrundlage für den Ausgleichsanspruch sieht 23 . Da die Ansichten im Ergebnis, das ohne Einschränkung zu billigen ist, übereinstimmen, ist eine entscheidende Auseinandersetzung mit den einzelnen Meinungen nicht erforderlich. Die anschließende Prüfung der speziell hierzu zu stellenden Frage zeigt auch, daß die verschiedenen Ansichten keine entscheidende Lösungshilfe bieten. Aus allgemeinen Gründen folgt, daß die Ansicht am besten befriedigen kann, die die gesellschaftsrechtliche Inhaltsbestimmung des Anspruchs am mühelosesten bewerkstelligt. Das spricht wohl für die Begründung des Ausgleichsanspruchs in der gesellschaftsrechtlich begründeten Haftungsgemeinschaft. Bei der Ableitung des Anspruchs aus § 426 muß das gesellschaftsrechtliche Verhältnis als „anderweitige Bestimmung" herangezogen werden. Bei der Begründung aus § 110 ist die VerpflichVgl. statt aller B G H 37, 299; Prediger BB 70, 869 m. Nachw. in Anm. 8. Die Anwendbarkeit des § 426 ist wohl die am häufigsten vertretene Ansicht, vgl. die Aufzählung bei Prediger BB 72, 868, der diese Ansicht nachdrücklich vertritt. 2 3 Vgl. dazu Flume, Gesellschaftsschuld und Haftungsverbindlichkeit des Gesellschafters bei der OHG, Festschrift für Alexander Knur 1972, S. 125 (141); Heymann-Kötter zu § 110 Anm. 4. Anklänge dann audi in B G H 37, 302, wenn dort der Ausgleidisanspruch auf den Gesichtspunkt gestützt wird, die „zufällige" Wahl des zahlenden Kommanditisten durch den Gesellschaftsgläubiger nicht für die Verteilung der Lasten zwischen den Gesellschaftern maßgebend sein zu lassen und zusätzlich gesagt wird, daß die gesetzliche Haftung mittelbare Folge des Gesellschaftsverhältnisses sei. 21

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tung des haftenden Kommanditisten und die anschließende Beschränkung der H a f t u n g nicht ohne konstruktive Hindernisse. d) Besonders zu prüfen ist, wie der Ausgleichsanspruch des Kommanditisten begründet und dementsprechend zu gestalten ist, der ohne gesellschaftsrechtliche Grundlage, insbesondere infolge einer fehlerhaften Eintragung auf Grund einer überschießenden Haftsumme von einem Gesellschaftsgläubiger in Anspruch genommen worden ist. Stellt man die überschießende Eintragung mit der Eintragung eines Nichtgesellschafters gleich, bestünde ein individualrechtlicher Anspruch aus § 812 BGB gegen die KG, für den die anderen Gesellschafter nach ihrer Außenhaftung einzustehen hätten. Es ist indessen zumindest auch vertretbar, den Anspruch wegen des Zusammenhangs der Eintragung der überschießenden Haftsumme mit der im Grundsatz richtigen Eintragung des Kommanditisten als Gesellschafter als gesellschaftsrechtlichen Anspruch zu behandeln. Es scheint mir jedenfalls nicht richtig zu sein, anstelle der pro rata Aufteilung dem zahlenden Kommanditisten einen Anspruch auf vollen Ersatz des Geleisteten zu geben. Da die Subsidiarität des Anspruchs gegenüber dem haftenden Kommanditisten mit auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht begründet ist, ist es zumindest vertretbar, audi bei dem Anspruch aus § 8 1 2 Subsidiarität anzunehmen. e) Wenn der auf Ausgleich in Anspruch genommene Kommanditist ebenfalls nur auf Grund überschießender Haftsumme haftet, fragt es sich, welchen Einfluß die Erfüllung der Ausgleichspflicht auf die H a f t u n g der beteiligten Kommanditisten hat. 2 . B. die Kommanditisten Κ 1 und Κ 2 haben bei gleichem Verlustanteil jeder eine Pflichteinlage von 50, die geleistet ist, und eine H a f t summe von 100. Κ 1 hat an den Gläubiger der Gesellschaft 50 aufgrund der Haftsumme gezahlt. Er kann von Κ 2 25 verlangen. D a grundsätzlich Zahlung aus dem Privatvermögen eines Gesellschafters an einen anderen Gesellschafter weder einlageerhöhend noch -mindernd wirkt 24 , wäre Κ 1 für die Zukunft von der Haftung frei, Κ 2 würde trotz seiner Leistung von 25 in H ö h e von 50 weiter haften. Ist die gemeinsame Haftung für den Ausgleichsanspruch unabdingbare Voraussetzung, würde bei späterer Inanspruchnahme des Κ 2 durch einen Gesellschaftsgläubiger ihm kein Ausgleichsanspruch gegen Κ 1 zustehen. Selbst wenn ein Anspruch bestünde, trüge Κ 2 die Gefahr der U n durchsetzbarkeit.

Das „richtige" Ergebnis ist aus der gesetzlichen Interessenbewertung m. E. ohne Schwierigkeiten abzuleiten: Den Gläubigern muß auf jeden Fall ein Haftungszugriff in Höhe der Summe der Haftsummen 24

Vgl. zuletzt BGH NJW 73, 1878.

Ausgleidisanspriiche des Kommanditisten

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verbleiben, ohne daß ihnen die H a f t u n g der einzelnen Gesellschafter in bestimmter Höhe gesichert wird; die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Kommanditisten, die Grundlage der — zumindest einmal gegebenen — gemeinsamen H a f t u n g ist, in Verbindung mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht fordert, daß die Leistungen aller Beteiligten anteilsmäßig die H a f t u n g des Leistenden ermäßigen, gleichgültig, ob auch die Haftsumme an einen Gesellschaftsgläubiger oder an den zahlenden Kommanditisten auf Grund des Ausgleichs geleistet wird. Dabei muß leistungsmindernd das angerechnet werden, was an den zahlenden Kommanditisten auf Grund der Ausgleichspflicht zurückfällt. Der Ausgleichsanspruch in der von der Rechtsprechung gewährten Art (Subsidiarität und pro-rata-Haftung) soll gerade an die Stelle der zufälligen Belastung eines Gesellschafters durch die Wahl des Gesellschaftsgläubigers die der gesellschaftsrechtlichen Risikoverteilung entsprechende Aufteilung setzen. Die Durchführung des Ausgleichs darf dann nicht dazu führen, den zahlenden Kommanditisten zum Nachteil des haftenden zu begünstigen. Es handelt sich wieder um einen der Fälle der Ableitung eines — m. E. sicheren — Ergebnisses aus der erkennbaren gesetzlichen Bewertung der Interessen ( = der funktionsgerechten Anwendung der betreffenden Institution), für die, wenn die nicht erfreuliche Begründung ausschließlich mit Treu und Glauben vermieden werden soll, eine „konstruktive Grundlage" zu suchen ist. M. E. bietet keine der oben erwähnten Ansichten über die Rechtsgrundlage des Ausgleichsanspruchs dafür mehr als Anhaltspunkte. Insbesondere ist mit diesen Ansichten der Ausgleichsanspruch des haftenden Kommanditisten bei späterer Inanspruchnahme kaum zu begründen, weil alle zur H a f t u n g als Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs führen, die aber entfällt, wenn die Leistung des zahlenden Kommanditisten an den Gesellschaftsgläubiger voll auf die H a f t summe angerechnet wird. Eine verhältnismäßig sichere Grundlage bietet sich, wenn Anspruch und Befriedigung des ersten Ausgleichs über das Gesellschaftsvermögen geleitet werden. Zahlt im Ausgangsfall die KG aus ihrem Vermögen dem Κ 1 die 50 als Ausgleich, haftet dieser gem. § 172 Abs. 4 in Höhe der Haftsumme. Hat Κ 2 aufgrund einer Einlagepflicht (ζ. B. bedingte Pflichteinlage) der KG den Betrag zur Verfügung gestellt, hat er „seine Einlage" geleistet, so daß die Haftung für ihn weggefallen oder sich entsprechend ermäßigt hätte, würde Κ 1, da „seine Einlage" zurückgewährt worden ist, erneut haften. Das ist nicht anders, wenn Κ 2 unmittelbar an Κ 1 auf Grund seiner Einlagepflicht für Rechnung der KG an Κ 1 zahlt.

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Harry Westermann D i e Rechtslage des auf G r u n d einer überschießenden H a f t s u m m e z u m Ausgleich verpflichteten Gesellschafters k a n n aber nicht schlechter sein als die eines Gesellschafters, der auf G r u n d einer der Pflichteinlage kongruenten H a f t s u m m e Ausgleich leistet.

Konstruktiv bieten sich zwei Möglichkeiten: Man kann auf die Entstehung einer Ausgleichspflicht der K G für die Leistung des Ausgleichs durch den haftenden Kommanditisten an den zahlenden Kommanditisten abstellen und das zum Anlaß nehmen, die sonst nicht haftungsbegründende Rüdegewähr der Einlage durch einen Gesellschafter zum Haftungstatbestand zu machen25. Es ist ferner möglich, auf die Subsidiarität des Anspruchs des zahlenden Kommanditisten gegen den haftenden Kommanditisten gegenüber der Befriedigungsmöglichkeit aus dem Vermögen der K G abzustellen. Bedenkt man den Zweck, um dessen Willen die Institution der Subsidiarität entwickelt ist, muß sie so gehandhabt werden, daß eine größtmögliche Gleichheit der Gesellschafter erreicht und der einzelne Gesellschafter nur „im Notfall" zum Ausgleich herangezogen wird. Das bedeutet, daß zumindest der haftende Kommanditist verlangen kann, mittels der Durchleitung des Ausgleichsbetrages durch das Vermögen der K G in Höhe des Geleisteten von der Haftung im Außenverhältnis frei zu werden. Gleichzeitig bleibt dann die Haftung des ausgleichsberechtigten Kommanditisten in Höhe des Empfanges und damit seine Ausgleichspflicht im Fall des Gläubigerzugriffes auf den anderen haftenden Kommanditisten erhalten. Ich halte es für vertretbar, auch ohne besonderes Verlangen des haftenden Kommanditisten seine Zahlung an den ausgleichsberechtigten Kommanditisten als Leistung auf die Ausgleichspflicht der K G zu behandeln. Das hat dann zur Folge, daß die Ausgleichspflicht der K G in dieser Höhe entfällt. D a den Gläubigern der K G der Zugriff in Höhe der Summe der Haftsummen erhalten bleibt, stellt dieser Weg eine interessengerechte Lösung dar, die m. E. auch konstruktiv zu befriedigen vermag.

2 5 Zur Begründung ist auf eine entsprechende Formulierung in B G H N J W 73, 1878 zu verweisen.

II. RECHT DER JURISTISCHEN PERSONEN

(§ 243 Abs. 2 AktG) E R N S T GESSLER

In seinen Erläuterungen zum Redit der Hauptversammlung der AG befaßt sich unser Jubilar auch mit der Freiheit und den Schranken der Stimmrechtsausübung durch den Aktionär 1 . Seiner rationalen Denkweise widerspricht es, die Grenzen der Freiheit von einer mehr oder minder fragwürdigen Treupflicht der Aktionäre abzuleiten 2 . Für ihn liegen sie in den allgemeinen Schranken für die Rechtsausübung. Einen ihrer aktienrechtlichen Grundtatbestände sieht Barz in § 243 Abs. 2 AktG 3 . Keine „Ausnutzung der Stimmenmacht, um zum Schaden der Gesellschaft oder der Mitaktionäre eigene Vorteile zu erlangen" 4 . Sein Mitkommentator Schilling hat sich näher mit der Auslegung des § 243 Abs. 2 befaßt 5 . Nach ihm kann „die neue Regelung in § 243 Abs. 2 nicht als geglückt angesehen werden" 6 . Der Grundtatbestand des § 243 Abs. 2 — Anfechtung von H a u p t versammlungsbeschlüssen wegen Erstrebens von Sondervorteilen durch einen Aktionär, meist den Großaktionär, — ist keine Neuschöpfung des A k t G 1965. Bereits das A k t G 1937 enthielt eine entsprechende Vorschrift (§ 197 Abs. 2). Das AktG 1965 hat sie — allerdings abgewandelt — übernommen. Das für ihre Auslegung schwierige Adjektiv „gesellschaftsfremd" ist fortgefallen. Die ominöse „Konzernklausel" (§ 197 Abs. 2 Satz 2 — § 101 Abs. 3 AktG 1937) ist gestrichen. Der Vorsatz muß nicht mehr den Schaden umfassen. Vor allem aber entfällt die Anfechtung, wenn der Beschluß den anderen Aktionären einen angemessenen Ausgleich f ü r ihren Schaden gewährt (§ 243 Abs. 2 Satz 2). Durch Gewährung eines Ausgleichs an die anderen Aktionäre kann der Aktionär, wie die Begründung zum Regierungsentwurf 7 ausführt, „der Anfechtung des in seinem Interesse liegenden Hauptversammlungsbeschlusses entgehen". 1

Bar2 in Großkomm. A k t G § 134 Anm. 36 ff. A. a. O. Anm. 37. 3 Künftig sind Vorschriften des A k t G nur mit der §-Zahl zitiert. * A. a. O. Anm. 38. 5 Vgl. Gesellschaftstreue und Konzernredit in der Freundesgabe für künftig abgekürzt Schilling S. 226 ff. • Schilling S. 233. 7 Künftig Begr. Reg. E, vgl. Kropff AktG § 243 S. 329. 2

Hengeler,

Ernst Geßler

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Die Gewährung von Ausgleichsleistungen als Mittel zur Befriedung widerstreitender Interessen — des Großaktionärs und der anderen Aktionäre — ist keine Erfindung des A k t G 1965. Bereits 1925 hat das R G 8 auf die Notwendigkeit eines Ausgleichs hingewiesen und die Verfolgung eigensüchtiger Interessen ohne einen Ausgleich der vermögensrechtlichen Benachteiligung der Minderheit für sittenwidrig erklärt. Dennoch stößt der Ausgleichsgedanke immer wieder auf Bedenken 9 . Das Hauptbedenken von Schilling gegen § 243 Abs. 2 liegt jedoch nicht in dem Ausgleich als solchem 10 , sondern darin, daß er dem einzelnen Aktionär sowie Vorstand und Aufsichtsrat das Recht nehme, das Gesellschaftsinteresse zu wahren, d. h. den anstößigen Hauptversammlungsbeschluß anzufechten. Darin liege eine nicht vertretbare „Entthronung" des Aktionärs. Auf den ersten Blick mag diese Kritik gerechtfertigt erscheinen. Näherer Betrachtung hält sie jedoch nicht stand. § 243 Abs. 2 Satz 2 darf nicht allein gesehen werden. Im Zusammenhang mit anderen Vorschriften zum Schutz der Gesellschaft und ihrer Aktionäre gegen den Einfluß von Aktionären gesehen stellt sich die Sach- und Rechtslage wesentlich anders dar. Möge dieser Beitrag ein Versuch zu ihrer Klärung sein.

I. Zunächst einige Bemerkungen zur Auslegung des § 243 Abs. 2. 1.

Die Streichung des Adjektivs gesellschaftsfremd geht auf den Bundesrat 11 zurück. E r erachtete jeden Sondervorteil als gesellschaftsfremd. Damit sei nunmehr jedoch ein Hauptversammlungsbeschluß auch dann anfechtbar, wenn zwar mit ihm ein Sondervorteil verfolgt werde, dies aber der Gesellschaft nütze 12 .

RGZ 112, 14/18. Würdinger, Aktien- und Konzernrecht 3. Aufl. S. 295 ff., dagegen E. Geßler, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit im faktischen Konzern in Festschrift für Harry Westermann S. 145, insbes. S. 160 ff. 10 Insofern weitergehend Möhring-Tank Hdb. AG Rz. 525. 11 Kropff § 243 Stell. BR S. 330. 12 So Schilling S. 230, ebenso in Großkomm. § 243 Anm. 21, was er offenbar nicht für richtig hält. 8 8

Zur Anfechtung wegen Strebens nach Sondervorteilen

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Es sei dahingestellt, ob die Begründung des Bundesrats zutrifft, oder ob sich, wie Obermüller-Werner-Winden13 meinen, die Gesellschaftsfremdheit, wenn nicht aus dem Ausdruck Sondervorteil, so doch aus der Natur der Sache ergebe. Maßgebend ist jetzt der Wortlaut. Nach ihm braucht der erstrebte Sondervorteil nicht mehr gesellschaftsfremd zu sein. Audi wenn er der Gesellschaft nützt, kann angefochten werden, wenn durch ihn die anderen Aktionäre geschädigt werden. Die Konsequenz mag befremden. Der Schutz des einzelnen Aktionärs soll Vorrang vor dem Gesellschaftsnutzen gemessen? Bei näherer Betrachtung erscheint es aber gerechtfertigt. § 243 Abs. 2 Satz 1 will sowohl die Gesellschaft als auch die anderen Aktionäre davor bewahren, daß sich ein (Groß-) Aktionär mit einem Hauptversammlungsbeschluß zu ihren Lasten Sondervorteile für sich oder einen Dritten zu verschaffen sucht. Die eigenartige Konstellation, Sondervorteile für einen oder mehrere Aktionäre, Nützlichkeit für die Gesellschaft einerseits und Schädigung der übrigen Aktionäre andererseits, kann vor allem bei Kapitalerhöhungsbeschlüssen unter Ausschluß des Bezugsrechts auftreten 14 . Selbst wenn eine Kapitalerhöhung für die Gesellschaft von Nutzen ist, vermag dies eine Schädigung der übrigen Aktionäre nicht zu rechtfertigen. Überhaupt nicht in Betracht kommt dies jedoch, wenn außerdem mit der Kapitalerhöhung ein Sondervorteil für einen Aktionär oder einen Dritten verfolgt wird. Der Nutzen der Gesellschaft darf nicht als Deckmantel eigensüchtiger Interessen dienen. 2. Es wird bezweifelt 15 , ob die Gewährung eines Ausgleichs an die anderen Aktionäre die Anfechtung auch ausschließt, wenn auch die Gesellschaft selbst, nicht nur ihre Aktionäre, geschädigt worden sind. Der Wortlaut dürfte eindeutig sein. Jede Schädigung der Gesellschaft trifft zugleich ihre Aktionäre. Aber nicht jeder ihnen zugefügte Nachteil schädigt zugleich die Gesellschaft. Die Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 besteht daher in zwei verschiedenen Fällen. Wenn unter diesen Umständen § 243 Abs. 2 Satz 2, beginnend mit dem Halbsatz „dies gilt nicht", die Anfechtung bei Ausgleichsgewährung

Die HVers. der A G 2. Aufl. S. 324. Vgl. über die sonstige Problematik beim Bezugsrechtsausschluß und das Verhältnis von § 245 Abs. 2 zu § 255 Abs. 2 : Schilling S. 235 ff. sowie hier unter IV. 1 5 Vgl. Schilling S. 231, ebenso in Großkomm. § 243 Anm. 23, ObermüllerWerner-Winden A k t G S. 139, dies. H.Vers. S. 324, Bachelin, Der konzernreditliche Minderheitensdiutz S. 67/68. 13

14

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an die anderen Aktionäre ausschließt, umfaßt dieser Ausschluß beide Fälle des Satzes 1. Diese Auslegung soll sehr weit gehen. Es müsse abgewartet werden, ob die Rechtsprechung sie mitmachen werde 1 6 . 3. Der Ausschluß der Anfechtung bei Ausgleichsgewährung an die anderen Aktionäre wirft die Frage auf, ob durch sie nur jedem Aktionär (§ 245 N r . 3) oder auch dem Vorstand (§ 245 N r . 4) und den einzelnen Mitgliedern des Vorstands und Aufsichtsrats (§ 245 N r . 5) das Anfechtungsrecht genommen ist. Auch das dürfte eindeutig zu bejahen sein 17 . Die Gewährung eines Ausgleichs beseitigt den Anfechtungsgrund des § 243 Abs. 2 Satz 1. Er ist Voraussetzung einer Anfechtungsbefugnis. 4. Möhring-Tank18 meinen, der Gesetzgeber habe übersehen, daß der Ausgleich von der Gesellschaft selbst geleistet werden müsse, diese sei dazu aber ohne Gesetzesverstoß (§§ 57, 62) nicht in der Lage. Es ist nicht ersichtlich, worauf sich diese Ansicht stützen könnte, allenfalls auf die Notwendigkeit, den Ausgleich im Hauptversammlungsbeschluß festzusetzen. Aber auch daraus läßt sie sich nicht ableiten. Der angemessene Ausgleich ist von dem mit dem Sondervorteil bedachten Aktionär oder Dritten zu leisten. Anderenfalls würde der Aktionär in der T a t zweimal geschädigt 19 . D a der Begünstigte durch den Hauptversammlungsbeschluß nicht dazu verpflichtet werden kann, muß er sich vorher der Gesellschaft gegenüber zu der Ausgleichsleistung rechtsverbindlich verpflichten. In dem Hauptversammlungsbeschluß braucht dann nur noch festgestellt zu werden, daß der Sondervorteil, den er dem Aktionär oder einem Dritten gewährt, durch dessen im Beschluß näher zu konkretisierende Leistung an die anderen Aktionäre ausgeglichen wird 2 0 . Die Verpflichtung muß zum Gegenstand der Beschlußfassung gemacht werden. Die Gesellschaft selbst kommt nur ganz ausnahmsweise als Schuldner des Ausgleichs in Betracht, nämlich dann, wenn der Ausgleich in einer Vorzugsdividende für die anderen Aktionäre besteht 21 . In die1 6 Vgl. Schilling und Obermüller-Werner-Winden bei Anm. 15, hier zu dieser rechtspolitischen Frage unter II. 1 7 So audi Schilling S. 233. 1 8 Rz. 525. 1 9 So Möhring-Tank Rz. 525. 2 0 So auch Schilling S. 234 und in Großkomm. § 243 Anm. 22. 2 1 Vgl. Schilling Anm. 20.

Z u r A n f e c h t u n g w e g e n Strebens nach S o n d e r v o r t e i l e n

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sem Fall liegt weder eine doppelte Schädigung der Gesellschaft noch ein Verstoß gegen §§ 57, 62 vor, wenn Sondervorteil und Vorzugsdividende Gegenstand eines ordnungsmäßigen Gewinnverteilungsbeschlusses sind. 5.

Auch zu § 243 ist die Frage gestellt worden, ob die Ausgleichsgewährung die Rechtswidrigkeit des Sondervorteils zum Schaden der Gesellschaft beseitigt 22 . M. E. liegt der Fall hier klarer als in der ähnlichen Regelung des § 3 1 1 , wo die gleiche Frage eine Rolle spielt 23 . Das Verfolgen eines Sondervorteils zum Schaden der Gesellschaft ist rechtswidrig (vgl. auch § 117). Geschieht es durch Ausübung von Stimmenmacht in der Hauptversammlung und faßt die Hauptversammlung einen Beschluß, der diesem Zweck dient, so ist dieser Beschluß wegen der rechtswidrigen Verfolgung eines Sondervorteils nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zwar nicht nichtig, aber anfechtbar. Nach § 243 Abs. 2 Satz 2 entfällt auch die Anfechtbarkeit, wenn den anderen Aktionären in dem Beschluß ein Ausgleich gewährt wird. Das Gesetz sieht damit in dem Ausgleich zwar keinen Rechtfertigungsgrund für die Schädigung der Gesellschaft, wohl aber entfällt deren gesetzliche Sanktion. Zu ihr besteht kein Anlaß, wenn der Schaden 24 ausgeglichen wird. Zurück bleibt dann nur der Eingriff als solcher. Er ist anders zu beurteilen als in sonstigen Fällen des Einwirkens eines Dritten auf ein fremdes Vermögen. Hier billigt die Hauptversammlung, wenn audi vielleicht maßgebend bestimmt durch den begünstigten Aktionär, den Eingriff und das Gesetz trägt dem Rechnung, indem es als Schutz des einzelnen Aktionärs den Ausgleich genügen läßt.

II. Rechtspolitisch dürfte sowohl die Bedeutung des besonderen Anfechtungsgrundes wegen Erstrebens von Sondervorteilen als auch sein Ausschluß durch Ausgleichsleistung weit überschätzt werden. § 243 Abs. 2 Satz 1 hat seinen Ursprung in der sogen, aktienrechtlichen Generalklausel. Als sie von der Aktienrechtskommission des 34. DJT 2 5 vorgeschlagen wurde, sollte sie die Anfechtung von V g l . d a z u Schilling S. 2 3 2 . V g l . d a z u Geßler in Festschrift f ü r H . W e s t e r m a n n S. 1 6 4 . 24 W e g e n der rechtspolitischen F r a g e Ausgleich des Schadens durch Leistungen an die A k t i o n ä r e v g l . u n t e r II. 2 5 Bericht S. 2 7 . 22

23

der

Gesellschaft

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„sachlich indifferenten" 2 6 Generalversammlungsbeschlüssen ermöglichen. Die Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes als Stimmrechtsschranke war damals noch nicht erkannt 2 7 . Ebensowenig spielte der Grundsatz der Kapitalerhaltung als Nichtigkeitsgrund für Geschäfte, die einen Aktionär zu Lasten der übrigen begünstigten eine Rolle. Der Berufung auf die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 138 BGB war in der Regel der Erfolg versagt, weil die Rechtsprechung an ihn hohe Anforderungen stellte. Hier sollte die aktienrechtliche Generalklausel Abhilfe schaffen 28 . Als sie im AktG 1937 (§ 197 Abs. 2) schließlich Gesetz wurde, war sie eigentlich schon weitgehend überholt. Einmal war neben ihr der Gleichheitsgrundsatz inzwischen anerkannt. Außerdem hatte sich aber vor allem der Anwendungsbereich der Vorschrift praktisch dadurch erheblich verringert, daß das A k t G 1937 die Hauptversammlung als oberstes Organ in Geschäftsführungsfragen abschaffte (§ 103 Abs. 2 A k t G 1937). Während vorher der Mehrheitsaktionär sich durch Hauptversammlungsbeschluß auch in Geschäften mit der Gesellschaft Sondervorteile verschaffen konnte, war und ist dies heute nicht mehr möglich. Dadurch, daß Geschäftsführungsangelegenheiten nicht mehr in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, beschränkt sich der Anwendungsbereich des besonderen Anfechtungsgrundes des § 243 Abs. 2 Satz 1 auf Beschlüsse, in denen die Hauptversammlung Unternehmens- oder Verschmelzungsverträgen zustimmt, Kapitalbeschaffung oder Umwandlungen sowie sonstige Satzungsänderungen auf dem Gebiet der Verfassung der A G beschließt 29 . Zum Teil ist sogar die Anfechtung solcher Beschlüsse besonders geregelt. Dies gilt insbesondere für die Hauptfälle, in denen Sondervorteile in Betracht kommen, nämlich bei Unternehmensverträgen und Kapitalerhöhungen 30 . Was an Hauptversammlungsbeschlüssen verbleibt, ist im großen und ganzen f ü r die Verschaffung von Sondervorteilen uninteressant. Wenn bei dieser Sachlage durch das AktG 1965 die besondere Anfechtungsmöglichkeit wegen Strebens nach Sondervorteilen in § 243 Abs. 2 Satz 2 bei Ausgleichsleistung an die anderen Aktionäre ausgeschlossen worden ist, so kann darin keine Entthronung des einzel-

26

Vgl. audi Begr. z. AktG 1937 Mattbes AktR S. 228. Vgl. hierzu Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmreditsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden S. 309. 28 Vgl. Zöllner S. 309 m. w. Lit. Nachw. 29 Unrichtig Möhring-Tank Rz. 525. 30 Vgl. darüber unter III und IV. 27

Zur Anfechtung wegen Strebens nach Sondervorteilen

103

nen Aktionärs 31 gesehen werden. Es handelt sich nur noch um wenige Fälle, in denen die — unternehmensmäßige, kapitalmäßige oder verfassungsmäßige — Struktur der Gesellschaft geändert wird. Das Gesetz hat die Änderungen der Struktur einem — meist qualifizierten — Hauptversammlungsbeschluß unterworfen. Mit dieser Regelung würde es in Widerspruch stehen, wenn im Gegensatz dazu dem einzelnen Aktionär ein Anfechtungsrecht auch dann zugebilligt worden wäre, wenn ihm selbst ein Ausgleich für den Schaden, den die Gesellschaft und/oder er selbst dadurch erleidet, gewährt wird. Nicht schon das Streben nach Sondervorteilen ist allein verwerflich, sondern nur, wenn es zu Lasten der anderen Aktionäre geht. Der einzelne Aktionär hat nur Anspruch darauf, daß sein Vermögen nicht durch Maßnahmen der Hauptversammlung geschädigt wird. Davor schützt ihn der Ausgleich. Wird ein Ausgleich gewährt, entfällt der Anfechtungsgrund. Die Hauptversammlung — und nicht der einzelne Aktionär mit Hilfe eines in seiner Person nicht mehr gerechtfertigten Anfechtungsrechts — entscheidet dann unanfechtbar darüber, ob die Strukturänderung vorgenommen werden soll. Betrachtet man die einzelnen Fälle, in denen § 243 Abs. 2 heute noch eine Bedeutung hat, sieht sich auch das Problem — Ausgleich eines Schadens der Gesellschaft durch Ausgleichsleistung an die Aktionäre — anders an. Bedarf die Gesellschaft bei solchen strukturändernden Hauptversammlungsbeschlüssen, wenn den Aktionären ein Ausgleich gewährt wird, um ihrer selbst willen einen Schutz in Gestalt eines ihrem Vorstand zustehenden Anfechtungsrechts?32 Es kann sich letztlich nur um den Abschluß anderer Unternehmensverträge im Sinne von § 292 handeln. In allen anderen Fällen tritt keine Schädigung der Gesellschaft, sondern nur eine der Aktionäre ein. Bei den anderen Unternehmensverträgen könnte man an eine Gefährdung der Gläubiger denken, soweit die Gesellschaft geschädigt wird. Für den wichtigsten Fall, des Betriebspacht- oder Uberlassungsvertrages, besteht, wenn die Gesellschaft abhängig ist und das sie beherrschende Unternehmen den Vertrag mit seiner Stimmenmacht durchgesetzt hat, die Sonderregelung des § 302 Abs. 2, ihre Gläubiger können nicht gefährdet werden. Darüber hinaus erscheint ein Schutz der Gesellschaft nicht geboten, so daß die Rechtsprechung keinen Anlaß haben dürfte, korrigierend einzugreifen.

31 32

So Schilling S. 233. Bejahend wohl die Kritiker des § 243 Abs. 2 Satz 2, vor allem Schilling.

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III. Besondere Schwierigkeiten scheint das Verhältnis des § 243 Abs. 2, insbesondere dessen Satz 2, zu anderen aktienrechtlichen Vorschriften zu machen. 1.

§ 117 sieht eine Schadenersatzpflicht — auch für den Aktionär — bei vorsätzlicher Schädigung der Gesellschaft unter Benutzung des Einflusses auf die Gesellschaft vor. Nach § 117 Abs. 7 besteht sie nicht, wenn die für die Gesellschaft Handelnden durch Ausübung des Stimmrechts in der Hauptversammlung zu der schädigenden Handlung bestimmt worden sind. Die Ausnahmevorschrift des § 117 Abs. 7 war im Gesetzgebungsverfahren umstritten. Die Begr. zum Reg E 3 3 rechtfertigt sie damit, daß „die Gesellschaft und die anderen Aktionäre gegen einen M i ß brauch des Stimmrechts durch die Anfechtungsmöglichkeit nach § 243 Abs. 2 hinreichend geschützt" seien. Dem widerspreche jedoch der Ausschluß der Anfechtung durch § 243 Abs. 2 bei bloßer Ausgleichsleistung an die Aktionäre 3 4 . Demgegenüber kann einmal auf die vorstehenden Ausführungen, insbesondere über den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung und das fehlende Bedürfnis für einen nur der Gesellschaft dienenden Schutz verwiesen werden. Besonders hervorzuheben ist hier, daß die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden kann, wenn der Vorstand es verlangt ( § 1 1 9 Abs. 2). D a m i t ist der Weg, sich über Hauptversammlungsbeschlüsse in Geschäftsführungsangelegenheiten Sondervorteile zu verschaffen, weitgehend versperrt. Wird der V o r stand in einer für die Gesellschaft schädlichen Geschäftsführungsmaßnahme von dem Aktionär veranlaßt, die Entscheidung der H a u p t versammlung einzuholen, greift der Haftungsausschluß nicht ein. Die Bestimmung zur schädigenden Einflußnahme liegt dann bereits in der Einwirkung auf den Vorstand, die Hauptversammlung anzurufen 3 5 . 2. Im Verhältnis des § 243 Abs. 2 zu den Unternehmensverträgen ist zwischen den unter § 291 fallenden Verträgen (Gewinnabführungs-, Kropff § 117 S. 163/164. Schilling S. 233/234. 35 Mertens in Köln Komm. § 1 1 7 § 117 Anm. 15. 33

34

Anm. 21, Meyer-Landrut

in Großkomm.

Zur Anfechtung wegen Strebens nach Sondervorteilen

Beherrschungs- und Geschäftsführungsvertrag) und Unternehmensverträgen des § 292 zu unterscheiden.

den

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anderen

a) Für die Unternehmensverträge des § 291 bestimmt § 304 Abs. 3 Satz 2 ausdrücklich, daß die Anfechtung des Beschlusses, durch den die Hauptversammlung der Gesellschaft dem Vertrag oder einer unter § 295 Abs. 2 fallenden Änderung des Vertrages zugestimmt hat, nicht auf § 243 Abs. 2 gestützt werden kann. Der Ausschluß beruht darauf, daß jeder dieser Verträge seinem Inhalt nach dem Aktionär oder einem Dritten gegenüber den anderen Aktionären einen Sondervorteil verschafft (die Gewinnabführung, die Beherrschung, die Geschäftsführung). Bei ihnen wäre deshalb der besondere Anfechtungsgrund des § 243 Abs. 2 Satz 1 stets gegeben. Das AktG erkennt jedoch diese Verträge unter bestimmten Kautelen, zu denen vor allem die Gewährung eines angemessenen Ausgleichs an die anderen Aktionäre gehört, an. „Die besondere Regelung des angemessenen Ausgleichs in § 304 (geht) der allgemeinen Vorschrift (§ 243 Abs. 2 Satz 2) vor 3 6 ." Die Sonderregelung rechtfertigt den Ausschluß der Anfechtung, an deren Stelle wird in einem besonderen Verfahren die Angemessenheit des vertraglich vorgesehenen Ausgleichs überprüft (§ 304 Abs. 3 Satz 3). § 304 Abs. 3 Satz 2 schließt über seinen Wortlaut hinaus auch die Anfechtung nach § 243 Abs. 1 aus, soweit sie auf Umstände gestützt wird, die diesen Verträgen immanent sind. So kann eine Anfechtung dieser Verträge nicht damit begründet werden, daß sie angeblich nicht mit dem Wesen der A G zu vereinbaren seien oder durch ihren Inhalt gegen die guten Sitten verstießen oder die Gesellschaft schädigten. Der Anfechtung aus diesen Gründen steht ebenso wie der Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 die gesetzliche Anerkennung dieser Verträge entgegen. Nach § 305 müssen diese Verträge außer der Verpflichtung zum Ausgleich nach § 304 auch die Verpflichtung des anderen Vertragsteils enthalten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Vertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben. In diesem Zusammenhang wiederholt § 305 Abs. 5 Satz 1 wörtlich § 304 Abs. 3 Satz 2 mit Ausnahme der Worte „auf § 243 Abs. 2 oder". Dies hat zu dem Mißverständnis geführt, daß insoweit der Hauptversammlungsbeschluß nach § 243 Abs. 2 Satz 1 anfechtbar sei 37 . BegrRegE Kropff § 304 S. 395. So v. Godin-Wilhelmi AktG § 305 Anm. 6, Baumbacb-Hueck AktG § 305 Anm. 9, a. M. Biedenkopf-Koppensteiner in Köln Komm. § 305 Anm. 13, Würdinger § 57 II 1 a, Jörg Geßler AktG § 305 Anm. 4. 38

37

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Der abweichende "Wortlaut erklärt sich ganz einfach38. Es gibt nur einen Hauptversammlungsbeschluß, durch den die abhängige Gesellschaft dem Unternehmensvertrag zustimmt, nicht zwei, nämlich einen über den Ausgleich und einen über die Abfindung. § 304 Abs. 3 Satz 2 schließt generell die Nichtanfechtbarkeit dieses Hauptversammlungsbeschlusses auf Grund des § 243 Abs. 2 Satz 1 sowie speziell mit der Behauptung aus, daß der Ausgleich nicht angemessen sei. Da der Vertrag nach § 305 auch eine Abfindungsregelung enthalten muß, mußte und brauchte in § 305 Abs. 5 nur noch zusätzlich bestimmt zu werden, daß der Beschluß auch nicht deshalb angefochten werden kann, weil der Vertrag keine angemessene Abfindung vorsieht. Die Wiederholung, daß der Beschluß nach § 243 Abs. 2 nicht anfechtbar sei, war nicht nötig. Reine Gesetzgebungstechnik hat also zu dem abweichenden Wortlaut geführt. b) Für die Unternehmensverträge des § 291 ist ausdrücklich bestimmt, daß Leistungen der Gesellschaft auf Grund solcher Verträge nicht als Verstoß gegen §§ 57, 58, 60 gelten. Bei den anderen Unternehmensverträgen des § 292 ist dies nicht geschehen. Ist ein solcher Vertrag mit einem Aktionär geschlossen, kommt es auf seinen Inhalt an, ob er gegen §§ 57, 58, 60 verstößt. Bei der Gewinngemeinschaft oder einem Teilgewinnabführungsvertrag ist das der Fall, wenn der Vertrag für die Gesellschaft keine äquivalente Gegenleistung vorsieht 39 . Der Vertrag ist dann wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§§ 57, 58, 60 AktG, §134 BGB) nichtig. Die Frage des Verhältnisses zwischen §243 Abs. 2 und §§ 57, 58, 60 stellt sich nicht. Es bedarf keiner Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses, durch den die Gesellschaft dem Vertrag zugestimmt hat. Die Zustimmung zu einem nichtigen Vertrag fällt ins Leere. Bei Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträgen tritt diese Nichtigkeit, auch wenn der Vertrag gegen §§ 57, 58, 60 verstößt, auf Grund der ausdrücklichen Vorschrift des § 292 Abs. 3 Satz 1 nicht ein. Der Grund für die abweichende Regelung ist in der Begr. z. RegE40 dargelegt. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit stößt bei diesen Verträgen, „die häufig die Struktur der Gesellschaft bereits endgültig verändert haben", auf Schwierigkeiten. Sie ließen es angemessener 38 Aber vielleicht nur für den an seiner Fassung Beteiligten, nicht sofort für den Außenstehenden. 39 Vgl. hierzu näher Biedenkop}-Koppensteiner § 292 Anm. 12, 16, 19 m. w. Lit.Nadiw. 40 Kropff § 292 S. 379.

Zur Anfechtung wegen Strebens η adi Sondervorteilen

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erscheinen, die Nichtigkeit auszuschließen und statt dessen die Gesellschaft und ihre Aktionäre durch Gewährung eines Anfechtungsrechts zu schützen. § 293 Abs. 3 Satz 2 bestimmt deshalb ausdrücklich, daß der Ausschluß der Nichtigkeit nicht die Anfechtung des Beschlusses wegen Verstoßes gegen §§ 57, 58, 60 ausschließt. Bei diesen Verträgen können deshalb die Aktionäre den H a u p t versammlungsbeschluß, durch den einem solchen Vertrag zugestimmt ist, einmal nach § 243 Abs. 1 (Verstoß gegen das Gesetz §§ 57, 58, 60) sowie ferner nach § 243 Abs. 2 Satz 1 anfechten. Die Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 bedingt jedoch den Nachweis der besonderen Voraussetzungen dieses Anfechtungsgrundes, subjektiv die Absicht mit der Stimmerchtsausübung, Sondervorteile zu erlangen, und objektiv die Geeignetheit des Beschlusses dazu. Einfacher ist es deshalb nach § 243 Abs. 2 Satz 1 vorzugehen. Die Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 entfällt jedoch nach § 243 Abs. 2 Satz 2, wenn den anderen Aktionären ein Ausgleich gewährt wird. D a m i t stellt sich die Frage, ob durch eine Ausgleichsleistung an die anderen Aktionäre auch die Anfechtung nach § 243 Abs. 1 ausgeschlossen wird. Schilling41 n i m m t dies — offensichtlich sehr zögernd — „der notwendigen einheitlichen Auslegung wegen" an. Auch die sonstige Regelung des Gesetzes d ü r f t e f ü r die Ansicht von Schilling sprechen. Die §§ 57, 58, 60 dienen der Erhaltung des G r u n d kapitals zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften k a n n hingenommen werden, wenn die Gläubiger anderweit geschützt sind. Dies ist f ü r den Fall, d a ß eine abhängige Gesellschaft mit dem sie beherrschenden Unternehmen einen Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag schließt, durch die Verpflichtung, bei nidht angemessener Gegenleistung den Jahresfehlbetrag abzugleichen, geschehen 42 . In diesem Fall bedarf es nicht neben dem Schutz der anderen Aktionäre durch angemessene Ausgleichsleistung noch eines weiteren Schutzes der Gläubiger der Gesellschaft. Für die unabhängige Gesellschaft h a t das Gesetz einen besonderen Schutz der Gläubiger nicht f ü r notwendig gehalten. Es ist davon ausgegangen, d a ß eine unabhängige Gesellschaft keine Veranlassung haben wird, solche Verträge gegen ein nicht angemessenes Entgelt zu schließen. Auch der Vertragspartner m u ß dies vermeiden, wenn er nicht eine Anfechtung riskieren will. Will er sie vorsichtshalber ausschließen, muß er den Schaden der Aktionäre sowieso ausgleichen.

41 42

S. 232. Vgl. audi die BegrRegE Kropff § 302 S. 391 sowie oben unter II S. 103.

108

Ernst Geßler

Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes, das keinen Unterschied macht, wird allerdings die Ansicht 43 vertreten, daß § 292 Abs. 3 Satz 2, d. h. die Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses wegen Verstoßes gegen §§ 57, 58, 60 nicht gilt, wenn der andere Vertragsteil ein herrschendes Unternehmen ist. 3.

Das führt zu der Frage, in welchem Verhältnis § 243 Abs. 2 und § 311 ff. stehen. Zu der allgemeinen Frage, ob § 311 eine Ausnahme von §§ 57, 58, 60 darstellt, habe ich bereits an anderer Stelle 44 darauf hingewiesen, daß sich dies aus § 3 1 1 Abs. 2 nicht ergibt. Die Möglichkeit, den tatsächlichen Ausgleich hinauszuschieben, stellt dann keine Abweichung von diesen Vorschriften dar, wenn der erst später zu leistende Ausgleich, um vollwertig zu sein, audi die Nachteile umfassen muß, die durch die Hinausschiebung der Ausgleichsleistung entstehen. Bei dem hier zur Erörterung stehenden Problem ist zunächst einmal festzuhalten, daß es überhaupt nur in den Fällen auftreten kann, in denen die Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit Beschlüsse faßt. Es handelt sich, wie bereits gesagt, vor allem um die Fälle, in denen Verträge ihrer Zustimmung oder sonstige Maßnahmen eines Hauptversammlungsbeschlusses bedürfen. Eine Sonderstellung nehmen die Beschlüsse in Geschäftsführungsfragen ein, die die Hauptversammlung auf Verlangen des Vorstands faßt. Das Problem verengt sich weiter dadurch, daß sowohl § 243 Abs. 2 Satz 2 als auch § 311 Abs. 1 einen Ausgleich fordern. Der Unterschied zwischen beiden Regelungen besteht jedoch einmal darin, daß für den Ausschluß der Anfechtung eine Ausgleichsleistung an die Aktionäre genügt, § 311 dagegen einen Ausgleich des Schadens der Gesellschaft verlangt. Außerdem muß nach § 243 Abs. 2 Satz 2 die Ausgleichsleistung bereits im Hauptversammlungsbeschluß festgelegt werden, während nach § 311 Abs. 2 die Regelung des Ausgleichs bis zum Ende des Jahres in der Schwebe gelassen werden kann. Aus beiden Gründen kann jedoch weder auf eine Unvereinbarkeit der beiden Vorschriften 45 noch auf ein Verdrängen, d. h. wohl einen Ausschluß der Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 2 4 6 geschlossen werden. Bereits aus der gesetzlichen Regelung ergibt sich eindeutig, daß das Anfechtungsrecht bei den unter § 292 fallenden Unternehmens43 44 45 411

Vgl. Biedenkopf-Koppensteiner § 292 Anm. 19 u. 27, Schilling S. 232. In der Festschrift für H . Westermann S. 154. So Möhring-Tank Rz. 524, 525, Bachelin S. 67/68. So Biedenkopf-Koppensteiner § 292 Anm. 27.

Zur Anfechtung wegen Strebens nach Sondervorteilen

109

Verträgen, auch wenn sie mit einem herrschenden Unternehmen geschlossen sind, nicht ausgeschlossen ist. Im übrigen zeigt die gesetzliche Regelung, d a ß der Gesetzgeber dem Problem der Verstöße gegen §§ 57, 58, 60, um das es sich in den Fällen des Sondervorteils f ü r einen Aktionär handelt, seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Bei den Unternehmensverträgen des § 2 9 1 bestimmt § 291 Abs. 2 ausdrücklich, d a ß die Leistungen der Gesellschaft an das herrschende Unternehmen nicht als Verstoß gegen diese Vorschriften gelten, und setzt sie damit insoweit außer K r a f t . Umgekehrt ergibt sich aus § 292 Abs. 3 Satz 1, d a ß bei den Unternehmensverträgen des § 292 an der Rechtsfolge der Nichtigkeit bei Verstößen gegen §§ 57, 58, 60 festgehalten wird. N u r f ü r die Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge ist die Nichtigkeit durch eine Anfechtbarkeit wegen solcher Verstöße ersetzt (§ 292 Abs. 3 Satz 2). Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge pflegen nun h a u p t sächlich zwischen herrschenden Unternehmen und abhängigen Gesellschaften abgeschlossen zu werden. In der Begr. z. RegE 4 7 wird dies unter Hinweis auf § 302 Abs. 2 ausdrücklich erwähnt. Dennoch müßte, wenn die Gegenansicht recht haben sollte, der Gesetzgeber vergessen haben zu bestimmen, d a ß die ausdrückliche Aufrechterhaltung der Anfechtung wegen Verstöße gegen §§ 57, 58, 60 nur f ü r Verträge zwischen unabhängigen Gesellschaften gilt, bei Verträgen zwischen dem herrschenden Unternehmen und der von ihm abhängigen Gesellschaft dagegen ein Verstoß gegen §§ 57, 58, 60 nicht nur nicht die Nichtigkeit, sondern auch die ausdrücklich eingeführte Anfechtung ausschließt. Eine Ausnahme, die allein deshalb jeder W a h r scheinlichkeit entbehrt. H i n z u k o m m t , d a ß die Vorschrift (§ 311), die angeblich die Anfechtung ausschließen soll, auch einen angemessenen Ausgleich voraussetzt, womit ein Verstoß gegen §§ 57, 58, 60 aus sachlichen Gründen entfällt. Von einem Verdrängen der Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 durch § 311 k a n n deshalb keine Rede sein. Die Vorschriften sind aber aucii nicht miteinander unvereinbar. Sie ergänzen sich, wie Schilling48 insoweit ganz richtig bemerkt. Bedürfen Maßnahmen, die f ü r eine abhängige Gesellschaft nachteilig sind, der Zustimmung oder eines Beschlusses der Hauptversammlung, entfällt die Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 2, wenn den Aktionären in dem Beschluß ein Ausgleich gewährt wird. Mit dem Ausgleich an die "

48

Kropff

§ 292 S. 379.

S. 234/235.

110

Ernst Geßler

Aktionäre wird jedoch der unmittelbare Schaden der Gesellschaft und die Ausgleichspflicht ihr gegenüber, die § 311 Abs. 1 statuiert, nicht beseitigt. Zur Vermeidung eines doppelten Ausgleichs muß deshalb der Gesellschaft selbst, nicht nur den anderen Aktionären, bereits im Hauptversammlungsbeschluß ein Ausgleich gewährt werden. Der Ausgleich an die Gesellschaft beseitigt den mittelbaren Schaden der Aktionäre und damit deren Ausgleichsanspruch. Damit ist nicht nur §311 Abs. 1 entsprochen. Es entfällt auch ein etwaiger Verstoß gegen §§ 57, 58, 60 und eine Anfechtung nach § 243 Abs. 1 oder Abs. 2. Die Notwendigkeit, um § 243 Abs. 2 Satz 2 zu entsprechen, den Ausgleich bereits im Hauptversammlungsbeschluß festzusetzen, führt allerdings dazu, daß die sonst bestehende Möglichkeit, die Ausgleichsregelung bis zum Ende des Geschäftsjahres hinauszuschieben, entfällt. §311 Abs. 2 hat insoweit jedoch keinen Vorrang vor § 243 Abs. 2 Satz 2. Hängt die Ausführung einer nachteiligen Maßnahme von der Zustimmung der Hauptversammlung ab, kann deren Zustimmung nicht verlangt werden, ohne daß zugleich Klarheit über den beabsichtigten Ausgleich geschaffen wird. Der „größere Spielraum" im Konzerninteresse 49 besteht nur bei Geschäftsführungsmaßnahmen, bei denen der Vorstand die Verantwortung für den Ausgleich trägt. Nicht anders ist die Rechtslage, wenn der Vorstand einer abhängigen Gesellschaft ausnahmsweise die Entscheidung der Hauptversammlung über eine für die Gesellschaft nachteilige Geschäftsführungsmaßnahme verlangt (§ 119 Abs. 2). Beschließt das herrschende Unternehmen mit seiner Stimmenmacht die Vornahme der Maßnahme, sind sowohl § 243 Abs. 2 als auch §311 Abs. 1 gegeben. Gegenüber § 311 Abs. 2 hat § 243 Abs. 2 Satz 2 auch hier den Vorrang. Soll die Anfechtung vermieden werden, muß bereits der Hauptversammlungsbeschluß den Ausgleich für die Gesellschaft und damit den Ausgleich des Schadens der Aktionäre bestimmen.

IV. Das Verhältnis des § 243 Abs. 2 zu anderen aktienrechtlichen Vorschriften spielt schließlich eine Rolle im Falle der Kapitalerhöhung unter ganzem oder teilweisem Ausschluß des Bezugsrechts (§ 255 Abs. 2). Hier stellt § 255 Abs. 1 zunächst klar, daß der Beschluß über eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen nach § 243 angefochten werden kann, d. h. sowohl nach § 243 Abs. 1 wegen Verstoßes gegen Gesetz 48

Bacheliti S. 68.

Zur Anfechtung wegen Strebens nadi Sondervorteilen

111

oder Satzung als auch nach § 243 Abs. 2 wegen Erstrebens von Sondervorteilen zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre. § 255 Abs. 2 enthält sodann f ü r den Fall des ganz oder teilweisen Ausschlusses des Bezugsrechts einen weiteren Anfechtungsgrund, einen unangemessen niedrigen Ausgabe- bzw. Mindestausgabebetrag. Bei einer Kapitalerhöhung unter Ausschluß des Bezugsrechts kann der Fall so gelagert sein, daß der Sondervorteil für den Aktionär oder einen Dritten nur darin besteht, daß er allein zum Bezug der neuen Aktien zugelassen ist. Der Ausgabebetrag f ü r die Aktien entspricht der Vermögenslage der Gesellschaft und enthält somit für ihn keinen weiteren Sondervorteil. Es ist jetzt allgemeine Meinung 56 , daß allein der Bezugsrechtsausschluß ohne eine sonstige vermögensmäßige Bevorzugung durch einen zu niedrigen Ausgabebetrag einen Sondervorteil bedeuten kann. Er liegt in der Verstärkung oder Einräumung der Stimmenmachtstellung durch die Kapitalerhöhung zu Lasten der übrigen Aktionäre, wenn auch nicht jedes einzelnen Aktionärs mit einem sehr geringen Aktienbesitz, so doch zu Lasten von Aktionären mit größerem Aktienbesitz, insbesondere Paketen. Sie können dadurch — auch vermögensmäßig — geschädigt werden. Damit ist der Tatbestand des § 243 Abs. 2 Satz 1 gegeben. Der Kapitalerhöhungsbeschluß könnte angefochten werden. Die Anfechtung würde jedoch nach § 243 Abs. 2 Satz 2 entfallen, wenn den geschädigten Aktionären ein bereits im Kapitalerhöhungsbeschluß festgelegter Ausgleich gewährt wird. Es kann aber auch ein zu niedriger Ausgabebetrag bestimmt worden sein, der einen weiteren Sondervorteil darstellt. In diesem Fall werden durch den Bezugsrechtsausschluß verbunden mit dem zu niedrigen Ausgabebetrag alle anderen Aktionäre geschädigt. Damit liegt sowohl der Tatbestand des § 243 Abs. 2 Satz 1 als auch des § 255 Abs. 2 vor. Kann nun eine Anfechtung auf beide Vorschriften oder nur auf eine, und zwar auf welche, gestützt werden? Nach Schilling51 soll § 255 Abs. 2 das Verbot des § 243 Abs. 2 Satz 1 „konkretisieren", eine „abschließende" Regelung der Anfechtung enthalten 52 . Ähnlich Klette™, der in § 255 Abs. 2 Satz 1 im Verhältnis zu § 243 Abs. 2 Satz 1 eine Sondervorschrift sieht. Ihre Bedeutung liege in dem „Spielraum" f ü r die Hauptversammlung 5 4 . 50 51 52 53 54

Vgl. dazu Schilling S. 235 m. w. Lit.Nachw. Großkomm. § 255 Anm. 1 und 3. Großkomm. § 255 Anm. 8. BB 1968, 979. Schilling S. 238 und Großkomm. § 255 Anm. 7.

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Ernst Geßler

Wortlaut 5 5 und Entstehungsgeschichte 56 sprechen dagegen. Es sollte ein zusätzlicher Anfechtungsgrund geschaffen, nicht jedoch die Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 ausgeschlossen werden. Die allgemeinen Anfechtungsgründe nach § 243 wurden als zum Schutz der Minderheit nicht ausreichend angesehen 57 . Damit bestehen beide Anfechtungsgründe nebeneinander. Ihr Verhältnis zueinander ist folgendermaßen: Kann der Anfechtungskläger nachweisen, daß der Aktionär durch Ausübung seiner Stimmenmacht in der Hauptversammlung mit dem Ausschluß des Bezugsrechts einen Sondervorteil f ü r sich oder einen Dritten zu erlangen suchte, ist der Beschluß bereits anfechtbar, wenn der Ausgabebetrag nur nicht angemessen ist. Liegen die im Einzelfall schwer nachweisbaren besonderen subjektiven Voraussetzungen des § 243 Abs. 2 nicht vor, kann die Anfechtung auf § 255 Abs. 2 gestützt werden. Er verlangt nur einen leichter zu führenden objektiven Nachweis. Insoweit ist er allerdings strenger als § 243 Abs. 2. Kann das verwerfliche Streben nach einem Sondervorteil nicht nachgewiesen werden, soll die Anfechtung nicht bereits durchgreifen, wenn der Ausgabebetrag nicht angemessen, sondern nur, wenn er unangemessen niedrig ist. Darin sollte jedoch kein Spielraum f ü r die Hauptversammlung liegen. Es sollte vielmehr vermieden werden, daß die Anfechtung nach § 255 bereits bei jedem zu niedrigen Ausgabebetrag zulässig ist.

55 56 57

Abs. 2 „auch darauf". Kropff § 255 S. 342. So die Begr. des Bundesrats Kropff

§ 255 S. 342.

Das Ausscheiden aus der GmbH nach geltendem und künftigem Recht REINHARD G O E R D E L E R

I. Einleitung Bei der Begründung von Gesellschaftsverhältnissen bedarf die Frage, ob, wann und wie die sich zu einem gemeinsamen Zweck zusammenfindenden Gesellschafter wieder auseinandergehen können, besonders sorgfältiger Überlegung. Das Auseinandergehen kann sich völlig freiwillig vollziehen; es kommt aber auch in Betracht, daß die Gesellschafter auf Grund späterer gemeinsamer Erkenntnis dem Gesellschaftsverhältnis ein Ende setzen wollen, daß sie sich von einem Gesellschafter gegen dessen Willen trennen wollen oder daß ein Gesellschafter in Vermögensverfall gerät oder von seinen Gläubigem bedrängt wird. Im Bereich der Personengesellschaften einschließlich der BGB-Gesellschaft nebst der stillen Gesellschaft verdient dieser Problemkreis genau so Beachtung wie bei der Gesellschaft mit beschränkter H a f t u n g ; wählen die Beteiligten die Rechtsform der Aktiengesellschaft und bieten etwa sogar Aktien über die Börse der Öffentlichkeit an, stellen sich die angeschnittenen Fragen seltener, da hier die gewählte Rechtsform von vornherein auf eine längere Dauer des Unternehmens abstellt, sich die Aktionäre verhältnismäßig leicht durch Verkauf von ihrem Anteilsbesitz lösen können und sich in aller Regel damit das Ausscheiden, auch mangels eines engeren gesellschaftsrechtlichen Verhältnisses, ohne Beeinflussung der Interessen der Gesellschaft durchführen läßt. I m Zeichen der deutschen G m b H - R e f o r m 1 soll diesem Problemkreis mit den folgenden Ausführungen näher nachgegangen werden. Sie sind dem hier zu ehrenden Jubilar gewidmet, der seit Jahren an hervorragender Stelle der deutschen Anwaltschaft die Praxis des Gesellschaftsrechts mit beeinflußt und gestaltet.

II. Grundzüge des gegenwärtigen GmbH-Rechts D a s GmbH-Gesetz vom 20. April 1892, das zu ändern die Bundesregierung mit ihrem Gesetzesentwurf vorschlägt, hat die ange1 Bundestagsdrucksache 7/253 (entspricht der Vorlage in der 6. Wahlperiode = VI/3088); nachfolgend sind die Bestimmungen dieser Drucksache als „ R e g E " und die Begründung als „Bgr." zitiert. Paragraphen ohne Zusatz betreffen das jetzt gültige GmbH-Gesetz von 1892.

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Reinhard Goerdeler

sprochenen Probleme verhältnismäßig einfadi und übersichtlich — unter weitgehender Berücksichtigung des personenbezogenen Charakters der G m b H — geregelt: der Gesellschafter kann seine Beteiligung veräußern und vererben, allerdings häufig nur unter Zustimmung der übrigen Gesellschafter (§ 15); der mit seinen Einzahlungen auf die Stammeinlagen säumige Gesellschafter verliert seinen Geschäftsanteil nach den Bestimmungen des sogenannten Kaduzierungsverfahrens (§§ 21—24); die Gesellschaft kann auch Gesellschaftsanteile durch Kauf an sich ziehen (§ 33); der Gesellschafter kann aus der Gesellschaft bei Vorliegen statutarischer Bestimmungen ausgeschlossen werden (§ 34); im einzelnen sind hier viele Fragen streitig, insbesondere inwieweit der Gesellschaftsvertrag f ü r den Fall der Einziehung die Bedingungen festlegen muß, zu denen eingezogen werden darf. Schließlich kann die Gesellschaft als solche zum Ende gebracht werden durch Auflösung; diese tritt außer im Konkursfall dann ein, wenn der im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Zeitpunkt erreicht ist oder die Gesellschafter einen entsprechenden Beschluß mit qualifizierter Mehrheit fassen oder wenn eine Minderheit (10 % des Stammkapitals) mit einer Auflösungsklage bei Gericht durchdringt oder ein im Gesellschaftsvertrag vereinbartes Kündigungsrecht ausgeübt wird. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung des B G H zugelassen, daß ein Gesellschafter (auch ohne Vorliegen statutarischer Bestimmungen) aus wichtigem Grunde gegen seinen "Willen ausgeschlossen werden kann 2 . Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wird einem Gesellschafter seinerseits der Austritt aus der Gesellschaft gestattet, wenn er sich rechtlich anders von der Gesellschaft nicht lösen kann — allerdings soll dies der „letzte und äußerste Rechtsbehelf" sein 3 .

III. Der Regierungsentwurf zum GmbH-Gesetz Der RegE übernimmt zunächst die Grundsätze des geltenden Gesetzes, regelt aber auch ausdrücklich die Fälle des Ausschlusses und des Austritts (unter gleichzeitiger Modifizierung der Auflösungsmöglichkeiten) und klärt durch zusätzliche Regelungen die strittigen Probleme der statutarischen Ausschließung. Diese Neuregelungen gilt es, kritisch im Vergleich zum geltenden Recht zu betrachten.

2

B G H Z 9, 157; B G H in BB 1955, 270. Vgl. RGZ 128, 1; Scholz, „Ausschließung und Austritt aus der GmbH", 3. Aufl. Köln 1950; Baumbach-Hueck, 13. Aufl., Einf. zu § 3 4 Anm. 1 Β und 3; Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl. § 34 Anm. 18 b. 3

D a s Ausscheiden aus der G m b H

1. Austritt

von

115

Gesellschaftern

Zunächst ist die Feststellung wichtig, daß der RegE (§51) nicht mehr zwingend an der freien Veräußerlichkeit von Geschäftsanteilen festhält; der Gesellschaftsvertrag kann die Übertragbarkeit ganz ausschließen. Dies ist im geltenden Recht nicht unbestritten; soweit der satzungsmäßige Ausschluß der Übertragbarkeit für zulässig gehalten wird, steht diese Meinung überwiegend unter der Voraussetzung, daß der Gesellschafter, wenn für ihn das weitere Verbleiben im Gesellschafterverband nicht mehr zumutbar ist, den Austritt aus der Gesellschaft erklären und durchsetzen kann 4 . Dementsprechend sieht der RegE (§211) die Austrittsmöglidikeit eines Gesellschafters in diesem Fall ausdrücklich vor 5 . Die vorgeschlagene gesetzliche Lösung ist in ihrer Grundkonzeption weitgehend zu billigen: wenn einem Gesellschafter aus einem wichtigen Grunde das Verbleiben in der Gesellschaft nicht mehr zuzumuten ist und wenn er ihm drohende Nachteile durch andere zumutbare Mittel nicht abwenden kann, hat er das Redit, aus der Gesellschaft gegen Zahlung (Abfindung) des Verkehrswertes seines Geschäftsanteiles aus der Gesellschaft auszutreten 6 . Der Gesellschaftsvertrag kann abweichende Regelungen treffen, solange nicht Zahlungen der Gesellschaft gegen den schon im jetzigen Recht im § 30 enthaltenen Grundsatz der Erhaltung des Stammkapitals (§ 46 RegE) verstoßen. Bedenklich erscheint an der gesetzlichen Konzeption nur, daß der austrittswillige Gesellschafter — unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung — die Gesellschaft zur Auflösung bringen kann (§ 211 Abs. 4 RegE), wenn die Gesellschaft auch die nur „vorläufige Abfindung" bei Wahrung des soeben genannten Grundsatzes nicht zahlen kann; die Beendigung der Gesellschaft — durch eine Auflösungsklage — herbeizuführen, steht nach geltendem Recht nur einer Minderheit von 10 % zu. Die beabsichtigte Regelung im RegE gibt dem austrittswilligen (und -berechtigten) Gesellschafter nunmehr indirekt das Mittel in die Hand, das man von der Gesellschaft aus als das 4

V g l . Schilling in Hachenburg 6. Aufl. § 15 A n m . 2. § 211 Abs. 1 R e g E hat folgenden Wortlaut: „Ist einem Gesellschafter aus wichtigem Grund das Verbleiben in der Gesellschaft nicht zuzumuten, so kann er nach Maßgabe der folgenden Vorschriften aus der Gesellschaft austreten. Ein wichtiger Grund liegt namentlich vor, w e n n die Gesellschaft M a ß n a h m e n trifft, durch die sich ihre rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in einer für den Gesellschafter nicht zumutbaren Weise ändern. Der Gesellschafter ist z u m Austritt nicht berechtigt, w e n n er die ihm drohenden Nachteile durch andere zumutbare Mittel abwenden kann." β D e r R e g E sieht in § 211 z w e i verschiedene Verfahren vor, u m den Austritt und den Erhalt der Abfindung zu verwirklichen, vgl. Begr. S. 197 und 2 0 2 f. 6

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Reinhard Goerdeler

äußerste ansehen muß, nämlich die Gesellschaft dann zur Auflösung zu bringen, wenn die Gesellschaft zur Zahlung der Abfindung nicht ohne weiteres in der Lage ist. Das erscheint im Interesse der Aufrechterhaltung und Fortführung des Unternehmens eine nicht adacquate Lösung zu sein 7 . Sollte der RegE insoweit Gesetz werden, so wird man folgende Überlegungen anstellen können: a) Solange die Abtretung von Geschäftsanteilen nicht ausgeschlossen ist, wird dem Gesellschafter, dem im Sinne des Gesetzes aus wichtigem Grunde das Verbleiben in der Gesellschaft nicht zugemutet werden kann, im Wege der Veräußerung meist ein „anderes zumutbares Mittel" (§ 211 Abs. 1 Satz 3 RegE) zur Verfügung stehen, sich von der Gesellschaft zu lösen. Die Begr. (S. 202) meint, er müsse dies zu einem „angemessenen Preis" tun können, andernfalls er ein Austrittsverlangen gerichtlich begehren könne (mit der Auflösungsgefahr). Aus diesen Gründen begegnet in Z u k u n f t der Ausschluß der Abtretbarkeit von Geschäftsanteilen durch den Gesellschaftsvertrag nicht unerheblichen Bedenken. Gleiches gilt, wenn etwa die Abtretung sehr erschwert wäre. Solchen Erschwerungen begegnet man gerade bei Familiengesellschaften, um das Eindringen Fremder in den Kreis der Gesellschafter zu verhindern. In anderen Worten: man sollte bei der Gestaltung von Gesellschaftsverträgen darauf bedacht sein, Vorkehrungen zu treffen, die allen Gesellschaftern — mindestens bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen — ein Ausscheiden in einer Form und zu Bedingungen ermöglicht, die zumutbar sind; wird eine entsprechende Lösung im Gesellschaftsvertrag nicht gefunden, so bringt ein gerichtlich angestrengtes Austrittsverlangen die Gefahr einer Auflösung der Gesellschaft mit sich. b) Der RegE (§ 211) und die Begr. (S. 197 und 202 f.) hat das Austrittsverfahren im einzelnen konzipiert. Doch gestattet § 2 1 1 Abs. 5 RegE hiervon abweichende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages. Diese Vorschrift ist der Regelung f ü r den Ausschluß eines Gesellschafters aus der Gesellschaft bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 210 RegE) nachgebildet. Es fragt sich, wie weit solche statutarischen 7

Im weiteren Gesetzgebungsverfahren könnte deshalb überlegt werden, ob nicht hier eine Abweichung von § 46 RegE zulässig sein sollte, zumindest dann, wenn es gilt, einen schweren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden; ein solcher könnte in der Auflösung der Gesellschaft liegen. — Entgegen den hier geäußerten Bedenken hält Teichmann, GmbH-Reform, 1970, 92 die angestrebte Lösung für allseits befriedigend.

Das Ausscheiden aus der G m b H

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Abweidiungen gehen können. Der Begr. (S. 201) ist nur zu entnehmen, daß die Voraussetzungen, das Verfahren und die Abfindung durch den Gesellschaf tsvertrag eine vom Gesetz abweichende Regelung erfahren können. Es dürfte nicht zulässig sein, den Austritt eines Gesellschafters durch Gesellschaftsvertrag zu verbieten, denn dem steht der Grundgedanke der gesetzlichen Neuregelung entgegen, der wiederum auf heutiger Rechtsprechung und weitverbreitetem Schrifttum beruht; ein etwaiges statutarisches Verbot des Austritts würde die gesetzgeberische Absicht zunichte machen. Für eine gesellschaftsvertragliche, gemäß § 2 1 1 Abs. 5 RegE erlaubte Regelung scheinen mir vor allem in Betracht zu kommen: die genaue Festlegung (Präzisierung) des wichtigen Grundes, bei dessen Vorliegen die Unzumutbarkeit des Verbleibens in der Gesellschaft angenommen werden soll, sowie eine Regelung über die Abfindung sowie deren Fälligkeit (Auszahlungszeitraum). Zum ersten Problemkreis bieten sich schon deshalb statutarische Regelungen an, weil der RegE in § 211 Abs. 1 Satz 2 nur ein Beispiel a u f f ü h r t und hier gerade die — meist erwünschte — Einengung der Austrittsvoraussetzungen sich zu vertraglicher Formulierung anbietet (ζ. B. daß der Eintritt eines Jahresverlustes in einem Geschäftsjahr noch nicht einen Austritt rechtfertigt). c) Hinsichtlich der Abfindung sieht § 2 1 1 Abs. 2 RegE als Normalregelung die Zahlung des „Verkehrswertes" vor (wie auch bei Ausschluß eines Gesellschafters aus wichtigem Grunde). Hierunter ist ein Betrag zu verstehen (§ 209 Abs. 1 RegE), „den ein Dritter für den Geschäftsanteil aufwenden würde" (zum Zeitpunkt der Erklärung der Austrittsabsicht). Die Wahl des Verkehrswertes f ü r den Fall des Austritts entspringt vielleicht einer Billigkeitserwägung des Gesetzgebers; denn dem Gesellschafter, dem aus wichtigem Grunde das Austrittsverlangen zugebilligt wird, steht diese Möglichkeit, sich von der Gesellschaft zu lösen, wie bereits betont, nur offen, wenn er nicht unter zumutbaren Bedingungen, d. h. i. S. der Begr. S. 202 zu einem „angemessenen Preis", seinen Anteil veräußern kann. Er soll bei seinem Austritt in der Regel mindestens den „Verkehrswert" erhalten. Der RegE hat diese Regelung parallel zum Ausschluß eines Gesellschafters aus wichtigem Grunde gestaltet: auch dort sieht der RegE als Normalabfindung den Verkehrswert vor — die Ausschließung trage nämlich keinen „Strafcharakter" (Begr. S. 200). Wenn auch der Gesetzgeber beim Austritt wie beim Ausschluß abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag bezüglich der Abfindung zuläßt, so stellt sidi doch die Frage, ob gerade der „Verkehrswert" die geeignete Regelung für den gesetzlichen Normalfall ist.

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Reinhard Goerdeler

aa) Wenn der „Verkehrswert" derjenige Betrag sein soll, den auch ein Dritter für den Geschäftsanteil aufwenden würde, so kommt es nicht etwa nur auf eine nach anerkannten betriebswirtschaftlichen Methoden vorgenommene Bewertung an, sondern es wären auch alle besonderen Umstände, die nach dem Gesellschaftsvertrag die Fungibilität des Geschäftsanteils beeinflussen können, zu berücksichtigen. Ist im Gesellschaftsvertrag die Veräußerbarkeit der Geschäftsanteile ganz ausgeschlossen oder weitgehend erschwert (§51 Abs. 2 RegE), so könnte das gerade dazu führen, wegen mangelnder Fungibilität erhebliche Bewertungsabschläge zu machen; jedenfalls wird nadi einer weitverbreiteten Auffassung in der Betriebswirtschaft die schwierige Veräußerbarkeit von Anteilen an Unternehmen als besonderes Wagnis bewertet und durch einen Zuschlag zum Kapitalisierungszinsfuß berücksichtigt8. Ein „Dritter" würde dann nämlich entsprechend weniger aufwenden. Die Begr. S. 200 weist hierauf auch — neben anderen wertbeeinflussenden Faktoren — hin. Insofern würde der Ausscheidende also doch „bestraft", was die Begr. andererseits vermieden wissen will. Der „Verkehrswert" erscheint unter diesen Aspekten problematisch. bb) Soweit ersichtlich, ist der Ausdruck „Verkehrswert" als gesetzlicher terminus technicus neu. In der Literatur und Rechtsprechung wird zwar der Begriff „Verkehrswert" im Zusammenhang mit der Bestimmung des Abfindungsbetrages für ausscheidende Gesellschafter verwandt, aber er wird doch zumeist auf das „Unternehmen als Ganzes" bezogen und nicht für den einzelnen Gesellschaftsanteil9. Auch im betriebswirtschaftlichen Schrifttum ist der Begriff nicht üblich, man würde dort eher von einem „Marktpreis" sprechen. cc) Mit der Einführung des Begriffs „Verkehrswert" würde also Neuland betreten werden. Durch die Ausführungen in der Begr. S. 200 würden weitgehend subjektive Elemente in die Bewertung eingeführt, die für den Gesellschafter bei Austritt und Ausschluß mindestens Ungewißheiten, wenn nicht Nachteile mit sich bringen. Die Folge der Einführung des Begriffs „Verkehrswert" könnte möglicherweise das sein, was Barz als den „Tummelplatz volks- und betriebswirtschaftlicher Theorien" bezeichnet10. Es fragt sich daher, ob nidit eine gesetzliche Regelung getroffen werden sollte, die in ähnlich gela8

Vgl. Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 3. Aufl. 1970, 77. • Z . B . Palandt, 33.Aufl. 1974, § 738 A n m . 2 c ; RG D R 1941, 1301 mit Anm. Barz; B G H WM 1971, 1450. 10 In seiner Anmerkung D R 1941, 1304.

Das Ausscheiden aus der GmbH

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gerten Abfindungsfällen des Gesellschaftsrechts bereits vorzufinden ist. Hier sei an die Barabfindungsregelungen in § 305 AktG sowie in § § 1 2 und 15 UmwG erinnert 11 . Mit einer solchen Regelung (Berücksichtigung der Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft) würde weitgehend an objektive Bewertungsmaßstäbe angeknüpft und damit würde die Verbindung zu den in der Betriebswirtschaft erarbeiteten und in der Unternehmensbewertung angewandten Verfahren uneingeschärnkt gegeben sein 12 . Im einzelnen kann auf diese Probleme hier nicht eingegangen werden; jedenfalls führt der nach betriebswirtschaftlich anerkannten Methoden ermittelte Wert zu einer Berücksichtigung des sogen, wahren Wertes, also einschließlich der stillen Reserven und eines etwa vorhandenen good-will. dd) Bleibt es dagegen bei der im RegE vorgesehenen Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters mit dem „Verkehrswert", so ist mit dem nach betriebswirtschaftlichen Methoden ermittelten Wert noch nicht der Umstand berücksichtigt, den der Gesetzesentwurf mit den Worten „den ein Dritter für den Geschäftsanteil aufwenden würde" umschreibt. Es kommen hier sowohl subjektive Momente als auch unternehmensspezifische Belange zum Zuge: wie ζ. B. die Anzahl und Zusammensetzung der Gesellschafter, die Möglichkeiten der Gesellschaft den Anteil des Austretenden weiter zu veräußern (§ 211 Abs. 3 RegE). Alle diese Umstände werden auf die endgültige Festsetzung des Verkehrswertes, die mangels Einigung der Beteiligten untereinander durch das Gericht erfolgt, einwirken. Im übrigen kann der Gesellschaftsvertrag abweichende Bestimmungen treffen ( § 2 1 1 Abs. 5 in Verb, mit § 2 1 0 RegE); dies gilt insbesondere für die Ermittlung der Abfindung und das hierbei anzuwendende Verfahren (Einsetzung von Gutachtern). Es würde sich dann um die Festsetzung bzw. nähere Umschreibung des gesetzlich vorgeschriebenen „Verkehrs wertes" durch den Gesellschaf tsvertrag handeln. Der Gesellschaftsvertrag kann die Festlegung der Abfindung auch unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände regeln. Sind die Geschäftsanteile ζ. B. frei übertragbar (ggf. ohne Zustimmung seitens der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter), so ist dem Gesellschafter in aller Regel zuzumuten, zum bestmöglichen Preis seinen Anteil an Dritte zu veräußern. In diesem Falle erscheint es gerechtfertigt — da Vgl. Vgl. ferner: P. Jus. 1973, 11

12

Dörner in WP-Handbuch 1973, 1089 ff., insbes. 1096. ζ. B. die bei Dörner, WP-Handbuch 1973, 1091 angegebene Literatur; Ulmer in Großkomm. zum H G B 3. Aufl. § 138 Anm. 78 ff.; W. Müller, 603 ff.

120

Reinhard Goerdeler

man den Austritt als solchen statutarisch nicht ausschließen kann, vgl. oben zu b) —, den „Verkehrswert" i. S. von § 211 Abs. 2 weitgehend durch den Gesellschaftsvertrag einzuschränken. In Betracht käme, den Gesellschafter zum Nennwert seines Geschäftsanteils zuzüglich der anteiligen offenen Rücklagen abzüglich ausgewiesener Bilanzverluste abzufinden (Abfindung zum Buchwert). Die Nichtberücksichtigung eines etwa weitergehenden Betrages (stille Reserven, good-will) läßt sich damit begründen, daß der Gesellschafter wegen der möglichen freien Veräußerbarkeit seines Anteils (soweit dieser Umstand nicht ohnehin den Austritt ausschließt, § 2 1 1 Abs. 1 Satz 3 RegE) einen möglichen höheren Gegenwert erzielen kann. In jedem Falle sollte man einen Auszahlungszeitraum 13 statutarisch bestimmen, um die Liquidität der Gesellschaft zu schonen. Dies f ü h r t zu folgender weiterer Überlegung: da der RegE zum Einführungsgesetz eines GmbH-Gesetzes 14 Ubergangsbestimmungen insoweit nicht vorsieht, wird es sich empfehlen, die Gesellschaftsverträge daraufhin zu überprüfen, ob die dort vorgesehenen Bedingungen betreffend Ubertragbarkeit bestehen bleiben können und ob sie ggf. durch — von der Regelung des § 211 RegE abweichende — Bestimmungen über den Austritt zu ergänzen sind. Bei einer solchen Überprüfung wird man den besonderen Verhältnissen von Gesellschaft und Gesellschaftern (z. B. Familienbindung, seinerzeitiger Erwerbskurs für die Anteile u. ä.) entsprechend Rechnung tragen müssen, um zu einer ausgeglichenen Regelung zu gelangen, die einerseits das Fortbestehen der bei Austritt zur Zahlung verpflichteten Gesellschaft nicht gefährdet, andererseits aber auch die Interessen der Gesellschafter ausreichend berücksichtigt. 2. Ausschluß

von

Gesellschaftern

Der Ausschluß eines Gesellschafters aus der Gesellschaft im Wege eines gerichtlichen Ausschlußverfahrens wird, wie bereits erwähnt, durch den RegE zugelassen und näher geregelt (§§207—210). Insoweit wird die Rechtsprechung und die h. L. nunmehr kodifiziert, wobei der Entwurf bisher strittige Fragen klärt 1 5 . Besondere Aufmerksamkeit verdient auch hier, daß der Gesellschaftsvertrag Regelungen, die von den gesetzlichen Vorschriften abweichen, bringen kann (§ 210 RegE). Wie beim Austritt eines Gesellschafters aus wichtigem 13 F ü r Personengesellschaften wird nach h. M. (P. Ulmer in Großkomm. H G B § 138 Anm. 129) ein Zeitraum v o n höchstens zehn Jahren erlaubt; für die G m b H wird dies auch gelten können. 14 Siehe Fußnote 1. 15 Vgl. Begr. S. 196 ff.

D a s Ausscheiden aus der G m b H

121

Grund steht dabei eine abweichende Abfindungsregelung im Vordergrund; die Norm nach dem Gesetz (§ 209 Abs. 1) ist der „ Verkehrswert". Um das Verfahren zu beschleunigen, ist im Ausschließungsurteil die weitere Durchführung von der Zahlung einer vorläufigen Abfindung abhängig zu machen. Basis für diese ist der anteilige letzte rechtskräftige Einheitswert des Betriebsvermögens der Gesellschaft (bzw. der Vermögensteuererklärung) korrigiert ggf. um wesentliche Änderungen seit dem Stichtag des letzten Einheitswertes. Abgesehen von der Verwendung steuerlicher Größen in handelsrechtlichen Bestimmungen, ist diese Grundlage für die vorläufige Abfindung deshalb interessant, weil dieser Wert wohl eine Untergrenze für den endgültig zu bestimmenden „Verkehrswert" darstellen soll. Eine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag für die Abfindung (auch für die vorläufige) kann der Interessenlage entsprechen. Die Begr. (S. 200) hebt zwar hervor, daß der Ausschließung kein Strafcharakter zukomme; dodi ist nicht zu verkennen, daß es hier der Auszuschließende ist, der einen wichtigen Grund zur Ausschließung gibt 16 . Wenn seine Person oder sein Verhalten die übrigen Gesellschafter berechtigt, ihn zwangsweise aus dem Gesellschaftsverhältnis zu lösen, so erscheint es nicht unangemessen, ihn auch materiell nicht mit dem — ohnehin problematischen — Verkehrswert, sondern eindeutig niedriger abzufinden 17 . Es ist nicht einzusehen, warum nicht gerade beim Ausschluß, der für die verbleibenden Gesellschafter — anstelle einer Auflösung der Gesellschaft — u. U. den äußersten Notbehelf darstellt, eine unter dem „Verkehrswert" liegende Abfindung zulässig sein sollte. Zwar geht die Rechtsprechung des B G H in B G H Z 9, 168 und 32, 23 von der Überlegung aus, daß dem auszuschließenden Gesellschafter der „volle" (wirkliche) Gegenwert seines Geschäftsanteils zustehen soll, dodi spricht die Begr. zu § 210 RegE (S. 201) ausdrücklich davon, daß für die Abfindung eine abweichende Regelung getroffen werden kann.

1 6 § 2 0 7 Abs. 1 R e g E l a u t e t : „ E i n Gesellschafter kann auf A n t r a g der Gesellschaft durch gerichtliches U r t e i l aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wenn in seiner Person ein wichtiger G r u n d vorliegt. E i n wichtiger G r u n d liegt namentlich v o r , w e n n der Gesellschafter durch seine Person oder durch sein Verhalten die Erreichung des Gesellschaftszwecks unmöglich macht oder erheblich gefährdet oder wenn sonst die Person des Gesellschafters oder sein Verhalten sein Verbleiben in der Gesellschaft u n t r a g b a r erscheinen läßt. D e r Ausschluß ist nicht zulässig, w e n n die der Gesellschaft drohenden Nachteile durch andere zumutbare Mittel abgewendet werden können." 1 7 F ü r diese Auslegung des R e g E sprechen auch die Ausführungen der Begr. 118 zu der abweichenden Regelung für den F a l l der Zwangsvollstreckung in § 5 9 R e g E .

122

Reinhard Goerdeler

Insofern nähert sich der Ausschluß aus wichtigem Grund, der durch die Rechtsprechung gerade bei Fehlen jedweder Satzungsbestimmung in besonderen Fällen möglich sein sollte, bei Ausnutzung einer (abweichenden) Satzungsregelung weitgehend dem Institut der Einziehung eines Geschäftsanteils; der wesentliche Unterschied liegt nur darin, d a ß die Folge der Einziehung grundsätzlich der Untergang des Geschäftsanteils ist 18 , während beim Ausschluß der betroffene Gesellschafter seine Gesellschafterstellung verliert, sein Geschäftsanteil aber bestehen bleibt 19 . Diese Unterscheidung w i r d aber de lege ferenda dadurch verwischt, d a ß sowohl im Fall der Einziehung ( § 5 8 Abs. 6 RegE) als auch im Fall des Ausschlusses (§ 208 Abs. 4 RegE) die Gesellschaft den Geschäftsanteil selbst übernehmen kann, also der Geschäftsanteil nicht untergehen m u ß ; daneben w i r d im Falle des Ausschlusses (§ 208 Abs. 4 RegE) die Einziehung erlaubt. In anderen W o r t e n : Einziehung und Ausschluß stehen in einem engen Zusammenhang, so wie dies die Rechtsprechung schon bisher gesehen hat. Beratungsmäßig stellt sich — ähnlich wie beim Austritt — bei I n k r a f t t r e t e n des neuen Gesetzes das Problem, bestehende Gesellschaftsverträge der neuen Rechtslage anzupassen. Das gilt auch hier insbesondere f ü r eine genaue, ggf. abweichende Regelung bezüglich der Abfindung und ihrer Wertbestimmung. 3. Einziehung von

Geschäftsanteilen

a) Das Institut der Einziehung von Geschäftsanteilen, das dem des Ausschlusses v e r w a n d t ist, wird in das neue Recht übernommen; bisher bestehende Streitfragen werden nunmehr gesetzlich geklärt (§§ 58, 59 RegE). Für die Fälle der sogenannten Zwangsamortisation (ohne Zustimmung des Betroffenen) bleibt es dabei, daß die Voraussetzungen in der Satzung hinreichend klar festgelegt sein müssen; hierzu gehören auch die Bestimmungen über das Einziehungsentgelt 2 0 . b) Über die Frage, ob f ü r die Einziehung jedwede statutarische Wertbestimmung (voller Wert, N e n n w e r t , gemeiner Wert nach BewG, Zwischenwert) bis hin zur Unentgeltlichkeit rechtswirksam ist und insbesondere, ob solche Einziehungsbestimmungen auch den Gläubigern im Falle der Zwangsvollstreckung und des Konkurses entgegen18

Vgl. Baumbach-Hueck 13. Aufl. § 34 Anm. 3 Β für das geltende Redit; gleiches ergibt sidi de lege ferenda aus der Begr. S. 118. 19 Für das geltende Recht: BGHZ 32, 23; für das neue Recht: § 208 Abs. 4 RegE sowie Begr. S. 199. 20 So schon de lege lata: Baumbach-Hueck 13. Aufl. § 34 Anm. 2 Β und Schmidt in Hachenburg 6. Aufl. § 34 Anm. 13.

Das Ausscheiden aus der GmbH

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gehalten werden können, gehen für das geltende GmbH-Recht die Meinungen in Literatur und Rechtsprechung weitestgehend auseinander. Vor allem infolge einer insoweit nicht ganz eindeutigen Entscheidung des B G H vom 7. April 1960 ( B G H Z 32, 151) sind die Differenzen noch klarer hervorgetreten. Die Bemühungen Robert Fischers21, den Gehalt dieser Entscheidung klarzustellen, waren ebensowenig erfolgreich, wie auch die sonstigen Beiträge 22 nicht zu einer Klärung der Problematik geführt haben. Insbesondere bleibt streitig, ob eine Satzungsbestimmung rechtswirksam ist, die bestimmt, daß ein Geschäftsanteil nicht nur für die Fälle der Pfändung und des Konkurses unter seinem wahren (vollen) Wert eingezogen werden darf. Diese Frage wird zum geltenden Recht demnächst erneut den B G H beschäftigen, da das O L G Frankfurt a. M. 23 diese Frage im Unterschied zu dem Beschluß des O L G Karlsruhe vom 24. 2. 1967 2 4 verneinen will. Das O L G Frankfurt a. M. hält eine Satzungsbestimmung über die Einziehung eines Geschäftsanteils im Falle des Konkurses oder der Zwangsvollstreckung nur für wirksam, wenn das Einziehungsentgelt entweder zur Befriedigung des Gläubigers ausreicht oder dem Verkehrswert des Geschäftsanteils entspricht. In der Linie des O L G Frankfurt a. M. liegt audi die beabsichtigte Regelung für das neue Recht im RegE (§ 59). Diese geht von dem Grundgedanken 25 aus, die Gesellschaft gegen das Eindringen unerwünschter Personen — bei Vermögensverfall eines Gesellschafters (Zwangsvollstreckung wie Konkurs) — zu schützen26, andererseits im Interesse der Gläubiger, die in den Geschäftsanteil vollstrecken, diesen ein angemessenes Entgelt zu sichern. Dieser Grundsatz soll auch gelten — und darf durch den Gesellschaftsvertrag nicht abbedungen werden —, wenn der Gesellschaftsvertrag für den Pfändungs-(Konkurs-)fall die Einziehung des Anteils vorsieht. Dieses Vollstreckungsverfahren soll den Gläubigern ein „angemessenes Entgelt" anstelle des Geschäftsanteils bringen. Als angemessenes GmbH R'schau 1961, 21 und in Anm. zu LM Nr. 3 zu § 34 GmbHG. Pleyer GmbH R'schau I960, 124; Gottschling GmbH R'schau 1965, 52; Bokelmann BB 1970, 1235; Weber BB 1969, 425; Obermüller DB 1961, 598; Hueck DB 1957, 37; Sudhoff, Der Gesellschaftsvertrag der GmbH, 3. Aufl., 1973, 359 ff.; Reuter N J W 1973, 22. 23 Vorlagebeschluß v. 3 . 1 2 . 1973 in BB 1974, 100. 24 GmbH R'schau 1967, 214. 25 Im einzelnen vgl. die Begr. S. 118 f. 26 Das Vollstreckungsgericht muß der Gesellschaft vor einer anderen Verwertung die Möglichkeit geben, einen ihr genehmen Erwerber zur angemessenen Gegenleistung zu stellen: diese Regelung entspricht § 76 des österr. GmbH-Rechts und war schon von Fischer GmbH R'schau 1961, 24 zur Übernahme empfohlen. 21 22

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Entgelt soll der (oben in Frage gestellte) „Verkehrswert" anzusehen sein; anders als beim Ausschluß (§ 210 RegE) darf aber die Satzung von der gesetzlichen Regelung nicht abweichen. Die Begr. (S. 118) betont, daß hier die Gesellschaft weder im Einzelfall ein niedrigeres Entgelt festsetzen noch der Gesellschaftsvertrag eine niedrigere Festsetzung als das angemessene Entgelt vorsehen darf. Die Streitfragen zum geltenden Recht würden damit gesetzlich entschieden, mögen auch für die Wertermittlung im Einzelfall Schwierigkeiten auftauchen. Jedenfalls dürfte de lege ferenda eine statutarische Regelung, wonach das Einziehungsgeld nur so hoch zu sein braucht, um den Gläubiger zu befriedigen, unzulässig sein. Desgleichen wird es nicht mehr möglich sein, für alle Einziehungsfälle das gleiche, wirtschaftlich nicht vollwertige Entgelt vorzusehen. Zulässig erscheint jedoch auch noch für die Zeit des neuen GmbHRechts, daß der Gesellschaftsvertrag die Ermittlung des „angemessenen Entgelts" des näheren vorschreibt, z. B. indem er auf die Anwendung betriebswirtschaftlich anerkannter Methoden verweist oder unter diesen eine bestimmte auswählt (vgl. oben die Ausführungen zu Ziff. 1 c). c) Ob dieses gesetzgeberische Konzept völlig befriedigend ist, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls wird dem Interesse der Gläubiger ein Vorrang eingeräumt, weil es — wie ausgeführt — eindeutig nicht mehr zulässig sein wird, für alle Fälle der Einziehung einheitlich ein unter dem wahren Wert liegendes Einziehungsentgelt vorzusehen; für Differenzierungen, die sich aus den Einlagen oder der Tätigkeit der Gesellschafter für die Gesellschaft ergeben können, ist kein Raum mehr. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß der B G H neuestens27 die sogenannte Buchwertabfindung auch bei Personengesellschaften offensichtlich dann für fragwürdig ansieht, wenn ein Gesellschafter nach freiem Ermessen der Mehrheit aus der Gesellschaft ausgeschlossen (oder in seinen Mitgliedschaftsrechten unzumutbarerweise eingeschränkt) werden kann. Insofern stellen sich allgemein für das Gesellschaftsrecht neue Probleme. Sie gehen in zweierlei Richtung: zum einen sollen Abfindungsregelungen nicht zu Lasten interessierter Dritter (Gläubiger) gehen. Das ist der Grundgedanke des § 59 RegE für die GmbH; er ist aber auch für die Personengesellschaften anerkannt 28 . Zum anderen soll die Mehrheit nicht nach freiem Ermessen 27 Urteil vom 23. 10.1972 in N J W 1973, 651 mit Bespr. U. Schneider 1973, 750 f. 28 P. Ulmer in Großkomm, zum HGB § 138 Anm. 119.

NJW

Das Ausscheiden aus der GmbH

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einen Gesellschafter aus seinen materiellen Mitgliedschaftsrechten, zu denen auch der wahre Wert seiner Beteiligung gehört, verdrängen dürfen. Beide Aspekte verdienen in unserer Rechtsordnung Anerkennung. Andererseits kann nicht verkannt werden, daß sowohl in der GmbH als audi in Personengesellschaften bei der Gründung wie bei dem Betrieb des Unternehmens unterschiedliche Leistungen der Gesellschafter den Wert der Beteiligungen beeinflussen können, denen durch einheitlich festgesetzte Bewertungsnormen (sei es im Gesetz, sei es im Gesellschaftsvertrag) nicht Rechnung getragen wird. Wenn ζ. B. einzelne Gesellschafter im Unterschied zu anderen ihre Bareinlagen nur zum Nominalwert des Gesellschafts- (Geschäfts-) anteils zu erbringen haben, müßte es zulässig sein, im Falle des Ausscheidens (Austritt, Ausschluß, Zwangsvollstreckung) als Abfindung nur den Nennwert ggf. einschließlich anteiliger offener Reserven vorzusehen, insbesondere wenn dies auch für den Fall der Liquidation gilt. 4.

Auflösungsklage

Im geltenden Recht ist einer 10 %igen Gesellschafterminderheit das Recht zugestanden, im Wege der Klage dis Auflösung der Gesellschaft zu begehren, wenn die Erreichung des Gesellschaftszwecks unmöglich wird oder wenn andere in den Verhältnissen der Gesellschaft liegende, wichtige Gründe 29 für die Auflösung vorhanden sind (§ 61 GmbH-Gesetz). Im Hinblick auf die neuerdings auch von der Rechtsprechung anerkannte Lehre vom Ausschluß und Austritt eines Gesellschafters aus wichtigem Grunde wird zu der Auflösungsklage nach § 61 heute weitgehend die Meinung vertreten, daß diese im Interesse der Aufrechterhaltung des Unternehmens dann nicht durchgreifen kann, wenn die sich beeinträchtigt fühlenden Gesellschafter ihrerseits aus der Gesellschaft ausscheiden können 30 . Auch der B G H hat in seinem ersten Ausschließungs-Urteil ( B G H Z 9, 158) die Auflösung ausdrücklich als „äußerstes Mittel" bezeichnet; er hält die Auflösung für sachlich nicht gerechtfertigt, wenn der wichtige Grund ausschließlich in der Person eines Gesellschafters begründet ist. Auf diesen Zusammenhang mit dem Kündigungsrecht eines Gesellschafters wird unter Ziffer 5 eingegangen. De lege ferenda folgt der RegE im wesentlichen dieser heute als herrschend anzusehenden, einengenden Auslegung der Klagemöglich2 9 Rechtsprechung und Lehre haben bei stark persönlich geprägten Gesellschaften mbH, insbesondere solchen mit einer geringen Mitgliederzahl auch bei tiefgreifenden Zerwürfnissen unter den Gesellschaftern selbst einen Auflösungsgrund nach § 61 erblickt, vgl. statt aller: R. Fischer, GmbH R'schau 1953, 136. 30 Schmidt-Goerdeler in Hachenburg 6. Aufl. § 61 Anm. 12.

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Reinhard Goerdeler

keit nach § 6 1 ; es soll die Auflösungsklage nur zugelassen werden, wenn in der Person eines Gesellschafters ein wichtiger Grund vorliegt, der seinen Ausschluß rechtfertigen würde (§ 212 RegE). Die Auflösungsklage wird damit auf den Fall beschränkt, daß die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern nicht fortgeführt werden kann, u. a. deshalb nicht, weil die Gesellschaft den Abfindungsbetrag nicht aufbringen kann und deshalb ohnehin der Auflösung verfallen würde (§ 209 Abs. 4 RegE). Nach der Begr. S. 203 haben es die Gesellschafter, die einen Mitgesellschafter aus wichtigem Grund aus ihrem Kreis durch Ausschluß entfernen können, in der H a n d , statt dessen auch die Gesellschaft aufzulösen. Man mag zweifeln, ob diese Wahlmöglichkeit so uneingeschränkt den Mitgesellschaftern zugestanden werden kann, wenn man andererseits (insbesondere bei Produktionsbetrieben) die mit einer Auflösung verbundenen Folgen bedenkt; die Auflösung sollte audi im neueren Recht das „äußerste Mittel" bleiben, wenn Austritt auf der einen und Ausschluß auf der anderen Seite keine befriedigende Lösung der unter den Gesellschaftern aufgetretenen Schwierigkeiten bringen. Kritisch zu überdenken bleibt aus diesem Grunde audi, ob die im RegE vorgesehene Auflösungsfolge gerechtfertigt ist, wenn die Gesellschaft die notwendigen Mittel f ü r die Abfindung im Falle des Ausschlusses (§ 209 Abs. 4) und des Austritts (§ 211 Abs. 4) nicht aufbringen kann 3 1 . Die übrigen Auflösungsgründe in § 214 RegE — sie entsprechen weitgehend dem geltenden Recht — bedürfen bis auf die Kündigung durch einen Gesellschafter keiner näheren Betrachtung. 5.

Kündigungsrecht

Das geltende GmbH-Gesetz erwähnt ein Kündigungsrecht f ü r die Gesellschafter nicht. Jedoch finden sich in Gesellschaftsverträgen entsprechende Bestimmungen. Mangels besonderer Regelung wurde f r ü her angenommen, daß die Ausübung einer solchen Kündigungsbefugnis die Auflösung der Gesellschaft nach sich ziehen würde. Die wohl h. M. hat jedoch heute — nicht zuletzt unter dem Einfluß der Arbeiten von Scholz und R. Fischer — den Standpunkt bezogen, daß in aller Regel (der Gesellschaftsvertrag oder seine Auslegung kann die Auflösungswirkung ergeben) ein solches gesellschaftsvertraglich allen oder einzelnen Gesellschaftern eingeräumtes Kündigungsrecht nicht die Auflösung, sondern das Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters zur Folge hat; das Unternehmen und sein Fortbestehen 31

Vgl. die Bemerkung oben Fußnote 7.

Das Ausscheiden aus der GmbH

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haben Vorrang 3 2 . Die Kündigung wirkt wie ein Austritt aus der Gesellschaft, wobei der Geschäftsanteil des Kündigenden eingezogen oder durch die Gesellschaft bzw. die Mitgesellschafter erworben wird. Der RegE folgt auch hier der jetzt herrschenden Meinung. Er bestimmt in § 214 Abs. 2, daß die Ausübung der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Kündigungsmöglichkeit im Zweifel nur den Austritt des Kündigenden aus der Gesellschaft (gemäß den gesetzlichen und etwaigen statutarischen Bestimmungen über den in §§ 211 if. RegE geregelten Austritt) zur Folge hat; die Auflösungswirkung muß wegen ihrer weitreichenden Folgen ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein (Begr. S. 204). Bei Inkrafttreten des neuen Gesetzes werden bisher bestehende Kündigungsrechte daraufhin überprüft werden müssen, ob sie mit der Neuregelung in Übereinklang stehen. Darüber hinaus wird bei Regelungen, die f ü r den Fall des Austritts neu in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden (vgl. oben Ziffer 1 c), auch zu bedenken sein, daß solche Bestimmungen auch f ü r die Ausübung eines vertraglichen Kündigungsrechts gelten, es sei denn, daß die Gesellschafter die Auflösung als Folgewirkung der Kündigung vereinbaren.

IV. Zusammenfassung Als Ergebnis läßt sich feststellen, daß der RegE die Fälle des freiwilligen oder zwangsweisen Ausscheidens aus der Gesellschaft im Grundsätzlichen entsprechend der heute zum GmbH-Gesetz von 1892 herrschenden Meinung lösen will. Austritt, Ausschluß und Kündigung werden in einer Weise geregelt, die den Interessen der Gesellschafter (auch im Verhältnis zu dem Gesellschafter, in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt oder der selbst einen wichtigen Grund gegen die übrigen hat) und der Gesellschaft selbst weitgehend Rechnung trägt. Der Ausgestaltung dieser Ausscheidensgründe wie auch der Regelung der Übertragbarkeit der Geschäftsanteile (bis hin zu dem Ausschluß der Abtretung) durch den Gesellschaftsvertrag ist ein weiter Raum gegeben. Dies gilt insbesondere audi f ü r die Abfindungsregelungen in den verschiedenen Fällen. Schließlich wird auch die Einziehung von Geschäftsanteilen vor allem f ü r den Fall der Zwangsvollstreckung oder die Konkurseröffnung über das Vermögen eines Gesellschafters, gerade in den strittigen Einzelfragen einer klareren Regelung als bisher unterworfen. 32 Scholz JR 1948, 115; K.Fischer GmbH R'schau 1953, 136 sowie 1955, 168; Schmidt-Goerdeler in Hachenburg 6. Aufl. § 60 Anm. 35 und 36.

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R e i n h a r d Goerdeler

Der Berater steht vor der schwierigen Aufgabe, die bestehenden Gesellschaftsverträge in jeder Hinsicht der neuen gesetzlichen Regelung anzupassen 33 . Er wird dabei zu berücksichtigen haben, wie er die vielfach divergierenden Interessen von Gesellschaft und Gesellschaftern in Übereinklang mit dem neuen Gesetz bringen kann; dies gilt insbesondere für Abfindungsregelungen, soweit das neue Gesetz in den verschiedenen Fällen des Ausscheidens Abweichungen von den gesetzlichen Normen zuläßt.

3 3 D a b e i wären audi steuerliche Gesichtspunkte zu beachten; diese könnten sich z. B. aus den Ä n d e r u n g e n des Erbschaftsteuergesetzes bei Buchwertabfindungen ergeben.

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen H A N S HENGELER

1. i.

Das Thema dieses Beitrages betrifft eine Einzelfrage der rechtlichen Beurteilung von fehlerhaften — ungenau oft auch „faktisch" genannten — Anstellungsverträgen einer Aktiengesellschaft mit ihren Vorstandsmitgliedern. Man braucht sich bei seiner Behandlung nicht mit dem Fehlen einer wirksamen Bestellung zum Vorstandsmitglied, also des körperschaftlichen Aktes, zu befassen, durch den eine Person zum Vorstandsmitglied berufen wird und der für den Bestellten die Rechte und Pflichten begründet, die kraft Gesetzes mit der Organstellung verbunden sind. Denn Versorgungsansprüche, mit denen dieser Beitrag sich beschäftigt, ergeben sich nicht aus der Organstellung als solcher, sie können vielmehr nur im Anstellungsvertrag (oder in einer Ergänzung zu diesem) begründet werden. Er ist der Ort, in dem die beiderseitigen Rechte und Pflichten festgelegt werden, die nach dem Gesetz nicht ohne weiteres aus der Organstellung fließen. Für die Antwort auf die Frage nach der Rechtswirkung von Versorgungszusagen ist also die Wirksamkeit des Bestellungsaktes nicht unmittelbar von Bedeutung. Der Bestellungsakt könnte allenfalls insoweit von Belang sein, als etwa auf Grund einer Wechselwirkung zwischen ihm und dem Anstellungsverhältnis seine Wirksamkeit Mängel des Anstellungsverhältnisses zu heilen oder seine Unwirksamkeit sich auch auf einen — sonst mangelfreien — Anstellungsvertrag zu erstrecken vermöchte. Eine solche Untersuchung überschritte den Rahmen dieses Aufsatzes. 2. Die Fehlerhaftigkeit eines Vorstandsvertrages mit der Folge seiner Nichtigkeit kann mannigfache Ursachen haben. Dabei ist, weil in der Praxis oft nicht hinreichend beachtet und daher ein Hauptfall der Fehlerhaftigkeit von Vorstandsverträgen, von Besonderem Belang, daß die Wirksamkeit einer Anstellung als Vorstand ein Doppeltes erfordert 1 , nämlich 1 Vgl. u . a . B G H Z 41, S. 282, 285; B G H in WM 1970, S. 1394, 1395; Heim in A G 1967, S. 4, 5 und in A G 1970, S. 191; Werner in A G 1967, S. 102, 105; MeyerLandrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973, § 84 Anm. 5.

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Hans Hengeler

a) einen förmlichen ausdrücklichen Beschluß des Aufsichtsrats (AR) oder eines von ihm gebildeten Ausschusses, durch den als Akt der "Willensbildung über den Abschluß und den Inhalt des Vorstandsvertrages entschieden wird (§ 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 108 Abs. 1 AktG, § 107 Abs. 3 AktG) 2 , und b) die Ausführung dieses Beschlusses durch Abschluß des Anstellungsvertrages mit dem Vorstandsmitglied (regelmäßig also die Unterzeichnung), für den als gesetzliches Vertretungsorgan der Gesellschaft gleichfalls allein der A R oder ein von ihm ordnungsgemäß gebildeter Ausschuß zuständig ist ( § 1 1 2 AktG). Die Entscheidung zu a) (Willensbildung) kann nie einem anderen, auch nicht einem einzelnen AR-Mitglied, überlassen werden 3 . Der Akt des Abschlusses des Vertrages mit dem Vorstandsmitglied (Willensvollzug) braucht nicht notwendig von allen Mitgliedern des A R oder des Ausschusses ausgeführt zu werden. Jedoch ist das Handeln eines einzelnen Organmitgliedes (z. B. des AR-Vorsitzenden) nur dann wirksam, wenn der Betreffende durch Beschluß des zuständigen Organs (AR oder Ausschuß) zur Abgabe der notwendigen Willenserklärung namens des Organs besonders ermächtigt worden ist 4 . Uberläßt der A R (oder Ausschuß) etwa dem AR-Vorsitzenden sowohl die gesellschaftsinterne Entschließung über den Abschluß und den Inhalt des Vorstandsvertrags als auch dessen Vollziehung nadi außen zu selbständiger Erledigung, so liegt darin ein doppelter Mangel: Es wird die ausschließliche Entscheidungsbefugnis des zuständigen Gesellschaftsorgans, aber auch dessen alleinige Vertretungsbefugnis verletzt 5 . Wegen der Unzulässigkeit stillschweigender Beschlußfassung6 kann die Kenntnis des A R davon, daß der Betreffende als Vorstandsmitglied tätig geworden ist, sowie seine etwaige Kenntnis der vom A R Vorsitzenden mit dem Vorstandsmitglied vereinbarten Vertragsbe2 Mit Redit läßt die herrschende Rechtsprechung und Lehre stillschweigende Beschlüsse nicht zu. Vgl. u. a. B G H Z 41, S. 282, 285 f.; B G H in W M 1970, S. 1394, 1395; Godin-Wilhelmi, AktG, 4. Aufl. 1971, § 1 0 8 Anm. 5 ; Baumbach-Hueck, AktG, 13. Aufl. 1968, § 108 Anm. 2. 3 Vgl. u . a . B G H Z 41, S. 282, 2 8 5 ; Hefermehl in Geßler-Hefermehl-EdcardtKropff, AktG, 1973, § 84 Anm. 3 9 ; Mertens in Kölner Kommentar z. AktG, 1970, § 84 Anm. 30. 4 Vgl. u. a. B G H Z 41, S. 282, 2 8 5 ; Heim in A G 1970, S. 191. Auf die Frage, ob die Satzung allgemein den AR-Vorsitzenden ermächtigen kann, Willenserklärungen des A R und seiner Ausschüsse namens des A R abzugeben, kann hier nicht eingegangen werden (dazu Heim, a. a. O.). 5 Vgl. B G H Z 41, S. 282, 285. 6 Vgl. Fußnote 2.

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen

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dingungen und das Untätigbleiben des A R nicht als rechtlich wirksame Billigung dieser Bedingungen oder des alleinigen Handelns des AR-Vorsitzenden gewertet werden 7 . Alles dies gilt auch für ergänzende Abreden, ζ. B. eine Ruhegehaltszusage 8 , und ebenso für eine Verlängerung des Anstellungsvertrages. Nicht nur das Fehlen eines Beschlusses führt zur Nichtigkeit des Vorstandsvertrages. Die gleiche Folge tritt ein, wenn zwar eine Beschlußfassung stattgefunden hat, diese aber aus irgendeinem Grunde nichtig ist. Nichtig ist jeder Beschluß des A R (oder eines Ausschusses), der unter Verletzung einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Voraussetzung der Ordnungsmäßigkeit gefaßt worden ist, sofern es sich nicht nur um eine sogenannte Ordnungsvorschrift (wie z . B . § 107 Abs. 2 AktG) handelt 9 . Sollte sich in der Rechtsprechung die Auffassung durchsetzen, daß ein AR-Ausschuß, dem Entscheidungen anstelle des A R überwiesen sind, im Hinblick auf § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG aus mindestens drei Mitgliedern bestehen müsse10, so würde sich die Zahl fehlerhafter Vorstandsverträge nicht unerheblich vermehren. Denn in der Praxis ist nicht selten für alle Vorstandsangelegenheiten — ausgenommen die in § 107 Abs. 2 Satz 2 AktG dem Gesamt-AR vorbehaltenen — das aus Vorsitzendem und stellvertretendem Vorsitzenden bestehende „Präsidium" oder ein anderer zweiköpfiger „Personalausschuß" gebildet worden 11 .

II. l.

Es ist nicht die Absicht dieses Aufsatzes, die allgemeine rechtliche Problematik fehlerhafter Vorstandsverträge um einen weiteren Beitrag zu vermehren. Den folgenden Erwägungen liegt vielmehr die Rechtsprechung des B G H 1 2 zugrunde, die mit Recht zwar nicht allVgl. BGHZ 41, S. 282, 286. Abweichend anscheinend Hejermehl, a. a. O., § 84 Anm. 39, wohl in Anlehnung an frühere Rechtsprechung (BGH in WM 1957, S. 846 f. und in WM 1961, S. 299 f.), die jedoch durch die Entscheidung BGHZ 41, S. 282 ff. überholt sein dürfte. Richtig: Mertens, a. a. O., § 84 Anm. 30. 9 Vgl. statt aller: Godin-Wilhelmi, a. a. O., § 108 Anm. 5 mit Beispielen. 1 0 BGH in WM 1973, S. 506 f. = BB 1973, S. 723, 724, hat dies dahingestellt sein lassen. 11 Verfasser hat früher gutachtlich die Ansicht vertreten, in dem gedachten Fall müsse der Ausschuß drei Mitglieder haben. Er hat später aber starke Zweifel bekommen und möchte heute dem Standpunkt zustimmen, den Lehmann in seinem Beitrag zu dieser Festschrift eingenommen und begründet hat. 1 8 Vgl. namentlich BGHZ 41, S. 282 ff. und 47, S. 341 ff. 7 8

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enthalben in ihrer Begründung, wohl aber in ihrem Ergebnis überwiegend Zustimmung gefunden hat 13 . Sie läßt sich wie folgt zusammenfassen: a) Wer zwar unwirksam, jedoch mit Kenntnis des AR oder eines AR-Mitglieds als Vorstandsmitglied angestellt und tätig geworden ist 14 , dessen (fehlerhaftes) Beschäftigungsverhältnis ist f ü r die Dauer der ausgeübten Tätigkeit — also von ihrer tatsächlichen Aufnahme bis zur Beendigung — so zu behandeln, als ob ein fehlerfreier, gültiger Anstellungsvertrag vorläge. Das fehlerh a f t angestellte Vorstandsmitglied hat für den Zeitraum seiner Beschäftigung namentlich einen Anspruch auf die im (unwirksamen) Anstellungsvertrag vereinbarten Bezüge jeder Art (Gehalt, Gewinnbeteiligung usw.). b) Das Beschäftigungsverhältnis kann wegen seiner bloßen Tatsächlichkeit und des Mangels rechtlicher Geltung des Vorstandsvertrages von jeder von beiden Seiten jederzeit durch Nichtmehrbeschäftigung oder Nichtmehrtätigwerden beendet werden. c) Mit dem Ende der Beschäftigung entfällt jede Vergütung f ü r die nun nicht mehr zu erbringende weitere Dienstleistung. Die Ansprüche des Vorstandsmitglieds beschränken sich also auf die Bezüge f ü r die Vergangenheit. In dieser Behandlung fehlerhafter Vorstandsverträge liegt nicht eine Anerkennung des „faktischen" Anstellungsvertrages als eines gültigen Rechtsgeschäfts, sondern lediglich eine sach- und interessengerechte Beschränkung der Folgen der Nichtigkeit. Flume15 weist mit Recht darauf hin, daß der nichtige Vertrag kein Nicht-Vertrag, etwas rechtlich überhaupt nicht Vorhandenes ist, daß man vielmehr Nichtigkeit als Nicht-Geltung zu verstehen hat und daß es f ü r denjenigen, 13 Vgl. u. a. Hefermehl, a. a. O., § 84 Anm. 134; Mertens, a. a. O., § 84 Anm. 23; Gerlach in AG 1965, S .251, 255 ff.; Kreilein, Das Ruhegehalt des Vorstandes der AG, 1972, S. 59 ff. Eine beachtenswerte Kritik an der Begründung, nicht am Ergebnis der Rechtsprechung findet sich u. a. in der Anmerkung von Pawlowski in JZ 1970, S. 506 zu der Heilmittel-Werbeleiter-Entscheidung des B G H (BGHZ 53, S. 152 ff.). Gegen die Kritik Spiekers an der Entscheidung BGHZ 41, S. 282 ff. in DB 1964, S. 1287 ff. vgl. die überzeugenden Darlegungen von Veith in DB 1965, S. 807 ff. und von Kuhn in WM 1966, S. 50, 53 ff. 14 Das bloße Tätigwerden einer Person als Vorstandsmitglied ohne einen wenigstens fehlerhaften Anstellungsvertrag und ohne Kenntnis mindestens eines Mitglieds des AR würde nicht genügen. Vgl. dazu u. a. Hefermehl, a. a. O., § 84 Anm. 134; Mertens, a . a . O . , § 8 4 Anm. 23; Kreilein, a . a . O . , S. 60; Flume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band, Das Rechtsgeschäft, 1965, S. 101. 15 A. a. O., S. 102, Fußnote 14 a, S. 548 und S. 555.

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen

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der nicht doktrinär denkt, keine Schwierigkeit macht, die Nicht-Geltung in sachgerechter Weise einzuschränken. 2. Fälle fehlerhafter Vorstandsverträge werden nicht ausnahmslos nach den zu I I 1 dargestellten Grundsätzen behandelt werden können. Die Einschränkung der Nichtigkeitswirkung wird im allgemeinen nicht gelten dürfen in Fällen eines Vorstandsvertrages, in denen ein Nichtigkeitsgrund vorliegt, bei dem wichtige Interessen der Allgemeinheit vorgehen oder der Schutz einzelner schutzwürdiger Personen den Vorrang hat 1 6 . Eine solche Ausnahme ist ζ. B. denkbar, wenn a) die von dem Vorstandsmitglied zu erbringende Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstößt oder die guten Sitten verletzt (ζ. B. unerlaubte Rechtsberatung, Schmuggel zollpflichtiger Waren über die Grenze, Betrieb eines Bordells), b) der Schutz nicht voll Geschäftsfähiger es erfordert. Diesen Tatbeständen soll hier nicht weiter nachgegangen werden. In der Praxis werden sie nur selten vorkommen. Jedenfalls kann nicht zweifelhaft sein, daß solche Fälle, in denen es trotz zeitweiliger Tätigkeit bei völliger Nichtgeltung des Vorstandsvertrages bleibt, allein nach Bereicherungsgrundsätzen abzuwickeln sind.

III. 1.

Dagegen ergibt sich in den unter I I 1 behandelten „normalen" Fällen der Fehlerhaftigkeit eines Vorstands Vertrages die Frage, was denn das rechtliche Schicksal einer in dem Vorstandsvertrag enthaltenen oder im Zusammenhang mit ihm gleichzeitig oder später erteilten Zusage künftiger Versorgung ist. 2. Das grundlegende Urteil B G H Z 41, S. 282 ff. hat diese Frage trotz einiger mißverständlicher Formulierungen bei Licht betrachtet nicht entschieden. Wenn der B G H 1 7 bemerkt, bei Zugrundelegung seiner Ansicht könnten den Vorstandsmitgliedern schon nach kurzer Tätigkeitsdauer Vergütungen und „Versorgungsrechte" verbleiben, so hat 1 8 Vgl. u . a . B G H Z 3, S. 285, 288 und Mertens, a . a . O . , § 8 4 A n m . 2 3 ; vgl. ferner zu dem gleichliegenden Problem bei der fehlerhaften Gesellschaft Fischer in N J W 1958, S. 969. 1 7 A . a . O . , S. 291.

134

Hans Hengeler

er dabei nicht eine in die Zukunft gerichtete Versorgungszusage, sondern schon während der Tätigkeit zum Zwecke der Versorgung an das Vorstandsmitglied geleistete Zahlungen im Auge gehabt. In dem vom B G H entschiedenen Fall war für die Versorgung des Vorstandsmitglieds in der Weise Sorge getragen, daß die Gesellschaft zu seinen Gunsten einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen und dafür Prämien gezahlt hatte. Sie hatte von der Versicherungsgesellschaft Vorauszahlungen auf die Lebensversicherungssumme vereinnahmt und diese an das Vorstandsmitglied weitergeleitet. Der Konkursverwalter der Gesellschaft verlangte Rückzahlung dieses Betrages. Es war streitig, ob die Zahlung als Teil des Gehaltes gezahlt worden war oder der Altersversorgung gedient hatte. Der B G H bezeichnete diesen Streit als unerheblich: „Denn audi, soweit Versorgungsrechte bereits während der Beschäftigungszeit gewährt und Versorgungsbezüge schon bezahlt worden sind, ist das fehlerhafte Anstellungsverhältnis so zu behandeln, als bestünde ein fehlerfreies Vertragsverhältnis". An anderer Stelle spricht der B G H davon, das Vertrauen des eingestellten Vorstandsmitglieds in die Beständigkeit der erhaltenen Zahlungen und empfangenen sonstigen Bezüge verdiene Schutz und dieser Gesichtspunkt sei dem Äquivalenzgedanken vorzuziehen. Die Entscheidung gibt also für unser Problem nichts her. 3. Da mit der Beendigung der Vorstandstätigkeit die Nichtigkeit des Vorstandsvertrages voll zur Geltung kommt (vgl. oben unter I I 1 c), könnte die Schlußfolgerung naheliegen, daß mangels einer Anspruchsgrundlage kein Raum für spätere Leistungen aus einer Versorgungszusage bestehe. So einfach liegen die Dinge aber nicht. Rechte und Pflichten können bei folgerichtiger Verwirklichung der Rechtsprechung des B G H sehr wohl auch später noch in Betracht kommen, soweit sie in dem während der Beschäftigungsdauer als verbindlich zu wertenden Anstellungsverhältnis ihre Grundlage finden. Das ist unbedenklich für rückständige Bezüge zu bejahen. Nicht anders liegt audi der Fall, daß während des Beschäftigungsverhältnisses die eine oder andere Seite sich in einer zum Schadensersatz Verpflichtetenden Weise vertragswidrig verhält und daraus dem Vertragsgegner ein in die Zukunft reichender Schaden erwächst, der z. B. in Gestalt einer Rente ausgeglichen werden muß. Dies führt zu der Frage, ob das Vorstandsmitglied nicht während seiner Beschäftigungszeit den Anspruch auf künftige Versorgungsleistungen ganz oder teilweise sich „erdient" hat. Eine Antwort darauf erfordert vorab, a) zwischen den verschiedenen Typen von Versorgungszusagen zu unterscheiden (im folgenden unter 4.) und

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstands vertragen

135

b) sich das Wesen von Versorgungszusagen an Vorstandsmitglieder klarzumachen (im folgenden unter 5.). 4. Die regelmäßigen Versorgungsfälle, von deren Eintritt an Versorgungszahlungen erfolgen sollen, sind a) Erreichung einer Altersgrenze (ζ. B. 65 oder 60 Jahre), b) Invalidität (meist Berufsunfähigkeit im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen), c) Tod (als Versorgungsfall f ü r Witwen und gegebenenfalls Waisen). Daneben kommt — bei Vorstandsmitgliedern einer A G sogar recht häufig — als weiterer „Versorgungsfall" das Ausscheiden aus den Diensten der Gesellschaft zufolge NichtVerlängerung (Nichterneuerung) des zeitlich stets befristeten Vorstandsverhältnisses (§ 84 Abs. 1 Satz 5 AktG) vor 18 . In diesen Fällen entsteht der Versorgungsanspruch mit der Zusage, ohne von weiteren Voraussetzungen als eben der NichtVerlängerung abhängig zu sein und ohne namentlich einen der soeben unter a) bis c) genannten Versorgungsfälle zu erfordern. Was die soeben unter a) bis c) erwähnten Versorgungsfälle angeht, gibt es in der Praxis zwei Grundtypen 1 9 : a) Es wird mit der Zusage bedingungslos eine feste Versorgungsberechtigung f ü r die verschiedenen Versorgungsfälle gewährt. Bei solchem Tatbestand setzt die Versorgung mit dem späteren Eintritt des Versorgungsfalls und unabhängig davon ein, ob der Versorgungsberechtigte in diesem Zeitpunkt noch in den Diensten des Unternehmens steht 20 . b) Daneben gibt es Versorgungszusagen, deren Wirksamwerden von bestimmten ungewissen künftigen Ereignissen abhängt (aufschiebend bedingter Versorgungsanspruch, Versorgungsanwartschaft). Bedingung kann ζ. B. die Erreichung eines bestimmten Lebensalters oder die Zurücklegung einer Mindestwartezeit (Mindestdienstdauer) sein. Sehr häufig ist in Arbeitsverhältnissen die Versorgungsleistung davon abhängig gemacht, daß bei Eintritt des Versorgungsfalls das Arbeitsverhältnis mit dem Versorgungspflichtigen noch andauert. In solchen Fällen erstarkt die bloße Anwartschaft zum Vollrecht (Anspruch auf Vgl. u. a. Hefermehl, a. a. O., § 84 Anm. 45 und 46. Vgl. u.a. Hefermehl, a.a.O., § 8 4 Anm. 109, 110; Meyer-Landrut, a.a.O., § 84 Anm. 55. 20 Vgl. u. a. auch Heissmann, Die betrieblichen Ruhegeldverpflichtungen, 6. Aufl. 1967, S. 98 f.; Hilger in Handbuch der betrieblichen Altersversorgung, 5. Aufl. 1968, S. 110. 18

19

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Zahlung von Versorgungsleistungen) erst und nur dann, wenn bei Eintritt des Versorgungsfalls alle Voraussetzungen erfüllt sind. Ohne deren Erfüllung schuldet der Dienstberechtigte keine Versorgungszahlungen21. (Auf die sogenannte Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften wird sogleich eingegangen). Nun ist einleuchtend, daß ein fehlerhaft angestelltes Vorstandsmitglied in keinem Fall bessergestellt sein kann, als wenn ein Anstellungsvertrag desselben Inhalts mangelfrei und voll wirksam wäre. Die vorzeitige Beendigung der Beschäftigung wegen der Fehlerhaftigkeit des Anstellungsvertrags kann nicht zu Ansprüchen führen, die bei ordnungsgemäßer Beendigung eines fehlerfreien Anstellungsvertrags zum ersten nur möglichen Zeitpunkt nicht gegeben sein würden. Für die weitere Untersuchung kann man daher alle die Tatbestände ausschalten, in denen das Vorstandsmitglied auch im Falle fehlerfreier Anstellung bei Ablauf seiner Bestellungszeit (Anstellungsdauer) einen Anspruch auf sofort oder später einsetzende Versorgung nicht erworben hätte. Es bleiben dann lediglich die folgenden Tatbestände übrig: a) Das Vorstandsmitglied wird innerhalb der laufenden Amtsperiode — vor oder nach Beschäftigungsende — invalide oder stirbt innerhalb dieses Zeitraums, und bei Wirksamkeit des Anstellungsvertrags hätten in diesem Fall Versorgungsansprüche bestanden. b) Das Vorstandsmitglied hätte bei regelrechtem Auslaufen seines zeitlich befristeten Vertrags im Fall von dessen Wirksamkeit alsbald einen sofort eintretenden Anspruch auf Versorgung gehabt, sei es, daß die Zusage für den Fall der NichtVerlängerung bedingungslos erteilt war, sei es, daß etwaige Bedingungen (z. B. Wartezeit, Mindestlebensalter) in diesem Zeitpunkt erfüllt gewesen wären. c) Das Vorstandsmitglied hätte nach dem Inhalt des (fehlerhaften) Anstellungsvertrags in dem zu b) genannten Fall einen nicht mehr von Bedingungen abhängigen Anspruch auf spätere Versorgung für den Fall der Altersgrenze, der Invalidität und des Todes gehabt. Namentlich sollte nach dem Vertragsinhalt der Fortbestand des Dienstverhältnisses keine Bedingung für die Versorgungsberechtigung sein. In allen anderen Fällen könnte sich allenfalls die Frage stellen, ob vielleicht auch für Vorstandsmitglieder die Grundsätze von der sogenannten Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften mit der 2 1 Vgl. auch Hefermehl, Hilger, a. a. O., S. 111.

a. a. O., § 84 Anm. 109, 110; Heissmann,

a. a. O., S. 127;

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen

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Wirkung anwendbar sind, daß sie auch fehlerhafte Anstellungsverträge erfassen, und bejahendenfalls, ob im einzelnen Fall die tatsächlichen Voraussetzungen einer solchen „Unverfallbarkeit" erfüllt sind. Die neuere Rechtsprechung des BAG 22 geht dahin, daß bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen die Versorgungspflicht des Arbeitgebers, die unter der Bedingung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses steht, erfüllt werden muß, obwohl der Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalls sich nicht mehr in den Diensten des Arbeitgebers befindet. Es soll dann trotz Nichteintritts der vereinbarten Bedingung der pro rata temporis „erdiente" Teil der Versorgungsanwartschaft vom Arbeitgeber geschuldet werden. Diese Rechtsprechung erscheint bedenklich. Das BAG hat mit seiner Rechtsprechung eine Aufgabe übernommen, die nur Sache des Gesetzgebers sein kann. Selbst wenn die Rechtsprechung des BAG aber zu billigen wäre, würde immer noch die Frage ofienbleiben, ob sie auch für Vorstandsmitgliedern gewährte bloße Versorgungsanwartschaften Geltung beanspruchen könnte. Das ist m. E. zu verneinen. Wenn die These von der sogenannten „Unverfallbarkeit" sich überhaupt halten ließe, so wäre sie allein aus dem Arbeitnehmerschutzprinzip, von Wiedemann23 „arbeitsrechtliches Schutzprinzip" genannt, herzuleiten. Das hat v. Arnim24 dargetan. Die Wurzeln dieses Prinzips liegen in der unterlegenen Verhandlungsposition des Arbeitnehmers und seiner persönlichen Abhängigkeit (Verpflichtung zu persönlicher weisungsgebundener Arbeitsleistung im Rahmen einer vorgeschriebenen Arbeitszeit)25. Es sind dies Voraussetzungen, die bei Vorstandsmitgliedern nicht zutreffen. Deren Schutzbedürfnis ist daher anders zu beurteilen als dasjenige von Arbeitnehmern. Anstellungsverträge und namentlich auch Versorgungsabreden von Vorstandsmitgliedern werden regelmäßig in voller Verhandlungsparität frei ausgehandelt26; das Vorstandsmitglied kann seinen Schutz selbst übernehmen und tut dies in der Regel auch. Außerdem sind Vorstandsmitglieder nicht persönlich „abhängig"; sie sind Weisungen weder der Hauptversammlung noch des AR unterworfen; ihr Anstellungsvertrag ist ein unabhängiger (eigenbestimmter) Dienstvertrag27. 22 A P S. 1005.

Nr. 156

zu

§ 242

BGB

Ruhegehalt = D B

1972,

S. 1486 = BB

1972,

Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, 1966. Die Verfallbarkeit von betrieblichen Ruhegeldanwartschaften, 1970, S. 165 ff. 2 5 Vgl. v. Arnim, a. a. O. 2 6 Vgl. u. a. Hefermehl, a. a. O., § 84 Anm. 111; v. Arnim in BB 1972, S. 1411, 1415; Kreilein, a. a. O., S. 37 f.; einschränkend Steindorff in BB 1973, S. 1129. 2 7 Vgl. u . a . Hefermehl, a . a . O . , § 8 4 Anm. 35, 37, 109; anders Trinkhaus in D B 1968, S. 1757, der auch bei Organen juristischer Personen eine persönliche Abhängigkeit im Innenverhältnis für gegeben hält. 23 24

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Die Rechtslage würde natürlich geändert, wenn ein Gesetz bestimmen sollte, daß audi Versorgungsanwartschaften von Vorstandsmitgliedern bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen „unverfallbar" sein sollen, wie dies der bei Niederschrift dieses Aufsatzes vorliegende Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 28. 9. 1973 in der Tat für richtig hält 28 , und zwar mit der für den Regelfall nicht zutreffenden Begründung, daß vielfach auch Mitglieder von Gesellschaftsorganen und Selbständige auf die inhaltliche Ausgestaltung von Versorgungszusagen — wie Arbeitnehmer — wegen der regelmäßig stärkeren Position ihres Vertragspartners keinen oder nur geringen Einfluß nehmen könnten. In der Praxis liegen bei Vorstandsmitgliedern auch heute schon durchweg Versorgungszusagen vor, die nicht nur eine Versorgungsanwartschaft darstellen, sondern eine unbedingte Versorgungsberechtigung begründen. Namentlich ist der Versorgungsanspruch von Vorstandsmitgliedern überwiegend nicht davon abhängig, daß das Vorstandsmitglied den Versorgungsfall noch in Diensten der Gesellschaft erlebt. Jedenfalls gilt dies für die Fälle, in denen der Vorstandsvertrag durch eine Maßnahme der Gesellschaft oder zufolge eines von dieser gesetzten wichtigen Grundes sein Ende findet29. Nicht selten ist sogar, wie bereits bemerkt, die bloße NichtVerlängerung des Anstellungsvertrages als Versorgungsfall vereinbart 30 . Diese Erfahrungen der Praxis haben verschiedene Ursachen. Vorstandsmitglieder befinden sich regelmäßig in einer Verhandlungsposition, die ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Anstellungsverträge (einschließlich Ruhegehaltszusagen) auszuhandeln. In besonderem Maße gilt dies natürlich, wenn qualifizierte Spitzenkräfte, die eine Gesellschaft für ihr Management sucht, nur in beschränkter Zahl zu finden sind. Daß von ihnen beim Aushandeln eines Anstellungsvertrags auf eine sie völlig sicherstellende Versorgungszusage Wert gelegt wird, hängt mit ihrer besonderen Lage zusammen: Sie können jeweils nur auf die Dauer von höchstens fünf Jahren bestellt werden und müssen stets damit rechnen, nach Ablauf ihrer Amtsperiode ohne jeden Kündigungs- oder sonstigen Schutz ihre Position zu verlieren und

2 8 § 7 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs und amtliche Begründung dazu — BundesratsDrucksadie 590/73 —. 2 9 Vgl. u. a. Hefermehl, a. a. O., § 84 Anm. 111; Kreilein, a. a. O., S. 64 f., 76 f.; Heissmann, a. a. O., S. 35, 98, 515; v. Arnim in BB 1972, S. 1411, 1415. 3 0 Ein Beispiel bildet der Sachverhalt, den das OLG Hamburg in MDR 1953, S. 419 entschieden hat; vgl. ferner Hefermehl, a . a . O . , § 8 4 Anm. 33 und 111; Heissmann, a. a. O., S. 35; Steindorff, a. a. O., S. 1132, 1134.

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen

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dann — namentlich bei vorrückendem Alter — nicht ohne weiteres eine entsprechende Stellung anderwärts zu erlangen. Für Vorstandsmitglieder ist die betriebliche Versorgung häufig auch ihre einzige Sicherung f ü r die verschiedenen Versorgungsfälle, da sie der Sozialversicherungspflicht nicht unterliegen. Ein Vorstandsmitglied kann ohne seine Leistungskraft beeinträchtigende Sorge um die Z u k u n f t nur dann den von ihm zu erfüllenden hohen Anforderungen gerecht werden, wenn es sicher sein darf, nach seinem Ausscheiden jedenfalls nicht ohne Versorgung f ü r sich und seine Hinterbliebenen zu sein. Audi der eben erwähnte Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung erkennt in der amtlichen Begründung zu § 7 Abs. 1 an, daß Gesellschaftsorgane zu einem Personenkreis gehören, der zur Wahrung seines bisherigen Lebensstandards meist in besonderem Maße auf die betriebliche Versorgung angewiesen ist. Diese Faktoren sind so schwerwiegend, daß sie auch f ü r die Auslegung der einem Vorstandsmitglied erteilten Versorgungszusage in die Waagschale fallen. Enthält eine Versorgungszusage keine ausdrückliche Regelung f ü r den Fall des Ausscheidens vor dem Versorgungsfall, so ist durch Auslegung zu ermitteln, was die Vertragschließenden gewollt haben 31 . Im Arbeitsrecht mag im Zweifel anzunehmen sein, daß ein vorzeitiges Ausscheiden die Anwartschaft untergehen läßt 32 . Ein anderes gilt jedoch nach richtiger Ansicht für Versorgungszusagen an Vorstandsmitglieder, und zwar im Hinblick auf deren besondere Lage 33 . 5.

Die Darlegungen unter 4., die an die Grundtypen von Versorgungszusagen bei fehlerfreien Vorstandsverträgen anknüpfen, ermöglichen nodi keine endgültige Antwort auf die Frage, ob und wieweit auch fehlerhafte Anstellungsverträge dann, wenn sie bei voller Wirksamkeit zu (unbedingten) Versorgungsansprüdien führen würden, als Grundlage f ü r solche Ansprüche denkbar sind. Die Antwort erfordert nodi einen Blick auf die rechtliche N a t u r von Versorgungszusagen gerade in Vorstandsverträgen. 31

Vgl. u. a. Heissmann, a. a. O., S. 127. Vgl. Heissmann, a. a. O. 33 So zutreffend Hefermehl, a . a . O . , § 8 4 Anm. 111 mit überzeugender Begründung; teilweise anders B G H Z 50, S. 378, 381 f. und B G H in A P Nr. 133 zu § 242 BGB Ruhegehalt, letztere Entscheidung mit der jedenfalls für ein Vorstandsmitglied nicht passenden Begründung, die Ruhegehaltszahlung sei in der Regel eine Fürsorgeleistung des Arbeitgebers und der Fürsorgegedanke greife im allgemeinen nur Platz, wenn der Dienstverpflichtete bis zum Eintritt des Versorgungsfalls bei ihm tätig bleibe. Kritisch hinsichtlich dieser Begründung auch Weitnauer/v. Arnim in der Anmerkung zu der Entscheidung ; abweichend Mertens, a. a. O., § 84 Anm. 37. 32

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Im Arbeitsrecht hat man früher vielfach angenommen, die betriebliche „Versorgung" sei ein Ausfluß der „Fürsorgepflicht" des Arbeitgebers 34 . Seit geraumer Zeit setzt sich gegenüber dieser „Fürsorgetheorie" zu Recht immer mehr die „Entgelttheorie" durch 35 . Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann in der Tat nie zum Entstehen einer Versorgungspflicht führen. Es bedarf dazu vielmehr stets einer besonderen Begründung, etwa mittels Einzel- oder Gesamtzusage, durch betriebliche Übung oder zufolge des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Wenn man das Arbeitsverhältnis richtig als Austauschverhältnis ansieht, was es mindestens in erster Linie ist, so kann die Einräumung einer Versorgungsberechtigung nur als ein Teil der Gegenleistung des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bewertet werden. Die Versorgung ist Entgelt, weil sie der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die zu leistenden oder bisher geleisteten Dienste gewährt. Ist dies die Lage im Arbeitsrecht, so kann für Vorstandsmitglieder im Hinblick auf die bei diesen bestehenden besonderen Verhältnisse erst recht nicht zweifelhaft sein, daß die Versorgungszusage zur Gegenleistung der Gesellschaft für die Übernahme der Dienste durch das Vorstandsmitglied gehört. Die Zusage fügt sich in die Gleichgewichtslage zwischen Leistung und Gegenleistung ein. Darüber besteht heute weitgehend Ubereinstimmung. Namentlich der B G H hat in einer Entscheidung vom 7. 1. 1971 3 6 Versorgungsansprüche von Organmitgliedern für den Regelfall dahin beurteilt, daß die Versorgungszusage reinen Entgeltcharakter hat: „Es besteht kein Grund, Versorgungsrenten, die im Rahmen eines Dienstvertrages mit einem Organmitglied vereinbart werden und Vergütungscharakter haben, anders zu behandeln als sonstige Leistungen innerhalb eines gegenseitigen Vertrages" 3 7 . Diese Erkenntnis macht die Behandlung der Fälle leicht, in denen das fehlerhafte Vorstandsverhältnis nicht vor Ablauf der Dauer 3 4 Vgl. u. a. B A G in A P N r . 141 zu § 242 BGB Ruhegehalt (mit ablehnender Anmerkung von Grunsky). 3 5 Vgl. u. a. — meist mit weiteren Nachweisen — v. Arnim in BB 1971, S. 1065, 1070; v. Arnim, Die Verfallbarkeit von betrieblichen Ruhegeldanwartschaften, 1970, S. 84 f.; Grunsky in JuS 1970, S. 16, 18; Weitnauer/v. Arnim in Anmerkung zu A P Nr. 133 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Steindorff, a. a. O. S. 1131 f.; Hefermehl, a. a. O., § 84 Anm. 111. 3 8 B G H Z 55, S. 274, 278 f. = A P N r . 151 zu § 242 BGB Ruhegehalt (mit zustimmender Anmerkung von Beuthien); vgl. auch B G H in BB 1973, S. 9 9 6 = D B 1973, S. 1497. 8 7 Ebenso u . a . Heissmann, a . a . O . , S. 33 f.; v. Arnim, Die Verfallbarkeit von betrieblichen Ruhegeldanwartschaften, 1970, S. 7 1 ; Steindorff, a . a . O . , S. 1131 ff.; Kreilein, a. a. O., S. 76 f.; Hefermehl, a. a. O., § 84 Anm. 111, 119 und 120.

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen

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beendet wird, die nach dem Inhalt des Vertrages gelten und mit deren Ablauf eine sofort einsetzende oder auf den späteren Eintritt eines Versorgungsfalles hinausgeschobene Versorgung gegeben sein sollte. Der Vorstandsvertrag, der für die Dauer der Beschäftigung wie ein wirksamer Vertrag zu behandeln ist, vermittelt dem Vorstandsmitglied dann seine vollen Versorgungsansprüche. Denn es hat diese Ansprüche in vollem Umfang „erdient". Nicht anders wird der Fall zu beurteilen sein, daß während der Beschäftigungszeit ein Versorgungsfall eintritt, der nach dem (fehlerhaften) Versorgungsvertrag Versorgungsansprüche auslösen sollte (Invalidität, Tod) 3 8 . 6. Problematischer liegt der Fall, daß die Fehlerhaftigkeit des Vorstandsvertrages sich vor Ablauf der (fehlerhaft) vereinbarten Dauer herausstellt und eine von beiden Seiten daraus die Folgerung seiner Beendigung zieht. Man darf nicht aus dem Auge lassen, daß die Versorgungszusage nicht ausdrücklich audi für den Fall erteilt ist, daß die Beschäftigungszeit nicht einmal die vereinbarte Dauer des Anstellungsvertrages (ζ. B. fünf Jahre) betragen, die Tätigkeit des Vorstandsmitgliedes vielmehr wegen der bloßen Tatsächlichkeit des Vorstandsverhältnisses schon vorher zu Ende gehen werde. An diesen im Regelfall von keinem der Vertragsbeteiligten vorausgesehenen Fall ist andererseits im Anstellungsvertrag aber auch nicht ausdrücklich die Rechtsfolge eines Fortfalls von Versorgungsansprüchen geknüpft. Es läßt sich in solchem Fall kaum vertreten, die Dauer des Anstellungsverhältnisses als eine Mindestwartezeit zu bewerten. Der unerwartet eingetretene Verlauf ist im Vorstandsvertrag nidit vorausbedacht und daher nicht geregelt. Die Vertragschließenden sind davon ausgegangen, das Vorstandsmitglied werde eine Versorgung erhalten, sei es unmittelbar mit der NichtVerlängerung des Vertrages, sei es nach seinem Ausscheiden später bei Eintritt von Altersgrenze, Arbeitsunfähigkeit oder Tod. Wenn dann das Dienstverhältnis infolge eines unvorhergesehenen Umstandes vorzeitig sein Ende findet, wird eine Lücke des Vertrages sichtbar, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen erlaubt erscheint. Auch wenn die Vertragsteile bei einer Ruhegehaltsvereinbarung die Voraussetzungen für das Entstehen von Ruhegehaltsansprüchen abschließend regeln wollten, ist es 3 8 Vgl. u.a. Hefermehl, a . a . O . , § 8 4 Anm. 112; in diese Richtung weist auch Fischer in Anm. zu LM Nr. 16 zu § 75 AktG 1937, wo er gute Gründe dafür findet, die tatsächliche, wenn auch rechtlich fehlerhafte Ausübung der Vorstandstätigkeit bei der Berechnung des Ruhegehaltes anzurechnen und dem pensionierten Vorstandsmitglied die tatsächlich verdienten Pensionsansprüche zuzuerkennen; vgl. dazu auch Meyer-Landrut, a. a. O., § 84 Anm. 25 und Kreilein, a. a. O., S. 63.

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grundsätzlich nicht ausgeschlossen, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung für einen von der Vorstellung der Parteien nicht erfaßten und daher ungeregelt gebliebenen Fall einen Anspruch auf Ruhegehalt zu begründen39. Auch ein nichtiges Vertragsverhältnis ist der ergänzenden Vertragsauslegung zugänglich, wenn die Nichtigkeitsfolge dahin beschränkt ist, daß das Verhältnis der Vertragspartner für einen bestimmten Zeitraum (hier Beschäftigungsdauer) so zu behandeln ist, als bestünde ein fehlerfreies Vertragsverhältnis. Jedenfalls gilt dies für Ansprüche und Verpflichtungen, die ihre Grundlage in eben dem Beschäftigungszeitraum finden. Mit Recht weist Flumei0 darauf hin, bei den sogenannten faktischen Vertragsverhältnissen sei die Anwendung derjenigen Rechtsnormen im allgemeinen unproblematisch, die in Ergänzung des vertraglich Vereinbarten die Ausführung des Vertrages regeln. Dazu gehören auch die §§ 133, 157 BGB und also auch die Regeln über die ergänzende Vertragsauslegung. Nach den für eine ergänzende Vertragsauslegung von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen 41 ist darauf abzustellen, was die Vertragspartner „bei vernünftiger Interessenabwägung" nach Treu und Glauben für den nunmehr eingetretenen Fall vereinbart hätten, wenn sie an ihn gedacht hätten. Stellt man die Frage, wie die Vertragschließenden den eingetretenen Sachverhalt nach dieser Regel redlicherweise zu ordnen gehabt hätten, wird man in Betracht ziehen müssen, daß in den hier behandelten Fällen a) die Versorgungszusage Entgelt darstellt, b) dem Vorstandsmitglied jedes vereinbarte Entgelt für seine Beschäftigungszeit zusteht, c) die Versorgung nicht vom Eintritt eines künftigen ungewissen Ereignisses (insbesondere dem Fortbestand des Dienstverhältnisses) abhängen soll. Läßt man sich davon leiten, so bietet sich als Lösung an, dem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied den während seiner tatsächlichen Beschäftigung „erdienten" Teil seiner Versorgung zuzusprechen. Es erscheint einleuchtend, daß ein Vorstandsmitglied, dessen fehlerhafter Anstellungsvertrag vor dem normalen Ablauf endet, nicht die volle 3 8 So mit Redit B G H in N J W 1954, S. 799 f.; zur Herleitung von Versorgungsansprüchen aus einer ergänzenden Vertragsauslegung im allgemeinen vgl. noch Hilger, Mertens, a . a . O . , § 8 4 Anm. 3 9 ; Meyer-Landrut, a . a . O . , § 8 4 Anm. 54; a. a. O., S. 113 f.; Siebert in BB 1954, S. 6 5 8 ; weiterer Nachweis bei Kuhn in WM 1955, S. 12, 15. 4 0 A. a. O., S. 102. 4 1 Vgl. z. B. B G H in VersR 1972, S. 1141, 1142.

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen

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Versorgung beanspruchen kann, die es nach dem Vertrag erhielte, wenn die vorzeitige Beendigung nicht eingetreten wäre. D a im Falle des fehlerhaften Vorstandsvertrages Rechte nur für die Zeit der Tätigkeit bestehen können, kann es nur um die Aufrechterhaltung der vom Vorstandsmitglied in der Zeit seiner Tätigkeit „erdienten" Rechtsposition gehen. Auch dürfte anzuerkennen sein, daß ein V o r standsmitglied, das vielleicht nur sechs Monate tätig war, bevor der Fehler seines Anstellungsvertrages erkannt und dieser daraufhin beendet wurde, nicht einem anderen gleichgestellt sein kann, bei dem die Beschäftigung erst kurz vor dem Ablauf der (fehlerhaft) vereinbarten Anstellungsdauer ein vorzeitiges Ende fand. Dem Vorstandsmitglied kann nur derjenige Teil der Versorgungsberechtigung zugesprochen werden, der dem Verhältnis der tatsächlich abgeleisteten Dienstzeit zu dem Rest der (fehlerhaft) vereinbarten Vertragsdauer entspricht, mit deren Ablauf die alsbaldige oder spätere Versorgung festgestanden hätte. Bei solcher Handhabung handelt es sich nicht um eine weitere Durchführung des (fehlerhaften) Vertrages, vielmehr allein um die Abwicklung des Rechtsverhältnisses aus der zurückliegenden Zeit der Tätigkeit, für die es wie ein wirksamer Vertrag zu behandeln ist. Einer besonderen Beurteilung bedürfen die Fälle, in denen das V o r standsmitglied die Fehlerhaftigkeit des Anstellungsvertrages von A n fang an erkannt hat. In solchem Fall wird eine auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende ergänzende Vertragsauslegung zu seinen Gunsten nicht in Betracht kommen. Ein Gleiches wird gelten müssen, wenn ein Vorstandsmitglied, obwohl der A R bereit ist, die Fehlerhaftigkeit zu beheben und einen wirksamen Anstellungsvertrag mit (mindestens) demselben Inhalt abzuschließen, seinerseits die Tätigkeit einstellt, um anschließend eine Versorgungsberechtigung geltend zu machen.

IV. Die ganze Problematik würde sich nicht ergeben, soweit Fälle denkbar sind, in denen es der Gesellschaft überhaupt verwehrt ist, sich dem Vorstandsmitglied gegenüber auf die Fehlerhaftigkeit und die daraus herrührende Nicht-Geltung des Vorstandsvertrages zu berufen. Aus reinem Billigkeitsdenken oder auch der — beim Vorstand wenig ausgeprägten — Fürsorgepflicht der Gesellschaft läßt sich eine solche Beurteilung keinesfalls herleiten. Auch der Gedanke des Rechtsscheins (Anscheinsvollmacht, Duldungsvollmacht) wird kaum je in Betracht kommen. Das gilt auch für die Fälle, in denen der AR-Vorsitzende den Anstellungsvertrag allein

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abgeschlossen hat. Einmal wird hierdurch nur gerade das Tatbestandsmerkmal oder die Wirksamkeitsvoraussetzung, hinsichtlich deren Rechtsscheinregeln gelten, ersetzt 42 . Anscheins- oder Duldungsvollmacht könnten also allenfalls das Fehlen der Ermächtigung des ARVorsitzenden zur Vollziehung des Vertragsschlusses ersetzen, nicht dagegen den Mangel in der Willensbildung — Fehlen einer Beschlußfassung des AR über Abschluß und Inhalt des Anstellungsvertrages — heilen. Es ist nicht lediglich ein Mangel gehöriger Vertretung der A G beim Vertragsschluß zu verzeichnen (vgl. oben unter I 2). Davon abgesehen, es kann schwerlich zugelassen werden, daß entgegen zwingenden, unverzichtbaren Vorschriften des AktG, die vor allem dem Schutz der Gesellschaft dienen, der Wille des AR-Vorsitzenden allein maßgebend bleibt. In den Fällen, in denen das Vorstandsmitglied tatsächlich eine Zeitlang tätig geworden ist, ist dies audi nicht der Fall. Die Behandlung, wie wenn der Vertrag wirksam wäre, gilt nicht allein auf Grund des Willens des AR-Vorsitzenden; vielmehr muß hinzutreten, daß mit Wissen des AR die fehlerhaft eingestellte Person die Vorstandsdienste mit der vollen zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Vorstandsmitglieds auf der Grundlage des fehlerhaften Vertrages tatsächlich erbracht hat. Das rechtfertigt aber nicht die Nichtbeachtung zwingenden Aktienrechts auch f ü r die Folgezeit. Es ist auch der Gedanke der unzulässigen Rechtsausübung, und zwar im Sinne des venire contra factum proprium, in die Erörterung eingeführt worden, wobei allerdings nicht immer ganz klar wird, ob daraus die Pflicht zur Erfüllung des fehlerhaften Vertrags f ü r dessen vereinbarte Dauer hergeleitet werden soll 43 . Auch in der Entscheidung des B G H vom 8. 3. 1973 44 ist erwogen worden: Die Gesellschaft könne sich auf einen Mangel des Anstellungsvertrages jedenfalls heute nicht mehr berufen, nachdem sich das Vorstandsmitglied in seinen beruflichen Dispositionen auf den Vertrag eingestellt habe und auf dieser Grundlage mehrere Jahre lang f ü r die Gesellschaft tätig gewesen sei. Die Gesellschaft habe diese Tätigkeit nicht nur hingenommen, sondern den Kläger in seinem Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Vertrages auch noch dadurch bestärkt, daß sie mehrfach vertragsgemäß seine Bezüge in der Zwischenzeit den inzwischen gestiegenen Beamtengehältern angepaßt habe. Schließlich habe der AR später noch einmal über den Anstellungsvertrag beschlossen, ohne irgendwie zum Ausdruck zu bringen, er betrachte den vorangegangenen schriftlichen 42 43 44

Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatredit, 1971, S. 45. Vgl. u. a. Veith in DB 1965, S. 807, 809; Gerlach in AG 1965, S. 251, 255. BB 1973, S. 723 = WM 1973, S. 506.

Versorgungszusagen in fehlerhaften Vorstandsverträgen

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Vertrag nicht als maßgebend. Unter diesen Umständen setze sich die Gesellschaft in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren und auch durch den Zweck des Gesetzes nicht gedeckten Weise in Widerspruch zu dem bisherigen Verhalten ihrer zuständigen Organe, wenn sie nunmehr die Gültigkeit eines Vertrages in Abrede stelle, den beide Teile jahrelang als Grundlage ihrer Rechtsbeziehungen betrachtet und durchgeführt hätten. Es bedarf jedoch der Beachtung, daß in dem Entscheidungsfall das Vorstandsverhältnis inzwischen abgelaufen und das Ruhegeld, um dessen Anpassung an Beamtengehaltserhöhungen es ging, durch die vorangegangene Tätigkeit voll „erdient" war. Die Entscheidung rechtfertigt mit dem Verbot eines Widerspruchs zu f r ü herem Verhalten lediglich das richtige Ergebnis, daß dem Vorstandsmitglied trotz der Nichtigkeit des Vertrages f ü r die geleisteten Dienste die volle Versorgung zustand. In der T a t dürfte der Gesichtspunkt des venire contra factum proprium in der Regel allenfalls als eine zusätzliche Begründung für das audi ohne ihn zu gewinnende Ergebnis sein (vgl. oben I I I 5 letzter Absatz). Canaris45 hat die Frage aufgeworfen, ob nicht hinter den verschiedenen Theorien vom fehlerhaften Gesellschafts- und Arbeitsverhältnis der Sache nach unerkannt vertrauensrechtliche Aspekte stünden und in Wahrheit ein Anwendungsfall seiner Lehre von der Vertrauenshaftung gegeben sei. Die Grundvoraussetzungen einer Vertrauenshaftung sieht Canaris in der Schaffung einer Vertrauensgrundlage, der Zurechenbarkeit dieses Verhaltens beim einen Teil, dem guten Glauben beim anderen Teil und einer nicht rückgängig zu machenden Disposition eben dieses anderen Teils (Sicheinrichten auf die angenommene Rechtslage, Vertrauensinvestition). Zwar gibt die Vertrauenshaftung auch nach Canaris nicht immer einen Erfüllungsanspruch 46 . Doch hält er Tatbestände f ü r vorstellbar, in denen eine Bindung des k r a f t Vertrauenshaftung Verpflichteten auch für die Zukunft eintritt. Nach den Grundsätzen dieser Vertrauenshaftung wäre nämlich stets darauf abzustellen, was von Treu und Glauben in concreto wirklich gefordert wird 47 . Insofern würde die vertrauensrechtliche Lösung flexibler sein als die herrschende Auffassung. Indessen ist auch nach Canaris selbst 48 die Problematik so vielschichtig, daß ihm eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich erscheint. Er weist selbst auch mit Recht darauf hin 49 , daß die von ihm zur Erwägung gestellte Lösung 45

A. a. O., « A. a. O., 47 A. a. O., 46 A.a.O., 4 · A. a. O.,

S. 448. S. 293, 303. S. 450. S. 451. S. 451 Fußnote 69.

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vielleicht gerade wegen ihrer Flexibilität bedenklich sei und mit den Erfordernissen der Rechtssicherheit in Konflikt geraten könne. Wie dem auch immer sei: Was Vorstandsverträge angeht, wird man die Gefahr einer Vereitelung der Zwecke zwingender aktienrechtlicher Vorschriften nicht außer acht lassen dürfen. Es soll nicht ausgeschlossen werden, daß unter ganz ungewöhnlichen Verhältnissen einmal die Berufung der Gesellschaft auf die Unwirksamkeit des Vorstandsvertrages einen schlechterdings untragbaren Widerspruch zu einem eigenen Vorverhalten darstellt mit der Wirkung, daß die Gesellschaft den Vertrag zu erfüllen hat. Doch kann es sich dabei nur um krasse Ausnahmefälle handeln. Die Untersuchung dieser Seite der Sache hier zu vertiefen, erübrigt sich. Läge wirklich einmal ein derartiger Sonderfall vor, so würde unser Thema seine Problematik verlieren: Die Gesellschaft wäre zur vollen Versorgung nach Maßgabe des von Hause aus fehlerhaften Vorstandsvertrages verpflichtet.

Die Bereinigung fehlerhafter GmbH-Anteile GEORG HOHNER

I. l.

Kaum einem Inhaber eines GmbH-Anteils, der seinen Geschäftsanteil durch notariellen Vertrag erworben und jahrelang die Redite eines Gesellschafters unbestritten ausgeübt hat, wird es bei normalem Lauf der Dinge in den Sinn kommen, sich wegen seiner Rechtsinhaberschaft zu beunruhigen. Nicht unwesentlich für diese Einstellung ist auch das Gefühl, angesichts des mit jeder Anteilsübertragung verbundenen Notariatsakts müsse der Erwerb in Ordnung gehen. So haben es selbst die Motive — Sonderausgabe S. 38 des Entwurfs — gesehen, wenn es in ihnen heißt, die gewählte Ubertragungsform sei eine „derart authentische, daß Zweifel und Unklarheiten über die Tatsache der Übertragung nicht entstehen können". Möglicherweise war es diese vertrauensvolle Grundeinstellung des Gesetzgebers selbst, die ihn dazu bewogen hat, dem Erwerb von GmbH- Anteilen ein Institut zu versagen, das für den modernen Rechtsverkehr eine auf allen Rechtsgebieten gar nicht hoch genug einzuschätzende Wohltat darstellt: das des gutgläubigen Erwerbs, wie er durch die verschiedenen Bestimmungen des bürgerlichen und Handelsrechts ermöglicht wird, angefangen von den Regelungen des gutgläubigen Erwerbs von Mobilien und Immobilien, des Schutzes des Vertrauens auf Anzeigen und Urkunden des Gläubigers beim Schuldner, über die Regelung des Schutzes beim Erwerb von einem im Erbschein als Berechtigten Ausgewiesenen bis zu den Schutzvorschriften bei Ausstellung und Ubertragung von Inhaberpapieren, Wechseln und Schecks. Daneben tritt der weitere Bereich des Schutzes von Gutgläubigen im Falle der Eintragung in verschiedene Register wie Handelsregister, Vereinsregister, Genossensdiaftsregister und Güterrechtsregister. Aber gerade die zahlreichen Einzelregelungen zeigen, daß es einen allgemeinen Schutz des guten Glaubens ohne gesetzliche Normierung nicht gibt. Eben eine solche fehlt nun gerade für den Fall des Erwerbs von GmbH-Anteilen, wohl weil sie der Gesetzgeber im Vertrauen auf die Mitwirkung der Notare bei der Anteilsübertragung nicht für nötig erachtet hat.

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Georg Hohner 2.

Die gleichwohl bei den Inhabern von GmbH-Anteilen allenthalben anzutreffende „wohltätige Illusion" 1 über die auch bei ihnen zumindest eingreifende H e i l k r a f t ihres guten Glaubens steht nun leider in schroffem Gegensatz zu den zwar nicht besonders zahlreichen, aber doch immer wiederkehrenden Mahnungen der Juristen. So finden wir denn allenthalben an einschlägigen Stellen den Hinweis, daß beim Erwerb von Geschäftsanteilen wie beim K a u f von Forderungen und sonstigen „einfachen" Rechten Vorsicht geboten sei, weil es — einerlei, ob Anteilscheine ausgestellt seien oder nicht — keinerlei Gutglaubensschutz gebe und audi keinerlei Heilung von materiellen Mängeln beim Erwerb von GmbH-Anteilen, etwa durch Zeitablauf und unangefochtene Ausübung der Gesellschafterrechte gebe 2 . Deshalb wird empfohlen, beim Erwerb von GmbH-Anteilen die Kette der Vorauserwerbe bis auf den Zeitpunkt der Entstehung des einzelnen Anteils auf die formelle und materielle Wirksamkeit der einzelnen Obertragungsakte zu prüfen, weil letztlich nur durch eine solche perfekte Legitimationskette der Nachweis der Gesellschaftereigenschaft des veräußerungswilligen Gesellschafters geführt werden kann 3 . Dabei muß man sich allerdings bewußt sein, daß audi eine solche positive Zurückverfolgung des oder der Anteile auf den Gründungsgeschäftsanteil nicht ausschließt, daß ein mangelhafter Erwerb (Nichterwerb) vorliegt. Denn trotz Vorliegens einer Legitimationskette ist gedanklich nicht auszuschließen, daß ein Erwerb vielleicht deshalb ins Leere gegangen ist, weil zuvor bereits eine — später verschwiegene — Abtretung an einen Dritten erfolgt w a r ; wenn auch die Tatsache der Nichtanmeldung einer anderweitigen Veräußerung bei der Gesellschaft ein gewichtiges Indiz dafür bilden wird, daß eine solche gar nicht vorgekommen ist, ist doch das Gegenteil nicht auszuschließen, zumal die Anmeldung für den Rechtsübergang eines GmbH-Anteils keine Bedeutung hat, dieser sich vielmehr durch gültiges Redits-

1 So die treffende Formulierung bei Grau, Lücken im Schutz des gutgläubigen Rechtsverkehrs bei unwirksamer Übertragung von GmbH-Anteilen, Festschrift für Oberneck, 1929, S. 173 ff. (176). 2 Vgl. Schilling in Hachenburg, 6. Aufl. 1956, Anm. 70 f. zu § 15 GmbHGes.; Scholz, 4. Aufl., 1960, Rdn. 57 zu § 15 GmbHGes.; Vogel, 2. Aufl. 1956, Anm. 3 zu § 1 5 GmbHGes.; O L G München, O L G Rspr. 22, 15; Feine, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1929, S. 313 mit zahlreichen Nachweisen aus dem älteren Schrifttum; Grau, s. Fn. 1; Knur, D N o t Z 1961, 299, 302; Kühn, GmbH-Rdsch. 1970, 201. 3 Zu einer umfassenden Nachprüfung der Legitimation gehört auch die Kontrolle, daß etwa nach der jeweiligen Satzung der G m b H aufgestellte zusätzliche Erfordernisse (Genehmigungen) eingehalten sind.

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geschäft oder E r b f a l l unabhängig von der Anmeldung vollzieht 4 . Solche Negativbeweise sind aber praktisch überhaupt nicht zu führen. 3. Es ist sicher ein guter R a t , beim E r w e r b v o n Geschäftsanteilen die Legitimationskette bis auf den Zeitpunkt der Anteilsentstehung zu verfolgen. Seine Befolgung wird aber in vielen Fällen sehr schnell beträchtliche Schwierigkeiten aufzeigen. Sehr h ä u f i g wird in der P r a xis schon in der Vergangenheit bei Anteilsübertragungen eine Überp r ü f u n g der vorher erfolgten Übertragungen unterblieben sein. H ä u fig haben sich die N o t a r e allenfalls den E r w e r b v o m unmittelbaren Rechtsvorgänger urkundlich nachweisen lassen, mitunter nicht einmal dies, etwa weil die Abtretungswilligen gar nicht in der L a g e waren, die ζ. B. verbrannten früheren Urkunden beizubringen und andererseits die Behandlung des Zedenten als GmbH-Gesellschafter durch jahrelange Ü b u n g bei der Gesellschaft nicht in Zweifel gezogen worden war. Bereits in dem Anteil eines solchen abtretungswilligen Gesellschafters steckende Mängel wurden dann mit der Abtretung weitergegeben. Durch sich anschließende Zusammenlegungen von Geschäftsanteilen und weitere Abtretungen kann es dann geradezu zu einem C h a o s der wahren gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse gekommen sein, die eine Entwirrung im heutigen Zeitpunkt durch eine Schritt f ü r Schritt vorgenommene Einzelbereinigung im Sinne eines Nachvollzugs der zu der betreffenden Kette gehörenden Einzelakte schier unmöglich machen. D i e Wahrscheinlichkeit, daß nicht nur U r k u n d e n durch die verschiedensten Ereignisse zerstört wurden oder abhanden gekommen sind und dem Erwerber so seine Legitimationskette durchbrochen ist, sondern daß nichtige Übertragungen stattgefunden haben, ist alles andere als gering. J e älter die Gesellschaft ist, um so wahrscheinlicher ist es, daß Fehler vorgekommen sind. Es kann heute, wie mir bei Durchsicht zahlreicher Übertragungsurkunden bei verschiedenen Gesellschaften klar geworden ist, nur als sachlich unvertretbarer O p t i mismus angesehen werden, zu glauben, die Mitwirkung der N o t a r e bei den Anteilsübertragungen einer G m b H sei seit Geltung des G m b H - G e s e t z e s eine A r t G a r a n t i e f ü r den jeweils sicheren Rechtserwerb gewesen. D a b e i sei nur am R a n d e auf die Fälle hingewiesen, in denen ζ. B. die Beteiligten darüber belehrt wurden, eine notarielle Übertragung sei gar nicht erforderlich, d a es sich um einen Erwerb im 4

Vgl. RGZ 127, 240; B G H LM Nr. 1 zu § 16 GmbHGes.;

Baumbach-Hueck,

13. Aufl. 1970, Anm. 3 A zu § 16 GmbHGes.; a. A. Schilling in Hadienburg, Anm. 66 zu § 15 GmbHGes.

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Zuge der Auseinandersetzung eines Gesamthandsvermögens, insbesondere einer Erbengemeinschaft handele. Für solche Fälle ist der Keim des Unheils sogar in angesehen juristischen Kommentaren gelegt 3 , in denen zu Unrecht das Erfordernis eines notariellen Vertrags in Abrede gestellt wird 6 . Ebenso seien nur am Rande die Fälle erwähnt, in denen entgegen der zwingenden Bestimmung des § 5 Abs. 3 S. 2 GmbHGes auf D M 50,— endende Geschäftsanteile zum Zwecke der Veräußerung abgeteilt wurden, was zumindest seit den Regelungen in § 44 Abs. 4 DM-Bilanzgesetz und § 7 Abs. 3 des Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln auch nicht mehr als evident fehlerhaft in die Augen sticht. U n d auch auf die im Zusammenhang mit der Teilung von Geschäftsanteilen einzuhaltenden Erfordernisse (insbesondere hinsichtlich der Genehmigung nach § 17 GmbHGes) 7 sei nur kurz hingewiesen. Den vermutlich umfangreichsten Teil der Mängel dürfte die Nichtbeachtung des sog. Bestimmtheitsgrundsatzes bei der Abtretung von Geschäftsanteilen ausmachen. Schon bei einfachen Schuldverpflichtungen wird eine Forderung nicht begründet, wenn der Gegenstand der geschuldeten Leistung völlig unbestimmt und unbestimmbar ist 8 . Erst recht muß bei einem Verfügungsgeschäft wie der Abtretung eines Geschäftsanteils der Gegenstand der Verfügung, dessen dingliche Zuordnung geändert werden soll, bestimmt sein. Die Anforderungen sind hier nicht geringer als in einfachsten Schulfällen des Mobiliarsachenrechts. Ebensowenig wie der Gegenstand der Ubereignung nicht hinreichend festgelegt ist, wenn A dem Β eines der beiden vor der Tür stehenden Automobile gleichen Typs und gleicher Farbe übereignen will, so ermangelt es der Abtretung an hinreichender Bestimmtheit, wenn A dem Β ohne nähere Individualisierung einen Geschäftsanteil von nom. D M 10 000,— abtritt, wenn er zwei Geschäftsanteile über diesen Nominalbetrag besitzt. So wie die Automobile durch die Angabe der Motornummer oder des Kennzeichens individualisiert sein müssen, bedarf es einer Kennzeichnung der Geschäftsanteile etwa danach, aus welcher Gründung oder Kapitalerhöhung sie stammen. Für das GmbH-Recht ergibt sich überdies die Notwendigkeit der Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes aus zwei Spezialvorschriften 9 . Einmal wird nach § 16 GmbHGes der Erwerber gegenüber dem Veräußerer für die zur Zeit der Anmeldung rückständigen Leistungen 5

Vgl. Scholz, Rdn. 19 zu § 15 GmbHGes. Vgl. dazu die zutreffenden Ausführungen von Herbert Schneider, Rdsdi. 1964, 157 ff. 7 Vgl. dazu Koob/Seefeldt, GmbH-Rdsch. 1961, 140 ff. 8 Enneccerus-Lehmann, Sdiuldrecht, 15. Aufl. 1958, § 5 (S. 25). 9 RG JW 1932, 1008. 6

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haftbar erklärt. Zum anderen setzt § 22 GmbHGes für den Fall der Kaduzierung eine Ausfallhaftung der früheren Inhaber des kaduzierten Geschäftsanteils fest. Beide Haftungen lassen sich nur bei genauer Feststellung dieser Personen realisieren. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist, wie die Praxis zeigt, nicht nur in den gar nicht so häufigen Fällen verletzt worden, daß von zwei im Nominalbetrag gleichen Anteilen der abzutretende nicht hinlänglich bezeichnet wurde, sehr viel häufiger wurde und wird gegen ihn verstoßen im Zusammenhang mit der Teilabtretung eines Geschäftsanteils, wenn der Zedent Inhaber mehrerer Anteile ist. H a t ζ. Β. A Geschäftsanteile von nom. D M 50 0 0 0 , — und 40 0 0 0 , — und will einen Teilgeschäftsanteil von D M 10 0 0 0 , — abtreten, so geht eine Abtretung von D M 10 0 0 0 , — „aus dem Geschäftsanteilsbesitz von insgesamt D M 90 0 0 0 , — " — eine bei dieser Tatbestandskonstellation immer wieder anzutreffende Formulierung — schlicht ins Leere. Denn es ist unklar, aus welchem Geschäftsanteil der Teilgeschäftsanteil von D M 10 0 0 0 , — abgespalten sein soll. Die Fehlformulierung erklärt sich aus der Nichtbeachtung des Gesetzes, das die Selbständigkeit mehrer in die Hand eines Gesellschafters gelangten Anteile in der Zeit nach der Gründung oder Kapitalerhöhung — zunächst ist stets nur die Zeichnung eines Anteils möglich — anordnet ( § 1 5 Abs. 2 GmbHGes), wobei nur ein besonderer Zusammenlegungsbeschluß nach geltendem Recht dem Gesellschafter die Befugnis zu einer Vereinigung der in seiner Hand befindlichen Anteile verleihen kann (dazu im einzelnen s. unten). Zur Identitätsbezeichnung ist also bei Abtretung (Teilabtretung) von Geschäftsanteilen zumindest die Angabe des Betrags des Anteils erforderlich, der abgetreten bzw. aus dem abgetreten werden soll, sowie des Betrags des neu gebildeten Geschäftsanteils. Nicht erforderlich ist die Angabe des verbleibenden Anteils, da dieser sich als Differenz zwischen ursprünglichem und abgetretenem Anteil ergibt 1 0 . Wie groß nun die Zahl der Gesellschaften mit beschränkter H a f tung ist, bei denen der Anteilsbesitz bei kritischer Prüfung mit Fehlern der genannten Art behaftet ist, mag für unser Thema dahingestellt bleiben. Sicher dürfte sein, daß es sich um keineswegs wenige Fälle handelt 1 1 , und zwar um so mehr, je älter die betreffende Ge1 0 Vgl. RGZ 85, 46, 49; BGHZ 14, 25, 32; Schilling in Hachenburg, 6. Aufl. 1956, Anm. 36 zu § 15 und Anm. 21 zu § 17 GmbHGes. 11 Vgl. die Hinweise bei Grau, a . a . O . ; Kuhn, GmbH-Rdsch. 1970, 202; Krefting, Deutscher Notartag 1961, S. 80; Lange, Deutsdier Notartag 1961, S. 88; Knur, DNotZ 1961, 302; RG J W 1930, 2680. Dem Verfasser sind bei Durchsicht einer großen Zahl von Übertragungsurkunden bis in die jüngste Zeit erstaunlich viele „kranke Fälle" aufgefallen.

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sellschaft ist und je mehr Übertragungen im Laufe der Jahre vorgekommen sind. Die Gesellschaften selbst werden sich, wenn sie erst — nach Jahren und Jahrzehnten — solcher Mängel gewahr werden, nicht übermäßig um eine Aufhellung der dunklen Stellen der Vergangenheit bemühen, bis vielleicht ein potentieller Anteilserwerber auf einer Bereinigung besteht. Denn häufig wird, "wenn erst die Mängel entdeckt werden, bereits soviel an Schwierigkeiten für eine Einzelbereinigung auf den ersten Blick erkennbar werden, daß man geneigt ist, von seiten der Geschäftsführung und der einzelnen Gesellschafter die Dinge gar nicht anzurühren, sondern darauf zu vertrauen, daß die Mängel schon in Vergessenheit geraten, nach ihnen schon nicht gefragt werden wird. Schon der Gedanke an die durch eine Nachvollziehung längst abgewickelter vermeintlich korrekter Anteilsübertragungen eintretende Unruhe wird in der Regel ein übriges tun, das mehr oder minder blinde Vertrauen in die Heilkraft der Zeit zusätzlich zu stärken. Angesichts dieser noch immerhin nach außen scheinbar bestehenden Ordnung und Ruhe hat sich auch der Gesetzgeber im Zuge der GmbH-Reform nicht veranlaßt gesehen, die Problematik irgendwie — jedenfalls für die in der Zukunft noch neu entstehenden Fälle — weitgehend aus der Welt zu schaffen und dem Schutz des gutgläubigen Rechtsverkehrs auch für den Erwerb von GmbH-Anteilen einen sicheren Boden zu schaffen.

II. 1. Ist es nun wirklich so, daß jahrzehntelang zurückliegende Mängel in der dinglichen Übertragung von Anteilen den Erwerber solcher Anteile um seine Erwerbsposition bangen lassen müssen und ihn — ohne eine Bereinigung in irgendeiner Form — vom Anteilserwerb vernünftigerweise abhalten können? Oder ist nicht auch jede Berufung auf die Fehlerhaftigkeit eines mit einem solchen Altmangel behaftenen Anteils, von welcher Seite sie auch kommt, wegen Verwirkung ausgeschlossen? Die Verwirkung ist ein Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung. Der besondere Tatbestand des Verstoßes gegen Treu und Glauben liegt in der illoyalen Verspätung der Geltendmachung von Rechten 12 . Läßt nun der Zedent eines GmbH-Geschäftsanteils den Zessionar und dieser womöglich 12 Vgl. B G H Z 25, 47, 52 f.; B G H DB 1969, 302 und die Rechtsprechungsnachweise bei Palandt-Heinrichs, 33. Aufl. 1974, Anm. 9 zu § 242 BGB.

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wiederum seine Rechtsnachfolger über Jahrzehnte in dem Glauben, er habe eine volle Gesellschafterposition erlangt und wird diese Position auch weder von der Geschäftsführung noch von Mitgesellschaftern streitig gemacht, so scheint mir dies allerdings geradezu ein Musterbeispiel für das Eingreifen des Schutzes des Verwirkungseinwands13 zu bilden. Zwar hält der B G H an dem gegen die Ausuferung der Heranziehung des Verwirkungseinwands gerichteten Standardsatz wie eh und je fest, wonach die bloße Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren, zur Verjährung nicht ausreichenden Zeitraums niemals zum Erlöschen eines Anspruchs führen kann. Dieser Standardsatz darf aber nicht womöglich unter Betonung dessen, daß der Altzedent sich der Fehlerhaftigkeit der Anteilsabtretung in der Tat meistens gar nicht bewußt gewesen sein mag, zu einer Verwerfung des Verwirkungseinwands führen. Die Rechtsprechung hat, wenn es um die treuwidrige verspätete Geltendmachung von Rechten gegen einen lebenden Wirtschaftsorganismus ging, das Moment der Kenntnis von dem Mangel deutlich zurückgestellt14. Gerade wenn man bedenkt, daß mit der Anteilsübertragung keine bloße statische Rechtsverlagerung verbunden war, sondern daß der Zessionar und dessen etwaige Rechtsnachfolger mit und in der Gesellschaft „gelebt" haben, indem sie die mit dem Geschäftsanteil verbundenen Rechte ausgeübt haben, muß das Eingreifen des Verwirkungseinwands bejaht werden. Ich glaube deshalb, daß audi bereits nach geltendem Recht den schlimmsten durch Verstöße gegen die § § 1 5 , 17 GmbHGes bedingten Verzerrungen durch die Heranziehung des Instituts der Verwirkung begegnet werden kann. So hat auch in seinem denkwürdigen Aufsatz „Formnichtigkeit und Arglisteinrede" 15 Scholz mit Blick auf die ansonsten zu befürchtenden chaotischen Rechtszustände die Dinge gesehen. Erst recht mag gegen die Notwendigkeit einer Bereinigung die folgende, fast klassisch anmutende Formulierung des preußischen Oberverwaltungsgerichts16 sprechen: „Eine Entscheidung ist lebensfremd und dient dem Zufall, nicht der Gerechtigkeit, wenn sie nach längst verschollenen Gründungsvorgängen forscht und die Entscheidung verschieden gestaltet, je nachdem, ob unter gelehrten, archivalischen Studien es gelingt oder nicht gelingt, den U r Dieser ist von Amts wegen zu berücksichtigen, B G H N J W 1966, 345. Vgl. die wettbewerbsrechtliche Entscheidung von RGZ 134, 38, 40 f.; RGZ 153, 59, 61 für ein praktiziertes Pachtverhältnis; ferner R G Z 157, 207, 209 ff.; R G Z 169, 65, 72 ff.; R G Z 170, 203, 205. 1 5 N J W 1950, 81 ff. (82). 1 6 Vgl. PrOVG 89, 177 (wiedergegeben bei Scholz, N J W 1950, 84), wenn auch in einem etwas anderen tatbestandlichen Zusammenhang: die Urkunden, auf die sich eine Kirdiengemeinde zur Begründung des streitigen Rechtsverhältnisses berufen hatte, lagen Jahrhunderte zurück. 13

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sprung aufzuhellen. War der Ursprung aus dem Gedächtnis der Beteiligten entschwunden, so hat er das Rechtsleben nicht mehr beherrscht; es kann, wenn es zufällig gelingt, ihn noch aufzuhellen, neues Leben aus dieser Quelle nicht fließen. Es muß vielmehr in solchen Fällen der Entwicklung der Verhältnisse, d. h. der Zeit, besonders rechtsgestaltende Wirkung beigelegt werden."

Immerhin hat auch bereits das R G in einem Fall, in welchem die erfolgten Abtretungen dinglich-rechtlich fraglos unwirksam waren, mit der Arglisteinrede geholfen und ein berechtigtes Feststellungsinteresse des früheren Veräußerers verneint, wonach er Anteilsinhaber geblieben sei17. Wenn auch der dolo petit-Einwand nur gegenüber dem Zedenten und nicht gegenüber einem Mitgesellschafter positiv bejaht wurde, so ist doch kein vernünftiger Grund zu erkennen, der es verwehren könnte, auch dem Mitgesellschafter die Berufung auf die „mangelnde Gesellschaftereigenschaft" zu versagen. Wenn man also dafür plädiert, ein Großteil der kranken GmbH-Anteilsfälle über eine mutige und sachgerechte Heranziehung des Verwirkungseinwands f ü r geheilt anzusehen, dann sicher mit größerer sachlicher Berechtigung als sie die Charakterisierung derartiger Versuche durch Grau18 vermittelt, der davor warnt „zu glauben, mit einem Gemisch von Treu und Glauben und Konstruktion alle Schwierigkeiten überwinden zu können." 2.

Indes bleiben, auch wenn man den hier befürworteten Lösungsvorschlag für einen Großteil der Schwierigkeiten billigt — Fehler der letzten 20 Jahre werden sich regelmäßig durch eine Nachvollziehung mangelhafter Ubertragungsakte beseitigen lassen, weil der Kreis der Betroffenen (insbesondere auch eventueller Erben und Erbeserben) regelmäßig noch überschaubar sein dürfte —, für den potentiellen Anteilserwerber noch genügend Zweifel. Immerhin fehlt es — soweit ersichtlich — bislang an einer umfassend positiv bestätigenden höchstrichterlichen Entscheidung zugunsten der Verwirkungskonstruktion. Die hier bereits zitierten Literaturstellen stellen doch recht stark das Erfordernis der Legitimationskette heraus. Auch ist es letztlich ungewiß, wie weit zurück der sicher im Falle einer Einschaltung der Gerichte zu erwartende favor judiéis die Verwirkung zurückerstrecken lassen würde. Denn auf der anderen Seite werden die Gerichte auch nicht übersehen können, daß der mit der ordentlichen Notariatsform der Anteilsübertragung verfolgte Zweck, den Handel mit Geschäftsanteilen wirksam zu verhindern, nicht überholt ist. Eine überspitzte Großzügigkeit der Rechtsprechung könnte daher geradezu 17 18

RG JW 1932, 1008. A. a. O., S. 204.

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Verstöße gegen den Notariatszwang provozieren und kann nicht erwartet werden. Es läßt sich daher gar nicht bestreiten, daß ein nicht ganz unbeträchtlicher Unsicherheitsfaktor bleibt, der den Gedanken an eine Bereinigung wach hält. 3.

Man wird aber audi zumindest prüfen, ob bei Ablehnung des Verwirkungsgedankens das dinglich-rechtliche Durcheinander wirklich die katastrophalen und chaotischen Konsequenzen hätte, wie sie in der Literatur zum Teil beschrieben werden. Zunächst einmal ist festzustellen, daß jener bei Grau19 gebildete Schreckensfall, daß Organe der GmbH und Prokuristen nicht wirksam bestellt sind, weil gar keine dinglich berechtigten Gesellschafter an der Bestellung mitgewirkt haben, so daß mit der GmbH in Geschäftsverkehr tretende Dritte nicht geschützt würden, jedenfalls nach der Erweiterung der Publizitätswirkung handelsregisterlicher Eintragungen nach Maßgabe des § 15 HGB obsolet geworden ist. Uberhaupt besteht auch innergesellschaftlich nicht die Gefahr, daß bei einer GmbH mit einer Reihe dinglich-rechtlidi nicht berechtigter Gesellschafter (in dem Sinne daß sie keine einwandfreie Legitimationskette vor sich haben) die Gesellschaftsbeschlüsse der Nichtigkeit verfallen würden. Diese Gefahr läge zwar bei oberflächlicher Heranziehung der Grundsätze zur Nichteinladung berechtigter Gesellschafter nahe. Danach ist ein entgegen § 51 Abs. 3 GmbHGes gefaßter Beschluß nichtig, wenn ein Gesellschafter nicht zur Gesellschafterversammlung eingeladen worden ist und dann nicht sämtliche Gesellschafter bei der Beschlußfassung anwesend waren20. Da infolge der mangelhaften Veräußerungen in der Tat zahlreiche Personen dinglich noch berechtigte Gesellschafter wären, von denen es niemand angenommen hätte, wäre es zu zahlreichen nichtigen Beschlüssen gekommen. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit greift aber nur unter der selbstverständlichen Einschränkung ein, daß es sich um eine Nichteinladung eines audi bei der Gesellschaft nach § 16 GmbHGes angemeldeten Gesellschafters handelt21. Denn aus § 16 Abs. 1, 2 GmbHGes folgt eine Legitimationswirkung für den angemeldeten Gesellschafter22, so daß der Gesellschaft gegenüber 19 Vgl. insbesondere die Darstellung bei Grau, a. a. O. und RGZ 127, 153 sowie RGZ 125, 228. 20 BGHZ 36, 207, 211; Däubler, GmbH-Rdsch. 1968, 4, 6. 21 Vgl. Baumbach-Hueck, Anm. 2 A, Anh. zu § 47 GmbHGes. unter Bezugnahme auf BGHZ 36, 21.7; Schmidt in Hachenburg, Anm. 1 zu § 51 GmbHGes. 22 Vgl. RGZ 127, 236, 241; RGZ 157, 52, 59 f.; BGHZ 15, 324, 331; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedsdiaftsrediten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 132 f.; Baumbach-Hueck, Anm. 2 Β zu § 16 GmbHGes.; Scholz, Rdn. 1 zu § 16 GmbHGes.; Schilling in Hachenburg, Anm. 12 zu § 16 GmbHGes.

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stets der Angemeldete auch als Gesellschafter gilt, dieser mithin audi mit Wirkung gegenüber der Gesellschaft als Gesellschafter zu behandeln und zu Gesellschafterversammlungen einzuladen ist 23 . Diese Legitimationswirkung greift auch nicht etwa nur dann ein, wenn der Anmeldung eine rechtswirksame Veräußerung zugrundeliegt, wie zum Teil in der Literatur unter Berufung auf die gängige, nicht richtig interpretierte Kommentarliteratur angenommen wird 24 . Vielmehr ist die rechtswirksame Veräußerung für das Eingreifen der Legitimationswirkung des § 16 GmbHGes nicht wesentlich, sondern ist nur für die sonstigen Wirkungen des § 16 GmbHGes — insbesondere die H a f t u n g des Erwerbes f ü r rückständige Leistungen — von Bedeutung. § 61 GmbHGes steht hinsichtlich der mit ihm verbundenen Legitimationswirkung in einer Reihe mit den §§ 409 BGB, 67 AktGes 25 . Erforderlich f ü r das Eingreifen des Legitimationsschutzes nach § 16 GmbHGes ist lediglich, daß die Anmeldung bei der Gesellschaft vom Veräußerer oder Erwerber ausgegangen ist, mithin ein diesen Personen „zurechenbarer Rechtsschein" besteht 26 . Anmeldungen von dritter Seite, die den Anteilsinhaber also gegen seinen Willen aus seinem Besitzstand verdrängen würden, könnten mithin der Gesellschaft nicht den Legitimationsschutz des § 16 GmbHGes verschaffen, ebensowenig nach einem fundamentalen Grundsatz unserer Rechtsordnung die Anmeldung durch einen Geschäftsunfähigen. D a mit wird aber in den meisten Fällen eine Nichtangreifbarkeit der gefaßten Beschlüsse sichergestellt sein, weil die Anmeldung jedenfalls dem Veräußerer oder Erwerber des GmbH-Anteils zugerechnet werden kann. Dieser Schutz gilt auch dann, wenn etwa in Einzelfällen die Geschäftsführung sich den Ubergang nicht hat nachweisen lassen, obwohl § 16 Abs. 1 GmbHGes von einer Anmeldung „unter Nachweis des Ubergangs" spricht. Denn es ist anerkannt, daß der Nachweis des Übergangs kein Formerfordernis für die Anmeldung ist und die Gesellschaft auf den Nachweis der Anmeldung verzichten kann, wenn

23 Schilling in Hachenburg, Anm. 2 zu § 15 GmbHGes.; Schmidt in Hachenburg, Einl. zu § 51 GmbHGes.; Scholz, Rdn. 19 zu § 16 GmbHGes. 24 Vgl. Kühn, GmbH-Rdsch. 1970, 201 bei Fn. 6; auch Wiedemann, a.a.O., S. 138 in Fn. 1 versteht die bei Kühn a. a. O., genannten Fundstellen so und wendet sich gegen sie, weil damit der Schutzzweck der Vorschrift ausgehöhlt würde. 25 Vgl. Wiedemann, a . a . O . , S. 131 ff., 138; Scholz, Rdn. 1 zu § 1 6 GmbHGes.; Baumbach-Hueck, Anm. 3 E zu § 16 GmbHGes. unter Hinweis auf RGZ 157,52, 59. 2 « RGZ 127, 236, 241; Wiedemann, a . a . O . , S. 138 f.; Schilling in Hachenburg, Anm. 4 zu § 16 GmbHGes.; Baumbach-Hueck, Anm. 2 Β zu § 16 GmbHGes.; vgl. die parallel liegende Situation im Aktienrecht: Barz in Großkommentar AktGes., 3. Aufl. 1973, Anm. 5, 14 zu § 67; Lutter in Kölner Kommentar, 1970, Rdn. 22 zu § 67 AktGes.

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auch die Geschäftsführer dann auf ihre eigene Gefahr (einer Schadensersatzpflicht) handeln 27 . Dieser Schutz der Gesellschaftsbeschlüsse über § 16 GmbHGes 2 8 bringt auch einen Schutz hinsichtlich der geleisteten Dividenden an dinglich nicht berechtigte Gesellschafter mit sich, so daß sich die Frage der Verjährung der Gewinn- und Dividendenansprüche, mit denen eine „dinglich berechtigte" Person an die Gesellschaft heranträte, gar nicht stellt 29 . Soweit schließlich gegen die Gesellschaftsbeschlüsse der Vergangenheit Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme von Nichtgesellschaftern an Beschlüssen geäußert werden sollten, so ist zu beachten, daß die bloße Nichtteilnahme von Gesellschaftern an einer Gesellschafterversammlung ohnehin nicht die Nichtigkeit der gefaßten Beschlüsse, sondern nur deren Anfechtbarkeit zur Folge hätte und die Anfechtungsfrist schon längst vorbei wäre 30 . Soweit bei Abstimmungen nicht berechtigte Gesellschafter mitgestimmt haben, ohne daß auf deren Stimme der erfolgte Beschluß beruhte, er also auch ohne sie wirksam wäre, müßte eine Angreifbarkeit solcher Beschlüsse gleichfalls ohnehin verneint werden 31 . Schließlich spricht viel dafür, in analoger Anwendung der aktienrechtlichen Grundsätze aus Gründen der Rechtssicherheit einen vom Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung verkündeten Beschluß nur für anfechtbar und nicht für nichtig zu halten 32 .

2 7 B G H W M 1967, 2 4 ; Baumbach-Hueck, Anm. 26 zu § 16 GmbHGes.; Schilling in Hachenburg, Anm. 6 zu § 16 GmbHGes.; Scholz, Rdn. 12 zu § 16 GmbHGes. Die Formulierung in B G H L M N r . 1 zu § 16 GmbHGes., wonach die Gesellschaft „von dem Rechtsübergang überzeugend unterrichtet" werden muß, kann nicht im Sinne eines zusätzlichen besonderen Wirksamkeitserfordernisses verstanden werden. 2 8 Auch ohne Eingreifen des Schutzes nach § 16 GmbHGes. wären immerhin die in das Handelsregister einzutragenden Beschlüsse analog § 241 AktGes. nach 3 Jahren, spätestens aber innerhalb einer „angemessenen" Frist geheilt, vgl. dazu statt vieler die Nachweise bei Baumbach-Hueck, Anm. 2 c Anhang zu § 47 GmbHGes. 2 9 Die Tendenz geht hier — vgl. B G H Z 28, 144 — mit Recht zur Annahme einer 4jährigen Verjährungsfrist; a. A. R G Z 88, 4 2 ; Soergel-Augustin, 10. Aufl. 1967, Rdn. 15 zu § 197 BGB. 3 0 Vgl. A G Hamburg, GmbH-Rdsch. 1954, 60. 3 1 Vgl. B G H Z 14, 267, 268 mit zahlr. Nachw. 3 2 Vgl. Baumbach-Hueck, Anm. 3 A Anhang zu § 47 GmbHGes. mit Nachweisen; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 398 ff.; zu eng wohl B G H N J W 1969, 841 mit seiner Beschränkung auf satzungsändernde Beschlüsse; s. auch die bei v. Caemmerer, Festschrift Gessler, 1971, S. 92 in Fn. 27 zitierten Entscheidungen.

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4. Wenn sich nun auch das Chaos in der Vergangenheit der Gesellschaft selbst ohne die Verwirkungskonstruktion nicht ganz so fatal auswirken würde, wie es zunächst den Anschein hatte, für die Zukunft wäre der betroffenen Gesellschaft damit noch nicht entscheidend geholfen, selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, ohne Mitwirken des durch den Rechtsschein der Anmeldung Legitimierten könne ihm seine Position erst nach erfolgreich durchgeführter Klage desjenigen genommen werden, der seine Gesellschafterrechte beansprucht 33 . U m jedenfalls auf die naturgemäß keine absolute Sicherheit gewährleistende Konstruktion über das Institut der Verwirkung verzichten zu können, würde sich rechtspolitisch sicher empfehlen, in die GmbH-Reform noch dogmatisch sauber die Möglichkeit eines Gutglaubenserwerbs einzubauen. An Lösungsmöglichkeiten gibt es wahrlich keinen Mangel. a) Mit der bloßen Beseitigung der sicher eine Hauptfehlerquelle bildenden Vorschrift des § 15 Abs. 2 GmbHGes, also der Selbständigkeit der Anteile, ist es nicht getan 3 4 . Zwar mögen sich die Schwierigkeiten, die einer Zusammenlegung nicht voll eingezahlter Geschäftsanteile entgegenstehen, aus den von Knur dargelegten Gründen umgehen lassen 35 . Aber es blieben noch genügend andere Fehlerquellen, so daß das Problem des mangelnden Gutglaubensschutzes im GmbH-Recht zwar umfangmäßig verkürzt, aber nicht beseitigt wäre. b) Die verhältnismäßig einfachste Lösung wäre die, in das Gesetz eine Vorschrift aufzunehmen, wonach nach einer gewissen Zeitdauer — etwa nach 10 Jahren — derjenige dinglich als Inhaber des Geschäftsanteils gilt, der eine solche Zeit von der Gesellschaft als Gesellschafter anerkannt und dementsprechend behandelt wurde. Das würde jedenfalls die Position des Erwerbers dinglich ein für alle mal absichern. Schuldrechtliche Ausgleichsansprüche der Beteiligten blieben unberührt. Sie könnten nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie im geltenden Recht behandelt werden. Die Frist von zumindest 10 Jahren wäre wohl schon deshalb ratsam, um nicht einen Anreiz dafür zu schaffen, die Notariatsform der Anteilsübertragung zu sparen. 3 3 Vgl. Wiedemann, a. a. O., S. 421 ; für das Aktienrecht Barz in Großkommentar AktGes., 3. Aufl. 1973, Anm. 15 zu § 67. 3 4 So Knur, DNotZ 1961, 299 ff., 302. 3 5 Die im Referentenentwurf eines neuen GmbH-Gesetzes vorgesehene Beibehaltung des Grundsatzes der Selbständigkeit mehrerer Anteile in der Hand eines Gesellschafters erklärt sich trotz der erleichterten Zusammenlegungsmöglichkeit in § 51 Abs. 4 in erster Linie aus der Notwendigkeit der Erhaltung der Haftung für rückständige Einlagen.

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c) Weitergehend ließe sich daran denken, entsprechend einem schon häufiger in der Literatur gemachten Vorschlag 3 6 den Gutglaubensschutz auf der dinglich-rechtlichen Ebene an die Übertragung eines besonders ausgestellten Anteilsbriefes zu knüpfen. d) Noch besser und etwa einer Registrierung mit Gutglaubensschutz der Anteilsübertragung bei dem ohnehin überlasteten Handelsregister vorzuziehen 3 7 erschiene mir die Anknüpfung des Gutglaubensschutzes an ein bei der Gesellschaft entsprechend dem Aktienbuch bei vinkulierten Aktien geführtes Anteils- oder Gesellschafterbuch 38 . Anders als bei Namensaktien, bei denen der gutgläubige Erwerb an die Aktienübertragung durch Indossament entsprechend den Bestimmungen des Wechselgesetzes angelehnt wird, müßte für die G m b H die Eintragung im Gesellschafterbuch selbst den Schutz auslösen. Das ist sicher sehr weitgehend, da es sich um kein öffentliches Register handelt. Es wäre daher zu überlegen, ob nicht der in lit. a) beschriebene Schutz einer dinglichen Heilung nach einer 10jährigen Eintragung im Gesellschafterbuch und Verzeichnung in den alljährlich zum Registergericht einzureichenden Gesellschafterlisten eine vernünftige Lösung darstellen würde, die mit nicht allzu großem Aufwand verbunden wäre. Zweckmäßig wäre es, die Vorlage der Abtretungsurkunde und den Verbleib einer beglaubigten Abschrift derselben bei den Gesellschaftsakten zu verlangen. Hinzutreten könnte das Erfordernis einer Anmeldung seitens des Veräußerers und Erwerbers unter Beglaubigung dej jeweiligen Unterschriften. Bei Gesamtrechtsnachfolge sollte zur Umschreibung im Gesellschafterbuch ein Erbschein oder ein eröffnetes notarielles Testament genügen. Welche Gestaltung man aber auch immer letztlich wählen mag, sie wäre einer Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes vorzuziehen.

III. Ungeachtet der Gestaltungen in der Zukunft bleibt die Frage, wie nach geltendem Recht eine Bereinigung der mangelhaften G m b H - A n teile außerhalb eines peinlichen Nachvollzugs sämtlicher zweifelhaften Übertragungsakte, die zum Großteil Erben und Erbeserben früherer Anteilsinhaber einbeziehen müßte, durchgeführt werden kann. Es wird nämlich mit Sicherheit immer wieder potentielle Erwerber geben, Lange, Notartag 1961, S. 8 7 ; Krefting, Notartag 1961, S. 80. Für eine solche registermäßige Legitimation Grau, a. a. O., S. 202. 3 8 Vgl. bereits Wiedemann, a. a. O., S. 147; „Gefahr für die G m b H " , Stellungnahme zum Referentenentwurf eines neuen GmbH-Gesetzes, 1969, S. 4 1 ; Curt Fischer, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1948, S. 117, 133. 38

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die mit dem Schutz der hier angebotenen Verwirkungslösung nicht zufrieden sein werden, und zwar insbesondere wegen des jeder solchen Lösung innewohnenden zeitlichen Unsicherheitsfaktors. Auch wenn sie selbst zu dem geringen Risiko des Erwerbs „nichtbereinigter" Anteile bereit wären, so hält sie vielleicht der Gedanke an die denkbaren Schwierigkeiten mit einem potentiellen späteren Erwerber ab, der ganz formal auf der Nachweisung der kompletten Legitimationskette bestehen mag. Schon dieses kleine Risiko wird manchen Erwerber letztlich doch dazu bestimmen, von den veräußerungswilligen Gesellschaftern die Bereinigung der zu verkaufenden Anteile zu verlangen. Dies um so eher, wenn sich bei Prüfung der vorhandenen Anteilsübertragungen Verstöße in der Vergangenheit bestätigen und der Nachweis nicht nur daran scheitert, daß alle Urkunden der Vergangenheit vernichtet sind und auch eine Ersatzbeschaffung über die tätig gewordenen N o t a r e und Finanzämter ausscheidet. Im folgenden soll für die Untersuchung der denkbaren Bereinigungslösungen einmal unterstellt werden, daß der größte Teil der Geschäftsanteile einer G m b H mit Mängeln behaftet ist. Lösungen weniger komplizierter Verhältnisse lassen sich dann jeweils leicht aus denjenigen der schwierigen Fälle entwickeln. 1.

Eine Art „unechte" Bereinigungslösung wäre die, im Falle einer entsprechenden Größenordnung der G m b H diese in eine A G umzuwandeln. Es würden dann an die Anteilsinteressenten bereits Aktien verk a u f t werden können, und zwar entweder Inhaberaktien oder Namensaktien, je nachdem ob eine Begrenzung der Übertragbarkeit der Anteile erhalten bleiben soll oder nicht. Der beim Erwerb von Inhaberaktien, aber auch Namensaktien bestehende Gutglaubensschutz käme dann bereits in vollem U m f a n g den Erwerbern zugute. Die Gefahr einer Versagung des Gutglaubensschutzes wegen Bösgläubigkeit des Erwerbers (Erschleichung des Gutglaubensschutzes) besteht grundsätzlich nicht, da sich dieser wie der jahrelang als G m b H Gesellschafter Geführte selbst sehr wohl auf den Standpunkt stellen kann, an die Berechtigung des Anteilsinhabers schon aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung der Angriffe gegen seine Inhaberstellung geglaubt zu haben. Angriffe gegen die Umwandlung müßten nach Eintragung der Umwandlung im Handelsregister innerhalb der Frist von 3 Jahren analog § 241 AktGes geführt werden, hält man diese Frist für nicht anwendbar innerhalb „angemessener" Frist. Nachdem der Referentenentwurf eines neuen GmbH-Gesetzes (§ 196, Abs. 3) nunmehr audi eine 3-Jahresfrist vorsieht, spricht einiges dafür, daß nunmehr auch der B G H eine solche Frist für entscheidend erachten

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würde. Wenn es auch in einer GmbH, in der sich über Jahre und Jahrzehnte der möglicherweise noch dinglich berechtigte Gesellschafter nicht gemeldet hat, äußerst unwahrscheinlich ist, daß er nun auf einmal anläßlich der Umwandlung auf den Plan tritt, so liegt hier immerhin ein minimales Störungsrisiko, aber auch nicht mehr. Denn eine Erfolgsaussicht der Nichtigkeitsklage ist, von dem Schutz der Verwirkung abgesehen, wegen des obenbeschriebenen Schutzes des § 1 6 GmbHGes nicht denkbar. Schließlich wird man nach durchgeführter Aktienübertragung auch wieder zur Rechtsform der GmbH durch eine erneute Umwandlung zurückkehren können, wenn man auf Dauer an dieser Rechtsform hängt. Wenn den Mitgesellschaftern der Zweck der Umwandlungsaktionen plausibel gemacht wird, sollte es auch keine Schwierigkeiten bereiten, von vornherein Störungen aus dem den widersprechenden Gesellschaftern anläßlich der Rückumwandlung von AG in GmbH erwachsenden Abfindungsrecht (§ 375 AktGes) durch entsprechende Vereinbarungen auszuschließen. Sicher sind mit einer solchen unechten Bereinigung beträchtliche Notar- und Gerichtskosten verbunden. Aber die Mühen und Kosten sind auch bei den nachstehend geschilderten Bereinigungsformen erheblich. Man wird deshalb auf seiten der Veräußerer, Erwerber und der Gesellschaft selbst genau abwägen müssen, wieviel einem das Gefühl absoluter Sicherheit, in einer Gesellschaft mit bereinigten Anteilen zu leben, wert ist. Je sicherer dabei die Verwirkungskonstruktion durch möglichst weit zurückliegende Fehler erscheint, um so leichter wird die Entscheidung fallen können, auf die Bereinigung zu verzichten. 2.

Eine echte Bereinigungslösung stellt die unter dem Stichwort Zusammenlegungsversion stehende, nachfolgend geschilderte Aktion dar. Ihr liegt der bei Krefting39 erwähnte Gedanke zugrunde, daß im Falle eines dinglich-rechtlichen Wirrwarrs der Zuständigkeit die Zusammenlegung auf einen einzigen Anteil und die anschließende Abteilung von Teilgeschäftsanteilen entsprechend der bisherigen Zusammensetzung der Gesellschafter helfen kann 40 . Denn durch die ZusammenDeutscher Notartag 1961, S. 80. Dabei ist wegen des sonst bei Vereinigung aller Anteile in einer Hand ausgelösten Grunderwerbsteuertatbestandes (§ 1 Abs. 3 GrEStG) darauf zu achten, daß jedenfalls ein Anteil von der Zusammenlegung ausgenommen bleibt, dessen Rechtszuständigkeit zweifelsfrei ist oder der zuvor im Wege einer Einzelbereinigung durch Nachvollziehung der Einzelakte bereinigt wird. Ist dies bei keinem Anteil möglich, so wäre entweder mit den zuständigen Finanzbehörden die Möglichkeit eines Billigkeitserlasses im voraus zu besprechen oder die unter Ziffer 3 unten dargestellte Bereinigungslösung zu wählen. 39

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legung aller Anteile zu einem einzigen Anteil mit Ausnahme ganz genau bestimmter Anteile, bei denen auch die dingliche Rechtszuständigkeit der betreffenden Gesellschafter zweifelsfrei ist, wird der neue Anteil dinglich in seiner Rechtszuständigkeit und seinem Umfang exakt fixiert. E r muß, da das Stammkapital der Gesellschaft feststeht, den Betrag haben, der sich aus der Differenz zwischen Stammkapital der Gesellschaft und den dinglich zweifelsfreien, genau aufgeführten, nicht in die Zusammenlegung einbezogenen Anteilen ergibt. Allerdings kommt eine Zusammenlegung in der Form, wie sie von Krefting beschrieben wurde, nicht in Frage. Denn zusammengelegt werden können nur mehrere in der Hand eines Gesellschafters befindliche Anteile, nicht dagegen in der Rechtszuständigkeit verschiedener Personen befindliche Anteile. Das wird auch allgemein in Rechtsprechung und Literatur als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Möglichkeit einer Zusammenlegung von Geschäftsanteilen selbst ist heute anerkannt, nachdem die Frage in der Vergangenheit äußerst umstritten war 4 1 . Es bestände allenfalls die Möglichkeit der Begründung einer gemeinschaftlichen Rechtszuständigkeit an den Geschäftsanteilen, die aber selbstverständlich entsprechende Einzelübertragungsakte voraussetzen würde. Die Zusammenlegung mehrerer in der Hand eines Gesellschafters befindlichen Anteile ist dagegen gesichert. Denn die Bestimmung des § 15 Abs. 2 GmbHGes, die von dem Grundsatz der Selbständigkeit mehrer in die Hand eines Gesellschafters gelangten Geschäftsanteile ausgeht, ist nicht zwingend. Der Referentenentwurf eines neuen GmbH-Gesetzes sieht in § 51 Abs. 4 die Möglichkeit einer Zusammenlegung mehrer Anteile eines Gesellschafters durch einfache Erklärung gegenüber der Gesellschaft sogar ausdrücklich vor. Dabei müssen lediglich bestimmte im Interesse des Gläubigerschutzes aufgestellte Voraussetzungen (z. B. volle Leistung der Einlagen) erfüllt sein. Nach geltendem Recht ist die Zusammenlegung durch Gesellschaf terbeschluß bei entsprechender Erklärung eines Gesellschafters jedenfalls dann möglich, wenn eine dahingehende Satzungsbestimmung besteht und Gläubigerschutzinteressen nicht verletzt werden können, also insbesondere die Einlagen voll gezahlt sind. Demzufolge würde die Zusammenlegungslösung praktisch so durchzuführen sein, daß sämtliche als mögliche dingliche Berechtigte in Betracht kommenden Personen einheitlich einer Vertrauensperson Vollmacht erteilen, die möglichst umfassend ausgestaltet sein und zu allen der Bereini-

4 1 Vgl. R G Z 142, 3 6 ; B G H Z 42, 89; Baumbach-Hueck, Anm. 2 zu § 15 GmbHGes.; Scholz, Rdn. 55 zu § 15 GmbHGes.; Schilling in Hachenburg, Anm. 69 a zu § 15 GmbHGes.; Vogel, Anm. 10 zu § 15 GmbHGes.

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gung dienenden Maßnahmen berechtigen sollte, insbesondere zur Übertragung der dem Vollmachtgeber etwa zustehenden Anteilsrechte. Der Bevollmächtigte würde dann nach Vorliegen aller Vollmachten sämtliche Anteile der Gesellschaft — mit Ausnahme der genau bezeichneten zweifelsfreien Anteile — auf eine weitere Person (Treuhänder) übertragen. Dieser Treuhänder kann zweckmäßigerweise bereits der Erwerber der Anteile der verkaufswilligen Gesellschafter sein. Er würde dann nach Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses in einer Gesellschafterversammlung sämtliche ihm übertragenen Anteile zu einem einzigen zusammenlegen, dessen Nominalbetrag sicher feststände (Differenz zwischen Stammkapital und zweifelsfreien Anteilen). Anschließend würde er die Anteile, die nicht verkauft, sondern nur bereinigt werden sollten und die er deshalb nur treuhänderisch erworben hatte, an die nicht verkaufenden Gesellschafter zurückübertragen. Die Schwierigkeit dieser Lösung, die gedanklich konstruktiv absolut sauber ist, liegt in dem praktischen Problem, die Vollmachten aller als denkbare dinglich Berechtigte in Betracht kommenden Personen 42 , also auch der Erben und Erbeserben frührere Berechtigter zu beschaffen. Um sich Gewißheit über den Gang der Erbfolge zu verschaffen, wird die Einholung zahlreicher Erbscheine nötig sein. Bei manchen Angesprochenen wird die Bereitschaft zur Mitwirkung wohl nur schwer zu erlangen sein, zumal einige der Angesprochenen bei der bekannten Neigung der menschlichen N a t u r zu Mißtrauen skeptisch und zurückhaltend reagieren werden. Zudem besteht ein rechtlicher Anspruch auf diese bestimmte Form der Mitwirkung an der Bereinigung kaum, wenn auch der angesprochene mögliche dingliche Berechtigte bzw. der Erblasser, von dem er seine Legitimation erhalten hat, regelmäßig zur Nachholung des dinglichen Einzelakts verpflichtet wäre, und zwar auf Grund des obligatorischen Vertrags, welcher der Anteilsübertragung zugrundeliegt. In jedem Fall wird man den angesprochenen Personen zusichern müssen, daß ihnen aus ihrer Mitwirkung bei der Bereinigung keine Kosten entstehen (ζ. B. wenn sie zwecks Legitimationsnachweis noch Erbscheine beantragen müssen). Soweit sich ein Rechtsträger nicht ermitteln läßt, wird man die Bestellung eines Pflegers beantragen müssen, von dem dann ebenfalls eine Vollmacht einzuholen ist. Dabei steht zu hoffen, daß die bestellten Pfleger ihrerseits ihre Mitwirkung an einer sachgerechten Bereinigung nicht versagen werden. 42 Die Vollmachten müssen nicht notariell beurkundet sein; Vollmachten zum Anteilsverkauf sind grundsätzlich formlos wirksam, wenn nur der Bevollmächtigte benannt ist, vgl. Baumbach-Hueck, Anm. 4 Β zu § 15 GmbHGes.

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Insgesamt zeigen die dargestellten praktischen Schwierigkeiten, daß, je größer die Zahl der einzuholenden Vollmachten ist, um so mehr von einem Glücksfall gesprochen werden kann, wenn es gelingt, alle erforderlichen Vollmachten zu erlangen. Steuerlich kann die Zusammenlegungslösung ohne Belastungen durchgeführt werden. Insbesondere lösen die treuhänderischen Ubertragungen auch keine Börsenumsatzsteuer aus. Hinsichtlich der Notariatskosten erscheint die Ansetzung der bloß treuhänderischen Ubertragungen im Zuge der Bereinigung mit einem gegenüber dem Verkehrswert und sogar Nominalwert ermäßigten Geschäftswert gerechtfertigt. 3. Gedanklich der Zusammenlegungslösung verwandt ist die Bereinigungsversion, die unter dem Stichwort Einziehungslösung dargestellt werden soll. Bei ihr würden nach Einfügung einer dies ermöglichenden Satzungsbestimmung in den Gesellschaftsvertrag sämtliche Geschäftsanteile mit einer nicht absolut zweifelsfreien dinglichen Rechtszuständigkeit (entschädigungslos) eingezogen. Dazu bedürfte es der Zustimmung sämtlicher von der Einziehung der betreffenden Anteile möglicherweise tangierten Personen, die ihrerseits wiederum einer Vertrauensperson eine entsprechende Vollmacht erteilen würden. Die tatsächlichen Schwierigkeiten der Vollmachtsbeschaffung wären also die gleichen wie bei der Zusammenlegungslösung. Nur muß hier nicht auf das Bestehenbleiben mindestens zweier Anteile geachtet werden, da eine grunderwerbsteuerpflichtige Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 G r E r w S t G voraussetzt, daß bestehende Anteile sich in einer Person vereinigen, während die Einziehung zur Folge hat, daß die betroffenen Anteile ersatzlos untergehen, mithin eine Vereinigung dieser Geschäftsanteile mit anderen Geschäftsanteilen gar nicht denkbar ist 43 . Auf Grund der auch ohne gleichzeitige Herabsetzung des Stammkapitals unstreitig zulässigen Einziehung kommt es zu einer rechtlich möglichen Diskrepanz zwischen dem Stammkapital der Gesellschaft und der Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile 44 . Die Besei43 Vgl. Erlaß Niedersachsen vom 30. 6 . 1 9 6 6 StEK § 1 N r . 7 ; Boruttau-Klein, Grunderwerbsteuergesetz, 9. Aufl. 1970, Anm. 201 a zu § 1. Im übrigen sind mit der Einziehungslösung audi keine steuerlich nachteiligen Folgen anderer Art verbunden. 44 Das ist unbestreitbar die Folge einer Einziehung nadi geltendem Recht. Für das künftige GmbH-Recht sieht § 56 Abs. 5 des Referentenentwurfs vor, daß im Falle der nicht gleichzeitig mit der Einziehung erfolgenden Herabsetzung des Stammkapitals (eine solche wäre auch nach geltendem Recht möglich, nur würde damit gerade der Weg für die Bereinigungsaktion nicht genutzt) sich die Nennbeträge der übrigen Geschäftsanteile (automatisch) entsprechend dem unter ihnen bestehenden Verhältnis erhöhen. N u r am Rande sei bemerkt, daß der Entwurf

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tigung dieser Diskrepanz ist nun, wie in Rechtsprechung und Literatur nicht bestritten wird, jedenfalls in der Weise möglich 45 , daß die restlichen Geschäftsanteile an den Betrag des nicht herabgesetzten Stammkapitals im Verhältnis der Größe dieser Anteile angepaßt werden, und zwar durch einen sog. Aufstockungsbeschluß. Darin liegt nicht etwa ein Verstoß gegen § 14 GmbHGes; denn da audi im G m b H Recht beim Untergang von Mitgliedschafstrechten durch Einziehung das sog. Anwachsungsprinzip gilt 46 , hat sich ohnehin schon k r a f t der de lege bestehenden Situation der Beteiligungsmaßstab nicht nur im Verhältnis der Geschäftsanteile zueinander, sondern audi im Verhältnis zum Stammkapital geändert. Eine Aufstockung der Geschäftsanteile, die die Diskrepanz zwischen dem Stammkapital und der Summe der Anteile beseitigt, ist also nichts weiter als eine als unbedenklich anzusehende Beseitigung eines „Schönheitsfehlers" 47 . Nach der Aufstockung der von der Einziehung nicht betroffenen Anteile (unter Umständen ist dies nur ein einziger Anteil) erfolgt dann eine Abtretung von Teilgeschäftsanteilen entsprechend der bisherigen Anteilsverteilung. Die Gesellschafter, bei denen die Aufstokkung erfolgt ist, haben also auch f ü r die Zeit der Bereinigung eine Art Treuhänderstellung. Die Anpassung der Geschäftsanteile im Zuge der Bereinigungsaktion ist auch steuerlich unschädlich, bewirkt also insbesondere weder für die Gesellschaft eine (verdeckte) Gewinnausschüttung noch f ü r die Gesellschafter einen einkommensteuerpflichtigen Vorteil 48 . keine Regelung über den Ausgleich der bei einer solchen Anpassung möglichen Spitzenbeträge gibt, die jedenfalls deshalb entstehen können, weil durch weniger als 10 teilbare Geschäftsanteile keinesfalls entstehen dürfen, die vollständige relationsgerechte Anpassung dagegen sehr wohl sogar zu „krummen" Beträgen führen könnte. 45 Ob audi anstelle des eingezogenen Anteils ohne Kapitalerhöhung ein neuer, der Gesellschaft selbst zustehender Geschäftsanteil gebildet werden kann, ist eine audi heute nodi als streitig anzusehende, richtigerweise zu verneinende Frage, wie sich gerade daraus ergibt, daß mit der Einziehung eine „Anwachsung" der Mitgliedschaft zugunsten der anderen Anteile verbunden ist — s. die folgende Fn. —, bei der Gesellschaft also kein neuer Anteil entstehen kann; die Schaffung eines neuen Anteils kann vielmehr nur im Wege der Kapitalerhöhung erfolgen. Ebenso Baumbach-Hueck, Anm. 3 Β zu § 3 4 GmbHGes.; Scholz, Rdn. 16 zu § 3 4 GmbHGes.; Vogel, Anm. 3 und DJ 1944, 20; a. A. KG D R 1943, 435; v. Godin, DJ 1943, 131; grundsätzlich audi Schmidt in Hachenburg, Anm. 30 zu § 34 GmbHGes. 46 Baumbach-Hueck, Anm. 3 b zu § 3 4 GmbHGes.; Schmidt in Hachenburg, Anm. 19 zu § 3 4 GmbHGes.; Scholz, Rdn. 11 und 16 zu § 3 4 GmbHGes.; Helm, D R 1944, 320; KG D R 1943, 435. 47 Scholz, Rdn. 11 zu § 34 GmbHGes.; Β FH 85, 90, 92 und BFH 99, 74, 75; GmbH-Rdsch. 1961, 49; Kohlenbach, DB 1961, 180; vgl. ferner insbes. die überzeugende Darstellung mit Nachweisen in der vom BFH bestätigten Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz, EFG 1965, S. 282 Nr. 331. 48 Vgl. BFH 90, 92; Fasold, DB 1963, 636.

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Schließlich ist zu bemerken, daß die Einziehungslösung gegenüber der Zusammenlegungslösung insoweit vorteilhaft sein kann, als sie Anteile, deren Entstehung zweifelhaft ist, auf jeden Fall einmal vernichtet und die von dem aufgestockten Anteil abgetretenen Teilgeschäftsanteile unzweifelhaft bestehen 49 . 4.

Einen gedanklich völlig verschiedenen Ansatzpunkt für eine Bereinigung erhielte man, wenn man eine Gestaltung wählte, die dazu führte, daß die dingliche Rechtslage hinsichtlich der „fehlerhaften" Geschäftsanteile gar nicht mehr von wesentlicher Bedeutung sein könnte, weil diese Anteile durch andere, neuentstandene Anteile ersetzt wären, deren dingliche Rechtszuständigkeit unzweifelhaft wäre. Konstruktiv müßten also an die Stelle der Anteile an der alten Gesellschaft Anteile einer neuen Gesellschaft treten, deren dingliche Zuständigkeit — da von den Geschehnissen in der alten Gesellschaft unabhängig — einwandfrei nachweisbar wäre. Dies würde die Ersetzung der „alten" Gesellschaft selbst durch eine „neue" Gesellschaft bedingen, bei der jedenfalls sichergestellt wäre, daß eine dingliche Mitberechtigung früherer Gesellschafter oder deren Erben nicht in Frage kommt. Dementsprechend würde hier ein Eingriff bei der Gesellschaft selbst über die Verwendung der bei der Verschmelzung von GmbH's 50 geläufigen Konstruktionen erfolgen. Zwei Möglichkeiten bieten sich insbesondere an: a) Die Gesellschaft mit den fehlerhaften Geschäftsanteilen (GmbH alt) bringt ihr Vermögen zum Buchwert in eine der „alten" Gesellschaft gehörende GmbH (GmbH neu) ein, die zu Bereinigungszwecken neu gegründet sein kann, und zwar gegen Gewährung von Anteilen an einer GmbH (neu), die aus einer Kapitalerhöhung gewon49 Die Fälle etwa mangelhafter Zeichnung von Geschäftsanteilen und die damit verbundenen Rechtsfragen können also gar nicht problematisch werden; zu der Problematik vgl. Lutter, „Gescheiterte Kapitalerhöhungen", Festschrift Schilling, 1973, S. 207 ff. 60 Vgl. statt der ganzen sehr umfangreichen Literatur Gerold Loos, Umwandlungs-Steuergesetz 1969, Stand Juli 1973, Rdn. 807 ff.; Loos, DB 1971, 781 ff.; Fasold, DB 1971, 205; Schreiben des BdF IV Β 5 — S 1978 — 26/70 vom 20. 7. 1970, BStBl. 1970 I, 922 = DB 1970, 1411; Voß, DStR 1971, 261; WidmannMayer, Umwandlungsrecht, 4. Erg.-Lfg. 1972, Rdn. 2043 ff. mit umfassenden Nachweisen. — Das künftige GmbH-Recht wird endlich auch das Institut der Verschmelzung von GmbH's gesetzlich anerkennen und regeln, vgl. §§ 271 ff. des Referentenentwurfs. Die untenstehende steuerliche Problematik wird sich dadurch aber nidit erübrigen.

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nen werden. Alsdann wird die G m b H (alt) liquidiert und überträgt ihr Vermögen — die erhaltenen Geschäftsanteile an der G m b H (neu) — auf ihre Gesellschafter. An der G m b H (neu) bestehen nach Abschluß dieses Vorgangs hinsichtlich der Geschäftsanteile die gleichen Besitzverhältnisse wie an der G m b H (alt). Die durch den Liquidator der G m b H (alt) an die Gesellschafter ausgereichten Geschäftsanteile sind aber im Gegensatz zu den alten Geschäftsanteilen dinglich mit keinem Makel behaftet. Eine andere Frage ist es, ob in einem Einzelfall der Gesellschafter, der die fehlerfreien neuen Geschäftsanteile erhalten hat, seinerseits einem schuldrechtlichen Anspruch eines „Nichtgesellschafters" ausgesetzt ist, der aus seiner früheren dinglichen Berechtigung verdrängt wurde. Sie ist einmal für den Liquidator von Bedeutung, weil dieser nur denjenigen bislang als Gesellschaftern behandelten Personen Geschäftsanteile ausreichen wird, von deren Anspruch er überzeugt ist. Sie ist sodann für den Gesellschafter, der neue Anteile erhalten hat, von Bedeutung. Denn sollten ihm diese Anteile letztlich nicht gebühren, ist er selbstverständlich nach wie vor den gegen ihn bestehenden schuldrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt. Sie ist aber grundsätzlich nicht von Bedeutung für den Erwerber der neuen Geschäftsanteile. Denn dieser erwirbt entsprechend dem Zweck der Bereinigung dinglich einwandfreie Anteile und hat selbstverständlich nur schuldrechtliche Beziehungen zu dem letzten Veräußerer. Abgesehen von der weiter unten behandelten steuerlichen Problematik liegen die Schönheitsfehler dieser Lösung in folgenden Punkten. Einmal sind die anfallenden Notariatskosten (Vermögensübertragung, Kapitalerhöhung) beträchtlich. Zum anderen sind die psychologischen Hemmnisse (Untergang der G m b H alt) nicht zu unterschätzen. Schließlich sind die zeitlichen Erschwernisse, die durch das Sperrjahr vor Verteilung des Gesellschaftsvermögens (§ 73 GmbHGes) bedingt sind, nicht zu übersehen. Dies um so mehr, als ein f ü r unseren Spezialfall an sich in Kauf zu nehmender Verstoß gegen § 73 GmbHGes auf Grund des BGH-Urteils vom 4. 7. 1973 51 wenig ratsam erscheint, wonach bei einem bewußten Verstoß des Liquidators und der Gesellschafter gegen das Verbot des § 73 I GmbHGes die vorgenommene Vermögensverteilung nichtig sein kann. Zwar wird man solche zeitliche Verzögerungen durch besondere Vereinbarungen (Abtretungen von Zuteilungsansprüchen gegen den Liquidator, bedingte (künftige) Anteilsabtretungen, Stimmrechtsvereinbarungen) weitgehend ausgleichen können. Der endgültige Erwerb, der ζ. B. für die Inanspruchnahme des Schachtelprivilegs wichtig sein kann, findet aber erst nach

51

GmbH-Rdsch. 1973, 199.

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Georg H o h n e r

Ausreichung der Geschäftsanteile der G m b H (neu) durch Abtretung seitens des Liquidators an den bisherigen Gesellschafter statt. b) Die Gesellschafter der G m b H mit den „fehlerhaften" Geschäftsanteilen bringen ihre Anteile in eine dieser Gesellschaft gehörende — bereits vorhandene oder wiederum zu Bereinigungszwecken neu gegründete — G m b H (neu) gegen Gewährung von Anteilen der G m b H (neu) ein. Alsdann wird die G m b H (alt) nach §§ 3, 15, 24 U m w G auf die G m b H (neu) umgewandelt. Dabei wäre aus steuerlichen Gründen zwecks der Vermeidung einer Grunderwerbsteuer infolge Anteilsvereinigung sogar die Modifikation empfehlenswert, nicht alle Anteile der G m b H (alt) in die aufnehmende G m b H (neu) einzubringen, sondern nur den Prozentsatz, der nach den jeweils maßgebenden landesrechtlichen Bestimmungen 52 unschädlich ist, ohne die für die Umwandlung nach U m w G erforderliche mindestens 90 %ige Beteiligungsquote der G m b H (neu) zu gefährden, die Voraussetzung für die U m w a n d lung ist. Immerhin müßte man insoweit aber Gesellschafter der G m b H (alt) finden, die gegen angemessene Abfindung zum Ausscheiden bereit wären. Diesen könnte ein solcher Entschluß allerdings durch eine Verpflichtung zur Neuaufnahme nach der Umwandlung zu entsprechenden Konditionen erleichtert werden. Im übrigen wäre diese Konstruktion gegenüber der in lit. a) sogar von dem Blickwinkel der Beschleunigung her attraktiver 5 3 . Ansonsten brächte sie die gleichen Vorteile einer effektiven dinglichen Bereinigung ohne Gefahr für den Erwerber mit sich. Die eigentliche Problematik dieser beiden dargestellten Bereinigungslösungen, die ertragsteuerlich — wie in der angeführten Literatur überzeugend dargestellt ist — perfekt steuerneutral vollzogen werden können 54 , liegt nun aber seit dem Ablauf des 31. Dezember 1972 (Befristung des § 29 UmwStG bzw. der von der Grunderwerb52

Vgl. Hundertmark, D B 1970, 1509. O b nicht auch hier eine Jahresfrist aus steuerlichen Gründen (Übernahmegewinn) nach § 12 Abs. 2 U m w S t G erforderlich ist oder ob diese durch § 20 i. V . m. § 7 Abs. 3 U m w S t G erübrigt wird (vgl. Loos, D B 1971, 786), wäre insoweit v o n maßgebender Bedeutung. 54 Widmann-Mayer, Umwandlungsrecht, Rdn. 2043 f. behaupten allerdings (gegen Meyer-Arndt, Steuerbegünstigt umwandeln, 1970, Rdn. 278 b für den Fall 100°/oiger Beteiligung), es komme bei der schwindenden G m b H insoweit zu einer Gewinnrealisierung, wie diese an der übernehmenden G m b H beteiligt sei. Wäre die A u f f a s s u n g v o n Widmann-Mayer richtig, so müßten die insoweit entstehenden steuerlichen Nachteile entsprechend dem unten für Gesellschaftsteuer und Grunderwerbsteuer vorgeschlagenen W e g beseitigt werden. Außerdem bestünde die M ö g lichkeit, nicht die G m b H (alt) die G m b H (neu) gründen zu lassen, sondern die bisherigen Gesellschafter der G m b H (alt) als Gründer der G m b H (neu) im Verhält53

Die Bereinigung fehlerhafter GmbH-Anteile

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Steuer befreienden Ländergesetze) auf der Ebene des Steuerrechts, konkret der Gesellschaftsteuer (anläßlich der Kapitalerhöhungen der GmbH-neu) und der Grunderwerbsteuer, und zwar wegen der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 (oben lit. a), N r . 3 (oben lit. b) der Grunderwerbsteuergesetze verwirklichten Tatbestände. Mag auch die gesellschaftsteuerliche Belastung als Bereinigungsopfer nodi erträglich sein, die aus der Grunderwerbsteuer hervorgehenden Belastungen würden sehr häufig eine Bereinigungsaktion der vorstehend geschilderten Art zunichte machen. Es bliebe daher als Ausweg in der Regel nur der Weg, der sicher grundsätzlich 55 absolut sachgerecht wäre, nämlich ein vor Durchführung der Bereinigung mit den zuständigen Finanzbehördenstellen abgesprochener und zugesagter Billigkeitserlaß der anläßlich einer reinen Bereinigung anfallenden Besitz- und Verkehrsteuern ( § 1 3 1 AO). Es ist heute anerkannt, daß ein solcher Erlaß bereits ausgesprochen werden kann, ehe die Steuerschuld entstanden ist, so daß bereits die Entstehung der Schuld verhindert wird 5 6 . Es kann hier nicht die grundsätzlich einer Ausweitung des Instituts des Billigkeitserlasses kritisch gegenüberstehende Literatur zu § 131 A O im einzelnen abgehandelt und ausgewertet werden 57 . Aber wer einmal in der Praxis die ungeheuren Schwierigkeiten einer Bereinigungsaktion von GmbH-Geschäftsanteilen bei einer größeren Gesellschaft miterlebt und den dornenvollen Weg einer Einzelbereinigung (auch über die oben dargestellten Pauschallösungen, die wenigstens einen Nachvollzug der einzelnen Übertragungen der Vergangenheit erübrigen) gesehen hat, der wird für unseren Bereinigungsfall eine finanzbehördliche Hilfe über das Institut des Billigkeitserlasses für absolut sachgerecht halten. Letztlich muß man sich hier vor Augen halten, daß die eventuelle Notwendigkeit einer Bereinigung von GmbH-Anteilen ihre Ursache in der Unzulänglichkeit des geltenden GmbH-Rechts hat, das eine unmittelbare Heilung von mate-

nis der bisherigen Beteiligung auftreten zu lassen., wobei auch für einzelne Gesellschafter oder sogar die meisten von ihnen je nach Zweckmäßigkeit ein Treuhänder auftreten könnte. 5 5 Nicht etwa in den Fällen, in denen in jüngerer Zeit, etwa zurückgehend 1 0 — 2 0 Jahre, die Undurchsichtigkeit der Anteilsverhältnisse durch permanente Verstöße gegen das Gesellschaftsrecht bewirkt wurde, und zwar wegen Fehlens der Erlaß Würdigkeit, vgl. Pfaff, Steuer und Wirtschaft, 1969, 103 (110). 5 6 Vgl. R F H vom 28. 7 . 1 9 5 1 R StBl. 1931, 7 3 5 ; Β F H vom 2 7 . 1 . 1955, Band 60, 235 ( 2 3 8 ) ; Paulick, Lehrbuch des allgemeinen Steuerrechts, 1971, Rdn. 6 0 0 ; ebenso Wendt, D B 1957, 1056, allerdings unter Schilderung negativer Erfahrungen mit der Verwaltung. 5 7 Vgl. die Literaturzusammenstellung (Stand November 1972) in dem Kommentar zur Reichsabgabenordnung von Hübschmann-Hepp-Spitaler, 1.—6. Auflage, vor § 131 A O .

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Georg Hohner

riellen Mängeln beim Erwerb von GmbH-Anteilen nicht kennt. Nachdem aber über die aufgezeigten „Umwege" zivilrechtlich quasi die Möglichkeit einer mittelbaren Heilung gewiesen ist, wäre es nur sachadäquat, wenn für die wenigen kritischen Fälle, in denen eine anderweitige Bereinigung der Geschäftsanteile unmöglich oder unzumutbar ist, von finanzbehördlicher Seite nicht unter Hinweis auf die zu beträchtlicher Feinheit entwickelte Dogmatik zu § 131 AO die Hilfestellung versagt würde.

Unternehmensträger-Stiftung und Unternehmensrechtsreform O T T O KUNZE

I. 1. Bundesjustizminister Jahn hat es in einer Ansprache zur konstituierenden Sitzung der Unternehmensrechtskommission beim Bundesministerium der Justiz 1 , deren stellvertretender Vorsitzender der Jubilar ist, als die Aufgabe der Kommission bezeichnet, „die Möglichkeiten zur Verwirklichung der unterschiedlichen Vorstellungen von einem künftigen Unternehmensrecht zu prüfen", und weiter ausgeführt, daß nach seinem Dafürhalten das geltende Gesellschaftsredit „nicht mehr den Anforderungen" entspreche, „die sich zumindest für Unternehmen bestimmter Größe" ergäben; deshalb sei es die Aufgabe eines Unternehmensrechts, das Gesellschaftsrecht f ü r solche Unternehmen den sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen unserer Zeit anzupassen; dabei sei zu prüfen, ob sich eine möglichst einheitliche Unternehmensverfassung, etwa nach dem Vorbild der Aktiengesellschaft, empfehle oder ob und welche Besonderheiten einzelner Rechtsformen bestehen bleiben sollten; in dem Spannungsverhältnis der Argumente einerseits für rechtsformunabhängige, andererseits für rechtsformbezogene unternehmensrechtliche Lösungen werde die Kommission einen Mittelweg finden müssen, „der eine Denaturierung des Gesellschaftsrechts ebenso vermeidet wie unzureichende Regelungen für die Mitbestimmung und die anderen unternehmensrechtlichen Fragen". Obwohl hiernach alle Rechtsformen zu untersuchen sind, könnte zweifelhaft sein, ob auch die Stiftung einbezogen sein soll, und zwar deshalb, weil immer nur vom „Gesellschaftsrecht" die Rede ist, das zu einem modernen Unternehmensrecht fortentwickelt werden solle. Daß dieser Zweifel nicht begründet ist, folgt jedodi daraus, daß der Minister ausdrücklich den Einzelkaufmann erwähnt hat, dessen Recht ebenfalls kein Gesellschaftsrecht im strengen Wortsinn ist. In diesem Beitrag sollen daher einige Überlegungen zur Reform des Stiftungsrechts unter unternehmensrechtlichen Gesichtspunkten angestellt werden. Gegenstand dieser Überlegungen soll aber nur die

1

Siehe Bundesanzeiger N r . 89 vom 13. 5.1972, S. 6.

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Otto Kunze

rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts sein, wie es wohl audi dem Sinn des Kommissionsauftrages entspricht. 2. A u f dem 44. Deutschen Juristentag in Hannover im September 1962 hatte eine Arbeitsgemeinschaft die Frage erörtert: „Soll das Stiftungsrecht bundesrechtlich vereinheitlicht und reformiert werden, gegebenenfalls mit welchen Grundzügen?" 2 Die Arbeitsgemeinschaft hatte zum Ausdruck gebracht, daß sie es begrüßen würde, wenn der Deutsche Juristentag sich in geeigneter Weise des Themas weiter annähme. Daraufhin setze die Ständige Deputation 1963 eine K o m mission mit dem Auftrage ein, das Thema der Arbeitsgemeinschaft weiter zu bearbeiten. Die Kommission hat 1968 einen schriftlichen Bericht vorgelegt 3 . In den Vorbemerkungen dieses Berichtes heißt es, daß die Kommission „dem in der Verhandlung in Hannover zum Ausdruck gebrachten Wunsch nach einer gründlichen Untersuchung der faktischen Verhältnisse des Stiftungswesens, insbesondere des Bestandes an Stiftungen verschiedener Art und Typen und der Praxis der Stiftungssatzungen", wegen fehlender Mittel für die wünschenswerten rechtstatsächlichen Forschungen nur in geringem Umfange habe entsprechen können 4 . Diesem Mangel ist inzwischen zum großen Teil für die hier interessierenden Unternehmensträger-Stiftungen durch die Untersuchung von Horst Vinken abgeholfen worden 5 . Die Juristentagskommission hatte sich darauf geeinigt, daß beim damaligen Stand der Rechtsentwicklung kein ausreichender Anlaß bestehe, „ein vollständiges besonderes Unternehmensrecht der Unternehmensträger-Stiftungen zu entwickeln". Demgemäß hat sie zwar gewisse Sondervorschriften für Unternehmensträger-Stiftungen vorgeschlagen, sich dabei aber möglichst weit an die entsprechenden geltenden Bestimmungen des Gesellschaftsrechts angelehnt 6 . An diese Vorschläge können die nachstehenden Reformüberlegungen anknüpfen.

2 Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages Hannover 1962, Bd. II, Tübingen 1964, S. G 1. 8 Siehe Vorschläge zur Reform des Stiftungsrechts. Bericht der Studienkommission des Deutschen Juristentages, München 1968 — fortan: DJT-Bericht — , S. 10. 4 DJT-Bericht, S. 11. 6 Horst Vinken, Die Stiftung als Trägerin von Unternehmen und Unternehmensteilen. Ein Beitrag zur Morphologie der Einzelwirtschaften. Schriftenreihe zum Stiftungswesen, Bd. 3, herausgegeben vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, Baden-Baden 1970. 6 DJT-Bericht, S. 44.

Unternehmensträger-Stiftung

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II. Zunächst ist jedoch noch näher zu prüfen, ob und inwieweit die Stiftung überhaupt Gegenstand der Unternehmensrechtsreform sein soll. 1. a) Die in der eingangs zitierten Ansprache des Bundesjustizministers erwogene Möglichkeit des vollständigen Wegfalls eines Teils der Rechtsformen des geltenden Rechts kommt für die Stiftung nicht in Betracht, weil sie nicht, wie der Einzelkaufmann, die Personalgesellschaften, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 7 , der wirtschaftliche Verein, die Genossenschaften8 und die bergrechtliche Gewerkschaft, vom Gesetz nur als Rechtsform für Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, sondern weil sie eine Allzweckform ist, die zudem — anders als die Kapitalgesellschaften — typischerweise anderen Zwecken dient. Die Rechtsform der Stiftung muß also selbstverständlich erhalten bleiben. Unter dem Gesichtspunkt der Unternehmensrechtsreform ist nur zu prüfen, ob es rechtspolitisch vertretbar oder gar geboten ist, sie auch für Unternehmen, insbesondere für große Unternehmen, bereitzustellen. Gegenstand der nachstehenden Betrachtungen sind mithin lediglich die UnternehmensträgerStiftungen. b) Diese werden in der Praxis und im Schrifttum auch als „Unternehmensstiftung" oder als „Stiftungsunternehmen" bezeichnet. Der DJT-Bericht „hält den Ausdruck Unternehmensstiftung für mißverständlich und den Ausdruck Stiftungsunternehmen für schief, weil auf das Unternehmen, nicht seinen Träger, hinweisend" 9 . Demgemäß wird der Ausdruck „Unternehmensträger-Stiftung" auch hier verwendet. Nach dem DJT-Bericht ist eine Unternehmensträger-Stiftung „eine Stiftung, die selbst ein Unternehmen als Inhaberin betreibt (vgl. § 33 H G B ) oder die persönlich haftende Gesellschafterin einer offenen Handelsgesellschaft ist oder die auf ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann (vgl. § 1 7 Abs. 1 AktG). Hierbei ist es unerheblich, ob die Stiftung selbst konzernrechtlich als Unternehmen anzusehen ist. Für den Begriff der Unternehmensträger-Stiftung soll es gleichgültig sein, ob das Unternehmen, das betrieben wird, auf Gewinnerzielung abgestellt ist oder 7 β

§§ 15 ff. VAG. § 1 GenG.

• S. 42.

Otto Kunze

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nicht, ob das — unmittelbare oder mittelbare — Betreiben des Unternehmens in einer der vorstehend geschilderten Formen ausschließlicher oder nur der Hauptzweck oder lediglich ein Nebenzweck der Stiftung ist, oder ob das Betreiben eines Erwerbsunternehmens Selbstzweck ist oder nur die Mittel zur Verfolgung anderer Zwecke liefern soll" 10 . An dieser Definition kann festgehalten werden. Unter dem Gesichtspunkt der Unternehmensrechtsreform interessieren hier jedoch nur die Unternehmensträger-Stiftungen, die große Unternehmen selbst betreiben oder beherrschenden Einfluß auf große Unternehmen ausüben können. 2.

Umstritten war und ist allerdings, ob die Rechtsform der Stiftung in Zukunft überhaupt noch f ü r den mittelbaren oder unmittelbaren Betrieb großer Unternehmen zur Verfügung stehen soll. a) Das könnte schon im Blick auf die Rechtswirklichkeit zweifelhaft sein. Vinken meint, die Praxis scheine sich entschieden zu haben; sie verwende, absolut oder relativ gesehen, die Stiftung als unmittelbaren Träger des Unternehmen nur selten 11 ; f ü r die Zeit nach dem 2. Weltkrieg sei eine eindeutige Verselbständigung des Unternehmens unter Zwischenschaltung einer eigenen Rechtsperson, insbesondere einer Kapitalgesellschaft, typisch 12 . N u n ist zwar auch die absolute Zahl der Stiftungen nicht groß, die nicht selbst ein Unternehmen betreiben, sondern nur einen beherrschenden Einfluß auf ein Unternehmen haben (mittelbare Trägerschaft). Immerhin wäre es eine mit Art. 2 Abs. 1 GG schwer zu vereinbarende Beschränkung der Gestaltungsfreiheit, allein wegen der geringen Zahl die Stiftung als Rechtsform f ü r den Betrieb auch nur von großen Unternehmen nicht mehr zuzulassen. Dasselbe müßte dann audi f ü r die Kommanditgesellschaft auf Aktien gelten. b) Gewichtiger ist die Frage, ob der — unmittelbare oder mittelbare — Betrieb von Unternehmen mit dem Sinn der Stiftung vereinbar ist. Im DJT-Bericht 13 heißt es: „Die Problematik der Zulässigkeit von Unternehmensträger-Stiftungen h a t . . . in der Kommission zu lebhaften Auseinandersetzungen geführt. Sie steht im engen Zusammen10 11 12 13

S. 42/43. Wie Fußn. 5, S. 71. Wie Fußn. 5, S. 73. S. 43.

Unternehmensträger-Stiftung

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hang mit der Frage nach den zulässigen Stiftungszwecken überhaupt." Diese ist von der Kommission sehr ausführlich erörtert worden. Die Mehrheit hat sich, wenn auch zum großen Teil nicht ganz uneingeschränkt, für die Allzweckstiftung ausgesprochen, wie es der Regelung im B G B , allerdings im Rahmen des Konzessionssystems (§ 80), entspricht. Auf die — sehr gedrängte — Begründung muß hier verwiesen werden 1 4 . Folgerichtigerweise hat sich auch die Mehrheit der Kommissionsmitglieder für die Zulassung von UnternehmensträgerStiftungen ausgesprochen. Ein Teil von diesen glaubte zwar, daß „mit der Zulassung von Unternehmensträger-Stiftungen Gefahren sowohl für den Bestand der Stiftung als auch für die Allgemeinheit verbunden sein" könnten, meinte aber, daß solche Gefahren durch geeignete unternehmensrechtliche Bestimmungen abgewehrt werden könnten. Die Minderheit der Kommissionsmitglieder hat sich gegen die Zulassung von Unternehmensträger-Stiftungen ausgesprochen, und zwar teils, ohne zu unterscheiden, ob das Unternehmen unmittelbar oder nur mittelbar von der Stiftung betrieben wird, teils mit der Maßgabe, daß solche Unternehmensträger-Stiftungen zulässig sein sollen, die sich zum Betrieb des Unternehmens der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft bedienen 13 . Welches die befürchteten Gefahren für den Bestand der Stiftung und für die Allgemeinheit, die mit dieser Zulassung verbunden sein könnten, sein sollen, ergibt sich weder aus dem Bericht noch aus den Protokollen der Kommission. Wohl aber sind die in der Kommission geltend gemachten Bedenken dem Gutachten, das Ballerstedt für die Stiftungsrechtliche Arbeitsgemeinschaft 15 , und dem Referat, das Mestmäcker in der Arbeitsgemeinschaft erstattet hat 1 6 , zu entnehmen. aa) Die weitestgehenden Bedenken hat Mestmäcker geäußert. E r ist der Ansicht, „daß Unternehmen ohne Eigentümer- oder Mitgliedschaftsinteressen mit der geltenden Rechts- und Wirtschaftsordnung im Kern unvereinbar" seien 17 , und hält „es deshalb nicht für geboten, die Stiftung durch den Gesetzgeber zu einer besonderen Unternehmensform auszugestalten", es sei denn, „daß der im Betrieb des Unternehmens bestehende Hauptzweck der Stiftung in anderer Rechtsform nicht verwirklicht werden" könne 1 8 . Während Mestmäcker also — mit einer Ausnahme, für die er als Beispiel die CarlZeiss-Stiftung nennt — den unmittelbaren Betrieb eines UnternehDJT-Beridit, S. 2 0 / 2 1 . Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages Hannover 1962, Bd. I, 5. Teil, 1962, S. 33 ff. 16 Wie Fußn. 2, S. G 3 ff. 17 Wie Fußn. 2, S. G 19. 18 Wie Fußn. 2, S. G 20. 14

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mens durch die Stiftung überhaupt nicht zulassen will, erhebt er gegen die nur mittelbare Trägerschaft Bedenken, die er im wesentlichen mit der US-amerikanischen Praxis begründet, die er aber mit dem Hinweis relativiert, daß „die ausländischen Erfahrungen . . . zu einem großen Teil auf die Verbindung stark progressiver Steuersätze und weitgehender steuerrechtlicher Privilegien für Stiftungen zurückzuführen" seien, die in Deutschland nicht gelten 19 . Er beschränkt sich deshalb darauf, eine gesetzliche Generalklausel zu empfehlen, mit der Vorsorge getroffen wird, „daß die Stiftungen nicht verwendet werden können, um als Inhaberin maßgeblicher Beteiligungen die zwingenden Vorschriften des Rechts der Kapitalgesellschaften und des Konzernrechts zu umgehen" 2 0 . bb) Demgegenüber empfiehlt Ballerstedt, mit einem künftigen Stiftungsrecht einen mittleren Weg zu gehen. Er faßt seine Überlegungen in folgenden Thesen zusammen: „(1) Als Rechtsträgerin oder beherrschende Gesellschafterin eines Unternehmens sollte eine Stiftung nur dann und nur insoweit zugelassen werden, wie der Hauptzweck der Stiftung auf eine Aufgabe von ideellem öffentlichen Interesse gerichtet ist und diesem Hauptzweck die Führung des Unternehmens oder die Verwaltung der Beteiligung untergeordnet ist. (2) Einer Familienstiftung sollte der Erwerb eines Unternehmens im ganzen oder einer beherrschenden Beteiligung nicht gestattet sein. (3) An einer Personalgesellschaft sollte eine Stiftung in jedem Falle nur als Kommanditist beteiligt sein dürfen." 2 1 In der Stellungnahme zu diesen Thesen und den Bedenken Ballerstedts gehe ich aus von der Auffassung, die ich mit der Mehrheit der Juristentagskommission 22 vertreten habe, daß nämlich auch nach Abschaffung des Konzessionssystems die Stiftung eine Allzwedkrechtsform bleiben und demzufolge audi die UnternehmensträgerStiftung zulässig sein muß. Von diesem Standpunkt aus ist auch eine Familienstiftung zu tolerieren und kann als Hauptzweck der Stiftung nicht nur „eine Aufgabe von ideellem öffentlichen Interesse" gefordert werden. Im einzelnen erhebt Ballerstedt vor allem vier Bedenken. aaa) E r befürchtet für den Fall der Zulassung der Stiftung als Allzweckrechtsform, daß Stiftungen gegründet würden, für die „nur 10 20 21 22

Wie Fußn. 3, S. G 21. Wie Fußn. 2, S. G 22. Wie Fußn. 15, S. 37. Siehe oben II 2 b).

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der in der Satzung einer Kapitalgesellschaft als .Gegenstand des Unternehmens' zu bezeichnende Erwerbszweck" übrig bliebe, und fragt: „Soll das Stiftungsrecht es ermöglichen, Unternehmen zu schaffen, die sich selbst gehören?" 2 3 Diese Frage braucht jedoch, abgesehen davon, daß ein solcher Fall nicht vorkommen dürfte 2 4 , nicht verneint zu werden; denn die Möglichkeit, daß es auch billigenswerte Motive für die Errichtung solcher Stiftungen gibt, kann nicht ausgeschlossen werden 2 5 . Im übrigen würde sich ein solches „sich selbst gehörendes Unternehmen" kaum — z.B. — von einem gemeinnützigen W o h nungsunternehmen unterscheiden, das praktisch auch „sich selbst gehört" 2 ®; denn es darf bekanntlich höchstens 4 v. H . Dividende ausschütten, und seine Mitglieder oder Gesellschafter dürfen bei Auflösung des Unternehmens oder bei Ausscheiden nicht mehr als die eingezahlten Einlagen zurückerhalten 27 . bbb) D a ß ein Unternehmen in der Rechtsform der Stiftung „niemals so anpassungsfähig und b e w e g l i c h . . . wie eine Personal- oder Kapitalgesellschaft" sein kann 2 8 , ist richtig. Dieser Mangel kann aber durch geeignete gesetzliche Bestimmungen über die Änderung der Stiftungssatzung weitgehend behoben werden 2 9 , zumindest dann, wenn in der Stiftungsurkunde entsprechend Vorsorge getroffen wird 3 0 . Warum, wie Ballerstedt meint, Änderungsermächtigungen des Stifters „durch den Grundgedanken der Stiftung Grenzen gezogen" sein sollen, ist nicht einzusehen. Wenn er befürchtet, daß die durch den Stifter oder durch Gesetz den Stiftungsorganen oder der Aufsichtsbehörde erteilten Änderungsermächtigungen zu Mißbräuchen führen, berührt er das allgemeine, für die Frage der Beweglichkeit der Führung von Stiftungsunternehmen nicht spezifische Problem der Stiftungsaufsicht. 23 Wie Fußn. 15, S. 34. Die sehr eindrucksvolle Wendung ist nicht wörtlich zu nehmen; denn das Unternehmen — genauer: das Unternehmensvermögen — „gehört" der Stiftung. Diese juristische Person ist es, die keine Mitglieder hat und deshalb niemandem „gehört". 24 Audi die Juristentagskommission hat den Fall als unrealistisch behandelt (unveröffentlichte Niederschrift vom 3. 2. 1965, S. 2). 25 Α. A. mit eingehender Begründung Trops, „Wirtschaftliche Unternehmen innerhalb einer Stiftung", in: Die Aktiengesellschaft 1970, S. 367 ff. 26 Ähnlich Soergel-Scbultze-v. Lasaulx, 10. Aufl., Rdnr. 48 vor § 80 BGB. 27 Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz vom 29. 2.1940 (RGBl. I S. 438 ff.). 28 Wie Fußn. 15, S. 35. 29 Dazu DJT-Bericht, S. 30 ff. Näheres siehe bei Goerdeler-Ulmer, „Der Stiftungszweck in der Reform des Stiftungsrechts", in: Die Aktiengesellschaft 1963, S. 292 ff. und 328 ff. (331 Linkssp.). 30 Ebenso Schultze-v. Lasaulx (Fußn. 26). Siehe ferner Georg Strickrodt, Unternehmen unter freigewählter Stiftungssatzung, Baden-Baden und Frankfurt a. Main 1956, insbesondere S. 12 ff. und 34 ff.

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ccc) Ballerstedt glaubt, daß einerseits Stiftungsunternehmen Schwierigkeiten hätten, sich Kapital über den Kapitalmarkt zu beschaffen, und daß andererseits eine Stiftung vielleicht länger auf ausschüttungsfähige Uberschüsse verzichten könne als ein Unternehmen, dessen unmittelbare oder mittelbare Inhaber natürliche Personen seien31. Die Schwierigkeiten der Kapitalbeschaffung sind ein Teilproblem der bereits behandelten Frage der Beweglichkeit 32 . Ob Stiftungen eher und länger auf Ausschüttungen verzichten können als natürliche Personen, hängt vom Stiftungszweck ab; die größere Verzichtbereitschaft dürfte nicht einmal die Regel sein. Die wettbewerbspolitisch sehr unerwünschte, aber zumindest nicht vollständig zu entbehrende Selbstfinanzierung wird mithin in Stiftungsunternehmen das übliche Maß kaum überschreiten. ddd) Näherer Erörterung bedarf lediglich die Frage, wie der Gefahr zu begegnen ist, daß das Stiftungsunternehmen ein „Unternehmen an sida" wird, weil ihm, wie Ballerstedt meint 33 , der Eigentümer fehlt. Dieses Problem kann jedoch dadurch gelöst werden, daß organisatorisch die Stiftung als Inhaberin des Unternehmensvermögens — soziologisch die Stiftungsverwaltung — und das Stiftungsunternehmen — soziologisch der Unternehmensverband 34 — auseinandergehalten werden. 3. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Bedenken gegen die Zulassung der Unternehmensträger-Stiftung teils überhaupt nicht durchgreifen, teils durch geeignete unternehmensrechtliche Bestimmungen entkräftet werden können. Deshalb besteht kein Anlaß, die Stiftung als Rechtsform für Unternehmen zu verbieten 35 . Es erscheint — im Gegenteil — geboten, sie in eine umfassende Unternehmensrechts-

Wie Fußn. 15, S. 36/37. Goerdeler-Ulmer (Fußn. 29), S. 331/332, meinen, daß Unternehmensstiftungen im großen und ganzen keine größeren Schwierigkeiten hätten als andere Unternehmen entsprechender Größe. 33 Wie Fußn. 15, S. 36. 34 Zum Begriff des Unternehmensverbandes siehe Boettcher-Hax-Kunze-v. NellBreuning-Ortlieb-Preller, Unternehmensverfassung als gesellschaftspolitische Forderung, Berlin 1968 — Sechserbericht —, S. 17 ff., und O. Kunze, „Bemerkungen zum Verhältnis von Arbeits- und Unternehmensrecht", in: Festschrift für Schilling, Berlin — New York 1973, S. 333 (345 ff.). 35 Ebenso Goerdeler-Ulmer (Fußn. 29), S. 332 Linkssp., mit Hinweisen auf die zustimmenden Äußerungen im Schrifttum, daselbst Fußn. 95 ; grundsätzlich ebenso Eduard Kersten, „Stiftung und Handelsgesellschaft", in: Festschrift zum 45. Deutschen Juristentag, S. 123, 123—130. 31 32

Unternehmensträger-Stiftung

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reform einzubeziehen 36 , zumal da auch das geltende Recht in § 33 H G B die Möglichkeit unternehmerischer Betätigung von Stiftungen ausdrücklich vorsieht.

III. Zu der Frage, wie etwa diese Reform aussehen sollte, können in diesem Beitrag nur einige grundsätzliche Überlegungen angestellt werden. Diese sollen sich zunächst mit den Stiftungen befassen, die selbst ein großes Unternehmen betreiben (unmittelbare Trägerschaft). 1.

Die Reformüberlegungen knüpfen zweckmäßigerweise an das gewichtigste Bedenken an, das gegen die Zulassung von Unternehmensträger-Stiftungen erhoben worden ist, nämlich das Fehlen des Eigentümers 37 . Nun ist damit im Rechtssinne nicht das Fehlen des Inhabers des Unternehmens Vermögens gemeint; denn dieses gehört der Stiftung. Eine Eigentümerin ist also vorhanden. N u r ist diese keine natürliche Person, und sie kann auch ihr Eigentum nicht, wie ζ. B. die Kapitalgesellschaft, wirtschaftlich auf natürliche Personen zurückführen. Streng genommen besteht aber rechtlich der Unterschied zwischen einer Unternehmensträger-Stiftung und einer ein Unternehmen betreibenden Kapitalgesellschaft überhaupt nur darin, daß die Leitung der Kapitalgesellschaft von den Gesellschaftern, der Stiftungsvorstand aber letztlich von der Aufsichtsbehörde kontrolliert wird; und audi in tatsächlicher Hinsicht hängt die Größe des Unterschiedes von der soziologischen Struktur der Gesellschaft ab. Das Management einer Gesellschaft im Streubesitz kann so unabhängig und so sehr auf seine eigene Initiative angewiesen sein, daß seine Stellung sich von der eines Stiftungsvorstandes kaum nodi unterscheidet. Schon Rathenau3S hat interessante Ausführungen über die „Entpersonalisierung des Eigentums" sowie darüber gemacht, daß das Unternehmen „ein eigenes Leben" gewinne, zur „objektiven Person" werde und sich „in ein Gebilde nach Art einer Stiftung" verwandele. Er meint, „dieser objektive und unpersönlich gewordene Besitz" werde „vermutlich in künftigen Jahrhunderten die hauptsächliche Daseinsform

Ebenso Goerdeler-Ulmer (Fußn. 29), S. 333 Linkssp. Siehe oben II 2 b) bb) ddd). 3 8 Von kommenden Dingen, Sämtliche Schriften, Bd. III, 77. bis 79. aller Auflagen, Berlin 1925, S. 151 bis 156. 36

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aller dauernden Güter bilden", und er glaubt, daß die „wachsende Bedeutung" der Stiftungen „der kommenden Z e i t " gehöre. Soweit es sich um die Beweglichkeit der Leitung des Stiftungsunternehmens, insbesondere um die Fähigkeit zur Anpassung an die jeweilige M a r k t lage handelt, könnte also, so scheint es, die Leitung des Stiftungsunternehmens unbedenklich dem Stiftungsvorstand überlassen werden. Indessen wird in vielen Fällen die Leitung des Stiftungsunternehmens durch den Stiftungsvorstand doch schwerfälliger und unbeweglicher als die Leitung eines von einer Aktiengesellschaft betriebenen Unternehmens durch den Vorstand der Gesellschaft sein; denn in aller Regel werden Mitglieder des Stiftungsvorstandes in erster Linie im Blick auf den primären Stiftungszweck und nicht auf die Leitung des der Erfüllung dieses Zweckes dienenden Unternehmens ausgewählt werden. Daher empfiehlt es sich, bei entsprechender Größe des Stiftungsunternehmens zwingend die Unternehmensleitungsorgane von der Stiftungsverwaltung zu separieren, auch in den Fällen, in denen das sonstige Stiftungsvermögen gering und der Apparat der Stiftungsverwaltung klein ist. Diese Separierung ist auf drei Wegen möglich: durch Rechtsformzwang, durch organisatorische Maßnahmen, d. h. durch eine entsprechende Verfassung der Unternehmensträger-Stiftung, und durch Bildung eines Sondervermögens. Dei eleganteste Lösung der Frage der Separierung von Stiftung und Unternehmen, wie aller anderen Probleme des Stiftungsunternehmen in unmittelbarer Trägerschaft, wäre es, für große Stiftungsunternehmen die Rechtsform einer Aktiengesellschaft vorzuschreiben. Dieser Weg ist jedoch nicht gangbar, weil die Verweisung der Unternehmensträger-Stiftung auf eine andere Rechtsform mit dem „für Stiftungen von jeher bestimmend gewesenen Motiv, der Verwirklichung eines bestimmten Zweckes eine vom Wechsel der Meinungen unabhängige Dauer zu verleihen" 3 9 , nicht vereinbar ist. Möglich und empfehlenswert wäre aber, das Unternehmen als Sondervermögen aus dem Stiftungsvermögen auszugliedern, und zwar mit der Maßgabe, daß über die einzelnen Gegenstände des Unternehmensvermögens nur die Unternehmensleitung verfügen könnte. D e r Stiftungsvorstand könnte dann über das Unternehmensvermögen nur noch als Ganzes oder in Quoten, aber eben nicht mehr über die einzelnen Gegenstände des Unternehmensvermögens verfügen 4 0 . Von der Verfügung über das sonstige Stiftungsvermögen wäre die Unternehmensleitung selbstverständlich ausgeschlossen; diese Befugnis —

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Ballerstedt (Fußn. 15), S. 24. Siehe Sediserbericht, S. 169/170.

Unternehmensträger-Stiftung

1 Sl-

im ganzen und im einzelnen — bliebe beim Stiftungsvorstand 4 1 . Auf diese Weise würde der Stiftungsvorstand gegenüber der Unternehmensleitung auch psychologisch eindeutig in die Rolle des Vertreters des Eigentümers versetzt; und er wäre im Unternehmen ganz auf die Wahrnehmung der Befugnisse ausgerichtet, die nach der Verfassung des Stiftungsunternehmens dem Eigentümer zuständen. D a m i t wäre eine optimale Gewähr für die Schaffung desjenigen Spannungsverhältnisses zwischen den verschiedenen Interessengruppen 4 2 im Stiftungsunternehmen gegeben, dessen Fehlen bei der derzeitigen Verfassung der Stiftung mit Recht befürchtet wird. Z w a r könnte rein juristisch die völlige Separierung des Unternehmens auch durch eine entsprechende Gestaltung der Verfassung der Stiftung ohne Bildung eines Sondervermögens erreicht werden. D e r Effekt einer großen Beweglichkeit der Unternehmensleitung ist aber psychologisch bei der Ausgliederung des Unternehmensvermögens als Sondervermögen sicherlich größer. 2. Entscheidend spricht indes für die Bildung eines Sondervermögens der Gesichtspunkt der Haftung. Die Haftungsfrage erhebt sich bereits dann, wenn lediglich die von der Juristentagskommission empfohlene einfache Mitbestimmung eingeführt wird, und erst recht, wenn — für große Unternehmensträger-Stiftungen — die qualifizierte Mitbestimmung, etwa nach dem Modell der Montanmitbestimmung, vorgesehen wird. Nun gibt es allerdings bei Stiftungen keine persönliche Haftung wie beim Einzelkaufmann und den Personalgesellschaften, weil die Stiftung eine juristische Person und deshalb ihr Vermögen von dem des Stifters abgeschichtet ist. Ein H a f tungsproblem stellt sich überhaupt nicht, wenn der Betrieb eines Unternehmens ihr alleiniger Zweck ist, wobei nicht nur an den, wie schon bemerkt, unrealistischen Fall zu denken ist, daß das Unternehmen nur zu Erwerbszwecken betrieben werden soll, sondern vor allem an den Fall, daß die Stiftung einen ideellen Zweck hat, dieser aber gerade „durch die Betriebs- und Unternehmensführung selbst verwirklicht werden soll" 4 3 . In diesen Fällen decken sich Unter4 1 Näheres siehe O . Kunze, „Unternehmenssphäre und Privatsphäre im pluralistisch verfaßten Personalunternehmen", in: Festschrift für Bruno Gleitze, Berlin 1968, S. 385 (397 ff.). Rittner, Die werdende juristische Person, Tübingen 1973, S. 301, verkennt Rechtsstellung und Funktion des Sondervermögens, wenn er meint, es schwanke noch „zwischen dem verunglückten Gebilde einer A r t Zwangstreuhand und einer . . . juristischen Person neuen T y p s " . 4 2 Siehe Ballerstedt, „Sozialisiertes S. 1 4 / 1 5 und 19. 4S Ballerstedt (Fußn. 15), S. 3 3 .

Aktienrecht",

in:

DReZ,

6. Beiheft

1948,

182

Otto Kunze

nehmensvermögen und Stiftungsvermögen. Wenn jedoch die Stiftung das Unternehmen nur als Mittel zur Erreichung eines anderen Stiftungszweckes betreibt und zur Erfüllung der mit diesem Zweck gestellten Aufgaben ein umfangreicher Verwaltungsapparat erforderlich und insbesondere ein größeres, diesem Zweck dienendes Vermögen nötig und vorhanden ist, ist bei unbeschränkter Haftung der Stiftung das dem Stiftungszweck unmittelbar dienende Vermögen dem Zugriff der Unternehmensgläubiger ebenso ausgesetzt wie das Privatvermögen des Einzelkaufmanns dem Zugriff der Gläubiger seines Handelsgeschäftes. Das kann ein ernstes Risiko für dieses Vermögen bedeuten, wenn die Leitung des Stiftungsunternehmens ähnlich weisungsfrei — frei von den Weisungen des Stiftungsvorstandes — gestellt wird wie der Vorstand einer Aktiengesellschaft und/oder das Unternehmen mitbestimmt ist. Deshalb empfiehlt sich in solchen Fällen, die Haftung auf das Unternehmensvermögen zu beschränken. Hierfür ist die Ausgliederung des Unternehmensvermögens als Sondervermögen das geeignete und bei Stiftungen allein in Betracht kommende Mittel. 3.

Geht man von einer Verfassung des als Sondervermögen ausgegliederten Stiftungsgroßunternehmens aus, die der Aktiengesellschaft, der „international vorbildlichen Musterform für Großunternehmen" 44 , ähnelt, so muß sie auf alle Fälle drei Organe haben: ein Leitungs-, ein Kon troll- und ein „oberstes" Organ zur Entscheidung von Grundsatzfragen. Im einzelnen wird diese Verfassung so auszugestalten sein, wie es auf Grund der allgemeinen unternehmensrechtlichen Reformüberlegungen angemessen erscheint. Hier soll nur auf drei Fragen näher eingegangen werden. a) Die Unternehmensleitung wird — entsprechend § 76 Abs. 1 AktG — das Unternehmen in eigener Verantwortung, also grundsätzlich weisungsfrei, zu leiten haben 45 . Diese Regel müßte ausnahmslos für alle großen Stiftungsunternehmen gelten, weil Stiftungsunternehmen keine persönlichen Eigentümer haben und damit die auch bei großen, von Einzelkaufleuten oder Personalgesellschaften betriebenen Unternehmen noch mögliche enge Bindung des Unternehmens 44

Duden, „Zur Methode der Entwicklung des Gesellschaftsrechts zum ,Unternehmensredit'", in: Festschrift für Schilling, S. 309 (330). 45 Audi der § 9 des Strkkrodtsàien Entwurfs einer Satzung für ein Stiftungsunternehmen (Fußn. 30, S. 41) ist wohl dahin zu verstehen, daß nicht nur die §§ 77 und 78, sondern auch § 76 Abs. 1 AktG auf die Unternehmensleitung entsprechend anzuwenden sein sollen; daselbst S. 37: „In aller Regel muß ein Stiftungsunternehmen in seiner Willensbildung autonom sein."

Unternehmensträger-Stiftung

183

an die Eigentümer entfällt. Außerdem ist zu erwarten, daß die Eigeninitiative und die Beweglichkeit der Unternehmensleitung gefördert werden 46 . „Wo kein Unternehmer gedeihen kann, sollte es auch kein Unternehmen geben, besonders aber kein mit dem Anspruch auf Dauer auftretendes Stiftungsunternehmen" 47 . b) Für Stiftungsunternehmen, die wenigstens zwei der drei Merkmale 20 Beschäftigte, D M 500 000 Bilanzsumme und D M 1 Mio. Umsatz erfüllen, hat die Juristentagskommission ein — möglichst unabhängiges — Kontrollorgan vorgeschlagen. Im Gesetz sollen die Zusammensetzung dieses Organs, die Mindestzahl seiner Mitglieder und die Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zu diesem Organ mit der Zugehörigkeit zur Unternehmensleitung festgelegt werden. Das Verfahren der Berufung und Abberufung der Mitglieder des Kontrollorgans soll deren Unabhängigkeit sicherstellen und sich in erster Linie nach der Satzung der Stiftung richten. Falls diese nichts vorschreibt, sollen die Mitglieder von der Stiftungsbehörde bestellt und abberufen werden. Die Rechte und Pflichten der Mitglieder sollen sich an die Vorschriften über den Aufsichtsrat der GmbH anlehnen. Die Satzung oder das Kontrollorgan selbst sollen bestimmen können, daß — entsprechend § 111 Abs. 4 AktG — bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Kontrollorgans vorgenommen werden dürfen. Hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer soll § 77 BetrVG 1952 entsprechend angewendet werden 48 . Diese Vorschläge können für große Stiftungsunternehmen im wesentlichen nicht übernommen werden; an ihre Stelle müssen die in den allgemeinen Reformüberlegungen zu findenden Regelungen treten. Für Stiftungsunternehmen besonders wichtig ist eine ausreichende Qualifikation der Mitglieder des Kontrollorgans. Hierfür hinsichtlich der „Anteilseignervertreter" Sorge zu tragen, ist Sache des Stiftungsvorstandes. Das ist aber keine andere Sorge als die eines jeden Eigentümers; und nichts begründet die Annahme, daß die Mitglieder des Kontrollorgans von den Stiftungsvorständen weniger sorgsam ausgewählt werden als von den Anteilseignern einer Kapitalgesell4 6 Der Gedanke der Entwicklung einer Unternehmensverfassung, die — wenn audi nur durch entsprechende Gestaltung der Stiftungssatzung — Persönlichkeiten in der Unternehmensleitung freie Gestaltungsmöglichkeiten gibt und ihnen vom Eigentümerinteresse unabhängige unternehmerische Verantwortung auferlegt, findet sich auch bei Enneccerus-Nipperdey, Lehrbudi des Bürgerlichen Rechts, I. Band, 1. Halbband, 15. Aufl., § 1 1 8 V I 3, S. 726. Siehe auch Strickrodt (Fußn. 30), insbesondere S. 83 ff. 47 Strickrodt (Fußn. 30), S. 22. 4 8 DJT-Beridit, S. 44/45.

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schaft. Die Unabhängigkeit des Kontrollorgans, auf die der D J T Bericht mit Recht Wert legt, und die Intensität der Kontrolle sind schon dadurch gesichert, daß ihm Arbeitnehmervertreter und wohl in aller Regel auch Bankenvertreter angehören werden. c) Der Stiftungsvorstand muß stets Sitz und Stimme im Kontrollorgan und im obersten Organ haben. Hingegen empfiehlt es sich nicht, zuzulassen, daß Mitglieder des Stiftungsvorstandes als Mitglieder der Unternehmensleitung bestellt werden, oder gar zu bestimmen, daß sie diesem Organ angehören müssen. Erst mit der zwingend vorgeschriebenen Inkompatibilität beider Ämter ist optimal die wirksame Vertretung des ökonomischen Interesses der Eigentümerin Stiftung gegenüber der das Unternehmensinteresse repräsentierenden Unternehmensleitung gewährleistet 49 . d) Die Unternehmensträger-Stiftung ist Einzelkaufmann k r a f t Gewerbebtriebs (§ 1 Abs. 2 HGB) 5 0 . Wie dieser kann sie nach geltendem Recht mehrere „selbständige" Unternehmen betreiben 51 . Deren Selbständigkeit besteht aber nur darin, daß sie als Handelsgewerbe im Sinne des Handelsrechts selbständig sind und deshalb z. B. sämtlich nach § 33 H G B in das Handelsregister eingetragen werden müssen; rechtlich selbständig sind sie nicht. Unternehmensleiter der mehreren Unternehmen ist der Stiftungsvorstand. Inhaber der zu den mehreren Unternehmensvermögen gehörenden Rechte und Schuldner aller Verpflichtungen ist die Stiftung 5 2 . Wenn dagegen die mehreren Unternehmen gemäß den vorstehenden Überlegungen als Sondervermögen mit je selbständiger Organisation ausgegliedert werden, wird auch in der rechtlichen Konstruktion sichtbar, daß es sich um mehrere selbständige Unternehmensverbände handelt. Die in dieser Weise — als Sondervermögen — verselbständigten Unternehmen würden sich dann auch untereinander wie Dritte gegenüberstehen. 4.

Soweit gesetzliche Maßnahmen im Sinne der vorstehenden Erwägungen Änderungen der Stiftungssatzung zur Folge haben, die auch allein von oder jedenfalls bei Mitwirkung der Stiftungsbehörde vorgenommen werden können, können sich Schwierigkeiten nicht erge49

Ähnlich Strickrodt (Fußn. 30), S. 50. Strickrodt, Stiftungsrecht, II 4 a, S. 64; Soergel-Schultze-v. R d n r . 44 vor § 80 BGB. 51 Soergel-Schultze-v. Lasaulx (Fußn. 26). 52 Enneccerus-Nipperdey (Fußn. 46). 50

Lasaulx

(Fußn. 26),

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185

ben, weil diese Änderungen erst recht durch Gesetz möglich sind. Der Stifter kann aber den Stiftungszweck auch so festlegen, daß die Art und Weise des Betriebes des Unternehmens Teil des Zweckes ist. Alsdann müßte — nach den Vorschlägen der Juristentagskommission 53 — die Stiftung aufgehoben oder, wenn der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Stifters nicht entgegensteht, mit anderen Stiftungen zusammengelegt werden. Sowohl die Aufhebung als auch die Zusammenlegung sind jedoch Maßnahmen, die möglicherweise so tief in die Existenz des großen Unternehmens eingreifen, daß sie wirtschaftlich und/oder sozialpolitisch nicht zu vertreten sind. Daher ist eine angemessene Regelung durch gesetzliche Übergangsvorschriften erforderlich. 5. Der Vorschlag der Juristentagskommission, für Stiftungsunternehmen der genannten Größe 5 4 die aktienrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität vorzuschreiben 55 , ist durch das Publizitätsgesetz vom 15. 8. 1969 überholt. Nur soweit die Kommission vorschlägt, den Prüfungsauftrag des Abschlußprüfers gegenüber dem des Prüfers der Aktiengesellschaft so zu erweitern, daß — entsprechend § 53 GenG — die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung festzustellen und die Einrichtungen, die Vermögenslage und die Geschäftsführung zu diesem Zweck zu prüfen sind 56 , empfiehlt sich diese Erweiterung des Prüfungsauftrages auch für große Unternehmen. Jahresabschluß, Geschäftsbericht, Bericht des Kontrollorgans und Bekanntmachung im Bundesanzeiger nicht nur zum Handelsregister, sondern außerdem zum Stiftungsregister einzureichen, wie von der Juristentagskommission vorgeschlagen57, erscheint, jedenfalls unter Publizitätsgesichtspunkten, entbehrlich. Das Publizitätsgesetz findet nach seinem § 3 Abs. 1 Nr. 2 audi auf Stiftungen Anwendung, wenn sie ein Gewerbe betreiben. Für die Stiftung gelten gemäß § 5 Abs. 2 PublG im wesentlichen die aktienrechtlichen Publizitätsvorschriften. Ihre Publizitätspflicht ist also nicht — wie nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 if. PublG — eingeschränkt. Zu überlegen ist aber, ob es notwendig ist, daß die Stiftung über ihre gesamte Tätigkeit und den Stand ihres Gesamtvermögens Rechnung legt, oder ob es nicht sachgemäßer wäre, die Unternehmenssphäre 53 54 55 56 57

DJT-Bericht, S. Siehe III 3 b). DJT-Bericht, S. DJT-Beridit, S. DJT-Bericht, S.

31 ff. 45/46. 45/46. 46.

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Otto Kunze

auch publizitätsrechtlich von der eigentlichen Stiftungssphäre zu separieren. Auch im DJT-Bericht ist nur von der Publizitätspflicht des Unternehmens, nicht der Stiftung die Rede 58 . 6.

Mit der Frage der Stiftungsbehörden hat sich die Juristentagskommission eingehend befaßt. Auf die Ausführungen im Bericht kann verwiesen werden 59 . Unter den vorgeschlagenen Sondervorschriften für die Unternehmensträger-Stiftungen finden sich zur Stiftungsaufsicht nur die beiden Sätze: „Für die Beaufsichtigung von Unternehmensträger-Stiftungen gelten die allgemeinen Vorschriften. Die Stiftungsbehörde wird jedoch ihre überwachende Tätigkeit im allgemeinen darauf beschränken können, von der Rechnungslegung und dem Prüfungsbericht Kenntnis zu nehmen" 60 . Das trifft auch für Stiftungen zu, die große Unternehmen betreiben, so daß weitere Sonderregelungen der Aufsicht über große Stiftungsunternehmen nicht erforderlich sind, wenn die Voraussetzungen des Publizitätsgesetzes durch die vorstehend empfohlenen Sonderbestimmungen über Rechnungslegung und Prüfung der großen Unternehmensträger-Stiftungen ergänzt werden.

IV. Der Fall, daß eine Stiftung selbst ein großes Unternehmen betreibt, ist selten. Häufiger sind die Fälle der mittelbaren Trägerschaft, in denen die Stiftung unmittelbar oder mittelbar auf ein oder mehrere große Unternehmen einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. 1.

Für diese gelten die allgemeinen, gegebenenfalls nach der Rechtsform differenzierten Vorschriften für große Unternehmen. Die Juristentagskommission hat für den Fall, daß die Stiftung (die selbst kein Unternehmen betreibt) an einem von ihr abhängigen Unternehmen beteiligt ist, für dieses — und nur für dieses — ein unabhängiges Kontrollorgan 61 sowie Vorschriften über Rechnungslegung, Prüfung und Publizität 62 vorgeschlagen mit der Maßgabe, daß Jahresabschluß, Geschäftsbericht, Bericht des Kontrollorgans und Be58 59 60 61 62

S. 45/46. DJT-Bericht, S. 37 ff. DJT-Bericht, S. 46. DJT-Beridit, S. 44/45. DJT-Bericht, S. 45/46.

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kanntmachung des Jahresabschlusses im Bundesanzeiger zum Stiftungs- und nicht zum Handelsregister einzureichen sind. Diese Sondervorschriften sollen aber entfallen, wenn und soweit das abhängige Unternehmen bereits ein gesetzliches oder satzungsmäßiges Kontrollorgan hat 6 3 und es auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften zur Rechnungslegung, Prüfung und Publizität verpflichtet ist 64 . Unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Unternehmensrechtsreform kann davon ausgegangen werden, daß diese Voraussetzungen bei dem abhängigen großen Stiftungsunternehmen immer vorliegen. 2. Wenn nicht nur ein Unternehmen von einer Stiftung abhängig ist, sondern mehrere Unternehmen von ihr abhängig sind und die Stiftung diese Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammenfaßt, ist die Stiftung herrschendes Unternehmen im Sinne von § 18 Abs. 1 AktG, auch wenn sie außer dieser einheitlichen Leitung keine andere unternehmerische Tätigkeit ausübt 65 . Die abhängigen Unternehmen bilden mit ihr einen Konzern. Sind solche Konzerne wirtschaftlich große Unternehmen, sind auch sie in die Unternehmensrechtsreform einzubeziehen. Für sie gilt dann das grundsätzlich alle Rechtsformen umfassende allgemeine Konzernrecht. Von den rechtlichen Folgen, die sich daraus f ü r die Stiftung ergeben, sollen die folgenden hervorgehoben werden. a) Das „Unternehmensvermögen" der Stiftung besteht, wenn diese selbst kein Unternehmen betreibt, aus den Beteiligungen. Diese sind als Sondervermögen abzuschichten. N u r dieses, nicht auch das sonstige Stiftungsvermögen, ist Schuldnerin derjenigen Ansprüche, die das Konzernrecht zum Schutze der Gesellschafter und der Gläubiger der abhängigen Unternehmen vorsieht. b) Nach den f ü r die unmittelbare Trägerschaft angestellten Uberlegungen 66 muß auch f ü r das Unternehmen „Stiftungskonzern" in der Stiftung eine besondere Unternehmensleitung — die Konzernleitung — bestellt werden, der die Mitglieder des Stiftungsvorstandes nicht angehören dürfen. Ferner muß ein Kontrollorgan gebil·» DJT-Beridit, S. 45. 64 DJT-Bericht, S. 46. 65 Würdinger, „Der Begriff Unternehmen im Aktienrecht", in: Festschrift für Kunze, 1969, S. 177 (181 ff.); Hefermehl, „Der Aktionär als .Unternehmen'", in: Festschrift für Ernst Gessler, 1971, S. 203 (214/215); Ernst Gessler, „Das .Unternehmen' im Aktiengesetz", in: Festschrift für Knur, München 1972, S. 145 (150). «« III 3 c).

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det werden. A n der Wahl der Arbeitnehmervertreter für dieses Organ sind die Arbeitnehmer aller Konzernunternehmen oder deren Betriebsräte zu beteiligen. Im übrigen gilt für die Verfassung des Sondervermögens Entsprechendes wie für das von der Stiftung selbst betriebene große Unternehmen, auch wenn die Stiftung sich auf die Leitung ihres Konzerns beschränkt und sich nicht sonst noch unternehmerisch betätigt. c) Für Rechnungslegung, Prüfung und Publizität sind die konzernrechtlichen Vorschriften des Publizitätsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, daß die Aufstellung des Jahresabschlusses, die Erteilung des Prüfungsauftrages und die Veröffentlichungspflicht nicht, wie nach geltendem Recht, dem Stiftungsvorstand 6 7 , sondern der K o n zernleitung obliegen.

• 7 § 12 Abs. 2 Satz 1, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 PublG.

Zur rechtlichen Beurteilung von Vorstandsverträgen mit nicht beschlußfähigem Aufsichtsratsausschuß K A R L H E I N Z LEHMANN

I. Mindestmitgliederzahl eines A u fsich tsratsausschusses Die Frage, ob zur Beschlußfähigkeit eines Aufsichtsratsausschusses, dem entscheidende Befugnisse des Aufsichtsrats übertragen sind, zwei oder drei Mitglieder erforderlich sind, ist in der aktienrechtlichen Literatur streitig. Eine Gerichtsentscheidung ist bisher nur insoweit ergangen, als sich das Oberlandesgericht Frankfurt in einem unveröffentlichten Urteil (5 U 241/71) vom 17. April 1973 für eine Mindestzahl von drei Mitgliedern ausgesprochen hat. Daß ein Ausschuß begrifflich nur zwei Mitglieder voraussetzt, ist dabei einhellige Ansicht. Unter der Geltung des AktG 1937 haben sich für drei Mitglieder als Voraussetzung der Beschlußfähigkeit eines Aufsichtsratsausschusses lediglich SchmidtIMeyer-Landruth1 und von Winterfeld2 ausgesprochen. Die herrschende Meinung hielt zwei Mitglieder für ausreichend3. Nach Inkrafttreten des AktG 1965 nahmen die Stimmen, die drei Mitglieder für erforderlich halten, zu4. Neben zweifelnden Stellungnahmen mit der Empfehlung, Ausschüsse vorsorglich mit drei Mitgliedern zu besetzen5, finden sich aber auch nach Inkrafttreten des AktG 1965 eine Reihe von Autoren, die sich für zwei Mitglieder als Mindesterfordernis ausgesprochen haben6. Großkomm. AktG 1937, § 92 Anm. 25. Arbeit und Redit 1954, 227. 3 Vgl. Schlegelberger-Quassowski § 9 2 Rn. 27, 3 6 ; Schäfer, Soziale Praxis 1938, 1446; von Gierke, Die Aktiengesellschaft 1957, 7 5 ; Frels, Die Aktiengesellschaft 1959, 4 7 ; Baumbacb-Hueck, AktG, 12. Aufl., § 9 2 Anm. 5 A ; Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz, 2. Aufl. 1950, S. 415. 4 Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 107 Anm. 8 ; Mertens in Kölner Kommentar zum AktG § 107 Rn. 123; Meyer-Landruth in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973, § 1 0 7 Anm. 15; Möhring/Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, Band I Rn. 3 0 7 ; Kersten-Bühling, Formularbuch, 14. Aufl. 1968, S. 1178; Hoffmann, in Handbuch des Aufsichtsrats, 1972, S. 9 4 ; Janberg, Die Aktiengesellschaft 1966, 2 f. s Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl. 1968, § 1 0 7 Anm. 15; ObermüllerWerner-Winden, AktG 1965, S. 66/67. » Werner, Bank-Betrieb 1965, 289/290, und Die Aktiengesellschaft 1967, 105; Schäfer, BB 1966, 2 3 2 ; Möhring-Schwartz-Rowedder-Haberlandt, Die Aktiengesellschaft und ihre Satzung, 2. Aufl. 1966, S. 153; Baiser, Die Aktiengesellschaft, Bd. II, 1

2

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Die Vertreter der Auffassung, ein Aufsichtsratsausschuß müsse aus mindestens drei Mitgliedern bestehen, führen als Begründung an, der Grundsatz, daß der Aufsichtsrat nur bei Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern beschlußfähig ist, müsse auch für den Ausschuß gelten, soweit dieser entscheidende Befugnisse ausübe und anstelle des Aufsichtsrats Beschlüsse fasse, um eine Umgehung der gesetzlichen Erfordernisse über die Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats zu verhindern 7 . Dieses Argument erklärt auch, daß sich Befürworter des dreiköpfigen Aufsichtsratsausschusses in der Literatur im wesentlichen erst seit der Aktienrechtsnovelle vom 15. 7 . 1 9 5 7 , die eine Mitwirkung von mindestens drei Personen bei Beschlüssen des Aufsichtsrats zwingend einführte, finden8. Aus mehreren Gründen vermag diese Ansicht jedoch nicht zu überzeugen: 1.

Ein Ausschuß braucht begrifflich — darin sind sich, wie gesagt, alle Kommentatoren einig — nur aus zwei Mitgliedern zu bestehen. 2. Weder schreibt § 107 Abs. 3 AktG, der die Bildung von Ausschüssen zuläßt, eine Mindestmitgliederzahl vor, noch erwähnt § 108 Abs. 2, der von der Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats handelt, im Gegensatz zu Abs. 3 und 4 dieser Bestimmung sowie zu § 109 Abs. 1 und 3 die Ausschüsse. Es wird daher zutreffend darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber, obwohl ihm das Problem bekannt gewesen sein mußte, keine ausdrückliche Regelung für die Ausschüsse getroffen hat, weil er offenbar die gesetzlichen Voraussetzungen der Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats für die Ausschüsse nicht gelten lassen wollte 9 . Das Nichteinbeziehen der Ausschüsse in § 108 Abs. 2 AktG entspridit auch durchaus dem Begriff „Ausschuß". Schon zum A k t G 1937 konnte Schäfer10 auf die amtliche Begründung hinweisen, die ausdrücklich hervorhob, daß eine Übertragung entscheidender Befugnisse auf ein einzelnes Mitglied im Gesetz nicht vorgesehen sei, und die damit von einem Gegensatz zwischen Einzelmitglied und Ausschuß, der logischerweise aus zwei Mitgliedern bestehen müsse, ausging.

Formularbudi, S. 7 2 ; Lehmann, Aktienreditsreform (Anm. 2). 7 Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 94. 8 Vgl. Janberg a. a. O. S. 2. 9 Werner, Bank-Betrieb 1965, 289/290. 1 0 Soziale Praxis 1938, 1446.

1965,

2. Aufl.

1969,

S. 50

Vorstandsverträge mit nidit besdilußfähigem AR-Aussdiuß

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3. Ein Bedürfnis danach, die Beschlußfassung durch Aufsichtsratsausschüsse zu unterbinden, an deren Beschlüssen nicht die gleiche Mindestzahl von Aufsichtsratsmitgliedern mitwirkt, die für Beschlüsse des Gesamtaufsichtsrats vorgeschrieben ist, besteht heute weniger denn je, da den Aufsichtsratsausschüssen nach § 107 Abs. 3 A k t G 1965 gewisse wesentliche Aufgaben des Aufsichtsrats nicht mehr übertragen werden können 1 1 . So kann insbesondere ein Ausschuß nur noch den Anstellungsvertrag mit einem Vorstandsmitglied abschließen. Die Bestellung obliegt dem Gesamtaufsichtsrat. 4. D e r Gesetzgeber hat, wie gesagt, in § 107 Abs. 3 A k t G eine Reihe von Geschäften ausgewählt, für die nur der Gesamtaufsichtsrat zuständig ist. Für die übrigen Geschäfte hielt der Gesetzgeber die Sicherungsvorschriften, nach denen sich der Aufsichtsrat richten muß, insbesondere die Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern an der Beschlußfassung, offenbar nicht für erforderlich. So läßt sich jedenfalls die Tatsache, daß in den §§ 107 und 108 A k t G die Aufsichtsratsausschüsse in einigen Absätzen erwähnt sind und in anderen nicht, sehr viel einleuchtender erklären, als dies die Vertreter der Gegenmeinung können. H ä t t e der Gesetzgeber die Ausschüsse ohne Unterschied den für den Gesamtaufsichtsrat geltenden Vorschriften unterwerfen wollen, wäre eine besondere Bestimmung wie § 107 Abs. 3 S. 2 A k t G nicht erforderlich gewesen. Ein Ausschuß hätte in diesem Falle immer nur unter Teilnahme so vieler Mitglieder Beschlüsse fassen können, wie sie für die Beschlußfassung des Gesamtaufsichtsrats nach dem Gesetz genügen 12 .

Das Gesetz gestattet jedem Aufsichtsrat die Bildung von Ausschüssen „aus seiner M i t t e " . Ein dreiköpfiger Aufsichtsrat kann aber allenfalls einen zweiköpfigen Ausschuß bestellen, da ein Ausschuß, der mit dem Aufsichtsrat zahlenmäßig und personell identisch ist, kein Ausschuß, sondern der gesamte Aufsichtsrat ist 13 . 6. Ein Ausschuß wird durch den Aufsichtsrat unter Mitwirkung von mindestens drei Aufsichtsratsmitgliedern bestellt. Die späteren Entscheidungen des Ausschusses können nicht isoliert gesehen werden, 11 12

Vgl. Werner, Die Aktiengesellschaft 1967, 105. Schäfer, BB 1966, 232.

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sondern nur im Zusammenhang mit dem den Ausschuß bildenden Beschluß des Gesamtaufsichtsrats. Hinter jeder Entscheidung des zweiköpfigen Ausschusses steht daher die — mit mindestens drei Mitgliedern getroffene — Entscheidung des Gesamtaufsichtsrats, die sich nicht in der Ausschußbildung erschöpft hat, sondern solange weiter fortwirkt, wie der Gesamtaufsichtsrat die Tätigkeit des Ausschusses billigt und ihn nicht beseitigt 14 . Dieser Gesichtspunkt gewinnt umso größeres Gewicht, wenn man daran denkt, daß für das früher geltende Aktienrecht ein Zweier-Ausschuß (auch mit entscheidenden Befugnissen) ganz überwiegend für zulässig gehalten wurde, obwohl diesem nur die handelsgesetzlichen Mindestbefugnisse (Überwachung der Geschäftsführung, Einberufung der Hauptversammlung, Prüfung und Billigung des Jahresabschlusses) nicht zustanden, während das A k t G 1965 viel weitergehend einen wesentlichen Teil der Zuständigkeiten des Aufsichtsrats der Übertragung an einen Ausschuß entzogen hat. 7. Mit der Bildung eines Ausschusses delegiert der Aufsichtsrat einen Teil seiner Befugnisse. Der Aufsichtsrat hat jederzeit die Möglichkeit, die dem Ausschuß übertragenen Befugnisse wieder an sich zu ziehen. Es hätte einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft, wenn unter diesen Umständen der k r a f t Delegation handelnde Ausschuß die gleichen Mindestvoraussetzungen aufweisen müßte wie der delegierende Gesamtaufsichtsrat. Diese Argumente sprechen überzeugend dafür, daß auch ein nur zweiköpfiger Aufsichtsratsausschuß in den Grenzen des § 107 Abs. 3 A k t G entscheidende Befugnisse ausüben kann.

II. Anstellungsvertrage, die von einem nicht beschlußfähigen Aufsichtsratsausschuß geschlossen wurden Würde man der hier vertretenen Auffassung nicht folgen, so würden sich daraus insbesondere für viele Vorstandsverträge (Dienstverträge von Vorstandsmitgliedern) Folgerungen ergeben können, die häufig von mit dem Abschluß soldier Verträge betrauten, nur mit zwei Aufsichtsratsmitgliedern besetzten Ausschüssen abgeschlossen worden sein dürften. Insbesondere bei solchen Aktiengesellschaften, 13 14

Möhring-Schwartz, a. a. O . S. 154. Frels, Die Aktiengesellschaft 1959, 47.

Vorstandsverträge mit nicht beschlußfähigem AR-Ausschuß

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deren Präsidien nur mit zwei Personen besetzt sind, dürften solche Vorstandsverträge zu finden sein, da vielfach dem Präsidium die Aufgabe übertragen ist, die Anstellungsbedingungen zu regeln. Die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus einem Anstellungsvertrag ergeben, der mit einem nicht beschlußfähigen Aufsichtsratsausschuß abgeschlossen wurde, ist nach den Grundsätzen, die für das fehlerhafte oder — wie es üblicherweise heißt — faktische Arbeitsverhältnis entwickelt worden sind, zu beantworten. So hat auch der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 6. 4. 1964 1 5 entschieden. In diesem Falle hatte ein Aufsichtsratsvorsitzender allein einen Anstellungsvertrag mit einem Vorstandsmitglied abgeschlossen. Die Lehre vom faktischen Arbeitsverhältnis geht von dem Grundsatz aus, daß sich Mängel im Arbeitsvertrag wesentlich zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken würden, wenn man für die Zeit der tatsächlich geleisteten Arbeit einen vertragslosen Zustand annehmen und die Vergütung nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung vornehmen würde. Abgesehen von den Schwierigkeiten bei der Berechnung der zu zahlenden Vergütung würde das gesamte Arbeitsschutzrecht für den Arbeitnehmer nicht gelten. Es ist daher allgemein anerkannt, daß der Arbeitnehmer im Falle eines fehlerhaften Vertragsschlusses so zu behandeln ist, als sei ein gültiger Vertrag geschlossen worden 16 . Dieser Grundsatz gilt jedoch nur für die Vergangenheit eines in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnisses mit der Folge, daß die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit nicht mehr mit rückwirkender Kraft geltend gemacht werden kann 1 7 . Für die Zukunft kann jedoch ein faktisches Arbeitsverhältnis von jedem Partner jederzeit durch einseitige Erklärung beendet werden, ohne daß die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung vorzuliegen brauchen 18 . In dieser Entscheidung sprach das Bundesarbeitsgericht aus, daß es einer Kündigung im Rechtssinne nicht bedürfe, da bei einem faktischen Arbeitsverhältnis das rechtliche Band eines Dauerschuldverhältnisses von vornherein fehle. Daraus folgt, daß in einem faktischen Arbeitsverhältnis alle vertraglichen Vereinbarungen wirksam sind, ferner tarifliche und gesetzliche Bestimmungen volle Gültigkeit haben mit Ausnahme der Vorschriften über die Kündigung 19 . B G H N J W 1964, 1367 = B G H Z 41, 282. Vgl. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl. 1963, 1. Band, S. 118 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl. 1961, 1. Band, S. 172 ff. 1 7 B A G A P N r . 1 zu § 611 BGB Doppelarbeitsverhältnis. 1 8 B A G A P N r . 1 zu § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis. 19 Hessel, Tatsächliches Arbeitsverhältnis, Arbeitsrecht-Blattei, D, Arbeitsvertrag-Arbeitsverhältnis VI. 15 16

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In seiner oben erwähnten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof diese Grundsätze auf den fehlerhaften Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds übernommen mit der Folge, daß die mit der Gesellschaft getroffenen Vereinbarungen für die Zeit der Tätigkeit des Vorstandsmitglieds bei der Gesellschaft als gültig zu behandeln sind. Nach den Grundsätzen über das faktische Arbeitsverhältnis konnte das Vorstandsmitglied daher für die erbrachte Dienstleistung die vereinbarte Vergütung verlangen. Im einzelnen führt der B G H aus, daß eine Berechnung der zu zahlenden Vergütung weder nach Bereicherungsgrundsätzen noch nach dem Grundsatz der angemessenen Vergütung zu einem billigen Ergebnis führe. Im übrigen könne die Gesellschaft den Aufsichtsratsvorsitzenden wegen Überschreitung seiner Befugnisse in Regreß nehmen, wenn sie meine, bei Anwendung der vereinbarten Vergütung einen Schaden erlitten zu haben. Diesem Urteil ist in der aktienrechtlichen Literatur durchweg zugestimmt worden 20 . Zu der Frage der Lösung des Anstellungsverhältnisses mußte der B G H in dieser Entscheidung nicht ausdrücklich Stellung nehmen, da der Fehler des Anstellungsvertrages erst nach dem Ausscheiden des betreffenden Vorstandsmitglieds aus den Diensten der Gesellschaft entdeckt wurde. Nur in einem obiter dictum bemerkt der B G H , daß das Vorstandsmitglied, sobald es von dem Mangel des Anstellungsvertrages merke, von dem Recht der jederzeitigen, grundlosen Aufgabe seiner Tätigkeit Gebrauch machen könne, ohne sich dem Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung auszusetzen. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum faktischen Arbeitsverhältnis steht dieses Recht zur Beendigung beiden Parteien uneingeschränkt zu 21 . Die Rechtsfigur des faktischen Arbeitsverhältnisses soll nur eine unbillige Rückabwicklung über Bereicherungsgrundsätze vermeiden, aber nicht dem Arbeitsverhältnis audi für die Zukunft Bestand verleihen. Der B G H hat in dieser Entscheidung ferner ausgesprochen, daß allein die Kenntnis des Aufsichtsrats davon, daß der Beklagte als Vorstandsmitglied tätig geworden und beschäftigt worden ist, sowie die etwaige Kenntnis des Aufsichtsrats der vom Aufsichtsratsvorsitzenden mit dem Beklagten vereinbarten Vertragsbedingungen und das Untätigkbleiben 20 Meyer-Landruth in Großkomm. A k t G § 84 Anm. 23 ; Mertens in Kölner Komm. z. AktG § 84 Rn. 2 3 ; Godin/Wilhelmi § 84 Anm. 9 ; Fischer, Anm. zu B G H L M Nr. 16 zu § 75 AktG; Gerlach, Die Aktiengesellschaft 1965, 251, der zur Begründung aber eher auf den Grundsatz des „venire contra factum proprium" abstellen möchte; Veith, D B 1965, 8 0 7 ; Kuhn, W M 1966, 5 3 ; ablehnend Spieker, D B 1964, 1287. 2 1 Vgl. B A G A P N r . 1 zu § 6 1 1 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis; Hueck a. a . O . S. 191.

Vorstandsverträge mit nicht beschlußfähigem AR-Ausschuß

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des Aufsichtsrats nicht als Billigung dieser Bedingungen oder des alleinigen Handelns des Aufsichtsratsvorsitzenden gewertet werden könne. Die in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats fallenden Vereinbarungen könnten vom Aufsichtsrat nicht stillschweigend oder durch schlüssiges Verhalten genehmigt werden, sondern bedürften eines Beschlusses. Diese Argumentation dürfte aber nach Inkrafttreten des AktG 1965 — das Urteil erging unter der Geltung des A k t G 1937 — nicht mehr zutreffen. Schon das — faktische — Dienstvertragsverhältnis muß in einem anderen Licht gesehen werden. Nach heutigem Redit muß ein Vorstandsmitglied in jedem Falle vom Gesamtaufsichtsrat bestellt werden. Auch neben einem unwirksamen Dienstvertrag ist also in aller Regel ein wirksamer Akt der Bestellung zum Vorstandsmitglied vorhanden. Dieser Bestellungsakt kann auch nicht ohne weiteres rückgängig gemacht werden, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 84 Abs. 3 A k t G (wichtiger Grund). Dieser Unterschied, daß nämlich die eine Seite des Rechtsverhältnisses zwischen dem Vorstandsmitglied und der Gesellschaft absolut wirksam ist und nur die dienstvertragliche Seite unwirksam sein würde, muß sich positiv auch auf das insoweit nur faktisch bestehende Rechtsverhältnis auswirken. Dabei muß auch ins Gewicht fallen, daß bislang jedenfalls nach einer weitverbreiteten, wenn nicht sogar herrschenden Meinung ein Aufsichtsratsausschuß auch von nur zwei Personen entscheidende Befugnisse — hier den Abschluß von Dienstverträgen mit Vorstandsmitgliedern — wahrnehmen konnte. Körperschaftlicher Akt der Bestellung und Dienstvertrag folgen eigenen Regeln, wenn sie auch eng zusammenhängen. Ebenso wie die vorzeitige körperschaftliche Abberufung eines Vorstandsmitgliedes nicht notwendig den Anstellungsvertrag beendet, da der Abberufungsgrund nicht immer ein Grund zur fristlosen Kündigung des Dienstvertrages sein muß 22 , beseitigt das Erkennen und Geltendmachen der Unwirksamkeit des Dienstvertrages noch nicht die körperschaftliche Bestellung. Diese kann nur der Aufsichtsrat widerrufen. Dazu kann er zwar unter bestimmten Umständen verpflichtet sein, wenn das Vorstandsmitglied das Dienstvertragsverhältnis zu Recht lösen darf. Da aber in dem hier unterstellten Fall das Vorstandsmitglied mit Kenntnis des Aufsichtsrats als wirksam bestelltes Mitglied des Vorstands tätig geworden ist, wird man weder ihm noch dem Aufsichtsrat generell das Recht zusprechen können, das Rechtsverhältnis jederzeit und nur deshalb, weil kein wirksamer Anstellungsvertrag vorliegt, lösen zu können. Insoweit dürfte der Gesichtspunkt des „venire contra factum 22 Meyer-Landruth

in Großkomm. AktG § 84 Anm. 27.

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Karl Heinz Lehmann

proprium" oder der unzulässigen Rechtsausübung, der f ü r die Beendigung des faktischen Vertragsverhältnisses sonst nicht gilt, zum Tragen kommen, und zwar f ü r beide Seiten. Hinzu kommt, daß f ü r den Aufsichtsrat die Unwirksamkeit des Dienstvertrages allein noch kein wichtiger Grund zur Abberufung im Sinne von § 84 Abs. 3 A k t G ist. Dies insbesondere dann nicht, wenn sich die Anstellungsbedingungen als angemessen darstellen und schützenswerte Interessen der Gesellschaft nicht tangiert sind. Der Grundsatz, daß beide Parteien das nur faktische Vertragsverhältnis jederzeit lösen können, darf daher in dieser Allgemeinheit auf den hier unterstellten Fall nicht übernommen werden. Überlegungen dieser Art finden sich im Ansatz auch in einem neueren Urteil des BGH 2 3 , in welchem am Rande ebenfalls über die Rechtsfolgen eines Anstellungsvertrages, der von einem — unterstellt — nicht beschlußfähigen zweiköpfigen Aufsichtsratsausschuß abgeschlossen worden war, zu befinden war. So heißt es, die Gesellschaft könne sida auf den Mangel des AnstellungsVertrages von 1962, der auf der etwaigen Beschlußunfähigkeit des Ausschusses beruhe, jedenfalls heute nicht mehr berufen, nachdem sich das Vorstandsmitglied in seinen beruflichen Dispositionen auf den Vertrag eingestellt habe und auf dieser Grundlage mehrere Jahre lang f ü r die Gesellschaft tätig gewesen sei. Die Gesellschaft habe diese Tätigkeit nicht nur hingenommen, sondern das Vorstandsmitglied im konkreten Fall in seinem Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Vertrages auch noch dadurch bestärkt, daß sie seine Bezüge ein- oder mehrmals erhöht habe. Auch habe mehrere Jahre nach Vertragsbeginn der Gesamtaufsichtsrat den Anstellungsvertrag gekündigt, die Bestellung zum Vorstand jedoch um ein weiteres Jahr verlängert, ohne dabei irgendwie zum Ausdruck zu bringen, daß er den Vertrag nicht f ü r maßgebend halte. Stelle die Gesellschaft unter diesen Umständen die Gültigkeit des Vertrages in Abrede, so setze sie sich in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren und auch durch den Zweck des § 89 Abs. 1 Satz 3 AktG 1937 nicht gedeckten Weise in Widerspruch zu dem bisherigen Verhalten ihrer zuständigen Organe. Zu der (vom B G H in B G H Z 41, 282 abgelehnten) Billigung der Anstellungsbedingungen durch Kenntnisnahme seitens des Aufsichtsrats kommt ein weiteres hinzu. Nach der heutigen Rechtslage ist zu einer erneuten Bestellung eines Vorstandsmitgliedes (Verlängerung der Amtszeit) ein Beschluß des Gesamtaufsichtsrats erforderlich. In diesem Beschluß kann umso mehr eine Billigung des Anstellungsvertrages gesehen werden, als heute im Geschäftsbericht die Bezüge 23

Urteil vom 8. 3.1973 — II ZR 134/71, WM 1973; 506 f.

V o r s t a n d s v e r t r ä g e mit nicht beschlußfähigem AR-Ausschuß

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der aktiven Vorstandsmitglieder getrennt von den Ruhestandsbezügen auszuweisen sind und der Aufsichtsrat bei der Verabschiedung des Jahresabschlusses zwangsläufig auch von diesen Ziffern (billigend) Kenntnis nehmen muß. D a m i t würde sich in vielen Fällen die Frage der Rechtswirkungen des faktischen Dienstvertragsverhältnisses nicht erst stellen, da infolge nachträglicher Genehmigung von einem wirksamen Anstellungsvertrag auszugehen wäre.

Teilfusionen im Gesellschaftsrecht MARCUS LUTTER

Übersicht A.

Einleitung I. Vorbemerkung II. Fragestellung

B. Rechtliche und praktische Bedeutung der Fragestellung I. Gestaltungen der Praxis und ihre Beurteilungen II. Teilfusion C. Die rechtlichen Mittel der Teilfusion I. Teilfusion unter Verwendung der förmlichen Fusion II. Teilfusion unter Verwendung anderer Formen als der förmlichen Fusion D. Entscheidungskompetenz bei Teilfusionen I. Mitwirkung von Vorstand und Geschäftsführung II. Mitwirkung des Aufsichtsrates III. Mitwirkung der Gesellschafter E.

Schlufibetrachtungen

A. Einleitung I.

Vorbemerkung

Der Titel dieser Überlegungen ist, gemessen am geltenden Recht, ein Widerspruch in sich; denn Fusion ist nun einmal die vollständige rechtliche Verbindung zweier Gesellschaften, ihrer Aktiva und Passiva, einer Verbindung, von der nicht einmal der kleinste Teil ausgenommen werden kann, § 346 III, 1 und IV, 1 AktG 1 . Dennoch sind diese Überlegungen nicht etwa dem künftigen, sondern durchaus dem geltenden Recht gewidmet. So empfiehlt es sich, zunächst einmal zu erläutern, wovon hier gehandelt, was unter Teilfusion verstanden werden soll, welche Fallgestaltungen der Praxis gemeint sind; sodann ist zu klären, welche Fragen der Erörterung bedürfen, ehe schließlich der Versuch unternommen werden kann, sie auch zu beantworten.

1 Ebenso die §§ 267 ff., 274 II RegE G m b H G für die geplanten Regelungen zur Fusion der G m b H .

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Marcus Lutter

II.

Fragestellung

Barz, dem diese Zeilen gewidmet sind, hat kürzlich das Gemeinschaftsunternehmen unter konzernrechtlichen Aspekten untersucht 2 , andere haben sich eingehend mit den kartellrechtlichen Fragen des Gemeinschaftsunternehmens beschäftigt 3 , Kropff hat Gedanken zu der im deutschen Recht ungeregelten scission, der Unternehmensspaltung vorgetragen 4 . Alle diese Untersuchungen gelten ganz oder überwiegend einer merkwürdigen Erscheinung von Marktorganisation und internationalem Marktverhalten der Unternehmen in der zweiten H ä l f t e dieses Jahrhunderts: den Gemeinschaftsunternehmen. Seine Formen sind so vielfältig wie die Gründe für seine Entstehung, die von der Arbeitsteilung zwischen Rohstofflieferant und Abnehmer bei der Herstellung von Zwischenprodukten 5 über die Kooperation zwischen dem ausländischen Produzenten und dem inländischen Kenner des Marktes bis zur vollen Verbindung von ganzen Teilbereichen von Unternehmen reichen, ja bis zur Quasi-Fusion von Unternehmen unterschiedlicher Nationalität führen können. Hier soll nicht einem Gesamtaspekt dieser Gemeinschaftsunternehmen nachgegangen werden. Auch stehen Fälle der vollständigen Verbindung von Unternehmen in Form des Gemeinschaftsunternehmens 6 hier ebensowenig zur Erörterung wie die schon angedeuteten Fragen des Konzern- und K a r tellrechts. Hier soll vielmehr erörtert werden, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Verbindungen solcher Art entstehen; es interessieren hier Voraussetzungen des Begründungs-, des Abschlußtat2 „Das 50 :50-Gemeinschaftsunternehmen und das K o n z e r n r e c h t " , Festschrift für H e i n z K a u f m a n n , K ö l n 1972, S. 59 ff. 3 Fikentscher, K o o p e r a t i o n und Gemeinschaftsunternehmen im Lichte der A r t . 85 und 86 E W G V , Europees Kartelrecht, A n t w e r p e n und Uetrecht 1969; Κ leim, Gemeinschaftsunternehmen und Funktionsgemeinschaften im Verhältnis z u m Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, FIW-Schriftenreihe, H e f t 29, K ö l n etc. 1966; Maurer, D a s Gemeinschaftsunternehmen im amerikanischen Antitrustrecht, Diss. S t u t t g a r t 1969; Sandrock, Probleme des Gemeinschaftsunternehmens nach europäischem Kartellrecht, D B A W D 1970, 337 ff.; Schlewing, D a s deutsch-ausländische paritätische Gemeinschaftsunternehmen im K o n z e r n - und Kartellrecht, FIW-Schriftenreihe, H e f t 63, K ö l n etc. 1973. 4 „Uber die ,Ausgliederung'", Festschrift f ü r Ernst Geßler, München 1971, S. 111 ff. 5 S o ζ. B. ölgesellschaften und Chemieunternehmen bei Raffinerien, etwa die Rheinische Olefinwerke G m b H als gemeinsame Tochtergesellschaft der B A S F und der Deutschen Shell A G . 6 S o der Zusammenschluß der deutschen Hoesch A G mit der niederländischen K o n i n k l i j k e N e d e r l a n d s e H o o g o v e n s en S t a a l f a b r i e k e n Ν . V . in der E S T E L HoeschH o o g o v e n s Ν . V . Vgl. d a z u meine Überlegungen in „ D i e Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen", Schriftenreihe D E R B E T R I E B , Düsseldorf 1974, S. 2 und passim.

Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

201

bestandes: Wer eigentlich trifft nach den korporationsrechtlichen Regeln der beteiligten Ausgangsunternehmen in diesen die Entscheidung über die Bildung solcher Gemeinschaftsunternehmen, wie sind die Kompetenzen der verschiedenen O r g a n e in diesem Zusammenhang zueinander geordnet.

B. Rechtliche und praktische Bedeutung der Fragestellung I. Gestaltungen

der Praxis und ihre

Beurteilung

1. U m die R e l e v a n z der soeben gestellten Frage zu erläutern, sei auf einige wichtige Fälle aus der Wirtschaftspraxis der vergangenen J a h r e hingewiesen. a) Schon im J a h r e 1963 schlossen die deutsche S I E M E N S A G und die niederländische P H I L I P S Ν . V . ihre unternehmerischen T ä t i g keiten auf dem Gebiete der Produktion von Schallplatten zusammen; die betreffenden Unternehmensbereiche waren schon damals im wesentlichen in selbständigen und 100 °/oigen Tochtergesellschaften dieser Unternehmen organisiert. D i e Technik dieses sehr erfolgreichen Verbundes bestand im Austausch je 50 % i g e r Beteiligungen an den betreffenden Tochtergesellschaften durch S I E M E N S und P H I L I P S ; hinsichtlich der Einzelheiten und der seitherigen Entwicklung kann auf anderweitige Darstellungen verwiesen werden 7 . b) In ähnlicher Weise verband die B A Y E R A G ihre Fotointeressen, die in der A G F A A G konzentriert waren, deren Aktien wiederum zu über 90 % bei der B A Y E R A G lagen, mit der belgischen G E V A E R T Ν . V . D i e technischen Einzelheiten dieses Zusammenschlusses sind schon wiederholt geschildert worden und sollen hier nicht wiederholt werden 8 . c) I m J a h r e 1968 beschlossen die Unternehmensleitungen der S I E M E N S A G und der Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft A G ( A E G ) , ihre Tätigkeiten auf dem Gebiete der technischen Ausrüstung von K r a f t w e r k e n zusammenzuführen. D a h e r wurden jeweils bestimmte A k t i v a — nämlich die unselbständigen Betriebe dieses Bereiches und die auf diesem Gebiete operierenden selbständigen Tochter7 Beusch in Lutter, Redit und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, 1972 S. 78 ff. Vgl. auch die Angaben zur P o l y g r a m G m b H bzw. Polygram Β. V. im SIEMENS-Geschäftsbericht 1972/73. 8 Silcher in Lutter, a. a. O., S. 80 ff.; Lutter, Gutachten H zum 48. deutsdien Juristentag, S. 50 ff. und S. 149.

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Marcus Lutter

gesellschaften — aus den beiden beteiligten Unternehmen ausgegliedert und als Sacheinlage in die Kraftwerk Union A G so eingebracht, daß die beiden Ausgangsunternehmen heute zu je 50 % an dieser Gesellschaft beteiligt sind 9 . d) Schließlich steht die Verwirklichung eines sehr weitreichenden Verbundes unternehmerischer Tätigkeiten auf dem Gebiete der Elektro/Haushaltsgeräte zwischen der Robert Bosch G m b H und der SIEMENS A G unmittelbar bevor 10 . 2. Die soeben geschilderten Gestaltungen der Praxis, deren Übersicht fast beliebig verlängert werden kann, lassen erkennen, daß die mit Hilfe des oder der Gemeinschaftsunternehmen hergestellte Verbindung zwischen den Ausgangsgesellschaften zwar vollständig sein kann 1 1 , in der Regel aber nur sachlich selbständige Bereiche oder unternehmerische Teilbereiche des Unternehmens der beteiligten Gesellschaften erfaßt: in den typischen Fällen u m f a ß t die Verbindung jeweils einen Teil der sehr weitgespannten Tätigkeitsbereiche der Ausgangsgesellschaften. So betrug etwa der Umsatzanteil der zum 1.1. 1969 auf die K r a f t w e r k Union A G übertragenen Unternehmensbereiche damals bei der SIEMENS A G 3 % des konsolidierten Inlandsumsatzes von SIEMENS und 2,5 °/o des konsolidierten SIEMENS-Weltumsatzes, bei der A E G 3 % des Umsatzes der Muttergesellschaft bzw. 2,5 % des konsolidierten AEG-Konzernumsatzes bzw. 2,4 % des konsolidierten AEG-Weltumsatzes 12 . Der Umsatz der AGFA A G machte im Geschäftsjahr 1963 13 2 7 % des Gesamtumsatzes der BAYER A G und 12,9 % des konsolidierten BAYERWeltumsatzes dieses Geschäftsjahres aus 14 , während der in den Verbund 9 Quelle: Auskunft der Gesellschaft und Erläuterungen im SIEMENS-Gesdiäftsbericht 1969/70. 10 Quelle: Auskunft der Gesellschaft und SIEMENS-Geschäftsbericht 1972/73. 11 So für die GEVAERT Ν . V. im Verband AGFA/GEVAERT sowie für jeweils beide Unternehmen in den Verbindungen H O E S C H / H O O G O V E N S und FOKKER/ VFW. Vgl. dazu die Nachweise oben Fn. 6 und 7 sowie Gäbelein in: Lutter, Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, 1972, S. 82 ff. 12 Quellen: Geschäftsberichte der SIEMENS A G und der AEG sowie briefliche Angaben der Unternehmen. Die entsprechenden Zahlen lagen bei der AEG im Geschäftsjahr noch mehr als doppelt so hoch, nämlich: 7 % des Umsatzes der AEG, 6 »/o des konsolidierten Konzernumsatzes Inland und 5,2 °/o des konsolidierten AEG-Weltumsatzes. 13 Der Zusammenschluß A G F A / G E V A E R T erfolgte zum l . J u l i 1964; als Vergleichsgrundlage wurde daher hier das Geschäftsjahr 1963 gewählt (bei AGFA 1.4. 1963—31. 3. 1964). 14 Quellen: BAYER-Geschäftsberichte für 1963 und 1964 sowie AGFA-Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1963/64.

Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

203

mit P H I L I P S eingebrachte Umsatzanteil (Umsatz der Deutschen Grammophon) 1,95 °/o des konsolidierten Inlandsumsatzes der S I E M E N S A G und 1,69 % des konsolidierten Weltumsatzes der S I E M E N S A G im Geschäftsjahr 1961/62 betrug 15 . Andererseits ist für die Verbindungen der hier interessierenden Art typisch, daß sie den fraglichen Teilbereich unternehmerischer Tätigkeit der betreifenden Gesellschaften voll erfaßt: B A Y E R verfolgt in keinem anderen seiner Bereiche mehr Fotointeressen, die A E G keine sonstigen Kraftwerksinteressen, S I E M E N S außerhalb der Verbindung mit P H I L I P S keine Schallplattentätigkeiten und künftig außerhalb der Verbindung mit Bosch auch keine Interessen im Haushaltsgerätebereich mehr. II. Teilfusion 1. Sind damit die Fakten hinreichend geklärt, so bedarf doch die Bezeichnung als „Teilfusion" noch der Erläuterung. Korporation und Unternehmen sind nicht identisch; de lege lata ist die Korporation der Träger, der Veranstalter des Unternehmens und wirkt auf dessen Entscheidungen ein. Unternehmen aber ist — von Definitionen mit anderen Aufgaben hier abgesehen16 — die organisatorische Zusammenfassung von sachlichen und persönlichen Mitteln zur Verwirklichung eines wirtschaftlichen Zieles. Demnach hat jedes Unternehmen notwendig seinen Rechtsträger, nicht jeder Rechtsträger aber notwendig und unbedingt auch ein Unternehmen 17 . Hat nun eine Korporation, klassischer Vorstellung entsprechend, ein Unternehmen und wird zu dessen Nutzen der Zusammenschluß mit einem anderen Unternehmen geplant, so ist die Verbindung der Korporationen, der Rechtsträger, durchaus der geeignete Weg für den wirtschaftlichen Zusammenschluß auch der Unternehmen: die Zusammenführung der 1 5 Die Verbindung mit P H I L I P S erfolgte im Geschäftsjahr 1963, so daß das vorausgehende Geschäftsjahr als Vergleichsgrundlage gewählt wurde. — Quellen: Geschäftsbericht der S I E M E N S A G für das Geschäftsjahr 1961/62 und Schreiben der S I E M E N S AG. 1 6 E t w a der besonders umstrittene Unternehmensbegriff des Konzernrechts; vgl. dazu die Übersichten bei Biedenkopf-Koppensteiner, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 15 Anm. 5 ff.; Würdinger, Großkomm, zum AktG, 3. Aufl., § 15 Vorbem. II S. 129 ff.; Geßler, in: Geßler-Hefermehl-Eckard-Kropff, Komm, zum AktG, § 1 5 Anm. 6 ff. sowie Emmerich-Sonnenschein, Konzernrecht, 1973, S. 20 ff. je mit weiteren Nadiw. 1 7 Bedenkt man, daß etwa eine Änderung der Rechtsform des Unternehmensträgers auf die wirtschaftliche Wirklichkeit des Unternehmens — mindestens zunächst — keinerlei Einfluß hat, so wird die hier angesprochene Divergenz zwischen Unternehmensträger und Unternehmen evident.

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Rechtsträger führt auch zum Zusammenschluß der Unternehmen. So kommt es, daß die Fusion als Zusammenschluß der Rechtsträger zugleich der klassische Weg für die Verbindung der Unternehmen ist. Haben Korporationen dagegen mehrere Unternehmen 1 8 , verselbständigte Unternehmensteile oder thematisch abgrenzbare Unternehmensbereiche1811 und soll nur einer davon mit dem Unternehmen oder Unternehmensteilbereich einer anderen Korporation verbunden werden, so würde die Fusion als Verbindung der Korporationen über das gestellte wirtschaftliche Ziel hinausgehen: sie würde Unternehmen bzw. Unternehmensteile zusammenführen, deren Zusammenschluß nicht geplant ist 19 , bezüglich derer die Autonomie der bisherigen Rechtsträger unangetastet bleiben soll. „Fusion" meint hier also „Unternehmensfusion", nicht Fusion der Rechtsträger. Und „Teilfusion" geht davon aus, daß nicht der gesamte unternehmerische Bereich eines Unternehmensträgers mit dem Unternehmen oder dem Unternehmensteilbereich eines anderen Rechtsträgers zusammengefaßt wird, sondern eben nur ein sachlich selbständiger Teil, ein sachlich abgrenzbarer Bereich eines von mehreren Unternehmen oder Unternehmensbereichen im vorerläuterten wirtschaftlich-organisatorischen Sinne 19 ". Diese Erscheinung wird besonders deutlich, wenn der fragliche Teilbereich des Gesamtunternehmens bereits organisatorisch als Tochtergesellschaft ausgegliedert ist.

1 8 Etwa dadurch, daß sie an mehreren Tochtergesellschaften die Mitgliedschaftsrechte zu 100 0/o halten, diese Tochtergesellschaften aber höchst unterschiedliche Unternehmen betreiben. So z . B . die V E B A A G mit ihren 100°/oigen Tochtergesellschaften V E B A Kraftwerke Ruhr A G , V E B A Chemie A G , V E B A Glas A G und der fast 100 °/oigen Tochtergesellschaft Hugo Stinnes A G . 1 8 0 Fotointeressen bei B A Y E R , Schallplatteninteressen bei P H I L I P S , Kraftwerksausrüstungen bei A E G etc. — Auf dieser Erscheinung beruht audi die Gliederung von Unternehmen in Unternehmensbereiche (Division) mit Erfolgsverantwortung und weitreichender Entscheidungskompetenz. Vgl. dazu Poensgen, Geschäftsbereichsorganisation, Opladen 1973. 1 9 Bei den Fusionen heutigen Umfanges ist das eine geläufige Erscheinung; es handelt sich um eine Frage des Maßes; daher werden überschießende Bereiche bei Vollfusionen o f t als quantité négligeable hingenommen und später bereinigt. So hat etwa die B A S F nach der Übernahme der Wintershall A G eine Reihe von Tochtergesellschaften und Beteiligungen aus diesem Bereich wieder abgegeben, ζ. B. die Westfalenbank A G an die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München. 1 9 0 Im Kartellrecht wird das Problem schon seit längerer Zeit behandelt, ist seit der 2. Novelle zum G W B von 1973 Gegenstand einer besonderen Regelung (insbes. § 23 I u. I I G W B 1973) und wird neuerdings in der Literatur dazu auch unter dem Stichwort der „Teilfusion" erörtert; vgl. etwa Lanzenberger, Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt, in: Auslegungsfragen zur Zweiten G W B Novelle, FlW-Sdiriftenreihe, H e f t 66, K ö l n 1974, S. 75 ff., 85.

205

Teilfusionen im Gesellschaftsredit

2. Fusion ist ein rechtstechnisch genau umschriebener Vorgang auf der Ebene der Korporation. Geht es hier um die Fusion von Unternehmen und Unternehmensteilbereichen, so kann sich die Untersuchung auf den technischen Vorgang der Fusion nicht beschränken; maßgebend ist der wirtschaftliche Erfolg. Gegenstand dieser Untersuchung sind daher alle Vorgänge, die im wirtschaftlichen Ergebnis zwei oder mehr Unternehmen oder Unternehmensbereiche aus verschiedenen Korporationen so zusammenführen, daß sie künftig als ein Unternehmen angesehen und geführt werden können20.

C. Die rechtlichen Mittel der Teilfusion Da die Teilfusion keine rechtliche sondern eine von der Unternehmenspraxis entwickelte, an wirtschaftlichen Zielsetzungen orientierte Figur ist, sind auch die Formen der Verwirklichung verschieden. Allerdings kommt der unten erwähnten Form der Zusammenfassung in einer rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft bei je 50 °/oiger Beteiligung der Ausgangsgesellschaften an diesen neben der je 50 °/oigen Überkreuzverflechtung besondere Bedeutung zu. I. Teilfusion unter Verwendung der förmlichen

Fusion

Ist der unternehmerische Teilbereich, der zusammengefaßt werden soll, bei den Ausgangsgesellschaften bereits rechtlich verselbständigt (Tochtergesellschaft), so kann bei Aktiengesellschaften allgemein (§§ 339 ff. AktG) und bei Gesellschaften mbH, soweit sie von einer Aktiengesellschaft aufgenommen werden sollen (§§ 355, 356 AktG), 2 0 Die Definition des „einen" Unternehmens ist bei einem Gemeinschaftsunternehmen in Form einer gemeinsamen Tochtergesellschaft ohne besondere Bedeutung, sehr wohl jedoch dort, wo mehrere Unternehmens- und damit Entscheidungsträger zusammenwirken, also bei der Überkreuzverflechtung von zwei oder gar vier Gesellschaften (AGFA/GEVAERT), bei der Zusammenfassung durch Zwischenholding nach Art von FOKKER/VFW (insgesamt fünf Gesellschaften) oder des Unternehmensvertrages nach § 292 AktG. In diesen Fällen ist ein Unternehmen gegeben, wenn das wirtschaftliche Potential des Gesamtverbandes mindestens auf gewisse Dauer nach einem einheitlichen Wirtschaftsplan unternehmerisch geführt werden kann so wie wenn die beteiligten Unternehmen einem. Rechtsträger unterstünden. Vgl. dazu Lutter, Gutachten zum 48. Deutschen Juristentag, S. 91 und S. 125 ff. sowie in „Die Rechte der Gesellsdiafter . . . " (Fn. 6), S. 11 ff. sub D I je mit weiteren Nadiw.

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Marcus Lutter

von den förmlichen Möglichkeiten der Fusion durch Aufnahme oder durch Neugründung Gebrauch gemacht werden: über die förmliche Fusion der Tochtergesellschaften werden die betreffenden unternehmerischen Teilbereiche der Mutterkorporationen zusammengefaßt und verbunden. In gleicher Weise kann verfahren werden, wenn der bislang rechtlich unselbständige Unternehmensbereich zunächst ausgegliedert und — durch Einbringung in eine Tochtergesellschaft — rechtlich verselbständigt wird; danach kann dann durch förmliche Fusion die eigentliche Verbindung der fraglichen Bereiche hergestellt werden.

II. Teilfusion unter Verwendung anderer Formen als der förmlichen Fusion Förmliche Fusionen sind selten, solche von rechtlich selbständigen Teilbereichen (Tochtergesellschaften) kaum feststellbar: vielfältige Gründe stehen entgegen; sie reichen von Rechtsgründen über Steuergründe bis zu solchen der Organisation und Tradition. Daher sind gerade im Bereich der Teilfusionen andere Formen mit fusionsähnlicher Wirkung die Regel. Dabei kann man unterscheiden Teilfusionen — auf mitgliedschaftlicher Ebene, — auf Vermögensebene und — auf Leitungsebene.

1. Teilfusionen auf mitgliedschaftlicher

Ebene

Sind die fraglichen unternehmerischen Teilbereiche der betreffenden Korporation bereits rechtlich verselbständigt (Tochtergesellschaft), so kann die Verbindung der Tochtergesellschaften auch dadurch erfolgen, daß die Mitgliedschaften an den Tochtergesellschaften je zur Hälfte ausgetauscht (Fall AGFA/GEVAERT) oder insgesamt in eine neu gegründete gemeinsame Tochter als Zwischenholding (Fall F O K K E R / V F W ) eingebracht werden 21 . Die Zentralisation des Einflusses bzw. der Zwang zur Kooperation wegen der gleichstarken Beteiligung sichert die einheitliche unternehmerische Führung des neuen Verbundes.

11 Zur rechtlichen Gestaltung des Zusammenschlusses F O K K E R / V F W vgl. Gäbelein in: Lutter, Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, S. 82 ff. sowie Lutter, Gutachten zum 48. DJT, S. 53 ff. und S. 150.

Teilfusionen im Gesellschaftsredit

207

2. Teilfusion auf Vermögensebene Ist der unternehmerische Teilbereich einer beteiligten Korporation nicht ausgegliedert sondern rechtlich unausgegliederter Teil der betreffenden Korporation, so kann durch Übertragung des dem betreffenden Unternehmensbereich dienenden Vermögens auf die Tochtergesellschaft des anderen Unternehmens (gegen Mitgliedschaften an diesem) oder durch Einbringung in eine gemeinsam neu geschaffene oder ausgestaltete Tochtergesellschaft die gewünschte Teilfusion in gleicher Weise erreicht werden (Fall SIEMENS/AEG bei der Kraftwerk Union AG). 3. Teil fusion auf der Ebene der Leitung Schließlich können die fraglichen unternehmerischen Bereiche rechtlich voll in den beteiligten Korporationen integriert bleiben, durch Vereinbarung von Betriebs- und Spartengewinngemeinschaften über sie aber funktional so verbunden und vereinheitlicht werden, daß der Gesamtbereich wie ein selbständiges Unternehmen geführt werden kann. Da eine solche Betriebsgewinngemeinschaft, soll sie von Nutzen sein, ertragswirksame Eingriffe in die fraglichen unternehmerischen Teilbereiche bedingt, ist ihre Absicherung durch zusätzliche Vereinbarungen über die Ausübung der gemeinsamen unternehmerischen Leitung der zusammengefaßten Bereiche die Regel22.

D. Entscheidungskompetenz bei Teilfusionen Die bisherigen Überlegungen dienten der Aufnahme des Tatbestandes und seiner rechtlichen Erscheinungen. Nunmehr ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine solche Teilfusion zustande kommt, vor allem also, welche Organe der beteiligten Gesellschaften an dem Vorgang mitzuwirken haben. 1. Mitwirkung von Vorstand und

Geschäftsführung

1. Gleich in welcher organisatorischen Form die Teilfusion stattfindet, in jedem Falle sind außenwirksame Maßnahmen zu treffen: vom Abschluß des Fusionsvertrages bei der Tochtergesellschaft über den Tausch der Mitgliedschaften und die Gründung von Tochtergesell22 Audi ohne Leitungsvereinbarung ist die reine Gewinngemeinschaft auf die Vergemeinschaftung der Leitung gerichtet, da alle Beteiligten an einem möglichst hohen Gewinn interessiert sind; so zutr. Biedenkopf-Koppensteiner (Fn. 16), § 292 Anm. 11 mit weiteren Nadiw.

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Marcus Lutter

Schäften sowie die Einbringung von unternehmerischem Vermögen in sie bis zum Abschluß der Verträge über Leitungs- und Gewinngemeinschaften sind Vorgänge abzuwickeln, die nur vom Vorstand der Aktiengesellschaft, dem oder den Geschäftsführern der GmbH oder dem oder den persönlich haftenden Gesellschaftern bei OHG und K G vorgenommen werden können (§§ 78 AktG, 35 GmbHG, 125 HGB) oder jedenfalls deren Mitwirkung bedingen. 2. In aller Regel sind Maßnahmen der hier geschilderten Art von besonderem Gewicht für die beteiligten Unternehmen. Über die Informationspflichten aus § 115 HGB und das Kollegialitätsprinzip für Geschäftsführung und Vorstand (§§ 77 I AktG, 35 II GmbHG) dürfen solche Maßnahmen daher intern nur unter Einschaltung aller Mitglieder des Geschäftsführungsorgans vorgenommen werden23. II. Mitwirkung des

Aufsichtsrates

Ist eine Aktiengesellschaft beteiligt, so hat der Vorstand — von Fällen ganz untergeordneter Bedeutung abgesehen — den Aufsichtsrat vor Abschluß der betreffenden Rechtsgeschäfte zu informieren und ihm Gelegenheit zu eigener Stellungnahme zu geben, § 90 I Nr. 4 und II AktG. Haben beteiligte Gesellschaften anderer Rechtsformen ein Organ der Überwachung, so hängt es ganz von der Lage des Einzelfalles, dem Gesellschaftsvertrag der betreffenden Gesellschaft und den Regeln ihrer Geschäftsordnung ab, ob und zu welcher Zeit Informationspflichten bestehen. Das gilt auch für die GmbH mit einem Pflichtaufsichtsrat nach § 77 I BetrVerfG 1952 oder einem Wahlaufsichtsrat nach § 52 GmbHG, da nach beiden Vorschriften der § 90 I AktG auf diese Aufsichtsräte nicht anwendbar ist. In gleicher Weise bestimmt sich nach Lage des Einzelfalles, ob dieser Aufsichtsrat nicht nur informiert werden muß sondern seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme intern — etwa nach § 111 IV AktG — erforderlich ist. III. Mitwirkung der

Gesellschafter

Als sehr viel schwieriger erweist sich die Frage, ob und in welchem Umfange die Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften selbst an 2 3 Ausnahmen können allenfalls im GmbH-Recht bei entsprechend klarer Fassung der Satzung zugunsten einzelner Geschäftsführer gelten; vgl. Schilling, in: Hachenburg, Komm, zum GmbHG, 6. Aufl., § 35 Anm. 34. — Zur A G vgl. Hefermehl, in: Geßler-Hefermehl-Eckard-Kropff, Komm, zum AktG, § 77 Anm. 21 a. E . ; Mertens, in: Kölner Komm, zum AktG, § 77 Anm. 12 ff., 15.

Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

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dem Vorgang der Teilfusion mitzuwirken haben. Hier zeigt sich — wie nach Überlegungen zu Vorgängen, die einer vollständigen Fusion entsprechen 24 , nicht anders zu erwarten war — , daß das Gesetz diesen von der Praxis entwickelten funktionalen Figuren bislang keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. 1. Bei den Personengesellschaften ist die Frage noch am ehesten zu übersehen. Zwar bedeuten die hier erwähnten Gestaltungen der Teilfusion — im Gegensatz zu bestimmten Formen, die der Vollfusion entsprechen — in keinem Falle einen Eingriff in die Mitgliedschaft selbst. Doch sind die Ausgliederung von Unternehmensteilen in selbständige Tochtergesellschaften, die Fusion einer Tochtergesellschaft mit einer anderen Korporation, der Austausch von Mitgliedschaften an Tochtergesellschaften und der Absdiluß von Leitungs- und Betriebsgewinngemeinschaften in der Personengesellschaft — von höchst seltenen Ausnahmefällen abgesehen — Vorgänge, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes dieser Gesellschaft hinausgehen, §§ 116, 164 H G B : im Innenverhältnis ist hier die Mitwirkung aller Gesellschafter erforderlich 25 . Im Gesellschaftsvertrag können Abweichungen von dieser Regel getroffen werden; insbesondere kann allgemein ein Mehrheitsbeschluß der Gesellschafter auch für solche Fälle vorgesehen oder sogar die alleinige Zuständigkeit für solche Fälle der Geschäftsleitung übertragen sein. 2. Bei der Aktiengesellschaft hat die Hauptversammlung der Aktionäre keine allgemeinen sondern nur besonders normierte Zuständigkeiten. Sie ist nicht mehr allgemein zuständig zur Mitwirkung an „bedeutenden Entscheidungen", ist nicht mehr das Zentralorgan der Gesellschaft sondern eines von drei Gesellschaftsorganen, die nicht hierarchisch einander zugeordnet sind. Daher ist die Hauptversammlung auch nicht etwa berechtigt, Gegenstände von besonderer Bedeutung zur eigenen Entscheidung an sich zu ziehen, § 119 I I A k t G . D a m i t ist aber die hier gestellte Frage noch keineswegs beantwortet. Vielmehr sind Einzelzuständigkeiten der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft und vor allem ihre Zuständigkeiten bei Eingriffen in die Mitgliedschaft selbst und beim Abschluß von Unternehmensverträgen im Hinblick auf die verschiedenen Gestaltungsformen der Teilfusion zu bedenken.

Vgl. Fn. 6. Das gilt auch für die Kommanditgesellschaft, da § 164 II den § 116 II H G B nicht modifiziert; es bleibt also bei dessen Anwendung über § 161 II H G B ; vgl. R G Z 158, 302, 305 ff. 24

25

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Marcus Lutter

a) Beruht die Teilfusion auf einer betrieblichen Leitungs- und Gewinngemeinschaft, so ist die Mitwirkung der Hauptversammlung in § 292 I Nr. 1 AktG (Betriebsgewinngemeinschaft) ausdrücklich vorgesehen. Die Hauptversammlung hat volles Informationsrecht vor (§ 293 III AktG) und während (§ 131 AktG) der Hauptversammlung. Und der Vertrag wird überhaupt nur wirksam, wenn die Hauptversammlung mit der in § 293 I AktG vorgesehenen satzungsändernden Mehrheit zugestimmt hat 26 . b) In allen übrigen Fällen (Ausgliederung, Fusion der Tochtergesellschaft, Tausch von Mitgliedschaften, Einbringung von Vermögensteilen in andere Gesellschaften) ist eine Mitwirkung der Hauptversammlung im Aktiengesetz nicht besonders vorgesehen. Das gilt selbst für die förmliche Fusion einer Tochtergesellschaft; denn deren Mitgliedschaftsrechte und damit audi die Stimmrechte daraus in der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft über diese Frage (§§ 340, 355 AktG) werden durch die Verwaltung der Muttergesellschaft ausgeübt: es handelt sich um Fragen der Außenbeziehung der Aktiengesellschaft, um Vertretungshandlungen nach § 78 AktG. Es gilt aber auch dort, wo mit dem Tausch von Mitgliedschaften und der Einbringung von Vermögensteilen in andere Korporationen Vermögensbewegungen nicht unerheblichen Umfanges stattfinden; denn die Gleichstellung der Vermögensübertragung mit der Fusion nach § 361 AktG gilt eben nur für die Übertragung des „ganzen Gesellschaftsvermögens". Auch wenn man diese Formulierung „ganz" nicht ganz wörtlich nimmt sondern in Anlehnung etwa an die §§ 419, 1365 BGB27 im Sinne von „fast ganz", „nahezu ganz" oder „im wesentlichen ganz" interpretiert 28 , werden die hier interessierenden Fälle von dieser Norm nicht erfaßt — zu Recht, da ja gerade nicht die Nähe zur Vollfusion sondern die Teilfusion zur Erörterung steht. Nach dem bisherigen Stand der Überlegungen wäre in den meisten und praktisch wichtigsten Fällen der Teilfusion die Verwaltung allein zur Entscheidung befugt. Wie schon anderwärts nachgewiesen29, ist 28 Die Zustimmung der Hauptversammlung ist hier — wie in ähnlichen Fällen, z . B . §§ 179 III, 182 II AktG — Wirksamkeitserfordernis; dem Vorstand fehlt die Vertretungsmacht zum alleinigen Handeln, seine Vertretungsmacht ist beschränkt; vgl. Würdinger, a. a. O. (Fn. 16), § 293 Anm. 3; Biedenkopf-Koppensteiner, a. a. O. (Fn. 16), § 2 9 3 Anm. 8; Baumbach-Hueck, Kommentar zum AktG, 13. Aufl., § 2 9 3 Anm. 4. 27 RGZ 137, 324, 349; Β G H Z 43, 174, 176. 28 Vgl. RGZ 124, 279, 294 f.; Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 361 Anm. 8. 29 Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, Schriftenreihe DER BETRIEB, Düsseldorf 1974.

Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

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jedoch gerade diese Sicht des Verhältnisses von Verwaltung zu Hauptversammlung zu vordergründig. Käme es für die Ordnung der Zuständigkeiten nur auf die ausdrücklich geregelten Einzelfälle an, so könnte die Verwaltung durch die Wahl der Form einer Maßnahme die materielle Ordnung der Entscheidungszuständigkeiten an sich ziehen: Trotz wirtschaftlich gleicher, ja zum Teil weit umfassenderer Ergebnisse als bei einer Teil- oder Betriebsgewinngemeinschaft nach §§ 292, 293 AktG 3 0 könnte die Verwaltung darüber befinden, ob sie die Mitwirkung der Hauptversammlung will oder nicht. Hätte demnach die Verwaltung die alleinige Zuständigkeit überall dort, wo im Gesetz keine ausdrücklichen Regelungen getroffen sind, so läge dem geltenden Aktienrecht in Wirklichkeit doch wieder eine hierarchische Ordnung zugrunde. Eine solche Lösung wäre nicht nur überraschend sondern widerspräche der erkennbaren Tendenz des Gesetzes, ein ausgewogenes Verhältnis der Organe der Aktiengesellschaft zueinander und ihrer Zuständigkeiten herzustellen. Die Verteilung der Entscheidungszuständigkeiten ist daher — auf dem Hintergrund der im Gesetz getroffenen Einzellösungen — für ungeregelte Fälle auch nach funktionalen und nicht nur nach formalen Kriterien zu treffen. aa) Sieht man unter diesem Aspekt die Fragen der Ausgliederung von Teilen des Unternehmensvermögens in eigene Tochtergesellschaften, so finden sich im Aktiengesetz keine Anhaltspunkte für eine Mitwirkungsbefugnis der Hauptversammlung. Die „technische" Organisation, die Gliederung des unternehmerischen Vermögens der Korporation in betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht ist Aufgabe der Verwaltung. Ob und in welcher Weise sie dabei von den verschiedenen Figuren der Ordnung in rechtlich selbständige Einheiten, in betriebswirtschaftlich selbständige Einheiten (Unternehmensbereiche) oder in Mischformen beider Gebrauch macht, ist Sache der Unternehmensleitung, des Vorstands, allenfalls unter Mitwirkung des Aufsichtsrats (§111 IV AktG). Bedenkt man allerdings die Wirkungen solcher rechtlicher Untergliederungen in Tochter- und Enkelgesellschaften, die damit zunächst einmal verbundene Mediatisierung des Einflusses der Hauptversammlung der Obergesellschaft, so könnte man an der Richtigkeit dieser Überlegungen und ihres Ergebnisses zweifeln; denn die Hauptversammlung der Obergesellschaft ist eben nicht zugleich Hauptversammlung der Tochtergesellschaft, verliert ihre Kompetenzen an diese. Tatsächlich ist jedoch die Einflußminderung der Hauptversammlung 3 0 Dort wird das Vermögen der Gesellschaft von der Vereinbarung nicht berührt, wohl aber beim Tausch von Mitgliedschaftsrechten an Tochtergesellschaften und ähnlichen Gestaltungen.

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Marcus Lutter

überwiegend nur scheinbar; denn wie an anderer Stelle nachgewiesen werden konnte, bestehen diese Mitwirkungsrechte der Hauptversammlung — wenn auch in etwas modifizierter Form fort 31 . Daher ist es nicht erforderlich, mit besonderen Überlegungen bei der bislang unbestrittenen Organisationshoheit der Verwaltung anzusetzen. bb) Fusioniert die Untergesellschaft einer Aktiengesellschaft mit einem anderen Unternehmen, so wird der in der Untergesellschaft organisierte Teilbereich des Gesamtunternehmens der rechtlichen und faktischen Leitungsbefugnis der Obergesellschaft und ihrer Verwaltung entzogen und unterschiedlichen Mitentscheidungsbefugnissen Dritter (Minderheitsgesellschafter, Mehrheitsgesellschafter, Parität bei reinem Gemeinschaftsunternehmen) unterworfen. Zugleich wird — vor allem bei den hier vornehmlich interessierenden paritätischen Lösungen — über die Beteiligung der Ausgangsunternehmen am Gewinn der fusionierten Tochtergesellschaften eine — bezogen auf die beteiligten Unternehmen — Betriebsgewinngemeinschaft erreicht: hinsichtlich des Gewinnes und Verlustes ist es nicht anders, als wären die in den Tochtergesellschaften betriebenen „Sparten" in einem Betriebsgewinn- und Verlustgemeinschaftsvertrag verbunden worden. Könnte das Gemeinschaftsunternehmen nicht in der Form einer gemeinsamen, hier durch Fusion entstandenen Tochtergesellschaft rechtlich aus dem Bereich der Obergesellschaft ausgegliedert werden, so hätte der angestrebte Erfolg der wirtschaftlichen Teilfusion nur über die erwähnte Betriebsgewinn- und Verlustgemeinschaft verbunden mit einer entsprechenden Leitungsgemeinschaft erreicht werden können. Diese Lösung aber hätte die Mitwirkung der Hauptversammlung mit satzungsändernder Mehrheit nada §§ 292 I Nr. 1, 293 I AktG vorausgesetzt. Daher muß hier der bereits oben angesprochene Gedanke zum Tragen kommen: die Art der formalen Gestaltung eines Gemeinschaftsunternehmens kann nicht entscheidend sein für die Verteilung von Entscheidungsbefugnissen in einer Aktiengesellschaft; diese Verteilung folgt funktional-rationalen Kriterien, nicht formalen Zufälligkeiten. Daher kann die mehr oder minder zufällige, historisch bedingte organisatorische Struktur und Gliederung des Unternehmens einer Aktiengesellschaft für die Entscheidungszuständigkeit über die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens nicht signifikant sein. Maßgebend muß neben der Identität der wirtschaftlichen Ergebnisse sein, ob auch durch Gestaltungen dieser Art der legislatorische Grund für die Mitwirkung der Hauptversammlung nach §§ 292, 293 AktG zutrifft. Hier weist Würdinger32 zu Recht darauf hin, daß die Aktien3 1 Vgl. dazu meine Überlegungen „Zur Binnenstruktur des Konzerns", in: Festschrift für H a r r y Westermann, 1974, sub IV, V und VI, S. 361 ff. 32 Großkommentar AktG, 3. Aufl., § 292 Einleitung.

Teilfusionen im Gesellsdiaftsredit

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gesellschaft auf autonome Zielverwirklichung, auf selbständige Gewinnerzielung und Gewinnverwendung angelegt ist. Sollen hier Einflüsse und Rechte Dritter geschaffen werden, so ist die Mitwirkung der Aktionäre in ihrem O r g a n Hauptversammlung erforderlich; § 292 I N r . 1 A k t G statuiert also nur eine Regel, die sich auch aus allgemeinen Prinzipien des Korporationsrechts und ggf. anderer N o r men des Aktienrechts (z.B. §§ 58, 174 A k t G ) hätte entwickeln lassen 320 . Dieser Gesichtspunkt trifft auch auf die Fusion der echten Tochtergesellschaft 33 zu. Die Verwaltung der Obergesellschaft hat d a f ü r Sorge zu tragen, daß auch in dieser Form und mit diesem Vermögen die eigenen Unternehmensziele verfolgt werden und der erzielte Gewinn über entsprechende Ausschüttungen der eigenen H a u p t v e r sammlung zur Disposition gestellt wird 3 4 . U n d diese Ausgangslage ändert sich grundlegend mit der Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Fusion der Tochtergesellschaften. Funktionale Gleichheit der wirtschaftlichen Ergebnisse und Ubereinstimmung im legislatorischen G r u n d lassen demnach die Anwendbarkeit von § 293 A k t G audi auf Fälle dieser A r t notwendig erscheinen: die Mitwirkung der Hauptversammlung mit den Mehrheiten aus § 293 I A k t G ist erforderlich. D a die angesprochene formale rechtliche Struktur der Unternehmen jedoch maßgebend ist f ü r das Außenverhältnis und im Interesse D r i t ter auch grundsätzlich unangetastet bleiben muß, kann die Zustimmungsbefugnis der Hauptversammlung in solchen Fällen nicht auf der Ebene der unmittelbaren Mitwirkung in der Tochtergesellschaft ansetzen sondern nur beim H a n d e l n ihrer eigenen Verwaltung: diese darf im Verhältnis zu ihrer eigenen Hauptversammlung in der Tochtergesellschaft die entsprechenden Beschlüsse nur fassen, wenn zuvor die eigene Hauptversammlung nach den gleichen Regeln und mit den gleichen Mehrheiten zugestimmt hat, die f ü r eine Entscheidung nach §§ 292, 293 A k t G auf der Ebene der Obergesellschaft erforderlich gewesen wäre.

32a D a s w a r schon früher der richtige Ansatz, als es um die Lösung der Frage ging, o b die im A k t G 1937 (§ 256) nicht geregelten Organschaftsverträge auch der Zustimmung der H a u p t v e r s a m m l u n g bedürfen. — Vgl. dazu Ballerstedt, Handelsund gesellschaftsrechtliche Probleme der Organschaft, D B 1956, 813 ff., 837 ff.; Duden, Aktienrechtliche Fragen zur „Organschaft" mit einem Großaktionär, BB 1957, 49 ff.; Flume, D i e Organsdiaft im Körperschaftssteuerrecht, D B 1956, 455 ff., 457. 33 A l s o 100 %>igc Tochtergesellschaften oder Tochtergesellschaften mit kaum ins Gewicht fallenden Minderheitsgesellschaftern. 34 Lutter, Festschrift Westermann (Fn. 31), sub IV, S. 361 ff.

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cc) Findet die Teilfusion nicht durch förmliche Fusion von Tochtergesellschaften statt sondern durch den Abschluß eines Gewinnpoolvertrages nach § 293 I N r . 1 A k t G auf der Ebene der Tochtergesellschaft, durch den Tausch von Mitgliedschaftsrechten an Tochtergesellschaften (Aufbau einer Uberkreuzverflechtung) oder die Einrichtung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Ausgliederung bisher unselbständiger Unternehmensteile, so kann nichts anderes gelten. Auch hier begibt sich die Obergesellschaft eines Teiles ihres bisherigen unternehmerischen Einflusses, verlangt die Gesamtorganisation des Unternehmens für den fraglichen Bereich die Berücksichtigung eines fremden Willens und damit eines dritten Risikos, wird der Erfolg und Mißerfolg dieses Bereiches nicht mehr von der Unternehmensleitung der Obergesellschaft allein bestimmt und verantwortet. Wieder handelt es sich funktional um Entscheidungen, die über den allgemeinen Verwaltungsbereich hinausgehen und, wie § 292 I N r . 1 A k t G deutlich macht, der Mitwirkung der Hauptversammlung bedürfen. Diese Argumentation wird beim Tausch von Mitgliedschaften durch § 186 A k t G verstärkt: Mitgliedschaften an Tochtergesellschaften sind nicht beliebige Aktiva des Unternehmens sondern stehen den Mitgliedschaf tsrechten an der Obergesellschaft selbst nahe 3 5 ; dieser Bereich aber ist der Zuständigkeit der Verwaltung entzogen, ist Sache der Hauptversammlung. dd) Fusionen sind Vorgänge, die über das Gesamtvermögen der beteiligten Gesellschaften auch den Gesamtbereich der unternehmerischen Tätigkeit erfassen. Demgegenüber wirkt die Betriebsgewinngemeinschaft nur auf den Ertrag der beteiligten Unternehmen und zwingt von daher zur Koordinierung des betreffenden unternehmerischen Teilbereiches. Teilfusionen der hier behandelten Art zeigen funktionale Ähnlichkeiten mit beiden Figuren, ohne eine ganz zu sein: einerseits kennt das Gesetz nur die volle Fusion; andererseits sind die soeben behandelten Formen zum Teil von anderer Struktur als die reinen Betriebsgewinngemeinschaften des § 292 I Nr. 1 A k t G , etwa dann, wenn sie, wie die Fusion, auch auf das Vermögen der Unternehmen einwirken. Daher ist zu erwägen, ob hier — und damit anders als bei Fusionen und Verträgen nach § 292 A k t G — den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung getragen werden kann: ist die Teilfusion von ganz untergeordneter Bedeutung für den unternerhmerischen Gesamtbereich der Obergesellschaft 36 , so kann wegen

Lutter, Festschrift Westermann (Fn. 31), sub V mit weiteren Nachw. (S. 364 fi.). Dabei ist an Fallgestaltungen gedacht, in denen der von der Teilfusion betroffene Umsatzanteil nicht einmal 10 °/o des Gesamtumsatzes der Obergesellschaft ausmacht. 35

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Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

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ihrer nur geringfügigen Auswirkung auf Vermögen, Gewinn und Leitung der Obergesellschaft von einer Mitentscheidung der Hauptversammlung abgesehen werden; das gilt um so mehr, als hier nicht die äußere Wirksamkeit von rechtlichen Maßnahmen sondern die interne Bindung des Organs Vorstand an die Mitwirkung des Organs Hauptversammlung zur Erörterung steht. Schließlich ist dabei auch zu berücksichtigen, daß die Effizienz der Hauptversammlung ebenso wie die der Verwaltung in einem ausgewogenen Verhältnis von Zuständigkeiten aufrechterhalten werden muß. Diese Argumentation erscheint widersprüchlich, beruhen doch die hier angestellten Überlegungen auf der funktionalen Nähe von Teilfusionen und ihren Wirkungen zu den anderen Unternehmensverträgen des § 292 I AktG; dort aber ist eine Abgrenzung nach der „Bedeutung" des Falles gerade nicht vorgesehen. Doch ist zu bedenken, daß hier eine entsprechende Anwendung von Normen des Aktiengesetzes stattfindet, die ihrerseits nicht kritiklos erfolgen muß, sondern die Auswirkungen im Geschehen der Gesellschaft berücksichtigen kann. Sollten allerdings mehrere, sachlich aufeinander bezogene und zeitlich einander nahe Teilfusionen stattfinden, so sind sie für obige Uberlegungen wiederum aus funktionalen Gesichtspunkten als ein Vorgang zu behandeln. ee) Schließlich ist zu bedenken, daß der hier vorgetragene Lösungsvorschlag für die Entscheidungsbefugnis über Teilfusionen nur internen Charakter hat, nicht also die Vertretungsmacht des Vorstandes berührt, insofern also anders aufgebaut ist und wirkt als die gesetzliche Lösung der §§ 291 ff. und 339 ff. AktG: dort ist die Mitwirkung der Hauptversammlung Voraussetzungen für die Gültigkeit des Vorganges überhaupt37, hier darf der Vorstand zwar nicht ohne die Hauptversammlung handeln, kann es aber an sich. Dennoch ist der Unterschied nur gering. Denn diese typische Drittschutzregel gilt nach gefestigter Lehre und Rechtsprechung nicht, wenn es sich — wie hier in aller Regel — um erfahrene Vertragspartner handelt, welche die interne Rechtslage mindestens kennen müssen und deshalb am allgemeinen Vertrauensschutz dieser Regelung nicht teilnehmen38. 3. Die hier angeschnittenen Fragen haben bei der Gesellschaft mbH als Verbundpartner andere Bedeutung und anderes Gewicht. Denn hier besteht die klare Uberordnung der Gesellschafterversammlung 3 7 Vgl. die Nachw. in Fn. 26 sowie Baumbach-Hueck (Fn. 16), § 3 4 0 Anm. 4 ; Kraft, in: Kölner Komm, zum AktG, § 340 Anm. 6 ; Schilling, in: Großkomm, zum AktG, 3. Aufl., § 340 Anm. 3. 3 8 So B G H Z 50, 112 und Mertens, JurA 1970, 466 ff. mit umfangreichen Nachw.

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über die Geschäftsführung mit der Folge, daß die Gesellschafterversammlung durch entsprechende Weisungen an die Geschäftsführung jede von ihr gewünschte Maßnahme durchsetzen und jeden von ihr nicht gewünschten Vorgang verhindern kann 3 9 . Insofern steht hier die rechtliche Möglichkeit zur Mitwirkung bei der Entscheidung über Bildung von Gemeinschaftsunternehmen seitens der Gesellschafterversammlung fest. Fraglich ist jedoch, mit welchen Mehrheiten die Gesellschafterversammlung mitzuwirken hat und ob gesichert ist, daß sie rechtzeitig Informationen über Planungen der hier behandelten Art erhält. a) Das geltende GmbH-Recht enthält keine Regeln über die Fusion und über den Abschluß von Unternehmensverträgen. Daher müssen alle Fragen in diesem Zusammenhang aus allgemeinen Grundsätzen des GmbH-Rechts entwickelt werden. aa) Findet die Teilfusion über eine Betriebsgewinngemeinschaft statt, so werden vordergründig die Risiken eines bestimmten Geschäftsbereiches verringert, schuldrechtliche Abreden über Maßnahmen der Kooperation getroffen, kurz: Vorgänge der allgemeinen Geschäftsführung behandelt. Sieht man jedoch näher hin, so ist zu erkennen, daß ein so globaler Vorgang unmittelbar in die Entstehung von Bilanzgewinn eingreift und — wie bereits oben ausgeführt — über die hier notwendige Koordination der Leitung zugleich die Autonomie der Gesellschaft beschränkt. Damit handelt es sich um eine Maßnahme, die — überschreitet sie eine für das Gesamtunternehmen relevante Größe — der Mitwirkung der Gesellschafter mit satzungsändernder Mehrheit bedarf, argumentum §§ 29 I, 46, 53 GmbHG. Das gilt um so mehr, als auch die Gesellschafterversammlung der betreffenden Gesellschaft mit Abschluß des betreffenden Vertrages die Autonomie über die erfolgsrelevanten Entscheidungen verliert: zwar kann der eigene Bereich nach wie vor beeinflußt werden, der nicht minder erfolgsrelevante Bereich des anderen Unternehmens dagegen nicht. bb) Ist dieses Ergebnis in sich schlüssig, so kann für die anderen Gestaltungen der hier interessierenden Art nichts anderes gelten. Wie im Aktienrecht ist dann Ausgangspunkt der Gesamtüberlegungen die Teil- und Betriebsgewinngemeinschaft. Da eine solche Gewinngemeinschaft in Tochtergesellschaften und der Austausch von Mitglied39 Brodmann, Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1929, § 3 7 GmbHG Anm. 1; Schilling, in: Hachenburg, Kommentar zum GmbHG, 6. Aufl. 1956, § 3 7 Anm. 3 ; Scholz, Kommentar zum GmbHG, 5. Aufl. 1964, § 37 Anm. 1; Eder, in: Handbuch der GmbH, 3. Aufl., Rz. I, 574.

Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

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schaftsrechten an Tochtergesellschaften nicht anders wirkt, ja das allgemeine Risiko noch auf den Vermögensbereich des betreffenden Unternehmensteils ausgedehnt wird, kann die Lösung für diese Fälle keine andere sein. D a s gilt im GmbH-Recht um so mehr, als der Mangel fast aller konkreter Normen in diesem Bereich insgesamt zu einem betont funktionalen Normverständnis und zu entsprechender Normanwendung zwingt. b) Folgt man dieser Betrachtung erneut, so ist die rechtzeitige Information der Gesellschafter keine besondere Frage mehr: ist ihre Mitwirkung im Hinblick auf §§ 29 I, 46, 53 G m b H G mit satzungsändernder Mehrheit erforderlich, so sichern die Regeln über die Einberufung einerseits ( § § 4 9 , 51 G m b H G ) , diejenigen über das Fragerecht aller Gesellschafter in der Versammlung 4 0 andererseits in ausreichendem Maße das Informationsbedürfnis der Gesellschafter. c) Im übrigen ist § 49 II G m b H G zu beachten, der die Geschäftsführer in Fällen relevanten Umfanges auf jeden Fall zwingt, die Gesellschafter rechtzeitig und vollständig zu informieren.

E. Schlußbetrachtungen /. Teilfusionen werden an Bedeutung zunehmen. Denn die Größe der Unternehmen einerseits, ihre Diversifikation in unterschiedliche Tätigkeitsbereiche andererseits steht der „reinen" und vollständigen Fusion klassischer Form zunehmend entgegen. Teilfusionen geben hier die Chance der Rationalisierung und der Marktbereinigung; auf der anderen Seite sind ihre Gefahren für Markt und Marktordnung ebenso wie für den Einfluß der Gesellschafter der beteiligten Ausgangsunternehmen auf das künftige Geschehen im Gemeinschaftsunternehmen nicht zu übersehen: davon war hier nicht zu handeln. Entscheidend ist hier jedoch die Feststellung, daß der Rückgang der praktischen Bedeutung der förmlichen Fusion und die Übernahme ihrer Aufgaben durch fusionsähnliche Tatbestände und Teilfusionen schon de lege lata nicht zur Beseitigung der Mitentscheidungsbefugnisse der Gesellschafter geführt haben: Teilfusionen von einigermaßen signifikanter Bedeutung für das Gesamtunternehmen unterliegen nach Aktien- und GmbH-Recht sowie nach dem — insoweit allerdings dispositiven — 40

Vgl. Fn. 29.

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Recht der Personengesellschaften der Mitentscheidung der Gesellschafter, im allgemeinen nach den Regeln für die Änderung der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrages. II. Im Rahmen dieser Überlegungen wurde davon ausgegangen, daß die an der Teilfusion beteiligten Unternehmen nur Teile ihres Gesamtbereiches fusionieren, während einer früheren Untersuchung 41 der Fall zugrunde lag, daß die beteiligten Gesellschaften eine volle Verbindung außerhalb der Rechtsfigur einer förmlichen Fusion eingehen (fusionsähnliche Unternehmensverbindung). Naturgemäß ist auch eine Mischung beider Erscheinungsformen derart möglich, daß die Verbindung für die eine der beteiligten Korporationen eine Teilfusion, für die andere dagegen eine volle „fusionsähnliche Unternehmensverbindung" ist. In einem solchen Falle sind für die Fragen des Abschlußtatbestandes auf das letztere Unternehmen die Regeln der „fusionsähnlichen Unternehmensverbindung", auf das erstere die hier entwickelten Grundsätze für Teilfusionen anzuwenden.

" Wie Fn. 29.

Bemerkungen zum Internationalen Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns FREDERICK ALEXANDER M A N N

I. Das internationale Privatrecht der Aktiengesellschaft und insbesondere des Konzerns 1 ist aus zwei Gründen in den Vordergrund des Interesses gerückt. Auf der einen Seite vergeht kein Tag, an dem man nicht über die sog. multinationale Gesellschaft lesen kann. Journalisten haben diesen Begriff in einer völlig ungerechtfertigten, aber für unsere Zeit charakteristischen Weise hochgespielt. Aber auch Juristen haben sich ihm mehr und mehr zugewandt. Nur wenige haben gesehen, daß die spezifischen Schwierigkeiten, zu denen die multinationale Gesellschaft Anlaß gibt, im wesentlichen auf völkerrechtlichem Gebiet liegen. Dagegen waren die kollisionsrechtlichen Fragen des internationalen Konzerns längst erkannt, ja zum großen Teil gelöst, bevor man je von dem irreführenden Begriff der — im Rechtssinn gar nicht vorhandenen — multinationalen Gesellschaft gehört hatte. Wenn man deshalb sich erneut dem internationalen Privatrecht der Aktiengesellschaft zuwendet, so muß dies mit einem Wort der Entschuldigung erfolgen: es handelt sich um nichts anderes als um die Lösung weithin bekannter Probleme und um die Anwendung bekannter Lösungen auf Tatbestände, die quantitativ häufiger geworden, qualitativ jedoch nicht neu sind. 1 N e u e r e deutsche Darstellungen, auf die hier ein f ü r alle M a l verwiesen wird, sind vor allem Fikentscher, M D R 1957, 7 1 ; Koppensteiner, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht (1971); Luchterhandt, Deutsches K o n z e r n recht bei grenzüberschreitenden Konzernverbindungen (1971) ; Immenga und Klocke, Konzernkollisionsrecht, Zeitschrift f ü r Schweizerisches Recht (1973), 27. Es gibt ferner einen aufschlußreichen A u f s a t z v o n Beitzke, Unternehmensverflechtung in E u r o p a und das deutsche Gesellschaftsrecht, der bisher lediglich in italienischer Sprache in Rivista delle società, X I I I (1968), 1088 erschienen ist, der auch in deutscher Sprache in einem Kongreßbericht erscheinen sollte und dessen deutsche Druckbogen dem Verfasser freundlicherweise zur V e r f ü g u n g gestellt waren. Siehe ferner Colloque sur le D r o i t International Privé des Groupes de Sociétés (Genf, 1973). Z u m amerikanischen Recht siehe Baade, R a b e l s Z 1973, 5, dem allerdings in manchen Punkten nicht zugestimmt werden kann und der insbesondere geneigt ist, modische Wandlungen zu ernst zu nehmen, die das internationale Privatrecht in A m e r i k a von Zeit zu Zeit beherrschen, aber im allgemeinen nicht von D a u e r sind.

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Auf der anderen Seite ist die Diskussion dadurch angeregt und gefördert worden, daß nicht nur in einigen Ländern und auch in der E W G Reformvorschläge zum internationalen Konzernrecht vorliegen, sondern daß vor allem audi das am 1. Januar 1966 in Kraft getretene deutsche Aktiengesetz in den §§ 291 ff. das Konzernrecht neu und umfassend geregelt hat. Soweit mindestens eines der verbundenen Unternehmen ein ausländisches ist, entsteht eine Gruppe, die man — ohne Vorteil — als multinationale Gesellschaft bezeichnen mag und die in jedem Fall und mit Notwendigkeit kollisionsrechtliche Probleme aufwirft. So kommt man alsdann zu der allgemeinen Frage des internationalen Konzernrechts, d. h. zu der Frage, welches Recht anwendbar sein soll, wenn etwa keines (oder eines) der verbundenen Unternehmen ein deutsches ist. Die folgende Ubersicht will in diesem allgemeinen Sinn verstanden werden. Das deutsche Aktiengesetz ist nur Paradigma. In erster Linie ist der internationalprivatrechtlich kritische Fall im Auge zu behalten, in dem eine ausländische Gesellschaft vor deutschen Gerichten Ansprüche auf Grund des für sie geltenden ausländischen Aktiengesetzes erhebt.

II. Alle korporationsrechtlichen Fragen — und die Qualifikation erfolgt ausschließlich nach der lex fori — unterstehen dem Personalstatut der Korporation. So selbstverständlich dieser Ausgangspunkt ist, so sehr bedarf es zwecks Vermeidung von Fehlschlüssen einiger Abgrenzungen und Klarstellungen. 1.

Es wäre nicht am Platz, im gegenwärtigen Zusammenhang erneut den Versuch zu unternehmen, das Personalstatut in den relativ seltenen Fällen zu bestimmen, in denen der Sitz der Gesellschaft außerhalb des ausländischen Staates liegt, in dem sie inkorporiert ist. Entgegen einer immer mehr verbreiteten Lehrmeinung 2 und entgegen einer 2 Die Literatur ist zusammengestellt von Grasmann, System des internationalen Gesellsdiaftsrechts (1970, S. 271, Anm. 163). Dazu gehört seitdem Koppensteiner, a. a. O. S. 136. Die praktischen Beobachtungen, die den Verfasser schon vor 20 Jahren (Festschrift für Martin Wolff, S. 282) zu dieser Meinung führten, haben sich seitdem nur verstärkt. Es muß betont werden, daß der Sitz einer deutschen Aktiengesellschaft immer in Deutschland liegen muß, hier das Problem also nicht auftaucht. Auch in der Schweiz zieht die neuere Rechtslehre die Inkorporationstheorie vor: Moser, Festgabe für Bürgi (1971) 284—286, mit weiteren Angaben.

Bemerkungen zum JPR der AG und des Konzerns

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sich mehr und mehr verfestigenden Staatsvertragspraxis 3 steht bekanntlich die kontinentale und vor allem die deutsche Rechtsprechung auf dem Standpunkt der sog. Sitztheorie 4 . Dazu soll hier nur angemerkt werden, daß gerade auf dem Gebiet des internationalen Konzernrechts starke Argumente zugunsten der Gründungstheorie jedenfalls insoweit sprechen, als es sich um die Innenverhältnisse der Gesellschaft und der Aktionäre handelt. Dazu hat sich neuerdings Grasmanrfi mit gewichtigen Darlegungen geäußert, und es darf vielleicht daran erinnert werden, daß es bisher keine Entscheidung gibt, die den doch wohl als absurd zu bezeichnenden Satz billigt, daß etwa eine in England gegründete Gesellschaft, die einen aus dem englischen Aktiengesetz und dem englischen Gesellschaftsvertrag sich ergebenden Anspruch gegen einen Aktionär verfolgt, auf deutsches Recht sich deshalb stützen kann und muß, weil sie den Sitz ihrer Hauptniederlassung nach Deutschland verlegt hat. In England und Amerika beruht die Herrschaft der Gründungstheorie im Innenverhältnis letzten Endes wohl auf dem Gedanken, daß jeder, der Mitglied einer Gesellschaft wird, ein Vertragsverhältnis mit ihr und seinen Mitaktionären schafft, auf Grund dessen er sich der f ü r die Gesellschaft maßgebenden Gesetzgebung sowie der Satzung, den „statuts", den Articles of Association, den bye-laws unterwirft 6 . Aber genau dasselbe gilt auch in Frankreich, wo Loussouarn e t Bredin7 die Lehre in dem Satz zusammenfassen: «en s'intégrant à l'institution les associés se soumettent à la loi de la collectivité dans laquelle ils entrent».

3 Siehe insbesondere Art. X X V (5) des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages (BGBl. 1956 II 487): „Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, gelten als Gesellschaften dieses Vertragsteils." Ähnlich z. B. Art. 15 des deutsch-spanischen Niederlassungsvertrags (BGBl. 1972 II 1041). Andere Staatsverträge machen die Staatsangehörigkeit davon abhängig, daß die Gesellschaft im Gebiet des Vertragsteils sowohl erriditet ist wie ihren Sitz hat; so z. B. Art. VI des deutsch-französischen Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrags (BGBl. 1957 II 1661). Auf den Sitz allein scheint kein Staatsvertrag abzustellen. Die Literatur scheint diese Staatsverträge im allgemeinen zu übergehen. 4 Neuerdings BGHZ 53, 181. Die Ausführungen der Entscheidung sind leider weder differenzierend nodi gründlich. Die angezogenen Vorentscheidungen sind nicht ohne Einschränkung einschlägig. Andere Entscheidungen bleiben unerwähnt. Die Begründung ist dürftig. Das Ergebnis mag — mit anderer Begründung — durchaus richtig sein. 5 Oben Anm. 2. • Zu England vgl. Gower, The Principles of Modern Company Law (3. Aufl., 1969) S. 261; zu Amerika vgl. vor allem die Entscheidung des Supreme Court Roger v. Guaranty Trust Company of New York, 288 U. S. 123 (1933), auf S. 130 per Butler J.

222

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Solche Erwägungen mögen dem deutschen Redit nicht im gleichen Maß geläufig sein, aber ihre Beachtlichkeit ist schwerlich zu leugnen. 2.

Die Herrschaft des Personalstatuts wird ferner — wenigstens im Grundsatz — nicht von Vorschriften berührt, die den Geltungsbereich des deutschen Rechts, den champ d'application abgrenzen. Eine typische Bestimmung enthält § 305 AktGes. : in den dort vorgesehenen Fällen müssen eigene Aktien des herrschenden Unternehmens als Abfindung an die Minderheitsaktionäre der beherrschten Gesellschaft gewährt werden, wenn die herrschende Gesellschaft ihren Sitz im Inland hat. Diese Vorschriften, wie überhaupt Vorschriften dieser Art, sind keine Kollisionsnormen8. Sie kommen nur und erst zum Zug, wenn vorweg entschieden ist, daß deutsches Recht anzuwenden ist. Bejahendenfalls mag deutsches Recht seine eigene Anwendbarkeit ausschließen und ausdrücklich oder stillschweigend ein anderes Recht für anwendbar erklären. Wird aber kollisionsrechtlich überhaupt nicht auf deutsches Recht verwiesen, so entsteht von vornherein keine Möglichkeit oder Gelegenheit, den Geltungsbereich deutschen Rechts abzugrenzen. Mit anderen Worten liegt eine Kollisionsnorm nur vor, soweit die Frage beantwortet wird, welches von mehreren konkurrierenden Rechtssystemen anzuwenden ist. Diese Frage wird von § 305 nicht berührt. Vorschriften der hier behandelten Art werden häufig, aber ungenau als versteckte Kollisionsnormen bezeichnet. Der Ausdruck wird insbesondere von Neuhaus gebraucht und ist unschädlich, führt aber nicht weiter. Es mag sein, daß im Wege der Auslegung eine solche Abgrenzungsnorm zur zweiseitigen Kollisionsnorm erweitert werden kann, etwa folgendermaßen: die Frage, ob das herrschende Unternehmen eine Abfindung durch eigene Aktien zu gewähren hat, richtet sich nach dem Personalstatut des herrschenden Unternehmens. Aber § 305 gestattet gewiß nicht eine solche Auslegung; denn es kann nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, wäre im Gegenteil völlig sinnwidrig und nicht praktikabel, die Frage, ob eine Abfindung zu gewähren ist, dem einen, und die Frage, wie sie zu gewähren ist, einem anderen Recht zu unterstellen9.

Droit du Commerce International (1969), Nr. 365. Es muß hier genügen, auf Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts (1962) S. 49, zu verweisen. Vgl. ferner Mann, Festschrift für Ludwig Raiser (Tübingen, 1974). 9 Zur kollisionsrechtlichen Lösung siehe unten S. 224. 7 8

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3.

Schließlich wird die Herrschaft des Personalstatuts auch nicht durch die geradezu abenteuerliche These gefährdet, nach der „die wirtschaftsrechtlichen Normen eines Staates jeden Sachverhalt ergreifen, der sich auf das Wirtschaftsgebiet des die N o r m aufstellenden Staates auswirkt" 1 0 . Und noch energischer wird die als zweiseitige Kollisionsnorm formulierte These zu verwerfen sein, nach der alle wirtschaftsrechtlichen Fragen dem Recht des Staates unterworfen sein sollen, in dem sich ein Tatbestand auswirkt 11 . Was mit Wirtschaftsrecht gemeint ist und warum es einem Sonderstatut unterliegen soll, ist schlechthin unbegreiflich. Enthält nicht auch § 138 Abs. 2 BGB oder § 89 b H G B eine wirtschaftsrechtliche Norm? Soll etwa auch hier — im Gegensatz zu gefestigter Auffassung — ein Sonderstatut gelten? Welche rechtliche Grundlage, welche innere Berechtigung kann das behauptete Wirkungsprinzip f ü r sich in Anspruch nehmen? § 98 Abs. 2 KartellGes. sollte doch endlich als Sonderfall erkannt werden, der überdies eine unglückliche amerikanische Lehre in das deutsche Recht hineinträgt und dessen rechtliche und rechtspolitische Grundidee dem deutschen Recht fern ist und fernbleiben sollte. Gerade das Konzernrecht ist ein vorzügliches Beispiel f ü r die Undurchführbarkeit des Auswirkungsprinzips in einseitiger oder zweiseitiger Fassung: eine Vielzahl von Rechten wäre — vor allem beim kompliziert konstruierten internationalen Konzern — anzuwenden, weil in jedem dieser Rechte Wirkungen festgestellt werden könnten. Die Rechtsunsicherheit, die so entstehen würde, liegt auf der H a n d und braucht demjenigen nicht nachgewiesen zu werden, der je in der Praxis erfahren hat, zu welchen unannehmbaren Konsequenzen die amerikanische Wirkungslehre im Kartellrecht führen kann, ja geführt hat.

III. Werden somit die korporationsrechtlichen Beziehungen vom Personalstatut der Aktiengesellschaft geregelt, so entsteht im Konzernrecht die weitere Frage, ob die konzernrechtlichen Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, zwischen herrschendem Unternehmen und abhängiger Gesellschaft dem Recht des ersteren oder dem 10

Luchterbandt (oben Anm. 1) S. 76. Habscheid, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, 11 (1973) 69 ff., 71. Zur Lehre vom Sonderstatut vgl. Mann, Eingriffsgesetze und internationales Privatrecht, in Rechtswissenschaft und Gesetzgebung (Festschrift für Eduard Wahl, 1973) S. 156—159. 11

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Recht der letzteren unterworfen sind. Mit anderen Worten, es entsteht die Frage nach der Identität des maßgeblichen Personalstatuts. Man muß sich hier ganz besonders gegen die Tendenz schützen, es handele sich im Sinn des internationalen Privatrechts um neue Probleme. Für dieses Rechtsgebiet ist es von keiner oder nur von höchst geringer Bedeutung, ob der Mehrheitsaktionär ein Unternehmen oder ein Individuum, ja ob der Aktionär, um den es sich dreht, ein Mehrheitsaktionär ist. Wird im Rahmen des internationalen Konzernrechts eine Lösung vorgeschlagen, die von bewährter Lehre abweicht, so sollte man sida fragen: würde diese Lösung audi gelten, wenn die Majorität sich in Händen eines Individuums befände? Und zuweilen sollte man sich fragen: würde dies auch gelten, wenn der Aktionär, sei es allein, sei es mit anderen zusammen, keine Mehrheit darstellen würde? Sollten die Antworten verneinend ausfallen, so wäre darin eine Warnung zu sehen; denn internationalprivatrechtlich dürften die Unterscheidungen, die solche Antworten involvieren, kaum gerechtfertigt sein. Wo es sich um die korporationsrechtlichen Beziehungen zwischen beherrschender und abhängiger Gesellschaft handelt und deshalb das maßgebende Personalstatut zu ermitteln ist, sollte man sich für das Recht der abhängigen Gesellschaft entscheiden12. Das gilt gewiß da, wo das Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionär zu untersuchen ist, mag der Aktionär audi ein Mehrheitsaktionär mit Unternehmenscharakter sein, — eine, wie dargetan, juristisch bedeutungslose Eigenschaft. Die Muttergesellschaft ist Aktionärin der Tochter. Deshalb untersteht das korporationsrechtliche Verhältnis zwischen beiden dem Recht der Tochter, genau wie die Beziehung zwischen Minderheitsaktionär und Tochter dem Recht der letzteren untersteht. Das Ergebnis sollte aber auch dort das gleiche sein, wo die Rechte und Pflichten der Minderheitsaktionäre der abhängigen Gesellschaft im Verhältnis zum Mehrheitsaktionär, nämlich der Muttergesellschaft, zur Debatte stehen. In korporationsrechtlicher Beziehung unterliegt der Aktionär dem Personalstatut der Gesellschaft, deren Aktionär er ist. Niemand kann einen so unsinnigen Satz aufstellen wie den, daß der Minderheitsaktionär sich nach dem Redit des Mehrheitsaktionärs

1 2 In diesem Sinn z. B. Vischer, Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht 1960, 49, 7 1 ; ferner Artikel 3 und 4 der Draft Convention on Conflicts of Law relating to Companies, die von der International Law Association angenommen wurde (Bericht über die 49. Konferenz, Hamburg 1960) S. i x ; Artikel 8 der Draft Convention, die vom Institut de Droit International vorgeschlagen wurde (Annuaire 51 I 2 4 8 ; II 50, auch RabelsZ 1967, 549).

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zu richten hat. Daß dieser ein herrschendes Unternehmen ist, muß rechtlich gleichgültig sein. Wenn man in der Literatur zuweilen von der Maßgeblichkeit des Rechts des Stärkeren gesprochen hat 13 , so mag dies ein Gedanke sein, der in einer gewissen Lage zu einer vernünftigen Lösung führt, aber er drückt nicht ein allgemeines, auch im gegenwärtigen Zusammenhang brauchbares Prinzip aus. Die Geltung des Redits der abhängigen Gesellschaft mag dem Minderheitsaktionär zum Vorteil gereichen, wie etwa in dem Fall, in dem die abhängige Gesellschaft eine deutsche, das herrschende Unternehmen ein schweizerisches ist. Im umgekehrten Fall eines deutschen herrschenden und eines schweizerischen abhängigen Unternehmens würden die Minderheitsaktionäre des letzteren die Anwendbarekit deutschen Rechts vielleicht vorziehen. Aber solche wertenden Uberlegungen sind dem internationalen Privatrecht fremd. Es ist seiner Natur nadi neutral. In keinem Fall könnte man es verstehen, warum die Minderheitsaktionäre einer schweizerischen Gesellschaft einen unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Gewinn aus der Tatsache ziehen sollten, daß eine deutsche Gesellschaft die Mehrheit der Aktien der schweizerischen abhängigen Gesellschaft erwirbt. Es wäre unangemessen, wenn in einem solchen Fall das deutsche Recht sich plötzlich für berufen halten würde, seine Schutzvorschriften auf die Aktionäre einer schweizerischen Gesellschaft zu erstrecken.

IV. Wenn man nunmehr die im Vorstehenden aufgestellten Grundsätze auf die einzelnen Beziehungen korporationsrechtlicher14 Art zwischen den verschiedenen Beteiligten anzuwenden sucht, so empfiehlt es sich, die Fallgruppen auseinanderzuhalten. 1. Die geringsten Schwierigkeiten entstehen im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionär, mag er nun, wie gesagt, Mehrheits- oder Minderheitsaktionär, mag er ein Unternehmen oder ein Individuum sein. Das Personalstatut der Gesellschaft bestimmt ζ. B., ob ein Kegel bei Soergel, Rdz. 246 u. 253 vor Art. 7. Es ist natürlich durchaus möglich, daß im Verhältnis zwischen den versdiiedenen Beteiligten andere Anspruchsgrundlagen zu berücksichtigen sind, insbesondere Ansprüche aus Vertrag, unerlaubter Handlung, ungerechtfertigter Bereicherung usw. Von solchen Ansprüchen ist hier nicht die Rede. 1S

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Aktionär von seinen Leistungspflichten befreit werden (vgl. § 66 AktGes.) oder seine Beitrittserklärung anfechten oder ob er die Ausübung eines Bezugsrechts widerrufen kann; denn wie der österreichische Oberste Gerichtshof in beinahe wörtlicher Ubereinstimmung mit amerikanischen Formulierungen 15 sich ausgedrückt hat, „diese Rechtsverhältnisse können nur einheitlich für alle Aktionäre und nicht nach dem Personalstatut des einzelnen beurteilt werden" 1 6 . Hierher gehören auch die außerordentlich weitgehenden und in europäischen Augen ζ. T. recht bedenklichen Rechte, die das amerikanische Recht der Gesellschaft gegen Aktionäre gibt. So ist ein Aktionär, der mehr als 10 % der Aktien einer amerikanischen Gesellschaft besitzt und während eines Zeitraums von sechs Monaten weitere Aktien kauft und mit Gewinn weiterverkauft, zur Herausgabe des Gewinns an die Gesellschaft verpflichtet. Daß das amerikanische Recht hier selbst dann anwendbar ist, wenn der Aktionär ein Ausländer ist, erscheint durchaus sachgemäß 17 . Nach amerikanischem Recht hat die Gesellschaft auch dann einen Anspruch gegen den Aktionär, wenn dieser von ihr Aktien zu einem besonders günstigen Preis erwirbt. Handelt es sich um eine amerikanische Gesellschaft, so entspricht die Anwendung amerikanischen Rechts auf den Herausgabeanspruch dem Prinzip. Daß aber amerikanisches Recht, wie der Court of Appeals, Second Circuit, entschieden hat 1 8 , auch dann anwendbar sein soll, wenn die Gesellschaft eine kanadische ist, erscheint unhaltbar. Die Begründung beruhte auf der Tatsache, daß die Aktien der kanadischen Gesellschaft auch in New York an der Börse eingeführt waren und daß „Congress intended the Exchange A c t . . . to protect domestic investors who have purchased foreign securities on American exchanges". Aber es handelte sich um eine dem Recht der Gesellschaft unterliegende Frage. Dieses war kanadisch. Für die Anwendung des amerikanischen Rechts war von vornherein kein Raum, und die Absichten des amerikanischen Gesetzgebers konnten deshalb nicht relevant sein. Sodann gehört hierher der Ausgleichs- und Schadensersatzanspruch, der in den Fällen der §§ 311 und 317 AktGes. dem deutschen abhänLeflar, American Conflicts Law (1968) S. 602. Entscheidung vom 2 9 . 1 2 . 1930, Rechtsprechung 1931, 71, auch Schweizerische Juristenzeitung 1931/2, 16. 1 7 In diesem Sinn Roth v. Fund of Funds, 405 F. 2d 241 (1968), Court of Appeals, Second Circuit. 18 Schoenbaum v. Firstbrook, 405 F. 2 d 200, 215 (1968). Zu den Grenzen dieser Entscheidung siehe Leasco Data Processing v. Maxwell, 468 F. 2 d 1326 (1972), at pp. 1333, 1334 per Chief Judge Friendly. 15

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gigen Unternehmen gegen das ausländische herrschende Unternehmen zusteht. Er richtet sich nach dem Redit der abhängigen Gesellschaft und besteht demgemäß nicht, wenn das abhängige Unternehmen ein ausländisches, das herrschende ein deutsches ist und das Redit des ersteren ihn nicht kennt. Was die sonderbaren, dem deutschen Recht eigentümlichen Unternehmens-, insbesondere Beherrschungsverträge i. S. von § 291 AktGes. angeht 19 , so steht es den Parteien frei, im Rahmen der für das Vertragsredht geltenden Parteiautonomie zu handeln, aber die korporationsreditlidie Wirksamkeit (vgl. §§ 293 ff. AktGes.) richtet sich auch hier nach dem Personalstatut der abhängigen Gesellschaft. Ferner bestimmt das Personalstatut der Gesellschaft, ob die korporationsrechtlichen Voraussetzungen — und nur diese — für die Aktionäreigenschaft, ihren Erwerb und ihre Übertragung bestehen. In diesem Sinn ist es richtig, wenn gelehrt wird, das Personalstatut gelte „auch für die Übertragung der Mitgliedschaft" 20 . Dagegen muß man sich darüber im klaren sein, daß trotz dieser mißverständlichen Formulierung, die man audi im Ausland antrifft, der obligatorische Vertrag, der die Übertragung der Aktie vorsieht, wie die rein zivilrechtlichen Voraussetzungen der Übertragung ihrem eigenen Recht folgen, genau so wie etwa der Vertrag des Vormundes vom Personalstatut des Mündels nur insoweit abhängt, als es sich um die personenrechtlichen Voraussetzungen und insbesondere um die vom Personalstatut verlangte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung handelt. Das Personalstatut der Gesellschaft bestimmt demnach ζ. B., ob die Zustimmung zum Erwerb von Namensaktien notwendig oder gültig erteilt ist (vgl. § 62 Abs. 2 AktGes.). Der eindrucksvollste Fall aus der internationalen Praxis ist wohl die begrüßenswerte Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts in der Sache Royal Dutch 2 1 : wenn das Recht der Gesellschaft die Mitgliedschaft von gewissen Nachweisen abhängig macht und beim Fehlen einen Rechtsverlust anordnet, so ist dem Personalstatut Folge zu leisten. Und nunmehr zum gleichen Tatbestand mit besonderer Prägnanz der französische Kassationshof 22 : «les obligations de la société envers ses actionnaires sont régies par la loi nationale de cette société, . . . d'où il suit que cette loi seule 1 9 Am merkwürdigsten ist die Tatsache, daß solche Verträge nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch da vorkommen sollen, wo kein faktischer Konzern besteht, wo also die herrschende Gesellschaft nidit die Aktienmehrheit an der abhängigen Gesellschaft besitzt. Kommt das je vor? 20 Kegel bei Soergel, Rdz. 246, 253 vor Art. 7. 2 1 B G E 80 II 53 (2. Februar 1954). Vgl. Cass. Civ., 25. Januar 1966, Clunet 1966, 631. 2 2 Rev. crit. 1973, 520 mit Anm. Batiffol.

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détermine, quel que soit le pays où les titre sont détenus, les conditions dans lesquelles s'acquiert, se conserve et se perd la qualité d'actionnaire». Schließlich werden die korporationsrechtlichen Beziehungen zwischen Gesellschaft und Aktionär auch dann berührt, wenn es sich um das Problem des Erwerbs eigener Aktien handelt. Dieser Erwerb ist deshalb in der Regel ausgeschlossen oder begrenzt, weil er eine versteckte Kapitalherabsetzung involviert. Seine Zulässigkeit wird deshalb vom Personalstatut der Gesellschaft bestimmt. Aber ist die von einer deutschen herrschenden Gesellschaft abhängige ausländische Gesellschaft in demselben Umfang vom Erwerb der Aktien der ersteren ausgeschlossen, wie dies der Fall wäre, wenn sie eine deutsche Gesellschaft wäre?23 Eine bejahende Antwort wird von vielen24, vor allem von Barz23 gegeben. Dabei beruft man sich beinahe durchweg auf die Notwendigkeit, die Umgehung des deutschen Verbots zu vermeiden. Aber Umgehungsfälle liegen besonders. Man kann ihrer leicht mit bekannten Mitteln Herr werden, ohne Fälle zu treffen, die ganz anders gestaltet sind und bei denen jede Umgehungsabsicht fehlt; man darf nie vergessen, daß eine ausländische Gesellschaft abhängig sein kann, ohne daß das deutsche herrschende Unternehmen Alleinaktionär ist. In Wahrheit wird sorgfältig unterschieden werden müssen. Wenn das Gesetz, wie für den Regelfall etwa § 71 AktGes., lediglich das schuldrechtliche Geschäft für nichtig erklärt, den dinglichen Erwerb jedoch anerkennt, so fehlt es an jedem relevanten Anknüpfungspunkt, der für die ausländische abhängige Aktiengesellschaft das Recht der herrschenden Gesellschaft zur Geltung bringen könnte. Denn weder die abhängige Gesellschaft selbst noch der Vertrag über den Erwerb der Aktien, den sie im Ausland abschließt, untersteht dem Personalstatut der Muttergesellschaft. Wo sodann das Gesetz eine strafrechtliche Norm aufstellt und der abhängigen Gesellschaft gewisse Rechtsgeschäfte verbietet, so dürfte nach allgemeinen Grundsätzen das Verbot keine extraterritoriale Wirkung beanspruchen können. Die Folge ist, daß auch die zivilrechtliche Gültigkeit des vorgenommenen Rechtsgeschäfts, die nur durch eine dem § 134 BGB entsprechende Vorschrift in Frage gestellt werden könnte, nicht zu bezweifeln ist. Wo schließlich das Verbot sich auf den dinglichen Vgl. § 71 Abs. 4 AktGes. Z . B . von Baumbach-Hueck (13. Aufl., 1968) § 7 1 Anm. 21; Lutter im Kölner Kom. § 7 1 Rdz. 76; Koppensteiner, S. 151, 321. Die von Koppensteiner S. 286 ff. ausführlich erörterte Frage, ob § 71 Abs. 4 gilt, wenn eine deutsche Gesellschaft von einer ausländischen beherrscht wird, ist gewiß zu verneinen und braudit gar nicht erst aufgeworfen zu werden. 25 Großkom. § 71 Anm. 34. 23

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Erwerb der Aktien erstreckt, da könnte die abhängige Gesellschaft es deshalb zu beachten haben, weil nach dem eingangs erwähnten Prinzip das Personalstatut der herrschenden Gesellschaft die Voraussetzungen und Bedingungen für den Erwerb ihrer Aktien bestimmt. Diese Erwägung kann dadurch unterstrichen werden, daß es sich im wirtschaftlichen Sinn um eine Art von Kapitalherabsetzung der herrschenden Gesellschaft handelt, wenn die abhängige Gesellschaft Aktien der ersteren kauft. Aus diesen Gründen trifft es zu, daß die herrschende Gesellschaft die Aktionäreigenschaft der abhängigen Gesellschaft nicht anerkennen darf, aber wenn es sich nicht um Namens-, sondern um Inhaberaktien handelt, so richtet sich der Eigentumserwerb der ausländischen abhängigen Gesellschaft ausschließlich nach der lex rei sitae und sollte deshalb überall als wirksam anerkannt werden. Diese Betrachtungsweise entspricht der vom schweizerischen Bundesgericht in einer führenden Entscheidung entwickelten Lehre2®. Dort wird mit Redit unterschieden „zwischen wertpapierrechtlichen Fragen und solchen, die das im Wertpapier verurkundete Rechtsverhältnis als solches betreifen". Das Gericht wandte die lex rei sitae auf den Erwerb des Eigentums an den Aktientiteln, die lex societatis auf „das Grundverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft" an. Der Fall des Erwerbs von Aktien der herrschenden Gesellschaft durch die ausländische abhängige Gesellschaft ist analog zu behandeln. Für die Anwendung von Art. 30 E G B G B ist in keinem Fall Raum 2 7 , 2 8 . 2. Was die rechtlichen Beziehungen zwischen Aktionären als solchen29 angeht, so richten sie sich nach dem Gesellschaftsstatut. Wenn also nach englischem Aktiengesetz der Minderheitsaktionär einer englischen Aktiengesellschaft von der Mehrheit den Ankauf seiner Aktien in dem Fall verlangen kann, daß die Geschäfte der Gesellschaft in einer ihm nicht zumutbaren („oppressive") Weise geführt werden, so gilt für diesen Anspruch englisches Recht 30 . Ebenso unterliegt der Ausgleichs- und Abfindungsanspruch der Minderheit 31 oder der Scha2. Februar, 1954, B G E 80 II 53 (Fall Royal Dutch). Dazu Flechtheim bei Düringer-Hachenburg, § 226 Anm. 43, dem allerdings Barz (oben Anm. 25) widerspricht. 2 8 Daß bei der deutschen herrschenden Gesellschaft die bei der ausländischen abhängigen Gesellschaft liegenden eigenen Aktien für die 10 %> mitzuzählen sind oder daß die Vorstandsmitglieder der ersteren aus § 93 Abs. 3 Nr. 1 haften, ist unbestreitbar und unbestritten. 2 9 Dazu gehört gewiß nicht § 117 AktGes., der deliktsrechtlicher Natur ist. Die Haftung kann nämlich eine Person treffen, die gar nicht Aktionär ist. 3 0 Section 210 des Aktiengesetzes von 1948. 3 1 §§ 304, 305 AktGes. 26

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densersatzanspruch gegen den Mehrheitsaktionär 32 dem Personalstatut der abhängigen Gesellschaft, der sowohl die Mehrheit wie die Minderheit als Mitglieder angehören. Man wird ferner wenigstens das Ergebnis einer interessanten amerikanischen Entscheidung aus dem Jahre 1966 billigen müssen 33 . Der kanadische Hauptaktionär einer amerikanischen Gesellschaft verkaufte sein Aktienpaket in Kanada an einen wahrscheinlich kanadischen Käufer. Nach amerikanischem Recht hatten, wie es scheint, die Minderheitsaktionäre Anspruch darauf, daß auch ihnen die Gelegenheit zum Verkauf zu einem dem Paketzuschlag entsprechenden Preis gegeben würde. Der Klage der Minderheitsaktionäre gegen den verkaufenden Hauptaktionär wurde deshalb mit Recht stattgegeben, weil das Personalstatut der Gesellschaft zur Anwendung kam. Das Gericht stellte allerdings darauf ab, daß die Veräußerung in Kanada sich in mehreren Beziehungen in Amerika ausgewirkt hatte; es qualifizierte also deliktsrechtlich. Diese Begründung entbehrt der Überzeugungskraft. Sie ist gekünstelt und erscheint insbesondere dann unangemessen, wenn das „Delikt" sich nicht im Land der lex societatis auswirkt. Die Grenzen der Herrschaft des Personalstatuts der Gesellschaft werden durch den Stimmbindungsvertrag beleuchtet. Das Motiv für seinen Abschluß ist in der Tatsache zu finden, daß beide Parteien Aktionäre derselben Gesellschaft sind. Aber seine rechtliche Grundlage findet er im Parteiwillen, nicht im Recht der Gesellschaft. Er untersteht deshalb, wie das Reichsgericht mit Recht entschieden hat 3 4 , dem Vertragsstatut. Allerdings kann seine Erfüllung unmöglich sein, wenn dieses ihn zwar gestattet, das Recht der Gesellschaft ihn jedoch verbietet. 3. Daß die Ansprüche gegen Personen, die man als Organe der Gesellschaft bezeichnen kann (Vorstand, Aufsichtsrat, Abschlußprüfer 3 5 ) jedenfalls insoweit nach dem Gesellschaftsstatut zu bemessen sind, als sie von der Gesellschaft geltend gemacht werden, wird kaum Zweifel erwecken. Dasselbe sollte aber wohl auch in den Fällen gelten, in denen Aktionäre der Gesellschaft gegen deren Organe vorgehen können 36 . Die amerikanische Praxis deutet in diese Richtung. Sie vermittelt den Eindruck, daß die gesellschaftsrechtliche Haftung, d. h. § 317 Abs. 1 Satz 2 AktGes. Ferraioli ν. Cantor, 259 F. Supp. 842 (1966). 3 4 RGZ 161, 296 (17. Juni 1939). 3 5 § 4 8 , 93, 117 AktGes. 3« Vgl. ζ. B. § 117 Abs. 1 Satz 2 AktGes.

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die Haftung, die auf der Verbindung des Haftenden mit der Gesellschaft als solcher beruht, weit gefaßt wird und jedes „relational right and duty which grows out of the fact of his being a stockholder" 37 einschließt. Auf der Grundlage einer realistischen Bewertung des Tatbestands sind Vorstand und Aufsichtsrat auch im Verhältnis zu Aktionären als innerhalb des korporationsrechtlichen Rahmens stehend, als „insiders" zu betrachten. So liest man in einer Entscheidung aus dem Jahre 1959, daß die Kollisionsnorm auf das Personalstatut der Gesellschaft überall da verweist, wo es sich darum handelt „to determine the extent and nature of the relationship between corporation and stockholder, corporate officer or director and stockholder, and between stockholders" 38 . Die zweite dieser drei Gruppen ist hier einschlägig. Ihre rechtliche Behandlung scheint gefestigter Praxis zu entsprechen. Auf der anderen Seite dürfte die korporationsrechtliche Haftung der Organe der herrschenden Gesellschaft gegenüber den Aktionären der abhängigen Gesellschaft39 dem Personalstatut der ersteren zu unterwerfen sein. Im Verhältnis zu den Aktionären der Tochtergesellschaft können die Organe der Muttergesellschaft schwerlich als „insiders" zu bezeichnen sein. Die gesellschaftsrechtliche Beziehung ist zu entfernt, ja sie fehlt überhaupt. Wenn das Personalstatut der beiden Gesellschaften verschieden ist, so erscheint es unangebracht, die Organe der Muttergesellschaft dem Recht eines Landes zu unterwerfen, mit dem sie nichts zu tun haben und mit dem sie noch nicht einmal durch Aktienbesitz verbunden sind. 4. Bei der nächsten Gruppe handelt es sich um Ansprüche, die zwar der Gesellschaft gegen Aktionäre, Organe oder Dritte zustehen, die aber von einem Aktionär im Wege der Prozeßstandscbaft zugunsten der Gesellschaft geltend gemacht werden. Hier handelt es sich um das Institut, das die Amerikaner als eine „derivative action" bezeichnen und das auch dem französischen40 sowie dem deutschen Recht bekannt ist 41 . Nach den soeben gemachten Ausführungen würde, wenn die Leflar (oben Anm. 15) S. 602. Mansfield Hardwood Lumber Co. v. Johnson, 268 F. 2d 317 (Fifth Circuit), auf S. 320. Vgl. die überraschend ähnliche Formulierung des Schweizerischen Bundesgerichts in B G E 50 II 51 (57, 5 8 ) : «Or, il va sans dire que soit les rapports des actionnaires entre eux, soit les rapports de la société avec les actionnaires, soit les relations du siège social avec les succursales étrangères sont régis exclusivement par la loi nationale de la société qui so confond avec celle de son domicile.» 3 9 Vgl. § 317 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 AktGes. 40 Loussouarn et Bredin, Droit du Commerce International (1969), S. 450, 451. 4 1 Vgl. z. B. §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4 AktGes. 37

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Gesellschaft selbst den Anspruch verfolgen sollte, gewiß ihr Personalstatut zur Anwendung kommen. Aber gilt das auch, wenn ein Aktionär zugunsten der Gesellschaft klagt? Das Problem, das hier entsteht, liegt darin, daß man die Prozeßstandschaft des klagenden Aktionärs als eine Frage des Prozeßrechts behandeln und deshalb der lex fori unterwerfen könnte. Das würde bedeuten, daß der Aktionär einer englischen Aktiengesellschaft entgegen der im englischen Aktienrecht anerkannten Regel 42 einen Anspruch der Gesellschaft in Deutschland verfolgen könnte, wenn er etwa unter § 309 Abs. 4 AktGes. fällt, daß aber auf der anderen Seite beim Fehlen einer Grundlage im deutschen Recht eine solche Klage selbst dann abzuweisen wäre, wenn das englische Recht sie ausnahmsweise gestatten würde. Die Lösung wird in eindrucksvoller Weise von einer führenden amerikanischen Entscheidung vorgezeichnet 43 . Die Kläger waren Aktionäre einer venezuelanischen Gesellschaft, die amerikanische Ver-· mögenswerte an eine amerikanische Gesellschaft veräußert hatte. Die Klage wurde im Namen der venezuelanischen Gesellschaft gegen den Erwerber erhoben mit dem Ziel, die Vermögensübertragung f ü r nichtig zu erklären. Sie richtete sich zugleich gegen den Vorstand auf Schadensersatz. Die Beklagten wandten ein, daß die Befugnis der Kläger, die Klage gegen den Willen des Vorstands sowie der Mehrheitsaktionäre zu erheben, vom Recht von Venezuela abhänge, dieses aber eine solche Befugnis versage, obwohl sie dem Prozeßrecht von N e w York bekannt war. Somit war die erste Frage, ob das Redit der Minderheitsaktionäre vom Personalstatut der Gesellschaft oder vom Prozeßrecht des Gerichtsstaats abhing. Der Court of Appeals, Second Circuit, entschied im ersteren Sinn. Nach den Darlegungen des Richters Kaufmann war entscheidend, daß die Klage 44 concerns the very nature and quality of their substantive rights, powers and privileges as stockholders of a Venezuelan corporation. The Venezuelan law . . . reflects a deliberate policy that such actions ought to be brought not only when the claims may have merit, but when the stockholders as a body are of the opinion that the corporate welfare is best promoted by suing upon them. The issue is not just "who" may maintain an action or "how" it will be brought, but "if" it will be brought.

So kam man also zur Anwendung der lex societatis, und das erscheint gewiß richtig. Allerdings kann die Folge sein, daß Ansprüche, 42 Sie w i r d im allgemeinen mit der Entscheidung Foss v. Harbottle (1843), 2 H a r e 461 verbunden. Die Regel wird jedoch von vielen Ausnahmen durchbrochen. 43 Hausmann v. Buckley, 299 F. 2d 696 (1962), cert. den. 369 U . S. 885 (1962). 44 S. 701.

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die nach dem Redit des Gerichtsstaats durchsetzbar wären, ausgeschlossen sind, und deshalb entsteht die weitere Frage, ob die lex fori sich etwa auf dem Wege über den ordre public Anwendung verschaffen sollte. Die erwähnte amerikanische Entscheidung hat diese Frage nach eingehender Erörterung mit Recht verneint 45 . Dagegen erscheint es nicht sicher, ob der umgekehrte Fall überall im gleichen Sinn behandelt würde. Wenn das ausländische Personalstatut dem Aktionär den Anspruch auf Leistung an die Gesellschaft zuerkennt, aber das Prozeßrecht des Gerichtsstaates einem Kläger ganz grundsätzlich die Möglichkeit versagt, Leistung an einen Dritten, hier also an die Gesellschaft zu verlangen, so erscheint es nicht unangebracht, der lex fori kraft des ordre public den Vorrang einzuräumen. Der nächste Problemkreis betriift das Recht, nach dem die Frage zu beantworten ist, ob Gläubiger der Gesellschaft zu ihren eigenen Gunsten deren Ansprüche gegen Aktionäre und Organe verfolgen können. Solche Ansprüche können korporationsrechtlicher Natur sein, wie ζ. B. dann, wenn es sich um die Rückforderung zu Unrecht erstatteter Einlagen handelt 46 . Hier bestehen keine Bedenken, die Geltendmachung der Ansprüche gegen den Aktionär durch Gläubiger gemäß der lex societatis zuzulassen; denn der Schuldner wird dadurch, daß er an den Gläubiger statt an die Gesellschaft leistet, nicht der Gefahr der Doppelzahlung ausgesetzt. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Anspruch sich zwar aus dem Aktiengesetz ergibt, aber deliktsrechtlich zu qualifizieren ist. Das gilt etwa für Ansprüche der in § 117 (und wohl auch § 317 Abs. 4) vorgesehenen Art. Man nehme an, ein Engländer, etwa eine Londoner Bank als Kreditgeberin, habe Einfluß auf die deutsche Aktiengesellschaft und benutze ihn in England, um den deutschen Vorstand zu bestimmen, zum Schaden der Gesellschaft zu handeln. Eine Haftung der Bank gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft kann nur nach Deliktsrecht in Betracht kommen. Eine Haftung aus § 117 setzt deshalb voraus, daß die Tat im Sinn des Deliktsrechts in Deutschland begangen ist. Es ist schließlich aber auch denkbar, daß ein Rechtssystem den Gläubiger ermächtigt, vertragliche Ansprüche der Gesellschaft zu verfolgen, und es mag sein, daß § 93 Abs. 5 AktGes. so zu qualifizieren ist. Wenn der Gläubiger Zahlung an sich selbst verlangen kann, so

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S. 705. Für das deutsche Recht vgl. §§ 62 Abs. 2, 93 Abs. 5 AktGes.

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liegt eine vom Gesetz geschaffene Gesamtgläubigerschaft vor 4 7 . Sie beurteilt sich nach dem Schuldstatut, nicht nach dem Recht der Gesellschaft; denn nur so kann der Schuldner gegen die Gefahr der Doppelzahlung geschützt werden. Es besteht eben ein großer materieller Unterschied zwischen einer bloßen Prozeßstandschaft, die zu einer Verurteilung des Schuldners zur Zahlung an die Gesellschaft führt und bei der deshalb jene Gefahr nicht auftauchen kann, und der Gesamtgläubigerschaft, bei der sowohl die Gesellschaft wie jeder Gläubiger klageberechtigt sind, der Schuldner nur einmal zu zahlen verpflichtet ist und sich durch Zahlung an den Gläubiger befreit. Dieses Ergebnis kann nur dadurch gesichert werden, daß es vom Schuldstatut sanktioniert wird. 6. Die weitere Frage lautet: welches Recht bestimmt, ob Gläubiger der Gesellschaft ihre eigenen Ansprüche gegen Aktionäre verfolgen können? Ein solcher Durchgriff dürfte nur da möglich sein48, wo man in der Lage ist, die Existenz der juristischen Person zu ignorieren, sei es auf Grund des Gesetzes, sei es auf Grund der Rechtsprechung. Der Durciigriff setzt also voraus, daß die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft geleugnet werden darf. Dabei macht es keinen prinzipiellen, sondern nur einen Gradunterschied, ob die Rechtsfähigkeit unter allen Umständen und in vollem Umfang oder nur zum Teil oder unter gewissen Vor4 7 Ob in den Fällen der § § 6 2 Abs. 2, 93 Abs. 5, 117 Abs. 5 eine (gesetzlich geschaffene) Gesamtgläubigerschaft vorliegt, ist bestritten, sollte aber seit R G Z 74, 429 ohne Zögern bejaht werden. Die entscheidende Frage ist, ob der klagende Gläubiger auf Zahlung an die Gesellschaft oder an sich selbst klagt. Im letzteren Fall liegt eine (gesetzliche) Gesamtgläubigerschaft vor. Es entbehrt der Logik, wenn vielfach das Recht auf Zahlung an den Gläubiger anerkannt, dennoch aber eine Gesamtgläubigerschaft abgelehnt wird; dieser Fehler wird allerdings vielfach begangen, so ζ. B. von Barz im Großkomm. § 62 Anm. 8 ff.; Baumhach-Hueck, § 62 Anm. 10, 11; § 9 3 Anm. 16; Mertens im Kölner Kom. § 9 3 Rdz. 64, 67, alle mit weiteren Nachweisen. Ebenso schon Flechtheim bei Düringer-Hachenburg, § 217 Anm. 3, 4. Dafür, daß der Gläubiger nicht Zahlung an sich selbst verlangen darf, sondern Zahlung an die Gesellschaft verlangen muß, fehlt jeder Anhalt im Gesetz. Allerdings wird dies von Lutter, Kölner Kom. § 62 Rdz. 28 behauptet; von diesem Ausgangspunkt her ist Lutter wenigstens logisch, wenn er in Rdz. 23 von einer Prozeßstandsdiaft spridit. 4 8 Hier werden die Fälle außer acht gelassen, in denen der Anspruch gegen den Aktionär auf Rechtsgründe allgemeiner Natur, wie Stellvertretung oder unerlaubte Handlung gestützt wird. Die oft besprochene englische Entscheidung Risdon Iron & Locomotive Works v. Furness, [1906] 1 Κ. Β. 49 entschied lediglich, daß der Aktionär einer englischen Gesellschaft haftet, wenn diese in seinem Namen gehandelt hat.

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aussetzungen fehlt. Ist man sich erst über diese Rechtsgrundlage im klaren, so ergibt sich ohne weiteres, daß internationalprivatrechtlich die Antwort im Personalstatut der Gesellschaft zu finden ist. Man wird deshalb in vollem Umfang dem Bundesgerichtshof zustimmen, wenn er erklärt 49 : Ob die Beklagte als einzige Aktionärin der Klägerin für deren Verbindlichkeiten haftet, i s t . . . nach niederländischem Redit zu beurteilen. Denn die Klägerin hat als Aktiengesellschaft ihren Sitz in den Niederlanden, und inwieweit ihr einziger Aktionär für ihre Schulden haftbar gemacht werden kann, hängt von der Tragweite und Bedeutung der ihr nach niederländischem Recht zukommenden Rechtsfähigkeit ab.

Aber das Ergebnis sollte das gleiche sein, wenn es sich nicht um den vielleicht besonders liegenden Fall der Einmanngesellschaft handelt. Nach einer vor beinahe 100 Jahren ergangenen englischen Entscheidung gilt in der Tat das Personalstatut der Gesellschaft für die Frage, ob die Aktionäre einer ausländischen Gesellschaft „are rendered wholly irresponsible or only to a limited extent responsible for the debts a n d engagements o f t h e c o m p a n y " 5 0 .

Die amerikanische Praxis ist seit langem reich an Beispielen für gesetzgeberische Maßnahmen, die unter gewissen Bedingungen zur persönlichen Haftung der Aktionäre führen 51 . Man darf wohl behaupten, daß ganz allgemein von der Maßgeblichkeit des Personalstatuts der Gesellschaft ausgegangen wird; denn wäre das nicht der Fall, so wäre schwerlich Raum für die Fragen, mit denen sich die Praxis vorwiegend beschäftigt hat. Dabei handelt es sich einmal darum, ob der ordre public die Berücksichtigung fremder Gesetzgebung verbietet, die die persönliche Haftbarkeit der Aktionäre begründet, sodann um die Qualifikation dieser Gesetzgebung als Strafnorm, deren extraterritoriale Anwendbarkeit ausgeschlossen wäre. Eine der jüngsten und aufschlußreichsten Entscheidungen ist ein Urteil des höchsten Gerichts von Tennessee aus dem Jahr 1953 5 2 . Nach dem Recht des Staates Arkansas muß die Urkunde, die über die Eintragung und somit über die Entstehung der Gesellschaft ausgestellt wird, bei der Gemeinde des Ortes eingereicht werden, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Unterbleibt die Einreichung, sei es auch nur versehent11. Juli 1957, W M 1957, 1047 (1049). Bateman v. Service, 6 App. Cas. (1881) 386, at p. 389 per Sir Richard Coudi. 5 1 Man darf in diesem Zusammenhang nicht die berühmten Aufsätze unerwähnt lassen, die kein geringerer als Wesley Newcomb Hohfeld zu dem Problem beigesteuert hat: 9 Columbia L. R. 285, 492 (1909); 10 Columbia L. R. 283, 520 (1910). 52 Paper Products Co. v. Doggrell, 261 S . W . 2d 127 (1953); im gleichen Sinn der Court of Appeals, 6th Cir., in Doggrell v. Southern Box Co., 208 F. 2d 310 (1953). 49 50

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lieh, so haften die Aktionäre der Gesellschaft nach der Rechtsprechung der Gerichte von Arkansas für die Gesellschaftsschulden. In einem Fall, in dem die Gläubiger einer Arkansas Gesellschaft gegen einen Aktionär in Tennessee klagten, wurde jene Rechtsprechung mit der Begründung abgelehnt, daß the Arkansas law is c o n t r a r y to the public policy of Tennessee, wherein the rule is t h a t the stockholders a r e not liable f o r the debts of their c o r p o r a t i o n in a case where there has been m a d e a bona fide effort t o c o m p l y with the provisions of law.

Allerdings fährt das Gericht fort, daß das Recht von Arkansas eine Strafe vorsehe, um die Einreichung der Eintragungsurkunde zu erzwingen. Beide Gesichtspunkte entbehren der Berechtigung. Für die Anwendung des heimischen ordre public ist gewiß kein Raum. Es ist Sache des Personalstatuts, die Bedingungen festzulegen, unter denen die beschränkte Haftung des Aktionärs eintritt. Aus demselben Grund kann von einer Strafnorm nicht gesprochen werden 5 3 . 7. So kommt man schließlich zu dem letzten Fall, in dem es sich um Ansprüche von Gesellschaftsgläubigern gegen die Gesellschaft handelt. Solche Ansprüche richten sich nach dem Schuldstatut, also dem Recht des Vertrags, der unerlaubten Handlung usw. Dem Personalstatut der Gesellschaft bleibt in diesem Zusammenhang nur ein ganz geringer Spielraum. Es kommt da zum Zug, wo die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft oder die Vertretungsmacht ihrer Organe 5 4 zur Debatte steht, aber wenn die schuldrechtliche Haftung einmal wirksam begründet ist, dann kann sie nur von dem Schuldstatut eingeschränkt oder erweitert, aufgehoben oder verändert werden. Das gilt selbst da, wo die schuldnerische Gesellschaft mit einer anderen verschmolzen wird. H i e r gehen die Aktiven und Passiven der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende oder die neue Gesellschaft über. Die Vorschriften der §§ 3 4 6 Abs. 3, 353 Abs. 5 AktGes. dürften ein allgemein gültiges Prinzip zum Ausdruck bringen. Die Verschmelzung bewirkt also eine Gesamtrechtsnachfolge. Ein neuer 5 3 Zu dem Gesichtspunkt der Strafnorm siehe insbesondere den Aufsatz von Leflar, 46 Harvard L. R. 193 (1932). Wo die amerikanische Rechtsprechung die Haftung des Aktionärs anerkannt hat, hat sie dies merkwürdigerweise damit begründet, daß die Haftung zwar auf Gesetz beruhe, aber dem Vertrag entspringe, der durch die Zeichnung von Aktien geschlossen werde: Whitman ν. Oxford National Bank, 176 U. S. 559 (1900). 54 Vgl. ζ. B. Kegel bei Soergel, Rdz. 157 ff. vor Art. 7. Auf die Spezialfrage, ob Art. 7 Abs. 3 Satz 1 auf Gesellschaften (analog) anzuwenden ist, ist hier nicht einzugehen. Dazu neuerdings für das schweizerische Recht Moser, Festgabe für Bürgi (1971) 283.

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Schuldner wird substituiert, wie bei der natürlichen Person der Erbe an die Stelle des verstorbenen Schuldners tritt. Daß diese Rechtsfolge sich auch bei juristischen Personen nach dem Personalstatut des Schuldners richtet, erscheint beinahe selbstverständlich, ist aber in einer berühmten Entscheidung des höchsten englischen Gerichts, des House of Lords, ausdrücklich ausgesprochen und eingehend begründet worden 55 . Ein Problem entsteht hier nur dann, wenn das Aktienrecht des Personalstatuts alle oder bestimmte Verbindlichkeiten von der Gesamtrechtsnachfolge von vornherein 56 ausschließt. Hier ist zu unterscheiden: Soweit der Ubergang mit Rücksicht auf die Natur des Rechtsverhältnisses ausgeschlossen ist, ist das Schuldstatut maßgebend. Wenn nach deutschem Recht Dienstverträge und höchstpersönliche Rechtsverhältnisse übergehen 57 , so ist das englische Recht anders 58 . Ein dem englischen Recht unterliegender Dienstvertrag wird also mit der Verschmelzung des deutschen Dienstherrn beendigt. Im übrigen wird jedoch Art. 30 E G B G B eingreifen, und zwar entweder in dem Sinn, daß eine lediglich partielle Verschmelzung nicht anerkannt und die übertragende Gesellschaft als fortbestehend behandelt wird, oder so daß ungeachtet der vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmen sämtliche Verbindlichkeiten als auf die Nachfolgergesellschaft übergegangen gelten. Obwohl man gewiß den Gläubiger nicht des Wahlrechts berauben sollte, wird doch im allgemeinen im letzteren Sinn zu entscheiden sein. Es wäre in der Praxis schwierig und unbefriedigend, die Fiktion des Fortbestehens der übertragenden Gesellschaft durchzuführen. Überdies ist die Verknüpfung der Schuldenhaftung mit dem Übergang der Aktiven ein allgemeiner Rechtsgedanke 59 , der die Haftung der im Besitz der Aktiven befindlichen Nachfolgergesellschaft verlangt. Daß die Auflösung, die ihr folgende Abwicklung (§§ 262, 264 AktGes.) und schließlich der Untergang der Gesellschaft 60 vom PerMetliss v. National Bank of Greece, [1958] A. C. 509. Wenn das Personalstatut der Gesellschaft nach Durchführung der Verschmelzung bestimmte Verbindlichkeiten rückwirkend von dem Übergang ausschließt, so liegt darin eine vertragsrechtlich zu qualifizierende Befreiung des Schuldners, die das Personalstatut nicht zustandebringen kann: so mit Redit das englische House of Lords in Adams v. National Bank of Greece, [ 1 9 6 1 ] A. C. 255. 57 Baumbach-Hueck, § 346 Anm. 8, 9, 10. 58 Nokes v. Doncaster Amalgamated Collieries Ltd., [1940] A. C. 1014. 5 9 Vgl. § 419 BGB, Art. 181 Schweizerisches Obligationenrecht. 6 0 Dies ist oft und in vielen Ländern ausgesprochen worden und bedarf keines Nachweises. Hier muß jedoch ein Wort zu der wenig überzeugend begründeten Entscheidung des R G vom 11. Juli 1934, IPRspr. 1934 Nr. 12 gesagt werden. Es handelte sich um die Klagebefugnis in Deutschland eines englischen Liquidators, der 55

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sonalstatut der Gesellschaft abhängt, ist sicher. Die Vernichtung der Gesellschaft als Konfiskationsmaßnahme hat dagegen zu vielen Zweifeln Anlaß gegeben. Sie r u f t insoweit ein Sonderproblem hervor, als es sich darum handelt, ob und wie das Fortbestehen der vernichteten Gesellschaft fingiert werden kann. Dazu kann und braucht hier nicht Stellung genommen werden 61 . Der Erwähnung bedarf jedoch die weithin vernachlässigte Frage, ob der Gläubiger unter Hinnahme der Vernichtung der Gesellschaft den konfiszierenden ausländischen Staat selbst dann als Gesamtrechtsnachfolger in Anspruch nehmen kann, wenn das Konfiskationsgesetz dies ausschließt, wenn also der fremde Staat, wie dies meist geschehen ist 62 , lediglich die Aktiven nimmt, ohne die Pflicht anzuerkennen, die Passiven zu begleichen. Die Frage sollte auf dem Weg über Art. 30 EGBGB zu bejahen sein. Die Rechtsordnung zivilisierter Staaten verlangt zwingend die H a f t u n g der Aktiven einer Rechtsperson f ü r ihre Passiven; würde man den Übergang der Aktiven allein gestatten, so würde es sich um nichts anderes als einen Fall betrügerischer Verschiebungen handeln. Die einzige Entscheidung, die in diesem Sinn, ja überhaupt zu diesem Problem ergangen zu sein scheint, ist der Genfer Schiedsspruch eines bekannten englischen Anwalts als Alleinschiedsrichter. Während des schwebenden Schiedsverfahrens wurde die Beklagte, eine Aktiengesellschaft in Bangladesh, vernichtet, ihr Aktivvermögen auf den Staat Bangladesh übertragen, aber hinsichtlich der Passiven bestimmt, daß der Staat Bangladesh „ex gratia" darüber befinden werde, inwieweit Zahlung; erfolge. Der Schiedsrichter verurteilte den Staat Bangladesh, indem er auch — mit Recht — den Immunitätseinwand zurückwies; denn sowohl der zu Grunde liegende vertragliche Anspruch des französischen Bauunternehmens wie das vom Staat erworbene Eigentum waren rein kommerzieller Natur, so daß nach schweizerischem (wie nach deutschem63) Recht kein Raum f ü r Immunität gegeben war 6 4 . auf Grund besonderer Bestimmungen des englischen Rechts für die Zweigniederlassung einer vernichteten russischen Aktiengesellschaft bestellt worden war. Das RG erkennt richtig, daß der Liquidator (nur) „für den in England befindlichen Teil einer Vermögensmasse" bestellt worden war und bestellt werden konnte. Außerhalb Englands standen ihm nach englischem Recht keine Rechte zu. 61 Vgl. allgemein Mann, RabelsZ 1962, 1 und die dort zitierte Literatur. 62 Soweit es sich um Banken handelte, hat allerdings die russische Gesetzgebung, was o f t übersehen wurde, im Jahre 1917 alle Aktiven und Passiven auf die Staatsbank und 1920 auf den Staat übertragen: siehe die Texte in Russian Commercial & Industrial Bank v. Comptair d'Escompte de Mulhouse, [1925] A. C. 112, 120—123. 63 BVerfG 16, 27. β4 Der Schiedsspruch wird demnächst in den International Law Reports veröffentlicht.

Das Aktienpaket Teilaspekt einer Veränderung des Rechts HEINZ MAYER-WEGELIN

1. Das Wort Aktienpaket entstammt dem Bank- und Börsenjargon. Vermutlich haben es die Bündel der Streifbandverwahrung in den Depotabteilungen angeregt. Es ist kein Rechtsbegriff. Gleichwohl wird das, was üblicherweise als Aktienpaket verstanden wird, nämlich die langfristige Anhäufung von Aktien desselben Ausstellers in einer Hand und der dadurch gesteigerte Einfluß, zunehmend auch rechtlich definiert und geregelt. Zunächst hatte nur das Steuerrecht, das oft als erstes Konsequenzen aus den Entwicklungen des Wirtschaftslebens zieht, sowohl die Höherbewertung einer über 25 % hinausgehenden Beteiligung als auch das sog. Schachtelprivileg entwickelt. Das Kapitalanlagegesetz von 1957, ausgerichtet auf Verteilung des Risikos durch Mischung der Geldanlage, sorgte für Höchstgrenzen bei der Paketbildung in Investmentfonds. Dann baute das Aktiengesetz von 1965 den Schutz der Minderheiten und der Gläubiger gegenüber Paketbesitzern aus. Es folgte 1973 die Einführung einer Konzentrations- und Fusionskontrolle durch die 2. Novelle zum Kartellgesetz (GWB), nachdem das ursprüngliche Kartellgesetz (1957) nur eine (durch die 1. Novelle von 1965 verstärkte) Pflicht zur Anzeige u. a. von Paketbildungen von und über 25 %> normiert hatte, ohne aber der Kartellbehörde Möglichkeiten zu Eingriffen zu geben. Neuerdings werden in die Beratungen über die Mitbestimmung und über die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand Pläne eingeführt, die letztlich auf die Bildung von Aktienpaketen hinauslaufen und neben einer grundlegend veränderten Gewinnverteilung eine aktienrechtliche Neuheit entwickeln wollen, nämlich eine institutionalisierte Trennung des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien von deren Stimmrecht. Es liegt auf der Hand, daß diese Entwicklung von lebhaften Diskussionen begleitet war und ist. Dieser Aufsatz greift nicht in die Auseinandersetzung ein, weder pro noch contra. Für die rechtliche Auseinandersetzung kommt es darauf an, die in verschiedenen Gesetzen normierten Grundsätze sowie die sich aus ihrer zeitlichen Reihenfolge abzeichnende Rechtsentwicklung zu analysieren und dann eine Vorausschau zu wagen, welche weiteren Veränderungen sich aus den neuen Plänen ankündigen könnten. Dies allein ist die Absicht dieses Aufsatzes.

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Um die Betrachtung von unwesentlichen Randerscheinungen zu entlasten, wird nur von solchen Aktien bzw. von Paketen aus solchen Aktien gesprochen, die zum amtlichen Handel oder zum Freiverkehr an einer deutschen Börse zugelassen sind. Stimmrechtlose Vorzugsaktien werden nicht berücksichtigt, da sie in Gewinnjahren keine wesentlichen Einflußmöglichkeiten gewähren.

2. Das „Aktienpaket" kann kein exakter Rechtsbegrifï sein, weil es qualitativ und quantitativ auf mehrfache Weise abgrenzbar ist. Das Sachregister zum Großkommentar des Aktiengesetzes enthält nicht das Stichwort Aktienpaket, sondern nur das Stichwort Paketzuschlag, um an der vermerkten Stelle das Hauptmerkmal der Aktienpakete treffend zu umschreiben: Für die Veräußerung von Aktienpaketen, die eine qualifizierte Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligung geben, seien, weil hier die geschlossene Beteiligung einen Mehrwert gegenüber der Summe der einzelnen Aktien darstelle, in der Praxis Zuschläge zum Börsenkurs (Paketzuschläge) üblich. Das werterhöhende Gewicht des zusammengefaßten Stimmrechts kann sich in der Regel nur auswirken, wenn die Zusammenfassung langfristig, wenn nicht überhaupt auf Dauer bestehen bleibt. In der Tat dürften die bewußt gebildeten Aktienpakete dauerhaft zugeschnürt geblieben sein. Das war ein zweites Merkmal, das allerdings durch die 2. Kartellgesetz-Novelle aufgeweicht wurde. Diese beiden Hauptmerkmale könnten der qualitativen Abgrenzung des Begriffs Aktienpaket dienen, sind aber nur andeutungsweise normiert. Das Merkmal des erhöhten Einflusses durch Zusammenfassung des Stimmrechts kommt nur indirekt zum Ausdruck. Das Aktiengesetz spricht ζ. B. von in Mehrheitsbesitz stehenden oder von mit Mehrheit beteiligten Unternehmen (§§ 15 bis 17), oder vom Besitz von mehr als dem vierten Teil der Anteile (§21) oder überhaupt von Beteiligung (§§ 21, 22). Bemerkenswert ist der — wiederum aus dem Bank- und Börsenjargon übernommene — Ausdruck „außenstehende Aktionäre" in §§ 304 bis 307. Er bezeichnet anschaulich die Lage der Minderheitsaktionäre als außenstehend, womit umgekehrt gesagt ist, daß der oder die Inhaber des Mehrheitspaketes innen stehen, nämlich im Zentrum des unternehmerischen Geschehens, der Informationen und der Vorentscheidungen. Bemerkenswert ist ferner, daß zwar auch die amtliche Begründung des Aktiengesetz-Entwurfs den Ausdruck Aktienpaket meidet, daß aber der Bericht des Rechtsausschusses zu §§ 20, 21

Das Aktienpaket. Teilaspekt einer Veränderung des Redits

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(BT-Drucks. IV/3296) mehrfach die Worte Paket und Aktienpaket gebraucht. Die langfristige Geschlossenheit eines Aktienpaketes liegt auf der Hand, wenn der im Paket verkörperte Einfluß ergänzt wird durch vertragliche Bindungen zu gemeinsamer Tätigkeit und Organisation, ζ. B. durch Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge (§§ 291 ff. AktGes.). Ob audi bei Paketen im Besitze von Kreditinstituten, Versicherungsgesellschaften oder anderen Kapitalsammelstellen an eine langfristige Geschlossenheit gedacht ist, kann nicht generell gesagt werden. Der Sprecher einer Großbank bezeichnete industrielle Beteiligungen einer Bank als Handelsgrößen; die Veräußerung an qualifizierte Interessenten werde immer geprüft (FAZ v. 16. 5. 73). Der Jahresbericht 1972/73 des Bundesverbandes Deutscher Banken widmet diesem Thema einen besonderen Abschnitt (S. 12 bis 13). Unter Hinweis auf das Ergebnis der Konzentrationsenquete 1964 wird zunächst betont, daß der Aktienbesitz der Banken nur etwa 4 % des Aktienkapitals aller deutschen Aktiengesellschaften ausmache. Gleichwohl kann der Einfluß einer Bank bei einzelnen Aktiengesellschaften kraft Paketbesitzes wesentlich größer, womöglich dominierend sein. Manche heute wertvolle Beteiligung, sagt der Bericht, sei aus eingefrorenen Krediten, aus der Verwertung von Sicherheiten, aus Sanierungshilfe oder auch als Vermögensanlage entstanden; im letzteren Falle um eine differenzierte Zusammensetzung der Aktiva der Bank zu erreichen. Auch seien manche Schachtelbeteiligungen unter dem Ertragsgesichtspunkt zu verstehen, da es steuerlich vorteilhaft sei, einen Aktienbesitz auf 25 % aufzustocken. Mehr denn je seien die Banken daran interessiert, Beteiligungen abzugeben und diese „nach Möglichkeit wieder in Streubesitz zu placieren". Diese Möglichkeit sei aber eingeschränkt, da oft ein bei der Veräußerung aufscheinender Buchgewinn eine prohibitiv wirkende Steuerbelastung auslöse und der Vorteil der Schachtelbesteuerung verloren gehe; der Gesetzgeber möge diese Barrieren beseitigen. Hier tritt ein Widerspruch zwischen wirtschaftlichen Absichten und steuerlichen Hemmungen zutage. Die Abhilfe sollte aus zwei Gründen nicht auf sich warten lassen: Einmal sollten Kreditinstitute, die — gestützt auf viele kleine Einlagen aus dem Publikum — ein einzelnes Aktienpaket entstehen lassen konnten, aus welchen Gründen auch immer, ermuntert sein, nach vollzogener Sanierung oder Reorganisation diese Aktien nach und nach wieder dem Publikum zuzuführen. Zum anderen ist es seit dem Inkrafttreten der Zweiten KartellgesetzNovelle (5. 8. 1973) nicht mehr in allen Fällen in das Belieben des Paketinhabers gestellt, ob das Paket langfristig verschnürt bleiben soll. Es kann als wettbewerbsbeschränkender oder marktbeherrschender Zusammenschluß gewertet werden, und das in §§ 24, 24 a GWB

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geregelte Verfahren kann dazu führen, daß es auf Anordnung der Kartellbehörde wieder aufgeschnürt werden muß. Diese neue Rechtslage hat die qualitative Bedeutung des herkömmlichen Begriffs Aktienpaket verändert. Darüber wird im übernächsten Abschnitt 4 zu sprechen sein.

3. Ähnlich wie bei der qualitativen Abgrenzung sind die Merkmale der quantitativen Abgrenzung sehr differenziert und können nur im Zusammenhang gesehen werden. Sie beginnen beim zwanzigsten Teil des Grundkapitals, also bei 5 % , dessen Inhaber unter Angabe der Gründe die Einberufung einer Hauptversammlung verlangen können (§ 122 AktGes.) Auf gleicher Höhe liegt das Recht, Gegenstände für die Tagesordnung der Hauptversammlung zu benennen und bekanntmachen zu lassen. Diese Rechte sind zwar nicht zu übersehen, sie gewähren jedoch keinen zwingenden Druck auf die Beschlußfassung. Wohl aber verhindert das Festhalten an einem Besitz von mehr als 5 % des Grundkapitals die Eingliederung durch Mehrheitsbeschluß (§ 320 AktGes.). Danach folgt die Grenze von 25 %>, maßgebend für das steuerliche Schachtelprivileg, dessen Einzelheiten hier nicht zu erörtern sind, zumal sie sich mehrfach geändert haben. Bemerkenswert ist, daß auch der Ausdruck „Schachtel" der Verpackungstechnik entnommen ist, was auf eine unterschwellige Überzeugung von der dauerhaften Geschlossenheit eines einmal gebildeten Aktienpaketes deutet. Die Grenze von 25 »/o ist jedoch nur steuerlich bedeutsam, nicht für einen besonderen Einfluß auf Geschäftsleitung und Hauptversammlung. Dazu, nämlich zur Verhinderung von Beschlüssen, die eine Mehrheit von 75 °/o erfordern, genügt die „Schachtel" nicht. Dazu gehören vielmehr 25 °/o plus eine Stimme. Erst jetzt folgen die machtspendenden Pakete von mehr als 50 % für die regelmäßig benötigten Mehrheitsbeschlüsse und von 75 °/o zur Durchsetzung von Satzungsänderungen, Fusionen und Unternehmensverträgen (Beherrschungs-, Gewinnabführungs-, Gewinngemeinschafts-, Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge, §§ 291 ff. AktGes.), alle freilich in den Grenzen des entsprechenden Minderheitenschutzes. In dem hier behandelten Zusammenhang ist die Schutzbestimmung des § 305 AktGes. bemerkenswert, wonach Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge die Verpflichtung des oder der Paketinhaber enthalten müssen, auf Verlangen des „außenstehenden Aktionärs" dessen Aktien gegen eine angemessene Abfindung zu erwerben. Wenn der „Außenstehende" also resigniert und

D a s Aktienpaket. Teilaspekt einer Veränderung des Rechts

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von diesem Recht Gebrauch macht, trägt er zur Vergrößerung des Paketes bei. Schließlich erlaubt ein Mehrheitsbesitz von 95 °/o die Eingliederung durch Mehrheitsbeschluß (§ 320 AktGes.). In diesem Falle gehen die restlichen 5 % der „außenstehenden Aktionäre" automatisch auf den Paketinhaber über; als Abfindung werden Aktien der eingliedernden Gesellschaft gegeben. Beim Verhältnis von 95 : 5 endet also nach dem Willen des Aktiengesetzes ein weitergehendes Schutz- oder Sperrinteresse der Minderheit. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die quantitativen Merkmale von Aktienpaketen so mannigfach sind, daß sie keine Normung des Wortes erlauben.

4. Daß die Bildung und Übertragung von Aktienpaketen Konzentrationen einleiten oder beschleunigen kann, wurde nicht nur in den Beratungen über die Novellierung des Kartellgesetzes (GWB) erörtert; dieses Thema spielte — wie der Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drucks. IV/171 A) zur Meldepflicht beschreibt — auch in der Beratung des Aktiengesetzes eine Rolle, aber keine ausschlaggebende. Die neueingeführte Pflicht zur Meldung von Beteiligungen von mehr als 25 % oder 50 % (§§ 20, 21 AktGes.) solle lediglich die Aktionäre, die Gläubiger und andere Beteiligte über das Vorhandensein eines Großaktionärs und über vorhandene oder sich bildende Aktienpakete unterrichten, denn der Großaktionär könne mit seinem geschlossenen Paket maßgebenden oder gar beherrschenden Einfluß ausüben. Dadurch habe die Gesellschaft eine wesentlich andere Struktur als bei breiter Aktienstreuung. Etwaige konzentrationshemmende Wirkungen der Mitteilungspflicht seien Nebenwirkungen. Das Aktiengesetz sei konzentrationsneutral. Maßnahmen gegen Unternehmenskonzentration seien Aufgabe des Kartellrechts. Obwohl im gleichen Jahr 1965 neben dem Aktiengesetz die Erste Novelle zum Kartellgesetz erlassen wurde, begnügte sich hier der Gesetzgeber mit einer Erweiterung der — bereits in der ursprünglichen Fassung des Kartellgesetzes von 1957 enthaltenen — Meldepflicht konzentrationsträchtiger Vorgänge. Erst die Zweite Novelle zum Kartellgesetz von 1973 gab der Kartellbehörde die Möglichkeit zum Eingreifen bei Zusammenschlüssen (§§ 23 bis 24 b GWB n. F.). Zu den sog. Zusammenschlüssen gehört auch die Bildung von Aktienpaketen, die jedesmal anzuzeigen ist, wenn das Paket 25 % oder 50 % erreicht, und nochmals wenn 50 % überschritten werden. Beim planmäßigen Zusammenwirken mehrerer Unternehmen in der Ab-

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sieht, gemeinsam einen beherrschenden Einfluß auf ein beteiligtes Unternehmen auszuüben (sog. Mehrmüttergesellschaften), können die für die Meldepflicht maßgebenden Merkmale zusammengerechnet werden. Die amtliche Begründung zur Zweiten Kartellgesetz-Novelle sagt (BR-Drucks. 265/71 S. 26), die relevanten Beteiligungsstufen, insbesondere diejenige von 50 % , seien in die Meldepflicht aufgenommen worden, weil diese Art immer häufiger zur Verflechtung von Unternehmen verwendet werde; demgegenüber sei auf die Beteiligungsstufe von 75 % verzichtet worden, weil die Erhöhung einer bereits bestehenden Mehrheitsbeteiligung wettbewerbspolitisch nicht mehr von so großer Bedeutung sei. Das Bundeskartellamt kann den Zusammenschluß, hier also die Paketbildung, „untersagen", wenn zu erwarten ist, daß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Die beteiligten Unternehmen können den Gegenbeweis antreten, daß der Zusammenschluß (Paketbildung) die Wettbewerbsbedingungen verbessere und daß diese Verbesserung die Nachteile der Marktbeherrschung überwiege. (An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Zweite Novelle zum Kartellgesetz auch die Voraussetzungen erweitert hat, unter denen ein Unternehmen als marktbeherrschend angesehen werden kann, § 22 GWB n. F.) Auch ein bereits vollzogener Zusammenschluß, ζ. B. eine bereits vollzogene Paketbildung in den vorgenannten Größen, kann innerhalb eines Jahres seit Eingang der vollständigen Anzeige untersagt werden. Die Untersagung bedeutet, daß noch nicht vollzogene Zusammenschlüsse nicht vollzogen werden dürfen (auch die Mitwirkung ist unzulässig) und daß bereits vollzogene Zusammenschlüsse aufzulösen sind. Rechtsgeschäfte, die gegen die Untersagung verstoßen, sind unwirksam und ordnungswidrig. Gegen die Untersagung durch das Bundeskartellamt kann innerhalb eines Monats der Bundesminister für Wirtschaft angerufen werden, der den untersagten Zusammenschluß (hier die untersagte Paketbildung) doch noch erlauben kann, „wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist". Die Erlaubnis kann mit Beschränkungen oder Auflagen verbunden werden, die aber nicht eine „laufende Verhaltenskontrolle" der beteiligten Unternehmen bewirken dürfen. Ein besonderes Verfahren ermöglicht, den beabsichtigten Zusammenschluß oder Beteiligungserwerb vorher anzukündigen und prüfen zu lassen. Schließlich hat die Zweite Kartellgesetznovelle eine fünfköpfige Monopolkommission (§ 24 b GWB) gebildet, die regelmäßig Gutachten über die Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der BRD und über die Anwendung der Fusionskontrolle erstellen soll.

D a s A k t i e n p a k e t . Teilaspekt einer V e r ä n d e r u n g des Rechts

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Die Novelle ist zu jung, als daß man hier bereits ihre Auswirkungen auf Paketbildungen beschreiben könnte. Man wird unterscheiden müssen zwischen der Bildung von Aktienpaketen (also von Beteiligungen) durch Wettbewerber, auch potentielle Wettbewerber, und der Bildung von Aktienpaketen durch Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften oder ähnliche im relevanten Markt unbeteiligte Kapitalsammelstellen. Im ersten Fall liegt es nahe, in der Paketbildung die ersten Schritte zu einer Konzentration oder Konzernbildung zu sehen. Im zweiten Fall erscheint die Paketbildung wettbewerbsneutral, solange nicht diese Paketbesitzer gleichzeitig Beteiligungen an anderen Unternehmen auf- und ausbauen, die im gleichen relevanten Markt tätig sind, oder auf andere Art ihr zunächst wettbewerbsneutrales Paket mit dem relevanten Markt in Beziehung setzen. Auch das würde die Paketbildung nicht unbedingt auflösungsreif machen, aber voraussichtlich Auskunftsbegehren und Prüfungen der Kartellbehörde auslösen. Damit wurde das Aktienrecht und das Aktienwesen bedeutsam fortentwickelt. Es steht nicht mehr im freien Ermessen des Unternehmer-Aktionärs, eine „Schachtel", eine Parität oder eine Majorität zu bilden, zu vergrößern, zu behalten, zu übertragen oder in einer Fusion aufgehen zu lassen. Ein Aktienpaket, das diese Größen erreicht, bleibt nicht mehr zugeschnürt, solange es der Paketbesitzer nicht aufschnüren will. Es muß andererseits nicht unbedingt wieder aufgeschnürt werden, denn die Kartellbehörde kann nach § 24 Abs. 6 G W B einen beanstandeten „Zusammenschluß" auch auf andere Weise als durch Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes unschädlich machen, wenn sich damit befriedigende Wettbewerbsverhältnisse herstellen lassen. Aber selbst wenn eine anderweite Regelung im Einvernehmen zwischen Kartellbehörde und Paketbesitzer — auch das ist möglich — getroffen wird, so ist eben der Paketbesitzer nicht mehr allein verfügungsberechtigt. Die Kartellbehörde spricht mit. Hier öffnet sich ihr ein weites Feld.

5. Eine besondere Art kleinerer Aktienpakete hat das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften vom 16. 4. 1957 / 6. 9. 1965 (BGBl. 1957, 378; 1965, 1185) entstehen lassen. Sie sind aber keine Machtinstrumente und können es für sich allein auch nicht werden, da das Gesetz Grenzen setzt. Die Investmentfonds können Wertpapiere desselben Ausstellers nur im Wert bis zu 5 °/o (ausnahmsweise bis zu 7,5 %>) des kaufenden Sondervermögens erwerben und in allen von ihnen ver-

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walteten Sondervermögen Aktien desselben Ausstellers nur bis zu 5 °/o des Nennkapitals (bei Mehrstimmrechtsaktien bis zu 5°/« der gesamten Stimmrechte) besitzen. Diese Grenzen dürfen zwar beim Bezug von Freiaktien oder jungen Aktien überschritten werden, doch ist der Bestand in diesem Falle binnen 6 Monaten wieder auf die Höchstbeträge zurückzuführen. Wenn diese Investment-Pakete auch klein sind und klein bleiben müssen, ist es dodi nicht auszuschließen, daß der Fonds beim Verkauf einen Paketzuschlag erzielt. Das Gesetz regt ihn sogar an, da es beim Verkauf „mindestens zum Tageskurs" vorschreibt ( § 1 1 Abs. 5). Auch kann der Fondsvertreter in den Hauptversammlungen der betreffenden Aktiengesellschaften ein willkommener Partner sein, um sich mit anderen Minoritäten oder Depotstimmrechten abzustimmen und durch gleichförmiges Verhalten eine qualifizierte Zahl von Stimmrechten zu sichern, es sei denn, dies würde gegen die Pflicht zur Wahrung der Interessen der Anteilseigner verstoßen (§ 9). Darüber hinaus ist das Verhältnis der Anteilseigner als Geldgeber und als wirtschaftliche Eigentümer zu den in den Sondervermögen der Kapitalanlagegesellschaften liegenden Aktien durch Besonderheiten gekennzeichnet, die sich aus der Aufgabe der Investmentfonds, Kapitalanlage mit breiter und wechselnder Risikomischung zu vermitteln, zwangsläufig ergeben. Das Eigentum an den in den Sondervermögen liegenden Wertpapieren ist — je nach den Vertragsbedingungen, die das Rechtsverhältnis zwischen der Kapitalanlagegesellschaft und den Anteilseignern bestimmen — entweder Eigentum der Kapitalanlagegesellschaft oder Miteigentum der Anteilseigner, in jedem Fall eine Geldanlage „im eigenen Namen für gemeinschaftliche Rechnung der Einleger nach dem Grundsatz der Risikomischung" (§ 1). Die Kapitalanlagegesellschaft muß sich in der Anwesenheitsliste der Hauptversammlung als Vertreter des Rechts eines anderen („Fremdbesitz") deklarieren. Die Ausübung des Stimmrechts steht der Kapitalanlagegesellschaft kraft Gesetzes zu (§ 8), das sogar von der schriftlichen Vollmacht entbindet. Diese Stimmrechtsregelung ist aus Gründen der Praktikabilität nötig. Gleichwohl handelt es sich erstmals um eine gesetzlich geregelte Trennung des Stimmrechts vom wirtschaftlichen Eigentum an der Aktie. Das völlig anders geartete Depotstimmrecht beruht auf Auftrag und Vollmacht, ist nicht zwingend, da jeder Depotkunde eine persönliche Eintritts- und Stimmkarte für die Hauptversammlung verlangen kann, und ist auf jeweils 15 Monate befristet. Das Stimmrecht für die im Sondervermögen einer Kapitalanlagegesellschaft liegenden Aktien ist dagegen für die Dauer der Zugehörigkeit zum Fonds getrennt und kehrt erst dann zum wirtschaftlichen Eigentümer

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zurück, wenn der Fonds diese Aktien veräußert. Der Anteilseigner billigt dies, denn ihm kommt es beim Erwerb des Anteils auf die Risikomischung an, und er weiß, daß er den Anteil jederzeit verkaufen kann. So bleibt hier die Trennung von Stimmrecht und wirtschaftlichem Eigentum eine in ihren Auswirkungen unbedeutende Besonderheit des Rechts der Kapitalanlagegesellschaften. Versucht man aber, aus der Abtrennung des Stimmrechts, wie im nächsten Abschnitt 6 zu beschreiben sein wird, ein gesellschaftspolitisches Prinzip zu machen, nämlich eine Institutionalisierung von Stimmrechtblocks, so wird man von einem Umbruch sprechen müssen.

6. In der Tat würden die Dimensionen der Aktienpakete und Stimmrechtblocks, die sich nach den Vorschlägen des D G B zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerfonds bilden sollen, in eine kaum abschätzbare Größenordnung wachsen. Diese Pläne sind noch nicht in der parlamentarischen Debatte; aber es stehen so starke Kräfte dahinter, daß die Betrachtung der rechtlichen Interdependenzen rund um alles, was man üblicherweise unter Aktienpaketen versteht, unvollständig wäre, wenn sie nicht die zwangsläufigen Veränderungen des Aktienund Kartellrechts einbeziehen würde, die eine Verwirklichung dieser oder ähnlicher Pläne bewirken müßte. Andererseits nimmt dieser Aufsatz auch hier nicht Stellung zum wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Hintergrund dieser Pläne und der durch sie ausgelösten Kontroversen. Eine Vorausschau auf die möglichen rechtlichen Veränderungen hat von der Struktur der DGB-Vorschläge auszugehen, wie sie sich in dem offiziellen Text und seinen Erläuterungen, in der Besprechung von Wilfrid Höhnen „Vermögenspolitik, Methoden und Pläne" (Heft 2 bis 3, 1972 der Zeitschrift Das Mitbestimmungsgespräch) und in dem Buch „Zwischen Marx und Markt" von Staatssekretär a. D. Ehrenberg (Sozietäts-Verlag 1973, S. 233 f.) darstellen. Das Hauptziel dieser Vorschläge ist es, wie Ehrenberg formuliert, für die Arbeitnehmer den Zugang zum Produktivvermögen zu öffnen. Höhnen führt einleitend aus: „ . . . Von der Sparpolitik ist die Beteiligungspolitik zu unterscheiden. Darunter sollen hier alle vermögenspolitischen Maßnahmen auf der Grundlage einer investiven (oder auch vermögenswirksamen) Gewinnbeteiligung verstanden werden. Ihnen liegt der Gedanke zugrunde, daß die Bildung neuen Produktionsvermögens (Selbstfinanzierung) die Hauptursache der Vermögenskonzentration darstellt, solange die Gewinne allein den

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jetzigen Kapitaleigentümern zufließen. Daher wird vorgeschlagen, die Arbeitnehmer durch Kapitalanteile in Höhe einer bestimmten Gewinnbeteiligungsquote an den Vermögenszuwächsen der Unternehmen zu beteiligen . . . " Alle Unternehmen mit einem Jahresgewinn über 200 000 D M sollen Beteiligungswerte (Aktiengesellschaften also Aktien) in Höhe von 4 bis 15 % des Gewinns an Arbeitnehmerfonds abführen, die in der Rechtsform von Körperschaften des öffentlichen Rechts oder von Stiftungen gebildet werden. Die Fonds geben dann unentgeltlich Zertifikate an alle Arbeitnehmer, deren zu versteuerndes Jahreseinkommen 24 000 D M (Ledige) bzw. 48 000 D M (Verheiratete) nicht übersteigt. Die Abführung der Beteiligungswerte durch die Unternehmen an die Fonds soll — nach einem Vorschlag — nur in Ausnahmefällen, — nach einem anderen Vorschlag — wahlweise durch Geldzahlung abgelöst werden können. Die Geschäftsleitung der Fonds obliegt einem Vorstand, der durch einen Aufsichtsrat bestellt wird, den wiederum (unter Beteiligung des öffentlichen Interesses) Delegierte der Zertifikat-Inhaber wählen. Millionen von ZertifikatInhabern wählen also regional ihre Delegierten. Ehrenberg sagt hierzu: „Die zur Verwaltung und Verteilung der Vermögenstitel gewählte Konstruktion stellt sicher, daß bei den Arbeitnehmerfonds nicht neue anonyme Machtzusammenballungen entstehen, sondern daß hier die Vielzahl der Anteilseigner über entsprechende Wahlverfahren die Kontrollorgane der Fonds besetzen und damit die ,Richtlinien der Geschäftspolitik' bestimmen." Die Zertifikate sollen nur nach langen Sperrfristen veräußerlich sein (an die Fonds oder an der Börse), etwa nach 7 oder 10 Jahren. Nach der Begründung des DGB-Vorschlages haben die Aktiengesellschaften „in der Höhe der auf sie entfallenden Abführungsquote und unter Berücksichtigung des A k t i e n k u r s e s . . . Kapitalanteile zu übertragen. Zu diesem Zweck müssen sie ihr G r u n d k a p i t a l . . . erhöhen und die zusätzlichen Anteile an den Fonds abführen. Die Folge ist eine Umschichtung zwischen einzelnen Positionen der Jahresbilanz zugunsten des Grundkapitals auf der Passivseite; außerdem wird durch eine langfristige Erhöhung des Gesellschaftskapitals der relative Gewinnanteil der Alteigentümer geschmälert...". Ehrenberg kommentiert dazu: „ . . . Mit der Abführung eines Teils der Vermögenstitel an dem neu gebildeten Eigenkapital an Arbeitnehmerfonds wird dem Unternehmen nichts an Investitionsmitteln entzogen. Lediglich die traditionellen Eigentümer erhalten weniger Kapitalzuwachs als vor der Verpflichtung zur Vermögensübertragung. Diese Maßnahme schmälert also das für Investitionszwecke zur Verfügung stehende Kapitalvolumen nicht. Es verteilt allerdings die

D a s A k t i e n p a k e t . Teilaspekt einer V e r ä n d e r u n g des Rechts

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Vermögenstitel — und damit die zukünftigen Vermögenserträge — neu. U n d genau dieser Effekt ist gewollt." Die Abführung von Aktien an die Arbeitnehmerfonds soll einem doppelten Zweck dienen (Zitate aus der DGB-Begründung): Einmal „neben der Individualvermögensbildung neue Formen gesellschaftlicher Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu verwirklichen", und zweitens dies in Formen, „die eine Einflußnahme auf die Unternehmenspolitik im Sinne verteilungs- und gesellschaftspolitischer Ziele ermöglichen. . . . Die Fonds, die der Selbstverwaltung der Arbeitnehmer — unter angemessener Einflußnahme des öffentlichen Interesses — unterstehen müssen, setzen mit H i l f e der abgeführten stimmberechtigten Beteiligungen das in ihnen angesammelte Arbeitnehmervermögen ein, um private und gesellschaftliche Rationalität in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen""'. Betrachtet man dieses anvisierte Zukunftsbild — wie bereits gesagt ohne pro und contra, und auch ohne Erörterung der sich aufdrängenden lohn- und körperschaftssteuerlichen Fragen —, so zeigt es, daß eine Verwirklichung bei jeder Aktiengesellschaft in ihrem inneren Gehalt unterschiedliche Aktienarten entwickeln würde, nämlich die an der Börse gehandelten und jedermann erreichbaren Stücke und die an die Arbeitnehmerfonds abgeführten neuen Aktien. Mögen beide Arten äußerlich auch völlig gleich bleiben (weil sie gar nicht anders aussehen können), so müssen sich doch ihr Wert, ihre Aussichten und ihr Einfluß verändern. Was zunächst die „Alteigentümer" anlangt, so ist in den obenzitierten Vorschlägen und Motiven hinreichend deutlich gesagt, daß sie es sind, denen etwas genommen werden soll. Die Betonung, daß dem Unternehmen selbst keine Mittel entzogen werden, weil der * Bis zur Drucklegung ( M ä r z 1974) waren diese Vorschläge noch nicht zu einer veröffentlichten Gesetzesvorlage ausgereift, wohl aber zu einem Kabinettsbeschluß „Grundlinien eines Vermögensbeteiligungsgesetzes" ( F A Z 2 2 . 2 . 1974). D a n a c h sollen alle Erwerbstätigen mit einem Jahreseinkommen bis D M 36 000,— (Ledige) b z w . D M 54 0 0 0 , — (Verheiratete) plus D M 9 0 0 0 , — je K i n d Anteile im Wert v o n etwa D M 2 1 2 , — p. a. erhalten. D i e A b g a b e soll so gestaffelt sein, d a ß Gewinne von einer Million D M an mit 10 °/o belastet werden. F ü r etwa 23 Millionen Arbeitnehmer soll sie jährlich 5 Milliarden D M erbringen, und z w a r in börsengängigen Aktien oder ausnahmsweise in bar. D i e Begünstigten sollen erst nach 12 J a h r e n frei über ihre Anteile v e r f ü g e n können, nach 7 J a h r e n nur unter Verlust weiterei A n w a r t s c h a f t . D i e A b g a b e soll an eine zentrale Clearingstelle überwiesen und v o n d o r t auf dezentrale F o n d s im B a n k e n - und Sparkassensystem verteilt werden. — D i e Feststellung, die allein für die E r w ä h n u n g dieser Pläne in der vorliegenden Betrachtung relevant ist, daß nämlich ihre Verwirklichung eine institutionalisierte Trennung des Stimmrechts aus wachsenden und d a u e r h a f t verschnürten Paketen v o m wirtschaftlichen Eigentum einführen würde, gilt demnach auch für die v o m K a b i n e t t beschlossenen Grundlinien.

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Gegenwert f ü r die an die Arbeitnehmerfonds abgeführten Aktien als nicht bar ausgeschütteter Gewinn stehen bleibt, unterstreicht dies. Diese Betonung läßt auch erkennen, daß die an die Arbeitnehmerfonds abgeführten Aktien kein Arbeitsentgelt im Sinne eines Teils der Gestehungskosten sein sollen, sondern eine Gewinnabführung, die sonst entweder zusätzlich den „Alteigentümern" zufließen oder als nicht ausgeschütteter Gewinn stehenbleiben und die Substanz der „Alteigentümer" vermehren würde. Die Unternehmen selbst sollen also die entstehenden und wachsenden Arbeitnehmerfonds nur durch zunehmenden Einfluß im Aufsichtsrat und Vorstand sowie in der Hauptversammlung wahrnehmen. Die materiell Gebenden dagegen sollen die „Alteigentümer" sein. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Stimmrechte und am Gewinn würde von Jahr zu Jahr kleiner. Auch Aktienpakete würden diesem Schwund unterliegen. Kapitalerhöhungen durch Beschluß der Hauptversammlung würden daran nichts ändern, denn die Arbeitnehmerfonds hätten anteilmäßig das gleiche Bezugsrecht wie die anderen Aktionäre. Majoritäten könnten unter 50 °/o und „Schachteln" unter 25 % sinken. Die Aktien der „Alteigentümer" müßten an Wert verlieren. Was die in den Arbeitnehmerfonds liegenden Aktien anlangt, so würde ihnen der bei den „Alteigentümern" einsetzende Schwund laufend zuwachsen. Sie würden ferner zu Bestandteilen festverschnürter Aktienpakete werden, die allenfalls nach jedem Gewinnjahr aufgeschnürt werden, um weitere Aktien desselben Ausstellers aufzunehmen. Die obenzitierten Motive zeigen, daß die an Arbeitnehmerfonds abgeführten Aktien nicht in Streubesitz überführt, sondern als Instrumente des Einflusses eingesetzt werden sollen. Dieses Merkmal zeitigt ein zweites: Das Stimmrecht aus diesen Aktien soll auf Dauer vom wirtschaftlichen Eigentum getrennt bleiben. Die Arbeitnehmer, die mit ihrer Arbeit und Wertschöpfung zum Wachsen des Arbeitnehmerfonds beigetragen haben, müssen — ebenso wie die Einleger von Kapitalanlagegesellschaften („für Rechnung der Einleger") — als wirtschaftliche Eigentümer der im Fonds liegenden Aktien angesehen werden. Die Arbeitnehmer als Einleger der Arbeitnehmerfonds sollen anstelle des Stimmrechts ein Wahlrecht zur Auslese der Delegierten als Wahlmänner f ü r die Aufsichtsräte der Fonds erhalten. Da aber die Aufsichtsräte der Fonds erst die Vorstände der Fonds bestellen würden, und erst diese Vorstände der Fonds das Stimmrecht der dort liegenden Aktien ausüben könnten, wäre das Wahlrecht des Arbeitnehmers von den Entscheidungen im einzelnen, ζ. B. in „seinem" Unternehmen durch dreifache Abstufung getrennt. Seine geringe Bedeutung wird ersichtlich, wenn man die Stellung des Empfängers einer Belegschaftsaktie gegenüberstellt.

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Die Gründung von Arbeitnehmerfonds der geplanten Art müßte also zu einer institutionalisierten Trennung des Stimmrechts vom wirtschaftlichen Eigentum auf Dauer führen und parlamentarische Dimensionen annehmen. Die Wahlen der Arbeitnehmer für die Auslese der Delegierten würden bundesweit Sonderwahlen der gesamten arbeitenden Bevölkerung unterhalb einer zu bestimmenden Einkommensgrenze sein, also Wahlen mit Millionen von Abstimmungsberechtigten. Es ist unschwer vorauszusagen, daß diese Wahlen erhebliche politische Bedeutung gewinnen und mit entsprechenden Einsätzen betrieben werden könnten. Niemand kann allerdings voraussagen, ob diese Wahlen mehr durch heftige Konfrontationen oder durch geringe Wahlbeteiligung gekennzeichnet sein würden. Jedenfalls würden sie an Bedeutung die periodischen Betriebsratswahlen weit übertreffen. Auch in kartellrechtlicher Beziehung ergeben sich gewichtige Fragen: In den Arbeitnehmerfonds müßten sich Pakete auch von Aktien konkurrierender Unternehmen bilden. Die Mitglieder der Vorstände und Aufsichtsräte der Fonds könnten dann in die Lage kommen, an Entscheidungen des einen oder des anderen Wettbewerbers oder beider Wettbewerber mitwirken zu müssen, die zu einer Parteinahme im Wettbewerb zwingen, zumal der wachsende Umfang der sich in den Fonds bildenden Pakete die Mitwirkung der Fondsverwaltungen in allen wesentlichen, auch in wettbewerbsrelevanten Entscheidungen unentbehrlich machen würde. Sie würden nicht wettbewerbsneutral bleiben können. Das könnte sie in die Nähe abgestimmter Verhaltensweisen führen und eine neue Variante des Begriffs Marktbeherrschung zeitigen. Wie wird sich demgegenüber die Kartellbehörde verhalten müssen? Diese Frage kann hier nur aufgeworfen, aber nicht beantwortet werden. 7. Versucht man nach dieser Ubersicht eine Tendenz des Geschehens abzuleiten, so muß sie lauten, daß das Bild des Kleinaktionärs als Inhaber eines Anteils und eines Stimmrechts verblaßt. (Der Ton liegt auf dem Wort „und".) Die Begründung zum Regierungsentwurf des Aktiengesetzes 1965 (BT-Drucks. IV/171) bezeichnet es u . a . als seinen Zweck, auf dem Gebiet des Aktienwesens der gesellschaftspolitischen Aufgabe zu dienen, „immer weitere Schichten und Kreise unseres Volkes an dem Produktionsvermögen der Wirtschaft zu beteiligen und einer Massierung des Kapitals in Händen weniger Personen entgegenzuwirken". Das Gesetz führte die 50 DM-Aktie ein und verstärkte den Minderheitenschutz sowie die Publizität, insbesondere bei Paketbildung. Die

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Möglichkeit der Bildung von Aktienpaketen ließ es aber — im Rahmen des Minderheitenschutzes — zu; denn „daraus, daß die Aktiengesellschaft typischerweise das Sammelbecken der Kapitalbeiträge vieler ist, folgt für die Stellung des einzelnen Aktionärs, daß er Einschränkungen hinnehmen muß, die im Interesse des gemeinsam verfolgten Zweckes seinen Willen dem der Mehrheit unterordnen". Gleichwohl soll das Gesetz „die Teilnahme der einzelnen Aktionäre am Leben der Gesellschaft aktivieren und die Ausübung ihrer Rechte, insbesondere des Stimmrechts, wirksamer gestalten". D a diese Zielvorstellung angesichts der riesigen Zahl von Kleinaktionären schon räumlich nicht wörtlich durchführbar ist, wurde das in der Praxis dominierende Depotstimmrecht zu einer Art schriftlicher Vorabstimmung ausgebaut. Der Kleinaktionär bleibt Inhaber von Anteil und Stimmrecht. Die Zweite Kartellgesetznovelle trägt dazu bei, daß im Bereich der Bildung und Auswirkung von Aktienpaketen die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Auch hier wird u. a. an den Schutz des Kleinaktionärs als Individuum gedacht. N u n wollen die in Abschnitt 6 gezeigten Pläne das erste Ziel, nämlich die breite Streuung des Aktienbesitzes, durch Veränderung der Gewinnverteilung schneller erreichen, aber die begünstigten Arbeitnehmer vom unmittelbaren Stimmrecht durch ein dreifach abgestuftes Delegierten-Wahlrecht trennen und die Streuung auf Fondsanteile beschränken, während die Stimmrechte im Fonds massiert bleiben, um vom Fonds massiert eingesetzt zu werden. D a s würde eine Blockbildung bewirken, die die „traditionellen Aktionäre" zu vermehrter eigener Blockbildung zusammentreiben müßte. Wenn schließlich nach diesen Plänen die „Alteigentümer" (zu denen auch jeder neue Aktienkäufer gehört) J a h r für J a h r Einbuße erleiden, könnte niemand mehr einem Arbeitnehmer raten, aus erspartem Verdienst eine Aktie an der Börse zu kaufen. Die Schöpfer des Aktiengesetzes 1965 wollten das Gegenteil. Was bleiben wird, sind die Aktienpakete als Mittel, Eigentum durch Einfluß zu sichern; aber gerade deshalb scheinen sie zunehmend politische Objekte zu werden und ihre Gestalt zu wandeln. D a s kann Polarisation bedeuten. Der Kleinaktionär als Einzelgänger wird mehr und mehr Zuschauer.

Zur Existenzberechtigung der Kommanditgesellschaft auf Aktien HANS-JOACHIM MERTENS

Mit seiner umfassenden dogmatischen Aufarbeitung der K o m m a n ditgesellschaft auf Aktien ( K G a A ) hat Barz einen der Höhepunkte des Großkommentars zum Aktiengesetz geschaffen 1 . Die Uberzeugungskraft seiner Darstellung hat mir — als Bearbeiter des gleichen Rechtsgebietes im Kölner Kommentar 2 — nur wenig Gelegenheit gegeben, die angebliche „tribal rule" unseres Wissenschaftssystems zu befolgen, wonach man sich wohl „durch Destruktion angesehener Theorien in den Sattel schwingen" kann, nicht aber „durch bloße Nachahmung ihrer Architektur" 3 . Für einen Festschriftbeitrag ein glücklicher Ausgangspunkt.

I. Das Problem Barz stellt uns die K G a A sehr nachdrücklich als flexible — in wesentlichen Fragen der Organisationsautonomie geöffnete — Gesellschaftsform vor; sie biete eine „Gestaltungsfreiheit, wie sie für K ö r perschaften bei der heutigen Tendenz der Gesetzgebung völlig ungewöhnlich ist". Daher findet er es „erstaunlich und kaum erklärlich, warum von dieser Gestaltungsmöglichkeit, insbesondere bei Familiengesellschaften, nicht stärker Gebrauch gemacht wird". D a s mangelnde Interesse der Praxis führt Barz zu der Frage, ob die K G a A noch eine Existenzberechtigung habe. Seine Antwort: „Wer die Existenzberechtigung von Rechtsformen allein nach ihrem zahlenmäßigen Vorkommen beurteilt, muß zu einer Verneinung kommen. Wer aber Sinn für aus der Tradition gewachsene Formen hat, wer nicht nur alles über einen K a m m scheren, sondern für Sondertatbestände auch Sonderformen zur Verfügung stellen und insbesondere für den stufenweisen Ubergang von der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft in die einer Aktiengesellschaft Möglichkeiten schaffen will, und wer der

Aktlengesetz, 3. Aufl., Band III, 3. L f g . , §5 278—290, 1973. Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, herausgegeben von Zöllner, 1970 ff., Band II, 4. L f g . 3 So Luhmann, Die Praxis der Theorie, Wiederabdruck in Soziologische A u f klärung, 1970, S. 253, 263. 1

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Dispositionsfreiheit der Gesellschafter auch im Recht der Aktiengesellschaft wenigstens ein kleines Gebiet offen lassen will, der wird die Aufrechterhaltung der Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien im Rahmen der Aktienreform 1965 begrüßen 4 ." Der Hinweis auf das traditionelle Interesse ist wichtig5, sicher nicht ausreichend. Entscheidend wird die Zukunft der KGaA davon abhängen, ob sich personengesellschaftsrechtliche und aktienrechtliche Strukturen angesichts der modernen Entwicklung des Aktienrechts überhaupt noch in vernünftiger Weise zu einer einheitlichen gesellschaftsrechtlichen Organisationsstruktur zusammenfassen lassen und ob eine solche Organisationsstruktur in eine unternehmensrechtliche Fortbildung unseres Gesellschaftsrechts paßt, die dem Gesichtspunkt Rechnung trägt, daß das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen als Organisation auf die Verfassung, die sich die Gesellschaft als Unternehmer gibt, nicht ohne Einfluß bleiben kann. Dabei wird die Frage nach der Existenzberechtigung der KGaA zwar zweckmäßigerweise von deren gegenwärtigem Erscheinungsbild ausgehen. Sie darf aber bei den unverkennbaren strukturellen Schwächen der jetzigen Ausgestaltung nicht stehen bleiben. Rechtspolitisch geht es nicht um sie, sondern um die organisatorische Idee der KGaA selbst. Diese Idee sehe ich mit Barz darin, daß einem Unternehmer gestattet wird, in größerem Umfang und auf dem allgemeinen Kapitalmarkt Fremdkapital für ein Unternehmen zu mobilisieren, trotzdem aber die unternehmerische Initiative — um den Preis der persönlich unbeschränkten Haftung — weitgehend in der Hand zu behalten 6 . Eine solche Gesellschaftsform muß der Organisationsautonomie des Unternehmers in den Grenzen, die sich aus dem Gesichtspunkt des aktienrechtlichen Anlegerschutzes ergeben, weiten Raum bieten und entsprechend strukturflexibel sein. Insofern geht es bei unserem Thema um etwas mehr als um die Frage, ob man die KGaA jetziger Bauart quasi als ein mit vielen Problemen überfrachtetes Segelschulschiff des

4 Alle wörtlichen Zitate sind den Vorbemerkungen von Barz vor § 278 AktG entnommen. 5 Nach Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung und Verfassungsrecht 1972, S. 30 gestattet Art. 9 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber die „Veränderung eingelebter Institutionen, die den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz des Rechtsvertrauens und der freien gesellschaftlichen Entscheidung für eine bestimmte Vereinigungsform genießen" nur bei „besonders schwerwiegenden Veränderungen der gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Bedingungen". Das dürfte zu weit gehen; vgl. unten unter V. β Daß heute die KGaA vielfach wie eine A G organisiert ist und der Komplementär de facto die Rolle eines Vorstandsmitglieds spielt, ist für die Organisationsidee der KGaA nicht typisch. Der KGaA bedarf es für solche Gestaltungen nicht; um sie soll es daher im folgenden nicht gehen.

Zur Existenzberechtigung der Kommanditgesellschaft auf Aktien

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Gesellschaftsrechts ins Museum stellen oder ob man es evtl. mit einigen Verbesserungen der Seetüchtigkeit noch im Verkehr belassen soll.

II. Die KGaA — eine Gesellschaftsform mit unbewältigter Vergangenheit Daß die K G a A von der Praxis so wenig angenommen wird, hängt vielleicht weniger mit ihrer Konstruktionsidee als mit einer Reihe von Ungereimtheiten zusammen, die darauf zurückzuführen sind, daß der Gesetzgeber sich für das Recht der K G a A seit längerem nicht mehr interessiert, sondern es im großen und ganzen unkritisch tradiert hat. Die Aufgabe, die K G a A zu einer einheitlichen und geschlossenen Gesellschaftsform auszugestalten, harrt daher noch der Vollendung. Ich erwähne in diesem Zusammenhang nur die Zwitterstellung des Aufsichtsrats und die Problematik des Bilanzrechts der KGaA. Nach herrschender Meinung 7 , die sich durchaus auf Anhaltspunkte im Gesetz berufen kann 8 , lebt zwischen den beiden Gesellschaftergruppen, die an der K G a A beteiligt sind, den Komplementären einerseits und den Kommanditaktionären in ihrer Gesamtheit andererseits unter dem Deckmantel der juristischen Person, den der Gesetzgeber erst recht spät darüber gebreitet hat 9 , ein besonderes Gesellschaftsverhältnis fort. Der Gesamtheit der Kommanditaktionäre wird eine gewisse eigene relative Rechtsfähigkeit zugesprochen10, die es ihr erlaubt, als solche Ansprüche gegen die Komplementäre geltend zu machen und von diesen in Anspruch genommen zu werden. Übereinstimmung besteht darüber, daß die Gesamtheit der Kommanditaktionäre nur durch die Hauptversammlung und den Aufsichtsrat handeln kann. Den Aufsichtsrat bezeichnet § 287 Abs. 2 AktG ausdrücklich als Vertretungsorgan in Rechtsstreitigkeiten, die die Gesamt7 Schlegelberger-Quassowskt-Herbig-Geßler-Hefermehl, Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 219 Anm. 2; OLG Hamm, AG 1969, 295; siehe audi Fn. 10. 8 Vgl. insbesondere § 287 Abs. 1 und 2 AktG. 9 Nämlich im AktG 1937; bereits zuvor hatte die h. L. aber angenommen, daß die KGaA juristische Person sei; vgl. Ehchenbroidj, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, 1959, S. 167 ff. 1 0 Die h. L. — vgl. Barz, a. a. O., § 287 Anm. 8; Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl. 1968, § 287 Anm. 3; Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 2 7 8 Anm. 10 lehnt zwar die Auffassung Ritters, Aktiengesetz, 2. Aufl. 1939, § 219 Anm. 4 b ab, die Gesamtheit der Kommanditaktionäre sei ein besonderer beschränkt rechtsfähiger Personenverband innerhalb der KGaA; der Sache nach bietet sie aber keine andere Lösung an. Grundsätzlich anders Würdinger, ZAkDR 1940, 314 ff.; Aktien- und Konzernrecht, 4. Aufl. 1973, S. 227.

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heit der Kommanditaktionäre gegen die persönlich haftenden Gesellschafter oder diese gegen die Gesamtheit der Kommanditaktionäre führen. Hauptversammlung und Aufsichtsrat erhalten insofern in der K G a A eine Doppelrolle zugewiesen. Sie haben als Organe der juristischen Person Kommanditgesellschaft auf Aktien im Grundsatz die gleiche organisatorische Funktion wie in der Aktiengesellschaft, zugleich aber sollen sie Organe der Gesamtheit der Kommanditaktionäre sein, die deren Interessen gegenüber den Komplementären vertreten. Diese Doppelfunktionsthese ist nicht nur problematisch, weil sie die Aktionäre, deren (Nicht)-Verhältnis untereinander kein anderes ist als in der Aktiengesellschaft, mit dem leeren Etikett „Gesamtheit" versieht, diesem Etikett Teilrechtsfähigkeit zuerkennt und damit im Rahmen der K G a A ein theoretisch weites Feld für Insichprozesse eröffnet. V o r allem führt sie zu der abwegigen Konsequenz, daß die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat als angeblichem Organ der Gesamtheit der Kommanditaktionäre Repräsentanten spezifischer Aktionärsinteressen darstellen würden. Sollen die Arbeitnehmervertreter die Gesamtheit der Kommanditaktionäre in einem Prozeß, in dem es um deren Belange gegenüber einem Komplementär geht, mitvertreten? Soll die Gesamtheit der Kommanditaktionäre gegen sie Ansprüche — etwas aus positiver Vertragsverletzung 1 1 — geltend machen können, wenn sie deren Beschlüsse nicht ordnungsmäßig ausführen? Wie sollen sich Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, aber auch andere Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich entscheiden, wenn das Unternehmensinteresse und das Interesse der Gesamtheit der Kommanditaktionäre miteinander in Konflikt geraten? Scheint im Falle eines die Gesamtheit der Aktionäre vertretenden Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat ein Tatbestand absurden Rechts gegeben, so muß das Bilanzrecht der Kommanditgesellschaft im Verstände der herrschenden Meinung 1 2 zumindest als ein Beispiel kuriosen Rechts bezeichnet werden. Sie errechnet den Jahresgewinn, soweit er den Gewinnanteilen persönlich haftender Gesellschafter zugrunde zu legen ist, nach Personengesellschaftsrecht, soweit sich die Gewinnanteile der Kommanditaktionäre daraus ergeben, nach dem Bilanzrecht der Aktiengesellschaft. Daher wird für die Ermittlung des auf die Komplementäre entfallenden Jahresgewinns eine interne 11 Nach Meinung von Bari, a. a. O., § 287 Anm. 7 ; Godin-Wilhelmi, a. a. O., § 287 Anm. 2 sind Aufsichtsraismitglieder, soweit sie lediglich ihre Pflicht als Ausführungsorgan der Kommanditaktionäre verletzen, diesen zwar nicht nach §§ 116, 117 AktG verantwortlich, wohl aber nach den allgemeinen Vorschriften. 1 2 Vgl. Barz, a . a . O . , § 288 Anm. 2 ; Baumbach-Hueck, a . a . O . , § 288 Anm. 5 ; Godin-Wilhelmi, a . a . O . , § 288 Anm. 3 ; Eischenbroich, a . a . O . , S. 88 ff.; dagegen Geßler, BB 1973, 1080; Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, a. a. O., S. 231).

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keiner Publizität unterliegende Sonderbilanz verlangt, die sich von der nach außen allein maßgeblichen Bilanz der KGaA nach §§ 151 ff. AktG erheblich unterscheidet. Im Rahmen dieser Sonderbilanz gibt es keine Kontinuität der Gewinnermittlung; das Grundkapital ist nicht zu passivieren; ebensowenig die gesetzliche Rücklage; auch freie Rücklagen bleiben unberücksichtigt. Ob für die interne Sonderbilanz überhaupt die spezifischen Bewertungsregeln des Aktienrechts gelten sollen, ist umstritten 13 . Mit Recht hat Geßler14 kürzlich bemerkt, daß dieses Verfahren nicht im Sinne des Gesetzes liegen kann. Freilich kommt die Einsicht etwas spät. Immerhin ist die These, daß hier für ein und dieselbe juristische Person eine doppelte Erfolgsrechnung aufzustellen sei, bereits seit langer Zeit durchaus herrschende Meinung 15 . Könnte man sicher sein, daß der Gesetzgeber sie bei der Abfassung des AktG 1965 zur Kenntnis genommen hat, so käme man wohl kaum umhin, zumindest aus gewissen Stellen der Gesetzesbegründung zu schließen, daß er selbst von ihr ausgegangen sei 16 . Als juristische Person mit doppeltem Boden läßt sich die K G a A heute nicht mehr verteidigen. Jedoch sind die hier dargelegten Unstimmigkeiten behebbar, wie ich meine, schon de lege lata 1 7 ; denn die Auslegung des Gesetzes braucht sich nicht an Vorstellungen zu binden, die der Gesetzgeber mehr oder weniger unbesehen mitgeschleppt hat. Der Gedanke, daß die Gesamtheit der Aktionäre einen prozeßfähigen in der Hauptversammlung einen eigenen Willen formulierenden Verband bilde, dessen Beschlüsse der Aufsichtsrat auszuführen habe, ist praktisch bedeutungslos. Würdinger hat bereits 1940 1 8 mit Recht vorgeschlagen, ihn aufzugeben. Er läßt sich als ein Fall obsoleten Rechts begreifen, als Relikt aus der Zeit, als die K G a A noch keine gesetzliche Anerkennung als juristische Person gefunden hatte. Die Lehre von der doppelten Bilanzierung scheint mir von vornherein den 1 3 Dafür Baumbach-Hueck, a . a . O . , Anm. 5 ; Schlegelberger-Quassowski, a.a.O., § 2 3 0 Anm. 3 ; dagegen Barz, a . a . O . , § 288 Anm. 2, soweit diese Regeln nicht Ausdrude allgemein verbindlicher Bewertungsgrundsätze seien. 1 4 BB 1973, 1080. 1 5 Vgl. etwa die Nadiw. bei Elschenbroich, a. a. O. 1 6 Vgl. etwa die Bemerkung in der Begr. RegE bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 371 zur Streichung der Vorschrift des § 230 Abs. 2 AktG 1937, wonach die gesetzliche Rücklage auch aus Gewinnanteilen der Komplementäre zu dotieren war. 1 7 Auf jeden Fall steht es schon jetzt der Satzung einer K G a A frei, die im Text besprochenen Mißhelligkeiten abzustellen. Im einzelnen habe ich in meiner K o m mentierung im Kölner Kommentar, a. a. O., versucht, unter Verzicht auf den Gedanken eines besonderen gesellschaftlichen Verhältnisses der beiden Gesellsdiaftergruppen untereinander zu mit dem Gesetz vereinbaren Lösungen zu kommen (vgl. Vorbem. vor § 278 Anm. 9). 1 8 Z A k D R a. a. O.

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Unterschied zwischen der Feststellung des Jahresabschlusses mit dem sich daraus ergebenden Bilanzgewinn einerseits und der Gewinnverwendung andererseits zu verkennen. Die Feststellung des Bilanzgewinns der K G a A als juristischer Person muß voll und ganz dem Aktienrecht unterliegen. Erst im Anschluß an die Ermittlung des Gewinns der Gesellschaft ist die Frage nach seiner Verteilung auf die beiden Gesellschaftergruppen zu stellen und hierbei den §§ 121, 168 H G B — praktisch also der Satzungsautonomie der K G a A — Rechnung zu tragen 19 .

III. Die aktuelle Strukturproblematik Das grundlegende Gestaltungsproblem für die Organisationsstruktur der K G a A dürfte heute in der Frage liegen, ob und wie sich die aus dem Personengesellschaftsrecht hergeleitete Strukturflexibilität dieser Gesellschaftsform mit ihrer aktienrechtlichen Organisation verträgt. Ihre Flexibilität gewinnt die K G a A daraus, daß sich das Rechtsverhältnis zwischen den persönlich haftenden Gesellschaftern untereinander, gegenüber der Gesamtheit der Kommanditaktionäre und gegenüber Dritten, namentlich die Befugnis der persönlich haftenden Gesellschafter zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft gemäß § 278 Abs. 2 AktG 2 0 nach dem Recht der Kommanditgesellschaft bestimmt und damit grundsätzlich zur Disposition der Satzung steht. Im übrigen gilt nach § 278 Abs. 3 AktG uneingeschränkt das Recht der Aktiengesellschaft. Das Verhältnis von Personengesellschaftsrecht und Aktienrecht bot für die K G a A solange keine besonderen Probleme, als die Rechtsform der Aktiengesellschaft eine weitgehende Organisationsautonomie für sich beanspruchen konnte. Während diese Autonomie im Personengesellschaftsrecht noch durchweg erhalten ist, hat der Gesetzgeber das Aktienrecht der Disposition der Gesellschafter inzwischen weitgehend entzogen und die Organisation der Gesellschaft im wesentlichen zwingend festgelegt. Damit ist problematisch geworden, ob sich die durch § 278 Abs. 2 19 Barz, a. a. O., führt dagegen an, daß bei der K G a A eine einheitliche steuerliche Gewinnfeststellung nicht stattfindet. Aber auch das Steuerrecht kommt nicht daran vorbei, daß die K G a A eine einheitliche juristische Person ist, und muß sich in dieser Hinsicht am Gesellschaftsrecht ausrichten. Zur steuerlichen Behandlung der K G a A vgl. Weber, Grundgesetz, Gesellschaftsrecht und die Besteuerung der selbständigen Unternehmen, 1971, S. 203. 2 0 Auch diese Formulierung des Gesetzestextes entspricht nicht der Tatsache, daß die K G a A juristische Person ist; Vertretung und Geschäftsführung für die Gesellschaft sind hier keine Sonderfälle des Rechtsverhältnisses unter den Gesellschaftern und zwischen den Komplementären und Dritten.

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AktG vermittelten personengesellschaftsrechtlichen Strukturen in das Gefüge der aktienrechtlichen Organisationsstruktur einordnen lassen, ohne auch solche Teile dieser Struktur zu sprengen, die über das Gesellschaftsrecht hinausgehende Ordnungsinteressen gewährleisten sollen. Dogmatisch läßt sich diese Frage vielleicht am anschaulichsten entfalten, wenn man sich das Spannungsverhältnis zwischen der aktienrechtlichen Verantwortung der Komplementäre nach § 283 Nr. 3 und 4 AktG 21 und der Geltung des Personengesellschaftsrechts für die Organisation und Wahrnehmung der Geschäftsführung nach § 278 Abs. 2 AktG vergegenwärtigt. Je nachdem, wie man dieses Spannungsverhältnis auflöst, ergeben sich etwa für die persönlichen Voraussetzungen für Komplementäre und für die Stellung des Aufsichtsrats gänzlich unterschiedliche Ausgangspositionen. Bei strikter Anwendung des Personengesellschaftsrechts und Beachtung der darin gewährleisteten Organisationsautonomie müßte die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines Komplementärs ausgeschlossen werden können. Damit kommen als Komplementäre auch nicht oder nur beschränkt geschäftsfähige Personen in Betracht, vorausgesetzt, daß nur überhaupt ein vertretungsberechtigter Komplementär vorhanden ist22. Jedoch könnte dann die Haftung nach § 283 Nr. 3 AktG nur nach Maßgabe der jeweiligen Geschäftsführungsbefugnis des Komplementärs bestehen23. Audi juristische Personen oder andere Handelsgesellschaften würden als Komplementäre, und zwar auch als geschäftsführungsbefugte und vertretungsberechtigte Komplementäre, zugelassen werden können 24 , was jedenfalls der 21 Die Vorschrift lautet: „Für die persönlich haftenden Gesellschafter gelten sinngemäß die für den Vorstand der Aktiengesellschaft geltenden Vorschriften ü b e r . . . Nr. 3 die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit, Nr. 4 die Pflichten gegenüber dem Aufsichtsrat." 22 So die h. L.: Bari, a . a . O . , § 278 Anm. 9; Baumbach-Hueck, a.a.O., §278 Anm. 2; Lehmann-Dietz, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1970, S. 408; a. A. Elscbenbroich, a. a. O., S. 130; Schlegelberger-Quassowski, a. a. O., § 219 Anm. 9. 23 So grundsätzlich die h. M.; vgl. Barz, a. a. O., § 283 Anm. 1; Baumbach-Hueck, a . a . O . , § 2 8 3 Anm. 2; Godin-Wilhelmi, a . a . O . , Anm. 283; a. A. Ritter, a . a . O . , § 225 Anm. 4. 24 So in der Tat Hanseatisches OLG Hamburg, A G 1969, 259; Helm, Fälle und Lösungen nach höchstrichterlichen Entscheidungen, Handels- und Gesellschaftsrecht, 1970, S. 68 ff.; Hesselmann, GmbH-Rdsdi. 1969, 135; Lehmann-Dietz, a.a.O., S. 408; Möhring-Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, Rz. 621 (625). — Dagegen die noch immer h. M. vgl. etwa Barz, a . a . O . , Anm. 9; Baumbach-Hueck, a.a.O., Anm. 2; Geßler, BB, 1973, 1080; Eischenbroich, a . a . O . , S. 130; Godin-Wilhelmi, a . a . O . , § 2 7 8 Anm. 6; Pflug, N J W 1971, 345; Reinhardt, Gesellschaftsrecht 1973, S. 241; Ritter, a . a . O . , § 2 1 9 Anm. 3 b; Schlegelberger-Quassowski, a.a.O., §219 Anm. 9; Teichmann-Koehler, Aktiengesetz, 3. Aufl. 1950, §219, Anm. 1; Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, a. a. O., S. 228.

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praktischen Auswirkung nach gleichfalls eine Abschwächung der Haftung nach § 283 Nr. 3 zur Folge haben würde. Für die Stellung des Aufsichtsrats wäre von Belang, daß die Satzung die Kommanditaktionäre an der Geschäftsführung beteiligen und ihnen insbesondere Weisungsrechte gegenüber den Komplementären zugestehen könnte. § 119 Abs. 2 AktG wäre unanwendbar. Da die Komplementäre zugleich Kommanditaktionäre sein und bei entsprechender Kapitalmehrheit auf die Entscheidungen der Hauptversammlung maßgeblich Einfluß nehmen können, bedeutet dies, daß sich die Gewaltenteilung, wie sie heute die Aktiengesellschaft auszeichnet, weitgehend aufheben ließe und der Aufsichtsrat durch das Zusammenspiel von Hauptversammlung und Komplementären in seiner Kontrollfunktion erheblich geschwächt werden könnte. Von vornherein könnte ihm das Recht nicht zugestanden werden, Geschäftsführungsmaßnahmen nach § 1 1 1 Abs. 4 AktG an seine Zustimmung zu binden 25 oder auf die Komplementäre im Sinne einer Entziehung oder Begrenzung ihrer Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht einzuwirken. Es wäre ihm ohne entsprechende Satzungsregelung möglicherweise nicht einmal die Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Komplementären zuzuerkennen 2 6 ; denn § 287 AktG ermächtigt ihn nur zur Prozeßvertretung in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesamtheit der Kommanditaktionäre und den Komplementären. Die Vertretung der Gesellschaft ist dagegen ein ausdrücklicher Fall des § 278 Abs. 2 AktG. Beschränkte man den Aufsichtsrat mit Rücksicht auf diese Vorschrift auf sein Überwachungsrecht nach § 111 Abs. 1 und 2 AktG, so wäre zu fragen, ob damit nicht auch die Rechenschaftspflicht der Komplementäre ihm gegenüber entgegen § 283 Nr. 4 AktG einen anderen Inhalt als die

25 Barz, a . a . O . , § 287 Anm. 4 sowie § 2 7 8 Anm. 21, 2 8 ; a. A. Godin-Wilhelmi, a. a. O., § 287 Anm. 2. 2 6 Die h. M. gewährt sie ihm; vgl. Barz, a . a . O . , § 287 Anm. 6 ; BaumbachHueck, a . a . O . , § 287 Anm. 2 ; Godin-Wilhelmi, a . a . O . , § 2 8 7 Anm. 1; MöhringTank, a. a. O., Rz. 628. Als einziger gibt Barz eine nähere Begründung. Er hält § 112 für anwendbar, weil § 278 Abs. 3 die grundsätzliche Geltung des Aktienrechts anordne und daher aus § 287 Abs. 2 nicht geschlossen werden dürfe, daß sich die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats auf den dort genannten Fall beschränke. Diese Begründung übergeht aber § 278 Abs. 2. Erst wenn man seinen Geltungsbereich im Hinblick auf die Stellung und Funktion des Aufsichtsrats einengt, kann man aus § 278 Abs. 3 die Geltung des § 112 AktG folgen. Jedoch läßt sich das audi m. E. der Sache nach richtige Ergebnis der h. L. (vgl. unten I V 2) unmittelbar aus § 283 N r . 4 herleiten; dies insbesondere, wenn man annimmt, daß § 287 Abs. 2 nichts anderes regelt als ein Recht des Aufsichtsrats zur Vertretung der Gesellschaft in Prozessen gegen den Komplementär (vgl. dazu Mertens in Kölner Kommentar, a. a. O., § 287 Anm. 2).

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des Vorstands nach § 90 A k t G annehmen müßte. In der A G sind Vorstandsmitglieder verpflichtet, die Berichterstattung so breit anzulegen, daß der Aufsichtsrat eine eigene unternehmerische Zielkonzeption entwickeln und an ihr diejenige des Vorstands messen kann; denn nur dies erlaubt ihm eine sachgerechte Entscheidung über die Ausübung seines Zustimmungsrechts nach § 111 Abs. 4 Satz 2—4 A k t G ; ohne sie kann er auch seine wichtigste Aufgabe, nämlich den Vorstand zu bestimmen, nicht erfüllen 2 7 . Beide Aufgaben obliegen ihm aber in der K G a A nicht, es sei denn, die Satzung weist sie ihm zu. Räumte man dagegen dem Gesichtspunkt Vorrang ein, daß § 93 A k t G nach § 283 N r . 3 A k t G auf die Komplementäre anzuwenden ist und daß die Strafvorschriften, die Vorstandsmitglieder betreffen, nach § 408 A k t G sinngemäß auch für die persönlich haftenden Gesellschafter gelten, so wäre daraus zu folgern, daß auch diese eine Amtsstellung mit spezifisch unternehmensrechtlicher Verantwortung innehaben. Diese Folgerung würde es nahelegen, den Komplementären zur Wahrnehmung ihres Verantwortungsbereichs nach §§ 283, 408 A k t G eine durch die Satzung nicht antastbare Leitungsmacht zuzuerkennen. Auch könnte der Ausschluß der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines persönlich haftenden Gesellschafters nicht oder allenfalls mit der Maßgabe hingenommen werden, daß seine allgemeine Verantwortlichkeit für die Gesetz- und Zweckmäßigkeit des Geschäftsbetriebs stets erhalten bleibt und auch der nichtgeschäftsführungsbefugte Komplementär zu solchen Handlungen, die erforderlich sind, um dieser Verantwortung zu genügen, stets berechtigt ist. Dann müßten nicht unbeschränkt geschäftsfähige natürliche Personen als persönlich haftende Gesellschafter ausgeschlossen werden. Auch juristische Personen und Handelsgesellschaften könnten bei einer strikt von den §§ 283 N r . 3, 93 A k t G ausgehenden Konzeption der K G a A in entsprechender Anwendung von § 76 Abs. 3 A k t G nicht Komplementäre werden. Der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person oder eines Geschäftsunfähigen kann zumindest die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach § 408 A k t G selbst dann nicht übernehmen, wenn er es wollte. Sollen die Pflichten der Komplementäre gegenüber dem Aufsichtsrat nach § 283 N r . 4 A k t G wirklich die gleichen sein wie die des Vorstandes in der Aktiengesellschaft, so müßten die Befugnisse des Aufsichtsrats entsprechend weit gezogen und dafür Sorge getragen werden, daß sein Eingriffspotential nicht an einem Zusammenspiel von Hauptversammlung und Komplementären zuschanden wird.

27

Hierzu M e r t e n s in Kölner Kommentar, a. a. O., § 111 Anm. 34.

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Die herrschende Meinung 28 entscheidet sich in den meisten Einzelpunkten — ohne allerdings die hier angeschnittene Frage grundsätzlich zu diskutieren — für eine Lösung, die im Prinzip einer Begrenzung des § 283 Nr. 3 und 4 AktG durch § 278 Abs. 2 AktG entspricht. Zwei wesentliche Ausnahmen sind hervorzuheben: Sie läßt — allerdings entgegen einer starken Minderheit — nur natürliche Personen als Komplementäre zu 29 , und sie wendet § 112 AktG an 30 , räumt also dem Aufsichtsrat das Recht ein, die Gesellschaft gegenüber den Komplementären zu vertreten 31 . Für diese grundsätzliche Linie spricht de lege lata, daß die entscheidende gesetzliche Funktionsgarantie für die KGaA in der persönlichen unbeschränkten Haftung des Komplementärs liegt und damit seiner Haftung für fehlerfreie Geschäftsführung nach § 283 Nr. 3 AktG nicht der gleiche Stellenwert zuzukommen braucht wie der Haftung des Vorstandes 32 in der Aktiengesellschaft. Vor allem aber kann sich die herrschende Meinung darauf berufen, daß der Gesetzgeber auf eine Anpassung der KGaA an die unternehmensrechtlich orientierte Entwicklung des Aktienrechts ganz offenbar Verzicht geleistet hat. Diese Anpassung könnte letztlich auch auf nichts anderes hinauslaufen als auf die Aufhebung der KGaA. Würde man den Anwendungsbereich des § 278 Abs. 2 AktG durch § 283 AktG determinieren, so dürfte die KGaA keine Unterschiede zur normalen Aktiengesellschaft mehr aufweisen, die es rechtfertigen könnten, sie weiterhin als eigene Rechtsform bestehen zu lassen. Insofern spricht die Aufrechterhaltung der KGaA im AktG 1965 zugleich für den Vorrang von § 278 Abs. 2 AktG gegenüber § 283 AktG.

28

Vgl. oben Fn. 22—26. Vgl. oben Fn. 24. 30 Vgl. oben Fn. 26. Mit der uneingeschränkten Anwendung des § 112 ist allerdings die h. M. nicht vereinbar, daß die Satzung den vorhandenen persönlich haftenden Gesellschaftern gestatten kann, neue Komplementäre aufzunehmen (vgl. Barz, a. a. O., § 278 Anm. 29). Richtigerweise kann die Anwendung des § 112 hier nur zu einem konkurrierenden Vertretungsrecht des Aufsichtsrats führen. Audi nach dem AktG 1937 bestand eine Konkurrenz zwischen Aufsichtsrat und Vorstand in der Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern. 31 Zur Frage, ob das Kontrollrecht des Aufsichtsrats in der KGaA einer inhaltlichen Reduktion unterliegen könnte, finden sich keine näheren Stellungnahmen. Offenbar geht man davon aus, daß § 111 Abs. 1 und 2 uneingeschränkt Anwendung finden. 32 Die zudem selten genug realisiert wird. 29

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IV. Die rechtspolitische Fragestellung Fragt man aber rechtspolitisch nach der Existenzberechtigung einer in dieser Weise strukturierten KGaA, so ergeben sich weitergehende Überlegungen. Es ist zu erörtern: 1. Welche Interessen lassen sich in der K G a A (besser als in der G m b H oder einer Personengesellschaft) organisieren, die in der Aktiengesellschaft nicht oder nicht zureichend zur Geltung kommen können? 2. Wie weit beeinträchtigt die Durchsetzung solcher Interessen Strukturmerkmale der Aktiengesellschaft, die ihrerseits auf wichtige, durch die persönliche H a f t u n g des Unternehmers nicht kompensierbare, unternehmensrechtliche Zielsetzungen des Gesetzgebers zurückzuführen sind und wie weit erscheint eine solche Beeinträchtigung mit Rücksicht auf das Gewicht dieser Interessen vertretbar? 1. Interessen, denen die Organisationsstruktur der KGaA

entgegenkommt

Als Interessen, die in einer ihrer Organisationsstruktur nach flexiblen K G a A in besonderer Weise Berücksichtigung finden können, lassen sich (unter Ausklammerung der steuerrechtlichen Fragen) die folgenden nennen: — Die KGaA eignet sich — wie Barz mit Recht hervorhebt 3 3 — besonders gut f ü r einen stufenweisen Ubergang von der Kommanditgesellschaft in die Aktiengesellschaft. — — Wie die Aktiengesellschaft, kann die K G a A als Kapitalsammelbecken fungieren. Die Vorteile der aktienrechtlichen Struktur — Fungibilität der Anteile, damit insbesondere auch die Möglichkeit einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer ohne Gefährdung ihrer Mobilität, die vielfältige Sicherung des Anlegers — verbinden sich hier mit der Möglichkeit für einen Komplementär, die unternehmerische Leitungsmacht in eigener H a n d zu behalten. — — § 281 Abs. 2 AktG gestattet Vermögenseinlagen des Komplementärs, sogenannte Sondereinlagen, die an der starren Bindung des eigentlichen Grundkapitals nicht teilnehmen. An diesen Einlagen kommen auch Unterbeteiligungen in Betracht 34 . Der Komplementär kann daher Anlagekapital in unterschiedlicher Form binden. — — Mit der Sondereinlage kann der Komplementär eine gesellschaftliche Beteiligung an der Substanz des Unternehmens begründen. Diese 33 34

Vgl. oben S. 253. Barz, a. a. O., Vorbemerkungen vor § 278.

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H a n s - J o a c h i m Mertens

Beteiligung ist — wie bei entsprechender Satzungsgestaltung die Position des Komplementärs selbst — vererblich 35 . — — Der Komplementär kann den entscheidenden Einfluß in der Frage, wer neben oder nach ihm persönlich haftender Gesellschafter werden soll, ausüben. Die Satzung kann ihm die Aufnahme neuer Komplementäre oder die Bestimmung eines Nachfolgers ohne Zustimmung der Gesamtheit der Kommanditaktionäre überlassen 36 . — — Andererseits gestattet es die Strukturelastizität der K G a A aber auch, eine effektive Aktionärsdemokratie einzuführen; denn es kann vorgesehen werden, daß der Komplementär weitgehend an die Weisungen der Hauptversammlung gebunden ist. Durch entsprechende Vorkehrungen in der Satzung können hier auch Gremien an der Geschäftspolitik beteiligt werden, die bestimmte Anteilseignerinteressen (ζ. B. unterschiedlicher Familienstämme usw.) wahrnehmen und in denen sich auch Minderheitsinteressen zur Geltung bringen lassen. — 2. Der KGaA zuwiderlaufende Organisationsziele der Aktiengesellschaft Vor allem zwei unternehmensrechtliche Organisationsziele, die der Gesetzgeber im Aktienrecht verwirklicht hat, stehen zu einer Organisationsstruktur der KGaA, mit der sich die genannten Interessen verwirklichen lassen, im Widerspruch: Zum einen die Besetzung des Geschäftsführungsorgans nach Qualitätsmerkmalen mit dem — durch dessen Abberufbarkeit gegebenen — Zwang zur dauernden Bewährung, zum anderen die relativ strikte Gewaltenteilung zwischen den aktienrechtlichen Organen. In der K G a A ist das Schicksal des Unternehmens an die Qualität des Unternehmers gebunden. Seine Ablösung bei erfolgloser Geschäftspolitik ist zwar theoretisch nicht ausgeschlossen37, praktisch Barz, a. a. O . Die E i n w ä n d e von Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung v o n Unternehmen, 1 9 7 3 , gegen eine auch auf diesem Wege mögliche Perpetuierung der Herrschaft über Unternehmen sind sicherlich von erheblichem Gewicht. Doch scheinen mir die Interessen, die nicht nur aus der Sicht des Unternehmers, sondern auch bei volkswirtschaftlicher Betrachtung an einer solchen Perpetuierung bestehen, bei Reuter zu kurz w e g z u k o m m e n . Auch liegt die G e f a h r nicht fern, daß Perpetuierungsbeschränkungen, die vorwiegend mittelständische U n t e r n e h m e n treffen, letztlich nur den K o n z e n t r a t i o n s g r a d der Wirtschaft erhöhen (ähnlich audi Liebs, G m b H - R u n d s c h a u 1 9 7 3 , 2 7 4 , 2 7 9 ; E c k a r d Rehbinder, N J W 1973, 2016). 35

36

87 O b der Ausschluß des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters von Geschäftsführung und V e r t r e t u n g unter Bestellung eines D r i t t e n zum V e r t r e t e r in Betracht k o m m t , ist umstritten (dafür Barz, a . a . O . , § 2 7 8 A n m . 1 8 ; dagegen Godin-Wilhelmi, a.a.O., § 2 7 8 A n m . 1 3 ; Teichmann-Koebler, a.a.O., §225

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aber äußerst schwierig. O b seine persönliche unbeschränkte Haftung die Leistungsmotivation ersetzen kann, unter der der Vorstand einer Aktiengesellschaft steht 3 8 , ist zu bezweifeln. Die Haftung wird für den Komplementär möglicherweise Anlaß sein, eine die Existenz des Unternehmens sichernde Geschäftspolitik zu treiben. Zu mehr fordert sie ihn nicht heraus. Allerdings wird ein Komplementär typischerweise nur dann die Unternehmenspolitik voll in der H a n d haben, wenn er erhebliche eigene finanzielle Mittel investiert hat. Auch kann man erwarten, daß die Gesellschaftsform der K G a A ihrer Organisationsidee nach gerade den „geborenen" Unternehmer anziehen wird. Doch ist die Gefahr, daß ein unfähiger oder erfolgloser Unternehmer im „ A m t " bleibt, oder ζ. B. als Erbe eines erfolgreichen Unternehmers zum Komplementär berufen wird, nicht zu verkennen. Die Interessen, die durch die Gewaltenteilung in der Aktiengesellschaft gefördert werden, sind vor allem die folgenden: — Die Kompetenzverteilung zwischen Hauptversammlung und Verwaltung ermöglicht es, die letztere vor einer direkten Durchsetzung der Gesellschafterinteressen in der Geschäftspolitik abzuschirmen und ihr auf diese Weise die Ausrichtung an einem den Gesellschafterinteressen übergeordneten langfristigen Unternehmensinteresse zu erleichtern. — — Das satzungsfeste Prinzip der selbstverantwortlichen Leitungsmacht des Vorstands verhindert eine geschäftspolitische Einflußnahme von Aktionären über den internen Willensbildungsprozeß der Hauptversammlung als eines Organs der Gesellschaft. Solche Einflußnahmen müssen damit grundsätzlich von außen an die Verwaltung herangetragen werden. Das erleichtert wesentlich ihre konzernrechtliche Qualifikation. — — N u r in einem Organ, dessen Befugnisse und Pflichten satzungsfest fixiert sind, kann die Mitbestimmung der Arbeitnehmerseite einen klar umrissenen und seitens der Kapitaleigner nicht veränderbaren Stellenwert einnehmen. — V o n diesen Interessen wird das erste in einer strukturflexiblen K G a A im wesentlichen durch die unbeschränkte persönliche Haftung des Komplementärs gewahrt. Sie dürfte typischerweise eine spezifische Bindung an das Unternehmensinteresse gegenüber kurzfristigeren Kapitalverwertungsinteressen gewährleisten. Anm. 2). Notfalls können die Kommanditaktionäre die Umwandlung der K G a A in eine A G beschließen und den Komplementär auf Zustimmung verklagen, so Baumbach-Hueck, Anm. 6. Im übrigen gelten für Entziehung von Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht die Regeln des H G B . 3 8 Vgl. § 84 Abs. 1 AktG: Bestellung auf höchstens 5 Jahre; § 84 Abs. 3 A k t G : Jederzeitige stets sofort wirksame Abberufbarkeit aus wichtigem Grund.

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Hans-Joadiim Mertens

Dagegen läßt sich nicht leugnen, daß die K G a A dem Komplementär Herrschaftsmöglichkeiten einräumt, die es einem Unternehmen als Komplementär erlauben, die K G a A unter fremde Beherrschung zu stellen. Dieses Problem läßt sich mit den nach § 283 Nr. 3 AktG anwendbaren Haftungsvorschriften der §§ 93 und 117 AktG und der strafrechtlichen Verantwortung der Komplementäre jedoch praktisch einigermaßen befriedigend lösen, vorausgesetzt allerdings, man gestattet allein natürlichen Personen, geschäftsführender Komplementär in der K G a A zu werden. Entgegen der herrschenden Lehre 39 könnte eine juristische Person zwar als persönlich haftender Gesellschafter zugelassen werden, jedoch nur unter der Bedingung, daß ihre Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht ausgeschlossen ist. Wenn das Hanseatische O L G Hamburg auch Kapitalgesellschaften und die GmbH & Co. als geschäftsführende Komplementäre zulassen will 40 , so hat es offenbar weder die damit verbundenen konzernrechtlichen Implikationen durchschaut noch ausreichend gewürdigt, daß eine juristische Person oder eine GmbH & Co. als Komplementär nicht die gleiche Gewähr wie eine natürliche Person dafür bietet, daß sie durch die Gefahr einer Aktualisierung der unbeschränkten persönlichen Haftung zu sorgfältiger Geschäftsführung angehalten wird 41 . Es bleibt das Problem, daß die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der K G a A nicht den gleichen Stellenwert hat wie in der Aktiengesellschaft. Bis heute wird jedoch die unterschiedliche Rechtsposition eines mitbestimmten Aufsichtsrats in Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung als Folge der unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen mit Recht durchaus respektiert. Wer Mitbestimmung gut- oder bösgläubig als unabdingbare Ausprägung von Würde und Selbstbestimmung des Arbeitnehmers proklamiert, mag hier zu dem Ziel neigen, sie ohne Rücksicht auf die jeweilige Gesellschaftsform durchzusetzen. Wer in ihr ein wichtiges Sozialordnungsinteresse sieht, sich aber bewußt bleibt, daß auch sie neue Abhängigkeiten und Machtungleichgewichte schaffen kann, wird ihr zuliebe den gesellschaftsrechtlichen Formenreichtum nicht aufgeben. Ein ausreichendes Angebot differenzierter gesellschaftsrechtlicher Strukturen ist eine oft unterschätzte Voraussetzung für eine optimale marktwirtschaftliche Bindung von privatem Kapital im produktiven Sektor 42 . In diesem Zusammenhang sollte eine Gesellschaftsform nicht fehlen, die bei angemessener BerücksichtiVgl. oben Fn. 24. Vgl. oben Fn. 24. 41 Dazu insbesondere Pflug, a. a. O. 42 Zur Wachstumsverzögerung des Produktivvermögens vgl. Harms, Bartholomeyczik 1973, S. 101, 103. 39

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Festschrift

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gung von Aktionärs-, Arbeitnehmer- und Gläubigerinteressen dem Unternehmer den Zugang zum Kapitalmarkt eröffnet, ohne ihm seine marktwirtschaftliche Schlüsselrolle zu nehmen. Das mitbestimmungsrechtliche Problem wird im übrigen entschärft, wenn man — durchaus der herrschenden Meinung entsprechend43 — § 283 Nr. 4 AktG den Vorrang vor § 278 Abs. 2 AktG einräumt, Kontrollrecht und Kontrollpflicht des Aufsichtsrats in der KGaA nicht enger zieht als in der Aktiengesellschaft und § 90 AktG für die Berichtspflicht der Komplementäre ihm gegenüber uneingeschränkt anwendet. Die Verweisung des § 283 Nr. 4 AktG auf die Pflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat scheint mir in der Tat dahin verstanden werden zu müssen, daß der Aufsichtsrat auch in der KGaA nicht nur den Kapitaleigner-, sondern vor allem dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist und daß er auch hier, obwohl ihm das Zustimmungsrecht nach § 111 Abs. 4 Satz 2—4 AktG nicht zukommt und er das Management nicht auswählen kann, wie in der Aktiengesellschaft ein Forum kooperativer Kritik darstellt, das die Geschäftsführung nicht nur auf ihre Rechtmäßigkeit, sondern auch auf ihre Zweckmäßigkeit zu kontrollieren, sich ein eigenes Urteil über die Gestaltung der Unternehmenspolitik zu bilden und seine Zielkonzeption mit dem Komplementär zu diskutieren hat. Insofern verdient auch die herrschende Lehre Zustimmung, wenn sie in Anwendung von §112 AktG dem Aufsichtsrat Vertretungsmacht für die Gesellschaft zum Zwecke der Durchführung seiner Kontrollaufgaben zuerkennt. Vor allem ist zu betonen, daß die Berichterstattung der Komplementäre an den Aufsichtsrat und dessen Kontrollbefugnis auch Maßnahmen der Geschäftsführung umfaßt, die infolge besonderer Regelung in der Satzung nicht den persönlich haftenden Gesellschaftern obliegen44.

V. Folgerungen Damit scheint mir bereits bei entsprechender Auslegung des geltenden Rechts die KGaA die Zerreißprobe überwinden zu können, in die sie durch die auseinanderlaufenden Entwicklungen von Aktien- und Personengesellschaftsrecht gestellt ist. Bei einer künftigen Unternehmensrechtsform ließe sich der hier vorhandene Ansatz — möglicherweise unter Ausschluß von Großunternehmen — zu einer „Aktien43

Vgl. oben Fn. 31. Aus der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats ergeben sich auch gewisse Grenzen für die Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben auf ihn selbst (vgl. dazu Mertens in Kölner Kommentar, § 278 Anm. 84). 44

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gesellschaft der mittleren Linie" ausbauen, in der freie Organisation der Geschäftsführung und differenzierte Gestaltung einer Vermögensbeteiligung als Vorzüge der KGaA mit aktienrechtlicher Sicherheit für den Anleger und angemessener Berücksichtigung der Unternehmensund Arbeitnehmerinteressen kombiniert werden könnten. Sicherlich widerspricht eine solche Linie der modernen Grundtendenz des Aktienrechts, wie sie Mestmäcker bereits 1963 charakterisiert hat 45 : „Die Lösung der rechtlichen und der wirtschaftlichen Probleme der Aktiengesellschaft wird in einer neuen — von der Aktiendemokratie freilich weit entfernten — Wendung zu staatsrechtlichen Gedankengängen gesucht. Das Prinzip der Gewaltenteilung, der Interessenausgleich zwischen allen am Unternehmen Interessierten, die interessenpluralistische Legitimation der Unternehmensleitung, das autonome Gewissen der Korporation, jedenfalls aber die von der Gewinnmaximierung zur Wahrung des öffentlichen Interesses fortschreitende Motivation der Manager oder die öffentliche Meinung im allgemeinen sollen die Funktionen des Privatrechts und der verkehrswirtschaftlichen Ordnungselemente ersetzen." Immerhin bahnt sich parallel zu dieser Tendenz, die in der Aktiengesellschaft das Großunternehmen als sozialstaatliches Gebilde zu erfassen sucht, eine andere an (vielleicht geht man nicht fehl, wenn man einen Zusammenhang zwischen beiden vermutet): Der private Kapitalanleger verliert das Interesse an der Aktiengesellschaft. Einem bedenklich engen Aktienmarkt steht außer der Flucht in Grundstückswerte eine nicht selten die Grenzen des Leichtsinns überschreitende Anlagebereitschaft in Kommanditanteilen und ähnlichen Beteiligungsanlagen gegenüber. Die politischen Bestrebungen zur Verstärkung der Vermögensbildung einerseits und zur Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts zu einem stark sozialstaatlich beeinflußten Unternehmensrecht andererseits könnten so in einen gewissen Gegensatz zueinander geraten. Dieser läßt sich zwar aufheben, wenn man den Arbeitnehmer als Zwangssparer durch zentrale Fonds an den Unternehmen beteiligt; nicht einmal die Frage braucht man sich dann noch zu stellen, ob der Arbeitnehmer gegebenenfalls als privater Sparer die Tatsache seiner verstärkten Repräsentation in der Unternehmensleitung honorieren würde. Nur ist zu bezweifeln, ob dies eine grundrechtspolitisch wünschbare Entwicklung sein könnte. Es soll hier nicht vorschnell die Behauptung aufgestellt werden, daß eine Beseitigung der KGaA Grundrechtspositionen des

45 Mestmäcker, Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft im Aktienrecht, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Schriften des Vereins für Socialpolitik N F 33, 1964, S. 110.

Zur Existenzberechtigung der Kommanditgesellschaft auf A k t i e n

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Unternehmers, sei es nach Art. 2 oder 12 oder auch nach Art. 9 G G , verletzen würde. Welche Gestaltungsformen der Gesetzgeber für die freien Vereinigungen des Privatrechts ausprägt, ist weitgehend in sein Ermessen gestellt. Betreiben Gesellschafter ein Unternehmen, so kann es ihm nicht verwehrt sein, sie in angemessener Weise an dessen Belange und damit auch an die Interessen der Arbeitnehmer zu binden. Die Aufgabe einer rechts- und sozialstaatlichen Erfüllung der Grundrechte, über die Erhaltung ihres weiterhin unerläßlichen Abwehraspekts hinaus, läßt sich durchweg nicht auf der Basis der isolierten Interpretation eines Grundrechts lösen, sondern bedingt eine komplexere Sicht. Die Frage, welche soziale und freiheitliche Q u a l i t ä t eine in Bestandsinteressen eingreifende gesetzliche Maßnahme hat, ist hier von erheblicher Bedeutung. An die Stelle der starren Festschreibung einzelner Rechtspositionen wird stärker in den Vordergrund zu treten haben der Gesichtspunkt des due process im sozialen Wandel, die Forderung nach Verhältnismäßigkeit und damit nach Meßbarkeit, Geeignetheit, Sachlichkeit und Genauigkeit eines Eingriffs, das Kriterium der Zieleignung einer Reform und ihrer Reversibilität im Falle ihres Fehlschlages, nicht zuletzt das Gebot des Offenhaltens von Alternativen und damit der Abwehr totalitärer Lösungen 4 6 . Insofern ist die K G a A sicherlich alles andere als sakrosankt; die ihr zugrundeliegende Organisationsidee aber wird ein Gesetzgeber, der sich dem Systemwettbewerb in einer pluralistischen Wirtschafts- und Sozialordnung verpflichtet weiß, nicht ohne weiteres abschreiben dürfen.

4 8 Zur Grundrechtsproblematik vgl. insoweit etwa die R e f e r a t e v o n und Haberle, G r u n d r e n t e im Leistungsstaat, V V D S t R L 30, 1972.

Martens

Die Vorstandshaftung gegenüber sog. Neugläubigern bei Verletzung der Konkursantragspflicht des § 92 Abs. 2 AktG JOACHIM MEYER-LANDRUT

I. Einleitung 1. In Zeiten stagnierender oder gar zurückgehender allgemeinwirtschaftlicher Entwicklung rücken zwangsläufig gesetzliche Regelungen, die mittelbar oder unmittelbar dem Insolvenzrecht zuzuordnen sind, verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses. Verschiedene, teils auch in der Öffentlichkeit erörterte Insolvenzfälle haben die Frage nach der persönlichen Verantwortlichkeit der Organ-Mitglieder juristischer Personen nachdrücklich aufgeworfen. Hinsichtlich der im folgenden zu behandelnden Frage der Organverantwortlichkeit gegenüber Gläubigern bei Verletzung der gesetzlichen Konkursantragspflicht wird von der aktienrechtlichen Regelung ausgegangen. Danach hat gem. § 92 Abs. 2 A k t G der Vorstand bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der AG ohne sdiuldhaftes Zögern, spätestens aber innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Uberschuldung, die Eröffnung des Konkurs· oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zu beantragen. Verletzt der Vorstand diese Pflicht, stellt er also den Antrag sei es auf Eröffnung des Vergleichs- oder direkt des Konkursverfahrens nicht spätestens innerhalb von drei Wochen seit Eintritt des Insolvenzfalles, so sind Schädigungen von Dritten einmal denkbar dadurch, daß sich infolge der Antragsverzögerung die Masse für vorhandene Gläubiger vermindert, und zum anderen, indem neue Geschäftsbeziehungen aufgenommen oder bestehende erweitert werden, die nicht zustande gekommen wären, wenn die Insolvenz durch rechtzeitige Antragstellung bekannt geworden wäre. Die Regelung f ü r den Vorstand der A G gilt auch f ü r die persönlich haftenden Gesellschafter der K G a A (§ 283 N r . 14 AktG), die Liquidatoren (§ 268 Abs. 2 AktG), ferner die Geschäftsführer bzw. Liquidatoren der G m b H (§§ 64 Abs. 1, 71 Abs. 2 GmbHG). Für die Vorstandsmitglieder und Liquidatoren der Genossenschaft gelten die §§ 99 Abs. 1, 118, 140 Satz 2 GenG. Entsprechende Konkursantragspflichten treffen ferner Vorstandsmitglieder und Liquidatoren der juristischen Personen des bürgerlichen Rechts (§§ 42 Abs. 2, 53, 86).

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Soweit f ü r Köperschaften des öffentlichen Rechts der Konkurs zulässig ist, gilt gleichfalls die Antragspflicht (§ 89 Abs. 2 BGB). Durch Strafdrohung wird im AktG, G m b H G und GenG dem gesetzlichen Gebot Nachdruck verliehen 1 . 2.

Die Pflicht zur Beantragung des Vergleichs- oder Konkursverfahrens soweit Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist mit Beginn des letzten Krieges durch § 8 der V O vom 4. 9.1939 2 aufgehoben worden 3 . Für die Nachkriegszeit galt in der britischen Zone die V O des Zentraljustizamts vom 1. 7. 1947 4 , wonach bestimmte Verbindlichkeiten weder bei Zahlungsunfähigkeit noch bei Überschuldung die Konkursantragspflicht auslösten. Insbesondere die völlig wertlos gewordenen Forderungen gegen das Reich und andere staatliche und halbstaatliche Stellen machten eine derartige Regelung erforderlich. Damit wurden die Organe juristischer Personen in Zeiten eines allgemeinen wirtschaftlichen Notstandes von einer ihnen persönlich nicht anlastbaren Verantwortlichkeit freigestellt. Die bundeseinheitliche Regelung erfolgte in § 56 DMBilG vom 21. 8. 1949 5 , demzufolge die Konkursantragspflicht entfiel, wenn sich bei Aufstellung der DM-Eröffnungsbilanz eine Überschuldung ergab. Erst bei einer Überschuldung nach Neufestsetzung des Grund- oder Stammkapitals setzte die Antragspflicht ein. Die Kriegs V O vom 4. 9. 1939 wurde im übrigen durch § 1 Abs. 1 a HandelsRBerG vom 18.4. 1950 6 aufgehoben; seither gelten die Organpflichten zur Konkurs- bzw. Vergleichsantragstellung uneingeschränkt.

II. Rechtslage bei den einzelnen Gesellschaftsformen 1.

Aktienrecht

§ 92 Abs. 2 A k t G 1965 entspricht, von geringfügigen sprachlichen Änderungen abgesehen, der Regelung des § 83 Abs. 2 A k t G 1937, die ihrerseits bis auf nicht wesentliche Abweichungen, auf § 240 H G B 1

Vgl. §§ 401 AktG, 84 GmbHG, 148 GenG. RGBl. I, 1964. 3 So schon im Ersten Weltkrieg für den Fall der Zahlungsunfähigkeit gem. V O vom 8. 8.1914 (RGBl. 365). Auch die Antragspflicht im Falle der Überschuldung wurde in den anschließenden Wirtschaftskrisen vorübergehend bis Ende 1923 bzw. 1930 außer Kraft gesetzt (vgl. V O vom 28. 4.1920, RGBl. 696; Goldbilanz-VO vom 2 8 . 1 2 . 1 9 2 3 , RGBl. I, 1253; V O vom 25. 3.1930, RGBl. I, 93). 4 VOBlBritZ 105. 5 WiGBl. 279. « BGBl. 90. 2

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zurückgeht. Für den Liquidationszeitraum ergibt sich die Geltung des § 92 AktG aus § 268 Abs. 2 AktG. Die dem § 92 AktG entsprechende Strafvorschrift in § 401 AktG 1965 geht gleichfalls auf frühere Regelungen in § 2 9 7 AktG 1937 bzw. § 315 HGB zurück; allerdings hat der Gesetzgeber des AktG 1965 die Strafdrohung erheblich verschärft. Zu der kontrovers behandelten Frage hinsichtlich des Schutzumfangs von § 92 Abs. 2 AktG ist aus den Materialien zum AktG 1965 direkt nichts zu entnehmen. Der Meinungsstand entspricht dem, wie er auch zu § 83 AktG 1937 vertreten wurde. Demnach sieht die h. L. in § 92 Abs. 2 AktG zwar ein Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB für alle Gläubiger, also auch die sogenannten Neugläubiger, die erst nach Konkursreife mit der Gesellschaft derart in Geschäftsbeziehungen getreten sind, daß Kredite gewährt wurden, die bei rechtzeitig erfolgter Antragstellung durch den Vorstand vernünftigerweise nicht gewährt worden wären. Es wird aber ein Schadensersatzanspruch nur in dem Umfang anerkannt, wie infolge der Verzögerung des Antrags die zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung stehende Masse vermindert worden ist, nicht aber soweit sich Gläubiger überhaupt veranlaßt gesehen haben, der AG Kredit zu gewähren. Nur wenn Vorsatz i. S. von § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB (Betrug) vorliegt, wird ein voller Ersatzanspruch gegenüber den Vorstandsmitgliedern anerkannt7. Diese Lehre stützt sich auf die Rechtsprechung des R G zu § 249 Abs. 1 HGB ( R G 2 63, 324, betreffend die Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats) ferner R G J W 1935, 3301, Nr. 9 und RGZ 159, 211 (233) zu § 240 HGB, sowie insbesondere zu § 64 GmbHG 8 . Ihr ist in der aktienrechtlichen Literatur Weipert9 mit der Begründung entgegengetreten, daß audi gerade Neugläubiger ein schutzwürdiges Interesse daran haben, nicht mit einer bereits konkursreifen Gesellschaft in Rechtsbeziehungen zu treten. Die nicht erfolgte Offenbarung des tatsächlichen Vermögensstandes der Gesellschaft durch Verzögerung des Vergleichs- oder Konkursantrags entspreche dem Straftatbestand des (jetzt) § 400 AktG 1965 (unrichtige Darstellung), hinsichtlich dessen nach einhelliger Meinung10 der 7 Vgl. Staub-Pinner H G B Aufl., § 2 4 0 Anm. 1 3 ; Schlegelberger-Quassowski, A k t G 3. Aufl., § 8 3 A n m . 7 ; Teichmann-Köhler, A k t G 3. Aufl., § 8 3 Anm. 2 d ; Baumbach-Hueck, 13. Aufl., § 9 2 R z . 7 ; Mertens, Kölner K o m m . § 9 2 R z . 3 3 ; Meyer-Landrut, Großkomm. 3. Aufl., § 9 2 Anm. 9 ; Godin-Wilhelmi, 4. Aufl. § 9 2 A n m . 1 ; Menzel-Kuhn, 7. Aufl., § 1 0 3 Anm. 8 ; Jaeger-Weber, 8. Aufl., §103 Anm. 11. 8 Vgl. schon R G Z 72, 2 8 5 ; sowie grundlegend jetzt B G H Z 29, 100, sowie die Nachweise in Fn. 15. 9 In Großkomm. A k t G 1. Aufl., § 84 Anm. 6 6 . 1 0 Vgl. schon R G Z 63, 2 3 4 ; 157, 2 1 3 ; jeweils zu § 3 1 4 H G B ; Klug in G r o ß komm. A k t G 2. Aufl., § 2 9 6 Anm. 4 m. w. N .

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Schutzrechtscharakter i. S. von § 823 Abs. 2 B G B auch für Dritte, also nicht nur Gläubiger und Aktionäre, im Zeitpunkt der Pflichtverletzung, angenommen wird. Darüber hinaus verweist Weipert a. a. O. auf die durch das AktG 1937 im Vergleich zum früheren Aktienrecht des H G B herausgehobene Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des Vorstands, wie sie insbesondere in § 70 AktG 1937 ihren Ausdruck gefunden hat. Die von Weipert vertretene Meinung ist von Schilling11 allerdings eingeschrnäkt, übernommen worden; sie wird jetzt auch von Hefermehl12 mit der Begründung vertreten, der Zweck der Vorschrift bestehe nicht nur darin, das Vermögen der Aktiengesellschaft als Konkursmasse zu sichern und deren Verminderung zu verhindern, sondern auch darin, im öffentlichen Interesse Dritte zu schützen, die durch Kreditgewährung an eine konkursreife A G Schäden erleiden. 2.

GmbH-Recht

Zu § 64 GmbHG liegt die grundlegende Entscheidung B G H Z 29, 100, vor 13 , die an die Rechtsprechung des R G 1 4 und die h. L. zu § 64 GmbHG 1 5 anknüpft. Danach genießen den Schutz des Gesetzes zwar auch Personen, die erst nach dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens hätte gestellt werden müssen, Gläubiger der GmbH geworden sind. Diese Gläubiger können aber von den Geschäftsführern Schadensersatz nur in dem Umfang verlangen, in dem sie im Zeitpunkt, in dem die Forderung entstanden ist, eine Konkursquote erhalten hätten. Für die Liquidatoren der GmbH gilt § 7 1 Abs. 2 GmbHG, der auf § 6 4 GmbHG Bezug nimmt. Die BGH-Rechtsprechung ist auf erhebliche Kritik gestoßen. So weist Bergenroth16 unter Hinweis auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zu Ende des vorigen Jahrhunderts nach, daß damals ein dringendes rechtspolitisches Bedürfnis bestand, betrügerischen Machenschaften im Schutze der beschränkten Haftung der juristischen Personen auch durch die persönliche Haftbarmachung der beteiligten Organe entgegenzutreten. Angesichts dieser gesetzgeberischen Erfordernisse hält Bergenroth den § 64 Abs. 1 GmbHG für eine typische Ausformung des vom Gesetz In Großkomm. AktG 2. Aufl., § 84 Anm. 66 und 3. Aufl. § 93 Anm. 68. In Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, AktG § 92 Rz. 24. 1S Ihr folgen BGH DB 1960, 381; WM 1961, 1103; WM 1962, 527. 14 RGZ 72, 285; 73, 30. 15 Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl., § 6 4 Anm. 12; Scholz, GmbHG 4. Aufl., § 6 4 Anm. 13; s. auch ders. in N J W 1954, 1850; Baumbach-Hueck, 13. Aufl., § 6 4 Anm. 1 C; Scholz-Fischer, 7. Aufl., GmbHG, § 6 4 Anm. 3; Hauss in LM § 6 4 GmbHG Nr. 1; Trude, GmbHRdsch. 1959, 112. 16 MDR 1959, 199. 11

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bezweckten Gläubigerschutzes und damit eines Schutzgesetzes zu Gunsten Dritter. Zwar meint BGH 29, 100 (106) aus der Entstehungsgeschichte des GmbHG nur entnehmen zu können, daß der gebotene Gläubigerschutz insbesondere dadurch gewährleistet werden sollte, daß Konkursgrund bei den GmbH nicht nur Zahlungsunfähigkeit sondern auch Uberschuldung sei, und daß keine Anhaltspunkte für vom Gesetzgeber beabsichtigte weitergehende Schutzmaßnahmen zu Gunsten Dritter gegeben seien. Der Hinweis auf die für die GmbH als Konkursgrund übernommene Überschuldung dürfte aber nicht zwingend sein, da sich insoweit der Gesetzgeber der bereits geltenden Regelung in § 207 KO für die AG angeschlossen hat. Es kann audi nicht angenommen werden, worauf Winkler17 unter Heranziehung der Motive zum GmbHG hinweist, daß der vom Gesetzgeber ganz allgemein angestrebte Schutz des mit der Gesellschaft verkehrenden Publikums sich allein auf die Gründungsvorschriften und die Regelungen der Konkursvoraussetzungen beschränken sollte. Gerade die durch die Strafvorschrift des § 84 GmbHG sanktionierte Pflicht zur Konkurs- bzw. Vergleichsanmeldung bei Vorliegen des Konkursfalles deutet vielmehr darauf hin, daß der Gesetzgeber den Schutz Dritter durch eine entsprechende Verantwortlichkeit der handelnden Organe sicherstellen wollte. Hierauf machen auch Lambsdorff-Gilles18 in ihrer Kritik der BGH-Rechtsprechung aufmerksam, wobei auf die beschränkte Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers einer GmbH verglichen mit dem Gläubiger eines Einzelkaufmanns hingewiesen wird. Eingehend setzt sich auch Kühn19 mit der hier behandelten Frage auseinander, und kommt gleichfalls zu dem Schluß, daß die BGHRechtsprechung sich weder aus dem Wortlaut nodi aus der Entstehungsgeschichte oder der Zweckbestimmung der Vorschrift oder aus der Interessenlage überzeugend begründen lasse. Schließlich hat jüngst Lindacher20 aus Anlaß einer entsprechenden Entscheidung des österreichischen OGH, die von der bisher der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung folgenden Entscheidungspraxis abgewichen ist, sich dafür eingesetzt, den Schutzrechtscharakter der §§ 64 Abs. 1 GmbHG bzw. 92 Abs. 2 AktG unter weitergehender Berücksichtigung der Gläubigerinteressen bei entsprechender Verantwortlichkeit der handelnden Organe auszulegen. In dem vorliegenden RegEntw eines GmbH 21 ist eine sachliche Änderung von § 64 Abs. 1 GmbHG und eine Klärung der hier erör17 18 19 20 21

MDR 1960, 185; s. audi ders. in MDR 1959, 887. N J W 1966, 1551. N J W 1970, 589. DB 1972, 1424. BTDrudts. 7 / 2 5 3 .

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terten Streitfrage nicht vorgesehen. Die Vorschrift wird lediglich in § 74 RegEntw in Systematik und Wortlaut dem geltenden Aktienrecht angepaßt. 3. GenG Die Konkursantragspflicht des Vorstands der Genossenschaft ist in den § § 9 9 Abs. 1, 118, 140 Satz 2 GenG geregelt. Eine den § § 4 0 1 AktG und 84 GmbHG entsprechende Strafvorschrift findet sich in § 148 Abs. 1 Nr. 2 GenG. Ob den genossenschaftsrechtlichen Konkursantragspflichten gleichfalls ein Schutzrechtscharakter i. S. von § 823 Abs. 2 BGB zukommt, ist vom R G in LZ 1914, 864 2 2 erörtert und i. S. der bisherigen Rechtsprechung dahingehend entschieden, daß jedenfalls Dritte, sogenannte Neugläubiger, sich auf den Schutzgesetzcharakter der genannten Vorschrift nur eingeschränkt berufen können 22 . Die Frage einer direkten Vorstandshaftung gegenüber Gläubigern spielt im übrigen offenbar mit Rücksicht auf die allgemeine genossenschaftliche Haftpflicht der Vorstandsmitglieder (§ 9 Abs. 2 GenG) in der genossenschaftsrechtlichen Literatur keine besondere Rolle. 4. Juristische Personen des bürgerlichen

Rechts

Für den eingetragenen Verein, die Stiftung sowie für Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts folgt die Konkursantragspflicht des Vorstands aus § 42 Abs. 2 Satz 1 BGB 2 3 . Anders als hinsichtlich von AG, GmbH und Genossenschaft kennt das B G H eine Strafsanktion für den Fall der Verletzung der hier behandelten Antragspflicht nicht. Es wird aber in § 42 Satz 2 ausdrücklich folgendes statuiert: „Wird die Stellung des Antrags verzögert, so sind die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; sie haften als Gesamtschuldner." Das R G hat sich mit dieser Vorschrift auseinandergesetzt24, ohne letztendlich zu entscheiden, ob hiernach jeder Dritte geschützt wird, der einem überschuldeten Verein Kredit gewährt oder sonstige Rechtsgeschäfte mit ihm abschließt, oder ob nur verhindert werden soll, daß die Masse nicht zum Schaden der vorhandenen Gläubiger geschmälert wird. In der Literatur wird überwiegend und unter Berufung auf diese Entscheidung angenommen, daß auch die Neugläubiger schon 22 23 24

S. dazu audi RG J W 1935, 3301 (3302). S. audi §§ 53, 86, 89 Abs. 2 BGB. H R R 1936, 524.

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bei leicht fahrlässiger Pflichtverletzung des Vorstands Ersatzansprüche haben, wobei sich angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts die Frage, ob wir es mit einem Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB zu tun haben, nicht stellt 25 . Als § 42 Abs. 2 BGB Gesetz wurde, bestanden bereits die hinsichtlich der direkten Gläubigerhaftung bei Verletzung der Konkursantragspflicht zumindest im Wortlaut anders konzipierten Regelungen des Aktien-, G m b H - und Genossenschafts-Rechts. Aus den Gesetzesmaterialien zum BGB ist nicht ersichtlich, was den Gesetzgeber bewogen hat, in Bezug auf die juristischen Personen des bürgerlichen Rechts, bei im Prinzip gleicher Interessenlage, andere Haftungsvorschriften zu erlassen, wie hinsichtlich der juristischen Personen des Handelsrechts 26 . Auch die Entscheidung R G H R R 1936, 524, setzt sich mit der reichsgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere zu § 64 Abs. 1 G m b H G nicht auseinander. Wäre des Gericht dieser Rechtsprechung gefolgt, hätte es die Frage des Haftungsumfangs gegenüber Neugläubigern nicht offen lassen können.

III. Analyse der aktienrechtlichen Situation 1.

Die vorstehende Ubersicht über den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zur Frage des Haftungsumfangs der Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer der juristischen Personen des H a n dels·, des bürgerlichen und des öffentlichen Redits zeigt, daß die Argumentation nicht die Organisationsform und damit die Stellung des Organmitglieds der jeweiligen Korporation zum Ausgangspunkt nimmt, sondern unter dem Gesichtspunkt erfolgt, ob die in der Regel mit Strafsanktion versehenen gesetzlichen Konkurs- bzw. Vergleichsantragspflichten ihren Schutzwezck nur aus öffentlichem Interesse herleiten oder auch ein Schutz individueller Interessen bezweckt wird 2 7 , ob also ein Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB mit uneingeschränktem Ersatzanspruch vorliegt, oder ob direkte Ersatz25 Staudinger-Coing, 11. Aufl., § 4 2 Anm. 10; Ermann-^estermann, 5. Aufl., § 42 Anm. 3 und Soergel-Schultze-v. Lasaulx, 10. Aufl., § 42 Anm. 12; a. A. Denecke, BGB-RGRK, 11. Aufl., § 4 2 Anm. 2; Sauter-Schweyer, Der eingetragene Verein, 7. Aufl., S. 103; Palandt-Danckelmann, 32. Aufl., 1973, § 42 Anm. 3. 26 Vgl. die Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888, S. 104 f.; sowie die Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1897, S. 523. 27 Zur Problematik im einzelnen s. insbesondere Knöpfte, N J W 1967, 697.

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anspräche gegen die ihre Pflichten Verletztenden Organmitglieder nur im Rahmen des § 826 B G B durchgesetzt werden können. Die wesentlichen höchstrichterlichen Entscheidungen, wie sie in B G H Z 29, 100, zusammengefaßt ihren bisherigen Endpunkt erreicht haben, sind zu § 64 Abs. 1 GmbHG ergangen. Soweit sich Entscheidungen zum Aktienrecht finden, betreffen diese noch § 240 Abs. 2 H G B 2 8 . Rechtsprechung und Literatur zum Vereinsrecht des B G B hat sich dagegen nur mit dem Wortlaut der Vorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 2 B G B auseinandergesetzt, ohne auf die Frage nach dem Schutzrechtscharakter bzw. -umfang dieser Vorschrift einzugehen 29 . Ob aber wirklich die zum GmbH-, Genossenschafts- und Aktienrecht des H G B entwickelten Rechtssätze auch ihre undifferenzierte Übernahme auf das Aktienrecht, wie es sich seit A k t G 1937 von dem übrigen Gesellschaftsrecht fortentwickelt hat, erlauben, erscheint zweifelhaft. Allerdings läßt sich eine für das Aktienrecht abweichende Rechtslage nicht aus dem Umstand herleiten, daß die Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG gegenüber der Gesellschaft eine Ersatzverpflichtung haben, wenn sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung noch Zahlungen leisten, und daß diese Ersatzansprüche im Rahmen des § 93 Abs. 5 AktG unter eingeschränkten Voraussetzungen auch von den Gesellschaftsgläubigern geltend gemacht werden können. Denn insoweit weicht audi noch heute das Aktienrecht nicht grundlegend vom Recht der GmbH und der Genossenschaft ab 3 0 , und auch im Prinzip nicht vom Vereinsrecht, das gleichfalls eine Vorstandshaftung gegenüber dem Verein, wenn auch nur im eingeschränkten Maße, kennt 31 . Wohl aber ist die unterschiedliche gesellschaftsrechtliche Stellung der Organe bei den verschiedenen Gesellschaftsformen in Betracht zu ziehen, wenn man die Interessenlage sachgerecht würdigen will. Bereits Weipert hat, wie dargelegt 32 , in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des R G zu § 64 Abs. 1 GmbHG bzw. § 240 Abs. 2 H G B die durch das A k t G 1937 geschaffene selbständige und verantwortliche Stellung des Vorstands nicht nur der Öffentlichkeit sondern auch Dritten gegenüber herausgearbeitet und damit die gegebene unbeschränkte Schutzrechtsfunktion des (jetzigen) § 92 Abs. 2 AktG gerechtfertigt. Kann etwa die Gesellschaf terversammlung einer 28 Etwa R G J W 1935, 3301, sowie für die entsprechende Vorschrift des Genossenschaftsrechts R G L Z 1914, 864, N r . 10. 2 9 S. oben zu I. 4). 3 0 Vgl. § § 6 4 Abs. 2 GmbHG, 99 Abs. 2, 118 Abs. 2 GenG. 3 1 § 27 Abs. 3 i. V. m. §§ 664 bis 670 BGB. 3 2 S. Fn. 9.

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G m b H die Geschäftsführer durch die Möglichkeit jederzeitiger Abberufung 33 in einer praktisch erheblichen Abhängigkeit halten und durch ihre unbeschränkte Weisungsbefugnis 34 die Geschäftsführung als solche bestimmen und audi einzelne Maßnahmen durchsetzen, so gilt das alles in der A G nicht. Der Vorstand leitet die A G „unter eigener Verantwortung" (§ 76 Abs. 1 AktG). Eine Abberufung, bei in der Regel auf 5 Jahre erfolgender Bestellung, ist nur bei wichtigem Grund möglich, (§ 84 Abs. 3 AktG). Die Hauptversammlung hat gegenüber dem Vorstand keinerlei Weisungsrechte ( § 1 1 9 Abs. 2 AktG); gleiches gilt für den Aufsichtsrat (§111 Abs. 1 und Abs. 4 AktG). Selbständigkeit in der Leitung der A G und eine rechtlich stark abgesicherte Position gegenüber den Bestellungsorganen und der Hauptversammlung kennzeichnen die Position des Vorstands der A G im Unterschied zu den Organen anderer juristischer Personen. Konkret bedeutet das für den Fall der Antragspflicht nach § 92 Abs. 2 AktG, daß weder die Hauptversammlung noch der Aufsichtsrat den Vorstand an pflichtgemäßem Handeln, etwa durch vorzeitige Abberufung, hindern können, da es regelmäßig an einem wichtigen Grund im Sinne von § 84 Abs. 3 AktG fehlen wird, wenn keine anderen Umstände hinzukommen. 2. Aus dieser Sicht ist auch zu prüfen, welch einen Vertrauensschutz ein Dritter beanspruchen kann, wenn er mit einer konkursreifen A G in Geschäftsbeziehungen tritt, wenn eben diese Konkursreife dem Vorstand bekannt war, ohne daß die aus § 92 Abs. 2 AktG gebotenen Konsequenzen gezogen worden wären. Es ist zwar richtig, daß die Zahlungsfähigkeit und insbesondere auch die Kreditwürdigkeit in unserem Gesellschafts- und Wirtschaftsleben keinen besonderen Schutz genießen35, doch ist der Gläubiger einer natürlichen Person oder Personengesellschaft durch die unbeschränkte und regelmäßig (vom Fall der G m b H & Co. K G einmal abgesehen) unbeschränkbare Haftung auf eine vernünftige und das Risiko eingrenzende Weise geschützt. Der Gläubiger einer juristischen Person ist dagegen darauf angewiesen, zu vertrauen, daß der als Korrelat zur beschränkten Haftung vom Gesetzgeber angeordnete Konkursgrund der Überschuldung 36 auch tatsächlich durch die Anmeldung des Konkurses bekannt wird. 3 5 § 3 8 Abs. 1 G m b H G und entsprechend § 2 4 Abs. 3 Satz 2 GenG und § 2 7 Abs. 2 Satz 1 BGB. 3 4 § 45 G m b H G und entsprechend § 43 Abs. 1 GenG und § 32 Abs. 1 BGB. 3 5 S. etwa B G H Z 29, 100 (106). 3 6 Vgl. die Nachweise bei Winkler M D R 1960, 185 (186).

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Verschleiert der Vorstand diesen Umstand aus welchen Motiven audi immer, zögert er also durch Verschleppen des Antrags die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus, und tut er das auf Kosten argloser Neugläubiger, so ist nicht einzusehen, wieso nur bei vorsätzlicher Schädigungsabsicht (§ 826 BGB), und nicht schon bei fahrlässig in Kauf genommener Schädigung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 92 AktG) eine persönliche H a f t u n g eintreten soll. Auch gerade der Umstand, daß die Gesetzgeber in Zeiten allgemeiner schwerer wirtschaftlicher Erschütterungen die Organverantwortlichkeit in Insolvenzfällen ganz oder teilweise aufgehoben hat 37 , zeigt, daß Gläubigerschutz und die entsprechende individuelle Verantwortlichkeit der Organmitglieder zurückzutreten haben, wenn vernünftigerweise ein Vorwurf unredlichen Geschäftsgebarens nicht erhoben werden kann. Ist aber der wirtschaftliche Erfolg oder Mißerfolg dem Vorstand zuzuredinen, sa kann der gutgläubige Geschäftsverkehr auch darauf vertrauen, daß sich der Vorstand gesetzeskonform verhält. Die öffentliche Strafdrohung 3 8 ist angesichts der Schwerfälligkeit der Strafverfolgungsbehörden in sogenannten Wirtschaftsstrafsachen vergleichsweise wirkungslos. 3.

Das Urteil B G H Z 29, 100, ist vom 16. Dezember 1958. Hieraus ließe sich schließen, daß der Gesetzgeber des A k t G 1965, da er den Wortlaut von § 83 Abs. 2 AktG 1937 nur geringfügig sprachlich änderte 39 , die Lehre von der begrenzten Schutzwirkung dieser Vorschrift in bezug auf Neugläubiger in seinem Willen aufgenommen hat. Diesem Argument steht entgegen, daß ein Schweigen des Gesetzgebers nicht notwendig auch die Sanktion f ü r eine durch Rechtsprechung oder Wissenschaft gefundene Gesetzesauslegung bedeutet 40 . Es steht ferner entgegen, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung sich bisher mit der Frage der aktienrechtlichen Konkursantragspflicht, wie sie sich seit der Reform von 1937 im Rahmen der neubestimmten Stellung des Vorstands darstellt, nicht auseinandergesetzt hat. Es steht schließlich entgegen, daß der Gesetzgeber des A k t G 1965 auch den Gläubigerschutz als eines der Reformanliegen angesehen hat. Wenn auch die Verbesserung der Stellung und der Rechte der Aktionäre, insbesondere des Einzelaktionärs und der Aktionärsminderheiten, im Mittelpunkt der Reform standen, so kann insbesondere die von der Bundesregierung als besonders wichtiges Reformanliegen 4 1 bezeichnete 37 38 39 40 41

S. oben zu I. 2). S. Fn. 1. Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf bei Kropff, So Lindacher a. a. O. S. 1425. S. Regierungsbegründung a. a. O. S. 15.

AktG 1965, S. 121.

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Verbesserung der Rechenschaftspflicht der Verwaltung, verbunden mit einer erheblich erweiterten Publizität, nicht nur als eine Stärkung der Aktionärsrechte verstanden werden, denn tatsächlich wirkt sie sich als eine Schutzvorschrift auch zu Gunsten des allgemeinen Rechtsverkehrs nicht zuletzt der Gläubiger der Gesellschaft aus. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeugend, dem Gesetzgeber andererseits eine gleichsam stillschweigende Einschränkung der Rechtstellung der Gesellschaftsgläubigerin unterzuschieben.

IV. Ergebnis Es ist somit als Ergebnis festzuhalten, daß jedenfalls hinsichtlich der aktienrechtlichen Konkurs- bzw. Vergleichsantragspflicht des Vorstands gem. § 92 Abs. 2 AktG die Rechtsprechung und Lehre zu den entsprechenden Antragspflichten der Geschäftsführer bzw. Vorstände anderer Korporationen nicht ohne weiteres übernommen werden kann. Die besondere und in ihrer Unabhängigkeit und Selbständigkeit insoweit einzigartige Stellung des Vorstands der AG fordert audi eine andersartige Bestimmung der Verantwortlichkeiten, verglichen insbesondere mit dem Geschäftsführer einer G m b H oder dem Vorstand einer Genossenschaft oder eines Vereins. Es ist daher entgegen der insbesondere zu § 64 Abs. 1 G m b H G ergangenen Rechtsprechung anzunehmen, daß Gläubiger einer AG bei schuldhafter Versäumung der Antragsfrist zur Eröffnung des Konkurs- oder Vergleichsverfahrens ein uneingeschränkter Schadensersatzanspruch gegen die Vorstandsmitglieder zusteht, ohne daß vorsätzliche Schädigungsabsicht i. S. von § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB vorzuliegen braucht.

Zum Umkreis der von § 114 AktG Betroffenen WALTER OPPENHOFF

Paragraph 114 A k t G macht die Wirksamkeit eines Dienstvertrages, durch den ein Arbeitsverhältnis nicht begründet wird, oder eines Werksvertrages, durch den sich ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat der Gesellschaft gegenüber zu einer Tätigkeit höherer Art verpflichtet, von der Zustimmung des Aufsichtsrates abhängig mit der Folge, daß, wenn die Zustimmung nicht erteilt wird, das Aufsichtsratmitglied die Vergütung zurückzugewähren hat und nicht mit einem etwaigen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung aufrechnen kann. In § 115 A k t G wird die Gewährung eines Kredites an ein Aufsichtsratsmitglied von der Einwilligung des Aufsichtsrates abhängig gemacht, aber diese Einwilligungsvoraussetzung auch auf Kredite ausgedehnt, die an juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften gegeben werden sollen, deren gesetzlicher Vertreter bzw. Gesellschafter das Aufsichtsratsmitglied ist. Darüber hinaus bedarf es der Zustimmung des Aufsichtsrats für Kredite an Aufsichtsratsmitglieder eines von der Aktiengesellschaft abhängigen oder diese beherrschenden Unternehmens. Im Gegensatz dazu sind in § 114 A k t G diese Variationen nicht angesprochen. Dementsprechend wird in der Literatur darauf hingewiesen, daß sich § 114 AktG nur beziehe auf Verträge mit im Amt befindlichen Aufsichtsratsmitgliedern — nicht auf ausgeschiedene oder prospektive Aufsichtsratsmitglieder — und daß sich die Genehmigungspflicht auch nur auf Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern der Aktiengesellschaft selbst, nicht jedoch auf Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern von Konzerngesellschaften, beziehe 1 . Es ist naheliegend, aus der von §§115 und 89 A k t G abweichenden Formulierung des § 114 A k t G den Rückschluß zu ziehen, daß Verträge der in § 114 A k t G gekennzeichneten Art mit juristischen Personen, deren gesetzlicher Vertreter das Aufsichtsratsmitglied ist, oder Personenhandelsgesellschaften, deren Gesellschafter es ist, oder mit einem Aufsichtsratsmitglied einer abhängigen Gesellschaft oder umgekehrt einem Aufsichtsratsmitglied einer herrschenden Gesellschaft, der Zustimmung des Aufsichtsrates nicht bedürfen. Dieses Ergebnis würde jedoch einen Bruch mit einem Grundgedanken unserer Rechtsordnung bedeuten, der im übrigen im Aktienrecht 1 So z . B . Meyer-Landrut in Die A G 1968, S. 376.

im Großkommentar A k t G § 114 Anm. 3 und Schiaus

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Walter Oppenhoff

konsequent, aber daneben auch ζ. B. im Kreditwesengesetz, befolgt worden ist, nämlich dem Grundsatz, daß auch Vereinbarungen, auf die auszuweichen naheliegen würde, um der Genehmigungspflicht des Gesamtaufsichtsrates zu entgehen, einer gleichen Genehmigungspflicht unterliegen. Nach § 89 Abs. 4 AktG darf eine Aktiengesellschaft, wenn eines ihrer Vorstandsmitglieder zugleich gesetzlicher Vertreter oder Mitglied des Aufsichtsrates einer anderen juristischen Person oder Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft ist, dieser juristischen Person oder Personenhandelsgesellschaft Kredit nur mit Einwilligung des Aufsichtsrates gewähren; das gleiche gilt für Kredite an gesetzliche Vertreter eines abhängigen oder eines herrschenden Unternehmens sowie für Kredite an Ehegatten und minderjährige Kinder und für Kredite an Dritte für Rechnung eines Vorstandsmitglieds. Bei Krediten an Aufsichtsratsmitglieder findet sich eine entsprechende Bestimmung in § 115 Abs. 3 AktG für den Fall, daß ein Aufsichtsratsmitglied zugleich gesetzlicher Vertreter einer anderen juristischen Person oder Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft ist, wie für den Fall, daß ein Kredit an ein Aufsichtsratsmitglied seitens eines herrschenden oder eines abhängigen Unternehmens gewährt werden soll. Der gleiche Gedanke findet sich in § 164 Abs. 3 AktG. Danach ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Abschlußprüfer ausgeschlossen, bei der, falls sie juristische Person ist, ein gesetzlicher Vertreter, oder falls sie eine andere Rechtsform besitzt, ein Gesellschafter, aus einem Grund des § 164 Abs. 2 AktG nicht Abschlußprüfer sein kann. Diese Bestimmung geht in § 164 Abs. 3 Ziff. 3 AktG sogar soweit, daß eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht Abschlußprüfer sein kann, wenn bei einem ihrer Aufsichtsratsmitglieder ein Hinderungsgrund nach § 164 Abs. 2 AktG vorliegt. Dem entspricht in § 15 Kreditwesengesetz die Bestimmung, daß Kredite eines einstimmigen Beschlusses sämtlicher Geschäftsleiter und ausdrücklicher Zustimmung des Aufsichtsorgans bedürfen, wenn sie gewährt werden sollen an juristische Personen, bei denen ein Geschäftsleiter des Kreditinstituts gesetzlicher Vertreter oder Mitglied des Aufsichtsrates, oder an Personenhandelsgesellschaften, bei denen ein Geschäftsleiter Gesellschafter ist. Der gleiche Gedanke findet sich im Beurkundungsgesetz. Nach § 3 Abs. 1 Ziff. 4 soll ein Notar an einer Beurkundung nicht mitwirken, wenn es sich um eine Angelegenheit einer Person handelt, deren gesetzlicher Vertreter der Notar ist oder deren vertretungsberechtigtem Organ er angehört. Da auch § 113 AktG gegenüber dem alten Aktienrecht eine wesentliche Verschärfung hinsichtlich der Gewährung von Sondervergütungen an Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft gebracht

Zum Umkreis der von § 114 A k t G Betroffenen

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hat, ist überraschend, daß der zwischen § 113 und 115 AktG eingebettete § 114 A k t G den Umkreis der Betroffenen nicht weiter gefaßt hat. In diesem Zusammenhang ist die Entstehungsgeschichte des § 114 A k t G zu beachten. Die Bestimmung des § 114 AktG befand sich nicht im Regierungsentwurf. Sie ist vielmehr erst im Laufe der Beratungen des Aktiengesetzes im Bundestag auf Vorschlag mehrerer Ausschüsse eingefügt worden 2 . Im Ausschußbericht heißt es dazu, daß Rechtsausschuß, Wirtschaftsausschuß und Ausschuß f ü r Arbeit die Einfügung der neuen Vorschrift § 114 A k t G über Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern vorschlagen, um „sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen der Gesellschaft an einzelne Aufsichtsratsmitglieder und damit eine unsachliche Beeinflussung eines Aufsichtsratsmitglieds im Sinne des Vorstands" zu verhindern 3 . Das heißt also, den Ausschüssen des Bundestages schienen die im Regierungsentwurf des Aktiengesetzes enthaltenen Bestimmungen § § 1 1 3 und 115, die vom Bundestag im wesentlichen unverändert beschlossen wurden, nicht ausreichend, um die bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern unter Umständen gegebene Interessenlage f ü r die Gesellschafterversammlung bzw. den Gesamtaufsichtsrat durchsichtig zu machen und die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder vom Vorstand abzusichern. Den Ausschüssen des Bundestages lag somit eine Verschärfung der entsprechenden Bestimmungen bezüglich des Aufsichtsrates am Herzen. Diese Absicht des Gesetzgebers ist sehr verständlich, wenn man bedenkt, daß dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft nicht nur die Überwachung der Geschäftsführung und in Grenzen die Beratung des Vorstands obliegt, sondern vor allem die Bestellung und Wiederbestellung der Vorstandsmitglieder, und die Versuchung von Vorstandsmitgliedern nicht von der H a n d zu weisen ist, sich der Neigung von Aufsichtsratsmitgliedern f ü r eine Wiederbestellung zu versichern. N u n zeigt die allgemeine Erfahrung im Gesetzgebungsbereich, daß Abänderungen und Ergänzungen, die im Laufe der Beratungen im Bundestag vorgenommen werden, nicht so systematisch durchgearbeitet zu sein pflegen und vielleicht auch nicht durchgearbeitet werden können, wie die Entwürfe der Fachreferenten in den Ministerien. Es ist nicht gut denkbar, daß die Ausschüsse des Bundestages, die eine neue Bestimmung zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder von Bindungen gegenüber dem Vorstand und der Durchsichtigmachung ihrer Interessenlage für notwendig hielten, sie

2 8

Vgl. Ausschußbericht bei Kropjf A k t G , S. 158. Vgl. Ausschußbericht bei Kröpf}F A k t G , S. 158.

286

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nur in einer Form gewollt haben sollten, deren Umgehung nicht nur leicht möglich ist, sondern sich geradezu anbietet. In der Literatur herrscht Ubereinstimmung darüber, daß unter die in § 114 A k t G beschriebenen Vertragsarten ebensowenig Verträge im laufenden Warenverkehr fallen wie unter § 89 Abs. 4 AktG letzter Satz und § 1 1 5 Abs. 3 A k t G letzter Satz, sondern in erster Linie Beratungsverträge auf finanziellem, wirtschaftlichem, juristischem oder technischem Gebiet 4 . Aufsichtsratsmitglieder, welche Tätigkeiten dieser A r t ausüben, sind vielfach zugleich gesetzliche Vertreter juristischer Personen, oder Gesellschafter von Personengesellschaften, welche auf diesen Gebieten tätig sind, so zum Beispiel Bankdirektoren, Unternehmensberater, Personalberater, Rechtsanwälte, Steuerberater und consulting engineers. Die vom Gesetzgeber in die §§ 89 und 115 A k t G einbezogenen Umgehungstatbestände der Kreditgewährung an dritte Gesellschaften, bei denen das Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied gesetzlicher Vertreter bzw. Gesellschafter ist, liegen in der Praxis sicher ferner ab als der Abschluß eines Beratungsvertrages im Sinne von § 1 1 4 A k t G mit einem Unternehmen, bei dem das Aufsichtsratsmitglied gesetzlicher Vertreter bzw. Gesellschafter ist. Es ist nicht vorstellbar, daß die Ausschüsse des Bundestages bei der Einfügung des § 114 A k t G bewußt diese Umgehungsmöglichkeit des § 1 1 4 A k t G in Kauf genommen oder sie sogar beabsichtigt hätten; denn damit wäre der § 114 AktG bis zur Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt. Das verträgt sich nicht mit der erklärten Absicht der Ausschüsse, über die § § 1 1 3 und 115 A k t G hinaus eine Verschärfung der Vorschriften über die Absicherung der Unabhängigkeit und das Durchsichtigmachen der Interessenlage der Aufsichtsratsmitglieder in das Gesetz einführen zu wollen. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß, wenn man den Ausschußmitgliedern diese Konsequenz vor Augen geführt hätte, sie dem § 114 A k t G eine Formulierung gegeben hätten, die den Grundgedanken nun auch in Worten zum Ausdruck gebracht hätte, der in den §§ 89, 115, 163 A k t G und 15 K w G und 3 BeurkG enthalten ist. Es ist auch schwer vorstellbar, daß der Bundesgerichtshof sich bei der dargelegten Situation und der erklärten Absicht der Bundestagsausschüsse zu der engen Auslegung des § 114 AktG, d. h. der Anwendung dieser Bestimmung nur auf solche Verträge entschließen würde, die mit Aufsichtsratsmitgliedern selbst abgeschlossen sind, nicht aber auf Verträge mit juristischen Personen, die sie vertreten, oder Personengesellschaften, deren Gesellschafter sie 4 Vgl. v. Falkenhausen in Die AG 1966, S. 379; Meyer-Landrut kommentar AktG § 114 Anm. 1 ; Schiaus in Die A G 1968, S. 376.

im Groß-

Zum Umkreis der von § 114 AktG Betroffenen

287

sind. Denn die Folge einer solchen engen Auslegun würde sein, daß alsbald keine Gelegenheit mehr gegeben sein würde, den § 114 A k t G anzuwenden; man würde allein schon um der „Lästigkeit" zu entgehen, solche Verträge im Aufsichtsrat zu erörtern, in der Mehrzahl der Fälle auf Verträge mit Gesellschaften ausweichen. Ich bin deshalb der Auffassung, daß auch solche Verträge der in § 1 1 4 A k t G beschriebenen Art zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen, welche nicht mit Aufsichtsratsmitgliedern selbst, sondern mit juristischen Personen oder Personengesellschaften abgeschlossen sind, bei denen das Aufsichtsratsmitglied gesetzlicher Vertreter der juristischen Personen oder Gesellschafter der Personengesellschaft ist. Eine Ausdehnung der Genehmigungspflicht seitens des Aufsichtsrates auf Verträge einer Aktiengesellschaft mit einer juristischen Person, in deren Aufsichtsrat sich ein Mitglied des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft befindet — wie dies in § 89 Abs. 4 A k t G bei der Kreditgewährung an Vorstände und in der entsprechenden Abwandlung in § 164 Abs. 3 Ziff. 3 A k t G für den Abschlußprüfer und in etwa vergleichbar in § 15 Abs. 1 Ziff. 7 K w G bestimmt ist — erscheint bei den Bestimmungen über den Aufsichtsrat genau so wenig notwendig oder angebracht wie in § 115 AktG. Die Verbindung nur über Aufsichtsratsmitglieder wäre zu weit abgelegen. In diesem Zusammenhang bedarf jedoch ein anderer Punkt besonderer Beachtung. Die §§ 89 Abs. 4 und 115 Abs. 3 AktG, ebenso wie § 15 KwG, sprechen nur von Personenhandelsgesellschaften. Daraus wird die Schlußfolgerung gezogen und ausdrücklich in der Literatur vertreten, das Erfordernis der Einwilligung des Aufsichtsrates bestehe bei § 89 Abs. 4 A k t G nicht, wenn das Vorstandsmitglied an einer Personengesellschaft des bürgerlichen Rechts beteiligt ist und dieser der Kredit bewilligt werden soll5. N u n wird eine beratende Tätigkeit der Art, wie sie f ü r die Verträge gemäß § 114 AktG typisch ist, vielfach von Aufsichtsratsmitgliedern ausgeübt, die in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit mit Angehörigen des gleichen Berufes in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts vereinigt sind. Das gilt vor allem f ü r die Angehörigen freier Berufe, wie Rechtsanwälte, Steuerberater, etc. Diese Sozietäten, heute vielfach Partnerschaften genannt, sind Gesellschaften bürgerlichen Rechts 6 . Die in Sozietäten oder Partnerschaften zusammengeschlossenen Personen treten dem Auftraggeber als eine Einheit gegenüber; sie üben ihren Beruf als eine Einheit aus. Der einzelne Gesellschafter 5

Vgl. Meyer-Landmt im Großkommentar AktG § 89 Anm. 6 Abs. 3. « Vgl. Kornblum in Betriebsberater 1973, 218 ff., BGHZ 56, 360.

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288

nimmt Mandate regelmäßig namens der Sozietät als einer Einheit an 7 . Da nun Beratungsverträge zu den typischen Vertragsarten des § 1 1 4 A k t G gehören und der Abschluß von Beratungsverträgen mit Gesellschaften bürgerlichen Rechts einen Normalfall darstellen, geht es nicht an, Verträge der unter § 114 AktG fallenden Art mit Gesellschaften bürgerlichen Rechts von der Notwendigkeit freizustellen, sie vom Aufsichtsrat genehmigen zu lassen. Auch kann, da die Sozietät im beruflichen Verkehr als Einheit anzusehen ist, die Genehmigungspflicht nicht dadurch umgangen werden, daß der Vertrag mit einem anderen Mitglied der Sozietät abgeschlossen wird. Meiner Meinung nach bedürfen deshalb Verträge der in § 114 A k t G bezeichneten Art auch dann der Genehmigung des Aufsichtsrates, wenn sie mit einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts abgeschlossen werden, bei der ein Aufsichtsratsmitglied der Aktiengesellschaft Gesellschafter ist. Für eine Begrenzung der Genehmigungspflicht auf Verträge mit Personenhandelsgesellschaften fehlt von der Sache her jede Rechtfertigung. Die hier vertretene Auffassung führt weiter dazu, auch solche Verträge der in § 114 A k t G bezeichneten Art f ü r zustimmungsbedürftig anzusehen, die zwischen einem Aufsichtsratsmitglied einer juristischen Person, deren gesetzlicher Vertreter das Aufsichtsratsmitglied ist, oder einer Personengesellschaft, deren Gesellschafter es ist, und einem von der Aktiengesellschaft beherrschten Unternehmen abgeschlossen werden. Diese Konsequenz folgt nicht nur aus der hier befürworteten Parallelbehandlung des § 114 A k t G zu den §§ 89 und 115 AktG, sondern auch aus dem von den Urhebern dieser gesetzlichen Bestimmung verfolgten Zweck: eine Beeinflussung eines Aufsichtsratsmitgliedes ebenso zu verhindern wie ungerechtfertigte Sonderleistungen an ein Aufsichtsratsmitglied. Hätten Vorstand oder Aufsichtsratsmitglied die Erörterung eines von Letzterem oder einer von ihm vertretenen Gesellschaft mit der Aktiengesellschaft abgeschlossenen Beratungsvertrages im Aufsichtsrat zu scheuen oder die Nichterteilung der Zustimmung zu befürchten, so würde sich denn auch hier der Abschluß des Beratungsvertrages mit einem von der Aktiengesellschaft beherrschten Unternehmen anbieten, und zwar auch in diesem Falle noch viel eher als die Gewährung eines Kredits über ein von der Aktiengesellschaft beherrschtes oder ein sie beherrschendes Unternehmen. So würde denn auch eine Nichteinbeziehung der Verträge der in § 114 A k t G beschriebenen Art in die Genehmigungspflicht, die ein Aufsichtsratsmitglied mit einem von 7

Vgl. Anm. 6.

Zum Umkreis der von § 114 AktG Betroffenen

289

der Aktiengesellschaft beherrschten Unternehmen abschließt, zu einer Aushöhlung des § 114 A k t G führen. Dies kann, wie dargelegt, nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein. Verträge mit beherrschenden Gesellschaften können in diesem Zu-> sammenhang außer Betracht bleiben, weil der Vorstand einer Aktiengesellschaft zwar die Geschäfte eines von ihr beherrschten Unternehmens beeinflussen kann, nicht aber die Geschäfte eines diese Aktiengesellschaft beherrschenden Unternehmens, und andererseits der Vorstand einer beherrschenden Aktiengesellschaft nicht von dem Wohlwollen eines Aufsichtsrates eines von ihr beherrschten Unternehmens abhängig ist. Idi bin deshalb entgegen den Stimmen in der Literatur 8 , die besagen, daß Verträge von Aufsichtsratsmitgliedern mit Konzerngesellschaften nicht der Genehmigungspflicht unterliegen, der Auffassung, daß Verträge der in § 114 AktG bezeichneten Art zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen, audi wenn sie zwischen dem Aufsichtsratsmitglied oder einer Gesellschaft, deren gesetzlicher Vertreter bzw. Gesellschafter es ist, und einem von der Aktiengesellschaft beherrschten Unternehmen geschlossen werden. Der Umkreis der von § 114 A k t G Betroffenen kann im Grundsatz nicht kleiner sein als der des § 115 A k t G und lediglich die Variationen aufweisen, die sich aus den unterschiedlichen Sachverhalten ergeben. In den §§ 89 Abs. 4 und 115 Abs. 3 A k t G ist jeweils im zweiten Satz eine Ausnahme von der Genehmigungspflicht bei der Kreditgewährung an andere juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften vorgesehen für den Fall, daß diese mit der Gesellschaft verbunden sind. Im Bereich der Kreditgewährung kann diese Ausnahme praktische Fragen aufwerfen, die zu erörtern hier zu weit führen würde. Mit Bezug auf § 114 A k t G mag die Ausnahme bei der hier vertretenen Ansicht gelten; praktische Bedeutung kommt ihr bei § 114 AktG nicht zu. Die hier vertretene Ansicht über den Umkreis der von § 114 A k t G Betroffenen führt zu der weiteren Frage, ob auch Verträge zwischen der Aktiengesellschaft und einer juristischen Person der Genehmigungspflicht des Aufsichtsrates unterliegen sollten, bei der das Aufsichtsratsmitglied allein oder maßgeblich beteiligt, aber nicht gesetzlicher Vertreter ist. Diese Frage bietet sich erst recht an bei den §§ 89 und 115 AktG, und auch bei § 164 AktG. In § 89 AktG sind sogar andere juristische Personen erfaßt, bei denen das Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft nur Aufsichtsratmitglied ist. Nach § 164 8

377.

Vgl. Meyer-Landrut

im Großkommentar AktG § 89 Anm. 6; Schiaus

a.a.O.,

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A k t G kann eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht Abschlußprüfer sein, wenn ein Ausichtsratsmitglied nicht Abschlußprüfer sein kann. Aber der sehr viel näherliegende Fall, daß Kredit an eine juristische Person gegeben wird, an welcher ein Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft maßgebend beteiligt ist, ohne selbst ihr gesetzlicher Vertreter zu sein oder ihrem Aufsichtsrat anzugehören, wird vom Gesetz nicht angesprochen. Er ist auch seinerzeit im Referenten- und Regierungsentwurf nicht angesprochen worden. Man fragt sich nach den Gründen hierfür. Sicher hat man es bei maßgebender Beteiligung mit einem unter Umständen undurchsichtigen Sachverhalt zu tun, der eine größere Differenzierung zum Beispiel nach dem Maß der Beteiligung notwendig macht. Zudem bringt der Fall der Kreditgewährung an eine juristische Person, bei der ein Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft maßgebend beteiligt ist, f ü r den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft das Problem mit sich, daß die Beteiligungsverhältnisse bei anderen juristischen Personen, soweit nicht § 20 A k t G Anwendung findet, nicht publiziert werden. Dem Gesetzgeber mußte daran liegen, die Tatbestände des § 89 Abs. 4 und des § 115 Abs. 3 A k t G justiziabel zu halten. Wohl aus diesem Grund sind die Bestimmungen auf Tatbestände begrenzt, die aus öffentlichen Registrierungen und Veröffentlichungen zu entnehmen sind wie die Eigenschaft eines gesetzlichen Vertreters einer juristischen Person und eines Aufsichtsratsmitglieds. Solange der Gesetzgeber zu den § § 8 9 und 115 A k t G keine gesetzliche Regelung f ü r die Fälle trifft, in denen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft an einer anderen juristischen Person allein oder maßgebend beteiligt ist, ohne selbst gesetzlicher Vertreter oder Aufsichtsratsmitglied zu sein, können auf diese Tatbestände auch im Rahmen des § 114 A k t G gegenwärtig nur diejenigen Grundsätze Anwendung finden, die der B G H zur Frage des Durchgriffs durch die juristische Person auf den Gesellschafter entwickelt hat 9 . Die Frage des Umkreises der von § 114 A k t G Betroffenen wird f ü r die Zukunft an Bedeutung gerade dann gewinnen, wenn die Vorschriften über die Mitbestimmung erweitert und die Zusammensetzung des Aufsichtsrates geändert werden. Die hier vertetene Auffassung macht einen Gesetzesdefekt besonders sichtbar. In § 77 des BetrVG 1952 in der Fassung des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz von 1965 ist bezüglich der Zusammensetzung, der Rechte und der Pflichten des Zwangsaufsichtsrates » U. a. BGHZ 20, 4 und 14; BGHZ 29, 385, 392; Staudinger-Weber Anm. D 154 ff.

§ 242

Zum Umkreis der von § 114 AktG Betroffenen

291

bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit mehr als 500 Arbeitnehmern auch § 114, aber nicht § 115 AktG bezogen und für anwendbar erklärt worden. Aus der Sicht des Gesetzgebers 1965 ist es durchaus verständlich, daß er § 115 AktG nicht auf den Aufsichtsrat der GmbH nach dem BetrVG 1952 anwenden wollte. Aber unverständlich ist die Inbezugnahme des § 114 AktG, denn die Aufgaben des Aufsichtsrates der GmbH unterscheiden sich von denen des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft in einem Punkt ganz entscheidend: dem Aufsichtsrat der GmbH obliegt nicht die Bestellung der Geschäftsführer; vor allem gibt es bei der GmbH nicht die notwendige, regelmäßige Wiederbestellung wegen Ablauf der Bestellungsfrist. Infolgedessen treffen die oben wiedergegebenen Überlegungen, die den Gesetzgeber zur Einfügung des § 114 AktG veranlaßt haben, bei der GmbH nicht zu. Natürlich kann die Inbezugnahme des § 114 AktG bei der GmbH nicht zu einer anderen Auslegung, etwa für den Bereich der GmbH, sondern nur zu der Forderung an den Gesetzgeber führen, in § 77 BetrVG 1952 die Inbezugnahme des § 114 AktG zu streichen. Dem hat der Regierungsentwurf zum neuen GmbH-Gesetz Rechnung getragen. In der Begründung zu § 109 des Regierungsentwurfes zum GmbH-Gesetz heißt es, daß für Verträge der Gesellschaft mit Aufsichtsratsmitgliedern allgemein eine dem § 114 AktG entsprechende Regelung nidit erforderlich erscheine10.

10

Bundestagsdrucksache 7/253 S. 154.

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren "WINFRIED WERNER

I. D a s Auskunftsrecht des Aktionärs hat anläßlich der Aktienrechtsreform mannigfaltige Umgestaltungen erfahren. Entgegen ursprünglich abweichenden Vorstellungen des Bundesjustizministeriums 1 ist es zwar als Individualrecht 2 erhalten geblieben. In seinen Einzelheiten weicht es dagegen von dem Auskunftsrecht des Aktiengesetzes von 1937 beträchtlich ab. Seinem Gegenstand nach erstreckt es sich nicht mehr auf alle „Angelegenheiten der Gesellschaft, die mit dem Gegenstand der Verhandlung im Zusammenhang stehen" 3 , sondern es umfaßt nur noch Fragen, deren Beantwortung zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist. D i e Voraussetzungen, unter denen die A u s k u n f t verweigert werden darf, sind andererseits in § 131 Abs. 3 A k t G konkretisiert, und das Problem der Gleichbehandlung der Aktionäre im Rahmen des Auskunftsrechts ist neu in das Gesetz aufgenommen ( § 1 3 1 Abs. 4 A k t G ) . V o r allem unterscheidet sich das geltende Aktienrecht jedoch hinsichtlich der Durchsetzung des dem einzelnen Aktionär zustehenden Auskunftsanspruchs. Nach früherem Recht 4 entschied der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob eine Auskunft zu erteilen sei, und das Gericht konnte im Streitfall diese Entscheidung des Vorstandes nur daraufhin überprüfen, ob ein Ermessensmißbraudi vorliege. Nach dem Aktiengesetz von 1965 ist die Entscheidung des Vorstandes dagegen in vollem U m f a n g e gerichtlich nachprüfbar geworden. Die N a c h p r ü f u n g erfolgt gem. § 132 A k t G in einem besonderen Verfahren, das den Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterliegt und im Interesse einer schnellen Erledigung von Auskunftsstreitigkeiten im allgemeinen nur eine Instanz kennt; lediglich

1 Vgl. § 122 Abs. 3 des RefE, der ein gerichtlich durchsetzbares Auskunftverlangen nur anerkennen wollte, wenn es von einem Zehntel der anwesenden Aktionäre bzw. Aktionärvertreter oder von mindestens 25 Aktionären unterstützt wurde. 2 Zöllner im Kölner Kommentar zum AktG, § 131 Anm. 16, spricht von einem mitgliedschaftlichen Recht; der Sache nach dürfte darin kein Unterschied liegen. 3 Vgl. § 112 Abs. 1 AktG 1937. 4 Vgl. § 1 1 2 Abs. 3 AktG 1937.

294

Winfried Werner

bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung soll das zur E n t scheidung berufene Landgericht die sofortige Beschwerde zulassen. Neben dem Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 A k t G ist die Anfechtung von Hauptversammlungs-Beschlüssen mit der Begründung, der Vorstand habe eine Auskunft zu Unrecht verweigert und der angefochtene Beschluß beruhe auf dieser Gesetzesverletzung, zulässig geblieben. Positiv folgt dies aus § 243 Abs. 4 AktG, wo es heißt, daß es für eine Anfechtung, die auf Verweigerung einer Auskunft gestützt wird, unerheblich sei, „daß die Hauptversammlung oder Aktionäre erklärt haben oder erklären, die Verweigerung der Auskunft habe ihre Beschlußfassung nicht beeinflußt." Negativ ergibt sich die Zulässigkeit einer so begründeten Anfechtungsklage daraus, daß es in § 131 AktG, anders als in ähnlichen Vorschriften 5 , an einer die Anfechtung ausschließenden Bestimmung fehlt. Das Nebeneinander von Auskunftserzwingungsverfahren und Anfechtungsklage hat seit geraumer Zeit zu der Frage geführten welchem Verhältnis diese beiden Rechtsbehelfe zueinander stehen. Die Fragestellungen im einzelnen sind folgende: — Muß das Gericht, das im Anfechtungsprozeß zu entscheiden hat, die Klage abweisen, wenn ein Auskunftserzwingungsverfahren nicht stattgefunden hat? — H a t das mit der Anfechtungsklage befaßte Gericht den Rechtsstreit gem. § 148 Z P O auszusetzen, wenn ein Auskunftserzwingungsverfahren anhängig ist? — Ist das mit dem Anfechtungsprozeß befaßte Gericht an die im Auskunftserzwingungsverfahren ergehende rechtskräftige Entscheidung gebunden? Der Prüfung dieser drei von unserem Jubilar im Großkommentar zum Aktiengesetz 6 bejahten Fragen gilt die nachfolgende Untersuchung.

II. 1.

Betrachtet man gesetzes, so zeigt Anfechtungsklage bejaht haben. Bei

die Entstehungsgeschichte unseres heutigen Aktiensich, daß seine Verfasser die Notwendigkeit, der ein Auskunftserzwingungsverfahren vorzuschalten, der Erläuterung der Vorschriften des Referenten-

5 Z. B. §§ 304 Abs. 3 Satz 2, 305 Abs. 5 Satz 1, 320 Abs. 6 Satz 1, 375 Abs. 2 Satz 1, 388 AktG und ferner § 13 Satz 1 UmwG. « Barz in Großkomm. z. AktG 3. Aufl. § 132 Anm. 9.

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren entwurfs über das Auskunftsrecht des Aktionärs führte Franta folgendes aus 7 : M·



295 u. a.

1

Neben dem Spruchstellen verfahren läßt es der Entwurf wie das geltende Recht zu, daß der Aktionär einen Hauptversammlungsbeschluß, mit dessen Gegenstand die verweigerte Auskunft zusammenhing, durch Erhebung einer auf gesetzwidrige Verweigerung der Auskunft gestützten Anfechtungsklage angreift (E § 230 Abs. 1). Anders als nach geltendem Recht entscheidet das mit der Anfechtungsklage befaßte ordentliche Gericht jedoch nicht selbst über die Frage, ob die Auskunft zu Unrecht verweigert worden ist. Für die Entscheidung dieser Frage ist vielmehr die Spruchstelle ausschließlich zuständig (E § 123 Abs. 1 Satz 1). Das ordentliche Gericht, bei dem die Anfechtungsklage anhängig ist, muß demgemäß sein Verfahren bis zur Entscheidung der Spruchstelle aussetzen. An die Entscheidung der Spruchstelle ist es gebunden (E § 123 Abs. 5)." . . . In gleichem Sinne äußerte sich Eckardt8: „... Nach geltendem Recht kann der Aktionär, dem eine Auskunft verweigert worden ist, sowohl auf Erteilung der Auskunft klagen als auch den Hauptversammlungsbeschluß anfechten, der in Zusammenhang mit der Verletzung seines Auskunftsrechts gefaßt worden ist. Mit der Auskunftsklage kann er die gewünschte Auskunft erhalten, mit der Anfechtungsklage den Hauptversammlungsbeschluß für nichtig erklären lassen. Der Entwurf läßt ihm beide Wege. Er kann sich, wenn es ihm allein auf die Auskunft ankommt, damit begnügen, die Spruchstelle anzurufen. Er kann aber auch, wenn er den Hauptversammlungsbeschluß zu beseitigen wünscht, Anfechtungsklage erheben und sie darauf stützen, daß der Beschluß wegen unberechtigter Auskunftsverweigerung das Gesetz verletze. Für diese Anfechtungsklage besteht ein wesentlicher Unterschied zum geltenden Recht. Ficht der Aktionär wegen Verletzung seines Auskunftsrechts den Hauptversammlungsbeschluß an, so muß er daneben auch die Sprudistelle anrufen. Darüber, ob die Auskunft zu geben ist, entscheidet nach dem Entwurf ausschließlich die Spruchstelle. Das für den Anfechtungsrechtsstreit zuständige Gericht ist an die Entscheidung der Spruchstelle gebunden (E § 123 Abs. 5). Entscheidet die Spruchstelle, daß der Vorstand die Auskunft zu geben hat, so steht für das Anfechtungsverfahren die Rechtsverletzung fest." . . . Die Begründung des Regierungsentwurfs liegt ganz auf der Linie dieser Meinungsäußerungen, wenn es dort heißt 9 : » · · ·

Uber die Berechtigung der Auskunftsverweigerung kann nur in diesem besonderen Verfahren entschieden werden. Die Zuständigkeit nach § 132 ' DAS WERTPAPIER 1959 S. 6 ff. (11). NJW 1959 S. 9 ff. (12 f.). 9 Begründung RegE bei Kropff S. 189 f.

8

296

Winfried Werner

ist eine ausschließliche (Absatz 1 Satz 1). Damit wird eine einheitliche Rechtsprechung gewährleistet. H ä n g t die Entscheidung eines anderen Rechtsstreits, insbesondere eines Anfechtungsverfahrens, davon ab, ob die Auskunft zu geben ist, so hat das mit diesem Verfahren befaßte Gericht den Rechtsstreit auszusetzen, bis das nach § 132 zuständige Gericht die Frage entschieden hat. Das Verfahren setzt einen Antrag voraus (Absatz 1 Satz 1). Antragsberechtigt ist nicht nur der Aktionär, dem der Vorstand die Auskunft verweigert hat. Vielmehr kann auch jeder andere in der Hauptversammlung erschienene Aktionär den Antrag stellen, wenn er in der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat und wenn über den Gegenstand der Tagesordnung, auf den sich die Auskunft bezog, ein Hauptversammlungsbeschluß gefaßt worden ist (Absatz 2 Satz 1). Das Antragsrecht des Aktionärs, der die Auskunft nicht selbst verlangt hat, ist deshalb erforderlich, weil auch dieser Aktionär den Hauptversammlungsbeschluß wegen der Auskunftsverweigerung anfechten kann und zur Durchführung des Anfechtungsverfahrens die Entscheidung des Gerichts nach § 132 darüber benötigt, ob der Vorstand die Auskunft zu geben hat."

Wie insbesondere der letzte Satz dieses Zitats zeigt, ging die Begründung des Regierungsentwurfs ganz eindeutig davon aus, daß der Aktionär bei Erhebung einer auf unberechtigte Auskunftsverweigerung gestützten Anfechtungsklage zusätzlich auch ein Auskunftserzwingungsverfahren einleiten müsse. 2.

Anscheinend hatten die Verfasser des Aktiengesetzes so wenig Zweifel daran, daß die neuen Vorschriften über das Auskunftsrecht nur in dem vorstehenden Sinne verstanden werden könnten, daß sie es nicht f ü r erforderlich hielten, im Gesetzestext selbst eine eindeutige Klarstellung vorzunehmen. N u n sind Gesetze jedoch anerkanntermaßen und insbesondere nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 10 nicht nach der subjektiven Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder auszulegen; maßgebend ist vielmehr der objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt im Rahmen der Auslegung nur insofern Bedeutung zu, „als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Aus10 B V e r f G 1, S. 299 ff. (312); 8 S. 274 ff. (307); 10 S. 234 ff. (244); 11 S. 126 ff. (130 f.); 19 S. 166 ff. (176) und S. 354 ff. (362); 21 S. 209 ff. (218); 24 S. 1 ff. (15).

Anfechtungsklage und A u s k u n f t s e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n

297

legung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können" 1 1 . 3. Darüber, ob § 132 A k t G in Anwendung dieser Grundsätze so ausgelegt werden muß, wie seine Verfasser es sich vorgestellt haben, herrscht Streit. Während der eine Teil der Literatur die Frage eindeutig bejaht 1 2 , vertreten andere Autoren 1 3 ebenso nachdrücklich die Auffassung, daß Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren selbständig nebeneinander stünden, daß es nach allgemeinen Grundsätzen von Fall zu Fall entschieden werden müsse, ob das eine Verfahren mit Rücksicht auf das andere auszusetzen sei, und daß das mit der Anfechtungsklage befaßte Gericht nicht an die in dem Auskunftserzwingungsverfahren ergehende Entscheidung gebunden sei. Zwischen diesen beiden Auffassungen stehend, geht eine Mittelmeinung dahin, daß über die Anfechtungsklage zwar auch ohne Durchführung eines Auskunftserzwingungsverfahrens positiv entschieden werden könne, daß jedoch, falls ein derartiges Verfahren schwebe, ein Zwang zur Aussetzung und eine Bindung an die in jenem Verfahren ergehende Entscheidung bestehe 14 . Auf die Argumente, die für diese unterschiedlichen Ansichten ins Feld geführt werden, ist nachstehend im einzelnen einzugehen.

III. l.

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren verfolgen unterschiedliche Ziele. Während die Anfechtungsklage darauf gerichB V e r f G 1 S. 312. Barz, a . a . O . § 1 3 2 A n m . 9 ; Baumbach-Hueck, K o m m , z u m A k t G , 13. Aufl. § 132 A n m . 3 und 7; Obermüller-Werner-Winden, D i e H a u p t v e r s a m m l u n g der Aktiengesellschaft, 3. Aufl. S. 326 f f . ; Ebenroth, D a s Auskunftsrecht des A k t i o n ä r s und seine Durchsetzung im Prozeß, S. 160 ff.; Eckardt, N J W 1959 S. 9 ff. (12 f.) und S P A R K A S S E 1965 S. 325 ff. ( 3 2 7 ) ; Franta, D A S W E R T P A P I E R 1959 S. 6 ff. (11); Oppenhoff, Beiträge zur Aktienrechtsreform, S. 156 f . ; Werner, Die Aktiengesellschaft 1968 S. 183; neuerdings auch Eckardt in Geßler-HefermchlEckardt-Kropff, K o m m e n t a r z u m A k t G § 132 A n m . 8 f f . ; o f f e n gelassen in O L G D ü s s e l d o r f , D B 1967 S. 2157. 11

12

13 Schilling in G r o ß k o m m , zum A k t G 3. Aufl. § 243 A n m . 12; Zöllner, a.a.O. § 131 A n m . 98 und § 132 A n m . 7 ; Möbring-Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, B d . 1 T z . 3 9 3 ; Lutter, Deutsche Notarzeitschrift 1971 S. 506 f., jedoch mit der Besonderheit, d a ß er eine B i n d u n g des Prozeßgerichts an eine im Ausk u n f t s e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n ergangene Entscheidung a n n i m m t ; Meyer-LandrutMiiier, D i e Aktiengesellschaft 1970 S. 157 ff. 14

Godin-Wilhelmi,

K o m m , z u m A k t G 4. Aufl. § 132 A n m . 3.

298

Winfried Werner

tet ist, einen Hauptversammlungsbeschluß, der auf einer unbegründeten Auskunftsverweigerung beruht, durch gerichtliches Urteil vernichten zu lassen, ist es das Ziel des Auskunftserzwingungsverfahrens, die Auskunfterteilung durch gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. In beiden Verfahren kommt es allerdings ausschlaggebend darauf an, ob ein Auskunftsanspruch bestand oder nicht. Während jedoch die Beurteilung dieses Problems im Anfechtungsprozeß nur eine Vorfrage darstellt, wird im Auskunftserzwingungsverfahren, das den Vorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit untersteht 1 5 , über den Anspruch selbst entschieden. 2. Das den Gegenstand des Auskunftszerwingungsverfahrens bildende Rechtsverhältnis ist bei dieser Sachlage für den Anfechtungsprozeß vorgreiflich. Damit besteht eine Anknüpfung an § 148 Z P O . Nach dieser Vorschrift kann das Prozeßgericht einen Rechtsstreit, wenn dessen Entscheidung von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur E n t scheidung der Verwaltungsbehörde aussetzen. Vorgreifliche Rechtsverhältnisse, die den Gegenstand eines den Grundsätzen der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterstehenden Verfahrens bilden, werden in § 148 Z P O zwar nicht erwähnt. Ihrem Sinn nach bezieht sich die Vorschrift nach allgemein anerkannter Meinung aber auch — von gewissen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen — auf solche Rechtsverhältnisse 1 6 . Die Feststellung, daß § 148 Z P O auf das Verhältnis zwischen Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren anwendbar ist, hilft allerdings nicht viel weiter. a) Die in § 148 Z P O vorgesehene Möglichkeit, unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen einen Prozeß bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits auszusetzen, ist im allgemeinen nur gegeben, wenn der andere Rechtsstreit bereits anhängig ist. Allerdings gibt es von dieser Regel einige Ausnahmen. In erster Linie gehören hierher die Fälle, in denen gesetzliche Vorschriften vorsehen, daß das andere Verfahren im Vorwege stattzufinden hat, in denen also die allgemeine N o r m des § 148 Z P O durch Spezialvorschriften,

15 16

Vgl. § 132 Abs. 3 S. 1 i. V. mit § 99 Abs. 1 AktG. Vgl. dazu Stein-Jonas, Komm. z. Z P O , 19. Aufl. § 148 Anm. V 1.

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren

299

wie z. B. § 96 Abs. 2 G W B und § 638 Abs. 2 R V O , verdrängt wird 1 7 . Ferner ist in diesem Zusammenhang der Fall zu nennen, daß in einem Zivilprozeß mit einer öffentlichrechtlichen Gegenforderung aufgerechnet werden soll. D a die etwaige Feststellung des Zivilrichters, daß die Gegenforderung nicht bestehe, in Rechtskraft erwächst (§ 322 Abs. 2 Z P O ) , verlangt die Rechtsprechung hier, daß die Gegenforderung zunächst in dem für sie maßgeblichen Rechtsweg geltend gemacht wird; der Zivilrichter hat dem Beklagten dazu eine Frist zu setzen 1 8 . Aus § 148 Z P O läßt sich somit die Frage, ob der Anfechtungsklage ein Auskunftserzwingungsverfahren vorzuschalten ist, nicht ohne weiteres beantworten. Im Verhältnis zwischen Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren scheint es an besonderen, einen Aussetzungszwang begründenden Tatbeständen zu fehlen. Einerseits gibt es keine entsprechende gesetzliche Vorschrift; ihr Fehlen hat vielmehr gerade erst die hier untersuchten Fragen aufgeworfen. Die Feststellung des im Anfechtungsprozeß entscheidenden Richters, dem A n fechtungskläger habe ein Auskunftsanspruch zugestanden, erwächst andererseits auch nicht in Rechtskraft; vielmehr handelt es sich bei dieser Feststellung um eine Aussage im Rahmen der Entscheidungsgründe 1 9 . b) Ebenso unergiebig ist § 148 Z P O hinsichtlich der Beantwortung unserer zweiten Frage, ob der Anfechtungsprozeß ausgesetzt werden muß, wenn ein Auskunftserzwingungsverfahren schwebt. Denn auch wenn über das vorgreifliche Rechtsverhältnis bereits ein anderer Rechtsstreit anhängig ist, sieht die Vorschrift keinen Aussetzungszwang, sondern nur eine Aussetzungsbefugnis vor und stellt die E n t scheidung, ob von dieser Befugnis Gebrauch gemacht wird, ganz in das Ermessen des Gerichts 2 0 . Auch hier gelten zwar die unter a) genannten Ausnahmen, deren Voraussetzungen indessen, wie erwähnt, im Verhältnis zwischen Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren nicht gegeben sind. So gesehen könnte, wenn sich

17 Stein-Jonas, a . a . O . § 1 4 8 Anm. II 2 ; Baumbach-Lauterbach, Komm. z. Z P O 30. Aufl. § 148 Anm. 2 A. § 96 Abs. 2 G W B bestimmt, daß, wenn der Ausgang eines Rechtsstreits von einer nach dem G W B zu treffenden Entscheidung abhängt, das Gericht das Verfahren bis zum Erlaß dieser Entscheidung auszusetzen hat. Eine sachlich ähnliche Regelung enthält § 638 Abs. 2 R V O . 1 8 B G H Z 16 S. 124 ff. (138 ff.). 19 Baumbach-Lauterbach, a . a . O . § 3 2 2 Anm. 2 C e ; Stein-Jonas, a.a.O. §322 Anm. VI 4 a. 20 Baumbach-Lauterbach, a . a . O . § 1 4 8 Anm. 2 A ; Stein-Jonas, a.a.O. §148 Anm. II 2 ; vgl. grundsätzlich dazu auch B G H Z 16 S. 124 ff.

300

Winfried Werner

nicht aus anderen Überlegungen eine abweichende Beurteilung ergeben sollte, das mit der Anfechtungsklage befaßte Gericht das Be-, stehen eines Auskunftsanspruchs als Vorfrage behandeln und über sie, obwohl sie in den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehört, entscheiden. c) Die dritte Frage, ob das im Anfechtungsprozeß entscheidende Gericht an eine im Auskunftserzwingungsverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung gebunden ist, scheint sich aus § 148 Z P O nur negativ beantworten zu lassen. Denn es entspricht allgemeiner Meinung, daß es grundsätzlich an einer derartigen Bindung fehlt. An einer von diesem Grundsatz abweichenden ausdrücklichen Sondervorschrift fehlt es, da die für einige andere aktienrechtliche Spruchstellenverfahren geltende Bestimmung, daß die in den betreffenden Verfahren ergehende Entscheidung „für und gegen alle" wirkt, im R a h men des § 132 A k t G nicht anwendbar ist; § 132 Abs. 3 A k t G verweist nicht auf den insoweit maßgeblichen § 99 Abs. 5 Satz 2 A k t G . § 148 Z P O ist somit nicht geeignet, die oben wiedergegebene Ansicht der Verfasser des § 132 A k t G zu stützen 21 . 3. Einige Autoren sehen gerade den eben erwähnten Umstand, daß die im Auskunftserzwingungsverfahren ergehende Entscheidung nicht „für und gegen alle" wirkt, als beachtliches Indiz dafür an, daß die drei oben gestellten Fragen zu verneinen seien, daß also die Anfechtungsklage und das Verfahren gem. § 132 A k t G selbständig nebeneinander stünden 22 . Diese Schlußfolgerung erscheint auf den ersten Blick in der T a t bestechend, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß noch im Referentenentwurf des Aktiengesetzes eine entsprechende Regelung vorgesehen war, wenn es dort ( R e f E § 123 Abs. 5) hieß: „Die Entscheidung wird mit der Rechtskraft wirksam; sie bindet die Gerichte." Einer genaueren Nachprüfung hält diese Auffassung m. E. nicht stand. a) Die Frage, ob in Spruchstellenverfahren ergehende Entscheidungen eine erweiterte Rechtskraftwirkung haben sollen, ist im Aktiengesetz nicht einheitlich beantwortet. Zumeist hat sich das Gesetz für Vgl. oben bei Anm. 7 und 8. Schilling, a . a . O . § 2 4 3 Anm. 12; Meyer-Landrut-Miller, schaft 1970 S. 158. 21 22

Die Aktiengesell-

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren

301

eine Ausdehnung der Rechtskraft entschieden, so in dem Verfahren über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 99 Abs. 5 Satz 2 AktG), im Falle der gerichtlichen Entscheidung über die abschließenden Feststellungen der Sonderprüfer gem. § 260 AktG 23 , in den Spruchstellen verfahren nach §§ 306, 320 AktG und bei der gerichtlichen Nachprüfung der Barabfindung im Falle der Umwandlung einer AG und einer KGaA in eine GmbH (§§ 375, 388 AktG). Die gegenteilige Lösung findet sich demgegenüber im Falle des Auskunftserzwingungsverfahrens und im Zusammenhang mit dem Spruchstellenverfahren bei Meinungsverschiedenheiten zwischen der Gesellschaft und ihren Abschlußprüfern (§ 169 AktG). Betrachtet man die Sachverhalte, die diesen unterschiedlichen Regelungen zugrundeliegen, so wird deutlich, daß die erweiterte Rechtskraftwirkung dort vorgesehen ist, wo unterschiedliche Entscheidungen schlechterdings nicht tragbar wären. Es wäre ζ. B. unvertretbar, wenn das Gesetz die Möglichkeit zuließe, daß in einem gerichtlichen Verfahren nach den §§ 98 f. AktG entschieden würde, ein Aufsichtsrat sei nach § 76 BetrVerfG 1952 zusammenzusetzen, in einem anderen Verfahren dagegen von einer anderen Auffassung ausgegangen würde. Ebenso müßte man es von der Sache her als unhaltbar ansehen, wenn nach § 260 AktG mit Bezug auf die Frage der Unterbewertung ein und desselben Bilanzpostens unterschiedliche Entscheidungen ergehen könnten. Untragbar wäre es schließlich auch, wenn die Angemessenheit einer Abfindung gegenüber verschiedenen Aktionären gerichtlicherseits unterschiedlich beurteilt werden dürfte. Die erweiterte Rechtskraftwirkung soll somit in diesen Fällen verhindern, daß über gleichartige Anträge unterschiedlich entschieden wird. Sie verfolgt dagegen nicht das Ziel zu verhindern, daß in einem Anfechtungsprozeß das Rechtsverhältnis, das den Gegenstand des Spruchstellenverfahrens bildet, anders beurteilt wird als im Spruchstellenverfahren selbst. Dieses Ziel wird durch andere Vorschriften erreicht. Soweit es das Spruchstellenverfahren über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats betrifft, hat der Gesetzgeber in § 96 Abs. 2 AktG festgelegt, daß ein Aufsichtsrat nach anderen als den bisherigen Vorschriften nicht zusammengesetzt werden kann, solange nicht das außergerichtliche Verfahren nach § 97 AktG oder das gerichtliche Verfahren nach den §§ 98 f. AktG stattgefunden hat. Bis zum Abschluß dieser Verfahren ist die Zusammensetzung des Aufsichtsrats somit 23 Ein Antrag auf gerichtliche Ü b e r p r ü f u n g kommt allerdings nur in Betracht, soweit sich die abschließenden Feststellungen der Sonderprüfer auf Unterbewertungen beziehen; abschließende Feststellungen über eine Unvollständigkeit des Geschäftsberichts sind nach § 260 A k t G nicht angreifbar.

302

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rechtmäßig 24 , so daß sie schon aus diesem Grunde nicht den A n l a ß f ü r eine Anfechtungsklage bilden kann. Was das gerichtliche Verfahren nach § 260 A k t G betrifft, so k o m m t eine Anfechtung ebenfalls nicht in Betracht, weil das Gericht dort über Teile des Inhalts der Jahresbilanz entscheidet 25 und eine Anfechtung gem. § 257 Abs. 1 Satz 2 A k t G nicht darauf gestützt werden kann, daß der Inhalt des Jahresabschlusses gegen Gesetz oder Satzung verstößt. In den Spruchstellenverfahren nach §§ 306, 320, 375 und 388 A k t G ist die Anfechtung mit der Begründung, der vorgesehene Ausgleich bzw. die angebotene Abfindung sei nicht angemessen, schließlich ebenfalls ausdrücklich ausgeschlossen. b) Aus der Tatsache, d a ß die im Auskunftserzwingungsverfahren ergehende Entscheidung nicht f ü r u n d gegen alle wirkt, ist somit nicht ohne weiteres zu schließen, daß eine auf Auskunftsverweigerung gestützte Anfechtungsklage völlig unabhängig von diesem Verfahren durchgeführt werden kann. Das Vorhandensein oder Fehlen der erweiterten Rechtskraftwirkung ist nicht das rechtstechnische Mittel, dessen sich der Gesetzgeber im Aktiengesetz bedient hat, um das Verhältnis zwischen Anfechtungsklage und Spruchstellenverfahren zu regeln. N u n könnte allerdings der Umstand, d a ß der Gesetzgeber die noch im Referentenentwurf des Aktiengesetzes vorgesehene Bindung vôn Gerichten und Verwaltungsbehörden an die im Auskunftserzwingungsverfahren ergehende Entscheidung 26 in der endgültigen Gesetzesfassung fallengelassen hat, gleichwohl ein Indiz d a f ü r sein, daß eine derartige Bindung nach der Vorstellung der Gesetzesverfasser nicht bestehen soll 27 . D a f ü r liegen indessen keine Anhaltspunkte vor. Auch nach Verabschiedung des endgültigen Gesetzestextes wurde vielmehr innerhalb des Kreises der Gesetzesverfasser unzweideutig die Ansicht vertreten, daß die auf Auskunftsverweigerung gestützte Anfechtungsklage ein Auskunftserzwingungsverfahren voraussetze. In diesem Sinne f ü h r t e Eckardt wörtlich aus 28 : „Es sei noch angefügt, daß bei einer unberechtigten Auskunftsverweigerung der Aktionär audi künftig gegen den Beschluß der Hauptversamm24

Vgl. BVerfG 25 S. 372 ff. (392 ff.). Adler-DUring-Scbmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. Bd. 2 § 258 AktG Anm. 1. 28 Vgl. RefE § 123 Abs. 5. 27 Erweiterte Rechtskraft und Bindungswirkung sind an sich Begriffe mit unterschiedlichem Inhalt; im vorliegenden Zusammenhang kann dies unberücksichtigt bleiben. 28 SPARKASSE 1965 S. 327. 25

Anfechtungsklage und A u s k u n f t s e r z w i n g u n g s v e r f a h r c n

303

lung, der zu dem Gegenstand der Tagesordnung gefaßt worden ist, auf den sich die A u s k u n f t bezog, die Anfechtungsklage erheben kann. Allerdings — und dies ist ein wesentlicher Unterschied zum geltenden Recht — muß der Aktionär, der wegen einer Auskunftsverweigerung die Anfechtungsklage erhebt, zugleich auch das besondere Auskunftsverfahren betreiben. Denn ob die Auskunft zu geben ist, entscheidet allein das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit. D a s Prozeßgericht, das mit der Anfechtungsklage befaßt wird, ist an diese Entscheidung gebunden. Dadurch soll eine einheitliche Rechtsprechung über das Auskunftsrecht gefördert werden. H ä n g t die Entscheidung über die Anfechtungsklage davon ab, ob die Auskunft zu Unrecht verweigert worden ist, so muß das Prozeßgericht den Rechtsstreit aussetzen, bis das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit darüber entschieden hat."

Auch in der Begründung der endgültigen Gesetzesfassung kommt dieser Standpunkt zum Ausdruck, wenn es dort im Zusammenhang mit der Regelung des § 132 Abs. 2 Satz 1 A k t G heißt, das Antragsrecht des Aktionärs, der die Auskunft nicht selbst verlangt, jedoch Widerspruch zu Protokoll erhoben habe, sei deshalb erforderlich, „weil auch dieser Aktionär den Hauptversammlungsbeschluß wegen der Auskunftsverweigerung anfechten kann und zur Durchführung des Anfechtungsverfahrens die Entscheidung des Gerichts nach § 132 A k t G darüber benötigt, ob der Vorstand die Auskunft zu geben hat". D a s Fehlen der erweiterten Rechtskraftwirkung für die im Auskunftserzwingungsverfahren ergehenden Entscheidungen kann hiernach nicht als Anzeichen d a f ü r gewertet werden, daß der Gesetzgeber unser Problem in der endgültigen Gesetzesfassung anders lösen wollte als im Referentenentwurf. c) Richtigerweise wird man sogar ganz unabhängig von den hier behandelten Fragen sagen müssen, daß es unangebracht gewesen wäre, die nach § 132 A k t G ergehenden Entscheidungen für und gegen alle wirken zu lassen. Denn ob eine Gesellschaft zur Auskunftserteilung verpflichtet ist, kann immer nur im Verhältnis zwischen ihr und dem auskunftheischenden Aktionär beurteilt werden. Nicht selten hängt dabei die Entscheidung von subjektiven Momenten auf der Seite des Aktionärs ab, insbesondere dann, wenn es um die Würdigung der Frage geht, ob ein Auskunftsverlangen mißbräuchlich ist. Hinzu kommt jedoch vor allem, daß die Auskunft nur in der H a u p t versammlung beansprucht werden kann und daß ein dort zurückgewiesenes Auskunftsverlangen innerhalb einer Ausschlußfrist von 2 Wochen gerichtlich geltend gemacht werden muß. Angesichts dieser Regelung wäre es sinnwidrig, wenn das Gesetz angeordnet hätte, daß nach § 132 A k t G ergehende Entscheidungen auch für solche Aktionäre wirken und damit rechtsbegründend sein sollen, die ein in der H a u p t -

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Winfried W e r n e r

Versammlung zurückgewiesenes Auskunftsverlangen nicht fristgemäß geltend gemacht haben 2 9 . Gegenüber einer solchen, als verfehlt zu bezeichnenden Lösung ist die Regelung, die das Gesetz tatsächlich getroffen hat, die sachgerechtere, zumal der am Auskunftserzwingungsverfahren nicht beteiligte Aktionär die den Gegenstand des Verfahrens bildende Auskunft ohnehin erhält, sei es dadurch, daß der V o r stand die betreffende Auskunft in der nächsten Hauptversammlung erteilt, oder sei es dadurch, daß er sie zwar außerhalb der Hauptversammlung erteilt, jedoch gemäß § 131 Abs. 4 A k t G verpflichtet ist, sie in der nächsten Hauptversammlung auf Verlangen zu wiederholen 3 0 . 4. Ein Argument, das gern für die Unabhängigkeit der auf Auskunftsverweigerung gestützten Anfechtungsklage von einem Aus-) kunftserzwingungsverfahren angeführt wird, ist der Hinweis darauf, daß die Anfechtungsfrist auch in Fällen dieser A r t einen Monat beträgt. Es wird geltend gemacht, diese Regelung sei im Falle eines obligatorischen Auskunftserzwingungsverfahrens unangemessen, weil der Aktionär die Anfechtungsklage dann auf Verdacht erheben müsse, da das Auskunftserzwingungsverfahren vor Ablauf der Anfechtungsfrist aus zeitlichen Gründen nicht entschieden werden kann 3 1 . Dieser Einwand schlägt m. E. nicht durch. H ä l t man das Auskunftserzwingungsverfahren für notwendig, so ist es für den Aktionär zwar in der T a t mißlich, die Anfechtungsklage erheben zu müssen, ohne zu wissen, ob sie nicht, soweit auf Auskunftsverweigerung gestützt, durch negativen Ausgang des Auskunftserzwingungsverfahrens zum Scheitern verurteilt ist. Diesen Nachteilen für den Aktionär hätten jedoch im Falle einer Verlängerung der Anfechtungsfrist andere, wesentlich gewichtigere Nachteile für die Gesellschaft gegenübergestanden. Die Gesellschaft wäre dann nämlich für einen u. U . langen Zeitraum der Ungewißheit darüber ausgesetzt, ob ein in der Hauptversammlung gefaßter Beschluß als rechtsbeständig betrachtet werden kann oder nicht. Die im Gesetz getroffene Regelung ist somit als Lösung eines Interessenwiderstreits zu betrachten. Auch in diesem Zusammenhang

2 9 M a n beachte, d a ß in § 132 A k t G nicht einmal ein „gemeinsamer Vertreter" für die am V e r f a h r e n unbeteiligten A k t i o n ä r e vorgesehen ist; anders in den Fällen der § § 3 0 6 , 3 2 0 , 3 7 5 und 3 8 8 A k t G . 3 0 Vgl. dazu Barz, a . a . O . § 1 3 2 A n m . 1 4 ; Obermüller-Werner-Winden, a.a.O. S. 181 f . ; Zöllner, a. a. O . § 1 3 2 A n m . 2 4 . 3 1 Selbst wenn das Auskunftserzwingungsverfahren sofort nach der H a u p t v e r sammlung eingeleitet würde, könnte es praktisch innerhalb der einmonatigen A n fechtungsfrist nicht zum Abschluß gebracht werden.

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren

darf wiederum auf Eckardt ausgeführt hat 3 2 :

305

verwiesen werden, der dazu folgendes

„Wegen der Bedeutung, die der Spruchstellenentscheidung für das Anfechtungsverfahren zukommt, könnte man erwägen, dem Aktionär die Anfechtungsmöglichkeit dadurch zu erleichtern, daß die Anfechtungsfrist von einem Monat (E § 232 Abs. 1) nicht schon mit der Beschlußfassung, sondern erst mit der Rechtskraft der Spruchstellenentscheidung beginnt. Der Aktionär könnte dann den Ausgang des Spruchstellenverfahrens abwarten und sich erst dann über die Erhebung der Anfechtungsklage schlüssig werden. Der Entwurf hat diesen Gedanken nicht verwirklicht. Die Anfechtungsklage ist innerhalb eines Monats nach der Beschlußfassung zu erheben, auch wenn der Aktionär noch nicht weiß, ob die Auskunftsverweigerung berechtigt ist. Der mit der Frist verfolgte Zweck würde sonst nicht erreicht werden. ,Die kurze Befristung ist unabweislidi geboten, um die Ungewißheit über die Gültigkeit oder Anfechtbarkeit des Beschlusses zu beseitigen und den Vorstand in die Lage zu setzen, den Umständen entsprechend über die Ausführung oder die Sistierung des Beschlusses zu befinden (Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884 . . .).' Erhebt der Aktionär die Anfechtungsklage, so wird, falls die Klage nicht aus anderen Gründen abweisungsreif ist, das Gericht das Anfechtungsverfahren bis zur Rechtskraft der Spruchstellenentscheidung von Amts wegen aussetzen (§ 148 ZPO)." Diesen Gedanken haben sich vor allem Oppenhoff und Ebenroth — beide halten das Auskunftserzwingungsverfahren neben der A n fechtungsklage für obligatorisch — angeschlossen 33 . Mir scheint das berechtigt zu sein. Die Nachteile des Aktionärs wiegen gegenüber den Nachteilen, welche die Gesellschaft im Falle einer Verlängerung der Anfechtungsfrist erlitten hätte, in der Tat geringer. Sie bestehen im wesentlichen in den zusätzlichen Kosten des Auskunftserzwingungsverfahrens. Diese sind im Hinblick auf § 132 Abs. 5 A k t G sehr niedrig 34 , zumal in erster Instanz kein A n w a l t s z w a n g besteht und ein zweitinstanzliches Verfahren nur möglich ist, wenn die sofortige Beschwerde zugelassen wird, was nur in Betracht kommt, wenn die Klärung einer Rechtsfrage v o n grundsätzlicher Bedeutung zu erwarten ist 35 . Richtig gesehen steht sich der Aktionär finanziell sogar günstiger, wenn er gezwungen ist, zunächst parallel zu der Anfechtungsklage ein Auskunftserzwingungsverfahren laufen zu lassen, v o n dessen Ergebnis das Schicksal der Anfechtungsklage abhängt. D e n n wenn die Hauptfrage des trotz der Vorschriften des § 247 A k t G auch 32

N J W 1959 S. 9 ff. (13). Ebenroth, a. a. O. S. 162; Oppenhoff, a. a. O. S. 157. 34 Bei dem Regelgeschäftswert von D M 10 000,— beträgt das Doppelte der vollen Gebühr (§ 132 Abs. 5 Satz 1 AktG) DM 80,—. 35 § 132 Abs. 3 Satz 2 und 3 AktG. 33

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Winfried Werner

heute noch verhältnismäßig teuren Anfechtungsprozesses in einem billigen und kurzen Verfahren zu entscheiden ist, wird das finanzielle Risiko des Anfechtungsprozesses zwar nicht völlig aufgehoben 36 , mindert sich jedoch insbesondere dann beträchtlich, wenn der Prozeß nach Erhebung der Anfechtungsklage unverzüglich bis zur Erledigung des Auskunftserzwingungsverfahrens ausgesetzt wird.

IV. Zieht man eine Zwischenbilanz, so zeigt sich, daß weder aus § 1 4 8 Z P O noch aus dem Fehlen einer erweiterten Rechtskraftwirkung f ü r die nach § 132 A k t G ergehenden Entscheidungen noch schließlich aus dem Umstand, daß auch f ü r auf Auskunftsverweigerung gestützte Anfechtungsklagen die gewöhnliche einmonatige Anfechtungsfrist gilt, ein sicherer Schluß f ü r oder gegen die Ansicht der Gesetzesverfasser, das Auskunftserzwingungsverfahren sei für die Anfechtungsklage obligatorisch, zu ziehen ist. Folgende weitere Überlegung rechtfertigt indessen die Bejahung dieser Frage: 1. Die Entscheidung, sich gegenüber einem Auskunftsverlangen des Aktionärs auf ein Auskunftsverweigerungsrecht zu berufen, setzt einen Beschluß des Vorstandes voraus 37 . In dieser Hinsicht stimmt das Aktiengesetz von 1965 mit dem früheren Recht überein. Nach § 1 1 2 Abs. 3 AktG 1937 hatte der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob ein Auskunftsverweigerungsrecht bestehe. Diese Vorschrift bedeutete, daß der Vorstandsbeschluß als Ermessensentscheidung der richterlichen Nachprüfung entzogen war. Der Richter hatte lediglich zu prüfen, ob ein Ermessensmißbrauch vorliege38. Konnte ein solcher nicht festgestellt werden, so blieb es bei 39 Wird ζ. B. der Anfechtungsprozeß zunächst ausgesetzt und die Anfechtungsklage nach verlorenem Auskunftserzwingungsverfahren sofort zurückgenommen, so sind die addierten Kosten beider Verfahren wesentlich geringer, als wenn die Berechtigung der Auskunftsverweigerung erst in letzter Instanz anerkannt wird und der Aktionär deswegen den bis dahin erfolgreichen Anfechtungsprozeß verliert. Geht das Auskunftserzwingungsverfahren dagegen f ü r den Aktionär positiv aus, so braucht er nicht zu fürchten, daß die Frage der Auskunftsverweigerung im Anfechtungsprozeß noch zu seinen Ungunsten entschieden werden könnte. 37 Barz, a. a. O . § 131 Anm. 4; Zöllner, a. a. O . § 131 Anm. 15; Godin-Wilhelmi, a. a. O . § 131 Anm. 3. 38 Schmidt-Meyer-Landrut in G r o ß k o m m . z. A k t G 1937 2. Aufl. § 1 1 2 Anm. 8. Anderes galt nur, wenn die Auskunftsverweigerung nicht auf einer Ermessensentscheidung, sondern auf einer unrichtigen A n w e n d u n g von Rechtsnormen beruhte; hier war das richterliche Nachprüfungsrecht uneingeschränkt ( B G H Z 36, 132).

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren

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der Entscheidung des Vorstandes, mochte sie auch objektiv unrichtig sein. Der Vorstand war somit — von einem etwaigen Ermessensmißbrauch abgesehen — Richter in eigener Sache. Anläßlich der Aktienrechtsreform gelangte man zu der Uberzeugung, daß dies nicht tragbar sei. Als Ersatzlösung wurde erwogen, die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Auskunftsverweigerung des Vorstandes in die Hände eines anderen gesellschaftseigenen Organs zu legen. Eine solche Regelung erwies sich jedoch als untunlich. Wie die Begründung des Regierungsentwurfs 39 bemerkt, wäre es unangebracht gewesen, den Aufsichtsrat einzuschalten, weil er in den Augen des Aktionärs infolge seiner engen Verbindung zum Vorstand keine unparteiische Schiedsinstanz darstellt. Als ebenfalls untragbar erwies es sich, die Zuständigkeit der Hauptversammlung zu begründen, weil dadurch das Auskunftsrecht als Einzelrecht des Aktionärs de facto beseitigt worden wäre; die Hauptversammlung hätte es jederzeit in der Hand gehabt, dieses Einzelrecht durch Mehrheitsbeschluß zu vernichten. Es blieb damit nur die Möglichkeit, eine gerichtliche Uberprüfung der Vorstandsentscheidung vorzusehen. Dabei begnügte man sich nicht damit, dem Gericht lediglich die Feststellung eines etwaigen Ermessensmißbrauchs zu überlassen, sondern machte den Auskunftsverweigerungsbeschluß in vollem Umfange justitiabel. Um die hierdurch entstehende Rechtsunsicherheit, hervorgerufen durch eine von der Entscheidung des Vorstandes abweichende gerichtliche Entscheidung, zu verringern, befristete man jedoch das Recht des Aktionärs, das Gericht anzurufen. Nach altem wie nach neuem Aktienrecht handelt es sich damit bei dem Beschluß des Vorstandes, eine Auskunft zu verweigern, nur um eine vorläufige Entscheidung 40 . Geändert haben sich dagegen die Möglichkeiten, diese vorläufige Entscheidung zu beseitigen. Nach früherem Recht waren die Voraussetzungen hierfür zeitlich unbegrenzt 41 , sachlich dagegen sehr eng, nämlich beschränkt auf Fälle des Ermessensmißbrauchs. Nach dem Aktiengesetz von 1965 sind die Voraussetzungen demgegenüber zeitlich begrenzt, sachlich dagegen sehr weit. Vereinfachend ausgedrückt, ersetzte somit das Aktiengesetz von 1965 die sachlichen Schranken des früheren Rechts durch eine zeitliche Schranke.



40

Kropff,

a. a. O . S. 188 f.

Baumbach-Hueck,

a. a. O. § 131 Anm. 12; Begründung zum RefE § 123.

Die im ordentlichen Zivilprozeß zu erhebende Klage auf Auskunfterteilung w a r an keine Frist gebunden, wurde in der Praxis allerdings häufig gleichzeitig mit der Anfechtungsklage erhoben. 41

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Winfried Werner

Bis zum Inkrafttreten unseres heutigen Aktiengesetzes mußte der Auskunftsverweigerungsbeschluß des Vorstandes, soweit kein Ermessensmißbrauch festgestellt werden konnte, als endgültig betrachtet werden. Dies galt nicht nur für die Klage auf Auskunfterteilung selbst, sondern auch im Rahmen eines auf unberechtigte Auskunftverweigerung gestützten Anfechtungsprozesses 42 . Die Gerichte konnten im Anfechtungsprozess nicht etwa abstrakt und nach objektiven Gesichtspunkten prüfen, ob die Verweigerung der Auskunft durch überwiegende Belange der Gesellschaft gerechtfertigt war, sondern durften in eine Prüfung der Auskunftverweigerung nur insoweit eintreten, als dies auch im Rahmen einer Klage auf Auskunfterteilung zulässig war 4 3 . Sie hatten mithin die Schranken, die dem Auskunftsanspruch nach damaligem Recht gesetzt waren, auch im Anfechtungsprozeß zu beachten. Es fragt sich, ob nach dem Aktiengesetz von 1965 eine abweichende Beurteilung gerechtfertigt ist, ob also in einem Anfechtungsprozeß der Auskunftsverweigerungsbeschluß auch insoweit überprüft werden kann, als seine Uberprüfung im Auskunftserzwingungsverfahren nicht bzw. nicht mehr möglich ist. Für eine dahingehende Annahme fehlt m. E. jeder Anlaß. Die Entscheidung des Vorstandes, keine Auskunft zu erteilen, wird unanfechtbar, sobald der Antrag gem. § 132 A k t G wegen Fristablaufs nicht mehr gestellt werden kann oder sobald er rechtskräftig zurückgewiesen ist. In beiden Fällen besteht keine rechtliche Möglichkeit mehr, die zunächst nur vorläufige Entscheidung des Vorstandes zu beseitigen. Es steht vielmehr endgültig fest, daß der Aktionär im konkreten Fall kein Recht auf Auskunft besitzt. Bei dieser Sachlage wäre es widerspruchsvoll, die Endgültigkeit des Auskunftsverweigerungsbeschlusses nur in einem Teilbereich anzunehmen, nämlich im Rahmen der Möglichkeiten des Aktionärs, sein Auskunftverlangen durchzusetzen, sie dagegen in einem viel wichtigeren anderen Teilbereich, dem Anfechtungsprozeß, zu ignorieren. Wer sich hierfür ausspricht, verkennt die Tatbestandswirkung, die von dem Auskunftverweigerungsbeschluß des Vorstandes ausgeht, nachdem die rechtlichen Möglichkeiten, ihn zu Fall zu bringen, ausgeschöpft oder unausgenutzt geblieben sind. Die Annahme, daß das Aktiengesetz von 1965 im Gegensatz zum früheren Recht dieser Tatbestandswirkung nur als Hindernis für die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs, nicht aber gleichzeitig auch als Hindernis für die Anfechtungsklage habe Beachtung schenken wollen, ist nicht gerechtfertigt. Sie liegt um Schmidt-Meyer-Landmt, a. a. O. § 112 Anm. 8. Vgl. vor allem RGZ 167 S. 151 ff. und BGHZ 36 S. 121 ff., ferner Das Auskunftsrecht des Aktionärs S. 135. 42

43

Deuss,

Anfechtungsklage u n d A u s k u n f t s e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n

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so ferner, als die zeitliche Begrenzung der Möglichkeit, Anträge nach § 1 3 2 AktG zu stellen, gerade den in der Gesetzesbegründung 44 klar zum Ausdruck kommenden Zweck verfolgte, das Stadium der Vorläufigkeit des Vorstandsbeschlusses im Interesse der Rechtssicherheit möglichst schnell zu beenden. Gesichtspunkte der Rechtssicherheit kommen nur im Zusammenhang mit der Anfechtung von H a u p t versammlungsbeschlüssen, die auf der Auskunftsverweigerung beruhen, in Betracht. O b der Aktionär seinen Auskunftsanspruch zeitlich früher oder später geltend gemacht, ist f ü r die Gesellschaft dagegen im allgemeinen ohne Belang, da sie hierdurch nicht in ihren Dispositionen beeinträchtigt wird. Wenn das Gesetz mit der Institution des Auskunftserzwingungsverfahrens der Rechtssicherheit zu dienen beabsichtigte, so konnte das daher nur bedeuten, daß es den Anfechtungsprozeß möglichst weitgehend von Auskunftsstreitigkeiten entlasten wollte. 2.

Diese Gedankengänge machen deutlich, daß es bei unserer Problematik in erster Linie nicht darum geht, ob im Anfechtungsprozeß eine im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu entscheidende Rechtsfrage inzidenter geprüft werden darf, sondern darum, ob das ordentliche Gericht an den unanfechtbar gewordenen Auskunftsverweigerungsbeschluß des Vorstandes gebunden ist. Auf Grund der vorstehend entwickelten Überlegungen muß man dies bejahen. Dadurch würde allerdings nicht ausgeschlossen, daß das für den Anfechtungsprozeß zuständige Gericht die Berechtigung der Auskunftverweigerung prüft, so lange noch nicht feststeht, ob der Auskunftsverweigerungsbeschluß als endgültig betrachtet werden muß, so lange also ein etwa eingeleitetes Auskunftserzwingungsverfahren noch anhängig ist. In der Praxis dürfte zwar der Anfechtungsprozeß in Fällen dieser Art — unabhängig davon, ob eine rechtliche Verpflichtung dazu besteht — gemäß § 148 Z P O ausgesetzt werden, sofern die Anfechtungsklage nicht aus anderen Gründen abweisungsreif ist. Für eine systematisch zutreffende Beurteilung unserer Problematik ist die Frage indessen von wesentlicher Bedeutung. Nach meinem Dafürhalten darf das Gericht im Anfechtungsprozeß die Berechtigung der Auskunftverweigerung, auch wenn das Auskunftserzwingungsverfahren noch schwebt, nicht eigenständig prüfen. Dies folgt daraus, daß über die Berechtigung der Auskunftverweigerung ausschließlich im Auskunftserzwingungsverfahren zu entscheiden ist. Die Bedeutung des Ausdrucks „ausschließlich" ist allerdings

44

Kropff, a. a. O. S. 190.

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umstritten 4 5 . M i t ihm soll m. E . nicht gesagt sein, daß der Auskunftsanspruch nur im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, nicht aber im Wege der Klage vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden kann. Dies ergibt sich nämlich, auch ohne Verwendung des Wortes „ausschließlich", bereits aus der Natur der Sache; der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesene Rechtsangelegenheiten sind mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung stets dem ordentlichen Zivilprozeß entzogen 4 6 . Dementsprechend wird ζ. B. in § 306 A k t G der Ausdruck „ausschließlich" nicht benutzt, obwohl kein Zweifel daran besteht, daß die dort behandelte Geltendmachung der Ansprüche auf anderweitige Festsetzung des Ausgleichs oder Abfindung nur im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit verfolgt werden kann. Meines Erachtens will das Gesetz mit dem W o r t „ausschließlich" aber audi nicht eine Frage der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit regeln und Gerichtsstandsvereinbarungen verbieten. Denn für derartige Vereinbarungen ist im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit kein R a u m ; die Gerichtsstände der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind der Parteivereinbarung vielmehr grundsätzlich entzogen 4 7 . Bei ungezwungener Betrachtung wird man das W o r t „ausschließlich" hiernach dahin zu verstehen haben, daß die Berechtigung der Auskunftverweigerung weder unmittelbar noch mittelbar in einem anderen Verfahren als demjenigen nach § 132 A k t G geprüft werden kann. Hierfür spricht vor allem die mit der Regelung des § 132 Abs. 1 Satz 3 A k t G beabsichtigte Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Für eine solche Sicherung hätte kein Bedürfnis bestanden, wenn die Rechtsprechung zu Fragen der Auskunftsverweigerung nicht ausschließlich den nach § 1 3 2 Abs. 1 A k t G zuständigen Landgerichten hätte vorbehalten werden sollen. Es wäre vielmehr geradezu sinnwidrig gewesen, im Auskunftserzwingungsverfahren die Zuständigkeit bestimmter Landgerichte für überregionale Bezirke vorzusehen, wenn die von diesen Gerichten zu entscheidenden Fragen im Rahmen der — sachlich viel bedeutungsvolleren — Anfechtungsprozesse weiterhin von den regional zuständigen Landgerichten entschieden werden sollten.

4 5 Vgl. vor allem Barz, a . a . O . § 1 3 2 Anm. 9 ; Godin-Wilhelmi, a.a.O. §132 Anm. 3; Meyer-Landrut-Miller, a. a. O. S. 158 f.; Schilling, a. a. .O § 243 Anm. 12; Zöllner, a. a. O. § 131 Anm. 98. 46 Jansen, F G G 2. Aufl. § 1 Anm. 84 ff.; Keidel, Freiwillige Gerichtsbarkeit 9. Aufl. § 1 Anm. 6 ff. 47 Jansen, a . a . O . § 3 Anm. 4 1 ; Keidel, a . a . O . Vorbemerkungen vor § 3 Anm. 6. Unrichtig daher Biedenkopf-Koppensteiner im Kölner Kommentar § 306 Anm. 2, die bemerken, daß der Gerichtsstand nadi § 306 AktG kein ausschließlicher sei.

Anfechtungsklage und Auskunftserzwingungsverfahren

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3. Bei einer dem Sinne des § 132 AktG entsprechenden Auslegung kann hiernach die Berechtigung der Auskunftsverweigerung im Anfechtungsprozeß nicht — auch nicht als Vorfrage — geprüft werden. Wie oben dargelegt, lag das auch nicht in der Absicht des Gesetzgebers, der vielmehr seine gegenteilige Auffassung durch die Ausgestaltung des § 132 Abs. 2 AktG erkennbar gemacht hat: auch demjenigen Aktionär, der die Auskunft nicht selbst verlangt, jedoch Widerspruch zu Protokoll einlegt, die Aktivlegitimation für ein Auskunftserzwingungsverfahren einzuräumen, hat nur vom Standpunkt dieser Auffassung aus einen vernünftigen Sinn 48 . Man wird daher eine Parallele zu der Nachprüfbarkeit von Verwaltungsakten im Zivilprozeß zu ziehen haben. Ebenso wie Verwaltungsakte im Rahmen ihrer Tatbestandswirkung von den ordentlichen Gerichten nur auf etwaige Nichtigkeitsgründe, nicht aber auf etwaige Anfechtungsgründe hin überprüft werden dürfen 49 , ist es dem Gericht, das über die aktienrechtliche Anfechtungsklage zu entscheiden hat, verwehrt, von sich aus im Rahmen der Vorfragenprüfung Erwägungen darüber anzustellen, ob ein Auskunftserzwingungsverfahren anders, als es entschieden wurde, zu entscheiden gewesen wäre, oder ob ein solches Verfahren, wenn es tatsächlich nicht stattgefunden hat, im Falle seiner Durchführung zu einer Beseitigung des Auskunftsverweigerungsbeschlusses geführt hätte. Da zumindest in der Praxis nichtige Auskunftsverweigerungsbeschlüsse des Vorstandes nicht vorkommen — nichtige Beschlüsse könnten im Anfechtungsprozeß ignoriert und als solche gekennzeichnet werden —, gelten diese Grundsätze im wesentlichen uneingeschränkt. Man wende hiergegen nicht ein, daß es im Bereich des Gesellschaftsrechts eine Tatbestandswirkung, wie sie Verwaltungsakten eigen ist, nicht geben könne. Das typische Beispiel für das Bestehen einer der48 Wenn Zöllner, a. a. O. § 131 Anm. 98 meint, der Umstand, daß ein anfechtungswilliger Aktionär, der die Auskunft nicht selbst verlangt habe, das Verfahren nadi § 132 AktG betreiben dürfe, zwinge nicht zu dem Gegenschluß, daß er nur dann anfechten dürfe, wenn er es erfolgreich betreibt, so überzeugt das nicht. Entscheidend ist, daß für den Gesetzgeber keine Veranlassung bestanden hätte, diesem Aktionär das Antragsrecht für ein Auskunftserzwingungsverfahren zuzugestehen, wenn er nicht der Auffassung gewesen wäre, die Durchführung dieses Verfahrens sei notwendig. — Zu der Frage, ob ein zu Unrecht zur Hauptversammlung nicht zugelassener Aktionär ein Antragsrecht hat, vgl. einerseits Bari, a. a. O. § 132 Anm. 3 und Baumbach-Hueck, a. a. O. § 132 Anm. 5, andererseits ObermüllerWerner-Winden, a. a. O. S. 173. 49 Baumbach-Lauterbach, a . a . O . § 1 3 G V G Anm. 5 C ; Stein-Jonas, a.a.O., Einleitung D I 3 f.; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. § 4 0 Anm. 2 7 ; Wolff, Verwaltungsrecht I 7. Aufl. § 20 V a.

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artigen Wirkung ist der anfechtbare, aber nicht angefochtene Hauptversammlungsbeschluß. Es entspricht anerkannter Rechtsmeinung 50 , daß ein derartiger Hauptversammlungsbeschluß als wirksam anzusehen ist — bei eintragungsbedürftigen Hauptversammlungsbeschlüssen von der Eintragung im Handelsregister ab — und daß auch in anderen Verfahren die Wirksamkeit des Beschlusses nicht in Zweifel gezogen werden kann. So ist es ζ. B. nicht möglich, einem Aufsichtsratsmitglied, das in anfechtbarer, aber nicht angefochtener Weise gewählt wurde, seine Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat in irgendeinem anderen Zusammenhang unter Hinweis darauf, daß die Wahl Gesetz oder Satzung verletzt habe, abzusprechen. Für einen im Wege des Auskunftserzwingungsverfahrens nicht mehr anfechtbaren Auskunftsverweigerungsbeschluß des Vorstandes kann sinnvollerweise nichts anderes gelten. V. 1.

Kehren wir aus dieser Sicht zu unseren Ausgangsfragen zurück: a) Muß das Gericht, das im Anfechtungsprozeß zu entscheiden hat, die Klage abweisen, wenn ein Auskunftserzwingungsverfahren nicht stattgefunden hat? Die Antwort kann nach dem Ergebnis der vorstehenden Untersuchung nur bejahend lauten. Das Gericht ist an den unanfechtbar gewordenen Auskunftsverweigerungsbeschluß, sofern er nicht ausnahmsweise nichtig war, auf Grund seiner Tatbestandswirkung gebunden. b) Hat das mit der Anfechtungsklage befaßte Gericht den Rechtsstreit gem. § 148 ZPO auszusetzen, wenn ein Auskunftserzwingungsverfahren anhängig ist? Auch diese Frage ist zu bejahen. Denn da das Gesetz die auf Auskunftsverweigerung gestützte Anfechtungsklage ausdrücklich zugelassen hat 5 1 , die Berechtigung der Auskunftsverweigerung jedoch nicht im Anfechtungsprozeß, sondern nur im Verfahren nach § 132 AktG geprüft werden kann, hat das Prozeßgericht den Ausgang des letzteren Verfahrens abzuwarten 52 . Hier nur ein Aussetzungsrecht, nicht aber eine Aussetzungspflicht des Richters anzuBaumbach-Hueck, a. a. O. § 246 Anm. 5 ; Sthilling, a. a. O. § 241 Anm. 2. Arg. § 243 Abs. 4 AktG. 5 2 Etwas anderes gilt, wenn die Anfechtungsklage aus sonstigen Gründen, ζ. B. wegen fehlender Ursächlichkeit der Auskunftsverweigerung für den angefochtenen Beschluß, ohnehin abweisungsreif ist; hier kann der Anfechtungsprozeß sofort entschieden werden. Vgl. O L G Düsseldorf, DB 1967 S. 2157. 50

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nehmen, verbietet sich, aus Gründen der Verfahrenslogik und aus dem Zwang zu einer verfassungkonformen Auslegung der gesetzlichen Regelung, die anderenfalls als willkürlich zu betrachten wäre. Es gilt mithin die gleiche Regelung wie in den Fällen des § 96 Abs. 2 GWB und des § 638 Abs. 2 R V O . c) Ist das mit dem Anfechtungsprozeß befaßte Gericht an die im Auskunftserzwingungsverfahren ergehende rechtskräftige Entscheidung gebunden? Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden. Weist das im Auskunftserzwingungsverfahren tätig werdende Gericht den Antrag auf Auskunfterteilung rechtkräftig zurück, so ist der Auskunftsverweigerungsbeschluß unabänderlich geworden. Schon seine Tatbestandswirkung verbietet es daher dem mit der Anfechtungsklage befaßten Gericht, die Berechtigung der Auskunftsverweigerung in Frage zu stellen. H a t der Auskunft verlangende Aktionär dagegen im Auskunftserzwingungsverfahren Erfolg, so kommt eine Tatbestandswirkung in diesem Sinne nicht in Betracht. Auch in diesem Fall ist es dem Prozeßgericht jedoch untersagt, in eine eigene Prüfung der Auskunftsverweigerung einzutreten; die „Ausschließlichkeit" des Auskunftserzwingungsverfahrens in dem oben erläuterten Sinn gilt auch hier. Außerdem wird man annehmen müssen, daß es sich bei der im Auskunftserzwingungsverfahren ergehenden Entscheidung, obwohl der Auskunftsverweigerungsbeschluß in ihrem Tenor — anders als im Anfechtungsprozeß — nicht ausdrücklich aufgehoben wird, um einen Gestaltungsakt handelt; der Sinn der Entscheidung liegt gerade darin, den Auskunftsverweigerungsbeschluß der Sache nach zu beseitigen. Mithin gilt der Grundsatz, daß das ordentliche Gericht an die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergehende, ein Rechtsverhältnis gestaltende Entscheidung gebunden ist 53 . Im Anfechtungsprozeß darf daher nicht von der Berechtigung der Auskunftsverweigerung ausgegangen werden, wenn im Auskunftserzwingungsverfahren eine gegenteilige Entscheidung ergangen ist. 2. Fragen wir uns abschließend, ob dieses die Auffassung unseres Jubilars bestätigende Ergebnis sinnvoll erscheint. Ich glaube, hieran sollte kein Zweifel bestehen. Das Auskunftserzwingungsverfahren ist vom Gesetzgeber als einfacher und kostengünstiger Rechtsbehelf für Auskunftstreitigkeiten gedacht. Es soll gleichzeitig durch seine verhältnismäßig schnelle Erledigung der Rechtssicherheit dienen. H ä l t 53 Schilling, a . a . O . § 243 Anm. 12; Jansen, a . a . O . § 1 2 Anm. 22 und §16 Anm. 22; Keidel, a. a. O. § 1 Anm. 11 und § 16 Anm. 18.

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man sich dies vor Augen, so müßte es als zweckwidrig angesehen werden, wenn die auf AuskunftsVerweigerung gestützte Anfechtungsklage völlig unabhängig von dem Auskunftserzwingungsverfahren durchgeführt werden könnte. Sie besitzt in ihrer rechtlichen Tragweite eine ungleich größere Bedeutung als der unmittelbare Auskunftstreit. M a n kann dem Gesetzgeber nicht unterstellen, dies nicht gesehen zu haben. Auf der anderen Seite ist es kein unbilliges Verlangen, wenn man dem Aktionär zumutet, neben der Anfechtungsklage audi das Auskunftserzwingungsverfahren einzuleiten. D a ß dies für ihn, wirtschaftlich betrachtet, im Ergebnis keine zusätzliche Kostenbelastung bedeutet, wurde oben ausgeführt. Man kann daher erwarten, daß der Aktionär, der durch die Erhebung der Anfechtungsklage zu erkennen gibt, wie viel ihm an der Auskunfterteilung gelegen war, seinen Auskunftanspruch auch gerichtlich verfolgt.

III. BILANZIERUNG UND STEUERRECHT

Sinngehalt und Ausformung der Sonderprüfung wegen Unterbewertung CARSTEN P . CLAUSSEN

Der deutsche Gesetzgeber hat in der freien Anwaltschaft viele gute Berater gefunden. Sachkenntnis und Erfahrung, Veranlagung zur Interessenabwägung waren zumeist deren Rüstzeug, das bereitwillig dem Gesetzgeber zur Verfügung gestellt wurde. Landschaftlich ist es seit langem so, daß an den Gestaden des Mains die Wirtschaftsrechtler zu Hause sind, die rechtspolitisch arbeiten. Unser Jubilar gehört zu ihnen. In der Diskussion um die letzte Aktienrechtsreform vor einem Jahrzehnt hat er wesentlich mitgewirkt. Sein Wirken ist nicht ohne Resonanz geblieben. Barz1 hat in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 2 die dort in § 143 Abs. 1 RefE vorgesehene Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung engagierter Kritik unterzogen. Das 1965 in Kraft getretene Aktiengesetz beläßt deshalb die Feststellung des Jahresabschlusses bei der Verwaltung, § 172 AktG, sofern nicht Vorstand und Aufsichtsrat beschließen, die Feststellung des Jahresabschlusses der Hauptversammlung (HV) zu übertragen. Dieses Festhalten an früherem Recht — § 172 S. 1 AktG 1965 entspricht wörtlich § 125 Abs. 3 AktG 1937, für das Barz (a. a. O. S. 61) kompetente Verteidigungsworte fand — mag auf den ersten Blick wie ein Festhalten am früheren Rechtszustand erscheinen und die Tatsache gravierender Rechtsänderungen verschleiern. Dies wäre jedoch ein vordergründiger Eindruck. Denn das Redit des Jahresabschlusses im Spannungsfeld zwischen Aktionären und Verwaltung wird nicht allein durch das Feststellungsrecht umschrieben, sondern muß ganzheitlich unter Einschluß aller sonstigen Rechtssicherungen, die den Aktionären im Hinblick auf den Jahresabschluß zustehen, gesehen werden. Dabei fällt der Blick auf die Erfindung des Aktiengesetzes 1965, die in der deutschen aktienrechtlichen Tradition ohne Vorbild ist und audi rechtsvergleichend keine Parallele kennt: die Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung, §§ 258—261 AktG, (die Sonderprüfung wegen mangelhafter Berichterstattung wird nicht behandelt). Der Jubilar hat diese Vorschriften in 1 Barz, Beiträge zur Aktienrechtsreform, H e i d e l b e r g 1959, D i e Feststellung der Bilanz, S. 70—71. 2 Referentenentwurf eines Aktiengesetzes, Bundesjustizministerium, 1958.

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der 3. Auflage des Großkommentars bearbeitet — persönliche Anknüpfung genug, diesen neuartigen Rechtsbehelf in einer Barz gewidmeten Festschrift zu behandeln. Sachliche Gesichtspunkte kommen hinzu: der Rechtsbehelf des § 258 AktG hat die deutschen Gerichte noch nicht beschäftigt. Die aktienrechtliche Wissenschaft hat sich bisher vorweigend in den Kommentaren mit diesem Institut befaßt. Die Praxis deutscher Aktiengesellschaften hat von der Einrichtung dieses Rechtsbehelfes bislang allenfalls atmosphärisch Kenntnis genommen. Ist aus dieser vordergründigen Bedeutungslosigkeit des neuen Rechtsbehelfs zu folgern, daß er überflüssig oder gar fehlkonzeptioniert sei? Mit dieser Frage wollen wir uns zunächst befassen (Kap. I). Voraussetzung der Fragebeantwortung ist Verdeutlichung dessen, was dieser Rechtsbehelf bewirken will, was sich aus den Motiven, vor allem aber aus der Reformdebatte entnehmen läßt. Hiermit wird zugleich ein rechtsgeschichtlicher Beitrag geleistet, nachdem die Entwicklung inzwischen unterschiedlich dargestellt wird 3 . Haben wir derart den Sinngehalt des Rechtsbehelfs erarbeitet, ergibt der Vergleich zwischen Erstrebtem und Erreichtem das Urteil über den Rechtsbehelf. — Zum anderen sollen zwei hierzu gehörige Rechtskomplexe behandelt werden: das Verhältnis der §§ 258 ff. AktG zu den sonstigen Rechtsbehelfen wie Anfechtung, Nichtigkeitsklage und allgemeine Sonderprüfung Kap. I I I ) und die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen (Kap. IV). Diesen rechtstechnischen Abhandlungen ist zum Verständnis eine Darstellung des Ablaufs des Rechtsbehelfs vorauszuschicken (Kap. II).

I. Rechtspolitische Zielsetzung des Rechtsbehelfs nach § 258 Der Referentenentwurf eines Aktiengesetzes von 1958 hatte ebenso wie der Regierungsentwurf zu entscheiden, ob die auf breiter Front erhobene Forderung, die erzielten, aber nicht ausgewiesenen Unternehmenserfolge im publizierten Jahresabschluß sichtbar zu machen, erfüllt werden soll oder die ebenso deutlich erhobene Forderung nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung. Beide Forderungen können ihrem vollen Umfang nach nicht erfüllt werden, weil sie zusammen die unerläßtliche Kraft zur Selbstfinanzierung schwächen, was für das Aktienwesen nicht positive Reform, sondern Rückschritt bedeutet hätte. Der Referentenentwurf s

Kruse, Die Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung, Berlin 1972, S. 23 ff.; davon abweichend Adler-Diiring-Schmaltz, § 258 Tz. 1 und Großkommentar, 3. Aufl., § 258 Anm. 1.

Sinngehalt und Ausformung der Sonderprüfung wegen Unterbewertung

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sollte die erste Forderung im Ansatz aufgreifen durch eine Regelung der Bildung stiller Reserven. Dies sollte gem. § 151 Abs. 2 RefE zulässig sein, soweit diese Reserven bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig wären, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft f ü r die nächste Zukunft zu sichern. Für das Umlaufvermögen wurde in § 151 Abs. 3 RefE eine ähnliche Formel vorgeschlagen. Da diese Regelung nur als bescheidener Fortschritt anzusehen war, sollte als gravierende Besserstellung den Aktionären das Feststellungsrecht gem. § 141 Abs. 1 RefE übertragen werden. Allerdings sollte für die Feststellung die H V an die Wertansätze, Abschreibungen und Wertberichtigungen, die Bildung von Rückstellungen gebunden sein, die die Verwaltung bei der Aufstellung des Jahresabschlußentwurfs vorgenommen hat. Die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung sollte sich also im wesentlichen auf die Bildung der freien Rücklagen beschränken, soweit diese Rücklagenzuweisung nicht ohnehin schon von der Satzung vorgegeben war. Als wichtigsten Rechtsbehelf gegen den so festgestellten Jahresabschluß war ein Anfechtungsrecht vorgesehen. Gegen dieses Konzept hat sich Barz4 mit gewichtigen Argumenten gewandt. Im Regierungsentwurf von 1960 wurde das Konzept aber nicht geändert, sondern nur modifiziert. Es blieb dabei, daß die Bildung stiller Reserven nicht verboten, sondern eingeschränkt werden sollte. Es wurde also ein „mittlerer Weg" eingeschlagen, von dem man meinte, daß er den Interessen aller Beteiligten gerecht werden dürfte 5 . Dieser mittlere Weg hat sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt; der Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages hat sich vielmehr in der Bewertungsfrage f ü r die Konzeption der „gläsernen, aber verschlossenen Taschen" 6 entschieden. Dies bedeutet, daß die Bildung stiller Reserven durch gesetzliche Fixierung der Höchstwerte f ü r die Aktiva, die zugleich Mindestwerte sind, und durch Mindestwerte f ü r die Passiva, die zugleich Höchstwerte sind, eingeschränkt, wenn nicht ausgeschlossen ist. Komplementär hierzu behalten die Verwaltungsorgane das Recht der Feststellung des Jahresabschlusses, gegen die es kein Anfechtungsrecht gibt. Auch das Anfechtungsrecht gegen den von der Hauptversammlung festgestellten Jahresabschluß ist gem. § 257 Abs. 1 S. 2 A k t G 1965 stark eingeschränkt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit für einen neuen Rechtsbehelf. Außerdem und vor allem muß sichergestellt sein, daß die Taschen wirklich „gläsern" sind. Dieselben Autoren, die das Gewinnermittlungs- und Gewinnverwendungsverfahren 4

Barz, a. a. O., S. 79. Begründung zu § 146 RegE, in Kropff, Aktiengesetz, Düsseldorf 1965, S. 238. Kronstein-Claussen, Publizität und Gewinnverteilung im neuen Aktienrecht, Frankfurt am Main 1960, S. 132—136. 5

β

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der gläsernen Taschen vorschlugen, präsentierten folgerichtig das dazu gehörige Verifizierungsverfahren 7 . Diese Beschreibung der Gesetzesgeschichte will deutlich machen, daß die Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung elementarer Bestandteil der vom Aktiengesetz 1965 getroffenen Lösung der Publizitäts-, Feststellungs- und Gewinnverwendungsfrage ist und nur gemeinschaftlich mit diesem Gesamtkonzept diskutiert und gewertet werden kann. Der Rechtsbehelf der Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung ist konzeptionsimmanent; er hat die Bewertungsvorschriften über die „Bewertung zu festen Werten", §§ 153 ff. AktG. durchzusetzen. In der bisher vorliegenden Literatur zu §§ 258—261 AktG 1965 werden diese elementaren Verknüpfungen nicht so deutlich herausgestellt. Anstelle dessen wird die in Grundsatz irrelevante Frage gestellt, ob dieser Rechtsbehelf ausgiebig angewandt oder von hypothetischen Aktionären ohne Kostenrisiko, aber mit Erfolgsgarantie genutzt werden könne 8 . Neben diesem wichtigsten Zweck das vom Aktiengesetzgeber 1965 gefundene System der Gewinnermittlung abzusichern, hat der Rechtsbehelf weitere rechtspolitische Ziele. So gehören die §§ 258 ff. AktG in den Katalog der Rechte von Minderheitsaktionären, mit dem diese sich gegen Gesetzesverletzungen bei der Erstellung des Jahresabschlusses durch die Verwaltung und/oder einen Großaktionär verteidigen können. Dieser Zielsetzung folgend, sind die Anforderungen an die Schlüssigkeit des Antrages nach § 258 AktG minimal, also auf die faktischen Vortragsmöglichkeiten eines Außenstehenden abgestellt. — Außerdem ist der Rechtsbehelf wegen unzulässiger Unterbewertung ein Instrument, den gesetzlichen Anspruch der Aktionäre auf Divi7 Kronstein-Claussen-Biedenkopf, Zur Frage der Rechtsbehelfe bei Verletzung der Bewertungsvorschriften des Aktiengesetzes, Die Aktiengesellschaft 1964, S. 268. 8 Schimmelbusch, Kritische Bemerkungen zum Institut der Sonderprüfung nach §§ 258 ff. AktG, Die Wirtschaftsprüfung 1972, S. 141—145, läßt den theoretischen Aktionär „Fienold" den Rechtsbehelf theoretisch vollziehen und untersucht, welche Chancen Fienold hat, den Antrag auf Einsetzung eines Sonderprüfers in eine höhere Dividendenausschüttung umzusetzen. Quellenstudium hätte Schimmelbusch darüber aufgeklärt, daß Ziel des Rechtsbehelfs die Richtigstellung der Bewertung ist, und nur dies, und daß ein Ausschüttungszwang als systemwidrige Sanktion abgelehnt wird, vgl. auch Fußnote 35. Dies ist folgerichtig, weil nach dem im AktG 1965 geltenden System der „gläsernen und verschlossenen Taschen" zwischen Gewinnermittlung und Gewinnausweis einerseits und Gewinnverwendung andererseits keine Zwangsläufigkeit im Hinblick auf die Ausschüttung besteht. Wegen dieses grundlegenden Mißverständnisses über den Sinngehalt des Rechtsmittels kommt Schimmelbusch zu falschen Erwartungen. Seine Kritik an den §§ 258 ff. AktG kann nicht überzeugen. — Ebenso ist die Sicht, dieser Reditsbehelf diene vornehmlich der Abwehr des in der Reformdiskussion ohnehin erfolglos vorgeschlagenen Ausschüttungszwanges des RegE, Adler-Düring-Schmaltz, § 258 Tz. 1, zu vordergründig.

Sinngehalt und Ausformung der Sonderprüfung wegen Unterbewertung 3 2 1

dende, wie er sich aus der Gewinnverteilungsvorschrift des § 58 A k t G ergibt, zu unterstreichen. Zu niedrige Bilanzansätze bedeuten Gewinnminderung. Gewinnminderung bedeutet geringeren Jahresüberschuß, der nach Dotierung der freien Rücklagen zur Disposition der H V verbleibt — normalerweise also niedrigere Dividende. — Schließlich ist es wichtige rechtspolitische Zielsetzung dieser Vorschriften, ein schnelles Verfahren zu ermöglichen, das möglichst kein gerichtliches werden muß. Dies zu erreichen, ist Sinn der Technik, daß ein gerichtlich eingesetzter Sonderprüfer die beanstandeten Bewertungen überprüft. Diese Sonderprüfer haben die Stellung eines unabhängigen Sachverständigen mit schiedsmannsähnlicher Wirkung 9 . Endlich hat dieser Rechtsbehelf, der letztlich auch eine Kontrolle der Abschlußprüfer bedeutet, eine rechtspolitisch erwünschte Reflexwirkung: die Unabhängigkeit des Abschlußprüfers wird durch ihn gestärkt; er kann sich seinem Auftraggeber gegenüber bei Versuchen der Beeinflussung auf die Kontrollmöglichkeit mittels §§ 258 ff. berufen 1 0 . Schließlich soll der Rechtsbehelf einen Ersatz dafür bieten, daß die Anfechtung eines von der Verwaltung festgestellten Jahresabschlusses nicht möglich ist. Auch wenn der Jahresabschluß von der Hauptversammlung festgestellt wird, ist die Anfechtung nur in dem engen Rahmen der §§ 257 Abs. 1 S. 2 i. V. m. 243 ff. A k t G zulässig. Es besteht also ein Bedürfnis nach einem umfassenderen Rechtsschutz. — Damit ist der Katalog der rechtspolitischen Aufgaben des Rechtsbehelfs nach §§ 258 ff. A k t G aufgezählt. Noch weitergehende Aufgaben hat der Rechtsbehelf nicht, insbesondere ist er nicht als eine Art Ersatz f ü r ein staatliches Aktienamt zu sehen, wie Kruse11 unter Bezugnahme auf Gessler meint. Die dargestellte Entwicklungsgeschichte des § 258 A k t G gibt hierfür keinen Anhalt; der Rechtsbehelf ist auf seine Zielsetzung, unzulässige Unterbewertungen aufzudecken, spezialisiert und sachlich eng umgrenzt — nicht mehr und nicht weniger. Fassen wir als Ergebnis dieser rechtshistorischen Darstellung zusammen: der Rechtsbehelf nach §§ 258 ff. A k t G soll nicht nur Verteidigungswaffe gegen Abweichungen von zwingenden Bewertungsregeln sein, sondern prophylaktisch und systemimmanent für die 9

Kronstein-Clausen-Biedenkopf, a . a . O . , S. 269; Schneider, Die Wirtschaftsprüfer nach neuem Aktienrecht, Düsseldorf 1966, S. 17; Frey, Die Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung nach §§ 258 ff., Die Wirtschaftsprüfung 1966, S. 633. 10 Gessler, Entwicklungstendenzen des Handels- und Steuerrechts, Düsseldorf 1964, S. 47; Kruse, a. a. O., S. 33. 11 Kruse, a. a. O., S. 35.

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Durchsetzung der gefundenen Gewinnermittlungs- und Gewinnverwendungsordnung wirken. Folgt man diesen Gedanken, kann Maßstab für die Richtigkeit der Stipulierung dieses Rechtsmittels nicht sein, ob, und wenn ja, wie häufig und mit welchem Erfolg von ihm Gebrauch gemacht wird. Ebensowenig aber erscheint es zulässig, aus der Nichtanwendung der §§ 258 ff. AktG zu folgern, auf dem Bewertungssektor wäre vollständige Gesetzestreue im gesamten Aktienwesen eingekehrt. Immerhin ist die Aussage von Schimmelbusch12, die Klagen von Aktionären über Unterbewertungen hätten seit Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 1965 nicht nachgelassen, in Frage zu stellen. Im Gegensatz zu der Zeit der Aktienrechtsreformdebatte — also von 1955 bis 1965 — ist in den letzten Jahren das Problem der Unterbewertung von Aktiva und Überbewertung von Passiva, also das Bilden von stillen Reserven, in seinem aktuellen rechtspolitischen Interesse vermindert, weil sich die Gewinne verschlechtert haben. Der geschätzte Bruttogewinn der deutschen Industrieaktiengesellschaften veränderte sich bei stets erhöhtem Umsatz gegenüber dem Vorjahr wie folgt: 1965 minus 7,3 °/o; 1966 minus 6,8 % ; 1967 minus 5,7 %>; 1968 plus 30,9 % ; 1969 plus 13,5 %>; 1970 minus 11 °/o; 1971 minus 10,5 % ; 1972 plus 24,6 °/o13. Diese Zahlen sind in den Hauptversammlungen bekannt, weshalb die Diskussionen häufig genug die geringe Ertragskraft und deren Ursachen zum Gegenstand haben und weniger als in den vergangenen „Gründerjahren" die Richtigkeit des Gewinnausweises. Durch die Ertragsentwicklung ist die Motivationslage, die seinerzeit zur Normierung der §§ 258 ff. AktG geführt hat, zur Zeit nicht gegeben. Diese Situation, daß derzeit „mangels Masse" weniger Spielraum ist, den Gewinnausweis nach unten zu korrigieren, ändert nichts an der grundsätzlichen Berechtigung des neugeschaffenen Rechtsmittels. Abschließend ist die Frage zu stellen, ob der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 258 ff. AktG nicht in schutzwürdige Rechts- und Interessenkreise eingegriffen hat. Gemeint ist der Gedanke, daß der Rechtsbehelf der Sonderprüfung wegen Unterbewertung den Abschlußprüfer schutzlos und argumentationslos der Überprüfung durch einen konkurrierenden Kollegen aussetzt 14 . Diese Uberprüfung eines Wirtschaftsprüfers ist jedoch kein unangemessener Persönlichkeitseingriff, noch weniger eine auf den Wirtschaftsprüferberuf be12 Schimmelbusch, a . a . O . , S. 141; der Gedanke wird übernommen von Barz, Großkommentar, § 258 Anm. 1. 1 3 Industriebilanzstatistik 1972 des Bankhauses I. D. Herstatt K G a A , Köln, S. 2 1 ; Zimmerer, Handelsblatt vom 7. 9 . 1 9 7 3 . 14 Adler-Düring-Schmaltz, Bd. 2, § 258 Tz. 3 ; Frey, a . a . O . , S. 6 3 7 ; Möhring, N J W 1966, S. 87.

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schränkte Kontrolle, sondern begegnet uns im Instanzenzug des Rechtslebens fortdauernd. Mit jeder Anrufung einer höheren Instanz stellen sich die Richter und Anwälte der Vorinstanz unter die Kontrolle des übergeordneten Gerichtes, ohne Möglichkeit, am dortigen Argumentationsaustausch teilnehmen zu können. — Wenn Frey und Voss15 beanstanden, daß der Abschlußprüfer im Sonderprüfungsverfahren nicht einmal Anträge stellen könne, so übersehen sie, daß gerade diese Rechtsstellung des am Verfahren Unbeteiligten die Position des Abschlußprüfers auch stärken kann. Da unbeteiligt, kann der Abschlußprüfer im gerichtlichen Teil des Sonderprüfungsverfahrens als Zeuge oder als Sachverständiger gehört werden16. Kommt hinzu, daß vor der Bestellung des Sonderprüfers der Abschlußprüfer vom Gericht zu hören ist, § 258 Abs. 3 AktG. Mithin hat das Gesetz ausreichend Vorkehrung getroffen, daß der Abschlußprüfer die von ihm testierte Bewertung verteidigen kann. Weiter ist zu bedenken, daß eine vom Votum des Abschlußprüfers abweichende Entscheidung des Sonderprüfers nicht stets eine abweichende Beurteilung eines gleichen Sachverhalts zu bedeuten hat. Das Urteil des Sonderprüfers kann sich auch aus neuen Tatsachen gegenüber den dem Abschlußprüfer bekannten Tatsachen ergeben, ζ. B. aus dem Vortrag des Antragstellers. Diese neuen Tatsachen rechtfertigen möglicherweise schon eine vom Abschlußprüfer abweichende Bewertung, ohne einen Vorwurf gegenüber der „Vorinstanz" zu beinhalten.

II. Darstellung des Rechtsbehelfs der Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung Nachdem wir den rechtspolitischen Hintergrund des Rechtsbehelfs und behauptete Konzeptionsmängel behandelt haben, ist nun die rechtliche Systematik und eine Gesamtdarstellung vorzulegen: Besteht Anlaß zur Annahme, daß gegen BewertungsVorschriften durch nicht unwesentliche Unterbewertung verstoßen wurde — § 258 Abs. 1 Ziff. 1 AktG — hat das Gericht auf Antrag von Aktionären einen unabhängigen Sonderprüfer zu bestellen. Dieser hat die von dem Antragsteller bemängelten Posten darauf zu prüfen, ob sie nicht unwesentlich unterbewertet sind, und über das Ergebnis der Prüfung 15 Frey, a. a. O., S. 6 3 7 ; Voss, Die Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung gem. §§ 258 ff. AktG, Festschrift Münstermann, Wiesbaden 1969, S. 4 5 0 ; vgl. Barz, Großkommentar, § 259 Anm. 1. 1 6 Vgl. Falkenhausen, Die Aktiengesellschaft 1967, S. 316.

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schriftlich zu berichten. Werden Unterbewertungen von den Sonderprüfern festgestellt und bleiben sie unbestritten, sind im folgenden Jahresabschluß die Posten mit den von den Sonderprüfern festgestellten Beträgen anzusetzen, § 261 Abs. 1 AktG. Die derart erzielten Erträge aus höherer Bewertung können ohne die Schranken des § 58 A k t G von der H V in dem Gewinnverwendungsbeschluß disponiert — also ζ. B. ausgeschüttet — werden, § 261 Abs. 5 AktG. — Die gleiche Prüfung ist möglich, wenn Anlaß f ü r die Annahme besteht, daß die von § 160 Abs. 2 u. 3 A k t G f ü r den Geschäftsbericht geforderten Angaben nicht oder nicht vollständig gemacht wurden. Führt dieses von den Sonderprüfern als Sachverständigen beherrschte Prüfungsverfahren zu keiner Einigung, wird in den gerichtlichen Verfahrensteil eingeleitet. Gegen die Feststellungen der Sonderprüfer über Unterbewertungen oder das Fehlen von gesetzlich vorgeschriebenen Angaben im Geschäftsbericht können die Gesellschaft und ein Aktionärsquorum von 5 % des Grundkapitals das zuständige LG anrufen. Für das Verfahren gelten die Grundsätze der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das Landgericht entscheidet nach § 260 Abs. 2 A k t G die nunmehr rechtshängige Bewertungsfrage unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles. Alles Aktenmaterial, das über die Bewertung besteht (Prüfungsberichte, auch von vergangenen Jahren; Sonderprüfungsbericht; sonstige Unterlagen der Gesellschaft) ist beizuziehen. Ebenso sind Zeugen und Sachverständige anzuhören. Sodann entscheidet das Gericht nach freier, rechtlich gebundener Uberzeugung. Da das Gericht nicht zu entscheiden hat, ob die im Antrag genannten Beträge die richtige oder die falsche Bewertung darstellen, sondern den Betrag der richtigen Bewertung festzustellen hat, ist ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum eingeräumt worden. Dies ergibt sich aus der in § 260 Abs. 2 S. 2 A k t G vorgesehenen gesetzlichen Ermächtigung des Gerichts, dann, wenn die volle Aufklärung aller maßgebenden Umstände mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, die anzusetzenden Werte oder Beträge zu schätzen. Diese Regelung ist an § 287 Z P O angelehnt. Damit ist zumindest angedeutet, daß nach der Vorstellung des Gesetzgebers das Gericht keine Obergutachten zur Klärung von Zweifeln einholen sollte, was Geld und Zeit kostet und vor allem die Zügigkeit der gerichtlichen Entscheidung in Frage stellt 17 . Das LG entscheidet auf den Antrag durch einen mit Gründen versehenen Beschluß, § 260 Abs. 3 i. V. m. § 99 Abs. 3 AktG. Der Beschluß kann beispielsweise lauten: Es wird festgestellt, daß die in den abschließenden Feststellungen des Sonderprüfers festgestellten 17

A. A. Baumbacb-Hueck,

Kommentar zum Aktiengesetz, 13. Aufl., § 260 Anm. 1.

Sinngehalt und Ausformung der Sonderprüfung wegen Unterbewertung 3 2 5

Unterbewertungen im Jahresabschluß nicht enthalten sind (vgl. § 260 Abs. 1 S. 4 AktG). Oder der Beschluß lautet: Die im Jahresabschluß enthaltene Aktivposition ist entgegen der abschließenden Feststellung des Sonderprüfers mit mindestens dem Betrag χ anzusetzen (vgl. § 260 Abs. 1 S. 3 AktG). Oder der Beschluß lautet: Der Antrag wird zurückgewiesen. Gegen den Beschluß findet das Rechtsmittel der Beschwerde statt, § 260 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 99 Abs. 3 S. 2 AktG. Rechtskräftig festgestellte Unterbewertungen sind nach § 261 Abs. 1 A k t G ebenso zu behandeln wie unangefochten gebliebene Feststellungen der Sonderprüfer über Unterbewertungen. Es ist nämlich, unveränderte Verhältnisse vorausgesetzt, der unterbewertete Bilanzposten im nächsten Jahresabschluß zu dem festgestellten Wert anzusetzen. Uber den Ertrag aus höherer Bewertung abzüglich darauf entfallender Steuer entscheidet die H V . — Die sachliche und technische Ausgestaltung dieses Rechtsbehelfs entspricht im wesentlichen den Vorschlägen von Kronstein-Claussen-Biedenkopf18.

III. Rechtssystematische Einordnung Wie ist dieses Rechtsinstitut völlig neuer Prägung einzuordnen in das System der Rechtsbehelfe gleichsam „klassischer" Ausprägung, die jetzt mit dieser Sonderprüfung wegen Unterbewertung in etwa konkurrieren? Gemeint ist das Verhältnis zwischen Sonderprüfung wegen Unterbewertung einerseits und der Nichtigkeit und der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen sowie der klassischen Sonderprüfung nach § 142 A k t G andererseits. Der Rechtsbehelf wegen unzulässiger Unterbewertung hat von allen diesen Rechtsbehelfen Elemente: 1. von der Nichtigkeitsklage gem. § 256 A k t G ist übernommen, daß sich dieser Rechtsbehelf gegen einen Jahresabschluß richtet, der das Feststellungsverfahren durchlaufen hat und daß es nicht darauf ankommt, ob der Feststellungsbeschluß von der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat und Vorstand gefaßt wurde. Insgesamt stellt der Rechtsbehelf nach § 258 A k t G eine weitere Angriffsmöglichkeit gegen einen festgestellten Jahresabschluß dar, neben der Nichtigkeitsklage. — Der Rechtsbehelf wegen unzulässiger Unterbewertung unterscheidet sich von der Nichtigkeitsklage dadurch, daß er den Jahresabschluß nicht insgesamt in Frage stellt, sondern nur einzelne Positionen der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Die der Nichtigkeitsklage wesentliche Wirkung, bis zur rechtskräftigen Entscheidung Unsicherheit über die Rechtswirksamkeit des Abschlusses 18

Kronstein-Claussen-Biedenkopf,

a. a. O., S. 270.

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zu verursachen und im Erfolgsfall die Feststellung des Jahresabschlusses ex tunc aufzuheben, besteht bei dem hier behandelten Rechtsbehelf nicht, weil er die Feststellung unberührt läßt, aber die angegriffenen Bilanzansätze der Höhe nach festsetzt, § 261 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 AktG. Der Unterschied zwischen dem Rechtsbehelf wegen unzulässiger Unterbewertung und der Nichtigkeitsklage gem. § 256 Abs. 5 Ziff. 2 AktG besteht darin, daß hier nicht unwesentliche Unterbewertungen als Antragsvoraussetzungen genügen, dort die Unterbewertungen gravierender sein müssen, außerdem dort vorsätzlich unterbewertet worden sein muß, um die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft unrichtig wiederzugeben oder zu verschleiern. Kommt dieser Tatbestand im Rahmen einer Sonderprüfung nach § 258 AktG ans Tageslicht, ist offen, wie die Rechtsfolgen sind. Das Gesetz behandelt diesen Fall nur in § 259 Abs. 1 S. 2 AktG, wo vorgeschrieben wird, daß der Sonderprüfer über zwei von drei möglichen Nichtigkeitsgründen des § 256 Abs. 4 und 5 AktG in seinen abschließenden Feststellungen zu berichten hat. Weitergehende Konsequenzen hat der Sonderprüfer nicht zu ziehen. Immerhin ist aus dieser Berichtspflicht des § 259 Abs. 1 S. 2 AktG zu entnehmen, daß das Verfahren nach § 258 AktG seinen Fortgang nimmt, und zwar nicht nur, wenn der Sonderprüfer Unterbewertungen feststellt, die nach seiner Meinung zur Nichtigkeit führen könnten, sondern auch, wenn der Sonderprüfer Überbewertungen feststellt. Das ist auch die Auffassung von Barz19, der den Gedanken, daß ein nichtiger Jahresabschluß nicht einer Sonderprüfung unterworfen werden könne, weil ein rechtliches Nullum nicht Gegenstand von Rechtshandlungen sein könne 20 , aus dogmatischen und praktischen Gründen verwirft. Nichtigkeit eines Jahresabschlusses wegen unzulässiger Überbewertung — ein sehr schwerer Vorwurf gegenüber dem mit der Bilanzerstellung betrauten Vorstand — läßt sich nicht derart feststellen, daß der Sonderprüfer seinen Auftrag niederlegt mit dem Bemerken, wegen von ihm behaupteter Nichtigkeit gebe es nichts zu prüfen. Sondern Nichtigkeit wegen Uberbewertung läßt sich in der Regel nur durch streitige Auseinandersetzung zwischen den Organen der Gesellschaft nach §§ 256 Abs. 7, 249 AktG feststellen, wofür das Prüfungsergebnis des Sonderprüfers eine wichtige Beweisunterlage und Aktionsanstoß ist. Es kommt als Hilfsargument hinzu, daß durch die Eröffnung des Verfahrens nach § 258 A k t G durch ein Gericht eine schutzwürdige, besondere Rechtssituation entsteht: der Jahresabschluß erscheint nach 19 20

Großkommentar § 258 Anm. 21. Voss, a. a. O., S. 455.

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der Auffassung des Amtsgerichtes jedenfalls nicht wegen Unterbewertung, aber auch sonst, nicht nichtig zu sein. Meint das Gericht nach Prüfung des Antrages, Nichtigkeit könne vorliegen, ist der Antragsteller auf die Nichtigkeitsklage nach § 256 Abs. 7 i. V. m. § 249 AktG zu verweisen und das Antragsverfahren auszusetzen. H a t das Gericht erst einmal auf Einsetzung des Sonderprüfers entschieden, so stellt sich die Frage der Nichtigkeit wegen Unterbewertung f ü r den Sonderprüfer nicht mehr, dahin geht sein Auftrag nach § 258 Abs. 1 S. 2 A k t G nicht 21 . Weitergehend ist hieraus zu folgern, daß die Rechtsverfolgung wegen Unterbewertung mit dem eingehend ausgestalteten Verfahren nach §§ 258 ff. AktG — einem Sachverständigenverfahren, einem gerichtlichen Verfahren nebst Beschwerdeverfahren — ihr Ende haben sollte. Zwar wäre nach Abschluß des Sonderprüfungsverfahrens die Fortsetzung eines Nichtigkeitsverfahrens wegen Unterbewertung vorstellbar, auch gesetzlich nicht ausgeschlossen, weil es einen Rechtssatz „Ne bis in idem" in der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht gibt. Aber besteht d a f ü r ein Bedürfnis? Diese Frage scheint sich der Gesetzgeber auch bei der Formulierung des § 259 Abs. 1 S. 2 A k t G gestellt und verneint zu haben. Jedenfalls kann man in diesem Sinne das Aussparen der Berichtspflicht des Sonderprüfers über den Nichtigkeitsgrund der Unterbewertung deuten. Andererseits sind die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Nichtigkeit wegen Unterbewertung und Jahresabschlußänderung wegen Unterbewertung nicht zu übersehen. Die Lösung kann wohl nur sein, das Rechtsschutzbedürfnis bei derart begründeten Nichtigkeitsanträgen genau zu prüfen. Der Sonderprüfer hat — wie oben schon beschrieben — zu berichten über Uberbewertungen, Verstöße gegen Gliederungsvorschriften, also gegen §§ 151, 152, 157—159 AktG, oder wenn Formblätter nicht beachtet wurden. Uber andere Verstöße gegen Satzung oder Gesetz haben die Sonderprüfer nicht zu berichten. Der Sonderprüfer hat aus den von ihm aufgedeckten Nichtigkeitsgründen des § 258 Abs. 1 S. 2 A k t G auch keine Konsequenzen zu ziehen, insbesondere hat er die Tatsache von Uberbewertungen oder Verstößen gegen Gliederungs- oder Formblattvorschriften nicht in die abschließenden Feststellungen aufzunehmen, weil deren Inhalt in § 259 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 S. 1 A k t G abschließend festgelegt ist. Diese schwache Rechtsfolge aus feststellten Uberbewertungen zeigt eindeutig, daß deren Sanktion in anderer Weise als durch die Sonderprüfung nach §§ 258 ff. AktG, nämlich durch die Nichtigkeitsklage zu erfolgen hat. Von 21

Godin-Wilhelmi, Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 2 5 9 Anm. 2; Frey, a. a. O., S. 240; Voss, a. a. O., S. 457.

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Voss22 stammt die interessante Anregung, daß bei möglicher Nichtigkeit wegen Überbewertung Vorstand und Aufsichtsrat veranlaßt seien, die Sonderprüfung abzubrechen und einen neuen Jahresabschluß aufzustellen. Dies w ä r e z w a r f ü r den Fall der unstrittigen Überbewertung eine praxisnahe Lösung, die jedoch daran scheitert, d a ß die Sonderprüfung v o m Gericht gem. § 258 Abs. 1 A k t G angeordnet ist, der Sonderprüfer also nicht den Dispositionen der Gesellschaft unterliegt. Überdies können Beschlüsse im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht mittels Parteienherrschaft abgeändert oder aufgehoben werden. Auch können die Verwaltungsorgane nicht den festgestellten Jahresabschluß zurücknehmen und einen neuen aufstellen. Nach der Feststellung ist die Verwaltung an den Abschluß gebunden 2 3 . Die Nichtigkeit wegen Überbewertung kann also nur im Wege der Nichtigkeitsklage gem. §§ 256 Abs. 5 und 7 i. V. m. 249 A k t G geltend gemacht werden — ein zunächst unbefriedigendes Ergebnis, weil die Ergebnisse der Sonderprüfung über die Berichterstattung hinaus nicht genutzt werden. D a das Prüfungsverfahren aber auf die Aufdeckung von Unterbewertungen abzielt und nur hierauf — wie eingangs dargestellt — ist diese Lösung doch überzeugend. Eine Besonderheit k a n n eintreten, wenn Unterbewertungen bei einem oder einigen Bilanzposten mit Uberbewertungen bei anderen Bilanzposten zusammenfallen. Im Sonderprüfungsbericht wäre über beide Arten von Bewertungsfehlern gem. § 259 Abs. 1 S. 2 A k t G zu berichten, in den abschließenden Feststellungen gem. § 259 Abs. 1 A k t G aber nur über die Unterbewertungen. Dies f ü h r t dann zu falschen Schlußfolgerungen; nicht unwesentliche Unterbewertungen w ü r den in den Gesellschaftsblättern publiziert werden, aber Uberbewertungen mit der Folge der Nichtigkeit des ganzen Jahresabschlusses verschwiegen. Die Lösung m u ß darin bestehen, d a ß der Sonderprüfer in seinen abschließenden Feststellungen wegen der die Unterbewertung aufzehrenden Überbewertung in geeigneter Form auf den vollen Inhalt des Sonderprüfungsberichtes hinweist, etwa derart, daß wegen Auswirkungen der Unterbewertung auf das Jahresergebnis oder wegen etwaiger kompensatorischer Wirkungen auf den Bericht verwiesen wird, der ja durch Einreichung zum Handelsregister gem. §§ 259 Abs. 1 S. 3 i. V. m. 145 Abs. 4 A k t G und durch das Recht der Aktionäre auf Erteilung von Abschriften zugänglich ist 24 . Diese weitgehende Berichtspflicht des Sonderprüfers, verbunden mit der Kennt22

Voss, a. a. O., S. 457. Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 172 Anm. 7. 24 Adler-Düring-Schmaltz, § 259 Tz. 9; während sich Barz im Großkommentar § 259 Anm. 3 zu dieser Ausweitung der Publizitätspflicht in den abschließenden Feststellungen offenbar nicht entschließen kann. 23

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nisnahme des Berichtes durch jedermann — kurzum dieser Rechtsgedanke weitestgehender Publizität als Sanktion — tragen zusätzlich den Schluß, daß Sonderprüfung nach §§ 258 ff. AktG und Nichtigkeitsklage — obgleich nebeneinander und unabhängig voneinander möglich — nicht gleichzeitig durchgeführt werden sollen, sondern nacheinander unter Vorziehung der Sonderprüfung. Das steht zwar nirgends im Gesetz, folgt aber aus dem Grundsatz der Prozeßökonomie und der Sachgerechtigkeit. Fassen wir als Ergebnis zusammen: a) Im Verhältnis von Nichtigkeitsklage gem. §§ 256 Abs. 5 i. V. m. 249 AktG zu dem hier behandelten Rechtsbehelf gilt, daß beide Verfahren nebeneinander vorkommen können. b) Bestellt das Amtsgericht Sonderprüfer nach § 258 Abs. 1 aktG, so liegt darin ein Anhalt, daß Nichtigkeit wegen Unterbewertung, aber wohl auch wegen Uberbewertung wahrscheinlich nicht vorliegt, die Nichtigkeitsklage also auszusetzen ist. c) Die Verfahren sind zeitlich nacheinander durchzuführen. Die Sonderprüfung ist vorzuziehen, das Nichtigkeitsverfahren anzuschließen. d) Wenn zuvor eine Sonderprüfung vom Gericht eröffnet, sodann durchgeführt und ohne Bericht über Überbewertungen zu Ende gebracht wurde, ist eine Nichtigkeitsklage nur in exzeptionellen Fällen als schlüssig vorgebracht denkbar. e) Berichten die Sonderprüfer über den Nichtigkeitsgrund nach § 259 Abs. 1 S. 2 AktG der Überbewertung, so haben sie auch in den abschließenden Feststellungen Fehlschlüsse zu verhindern. f ) Die Nichtigkeitsklage wegen Überbewertungen ist zweckmäßigerweise streitig erst nach Kenntnis der Prüfungsergebnisse zu verhandeln. Zu bedenken sind aber die kurzen Ausschlußfristen des § 256 Abs. 6 AktG, die den Beweisvorteil aus dem Prüfungsbericht zumindest relativieren.

2. Von der Anfechtung hat der Rechtsbehelf wegen Unterbewertung die Funktion übernommen, inhaltliche Mängel des Jahresabschlusses zu korrigieren. Im Gegensatz zu früherem Recht ist jetzt keine auf den Inhalt des Jahresabschlusses bezogene Anfechtung mehr möglich, § 257 Abs. 1 S. 2 AktG. An dessen Stelle tritt der Rechtsbehelf nach §§ 258 ff. AktG mit der Maßgabe, daß nicht nur die bisher stark herausgestellte Bewertungsprüfung ihm obliegt, sondern auch die Möglichkeit zu verifizieren, ob den Angabepflichten im Geschäftsbericht nach § 160 Abs. 2 und 3 genügt wurde, § 258 Abs. 1

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Ziff. 2 AktG. — Kollisionen und Überschneidungen der Rechtsbehelfe können kaum auftreten. 3. Von der allgemeinen Sonderprüfung gem. §§ 142—147 AktG hat der Rechtsbehelf des § 258 A k t G die Bezeichnung übernommen. Die Sonderprüfer fungieren als institutionalisierte, dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltete Sachverständige. Die Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung unterscheidet sich von der allgemeinen Sonderprüfung, die auf die Untersuchung von allerart Pflichtwidrigkeiten bei der Gründung, der Kapitalbeschaffung und der Geschäftsführung insgesamt ausgerichtet ist, durch ihren eng begrenzten Einsatz gegen Unterbewertungen und unterlassene Angaben zur Bewertung im Geschäftsbericht. Folglich ist hier die Sanktion sachbezogener: nicht allgemeine Schadensersatzansprüche erwachsen obsiegenden Aktionären, sondern spezifische Änderung der beanstandeten Unterbewertung in der Bilanz. Kollissionen können nicht eintreten, zumal § 143 Abs. 3 AktG diese Sonderprüfung ausschließt für Vorgänge, die Gegenstand einer Sonderprüfung nach § 258 A k t G sein können, womit dem hier behandelten Rechtsmittel Vorrang vor der allgemeinen Sonderprüfung gewährt wird 2 5 .

IV. Tendenz zur erleichterten Geltendmachung des Rechtsbehelfs l.

Der Rechtsbehelf kann seine Funktion nur erfüllen, wenn Gesetz und Rechtsprechung nicht zu hohe Anforderungen an die Schlüssigkeit stellen. Denn der Rechtsbehelf soll von Aktionären, also in Hinsicht auf das Zahlenwerk der Gesellschaft Außenstehenden, genutzt werden. Darum sagt das Gesetz in § 258 AktG, daß für die Ingangsetzung des Verfahrens „Anlaß zur Annahme" der unzulässigen Unterbewertung gegeben sein muß. Was heißt das? Anlaß f ü r die Annahme ist weniger als Glaubhaftmachen — ist vor allem weniger als eine präzise Darstellung, wie sich der beanstandete Posten im Rechenwerk der Gesellschaft entwickelt hat, welcher Art die Unterbewertung ist und wie hoch sie ausfiel. Derart detaillierte Angaben sind unter keinem Aspekt zu verlangen. „Anlaß für die Annahme" ist aber mehr als unsubstantiierte Behauptung, etwa des Inhalts, der Jahresüberschuß sei zu niedrig, was auf Unterbewertungen zurückzuführen sein müsse. Der Antragsteller muß darlegen, warum er einen Anlaß zur 25

Bar ζ in Großkommentar § 258 A n m . 20.

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Annahme hat, Unterbewertungen lägen vor 26 . Der Antragsteller muß den oder die unterbewerteten Posten bezeichnen und mit zumindest theoretisch möglichen und betriebswirtschaftlich und bilanzrechtlich haltbaren Gedanken die Unterbewertung präzisieren und aus dem Sachverhalt Anhaltspunkte für seine Annahme liefern. Diese Anhaltspunkte können sein: unklare Unterschiede zum vorigen Jahresabschluß, Auskunftsverweigerung in der Hauptversammlung, vor allem eingeschränktes Testat. Aber in keinem Fall besteht eine Beweispflicht27 der Antragsteller. Vielmehr prüft das Gericht nach dem die freiwillige Gerichtsbarkeit beherrschenden Grundsatz der Amtsprüfung die Berechtigung des Antrags auf Einsetzung von Sonderprüfern in der Weise, daß zunächst der Vorstand, der Aufsichtsrat und der Abschlußprüfer zu hören sind. Zieht das Gericht die Bestellung eines Sonderprüfers nicht in Erwägung, ζ. B. weil der Antrag unsubstantiiert ist und das Gericht keinen Anlaß sieht, etwa nach Zwischenverfügungen über den Antrag hinausgehende neue Tatsachen zu erfahren, muß die Anhörung nach Abs. 3 nicht mehr erfolgen — sie kann aber erfolgen, weil Amtsprüfung gilt. 2.

Dieser Grundtendenz der Leichtmachung der Eröffnung der Sonderprüfung dient auch der Grundsatz, daß bei Streit über den Anlaß zur Annahme einer Unterbewertung die Sonderprüfung anzuordnen ist. Zwar schreibt das Gesetz die Anhörung über den Vortrag der Antragsteller in § 258 Abs. 3 AktG vor, regelt aber nicht, was zu geschehen hat, wenn die anzuhörenden Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und der Abschlußprüfer das Vorbringen im Antrag nicht bestätigen, sondern bestreiten. In diesem Fall will GodinWilhelmi Sachverständige hinzuziehen, die nach der Natur der Materie auch nur Wirtschaftsprüfer oder andere Buchhaltungssachverständige sein können28. Da die Sonderprüfung nach § 258 AktG zunächst nichts anderes als eine sachverständige Untersuchung beanstandeter Bewertungen und Geschäftsberichtsangaben ist, gleibt zu fragen, was eine solche Vorschaltung von Sachverständigen im Antragsverfahren bewirken soll. Richtigerweise entscheidet das Gericht

Kropff, Aktiengesetz, Düsseldorf 1965, S. 349. Adler-Düring-Schmaltz, § 258 Tz. 5 u. 7 ; Baumbach-Hueck, § 258 Anm. 3 ; Godin-Wilhelmi, 3. Aufl., § 258 Anm. 2 — 3 ; unbefriedigt von diesen „unklaren Interpretationen des Gesetzes" Simmelbusch, a. a. O., S. 143, der übersieht, daß hier am Einzelfall Richterrecht zu schaffen ist, das abstrakt nicht alle Fälle bedenkend vorformuliert werden kann. 28 Godin-Wilhelmi, § 258 Anm. 4 ; ebenso Kruse, S. 106. 26

27

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in solchen Fällen in der Regel daher auf Bestellung der Sonderprüfer, wenn die Anhörung nach Abs. 3 das Gericht nicht überzeugte, daß der Vortrag des Antragstellers unbegründet sei 29 . 3. In den Rechtskreis der Leichtmachung der Sonderprüfung gehört demnach auch die Fixierung dessen, was „nicht unwesentliche" Unterbewertung bedeutet. Gewiß weniger als wesentlich — das folgt aus der doppelten Negation, die der Gesetzgeber wählte. Einigkeit besteht darüber, daß die Qualifikation „nicht unwesentlich" sich nicht auf den angeblich unterbewerteten Einzelposten bezieht, sondern auf die Relation zu den Gesamtverhältnissen des Jahresabschlusses30. Was aber sind die als Maßstab für die „nicht unwesentliche Unterbewertung" alleine brauchbaren Gesamtverhältnisse der AG? Für Baumbacb-Huecksl ist es die Bilanzsumme der AG, aber auch das Verhältnis der Unterbewertung zu den Kosten der Sonderprüfung. Für Adler-Düring-Schmaltz war es früher die Möglichkeit einer Dividendenkürzung 32 , während später jede Fixierung und Präzisierung der Gesamtverhältnisse aufgegeben wird 33 . Von Frey stammt der Gedanke, die Fixierung aus § 160 Abs, 2 S. 5 AktG zu entnehmen, wonach Änderungen in der Bewertungsmethode im Geschäftsbericht nicht anzugeben sind, wenn sie den Jahresüberschuß nur bis zu 1 0 % im ausmachenden Betrag verändern und 1/2 %> des Grundkapitals nicht übersteigen 34 . Frey übernimmt diesen Rechtsgedanken im Wege der Analogie und sagt, daß, wenn die Unterbewertung über diesen Grenzen liegt, sie nicht unwesentlich sei. Dem ist zuzustimmen. In § 160 Abs. 2 S. 5 AktG sagt das Gesetz indirekt, was es als eine bedeutsame Bewertungsänderung ansieht, die ziffernmäßig exakt publiziert werden muß. Deshalb ist die Analogie gerechtfertigt. Es kommt hinzu, daß der Rechtsbehelf der Sonderprüfung zwar nicht mit einem Ausschüttungszwang, wie er in §§ 249—250 RegE enthalten war, aber doch mit einer Ausschüttungsalternative gem. § 261 Abs. 3 S. 1 AktG ausgestattet ist. Als Grenze der Ausschüttungsfähigkeit ist 1 % , mindestens x ¡i % des Grundkapitals anzusehen; niedere Beträge sind nicht verteilungsfähige Spitzenbeträge, die auf neue Rechnung vorge-

Adler-Düring-Schmaltz, § 258 Tz. 11. A. A. allein Scherpf, Die aktienrechtliche Rechnungslegung Handbuch der Aktiengesellschaft, Köln 1967, S. 419. 3 1 A. a. O., § 258 Anm. 3. 3 2 A. a. O., Band I, 4. Aufl., Vorbem. vor §§ 153—158 Tz. 18. 3 3 A. a. O., Band II, 4. Aufl., § 258 Tz. 42. 34 Frey, Die Wirtschaftsprüfung 1966, S. 634. 29

30

und

Prüfung,

Sinngehalt u n d A u s f o r m u n g der S o n d e r p r ü f u n g wegen U n t e r b e w e r t u n g

333

tragen werden 35 . Mit diesen zusätzlichen Argumenten stellt sich der Gedanke von Frey als brauchbare und rechtlich fundierte Fixierung dessen, was „nicht unwesentlich" bedeutet, dar, und als Richtpunkt f ü r das am Einzelfall orientierte Rchterrecht 36 . Fassen wir als Ergebnis zusammen: Als all' diesen Einzelvorschriften und den sachgerecht abgeleiteten Auslegungen ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber alles tat, um den Rechtsbehelf bis zur Grenze unzulässiger Rechtsausübung zu erleichtern in der Absicht, unserer aktienrechtlichen Ordnung einen konzeptionell überzeugenden Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Dies ist dem Gesetzgeber voll gelungen, jedenfalls ist von keinem Kritiker ein konstruktiver Fehler nachgewiesen worden. Wenn der Rechtsbehelf nicht genutzt wird, sollte dies zunächst als positives Zeichen aktienrechtlichen Friedens und als Erfolg der prophylaktischen Funktion gewertet werden, zum anderen als Ausdruck von Veränderungen in der Bedürfnislage. Aktionäre bedrücken 1974 andere Sorgen als im Jahre 1963/64, als der hier behandelte Rechtsbehelf geschaffen wurde. Vitalangriffe auf bewährte und unverzichtbare Grundelemente unserer aktienrechtlichen Ordnung sind heute unser Problem. Möge unserem Jubilar noch lange die K r a f t erhalten bleiben, im Kampf um richtiges Aktienrecht in der vordersten Linie mitzuwirken — im Kampf um die Verfestigung und den Ausbau der privatrechtlichen Einbettung unseres Aktienrechtes, im Kampf um die geeignetste Form, in der der Kreis der am Aktienwesen Teilhabenden vergrößert wird.

35 Kölner K o m m e n t a r § 170 Anm. 7. — Diese Darstellung, d a ß auch die jetzige Konstruktion des Reditsbehelfs eine Ausschüttungsalternative enthält, könnte Barz', G r o ß k o m m e n t a r § 251 A n m . 1, Beurteilung im Anschluß an Schimmelbusch, a. a. O., S. 143, relativieren, d a ß das Fehlen eines absoluten Ausschüttungszwanges es Minderheiten nicht lohnend erscheinen lasse, den Rechtsbehelf anzuwenden. Der Rechtsbehelf des § 258 A k t G ist nicht nur Minderheitenrecht, sondern k a n n durchaus auch ein f ü r Paketinhaber interessantes Rechtsinstitut sein. Außerdem kann man nicht jeder H V , audi nicht jedem Majoritätsaktionär unterstellen, Unterbewertungen von Anbeginn an gedeckt zu haben und deshalb am Ende auch in der H V mit seiner Stimmrechtsmacht zu verteidigen — losgelöst von den mit solcher Stimmrechtsnutzung verbundenen Rechtsfragen. 38

Zustimmend Kruse, a. a. O., S. 67; Mellerowicz, G r o ß k o m m e n t a r , Vorbem. zu §§ 153—158 Anm. 30; Stolz, Das Ermessen des Abschlußprüfers bei der Einsdiränkung und Versagung des Bestätigungsvermerks, Diss. München 1970, S. 182; Voss, a. a. O., S. 460.

Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen K A R L - H E I N Z FORSTER

Nach § 270 Abs. 3 A k t G finden die Vorschriften über die Bewertung in der Jahresbilanz (§§ 153—156) keine Anwendung auf die Abwicklungseröffnungsbilanz und die weiteren, im Laufe der Abwicklung aufzustellenden Jahresabschlüsse (beide im folgenden als Abwicklungs-Abschlüsse bezeichnet). Maßgebend sind allein § 149, der sinngemäß anzuwenden ist (§ 270 Abs. 2 Satz 2), sowie § 40 HGB, der indes nach weitverbreiteter Uberzeugung keine bestimmte Bewertung vorschreibt 1 . Im übrigen müssen die Grundsätze, denen die Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen zu folgen hat, aus den Funktionen abgeleitet werden, die die Abwicklungs-Abschlüsse während der Abwicklung haben. Im Vordergrund steht dabei die Frage, Weiterführung der bisherigen Bewertung und sinngemäße Anwendung der für den normalen Jahresabschluß geltenden Bewertungsnormen oder (einmalige oder jährliche) Neubewertung aller Aktiva und Passiva 2 .

I. Die Funktionen der Abwicklungs-Abschlüsse Mit Beginn der Abwicklung endet die werbende Tätigkeit der Gesellschaft. Die Abwickler haben die Pflicht, die laufenden Geschäfte zu beenden, die Forderungen einzuziehen, das übrige Vermögen in Geld umzusetzen und die Gläubiger zu befriedigen (§ 268 Abs. 1). Soweit es die Abwicklung erfordert, dürfen sie auch neue Geschäfte eingehen. Das nach Berichtigung der Verbindlichkeiten verbleibende Vermögen wird unter die Aktionäre der Gesellschaft verteilt (§ 271 Abs. 1). Hieraus lassen sich folgende Funktionen der Abwicklungs-Abschlüsse ableiten: — Informationsfunktion, — Vermögensermittlungsfunktion, — Rechenschaftsfunktion. 1 Vgl. Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. Band 1, 1968, § 149 Tz. 97. 2 Ausführlich dazu bereits Adler, Hans, Die Abwicklungsbilanzen der Kapitalgesellschaft, 2. Aufl. 1956, S. 25 ff.

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Karl-Heinz Forster

Gegenüber den Funktionen des Jahresabschlusses während der werbenden Tätigkeit fehlt vor allem die Gewinnermittlungsfunktion; eine Gewinnverteilung findet während der Abwicklung nicht mehr statt 3 . 1.

Informationsfunktion

Adressaten der Abwicklungs-Abschlüsse sind wie während der werbenden Zeit der Gesellschaft die Aktionäre, aber auch Gläubiger und die Öffentlichkeit 4 ; die §§ 177, 178 (Einreichung zum Handelsregister und Bekanntmachung) sind in § 270 Abs. 2 ausdrücklich in Bezug genommen. Die Aktionäre — gegenwärtige oder künftige — sind vor allem daran interessiert zu erfahren, über welche Vermögenswerte die Gesellschaft verfügt und welche Verbindlichkeiten das Vermögen belasten und mit welchem Abwicklungsüberschuß voraussichtlich zu rechnen ist. Die Abwicklungs-Abschlüsse bilden eine wichtige Grundlage für eine individuelle Bewertung der Anteile. Dies gilt insbesondere, wenn die Aktien nodi gehandelt werden und die Aktionäre daher an aktuellen Werten interessiert sind. Aus der Struktur des Vermögens — gegliedert entsprechend den Grundsätzen der §§ 151, 152 — ergeben sich zudem Hinweise auf die mögliche Dauer der Abwicklung. Das Interesse der Gläubiger ist prinzipiell das gleiche wie bei der werbenden Gesellschaft, nämlich Gewißtheit zu haben, daß das Vermögen zur Deckung der Verbindlichkeiten ausreichen wird. Im Hinblick auf die beabsichtigte Vermögensverteilung kommt ihm während der Abwicklung trotz der Gläubigerschutzvorschriften des § 272 je nach dem Verschuldungsgrad der Gesellschaft sogar erhöhte Bedeutung zu. 2.

Vermögensermittlungsfunktion

Die Abwicklungs-Abschlüsse dienen nicht der Gewinnermittlung, sondern der Vermögensermittlung. Sie sind Vermögensbilanzen 5 . Auch wenn anders als bei der Gewinnverteilung der werbenden Gesellschaft eine Verteilung des Gesellschaftsvermögens nicht vom 3 Godin-Wilhelmi, Kommentar zum AktG, 4. Aufl. Band II 1971, § 271 Anm. 2; Wiedemann in Großkomm. AktG, 3. Aufl. Band III 1973, § 270 Anm. 1 ; Würdinger, Hans, Aktien- und Konzernrecht, 3. Aufl. 1973, S. 168. 4 Vgl. Adler-Düring-Schmaltz, § 149 Tz. 4; Brönner, in Großkomm. AktG, 3. Aufl. Band II 1970, § 177 Einleitung; Kropff, in Kommentar zum AktG, 3. Lief. 1973, Vorbem. zum Fünften Teil, Anm. 6—8. 5 Vgl. Müller, Hans-Peter, in WP-Handbuch 1973 S. 1929, sowie Wiedemann, § 270 Anm. 1 mit weiteren Nachweisen.

Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen

337

Ausweis eines entsprechenden Vermögensüberschusses in einem Abwicklungs-Abschluß abhängig ist, so bildet der Abwicklungs-Abschluß in der Regel dodi eine wichtige Grundlage für die Entscheidung der Abwickler, Vermögen auszuschütten. Das gilt namentlich, wenn Teilausschüttungen vorgesehen sind 6 . 3.

Rechenschaftsfunktion

Der Abwicklungs-Abschluß soll ferner Auskunft geben über den Erfolg der Tätigkeit der Abwickler, insbesondere über den Stand der Abwicklung 7 , ggfs. auch über die Ergebnisse neu eingegangener Geschäfte. E r ist der Hauptversammlung zur Feststellung vorzulegen (§ 270 Abs. 2 Satz 1) und bildet eine der Grundlagen für den Beschluß der Hauptversammlung über die Entlastung der Abwickler. Auch für eine Abberufung von Abwicklern durch die Hauptversammlung (§ 265 Abs. 5) kann der Abwicklungs-Abschluß von Bedeutung sein.

II. Bewertungsgrundsätze für Abwicklungs-Abschlüsse 1. Die Bedeutung

des § 149 für die

Bewertung

Außer aus den vorstehenden Funktionen ergeben sich die Bewertungsgrundsätze für die Rechnungslegung während der Abwicklung auch aus den Vorschriften des sinngemäß anzuwendenden § 149. Hier besteht vor allem die Frage, ob die Einschränkungen, die sich aus den Worten „im Rahmen der Bewertungsvorschriften" für den Einblick in die Vermögens- und Ertragslage ergeben können, auch für den Abwicklungs-Jahresabschluß bestehen. Die Frage ist trotz des Fehlens spezieller Bewertungsvorschriften zu bejahen, da auch die in § 149 Abs. 1 Satz 1 angezogenen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Bewertungsvorschriften beinhalten 8 . Allerdings ist die Qualität der Einschränkung eine völlig andere als beim Jahresabschluß einer werbenden Gesellschaft. Hier gelten einerseits im Interesse des Gläubigerschutzes bestimmte Bewertungsobergrenzen (z. B. Anschaffungswertprinzip) oder Aktivierungsverbote (z. B. selbstgeschaffene imma• Wegen der Haftung der Abwickler bei Abschlagszahlungen vgl. Wiedemann, § 271 Anm. 2. 7 Ebenso Wiedemann, § 270 Anm. 2. 8 Zur Rechtsnatur der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und ihrer Ermittlung ausführlich Kropff, § 149 Anm. 4—11, mit weiteren Literaturnachweisen.

338

Karl-Heinz Forster

terielle Anlagewerte); andererseits wird er vom going-concern-princip 9 beherrscht und nicht von der Annahme der Zerschlagung der Gesellschaft 10 . Während der Akzent bei einer werbenden Gesellschaft ganz zwangsläufig stärker auf dem Einblick in die Ertragslage liegt, verlagert er sich bei einer in Abwicklung befindlichen Gesellschaft eindeutig zum Einblick in die Vermögenslage hin 11 . Es interessieren nicht so sehr der laufende Ertrag als vielmehr das zu versilbernde oder bereits zur Verteilung anstehende Vermögen sowie, insbesondere im Fall einer fortschreitenden Geldentwertung, Wertveränderungen des Vermögens. 2. Die Bewertung zu Zeitwerten als allgemeiner

Grundsatz

Aus alledem folgt, daß die Bewertung im Abwicklungs-Abschluß grundsätzlich auf Zeitwerten aufzubauen hat, die unter dem Gesichtspunkt der anstehenden Veräußerung zu ermitteln sind („Versilberungswerte") 12 . Dies hat schon das R G festgestellt 13 : „ . . . muß bei der Aktiengesellschaft in die Liquidationseröffnungsbilanz der Wert eingestellt werden, der sich bei einer Veräußerung als voraussichtlicher Erlös annehmen läßt. . . . Das Wesen einer Liquidation läßt eine andere Auffassung nicht zu." Ist eine Veräußerung erst für später zu erwarten und muß bis dahin noch mit Verlusten gerechnet werden, so ist dem je nach den Gegebenheiten des Einzelfalles durch angemessene Wertabschläge oder im Rahmen der Rückstellung für Abwicklungskosten und -Verluste Rechnung zu tragen. Keinesfalls darf ein höherer Abwicklungsüberschuß ausgewiesen werden, als er bei vorsichtiger Schätzung der künftigen Entwicklung als endgültige Ausschüttung zu erwarten steht. • Dieses Prinzip soll nach den Vorschlägen der Groupe d'Etudes des Expertes Comptables de la C. E. E. ausdrücklich in die 4. EG-Richtlinie aufgenommen werden; vgl. Kaminski, WPg. 1973 S. 233. 10 Vgl. Adler-Düring-Schmaltz, § 149 Tz. 65. 11 Ebenso 'Wiedemann, § 270 Anm. 4, der nur noch von einem möglichst sicheren Einblick in die Vermögenslage spricht. 12 Vgl. die ausführliche Übersicht über die bejahenden Autoren bei Förster, Wolfgang, Die Liquidationsbilanz, 1972, S. 6 ff.; ferner Lutter, Marcus, Das Deutsche Bundesrecht, Aktiengesetz 233. Lief. 1967, S. 344; Wiedemann, § 2 7 0 Anm. 5 ; Forster, Karl-Heinz, Rechnungslegung der Aktiengesellschaft während der Abwicklung (§ 270 A k t G 1965), in Wirtschaftsprüfer im Dienst der Wirtschaft, Festschrift für Ernst Knorr, 1968, S. 77 ff. (79 f.); a. A. Godin-Wilhelmi, § 2 7 0 Anm. 7, für den Fall, daß höhere Werte als nach den bisherigen Bewertungsgrundsätzen anzusetzen wären („gestattet, aber keineswegs geboten"), sowie Bauch, D B 1973 S. 977 ff. (980 f.), der die Fortführung der bisherigen Werte zur „Vermeidung jeglicher Willkür" für betriebswirtschaftlich richtig hält. 13 R G Z 80, 105 ff. (107, 108).

Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Absdilüssen

339

3. Einschränkungen des allgemeinen Grundsatzes Nicht zuletzt die Ungewißheit künftiger Entwicklungen, aber audi andere Faktoren führen dazu, daß der Grundsatz der Bewertung zu Zeitwerten dort Einschränkungen erfahren muß, wo er zu höheren Werten führt, als sie im Jahresabschluß einer werbenden Gesellschaft angesetzt werden könnten. a) Ungewißheit der Realisierung. So ist häufig bei Aufstellung eines Abschlusses noch nicht mit hinreichender Sicherheit zu übersehen, ob bei der Veräußerung von Vermögensgegenständen ein über den Buchwerten liegender Erlös zu erzielen sein wird. Es würde in Fällen dieser A r t weder im Interesse der Aktionäre nodi der Gläubiger liegen, Hoffnungswerte, deren Realiserung ungewiß ist, anzusetzen 1 4 . S t a t t dessen erscheint es angemessener, im (obligatorischen) Erläuterungsbericht die Grundlagen der Bewertung anzugeben und dabei auch auf bestehende Chancen hinzuweisen (vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 3 f.). Gegen diese Überlegung spricht auch nicht, daß möglicherweise bestimmte Aktionäre oder Aktionärsgruppen ein Interesse an einer möglichst hohen, den Zeitwerten angenäherten Bewertung haben. Ein solches Interesse kann z. B . dadurch bedingt sein, daß diese Aktionäre auf eine alsbaldige Teilausschüttung W e r t legen oder daß sie ihre Aktien zu möglichst günstigen Kursen veräußern wollen. Wie bereits ausgeführt, fehlt es — anders als bei einer werbenden Gesellschaft — an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Ausweis eines Abwicklungsüberschusses und einer Ausschüttung. Ein mögliches Ausschüttungsinteresse ist für die Bewertung somit irrelevant. b) Verkaufstaktische Überlegungen. Weiterhin kann der Ansatz höherer Zeitwerte dann auf Bedenken stoßen, wenn es sich um zur Veräußerung anstehende, einzeln in der B i l a n z auszuweisende V e r m ö gensobjekte handelt (z. B . ein Grundstück oder eine Beteiligung). W o l l t e man hier den Bilanzwert nach den Preisvorstellungen des Abwicklers bemessen, die naturgemäß von verhandlungstaktischen Überlegungen bestimmt sind, so bestünde die Gefahr, daß ein zu hoher W e r t angesetzt wird. Hingegen könnte aus einem niedrigen Zeitwertansatz indirekt das Ausmaß erzielbarer Preiszugeständnisse entnommen werden. Es dürfte dann vorzuziehen sein, den bisherigen W e r t beizubehalten und den zu erwartenden, vorsichtig geschätzten Mehrerlös bei der Bemessung der Rückstellung für Abwicklungskosten und -Verluste zu berücksichtigen. D a s bedingt andererseits, daß 14

Ausführlich hierzu Adler,

a. a. O. S. 30.

340

Karl-Heinz Forster

nach Erzielung eines Mehrerlöses dieser der Rückstellung zugeführt und nicht als Ertrag vereinnahmt wird. c) Steuerliche Auswirkungen. Weiterhin wird man Ausnahmen von dem Grundsatz einer Bewertung zu Zeitwerten dann zulassen müssen, wenn eine höhere Bewertung zu einem zusätzlichen Steueraufwand führt 1 5 . Dieser Gesichtspunkt verdient vor allem dort Beachtung, wo mit einem längeren Abwicklungszeitraum zu rechnen ist. Allerdings wird man dabei stets eine Gesamtbetrachtung im Auge haben müssen. d) Bestimmtheit der Bewertung. Wird im Rahmen der als zulässig zu erachtenden Ausnahmen nicht der Zeitwert, sondern ein anderer Wert der Bilanzierung zugrunde gelegt, so darf dieser Wert nicht willkürlich sein, sondern muß sich aus einer bestimmten Bewertungsmethode ergeben. In Betracht kommen hier grundsätzlich die gleichen Bewertungsmethoden, wie sie für die werbende Gesellschaft gelten (§§ 153—156). Ausnehmen muß man davon allerdings die sogenannten Beibehaltungswahlrechte (§§ 154 Abs. 2 Satz 2, 155 Abs. 3), die sich mit dem Ziel der Bewertung während der Abwicklung wohl kaum vereinen lassen16. Anwendbar dürften auch solche Methoden sein, die z. B. zu einem über den Anschaffungskosten, aber noch unter dem Zeitwert liegenden Wert führen. So ist es z. B. denkbar, Wertpapiere nicht zum (besonders hohen) Börsenkurs des Bilanzstichtages, sondern zu einem vielleicht aus den letzten drei Monatsschlußkursen sich ergebenden Mittelwert zu bewerten, wenn bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung zu erwarten ist, daß dieser Wert dem in der Zukunft zu erwartenden Kursniveau entspricht. e) Bewertungskontinuität. Aus dem allgemeinen Bewertungsgrundsatz und den erörterten Ausnahmen ergibt sich zwangsläufig, daß es allenfalls einen Grundsatz der Kontinuität der Bewertung, aber keinen Grundsatz der Kontinuität des Wertansatzes geben kann. Wird z. B. ein Gegenstand in mehreren aufeinander folgenden Abwicklungs-Abschlüssen jeweils mit dem erwarteten Veräußerungswert angesetzt, so kann das zwar dazu führen, daß jeweils der gleiche Wert zum Ansatz kommt; notwendig ist dies allerdings nicht, da die Veräußerungserwartungen entsprechend der jeweiligen, unterschiedlichen 15

Zu steuerlichen Fragen während der Abwicklung vgl. insbesondere Thiel, DB 1959 S. 1092, FR 1960 S. 529 und Die A G 1960 S. 270, sowie Erl. FinMin. N R W v. 23. 8. 1961, WPg. 1961 S. 530, und v. Wallis, GmbH-Rundschau 1970 S. 71. 16 Die Beibehaltungswahlrechte sind ohnehin auf Bedenken gestoßen und deshalb im Entwurf einer 4. EG-Richtlinie ausdrücklich für unzulässig erklärt. Vgl. Art. 33 Abs. 1 c Abschn. dd und Art. 36 Abs. 1 d, wiedergegeben bei Tor iter¡Völker, Gegenüberstellung ausgewählter Redinungslegungsvorschriften, 1973, S. 22 und 75 f.

Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen

341

Lage differieren können. Umgekehrt wäre es bedenklich, nur deshalb einen Wert fortzuführen, weil er bereits im Vorjahresabschluß ausgewiesen worden war, es sei denn, der Wert würde sich auch aus einer bestimmten Bewertungsmethode ergeben. f) Erläuterung im Geschäftsbericht. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in Fällen, in denen nicht die Zeitwerte, sondern andere Werte zum Ansatz kommen dürfen, eine entsprechende Berichterstattung in dem seit dem A k t G 1965 auch für den Zeitraum der Abwicklung obligatorischen Erläuterungsbericht notwendig ist 1 7 . Die Erläuterung soll das Weniger an Information, das ein aus zwingenden Gründen nicht auf der Basis von Zeitwerten aufgestellter Abwicklungs-Abschluß zwangsläufig mit sich bringt, in etwa ausgleichen. O f t wird es allerdings nur möglich sein, auf die Art der Bewertung und die bestehenden Chancen hinzuweisen. Audi die Angabe von solchen Werten, die Anhaltspunkte für die Größenordnung geben können, wie ζ. B. Brandversicherungswerte, kann in Betracht kommen. Dies bedeutet aber nicht, daß unter Hinweis auf eine etwaige Berichterstattung im Geschäftsbericht ohne besonderen Anlaß von der grundsätzlich gebotenen Bewertung zu Zeitwerten abgewichen werden könnte. Die Berichterstattung stellt einen Notbehelf dar, der Informations-Nachteile mildern soll, sie aber nicht vollständig a b zugleichen vermag. Das ergibt sich schon daraus, daß nur der Abwicklungs-Abschluß, nicht aber auch der Erläuterungsbericht der Feststellung durch die Hauptversammlung unterliegt; der im Geschäftsbericht enthaltene Erläuterungsbericht unterliegt dagegen der alleinigen Verantwortung der Abwickler. Ferner besteht nur für den Abwicklungs-Abschluß eine Veröffentlichungspflicht in den Gesellschaftsblättern, während der Geschäftsbericht nur zum Handelsregister der Gesellschaft einzureichen ist ( § 1 7 7 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 2 7 0 Abs. 2). E r kann dort zwar auch von jedermann eingesehen werden (§ 9 H G B ) , unterliegt aber doch im Vergleich zum Abschluß einer schwächeren Publizität. In Zweifelsfällen mag eine Lösungsmöglichkeit darin gesehen werden, die Angaben nicht oder nicht nur im Erläuterungsbericht zu geben, sondern innerhalb und als Teil des Abwicklungs-Abschlusses in besonderen Fußnoten, ähnlich den im angelsächsischen Recht üblichen „notes" 1 7 ". Sie unterliegen dann ebenfalls der Feststellung durch die So bereits Adler, a. a. O. S. 30. In dem am 6. 3. 1974 erschienenen Entwurf einer Stellungnahme des International Accounting Standards Committee (IASC) zur Offenlegung von angewandten Methoden der Rechnungslegung wird unter Nr. 18 verlangt, daß die Offenlegung der angewendeten Methoden der Rechnungslegung integraler Bestandteil des Jahresabschlusses sein sollte. 17

170

342

Karl-Heinz Forster

Hauptversammlung und müssen in alle Veröffentlichungen und Vervielfältigungen des Abschlusses mit aufgenommen werden.

III. Ausgewählte Bewertungsfragen Im folgenden seien einige Zweifelsfragen, die bei einzelnen Bilanzposten auftreten können, nodi näher erörtert. 1. Bewertung von Beteiligungen Generell gilt auch hier zunächst, d a ß Beteiligungen mit dem Wert anzusetzen sind, der ihnen zum Zeitpunkt des Abwicklungs-Abschlusses beizulegen ist, d. h. mit dem Zeitwert. Dieser Wert kann sich z. B. aus einem Börsenkurs ableiten, ggf. unter Berücksichtigung eines Paketzuschlages oder, sofern die Anteile einzeln veräußert werden müssen, unter Berücksichtigung dann meist unausweichlicher Kursabschläge. K o m m t nur eine Gesamtveräußerung der Beteiligung außerhalb der Börse in Betracht und steht z w a r fest, d a ß der zu erzielende Erlös die Anschaffungskosten oder den niedrigeren Buchwert übersteigen wird, ohne daß jedoch der Erlös schon genau zu fixieren wäre, so kann es sich als zweckmäßig erweisen, die Bewertung nach oben auf die Anschaffungskosten zu begrenzen bzw. wenn der zu erwartende Erlös zwischen Anschaffungskosten und niedrigerem Buchwert liegt, den niedrigeren Buchwert fortzuführen. Dabei w i r d vorausgesetzt, daß der danach sich ergebende Wert in einer annehmbaren und nicht irreführenden Relation zum zu erwartenden Erlös liegt. Andernfalls w i r d man nach anderen Hilfsgrößen Ausschau zu halten haben. Diese können z. B. der Vermögensteuerwert oder auch anteilig die in der Bilanz der Beteiligungsgesellschaft ausgewiesenen eigenen Mittel des Unternehmens sein, ggf. erhöht um bekannte stille Reserven. Nicht selten wird in den Jahresabschlüssen werbender Gesellschaften f ü r die Bewertung von verlustbringenden oder nicht gut rentierlichen Beteiligungen von der Möglichkeit des § 154 Abs. 2 Gebrauch gemacht, eine Abschreibung oder Wertberichtigung so lange hinauszuschieben, bis eine voraussichtlich dauernde Wertminderung feststeht (sog. gemildertes Niederstwertprinzip) 1 8 . Die Möglichkeit, ggf. einen Ansatz über dem Zeitwert zu wählen, besteht im AbwicklungsAbschluß nicht mehr. Der anzusetzende Wert wird durch den Zeitwert nach oben begrenzt. 18

Vgl. Adler/Düring/Schmaltz,

§ 154 Tz. 82; Kropff,

§ 154 Anm. 31 ff.

Überlegungen zur Bewertung in Abwiddungs-Abschlüssen

343

Einen Sonderfall stellen Beteiligungsgesellschaften dar, die ihrerseits ebenfalls abgewickelt werden. K o m m t hier keine Veräußerung der Anteile mehr in Betracht, so hat sich die Bewertung im Abwicklungs-Abschluß grundsätzlich nach den Abwicklungs-Abschlüssen dieser Unternehmen zu richten. Abweichungen können in Betracht kommen, wenn schon bekannt ist, daß ein wesentlich höherer Abwicklungsüberschuß zu erwarten ist oder wenn einer der Fälle vorliegt, in denen eine andere Bilanzierung als zum Zeitwert als zulässig zu erachten ist (ζ. B. aus steuerlichen Gründen). 2. Rückstellungen

für

Abwicklungsverluste

D a es das Ziel jedes Abwicklungs-Abschlusses ist, von Anfang an einen Uberblick über den zu erwartenden Abwicklungsüberschuß zu geben, muß für künftige Aufwendungen, denen keine laufenden oder einmaligen Erträge gegenüberstehen, eine Rückstellung gebildet werden. Das gleiche gilt für künftig zu erwartende Wertminderungen, die die augenblicklichen Bilanzwerte noch mindern werden. Die Schwierigkeit der Schätzung künftiger Aufwendungen und Wertminderungen braucht wohl nicht besonders betont zu werden, Fehlschätzungen werden sich bei länger hinziehenden Abwicklungen wohl nie vermieden lassen, insbesondere wenn es sich um größere abzuwickelnde Gesellschaften handelt. Das Prinzip der Vorsicht hat hier auch im Abwicklungs-Abschluß seine besondere Bedeutung. Wenn nicht noch mit erheblichen, künftigen Erträgen zu rechnen ist, aus denen unvorhergesehene Aufwendungen und Wertminderungen ggf. gedeckt werden können, muß die Schätzung eher noch vorsichtiger ausfallen als im Jahresabschluß der werbenden Gesellschaft. Das zeigt sich ζ. B. bei der Bewertung künftiger Aufwendungen. Während hier im Rahmen des Jahresabschlusses einer werbenden Gesellschaft grundsätzlich von den Preisverhältnissen des Bilanzstichtages auszugehen ist, und nur zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbar gewordene Veränderungen zu berücksichtigen sind, werden im Abwicklungs-Abschluß alle künftigen Preiserhöhungen mit in das Kalkül einbezogen werden müssen. Es genügt also ζ. B. nicht, Pensionsrückstellungen, die grundsätzlich zu passivieren sind 1 9 , auf Basis der derzeitigen Zahlungen zu bemessen. Vielmehr müssen auch diejenigen Erhöhungen berücksichtigt werden, zu denen die Gesellschaft willens oder nach der Rechtsprechung verpflichtet ist 2 0 . Vgl. hierzu Forster, a. a. O. S. 81. Hingewiesen sei auf die jüngste Rechtsprechung 30. 3. 1973 — 3 A Z R 26/72, DB 1973 S. 773. 19

20

des BAG,

Urteil

vom

344

K a r l - H e i n z Forster

Namentlich in Zeiten fortschreitender Geldentwertung können sich daraus erheblich höhere Beträge ergeben, als sie bei einer werbenden Gesellschaft zu berücksichtigen wären. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß künftige laufende oder einmalige Erträge mit der Rückstellung für Abwicklungskosten saldiert werden können. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß grundsätzlich zunächst ein Ausgleich zwischen künftigen Erträgen und Aufwendungen vorzunehmen ist und nur für den überschießenden Aufwandsbetrag eine Rückstellung zu bilden ist. Ergibt sich dagegen ein positiver Saldoposten, so kann er erst zu dem Zeitpunkt vereinnahmt werden, zu dem der Ertrag tatsächlich angefallen ist. Die Rechnung mit künftigen Erträgen und Aufwendungen hat natürlich insofern ihre besonderen Tücken, als es nicht allein auf den Schlußsaldo ankommt, sondern auch auf einen eventuellen Aufwandsüberhang im Zeitverlauf. Werden z. B. für die Abwicklung zwei Jahre veranschlagt und ergibt eine Schätzung, daß im ersten Jahr per Saldo Aufwendungen von DM 50 000,— zu erwarten sind, denen im zweiten Jahr ein Ertragssaldo von DM 30 000,— gegenüberstehen wird, so ist die Rückstellung für den Beginn des ersten Jahres nicht mit DM 20 000,—, sondern mit DM 50 000,— zu bemessen. Insoweit gilt der Grundsatz der Periodenabgrenzung auch während des Abwicklungszeitraumes fort.

IV. Überprüfung der Bewertung Die von den Abwicklern angesetzten Werte unterliegen verschiedenen Überprüfungen. 1. Prüfung

durch

Abschlußprüfer

Während des Abwicklungszeitraumes findet eine Abschlußprüfung im Sinne der §§ 162 ff. nur statt, wenn das Registergericht sie aus wichtigem Grund 21 anordnet (§ 270 Abs. 3 Satz 2) oder wenn die Gesellschaft sich selbst dazu entschließt. Die Überprüfung der Bewertung durch Abschlußprüfer ist daher als Ausnahme anzusehen; sie dürfte u. a. in Betracht kommen, wenn abzusehen ist, daß sich die Abwicklung über einen längeren Zeitraum hinziehen wird. Ist ein Abschlußprüfer bestellt, so hat er die gleichen Pflichten wie er sie bei der Abschlußprüfung einer werbenden Gesellschaft hätte 2 1 Vgl. hierzu Adler, Wilhelmi, § 2 7 0 A n m . 8.

a.a.O.

S. 18 f . ;

Wiedemann,

§270

Anm. 6 ;

Godin-

Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen

345

(§ 270 Abs. 3 Satz 3). Das gleiche gilt auch für einen von der Hauptversammlung unter Beachtung des § 164 gewählten Abschlußprüfer; möglicherweise ist eine gerichtliche Bestellung nur im Hinblick auf diese Wahl unterblieben. Der Abschlußprüfer hat u. a. zu prüfen, ob die Bestimmungen des Gesetzes und der Satzung über den Abwicklungs-Abschluß beachtet sind. Sind Einwendungen zu erheben, denen die Gesellschaft nicht Rechnung trägt, so hat der Abschlußprüfer den Bestätigungsvermerk einzuschränken oder zu versagen (§ 167 Abs. 2). Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Gesellschaft und Abschlußprüfer über die Auslegung ζ. B. der Bewertungsbestimmungen können beide Seiten eine gerichtliche Entscheidung beantragen (§ 169). 2. Prüfung

durch den

Aufsichtsrat

Die Bestimmungen über die Prüfung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat (§ 271) gelten auch während der Abwicklung fort (§ 264 Abs. 2). Der Aufsichtsrat hat danach zu prüfen, ob der von den Abwicklern aufgestellte Abwicklungs-Abschluß den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Hat eine Abschlußprüfung stattgefunden, so wird er diese Prüfung bei der Einrichtung seiner eigenen Prüfung berücksichtigen können; das macht in der Regel eine eingehende Beschäftigung mit dem Prüfungsbericht des Abschlußprüfers erforderlich 22 . Hat keine Abschlußprüfung stattgefunden, so wird der Aufsichtsrat die nach den Umständen gebotenen Prüfungshandlungen selbst vornehmen müssen. Deren Ausmaß hängt naturgemäß von dem Umfang des Vermögens der Gesellschaft und dem Stand der Abwicklung ab. Über das Ergebnis seiner Prüfung hat der Aufsichtsrat schriftlich an die Hauptversammlung zu berichten und dabei auch zu erklären, ob er den von den Abwicklern aufgestellten Abwicklungs-Abschluß billigt. 3. Prüfung

durch

Sonderprüfer

a) Sonderprüfung nach §§258ff. Zunächst ist zu fragen, ob eine Überprüfung von Wertansätzen in einem Verfahren nach §§ 258 ff. möglich ist (Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung). Die Frage ist, wie auch der hier zu ehrende Jubilar zu einem laufenden Verfahren 220 festgestellt hat, zu verneinen. Die Sonderprüfung nach 22 Vgl. hierzu Adler/Düring/Schmaltz, 2. Band 1971, § 1 7 1 Tz. 9 ff.; GodinWilhelmi, § 171 Anm. 2 ; Brönner, § 171 Anm. 4; Kropff, § 171 Anm. 6 ff. 2 2 0 Im gleichen Sinne hat inzwischen das Amtsgericht Frankfurt durch Beschluß vom 30. 4. 1974 entschieden; bisher nicht rechtskräftig.

346

Karl-Heinz Forster

§§ 258 ff. ist darauf gerichtet, festzustellen, um welchen Betrag sich der Jahresüberschuß erhöht hätte, wenn keine unzulässige Unterbewertung erfolgt wäre 23 . Dieser Betrag ist unter Beachtung der sich aus § 261 Abs. 1 ergebenden Modifikationen gesondert auszuweisen und unterliegt der alleinigen Beschlußfassung durch die Hauptversammlung (§ 261 Abs. 3). Für diese Konsequenzen ist während der Abwicklung kein Raum mehr. Ebensowenig wie während dieser Zeit ein Jahresüberschuß ermittelt wird, der ausschüttbar wäre, kann die Hauptversammlung die Sonderausschüttung eines Ertrages auf Grund höherer Bewertung gemäß dem Ergebnis der Sonderprüfung beschließen. Aus dem Zweck der Abwicklung ergibt sich mithin, daß die §§ 258—261 während der Abwicklung nicht mehr anwendbar sind. b) Sonderprüfung nach §§ 142 ff. Kommt eine Sonderprüfung nach den §§ 258 ff. nicht in Betracht, so stellt sich die Frage, ob die Bewertung im Rahmen einer Sonderprüfung nach den §§ 142 ff. nachprüfbar ist. Hierbei wird es dann allerdings nicht darum gehen können, den Abwicklungs-Abschluß als solchen zu korrigieren, als vielmehr zu überprüfen, ob der oder die Abwickler bei der Aufstellung des Abwicklungs-Abschlusses ihre Pflichten verletzt haben. Ist der Abwicklungs-Abschluß bereits durch einen Abschlußprüfer ohne Beanstandungen überprüft worden, so gelten die gleichen Überlegungen wie für eine werbende Gesellschaft 24 .

4. Prüfung

durch das Gericht

Ob eine gerichtliche Nachprüfung der Bewertung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage (§ 256) noch im Abwicklungszeitraum möglich ist, hängt davon ab, ob sie durch die Vorschriften der §§ 265—274 ausgeschlossen ist oder ob sich aus dem Zweck der Abwicklung etwas anderes ergibt (§ 264 Abs. 2). Weder das eine noch das andere ist der Fall, so daß man eine Nichtigkeitsklage wegen eines Verstoßes gegen Bewertungsvorschriften (§ 256 Abs. 5) wohl als zulässig erachten muß 2 5 . Allenfalls könnte dies fraglich sein, weil § 256 Abs. 5 Satz 2 auf die bei der Abwicklung nicht anwendbaren Vorschriften 23

Vgl. Barz, in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973, § 258 Anm. 1, sowie Voss, Die Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung, in Betriebswirtschaftliche Information, Entscheidung und Kontrolle, Festschrift für Hans Münstermann, 1969 S. 445 ff. (446). 24 Vgl. Godin-Wilhelmi, § 1 4 2 Anm. 2; Adler/Düring/Schmaltz, Exkurs zu §§ 142—146 (Band 2) Tz. 4; Barz, § 142 Anm. 3. 25 Bejahend auch Wiedemann, § 270 Anm. 6.

Überlegungen zur Bewertung in Abwicklungs-Abschlüssen

347

der §§ 153—156 abhebt. Hierbei handelt es sich indes nur um eine erläuternde Bestimmung, die der Anwendung von § 256 Abs. 5 Satz 1 im Abwicklungsfall nicht entgegensteht. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, daß f ü r Überbewertungen und Unterbewertungen verschiedene Maßstäbe gelten. Unterbewertungen führen jedenfalls nur dann zur Nichtigkeit, wenn dadurch die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft vorsätzlich unrichtig wiedergegeben oder verschleiert wird. O b und inwieweit zusätzliche Erläuterungen im Geschäftsbericht geeignet sein können, diesen Tatbestand auszuschließen, kann hier nicht weiter verfolgt werden.

Die Zwischengesellschaft und ihre amerikanischen Schwestern H A N S J . FRANK, GERHARD H A A S u n d WOLFGANG SCHEUER

D a s amerikanische Steuerrecht bemüht sich seit mehr als fünfzig Jahren, von Inländern beherrschten Kapitalgesellschaften die Aufspeicherung nicht-gewerblicher Einkünfte im Ausland zu erschweren. Obwohl sich auch der deutsche Gesetzgeber vor und nach dem Zweiten Weltkrieg von Zeit zu Zeit mit der Verlagerung von Kapitalvermögen und Einkommen ins Ausland befaßte, wurde die Materie eingehend zum ersten Male im Rahmen des Außensteuerreformgesetzes durch das „Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen" (Außensteuergesetz [ A S t G ] ) v o m 8. September 1972 geregelt. Der Vierte Teil des Gesetzes befaßt sich mit der Beteiligung an ausländischen „Zwischengesellschaften", an denen Inländer die Anteilsmehrheit haben und die Einkünfte aus vom Gesetzgeber mißbilligten Quellen aufspeichern, anstatt sie auszuschütten. Danach werden „im Interesse der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen" Inländer mit den von der Zwischengesellschaft angesammelten Einkünften im Inland so besteuert als ob sie sie tatsächlich empfangen hätten. D i e Vorschriften über die Zwischengesellschaft folgen weitgehend dem Vorbild der amerikanischen Gesetzgebung des Jahres 1962 in „Subpart F " über die „Controlled Foreign Corporation" ( C F C ) 1 . Ein Vergleich der Grundlinien und des steuerpolitischen Zwecks der deutschen Rechtsnormen mit dem amerikanischen Muster ist lohnend, nicht nur angesichts der gewollten Anlehnung der deutschen an die amerikanischen Bestimmungen, sondern audi wegen der viel längeren Vorgeschichte und der viel eingehenderen Behandlung der Materie im Rechtssystem der Vereinigten Staaten. Wo das Außensteuergesetz dem Subpart F zu folgen sucht, könnten Einzelheiten des amerikanischen Rechts bei der Auslegung der deutschen Bestimmungen nützlich sein. Selbst da, wo das Außensteuergesetz von den Vorschriften des Subpart F abweicht, sei es aus steuerpolitischen Gründen oder angesichts struktureller Verschiedenheiten der beiden Rechtssysteme, 1 Siehe Subpart F des Subtitle A, Chapter 1 Ν , Part I I I E, Internal Revenue Code, der im Gesetz und im T e x t als „Subpart F " zitiert wird. Die Bestimmungen des A S t G werden gewöhnlich im Text als §§ zitiert, und die des Internal Revenue Code als „See." („Section(s)").

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Hans J. Frank, Gerhard Haas und Wolfgang Scheuer

d ü r f t e ein Vergleich der beiden Gesetze zum besseren Verständnis der deutschen Bestimmungen beitragen. Wegen der Fülle des Materials können hier nur die H a u p t p u n k t e der beiden Rechtssysteme in großen Linien skizziert und vergleichend besprochen werden. Für Einzelheiten wird auf die zitierten Vorschriften beider Gesetze, und bezüglich der amerikanischen Bestimmungen vor allem auf die Durchführungsbestimmungen zum Internal Revenue Code verwiesen 2 .

A. Die amerikanische Rechtsentwicklung I. Die Personal Holding

Company

1. Bereits seit 1913 hat das amerikanische Steuerrecht die Aufspeicherung „schädlicher" 3 E i n k ü n f t e in Kapitalgesellschaften als Steuerumgehung b e k ä m p f t . D a die Körperschaftsteuersätze in Amerika niedriger liegen als die Einkommensteuersätze hoch verdienender natürlicher Personen, befürchtete man, daß Einzelpersonen Vermögensanlagen und -einkünfte auf Kapitalgesellschaften zum Zwecke der Steuerumgehung verlagern würden. Demgemäß wurde eine Kapitalgesellschaft mit einer hohen Nachsteuer („surtax") belastet, wenn sich Einzelpersonen ihrer zum Zwecke der Vermeidung der Einkommensteuer bedienten 4 . D a das subjektive Kriterium der beabsichtigten Steuerumgehung gewöhnlich nur schwer zu beweisen war, ergingen im Jahre 1934 Bestimmungen über die „Personal Holding C o m p a n y " ( „ P H C " , See. 541—547), wonach ohne Rücksicht auf subjektive Merkmale die Ansammlung schädlicher Einkünfte in Kapitalgesellschaften bis zu 70 % nachbesteuert wurde. 2. Begrifflich ist die P H C eine inländische oder ausländische Kapitalgesellschaft, an der nicht mehr als fünf natürliche Personen unmittelbar oder mittelbar durch Anteilsmehrheit beherrschend beteiligt sind und deren Bruttoerträge im maßgeblichen Wirtschaftsjahr zumindest zu 60 % aus schädlichen Einkünften stammen (See. 542 (a)). H a n d e l t es sich u m eine ausländische Gesellschaft, an der Inländer auch nur minimal beteiligt sind, so unterliegen E i n k ü n f t e der Gesellschaft aus

2

Income Tax Regulations as of Mardi 1, 1973, hier als „Reg." zitiert. Entsprechend der deutschen Terminologie wird im Text der Ausdruck „schädliche" Einkünfte als eine nidit sehr präzise Übersetzung des „tainted income" der amerikanischen Steuerliteratur gebraucht. 4 Joint Committee on Tax Evasion and Avoidance, 75th Cong., 1st Sess. 11—12 (Aug. 5, 1937). 3

Die Zwischengesellschaft und ihre amerikanischen Schwestern

351

amerikanischen Quellen der Nachsteuer, wenn sie Zumindestens 60 °/o schädlich sind. Die vom Gesetzgeber mißbilligten schädlichen Einkünfte sind Dividenden, Zinsen, Leibrenten, und bis zum Jahre 1963 Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren, außerdem Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung von beweglichem und unbeweglichem Vermögen, Mineralgewinnungsrechten, Patenten, Urheber- und ähnlichen immateriellen Rechten (See. 543). Zu diesem Katalog schädlicher Einkünfte aus passiven Quellen gesellen sich noch quasi-passive Einkünfte aus Dienstverträgen, wenn natürliche Personen wie Künstler, Schriftsteller oder Wissenschaftler an der Gesellschaft mit mindestens 25 % beteiligt sind und vertragsgemäß die Dienstleistungen zu erbringen haben (See. 543 (a) (7)) 5 . Der Katalog hat die weitere Entwicklung der amerikanischen Gesetzgebung über die unerlaubte Aufspeicherung schädlicher Einkünfte stark beeinflußt und ist auch teilweise in § 8 des AStG übernommen worden. II. Die Foreign Personal Holding

Company

1. Um die Aufspeicherung schädlicher Einkünfte aus ausländischen Quellen durch ausländische Kapitalgesellschaften zu erschweren, schuf der Kongreß im Jahre 1937 die „Foreign Personal Holding Company" (See. 551—558). See. 552 (a) definiert die Foreign Personal Holding Company ( F P H C ) als eine ausländische Gesellschaft, an der nicht mehr als fünf natürliche Personen mittelbar oder unmittelbar durch Anteilsmehrheit beherrschend beteiligt sind und deren Bruttoeinkünfte im maßgebenden Wirtschaftsjahr überwiegend aus schädlichen Einkünften bestehen. Der Katalog der schädlichen Einkünfte der F P H C entspricht grundsätzlich dem der P H C (See. 553). 2. Hat die ausländische Gesellschaft im maßgebenden Wirtschaftsjahr überwiegend schädliche Einkünfte erzielt, so war es gewöhnlich aus rechtlichen und praktischen Gründen nicht möglich, diesen Teil der Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft im Inland einer Nachsteuer zu unterwerfen. Deshalb bestimmte das Gesetz, daß der inländische Beteiligte sich den Betrag, den er erhalten hätte, wenn die ausländische Gesellschaft an dem letzten Tag des Jahres ihren Gesamtgewinn nach Abzug von Steuern ausgeschüttet hätte, seinem steuer5 Quasi-passive Einkünfte im T e x t sind insbesondere Einkünfte aus H a n d e l s geschäften und Dienstleistungen mit nahestehenden Personen sowie M i e t - und Paditzinsen, die gewöhnlich aus aktiver Geschäftstätigkeit erzielt werden, aber auf G r u n d besonderer Vorschriften wie passive Einkünfte behandelt werden.

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Pflichtigen Einkommen als eine Dividende zuredinen lassen muß (See. 551 (b) und 556). Da es in den Augen des Gesetzgebers in erster Linie die Funktion der FPHC war, Erträge aus der privaten Vermögensverwaltung ins Ausland zu verlagern, wurde, wenn die Gesellschaft überwiegend schädliche Einkünfte bezog, eine Steuerhinterziehung unwiderlegbar vermutet, deshalb wurde hier bei dem inländischen Beteiligten — anders als bei der Controlled Foreign Corporation und der Zwischengesellschaft (§ 7, Abs. (1)) — nicht nur Einkommen aus schädlichen Quellen, sondern der gesamte Reingewinn des Jahres zum Ansatz gebracht. Die Gesetzgebung will damit die Ansammlung von Gewinnen durch die FPHC erschweren oder verhindern, ohne auch nur im geringsten auf Grundsätze der steuerlichen Gleichmäßigkeit in der Behandlung ausländischer und inländischer Einkünfte Rüdcsidit zu nehmen.

III. Die Controlled

Foreign

Corporation

1. In der Nachkriegszeit ergaben sich neue Probleme aus der Ansammlung schädlicher Gewinne im Ausland, die durch die Gesetzgebung über die FPHC nicht gelöst werden konnten. Diese Gesetzgebung betraf die von einer geringen Zahl von Inländern beherrschten ausländischen Gesellschaften, die sich mit der privaten Vermögensverwaltung befaßten, aber nicht gewisse ausländische Tochtergesellschaften der großen amerikanischen Industrie- und Handelskonzerne, an denen in der Regel das breite Publikum durch Anteilsbesitz beteiligt war. Als diese Publikumsgesellschaften zunehmend zum wirtschaftlichen Aufbau und Wiederaufbau des Westens durch direkte Investitionen beitrugen, gründeten sie im Ausland Tochtergesellschaften als ein Sammelbecken für Zinsen, Dividenden, Lizenzgebühren und ähnliche passive Einkünfte aus aktiv-tätigen Unter- und Schwestergesellschaften des Konzerns. Es war nicht nur die Hoffnung auf Steuerersparnisse im Inland, die zur Bildung dieser „Basisgesellschaften" führte, sondern auch der Wunsch, Konzerngewinne aus politisch gefährdeten oder devisenarmen Ländern zumindest vorübergehend bis zur Reinvestition in Konzernbetrieben in niedrig besteuerten und zugleich politisch geschützten Oasenländern anzusammeln. 2. Dies w a r der Anlaß zur amerikanischen Steuerreform des Jahres 1962, die den Begriff der „Controlled Foreign Corporation" (CFC) in den Internal Revenue Code einführte®. Bei dem Erlaß dieser Bestimmungen ging der Gesetzgeber davon aus, « Siehe See. 9 5 1 — 9 6 1 des Subpart F.

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(a) daß es im Jahre 1962 nicht mehr wünschenswert war, amerikanische Unternehmen f ü r ihre Beteiligung am wirtschaftlichen Wiederaufbau des Auslands durch inländische Steuervorteile zu belohnen, (b) daß die Investierung wesentlicher Summen im Ausland die ausländische Kapitalbilanz der Vereinigten Staaten zu gefährden drohte, und (c) daß es im Interesse des Aufbaus der inländischen Industrie erforderlich war, Inländer auf Einkünfte aus inländischen wie aus ausländischen Quellen nach Grundsätzen der Steuerneutralität gleichmäßig zu besteuern 7 . 3. (a) Die C F C wird im Gesetz als eine ausländische Kapitalgesellschaft definiert, an der die Anteilsmehrheit unmittelbar oder mittelbar wesentlich beteiligten Inländern zusteht (See. 957 (a)). Zu den „wesentlich beteiligten Inländern" gehören nicht nur, wie bei der F P H C , natürliche, sondern audi juristische Personen und Personengesellschaften, denen unmittelbar oder mittelbar zumindest zehn Prozent der stimmberechtigten Anteile an der Basisgesellsdhaft zuzuredinen sind (See. 957 (a) und (b)). (b) Wenn zumindest 30 % der Bruttoerträge der Basisgesellschaft schädlich sind, dann werden die schädlichen Einkünfte nach Abzug der damit zusammenhängenden Posten, soweit sie nicht tatsächlich als Dividenden ausgeschüttet werden, den wesentlich beteiligten Inländern als Teil ihres inländischen Einkommens (See. 951 (a) (1) (A) (i) in Verbindung mit See. 954 (B) (3) (A)) zugeredinet. Weiterhin werden dem Inländer jegliche Reingewinne der C F C aus aktiven oder schädlichen Quellen zugerechnet in der Höhe der Beträge, die — in dem maßgebenden Wirtschaftsjahr in den USA in Vermögenswerten angelegt wurden (See. 956), oder —von der C F C in demselben Jahr aus Investitionen in Entwicklungsländern zurückgezogen wurden (See. 955) (See. 951 (a) (1) (A) (ii) und (B)). (c) Die Definition der schädlichen Einkünfte der C F C lehnt sich grundsätzlich an die der F P H C an. Neu sind Bestimmungen (See. 954 (d) und (e)), nach denen Einkünfte einer Basisgesellschaft als quasi-passiv und damit schädlich betrachtet werden, wenn sie aus 7 Siehe Hearings on H . R. 10 650 before the Senate Finance Committee, 87th Congress, 2nd Session, Part 1, Pages 8—9, 33, 34, 100 ff.

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Handelsgeschäften oder Dienstleistungen zwischen der C F C und ihr nahestehender Personen stammen. Nahestehend sind Personen, die mehrheitlich die C F C beherrschen oder von ihr beherrscht werden, oder die zusammen mit der C F C von einer dritten Person gemeinsam mehrheitlich beherrscht werden 8 . (d) Ähnlich wie im Falle der F P H C wird dem an der C F C beteiligten Inländer sein Anteil am aufgespeicherten Einkommen der C F C zugerechnet als ob er es als eine Dividende erhalten hätte. Jedoch erfolgt die Zurechnung nur dann, wenn der Inländer mit mindestens 10 % der Stimmrechte an der C F C unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Da Subpart F sich grundsätzlich gegen die Aufspeicherung schädlicher Einkünfte durch internationale Konzerngesellschaften und nicht gegen die private Vermögensverwaltung richtet, gestattet See. 962 natürlichen Personen die Wahl, Hinzurechnungsbeträge (aber nicht tatsächlich verteilte Gewinne) aus der C F C von Jahr zu Jahr so zu versteuern, als ob sie der Körperschaftsteuer und nicht der Einkommensteuer unterliegen würden. Damit gewährt das Gesetz auch natürlichen Personen Privilegien aus wesentlichen Beteiligungen, die sonst nur Kapitalgesellschaften zustehen. IV. Die Foreign Investment

Company

Ebenfalls im Jahre 1962 schuf die Gesetzgebung die Foreign Investment Company ( F I C ; See. 1246 und 1247). See. 1246 (b) definiert die F I C als eine ausländische Gesellschaft, die hauptsächlich in Wertpapieren investiert oder handelt und an der inländische natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften mit mehr als 50 % der stimmberechtigten Anteile unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind. Die unverteilten Einkünfte der F I C aus Wertpapieranlagen werden den Beteiligten nicht zugerechnet, es sei denn, daß die F I C auch als C F C anzusehen ist 9 . Dagegen wird gemäß See. 1246 ein Gewinn aus dem Verkauf der Anteile an der F I C mit den allgemeinen Raten der Einkommen- oder Körperschaftsteuer besteuert, ohne die übliche Steuerermäßigung für Gewinne aus dem Verkauf langfristig gehaltener Kapitalanlagen. Da sich die vorliegende Darstellung mit der Frage der Hinzurechnung schädlicher Einkünfte ausländischer Gesellschaften befaßt, wird es hier unterlassen, auf die Einzelheiten der Behandlung der F I C im amerikanischen Steuerrecht einzugehen. Siehe See. 954 (d) (3) für die Definition der nahestehenden Person. Dies wäre nur der Fall, wenn nicht mehr als sechs Inländer die Stimmreditanteilsmehrheit an der F I C haben. 8 9

D i e Zwischengesellschaft u n d ihre a m e r i k a n i s c h e n Schwestern

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B. Die Zwischengesellschaft I. Die rechtliche Struktur Der Vierte Teil des Außensteuergesetzes (§§ 7—14) über die „Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften" wendete sich in Anlehnung an den Subpart F gegen die Aufspeicherung schädlicher Einkünfte in deutsch-beherrschten ausländischen Gesellschaften. D a mit drangen strukturelle Schwierigkeiten in das deutsche Steuerrecht ein, die im wesentlichen aus der Fiktion des Subpart F entstanden, wonach ein Inländer einen steuerpflichtigen Gewinnanteil an einer ausländischen Gesellschaft bezogen hätte, der in der T a t gar nicht an ihn verteilt wurde. Diese Fiktion benötigte nicht nur die Ermittlung der schädlichen Bruttoerträge, die den durchzubesteuernden Nettoeinkünften zu Grunde lagen, sondern auch im Interesse der Steuerneutralität die Anrechnung unmittelbar und mittelbar bezahlter ausländischer Steuern auf die inländische Steuerschuld. Die Besteuerung der fiktiven Gewinnverteilung mußte dann mit einer später erfolgten tatsächlichen Dividendenausschüttung in Einklang gebracht werden. Weitere Schwierigkeiten ergaben sich aus der Anwendung dieser Grundsätze nicht nur auf Einkünfte von ausländischen Tochtergesellschaften, sondern auch auf Einkünfte von ihnen nachgeschalteten Untergesellschaften. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich, den Subpart F mit gewissen Variationen in das deutsche Rechtssystem zu übernehmen. Es sollte damit aber nicht nur gegen die Basisgesellschaften der international verflochtenen Industriekonzerne vorgegangen, sondern auch die Ansammlung passiver Einkünfte im Rahmen der privaten ausländischen Vermögensverwaltung bekämpft werden 1 0 . Diese Tendenz gab der Zwischengesellschaft eine Doppelfunktion. H ä t t e man es verhindern wollen, daß private ausländische Vermögensverwaltungsgesellschaften, die von Inländern beherrscht werden, Einkünfte passiver Art ansammeln, so wären die Bestimmungen über die F P H C ein besseres Abwehrmittel gewesen als jene über die C F C . Dies nicht nur, weil sie relativ einfacher sind, sondern auch weil sie in der amerikanischen Praxis Steuerumgehungen im Rahmen der Anlageverwaltung mit Erfolg bekämpft haben. H ä t t e man andererseits deutsch beherrschten Basisgesellschaften die Aufspeicherung schädlicher Einkünfte aus Konzernquellen verwehren wollen, so ist zumindest für den amerikanischen Betrachter schwer verständlich, warum das A S t G

10

Debatin:

„ L e i t s ä t z e , e t c . " D S t Z 1 9 7 1 , S. 89 ff., S . 98 u n d 100.

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so weitgehend die hier ins Gewicht fallenden Vorschriften des Subpart F abgeändert und durch Sonderbestimmungen abgeschwächt hat. II. Begriff der Zwischengesellschaft Zwischengesellschaft ist regelmäßig eine ausländische Kapitalgesellschaft, an der unbeschränkt steuerpflichtige Inländer oder ihnen gleichgestellte im Ausland ansässige Deutsche (§ 2 AStG) durch Anteilsmehrheit beherrschend beteiligt sind und deren schädliche Bruttoeinkünfte mehr als zehn Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge oder mehr als D M 120 000 betragen (§§ 7, 8 und 9). Ist eine ausländische Kapitalgesellschaft in einem maßgebenden Jahr Zwischengesellschaft, so werden ihre schädlichen Einkünfte, nach Abzug von abzugsfähigen Betriebsausgaben und Steuern, den an ihr am Ende des Jahres beteiligten Inländern unmittelbar nach Ablauf des Jahres als steuerpflichtiges Einkommen zugerechnet (§ 10). Demnach haben die Zwischengesellschaften und die C F C miteinander gemeinsam, daß beide ausländische Gesellschaften sind, an der Inländer mit einer Anteilsmehrheit beherrschend beteiligt sind, und daß beide im maßgebenden Wirtschaftsjahr ein Minimum von schädlichen Bruttoeinkünften beziehen, die, wenn sie nicht ausgeschüttet werden, den Beteiligten nach gewissen Abzügen steuerlich zugerechnet werden. III. Rechtsvergleichende

Kritik

Trotz ihrer begrifflichen Ähnlichkeit mit der C F C bestehen bedeutsame Unterschiede in der Definition der Zwischengesellschaft und ihrer amerikanischen Schwestern. 1. Der Begriff „unbeschränkt Steuerpflichtige" im Sinne des § 7, Abs. (1) schließt sowohl natürliche wie juristische Personen ein. Damit hat es der deutsche Gesetzgeber abgelehnt, wie im amerikanischen Steuerrecht von einer geringen Anzahl natürlicher Personen beherrschte private ausländische Vermögensverwaltungsgesellschaften getrennt von den Basisgesellschaften der international tätigen Konzerne zu behandeln. 2. Der Entwurf des Außensteuergesetzes der Bundesregierung vom 2. Dezember 1971 übernahm von See. 951 (b), daß Inländer, die zu weniger als zehn Prozent an der Zwischengesellschaft beteiligt sind, sowohl bei der Ermittlung der „Beteiligten" wie auch bei der Zurechnung schädlicher Einkünfte auf die Beteiligten unberücksichtigt blei-

Die Zwischengesellschaft und ihre amerikanischen Schwestern

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ben sollen. Diese Bestimmung über die „Bagatellbeteiligung" wurde jedoch später gestrichen, weil sie „Umgehungen denkbar" macht 1 1 . Die folgenden Erwägungen dürften die befreiende Ausnahme für Bagatellbeteiligungen in See. 951 (b) auch für deutsche Verhältnisse rechtfertigen: (a) In der amerikanischen Gesetzgebung wurde davon ausgegangen, daß die Zurechnung im Ausland aufgespeicherter Einkünfte nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Besteuerte zumindest die Möglichkeit hatte, auf die tatsächliche Ausschüttung erzielter Erträge hinzuwirken. D e r Kleinaktionär hat ein solches Mitbestimmungsrecht gewöhnlich nicht. (b) In beiden Rechtssystemen bestehen bedeutsame Wahlrechte bei der Ermittlung des hinzurechnungspflichtigen Einkommens 1 2 . Das Außensteuergesetz erwähnt nur (§ 10, Abs. (3), Satz 3) das Wahlrecht, Gewinne entweder gemäß § 3, Abs. (3) oder gemäß § 4, Abs. (1) oder nach § 5 E S t G zu ermitteln. Dieses Wahlrecht muß von allen inländischen Beteiligten einheitlich ausgeübt werden. Bei zahlreichen kleinen Beteiligten dürfte dies nicht möglich sein, und damit dürfte das W a h l recht audi praktisch verloren gehen. Völlig ungeklärt ist die Rechtslage wegen der übrigen Wahlrechte im deutschen Recht, z. B. wegen der Bewertungswahlrechte bei Aufstellung einer Bilanz. Es ist zweifelhaft, ob audi dafür nur eine einheitliche Ausübung möglich ist oder ob z. B. wie im amerikanischen Recht eine Mehrheit von 51 °/o ausreichend ist. (c) D a bereits der Inhaber eines Anteils im Sinne des § 7, Abs. (1) als an der Zwischengesellschaft beteiligt gilt, könnte seine „Mitwirkung" am aktiven Geschäftsbetrieb einer ausländischen Tochtergesellschaft gemäß § 8, Abs. (1), N r . 4, 5 und 6 genügen, aktive Einkünfte der Gesellschaft in schädliche Einkünfte zu verwandeln, ohne daß dies der Konzernleitung bekannt war oder von ihr hätte verhindert werden können. (d) Offenbar war sich auch der deutsche Gesetzgeber bewußt, daß die Ermittlung von Kleinaktionären und ihre Besteuerung auf große praktische Schwierigkeiten stoßen würde. § 165 d Reichsabgabenord1 1 Siehe Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses zu BT-Drudcsache V I 3 5 3 7 — Flick-Wassermeyer-Becker, K o m m e n t a r z u m Außensteuergesetz, 1 9 7 3 (hier als A S t G K o m m . zitiert) zu § 7, S. 8 f. 12

Siehe Reg. § 1, 9 6 4 — 1 (c) 2 — 7 .

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nung verlangt nur eine Anmeldung des Erwerbs von wesentlichen Beteiligungen (10 % unmittelbar oder 25 % mittelbar). Wie will man die Besteuerung von darunter liegenden Bagatellbeteiligungen überwachen, wenn diese nicht einmal meldepflichtig sind? 3. Haben Inländer die Anteilsmehrheit an einer ausländischen Obergesellschaft, die wiederum an einer Untergesellschaft der Mehrheit nach beteiligt ist, so „vermittelt" in beiden Gesetzen die Beteiligung an der Ober- die an der Untergesellschaft. Während jedoch im deutschen Recht die schädlichen Einkünfte der Untergesellschaft ihrer Obergesellschaft zugerechnet werden, besteuert Subpart F den Inländer direkt mit dem Hinzurechnungsbetrag (§ 14, Abs. (1) — See. 951 (a)). Die abweichende Rechtsstruktur ermöglicht es deutschen Steuerpflichtigen, unter bestimmten Voraussetzungen 13 die Steuer auf aufgespeicherte schädliche Einkünfte nachgeschalteter Gesellschaften zu vermeiden. Ferner ergeben sich aus § 14 audi abweichende Regeln über schwierige Fragen der Besteuerung, wenn zugerechnete Gewinne der Untergesellschaft tatsächlich ausgeschüttet werden 14 . 4. Nach dem Außensteuergesetz haben Beteiligte die Anteilsmehrheit an der Zwischengesellschaft, wenn ihnen „mehr als 50 vom Hundert der Anteile oder der Stimmrechte an der ausländischen Gesellschaft zuzurechnen sind" (§ 7, Abs. (2), Satz 1). Bei der P H C und der F P H C ist das Eigentum an Anteilen ausschlaggebend, die dem Werte nach mehr als die Hälfte des Wertes aller Gesellschaftsanteile ausmachen (See. 542 (a) (2) und 552 (a) (2)), während bei der C F C vorausgesetzt wird, daß die Beteiligten mehr als die Hälfte aller stimmberechtigten Anteile halten (See. 957 (a)). Die rein numerische Majorität der Anteile im Sinne des § 7, Abs. (2) schafft bei der Definition der Anteilsmehrheit erhebliche Auslegungsschwierigkeiten, wenn die Zwischengesellschaft sowohl Vorzugs- wie auch Stammanteile mit abweichenden Anrechten auf Gewinn ausgegeben hat, und Inländern mehr als 50 % der Gewinnbezugsrechte, aber weniger als 50 °/o der Kapitalanteile zustehen 15 .

Siehe unten F, III, 2, S. 377 ff. Siehe See. 959 (b) und G, I, 3, S. 382. 1 5 § 7, Abs. (2), letzter Satz, löst das Problem nicht, und Abs. (5) ist nidit anwendbar, weil er sich auf die Zurechnung von Gewinnen gemäß Abs. (1) und nidit auf die Berechnung der Anteilsmehrheit gemäß Abs. (2) bezieht. 13

14

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C. Schädliche Einkünfte I. Der Katalog des Subpart F 1. Der Katalog schädlicher Einkünfte („Foreign Base Company Income") in See. 954 des Subpart F umfaßt Einkünfte aus dem Katalog der FPHC 1 6 und fernerhin quasi-passive Einkünfte der Basisgesellschaften aus Warengeschäften mit und Dienstleistungen für andere Konzerngesellschaften („Related Persons")17. 2. Passive Einkünfte der FPHC werden grundsätzlich im Rahmen der Verwaltung privaten Vermögens und nicht durch gewerbliche Tätigkeit erzielt, und zwar vor allem als Dividenden und Zinsen aus und Gewinnen bei Veräußerung von Wertpapieranlagen. Mieten und Pachtzinsen erscheinen im Katalog der FPHC im Zusammenhang mit der Auswertung von Patent- und Urheberrechten. Erfahrungsgemäß verwenden private Vermögensverwaltungsgesellschaften auch häufig Einkünfte aus Grundstücken, um im Rahmen der gesetzlichen Freigrenzen Einkünfte aus Wertpapieren abzuschirmen. 3. Schädliche Einkünfte der CFC stammen gewöhnlich aus Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren, die die Basisgesellschaft von anderen Konzerngesellschaften bezieht. Die quasi-passiven Einkünfte erscheinen im Katalog des Subpart F, weil die ihnen zugrunde liegenden Transaktionen gewöhnlich die Verlagerung von Gewinnen von inländischen auf ausländische oder zwischen ausländischen Konzerngesellschaften erleichtern18. 4. Mit Ausnahme der Bezüge aus Warengeschäften und aus Dienstleistungen im Verkehr mit anderen Konzerngesellschaften werden schädliche Erträge (einschließlich passiver Einkünfte) der Basisgesellschaft als aktiv und nicht schädlich angesehen, wenn sie aus geschäftlichen Tätigkeiten stammen. (a) Dividenden, Zinsen und Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren gehören nicht zu den schädlichen Einkünften, wenn sie im A , I I 2., S. 3 5 1 f. „ R e l a t e d Persons" werden im T e x t , um eine Verwechslung mit den „nahestehenden P e r s o n e n " des § 1, Abs. (2) A S t G zu vermeiden, als „andere K o n z e r n gesellschaften" bezeichnet, da sie v o r allem die die Basisgesellschaft mit Anteilsmehrheit beherrschende inländische Muttergesellschaft als auch U n t e r - und Schwestergesellschaften desselben K o n z e r n s umfassen. T r o t z d e m ist dies eine Vereinfachung, d a (zumindest theoretisch) natürliche Personen ein international verflochtenes U n t e r n e h m e n direkt oder indirekt anteilsmäßig beherrschen können. 18 17

18

Siehe A I I I , 3 (c), S. 3 5 3 f.

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H a n s J . F r a n k , G e r h a r d H a a s und W o l f g a n g Scheuer

Rahmen von Geschäftsbetrieben der Banken, Finanzierungsgesellschaften oder ähnlicher Institute erzielt werden (See. 954 (c) (3) (B)); (b) Miet- und Pachtzinsen aller Art gelten als nicht-schädliche Einkünfte, wenn sie im Rahmen eines aktiven Geschäftsbetriebes zufließen (See. 954 (c) (3) (A)). 5. Angesichts der abweichenden Bestimmungen des § 8 Abs. (1) (Nummern 4, 5 und 6) AStG soll kurz auf die Definition des „aktiven Geschäftsbetriebes" in den Durchführungsbestimmungen zu See. 954 (c) (3) (A) eingegangen werden (Reg. § 1, 954-2 (d)). Danach führt die vermietende oder verpachtende Basisgesellschaft einen aktiven Geschäftsbetrieb wenn sie (i)

aktiv und wesentlich an der Vermietung eines Grundstücks mitwirkt;

(ii) bei der Vermietung von beweglichen Sachen entweder (aa) die Sachen im Rahmen eines der Erzeugung oder Verarbeitung und der Vermietung dienenden allgemeinen („regulär") Wirtschaftsbetriebes erzeugt oder wesentlich verarbeitet und vermietet, oder (bb) von anderen erzeugte und verarbeitete Sachen im Rahmen eines Wirtschaftsbetriebes vermietet, der sich allgemein und wesentlich mit dem Vertrieb (marketing) vermietbarer Sachen mit Hilfe eines eigenen Stabes im Ausland ansässiger Angestellter befaßt, oder (iii) bei der Verpachtung von Patent-, Urheber- und ähnlichen immateriellen Rechten entweder (aa) die zu verpachtenden Rechte selbst im Rahmen eines allgemeinen Wirtschaftsbetriebes erforscht oder entwickelt und verpachtet, oder (bb) von anderen erforschte oder entwickelte Rechte im Rahmen eines Wirtschaftsbetriebes verpachtet, der analog dem Wirtschaftsbetrieb für die Vermietung beweglicher Sachen organisiert ist. Diese Definition des aktiven gewerblichen Betriebes des Subpart F diente offenbar als Muster des „unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr" unterhaltenen Geschäftsbetriebes des § 8, Abs. (1) AStG, der den Handel ausübt oder Dienstleistungen erbringt oder immaterielle Rechte auswertet oder die Vermietung beweglicher Sachen ausübt, jeweils „ohne Mitwirkung" des an der Zwischengesellschaft beteiligten Inländers oder ihm nahestehender Personen 19 . 19

Siehe a. a. O . N r . 4, 5, 6 (a) und 6 (c), und unten I I 3 (d) über die Bedeutung

des Begriffes der „ M i t w i r k u n g " beteiligter Inländer a m aktiven Geschäftsbetrieb.

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II. Der Katalog des Außensteuergesetzes 1. § 8, Abs. (1) und (2) des Gesetzes zählen Erträge aus Tätigkeiten auf, die grundsätzlich aktiv und deshalb nicht schädlich sind, nämlich Erlöse aus der Land- und Forstwirtschaft, aus gewerblichen Betrieben und aus der Vermietung und Verpachtung immaterieller Rechte und unbeweglicher und beweglicher Sachen (§ 8 Abs. (1) (Nr. 1—6)). Danach besteht der Katalog der schädlichen Einkünfte hier aus Einkünften, die nicht aus den in § 8 Abs. (1) aufgezählten aktiven Tätigkeiten 20 stammen, wie etwa Dividenden, Zinsen und Veräußerungsgewinne aus Vermögensanlagen oder aber aus Einkünften, die in Abs. (1) als schädlich definiert werden, obwohl sie mit geschäftlichen Tätigkeiten im Zusammenhang stehen, nämlich Einkünfte aus dem Handel, aus Dienstleistungen oder aus der Vermietung und Verpachtung, an denen Beteiligte und ihnen nahestehende Personen mitwirken. Der so verbleibende Katalog ist im wesentlichen der des Subpart F, jedoch mit erheblichen Abänderungen in der Definition der quasi-passiven schädlichen Einkünfte. 2. Da die Vermögensverwaltung nicht zu den in § 8, Abs. (1) aufgeführten Tätigkeiten gehört, sind Einkünfte aus Anlagewerten, wie Dividenden, Zinsen und Wertpapiergewinne gewöhnlich schädlich. Mieten oder Pachtzinsen aus Immobiliarbesitz, eine der wichtigen Quellen von Einkünften aus Kapitalanlagen, sind immer schädlich, es sei denn, daß sie auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens in Deutschland steuerfrei gewesen wären, wenn der an der Zwischengesellschaft beteiligte Inländer sie direkt bezogen hätte 21 (§ 8, Abs. (1), Nr. 6 ( b ) ) . 3. Soweit § 8, Abs. (1) und (2) sich mit den schädlichen Einkünften einer Basisgesellschaft befaßt, ergeben sich erhebliche Unterschiede zu den Bestimmungen des Subpart F. (a) Nach amerikanischen Erfahrungen sind Dividenden aus der Beteiligung an Untergesellschaften eine der Hauptquellen der schädlichen Einkünfte der Basisgesellschaft. Werden sie von dieser aufgespeichert, so müssen sie dem steuerpflichtigen Einkommen der amerikanischen Muttergesellschaft grundsätzlich zugerechnet werden, wobei der Mutter zur Minderung der inländischen Steuer nur Rechte auf Anrechnung direkt oder indirekt bezahlter Steuern zur Verfügung stehen. 2 0 Aktive Einkünfte stammen aus Tätigkeiten, aber schädliche aus „Tätigkeiten oder Gegenständen"; siehe § 14, Abs. (1). 2 1 Siehe D, II 2., S. 366, für eine kritische Stellungnahme zur Behandlung von Mietzinsen aus ausländischem Grundstücksbesitz in § 8, Abs. (1), N r . 6 (b).

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Im Außensteuergesetz sind die von Untergesellschaften empfangenen Dividenden theoretisch hinzurechnungspflichtig, aber in der Praxis allgemein im Zusammenhang mit den Schachtelprivilegien des § 1 3 oder auf Grund der Sondervorschriften des § 8 Abs. (2) über die Landesholding- oder Funktionsholdinggesellschaft freigestellt 22 . (b) Auf Grund des § 14 gehören zu den schädlichen Einkünften unter gewissen Umständen auch schädliche Einkünfte einer Untergesellschaft, die einer ausländischen, von Inländern beherrschten Tochtergesellschaft nachgeschaltet ist. Auch hier können Schachtelprivilegien von erheblicher Bedeutung sein 23 . Im Subpart F werden die schädlichen Einkünfte der Enkel- und ihr nachgeschalteter Gesellschaften immer unmittelbar der inländischen Muttergesellschaft und nie einer ausländischen Obergesellschaft zugerechnet 24 . (c) Zinsen sind nach dem AStG grundsätzlich passive Einkünfte, es sei denn, daß sie im Rahmen des Geschäftsbetriebes eines Kreditinstituts im Sinne der N r . 3 des § 8 Abs. (1) oder aus Finanzierungsgeschäften im Sinne der N r . 7 ibid. erzielt werden. Das Verhältnis zwischen § 8 Abs. (1), N r . 3 und N r . 7 ist nicht klar. § 1 N r . 2 des Kreditwesengesetzes vom 10. 7. 1961 definiert als Bankgeschäfte auch die Gewährung von Gelddarlehen. Vorausgesetzt, daß sie f ü r ihre Geschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb unterhalten, darf man annehmen, daß „Kreditinstitute" im Sinne der N r . 3 nicht nur Einlagen empfangende Banken, sondern auch Finanzierungsgesellschaften sind. Dies entspricht auch der Definition der See. 954 (c) (3) Β des Subpart F, die durch § 8 Abs. (1), N r . 3 offenbar übernommen wurde 25 . Darum müßte es sich bei den Darlehen des § 8 Abs. (1), N r . 7 wohl um Gelegenheitsgeschäfte ausländischer Gesellschaften, die nicht „Kreditinstitute" im Sinne des § 8 Abs. (1), N r . 3 sind, handeln. Unklar ist zudem, ob der Darlehensgeber auch Dritte, oder nur ihm angeschlossene Betriebe oder Betriebsstätten auf Grund des § 8 Abs. (1), N r . 7 finanzieren darf 2 6 . Wenn der Gesetzgeber Dritte als Darlehensnehmer einschließen wollte, so erhebt sich die Frage, warum er es zur Voraussetzung gemacht hat, daß der darlehensnehmende Betrieb seine Einkünfte fast ausschließlich aus aktiven Tätigkeiten erzielen muß. 22 23 24 25 26

Einzelheiten des Schachtelprivilegs werden getrennt unter F behandelt. Siehe F, II, 1 (b), S. 376. Siehe B, III 3., S. 358. Siehe oben I 4. (a), S. 360. Α. A. AStG-Komm., Anm. 86 zu § 8.

Die Zwischengesellschaft und ihre amerikanischen Schwestern

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Subpart F betrachtet Dividenden, Zinsen und Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren, selbst wenn sie in einem aktiven Geschäftsbetrieb erzielt werden, als schädlich, wenn sie von einer anderen Konzerngesellschaft stammen, es sei denn, daß die empfangende und zahlende Konzerngesellschaft Bank, Finanzgesellschaft oder eine ähnliche Institution ist. § 8 Abs. (1), N r . 3 erlaubt einem Kreditinstitut den Geschäftsverkehr mit nahestehenden Personen ohne diese Einschränkungen. (d) Veräußert die Zwischengesellschaft Anteile an einer Untergesellschaft, so sind erzielte Gewinne schädlich, es sei denn, daß eine andere Konzerngesellschaft der Käufer ist und Schachtelprivilegien auf Gewinnausschüttung der veräußerten Untergesellschaften anwendbar wären (§ 13 Abs. (3)). Im Subpart F sind Veräußerungsgewinne aus derartigen Transaktionen in der Regel schädlich. (e) Subpart F betrachtet grundsätzlich Einkünfte als schädlich, wenn sie dadurch erzielt wurden, daß die Basisgesellschaft (i) Waren an andere Konzerngesellschaften verkaufte oder f ü r sie einkaufte; (ii) Dienstleistungen an andere Konzerngesellschaften oder zu deren Gunsten leistete; (iii) immaterielle Rechte, einschließlich Patent- und Urheberrechte, an andere Konzerngesellschaften verpachtete und (iv) bewegliche Gegenstände an andere Konzerngesellschaften vermietete (See. 954 (c), (d) und (e)). § 8 Abs. (1) befaßt sich mit denselben vier Transaktionen zwischen der Basisgesellschaft einerseits und einem Kreis von im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen andererseits, die an der Zwischengesellschaft beteiligt sind oder den Beteiligten im Sinne des § 1 Abs. (2) AStG nahestehen. Die Vorschriften des Außensteuergesetzes weichen von denen des Subpart F wesentlich ab, indem alle die im Subpart F mißbilligten Transaktionen vom deutschen Gesetzgeber als unschädlich betrachtet werden, solange die jeweiligen Warengeschäfte, Dienstleistungen und Vermietungen oder Verpachtungen im Rahmen eines aktiven Geschäftsbetriebes der Zwischengesellschaft durchgeführt werden und der Steuerpflichtige 27 nicht an diesem Geschäftsbetrieb mitwirkt 2 8 . 27 D. h. in diesem Zusammenhang der an der Zwischengesellschaft beteiligte Inländer und ihm „nahestehende" Personen. 28 § 8, Abs. (1), Nr. 4, 5, 6 (a) und 6 (c); siehe oben I 4. (b), S. 360.

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Diese Regelung ist — insbesondere für den amerikanischen Betrachter — nur schwer verständlich. Die Erledigung der Geschäfte durch einen eigenen Stab von Angestellten, ohne Mitwirkung von Angestellten einer anderen Konzerngesellschaft, hat im amerikanischen Recht nur Bedeutung für die Definition des aktiven Geschäftsbetriebes bei der Vermietung beweglicher Sachen und der Verpachtung immaterieller Rechte. Im deutschen Recht dagegen steht das Problem der Mitwirkung völlig getrennt neben dem Begriff des aktiven Geschäftsbetriebes. Es kann sein, daß die amerikanischen Bestimmungen hier falsch interpretiert worden sind. Dies insbesondere deswegen, weil Gewinnverlagerungen zwischen zwei Konzerngesellschaften ohnehin gemäß § 1 korrigiert werden können und auf Briefkastengesellschaften gemäß § 6 S t A n p G (Mißbrauchstatbestand) durchgegriffen werden kann. Dabei ist noch bemerkenswert, daß das A S t G — im Gegensatz zum Subpart F — nicht daran interessiert ist, ob Gewinne von einer ausländischen Gesellschaft auf eine andere ausländische Gesellschaft verlagert werden. In beiden Rechtssystemen dürfen Basisgesellschaften bewegliche Sachen von der inländischen Muttergesellschaft zur Weitervermietung an Dritte im Rahmen eines aktiven Geschäftsbetriebes mieten. Im Subpart F darf die C F C von anderen Konzerngesellschaften gepachtete Erfindungen an außenstehende Dritte im Rahmen eines aktiven Geschäftsbetriebes weiterverpachten. Die Zwischengesellschaft kann die Ergebnisse aus eigener Forschungs- oder Entwicklungsarbeit auswerten. O b unter dem Begriff der eigenen Entwicklung auch die Fälle zu verstehen sind, bei denen die Zwischengesellschaft die von der Muttergesellschaft erforschten Redite wesentlich weiterentwickelt, würde bejahend zu beantworten sein, wenn die amerikanischen Beziehungen hier entsprechend hineingezogen werden. 4. Zusammenfassend ergibt sich aus dem Vergleich der amerikanischen und deutschen Bestimmungen, daß der Katalog schädlicher Einkünfte aus der Verwaltung privaten Vermögens im Prinzip in beiden Ländern weitgehend identisch ist. Der K a t a l o g schädlicher Einkünfte der Basisgesellschaft ist im wesentlichen der gleidie, jedoch mit bedeutsamen Variationen der Einzelheiten, die eine deutsche Muttergesellschaft wesentlich günstiger stellen als eine amerikanische, sowohl bei Behandlung von Dividenden, Zinsen und Veräußerung wesentlicher Beteiligungen, wie auch im Geschäftsverkehr zwischen der Muttergesellschaft und ihr nahestehender Personen einerseits und der Basisgesellschaft andererseits.

Die Zwischengesellschaft und ihre amerikanischen Schwestern

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D. Niedrige Besteuerung und Freigrenzen I. Niedrige

Besteuerung

1. Begrifflich werden passive und quasi-passive Einkünfte der Zwischengesellschaft nur dann als schädlich angesehen, wenn sie niedrig besteuert sind. Gemäß § 8 Abs. (3) liegt eine niedrige Besteuerung vor, wenn die schädlichen E i n k ü n f t e der ausländischen Gesellschaft im Prinzip einer Ertragsteuer von weniger als 30 °/o im Staate der Geschäftsleitung oder des Sitzes der Zwischengesellschaft unterliegen. 2. Subpart F rechnet dem Inländer schädliche Einkünfte zu, ganz gleichgültig, ob sie im Steuerdomizil der C F C oder in irgend einem anderen Staate hoch oder niedrig besteuert werden. Andererseits ist Subpart F überhaupt nicht anwendbar, wenn die C F C im maßgebenden Wirtschaftsjahr einen Mindestbetrag ihres Reingewinns aus allen Quellen (einschließlich, nach Wahl der inländischen Beteiligten, Reingewinne von Untergesellschaften) an ihre Beteiligten tatsächlich ausschüttet (See. 963). Die Mindestbeträge sind so bemessen, daß die gesamten auf den verteilten und unverteilten Reingewinn im Ausland und Inland entfallenden Ertragsteuern einer Prozentzahl entsprechen, die mit der in den U S A auf den Reingewinn theoretisch entfallenden Körperschaftsteuer vergleichbar ist. U m die Auslegungsschwierigkeiten des Subpart F zu vermeiden, schütten eine große Anzahl amerikanischer Unternehmen regelmäßig die in See. 963 vorgeschriebenen Mindestbeträge ihrer ausländischen Reingewinne an die amerikanische Muttergesellschaft aus. 3. Nicht nur Steuer-Oasen-Länder haben niedrige Steuern. In den USA, die k a u m zu den Steuer-Oasen gehören, zahlen zum Beispiel Kapitalgesellschaften höchstens 7,2 °/o Körperschaftsteuer auf Dividenden und keine Steuer auf Zinsen gewisser Staats- und Gemeindeanleihen. Gewinne aus dem Tausch ähnlicher Kapitalanlagen sind steuerfrei. D a deutsches Recht gemäß § 10 Abs. (3) über die Frage entscheidet, ob Erträge dieser A r t als steuerpflichtiges Einkommen zu behandeln sind, so müssen sie als schädliche E i n k ü n f t e im Sinne des § 8 behandelt werden, wenn sie in der Bundesrepublik steuerpflichtig wären. II. Freigrenze bei gemischten

Einkünften

1. In den Vereinigten Staaten werden schädliche E i n k ü n f t e einer ausländischen Gesellschaft nur dann Inländern zugerechnet, wenn sie, im Falle der F P H C mehr als die H ä l f t e , und im Falle der C F C mindestens 30 °/o des gesamten Bruttoeinkommens der ausländischen

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Gesellschaft ausmachen. Der dritte der Leitsätze der Bundesregierung vom 12. 12.1970 wollte gleichfalls die Zurechnung ausschließen, wenn die schädlichen Einkünfte der ausländischen Gesellschaft weniger als 30 % ihrer Gesamteinkünfte im Dreijahresdurchschnitt betragen würden. Diese Toleranzgrenze wurde in der Begründung empfohlen, weil auch in Gesellschaften mit aktiver Tätigkeit vielfach Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren als Nebenerträge anfallen. In der endgültigen Fassung des § 9 wurde die relative Freigrenze von 3 0 % auf 1 0 % herabgesetzt, mit der Maßgabe, daß der freigestellte Betrag 120 000 Deutsche Mark nicht übersteigen darf. 2. Ist der Hauptzweck der Gesellschaft die Vermögensanlage, so besteht nach amerikanischer Erfahrung die Tendenz, schädliche Einkünfte aus Wertpapieranlagen mit Einnahmen aus der Vermietung von Grundbesitz wegen der relativen Freigrenze zu vermischen und damit abzuschirmen. Gewöhnlich machen Bruttoerträge aus der Vermietung von Grundstücken einen wesentlich höheren Prozentsatz des Anlagekapitals aus als Einkünfte aus Wertpapieranlagen, weil mit Bruttoerträgen aus Grundstücken erfahrungsgemäß erhebliche Abzugsposten verbunden sind, z. B. Hypothekenzinsen, Abschreibungen, Grundsteuern und Verwaltungskosten. Um die Abschirmung schädlicher Einkünfte durch Mischung mit Mieten zu verhindern, werden im amerikanischen Steuerrecht Mieten bei der P H C und F P H C als schädliche Einkünfte behandelt, wenn sie (im Falle der P H C nach Abzug von Zinsen, Abschreibungen für Abnutzung und gleichen Unkosten) nicht mindestens die Hälfte des gesamten Bruttoeinkommens der Gesellschaft betragen (See. 543 (a) (2) und 553 (a) (7)), d. h. wenn die Anlagegesellschaft nicht vorwiegend eine Grundstücksverwaltungsgesellschaft ist. Verglichen mit den viel höheren Freigrenzbestimmungen des amerikanischen Steuerrechts sollte im deutschen Recht die lOprozentige relative Freigrenze — zuzüglich zur absoluten Freigrenze von D M 120 000 — genügend Schutz gegen die Vermischung von Mieteinkünften und Einkünften aus anderen Anlagen bieten. Die Tatsache, daß in einer Reihe von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und anderen Vertragsstaaten Einkünfte aus Grundstücken von der deutschen Steuer befreit sind, beweist im übrigen, daß in Deutschland so wenig wie in den U S A die Anlage von Kapitalien in ausländischen Immobilien als Steuerumgehung angesehen wird. Deshalb besteht kein Grund, ausländische Grundstücksverwaltungsgesellschaften auch dann als Zwischengesellschaften zu behandeln, wenn ihre Einkünfte ausschließlich oder fast ausschließlich aus der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken stammen.

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E. Der Hinzurechnungsbetrag I. Theorie der

Hinzurechnung

1. Amerikaner, die an der F P H C oder C F C beteiligt sind, werden in den USA besteuert, als ob sie die schädlichen Einkünfte, die von der ausländischen Gesellschaft erzielt und aufgespeichert wurden, tatsächlich erhalten hätten. Theoretisch wird zu diesem Zweck unterstellt, daß die Beteiligten die Zurechnungspflichtigen Einkünfte als eine Gewinnausschüttung am Ende des maßgebenden Wirtschaftsjahres empfangen hätten (Theorie der fiktiven Gewinnausschüttung) 29 . Bei der F P H C wird unterstellt, daß sie ihr gesamtes aufgespeichertes Reineinkommen des maßgebenden Wirtschaftsjahres, gleichgültig aus welcher Quelle, ausgeschüttet hätte, und bei der C F C , daß sie einen Teilbetrag, der sich aus den ihm zugrunde liegenden schädlichen Einkünften errechnet, als eine Dividende verteilt hätte 30 . 2. Auch im Außensteuergesetz gehört theoretisch der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, als ob die Zwischengesellschaft ihn als einen Gewinnanteil im Sinne des § 20 Abs. (1), Ziff. 1 EStG ausgeschüttet hätte ( § 1 0 Abs. (2) AStG). Jedoch wird die Vorstellung der Gewinnausschüttung nicht konsequent durchgeführt. Zum Teil werden die an der Zwischengesellschaft beteiligten Inländer aufgrund verschiedener Einzelbestimmungen audi so besteuert, als ob sie die hinzurechnungspflichtigen Einkünfte der ausländischen Gesellschaft unmittelbar erhalten hätten (Theorie der unmittelbaren Beteiligung) 31 . In der Literatur wird deshalb die Auffassung vertreten, das AStG beruhe zwiespältig manchmal auf der Vorstellung der Gewinnausschüttung und manchmal auf der Vorstellung des unmittelbaren Bezugs der hinzurechnungspflichtigen Einkünfte 3 2 . Diese letztere Theorie würde bei folgerichtiger Durchführung dazu führen, daß die Erträge der Zwischengesellschaft überhaupt nur dann schädliche Einkünfte sein können, wenn sie, wären sie von inländischen Beteiligten unmittelbar bezogen, bei diesen steuerpflichSee. 551 b für die F P H C und 951 (a) (2) für die C F C . Sind mehr als 70 %> der Bruttoeinkünfte der C F C schädlich, so wird in der Regel ihr gesamter Reingewinn als ausgeschüttet angesehen (See. 954 (b) (3) (B)). 3 1 Siehe § § 8 , Abs. (1), Nr. 6 b; 10, Abs. (1); 10, Abs. (3), letzter Satz; 12; 13, Abs. (1), N r . 1; Abs. (2). — Siehe jedoch § 1 0 , Abs. (5), der auf der Theorie der fiktiven Gewinnausschüttung beruht. 3 2 Siehe AStG-Komm., Anm. 46 und 61 zu § 10, in dem bezeichnenderweise über das „Durcheinander zwischen dem Hinzurechnungsbetrag und den Hinzurechnungseinkünften" gesprochen wird. 20

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tiges Einkommen wären. Das würde bedeuten, daß sämtliche persönlichen Steuerbefreiungen der inländischen Beteiligten auch für die Qualifizierung als Zwischeneinkünfte Bedeutung hätten. So würden z. B., wenn der inländische Anteilseigner eine natürliche Person wäre, die besonderen Steuervergünstigungen des § 23 EStG Anwendung finden, d. h. also Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren oder Grundstücken wären nur dann Zwischeneinkünfte, wenn sie innerhalb einer bestimmten Frist erzielt würden 320 . 3. Da die Vorschriften des Subpart F in allen Einzelheiten auf der eindeutigen Theorie der fiktiven Gewinnausschüttung basieren, ergeben sich wichtige Unterschiede zwischen den amerikanischen und deutschen Regeln über die Hinzurechnung von Verlusten (See. 952 (c)), die Anrechnung von Steuern (See. 960 in Verbindung mit See. 901 und 902), und vor allem auch deshalb, weil im Internal Revenue Code begrifflich Dividenden immer nur aus Reingewinn ausgeschüttet werden können (See. 316). Darüber hinausgehende Ausschüttungen werden als Rückerstattung des eingezahlten Kapitals betrachtet (See. 301 (c) (2)). Im Internal Revenue Code bedeutet „Reingewinn" („Earnings and Profits") nicht der nach handelsrechtlichen Vorschriften ausschüttungsfähige Gewinn, sondern steuerpflichtiges Nettoeinkommen nach Abzug der darauf entfallenden Einkommensteuer. Angenommen, z. B., daß die „US Inc." im Jahre 1973 einen Gewinn von $ 2 0 , 0 0 0 ausweist, bestehend aus $ 10,000 akiver Einkünfte, $ 6,000 aus Dividenden und $ 4,000 steuerfreier Zinsen aus einer Staatsanleihe, dann würden lediglich $ 6,000 als hinzurechnungspflichtige fiktive Dividende für das Jahr 1973 im Inland besteuert werden. II. Ermittlung des

Hinzurechnungsbetrages

1. (a) Nach den Ausführungsbestimmungen zum Subpart F (Reg. § 1.952-2 (a)) muß für die Ermittlung des Betrages der fiktiven Dividende sowohl das Brutto- wie audi das Nettoeinkommen der ausländischen Gesellschaft nach Grundsätzen des amerikanischen Steuerrechtes ermittelt werden, als ob die ausländische Gesellschaft eine inländische Kapitalgesellschaft wäre. Die Bestimmungen inländischen Rechtes, die Bruttoerlöse als steuerpflichtiges Einkommen qualifizieren oder disqualifizieren, werden hierbei ausdrücklich für anwendbar erklärt. See. 964 bestimmt fernerhin, daß der Reingewinn der CFC, aus dem eine fiktive Dividende zuzurechnen ist, nach den

320

Die Verfasser sind insoweit anderer Auffassung; vgl. S. 369.

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auf inländische Kapitalgesellschaften anwendbaren Rechtsnormen zu ermitteln ist. (b) Nach § 10 Abs. (3) Satz 1 AStG sind die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechtes zu ermitteln. Das bedeutet, daß auch für die Qualifizierung als steuerpflichtiges Einkommen der Zwischengesellschaft die entsprechenden deutschen Vorschriften anzuwenden sind. Es sind aber nur die inländischen Vorschriften anzuwenden (mit Ausnahme der in Satz 4 ausdrücklich enthaltenen Einschränkungen), die auf die Zwischengesellschaft anwendbar wären, falls sie eine deutsche Gesellschaft wäre. So ist ζ. B., falls die Voraussetzungen vorliegen (was regelmäßig der Fall sein dürfte) § 16 K S t D V entsprechend anzuwenden 33 . Dies bedeutet z. B., daß selbst wenn natürliche Personen als Anteilsinhaber an der Zwisdiengesellschaft beteiligt sind, Gewinne aus der Veräußerung nicht wesentlicher Beteiligungen, in vollem Umfang zu den hinzurechnungspflichtigen Einkünften gehören. Auch persönliche Steuerbefreiungen der inländischen Anteilsinhaber gelten für die ausländische Zwischengesellschaft grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme besteht nur dann, soweit das im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, ζ. B. für Einkünfte aus Grundstücken oder für Schachteldividenden 34 . Für die Qualifizierung als steuerpflichtige Einkünfte der Zwischengesellschaften sollten deshalb mit den genannten Ausnahmen im deutschen Recht die gleichen Regeln wie im amerikanischen Recht gelten. 2. (a) Für die Ermittlung des Nettobetrages der hinzurechnungspflichtigen schädlichen Einkünfte müssen von den zugrundeliegenden Bruttoerträgen die Ausgaben, Steuern und ähnliche Beträge abgezogen werden, die mit ihnen in einem wirtschaftlichen oder in einem „angemessenen" Zusammenhang stehen ( § 1 0 Abs. (1), S. 1; Abs. (4). — See. 954 (b) (5) 3 5 ). Die Ausführungsbestimmungen des amerikanischen Rechtes (Reg. § 1.954-1 und § 1.861-8) unterscheiden zwischen unmittelbaren Abzugsposten, die definitiv in einem unmittelbaren Zusammenhang mit bestimmten Einkunftskategorien oder Einkünften stehen, und mittelbaren Abzugsposten, bei denen ein solcher Zusammenhang nicht besteht. Unmittelbare Abzugsposten verringern die für die Hinzurechnung relevanten Bruttoerträge, wenn sie mit ihnen (und 3 3 Zustimmend § 10 (1) des Erlaßentwurfes des Bundesfinanzministeriums AStG. 3 4 Siehe ausdrücklich § 8, Abs. (1), N r . 6 (b); § 13, Abs. (1) und (2). 3 5 See. 9 5 4 (b) (5) spricht von „properly allocable deductions".

zum

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nicht mit anderen Erträgen) im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Mittelbare Abzugsposten müssen im Verhältnis zu den jeweiligen Bruttobeträgen von allen Einkünften der Gesellschaft abgezogen werden, während relevante unmittelbare Abzugsposten zwischen den jeweiligen Einkünften oder Einkunftskategorien sowohl innerhalb der letzteren nach angemessenen Maßstäben verteilt werden, wie etwa im Verhältnis zu den Bruttobeträgen oder entsprechend dem zeitlichen oder wertmäßigen Quantum der Arbeitsleistung, das in die die Einkünfte erzielende Tätigkeit investiert wurde. Diese sehr detaillierten Durchführungsbestimmungen dürften bei der Auslegung insbesondere des § 10 Abs. (4) AStG von Interesse sein. (b) § 10 Abs. 4 AStG verlangt für die Abzugsfähigkeit, daß die Betriebsausgaben mit den Einkünften „in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen". Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang wird nicht verlangt. Beim ähnlichen Problem des § 3 c EStG wird im Gesetz ausdrücklich der „unmittelbare" Zusammenhang gefordert. Aus der Tatsache, daß die Unmittelbarkeit hier nicht erwähnt ist, kann man daher schließen, daß ein solcher Zusammenhang auch nicht erforderlich ist. Damit sind dann auch die nur im mittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben wie im amerikanischen Recht abzugsfähig. 3. Die amerikanischen Ausführungsbestimmungen über mittelbare und unmittelbare Abzugsposten gelten auch für Steuern. Danach sind Einkommensteuern in der Regel mittelbare Abzugsposten, so daß sie auf die (nach inländischem Recht steuerpflichtigen) Erlöse der Gesellschaft nach Abzug der mit ihnen im Zusammenhang stehenden Abzugsposten proportional zu verteilen sind. Wird jedoch eine Einkunftskategorie oder ein bestimmter Erlös gar nicht besteuert, so sind keine Steuern abziehbar; wird eine Einkunftskategorie oder ein bestimmter Erlös zusätzlich oder besonders besteuert, so ist die jeweils fällige Steuer als ein unmittelbarer Absatzposten von den relevanten Bruttoerträgen abzuziehen. Der amerikanische Steuerzahler kann die ausländische Steuer für das Jahr abziehen, in dem diese Steuer fällig wurde. In beiden Ländern können Steuern, anstatt abgezogen zu werden, auch auf die Steuer, die auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, angerechnet werden (See. 960 — § 12). Damit ist ihre Abzugsfähigkeit nur von begrenzter praktischer Bedeutung 36 . se p ü r pälle, in denen es vorteilhafter ist, Steuern abzuziehen, siehe A S t G Konim., Anm. 13 (a) zu § 12.

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4. (a) Das Außensteuergesetz schneidet aus den gesamten Einkünften der Zwischengesellschaft die schädlichen Einkünfte (nach Abzug von Unkosten und Steuern) aus, als ob sie allein das Nettoeinkommen der Gesellschaft im maßgebenden Wirtschaftsjahr ausmachten. Dementsprechend haben Verluste für die Hinzurechnung nur dann Bedeutung, wenn sie aus Quellen stammen, die den schädlichen Einkünften zugrunde liegen. Verluste der vorangegangenen fünf Jahre aus diesen Quellen dürfen unter Anwendung der Grundsätze des § 10 d EStG von den schädlichen Nettoeinkünften des maßgebenden Jahres abgezogen werden (§ 10 Abs. (3), letzter Satz). (b) Subpart F bestimmt, daß (i) wenn im maßgebenden Wirtschaftsjahr kein Reingewinn erzielt wurde, schädliche Einkünfte den Beteiligten nicht zugerechnet werden, und (ii) wenn ein Reingewinn erzielt wurde, Nettoverluste früherer Jahre aus aktiven oder schädlichen Quellen grundsätzlich gegen Reingewinne des maßgebenden Wirtschaftsjahres anzuredinen sind (See. 952 (c)). Subpart F besteuert somit inländische Beteiligte auf fiktiv von der C F C erhaltene Dividenden nur, wenn die C F C tatsächlich in der Lage war, Gewinne im steuerlichen Sinn f ü r das maßgebende Wirtschaftsjahr nach Abzug von Verlusten aus allen Quellen, einschließlich Verlusten aus früheren Jahren, zu verteilen. Das Außensteuergesetz weicht nicht nur in diesem entscheidenden Punkt von den amerikanischen Rechtsnormen ab, sondern darüber hinaus ist es angesichts der Bestimmung des § 11 unmöglich, auf den Hinzurechnungsbetrag bezahlte Steuern gegen Steuern auf tatsächlich empfangene Gewinnanteile später zu verrechnen, es sei denn, daß die Zwischengesellschaft in den folgenden vier Jahren Gewinne aus anderen Quellen an den Beteiligten auszuschütten vermag. 5. Zur Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages bedarf es, auf Grund der Bestimmungen des AStG, zuzüglich zu der Berechnung der von den schädlichen Bruttoerträgen abzuziehenden Posten (i) der Aussonderung der Einkünfte passiver und quasi-passiver Art (nach Abzug von Unkosten, aber vor Abzug von Steuern), die im Sinne des § 8 Abs. (3) niedrig besteuert sind und (ii) des Abzugs im maßgebenden Jahre tatsächlich ausgeschütteter Gewinne gemäß § 11 Abs. (1); (iii) der Aussonderung von Schachteldividenden gemäß § 13 Abs. (1) und

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(iv) der Hinzurechnung der fiktiv von nachgeschalteten Untergesellschaften bezogenen schädlichen Einkünfte gemäß § 14 Abs. (1). Da Subpart F keine vergleichbaren Vorschriften enthält, bedarf diese Liste hier keines weiteren Kommentars. Bemerkenswert ist nur, daß bei den aufgezählten Schritten es in der Regel auch noch notwendig ist, die von den Bruttoerträgen abzuredinenden Posten (einschließlich Steuern), die mit ihnen unmittelbar oder mittelbar zusammenhängen, zu errechnen. 6. (a) Sind alle Einkünfte der Gesellschaft im maßgebenden Wirtschaftsjahr schädlich, so kann als Ausgangspunkt für die Berechnung des Hinzurechnungsbetrags die Bilanz oder die Einnahme-ÜberschußRechnung der ausländischen Gesellschaft für das Jahr dienen 37 . Hat die Gesellschaft dagegen gemischte Einkünfte, so müssen vor allem erst einmal die aktiven und schädlichen Einkünfte, sowie die mit ihnen im Zusammenhang stehenden unmittelbaren Abzugsposten voneinander getrennt berechnet werden. Danach müssen verbleibende mittelbare Abzugsposten proportional im Verhältnis zu den Bruttobeträgen verteilt werden 38 . (b) Die Bilanzen und Erfolgsrechnungen der ausländischen Gesellschaft, auf die § 1 7 Abs. (1) Ziff. 2 verweist, genügen allein zur Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages nicht. Probleme der Aussonderung schädlicher von unschädlichen Einkünften müssen hauptsächlich durch Ermittlung der Tatsachen und durch Anwendung von Rechtsnormen, und können nur hilfsweise durch Bilanzen und Einnahme-Uberschuß-Rechnungen gelöst werden. Dabei ist auch zu bedenken, daß die auf die Ermittlung der Gewinne einer Betriebsstätte anwendbaren Methoden der Gewinnaufteilung hier nicht ohne weiteres übernommen werden können, da ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen passiven und aktiven Einkünften gewöhnlich nicht, und zwischen quasi-passiven und aktiven Einkünften nicht notwendigerweise besteht. Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen, die über den Reingewinn des Jahres aus allen Quellen Rechnung legen, müssen jedoch berücksichtigt werden für (i) die Berechnung mittelbarer Abzugsposten und deren Verteilung auf schädliche und aktive Einkünfte; 3 7 Siehe jedoch die Sonderberechnungen verlangenden Bestimmungen des § 8, Abs. (3), und oben II, 5. 38 Zur Frage der Ermittlung der relevanten Kosten und Steuern auf Erträge einer Funktions-Holding-Gesellschaft siehe F. W. Woolworth vs. Commissioner of Internal Revenue, 54 United States Tax Court Reports, S. 1233, S. 1264 ff.

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(ii) die entsprechende Berechnung und Verteilung abziehbarer Steuern und (iii) die Ermittlung quasi-passiver und passiver Einkünfte eines Gewerbebetriebs. Die Verpflichtung, diese Bilanzen und Rechnungen zusammenzustellen, wird in beiden Gesetzen dem steuerpflichtigen Inländer auferlegt, der für diesen Zweck den Jahresbericht der ausländischen Gesellschaft inländischen Maßstäben anpassen muß. Dabei muß gemäß der amerikanischen Durchführungsbestimmungen wie folgt verfahren werden: (i) die Jahresberichte müssen mit Grundsätzen ordnungsgemäßer inländischer Buchführung in Einklang gebracht werden, und (ii) sie müssen den Grundsätzen des inländischen Steuerrechtes entsprechen, wie ζ. B. bei der Bewertung des Inventars, der Abschreibungen des Anlagevermögens und der Bemessung von Reserven für Außenstände; und (iii) sie müssen auf die inländische Währung umgerechnet werden auf Grund besonderer und voneinander abweichender Bestimmungen, betreffend ζ. B. Anschaffungspreise von Waren, Abschreibungen von Anlagevermögen und Rechnungsabgrenzungsposten 39 .

F. Das Schachtelprivileg I. Allgemeine

Grundsätze

1. Das einzige Schachtelprivileg des amerikanischen Steuerrechts bei Auslandsbeziehungen ist das Recht der inländischen Muttergesellschaft 40 , Ertragsteuern, die sie oder ihre ausländischen Tochter- und » Wegen Einzelheiten siehe R e g . § 952-2 und 1.964-1. „Muttergesellschaft" bedeutet im T e x t eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft, die an einer ausländischen „Tochtergesellschaft" wesentlich beteiligt ist. D i e Ausdrücke „wesentlich" oder .„Schachtel'beteiligung" sind gemäß der jeweils zu besprechenden Rechtsnormen zu definieren, d. h. f ü r die Zwecke der See. 902, 960 und 962 als unmittelbares oder, im Falle v o n U n t e r gesellschaften, mittelbares E i g e n t u m v o n mindestens 10 °/o der stimmberechtigten Anteile, f ü r die des § 9, Abs. (1) und § 19 a, Abs. (2) K S t G als unmittelbares E i g e n t u m an zumindest einem Viertel des N e n n k a p i t a l s , f ü r die des § 19 a, Abs. (5) K S t G als eine entsprechende mittelbare Beteiligung an einer Enkelgesellschaft, und f ü r die Zwecke der D o p p e l b e s t e u e r u n g s a b k o m m e n mit ausländischen Vertragsstaaten als gewöhnlich unmittelbares E i g e n t u m an einem Viertel der stimmberechtigten Anteile. — „Enkelgesellschaften" und ihr nachgesdialtete Untergesellschaften sind im T e x t — ausgenommen der Fall des § 19 a, Abs. (5) K S t G — Gesellschaften, an denen die unmittelbare Obergesellschaft wesentlich beteiligt ist. — „Sdiachteld i v i d e n d e n " sind D i v i d e n d e n aus Schachtelbeteiligungen. s

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deren Untergesellschaften auf ausländische Gewinne zu zahlen haben, gegen im Inland auf diese Gewinne fällige Steuern anzurechnen. Anrechnungsfähig sind ausländische Ertragsteuern, die entweder von der inländischen Muttergesellschaft selbst auf ausländische Einkünfte („Direktes Steueranrechnungsrecht") (wie Quellensteuern auf Dividenden (See. 901)) oder die von einer ausländischen Tochter-, Enkeloder Urenkelgesellschaft auf verteilte Gewinne bezahlt wurden („Indirektes Steueranrechnungsrecht") (See. 902). Das deutsche Steuerrecht kennt das direkte Steueranrechnungsrecht seit längerem (§ 19 (a) Abs. (1) KStG in Verbindung mit § 34 (c) EStG) und das indirekte Steueranrechnungsrecht seit der Zeit der Einführung des Außensteuergesetzes 41 . 2. Die Vereinigten Staaten erklärten sich in Abkommen mit anderen Ländern nur dazu bereit, eine etwaige Doppelbesteuerung durch Anrechnung ausländischer auf inländische Steuern zu vermeiden 42 . Die Bundesrepublik dagegen vereinbarte in einer großen Anzahl von Abkommen ein uneingeschränktes Schachtelprivileg, wonach Dividenden, die die deutsche Muttergesellschaft von einer in einem anderen Vertragsstaat domizilierten Tochtergesellschaft empfängt, von der Bemessungsgrundlage der inländischen Steuer völlig ausgenommen werden 43 . (a) Fast alle bedeutsamen Industriestaaten der westlichen Welt haben Doppelbesteuerungsabkommen mit der Bundesrepublik abgeschlossen, in denen grundsätzlich deutschen Muttergesellschaften das hier besprochene Schachtelprivileg uneingeschränkt eingeräumt wird 4 4 . (b) Zusätzlich zu den erwähnten Abkommen mit Industriestaaten hat Deutschland Doppelbesteuerungsabkommen mit einer Reihe anderer Länder gezeichnet oder abgeschlossen45, in denen die Freistellung von 41

Siehe § 19 a Abs. 2—5 KStG; diese Bestimmungen weichen von den amerikanischen verschiedentlich ab und geben zu einer Reihe von Auslegungsschwierigkeiten Anlaß. 42 Siehe z. B. Art X V (1) (a) des DBA mit den Vereinigten Staaten von Amerika vom 22. 7.1954. 43 Z. B. a. a. O. Art. X V (b) (1) (aa), 3. Satz. 44 Die Vertragsstaaten sind: Belgien, Kanada, Dänemark, Frankreich, GroßBritannien, Irland, Japan, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden, und die Vereinigten Staaten von Amerika. Dieselben Bestimmungen finden sich in Abkommen mit Ceylon und Indien. Das DBA Belgien macht das Schachtelprivileg bedingt abhängig davon, daß aus anderen Staaten zufließende Dividenden höchstens 20 °/o der Bruttoerträge der belgischen Gesellschaft ausmachen. 45 Es handelt sich hier um Abkommen mit Australien, Argentinien, Iran, Israel, Liberia, Pakistan, Singapor, Spanien und Thailand.

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der deutschen Steuer bedingt davon abhängig gemacht wird, daß grundsätzlich die gewinnausschüttende ausländische Gesellschaft Einkünfte aus aktiver Geschäftstätigkeit bezieht. Die Definition der wesentlichen Beteiligung und der aktiven Einkünfte ist in den verschiedenen Abkommen nicht immer gleich; in der Regel werden aber Dividenden aus Untergesellschaften als aktiv betrachtet, wenn die Untergesellschaft im Vertragsstaat domiziliert ist und ihrerseits ausschließlich eine aktive Geschäftstätigkeit ausübt. (c) Ein Abkommen mit der Schweiz, das am 5. September 1972, d. h. fast gleichzeitig mit dem Außensteuerreformgesetz in K r a f t trat, befreit Dividenden, die eine Schweizer Tochtergesellschaft an ihre deutsche Mutter ausschüttet, dann von der deutschen Steuer, wenn die auf die ausgeschütteten Gewinne erhobene Schweizer Steuer auf Grund des indirekten Anrechnungsprivilegs des § 19 (a) Abs. (2) K S t G auch auf die deutsche Körperschaftsteuer anrechnungsfähig wäre. Damit ist das Schachtelprivileg im Falle der Schweiz davon abhängig gemacht, daß die Schweizer Gesellschaft fast ausschließlich aktive Einkünfte oder Einkünfte aus Beteiligungen an den in § 8 Abs. (2) A S t G genannten Untergesellschaften bezieht (Art. 24 Abs. (1) Ziff. 2). 3. Während Subpart F und die Bestimmungen über das Redit der indirekten Steueranrechnung in See. 902 Investitionen in Entwicklungsländern mit gewissen Steuervorteilen ausstatten, befreit § 19 a Abs. (3) K S t G die deutsche Muttergesellschaft unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen von jeglicher deutscher Steuer auf Dividenden von Tochtergesellschaften, die Geschäftsleitung und Sitz in einem Entwicklungsland haben. Hauptbedingung ist eine fast ausschließlich aktive Tätigkeit der Tochtergesellschaft, wobei wiederum wie im Falle des D B A Schweiz der Tochtergesellschaft Einkünfte aus einer Beteiligung an den in § 8 Abs. (2) genannten Untergesellschaften erlaubt sind. II. Schachtelprivileg auf fiktive Dividenden 1. In allen Fällen, in denen eine Zwisdiengesellschaft auf Grund eines Schachtelprivilegs aus Abkommen Dividenden steuerfrei an ihre inländische Muttergesellschaft verteilen könnte, sind auch ihre aufgespeicherten schädlichen Einkünfte im maßgeblichen Wirtschaftsjahr nicht hinzurechnungspflichtig. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. (5) A S t G , wonach auf den Hinzurechnungsbetrag die Bestimmungen der D o p pelbesteuerungsabkommen entsprechend anzuwenden sind, die anzuwenden wären, wenn der Hinzurechnungsbetrag an den Steuerpflich-

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tigen ausgeschüttet worden wäre. § 10 Abs. (5) führt zu überraschenden und kaum gewollten Resultaten: (a) Obwohl das Außensteuergesetz vor allem Gesellschaften mit passiven oder quasi-passiven Einkünften erfassen wollte, die ihren Sitz in Liechtenstein, Panama, der Schweiz und ähnlich niedrig besteuerten „Oasenländern" haben, können auch Gesellschaften in hochbesteuerten Industriestaaten, mit denen die Bundesrepublik durch Abkommen ein uneingeschränktes Schachtelprivileg vereinbart hat 4 6 , niedrig besteuerte Einkünfte im Sinne des § 8 Abs. (3) erzielen 47 . Es wäre z. B. denkbar, daß eine deutsche Gesellschaft durch eine amerikanische Tochtergesellschaft deutsche Steuern auf Dividenden und Zinsen aus amerikanischen Wertpapieranlagen zumindest bis zur Weiterausschüttung erheblich reduzieren könnte, weil diese Einkünfte in den USA niedrig oder gar nicht besteuert sein können. (b) Wichtiger noch ist die Tatsache, daß sich die deutsche Muttergesellschaft dadurch von der Hinzurechnungspflicht befreien kann, daß sie einer Tochtergesellschaft in einem Staat, mit dem im Abkommen ein uneingeschränktes Schachtelprivileg vereinbart ist, eine Zwischengesellschaft in einem Steueroasenland nachschaltet. Dies wäre nur dann nicht zweckmäßig, wenn in dem Steuerdomizil der Tochtergesellschaft, wie etwa in den USA, Einkünfte ausländischer Untergesellschaften auch nach innerstaatlichem Recht zurechnungspflichtig wären, oder Dividenden aus ausländischen Untergesellschaften hoch besteuert würden. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Industriestaaten, wie Frankreich oder die Niederlande, in denen, ähnlich wie in der Bundesrepublik, inländische Konzerne weitgehende Schachtelprivilegien auf Dividenden aus ausländischen Beteiligungen genießen. Für die hier gegebenen Möglichkeiten ist eine Curaçao-Tochter einer deutsch-beherrschten niederländischen Holding-Gesellschaft ein gutes, aber keineswegs das einzige Beispiel. Subpart F erlaubt die Nachschaltung nicht, sondern rechnet schädliche Einkünfte der Enkelin unmittelbar der deutschen Mutter und nicht der ausländischen Tochter zu (See. 958 (a) (1) (B) und (a) (2)). 2. In den Fällen, in denen § 10 Abs. (5) nicht anwendbar ist, darf die inländische Muttergesellschaft nicht die von der Zwischengesellschaft auf schädliche Einkünfte bezahlten ausländischen Steuern nach den Grundsätzen der indirekten Anrechnung des § 19 a Abs. (2) oder (3) KStG gegen inländische Steuern verrechnen, weil diese Vorschriften 46

Siehe Fußnote 44. « Siehe D, I, 3, S. 365.

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voraussetzen, daß die Einkünfte der ausländischen Tochtergesellschaft fast ausschließlich aus Tätigkeiten des § 8 Abs. (1) und (2) stammen. Subpart F dagegen gewährt der inländischen Muttergesellschaft 48 ein indirektes Anrechnungsrecht mit Bezug auf sämtliche von der C F C auf aufgespeichertes schädliches Einkommen zu zahlenden Steuern. Abweichend von den amerikanischen Bestimmungen ermöglicht jedoch § 1 2 A S t G unter diesen Umständen der Muttergesellschaft, nach der Vorstellung der Theorie der unmittelbaren Beteiligung, ausländische Steuern, die auf die hinzurechnungspflichtigen Einkünfte fällig wurden, von anfallenden inländischen Steuern nach den Grundsätzen des Rechts auf unmittelbare Steueranrechnung abzusetzen, als ob sie sie selbst bezahlt hätte. Die anrechnungsfähigen Steuern bemessen sich nach den Regeln über die Ermittlung abzugsfähiger Steuern im Sinne des § 10 Abs. ( I ) 4 9 . III. Einkünfte

der Zwischengesellschaft

aus

Schachteldividenden

1. Während § 10 Abs. (5) sich mit Schachtelprivilegien der inländischen Muttergesellschaft auf fiktiv von der Zwischengesellschaft verteilte Einkünfte befaßt, behandelt § 13 Einkünfte der Zwischengesellschaft aus tatsächlich an sie verteilten Schachteldividenden von Enkelgesellschaften. Rechtssystematisch gehört § 13 zu den Bestimmungen des Außensteuergesetzes, die in der Theorie der unmittelbaren Beteiligung ihren Ursprung haben. Danach darf die Muttergesellschaft steuerlich für sich dieselben Privilegien in Anspruch nehmen, die ihr bei unmittelbarem Erhalt der Schachteldividenden zur Verfügung gestanden wären, nämlich — das Schachtelprivileg auf Dividenden aus Abkommenländern (S 13 Abs. (1) N r . 1 ( a ) ) ; — das Sdiachtelprivileg auf Dividenden aus Entwicklungsländern (S 13 Abs. (1) N r . 1 (b) in Verbindung mit § 19 a Abs. (3) K S t G ) ; — das Recht der indirekten Steueranrechnung (§ 13 Abs. (1) N r . 1 (b) in Verbindung mit § 19 (a) (2) K S t G ) . 2. (a) Das erst- und zweitgenannte Schachtelprivileg befreit praktisch Schachteldividenden in fast allen Teilen der Welt von der Durchgriffsbesteuerung in Deutschland. Jedoch werden Schachteldividenden, die Einschließlich natürlicher P e r s o n e n ; siehe A , I I I , 3, S. 3 5 3 f. Abzugsfähige Steuern werden hier nicht durchschnittlich errechnet, wie in § 19 a ( 2 ) K S t G , im Verhältnis der schädlichen E i n k ü n f t e z u m ausschüttungsfähigen G e w i n n der Zwischengesellschaft, sondern entsprechend den a u f die schädlichen E i n k ü n f t e tatsächlich gezahlten Steuern. Siehe E I I , 3, S. 3 7 0 . 48

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an die Zwischengesellschaft ausgeschüttet werden, nur dann von der Hinzurechnung ausgenommen ( § 1 3 Abs. (1) Zifï. 1 (a) und Ziff. 2), wenn die Bruttoerträge der die Dividenden verteilenden Untergesellschaft fast ausschließlich aus aktiven Tätigkeiten im Sinne des § 8 Abs. (1) Nr. 1 bis 6 stammen (§ 13 Abs. (1)). Damit können Dividendeneinkünfte der Zwischengesellschaft aus Abkommenländern selbst dann hinzurechnungspflichtig sein, wenn sie, wären sie der Muttergesellschaft unmittelbar zugeflossen, steuerfrei geblieben wären. Empfängt z. B. die Tochtergesellschaft in Liechtenstein Dividenden aus gemischten Einkünften einer amerikanischen Enkelgesellschaft, so ist die Dividende hinzurechnungspflichtig, obwohl die Muttergesellschaft die Dividende unmittelbar auf Grund des Abkommens mit den Vereinigten Staaten frei von deutschen Steuern hätte erhalten können. (b) Ähnliche Einschränkungen bestehen nach § 13 Abs. (1) für das indirekte Steueranrechnungsrecht. Die Ausübung dieses Rechtes durch die Muttergesellschaft, hätte sie die an die Zwischengesellschaft ausgeschütteten Dividenden unmittelbar bezogen, wäre auch gemäß § 19 a Abs. (2) und (3) K S t G davon abhängig gewesen, daß die die Dividenden verteilende Gesellschaft ihre Bruttoerträge fast ausschließlich aus aktiven Quellen bezogen hätte. Im Gegensatz zu § 13 Abs. (1) fallen unter die aktiven Quellen des § 19 a Abs. (2) und (3) K S t G nicht nur die Tätigkeiten des § 8 Abs. (1), Nr. 1 bis 6, sondern auch Erträge aus unter § 8 Abs. (2) fallenden Beteiligungen der Zwischengesellschaft. Angenommen z. B., daß eine Zwischengesellschaft Aktien einer Enkelgesellschaft hält, die von ihr produzierte Waren durch nachgeschaltete Untergesellschaften vertreibt, so sind wegen der Einschränkungen des § 13 Abs. (1) Dividenden der Enkelgesellschaft hinzurechnungspflichtig, obwohl, wenn die Beteiligung unmittelbar bei der Muttergesellschaft läge, das Recht zur indirekten Steueranrechnung in Verbindung mit § 19 a Abs. (2) K S t G anwendbar wäre 50 . (c) Der Internal Revenue Code gestattet die indirekte Steueranrechnung mit Bezug auf tatsächlich empfangene (See. 902) oder fiktiv ausgeschüttete (See. 960) Dividenden, gleichgültig, ob sich die Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft aus aktiven, passiven oder quasi-passiven Quellen zusammensetzen. Das Gesetz will in beiden 5 0 Siehe auch die Sonderbestimmungen des § 19 a, Abs. (5), KStG über von der Enkelgesellschaft tatsächlich verteilte und von der Tochtergesellschaft tatsächlich weiterverteilte Gewinne, einschließlich der Bezugnahme in N r . 1 des Absatzes auf § 8 Abs. (2), N r . 1, aber nicht N r . 2.

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Fällen vermeiden, daß von einer ausländischen Gesellschaft erzielte Gewinne bei tatsächlicher oder fiktiver Ausschüttung im Inland höher besteuert werden, als wenn sie die Muttergesellschaft unmittelbar aus inländischen Quellen bezogen hätte. Werden Gewinne im Ausland niedrig besteuert, so gleichen sich die sich daraus ergebenden Steuervorteile ohnehin durch die entsprechend höhere restliche Besteuerung der tatsächlich verteilten oder fiktiven Dividende im Inland aus. Nach amerikanischer Ansicht ist es daher nicht notwendig, die Ausübung des Rechtes auf indirekte Steueranrechnung von der Qualität der ausländischen Einkünfte abhängig zu machen. Die steuerpolitischen Gründe für die abweichende Regelung in den deutschen Vorschriften § 19 a Abs. (2) und (5) K S t G und § 13 Abs. (1) AStG sind nicht recht verständlich 51 . Auf diese Weise wird auch jegliche Anrechnung der von der Zwischengesellschaft auf ihre Gewinne bezahlten Steuern ausgeschlossen im Falle ihrer tatsächlichen Ausschüttung, allerdings nicht gemäß § 12 im Falle der Hinzurechnung 52 . Dieses Ergebnis verstößt unnötigerweise gegen Grundsätze der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen. IV. Die Landes- und

Funktions-Holding-Gesellschaft

1. (a) Subpart F wollte es verhindern, daß Konzerngewinne nicht nur vom Inland ins Ausland, sondern auch von einer ausländischen auf eine andere ausländische Konzerngesellschaft künstlich verlagert werden 53 . Wenn jedoch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen zwei Konzerngesellschaften dasselbe Steuerdomizil berühren, kompensieren sich gewöhnlich Gewinne und Verluste in derselben Besteuerungshoheit. Deshalb werden Einkünfte, die ausländische Kon-

5 1 Bei ausländischen Gesellschaften, die ihren Sitz in Entwicklungsländern haben, w a r es schon notwendig, die Freistellung von der deutschen Besteuerung gemäß § 19 (a) Abs. (3) K S t G davon abhängig zu machen, daß die betreffende Gesellschaft nicht wesentliche Einkünfte aus passiven oder quasi-passiven Quellen erzielen würde. E s ist jedoch zu befürchten, daß auf die Auslegung der W o r t e „ausschließlich oder fast ausschließlich" in den §§ 19 (a) Abs. 3 und 2 die engen Grenzen des § 9 A S t G zur Anwendung kommen. Das würde praktisch bedeuten, daß bereits passive Einkünfte in H ö h e von D M 120 0 0 0 ausreichen, um das gesamte Schachtelprivileg der deutschen Muttergesellschaft untergehen zu lassen. Wenn ζ. B. eine deutsche Muttergesellschaft an einer großen brasilianischen Industriegesellschaft wesentlich beteiligt ist, und die brasilianische Gesellschaft Zinseinkünfte von mehr als D M 120 0 0 0 im J a h r bezieht, dann würde das gesamte Schachtelprivileg verloren gehen, selbst wenn die Bruttoerträge der brasilianischen Gesellschaft in die Millionen gehen. 62 63

Siehe oben II, 2. C I, 3, S. 3 5 9 .

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Zerngesellschaften voneinander beziehen, dann nicht als schädlich erachtet, wenn sie der empfangenden Gesellschaft aus ihrem Heimatstaat zufließen 54 . (b) § 8 Abs. (2) Ziff. 1 befreit „Einkünfte aus einer Beteiligung" einer ausländischen „Landes-Holding-Gesellschaft" an einer Untergesellschaft grundsätzlich von der Hinzurechnung, wenn beide Gesellschaften ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in demselben Staat haben. Der fünfte Leitsatz vom 17. 1 2 . 1 9 7 0 beweist, daß ursprünglich beabsichtigt wurde, die Heimatstaatsbestimmungen des Subpart F für Warengeschäfte und Dienstleistungen dem Außensteuergesetz einzuverleiben. Im AStG werden jedoch als „Einkünfte aus einer Beteiligung" nur die Dividenden privilegiert und nicht wie im Subpart F auch alle andern passiven und quasi-passiven schädlichen Einkünfte aus dem gleichen Staat 5 5 . Im Subpart F sind Dividenden nach dem Heimatstaatsprinzip nur dann unschädlich, wenn die ausschüttende Gesellschaft im selben Staate gegründet wurde und ein wesentlicher Teil ihres Betriebsvermögens sich dort befindet. Die Problematik des § 8 Abs. (2) Nr. 1 ergibt sich aus seiner Vorgeschichte 56 . 2. Die Funktions-Holdings-Gesellschaft ist dem Subpart F nicht bekannt. Gemäß § 8 Abs. (2) Nr. 2 wird hier begrifflich vorausgesetzt, daß die Funktions-Holding-Gesellschaft und ihre Untergesellschaften aktiv tätig sind und diese Tätigkeiten der Untergesellschaften „im wirtschaftlichen Zusammenhang" mit denen der Obergesellschaft stehen 57 . Für den Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhanges sind die Bestimmungen über „Nachgeschaltete Zwischengesellschaften" des § 1 4 interessant 58 . § 14 befaßt sich mit Enkel- und ihnen nachgeschalteten Gesellschaften, die von Inländern durch Anteilsmehrheit beherrscht werden und auf Grund niedrig besteuerter schädlicher Einkünfte begrifflich eine Zwischengesellschaft sind. Gemäß § 14 werden 5 4 Siehe See. 954 (c) (4) A für Dividenden und Zinsen; See. 954 (c) (4) C für Mie:- und Pachtzinsen; 954 (d) (1) für Handelsgeschäfte; und 954 (e) für Dienstleistungen. 5 5 Siehe AStG.-Komm. Anm. 91 ff. zu § 8. 5 8 §§ 11, 13, 14, Abs. (2) AStG bezeichnen Dividenden als „Gewinnanteile", und nicht, wie § 8 Abs. 2 als „Einkünfte aus einer Beteiligung". Aus der Vorgeschichte ergibt sich, daß hier in beiden Begriffen ein materieller Unterschied liegen könnte. 5 7 Ober Auslegungsfragen siehe AStG-Komm. Anm. 110 zu § 8. 5 8 Der Rahmen des Aufsatzes erlaubt es nicht, die Bestimmungen des § 14 im einzelnen mit den entsprechenden Bestimmungen des amerikanischen Redites über „second and third tier companies" (Sec. 959 und 960) und den sehr komplizierten Durchführungsbestimmungen zu vergleichen.

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die von der Untergesellschaft bezogenen schädlichen Einkünfte der ausländischen Obergesellschaft und durch sie den deutschen Beteiligten im Rahmen der § § 7 bis 13 in der Regel zugerechnet. Ausgenommen von dieser Zurechnung sind jedoch Einkünfte, die „aus Tätigkeiten oder Gegenständen stammen, die einer unter § 8 Abs. (1) N r . 1 bis 6 fallenden eigenen Tätigkeit der ausländischen (Ober-)Gesellschaft dienen". Daraus ergibt sich, daß auf G r u n d des § 14 passive oder quasi-passive E i n k ü n f t e einer Untergesellschaft nicht schädlich sind, wenn sie einer gewerblich tätigen Obergesellschaft „dienen". Auf G r u n d des § 8 Abs. (2) N r . 2 sind Dividenden, die von einer „dienenden" Untergesellschaft an die Obergesellschaft gezahlt werden, gleichfalls nicht schädlich. Offenbar sind aber nach § 8 Abs. (2) N r . 2 Dividenden, die die Untergesellschaft tatsächlich ausschüttet, schädlich, wenn ihre „dienenden" Tätigkeiten nicht fast ausschließlich aktive, sondern auch passive oder quasi-passive Einkünfte erzeugten, obwohl die gleichen E i n k ü n f t e nach § 14 nicht zurechnungspflichtig sind. Der steuerpolitische Zweck dieser Bestimmungen des § 8 Abs. (2), die in die Symmetrie des Kataloges der „schädlichen" Einkünfte des § 8 kaum hineinpassen, ist auch hier nicht klar.

G. Zurechnung und tatsächliche Ausschüttung I. Allgemeine

Grundsätze

1. Die Vorschriften über die Besteuerung tatsächlich ausgeschütteter (im Gegensatz zu hinzugerechneten) Dividenden in den beiden Rechtssystemen sind voneinander völlig verschieden: (a) Subpart F will aus wirtschafts- und steuerpolitischen Gründen die tatsächliche Ausschüttung erzwingen und besteuert deshalb grundsätzlich den Beteiligten auf die im Ausland aufgespeicherten Reingewinne des Jahres — im Falle der F P H C ganz, und im Falle der C F C zum Teil — in demselben Ausmaße, als ob sie tatsächlich ausgeschüttet worden wären. Nachdem die aufgespeicherten E i n k ü n f t e der ausländischen Gesellschaft demgemäß nach denselben Regeln im Inland besteuert wurden, die auf tatsächlich ausgeschüttete Gewinne anwendbar wären, konnte Subpart F davon absehen, danach verteilte Gewinne der Gesellschaft nodi einmal zu besteuern (See. 959 (d)) 59 . In 59

Die Ausnahmen von der Regel sind tatsächliche Ausschüttungen an natürliche Personen, die an einer CFC beteiligt sind, und die auf tatsächlich ausgeschüttete Dividenden höher besteuert werden, weil sie, anders als Kapitalgesellschaften, das Recht auf indirekte Steueranrechnung nur im Bezug auf fiktive, aber nicht tatsächlich empfangene Dividenden ausüben dürfen (See. 962; siehe A III, 4).

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diesem Zusammenhang wird nach Sec. 959 (c) unwiderlegbar vermutet, daß die aufspeichernde Gesellschaft, die Reingewinn verteilt, dieselben Gewinne ausschüttet, die bereits als eine fiktive Dividende voll besteuert wurden 60 , bis die Beträge der wirklichen und unterstellten Ausschüttungen sich gleichen (See. 959 (a) und (b)). 2. § 11 AStG beruht auf dem umgekehrten Prinzip, wonach, wenn die Zwischengesellschaft Gewinne tatsächlich verteilt, gleichgültig, ob sie vorher hinzugerechnet wurden, die Beteiligten voll für die erhaltenen Dividenden besteuert werden. Tatsächlich von der Zwischengesellschaft verteilte Beträge kürzen Hinzurechnungsbeträge, die im Jahre der Ausschüttung nach § 10 Abs. (2) „anzusetzen" sind. Der Überschuß kürzt die Hinzurechnungsbeträge der vorausgegangenen vier Jahre und berechtigt, mit gewissen Einschränkungen, zur Rückerstattung der auf die gekürzten Beträge bereits bezahlten Steuern ( § 1 1 Abs. (1) und (2)). Das Außensteuergesetz verzichtet demnach auf die Symmetrie in der Besteuerung fiktiver und tatsächlicher Ausschüttung von Einkünften und überläßt es mehr oder weniger dem Zufall, ob die auf die tatsächlich verteilten Gewinne gezahlten inländischen Steuern sich auf Einkünfte beziehen, die auf Grund der Bestimmungen über die Hinzurechnung bereits vorbesteuert wurden 61 . 3. Werden einer ausländischen Obergesellschaft schädliche Einkünfte einer Untergesellschaft gemäß § 14 Abs. (1) zugerechnet und schüttet die Untergesellschaft später Dividenden an die Obergesellschaft aus, so „kürzen" die tatsächlichen die vorangegangenen fiktiven Ausschüttungen. Hieraus können sich erhebliche Probleme ergeben, z. B. wenn im Jahre der Ausschüttungen Schachtelprivilegien auf die von der Zwischengesellschaft erhaltenen Dividenden gemäß § 13 Abs. (1) Nr. 1 b anwendbar sind 62 . II. Veräußerung

von Anteilen

1. See. 551 (e) behandelt fiktive Dividenden einer F P H C , für die an der F P H C Beteiligte in einem maßgebenden Wirtschaftsjahr besteuert e o Im Falle der F P H C wird das Problem strukturell verschieden, aber dem Inhalt nach weitgehend gleichartig gelöst (See. 551 (a) und (f)). 8 1 Besondere Härten können sich ergeben, wenn die Zwischengesellsdiaft in den Jahren der Besteuerung des Hinzurechnungsbetrages Verluste erlitten hat. Siehe E, II, 4 (a), S. 371. 8 2 Die Voraussetzung der „fast ausschließlidi aktiven Einkünfte" des § 13, Abs. (1), und § 19 a Abs. (2) KStG, mag von Jahr zu Jahr mit wechselnder Auswirkung erfüllt oder nicht erfüllt sein.

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wurden, f ü r den Zweck tatsächlicher späterer Ausschüttungen als eingezahltes Stammkapital, und nicht als offene Reserve für aufgelaufene Gewinne. Dem amerikanischen Konzept der Dividenden entsprechend wird eine spätere Ausschüttung dann als eine Rückerstattung von Kapital und nicht als eine Gewinnausschüttung angesehen 63 . Diese Freistellung einer nachträglichen Ausschüttung kommt auch Rechtsnachfolgern des besteuerten Anteilsinhabers zugute. See. 959 (d), wonach tatsächliche Gewinnausschüttungen der CFC, die der Vorbesteuerung fiktiver Dividenden folgen, nicht noch einmal besteuert werden, bestimmt ausdrücklich, daß durch sie audi inländische Rechtsnachfolger von der Besteuerung befreit sind. Die Vorschriften ermöglichen dem vorbesteuerten Inhaber von Anteilen an einer F P H C oder C F C beim Verkauf der Anteile, bedingt oder unbedingt sich dafür entschädigen zu lassen, daß der Käufer eines Tages vom Verkäufer vorversteuerte Gewinne steuerfrei erhalten könnte. Angesichts der Rechtsstruktur des § 11 wäre das im deutschen Parallelfall nur dann zu erreichen, wenn entweder der Verkäufer noch nach dem Verkauf im Falle tatsächlicher Gewinnausschüttungen an den Käufer zur Steueranrechnung analog § 1 1 Abs. (1) und (2) berechtigt wäre oder wenn die vom Verkäufer bezahlten Steuern dem Käufer zurückerstattet würden. Beide Lösungen sind problematisch und waren offenbar vom Gesetzgeber nicht gewollt 64 . 2. (a) Um den an der ausländischen Gesellschaft beteiligten Inländer bei einem etwaigen Verkauf der Beteiligung weiter zu schützen, sieht der Internal Revenue Code 65 vor, daß die Anschaffungskosten der jeweiligen Anteile an der F P H C oder C F C sich um die bei dem Beteiligten vorbesteuerten Beträge der Fiktivausschüttung erhöhen. Erfolgt später eine steuerfreie tatsächliche Ausschüttung, so werden die Anschaffungskosten auf Grund allgemeiner Rechtsnormen entsprechend reduziert. (b) Gemäß § 11 Abs. (3) werden auch in der Bundesrepublik Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Zwischengesellschaft steuerlich begünstigt, wenn der Veräußernde auf einen Teil seiner 63

Siehe E I, 3, S. 368. A . A . AStG Komm. Anm. 43 zu § 11, der die letztere Lösung in das Gesetz hineinlesen will und sich dabei auf § 1 1 , Abs. (3) beruft. Siehe jedodi Anm. 44 a. a. O. 65 See. 301 (c) (2); 551 f.; 961 (a) und (b); siehe auch See. 1248 (d) (ii). 64

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aufgespeicherten Gewinne vorbesteuert wurde. Abweichend von den amerikanischen Rechtsgrundsätzen wird aber hier, genau wie bei Dividenden, der Gewinn entsprechend den allgemeinen Vorschriften besteuert. In Anwendung des Absatzes 2 und in analoger Anwendung des Absatzes 1 des § 11 kürzt der Veräußerungsgewinn den Hinzurechnungsbetrag, der im Jahre des Verkaufs zufließt (d. h. die zugerechneten schädlichen Einkünfte des Vorjahres) und erlaubt die Rückerstattung der in den vorangegangenen vier Jahren auf Hinzurechnungsbeträge bezahlten Ertragsteuern. Rückzuerstattende Ertragsteuern dürfen die auf den Veräußerungsgewinn bezahlten Steuern nicht übersteigen. Auf diese Weise werden auch hier bei der Anrechnung vorbezahlter Steuern auf den Veräußerungsgewinn Kriterien zur Anwendung gebracht, die mit der Problematik der Besteuerung aufgespeidierter schädlicher Einkünfte nichts zu tun haben und wesentliche Auslegungsprobleme nach sich ziehen. III. Kritischer

Vergleich

Weil die Vorschriften des Subpart F im einzelnen getreu an der Fiktion einer Gewinnausschüttung festhalten, können im amerikanischen Recht der Betrag und die Quelle der fiktiven Dividende und die für sie im Inland anrechnungsfähigen Steuern leicht mit der dann folgenden tatsächlichen Ausschüttung identifiziert werden. Im Außensteuergesetz kann sich der Hinzurechnungsbetrag gemäß besonderer gesetzlicher Vorschriften 3 1 wesentlich von tatsächlichen Ausschüttungen unterscheiden. Das gilt selbst dann, wenn die Ausschüttung aus den Gewinnen des Jahres erfolgt, die über den Hinzurechnungsbetrag im Inland bereits versteuert worden sind. Diese Tatsache, daß die Hinzurechnung wegen ihrer Besonderheiten nicht mit der tatsächlichen Ausschüttung identifiziert werden kann, wirkt sich aus in § 10 Abs. (1) bei der verspäteten Entrichtung von Steuern, in § 10 Abs. (3) bei Verlusten, in § 11 Abs. (1) bei der Kürzung von Hinzurechnungsbeträgen, in § 12 bei der direkten (anstatt der indirekten) Steueranrechnung, in § 13 Abs. (1) N r . 1 (b) bei der Anrechnung indirekter Steuern für von der Zwischengesellschaft empfangene Schachteldividenden, und in § 14 bei der Berücksichtigung tatsächlicher Ausschüttungen aus Untergesellschaften. Offenbar hält das Außensteuergesetz in bestimmten Fällen eine mildere Besteuerung der hinzugerechneten Dividenden im Interesse der Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen für notwendig. Es wurde jedoch dabei übersehen, daß alle diese Begünstigungen problematisch werden, sobald die tatsächliche Gewinnausschüttung der Hinzurechnung folgt. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß in der Regel

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Ausschüttungen von Gewinnen ausländischer Kapitalgesellschaften nach inländischem Recht voll zu versteuern sind, gleichgültig, ob der Inländer die ausgeschütteten Einkünfte im Inland hätte versteuern müssen, wenn er sie unmittelbar bezogen hätte. Obwohl in bestimmten Fällen die Vorschriften des Außensteuergesetzes den Inländer bei der Durchgriffsbesteuerung aufgespeicherter Einkünfte im Verhältnis zu Subpart F begünstigen mögen, vermeiden die Bestimmungen des Subpart F über die Freistellung tatsächlich ausgeschütteter Dividenden eine doppelte Besteuerung derselben Einkünfte und erleichtern die Anwendung eines ohnehin übermäßig komplizierten Gesetzes.

H. Zusammenfassung Aus dem Vergleich der beiden Rechtssysteme ergeben sich wesentliche Unterschiede zwischen der Zwischengesellschaft und ihren amerikanischen Schwestern. 1.

Befaßt sich die Zwischengesellschaft mit der Verwaltung deutschen Privatvermögens, so werden in der Regel die inländischen Beteiligten auf aufgespeicherte Einkünfte aus Wertpapieren und — vielleicht unnötigerweise — aus ausländischem Grundbesitz besteuert, als ob sie diese Einkünfte unmittelbar erzielt hätten. Dies entspricht dem Zweck des Gesetzes. 2.

Ist die Zwischengesellschaft eine Basisgesellschaft für die Ansammlung von Konzerngewinnen, so werden ihre Einkünfte viel sanfter als die ihrer amerikanischen Schwester behandelt. Dividenden werden wegen der für die Praxis wichtigen Ausnahmen selten durchbesteuert. Nicht gewerbliche Zinseinnahmen sind nicht immer schädlich und der Verlagerung von Konzerngewinnen vom Inland auf das Ausland werden geringe und vom Ausland auf das Ausland keine Hindernisse entgegengesetzt. Selbst bei der Patentverwaltung kann die Durchgriffsbesteuerung in bestimmten Fällen vermieden werden, und allgemein machen Bestimmungen über Schachtelprivilegien und die Nachschaltung von Basisgesellschaften die inländische Besteuerung aufgespeicherter schädlicher Einkünfte eher zur Ausnahme als zur Regel. Wenn es allerdings einer Konzerngesellschaft nicht gelingt, den Vorschriften des A S t G wie einem Faden der Ariadne zu folgen, so wird sie durch die überaus komplizierten Vorschriften des Gesetzes über die Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages schwierigen juristischen und bilanztechnischen Problemen ausgesetzt. Sonderbestimmungen benötigen dann Ermittlungen und Berechnungen, die über die des

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Hans J . Frank, Gerhard Haas und Wolfgang Scheuer

Subpart F weit hinausgehen. Verteilt daraufhin die Zwischengesellschaft nach Besteuerung hinzugerechneter Einkünfte ihre angesammelten Gewinne, so besteht die Gefahr, daß aufgespeicherte und verteilte Gewinne zweimal besteuert werden. Schachtelprivilegien des deutschen Steuerrechts aus Abkommen und mit Bezug auf Entwicklungsländer sind großzügiger als die des Internal Revenue Code, so daß es für deutsche Unternehmen regelmäßig steuerlich vorteilhafter ist, ihre industriellen Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften direkt anstatt durch eine Zwischengesellschaft zu halten. Für die Fälle, in denen Gewinne von einer Konzerngesellschaft auf die andere künstlich verlagert werden, wäre eine Berichtigung der Einkünfte mit Hilfe des § 1 AStG möglich, ohne die verwässerten Vorschriften des § 8 Abs. 1 über quasi-passive Einkünfte der Zwischengesellschaft anwenden zu müssen. Fernerhin kann, zumindest nach amerikanischer Auffassung, die Verschiebung von Einkünften in das Ausland im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung energisch bekämpft werden, auch ohne die „steuerliche Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen" mit Hilfe von komplizierten Rechtsnormen zu wahren. Damit erhebt sich die Frage, ob es wirklich ratsam war, zu versuchen, steuerrechtliche Probleme, die im deutschen Wirtschaftsleben quantitativ und qualitativ von geringerer Bedeutung sind als auf der anderen Seite des Ozeans, in Anlehnung an schwierige Bestimmungen eines anderen Rechtssystems zu lösen. Die innere Rechtfertigung der Zwischengesellschaft dürfte von der Antwort auf diese Frage abhängen.

Zur Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in Einzel- und Konzernabschlüssen Einige Anmerkungen zum Equity-Accounting H A N S HAVERMANN

I. Problemstellung 1. Für den

Einzelabschluß

Beteiligungen an Kapitalgesellschaften werden in Deutschland wie alle übrigen Vermögensgegenstände mit den Anschaffungskosten bilanziert, von denen unter bestimmten Voraussetzungen Abschreibungen vorgenommen werden dürfen oder müssen 1 . Eine Überschreitung der Anschaffungskosten ist nach dem geltenden Anschaffungswertprinzip unzulässig 2 . Dieses Verbot führt zwangsläufig dazu, daß die wirtschaftliche Expansion und Gewinnakkumulation bei Tochtergesellschaften in die Beteiligungsbuchwerte der Muttergesellschaften nicht eingehen. Die in Bilanzen deutscher Muttergesellschaften ausgewiesenen Beteiligungswerte enthalten daher häufig beachtliche stille Reserven. Erträge aus Beteiligungen werden, sofern kein Gewinnabführungsvertrag 3 besteht, von der Muttergesellschaft erst dann vereinnahmt, wenn sie ihr in Form von Dividenden zugeflossen sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Erträge aus dem ordentlichen oder außerordentlichen Jahresergebnis der Tochtergesellschaft entstammen oder ob sie ihre Entstehung lediglich der Auflösung von Rücklagen verdanken. Nicht ausgeschüttete Erträge der Tochtergesellschaften (Rücklagenzuführungen, Gewinnvortrag) gelten aus der Sicht der Muttergesellschaft in jedem Falle als nicht realisiert und wirken sich in deren Jahresabschluß nicht aus. Von der Tochtergesellschaft erwirtschaftete Verluste berühren das Ergebnis der Obergesellschaft nicht automa1

Vgl. §§ 153, 154 AktG. Ob und in welchem U m f a n g diese Obergrenze auch für Personengesellschaften gilt, ist umstritten und soll hier nicht werden. 3 Vgl. § 291 Abs. 1 AktG. Aus den weiteren Überlegungen abführungsvertrag ausgeklammert werden, da er für die hier Fragen atypisch ist. 2

Beteiligungen an näher untersucht soll der Gewinnzu behandelnden

388

Hans Havermann

tisch. Wieweit aufgrund von Verlustabschlüssen der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft eine gewinnmindernde Abschreibung auf den Beteiligungsbuchwert oder ein ebenfalls ergebnismindernder Zuschuß erforderlich ist, muß von Fall zu Fall untersucht werden. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß Gewinne und Verluste von Tochtergesellschaften — wenn überhaupt — häufig nur zum Teil und in aller Regel nur mit einer zeitlichen Verschiebung in den Jahresabschluß der Muttergesellschaft eingehen. Es besteht somit keine notwendige zeitliche Kongruenz zwischen der Ergebniserzielung der Tochtergesellschaft und der Ergebnisvereinnahmung bei der Muttergesellschaft. Auch die in Deutschland verbreiteten Gewinnabführungsverträge führen diese zeitliche Kongruenz nicht notwendigerweise herbei, da sie eine Rücklagenbildung und -auflösung bei der Tochtergesellschaft nicht ausschließen4. Diese Methode der Bilanzierung von Beteiligungen und Beteiligungserträgen, deren Wesensmerkmal das grundsätzliche Festhalten an den Anschaffungskosten der Beteiligung ist und daher im angelsächsischen Bereich auch cost-method genannt wird, fand lange Zeit auch im internationalen Bereich uneingeschränkte Zustimmung. Sie ist jedoch in jüngerer Zeit zunehmender Kritik ausgesetzt gewesen, die nicht ohne Erfolg geblieben ist. So wird z. B. in den USA 5 und Kanada 6 und mit gewissen Einschränkungen auch in England 7 heute der Equity-Methode der Vorzug gegeben. Das Institute of Chartered Accountants in Australia und die Australien Society of Accountants haben Ende 1973 ein Exposure Draft 8 vorgelegt, das sich ebenfalls mit Nachdruck für die Anwendung der Equity-Methode einsetzt. Auch die Groupe d'Etudes des Experts Comptables de la C. E. E., die von den Berufsangehörigen der Wirtschaftsprüfer in den Mitgliedstaaten der E G gebildet worden ist, hat der E G Kommission vorgeschlagen9, die Equity-Methode durch Aufnahme in die 4. Richt-

Vgl. §§ 301, 302 AktG. APB Opinion No. 18, The Equity-Method of Accounting For Investments In Common Stock, APB Accounting Principles vom 30. Juni 1973, Bd. 2 S. 6669 ff. Im folgenden zitiert als APB Opinion Nr. 18. β Bericht der Accountants International Study Group: Consolidated Financial Statements von 1973 Tz. 52. 7 Vgl. Statement of Standard Accounting Practise Nr. 1 : Accounting for the results of Associated Companies, Accountancy Februar 1971 S. 61 ff. Im folgenden zitiert als Statement Nr. 1. 8 The Use of the Equity-Method in Accounting for Investments in Subsidiaries and Associated Companies. Beilage zu The Chartered Accountant in Australia, Oktober 1973. Im folgenden zitiert als Exposure Draft. 9 Vgl. Havermann, Substanzerhaltungsmaßnahmen im Jahresabschluß, BFuP 1973, S. 536 ff. 4 5

Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften

389

linie 10 für den Bereich der E G gesetzlich anzuerkennen. U n d schließlich enthält audi der Entwurf für das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft 11 , ohne den Begriff ausdrücklich zu erwähnen, die EquityMethode als besondere Bewertungsmethode. Wenngleich die verschiedenen Fachgutachten, Gesetzesvorlagen und Eingaben dazu in einer Reihe von Einzelheiten auseinandergehen, ist die Grundtendenz einheitlich: Zunehmende Abkehr von der Anschaffungskostenmethode, der als Mangel der eingeschränkte Einblick in die Vermögenslage der Muttergesellschaft (stille Reserven) und die fehlende Synchronisierung von Gewinnerzielung und Gewinnausweis anhaftet, und eine Favorisierung der Equity-Methode, die diese Nachteile beseitigen soll. 2. Für den

Konzernabschluß

Für die Aufstellung des Konzernabschlusses schreibt das deutsche Aktiengesetz und ihm folgend das Publizitätsgesetz die Anwendung einheitlicher Konsolidierungsgrundsätze vor, die neben der Eliminierung von Zwischengewinnen, die Kapital- und Schuldenkonsolidierung sowie, in unterschiedlichem U m f a n g , die Konsolidierung der Aufwendungen und Erträge umfassen 1 2 . Als Alternative zu dieser vollständigen Konsolidierung kommt nur ein Ausschluß des betreffenden Unternehmens von der Konsolidierung überhaupt in Frage. Eine Zwischenlösung etwa in der Form, daß unter Verzicht auf eine Vollkonsolidierung der Beteiligungsbuchwert nach konsolidierungsähnlichen Methoden aufbereitet wird und daß darüber hinaus Zwischengewinne eliminiert werden, ist weder im Aktiengesetz vorgesehen noch in der Praxis üblich. Genau diesen Weg geht jedoch die EquityMethode im Konzernabschluß 1 3 . Wegen der Wechselwirkungen, die sich daraus zwischen Einzel- und Konzernabschluß ergeben, ist es notwendig, auch den Konzernabschluß in die Diskussion der EquityMethode einzubeziehen.

II. Grundgedanken der Equity-Methode 1. Wesen Die Equity-Methode geht wie die cost-method für die Bewertung der Beteiligung in der Bilanz der Obergesellschaft von deren Anschaffungskosten aus. D a v o n sind die erwirtschafteten Verluste der 10 11 12 13

B T VI/2875. B T VI/1109. V g l . §§ 3 3 1 — 3 3 3 A k t G , § 13 P u b l G . V g l . d a z u im einzelnen Abschnitt I I . 3.

390

Hans Havermann

Tochtergesellschaft abzuziehen, die erwirtschafteten — nicht die ausgeschütteten — Gewinne sind ihnen zuzurechnen 14 . Ausgeschüttete Gewinne vermindern den Buchwert der Beteiligung. Ist die Muttergesellschaft nicht mit 1 0 0 % an der Tochtergesellschaft beteiligt, so sind die Anschaffungskosten um die dem Beteiligungsprozentsatz der Muttergesellschaft entsprechenden Gewinn- und Verlustanteile der Tochtergesellschaft zu korrigieren. Neben diesen regelmäßigen Fortschreibungen des Beteiligungsbuchwerts besteht die Möglichkeit oder Verpflichtung zu außerplanmäßigen Abschreibungen, die das deutsche Recht in § 154 Abs. 2 A k t G vorsieht 1 5 · 1 6 . Schematisch dargestellt sind die Anschaffungskosten nach der Equity-Methode demnach wie folgt fortzuschreiben: AnschafFungskosten + anteilige Gewinne der Tochtergesellschaft regelmäßige ·/· anteilige Verluste der Tochtergesellschaft Fortschreibung ·/· von der Tochtergesellschaft vereinnahmte Gewinnausschüttungen außerplanmäßige Fortschreibung

·/· gegebenenfalls schreibungen

außerplanmäßige

Ab-

Die Technik dieses Verfahrens ist in Deutschland nicht völlig unbekannt. Sie deckt sich praktisch mit der sogenannten Spiegelbildmethode 1 7 , die teilweise für die Bewertung von Beteiligungen an Personengesellschaften angewendet wird.

1 4 Wenn im folgenden von erwirtschafteten Gewinnen und Verlusten gesprochen wird, so sind damit, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes gesagt wird, stets die n a d i E r w e r b der Beteiligung erwirtschafteten Ergebnisse gemeint. N u r die nach E r w e r b der Beteiligung erwirtschafteten Gewinne (Post acquisition profits) d ü r f e n auf dem Beteiligungskonto gutgeschrieben werden. D i e A u f l ö s u n g von Rücklagen, die bereits bei E r w e r b der Beteiligung v o r h a n d e n waren und im K a u f p r e i s mit abgegolten w o r d e n sind, gelten als return on investment. 1 5 Bei der D a r s t e l l u n g der E q u i t y - M e t h o d e w i r d versucht, diese im wesentlichen im angelsächsischen Bereich angewendete Bilanzierungsmethode auf der G r u n d l a g e und mit dem Instrumentarium des deutschen Aktienrechts zu erläutern. Dadurch können Probleme auftauchen, die in diesen L ä n d e r n nicht bestehen (z. B. die f a k u l tativen Absdireibungen nach § 1 5 4 Abs. 2 N r . 1 und 2 A k t G ) . Andererseits wird auf Fragen, die lediglich f ü r den angelsächsischen Bereich v o n Bedeutung sind, nicht eingegangen.

Wegen weiterer K o r r e k t u r e n des Beteiligungsbuchwerts v g l . II. 3. Bilanzierung von Beteiligungen an PersonenVgl. im einzelnen Saur/Althaus, gesellschaften, W P g 1971, S. 1 f i . 18

17

Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften

2.

391

Methoden

Dem Grundgedanken der Anschaffungskostenfortschreibung folgend sind zwei Methoden des Equity-Accounting denkbar, die sich durch eine Ausschüttungssperre durch Rücklagenbildung f ü r die nicht ausgeschütteten Gewinne der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft unterscheiden 18 . Die Ausgangsdaten sind in beiden Fällen die gleichen: Ausgangsdaten Beteiligungsprozentsatz 80 % Anschaffungskosten der Beteiligung Jahr 1 Jahresüberschuß der Tochtergesellschaft Keine Ausschüttung Jahr 2 Jahresergebnis der Tochtergesellschaft Ausschüttung 10 Jahr 3 Jahresfehlbetrag der Tochtergesellschaft Keine Ausschüttung Jahr 4 Jahresergebnis der Tochtergesellschaft Keine Ausschüttung Außerplanmäßige Abschreibung auf den Beteiligungsbuchwert

100 30

0

15

0

20

Methode 1 (Keine Ausschüttungssperre bei der Muttergesellschaft) Beteiligung Beteiligungsbuchwert ( = Anschaffungskosten)

100

Jahr 1 Von dem Jahresüberschuß der Tochtergesellschaft von 30 werden 80 % = 24 dem Beteiligungsbuchwert zugeschrieben, die den Jahresüberschuß der Muttergesellschaft erhöhen und auch ausgeschüttet werden können (Buchung: Beteiligung an Erträge) + 24 Beteiligungsbuchwert 124 18

Vgl. dazu im einzelnen Abschnitt III. 2. b).

392

Hans Havermann

Jahr 2 Die Muttergesellschaft erhält als anteilige ausgeschüttete Dividende der Tochtergesellschaft 8 0 % von 10, die erfolgsneutral das Beteiligungskonto vermindern (Buchung: Finanzkonto an Beteiligung) ·/· Beteiligungsbuchwert

8 116

Jahr 3 Der anteilige Jahresfehlbetrag der Muttergesellschaft von 12 (80 % von 15) vermindert erfolgswirksam den Beteiligungsbuchwert (Buchung: A u f w a n d an Beteiligung) ·/· Beteiligungsbuchwert

12 104

Jahr 4 Die außerplanmäßige Abschreibung vermindert in voller Höhe erfolgswirksam den Beteiligungsbuchwert ·/· Beteiligungsbuchwert

20 84

Die Wesensmerkmale dieser Methode treten klar in Erscheinung: 1. Die anteiligen Gewinne und Verluste der Tochtergesellschaft erhöhen oder vermindern den Beteiligungsbuchwert. 2. Die anteiligen Gewinne und Verluste der Tochtergesellschaft werden im Jahr ihres Entstehens bei der Obergesellschaft erfolgswirksam. 3. Bei der Muttergesellschaft erfolgwirksam gebuchte Gewinnanteile können von ihr ausgeschüttet werden. 4. Ausgeschüttete Dividenden der Tochtergesellschaft sind bei der Muttergesellschaft erfolgsneutrale Vermögensumschichtungen. 5. Außerplanmäßige Abschreibungen vermindern erfolgswirksam den Beteiligungsbuchwert der Muttergesellschaft.

Methode 2 (Ausschüttungssperre bei der Muttergesellschaft) Beteiligung Rücklage Beteiligungsbuchwert

100

Jahr 1 Gewinnübernahme wie bei Methode 1 + 2 4 Bildung einer Rücklage in gleicher Höhe (Buchung: Einstellung in Rücklage an Rücklage) Beteiligungsbuchwert/Rücklage

124

+ 24 24

Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften

Jahr 2 Erfolgsneutrale Vereinnahmung der Dividende wie in Methode 1 ·/· Teilauflösung der Rücklage zur Freigabe der Ausschüttung (Buchung: Rücklage an Entnahme aus Rücklage) Beteiligungsbuchwert/Rücklage Jahr 3 Anteilige Verlustübernahme wie in Methode 1 Auflösung Rücklage wie Vorjahr

393

8

·/' 116

·/·

Beteiligungsbuchwert/Rücklage Jahr 4 Erfolgswirksame außerplanmäßige Abschreibung wie in Methode 1 ·/· Auflösung der Restrücklage Beteiligungsbuchwert/Rücklage

8 16

12 ·/' 12 104

4

20 84

•/"

4 —

Das Beispiel läßt deutlich erkennen, daß Methode 2 einen Mittelweg zwischen der klassischen Anschaffungskosten-Methode und der uneingeschränkten Equity-Methode (Methode 1) geht. Hinsichtlich des Bilanzausweises und auch des Jahresüberschusses folgt Methode 2 der Methode 1. Hinsichtlich der Ausschüttungsmöglichkeiten wird die Muttergesellschaft jedoch so gestellt, als wenn sie die cost-method angewendet hätte. Im Jahresüberschuß der Muttergesellschaft enthaltene anteilige Gewinne der Tochtergesellschaft, die ihr noch nicht zugeflossen sind (Dividende) oder auf die sie noch keinen Rechtsanspruch aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses hat (Forderung), werden durch Einstellung in eine Rücklage aus dem Bilanzegwinn ausgesondert und somit f ü r eine Ausschüttung gesperrt. Sind der Muttergesellschaft Dividenden zugeflossen oder ist eine entsprechende Dividendenforderung entstanden, so kann die Sperre insoweit durch Auflösung der Rüdslage aufgehoben werden. Die dadurch freigewordenen Beträge erscheinen nicht mehr im Jahresüberschuß der Muttergesellschaft, da sie in diesem Jahr nicht erwirtschaftet worden sind, erhöhen aber den verteilungsfähigen Bilanzgewinn. Auch bei anteiliger Verlustübernahme, die bei der Tochtergesellschaft je nach Sachlage entweder eine Verminderung der Rücklagen oder eine Wertberichtigung zum Kapital (Verlustvortrag) bedeuten kann, kann die Ausschüttungssperre entsprechend aufgehoben werden. In dieser Höhe

394

Hans Havermann

können „unrealisierte" Gewinne der Obergesellschaft nicht mehr ausgeschüttet werden. Für die Ausschüttung wird die Verminderung des Jahresüberschusses aufgrund der Verlustübernahme durch Auflösung der Rücklage wieder egalisiert. Die Gesellschaft w i r d in diesem P u n k t wieder wie bei der cost-method gestellt. Dasselbe gilt f ü r außerplanmäßige Abschreibungen auf den Beteiligungsbuchwert. Das Absacken des Beteiligungsbuchwerts unter die Anschaffungskosten f ü h r t automatisch zu einer vollständigen Auflösung der Rücklage. Verfolgt man den Gedanken der Gleichstellung mit der cost-method im Hinblick auf die Möglichkeiten der Gewinnausschüttungen der Muttergesellschaft weiter, so ist bei zukünftigen Erhöhungen des Beteiligungsbuchwerts durch Gewinnerzielungen der Tochtergesellschaft die Bildung einer Rücklage bei der Muttergesellschaft so lange nicht erforderlich, wie es sich n u r um ein Rückgängigmachen von außerplanmäßigen Abschreibungen handelt. In diesem U m f a n g nämlich, sind Gewinnerhöhungen (durch Zuschreibungen) und Gewinnausschüttungen auch bei der cost-method zulässig und üblich 19 . Die Ausschüttungssperre m u ß jedoch in K r a f t treten, sobald durch Gewinnaktivierungen die historischen Anschaffungskosten erneut überschritten werden.

3. Equity-Methode

im

Konzernabschluß

Wird die Equity-Methode im Konzernabschluß angewendet 2 0 , dann sind die ergebnisbedingten Fortschreibungen des Beteiligungsbuchwerts um die darin enthaltenen Zwischengewinne und — in Abweichung von § 331 Abs. 2 A k t G 2 1 — auch um die Zwischenverluste aus konzerninternen Lieferungen und Leistungen zu bereinigen 22 . In welchem U m f a n g die Zwischenergebnisse im Falle der Beteiligung von Minderheitsaktionären an der Tochtergesellschaft eliminiert werden sollen, ist nicht immer eindeutig erkennbar. Während das australische Exposure D r a f t die Eliminierung auf die H ö h e des Konzernanteils beschränken möchte, heißt es im amerikanischen APB Opinion N r . 18 23 19 Vgl. Adler¡DüringjSchmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, Bd. I, Erl. zu § 149, Tz. 72 ff. 20 Wegen der Ausdehnung der Eliminierungspflicht auch auf den Einzelabschluß s. u. im gleichen Abschnitt. 21 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, a. a. O., Bd. III, Erl. zu § 331 Tz. 184. 22 Diese Forderung findet sich insoweit übereinstimmend in der amerikanischen APB Opinion Nr. 18, dem englischen Statement Nr. 1 und dem australischen Exposure Draft (vgl. Fußnoten 5, 7, 8). Dabei ist jedoch zu beachten, daß die von der Equity-Methode erfaßten Unternehmen nicht unbedingt mit den Konzernunternehmen i. S. V. § 18 AktG identisch sind und daß sich insoweit Abweichungen auch für den Umfang der Eliminierungspflicht ergeben. 23 Vgl. Fußnote 5.

Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften

395

und im englischen Statement N r . I 2 4 nur, daß Zwischengewinne und Zwischenverluste im gleichen Umfang wie bei einer Vollkonsolidierung zu eliminieren sind 25 . Diese Frage bekommt naturgemäß je mehr Gewicht, desto geringer die Konzernbeteiligung ist. Sie ist daher besonders bedeutsam, wenn die Equity-Methode auch in den Fällen angewendet wird, in denen die Konzernbeteiligung zwischen 20 °/o und 50 % liegt. Die APB Opinion N r . 18 fordert darüber hinaus, die Differenz zwischen den Anschaffungskosten der Beteiligung und dem erworbenen anteiligen Reinvermögen im Rahmen der Equity-Methode wie bei einer Vollkonsolidierung zu behandeln 26 . Praktisch heißt dies, daß eine aktive Differenz aufgespalten werden muß. Soweit sie eindeutig als Entgelt f ü r die beim Erwerb in den Vermögensgegenständen der Tochtergesellschaft enthaltenen stillen Reserven angesehen werden kann, ist sie diesen Vermögensgegenständen durch Zuschreibungen im Konzernabschluß zuzuordnen. Die Abschreibungen sind anzupassen. Soweit eine Zuordnung nicht möglich ist, ist die Differenz gesondert als Firmenwert auszuweisen und ebenfalls abzuschreiben. Für eine Vollkonsolidierung ist dieses Verfahren verständlich 27 . Bei Anwendung der Equity-Methode entfällt aber die Zuordnung zu den einzelnen Vermögensgegenständen, da diese in der Konzernbilanz gar nicht enthalten sind. Es bleibt wohl keine andere Möglichkeit, als die Gesamtdifferenz dem Beteiligungskonto zuzuschlagen oder gesondert auszuweisen 28 . Die Abschreibung auf den Differenzbetrag kann statistisch in einer Nebenrechnung so errechnet werden, als wenn der Betrag wie bei einer Vollkonsolidierung den Vermögensgegenständen zugeordnet worden wäre. Das Ergebnis nähert sich sehr stark der vom australischen Exposure D r a f t angestrebten Lösung, die keine Aufteilung und Zuordnung des Differenzbetrages, sondern die Angabe in einer Fußnote verlangt 29 .

24

Vgl. Fußnote 7. In der deutschen Konsolidierungspraxis wird der Zwischengewinn unabhängig von der Höhe der Konzernbeteiligung stets zu 100 °/o eliminiert, vgl. Adler/Düring/ Schmaltz, a. a. O., Bd. III, Erl. zu § 331 Tz. 71. Die amerikanische Praxis scheint in diesem Punkte uneinheitlich zu sein, vgl. Consolidated Financial Statements Tz. 65. Aus persönlichen Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Tendenz stärker wird, Zwischenergebnisse nur in Höhe des Konzernanteils zu eliminieren. 28 Vgl. Fußnote 5. 27 Das deutsche AktG schreibt lediglich den gesonderten Ausweis der Differenz in der Konzernbilanz vor (§ 331 Abs. 1 Nr. 3), die im Konzerngeschäftsbericht verbal zu analysieren ist (§ 334 Abs. 3 Nr. 1). 28 Vgl. Busse von Cölbe, Zum Bilanzansatz von Beteiligungen, ZfbF 1972, S. 150. 29 Vgl. Fußnote 8. 25

396

H a n s Havermann

Sowohl die Forderung nach Eliminierung der Zwischengewinne und -Verluste als auch die kapitalkonsolidierungsähnliche Behandlung des Differenzbetrages zwischen den Anschaffungskosten der Beteiligung und dem entsprechenden bilanziellen Reinvermögen zeigen deutlich das Bestreben, die Equity-Methode im Konzernabschluß zu einer Ersatzkonsolidierung oder kleinen Konsolidierung zu gestalten. In der Tat ist es bei einer solchen Ausgestaltung der Equity-Methode für das Konzernergebnis belanglos, ob für die Beteiligung an bestimmten Tochtergesellschaften die Equity-Methode angewendet oder voll konsolidiert worden ist. Auch die aufschlußreiche Differenz aus der Kapitalkonsolidierung bei Vollkonsolidierung wird bei Anwendung der Equity-Methode in gleicher oder, je nach der Vorgehensweise, doch zumnidest in einer sehr stark angenäherten Form offengelegt. Zu Recht heißt es daher auch in der APB Opinion N r . 18, daß in diesen Fällen der Unterschied zwischen Vollkonsolidierung und EquityMethode nur in Einzelheiten besteht 30 . Die Zusammensetzung des Vermögens, die Schulden und das Zustandekommen des Erfolgs werden nicht gezeigt. Trotz aller Vorteile, die die Equity-Methode im Konzernabschluß gegenüber dem Verzicht auf eine Konsolidierung bietet, bleibt sie verglichen mit der Vollkonsolidierung immer eine Ersatzlösung 31 . Das APB betont daher auch zu Recht, daß die Anwendung der Equity-Methode nicht dazu führen darf, eine an sich gebotene Vollkonsolidierung zu unterlassen. Unverständlich ist es dagegen aus deutscher Sicht, wenn das amerikanische Opinion 32 und das australische Exposure Draft 3 3 , auch für die Anwendung der Equity-Methode im Einzelabschluß der Muttergesellschaft die Eliminierung der Zwischengewinne und Zwischenverluste fordern. Damit werden die rechtliche Selbständigkeit von Mutter- und Tochtergesellschaft sowie die Beziehungen zwischen den Gesellschaften, ihren Anteilseignern und Gläubigern für die Rechnungslegung negiert. Der Gedanke der wirtschaftlichen Einheit, der normalerweise nur als Denkmodell für die Konzernbilanzierung dient, wird in diesen Verlautbarungen unter den dort genannten Voraussetzungen auch auf Einzelabschlüsse ausgedehnt. Ob diese Entwicklung, die von dem Gedanken bestimmt wird, die Bilanzierung in Einzel- und Konzernabschlüssen aneinander anzugleichen, sehr sinnvoll ist, erscheint fraglich.

Vgl. Fußnote 5. „One line consolidation" (Equity-Methode) statt „line by line consolidation" (Vollkonsolidierung). 3 2 Vgl. Fußnote 5 3 3 Vgl. Fußnote 8. 30

31

Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften

397

Das australische Exposure D r a f t 3 4 sieht, als einzige Verlautbarung expressis verbis, eine weitere Korrektur des bei der Muttergesellschaft auszuweisenden anteiligen Gewinns der Tochtergesellschaft vor. Falls die Tochtergesellschaft Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden anwendet, die von denen der Muttergesellschaft abweichen, sollte, sofern diese Abweichungen das Ergebnis der Tochtergesellschaft wesentlich beeinflussen, eine Ergebniskorrektur in der Weise vorgenommen werden, als wenn die Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze der Muttergesellschaft angewendet worden wären. Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Sie fördert den Gedanken einer möglichst einheitlichen Bewertung im Konzern, der auch in den Entwurf für das Statut der S E Eingang gefunden hat 3 5 und eine wesentliche Voraussetzung für die Aussagefähigkeit des Konzernabschlusses ist. Allerdings bleibt zu beachten, daß das Exposure D r a f t diese Ergebniskorrektur aufgrund der Bewertungsangleichung auch für den Einzelabschluß der Muttergesellschaft und auch für Minderheitsbeteiligungen fordert. Hier stellt sich die Frage, ob der Einfluß der Muttergesellschaft überhaupt so stark ist, daß die Tochtergesellschaft ihre Bewertungs- und Bilanzierungsmethoden offenlegt. Sollte dies nicht der Fall sein, so ist dies, auch nach Meinung der Verfasser des Exposure Draft, ein Beweis für den fehlenden Einfluß der Muttergesellschaft, was eine Anwendung der Equity-Methode ausschließt 36 .

III. Einzelfragen zur Anwendung der Equity-Methode 1. Einfluß der a) Beherrschender

Muttergesellschaft

Einfluß / Effective

Control

Grundvoraussetzung für die Anwendung der Equity-Methode ist in allen Fällen, daß die Muttergesellschaft in der Lage ist, einen Einfluß auf die Tochtergesellschaft auszuüben, der es ihr gestattet, jederzeit die Ausschüttung der anteiligen Gewinne zu veranlassen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann liegt zwischen der Gewinnerzielung der Tochtergesellschaft und der Gewinnausschüttung nur noch als formaler Akt der Ausschüttungsbeschluß. D a dieser jederzeit durch die Muttergesellschaft herbeigeführt werden kann, wird bei AnVgl. Fußnote 8. A r t . 2 0 0 Abs. 2 des Entwurfs für das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft lautet: „Die in den Konzernabschluß einbezogenen Abschlüsse der Konzernunternehmen müssen jedoch weitgehend nach den gleichen Bewertungsvorschriften aufgestellt sein. Vgl. B T V I / 1 1 0 9 S. 7 7 . 84

85

39

Vgl. im einzelnen Abschnitt I I I . l . b ) .

398

Hans Havermann

Wendung der Equity-Methode der anteilige Gewinn der Tochtergesellschaft vereinnahmt, ohne daß ein Gewinnverteilungsbeschluß vorliegt. Fraglich ist allerdings, wann der Einfluß der Muttergesellschaft so stark ist, daß die Ausschüttung jederzeit veranlaßt werden kann. Im allgemeinen dürfte diese Voraussetzung bei Mehrheitsbeteiligungen erfüllt sein, da die Muttergesellschaft schon kraft ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung in der Lage sein dürfte, einen beherrschenden Einfluß auszuüben 37 . Den Mehrheitsbeteiligungen können andere gesellschaftsrechtliche Verhältnisse gleichgestellt werden, die die gleichen Möglichkeiten der Einflußnahme gestatten 38 . Im angelsächsischen Bereich findet daher die Anwendung der Equity-Methode auf subsidiaries39 weitestgehende Zustimmung. Audi im Entwurf für das Statut der S. E. wird in ähnlicher Form zwischen Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen entschieden40. Aus dem Vorschlag der Groupe d'Études zur Art. 31 der 4. E W G Richtlinie 41 läßt sich indirekt ebenfalls ableiten, daß bei Mehrheitsbeteiligungen der erforderliche Einfluß der Muttergesellschaft als gegeben angesehen wird. Im deutschen Rechtskreis sind diese Gedanken ebenfalls nicht unbekannt. So haben z. B. SchlegelbergerQuassowski bereits zum Aktiengesetz 1937 die Auffassung vertreten, daß bei völliger Beherrschung einer Tochtergesellschaft deren Gewinne ohne Rücksicht auf die Feststellung des Jahresabschlusses und somit auch ohne Gewinnverteilungsbeschluß vereinnahmt werden

3 7 Auf die Besonderheit des deutschen Rechts, das bei Mehrheitsbeteiligungen eine Widerlegung der gesetzlichen Abhängigkeitsvermutung zuläßt ( § 1 7 Abs. 2 AktG) braucht an dieser Stelle nidit näher eingegangen zu werden. Im angelsächsischen Bereich wird ferner nicht zwischen der reinen Beherrschungsmöglichkeit ( § 1 7 AktG) und der tatsächlichen Ausübung der einheitlichen Leitung ( § 1 8 AktG) unterschieden. Beide Arten der Unternehmensverbindungen kommen in dem Begriff „control" oder „effective control" zum Ausdruck. 3 8 Z. B. Beherrschungsmöglichkeiten oder einheitliche Leitung bei Minderheitsbeteiligungen aufgrund personeller Verflechtungen, vgl. im einzelnen Adler/Düring/ Schmaltz, a. a. O. Bd. I, Vorbem. zu §§ 3 1 1 — 3 1 3 Tz. 29 ff. 3 9 In der A P B Opinion N r . 18 wird der Begriff „subsidiary" wie folgt definiert: "Subsidiary refers to a corporation which is controlled, directly or indirectly, by another corporation. The usual condition for control is ownership of majority (over 50 °/o) of the outstanding voting stock. The power to control may also exist with a lesser percentage of ownership, for example, by contract, lease, agreement with other stockholders or by court decree." Die australische und englische Definition haben praktisch den gleichen Inhalt (vgl. Fußnoten 7 und 8).

B T V I / 1 1 0 9 S. 72. Wiedergegeben bei Havermann, abschluß, B F u P 1973 S. 560 ff. 40

41

Substanzerhaltungsmaßnahmen

im

Jahres-

Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften

können 42 . Allerdings hat sich diese Meinung können 43 . b) Bedeutsamer

Einfluß

/ Signifcant

nicht

399

durchsetzen

influence

Die Diskussion um die Equity-Methode hat sich in den letzten Jahren weniger an den Mehrheitsbeteiligungen als vielmehr an den Associated Companies 44 entzündet, einer bestimmten Gruppe von Minderheitsbeteiligungen, zu der auch die corporate joint ventures45 gehören. Entscheidendes Tatbestandsmerkmal der associated company ist, daß die Muttergesellschaft einen „bedeutsamen Einfluß / significant influence" hat. Dieser „significant influence" ist nicht leicht zu definieren. Zweifellos bleibt er hinter dem beherrschenden Einfluß (control) im Falle der Mehrheitsbeteiligung (subsidiary) zurück. Andererseits gestattet er der Muttergesellschaft eine Einflußnahme, die über die Möglichkeiten eines passiven Anteilseigners hinausgehen. Im australischen Exposure Draft 46 ζ. Β. werden folgende Mittel der Einflußnahme als Kriterien für den „significant influence" genannt: — Stimmrechte, die unterhalb der Mehrheitsgrenze liegen, — Vertretung im Vorstand (board of directors), jedoch ohne die Möglichkeit, die Zusammensetzung des Vorstandes zu kontrollieren, 42

Erl. zu § 131 AktG 1937 Anm. 33. Vgl. dazu auch die Kritik bei Adler/Düring/Schmaltz, a. a. O. Bd. I, Erl. zu § 151 Tz. 173. 44 Das englische Statement Nr. 1 (vgl. Fußnote 7) definiert die associated company wie folgt: "A company (not being a subsidiary of the investing group or company) is an associated company of the investing group or company if: a) the investing group or company's interest in the associated company is effectively that of a partner in a joint venture consortium, or b) the investing group or company's interest in the associated company is for the long term and is substantial (i. e. not less than 20 per cent of the equity voting rights), and, having regard of the disposition of the other shareholdings, the investing group or company is in a position to exercise a significant influence over the associated company. — In both cases it is essential that the investing group or company participates (usually through representation on the board) in commercial and financial policy decisions of the associated company, including the distribution of profits." — Die Definition der associated company im australischen Exposure Draft (vgl. Fußnote 8) ist inhaltsgleich. 45 Die wesentlichsten Punkte in der umfangreichen Erläuterung zum Begriff „corporate joint venture" in der APB Opinion Nr. 18 lauten: "Corporate joint venture refers to a corporation owned and operated by a small group of businesses (the joint ventures) as a separate and specific business or project for the mutual benefit of the members of the group . . . A corporate joint venture also usually provides an arrangement under which each joint venturer may participate, directly or indirectly, in the overall management of the joint venture. Joint ventures thus have an interest or relationship other than as passive investors" (vgl. Fußnote 5). 46 Vgl. Fußnote 8. 43

400

Hans Havermann

— Teilnahme an den Entscheidungsprozessen der Geschäftspolitik, — wesentliche Verschuldung des Unternehmens (associated company) gegenüber der Muttergesellschaft, — wesentlicher gegenseitiger Lieferungs- und Leistungsverkehr, — Austausch des Managements, — technologische Abhängigkeit. Die Kriterien decken sich im wesentlichen mit denen, die im deutschen Aktienrecht für den Nachweis einer faktischen Beherrschungsmacht oder einheitlichen Leitung bei Minderheitsbeteiligungen herangezogen werden. Sie machen auch deutlich, daß die Abgrenzung namentlich gegenüber dem beherrschenden Einfluß bei Minderheitsbeteiligungen (subsidiary by effective control) flüssig ist und daß der Nachweis des maßgeblichen Einflusses im Einzelfall schwierig sein kann. Die Verlautbarungen stellen daher, ähnlich wie das deutsche Aktiengesetz in § 17 Abs. 2 und § 18 Abs. 1 Satz 2, eine widerlegbare Vermutung auf. Bei einer Beteiligung von mindestens 20 % bis 50 °/o soll vorbehaltlich des Beweises des Gegenteils angenommen werden, daß ein bedeutsamer (significant) Einfluß vorliegt 47 . Für die Beantwortung der Frage, ob die Muttergesellschaft in der Lage ist, die Dividendenausschüttung der Tochtergesellschaft herbeizuführen, ist die Klassifizierung der Gesellschaften nach Mehrheitsbeteiligungen (subsidiaries) und Minderheitsbeteiligungen (associated companies) nur mittelbar von Bedeutung. Entscheidend ist, daß die Muttergesellschaft tatsächlich die kaufmännische finanzielle Leitung wahrnimmt 4 8 . Bei Minderheitsbeteiligungen dürfte eine derartige Stellung der Muttergesellschaft nicht die Regel sein. Jedenfalls scheint es mir etwas an der Wirklichkeit vorbeizugehen, wenn bereits bei Beteiligungen von 20 °/o generell ein Einfluß vermutet wird, der eine Dividendenausschüttung herbeiführen kann. Meines Erachtens wäre es realistischer gewesen, bei Beteiligungen zwischen 20 % und 50 °/o generell keinen maßgeblichen Einfluß anzunehmen, den Gegenbeweis jedoch im Einzelfall zuzulassen. In diesem Sinne haben auch einige 47 Insoweit übereinstimmend APB Opinion Nr. 18 und das australische Exposure Draft (vgl. Fußnoten 5 und 8). Das englische Statement Nr. 1 (vgl. Fußnote 7) kennt zwar auch den Begriff des significant influence für Beteiligungen zwischen 20 °/o und 50 °/o, stellt jedoch im Gegensatz zu den amerikanischen und australischen Verlautbarungen nicht die widerlegbare Vermutung des significant influence für diesen Bereich auf. 48 So lautet audi die entsprechende Formulierung der Groupe d'Etudes zu Art. 31 Abs. 1 der 4. EWG-Richtlinie (vgl. Fußnote 41). Der Vorschlag verzichtet bewußt auf eine Differenzierung zwischen Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen und stellt einheitlidi auf das entscheidende Kriterium der kaufmännischen und finanziellen Leitung ab.

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Mitglieder des APB ihre dissenting opinion 49 zu Opinion Nr. 18 abgegeben. 2. Ausweis und Ausschüttung unrealisierter

Gewinne

a) Ausweis unrealisierter Gewinne Nach allgemeiner Auffassung lassen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung den Ausweis unrealisierter Gewinne nicht zu 50 . Eine höhere Bewertung als zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten ist demnach nicht zulässig. Als materielle Begründung für dieses Verbot wird im allgemeinen der Gläubigerschutzgedanke angeführt. Es soll verhindert werden, daß unsichere, weil nicht realisierte Gewinne ausgeschüttet werden, was zu einem Substanzentzug und damit zur Minderung der Haftungsgrundlage führen könnte 51 . Diese Begründung deutet bereits darauf hin, daß es beim Realisationsprinzip weniger um den Ausweis als um die Ausschüttung unrealisierter Gewinne geht. Ausweis und Ausschüttung unrealisierter Gewinne sind jedoch nicht notwendigerweise miteinander verbunden 52 . Es fragt sich nun, ob der Ausweis der Gewinne der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft ohne einen Ausschüttungsbeschluß des zuständigen Gremiums der Tochtergesellschaft einen Ausweis unrealisierter Gewinne bedeutet. Busse von Cölbe53 verneint diese Frage, da die Gewinne bei der Tochtergesellschaft realisiert seien und es die Muttergesellschaft aufgrund ihrer Einflußmöglichkeiten in der Hand habe, die Ausschüttung oder die Einräumung eines Rechtsanspruchs (Aktivierung einer Forderung) herbeizuführen, was beides zu einer „klassischen Gewinnrealisierung" auch bei ihr führe 54 . Sicherlich ist die Gewinnrealisierung bei der Tochtergesellschaft unbestritten; damit sind jedoch die Gewinne bei der Muttergesellschaft noch nicht realisiert, und die Möglichkeit der Muttergesellschaft, eine Ausschüttung und damit eine Gewinnrealisierung bei ihr zu veranlassen, 49 Nach den Gepflogenheiten des American Institute of Certified Public Accountants gelten Opinions of the Accounting Principles Board als verabschiedet, wenn sie die Zustimmung von 2 /s der Mitglieder des Board findet. Mitglieder, die der Opinion ganz oder in bestimmten Punkten nicht zustimmen, geben ihre dissenting opinion ab, die zusammen mit der Opinion veröffentlicht wird. 50 Leffson, Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, S. 145 ff. 51 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, a. a. O. Bd. I, Erl. zu § 149 Tz. 67 ff. 52 Vgl. dazu die Gegenüberstellung der Methoden 1 und 2 im Abschnitt II. 2. 63 Zum Bilanzansatz von Beteiligungen, a. a. O. S. 150 ff. 54 Im folgenden wird unterstellt, daß die Muttergesellschaft tatsächlich diese Einflußmöglichkeit hat. Wegen der Zweifel vgl. Abschnitt III. 1. Außerdem soll, sofern nichts anderes erwähnt wird, mit dem Beispiel der tatsädilichen Dividendenausschüttung auch der Fall der Aktivierung eines Dividendenanspruchs erfaßt sein, da das Ergebnis in diesem Zusammenhang gleich ist.

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darf nicht mit der tatsächlichen Ausschüttung und Gewinnrealisierung gleichgesetzt werden. Mit dem gleichen Recht könnte die Muttergesellschaft Vermögensgegenstände (z. B. Waren, Grundstücke, Wertpapiere), die sie aufgrund bestehender Vereinbarungen mit der Tochtergesellschaft oder Dritten zu einem fest vereinbarten Preis verkaufen kann, in ihrem Abschluß mit dem Verkaufspreis bewerten und den Gewinn als realisiert ansehen. In dem einen wie im anderen Fall bedarf es nur noch eines „formellen" Beschlusses oder eines tatsächlichen Handelns. Wie sich unsere Bilanzierungsregeln und -gepflogenheiten ändern würden, wenn wir eine (auch sichere) Möglichkeit der Gewinnrealisierung mit der tatsächlichen Realisierung gleichsetzen, soll hier nicht weiter untersucht werden. Im übrigen sind durchaus Fälle denkbar, in denen die realisierten Gewinne der Tochtergesellschaft niemals die Muttergesellschaft erreichen, weil durch eine ungünstige wirtschaftliche Entwicklung der Tochtergesellschaft die in Vorjahren erwirtschafteten und nicht ausgeschütteten Gewinne wieder aufgezehrt werden. Auch der Auffassung Busse von Cölbes55, daß die Aktivierung der nicht ausgeschütteten anteiligen Gewinne der Tochtergesellschaft auf dem Beteiligungskonto der Muttergesellschaft keinen Verstoß gegen das Anschaffungswertprinzip bedeute, kann nicht gefolgt werden. In den von ihm angeführten Fällen werterhöhender Großreparaturen, Umbauten und Erweiterungen von Gebäuden und maschinellen Anlagen, die nach seiner Meinung zu einer zulässigen Überschreitung der Anschaffungskosten führen, liegt in Wirklichkeit keine Überschreitung der Anschaffungskosten vor. Entweder wird durch solche werterhöhende Reparatur der ursprüngliche Wert der Anlage wieder hergestellt oder aber die Wesensart des Vermögensgegenstandes derart verändert, daß ein anderer Vermögensgegenstand entsteht. Dann aber handelt es sich, soweit rein rechnerisch die ursprünglichen Anschaffungskosten des reparierten Gegenstandes überschritten werden, nicht um eine Erhöhung der Anschaffungskosten für diesen Gegenstand, sondern um zusätzliche Anschaffungskosten für einen veränderten oder anderen Gegenstand56. Namentlich bei den von Busse von Cölbe erwähnten Umbauten und Erweiterungen von Gebäuden und maschinellen Anlagen scheint mir dies ziemlich eindeutig zu sein. Die Steigerung der Ertragskraft von Vermögensgegenständen durch werterhöhende Reparaturen soll nicht bestritten werden und auch nicht, daß dies betriebswirtschaftlich zu einer Werterhöhung des betreffenVgl. Fußnote 53. Auf die Behandlung nicht abzuschließender Überschreitung der Anschaffungskosten aufgrund inflationsbedingter Erhöhungen der Reparaturkosten soll hier nicht näher eingegangen werden. 55

59

Bilanzierung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften

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den Gegenstandes führt. Steigerungen der Ertragskraft rechtfertigen jedoch keine bilanziellen Werterhöhungen über die Anschaffungskosten hinaus. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß bei Anwendung der Equity-Methode, soweit die Gewinne der Tochtergesellschaft nicht tatsächlich ausgeschüttet werden, im Jahresabschluß der Obergesellschaft unrealisierte Gewinne ausgewiesen werden und daß die Aktivierung dieser Gewinne auf dem Beteiligungskonto gegen das Anschaffungswertprinzip verstößt 5 7 . b) Ausschüttung unrealisierter

Gewinne

D e r Ausweis unrealisierter Gewinne braucht jedoch nicht unbedingt gegen die Anwendung der Equity-Methode zu sprechen. Den sich aus der Sicht einer vorsichtigen Bilanzierung ergebenden Bedenken gegen diese Bilanzierungsmethode kann formell durch eine Offenlegung des Sachverhalts und materiell durch die Bildung einer Ausschüttungssperre im Jahresabschluß der Muttergesellschaft Rechnung getragen werden. Eine sachgerechte Offenlegung wird in allen bekannten Verlautbarungen gefordert. Dabei werden ζ. T . sehr weitgehende Anforderungen gestellt. So sollen ζ. B. in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht nur die anteiligen Gewinne und Verluste gesondert ausgewiesen, sondern unterteilt werden nach 58 a) subsidiaries aufgrund der Mehrheit der Anteile, b) subsidiaries aufgrund der Mehrheit der Stimmrechte oder der Zusammensetzung des board of directors, c) associated companies. Außerdem wird, der angelsächsischen Rechnungslegung entsprechend, der gesonderte Ausweis oder die Kenntlichmachung der Anteile der Muttergesellschaft an den extraordinary items und den priorperiod adjustments verlangt 5 9 . Der Leser des Jahresabschlusses kann sich dadurch einen hinreichenden Überblick über Art und Quellen der nicht realisierten Gewinne und der Verluste verschaffen. Soll die Ausschüttung unrealisierter Gewinne vermieden werden, so muß bei der Muttergesellschaft durch den Zwang zur Rücklagenbildung eine Ausschüttungssperre geschaffen werden. Wird so verfahren, wie oben in Methode 2 dargestellt 60 , so bleibt es zwar nach 57

Zur Aktivierung der Gewinne wird die gleiche Auffassung ζ. B. vertreten von

Adler/Düring/Schmaltz,

a.a.O. Bd. I, Erl. zu §153 Tz. 94 und Uhlig/Lüchau,

Bewertung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in der Handelsbilanz, W P g 1971 S. 555. 5 8 Exposure Draft (vgl. Fußnote 8). 5 9 A P B Opinion Nr. IS, Exposure Draft und für den Konzernabschluß Statement N r . 1 (vgl. Fußnoten 5, 8 und 7). 6 0 S. o. Abschnitt II, 2.

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wie vor beim Ausweis unrealisierter Gewinne, der eigentliche Einwand aber gegen den Ausweis unrealisierter Gewinne und die mit der Ausschüttung verbundene Verletzung des Gläubigerschutzprinzips wird praktisch gegenstandslos. Außerdem verlieren unter dieser Voraussetzung auch die Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung der Equity-Methode nur bei Mehrheits- oder auch bei Minderheitsbeteiligungen an Bedeutung. Die Bildung einer Rücklage bei der Muttergesellschaft erscheint auch aus einem weiteren Grund, der weit über die reine Rechnungslegung hinausgeht, notwendig. Wird bei der Muttergesellschaft keine Rücklage gebildet, so ist sie in der Lage, für einen von ihr zu bestimmenden Zeitraum Ausschüttungen der Tochtergesellschaft zu verhindern, während sie selbst ihren Gewinnanteil ertragsmäßig vereinnahmt und an ihre eigenen Anteilseigner ausschütten kann 6 1 . Eine solche Verhaltensweise, die zumindest bei Mehrheitsbeteiligungen möglich wäre, wäre für die Minderheitsgesellschafter der Tochtergesellschaft, die dadurch ausgehungert werden könnten, ein unerträglicher Zustand. c) Praxis und Empfehlungen Die Problematik der Ausschüttung unrealisierter Gewinne ist in den Ländern, in denen die Equity-Methode bereits angewendet oder in denen ihre Anwendung vorbereitet wird, durchaus bekannt. Sie entsteht allerdings dort nicht, wo die Anwendung der Equity-Methode auf den Konzernabschluß beschränkt ist, der keine Grundlage für Gewinnausschüttungen ist. In England z. B. dürfen auch nach Inkrafttreten des Statement Nr. I 6 2 von der Muttergesellschaft nur solche Gewinne vereinnahmt werden, die ihr entweder bis zum Abschlußstichtag in Form von Dividendenzahlungen zugeflossen sind oder auf die sie einen Anspruch (aktivierbare Forderung) hat. Die Aktivierung einer Forderung ist nur für solche Dividenden zulässig, die sich auf eine Abrechnungsperiode beziehen, die vor dem oder am Bilanzstichtag der Muttergesellschaft enden und deren Ausschüttung beschlossen wird, ehe der Abschluß der Muttergesellschaft festgestellt wird. Das Problem der Ausschüttung unrealisierter Gewinne entsteht hier also gar nicht. Das australische Exposure Draft läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß die von der Muttergesellschaft durch Anwendung der Equity-Methode vereinnahmten Gewinne unrealisierbar sind, soweit 6 1 So audi Kaminski, U E C 1971 S. 108. 6 2 Vgl. Fußnote 7.

Das Statut der europäischen Aktiengesellschaft, Journal

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sie die zugeflossenen Dividenden übersteigen. „Insoweit weicht die Equity-Methode von dem Realisationsprinzip ab, das traditionell f ü r die Abgrenzung der Periodenergebnisse angewendet wird 6 3 ." Daraus wird die Konsequenz gezogen, d a ß die unrealisierten Gewinne in der Bilanz der Muttergesellschaft in eine Rücklage einzustellen sind. Außerdem muß in einer Fußnote zur Rücklage oder sonstwie erläutert werden, d a ß diese Beträge nur insoweit f ü r eine Ausschüttung verf ü g b a r sind, als sie durch später eingehende Dividenden, die kein return on investment sind 64 , gedeckt werden. In die gleiche Richtung wie das australische Exposure D r a f t geht der Vorschlag der Groupe d'Etudes zu Art. 31 der 4. EWG-Richtlinie, der ebenfalls die Bildung einer Rücklage vorsieht. Einen problematischen Weg schlagen die APB Opinion N r . 18 65 und, allerdings beschränkt auf die Mehrheitsbeteiligungen, der Entwurf des Statuts f ü r die S. E. in Art. 185 66 ein, die beide eine Ausschüttungssperre bei Anwendung der Equity-Methode nicht vorsehen. Die auf dem Beteiligungskonto aktivierten anteiligen Gewinne sind Bestandteile des verteilungsfähigen Gewinns der Muttergesellschaft. D a m i t gelten f ü r diesen Fall alle Argumente, die gegen den Ausweis und die Ausschüttung unrealisierter Gewinne vorzubringen sind.

IV. Würdigung der Equity-Methode 1.

Vermögenslage

Die Fortschreibung des Beteiligungsbuchwertes um anteilige Gewinne, Verluste und ausgeschüttete stille Reserven dient zweifellos dazu, den Einblick in die Vermögenslage der Muttergesellschaft zu verbessern, da die Möglichkeit der Bildung stiller Reserven in diesem Bilanzposten eingeschränkt wird 6 7 . Ausgeschlossen wird die stille Reservenbildung in den Beteiligungen allerdings nicht. Die aus G r ü n den der Bilanzpolitik gebildeten stillen Reserven der Untergesellschaft werden, soweit sie nicht bereits bei Erwerb der Beteiligung vorhanden waren und ihren Niederschlag in den AnschafFungskosten gefunden haben, ebensowenig offengelegt wie die aufgrund der Inflation zwangsläufig gebildeten stillen Reserven am ruhenden Vermögen. Daher trifft auch der gelegentlich f ü r die Equity-Methode verwendete «3 Vgl. Fußnote 8. 84 Vgl. Fußnote 14. 65 Vgl. Fußnote 5. «· B T VI/1109 S. 72. 67 So audi Busse von Cölbe, Zum Bilanzansatz v o n Beteiligungen, a. a. O. S. 148.

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Begriff „anteilige Eigenkapitalmethode" den Sachverhalt nicht ganz. Allenfalls könnte von einer „anteiligen bilanziellen Eigenkapitalmethode" gesprochen werden. Aber auch diese Erweiterung des Begriffs wird dem Sachverhalt nur dann gerecht, wenn in den Anschaffungskosten der Beteiligung kein anteiliges Entgelt f ü r bei Erwerb der Beteiligung vorhandene stille Reserven der Tochtergesellschaft und/oder f ü r einen Firmenwert enthalten waren. Audi eine Bezeichnung des Equity-Accounting als eine Bilanzierung der Beteiligung zum „inneren Wert" ist nicht korrekt. Bei allen Schwierigkeiten, die eine Definition des inneren Wertes bereitet, wird man wohl davon ausgehen müssen, daß dieser Wert den betriebswirtschaftlichen Gesamtwert der Beteiligung zum Ausdruck bringen soll, in dem sich Substanz- und Ertragswertgedanken mischen 68 . Die Bildung stiller Reserven und/oder eines Firmenwerts bei der Tochtergesellschaft nach dem Erwerbszeitpunkt werden jedoch von der Equity-Methode ebensowenig erfaßt wie von der Anschaffungskostenmethode. Daher liegt auch ein gewisser Widerspruch darin, wenn im Entwurf für das Statut der S. E. in Art. 185 f ü r Mehrheitsbeteiligungen eine Bewertung mit dem „inneren Wert" vorgeschrieben wird, die Begründung dazu jedoch erkennen läßt, daß damit die EquityMethode gemeint ist 69 . D a sich eine Bilanzierung zum inneren Wert und die Bewertung mit Wiederbeschaffungskosten weitgehend decken dürften, sind mit der Gegenüberstellung Equity-Methode und innerer Wert gleichzeitig die Abweichungen zwischen der Equity-Methode und der Bilanzierung zu Wiederbeschaffungskosten 70 aufgezeigt. 2.

Ertragslage

Auch f ü r die Darstellung der Ertragslage bedeutet die Anwendung der Equity-Methode eine Verbesserung. Der Ausweis der Gewinne und Verluste der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft in dem Jahr, in dem sie tatsächlich erwirtschaftet worden sind, ist ein besseres Abgrenzungskriterium als die Berücksichtigung nach Zahlungsvorgängen oder späteren Abschreibungen, die gegebenenfalls nach jahrelanger Erzielung von Verlusten erforderlich werden. Die Stellungnahmen heben daher zu Recht hervor, daß die Equity-Methode 68

Vgl. Uhlig/Lücbau, Bewertung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in der Handelsbilanz, WPg 1971 S. 554. 69 Vgl. BT VI/1109 S. 72. 70 Vgl. dazu die Vorschläge der Groupe d'Etudes zu Art. 30 der 4. EWG-Riditlinie sowie die Erläuterungen dazu bei Havermann, Substanzerhaltungsmaßnahmen im Jahresabschluß, BFuP 1973 S. 536 ff.

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bessere Voraussetzungen als die Anschaffungskostenmethode schafft, um die Ertragskraft eines Unternehmens unter Einschluß seiner Beteiligungen zu messen und zu sinnvolleren Ergebnissen bei der Errechnung von Kennziffern wie Gewinn pro Aktie und Price-earning-ratio führt 7 1 . Wieweit die Ergebnisse des accrual-accounting 7 2 und des cashaccounting 7 3 tatsächlich auseinanderfallen, hängt davon ab, wie groß die zeitliche Verschiebung zwischen Gewinnerzielung und Gewinnausschüttung ist und in welchem Umfang Gewinne bei der Tochtergesellschaft in Rücklagen eingestellt werden. 3.

Gewinnverwendung

Der Haupteinwand gegen die Equity-Methode muß sich gegen die Möglichkeit der Ausschüttung unrealisierter Gewinne bei der Muttergesellschaft richten 74 . Dieser Nachteil läßt sich jedoch relativ leicht durch eine entsprechende Rücklagenbildung bei der Muttergesellschaft beseitigen. Die Einführung einer Ausschüttungssperre, wie sie im australischen Exposure D r a f t 7 5 vorgeschlagen und oben 7 6 als Methode 2 dargestellt wird, vereinigt meines Erachtens in glücklicher Weise die Vorzüge des Equity-Accounting mit dem Vorsichts- und Gläubigerschutzprinzip der Anschaffungskostenwertmethode. Gemessen an den derzeitigen deutschen Rechnungslegungsvorschriften und -gepflogenheiten, die uneingeschränkt am Anschaffungswertprinzip festhalten, bedeutet auch diese Methode einen formellen Verstoß gegen das Anschaffungswertprinzip, der indessen ohne materielle Auswirkungen bleibt, wenn der Vorgang klar im Jahresabschluß ausgewiesen wird und die Zuschreibungsgewinne durch Rücklagenbildung neutralisiert werden. Insoweit besteht eine gewisse Parallele zur Bilanzierung mit Wiederbeschaffungskosten, die zur Zeit auch im Zusammenhang mit den Bestrebungen der E G um die Harmonisierung der Rechnungslegungsvorschriften der Mitgliedstaaten lebhaft diskutiert wird 7 7 . Bei der weiteren Diskussion um die Equity-Methode, zu der dieser Beitrag anregen möchte, sollte daher die Gewinnvereinnahmung und Ausschüttungssperre im Vordergrund stehen.

Vgl. Fußnoten 5, 8 und 7. Ergebnisabgrenzung nach dem Verursachungsprinzip. 7 3 Ergebnisabgrenzung nadi dem Ausschüttungsprinzip. 7 4 Vgl. im einzelnen Abschnitt I I I . 2. b. 7 5 Vgl. F u ß n o t e 8. 7 6 S. o. Abschnitt I I . 2. 7 7 Vgl. Havermann, Substanzerhaltungsmaßnahmen im Jahresabschluß, 1 9 7 3 S. 5 3 6 ff. 71

72

BFuP

Leasing-Geschäfte und ihre Bilanzierung — eine Lücke im Aktiengesetz KONRAD MELLEROWICZ

I. Begriff und Arten 1. Begriff Leasing ist Nutzungsüberlassung von Investitions- und Gebrauchsgütern gegen Entgelt. To lease bedeutet nicht nur mieten, pachten, sondern auch vermieten, verpachten. In den USA werden alle Varianten des unmittelbaren und des mittelbaren Mietens und Pachtens und des Vermietens und Verpachtens von beweglichen und unbeweglichen Gütern, Anlage- und Gebrauchsgütern als Leasing bezeichnet. In Deutschland. wird häufig, insbesondere von Leasing-Gesellschaften, die Meinung vertreten, daß von Leasing erst gesprochen werden könne, wenn drei Wirtschaftssubjekte beteiligt sind: der Hersteller (oder Händler), die Leasing-Gesellschaft als Vermieter (Leasing-Geber) und der Mieter (Leasing-Nehmer). Es ist aber Havermann1 zuzustimmen, wenn er sagt: „Ob Leasing vorliegt oder nicht, kann nur vom Inhalt des Vertrages und den dadurch geschaffenen wirtschaftlichen Verhältnissen, nicht aber von der Anzahl der Partner beurteilt werden, die in den Vorgang eingeschaltet sind." Er leitet den Leasing-Begriff aus dem wirtschaftlichen Inhalt des Leasing-Vertrages ab und kommt zu dem Ergebnis: „Leasing ist ein in die juristische Form von Miet- und Pachtverträgen gekleidetes teilfinanzierungsähnliches Geschäft" 2 . Es bestehen in Deutschland noch zahlreiche andere Definitionen des Leasing, was bei der Vielzahl der Leasing-Arten nicht verwunderlich ist. Auf sie wird hier nicht eingegangen. Wir sehen als Leasing jegliche Nutzungsüberlassung von Investitions-, Gebrauchsgütern und sonstigen Nutzwerten gegen Entgelt an. Aber Leasing ist mehr. Es ist insbesondere eine neue Finanzie1 Havermann, H., Leasing. Eine betriebswirtschaftliche, handels- und steuerreditlidie Untersuchung, Düsseldorf 1965, S. 25. 2 Ebenda, S. 58.

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mngsform, ein Ersatz für Eigenkapital, wichtig besonders für Kleinund Mittelbetriebe, die oft nicht genügend Eigenkapital besitzen, um vor allem ein höherwertiges Anlagegut zu erwerben. Hier ist das Leasing eine wirksame Form, Wirtschaftsgüter auch ohne Eigenkapital zu beschaffen. Es gibt neue Möglichkeiten zur Gründung oder zur Erweiterung von Unternehmungen. Auch Hagenmüller3 ist der Ansicht, daß juristisch gesehen Übereinstimmung zwischen Leasing, Miete und Pacht besteht, daß jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtung insofern ein Unterschied zu machen sei, als bei normalen Mietverträgen nicht in erster Linie beabsichtigt ist, den Mieter zu finanzieren. Bei den Leasing-Verträgen steht dagegen die Zweckbestimmung im Mittelpunkte, Instrument der Investitionsfinanzierung zu sein. Man hat Kredit ,eine Erfindung für das Genie' genannt, weil er unternehmerische Betätigung auch ohne ausreichendes Eigenkapital ermöglicht. Das gleiche gilt für das Leasing, was um so bedeutsamer ist, als in der heutigen Wirtschaft nahezu alle Betriebe, um konkurrenzfähig zu bleiben, moderne und dementsprechend teure Investitionsgüter einsetzen müssen. Beim Leasing sprechen wir von mieten und vermieten, von pachtten und verpachten. Das ist nicht ganz zutreffend, denn Leasing ist eben nicht Miete oder Pacht im bürgerlich-rechtlichen Sinne, sondern unterscheidet sich von ihnen wesentlich durch den Finanzierungszweck, weswegen in der Literatur und in der Praxis im Zusammenhang mit Leasing-Geschäften lieber für Vermieter (lessor) und Mieter (lessee) die Ausdrücke Leasing-Geber und Leasing-Nehmer gebraucht werden und als Verben die Ausdrücke „leasen" und „verleasen"). Das Leasing ist aber nicht nur für den Leasing-Nehmer von Bedeutung. Auch der Hersteller von Investitions- und Gebrauchsgütern kann sich zu seinem Vorteil des Leasing bedienen, um seine Produkte abzusetzen, also nicht durch Verkauf, sondern durch Vermietung. Leasing wird für ihn eine neue Vertriebsform, sei es, daß er selbst, direkt, vermietet oder sich eines Handelsbetriebes oder einer Leasing-Gesellschaft bedient. „Miete" wird in § 535 B G B folgendermaßen definiert: „Durch den Mietvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der vermieteten Sache während der Mietzeit zu gewähren. Der Mieter ist verpflichtet, dem Vermieter den vereinbarten Mietzins zu entrichten." 3 Hagenmüller, F. K., H a t Leasing auch im Handel Zukunft?, in: Schriftenreihe der Stiftung „Im Grüene", Bd. 33, Bern—Stuttgart 1966, S. 12 f.

Leasing-Geschäfte und Bilanzierung

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Die Miete ist also ein Rechtsgeschäft, das die zeitlich beschränkte Überlassung einer Sache gegen Entgelt regelt. Über die „Pacht" bestimmt § 581 ff. BGB: „Durch den Pachtvertrag wird der Verpächter verpflichtet, dem Pächter den Gebrauch des gepachteten Gegenstandes und den Genuß der Früchte, soweit sie nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft als Ertrag anzusehen sind, während der Pachtzeit zu gewähren. Der Pächter ist verpflichtet, dem Verpächter den vereinbarten Pachtzins zu entrichten. Auf die Pacht finden, soweit sich nicht aus den §§ 582 bis 597 BGB ein anderes ergibt, die Vorschriften über die Miete entsprechende Anwendung." Grundsätzlich bezieht sich Miete nur auf körperliche Gegenstände, auf Sachen im Sinne des § 90 BGB. Pacht dagegen bezieht sich auf Gegenstände aller Art, sowohl körperliche als audi nichtkörperliche; audi Rechte können verpachtet werden (ζ. B. Jagdrechte, Fischereirechte). Beiden Rechtsgeschäften ist im Gegensatz zum Kauf (§ 433 ff. BGB) gemeinsam, daß keine Eigentumsübertragung stattfindet. Der Leasing-Vertrag kann, von der äußeren juristischen Form her, ohne weiteres als Mietvertrag bezeichnet werden. Bei der Betrachtung des wirtschaftlichen Inhalts ergeben sich jedoch weitreichende Unterschiede. Wie schon bei der Begriffsbestimmung hervorgehoben, kommt beim Leasing neben der Gebrauchsüberlassung der Zweck hinzu, den Leasing-Nehmer zu finanzieren, was bei normalen Mietverträgen nicht beabsichtigt ist. Überdies bildet beim traditionellen Mietgeschäft die Nutzungsdauer die Grundlage für die Kalkulation der Mietraten. Es ist für den Vermieter unerheblich, mit wie vielen Mietern er im Zeitablauf bis zum physischen Ende des Mietobjektes wird rechnen müssen. Beim Leasing-Geschäft ist die Vertragsdauer in der Regel erheblich kürzer als die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der LeasingObjekte. Die Kalkulation der Leasing-Raten ist so aufgebaut, daß der Leasing-Geber sämtliche entstandenen Kosten — einschließlich eines angemessenen Gewinns — bereits innerhalb der vereinbarten Grundvertragsdauer erhält. Im Gegensatz zum Mietgeschäft wird also beim Leasing die Amortisation eines Mietobjektes durch einen LeasingNehmer erzielt. Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, daß Leasing-Geschäfte als eine Sonderform der Teilzahlungsfinanzierung anzusehen

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sind, wobei der Leasing-Nehmer zwar nicht rechtlicher, wohl aber wirtschaftlicher Eigentümer des Leasing-Objektes wird. Der wesentlichste Unterschied zwischen Leasing und Teilzahlungsfinanzierung besteht jedoch darin, daß grundsätzlich jeder LeasingVertrag während der Grundvertragszeit nur auf Überlassung der Nutzung des Gegenstandes, nicht aber auf Übertragung des Eigentums gerichtet ist. Weitere Unterschiedsmerkmale sind: 1. Das Eigentum am Gegenstand geht nach Zahlung der letzten Rate nicht automatisch auf den Leasing-Nehmer über. 2. Der Gegenstand ist beim Vermieter und nicht beim Mieter zu aktivieren und abzuschreiben. 3. Nach Ablauf des Vertrages hat der Leasing-Nehmer dem Leasing-Geber das Leasing-Objekt zurückzugeben. Leasing ist seit 1877 bekannt, als die Bell Telephone Company Fernsprechanlagen nicht nur verkaufte, sondern auch vermietete. Dieses Hersteller-Leasing fand bis in die Gegenwart viele Nachfolger. Aber die neuere Form des Leasing, das Leasing durch Leasing-Gesellschaften (die sich als selbständige Vermietungsgesellschaften zwischen Hersteller oder Händler schieben), datiert erst von 1952, als in USA die erste Leasing-Gesellschaft der Welt: die United States Leasing Corporation, San Francisco, gegründet wurde. Seitdem ist in den USA eine Flut von Gründungen von Leasing-Gesellschaften zu verzeichnen. Erst 1962 ist in Düsseldorf (unter Beteiligung der United Leasing Corp.) die erste deutsche Leasing-Gesellschaft gegründet worden, später als in anderen europäischen Ländern. Seitdem haben die Leasing-Gesellschaften in Deutschland Milliarden-Umsätze erzielt. 2. Arten der

Leasing-Geschäfte

Bei den Formen des Leasing-Geschäftes ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal die Art der Verpflichtung des Leasing-Nehmers. Nach dem Vertragsinhalt gibt es: a) das Operating-Leasing b) das Finanzierungs-Leasing Zu a): Das Operating-Leasing ist aus dem Miet- und Pachtgeschäft entstanden und ähnelt ihm auch weitgehend. Es ist ein Hersteller(oder Händler-)Leasing, das audi vom Leasing-Geber finanziert wird. Es ist ein Leasing im weiteren Sinne: es hat keine feste Grundmietzeit, ist kurzfristig kündbar, geeignet für technisch ausgereifte Objekte, die leicht weitervermietbar sind, ζ. B. Telefonanlagen, Fernschreiber, Rechenmaschinen, Computer. Das Risiko trägt der Leasing-Geber.

Leasing-Geschäfte und Bilanzierung

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Eine Sonderart des Hersteller-Leasing ist die Mietfinanzierung, vor allem von Banken betrieben. Hersteller und Leasing-Geber sind identisch, aber der Hersteller läßt den abgeschlossenen Mietvertrag refinanzieren (durch die Bank) = refinanzierte Vermietung. Die Ubereignung des Leasing-Objektes geschieht vom Leasing-Geber an die Bank. Die Bank k a u f t mit 90 °/o des Listenpreises, der Rest von 10 % wird am Ende gezahlt, wenn alle Raten eingegangen sind. Zu b): Das Finanzierungs-Leasing, Leasing im engeren Sinne, wird nicht vom Hersteller (oder Händler) betrieben, sondern von einer selbständigen Leasing-Gesellschaft als Leasing-Geber. Sie erwirbt selbst das Leasing-Objekt vom Hersteller. Der Anstoß zum Leasing geht vom Leasing-Nehmer aus (kundenorientiertes Leasing). Die Leasing-Gesellschaft ist auf Refinanzierung angewiesen (Versicherungsgesellschaften, Stiftungen, Pensionsfonds). Das Risiko ist für den Finanzierenden sehr gering, unter 1 °/o. Das Finanzierungs-Leasing Merkmale:

besitzt

folgende

charakteristische

1. Das Leasing-Geschäft wird über eine bestimmte feste LeasingZeit abgeschlossen, während der der Vertrag vom Leasing-Nehmer nicht gekündigt werden kann (feste Grundmietzeit). Auch der Leasing-Geber hat während der Grundmietzeit bei vertragsgerechtem Verhalten des Leasing-Nehmers kein Kündigungsrecht. Die unkündbare Grundmietzeit (zwischen 3 und 6 Jahren, Durchschnitt 5,4) ist in der Regel kürzer als die betriebliche Nutzungsdauer. 2. Die Leasing-Raten sind so bemessen, daß sie — und zwar während der Grundmietzeit — alle Kosten decken und einen Gewinn erbringen. 3. Neben anderen Belastungen, wie ζ. B. Versicherungen, trägt der Leasing-Nehmer während der Grundmietzeit das Investitionsrisiko für das Leasing-Objekt. 4. Der Leasing-Geber bleibt rechtlich Eigentümer des LeasingObjektes. Der Leasing-Nehmer hat an dem Leasing-Objekt nur ein Gebrauchs- oder Nutzungsrecht; er darf über das Leasing-Objekt nicht verfügen. Nach Ablauf der Grundmietzeit muß er, im Normalfall, das Leasing-Objekt an den Leasing-Geber zurückgeben. Dem Leasing-Nehmer können Optionsrechte eingeräumt werden: Kaufoption: Nach Ablauf der Grundmietzeit kann das LeasingObjekt zu einem bestimmten Preis erworben werden.

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Mietverlängerungsoption: Der Leasing-Nehmer erhält das Recht, nach Ablauf der Grundmietzeit eine Verlängerung des Vertragsverhältnisses auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zu verlangen, meist zu Mietraten, die erheblich niedriger sind als die Grundmietraten. Nach dem Leasing-Objekt

ergeben sich folgende Arten:

1. Konsumgüter-Leasing (Farbfernseher — wegen Serviceleistung, desgleichen Personenkraftwagen, Waschmaschinen u. ä.). 2. Equipment-Leasing (alle denkbaren Investitionsgegenstände: Werkzeugmaschinen, Textil-, Druckmaschinen, ganze Wagenparks (Fleat-Leasing)). Die Mietdauer ist hier immer kürzer als die übliche Nutzungsdauer. 3. Plant-Leasing (Property-Leasing) ist Immobilien-Leasing. 4. Personal-Leasing (Arbeitskräfte\rerleih4). Weitere Unterscheidungen von Leasing-Geschäften: 1. Net-und Gros-Leasing Beim TVei-Leasing werden alle Verpflichtungen, wie Reparaturen, Wartung, Versicherung, vom Leasing-Nehmer getragen. Der Geber gibt nur die Objekte und besorgt deren Finanzierung. Beim Gros-Leasing werden gegen Entgelt alle Verpflichtungen vom Leasing-Geber übernommen. 2. Short- (bis 10 Jahre), Long-Leasing (über 10 Jahre), bezieht sich auf das Vertragszeitverhältnis. 3. First- and Secondhand-Leasing: fabrikneue und gebrauchte Objekte. 4. Sale-Lease-Back-Leasing: Die Leasing-Gesellschaft kauft das Objekt oder die Anlagen und vermietet sie sofort wieder an den Hersteller. 5. Terme- and Revolving-Leasing: Terme-Leasing = festbegrenzte Leasing-Zeit (wie bei allen bisher genannten Arten). Beim Revolving-Leasing können die Objekte in unbestimmten Zeitabständen nach den Wünschen des Leasing-Nehmers ausgewechselt werden. 6. Kommunal-Leasing Kommunen können große Objekte häufig nicht finanzieren, leasen daher Gebäude, Schulen, Turnhallen, Schwimmhallen, Kindergärten, Kläranlagen usw.

4 In der B R D bestehen z. Z. 3600 Arbeitskräfte-Verleihunternehmen (mit Kennziffern der Bundesanstalt für Arbeit).

Leasing-Gesdiäfte und Bilanzierung

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In der B R D steht das Finanzierungs-£^«¿pwení-Leasing unter Einschaltung von Leasing-Gesellschaften im Vordergrunde des Interesses, also das Leasing von Ausrüstungsgegenständen, meist in der Form des Net-Leasing, während das im Vergleich zu den USA bei uns noch wenig entwickelte Konsumgüter-Leasing meist in der Form des Operating- Leasing durchgeführt wird. Das Finanzierungs-Leasing ist seiner Art und Vertragsgestaltung nach in erster Linie ein Instrument der betrieblichen Investitionspoli^ tik bzw. der Investitionsfinanzierung; beim Finanzierungs-Leasing stehen also Finanzierungsgesichtspunkte im Vordergrunde und nicht der Gesichtspunkt der zeitweisen Nutzungsbeschaffung wie beim Operating-Leasing.

II. Bilanzierung von Leasing-Geschäften 1.

Allgemeines

Bei der unklaren Rechtslage der Leasing-Geschäfte mußten sich notwendig Probleme bei der Zurechnung der Leasing-Objekte und ihrer Bilanzierung ergeben. Hier standen sich im wesentlichen zwei Auffassungen konträr gegenüber: Die Vertreter der bürgerlich-rechtlichen Betrachtungsweise wollten die Leasing-Verträge wie Miet- und Pachtverträge des bürgerlichen Rechts behandelt wissen. Bilanziell würde es sich demnach um schwebende Geschäfte handeln, die, solange sich Leistung und Gegenleistung gleichwertig gegenüberstehen, nach allgemeiner Auffassung nicht bilanziert werden. Demgegenüber sahen die Vertreter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in einem erheblichen Teil der abgeschlossenen Leasing-Verträge, insbesondere in dem Finanzierungs-Leasing, teilzahlungsfinanzierungsähnliche Geschäfte, bei denen der Leasing-Nehmer wirtschaftlich wie ein Eigentümer des Leasing-Objektes gestellt ist. Die bilanzielle Konsequenz daraus wäre eine Aktivierung des Leasing-Objektes und eine Passivierung der Leasing-Verbindlichkeiten in der Bilanz des Leasing-Nehmers. Der Leasing-Geber hätte dann in seiner Bilanz nicht das Leasing-Objekt, sondern eine Forderung zu bilanzieren. Eine dritte, mittlere Auffassung wollte nur einen Teil der Leasing-Raten als Nutzungsrecht aktivieren.

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Konrad Mellerowicz

Bei der Bedeutung der Bilanz für die

Unternehmensfiihrung:

für die Feststellung der Struktur und wirtschaftlichen Lage des Betriebes, der Höhe und Veränderung der Bestände und der Umsätze, der Wirtschaftlichkeit und der Rentabilität, der Liquidität, überdies für die Planung des zukünftigen Vorgehens, und bei der Eigenart des Leasing, seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung als neuer Finanzierungsform, seiner starken Entwicklung, dazu dem Vielerlei der Formen, ist es fast unverständlich, daß die Bilanzierung von Leasing-Geschäften bisher keine handelsrechtliche Regelung gefunden hat. Das AktG 1965 erwähnt das Leasing mit keinem Wort, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß damals das Leasing noch zu wenig entwickelt war und eine zu frühe Reglementierung kaum das Richtige gewesen wäre. Dafür hat sich das Finanzministerium eingeschaltet, und auf der Grundlage des Urteils des B F H I V R 144/66 vom 26. 1 . 1 9 7 0 einen Erlaß an die Länderfinanzministerien gerichtet, der Leasing-Bilanzierungsvorschriften präzisiert. Dadurch soll eine einheitliche Rechtsanwendung durch die Finanzverwaltung erreicht werden. Mit dem „Leasing-Erlaß" des BMWF ist so wenigstens eine Notlösung des Bilanzierungsproblems bei Leasing-Geschäften gegeben. Ob aber auch eine Lösung? Unternehmen müssen nach wirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden, sie haben ihre eigenen, ihren Zielen und Aufgaben entsprechende Verfahren anzuwenden. Für die Bilanzierung von Leasing-Geschäften ergeben sich zwei Hauptprobleme: a) Wer hat die geleasten Wirtschaftsgüter zu aktivieren, der Leasing-Geber oder der Leasing-Nehmer (unter Berücksichtigung der verschiedenen Leasing-Formen und der unterschiedlichen Leasing-Vertragsinhalte). Daß eine globale, alle Formen und Verpflichtungen umfassende Regelung den realen Verhältnissen nicht gerecht werden kann, ist offensichtlich. Dies nur als erste Feststellung. b) Als was sind Leasing-Güter zu bilanzieren: als Anlage- oder als Umlaufgüter, oder sind sie als schwebende Geschäfte gar nicht zu bilanzieren? Auch bei dieser Frage ist eine wesensbedingte Differenzierung geboten; dies auch nur als Ausgangsfeststellung.

Leasing-Geschäfte und Bilanzierung

2. „Leasing-Urteil"

und

417

„Leasing-Erlaß"

Sowohl das BFH-Urteil als audi der Leasing-Erlaß unterscheiden Leasing-Verträge ohne Option, mit Kaufoption und Verlängerungsoption. Für Leasing-Verträge ohne Option ist der Leasing-Gegenstand dem Leasing-Geher zuzurechnen, wenn die Grundmietzeit mindestens 40 % und höchstens 90 % der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer beträgt. In den anderen Fällen ist das Leasing-Objekt dem LeasingNehmer zuzurechnen. Bei Verträgen mit Optionen wird der Gegenstand auch bei einer Grundmietzeit zwischen 40 und 90 °/o dem Leasing-Nehmer zugerechnet, wenn ihm das Recht der Vertragsverlängerung zu einer Minimalmiete oder das Recht auf Kauf gleichsam zu einer Anerkennungsgebühr eingeräumt wird. Da nach dem Leasing-Urteil und dem Leasing-Erlaß der Leasingnehmer in den meisten Fällen das Leasing-Objekt in seine Bilanz aufzunehmen hat, stellt sich dabei die Frage nach dem zu aktivierenden Betrag. Güter des Anlagevermögens sind mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten, nach dem Leasing-Erlaß zuzüglich etwaiger weiterer Teile, die nicht in den Leasing-Raten enthalten sind, ζ. B. Aufstellungskosten, Transportkosten, Zölle. Der vom Leasing-Nehmer zu aktivierende Betrag ist aber recht problematisch, da der Leasing-Geber nicht immer bereit sein wird, den Lieferantenrabatt dem Leasing-Nehmer mitzuteilen 5 . Sofern die Zurechnung zum Leasing-Nehmer erfolgt, steht ihm die AfA auf den Leasing-Gegenstand zu, die nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer der amtlichen AfA-Tabelle zu bemessen ist. Hat die Leasing-Gesellschaft als Leasing-Geher das Leasing-Objekt zu aktivieren, ist der Leasing-Betrag unproblematisch, da hier die Bestimmungen des AktG 1965 § 153 f. und EStG § 6 f. anzuwenden sind. Der AnschafTungswert der Anlage setzt sich aus dem gezahlten Preis und den Anschaffungsnebenkosten zusammen, abzüglich des vorsichtig geschätzten Nettoerlöses, der beim Verkauf der Anlage nach Rückgabe vom Leasing-Nehmer anfällt. Wird der Leasing-Gegenstand von der Leasing-Gesellschaft nicht bar gekauft, ist eine Verbindlichkeit zu passivieren, und zwar in Höhe des Aktivpostens. Ist der Leasing-Geber nicht eine Leasing-Gesellschaft, sondern der Hersteller, ist zu Herstellkosten zu bilanzieren.

5 Vgl. hierzu: Rau, H.-G., Steuerliche Behandlung des Leasing, in: Der Betrieb, Beilage 10/71, S. 14.

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Konrad Mellerowicz

3. Stellungnahme

zum

Leasing-Urteil8

In der Begründung zum B F H - U r t e i l heißt es unter Bezugnahme darauf, daß Leasing wirtschaftlich eine andere Bedeutung habe als Miete, „wobei die Beachtung und Berücksichtigung der allgemeinen Bilanzierungsvorschriften für die handelsrechtliche und bilanzsteuerrechtliche Beurteilung hier keine Unterschiede gerechtfertigt erscheinen lassen". Dies bedeutet, daß der I V . Senat die Zurechnungsvorschriften auch auf die Handelsbilanz angewendet wissen will. Nach § 39 H G B hat der Kaufmann seine Vermögensgegenstände in die Bilanz aufzunehmen. Folgt man der streng formalistischen Auffassung, nach der handelsrechlich juristisches Eigentum („sein Vermögen") zur Aktivierung Voraussetzung ist, so scheint es, daß der I V . Senat § 5 E S t G außer acht gelassen hat, nach dem in der Steuerbilanz lediglich das aktiviert werden darf, was nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in der Bilanz auszuweisen ist. § 5 E S t G geht — als lex spezialis — dem LeasingE r l a ß vor. Immer noch besteht, wenn es auch praktisch oft durchbrochen wird, so ζ. B. durch die steuerlich ermöglichten Sonderabschreibungen, die auch in die Handelsbilanz übernommen werden können und übernommen werden müssen, wenn sie steuerlich in Anwendung kommen sollen, das Maßgeblichkeitsprinzip, das aber in LeasingFällen offenbar keine Gültigkeit hat. Im Rahmen der LeasingBilanzierung findet daher der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums auch auf den § 39 H G B Anwendung; d. h., es ist auch handelsrechtlich nicht die juristische, sondern die wirtschaftliche Zugehörigkeit für die Bilanzierung entscheidend. Dies um so mehr, als das Urteil des I V . Senats inzwischen vom V . und I. Senat sinngemäß bestätigt wurde, so daß man hier von einer gefestigten steuerlichen Rechtsprechung ausgehen kann, während handelsrechtlich nodi keine bindende Regelung zum Leasing vorliegt. Demnach würde dies wieder einer der Fälle sein, in denen das Maßgeblichkeitsprinzip nicht nur durchbrochen, sondern geradezu umgekehrt wird. Aber zum Begriff des wirtschaftlichen Eigentums, wie er im Leasing-Urteil angewandt wird, ist einiges zu sagen. Wirtschaftliches Eigentum bedeutet nicht nur Nutzungsfähigkeit, sondern volles Verfügungsrecht, also z. B. Verkauf auf eigene Rechnung, Tausch und sonstige Verwertung. Dies trifft jedoch auf Leasing-Verträge nicht

6 Zu den Abschnitten 3. und 4. siehe besonders die Arbeiten von W P Lotte Knapp und Prof. Flume in den im Literaturverzeichnis angegebenen Schriften.

Leasing-Gesdiäfte und Bilanzierung

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zu, selbst nicht für alle Leasing-Verträge mit Optionsrecht. In vielen Fällen ist es mindestens zweifelhaft, ob volles wirtschaftliches Eigentum — unabdingbare Voraussetzung für Bilanzierungsfähigkeit — wirklich gegeben ist. Es genügt handelsrechtlich zur Begründung wirtschaftlichen Eigentums nicht (wie nach der Rechtsprechung des I V . Senats), daß ein Dritter den rechtlichen Eigentümer auf die Dauer von jeder Einwirkung auf das Wirtschaftsobjekt ausschließen kann, denn § 39 H G B setzt beim Bilanzierenden die volle Verfügungsgewalt voraus, was beim Leasing-Nehmer nicht der Fall ist. Man merkt nur zu deutlich, daß im Leasing-Urteil das Leasing in Kauf umgedeutet wird, was unstatthaft ist, weil es das Wesen des Leasing mißdeutet. Selbst Leasing mit Option kann nicht einwandfrei als wirtschaftliches Eigentum behandelt werden, wenn am Bilanzierungszeitpunkt nicht absolut sicher ist, daß die Option voll ausgeübt wird. Aber wann ist, bei dem heutigen Wandel in der Wirtschaft, der ständig andere Dispositionen verlangt, dieser Fall wirklich gegeben? Auf die Aktivierung des Optionsrechts soll hier nicht eingegangen werden. Für das zu behandelnde Thema ist es unwichtig. Handelsrechtlich ist im allgemeinen, um diesen Punkt abzuschließen, das Leasing-Objekt beim Leasing-Nehmer nicht aktivierungsfähig. Das es bei Leasing mit Kaufoption (und bei Ubereinstimmung von Grundmietzeit und betriebsüblicher Nutzungsdauer) anders liegen kann, ist zuzugeben. Auch beim Leasing mit Verlängerungsoption gibt es für das Leasing-Objekt kein wirtschaftliches Eigentum, höchstens dann, wenn das Leasing-Objekt bis zum vollen Verschleiß, also zur gesamten technischen Nutzungsdauer beim Leasing-Nehmer verbleibt. D e r Leasing-Erlaß nimmt die Vertragslaufzeit als Grundlage für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentümers: Verträge bis zu 4 0 und über 90 % der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer sollen den Leasing-Nehmer zum wirtschaftlichen Eigentümer machen, in anderen Fällen (zwischen 4 0 und 9 0 %>) den Leasing-Geber. Durch diese Regelung wird der Leasing-Erlaß in den meisten Fällen den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht gerecht. D a r a u f wird weiter unten im einzelnen eingegangen. Zu bemängeln ist beim Leasing-Erlaß außerdem die Auslegung des Begriffes der betriebsüblichen Nutzungsdauer. Bei der Nutzungsdauer eines Anlagegegenstandes ist a) die wirtschaftliche, b) die technische Nutzungsdauer zu unterscheiden.

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Die wirtschaftliche Nutzungsdauer ist überaus betriebsindividuell, von sehr vielen Umständen abhängig: von den Aufträgen, dem technischen Fortschritt, dem wirtschaftlichen Wandel u. v. a. Im voraus ist sie genau überhaupt nicht bestimmbar. Die technische Nutzungsdauer ist die maximale Lebensdauer eines Gebrauchsgegenstandes, bis er nicht mehr genutzt werden kann. Diese Nutzungsdauer ist durchaus bestimmbar. Nur dann, wenn technische und wirtschaftliche Nutzungsdauer übereinstimmen, ist die wirtschaftliche auch die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Weder die notwendigerweise individuelle wirtschaftliche Nutzungsdauer, noch die technische Nutzungsdauer lassen sich aus den AfATabellen bestimmen. Wenn von dem Begriff der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer für die Zurechnung ausgegangen wird, kann immer nur die (in vollen Jahren gemessene) voraussichtliche Nutzungsdauer gemeint sein. Um den besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen des einzelnen Betriebes gerecht zu werden, ist die in Prozenten der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer gemessene Grundmietzeit in den meisten Fällen zu global. Jeder Betrieb ist eine Individualität, mit den nur ihm eigenen Besonderheiten. So muß ζ. B. die Organisation individuell sein. Organisationen nach Schema sind immer falsch. Das gleiche gilt für die gesamte Unternehmenspolitik, auch die Leasing-Verträge der Unternehmen verlangen eine individuelle Behandlung. Bestimmungen für Unternehmen müssen Differenzierungen zulassen — die Bestimmungen des Leasing-Erlasses lassen Differenzierungen aber nicht zu. Leasing-Urteil und Leasing-Erlaß beziehen sich zudem nur auf das Finanzierungs-Leasing. Obschon diese Leasing-Form (in den verschiedensten Abarten) in der BRD die meist vorkommende ist, können, wenn schon Regelungen getroffen werden, die übrigen Formen nicht ausgelassen werden. Werden sie nach den Regeln des FinanzierungsLeasing behandelt, bedeutet dies eine verstärkte Mißachtung wirtschaftlicher Notwendigkeiten. Insbesondere ist es das Hersteller-Leasing mit oder ohne Einschaltung von Leasing-Gesellschaften oder des Handels, das eine eigene Behandlung verlangt. In der seit Jahrzehnten bekannten Form als Vermietungsgeschäft mit Gebrauchsgütern (Telefone, Fernschreiber, EDV-Anlagen) durchgeführt, ist das Zurechnungsproblem in diesen Fällen ein völlig anderes, und niemandem würde es einfallen, das Leasing-Objekt dem Leasing-Nehmer zuzurechnen. Eine ergänzende Regelung zum Leasing-Erlaß ist unabweisbar. (In den meisten Fällen sind ζ. B. Telefon-Vermietungsverträge echte Miet-, nicht Leasing-Verträge. Hier entstehen beim Mieter weder Aktivierungs- noch Passivierungsfragen.)

Leasing-Geschäfte und Bilanzierung

4. Leasing in der

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Handelsbilanz

Die steuerlichen Grundsätze für die Behandlung von LeasingGeschäften sind für die Handelsbilanz nicht maßgeblich, auch nicht besonders geeignet: die Fragestellung ist in beiden Bilanzen eine verschiedene. In der Handelsbilanz ist nicht die Frage entscheidend, wem das Leasing-Gut zuzurechnen ist, dem Leasing-Geber oder dem LeasingNehmer, sondern zu wessen Vermögen es tatsächlich gehört, Vermögen im vollen Sinne des Wortes. So ist a) der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums nach § 11 StAnpG und im Leasing-Erlaß ein anderer als im Handelsrecht. Nach Handelsrecht gehört zum wirtschaftlichen Eigentum (Vermögen) volle Verfügungsgewalt auf die Dauer, nicht nur das Nutzungsrecht, sondern auch die Substanz und der Ertrag, dazu das Recht, nach eigener Disposition zu verfügen: zu verkaufen, zu tauschen, zu vermieten. Auch Beleihbarkeit gehört zu den Kriterien des Eigentumsrechts. Leasing-Ne/??wer sind in den meisten Fällen nicht wirtschaftliche Eigentümer, auch nicht bei Übereinstimmung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer mit der Grundmietzeit, weil ihnen die volle Verfügungsgewalt (ζ. B. der Verkauf) fehlt. LeasingObjekte gehören nicht zum Vermögen des mietenden Unternehmens. Wirtschaftliches Eigentum nach StAnpG und „Vermögen" nach Handelsrecht sind nicht gleich. b) Betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer bedeutet betriebswirtschaftlich: betriebsindividuelle von inner- und außerbetrieblichen, vor allem marktwirtschaftlichen Bedingungen abhängige Nutzungsdauer. Es gibt demnach betriebswirtschaftlich eigentlich keine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer, da sie bei allen Unternehmen, selbst gleicher Branchenzugehörigkeit, verschieden sein muß. Allgemeingültig kann nur die technische (maximale) Nutzungsdauer angegeben werden. Deshalb ist wirtschaftlich das Verhältnis von „betriebsgewöhnlicher" Nutzungsdauer zur „Grundmietzeit" niemals ein Maßstab für die Zurechnung des Leasing-Objektes zum Leasing-Nehmer oder Leasing-Geber. Zudem müssen Bilanzierungsgrundsätze alle Leasing-Formen und alle Leasing-Güter umfassen. Die verwandten Begriffe müssen eindeutig sein und eine klare Bilanzierungsentscheidung ermöglichen. Die Leasing-Verträge ergeben sich aus den individuellen Betriebsbedürfnissen, die Praxis zeigt daher eine Fülle von Vertragsgestaltungen. Demnach müssen in allen Regelungen weitestgehende Differenzierun-

Konrad Mellerowicz

422

gen möglich sein. Das Wirtschaftsleben und die Betriebsdispositionen folgen nicht einem Schema.

5. Bilanzierungskriterien a)

beim Leasing

Finanzierungs-Leasing

Für die Bilanzierung von Leasing-Geschäften gilt das Handelsrecht, insbesondere der § 39 HGB, gelten die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, gilt aber auch der § 5 EStG wie für die „normalen" Handelsgeschäfte. Es kommt nur darauf an, festzustellen, ob die Leasing-Objekte aktivierbar sind. Aktivierung eines Gegenstandes setzt seine Zugehörigkeit zum Vermögen des Betriebes voraus. Er muß für den Betrieb ein Mehr an Substanz und Wert darstellen und dabei der vollen Verfügungsmacht des Unternehmers unterliegen. Es ist daher in jedem einzelnen Falle festzustellen, zu wessen Vermögen das Leasing-Objekt gehört, zum Vermögen des Leasing-Gebers oder -Nehmers. Vermögenszugehörigkeit ist dabei gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Eigentum. Bestimmend für die Vermögenszugehörigkeit des Leasing-Gegenstandes ist die Art des Leasing-Vertrages. Die leasing-nehmer-orientierten Verträge sind weitaus in der Minderheit, da zur Vermögenszugehörigkeit eines Leasing-Objektes mehr gehört als die meisten Leasing-Verträge zugestehen. In den meisten Fällen bleibt ein Rest — er sei größer oder kleiner —, der dem Leasing-Geber verbleibt und ihm die Vermögenszugehörigkeit sichert. Es gibt freilich eine Reihe von Sonderfällen, die in die Hauptregel einzugliedern Schwierigkeit bereitet. Aber das Kriterium der

Vermögenszugehörigkeit

behält in jedem Falle seine Bedeutung. Der

Hauptgrundsatz der Bilanzierung von Leasing-Geschäften lautet daher: Die Bilanzierung der Leasing-Objekte kommt dem Leasing-Beteiligten zu, zu dessen Vermögen sie gehören. Beim ~LedLSmg-Nehmer müssen also Substanz, Ertrag und volle Verwertungsmöglichkeit gegeben sein, wenn er die Leasing-Objekte aktivieren soll. Für die Bilanzierungsfähigkeit entscheidend ist der Inhalt der Leasing-Verträge. Beim Leasing-Nehmer ist es oft problematisch, ob er bilanzierungspflichtig ist oder nicht. Für den Leasing-Ge¿>er ergeben sich kaum Probleme; für ihn gelten die üblichen Bilanzierungsgrundsätze. Die wichtigsten, für den Lta.sm%-Nehmer in Frage kommenden, die Bilanzierung beeinflussenden Vertragsinhalte sind die folgenden, aufsteigend von dem völlig klaren Fehlen der Bilanzierungspflicht bis zur völlig sicheren Verpflichtung zur Bilanzierung:

Leasing-Geschäfte und Bilanzierung

423

a) Einfache (optionslose) Leasing-Verträge: keine Bilanzierungspflicht. (Der Leasing-Nehmer ist lediglich Mieter, ohne Verwertungsrecht. Die Leasing-Objekte gehören nicht zu seinem Vermögen. Wer den Rest verwerten will, least nicht, er kauft.) b) Leasing-Verträge, bei denen Grundmietzeit und betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer übereinstimmen: keine Bilanzierungspflicht, es sei denn, es bleibt kein verwertbarer Rest. (Der Leasing-Nehmer besitzt kein Verwertungsrecht. Meist bleibt noch ein verwertbarer Rest, der dem Leasing-Geber verbleibt. Das second-hand-Geschäft der Leasing-Gesellschaften ist ein wichtiger, in der Bedeutung zunehmender Teil des Gesamtgeschäftes. Das Grundvermietungsgeschäft soll nur Kostendeckung und kleinen Gewinn bringen.) c) Leasing mit Verlängerungsoption: meist keine Bilanzierungsverpflichtung. (Beim Abschluß des Leasing-Vertrages ist die Vornahme der Verlängerung ungewiß, der technische und wirtschaftliche Wandel ist zu groß. N u r wer bei Vertragsabschluß zur Verlängerung fest entschlossen ist, den Vertrag bis zur U n brauchbarkeit des Leasing-Objektes zu verlängern, könnte bilanzierungspflichtig werden.) d) Verträge mit Kaufoption: Leasing-Nehmer (bedingt) bilanzierungspflichtig: 1. wenn der Mieter zum Kauf fest entschlossen ist (was sich aber während der Vertragszeit immer noch ändern kann) oder er sich zum K a u f sogar verpflichtet (hier liegt aber schon ein verdeckter K a u f vor); 2. wenn der Vorteil des Kaufs so groß ist (sehr niedriger K a u f preis und sonstige mit dem K a u f verbundene Vorteile), daß dadurch ein Sachzwang entsteht.

e) Verträge mit gesichertem

Eigentumsübergang:

Bilanzierungs-

pflicht beim Leasing-Nehmer. (Bei diesen Verträgen, die eigentlich verdeckte Käufe darstellen, geht, nach Ablauf der Grundmietzeit, das Eigentum auf den Mieter über; der Leasing-Geber verzichtet auf die Rückgabe.) f) W o das Verwertungsrecht des Leasing-Geyers zweifelsfrei feststeht, liegt die Bilanzierungspflicht bei ihm. Er kann das Verwertungsrecht sogar während der Mietzeit ausüben (etwa verkaufen), wenn dem Mieter das Nutzungsrecht nur während der ganzen Mietzeit gesichert ist. Beim Finanzierungs-Leasing sind das Equipmentund das Immobilien-Leasing von besonderer Bedeutung. Zwischen beiden besteht kein grundsätzlicher Unterschied. Diese Ansicht vertritt auch das

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K o n r a d Mellerowicz

BMWF im Schreiben über Immobilien-Leasing vom 21. 3 . 1 9 7 2 (F IV Β 2/S. 2170/11/72). Zwar ist das Immobilien-Leasing eine Form des FinanzierungsLeasing, aber im Bilanziellen zeigt das Immobilien-Leasing gewisse Besonderheiten. Das gilt auch für das Special-Leasing (das also auf die Verhältnisse des Leasing-Nehmers besonders zugeschnitten ist), das im Immobilien-Leasing besonders oft vorkommt. Ein Immobilien-Leasing liegt nur dann vor, wenn a) der Vertrag für eine bestimmte Zeit abgeschlossen, b) er während dieser Zeit unkündbar ist und c) die Raten während der Grundmietzeit den Anschaffungspreis bzw. die Herstellkosten, dazu alle Nebenkosten und die Finanzierungskosten des Leasing-Gebers decken 7 . Entscheidend für die Zurechnung und Bilanzierung ist auch beim Immobilien-Leasing die Vertragsgestaltung. Immer sind aber Gebäude und Grund und Boden getrennt zu halten. Verbundene Betrieb svorrichtungen werden als bewegliche Wirtschaftsgüter behandelt. Als betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer werden bei Grundstücken und Gebäuden 50 Jahre angenommen. b) Operating-Leasing Es ist nicht möglich, an dieser Stelle alle Formen des Leasing in die Untersuchung über die Bilanzierungspflicht einzubeziehen, es sind deren zu viele, die Vertragsinhalte zu verschieden und die Variationsmöglichkeiten fast unbegrenzt. Dann hilft nur die Entscheidung des Einzelfalles aus dem Hauptgrundsatz heraus: ob volle Verwertungsmöglichkeit gegeben ist oder nicht. Einer Sonderuntersuchung bedarf aber in jedem Falle das Operating-Leasing, gleichgültig, ob die Vermietung von Gütern direkt durch den Hersteller geschieht oder durch Einschaltung des Handels. Hier besteht kein Zweifel darüber, daß der Vermieter bilanzierungspflichtig ist. Es handelt sich hier meist um die altbekannten Mietgeschäfte ausgereifter Gebrauchsgegenstände: Telefonapparate, Fernsehempfänger usw., mit allen Variationen, die sich in diesem Mietgeschäft entwickelt haben. Aber auch in dieses Mietgeschäft mit bekannten Usancen hat das neuartige Leasing-Geschäft Abwandlungen hineingebracht, die Finanzierungs- und Operating-Leasing mischen. Dann ergeben sich Bilanzierungsprobleme wie beim FinanzierungsLeasing, wenn auch hier in den meisten Fällen die Bilanzierung vom Vermieter vorzunehmen ist, und zwar zu Herstellkosten. 7 Diese Voraussetzung kann freilich nur v o m Leasing-Geber oder einem neutralen Dritten festgestellt werden, aber k a u m v o m L e a s i n g - N e h m e r .

Leasing-Geschäfte und Bilanzierung

425

III. Bilanzieller Charakter der Leasing-Objekte Welchen Charakter tragen die Leasing-Objekte? Sind sie Anlageoder Umlaufkapital oder sind sie — als schwebende Geschäfte — nur vermerk- oder berichterstattungspflichtig? Sollte ihnen im Bilanzschema nicht eine Sonderstellung eingeräumt werden, um ihrem Sondercharakter gerecht zu werden? Die steigende Bedeutung des Leasing-Geschäftes würde dies durchaus rechtfertigen. Aber in dieser Frage helfen weder Handels- noch Aktienrecht, obwohl schon das Maßgeblichkeitsprinzip die gesetzliche Klärung dieser Fragen nahelegt. Körperschaft-, Vermögen- und Gewerbesteuer sind hier betroffen. Anlagekapital ist ein Funktions-, kein Dingbegriff. Nicht der Gegenstand an sich wird zur Anlage, sondern erst durch die Nutzung als Anlageobjekt. Hierzu gehört etwas Doppeltes: 1. Längere Nutzungsdauer, mindestens über ein Jahr. 2. Nutzung im eigenen Betrieb — also Selbstnutzung. Nutzung im fremden Betrieb, etwa durch Leasing, nimmt dem Objekt beim Leasing-Geber die Anlageeigenschaft. Auf Leasing-Objekte bezogen, ergeben sich hieraus für ihren Bilanzcharakter zahlreiche Fragen. Zweifellos tragen vermietete und gemietete Anlagen einen besonderen Charakter. Sie entsprechen als Mietobjekte keineswegs in vollem Maße den Anlagen, die in der Bilanz der Aktiengesellschaften ( § 1 5 1 AktG) als solche erfaßt werden. Am nächsten kommen ihnen Leasing-Anlagen, die der LeasingNehmer auf Grund der besonderen Vertragsverhältnisse bilanzieren muß. Beide Begriffsmerkmale sind hier gegeben: die längere Dauer und die funktionale Betriebszugehörigkeit; denn sie werden im eigenen Betriebe längere Zeit genutzt; sie können auch, entsprechend ihrer Wertminderung, abgeschrieben werden. Und doch entstehen sogar hier Bedenken, sie als vollwertige Anlagen im aktienrechtlichen Sinne zu betrachten: sie sind nicht gekauft, nur gemietet. Trotzdem sind sie als Anlagen entsprechend § 151 AktG zu bilanzieren. Keineswegs können Leasing-Objekte als Umlaufkapital bilanziert werden, eben weil sie zum Gebrauch und nicht zum Umsatz bestimmt sind. Für den bilanzierungspflichtigen Leasing-Nehmer ist also der Bilanzcharakter der Leasing-Objekte relativ unproblematisch; sie sind Anlagegüter. Völlig anders liegen die Verhältnisse beim Leasing-Geber, soweit er die von ihm vermieteten Leasing-Objekte zu bilanzieren hat,

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seien es nun Investitionsgüter, Gebrauchsgüter, Immobilien, ganze Betriebe oder Betriebsteile. Als Gegenstand bilden sie Anlagen, ihnen fehlt aber funktionale Betriebszugehörigkeit, sie werden nicht eigen-, sondern fremdgenutzt. Als Anlagen bilanzieren darf er sie nicht, das widerspräche den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung. Andererseits muß er sie aber abschreiben, auch wenn sie fremdgenutzt werden. Abschreiben kann er sie aber nur, wenn er sie als Anlagen bilanziert. Hier stimmt also etwas nicht, mag die Steuer diese Art der Bilanzierung und die entsprechende Abschreibung auch als rechtens ansehen. Es gibt noch ein wichtiges Argument gegen die Bilanzierung der Leasing-Objekte als Anlagen: die Finanzierung wird in Unordnung gebracht. Anlagen sollen — was theoretisch und praktisch richtig ist — durch Eigenkapital finanziert werden. Beträgt nun ζ. B. der Bestand an vermieteten Objekten etwa 1 Mrd. DM — es gibt in der B R D solche Fälle —, so würde dieser Betrag einen ungeheuren Druck auf das Eigenkapital ausüben. Dabei wäre die Finanzierung von vermieteten Gegenständen durch Eigenkapital falsch, desgleichen die Bilanzierung als Anlagekapital. Dann bleibt nach dem bestehenden Aktiengesetz nur die Bilanzierung als Umlaufvermögen, eine andere Möglichkeit gibt das Aktiengesetz nicht. Es spricht auch anderes dafür, Leasing-Objekte als Umlaufvermögen anzusehen: Dienen Anlagegegenstände stets der Eigennutzung, so sind Umlaufgüter für den Markt bestimmt, ergeben sich jedenfalls aus dem Marktverkehr. Leasing ist hier geradezu eine neue Vertriebsmethode. Es spricht also nicht nur die Finanzierung dieser Gegenstände für ihren Charakter als Umlaufkapital. Gegenstände, die sich bereits bei der Kundschaft befinden und für deren Bezahlung im Mietvertrag ein fester Plan besteht, sollten richtigerweise durch Fremdkapital finanziert werden. Marktnähe und Art der Finanzierung sprechen demnach dafür, vermietete Gegenstände als Umlaufvermögen — wenn auch als besondere Positionen — zu bilanzieren, und zwar der Reihenfolge nach vor den Beständen. Aber auch diese Lösung, Leasing-Objekte beim Leasing-Geber als Umlaufvermögen zu bilanzieren, befriedigt nicht. So groß ihre Marktnähe auch ist, sind sie trotzdem keine Umlaufgüter normaler Art, sind nicht zu verkaufende, sondern vermietete Gegenstände. Als Umlaufgüter können sie auch nicht abgeschrieben, sondern müssen zu Anschaffungs- oder niedrigeren Zeitwerten ausgewiesen werden. Eine Abschreibung ist aber bei vermieteten Gegenständen unentbehrlich. Die bisher gegebenen Möglichkeiten der Bilanzierung von LeasingObjekten beim Leasing-Geber sind unbefriedigend. Hier sollte eine

Leasing-Geschäfte und Bilanzierung

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wesensbedingte Lösung gesucht werden, etwa durch Schaffung einer besonderen Bilanzposition im aktienrechtlichen Bilanzschema. Diese Position sollte zwischen dem Anlage- und U m l a u f v e r m ö g e n stehen, etwa als „Vermietete Gegenstände". Sie müßte freilich auch abschreibungsfähig sein. D a m i t hätten die Leasing-Objekte eine ihrer Eigenart entsprechende besondere Stellung in der Bilanz, und es wäre sowohl handelsrechlichen als auch körperschaftsteuerlichen Gesichtspunkten Rechnung getragen. D e r heutige Zustand bedeutet eine Lücke im Aktienrecht; sie sollte nicht unbeachtet bleiben.

Literatur: Berekoven, L.: Das Leasing, in: Handbuch der Unternehmensfinanzierung, München 1971, S. 769 ff.; Bremser, H . : Das Immobilien-Leasing, in: Der Betrieb, Beilage 23/1969, S. 10 ff.; Büschgen, H . E.: D a s Leasing als betriebswirtschaftliche Finanzierungsalternative, in: Der Betrieb, 20/167, S. 473 ff.; Fischer, O . : Der Einfluß von Leasing und Factoring auf Finanzstruktur und Kosten der Unternehmung, in: Schriften zur Unternehmensführung, Band 6/7, Wiesbaden 1968; Flume, W.: D a s Rechtsverhältnis des Leasing in zivilrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht, Teil I und II, in: Der Betrieb, 25/1972, H e f t e 1 und 2, S. 1 ff. und S. 53 ff.; Hagenmüller, F. K., H a t Leasing auch im H a n d e l Zukunft?, in: Schriftenreihe der Stiftung „Im Grüene", Bd. 33, Bern—Stuttgart 1966, S. 12 f.; Havermann, H.: Leasing — Eine betriebswirtschaftliche, handels- und steuerrechtliche Untersuchung, Düsseldorf 1965; Knapp, L.: Problematischer Leasing-Erlaß, in: Der Betrieb, 24/1971, S. 685 ff.; Knapp, L.: Leasing in der Handelsbilanz, in: Der Betrieb 25/1972, S. 542 ff.; Leasing-Handbudi, Hrsg. K . F. Hagenmüller, Frankfurt/M. 1965. Hieraus insbesondere folgende Beiträge: Bitschau, R., Kapitalersatz — durch Anlagepacht?, S. 13 ff.; Fink, H . , Equipment-Leasing in Bilanz und Steuer, S. 273 ff.; Gäfgen, D., Leasing in den USA, S. 109 ff.; Plathe, P . : Die rechtliche Beurteilung des Leasing-Geschäfts, Dissertation München 1969; Rau, H . G . : Steuerliche Behandlung des Leasing, in: Der Betrieb, Beilage 10/1971, S. 3 ff.; Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, Band 97, Bonn 1970; Schierloh, K . : Leasing — Steuerrechtliche Behandlung unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsentwicklung, Institut „Finanzen und Steuern", H e f t 99, Bonn 1971.

IV. ALLGEMEINES ZUM WIRTSCHAFTSRECHT

Unlauterer, relevanter und potentieller Wettbewerb H O R S T BARTHOLOMEYCZIK

I. Jedes Gesetz hat in seiner textlichen Ausformung Fehler und Lücken. Namentlich das Gesetzgebungsverfahren der Gegenwart läßt dem Gesetzgeber nicht die Ruhe, die er für die rechtssichere Abstraktion seiner Aussagen braucht.

II. Zur „Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen" (§ 22 GWB) Da der Inhalt eines Begriffes durch seinen Normenzweck wesentlich bestimmt wird 1 , muß der Begriff hier im gleichen Sinne wie in § 1 GWB verwandt worden sein. Daß dieses dennoch nicht geschehen ist, beweist die normative Besonderheit innerhalb des Systems, dessen Teil zu den allgemeinen Rechtswissenschaften gehört. Ein bedeutender Vertreter des Wettbewerbsbeschränkungsrechts, der den wahren und richtigen Ausspruch über den Wettbewerbsbegriff sehr differenziert darstellt, vergißt nicht, daraufhin den ständigen üblichen Hinweis zu suchen. Soviel wie es „Wettbewerbsbegriffe" gäbe, verändere sich auch zum Schaden der Rechtssicherheit der Begriff.

III. Drei Fehler traten bald bei der Bestimmung der Marktformen auf. a) Sie bedürfen besonderer Beachtung. b) Die Identitätstheorie setzt Wettbewerb und vollkommene Konkurrenz gleich. Sie muß daher zu besonderen Ergebnissen kommen. c) Dadurch würde der Wettbewerb auf das Ordnungsverhältnis einer Marktseite beschränkt. d) Wo der Begriff „Wettbewerb" auftauchte, wurde er ausschließlich als Angebots Wettbewerb verstanden. 1

A. a. O., WuW/E BGH 360 f. — Glasglühkörper.

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Horst Bartholomeyczik

e) Uber allem ist erkannt, daß es sich um Legitimation oder Aussdiluß von Macht handelt, daß es möglich ist, den Wettbewerbsbegriff durch gering abgewandelte Formulierungen so zu verändern, daß sich sein Inhalt verändert. f) Die Verwendung von Generalklauseln läßt sich infolgedessen nicht vermeiden. Das Letzte wäre allerdings in der deutschen Gesetzgebung der letzten 15 Jahre nicht nur auf dem Gebiet des Wirtschaf tsrechtes neu und würde die planenden Gesetzesanwender und Gesetzesunterworfenen schon durch gesteigerte formale Rechtssicherheit beglücken2. g) Wenn idi über die Richtigkeit und Praktikabilität eines systematisch geordneten Monopolrechts von Grund auf nachdenke und dabei einen möglichst selbständig funktionierenden Wirtschaftsablauf mit möglichster Freiheit von staatlichen Interventionen als Richtpunkt im Auge habe, dann gehe idi auf zwei Sätze zurück, mit denen Fritz Machlup, übrigens nicht nur ein Wirtschaftspolitiker und Wirtschaftstheoretiker, sondern auch ein Praktiker auf dem Gebiet österreichischer Wettbewerbsbeschränkungen, in einem Mainzer Seminar Erich Welters die Frage beantwortet: Wie stehen sie dem Monopolproblem gegenüber? Machlup antwortete ebenso spontan wie prägnant: (1) Das Monopolproblem ist unlösbar. (2) Wir müssen uns damit begnügen, den Markt offenzuhalten. In den beiden Sätzen Machlups drückt sich nicht die Resignation vor einem unlösbaren, zum mindesten schwer lösbaren Problem aus, sondern die weise Erkenntnis, daß wir es hier mit dem Phänomen einer rechtlichen Ordnung der Macht zu tun haben und daß wir ein tief im Irrationalen verwurzelten Phänomen einer Rationalordnung nur bis zu einem gewissen Grade geben könne, daß dieses schließlich um so besser gelingt, je einfacher die Lösung und der Weg zu ihr sind. Unser Verständnis der Macht schlechthin, nicht nur der wirtschaftlichen Macht, muß Ausgangspunkt der Regelung ihrer künftigen und der Kritik ihrer gegenwärtigen rechtlichen Ordnung sein. Vergleichen wir nur die Vorschriften über „Marktbeherrschende Unternehmen" oder auch nur die Mißbrauchsaufsicht über Marktbeherrschende Un-

2 Esser, Josef, Realität und Ideologie der Reditssidierheit in positiven Systemen, Festschrift für Theodor Rittler Aalen 1957.

Unlauterer, relevanter und potentieller Wettbewerb

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ternehmen, so stößt sich vieles in der Entscheidungs- und Rechtssetzungsproblematik. Nur ist auch weiterhin zu sagen: Wenn auf diese Grundfrage des Wettbewerbsbeschränkungsrechtes jeder eine andere Antwort gibt, dürfen wir uns nicht über die Schwierigkeiten wundern, die das Problem an die Grenze des Unlösbaren rückt. Aber so unterschiedlich sind die Meinungen über die Macht nicht mehr wie etwa noch vor 100 Jahren. Von den extremen Auffassungen her ist es zu einem weitgehenden Konsensus in der Mitte gekommen, so daß das Machtproblem durchaus wirtschafts- und rechtspolitisch lösbar erscheint, wenn wir auch sicherlich noch genügend Versuche zu einer tragbaren ökonomischen und gesellschaftspolitischen Ordnung unternehmen müssen.

IV. Auch die moderne Ethik bejaht die Macht als ein notwendiges Mittel zur Selbstverwirklichung des Menschen und der menschlichen Gemeinschaft. Sie ist zur Ordnung der menschlichen Welt notwendig, hat ihre Funktion im sittlichen Leben und kann hierzu die rechtliche Legitimation erhalten. Wie es der Jurist und Soziologe Max Weber sagte, könne aus Macht Herrschaft werden. Diese Notwendigkeit der Macht hat in jüngster Zeit der evangelische Theologe, religiöse Sozialist und Philosoph Paul Tillich in seinem Werk bejaht 3 . Diesem Gedanken konnte sich nicht einmal der französische Existenzialist Jean Paul Sartre in einem seiner Hauptwerke „L'être et le néant" entziehen. Für die Wirtschaftsordnung zieht ähnliche Folgen der Volkswirt und Soziologe Joseph Schumpeter, der vorübergehend als österreichischer Wirtschaftsminister mit der Praxis verbunden war. Er stellte, von der Grenznutzen-Schule herkommend und von der Gleichgewichtslehre beeinflußt, eine Theorie der wirtschaftlichen Dynamik auf. In ihrem Rahmen schlug sich seine Vorstellung von der Macht in seinem Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" folgendermaßen nieder 4 . „Denn es scheint, wir haben den Eskapismus, die Flucht vor der Wirklichkeit zu einem Denksystem entwickelt." In Kantzenbachs Schrift 5 „Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs" finden wir eine ähnliche Auffassung von der Dynamik ökonomischer Abläufe, in der er den besten Wettbewerb unserer Zeit sieht, dessen 3 4 5

Paul Tillich, a. a. O., „Liebe, Macht, Gerechtigkeit", 1955, Anm. IV, 1. A. a. O., „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie". A. a. O., Kantzenbach, „Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs" (1966).

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Horst Bartholomeyczik

Auswüchse allerdings durch eine behördliche Fusionskontrolle verhütet werden müßte 6 . Der gedrängte Uberblick über die Einstellung unserer Grundlagenund Sozialwissenschaften zum Phänomen der Macht zeigt, daß die extremen wissenschaftlichen Flügel heute ihre Bedeutung verloren haben. Wichtig ist jedenfalls, daß wir im Einklang mit den vorangegangenen Darlegungen die Macht als solche nicht als rechtlich illegitim betrachten, und daß wir ein Urteil über die Existenz legitimer Marktmacht erst nach einer vollständigen Analyse des Marktes abgeben können. Hier aber werden existenzoligopolistische Marktstrukturen nicht grundsätzlich als negativ angesehen. Solange der Wettbewerb wirksam bleibt, wird sogar eine gewisse, der Intensität des Wettbewerbs förderliche Verengung der Marktstruktur begrüßt. Kantzenbach meint als Vertreter der Wirtschaftswissenschaften, Ziel einer Wirtschaftspolitik müsse es sein, die Marktform herzustellen, in der der Wettbewerb am optimalsten gewährleistet sei. Das sei die Marktform der weiten Oligopole beschränkter Produkthomogenität und Markttransparenz. Sie setzt eine sorgfältige Analyse der Marktmacht eines Unternehmens in allen Marktbeziehungen voraus. a) Daher sind alle Machtbeziehungen zu untersuchen, in denen es zunächst zu seinen Mitbewerbern steht, die mit ihm derselben Marktseite angehören. b) Sodann ist zu prüfen, ob nicht ein aktuell-potentieller Konkurrent bereits soweit als neuer Mitbewerber seinen vollen Eintritt in den Markt begonnen hat, daß auch seine sich künftig voll entfaltende Macht schon durch die Bildung neuer Macht gefestigt ist. Vollkommene oder vollständige Konkurrenz hat nach dem heute ausgebildeten statischen Lehrmodell der Wirtschaftswissenschaften folgende Merkmale: 1. Unendlich viele Nachfrager und Anbieter, 2. Homogenität der Wirtschaftsgüter; Präferenzlosigkeit aller Marktteilnehmer, 3. unendlich schnelle Reaktionsgeschwindigkeit, 4. absolute Markttransparenz, 5. alle Marktteilnehmer handeln nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip, jeder von ihnen ist ein homo öconomicus. 6 A. a. O., Möschel, Bernhard, bewerbsbeschränkungen", 1974.

„Der Oligopolmißbraudi im Recht der

Wett-

U n l a u t e r e r , relevanter und potentieller W e t t b e w e r b

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Wesentlich ist aber nicht nur der Preiswettbewerb. E r wird mitunter so ausschließlich in den Vordergrund der Marktbedingungen gestellt, daß er zum wissenschaftlichen Fetisch wird. Gerade heute sind die einzelnen Wettbewerbsanstrengungen so stark aufgefächert, daß gleiche Preise innerhalb ungleicher Wettbewerbsleistungen und verschiedene Preise im Rahmen eines gleichen Gesamtwettbewerbsverhaltens liegen. Als „wissenschaftlicher Fetisch" zieht der Preis den Blick so ganz auf sich, daß er zum wirtschaftlichen Gesamtentgelt für die Lieferung eines Gutes wird. Die Zahl der Wettbewerbsfaktoren wächst ständig. Zu ihnen gehören alle Geschäftsbedingungen, zu diesen können Lieferungsbedingungen jeder Art, Zahlungs- und Finanzierungsbedingungen, Rabatte, zu den weiteren Wettbewerbsfaktoren, die Substituierbarkeit der Produkte und Leistungen, Haftungsbedingungen, die Übernahme der Produktionshaftung des Erzeugers gegenüber den einzelnen Kunden, Freizeichnungsklauseln als positive oder negative Preisfaktoren im wirtschaftlichen Sinne treten, die einzeln oder kombiniert einen größeren Anteil am Gesamtentgelt haben können als der in einer Geldleistung bezifferte Preis. Vgl. diese Auffassung, die ihre Bestätigung im Beschluß der B K a r t A vom 1 2 . 1 1 . 1 9 6 2 (Röhrenhersteller I I , W u W / E B K a r t A 538 ff., 544 ff.) findet. Zum Substitutionswettbewerb, an dessen Anfang die Produktdifferenzierung, vor allem die Produktverbesserung steht, auch W u W / E B K a r t A 737 („Superphosphat I I " ) . Außer den bereits genannten Wettbewerbsfaktoren spielt das Werben mit der Qualität, mit dem Kundendienst eine besondere Rolle. Auf dem Markt mit vielen technischen Produkten ist die technische Konzeption, das know how und der technische Service zu nennen, die dem Produkt seine Wichtigkeit gerade auf dem Markt für dieses Erzeugnis die charakteristische Prägung geben können. Soweit Sandrock7 in dem Parallelverhalten bei der Preisgestaltung den Normalzustand im Oligopol sieht, geht er von dem wirtschaftswissenschaftlichen Monopolbegriff aus. Ihm habe idi schon in meiner ersten Auflage den besonders normierten juristischen Oligopolbegriff in Abs. 2 G W B (Rdz. 62) entgegengesetzt. Dem Oligopol als Parallelverhalten steht dann aber der Rechtsbegriff des marktbeherrschenden Oligopois gegenüber. Auslegung des

Wettbewerbsbegriffes

Preise allein sind das unsicherste Kriterium, die Preisbewegungen in kontinuierlichen Zeiträumen bereits das bessere Kriterium. Bei der 7

A . a. O . , Grundbegriffe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen,

1968.

436

Horst Bartholomeyczik

Auslegung des Gesetzes interessiert uns primär der Rechtsbegriff des Wettbewerbs. a) Dabei gelang Knöpfte ein wesentlicher Durchbruch zu neuer Erkenntnis. Er verneinte den einheitlichen Wettbewerbsbegriff und ein einheitliches Wettbewerbsrecht, in dem Fikentscher noch das Unlauterkeitsrecht und das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen zusammenfaßte. Das Wettbewerbsverhältnis des UWG ist nicht an denselben zeitlich und räumlich-gegenständlichen, den sogenannten relevanten Markt gebunden. Diese Erkenntnis und seine Erkenntnisse zum oligopolistischen Wettbewerb gehören zu den besonderen Verdiensten Knöpfles8. Sein Wettbewerbsbegriff hat die Fensterglas-Entscheidung des BGH wesentlich beeinflußt. Seine Definition, unter Wettbewerb seien die wirtschaftlichen Erfordernisse (positive Anforderungen und Schranken), Risiken und Chancen zu verstehen, die sich für die einzelnen Marktbeteiligten daraus ergeben, daß die Marktpartner unter den verschiedenen Anbietern oder Nachfragern wählen oder doch von dem einen Anbieter oder Nachfrager auf andere ausweichen können, erscheint mir allerdings keine recht geglückte definitorische Abstraktion zu sein, soweit es sich um ihre Formulierung handelt. Aber schließlich kommt es nicht auf die Definition, sondern auf den materiellen Gehalt eines Begriffes an. Mit dem gesetzlichen Begriff des Wettbewerbs habe ich mich seit meinem ersten Vortrag um Themen der marktbeherrschenden Unternehmen ständig beschäftigt. Ich hatte dabei den Eindruck gewonnen, daß zwischen Rechtsprechung und Wissenschaft ein weitgehender Konsens erreicht war. b) Dieser Konsens ist nicht mehr vorhanden, seit der Aufsatz von Jürgen Baur9 vorliegt.

V. a) Baur möchte über Knöpfte hinaus nicht nur zwei verschiedene Wettbewerbsbegriffe im Lauterkeits- und im Recht der Wettbewerbs8 Seiner Abklärung haben sich zunächst Borckardt/Fikentscber, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkungen, Marktbeherrschung, 1957, Lukes in Festschrift f ü r Böhm, 1965, S. 2 2 0 ff., Sandrock, ich selbst in meiner Kommentierung im Gemeinschaftskommentar seit der l . A u f l . gewidmet, entgegen der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf, v o r allem Knöpfle in seiner Habilitationsschrift „Wettbewerb und die Realität des Wirtschaftslebens", 1966. • Jürgen Baur, Das Tatbestandsmerkmal „Wettbewerb", Z H R 1970, Bd. 134, S. 9 6 ff.

Unlauterer, relevanter und potentieller Wettbewerb

437

Beschränkungen erkennen. E r p r ü f t gerade auch a m Beispiel des § 22 Abs. 2 G W B , ob der Wettbewerb als Rechtsfigur regelmäßig in den Aspekten und Funktionen des realen Wettbewerbs besteht, die durch Sinn und Zweck der N o r m und ihre tatbestandliche Fassung festgelegt werden. b) Mit Recht v e r w i r f t Baur die Ausgangsthese Sandrocks v o m P a r allelverhalten als eines oligopolistischen N o r m a l z u s t a n d e s , weil sie auf den Forschungen der wirtschaftswissenschaftlichen Oligopoltheorie beruhe. Aus seiner Darstellung ergebe sich, daß es f ü r die Zwecke der Rechtsanwendung ausreiche, die f ü r die jeweils in Frage kommende N o r m relevanten Aspekte des Wettbewerbs und seine Funktionen zu ermitteln. Sie werden durch Tatbestandsmerkmale und Zweck der jeweiligen N o r m präzise festgelegt. Eine begriffliche Definition dieser Rechtsfigur Wettbewerb erweist sich als unnötig, daher brauche auch nach einem einheitlichen Wettbewerbsbegriff nicht gesucht zu werden. Es w i r d die A u f g a b e der rechtswissenschaftlichen Diskussion der nächsten Zeit sein, diese neue These zu überprüfen. D a b e i ist zu fragen, ob die Zurückführung der Auslegung auf eine Gesamtteleologie der relevanten N o r m , die bei Baur die Gesamtteleologie des ganzen G W B mit den gesellschaftspolitischen und ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs einschließt, sicherer ist als eine Typologie, die ebenso wie die N a t u r der Sache auf analogisches Arthur Kaufmann Denken zurückführt. W o das Gesetz in den Bestimmungen der M a r k t f o r m e n v o m „ M a r k t " spricht oder den Begriff des Marktes als eines gedachten ökonomischen Selbststeuerungsmechanismus durch Gebrauch des Begriffes „Wettbewerb" voraussetzt, ist der M a r k t immer nur als der relevante M a r k t in seinen räumlich-zeitlich und gegenständlichen Grenzen zu verstehen. Diese Beschränkung hat eine logische Voraussetzung. N u r in diesen Grenzen kann sich das Marktgesetz betätigen, der Preis sich nur aus der Relation von Angebot und A n n a h m e bilden. Wettbewerbsfaktoren anderer A r t , die Reaktionen der M a r k t partner hervorrufen, die Angebot und A n n a h m e beeinflussen, sind erfreulicherweise aktiv. D a h e r wird der Begriff der R e l e v a n z beibehalten und nicht f ü r leicht manipulierbar, wie o f t in den U S A , angesehen. E r leitet den Gesetzesanwender zu weiteren, engeren Machtanalysen und ist damit ein G a r a n t f ü r die Richtigkeit und die A b grenzung rechtlich legitimierter Wirtschaftsmacht. c) S o werden die räumlichen Grenzen durch den A b s a t z r a u m des Gutes oder durch den R a u m bestimmt, in dem bestimmte Dienstleistungen gefragt werden. O f t bestimmt mehr die Wirtschaftsstufe,

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oft mehr der Charakter des Gutes, oft die Verkehrserschließung, oft der Transportkostenanteil die räumlichen Marktgrenzen. Scharfsinnige Analysen können hier zu konstruktiven Anteilen führen. d) Daß an ihrer Bestimmung auch Herkommen, Landschaftsverhältnisse und in ihnen wurzelnde Anschauungen teilnehmen können, hat die Entscheidung des Kammergerichts im Falle „Bockhorner Klinker" so gut herausgearbeitet, daß an einer erfolgreichen Konkretisierung der räumlichen Geltungsgrenze nicht mehr zu zweifeln ist 10 . Die Machtanalyse verfeinert sich in der schwierigen Bestimmung gegenständlicher Marktgrenzen. Gleichwohl halte ich sie ebenfalls für gut konkretisiert, wenn man über einzelne Entscheidungen auch verschiedener Meinung sein kann. Im Anschluß hieran wird weiter bemerkt, der Gesetzgeber fordere danach nicht Gleichheit, sondern lediglich Gleichartigkeit, um mehrere nicht identische Waren oder gewerbliche Leistungen dennoch demselben Markt zuzuordnen und aus dieser Zuordnung ein Urteil auf vorhandenen oder fehlenden wirksamen Wettbewerb abzugeben. Was „gleichartig" sei, lasse sich am eindeutigsten aus der Sicht des Abnehmers und Verbrauchers feststellen. Für ihn seien alle Waren oder gewerblichen Leistungen gleichartig, die sich nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahestehen, daß sie ohne weiteres untereinander austauschbar sind. Entscheidungskriterium sei damit die funktionelle Austauschbarkeit im Sinne einer Marktgleichwertigkeit für den Verbraucher. Damit ist der von mir verwandte und bestimmte Begriff „Marktgleichwertigkeit", den ich bereits für die 1. Auflage meiner Kommentierung bestimmt habe, von der Rechtsprechung aufgenommen worden. Da meine Kommentierung genügend Einzelmaterial stellt, so ist eine Theoretisierung zum Begriff „marktgleichwertig" überflüssig. Die Juristen der USA stecken trotz des lange codifizierten Antitrustrechts noch zu sehr in der Methode ihres case law-Denkens, das solche Begriffe in einer Entscheidung wieder festigt, in einer anderen Entscheidung wieder stark in Frage stellt. Nicht nur die Entscheidungstätigkeit des BKartA, die Rsp. und die rechtspolitischen Vorschläge des BWM, sondern auch die wissenschaftliche Forschung haben die Problematik des relevanten Marktes zunächst in einem gewissen Entwicklungsstadium erschöpft. Alles weitere ist Einzelarbeit und Arbeit an der Berücksichtigung des gegebenen Sachverhalts.

10

WuW/E OLG 712.

Unlauterer, relevanter und potentieller Wettbewerb

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e) Wer sich mit diesem Problem weiter befassen will, sei auf die Monographie von Peter Beckmann: „Die Abgrenzung des relevanten Marktes im GWB", 1968, verwiesen. Abstrakte Einzelanalysen können methodisch die wissenschaftliche Rechtserkenntnis fördern. Sie können aber zu der Einbildung verführen, sie ermöglichten dem entscheidenden Juristen eine rationalere Subsumtion im Sinne klassischer Syllogismen, sie befreiten ihn von dem Entscheidungsalp, der über Generalklauseln liegt, die wertausfüllungsbedürftig sind. Diese sozialethische Aufgabe eines teleologisch bestimmten wertenden Denkens nehmen sie dem Juristen nicht ab. Sie erleichtern sie ihm auch nicht so wie es Fallgruppeneinteilungen tun, die sachverhaltsbezogen sind. Sie geben f ü r die N a t u r der Sache, die Typologie und f ü r die Fallgruppeneinteilung das analogische Denken frei und stellen die Frage, inwieweit vergleichbare nicht identische Sachverhalte noch eine identische Rechtsfolge herbeiführen können.

VI. Auch nach der Neufassung des § 22 G W B (2. Novelle) ist es A u f gabe des Wirtschaftsrechts immer wieder die Gerechtigkeit des Preises und des Äquivalenzprinzipes zu verwirklichen 1 1 . Der Wettbewerb hält die gesellschaftlichen K r ä f t e zur eigenverantwortlichen Sozialgestaltung an und ist infolgedessen der behördlichen Intervention überlegen. Auch dieses Gesamtsystem kann nie zu einem vollen Erfolg führen, in dem sich Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, Gemeinzweckmäßigkeit (Schmidt-Rimpler) zur vollendeten Harmonie vereinigen. Die Schwierigkeit liegt vor allem in einer theoretisch einwandfreien und praktisch Rechtssicherheit gebenden Abgrenzung der aktuellen von der potentiellen, aber der aktuellen gleichstehenden Konkurrenz. Aber diese Abgrenzung hat sich ebenso schwierig erwiesen wie einst in der Rechtswissenschaft und in der Rechtspraxis die Abgrenzung einer Chance, einer Rechtsaussicht, eines künftigen Rechts auf der einen von der Rechtsanwartschaft als einem bereits subjektiven aktuellen Recht auf der anderen Seite. Vor allem ist die Trennlinie weniger häufig dort untersucht, wo der Begriff potentieller Konkurrenz als aktiver Faktor der Wettbewerbsöffnung zu behandeln ist. 11

Bartholomeyczik/Benisch, nung, 1966.

Das Gegengewichtsprinzip in der Wirtschaftsord-

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Schwierig wird die Lösung, wenn man erkennt, daß in vielen Fällen die aktuelle Form der potentiellen Konkurrenz ebenso stark wie weniger offensichtlich ist. Dennoch bestimmt sie erheblich die Preis-, Absatz-Funktion des Unternehmens. Das aber ist ein untrügliches Zeichen ihres aktuellen Einflusses auf die Marktmacht. Das Unternehmen, das der Marktbeherrschung verdächtig ist, hat auch ohne eine Alleinstellung, die nicht neu geschaffen werden kann, noch immer eine überragende Stellung im Markt, die Marktbeherrschung zuläßt, weil es „keinem wesentlichen Wettbewerb" ausgesetzt ist. Auf der Angebotsseite ist festzustellen, ob die latente Konkurrenz eines Unternehmens, das gleichartige Waren oder gewerbliche Dienstleistungen anbieten will, schon soweit in den Machtbereich des Monopolinhabers eingreift, daß dieser nach dem Gesetz nicht mehr „ohne Wettbewerber" und auch „keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt" ist.

V I I . Der Begriff des potentiellen Wettbewerbs Er ist im Wettbewerbsbeschränkungsrecht keine unbekannte Größe mehr. Es wird seit jeher anerkannt, d a ß auch eine Beschränkung eines potentiellen Wettbewerbers etwa unter eine Wettbewerbsbeschränkung des § 1 G W B fällt. Aber die Beschränkung, welche die Partner eines Kartellvertrages oder eines Kartellbeschlusses vereinbaren, richtet sich auch gegen jeden künftigen Wettbewerb, so daß dieser Fall mit der Bedeutung des potentiellen Wettbewerbs f ü r eine marktbeherrschende Stellung nicht verglichen werden kann. Hier handelt es sich aber nicht um den Schutz des potentiellen Wettbewerbs in diesem Sinne, sondern hier handelt es sich um den Einfluß des potentiellen Wettbewerbs auf eine Marktstellung i. S. der Abs. 1 und 2 des § 22 GWB. Hefermehl strebt drei Erscheinungsformen an. D a v o n gehören eine dem unlauteren, zwei dem Wettbewerbsbeschränkungsrecht an. Unter wirtschaftlichem Wettbewerb hat sich auch die Zahl der Wettbewerbsfaktoren erhöht. Es sind anzufügen: Geschäftsbedingungen, zu diesen können Lieferungsbedingungen jeder Art, Zahlungsund Finanzierungsbedingungen, Rabatte, zudem weitere Wettbewerbsfaktoren wie Substituierbarkeit der Produkte und Leistungen, Haftungsbedingungen, die Übernahme der Produktionshaftung des Erzeugers gegenüber den weiteren Abnehmern, Freizeichnungsklau-

Unlauterer, relevanter und potentieller Wettbewerb

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sein als positive oder negative Preisfaktoren im wirtschaftlichen Sinn treten, die einzeln oder kombiniert einen größeren Anteil am Gesamtentgelt haben können als der in einer Geldleistung bezifferte Preis. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung im Beschluß des B K a r t A v. 12. 11. 1 9 6 2 1 2 zum Substitutionswettbewerb, an dessen A n f a n g die Produktdifferenzierung, vor allem die Produktverbesserung steht 1 3 . Kritik an den beteiligten

Wirtschaftskreisen

D a r a u s ergibt sich eine weitere Erkenntnis für die M a r k t f o r m e n des Oligopois und des Teiloligopols. D i e Existenz oligopolistischer M a r k t s t r u k t u r e n wird nicht grundsätzlich als negativ angesehen. Solange der W e t t b e w e r b wirksam bleibt, wird sogar eine gewisse, der Intensität des Wettbewerbs förderliche Verengung der M a r k t s t r u k t u r begrüßt. E i n solches U r t e i l setzt allerdings eine sorgfältige Analyse der M a r k t m a c h t eines Unternehmens in allen Marktbeziehungen voraus. Schließlich ist zu prüfen, ob nicht ein aktuell-potentieller K o n kurrent bereits soweit als neuer Mitbewerber seinen vollen E i n t r i t t in den M a r k t begonnen hat, daß auch seine sich künftig voll entfaltende Macht schon durch die Bildung einer Machtanwartschaft in einer Machtbeziehung zum überprüfenden Unternehmen besteht. In allen drei Fällen kann M a r k t m a c h t durch Gegenmacht p a r a l y siert, neutralisiert werden. M i t Recht haben V e r t r e t e r der Wirtschaftswissenschaft von M a r k t beherrschung nur gesprochen, wenn die Organisationsformen beider M a r k t f r o n t e n , der Angebots- und der Nachfrageseite sowie die Elastizitäten beider M a r k t f r o n t e n als Kriterien berücksichtigt werden. I m Oligopol jedenfalls sei W e t t b e w e r b am optimalsten gewährleistet. D a s seien die M a r k t f o r m e n der weiten Oligopole mit beschränkter Produkthomogenität und M a r k t t r a n s p a r e n z 1 4 . D e m Oligopol steht dann aber der RechtsbegrifF des marktbeherrschenden Oligopois gegenüber. Ich habe mich darum bemüht, mit H i l f e des Rechtsbegriffes des marktbeherrschenden Oligopois Fallgruppen herauszuarbeiten, zu denen v o r allem das solidarische H a n d e l n einer Gruppe, die sogenannte Gruppendisziplin oder die Äußerung des Corpsgeistes, die nicht-barometrische Preisführerschaft gehören, die sich auf einen k o n 12 Beschluß BKartA v. 12. 11. 1962 (Röhrenhersteller II, WuW/E BKartA 538 ff., 544 ff.). 13 Vgl. audi WuW/E BKartA 737 = Superphosphat II. 14 Kantzenbach, Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., 1969, S. 49.

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tinuierlichen Zeitraum so erstrecken, daß es ihnen auf einen gleichbleibenden Einfluß auf das Gesamtentgelt, nicht nur auf den Preis ankommt. Eine begriffliche Definition dieser Rechtsfigur „Wettbewerb" erweist sich als unnötig. Daher braucht auch nach einem einheitlichen Wettbewerbsbegriff nicht gesucht zu werden. Wohl wird es aber die Aufgabe der rechtswissenschaftlichen Diskussion der nächsten Zeit sein, diese neue These zu überprüfen. Dabei ist zu fragen, ob die Zurückführung der Auslegung auf eine Gesamtteleologie der relevanten Norm, wie bei Baur, die Gesamtteleologie des ganzen GWB mit den gesellschaftspolitischen und ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs einschließt. Die Berücksichtigung dieser Machtbeziehung ergibt praktisch eine Machtneutralisierung oder eine Machtminderung und daher ein Weniger an Monopol.

VII. Danach ist der Begriff „Wettbewerb" durchaus nicht gleich geblieben. In den drei großen Wettbewerbsbegriffen, die Gegenstand aller Untersuchungen gewesen sind, ist aber gerade das Zusammenspiel betonter neuer Begriffe interessant geworden.

15 Vgl. Bartholomeyczik, potentieller Wettbewerb, WuW/EBb 11 und 12, vor allem wie die Zusammenfassung auf S. 769 ff.

Zur Rechtsstellung des gutgläubigen Wechselerwerbers Der Entwurf der Kommission f ü r internationales Handelsrecht bei den Vereinten Nationen im Vergleich zur Genfer Wechselrechtskonvention HELMUT COING

I. Die bei den Vereinten Nationen gebildete Kommission f ü r Internationales Handelsrecht (Uncitral) hat schon vor geraumer Zeit entschieden, daß Arbeiten aufgenommen werden sollten, um die Schaffung eines neuen Papiers vorzubereiten, welches dem internationalen Zahlungsverkehr dienen sollte. Das Sekretariat hat nach einer umfangreichen Enquete bei den interessierten Kreisen und nach Vorberatungen, an denen unter anderem Vertreter des International Monetary Fund, der Organisation des Etats américains, der Conference de droit international privé de La Haye, des Institut international pour l'unification du droit privé in Rom, der Banque internationale de Cooperation économique, der Banque des règlements internationaux und der Internationalen Handelskammer sowie der Fédération bancaire der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft teilgenommen hatten, nunmehr einen Entwurf eines einheitlichen Gesetzes über die internationalen Wechsel und den internationalen Eigenwechsel mit einem Kommentar vorgelegt 1 . Die Arbeiten beruhen auf der Erwägung, daß die Anwendung verschiedener Wechselrechtssysteme im internationalen Zahlungsverkehr, insbesondere der Wechselrechte anglo-amerikanischer Prägung und derjenigen, die auf den Genfer Konventionen beruhen, zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten führt. Anders als das Genfer einheitliche Wechselgesetz soll das neue Gesetz jedoch nicht als allgemeines Wechselrecht eingeführt werden. Es ist vielmehr ausschließlich für den internationalen Zahlungsverkehr gedacht. Dementsprechend bestimmt Artikel 1 des Entwurfs 2 : La présente loi est applicable aux lettres de change internationales et aux billets à ordre internationaux. 1 A / C N . 9/WG. I V / W P . 2 v o m 21. November 1972. Mir liegt der französische Text vor, der Originaltext ist englisch. 2 Der hier behandelte Text wird in Zukunft als Entwurf zitiert.

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Der internationale Wechsel wird sodann in Absatz 2 des ersten Artikels folgendermaßen umschrieben: Une lettre de change internationale est un instrument écrit qui: a) Contient, dans son texte même, la formule: «Veuillez payer contre cette lettre de change internationale régie p a r la Convention . . . » (ou une formule équivalente). b) Contient le mandat inconditionnel donné par une personne (le tireur) à une autre (le tiré) de payer à une personne déterminée (le bénéficiaire), ou à son ordre, une somme déterminée; c) Est payable à vue ou une échéance déterminée; d) Est signé par le tireur; e) Indique qu'il a été émis dans un pays autre que celui du tiré ou du bénéficiaire ou du lieu òu le paiement doit être effectué. Entsprechend sind die Bestimmungen f ü r den internationalen Eigenwechsel, das billet à ordre international gefaßt. Daraus ergibt sich, daß der internationale Wechsel nicht nur durch seine Bezeichnung vom nationalen Wechsel formell herausgehoben ist, sondern daß er auch nur dann formell zulässig ist, wenn Ausstellungsort, Zahlungsort, Wohnsitz des Bezogenen oder des Remittenten jeweils verschiedenen Ländern angehören. Ergibt sich schon hieraus, daß das neue Papier den Wechsel nach nationalem Recht f ü r den Inlandsverkehr nicht verdrängen soll, so hebt die Denkschrift noch hervor, daß der Gebrauch des neuen Papieres als fakultativ gedacht ist, es soll den Parteien f ü r den internationalen Zahlungsverkehr zur Verfügung stehen; die Parteien sollen aber nicht gebunden sein, im internationalen Zahlungsverkehr nur dieses Papier zu verwenden. Bekanntlich ist eine derjenigen Fragen, in denen sich die jetzt vorhandenen großen Wechselrechtssysteme, also das angelsächsische einerseits, das der Genfer Wechselrechtskonvention andererseits, voneinander unterscheiden, die Regelung des gutgläubigen Erwerbs. Die folgenden Bemerkungen sollen einer Analyse der Regelung dieses Problems in dem neuen Entwurf gewidmet sein.

II. Zunächst sei ein kurzer Blick auf die Grundzüge der Regelung der beiden vorhandenen Systeme geworfen. 1.

Nach dem System des einheitlichen Wechselgesetzes der Genfer Konvention werden hinsichtlich des gutgläubigen Erwerbs bekanntlich zwei Probleme geschieden und unterschiedlich geregelt.

Zur Rechtsstellung des gutgläubigen Wediselerwerbers

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Das Problem des gutgläubigen Erwerbes des Wechsels, anders ausgedrückt, das Problem des Schutzes des gutgläubigen Erwerbers gegenüber Mängeln seiner Rechtsstellung, die ihren Ursprung in mangelnder Dispositionsbefugnis des Vormannes haben, also der Schutz gegen den Herausgabeanspruch des bisherigen wahren Berechtigten, und das Problem des Ausschlusses von Einwendungen, die ein Wechselschuldner gegebenenfalls gegen den Erwerber des Wechsels erheben kann. Das erste Problem ist im deutschen Wechselgesetz in § 16 Absatz 2, das zweite teilweise in Artikel 17 Wechselgesetz geregelt. D a nach diesem System die beiden Probleme getrennt betrachtet werden, sind auch die Lösungen verschieden, soweit die Anforderungen in Betracht kommen, die an den guten Glauben gestellt werden. Für das erste Problem, also den Erwerb des Wechsels von einem Nichtverfügungsberechtigten, behandelt das Gesetz denjenigen als gutgläubig, der den Rechtsmangel in der Person seines Vormannes nicht gekannt hat, ohne daß ihm dabei grobe Fahrlässigkeit zur Last fiel. Nach Artikel 17 dagegen wird als bösgläubig erst behandelt, wer beim Erwerb des Wechsels bewußt zum Nachteil des Wechselschuldners gehandelt hat. Fällt ihm also nur grobe Fahrlässigkeit zur Last, so kann der Schuldner ihm die in Artikel 17 geregelten Einwendungen nicht entgegensetzen. Enthält das Wechselrecht des Genfer Abkommens also insofern eine differenzierte Lösung, so komplizieren sich die Dinge noch dadurch weiter, daß die in Artikel 17 vorgesehene eben zitierte Regelung bezüglich der Einwendungen bewußt unvollständig gehalten ist 3 . Da der Artikel 17 ausdrücklich nur von Einwendungen spricht, „die sich auf seine (des Wechselschuldners) unmittelbare Beziehung zu dem Aussteller oder zu einem früheren Inhaber gründen", bleibt die Frage der Behandlung derjenigen Einwendungen, die sich gegen die wechselrechtliche Verpflichtung des Wechselschuldners selbst richten, insoweit offen. Die Frage, wie sie zu behandeln sind, ist infolgedessen streitig. Auf die Einzelheiten dieser Streitfrage kann und soll hier nicht eingegangen werden, es sei nur hervorgehoben, daß von der herrschenden Lehre teils eine analoge Anwendung des Artikels 10, teils eine solche des Artikels 16 Abs. 2 vorgeschlagen wird 4 . Im ganzen gibt 3 Vgl. dazu Denkschrift der Reichsregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Abkommen zur Vereinheitlichung des Wechselrechts, Reichstagsdrucksache Nr. 1442, Reichstag S.Wahlperiode; dazu Baumbach-Hefermehl, 8. Aufl. Bemerkung 2 zu Art. 17 WG. 4 Vgl. die Darstellung bei Stranz, Wechselgesetz (14. Aufl.) Anmerkung 15 zu Art. 17 WG; Baumbach-Hefermehl (8. Aufl.) Anmerkung 6 ff. zu Art. 17, insbesondere Anmerkung 9.

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das auf der Genfer Konvention beruhende deutsche Wechselrecht jedenfalls dem Gesamtkomplex der Stellung des gutgläubigen Erwerbers des Wechsels eine sehr differenzierte und von Zweifelsfragen im einzelnen nicht freie Lösung. 2.

Für das anglo-amerikanische Wechselrecht ist bekanntlich der englische Bill of Exchange Act von 1882 maßgebend geworden. Dieses Gesetz ist, was die Frage der Rechtsstellung des gutgläubigen Erwerbers angeht, durchaus anders aufgebaut. Die Probleme der Rechtsstellung des Erwerbers eines Wechsels, der formell ordnungsmäßig ist und durch einen formell ordnungsgemäßen Ubertragungsakt (Indossament) oder Übertragung eines blanko indossierten Wechsels erworben wird, werden hinsichtlich des Erwerbs des Wechselrechts und des Ausschlusses von Einwendungen grundsätzlich einheitlich gelöst. Der Grundbegriff, den das englische Recht hierzu einführt, ist derjenige des „holder in due course". Dieser Begriff ist in section 29 des Bill of Exchange Act folgendermaßen umschrieben: (1) A holder in due course is a holder who has taken a bill complete and regular on the face of it, under the following conditions; namely, (a) That he became the holder of it before it was overdue, and without notice that it has been previously dishonoured if such was the fact: (b) That he took the bill in good faith and for value, and that at the time the bill was negotiated to him he had no notice of any defect in the title of the person who negotiated it. (2) In particular the title of a person who negotiates a bill is defective within the meaning of this Act when he obtained the bill, or the acceptance thereof, by fraud, duress, or force and fear, or other unlawful means, or for an illegal consideration, or when he negotiates it in breach of faith, or under such circumstances as amount to a fraud. (3) A holder (wether for value or not) who derives his title to a bill through a holder in due course, and who is not himself a party to any fraud or illegality affecting it, has all the rights of that holder in due course as regards the acceptor and all parties to the bill prior to that holder.

2 u r Rechtsstellung des gutgläubigen Wediselerwerbers

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Die Rechtsstellung eines holder in due course hat also zunächst zur Voraussetzung, daß der Betreffende den Wechsel als Remittent oder Indossatar erworben hat und in Besitz hat, oder daß der Wechsel, wenn er blanko indossiert ist, ihm übergeben worden ist. Der Wechsel muß beim Erwerb formell vollständig und äußerlich in Ordnung sein, es muß insbesondere zu dem Erwerber eine äußerlich korrekte Indossamentenkette führen. Der Erwerb muß stattgefunden haben, bevor der Wechsel fällig geworden ist und falls vorher Annahme oder Zahlung verweigert ist, muß der Erwerber insofern gutgläubig sein. Der Erwerb muß ferner unter folgenden Voraussetzungen stattgefunden haben. Das Erwerbsgeschäft muß in „good faith" abgeschlossen sein, es muß for value abgeschlossen sein und es darf der Erwerber zur Zeit des Wechselerwerbs keine Kenntnis von irgendeinem „defect in the title" seines Vormannes gehabt haben. Diese Voraussetzungen bedeuten im einzelnen vor allem folgendes. Das Erwerbsgeschäft muß in good faith abgeschlossen sein. Dazu bemerkt section 90 des Acts: " A thing is deemed to be done in good faith, within the meaning of this Act, where it is in fact done honestly, wether negligently or not." Das Erwerbsgeschäft darf also selbst nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Ein Erwerb in good faith würde ζ. Β. nicht vorliegen, wenn jemand von einem Trustee erwirbt und dabei weiß, oder doch bei erforderlicher Sorgfalt wissen müßte, daß der Trustee in breach of Trust als unter Bruch seiner Verpflichtungen als Trustee handelt. Der Begriff good faith entspricht also insoweit nicht dem Begriff des guten Glaubens im deutschen Wechselrecht, sondern umschreibt vielmehr allgemein, daß das Erwerbsgeschäft, selbst unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben betrachtet, in Ordnung gehen muß. Der Begriff ,for value' ist in section 27 des Bill of Exchange Acts dahin festgelegt, daß jede consideration, die zum gültigen Abschluß eines einfachen Vertrages genügt, auch für den Wechselerwerb genügt. Ferner ist dem Erfordernis for value audi genügt, wenn eine „antecedent debt or liability" vorliegt. Endlich darf der Erwerber keine Kenntnis von einem defect of title haben, also einem Mangel in der Rechtsstellung seines Vormannes haben. Dies ist das Erfordernis welches dem des guten Glaubens im Sinne des Genfer einheitlichen Wechselgesetzes noch am nächsten kommt. Ein defective title liegt vor, wenn der Vormann des holder in due course seinerseits den Wechsel durch Betrug, Drohung oder Zwang oder auf andere ungesetzliche Weise oder gegen eine ungesetzliche consideration erworben hat. Der holder in due course darf

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von solchen Fehlern im Erwerbstitel seines Vormannes keine positive Kenntnis haben. Im Gegensatz zu dem Erfordernis des good faith, das soeben erwähnt wurde, schadet dem Erwerber jedoch hier Fahrlässigkeit, auch grobe Fahrlässigkeit, nicht. N u r positive Kenntnis davon, daß bei dem Vormann ein Fehler im Rechtstitel in dem eben umschriebenen Sinne vorliegt, schließt es aus, daß der Erwerber holder in due course ist. H a t jemand einen Wechsel als holder in due course erworben, so hat er nach section 38 alle Rechte aus dem Wechsel, insbesondere den Anspruch auf Zahlung gegen den Wechselschuldner. Dritte können gegen ihn nicht geltend machen, daß er von einem Vormann erworben hat, der keinen rechtmäßigen Titel besaß, bei dem also ein defect of title gegeben war. Ebenso sind für den Wechselschuldner alle „mere personal defences" ausgeschlossen. D a f ü r , daß ein Inhaber eines Wechsels holder in due course ist, streitet eine gesetzliche Vermutung.

III. Die Regelung des neuen internationalen Wechselgesetzes k n ü p f t in der äußeren Systematik zunächst an das angelsächsische Vorbild an. Wieweit es diesem Vorbild wirklich in den Einzelheiten folgt, wird später zu erörtern sein. Dementsprechend wird die Lösung des Problems des gutgläubigen Erwerbs aus dem zentralen Begriff des „geschützten Wechselerwerbers" des protected holder (porteur protégé) entwickelt. Da das Gesetz auch nach angelsächsischer Gesetzgebungstechnik aufgebaut ist, enthält es in Artikel 5 gesetzliche Definitionen der wichtigsten rechtstechnischen Ausdrücke. Hier ist nun auch der Begriff des protected holder (porteur protégé) definiert. Die Definition lautet im französischen Text (Artikel 5 N r . 9): L'expression «porteur protégé» désigne le porteur d'un effet qui, au vu des mentions qui y sont portées, paraît complet, régulier et non échu, à condition que ledit porteur n'ait eu, lors de la réception de l'effet, connaissance d'aucune action ou exception relative à l'effet, ni du fait que celui-ci avait été protesté. Danach ist jemand geschützter Wechselinhaber, wenn er folgende Bedingungen erfüllt: 1.

Der Betreffende muß zunächst Inhaber, holder oder porteur des Wechsels sein.

Zur Rechtsstellung des gutgläubigen Wechselerwerbers

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Dieser Begriff ist wiederum gesetzlich in Artikel 5 Nr. 6 definiert. Danach muß jemand, um porteur zu sein, zwei Voraussetzungen erfüllen: a) Er muß den Wechsel im Besitz haben. Hierbei ist der Ausdruck Besitz nicht technisch im Sinne eines bestimmten Rechtssystems zu nehmen, sondern ähnlich wie in Artikel 16 des deutschen Wechselgesetzes als untechnisch etwa im Sinne von „in Händen haben", zu verstehen. Wie der Besitz erlangt ist, ist dafür, ob jemand „porteur" ist, gleichgültig. Auch wer den Wechsel durch Diebstahl erlangt hat, kann infolgedessen Inhaber oder porteur sein. Andererseits ist der rechtmäßige Wechselrechtsträger, der den Besitz am Wechselpapier verliert, nicht mehr holder oder porteur. b) Der Betreffende muß aber weiter entweder Remittent oder Indossatar sein. Dabei ist der Begriff des Indossaments ebenfalls gesetzlich definiert (Art. 5 Nr. 5); danach genügt ein Blankoindossament. Dem Blankoindossament wird die Bedeutung beigelegt, daß der Wechsel an jeden Inhaber zu zahlen sei. Wer den Wechsel durch Diebstahl erlangt hat, ist daher dann holder oder porteur, wenn der Wechsel in blanko indossiert war, andernfalls jedoch nicht. Trassant und Trassat als solche sind ebenfalls nicht porteur, es sei denn, daß sie den Wechsel später erneut erworben haben. Damit jemand porteur protégé ist, müssen jedoch noch weitere Voraussetzungen gegeben sein, nämlich: 2.

Was den Wechsel angeht, so muß dieser, formell betrachtet, zunächst vollständig und regelmäßig sein. Der Wechsel muß also alle formellen Merkmale, welche das einheitliche Gesetz über den internationalen Wechsel aufstellt, aufweisen. Es muß ferner äußerlich eine vollständige Indossamentenkette vorliegen. Nicht nötig ist, daß jedem Indossament auch ein wirksamer Ubertragungsakt zugrunde liegt. Aus der ausdrücklichen Sonderbestimmung des Artikels 22 des einheitlichen Gesetzes ergibt sich ferner, daß auch die Fälschung eines Indossaments es nicht ausschließt, daß ein späterer Erwerber holder in due course wird. Er darf jedoch dann keine Kenntnis von der Fälschung gehabt haben. Das gleiche gilt für den Fall, daß ein Indossament von einem Vertreter ohne die erforderliche Vertretungsmacht gezeichnet worden ist.

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Ferner darf der Wechsel noch nicht fällig sein. Wer nach Fälligkeit erwirbt, kann also niemals protected holder werden. Hierfür ist wichtig, daß das einheitliche internationale Wechselgesetz vorsieht, daß Sichtwechsel gemäß Artikel 53 spätestens ein J a h r nach dem Ausstellungsdatum als zahlbar angesehen werden. 3.

Es gibt ferner subjektive Voraussetzungen in der Person des Erwerbers. Der Erwerber muß in einem bestimmten Sinne gutgläubig sein. Niemand kann die Rechtsstellung eines geschützten Wechselinhabers (protected holder) erwerben, wenn er bei Erwerb des Wechsels davon Kenntnis hat, daß der Wechsel protestiert ist, daß eine action or acception im Hinblick auf den Wechsel existiert. a) Was den Maßstab für die Gutgläubigkeit des Erwerbers angeht, so liegt, wie sich aus Artikel 16 des einheitlichen internationalen Wechselgesetzes ergibt, der den Begriff der Kenntnis definiert, noch keine endgültige Entscheidung vor. Zwei Möglichkeiten werden erwogen. Natürlich soll positive Kenntnis des Erwerbers stets den guten Glauben ausschließen. Nach der Definition des Artikels 16 also Kenntnis darstellen. Nodi nicht entschieden ist aber, ob auch eine Unkenntnis, die auf grober Fahrlässigkeit beruht, der positiven Kenntnis gleichgestellt werden soll. Ebenso ist noch die Frage offen, wie der Fall behandelt werden soll, daß jemand ursprünglich Kenntnis gehabt hat, diese Kenntnis aber beim Erwerb nicht mehr gegenwärtig gehabt hat. Jedenfalls soll der gute Glaube nur dann ausgeschlossen sein, wenn Kenntnis der fraglichen Tatsachen beim Erwerb des Wechsels vorgelegen hat. Später erhaltene Kenntnisse soll die Rechtsstellung des protected holder nicht ausschließen oder beeinträchtigen. b) Was den Inhalt der Kenntnis angeht, welche die Gutgläubigkeit ausschließt, also die Tatbestände, auf die sich die Kenntnis beziehen muß, so kommen nach der Regelung des Entwurfs in Betracht: eine Herausgabeklage im Hinblick auf den Wechsel sowie das Vorhandensein von Einwendungen, die einem Wechselverpflichteten gegen die Wechselforderung zustehen. Nach dem Wortlaut des Entwurfs könnte man zweifeln, ob die Kenntnis sich auf das Vorhandensein dieser Rechtsbehelfe oder darauf beziehen muß, daß sie bereits geltend gemacht sind. Indessen darf man nach den Regeln des bisher geltenden Wechselrechts wohl annehmen, daß die Kenntnis vom Vorhandensein genügt, d. h. die Kenntnis der

Z u r Rechtsstellung des gutgläubigen Wechselerwerbers

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Tatsache, aus denen sich ergibt, daß einem Dritten eine Herausgabeklage zustehen könnte oder daß Einwendungen vorhanden sind. Ferner kommt als Tatsache, deren Kenntnis den Erwerb der Rechtsstellung eines protected holders ausschließt, die Kenntnis eines Protestes mangels Annahme oder mangels Zahlung in Betracht.

IV. Die Rechtsstellung des geschützten Wechselinhabers (protected holder) ist nach Artikel 25 des Entwurfs folgendermaßen geregelt. 1. Der geschützte Wechselinhaber (protected holder) braucht den Wechsel Dritten nicht herauszugeben, die sich auf ein früher erworbenes Recht an dem Wechsel stützen 5 . Diese Bestimmung deckt also die Fälle, in denen der Wechselinhaber den Wechsel deshalb nicht durch den Ubertragungsakt erwerben konnte, weil seinem Veräußerer, seinem Vormann, das Wechselrecht selbst bzw. das Recht darüber zu verfügen, nicht zustand. Sie schützt ihn also auch gegen Mängel des Erwerbsgeschäftes, mit dem der Vormann selber den Wechsel erworben hatte. Der protected holder ist insofern sowohl gegen den Herausgabeanspruch des eigentlich Berechtigten, der daraus resultieren könnte, geschützt, wie dagegen, daß der Wechselverpflichtete selbst sich darauf beruft, daß das Wechselrecht einem Dritten zusteht, was nach dem Entwurf unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Artikel 24 des Entwurfs) möglich ist. 2.

Was die Rechtsposition des geschützten Wechselinhabers (protected holder) hinsichtlich von Einwendungen gegenüber der Wechselforderung angeht 6 , so ist es zunächst wichtig festzustellen, in welcher Weise der Entwurf die möglichen Einwendungen gruppiert. Er unterscheidet: a) Einwendungen eines Unterzeichners (signataire), die sich auf besondere Rechtsbeziehungen zwischen diesem und seinem unmittelbaren Rechtsnachfolger stützen und welche unabhängig von der durch den Wechsel geschaffenen Rechtsbeziehungen bestehen. Von diesen EinVgl. dazu Artikel 16 Abs. 2 des Deutschen Wechselgesetzes. D e r Ausdruck Einwendungen soll hier stets im weitesten werden. 5

6

Sinne

verwendet

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Wendungen sagt Artikel 24 (2), daß sie weiteren Indossataren niemals entgegengesetzt werden können. Auf die Frage des gutgläubigen Erwerbs kommt es insofern anders als bei Artikel 17 des Deutschen Wechselgesetzes nicht an. b) Einwendungen, die sich gegen die Enstehung oder Fortexistenz der Wechselverpflichtung eines Unterzeichners richten. Hier ist die Frage, ob jemand geschützter Wechselinhaber (protected holder) ist, gemäß Artikel 25 bedeutsam. Dem einfachen Wechselinhaber gegenüber können solche Einwendungen grundsätzlich geltend gemacht werden. c) Die Einwendung der erfolgten Zahlung des auf andere Weise eingetretenen Erlöschens, der verweigerten Annahme oder des mangelnden Protestes. Auch insoweit wird der geschützte Wechselinhaber günstiger gestellt als der einfache Wechselinhaber (Artikel 25 (1) c). Die Frage, ob gutgläubig oder nicht gutgläubig erworben ist, ist also bedeutsam. Durch diese Unterscheidungen ist zunächst der Rahmen abgesteckt, in dem der gutgläubige Erwerb hinsichtlich der Einreden überhaupt eine Rolle spielt. Dies ist nämlich nicht bei der ersten, wohl aber bei der zweiten und dritten Gruppe (b und c) der Fall. Im Wortlaut der einschlägigen Vorschrift, dem Art. 25 des Entwurfs, tritt diese Gruppierung allerdings nicht deutlich hervor. Sie ergibt sich erst, wenn man Art. 25 mit Art. 24 vergleicht, der die Rechtsstellung des einfachen Wechselinhabers, also desjenigen, der nicht protected holder ist, betrifft. Der Art. 25 selbst stellt eine ganz allgemeine Regel auf. Der geschützte Wechselinhaber (protected holder) braucht danach keine Einwendungen gegen sich gelten zu lassen, die irgendeiner Person zustehen, die den Wechsel unterzeichnet hat. Diese Vorschrift gilt also sowohl für den Aussteller wie für den Bezogenen oder einen Indossanten. Von dieser allgemeinen Regel gilt allerdings eine wichtige Ausnahme. Beruft sich ein Wechselverpflichteter auf einen Tatbestand, der nach dem Recht, das f ü r die betreffende Verpflichtungserklärung maßgebend ist, die Nichtigkeit seiner Verpflichtungen nach sich ziehen würde, so soll seine Einrede auch gegenüber dem protected holder durchgreifen. Der Entwurf faßt also in Artikel 25 seinem Wortlaut nach Einwendungen, die sich gegen die Gültigkeit der Verpflichtungserklärung richten und solche, die dem einzelnen Wechselverpflichteten auf Grund anderer Tatbestände gegen den einzelnen Wechselinhaber zustehen (vgl. Art. 17 des Deutschen Wechselgesetzes), zunächst zusam-

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men. Gegen beide Arten von Einwendungen ist der geschützte Wechselinhaber grundsätzlich geschützt. Die erste Gruppe von Einwendungen, nämlich die, welche sich gegen die Gültigkeit der Verpflichtungserklärung richten, erfährt jedoch dann eine Sonderbehandlung, wenn der zugrunde liegende T a t bestand nach der nach dem Internationalen Privatrecht maßgebenden Rechtsordnung zur Nichtigkeit der Verpflichtung führt. In diesem Falle greift eine solche Einwendung auch gegen den geschützten Wechselinhaber (protected holder) durch. Es kommt insofern also nicht darauf an, welcher Sachverhalt im einzelnen vorliegt, sondern darauf, welche Rechtsfolge die nach Internationalem Privatrecht maßgebende Rechtsordnung an diesen Sachverhalt, etwa Wucher oder Drohung, knüpft. Besteht diese Rechtsfolge in der Nichtigkeit der eingegangenen Verpflichtung, wie das etwa im Falle des Wuchers nach deutschem Recht gemäß § 138 Abs. 2 B G B der Fall wäre, so muß der geschützte Wechselinhaber sie sich entgegenhalten lassen, andernfalls, wenn etwa nur Anfechtbarkeit die Folge wäre, ist dies dagegen wohl nicht der Fall, wenn dies auch mit Rücksicht auf § 142 Abs. 1 B G B zweifelhaft sein könnte. Im einzelnen kommen hier als Einwendungen gegen die Gültigkeit der Wechselverpflichtung selbst folgende in Betracht: Minderjährigkeit oder auf anderen Gründen beruhende beschränkte oder fehlende Geschäftsfähigkeit bei demjenigen, der einen Wechsel unterzeichnet hat 7 . Fehlende Identität bei dem Unterzeichner, also der Fall, daß jemand mit dem Namen eines anderen unterschrieben hat, ohne von ihm bevollmächtigt zu sein. Scheingeschäft, arglistige Täuschung und Betrug, Zwang, Wucher, Sittenverstoß, Gesetzwidrigkeit. 3. Für zwei Fälle enthält der Entwurf eine eigene Regelung, so daß es also bei diesen Fällen auf die Rechtsordnung, welche nach internationalem Privatrecht für die Verpflichtungserklärung des einzelnen Unterzeichners maßgebend ist, nicht ankommt.

7

Hierbei k o m m e n immer der Aussteller, der Bezogene und die Indossatare in

Betracht.

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a) Hinsichtlich der Fälschung einer Unterschrift legt der Entwurf selbst in Art. 22 (3) fest, daß eine gefälschte Unterschrift — ebenso eine Unterschrift, die ein Vertreter ohne Vertretungsmacht leistet —, denjenigen, dessen Unterschrift gefälscht ist oder f ü r den ein Vertreter ohne Vertretungsmacht mit dessen N a m e n gezeichnet hat, grundsätzlich nicht verpflichtet. Eine Ausnahme gilt nur dann nach Art. 28 des Entwurfs, wenn derjenige, dessen Unterschrift gefälscht ist, die Unterschrift später genehmigt oder, wenn der Betreffende einem bestimmten Wechselgläubiger gegenüber durch sein Verhalten den Eindruck erweckt hat, daß die Unterschrift echt sei. In diesem letzten Falle verpflichtet die Unterschrift nur diesem Gläubiger gegenüber. Bei dem Tatbestand der Fälschung kommt es also nicht darauf an, welche Stellung die Rechtsordnung einnimmt, welche die Verpflichtungserklärung nach internationalem Privatrecht beherrscht, insbesondere, welche Wirkung sie einer gefälschten Unterschrift beimißt. b) Im Entwurf selbst geregelt ist ferner der Fall, daß die Wechselschuld bereits gezahlt oder auf andere Weise erloschen ist, bevor der geschützte Wechselinhaber (protected holder) den Wechsel erworben hat. Art. 25 (1) c bestimmt hier, daß diese Erlöschensgründe dem geschützten Wechselinhaber nicht entgegengehalten werden können. Dies wird damit begründet, daß derjenige, der einen Wechsel zahlt, sich ja die Wechselurkunde aushändigen lassen kann (Art. 70 des Entwurfs) und damit eine mißbräuchliche Weitergabe des Wechsels trotz erfolgter Zahlung verhindern kann. Die gleiche Regelung gilt für den Fall, daß eine Wechselverpflichtung eines Indossanten deshalb nicht gegeben ist, weil der Bezogene die Annahme verweigert hat, deswegen aber nicht Protest erhoben worden ist (Art. 60 des Entwurfs). Auch in diesem Falle ist es also möglich, die Rechtsstellung eines geschützten Wechselinhabers (protected holder) zu erwerben. 4. Ein geschützter Wechselinhaber kann nach dem Entwurf alle Rechte geltend machen. Er kann ferner das erworbene Wechselrecht übertragen. Art. 25 I I des Entwurfs legt aber fest, daß die Übertragung dann und insoweit ohne Wirkung ist, als der Erwerber an einer geschäftlichen Machenschaft beteiligt gewesen ist, die ihrerseits eine Einwendung gegen die Wechselverpflichtung oder die mangelnde Verfügungsbefugnis eines der Vormänner des gutgläubigen Erwerbs begründet hat. In diesem Fall sollen also die betreffenden Einwendungen gegenüber dem neuen Erwerber durchgreifen bzw. er zur Her-

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ausgabe an den früheren Berechtigten verpflichtet sein, obwohl er selbst von einem geschützten Wechselinhaber sein Recht ableitet. Wer den Wechsel in Händen hat und durch eine Indossamentenkette ausgewiesen ist, von dem wird gemäß Art. 26 (1) vermutet, daß er protected holder ist. Handelt es sich jedoch um eine Einwendung und ist die urspüngliche Existenz einer Einwendung bewiesen, so muß nunmehr der Wechselinhaber seinerseits beweisen, daß ihm die Rechtsstellung eines geschützten Wechselinhabers (protected holder) zukommt (Art. 26 (2) des Entwurfs).

V. l.

Stellt man die Regelung des Entwurfs in Vergleich zu den bereits existierenden beiden Wechselrechtssystemen, so ist deutlich, daß der Entwurf in der Grundanlage eher dem anglo-amerikanischen System folgt. a) Von dem System der Genfer Wechselrechtskonvention in der Frage des gutgläubigen Erwerbs unterscheidet der Entwurf sich zunächst dadurch, daß er die Frage der Rechtsstellung des gutgläubigen Erwerbers einheitlich zu lösen versucht, während das Genfer einheitliche Wechselgesetz, wie oben bereits entwickelt, zwei Regelungen gibt, nämlich in Art. 16 die Frage regelt, wann der Inhaber den Wechsel einem Dritten mit Rücksicht auf sein besseres Recht herausgeben muß, und in Art. 17 eine allerdings nicht umfassende Regelung des Problems der Einwendungen gegenüber der Wechselrechtsforderung entwickelt. Die Lösungen für die beiden Probleme, dasjenige des Rechts am Wechsel und dasjenige der Freiheit von Einwendungen gegen die im Wechsel verbriefte Forderung sind nach dem Genfer System daher voneinander unabhängig geregelt und haben verschiedene Voraussetzungen. Dort schadet bereits grob fahrlässige Unkenntnis des mangelnden Rechtes des Vormanns; hier ist bewußtes Handeln zum Nachteil des Schuldners erst schädlich. Die Lösung des Entwurfs ist dagegen f ü r alle diese Fragen einheitlich. Es kommt darauf an, ob jemand die Rechtsstellung eines geschützten Wechselinhabers (protected holder) erworben hat oder nicht. Ist er nicht protected holder, ζ. B. weil er den Mangel der Rechtsstellung seines Rechtsvorgängers kennt, so wird er auch hinsichtlich von Einwendungen als einfacher Wechselinhaber (nicht geschützter Wechselinhaber) behandelt. Er ist nicht nur einer eventuellen Vindikation eines Dritten unterworfen, sondern

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sieht sich grundsätzlich auch den Einreden gegen das aus dem Wechsel folgende Recht ausgesetzt (vgl. Art. 24 Abs. 1 u. 2 des Entwurfs). Dementsprechend ist auch der Maßstab, nach dem beurteilt wird, ob jemand gutgläubig und damit protected holder ist, einheitlich. In beiden Fällen kommt es — je nachdem wie die endgültige Entscheidung fällt — entweder nur auf positive Kenntnis vom Vorhandensein des Rechtsmangels bzw. der Einwendung an, oder nach der Alternativlösung auf positive Kenntnis und Grobfahrlässigkeit der Unkenntnis. Es wird aber nicht unterschieden, je nachdem ob es sich um den Forterwerb von Einwendungen oder um den Erwerb bei mangelndem Rechte des Vormannes handelt. b) Was die Behandlungen der Einwendungen im besonderen angeht, so ist bereits darauf hingewiesen, daß der Entwurf von einer anderen Gruppierung ausgeht als das einheitliche Genfer Wechselgesetz. Praktisch bestehen folgende Unterschiede. Einwendungen, die auf besonderer Rechtsbeziehung zwischen Zeichner und Nachmann bestehen, also im wesentlichen die Einwendungen des Art. 17 Wechselgesetz, greifen grundsätzlich nicht durch. Auf den guten Glauben des Wechselinhabers bei Erwerb des Wechsels kommt es nicht an (Art. 24) des Entwurfs. Eine dem Art. 17 W G entsprechende Vorschrift fehlt. Einwendungen gegen den Bestand der Wechselforderungen sind anders als nach dem Wechselgesetz der Genfer Konvention ausdrücklich geregelt, wenn auch die Möglichkeit, sie gegen den protected holder geltend zu machen, im einzelnen von derjenigen Rechtsordnung abhängt, dem die Verpflichtungserklärung des betreffenden Wechselschuldners nach internationalem Privatrecht untersteht; es kommt darauf an, ob sie danach nichtig ist oder nur von einer schwächeren Sanktion betroffen ist. Für den Fall der Fälschung der Unterschrift eines Wechselschuldners gibt der Entwurf die gleiche Regelung wie das Genfer Wechselgesetz. Das gleiche gilt, wenn man der herrschenden Lehre folgt, f ü r den Fall der Zahlungen oder des sonstigen Erlöschens der Wechselverpflichtung. c) Liegen insofern also erhebliche Abweichungen von dem System der Genfer Wechselrechtskonvention vor, so besteht Ubereinstimmung in der Art und Weise wie die Gutgläubigkeit bestimmt wird. Für die Frage des guten Glaubens wird nämlich nur auf die Kenntnis (eventuell auf grobfahrlässige Unkenntnis) bestimmter Sachverhaltsmomente abgestellt, insbesondere solcher Momente, die eine mangelnde Verfügungsbefugnis bei dem Vormann des geschützten Wech-

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selinhabers zur Folge haben. Hierin steht der neue Entwurf also auch dem deutschen Wechselrecht näher als dem englischen. 2. Dem anglo-amerikanischen System steht der Entwurf, wie gesagt, grundsätzlich näher, insbesondere entspricht die grundsätzlich einheitliche Lösung des Problems des gutgläubigen Erwerbs des Wechsels diesem System und die Rechtsfigur des protected holder ist ersichtlich derjenigen des holder in due course des englischen Rechts nachgebildet. Trotzdem ergeben sich auch hier bedeutsame Unterschiede. a) Der geschützte Wechselinhaber des Entwurfs ist anders definiert als der holder in due course im englischen Bill of Exchange Act. Der Entwurf hat auf die Erfordernisse verzichtet, daß das Wechselrecht „in good f a i t h " und „ f o r value" erworben hat. D a s letzte Erfordernis ist gänzlich entfallen. Die Gutgläubigkeit aber bestimmt sich nach dem Entwurf anders als im englischen Recht ausschließlich danach, ob der Erwerber bestimmte Sachverhaltselemente gekannt hat, eventuell grobfahrlässig nicht gekannt hat. D a r a u f , ob das Erwerbsgeschäft des Wechselinhabers selbst in allgemeiner Hinsicht den Erfordernisse von ,good faith' oder ,Treu und Glauben' entspricht, kommt es dagegen nicht an. Hierin liegt eine bedeutsame Annäherung an das System der Genfer Wechselrechtskonvention. b) Auch bei der Behandlung der Einreden im einzelnen ergeben sich Unterschiede. Es sei hier hervorgehoben, daß nach dem Entwurf Einwendungen, die auf besonderen, von der Wechselrechtsbeziehung selbst unabhängigen Beziehungen des Wechselschuldners zu einem Wechselinhaber beruhen, grundsätzlich niemals einem Wechselinhaber entgegengesetzt werden können, ohne daß es hierbei auf die Frage des guten Glaubens ankommt. Eine entsprechende ausdrückliche Regelung ist im englischen Bill of Exchange Act nicht gegeben. Im ganzen wird man zu dem Urteil kommen müssen, daß in dem Entwurf eine wohldurchdachte Lösung vorliegt, die auch versucht, in vernünftiger Weise zwischen den beiden Systemen zu vermitteln. Freilich wird die Regelung, welche der Entwurf der Wirkung von Einwendungen gegen die Wechselverpflichtung selber zuteil werden läßt, gewiß zu schwierigen Rechtsfragen führen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es problematisch sein kann, wie das deutsche System der Anfechtbarkeit sich in das in dem Entwurf vorgesehene System einfügen würde. Ist eine Anfechtbarkeit nach deutschem Recht als

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Nichtigkeit im Sinne des Entwurfs zu behandeln oder nicht? Immerhin gibt der Entwurf diesem Problem, das das einheitliche Genfer Wechselgesetz richtiger Ansicht nach offen gelassen hat, eine schmiegsame Lösung, die den Spielraum der einzelnen nationalen Rechtsordnungen nicht zu sehr einengt.

Subventionen nach Art. 104 a Grundgesetz und ihre rechtliche Überprüfbarkeit JOACHIM KNIESCH

I. Es ist bewußt unterlassen worden, eine oder mehrere Definitionen für die verschiedenen Arten der Subvention zu geben, weil das sicher den gesetzten Rahmen gesprengt hätte. Insoweit kann auf einschlägige Literatur verwiesen werden 1 . Es ist Sinn dieses Beitrages, trotz seines weitgehend öffentlich-rechtlichen Charakters, das Interesse der Kenner des BGB, des Handels- und des Wirtschaftsrechtes beanspruchen zu dürfen. Das etwas im Abklingen befindliche sog. Wirtschaftswunder macht das Problem der Subventionen und seiner rechtlichen Grundlagen immer wesentlicher. Die Mittel des Marshall-Planes stellten nach 1948 das Grundkapital des Wirtschaftswunders dar, sind aber noch heute als ERP-Fonds Instrument der Beeinflussung und Lenkung der Wirtschaft. Um die Größenordnung der ERP-Hilfe als eine der großen Subventionen kurz zu skizzieren, sei nachstehend auf 2 Carstens, „Der Bund als Finanzier", verwiesen: „Das ERP-Sondervermögen mit seinem rund 7,5 Milliarden D M betragenden Bestand ist gelegentlich und sicher nicht zu Unrecht als eine Art „wirtschaftspolitischer Feuerwehr" bezeichnet worden, die es der Bundesregierung möglich macht, ohne drakonischen Zwang eines Gesetzes überall dort ausgleichend einzugreifen, wo das freie Spiel der K r ä f t e im Verlauf konjunktureller oder politischer Entwicklungen von innen oder außen gestört i s t . . . In diesen Schattenbereichen des Wirtschaftswunders bedarf es noch vieler Jahre einer aktiven Hilfe durch die Kredite des E R P Sondervermögens. Infolge ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage nach 1945 waren die europäischen Staaten jedoch nicht in der Lage, die Über1 Götz, Recht der Wirtsdiaftssubventionen 1966, S. 3 ff.; Staudinger-Weber, BGB 11. Aufl., Einl. vor § 2 4 1 Rdn. R. 39; siehe auch Sieber, Studie über Subventionen in „Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft", 1971; dazu auch Eppe, Subventionen und staatliche Geschenke, Verwaltung und Wirtschaft Bd. 34, 1966; Wolff, Verwaltungsrecht III § 154 I a; Siebert, „Privatredit im Bereich öffentlicher Verwaltung zur Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht" in Festschrift für H . Niedermayer, 1953. 2 Carstens. Vorwort zu einem Vortrag von Schlecht, „Der Bund als Finanzier" in FAZ vom 29. 9 . 1 9 6 3 .

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schiisse — des Auslandes, namentlich der U S A — z u r Versorgung der Eigenbevölkerung aufzukaufen. Auch eine weitere Verschuldung konnten sie sich sowohl wegen der Verschuldung gegenüber den U S A als auch infolge des Devisendefizits nicht leisten. Denn dieses Defizit betrug E n d e 1 9 4 7 e t w a 8 Milliarden D o l l a r . "

Es bleibt festzuhalten, daß nach Carstens u. a. der Vorteil des ERPSondervermögens darin liegt, daß ohne drakonischen Zwang eines Gesetzes die Möglichkeit gegeben ist, „konjunkturelle oder politische Entwicklungen", die von innen oder außen gestört erscheinen, ausgleichend zu glätten, also durch Verwaltungsmaßnahmen allein oder durch Bankinstitute im Auftrag der Wirtschafts- und Finanzbehörden. Es bedarf keiner Darlegungen, daß die notwendige Kontrolle der Vergabe öffentlicher Mittel erschwert ist, wenn diese Vorgaben im Wege von Verwaltungsmaßnahmen erfolgen, wobei erst mühselig festgestellt werden muß, ob sie mit den einschlägigen Haushaltsgesetzen und -planen in Ubereinstimmung sind, was notfalls auf bestimmte Klagen hin — nachgewiesener Ermessensmißbrauch bzw. Verstoß gegen den Gleichsatz oder den Grundsatz der sog. Selbstbindung der Verwaltung — zu entsprechenden Urteilen führen kann. Hier liegt die (richtig gesehene) Chance, aber auch die große Gefahr.

II. Ein spezieller Aspekt der Subventionsprobleme eröffnet sich bei näherer Untersuchung des neu eingefügten Art. 104 a GG, der im 3. Absatz von den Geldleistungsgesetzen und im 4. Absatz von den Finanzhilfen des Bundes an die Länder für bestimmte bedeutsame Investitionen zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums spricht. Näheres wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates oder, was im Rahmen dieses Themas von besonderer Bedeutung ist, aufgrund des Bundeshaushaltsgesetzes durch Verwaltungsvereinbarungen geregelt. Schon damit ist es gerechtfertigt, diese Verfassungsänderung abzuhandeln, weil ohne weitere Ausführungen ersichtlich ist, welche umfangreichen Investitionen und Finanzhilfen aus Globalbewilligungen im Bundeshaushalt durch die erwähnten Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern — auch mit einem Land allein — fließen können. Auf die möglichen rechtlichen Bedenken, die sich bei der Ausgestaltung der sog. Geldleistungsgesetze und deren Anwendung ergeben können, soll nur hingewiesen werden.

Subventionen nach Art. 104 a Grundgesetz

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1.

Die Finanzhilfe des Absatzes 4 des A r t . 104 a G G als Eingriff in die Länderverwaltung erfordert jedoch in diesem Zusammenhang wenigstens einige Bemerkungen, die allerdings kaum erschöpfend sein können. Absatz 4 durchlöchert den Grundsatz des Absatzes 1 des Art. 104 a G G und teilweise die Zuständigkeiten nach Art. 72 ff. G G . Der Bund unterstützt nicht immer nur Anliegen und Ziele der Länderregierungen, sondern er versucht auch, über die Gewährung derartiger Subventionen eine inhaltliche Bestimmung der Mittelverwendung und damit einen Einfluß auf die Landesverwaltung zu erreichen. 2. Darüber hinaus kann der Bund bei dieser allgemeinen Befugnis zur Fremdfinanzierung durch das Inaussichtstellen einer Finanzhilfe oder deren Versagung allgemeine „Wohlverhaltensprämien" an die Länder deren Gesamtpolitik beeinflussen. Deshalb war auch die Finanzermächtigung nach Absatz 4 während der gesamten Gesetzesberatung sehr umstritten 3 . 3. Empfänger der Finanzhilfen sind die Länder. Wenn das zu fördernde Investitionsprojekt durch Gemeinden oder Gemeindeverbände durchgeführt werden soll, darf nach allgemeiner Meinung der Bund die Länder nicht übergehen. Dadurch ist eine direkte Unterstützung durch den Bund aber nicht ausgeschlossen. Eine Finanzierung von Investitionsvorhaben der Gemeinden, aber audi von Unternehmungen, Verbänden usw. — sie erscheinen in Art. 104 a Abs. 4 G G als Investitionen der Länder — , sind jedoch von der Bewilligung des betreffenden Landes im Rahmen der Projektbindung abhängig, worauf noch im Rahmen der Nachprüfbarkeit und Justiziabilität zurückzukommen sein wird 4 . 4. Man könnte fragen, ob nicht aufgrund eines Umkehrschlusses auch Finanzhilfen der Länder an den Bund über Art. 104 a Abs. 4 G G denkbar seien. Das ist nicht möglich, weil keine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Lücke, die im Wege der verfassungsrechtlich zulässigen Auslegung oder Ergänzung geschlossen werden könnte, vorliegt (zumal auch der eindeutige Wortlaut des Abs. 4 dem entgegensteht). 3 Dazu Seeger, D Ö V 1968, 7 8 1 ; s. a. Tiemann, Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern in verfassungsrechtlicher Sidit, Schriften zum öffentl. Recht Bd. 131; Maunz, N J W 68, 2033 ff.; Sturm, D Ö V 68, 466 ff. 4 VogellKirchhof in B K — Art. 104 a — Rdn. 108.

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Eine interessante Frage ist es, ob die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 G G für die Auslegung des Art. 104 a Abs. 4 G G herangezogen werden kann. Zum Meinungsstreit insoweit wird auf Henle und Vogel/Kirchhof verwiesen 5 . Mit Vogel¡Kirchhof soll der Ansicht zugestimmt werden, daß die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 72 Abs. 2 G G auf die Auslegung des Art. 104 a Abs. 4 G G nicht übertragbar ist. Schon die Unterschiedlichkeit der Begriffe — hier bei Art. 104 a: „erforderlich", dort bei Art. 72: „Bedürfnis" — zeigt, daß bei ersterem strengere Anforderungen zu stellen sind. Ausschlaggebend dürfte aber sein, daß Art. 72 Abs. 2 G G im Verhältnis zu Art. 74 und 75 G G eine nur ergänzende Bedeutung hat, während die drei Voraussetzungen des Art. 104 a Abs. 4 G G die einzigen Grenzen verfassungsrechtlicher Art für die Zuständigkeit des Bundes zur Gewährung von Finanzhilfen sind. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, daß zur Aufrechterhaltung des Grundsatzes des Art. 104 a Abs. 1 G G die Voraussetzungen der Annahmebestimmungen in Abs. 4 nachprüfbar sein müssen®.

Bevor die Justiziabilität der Subventionen im weitesten Sinne zu prüfen ist, sei nodi folgendes zu der in Art. 104 a Abs. 4 G G vorgesehenen „Vereinbarung" bemerkt: a) Als Rechtsquelle im öffentlichen Recht und im Wirtschaftsrecht galt zumindest bis nach 1945 außer der Verfassung kraft des immer noch so hoch gepriesenen Vorbehaltes des Gesetzes die öffentlich-rechtliche Vereinbarung als nicht „standesgemäß", wenn man es so ausdrücken will. Namentlich im Zivilrecht konnte diese Rechtsquelle lange Zeit keine Anerkennung finden, hat sich aber jetzt dort allgemein durchgesetzt 7 . Audi der Verfasser dieses Beitrages hat sich bereits an anderem Ort für die Notwendigkeit und rechtliche Zulässigkeit des öffentlichrechtlichen Vertrages ausgesprochen. b) Bei dieser schnellen Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung als neue Rechtsquelle nimmt es nicht wunder, daß das TroegerGutachten im Jahre 1966 vorgeschlagen hat 8 , 5 Henle, D Ö V 1968, 4 0 2 ; Vogel/Kirchhof, a . a . O . , auch Achterberg, DVBI. 1967, 213 ff. 6 Vogel/Kirchhof in B K — Art. 104 a — Rdn. 109. 7 BVerfGE 18, 407 ( 4 1 5 ) ; Vogel/Kirchbof in B K — Art. 104 a — Rdn. I l l ; Staudinger-Weber, BGB — 11. Aufl., Einl. vor § 241, Rdn. R 50 ff. 8 Gutachten über die Finanzreform in B R D , 1966.

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„die Abgrenzungsschwierigkeiten der Finanzierungszuständigkeit des Bundes im gesetzesfreien Raum durch eine Verwaltungsvereinbarung klarzustellen, über die sich Bundes- und Länderregierungen gerade bei den Förderungsmaßnahmen und den sog. ungeschriebenen ,Finanzierungszuständigkeiten' verständigen sollten". c) Durch die vorerwähnten verfassungsändernden Gesetze wurde u. a. der Art. 91 b G G geschaffen, in dem es heißt, daß Bund und Länder aufgrund von Vereinbarungen bei der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenwirken können. Dabei darf in Erinnerung gerufen werden, daß durch den Art. 91 a GG, der gleichfalls verfassungsrechtlich neue Begriffe der Gemeinschaftsaufgaben zum Aus- und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen und Kliniken beinhaltete und zur Verbesserung der Regionalstruktur der Wirtschaft, der Agrarstruktur und des Küstenschutzes geschaffen wurde 9 . d) Der neu gefaßte Art. 104 a G G behandelt in Abs. 4 die Finanzhilfen des Bundes an die Länder f ü r besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind. Für diese Finanzhilfen bei Investitionen ist dann kein zustimmungspflichtiges Bundesgesetz erforderlich, wenn die Beträge bereits in den Bundeshaushalt eingestellt sind und Bund und Länder eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung getroffen haben. Dies ist ein weiterer Fall, wo sogar im Grundgesetz die gesetzesfreie Form für Finanzhilfen als Rechtsquelle anerkannt ist, sofern man das Bundeshaushaltsgesetz nicht als Ermächtigungsgrundlage ansieht 10 . Trotzdem kommt bei ihr die besondere Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern hinzu. Selbstverständlich ist eine solche Vereinbarung nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer neuartigen Rechtsquelle zu betrachten; bei ihrer rechtlichen Uberprüfung werden ebenso strenge Anforderungen gestellt werden müssen, wie es sonst bei der Auslegung oder Anwendung eines Gesetzestextes erforderlich ist. Der Verfasser weiß aus seiner langen Verwaltungs- und Gerichtspraxis, daß die Verwaltungsbehörden bei der Abfassung des formellen und materiellen Teils einer Verwaltungsvereinbarung — namentlich auf der Ebene der unteren Ver9 Tiemann, „Gemeinsdiaftsaufgaben von Bund und Ländern in verfassungsreditl. Sicht"; Schriften zum öffentl. Recht, S. 232; Klein, D Ö V 68, 153. 10 BVerfGE 20, 92 ff.

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waltungsbehörde — nicht die gebotene Vorsicht im Hinblick auf die Nachprüfbarkeit durch die Gerichte walten lassen und damit natürlich den rechtlichen Bestand dieser Rechtsquelle gefährden.

III. Als Folge der oben bereits mehrfach erwähnten verfassungsändernden Bundesgesetze sind nicht nur mit dem Bundesgesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschafts-Stabilitätsgesetze, sondern auch mit den ebenfalls in anderem Zusammenhang erwähnten Art. 91 a und 91 b G G — sog. Gemeinschaftsaufgaben — und vor allem den in Art. 104 a ff. G G geschaffenen Neuerungen breitere Räume für Subventionen möglich geworden", die inzwischen audi genutzt wurden. Dethloff12

meint hierzu:

„Diese neuen verfassungs- und bundesgesetzlichen Bestimmungen setzen so gut wie keine materiellen, zeitbezogenen oder situationsgebundenen Vorschriften für die F i n a n z - und Hochschulpolitik, S t r u k t u r - und A g r a r politik, Bildungs-, Verkehrs- und Stabilitätswesen, wie auch Sozialwesen. Sie setzen a u d i keine konkreten gesellschaftsrechtlichen Ziele. Sie erschöpfen sich vielmehr in der Weisung oder dem A u f t r a g an die Regierungen und deren V e r w a l t u n g , rational und vorausschauend planend. D e r artige Gesetze bezeichnet m a n in der Juristensprache als n o r m a t i v e A k t i o n s p r o g r a m m e . Sie sind in dieser F o r m in der Gesetzgebung des Bundes ein N O V U M , und ich meine, d a ß m a n aus ihnen den W a n d e l unseres heutigen Verwaltungsverständnisses ablesen k a n n . "

Man hat versucht, diese Gesetzgebung als „Magna C h a r t a " bezeichnen.

zu

IV. Abgesehen von den natürlichen finanziellen Grenzen der Planung ist unsere sog. pluralistische Gesellschaft mit ihren verschiedenen politischen Parteien und so zahlreichen Lobbyistenvereinen, die sehr unterschiedlich in den einzelnen Ländern der B R D und im Bund selbst vertreten sind, so „geordnet", daß es sehr schwer ist, einen einheit1 1 Zum Beispiel das „Gesetz über die Gemeinschaftsaufgaben, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", BGBl. 1969 I S. 1861. 12 Dethloff, Vortrag gehalten anläßlidi der Hess. Hochschulowdien 1969, veröffentlicht in „Hessische Hochschulwochen für staatswissensdiaftliche Fortbildung" Bd. 68, S. 86 ff.

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liehen Plan gesamtwirtschaftlich und finanziell zustande zu bringen, der nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern allseits Anerkennung findet. Weiterhin steht dem Zustandekommen eines einheitlichen F ü n f jahresplanes, wie er in § 9 des StabG vorgesehen ist, auch entgegen, daß die B R D im Rahmen der E G auf deren gesetzlichen Bestimmungen und die ergehenden dortigen V O Rücksicht nehmen muß, die innerdeutschem entgegenstehendem Recht vorgehen 1 3 . H i n z u kommt, was gerade in den letzten Monaten deutlich geworden ist, daß die B R D in ihren Entschlüssen nicht unabhängig ist. Die wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Einflüsse anderer Staaten können von so starker und normativer K r a f t des Faktischen sein, d a ß sämtliche Pläne überarbeitet werden müssen. Dethloff hat auf die Grenzen solcher Großpläne aufmerksam gemacht 14 , es heißt dort, „daß es mit den Pl.nen wie mit einem Orchester ist. Letzteres könne nur dann harmonisch spielen, wenn die Instrumente zueinander passen, in der Tonlage aufeinander abgestimmt sind und im richtigen Rhythmus nach vorgegebenen Noten einer Partitur gespielt werden. Diese Partitur muß vorher geschrieben sein. Der Dirigent muß sie in- und auswendig beherrschen. Improvisationen glücken selten, bringen meistens eine Vielfalt von Disharmonien und am Ende gerät das ganze Orchester völlig aus dem Takt."

V. Die Verzahnung von juristischen Begriffen in bisher unbekanntem U m f a n g mit solchen der Wirtschaftswissenschaften wird gerade in den verfassungsändernden (20. und 21.) Gesetzen zum G G deutlich. 1. Im Stabilitätsgesetz ( § 1 ) heißt es, daß die Haushaltswirtschaft, einschließlich der zu ergreifenden Maßnahmen, ζ. B. Investitionen und Finanzhilfen, entweder zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und stetigem angemessenen Wirtschaftswachstum, sog. magisches Viereck, beizutragen haben, während die Art. 104 a und 109 G G die Investitionen und Finanzhilfen f ü r besonders bedeutsame Anlässe gewähren, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Vgl. hierzu: Mestmäcker, S. 128 ff. 14 S. Anmerkung Nr. 12. 13

Europäisches Wettbewerbsrecht,

1974, S. 20 f.;

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Bundesgebiet oder zur Förderung des Wirtschaftswachstums erforderlich sind. 2. Bestimmte wirtschaftliche Ziele können also Bundesfinanzhilfe rechtfertigen; solche Ziele werden in Art. 104 a und 109 G G und in § 1 StabG durch Tatbestandsvoraussetzungen bestimmt, die nicht herkömmliche juristische Begriffe sind, sondern aus den Wirtschaftswissenschaften stammen. Natürlich könnten ausschließlich juristisch vorgebildete Verwaltungsbeamte und Richter, die mit der Nachprüfung der von einer Bundes- oder Landesinstanz gefällten Entscheidung zu den erwähnten Wirtschaftsbegriffen befaßt sind, erklären, daß sie kraft Ausbildung nicht fähig seien, sondern insoweit — als Verlegenheitslösung oft unzulässigerweise bemühte — Sachverständige allein das Wort haben. Vogel/Wiebel weisen demgegenüber zu Recht darauf hin, daß diese mit der Übernahme solcher Begriffe der Wirtschaftswissenschaften in die genannten Verfassungs- und Bundesgesetze Rechtsbegriffe geworden sind, die von den Gerichten wie bei jeder anderen Gesetzesanwendung und -auslegung behandelt werden müssen 15 . Dies ist an sich in der Steuer- und Verwaltungsrechtsprechung schon seit langem selbstverständlich. Man darf hinzufügen, daß natürlich die Kammern für Handelssachen bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit seit eh und je solche Kenntnisse der Wirtschaftsbegriffe besaßen und besitzen. Auch im G W B sind wirtschaftsrechtliche Begriffe von ausschlaggebender Bedeutung. Im Rahmen dieses Themas müssen diese Schwierigkeiten angedeutet werden, weil damit der finanzielle und rechtliche Rahmen möglicher und nicht zulässiger Subventionen abzustecken ist. Im Gesetzgebungsverfahren ist das in der Praxis mittlerweile so schwierig gewordene magische Viereck als ein — insbesondere durch die Rezession von 1966/67 angeregte — Denkmodell für das durch das Stabilitätsgesetz geschaffene Instrumentarium verstanden worden 1 6 . Damit ist die Finanzierungskompetenz des Bundes, einschließlich der Subventionen aller Art, insbesondere im Rahmen der Alternative des Art. 104 a Abs. 4 G G auf diese vierfache Zielsetzung gerichtet, deren Eigenart und Schwierigkeit es ist, daß die fraglichen vier Ziele nach wohl herrschender Ansicht gleichzeitig und ohne Kompromisse nicht erreicht werden können 1 7 . Sie meinen vielmehr, man sei versucht, von einer „praestabilisierten Disharmonie" zu sprechen. Vogel/Wiebel in B K — Art. 109 — Rdn. 80 f. Strauss, 171. Sitzung des B T vom 8. 5. 1968, Stenographische Berichte S. 51. 17 Möller, Komm. z. StabG, § 1 Rdn. 8; Stern/Münch, Komm. z. StabG § 1 Anm. VI 1). 15 16

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Es wäre verlockend, sich mit Lipfert18 und seiner Auseinandersetzung mit Keynes und D . H . Robertson zu den Zusammenhängen zwischen Sparen und den Investitionen unter dem Gesichtspunkt unseres Themas zu befassen; der Platzmangel läßt dies aber leider nicht zu

VI. Als Folge der sog. Machtmaximierung der Verwaltung in Bund und Ländern (sog. Planungsrausch) und der Globalermächtigungen des Gesetzgebers, deren rechtsstaatliche Zulässigkeit schon lange bestritten wird, flössen nicht erst seit 1967 die Investitionen und FinanzhilfenSubventionen in bisher ungeahntem Umfang, was zu sträflichem Leichtsinn nicht nur bei Behörden, sondern auch in freien Berufen führte, mit den Schwierigkeiten, die wir jetzt an vielen Stellen wieder in Ordnung bringen müssen. In solchen Zeiten müssen sich viele in Bund und Ländern nolens volens der Kontrollfunktion von Rechnungshöfen und Gerichten bewußt werden, für die sie in Zeiten finanziellen Übermuts vielfach nur ein geringschätziges Lächeln hatten. 1. Bevor die Begriffsmerkmale und Tatbestandsvoraussetzungen in § 1 Stabilitätsgesetz und in Art. 104 a und 109 G G in dem hier interessierenden Abschnitt im Hinblick auf ihre gerichtliche Nachprüfbarkeit untersucht werden, soll, wegen seiner unschwer erkennbaren Bedeutung, noch folgender Leitsatz vorausgeschickt werden: „Verwaltungsredit im weitesten Sinne des Wortes ist konkretisiertes Verfassungsrecht." Dies pflegte der leider zu früh verstorbene Präsident des Bundesverwaltungsgerichtshofes Professor Werner in seinen Vorlesungen und bei Unterhaltungen immer wieder zu betonen. Die Wirtschaftssubventionen aus den Haushaltsplänen der E G , des Bundes und der Länder sowie der Gemeinden werden zwar meistens durch öffentlich-rechtlichen Bescheid oder Vertrag zugeteilt oder vereinbart werden, wenn auch Einzelheiten der Durchführung zusätzlich in zivilrechtlichem Gewand erscheinen, was aber an der Zugehörigkeit der Subvention als solcher zum öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsverwaltungsrecht nichts ändern kann. Daraus folgt, daß die Subventionen sich im Rahmen des E G , Bundes- und Landesverfassungsrecht mit den dazu ergangenen Ausführungsgesetzen halten müssen, wobei auch sonstige rechtsstaatliche Garantien westlicher Demokratien, wie 18

Lipfert,

Einführung in die Währungspolitik, 6. Aufl. 1973, S. 22 ff.

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ζ. Β Gewaltenteilung, Grundrechtsgarantien sowie Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte, gewährleistet sein müssen, und zwar nicht nur auf dem Papier sondern auch in der täglichen Praxis. 2. Wie weit geht die Prüfungsmöglichkeit der Aufsichtsinstanzen in der Verwaltung und der Gerichte, wenn der Bund nach Art. 104 a G G Finanzhilfen an die Länder für besonders bedeutsame Investitionen gewähren kann? Generell gibt es an sich im Verfassungsraum der westlichen Demokratien keinen verfassungsgerichtlichoder sonst gerichtsfreien Raum. Die gerichtliche Nachprüfung wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß Finanzhilfe von der Bundesregierung insgesamt oder vom zuständigen Wirtschaftsminister — vielleicht im Zusammenwirken mit dem Bundesfinanzminister als Maßnahme der Wirtschaftspolitik — gewährt wird. Der politischen Entscheidung geht die rechtlich nachprüfbare Frage voraus, da der Abgrenzung in Fragen der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern (gerichtlich jederzeit nachprüfbar) besonders auf dem Gebiet der Aufteilung des Finanzaufkommens Rechnung zu tragen ist. Über Art. 104 a G G darf die Zuständigkeit des Bundes nicht weiter ausgedehnt werden; diese Vorschrift ist also eng auszulegen.

3.

Eine nachträgliche (d. h. nach Bewilligung oder Ablehnung einer Finanzhilfe) Feststellung der wirtschaftlichen Tatsachen, von denen die Finanzierungszuständigkeit des Bundes nach Art. 104 a Abs. 4 G G abhängt, ist sicher nicht schwieriger als eine Beweiserhebung in einem Wirtschaftsprozeß. Zu dem prozessual im übrigen zugelassenen, allgemein bekannten Beweismaterial, sind als tatsächliche Anhaltspunkte u. a. vorhanden: die Daten des Statistischen Bundesamtes, Berichte der Bundesbank, der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitsversicherung, die Jahresgutachten der Sachverständigen, der Jahresbericht über die Wirtschaft, den die Bundesregierung erstattet, einschließlich Jahresprojekten und der Mitteilung der geplanten Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie die nach § 3 Stabilitätsgesetz ermittelten sog. Orientierungsdaten 1 9 . Schließlich darf man auch die allgemeine Information aus Presse und Rundfunk nicht übersehen. Hier wird zu Recht darauf hingewiesen, daß solche Wertungen wirtschaftlicher Kausalabläufe für die richterliche Nachprüfungstätigkeit durchaus normal sind. Sie ι» Vogel/Kirchhof zum StabG, S. 59.

in B K — Art. 104 a — Rdn. 117, 118; Stern/Münch,

Komm,

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sind in Wettbewerbs-, Steuer- und Schadensersatzprozessen schon immer an der Tagesordnung gewesen. Bei verbleibenden Zweifelsfragen werden der Bund oder das betreffende Land im Rahmen der strittigen Finanzhilfe eine Darlegungspflicht haben, selbst wenn im Verwaltungsgerichtsverfahren mit der Offizialmaxime die Aufklärung von Amts wegen keine restlose Aufklärung des Sachverhalts gebracht hat. 4. Ein verfassungsrechtliches Beispiel für eine gleichzeitige Verpflichtung des Gesetzgebers zur Regelung gegenläufiger Zielsetzungen bietet der Antagonismus zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips. Das magische Viereck des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 104 a G G bietet daher kein neues Problem für die richterliche Nachprüfung, weil statt zwei vier auseinanderlaufende Ziele vorhanden sind. Es liegt nur auf einem anderen Gebiet, jedoch gilt es auch hier, Kompromisse zwischen widersprechenden Interessen zu finden. Zu den Fragen, wann eine Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt, welche Arten des Eingreifens denkbar, welche räumliche Differenzierung in den einzelnen Ländern notwendig und welche Ausgleichung der im Bundesgebiet unterschiedlichen Wirtschaftskräfte (Infrastrukturmaßnahmen) sowie welche Maßnahmen der erforderlichen Förderung des wirtschaftlichen Wachstums angemessen erscheinen lassen, soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden; es sei hier auf die entsprechende Literatur 2 0 verwiesen. Es ist schon einiges über die Wandlungen der Aufgaben und der Verwaltungspraxis gesagt worden. Hierzu soll nun noch erörtert werden, wie sich die Einstellung des Verwaltungsgerichts bei solchen Planungsprozessen ändert, d. h. mit welchen neuen Überlegungen es fertig werden muß. Professor 'Werner sah das neue Problem wie folgt 2 1 : „ D e r natürliche Gegner der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind alle die Verwaltungszweige, die wie — im Gegensatz zu früher — unter dem Begriff der P l a n u n g zusammenfassen . . . D a s ist für viele der Rettungsanker in der Misere des Verwaltens. D a r ü b e r läßt sich reden. Das ist nicht nur bei uns so. D i e Franzosen haben die Planifikation und dies geht durch S. o. zitierte Kommentare zum StabG Anm. 17, 19. Werner, Vortrag gehalten anläßlich der Hess. Hodisdiulwochen 1969, abgedruckt in „Hessische Hodisdiulwochen für staatswissensdiaftliche Fortbildung", Bd. 68, S. 52 (67). 20

21

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die ganze Welt. Der Mensch muß eben in Plänen denken. . . Diese Planungsfunktionen, die heutzutage die moderne Verwaltung erfüllen muß, passen in das traditionelle Schema der Verwaltungsgerichtsbarkeit — hier Gesetz, da Verwaltungsakt — der am Gesetz geprüft wird, nicht. Der Plan ist etwas anderes, weder Gesetz noch Einzelakt, sondern er ist die Summe der vorweggenommenen Einzelentscheidungen. Der Plan greift nach vorn, in die Zukunft, ohne, daß diese Pläne Normencharakter haben müssen (bei Bauplänen ist das anders) . . . Das alles hängt mit einem fundamentalen Wandel des Rechtsstaates zusammen, der bisher von der Notwendigkeit der Erhaltung einer bestimmten Güterordnung, ζ. B. Freiheit und Eigentum, ausging. Wenn ins Eigentum eingegriffen wurde, dann nur gegen Entschädigung. Bei dem modernen Plan ist es aber gerade so, daß er die bisherige Güterordnung ändern w i l l . . . Er will nicht das Bestehende konservieren, er will es — nach dem Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung aus S P D und F D P — ändern . . . Der Plan w i l l . . . das Risiko, das immer Ungewisse in der Zukunft, berechenbar machen durch den Plan, woraus sich neue Linien der verwaltungsgerichtlichen Judikatur ergeben müssen . . Das, was Werner kurz zur materiellen und zur verfahrensrechtlichen Seite nach A r t und Thema seines Vortrages gebracht hat, ist sowohl materiell als auch verfahrensrechtlich von seinem Amtsnachfolger D r . Zeidler (Vortrag auf dem Düsseldorfer Juristentag 1 9 7 2 2 2 ) im einzelnen an konkreten Beispielen ausgeführt worden. In dem Vortrag ist auch der jetzige Präsident des B V e r f G Benda23 mit in diesem Zusammenhang wichtigen Sätzen erwähnt: „Der Strom des Zeitgeschehens ist es, der Inhalt und Form von Rechtssetzung und Rechtsanwendung p r ä g t . . . Der soziale Frieden, den das Recht seinem Zweck nach erhalten will, sieht in den Augen der relativ machtlosen so aus, daß Recht Werkzeug ihrer Ausbeutung sei. Ein solcher Eindruck wird nicht völlig zu vermeiden sein. Behauptungen, wie die, daß die herrschende Klasse durch die Rechtsordnung begünstigt werde, sind deshalb nicht nur verständlich, sondern audi bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt."

VII. Durch die sog. Machtmaximierung, z. B. der Finanz- und W i r t schaftsministerien in Bund und Ländern, wird das verfassungsmäßig zu wahrende Gleichgewicht der K r ä f t e zu Lasten des Parlaments und besonders zu Lasten der Justiz verändert. Zeidler, D Ö V 1972, 437 ff. Benda, Kongreßbroschüre des justizpolitischen Kongresses der C D U S. 11, 16. 22 23

1972,

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Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages für Fragen der Verfassungsreform legte zum Ende der 6. Wahlperiode des Deutschen Bundestages einen Zwischenbericht über ihre Arbeit vor, der sich unter anderem auf die Verteilung der Gesetzeskompetenz zwischen Bund und Ländern, aber auch — was hier interessiert — auf verfassungsrechtliche und verfassungspolitische befriedigende Einordnung einer staatlichen Aufgabenplanung in die Organisationsstruktur unseres parlamentarischen Systems bezieht 24 . Der hier interessierende Teil der Beratungsgegenstände konnte zu einem vorläufigen Abschluß mit dem Ergebnis gebracht werden, die teilweise schon Empfehlungen zur Änderung des Grundgesetzes zuläßt. Es kann hier natürlich nicht das ganze interessante Beratungsergebnis gebracht werden. Selbst auf die Gefahr hin, unvollständig zu sein, soll hier nur hervorgehoben werden, daß das Parlament (BT und B R ) anders als bisher bei den mittel- und langfristigen Planungen und Programmen beteiligt sein soll. Es soll künftig, notfalls durch entsprechende Änderung der Verfassung (Grundgesetz) und entsprechend in den Ländern, sichergestellt werden, daß an der Rahmenplanung zwischen Bund und Ländern die Parlamente bei den Beratungen und dem Abschluß soldier Verträge, die sich fast immer auf große Finanzhilfen und Investitionen erstrecken, beteiligt sein werden. Es heißt z . B . in der Enquete-Literatur auf S. 76 ff.: die Planung sei keine 4. Gewalt. Nur die zwingend vorzuschreibende Zusammenarbeit von Parlament und Regierung auf diesem Gebiet der Planung könne der bereits eingetretene Funktionsverlust des Parlaments insoweit wieder beseitigt werden. Bei der heute erreichten Dimension könne die staatliche Planung nicht mehr von vornherein und allein als Funktion der Executive angesehen werden. Diese kurzen Bemerkungen sind hier nur als eine Bekräftigung der obigen Darstellung gebracht worden. Daraus ergibt sich, daß audi dem Parlament die Mitwirkung bei der Beratung der Globalinvestition und -finanzhilfen zustehen dürfte. Gleichzeitig ist für den angeschnittenen Fragenbereich der Justiziabilität bewiesen, wie sehr die großen Kapitalbewegungen der öffentlichen Gelder nicht nur in der Form der hier behandelten Finanzhilfen der Kontrolle, sowohl bei der Bewilligung in den Bundes- und Länderhaushalten, als auch bei der Verteilung auf die einzelnen Länder, nicht durch die Parlamente, sondern auch durch die Verwaltung — bis hinauf zu den Rechnungshöfen — aber auch durch die Gerichte in Bund und Ländern offenbar sehr bedürfen. 2 4 „Themen parlamentarischer Beratung 1 / 7 3 " — Fragen der Verfassungsreform, Zwischenbericht der Enquete — Kommission des Deutschen Bundestages.

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Gleichzeitig ist in den oben erwähnten Beratungen der EnqueteKommission zu Redit zum Ausdruck gekommen, daß die von anderen hervorgehobene Machtmaximierung der Executive ein laufender Verstoß gegen die verfassungsrechtlich vorgeschriebene „Balance" sei. D a m i t ist das gemeint, was man früher in der Lehre und Staatspraxis den Grundsatz von der Trennung — selbstverständlich — vollkommen gleichwertiger Staatsgewalten nannte. Schon zur Zeit der Weimarer Republik haben die damaligen großen Staatsrechtslehrer der Berliner Universität, Hermann Heller, Hans Peters, Smend und Triepel in ihren Vorlesungen als selbstverständlich gelehrt, daß in einem parlamentarischen Rechtsstaat das Parlament die „Sonne" ist, um die sich alles — zumindest im öffentlichen Bereich — zu drehen hat, was erst recht nach 1945 nach Landesverfassungsrecht und Grundgesetz zu gelten hat, was aber nach der sog. Verfassungswirklichkeit oft vergessen wird. Bei den Vorberatungen des Grundgesetzes traten einige Kreise dafür ein, daß die Ansichten der industriellen und gewerblichen W i r t schaft dadurch besonders zum Tragen kommen sollten, daß man in der Verfassung einen Wirtschaftsrat als Beratungsorgan schaffen sollte. Das hatte seinerzeit keinen Erfolg. Diese Aufgabe wird heute durch die zahlreichen Berufsverbände, wie ζ. B. Bundesverband der Industrie, Deutscher Industrie- und Handelstag, Industrie- und H a n delskammern, Bundesverband der Arbeitgeber, Industriegewerkschaften etc. wahrgenommen. Das ist gut so, da ζ. B. auf dem Gebiet der Großinvestitionen und -Subventionen die Interessentengruppen das rechtliche Gehör dazu haben, ob die weniger werdenden Steuergelder für den geplanten Zweck ausgegeben werden sollen oder nicht. Aber bei einem festgestellten, gestörten Verhältnis der drei großen Staatsgewalten kann natürlich die Rechtspflege nicht vergessen werden. Wenn die Parlamente durch die Machtmaximierung der Verwaltung in ihren verfassungsmäßigen Rechten eingeschränkt worden sind, so gilt das natürlich auch für die Rechtspflege, die nach dem Willen des Grundgesetzes und der Landesverfassung der letzte Hort zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung sein soll, wenn alle anderen K r ä f t e versagt haben. Es bedarf also keiner großen Worte, daß nach den Erkenntnissen der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission, die gegenwärtig ihre Beratungen wieder fortsetzt, diese sich auch für die Stärkung oder Machtmaximierung bei der Rechtspflege einsetzen muß, um das gestörte Verhältnis der drei Gewalten wieder in Ordnung zu bringen. Auch die bessere Bezahlung der Justizbediensteten ist ein gewisser Erfolg, aber die Justizminister müssen, wenn ihre Vorstellung für eine Verstärkung der Bediensteten nicht von den Finanzministern und Parlamenten berücksichtigt werden, en bloc

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zurücktreten, weil die Rückstände bei den meisten Gerichten eine Rechtsverweigerung bedeutet, was zu einer noch größeren Machtverschiebung zwischen den Gewalten führt. Dies ist auch ein Randproblem, was zwar nichts unmittelbar mit dem Subventionsrecht zu tun hat, aber eine Verwaltung, die immer stärker wächst und sich mit immer komplexeren wirtschaftlichen Tatbeständen zu beschäftigen hat, erhält durch die Spezialisierung eine immer größere Macht; eine mit unzureichenden Mitteln ausgestattete Justiz kann hier kein adäquater Gegenpol sein. Gerade im Hinblick auf den unklaren grauen Subventionsbereich, dessen rechtliche Grenzen kaum umrissen sind, muß eine funktionierende Justiz die Prinzipien eines Rechtsstaates wahren und verteidigen.

Die Gütergemeinschaft im Blickfeld des Erbschaftsteuergesetzes 1974 ALEXANDER K N U R

Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) 1974 1 bestimmt im Gegensatz zu sämtlichen früheren Erbschaftsteuergesetzen in seinem § 7, daß als Schenkung unter Lebenden auch die Bereicherung gilt, die ein Ehegatte bei Vereinbarung der Gütergemeinschaft (§ 1415 BGB) erfährt. Hier drängen sich gleich mehrere Fragen auf. Zunächst diejenige, wie es überhaupt dazu gekommen ist. Sodann die Frage, ob die Vorschrift sachlich begründet ist und ob der Aufwand, der der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen zugemutet wird, sich überhaupt lohnt. Schließlich die Frage nach der Relevanz des Güterstands der Gütergemeinschaft f ü r die Praxis, wobei mit Rücksicht auf das Aufgabengebiet, dem der Jubilar sich verschrieben hat, der Unternehmensbereich nicht unerwähnt bleiben darf.

1. Die historische Entwicklung 2 Es wäre müßig, der Frage nachzugehen, wie Erbschaftsteuergesetze aus der Zeit vor der Jahrhundertwende sich zur steuerlichen Erfassung der Begründung der Gütergemeinschaft gestellt haben. Dies verbietet sich allein deshalb, weil die Gütergemeinschaft in den Formen der allgemeinen Gütergemeinschaft, der Fahrnis- und der Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzliche Güterstände weit verbreitet waren 3 . Aber auch nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches sah sich der Gesetzgeber zur steuerlichen Erfassung der Vereinbarung 1

BGBl. 1974 I S. 933. Vgl. hierzu G. von Schanz in HWB der Staatswissenschaften 4. Aufl. 3. Band 812 ff. und Fin .Ardi. 17 (1900), S. 555 ff. 3 Felgentraeger berichtet in Staudingers Kommentar zum BGB (Anm. 6 in der Einleitung zu §§ 1363 ff.), daß um die Jahrhundertwende in Deutschland die sogenannte Verwaltungsgemeinschaft für etwa 16 Millionen Mensdien, die allgemeine Gütergemeinschaft für etwa 14 Millionen, die Errungenschaftsgemeinschaft für etwa 10 Millionen, die Fahrnisgemeinschaft für etwa 9 Millionen und das aus dem römischen Recht rezipierte Dotalsystem für etwa 3 Millionen Menschen galt. Für über 60 °/o der Deutschen galt mithin um die Jahrhundertwende die Gütergemeinschaft in einer der drei erwähnten Formen als gesetzlicher Güterstand. N o d i vor 30 Jahren wurde man bei der Beschäftigung mit älteren Eheleuten immer wieder hieran erinnert. Den modernen Gesetzgeber stört dies nicht. 2

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Alexander Knur

einer Gütergemeinschaft nicht veranlaßt. Er hätte ja auch damit in das Recht der Eheleute, den Güterstand frei zu wählen, eingegriffen. Das Reichserbschaftsteuergesetz v o m 3. 6. 1906 4 trug dem Bedürfnis der Eheleute nach ungehinderter Veränderung der beiderseitigen Vermögensverhältnisse sogar dadurch Rechnung, daß es den Erwerb eines Ehegatten steuerfrei ließ ( § 1 1 Ziff. 4 d). Dies änderte sich erst mit dem Erbschaftsteuergesetz vom 10. 9. 1919 5 , dessen § 40 auch Schenkungen unter Ehegatten der Erbschaftsteuer unterwarf. Das rief den Reichsfinanzminister sogleich auf den Plan. Im nicht veröffentlichten Erlaß vom 9. 9. 1920 III a 2946 6 wies er die Finanzämter an, von dem Schenkungscharakter der Gütergemeinschaftsabrede grundsätzlich auszugehen. Für die Annahme einer steuerpflichtigen Schenkung 4

RGBl. 1906, 654. RGBl. 1919, 1543. von Schanz berichtet, daß das Gesetz ungeheuere Verschärfungen gebracht habe, die „um so empfindlicher werden mußten, als in Deutschland der Besitz auch schon durch Vermögens-, Vermögenszuwachs- und in den Einzelländern durch hochgespannte Ertragsteuern getroffen wurde". Vgl. a. a. O. S. 815. 6 Der Erlaß ist mitgeteilt und bereits kritisiert von Färnrohr in DStZ 1920, 170 ff. Vgl. audi Hirschwald J W 1921, 81. Der Erlaß hat folgenden Wortlaut: „Mit der Ausdehnung der Steuerpflicht auf Ehegatten im neuen Erbschaftsteuergesetz ist auch die Frage von Bedeutung geworden, inwiewiet vertragsmäßige Änderungen des ehelichen Güterrechts der Schenkungsteuer nach § 40 des Gesetzes unterliegen. Durch die Vereinbarung der allgemeinen Gütergemeinschaft wird das beiderseitige Vermögen der Eheleute Gesamtgut (§ 1438 BGB). Jeder Ehegatte ist infolgedessen an dem gemeinschaftlichen Vermögen zur H ä l f t e beteiligt. Der vermögenslose Ehegatte erwirbt damit die H ä l f t e des Wertes des vom anderen Ehegatten eingeworfenen Vermögens ohne geldwerte Gegenleistung; bei verschieden großen Vermögen der Eheleute beträgt die Bereicherung des minderbegüterten Ehegatten die H ä l f t e des Unterschiedes der beiden Vermögensmassen. Das gleiche gilt f ü r die Vereinbarung der Fahrnisgemeinschaft, bei der das bewegliche Vermögen der Eheleute gemeinsam wird (§ 1549 BGB). D a ß in dem Abschluß eines solchen Ehevertrags eine Schenkung im bürgerlidirechtlichen Sinne liegen kann, hat das Reichsgericht bejaht (RGZ 87, 301). Inwieweit jedoch tatsächlich eine Schenkung, und zwar eine Schenkung im Sinne des § 40 ErbschStG vorliegt, ist im Einzelfalle zu prüfen. D a es sich in der Regel um ein sogenanntes gemischtes Geschäft handeln wird, so wird bei der P r ü f u n g nach ähnlichen Grundsätzen zu verfahren sein, wie sie bisher sdion bei der steuerlichen Beurteilung der sogenannten gemischten Schenkungen angewendet wurden, wobei jedoch § 40 Abs. 1 Satz 2 und 3 des neuen ErbschStG zu beachten ist. Für die Annahme einer Schenkung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes ist entscheidend eine Bereicherung des einen Vertragteils und das Bewußtsein des reicheren Ehegatten, daß der andere Ehegatte durch den Vertrag bereichert wird. Nicht erforderlich ist das Vorliegen einer Einigung der Vertragschließenden über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung, wie sie § 516 BGB vorschreibt. Wie schon erwähnt, wird die Frage nach der Höhe der Bereicherung gelöst, indem man die von den Vertragsparteien eingeworfenen Vermögenswerte als 5

Die Gütergemeinschaft im Erbschaftsteuergesetz 1974 sei die tatsächliche B e r e i c h e r u n g u n d

das B e w u ß t s e i n

477

des

reicheren

E h e g a t t e n , d a ß d e r a n d e r e E h e g a t t e bereichert w e r d e , g e n ü g e n d 7 . D e r R e i c h s f i n a n z h o f h a t jedoch d e n R e i c h s f i n a n z m i n i s t e r schon b a l d eines Besseren

belehrt.

Obwohl

das Reichsgericht

schon i m J a h r e

19158

f ü r das bürgerliche R e c h t die M ö g l i c h k e i t , d a ß die V e r e i n b a r u n g d e r allgemeinen

Gütergemeinschaft

Schenkungscharakter

haben

könne,

bejaht hatte, hat der Reichsfinanzhof im Urteil v o m 9. 12. 1 9 2 0 9 erk a n n t , d a ß die A u f f a s s u n g , die V e r e i n b a r u n g d e r a l l g e m e i n e n G ü t e r g e m e i n s c h a f t schließe auch bei g r o ß e r V e r s c h i e d e n h e i t des beiderseitigen V e r m ö g e n s

a n sich k e i n e S c h e n k u n g in sich, w o h l

begründet

erscheine, u n d z w a r auch v o m S t a n d p u n k t des § 4 0 E r b S t G 1 9 1 9 u n d seiner e r w e i t e r t e n B e g r i f f s b e s t i m m u n g d e r Schenkung. I m G r u n d e ist

Leistung und Gegenleistung gegeneinander abwägt. Was hierbei als Leistung oder Gegenleistung im einzelnen anzusprechen ist, wird manchmal nicht ohne weiteres zu beantworten sein; bei der Verschiedenartigkeit der Einzelfälle können hierüber allgemein gültige Regeln auch nicht gegeben werden. Grundsätzlich kommen jedoch nur geldwerte Leistungen in Betracht, nicht ζ. B. die Einwilligung zur Eheschließung. Das ergibt sich aus § 40 Abs. 1 Satz 3 ErbschStG. Dagegen können Anwartschaften, wie Nacherbfolgerechte, ferner begründete Aussichten auf einen Vermögenserwerb (vgl. RGZ 82, 305: „weniger als der Anfall, mehr als eine bloße Hoffnung oder Aussicht", „eine der Willkür des Erblassers entrückte Grundlage für einen Erbanfall") als Gegenwerte angesehen werden; so ζ. B. wenn der eine Vertragsteil in einem gemeinschaftlichen Testament als Erbe des letztversterbenden Ehegatten eingesetzt und der erste der Testatoren schon gestorben ist. Nicht genügt also ζ. B. die bloße Möglichkeit eines erbschaftlichen Erwerbes, die Hoffnung auf zukünftigen Geschäftsgewinn u. dgl. Für die Bewertung der danach festgestellten Leistungen der beiden Vertragsteilnehmer gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 137 ff. AO, unter Umständen ist gemäß den §§ 82 und 210 daselbst zu verfahren. Zu beachten ist jedoch, daß für die Frage, ob überhaupt eine Schenkung vorliegt, bei Grundstücken nicht der Ertragswert, sondern der gemeine Wert entscheidend ist. Das Bewußtsein (d. h. das Wissen) des vermögenderen Ehegatten, von dem Eintritt der Bereicherung des anderen wird sich bei großem Mißverhältnisse der eingeworfenen Vermögensmassen ohne weiteres annehmen lassen. Im übrigen wird es bei der Beurteilung dieser Frage auf die richtige Einschätzung dessen ankommen, was nach den oben gegebenen Richtlinien als Bereicherung anzusprechen ist. Dabei wird allerdings die Berücksichtigung des subjektiven Moments dazu führen können, bei verhältnismäßig geringen Wertunterschieden und beim Vorhandensein solcher Gegenstände, deren wahrer Wert zur Zeit des Vertragsschlusses nicht festzustellen ist, wie Nacherbschaften, insbesondere auf den Überrest, das Vorliegen einer Schenkung zu verneinen, auch wenn eine nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung vorgenommene Wertermittlung eine Bereicherung des einen Teiles ergeben würde. Es erscheint jedoch unbedenklich, auch hier zunächst das Bewußtsein von dem Eintritt einer Bereicherung zu unterstellen und Gegeneinwände abzuwarten." Zur Würdigung dieses Erlasses vgl. Breit in StuW 1922, 555 ff. R G Z 87, 301 ff. » R F H 4, 129 ff. 7

β

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der Reichsfinanzhof hierbei geblieben. Dies gilt sowohl f ü r das Urteil vom 29. 3. 1922 10 , als auch das Urteil vom 31.1.1923 1 1 . In der Folge hat die Frage an Bedeutung verloren, weil das Erbschaftsteuergesetz 1925 12 den Erwerb des Ehegatten steuerfrei ließ, wenn im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld Kinder, Personen, denen die rechtliche Stellung ehelicher Kinder zukam, eingekindschaftete Personen, denen die rechtliche Stellung ehelicher Kinder zukam, Adoptivkinder oder Abkömmlinge dieser Personen lebten 13 . Selbst der Gesetzgeber des „Dritten Reichs" hat hieran grundsätzlich nichts geändert 14 . Erst das Gesetz zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes vom 30. 6.1951 1 5 hat im Gefolge der Kontrollratsgesetzgebung 16 mit Rückwirkung zum 1.1. 1949 die Steuerfreiheit des Ehegattenerwerbs auf einen Freibetrag von 250 000,—DM beschränkt, wobei schon hier angemerkt sein soll, daß dieser Freibetrag f ü r den Ehegattenerwerb durch Rechtsgeschäft unter Lebenden im ErbStG 1974 nicht erhöht worden ist 17 . Die Vereinbarung der Gütergemeinschaft konnte angesichts dieser Entwicklung erst einige Zeit nach der Währungsreform wieder problematisch werden. Deshalb ist die Zahl höchstrichterlicher Entscheidungen in der Zeit vor der Währungsreform gering. Außer den bereits erwähnten sind nur nodi die Urteile des Reichsfinanzhofs vom 2 . 1 2 . 1930 18 , 7. 7.1931 und 12. 5. 1942 19 zu nennen. In der letztgenannten Entscheidung kommt, obwohl es sich nicht um die Vereinbarung der allgemeinen Gütergemeinschaft handelt, nochmals unzweideutig zum Ausdruck, daß Vereinbarungen unter Ehegatten über die Regelung ihrer Güterverhältnisse zwar meistens bei dem einen Ehegatten eine Vermögensvermehrung zu Lasten des anderen Ehe10

R F H 9, 9 ff. StuW 1923, 406 ff. Vgl. audi Finger, ErbStG 1925, 3. Aufl. Berlin 1925 § 3 Anm. 3 (S. 97). 12 RGBl. I S. 320. 13 § 9 Abs. 1. Bei Abkömmlingen von Adoptivkindern galt dies jedoch nur, wenn die Annahme an Kindesstatt sich auf sie erstreckte. 14 Das Erbschaftsteuergesetz vom 1 6 . 1 0 . 1 9 3 4 (RGBl. I S. 1056) hat das Gesetz von 1925 nur dahin geändert, daß dem überlebenden Ehegatten Steuerfreiheit nur gewährt wurde, wenn bei Entstehung der Steuerschuld gemeinsame Kinder oder Personen vorhanden waren, die zu jedem der beiden Ehegatten die rechtliche Stellung ehelicher Kinder hatten (§ 17 a). 15 BGBl. I, 759. »· Vgl. hierzu Megow, ErbStG 1959 5. Aufl. § 16 Anm. I. 17 Der besondere Versorgungsfreibetrag des § 17 kommt nur beim Erwerb von Todes wegen in Betracht. 18 R F H 27, 324 ff., insbesondere S. 330. 19 RStBl. 1931, 675 ff. und 1942, 580. Vgl. dazu audi die Ausführungen von Klunzinger, DStR 1972, 683 ff. 11

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gatten zur Folge haben, gleichwohl regelmäßig keine freigebigen Zuwendungen im Sinne des Steuerrechts sind, weil ihr eigentlicher Zweck nicht auf die Übertragung von Vermögenswerten, sondern lediglich auf die rechtliche Ordnung der ehelichen Lebensgemeinschaft gerichtet ist und deshalb der Bereicherungswille fehlt. Aber auch seit dem Jahre 1951 ist die Zahl der höchstrichterlichen Entscheidungen zur Vereinbarung der allgemeinen Gütergemeinschaft gering 20 . Zu erwähnen sind nur die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 2 6 . 9 . 1 9 5 2 , 2 9 . 1 . 1 9 6 4 , 6 . 5 . 1 9 6 4 , 2 5 . 5 . 1 9 6 6 und 28.11. 1967 21 . Dies beweist zunächst, daß die Vereinbarung der Gütergemeinschaft immer seltener vorkommt. Überdies ergibt sich aus den Entscheidungen, daß der Bundesfinanzhof an der schon vom Reichsfinanzhof vertretenen Auffassung, die Vereinbarung der Gütergemeinschaft stelle nur in Sonderfällen eine Schenkung dar, konsequent festgehalten hat, man kann nur sagen, mit guten Gründen. Mit der Regelung in § 7 Abs. 1 Ziffer 4 ErbStG 1974 beschreitet der Gesetzgeber den umgekehrten Weg, den er neuerdings in bezug auf die Gesellschaftsteuer bei Gesellschafterdarlehen gegangen ist. Schon § 6 c KapVStG 1922 22 unterwarf einer Kapitalgesellschaft gewährte Gesellschafterdarlehen u. a. dann der Kapitalverkehrsteuer (damals von 7 1 /2 °/o), wenn die Gewährung der Darlehen eine wesentliche Voraussetzung des Beginns oder der Fortführung der Gesellschaft ist und sich sachlich als Beteiligung an der Gesellschaft darstellt 23 . Hieran hat sich, abgesehen von der Senkung des Steuersatzes, zum Vorteil der Steuerpflichtigen nichts geändert. Es wurde im Gegenteil im Laufe der Zeit die Vorschrift sogar noch verschärft. Sie findet sich im KapVStG vom 22. 9.1955 2 4 in dessen § 3 die Gesellschafterdarlehen in gleicher Weise und unter Ausdehnung auf D a r lehen Dritter, wenn ein Gesellschafter d a f ü r Sicherheit leistet, der Gesellschaftsteuer unterworfen wurden. Dennodi hat das Gesetz vom 23. 12. 1971 25 die in § 3 KapVStG enthaltene Vorschrift ersatzlos beseitigt. Der Grund liegt offensichtlich darin, daß angesichts der Senkung des Steuersatzes auf 1 % die Finanzämter bezüglich der Untersuchung der Steuerpflicht von Gesellschafterdarlehen entlastet werden

20 Vgl. hierzu insbesondere Kapp, ErbStG 4. Aufl. § 3 Rz. 265 ff.; Megow, ErbStG § 3 Anm. II 4 und Troll, Rechtzeitig schenken, Stuttgart-Degerloch 1971, 141 ff. 21 DVStR 1953, 107; BStBl. III 1964, 202; H F R 1964, 397; BStBl. III 1966, 521 und BStBl. 1968, 239. 22 RGBl. 1922, 354. Vgl. dazu Veiel, StuW 1922, Sonderausgabe Sp. 119 ff. 23 Vgl. hierzu auch R F H 12, 125 ff. 24 RGBl. I S. 590. 25 BGBl. I S . 2134.

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sollten. Es fragt sich, ob der Gesetzgeber gerade unter diesem Blickwinkel nicht besser beraten gewesen wäre, wenn er sich dazu entschlossen hätte, es audi im ErbStG 1974 bei dem bisherigen Rechtszustand zu belassen, nämlich die Vereinbarung der Gütergemeinschaft nur dann als schenkungsteuerpflichtigen Vorgang zu behandeln, wenn erwiesenermaßen die Bereicherung des einen Ehegatten durch den anderen beabsichtigt ist und die Ordnung der familienrechtlichen Beziehungen in den Hintergrund tritt. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, was nunmehr im Falle der Vereinbarung der Gütergemeinschaft auf die Finanzämter und die Steuerpflichtigen zukommt. Bei der Darstellung der in Betracht kommenden Tatbestände wird sich erweisen, ob die neue Regelung sachlich begründet ist. Dies soll im folgenden untersucht werden.

2. Die Frage nach der Rechtfertigung des § 7 Abs. 1 Ziffer 4 ErbStG Die Frage nach der Rechtfertigung läßt sich am ehesten an H a n d einiger Beispiele beantworten. Es muß sich aber um Beispiele handeln, die nicht schon nach bisherigem Recht eine schenkungsteuerpflichtige Zuwendung beinhalten. Heiratet ein Mann, der Eigentümer eines Hofes mit einem auf den 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswert von 150 000,—DM ist, dessen Verkehrswert er auf 1 000 000,—DM schätzt, eine Frau mit einem Wertpapiervermögen von 1 000 000,—DM, so ist die Bereicherung nicht etwa in der Weise festzustellen, daß einander gegenübergestellt werden jener Einheitswert 26 und der Verkehrswert der Aktien, wodurch sich dann eine Bereicherung des Ehemanns in Höhe von 150 000 + 1 000 000,— : 2—150 000 = 425 0 0 0 — D M ergäbe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs 27 und des Bundesfinanzhofs 28 ist die Frage, ob eine Bereicherung im Sinne des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts vorliegt, nicht nach den steuerlichen Bewertungsvorschriften, sondern nach allgemeinen, d. h. bürgerlichrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Die Begründung ergibt sich aus der Erwägung, daß die Beteiligten im Rahmen ihrer Vereinbarungen nicht von den Steuerwerten, sondern von den gemeinen Werten ausgehen, so daß ein Abweichen von diesen Werten zu einer Verschiebung des Charakters der Vereinbarungen führen würde. Da 28

Bei landwirtschaftlichem Grundbesitz kommen 140 °/o des Einheitswerts nicht in Betracht (§ 121 a BewG). Vgl. auch Fetsch, MittRhNotK 1973, 551. 27 R F H 18. 294; 20, 98. 28 BFH BStBl. 1953 III S. 308; 1956 III S. 252.

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die bei Vereinbarung der Gütergemeinschaft eintretende Bereicherung nach dem Gesetzeswortlaut als Schenkung unter Lebenden gilt, sind auch für die Feststellung dieser Bereicherung bürgerlichrechtliche Maßstäbe, d. h. die gemeinen Werte der von dem Ehemann wie auch von der Ehefrau herrührenden und in das Gesamtgut fallenden Vermögenswerte, zugrundezulegen. Stehen sich Grundbesitz des einen Ehegatten mit einem um 40 % erhöhten Einheitswert von 2 1 0 0 0 0 , — D M sowie einem Verkehrswert von 1 0 0 0 0 0 0 , — D M und Wertpapiere des anderen Ehegatten mit einem Verkehrswert von 1 0 0 0 0 0 0 , — D M gegenüber, so ist keiner der Ehegatten bereichert, weshalb auch keine Schenkungsteuer erfällt. Erst wenn feststeht, daß sich nach bürgerlichen Bewertungsmaßstäben eine Bereicherung ergibt, ist zu ermitteln, welchen steuerlichen W e r t die Bereicherung hat. Die Anwendung der Vorschriften des Bewertungsgesetzes kann dann allerdings dazu führen, daß trotz einer nach den allgemeinen Grundsätzen festgestellten Bereicherung kein von der Erbschaftsteuer erfaßbarer Wert mehr verbleibt. Stehen sich ζ. B. Grundbesitz mit einem um 4 0 % erhöhten Einheitswert von 500 0 0 0 , — D M und einem Verkehrswert von 1 5 0 0 0 0 0 , — D M und Wertpapiere mit einem Verkehrswert von 1 0 0 0 0 0 0 , — D M gegenüber, so wird der Ehegatte, von dem die Wertpapiere stammen, nach bürgerlichrechtlichen Maßstäben um 2 5 0 0 0 0 , — D M bereichert. Nach steuerlichen Bewertungsmaßstäben ist diese Bereicherung jedoch nicht mehr zu erfassen, da der Grundbesitz nach den steuerlichen Bewertungsvorschriften mit dem l,4fachen des Einheitswertes zu Grunde zu legen ist und der Verkehrswert der Wertpapiere diesen Wert überschreitet. Selbst wenn im Einzelfall die steuerlichen Werte über den gemeinen Werten liegen sollten, richtet sich die Frage, ob und inwieweit eine Bereicherung eingetreten ist, ausschließlich nach den gemeinen Werten. Aus der Notwendigkeit, nach bürgerlichrechtlichen Gesichtspunkten festzustellen, ob und inwieweit eine Bereicherung eingetreten ist, ergibt sich, daß die Vereinbarung einer Gütergemeinschaft künftig erhebliche Bewertungsfragen aufwirft 2 9 . Dies wird besonders deutlich, wenn Eheleute, die in der Zugewinngemeinschaft leben, die Gütergemeinschaft an Stelle der Zugewinngemeinschaft vereinbaren wollen. Bei Aufhebung der Zugewinngemeinschaft durch Rechtsgeschäft ist der Zugewinnausgleichsanspruch zu ermitteln. In den relevanten Fällen wird es selten vorkommen, daß das Vermögen der Eheleute nur aus Zugewinn besteht und daß der Zugewinn nur von einem der Ehegatten erzielt worden ist, ein Fall, der der steuerfreien Vereinbarung der Gütergemeinschaft in keiner Weise entgegenstünde. Ist 2 9 Auf diese Schwierigkeiten haben Hirscbwald, J W 1921, 81 ff. hingewiesen.

schon Fürnrohr,

DStZ

1920,

171

und

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aber Anfangsvermögen vorhanden, etwa schon seit der Eheschließung, bei älteren Ehen schon seit dem Jahre 1958, so bereitet die Ermittlung des Zugewinns mit Rücksicht auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. 11. 1973 30 erhebliche Schwierigkeiten. Audi wenn der Ausgangswert feststeht, ist völlig offen, welcher Wert zur Zeit der Beendigung der Zugewinngemeinschaft anzusetzen ist. Fest steht lediglieli, daß der Wert des Anfangsvermögens sich um den Betrag erhöht, der sich aus der Veränderung des Lebenshaltungskostenindexes ergibt. Welcher Wert aber letzten Endes f ü r die Berechnung des Zugewinns in Betracht kommt, steht dahin. Man kann weder bei unbebauten Grundstücken die Veränderungen zu Grunde legen, die nach den Ermittlungen des Statistischen Bundesamts f ü r die Veränderungen der Baulandpreise in Betracht kommen, noch bei Hausgrundstücken die Veränderungen beim Preisindex für Wohngebäude. Wer weiß, daß eine im Jahre 1970 f ü r 70 000,—DM grunderwerbsteuerfrei erworbene Eigentumswohnung Mitte des Jahres 1973 zu 120 000,—DM unter Belastung des Käufers mit Grunderwerbsteuer verkauft werden konnte und sogar billiger war als eine im Jahre 1973 fertiggestellte Wohnung, ist sich darüber klar, daß man ohne eine von Fall zu Fall vorzunehmende Bewertung nicht zurecht kommt. Die Hinzuziehung von Sachverständigen ist nicht nur mit einem unsicheren Ausgang des Verfahrens, sondern auch noch mit nicht unerheblichen Kosten verbunden. Jeder ältere Anwalt wird hier an die Aufwertungsprozesse erinnert, die ohne Erstattung mehrerer Gutachten nicht beendet werden konnten. Die Finanzämter und die Steuerpflichtigen haben den Schaden davon, freuen können sich nur die Rechts- und Steuerberater und die unvermeidbaren Sachverständigen. Für die steuerrechtliche Betrachtung muß der Vollständigkeit halber noch vermerkt werden, daß die dem bisherigen Recht entsprechende Vorschrift in § 7 Abs. 3 ErbStG wonach Gegenleistungen, die nicht in Geld veranschlagt werden können, bei der Feststellung, ob eine Bereicherung vorliegt, nicht berücksichtigt werden, ebenfalls auf allgemeine, d. h. bürgerlichrechtliche Bewertungsmaßstäbe verweist. Die entscheidende Frage bei Vereinbarung der Gütergemeinschaft lautet, ob das, was von dem einen oder anderen Ehegatten herrührt, nach wirtschaftlichen Erfahrungen in Geld veranschlagt werden kann und nach bürgerlichrechtlichen Grundsätzen bewertbar ist. Die Schwierigkeit dieser Problematik tritt z. B. zu Tage, wenn es um die mehr oder weniger sichere Aussicht auf eine Erbschaft oder aber um die seitens eines Ehegatten zur Verfügung gestellte persönliche Arbeitskraft geht. 30

N J W 1974, 137.

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3. Die Bedeutung der Gütergemeinschaft in der Praxis Die Gütergemeinschaft hat im süddeutschen Raum nach wie vor einen verhältnismäßig hohen Stellenwert 31 . Dort spielt die Gütergemeinschaft, wie nicht anders zu erwarten ist, fast nur im landwirtschaftlichen und dem handwerklichen Bereich eine Rolle. Hier ist die Gütergemeinschaft wegen ihres festeren Gefüges mitunter beliebter als die Zugewinngemeinschaft. Schenkungssteuerliche Probleme spielen kaum eine Rolle, weil es sich durchweg um Werte handelt, die nur selten die Freibeträge erreichen, neuerdings erst recht nicht, weil audi bei kinderloser Ehe ein nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes ermittelter Vermögensüberschuß des reicheren Ehegatten von mehr als 500 000,—DM vorhanden sein muß, um eine Schenkungsteuer auszulösen, ganz abgesehen davon, daß auch nach allgemeinen Bewertungsgrundsätzen die Bereicherung eines der beiden Ehegatten durchweg nicht gegeben ist. Sieht man von dem süddeutschen Raum und einigen ländlichen Gegenden oberhalb der Mainlinie ab, so spielte die Gütergemeinschaft in den vergangenen 25 Jahren fast überhaupt keine Rolle, abgesehen davon, daß der Praktiker nach dem zweiten Weltkrieg nur hin und wieder noch mit einem übergeleiteten Güterstand zu tun hatte, der eine der bis zur Jahrhundertwende geltenden Gütergemeinschaften zum Gegenstand hatte. Die Vereinbarung der Gütergemeinschaft beschränkt sich seit dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes im Grunde auf zwei Fälle. Zunächst auf den Fall, daß die beiderseitigen Vermögen und vor allem die Tätigkeit der Ehegatten in einer Weise miteinander verflochten sind, die die Begründung einer Vermögensgemeinschaft nahelegt, wobei schon immer als Alternative zur Gütergemeinschaft die Personengesellschaft des Handelsrechts oder auch eine Kapitalgesellschaft sich anbot. Sodann der Fall der zweiten Ehe, bei der es darauf ankommt, Pflichtteilsansprüche oder Pflichtteilsergänzungsansprüche erstehelicher oder nichtehelicher Kinder zu vermindern 32 . Damit sind im wesentlichen die Fälle aufgezählt, in denen in der Vergangenheit das Bedürfnis, die Gütergemeinschaft zu vereinbaren, eine Rolle spielte. In Zukunft 5 1 Das zeigen die in den letzten 2 0 Jahren in den „Entscheidungen der Finanzgerichte" veröffentlichten Urteile. A l l e dort veröffentlichten Entscheidungen betreffen ausschließlich Fragen aus dem Einkommensteuerrecht, dem Umsatzsteuerrecht und dem Grunderwerbsteuerrecht. Vgl. EFG 1 9 5 6 , 1 7 2 ; 1 9 6 1 , 2 1 4 ; 1 9 6 1 , 2 6 1 ; 1 9 6 2 , 13 und 4 2 1 ; 1 9 6 4 , 1 1 1 ; 1965, 5 6 5 ; 1969, 2 5 9 ; 1970, 24, 248, 2 8 1 und 3 4 8 ; 1 9 7 1 , 3 9 9 ; 1972, 397. 5 2 Zur Problematik vgl. Wieser, M i t t B a y N o t K 1 9 7 0 , 1 3 7 und Haegele, B W N o t Z 1 9 7 2 , 71 und die Kommentare zu § 2 3 2 5 BGB, Troll, D S t R 1973, 725.

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wird trotz der in § 7 Abs. 1 Ziff. 4 enthaltenen Vorschrift die Gütergemeinschaft eher vereinbart werden als bisher. Zunächst werden Eheleute, die auf Grund einseitiger Erklärung nach den Einführungsvorschriften des Gleichberechtigungsgesetzes im Güterstand der Gütertrennung leben, für eine Übergangszeit begünstigt, indem ihnen gestattet wird, die Gütergemeinschaft ohne besondere steuerlichen Folgen zu vereinbaren. Wer seine Frau durch eine solche einseitige Erklärung überrascht und vor den Kopf gestossen hat, scheint sich besser zu stehen als der Ehemann, der um den Anschein des Ehezwists zu vermeiden, mit seiner Frau die Gütertrennung vereinbart hat oder der zur Zeit des Bestehens der Verwaltungsgemeinschaft zum Schutz der Erträge des Frauenvermögens vor seinen Gläubigern es zur Gütertrennung gebracht hatte. Sodann legt die neue steuerliche Behandlung der Zugewinngemeinschaft (§ 5 ErbStG 1974) es geradezu nahe, die Zugewinngemeinschaft durch die Gütergemeinschaft zu ersetzen. Welcher Ehemann kann es seiner geschäftlich ungewandten Frau überlassen, den Zugewinnausgleichsanspruch zu ermitteln und nachzuweisen, zumal auch noch die Grenzen des § 5 Abs. 1 Satz 2 nicht überschritten werden dürfen. Bei Vereinbarung der Gütergemeinschaft zu Lebzeiten beider Eheleute wickelt sich das Verfahren eher reibungslos ab. Schließlich kann die fortgesetzte Gütergemeinschaft mit Rücksicht auf die in § 25 des ErbStG enthaltene Regelung wenigstens hin und wieder Bedeutung erlangen. Wenn beim Erwerb des Nachlasses durch die Abkömmlinge der Kapitalwert der dem überlebenden Ehegatten vermachten Nutzungen nicht mehr den Wert der dem Erben zufallenden Gegenstände mindern und der Nutzungsberechtigte dennoch den Kapitalwert der Nutzungen versteuern muß und wenn bei Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge f ü r die Besteuerung des Nacherben — falls auch eigenes Vermögen des Vorerben auf ihn als Erben des Vorerben übergeht — die Erbschaftsteuer f ü r jeden Erwerb jeweils nach dem Steuersatz zu erheben ist, der für den gesamten Nachlaß gilt, ein Freibetrag insgesamt nur einmal in Betracht kommt (§ 6 ErbStG), liegt die Wahl einer Gestaltungsform nahe, die dem Versorgungsinteresse des überlebenden Ehegatten gerecht wird, gleichzeitig aber die zweifache Erbschaftsteuer vermeidet. Die Vereinbarung der Gütergemeinschaft verbunden mit der Abrede der Fortsetzung der Gütergemeinschaft mit den gemeinschaftlichen Abkömmlingen nach dem Tode des erstversterbenden Ehegatten bietet sich hier geradezu als Ausweg an. Denn so bleibt das Gesamtgut in ungeteilter Gemeinschaft erhalten. Dem überlebenden Ehegatten steht zwar kein eigentliches Nutznießungsrecht oder Nießbrauchsrecht zu 33 . Er hat 33

RG JW 1921, 1612; vgl. audi das Gutachten des R F H JW 1919, 842 ff.

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jedoch das alleinige Verwaltungsrecht (§ 1 4 8 7 Abs. 1 B G B ) und damit das Recht, über die zum Gesamtgut gehörenden Gegenstände einschließlich der Nutzungen des Gesamtgutes, die jeweils unmittelbar wieder in das Gesamtgut fallen, zu verfügen 3 4 . D e r Anteil des verstorbenen Ehegatten am Nachlaß ist von den gemeinsamen Abkömmlingen sofort in vollem Umfang zu versteuern. Das dem überlebenden Ehegatten zustehende Recht zur Verwaltung und Verfügung über das Gesamtgut einschließlich der Nutzungen — ζ. T . als „Nutzungsrecht" bezeichnet — berührt die H ö h e des den Abkömmlingen zuzurechnenden erbschaftsteuerpflichtigen Erwerbs nicht 3 5 , da sich die Befugnis des überlebenden Ehegatten über die Früchte des Gesamtguts zu verfügen, nicht daraus ergibt, daß ihm ein Nutzungsrecht gebührt, sondern daraus, daß er die freie Verfügung über das Gesamtgut hat, in das die Nutzungen fallen 3 6 . Aus dem gleichen Grunde stellt das dem überlebenden Ehegatten zufallende Verwaltungs- und Verfügungsrecht keinen erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb dar. Die Früchte nicht nur des Gesamtgutes, sondern auch die des Sondergutes des überlebenden Ehegatten fallen überdies in das Gesamtgut, so daß die Abkömmlinge erbschaftsteuerfrei auch an den Früchten des Sonderguts teilhaben können. Dies gilt zum Beispiel für eine zum Sondergut des überlebenden Ehegatten gehörende Unternehmensbeteiligung, deren Erträge in das Gesamtgut fallen. Bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft gelten die Einkünfte, die in das Gesamtgut fallen, gemäß § 28 des E S t G in vollem Umfang als Einkünfte des überlebenden Ehegatten, wenn dieser unbeschränkt steuerpflichtig ist. Darüber hinaus wird das Gesamtgut dem überlebenden Ehegatten im Rahmen der Vermögensteuer zugerechnet (§ 120 B e w G ) . Beide Vorschriften, die umstritten sind 3 7 , sind allerdings nur anzuwenden, wenn die fortgesetzte Gütergemeinschaft auch entsprechend der gesetzlichen Regelung praktiziert wird 3 8 . Dies ist nicht der Fall, wenn der überlebende Ehegatte und die Abkömmlinge das Gesamtgut gemeinsam verwalten und die in das Gesamtgut fallenden Einkünfte unter sich aufteilen. 3 4 RG J W 1921, 1612; Planck-Unzner, BGB, 4. Aufl., Anm. 1 c zu § 1485; Soergel-Gattl, BGB, 10. Aufl. Anm. 2 zu § 1486; Staudinger-Felgentraeger, BGB, 10./11. Aufl., Anm. 6 zu § 1485 BGB. 3 5 Vgl. R F H 23, 52; Karger, Steuerlich zweckmäßige Testamente und Schenkungen, 5. Aufl., Berlin 1930, S. 204; Megow, Erbschaftsteuergesetz, 5. Aufl. Anm. III zu § 5; Troll, Erbschaftsteuergesetz, Anm. 3 zu § 5. 3 6 So R F H , J W 1921, 1611 ff. für den Bereich der Vermögensteuer. 3 7 Vgl. B F H BStBl. 1966, 506; Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., Anm. b zu § 28 ; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 15. Aufl. Anm. 3 zu § 28 EStG. 3 8 R F H RStBl. 1937, 9 6 ; B F H BStBl. 1966, 505.

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Nun ist in dem von der Bundesregierung dem Bundestag vorgelegten Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes betr. u. a. die Reform des Einkommensteuergesetzes eine dem § 28 EStG entsprechende Vorschrift nicht mehr enthalten. Andererseits läßt das Zweite Steuerreformgesetz § 120 BewG unangetastet, sodaß auch in Zukunft bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft das ganze Gesamtgut grundsätzlich dem Vermögen des überlebenden Ehegatten zugerechnet wird. Trotz der Nichtaufnahme der in § 28 des geltenden Einkommensteuergesetzes enthaltenen Vorschrift in das neue Einkommensteuergesetz wird sich an der Auslegungsregel des geltenden Rechts nichts ändern, weil bereits § 42 Ziffer 4 des dem Bundestag vorliegenden Entwurfs der Abgabenordnung (Bundestags-Drucksache 7/79) bestimmt, daß Wirtsdiaftsgüter, über die jemand die Herrschaft gleich einem Eigentümer ausübt, jenem zugerechnet werden. Bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft trifft dies auf den überlebenden Ehegatten zu. Diesem obliegt noch nicht einmal die während des Bestehens der Gütergemeinschaft dem verwaltenden Ehegatten gemäß § 1435 Satz 2 B G B auferlegte Pflicht, seinen Partner über die Verwaltung zu unterrichten und ihm auf Verlangen über den Stand der Verwaltung Auskunft zu erteilen, weil § 1487 zwar auf Satz 1 und 3, nicht aber auf Satz 2 Bezug nimmt. Soweit der Güterstand der Gütergemeinschaft im Einzelfall von Interesse ist, kommt es darauf an, im Ehevertrag Gestaltungsformen zu finden, bei denen es nicht zu einer steuerpflichtigen „Bereicherung" eines Ehegatten kommt. Zur Erreichung dieses Ziels ist schon empfohlen worden, den Teil des Vermögens, der zu einer den Ehegattenfreibetrag übersteigenden Bereicherung führen würde, zum Vorbehaltsgut zu erklären und die zum Vorbehaltsgut gehörenden Gegenstände nach Ablauf von zehn Jahren jeweils im Rahmen des Ehegattenfreibetrages in das Gesamtgut zu überführen 39 . Zwar ist trotz des Wortlautes des § 7 Abs. 1 Ziffer 4 des ErbStG „bei Vereinbarung der Gütergemeinschaft" in der Uberführung von Gegenständen des Vorbehaltsguts in das Gesamtgut ein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang zu sehen 40 , denn bei einer derartigen Vereinbarung geht es lediglich um die Übertragung von Vermögenswerten und 39 Klunzinger, Die erbsdiaftstcuerliche Neuregelung des Güterrechts im Entwurf eines zweiten Steuerreformgesetzes, D S t R 1972, 685. Vgl. audi Fetsch, M i t t R h N o t K 1973, 563. 4 0 Vgl. F G Baden-Württemberg, E F G 1970, 24. Es handelt sich mithin grundsätzlich nidit um einen grunderwerbsteuerpfliditigen Vorgang. Würde jedoch ein Grundstück unter Übernahme von Hypothekenschulden aus dem Vorbehaltsgut in das Gesamtgut überführt werden, so würde insoweit, als die Schuldübernahme den Anteil des anderen Ehegatten betrifft, die Grunderwerbsteuer zu entrichten sein.

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nicht um die Gestaltung der rechtlichen Ordnung der ehelichen Lebensgemeinschaft. § 14 E r b S t G schreibt jedoch wie das frühere Recht lediglich vor, daß Vermögensvorteile, die innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallen, zusammengerechnet werden, so daß nach Ablauf von zehn Jahren die Freibeträge des § 16 von neuem ausgenutzt werden können. I m Unternehmensbereich hat die Gütergemeinschaft seit eh und je keine Bedeutung gehabt. Die Gründe hierfür sind teils rechtlicher, teils wirtschaftlicher Art. O b die Beteiligung an einer Personengesellschaft wenigstens dann zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehören kann, wenn die Beteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag an Dritte frei veräußert oder zumindest auf den anderen Ehegatten — im Falle der fortgesetzten Gütergemeinschaft wohl auch auf die Abkömmlinge — übertragen werden kann, ist weiterhin umstritten 4 1 . Ein verantwortlicher Berater wird schon aus Rechtsgründen zu V o r sicht mahnen, wenn Beteiligungen an Personengesellschaften eine wesentliche Rolle spielen. Im übrigen verbietet sich die Gütergemeinschaft auch wegen ihrer Schwerfälligkeit und der damit verbundenen Behinderung in der Realisierung unternehmerischer Entscheidungen. Zu nennen sind insoweit die auch bei alleiniger Verwaltung des Gesamtgutes durch einen Ehegatten bestehenden Verfügungsbeschränkungen (§§ 1423, 1424, 1425 B G B ) , die Verpflichtung zur Unterrichtung und Auskunftserteilung und die Ersatzverpflichtung (§ 1435 B G B ) sowie das Notverwaltungsrecht des anderen Ehegatten (§ 1429). Auch die Notwendigkeit, nach der Beendigung der Gütergemeinschaft das Gesamtgut auseinanderzusetzen (§§ 1471 ff. B G B ) und das oft im Unternehmen gebundene Vermögen einzubeziehen, sowie auch das gemeinsame Verwaltungsrecht beider Ehegatten von der Beendigung des Güterstandes bis zur Auseinandersetzung des Gesamtgutes (§ 1472 B G B ) sind stets schwerwiegende Gründe gegen die Gütergemeinschaft im Unternehmensbereich gewesen. Soweit ein Interesse an einer echten Mitunternehmerschaft beider Ehegatten besteht, sei es aus Gründen der Mitarbeit beider Eheleute, sei es aus vorwiegend steuerlichen Gründen, sind auch in der Vergangenheit bereits gesellschaftsrechtliche Konstruktionen gewählt worden, die es anders als die starren Regeln der Gütergemeinschaft erlauben, die für die unternehmerische Tätigkeit passende Regelung zu finden. Die Gütergemeinschaft wird darum auch in Zukunft in der Regel nur äußerhalb des Unternehmensbereichs ihre Berechtigung haben. Das ist ein weiterer Grund, der gegen die von dem Gesetzgeber gefundene Lösung spricht.

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Vgl. Lutter, A c P 161, 163 ff.; Karsten Schmidt, J Z 1973, 299 ff.

Einigungsstelle und tarifliche Schlichtungsstelle nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972* G E R H A R D MÜLLER

Mit den folgenden Darlegungen nimmt der Verfasser nicht in Anspruch, die Problematik der Einigungsstelle und der tariflichen Schlichtungsstelle nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 erschöpfend zu behandeln. D a f ü r sind die einzelnen Fragen zu zahlreich und teilweise auch in sich zu vielschichtig. Das hängt zu einem Teil, um mit den Worten von Richardi zu sprechen 1 , mit der nicht sonderlich scharfen begrifflichen Formulierung der Vorschriften des Gesetzes und seiner nicht völlig einwandfreien Systematik zusammen, so sehr dieses Gesetz, um mit Richardi abermals die eigene Meinung anzugeben, einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung des Sozialstaatsgedankens geleistet hat. Der Aufsatz ist nichts anderes als ein Versuch, u. a. auch durch den in einem bestimmten Rahmen gehaltenen Vergleich von Einigungsstelle und tariflicher Schlichtungsstelle, einige Gesichtspunkte zu klären. Dabei ist das Verfahren vor diesen Institutionen, aber ebenfalls nicht in jeweils vollem Umfange, mit einbezogen.

I. Die Einigungsstelle Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1972 ist bei Bedarf eine Einigungsstelle zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber hier und Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat dort zu bilden. Dabei ist unter dem Begriff des Arbeitgebers auch der des Unternehmers mit zu verstehen. Das gilt nicht nur etwa im Hinblick auf § 112 Abs. 2, 4 BetrVG 1972. Der Betrieb als die Stätte, in der im menschlichen Verbund mit Hilfe sachlicher Mittel das Betriebsergebnis erzielt werden soll, ist notwendig stets auf das Unternehmen — und ggfs. auf den Konzern — als die umfassende wirtschaftliche Einheit bezogen 2 . Eine Einigungsstelle selbst ist unerläßlich, um in denjenigen Fällen zu einer Entscheidung zu kommen, in denen das Gesetz eine Einigung zwischen dem Arbeitgeber und den Betriebsratsgremien verlangt, eine Einigung jedoch nicht zustande kommt. Einigen sich nämlich die Betriebspartner nicht, ist bei dem gesetzlich notwendigen Gleichgewicht der Betriebspartner der be* Der Beitrag w u r d e im J a n u a r 1974 fertiggestellt. Dietz-Richardi, BetrVG, 5. Aufl., V o r w o r t . Müller, DB 73, 78; ebenda S. 76.

1 2

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G e r h a r d Müller

triebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsfall sonst nicht lösbar. Die Einigungsstelle übt insofern eine Hilfsfunktion aus, um die M i t bestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der betrieblichen Ordnung zu gewährleisten 3 . Anderenfalls bliebe entweder nur die Möglichkeit, die Dinge der Zeit zu überlassen und damit würde die Gefahr einer Verzögerung oder Blockierung der Betriebsabläufe heraufbeschworen 4 , oder es müßte zu einem Arbeitskampf zwischen dem Arbeitgeber und den Betriebsratsorganen kommen 5 . Maßnahmen des Arbeitskampfes sind jedoch nach § 74 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz B e t r V G 1972 zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Die Sicherstellung des ungestörten Betriebsablaufs auch bei einer Nichteinigung im Falle mitbestimmungspflichtiger Tatbestände erscheint als eine nähere Konkretisierung eines im B e t r V G 1952 in § 49 Abs. 1 und heute in § 2 Abs. 1 B e t r G V 1972 verankerten Grundprinzips der Betriebsverfassung: Arbeitgeber und Betriebsrat haben zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammenzuarbeiten. Dies liegt ebenso im Interesse der Belegschaft wie im Interesse des Arbeitgebers und Unternehmers. Nicht zuletzt liegt es auch im Interesse des Wirtschaftslebens mit seiner Bedeutung für die Gesellschaft. Das Wirtschaftsleben soll keinen vermeidbaren betrieblichen Verzögerungen unterliegen, und es soll nicht mit einem kampfweisen Austragen der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsfälle belastet werden 6 . Im Betriebsverfassungsrecht stehen sich die Mitbestimmungspartner, also der Arbeitgeber/Unternehmer und die Betriebsratsorgane, polar entgegen, wenn sie wegen der Leistungsgemeinschaft von Betrieb und Unternehmen eben auch nach § 2 Abs. 1 B e t r V G 1972 vertrauensvoll zusammenzuarbeiten haben. Unsere Betriebsverfassung kennt kein M i t bestimmungsorgan, in dem beide Seiten vertreten wären und das durch den Einbau einer dritten Größe 7 das Funktionieren der Mitbestimmung rechtlich gleichsam „von innen her" sicherstellen würde. Dietz-Richardi, BetrVG, § 76. Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, B e t r V G , § 7 6 A n m . 1. 5 Siehe Fitting-Auffartb, B e t r V G , 10. Aufl., § 7 6 A n m . 3 5 ; auch mann-Schneider, B e t r V G , § 7 6 A n m . 1 ; ferner Diitz, A r b u R 72, 3 5 5 . 3 4

Gnade-Kehr-

6 Die kampfweise Austragung eines Tarifkonfliktes als eines Mittels zur Lösung eben dieses Konfliktes ist etwas anderes. Dieser K a m p f soll t r o t z seiner rechtlichen Kanalisierung dem freien Spiel gesellschaftlicher K r ä f t e R a u m geben, um eine nur allzu leicht als drückend empfundene staatliche Z w a n g s o r d n u n g der näheren Arbeitsbedingungen und des Wirtschaftslebens zu vermeiden. Innerhalb des Betriebes — und des Unternehmens — w ü r d e deren Leistungsgemeinschaft jedoch bei dem kampfweisen Austragen interner F r a g e n zu sehr beeinträchtigt. 7 Vgl. den „elften M a n n " oder den „fünfzehnten M a n n " im Aufsiditsrat im Bereich der Unternehmensmitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz Bergbau und Eisen und dem Mitbestimmungsholdinggesetz.

Einigungsstelle und tarifliche Sdilichtungsstelle

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Aber nicht nur für die Mitbestimmungsfälle, in denen eine an sich notwendige Einigung zwischen dem Arbeitgeber und der Betriebsratsseite nicht zustande kommt, ist der Spruch der Einigungsstelle vorgesehen. Einmal können unter den Voraussetzungen des § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG 1972 der Unternehmer oder der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, wenn über die geplante Betriebsänderung des § 111 BetrVG 1972 ein Interessenausgleich nicht zustande kommt. D a ß der Spruch hier nicht verbindlich ist, folgt daraus, daß das Gesetz, im Gegensatz zum Spruch der Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplanes nach § 112 Abs. 4 Satz 3 BetrVG 1972, deren Entscheidung die Einigung zwischen Unternehmer und Betriebsrat nicht ersetzen läßt 8 . Im übrigen ist in jedem Falle, in dem sich der Arbeitgeber — oder der Unternehmer — hier und der Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat dort nicht einigen können, die Tätigkeit der Einigungsstelle möglich. Dies folgt aus der weiten Fassung der Eingangsvorschrift des § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1972, die schlechthin von der Bildung einer Einigungsstelle „zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten" zwischen den eben genannten Stellen spricht. In einem gewissen Gegensatz zu dieser recht unmittelbar auf die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten abstellenden Formulierung kann die Einigungsstelle bei den hier in Betracht kommenden Tatbeständen von Hause aus aber nur einen bloßen Einigungsvorschlag machen 9 . N u r dann, wenn beide Seiten sich dem Spruch im voraus unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben, ersetzt nach § 76 Abs. 6 Satz 2 BetrVG 1972 die Entscheidung der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber- und Betriebsratsseite. Das Tätigwerden der Einigungsstelle müssen audi beide Seiten beantragen oder beide Seiten müssen doch hiermit einverstanden sein. Ersetzt der Spruch der Einigungsstelle dagegen die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, genügt nach § 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG der Antrag nur einer Seite, damit die Einigungsstelle mit ihrer Arbeit beginnen kann. Nach § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG 1972 besteht die Einigungsstelle aus einer jeweils gleichen, vom Arbeitgeber und der Betriebsratsseite zu bestellenden Anzahl von Beisitzern. Hinzu tritt nach dieser Vorschrift notwendig ein unparteiischer Vorsitzender 10 , auf dessen Person 8 Dietz-Richardi, BetrVG, § 7 6 Anm. 36, 61; § 1 1 2 Anm. 7; ebenso GnadeKehrmann-Schneider, BetrVG, § 112 Anm. 11; ferner Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 14. 9 Fitting-Auffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 29; Dütz, ArbuR 73, 358; DietzRichardi, BetrVG § 76 Anm. 82; Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 4. 10 Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 39.

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Gerhard Müller

sich beide Seiten einigen müssen. Entgegen der früher von dem Verfasser vertretenen Auffassung 1 1 ist er heute jedoch der Meinung, daß sich Arbeitgeber und Betriebsrat, nicht aber die jeweils von Ihnen be-; stellten Beisitzer, auf die Person des Vorsitzenden zu einigen haben. Soweit nämlich sonst § 76 B e t r V G 1972 von „beiden Seiten" (§ 76 Abs. 6 B e t r V G 1972) oder von „einer Seite" (§ 76 Abs. 5 B e t r V G 1972) spricht, sind eindeutig immer nur die Betriebspartner gemeint 1 2 . Für sich betrachtet ist die einschlägige Formulierung des § 76 Abs. 2 Satz 1 B e t r V G 1972 zwar nicht eindeutig 1 3 ; es muß jedoch der Gesamtzusammenhang der Regelungen des § 76 B e t r V G 1972 zur Eini-i gungsstelle beachtet werden. Die Einigungsstelle selbst faßt, wie dies § 76 Abs. 3 B e t r V G 1972 vorschreibt, ihre Beschlüsse nach mündlicher Beratung, allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit 1 4 . Bei der Beschlußfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit nicht zustande, nimmt der Vorsitzende nach weiterer Beratung an der erneuten Beschlußfassung teil. Die Beschlüsse der Einigungsstelle selbst sind im Interesse der Rechtssicherheit 15 schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und dem Arbeitgeber sowie dem Betriebsrat zuzuleiten. Nach § 76 Abs. 4 B e t r V G 1 9 7 2 können weitere Einzelheiten des Verfahrens vor der Einigungsstelle durch Betriebsvereinbarung geregelt werden. Die Formulierung „weiterer Einzelheiten des Verfahrens vor der Einigungsstelle" stellt dabei klar, daß der vom Gesetz vorgeschriebene Gang der Beschlußfassung selbst nicht angetastet werden darf 1 6 . Es kann DB 73, 7 7 ; a. a. O. 431 f. So überzeugend Diitz, ArbuR 73, 3 5 9 ; siehe auch die von Dütz a . a . O . angeführten weiteren Meinungen; ferner Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 39. 13 Dütz, ArbuR 73, 359. 1 4 Herrschende Meinung; siehe etwa Dietz-Richardi, BetrVG, § 7 6 Anm. 2 4 ; Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 22. Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 63 betonen zwar, daß eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist, aber in aller Regel zweckmäßigerweise anzuberaumen sei; siehe andererseits jedoch wieder a. a. O. Anm. 65. 1 5 Siehe Fitting-Auffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 2 1 ; siehe auch Dietz-Richardi, BetrVG, § 7 6 Anm. 2 7 ; Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 7 6 Anm. 86; Erdmann-Jiirging-Kammann, BetrVG, § 7 6 Anm. 11; Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 7 6 Anm. 9. Eine Begründung soll jedoch nicht erforderlich sein; siehe Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, a.a.O.; Erdmann-Jiirging-Kammann, a.a.O.; Gnade-Kehrmann-Schneider, a. a. O. 1 6 Übereinstimmende Meinung; siehe etwa Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 2 8 ; Erdmann-]ürging-Kammann, BetrVG, § 76 Anm. 13; Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 2 0 ; Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 76 Anm. 10; Frauenkron, BetrVG, § 7 6 Anm. 3 9 ; Sahmer, BetrVG, § 7 6 Anm. 10; Fabricius-Kraft-ThieleWiese, BetrVG, § 76 Anm. 76. 11

12

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sich bei diesen „weiteren Einzelheiten" etwa um Fragen der Protokollführung, der Ladung der Beisitzer u. a. handeln 1 7 . Die Organisation und der vom Gesetz geregelte Ablauf des Tätigwerdens der Einigungsstelle sind bei den Tatbeständen der notwendigen Mitbestimmung und in den sonstigen Fällen jeweils gleich, unbeschadet der Möglichkeit, daß die gleiche Anzahl von Beisitzern im einzelnen Falle wegen der Fassung des § 76 Abs. 2 Satz 1 B e t r V G 1972 und nach § 76 Abs. 2 Satz 3 B e t r V G 1972 verschieden groß sein kann 1 8 . Zwar erwähnt den Ablauf des Verfahrens nach § 76 Abs. 3 B e t r V G 1 9 7 2 ausdrücklich nur § 76 Abs. 5 B e t r V G 1 9 7 2 Satz 2 für den Fall, daß eine Seite keine Mitglieder benennt oder die von einer Seite benannten Mitglieder trotz rechtzeitiger Einladung der Sitzung fernbleiben und weiter der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, die Einigungsstelle könnte sonst anders besetzt werden und in anderer Weise verfahren. Der systematische Aufbau des § 76 B e t r V G 1972 ist insofern eindeutig. Die ersten vier Abschnitte der Vorschrift handeln von der Bildung, der Organisation und dem Tätigwerden der Einigungsstelle. Die beiden folgenden A b schnitte betreffen die Fälle des Tätigwerdens der Einigungsstelle bei der Nichteinigung zwischen den Betriebspartnern in den Fällen der notwendigen Mitbestimmung und in den sonstigen Fällen von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber- und Betriebsratsseite. Die letzten Abschnitte schließlich bringen Schlußregelungen; der Spruch der Einigungsstelle schließt den Rechtsweg nicht aus, soweit er nach anderen Vorschriften gegeben ist, und durch Tarifvertrag kann an die Stelle der Einigungsstelle eine tarifliche Schlichtungsstelle treten. Bildung, Organisation und Ablauf der Tätigkeit der Einigungsstelle sind somit ihrer Tätigkeit im Falle der notwendigen Mitbestimmung wie in den sonstigen Fällen vorausgestellt. Das kann dann nichts anderes heißen, als daß Organisation und Tätigwerden der Einigungsstelle eben jeweils übereinstimmend normiert sind. Auch die

1 7 Siehe Gnade-Kehrmann-Schneider, Wiese, B e t r V G , § 7 6 A n m . 7 6 .

§ 76 A n m . 1 1 ; auch

Fabricius-Krajt-Thiele-

1 8 Die Z a h l der Beisitzer im gegebenen F a l l w i r d sich nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten richten; vgl. Fitting-Auffarth, B e t r V G , § 76 A n m . 8. D a s dürfte bei einer Bestellung durch das Arbeitsgericht im Falle des § 7 6 Abs. 2 S a t z 3 B e t r V G 1 9 7 2 von ihm zwingend zu beachten sein. Einigen sich dagegen die Betriebspartner, sind sie frei. E i n übermäßiges Aufblähen der Z a h l der Beisitzer in diesem Falle w i r d z w a r nicht dem Sinn des § 2 Abs. 1 B e t r V G 1 9 7 2 entsprechen; die Vorschrift w i r k t hier jedoch, eben wegen der Einigung, nur als lex imperfecta. Siehe aber audi Müller, der arbeitgeber 72, 4 2 0 .

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schlicht von der Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsratsseite sprechende Einleitungsvorschrift des § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1972 ist zu beachten. Bei der Bedeutung der Einigungsstelle im Falle der notwendigen Mitbestimmung muß schließlich ihre Organisation und der Ablauf ihrer Tätigkeit möglichst eindeutig geregelt sein. Deswegen ist der Rückgriff auf die unmittelbar im Gesetz gegebene Regelung erforderlich. Dies gilt aber auch in den sonstigen Fällen. Nach dem Sinn des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 Abs. 1 BetrVG 1972 hat, zur Vermeidung beiderseitiger Belastungen, auch bei der Beilegung sonstiger Meinungsverschiedenheiten die Einigungsstelle möglichst schnell zu entscheiden. Ihre Organisation und ihr Arbeitsgang müssen also feststehen. Zwingende Leitlinie für das sachliche Ergebnis der Einigungsstelle im Falle der notwendigen Mitbestimmung ist die Vorschrift des § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG 1972. Danach faßt sie ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen. Dieser Regelung entspricht, jedenfalls in ihrem wesentlichen Grundgehalt, § 1 1 2 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1972, die die Maxime für die Aufstellung eines Sozialplanes durch die Einigungsstelle vorschreibt. Die Einigungsstelle hat dabei nämlich sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten. Dies kann dazu führen, daß im gegebenen Falle auch einmal Ausgleichsbegünstigungen für die Arbeitnehmer entfallen können. Da der mögliche Inhalt des Sozialplanes mit § 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1972 umschrieben ist, kommt die Vorrangklausel des § 77 Abs. 3 BetrVG 1972 zugunsten des Tarifvertrages nicht zum Zuge, obwohl der Sozialplan nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG 1972 die Wirkung einer Tarifvereinbarung hat 1 9 . Es dürfte somit auch vieles dafür sprechen, daß in einem äußersten Grenzfall sog. tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen ausscheiden20. Der Begriff des billigen Ermessens im Sinne des § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG 1972 selbst stellt ab auf die angemessene Berücksichtigung der Belange des Betriebes wie die der betroffenen Arbeitnehmer. Nur so lassen sich inhaltliche Bezugspunkte für diesen Rechtsbegriii gewinnen, wobei die mit dem billigen Ermessen gegebene Bezugsweite bereits von der Sache her erfordert

19 20

Siehe audi Brecht, BetrVG, § 112 Anm. 2. A. A. Fitting-Auffarth, BetrVG, § 112 Anm. 11.

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sein dürfte 2 1 . Die Verwendung des Begriffs des billigen Ermessens will der Entscheidung der Einigungsstelle, bei der in aller Regel von vornherein eine strenge Subsumtion ausscheidet 22 , den erforderlichen Spielraum sichern; dieser Spielraum soll aber möglichst sachbezogen, eben „billig" sein 2 3 . I m Ergebnis dürfte sich der Begriff des billigen Ermessens nach § 76 Abs. 5 Satz 3 B e t r V G 1972 dem entsprechenden Begriff des B G B jedenfalls annähern 2 4 . Insgesamt stellen die § § 7 6 Abs. 5 Satz 2, 112 Abs. 4 Satz 2 B e t r V G 1972 auf die Konzeption eines humanen, menschengerechten und zugleich wirtschaftlich arbeitenden Betriebs und Unternehmens ab 2 5 . Insoweit erscheinen sie als Konkretisierung des § 2 Abs. 1 B e t r V G 1972 für den Konfliktsfall. Diese Vorschrift kommt damit unmittelbar nicht zum Tragen 2 6 , wenn sie audi im übrigen wenigstens ihrem Sinne nach allgemein zur Anwendung kommt. Das Uberschreiten der Ermessensgrenzen durch die Einigungsstelle ist nach § 76 Abs. 5 Satz 4 B e t r V G 1972 gerichtlich nachprüfbar. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift könnte es zweifelhaft sein, ob die gerichtliche Überprüfung auch für die Billigkeit des Ermessens Platz greift. Das wird man aber schon aus rechtsstaatlichen Gründen — und daneben wegen des systematischen Zusammenhangs mit § 76 Abs. 5 Satz 3 B e t r V G 1972 — 2 7 zu bejahen haben. Anderenfalls bliebe ein nach der Rechtsordnung anzuwendender RechtsbegrifF von

2 1 Die Belange des Betriebes sind dabei im Zusammenhang mit dem Arbeitgeberinteresse zu sehen; dies folgt aus der der gesetzlichen Formulierung zu entnehmenden Gegenüberstellung mit den Belangen der betroffenen Arbeitnehmer. Siehe Galperin, Das Betriebsverfassungsgesetz 1972, 143. Ähnlich Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 32; Arbeitsring Chemie, BetrVG 1972, § 76 Anm. 3, S. 149/150. Zu der hier vertretenen Ansicht siehe auch Fabricius-Krajt-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 110, 111. 22 Siehe Müller, ZfA 72, 234; derselbe, DB 73, 77; Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 76 Anm. 16. Anders liegt es bei der Handhabung von sonstigen Rechtsbegriffen, als wie sie in §§ 76 Abs. 5 Satz 3, 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1972 angegeben sind. Siehe Thiele, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 73, 360; Fabricius-Krajt-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 82. 2 3 Ähnlich wohl Fitting-Auffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 32; vielleicht auch Dietz, ArbuR 73, 366/367, trotz gewisser Einschränkungen; ferner Fabricius-Kraft-ThieleWiese, BetrVG, § 76 Anm. 85. Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 52 nehmen dagegen nur eine äußerste rechtliche Begrenzung des Entscheidungsrahmens an, was aber bei dem eindeutigen Gesetzeswortlaut verfehlt sein dürfte. 2 4 A . A . Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 76 Anm. 16; auch Diitz, ArbuR 73, 366. 25 Müller, der arbeitgeber 72, 420; derselbe, DB 73, 78; audi Müller, DB 74, 46. 26 Fabricius-Krajt-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 81 sprechen in diesem Zusammenhang von § 2 Abs. 1 BetrVG 1972 als einer Innenschranke. 27 Müller, ZfA 72, 234; derselbe, DB 73, 77; derselbe, der arbeitgeber 72, 418.

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der gerichtlichen Kontrolle ausgeschlossen28. In diesem Sinne haben die Gerichte f ü r Arbeitssachen nicht nur auf die Überschreitung der Ermessensgrenzen und den Ermessensmißbrauch zu sehen, sondern eine möglichst sachnahe Prüfung anzustellen 29 · All das, was zum billigen Ermessen im Sinne des § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG gesagt wurde, gilt auch im Falle des § 1 1 2 Abs. 4 Satz2 BetrVG, also bei der Aufstellung des Sozialplanes durch die Einigungsstelle. Auch hier ist mit der Verwendung der Begriffe der Berücksichtigung der sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Entscheidung f ü r das Unternehmen ein Beurteilungsspielraum gegeben. Dieser Beurteilungsspielraum ist jedoch, weil auf jene Begriffe hingerichtet, ebenfalls sachbezogen, womit der Begriff des billigen Ermessens im Sinne des § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG 1972 wiederum zum Zuge kommt 3 0 . Bei einem nach § 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG ergehenden Spruch der Einigungsstelle gilt gleichfalls der Grundsatz der gerichtlichen Uberprüfbarkeit, auch wenn dies im Gesetz nicht ausdrücklich gesagt ist. Die Aufstellung des Sozialplanes berührt in besonderer Weise sowohl die Belange der betroffenen Arbeitnehmer wie die des Unternehmens und des Unternehmers, so daß die Annahme einer nicht durch die Ermöglichung der gerichtlichen Uberprüfung auszufüllenden Lücke keineswegs vertretbar ist 31 . Die gerichtliche Überprüfung der dort ge-

28 Im Ergebnis wie hier Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 1, 52, 76, 80 (in letzterer Anmerkung allerdings nicht ganz eindeutig); ferner Hautmann-Schmitt, BetrVG 1972, § 76 Anm. 6; wohl auch Arbeitsring Chemie, BetrVG 1972, § 76 Anm. 3, S. 150 f.; wohl auch Das neue Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitgeberverband der hessischen Metallindustrie, S. 207/208 ; ferner Stege-Weinspach, BetrVG, § 7 2 Anm. 3.15333, S. 141; Anm. 3.15335, S. 145; nicht ganz eindeutig aber dodi mehr auf eine Bejahung hinauslaufend, Diitz, ArbuR 366/377; unklar ErdmannJürging-Kammann, BetrVG, § 76 Anm. 19; unklar auch Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 33; ferner Die Quelle, Das neue Betriebsverfassungsgesetz, § 56 Anm. 5, S. 99; unklar, aber doch zu der hier vertretenen Ansicht neigend, Fabricius-KraftThiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 112. Nur eine offenbare Unbilligkeit wollen überprüfen lassen Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 76 Anm. 18. 29 Müller, Z f A 72, 234; derselbe, DB 73, 77; a. A. Fabricius-Kraft-ThieleWiese, BetrVG, § 76 Anm. 112. Nach allgemeiner Ansicht kann das Gericht den Spruch der Einigungsstelle jedenfalls grundsätzlich aber doch nur aufheben, selbst aber keine Sadientscheidung treffen. Vielmehr muß die Einigungsstelle erneut angerufen werden. Siehe etwa Erdmann-Jürging-Kammann, BetrVG, § 76 Anm. 19; Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 76 Anm. 18; Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 33. 30 Siehe Dietz-Richardi, BetrVG, § 112 Anm. 68. Eine Anwendung des Begriffs des billigen Ermessens in diesem Falle verneint dagegen Brecht, BetrVG, § 112 Anm. 8. 81 Müller, Z f A 72, 234; derselbe, DB 73, 77/78; derselbe, der arbeitgeber 72, 418.

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nannten Rechtsbegriffe und, weil eben mit ihnen in Zusammenhang stehend, die Überprüfung des Begriffs des billigen Ermessens sichert die tunlichst einwandfreie rechtliche Anwendung, unbeschadet des mit den Begriffen gegebenen Beurteilungsspielraumes 32 . An die Maxime des § 76 Abs. 5 Satz 3 B e t r V G 1972 ist die Einigungsstelle auch gebunden, wenn sie in den Fällen des § 76 Abs. 6 des Gesetzes entscheidet 33 . Die in der ersteren Vorschrift genannten Sachgegebenheiten müssen bei ihrer Art im gegebenen Falle stets im Betriebsverfassungsleben zum Zuge kommen. Nicht zuletzt entspricht dies § 2 Abs. 1 B e t r V G 1972, der eben mit § 76 Abs. 5 Satz 3 B e t r V G 1972 konkretisiert ist, seinerseits aber, was in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, allgemeine Bedeutung hat 3 4 . Eine gerichtliche Uberprüfung scheidet hier allerdings grundsätzlich aus. Dies folgt aus § 76 Abs. 6 Satz 2 B e t r V G 1972. Ein Zwang zur Unterwerfung besteht nicht; die Vertragsbindung entzieht sich der gerichtlichen Kontrolle 3 5 .

II. Die tarifliche Schlichtungsstelle Die tarifliche Schlichtungsstelle tritt nach § 76 Abs. 8 B e t r V G 1972 „an die Stelle" der Einigungsstelle. Sie ist also ein Substitut der letzteren Institution und verdrängt sie 36 . D e r Wortlaut des § 76 Abs. 8 B e t r V G 1972 läßt dabei zwei Möglichkeiten der Auslegung offen. Einmal könnte die tarifliche Schlichtungsstelle in jeder Hinsicht, also nicht nur funktionell, sondern auch in Bezug auf ihre Organisation und die A r t ihres Tätigwerdens, ein Substitut der Einigungsstelle sein. Zum anderen könnte sie lediglich funktionell statt der Einigungsstelle 32 Die rechtliche Entscheidung von Fragen, die ihrem Inhalt nach solche wirtschaftlich-sozialer Art sind, läßt sich überhaupt wohl nur mit Hilfe von unbestimmten Rechtsbegriffen durchführen; ein Beurteilungsspielraum ist also stets mitgegeben. Dies gilt auch für § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG 1972. 3 3 Die Bindung an § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG 1972 verneint für diese Fälle Sahmer, BetrVG, § 76 Anm. 15. 3 4 Siehe Müller, DB 73, 77. 3 5 Siehe Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 83. Dort sind auch Ausnahmefälle angegeben, bei deren Vorliegen eine gerichtliche Rechtskontrolle möglich sein soll. Dazu ist m. E. jedoch zu sagen, daß auch bei der nachträglichen Annahme eines Regelungsvorschlages etwaige Rechtsmängel durchweg geheilt werden dürften; hier tritt ebenfalls die Vertragsbindung ein. Etwas anderes kann nur bei krassen Rechtsverstößen gelten. Siehe allerdings audi Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 90; andererseits aber a. a. O. Anm. 91. 36 Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 125. Siehe aber auch die jeweiligen Schlußbemerkungen dort. Ebenso wie hier Stege-Weinspach, BetrVG 1972 Anm. 3.15337, S. 147.

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in Erscheinung treten; ihre Zusammensetzung und ihre Tätigkeit würde sich dann nach den einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags richten und die diesbezüglichen Vorschriften des § 76 BetrVG 1972 hätten allenfalls nur subsidiären Charakter 3 7 . M. E. hat bei der tariflichen Schlichtungsstelle stets ein unparteiischer Vorsitzender mitzuwirken 3 8 . Sonst besteht keine Gewähr für eine möglichst schnelle Entscheidung. Dies ist aber in den Fällen erforderlich, in denen bei der notwendigen Mitbestimmung die Betriebspartner sich nicht einigen können. Würde kein unparteiischer Vorsitzender tätig werden, könnten nur zu leicht erhebliche Hemmungen im Betrieb — und im Unternehmen — auftreten. Das verbietet jedoch der Sinn des § 2 Abs. 1 BetrVG 1972. Bei dem Gewicht dieser Vorschrift, die nach ihrer Stellung im Gesetz, vor allem aber auch nach ihrem Inhalt, nun einmal eine Grundlagenvorschrift des Betriebsverfassungsrechtes schlechthin ist, hat sie Ausstrahlungswirkung auf die Besetzung der tariflichen Schlichtungsstelle 39 . Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat darf in den Fällen, in denen sie sich nicht einigen können, nicht noch zusätzlich belastet werden. Zu dem unparteiischen Vorsitzenden treten bei der tariflichen Schlichtungsstelle jeweils die von der Arbeitgeber- und der Arbeit3 7 „Das neue Betriebsverfassungsgesetz" S. 208 will den Tarifvertragsparteien offensichtlich freie Hand in der Besetzung der tariflichen Schlichtungsstelle einräumen; ebenso Brecht, BetrVG, § 76 Anm. 12. Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 39 sehen die Besetzung mit einem unparteiischen Vorsitzenden nicht als zwingend an. Demgegenüber scheinen Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 65 die Besetzung der Stelle des Vorsitzenden als zwingend anzunehmen, während im übrigen der Tarifvertrag über die Zusammensetzung der Schlichtungsstelle abweichende Bestimmungen treffen können soll. Den Verfahrensgang vor der tariflichen Schlichtungsstelle sehen mit § 76 Abs. 5 als zwingend geregelt an Dietz-Richardi, BetrVG, § 7 6 Anm. 64, 66; ebenso Erdmann-Jiirging-Kammann, BetrVG, § 7 6 Anm. 23; ferner Stege-Weinspach, BetrVG 1972, Anm. 3.15337, S. 174; ebenso Frauenkron, BetrVG, § 7 6 Anm. 38; ferner Salier, Betriebsverfassungsrecht der Bundesrepublik III, § 7 6 S. 3; schließlich Brecht, BetrVG, § 76 Anm. 12. Keine zwingend vorgeschriebene Regelung des Verfahrensganges nehmen an Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 76 Anm. 23 ; ebenso Die Quelle „Das neue Betriebsverfassungsgesetz", Februar 1972, § 76 Anm. 8, S. 100; desgl. Sahmer, BetrVG, § 76 Anm. 18. Als grundsätzlich zwingend sehen die Verfahrensvorschriften des § 76 Abs. 5 BetrVG 1972 an Fitting-Auffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 39; sie bejahen allerdings die Möglichkeit eines zweiten Verfahrensganges vor der tariflichen Schlichtungsstelle; siehe a . a . O . ; wie FittingAuffarth audi Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 122. 38 Müller, ZfA 72, 235; ebenso Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 7 6 Anm. 123. 3 9 Siehe audi den oben erwähnten Gedanken, daß die §§ 76 Abs. 5 Satz 3, 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1972 Konkretisierungen des § 2 Abs. 1 BetrVG 1972 sind.

Einigungsstelle und tarifliche Sdilichtungsstelle

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nehmerseite zu benennenden Beisitzer. Ihre Zahl muß gleich sein. Beides, die Mitwirkung der Beisitzer und ihre jeweils gleiche Anzahl, entspricht allein dem historisch vorgegebenen Bild tariflicher Schlichtungsstellen. Ein mehrinstanzlicher Zug vor der tariflichen Schlichtungsstelle ist zu verneinen 40 . Dies ergibt sich wiederum aus dem Sinn des § 2 Abs. 1 BetrVG. Damit die vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht unnötig belastet wird, hat die Schlichtungsstelle eben möglichst schnell abschließend tätig zu werden. Im Hinblick auf eine möglichst schnelle Entscheidung der Sdilichtungsstelle könnte man fragen, ob der Verfahrensgang vor ihr nicht einfacher sein könnte als der Verfahrensgang, wie ihn § 76 Abs. 3 Satz 1, 2 BetrVG 1972 vorsieht. Dieser Verfahrensgang mit der Möglichkeit und erforderlichenfalls der Notwendigkeit seiner verschiedenen Züge ist gekennzeichnet durch einen ausgesprochenen Perfektionismus 41 . In der Praxis kann der Verfahrensgang also entgegen dem Sinn des § 2 Abs. 1 BetrVG 1972 ein Hemmnis werden 42 . Sein Sinn ist jedoch der, daß die von beiden Seiten bestellten Beisitzer, und damit durch sie gleichsam die Betriebspartner selbst, zu einer Einigung kommen 43 . Der Ablauf der Tätigkeit der Einigungsstelle ist also als ein, wenn auch indirektes Mittel der gegenseitigen Integration gedacht 44 . Infolgedessen muß die Regelung als ein vom Gesetz selbst konkretisierter Ausdruck des Vertrauensprinzips des § 2 Abs. 1 BetrVG 1972 angesehen werden. Ob sie in der Wirklichkeit des Tätigwerdens der Einigungsstelle besonders praktikabel ist, kann dann kein Kriterium mehr für die Anwendung des § 76 Abs. 3 Satz 1, 2 BetrVG im Verfahren vor der tariflichen Schlichtungsstelle sein, so sehr in anderen Fällen der Gedanke der schnellen Entscheidung rechtliches Gewicht hat. Der Vertrauensgedanke des § 2 Abs. 1 BetrVG 1972 in seiner Aktualisierung für das Verfahren vor der Einigungsstelle muß für das Verfahren vor der tariflichen Schlichtungsstelle

40 Α. A. Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 3 9 ; ebenso Fabricius-Kraft-ThieleWiese, BetrVG, § 76 Anm. 122. 41 Müller, D B 73, 79. 4 2 Siehe Müller, D B 73, 79. Das Verfahren nach § 76 Abs. 3 BetrVG 1972 ist der entsprechenden Regelung für die Tätigkeit der Heimarbeitsausschüsse nachgebildet ( § 4 Abs. 3 Heimarbeitsgesetz); siehe Dietz-Richardi, BetrVG, § 7 6 Anm. 2 6 ; Fitting-Auffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 19; Salier, BetrVG in der Bundesrepublik, III, § 76, S. 2. Dieser Verfahrensgang bei den Heimarbeitsausschüssen soll sich nach Salier a. a. O. allerdings bewährt haben.

Siehe Frauenkron, BetrVG, § 76 Anm. 23. Siehe Fitting-Auffarth, BetrVG, Anm. 19; Stege-Weinspach, Anm. 3.15332, S. 1 3 8 / 1 3 9 ; siehe auch Müller, D B 73, 78. 43 44

BetrVG

1972,

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ebenfalls zum Zuge kommen 45 . Die Tarifvertragsparteien können daher die einschlägigen Regelungen nicht abändern. Die vorstehenden Erwägungen zur Notwendigkeit eines unparteiischen Vorsitzenden, zur Notwendigkeit der Beisitzer und ihrer je gleichen Zahl und zum Verfahrensgang gelten aus den angegebenen Gründen gleichfalls dann, wenn die tarifliche Einigungsstelle in den Fällen tätig wird, in denen ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht ersetzt, sie also nur einen Einigungsvorschlag macht. Eine andere Frage ist, ob der Vorsitzende der tariflichen Schlichtungsstelle von den Tarifvertragsparteien zu bestellen ist. Das liegt nahe; bei dem in Rede stehenden Organ handelt es sich um eine durch Tarifvertrag zu schaffende Einrichtung. Die Bestellung des Vorsitzenden durch die Tarifvertragsparteien kann m. E. ohne weiteres bejaht werden 46 . Bei einer derartigen Bestellung ist die Unparteiischkeit des Vorsitzenden ferner ohne weiteres anzunehmen 47 . Der Vorsitzende muß, wie bei der Einigungsstelle, in betonter Weise die Beachtung der Maximen der § § 7 6 Abs. 5 Satz 3, 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1972 sicherstellen. Die Tarifvertragsparteien dürften es allerdings in der H a n d haben, ob sie den Vorsitzenden für ständig oder jeweils nur von Fall zu Fall bestellen. Beides läßt sich rechtlich vertreten. Die Bestellung auf Dauer gewährleistet ein schnelleres Arbeiten der Schlichtungsstelle; außerdem bringt sie den Charakter der Stetigkeit zum Ausdruck, der überkommenerweise mit einer tarifvertraglich vereinbarten Einrichtung verbunden ist. Die Bestellung des Vorsitzenden von Fall zu Fall kann andererseits eine besondere Sachnähe zu der zu behandelnden Materie gewährleisten. Deswegen wird man die Möglichkeit anerkennen müssen, daß bei dem Bestehen einer tariflichen Schlichtungsstelle die Betriebspartner ihrerseits den Vorsitzenden berufen. Damit der Charakter der Schlichtungsstelle als tarifrechtlich geschaffene Einrichtung gewahrt bleibt, wird aber dieserhalb eine tarifrechtliche Öffnungsklausel notwendig sein. Einigen sich die Tarifpartner nicht auf einen Vorsitzenden, findet § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG 1972 mindestens analog Anwendung; der Vorsitzende ist also durch das Arbeitsgericht zu bestellen. Sein 45

Siehe auch Müller, Z f A 72, 235. « Siehe auch Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 123. 47 Bei einer Bestellung des Vorsitzenden der Einigungsstelle gemeinsam durch den Arbeitgeber und die Betriebsratsseite geht das Schrifttum weitgehend davon aus, daß der Vorsitzende unparteiisch ist; siehe Erdmann-]ürging-Kammann, BetrVG, § 7 6 Anm. 6; Dietz-Richardi, BetrVG, § 7 6 Anm. 11; Gnade-KehrmannSchneider, BetrVG, § 76 Anm. 3. Andererseits siehe aber auch Fabricius-KraftThiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 39 a.

E i n i g u n g s s t e l l e u n d t a r i f l i c h e Schlichtungsstelle

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Vorhandensein ist eben wie bei der Einigungsstelle so bei der Schlichtungsstelle erforderlich. Haben der Arbeitgeber und die Betriebsratsseite auf Grund einer Öffnungsklausel den Vorsitzenden zu bestellen, kommt im gegebenen Fall § 76 Abs. 2 Satz 2 B e t r V G 1972 unmittelbar zur Anwendung. D a die Betriebspartner selbst am Zuge sind, entspricht dies dem Sinn der fraglichen Vorschrift 4 8 . Insbesondere auch dann, wenn die Tarifvertragsparteien nach dem Tarifvertrag den Vorsitzenden der Schlichtungsstelle von vornherein für dauernd und nicht von Fall zu Fall zu bestellen haben, sie sich auf seine Person aber nicht einigen können, dürfte § 76 Abs. 2 Satz 2 B e t r V G 1972 entsprechend anzuwenden sein. Nach § 76 Abs. 1 Satz 2 B e t r V G 1972 kann durch Betriebsvereinbarung eine ständige Einigungsstelle errichtet werden. Ihre Errichtung ist nur sinnvoll, wenn gleichzeitig ihre vollständige Besetzung feststeht. Dieser Gedanke muß bei der tariflichen Schlichtungsstelle ebenfalls gelten, da sie von Hause aus den Charakter einer Dauereinrichtung jedenfalls ihrer Struktur nach besitzt. O b dagegen die Beisitzer der tariflichen Schlichtungsstelle von vornherein oder von Fall zu Fall ebenfalls von den Tarifvertragsparteien zu bestellen sind, dürfte bedenklich sein; der Verfasser möchte die Frage verneinen 4 9 . Die tarifliche Schlichtungsstelle und die Einigungsstelle sind betriebs- und unternehmensbezogen; sie werden im Hinblick auf einen konkreten Betrieb und ein konkretes Unternehmen tätig. Dann aber erscheint die Bestellung der Beisitzer durch die Betriebspartner geboten. Auf Grund einer entsprechenden Anwendung des § 76 Abs. 1 Satz 2 B e t r V G 1972 die Möglichkeit einer Berufung durch die Tarifvertragsparteien annehmen zu wollen, geht m. E. nicht. Die durch Betriebsvereinbarung errichtete ständige Einigungsstelle soll u. a. von vornherein zusätzliche Streitigkeiten über die Besetzung vermeiden 5 0 . Demgegenüber dürfte bei der Bestellung der Beisitzer der Schlichtungsstelle jedoch der Gedanke der Sachnähe durchschlagen. Die tarifliche Schlichtungsstelle kann nicht durch einen Arbeitskampf erzwungen werden. Diese Einrichtung hat im Hinblick auf Betrieb und Unternehmen Friedensfunktionen zu erfüllen. Ihre auf Frieden gerichtete Tätigkeit würde, wenn vielleicht auch nur mittelbar, beeinträchtigt, dürfte ihre Errichtung durch einen Arbeitskampf 48 Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, B e t r V G , § 7 6 Anm. 123 nehmen an, daß die Tarifvertragsparteien die Bestellung des Vorsitzenden der Sdilichtungsstelle von vornherein dem Vorsitzenden des Arbeitsgerichts übertragen können; ebenso DietzRichardi, B e t r V G , § 76 Anm. 6 5 . Hierfür finden sich im Gesetz jedoch keine Anhaltspunkte. 49 50

Α . A . anscheinend Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, Vgl. Frauenkron, BetrVG, § 76 Anm. 13.

BetrVG, § 7 6 Anm. 123.

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zu ermöglichen sein. Die Erkämpfung müßte sich auf ihr Tätigwerden psychologisch nachteilig auswirken 51 . Die Regelung weiterer Einzelheiten des Verfahrens vor der tariflichen Schlichtungsstelle im Sinne des § 76 Abs. 4 BetrVG 1972 kann nicht durch eine Betriebsvereinbarung, sondern nur durch einen Tarifvertrag erfolgen. Dies entspricht der Schaffung der Schlichtungsstelle durch einen Tarifvertrag 5 2 . Er ist somit von Hause aus dasjenige Instrument, das als Ordnung der näheren Einzelheiten des Verfahrens zur Verfügung steht. Dies gilt jedoch nur wieder grundsätzlich 53 . Enthält der Tarifvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel, wird man im Rahmen dieser Klausel eine Regelung durch Betriebsvereinbarung anerkennen müssen. Die Betriebsvereinbarung stellt auf die Situation des einzelnen Betriebes und Unternehmens ab, während der Tarifvertrag allgemein geltende Normierungen schafft. Der Gedanke der Sachnähe und der Gedanke der durch den Tarifvertrag vorzunehmenden allgemeinen Normierung stehen nebeneinander. Wegen des tarifrechtlichen Ausgangspunktes hat der Tarifvertrag Vorrang, so daß er, soweit seine Ordnung Platz greift, auch bei der Nichtaktualisierung einer Öffnungsklausel gilt. Eine Erzwingung näherer Regelungen durch den Arbeitskampf einschließlich der Erzwingung einer Öffnungsklausel scheidet wiederum aus. Der Sinn der auf Frieden gerichteten Tätigkeit der tariflichen Schlichtungsstelle verbietet dies nun einmal 54 . Die tarifliche Schlichtungsstelle ist ebenso wie die Einigungsstelle bei der Findung ihres Spruches an die Maximen der § § 7 5 Abs. 5 Satz 3, 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1972 gebunden und zwar einschließlich der Bindung an das billige Ermessen 55 . Das gilt gleichfalls, wenn die Schlichtungsstelle nach § 76 Abs. 6 BetrVG 1972 tätig wird. Die tarifliche Schlichtungsstelle ist auf jeden Fall ein funktionelles Substitut der Einigungsstelle; nach Wortlaut und Sinn des § 76 Abs. 8 BetrVG 1972 übernimmt sie deren Tätigkeit. Folgerichtig ist im Falle eines Tätigwerdens der Schlichtungsstelle bei Tatbeständen der notwendigen Mitbestimmung die gerichtliche Uberprüfung, und zwar ein5 1 Sollen in demselben Tarifvertrag nodi andere tarifrechtlich mögliche Regelungen gebracht werden, stehen letztere jedodi für den Arbeitskampf offen. Eine andere Betrachtung würde der heute allgemein anerkannten mit Art. 9 Abs. 3 GG erfolgten Gewährleistung des Arbeitskampfes um Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen m. E. nicht gerecht. Es handelte sich dann um einen Tarifvertrag, dessen Inhalt teilweise erkämpft und teilweise nicht erkämpft werden kann.

Siehe Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 122. A. A. Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, a. a. O. 5 4 Auch hier gilt jedoch wieder, daß andere Regelungen des Tarifvertrages durch den Arbeitskampf herbeigeführt werden können; siehe Fußn. 52. 55 Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 Anm. 126. 52

53

Einigungsstelle und tarifliche Schlichtungsstelle

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schließlich der Einhaltung der Grenzen des billigen Ermessens möglich. Die tarifliche Schlichtungsstelle bietet als solche noch keine besondere Gewähr für die Vertretbarkeit und die Annahmbarkeit ihres Spruches 56 . Es besteht keine Veranlassung, daß der Verfasser seine dieserhalb schon früher geäußerte Ansicht aufgibt 5 7 .

I I I . Gedanken zur rechtlichen Qualifikation von Einigungsstelle und tariflicher Schlichtungsstelle Die Einigungsstelle und die tarifliche Schlichtungsstelle stehen phänomenologisch grundsätzlich außerhalb des Betriebs und des Unternehmensverbandes. Im Interesse seiner Unparteiischkeit muß der V o r sitzende stets „von außen her" berufen werden. Diesen Umstand haben auch die Betriebspartner und die Tarifvertragspartner bei einvernehmlicher Bestellung zu beachten 5 8 . Wegen des Erfordernisses seiner Unabhängigkeit kann der Vorsitzende auch nicht aus den Reihen der Gewerkschaften oder der Arbeitgeberverbände berufen werden 5 9 . D a das Gesetz keine näheren Regelungen trifft, gilt bei dem Grundsatz der Sachkunde und damit bei dem Grundsatz der Sachnähe, daß die Beisitzer sowohl bei der Einigungsstelle wie bei der tariflichen Schlichtungsstelle aus den Reihen der Betriebs- und Unternehmensangehörigen bestellt werden können. Dies muß aber nicht sein. Die Beisitzerernennung ist in erster Linie eine Frage, wem die Betriebspartner — die Tarifvertragspartner scheiden nach dem oben Gesagten im Falle der Sdhlichtungsstelle aus — ihr Vertrauen schenken 60 . 56 Α. A. Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 39, die eine Nachprüfung des Spruches der tariflichen Schlichtungsstelle nur auf offensichtlicher Unbilligkeit hin zulassen wollen. 57 Müller, ZfA 72, 2 3 5 ; derselbe, D B 73, 7 8 ; ebenso Fabricius-Kraft-ThieleWiese, BetrVG, § 76 Anm. 126. 5 8 Im Schrifttum wird darauf abgestellt, daß aus praktischen Gründen als Vorsitzende überwiegend außenstehende Personen heranzuziehen seien; siehe Brecht, BetrVG, § 76 Anm. 3 ; Erdmann-Jürging-Kammann, BetrVG, § 76 Anm. 6 ; FittingAuffarth, BetrVG, § 76 Anm. 10; Stege-Weinspach, BetrVG 1972, Anm. 3.15331, S. 1 3 8 ; Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 11 verneinen offenbar nur bei Nichteinigung auf die Person des Vorsitzenden, daß das Arbeitsgericht einen Betriebsangehörigen bestellen kann. 59 Fitting-Auffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 13; siehe audi Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 11. 6 0 Daß die Beisitzer aus Personenkreisen außerhalb von Betrieb und Unternehmen berufen werden können, dürfte allgemeine Meinung sein. Siehe Brecht, BetrVG, § 7 6 Anm. 3 ; ferner Erdmann-Jürging-Kammann, BetrVG, § 7 6 Anm. 5 ; ebenso Fitting-Auffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 4 ; auch Dietz-Richardi, BetrVG, § 7 6 Anm. 9 ; des weiteren Sahmer, BetrVG, § 76 Anm. 4 und Stege-Weinspach, BetrVG 1972, Anm. 3.15331, S. 138.

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Deswegen sind die Einigungsstelle und die tarifliche Schlichtungsstelle betriebsverfassungsrechtliche Organe 61 . Der Zweck eines verbindlichen Spruchs im Falle der notwendigen Mitbestimmung oder einer mit einem Einigungsvorschlag gegebenen Hilfestellung, wobei dieser Vorschlag nach § 76 Abs. 6 Satz 2 BetrVG 1972 ebenfalls verbindlich werden kann, ist die Streitbeilegung zwischen dem Arbeitgeber/Unternehmer hier und der Betriebsratsseite dort. Die Einigungsstelle und die tarifliche Schlichtungsstelle sind von ihrem Sinn her in die Betriebsverfassung und nur dort eingebaut. Die tarifliche Schlichtungsstelle hat allerdings insofern tarifrechtlichen Charakter, als sie im Sinne des § 1 Abs. 1 T V G den Fall einer Ordnung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen darstellt. Dabei ist durch ihre gesetzliche Ermöglichung nach § 76 Abs. 8 BetrVG 1972 der tarifrechtlich zu regelnde Tatbestand näher vorgegeben. Oberbegriff bleibt jedoch immer die Ordnung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen. Die tarifliche Schlichtungsstelle ist ferner als eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Sinne des § 4 Abs. 2 T V G anzusehen 62 . Dabei ist es gleichgültig, ob die Tarifvereinbarungen, die die tarifliche Schlichtungsstelle begründen, die oben erwähnten Öffnungsklauseln enthalten oder nicht. Entscheidend bleibt die gemeinsame Begründung durch die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag. Nach § 3 Abs. 2 T V G ist die tarifliche Schlichtungsstelle für den ganzen Betrieb und das ganze Unternehmen eingerichtet, sofern nur der Arbeitgeber tarifgebunden ist 63 .

61 Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 3, 4, 39; Halberstadt-Zander, Handbuch des Betriebsverfassungsrechts, S. 231; Sahmer, BetrVG, § 76 A n m . 4; Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 A n m . 1, 21. W e n n an letzterer Stelle v o n der Einigungsstelle als einer betriebsverfassungsrechtlichen Institution eigener Art gesprochen wird, so ist dem zuzustimmen. D a Arbeitgeber oder Betriebsrat z u m mindesten nicht anrufen sollen, bevor sie gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG 1972 den ernsthaften Versuch unternommen haben, sich zu einigen, kann man die Einigungsstelle und die Sdilichtungsstelle allerdings auch nicht als innerbetriebliche Einrichtungen im strengen Sinne des Wortes ansehen. W o h l z w e i f e l n d an der betriebsverfassungsrechtlichen Qualität der Einigungs- und der Schlichtungsstelle Erdmann-Jurying-Kammann, BetrVG, § 76 A n m . 2; dagegen wieder bejahend Galperin, D a s Betriebsverfassungsgesetz 1972, S. 141. D i e dort ausgesprochenen Z w e i f e l an der Vereinbarkeit der Stellen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen sind nicht begründet; siehe im A u f s a t z weiter unten. Vielleicht nicht eindeutig zur rechtlichen Qualifikation der Einigungsstelle FabriciusKraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 76 A n m . 54. 62 03

Sahmer, BetrVG, § 76 A n m . 17. Allgemeine Meinung; siehe e t w a Fitting-Auffarth,

BetrVG, § 76 A n m . 40.

Einigungsstelle und tarifliche Schliditungsstelle

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IV. Zur verfassungsrechtlichen Problematik von Einigungsstelle und tariflicher Schlichtungsstelle Einigungsstelle und tarifliche Schliditungsstelle verstoßen nicht gegen die Verfassung. Die Fälle der notwendigen Mitbestimmung nach dem B e t r V G 1972 betreffen bei näherem Zusehen sämtlich Fragen, in denen es entscheidend um die sozialen Belange der Belegschaft und ihrer Angehörigen geht. Dies gilt gerade auch bei einer Mitbestimmung in materiell-rechtlichen Fragen in Fällen des § 87 Abs. 1 B e t r V G 1972 (ζ. B. Mitbestimmung beim Geldfaktor nach § 87 Abs. 1 N r . 11 B e t r V G 1972). U m den sozialen Aspekt geht es ferner bei § 95 Abs. 2 B e t r V G 1972, wonach der Betriebsrat in Betrieben mit mehr als 1000 Arbeitnehmern die Aufstellung von Richtlinien über die bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen zu beachtenden fachlichen und persönlichen Voraussetzungen und sozialen Gesichtspunkte zwingend verlangen kann. Alle diese U m stände, nicht nur die streng sozialen Gesichtspunkte, besitzen im H i n blick auf die Belegschaft eine unmittelbare soziale Bedeutung. Wird die Mitbestimmung hier nur unter letzterer Sicht gehandhabt und kommt dies ferner in den Richtlinien zum Ausdruck, dürfte eine Verfassungswidrigkeit nicht gegeben sein 64 . Insgesamt liegt also dogmatisch eine Ausformung des verfassungsrechtlichen und dabei verfassungsfesten (Art. 79 Abs. 3 G G ) Sozialstaatsprinzips vor. Die durch Art. 2 Abs. 1 G G und durch Art. 12 Abs. 1 G G (Freiheit der Berufswahl) geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit und das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 G G geschützte Eigentum werden für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes 65 jedenfalls im Kern nicht berührt. Auch wenn der Kern der unternehmerischen Betätigungsfreiheit und der des Eigentums erhalten bleiben muß, ist doch zu beachten, daß andererseits ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung und damit gegen das Sozialstaatsprinzip und seine weitere sachgerechte Ausfaltung nicht erfolgen darf. Dabei erkennt das Sozialstaatsprinzip allerdings gerade wieder die Persönlichkeitsentfaltung an und muß sie, übrigens bereits nach dem ihm eigenen Sinn, anerkennen 6 6 . Das Eigentum ist nach Art. 14 Abs. 2 G G „sozialpflichtig" und damit scheint der Sozialstaatsgedanke hier von vorn64 Siehe audi Erdmann-] ürging-Kammann, BetrVG, § 9 5 Anm. 2, mit weiterem Nachweis; Dietz-Richardi, BetrVG, § 9 5 Anm. 4; a. A. Frabricius-Kraft-ThieleWiese, BetrVG, § 95 Anm. 6. 65 Zur besonderen Situation des Verlegers im Hinblick auf die sog. innere Pressefreiheit siehe Müller, Wem das Grundgesetz die Pressefreiheit anvertraut hat, insbesondere S. 2 ff. 6Θ Vgl. Müller, Wem das Grundgesetz die Pressefreiheit anvertraut hat, S. 7, 8.

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herein auf. Wegen der durch den Sozialstaatsgedanken gedeckten notwendigen Mitbestimmung, die selbst Fälle von entscheidender sozialer Bedeutung für die Belegschaft und ihre Angehörigen betrifft, sind bei dem polaren Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber/Unternehmer hier und der Betriebsratsseite dort die Einigungsstelle und die tarifliche Schlichtungsstelle gleichsam von der Sache her erfordert. Die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung im Hinblick auf dieses polare Verhältnis aufzubauen, ist bei dem so von Hause aus vorgegebenen Spannungsverhältnis jedenfalls zulässig. D a ß andererseits Betrieb und Unternehmen sogar vor allem von der Sache her entscheidend ein Leistungsverbund sind und bleiben, sei ausdrücklich betont. Soweit materiell-rechtliche Fragen nach § 87 Abs. 1 BetrVG 1972 der Mitbestimmung unterliegen, kann übrigens auch nicht von einer Verletzung der mit Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionen verfassungsrechtlich gewährleisteten Betätigungsgarantie die Rede sein. Das schließt bereits der Vorrang der Tarifregelung nach dem Eingangssatz dieser Bestimmung aus. Nicht zuletzt sind die Einigungsstelle und die tarifliche Schlichtungsstelle an die für ihre Entscheidung verbindlichen Leitmaximen der §§ 76 Abs. 5 Satz 3, 112 Abs. 4 Satz 4 BetrVG 1972 gebunden. Die Belange des Arbeitgebers und des Unternehmers sind dabei voll, jedenfalls aber sachgemäß, berücksichtigt. Hinzu tritt die Möglichkeit der gerichtlichen Uberprüfung des Spruches der Einigungs- und Schlichtungsstelle. Die durch den Verfahrensgang vor der Einigungsstelle und der tariflichen Schlichtungsstelle und durch die gerichtliche Uberprüfung ihres Spruches gegebenen Hemmungen dürften, wieder unbeschadet des in anderen Fällen geltenden Gedankens der Schnelligkeit, im Interesse der Sozialstaatsmaxime wohl hinzunehmen sein 67 . Es sei auch in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, daß § 75 Abs. 5 Satz 3 BetrVG 1972 ebenfalls in den Fällen gilt, in denen der Spruch der Einrichtungen die Einigungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht ersetzt. Schließlich ist mit § 76 Abs. 7 BetrVG 1972 das Rechtsstaatsprinzip gewahrt; soweit der Rechtsweg gegeben ist, wird er durch den

67 D a ß mit dem Verfahrensgang vor der Einigungs- und Schlichtungsstelle und einem etwa nachfolgenden Rechtszug vor den Gerichten auch erhebliche soziologische Konfliktsmöglichkeiten verbunden sein können, hat der Verfasser an anderer Stelle dargelegt; siehe Müller, der arbeitgeber 72, 4 2 0 / 4 2 1 ; derselbe D B 73, 78 ff. Dies ändert aus den angegebenen Gründen aber nichts an der Verfassungsmäßigkeit der hier in Rede stehenden Einrichtungen; siehe auch Müller, D B 73, 78. Bei H e m m u n gen wegen einer einvernehmlich vereinbarten zu großen Zahl v o n Beisitzern durch die Betriebspartner k o m m t der Gedanke der Selbstbindung z u m Zug.

Einigungsstelle und tarifliche Sdiliditungsstelle

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Spruch der Einigungsstelle und der tariflichen Schlichtungsstelle nicht ausgeschlossen. Eine Vorschaltung dieser Einrichtungen vor den Rechtsweg schließt den Rechtsweg selbst nicht aus. Eine Hemmung durch diesen Verfahrensgang dürfte im übrigen durch die Möglichkeit kompensiert sein, daß es durch die Einigungsstelle und die tarifliche Schlichtungsstelle, über die, wie oben gesagt, in einer gewissen Weise die Betriebspartner selbst handeln, sowohl in den Fällen der notwendigen Mitbestimmung wie sonst zu einer Einigung ohne Fällung eines Spruches kommen kann 6 8 . Im Falle der rechtsfehlerhaften Anwendung der Maximen der §§ 76 Abs. 5 Satz 3, 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1972 ist der Rechtsweg nach dem Betriebsverfassungsgesetz selbst ausdrücklich eröffnet. Die Ausschlußfrist von zwei Wochen nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG 1972 ist zulässig; sie dient der möglichst schnellen Herbeiführung der Rechtsklarheit. Sofern der Spruch der Einigungsstelle und der tariflichen Schlichtungsstelle sonstige Rechtsfehler materiell-rechtlicher Art enthält, können sie von den jeweils Betroffenen 69 stets ohne Einhaltung einer Frist — allerdings vorbehaltlich einer prozessualen Verwirkung — gerichtlich geltend gemacht werden; das verlangt der Rechtsstaatsgedanke 70 . Dasselbe gilt bei schwerwiegenden Verfahrensmängeln 71 . Über leichtere verfahrensrechtliche Fehler wird dagegen im Interesse der schnellen Erledigung und damit letztlich wegen des Grundsatzes der Verfahrensökonomie hinwegzusehen sein 72 .

68 Ähnliche Überlegungen wie hier stellen zur Verfassungsmäßigkeit der Einigungsstelle und der tariflichen Sdiliditungsstelle an Fitting-Auffarth, BetrVG, § 76 Anm. 37; siehe ferner Dietz-Richardi, BetrVG, § 8 7 Anm. 304; § 1 1 2 Anm. 2, 3. Verfassungsrechtliche Bedenken melden an: Erdmann-]ürging-Kammann, BetrVG, § 8 7 Anm. 7 fi., § 9 5 Anm. 2, § 1 1 2 Anm. 5; ähnlich Stege-Weinspach, BetrVG 1972, Anm. 3.15333, S. 140/141 für den Fall des § 87 Abs. 1 N r . 11 BetrVG 1972. Für den Fall des § 95 Abs. 2 BetrVG 1972 erkennen auch allerdings Erdmann]ürging-Kammann den sozialen Aspekt an. Stege-Weinspach, BetrVG 1972, Anm. 3.15333, S. 141 vertreten, bis auf den eben genannten Tatbestand, im übrigen wohl die Auffassung, daß Einigungsstelle und tarifliche Schlichtungsstelle nicht verfassungswidrig sind. 69

Das kann m. E. etwa audi der einzelne Arbeitnehmer sein. Siehe auch Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese, BetrVG, § 7 6 Anm. 105; zum Verneinen einer Fristbindung audi Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 86; FittingAuffarth, BetrVG, § 7 6 Anm. 33; Gnade-Kehrmann-Schneider, BetrVG, § 7 6 Anm. 19. 71 Siehe Dütz, ArbuR 73, 365; audi Dietz-Richardi, BetrVG, § 76 Anm. 78. 72 Eine gesellschaftspolitisch-wirtschaftliche Problematik besonderer Art erwähnt der Verfasser in D B 74, 46. Ihre Aktualisierung dürfte aber nicht dem Sinn der Einigungs- und der Sdiliditungsstelle entsprechen; siehe a. a. O. 70

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V. Rechtlicher Grund der Ermöglichung der tariflichen Schlichtungsstelle Der letzte Grund dafür, daß das Gesetz anstelle der Einigungsstelle die Errichtung tariflicher Schlichtungsstellen ermöglicht, ist wohl nicht in ihrem Charakter als einer in jedem Falle gewissen Dauereinrichtung zu sehen. Bereits nach § 76 Abs. 1 Satz 2 B e t r V G 1972 kann eine ständige Einigungsstelle durch Betriebsvereinbarung errichtet werden. Zudem ist bei der tariflichen Schlichtungsstelle die Möglichkeit einer Öffnungsklausel zur Bestellung des Vorsitzenden durch die Betriebspartner zu beachten, und die Bestellung der Beisitzer erfolgt — wie ausgeführt — bei der Schlichtungsstelle sowieso immer durch den Arbeitgeber/Unternehmer und die Betriebsratsseite. Entscheidend dafür, anstatt der Einigungsstelle eine tarifliche Schlichtungsstelle tätig werden lassen zu können, ist wohl eine andere Erwägung. Die Tarifvertragsparteien sind gegenüber dem Betriebsund Unternehmensgeschehen besonders sachnahe. Mit § 76 Abs. 8 B e t r V G 1972 erhalten sie betont die Möglichkeit, im Bereich des Betriebsverfassungsrechtes ordnungspolitisch tätig zu werden. Zumindest insoweit sind die Tarifvertragsparteien als betriebsverfassungsrechtliche Ordnungsfaktoren anzusehen. D a s gilt nicht zuletzt deswegen, weil nach den Ausführungen hier die Tarifvertragsparteien bei der Errichtung einer tariflichen Schlichtungsstelle in erheblichem Ausmaß einer gesetzlichen Vorprägung und damit betriebsverfassungsrechtlich vorgegebenen Bindungen unterliegen 73 und die Leitmaximen der §§ 76 Abs. 5 Satz 3, 112 Abs. 4 Satz 2 B e t r V G 1972 unbedingt verbindlich sind. Die, unbeschadet ihrer im Gegenspielverhältnis durchzuführende Interessenwahrnehmung, dann aber auch gerade mit dieser Interessenwahrnehmung gegebene allgemeine Ordnungsfunktion der Tarifvertragsparteien in unserem Gemeinwesen und für dasselbe erfährt somit eine zusätzliche Verstärkung.

7 3 Diese Einschränkung der Tarifautonomie erscheint unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung eines geordneten Betriebs- und Unternehmensverbundes mit seiner Bedeutung für Gesellschaft, Wirtschaft und Gemeinwesen zulässig; vgl. auch § 3 BetrVG 1972. A. A. möglicherweise Gnade-Kebrmann-Schneider, BetrVG, § 76 Anm. 23, die den Vorrang der Tarifautonomie, wenn audi in anderem Zusammenhang, betonen.

Zum Begriff und Inlandsschutz des „Handelsnamens" (Nom commercial) im deutschen und französischen Recht gemäß Art 8 PVÜ* RUDOLF N I R K

Die individuelle Abgrenzung der einzelnen Unternehmen und Handelsbetriebe untereinander ist in unserer Wettbewerbs- und Marktordnung von wesentlicher Bedeutung. Gleiches gilt aufgrund der ähnlichen Wirtschaftsstruktur für Frankreich. Dem Recht auf freien Wettbewerb ist die Lauterkeit des Wettbewerbs und das Verbot, ihn zu verfälschen, immanent. Um die Partner auf dem Markt, ihre Namen, Geschäftsbezeichnungen, aber auch ihre Erzeugnisse voneinander zu unterscheiden und dies auch dem Käufer und Verbraucher zu ermöglichen und außerdem die gewünschten Kontakte herzustellen und zu unterhalten, werden die Kennzeichnungen der verschiedensten Art als technisches Mittel verwandt. Die Kennzeichnungen dienen also den konkurrierenden Unternehmen ebenso wie der Allgemeinheit; denn durch die mit der Kennzeichnung verbundene Individualisierung eines Unternehmens wird ein Symbol f ü r die erbrachten Leistungen geschaffen. Der Name, die Firma oder die besondere Geschäftsbezeichnung eines Unternehmens oder Handelsbetriebes spielt daher im geschäftlichen Verkehr als Individualisierungsmittel eine ausschlaggebende Rolle.

* Vgl. aus dem französischen Schrifttum vor allem: Roubier, Le Droit de la Propriété Industrielle (Partie speciale) B a n d i i (1954) nos 285 ff., S. 659 ff.; Georges Ripert, Traité de droit commercial, 3. Aufl. (1954) no. 430, S. 467 ff.; Vergé-Ripert-Dalligny, Répertoire de Droit Commercial et des Sociétés, Band II (1957) S. 587 ff.; Berger-Vachon, La protection du nom commercial en Droit français et en Droit allemand comparés, 1928 und die auf S. 279 ff. angeführte ältere Spezialliteratur zum „ N o m commercial"; De Saint-Gal, La protection comparée de l'enseigne, de la raison sociale et du nom commercial in: Annales de la Faculté de droit d'Istanbul, no. 3 (1953) S. 448 ff.; Alexandroff, Traité théorique et pratique des marques et de la concurrence déloyale, Band I (1935) Abschnitt: N o m commercial; Lapradelle et Niboyet, Répertoire de droit international; Absdinitt: N o m commercial (Picbot); Azéma, Die Rolle des Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts bei der Bekämpfung unzulässiger Wettbewerbspraktiken in Frankreich, in G R U R Int. 1973, S. 651 ff., 652.

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Rudolf Nirk

In der französischen und deutschen Rechtsordnung ergeben sich in der Praxis vielfältige Probleme, wenn es zur Kollision von Kennzeichnungsrechten im Geschäftsverkehr kommt. Im deutschen Recht haben wir z w a r mehrere einschlägige gesetzliche Vorschriften; so die §§ 12, 823 (826), 1004 BGB, 16 Abs. I und I I I U W G , 37 Abs. I und II (30) H G B und 24, 28 W Z G . Die Schwierigkeiten liegen indes beim Zusammenspiel der einzelnen Vorschriften f ü r die jeweilige A n spruchsgrundlage. Im französischen Recht fehlen solche speziellen gesetzlichen Regelungen; insbesondere fehlt ein eigenes Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Rechtsprechung und Literatur standen deshalb vor dem Problem, die einschlägigen Rechtsgrundsätze vornehmlich aus den allgemeinen Deliktsnormen der A r t . 1382, 1383 Code Civil entwickeln zu müssen. Dieser Weg der Gleichsetzung mit der Deliktsklage besonderen Typs wird bis heute, ungeachtet der Kritik im Schrifttum, beibehalten und hat zur Anerkennung ähnlicher Rechtsgrundsätze geführt, wie sie im deutschen Recht anerkannt sind. Doch muß in Erinnerung gerufen werden, d a ß in Frankreich das aus den allgemeinen zivilrechtlichen Deliktsbestimmungen entwickelte „Recht des unlauteren Wettbewerbs" nur dazu dient, die Gewerbetreibenden in der Freiheit des Wettbewerbs gegen unlautere H a n d l u n gen zu schützen, also nicht zugleich (oder auch) die Allgemeinheit bzw. den einzelnen Verbraucher.

I. N u n bestimmt Artikel 8 der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums, d a ß der „Handelsname" in allen Verbandsländern geschützt wird1. U m diesen Schutz zu erlangen, ist eine Verpflichtung zur Hinterlegung oder Eintragung nicht erforderlich. Es ist auch ohne Belang, ob der „Handelsname" einen Bestandteil einer Fabrik- oder Handelsmarke bildet oder nicht. Ganz allgemein wird als Handelsname i. S. von Art. 8 P V Ü die Kennzeichnung einer natürlichen oder juristischen Person im Handelsverkehr verstanden 2 . Diese auf den ersten Blick so verständliche Regelung beinhaltet nun aber deshalb eine Reihe von Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung, weil der Begriff des „Handelsnamens" in den einzelnen nationalen 1 Stockholmer Fassung vom 14. 7.1967. Bis zur Lissaboner Fassung vom 3 1 . 1 0 . 1958 lautete die Formulierung anstatt „Der Handelsname wird... geschützt" abgeschwächter: „Der Handelsname soll... geschützt werden". 2 Vgl. statt anderer Nachweise Bodenhausen, Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, Komm. (1971) Art. 1 Abs. 2, Bern, h und Art. 8, Bern. b.

Inlandsschutz des „Handelsnamens"

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Rechtsordnungen unterschiedlich verstanden bzw. bestimmt wird3. Der Schutz, welcher für eine im Geschäftsverkehr verwendete Kennzeichnung gemäß Art. 8 PVÜ erlangt werden kann, hängt nämlich zunächst davon ab, welche Kennzeichnung nach dem Recht des einzelnen Verbandslandes unter dem Begriff „Handelsname" subsumiert wird. 1.

Zunächst ist zu beobachten, daß in den verschiedenen Rechtsordnungen der Verbandsländer der Begriff „Handelsname" unterschiedlich verstanden wird. In einigen Verbandsländern ist der Terminus „Handelsname" als ein dem Wettbewerbsrecht zugehöriger Begriff zudem völlig unbekannt. Andererseits muß gesehen werden, daß sich die Zuordnung des „Handelsnamens" zum Wettbewerbsrecht gemäß Art. 8 PVÜ als Oberbegriff für den wettbewerbsrechtlichen Sondertatbestand „Schutz der Geschäftsbezeichnungen" ergibt4. 2.

Den deutschen Gesetzen ist der Ausdruck „Handelsname" ebenfalls fremd. Aber auch im deutschen Wettbewerbsrecht findet sich der Ausdruck „Handelsname" nicht. Als wettbewerbsrechtlicher Begriff wird er von Rechtsprechung und Lehre lediglich im Zusammenhang mit der Pariser Verbandsübereinkunft verwendet5. Im übrigen versteht man unter dem Handelsnamen vornehmlich die handelsrechtliche Kennzeichnungsform der „Firma" 6 ; ursprünglich die des Einzelkaufmanns, nunmehr auch die eines Unternehmens (vgl. § 17 HGB). 3 Vgl. hierüber Troller, Die mehrseitigen völkerrechtlichen Verträge im internationalen gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 1965, S. 62 f.: Saint-Gal, Der internationale Schutz des Handelsnamens, GRUR Int. 1964, S. 289 ff., 296; ders., Zur Vereinheitlichung der Gesetzgebung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes in den Ländern des Gemeinsamen Marktes, in Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursredit, Bd. 121 (1958), S. 172 ff., 182; Nastelski, Schutz des Handelsnamens nach Art. 8 der Pariser Verbandsübereinkunft, in Der Markenartikel, 1955, S. 257 ff. 4 Vgl. Eugen Ulmer, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt, GRUR Int. 1973, S. 135 ff., 139; Scbritker, Die Arbeiten zur Angleichung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in den Ländern der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, GRUR Int. 1973, S. 141 ff., 146, 149; Nastelski, a.a.O., S. 250. 5 Vgl. statt anderer Nachweise Reimer-von Gamm, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Bd. II, 4. Aufl. (1972), S. 33 f., 56, 116 ff. β Vgl. Würdinger, in Großkomm. HGB, 3. Aufl. (1967), Anm. 2 zu § 17; Baumbach-Duden, Handelsgesetzbuch, 20. Aufl. (1973), Anm. 1 zu § 17; BaumbacbHefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Bd. I, 10. Aufl. (1972), Anm. 86 zu § 1 6 UWG; Reimer-von Gamm, a . a . O . , S. 60 ff. — Aus französischer Sicht gesehen vgl. Berger-Vachon, a. a. O., S. 199 ff. und Roubier, a. a. O., S. 671.

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Rudolf Nirk

3. Es liegt auf der H a n d , daß sich damit entscheidungserhebliche Vorfragen des in Art. 8 P V U enthaltenen Begriffs „Handelsnamen" stets dann ergeben, wenn ein ausländisches Unternehmen f ü r die in seinem Heimatstaat verwendete Kennzeichnung in Deutschland wettbewerbsrechtlichen Schutz begehrt. Schon das Reichsgericht hatte sich mit diesen Fragen verschiedentlich befassen müssen. Dabei wurden an den Schutz einer „ausländischen Firma" in Deutschland noch strenge Anforderungen gestellt. Die Anerkennung des Firmennamens eines solchen ausländischen Unternehmens setzte voraus, daß in Deutschland eine nicht unbedeutende Geschäftstätigkeit stattfand, so daß das ausländische Unternehmen mit seinem Namen bekannt war. Selbst eine im Heimatland etwa erlangte Verkehrsgeltung des Handelsnamens wurde nicht als ausreichende Schutzvoraussetzung anerkannt. Allerdings muß gesehen werden, daß der eine oder andere Fall über Art. 2 P V Ü (Grundsatz der Gleichstellung von eigenen und ausländischen Staatsangehörigen) gelöst wurde 7 . Die neuere Rechtsprechung des B G H ist nicht nur verhältnismäßig reichhaltig zu den Schutzproblemen ausländischer Handelsnamen, sondern ist durch eine ausgesprochen schutzfreundliche Haltung gekennzeichnet. Dies gilt im besonderen f ü r die Interpretation der PVÜ. Allerdings wird hierbei manchmal dem Art. 8 P V Ü eine verhältnismäßig geringe Bedeutung beigelegt 8 . Der Akzent liegt bei diesen Entscheidungen vielmehr in der Heranziehung des § 12 BGB, des § 16 U W G und des in Art. 2 P V Ü statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes des Ausländers im Inland; ferner findet der Grundsatz des internationalen Privatrechts Beachtung, daß sich das Namensrecht nach dem Personalstatut des Trägers und somit nach dessen Heimatrecht beurteilt 9 .

7 Vgl. die Entscheidungen des Reichsgerichts in RGZ 117, S. 215 f., 217, 218 — Eskimo Pie; RGZ 132, S. 374, 380 — Manon; RG GRUR 1931, S. 872 — ELIDA; RG G R U R 1933, S. 647 — The White Spot; RG G R U R 1937, S. 148 — Kronprinz; RGZ 170, S. 302 — De Vergulde Hand. 8 Vgl. B G H Z 34, S. 91 — ESDE — mit Anm. Bock bei LM Nr. 45 zu § 16 U W G ; BGH G R U R 1966, S. 267, 269 — White Horse — mit Anm. Heydt; BGH G R U R 1967, S. 199, 201, 202 — Napoléon II; B G H N J W 1968, S. 349, 350 — Hellige; B G H G R U R 1969, S. 357, 359, 360 — Sihl; BGH G R U R Int. 1970, 286, 287 — Migrol; B H GRUR 1970, S.315 — Napoléon III; B G H G R U R 1971, S. 517, 519 — SWOPS; B G H G R U R 1973, S. 662 — Metrix — mit Anm. v. Falck. Aus der Literatur sei hingewiesen auf: Reimer-von Gamm, a . a . O . , S. 116, 117; Krasser, Der Schutz des Handelsnamens nicht verbandsangehöriger Ausländer in Deutschland, in G R U R Int. 1971, S. 490 ff., 493 f. mit weiteren Nachweisen; Graf, Schutz ausländischer Kennzeichnungen im Inland, in WRP 1969, S. 209 ff. 9 Vgl. Beier-Krieger, Der Handelsname, in G R U R Int. 1965. S. 616 ff., 619; Nastelski, a. a. O., S. 261.

Inlandsschutz des „Handelsnamens"

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4. Diesem von Art. 8 P V U geforderten Rechtsschutz des „Handelsnamens" wird in dieser wünschenswerten Weise in den verschiedenen europäischen Ländern nur unterschiedlich entsprochen 10 . Es ist deshalb von Interesse, ob im französischen und deutschen Recht unter dem Begriff des „Handelsnamens" eine im Ergebnis übereinstimmende oder wenigstens in der Rechtsanwendung ähnliche Situation vorhanden ist und ob die deutsche Rechtsprechung der Forderung nach vollem Inlandsschutz des ausländischen „Handelsnamens" gerecht wird. I m Rahmen dieser Analyse wird vor allem zu untersuchen sein, ob ungeachtet der unterschiedlichen Terminologie 1 1 und den gänzlich verschiedenen gesetzlichen Voraussetzungen beide Rechtsordnungen dennoch materiell einen gleichen, rein wettbewerbsrechtlichen Begriff des „Handelsnamens" kennen. Das am 18. Mai 1973 ergangene „Metrix"-Urteil des Bundesgerichtshofes 12 ist dabei für unsere Betrachtung von besonderem Interesse, weil in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ein französisches Unternehmen gegen ein deutsches Unternehmen in Deutschland den Schutz seines „Handelsnamens" begehrt und erhalten hat. J.

Doch nicht allein die im jeweiligen Verbandsstaat als innerstaatliches Recht geltende Vorschrift des Art. 8 P V U zwingt zu einer Auseinandersetzung mit dem Begriff des „Handelsnamens". Auch die Bestrebungen, das Wettbewerbsrecht wenigstens innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu vereinheitlichen, macht eine Klärung dieser Frage dringlich. Auf die hierbei vorhandenen Schwierigkeiten hat Eugen Ulmer13 erneut hingewiesen und dabei zu Recht betont, daß 10 Siehe die rechtsvergleichende Übersicht bei Saint-Gal, a. a. O., S. 291—296. Interessant die Auffassung in den beiden — zum deutschen Rechtskreis zählenden — Rechtsordnungen von Österreich und der Schweiz. Vgl. z. B. die Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts vom 28. 3 . 1 9 5 0 , in BGE 76 II S. 77 Ziffer c. 4 b; und vom 7. 7. 1953 in BGE 79 II S. 305 = G R U R Int. 1954, S. 29 ff. und das Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofes vom 2. 9. 1958 in G R U R Int. 1959, S. 300 — Guerlain; und vom 2 1 . 1 1 . 1 9 6 1 in G R U R Int. 1962, S. 151 — Wayss & Freytag. Vgl. ferner die kritische Abhandlung von Troller, Der Schutz des ausländischen Handelsnamens in der Schweiz, in G R U R Int. 1957, S. 336 ff. 1 1 Der französische Begriff „nom commercial" kann nicht mit dem Wort „Handelsname", wie er im deutschen Recht verstanden wird, identifiziert werden. Denn unter „Handelsname" verstehen wir zunächst die Firma des Vollkaufmanns im Sinne von §§ 17 f. HGB, während vom „nom commercial" nur die wettbewerbsrechtlich relevanten Unternehmenskennzeichen erfaßt werden. Vgl. näher unten Ziffer III. 1 2 In N J W 1973, S. 2152 ff. = G R U R 1973, S. 661 f. mit Anm. v. Faid: = G R U R Int. 1973, S. 671 ff. 1 8 A. a. O., S. 139.

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eine Vereinheitlichung des wettbewerbsrechtlichen Schutzes des „Handelsnamens" bei seiner begrifflichen Klarstellung einzusetzen hat. Denn nur ein inhaltlich identisches Schutzobjekt kann zu einer H a r monisierung seines wettbewerbsrechtlichen Schutzumfanges innerhalb der EWG-Staaten führen.

II. l.

Das deutsche Redit kennt in §§ 12 BGB und 16 UWG 1 4 eine gesetzliche Regelung, wonach einzelnen, im geschäftlichen Verkehr verwendeten Kennzeichnungsformen wettbewerbsrechtlicher Schutz gewährt werden kann. Dabei wird vornehmlich an jene Individualisierungen angeknüpft, die in anderen Gesetzen (wie z . B . dem H G B : §§ 17 f., 30, 37 Abs. 2 betr. die „Firma"), einen gesetzlich beschriebenen Inhalt haben. Durch § 16 Abs. 3 U W G erhalten audi „solche Geschäftsabzeichen und sonstige zur Unterscheidung des Geschäfts von anderen Geschäften bestimmten Einrichtungen" wettbewerbsrechtliche Relevanz, „welche innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Kennzeichen des Erwerbsgeschäfts gelten". Von § 16 U W G werden sonach grundsätzlich alle Unternehmensbezeidinungen erfaßt, die im Geschäftsverkehr Verwendung finden15. 2.

Das französische Redit kennt solche gesetzlichen Vorschriften nicht; weder ein eigenes „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb" 1 6 , noch eine dem § 12 BGB ähnliche Regelung des Namensschutzes, noch eine dem § 16 U W G vergleichbare N o r m zum Schutz der besonderen Bezeichnungen eines Erwerbsgeschäfts oder eines gewerblichen Unter-

14 Auf § 12 BGB braucht hier nicht gesondert eingegangen zu werden, weil im geschäftlichen Verkehr — und nur dieser Umstand ist im Rahmen des wettbewerbsreditlidien Kennzeichenschutzes erheblich —, der durch § 12 BGB gewährte Namensschutz mit dem Kennzeichenschutz gemäß § 16 U W G (mit Ausnahme der beiden Sonderprobleme „Recht der Gleichnamigen" und „Verwässerungsschutz berühmter Marken") sachlich zusammenfällt. Vgl. BGHZ 11, S. 214 f., „KfA"; 14, S. 155, 159, „Farina/Rote Blume"; Baumbach-Hefermehl, a . a . O . , Anm. 5 ff. zu § 16 U W G ; Reimer-von Gamm, a. a. O., S. 42; Hefermehl, Der namensreditliche Schutz geschäftlicher Kennzeichen, in Festschrift für Alfred Hueck, 1959, S. 519 ff. 15 Baumbach-Hefermehl, a. a. O., Anm. 1 ff. zu § 16 U W G ; Reimer-von Gamm, a. a. O., S. 88 ff.; BGH-Urteil vom 21. 3. 1974 — I ZR 68/72 — etirex ./. etifix. 16 Vgl. dazu Ulmer-Krasser, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der EWG, Bd. IV: Frankreich (1967), S. 4 f.

Inlandsschutz des „Handelsnamens"

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nehmens. Zwar besteht ein Gesetz zum Schutz des Handelsnamens vom 28. Juli 1824 und ein Gesetz vom 4. April 1931, durch das dem französischen Staatsbürger das Recht zuerkannt wird, sich auf die Bestimmungen der Pariser Verbandsübereinkunft zu berufen. Doch beide Gesetze sind mit der in § 16 UWG enthaltenen Regelung nicht vergleichbar und spielen beim wettbewerbsrechtlichen Schutz des Nom commercial nur eine untergeordnete Rolle 17 . Ein Rechtsinstitut, wie es die deutsch-rechtliche „Firma" ( = Handelsname des Vo//kaufmanns) darstellt, ist im französischen Recht gleichfalls unbekannt. Denn der Code de commerce unterscheidet nicht zwischen Voll- und Af¿«¿erkaufleuten, weil dies dem „esprit foncièrement égalitaire" widerspricht 18 . 3.

Es liegt aber auf der Hand, daß die Bedürfnisse der französischen Wirtschaft in gleicher Weise einen wettbewerbsrechtlich relevanten Unternehmenskennzeichnungsschutz benötigten. In Ermangelung einer wettbewerbsrechtlichen Spezialregelung knüpft die Rechtsprechung indes nicht an Individualisierungen an, die das Unternehmen aufgrund zivil- und/oder handelsrechtlicher Vorschriften führt 1 9 ; vielmehr entwickelten Rechtsprechung und Literatur einen eigenen Begriff f ü r die wettbewerbsrechtlich relevante Unternehmenskennzeichnung. Dabei wird ausschließlich an die Bezeichnung eines kaufmännischen Unternehmens angeknüpft, also an die Bezeichnung, durch die das Unternehmen charakterisiert, bzw. durch das die Kundschaft an das Unternehmen „gebunden" wird. Geschützt wird damit die Bezeichnung, unter der ein kaufmännisches Unternehmen bekannt ist und betrieben wird 20 . Dies geschieht über das Institut des „Nom commercial". Wettbewerbsrechtliches Schutzobjekt ist der N o m Commercial.

17 Ulmer-Krasser, a. a. O., S. 216 f.; Bauer, Der Schutz des ausländischen Namens und des ausländischen Handelsnamens in Frankreich (1967), S. 17 ff., 25 ff.; Streichele, Der Schutz der Kennzeichen des kaufmännischen Unternehmens im deutsdien und französischen Recht, Diss. 1966, S. 70 ff. 18 Berger-Vachon, a. a. O., S. 17 und 193 ff., 196. Zur Bedeutung des gelegentlichen Ausdrucks „firme" vgl. Fernand Jacq, Raison de commerce et raison sociale, in Annales de la Propriété industrielle (1927) S. 233 ff., 237.

19 20

Ulmer-Krasser,

a. a. O., S. 202 f.; Bauer, a. a. O., S. 13 f.

Diese Definition hat sich eingebürgert seit der Entscheidung des Tribunal de Commerce von Reims vom 12. 2.1904, bestätigt durch die Cour de Paris 5. 7. 1907, abgedruckt in: Annales de la Propriété industrielle, artistique et littéraire, 1908, I, S. 41 ff. — Vgl. ferner statt aller: Berger-Vachon, a . a . O . , S. 193 ff.; Roubier, a. a. O., S. 659 ff.

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4. D e r Begriff des „nom commercial" im Sinne der Kennzeichnung des kaufmännischen Unternehmens ist streng von der Bezeichnung der Person oder der Gesellschaft zu unterscheiden, die das Unternehmen betreibt. Der „nom commercial", auch „raison de commerce" oder „raison de commerciale" genannt, gehört systematisch nicht dem

Handelsrecht, sondern ausschließlich dem Wettbewerbsrecht

an und

ist nur mit dem Unternehmen selbst übertragbar. Die Geschäftsbezeichnung („enseigne") ist mit dem N o m commercial verwandt. Die Besonderheit besteht darin, daß die „enseigne" das Geschäft (établissement) in seiner durch das Geschäftslokal verkörperten Erscheinung bezeichnet. Inhaltlich aber kann sie mit dem nom commercial übereinstimmen oder einen Ausschnitt des Handelsnamens darstellen 21 . 5. Der N o m commercial kann den Namen einer oder mehrerer Personen (bürgerliche Namen, mit oder ohne Vornamen) oder aber audi eine Sach- bzw. Phantasiebezeichnung enthalten. Oftmals besteht der nom commercial ausschließlich aus einer solchen Bezeichnung. So z. B . bei den Kapitalgesellschaften, die eine auf den Unternehmensgegenstand hinweisende Gesellschaftsbezeichnung („dénomination sociale") führen. H i e r zeigen sich nun die Schwierigkeiten. Ein und dieselbe Bezeichnung kann gleichzeitig beide Funktionen erfüllen und kann durchaus als N o m commercial die Bezeichnung des kaufmännischen Unternehmens darstellen und als „raison" bzw. „dénomination

sociale" den Namen der Gesellschaft oder der Person des mannes beinhalten.

Einzelkauf-

6. Wenn auch die Bezeichnung „Nom commercial" gleichzeitig beide Funktionen erfüllen kann, so hat sie dennoch ihr eigenes Schicksal, je nachdem, ob es sich im Einzelfall um die Bezeichnung des Unternehmens handelt oder um den Namen des Einzelkaufmanns („nom patronymique") oder den Namen der Gesellschaft („raison bzw. dénomination sociale"). U m aber einem naheliegenden Irrtum vorzubeugen, mag auf diese wichtige Abgrenzung aus anderer Sicht noch einmal hingewiesen werden. Schutzobjekt gegen wettbewerbswidrige Handlungen ist weder der „nom patronymique" 2 2 , noch die gemäß Art. 21, 23 und 25 Code de commerce gebildeten Gesellschaftsnamen einer Personalgesellschaft („raison sociale") und auch nicht eine auf Vgl. für alle Roubier, a. a. O., S. 485 f., 702 f. Vgl. hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Ulmer-Krasser, a. a. O., S. 202 f. 21 22

Termini

sehr

ansdiaulich

Inlandsschutz des „Handelsnamens"

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den Unternehmensgege«sí¿mí/ hinweisende Gesellschaftsbezeichnung („dénomination sociale"), die gemäß Art. 2 9 Code commerce einer Aktiengesellschaft zukommt 2 3 . Vielmehr handelt es sich beim „nom commercial", wie erwähnt, einzig und allein um jene Kennzeichnung, unter der ein kaufmännisches Unternehmen betrieben wird und bekannt ist. Der „nom commercial" ist deshalb stets von der „nomsignature" — jener Kennzeichnung, die aufgrund der handels- und zivilrechtlichen Bestimmungen verwendet wird — , zu unterscheiden 24 . Denn das französische Recht transformiert nicht — wie es nach deutschem Recht über § 16 U W G geschieht — , die im Rahmen des H a n dels· und Zivilrechts beachtlichen Kennzeichnungen zu wettbewerbsrechtlichen Schutzobjekten, sondern stellt diesbezüglich einzig und allein darauf ab, ob die Kennzeichnung als N o m commercial anzusehen ist oder nicht. Sofern, wie dargetan, der N a m e des Inhabers („nom patronymique"), der N a m e einer Gesellschaft („raison sociale" oder „dénomination sociale") zugleich als „nom commercial" V e r wendung findet, werden die unter den Oberbegriff „nom-signature" fallenden, im Handels- und Zivilrecht relevanten Kennzeichnungen

wettbewerbsrechtlich beachtlich25.

III. Im Gegensatz zum deutschen Recht kennt sonach das französische Recht durch den „nom commercial" einen ausschließlich wettbewerbsrechtlich ausgerichteten Begriff für die Kennzeichnung eines Unternehmens. Und nur in dieser Funktion ist die Kennzeichnung eines Unternehmens als „signe de ralliement de la clientèle" wettbewerbsrechtlich relevant, und aus diesem Grunde ist der Begriff des „nom commercial" ausschließlich dem Wettbewerbsrecht zugeordnet. Diese in wenigen Strichen vorgenommene vergleichende Gegenüberstellung des deutschen und französischen Rechts macht ferner deutlich, daß es einen in beiden Rechten synonymen Begriff des „Handelsnamens" nicht gibt. Andererseits ist bemerkenswert, daß sowohl die Kennzeichnungen, die dem „nom commercial" entsprechen, als auch die in 23 Roubier, a. a. O., No. 286, S. 665 f. Vgl. ferner Giverdon bei Vergé-RipertDalligny, a. a. O., Band II (1957) Nom commercial, S. 587 ff., insbesondere N r . 7. 24 Vgl. statt anderer Nachweise Giverdon bei Vergé-Ripert-Dalligny, a. a. O., S. 587 N r . 4 und auch Ulmer-Krasser, a. a. O., S. 202 f. 2 5 Vgl. vorige Anm.; ferner Roubier, a . a . O . , No. 286 ff., S. 665 ff.; Bauer, a . a . O . , S. 15 ff.; 14. — Vgl. audi die in diesem Zusammenhang interessante Entscheidung der Cour de Paris vom 2 6 . 1 1 . 1 9 5 6 , Annales 1957, S. 201 mit zustimmender Anmerkung von Fernand Jacq.

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§ 1 6 U W G aufgeführten Kennzeichnungen deshalb wettbewerbsrechtliche Bedeutung besitzen, weil sie beide der Individualisierung eines Unternehmens im Geschäftsverkehr dienen, also im Rahmen des wettbewerblichen Handelns Verwendung finden26. So gesehen ist der N o m commercial also durchaus mit den gemäß § 16 U W G zu wettbewerbsrechtlichen Schutzobjekten transformierten zivil- und handelsrechtlichen Individualisierungsmöglichkeiten vergleichbar 27 . 1,

D a m i t stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen die Kennzeichnungen erfüllen müssen, damit sie wettbewerbsrechtlich beachtlich sind. Denn der rein wettbewerbsrechtliche Begriff des „nom commercial" wird, wie wir sehen, von Eigenschaften bestimmt, die von einer Kennzeichnung verlangt werden, ehe für sie eine wettbewerbsrechtliche Schutzgewährung beansprucht werden kann. Dies folgt nicht zuletzt auch daraus, daß selbst nach der „weiten" Definition des „Handelsnamens" im Sinne der Pariser Verbandsübereinkunft eine Kennzeichnung bestimmte Kriterien erfüllen muß, um „Handelsname" und damit wettbewerbsrechtliches Schutzobjekt zu sein 28 . Welches sind jene Merkmale, die nach beiden Rechtsordnungen von einer Unternehmenskennzeichnung verlangt werden, um wettbewerbsrechtlich erheblich zu sein? 2.

D e r Kennzeichnungsschutz nach deutschem Redit ist durch das Ineinandergreifen verschiedener Regelungen gekennzeichnet (§§ 12 B G B , 16 Abs. 1 und Abs. 3 U W G , 17 f., 30 und 37 H G B ) und zählt zu den schwierigsten Gebieten des Wettbewerbsrechts überhaupt 2 9 . D a hier lediglich interessiert, welche Kriterien die einzelnen Kennzeichnungsmöglichkeiten erfüllen müssen, um wettbewerbsrechtlich beachtlich zu sein, braucht auf die eine Kennzeichnung des Unternehmens betreffenden Regelungen im einzelnen nicht eingegangen zu werden. Dies ist auch deshalb nicht erforderlich, weil das Nebeneinanderbestehen der verschiedenen Regelungen sich erst bei der Kollision der einzelnen 26 Baumbach-Hejermehl, a . a . O . , Anm. 2 f. zu § 1 6 UWG; Ulmer-Krasser, a. a. O., S. 203. 27 Im Ansatz gelangt auch Streichele, a. a. O., S. 36 in seiner rechtsvergleichenden Untersudiung zu dieser Auffassung, wenn er meint, daß „von einem einheitlichen Begriff des Handelsnamens im deutschen und französischen Recht zumindest insoweit gesprochen werden kann, als das Unternehmen gekennzeichnet wird und nur mittelbar der Unternehmer". 28 Vgl. Bodenhausen, a. a. O., Bern, h zu Art. 1 Abs. 2 PVU; Beier-Krieger, a. a. O., S. 617 f.; Saint-Gal, Der internationale Schutz des Handelsnamens, GRUR Int. 1964, S. 289. 29 So Baumbach-Hefermehl, a. a. O., Anm. 2 zu Ubersicht vor § 16 UWG.

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wettbewerbsrechtlich geschützten Kennzeichen auswirkt und nicht schon bei der Frage, ob eine wettbewerbsrechtlich relevante Kennzeichnung überhaupt vorliegt. Denn die dafür erforderlichen Charakteristika (Unterscheidungskraft und Verkehrsgeltung) haben im gesamten wettbewerbsrechtlichen Kennzeichenrecht den gleichen Inhalt 3 0 . Daher gewinnt etwa beim sog. Recht der Gleichnamigen § 12 B G B nur deshalb gegenüber § 16 U W G erhöhte Bedeutung, weil seine Rechtsfolgeanordnung nicht von der Verwechslungsgefahr abhängt, sondern die Verletzung eines geschäftlichen oder sonstigen Interesses genügt 31 . a) Die in § 16 Abs. 1 U W G aufgeführten Kennzeichenarten (Name, Firma und die besondere Bezeichnung eines Erwerbsgeschäftes) sind immer dann wettbewerbsrechtliche Schutzobjekte, wenn sie unterscbeidungskräftig sind 32 . Dies bedeutet, daß die einzelne Individualisierung einerseits eine Kennzeichnungskraft und andererseits eine namensmäßige Herkunftsfunktion besitzen muß 3 3 . Unter einer Kennzeichnungskraft wird dabei die Eigenart und Einprägsamkeit der jeweiligen Bezeichnung verstanden 34 . Eine namensmäßige Herkunftsfunktion besagt, daß eine Kennzeichnung auf das jeweilige Unternehmen hinweist 35 . Für die Beurteilung, ob einer Kennzeichnung Unterscheidungskraft zukommt, ist naturgemäß auf die Verkehrsauffassung abzustellen. Denn die Kennzeichnung soll — entsprechend ihrem Zweck — , das Unternehmen im Geschäftsverkehr von anderen Mitbewerbern unterscheiden, d. h. individualisieren 38 . Deshalb kann nur die Auffassung der beteiligten oder wenigstens interessierten Verkehrskreise für diese Unterscheidungskraft maßgebend sein 37 . Die einer Bezeichnung fehlende Unterscheidungskraft kann allerdings durch Verkehrsgeltung herbeigeführt werden und damit einem von Haus aus nicht unterscheidungskräftigen Namen, einer Firma oder 3 0 Vgl. B G H Z 21, S. 85 ff., 90 — Spiegel; B G H Z 45, S. 173 ff., 177 — Epigran; B G H G R U R 1955, S . 9 5 f f . , 96 — Buchgemeinsdiaft; B G H G R U R 1959, S. 25 ff., 28 — Triumph; B G H G R U R 1964, S. 28 ff., 30 — Electrol. 3 1 Vgl. Baumbach-Hefermekl, a. a. O., Anm. 46 und 52 ff. mit Rechtsprechungsnadiweisen. 3 2 Vgl. Baumbach-Hefermehl, a. a. O., Anm. 5 der Übersicht vor § 16 U W G ; Reimer-von Gamm, a. a. O., S. 65 f. 3 3 B G H Z 32, S. 103 ff., 109 — Vogeler; B G H G R U R 1958, S. 544 ff., 546 — Colonia; B G H G R U R 1957, S. 433 f. — Hubertus. 3 4 Siehe für alle Reimer-von Gamm, a. a. O., S. 66 mit weiteren Nachweisen. 3 5 B G H Z 11, S. 214, 215, 217 — K f A ; B G H Z 14, S. 155, 159 — Farina/Rote Blume; B G H G R U R 1954, S. 331 — Alfa. 3 6 Vgl. Hefermehl, Der namensreditlidie Schutz geschäftlicher Kennzeichen, in Festschrift für Alfred Hueck, 1959, S. 519 ff. 3 7 Vgl. Reimer-von Gamm, a. a. O., S. 17 f.

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einer sonstigen besonderen Geschäftsbezeichnung wettbewerbsrechtliche Relevanz vermitteln 3 8 . Eine solche Verkehrsgeltung setzt voraus, d a ß ein nicht unerheblicher Teil des Verkehrs die Bezeichnung als namensmäßigen Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen wertet 3 9 . b) Bei den in § 16 Abs. 3 U W G enthaltenen Kennzeichnungsformen (Geschäftsabzeichen und sonstige unterscheidende Einrichtungen) unterstellt der Gesetzgeber, d a ß hier von vornherein eine Unterscheidungskraft nicht besteht 40 . Deshalb werden diese lediglich unter der Voraussetzung geschützt, daß sie „innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Kennzeichen des Erwerbsgeschäfts gelten". Solche Kennzeichnungen genießen aus diesem Grunde dann den in § 16 U W G vorgesehenen wettbewerbsrechtlichen Schutz, wenn sie eine Verkehrsgeltung im vorgenannten Sinne erlangt haben 4 1 . c) Für das deutsche Recht ist sonach festzuhalten, daß Unternehmensbezeichnungen, die unterscheidungskräftig sind, wettbewerbsrechtlichen Schutz dann genießen, wenn entweder diese Eigenschaft von vornherein gegeben ist oder durch Verkehrsgeltung die Unterscheidungskraft erlangt wird. 3.

Im französischen Recht wird f ü r die wettbewerbsrechtliche Beachtlichkeit einer Kennzeichnung in gleicher Weise eine Unterscheidungsk r a f t gefordert 4 2 . Denn Voraussetzung d a f ü r , d a ß die Individualisierung eines Unternehmens zum N o m commercial w i r d und damit wettbewerbsrechtlichen Schutz erfährt, ist, daß die Kennzeichnung unterscheidungskräftig („distinctif") dergestalt ist, daß die angesprochenen Verkehrskreise sie als namensmäßigen Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen erkennen („signe de ralliement de la clientèle") 43 . Der dem Wettbewerbsrecht zugehörige Begriff N o m commercial u m f a ß t also auch inhaltlich jene Kennzeichen, die über § 16 U W G zu wettbewerbsrechtlichen Schutzobjekten werden. Denn die Qualifika38

So Reimer-von Gamm, a. a. O., S. 66. BGHZ 4, S. 167, 169 — D U Z ; BGHZ 11, S. 214, 217 — K f A ; BGHZ 21, S. 85, 88, 94 — Spiegel; BGHZ 21, S. 66, 72 — Deutsche Hausbücherei; BGH G R U R 1959, S. 360 f. — Elektrotechnik. 40 Baumbacb-Hefermehl, a. a. O., Anm. 135 ff. zu § 16 UWG. 41 Baumbacb-Hefermehl, a. a. O., Anm. 5 zu Ubersicht vor § 16 UWG. 42 Roubier, a . a . O . , S. 659 f., 687 f.; Juris-Classeur Commercial, Concurrence déloyale, Fasicule VIII. Nr. 7. 43 Allart, Traité théorique et pratique de la concurrence déloyale, 1892, S. 7 f.; Roubier, a. a. O., S. 659. 30

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tion, die eine Kennzeichnung besitzen muß, um den „nom commercial" eines Unternehmens darzustellen, gleicht jenen Kennzeichnungen, die nach § 16 U W G wettbewerbsrechtlich bedeutsam sind. Nur eine solche Kennzeichnung erhält aufgrund ihrer Funktion als „nom commercial" den Schutz einer „action en concurrence déloyale" 4 4 . 4. Somit läßt sich sagen, daß das deutsche und das französische Recht im materiellen Sinne einen gemeinsamen wettbewerbsrechtlichen Begriff des „Handelsnamens" kennen. Im französischen Recht wird dieser Begriff im „nom commercial" verkörpert, im deutschen Recht hingegen in der jeweiligen Kennzeichnung des § 16 U W G 4 5 . Hinsichtlich des Handelsnamens bedarf es daher keiner inhaltlichen Klarstellung, sondern lediglich einer Klärung in der Terminologie. Denn in beiden Rechtsordnungen ist jene Kennzeichnung eines Unternehmens, die es im Geschäftsverkehr individualisiert und dadurch von anderen Unternehmen unterscheidet, wettbewerbsrechtliches Schutzobjekt 4 6 . Bemerkenswert ist, daß der Nom commercial nur ein auf das Wettbewerbsrecht bezogener Begriff ist. Das kommt der von Eugen Ulmer für das Wettbewerbsrecht des Gemeinsamen Marktes gewünschten Umschreibung des Handelsnamens nahe. Denn nach Ulmer*7 soll der Handelsname jene Bezeichnungen umfassen, die auf das Unternehmen als solches hinweisen.

IV. Aus dieser materiellen Übereinstimmung des „Handelsnamens" im deutschen und französischen Redit sind im Hinblick auf die eingangs aufgeworfenen Fragen folgende Schlußfolgerungen zu ziehen: 44 Roubier, a . a . O . , S. 708 ff.; Vergé-Ripert-Dalligny, Répertoire de Droit commercial et des sociétés, a. a. O., Nom commercial Nr. 68, S. 593. 4 5 Nämlich als rein wettbewerbsrechtlichen Begriff; vgl. auch Beier-Krieger, a. a. O., S. 617. 4 6 In diesem Zusammenhang mag bemerkt sein, daß die in § 16 U W G im einzelnen angeführten Kennzeichnungsmöglidikeiten — von dem Ergebnis der Rechtsprechung her gesehen —, ohne rechtliche Bedeutung sind. Denn für den durch § 16 U W G statuierten wettbewerbsrechtlichen Schutz der Kennzeichen ist eine dahingehende Zuordnung unmaßgeblich. Nach den von der Judikatur zu § 16 U W G entwickelten Rechtsgrundsätzen kommt es nämlich lediglich darauf an, daß die jeweilige Unternehmensindividualisierung unterscheidungskräftig ist. Eine Berücksichtigung dieser Tatsache würde dem deutschen Kennzeichenschutz zweifellos einen Teil seiner Kompliziertheit nehmen. 4 7 Zitiert bei Schricker, a. a. O., S. 149.

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1. Zutreffend führt Eugen Ulmeria aus, daß es sich bei einer die wettbewerbsrechtlichen Tatbestände betreffenden Rechtsvergleichung nicht primär um einen Vergleich der Gesetze handeln kann, sondern vor allem um eine Analyse der Ergebnisse der Rechtsprechung. Dies zeigte sich insbesondere auch bei der Untersuchung der gestellten Frage nach dem „Handelsnamen" im deutschen und französischen Recht. Wurde doch die inhaltliche Übereinstimmung dieses wettbewerbsrechtlichen Begriffs in beiden Rechtsordnungen erst durch einen Vergleich der von der Judikatur im Zusammenhang mit der Lehre herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze über die Erfordernisse einer Kennzeichnung für ihre wettbewerbsrechtliche Relevanz deutlich, die gerade aufgrund der eingangs aufgezeigten unterschiedlichen Gesetzeslage nicht vermutet wird. Wie sich daraus weiter ergibt, kann die begriffliche Klarstellung des Handelsnamens nur von den für die wettbewerbsrechtliche Schutzgewährung erforderlichen Eigenschaften einer Kennzeichnung ausgehen. Denn erst durch diese Eigenschaften wird eine Unternehmensindividualisierung zum wettbewerbsrechtlichen Schutzobjekt „Handelsname". 2. Außer Frage steht, daß der den beiden hier untersuchten Rechtsordnungen inhaltlich übereinstimmende Begriff des „Handelsnamen" dem „weiten" Begriff des Handelsnamens im Sinne von Art. 8 P V Ü entspricht 49 . Dies bedeutet, daß alle Unternehmenskennzeichnungen, die dem jeweiligen innerstaatlichen „Handelsnamen" entsprechen, als „Handelsname" im Sinne von Art. 8 P V Ü zu qualifizieren sind. Der B G H trägt diesem Umstand in der Entscheidung vom 18. 5. 1973 5 0 nicht im vollen Umfang Rechnung, wenn er meint, es sei nicht unbedenklich, wenn das Berufungsgericht bereits aufgrund der Einordnung der Bezeichnung „Metrix" nach französischem Recht als „dénomination commercial" auch für das deutsche Recht ohne weiteres von einer besonderen Geschäftsbezeichnung im Sinne des § 16 Abs. 1 U W G ausgehen wollte, und in diesem Zusammenhang unter Berufung auf Beier-Krieger und Troller ausführt:

A. a. O., S. 136. Im Ergebnis ebenso Nastelski, a. a. O., S. 257 ff.; vgl. dazu audi Beier-Krieger, a . a . O . , S. 616 f.; Graf, a . a . O . , S. 209. Letzterer subsumiert die Unternehmensbezeichnungen als solche unter den Begriff des Handelsnamens im Sinne von Art. 8 P V Ü . 5 0 I Z R 12/72 — in N J W 1973, S. 2152 ff. = G R U R Int. 1973, S. 671 ff. = A W D des Betriebs-Beraters 1973, S. 556 f. = G R U R 1973, S. 661 ff. mit Anm. von Falck. 48

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„Ausländischen, nach dortigem H e i m a t r e c h t v o n der Rechtsordnung als solchen anerkannten Unternehmenskennzeichnungen kann nach A r t . 8 P V Ü grundsätzlich auch im Inland ein namens- und firmenrechtlicher Schutz nicht versagt werden, sofern sie auch nach inländischem Recht als firmenrechtliche Kennzeichnungsmittel — grundsätzlich gleich welcher A r t (als volle Firmenbezeichnung, Firmenschlagwort, -bestandteil, - a b k ü r zung, besondere Geschäftsbezeichnung) — anzusehen sind und deren Schutz V o r a u s s e t z u n g e n erfüllen."

Hier hätte der B G H angesichts der Feststellung, daß das streitige Kennzeichen „Metrix" im Heimatland des Klägers (Frankreich) den „nom commercial" darstellt, weder zu prüfen braudien, ob dieses den „Handelsnamen" im Sinne von Art. 8 P V Ü erfüllt, noch den inländischen Wettbewerbsschutz davon abhängig machen müssen, daß „Metrix" auch nach deutschem Recht als ein „firmenrechtliches Kennzeichnungsmittel" anzusehen ist. Es hätte vielmehr allein genügt, auf die Ingebrauchnahme dieser Kennzeichnung im Gebiet der Bundesrepublik abzustellen 51 . Letzteres wird im übrigen im umgekehrten Falle auch von der französischen Judikatur als das entscheidende Kriterium angesehen52. Denn abgesehen davon, daß — wie nachgewiesen — der „nom commercial" den nach § 16 U W G geschützten Kennzeichnungen entspricht und schon deshalb eine Feststellung nicht erforderlich gewesen wäre, ob das in Streit stehende Kennzeichen des französischen Unternehmens „auch nach inländischem Recht als firmenrechtliches Kennzeichnungsmittel" anzusehen ist, bleibt noch zweierlei unberücksichtigt: Einmal, daß der Nom commercial auf alle Fälle die Tatbestandsmerkmale des „weiten" Begriffs des Handelsnamens im Sinne von Art. 8 P V Ü erfüllt — allein letzteres ist aber als Vorfrage bei dem Inlandssdiutz ausländischer Kennzeichnungen für den Rechtsanwender des jeweiligen Verbandslandes maßgeblich — , und zum anderen, daß sich der Begriff des Handelsnamens nach dem Heimatrecht dessen beurteilt, der den Schutz begehrt 53 . Deshalb kann es bei der Frage nach dem wettbewerbsrechtlichen Schutz einer französischen Unternehmenskennzeichnung im Inland, die den „nom commercial" darstellt, nur auf die Ingebrauchnahme ankommen und danach beurteilt werden, ob die Voraussetzungen (Priorität und Verwechslungsgefahr) für eine Rechtsfolgeanordnung gemäß § 16 U W G gegeben sind. Diese Auffassung wird in Wahrheit vom B G H auch seit 51 Hefermehl, in der Urteilsanmerkung zur „ESDE"-Entsdieidung, G R U R 1961, S. 300 f.; Graf, a. a. O., S. 210 f. mit weiteren Rechtsprechungsnadiweisen. 5 2 Vgl. Cour d'appel de Paris vom 13. Juni 1961, in Annales de le Propriété industrielle 1962, S. 54 = G R U R Int. 1963, S. 448 f. — Hy-Lo. ss Nastelski, a. a. O., S. 258.

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langem vertreten. Denn in der „Napoleon II "-Entscheidung54 hat der BGH ausgeführt, daß der Schutz von „Geschäftsbezeichnungen" ausländischer Unternehmen nur von der Ingebrauchnahme der Bezeichnung in Deutschland abhängig ist, sofern die Kennzeichnung von Haus aus individualisierende Kennzeichnungskraft besitzt. Letzteres impliziert aber — wie dargetan —, jene Kennzeichnung, die in ihrer Eigenschaft als Nom commercial des französischen Unternehmens figuriert.

54 Urteil vom 4 . 1 1 . 1 9 6 0 , in G R U R 1967, S. 396, 398. Vgl. ferner BGH in N J W 1970, S. 997 ff. — Napoleon III — und BGH in N J W 1971, S. 1523 f. — SWOPS — mit weiteren Nachweisen.

Die Zulassung von Personen zum Börsenhandel mit Wertpapieren im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG ALBRECHT STOCKBURGER

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Börsen, insbesondere der Wertpapierbörsen, mit denen dieser Beitrag sich im wesentlichen befaßt, ist auch heute unbestritten. Aus dem mittelalterlichen Messe- und Marktverkehr entstanden 1 , haben sie sich mit der Entwicklung des Geld- und Kreditverkehrs und mit der Herausbildung der modernen Kapitalgesellschaften zu einem wesentlichen Faktor im Wirtschaftssystem der liberalen Volkswirtschaften entwickelt. Seit langem sind sie nicht nur Märkte, auf denen vertretbare Güter umgesetzt werden. I m Effektenhandel an den Wertpapierbörsen spiegelt sich in gewisser Weise das Geschehen in der Wirtschaft wider; die Börsen haben die Funktion von Indikatoren sowohl für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung als auch in bezug auf die Wirtschaftsunternehmen, deren Aktien an den Börsen über Angebot und Nachfrage ständig neu bewertet werden. Zwar darf dabei das Spekulationsmoment nicht gering veranschlagt werden; über längere Zeiträume hinweg geben jedoch die an den Börsen ermittelten Preise für die dort gehandelten Effekten durchaus wichtige Anhaltspunkte für die Einschätzung der Wirtschaftskraft der betreffenden Unternehmen, was wiederum von Einfluß auf die Unternehmensgestaltung, die Bereitschaft potentieller Kapitalanleger zum Engagement usw. sein kann. D a ß dabei die amtliche Kursfeststellung mit ihrer erhöhten Aussagekraft eine besondere Rolle spielt, versteht sich von selbst. Uber die veröffentlichten Börsenkurse wird ein gewisses M a ß an Transparenz hergestellt, das weiteren Kreisen einer sonst kaum orientierten Bevölkerung zu Beurteilungsund Entscheidungskriterien verhilft und so letztlich für eine breitere Aktienstreuung als Mittel einer Vermögensbildung unerläßlich ist 2 .

1 Vgl. zur Geschichte des deutschen Börsenwesens Bremer, Grundzüge des deutschen und ausländischen Börsenrechts 1969 S. 12 f., Göppert, Das Recht der Börse (1932). 2 An der Richtigkeit dieser Feststellung ändert audi der Umstand nichts, daß der Kurs von Aktien zwar gelegentlich dem inneren Wert dieser Effekten entsprechen kann, in der Regel aber niedriger oder höher ist, da er sich aus Angebot und Nachfrage entwickelt und deshalb von Faktoren abhängig ist, die durchaus nidit unternehmensbezogen zu sein brauchen. Nicht zuletzt spielt die Größe oder Enge des Marktes eine Rolle (vgl. B G H Urteil vom 30. 3. 1967 II Z R 141/64, Bruns, Transparenz der Börse und Umsatzpublikation in Z K r e d W 1962 S. 38 f.).

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Die rechtlichen Grundlagen des Börsenwesens gehören zu dem Restbestand an Normen aus der Zeit um die Jahrhundertwende, die noch in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts inkraft sind. Ungeachtet des tiefgreifenden Wandels in Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit namentlich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat das Börsenrecht bis jetzt immer noch seinen gesetzlichen Auftrag erfüllen können, das ordnungsmäßige Funktionieren der Börsen zu gewährleisten 3 . Das Börsengesetz stammt aus dem Jahre 1896 4 . Änderungen und Ergänzungen betrafen im wesentlichen die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel sowie die Abwicklung von Börsengeschäften, während die Regeln über die Errichtung und die innere Ordnung der Börsen als Veranstaltungen im wesentlichen erhalten blieben. Der Grund hierfür ist zum einen darin zu suchen, daß das Börsengesetz sich von vornherein darauf beschränkte, den rechtlichen Rahmen für die Börsenorganisation, die Feststellung der Börsenpreise und das Maklerwesen, die Börsentermingeschäfte und die Zulassung insbesondere von Wertpapieren zum Börsenhandel abzustecken, die konkretisierenden Einzelregelungen jedoch den Börsenordnungen vorbehielt, die für jede Börse zu erlassen sind (§§ 4 Abs. 1, 5 BörsG). Notwendige Änderungen und Ergänzungen konnten so für den Bereich der einzelnen Börsen elastisch und gewissermaßen geräuschlos vorgenommen werden. Die Uberlebenskraft des überkommenen Börsenrechts ist aber auch durch den Umstand zu erklären, daß das Börsenwesen auf eine große Tradition zurückblickt und die Börsen als Institutionen über gutentwickelte innere Strukturen verfügen, die den Ruf nach Erneuerung der rechtlichen Grundlagen des Börsenrechts lange Zeit nicht so dringlich erscheinen ließen, wie dies für viele andere Bereiche der öffentlich-rechtlich verfaßten Wirtschaftsordnung galt. Diese grundsätzliche Feststellung darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Börsenrecht in den zurückliegenden Jahren immer wieder Anlaß zu höchstrichterlichen Auseinandersetzungen verfassungsrechtlicher Art in Teilbereichen gegeben hat, vor allem dort, wo das geschriebene Altrecht auf das moderne Rechtsstaatsverständnis insbesondere im Grundrechtsbereich stieß. Die Schwierigkeit, aber auch der Reiz einer solchen Konfrontation besteht in diesen Fällen immer darin, vorgefundenes Redit unter möglichster Wahrung seines Sinngehaltes fortzuschreiben, sei es durch verfassungskonforme 3 Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Börsengesetzes liegt seit Herbst 1970 vor — Drucksache 525/70 vom 3 0 . 9 . 1 9 7 0 — jetzt Drucksache 7/1/1 vom 5.2.1973. 4 (RGBl. S. 157 in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. 5 . 1 9 0 8 , RGBl. S. 215).

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Interpretation, richterliche Fortbildung — beides fließt ineinander — oder audi durch partielle Außerkraftsetzung herauslösbarer Teilregelungen, die das Verbleibende funktionsfähig läßt. In dem eben geschilderten Sinne strittig war und ist immer noch die Zulassung zum Börsenbesuch mit dem Recht zur selbständigen Teilnahme am Börsenhandel. Mit den hiermit zusammenhängenden Fragen beschäftigen sich die nachfolgenden Ausführungen.

I. Die Erhaltung der inneren Ordnung an der Börse und die Gewährleistung eines ordnungsmäßigen Börsenablaufes wird naturgemäß wesentlich von der Zusammensetzung der Börsenteilnehmer bestimmt. Keinesfalls jedermann hat deshalb Zutritt zur Börse oder darf sich gar am Börsenhandel beteiligen. Das Recht zum Besuch der Börsen wird heute in allen Fällen durch Zulassung erworben, über die Zulassungsgremien, häufig der Börsenvorstand selbst, entscheiden. Diese Entscheidung ist nach einhelliger Meinung ein Verwaltungsakt, über dessen Rechtmäßigkeit die Verwaltungsgerichte zu befinden haben 5 . Lediglich die Ä«r5makler sind kraft Amtes zum Börsenbesuch mit dem Recht (und der Pflicht) zur selbständigen Teilnahme am Börsenhandel zugelassen. Im Effektenhandel betreiben sie zusammen mit den zugelassenen Bankenvertretern und den zugelassenen freien Maklern die Börsenhandelsgeschäfte. Für die Kursmakler hat sich seit langem ein festes, durch das Börsengesetz begründetes und durch die Praxis gefestigtes typisches Berufsbild im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 Abs. 1 G G herausgebildet. Die Kursmakler werden von der jeweiligen Landesregierung bestellt, auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Aufgaben vereidigt und erhalten eine Bestallungsurkunde. Ihnen wird ein öffentliches Amt übertragen, in dessen Ausübung sie bei der amtlichen Kursfeststellung mitwirken. Da der Börsenpreis der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse entsprechen muß (§ 29 Abs. 3 Börsengesetz), werden an die Erfahrung der Kursmakler in bezug auf den Umgang mit den Regeln der Kursfeststellung, an ihr Fingerspitzengefühl und ihre Marktübersicht hohe Anforderungen gestellt. Daneben sind die Kursmakler Handelsmakler im Sinne der §§ 93 f. H G B ; sie betreiben ein Grundhandelsgewerbe, gerichtet auf die Vermittlung von EfFektengeschäf5 Allgem. Ansicht, vgl. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 2. Aufl. l . B d , S. 638, Brocki, Börse und Verwaltungsgeridite in GewArch. 1964 S. 193 f., BVerwG, Beschl. v. 5. 1. 1967, I Β 28/66, Besdil. v. 8. 3. 1967 — I Β 14/67 — ; Hess. V G H , Urt. v. 26. 10. 1966 — OS II 62/63 — ; Urt. v. 17. 1 0 . 1 9 7 2 — II O E 26/71 — .

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ten, bei denen sie freilich k r a f t Gesetzes wesentlichen Beschränkungen unterliegen 6 . In die Vermittlung der Geschäftsabschlüsse teilen sie sich mit den freien Maklern. Über die Zulassung dieser Gruppe von Börsenteilnehmern entscheiden die zuständigen Börsenorgane. Die freien Makler wirken nicht an der Ermittlung der amtlichen Börsenkurse mit, üben vielmehr eine ausschließlich handelsrechtlich zu qualifizierende kaufmännische Vermittlertätigkeit aus, bei der sie wesentlich freier gestellt sind als die Kursmakler. Gleichwohl haben auch sie für den Börsenbetrieb wichtige Funktionen zu erfüllen, weshalb auch sie ebenso wie die zugelassenen Bankenvertreter die Gewähr f ü r eine einwandfreie Abwicklung ihrer Geschäfte bieten müssen. Die Marktordnung der Börsen soll sicherstellen, daß Effektenbesitzer, die ihre Papiere abgeben möchten, einen der Marktlage entsprechenden Preis erzielen, wie umgekehrt die Käufer beim Erwerb möglichst die Gewißheit haben müssen, einen korrekten Preis zu bezahlen. An dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage wirken die freien Makler mit, und zwar regelmäßig in Anlehnung an die amtlich ermittelten Preise. K r a f t ihrer gegenüber den Kursmaklern freieren Stellung sind sie in der Lage, elastischer auf einen Ausgleich der gegensätzlichen Kundeninteressen hinzuwirken, etwa für größere Posten weniger gefragter Papiere Direktinteressenten unter den Bankenvertretern (als den Sachwaltern der Bankkunden) aufzuspüren oder im Interesse eines Marktausgleichs gegebenenfalls selbst vorübergehend Überhangposten zu übernehmen und so Kursverzeichnungen bei der Ermittlung der Börsenkurse entgegenzuwirken. Gerichtliche Auseinandersetzungen um abschlägig beschiedene Zulassungsgesuche wurden bisher im wesentlichen von Bewerbern geführt, die die Zulassung als freie Makler erstrebten. Die mit der Zulassung zum Börsenbesuch verbundene verfassungsrechtliche Problematik läßt sich an ihrem Beispiel am sinnfälligsten demonstrieren.

II. 1.

Die Zulassung zum Börsenbesuch ist im Börsengesetz von 1896 nur unvollkommen geregelt. § 7 enthält einen Katalog von automatisch wirkenden Ausschlußgründen, der jedoch erklärtermaßen nicht abβ So dürfen sie grundsätzlich keine Eigengesdiäfte tätigen, auch keine sonstigen Handelsgewerbe betreiben und sich an solchen auch nicht beteiligen. Bei ihrer Vermittlungstätigkeit sind sie auf den Verkehr zwischen Börsenbesuchern beschränkt. Sie sind zur regelmäßigen Anwesenheit in allen Börsenversammlungen verpflichtet. Ferner unterliegen sie einer besonderen Aufsichtsgewalt der Maklerkammern und der Landesregierungen.

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schließend ist 60 . § 7 Abs. 3 BörsG bestimmt, daß die für die einzelnen Börsen zu erlassenden Börsenordnungen weitere Ausschlußgründe festsetzen können. Hiervon haben die geltenden Börsenordnungen durchwegs Gebrauch gemacht 7 . Danach müssen die Bewerber regelmäßig bestimmten Berufsgruppen angehören (Inhaber oder Repräsentanten von Firmen, die Bank- oder Börsengeschäfte betreiben). Ferner wird vielfach ausdrücklich gefordert, daß sie „den Anforderungen, die an einen Börsenbesucher zu stellen sind" entsprechen oder „die Gewähr für ein persönlich einwandfreies Verhalten an der Börse, insbesondere allen kaufmännischen Anschauungen entsprechendes Verhalten bei Abschluß und Abwicklung von Geschäften" bieten. Vielfach sind die ergänzenden Zulassungsbestimmungen in den Börsenordnungen als Kann-Bestimmungen ausgebildet, so daß ein Rechtsanspruch auf die Zulassung generell als ausgeschlossen erscheint. Von den Bewerbern wird meist im Zulassungsverfahren die Benennung mehrerer Gewährsmänner aus den Reihen der bereits zugelassenen Börsenbesucher verlangt, die über die persönliche und fachliche Q u a l i fikation der sie benennenden Gesuchsteller Auskunft geben sollen. 2. Die Anwendung dieser Regelung speziell auf die G r u p p e der freien Makler hat in den gerichtlichen Auseinandersetzungen ihre verfassungsrechtliche Problematik, insbesondere im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 G G , wiederholt zutage gefördert. Regelmäßig kollidierte das Interesse der abgewiesenen Gesuchsteller an einem Zugang zur Börse mit dem Anliegen der Börsen, einen ungehinderten störungsfreien Ablauf des Börsenbetriebes zu gewährleisten, wurde das Grundrecht der Berufsfreiheit als Waffe gegen eine scheinbar zu enge Zulassungspraxis der Börsen eingesetzt. D a s Bundesverwaltungsgericht hat schon frühzeitig keinen Zweifel daran gelassen, daß es die Vorschriften über die Börsenzulassung an dem Grundrecht der Berufsfreiheit messen werde, da durch sie die berufliche Betätigungsmöglichkeit der Bewerber beschränkt werde 8 . Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Börsen rechtfertige allerdings gesetzliche Regelungen der Berufsaus60 Vom Börsenbesudi ist k r a f t Gesetzes ausgeschlossen, wer die bürgerlichen Ehrenrechte nicht besitzt, wer durch gerichtliche Anordnung in der V e r f ü g u n g über sein Vermögen beschränkt ist, wer wegen betrügerischen oder einfachen Bankrotts rechtskräftig verurteilt ist, wer sich im Zustand der Zahlungsunfähigkeit befindet, sowie wer ehrengerichtlich vom Börsenbesuch ausgeschlossen ist. 7 BO Berlin 1951 §§ 17 f., B O Bremen 1947 §§ 9 f., B O Düsseldorf 1965 § § 1 1 f., B O F r a n k f u r t a m Main 1963/1970 §§ 13 f., B O H a m b u r g 1951/1965 §§ 15 f., B O H a n n o v e r 1953/1960 §§ 14 f., B O München 1948/1966 §§ 8 f., B O Stuttgart 1949 §§ 15 f. 8 B V e r w G Beschl. v. 28. 8 . 1 9 6 2 — I C B 176/59 — in D V B l . 1963 S. 151.

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Übung, welche die Fernhaltung solcher Personen vom Börsenverkehr zum Ziel hätten, deren bisheriges Verhalten eine Störung des Börsenbetriebes oder eine nicht ordnungsgemäße Abwicklung der an der Börse getätigten Geschäfte befürchten lasse. In den Börsenordnungen dürften indessen nur solche zusätzlichen Ausschlußgründe festgesetzt werden, die an eine nachgewiesene Ungeeignetheit für die Tätigkeit als Börsenmakler anknüpfen 9 . In einem späteren Beschluß stellte das Bundesverwaltungsgericht fest 1 0 , das Grundrecht der freien Berufswahl werde durch Vorschriften (in den Börsenordnungen) verletzt, die die Zulassung eines Bewerbers zur Börse als freier Makler in das Ermessen des Börsenvorstandes stellen und diesem das Recht geben, die Zulassung auch bei Fehlen eines normativen Versagungsgrundes abzulehnen. Immerhin wird das Erfordernis der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Börse als ein sich aus der N a t u r der Sache ergeben-: der Versagungsgrund anerkannt 1 1 . D e n vorläufigen Schlußpunkt unter die Rechtsprechung der Obergerichte hat der Hess. V G H in einem Urteil vom 1 7 . 1 0 . 1972 gesetzt 12 , in dem er dem Normgeber der Börsenordnungen aus verfassungsrechtlichen Erwägungen die Regelungskompetenz für die Statuierung zusätzlicher, über den Versagungskatalog des § 7 Abs. 1 B ö r s G hinausgehender Hinderungsgründe generell abgesprochen und beispielsweise Bestimmungen für ungültig erklärt hat, die dem Börsenvorstand die Befugnis einräumen sollten, Bewerber zurückzuweisen, wenn Umstände bekannt sind, welche die Befürchtung rechtfertigen, daß die Antragsteller den A n forderungen, die an einen Börsenbesucher zu stellen sind, nicht entsprechen werden. Wäre diese Rechtsansicht richtig, stünden die Börsen jedenfalls unter der Herrschaft des (im Frühjahr 1 9 7 4 ) noch immer geltenden Börsengesetzes von 1896 jedermann offen, möge er persönlich noch so wenig geeignet sein.

III. l.

Die Verfasser des Börsengesetzes von 1896 hatten die gesetzliche Zulassungsregelung mit Sicherheit nicht unter dem Aspekt einer möglichst weiten Betätigungsfreiheit der Börsenteilnehmer oder -Interessenten im Sinne einer modernen Auffassung von grundrechtlich » BVerwG Beschl. v. N r . 1. 10 BVerwG Besdil. v. 11 BVerwG Besdil. v. 12 Hess. V G H U r t . ν.

5 . 1 . 1 9 6 7 — I Β 2 8 / 6 6 — in Buchholz,

BVerwG 451. 65

8. 3 . 1 9 6 7 — I Β 1 4 / 6 7 — in Buchholz, a. a. O. N r . 2. 8. 3 . 1 9 6 7 — I Β 1 4 / 6 7 — a. a. O. 1 7 . 1 0 . 1972 — II O E 2 6 / 7 1 — .

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garantierter Berufsfreiheit konzipiert. Den Gesetzgebungsarbeiten voraus gingen damals Mißbrauchserscheinungen bei den Waren- und Wertpapierbörsen, die eine reichsrechtliche Neuordnung des Börsenwesens mit der Möglichkeit wirksamerer staatlicher Kontrollen und EingrifFsbefugnisse dringend erforderlich erscheinen ließen13. Aus diesem Grunde wurden durch das Börsengesetz alle Privatbörsen verboten, bedurfte also jede Börse einer staatlichen Anerkennung, die mehr war als eine bloße Erlaubnis zur Abhaltung von Börsenveranstaltungen, vielmehr die Verleihung eines besonderen öffentlichrechtlichen Status beinhaltete14. Zu den wesentlichen Merkmalen dieses Status gehört eine umfassende Beaufsichtigung der Börsen durch die jeweiligen Landesregierungen, die mehr ist als eine bloße Rechtsaufsicht über die Tätigkeit von Selbstverwaltungskörperschaften15. Bei den Börsen sind Staatskommissare als Organe der Landesregierung zu bestellen. Sie überwachen den gesamten Geschäftsverkehr an den Börsen und unterliegen dabei den Weisungen der Landesregierung. Sie können Auflagen erteilen, auf Maßnahmen der Börsenorgane einwirken, u. a. m. Die Börsenordnungen müssen von der Landesregierung genehmigt werden, die sogar die Aufnahme bestimmter Vorschriften in die Börsenordnungen anordnen kann. Das Ubergewicht der ordnungsrechtlichen Elemente in dieser strengen Reglementierung ist evident, der Entfaltungsfreiraum der zur Börse Strebenden und der an ihr Tätigen dementsprechend reduziert. Die Befugnis zur Erweiterung der Ausschlußgründe in den Börsenordnungen ist im Gesetz selbst nicht thematisch eingeschränkt; die Gewähr für sachgerechte Zulassungsregeln in den Börsenordnungen schien über die Kontroll- und Mitwirkungskompetenz der Landesregierungen beim Erlaß und der Änderung dieser Vorschriften gesichert16. 2. Das Börsengesetz läßt nicht erkennen, ob solche Bewerber, in deren Person normierte Ausschlußgründe nicht vorliegen, zur Börse zugelassen werden müssen, mithin ein subjektiv öffentliches Recht auf 13 Bremer, a. a. O. S. 27, Göppert, Deutsches und ausländisches Börsenwesen, Bankwissenschaft Jhg. 8 S. 290 f. 1 4 So mit Recht Huber, a. a. O. S. 617. 1 5 Anders Schönle, Bank- und Börsenrecht 1971 S. 406. l e Zu eng ist deshalb die in dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. 1. 1967 vertretene Auffassung, die in § 7 Abs. 3 BörsG enthaltene Ermächtigung zur Festsetzung weiterer Gründe zur Ausschließung vom Börsenbesuch könne sidi wegen der Regelungsnähe zu § 7 Abs. 1 BörsG nur auf solche Aussdilußgründe beziehen, die an eine nachgewiesene Ungeeignetheit für die Tätigkeit als Börsenmakler anknüpfen. Eine solche Einschränkung ist aus der Ermächtigungsnorm des § 7 Abs. 3 BörsG nicht herauszulesen.

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Zulassung haben, oder ob die Entscheidung über ihre Zulassung in jedem Falle im pflichtgemäßen Ermessen der Börse steht. Aus dem vorrangigen Anliegen des Börsengesetzes, die Börsen als öffentlichrechtliche Veranstaltungen um ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung willen streng ordnungsrechtlich zu reglementieren, ist früher gefolgert worden, daß der Börsenvorstand jedenfalls grundsätzlich nicht gezwungen werden könne, Bewerber zum Börsenbesuch zuzulassen. In einzelnen Börsenordnungen sind die Zulassungsbestimmungen auch heute noch als Kann-Bestimmungen ausgebildet 1 7 . Unter dem Einfluß des Art. 12 Abs. 1 G G hat sich in diesem Punkte allerdings ein Anschauungswandel vollzogen. Die Verwaltungsgerichte sind sich darin einig, daß die Zulassung zum Börsenbesuch seit Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgen muß, wenn nicht verfassungsrechtlich relevante Hinderungsgründe entgegenstehen. Entschieden wurde dies für die Wertpapiermakler, die stets mit besonderem Nachdruck darauf verwiesen haben, für die Verwirklichung ihres Berufes auf eine direkte Teilnahme am Börsenhandel angewiesen zu sein 17 °. a) Im Falle der KursmzkXer liegt die Zubilligung eines Teilnahmerechts auf der Hand, denn der ihnen mit ihrem A m t übertragene Aufgabenbereich schließt denknotwendig den freien Zugang zur Börse und die ungehinderte Teilnahme an den dort getätigten Geschäften, aufgrund deren sie in die Lage versetzt werden, an der amtlichen Kursfeststellung mitzuwirken, ein. In ihrem Falle spitzt die Diskussion um die Verwirklichung des Grundrechts der Berufsfreiheit sich auf die Frage zu, ob jeder geeignete Bewerber unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1 G G ein Anrecht auf Bestellung zum Kursmakler einer bestimmten Wertpapierbörse hat, mithin den anerkannten Beruf eines Kursmaklers frei wählen kann. D i e Kursmakler üben k r a f t ihres Amtes ganz wesentlich öffentliche Funktionen aus und heben sich damit aus dem Bereich des privaten Wirtschaftslebens heraus. Art. 12 Abs. 1 G G ist als ausschließlicher Maßstab für die Anerkennung eines Rechts auf ungehinderte Berufswahl und -aufnähme indessen nur dann anzuwenden, wenn der in Betracht kommende Beruf vollständig oder doch ganz überwiegend im privaten Wirtschaftsleben ausgeübt wird 1 8 . J e mehr der Beruf sich dem öffentlichen Dienstbereich nähert, U. a. B O Frankfurt am Main 1963/1970 § 13. BVerwG Besdil. v. 5 . 1 . 1 9 6 7 und 8 . 3 . 1 9 6 7 a . a . O . , Hess. V G H U r t . v. 17. 10. 1972, ferner Bremer, a. a. O. S. 6 9 ; Huber, a. a. O. S. 638 hält dagegen noch immer daran fest, daß die Börsenordnungen bestimmen können, ob der Bewerber einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Zulassung hat. Ähnlich auch Brocki, GewArch. 1964 S. 194 f. 18 Vgl. u. a. Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Rdnr. 95 zu Art. 12 GG. 17

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je stärker werden die aus Art. 33 Abs. 2 G G herrührenden Uberlagerungen des Art. 12 Abs. 1 G G spürbar, die das Grundrecht der Berufsfreiheit in dem Sinne einengen, daß lediglich jedermann nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte hat, ohne aber für sich selbst ein klagbares Anrecht auf Übertragung eines solchen Amtes geltendmachen zu können. Diese Ausstrahlung des Art. 33 Abs. 2 G G hat das Bundesverfassungsgericht u. a. bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der zahlenmäßigen Beschränkung der Notarstellen aufgrund des § 4 Abs. 1 B N o t O herausgestellt 1 9 . Danach liegt es grundsätzlich im E r messen des Staates, wie er öffentliche Aufgaben erledigen lassen will. Die Skala der Möglichkeiten reicht vom freien Beruf mit öffentlichrechtlichen Auflagen bis zu Berufen, die völlig in die unmittelbare Staatsorganisation einbezogen sind, mithin öffentlichen Dienst im engeren Sinne darstellen. Für diese letztgenannten Berufe bestimmt allein der Staat die Zahl und Art der Berufsstellen, und zwar nach Gesichtspunkten des sachlichen Bedürfnisses, nicht nach dem Interesse des einzelnen an der Ergreifung eines bestimmten Berufes. J e näher nun ein außerhalb des öffentlichen Dienstes stehender, aber mit öffentlichen Aufgaben betrauter Beruf an den öffentlichen Dienst herangeführt ist, um so eher sind nach der N a t u r der Sache Sonderregelungen zulässig und wird das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 G G — freie Berufswahl — relativiert. Die öffentliche Funktion der Kursmakler bei der amtlichen Preisfeststellung, die ihnen gewissermaßen eine Organstellung innerhalb des öffentlich-rechtlich verfaßten Rechtsgebildes Börse verleiht und zugleich zu einer strengen Reglementierung ihrer gesamten Tätigkeit an der Börse führt, rechtfertigt eine Beschränkung ihrer Zahl an den Börsen und schließt die Annahme eines Rechtsanspruches von Bewerbern auf Bestellung zum Kursmakler aufgrund des Art. 12 Abs. 1 G G aus 2 0 . Einzelne Maklerordnungen bestimmen ausdrücklich, daß nur soviele Kursmakler bestellt werden, wie es den Erfordernissen eines geordneten Geschäftsganges an der Börse entspricht 2 1 . b) Die Stellung der freien Makler — entsprechendes gilt für die Bankenvertreter — ist eine wesentlich andere. Ihnen sind an der Börse öffentliche Aufgaben nicht übertragen. Die freien Makler sind BVerfGE 17, S. 377. Auf die Vergleichbarkeit der Amtsstellung der Kursmakler mit denen der Notare innerhalb der Skala öffentlich gebundener Berufe weist Bremer, a. a. O. S. 87 mit Recht hin. 2 1 U . a. § 2 Abs. 1 der Maklerordnung für die Kursmakler an der Wertpapierbörse zu Berlin vom 20. 7. 1964. 19 20

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Kaufleute, Handelsmakler mit Wertpapieren im Sinne der §§ 93 f. H G B . Der Kaufmannsberuf des Wertpapiermaklers ist in § 93 H G B ohne jede Bezugnahme auf eine Tätigkeit an der Börse definiert. Ihm steht es mit und ohne Zulassung zum Börsenbesuch frei, Käufer oder Verkäufer von Wertpapieren als Kunden zu gewinnen und miteinander in Verbindung zu bringen, oder in Form von Eigengeschäften selbst mit Wertpapieren zu handeln. Im Handelsverkehr außerhalb der Börse ist er sogar freier gestellt, als er es im Börsenhandel wäre, da er weder durch die Börsenbestimmungen beschränkt ist noch etwa dem Aufsichtsrecht des Börsenvorstandes unterliegt. Die Zulassung zur Börse eröffnet ihm freilich den direkten Zugang zu einem besonders wichtigen und attraktiven Effektenmarkt für seine Vermittlertätigkeit. In Verfassungsrechtslehre und -rechtsprechung ist indessen anerkannt, daß die bloße Erweiterung einer Berufstätigkeit nicht als B e r u f s ^ / ; / im Sinne des Art. 12 Abs. 1 G G (die nur eingeschränkt werden darf, soweit der Schutz besonders wichtiger überragender Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert) 2 2 angesehen werden darf. (Eine bloße Erweiterung einer Berufstätigkeit, die nicht unter dem besonderen Grundrechtsschutz der Berufswahl steht, ist u. a. das Verhandeln vor Gerichten für den Rechtsbeistand 23 . Ihm wird mit dem Zugang zu den Gerichten ein zusätzlicher attraktiver „Markt" für seine berufliche Betätigung eröffnet, wie dies auch für den Wertpapiermakler im Falle seiner Zulassung zur Börse gilt.) Der in dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. 3. 1967 2 4 vertretene Standpunkt, die in das Ermessen des Börsenvorstandes gestellte Zulassung eines Bewerbers als freier Makler zur Börse verletze dessen Grundrecht der freien BerufsmzÂ/, läßt den Umstand außer acht, daß es nach dem Vorgesagten den unter dem erhöhten Schutz des Art. 12 Abs. 1 G G stehenden Beruf eines freien Börsenmaklers nicht gibt, die Zulassung vielmehr lediglich weitere berufliche Betätigungsmöglichkeiten eröffnet. Die Frage nach dem Zulassungsanspruch des Wertpapiermaklers ist mit dieser Feststellung allerdings noch nicht erschöpfend beantwortet, da auch die Berufsausübung unter der generellen Freiheitsvermutung des Art. 12 Abs. 1 G G steht, insbesondere wenn mittelbare Auswirkungen auf die Berufswahl zu erwarten sind. Nicht jede Versagung einer Chance für eine günstigere Berufsgestaltung ist freilich ein Eingriff in die Berufsausübung. Die Grenze zwischen Beschränkungen der 22 Vgl. u. a. BVerfGE 7, S. 377 f.; 10, S. 192; 25, 1 f.; Schmidt-Bleibtreu-Klein, Komm. z. GG, 2. Aufl. Rdnr. 7 zu Art. 12 GG, von Münch-Gubelt, Komm. z. GG, Rdnr. 16 zu Art. 12 GG. 2 3 BVerfGE 10, S. 192.

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Berufsausübung, die unter dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG stehen, und bloßen Reflexwirkungen allgemeiner Gesetze, die mittelbar die Ausübung eines Berufes tangieren, ist fließend25. Stets kommt es auf die Art und das Ausmaß der rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung auf die Verwirklichung eines bestimmten Berufes an. Im Falle berufsbezogener Vorschriften spricht die Vermutung für das Vorliegen von Berufsausübungsregelungen, die an Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen sind. Soweit es sich dabei um reine Regelungen der Modalitäten einer Berufsverwirklichung handelt, können in weitem Umfange Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit zum Tragen kommen, die auch für Ermessensentscheidungen der Verwaltung Raum lassen. Ein typisches Beispiel hierfür bietet die Bestellung berufserfahrener Personen zu beeidigten und öifentlich bestellten Sachverständigen nach § 36 GewO. Diese Vorschrift ermächtigt die Industrie- und Handelskammern zur Beeidigung und öffentlichen Bestellung von Sachverständigen. Der einzelne Gewerbetreibende hat jedoch keinen Anspruch hierauf. Die Industrie- und Handelskammern treffen vielmehr ihre Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen. Sie können berücksichtigen, ob für die Bestellung weiterer Sachverständiger ein Bedürfnis besteht oder nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Regelung an Art. 12 Abs. 1 G G gemessen und sie ungeachtet der Tatsache f ü r rechtmäßig erklärt, daß die öffentliche Bestellung in der Praxis der Aussage dieses Personenkreises einen höheren Wert verleiht, diese Personen aus dem Kreise der Berufsgenossen heraushebt und ihre Erwerbsmöglichkeiten verbessert, dementsprechend diejenigen ihrer Konkurrenz beeinträchtigt 26 . Nach der zutreffenden Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts hat die Gewerbeordnung in ihrem § 36 keine neuen oder auch nur zusätzlichen beruflichen Betätigungsmöglichkeiten f ü r Sachverständige geschaffen und den beeidigten Sachverständigen auch nicht ein Recht zur ausschließlichen Begutachtung oder auch nur ein tatsächliches Monopol gewährt. Der berufliche Vorsprung, die zusätzliche Chance allein steht der Rechtmäßigkeit der Ermessensregelung in § 36 GewO nicht entgegen. Im Gegensatz hierzu bleibt dem von der Börse ausgeschlossenen Wertpapiermakler ein wichtiges Betätigungsfeld f ü r seine Berufsverwirklichung verschlossen, so daß aus diesem Grunde f ü r den Makler, der an der Börse zugelassen wer25 Typische Beispiele solcher mittelbaren Berufsbehinderungen siri3: Festsetzungen in Bebauungsplänen, die Gewerbeansiedlungen in Wohngebieten verbieten, Verkehrsregelungen, die den Zugang zu Gaststätten oder anderen gewerblichen Räumen erschweren. Ähnliches gilt auch für die Bestimmungen des Grundstücksverkehrsgesetzes (vgl. hierzu BVerfGE 21, S. 73 f.). 2 « BVerwGE 5, S. 95 f.

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den will, die Freiheitsvermutung des Art. 12 Abs. 1 G G gilt, soweit nicht verfassungsmäßige Hinderungsgründe im Börsengesetz und in den Börsenordnungen entgegenstehen, er also ohne solche ein Zulassungsrecht für sich in Anspruch nehmen kann. 3.

Nach herrschender Meinung enthält Art. 12 Abs. 1 GG nicht zwei voneinander unterscheidbare Grundrechte in Gestalt eines Rechts auf freie Berufs wähl und eines solchen auf freie Berufs ausiibung. Vielmehr umfaßt Art. 12 Abs. 1 G G beides in dem einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit 27 . Der Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G erstreckt sich deshalb sowohl auf die Berufsausübung als auch auf die Berufswahl, freilich mit unterschiedlichem Wirkungsgrad. Die Regelungsbefugnis ist um so weniger gebunden, je mehr sie reine Ausübungsregelung ist, um so begrenzter, je mehr sie die Berufswahl betrifft 2 8 . Dies ist der kurzgefaßte Inhalt der sogenannten Stufentheorie des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Freiheit der Berufswahl nur eingeschränkt werden darf, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert. Ist ein solcher Eingriff unumgänglich, so muß der Gesetzgeber stets diejenige Eingriffsform wählen, die das Grundrecht am wenigsten beschränkt. Die Freiheit der Berufsausübung kann dagegen beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen; der Grundrechtsschutz beschränkt sich auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen. Die Berufsregelung erfolgt durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes. Mithin können auch im Range unter formellen Gesetzen stehende Normen wie Rechtsverordnungen und Satzungen Berufsregelungen enthalten 29 . Der Regelungskompetenz der nachgeordneten Normgeber sind freilich schon durch die Verfassung Grenzen gesetzt. Rechtsverordnungen müssen den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G gerecht werden, d. h. sie müssen sich auf Ermächtigungen stützen können, in denen der Gesetzgeber selbst Inhalt, Zweck und Ausmaß der Regelung in der zu erlassenden RechtsVO näher be27 U . a . BVerfGE 17, S . 2 7 6 ; BVerwG DVBl. 1970, S. 687; von Müncb-Gubelt, R d n r . 36; Schmidt-Bleibtreu-Klein, R d n r . 10; Maunz-Dürig-Herzog, R d n r . 31. 28 BVerfGE 7, S. 377, 204 f.; 23, S. 50, 56; 25, S. 1, 11 f. 29 Seit I n k r a f t t r e t e n des 17. ErgGes. G G vom 24. 6. 1968 — BGBl. I S. 709 — klargestellt. Das Bundesverfassungsgericht hatte allerdings audi vorher schon Berufsregelungen durch nachkonstitutionelle, auf gesetzlicher Grundlage beruhende Verordnungen f ü r zulässig erachtet — vgl. BVerfG Beschl. v. 9. 6 . 1 9 7 2 in N J W 1972 S. 1505 —.

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stimmt hat. In materieller Hinsicht muß sowohl bei Erlaß der Ermächtigungsnorm als auch im Stadium ihrer Ausführung in Gestalt der (Durchführungs-)Verordnung die Stufentheorie des Bundesverfassungsgerichts beachtet werden, die letztlich eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel ist. Die dem VOGeber auferlegte Ausmaßbindung muß tunlichst so angelegt sein, daß er gar nicht erst in die Versuchung kommt, Ausführungsregelungen zu erlassen, mit denen er Schwellen überschreitet, die durch die Stufentheorie errichtet sind. Daneben ist auch der VOGeber unmittelbar durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Diese Bindung wird vor allem in den Fällen akut, in denen der Gesetzgeber sich auf eine mehr generalisierende Eingrenzung des Ermächtigungsspielraumes beschränken muß, weil der dem VOGeber anhand gegebene Regelungsgegenstand nach der N a t u r der Sache konkrete Umschreibungen der möglichen Eingriffe nicht zuläßt. Für den Träger der Satzungsgewalt gilt Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G nicht 30 . Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sind Satzungen „Rechtsvorschriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen und unterworfenen Personen erlassen werden. Die Verleihung von Satzungsautonomie hat ihren guten Sinn darin, gesellschaftliche K r ä f t e zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen, und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern" 3 1 . Das Bundesverfassungsgericht schätzt den R a n g und die Effektivität der Selbstgesetzgebung der mit Satzungsgewalt ausgestatteten Körperschaften so hoch ein, daß es ihnen unbedenklich die Befugnis einräumt, in eigener Verantwortung auch Satzungen zu erlassen, die berufsregelnden Charakter haben, d. h. im jeweiligen Regelungsbereich die immanenten, im Wesen des Grundrechts selbst angelegten Grenzen aufzuspüren 3 2 . D a s gilt insbesondere für Berufsverbände, die mit autonomer Rechtssetzungsbefugnis begabt sind. Auch ihre Rechtssetzungsmacht ist indessen verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen. D a s Bundesverfassungsgericht leitet diese letztlich aus dem Zweck des Regelungsvorbehalts in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G her, 3 0 h. M . vgl. u. a. B V e r f G Besdil. v . 9. 5 . 1 9 7 2 a. a. O . S. 1506 — besdiluß — . 3 1 B V e r f G Besdil. v. 9. 5. 1972 a. a. O. S. 1506. 32 von Münch-Gubelt, a. a. O . R d n r . 38.

Fadiarzt-

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der gewährleisten soll, daß die freie (berufliche) Selbstbestimmung des einzelnen nur soweit eingeschränkt wird, wie es die Interessen der Allgemeinheit erfordern 33 . Dadurch, daß das Grundgesetz die Abwägung der Allgemeininteressen und der Individualinteressen über den Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sicherstellt, „überträgt es in erster Linie dem Gesetzgeber die Entscheidung darüber, welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des einzelnen zurücktreten muß" 34 . Welcher Anteil an den die Berufsregelung betreffenden Entscheidungen auch im Verhältnis zum Träger von Satzungsgewalt beim Gesetzgeber verbleiben muß, bestimmt sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wiederum aufgrund der vorerwähnten Stufentheorie. Starck35 weist in einer Besprechung des Facharztbeschlusses mit Recht darauf hin, daß diese Stufentheorie deshalb ein taugliches Mittel auch zur Bestimmung der Kompetenzabgrenzung ist, weil sie den in Art. 12 GG geschützten Freiheitsbereich nach erforderlicher Schutzintensität in Schichten einteilt. Je höher der Freiheitsschutz in dieser Schichtenfolge steht, um so wichtiger müssen nach der Stufentheorie die geschützten Gemeinwohlgüter sein. Die „statusbildenden" Bestimmungen, also die Regelungen, die die Freiheit der Berufswahl berühren, gehören danach nicht mehr in den Bereich „eigener" Angelegenheiten des Autonomieträgers, sondern fallen in die Regelungskompetenz des Gesetzgebers. Berufsregelungen, die lediglich die Freiheit der Berufsausübung einschränken, können hingegen dem Satzungsgeber überlassen bleiben. Da indessen die Übergänge zwischen reinen Berufsausübungsregelungen und solchen Bestimmungen, die die Berufswahl tangieren, fließend sind, insbesondere Einschränkungen der Berufsausübung vielfach auch Auswirkungen auf die Freiheit der Berufswahl haben, fordert das Bundesverfassungsgericht, daß das zulässige Maß des Eingriffs in den Grundrechtsbereich um so deutlicher in der gesetzlichen Ermächtigung bestimmt werden muß, je empfindlicher die freie berufliche Betätigung beeinträchtigt wird. Dem Gesetzgeber müssen auch hier einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Betätigung wesentlich prägende Ausübungsregelungen jedenfalls in den Grundzügen vorbehalten bleiben. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Hess. VGH in seinem schon erwähnten Urteil vom 17. 10. 1972 36 zu dem Ergebnis gelangt, daß der Normgeber der BVerfG Beschl. v . 9. 5. 1972 B V e r f G Beschl. v. 9. 5. 1972 35 Regelungskompetenzen im Berufsredit in N J W 1972 S. 1489 36 II OE 26/71. 33

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a. a. O. S. 1506. a. a. O. S. 1506. Bereich des Art. 12 Abs. 1 G G f.

und

ärztliches

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(Frankfurter) Börsenordnung nicht befugt gewesen sei, über den in § 7 Abs. 1 des Börsengesetzes aufgestellten Katalog von Ausschlußgründen hinaus weitere Ausschlußgründe zu normieren, insbesondere zu bestimmen, daß nur solche Bewerber zur Börse zugelassen werden, die hierzu charakterlich und fachlich geeignet sind. Nach Ansicht des Hess. V G H gehört gerade das Erfordernis der Eignung offensichtlich zu den statusbildenden Merkmalen, deren Regelung jedenfalls in den Grundzügen in den ausschließlichen Kompetenzbereich des Gesetzgebers gehört. Die Ermächtigung in § 7 Abs. 3 BörsG, die besagt, daß die Börsenordnungen weitere Ausschlußgründe festsetzen können, würde nach dieser Ansicht praktisch leerlaufen, die Freiheitsvermutung des Art. 12 Abs. 1 G G würde grundsätzlich jedem Bewerber ein Recht auf Zulassung zur Börse gewähren, in dessen Person nicht einer der gesetzlichen Kataloggründe vorliegt. U m die Rechtsprechung des BundesVerfassungsgerichts auf den Fall des zur Börse strebenden Wertpapiermaklers direkt anwenden zu können, hat der Hess. Y G H sich veranlaßt gesehen, die auf der Grundlage der §§ 4 Abs. 1, 7 Abs. 3 B ö r s G erlassene (Frankfurter) Börsenordnung als Satzung zu behandeln, während er die gleiche Börsenordnung wenige J a h r e vorher noch als RechtsVO angesehen (und sich damals in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu befunden) hat 3 7 . Die Rechtsnatur der Börsenordnungen ist nun in der T a t strittig 3 8 . D e r Meinungsstreit ist vor allem darauf zurückzuführen, daß das Börsengesetz selbst nichts über den Charakter der Börsenordnungen aussagt und sich auch über die Person des Normgebers ausschweigt, die Börsenordnungen indessen dazu bestimmt hat, die innere Verfassung der Börsen zu regeln, was den Gedanken an die Übertragung von Autonomie nahelegt. Die Börsenordnungen unterliegen ferner dem Genehmigungsvorbehalt der Landesregierung und unterscheiden sich auch insoweit nicht von Satzungen anderer Autonomieträger, die in gleicher Weise unter staatlicher Rechtsaufsicht stehen. Andererseits enthalten sie Rechtsnormen, die für den Besuch, den Verkehr und die Geschäftstätigkeit an der Börse verbindlich sind. Sie statten die Börsenbesucher mit Rechten und Pflichten aus und unterwerfen sie der Entscheidungs- und in diesem Zusammenhang der Strafgewalt von Börsenorganen 3 9 . V o r 37 BVerwG Besdil. v. 8. 3 . 1 9 6 7 a. a. O., Beschl. v. 28. 8 . 1 9 6 2 a. a. O. Hess. V G H Urt. v. 2 6 . 1 0 . 1 9 6 6 — OS II 6 2 / 6 3 —. 3 8 Vgl. die Fundstellen in Fußn. 37, ferner: Bremer, a . a . O . S. 64, Brocki, GewArch. 1964 S. 151, GewArch. 1964 S. 194, GewArdi. 1965 S. 100, MeyerBremer, Börsengesetz, 4. Aufl. 1957 S. 628. 39 Brocki, GewArch. 1965 S. 99, Huber, a. a. O. S. 628, Göppert, Das Recht der Börsen, 1932 S. 106 f.

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allem aber beschränkt das Genehmigungsrecht der Landesregierung sich nicht auf eine bloß überwachende Funktion. Die ihr ausdrücklich eingeräumte Befugnis, die Aufnahme bestimmter Vorschriften in die Börsenordnungen anzuordnen, also selbst legislativ tätig zu werden, verträgt sich mit dem Autonomiegedanken nicht. Schneider40 hat mit Recht auf die Wesensverschiedenheit von Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen einerseits und von Rechtssetzungsbefugnissen autonomer Körperschaften andererseits aufmerksam gemacht, die darin liegt, daß im ersteren Falle der Gesetzgeber dem VOGeber die widerrufliche Kompetenz einräumt, im eigenen Namen die Rechtssetzungsbefugnisse des Deleganten wahrzunehmen, während im letzteren Falle mit der Verleihung der Autonomie an deren Träger diesem eine neue Rechtsquelle, nämlich die Begründung eigener Satzungsgewalt erschlossen wird. Begrifflich muß deshalb die Annahme eines eigenrechtlichen Status mit eigener Rechtssetzungsmacht ausgeschlossen sein, wenn der Gesetzgeber einer staatlichen Stelle, hier der Landesregierung, das Recht gibt, in das Gesetzgebungsverfahren hineinzuregieren und der öffentlich-rechtlich verfaßten Gesamtheit einen von außen kommenden legislativen Willen aufzuzwingen. Huber41 ist darin zuzustimmen, daß erst die Landesregierung den Inhalt der Börsenordnungen durch ihre Genehmigung zur verbindlichen Rechtsnorm erhebt; der entscheidende Rechtsbefehl liegt in ihrer H a n d . Die Börsenordnungen sind mithin auf der Delegation staatlicher Rechtssetzungsgewalt beruhende Rechtsverordnungen 42 . Der Hess. V G H hat in seinem Urteil die hier angedeuteten Eigentümlichkeiten, die die Rechtsnatur der Börsenordnungen bestimmen, durchaus gesehen, sich jedoch mit der Feststellung beholfen, es genüge f ü r die Anerkennung einer Vorschrift als RechtsVO nicht, daß der Gesetzgeber hierfür eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen habe; der benannte Ordnungsgeber müsse auch insoweit tätig geworden sein. D a dies im Falle der Frankfurter Börsenordnung nicht geschehen sei, die Landesregierung vielmehr lediglich ihre Genehmigung erteilt habe, könne nicht vom Erlaß einer RechtsVO ausgegangen werden. Wenn es indessen richtig ist, daß die Ermächtigung im Börsengesetz auf den Erlaß von Rechtsverordnungen gerichtet ist, kann aus der Tatsache, daß die Landesregierung im Zusammenhang mit der Genehmigung der Börsenordnung nicht noch die Aufnahme zusätzlicher Bestimmungen angeordnet hat, nicht geschlossen werden, daß die f ü r die Feststellung des Inhalts 40

Autonome Satzung und RechtsVO in Festschrift für Philipp Möhring 1965 S. 521 f. 41 A. a. O. S. 629. 42 Vgl. Zitate in Fußn. 37—39.

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der Börsenordnungen zuständigen Börsenorgane in Ausübung autonomer Gesetzgebungsbefugnisse (die ihnen gar nicht verliehen worden sind) gehandelt hätten. Der Hess. V G H hätte den von ihm eingeschlagenen Weg nicht zu beschreiten braudien, um anhand des Facharztbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu der Prüfung vorzudringen, ob der Normgeber der Frankfurter Börsenordnung befugt war, charakterliche Unzuverlässigkeit oder fachliche Unerfahrenheit eines Bewerbers als die wohl bedeutsamsten zusätzlichen Ausschlußgründe zu statuieren. Ermächtigungsnormen zum Erlaß von Rechtsverordnungen, zu denen die Börsenordnungen nach dem Vorgesagten zählen, sind zwar primär an Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen. Das gilt jedoch nach Art. 129 GG nicht für vorkonstitutionelle Ermächtigungen und damit auch nicht für das Börsengesetz43. Dagegen unterliegen auch sie den kompetenzrechtlichen Schranken des Regelungsvorbehalts in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG; auch sie müssen sich die Anwendung der zu Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Stufentheorie des Bundesverfassungsgerichts gefallen lassen. Auch für sie gilt deshalb die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, daß einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Betätigung wesentlich prägende Vorschriften über die Ausübung des Berufs dem Gesetzgeber zumindest in den Grundzügen vorzubehalten sind. Keiner ausdrücklichen Umschreibung in der Ermächtigungsnorm bedürfen allerdings solche Bestimmungen in der RechtsVO, die sich aus der Natur der Sache, genauer gesagt aus der Natur des Regelungsgegenstandes ergeben. Küchenhoffii hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die „Natur der Sache" in der Rechtsprechung als Rechtsbegriff anerkannt und immer wieder zur Entscheidung grundsätzlicher Fragen auch im Grundrechtsbereich herangezogen worden ist. So hat auch das Bundesverwaltungsgericht die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Börse als einen sich aus der Natur der Sache ergebenden Hinderungsgrund für die Börsenzulassung bezeichnet45. Es versteht sich von selbst und bedarf deshalb in der Ermächtigungsnorm keiner ausdrücklichen Erwähnung, daß der Delegatar solche Bestimmungen in die Börsenordnungen aufnehmen darf, die bei natürlicher Betrachtungsweise Personen an der Zulassung zum Börsenbesuch hindern sollen, deren Teilnahme am Börsenhandel das Funktionieren des Börsenablaufes infrage stellen würde, weil sie U . a. B V e r f G E 2, S. 3 0 7 ; B V e r w G E 6, S. 53, B V e r f G E 22, S. 180 f. Wegerecht als Ordnung aus der N a t u r der Sache in Gedächtnisschrift H a n s Peters S. 708 f. 45 B V e r w G Beschl. v. 8 . 3 . 1 9 6 7 a. a. O. Diesen Hinderungsgrund muß ein Bewerber sogar ohne ausdrückliche Festsetzung in einer Börsenordnung gegen sich gelten lassen. 4S

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entweder charakterlich unzuverlässig oder aber fachlich unerfahren sind. Ungeeignete Börsenbesucher schaden nicht nur sich selbst, sondern setzen unter Umständen den gesamten Börsenablauf aufs Spiel. Ein Blick in das Marktgeschehen an der Börse mag dies verdeutlichen: Die Marktordnung der Börse ist durch ein kompliziertes System von Bestimmungen, Regeln und Usancen gewährleistet, ohne dessen vollständige Beherrschung und langdauernde Übung ein richtiges und eigenverantwortliches Handeln an der Börse nicht möglich ist. Neben den Bestimmungen der Börsenordnung und der f ü r alle verbindlichen Sammlung von Geschäftsbedingungen muß ein Katalog ungeschriebener, aber von allen Börsenbesuchern streng zu achtender Usancen beachtet werden. Jeder Börsenbesucher muß wissen, d a ß Äußerungen oder Zeichen eines Kontrahenten die Bedeutung haben, die sie nach den Regeln dieser Marktordnung haben müssen. Er muß darauf vertrauen, daß sein jeweiliger Partner das System dieser Marktordnung vollständig und richtig beherrscht. Auf dieses Erfordernis muß um so mehr geachtet werden, als die Geschäfte an diesem Markt ungeachtet ihrer finanziellen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in größter Formfreiheit und mit größter Beschleunigung abgeschlossen und abgewickelt werden, wobei jeder Börsenbesucher unter Umständen gleichzeitig mit einer Vielzahl von Geschäften konfrontiert wird. Die Auswahl der Geschäftspartner, mit denen ein Börsenbesucher kontrahieren kann, ist außerordentlich eingeschränkt. Für jeden Börsenteilnehmer besteht ein Kontrahierungszwang, wonach er jeden anderen an der Börse zugelassenen Teilnehmer als Vertragspartner akzeptieren muß. Die Rechtsgültigkeit der börsengesetzlichen Ermächtigung zum Erlaß der Börsenordnungen wäre übrigens selbst dann nicht infrage gestellt, wenn sie an Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G zu messen wäre. Die Angabe von Inhalt, Zweck und Ausmaß der RechtsVO kann vom Gesetzgeber in der Ermächtigungsnorm durchaus summarisch gehandhabt werden. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fließen die drei Begriffe zunehmend ineinander; nach neueren Entscheidungen genügt es, wenn in der Ermächtigung ein Programm angegeben wird, das der VOGeber zu verwirklichen hat 4 6 . Das ermächtigende Gesetz ist dabei wie jede andere Vorschrift der Auslegung zugänglich. Insbesondere sind die Eigenart des zu regelnden Gegenstandes, das Ziel der Regelung und der Sinnzusammenhang mit anderen Vorschriften zu berücksichtigen. Da es nun eines der vornehmsten Ziele des Börsengesetzes ist, einen ordnungsmäßigen Ablauf des Börsenbetriebes zu gewährleisten, anders ausgedrückt, die Funk48

BVerfGE 5, S. 77; 8, S. 306.

D i e Zulassung zum Börsenhandel mit Wertpapieren

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tionsfähigkeit der Börsen zu erhalten, bringt es wiederum die N a t u r des Regelungsgegenstandes mit sich, daß nur solche Personen zum Börsenbesuch zugelassen werden können, die hierzu geeignet sind. Auch im Lichte des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 G G stellt demnach die mangelnde Eignung einen sich aus dem Regelungsgegenstand ergebenden Versagungsgrund dar, der sich aus dem Programm des ermächtigenden Gesetzes ohne weiteres ableiten läßt. Wenn die geplanten Änderungen des Börsengesetzes in K r a f t getreten sein werden, wird vieles positiv-gesetzlich geregelt sein, was im Börsengesetz von 1896, gemessen am modernen rechtsstaatlichen Standard, scheinbar oder tatsächlich unvollkommen war. Das gilt auch f ü r die Zulassungsregelung. Der Vorteil gesetzestechnischer Perfektion wird freilich mit einer Verminderung der verfassungsrechtlichen Attraktivität des Regelungsgegenstandes H a n d in H a n d gehen.

Das Verhältnis von Standesregeln und guten Sitten im Wettbewerbsrecht H A R M PETER WESTERMANN

I. Zur Ehrung eines wissenschaftlich in so vielfältiger Weise hervorgetretenen Praktikers wie C. H . Barz im Rahmen einer Festschrift bieten sich im wesentlichen zwei Wege an. Bei näherem Zusehen scheidet jedoch die erste Möglichkeit, eine Summe langjähriger und kritisch durchdachter Erfahrungen in eine wissenschaftliche Betrachtung umzumünzen, f ü r denjenigen aus, der es eben in der Fülle der praktischen Anschauung mit dem Jubilar auch nicht annähernd aufnehmen kann. Reizvoll und möglicherweise lohnend erscheint dagegen der Versuch, an H a n d eines Einzelfalls weiterreichende Perspektiven aufzureißen, deren Bedeutung sich angesichts der im konkreten Fall zu Tage getretenen Interessen deutlich erschließt, die aber dennoch im Drang der juristischen Alltagsarbeit leicht zu kurz kommen können. Der Anwalt wie der Wissenschaftler wird sich immer bemühen, spezielle Parteiinteressen und Rechtsprobleme, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind, in einer Wechselbeziehung zu sehen und darzustellen. Dies soll im folgenden angestrebt werden. 1. Der konkrete Streit ergab sich im Zusammenhang mit einem Geschehen, das etwas sarkastisch als Aufstieg und Fall der Deutschen Klinik für Diagnostik AG (DKD) umschrieben werden könnte. Die Krise der D K D , die mit ihrem Ausscheiden aus dem Kreis der selbständigen Wirtschaftsunternehmen endete, hatte verschiedene U r sachen: die Kapitalverhältnisse der Gesellschaft; die Weigerung der Sozialversicherungsträger und einiger über beamtenrechtliche Beihilfeansprüche entscheidender Stellen, Behandlungen in der D K D anzuerkennen; vor allem aber die zurückhaltende Überweisungspraxis der niedergelassenen Ärzte im Verein mit der kritischen Haltung der Standesorganisationen der Ärzteschaft. Alles zusammen führte zur Notwendigkeit, die Erträge des Unternehmens durch einen erhöhten „Durchlauf" von Patienten zu steigern. H i e r f ü r mußte ein möglichst breites „Publikum" auf die Leistungen der D K D aufmerksam gemacht werden. Zu diesem Zweck wurden „normierte" Angebote über speziellere oder umfassendere Untersudiungsreihen gemacht. Gedacht

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war aber auch an „Sammelbestellungen" durch Unternehmen, wodurch ein Anreiz geschaffen werden sollte, über die Untersuchung ganzer Personengruppen Verträge abzuschließen. A u f dem gesamten Tätigkeitsbereich sollte die reine Diagnostik durch angestellte und in zahlreichen Abteilungen zusammengefaßte Fachärzte überwiegen; die Therapie sollte vorerst ausschließlich Sache der überweisenden Ärzte oder der Krankenhäuser bleiben 1 . Aus diesem Grunde hielt man eine verstärkte öffentliche Information über das Vorhandensein und die A r t der Tätigkeit der D K D für erforderlich, und zwar hauptsächlich in Form von Zeitungsannoncen, teils aber audi durch Rundschreiben an mögliche Interessenten. In den daraufhin veröffentlichten Anzeigen wies die D K D unter ihrer Firma darauf hin, daß sie „umfassende Diagnostik", „Vorsorgeuntersuchungen" und „Spezialuntersuchungen" durchführe. Einige Anzeigen forderten dazu auf, weitere I n f o r mationsunterlagen zu bestellen. In einem der genannten Rundschreiben machte die D K D auf ihr den neuesten medizinischen Erkenntnissen entsprechendes Programm aufmerksam und wies audi auf die in der Klinik tätigen Spezialistenteams hin. V o n Seiten der ärztlichen Standesorganisationen zogen diese M a ß nahmen den V o r w u r f auf sich, die D K D treibe eine nach ärztlichem Standesrecht unzulässige Werbung und verstoße insbesondere gegen die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes vom 1 1 . 7 . 1 9 6 5 2 (im folgenden: H W G ) und des U W G . D e r Streit ist nicht zur gerichtlichen Entscheidung gelangt, wohl nicht zuletzt deswegen, weil er durch die weiter rückläufige Entwicklung des Unternehmens überholt wurde. Die zahlreich veröffentlichten Zeitungsannoncen für andere P r i vatkliniken und -Sanatorien 3 heben den Fall aber aus der Vereinzelung heraus. Das gilt besonders für seine wettbewerbsrechtlichen

1 Zur tatsächlichen Situation und zu den fachlichen Entwicklungstendenzen etwa Rau-Michels, Vorsorgezentrum und Diagnoseklinik, Neue Wege in der Medizin?, in: Das öffentliche Gesundheitswesen 1972, 191 ff. 2 BGBl. I, 6042. 3 Einige Beispiele seien genannt: Ringherg-Klinik, Privatklinik für Krebstherapie, Chefarzt Dr. med. Issels; Asthma-Klinik Bad Nauheim, Spezialkrankenhaus für Asthma, Emphysem, Bronchitis, Herz, Kreislauf, Entwöhnung von Cortison, Adrenalin und Ephedrin, Intensiv-Therapie und Rehabilitation; Zelltherapie nach Prof. Niehans. Anmeldungen: Dr. Miksdi, Arkadenhof, Gastein; Klinik St. Blasien, Spezialkrankenhaus für alle Erkrankungen der Atmungsorgane, Differentialdiagnostik und Therapie auch schwerer Formen spezifischer und unspezifischer Lungen- und Atemwegserkrankungen. Besonders hervorzuheben, weil auf die Klage eines Vereins zur Verfolgung unlauteren Wettbewerbs vom B G H ( N J W 1971, 1889) entschieden, ist die Werbung der urologischen Privatklinik Dr. Selbach, auf die in Zeitungsanzeigen hingewiesen wurde mit den Worten: „Spezialklinik für Erkrankungen von Nieren, Blasq, Prostata . . . Fordern Sie Prospekt a n ! " .

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Aspekte, die Ausblicke auf das Verhältnis von Standesrecht und allgemeinem Redit eröffnen. 2. Dagegen spielen die Vorschriften des H W G entgegen dem ersten Eindruck für die Fallösung und für die wissenschaftliche Auseinandersetzung nur eine untergeordnete Rolle: Zwar ist das Gesetz grundsätzlich audi für die Werbung mit Diagnoseverfahren anwendbar. Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 1 Abs. 1 Ziff. 2, der als vom Gesetz betroffen alle Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände anspricht, die der Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten oder sonstigen Beschwerden dienen. Die Krankheitsiw/wteng ist im H W G bewußt nicht erwähnt 4 , woraus sich die verhältnismäßig großzügige Behandlung dieses Aspekts gesundheitsfördernder Tätigkeit auf dem Gebiet der Werbung erklärt. Das Gesetz stellt dann eine Reihe von unzulässigen Werbemethoden für Heilmittel und -verfahren heraus. So darf gemäß § 9 Ziff. 2 nicht geworben werden mit Angaben, daß ein Mittel ärztlich oder von sonst fachlich berufener Seite empfohlen werde oder geprüft sei. Es geht hierbei hauptsächlich darum, zu verhindern, daß dem Adressaten der Werbung im Vertrauen auf die fachkundige Prüfung die rechtzeitige Inanspruchnahme eines Arztes überflüssig erscheinen könnte 5 . Diese Gefahr besteht aber nicht, wenn auf die Möglichkeit bestimmter fachärztlicher Untersuchungen hingewiesen wird. Daran scheitert auch die Anwendung des § 10 Abs. 2 H W G , der die Werbung für die Heilung bestimmter, in einer Anlage zum Gesetz aufgeführter Krankheiten untersagt. Wie der B G H festgestellt hat, verstoßen standesrechtlich übliche Hinweise eines Arztes auf seine Tätigkeit nicht gegen § 10 Abs. 2 H W G , weil sie gerade im Sinne des gesetzlichen Verbots der für gefährlich erachteten Neigung zur Selbstbehandlung entgegenwirken 6 . Das Argument überzeugt auch im Falle einer von einer juristischen Person betriebenen Werbung für eine ärztliche Behandlung. Denn der Inhalt jeder Veröffentlichung besteht stets in der Aufforderung, sich von ausgebildeten Fachkräften untersuchen und beraten zu lassen. Es handelt sich nicht um Laienwerbung. Einen Nebenzweck, unerwünschte und standeswidrige Konkurrenz unter Angehörigen der Heilberufe zu verhindern, verfolgt § 10 H W G augenscheinlich nicht; dagegen spricht die Beschränkung des Werbeverbots auf einzelne, durch ihre Gefährlichkeit ausgezeichnete KrankHamm-Bücker, Kommentar zum HWG, § 1 Anm. 2. Hamm-Bücker, a. a. O. S. 6 7 ; zur ratio des H W G siehe auch die auf § 10 H W G gemünzten Ausführungen des B G H N J W 1971, 1889, 1890. « B G H a. a. O. 4

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heiten. Dem beherrschenden Gesetzeszweck aber, im Interesse der Volksgesundheit die Werbung für die Behandlung von Krankheiten zu untersagen, läuft die Information über eine von Ärzten geleitete Anstalt nicht zuwider.

II. Ein Werbeverbot kann sich also nur aus allgemeinen Vorschriften des Wettbewerbsrechts, hauptsächlich § 1 U W G , ergeben. Ein solcher Rückgriff auf die wettbewerbsrechtliche Generalklausel ist, da das H W G nur einen begrenzten Kreis von Sachverhalten ergreift, keineswegs überraschend 7 . Denn da anerkannt ist, daß im Rahmen des § 1 U W G auch ein Verstoß gegen Standesregeln als unlauter angesehen werden kann 8 , würde auf diese Weise einer Umgehung standesrechtlicher Auffassungen wirksam entgegengewirkt. 1.

Man könnte freilich noch daran denken, direkt und ohne die Vermittlung durch § 1 U W G die Werbeverbote der ärztlichen Berufsordnungen 9 auf die eine ärztliche Tätigkeit anbietende juristische Person anzuwenden. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, daß eine juristische Person, deren Anteilseigner nicht zum Kreis der standesrechtlich gebundenen Personen gehören müssen, grundsätzlich Beachtung ihrer rechtlichen Eigenständigkeit erwarten kann. Die Aktiengesellschaft betätigt sich nicht ärztlich, sondern vermittelt nur die Leistungen von Personen, die von ihrer Ausbildung und Arbeit her dem Standesrecht unterfallen. Nun hat sich im Gesellschaftsrecht die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, daß die gesetzgeberische Zweckschöpfung eines selbständig rechtsfähigen Verbandes es nicht schlechthin ausschließt, auch die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen zum ZuVgl. etwa BGH N J W 1970, 513 (Schlankheitsinstitut). Hier nur Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeidienrecht, Band I, 10. Aufl. 1971, § 1 UWG Rdn. 502. 9 Übersicht bei Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe, 1958, Teil I, S. 929 f. Als Grundlage kommt in erster Linie § 20 Abs. 2 der vom Deutschen Ärztetag beschlossenen Mustersatzung in Betracht, den inzwischen verschiedene Landesärztekammern übernommen haben. Das Werbeverbot ist tradiertes und innerhalb der Ärzteschaft, soweit ersichtlich, unangefochtenes Recht. Es wird daher von den verfassungsrechtlichen Zweifeln um die Gültigkeit der kraft Satzungsautonomie der Ärztekammern erlassenen Standes- und Berufsordnungen (dazu im Anschluß an BVerfG N J W 1972, 1504 ff. eingehend Starck, N J W 1972, 1489 ff.) weniger berührt und dürfte audi in die zu erlassenden (Starck, a. a. O.) Landesärztegesetze eingehen. 7

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rechnungsendpunkt der vom Verband begründeten Rechte und Pflichten zu machen10. Aber diese an die Stelle des Bildes vom „Durchgriff" durch die juristische Person getretene Relativierung der selbständigen Rechtssubjektivität erlaubt es nicht, die eigenständige Rechtspersönlichkeit des Verbandes nach Belieben beiseite zu schieben. Vielmehr müßte von Fall zu Fall festgestellt werden, daß die Berücksichtigung der eigenen Rechtsfähigkeit eines Verbandes seiner vom Gesetz vorgesehenen Funktion nicht entspräche. Dies wäre diskutabel etwa dann, wenn eine kleine Mitgliedergruppe in der Rechtsform eines Personenverbandes eine Tätigkeit ausübt, die sich nach gewissen standesethischen Anschauungen zu richten hat. Demnach können die verbreiteten Wirtschaftsprüfungs-GmbH nicht vom Standesrecht der Wirtschaftsprüfer ausgenommen bleiben. Etwas anderes gilt jedoch, wenn in Kliniken, Sanatorien und ähnlichen Anstalten eine standesrechtlich relevante Tätigkeit unternehmerisch genutzt und angeboten wird. Hier kann es nur darum gehen, den Bereich und den Weg abzustecken, auf dem standesrechtliche Vorschriften und Wertvorstellungen in die das Verhalten des Unternehmens reglementierenden, nicht dem Standesrecht, sondern dem allgemeinen Recht zugehörigen Normen einwirken. 2.

Die damit umschriebene mittelbare Bedeutung des Standesrechts im Rahmen des § 1 U W G beruht einerseits auf der Vorstellung der Sittenwidrigkeit des Verstoßes gegen Standesauffassungen, andererseits auf dem Gedanken, daß die Verletzung von Standesregeln einen Rechtsbruch darstellen könnte, der dem Täter gegenüber demjenigen, der sich an die Regeln hält, einen Wettbewerbsvorsprung verschafft. In beiden Fällen hängt die Uberzeugung von einer wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeit des Verstoßes gegen Standesordnungen mit der allgemeinen Problematik des Sittenverstoßes durch Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Normen zusammen11. Sie stellt sich, genauer gesagt, in der Weise, daß ein Angehöriger einer Berufsgruppe die für seinen Geschäftszweig gemeinhin anerkannten Verhaltensmaßstäbe mißachtet und sich dadurch den Unlauterkeitsvorwurf zuzieht oder mindestens Vorteile im Wettbewerb verschafft. Die schon dabei auftretende Frage, ob die standesrechtlichen Richtigkeitsüberzeugungen auf das Unwerturteil nach § 1 U W G ohne weiteres durchschlagen, 1 0 Grundlegend Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen (1955); dazu Müller-Freienfels, A c P 156, 522 ff. Zum Problem der juristischen Persönlichkeit neuestens wieder Reinhardt, Gesellschaftsrecht (1973), Rdz. 45 ff. 1 1 Dazu eingehend Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß (1970), bes. S. 25 ff.; zum Rechtsbruchgedanken Eichmann, G R u R 1967, 564 ff.; BaumbachHefermehl, Rdn. 478 ff.

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spitzt sich weiter zu, wenn durch einen derartigen Einfluß des Standesrechts auf die allgemeinen Maßstäbe der Lauterkeit des Wettbewerbs Nicht-Standesangehörige auf die Standesregeln verpflichtet werden sollen. Dieser Transformation einer Standesregel in eine allgemeine N o r m muß ein systematischer Standort im Wettbewerbsrecht zugewiesen werden. a) Allgemein teilt man die Vorschriften, deren Verletzung auf ihre wettbewerbsrechtliche Relevanz geprüft wird, danach ein, ob sie sittlich fundiert sind oder unmittelbar wettbewerbsregelnd wirken wollen, oder ob sie im Gegenteil wertneutral sind 12 . Unter den sittlich begründeten Regeln spielen die gesundheitspolitisch motivierten eine besondere Rolle. Allerdings haben Gesichtspunkte der Volksgesundheit auch zu direkt wettbewerbsregelnden Normen wie heute dem H W G geführt 1 3 . Bei den Standesregeln der Ärzteschaft könnte ebenfalls ein direkter Zusammenhang mit gesundheitspolitischen Erwägungen, zumindest aber mit den Moralauffassungen der Rechtsgenossen angenommen werden, woraus sich dann audi das wettbewerbsrechtliche Unwerturteil ergäbe. Eine sittliche Fundierung können schließlich auch die Standesordnungen anderer Berufe f ü r sich beanspruchen, so daß es insgesamt des „Vorsprungsgedankens" in diesem Zusammenhang nicht mehr bedürfte 1 4 . b) Seine Funktion liegt eher bei der näheren Qualifizierung eines Verstoßes gegen an sich nicht wettbewerbsregelnde Normen. Hier kann die Tatsache, daß der Ungehorsam gegenüber der N o r m dem Täter ohne entsprechende eigene Leistung einen Vorsprung vor seinen gesetzestreuen Konkurrenten verschafft, neben anderen Gegebenheiten des Einzelfalles als „besonderer Umstand" die wettbewerbliche Unlauterkeit begründen 15 . Wer eine Regel verletzt, an die seine Mitwerber sich halten müssen und größtenteils halten, befreit sich von der manchmal lästigen oder teuren Beachtung von Pflichten, kommt leichter mit den umworbenen Kunden in Kontakt (dies der wettbewerbliche Aspekt der Benutzung eines unzulässigen Werbe12

Zum folgenden eingehend m. N . Schricker, a. a. O. S. 34 ff. mit eigener krit. Stellungnahme S. 239 ff., 260 ff.; Ulmer-Reimer, Unlauterer Wettbewerb, Band II (Deutschland), Nr. 79 ff.; Eichmann, GRuR 1967, 564 ff.; Rinck, Wirtsdiaftsrecht, 3. Aufl. 1972, Rdn. 584 ff. 13 Siehe BGH GRuR 1963, 536, 538 (Iris); OLG Köln, GRuR 1965, 157 f. (Gesundheitsbetteinlage); BGHZ 23, 184 (Spalt-Tabletten); OLG Stuttgart, N J W 1962, 2064; w. N . bei Schricker, a. a. O. S. 38 f. 14 So Baumbach-Hefermehl, Rdn. 502; Eichmann, a. a. O. S. 570. 15 Zu der damit angesprochenen Idee der par conditio concurrentium Schricker, a . a . O . S. 33; Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht (1963), S. 267; Baumbach-Hefermehl, Rdn. 477.

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mittels16), genießt Erleichterungen beim Aufbau seines Vertriebssystems17 u. a. Auch der so umrissene Vorsprungsgedanke hat der Rechtsprechung bereits dazu gedient, die Einhaltung standesrechtlicher Werbeverbote1 durch wettbewerbsrechtliche Sanktionen zu sichern, und zwar sogar gegenüber einem Nicht-Standesangehörigen. Er gehört zu den tragenden Überlegungen des BGH 1 8 , der den Zahnprothetikern untersagte, durch Werbung „die Zahnärzte als Mitbewerber auf einem Teilgebiet ihrer beruflichen Tätigkeit zu schädigen, das wirtschaftlich nicht unerheblich ins Gewicht fällt". Zur Begründung wurde auf „den offenbar sinnwidrigen doppelten Vorteil" hingewiesen, der darin liege, einerseits „zur Ausübung der Zahnheilkunde auf dem wirtschaftlichen Gebiet der Zahnprothetik tätig sein zu dürfen" und andererseits „zugleich durch laufende öffentliche Werbung mit unmittelbarer Adresse an die Patienten die Berufsausübung in einer Weise unterstützen und steigern zu dürfen, die den Zahnärzten standesrechtlich versagt ist". In einem neueren Urteil 19 findet sich schließlich eine ausdrückliche Bestätigung des Satzes, daß Verstöße gegen standesrechtliche Werbeverbote unlauter i. S. des § 1 UWG seien, soweit sie dem Verletzer ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile vor seinen ärztlichen Kollegen verschaffen können. Es läßt sich somit als Zwischenergebnis feststellen, daß sittlich fundierte Standesvorschriften unmittelbaren Einfluß auf das wettbewerbsrechtliche Unlauterkeitsurteil haben, die „wertneutralen" Regeln immerhin noch dann, wenn ihre Verletzung einen Wettbewerbsvorsprung begründet. 3. In beiden Alternativen unterliegt jedoch nach h. M. 20 die Ubertragbarkeit des Standesrechts ins allgemeine Wettbewerbsrecht gewissen Einschränkungen. Sie sind besonders im Verhältnis zwischen Standesangehörigen und Außenseitern zu beachten.

1 6 Siehe Schricker, S. 2 6 7 ; vgl. audi B G H G R u R 1967, 430 zu dem von den Gebräuchen der Branche abweichenden frühzeitigen unbestellten Hausbesuch eines Steinmetzen zur Werbung für Grabsteine. 1 7 So der Vorwurf gegen den von einem Versandhaus organisierten Verkauf über nebenberufliche „Sammelbesteller", die an der Tätigkeit interessiert waren, weil sie nicht dazu angehalten wurden, gewerberechtliche Erlaubnisse einzuholen oder Steuern zu zahlen, vgl. B G H GRuR 1963, 578 ff. Dazu und zur Vorentscheidung ausführlich Schricker, a. a. O. S. 46 ff. 18 18 20

G R u R 1959, 35 ff. B G H N J W 1971, 1889 (Urologische Privatklinik). Übersicht bei Baumbach-Hefermehl, Rdn. 502 ff.

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Zunächst kommen nur Standesauffassungen in Betracht, die von allen Gruppenangehörigen einheitlich befolgt werden. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung — freilich nicht unbestritten — eine zusätzliche Prüfung des Regelverstoßes vom Standpunkt der Allgemeinheit verlangt 2 1 . Das führt insbesondere dann zu einer wettbewerbsrechtlichen Unerheblichkeit des Verhaltens, wenn das Standesrecht den Zweck verfolgt, den Berufsangehörigen die ungestörte Weiterverfolgung ihrer Vermögensinteressen zu ermöglichen 22 . Eine weitere wichtige Einschränkung der Transformation von Standesrecht in allgemeines Wettbewerbsrecht betrifft gerade die standesrechtlichen Werbeverbote. Im Zahnprothetikerurteil 2 3 läßt der B G H eine sachgemäße Aufklärung über den Tätigkeitsbereich des Zahnprothetikers zu und nimmt unlauteren Wettbewerb erst an, wenn die Leistungen reklamemäßig angepriesen werden. Ohne eine solche Gewährung wäre nämlich den Zahnprothetikern der Zugang zu demjenigen Teilbereich der gesamten Tätigkeit der Heilkundigen, auf den sie besonders ausgerichtet sind, stark erschwert, weil sie dem festgefügten Berufsbild, welches die Allgemeinheit von den auf diesem Gebiet qualifizierten Personen hat, nicht entsprechen. Das Urteil weist in diesem Zusammenhang weiter darauf hin, daß die Zahnprothetiker gegenüber den Zahnärzten durch die fehlende Zulassung zu den Krankenkassen benachteiligt seien. Im Grunde wird damit versucht, den Bereich des Unlauteren, insbesondere auch die Vorstellung eines Vorsprungs durch Regelverstoß, nicht aus der einzelnen Standesregel, sondern aus der Eigenart des konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu entwickeln. Allein diese Methode verspricht überzeugende Ergebnisse. Soweit es auf die bloße Verletzung einer sittlich fundierten Regel ankommt, kann das Unlauterkeitsurteil nicht ohne Blick auf die Interessenlage in dem konkreten Tätigkeitsbereich gefällt werden. Soweit dagegen der Vorsprungsgedanke herangezogen werden soll, wird im Verhältnis zwischen den Standesangehörigen und einem Außenseiter nicht selten die par conditio concurrentium fehlen, weil die Freiheit von bestimmten Beschränkungen durch andersartige Nachteile aufgewogen wird, die Standeszugehörigkeit ein erhebliches Ansehen verleiht oder das spezielle Leistungsangebot des Außenseiters erst langsam ins allgemeine Bewußtsein dringt. 21 BGH GRuR 1965, 690 ff. (Facharzt); kritisch Eichmann, GRuR 1967, 570. Vgl. aber auch schon BGHZ 22, 167, 180 zum Verhältnis zwischen Apothekern und Drogisten. 22 BGH GRuR 1969, 474 ff. (Bierbezug) mit kritisdier Anm. von Lehmpfuhl; vgl. aber auch schon Reimer, Anm. zu BGH GRuR 1965, 690 ff. (Facharzt). 23 Oben N. 18.

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4.

Diese Einschränkungen des mit der h. M. übereinstimmenden Ausgangspunkts lassen sich am Beispiel der D K D verdeutlichen. a) Zwischen einer Aktiengesellschaft, die mit angestellten Fachärzten eine Diagnoseklinik betreibt, und den niedergelassenen Ärzten bestehen nur geringe Überschneidungen im Tätigkeitsbereich. Der niedergelassene Arzt findet seine Patienten in einem räumlich mehr oder weniger umgrenzten Bereich und kann seine Praxis nach Maßgabe ihres Umfangs und ihres Spezialisierungsgrads finanzieren. Hierin unterscheidet er sich nachhaltig von einem auf einen überregionalen Patientenkreis angewiesenen Institut. Während sein Verhältnis zu seinen Patienten stark vom persönlichen Vertrauen in die Erfahrung und die Auswertung der Krankengeschichte geprägt ist, steht bei einer Diagnoseklinik die weniger persönlichkeitsbezogene medizinische Technik im Vordergrund. Sie kann nur mit einem auf dem neuesten Stand der Wissenschaft befindlichen Apparat wirtschaftlich bestehen, wobei bereits der erste Patient erwarten darf, eine vollständige und eingespielte Einrichtung vorzufinden. Der niedergelassene Arzt, auch eine der nicht seltenen Spezialkliniken 24 , wird sich nach Methoden, Ausbildungsgrad und technischer Ausrüstung kaum jemals in der Lage sehen oder anheischig machen, umfassende Diagnostik zu betreiben. Er muß Problemfälle abgeben, die seine Sachkunde übersteigen, regelmäßig sicherlich auch solche, die mehrere Spezialgebiete berühren 25 , und der Zweck der Informationstätigkeit der D K D lag nicht zuletzt darin, den Ärzten hierzu einen geeigneten Weg zu zeigen. Da in Diagnosezentren Therapie nicht betrieben wird, ist das Verhältnis zu den niedergelassenen Ärzten eher als wechselseitige Ergänzung denn als Konkurrenz angelegt. Das spricht gegen die Annahme einer Konkurrenz „auf einem wesentlichen und wirtschaftlich . . . besonders einträglichen Gebiet", wie sie der B G H im Zahnprothetiker-Urteil für die Unlauterkeit einer Werbung voraussetzte. Auch wenn die niedergelassenen Ärzte vom Werbeverbot teilweise freigestellt würden, würde sich an der Stellung des Diagnosezentrums nichts Wesentliches ändern. Ein echtes Konkurrenzverhältnis zu den Krankenhäusern, deren Zweck in einer allgemeinen Versorgung der Patienten einschließlich einer je nach der Größe des Hauses möglichen Spezialbehandlung Oben N . 3. Andernfalls läuft er Gefahr, wegen eines Kunstfehlers haftbar werden, B G H VersR 1966, 853; Geigei, Der Haftpfliditprozeß, 3. Kap. 28 Rdn. 4 9 ; Wilts-Kleinewefers, Die zivilrechtliche Haftung des Mergen (Herausg.), Die juristische Problematik in der Medizin, Band S. 25, 34. 24

25

gemadit zu Aufl. 1973, Arztes, in: III (1971),

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besteht, fehlt ebenfalls. Einerseits entfällt bei der Diagnoseklinik die Therapie, die beim Allgemeinkrankenhaus stark im Vordergrund steht. Andererseits hat angesichts der Finanzierung nach kaufmännischen Grundsätzen die Zahl der behandelten Patienten eine ganz andere Bedeutung als beim öffentlichen oder von der öffentlichen H a n d geförderten Krankenhaus. Gewisse Überschneidungen im T ä tigkeitsbereich ergeben sich freilich zwischen einem Diagnosezentrum und großen Universitätskliniken, die untereinander eng zusammenarbeiten. Aber die letzteren dienen in erster Linie der Forschung und Lehre, was sich auch in der Uberweisungspraxis niederschlägt. Deshalb allein kann ein Eindringen einer Diagnoseklinik in den Bereich der arbeitsteiligen Problemdiagnose nicht als unlauter verurteilt werden. Schließlich könnte jemand einwenden, daß das Angebot eines D i a gnosezentrums niedergelassenen Fachärzten Konkurrenz mache. D a s mag bis zu einem gewissen Grade zutreffen. Doch gilt auf der anderen Seite auch für niedergelassene Spezialisten, daß ihre Patienten in der Regel lediglich oder doch ganz überwiegend aus einer bestimmten, verhältnismäßig kleinen Region stammen. Auch herrscht bekanntlich in nicht wenigen Problemfällen sogar Unsicherheit darüber, welcher Spezialarzt hinzugezogen werden muß. Für diese Fälle bietet ein Diagnosezentrum eine nicht ohne weiteres substituierbare Untersuchungsmethode. Nach alledem besteht kein Anlaß zu der Befürchtung, die öffentliche Informationstätigkeit einer in der Rechtsform der A G betriebenen Diagnoseklinik könne im Verhältnis zur standesrechtlich gebundenen Ärzteschaft die par conditio concurrentium verletzen. Dies Ergebnis leuchtet auch ein, wenn man das Verhalten des Klinikträgers vom Handelsrecht her betrachtet. Eine Aktiengesellschaft kann als Handelsgesellschaft unternehmerisch tätig werden. Im Rechtsverkehr macht sie auf ihr Unternehmen unter ihrer Handelsfirma aufmerksam. Sie unterliegt handels- und steuerrechtlich strengen Grundsätzen wirtschaftlicher Rationalität. Natürlich ist es ihr wie jedem Gewerbetreibenden untersagt, gegen die allgemeingültigen Regeln im Wettbewerb zu verstoßen. Sie hat die besonderen Verbote des H W G zu beachten, sie darf nicht irreführend, marktschreierisch, anreißend oder — besonders naheliegend — unter Appell an Angstgefühle werben. Die im Bereich der Konsumgüterindustrie häufig zu beobachtende Werbung durch Bedarfsweckung ist auf dem Gebiet der Heilkunde besonders kritisch zu beurteilen. Solange diese Grenzen aber nicht überschritten werden, soweit also nur die vom B G H zugelassene sachgemäße Aufklärung den Inhalt der öffentlichen Informationstätigkeit bildet, ist eine automatische Ausdehnung des stan-

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desrechtlichen verneinen.

Werbeverbots

auf

Nicht-Standesangehörige

555 zu

b) Die vorigen Ausführungen zielten auf die Anwendung des Vorsprungsgedankens. Dem könnte entgegengehalten werden, die Werbeverbote entsprängen sittlichen Überzeugungen der Ärzteschaft, so daß ihre Verletzung unabhängig vom Gewinn eines Vorsprungs unlauter sei. Dafür spricht immerhin, daß das Werbeverbot des ärztlichen Standesrechts auf „berufsethische Prinzipien" zurückgeführt wird, „von denen das ärztliche Handeln getragen wird" 2 0 . Es spricht also die Grundeinstellung einer Menschengruppe an, die in manchem der Sitte als den Richtigkeitsüberzeugungen größerer gesellschaftlicher Gruppierungen27 vergleichbar ist. Allerdings haben die dazu ermächtigten Berufs- und Standesorganisationen das Verbot gesetzlich fixiert. Es erhebt somit einen stärkeren, von der Billigung der Gruppenmitglieder unabhängigen Gültigkeitsanspruch28. Dennoch dürfen bei ihrer Anwendung im Verhältnis zu Nicht-Standesangehörigen die Interessen und Betrachtungsweisen der Allgemeinheit nicht außer Betracht bleiben. Sie sind geradezu das Kriterium für die Übertragbarkeit der standesrechtlichen Richtigkeitsüberzeugungen in das allgemeine Recht. Die gesetzliche Ermächtigung von Berufsorganisationen und -verbänden zur Regelung der Zugangsvoraussetzungen, der Berufspflichten, der Gebühren und dergl. beruht auf der Absicht des Gesetzgebers, gesellschaftliche Kräfte zur Normierung der sie betreffenden und für sie am besten überschaubaren Angelegenheiten zu aktivieren, um auf diese Weise den Abstand vom Normgeber zum Normadressaten zu verringern. Schon bei der Ausübung dieser Rechtsetzungsmacht sind, wie das Bundesverfassungsgericht vor kurzer Zeit im Hinblick auf das Grundrecht des Art. 12 GG ausgesprochen hat 29 , die Standesorganisationen gegenüber dem allgemeinen Recht nicht völlig frei. Die Errungenschaft einer für alle geltenden Rechtsordnung, historisch gesehen keine Selbstverständlichkeit, darf, wie neuere Entwicklungen gezeigt haben, durch eine zu weitgehende Anerkennung von Teilrechtsordnungen nicht gefährdet werden 30 . Dies gilt besonders dann, Siehe Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe I, 930. Zum Verhältnis von Recht, Moral und Sitte allgemein Laun, Recht und Sittlichkeit (1935); Weischedel, Recht und Ethik ( 1 9 5 5 ) ; Podlech, Recht und Moral, in: Rechtstheorie 1972, 129 ff.; vgl. auch H . P. Westermann, F a m R Z 1973, 614 ff. 2 8 Hierauf legt Eichmann (GRuR 1967, 580) das entscheidende Gewicht. 2 9 Sogenannter „Facharztbeschluß" v. 9. 5. 1972, N J W 1972, 1504 ff. 3 0 Hierzu im Hinblick auf das Ärzterecht Starà, N J W 1972, 1489, 1491; mit Blick auf die Verurteilung neuer Werbemethoden durch Kammern und Verbände auch Bußmann, N J W 1952, 684 f.; Baumbach-Hefermehl, Einleitung U W G Rdn. 70. Allgemeiner in anderem Zusammenhang meine Untersuchung über die Verbandsstrafgewalt und das allgemeine Recht, 1972, S. 11 ff., 115 ff. 26

27

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wenn die Durchsetzung der Satzungen einer Berufsgruppe sich mit kommerziellen Interessen der etablierten Berufsgenossen berührt, ein Gesichtspunkt, der von der wettbewerbsrechtlichen Judikatur ja auch gegen das direkte Einwirken der Standesregeln in § 1 U W G geltend gemacht wird 3 1 . Aus diesen Bedenken folgt für das hier behandelte Problem zumindest eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Ausdehnung der standesrechtlich legitimierten Rechtsetzungsbefugnis auf nicht direkt Berufsangehörige. Vom Gedanken einer Verringerung des Abstandes von Normgeber und Normadressat durch Satzungsautonomie wäre die Anerkennung einer Rechtsetzungsbefugnis über nicht zur Gruppe gehörende Personen gerade nicht gedeckt. Was nun die damit als maßstabbildend erkannten Allgemeininteressen betrifft, so ist weiter folgendes zu erwägen. Einerseits besteht ein erhebliches gesundheitspolitisches Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen Ärztestandes 3 1 . Andererseits kann das Wettbewerbsrecht nicht dazu dienen, einer sachgerechten Information der Patienten über die Möglichkeiten umfassend arbeitender Diagnosezentren entgegenzuwirken. Uberhaupt dient das Werbeverbot aus der Sicht der Allgemeinheit nicht dazu, einen Leistungswettbewerb zu unterbinden, sondern soll verhindern, daß durch Art und U m f a n g einer Werbung, die sich zu geschäftsmäßiger Reklame ausweitet, in den Patienten falsche Vorstellungen über die Möglichkeiten der Vorsorge und Heilung geweckt werden. Auch soll die Grundlage des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient, das Vertrauen des Patienten in die Fachkenntnisse, die Erfahrung und Sorgfalt des Arztes, nicht durch reklamemäßige Einflüsse auf die Willensbildung des Kranken verfälscht werden. Auf der anderen Seite besteht ein Allgemeininteresse daran, Fortschritten auf dem Gebiet der medizinischen Wissenschaft, die auch in der Art der Kooperation zwischen verschiedenen Disziplinen liegen können, zum Durchbruch zu verhelfen und sie weiteren Kreisen zugänglich zu machen. In einem privatwirtschaftlichen System gehört dazu nun einmal audi ein gewisser wirtschaftlicher Erfolg. Demgegenüber könnte aus medizinischer Sicht bezweifelt werden, ob Organisationsformen wie die eines Diagnosezentrums einen Fortschritt bedeuten. Vorbehalte dieser Art, die noch stark von dem bis vor einiger Zeit unangefochtenen grundsätzlichen Verbot der Gemein-

3 1 Oben N . 22; zu den Bedenken gegen die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen auf dem Wege über autonome Rechtssetzungen jetzt auch O L G Frankfurt, N J W 1973, 2208 m. Anm. von mir. 3 2 Siehe auch den Hinweis bei B G H Z 22, 167, 180 zum Berufsstand der Apotheker.

Standesregeln und gute Sitten im Wettbewerbsrecht

557

schaftspraxis 33 beeinflußt scheinen, aber im Zeichen des Zugs zur Interdisziplinarität nicht mehr ganz zeitgemäß sind, können dennoch nicht einfach beiseite geschoben werden. Aber sie auszutragen, ist das Wettbewerbsrecht nicht der richtige Ort. Gerade der Maßstab der Lauterkeit darf nicht dazu herhalten, Fortschritte in der ärztlichen Zusammenarbeit durch die Zementierung der im Kreis der Standesangehörigen bisher vorherrschenden Praxis zu hemmen 34 . Das U W G schützt den lauteren Wettbewerb, gibt aber niemandem Abwehrmaßnahmen gegen unerwünschte Konkurrenz in die H a n d .

III. Hier taucht hinter dem Für und Wider der Ausdehnung des standesrechtlichen Werbeverbots auf Nicht-Standesangehörige ein weiteres Grundsatzproblem auf. Das Verbot unlauteren Wettbewerbs könnte durch die Maßgeblichkeit der herrschenden Sitten leicht als Behinderung von Außenseitern oder Neuerungen wirken. Hier scheint das U W G bisweilen mit dem Grundziel des GWB zu kollidieren, den Wettbewerb zum Leistungsansporn zu machen. Weckt nicht auch dieser mögliche Wertungswiderspruch Bedenken gegenüber der Ausdehnung standesrechtlicher Freiheitsbeschränkungen auf NichtStandesangehörige? Das Verhältnis von U W G und GWB im allgemeinen kann als Kollision nur dann aufgefaßt werden, wenn versucht wird, entweder unlauteres Verhalten durch Hinweis auf die Wettbewerbsfreiheit zu rechtfertigen oder umgekehrt das Verbot unlauteren Wettbewerbs einer in Ausübung der Wettbewerbsfreiheit geschehenen Handlung entgegenzusetzen 35 . So gesehen, könnte in der Tat einem Experiment 3 6 oder den von einem newcomer eingeführten Neuerungen der Zugang zum Markt verlegt werden. Ein anderes inzwischen allerdings überholtes Beispiel dieser Art ist das Unlauterkeitsurteil über den Außen-

33

Hier nur § 18 Abs. 1 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte. Das Verbot wird gerechtfertigt durch das Ziel einer dem Wohle des Patienten dienenden individuellen Behandlung durch den Arzt, vgl. Kuhns, a. a. Ο. I S. 445. Es erscheint jedoch fraglich, ob die Behandlungsmethoden in einer Gemeinschaftspraxis diesem Ziel nicht auch gerecht werden könnten. 34 D i e neuerdings großzügigere Zulassung v o n Gemeinschaftspraxen dürfte die Einrichtung eines alle Abteilungen umfassenden Diagnosezentrums nicht ermöglichen. 35 Zur Fragestellung Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz (1958), S. 299. 36 D a z u Baumbach-Hejermehl, Allgemeine Einleitung, Rdn. 80 m. w . N .

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seiter, der gebundene Preise unterbot 37 . Es besagt demgegenüber noch nicht viel, wenn eine Harmonisierung des Verhältnisses zwischen U W G und G W B mit der Formel versucht wird, nur der lautere Wettwerb sei frei i. S. des GWB, wodurch also das G W B die vom U W G unberührt gelassenen Handlungsweisen gegen freiwillige Beschränkungen schütze38. Denn hiermit sind lediglich die als antinomisch 39 charakterisierten Funktionen von U W G und G W B bezeichnet. Weiter führt aber der Gedanke, daß eine wirtschaftliche Ordnung, die im G W B eine Grundentscheidung für den freien Wettbewerb niedergelegt hat, auch den Maßstab der guten Sitten im Wettbewerb beeinflußt 40 . Es kommt hier nicht darauf an, ob eine derartige Betrachtungsweise die Antinomie zwischen G W B und U W G im Sinne einer einheitlichen Gesamtordnung 41 ganz zu überwinden vermag. Entscheidend ist allein, daß die Anforderungen an die Lauterkeit im Wettbewerb den durch das G W B intendierten Leistungsdruck nicht abschwächen, sondern lediglich zur Regulierung eines Leistungswettbewerbs dienen dürfen. Dies aber darf als allgemein gebilligtes Ziel gelten. Der Ausgangspunkt bleibt also, daß Wettbewerbsfreiheit nicht Freiheit zum Normenverstoß, auch nicht gegen außerwettbewerbsrechtliche Regeln, bedeuten kann. Aber es widerspräche dem Ordnungsprinzip der Gewerbe- und Wettbewerbsfreiheit, wettbewerbsbeschränkende Regeln außerhalb des Personenkreises anzuwenden, der nach einem sittlichen Gebot auf einem eng begrenzten Sektor von bestimmten Wettbewerbsmethoden, hier der Kundenwerbung, ferngehalten werden soll. Dieser Gesichtspunkt ist in die eigentliche wettbewerbsrechtliche Lösung einzubringen. Anders gesagt: Unter den Allgemeininteressen, die bei der Bemessung des Einflusses von außerwettbewerbsrechtlichen Ge- und Verboten auf § 1 U W G zu berücksichtigen sind, steht das Bemühen um ein Gleichgewicht zwischen Wettbewerbsfreiheit und dem Kampf gegen Unlauterkeit im Wettbewerb an vorderster Stelle.

3 7 Hier nur B G H Z 40, 135; B G H L M N r . 140 zu § 1 U W G mit zust. Anm. Koenigs; Baumbach-Hefermehl, Allgemeine Einleitung Rdn. 87. 3 8 B G H Z 5, 7 1 ; 5, 126; B G H G R u R 1952, 2 8 2 ; Möhring, W u W 1954, 4 9 4 ; Hefermehl, Festschrift für Nipperdey (1955), S. 283 ff.; vgl. audi Fikentscher, a. a. O. S. 300 ff.; Rinck (oben N . 12), Rdn. 676. 3 9 Grundlegend Koenigs, N J W 1961, 1041 ff. 40 Möbring, a . a . O . ; Fikentscher, a . a . O . ; Koenigs, a . a . O . ; Baumbach-Hefermehl, Allgemeine Einleitung Rdn. 86. 41 Fikentscher, a . a . O . S. 5 ; Baumbach-Hefermehl, a . a . O . m. w. N . Zum Problem vgl. auch Mestmäcker, in: Unfair Competition, The British Institute of International and Comparative Law, 1965, S. 17 ff.

Standesregeln und gute Sitten im Wettbewerbsredit

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IV. Im konkreten Fall geht das Ergebnis dahin, daß eine nicht reklamemäßig betriebene Information einer Diagnoseklinik über ihre Tätigkeit nicht gegen § 1 UWG verstößt. Eine Schlußbetrachtung zu den allgemeinen Aspekten des Falles könnte dahin lauten, daß Standesregeln, insbesondere standesrechtliche Werbeverbote, nicht ohne weiteres ins allgemeine Wettbewerbsrecht übertragen werden können. Vielmehr muß geprüft werden, ob bei einer solchen Transformation die par conditio concurrentium gewahrt bliebe. Audi können maßgeblich wirtschaftlich bestimmte Beharrungsinteressen nicht über das Verständnis der Unlauterkeit aktiviert werden. Insbesondere geht es nicht an, über eine Ausfüllung des Begriffs der guten Sitten im Wettbewerbsrecht einem Außenseiter oder Neuling den Zugang zum Markt zu verlegen, wie überhaupt das Postulat der Wettbewerbsfreiheit bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs standesrechtlicher Freiheitsbeschränkungen zu berücksichtigen ist. Auch diese Folgerungen betreffen indessen nur eine mittlere Abstraktionsebene. Das vielschichtige Problem des Verhältnisses von Recht, Sitte und Standesethos konnte in diesem Beitrag nur an einer Einzelfrage demonstriert, es konnte keinesfalls mit Anspruch auf abschließende Erkenntnisse diskutiert werden. Angesprochen ist ein Komplex von untereinander ganz verschiedenen Formen sozialer Kontrolle. Der behandelte Fall zeigt, daß die Regeln sich überschneiden, ohne daß das für den Juristen auf den ersten Blick natürliche Übergewicht des Rechts als des für alle geltenden Regelsystems die Lösung selbstverständlich bestimmte. Das liegt daran, daß das Recht die Lebensverhältnisse nur ausschnittsweise beherrschen kann. Nicht von ungefähr mündet die Auseinandersetzung um den Einfluß von Standesordnungen auf das Wettbewerbsrecht in die Auslegung des Begriffs der guten Sitten in § 1 UWG ein. Die Generalklauseln sind sozusagen die Schnittflächen zwischen den verschiedenen Ebenen der sozialen Konfliktsteuerung, indem sie die Verweisungen eines Regelsystems, des Rechts, auf andersartig motivierte Verhaltenserwartunbegründen. Dies gilt nicht nur für § 1 UWG, sondern überall dort, wo die Moral, die guten Sitten, die Sorgfalt des ordentlichen Kaufmanns oder ähnliche standards zum rechtlichen Maßstab erhoben werden. Eine unbesehene Übernahme außerrechtlicher Richtigkeitsvorstellungen ins Recht ist nicht unbedenklich, weil sie seinen Anspruch, für alle Rechtsgenossen realisierbare und nachvollziehbare Wertungen zur Leitschnur zu nehmen, gefährden können. Andererseits ist angesichts der Vielfalt und der schnellen Entwicklung des Lebens ohne Wertverweisungen nicht auszukommen.

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Ein guter Teil der Juristenkunst besteht demnach darin, das Regelsystem „Recht" mit legitimen Ansprüchen der anderen Ordnungsinstanzen in Einklang zu halten, ohne dabei unaufgebbare Rechtsgrundsätze wie im konkreten Fall die Wettbewerbsfreiheit zu vernachlässigen. In diesem Bestreben werden sich, um die einleitende Betrachtung zu dieser Abhandlung noch einmal aufzugreifen, Anwälte und Wissenschaftler bei allen Unterschieden fallbezogener oder problemorientierter Arbeit treffen können.

Unternehmerische Verantwortlichkeit und formale Unternehmensziele in einer zukünftigen Unternehmensverfassung Eine rechtsvergleichende und rechtspolitische Studie H E R B E R T WIEDEMANN

Die Untersuchungen, Vorschläge und Beschlüsse zum A u f b a u einer einheitlichen, das heißt für sämtliche (Groß)Unternehmen unabhängig von ihrer Gesellschaftsform geltenden Unternehmensverfassung betreffen bislang überwiegend ein wichtiges Teilproblem, nämlich die erweiterte Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter in den Organen der Kapitalgesellschaft. Die Faszination der Verteilung der Macht lenkte die Aufmerksamkeit stark auf die verschiedenen Modelle zur Besetzung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, der Kommanditgesellschaft auf Aktien, der G m b H und der G m b H & Co., und anschließend auf die Bedenken, die im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 und Art. 14 G G gegenüber einer paritätischen Mitbestimmung geäußert wurden. Nahezu unerörtert blieb das Problem der Verantwortlichkeit der an den unternehmerischen Entscheidungen mitwirkenden Personen, seien sie Mehrheitsgesellschafter, Geschäftsführer, Vertreter der Kapitaleigner oder der Belegschaft, obwohl doch Rechtsmacht und Verantwortung juristische Komplementärinstitute sind und die Kom-> petenzverteilung zu Überlegungen Anlaß geben muß, welche Folgen eine nicht sorgfältige Amtsführung nach sich ziehen soll (I). Ein weiteres bislang nur am Rande aufgerolltes Problem betrifft die für die Unternehmensleitung in Zukunft geltenden Entscheidungsmaximen, also die Wertungen, nach denen sich die Organe bei etwaigen Interessenkonflikten orientieren können (II). Beide Sachfragen beantwortet ein Programm der „Fundamental-Demokratisierung" nicht, denn die richtige Unternehmensverfassung kann auf der Führungsebene nicht wie die Organisation eines Basisorgans eingerichtet werden, also ohne persönliche Verantwortung und im Vertrauen auf einen automatischen Ausgleich der Partikularinteressen durch Abstimmung. Die Rechtsentwicklung vollzog sich in Deutschland seit jeher in enger Anlehnung an unsere europäischen Nachbarländer. Die unternehmerische Verantwortung soll daher an dieser Stelle anhand der

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Herbert Wiedemann

sog. action en comblement du passif besprochen werden 1 , deren Konzeption und Bedeutung in der Bundesrepublik teils unbekannt ist, teils nicht zutreffend gewürdigt wird. Carl-Hans Barz, dem ausgezeichneten Kenner des geltenden Gesellschaftsrechts und stellvertretenden Vorsitzenden der von der Bundesregierung gebildeten Unternehmensrechts-Kommission, seien diese Ausführungen in Verehrung gewidmet.

I. 1. Die action en comblement

du passif

Als Ordnungsfaktor der Wirtschaftsverfassung setzt das französische Recht seit alters die Haftungserstreckung und die Bestrafung zur Eliminierung ungeeigneter Unternehmensführer ein 2 , früher in Form der action en responsabilité civile, heute zusätzlich in Form der action en comblement. Es ist unrichtig, wenn verschiedentlich im deutschen Schrifttum von einer Renaissance der Haftung in Frankreich gesprochen wird, da das Programm des assainissement des professions commerciales im wesentlichen seit dem letzten Jahrhundert unverändert herrscht. Die Entwicklung der Rechtsprechung wurde zuletzt vom Gesetzgeber in dem französischen Konkursgesetz aufgegriffen und bestätigt 3 .

1 Für seine Mitarbeit dankt der Verfasser M. Jean-Baptiste Barennes, avocat à la Cour de Paris, und Assistent am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. 2 Sachlich gibt es die Haftungserstreckung schon seit Cass. Req. 9 Janv. 1867, D. 1867, 1.105; Paris, 22 Juin 1886, Rev. Soc. 1886, 571; vgl. auch Loi du 16 Nov. 1940, art. 4. 3 Vgl. Loi Nr. 67 — 563 du 13 Juillet 1967; Décret Nr. 67 — 1120 du 22 Décembre 1967; Décret Nr. 67 — 1254 et 1255 du 31 Décembre 1967. — Aus dem Schrifttum vgl. Burgard, Direction générale et direction technique dans les sociétés par action (1967); Derrida, La réforme du règlement judiciaire et de la faillite (1969); Guyenot, Règlement judiciaire et liquidation des biens (1968); Guyon, Jurisclasseur Responsabilité Civile fase. IX ter.; Piedelievre, Situation juridique et responsabilité des dirigeants de sociétés anonymes (1968); Piedelievre et Cathala, Gérance et direction des S . A . R . L . et des sociétés de personnes (1970); Kodiere, „Faillite" (1970); Toujas et Argenson, Règlement judiciaire, liquidation des biens et faillite (1973); Veaux, La responsabilité des dirigeants dans les sociétés commerciales (1948); Inspection Générale des Finances: Aspects économiques de la faillite et du règlement judiciaire (1970); Brachvogel, Aktiengesellschaft und Gesellsdiaftsgruppe im französischen Recht (1971); Zimmermann, Die Haftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern bei Insolvenz der GmbH in Frankreich, Diss. Freiburg (1971).

Unternehmerische Verantwortlichkeit u. formale Unternehmensziele

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Zentrale Idee ist die scharfe Unterscheidung zwsichen dem Unternehmen und seinen Geschäftsführern. In einem vielzitierten Satz der Begründung heißt es dazuß „II s'agit d'éliminer les entreprises économiquement condamnées sans cependant frapper d'infamie les dirigeants qui ne l'ont pas mérité et d'assurer la survie d'entreprises pouvant être financièrement redressées, au besoin en écartant leurs dirigeants dont la gestion serait critiquable"4. Das Schicksal der Geschäftsführer hängt dabei ausschließlich davon ab, ob ihnen bei der Unternehmensleitung ein Fehler unterlaufen ist; die Sanktionen können proportional zur Schwere des Vorwurfs abgestuft werden. Dabei trägt der Geschäftsführer die Beweislast dafür, daß er nur ein Opfer der Umstände wurde und es selbst an Umsicht, Sorgfalt und Fähigkeit nicht mangeln ließ. Diese Leitidee der Bereinigung des Unternehmerberufs von unfähigen Personen wird von den Gerichten mit großer Strenge durchgeführt, wobei allerdings ein gewisses Gefalle hinsichtlich der Anforderungen zwischen Paris und den anderen Großstädten einerseits und den ländlichen Gerichten andererseits festzustellen ist5. „Les dirigeants sociaux sont donc traqués jusque dans leur fortune privée"*. Als Unternehmensleiter gelten alle Personen, die näher oder entfernt die Geschicke des Unternehmens beeinflußten, und unabhängig davon, ob sie offiziell einen Posten in der Geschäftsleitung innehatten oder nicht7. Betroffen ist der maître de l'affaire véritable. Die Haftung kann auch nach Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit noch ausgesprochen werden8 und sogar die Erben treffen9. Sie setzt eine Geschäftsführervergütung nicht voraus10. Allerdings reicht die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten, insbesondere die Abstimmung in der Gesellschafterversammlung, nicht aus, um zur Verantwortung gezogen zu werden. Ein Gesellschafter, der sich um die Geschäfte des Unternehmens nicht kümmert, braucht mit keiner Zusatzhaftung zu rechnen. Das Konkursgesetz will lediglich die eigentlichen „Drahtzieher" erfassen, wenn das Unternehmen in Konkurs geht oder ein Vergleichsverfahren notwendig wird. Die häufigste und wichtigste Folge für verantwortungslose Unternehmensführung ist die Haftungserstreckung auf Schulden des UnterExposé des motifs de la loi du 13 Juillet 1967, S. 1314. Derrida, a. a. O., S. 18 und F N 92. 6 Piedelievre et Cathala, a. a. O., S. 68. 7 Vgl. Art. 96 Abs. 2 des (Konkurs)Gesetzes vom 13. Juli 1967. 8 Cass. com. 19 Mars 1969, D. 1969, 584 = Rev. Soc. 1970, 276 (Honorât); Cass. com. 12 Mai 1969, D. 1969, 484; Cass. com. 15 Oct. 1969, Bull. Civ. IV, no. 298, S. 282; einschränkend Paris 27 Nov. 1958, Bull. Inf. 1959, 22. 8 Cass. Com. 4 Fe v. 1969, Rev. Soc. 1970, 276 (Honorât). 1 0 Cass. Com. 9 Oct. 1972, Journal des Soc. 1973, 67. 4

5

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nehmens. Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag des Konkursverwalters das Verfahren einleiten und eine völlige oder teilweise Haftungsübernahme der Geschäftsleiter für Gesellschaftsschulden aussprechen. Bestritten ist, ob auch jeder Gläubiger dieses Verfahren selbst einleiten kann. In der Praxis haben die Gläubiger einen derart großen Einfluß auf den Konkursverwalter, daß heute eine action en comblement automatisch bei jedem Konkursfall eingeleitet wird. Parallel dazu können die Gläubiger, allein oder zusammen, eine action en responsabilité civile beginnen, wenn sie die faute de gestion, den Schaden und die Kausalität zwischen Fehler und Schaden nachweisen. Die für die action en comblement maßgebende Bestimmung des Art. 99 des Konkursgesetzes vom 13. Juli 1 9 6 7 1 1 lautet : «Lorsque le règlement judiciaire ou la liquidation des biens d'une personne morale fait apparaître une insuffisance d'actif, le tribunal peut décider, à la requête du syndic, ou même d'office, que les dettes sociales seront supportées, en tout ou en partie, avec ou sans solidarité, par tous les dirigeants sociaux, de droit ou de fait, apparents ou occultes, rémunérés ou non, ou par certains d'entre eux . . . Pour dégager leur responsabilité, les dirigeants impliqués doivent faire la preuve qu'ils ont apporté à la gestion des affaires sociales toute l'activité et la diligence nécessaires.»

Es handelt sich um eine Verschuldenshaftung für fehlerhafte Unternehmensleitung, die nichts mit der Durchgriffshaftung bei juristischen Personen zu tun hat. I m französischen Schrifttum ist bestritten, ob eine deliktische oder vertragliche Haftungsform vorliegt; überwiegend geht man von einer eigenständigen Legalverpflichtung aus. Die Grundlage des Haftungsausspruches durch das Gericht bilden nicht eine oder mehrere fehlerhafte Entscheidungen bei der Geschäftsführung, sondern vor allem die falsche Einstellung gegenüber den A u f gaben und Verantwortlichkeiten bei der Einflußnahme auf die Unternehmensleitung, also die attitude morale. Beim U m f a n g der H a f tung spielt notwendig die subjektive Einschätzung durch das Gericht eine Rolle, dem ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist, wann und zugunsten welcher Gesellschaftsgläubiger es eingreifen soll. Die praktische Brauchbarkeit der Haftungserstreckung hängt mit der seit alters bestehenden Umkehr der Beweislast zusammen. D a sowohl das Fehlverhalten der Geschäftsführer wie die Kausalität ihrer Maßnahmen für die Zahlungseinstellung vermutet werden, sind sonst unüberwindliche Beweisschwierigkeiten ausgeräumt. D e r Unterneh11 Vgl. audi Art. 54 für die S . A . R . L . und 114, 248 und 249 für die S.A. des (Gesellsdiafts)Gesetzes vom 24. Juli 1966, die auf das Konkursgesetz verweisen.

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mensleiter hat sich in doppelter Richtung zu entlasten: Einmal hat er zu beweisen, daß er formell alle Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllte (Buchführung, Einberufung der Gesellschafterversammlung usw.); außerdem muß er darlegen, daß er die Grundsätze ordentlicher Wirtschaftsführung beherrscht und beachtete. In dieser Hinsicht sind die Gerichte etwas großzügiger, und Houin bemerkt dazu: „11 est logique d'éliminer des professions commerciales les escrocs et les imbéciles"12. In der Praxis gibt sich der überwiegende Teil der Urteile nicht damit zufrieden, die Verschuldensvermutung zu zitieren und auf das Fehlen einer Widerlegung hinzuweisen; meist bemühen sie sich auch substantiiert auf Fehler in der Geschäftsführung einzugehen. Der Beweis ehrenhaften Verhaltens genügt nicht 13 . Auch hier gilt also die strenge Sentenz von Gottfried Benn: „Gut gemeint ist das Gegenteil von Kunst". Aus der reichen Praxis der Gerichtsurteile der letzten Jahre seien einige Beispiele hervorgehoben. Ein président directeur général einer S. Α. wurde verurteilt, die Gesellschaftsschulden zu zahlen, weil er den Geschäftsbetrieb fortgesetzt hatte, obwohl bereits erhebliche Verluste eingetreten waren. Es wurde ihm vorgehalten, er habe nicht rechtzeitig eine Bilanz aufgestellt, er habe Schadensersatzklagen gegen seine Amtsvorgänger unterlassen und keine Initiative ergriffen, die mehr und mehr verzweifelte Lage des Unternehmens aufzufangen und dieses zu sanieren 14 . Administratoren wurden verurteilt, weil sie die Geschäftsführung des directeur général15 oder des président directeur général16 nicht überwachten; weil sie wußten, daß die Gesellschaft fiktiv war 17 oder einfach weil sie unfähig und ungeschickt waren 18 . Ein Geschäftsführer haftete, der einem Direktor eine Generalvollmacht erteilt hatte und keine entsprechenden Maßnahmen ergriff, als ihm zweifelhafte Machenschaften dieses Mannes bekannt wurden 19 ; andere, weil sie keine zusätzliche Gesellschafterversammlung einberiefen, obwohl die Situation eine Unterrichtung der Kapitaleigner dringend erforderte 20 . Wie bereits erwähnt, steht jedoch auf Houin, Liber amicorum Baron Louis Fredericq, Bd. II, S. 6 1 6 . Douai, 12 O c t . 1961, Gaz. Pal. 1962, 2, 6 0 (Dufaux) = D . 1962, 137 = 1962 II, 1 2 4 6 3 ; Cass. C o m . 21 Juin 1971, Bull. civ. I V no. 172. 1 4 Paris, 10 J a n v . 1967, D. 1968 Som. 2. = J C P 1967 II, 15149 (J. Α.). 15 Douai, 12 O c t . 1 9 6 1 , a. a. O . 1 8 Aix, 3 F e v r . 1966, D . 1967 Som. 2 6 = J C P 1966 II, 14861 (Percerou) J o u r n . Soc. 1966, 129. 1 7 Cass. Com., 19 J a n v . 1970, D . 1970, 4 7 9 (Poullain). 18 Cass, com., 18 N o v . 1968, D . 1969, 2 0 0 . 19 Cass, com., 6 F e v r . 1962, Bull. civ. I l l , S. 65, no. 80. 2 0 Trib. com. Nantes, 28 Juin 1886, Journal des Soc. 1889, 9 5 ; Cass, 8 Juillet 1895, D . 1896, 1, 8 5 ; Cass. com. 5 Juin 1961, Quot. jur. 14 O c t . 1961. 12

13

JCP

=

civ.,

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der anderen Seite seit jeher fest, daß die Unternehmensführung keine Verantwortung f ü r die mit jeder Wirtschaftstätigkeit verbundenen Irrtümer und Fehlentscheidungen trifft 2 1 . Innerhalb des richterlichen Beurteilungsspielraums richtet sich die Entscheidung danach, wieweit nachlässige oder unsachgemäße Tätigkeit festgestellt wird. Die H a f t u n g f ü r die im Konkurs ausfallenden Gesellschaftsgläubiger f ü h r t praktisch zu einer subsidiären Eigenh a f t u n g des Betroffenen. Art. 101 des Konkursgesetzes vom 13. Juli 1967 erlaubt dem Gericht darüberhinaus das Vergleichs- oder K o n kursverfahren einer juristischen Person auf einen oder mehrere U n t e r nehmensleiter zu erstrecken. Voraussetzung ist, daß persönliche Geschäfte unter dem Deckmantel der juristischen Person vorgenommen wurden oder über das Gesellschaftsvermögen wie über eigenes Vermögen verfügt oder im eigenen Interesse ein Verlust des Unternehmens herbeigeführt wurde. A n k n ü p f u n g s p u n k t der Regelung ist insofern nicht die unfähige Geschäftsleitung, sondern die bewußte Verwendung des Unternehmens zu persönlichen Zwecken. Der Mißbrauch der juristischen Person f ü h r t zur Verwirkung der Haftungsbeschränkung. Verschiedentlich wurde der Konkurs auf Geschäftsführer der S. A. R. L. ausgedehnt, die den Gesellschaftern keine Rechnung legten 2 2 ; außerdem auf einen Geschäftsführer, der das Gesellschaftsvermögen benutzt hatte, um eine andere Gesellschaft zu finanzieren, in deren Verwaltung er ebenfalls tätig war, und der überdies f ü r die Gesellschaft eingezogenes Vermögen über viele Jahre nicht aufzeichnete 2 3 ; schließlich auf einen Geschäftsführer, der Waren ohne Rechnung verkaufte 2 4 . Die Erstreckung des Konkurses wurde abgelehnt, wo wesentliche Mängel in der Buchführung nicht aufzuspüren waren, auch wenn einer der Gesellschafter praktisch der wirklich verantwortliche Unternehmensleiter war 2 5 . In der Praxis hat Art. 99 des Konkursgesetzes dem Art. 101 den Rang abgelaufen. Gemäß Art. 104—112 des Konkursgesetzes kann — ohne und unabhängig von irgendwelchen vermögensrechtlichen Folgen — dem Unternehmensleiter persönlich verboten werden, „d'exercer une acti-

21 Cass. com. 4 Janv. 1971, Gaz. Pal. 1971, 95; siehe Derrida, a . a . O . , S. 19 und 20. 22 Cass. com., 6 Janv. 1958, Bull. civ. III, S. 9 no. 10; Cass, com 17 Juin 1958, Bull. civ. III, 207 no. 252; Cass, com., 13 Juill. 1959, Bull. civ. III, S. 278, no. 320; Cass, com., 10 Mars 1970, D. 1970, Som. 115. 23 Bordeaux, 27 Juill. 1949, Rev. Soc. 1950, 41. 24 Paris, 1 Avril 1955, Bull. Inf. 1955, S. 178 § 1 e. 25 Paris, 26 Mars 1957, Bull. Inf. 1957, S. 135.

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vité commerciale ou de diriger une personne morale"26. Das Berufsverbot kann über jede natürliche Person verhängt werden, die als Geschäftsführer einer Handels- oder zivilrechtlichen Gesellschaft tätig war, es sei denn die Gesellschaft verfolgte keinerlei Gewinnziele. Das Berufsverbot zieht andere Rechtsverluste wie den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts nach sich. Außerdem können Kaufleute gemäß Art. 127—129 und Geschäftsführer von juristischen Personen gemäß den Art. 129 fï. des Konkursgesetzes wegen banqueroute bestraft werden. 2. Einheitliche Verantwortlichkeit der unternehmensleitenden Personen Es ist nicht ausgeschlossen, daß die dargelegte Rechtslage eines Tages infolge der Rechtsangleichung des Konkursrechtes auch für die anderen Länder der Europäischen Gemeinschaften Bedeutung erhalten wird. Unabhängig davon verdient die Rechtslage in Frankreich unser Interesse, weil es sich bruchstückhaft um einheitliches Unternehmensrecht handelt, das ohne Rücksicht auf die Gesellschaftsform gilt. Daß die genannten Urteile ganz überwiegend eine S. A. oder eine S. A. R. L. betreffen, hängt mit der geringen Bedeutung der Personengesellschaften im heutigen französischen Wirtschaftsleben zusammen. Die Zahl der Personengesellschaften beträgt nur einen Bruchteil der in der Bundesrepublik in Form der offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft betriebenen Unternehmen. Abgesehen von der Rechtsformunabhängigkeit des juristischen Anknüpfungspunktes erscheint die Konzeption in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. a) Nach der französischen Regelung können nicht nur die Geschäftsführungsorgane, sondern alle Personen zur Verantwortung gezogen werden, die tatsächlich wesentlichen Einfluß in der Unternehmensführung ausüben. Die Gleichbehandlung derjenigen, die offiziell oder im Hintergrund die Fäden des Unternehmens in Händen haben und Menschen und Sachen lenken, entspricht einem rechtsethischen und wirtschaftspolitischen Anliegen. Knüpft man an den tatsächlichen Einfluß an, so erspart dies die — konstruktiv schwierig zu begründende — Feststellung, daß alle Personen, von deren Entscheidungen Gesellschaft und Unternehmen abhängen, als Organe der Gesellschaft 2 8 In der französischen Gesetzessprache ist das Wort faillite für den Konkurs nadi Art. 104 fï. des Konkursgesetzes reserviert; in den übrigen, nicht diffamierenden Fällen des Konkurs- und Vergleichsverfahrens wird von règlement judiciaire oder liquidation des biens gesprochen.

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„gelten". Die Verantwortung wird unmittelbar aus dem die Rechtsfolge auslösenden Verhalten, nämlich dem Einfluß in der Verwaltung abgeleitet, ohne daß es nötig wird, den Mehrheitsgesellschafter gegen seinen Willen zum Quasi-Organ zu machen 27 . Es erübrigt sich die in ihren Voraussetzungen schwer abgrenzbare Durchgriffshaftung, die außerdem denkgesetzlich auf Gesellschafter beschränkt ist, während die Einflußnahme auf die Unternehmensleitung unabhängig von der Eigenschaft als Gesellschafter ein Tatbestandsmerkmal zivil- und strafrechtlicher Sanktionen bilden kann. Der unternehmensrechtliche Ansatzpunkt würde es erlauben, eine vom Konzernrecht nur teilweise geschlossene Lücke auszufüllen: nämlich die Verantwortung des Mekrheitsgesellschafters oder der eine unabhängige Kapitalgesellschaft beherrschenden Gruppe, die selbst keine Posten in der Verwaltung übernehmen, sondern sich darauf beschränken, aus dem Hintergrund Anregungen oder Weisungen zu erteilen. In der GmbH können Weisungen von der Gesellschafterversammlung formell in beliebigem Umfang, materiell eingeschränkt durch das Gesellschaftsinteresse erteilt werden. In der Aktiengesellschaft gibt es zwar legal kein Weisungsrecht des Mehrheitsgesellschafters gegenüber der Verwaltung. In der Praxis setzt sich sein Einfluß jedoch trotzdem durch, weil ihm das Recht zur Besetzung der Verwaltungsposten ausschließlich zusteht. Die grundsätzliche Freistellung des Mehrheits- oder „Unternehmens "-Gesellschafters von Verantwortung — bei der Stimmabgabe wie beim Einfluß auf die Geschäftsführung — wurde von der herrschenden Meinung früher damit verteidigt, daß den Kapitalgesellschafter keine gesellschaftliche Treuepflicht gegenüber den anderen Mitgesellschaftern treffen könne 28 . Dieser angebliche Rechtssatz wurde in der Auseinandersetzung mit den Urteilen des Reichsgerichts zur Treuepflicht des Aktionärs entwickelt; nicht unabhängig von der Zeitströmung versuchte bekanntlich das Reichsgericht in mehreren Urteilen eine Treuebindung des Kleinaktionärs einzuführen 29 . Die Entscheidungen werden heute allgemein abgelehnt und die Kritik daran ist berechtigt. Die kritischen Aussagen gingen jedoch über den gegebenen Anlaß zu Unrecht hinaus: nicht der Aktionär schlechthin, sondern nur der Anlage-Gesellschafter oder Kleinaktionär kann von unternehmerischer Mitverantwortung freigestellt werden. Für ihn gelten lediglich die 27 Vgl. dazu zuletzt Schilling, Gesellsdiaftstreue und Konzernredit — Zur Auslegung des § 243 Abs. 2 AktG, in: Festschrift für Hans Hengeler (1972), S. 226, 227 mit weiteren Nachweisen. 28 Vgl. dazu und dagegen Wiedemann, Unternehmensredit und GmbH-Reform, JZ 1970, S. 593, 595. 29 RGZ 146, S. 71, 77; 146, S. 385, 395; 158, S. 248, 254.

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allgemeinen Grundsätze der unzulässigen Rechtsausübung. Der die Geschicke seines Unternehmens beeinflussende Großaktionär indes kann von Verantwortung ebensowenig freigestellt werden wie ein Personenhandelsgesellschafter. Das zeigt sich meines Erachtens besonders deutlich bei der Umwandlung einer Personengesellschaft in eine G m b H oder AG, denn der Mehrheitsgesellschafter kann seine vielfach betonte Pflichtenstellung nicht beim Eintritt in die Kapitalgesellschaft in der Garderobe abgeben. Allerdings wird vielfach zur Unterstützung der hier abgelehnten Meinung gelehrt, zwischen den Mitgliedern einer juristischen Person könne es keine Rechtsbeziehungen geben, sie bestünden nur zwischen dem jeweiligen Mitglied und der juristischen Person selbst. Das ist eine begriffliche Ableitung, und sie erscheint überdies nicht zutreffend. Die juristische Person ist eine Form der Vermögenszuordnung; Rechtsfolgen f ü r die Verbandssphäre oder f ü r die Unternehmensverfassung ergeben sich daraus nicht. Der Gesetzgeber selbst hat in der Zwischenzeit im Konzernrecht in den §§ 311, 317 A k t G 1965 und in den §§ 247, 254 RegE zum G m b H G derartigen Vorstellungen den Boden entzogen und die Verantwortlichkeit eines herrschenden Unternehmens eingeführt. Einer zukünftigen Unternehmensverfassung ist es möglich, den Schlußstein dieser Entwicklung zu setzen und die Verantwortung aller ein Unternehmen leitenden oder wesentlich beeinflussenden Personen aufzuzeigen. b) Das französische Recht bietet uns weiter Anregungen hinsichtlich der Regelung der Initiative. Die Haftungserstreckung geht, wie ausgeführt, auf einen Antrag des Konkursverwalters zurück; sie kann außerdem von Amts wegen herbeigeführt werden. O b die geschädigten Gläubiger unmittelbar die Initiative ergreifen können, ist im Schrifttum bestritten, spielt jedoch praktisch keine Rolle, da der Konkursverwalter stets in ihrem Interesse tätig wird. Allgemein ausgedrückt kann mithin derjenige die Sanktionen herbeiführen, der von dem Fehlverhalten der in der Unternehmensleitung tätigen Personen betroffen wird. Wo die Privatinitiative ausnahmsweise nicht ausreicht, greift zusätzlich eine öffentliche Kontrollinstanz ein. Der Unterschied zum deutschen Recht ist augenfällig. Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder der A G und Geschäftsführer der G m b H haften zwar der Gesellschaft f ü r den bei einer Pflichtverletzung entstehenden Schaden. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast; vgl. die §§ 93, 103 A k t G 1965, 48 G m b H G . Aber diese H a f t u n g kann zunächst nur von der Gesellschaft selbst geltend gemacht werden und damit von den Personen, die die Verwaltungsmitglieder bestellten. In der Praxis werden Geschäftsleiter sans

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fortune zwar schnell entlassen, es werden aber keine Ersatzansprüche erhoben. Die von Pflichtverletzungen unter Umständen auch betroffenen Mitgesellschafter haben weder einen materiell-rechtlichen A n spruch noch prozessuale Mittel, Schadenersatz zu ihren eigenen Gunsten oder zugunsten der Gesellschaft zu verlangen — auch hier wieder mit der charakteristischen Ausnahme des Konzernrechts in § 3 1 7 Abs. 4 A k t G 1965. Das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht hat eine dem angloamerikanischen Recht entsprechende Gesellschafterklage 3 0 nicht entwickelt. Die Gläubiger können gemäß § 93 Abs. 5 A k t G 1965 und in Zukunft auch gemäß § 75 Abs. 6 R e g E zum G m b H G den Ersatzanspruch der Gesellschaft geltend machen, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können. Das hilft ihnen aber wenig, weil sie bestimmte geschäftsschädigende Handlungen angeben und den Kausalzusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und einem bestimmten Schaden der Gesellschaft beweisen müssen. Dies ist dem Außenstehenden nachträglich nur in seltenen Fällen möglich. Auch der Vorschlag der Kommission der E G für eine fünfte Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts 31 bleibt hinter der französischen Sanktionsregelung zurück. D e r Kommissionsvorschlag erweitert gegenüber dem deutschen Recht die Möglichkeiten der Anteilseigner, Schadenersatzansprüche der Gesellschaft durchzusetzen. U n d er führt in Art. 20 einen Haftungstatbestand der M i t glieder von Leitungs- und Aufsichtsorganen gegenüber Aktionären oder Dritten für schuldhaftes Verhalten bei der Erfüllung ihrer A u f gaben ein. Aber dabei handelt es sich lediglich um eine der action en responsabilité civile gemäß Art. 244 des französischen Gesellschaftsgesetzes entsprechende Haftung, nicht um die hier besprochene spezifisch unternehmensrechtliche Verantwortung. c) In dem Umfang, in dem Arbeitnehmervertreter an Entscheidungen im paritätisch besetzten Aufsichtsrat teilnehmen, wird sich die Verantwortung auch auf sie erstrecken müssen. Dieser Rechtsgedanke kommt in § 4 Abs. 3 MitbestG zum Ausdruck. D e r R e g E eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer äußert sich zu den Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder nicht. Praktische Bedeutung wird die Verantwortung namentlich in dem Bereich gewinnen können, in dem dem Aufsichtsrat ein Mitentschei-

3 0 Vgl. Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär (1968), S. 233 ff. 3 1 ABl. C. v. 2 7 . 9 . 1 9 7 2 ; vgl. dazu Sonnenberger, Die Organisation der Aktiengesellschaften im Gemeinsamen Markt, Kommissionsvorschlag einer fünften Richtlinie zur Angleichung des Gesellschaftsrechts, Die A G 1974, S. 1, 33, 34.

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dungsrecht zusteht, also bei den zustimmungspflichtigen Geschäften. Im geltenden Recht werden die zustimmungsbedürftigen Geschäfte nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG von der Satzung oder dem Aufsichtsrat selbst bestimmt. Nach überwiegender Ansicht32 soll die Satzung jedoch das Recht des Aufsichtsrats, in eigener Autonomie bestimmte Geschäfte für zustimmungsbedürftig zu erklären, nicht einschränken oder aufheben können. Diese meist nicht näher begründete Meinung ist abzulehnen. Sie wird der Bedeutung des Gesellschaftsvertrages und der Satzung als eines Grundgesetzes der Verbandsorganisation nicht gerecht. Die Verfassung der Gesellschaft ist für alle Gesellschaftsorgane verbindlich, und die darin festgelegte Kompetenzverteilung (ζ. B. zur Gesamtgeschäftsführung und Gesamtvertretung) kann von den betroffenen Organmitgliedern nicht abgeändert oder ausgehöhlt werden. Wenn das Aktienrecht der Hauptversammlung ausdrücklich die Möglichkeit vorbehält, die nähere Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand zu bestimmen, so muß dies im Sinne einer abschließenden Regelung verstanden werden. De lege ferenda kann es sich empfehlen, den Kreis der zustimmungspflichtigen Geschäfte und damit die Zuständigkeit des Aufsichtsrats ähnlich wie in § 87 Abs. 1 BetrVG gesetzlich festzulegen33. Mit der Einführung einer paritätischen Mitbestimmung ist eine Reform des Rechts des Aufsichtsrats auch in anderer Richtung unabweislich. In unseren Zusammenhang der Sanktionsordnung gehört die Möglichkeit der Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern. In § 103 Abs. 3 AktG wird einer einfachen Mehrheit des Aufsichtsrats die Möglichkeit eingeräumt, bei Gericht den Antrag auf Abberufung eines ihrer Mitglieder zu stellen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt. Die Gesellschaft soll die Möglichkeit haben, sich von einem Aufsichtsratsmitglied zu trennen, das für sie nicht mehr tragbar ist. Die ursprüngliche Zielrichtung der Vorschrift lag darin, daß Aufsichtsratsmitglieder entfernt werden können, die von einem Gesellschafter auf Grund der Satzung entsandt wurden und die der entsendungsberechtigte Aktionär nicht abberufen wollte. Je nach Ausgestaltung der Mitbestimmung muß das jetzt im Gesetz vorgesehene Quorum abgeändert oder — was empfehlenswerter erscheint — die Zuständigkeit zur Antragstellung einem anderen Organ oder einem bestimmten Bruchteil der Kapitaleigner und der Arbeitnehmer über3 2 Vgl. v. Godin-Wilhelmi, § 1 1 1 AktG, Anm. 5 ; Hensche, Mitbestimmungsgespräch 1971, S. 9 8 ; Mertens, in: Kölner Kommentar, § 1 1 1 AktG, Rnr. 6 0 ; Meyer-Landrut, in: Großkommentar zum AktG 1965, § 111 AktG, Anm. 17; abweichend Baumbach-Hueck, § 111 AktG, Rnr. 10. 3 3 Vgl. K . - P . Martens, Paritätische Mitbestimmung und Aufsichtsratssystem, BB 1973, S. 1118.

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tragen werden. Die Abberufungsmöglichkeit auf Antrag eines dazu bestellten Vertreters der Hauptversammlung der Aktionäre oder des Betriebsrats sieht Art. 52 k Abs. 2 der neuen Vorschriften des niederländischen Rechts zur Mitbestimmung in großen Gesellschaften vor 34 . Auch eine „Überkreuz"-Abberufung ist danach möglich. d) Von den aufgeführten Einzelheiten abgesehen bleibt als Ergebnis der rechtsvergleichenden Betrachtung folgendes festzuhalten: Die Verurteilung zu Schadenersatz trägt Bußcharakter, weil die action en comblement auf den schwierigen oder unmöglichen Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen fehlerhaftem Verhalten und eingetretenem Schaden verzichtet. Es können alle Personen zur Verantwortung gezogen werden, die einen Einfluß auf die Unternehmensführung ausübten, unabhängig davon, ob sie Mitglieder des Aufsichts- oder Leitungsorgans der Gesellschaft waren. Sowohl das Einzelinteresse wie das gesamtwirtschaftliche Interesse an einer ordentlichen Unternehmensführung können mit privatrechtskonformen Mitteln von den Betroffenen oder von Amts wegen geltend gemacht werden.

II. Das ausländische Gesellschaftsrecht bringt uns zum Bewußtsein, welch ungewöhnlichen Freiraum das deutsche Recht seit alters der Mehrheit der Kapitaleigner einer Handelsgesellschaft einräumt. Die Konzeption ist geprägt von Scbumpeters Leitbild des schöpferischen und risikobereiten Kaufmanns, über dessen Verhalten ausschließlich der wirtschaftliche Erfolg entscheidet. Zu diesem Freiraum zählen nicht nur die Entscheidungen in der Geschäfts- und Personalpolitik; es gehört hierher auch die Bestimmung der formalen und sachlichen Unternehmensziele35. Dabei verstehen wir hier unter formalen Unternehmenszielen — wie in der Betriebswirtschaft — die Entscheidung darüber, ob ein Unternehmen zur Gewinnmaximierung, zu angemessener Gewinnerzielung, Kostendeckung oder Verlustminderung (Wirtschaftlichkeitsprinzip) betrieben werden soll. Diese formalen Unter34 Vgl. den Text in: ZGR 1974, S. 125, 131 sowie dazu Joseph M . M . Maeijer, Die Arbeitnehmermitbestimmung nach der Neuregelung für die Aufsiditsräte in „großen" niederländischen Kapitalgesellschaften, ZGR 1974, S. 104—124. 35 Vgl. dazu Duden, Über Unternehmensziele, in: Festschrift für Otto Kunze (1969), S. 127—141; sowie aus dem betriebswirtschaftlichen Schrifttum Heinen, Das Zielsystem der Unternehmung (1966).

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nehmensziele stehen im Gegensatz zum Sachziel des Unternehmens, das von den Gesetzen als „Unternehmensgegenstand" bezeichnet wird. Diese Rechtslage wird neu zu überdenken sein, wenn die Kapitaleigner die Leitung des Unternehmens mit anderen Personen teilen und an die Spitze des selbständigen Unternehmens oder Unternehmensverbundes ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat tritt, dessen Entscheidungen möglicherweise von anderen Leitbildern geprägt werden. 1. Entscheidungsmaximen

des gesellschaftsrechtlichen

Aufsichtsrats

Es ist zunächst darzustellen, wer die formalen Unternehmensziele nach geltendem Recht auswählt. a) In der „kleinen", nach § 77 BetrVG 1952 nicht mitbestimmten G m b H steht die Richtlinienkompetenz der Gesellschafterversammlung zu. Sie verfaßt das Gründungsstatut und ändert es gegebenenfalls später ab. Das Gesetz verlangt in § 3 Abs. 1 N r . 2 G m b H G nur, daß der Gegenstand des Unternehmens angegeben wird, und d a f ü r genügt die Bezeichnung der Geschäftsbranche. Das formale Unternehmensziel braucht im Statut nicht erwähnt zu werden, weil man beim Betrieb eines Unternehmens durch die Eigentümer im Zweifel davon ausgehen muß, daß langfristige Gewinnoptimierung erstrebt wird. Die Festlegung des Unternehmensziels erfüllt zwei wichtige Funktionen im Gesellschaftsrecht. Erstens wird es möglich festzustellen, was das Gesellschaftsinteresse erfordert und wann die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten gesellschaftswidrig und damit rechtswidrig wird. Zweitens bildet das Unternehmensziel einen Maßstab für das Verhalten der Gesellschaftsorgane, für die es als „Wohl der Gesellschaft" die Richtschnur jeder Entscheidung bilden soll. Bei der Wahl zwischen einem gewinnbringenden Auftrag aus dem Lande A und einem weniger lukrativen aus dem Lande Β haben andere als ökonomische Gesichtspunkte auszuscheiden. Dabei wird nicht übersehen, daß verschiedene Gesellschaftergruppen entgegengesetzte Interessen haben können. Das deutsche Gesellschaftsrecht verdankt jedoch einen guten Teil seiner Schneidigkeit dem Umstand, daß dieser Konflikt allenfalls in der Gesellschafterversammlung, aber nicht in der Unternehmensleitung ausgetragen wird. b) An dieser Rechtslage ändert die Minderheitsbeteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft gemäß §§ 76 BetrVG 1952, 96 AktG und im Aufsichtsrat der großen G m b H gemäß § 77 BetrVG 1952 nichts. Das liegt im Wesen der Minderheitsbeteiligung. Sie kann zur Verbesserung der Sachentscheidung und zur

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Integration der von den Vertretern repräsentierten Gruppe beitragen, ändert aber nichts an der Entscheidungskompetenz. Die Frage, wem die Richtlinienbestimmung in der Aktiengesellschaft zusteht, ist allerdings nicht ganz geklärt. Teils wird sie dem Aufsichtsrat, teils dem Vorstand zugesprochen36; beide Organe sind dafür jedoch nicht zuständig. Das Ziel der Unternehmensführung ist kein Bestandteil der Geschäftsführung oder ihrer Kontrolle, und Vorstand und Aufsichtsrat können die formale Zielvorgabe so wenig ändern wie den in der Satzung genannten Unternehmensgegenstand. Sicher verfügt der Vorstand einer Aktiengesellschaft über einen breiteren Ermessens- und Handlungsspielraum als der Geschäftsführer einer GmbH, und er vermag deshalb auch die Rücksichtnahme auf allgemeine Interessen zu rechtfertigen. Das hängt jedoch nicht mit der Kompetenz hinsichtlich des formalen Unternehmensziels, sondern mit der andersartigen Aufgabenstellung bei der Führung eines Großunternehmens zusammen, dessen öffentlicher Bezug weitreichender ist als derjenige des Klein- oder Mittelbetriebs. Der Vorstand darf aber weder allein noch mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschließen, die Produktion oder die Dienstleistungen in Zukunft nur kostendeckend anzubieten. Angesichts des Einflusses der Kapitaleigner auf die Wahl und Abberufung der Organmitglieder spielte die Frage bisher eine mehr theoretische Rolle. Nur in einem entlegenen, für unsere Problemstellung jedoch typischen Zusammenhang wurde der Konflikt deutlich, nämlich in der Diskussion zum Umfang der Schweigepflicht von Aufsichtsratsmitgliedern. Es ist umstritten, ob der Umfang der Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat anders zu bestimmen ist als die Verschwiegenheitspflicht der Vertreter der Kapitaleigner 37 . Das Problem, ob die Arbeitnehmervertreter in gewissem Umfang das Recht haben, vertrauliche Informationen an alle oder wenigstens die davon betroffenen Belegschaftsmitglieder wei36 Vgl. dazu Duden, in: Festschrift für Kunze, S. 127, 139, 140, der selbst nidit deutlich genug zwischen den formalen Unternehmenszielen und der Geschäftspolitik unterscheidet. 37 Für eine Lockerung der Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmervertreter sind namentlich eingetreten Kittner, Unternehmensverfassung und Information — die Schweigepflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, Z H R 136 (1972), S. 208—251; Spieker, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, N J W 1965, S. 1937—1944; dagegen zuletzt ausführlich Hengeler, Zum Beratungsgeheimnis im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, in: Festschrift für Wolfgang Schilling, S. 175 bis 2 0 5 ; alle mit weiteren Nachweisen. — Zur Möglichkeit, die Verschwiegenheitspflicht von Aufsiditsratsmitgliedern in einer Geschäftsordnung zu erweitern vgl. O L G Düsseldorf, WM 1973, S. 1425. Zur Geheimhaltungspflicht allgemein vgl. v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht (1972).

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terzugeben, läßt sich nicht allein mit dem Hinweis auf die formal gleiche Stelle aller Organmitglieder lösen. Der Sinn der Mitbestimmung wird nicht dadurch verwirklicht, daß in den Aufsichtsrat oder in andere Gesellschaftsorgane Personen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft aufgenommen werden. Sie müssen auch berechtigt und in der Lage sein, andere Gesichtspunkte zu vertreten. Die eine Sonderstellung der Arbeitnehmervertreter verteidigenden Autoren übersehen aber ein Doppeltes: Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sollen Belange der Belegschaft zur Sprache bringen; es gehört nach dem Gesetz nicht zu ihren Aufgaben, die Belegschaft oder den Betriebsrat zu informieren und dieses Informationsrecht ist auch keine unabdingbare Voraussetzung ihrer Amtstätigkeit. Abgesehen davon muß sich ihre Tätigkeit dem vorgegebenen Unternehmensziel unterordnen. Der Aufsichtsrat der AG oder GmbH ist nach geltendem Recht kein unternehmensrechtliches, sondern ein gesellschaftsrechtliches Organ; das heißt, er hat die Ziele der Gesellschaft, so wie sie in der Satzung niedergelegt sind, zu verwirklichen und gegebenenfalls zu konkretisieren 38 . Ein Aufsichtsratsmitglied darf deshalb das Unternehmen nicht dadurch gefährden, daß es als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichnete Informationen preisgibt. Die Auffassung von Spieker39, daß Vertraulichkeit nicht die Regel, sondern die Ausnahme sei, und der Vorschlag von Kittneri0, es solle jedes Aufsichtsratsmitglied die positiven oder negativen Interessenbefunde abwägen und dann eigenverantwortlich entscheiden, an wen und in welchem Umfang es Informationen preisgibt, sind mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. 2. Entscheidungsmaximen

eines paritätisch

besetzten

Aufsichtsrats

In einem unternehmensrechtlich gebildeten Aufsichtsrat erhält die Frage nach dem Leitbild seiner Entscheidungen besonderes Gewicht. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß es zu Konflikten kommt, wenn dem ökonomischen Unternehmensziel soziale, humanitäre oder politische Ziele entgegengestellt werden und die langfristige Gewinnoptimierung als Entscheidungsgrundlage nicht mehr anerkannt wird. a) Nicht möglich ist es, die Beurteilung den Aufsichtsratsmitgliedern eigenverantwortlich zu überlassen. Der Aufsichtsrat ist keine politische Veranstaltung zur Austragung kollektiver Interessenkonflikte, und die Diskussion im Aufsichtsrat verbürgt keine automatisch rich3 8 Vgl. dazu für den Vorstand Rittner, Zur Verantwortung des Vorstandes nach § 76 Abs. 1 AktG 1965, in: Festschrift für Ernst Geßler (1970), S. 139, 150. 39 Spieker, N J W 1965, S. 1939. 40 Kittner, Z H R 136, S. 240.

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tige Resultante des Kräfteparallelogramms von Kapitalbeteiligung und Belegschaft. Die Übertragung mechanistischer Staatstheorien auf das Leitungsorgan eines Wirtschaftssubjekts begegnet außerdem Bedenken, weil damit Inhalt und Maßstab der Verantwortlichkeit der handelnden Personen entfallen. Es erscheint weiter fraglich, ob man eine Richtlinie f ü r die Organtätigkeit dadurch gewinnen kann, daß man das Gesellschaftsinteresse durch das Unternehmensinteresse ersetzt. Bisher gelang kein Konsens darüber, was man als Unternehmensinteresse bezeichnen soll und ob es ein eigenständiges — von anderen Interessenträgern zu unterscheidendes — Interessensubjekt „Unternehmen" gibt 41 . Teils wird vorgeschlagen, mit „Unternehmensinteresse" den Verbund der internen Interessenträger (Kapitaleigner und Belegschaft) zu bezeichnen. In diesem Sinne verwendet der Bundesgerichtshof das Unternehmensinteresse häufig im Recht der Personengesellschaften, z. B. bei der Anerkennung der fehlerhaften Gesellschaft, bei der Formnichtigkeit von Gesellschaftsverträgen und aus Anlaß der Frage, wie weit Änderungen oder Anpassungen des Gesellschaftsvertrages zugestimmt werden muß und unter welchen Bedingungen ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann 4 2 . Gerade umgekehrt wird der Begriff von Zöllner43 geprägt, um ihn stellvertretend für sämtliche externen Interessen, also f ü r das Gemeinwohl zu benutzen. Es liegt auf der H a n d , daß diese Diskussion zur Beantwortung der Frage nach der Entscheidungsmaxime der Leitungs- und Aufsichtsorgane nichts beitragen kann und will. Das Unternehmensinteresse läßt sich in einem anderen Zusammenhang als Entscheidungsparameter einsetzen, nämlich als Richtschnur für sämtliche Geschäftsführungsmaßnahmen: es bildet quasi das Geländer, an H a n d dessen die Maßnahmen des täglichen Geschäftsverkehrs getroffen werden sollen. Das Unternehmen fördern bedeutet für die Geschäftsleitung, Mittel zur Verwirklichung weiterreichender und „letzter" Ziele zu erhalten und bereitzustellen. O b das Unternehmensinteresse in dieser Form sinnvoll verwandt werden kann, darf hier offenbleiben, denn f ü r die Bestimmung des formalen Unternehmensziels läßt sich aus einer Formulierung nichts ge-

41 Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedsdiaftlicher Stimmreditsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden (1963), S. 70: Unternehmen nicht Träger, sondern Objekt des Unternehmensinteresses. 42 Vgl. dazu Wiedemann, Unternehmensredit und GmbH-Reform, JZ 1970, S. 593, 594. 43 Vgl. Zöllner, a . a . O . , S. 73, 77; außerdem Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Redit (1961), S. 41; beide mit weiteren Hinweisen.

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winnen, die der Konkretisierung dieses Ziels im Einzelfall dienen soll. Unsere Bedenken gegen die Eignung des Unternehmensinteresses als grundlegende Entscheidungsmaxime sind die gleichen, wie sie gegen eine entsprechende Verwendung des „Gemeinwohls" im öffentlichen Recht seit langem vorgetragen werden: der Inhalt dieser Generalklauseln muß dezisionistisch festgestellt werden 44 . Unternehmen können einen privaten Erwerbszweck ebenso wie einen privaten oder öffentlichen Dienstzweck verfolgen. Ihre Organisation läßt sich in den unterschiedlichsten Wirtschaftsordnungen einsetzen. Der Gesichtspunkt der Erhaltung dieser Organisation gibt dem Unternehmensinteresse keinen ausreichenden Inhalt. d) Denkt man sich das Unternehmen isoliert von der Gesellschaftssphäre als eine von den Arbeitnehmern und den Kapitaleignern gemeinsam betriebene Institution, auf die beide Seiten gleichmäßig Verwaltungsansprüche erheben, so wird fraglich, ob die Satzung in Z u k u n f t ihre Bedeutung als Grundgesetz der Gesamtorganisation beibehalten kann oder ob sich ihre Wirksamkeit auf die Gesellschafter und die Gesellschafterversammlung beschränkt. Da das formale Unternehmensziel nicht offenbleiben kann, muß dann an die Stelle der statutarischen Bestimmung eine gesetzliche Entscheidungsmaxime treten, der Gesetzgeber muß also das Unternehmensziel für die Leitungs- und Aufsichtsorgane verbindlich vorgeben. Solche Richtlinienvorschriften sind dem deutschen Recht nicht unbekannt. Die wichtigste Bestimmung dieser Art stellt zur Zeit § 2 BetrVG 1972 dar, der den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit „zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs" aufstellt. Eine ähnliche Funktion erfüllte früher § 70 Abs. 1 AktG 1937. Ähnlich wie die Gesetze einen Rechtsformzwang kennen, so daß ein Handelsgeschäft nur in bestimmten Organisationsformen, zum Beispiel ein Handwerksunternehmen ohne Handelsregistereintrag nur als bürgerlich-rechtliche Gesellschaft betrieben werden kann, würde dann ex lege die Zielsetzung vorgeschrieben werden, damit eine ausreichende Anzahl lediglich an der Wettbewerbsordnung orientierter Wirtschaftssubjekte erhalten bleibt.

44 Vgl. z u l e t z t Haberle, A ö R 95 (1970), S. 86, 260.

„ G e m e i n w o h l j u d i k a t u r " u n d Bundesverfassungsgericht,