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German Pages 238 Year 2000
Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 136
Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft Vorträge im Rahmen der Speyerer Gespräche zum öffentlichen Wirtschaftsrecht vom 29. September bis 1. Oktober 1999 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
herausgegeben von
Jan Ziekow
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft: Vorträge im Rahmen der Speyerer Gespräche zum öffentlichen Wirtschaftsrecht vom 29. September bis 1. Oktober 1999 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer / Jan Ziekow (Hrsg.). Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 136) ISBN 3-428-10283-5
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-10283-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................
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Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft Von Jan Ziekow, Speyer ..................................................................................
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Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht Von Helge Sodan, Berlin ...... ..........................................................................
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Kritische Überlegungen Marktmäßige Reorganisation öffentlicher Verwaltung? Von Ulrich Penski, Siegen .............................................................................
67
Personalrechtliche Probleme von Privatisierungsentscheidungen Von Alfons Frank, Mainz ...............................................................................
81
Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft am Beispiel Bayerns Von Thomas Kostenbader, München .............................................................
93
Die Privatisierung der Abwasserentsorgung in Bremen Von Jürgen Schoer, Bremen ..... ....... ..... ........ ....... ............. .............................
107
Das Klärverbundskonzept der BASF Von Wolfgang Hoffmann, Ludwigshafen .......................................................
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Probleme einer Kommune beim Anschluß an einen industriellen Klärverbund Von RolfWunder, Speyer ...............................................................................
129
Privatisierung in der Abfallwirtschaft Von Waller Frenz, Aachen ..............................................................................
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Inhaltsverzeichnis
Probleme der Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz Von Arnold Heerd, Mainz ...............................................................................
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Probleme der Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz Von Ola[Konzak, Köln ...... ..... .......... .................................. ............. ...............
191
Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft am Beispiel der Abfallpolitik Von Otmar Frey, Frankfurt am Main .... ....... .................... .......................... .....
231
Verzeichnis der Referenten .................................... ..................... ............. .............
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Vorwort Der vorliegende Band faßt die Vorträge zusammen, die auf dem Forum "Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft" vom 29. Sept. bis 1. Okt. 1999 an der Deutschen Hochschule fiir Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser ,,speyerer Gespräche zum öffentlichen Wirtschaftsrecht" waren Vertreter der Landes- und Kommunalverwaltungen, der Rechtsanwaltschaft, der Wirtschaft, von Verbänden sowie der Wissenschaft. Meine Sekretärin, Frau Erika Kögel, hat sachkundig die Formatierung des Bandes übernommen; hierfiir sei ihr gedankt. Darüber hinaus gebührt Frau Kögel, Frau Elsie Medl, meiner Sekretärin, meiner Assistentin Frau Dr. Annette Guckelberger sowie Herrn Wissenschaftlichen Referenten Thorsten Siegel herzlicher Dank fiir die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchfiihrung der Tagung.
Speyer, im März 2000
Jan Ziekow
Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft Auswirkungen von Europäisierung und Globalisierung für die Wirtschaftsverwaltung Von Jan Ziekow Seit sich das Verhältnis von wirtschaftlicher Tätigkeit des Menschen und Verwaltung - in einem ganz weiten Sinne - in Deutschland historisch erfassen läßt, ist die entscheidende Frage im Prinzip immer dieselbe geblieben. Es ist die Frage nach Freiheit oder Bindung der Wirtschaft durch staatliche Regelungen, nach Eingriff der Verwaltung in den Bereich der Wirtschaft oder Trennung beider Sphären.\ Das Einwirkungsinstrumentarium des Staates auf die Wirtschaft ist dabei seit der Epoche des Merkantilismus in den Grundzügen stabil geblieben: Es umfaßt im wesentlichen die unmittelbare Integration in ökonomische Abläufe durch eine wirtschaftliche Eigenbetätigung der öffentlichen Hand, die nicht-imperative Beeinflussung des Verhaltens von Wirtschaftssubjekten - beispielsweise durch die Gewährung von Subventionen - sowie den breiten Bereich der Wirtschaftsaufsicht. Die Wirtschaftsaufsicht wirkt nicht influeszierend, setzt also nicht auf die Einflußnahme auf autonome Entscheidungen des Wirtschaftssubjekts, sondern will wirtschaftsexterne öffentliche Interessen hoheitlich durchsetzen. 2 Ihre Instrumente machen noch immer den Ursprung des Wirtschaftsverwaltungsrechts im Gewerbepolizeirecht deutlich: In groben Zügen unterschieden werden können Aufsichtsrnaßnahmen vor oder nach Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit. 3 Für die Zulassungskontrolle stehen als Grundtypen die Anzeige- und die Erlaubnispflicht - sei es in Form der präventiven Kontrollerlaubnis, sei es in Form der Ausnahmebewilligung bei einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt - zur Verfügung. Wo solche Eröffnungskontrollen nicht bestehen, wie etwa in weiten Bereichen des LebensmitI Zur historischen Entwicklung vgl. Jan Ziekow, Freiheit und Bindung des Gewerbes, 1992. 2 Rupert Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurentenschutz, 1971, S. 17
f.
3 Im einzelnen Jan Ziekow, Zur rechtlichen Lage der Wirtschaftsaufsicht, WUR 1991, S. 243 (245 ff.).
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telrechts 4, erlangt die Aufsicht über die laufende Wirtschaftstätigkeit eine besondere Bedeutung. Im Lebensmittelrecht erfolgt sie beispielsweise durch die Statuierung von Verboten, Produkte in einer bestimmten Weise herzustellen oder in den Verkehr zu bringen (§§ 8, 11, 13 ff. LMBG), und die Überwachung der Beachtung dieser Verbote durch die Verwaltung (§§ 40 ff. LMBG). Aber auch in Wirtschaftsbereichen, in denen eine Zulassungskontrolle vorgesehen ist, besteht regelmäßig eine tätigkeitsbegleitende Aufsicht. Der Kontakt zwischen Wirtschaftssubjekt und Verwaltung ist daher kein punktueller, einmaliger Vorgang, sondern aus der Sicht des Wirtschaftsverwaltungsrechts ein Dauerrechtsverhältnis. 5
I. Der Staat und "seine" Volkswirtschaft Doch sind die konstituierenden Rahmenbedingungen dieser Beziehung ins Rutschen geraten. Das Bild staatlicher Steuerungsfähigkeit und -verpflichtung gegenüber allen gesellschaftlichen Faktoren paßt nur rur den Nationalstaat als Typus, wie er sich in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat. Seine Voraussetzung ist eine wechselseitige Bezogenheit von Staat und Gesellschaft im Sinne einer zwar nicht vollständigen, jedoch weitgehenden Abgeschlossenheit gegenüber externen Einflußparametern. Die Bezeichnungen "Volkswirtschaft" und "Nationalökonomie" sind Reminiszenzen an dieses Modell. Sie weisen darauf hin, daß Ausgangspunkt die wirtschaftlichen Prozesse einer Nation sind. Konsequenz dieses Ausgangspunkts ist - jedenfalls modellhaft - eine Steuerungsautarkie: Jeder Staat steuert "seine" Volkswirtschaft in vollem Umfang, definiert die zu schützenden Interessen, die zu verfolgenden Ziele und das einzusetzende Instrumentarium autonom. Beispielsweise sind Arbeits-, Sozialoder Umweltverfassung mit der Wirtschaftsverfassung gleichwertig und können in ökonomische Prozesse implantiert werden. Nachgerade klassische Beispiele sind an die Schaffung neuer Arbeitsplätze gebundene Subventionen oder der Einsatz des ordnungsrechtlichen Instrumentariums zum Schutz von Umweltbelangen. Ob und wie solche außerwirtschaftlichen Interessen realisiert 4 Friedhelm Hufen, Lebensmittelrecht, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, 1996, § 12 Rn. 85; Rolf Stober, Besonderes Wirtschaftsverwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, S. 261. 5 Vgl. zu diesem Gedanken auch RolfGröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, S. 145 ff.; rur das Umweltrecht Jürgen Fluck, Praktische Aspekte des Verwaltungsverfahrens aus der Sicht eines Großunternehmens, in: Blümel / Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, 1997, S. 181 (189).
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werden sollen, unterliegt der Zieldefinition und instrumentellen Folgenabschätzung des Staates. Die Feinregulierung der gesetzlich formulierten Steuerungsvorgaben liegt bei der Verwaltung, der beträchtliche eigene Steuerungsspielräume verbleiben. Beispiele sind Entscheidungen über eigenwirtschaftliche Betätigungen, Ermessensspielräume bei der Wahrnehmung wirtschaftsaufsichtlicher Befugnisse oder die Vergabe von durch Haushaltsansatz bereitgestellten Subventionsmitteln. Die Verwaltung ist der Teil des staatlichen Organisationszusammenhangs, der den Steuerungswillen und die Steuerungsfähigkeit des Staates gegenüber der Wirtschaft auf den Punkt bringt.
11. Europäisierung der Wirtschaftsverwaltung Die Stichworte, die die Analyse der Zukunft des Verhältnisses von Wirtschaft und Verwaltung prägen, sind Europäisierung und Globalisierung. Nach Art. 2 EGV in der Fassung des Vertrages von Amsterdam ist es Aufgabe der Gemeinschaft, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung von gemeinsamen Politiken und Maßnahmen eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens zu fördern. Was unter einem solchen Wirtschaftsleben zu verstehen ist, unterliegt nicht mehr der Defmitionsmacht der Mitgliedstaaten. Die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes 6 wird überlagert durch Art. 4 Abs. 1 EGV, der die Wirtschaftspolitik von Mitgliedstaaten und Gemeinschaft auf den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet. Auch die zu berücksichtigenden außerwirtschaftlichen Interessen sind gemeinschaftsrechtlich formuliert: hohes Beschäftigungsniveau und hohes Maß an sozialem Schutz, Gleichstellung von Männern und Frauen, hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität (Art. 2 EGV). Das Konzept der Verwirklichung des Binnenmarktes, d.h. eines Raumes ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des EG-Vertrags gewährleistet ist (Art. 14 Abs. 2 EGV)7, ist zwar ein Kern der Integration, wird jedoch durch 6 Vgl. BVerfGE 4, S. 7 (17 f.); 50, S. 290 (338); Werner Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 3. Aufl. 1999, Rn. 24 ff.; Reiner Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner Teil, 1990, S. 66 ff.; Rolf Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, S. 67 ff. 7 Dazu Peter Behrens, Das Wirtschaftsrecht des Europäischen Binnenmarktes, Jura 1989, S. 561 ff.; Mario Monti, Der Binnenmarkt und das Europa von morgen, 1997; Thomas Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 1313 ff.; Martin Seidel, Die
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weitere Handlungsfeldbezüge flankiert. Die Aufzählung der Tätigkeitsfelder der Gemeinschaft in Art. 3 EGV macht dies deutlich. Für den Binnenmarkt sind die Eckpfeiler schon durch die sog. Grundfreiheiten, also die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 EGV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) sowie die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art. 56 EGV), eingezogen. Das diese Freiheiten zunächst prägende Verständnis als bereichsspezifische Verbote von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit darf als überwunden gelten. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß alle Grundfreiheiten sog. Beschränkungsverbote aufstellen, d.h. auch nichtdiskriminierende Beschränkungen der Freiheiten ausschließen, wenn sie nicht durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. 8 Über diese primärrechtlichen Wirkungen hinaus erläßt der Rat Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, und zwar mit Ausnahme von Bestimmungen über die Freizügigkeit nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit (Art. 95 Abs.e 1 und 2 EGV).9 Schätzungen gehen davon aus, daß etwa 80% der wirtschaftsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich vorstrukturiert oder beeinflußt werden. 10 Dies macht deutlich, wie eng die rechtlichen Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten im Bereich des Wirtschaftsrechts geworden sind. Zurückgreifend auf das oben entworfene Modell der Steuerungsautarkie des Nationalstaates ist Steuerungsobjekt eben nicht mehr eine "Volkswirtschaft", sondern ein "Gemeinsamer Markt" bzw. ein ,,Binnenmarkt", wenngleich beide Begriffe nicht deckungsgleich sind. II Die wechselseitige Bezogenheit von Staat
Vollendung des Binnenmarktes der Europäischen Gemeinschaft als Rechtsetzungsprozeß, in: Baur / Hopt (Hrsg.), FS für Ernst Steindorff, 1990, S. 1455 ff. 8 Zu dieser Entwicklung Peter Behrens, Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht, EuR 1992, S. 145 (148 ff.); Wolfgang Weiß, Nationales Steuerrecht und Niederlassungsfreiheit, EuZW 1999, S. 493 (496 ff.). 9 Zur Bedeutung dieser Regelung Oppermann (Anm. 7) Rn. 1212 ff. 10 Vgl. Hans-Wolfgang Arndt, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Stein er (Hrsg.), Besonderes VerwaItungsrecht, 6. Aufl. 1999, Abschn. VII Rn. 43. 11 Vgl. in diesem Zusammenhang aus unterschiedlichen Blickwinkeln Angela Bardenhewer / Jörn Pipkorn, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlerrnann (Hrsg.), Kommentar zum EU- / EG-Vertrag, 5. Aufl. 1997, Art. 7a Rn. 10; Manfred A. Dauses, Die rechtliche Dimension des Binnenmarktes, EuZW 1990, S. 8 (10); Eberhard Grabitz / Armin von Bogdandy, Vom Gemeinsamen Markt zum Binnenmarkt, JuS 1990, S. 170 ff.; Wolfgang Kahl, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV / EGV, 1999, Art. 14 Rn. 11; Norbert Reich, Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 1991, S. 203 (207 f.); Thure Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, 1999; Martin Seidel, Grundsätzliche rechtspolitische Probleme bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, EA 1987, S. 535 (555); Ernst Steindorff, Gemeinsamer Markt als Binnenmarkt, ZHR ISO
Wirtschaft und VelWaltung vor den Herausforderungen der Zukunft
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und Gesellschaft ist rechtlich aufgebrochen worden zugunsten einer sektoralen europäischen Gesellschaftsordnung. Die Verdichtung dieses Prozesses hat im Wandel des Marktbürgers zum Unionsbürger (Art. 17 ff. EGV) seinen Ausdruck gefunden. 12 Entsprechend zurückgenommen ist die Steuerungsfähigkeit des Staates gegenüber wirtschaftlichen Prozessen. 1. Die gemeinschaftsrechtliche Überformung des nationalen Rechts
Soweit die Abnahme der einzelstaatlichen Steuerungsmöglichkeiten auf der Europäisierung des Wirtschaftsrechts beruht, handelt es sich um ein primär normativ fundiertes Phänomen. 13 In normativer Hinsicht kann an die Unter(1986), S. 687 (689); Christian Zacker, Binnenmarkt und Gemeinsamer Markt, RIW 1989, S. 489 f. 12 Dazu SIefan Hobe, Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag von Maastricht, Der Staat 32 (1993), S. 235 ff.; AlbrechI Randelzhofer, Marktbürgerschaft - Unionsbürgerschaft - Staatsbürgerschaft, in: Randelzhofer / Scholz / Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift flir Eberhard Grabitz, 1995, S. 581 ff. n Zur Europäisierung des WirtschaftsvelWaItungsrechts Dirk Ehlers, Das WirtschaftsvelWaltungsrecht im europäischen Binnenmarkt, NVwZ 1990, S. 811 ff.; Armin Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der WirtschaftsvelWaItung, 1998; Marlin Pagenkopf, Zum Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf nationales WirtschaftsvelWaltungsrecht, NVwZ 1993, S. 216 ff.; Ingolf Pernice / SIefan Kadelbach, Verfahren und Sanktionen im WirtschaftsvelWaltungsrecht, DVBI. 1996, S. 1100 ff.; Joachim Wieland, Die Konstituierung des WirtschaftsvelWaltungsrechts durch Europarecht und deutsches Recht, in: Schoch (Hrsg.), Das VelWaItungsrecht als Element der europäischen Integration, 1995, S. 123 ff. Zur Europäisierung des VelWaltungsrechts al\gemein Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der VelWaltung in der Europäischen Union, 1996; Sabino Cassese, Der Einfluß des gemeinschaftsrechtlichen VelWaItungsrechts auf die nationalen VelWaltungsrechtssysteme, Der Staat 33 (1994), S. 25 ff.; Claus Dieler Classen, Strukturunterschiede zwischen deutschem und europäischem VelWaltungsrecht, NJW 1995, S. 2457 ff.; ders., Die Europäisierung des VelWaltungsrechts, in: Kreuzer / Scheuing / Sieber (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, S. 107 ff.; ders., Das nationale VelWaltungsverfahren im Kraftfeld des europäischen Gemeinschaftsrechts, Die VelWaItung 31 (1998), S. 307 ff.; Thomas von Danwitz, VelWaItungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996; Thomas Dünchheim, Die Europäisierung der VelWaItungsrechtsordnung, VR 1996, S. 181 ff.; Dirk Ehlers, Die Einwirkungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften auf das VelWaItungsrecht, DVBI. 1991, S. 605 ff.; Chrisloph Engel, Die Einwirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das deutsche VelWaItungsrecht, Die VelWaItung 25 (1992), S. 437 ff.; S. Gonzizles-Varas, Probleme des europäischen VelWaItungsrechts, SächsVBI. 1997, S. 173 ff.; Hermann Hili, Einwirkungen europäischen Rechts auf Verwaltungsrecht und VelWaltungshandeln in Deutschland, ThürVBI. 1992, S. 251 ff.; Slefan Kadelbach , Der Einfluß des EG-Rechts auf das nationale Al\gemeine VelWaltungsrecht, in: von Danwitz / Heintzen / Jestaedt (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 1993, S. 131 ff.; ders., Al\gemeines VelWaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999; Eckarl Klein, Der Einfluß des europäischen Gemeinschafts-
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scheidung zwischen direkter und indirekter Verwaltung von Gemeinschaftsrecht angeknüpft werden. Unter direkter Verwaltung ist die Eigenverwaltung der Gemeinschaft ausschließlich auf der Grundlage von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu verstehen. Indirekte Verwaltung meint hingegen die von Behörden der Mitgliedstaaten vorgenommene Verwaltungstätigkeit, bei der Gemeinschaftsverwaltungsrecht Beachtung verlangt. 14 Gemeinschaftsverwaltungsrecht ist die Gesamtheit gemeinschaftsrechtlicher Regelungen, die von den nationalen Verwaltungen zu beachten ist. 15 Diese Einwirkung des Gemeinschaftsrechts kann in zwei Formen erfolgen. Zum einen haben die mitgliedstaatlichen Verwaltungen unmittelbar Gemeinschaftsrecht anzuwenden; Grundlage des Verwaltungshandelns ist dann das Gemeinschaftsrecht selbst. Zum anderen müssen die Behörden europäisches Recht auch dann beachten, wenn sie nationales Verwaltungsrecht anwenden. In Anbetracht der grundsätzlichen ver-
rechts auf das Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten, Der Staat 33 (1994), S. 39 ff.; Rudalf Mägele, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - wechselseitige Einwirkungen, BayVBI 1993, S. 552 ff.; Hans-Jürgen Papier, Die Einwirkungen des europäi-
schen Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verwaltungs- und Verfahrensrecht, in: Die Bedeutung der Europäischen Gemeinschaften für das deutsche Recht und die deutsche Gerichtsbarkeit, 1989, S. 51 ff.; Hans-Werner Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - Wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 202 ff.; Gearg Ress, Verwaltung und Verwaltungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Einfluß des europäischen Rechts und der europäischen Gerichtsbarkeit, in: Burmeister (Hrsg.), Die verfassungsrechtliche SteIlung der Verwaltung in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 199 ff.; Dieter H. Scheuing, Europarechtliche Impulse für innovative Ansätze im deutschen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des VerwaltungshandeIns, 1994, S. 289 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVBI. 1993, S. 924 ff.; ders., Zur Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Badura / Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. FS für Peter Lerche zum 65. Geb., 1993, S. 513 ff.; Friedrich Schach, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, JZ 1995, S. 109 ff.; ders., Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts, in: ders. (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht als Element der Europäischen Integration, 1995, S. 13 ff.; ders., Europäisierung der Verwaltungsrechtsordnung, VBIBW 1999, S. 241 ff.; ders., Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 1999, S. 135 ff.; Jürgen Schwarze, Die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, in: ders. (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1996, S. 789 ff.; ders., Der Beitrag des Europäischen Gerichtshofs zur Europäisierung des Verwaltungsrechts, EuR 1997, S. 419 ff.; Karl-Peter Sammermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, DVBI. 1996, S. 889 ff.; Man/red Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - Wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 154 ff. 14 Van Danwitz (Anm. 13) S. 21; Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht (Anm. 13), S. 925 ff. IS Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht (Anm. 13), S.926.
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fahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten l6 ist dies der wichtigste und für das vorliegend behandelte Thema einschlägige Fall von Verwaltungsrechtsgestaltung durch Gemeinschaftsrecht. Die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verwaltungsrecht kann sich zunächst daraus ergeben, daß die von der Behörde anzuwendende Vorschrift des mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechts in Umsetzung einer EG-Richtlinie erlassen worden ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind diese verwaltungsrechtlichen Normen nicht autonom, sondern "im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen".17 Diese sog. richtlinienkonforme Auslegung J8 greift auch dann ein, wenn das nationale Recht nicht in Umsetzung der Richtlinie erlassen worden ist. Sie leitet ebenso die Anwendung schon bestehender Vorschriften, die nach Auffassung des Mitgliedstaates den Umsetzungs auftrag der Richtlinie erfüllen. 19 Über diese Fälle einer Richtlinienanknüpfung hinaus beruht die über die Vermittlung des nationalen Verwaltungsrechts erfolgende Anwendung von Gemeinschaftsverwaltungsrecht auf dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Kollidieren bei der Anwendung auf einen Sachverhalt nationales Recht und Gemeinschaftsrecht, so genießt das Gemeinschaftsrecht einen Anwendungsvor-
16 EuGH, Urt. v. 11.2.1971, Rs. 39/70, Norddeutsches Vieh- und Fleischkontor GmbH 1 Hauptzollamt Hamburg-St. Annen, Slg. 1971, S. 49 (58); Gi! Car/os Rodriguez Ig/esias, ZÜ den Grenzen der verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, EuGRZ 1997, S. 289 ff. 17 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.5.1976, Rs. 111 175, Impresa Costruzioni comrn. Quirino Mazzalai 1 Ferrovia deI Renon, Slg. 1976, S. 657 (666); Urt. v. 10.4.1984, Rs. 14/83, Sabine von Colson u. Elisabeth Kamann 1 Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984, S. 1891 (1909); Urt. v. 10.4.1984, Rs. 79/83, Dorit Harz 1 Deutsche Tradax GmbH, Sig. 1984, S. 1921 (1942 f.); Urt. v. 4.2.1988, Rs. 157/86, Mary Murphy u.a. 1 An Bord Telecom Eireann, Slg. 1988, S. 673 (690); Urt. v. 20.9.1988, Rs. 31 1 87, Gebroeders Beentjes BV 1 Niederländischer Staat, Sig. 1988, S. 4635 (4662); Urt. v. 17.9.1997, Rs. C-54 1 96, Dorsch Consult 1 Bundesbaugesellschaft Berlin, Slg. 1997, S. 1-4961 (4997 f.). 18 Dazu Winfried Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994; Udo Di Fabio, Richtlinienkonformität als ranghöchstes Normauslegungsprinzip?, NJW 1990, S. 947 ff.; Hans D. Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 1991, S. 211 ff.; Georg Ress, Die richtlinienkonforme "Interpretation" innerstaatlichen Rechts, DÖV 1994, S. 489 ff.; Gi! Car/os Rodriguez Ig/esias / Kurt Riechenberg, Zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, in: Due 1 Lutter 1 Schwarze (Hrsg.), FS flir Ulrich Everling, 1995, S. 1213 ff. 19 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-I06/89, Marleasing SA 1 La Comrnercial Intemacional de Alimentaci6n SA, Slg. 1990, S. 1-4135 (4159 f.); Urt. v. 16.12.1993, Rs. C-334/92, Teodoro Wagner Miret 1 Fondo de garantia Salarial, Slg. 1993, S. 1-6911 (6932).
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rang. 20 Der kollidierende nationale Rechtssatz ist also nicht nichtig, sondern wird nur im konkreten Einzelfall durch die gemeinschaftsrechtliche Norm verdrängt. 21 Vermieden werden kann die Erklärung der Unanwendbarkeit von nationalem Recht durch die sog. gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung. Sie verlangt die Auslegung des mitgliedstaatlichen Gesetzes nach den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts in den Grenzen der methodischen Zulässigkeit. 22 Gemeinsame Grundlage dieser Anwendungs- und Auslegungsregeln ist vor allem das Effektivitätsgebot. 23 Dabei handelt es sich um einen das gesamte Gemeinschaftsrecht durchziehenden Grundsatz, der es verbietet, daß die Anwendung nationalen Rechts Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt. 24 Zusammen mit dem Diskriminierungsverbot leitet das Effektivitätsgebot die Handhabung des nationalen Verwaltungsrechts. Das Diskriminierungsverbot verbietet in Fällen mit Gemeinschaftsrechtsbezug eine Schlechterstellung gegenüber der rechtlichen Behandlung von rein nach innerstaatlichem Recht zu behandelnden Sachverhalten. 25 Für die Anwendung des Verfahrensrechts eines Mitgliedstaates hat der Europäische Gerichtshof daraus das sog. Doppelverbot formuliert: Es verbietet, daß durch die Anwendung des nationalen Verwaltungsrechts die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts praktisch unmöglich wird, sowie die unterschiedliche Anwendung des rnitgliedstaatlichen Rechts im Vergleich zu Verfahren, in denen über vergleichbare
20 EuGH, Urt. v. 15.7.1964 , Rs. 6 164, Flaminio Costa 1 E.N.E.L., Slg. 1964, S. 1251 (\ 270); Urt. v. 29.4.1999, Rs. C-224 197, Erich Ciola 1 Land Vorarlberg, NJW 1999,S. 2355. 2\ EuGH, Urt. v. 22.10.1998, Rs.C-IO-22/97, Ministero delle Finanze 1 IN.CO.GE. 90 u.a., JZ 1999, S. 196 (197); Oliver Dörr, in: Sodan 1 Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 1999, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz Rn. 396; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 13), S. 54 ff.; Zuleeg (Anm. 13) S. 159 ff. 22 EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 157/86, Mary Murphy u.a. 1 An Bord Telecom Eireann, Slg. 1988, S. 673 (690); Dörr (Anm. 21) Rn. 388; Zuleeg (Anm. 13) S. 165 ff. 23 Dazu Albert Bleckmann, in: ders., Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rn. 1318 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 13), S. 115 ff.; Schoch, Europäisierung der Verwaltungsrechtsordnung (Anm. 13), S. 244; Rudolf Streinz, Der "effet utile" in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, in: Due 1 Lutter 1 Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, 1995, S. 1491 ff. 24 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.2.1970, Rs. 40 169, Hauptzollamt Hamburg-Oberelbe 1 Fa. Paul G. Bollmann, Slg. 1970, S. 69 (80); Urt. v. 28.6.1977, Rs. 118/76, Balkan-ImportExport GmbH 1 Hauptzollamt Berlin-Packhof, Slg. 1977, S. 1177 (1188 f.); Urt. v. 5.3.1980, Rs. 265/78, H. Ferwerda BV 1 Produktschap voor Vee en Vlees, Slg. 1980, S. 617 (630); Urt. v. 6.5.1982, Rs. 54/81, Fa. Wilhelm Fromme 1 Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Slg. 1982, S. 1449 (\463); Urt. v. 6.5.1982, verb. Rs. 146, 192 u. 193/81, BayWa AG u.a.1 Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Slg. 1982, S. 1503 (\535). 25 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 13), S. 118 f.
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nationale Fälle entschieden wird. 26 Dieses Doppelverbot gilt auch rur die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes zur Durchsetzung der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte: Die Modalitäten der Klage dürfen nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).27 Methodisch knüpft das Doppelverbot an den Grundsatz der Verfahrensautonornie der Mitgliedstaaten an. In Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Verfahrensregeln ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen, die zuständigen Stellen zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten zu regeln. Grenzen ergeben sich erst aus dem genannten Doppelverbot. Diese Grenzziehung ist unter der Bezeichnung "Soweit-Formel" bekannt, da sie der mitgliedstaatlichen Vollzugsautonornie Raum läßt, soweit das Gemeinschaftsrecht keine Regelung enthält. 28 Seit der sog. Milchkontor-Entscheidung aus dem Jahre 1983 hat der Europäische Gerichtshof jedoch als autonorniebegrenzende Rechtsschicht neben den den Vollzug selbst betreffenden Regeln die allgemeinen Rechtsgrund-
26 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. 33/76, Rewe-Zentralfinanz eG und ReweZentral AG / Landwirtschaftskammer für das Saarland, Slg. 1976, S. 1989 (1998); Urt. v. 16.12.1976, Rs. 45 / 76, Comet BV / Produktschap voor Siergewassen, Slg. 1976, S. 2043 (2053), Urt. v. 27.2.1980, Rs. 68/79, Hans Just I / S / Ministerium für das Steuerwesen, Slg. 1980, S. 501 (522 f.); Urt. v. 27.3.1980, Rs. 61 /79, Amministrazione delle Finanze dello Stato / Denkavit itaIiana Srl, Slg. 1980, S. 1205 (1226); Urt. v. 21.9.1983, verb. Rs. 205-215 / 82, Deutsche Milchkontor GmbH u.a. / BundesrepubIik Deutschland, Slg. 1983, S. 2633 (2665 f.); Urt. v. 9.11.1983, Rs. 199/82, Amministrazione delle finanze dello Stato / S.p.A. San Giorgio, Slg. 1983, S. 3595 (3612). Zusammenfassend Rudolf Streinz, Der Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts durch deutsche Staatsorgane, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 1992, § 182 Rn. 24 ff. 27 EuGH, Urt. v. 2.12.1997, Rs. C-188 /95, Fantask SA u.a. /Industriministeriet, NVwZ 1998, S. 833; Urt. v. 15.9.1998, Rs. C-231 / 96, Edilizia Industriale Siderurgica Srl / Italienisches Finanzministerium, DVBI. 1999, S. 30 (31); Urt. v. 17.11.1998, Rs. C228 / 96, Aprile Srl / Amministrazione delle Finanze dello Stato, DVBI. 1999, S. 384 (385); Urt. v. 21.1.1999, Rs. C-120 / 97, Upjohn Ltd / The Licensing Authority, EuZW 1999, S. 503 (505); Urt. v. 9.2.1999, Rs. C-343 / 96, Dilexport SrJ / Amministrazione delle Finanze dello Stato, EuZW 1999, S. 313 (315). Dazu Dörr (Anm. 21) Rn. 432 ff. 28 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. 33 / 76, Rewe-Zentralfinanz eG und ReweZentral AG / Landwirtschaftskammer für das Saarland, Slg. 1976, S. 1989 (1998); Urt. v. 16.12.1976, Rs. 45 /76, Comet BV / Produktschap voor Siergewassen, Slg. 1976, S. 2043 (2053); Urt. v. 12.6.1980, verb. Rs. 119 u. 126/79, Lippische Hauptgenossenschaft u.a. / Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Slg. 1980, S. 1863 (1879); Urt. v. 12.6.1980, Rs. 130/79, Express Dairy Foods Limited / Intervention Board für Agricultural Produce, Slg. 1980, S. 1887 (1900). Dazu Streinz (Anm. 26) Rn. 23.
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sätze der Gemeinschaft anerkannt. 29 Beispiele sind die vom Gerichtshof aus der Verfassungs tradition der Mitgliedstaaten destillierten europäischen Grundrechte 30 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheie., des Vertrauensschutzes 32 , der Verhältnismäßigkeit 33 und des effektiven Rechtsschutzes 34 • Nationales Recht ist an diesen Grundsätzen auszurichten bzw. nach ihnen auszulegen. 35 29 EuGH, Urt. v. 21.9.1983, verb. Rs. 205-215 / 82, Deutsche Milchkontor GmbH u.a. / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1983, S. 2633 (2665). Kritisch von Danwitz (Anm. 13) S. 352 ff. 30 Zur Geltung der europäischen Grundrechte flir den VolIzug vgJ. nur EuGH, Urt. v. 13.7.1989, Rs. 5 / 88, Hubert Wachauf / Bundesamt flir Ernährung und Forstwirtschaft, Sig. 1989, S. 2609 (2639 f.). Zum europäischen Grundrechtsschutz: Juliane Kokott, Der Grundrechtsschutz im europäischen Gemeinschaftsrecht, AöR 121 (1996), 599 ff.; Dieter Kugelmann, Grundrechte in Europa, 1997; Carl Otto Lenz, Ein Grundrechtskatalog flir die Europäische Gemeinschaft, NJW 1997, S. 3289 ff.; Thomas Oppermann, Europarecht, 2. Aufl 1999, Rn. 489 ff.; Hans Werner Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993; Peter Seimer, Die Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards durch den EuGH, 1998; Christian Tietje, Europäischer Grundrechtsschutz nach dem Maastricht-Urteil, "Solange III"?, JuS 1994, S. 197 ff.; Irmgard Wetter, Die Grundrechtscharta des Europäischen Gerichtshofes, 1997; Man/red Zuleeg, Der Schutz der Menschenrechte im Gemeinschaftsrecht, DÖV 1992, S. 937 ff. 31 VgJ. EuGH, Urt. v. 18.2.1982, Rs. 77 / 81, Zuckerfabrik Franken GmbH / Bundesrepublik Deutschland, Sig. 1982, S. 681 (695). Dazu Michael Schlockermann, Rechtssicherheit als Vertrauensschutz in der Rechtsprechung des EuGH, 1984. 32 VgJ. EuGH, Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-298 / 96, Oelmühle Hamburg AG u.a. / Bundesanstalt flir Landwirtschaft und Ernährung, EuZW 1998, S. 603 (605). Dazu KlausDieter Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1988. 33 VgJ. EuGH, Urt. v. 18.2.1982, Rs. 77/81, Zuckerfabrik Franken GmbH / Bundesrepublik Deutschland, Sig. 1982, S. 681 (695); Urt. v. 1\.3.1987, Rs. 279, 280, 285, 286 / 84, Walter Rau Lebensmittelwerke u.a. / Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sig. 1987, S. 1069 (1125); Urt. v. 9.11.1995, Rs. C-426 / 93, Bundesrepublik Deutschland / Rat der Europäischen Union, Sig. 1995, S. 1-3723 (3755 f.). Dazu Eckhard Pache, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Gemeinschaften, NVwZ 1999, S. 1033 ff. 34 VgJ. EuGH, Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222/84, Marguerite Johnston / Chief Constable ofthe Royal Ulster Constabulary, Sig. 1986, S. 1651 (1681 ff.); Urt. v. 15.10.1987, Rs. 222/86, Unectef / Georg Heylens u.a., Sig. 1987, S. 4097 (4117); Urt. v. 7.5.1991, Rs. C-340 / 89, Irene Vlassopoulou / Ministerium flir Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg, Sig. 1991, S. 1-2357 (2385); Urt. v. 7.5.1992, Rs. C104 / 91, Colegio Oficial de Agentes de la Propiedad Immobiliaria / Jose Luis Aguirre Borrel u.a., Sig. 1992, S. 1-3003 (3029). Dazu Michael Brenner, AlIgemeine Prinzipien des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in Europa, Die Verwaltung 31 (1998), S. 1 (12 f.); Thomas von Danwitz, Die Garantie effektiven Rechtsschutzes im Recht der Europäischen Gemeinschaften, NJW 1993, S. 1108 ff.; Dörr (Anm. 21) Rn. 429 ff. 35 Von Danwitz (Anm. 13) S. 352 f.; Dörr (Anm. 21) Rn. 426; Kadelbach, AlIgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 13), S. 130; Rengeling (Anm. 13) S. 226; zurückhaltender Streinz (Anm. 26) Rn. 23. Zur Bildung gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze des Verwaltungsrechts Ulrich M. Gassner, Rechtsgrundlagen und Verfahrensgrundsätze des Europäischen Verwaltungsverfahrensrechts, DVBJ. 1995, S. 16 ff.; Eberhard Grabitz, Europäisches Verwaltungsrecht, NJW 1989, S. 1776 ff.; Georg Haibach, Die Recht-
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Aus den skizzierten Modi der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts haben sich für das deutsche Wirtschaftsverwaltungsrecht zahlreiche ModifIkationen für Fälle mit Gemeinschaftsrechtsbezug ergeben. Sie können hier nicht im einzelnen dargestellt werden. 36 Wichtiges Beispiel aus dem Bereich des Wirtschaftsrechts sind die europarechtlichen Überformungen der nach § 48 VwVfG erfolgenden Rücknahme von gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfebescheiden. Nach deutschem Recht genügt für die Vergabe von Subventionen die Ausweisung der Mittel und ihrer Zweckbestimmung im Haushaltsplan. 3? Die Vergabeentscheidung selbst liegt dann häufIg im Ermessen der Verwaltung. 38 Die positive Subventionsentscheidung darf jedoch nicht durchgeführt, d.h. die Mittel dürfen nicht ausgezahlt werden, bevor nicht eine Bestätigung der Beihilfe durch die Kommission erfolgt ist (Art. 88 Abs. 3 S. 3 EGV). Diese Bestätigung darf nicht erteilt werden, wenn das grundsätzliche Verbot von Beihilfen nach Art. 87 Abs. 1 EGV anwendbar ist und nicht aufgrund einer de minimis-Regel auf eine Kontrolle verzichtet wird39 • Lediglich im Bereich der nach Art. 87 Abs. 2 EGV erlaubten Beihilfen bleibt es bei der durch das nationale Recht eröffneten Steuerungsfähigkeit der deutschen Behörden. In den in Art. 87 Abs. 3 EGV aufgeführten Fällen bedarf es zusätzlich der im Ermessen der Kommission stehenden Entscheidung, daß die Beihilfe als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen ist. Anders als bei der Prüfung des Beihilfenverbots nach Art. 87 Abs. 1 EGV und des Vorliegens einer der Legalausnahmen des Art. 87 Abs. 2 EGV kann hier die nationale Behörde bei ihrer Vergabeentscheidung nicht selbst feststellen, ob die Subvention mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist oder sprechung des EuGH zu den Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens, NVwZ 1998, S.456 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Müller-Graff (Hrsg.), Perspektiven des Rechts in der Europäischen Union, 1998, S. 131 ff.; Jürgen Schwarze, Der Schutz des Gemeinschaftsbürgers durch allgemeine Verwaltungsrechtsgrundsätze im EG-Recht, NJW 1986, S. 1067 ff.; ders., Europäisches Verwaltungsrecht, 1988. 36 S. die Nachw. o. Anm. 13. 37 BVerwGE 58, S. 45 (48); 90, S. 112 (126); BVerwG NJW 1977, S. 1838 (1839); Hans D. Jarass, Der Vorbehalt des Gesetzes bei Subventionen, NVwZ 1984, S. 473 (480); Reinhard Mußgnug, Gesetzesgestaltung und Gesetzesanwendung im Leistungsrecht, VVDStRL 47 (1989), S. 113 (122); Rolf Stober, Deregulierung im Wirtschaftsverwaltungsrecht, DÖV 1995, S. 125 (131). Für Erforderlichkeit einer spezialgesetzlichen Grundlage dagegen Hartmut Bauer, Der Gesetzesvorbehalt im Subventionsrecht, DÖV 1983, S. 53 (57); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 1999, § 6 Rn. 14; Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 2. Aufl. 1996, § 62 Rn. 21. 38 Ola! Reidt, in: Hans D. Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 3. Aufl. 1997 § 10 Rn. 51. 39 Zur Verbindlichkeit der de minimis-Regeln vgl. Thomas Jestaedt / Ulrike Häsemeyer, Die Bindungswirkung von Gemeinschaftsrahmen und Leitlinien im EGBeihilfenrecht, EuZW 1995, S. 787 ff.
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nicht. Die Entscheidung der Verwaltung, eine Subvention gewähren zu wollen, steht unter dem Vorbehalt einer bestätigenden Ermessensentscheidung der Kommission. Die Subventionsentscheidung der nationalen Behörde ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Subventionsvergabe. Zulässig wird die Subventionierung erst in vertikaler Kooperation von nationaler Verwaltung und Kommission. Eingeschränkt werden die Steuerungsspielräume der nationalen Verwaltung auch hinsichtlich der Aufhebung einer Subventionsentscheidung. In den Fällen der unter Verstoß gegen die Art. 87, 88 EGV gewährten Beihilfen konzediert der Europäische Gerichtshof zwar, daß die Rückforderung der Beihilfe nach nationalem Recht erfolgt. 40 Doch werden die Rücknahmeregelungen des § 48 VwVfG durch Gemeinschaftsrecht sehr weitgehend modiftziert. 41 Ansatzpunkt ist das Effektivitätsgebot, das es ausschließt, daß die Anwendung des deutschen Verfahrensrechts die gemeinschaftsrechtlich bestehende Rückforderungspflicht
40 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 2.2.89, Rs. 94 / 87, Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Bundesrepublik Deutschland, Sig. 1989, S. 175 (192); Urt. v. 20.9.1990, Rs. C-5 /89, Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Bundesrepublik Deutschland, Sig. 1990, S. 1-3437 (3456); Urt. v. 16.7.1998, Rs. C-298 / 96, Oelmühle Hamburg AG u.a. / Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, EuZW 1998, S. 603 (605); Urt. v. 12.5.1998, Rs. C-366 / 95, Landbrugsministeriet / Steff-Houlberg Export I / S u.a., EuZW 1998, S. 499 (500). 41 Zu den sich in diesem Zusammenhang steHenden Fragen Franz Bardenhewer, Effektive Durchsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechts und nationaler Vertrauensschutz, in: Grawert / Schlink / Wahl (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. FS für ErnstWolfgang Böckenförde, 1995, S. 239 ff.; Sabine Beckmann, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger staatlicher Beihilfen, 1996; Birgit Berninghausen, Die Europäisierung des Vertrauensschutzes, 1998; Hans Georg Fischer, Zur Rückforderung von unter Verstoß gegen Art. 92, 93 EWGV gewährten nationalen Beihilfen, DVBI. 1990, S. 1089 ff.; Claus-Michael Happe. Rückforderung von Zuwendungen nach negativer Kommisionsentscheidung im Beihilfenverfahren, NVwZ 1998, S. 26 ff; Armin Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 1998, S. 246 ff.; Siegfried Magiera, Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger staatlicher Beihilfen, in: Baur / MüHer-Graff / Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht, FS für Bodo Börner, 1992, S. 2 I3 ff.; Matthias Nickel, Das Spannungsverhältnis zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und den §§ 48-49a VwVfG, 1999; Eckhard Pache, Rechtsfragen der Aufhebung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfebescheide, NVwZ 1994, S. 318 ff.; Thorsten Richter, Rückforderung gemeinschaftswidriger Subventionen nach § 48 VwVfG, DÖV 1995, S. 846 ff.; ders., Rückforderung staatlicher Beihilfen nach §§ 48, 49 VwVfG bei Verstoß gegen Art. 92 ff. EGV, 1995; Rupert Scholz, Zum Verhältnis von europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrensrecht, DÖV 1998, S. 261 ff.; Frank Schulze, Vertrauensschutz im EG-Recht bei der Rückforderung von Beihilfen, EuZW 1993, S. 279 ff.; Adinda Sinnaeve, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen, 1997; Dimitris Triantafyllou, Zur "Europäisierung" des Vertrauensschutzes (insbesondere § 48 VwVfG), NVwZ 1992, S. 436 ff.
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praktisch unmöglich macht. 42 Deshalb ist die in § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG enthaltene Ausschlußfrist für die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts nicht anwendbar, wenn die Kommission eine rechtswidrig gewährte Beihilfe durch bestandskräftige Entscheidung für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung angeordnet hat. 43 Die im deutschen Recht enthaltene Regelvermutung für die Gewährung von Vertrauensschutz in dem Fall, daß der Begünstigte die gewährte Leistung verbraucht hat (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG), greift nicht ein, wenn das Beihilfekontrollverfahren des Art. 88 EGV nicht eingehalten worden ist. 44 Die neue Verordnung (EG) Nr. 659/ 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 EGV vom 22.3.1999 45 räumt in Art. 11 Abs. 2 der Kommission das Recht ein, dem betreffenden Mitgliedstaat die einstweilige Rückforderung einer unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EGV eingeführten und damit (formell) rechtswidrigen Beihilfe aufzugeben, wenn hinsichtlich des Beihilfecharakters keinerlei Zweifel besteht, ein Tätigwerden dringend geboten und ein erheblicher und nicht wiedergutzumachender Schaden für einen Konkurrenten ernsthaft zu befürchten ist. 46 Eine nach Kommissionsentscheidung mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe muß vom Mitgliedstaat unter Ergreifung aller notwendigen, auch vorläufigen Maßnahmen vom Empfänger zurückgefordert werden (Art. 14 va (EG) Nr. 659 / 1999). Nach Rücknahme des Beihilfebescheides ist der in § 49a Abs. 2 VwVfG vorgesehene Einwand der Entreicherung abgeschnitten. 47 Da Folge der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beihilfengewährung durch die Kommission die Rückzahlbarkeit der Beihilfe ist, ist eine Betätigung des verbleibenden Rücknahmeermessens (§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG) zugunsten des Beihilfenempfängers grundsätzlich nicht möglich. 48 In Anbetracht der dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stellt § 48 VwVfG nur noch einen Mantel zur Verfügung, um die Rückzahlungsanforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts im Gewande 42 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24 / 95, Land Rheinland-Pfalz / Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S. 276 (277) 43 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24 / 95, Land Rheinland-Pfalz / Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S. 276 (278) 44 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24 / 95, Land Rheinland-Pfalz / Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S. 276 (277). 45 ABI. EG Nr. L 83, S. I ff. 46 Zur Auslegung Eberhard Kruse, Bemerkungen zur gemeinschaftlichen Verfahrensverordnung für die Beihilfekontrolle, NVwZ 1999, S. 1049 (1054). Zu Rechtsschutzproblemen Carsten Nowak, Grundrechtlicher Drittschutz im EG-Beihilfenkontrollverfahren, DVBI. 2000, S. 20 ff. 47 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24 / 95, Land Rheinland-Pfalz / Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S. 276 (279). 48 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24 / 95, Land Rheinland-Pfalz / Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S. 276 (278).
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des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts zu transportieren. In seinem einen österreichischen Sachverhalt betreffenden Urteil vom 29. April 1999 hat der Gerichtshof deutlich gemacht, daß er das vom Gemeinschaftsrecht Gebotene notfalls auch ohne nationale Transmissionsnorm durchsetzt. Der Gerichtshof erstreckt in dieser Entscheidung den Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht nur auf generell-abstrakte Normen, sondern auch auf individuelle konkrete Verwaltungsentscheidungen. Folge davon ist, daß ein Verwaltungsakt, der nach nationalem Verwaltungsrecht als bestandskräftig hinzunehmen ist, unangewendet bleiben muß, wenn sein Inhalt mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist. 49 In letzter Konsequenz werden für gemeinschaftsrechtswidrige Verwaltungsakte die Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bestandskraft und die Aufhebbarkeit von Verwaltungs akten damit zur Makulatur. 2. Verantwortungsreduzierung im Verwaltungskooperationsrecht Für das Verhältnis von Wirtschaft und nationaler Verwaltung sind die Konsequenzen auf den ersten Blick nicht allzu groß. Im Grundsatz liegt der Vollzug auch von Gemeinschaftsrecht nach wie vor bei den nationalen Behörden. 50 Ob nun nationales oder Gemeinschaftsrecht vollzogen wird, mag für die Struktur der Aufgabe der Verwaltung, die Feinregulierung normativer Steuerungsvorgaben zu leisten, weitgehend unerheblich sein. Sieht man allerdings etwas genauer hin, so ist für die nationalen Verwaltungen ein Bedeutungsverlust erkennbar. Denn über die geschilderte Überformung durch europäisches Gemeinschaftsrecht hinaus unterliegt das nationale Verwaltungsrecht einem Anpassungsdruck auch durch die Faktizitäten der Verwaltung im Mehrebenensystem. Zur Abbreviatur der damit formulierten Herausforderungen ist der Begriff "Verwaltungskooperationsrecht" vorgeschlagen worden. 51 Er kann in diesem 49 EuGH, Urt. v. 29.4.1999, Rs. C-224 / 97, Erich Ciola / Land Vorarlberg, NJW 1999, S. 2355 (2356). so Vgl. Wolfgang Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 73 ff.; HansWerner Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977, S. 10 f.; Heinrich Siedentopf, Die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten, 1990, S. 7; Rupert Stettner, Verwaltungsvollzug, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 1999, BIlIRn. 11 ff. SI Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungskooperation 'und Verwaltungskooperationsrecht in der Europäischen Gemeinschaft, EuR 1996, S. 270 ff.; ders., Das Allgemeine Verwaltungsrecht vor den Herausforderungen neuer europäischer Verwaltungsstrukturen, in: HaUer / Kopetzki / Novak (Hrsg.), Staat und Recht, FS Günter Winkler, 1997, S. 995 (1001 ff.); vgl. auch von Danwitz (Anm. 13) S. 493 ff.; Rainer Pitschas, Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts - Das kooperative Sozial- und Gesundheitsrecht der Gemeinschaft, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 123 (130 f.).
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prospektiven Verständnis verwendet werden, solange präsent bleibt, daß er ein Sammelbegriff für mehrere zu bewältigende Problemschichtungen ist. Zentrale Vorschrift eines direktiven Kooperationsrechts ist Art. 10 EGV, der sowohl für die vertikale als auch die horizontale Kooperation gilt. Für die vertikale Kooperation zwischen Gemeinschaftsorganen und Verwaltungen der Mitgliedstaaten verlangt Art. 10 EGV von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten wechselseitige Loyalität. 52 Die Mitgliedstaaten sind zur Ergreifung der Maßnahmen verpflichtet, die den Gemeinschaftsorganen die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern (Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGV). Horizontal sind die mitgliedstaatlichen Verwaltungen zu loyaler Zusammenarbeit mit den Trägem der anderen Mitgliedstaaten zur Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet. 53 Diese generellen Gebote werden in zahlreichen Vorschriften des EU-und des EG-Vertrages bereichsspezifisch ausgeformt. Genannt werden sollen hier nur die operative Zusammenarbeit der zuständigen Behörden beim gemeinsamen Vorgehen im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit nach Art. 30 Abs. 1 lit.a EUV, die nach Art. 66 EGV erlassenen Regelungen über die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten sowie zwischen den mitgliedstaatlichen Behörden und der Kommission auf den Politikfeldern des Titels IV des EGV, diverse Informations-, Konsultations- und Amtshilfepflichten. Als eine zentrale Säule eines Verwaltungskooperationsrechts läßt sich das Prinzip gegenseitiger Anerkennung benennen. 54 Eine Kooperation, in der jeder Partner die Relevanz jeder Handlung jedes Partners für sich selbst negieren kann, endet in Konfrontation. Das Anerkennungsmodell darf durchaus als der kooperativen Verflechtung der verschiedenen Verwaltungsebenen in der Gemeinschaft angemessenes Minus zu einer Harmonisierung der Verwaltungsrechtsordnungen angesehen werden, das flexibel genug ist, um unter Schonung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Integrationsfortschritte zu implemenMichael Schweitzer I Waldemar Hummer, Europarecht, 5. Aufl. 1996, Rn. 1045 ff. EuGH, Urt. v. 11.6.1991, Rs. C-251 / 89, Nikolaos Athanasopoulos u.a. / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1991, S. 1-2797 (2848). 54 Zu ihm von Danwitz (Anm. 13) S. 407 ff.; ders., Systemgedanken eines Rechts der Verwaltungskooperation, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 171 (179 ff.); Ulrich Fastenrath, Die veränderte Stellung der Verwaltung und ihr Verhältnis zum Bürger unter dem Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts, Die Verwaltung (1998), S. 277 (301 ff.); Volkmar Götz, Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im europäischen Binnenmarkt, in: Götz / Se1mer / Wolfrum (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke, 1998, S. 763 ff.; Heinrich Matthies, Zur Anerkennung gleichwertiger Regelungen im Binnenmarkt der EG, in: Baur / Hopt (Hrsg.), FS für Ernst Steindorff, 1990, S. 1287 ff.; Volker Neßler, Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht, 1994, S. 5 ff.; ders., Der transnationale Verwaltungsakt, NVwZ 1995, S. 863 ff.; Roland Niehof, Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Gemeinschaftsrecht, 1989; Ernst Steindorff, Anerkennung im EG-Recht, in: Pfister / Wil\ (Hrsg.), FS für Werner Lorenz, 1991, S. 561 ff. 52
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tieren. 55 Seine Nuancierung bietet gleichzeitig ein Ventil zum Entweichen kooperationsfeindlichen Hierarchieüberdrucks. Nimmt man am Beispiel der Produktzulassung als Pole von administrativen Zulassungsentscheidungen im Mehrebenensystem die Marktzulassung des Produkts mit Wirkung jeweils nur fiir den nationalen Markt - mit der Folge, daß ein Produktzulassungsverfahren in jedem Mitgliedstaat durchlaufen werden muß - auf der einen Seite und die Zulassung des Produkts durch ein Gemeinschaftsorgan mit Wirkung fiir alle Mitgliedstaaten auf der anderen Seite, so steht der Anerkennungsgrundsatz dazwischen. Der Kreis von Sachgebieten, bezüglich derer eine eigene Verwaltungszuständigkeit der Gemeinschaft besteht, wächst. 56 Als wirtschaftsverwaltungsrechtliches Beispiel kann die sog. Novel Food-Verordnung von Anfang 199757 dienen. Sie fiihrt fiir Produkte, die dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfallen, ein präventives Zulassungssystem ein. Der Antrag auf Zulassung des Produkts wird bei der nationalen Zulassungsbehörde gestellt. Die Zulassungsbehörde fiihrt dann eine Prüfung des Produkts durch eine nationale Lebensmittelprüfstelle herbei. Der weitere Verfahrensablauf hängt vom Ergebnis dieser Prüfung ab: Fällt der Prüfbericht negativ aus, so veranlaßt dies nicht eine Versagung der Genehmigung durch die nationale Zulassungsbehörde. Vielmehr erfolgt eine ergänzende Prüfung auf Gemeinschaftsebene, deren Ausgang entweder zur Ablehnung oder zur Erteilung einer Gemeinschaftsgenehmigung durch die Kommission fiihrt. Ein positiver Prüfbericht der nationalen Lebensmittelprüfstelle gibt jedem anderen Mitgliedstaat und der Kommission die Möglichkeit, Einwände gegen die Zulassung des Produkts zu erheben. Unterbleiben solche Einwände, so wird die Genehmigung durch die nationale Zulassungsbehörde erteilt. Durch die Erhebung von Einwänden wird das Verfahren hingegen auf die Kommission übergeleitet, die die Genehmigung erteilt oder den Antrag ablehnt. Für die Wirkung der Genehmigung ist es unerheblich, ob sie von der nationalen Zulassungsbehörde oder der Kommission erteilt wird; sie gilt in beiden Vgl. von Danwitz (Anm. 13) S. 413 f.; ders. (Anm. 54) S. 179 ff. Vgl. Reimer von Borries, Verwaltungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft, in: Festschrift für Ulrich Everling, 1995, S. 127 ff.; Stefanie Schreiber, Verwaltungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft, 1997; Stettner (Anm. 50) Rn. 18 ff. 57 Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.1.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, ABI. EG Nr. L 43, S. I ff.; dazu Klaus Ferdinand Gärditz, Die Novel-Food-Verordnung, ZUR 1998, S. 169 ff.; Rainer Wahl / DetiefGroß, Die Europäisierung des Genehmigungsrechts am Beispiel der Novel-Food-Verordnung, DVBI. 1998, S. 2 ff. Zum Verhältnis zwischen deutschem und europäischem Lebensmittelrecht vgl. Friedhelm Hufen, Verwaltungskooperation in der EG: Lebensmittel- und Veterinärrecht, in: Schmidt / Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 99 ff. 55
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Fällen gemeinschaftsweit. Gleichwohl läßt sich von einem Kooperationsverhältnis nicht wirklich sprechen: Herrin des Verfahrens ist die Kommission. Durch die Erhebung von Einwänden kann sie das Verfahren an sich ziehen; die eigentliche Entscheidung über Erteilung oder Ablehnung der Genehmigung liegt allein bei ihr. 58 Die nationale Zulassungsbehörde wird als bloße DurchgangssteIle instrumentalisiert. Sie ist gleichsam nur noch Junior-Partner der Kommission. Insoweit unterscheidet sich das Zulassungsverfahren nach der Novel Food-Verordnung von der zentralisierten Zulassung beispielsweise für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Dort wird das Verfahren von Anfang an von Gemeinschaftsorganen durchgeführt; dem Kooperationsprinzip wird durch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Bemerkungen zum Entscheidungsentwurf der Kommission zu übermitteln, Rechnung getragen. 59 Solche Vergemeinschaftungen von Entscheidungen sind dem auf dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EGV) gegründeten Binnenmarktkonzept weniger angemessen als die Ausstattung nationaler Verwaltungsentscheidungen mit transnationalen Wirkungen. 6o Derartige transnationale Wirkungen zeitigen Entscheidungen dann, wenn sie zwar von nationalen Behörden als Entscheidungen des nationalen Verwaltungsrechts getroffen werden, jedoch für die Behörden anderer Mitgliedstaaten aus rechtlichen Gründen zu einer Reduzierung des Entscheidungsprogramms führen. Idealtypisch ist insoweit die gemeinschaftsrechtlich angeordnete gemeinschaftsweite Geltung einer von einer nationalen Behörde getroffenen Zulassungsentscheidung. Die Zulassung gilt in diesem Fall in jedem Mitgliedstaat, ohne eines Anerkennungsakts zu bedürfen. Läßt sich hier58 Zweifel an der Kompetenzgerechtigkeit der Novel-Food-Verordnung bei Gärditz (Anm. 57) S. 170 ff. 59 Vgl. im einzelnen die Verordnung (EWG) Nr. 2309 / 93 des Rates vom 22.7.1993 zur FestIegung von Gemeinschaftsverfahren flir die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur flir die Beurteilung von Arzneimitteln, ABI. EG 1993 L 214, S. 1 ff.; dazu Brigitte Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren flir Arzneimittel, 1996, S. 65 ff. 60 Von Danwitz (Anm. 13) S. 410 f.; Stefan Langer, Subsidiarität und Anerkennungsprinzip, ZG 1993, S. 193 (205); Scheuing (Anm. 13) S. 342. Zum Subsidiaritätsprinzip vgl. nur Reimer von Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 1994, S. 263 ff.; Thomas Bruha, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, in: Riklin / Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, 1994, S. 373 ff.; Christian Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999; Thomas Goppel, Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, EuZW 1993, S. 367 ff.; Markus Heintzen, Subsidiaritätsprinzip und Europäische Gemeinschaft, JZ 1991, S. 317 ff.; Wolfgang Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3b EG-Vertrag, AöR 118 (1993), S. 414 ff.; Gerhard Konow, Zum Subsidiaritätsprinzip des Vertrags von Maastricht, DÖV 1993, S. 405 ff.; Helmut Lecheier, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993; Jörn Pipkorn, Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag über die Europäische Union, EuZW 1992, S. 697 ff.; Stefan Ulrich Pieper, Subsidiaritätsprinzip - Strukturprinzip der Europäischen Union, DVBI. 1993, S. 705 ff.; Bernhard Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994.
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für von echter Transnationalität sprechen, so meint vermittelte Transnationalität die Konstellation, daß die Wirkung der Entscheidung in anderen Mitgliedstaaten von einer ausdrücklichen Bestätigung durch die dortigen Behörden abhängig iSt. 61 Diese Bestätigung kann entweder voraussetzungslos erfolgen oder von der Durchführung eines ergänzenden Prüfprogramms, insbesondere der Vergleichbarkeit mit den materiellen Standards des nationalen Rechts, abhängig gemacht werden. Beispiel für die letztgenannte Form vermittelter Transnationalität ist der für die Anerkennung von Diplomen vorgesehene Vergleich der Kenntnisse und Fähigkeiten. 62 Über diese transnationalen Entscheidungswirkungen hinaus fmden sich weitere Transnationalitätsphänomene im Sinne einer Entgrenzung nationalen Verwaltungshandelns. Zu nennen ist etwa die Durchführung von behördlichen Aufsichtsrnaßnahmen auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats im Kreditwesen. Die Zulassung eines Unternehmens mit Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat berechtigt zum erlaubnisfreien Betrieb einer Zweigniederlassung in der Bundesrepublik Deutschland (§ 53b Abs. 1 KWG). Die zuständigen Behörden des Herkunftsstaates können dann nach vorheriger Unterrichtung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen bei der Zweigniederlassung, also in der Bundesrepublik, die für die bankaufsichtliehe Überwachung der Zweigniederlassung erforderlichen Informationen prüfen (§ 53b Abs. 6 KWG).63
61 Zur Terminologie Schmidt-Aßmann, Verwaltungskooperation (Anm. 51), S. 30 I. 62 Vgl. die Richtlinie 89 / 48 EWG des Rates vom 21.12.1988 über eine aIlgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldip1ome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABI. EG 1989 L 19, S. 16 ff.; Richtlinie 92 / 51 / EWG des Rates vom 18.6.1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89 / 48 / EWG, ABI. EG 1992 L 209, S. 25 ff.; Richtlinie 1999 / 42 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.6.1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien faIlenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, ABI. EG 1999 L 201, S. 77 ff. Grundlegend zur PTÜfungspflicht nach Primärrecht EuGH, Urt. v. 7.5.1991, Rs. 340 / 89, Irene V1assopou1ou / Ministerium für Justiz etc. BadenWürttemberg, Slg. 1991, S. 1-2357 (2384 f.); zuletzt Urt. v. 8.7.1999, Rs. C-234 / 97, Teresa Femandez de Bobadilla / Museo Nacional deI Prado u.a., EuZW 1999, S. 569 (570). Zu diesem Problembereich Susanne St. Clair Renard, Freizügigkeit für Selbständige und abhängig Beschäftigte und gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen, in: Blaurock (Hrsg.), Der Binnenmarkt und die Freiheit der freien Berufe in Deutschland und Schweden, 1997, S. 45 ff.; Martin Wasmeier, Aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Anerkennung von Berufsabschlüssen, EuZW 1999, S. 746 ff.; Klaus Winkler, Freizügigkeit und Anerkennung von Befähigungsnachweisen nach EURecht, WiVerw. 1998, S. 83 ff. 63 Dazu Thomas Groß, Die administrative Föderalisierung der EG, JZ 1994, S. 596 ff.; Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, 1998.
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Der Wandel des Verhältnisses von Wirtschaft und Verwaltung in einem so verstandenen Verwaltungskooperationsrecht ist deutlich: Die Zulassung des Wirtschaftssubjekts zum Markt und die tätigkeitsbegleitende Aufsicht liegen nicht mehr bei der Verwaltung des (Aufnahme-) Staates, in dessen Volkswirtschaft sich der Wirtschaftsteilnehmer bewegen will. Insoweit entfällt die Steuerungsmöglichkeit der Verwaltung 64 : Sie ist vielmehr eingebunden in ein transnationales Kooperationsgeflecht von Verwaltungen, das auf wechselseitiger Information, Transparenz und verbundenen Entscheidungszusammenhängen beruht. 65
3. Bilanz Faßt man die kurzen Betrachtungen zur Europäisierung der Wirtschaftsverwaltung in den herangezogenen Referenzbereichen zusammen, so hat sich das Verhältnis zwischen nationaler Verwaltung und Wirtschaft gewandelt. Die Feinsteuerung wirtschaftlicher Prozesse ist ihr auch fiir Vorgänge, die im Inland verortet sind, in nicht unerheblichem Maß entzogen worden. Grund ist der Übergang von dem - zumindest im Modell - steuerungspolitisch autonomen Inlandsmarkt zum Gemeinsamen Markt. Für diesen Markt relevante Entscheidungen werden teilweise auf Gemeinschaftsebene hochgezont, teilweise durch eine nationale Behörde mit Wirkung fiir die Behörden aller anderen Mitgliedstaaten getroffen. Je weiter diese Prozesse fortschreiten, desto mehr wird die nationale Verwaltung gegenüber dem Wirtschaftssubjekt vom steuerungsmächtigen Alleinbezugspunkt zum bloßen Ansprechpartner. Begrifflich ließe sich diese Tendenz als "Lotsenfunktion" der nationalen Verwaltung fokussieren.
IH. Die nationale Wirtschaftsverwaltung im Prozeß der Globalisierung Bei aller Dynamik und Innovationsfähigkeit ist die Europäisierung einzelstaatlicher Steuerungsmöglichkeiten mittlerweile auch eine Defensivstrategie im weiter greifenden Prozeß der Globalisierung. Die Regionalisierung wird als Ansatz gesehen, um die gegenüber einer globalisierten Wirtschaft verloren gehende Steuerungsfähigkeit wiederzugewinnen. 66 Beispiele sind neben der EU 64 Zur Reduzierung der Steuerungsfahigkeit am Beispiel des transnationalen Verwaltungsakts Peter M. Huber, Die entfesselte Verwaltung, StwStp 1997, S. 423 (444 f.). 65 Vgl. Hatje (Anm. 13) S. 431 ff. 66 Beate Kahler-Koch / Micheie Knodt, Konzepte der politischen Steuerung in einer globalisierten Welt, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 235 (244);
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unter anderem NAFTA (North American Free Trade Agreement) und APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation Forum). Nicht zu Unrecht wird der Begriff Globalisierung als "Modewort" bezeichnet. 67 Einigkeit besteht im wesentlichen nur darüber, daß das, was mit diesem "Modewort" gemeint ist, "die Karten politischer und wirtschaftlicher Strukturen neu" mischt68 . Das Mischen von Karten ist allerdings kein Zustand, sondern ein Vorgang, so daß entscheidend zunächst die Einsicht in den Prozeßcharakter von Globalisierung ist. In der britischen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung wird zu Recht darauf hingewiesen, daß das Konzept einer globalisierten internationalen Wirtschaft einen Idealtypus bezeichnet. "Globalisierung" ist danach ein Arbeitsbegriff, der Balanceveränderungen zwischen internationalen ökonomischen Aktivitäten und Wirtschaftspolitik auf nationaler bzw. regionalisierter Ebene erfassen soll.69 Zu beachten ist weiterhin, daß "Globalisierung" nicht auf die ökonomische Perspektive verengt werden kann. Das Bemühen, defmitorische Gemeinsamkeiten aus der Globalisierungsdiskussion herauszukristallisieren, setzt an beim Verständnis von Globalisierung als multidimensionalem Entgrenzungsprozeß. Er erfaßt alle Relations- und Transaktionsebenen, also Wirtschaft, Politik, Kultur, Sozialwesen, Sicherheit, Umweltgestaltung etc., in ihrem Raum-, Zeit-, Organisations- und Hierarchiekontext. 7o In dieser Transformation bilden sich transkontinentale oder interregionale Netzwerke, die neben weiteren Akteuren weltweit operieren. 71 Die englischsprachigen Sozialwissenschaften sprechen insoweit von einem "polyarchic mixed actor system".72
Rainer Pitschas, Zukunft des Rechts: Spontane und organisierte Rechtsentwicklung Herausbildung einer neuen Architektur des global praktizierten Rechts?, in: Hilterhaus / Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat-Finanzverfassung-Globalisierung, 1998, S. 55 (56). 67 So Thomas Straubhaar, Unternehmen und Staaten: Internationaler Leistungswettbewerb der immobilen um die mobilen Faktoren - Neue Maßstäbe für innerstaatliche Strukturveränderungen?, in: Hilterhaus / Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat-FinanzverfassungGlobalisierung, 1998, S. 37 (38). 68 Straubhaar (Anm. 67) S. 38. 69 Paul Hirst / Grahame Thompson, Globalisierung? Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Nationalökonomien und die Formierung von Handelsblöcken, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S. 85 (89 ff., 130 f.). 70 Vgl. Harald Germann / Silke Raab / Martin Setzer, Messung der Globalisierung: ein Paradoxon, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 1 (4 f.); David Held / Anthony McGrew / David Goldblatt / Jonathan Perraton, Global Transformations, 1999, S. 15 f.; Jonathan Perraton / David Go/dblatt / David Held / Anthony McGrew, Die Globalisierung in der Wirtschaft, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S. 134 (136 f.). 7\ Germann / Raab / Setzer (Anm. 70) S. 5. 72 Held / McGrew / Goldblatt / Perraton (Anm. 70) S. 50.
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Für den Nationalstaat hat diese Verbindung von Entgrenzung und internationaler Vernetzung einen Funktionswandel zur Folge, über dessen Reichweite sich trefflich streiten läßt. Als weitestgehend gesichert kann mittlerweile angenommen werden, daß die autonome Regulierungsfahigkeit des Staates zwar abnimmt, jedoch nicht in allen Sektoren. Insoweit bedarf es einer genauen Politikfeldanalyse. 73 Der Nationalstaat verläßt nicht die Bühne internationaler Politik, er bleibt vielmehr einer der Akteure mit den größten Machtressourcen. Gleichwohl haben sich die Regeln des Spiels "Internationale Politik" geändert. Mitspieler sind nicht mehr nur Staaten, sondern eine Vielzahl von Formationen und Organisationen. Zu nennen sind weltweit operierende internationale Organisationen und Regime wie UN, Weltbank, WTO etc., regionale Organisationen wie EU, NAFTA, APEC, ASEAN usw., internationale Unternehmen, Berufsverbände und Interessengruppen, soziale Bewegungen und das breite Band der sog. NGOs, der Non-Govemment Organizations. Sie alle agieren weiträumig, verflochten in der internationalen Politik und bilden ein Interdependenzsystem. 74 Die staatliche Politik wird zur Entwicklung von Strategien eines Interdependenz-Managements gezwungen. Die überkommenen Handlungsmuster hoheitlicher Regulierung und intergouvernementaler Zusammenarbeit greifen nur noch bedingt. Die sich daraus für die Politik ergebenden Herausforderungen sind unter dem Stichwort "governing without govemment" formuliert worden. 75 Sie bestehen in erster Linie darin, nationale Politik in internationale Verhandlungssysteme einzubringen und sie so zu internationalisieren. 76 Der aus der
73 Vgl. als Beispiele Fritz W. Scharpf, Globalisierung als Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten nationalstaatlicher Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 41 ff.; Martin Weckwerth, Die Handlungsfähigkeit des Staates vor dem Hintergrund der Internationalisierung von Unternehmen, 1998, S. 98 ff.; Christian von Weizsäcker, Logik der Globalisierung,1999. 74 Dazu Held / McGrew / Goldblatt / Perraton (Anm. 70) S. 49 ff.; Kohler-Koch / Knodt (Anm. 66) S. 235 ff. 7S Exemplarisch Wolfgang H. Reinicke, Global Public Policy. Governing without Government?, 1998. 76 Dazu und zu den Problemen Guy Kirsch / Gerhard Lohmann, Globalisierung: Chaos oder legitime Anarchie?, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 257 ff.; Kohler-Koch / Knodt (Anm. 66) S. 235 ff.; Beate Kohler-Koch, Die WeIt regieren ohne Weltregierung, in: Böhret / Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundertzwischen Globalisierung und Regionalisierung, 1993, S. 109 ff.; dies. / Cornelia Vlbert, Internationalisierung, Globalisierung und Entstaatlichung, in: Hasse (Hrsg.), Nationalstaat im Spagat: Zwischen Suprastaatlichkeit und Subsidiarität, 1997, S. 53 ff.; Fritz W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, in: Böhret / Wewer , a.a.O., S. 165 ff.; ders., Demokratie in der transnationalen Politik, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S. 228 ff. Zu Folgerungen für die Verfassungsdiskussion vgl. Christian Walter, Die Folgen der Globalisierung für die europäische Verfassungsdiskussion, OVBI. 2000, S. I (2 ff.).
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Vernetzung resultierenden Abhängigkeit korrespondieren neue Chancen der Politik in Form von netzbeeinflussenden Initiativen. 77 Die Formulierung staatlicher Politik in policy networks zeigt einerseits deutlich erkennbar die Tendenz zur Institutionalisierung, deren Mittel das Recht ist. 78 Ausdruck dieser rechtsformlichen Vernetzung ist das enorme Ansteigen der Zahl der sog. IGOs - Intergovemmental Organizations - in jüngerer Zeit. 79 Sowohl unterhalb als auch neben dieser institutionalisierten Ebene besteht andererseits die Ebene kooperativer Kommunikationsnetzwerke, die informal und hochaktiv Arbeitsebenen verflechten. 80 In den Worten Klaus Königs: "Es hat sich ein dichtes Netzwerk direkter Wechselbeziehungen zwischen politischadministrativen Untereinheiten der Nationalstaaten über die Grenzlinien hinweg entwickelt ... (, das) weitgehend in den Händen von Ressorts und Fachverwaltungen" liegt81 • Diese auf der Basis transgouvernementaler Kooperation funktionierenden Netze werden für das Handeln der nationalen Verwaltungen an Bedeutung weiter zunehmen. Im ökonomischen Bereich verdichten sich internationale Aktivitäten und Zusammenarbeiten von Unternehmen zu multinationalen Konzernen, den "global players". Räumliche und zeitliche Distanzen verlieren durch technologische Innovationen an Bedeutung. Selbst weite Strecken lassen sich durch Vernetzung auf unmittelbare und umfassende Kommunikationsebenen reduzieren. Die Informationsgesellschaft organisiert sich global. Das Agieren am Markt kann immer weniger ohne Rücksicht auf räumliche Dimensionen erfolgen. Insoweit kann Globalisierung verstanden werden als Übergang zu einer "entstaatlichten" Markt-Wirtschaft. 82 Die globalisierte Wirtschaft vermag mehr und mehr, sich staatlicher Steuerungsfähigkeit zu entziehen. Ob sie dies tut oder der Steuerung durch welchen Staat sie sich aussetzt, wird zum ökonomischen Kalkül. Staatliche Steuerung, hier im Sinne von "Politik" verstanden, kann nicht zwingen, sondern nur werben - werben um die mobilen Produktionsfaktoren. 83 Diese Einsicht hat sich in der Politik als Sorge um die Attraktivität des "Standorts Deutschland" Eingang verschafft. 84 Pitschas (Anm. 66) S. 56. Kohler-Koch / Knodt (Anm. 66), S. 244; Pitschas (Anm. 77) S. 55. 79 Held / McGrew / Goldblatt / Perraton (Anm. 70) S. 53. 80 Held / McGrew / Goldblatt / Perraton (Anm. 70) S. 53. 81 Klaus König, Internationalität, Transnationalität, Supranationalität - Auswirkungen auf die Regierung, in: Hartwich / Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik V, 1993, S. 235 (236). 82 Rupert Scholz, Steuerungsprobleme heutiger Staatlichkeit, in: Hilterhaus / Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat - Finanzverfassung - Globalisierung, 1998, S. 14 (16). 83 Straubhaar (Anm. 67) S. 38 ff. 84 Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, Bericht der unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfa77
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Der Prozeß der Globalisierung bedeutet nun weder das Ende des Staates noch das des Rechts. Allerdings bedarf es veränderter Positionsbestimmungen. Der Staat muß seine Aufgaben neu defmieren, um seiner Integrationsfunktion unter veränderten Bedingungen gerecht werden zu können. Den Kern wird man in einer Implementationsverpflichtung sehen können. Staatlicherseits nicht mehr regulierbare Prozesse sind in ihren Folgen für und ihre Beeinflußbarkeit durch steuerbare Faktoren zu analysieren. Adäquate Reaktion auf die ökonomische Globalisierung ist die Internationalisierung des Wirtschaftsrechts. 85 Es ist allerdings ein Mißverständnis anzunehmen, "daß die Staatengemeinschaft insoweit an die Stelle der Nationalstaaten treten und deren Rolle übernehmen .... (wird), um bislang staatlich anerkannte Regeln international abzusichern,,86. Denn "die Staatengemeinschaft" ist kein steuerungsfähiges Bezugssubjekt. Zu heterogen sind die Rechts- und Ordnungsvorstellungen in verschiedenen Kulturkreisen. 87 Die Regulierungsverantwortung verbleibt vielmehr bei den Staaten. Es ist deren Aufgabe, Globalisierungstendenzen in ihren Auswirkungen zu analysieren, ordnungspolitische Notwendigkeiten zu formulieren und diese in internationale Vereinbarungen einzubringen. An ökonomische Parameter anknüpfende Politik bedarf des Denkens in interdependenten Mehrebenenmodellen. Über die Implementation in nationales Recht beeinflussen die auf völkerrechtlicher Ebene geformten Regeln wiederum die interne Problemlösung88 und tragen zu einer Harmonisierung wirtschaftsrechtlicher Vorstellungen bei. 89
chung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1994, Rn. 100 ff.; Lucia Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997, S. 7 ff.; Christine Steinbeiß-Winkelmann, Verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 201 (202). 85 Dazu Reiner Schmidt, Die Internationalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 1999, S. 165 ff. 86 So aber Rolf Stober, G10balisierung der Wirtschaft und Rechtsprinzipien des Weltwirtschaftsrechts, in: Hübner / Ebke (Hrsg.), FS für Bernhard Großfeld zum 65. Geb., 1999, S. 1173 (1177). 87 Darauf weist zu Recht Pitschas (Anm. 66) S. 68 hin. 88 Vgl. Thomas Cottier, Die Globalisierung des Rechts - Herausforderungen für Praxis, Ausbildung und Forschung, ZBJV 133 (1997), S. 217 (226). 89 Wolfgang Wiegand, Europäisierung - Globalisierung - Amerikanisierung, in: Immenhauser / Wichtermann (Hrsg.), Vernetzte WeIt - globales Recht, 1999, S. 9 (14 ff.), stellt insoweit eine Präponderanz amerikanischer Rechtsvorstellungen fest.
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IV. Folgerungen für das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung Für das Verhältnis von Wirtschaft und nationaler Verwaltung implizieren Europäisierung und Globalisierung einen Verlust administrativer Regulierungsfähigkeit. Die Funktion der Verwaltung zwischen Politik einerseits und Wirtschaft andererseits wandelt sich. Imperative Regulierungsmuster treten zurück. Gleichwohl entheben weder Europäisierung noch Globalisierung den Staat seiner Gemeinwohlverpflichtung. Realisieren lassen wird sie sich nur durch einen über die bisherigen Ansätze hinausgehenden Übergang von der hoheitlichen zu einer flexiblen Steuerung. Aus der Prozeßanalyse müssen die geeigneten Steuerungsimpulse situationsgerecht entwickelt werden. Es ist deshalb nicht Kapitulation gegenüber einem Primat der Ökonomie, sondern ein problemadäquater Konkretisierungsmodus der Gemeinwohlverpflichtung, die private Selbstregulierung durch Marktinteressen als Impulsgeber anzuerkennen. 9o Eine der künftigen Kernfunktionen der Verwaltung wird mehr und mehr die Beobachtung und Begleitung ökonomischer und sozialer Abläufe sein. Die im Rahmen der Betrachtung der Europäisierung hervorgehobene "Lotsenfunktion" der Verwaltung (0. 11 2) wird administrative Gesamtverantwortung in kooperative Strategien umzusetzen haben. Kooperation kann dabei in zweierlei Richtungen gedacht werden: Beachtung ist zum einen der transnationalen Kompatibilität der Strukturen von Wirtschaftsverwaltung zu widmen. In wirtschaftsvölkerrechtliche Regeln gegossene internationale Kooperation vermag strukturelle Angleichungsprozesse zu initiieren. 91 Zum anderen wird das Modell einer "bargaining economy" an Boden gewinnen: Politische wie administrative Ordnungs instanzen werden ein Kooperationsmanagement bereitzustellen haben, das die ökonomischen Akteure einbindet. 92 Kooperative Handlungsmuster vermögen einerseits die Prozeßbegleitung durch die Verwaltung informationeIl abzusichern und andererseits Gemeinwohlparameter in ökonomische Entscheidungsprozesse zu implantieren. 93 Berechenbarkeit, Transparenz 90 Vgl. für das Telekornrnunikationsrecht Wolfgang Hoffmann-Riem, Telekornrnunikationsrecht als europäisiertes Verwaltungsrecht, DVBI. 1999, S. 125 (127). 91 Vgl. dazu Thomas J. Schoenbaum, The impact ofthe New World Trade Organization (WTO) on Constitutional and Administrative Structures, in: Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, 1998, S. 247 (251 f.). 92 Hans-Hermann Hartwich, Die Europäisierung des deutschen Wirtschaftssystems, 1998, S. 324. 93 Zum Gedanken eines kooperativen Verwaltungsrechts und -handeIns vgl. Joachim Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S.190 ff.; Jürgen Busse, Kooperatives Recht im Bauplanungsrecht, BayVBI. 1994, S. 353 ff.; Nicolai Dose, Kooperatives Recht, Verw. 27 (1994), S. 91 ff.; Udo Di Fabio, Das Kooperationsprinzip, NVwZ 1999, S. 1153 ff.
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und Akzeptanz als zentrale Anforderungen an das Handeln der Verwaltung sind dialogisch himeichend zu gewährleisten. 94 Allerdings darf nicht aus dem Blick verloren werden, daß Selbstregulierung allein die Gesamtverantwortung der Verwaltung weder zu ersetzen noch sicherzustellen vermag. Ist die Selbstregulierung als Impulsgeber nicht ausreichend, so bedarf es (weiterhin) der Setzung anderer Steuerungsimpulse. 95 Dies können influeszierende Ansätze, beispielsweise die Schaffung von Ameizsystemen, oder Marktöffnungen, etwa durch die Eimäumung von Durchleitungsrechten, oder wirtschaftsaufsichtliche Maßnahmen sein. Der Gesetzgeber hat, soweit es der Gesetzesvorbehalt zuläßt, der Verwaltung die notwendigen Handlungsspielräume, z.B. in Form von Öffnungsklauseln, einzuräumen. 96 Die Herausforderung, die auf Wirtschaft und Verwaltung - insbesondere auf die letztere - zukommt, ist ein Wandel des Selbstverständnisses, der eingebettet ist in den allgemeinen Modemisierungsprozeß. 97 Ohne den Staat auf Marktgesetze verpflichten, die Verwaltung generell zum Dienstleister machen zu wollen98 , wird sich die Verwaltung zum Begleiter und Analysten der Folgen ökonomischer Prozesse wandeln. Der aus der Privatisierungs diskussion bekannte Rückzug des Staates auf die Gewährleistungsverantwortung99 dürfte immer stärker das Ver94 Zu den Anforderungen an die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen Hermann Hill, Akzeptanz des Rechts - Notwendigkeit eines besseren Politikrnanagements, 1Z 1988, S. 377 ff.; Thomas Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, S. 257 ff.; ders., Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996. Zur Transparenz von VerwaItungshandeln U1rich Hattstein, Verwaltungsrechtliche Betreuungspflichten, 1998, S. 105 f. 95 Aus der Diskussion vgl. Udo Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff.; Michael Kloepfer / Thomas Elsner, Selbstregulierung im Umweltund Technikrecht, DVBI. 1996, S. 964 ff.; Matthias Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 160 ff.; Hans-Heinrich Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBI. 1996, S. 950 ff. 96 Vgl. in diesem Zusammenhang Wilfried Braun, Offene Kompetenznormen - ein geeignetes und zulässiges Regulativ im Wirtschaftsverwaltungsrecht?, VerwArch 76 (1985), S. 24 ff.; Winfried Brohm, Situative Gesetzesanpassung durch die Verwaltung, NVwZ 1988, S. 794 ff.; Hermann Hili, Rechtsstaatliehe Bestimmtheit oder situationsgerechte Flexibilität des VerwaltungshandeIns, DÖV 1987, S. 885 ff. 97 Zur Modemisierung des Verwaltungsrechts vgl. Jan Ziekow, Perspektiven des Verwaltungsverfahrensrechts vor dem Hintergrund der Modemisierung der Verwaltung, VM 2000, H. 4. 98 Vgl. in diesem Zusammenhang Dietrich Budäus, Public Management, 1994, S.84; Klaus König, Markt und Wettbewerb als Staats- und Verwaltungsprinzipien, DVBI. 1997, S. 239 (240); Ulrich Penski, Staatlichkeit öffentlicher Verwaltung und ihre marktmäßige Modemisierung, DÖV 1999, S. 85 ff. 99 S. Gunnar Folke Schuppert, Vom produzierenden zum gewährleistenden Staat, in: König / Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997, S. 539 ff.
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hältnis der Verwaltung zur Wirtschaft definieren. Es ist im Interesse beider, Verwaltung und Wirtschaft, die Wandlungen kooperativ zu organisieren.
Der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im öffentlichen Wirtschaftsrecht Von Helge Sodan
I. Einleitung Vor wenigen Monaten gedachte man zweier Geburtstage, welche einen engen Bezug haben zum Globalthema "Staat und Markt": Anläßlich des 50jährigen Jubiläums des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 wurde auch die Frage nach einer "Verfassung der Wirtschaft" wiederbelebtl; am 8. Mai 1999 jährte sich zum 100. Mal der Geburtstag des liberalen Ökonomen und Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek, der 1974 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet worden war. Hayel2 hatte vom Wettbewerb als Grundlage eines Auswahlprozesses gesprochen, in dem die Thesen darüber versucht würden, was möglich und was sinnvoll sei. Ein übereinstimmendes "Wissen" gäbe es nicht; eine entsprechende Planbarkeit sei demgemäß ausgeschlossen. Gerade die Freiheit Weniger könne erkenntnis- und wohlstands fOrdernd sein. Dies zu ignorieren und den Wettbewerb zu unterdrücken, kommt Bevormundung und Freiheitsentzug gleich. Dementsprechend bezeichnete Immanuel Kant unter den Regierungen die "väterliche (regimen paternale) als die am meisten despotische unter allen (Bürger als Kinder zu behandeln)"4; sie wäre "der größte denkbare Despotismus (Verfassung, die alle Freiheit der Untertanen, die alsdann gar keine Rechte haben, aufhebt)"s. I Siehe zu diesem Thema Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Mai 1999, S. 15, mit Beiträgen von Hans D. Barbier, Föderalismus heißt Wettbewerb; Elke Bahl, Im Sog Europas; Rainer Hank, Ausbeutung und Ausgrenzung; Karen Horn, Der sozialisierte Markt. 2 Siehe dazu die Würdigung durch Viktar Vanberg, Der Weg zur Freiheit, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Mai 1999, S. 15. 3 Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl., 1991, S. 41 ff. 4 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797 / 98, in: Wilhelm Weischede1 (Hrsg.), Werke in zehn Bänden, Bd. 7,1983, S. 435. 5 Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht flir die Praxis, in: Weischedel (Anm. 4), Bd. 9, 1983, S. 146.
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Jüngere internationale Vergleichsuntersuchungen bescheinigen der Bundesrepublik Deutschland eine deutliche Abnahme wirtschaftlicher Freiheit.6 Bei einem Anteil staatlicher Ausgaben am Bruttosozialprodukt von über 50 % läßt sich kaum mehr von einer freiheitlichen. oder auch nur sozialen Marktwirtschaft, sondern eher von einer Sozialwirtschaft sprechen. Diese Entwicklung hat in vieler Hinsicht zum Ausschluß Deutschlands aus der Spitzengruppe der Industriestaaten gefiihrt. Solche Einschätzungen sind besonders alarmierend in einer Zeit, in der sich die großen Unternehmen als "global player" verstehen und vor allem die letzten Jahre gezeigt haben, daß die Arbeitsplätze deutscher Unternehmen nicht unbedingt in Deutschland entstehen bzw. aufrechterhalten werden müssen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Freiheit wirtschaftlicher Tätigkeit und deren rechtlichen Rahmenbedingungen mit besonderem Nachdruck - auch im Hinblick auf die bestmögliche Förderung des Gemeinwohls. Der Gang der nachfolgenden Untersuchung läßt sich wie folgt skizzieren: Zunächst möchte ich schwerpunktmäßig verfassungs- sowie europarechtliche Grundlagen wirtschaftlicher Tätigkeit erörtern, in diesem Rahmen besonders die Frage nach der geltenden Wirtschaftsverfassung. Aus verfassungs- und europarechtlichen Elementen marktwirtschaftlicher Ordnung soll der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im Öffentlichen Wirtschaftsrecht abgeleitet werden. Das Problem der Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung von Gemeinden möchte ich wegen seiner besonderen Bedeutung und Aktualität als Beispiel fiir praktische Auswirkungen des genannten Grundsatzes herausgreifen. Die Komplexität des Wirtschaftsrechts nimmt angesichts des immer stärker voranschreitenden europäischen Einigungsprozesses beständig zu. Ökonomisches Handeln wird in Deutschland schon längst nicht mehr nur durch nationales Recht geschützt oder begrenzt; vielmehr ist das geltende Wirtschaftsrecht in hohem Maße durch Europäisches Gemeinschaftsrecht determiniert.
11. Gewährleistung einer Wirtschaftsverfassung Eine Untersuchung verfassungs- und europarechtlicher Grundlagen wirtschaftlicher Tätigkeit kann zunächst an die intensive Diskussion anknüpfen, die seit Jahrzehnten über die Frage nach der grundgesetzlichen Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsverfassung gefiihrt wird. 6 Vgl. etwaJ D. Gwartneyl R. A. Lawson, Economic Freedom ofthe World, 1997 Annual Report, Vancouver 1997, S. 27; B. T. Johnson I K. R. Holmes IM. Kirkpatrick, 1999 Index ofEconomic Freedom, Washington D. C. 1999, S. 187 f.
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1. Zur Lehre von Hans earl Nipperdey
Aus dem Grundgesetz leitete bereits Hans earl Nipperdey die Garantie der Sozialen Marktwirtschaft her7• Die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, der Vereinigungsfreiheit, der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie seien nämlich auch institutionell zu verstehen; von besonderer Bedeutung sei Art. 2 Abs. 1 GG, der u. a. die Institutionen der Wettbewerbs-, Produktions-, Konsum- und Vertragsfreiheit gewährleiste und als "Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft"S bezeichnet werden könne. 9 Die genannten grundrechtlichen Garantien marktwirtschaftlicher Verfassung seien allerdings durch das Sozialstaatsprinzip modifziert, welches die öffentliche Gewalt zu Eingriffen ermächtige, um die Soziale Marktwirtschaft gegen eine Verfälschung ihrer Grundordnung, gegen Mißbräuche und soziale Schäden zu sichern. 10 Die Soziale Marktwirtschaft sah Nipperdey durch vier Ordnungselemente gekennzeichnet: 1. Sie sei eine Marktwirtschaft, d.h. es gelte von Verfassungs wegen das Prinzip des freien Wettbewerbs in der Wirtschaft; 2. stelle sie eine Marktwirtschaft auch gegenüber dem Staat dar, d.h. im Gegensatz zu einer neutralistischen Wirtschaftsverfassung seien Staatseingriffe in den Wirtschaftsablauf an die in der Verfassung selbst vorgesehenen engen Grenzen gebunden und nicht nur am Gesetzesvorbehalt zu messen; 3. sei sie eine Soziale Marktwirtschaft, d.h. das Sozialstaatsprinzip lege von vornherein dem einzelnen unmittelbare Beschränkungen der Freiheit im Interesse des sozialen Ausgleichs auf; 4. handele es sich um eine Soziale Marktwirtschaft, weil sie die Aufrechterhaltung und Sicherung eines umfassenden Wettbewerbs von Staats wegen garantiere und somit den Wettbewerb als Ordnungsprinzip auch fiir die Un-
7 Siehe Hans earl Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Karl August Bettermann / Hans earl Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. IV, Halbbd. 2, 1962, S. 741 (870 ff.); ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl., 1965, S. 20 ff. Vgl. ferner Friedrich Giese, Die Unanwendbarkeit des Nachtbackverbotes auf mehrschichtige Betriebe der Brotindustrie, BArbBI. 1955, S. 120 (121). Vgl. auch Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 2. Aufl., 1953, S. 25, 27, 30 f., und Günter Dürig, in: Theodor Maunz / Günter Dürig und andere, Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl., Bd. I, Art. 2 Abs. I Rn. 44 (Stand der Kommentierung: 1958): Diese Autoren vertraten die Auffassung, das Grundgesetz enthalte eine "gemischte" Wirtschaftsverfassung; die einzelnen Wirtschaftsfreiheiten seien nämlich nicht absolut, sondern ins Gleichgewicht mit wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sozialbindungen gesetzt. S Nipperdey, in: Bettermann / Nipperdey (Anm. 7), S. 826. 9 Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft (Anm. 7), S. 27 ff. 10 Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft (Anm. 7), S. 56 ff.
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ternehmer selbst statuiere, so daß diese ihn nicht beseitigen oder begrenzen dürften. I I 2. These von der "wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes Im Anschluß an Herbert Krüger 12 sprach sich jedoch der ganz überwiegende Teil des Schrifttums l3 für eine "wirtschaftspolitische Neutralität" des Grundgesetzes aus. Herbert Krüger vertrat die Ansicht, sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich bestehe "das Wesen der demokratischen Verfassungsentscheidung darin, gerade keine materielle Entscheidung für ein bestimmtes Wertsystem zu sein"; diese Verfassungsentscheidung erschöpfe "sich vielmehr darin, den Bürgern diejenige Freiheit zu gewährleisten, die erforderlich" sei, "damit sie ihrerseits nach ihrem Gutbefinden die materiellen Entscheidungen von der Religion angefangen bis zur Wirtschaft treffen" könnten l4 • Einer der "Väter" des Grundgesetzes - Hermann von Mangoldt l5 - berichtete, man habe seinerzeit im Parlamentarischen Rat auf die Institutionalisierung einer Wirtschaftsverfassung mit Rücksicht auf die damalige Ungewißheit über die künftige wirtschaftliche Entwicklung bewußt verzichtet und die Regelung der Sozialordnung der Zukunft überlassen. Von einer "wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes ging das Bundesverfassungsgericht im sog. Investitionshilfe-Urteil von 1954 16 und fortan in ständiger Rechtsprechung l7 aus.
Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft (Anm. 7), S. 19. Grundgesetz und Kartellgesetzgebung, 1950, 10 f.; ders., Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, DVBI. 1951, S. 361 (363 f.); ders., Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsverwaltung, Rechtsstaat, BB 1953, S. 565; ders., Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 575 ff. 13 Siehe etwa Hans Fischerhof, Das Investitionshilfegesetz als Lenkungsgesetz, NJW 1952, S. 919 (920); Hans Peter Ipsen, Rechtsfragen der Investitionshilfe, AöR 78 (1952 / 53), S. 284 (309); Andreas Hamann, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, 1953, S. 31 f.; Ulrich Scheuner, Die staatliche Intervention im Bereich der Wirtschaft, VVDStRL 11 (1954), S. 1 (19 f., 59); Horst Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 19 ff.; Peter Badura, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung im sozialen Rechtsstaat, AöR 92 (1967), S. 382 (392 ff.); Peter Lerche, Werbung und Verfassung, 1967, S. 69 f.; Rupert Scholz, in: Maunz / Dürig (Anm. 7), Bd. 11, Art. 12 Rn. 77 (Stand der Kommentierung: September 1981); WilU Thiele, Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl., 1974, S. 143 ff.; Alfred Katz, Staatsrecht, 14. Aufl., 1999, Rn. 789, 831; Bodo Pieroth I Bernhard Schlink, Grundrechte, 15. Aufl., 1999, Rn. 814,953. 14 Krüger, DVBI. 1951 (Anm. 12), S. 361 f. 15 Das Bonner Grundgesetz, 1. Aufl., 1953, Vorbem. 2, Art. 12 Anm. 3. 16 BVerfGE 4, 7 (17 f.). 11
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Diese Neutralität bestehe "lediglich darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich fiir ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden" habe; die "gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung" sei ,,zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche"; sie beruhe "auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden" könne. 18 Eine häufig nicht oder nicht hinreichend gewürdigte Einschränkung fUgte das Bundesverfassungsgericht jedoch mit der Formulierung hinzu, der Gesetzgeber dürfe die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen, "sofem er dabei das Grundgesetz" beachte l9 • Das Bundesverfassungsgericht griff diese - eigentlich doch selbstverständliche und trotzdem hier bedeutsame - Einschränkung in seinem sog. Mitbestimmungs-Urteil von 1979 auf und erläuterte sie wie folgt: ,,Allerdings darf die Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht zu einer Verkürzung dessen fUhren, was die Verfassung in allem Wandel unverändert gewährleisten will, namentlich nicht zu einer Verkürzung der in den Einzelgrundrechten garantierten individuellen Freiheiten, ohne die nach der Konzeption des Grundgesetzes ein Leben in menschlicher Würde nicht möglich ist. Die Aufgabe besteht infolgedessen darin, die grundsätzliche Freiheit wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltung, die dem Gesetzgeber gewahrt bleiben muß, mit dem Freiheitsschutz zu vereinen, auf den der einzelne Bürger gerade auch dem Gesetzgeber gegenüber einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat. ,,20
3. Freiheitsrechte als Grundlagen der Wirtschaftsverfassung Mit der Betonung der Verpflichtung des Gesetzgebers zur Beachtung insbesondere der Grundrechte relativierte das Bundesverfassungsgericht seine zuvor aufgestellte Neutralitätsthese selbst bereits in starkem Maße. Geht man den damit gewiesenen Weg zur Anwendung wirtschaftlich relevanter Grundrechtsgewährleistungen konsequent zu Ende, so erweist sich, daß die Behauptung wirtschaftspolitischer Neutralität des Grundgesetzes von Anfang an fragwürdig, um nicht zu sagen: irrefiihrend war. Die ausdifferenzierte Judikatur des
17 Vgl. BVerfGE 7, 377 (400); 14,263 (275); 21, 73 (78); 25, 1 (19 f.); 30, 292 (317,319); 50, 290 (336 ff.). Vgl. ferner BVerfGE 12,341 (347); BVerwGE 17,306 (308); 39, 329 (336). 18 BVerfGE 4, 7 (17 f.). 19 BVerfGE 4, 7 (18). 20 BVerfGE 50, 290 (338).
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Bundesverfassungsgerichts zu einzelnen Freiheitsrechten läßt sich - wie ich im folgenden zeigen möchte - geradezu als Kronzeugin gegen die Neutralitätsthese anführen.
a) Klassisch-liberales Grundrechtsverständnis Bereits im sog. Lüth-Urteil aus dem Jahre 1958 betonte das Bundesverfassungsgerichf l vor dem Hintergrund des Streits um die Geltung der Grundrechte auch im Privatrecht deren primäre Ausrichtung als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Das damit zum Ausdruck gebrachte klassisch-liberale Grundrechtsverständnis gründet auf der konstitutionellen Staatsrechtslehre22 und geht davon aus, daß Staat und Gesellschaft zwei zu unterscheidende und strukturell gegensätzliche "Sphären" darstellen23 . Die Freiheit des einzelnen ist danach ,,prinzipiell unbegrenzt, während die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist".24 "Hier also die ursprunghafte, nicht rechtfertigungsbedürftige, grundsätzlich umfassende Freiheit des Individuums - dort die notwendig rechtlich gebundene und beschränkte, auf Rechtfertigung verwiesene Staatsgewalt. ,,25 Die Grundrechte werden insoweit als ,,rechtliche Urnhegungen vorstaatlicher, natürlicher Freiheit" angesehen, die als "staatsfreie Sphäre" des Individuums gegen den staatlichen Herrschaftsbereich abgegrenzt wird. 26 Im Sinne vorverfassungsrechtlicher, mit dem Menschen geborener Freiheitsrechte sind auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von
21 BVerfGE 7,198 (204). VgJ. etwa auch BVerfGE 13,318 (325 0; 21, 362 (369); 33, 303 (329 ff.); 35, 79 (112 0; 50, 290 (337 f.); 61, 82 (101); 68, 193 (205). 22 Siehe dazu die Darstellung von Eberhard Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 3 ff., 158 ff. 23 Siehe dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 49 / 71, 4.12.1971, S. 3 ff. 24 earl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 126. 25 Jose! lsensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 1992, § 111 Rn. 7. 26 Fritz Ossenbühl, Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1976, S. 2\00 (2101). VgJ. ferner Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529 (1537 f.).
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1950 (EMRK) zu verstehen. 27 In Art. lAbs. 2 GG bekennt sich das Deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Gemäß Art. 6 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union28 achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Diese Grundrechte prägen damit zugleich eine liberale Wirtschaftsverfassung. Die Wirksamkeit der verfassungs-, gemeinschafts- und menschenrechtlichen Grundrechte dürfte durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Zukunft noch erheblich zunehmen. Zur Sicherung einer möglichst ungehinderten Entfaltung des einzelnen Bürgers durch "größtmögliche Freiheitsschonung"29 sind der Betätigung des Staates rechtliche Schranken gesetzt. In die Freiheit darf also nur unter Wahrung bestimmter formeller und materieller Anforderungen - insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Wesensgehaltsgarantie - eingegriffen werden. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip 30 findet dabei seine Ergänzung und Grenze in Art. 19 Abs. 2 GG, demzufolge in keinem Falle ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf. Bereits im grundlegenden sog. Elfes-Urteil aus dem Jahre 1957 formulierte das Bundesverfassungsgericht: "Vor allem dürfen die Gesetze ... die geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit des Menschen nicht so einschränken, daß sie in ihrem Wesensgehalt angetastet würde (Art. 19 Abs. 2, Art. lAbs. 3, Art. 2 Abs. I GG). Hieraus ergibt sich, daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentli27 Siehe zur schrittweisen verfassungsrechtlichen Konstituierung der Menschenrechte Peter Häberle, Das Konzept der Grundrechte (Derechos Fundamentales), Rechtstheorie 24 (1993), S. 397 (400 ff.). 28 Unterzeichnet zu Maastricht am 7.2.1992 (ABI. der EG Nr. C 191 vom 29.7.1992, S. I), zuletzt geändert durch den Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997 (ABI. NT. C 340, S. 145). 29 Katz(Anm. 13), Rn. 554. 30 Siehe dazu etwa Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; Eberhard Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (\ 973), S. 568 ff.; Rudolf Wendt, Der Garantiegehalt der Grundrechte und das Übermaßverbot, AöR 104 (1979), S. 414 ff.; Lothar Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981; Paul Kirchhof, Gleichheit und Übermaß, in: Festschrift rur Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993, S. 133 ff.; Fritz Ossenbühl, Maßhalten mit dem Übermaßverbot, in: Festschrift rur Lerche, S. 151 ff.; Klaus Stern, Zur Entstehung und Ableitung des Übermaßverbots, in: Festschrift rur Lerche, S. 165 ff.; Albert Bleckmann, Begründung und Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips, JuS 1994, S. 177 ff.; Barbara Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbotes, 1995.
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chen Gewalt entzogen ist. Ein Gesetz, das in ihn eingreifen würde, könnte nie Bestandteil der ,verfassungsmäßigen Ordnung' sein; es müßte durch das Bundesverfassungsgericht rur nichtig erklärt werden".3! In Fortentwicklung des wegweisenden sog. Einheitswert-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Vermögensteuer vom 22. Juni 1995 32 läßt sich als Konkretisierung der grundrechtlichen Wesens gehalts garantie ein über den Steuerbereich hinauswirkender Hälftigkeitsgrundsatz ableiten33 : Dieser besagt, daß die höchstens hälftige staatliche Inanspruchnahme an sich privater Handlungs- und Nutzungsbefugnisse eine absolute Grenze rur staatliche Eingriffe darstellt. Der Staat ist also nur begrenzt ermächtigt. b) Beruftfreiheit Für die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes hat Art. 12 Abs. 1 GG eine herausragende Bedeutung, der das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen, sowie die Berufsausübungsfreiheit gewährleistet. Diese Norm enthält "gleichsam das Hauptgrundrecht der freien wirtschaftlichen Betätigung"34. Sie garantiert nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "die Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, fiir die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, d.h. zur Grundlage seiner Lebensruhrung zu machen und damit seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung selbst zu bestimmen"; Art. 12 Abs. 1 GG sichert "die Freiheit der individuellen Erwerbsund Leistungstätigkeit" .35 Er bezieht sich sowohl auf selbständiges wie auch unselbständiges berufliches Wirken. 36 Im sog. Numerus-Clausus-Urteil äußerte sich das Bundesverfassungsgericht wie folgt: "Die Berufsfreiheit verwirklicht sich gegenwärtig - abgesehen von dem der Sonderregelung des Art. 33 GG unterliegenden öffentlichen Dienst ... - vorwiegend im Bereich der privaten Berufs- und Arbeitsordnung und ist hier vornehmlich darauf gerichtet, die eigenpersönliche, selbstbestimrnte Lebensgestaltung abzuschirmen, also Freiheit von 3! BVerfGE 6, 32 (41). 32 BVerfGE 93, 121 (137 f.). 33 Vgl. Walter Leisner, Steuer- und Eigentumswende - die Einheitswert-Beschlüsse
des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, S. 2591 (2594). 34 Fritz Ossenbühl, Die Freiheiten des Unternehmers nach dem Grundgesetz, AöR 115 (1990), S. 1 (5). Zustimmend PeterJ Tettinger, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1999, Art. 12 Rn. 179; ders., Verfassungsrecht und Wirtschaftsordnung, DVBJ. 1999, S. 679 (684). 35 BVerfGE 30, 292 (334 f.). VgJ. ferner BVerfGE 7, 377 (397); 13,97 (104); 59, 302 (315); 80,137 (150). 36 VgJ. Z. B. BVerfGE 7, 377 (398 f.); 54, 301 (322); Manfred Gubelt, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1,4. Aufl., 1992, Art. 12 Rn. 17; Tettinger, in: Sachs (Anm. 34), Art. 12 Rn. 28.
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Zwängen oder Verboten im Zusammenhang mit Wahl und Ausübung des Berufes zu gewährleisten. ,,37 Art. 12 Abs. 1 GG ,,zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab".38 Die Freiheit unternehmerischer Betätigung wurde früher ganz überwiegend aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gefolgerf 9, ohne die Spezialität anderer Grundrechtsnormen wie insbesondere des Art. 12 Abs. 1 GG gegenüber der aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Handlungsfreiheit40 erkannt zu haben. Von besonderer Bedeutung für die unternehmerische Betätigung ist die Wettbewerbsfreiheit, welche als Recht auf den Versuch verstanden werden kann, sich durch freie Leistungskonkurrenz als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt gegenüber anderen durchzusetzen41 • Sie wird durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt, soweit das Verhalten der Unternehmen bzw. Unternehmer im Wettbewerb Bestandteil ihrer Berufausübung ist. 42 Das 37 BVerfGE 33, 303 (331). 38 BVerfGE 54, 301 (313); 81,70 (85). Vgl. auch BVerwGE 71,183 (193); Christi-
an Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 244 f.; Friedhelm Hufen, Berufsfreiheit - Erinnerung an ein Grundrecht, NJW 1994, S. 2913 (2921); Tettinger, in: Sachs (Anm. 34). 39 Vgl. etwa BVerfGE 4,7 (16); 12,341 (347 f.); 14,263 (281 ff.); 18,315 (327); 23, 12 (30); 25, 371 (407); 27, 375 (384); 29, 260 (266 f.); 31, 222 (229); 37, 1 (18); 45, 142 (160); 50, 290 (361, 366); BAGE 25, 93 (101); 29, 103 (113 0; BFHE 73, 387 (394); 93, 102 (111 f.); Hans Peter Ipsen, Rechtsfragen der Investitionshilfe, AöR 78 (1952/53), S. 284 (310); Dürig (Anm. 7), Art. 2 Abs. I Rn. 46 f.; Ernst Rudolf Huber, Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, 1970, S. 25 ff.; Franz Klein, Handlungsfreiheit als Grundrecht, BayVBI. 1971, S. 125 (127). 40 Vgl. etwa BVerfGE 6, 32 (36 f.); 9, 83 (88); 12,341 (347); 19,206 (2150; 36, 146 (161); 44, 353 (373, 383); 50, 290 (319, 366); 74, 129 (151); 75, 108 (154); 80, 137 (152 ff.); 97, 271 (286); Hermann von Mangoldt, Grundrechte und Grundsatzfragen des Bonner Grundgesetzes, AöR 75 (1949), S. 273 (280); Bodo Pieroth, Der Wert der Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG, AöR 115 (1990), S. 33 ff.; Helge Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 35 ff.; Dietrich Murswiek, in: Sachs (Anm. 34), Art. 2 Rn. 41 ff. 41 Helge Sodan, Gesundheitsbehördliche Informationstätigkeit und Grundrechtsschutz, DOV 1987, S. 858 (860); ders., in: Helge Sodan / lan Ziekow (Hrsg.), NomosKommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Bd. I, § 42 Rn. 432 (Stand der Kommentierung: 1996). Vgl. auch BGHZ 23, 365 (370); Wolfgang Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 79; Rupert Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981, S. 94. 42 BVerfGE 32, 311 (317); 46,120 (137); BVerwGE 71,183 (189). Vgl. ferner Wolfgang Rüfner, Überschneidungen und gegenseitige Ergänzungen der Grundrechte, Der Staat 7 (1968), S. 41 (51); Rupert Scholz, Wettbewerbsrecht und öffentliche Hand, ZHR 132 (1969), S. 97 (105 ff.); ders. (Anm. 13), Art. 12 Rn. 79 ff., 115, 123 f., 135 f.; Manfred Zu leeg, Zur künftigen Entwicklung des Subventionsrechts, DÖV 1984, S. 733 (739); Hans-Jürgen Papier, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, DVBI. 1984, S. 801 (809 f.); Helmut LecheIer, Artikel 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 48 (55, 74); Sodan, DÖV 1987 (Anm.41).
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Bundesverfassungsgericht formulierte im Zusammenhang mit der Erörterung der Berufsfreiheit sogar, die "bestehende Wirtschaftsverfassung" enthalte "den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer als eines ihrer Grundprinzipien"43. In engem Zusammenhang mit der Wettbewerbsfreiheit steht auch die Vertragsfreiheit; dazu gehören die Preis-, Vertriebs- und Absatzfreiheit. Weitere Ausprägungen wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit sind die Freiheit zur Gründung eines Unternehmens und des Marktzutritts, die Organisationsfreiheit sowie ganz allgemein die Freiheit der Unternehmensfiihrung einschließlich der Dispositions-, Produktions-, Investitions- und Entwicklungsfreiheit. 44 Zusammenfassend sprach das Bundesarbeitsgericht von der "Unternehmensautonomie als Teil der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG"45. Nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG zugunsten inländischer juristischer Personen des Privatrechts die Freiheit, "eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbesondere ein Gewerbe zu betreiben", soweit diese Tätigkeit "ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann"46. Nach mittlerweile gesicherter Erkenntnis hat das Grundgesetz "in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet", durch die "eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt".47 Diese objektive Dimension der Grundrechte ergänzt also deren Abwehrfunktion. Dies gilt auch für Art. 12 Abs. 1 GG. So hob das Bundesverfassungsgericht in seiner Judikatur etwa wiederholt "die fundamentale objektive Bedeutung" der "freien Advokatur" hervor48 . Dieses Postulat kennzeichne "die Umwandlung der staatsdienerähnlichen Ausgestaltung des Advokatenstandes in einen vom Staat unabhängigen freien Beruf'.49 Dem Grundrecht der Berufsfreiheit komme "ein besonderer Rang" zu, dem zugleich eine "grundsätzliche Freiheitsvermutung" zu entnehmen sei. 50 Generell läßt sich in objektiv-rechtlicher Hinsicht aus Art. 12 Abs. 1 GG eine grundrechtliche Leitentscheidung der Verfassung zugunsten der Berufsjreiheit ableiten. Damit sind 43 BVerfGE 32, 311 (317). Vgl. auch BVerwGE 71, 183 (189). 44 Siehe dazu im einzelnen Ossenbühl (Anm. 34), S. 12 ff., 16 ff., 18 ff. Vgl. auch
Tettinger, DVBI. 1999 (Anm. 34), S. 685. 45 BAGE 64, 284 (295). 46 BVerfGE 21,261 (266); 30, 292 (312); 50,290 (363). 47 BVerfGE 7, 198 (205). Vgl. etwa auch BVerfGE 35, 79 (114); 39,1 (41); 77,170 (214); 81,242 (254). 48 BVerfGE 15,226 (234); 63, 266 (282). 49 BVerfGE 63, 266 (282). 50 BVerfGE 63,266 (286). Vgl. auch BVerfGE 66, 337 (359 f.).
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die Gesetzgeber zur Gestaltung einer Rechtsordnung verpflichtet, welche den Bürgern die größtmögliche Vielfalt der Persönlichkeitsentfaltung nach eigener Entscheidung ermöglicht, soweit anderen kein Schaden zugefügt wird. 51 c) Eigentumsgarantie Entsprechendes gilt ferner für die grundrechtlich geschützte Eigentumsgarantie. ,,Das Grundgesetz hat eine Wertentscheidung höchsten Ranges für 'Eigentum als Freiheit' getroffen."52 Wie sich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt, bedarf das Eigentum zwar der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Der diesbezügliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist allerdings begrenzt. Der Gesetzgeber hat vor allem "die grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums" zu beachten. 53 Diese Entscheidung für ein funktionsfähiges Privateigentum weist den Weg zu einem Wirtschaftssystem, welches Privatinitiative und unternehmerische Eigenverantwortlichkeit als grundlegend anerkennt. 54 Art. 14 Abs. 1 GG schützt nämlich nach allgemeiner Ansichf 5 nicht nur den Bestand des Eigentums vor Entzug, sondern auch die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeit. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG, der hinsichtlich der sog. Sozialbindung56 ausdrücklich auf den "Gebrauch" des Eigentums hinweist. 57 Das Bundesverfassungsgericht formulierte im Mitbestimmungs-Urteil aus dem Jahre 1979, der Eigentumsgarantie komme "im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines
51 Vgl. Kar! Albrecht Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 387; siehe auch a. a. 0., S. 220 f., 244, 386, 388 f. 52 Walter Leisner, Das Eigentum zwischen privatem Nutzen und sozialer Bindung, in: JosefIsensee (Hrsg.), Eigentum, 1996, S. 537 (538). 53 BVerfGE 14,263 (278); 21, 150 (155). Vgl. auch BVerfGE 18, 121 (132); 21, 73 (82); 24, 367 (389); 31,229 (240); 42, 64 (76); 58, 300 (338). 54 Kar! Heinrich Friauf / Rudolf Wendt, Eigentum am Unternehmen, 1977, S. 66; Ossenbühl (Anm. 34), S. 26. 55 Vgl. z. B. BVerfGE 13,225 (229); 26, 215 (222); 38, 348 (370); 50,290 (insbes. 339 ff.); 58, 300 (345); 68, 361 (367 f.); 78, 58 (71); 79, 174 (191); 83, 201 (208); 89, 1 (6); 91, 207 (220); 91, 294 (307 f.); 93,121 (135, 137); BVerwGE 2,172 (174,179); 16,301 (304 f.); 21, 251 (255 f.); BGHZ 23,157 (162 f.); Lerche (Anm. 13), S. 130 f.; Hans-Jürgen Papier, Die Beeinträchtigungen der Eigentums- und Berufsfreiheit durch Steuern vom Einkommen und Vermögen, Der Staat 11 (1972), S. 483 (insbes. 498 f.); Eberhard Grabitz, Die verfassungsorientierte Konkretisierung wettbewerbsrechtlicher Generalklauseln, ZHR 149 (1985), S. 263 (267 f.); Walter Leisner, Eigentum. Grundlage der Freiheit, 1994, S. 13. 56 Siehe dazu Walter Leisner, Sozialbindung des Eigentums, 1972. 57 Helge Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 483.
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Lebens zu ennöglichen"58. Aus dieser Erkenntnis folgerte das Bundesverfassungsgericht, das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum sei "in seinem rechtlichen Gehalt gekennzeichnet durch Privatnützigkeit, d.h. die Zuordnung zu einem Rechtsträger ... , in dessen Hand es als Grundlage privater Initiative und im eigenverantwortlichen privaten Interesse 'von Nutzen' sein" solle59 . "In dem Element der grundsätzlichen Verfiigungsbefugnis gelangt die Herrschaft über das Eigentumsobjekt und damit der besondere personale Bezug des Inhabers zu diesem zum Ausdruck. ,,60 In einem Beschluß von 1994 wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, daß zum "Kembereich der Eigentumsgarantie", der nicht ausgehöhlt werden dürfe, sowohl die Privatnützigkeit als auch "die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand" gehörten61 • Diese sind zum Wesensgehalt des Eigentums im Sinne von Art. 19 Abs. 2 GG zu rechnen. 62 Dieser Wesens gehalt umfaßt die mindestens hälftige private Verfiigbarkeit, wenn man der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt 63 . Ohne solche engen materiellen Grenzen staatlicher Eingriffe ist die wirtschaftliche Freiheit in Gefahr; denn: "Eigentum ist Freiheit. ,,64
58 BVerfGE 50, 290 (339); ebenso BVerfGE 53, 257 (290). Vgl. ferner BVerfGE 24, 367 (389); 30, 292 (334); 31, 229 (239); 42, 64 (76); 46, 325 (334); 68, 193 (222); 69, 272 (300); 78, 58 (73); 83, 201 (208); 89, I (6); 91, 294 (307). Vgl. aus dem Schrifttum etwa Peter Häberle, Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff, AöR 109 (\ 984), S. 36 (73 f.); Johann Friedrich Henschel, Eigentumsgewährleistung und Mieterschutz, NJW 1989, S. 937 (938); Wilfried Berg, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL 51 (1992), S. 47 (56 f., 67 ff., 82 ff.); Otto Kimminich, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 Rn. 18 ff. (Stand der Kommentierung: August 1992). 59 BVerfGE 50, 290 (339); 53, 257 (290). Sehr ähnliche Formulierungen befinden sich in BVerfGE 31, 229 (240); 37, 132 (140); 52, 1 (30); 58, 300 (345); 68, 361 (367); 69,272 (300); 72, 9 (\9); 79,292 (303); 81,29 (32); 83,201 (2080; 89, I (6); 91, 207 (220). 60 BVerfGE 53, 257 (291). 61 BVerfGE 91, 294 (308). Vgl. auch BVerfGE 93, 121 (135). 62 Hans-Jürgen Papier, in: Maunz / Dürig (Anrn. 7), Bd. 11, Art. 14 Rn. 327 (Stand der Kommentierung: Mai 1994); Schachtschneider (Anm. 51), S. 1004 Fn. 967. 63 Vgl. oben bei Anm. 32. 64 Günter Dürig, Der Staat und die vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, in: Festschrift für Willibald Apelt zum 80. Geburtstag, 1958, S. 3 (31); Walter Leisner, Eigentum, in: Isensee / Kirchhof (Anm. 25), Bd. VI, 1989, § 49 Rn. 21. Zustimmend Karl Albrecht Schachtschneider I Olaf Gast, Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 165; Otto Depenheuer, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, 4. Aufl., 1999, Art. 14 Rn. 11. Vgl. etwa auch BVerfGE 79, 292 (304); 81, 29 (34).
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d) Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit In wirtschaftsverfassungsrechtlicher Hinsicht bedeutsam sind auch die Grundrechtsgewährleistungen von Art. 9 Abs. 1 und 3 GG. Die in Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Vereinigungsfreiheit besteht darin, "sich aus privater Initiative mit anderen zu Vereinigungen irgendwelcher Art zusammenzufmden, sie zu gründen, aber auch ihnen fernzubleiben und aus ihnen wieder auszutreten".6S ,,Der Schutz des Grundrechts urnfaßt sowohl für die Mitglieder als auch für die Vereinigungen die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte".66 Diese Gewährleistung bezieht sich auch etwa auf Errichtung und Betätigung von Handels- und Kapitalgesellschaften sowie von Unternehmenszusammenschlüssen. 67 ,,Mit dem Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, gewährleistet Art. 9 Abs. 1 GG ein konstituierendes Prinzip der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes: das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung"; dieses Prinzip steht "der planmäßigen Formung und Organisation durch den Staat nach den Maßstäben eines von der herrschenden Gruppe diktierten Wertsystems" entgegen. 68 Von der allgemeinen Vereinigungs freiheit des Art. 9 Abs. 1 GG unterscheidet sich die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte sog. Koalitionsfreiheit durch einen spezifischen Vereinigungszweck, welcher mit der "Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" umschrieben ist. 69 Dieses Grundrecht gewährleistet nicht nur die sog. individuelle Koalitionsfreiheit, d.h. die Freiheit des Einzelnen, eine Koalition zu bilden und in ihr tätig zu sein70 , sondern auch die sog. kollektive Koalitionsfreiheiei. Art. 9 Abs. 3 GG schützt also "die Koalition selber in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihrer Betätigung, soweit diese gerade in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirt-
BVerfGE 38, 281 (298) - Hervorhebung vom Verf. BVerfGE 50, 290 (354) - Hervorhebung vom Verf.; fast wortgleich BVerfGE 80, 244 (253). 67 Ossenbühl (Anm. 34), S. 3 f. Zweifelnd hingegen BVerfGE 50, 290 (355 f.). 68 BVerfGE 50, 290 (353). 69 Siehe dazu im einzelnen Helge Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, JZ 1998, S. 421 (422 ff.). 70 Vgl. BVerfGE 19,303 (312); 28, 295 (304); 50, 290 (367); 51, 77 (87 f.); 55, 7 (21); 64, 208 (213); BAGE 20,175 (213 f.); Gunther Schwerdtfeger, Individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit, 1981, S. 6; Rupert Scholz, Koalitionsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Anm. 25), Bd. VI, 1989, § 151 Rn. 80. 71 Vgl. BVerfGE 4, 96 (101 f.); 17,319 (333); 19,303 (312,319); 20, 312 (317 f.); 28,295 (304); 38, 281 (303); 44, 322 (340 f.); 50, 290 (367); 84,212 (224); 88, \03 (114); 94, 268 (282 f.). 65
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schaftsbedingungen besteht".72 Als diesem Zweck entsprechend wird wesentlich der Abschluß von Tarifverträgen angesehen mit der Konsequenz der Ableitung der Tarifautonomie aus der kollektiven Koalitionsfreiheit. 73 ,,Der Staat hat, soweit es um die Regelung des Inhalts von Arbeitsverträgen geht, gemäß Art. 9 Abs. 3 GG seine Zuständigkeit von vornherein weit zurückgenommen und die Befugnis der Koalitionen, selbst Rechtsregeln zu setzen und wieder aufzuheben, anerkannt".74 Die Zurückhaltung, welche sich der Staat in diesem Bereich auferlegt, wird auch daraus deutlich, daß die Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG - unbeschadet verfassungsirnmanenter Schranken - vorbehaltlos gewährleistet ist.
4. Soziale Marktwirtschaft als Leitprinzip der Wirtschaftsverfassung Die vorstehend dargelegten Grundrechtsvorschriften stellen Elemente einer Sozialen Marktwirtschaft dar. Diese verfassungsrechtlichen Gewährleistungen sind "Grundfesten einer Wirtschaftsordnung ... , die einen staatsunabhängigen Marktmechanismus mit - freiem - Wettbewerb konstituieren und garantieren".75 Auch Art. 109 Abs. 2 bis 4 GG normiert Grundsätze, welche lediglich im Rahmen der Sozialen Marktwirtschafe6 ihren systematisch widerspruchs freien 77 Platz fmden 78 • Ein ausdrückliches Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft enthält Art. 1 Abs. 3 Satz 1 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 199079 (StV): "Grundlage der Wirtschaftsunion ist die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien." Art. 1 Abs. 3 Satz 2 StV legt fest, daß die Soziale Marktwirtschaft "insbesondere ... durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbil72 BVerfGE 84, 212 (224). 73 Siehe etwa BVerfGE 18, 18 (28); 20, 312 (317); 58, 233 (248); 84, 212 (225); 88,
103 (114); 92, 365 (394 f); 94, 268 (283, 285). Vg!. aus dem Schrifttum etwa Gerhard Schnorr, Inhalt und Grenzen der Tarifautonomie, JR 1966, S. 327 ff; Karl-Georg Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, 1990, passim. 74 BVerfGE 44, 322 (349). 75 Depenheuer (Anm. 64), Art. 14 Rn. 9. 76 Vg!. Franz Klein / Bruno Schmidt-Bleibtreu, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl., 1999, Ein!. Rn. 60,63. 77 Siehe dazu näher Helge Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, JZ 1999, S. 864 ff 78 Siehe zur einfachrechtlichen Konkretisierung dieser Grundsätze insbes. § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft v. 8.6.1967 (BGB!. I S. 582), zuletzt geändert durch Gesetz v. 14.9.1994 (BGB!. I S. 2325,2389). 79 BGB!. 11 S. 537.
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dung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen" bestimmt wird. Gemäß Leitsatz I zur Wirtschaftsunion im Gemeinsamen Protokoll zum Staatsvertrag vom 18. Mai 1990, welches nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 StV verbindlich ist, sollen wirtschaftliche Leistungen "vorrangig privatwirtschaftlich und im Wettbewerb erbracht werden". Das Leitprinzip der Sozialen Marktwirtschaft wird auch durch die Präambel sowie Art. 11 Abs. 1 und 2 StV bestätigt. Dieser Staatsvertrag ist nach dem 3. Oktober 1990 für die gesamte Bundesrepublik Deutschland maßgeblich (v gl. Art. 40 Abs. 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 199080 - EV). Gemäß Art. 45 Abs. 2 EV bleiben der Einigungsvertrag und damit auch die genannten Grundsätze des Staatsvertrages ,,nach Wirksamwerden des Beitritts als Bundesrecht geltendes Recht". Aus dem Begriff ,,Bundesrecht" und dem Fehlen einer formellen Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG dem Staatsvertrag bloß die Normqualität einfachen Rechts zuzuerkennen8 1, vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr hat die DDR die Prinzipien Sozialer Marktwirtschaft eingeführt, während die Bundesrepublik Deutschland diese - nach den zuvor angestellten Überlegungen ohnehin immanenten82 - Verfassungsprinzipien deklarierte bzw. beibehielt. Insofern war eine formelle Verfassungsänderung nicht erforderlich. 83 Die Verankerung der Sozialen Marktwirtschaft im Staatsvertrag läßt sich demnach als "authentische Selbstcharakterisierung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik" qualifIzieren. 84 Die neuen Bundesländer könnten gemäß Art. 44 EV eine Verletzung des Vertragsrechts geltend machen, wenn der Bundesgesetzgeber dem Leitprinzip der Sozialen Marktwirtschaft zuwiderhandelte. 85 Der Freistaat Thüringen bestimmt in Art. 38 seiner Verfassung 86 sogar ausdrücklich: "Die Ordnung des Wirtschaftslebens hat den Grundsätzen einer sozialen und der Ökologie verpflichteten Marktwirtschaft zu entsprechen." Die ausdrückliche Festle-
BGBI. II S. 889. So aber Matthias Schmidt-Preuß, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz vor dem Hintergrund des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, DVBI. 1993, S. 236 (238). 82 Vgl. Hans Heinrich Rupp, in: Isensee / Kirchhof (Anm. 25), Bd. IX, 1997, § 203 Rn.15. 83 Rupp (Anm. 82). Vgl. zur Qualifizierung des Einigungsrechts zur gesamtdeutschen Wirtschaftsverfassung als materielles Verfassungsrecht Depenheuer (Anm. 64), Art. 14 Rn. 10. 84 Hartmut Maurer, Staatsrecht, 1999, § 8 Rn. 92. 85 Rupp (Anm. 82), § 203 Rn. 5; Maurer (Anm. 84). A. M. Schmidt-Preuß (Anm. 81); Peter Badura, Die innerdeutschen Verträge, insbesondere der Einigungsvertrag, in: Isensee / Kirchhof (Anm. 25), Bd. VIII, 1995, § 189 Rn. 40. 86 V. 25.10.1993 (GVBI. Thür. S. 625), geändert durch Gesetz v. 12.12.1997 (GVBI. Thür. S. 525). 80 81
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gung der Sozialen Marktwirtschaft im Einigungsrecht hat letztlich den Sinn des Grundgesetzes "in Worte gefaßt und bestätigt". 87 Die Sozialunion wird nach Art. 1 Abs. 4 StV "durch eine der Sozialen Marktwirtschaft entsprechende Arbeitsrechtsordnung und ein auf den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs beruhendes umfassendes System der sozialen Sicherung" bestimmt. Der soziale Aspekt kommt vor allem dadurch zum Ausdruck, daß das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 die Bundesrepublik Deutschland als ,.mzialen Bundesstaat" sowie ,.wzialen Rechtsstaat" konstituiert und die deutsche Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nur gestattet, wenn diese auch ,,sozialen Grundsätzen" verpflichtet ist. Das mit dem Adjektiv "sozial" verankerte "Sozialprinzip"88, das zumeist als "Sozialstaatsprinzip"89 bezeichnet wird, ist ein in hohem Maße der konkreten Ausgestaltung bedürftiges Prinzip 90. "Das Grundgesetz weist im sozialen Staatsziel dem Staat die unausweichliche Verantwortung für einen Mindeststandard effektiver sozialer Gerechtigkeit zu; doch es gibt ihm damit kein Monopol für soziale Aktivitäten".91 Das Sozial(staats)prinzip ist ausschließlich im Rahmen der vorrangigen Freiheitsrechte zu entfalten und gewinnt dadurch substantiellen Gehalt. 92 Es befreit den Gesetzgeber keinesfalls von der in Art. 1 Abs. 3 GG festgelegten strikten Bindung an die Grundrechte. Die zuvor erörterten Bestimmungen sprechen jedenfalls gegen eine wirtschaftspolitische Neutralität93 undfor die Verankerung einer Wirtschaftsverfassung, welche schlagwortartig mit dem Leitbegriff "Soziale Marktwirtschaft" 87 Rupp (Anm. 82), § 203 Rn. 29. 88 Siehe Karl Albrecht Schachtschneider, Das Sozialprinzip, 1974, S. 31 f.; ders.,
Frei - sozial - fortschrittlich, in: Symposium zu Ehren von Wemer Thieme: Die Fortentwicklung des Sozialstaates, 1988, S. 6 (11). Vgl. ferner Detle! Merten, Grenzen des Sozialstaates, VSSR 1995, S. 155 (157). 89 So etwa BVerfGE 8, 274 (329); 10,354 (363); 27, 253 (283); 33, 303 (331); 65, 182 (193 f.); Wilhelm Henke, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung und das Allgemeine Verwaltungsrecht, VVDStRL 28 (1970), S. 149 (174); Götz Frank, Sozialstaatsprinzip und Gesundheitssystem, 1983, passim; Friedrich E. Schnapp, in: von Münch / Kunig (Anm. 36), Art. 20 Rn. 20; Matthias Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 75 ff.; Albert Krölls, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, Gew Arch. 1995, S. 129 (13 8). 90 Vgl. BVerfGE 1,97 (105); 33, 303 (331 ff.); 65, 182 (193); 82,60 (80). 91 lose! Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: Isensee / Kirchhof (Anm. 25), Bd. III, 2. Aufl., 1996, § 57 Rn. 168. 92 Vgl. dazu den Diskussionsbeitrag von Walter Leisner im Rahmen der Aussprache zum Thema "Artikel 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit", in: VVDStRL 43 (1985), S. 79 f. 93 Vgl. Hans Heinrich Rupp, Grundgesetz und "Wirtschaftsverfassung", 1974, S. 41 Fn. 68; Schmidt-Preuß (Anm. 89), S. 77 f.; ders. (Anm. 81), S. 239 f.; Tettinger, in: Sachs (Anm. 34), Art. 12 Rn. 14a, 178 f.
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umschrieben wird94 . Diesem Ergebnis steht der Umstand nicht entgegen, daß sich der Verfassungsgeber der aus Grundrechten und Sozialstaatsprinzip herzuleitenden Konsequenzen sUbjektiv offenbar nicht bewußt war95 . Insofern ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 96 der durch Auslegung zu ermittelnde "objektivierte Wille" des Verfassungsgebers Vorrang hat vor der subjektiven Vorstellung der am Verfassungsgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder. Auch Art. 15 GG, welcher die Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln zuläßt, vermag die Leitentscheidung der Wirtschaftsverfassung für die Soziale Marktwirtschaft nicht zu relativieren. Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG97 und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzen einer Sozialisierungspolitik wirkungsvolle Grenzen. 98 Art. 15 GG ist "von vornherein nicht als Instrument zur Umgestaltung der Wirtschaftsordnung gedacht".99 Er "enthält keinen Verfassungsauftrag zur Sozialisierung". 100
5. Marktliche Wirtschaftsordnung des Europäischen Gemeinschaftsrechts Spätestens seit dem in Maastricht 1992 unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union !O I ist die These von der "wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes vollends überholt. l02 Denn der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) enthält nunmehr die FestIegung, daß die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft die Einführung einer Wirtschaftspolitik umfaßt, die "dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist,,103 (Art. 4 Abs. 1 EGV in der Fassung des 94 Vg!. Klein I Schmidt-Bleibtreu (Anm. 76), Ein!. Rn. 63 ff.; Rupp (Anm. 82), § 203 Rn. 29; Maurer (Anm. 84), § 8 Rn. 88; Depenheuer (Anm. 64), Art. 14 Rn. 10. 95 Vgl. bereits oben bei Anm. 15. 96 Vgl. etwa BVerfGE 1,299 (312); 6, 55 (75); 6, 389 (431); 10,234 (244); 11, 126 (1300; 20, 238 (253); 45, 187 (227); 51, 97 (110); 59, 128 (153); 62, I (45); 64, 261 (275). Siehe dazu auch Michael Sachs, Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes als Mittel der Verfassungsauslegung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, DVBI. 1984, S. 73 (insbes. 81 f.). 97 Vgl. Depenheuer (Anm. 64), Art. 14 Rn. 10. 98 Vgl. dazu etwa Klein I Schmidt-Bleibtreu (Anm. 76), Einl. Rn. 66; Rudolf Wendt, in: Sachs (Anm. 34), Art. 15 Rn. 20 ff. 99 Kimminich (Anm. 58), Art. 15 Rn. 37 (Stand der Kommentierung: November 1965). 100 BVerfGE 12,354 (363 f.). Entsprechend Badura (Anm. 13), S. 392. 101 ABI. EG NT. C 191 vom 29. Juli 1992, S. J. 102 Vgl. Sodan (Anm. 69), S. 425. 103 Siehe zu dieser Begrifflichkeit näher Friederike von EstorjJ I Bernhard Molitor, in: Hans von der Groeben / Jochen Thiesing / Claus-Dieter Ehlermann (Hrsg.), Kom-
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Vertrages von Amsterdam I04 ). Diesem Grundsatz kommt über Art. 23 Abs. GG jedenfalls der Rang materiellen Verfassungsrechts zu. Daß der EGV nicht von einer "Sozialen Marktwirtschaft", sondern sogar von einer "offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" spricht, dürfte sich aus dem weitgehenden Fehlen einer Europäischen Sozialunion ergeben; einzuräumen ist allerdings, daß der Vertrag von Amsterdam die sozialpolitischen Aufgaben und vor allem Kompetenzen ausgeweitet hatlOs. Der notwendigen Konkretisierung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb dienen insbesondere die europarechtlichen Grundfreiheiten, welche als ,,Marktfreiheiten" bezeichnet zu werden pflegen und wirtschaftliche Betätigungen mit grenzüberschreitendem Charakter schützen: nämlich die Freiheit des Warenverkehrs (Art. 23 ff. EGV), die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 ff. EGV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EGV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EGV) sowie die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art. 56 ff. EGV). Aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs ergibt sich, "daß nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, vier Voraussetzungen erfüllen müssen: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist".I06 Der Europäische Gerichtshof wendet den auch im Gemeinschaftsrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lO7 in neueren
mentar zum EU- / EG-Vertrag, Bd. 1,5. Aufl., 1997, Art. 3a Rn. 17 ff.; Markus Hein/zen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für eine wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, 1999, S. 51 f 104 Vom 2. Oktober 1997 (ABI. EG Nr. C 340, S. 173). 105 Siehe dazu Helge Sodan, Anmerkung zum Urt. des EuGH v. 28.4.1998 - Rs. C158/96 (Raymond Kohll ./. Union des caisses de maladie) - Sig. 1998,1-1931 ff., JZ 1998, S. 1168 (J 169). 106 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 - Rs. C-55 / 94 (Gebhard), Sig. 1995,1-4165 (1-4197 f, Rn. 37). Vgl. ferner EuGH, Urt. v. 3\.3.1993 - Rs. C-19 / 92 (Kraus), Sig. 1993,11663 (1-1697, Rn. 32). 107 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.9.1985 - Rs. 181 /84 (Man [Sugar] / IBAP), Sig. 1985,2889 (2903, Rn. 20); Urt. v. \.10.1985 - Rs. 125/83 (OBEA), Slg. 1985,3039 (3051, Rn. 36); Urt. v. 14.\.1987 - Rs. 281/84 (Zuckerfabrik Bedburg), Sig. 1987,49 (94, Rn. 36); Urt. v. 30.6.1987 - Rs. 47/86 (Roquette Freres / ONIC), Sig. 1987,2889 (2914, Rn. 19); Urt. v. 1 \.7.1989 - Rs. 265/87 (Schräder), Sig. 1989,2237 (2269, Rn. 21); Jürgen Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 11, 1988, S. 690 ff; Eberhard Grabi/z, Europäisches Verwaltungsrecht - Gemeinschaftsrechtliche Grundsätze des Verwaltungsverfahrens, NJW 1989, S. 1776 (1779); Dirk Ehlers, Das Wirtschaftsverwaltungsrecht im europäischen Binnenmarkt, NVwZ 1990, S. 810 (813); Hans D. Jarass, Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, S. 202 (223, 225 f);
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Entscheidungen zum Schutz von Grundfreiheiten gegenüber den Mitgliedstaaten durchaus strenger an als vergleichsweise das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung von Grundrechtsvorschriften, indem er die Grenzen nationaler Gesetzgeber im Ergebnis enger zieht l08 . Ähnlich wie im Falle der wirtschaftsrelevanten Grundrechte des Grundgesetzes konkretisieren also auch die europarechtlichen Grundfreiheiten als Binnen-Marktfreiheiten eine liberale Wirtschaftsverfassung. In der jeweiligen Fallprüfung bilden die einschlägigen Grundrechte bzw. Grundfreiheiten weiterhin die Prüfungsmaßstäbe. Eine isolierte Kontrolle, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme mit dem Prinzip der (Sozialen) Marktwirtschaft vereinbar ist, scheidet daher aus. 109 Bedeutung kommt diesem Prinzip aber bei der Anwendung des jeweiligen Grundrechts bzw. der einschlägigen Grundfreiheit zu. Methodischer Ansatzpunkt ist dabei eine systematische Auslegung" o. Der Zusammenhang und die Interdependenz der einzelnen Elemente der Verfassung gebieten nämlich, nicht nur die jeweilige Vorschrift, sondern stets auch den Gesamtzusammenhang zu untersuchen, in den die Norm zu stellen ist. Alle Verfassungsbestimmungen sind demnach so zu intepretieren, daß Widersprüche zu anderen Verfassungsnormen vermieden werden. III Es gilt somit das Prinzip der Einheit der Verfassung. lI2 Wenn sich aber aus einer Gesamtschau der Verfassung einschließlich des inkorporierten Europäischen Gemeinschaftsrechts eine Entscheidung für eine freiheitlich-soziale Wirtschaftsordnung ergibt"l, so muß diese Festlegung die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Grundrechtsnorm bzw. Grundfreiheitenbestimmung erheblich beeinflussen. Dies gilt besonders für den Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, welcher sich aus den dargelegten verfassungs- und europarechtlichen Elementen marktwirtschaftlicher Ordnung herleiten läßt. I 14 Christian Callies, in: ders. / Matthias Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 1999, Art. 5 EGV Rn. 45 ff. 108 Siehe insbes. EuGH, Urt. v. 28.4.1998 - Rs. C-120 / 95 (Nicolas Decker ./. Caisse de maladie des employes prives), Sig. 1998, 1-1871 (1-1884 f., Rn. 39 ff.); EuGH (Anm. 105), Slg. 1998,1-1931 (1-1947 ff., Rn. 37 ff.). 109 Vgl. Schmidt-Preuß (Anm. 81), S. 241. 110 Siehe zur Bedeutung der systematischen Auslegung näher Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 19,56 f., 165 ff., 324 ff., 437 ff., 469 ff.; Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 2. Aufl., 1991, S. 19,288 ff. 111 Vgl. dazu Sodan (Anm. 77). 112 Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1995, Rn. 71. 113 Vgl. Schmidt-Preuß (Anm. 81), S. 241 ff. 114 Vgl. bereits Helge Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Beitrag zum Umbau des Sozialstaates, 1997, S. 306 ff.; ders. / Olaf Gast, Die Relativität des
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6. Subsidiaritätsprinzip und Vorrang der Privatheit In die soeben aufgezeigte Richtung weist ferner die von Jose! Isensee l15 aus dem sog. "Subsidiaritätsprinzip" entwickelte Formel vom "Primat freier Individualität bei der Förderung des Gemeinwohls"; die zur rechtstechnischen "Vollziehbarkeit" erforderlichen "vermittelnden Konkretisierungen" enthalte der Verfassungstext in den Grundrechten. 116 Aus dem Subsidiaritätsprinzip folgert Isensee ll7 , der Staat dürfe "eine Aufgabe nur dann ganz oder teilweise an sich ziehen, wenn er dem öffentlichen Interesse besser" genüge als Private. Die Wurzeln des Subsidiaritätsprinzips reichen weit zurück. Schon Wilhelm von Humboldt l18 behandelte die Frage: "Wie weit darf sich die Sorgfalt des Staats um das Wohl seiner Bürger erstrecken?" Eine bedeutsame Ausprägung erfuhr die Idee der Subsidiarität in der katholischen Soziallehre. Als "klassisch" gilt folgende Formulierung in Nr. 79 der Enzyklika Quadragesimo anno des Papstes Pius XI. aus dem Jahre 1931:
Grundsatzes der Beitragssatzstabilität nach SGB V, Verfassungs- und Europarecht, NZS 1998, S. 497 (505). Vgl. ferner Heintzen (Anm. \03), S. 48. 115 Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 313; vgl. auch ders., Steuerstaat und Staatsform, in: Festschrift rur Hans Peter Ipsen zum 70. Geburtstag, 1977, S. 409 (431 f); ders., Privatwirtschaftliche Expansion öffentlich-rechtlicher Versicherer, DB 1979, S. 145 (150); ders. (Anm. 91), § 57 Rn. 165 ff. 116 Vgl. aus der Literatur zum Subsidiaritätsprinzip ferner Walter Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 173,214,326; Roman Herzog, Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung, Der Staat 2 (1963), S. 399 ff; Karl Albrecht Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 189 f, 272 f (mit weiteren Nachw. vor allem zum älteren Schrifttum in Fn. 184); Hans Heinrich Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: Isensee / Kirchhof (Anm. 25), Bd. 1,1987, § 28 Rn. 51 ff.; Christoph Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat - nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 48 (1990), S. 7 (26); Jochen Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 520 ff; Franz Knöpfte, Zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips rur die verfassungsrechtliche Ordnung, in: Festschrift rur Anton Rauscher, 1993, S. 151 ff; Helmut Lecheier, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993, passim; Detlef Merten, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, S. 77 ff; Thomas Würtenberger, Das Subsidiaritätsprinzip als Verfassungsprinzip, Staatswissenschaften und Staatspraxis 4 (1993), S. 621 ff.; Peter Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, AöR 119 (1994), S. 169 ff.; Johannes Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165 (193 ff); Horst Heberlein, Subsidiarität und kommunale Selbstverwaltung, NVwZ 1995, S. 1052 ff; Stefan Weber, Die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung, 1995, S. 58 ff.; Thomas Oppermann, Subsidiarität als Bestandteil des Grundgesetzes, JuS 1996, S. 569 ff.; Knut Wolfgang Nörr / Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, 1997. 117 In einem Diskussionsbeitrag im Rahmen der Aussprache zum Thema "Privatisierung von Verwaltungsaufgaben", VVDStRL 54 (1995), S. 303 (305). 118 Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, in: Gesammelte Schriften, hrsg. von A. Leitzmann, Bd. I, 1903, S. 106 ff
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"Wenn es nämlich auch zutrifft, was ja die Geschichte deutlich bestätigt, daß unter den veränderten Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von großen bewältigt werden können, so muß doch allzeit unverrückbar jener oberste sozialphilosophische Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. ledwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen ... 119 Diese Formulierungen lassen erkennen, daß das Subsidiaritätsprinzip nicht nur im Verhältnis des einzelnen zum Staat fruchtbar gemacht, sondern auch als Grundsatz verstanden werden kann, der eine Konkurrenz staatlicher Kompetenzen auflöst. So regelt Art. 5 EGV ein "Subsidiaritätsprinzip" im Europäischen Gemeinschaftsrecht: Nach diesem Prinzip darf die Gemeinschaft in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden, "sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können." Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt: "Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist ... "120 Im Unterschied zu einem so verstandenen Subsidiaritätsprinzip begrenzt jedoch der Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung die Staatlichkeit der Lebensbewältigung überhaupt. Aus seinen Grundlagen - nämlich den genannten Grundrechten und Grundfreiheiten - lassen sich Grenzen nicht nur für die staatliche Regelungsdichte und Eingriffsintensität, sondern überdies für die Begründung oder Beibehaltung staatlicher Zuständigkeiten im Bereich auch privat wahrnehmbarer Ange-
119 Acta Apostolicae Sedis XXIII (1931), S. 203: "Nam etsi verum est, idque historia luculenter ostendit, ob mutatas rerum condiciones multa nunc non nisi a magnis consociationibus posse praestari, quae superiore aetate a parvis etiam praebebantur, fixum tarnen immotumque manet in phi10sophia socia1i gravissimum illud principium quod neque moveri neque mutari po test: sicut quae a singularibus hominibus proprio marte et propria industria possunt perfici, nefas est eisdem eripere et communitati demandare, ita quae a minoribus et inferioribus communitatibus effici praestarique possunt, ea ad mairorem et altiorem societatem avocare iniuria est simulque grave damnum ac recti ordinis perturbatio; cum socialis quaevis opera vi naturaque sua subsidium afferre membris corporis socialis debeat, numquam vero eadem destruere et absorbere." 120 Hervorhebung vom Verf.
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legenheiten ableiten. Eine staatliche Zuständigkeit bedarf der Rechtfertigung. Diese ist nur solange und soweit gegeben, wie sich die staatliche Aufgabenwahrnehmung als notwendig erweist. 121 Daß an die diesbezügliche Prüfung ein durchaus strenger Maßstab anzulegen ist, ergibt sich eben aus dem prinzipiellen Vorrang privater Lebensgestaltung als Verfassungsgrundsatz. Als staatliche Aufgaben l22 sind nur diejenigen Aufgaben anzusehen, "die der Staat nach der jeweils geltenden Verfassungsordnung zulässigerweise für sich in Anspruch nimmt". 123 So stellte etwa der Bundesgerichtshof die Unzulässigkeit einer Selbstabgabestelle für Brillen fest, die durch eine Allgemeine Ortskrankenkasse und damit eine Körperschaft des öffentlichen Rechts unterhalten wurde: In dieser Entscheidung ist unter Bezugnahme auf Art. 12 Abs. 1 GG ausgeführt, "daß es der öffentlichen Hand verwehrt" sei, "über das sachlich Gebotene und verfassungsrechtlich Zulässige hinaus in den Bereich der privaten beruflichen Betätigung Dritter zu deren Nachteil einzugreifen"124.
III. Vorrang der Privatheit am Beispiel gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit Eine kontroverse Diskussion wird seit einigen Jahren mit besonderer Intensität über die Frage geführt, ob und inwieweit wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden zulässig iSt. 125 Im Gegensatz zu der Privatisierungspolitik auf der 121 Vgl. Scholz (Anm. 13), Art. 12 Rn. 209 ff Vgl. ferner in bezug auf sog. Verwaltungsmonopole BVerfGE 21, 245 (249 ff.); 21, 261 (267 ff). 122 Siehe zur Begrifflichkeit näher Sodan (Anm. 114), S. 109 ff. 123 Fritz Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137 (153); ders., Staatshaftungsrecht, 5. Aufl., 1998, S. 24 Fn. 70; Sibylle von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 15. Ähnlich formulieren z. B. Hans Hugo Klein, Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe, DÖV 1965, S. 755 (758); Hans Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, in: Festschrift für Hans earl Nipperdey zum 70. Geburtstag, Bd. H, 1965, S. 877 (880); Winfried Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 157, 161; Prodramas Dagtoglou, Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, DÖV 1970, S. 532 (534); Peter Lerche, Rundfunkmonopol, 1970, S. 89; Hans Peter Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl., 1973, S. 50; Dirk Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 200 Fn. 152; Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 171; Hengstschläger (Anm. 116), S. 172; Hartmut Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, WDStRL 54 (1995), S. 243 (250). 124 BGHZ 82, 375 (390). Vgl. auch Hans F. Zacher I Marion Friedrich-Marczyk, Krankenkassen oder nationaler Gesundheitsdienst?, 1980, S. 95 f. 125 Siehe aus dem umfangreichen Schrifttum etwa Friedrich Schoch, Der Beitrag des kommunalen Wirtschaftsrechts zur Privatisierung öffentlicher Aufgaben, DÖV 1993, S. 377 (379 f); Hermann Pünder, Die kommunale Betätigung auf dem Telekommunikationssektor, DVBI. 1997, S. 1353 ff.; Peter Badura, Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde zur Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen
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Bundes- und teilweise auch Länderebene weist die Praxis der Kommunalwirtschaft in jüngerer Zeit eine durchaus expansive Tendenz auf. 126 Dieser Umstand hat zu einer deutlichen Zunahme von Rechtsstreitigkeiten um die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung von Gemeinden geführt. 127 Es geht also um die Frage, ob Gemeinden in grundsätzlich derselben Weise wie Private im institutionellen Sinne am Wirtschaftsleben teilnehmen dürfen. § 107 Abs. 1 Satz 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen l28 (GO NW) beispielsweise versteht unter gemeindlicher wirtschaftlicher Betätigung den Betrieb von Unternehmen, die als Hersteller, Anbieter oder Verteiler von Gütern oder Dienstleistungen am Markt tätig werden, sofern die Leistung ihrer Art nach auch von einem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnte. Es muß sich also um ein konkurrenzwirtschaftliches Angebot von Waren oder Dienstleistungen durch die Gemeinde oder ein Gemeindeunternehmen handeln. 129 1. Unterschiedliche Regelungen in den Gemeindeordnungen
Gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG muß den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Diese Verfassungsbestimmung sichert den Gemeinden nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 130 "einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich". Wie diese Selbstverwaltung kann der Gesetze, DÖV 1998, S. 818 (820 ff.); Peter J. Tettinger, Rechtsschutz gegen kommunale Wettbewerbsteilnahme, NJW 1998, S. 3473 f.; Dirk Ehlers, Die Zu lässigkeit einer erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, Jura 1999, S. 212 ff.; Ralf Müller-Terpitz, Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der Telekommunikation, NWVBI. 1999, S. 292 (293 ff.); Michael Ronellenfitsch, Staat und Markt: Rechtliche Grenzen einer Privatisierung kommunaler Aufgaben, DÖV 1999, S. 705 ff. Vgl. auch bereits Jürgen Gerke, Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, Jura 1985, S. 349 (351 ff.). 126 Vgl. Badura (Anm. 125), S. 819 f.; Ehlers (Anm. 125), S. 212. 127 Vgl. aus der Judikatur der letzten Jahre etwa BVerwG, NJW 1995, S. 2938 ff.; VGH Mannheim, NJW 1995, S. 274 f.; VGH Kassel, NVwZ 1996, S. 816 f.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1996, S. 231 ff.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, S. 1470 ff.; OLG Harnm, NJW 1998, S. 3504 f.; LG Wuppertal, DVBI. 1999, S. 939; LG München, Urt.v. 19.5.1999-Az.: I HK03922/99. 128 In der Fassung der Bekanntmachung v. 14.7.1994 (GVBI. NW S. 666), zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.6.1999 (GVBI. NW S. 386). 129 Badura (Anm. 125), S. 820. 130 BVerfGE 79, 127 (143); nahezu wörtlich identisch BVerfGE 26, 228 (237 f.); 56,298 (312); 59, 216 (226). Vgl. etwa auch BVerfGE 67, 321 (324); 98, 273 (275).
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sich auch die Gemeindewirtschaft nur im Rahmen der Gesetze bewegen. 131 Der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene Gesetzesvorbehalt umfaßt "nicht nur die Art und Weise der Erledigung der örtlichen Angelegenheiten, sondern ebenso die gemeindliche Zuständigkeit rur diese Angelegenheiten". 132 Art und Ausmaß der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden hatte § 67 Abs. 1 der Deutschen Gemeindeordnung 133 (DGO) wie folgt festgelegt: "Die Gemeinde darf wirtschaftliche Unternehmen nur errichten oder wesentlich erweitern, wenn 1. der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt, 2. das Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf steht, 3. der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen errullt wird oder errullt werden kann." Diese Vorschrift wollte die Gemeinden vor vermeidbaren wirtschaftlichen Risiken bewahren, zugleich aber die Kommunalwirtschaft zugunsten der privaten Wirtschaft begrenzen. 134 Diese doppelte Zielsetzung liegt auch heute geltenden Gemeindeordnungen von Bundesländern zugrunde. Nahezu wörtlich mit § 67 Abs. 1 DGO übereinstimmende Vorschriften enthalten § 102 Abs. 1 der Gemeindeordnung rur Baden-Württemberg135 , § 68 Abs. 1 der Kommunalverfassung rur das Land Mecklenburg-Vorpommern I36 , § 108 Abs. 1 Satz 2 der Niedersächsischen Gemeindeordnung 137, § 108 Abs. 1 des Saarländischen Kommunalselbstverwaltungsgesetzes 138, § 97 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung rur den Freistaat Sachsen 139 , § 116 Abs. 1 der Gemeindeordnung rur das
Badura (Anm. 125), S. 818. BVerfGE 79, 127 (143). 133 V. 30.l.l935 (RGBI. S. 49). 134 Siehe dazu Badura (Anm. 125), S. 818. Vgl. ferner Franz-Ludwig Knemeyer, Vom kommunalen Wirtschaftsrecht zum kommunalen Unternehmensrecht, BayVBI. 1999, S. I (5). 135 In der Fassung der Bekanntmachung v. 3.10.1983 (GBI. BW S. 577, ber. S. 720), zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.7.1999 (GBI. BW S. 292). 136 In der Fassung der Bekanntmachung v. 13.l.l998 (GVOBI. M-V S. 29, ber. S. 890), zuletzt geändert durch Gesetz v. 10.7.1998 (GVOBI. M-V S. 634). 137 In der Fassung der Bekanntmachung v. 22.8.1996 (Nds. GVBI. S. 382), zuletzt geändert durch Gesetz v. 12.3.1999 (Nds. GVBI. S. 74, 77). 138 In der Fassung der Bekanntmachung v. 27.6.1997 (ABI. des Saarl. S. 682), geändert durch Gesetz NT. 1414 v. 14.10.1998 (ABI. des Saarl. S. 1030, 1035). 139 In der Fassung der Bekanntmachung v. 14.6.1999 (SächsGVBI. S. 345). 131
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Land Sachsen-Anhalt l40 und § 101 Abs. 1 der Gemeindeordnung für SchleswigHolstein l41 • Entsprechendes gilt auch für § 100 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Brandenburg l42 und § 121 Abs. 1 der Hessischen Gemeindeordnung l43 , mit der Einschränkung allerdings, daß diese Bestimmungen auf die Subsidiaritätsklausel des § 67 Abs. 1 Nr. 3 DGO verzichten. Demgegenüber verschärfen einige Gemeindeordnungen sogar die Regelung des § 67 DGO. So verlangen Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern 144 (BayGO), § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO NW und § 71 Abs. 1 Nr. 1 der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO)145, daß ein öffentlicher Zweck die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde "erfordert". Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayGO, § 71 Abs. 1 Nr. 3 ThürKO und § 85 Abs. 1 Nr. 3 der Gemeindeordnung für Rheinland-Pfalz l46 bestimmen, daß eine Gemeinde wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen oder (wesentlich) erweitern darf, wenn der Zweck nicht "ebenso gut und wirtschaftlich" (also nicht "besser") durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann; dabei bezieht sich Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayGO ausdrücklich auf ein "Tätigwerden außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge". § 71 Abs. 1 Nr. 3 ThürKO fügt hinzu, daß gegebenenfalls "ein Markterkundungsverfahren unter Einbindung der betroffenen örtlichen Betriebe in Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und Industrie durchzuführen" ist. § 71 Abs. 2 ThürKO legt fest, daß wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinde ,,keine wesentliche Schädigung und keine Aufsaugung selbständiger Betriebe in Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und Industrie bewirken" dürfen. Angesichts des bereits zitierten l47 Art. 38 der Thüringer Verfassung kann es nicht verwundern, daß besonders das Thüringische Recht dem Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung Rechnung trägt 148. Dies gilt hingegen nicht für diejenigen Gemeindeordnungen, welche 140 V. 5.10.1993 (GVBI. LSA S. 568), zuletzt geändert durch Gesetz v. 26.4.1999 (GVBI. LSA S. 152). 141 In der Fassung der Bekanntmachung v. 23.7.1996 (GVOBI. Schl.-H. S. 529, ber. GVOBI. Schl.-H. 1997 S. 350), geändert durch Gesetz v. 16.12.1997 (GVOBI. Schl.-H. S.474). 142 V. 15.10.1993 (GVBI. BBG I S. 398), zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.4.1998 (GVBI. BBG I S. 62). 143 In der Fassung v. 1.4.1993 (GVBI. Hess. 1992 I S. 534), zuletzt geändert durch Gesetz v. 17.12.1998 (GVBI. Hess. I S. 562, 567). 144 In der Fassung der Bekanntmachung v. 22.8.1998 (BayGVBI. S. 796), geändert durch Gesetz v. 26.3.1999 (BayGVBI. S. 86). 145 In der Fassung der Bekanntmachung v. 14.4.1998 (GVBI. Thür. S. 73). 146 In der Fassung der Bekanntmachung v. 31.1.1994 (GVBI. Rh.-Pf. S. 153), zuletzt geändert durch Gesetz v. 2.4.1998 (GVBI. Rh.-Pf. S. 108). 147 Vgl. bei Fn. 86. 148 Vgl. dazu Peter 1. Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht / 1,5. Aufl., 1998, Rn. 206, der feststellt, "nahezu überall" habe "der Subsidiaritätsgedanke in mehr oder
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sich damit begnügen, daß der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch andere errullt werden kann. Damit ist ein rein erwerbswirtschaftlich motiviertes Tätigkeiten von Gemeinden prinzipiell unzulässig. 149 Ganz in diesem Sinne regelt Art. 87 Abs. 1 Satz 2 BayGO, daß alle "Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche, mit denen die Gemeinde oder ihre Unternehmen an dem vom Wettbewerb beherrschten Wirtschaftsleben teilnehmen, um Gewinn zu erzielen, ... keinem öffentlichen Zweck" entsprechen. Die prinzipielle Unzulässigkeit rein erwerbswirtschaftlichen Handeins von Gemeinden folgt auch daraus, daß die grundgesetzliche Finanzverfassung ihren Sinn verlöre, "wenn sich die Träger von Staatsgewalt nach Belieben anderweitige Einnahmen durch Teilnahme am Wirtschaftsleben verschaffen könnten".150 Die "Finanzierung der staatlichen Aufgaben in Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden" ist vielmehr in erster Linie der Steuer vorbehalten. 151
2. Zivilgerichtliche Judikatur Eine sehr kritische Haltung gegenüber erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit von Gemeinden läßt sich jüngeren zivilgerichtlichen Entscheidungen entnehmen. Zivilgerichte bejahen ihre Zuständigkeit rur entsprechende Rechtsstreitigkeiten regelmäßig unter Berufung darauf, daß das Wettbewerbsrecht und damit auch die Wettbewerbsverhältnisse der öffentlichen Hand zum Privatrecht gehörten. 152 Das Oberlandesgericht Düsseldorfl 53 etwa sah in dem Angebot entgeltliweniger starker Ausprägung an wichtiger Stelle ... Eingang ins Kommunalwirtschaftsrecht gefunden". Anders hingegen Heintzen (Anm. 103), S. 87 ff. 149 Im Ergebnis ebenso Dirk Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 92 f.; ders., Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik Deutschland, JZ 1990, S. 1089 (1091); ders. (Anm. 125), S. 213 f.; Günter Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl., 1985, S. 131; Rolf Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 587; ders., Eigenwirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, BB 1989, S. 716 (719 f.); Wilfried Berg, Die wirtschaftliche Betätigung des Staates als Verfassungsproblem, GewArch. 1990, S. 225 (228); Albert Krölls, Grundrechtliche Schranken der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, GewArch. 1992, S. 281 (286 f.). A. M. hingegen Volker Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969, S. 86 ff.; Jürgen Hidien, Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und "öffentlicher Zweck" kommunaler wirtschaftlicher Unternehmen, 1981, S. 136 f.; OlafOtting, Neues Steuerungsmodell und rechtliche Betätigungsspielräume der Kommunen, 1997, S. 138 ff. In BVerfGE 61, 82 (107 f.) ist die Unzulässigkeit rein erwerbswirtschaftlich-fiskalischer Unternehmen von Gemeinden aus dem einfachen Gesetzesrecht abgeleitet. 150 Ehlers (Anm. 125), S. 214. 151 BVerfGE 78, 249 (266 f.); 93,319 (342). Vgl. auch BVerfGE 82,159 (178). 152 Vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1996, S. 231; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, S. 1470 (1471); LG München, Urt. v. 19.5.1999 - Az.: 1HK 0 3922 / 99, S. 12. Vgl.
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chen Nachhilfeunterrichts rur Schüler der Sekundarstufe I durch die Volkshochschule einer Gemeinde eine Verletzung des § 107 GO NW; diese Vorschrift diene dem Schutz der privaten Wirtschaft gegen eine privatwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, so daß ein Verstoß gegen diese Bestimmung gleichzeitig auch sittenwidrig im Sinne von § 1 UWG sei. Zu dem gleichen Ergebnis kam das Oberlandesgericht Hamm 154 im Hinblick auf das Angebot gärtnerischer Dienste durch eine Gemeinde in Konkurrenz zu privaten Gartenbaubetrieben; rur einen Gartenbaubetrieb sei kein dringender öffentlicher Zweck ersichtlich. Das Landgericht Wuppertal 155 entschied in Anwendung der §§ 107 und 108 GO NW, ein Bedarf rur ein von einer Gemeinde betriebenes Recycling-Unternehmen rur Altautos sei im konkreten Fall "schon deswegen nicht erkennbar, weil ... offensichtlich genügend private Anbieter auf dem Markt vorhanden" seien, und stellte daher die Wettbewerbswidrigkeit des gemeindlichen Handelns fest. Das Landgericht München 156 bejahte einen Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG zugunsten eines privaten Elektrikerhandwerksbetriebs gegen die Tätigkeit eines gemeindlichen Unternehmens, welche nicht die Versorgung der Bevölkerung mit Strom in Form der Bereitstellung am Ende des Hausanschlusses, sondern die Installation elektrischer Anlagen zum Gegenstand hatte, die in den Bereich des einzelnen Abnehmers fielen; solche Elektroinstallationen gehörten nicht zum Bereich der Daseinsvorsorge 157, sondern seien dem Handwerk vorbehalten und verstießen daher gegen Art. 87 BayGO.
3. Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Insgesamt deutlich großzügiger gegenüber wirtschaftlicher Betätigung von Gemeinden zeigte sich hingegen bislang die verwaltungsgerichtliche Judikatur in Anwendung insbesondere der Grundrechte der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie. Unbeanstandet blieben etwa die wirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde auf dem Gebiet des Bestattungswesens durch einen sog. Bestattungsordner l58 , eine kommunale Wohnungsvermittlung l59 , eine konkurrenzwirtallgemein GmS-OGB BGHZ 102, 280 ff.; 108,284 ff.; BGHZ 66, 229 ff.; 67, 81 ff.; 82,375 ff.; 121, 126 ff. Kritisch Tettinger (Anm. 125), S. 3474; Ehlers (Anm. 125), S.215. 153 NJW-RR 1997, S. 1470 (I47\). 154 NJW 1998, S. 3504 f. 155 DVBI. 1999, S. 939. 156 Urt. v. 19.5.1999 - Az.: IHK 0 3922/99. 157 Vgl. in diesem Zusammenhang näher Hermann Hili, In welchen Grenzen ist kommunalwirtschaftliche Betätigung Daseinsvorsorge? , BB 1997, S. 425 ff. 158 BVerwGE 39, 329 ff. 159 BVerwG, NJW 1978, S. 1539 f.; VGH München, BayVGH (N. F.) 31, I ff.
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schaftliche Industriemaklertätigkeit einer privaten städtischen Gesellschaft l60 und ein nicht auf Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus oder auf Sanierungsmaßnahmen beschränktes Tätigwerden einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft l61 . In den entsprechenden Entscheidungen wurde jeweils die These vertreten, weder Art. 12 Abs. 1 noch Art. 14 Abs. 1 GG schützten grundsätzlich vor Konkurrenz durch die öffentliche Hand l62 . Eine Einschränkung nahm das Bundesverwaltungsgeriche 63 nur tUr den Fall vor, daß die private wirtschaftliche Betätigung "unmöglich gemacht oder unzumutbar eingeschränkt wird oder eine unerlaubte MonopolsteIlung entsteht". Eine derartige Zurückdrängung des Schutzes Privater gegen kommunalwirtschaftliche Tätigkeit ist mit dem Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung unvereinbar, der nach den bereits angestellten Überlegungen ja wesentlich durch die Grundrechte der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie geprägt wird. Verfehlt ist vor allem die Vorstellung, ein privater Wettbewerber müsse "Konkurrenz" durch die öffentliche Hand prinzipiell in gleicher Weise hinnehmen wie seitens anderer Privater. Bei einer solchen Grundrechtsinterpretation ist der Schritt nicht mehr weit, der öffentlichen Hand tUr ihr Verhalten im Wettbewerb ebenfalls die Grundrechte - insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG - zuzugestehen. Diese Konsequenz widerspricht jedoch etwa der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts l64 . Die Gemeinden sind bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung - auch in Form des Betriebs kommunaler Eigengesellschaften l65 vielmehr an die Grundrechte der Privaten gebunden. Zudem läßt sich die verwaltungsgerichtliche Judikatur nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Berufsfreiheit gegen bloß mittelbare Beeinträchtigungen vereinbaren. Danach kann Art. 12 Abs. 1 GG auch durch Normen berührt werden, die "infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind", die Berufsfreiheit "mittelbar zu beeinträchtigen, obwohl sie keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter tragen".166 In ständiger 160 BVerwG, NJW 1995, S. 2938 ff.; VGH Mannheim, NJW 1995, S. 274 f. 161 VGH Mannheim, NJW 1994, S. 251 ff. 162 Vgl. BVerwGE 39, 329 (336 ff.); BVerwG, NJW 1978, S. 1539 (1540); NJW 1995, S. 2938 (2939); VGH München, BayVGH (N. F.) 31, 1 (6); VGH Mannheim, NJW 1984, S. 251 (252 f.); NJW 1995, S. 274. Vgl. ferner VGH Kassel, NVwZ 1996, S. 816 (817).
163 NJW 1995, S. 2938. Vgl. ferner BVerwGE 30, 191 (197 0; 39, 329 (337); BVerwG, NJW 1978, S. 1539 f.; VGH München, BayVGH (N. F.) 31,1 (6 f.); VGH Mannheim, NJW 1984, S. 251 (253); NJW 1995, S. 274; VGH Kassel, NVwZ 1996,
S. 816 (817).
164 Siehe BVerfGE 61,82 (105); 98, 17 (47). 165 Vgl. dazu BVerfG, NJW 1990, S. 1783; BGHZ 52, 325 (328 f.). 166 BVerfGE 13, 181 (185 f.). Vgl. auch BVerfGE 22, 380 (384); 33,171 (183).
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Rechtsprechung 167 bejaht das Bundesverfassungsgericht Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit durch Bestimmungen, welche "infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes stehen und - objektiv eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen". Das Kriterium der berufsregelnden Tendenz von Vorschriften, welche sich auf wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden beziehen, erzwingt einen - im Vergleich zur genannten verwaltungsgerichtlichen Judikatur - deutlich extensiveren Grundrechtsschutz. 168 Daraus folgt allerdings nicht eine generelle Unzulässigkeit kommunalwirtschaftlicher Tätigkeit. Diese kann als Dienstleistung im Rahmen der Daseinsvorsorge durchaus erforderlich sein. 169 Aus der Sicht des Staats- und Verwaltungsrechts ist es aber sehr bedenklich, wenn die Konkurrenten der öffentlichen Hand Rechtsschutz gegen deren wirtschaftliche Betätigung eher vor Zivilgerichten als vor Verwaltungs gerichten zu erlangen vermögen. Abschließend bleibt festzuhalten, daß bei einer konsequenten Anwendung des Grundsatzes des Vorrangs privater Lebensgestaltung als Auslegungsmaßstabs ein wirksamer rechtlicher Beitrag zu dem politisch weithin akzeptierten Postulat geleistet werden könnte, einen "schlanken Staat" zu schaffen.
IV. Zusammenfassung in Leitsätzen Wesentliche Ergebnisse lassen sich wie folgt formulieren: 1. Die Frage nach der grundgesetzlichen Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsverfassung wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Der von Hans earl Nipperdey vertretenen Ansicht, das Grundgesetz garantiere die Soziale Marktwirtschaft, schloß sich das Bundesverfassungsgericht nicht an: Bereits im sog. Investitionshilfe-Urteil von 1954 und fortan in ständiger Rechtsprechung ging dieses Gericht von einer "wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes aus. 2. Das klassisch-liberale Grundrechtsverständnis unterscheidet Staat und Gesellschaft. Die Freiheit des einzelnen Bürgers ist danach prinzipiell unbegrenzt, während die Befugnis des Staates zu Eingriffen prinzipiell beschränkt ist. Sol167 Siehe BVerfGE 13, 181 (186). Nahezu identisch BVerfGE 16, 147 (162); 38, 61 (79); 42, 374 (384); 47,1 (21); 49, 24 (47); 52, 42 (54); 70,191 (214); 75,108 (153 f.). Vgl. ferner BVerfGE 82, 209 (223 f.); BVerfG, Pharrna Recht 1991, S. 121 (122). Siehe zu dieser Judikatur näher Sodan (Anrn. 57), S. 504 ff.; ders., Leistungsausschlüsse im System der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechtsschutz von Leistungsanbietern, SGb. 1992, S. 200 (201 f.); ders., Der "Beitrag" des Arbeitgebers zur Sozialversicherung für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, NZS 1999, S. 105 (l07 f.). 168 Vgl. in dieser Richtung auch Tettinger (Anm. 125), S. 3474. 169 Vgl. OLG Hamm, NJW 1998, S. 3504 f.; LG Wuppertal, DVBI. 1999, S. 939.
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che Eingriffe sind nur unter Wahrung bestimmter formeller und materieller Anforderungen zulässig; dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Wesensgehaltsgarantie zu beachten. 3. Für die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes hat Art. 12 Abs. 1 GG eine herausragende Bedeutung. Die Berufsfreiheit ist vornehmlich darauf gerichtet, die eigenpersönliche, selbstbestimmte Lebensgestaltung abzuschirmen, also Freiheit von Zwängen oder Verboten im Zusammenhang mit Wahl und Ausübung des Berufes zu gewährleisten. In objektiv-rechtlicher Hinsicht läßt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG eine grundrechtliche Leitentscheidung der Verfassung zugunsten der Berufsfreiheit ableiten. 4. Entsprechendes gilt für die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigentumsgarantie. Der Gesetzgeber hat die grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums zu beachten. Diese Entscheidung für ein funktionsfahiges Privateigentum weist den Weg zu einem Wirtschafts system, welches Privatinitiative und unternehmerische Eigenverantwortlichkeit als grundlegend anerkennt. Zum unverletzlichen Kernbereich der Eigentumsgarantie gehören sowohl die Privatnützigkeit als auch die grundsätzliche VerfUgungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand. 5. Das in Art. 9 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommende Prinzip freier sozialer Gruppenbildung steht der planmäßigen Formung und Organisation durch den Staat entgegen. Art. 9 Abs. 3 GG schützt sowohl die individuelle als auch die kollektive Koalitionsfreiheit einschließlich der Tarifautonomie. Dem Staat ist in diesem Bereich starke Zurückhaltung auferlegt. 6. Die dargelegten Grundrechtsvorschriften sind Elemente einer Marktwirtschaft. Diese sprechen in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozial(staats)prinzip gegen eine wirtschaftspolitische Neutralität undfiir die Verankerung einer Wirtschaftsverfassung, welche mit dem Leitbegriff "Soziale Marktwirtschaft" umschrieben wird. 7. Spätestens seit dem in Maastricht 1992 unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union ist die These von der "wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes vollends überholt. Denn der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft enthält nunmehr die Festlegung, daß die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft die Einführung einer Wirtschaftspolitik umfaßt, die "dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist". Der notwendigen Konkretisierung dienen insbesondere die europarechtlichen Grundfreiheiten, welche als ,,Marktfreiheiten" bezeichnetwerden. 8. Ähnlich wie im Falle der wirtschaftsrelevanten Grundrechte konkretisieren auch die europarechtlichen Grundfreiheiten als Marktfreiheiten eine liberale Wirtschaftsverfassung. In der jeweiligen FallpTÜfung bilden die einschlägigen
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Grundrechte bzw. Grundfreiheiten weiterhin die Prüfungsmaßstäbe. Eine isolierte Kontrolle, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme mit dem Prinzip der (Sozialen) Marktwirtschaft vereinbar ist, scheidet daher aus. Bedeutung kommt diesem Prinzip aber bei der Anwendung des jeweiligen Grundrechts bzw. der einschlägigen Grundfreiheit zu. Methodischer Ansatzpunkt ist dabei eine systematische Auslegung. Dies gilt besonders fiir den Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, welcher sich aus den dargelegten verfassungs- und europarechtlichen Elementen marktwirtschaftlicher Ordnung herleiten läßt.
9. Daraus ergeben sich Grenzen nicht nur rur die staatliche Regelungsdichte und Eingriffsintensität, sondern überdies fiir die Begründung oder Beibehaltung
staatlicher Zuständigkeiten im Bereich auch privat wahrnehmbarer Angelegenheiten. Eine staatliche Zuständigkeit bedarf der Rechtfertigung. Diese ist nur solange und soweit gegeben, wie sich die staatliche Aufgabenwahrnehmung als notwendig erweist. Daß an die diesbezügliche Prüfung ein durchaus strenger Maßstab anzulegen ist, folgt eben aus dem prinzipiellen Vorrang privater Lebensgestaltung als Verfassungsgrundsatz.
10. Dieser Grundsatz läßt sich im Wege einer verfassungskonformen Auslegung bei der Anwendung verschiedener Rechtsbegriffe in Gemeindeordnungen zur Geltung bringen, welche die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden regeln. Rein erwerbs wirtschaftlich motivierte Tätigkeiten von Gemeinden sind prinzipiell unzulässig. Kommunalwirtschaftliches Handeln kann jedoch als Dienstleistung im Rahmen der sog. Daseinsvorsorge durchaus erforderlich sem.
5 Ziekow
Marktmäßige Reorganisa~~on öffentlicher Verwaltung? - Kritische Uberlegungen Von Ulrich Penski
I. Die öffentliche Verwaltung ist offensichtlich nicht - oder jedenfalls nicht mehr - der Hort änderungsfester Staatlichkeit, wie man es nach dem bekannten Satz Otto Mayers "Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht"] vermuten könnte. In den 60er / 70er Jahren wurde - nach kaum vollzogener Funktionalreform - die Forderung nach Demokratisierung öffentlicher Verwaltung und staatlicher Bürokratie erhoben und verfolge Gleichzeitig wurden für gestalterische Zukunftsaufgaben besondere organisatorische Formen und Verfahren für eine "planende" Verwaltung gefordert und eingeführt. 3 Der demokratisch planende Sozialstaat fand sich dann bald an der Grenze seiner fmanziellen Möglichkeiten, was seit Mitte der 70er Jahre zu einer Diskussion über den Aufgabenbestand des Staates und über Privatisierung von Aufgaben führte. 4 Dabei blieb es aber nicht. Unter dem Gesichtspunkt der Effektivierung wurden allgemein die bürokratischen Strukturen öffentlicher Verwaltung in Frage gestellt, insbesondere zentral gesteuerte und regelorientierte Entscheidungsabläufe. Auch gesellschaftliche Entwicklungen zu höherer Bewertung individueller Entscheidungs- und EntfaltungsmöglichkeitenS ließen solche Strukturen als änderungsbedürftig erscheinen. ] Deutsches Verwaltungsrecht, Berlin, 3. Aufl., S. VI. S. u. a. Herzog, Möglichkeiten und Grenzen des Demokratieprinzips in der öffentlichen Verwaltung, in: Demokratie und Verwaltung, 1972, S. 485 ff.; von Dertzen (Hrsg.), Demokratisierung und Funktionsfähigkeit der Verwaltung, 1974. 3 Mayntz / Scharp[ (Hrsg.), Planungsorganisation, 1973; Luhmann, Politische Planung,1971. 4 Ansätze dazu gab ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zur Lage und Entwicklung der Staatsfinanzen, in: Bulletin der Bundesregierung vom 16.8.1975, Nr. 103, S. \001 ff. (S. \007 f.). S K/ages, Verwaltungsmodemisierung durch "neue Steuerung"?, AfK 1995, S. 203. 2
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Bei den vorherigen Änderungsanforderungen blieben der Staat und seine nun demokratische Struktur allerdings noch die maßgebenden Gesichtspunkte. In der derzeitigen Auseinandersetzung um die Modernisierung öffentlicher Verwaltung wird demgegenüber ein anderer Maßstab an sie angelegt: der Markt. Damit wird ein neues "Rollen und Funktionsverständnis von Staat und Verwaltungen" gefordert. 6 Hervorzuheben hierbei ist, daß es nicht nur um den Umfang von staatlich wahrzunehmenden Aufgaben geht, sondern daß die Verwaltung als Organisation selbst "liberalisiert", d. h. nach außen einen Marktbezug erhalten und im Inneren marktmäßig gestaltet werden soll. 7 Der Staat soll nicht nur "schlanker"8, seine Verwaltung soll vielmehr auch "vermarktlicht" werden. Dafiir sind Modernisierungsmodelle unter den bekannten Sammelbegriffen "New Public Management" und "Neues Steuerungsmodell", wie es inbesondere fiir die Kommunalverwaltung vorgeschlagen wurde,9 entwickelt worden. Grundlegende Bestandteile der Modelle sind das Leitbild der Verwaltung als ,,Dienstleistungsunternehmen", von dem der Bürger als ,,Kunde" und damit als Nachfrager auf dem Markt behandelt wird. Als Steuerungsform wird entsprechend der maßstäblichen Marktstruktur ein Kontraktmanagement vorgeschlagen. Zusammen mit dem Kontraktmanagement stellen die Modelle im übrigen auf eine Ergebnis- und Produktorientierung der jeweils verpflichteten Einheiten ab - im Gegensatz zu einer Regelorientierung -, verbunden mit dezentraler Resourcenverantwortung. Dabei soll an Produkte als Handlungsergebnisse angeknüpft werden. Im kybernetischen Jargon über technische Steuerungssysteme wird von Output-Orientierung im Unterschied zur Input-Orientierung als "VOfgabe von Stellen und Sachrnitteln" gesprochen. 1O Weitere Bestandteile sollen und können in diesem Rahmen nicht behandelt werden. Den Modernisierungsmodellen scheint wie selbstverständlich die Annahme zugrunde zu liegen, daß öffentliche Verwaltung in die Systemstruktur eines 6 Budäus / Finger, Stand und Perspektiven der Verwaltungsreform in Deutschland, Die Verwaltung, 1999, S. 314. 7 Reichard, Internationale Entwicklungstrends im kommunalen Management, in: Banner / Reichard (Hrsg.), Kommunale Managementkonzepte in Europa, 1993, S. 6. 8 Diesem Zweck widmet sich ein Sachverständigenrat "Schlanker Staat" beim Bundesminister des Inneren. 9 KGSt-Bericht Nr. 5 / 1993, Das Neue Steuerungsmodell (Bericht 5 / 1993), sowie weiter konkretisierend KGSt-Bericht NT. 10 / 1996, Das Verhältnis von Politik und Verwaltung im Neuen Steuerungsmodell (Bericht 10 / 1996), KGSt-Bericht NT. 9 / 1997, Steuerung kommunaler Haushalte: Budgetierung und Finanzkontrolling in der Praxis (Bericht 9 / 1997) und KGSt-Bericht Nr. 4 / 1998, Kontraktmanagement: Steuerung über Zielvereinbarungen (Bericht 4 I 1998). 10 Hill, Potentiale und Perspektiven der Verwaltungsmodemisierung, in: Morlock / Windisch / Miller (Hrsg.), Rechts- und Organisationsprobleme der Verwaltungsmodernisierung, 1997, S. 23 f.
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Marktes einbezogen, d. h. als eine Art Teilnehmer im Handlungszusammenhang eines Marktes gesetzt, und auch selbst als ein marktmäßiger Handlungszusammenhang geregelt werden kann. Soweit sie jedoch zum institutionellen Zusammenhang des Staates gehört, stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine solche "betriebs-wirtschaftliche Sicht" 11 mit ihrer Staatlichkeit vereinbar ist. Dies möchte ich exemplarisch in bezug auf die genannten Bestandteile behandeln, und zwar unter dem Gesichtspunkt von gegebener Staats struktur im Unterschied zur Marktstruktur.
11. Die Beziehungsstruktur im institutionellen Rahmen des Staates als politischer Gemeinschaft und seiner Organisation ist dadurch gekennzeichnet, daß der Staat im Verhältnis zu den jeweils einzelnen über seine Ziele und Handlungen im Allgemeininteresse grundsätzlich einseitig verbindlich entscheidet. Beim Staat, dem die Verwaltung eingeordnet ist, handelt es sich um eine Ermächtigungsordnung, die vom Verfassungsgeber ausgeht und über die verfaßte Staatsgewalt bis zu den unteren Stellen der Verwaltung reicht. Sie läßt den jeweils Ermächtigten zwar auch Entscheidungsspielräume, aber diese unterliegen grundsätzlich der Verfügung der Ermächtigenden, insbes. durch verschiedene Formen von Aufsicht. Auch schließt sie nicht aus, daß der Staat unter bestimmten Bedingungen "kooperativ" bzw. "konsensual" vorgeht; 12 Grundlage dieses Vorgehens bleiben jedoch einseitig getroffene Festsetzungen. 13 Die Marktstruktur, die für die Verwaltung als Dienstleistungsunternehmen maßgebend sein soll, bedeutet, daß Anbieter von Gütern und Dienstleistungen auf Nachfrager solcher Angebote treffen, um Güter und Dienstleistungen auszutauschen. Dabei erfolgen die Entscheidungen über die Erbringung von Leistungen und Gegenleistungen im Rahmen gleicher rechtlich gewährleisteter Autonomie aus dem individuellen Interesse der jeweils Beteiligten. Als Form des Austausches gehört zum Markt die vertragliche Einigung, und die Marktbeteiligten stehen schließlich in Wettbewerb untereinander. Damit ergeben sich vermutlich Unvereinbarkeiten zur Staatlichkeit öffentlicher Verwaltung.
KGSt-Bericht Nr. 10 / 1996, S. 8. Diese Möglichkeit bejaht z. B. Schuppert, Rückzug des Staates? - Zur Rolle des Staates zwischen Legitimationskrise und politischer Neubestimrnung -, DÖV 1995, S. 763 f. 13 Entspr. Schuppert, Anm. 12, unter Hinweis auf Scharpf, Die Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Beate Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa, 1992, S. 93 ff. 11
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IH. 1. Mit der Qualiflzierung der öffentlichen Verwaltung insgesamt als ,,Dienstleistungsunternehmen" wird diese in einen Marktzusammenhang gestellt. Der Unterschied zwischen Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung wird dabei kaum berücksichtigt. Zwar soll diese Qualität der öffentlichen Verwaltung vor allem der Leistungsverwaltung zukommen, aber auch die Eingriffsverwaltung soll davon nicht ausgenommen sein. 14 Insgesamt unterliegt diese Qualiflzierung deshalb im Hinblick auf die rechtlich-institutionellen Grundlagen erheblichen Einwänden, wobei hier Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung unterschieden werden sollen. a) Wird die Eingriffsverwaltung nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes im wesentlichen durch die Regelungsform des gesetzlich begründeten Gebotes und Verbotes bestimmt, so ist es offensichtlich, daß sie nicht in marktmäßigen Handlungsformen besteht. Natürlich erbringt die Verwaltung mit den Handlungsformen des Gebotes und Verbotes auch Leistungen, z. B. Sicherheits- und Ordnungsleistungen, die als Gebote und Verbote der Wahrung öffentlicher Sicherheit und Ordnung dienen. Gleichwohl handelt es sich offensichtlich nicht um Leistungen, wie sie ein Dienstleistungsunternehmen am Markt im Rahmen von Angebot und Nachfrage erbringt. Ebenso gilt dies für Erlaubnisse und Genehmigungen als Mittel präventiver Kontrolle. Diese Leistungen werden aufgrund von allgemeinen Gesetzen unter dort geregelten Voraussetzungen erbracht, die sich an einem öffentlichen Zweck ausrichten. Insgesamt werden private Interessen nicht nur befriedigt, sondern ihre Verfolgung durch einzelne wird mittels einschränkender Regelungen befriedet. b) Bei der Leistungsverwaltung handelt es sich um einen vielgestaltigen Bereich, der unter Berücksichtigung von Art und Voraussetzungen der gewährten Leistungen betrachtet werden muß. Zu unterscheiden wären jedenfalls Leistungen, die die Benutzung öffentlicher Einrichtungen betreffen (Benutzung von Straßen, von Schwimmbädern und Stadthallen z. B.), sowie Leistungen persönlicher Dienste (Beratung, soziale Betreuung u. a.) und finanzieller Mittel (soziale Leistungen, Subventionen usw.). (1) Wird die Benutzung von öffentlichen Einrichtungen gewährt, läßt sich insofern von Leistungen, die dabei erbracht werden, sprechen als Gegenstände für eine bestimmte Nutzung und in Verbindung damit auch Dienste zur Verfügung gestellt werden. Es geht hier im üblichen Sinne um Daseinsvorsorge durch die Verwaltung. Auch diese Leistungen erfolgen freilich nicht allein im individuellen Interesse, sondern nach allgemeinen Voraussetzungen. 14 KGSt-Bericht 5 / 1993, 2.4, S. 13; dazu auch Pitschas, Gefahrenabwehr durch private Sicherheitsdienste, OÖV 1997, S. 394.
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Es mag freilich Aufgaben geben, deren Erfüllung ganz oder zum Teil auch durch Private denkbar ist, z. B. Vermessungsdienste. Dann kann jedoch nicht das Ziel sein, die Verwaltung zu einem marktmäßigen Dienstleistungsunternehmen zu machen. Vielmehr wäre über eine Aufgabenprivatisierung lS und neue Aufgabenteilung zwischen Staat und Markt zu entscheiden. 16 Was jedoch keinen Sinn macht, genauer: in sich widersprüchlich ist, wäre ein Vorgehen in der Weise, daß Leistungen als öffentliche geregelt werden und die Verwaltung gleichwohl als marktmäßiges Dienstleistungsunternehmen qualifiziert und organisiert würde. Soweit deshalb Aufgaben in der Verantwortlichkeit der öffentlichen Verwaltung bleiben und damit unter dem Gesichtspunkt des Allgemeinwohls wahrzunehmen sind - was auch bei der "Organisationsprivatisierung" und "funktionellen Privatisierung" (Durchführungsprivatisierung) der Fall ist l7 - , verbietet es sich - abgesehen von Übergangssituationen -, die Verwaltung in ein marktmäßiges Dienstleistungsunternehmen umzuwandeln oder an ein solches anzugleichen. Dabei würde auch eine echte Wettbewerbssituation nicht erreicht, weil ein Wettbewerb der Verwaltung aus Gründen des Gemeinwohls immer rechtlich geregelten Bindungen (z. B. Gleichbehandlung) unterläge oder bei abgesicherten Vorteilen (z. B. fmanzielle Garantien) erfolgte. 18 Nur im Fall zulässiger erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit der Verwaltung bei besonderem Marktversagen wären die entsprechenden Einheiten als solche Unternehmen anzusehen; in bezug auf eine Mehrheit solcher Einheiten könnte ein Verwaltungsträger dann auch "Konzern" genannt werden. Diese Überlegungen führen letztlich zu dem Ergebnis, daß die Verwaltung als marktmäßiges Dienstleistungsunternehmen auftreten kann, wenn es sich um vollständig privatisierbare Aufgaben handelt. Dann aber ist es auch nicht mehr gerechtfertigt, die Aufgaben und Leistungen durch die öffentliche Verwaltung wahrnehmen und erbringen zu lassen l9 • (2) Werden von der Verwaltung persönliche Dienstleistungen in Form von beratenden und betreuenden Tätigkeiten erbracht, wie insbesondere in der Sozial- und Jugendhilfe, ist es sehr fraglich, ob und inwieweit sie marktmäßigen Bedingungen unterworfen werden können. Es geht hier in der Regel um Leistungen in bezug auf Personen, die sich aus sozialen und finanziellen Gründen solche Leistungen am Markt nicht beschaffen können, so daß diese Leistungen auch am Markt nicht entsprechend - jedenfalls nicht für den betreffenden PerDazu Jörn Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994. Entspr. König, Verwaltungsmodemisierung im internationalen Vergleich, DÖV 1997, S. 268. 17 Schuppert, Anm. 12, S. 766 f. 18 Entsprechend Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S.464. 19Lüder, Triumph des Marktes im öffentlichen Sektor, DÖV 1996, S. 97. IS
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sonenkreis - angeboten werden. Unter diesen Voraussetzungen ist es dann wenig sinnvoll, der öffentlichen Verwaltung die Stellung eines marktrnäßigen Dienstleistungsunternehmens zuzuschreiben. Bleibt hier der Verwaltung bei Möglichkeiten der Durchführungsprivatisierung (z. B. nach § 10 Abs. 5 BSHG) nur die Erfüllungsverantwortung, scheidet dies ebenso aus. (3) Der Bereich der Leistungsverwaltung, in demjinanzielle Mittel unter bestimmten Voraussetzungen für öffentliche Zwecke gewährt werden, sperrt sich ebenfalls gegen eine QualifIzierung in Begriffen von Marktstrukturen. Solche Mittel werden aus Gründen sozialer Bedürftigkeit - soweit es um Sozialleistungen geht - oder im Hinblick auf bestimmte politische Zielsetzungen - z. B. im Falle der verschiedenen Subventionen - geleistet, die gerade ihre Marktgängigkeit ausschließen. Bei fInanziellen Subventionen lassen sich bekanntlich für die Abwicklung auch Institutionen am Markt einschalten; sie leisten dann der Verwaltung Dienste, diese wird aber nicht zum Dienstleister. c) Mit dem Leitbild des Dienstleistungsunternehmens verbindet sich der Begriff des Kunden und der Kundenorientierung. Sein Sinn und seine Berechtigung sind an der Rechtsstellung des einzelnen im Verhältnis zum Staat und zur Verwaltung zu messen. Nach der Statuslehre, wie sie von G. Jellinek entwickelt wurde und anerkannt ist, entfaltet sich diese Rechtsstellung in vierfaeher Weise: im status negativus (sive libertatis), der Freiheiten gewährleistet; im status activus, der Mitwirkung an staatlichen Entscheidungen eröffnet; im status positivus, der Leistungsansprüche vermittelt und im status passivus, der Handlungspflichten umfaßt. Keine dieser Rechtsstellungen entspricht der Rolle eines Kunden. Begründet der status positivus Ansprüche auf bestimmte Leistungen oder Teilhabe an Leistungen, so könnte er der Rolle eines Kunden am ehesten entsprechen. Nur ist auch hier der einzelne nicht König "Kunde", sondern die Leistungen sind an gesetzliche Voraussetzungen gebunden, die er nachzuweisen hat. Sie sind jedenfalls nicht allein durch ein Entgelt zu erreichen. 20 Auch im status passivus ist der einzelne als Rechtssubjekt zu achten und darf nicht zum bloßen Objekt staatlichen und verwaltungsmäßigen Handeins gemacht werden. Was freilich eher mehr ist als die bloße Rolle eines Kunden. Der einzelne genießt in dieser Rolle zwar die Aufmerksamkeit des Marktanbieters aus dessen Absatzinteresse, ihm kommt aber nicht die Beachtung als Rechtssubjekt zu in dem Sinne, daß er aus der Bindung an das Allgemeininteresse "mit seinen Anliegen ernst" genommen wird, wie es in einer Entschei-
20 Grunow, Qualitätsanforderungen für die Verwaltungsmodernisierung, in: Reichard / Wollmann (Hrsg.), Kommunalverwaltung im Modernisierungsschub?, 1996, S. 72, weist noch darauf hin, daß "der Kunde Alternativen, Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf den Erwerb eines bestimmten Produktes oder einer bestimmten Dienstleistung hat", was bei Verwaltungsleistungen nicht der Fall ist. Kritisch zur Kundenorientierung allgemein auch Budäus, Public Management, 1994, S. 84.
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dung des OVG Koblenz heißt. 21 Das Absatzinteresse von Marktanbietern kann im übrigen dahin gehen, daß zugunsten des Absatzes mögliche Schäden bei Kunden in Kauf genommen werden, wie das Beispiel eines amerikanischen Autokonzerns zeigt, der unsichere und gefährdende Tankanbringungen wegen kostengünstiger Produktion trotz möglicher Schadensersatzforderungen von Kunden in Kauf genommen hat. 22 Kunden werden hier rein ökonomisch betrachtet, nicht als Rechtssubjekte. Durch die Begriffe "Dienstleistungsunternehmen" und "Kunde" werden Vorstellungen von der Verwaltung beim Bürger erweckt, denen diese von ihrer Aufgabe und Verpflichtung her nicht entsprechen kann. 23 Das Leitbild des Dienstleistungsunternehmens und die sog. Kundenorientierung verdeckt und mißachtet den Unterschied zwischen dem Bürger als citoyen, als Mitglied des politischen Gemeinwesens, und dem Bürger als bourgeois im Sinne eines privaten Einzelnen einer Gesellschaft - auch als Marktteilnehmer - mit individuellen Bedürfnissen. Selbst dieser wird nicht als Rechtssubjekt erfaßt. Die Begriffe "Dienstleistungsunternehmen" und "Kundenorientierung" und ihre "betriebswirtschaftliche Sicht" sind einer Gemeinwohlorientierung zumindest vom Ansatz her entfremdet. 2. Das Kontraktmanagement, mit dem gleichsam eine innere Vermarktlichung angestrebt wird, ist dadurch gekennzeichnet, daß die Handlungsziele zwischen den beteiligten Einheiten vereinbart und der ausführenden Seite nicht einseitig vorgegeben werden. Dabei bleibt es für diese in einem gesteckten Rahmen offen, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Handlungen wie Mitteln die Ziele verwirklicht werden. Es handelt sich im Kern um eine Art von Handlungssteuerung, die dem "management by objectives" zugerechnet werden kann, das schon in der Vergangenheit empfohlen und diskutiert wurde. 24 Die Besonderheit des Kontraktrnanagements liegt aber wohl darin, daß die Festlegung von "objectives" vereinbarungsweise erfolgt. Soll es sich nicht nur um eine bedeutungslose "fayon de parler" handeln, stößt man auch hier unter den Bedingungen staatlicher Ermächtigungsstruktur auf Ungereimtheiten.
21 So hat das OVG Koblenz, NJW 1990, S. 465, entschieden, daß der einzelne durch die Verwaltung nicht "zu deren bloßem Objekt herabgewürdigt wird" und einen Rechtsanspruch des Bürgers dahingehend konkretisiert, "daß der Bürger die Bereitschaft des Amtsträgers erkennen können müsse, ihn mit seinen Anliegen ernst zu nehmen und seine Rechte und Pflichten soweit als möglich im Konsens zu verwirklichen". 22 Siegener Zeitung vom 10.7.1999. 23 Entspr. auch König, "Neue" Verwaltung oder Verwaltungsmodernisierung, DÖV 1995, S. 355 f. 24 Dambowski / Pracht, Neue Steuerungsmodelle für die Kommunalverwaltung, VOP 1994, S. 413.
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Nach üblicher Auffassung bestehen Vereinbarungen in einer Übereinstimmung von Willenserklärungen zumindest zweier Beteiligter über einen bestimmten Gegenstand. Damit wird grundsätzlich eine einseitige Entscheidung eines Beteiligten über die Handlung eines anderen Beteiligten ausgeschlossen, d. h. eine Bestimmung zu einer Handlung in Form eines Befehls, einer Anordnung oder Weisung. Insofern kann von einer Art " 'kooperativen' staatlichen Handeins" gesprochen werden25 • Aus dem Charakter von Vereinbarungen als übereinstimmenden Willenserklärungen ergibt sich, daß den Beteiligten autonome Handlungskompetenz zustehen muß. Im Vertragsrecht ist dies als Vertragsautonomie bekannt, wobei zwischen Abschlußfreiheit und Gestaltungsfreiheit unterschieden wird. Damit stellt sich aber die Frage, ob und inwieweit die am Kontraktrnanagement Beteiligten eine solche Kompetenz besitzen. a) Nach der im Neuen Steuerungsmodell der KGSt vorgesehenen Aufteilung der Verantwortung zwischen Politik26 und Verwaltung soll der Politik zukommen, Ziele zu setzen, d. h. Leistungsaufträge zu erteilen, der Verwaltung fmanzielle Mittel zur Erfiillung der Aufträge zuzuteilen und schließlich die Erfiillung zu kontrollieren. Der Verwaltung obliegt die Erfiillung der "Leistungsaufträge" sowie die Unterrichtung der Politik über den Auftragsvollzug. 27 Dem Sinn der Aufteilung der Verantwortung zufolge kann sich die Verwaltung der Aufgabe, Zielsetzungen der Politik zu verwirklichen, offensichtlich nicht entziehen. Wenn es also um eine Vereinbarung mit der Politik geht, steht ihr jedenfalls keine Abschlußfreiheit zu und auch kaum Gestaltungsfreiheit bezüglich der politischen Zielsetzungen, sondern allenfalls Gestaltungsfreiheit in bezug auf die Zielverwirklichung. Sofern aber der Politik auch Kontrollbefugnisse zukommen sollen, unterliegt auch diese noch Einschränkungen; denn bestimmten Anforderungen der Politik bei der Zielverwirklichung wird sich die Verwaltung nicht entziehen können. Durch eine vorgängige Aufteilung von gestuften aufeinander bezogenen Verantwortlichkeiten für eine gemeinsame Aufgabe - wie sie sich aus der staatlichen Ermächtigungsordnung ergibt - wird die bei Vereinbarungen vorauszusetzende wechselseitige Autonomie beseitigt, so daß diese Aufteilung dem Abschluß von Vereinbarungen über den jeweiligen Gegenstand der Verantwortlichkeit entgegensteht. Ein Verzicht der "politischen" Organe auf ihre gesetzlich begründete Leitungsverantwortung zugunsten vereinbarungsweisem Vorgehen wäre im übrigen ebenfalls unzulässig. 28 Wallerath, Kontraktmanagement und Zielvereinbarungen, DÖV 1997, S. 61. Der Ausdruck "Politik" wird hier ungenau und mißverständlich flir demokratische Vertretungsorgane gebraucht. Er kann sich nicht auf die einzelnen politischen Gruppierungen (Parteien, Fraktionen) beziehen, die gegenüber der Verwaltung nicht entscheidungsbefugt sind. 27 KGSt-Bericht 5 / 1993, 2.4, S. 16; weiter konkretisiert im KGSt-Bericht 10 / 1996, S. 9/10. 28 Auch Wallerath, Anm. 25, S. 67. 25
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Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß der Vertrag als zulässige Handlungsform der Verwaltung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen anerkannt ist und deshalb auch innerorganisatorisch zulässig sein müßte. Er ist zum einen zulässig zwischen Verwaltungsträgern (koordinationsrechtliche Verträge), insoweit als diesen im Verhältnis zueinander kompetenzielle Autonomie zukommt, und zum anderen zwischen Verwaltungsträgern und Privaten (subordinationsrechtliche Verträge), insoweit als der Verwaltung Entscheidungsspielräume zukommen, so daß die Beteiligten zueinander in gewissem Umfang autonom sind. Damit liegen aber strukturelle Bedingungen vor, die Vereinbarungen zwischen den Beteiligten zulassen. Es ist freilich bei der vorgesehenen Aufteilung der Verantwortlichkeiten sinnvoll und auch erforderlich, daß die politischen Einheiten zur Vorbereitung der Entscheidungen über ihre Zielsetzungen die Ausfiihrungserfahrung der Verwaltung heranziehen, d. h. diese bei ihren Entscheidungen entsprechend beratend beteiligen. Andererseits kann es auch sinnvoll und erforderlich sein, daß die Verwaltung bei ihren Ausführungsentscheidungen die politischen Einheiten mit Rücksicht auf deren Zielsetzungen beteiligt. Hierbei geht es jedoch nicht um Beziehungen im Sinne von Vereinbarungen, sondern um Formen der Zusammenarbeit zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben, die sich in jedem organisatorischen Rahmen aus der jeweiligen Stellung in der Organisation ergeben. Zusammenarbeit als Grundsatz und Forderung wird freilich durch den Ausdruck "Kontraktrnanagement" nicht angemessen wiedergegeben. Dieser weist auf Freiwilligkeit der Handlungsabstimmung hin. Das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung unterliegt vielmehr einem Grundsatz der Zusammenarbeit, der sich vom jeweiligen Verantwortungsbereich im Hinblick auf die Wahrnehmung der Aufgaben der politischen Gemeinschaft, für die die Beteiligten tätig sind, zu bestimmten gegenseitigen Verpflichtungen konkretisiert. Auch insofern aber kämen Vereinbarungen als Regelform der Handlungssteuerung nicht in Betracht, sondern nur als Vorfeldregelung, die die jeweils leitenden Stellen nicht von ihrer Verantwortung entbindet. 29 Stehen dem Kontraktrnanagement in Gestalt von Leistungs- und Zielvereinbarungen Verantwortlichkeitsstrukturen in der Verwaltungsorganisation entgegen, so verbleibt von seinem Gehalt nurmehr die Seite der ziel- und ergebnisbestimmten Handlungssteuerung, also "management by objectives" oder zu deutsch: ,,Auftragsführung", wie sie im Kern der deutschen militärischen Tradition von Auftragstaktik entspricht. 30 Diese Art Handlungssteuerung allerdings fmdet ihre Grenzen bei gesetzesgebundenem Verwaltungshandeln, da bei die29 Entspr. für Selbstverpflichtungen der Wirtschaft gegenüber dem Staat Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft - Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, S. 974. 30 Dazu 1. Reichardt, Ein Beispiel geben, F.A.Z. vom 26. 3. 1998.
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sem die Ziele durch regelkonditioniertes Handeln zu verwirklichen sind, die unvennittelte Bestimmung durch das betreffende Ziel also ausgeschlossen ist. Sie kommt deshalb nur im Rahmen gesetzlich gewährter Handlungsspielräume in Betracht. b) In der Beziehung zwischen leitenden Verwaltungseinheiten und den jeweils geleiteten Einheiten besteht nun eine ähnliche Aufteilung der Verantwortlichkeit wie zwischen Politik und Verwaltung. Sie liegt letztlich in der aufgabenteiligen Ennächtigungsordnung organisierter Handlungszusammenhänge. Bei den leitenden Verwaltungseinheiten liegt insofern die Zuständigkeit und Befugnis, Aufgaben wahrzunehmen und zu erfüllen. Die Wahrnehmungszuständigkeit darf unter bestimmten Voraussetzungen auf nachgeordnete Einheiten übertragen werden; die Erfüllungsverantwortung bleibt in der Regel gleichwohl bei der Leitung. Abgesehen davon steht ihr ein Rückholrecht durch Widerruf des Auftrags ZU. 31 In diese Verantwortungsstruktur sind demnach Vereinbarungen, wie sie das Kontraktrnanagement vorsieht, schwerlich einzufügen, jedenfalls wenn der Ausdruck "Vereinbarung" seinen Sinn haben soll.32 Was im Verhältnis von leitenden zu nachgeordneten Einheiten bleibt, sind wieder Grundsätze und Verpflichtungen der Zusammenarbeit, die sich aus der jeweiligen Verantwortlichkeit in bezug auf die Gesamtaufgabe ergeben. Soweit die Aufteilung der Verantwortlichkeiten selbst nicht Gegenstand von Vereinbarungen sein kann, weil sie auf statutarischen, insbesondere gesetzlichen Einscheidungen über die Organisations struktur beruhen,33 lassen sich auch diese Grundsätze nicht durch Vereinbarungen bestimmen. c) Kontraktrnanagement in Fonn von Ziel- und Leistungsvereinbarungen läßt sich am ehesten noch zwischen nebengeordneten Verwaltungseinheiten durchführen. Soweit davon auszugehen ist, daß diesen Einheiten im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit ein Ennessens- und Entscheidungsspielraum zusteht, können sie für die Erfüllung ihrer Leistungsaufträge im Verhältnis zueinander Vereinbarungen treffen. Die Verantwortlichkeitsstruktur würde unter den genannten Voraussetzungen solchen Vereinbarungen nicht entgegenstehen. Sie stehen aber unter dem Vorbehalt des Fortbestehens dieser Struktur, die als organisatorische Maßnahme nicht ihrer Willensbildung und Entscheidung unterliegt. Kontrakte wären unter bestimmten Voraussetzungen auch zulässig zwischen dem Staat und autonomen Verwaltungseinheiten, z. B. sog. Solidar- oder
31 Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Aufl. 1997, Rz. 373.
32 Der KGSt-Bericht 4 / 1998, 2.1, S. 10, spricht immerhin von "verbindlichen Zielabsprachen". 33 Entspr. von Mutius, Neues Steuerungsmodell in der Kommunalverwaltung, in: Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift rur Stern, 1997, S. 710.
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Qualitätspakte mit Hochschulen, in bezug auf deren autonome Aufgabenwahrnehmung. 34 Aus den dargelegten Gründen steht eine "Vertraglichung" der Handlungssteuerung in der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich in Widerspruch zur staatlichen Ermächtigungsordnung. Deshalb kommt es vermutlich in der Praxis auch vielfach - wenn nicht in der Regel- zu "Zwangs"-Vereinbarungen, d. h. aufgrund der Dominanz leitender Stellen, wie von Neuseeland berichtet wird. 35 Im übrigen ist nicht erkennbar, daß nur ein Kontraktmanagement Eigenverantwortlichkeit der nachgeordneten Beteiligten zu vermitteln geeignet ist. Dies kann ebenso durch Ausgestaltung der Grundsätze über Zusammenarbeit einschließlich der Formen von Auftragsruhrung gewährleistet und gestärkt werden. 3. Die Forderung nach Produktorientierung und darauf bezogener Ressourcenverantwortung vermittelt zunächst, soweit es das Wort "Produkt" anlangt, den Eindruck, daß es die Verwaltung mit der Herstellung materieller Gegenstände36 wie etwa Schrauben und Waschmaschinen o. ä. zu tun habe. Insofern aber wird den Handlungsergebnissen der Verwaltung unterschwellig eine Deutung gegeben, wie sie vielmehr bei der industriellen Produktion am Markt bekannt ist. Damit wird sprachlich und begrifflich verdeckt, daß deren Handlungsergebnisse in Verboten von Handlungen, Geboten und Erlaubnissen bestehen. Darüber hinaus bestehen sie zwar auch in Leistungen finanzieller und infrastruktureller Art (z. B. Straßen, Kanalnetze u. ä.), die Handlungen von Bürgern ermöglichen, und solche Leistungen könnten noch am ehesten als Produkte verstanden und bezeichnet werden. Aber es wäre gleichwohl eine Verengung des Sinnes von Handlungsergebnissen der Verwaltung, zumal da infrastrukturelle Einrichtungen Grundlagen rur bestimmte Nutzungserlaubnisse darstellen. Insofern als es in der Regel um Verbote, Gebote oder Erlaubnisse, auch um Auskünfte und Beratungen geht, bestehen Handlungsergebnisse der Verwaltung vielmehr in der Vermittlung von Sinngehalten. Das heißt aber, sie drücken Bedeutungen aus, die rur das Handeln der jeweils Betroffenen in bestimmter Weise beachtlich sind und sein sollen. Das Verwaltungshandeln ist demnach auf
34 Uerpmann, Rechtsfragen von Vereinbarungen zwischen Universität und Staat, JZ 1999, S. 644. 35 Schäfer, Kontrakte als Steuerungsmodell für die öffentliche Verwaltung, Die Verwaltung 1998, S. 251. Angesichts dessen besteht die Versuchung zu fragen, ob nicht gleichzeitig mit dem Kontraktmanagement eine Geschäftsordnungsregelung über allgemeine Kontraktbedingungen zu erlassen wäre, allerdings wohl nicht als Kontrakt. 36 Entspr. Merchel, Neue Steuerung in der Jugendhilfe: handlungsfeldspezifische Differenzierungen im Kontext pluraler Trägerstrukturen, 1. Teil, NDV 1996, S. 217.
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das Handeln von Personen ausgerichtet und sein Ergebnis besteht darin, deren Handeln zu bestimmen oder zu ermöglichen. Stehen die Handlungsergebnisse der Verwaltung nach diesem Verständnis in einem Kommunikationszusammenhang mit den Betroffenen, so werden die als "Produkte" aufgefaßten Handlungsergebnisse in eine Mittel-Zweck-Beziehung gestellt, indem sie zur Verwirklichung politisch vorgegebener Ziele bestimmt werden. Zu fragen wäre freilich, ob sie als solche Mittel für die Steuerung geeignete Orientierungsmarken sein können und mehr als die abzulösende Regelorientierung leisten können. Durch Produkte als Mittel wird die Verwirklichung der Ziele in bezug auf bestimmte Situationen konkretisiert (operationalisiert). 37 Die Verwirklichung von Zielen erfolgt nicht unabhängig von bestimmten Situationen. Aus diesen erst ergibt sich, welche Mittel zur Verwirklichung bestimmter Ziele in Betracht kommen. Da allerdings die Situationen, die für die Festlegung geeigneter und erforderlicher Mittel erheblich sind, nicht abgeschlossen nach Art und Menge erfaßt werden können, sondern sich insofern in der Zukunft als offen erweisen, führt die Konkretisierung der Ziele in Gestalt von Produkten kaum zu einer für die Verwirklichung des betreffenden Ziels hinreichenden Menge und Eignung von Produkten. Im Hinblick auf die Offenheit und Vielgestaltigkeit von Situationen, auf die sich Ziele beziehen, führt die Anknüpfung an Produkte als Mittel zu deren Verwirklichung ebenso zu einer Einengung von Flexibilität der Verwaltungs tätigkeit. 38 Die strenge Mittel-Zweck-Rationalität, die mit der Produktorientierung verfolgt wird, hat ihren guten Sinn bei gleichbleibenden Verhältnissen und standardisierbaren, sich wiederholenden Situationen. Ist das aber anzunehmen, so läßt sich überraschenderweise erkennen, daß die Festlegung von Produkten gerade dort geeignet ist, wo auch Regeln im Sinne von Konditionalprogrammen es sind. Auch diese nämlich setzen grundsätzlich sich wiederholende und standardisierbare Situationen voraus. 39 Es besteht vermutlich ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Regelorientierung und Produktorientierung: Produkte werden aufgrund von Regeln hergestellt, die Anwendung von Regeln führt zu bestimmten Handlungsergebnissen als Produkte. Allerdings besteht wohl ein
KGSt-Bericht Nr. 5 / 1993, S. 21. Darauf weisen Klie / Meysen, Neues Steuerungsmodell und bürgerschaftliches Engagement, DÖV 1998, S. 453, hin. 39 Becker, Aufgabentyp und Organisationsstruktur von Verwaltungsbehörden, Die Verwaltung 1976, S. 288; daraufbezugnehmend auch Penski, Möglichkeiten und Grenzen der Demokratisierung staatlicher Bürokratie, forum ds 8, 1979, S. 94 f. Nach Naschald, Modemisierung des Staates, 1993, S. 55, sind konsistente ,,ziel-Mittel-Hierarchien" nur in einem "einfach strukturierten System" möglich, dem eher Wirtschaftsunternehmen entsprechen. 37
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Unterschied bei der Anwendung von technischen Regeln und rechtlichen. Die Anwendung technischer Regeln führt immer zu einem entsprechenden Produkt, die Anwendung rechtlicher Regeln kann zu einer positiven Entscheidung oder zu einer negativen führen. Die Ablehnung der Erteilung eines Führerscheins ist deshalb ebenso ein Produkt des Verwaltungshandelns wie die Erteilung. Hier kommt es auf die Fallanwendung an, nicht auf dieses oder jenes Ergebnis. Damit aber kann bezweifelt werden, daß die Produktorientierung gegenüber der durch sie abzulösenden Regelorientierung überhaupt eine strukturelle Verbesserung von Verwaltung und Verwaltungs organisation mit sich bringt. Die Ziele der Verwaltung erschöpfen sich in der Regel nicht in den als Produkten festgelegten Handlungsergebnissen bzw. diese schöpfen die Verwirklichung der Ziele nicht aus. Es ist dabei nicht auszuschließen, daß in manchen Verwaltungsbereichen die gesetzlichen Aufgaben nicht voll erfüllt werden, zu schweigen von der Einschränkung der freiwilligen. 40 Zudem wird eine Verengung auf "positive" Produkte nahegelegt. Von diesem grundsätzlichen Sachverhalt abgesehen, wird mit der Produktorientierung die im deutschen Recht traditionelle Unterscheidung von Dienstleistungen und Werksleistungen - der die Unterscheidung von Dienst- und Werkverträgen entspricht - eingeebnet. Das ruhrt nicht zuletzt dazu, daß etwa bei Lehrern nicht die Lehrleistung als Handlungsergebnis angesehen wird, sondern der belehrte Schüler oder der "diplomierte Student"41. Diese werden dabei als bloßes Material und Objekt der Lehrtätigkeit aufge faßt, obwohl sie doch als Lernende bzw. Studierende grundsätzlich Subjekte sind und ihr Lernerfolg damit grundsätzlich auch von ihnen abhängt. Produktorientierung und produktbezogene Ressourcenverantwortung, die mit begrifflicher Anlehnung an produzierende Unternehmen am Markt gefordert wird, ist für die Bestimmung der Zielverwirklichung politischer Gemeinschaften unangemessen, da die Zielsetzungen am Markt grundsätzlich konkreterer Art sind als die gemeinwohlorientierten Zielsetzungen politischer Gemeinschaften. Insofern bewirkt die Produktorientierung strukturell die Gefahr, daß die Produkte als Mittel für die Verwirklichung des Gemeinwohlziels zu "letzten" Zielen werden, und das "letzte" Ziel aus dem Blick gerät. 42 Es findet so eine Zielverschiebung statt. Abgesehen davon wird die Subjektstellung von Handlungsadressaten verfehlt.
40 Eine dahingehende Gefahr sehen Klie / Meysen, Anm. 38, S. 453. Freudenberg, Einführung outputbezogener, d. h. ergebnis- und produktbezogener Haushaltsdarstellung in der hessischen Landesverwaltung, DVP 1999, S. 199. 42 Wollmann, Politik- und Verwaltungsmodemisierung in den Kommunen: zwischen Managementlehre und Demokratiegebot, Die Verwaltung, 1999, S. 372, meint in bezug auf Produktorientierung, sie trage "Züge einer 'falschen Theorie'''. 41
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IV. Als der beschriebene öffentliche Raum des Austausches von Gütern und Dienstleistungen im individuellen Interesse der Beteiligten setzt der Markt u. a. die Anerkennung von Handlungs- und Eigentumsfreiheit der Beteiligten voraus, nicht zuletzt auch eine Wettbewerbsordnung. Insgesamt ist er eine rechtlich konstituierte Veranstaltung. Die Herstellung und Wahrung seiner Voraussetzungen liegen aber außerhalb der Zielsetzungen marktmäßiger Austauschhandlungen zwischen den Beteiligten, wenn sie auch im Interesse jedes Beteiligten liegen und insofern ein allgemeines Interesse darstellen. Dies läßt sich nur durch gemeinschaftliches Handeln im gemeinsamen Interesse, d. h. unter Bedingungen organisierter Staatlichkeit, denken, deren Begründung ich hier nicht behandeln kann. Es sollte nur umrißhaft erkennbar werden, daß sich der Markt als ein Handlungszusammenhang nicht durch sich selbst gewährleistet, sondern von staatlich gesetzten Voraussetzungen abhängt. 43 Ist dies anzunehmen, so wäre eine "Vermarktung" und "Vertraglichung" der öffentlichen Verwaltung in einem noch grundsätzlicheren Sinne widersprüchlich, nämlich: Sie stünde in Widerspruch zu den notwendigen Voraussetzungen, deren ein Markt und marktmäßiger Handlungszusammenhang überhaupt bedarf. Insofern als die öffentliche Verwaltung gerade im Rahmen von Staatlichkeit diese Voraussetzungen schafft und gewährleistet, wäre sie als marktmäßig gestalteter Handlungszusammenhang dazu aber nicht geeignet und flihig. Die Modernisierung öffentlicher Verwaltung im Sinne ihrer Umgestaltung als Dienstleistungsunternehmen widerspricht deshalb nicht nur normativen Strukturen von Staatlichkeit, genauer: Verfassungsstaatlichkeit - womit sich zumindest eine Art Verfassungsfremdheit verbindet -, sondern stellt damit ebenso einen Widerspruch zum Systemverhältnis von Staat und Markt dar. Es wäre sinnvoll und erforderlich, die Aufgaben des Staates im Verhältnis zum Markt neu zu bestimmen, eine marktmäßige Reorganisation öffentlicher Verwaltung liefe grundsätzlich Bestandteilen der Staatsstruktur zuwider. 44
43 Entspr. Höfle, Kategorische Rechtsprinzipien, 1990, S. 299; König, Unternehmerisches oder exekutivisches Management, VelWaltungsarchiv 1996, S. 27. 44 Soweit die marktmäßige Organisation öffentlicher VelWaltung auch der Behebung der Finanzierungsschwierigkeiten dienen soll, stellt sich die Frage, ob eine Vermarktlichung öffentlicher VelWaltung dafür geeignet ist. Vielleicht hängt die Aufgabenausdehnung des Staates mit einer Art ruinösen Wettbewerb auf dem politischen Markt - sprich: Konkurrenzdemokratie - zusammen. Dann ist es aber kaum einsehbar, daß Markt und Wettbewerb für die VelWaltung angemessene Organisationsmaßstäbe darstellen können. Auch in ihrem Bereich kann es ruinösen Wettbewerb geben.
Personalrechtliche Probleme von Privatisierungsentscheidungen Von Alfons Frank Die Landesverwaltung Rheinland-Pfalz wird gegenwärtig einem umfassenden Modemisierungsprozess unterzogen. Organisationsüberprüfungen und -reformen bilden hierbei einen ebenso wichtigen Schwerpunkt wie die Verbesserung von Kostenstrukturen und die Steigerung der Efftzienz. Auch die staatliche Bauverwaltung muss sich den gewandelten Rahmenbedingungen und Anforderungen stellen. Eine Analyse ergab, dass die bisherige Organisation modemen Anforderungen nicht gerecht wird. Die Landesregierung hat daher beschlossen, das Liegenschaftsvermögen des Landes künftig nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten in privater Rechtsform zu verwalten und zu verwerten. Es ist deshalb vorgesehen, den Landesbetrieb "Liegenschafts- und Baubetreuung" (Landesbetrieb LBB) in die Kommanditgesellschaft "Liegenschafts- und Baubetreuungsgesellschaft Rheinland-Pfalz" (LBB GmbH u. Co KG.) zu überführen. Ein solches Vorhaben zieht mehrere personalrechtliche Probleme nach sich.
I. Überleitung der Beamtinnen und Beamten (Beamte) 1. Beamte auf Lebenszeit
a) Zuweisung gemäß § J23 a Abs. 2 BRRG Mit dem zum 1. Juli 1997 in Kraft getretenen Dienstrechtsreformgesetz hat der Gesetzgeber sich der Problematik angenommen, in welcher Form Beamte bei juristischen Personen des Privatrechts beschäftigt werden können. Er hat in § 123 a BRRG einen neuen Absatz 2 eingerugt, der vorsieht, dass dem Beamten einer Dienststelle, die in eine privatrechtlich organisierte Einrichtung der öffentlichen Hand umgebildet wird, auch ohne seine Zustimmung eine seinem Amt entsprechende Tätigkeit bei dieser Einrichtung zugewiesen werden kann,
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wenn dringende öffentliche Interessen dies erfordern I. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung sicherstellen, dass im Falle einer Privatisierung öffentlicher Aufgaben die Aufgabenerfiillung sichergestellt ist. Diese "einfache" Zuweisung unterscheidet sich erheblich von den Regelungen, die der Gesetzgeber anläßlich der Post- und Bahnreform gewählt hat (s. hierzu Art. 143 a Abs. 1 Satz 3 und Art. 143 b Abs. 3 Satz 1 GG), weil er dort zusätzlich zu § 123 a Abs. 2 BRRG die Dienstherrenbefugnis mit übertragen hat (qualifIzierte Zuweisung). Zulässig ist die Zuweisung, wenn eine Dienststelle in eine privatrechtlich organisierte Einrichtung der öffentlichen Hand umgebildet wird. Sie darf nur erfolgen, wenn es sich nach wie vor um eine Einrichtung der öffentlichen Hand handelt. Dies ist irnrner bei einer Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand der Fall, es genügt jedoch, wenn die Einrichtung von der öffentlichen Hand beherrscht wird. Die Zuweisung des Beamten muss im dringenden öffentlichen Interesse liegen. Dies ist anzuerkennen, wenn die Arbeitsfahigkeit einer Einrichtung aufrechterhalten werden muss, um die öffentliche Daseinsvorsorge zu gewährleisten, oder andere, wichtige öffentliche Aufgaben erledigt werden, insbesondere im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Die Zuweisung bedarf nicht der Zustimmung des Beamten. Jedoch darf ihm nur eine Tätigkeit zugewiesen werden, die seinem statusmäßigen Amt entspricht; er darf deshalb nicht unterwertig beschäftigt werden. Auch nach Zuweisung bleibt die Dienstherrenstellung des bisherigen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn unverändert bestehen. Der Zugewiesene unterliegt deshalb weiter dem öffentlichen Dienstrecht. Der bisherige Dienstherr hat deshalb eine - neue - personalfiihrende Dienststelle fiir die Beamten vorzuhalten. Dies ist Ausfluss der Allzuständigkeit des Dienstherrn in personellen Angelegenheiten (Art. 33 GG). Mit der Zuweisungsverfiigung wird jedoch das Recht der Weisung fiir die amtliche Tätigkeit des Beamten auf die privatisierte Einrichtung übertragen, soweit die Dienstausübung im Betrieb dies erfordert. Erhebt der Beamte gegen eine Zuweisungsverfiigung Widerspruch, so hat dieser aufschiebende Wirkung. Nachteil der Vorschrift ist, dass die Zuweisung von Beamten des Landes an die Gesellschaft gegen Erstattung der Kosten, die dem Land entstehen, beim Land einen Betrieb gewerblicher Art im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 des Körperschaftsteuergesetzes begründen kann. Mit der Zuweisung des Personals übt das Land nämlich eine Tätigkeit aus, die auch ein privater Anbieter von
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Personal gegenüber der Gesellschaft erbringen könnte. Umsatzsteuerrechtlich wäre damit eine unternehmerische Tätigkeit anzunehmen, was bedeutet, dass auf die zu erstattenden Gehälter beim Land als Zuweisenden Umsatzsteuer in Höhe von derzeit 16 % zu zahlen sind. Nach einem Beschluss der Körperschaftsteuerreferenten des Bundes und der Länder soll dies zwar nicht gelten, wenn die neue Gesellschaft alle wesentlichen Aufgaben übernimmt und sie wie bisher - mit Ausnahme der Änderung der Rechtsform - fortführt. Gleichwohl sind hierdurch einer Neuorientierung der privatisierten Gesellschaft enge Grenzen gesteckt. Ein weiterer Nachteil dieser Lösung ist, dass Beamte, die dem Unternehmen zugewiesen sind, nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Eine einheitliche, betriebsverfassungsrechtliche Interessenvertretung aller Beschäftigten ist dadurch nicht möglich. Zu beachten ist ferner, dass das neue Institut der Zuweisung eine Mehrheitsbeteiligung des Landes an der GmbH voraussetzt. Entfällt diese, ist die Aufrechterhaltung der Zuweisung nicht weiter möglich.
b) Beurlaubung und Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der privatisierten Gesellschaft Nach § 32 UrlVO Rheinland-Pfalz kann den Beamten Urlaub unter Wegfall der Dienstbezüge gewährt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Die Gewährung von Urlaub nach § 32 UrlVO setzt einen Antrag des Beamten voraus. Im übrigen liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift vor, insbesondere ist ein wichtiger Grund für die Beurlaubung gegeben. Die bisherigen Aufgaben sollen nach Auflösung der Behörde auf eine private Gesellschaft übergehen, so dass das Land zukünftig keine Möglichkeit mehr haben wird, insbesondere die technischen Beamten der Staatsbauverwaltung ausbildungs- und amtsadäquat einzusetzen. Daneben ist der Einsatz der Beamten in dem neuen Unternehmen nicht verzichtbar, ohne dass Verwaltungs- bzw. BetriebsdefIzite eintreten. Unter dieser Prämisse kann - und so ist es in dem neuen Gesetzentwurf vorgesehen - im Gesetz das dienstliche Interesse der Beurlaubung zum Ausdruck gebracht werden. Wenngleich der Urlaub in Privatisierungsfällen auch für sehr lange Zeit, ggf. bis zum Dienstzeitende gelten soll, ist dies als rechtlich bedenkenfrei anzusehen, zumal wenn die Beurlaubungen mit Einverständnis oder auf Antrag der betroffenen Beamten erfolgt sind. Wie bei der Zuweisung ist es erforderlich, die zu beurlaubenden Beamten vor Gewährung des Urlaubs an eine andere - bestehenbleibende - Dienststelle zu versetzen.
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c) Vertragliche oder gesetzliche Dienstleistungsüberlassung
Als weitere Möglichkeit hat das Bundesverwaltungsgericht eine sog. Dienstleistungsüberlassung fiir rechtens erklärf. Dem Unternehmen darf dabei lediglich das Ergebnis der Arbeitstätigkeit zugute kommen, Dienstherren- und Weisungsbefugnisse bleiben jedoch weiterhin ausschließlich dem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn vorbehalten. Vor dem Hintergrund der drohenden Steuerpflicht (0. I 1 a) bietet sich diese Möglichkeit nicht an. d) Entlassung auf Antrag und Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem privatisierten Unternehmen Nach § 40 LBG kann der Beamte jederzeit seine Entlassung verlangen. Der Dienstherr ist verpflichtet, den entlassenen Beamten nachzuversichern mit der Maßgabe, dass der Dienstherr die Nachversicherungsbeiträge (Arbeitgeberund Arbeitnehmeranteile) alleine zu tragen hat (§ 8 SGB VI). Bei einem durchschnittlichen Nachversicherungsfall (Beamte des gehobenen Dienstes, Besoldungsgruppen A 11 bis A 12) beläuft sich die Höhe der Nachversicherungsbeiträge auf ca. 300.000,- DM, was fiir den Dienstherrn eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen würde. Darüber hinaus dürfte kein Beamter bereit sein, seinen Status als Beamter auf Lebenszeit aufzugeben, wenn sein Dienstherr bereit ist, ihn für eine Tätigkeit in dem privatisierten Unternehmen zu beurlauben. e) Sozialversicherungspjlicht fiir Beamte in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis (§ J Nr. J SGB VI) Sollte das Land Rheinland-Pfalz seine Beamten der Staatsbauverwaltung einer privatisierten Eimichtung zuweisen oder sie zu diesem Zweck beurlauben, haben sie dennoch während des Urlaubs keinen Anspruch auf Beihilfe. Da das Land im Errichtungsgesetz jedoch anerkennen wird, dass der Urlaub öffentlichen Belangen dient, wird die privatisierte Einrichtung als Arbeitgeberin verpflichtet werden, den - beurlaubten - Beamten im Krankheitsfall ohne zeitliche Begrenzung Entgeltfortzahlung und Leistungen wie nach den Beihilfevorschriften zu gewähren. Die beurlaubten Beamten sind deshalb in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) und in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei (§ 169 AFG.).
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BVerwGE 69, 303.
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Während eines Urlaubs unter Wegfall der Dienstbezüge besteht grundsätzlich keine Rentenversicherungsfreiheit. Zur Venneidung der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen bedarf es deshalb der Ausstellung von Gewährleistungsbescheiden nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Die Ausstellung eines Gewährleistungsbescheids setzt die Berücksichtigung der Urlaubszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit voraus. Die Zusicherung der Berücksichtigung der Zeit einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge als ruhegehaltsfähige Dienstzeit ist in der Regel von der Erhebung eines Versorgungszuschlags abhängig zu machen (Nr. 6.1.10 Satz 1 BeamtVGVwV). Zahlungsptlichtig für den Versorgungszuschlag - in Höhe von 30% der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge - ist stets der beurlaubte Beamte, auch wenn - wie meist der Fall- das Unternehmen, fur das der Beamte tätig ist, diese Zahlung übernimmt. Zahlt der Arbeitgeber den Versorgungszuschlag, so handelt es sich um steuerpflichtigen Arbeitslohn, dem jedoch in gleicher Höhe beim Arbeitnehmer Werbungskosten gegenüberstehen. Mit dieser Regelung wird auch sichergestellt, dass das Besoldungsdienstalter nicht hinausgeschoben wird und die Jubiläumsdienstzeit sowie das allgemeine Dienstalter nicht gekürzt werden. Die Bahn- und Postprivatisierungsgesetze sehen differenziertere Personalkostenerstattungen vor, was jedoch bei einem kleinen Personalkörper - in der Staatsbauverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz sind maximal 160 Beamte betroffen - vernachlässigt werden kann. f) Beforderungen während eines Urlaubs
Der Beförderung während eines Urlaubs unter Wegfall der Dienstbezüge stehen keine rechtliche Hindernisse entgegen. Dies gilt insbesondere bei einem Urlaub, der dienstlichen Zwecken dient. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LbVO gelten als Dienstzeiten, die nach der Laufbahnverordnung Voraussetzung für eine Beförderung oder für einen Aufstieg sind, auch bis zu einem Zeitraum von 2 Jahren Zeiten eines Urlaubs ohne Dienstbezüge, wenn dieser überwiegend dienstlichen Interessen oder öffentlichen Belangen dient und das Vorliegen dieser Voraussetzungen bei Gewährung des Urlaubs festgestellt worden ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 BeamtVG). Das Land Rheinland-Pfalz strebt an, seine beurlaubten Beamten der ehemaligen Staatsbauverwaltung im Wege der Nachzeichnung so zu befördern, wie dies beim Verbleiben im aktiven Dienst erfolgt wäre. Bei einer evtl. - vorzeitigen - Rückkehr in den Landesdienst müßte über das Besoldungsdienstalter - neu - entschieden werden (§ 28 Abs. 3 Satz 1 BBesG). Haushaltsrechtlich werden für die beurlaubten Beamten Leerstellen geschaffen.
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2. Beamte auf Probe Werden Behörden aufgelöst und deren Aufgaben zukünftig von einer privatisierten Institution wahrgenommen, entfällt beim Land in der Regel der Bedarf für eine Beschäftigung solcher Beamten. Die Beamten auf Probe können deshalb gemäß §§ 41, 35 LBG entlassen werden, wenn eine andere Verwendung nicht möglich ist. Durch die Privatisierung der Aufgaben gibt es auch regelmäßig kein vernünftiges Interesse des Landes mehr, in diesem Bereich Beamte zu ernennen. Dies gilt insbesondere für Fachbeamte, die noch den weit überwiegenden Teil ihres Berufslebens vor sich haben. Nach der Entlassung hat der frühere Beamte auf Probe keinen Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (§ 44 LBG). Die entlassenen Beamten sind nachzuversichern, ein Unterhaltsbeitrag nach § 15 BeamtVG ist jedoch nicht zu gewähren, da dieser nur in den Fällen vorgesehen ist, in denen Beamte auf Probe wegen Dienstunfähigkeit oder Erreichen der Altersgrenze entlassen werden. Für das Land Rheinland-Pfalz stellt sich diese Frage nicht mehr, da zwischenzeitlich alle Beamten auf Probe die Probezeit abgeleistet haben und noch vor der Privatisierung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen sind. 3. Beamte auf Widerruf Der Beamte auf Widerruf kann jederzeit entlassen werden (§ 42 Abs. 1 Satz 1 LBG). Ihm sollte jedoch im Vorbereitungsdienst Gelegenheit verschafft werden, den Vorbereitungsdienst zu leisten und die für seine Laufbahn vorgeschriebenen Prüfungen abzulegen. Mit der Ablegung der Prüfung endet sein Beamtenverhältnis.
11. Überleitung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Arbeitnehmer) 1. Anwendung des § 613 a BGB und der EU-Richtlinie 98 / 50 / EWG
Hinsichtlich der Überleitung der Arbeiter und Angestellten findet § 613 a BGB Anwendung. Diese Vorschrift trifft eine Regelung über das Schicksal von arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Rechten und Pflichten bei einem durch Rechtsgeschäft erfolgenden Betriebsübergang. Bei einer Privatisierung durch Landesgesetz liegt zwar gerade kein "rechtsgeschäftlicher" (vertraglicher) Betriebsübergang vor. Als Bestandteile des EG-Rechts existieren jedoch
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die - alte - Richtlinie 77 / 187 und die - neue - EU-Richtlinie 98 / 50 / EWG. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu diesen Richtlinien kommt es rur die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Betriebsübergang vorliegt, entscheidend darauf an, ob die fragliche organisatorische Einheit rur den Übergang ihre Identität bewahrt, was namentlich der Fall ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeruhrt wird. Sogar die reine Aufgabenübertragung oder Funktionsnachfolge sei als Betriebsübergang zu qualifIzieren. Auf die Frage des "wie" kommt es nach dem EuGH nicht an, zumal nach der neuen Richtlinie neben der vertraglichen Überleitung auch der Übergang durch Verwaltungsmaßnahmen, Gerichtsentscheidung oder sonstiges formrechtliches Handeln erfasst wird. Das Bundesarbeitsgericht ist zur gemeinschaftskonformen Auslegung von Rechtsvorschriften verpflichtef. Es muss deshalb bei der Auslegung des § 613 a BGB die Rechtsprechung des EuGH zur EU-Richtlinie beachten. 2. Rechtsfolgen Nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber (die privatisierte Einrichtung) in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Am Stichtag bestehende Arbeitsverhältnisse gehen somit kraft Gesetzes auf den neuen Arbeitgeber über. Damit sind die kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarungen anzuwendenden Tarifverträge des öffentlichen Dienstes - unabhängig von der Jahresfrist des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB - auch rur die KG rechtlich bindend. Änderungen der Arbeitsverhältnisse zum Nachteil der Arbeitnehmer sind nur einvernehmlich oder im Wege der Änderungskündigung möglich (z.B. andauernd schlechte Ertragslage, bei der nur durch Senkung der Personalkosten die Stillegung des Betriebs oder die Reduzierung der Belegschaft vermieden werden kann). Bei tarifgebundenen Arbeitnehmern werden die tarifvertraglichen Rechte und Pflichten gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsvertrags mit der neuen Gesellschaft und dürfen vor Ablauf eines Jahres nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden, es sei denn, es wird ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung und nach ständiger Rechtsprechung des BAG ergibt sich der allgemeine Grundsatz, dass ein Arbeitnehmer nicht zum Wechsel seines Arbeitgebers verpflichtet werden darf. Der Arbeitnehmer muss in der Wahl seines Arbeitgebers frei sein, er darf nicht verpflichtet werden, rur einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat. § 613 a und die entsprechende Betriebsübergangsrichtlinie 98 / 50 / EWG ermöglichen es daher dem Arbeitnehmer, sein Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu den mit dem bisherigen Arbeitgeber vereinbarten 3
SAG NZA 1994, S. 913 (916).
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Bedingungen fortzusetzen, verpflichten ihn aber nicht zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Arbeitgeber. Die Ausübung des Widerspruchsrechts bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbesteht. Der Widerspruch ist binnen einer Frist von 3 Wochen auszuüben4 • Voraussetzung für den Beginn der Frist ist, dass der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang, das Widerspruchsrecht und die Frist informiert wurde. 3. Zuweisung des Widersprechenden
Der Zuweisung eines Widersprechenden zur privatisierten Einrichtung steht § 12 BAT entgegen. Diese Vorschrift regelt die Versetzung, die Abordnung und die Zuweisung von Arbeitnehmern. Die Versetzung ist die Zuweisung einer Beschäftigung bei einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses, während die Abordnung nur eine vorübergehende Maßnahme darstellt. Zuweisung bedeutet die Wahrnehmung von Aufgaben in besonderen Fällen und unter besonderen Voraussetzungen. Eine Zuweisung, die im dienstlichen oder öffentlichen Interesse liegen muss, kann jedoch nur zu öffentlichen (staatlichen, kommunalen) Einrichtungen vorgenommen werden. Sie umfaßt jedoch nicht die Möglichkeit der Zuweisung an eine inländische private Gesellschaft. Nach der tariflichen Regelung kommt eine Zuweisung somit nur auf freiwilliger Grundlage in Betracht und ist von der Zustimmung des Angestellten abhängig. Im Falle des Widerspruchs nach § 613 a BGB oder bei fehlender Zustimmung zur Zuweisung bleibt mithin nur die Möglichkeit anderweitiger Verwendung im Landesdienst oder der Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung. 4. Betriebsbedingte Kündigung - Sozialauswahl
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber während des Übergangs des Betriebs ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt aber unberührt (§ 613 a Abs. 4 BGB). Soweit das Widerspruchsrecht ausgeübt wird, bleibt der Widersprechende Arbeitnehmer des Landes und ist von diesem weiter zu beschäftigen. Fehlt jegliche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, besteht somit als ultima ratio die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Ist der Arbeitnehmer bereits unkündbar (§ 53
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SAG ZIP 1994, S. 391 (393 f.).
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Abs. 2 BAT), steht dies nach ständiger Rechtsprechung des BAG einer solchen betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung nicht entgegen. § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz gestattet eine betriebsbedingte Kündigung nur, wenn eine Weiterbeschäftigung "im Unternehmen" fehlt. Steht ein geeigneter freier Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfugung, stellt sich die Frage nach der sozialen Auswahl, die dann betriebsbezogen, nicht "unternehmensweit" durchzuführen ist. Um zu erreichen, dass der Widersprechende nicht stets dem sozial weniger schutzwürdigen Kollegen vorgezogen wird, fordert das BAG in ständiger Rechtsprechung, dass ein Arbeitnehmer, der dem Betriebsübergang widerspricht und dem von seinem bisherigen Arbeitgeber betriebsbedingt gekündigt wird, sich in einem anschließenden Kündigungsschutzprozess auf fehlerhafte Sozialauswahl nur berufen kann, wenn für den Widerspruch ein objektiv vertretbarer Grund vorlag. Steht dem Widersprechenden ein solcher objektiver Grund für seinen Widerspruch nicht zur Seite, so bleibt sein Widerspruch im Hinblick auf die Sozialauswahl im Rahmen der anschließenden betriebsbedingten Kündigung ohne Folgen. 5. Zusatzversorgung der Arbeitnehmer Ein zentrales Problem für das Tarifpersonal stellt die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst dar. Die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind nach dem Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern konununaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) vom 04.11.1966 zusatzversichert. Nach dem VersorgungsTV hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) so zu versichern (Pflichtversicherung), dass der Pflichtversicherte eine Anwartschaft auf eine dynamische Versorgungsrente für sich und seine Hinterbliebenen im Rahmen einer Gesamtversorgung erhält. Die Gesamtversorgung setzt sich zusanunen aus der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung und der von der VBL zu zahlenden Zusatzrente (Versorgungsrente ). Sie richtet sich nach dem gesamtversorgungsfahigen Entgelt und der gesamtversorgungsfahigen Zeit und erreicht unter Berücksichtigung einer Nettobegrenzung nach 40 Jahren Dienstjahren 75 % des gesamtversorgungsfahigen Entgelts. Die aus dem V ersorgungs-TV resultierenden Versorgungsverpflichtungen gehen nach § 613 a BGB auf das privatisierte Unternehmen über und zwar unabhängig davon, ob sie verfallbar oder unverfallbar sind. Das privatisierte Unternehmen haftet in voller Höhe für bereits entstandene und weiter entstehende Versorgungsanwartschaften vom Zeitpunkt der Versorgungszusage durch den Rechtsvorgänger Land bis zum Eintritt des Versorgungsfalles. Es tritt somit auch insoweit in Anwartschaften ein, als sie gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber Land erdient wurden.
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Der öffentliche Arbeitgeber erfiillt die Versorgungsverpflichtung durch Versicherung der Arbeitnehmer bei der VBL, an die er eine monatliche Umlage in Höhe eines nach der Satzung der VBL festgesetzten Satzes des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts (z. Z. 7,7%, davon trägt der Arbeitgeber 6,45%) zahlt. Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Zusatzversorgung über die VBL nur einen Durchfiihrungsweg darstellt. Kann (oder will) der Arbeitgeber diesen Weg nicht beschreiten, muss er selbst fiir die Versorgung einstehen. Tritt das privatisierte Unternehmen der VBL nicht bei, muss sie die Versorgungsansprüche der übergegangenen Arbeitsverhältnisse selbst erfiillen, also im Versorgungsfall gleichwertige Leistungen erbringen. Es wird daher eine Beteiligung an der VBL anstreben, ist jedoch nicht verpflichtet, der VBL beizutreten. Tritt das Unternehmen der VBL durch Abschluss einer schriftlichen Beteiligungsvereinbarung bei, kommt es seinen Verpflichtungen des Versorgungs-TV durch Zahlung der Umlagen nach. Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem Versorgungs-TV bestehen dann nicht gegenüber dem privatisierten Unternehmen, sondern nur gegenüber der VBL. Probleme können dadurch entstehen, dass nur die übernommenen Arbeitnehmer (weiter) versichert werden. In diesem Fall wäre ein hoher Ausgleichsbetrag zu zahlen, der nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu ermitteln ist. Dies hängt damit zusammen, dass die Umlagengemeinschaft belastet wird, wenn an die Stelle ausscheidender Pflichtversicherter (Rentenempfänger) keine Pflichtversicherungen neu eingestellter Arbeitnehmer mit entsprechenden Umlagezahlungen des Beteiligten treten.
III. Personalvertretungs- und Betriebsverfassungsrecht u.a. 1. Beteiligungstatbestände nach dem Landespersonalvertretungsgesetz Soweit die Privatisierung oder Personalüberleitung durch Gesetz erfolgt, ist die Personalvertretung nicht zu beteiligen. Soweit vorgenannte Maßnahmen nicht durch Gesetz oder Rechtsverordnung getroffen werden, ist der Beteiligungstatbestand des § 83 Satz 1 Nr. 4 LPersVG (Privatisierung von Arbeiten oder Aufgaben, die bisher durch Beschäftigte der Dienststelle wahrgenommen werden) einschlägig. Bei Privatisierungsentscheidungen ist der Personalrat auf sein Verlangen rechtzeitig schriftlich oder mündlich durch das die Entscheidung treffende Entscheidungsorgan anzuhören (§ 83 Satz 2 LPersVG). Eine Mitbestimmung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 LPersVG (Auflösung von Dienststellen oder wesentlichen Teilen von ihnen) kommt nicht in Betracht. Ordnet das Gesetz einen Sachverhalt unterschiedlichen Beteiligungstatbeständen zu (Mitbestimmung, Mitwirkung, Erörterung, Anhörung), so stehen diese Beteili-
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gungstatbestände zwar grundsätzlich nebeneinander. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Gesetzgeber den weniger stark ausgestalteten Beteiligungstatbestand (hier: Privatisierung gemäß § 83 Satz I Nr. 4 LPersVG) deshalb nicht der vollen Mitbestimmung unterworfen hat, weil er wegen der Auswirkungen auf das Gemeinwesen wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt ise. Der Anhörungstatbestand gemäß § 83 Satz 1 Nr. 4 LPersVG verdrängt mithin den Mitbestimmungstatbestand des § 80 Abs. 2 Nr. 2 LPersVG. Soweit die Überleitung des Tarifpersonals durch landes gesetzliche Regelungen angeordnet wird oder sich gemäß § 613 a BGB vollzieht, sind Beteiligungstatbestände des LPersVG nicht berührt.
2. Betriebliche Interessenvertretung der Bediensteten im privatisierten Unternehmen Eine Vertretung der dem privatisierten Unternehmen zugewiesenen Beamten in den Betriebsräten ist nicht möglich. Voraussetzung hierfür wäre die Arbeitnehmereigenschaft der zugewiesenen Beamten. Zugewiesene Beamte sind jedoch nicht Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, da sie nicht aufgrund freier Bereitschaft für den Arbeitgeber fremdbestimmte Arbeit leisten. Sie werden vielmehr dort nur aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses tätig. Das privatisierte Unternehmen wird erst mit der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister existent. Erst ab diesem Zeitpunkt können Betriebsräte gewählt werden. Nach § 130 BetrVerfG bewirkt der Wechsel des Rechtsträgers hin zu einem privatrechtlichen Unternehmen automatisch die Auswechslung des geltenden Status der betrieblichen Interessenvertretung. Solange eine öffentlich-rechtliche Trägerschaft besteht, besteht die Zuständigkeit des Personalrats. Sobald die privatrechtliche Trägerschaft gegründet ist, endet die Zuständigkeit des Personalrats und besteht die Möglichkeit der Wahl eines Betriebsrats. Nach der EU-Richtlinie zum Betriebsübergang (Teil 2 Art. 5 Abs. 1 und 2) bleiben die Rechtsstellungen und Funktionen der Vertreter oder der Vertretung der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer unter den gleichen Bedingungen erhalten, wie sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder aufgrund einer Vereinbarung bestanden haben, sofern die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertreter erfiillt sind und das Unternehmen seine Selbständigkeit behält. Erlischt das Mandat der Vertreter der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer aufgrund des Übergangs, so gelten für diese Vertreter weiterhin die nach den Rechts- und Verwal-
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BVG ZBR 1981,72.
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tungsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten vorgesehenen Schutzmaßnahmen. 3. Landesgleichstellungsgesetz, Schwerbehindertengesetz Das Landesgleichstellungsgesetz Rheinland-Pfalz vom 11. Juli 1995 gilt insbesondere für juristische Personen des öffentlichen Rechts, nicht hingegen für Unternehmen in der Rechtsform des privaten Rechts. Nach § 2 Abs. 3 haben jedoch die Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Gebietskörperschaft darauf hinzuwirken, dass die Ziele dieses Gesetzes beachtet werden, solange ihnen an einem Unternehmen Anteile in dem in § 53 des Haushaltsgrundsätzegesetzes bezeichneten Umfang gehören. Vergleichbares gilt für die Verwaltungsvorschriften, die das Gesetz zur Sicherung und Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) ergänzen und erweitern. Auch hier ist zu prüfen, ob die zum Schutz der Schwerbehinderten bestehenden besonderen, weitergehenden Bestimmungen vom neuen Unternehmen beachtet werden müssen.
Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft am Beispiel Bayerns Von Thomas Kostenbader Das kommunale Wirtschaftsrecht in Deutschland ist in Bewegung geraten. Bis vor Kurzem noch beruhten die Rechtsrahmen fiir die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden im Kommunalrecht der Bundesländer weitgehend auf den Vorgaben der Deutschen Gemeindeordnung aus dem Jahr 1935. Der Freistaat Bayern hat - wieder einmal - als erstes Bundesland auf neue Herausforderungen reagiert. Ob das angesichts der gewaltigen Dimension des Wettbewerbs ausreicht oder nicht, soll in diesem Referat näher behandelt werden. Die deutsche Energierechtsnovelle trat am 29. April 1998 in Kraft. Damit war der Startschuss zur Liberalisierung des Energiemarkts gefallen. Nur vier Monate später, nämlich am 1. September 1998, wurde in Bayern das neue kommunale Wirtschaftsrecht novelliert.
I. Struktur der Kommunalwirtschaft in Bayern 1. Bisherige Charakteristika Die bayerische Kommunalwirtschaft war bis vor Kurzem noch sehr stark durch den Eigenbetrieb geprägt. Während in den 50er Jahren die Mitglieder des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) bundesweit noch zu 95 Prozent Eigenbetriebe waren, sind heute fast 65 Prozent der Mitgliedsunternehmen privatrechtlich organisiert, also als AG oder GmbH. In Bayern waren bis zum letzten Jahr noch 75 Prozent der 130 \'KU-Mitglieder Eigenbetriebe. Stadtwerke in privater Rechtsform gab es über Jahrzehnte hinweg im Wesentlichen nur in den Großstädten Nürnberg, Regensburg und Würzburg. Diese fast starre Struktur beruhte vor allem auf dem gesetzlichen Eigenbetriebsvorrang in der Gemeindeordnung. Nach dieser Vorgabe standen private Rechtsformen unter dem Vorbehalt, "dass der öffentliche Zweck nicht ebenso gut in einer Rechtsform des öffentlichen Rechts, insbesondere durch einen Eigenbetrieb erfiillt wird oder erfiillt werden kann oder wenn Private an der Erfiillung des öffentlichen Zwecks wesentlich beteiligt werden sollen und die
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Aufgabe hierfür geeignet ist". Dieser Nachweis einer besseren Aufgabenerfiillung durch eine private Organisations form war wesentliches Hindernis fiir eine Formalprivatisierung kommunaler Unternehmen. 2. Veränderungen im Zeichen des Wettbewerbs
a) Wandel bei den Rechts/ormen Durch eine Änderung der Kommunalgesetze zum 1. September 1995 wurde der Eigenbetriebsvorrang abgeschafft und damit eine weitgehende Freiheit bei der Rechtsformenwahl ermöglicht. Zugleich wurde in die Gemeindeordnung als "neue Rechtsform" das Kommunalunternehmen, also die Anstalt des öffentlichen Rechts, aufgenommen. Zur Zeit gibt es in Bayern 30 kommunale Betriebe, die in der Rechtsform des Kommunalunternehmens organisiert sind. Diese Betriebe sind beispielsweise in Aufgabengebieten wie der Vermarktung einer Stadthalle, dem Betrieb von Alten- und Pflegeheimen, Kläranlagen und Wasserwerken sowie der Abfallwirtschaft tätig. Auch Krankenhäuser, Verkehrsbetriebe und Theater gehören dazu. Die Anstalt bietet als Rechtsform quasi zwischen dem rechtlich unselbstständigen Eigenbetrieb und der GmbH eine interessante Zwischenform. Es lässt sich einerseits eine weitgehende Selbstständigkeit des Unternehmensvorstands und andererseits eine ausreichende Steuerung über den Verwaltungsrat als Unternehmensorgan erreichen. Ein Vorteil der Anstalt gegenüber der GmbH ist, dass die Kommune dem Kommunalunternehmen eigene Pflichtaufgaben und damit zusammenhängende Befugnisse übertragen kann. Beispielsweise kann die Anstalt die Festsetzung von Anschluss- und Benutzungszwang beschließen sowie Satzungen und Verordnungen oder Verwaltungsakte erlassen. Der Einfluss des Stadtrats ist insofern gewahrt, als der Verwaltungsrat beim Erlass von Satzungen und Verordnungen sowie im Rahmen der Unternehmens satzungen den Weisungen des Stadtrats unterliegt. Gleichwohl ist auch bei den bayerischen Stadtwerken, soweit sie Energieversorgung betreiben, angesichts des Wettbewerbs der Trend zur GmbH ungebrochen. Neuerdings sind die Stadtwerke München, Bayreuth, Erding, Hof, Neustadt b. Coburg und Schweinfurt in GmbHs umgegründet worden. Die Umgründungsdiskussion läuft mit unterschiedlichen Verfahrensständen auch in den Städten Augsburg, Bad Kissingen, Bamberg, Coburg, Freising, Herzogenauraeh, Ingolstadt, Passau, Rosenheim, Schweinfurt, Traunreut, Traunstein und Wunsiedel. Unter den bedeutenden Stadtwerken gäbe es dann bald nur noch zwei in der Rechtsform des Eigenbetriebs, nämlich Aschaffenburg und Landshut.
Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft arn Beispiel Bayerns 95 Von der GmbH erwartet man sich insbesondere: 1.
Mehr Flexibilität unternehmerischen HandeIns und ein Auftreten nach den Erfordernissen des Wettbewerbs.
2.
Weniger Kontrolle durch den Stadtrat.
3.
Leichtere Bewältigung von Fragen der Finanzierung und der Kooperation, also konkret die Bildung von Beteiligungsgesellschaften mit privaten Dritten.
4.
Leichteren Einstieg in neuere Betätigungsfelder.
5.
Ein besseres Engagement außerhalb der Gemeindegrenzen.
6.
Erhebliche Verlängerung der "Reichweite" der Kommunalaufsicht und der Kontrolle durch Rechnungsprüfungsbehörden. b) Kooperationen
Man kann feststellen, dass die großen Stadtwerke nach zum Teil erheblicher innerbetrieblicher Rationalisierung und Ausrichtung auf den Wettbewerb durch eine schlagkräftigere Rechtsform auch in Form von Teilbereichen im Kooperationswege enger zusammenrücken. Ein konkretes Beispiel ist die vor wenigen Monaten gegründete "empulsGmbH", ein Zusammenschluss der Stadtwerke Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach für den Strombezug für Vorlieferanten. Auch die übrigen Stadtwerke in Bayern haben sich in letzter Zeit aus ihren bereits bestehenden sog. Stromabnehmerarbeitsgemeinschaften zu Kooperationsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH zusammengeschlossen. Das Ziel ist, gegenüber dem jeweiligen Vorlieferanten - in Bayern sind dies mit einigen geringen Ausnahmen die Tochterunternehmen des Bayernwerks - mehr Marktrnacht und damit günstigere Konditionen beim Stromeinkauf zu bekommen. Würden sich alle bisher so organisierten Stadtwerke zusammenschließen, kämen sie auf eine Stromabnahmemenge von etwa 10 Mrd. kWh. Dieser Schritt ist allerdings noch nicht vollzogen worden. Die Stadtwerke stehen auch in intensiven Gesprächen mit den Vorlieferanten zur Bildung von Vertriebspartnerschaften. Dieses Verfahren zielt darauf ab, gemeinsame Kunden optimal zu günstigeren Preisen zu versorgen und dadurch Wettbewerber abzuwehren. Darüber hinaus gab es bereits in den letzten Jahren strategische Allianzen zwischen Stadtwerken und privaten Dritten. Ein Beispiel hierfür sind die Stadtwerke Würzburg AG, die Überkreuz-Beteiligungen mit dem Überlandwerk Unterfranken (ÜWU) und dem Fränkischen Überlandwerk (FÜW) abgeschlossen haben. Weitere Fälle sind die Stadtwerke Bayreuth und Neustadt b. Coburg mit Beteiligungen des jeweiligen Regionalversorgers Energieversorgung Oberfranken (EVO) an neu gegründeten Stadtwerke-Holdings in Höhe von jeweils 24,9 Prozent.
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Die bayerischen Stadtwerke haben sich in den letzten Jahren auch im neuen Marktsegment der Telekommunikation betätigt. So haben die Städte München und der Großraum Nürnberg, Fürth, Erlangen mit ihren Tochtergesellschaften M"Net und NEFkom sowie eine Vielzahl anderer Städte, wie Augsburg, Regensburg, Rosenheim oder Würzburg von ihren Infrastrukturvorteilen der vorhandenen Kabeltrassen Gebrauch gemacht. Üblicherweise sind an den Gesellschaften mehrheitlich die Stadtwerke und minderheitlich die Bayernwerk Netkom sowie die örtlichen Sparkassen beteiligt. 3. Haltung des Bayerischen Städtetags Der Bayerische Städtetag hat diese Entwicklungen von Verbandsseite aus stets unterstützt. Das Hauptziel lautet: "Mehr Handlungsspielraum für die kommunale Wirtschaft." Eindeutige Verbandsempfehlungen zur Umwandlung von Eigenbetrieben in private Rechtsformen haben wir selbstverständlich nicht abgegeben, da diese Fragen nur örtlich entschieden werden können. Allerdings wurden den Mitgliedstädten Entscheidungshilfen gegeben, wie die folgenden Beispiele zeigen: Als Entscheidungshilfe versteht sich ein neueres Gutachten von Prof. Dr. Günter Püttner, Universität Tübingen, vom Juni 1999. Der Gutachter beschreibt in seiner für den Verband Kommunaler Unternehmen erstellten Studie die Vorteile der GmbH. Er kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass die privatrechtlichen Rechtsformen für den weiteren Betrieb kommunaler Versorgungsunternehmen unter den veränderten Rahmenbedingungen des liberalisierten Energierechts "in der Regel vorzuziehen seien". Er spricht dabei insbesondere die allgemeine Erleichterung flexiblen unternehmerischen Handeins und Auftretens im Wettbewerb, die leichtere Möglichkeit der Hereinnahme fremder Partner in ein kommunales Unternehmen sowie den Einstieg in neue Betätigungsfelder und die erheblich längere Reichweite der Kommunalaufsicht an. Der VKUBayern hat sich selbstverständlich grundsätzlich für die Umgründung kommunaler Unternehmen in die GmbH ausgesprochen. Den Mitgliedern wurde nahegelegt, sich bei solchen Entscheidungen an den Darlegungen des Gutachters zu orientieren. Der Bayerische Städtetag wird sich hierzu in Kürze vermutlich etwas zurückhaltender äußern. Zur Frage der private public partnership in Form von Beteiligungsgesellschaften der Stadtwerke mit den Vorlieferanten hat der Bayerische Städtetag schon vor zwei Jahren, ebenfalls gemeinsam mit dem VKU, Handlungsempfehlungen an die Kommunalpolitiker formuliert. Die beiden "Botschaften" hierzu lauteten:
Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft am Beispiel Bayerns 97 (1) Beteiligungen sollten vorrangig nicht gegen Geld, sondern gegen adäquates Versorgungspotential eingegangen werden. (2) Das neue Unternehmen sollte durch die Hereinnahme eines Dritten Synergieeffekte erschließen können, leistungsfähiger werden und eine solche Stärkung der Ertragskraft erfahren, dass die kommunalen Eigner für seinen Anteil mindestens die gleiche Wirtschaftlichkeit erwarten kann wie vor einer Beteiligung.
11. Aktuelle Rechtsentwicklung in Bayern Die Reform des kommunalen Wirtschaftsrechts in Bayern hat sich in den letzten Jahren in drei Stufen vollzogen. 1. Überblick
Eine Änderung der Kommunalgesetze zum 1. September 1994 hatte eine Stärkung der Werkleitung und des Werkausschusses des Eigenbetriebs zur Folge. Zum 1. September 1995 wurde der bis dahin geltende Eigenbetriebsvorrang beseitigt. Zugleich wurde mit dem terminus technicus "Kommunalunternehmen" die Anstalt des öffentlichen Rechts als "neue Rechtsform" in die Gemeindeordnung aufgenommen. Die grundlegende Reform kam dann zum 1. September 1998 mit der Umgestaltung zum sog. kommunalen Unternehmensrecht (Gesetz zur Änderung des kommunalen Wirtschaftsrechts und anderer kommunalrechtlicher Vorschriften vom 24.08.1998, GVBI 1998, S. 424). Das Gesetz stellt nicht mehr auf den Inhalt der kommunalwirtschaftlichen Betätigung, sondern nur noch auf deren Form ab. Dies hat auch praktische Konsequenzen, weil -
dadurch die bisher schwer zu bewältigende Abgrenzungsproblematik zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Unternehmen entfällt,
-
es keine unterschiedlichen Rechtsformen für die beiden Unternehmensdefinitionen mehr gibt und
-
die bisherigen gesonderten Zulässigkeitsvoraussetzungen für nicht wirtschaftliche Unternehmen entfallen sind.
Das Rechtsgebiet ist nun in den elf Artikeln 86 mit 96 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern geregelt. Es beginnt mit einer Auflistung der Rechtsformen Eigenbetrieb, selbstständiges Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts und Rechtsformen des Privatrechts. Die Regeln über die allgemeine Zulässigkeit von Unternehmen und Beteiligungen in Art. 87 wurden 7 Ziekow
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weitgehend geändert. In Art. 88 schließt sich die Neufassung der Bestimmung über die Eigenbetriebe an. Darauf folgen die bereits 1995 geschaffenen Normen zum selbstständigen Kommunalunternehmen (Art. 89), die Organe des Kommunalunternehmens / Personal (Art. 90) sowie die sonstigen Vorschriften hierzu (Art. 91). Interessant ist an dieser Stelle der Hinweis, dass der bayerische Innenminister hier seine Absicht nach mehr Transparenz hinsichtlich der Gehälter der Unternehmensleitungen durchgesetzt hat. Das Gesetz schreibt vor, dass die Gemeinden darauf hinzuwirken haben, dass die Vorstandsmitglieder von Kommunalunternehmen sowie die Mitglieder geschäftsfiihrender Unternehmensorgane von Gesellschaften sich vertraglich verpflichten, ihre Bezüge zur Veröffentlichung mitzuteilen. Entgegen den handelsrechtlichen Veröffentlichungsvorschriften ist vorgesehen, dass die Bezüge jedes einzelnen Vorstands- bzw. Geschäftsfiihrungsmitglieds veröffentlicht werden sollen. In Art. 92 fmdet sich die Grundnorm fiir Unternehmen in Privatrechtsform, Art. 93 regelt die Vertretung der Gemeinde in Unternehmen in Privatrechtsform, also insbesondere die kommunalen Steuerungsmöglichkeiten sowie Unterrichtungs- und Weisungsrechte. In Art. 94 wird die Gemeinde verpflichtet, jährlich einen Beteiligungsbericht über Unternehmen in Privatrechtsform zu erstellen, wenn ihr mindestens der zwanzigste Teil der Anteile eines Unternehmens gehören. Art. 95 mahnt bei der Erfiillung des öffentlichen Zwecks die Einhaltung betriebswirtschaftlicher Grundsätze und den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit an. Außerdem findet sich dort die bereits bisher geltende Nichtschädigungsklausel: "Gemeindliche Unternehmen dürfen keine Schädigung und Aufsaugung selbstständiger Betriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie bewirken." Dadurch wird auch rechtssystematisch deutlich gemacht, dass es sich dabei nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern um eine Betriebsfiihrungsvoraussetzung handelt. Schließlich werden in Art. 96 bisherige Genehmigungspflichten generell in Anzeigepflichten umgewandelt. Neu ist, dass auch die Veräußerung von Unternehmen und Beteiligungen angezeigt werden muss. 2. Die wesentlichen Initiativen des Bayerischen Städtetags Der Bayerische Städtetag hat sich bei seinen Initiativen im Vorfeld der Novelle und auch in der Folgezeit schwerpunktrnäßig mit der Subsidiaritätsklausel sowie der gebietsüberschreitenden Betätigung auseinandergesetzt.
Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft am Beispiel Bayerns
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a) Subsidiaritätsklausel in Art. 87 Abs. J Satz J Nr. 4 GO Die entscheidende Bestimmung rur die Errichtung, Übernahme und wesentliche Erweiterung kommunaler Unternehmen ist Art. 87. Die bisherige sog. Schrankentrias dieser Bestimmung wurde auf vier Voraussetzungen erweitert: •
Erstens muss ein öffentlicher Zweck das Unternehmen erfordern. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um die Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen oder Aufgaben gern. Art. 83 Abs. 1 der Bayer. Verfassung und Art. 57 der Gemeindeordnung geht. In Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GO wird hierzu ergänzend klargestellt, dass Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche, mit denen die Gemeinde oder ihre Unternehmen an dem vom Wettbewerb beherrschten Wirtschaftsleben teilnehmen, um Gewinn zu erzielen, keinem öffentlichen Zweck entsprechen. Die Gewinnerzielung darf also nicht der Hauptzweck sein. Ein öffentlicher Zweck liegt nach wohl herrschender Meinung immer dann vor, wenn eine Maßnahme dazu bestimmt ist, dem Wohl der Einwohner zu dienen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine krisenfeste und ungestörte Versorgung der Bevölkerung geWährleistet werden soll. Bei der Frage, ob diese Konstellation gegeben ist, muss die Gemeinde ein Beurteilungsvorrecht haben, das weitgehend einer Überprüfung durch die Kommunalaufsicht und die Gerichte entzogen ist.
•
Zweitens muss das Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfahigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf stehen.
•
Drittens müssen die zu übertragenden Aufgaben für die "Wahrnehmung außerhalb der allgemeinen Verwaltung" geeignet sein.
•
Die vierte Voraussetzung ist die Subsidiaritätsklausel, also die Vorgabe, dass der Unternehmenszweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen anderen errullt wird oder errullt werden kann. Allerdings gilt diese Klausel ausdrücklich nicht rur den gesamten Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge.
Durch diese Gesamtregelung will der Gesetzgeber die wichtige ordnungspolitische Balance zwischen der kommunalen und der privaten Wirtschaft wahren. Zur Subsidiaritätsklausel gibt es in Bayern eine Vorgeschichte. So hatte der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil vom 23.12.1957 (BayVBI 1958, S. 51) verbindlich festgestellt, dass die Subsidiaritätsklausel des seinerzeitigen Art. 89 Abs. 1 Nr. 3 GO rur gemeindliche Versorgungs- und Verkehrsunternehmen nicht gilt. Das Gericht hat die Vorschriften damals nicht insgesamt rur verfassungswidrig erklärt, sondern sie vielmehr dahingehend verfassungskonform ausgelegt, dass gemeindliche Versorgungs- und Verkehrsun-
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ternehmen "keine wirtschaftlichen" Unternehmen im Sinne der seinerzeitigen Bestimmungen sind. Aus dieser Entscheidung wurde in der Praxis gefolgert, dass alle Unternehmen der kommunalen Daseinsvorsorge keine wirtschaftlichen Unternehmen im Sinne des seinerzeitigen Kommunalrechts sind. Der Verfassungs gerichtshof stellte seinerzeit ausdrücklich fest, dass der Gesetzgeber den Gemeinden die Gelegenheit zu "kraftvoller Betätigung" nicht nehmen dürfe. Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht wäre, so das Gericht, in seinem Wesenskern beeinträchtigt, wenn auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge die gesetzlichen Einschränkungen des kommunalen Wirtschaftsrechts zum Tragen kämen. Rechtspolitisch hat nun der Bayerische Städtetag bei seiner Jahrestagung, dem Bayerischen Städtetag im April 1999 in Landshut hier angesetzt und den generellen Wegfall der Subsidiaritätsklausel gefordert. Untersuchungen zeigen, dass zur Zeit in Bayern nur vier Prozent der kommunalen Betriebe außerhalb der Daseinsvorsorge tätig sind. Dies belegt, dass die Kommunalwirtschaft seit Jahrzehnten mehr oder weniger auf den Bestand "an Betrieben und Geschäftsfeldern" beschränkt wurde. Wenn die Stadtwerke im zunehmenden Preiskampf überleben wollen, müssen sie aber auch die Möglichkeit haben, in moderatem Umfang in neue Geschäftsfelder einzusteigen. Neben der Telekommunikation gehören dazu vor allem zusätzliche Energieleistungen durch die Stadtwerke, um im Sinne der Kundenwünsche ,,Paketlösungen" anzubieten, die über die herkömmliche Lieferung von Strom und Gas hinaus gehen und etwa auch das Contracting, also Dienstleistungen rund um die Energie- und Wärmelieferung, umfassen. Weitere Beispiele sind das Facility-Management, somit die umfassende Bewirtschaftung von Immobilien, oder auch das Last-Management, gleichbedeutend mit der Optimierung von Stromanwendungen. Allerdings hat der Bayerische Städtetag in diesem Zusammenhang immer betont, dass mit einer solchen Initiative kein genereller gesetzlicher Vorrang kommunalwirtschaftlicher Betätigung unter Aufgabe sämtlicher Schranken der Gemeindeordnung einhergehen soll. Am Örtlichkeitsprinzip und am Erfordernis des öffentlichen Zwecks wollen wir festhalten. Rechtsdogmatisch ist die Forderung nach einem Wegfall der Subsidiaritätsklausel gut zu begründen. Sie verstößt nach Auffassung des Bayerischen Städtetags gegen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz. Ein derartiger gravierender Einschnitt in die kommunalwirtschaftliche Betätigung müsste im Sinne der Verfassungsrechtsprechung durch "überwiegende Gründe des Gemeinwohls" gerechtfertigt sein. Solche Gründe lassen sich wohl nicht anführen. Außerdem kommen Rechtsprechung und Schriftform überwiegend zu dem Ergebnis, dass es im Bereich der Wirtschaft nicht etwa von Verfassungs wegen ein Privatisierungsmonopol gebe. Interessant ist in diesem Zusammenhang Art. 153 der Bayer. Verfassung, der den folgenden Programms atz zum besonderen Schutz des Mittelstandes enthält:
Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft arn Beispiel Bayerns 101 "Die selbständigen Klein- und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen. Sie sind in ihren Bestrebungen, ihre wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit sowie ihre Entwicklung durch genossenschaftliche Selbsthilfe zu sichern, vom Staat zu unterstützen. Der Aufstieg tüchtiger Kräfte aus nichtselbständiger Arbeit zu selbständigen Existenzen ist zu fördern." Zum Verhältnis zwischen Kommunalwirtschaft und Privatwirtschaft sagt die Verfassung jedoch nichts. Ein weiteres Argument gegen die Subsidiaritätsklausel ist ihr Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil sie dem Bestimmtheitsgrundsatz wohl kaum genügt. Schlecht vorstellbar ist nämlich, wie man ein nachvollziehbares Urteil, insbesondere über die Qualität konkurrierender Unternehmen, treffen soll. Die Subsidiaritätsklauseln anderer Bundesländer sagen hierzu bezeichnenderweise ebenfalls nichts.
b) Gebietsüberschreitende Betätigung Bei einer gebietsüberschreitenden Betätigung eines Stadtwerks müssen die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 1 GO vorliegen, also insbesondere der öffentliche Zweck. Außerdem müssen nach Art. 87 Abs. 2 die "berechtigten Interessen" der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften gewahrt sein. Für die Strom- und Gasversorgung werden ausdrücklich nur solche Interessen als "berechtigt" anerkannt, die nach den Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes eine Einschränkung des Wettbewerbs zulassen. Gemeint ist eine Ablehnung der Durchleitung durch kommunale Versorgungsnetze. Nach § 6 Abs. 3 des Energiewirtschaftsrechts handelt es sich um die Fälle, in denen umweltschonende sowie technisch-wirtschaftliche Wärme-Kopplungs-Anlagen verdrängt oder unwirtschaftlich würden. Der Spielraum für Gesetzesänderungen unter diesem Aspekt ist für kommunale Interessenvertreter allerdings eng, weil auch benachbarte Kommunen zur Mitgliederklientel gehören. Der Bayerische Städtetag hat in diesem Zusammenhang - allerdings ohne Erfolg - den Vorschlag ins Gespräch gebracht, für ,,Aufgaben im Wettbewerb" eine verallgemeinerte Ausnahme vom Örtlichkeitsprinzip mit folgendem Wortlaut einzuführen: "Bei im Wettbewerb wahrgenommenen Aufgaben geIten nur die Interessen als berechtigt, die nach den einschlägigen bundesgesetzlichen Vorgaben eine Einschränkung des Wettbewerbs zulassen."
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III. Stand der politischen Diskussion 1. Ebene der Bayerischen Staatsregierung
Die Bayerische Staatsregierung lehnt Änderungen des novellierten Kommunalrechts im Sinne des Städtetags zur Zeit kategorisch ab. Der bayerische Innenminister Dr. Günther Beckstein hält das geltende bayerische Unternehmensrecht für "liberal" und warnt vor einer erneuten Gesetzesinitiative. Seiner Ansicht nach sei in einem solchen Fall mit erheblichem Druck von Seiten der Privatwirtschaft zu rechnen, unzumutbare Verschlechterungen für die Kommunalwirtschaft könnten die Folge sein. Bei einem Gespräch mit dem Minister im März 1999 hielt er es vielmehr für nachdenkenswert, kommunale Aufgabenbereiche mit Anschluss- und Benutzungszwang, also insbesondere die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung, durch einen Wegfall dieses rechtlichen Instrumentariums zu "liberalisieren" und dadurch insbesondere einen Wettbewerb auf interkommunaler Ebene zuzulassen. Wie eine kürzliche Anfrage des Innenministeriums in unserem Hause bestätigte, werden solche Überlegungen in der Spitze des Innenministeriums derzeit weiter verfolgt. Der Bayerische Landtag will sich im Rahmen einer umfassenden Anhörung unter dem Titel "Kommunalwirtschaft und Mittelstand" noch im Herbst 1999 mit dem gesamten Komplex befassen. Wesentlicher Auslöser hierfür waren die Initiativen des Bayerischen Städtetags zum Wegfall der Subsidiaritätsklausel und die an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Reaktionen der Verbände der privaten Wirtschaft in Bayern, insbesondere des Bayerischen Handwerkstages. 2. Ebene der Privatwirtschaft Die Verbände der privaten Wirtschaft in Bayern sind durch die Initiative des Städtetags nach mehr Handlungsfreiheit für die Kommunalwirtschaft höchst alarmiert. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern sowie die Handwerkskammer für München und Oberbayern haben vor einigen Monaten eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit Fragen der Rechtsanwendung, eventuellen Grauzonen sowie der Anwendung des Vergaberechts beschäftigen soll. Die Verbände des bayerischen Handwerks wehren sich gegen "Übergriffe" der Komrnunalwirtschaft in angestammte Bereiche des Handwerks. Als besonders eklatantes Beispiel werden in diesem Zusammenhang Aktivitäten der Stadtwerke München GmbH angeführt. Das Unternehmen hatte auf dem Oktoberfest 1998 und dem Münchener Frühlingsfest 1999 nicht beim Stromzähler Halt gemacht, sondern in Konkurrenz zu einem privaten Elektroinstallationsbetrieb Verteilerkästen aufgestellt und Stromanschlüsse verlegt. In erster Instanz
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hat die Kammer fiir Handelssachen des Landgerichts München dem privaten Unternehmen einen Abwehranspruch aus § 1 UWG zuerkannt. Es liege ein neues Geschäftsfeld vor, das von der Subsidiaritätsklausel als Aufgabengebiet "außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge" erfasst werde. Aus dem Verstoß gegen Kommunalrecht wird ein zivilrechtlicher Abwehranspruch hergeleitet. Der Bayerischen Handwerkstag wendet sich mit seinem gesamten Gewicht als Wirtschaftsverband mit über 1 Mio. Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 165 Mrd. DM in Bayern gegen jegliche Ausdehnungen der kommunalen Wirtschaftsaktivitäten. Der Handwerksverband befiirwortet eine regelmäßige Überprüfung bestehender Aktivitäten hinsichtlich der Möglichkeit, sie zu privatisieren. Eine solche Prüfpflicht ist allerdings ohnehin in der Gemeindeordnung festgelegt. Weitere Rechtsänderungen des Kommunalrechts zugunsten der Kommunalwirtschaft werden abgelehnt. Außerdem ist die Handwerksorganisation der Ansicht, dass fiir die Vergabe öffentlicher Aufträge durch kommunale Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften auch unterhalb der europarechtlichen Schwellenwerte fiir Kommunen und kommunale Unternehmen die Verdingungsordnungen, also die VOB / A und die VOL / A, gelten sollten. Formalprivatisierungen dürften nicht zu einer Freistellung von öffentlichen Bindungen fiihren. Nur durch die Einhaltung der Vergabevorschriften könne gewährleistet werden, dass das Handwerk eine faire Chance hat, öffentliche Aufträge zu erhalten. Der Bayerische Städtetag lehnt dagegen eine derartige Erweiterung des Vergaberechts strikt ab. Aus kommunaler Sicht läge in einem solchen Akt ein weiterer ungerechtfertigter Nachteil fiir die kommunalen Tochterunternehmen, da fiir private Konkurrenten ein derart formalisiertes Vergabeverfahren nicht gilt. 3. Versuch einer Kooperation zwischen dem Bayerischen Handwerkstag und dem Bayerischen Städtetag In Spitzengesprächen zwischen dem Vorstand des Bayerischen Städtetags und dem Präsidium des Bayerischen Handwerkstags kam man überein, dass die Verbände versuchen sollten, ungeachtet der unterschiedlichen Einschätzungen Impulse zur Kooperation des Handwerks und der kommunalen Wirtschaft auf örtlicher Ebene zu geben. Zu diesem Zweck erarbeitete eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Verbände den Entwurf eines gemeinsamen Papiers mit dem Titel "Kommunalwirtschaft und Handwerk - Kooperation statt Konfrontation". Das Papier beschreibt die unterschiedlichen Einschätzungen der beiden Verbände zur Veränderung des gesamtwirtschaftlichen Rahmens und zu der Bedeutung der beiden Wirtschaftszweige. Dargestellt werden auch die unterschiedlichen rechtspolitischen Positionen der Verbände hinsichtlich der Subsidiaritätsklausel und der Geltung der Vergabeverordnungen. Ungeachtet dieser
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Unterschiede wird in einem eigenen Kapitel mit der Überschrift "Strategische Kooperation als Chance" der Versuch unternommen, Impulse von Verbandsseite zur Kooperation des Handwerks und der kommunalen Wirtschaft vor Ort zu geben. Vor allem sollte es darum gehen, durch partnerschaftliche Zusammenarbeit entstehende Synergieeffekte zu nutzen und der den beiden Wirtschaftszweigen drohenden Gefahr durch einen Verdrängungswettbewerb global agierender Großunternehmen zu begegnen. Als Vorbild für eine solche Kooperation diente die seit Ende 1998 vorliegende Gemeinsame Erklärung der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) und des Zentralverbands Deutscher Elektrohandwerke (ZVEH). Die "Gemeinsamen Ansätze" für die Zusammenarbeit von Handwerk und Stadtwerken auf örtlicher Ebene haben in dem Entwurf des Papiers den folgenden Wortlaut: (1) Das Handwerk und die Stadtwerke streben an, als gleichberechtigte Partner ihre Möglichkeiten und Ressourcen vermehrt zu Leistungspaketen für die Kunden zusammenzufassen. (2) Unbeschadet der Rechtslage werden das Handwerk und die Stadtwerke bei der Weiterentwicklung ihrer traditionellen Geschäfts- und Tätigkeitsfelder die Interessen der anderen Partner respektieren und angemessen berücksichtigen. (3) Bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder, wie Z.B. dem Facility-Management (umfassende Bewirtschaftung von Immobilien), dem Contracting (Dienstleistungen rund um die Energie- und Wärmelieferung) oder dem Last-Management (Optimierung von Stromanwendungen), werden die Möglichkeiten einer Kooperation im Interesse einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gemeinsam geprüft und besprochen. (4) Das Handwerk und die Stadtwerke werden sich dabei unterstützen, wenn es darum geht, für beide Seiten bedeutsame Technologien rascher in den Markt einzuführen. Außerdem wird in dem Papierentwurf vorgeschlagen, dass sich der Bayerische Handwerkstag und der Bayerische Städtetag mindestens einmal jährlich zum Austausch der Erfahrungen hinsichtlich der Umsetzung und Weiterentwicklung dieses Papiers treffen. Örtliches Handwerk und Stadtwerke werden aufgefordert, ihre Erfahrungen und Kooperationsvereinbarungen im Sinne einer "best practice" an den Handwerkstag und den Städtetag weiter zu leiten. Die Spitzengespräche sind vorläufig gescheitert. Für die Präsidenten der Handwerksorganisationen ist eine derartige Kooperationserklärung nur dann akzeptabel, wenn sie vom geltenden kommunalrechtlichen Rahmen ausgeht. Die Kommunalwirtschaft würde über diesen Rahmen hinausgehen, wenn im Papier ein gemeinsames örtliches Vorgehen für die Erschließung neuer Ge-
Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft am Beispiel Bayerns 105 schäftsfelder festgelegt würde. Die Handwerkskammern erinnerten an das massive Engagement der Handwerksverbände im Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des bayerischen kommunalen Unternehmensrechts im Jahr 1998. Dabei habe man auf die Formulierungen des geltenden Art. 87 der Gemeindeordnung (Weitergeltung der Subsidiaritätsklausel außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge - Gewinnerzielung darf nicht alleiniger Hauptzweck einer kommunalwirtschaftlichen Betätigung sein) besonderen Wert gelegt. Eine Kooperationserklärung des vorliegenden Inhalts stünde im Widerspruch zu dieser eindeutigen Verbandsposition. Mit Blick auf die bevorstehende Landtagsanhörung zu diesem Thema wäre dann zu befürchten, dass eine aus Sicht des Handwerks nicht wünschenswerte Lockerung von Art. 87 zu Gunsten der Kommunalwirtschaft in die Wege geleitet werden könnte. Der mehrfache Appell der Vertreter des Bayerischen Städtetags, sich angesichts der drohenden Gefahr durch global agierende Großunternehmen gemeinsam mit dem Handwerk auf ein neues Betätigungsterrain zu begeben, quasi über den Tellerrand zu blicken und insofern die Vorgaben des Art. 87 der Gemeindeordnung pragmatisch hintanzustellen, blieb erfolglos. Die Überlegungen für ein gemeinsames Kooperationspapier wurden daher erst einmal zurückgestellt. Zunächst will man die Landtagsanhörung abwarten und irgendwann die Gespräche wieder aufnehmen.
IV. Thesen Auf der Grundlage dieser Entwicklungen und Tendenzen in der bayerischen Kommunalwirtschaft vertrete ich, gleichsam als Zusammenfassung und Ausblick in die Zukunft, die folgenden Thesen: (1) Der Freistaat Bayern hat mit seiner Reform des kommunalen Wirtschaftsrechts zum 1. September 1998 einen wichtigen Schritt getan, um die Rahmenbedingungen für die Kommunalwirtschaft im Zeichen des Wettbewerbs zu verbessern. Auf diesem Weg muss fortgeschritten werden. Wichtige Voraussetzung für die Selbstbehauptung der Kommunalwirtschaft ist eine schrittweise Harmonisierung des Gemeindewirtschaftsrechts der Länder. Die Ziele sind eine größere Chancengleichheit untereinander und ein größeres Marktgewicht im Vergleich zur Privatwirtschaft. Der Innenministerkonferenz kommt dabei eine zukunftsweisende Aufgabe zu. (2) Die Kommunalwirtschaft muss als Handlungsinstrumentarium der kommunalen Selbstverwaltung in unserem Wirtschaftsgefüge erhalten bleiben. Gerade im Wettbewerb sind die Krisenfestigkeit, Dauerhaftigkeit und Sicherheit der Leistungserbringung zu angemessenen und zu sozial ausgewogenen Preisen bei der Erfüllung von Aufgaben des Gemeinwohls hohe
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Güter. Die Stadtwerke haben eine besondere gesellschaftliche Funktion, weil sie "bürgernahe" Unternehmen sind und demokratisch kontrolliert werden. (3) Zur Überlebensstrategie der Kommunalwirtschaft gehören die innerbetriebliche Rationalisierung, die wettbewerbskonforme Organisation sowie die Kooperation auf kommunaler Ebene und mit Privaten. Hinzu treten müssen Erleichterungen zum Einstieg in neue Geschäftsfelder zur Abrundung und zum Ausbau traditioneller Angebote der Daseinsvorsorge. Außerdem muss die gebietsüberschreitende Betätigung der Stadtwerke den Gegebenheiten des Wettbewerbs angepasst werden. (4) Bei den Bemühungen der Stadtwerke um mehr Handlungsspielraum sollte eine Konfrontation mit dem Mittelstand, insbesondere dem Handwerk, vermieden werden. Kommunalwirtschaft und Handwerk sollten - ungeachtet unterschiedlicher rechtspolitischer Positionen zur Bewältigung der sich derzeit verändernden gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Zeichen der Globalisierung und Liberalisierung - vor Ort weiterhin partnerschaftlich zusammenarbeiten. Durch eine solche Kooperation können Synergieeffekte und Leistungen gebündelt werden. Dies kann beiden Wirtschaftszweigen helfen, der drohenden Gefahr durch einen Verdrängungswettbewerb von Seiten global agierender Großunternehmen wirksamer zu begegnen. (5) Die schleichende Demontage der kommunalen Selbstverwaltung durch zunehmende Privatisierung und Liberalisierung gefährdet die kommunale Selbstverwaltung. Politik und Wissenschaft sind aufgerufen, der tendenziellen Schwäche der Argumentation der Kommunalwirtschaft gegenüber dem in weiten Teilen der Öffentlichkeit vorherrschenden Bewusstsein der ,,Alleslöser-Fähigkeiten" der Privatwirtschaft Substanzielles entgegenzusetzen. Die Diskussion über das "neue Bild der Stadt", deren Aufgabenbereiche zunehmend durch Liberalisierung und Privatisierung schrumpfen, muss öffentlich und ehrlich geführt werden.
Die Privatisierung der Abwasserentsorgung in Bremen Von Jürgen Schoer
I. Grundlagen Ich möchte Ihnen eingangs einige Basisinformationen zu dem Verfahren der Privatisierung der Abwasserentsorgung in Bremen geben, um damit einen gewissen Überblick zu gewährleisten. Wenn man einmal von Berlin absieht - der dortige Prozeß ist aufgrund von Ein- und Widersprüchen noch in der Diskussion und folglich noch nicht umgesetzt -, handelt es sich beim Unternehmen Abwasser Bremen um die größte und umfassendste Privatisierung Deutschlands im Wasser- und Abwasserbereich. Zum einen, weil Bremen die Abwasserentsorgung von 650.000 Einwohnern zu gewährleisten hat, zum anderen, weil 74,9 % der Anteile an der zuvor gegründeten Gesellschaft privatisiert wurden, also eine deutliche Mehrheit. Darauf werde ich an späterer Stelle noch einmal eingehen. Die Abwasserentsorgung in Bremen wurde über Jahrzehnte zusammen mit der Abfallentsorgung und der Straßenreinigung in einem kommunalen Amt betrieben. Der Regiebetrieb wurde 1992 in einen Eigenbetrieb, die ,,Bremer Entsorgungsbetriebe" (BEB), umgewandelt. Unter dessen Ägide war der gesamte Entsorgungsbereich, also die nasse Schiene ,,Abwasser" und die trockene Schiene ,,Abfall", zusammengefaßt. 1998 wurde der Bereich Abfallentsorgung und Straßenreinigung weitgehend ausgegliedert und privatisiert. Der Privatisierung der vier Abfallunternehmen im Mai / Juni 1998 folgte zum 1. Januar 1999 das Abwasserunternehmen. Als Aufgaben wurden dem neuen Unternehmen, der Abwasser Bremen GmbH (ABG), die Übernahme, der Transport und die Behandlung des Abwassers der Stadtgemeinde Bremen übertragen, ebenso die Entwässerung öffentlicher Flächen, also auch die Niederschlagswasserbeseitigung. Zuständig ist die ABG außerdem für Management, Planung, Bau, Betrieb und Unterhaltung der Anlagen. Damit verbunden ist die Entsorgung der anfallenden festen Abfalle, beispielsweise von Klärschlamm. Überdies zählt der Betrieb der öffentlichen Bedürfnisanstalten zu den Aufgaben der ABG.
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Eine weitere Anforderung besteht darin, hoheitliche Funktionen operativ wahrzunehmen, also etwa den Anschlußzwang an das Kanalnetz zu vollziehen. Die privatwirtschaftlich organisierte Gesellschaft ist darüber hinaus verantwortlich für die Indirekteinleiterüberwachung und achtet auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Grenzwerte. Sie kümmert sich auch, etwa bei Bauvorhaben, um die Einleitung von Grund- oder Quellwasser ins Kanalnetz. Gleichzeitig übernahm sie die Fakturierung und Rechnungstellung im Namen und im Auftrag der Stadt, wobei sie sich eines Dritten, des örtlichen Wasserversorgungsunternehmens bediente. Auf kommunaler Seite, im Eigenbetrieb BEB, sind nur noch fünf Personen für das Abwassergeschäft Bremens zuständig, denn beinahe sämtliche Tätigkeiten werden von der privaten Gesellschaft durchgeführt. Diese fünf Personen organisieren das Vertragsmanagement mit den Privaten. Sie vollziehen Abstimmungen mit den Privaten über bestimmte strittige Fragen und kümmern sich um Satzungs- und Gebührenaufgaben. Das sind die einzigen Funktionen, die noch bei der Kommune verblieben sind und die, jedenfalls bei der heutigen Rechtslage in Bremen, aufgrund der Gesetzgebung auch bei der Kommune verbleiben müssen. Alle anderen, alle operativen, selbst hoheitliche operative Aufgaben, werden im Auftrag der Kommune vom Privaten durchgeführt. Angeboten wurden bei der Privatisierung 74,9 % der Anteile an der zuvor gegründeten Gesellschaft. Deshalb sagte ich auch eingangs "die umfassendste Privatisierung" nicht nur hinsichtlich der Aufgabenstellung, sondern auch hinsichtlich der Veräußerung von materiellen Anteilen. Während bei vielen anderen Modellen mehr als 50% bei der Kommune verblieben, entschied man sich in Bremen klar für den Verkauf von 74,9 % der Anteile. Lediglich 25,1 % der Anteile verblieben als Sperrminorität bei der Stadt. Die private Gesellschaft kaufte die Anlagen, die Grundstücke wurden ihr über Erbpacht zur Verfügung gestellt. Für das Kanalnetz erwarb sie ein Nutzungsrecht über 30 Jahre. Es bleibt also Eigentum der Stadt, kann aber gemäß Vertrag über die Dauer von 30 Jahren genutzt werden, so daß die Aufgabe der Sammlung, des Transportes und der Reinigung des Abwassers vollzogen werden kann. Im Vorfeld der Privatisierung wurde die zu veräußernde Beteiligung von 74,9 % europaweit ausgeschrieben. Es bewarben sich insgesamt 16 Unternehmen. Sechs überstanden die PräqualifIkation und kamen in die engere Runde. Mit dabei waren internationale Unternehmen, zum Beispiel aus Frankreich, allerdings überraschenderweise keines aus England. Aus dieser Gruppe wurden drei Unternehmen herausgemtert: die Norddeutsche Abwassergesellschaft mbH, eine Tochtergesellschaft der EURA-Wasser und der Hegemann-Gruppe. Außerdem die hanseWasser, eine Tochtergesellschaft der Gelsenwasser AG und der Stadtwerke Bremen AG. Der dritte Wettbewerber wurde von der Stadt stand by gehalten, da nicht ausgeschlossen wer-
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den konnte, daß sich die beiden anderen Wettbewerber einigen würden mit der Folge, daß es dann nicht zu einer richtigen Verhandlung kommen und der Angebotspreis unter das Optimum sinken könnte. Rückblickend läßt sich sagen, daß das Verfahren von Seiten der Hansestadt Bremen sehr geschickt gestaltet und, betreut von der Metzlerbank in Frankfurt, äußerst professionell umgesetzt wurde. Um zu verdeutlichen, worum es bei dem Verkauf der Anteile ging, will ich hier kurz einige wirtschaftliche Daten vorwegnehmen: Die Abwasser Bremen GmbH hat heute ein Umsatzvolumen von etwa 190 Mio. DM, 540 Mitarbeiter, eine Bilanzsumme von knapp 1 Mrd. Mark und hält bei der Abwasserentsorgung eine Kapazität von 1,15 Mio. Einwohnerwerten vor. Abgesehen von beinahe allen Gewerbe- und Industriebetrieben leiten 550.000 Einwohner der Stadt Bremen ihr Abwasser in die Kläranlagen der ABG ein, außerdem etwa 100.000 Einwohner aus den Umlandgemeinden Schwanewede, Stuhr / Weye, Lilienthai, Oyten, Ritterhude, Achim und Lemwerder. Etwa 18 Mio. DM Umsatz werden mit Kommunen und Unternehmen gemacht, die nicht im ursprünglichen Wirkungsbereich des Unternehmens angesiedelt sind. Schon im vergangenen Jahr ließen 52 Kommunen und Firmen aus Norddeutschland ihre Klärschlämme durch das Unternehmen entsorgen. Darüber hinaus bietet es Kanaldienstleistungen und ähnliches an. Ein Unternehmen also, das nicht nur in Bremen verantwortungsvoll die Abwasserentsorgung regelt, sondern durchaus Ambitionen hat, über Bremen hinaus Leistungen zu erbringen. Dieses schon damals erkennbare Potential hat die Bewerber bei der Ausschreibung stark beeindruckt und untermauerte ihr Interesse an dem Unternehmen.
11. Motive Ich wurde gebeten, diese Motive sowie die des Veräußerers darzustellen. Beim Bewerber hanseWasser gab es die klare Entscheidung, in einer Wachstumsbranche zu diversiftzieren. Sie werden wissen, daß die Gelsenwasser im Ruhrgebiet sowohl die Industrie als auch etwa 2 Mio. Menschen mit Trinkwasser versorgt. Das Ruhrgebiet befmdet sich jedoch seit Jahrzehnten in einem industriellen Umbruch. Davon sind vor allem die Stahl- und Bergwerke betroffen. Der Industriewasserabsatz geht folglich zurück. Daher muß sich das Unternehmen Gelsenwasser in andere Märkte bewegen, um die drastischen Einbrüche im Wasserumsatz aufzufangen. Die Stadtwerke Bremen, obwohl mit 4,5 Mrd. Kilowatt-Stunden Stromab satz ein relevanter Energieversorger in Nordwestdeutschland, sind extrem stark von der Liberalisierung betroffen. Denn aufgrund der hohen Eigenerzeugungsanteile von 90 % entstehen, anders als bei
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Stadtwerken, die nur Transporteur sind, Fixkosten, die es schwer machen, den Markt günstiger zu gestalten. Auch hier bestand also die Tendenz zur DiversifIzierung, weg aus der reinen Energieverteilung. Darüber hinaus sieht man im Abwasserbereich günstige Potentiale fiir strategisch relevante Partnerschaften, um als Versorgungsunternehmen wirtschaftlich in die Region hineinzuwirken. Drittes Argument war die Verlängerung der Wertschöpfungskette. Dahinter steckt die Intention, nicht nur das Wasser anzuliefern, sondern dieses nach Nutzung vom Kunden zurücknehmen, zu reinigen und in einem vertretbaren Zustand wieder in das Ökosystem zurückzufiihren. Gerade fiir die Stadtwerke Bremen AG war das Element der Kundenbindung sehr wichtig. Um die Kunden im Energiebereich zu halten, wollte man ihnen weitere Angebote machen können. Im Mittelpunkt stand das Konzept eines Infrastrukturdienstleisters, dessen Vertriebsmitarbeiter einem Kunden, etwa einer Kommune oder GroßfIrma, alle Infrastrukturdienstleistungen komplett anbieten können. Die Thematik Wasser / Abwasser impliziert ja besonders im Hinblick auf die Großindustriebetriebe die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Es gilt, deren Wasserkreisläufe zu optimieren, Störungsdienste einzurichten usw. Auf diese Weise ließen sich Synergiepotentiale mit dem Kerngeschäft Wasser realisieren - ein erheblicher Faktor, der die Wirtschaftlichkeit der Abwasserentsorgung verbessern und eine Keimzelle sein könnte für einen möglicherweise national und international wettbewerbsfahigen Wasserkonzern. Welche Risiken standen dieser Vision gegenüber? Eines der Risiken sahen die verschiedenen Bewerber in der notwendigen Aufnahme von Fremdkapital. Vor allem deren Banken sahen sich ohne Rücknahmeverpflichtungen der Kommune nicht in der Lage, das Engagement mit wettbewerbsfahigen Zinssätzen zu fmanzieren. Weiteres Risiko: der Mengenrückgang des Abwassers, der sich auch fiir die weitere Zukunft prognostizieren läßt. Bei den hohen Festkosten von über 60 % ist das natürlich Gift fiir jede Rendite. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß Drittverträge mit Umlandkommunen gekündigt werden, was ebenso zu einem drastischen Rückgang der Abwassermengen bei noch freien Kapazitäten fiihren würde. Um die Abwasserbeseitigungspflicht jederzeit gewährleisten zu können, hat sich die Stadt Bremen über den Zeitraum der Privatisierung hinaus eine starke Mitsprache gesichert. Nicht nur über die verbliebenen Anteile von 25,1 %, sondern auch inhaltlich im Gesellschaftsvertrag. Worin bestand nun das Kerninteresse der Freien Hansestadt Bremen, dieses große Verfahren durchzufiihren? Zum einen gab es allgemeine Kriterien, die kommuniziert wurden. Es wurde ein hoher Mittelzufluß fiir den Haushalt erwartet und zwar vor allem fiir einen Sonderfonds. Da dieser Stadterneuerungsfonds nicht ausreichend beschickt war, erhoffte man sich dafiir mehrere 100 Mio. DM Zufluß aus der Privatisierung. Ein weiteres Interesse der Stadt be-
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stand darin, so wenig wie möglich in Gewäluleistungen und Garantien zu gehen. Alle Chancen und Risiken, auch die finanziellen, sollten beim Privaten liegen. Gleichzeitig aber wollte die Stadt wen Einfluß möglichst umfassend erhalten.
111. Vertragsgestaltung Beiden Seiten war klar, daß man nicht über 30 Jalue ein Vertragswerk abschließen kann, ohne daß Nachverhandlungen und Anpassungen notwendig werden. Es mußten also Rahmenvorgaben geschaffen werden, die sicher stellen, daß diese Anpassungen wäluend der langen Laufzeit nicht ausschließlich zu Lasten eines der beiden Partner getätigt werden. Eine große Rolle im Verkaufsmemorandum spielte das Thema Entsorgungssicherheit und, in besonderem Maße, die GebÜluenstabilität. Weitere Leitziele waren die Sicherheit und Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region, die Förderung des Wirtschaftsstandortes Bremen, und, damit verbunden, die Etablierung eines Kompetenzzentrurns ,,Kommunale Abwasserwirtschaft" im Rahmen einer Hochschulprofessur und der entsprechenden finanziellen Ausstattung. Die Kommune hatte also selu konkrete Vorstellungen von dem, was sie erwartet, besonders in Bezug auf we Bürger: Gebüluenstabilität, Arbeitsplätze, Wirtschaftsförderung usw. Diese Ziele hat sie umgesetzt. Darüber hinaus hat die Kommune allerdings in verschiedenen Scluiftwechseln Kriterien genannt, die ich hier nur in Stichworten wiedergeben will: hohe Wirtschaftlichkeit vor Ort gewäluleisten, die lokale Wirtschaft unterstützen, durch Tochtergesellschaften oder weitere Gesellschaften attraktive Namen in Bremen ansiedeln, die Funktion Bremens als Oberzentrum stärken, das Steueraufkommen der Stadt verbessern. Man wollte also die "eierlegende Wollmilchsau", aber wünschen darf man schließlich immer. Nun zu der Frage, wie das Verfaluen gelaufen ist: Es lief zäh an, gewann dann aber schnell an Dramatik und Tempo. Die EU-weite AusSClueibung fand im Mai 1998 statt. Gegenstand der AusSClueibung war die zu veräußernde Beteiligung in Höhe von 74,9 %. Schon im Juni folgte die Präqualifikation. Dann aber gab es eine lange Unterbrechung, die offenbar auch daraus resultierte, daß die Stadt Schwierigkeiten bei der Formulierung des Verkaufsmemorandums hatte. Die Materie war doch komplexer als zuvor gedacht. Daher konnte der 20. Juli als ursprünglich geplanter Entscheidungstermin - danach begann die parlamentarische Sommerpause in Bremen - nicht eingehalten werden. Es trat also eine Unterbrechung ein, die von Woche zu Woche verlängert wurde. Im August ging es dann wieder los. Das Verkaufsmemorandum wurde zugestellt, danach ging alles selu schnell. Innerhalb weniger Wochen, nämlich in
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der Zeit von Ende August bis Mitte November, wurde das gesamte Verfahren abgewickelt. Am 17.11. war die Entscheidung getroffen. Nach etwa zehn Wochen also waren alle wesentlichen Schritte getan: Die Überarbeitung der Angebote hatte stattgefunden, die Verträge mit einem Umfang von mehreren Aktenordnern waren formuliert und mit der Stadt zum Abschluß verhandelt worden. Das war schon eine reife Leistung auch der Freien Hansestadt Bremen, ein solches Projekt, bei dem über eine Milliarde Mark bewegt wurden, in zehn Wochen zu realisieren. Wie sah das Vertragswerk in seinem Kern aus? Das Vertragswerk enthielt im wesentlichen drei große Abschnitte. Der erste regelte die Einbringung des Teilbetriebes Abwasser aus dem städtischen Eigenbetrieb BEB in die Gesellschaft ABG. Hier wird genau beschrieben, welche Anlagen eingebracht wurden und welche nicht, was mit diesen Anlagen zu geschehen hat, Mietüberleitungsverträge usw. formuliert. Dieser Vertrag wurde zwischen der Stadt und der neuen Gesellschaft geschlossen. Zweiter großer Block des Konzeptes und des Vertragswerkes war die Übertragung der Aufgabendurchfuhrung von der Freien Hansestadt Bremen auf die Abwasser Bremen GmbH in Form von vier Leistungsverträgen. Hier sind u.a. die Entgelt-, die Entgeltanpassungsfragen und ähnliches mehr geregelt. Dieser Vertrag wurde ebenfalls zwischen der Freien Hansestadt und dem neuen Unternehmen abgeschlossen. Der einzige Vertrag, bei dem der Erwerber eine Rolle spielte, war der Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrag, der den Erwerb von 74,9 % der Geschäftsanteile der Abwasser Bremen durch die hanseWasser, das Bieterunternehmen, regelte. Das sind die drei wesentlichen Vertragspunkte, auf die ich jetzt, besonders hinsichtlich ihrer konzeptionellen Umsetzung, im Detail eingehen möchte. Beginnen wir mit dem Einbringungs- und Erbbaurechtsvertrag: Die Stadt hatte kurz vor der Ausschreibung eine 50.000 DM-GmbH gegründet und in diese den Abwasserbereich ihres kommunalen Eigenbetriebes eingebracht. Mit der Abwasser Bremen GmbH, die während der Verhandlungen lediglich als quasi virtuelle Gesellschaft fungiert hatte, schloß sie nun den Einbringungs- und Erbbaurechtsvertrag ab, in dem die Einbringung des Teilbetriebes und der Personalübergang geregelt wurden. Was wurde in die neu gegründete Abwasser Bremen GmbH eingebracht? Zum einen sämtliche Kläranlagen sowie alle nicht zum Abwassernetz gehörenden Anlagen, also Pumpwerke, Regenwasserrückhaltebecken und ähnliches mehr. In Bremen sind zwei Kläranlagen in Betrieb mit einer Kapazität von insgesamt etwa 1,15 Mio. Einwohnerwerten. Damit zählt Bremen zu den zehn Städten mit den größten Kläranlagenkapazitäten in der Bundesrepublik. Die Hansestadt verfugt über eine Großkläranlage mit über 1 Mio. Einwohnerwerten und eine kleinere Anlage mit ca. 150 000 Einwohnerwerten.
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In die ABG eingebracht wurden außerdem langfristige Rückstellungen für eine Klärschlammdeponie. Diese Deponie darf aufgrund der rechtlichen Vorgaben, der TASi (Technische Anleitung Siedlungsabfall), nur noch bis Mai 2005 betrieben werden. Es ist verständlich, daß der private Betreiber sich von der Kommune, die diese Deponie immerhin 40 Jahre genutzt hat, Rückstellungen hat zusichern lassen. Schließlich muß die Deponie auch die nächsten 30 Jahre noch gepflegt werden: Wasser muß abgepumpt und gereinigt, das Betreten des Geländes gesichert werden usw. Zusätzlich wurden Verbindlichkeiten des bestehenden Unternehmens in Höhe von 344 Mio. DM als Bankdarlehen übernommen. Der Vertragsabschnitt regelt auch das Nutzungsrecht am Kanalnetz, das im Eigentum der Stadt verblieb. Das ist ein wichtiges Merkmal des Bremer Modells, gerade auch unter dem Aspekt seiner Wirtschaftlichkeit. Denn für die ABG wäre es wohl nicht möglich gewesen, das Kanalnetz zu den Restbuchwerten zu übernehmen und trotzdem eine angemessene Rendite zu erwirtschaften. Zu einem Kaufpreis von 450 Mio. DM erwarb die ABG also für eine Dauer von 30 Jahren das Nutzungsrecht an dem Kanalnetz. Für die schon erwähnte Klärschlammdeponie wurde ein Nutzungsvertrag mit der entsprechenden Nachsorgepflicht vereinbart. Dafür war eine Rückstellung von 40 Mio. DM erforderlich. Außerdem wurden Überleitungsverträge für Mietobjekte mit Mietpreisen in Millionenhöhe geregelt. Diese Objekte sind heute zum Teil untervermietet. Wichtigster Verhandlungspunkt waren die Leistungsverträge, die über 30 Jahre mit einer Option auf Verlängerung geschlossen wurden. Besonders interessant ist hier der "Leistungsvertrag I", der die Hauptaufgabe, nämlich die Abwasserbeseitigung in der Freien Hansestadt Bremen regelt. Diese umfaßt den Betrieb, die Instandhaltung, die Sanierung, den Ausbau, die Erweiterung von Eigenanlagen und Kanalnetz. Dieser Abschnitt regelt etwa 70 % vom Finanzvolumen des Gesamtvertrages. Hier ist auch die Entgeltregelung formuliert worden. Der "Leistungsvertrag Abwasser II" regelt die im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung stehenden Verwaltungsaufgaben, wie z.B. die Erhebung von Anschluß- und Benutzungsgebühren, die Indirekteinleiterkontrolle usw. Dieser Abschnitt nimmt allerdings mit einem Umfang von nur zwei Prozent am gesamten Umsatzvolumen eine eher untergeordnete Stellung ein. Mit einem Anteil von 15 Prozent ist der "Leistungsvertrag Abwasser III" schon bedeutender. Er urnfaßt die Übernahme und Behandlung des Niederschlagswassers von öffentlichen Flächen. Der Toilettenvertrag schließlich, der einen Anteil von 0,5 Prozent des gesamten Umsatzvolumens regelt, sorgte meist um Mitternacht bei den Verhandlungen für Heiterkeit. Denn wenn dieser besprochen wurde, wußte man, daß man gleich durch ist mit dem ganzen Vertragswerk. 8 Ziekow
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Im Mittelpunkt zahlreicher und ausfiihrlicher Debatten stand die Frage: Was passiert eigentlich, wenn das Unternehmen Konkurs geht oder wenn der Erwerber sich zurückzieht oder aus sonstigen Gründen eine Beendigung des Vertrages vollzogen werden muß? Das Thema "Beendigungsfolgen" ist sehr intensiv verhandelt worden. Auf Seiten der Stadt, um ihre Verpflichtung zur Abwasserbeseitigung wahrnehmen zu können, und auch von Seiten des Erwerbers, der sich fiir den Fall absichern mußte, daß ihm irgendwelche Rechtsentwicklungen ein wirtschaftliches Betreiben des Unternehmens verunmöglichen. Vereinbart wurde erstens, daß die Stadt dann die Anlagen zum jeweiligen Restbuchwert zurückkauft, und zweitens, daß die Anlagen nach ATV-Richtlinien gepflegt sind. Das bedeutet, daß die Stadt vom Restbuchwert Abschläge machen kann, wenn der Betreiber in der davorliegenden Zeit das Kanalnetz und die Eigenanlagen nicht nach ATV-Richtlinien behandelt, saniert und instandgehalten hat. Damit hat die Stadt die Absicherung, daß sie nur dann die Restbuchwerte bezahlen muß, wenn sie ein voll funktionsfähiges Unternehmen zurückbekommt, und nicht ein Unternehmen, dessen Substanz verzehrt wurde. Umgekehrt hat der Erwerber die Sicherheit, daß er im Falle von Problemen zumindest die Restbuchwerte bekommt. Das war ein ganz entscheidendes Argument bei den Verhandlungen der Leitkredite mit den Banken. Das Finanzierungskonzept zu erstellen, war überhaupt der schwierigste Schritt des gesamten Verfahrens. Immerhin wurden insgesamt 1,056 Mrd. DM bewegt. Jedes Zehntelprozent Zins entspricht einer jährlichen Zinslast von über 1 Mio. DM, die in der Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens zu Buche schlagen. Damit waren also schon Hundertstel von Prozenten interessant, die kapitalisiert auch schon einen Wert von annähernd 1 Mio. DM darstellen. Eine saubere Regelung war auch fiir die Bank ein entscheidendes Kriterium. Auf die Weise konnte sie sicher sein, daß sie im Falle eines Betreiberwechsels immer ihre Verbindlichkeiten zurück erhalten würde. Somit ging die Bank wenig Risiken ein. Das fiihrte dazu, daß die Bank bereit war, erhebliche Margenreduzierung zu akzeptieren, weil sie das Risiko dieses Geschäftes als kommunales Risiko und nicht als ein privatwirtschaftliches Risiko angesehen hat. Schließlich der Kaufvertrag: Es wurde ein Kaufpreis von 208 Mio. DM vereinbart, dazu kommen 450 Mio. DM fiir das Nutzungsrecht am Kanal, die Übernahme von Verbindlichkeiten in Höhe von 344 Mio. DM, außerdem wurde das Erbpachtrecht aufgezinst auf 50 Mio. DM. Addiert ergibt sich daraus die von mir bereits erwähnte Summe von 1,056 Mrd. DM, die insgesamt in diesem Projekt bewegt wurden. Wie sieht das in der Wirkung zwischen den einzelnen Beteiligten aus? Die Kommune, weiterhin Träger der Abwasserbeseitigungspflicht, hält als Anlagevermögen das Kanalnetz, allerdings nur den Altbestand bis zum 31.12.1998. Unter Berücksichtigung von Abschreibungen erhält sie Erlöse auf das Nut-
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zungsrecht (über 30 Jahre 15 Mio. DM im Jahr). Weiterhin kann sie als Erlöse die Entwässerungsentgelte der Gebührenzahler an die Kommune einbuchen. Als Aufwand hat die Kommune die Entgelte des Leistungsvertrages, also das, was sie dem Betreiber finanziert, und die Abschreibungen auf den Altbestand auf der Aufwandsseite. Der Betreiber ist verantwortlich fiir den Betrieb, Bau und die Finanzierung von Abwasseranlagen in Bremen. Er hat ein Nutzungsrecht am Kanalnetz, den Regenrückhaltebecken u.ä., die Grundstücke in Erbbaupacht und das Anlagevermögen der Kläranlagen und Pumpwerke. Alle Neuinvestitionen ins Netz muß der Betreiber tätigen. Als Mittelzufluß verbucht er ein privatrechtliches Entgelt von einem Vertrag zwischen der Stadt und dem Betreiber über diese Leistungsverträge. Als Aufwand hat er die Abschreibung des Nutzungsrechtes, der Eigenanlagen und die der Neuinvestitionen, die Finanzierung der Altdarlehen und die Kosten fiir die Betriebsfiihrung. Der Gebührenzahler steht weiterhin allein zur Kommune in Rechtsbeziehung. Der private Gesellschafter, die hanseWasser, spielt in diesem Fall nur die Rolle des Anteilseigners an der Betreibergesellschaft, ist also privat nicht in irgendwelche Leistungsverträge eingebunden.
IV. Probleme und Perspektiven So weit die Konstruktion, in der wir seit neun Monaten arbeiten. Dabei haben sich durchaus einige Punkte ergeben, die der Klärung bedürfen. Unter anderem treten Probleme der Abgrenzung auf, beispielsweise, wenn es darum geht, die Daten der Leistungserbringung aus dem Vorjahr gegenüber denen des aktuellen Geschäftsjahres zu identifizieren. Die Stadtwerke, verantwortlich fiir die Wasserabrechnung, erstellen ihre Daten mit Hilfe eines rollierenden Systems: Der 1.1.1999, der Tag, an dem Eigentum und Verpflichtung übergingen, war kein Stichtag, an dem - als Basis fiir die Abwassergebühren - in ganz Bremen die Wasseruhren abgelesen wurden. Dieser Prozeß erstreckt sich vielmehr über 10 Bezirke in Bremen und über 12 Monate. So läßt sich das, was als Abwasserleistung noch von der alten Gesellschaft erbracht worden ist, nicht eindeutig abgrenzen von den Leistungen der neuen Gesellschaft. Doch wir arbeiten daran, solche Abgrenzungsprobleme einvernehmlich zu lösen. Eine zweite Schwierigkeit besteht in offenen Rechtsfragen. Mit der Privatisierung wurden die Rechtsvorgänge weitgehend in das neue Unternehmen überfiihrt, bis auf wenige Ausnahmen. Diese möchte das alte Unternehmen selbst gestalten, da es sich davon Vorteile verspricht. Derzeit stehen wir in der Diskussion, wie man dieses Thema regelt. Es berührt Fragen wie die nach Rückstellungen, Streitwerten und Prozeßkosten. Diese sind fiir die Erfiillung der Aufgaben unbedeutend, aber natürlich hoffen beide Seiten, fiir sich eine
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günstige Regelung zu finden. Abgesehen von diesen relativ unbedeutenden Problemen ist jedoch bisher alles sehr gut gelaufen. Es gibt keine grundsätzlichen Auseinandersetzungen, und die Zusammenarbeit funktioniert hervorragend. So werden beispielsweise Maßnahmen, die im oder am Kanalnetz erforderlich sind, zuvor gemeinsam abgesprochen. Es wird ein Konzept erstellt, dem beide Seiten zustimmen, außerdem wird das Volumen festgelegt. Bisher gab es dabei keine Schwierigkeiten. Auch die Abgrenzung von Instandhaltung, Sanierung, Erweiterung ist sehr eindeutig geregelt, so daß sich das Vertragswerk über das operative Geschäft insgesamt fiir beide Seiten als sehr gelungen herausgestellt hat. Als derjenige, der das Vertragswerk in die Praxis umsetzt, kann auch ich das Grundkonzept mit Ausnahme von wenigen Punkten nur empfehlen. Auf dieser Grundlage kann man untemehmerisch als Abwasseruntemehmen arbeiten und hat eindeutige Regelungen bei den Verhandlungen mit seinem Vertragspartner. Resümierend kann ich sogar sagen: Die vergangenen neun Monate haben gezeigt, daß mit der Privatisierung der Abwasserentsorgung in Bremen die richtige Entscheidung getroffen worden ist. Alle Beteiligten, die Kommune ebenso wie die Erwerber des Unternehmens, profitieren von den damit verbundenen positiven wirtschaftlichen Entwicklungen.
Das Klärverbundskonzept der BASF Von Wolfgang Hoffmann
I. Einleitung Der Rhein ist nicht nur Europas wichtigste Wasserstraße, er ist gleichzeitig der größte Wasserspender für Trinkwasser, Kühlwasser und sonstigen industriellen Bedarf. Die zunehmende Industrialisierung der Rheinufer-Staaten und der wachsende Wasserverbrauch der Stadtbevölkerung führten zu einer rasch ansteigenden Belastung des Flusses. Nach dem zweiten Weltkrieg bemühten sich vor allen Dingen die Niederlande um wirksame internationale Vereinbarungen, um zu verhindern, daß der Rhein zur ,,Kloake" wird. Der Verbundstandort der BASF Aktiengesellschaft, der einerseits große Wassermengen dem Rhein entnimmt und andererseits vielfältige Abwässer einleitet, war selbst daran interessiert, die Beeinträchtigungen der für die Chemieproduktion wichtigen Ressource Wasser so gering wie möglich zu halten. Anfang der 60er Jahre erarbeiteten daher die BASF und die Stadt Ludwigshafen gemeinsam mit den Wasserbehörden von Rheinland-Pfalz ein Gesamtkonzept zur angemessenen Behandlung aller im Werk Ludwigshafen und in der Stadt Ludwigshafen anfallenden Wässer. Dieses Vorhaben wurde mit dem Bau und der Inbetriebnahme der größten biologischen Reinigungsanlage für industrielle und kommunale Abwässer Ende 1974 erfüllt.
11. Die BASF-Kläranlage Da 85 - 90 % des gesamten Brauchwasserverbrauches der BASF unverschmutztes Kühlwasser ist, mußte zunächst das seit 95 Jahren betriebene Mischkanalsystem in zwei getrennte Entwässerungssysteme aufgeteilt werden. Ein System sollte die unverschmutzten Kühl- und Fabrikationswässer (= nbbA) erfassen und nach Überprüfung ohne Reinigung in den Vorfluter einleiten. Im zweiten Rohrleitungsnetz waren alle übrigen Abwässer (= bbA) und die Abwässer der Stadt Ludwigshafen zusammenzuführen und in eine neu zu errich-
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tende Kläranlage zu pumpen. 1964 wurde mit dem Bau der Trennkanalisation begonnen. 30 km Kanäle mußten im Werk Ludwigshafen neu verlegt werden. Inklusive der flankierenden Maßnahmen in den Produktionsbetrieben wurden 250 Mio. DM fur diese Arbeiten aufgewendet. Die biologische Kläranlage, die in 24 Monaten errichtet wurde, verfUgt über eine Kapazität zur Reinigung des Abwassers von einer Stadt mit 6 - 7 Mio. Einwohnern. Die Kosten dieses Vorhabens einschließlich der Klärschlammentsorgung beliefen sich auf 200 Mio. DM. Die Stadt Ludwigshafen hat einen ihren Schmutzfracht- und Abwassermengen entsprechenden Anteil der Kläranlage erworben. Sie beteiligt sich in diesem Verhältnis an den Investitions- und Betriebskosten der von der BASF betriebenen Kläranlage, in die unter ähnlichen Bedingungen auch die Kommunen FrankenthaI und Bobenheim-Roxheim seit 1979 ihre Abwässer einleiten. Die BASF-Kläranlage, die als eine der größten der Welt gelten kann, eliminiert 97 % der biologisch abbaubaren Stoffe aus den Produktionsabwässern des Werkes Ludwigshafen und der Kommunen. Die Erweiterung der Anlage in 1991 durch zusätzliche Nachklärbecken und ein Sicherheitsbecken zur Vermeidung von toxischen Belastungen bei Betriebsstörungen sowie den Neubau von zwei modernen Wirbelschichtöfen fUr die Klärschlammverbrennung wurde genutzt, um die Abwasserreinigung dem Stand der Technik anzupassen. Das Schmutzwasser wird im Werk neutralisiert und durch einen drei Kilometer langen Hauptsammelkanal zur Kläranlage gepumpt. Zunächst werden grobe Feststoffe, Sinkstoffe und Sande entfernt und danach in fiinf Belebungsbecken die im Abwasser gelösten organischen Substanzen durch Mikroorganismen abgebaut. Um die Geruchsbelästigung so gering wie möglich zu halten, sind diese Bassins, die jeweils die Fläche von zwei Fußballfeldern einnehmen, mit Kunststoffelementen abgedeckt. Große Kreisel sorgen fUr eine ausreichende Sauerstoffversorgung der Mikroorganismen, die die organischen Verunreinigungen in körpereigene Substanz, Wasser und Kohlendioxid umwandeln. Das biologisch gereinigte Abwasser wird danach in 15 Nachklärbecken geleitet. Hier wird es vom Schlamm - Bakterienmasse und feinverteilte Feststoffe getrennt und fließt geklärt in den Rhein zurück. Der Schlamm wird zu den Eindickem gefOrdert und dort weiter aufkonzentriert. Dieser eingedickte Schlamm wird anschließend mit Filterpressen entwässert. Der Filterkuchen, der noch ca. 55 % Wasser enthält, wird in Wirbelschichtöfen bei etwa 1.000 Grad Celsius verbrannt. Die bei der Verbrennung freiwerdende Energie wird zur Dampferzeugung genutzt. Mit dem Dampf wird in einer Turbine zum einen Strom erzeugt und zum anderen der Ludwigshafener Stadtteil Pfingstweide mit Fernwärme versorgt. Die Rauchgase werden in einem Elektrofilter entstaubt, danach in einer Rauchgaswäsche weiter gereinigt und anschließend über den
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Schornstein in die Atmosphäre geleitet. Die bei der Verbrennung des Schlamms abgeschiedene Asche wird als Bergversatz verwertet. Die wesentlichen technischen Daten sind: Abwassermenge
700.000 m3 / Tag
Schmutzfracht
375 t BSB s / Tag
Schlammanfall
320 t / Tag
Stromerzeugung
13 MW
Fernwärme
17 MW
Investitionskosten (inkl. Erweiterungen in 1991 /92)
900 Mio. DM
Die Abwassermengen aus den Produktionsbetrieben des Werkes Ludwigshafen stiegen nach der Inbetriebnahme 1974 kontinuierlich Jahr für Jahr bis auf Werte nahe der hydraulischen Auslegungskapazität von 700.000 m3 täglich an. Ende der 80er Jahre mußte daher eine Entscheidung über eine eventuelle Erweiterung der Kläranlage getroffen werden. Man entschloß sich aber, statt dessen ein Wassereinsparprogramm in den Produktionsbetrieben zu initiieren, um auf diesem Wege die Kläranlage zu entlasten. Dieses Programm konnte so erfolgreich umgesetzt werden, daß in den Folgejahren die Abwassermengen deutlich zurückgingen und seit 1994 bei ca. 400.000 m3 / Tag liegen, einschließlich der kommunalen Abwässer von Ludwigshafen, Frankenthai und BobenheimRoxheim, die über den ganzen Zeitraum hinweg zusammen fast unverändert ca. 60.000 m3 täglich einleiten.
111. Abwasserverband Vorderpfalz Auf Basis der EU-Vorschrift 91 /271 / EWG vom 21. 05. 91 über die Behandlung kommunaler Abwässer erteilten die Behörden den Betreibern kommunaler Kläranlagen die Auflage, bis 31. 12. 1998 ihre Anlagen mit einer 3. Reinigungsstufe zur Elirninierung von Stickstoff und Phosphor auszurüsten. Zahlreiche Gemeinden in der Vorderpfalz waren genötigt, ihre Abwasser- und Klärschlammentsorgung zu erweitern oder nachzurüsten, gegebenenfalls neu zu bauen, um die Abwasserreinigung langfristig sichern zu können. Die Ingenieurgemeinschaft Pappon und Riedei, Neustadt, machte daher 1992 den Vorschlag, die kommunalen Abwässer der Vorderpfalz zusammenzufassen und in die BASF-Kläranlage einzuleiten. Mit dieser Maßnahme erhoffte man sich, hohe Investitionskosten für Nachrüstungen in kleinen Einzelkläranlagen einsparen zu können. Diese Idee fand die Zustimmung bei der rheinland-pfälzischen Landesregierung und wurde insbesondere vom Ministerium für Umwelt und
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Forsten unterstützt. Das Konzept sah vor, die Abwässer von Städten und Gemeinden der Vorderpfalz, ein Einzugsgebiet von ca. 430.000 Einwohnern, in einem Leitungsnetz zu erfassen und über einen Sammelkanal an das BASFGelände heranzufUhren. Den Bau und den Betrieb des neuen Abwasserleitungssystems wollte die Wasser Ver- und Entsorgung Rhein-Haardt GmbH, kurz WRH genannt, ein Gemeinschaftsunternehmen der Pfalzwerke AG und der RWE Entsorgung Wasserwirtschaft GmbH, übernehmen. Die Abwasserreinigung selbst inklusive der Klärschlammentsorgung sollte die BASF AG bewerkstelligen. Man beabsichtigte, 24 Einzelkläranlagen zwischen Worms und Speyer mit einem Abwasseraufkommen von ca. 150.000 m 3 pro Tag zusammenzufassen und zur Reinigung an die BASF abzugeben. Da diese Menge technisch kein Problem fUr die Auslastung der BASFKläranlage darstellt, gab der Vorstand der BASF Aktiengesellschaft im Januar 1994 die Zustimmung zur Übernahme kommunaler Abwässer. Das Institut flir Wasserbau und Wasserwirtschaft der Universität Kaiserslautern wurde beauftragt, ein wasserwirtschaftliches und ökologisches Gutachten über die Auswirkungen fUr die Fließgewässer in der Vorderpfalz zu erstellen. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, daß das Vorhaben Abwasserverband die Fließgewässer wenig beeinträchtigt und bei vielen Bächen zu einer Verbesserung der Wasserqualität fUhren würde. In zwei Informationsveranstaltungen wurde den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden die Grundkonzeption vorgestellt und erläutert. Nach Abschluß einer technisch-ökonomischen Studie durch die Ingenieurgemeinschaft Papp on und Riedel sollte die WRH die Einzellösung mit der jeweiligen Kommune erarbeiten. Es schlossen sich langwierige Verhandlungen zwischen den Kommunen und der Betreibergesellschaft des Rohrleitungsnetzes, der WRH, an. Nachdem zunächst Ende 1995 die Stadt Worms sich aus wirtschaftlichen Gründen fUr die Umrüstung und den Ausbau der eigenen Kläranlage entschied, hatte auch die Stadt Speyer große Bedenken, sich dem Abwasserverband anzuschließen. Über zwei Jahre verhandelte die WRH mit den Kommunen ohne Erfolg.
IV. BASF-Klärverbund Ende 1996 wurde von verschiedenen Gemeinden der Wunsch an die BASF herangetragen, das Projekt in direkter Zusammenarbeit mit der BASF zu einer Lösung zu bringen. Nach intensiven Beratungen mit den Kommunen stellte die BASF im März 1998 ein Konzept vor, mit dem ein Einzugsgebiet von Worms über Speyer, Neustadt, Bad Dürkheim und Grünstadt abwassertechnisch entsorgt werden sollte. Die BASF plante eine 33 km lange Druckrohrleitung von Böhl-Iggelheim entlang der Autobahnen A 61 und A 6 unterirdisch zu verle-
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gen. In dieser Leitung, der sogenannten Südtrasse, sollten die Abwässer der vorderpfälzischen Kommunen von Speyer / Neustadt bis Grünstadt gesammelt und über vier Pumpwerke zur BASF-Kläranlage gefördert werden. Eine weitere Rohrleitung, die als Nordtrasse bezeichnet wurde, sollte die nördliche Region einschließlich Worms erschließen. Insgesamt konnten mit diesem Rohrleitungssystem 110.000 m3 pro Tag erfaßt und transportiert werden. Die Mindestrnenge für einen wirtschaftlichen Betrieb der Südtrasse betrug 45.000 m 3 pro Tag, für die Nordtrasse waren 27.000 m3 vorgesehen. Die Realisierung dieses Projektes erforderte die Investitionssumme von 112 Mio. DM. Im März 1998 unterbreitete die BASF Aktiengesellschaft 11 Kommunen (Gemeinde Böhl-Iggelheim, Verbandsgemeinde Deidesheim, Verbandsgemeinde Freinsheim, Stadt Grünstadt, Verbandsgemeinde Grünstadt-Land, Gemeinde Haßloch, Verbands gemeinde Heßheim, Gemeinde Limburgerhof, Stadt Neustadt, Stadt Speyer und Stadt Worms) ein Angebot zur Übernahme und Reinigung ihrer kommunalen Abwässer. Das Angebot beinhaltete: 1. Leistungen der BASF Aktiengesellschaft: •
Bau und Betrieb einer Druckrohrleitung mit 6 Pumpwerken.
•
Übernahme von kommunalem Abwasser ohne Vorbehandlung an den Pumpwerken.
•
Reinigung des Abwassers in der BASF-Kläranlage.
•
Entsorgung des Klärschlamms durch Verbrennung mit Energiegewinnung und Verwertung der Asche.
2. Grundpreis für obengenannten Leistungsumfang: 1,05 DM / m3 (ohne Mehrwertsteuer und Abwasserabgabe), einmalige Anschlußkosten werden nicht erhoben. 3. Vertragsentwurf mit den wesentlichen Bestandteilen: Anforderung an das Abwasser hinsichtlich Menge und Schmutzfracht, Überwachung, Vertragsdauer, Haftungsfragen und Festpreis mit Preisgleitklausel. Der Leistungsumfang der Kommunen erstreckte sich nur noch auf den Bau und den Betrieb einer Anbindungsleitung von der eigenen Kläranlage an das nächstliegende Pumpwerk. Aus Sicht der BASF ergaben sich für die Kommunen nachstehende Vorteile: 1. Geringere Investitionskosten als bei Nachrüstung der eigenen Kläranlage. 2. Langfristig kalkulierbare Abwasserkosten auf Basis eines Festpreises mit Preisgleitklausel, die sich an dem Index für Lohn- und Gehaltsentwicklung sowie Energiepreisänderungen orientiert.
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3. Die Kommune zahlt nur für die eingeleitete Abwasserrnenge, Anschlußkosten werden nicht erhoben ("Wasser sparen lohnt sich!"). 4. Die Kommune wird von den Aufgaben und Pflichten einer langfristigen SiehersteIlung der Abwasserreinigung entlastet. 5. Die große Kläranlage der BASF garantiert konstante Reinigungsleistungen auch bei Schwankungen der Abwasserrnenge, z. B. in der Weinemteperiode. 6. Langfristig gesicherte Klärschlammentsorgung. 7. Verbesserung der Gewässergüte zahlreicher Bäche der Vorderpfalz. Das Echo auf das BASF-Angebot in den Kommunen und den Medien reichte von vorbehaltloser Zustimmung bis zu spontaner Ablehnung. Die wesentlichsten Gegenargumente waren: •
Verlust von Arbeitsplätzen.
•
Verlust von Aufträgen für Handwerks- und Zuliefererbetriebe in den Gemeinden.
•
Restbuchwerte und Zinsen für Restdarlehen für nicht mehr genutzte Anlagenteile gehen zu Lasten der Abwassergebühren.
•
Aufgabe der kommunalen Selbstbestimmung in der Kernkompetenz Abwasserreinigung.
•
Die Privatisierung der Abwasserreinigung führt mittelfristig zu höheren Kosten für die Bürger.
•
Die BASF-Kläranlage entspricht nicht dem Stand der Technik.
•
Der Klärverbund unterläuft ökologische Standards.
•
Austrocknung von Bächen und Feuchtbiotopen in Trockenzeiten.
Die BASF wies bei der Veröffentlichung des Angebotes darauf hin, daß zur Realisierung des Projektes eine Mindestabwasserrnenge notwendig ist. Für die Südtrasse betrug diese Menge 45.000 m 3 pro Tag. Bei einem geringeren Aufkommen wäre die wirtschaftliche Grundlage für das Projekt nicht gewährleistet. Diese Randbedingung des Angebotes stellte klar, daß ohne die Mitwirkung der Stadt Neustadt oder der Stadt Speyer, den beiden größten Abwasserlieferanten der Südtrasse, das Projekt Klärverbund nicht zu verwirklichen ist. Für den Bau der Nordtrasse ist allein die Entscheidung der Stadt Worrns ausschlaggebend gewesen. Für die Kommunen bestand nun die Aufgabe, mit Hilfe von wirtschaftlichen Vergleichsrechnungen eine Entscheidung für die Eigenlösung oder den Anschluß an den Klärverbund herbeizuführen. In intensiven Gesprächen mit den
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Verwaltungen und Technischen Werks leitungen der Kommunen arbeiteten Fachleute der BASF einen umfangreichen Fragenkatalog ab. In zahlreichen Versammlungen wurde das Projekt Klärverbund den betroffenen Bürgern und kommunalen Verantwortlichen vorgestellt und die Pro's und Kontra's ausführlich diskutiert. Die ökologischen Bedenken konnten mit Hilfe des Gutachtens aus dem Jahre 1994 und den ergänzenden Untersuchungen von 1995 der Universität Kaiserslautern ausgeräumt werden. Anhand der behördlich überwachten Ablaufwerte der Kläranlage konnte die BASF rasch nachweisen, daß nicht nur die gesetzlichen Einleitvorschriften eingehalten, sondern sogar die von der Bezirksregierung festgelegten niedrigeren Grenzwerte unterschritten wurden. Durch die Umrüstung der Belebungsbecken für einen Ammoniakabbau durch Nitrifizierung werden auch ab dem Jahr 2000 die EU-Richtlinien bezüglich Ammonium-Stickstoff voll erfüllt. Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Kommunen stützten sich auf die LA WA-Vorschrift "Leitlinien zur Durchführung von Kostenvergleichsrechnung" . Wesentliche Diskussionspunkte bei diesen Berechnungen waren: 1. Behandlung von Restbuchwerten, Zinsen für Darlehen für nicht mehr benötigte Anlagenteile, Aufteilung von Umlageverwaltungskosten sowie Personalkosten für nicht mehr einsetzbare Mitarbeiter. 2. Können obige remanente Ausgaben und Kosten in die Gebührenermittlung einbezogen werden? 3. Welche Investitionen sind notwendig, um die eigene Kläranlage an die BASF-Sammelleitung anzuschließen? 4. Welche Reinvestitionsaufwendungen sind bei Eigenlösung zu berücksichtigen? 5. Notwendige Investitionsaufwendungen für den Ausbau und die Erweiterung der eigenen Kläranlage. 6. Länge der Nutzungsdauer von abwassertechnischen Anlagen. 7. Welche Kosten sind langfristig für die Klärschlammentsorgung bei der Eigenlösung anzusetzen? Im September 1998 informierte die Stadt Worms über das Ergebnis ihrer von der Verwaltung angefertigten Vergleichsrechnung. Danach ergab sich bei Anschluß an den Klärverbund ein Abwasserentsorgungspreis von 1,79 DM / m3 • Bei der Eigenlösung kostete die Entsorgung des Kubikmeters Abwasser der Stadt Worms nur noch 1,06 DM. Im Jahre 1995 hatte die Verwaltung eine Stadtratsvorlage ausgearbeitet, in der die Reinigung des Kubikmeters Abwasser 1,65 DM kostete. Die jetzige
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Reduzierung auf 1,06 DM sei nach Auskunft der Stadtverwaltung in erster Linie auf die Verringerung der Investitionskosten fiir den Eigenausbau von 65 Mio. DM auf 42 Mio. DM zurückzufiihren. Weiterhin werde u. a. die Stromerzeugung in einem eigens dafiir errichteten Blockheizwerk auf Basis Faulgas des Klärschlammes die Betriebskosten um ca. 4 Mio. DM pro Jahr senken. Auf der Grundlage dieser Vergleichsrechnung lehnten der Werksausschuß der Stadt Worms und die Umlandgemeinden die Anbindung an den BASFKlärverbund ab. Mit dieser Entscheidung war das Projekt Klärverbund Nordtrasse gestorben. Die Stadt Speyer beauftragte die Wirtschaftsberatungs AG WIBERA mit der Durchführung ihrer Vergleichsrechnungen. Ende April legte die WIBERA einen Kostenvergleich Anschluß BASF / Erweiterung der eigenen Kläranlage in Form einer Barwert-Rechnung vor. Diese Ergebnisse wurden eingehend mit der BASF diskutiert. Die Barwert-Berechnungen der WIBERA über einen Zeitraum von 50 Jahren berücksichtigten folgende Varianten: 1. Erweiterung der Speyrer Kläranlage. 2. Anschluß an den Klärverbund (Angaben von Entsorgungsbetriebe Speyer). 3. Anschluß an den Klärverbund (Angaben aus BASF-Angebot). Danach war in jedem Fall die Eigenlösung kostengünstiger als der Anschluß an den Klärverbund. Die Barwertdifferenz lag zwischen 22,5 Mio. DM und 32 Mio. DM. Das Ergebnis einer Barwert-Rechnung ist die Differenz großer Zahlen und hängt daher sehr stark von der Genauigkeit der angenommenen Basisdaten ab. Um die in der Barwert-Rechnung angenommenen Schätzkosten fiir den Leitungsbau Kläranlage Speyer zum Hauptsammler BASF. zu konkretisieren, beauftragte die BASF zwei Ingenieurbüros, die Kosten fiir den Leitungsabschnitt im Detail zu ermitteln. Obwohl als Ergebnis dieser Bemühungen Korrekturen notwendig waren, errechnete die WIBERA trotzdem einen Vorteil von 3 % bzw. 6 % fiir den Eigenausbau der Speyrer Kläranlage. Weiterhin stellte die WIBERA fest, daß bei Abweichungen der Projektkostenbarwerte in dieser Größenordnung keine eindeutige Aussage über die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Varianten möglich ist. Umstritten bis zum Schluß blieben die Höhe der notwendigen Reinvestitionsaufwendungen und die Entgeltfähigkeit der Zusatzkosten wie Restbuchwerte, Personalkosten fiir nicht mehr beschäftigte Mitarbeiter und Zinsen auf Restdarlehen von nicht mehr benötigten Anlageteilen.
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Um die Entscheidung pro oder kontra BASF-Klärverbund voranzubringen, stimmte im Juli der Stadtrat von Speyer einem vom Ältestenrat vorgeschlagenen Entscheidungskriterienkatalog zu: 1. Die Abwassergebühren dürfen nicht steigen. 2. BASF muß die Anschlußleitung Kläranlage Speyer zum Hauptsammler bauen. 3. Die Ökobilanz muß positiv sein. 4. Kein Kläranlagenrnitarbeiter darf arbeitslos werden. Mit diesen Forderungen war eine Absage von Speyer an den Klärverbund vorprogrammiert. Allein die Bedingung, daß die BASF den Anschluß der Speyrer Kläranlage an die Hauptsammelleitung fmanzieren sollte, stellte die Rentabilität des Projektes in Frage. Da dieser eindringliche Wunsch des Stadtrates natürlich auch ähnliche Wünsche bei den anderen interessierten Kommunen auslösen würde, hätten die zusätzlichen Investitionskosten das Projekt gänzlich unrentabel gemacht. Dies war nicht eine Frage, ob "der Riese über seinen Schatten springt" (Kommentar in der TAGESPOST, Speyer, vom 10.07.98), sondern der Wirtschaftlichkeit einer Investition. Der einheitliche Grundpreis von 1,05 DM / m3 Abwasser hätte nicht aufrechterhalten werden können. Der Anschluß an den Klärverbund wäre für die Kommunen teurer geworden. Aus einer Hürde für den BASF-Klärverbund war mit dieser Forderung eine Sackgasse geworden. Die Antwort der BASF lautete: Das vorliegende Angebot von 1,05 DM / m3 ist ausgereizt und kann nicht weiter reduziert werden. Daher konnte die BASF Aktiengesellschaft die Forderungen des Ältestenrates nicht erfüllen. Die Stadtverwaltung legte am 03. Nov. dem Werksausschuß der Stadt Speyer die nun endgültigen Berechnungen der Wirtschaftsberatungs AG WIBERA vor. Danach würde der Abwasserpreis beim Anschluß an den Klärverbund 30 Pfennig höher liegen als bei der Eigenlösung, hochgerechnet bis zum Jahre 2007. Bei etwa gleichen Investitionsaufwendungen errechnete das Beratungsunternehmen einen Vorteil von 2,3 Mio. DM bei den laufenden Kosten aus, die zu jährlichen Minderausgaben von 542.000 DM führen würden. Daraufhin empfahl der Werksausschuß dem Stadtrat, dem Klärverbund eine Absage zu erteilen und den Eigenausbau der Kläranlage zu genehmigen. Der Stadtrat von Speyer stimmte in seiner Sitzung am 12. Nov. mehrheitlich dem Vorschlag des Werksausschusses zu und lehnte folglich das Angebot der BASF Aktiengesellschaft zu einem Klärverbund ab. Mit dieser Absage wurde die erforderliche Mindestmenge für das Projekt Klärverbund weit unterschritten und damit dem Vorhaben die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Obwohl die Stadt Neustadt und die Verbandsgemeinde Grünstadt-Land Vorteile für den Verbund bei ihren Wirtschaftlichkeitsberechnungen ermittelt hatten, mußte die BASF ihnen sowie allen anderen, die das
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Angebot erhalten hatten, mitteilen, daß sie die Pläne eines Klärverbundes nicht weiterverfolgen wird. Damit war auch der zweite Anlauf, ein effizientes Konzept zur Reinigung der Abwässer der Vorderpfalz zu entwickeln, gescheitert.
v. Resümee Welche Gründe sind nun für das Mißlingen des Klärverbundes ausschlaggebend gewesen? Aus der Vielzahl der Äußerungen in den Medien nach dem Ausstieg der BASF Aktiengesellschaft aus dem Klärverbund seien stellvertretend die Äußerungen des Präsidenten des Regierungsbezirkes RheinhessenPfalz zitiert: Er bedauerte die Entscheidung der Stadt Speyer und die Reaktion der BASF. Dies bedeute auch das Aus für die anderen Kommunen. "Weil sich die Beteiligten nicht einigen konnten, wurde eine Lösung verschenkt, die für die Vorderpfalz zukunftsweisend für das 21. Jahrhundert gewesen wäre". 1. Grund: "Die BASF war nicht verhandlungsbereit!" Dieser Vorwurf verkennt die Tatsache, daß das Angebot der BASF mit einem Grundpreis für die Abwasserreinigung ab Pumpwerk der Sammelleitung mit 1,05 DM / m3 plus Mehrwertsteuer äußerst knapp kalkuliert war. Immerhin sind neben den Abwasserreinigungskosten und der Klärschlammentsorgung auch die Investitionen für das Abwassersammelsystem in Höhe von 112 Mio. DM zu amortisieren. Aus den zähen Verhandlungen über das erste Verbundvorhaben mit der WRH "Abwasserverband Vorderpfalz" war der BASF bekannt, welche Kosten auf die Kommunen bei der Eigenlösung zukommen und welchen finanziellen Aufwand der Bau und der Betrieb des Sammelsystems erfordern würden. Aussicht auf Erfolg hatte ein Angebot nur dann, wenn es einen attraktiven und rur alle Kommunen gleichgestalteten Preis für die Abwasserreinigung bieten würde. Den hoffte die BASF mit dem äußerst knapp kalkulierten Angebot bieten zu können. Weitergehende Zugeständnisse in Form von zusätzlichen investiven Maßnahmen für einzelne Gemeinden, die durch die BASF zu finanzieren wären, hätten die schmale Rendite eindeutig in das Gegenteil verkehrt und gleichzeitig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. 2. Grund: Keine vergleichbare Ausgangsbasis bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen! Aufgrund der vorgelegten Vergleichsrechnungen hatten die Stadträte der Städte Worms und Speyer richtig entschieden. In beiden Fällen errechneten die Verwaltung bzw. die WIBERA höhere Gebühren für die Bürger beim Anschluß an den Klärverbund als bei der Realisierung der Eigenlösung. Wenn man diese
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Vergleichsrechnungen im Detail analysiert, haben sich folgende Fakten als nachteilig für den Klärverbund herausgestellt: 1. Nach einem Urteil des Bundesfmanzhofes vom Januar 1998 ist ein hoheitlich handelnder Wasser- und Abwasserzweckverband nicht umsatzsteuerpflichtig. Folglich mußte der BASF-Klärverbund als privatwirtschaftliches Unternehmen von vornherein bei den Gebührenberechnungen mit ca. 20 Pfennig Mehrbelastung durch Abfuhr der Mehrwertsteuer rechnen.
2. Obwohl bei den Berechnungen für Speyer die LAWA-Vorschrift "Leitlinien zur Durchführung von Kostenvergleichsrechnungen" zugrunde gelegt wurde, gab es erhebliche Differenzen, in welcher Weise remanente Ausgaben entgeltfahig und wie Reinvestition und Verzinsung von Eigenkapital bei der Gebührenfestlegung zu berücksichtigen sind. 3. Im Falle der Stadt Worms wurden bei den Vergleichsrechnungen Restbuchwerte und Personalkosten für nicht mehr beschäftigte Mitarbeiter ohne zeitliche Begrenzung voll in die Ermittlung der Abwassergebühr für den Klärverbund einbezogen. 3. Grund: Nur Einzelobjektbetrachtung, keine Gesamtbewertung des Konzeptes! Als die BASF den Kommunen ihr Angebot übermittelte, betonte sie, daß die wirtschaftlichste Lösung den Vorrang haben soll und eine Zusammenarbeit im Klärverbund nur sinnvoll ist, wenn für beide Vertragspartner der Nutzen des Angebotes mögliche Nachteile überwiegt. Damit wurde das Gelingen des Klärverbundes von den Entscheidungen jeder einzelnen Kommune abhängig gemacht. Die Ergebnisse von zwei Einzelobjekten mit bedeutenden Abwassermengen waren daher ausschlaggebend für das Scheitern des Klärverbundes. Eine Gesamtwirtschaftlichkeitsbetrachtung aller Kommunen, die aufgrund der EU-Richtlinie Nachrüstungen und Erweiterungen ihrer Kläranlagen durchführen mußten, ist nicht erfolgt. 4. Grund: Die Abwasserreinigung wird häufig als Kernkompetenz kommunaler Entsorgungsaufgaben angesehen! In verschiedenen Stellungnahmen der Parteien und der Städtevertreter spielte bei den Verhandlungen die Selbständigkeit der Kommunen im Entsorgungsbereich eine große Rolle. Es ist daher nicht verwunderlich, daß eine Bewertung des Angebotes aus der Sicht aller betroffenen Kommunen für eine effiziente Organisation der Abwasserreinigung der Vorderpfalz nicht ernsthaft verfolgt wurde. Bei Kostengleichheit ist zu vermuten, daß die Partikularinteressen der Kommunen Vorrang gehabt hätten.
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Die Chance, ftir die Zukunft aus kleinräumlichen Entsorgungsautarkien einen Verbund zu schaffen, der einerseits dem Bürger niedrige Gebühren garantiert und andererseits die Kommunen von der langfristigen Sicherung der Abwasserreinigung entlastet, wurde nicht genutzt. Beim Umbau ihrer eigenen Kläranlagen müssen die Kommunen heute schon die Abwassermengen der Zukunft berücksichtigen. In der Regel wird der Bedarf wesentlich höher eingeschätzt und werden Kapazitäten errichtet, die tatsächlich später nicht genutzt werden. Dies hat zur Folge, daß höhere Betriebskosten und steigende Gebühren aufzuwenden sind, um die einmal getroffenen Investitionsentscheidungen zu finanzieren. Mit dem Klärverbund hätte auch die Möglichkeit bestanden, diese Vorhaltekapazitäten nicht errichten zu müssen, und der sparsame Umgang mit dem Wasser hätte sich gelohnt. Im Zeitalter knapper öffentlicher Kassen sollten auch die Kommunen die Angebotspalette ihrer Entsorgungsleistungen kritisch prüfen. Wie aber das Beispiel des Klärverbundes Vorderpfalz zeigt, wird die Chance, hoheitliche Entsorgungsaufgaben zu privatisieren, wesentlich wegen kurzfristigem und partikularem Eigennutz verschenkt.
Probleme einer Kommune beim Anschluß an einen industriellen Klärverbund Von RolfWunder
I. Historie der Kläranlage Speyer 1929
nahm Speyer seine mechanische Kläranlage am Standort unterhalb des Domes in Betrieb.
1968
wurde die neue Kläranlage außerhalb der Stadt im Norden in Betrieb genommen.
1975
erfolgte die erste Erweiterung der Kläranlage.
1989
erfolgte die zweite Erweiterung der Kläranlage.
1993
Beginn der Planung für die Erweiterung der Kläranlage zur Stickstoffelimination (3. Reinigungsstufe).
1994 - 1996
Planungen und Diskussionen zur Herbeifiihrung eines Klärverbundes verlaufen ergebnislos.
Im April 1996
fällt die Entscheidung des Stadtrates zum Ausbau der eigenen Kläranlage.
Im September 1997
legt die BASF ein neues Angebot für einen Klärverbund vor, das erneut zu monatelagen Prüfungen und Diskussionen führt, auch mit und innerhalb anderer Kommunen in der Region.
Im November 1998
entscheidet der Stadtrat, die eigene Kläranlage auszubauen.
9 Ziekow
130
Ro1fWunder
11. Stellt ein industrieller Klärverbund eine wirtschaftliche Alternative zum kommunalen Eigenbetrieb dar? Die BASF AG hat mehreren Kommunen in der Region den Anschluß an einen Klärverbund angeboten. Die Diskussionen in den Jahren 1994 - 1996 gingen noch von einem Leitungspreis von etwa 1,30 DM / m3 und einem Reinigungspreis der BASF von ca. 1,20 DM / m3 aus, zusammen rund 2,50 / m3 • Diesem Preis stand die Abwassergebühr von 2,72 DM / m3 zunächst gegenüber. Das neue BASF-Angebot vom September 1997 war deutlich günstiger. Es ging von einem Schmutzwasserentgelt von 1,05 DM / m3 ab BASF-Pumpwerk Böhl-Iggelheim aus. Erforderlich wäre zusätzlich flir die Stadt Speyer der Bau einer kommunalen Druckrohrleitung von Speyer bis Böhl-Iggelheim geworden. Nach Beginn der neuen Diskussionen sah sich die Stadt Speyer veranlaßt, durch ein Wirtschaftsberatungsunternehmen eine fundierte Entscheidungsgrundlage erstellen zu lassen. Es wurden drei Lösungsvarianten untersucht: Variante I:
Aus- und Umbau der eigenen Kläranlage in ein Pumpwerk mit Ausgleichs- und Havariebecken sowie Bau einer Druckleitung nach Böhl-Iggelheim zum vorgesehenen Hauptpumpwerk.
Variante 11:
wie Variante I, jedoch ohne Ausgleichs- und Havariebecken.
Variante III:
Erweiterung der eigenen Kläranlage mit dritter Reinigungsstufe.
Durch den Anschluß an den Klärverbund wäre ein großer Teil der vorhandenen Anlagenteile der Kläranlage in Speyer nicht weiter genutzt und als nicht betriebsnotwendig aufgegeben worden. Es stellte sich die Frage, was mit den auf die vorhandene Kläranlage geleisteten Baukostenzuschüssen und Landeszuwendungen als Finanzierungsbestandteilen geschieht und ob diese gegebenenfalls zurückzuzahlen seien. Es stellte sich außerdem die Frage, ob die Vergabe der Abwasserbehandlung an Dritte ohne öffentliche Ausschreibung überhaupt erfolgen dürfte oder gar EU-weit hätte ausgeschrieben werden müssen. Beide Fragen bleiben letztendlich offen. Zumindest flir eine Übergangszeit wären die weiterhin anfallenden Personalkosten der bisherigen Mitarbeiter zu berücksichtigen. An reinen Investitionskosten stellte das Gutachten gegenüber: Variante I:
rund 23,6 Mio. DM.
Variante 11:
rund 18 Mio. DM.
Variante III:
rund 20,3 Mio. DM.
Probleme einer Kommune beim Anschluß an einen industriellen Klärverbund 131
Die Nutzungsdauer der Anlagen wurde pauschal gemäß der Richtlinie zur Durchführung von Kostenvergleichsrechnungen der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser angenommen mit 50 Jahren für die Bauwerke und Leitungen, 20 Jahren für die Maschinentechnik sowie 12 Jahren für die Prozeßleittechnik. Unter Beachtung der zeitlichen Einflüsse der Kostengrößen wurden Projektkostenbarwerte und Jahreskosten für jede der drei Varianten ermittelt. Die meisten in die Berechnung eingestellten Kostengrößen tragen allerdings ein gewisses Risiko bzw. eine Unsicherheit hinsichtlich ihrer zukünftigen Entwicklung. Dies sind z. B. unterschiedliche Zinssätze und unterschiedlich zu erwartende Abwassermengen. Dabei begünstigen hohe Zinssätze investitionsintensivere Maßnahmen, in diesem Fall den Ausbau der eigenen Kläranlage, und niedrige Zinssätze Maßnahmen mit höheren laufenden Kosten, d. h. den Anschluß an die BASF-Kläranlage. Schwankungen hinsichtlich der Abwassermengen wirken sich bei Reduzierung der Abwassermengen günstig für die Stadt aus wegen der damit verbundenen niedrigeren Entgelte an die BASF, höhere Abwassermengen bewirken das Gegenteil. Beim Ausbau der eigenen Kläranlage sind Schwankungen bei den Abwassermengen sozusagen kostenneutral. Die untersuchte Variante 11 wurde zwar der späteren Gebührenentwicklung als günstigste Kostenschätzung zugrunde gelegt, ob allerdings auf ein örtliches Ausgleichs- und Havariebecken tatsächlich hätte verzichtet werden können, wurde angesichts der getroffenen Entscheidung dann nicht näher geprüft. Das Gutachten kam deshalb bei einer unterstellten Abwassermenge von 5 Mio. m3 / Jahr zu dem Ergebnis, daß die Eigenlösung die wirtschaftlich günstigere sei.
111. Die Gebührenentwicklung Die Probleme einer Kommune erschöpfen sich nicht in Investitionssummen, sondern es ist insbesondere auch die Gebührenentwicklung für den zahlungspflichtigen Bürger zu berücksichtigen. Eine Gebührenvorausschau über einen längeren Zeitraum hinweg ist immer problematisch, es wurden deshalb die Ausgangswerte zum 31.12.1997 herangezogen und eine Vorausschau auf 10 Jahre ins Jahr 2007 erstellt. Die Kalkulation ging davon aus, daß folgende Kosten nicht auf Gebühren umgelegt werden können:
RolfWunder
132
-
Zinsen fUr die Verbindlichkeiten auf die nicht weitergenutzten Anlagenteile der Kläranlage,
-
Abschreibungen auf die vorgenannten Altanlagen, verteilt auf die Gesamtlaufzeit, um deren Auswirkung auf die Gesamtbelastung darstellen zu können,
-
Kosten fUr das auf der Kläranlage nicht weiter zu beschäftigende Personal und
-
Umlage der auf die Kläranlage entfallenden Verwaltungskosten.
Immer ausgehend von konstanten Jahresabwassermengen ergaben sich folgende Gebühren in der Gegenüberstellung, wobei die aktuelle Ausgangsgebühr 2,72 DM / m3 beträgt: BASF Anschluß
Erweiterung eigene Kläranlage
1999
2,91
3,01
2001
3,40
3,14
2003
3,39
3,11
2005
3,36
3,08
2007
3,35
3,05
Das Gutachten kommt also bei konstanten Jahresabwassermengen im Wirtschaftlichkeitsvergleich im Rahmen einer Gebührenvorschau eindeutig zu dem Ergebnis, daß fUr die Stadt Speyer der Ausbau der eigenen Kläranlage die günstigere Variante darstellt. Mit dem Ergebnis der Ermittlung von Investitionskosten, Anstellung des Wirtschaftlichkeitsvergleichs und Ermittlung der voraussichtlichen Gebührenbelastung war die Entscheidung aber noch nicht gefallen. Wie bereits eingangs erwähnt, wurde nicht nur der Stadt Speyer der Anschluß an die BASF-Kläranlage angeboten. Vergleichsberechnungen der anderen Kommunen im Umland fUhrten teilweise zu gegenteiligen Ergebnissen. Dies ist kein Widerspruch, sondern erklärt sich aus den verschiedensten Gründen. Einen wichtigen Faktor spielte dabei der aktuelle Zustand der vorhandenen Kläranlage unter Berücksichtigung vorhandenen Investitionsstaus, der in anderen Kommunen zum Teil erheblich über dem der Stadt Speyer lag. Diejenigen Kommunen, bei denen bereits die 3. Klärstufe ausgebaut war, sahen fUr eine Aufgabe der eigenen Kläranlage und einen Anschluß an die BASF überhaupt keinen Handlungsbedarf. Für die verschiedenen Kommunen waren auch die Anschlusswege zum zentralen BASF-Pumpwerk sehr verschieden, die ei-
Probleme einer Kommune beim Anschluß an einen industrie\len Klärverbund 133
genen Investitionskosten in die entsprechenden eigenen Pumpwerke und Druckleitungen entsprechend unterschiedlich hoch, was sich vor allen Dingen fiir die Stadt Speyer negativ darstellte. Auch die bereits vorhandene Gebührenstruktur fiir Abwasser war in den verschiedenen Kommunen sehr unterschiedlich. Ein weiterer Gedanke war überlegenswert: Die Stadt Speyer fiihrt sowohl Abwasser als auch Oberflächenwasser über den Kanal dem Klärwerk zu. Bei insgesamt 5 Mio. m3 teilt sich die Menge etwa in 3,2 Mio. m3 Abwasser und 1,8 Mio. m3 Oberflächenwasser pro Jahr auf. Es wäre deshalb auch zu untersuchen gewesen, ob das Oberflächenwasser nicht langfristig anderweitig hätte entsorgt werden können (z. B. durch die Förderung unmittelbarer Versickerung), um dadurch die in der Berechnung unterstellte Abwassermenge von 5 Mio. m3 deutlich zu reduzieren. Nach den Vorgaben der Begutachtung wäre dadurch der Anschluß an die BASF-Kläranlage deutlich preisgünstiger ausgefallen. Die sozusagen ungleichen Vorbedingungen der einzelnen Kommunen zum Anschluß an den industriellen Klärverbund drängten fOrmlich die Bildung eines kommunalen Anschlußverbundes - quasi mit internem Finanzausgleich auf. Die eigentlichen Probleme der Kommunen zeigten sich praktisch hier, die Kommunen der Region waren trotz wiederholter Verhandlungen nicht in der Lage, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen. Da halfen auch keine Appelle aus dem Ministerium. Die hoheitliche Selbstverwaltung im Abwasserbereich fiihrte zu unterschiedlichen Stadtratsentscheidungen und damit zum Scheitern des Klärverbundskonzepts der BASF.
IV. Weitere Probleme unter dem Gesichtspunkt kommunaler Selbstverwaltung Die seit Jahren zu beobachtende fmanzielle Entwicklung der Kommunen engt diese in ihren Entscheidungsspielräumen immer mehr ein. Dies fiihrt einerseits zu Rationalisierungsmaßnahmen in bisher nicht gekanntem Umfang, aber auch zur Entledigung von Aufgaben, die nicht als hoheitliche Aufgaben im klassischen Sinne definiert werden. Zunächst ist es eine Pflichtaufgabe der Kommune, die Versorgung und Entsorgung ihrer Bürger sicherzustellen. Im Bereich der Müllentsorgung haben bereits viele Kommunen die Vergabe an Dritte vorgenommen, bisher wohl ohne Nachteile fiir die zu entsorgenden Gebietskörperschaften. Das Risiko in diesem Entsorgungsbereich ist allerdings geringer, da hier ein Wechsel zu einem anderen Wettbewerber leichter möglich ist. Die Städte Ludwigshafen und FrankenthaI sowie die Gemeinde Boben-
134
Ro1fWunder
heim-Roxheim sind bereits seit Jahren an die Kläranlage der BASF angeschlossen. Die Kommune kann sich also grundsätzlich der Abwasserentsorgung entledigen. Wenn sich allerdings Kommunen immer mehr von Aufgaben, die sie bisher selbst bewältigt haben, lösen, ruhrt dies nicht nur zu einer Verschlankung der Verwaltung, sondern auch zu einer Verminderung der Einflußnahme, die alleine über eine Vertragsgestaltung mit Dritten nicht zu kompensieren ist. Bei politischen Entscheidungen scheint dies ein nicht zu unterschätzender Faktor zu sein. Wie bei jeder anderen Rationalisierungsmaßnahme stellte sich auch hier die Frage, was tun mit freiwerdendem Personal, auch wenn es sich nur um wenige Arbeitsplätze handelt. Dieser Gesichtspunkt spielte bei der getroffenen Entscheidung eine nur untergeordnete Rolle, gewinnt aber in der Summe der Reduzierung kommunaler Eigenbetriebe wieder an Gewicht. Schließlich sind Gesichtspunkte der sogenannten Entsorgungssicherheit zu berücksichtigen rur den Fall aller nur denkbaren Betriebsstörungen. Auch wenn die BASF eigene Havariebecken zur Verrugung stellt, ist nicht auszuschließen, daß Betriebsstörungen früher einsetzen und deshalb nicht doch eigene Havariebecken bei den Kommunen vorgehalten werden müssen. Außer technischen Betriebsstörungen ist auch langfristig eine Abhängigkeit von dem industriellen Kläranlagenbetreiber gegeben. Die Verträge werden zeitlich befristet. Auch wenn rur einen gewissen Zeitraum eine gewisse Entgeltstabilität vereinbart werden kann, bleibt die Frage offen, was nach Ablauf der Vertragsbindung geschieht. Auch der industrielle Vertragspartner kann nicht ausschließen, daß sich die Firmenphilosophie oder Firmenpolitik langfristig ändern kann. Dies könnte bedeuten, daß sich hinsichtlich der Gebühren eine Art MonopolsteIlung entwickelt, die zu Alternativlösungen zwingt oder der industrielle Partner aus anderen Gründen künftig vollständig ausfällt. Ein Wechsel zu einem anderen industriellen Partner erscheint im Abwasserbereich jedenfalls nicht ohne weiteres möglich und könnte so zu einem reinen kommunalen Klärverbund zwingen oder zur Rückkehr in die kommunale Eigenverantwortlichkeit. Schließlich spielten auch ökologische Gesichtspunkte eine gewisse Rolle. Seitens der Grünen, ÖDP und BUND wurde der Klärverbund vor allen Dingen aus ökologischen Gründen abgelehnt. Eine Studie von Prof. Dr. Gero Koehler befiirwortete sowohl aus wasserwirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht einen Anschluß an die BASF-Kläranlage als vorteilhaft. Der Rat der Stadt Speyer machte durch seine Entscheidung zugunsten des Ausbaus der 3. Reinigungsstufe der Diskussion ein Ende, ohne daß alle offenen Fragen beantwortet wurden. Die Entscheidung wurde im nachhinein von vielen Seiten heftig kritisiert, weil damit auch rur die anderen noch nicht an die
Probleme einer Kommune beim Anschluß an einen industriellen Klärverbund 135
BASF-Kläranlage angeschlossenen Kommunen die Anschlußmöglichkeit genommen wurde wegen der von Speyer fehlenden Abwasserrnengen. Ob die Entscheidung richtig oder falsch war, wird sich möglicherweise erst in vielen Jahren herausstellen.
Privatisierung in der Abfallwirtschaft Von Walter Frenz*
I. Grundtypen der Privatisierung Die Einschaltung Privater in die öffentliche Aufgabenerfüllung ist zum Modethema des öffentlichen Rechts geworden und hat Konjunktur in den verschiedensten Gebieten. Besondere Bedeutung hat die Privatisierung in der Abfallwirtschaft. Im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW- / AbfG) wird die Einschaltung Privater vielfältig und recht detailliert normativ geregelt. Die praktische Bedeutung und vor allem das aktuelle Konfliktpotential sind außerordentlich groß. Daneben haben Privatisierungen besondere Aktualität in den Bereichen der Abwasserbeseitigung', der Energiewirtschaft und Telekommunikation2, im öffentlichen Personenverkehr, bei Verkehrsprojekten3 sowie im öffentlichen Gesundheitsdienst4 • Dabei hat sich eine Vielzahl von Möglichkeiten der Einschaltung Privater herausgebildet, die vielfach fließende Übergänge aufweisen und nicht mehr strikt in dogmatischen Konturen einzufangen sind. S Der Abfallsektor kann daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern die in diesem Bereich auftretenden Privatisierungsformen sind in die allgemeine Dogmatik einzubetten. Darauf aufbauend kann dann auf aktuelle Probleme wie die steuerrechtliche Behandlung öffentlich-rechtlicher und privater Organisationseinheiten, die Vergabe von Aufträgen durch die Entsorgungskörperschaften und die Grenzen kommunalwirtschaftlicher Betätigung eingegangen werden.
• Für seine engagierte Mithilfe danke ich sehr herzlich Herrn Axel Kafka. , Siehe etwa den Titel der Abhandlung von Schoch, Rechtsfragen der Privatisierung von Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung, DVBI. 1994, I ff. 2 Dazu etwa Schoch, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Inforrnationsordnung, VVDStRL Bd. 57 (1998), 158 (172). 3 Dazu Grupp, Rechtsprobleme der Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten, DVBI. 1994, 140 ff. 4 Vgl. Stollmann, Aufgabenerledigung durch Dritte im öffentlichen Gesundheitsdienst, DÖV 1999, 183 ff. S Vgl. Tettinger, Die rechtliche Ausgestaltung von Public Private Partnership, DÖV 1996, 764 ff.
138
Walter Frenz
Als Grundtypen haben sich die Organisationsprivatisierung, die Vennögensprivatisierung, die materielle sowie die funktionale Privatisierung herauskristallisiert. 6 Die Organisationsprivatisierung bildet nur eine fonnale 7 Privatisierung. Der Verwaltungsträger behält eine bestimmte Aufgabe und bedient sich nur zu ihrer Wahrnehmung der Fonnen des Privatrechts, indem er namentlich eine Eigengesellschaft bildet. 8 Bei der Vennögensprivatisierung wird staatliches oder kommunales Eigentum auf Private übertragen, etwa die Beteiligung an Wirtschaftsuntemehmen. 9 Die materielle oder Aufgabenprivatisierung verlagert einen bislang staatlichen Aufgabenbereich gänzlich in den privaten Sektor. Demgegenüber beläßt die funktionale Privatisierung eine Aufgabe bei einem Träger öffentlicher Verwaltung und übergibt nur deren Vollzug, mithin die Aufgabendurchfiihrung, einem Privatrechtssubjekt1° als Verwaltungshelfer. Diese Modelle werden seit längerem auch im Abfallbereich diskutiert. 11 Das KrW- / AbfG beinhaltet einige dieser Privatisierungsfonnen oder zumindest Mischfonnen derselben. Soweit es anstelle der vonnaligen öffentlichrechtlichen eine rein private Entsorgungsverantwortung etabliert, erfolgte eine klassische Aufgabenprivatisierung. 12 Bei der nunmehr möglichen Pflichtenübertragung öffentlicher Entsorgungsträger nach § 16 Abs. 2 KrW - / AbfG stellt sich indes die Frage, ob insoweit eine materielle Privatisierung vorliegt. Von großer Aktualität ist jedenfalls die funktionale Privatisierung mit ihrer Vielfalt möglicher Verschränkungen von öffentlicher Verwaltung und handelnden Privatrechtssubjekten. Aber auch die Organisationsprivatisierung 6 Siehe Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994,962 (962 f.); Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL Bd. 54 (1995), 243 (251); Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 1998, S. 35 ff.; Tettinger, Privatisierungskonzepte für die Abfallwirtschaft, in: Festschrift für Friauf, 1996,569 (570 f.). 7 Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL Bd. 54 (1995), 165 (170); Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, 1992, S. 35 f.; Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, 1995, S. 121; Brüning, Der Verwaltungsmittler - eine neue Figur bei der Privatisierung kommunaler Aufgaben, NWVBI. 1997,286 (288). 8 Schoch, DVBI. 1994, 962 (962); Tettinger, in: FS Friauf, S. 569 (570); Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 120. 9 Bauer, VVDStRL Bd. 54 (1995), 243 (251) mit Fn. 41; Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 40. 10 Darunter fallen auch privatrechtlich organisierte Eigengesellschaften und gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, da diese sich aufgrund ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit von der öffentlich-rechtlichen Entsorgungskörperschaft unterscheiden. 11 Siehe Schoch, DVBI. 1994, I (3 f.); Tettinger, in: FS Friauf, 569 (570 f.); Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 35 ff.; Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, 1999, S. 24 ff. 12 Schoch, DVBI. 1994,962 (974); näher schon im Hinblick auf die Verpackungsverordnung Frenz, Das Duale System zwischen öffentlichem und privatem Recht, GewArch. 1994, 145 (147 f.).
Privatisierung in der Abfallwirtschaft
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spielt, obwohl im KrW - / AbfG nicht geregelt, im Abfallbereich eine große Rolle. Daher stellt sich die Frage, welche Privatisierungsformen hinter den einzelnen Vorschriften des KrW- / AbfG stehen bzw. welche Organisationsmodelle im Rahmen dieser Vorschriften möglich sind.
11. Die normative Ausgangslage nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Die gesetzliche Regelung der §§ 16-18 KrW- / AbfG beschränkt sich auf die Drittbeauftragung und die Pflichtenübertragung.
1. Die Beauftragung Dritter gern. § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG a) Gesetzliche Voraussetzungen der Beauftragung § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG sieht die Beauftragung Dritter mit der bloßen Erfüllung von Entsorgungspflichten vor. Diese Regelung führt die Vorgängerbestimmung des § 3 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Abs. 4 S. 2 AbfG von 1986 fort und dehnt sie nur, dem Wechsel von einer weitestgehend öffentlich-rechtlichen zu einer in erster Linie privaten Entsorgungsverantwortung l3 folgend, umfassend auf Private aus. Dritte können alle im konkreten Fall nicht entsorgungspflichtigen natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts sein. 14 Die Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Rechtspersonen auf der Seite der Beauftragten l5 widerspräche neben § 50 Abs. 3 und § 16 Abs. 1 S. 3 KrW- / AbfG dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift, zur Entlastung der öffentlichen Entsorgungsträger selbst und ihrer Haushalte die Eigenverantwortung Privater zu stärken. 16 Die 13 Petersen / Rid, Das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, NJW 1995, 7 (8). Von einem "Paradigmenwechsel" spricht Kahl, Die Privatisierung der Entsorgungsordnung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, DVBI. 1995, 1327 (1328); zurückhaltender Queitsch, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 1995, § 15 Anm. 2; Tettinger, in: FS Friauf, 569 (585). 14 OVG Schleswig ZUR 1999, 160 (161), wonach auch Eigengesellschaften sowie gemischt-wirtschaftliche Unternehmen darunter fallen. Schink, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, Band 11, 6. Erg.-Liefg., Stand 7 /1999, § 16 Rn. 15. 15 Dafür Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1329); Peters, Entsorgungsfachbetriebe als besondere Form des Dritten im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, UPR 1997, 211 (211); Fluck, Kreislaufwirtschafts-, Abfall- und Bodenschutzrecht, Band I, 18. Erg.Liefg., Stand 6 / 1999, § 16 Rn. 37; Versteyl, in: Kunig / Paetow / Versteyl, KrW- / AbfG, 1998, § 16 Rn. 9. 16 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/5672, S. 2, 34; näher zu dieser Problematik Frenz, KrW- / AbfG, 2. Aufl. 1998, § 16 Rn. 2.
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Walter Frenz
Privatisierung hat das Ziel einer Verlagerung von Tätigkeiten aus dem öffentlichen in den privaten Bereich. Damit ist aber eine Verschiebung allein innerhalb des öffentlichen Bereichs nicht vereinbar. Qualitative Voraussetzung der Einschaltung ist nach § 16 Abs. 1 S. 3 KrW- / AbfG die erforderliche Zuverlässigkeit. Sie bezieht sich entsprechend dem Zweck der Beauftragung auf die Erfüllung der anvertrauten Entsorgungsvorgänge und schließt sowohl eine personelle als auch eine organisatorische Komponente ein: persönliche Eignung und ausreichende Kapazitäten zur Erledigung müssen in Bezug auf die konkret in Frage stehende Tätigkeit vorliegen. 17 Generell werden Entsorgungsfachbetriebe wegen der in der Entsorgungsfachbetriebeverordnung l8 aufgestellten Voraussetzungen l9 diese Anforderungen erfUllen; ob dies auch im konkreten Fall zutrifft, hängt von dem Umfang und der Schwierigkeit der anstehenden Entsorgungstätigkeiten ab. Die Einschaltung solchermaßen qualifizierter Dritter ist nicht weiter beschränkt und nicht abhängig von der Genehmigung einer anderen Behörde. Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger entscheidet nach eigenen Gestaltungswünschen. Der dadurch entstehende Entscheidungsspielraum ist ausschließlich Ausdruck seiner Organisationsgewalt.
b) Anspruch des Dritten auf Beauftragung? In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, ob vor dem Hintergrund der Privatisierungsansätze des KrW- / AbfG ein Dritter Anspruch auf Beauftragung im Rahmen von § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG haben könnte. Eine Ansichfo bejaht dies. Mit dem Wechsel von der öffentlichen zur privaten Entsorgungsverantwortung habe sich auch die Drittbeauftragung von einer ehemals ordnungsrechtlichen zu einer den Dritten begünstigenden Vorschrift gewandelt. Mit Blick auf Art. 12 GG fUhre diese Auslegung im Regelfall zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Dieser Ansicht ist mit der herrschenden Meinung21 zu 17 Siehe Begründung zum Vorschlag des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12 / 7284, S. 18; Schink, Auswirkungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes auf die Entsorgungsstrukturen, DÖV 1995, 881 (884). 18 Verordnung über Entsorgungsfachbetriebe vom 10.9.1996, BGB\. I 1996, S. 1421. Ihre besondere Stellung in diesem Zusammenhang untersucht Peters, UPR
1997,211 (212 ff.).
19 Siehe vor allem §§ 3, 4, 7, 11. Ausführlich zur EfbV Cosson, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 52 Rn. 32 ff.
Kahl, DVB\. 1995, 1327 (1330). V. Lersner, in: v. Lersner / Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung - Kommentar zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Band I, Erg.-Liefg. 4 / 99, Stand 7 / 1999, Kz. 0116 Rn. 12; Versteyl, in: Kunig / Paetow / Versteyl, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 10, 35; Fluck, KrW - / AbfG, § 16 Rn. 38; Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung 20 21
Privatisierung in der Abfallwirtschaft
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widersprechen. Der Gesetzeszweck "Privatisierung" mag eine solche Auslegung nahe legen. Doch spricht § 16 Abs. 1 KrW - / AbfG in seiner Konstruktion allein den Entsorgungsträger an. 22 Er allein entscheidet über eine etwaige Beauftragung. Das können aber auch private Entsorger sein. Diesen gegenüber einen u.a. grundrechtlich gestützten Anspruch anzunehmen widerspräche der Zielrichtung und Wirkungsweise von Grundrechten. Einseitig gegen öffentlichrechtliche Einheiten einen solchen Anspruch zu befiirworten liefe aber der insoweit keine Besonderheiten vorsehenden und damit einheitlichen Konzeption des § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG zuwider. Auch kann in § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG kein "präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" gesehen werden. Der Weg zu einer solchen Erlaubnis in Form eines Antragsverfahrens ist in § 16 Abs. 1 im Gegensatz zu § 16 Abs. 2 KrW - / AbfG gar nicht eröffnet. Die Ausübung des Ermessens in einer bestimmten Art und Weise kann daher jedenfalls nicht von Privaten erzwungen werden, selbst wenn bei diesen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 S.3 KrW- / AbfG vorliegen. Ein Anspruch des Dritten ist somit aus § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG nicht abzuleiten. c) Verantwortlichkeit im Rahmen von § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG
Erfolgt eine Beauftragung Dritter nach § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG, bleibt gern. § 16 Abs. 1 S. 2 KrW- / AbfG die Zuweisung der Verantwortung gänzlich unberührt. Die eingeschalteten Privaten sind Erfiillungsgehilfen23 bzw. Verwaltungshelfer4 • Nach außen verantwortlich bleiben die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger. 25 Sie stehen weiterhin in Rechtsbeziehungen zum Bürger und sind ihm gegenüber berechtigt und verpflichtet: berechtigt zur Betretung des Grundstücks nach § 14 KrW- / AbfG und zur Erhebung von Gebühren, verpflichtet auch bei Fehlverhalten der beauftragten Dritten aus der sie treffenden Staatshaftung. 26 Die nach § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG eingeschalteten Privanach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 179; Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 102. 22 Bree. Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 179. 23 Explizit auch die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12 / 5672, S.45. 24 Fluck, KrW - / AbfG, § 16 Rn. 61; Peine, Grenzen der Privatisierung - verwaltungsrechtliche Aspekte, DÖV 1997,353 (358). 25 OVG Bremen, NVwZ 1997, 1022 (1022); vgl. Peine, DÖV 1997, 353 (358); ders., in: Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht BT 2, 1996, § 13 Tz. 149; Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S.184. 26 OVG Schleswig, ZUR 1999, 160 (161); zur Haftungsbegründung durch das Verhalten privater Erftillungsgehi1fen Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 20 ff.; Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, 1992, S. 104, 115, 158; mit
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Walter Frenz
ten agieren also bei einer Einschaltung durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger gänzlich in deren Wahrnehmungsbereich. In ihn sind sie eingebunden, privatisiert wird nur die Erledigung, nicht die Aufgabe selbst oder auch nur deren verantwortliche Wahrnehmung. Insoweit stellt die Beauftragung eine Erfiillungssubstitution dar. d) Zuordnung geeigneter Organisationsmodelle
Damit stellt sich die Drittbeauftragung als eine Variante der funktionalen Privatisierung dar. 27 In diesem Bereich kommen verschiedene Organisationsmodelle in Betracht, die unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Verantwortungsbereiche ein Zusammenwirken von öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern und privaten Anbietern von Entsorgungsleistungen im Rahmen einer sog. "Public Private Partnership"28 ermöglichen. Im Abfallbereich haben sich mit dem Betreibermodell und dem Betriebsfiihrungsmodell zwei Grundformen herausgebildet, die bei einer Beauftragung gern. § 16 Abs. 1 KrW - / AbfG in Frage kommen. 29 Im Rahmen des Betreibermodells ergibt sich fiir öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger die Möglichkeit, private Anbieter gegen Entgelt mit der Leistungserbringung zu beauftragen. Je nach Umfang der Beauftragung kann dies auch die Errichtung und Finanzierung von Entsorgungsanlagen umfassen. 3o Dabei wird die Leistung aufgrund eines privatrechtlichen Betreibervertrages mit dem Entsorgungsträger allein gegenüber diesem erbracht. In diesem Betreibervertrag kann, freilich in unterschiedlicher Intensität, die Art und Weise der Entsorgungstätigkeit des Privaten reglementiert werden. Vor allem hat sich die Kommune als Entsorgungsträger ausreichende Kontrollmöglichkeiten zu sichern. Mit der Entsorgungsverantwortung bleibt auch die Gebührenberechtigung gegenüber dem Nutzer bei dem Entsorgungsträger. Die an den Betreiber zu zahlenden Entgelte gehen in die Gebührenberechnung ein. 31 Vorteil dieses Modells ist, neben den bereits oben genannten, die wirtschaftliche Risikoverlagerung auf den privaten "Dritten". Nachteilig im HinHinweis auf die im Rahmen von § 839 BGB bedeutsame Sorgfaltspflicht bei der Auswahl des Dritten Versteyl, in: Kunig / Paetow / Versteyl, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 12, 15. 27 Im Rahmen des § 16 Abs. I KrW- / AbfG stellt die funktionale gleichermaßen eine formale Privatisierung dar, wenn die öffentlich-rechtliche Entsorgungskörperschaft eine Eigengesellschaft beauftragt. 28 Tettinger, DÖV 1996,764 (764 ff.); ders., in: FS Friauf, 569 (571). 29 Vgl. Ehlers, Rechtsprobleme der Kommunalwirtschaft, DVBI. 1998,497 (506); Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 30 So zum niedersächsischen Betreibermodell in der Abwasserbeseitigung Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 154 ff.; ders., DVBI. 1994, I (10). 31 OVG Schleswig, ZUR 1999, 160 (161 f.); Tettinger, DÖV 1996, 764 (765); Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 155.
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blick auf das vom KrW - / AbfG verfolgte Ziel der Entsorgungssicherheit könnte sich allerdings ein möglicher Konkurs des Beauftragten auswirken. 32 Als weitere Ausgestaltung bietet sich im Rahmen von § 16 Abs. 1 KrW - / AbfG das Betriebsfiihrungsmodell an. Hierbei betreibt ein privates Unternehmen Anlagen des Entsorgungsträgers auf dessen Namen und Rechnung. 33 Die dabei auf vertraglicher Basis zu entrichtenden Leistungsentgelte gehen auch hier als Posten in die Gebührenberechnung der Kommune ein. Als Abwandlung des Betreibermodells kommt weiterhin ein sog. Kurzzeit-Betreibermodell in Betracht, das den Bau von Entsorgungsanlagen durch Private und deren Betrieb fiir eine gewisse Anlaufphase beinhaltet. 34 Denkbar ist im Rahmen des § 16 Abs. 1 KrW - / AbfG auch die Einschaltung von durch die Kommune selbst begründeten Eigengesellschaften bzw. von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen, an denen sie beteiligt ist. Dabei kann sich eine Trennung zwischen Besitz- und Betreibergesellschaft als vorteilhaft erweisen. 35 2. Pflichten übertragung auf Dritte gern. § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG
a) Übertragung der Entsorgungspflichten § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG sieht demgegenüber und damit über § 3 AbfG von 1986 hinausgehend die Übertragung nicht nur der Pflichtenerfiillung, sondern der Pflichten als solcher auf Dritte vor. Die Voraussetzungen sind dementsprechend schärfer und detaillierter gesetzlich festgelegt. 36 So bedarf es eines Antrages des Dritten. Dieser muß sach- und fachkundig sowie zuverlässig sein. Die Erfiillung der übertragenen Pflichten muß sichergestellt sein, und öffentliche Interessen dürfen nicht entgegenstehen. Die Entsorgungsträger müssen zustimmen, die Entscheidung selbst trifft die zuständige Behörde. Dies zeigt, daß diese Frage nicht allein der Organisationsgewalt der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zugewiesen ist. Korrespondierend dazu kann ein Übertragungsanspruch bestehen. 37 Als Rechtsfolge sieht § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG nur die ganze oder teilweise Übertragung von Pflichten vor. Nicht die Rede ist von Rechten. Damit entsteht Siehe dazu aber die Kritik unter IV. Tettinger, OÖV 1996,764 (765); ders., in: FS Friauf, 569 (571). 34 Tettinger, OÖV 1996, 764 (765). 35 Schach, OVBI. 1994, 1 (11). 36 Dazu näher Schink, OÖV 1995,881 (886 f.); Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 124 ff. 37 Kahl, OVBI. 1995, 1327 (1330); Frenz, KrW- I AbfG, § 16 Rn. 15; vgl. auch Schink, OÖV 1995,881 (887); a.A. Fluck, KrW-1 AbfG, § 16 Rn. 10. 32 33
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die Schwierigkeit, daß fur die Übertragung des als notwendigem Gegenstück zur Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 KrW- / AbfG existierenden Rechts der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, eine Überlassung von dort näher bestimmten Abfällen zu verlangen, die Rechtsgrundlage fehlt. Demgegenüber bestimmt § 17 Abs. 6 S. 2 KrW - / AbfG explizit, daß im Falle der Pflichtenübertragung die Überlassungs- und Duldungspflichten nach § 13 Abs. 1 und 3 sowie § 14 KrW- / AbfG gegenüber den Verbänden bzw. Einrichtungen der Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft bestehen. § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG enthält eine vergleichbare Bestimmung nicht. Daraus folgt e contrario, daß solche Überlassungs- und Duldungspflichten nicht gegenüber den nach § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG eingeschalteten Rechtssubjekten bestehen, sondern weiterhin gegenüber den öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Diese auf einem Umkehrschluß zu § 17 Abs. 6 S. 2 KrW- / AbfG basierende Auslegung läßt sich weiter durch einen Vergleich der §§ 17, 18 auf der einen und § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG auf der anderen Seite untermauern. Während die §§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 2 KrW- / AhfG die Übertragung ausschließlich individueller Entsorgungspflichten zum Inhalt haben, erfaßt § 16 Abs. 2 kollektive Entsorgungspflichten "institutioneller"38 Entsorgungsträger gern. §§ 15 Abs. 1, 17 Abs. 1, 3, 18 Abs. 1,2 KrW- / AbfG. Der strukturelle Unterschied verbietet daher eine inhaltliche Gleichstellung der §§ 17, 18 und 16 Abs. 2 KrW- / AbfG. Diese Aspekte werden von denjenigen übersehen, die unkritisch in dem Übergang hoheitlicher Befugnisse ein Anhängsel der Übertragung öffentlicher Aufgaben erblicken. Es wird weder erläutert, welche rechtliche Konstruktion dieser Übertragung zugrunde liegt, noch wird klar, in welchem Umfang solche Rechte bestehen sollen. Die vom Gesetzgeber gewollte Anlehnung an § 4 Abs. 2 TKBG scheint dabei für viele eine ausreichende Begründung zu sein. 39 Indes stellt sich das grundsätzliche Problem, daß für die Übertragung von Hoheitsgewalt, die auch bei der Einforderung von Überlassungspflichten sowie der Nutzung der Duldungspflichten nach § 14 KrW- / AbfG ausgeübt wird, eine gesetzliche Grundlage notwendig ist. 40 Steht davon ausgehend den einge38 So Weidemann, Oie materielle Privatisierung der Hausmüllentsorgung nach § 16 Abs. 2 des Kreis1aufwirtschafts- und Abfallgesetzes, OVBI. 1998,661 (664). 39 Vgl. z.B. v. Lersner, in: v. Lersner / Wendenburg, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 29 f.; Fluck, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 123; Landsberg, Rechtsprobleme der Privatisierung im Bereich der Abfallentsorgung, in: Oas Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft, Heft 24, 1997, S. 39 (47); kritisch dazu Weidemann, OVBI. 1998,661 (664 ff.); Brüning, Steht das alte Rechtsinstitut der Beleihung vor einer neuen Zukunft?, SächsVBI. 1998,201 (202); Peters, NuR 1997,211 (211). 40 BVerwG,OVBI. 1989,517 (517); NVwZ 1985,48 (48); OVBI. 1970,736 (738); Brüning, SächsVBI. 1998, 201 (202); Grünewald, Öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Finanzierung von Entsorgungsdienstleistungen nach dem KrW- / AbfG?, SächsVBI. 1997, 49 (52); Pippke, Offentliche und private Abfallentsorgung, S. 128; Steiner, ÖffentlicheVerwaltung durch Private, 1975, S. 301.
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schalteten Privatrechtssubjekten keine Möglichkeit zu, die Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 KrW - / AbfG einzufordern, kann diese auch schwerlich ihnen gegenüber bestehen und damit nicht übergehen. Insoweit tritt dem Bürger im Außenverhältnis dann weiterhin die öffentlich-rechtliche Entsorgungskörperschaft gegenüber. Sie bleibt zur Einforderung der Überlassungspflicht berechtigt, und diese Pflicht besteht formal ihr gegenüber. 41 Auch bleibt die Gebührenberechtigung bei der entsorgungspflichtigen Körperschaft. Nur die Entsorgungspflicht selbst kann daher bei dieser Konzeption auf Private übertragen werden. 42 Hat solchermaßen die Entsorgungskörperschaft nach außen weiterhin die Verantwortung dem Bürger gegenüber, was mit den überlassenen Abfallen geschieht, bedarf § 13 Abs. 2 KrW- / AbfG einer teleologischen Reduktion. 43 Konsequenterweise trifft die öffentlich-rechtliche Entsorgungskörperschaft dann auch die Staatshaftung für ein Fehlverhalten der eingeschalteten Dritten. 44 Daher ist auch eine Einschränkung der Pflichtenübertragung im Bereich der Hausmüllentsorgung im Hinblick auf § 15 Abs. 2 KrW- / AbfG überflüssig. 45 In diesem Bereich herrscht noch eine weitgehende staatliche Regulierung, indem die Entsorgungspflichten gern. § 13 Abs. 1 S. 1 KrW- / AbfG weitgehend durch Überlassungspflichten substituiert sind. 46 Dieser starke Einfluß der öf41 Genauso verhält es sich auch bei den sog. privaten Entsorgungsträgem. Auch sie können Dritten die ihnen nach §§ 17, 18 übertragenen Entsorgungsptlichten übertragen. Die damit gern. §§ 17 Abs. 6 S. 2, 18 Abs. 2 KrW- / AbfG eingeräumten Rechte verbleiben aber auch nach dieser Übertragung bei den privaten Entsorgungsträgem. 42 Frenz, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 18 f.; sich dem anschließend Weidemann, DVBI. 1998, 661 (667); Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 128 f.; Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 138, 150; vgl. auch Brüning, SächsVBI. 1998, 20 I (202); Peine, in: Schmidt, Offentliches Wirtschaftsrecht BT 2, § 13 Tz. 160. 43 Näher Frenz, KrW- / AbfG, § 13 Rn. 18; so auch Weidemann, DVBI. 1998,661 (667). 44 Al1gemein näher Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 104 f., 115, 124, 158; hier a.A. Krahnefeld, Die abfallrechtlichen Entsorgungsptlichten, NuR 1996, 269 (275). 45 Frenz, KrW- / AbfG, § 15 Rn. 21; Weidemann, DVBI. 1998, 661 (663,667); v. Lersner, in: v. Lersner / Wendenburg, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 31; von einem redaktionellen Versehen spricht Fluck, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 124; rur eine Verdoppelung der Ptlichtenstellung Schink, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 15 Rn. 125; dagegen a.A. Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 123; Arzt, in: Gaßner / Versmann, Neuordnung kommunaler Aufgaben im KrW- / AbfG, 1996, S. 44, 113; Petersen / Rid, NJW 1995, 7 (14); de Vivie, Ist die Übertragung von Entsorgungsptlichten durch § 15 Abs. 2 KrW- / AbfG rur Hausmüll eingeschränkt?, NuR 1997,174 (174 f.); Hölscher, Öffentliche und private Entsorgung, ZUR 1995, 176 (180); zuletzt Klöck, Die Verwertung von Hausmüll nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, NuR 1999,441 (444). 46 Vgl. Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, 1996, S. 73; Kunig, in: Kunig / Paetow / Versteyl, KrW- / AbfG, § 13 Rn. 5; Weidemann, in: Brandtl Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 13 Rn. 41. 10 Ziekow
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fentlichen Hand im Hausmüllbereich perpetuiert sich damit im Verbleiben der zur Durchsetzung der Überlassungs- und Duldungspflichten erforderlichen Hoheitsrechte in der Hand der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger. In der Hand ihres Trägers stellen diese Rechte Kontroll- und Lenkungsmittel dar,47 die eine umwelt- und gesundheitsschützende Entsorgung erst ermöglichen. Zur Erreichung dieser Ziele müssen den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern diese Mittel daher auch zur Verfügung stehen. 48 Insofern macht diese auf die Übertragung der Entsorgungspflichten beschränkte Auslegung auch im Hinblick auf eine lückenlose Entsorgungssicherheit im Hausmüllbereich Sinn. b) Beleihung des Dritten?
Auch wenn im Rahmen der Pflichtenübertragung die Verantwortung nach außen hin nicht wechselt, agieren die eingeschalteten Dritten im übertragenen Bereich selbständig. Somit liegt keine bloße Drittbeauftragung vor, sondern eine Privatisierung zur selbständigen bzw. eigenverantwortlichen Erfüllung, mithin eine "Verwaltungssubstitution im staatlichen Kompetenzbereich".49 Es wird immer mehr davon abgerückt, 50 insoweit von einer Beleihung zu sprechen. 51 Beleihung ist jedenfalls die Übertragung von Verwaltungs- bzw. Staatsaufgaben auf natürliche oder juristische Personen des Privatrechts zur selbständigen hoheitlichen Wahrnehmung. 52 Eine Beleihung käme höchstens auf der Basis der Aufgabentheorie 53 in Betracht, wonach sich eine solche allein dadurch aus47 Vgl. Weidemann, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 13 Rn. 9; Kunig, in: Kunig / Schwermer / Versteyl, AbfG, 2. Aufl. 1992, § 3 Rn. 1; Lauterbach I Stammberger u.a., Positionspapier der Arbeitsgruppe "Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz", StT 1998, 347 (348). 48 Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1329) mit dem Hinweis, daß private Haushaltungen mit einer eigenverantwortlichen Entsorgungsverpflichtung schlichtweg überfordert wären. 49 Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 50. 50 Bereits Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 78, 120; ders., KrW- / AbfG, I. Aufl. 1996, § 16 Rn. 18; im Anschluß daran Weidemann, DVBI. 1998,661 (665); Brüning, SächsVBI. 1998,201 (202 f.). 51 So aber Fluck, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 123; Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1329 0; Bleicher, Auswirkungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes auf die Abfallwirtschaft, Landkreis 1994, 552 (554); Schink, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW / AbfG, § 16 Rn. 62; ders., Auswirkungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes sowie des Gesetzentwurfs zur Änderung des Landesabfallgesetzes NW auf Abfallwirtschaftssatzungen, GemH 1994, 241 (242); Queitsch, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 16 Anm. 2 m.w.N.; Peters, UPR 1997,211 (211); Kahl, DVBI. 1998, 1327 (1329); Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, § 18 Rn. 133. 52 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 1999, § 21 Rn. 11, § 23 Rn. 56; Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 27; Brüning, SächsVBI. 1998, 20 I (20 I); Weidemann, DVBI. 1998, 661 (665). 53 Diese verfolgt in einer moderneren .formellen Variante Steiner, Öffentliche V.~r waltung durch Private, S. 46 ff.; ders., Offentliehe Verwaltung durch Private, DOV
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zeichnet, daß mit ihr Verwaltungsaufgaben übertragen werden. 54 Die Vertreter der Aufgabentheorie verneinen das Erfordernis der Übertragung von Hoheitsgewalt. Vielmehr reiche bereits die Übertragung schlicht-hoheitlicher Aufgaben in Form von öffentlichen Pflichten aus. 55 Betrachtet man aber die Regelung des § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG unter diesem Aspekt der Verwaltungsaufgabe, so kommt die Frage auf, ob die Abfallentsorgung mit Einfiihrung des KrW - / AbfG nicht ihren Charakter als eine dem Staate zugewiesene oder gar vorbehaltene 56 Aufgabe bereits eingebüßt hat. Die Abfallentsorgung wird im Gegensatz zum früheren § 3 Abs. 2 S. 1 AbfG in weiten Teilen dem privaten Entsorgungssektor zugänglich gemacht. Auch der pauschale Verweis auf die Anlehnung an § 4 Abs. 2 TKBG 57 allein vermag keine Begründung fiir die BeliehenenEigenschaft dieser Privaten zu sein. Die solchermaßen intendierte Mitnahme von Hoheitsrechten als Anhängsel der öffentlichen Pflichten verstößt gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes. 58 Tiefergehend erweckt eine solch ausgreifende Konzeption des Beliehenenbegriffs grundsätzliche Bedenken. Di Fabio schränkt denn auch die Aufgabentheorie dahingehend ein, es müsse zur Übertragung öffentlicher Aufgaben die Einräumung faktischer, normativ abgestützter Gewalt hinzukommen. 59 Aber auch dieses Kriterium ist eher vage und ermöglicht schwerlich eine klare Abgrenzung. Jedenfalls wird in § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG gerade keine Übertragung auch nur faktischer Gewalt normativ vorgenommen. Das Heft in der Hand haben bei der Pflichtenübertragung weiterhin die öffentlich-rechtlichen
1970, 526 ff.; aus unserer Zeit etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 56; Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz, S. 55. 54 Dies freilich nicht in der neueren, von Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL Bd. 56 (1997), 235 (272 f.) vertretenen Spielart, es müsse zur Übertragung öffentlicher Aufgaben die Einräumung faktischer, normativ abgestützter Gewalt hinzukommen. 55 Schulz, Privatisierung der kommunalen Abwasserbeseitigung durch Beleihung?, ZfW 1998,277 (279); Schink, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 62; v. Lersner, in: v. Lersner / Wendenburg, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 29; Fluck, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 123. 56 Vgl. Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 27 f.; Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 130 f. 57 So die Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 12/5672, S. 45, wonach "die bewährte Regelung des § 4 Tierkörperbeseitigungsgesetzes auch für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes übernommen" werden sollte. Vgl. Fluck, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 123; Schink, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 62. 58 Brüning, SächsVBI. 1998, 20 I (202); Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 134. 59 Di Fabio, VVDStRL Bd. 56 (1997), 235 (272 f.).
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Entsorgungsträger, die die Hoheitsgewalt behalten. Dies ist allgemein das, was den Staat gegenüber allen anderen Rechtssubjekten auszeichnet. Während öffentliche und auch staatliche Aufgaben zuhauf durch oder zumindest unter Einschaltung Privater wahrgenommen werden, ist die Hoheitsgewalt das dem Staat Eigentümliche und zugleich ihm Vorbehaltene. 6o Wesentlicher Ausdruck dieser exponierten Stellung ist u.a. die Behördeneigenschaft und die Möglichkeit, in den Formen der Verwaltung z.B. durch Verwaltungsakt zu handeln. 61 Wird der Beliehenenbegriff entsprechend der Rechtsstellungstheorie 62 beschränkt, behält er klare Konturen und erfaßt nur im wesentlichen gleichstrukturierte Sachverhalte als Grundlage für die Ableitung gemeinsamer Regeln. 63 c) Zuordnung geeigneter Organisationsformen
Als diesen rechtlichen Grunddeterminanten entsprechende Organisationsformen kommen diejenigen Modelle in Betracht, bei denen keine staatliche Hoheitsgewalt übergeht und auch das förmlich-hoheitliche Auftreten nach außen in der Hand der öffentlich-rechtlichen Körperschaften bleibt, indes die Verantwortung für die Erfüllung der Entsorgungspflichten der Verwaltung gegenüber wechselt. Denkbar sind privatrechtliche Vertragsformen. Damit erscheint auch die Übertragung nach § 16 Abs. 2 KrW - / AbfG als ein Ausdruck der funktionalen Privatisierung, die durch einen Rückzug der öffentlichen Hand in eine GarantensteIlung und eine Verlagerung der Aufgabenerledigungen auf Private gekennzeichnet ist. 64 In Betracht kommen auch hier, wie im Rahmen von § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG65 , das Betreiber- und das Betriebsführungsmodell sowie das gemischtwirtschaftliche Unternehmen. Fraglich ist das Konzessionssystem, wonach ein privater Betreiber direkt an den Nutzer gegen ein von diesem zu erbringendes Entgelt leistet, unter dem Blickwinkel, daß die Gebührenberechtigung in der Hand der öffentlich-rechtlichen Entsorgungskörperschaften bleibt. Dieses Sy60 Dabei die Kategorie des rechtlichen Könnens von der des rechtlichen Dürfens unterscheidend Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 45 ff., \09; diese Differenzierung im Zusammenhang mit dem Beliehenen heranziehend Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959, S. 77 ff. 61 Erichsen. in: ders., Allgemeines VelWaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, § 12 Rn. 18; Brüning, SächsVBI. 1998,201 (202); Weidemann, DVBI. 1998,661 (665). 62 AusfIlhrlich Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 77 ff.; v. Heimburg, VelWaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 31 ff.; Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 27 ff. 63 Dies fordernd Stein er, Öffentliche VelWaltung durch Private, S. 211. 64 Als materielle Privatisierung eingeordnet von Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 135; Weidemann, DVBI. 1998,661 (668). 65 Siehe oben IJ. I. d).
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stern käme freilich dann in Betracht, wenn § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG entsprechend dem Vorbild des § 17 Abs. 5, 6 S. 2 KrW- / AbfG geändert würde, so daß auch den eigenverantwortlich eingeschalteten privaten Dritten gegenüber die Überlassungs- und Duldungspflichten nach §§ 13 und 14 KrW- / AbfG gelten würden und diese zur Gebührenerhebung berechtigt wären. d) Unterschiede zwischen Beauftragung und Pflichtenübertragung
Die weitgehende Kongruenz der im Bereich von §§ 16 Abs. 1 und Abs. 2 KrW - / AbfG in Frage kommenden Organisationsmodelle sollte aber nicht über die grundsätzlichen Unterschiede dieser beiden Privatisierungstatbestände hinwegtäuschen. Vielmehr haben diese Organisationsmodelle in der praktischen Umsetzung einen jeweils unterschiedlichen Inhalt, vor allem was die Einflußnahmemöglichkeiten der öffentlichen Entsorgungsträger angeht. Weitgehend ist dieser Einfluß im Bereich des § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG. Dem beauftragten Dritten werden genau festgelegte Aufgaben allein zur Erfüllung, zur Durchführung zugeteilt. Von der planerischen und organisatorischen bis hin zur technischen Durchführung kann diese Aufgabenerfüllung durch den Entsorgungsträger reglementiert werden. Insoweit ist diese Tätigkeit mehr oder minder fremdbestimmt. 66 Als rechtstechnisches Mittel zur Umsetzung seiner Vorstellungen dient dem Entsorgungsträger der privatrechtliche Entsorgungsvertrag. In ihm können sämtliche Details der Aufgabenerfüllung geregelt werden. 67 Diese Einflußnahmemöglichkeit spiegelt die im KrW- / AbfG festgelegte Verantwortungsaufteilung wider. Gern. § 16 Abs. 1 S. 2 KrW- / AbfG wird der Entsorgungsträger von seiner Verantwortung im Bereich der zur Erfüllung übertragenen Entsorgungsaufgabe nicht befreit. Ist er solchermaßen vorbehaltlos für die Erfüllung der Aufgabe an erster Stelle verantwortlich, muß er sich den zur Wahrnehmung dieser Verantwortung erforderlichen Einfluß auch sichern können. Demgegenüber ist der öffentliche Entsorgungsträger im Rahmen der Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW - / AbfG von seiner Entsorgungspflicht gern. § 15 Abs. 2 KrW- / AbfG befreit und nimmt lediglich eine Garantiefunktion wahr. Entsprechend dieser nur subsidiären Verantwortung sind seine Einflußmöglichkeiten nur gering. Mit der Übertragung der Entsorgungspflicht wird ein Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen der Dritte freiverantwortlich handeln kann. Für die Wahrnehmung der Aufgabe ist nunmehr der Dritte primär zuständig. Diese Zuständigkeit erfaßt alle Stufen von der konzeptionellen und organisatorischen Vorbereitung bis zur tatsächlichen Ausführung der Ent66 So Weidemann, DVBI. 1998,661 (667); vgl. auch Peine, DÖV 1997,353 (357); Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 39 f. 67 ova Schleswig, ZUR 1999,160 (161).
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sorgung. Besonderen Ausdruck findet diese Organisationshoheit in der Wahl geeigneter Entsorgungsbetriebe bzw. Standorte zum Bau eigener Entsorgungsanlagen, die frei von kommunaler Einflußnahme vorgenommen werden kann. 68 Wichtig ist dies insofern, als bereits bestehende kommunale Anlagen Gefahr laufen, durch Abnahme der Abfallmengen Überkapazitäten zu erzeugen. Ob die bloße wirtschaftliche Auslastung solcher Anlagen ein entgegenstehendes öffentliches Interesse bei der Ermessensentscheidung über das "Ob" einer Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG begründet, dürfte vor dem Hintergrund des privatisierungsfreundlichen KrW - / AbfG aber zweifelhaft sein. In dem Entsorgungsvertrag bleibt somit allenfalls Platz für die Setzung von Rahmenbedingungen sowie der Abstimmung im Hinblick auf die den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zustehenden Hoheitsrechte. 3. Einschaltung von Verbänden und Einrichtungen der Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft gern. §§ 17, 18 KrW- / AbfG Der durch das KrW - / AbfG herbeigeführte Wechsel von der öffentlichrechtlichen zu einer stärker privaten Entsorgungsverantwortung zeigt sich auch in der Vorschrift des § 17 Abs. 1 KrW - / AbfG. Diese sieht die Bildung von Verbänden durch Erzeuger und Besitzer von Abfällen aus gewerblichen, sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen als auch aus öffentlichen Einrichtungen vor. Dadurch soll zum einen die private Entsorgungsverantwortung erhalten und begünstigt werden. 69 So können sich auch kleine gewerbliche Unternehmen, denen eine Verwertung bzw. Beseitigung von Abfällen in eigenen Anlagen nicht möglich ist und die diese Abfälle daher gern. § 13 Abs. 1 S. 2 KrW- / AbfG dem öffentlichen Entsorgungsträger überlassen müßten, diesen Verbänden anschließen. 7o Damit wird ein Rückfall in den öffentlichen Entsorgungssektor verhindert. Zum anderen wird durch diese Sicherung privater Entsorgungsverantwortung auch das Ziel erreicht, die Eigeninitiative der Wirtschaft zu fördern, um deren Innovationskräfte zu einem beschleunigten Aufbau der Kreislaufwirtschaft zu nutzen. 71 In dieses Verbändesystem wird auch die öffentliche Hand integriert. Die Kommunen können über ihre öffentlichen Einrichtungen und die zu ihrem Bereich zählenden wirtschaftlichen Unternehmen an der Verbandsbildung teilhaben, während die öffentlich-rechtlichen EntsorWeidemann, DVBI. 1998,661 (667). Fluck, KrW - / AbfG, § 17 Rn. 52; Frenz, KrW - / AbfG, § 17 Rn. I. 70 Vgl. Bericht des Ausschusses rur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 12/7284, S. 18, wonach Ziel dieser Vorschrift und Zweck des Verbandes die Aufgabenwahrnehmung rur eine Vielzahl von Kleinerzeugern sei. 71 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/5672, S. 44. 68
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gungsträger selbst nach § 17 Abs. 2 KrW- / AbfG nur eine fördernde Funktion innehaben, mithin Verbände nicht selbst zu bilden vermögen. Sie sind daher auf ein Initiativrecht beschränkt; ein bestimmender Einfluß in den Verbänden steht ihnen aufgrund des zurückhaltenden Wortlauts des § 17 Abs. 2 KrW- / AbfG nicht zu. 72 Der Begriff des Verbandes wird nicht näher definiert. Es wird sich um eine juristische Person handeln müssen. Als zweckmäßigste Form wird eine GmbH angesehen. 73 Diese Verbände können sowohl als Dritte gern. § 17 Abs. 1 KrW-/ AbfG beauftragt werden als auch von einer Pflichtenübertragung gern. § 17 Abs. 3 KrW- / AbfG profitieren. Insoweit kann an das zu § 16 KrW- / AbfG Ausgeruhrte angeknüpft werden. Indes geht bei Verbänden mit einer Pflichtenübertragung auch die Übertragung von Hoheitsgewalt einher; sie können gern. § 17 Abs. 5 S. 1 KrW- / AbfG Gebühren erheben, und die Überlassungs- und Duldungspflicht nach § 13 und § 14 KrW - / AbfG besteht gern. § 17 Abs. 6 S. 2 KrW- / AbfG ihnen gegenüber, so daß sie diese als Korrelat dazu auch einfordern können. Mit diesen Hoheitsbefugnissen nehmen sie die Stellung eines Beliehenen74 ein. Das ist an dieser Stelle im Gegensatz zur Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG auch unproblematisch. Durch die ausdrückliche Regelung der einzelnen Hoheitsrechte in § 17 Abs. 5, 6 KrW- / AbfG erhalten die Verbände die Stellung eines Beliehenen kraft gesetzlicher Anordnung; dem Prinzip des Gesetzesvorbehaltes ist damit Genüge getan. Entsprechendes gilt rur Einrichtungen von Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft nach § 18 Abs. 2 KrW- / AbfG, an deren Bildung sich allerdings die Entsorgungsträger nicht beteiligen können, auch nicht über ihre öffentlichen Einrichtungen oder die ihnen zuzurechnenden Unternehmen. Diese Einrichtungen wie auch die Verbände können über den beantragten Bereich hinaus rur Entsorgungsaufgaben nach §§ 17 Abs. 4, 18 Abs. 2 KrW- / AbfG "zwangsverpflichtet" werden.
72 Fluck, KrW- / AbfG, § 17 Rn. 73; vgl. aber v. Lersner, in: v. Lersner / Wendenburg, KrW- / AbfG, Kz. 0117 Rn. 113. 73 Schink, DÖV 1995,881 (887); v. Lersner, in: v. Lersner / Wendenburg, KrW- / AbfG, Kz. 0117 Rn. 5. 74 Fluck, KrW- / AbfG, § 17 Rn. 81, 154; Versteyl, in: Kunig / Paetow / Versteyl, KrW- / AbfG, § 17 Rn. 22; Frenz, KrW- / AbfG, § 17 Rn. 19; kritisch Peters, Wahrnehmung abfallrechtlicher Entsorgungsaufgaben durch Verbände, Einrichtungen und Dritte, UPR 1999, 17 (18).
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4. Übertragung der Abfallbeseitigung auf Antrag gern. § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG
Unter Privatisierungsaspekten stellt § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG eine weitere Möglichkeit der Übertragung von Entsorgungsaufgaben auf private Entsorgungsbetriebe dar. Danach kann dem Betreiber einer Abfallbeseitigungsanlage auf dessen Antrag die Abfallbeseitigung der nach §§ 15, 17, 18 KrW- / AbfG verpflichteten Entsorgungsträger übertragen werden, wenn er diese wirtschaftlicher erfüllen kann. Damit hat der Gesetzgeber an die bereits im alten Abfallgesetz bestehende Regelung des § 3 Abs. 6 AbfG angeknüpfe 5, wenngleich diese Möglichkeit im neuen KrW - / AbfG eine Einschränkung insoweit erfahren hat, als nunmehr nicht mehr die Entsorgung, sondern allein die Beseitigung von Abfällen erfaßt wird. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen, unter denen diese Vorschrift ursprünglich entstanden ist, wesentlich verändert haben, ist an ihr festgehalten worden. Diese Bedingungen hießen früher steigende Abfallmengen bei gleichzeitig zurückgehenden Entsorgungskapazitäten, 76 während heute umgekehrt ein Kampf um die sinkenden Abfallmengen zur Auslastung der überschüssigen Kapazitäten der Regelfall ist. 77 So wäre vor allem aus Sicht der Kommunen ein Wegfall dieser Vorschrift zur Sicherung der ihnen zukommenden Abfallmengen von Vorteil gewesen. Das Festhalten an dem an Wirtschaftlichkeitsaspekten ausgerichteten § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG unterstreicht daher nochmals eindrücklich die mit dem KrW - / AbfG verfolgten Efflzienzziele. Problematisch ist aber die Einordnung des § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG in die oben erläuterten Kategorien von Drittbeauftragung und Pflichtenübertragung. 78 § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG steht systematisch abseits von §§ 16 ff. KrW- / AbfG. Diese Norm ist unter der Überschrift "Durchführung der Beseitigung" im vierten Teil über die "Planungsverantwortung" eingefügt worden. Die zuständige Behörde kann einem Anlagenbetreiber die "Beseitigung" von Abfällen "übertragen". Diese Formulierung spricht isoliert gesehen rür eine Pflichtenübertragung gleich der nach §§ 16 Abs. 2, 17 Abs. 3 bzw. 18 Abs. 2 KrW- / AbfG. Für dieses Institut verwenden die genannten Normen jedoch den spezielBegründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/5672, S. 48. Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12 / 5672, S. 31, 34 f. 77 Kersting, Ist die Verwertung von Abfallgemischen rechtlich unmöglich?, NVwZ 1998, 1153 (1153); Frenz, Gewerblicher Abfall, 1999, S. I; Kniesei / Scheerbarth, Die gemischt-wirtschaftliche GmbH im Bereich der Abfall- und Abwasserwirtschaft, StT 1998,340 (341). 78 Ausflihrlich dazu Bree, § 28 11 KrW- / AbfG - Die Vorschrift im Schatten der Übertragungstatbestände des neuen Abfallrechts, NVwZ 1998, 1127 ff.; die Einordnung je nach PflichtensteIlung des Entsorgungsträgers vornehmend Paetow, in: Kunig / Paetow / Versteyl, KrW- / AbfG, § 28 Rn. 16. 75
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leren Ausdruck der "Pflichten", die übertragen werden können. Eine eindeutige Zuordnung ergibt sich hieraus nicht. Zudem spricht die Überschrift des § 28 KrW- / AbfG von der ,,Durchfiihrung der Beseitigung". Die Durchfiihrung einer Aufgabe kann sinngemäß mit deren Erfiillung gleichgesetzt werden, so daß insoweit eher eine Verbindung zu den Fällen der reinen Erfiillungssubstitution gern. §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 KrW - / AbfG besteht. 79 Allein mit dem Wortlaut der Norm und der Überschrift läßt sich somit keine eindeutige Zuordnung vornehmen. Die genaue Einordnung wird auch nicht durch einen Blick auf die Entstehungsgründe der Norm erleichtert. Die Begründung der Bundesregierung, daß mit dem neuen § 28 KrW- / AbfG die Alt-Vorschrift des § 3 Abs. 6 AbfG im wesentlichen übernommen wurde,80 hat insoweit keinen großen Aussagewert, als die systematische Einordnung des § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG bereits im AbfG umstritten war. 8I Während ein Teil der Literatur § 3 Abs. 6 AbfG aus sich selbst heraus als Pflichtenübertragung verstand,82 sah eine andere Ansicht darin lediglich eine Erfiillungssubstitution, ohne daß damit die Pflicht als solche auf den Anlagenbetreiber übergeht. 83 Auch der systematische Vergleich des § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG mit anderen Vorschriften des KrW- / AbfG spricht eher fur eine bloße Drittbeauftragung, weil § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG weder in § 13 Abs. 2 noch in § 15 Abs. 2 Erwähnung findet. Dies kann jedoch mit der isolierten Stellung der Vorschrift und der damit verbundenen fehlenden gesetzlichen Einarbeitung erklärt werden. 84 Auch ist die Zustimmung des öffentlichrechtlichen Entsorgungsträgers ebenso wie in § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG nicht erforderlich. 8s Dagegen spricht die Konstruktion des § 28 Abs. 2 KrW - / AbfG mit seiner Antragspflicht und der Entscheidungshoheit der zuständigen Behörde eher fiir eine Pflichtenübertragung gern. §§ 16 Abs. 2, 17 Abs. 3 KrW- / AbfG.
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Bree, NVwZ 1998, 1127 (1128).
80 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/5672, S. 48.
81 Übersicht bei Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 189 f. 82 Kunig, in: Kunig / Schwermer / Versteyl, Kommentar zum Abfallgesetz, 2. Aufl. 1992, § 3 Rn. 59; Seifert / Northoff, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Gebührensenkung durch Gestaltungsmöglichkeiten für den Vorsteuerabzug beim Abfallbesitzer, GemH 1995, 156 (158). 83 Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 71; v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 143; Wallerath, Öffentliche Bedarfsdekkung und Verfassungsrecht: Beschaffung und Leistungserstellung im Staat der Gegenwart, 1988, S. 81, 82. 84 Bree, NVwZ 1998, 1127 (1129). 8S Vgl. Bree, NVwZ 1998, 1127 (1128).
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Die Aussagekraft dieser aus einem Vergleich der Vorschriften gewonnenen Argumente darf jedoch nicht überbewertet werden. Erkennt man nämlich die isolierte Stellung des § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG und dessen fehlende Einarbeitung in die Systematik des KrW- / AbfG an, so kann eine endgültige Einstufung dieser Vorschrift nur auf Grundlage ihrer Zielsetzung vorgenommen werden. Diese besteht darin, solchen Anlagenbetreibern, die anband von Effizienzdaten eine nachweislich wirtschaftlichere Abfallbeseitigung bei gleichwertiger Sicherstellung der Umweltverträglichkeit86 als die Entsorgungsträger i.S.v. §§ 15, 17, 18 KrW- / AbfG zu leisten imstande sind, weitere Abfälle zur Beseitigung zukommen zu lassen. Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme einer Pflichtenübertragung nahe, denn die Wirtschaftlichkeit der Abfallbeseitigung hängt u.a. von Organisation und Planung ab. Mit der Übertragung der Abfallentsorgung muß dem Betreiber einer Abfallentsorgungsanlage daher ein Rahmen verschafft werden, innerhalb dessen er freiverantwortlich tätig werden kann. Diesen erhält er aber, wie oben gesehen, nur bei der Pflichtenübertragung. Daher ist die Stellung des nach § 28 Abs. 2 KrW- / AbfG eingeschalteten Betreibers einer Abfallbeseitigungsanlage am ehesten mit der des nach § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG Herangezogenen vergleichbar. 87 Der in dieser Form Begünstigte trägt also die Beseitigungsverantwortung; allerdings ist die Übertragung von Hoheitsbefugnissen nicht vorgesehen. Es wird demgemäß auch nicht auf § 17 Abs. 6 KrW - / AbfG verwiesen.
III. Formen der Organisationsprivatisierung Im KrW - / AbfG nicht näher geregelt ist, welche Organisationsformen hinsichtlich einer Organisationsprivatisierung im einzelnen in Betracht kommen. Grundsätzlich sind die Kommunen, genauer die Landkreise und kreisfreien Städte als öffentlich-rechtliche Entsorgungskörperschaften gern. § 5 Abs. 1 AbfG NW 88 , im Rahmen der durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützten kommunalen Organisationshoheit in der Wahl der Organisationsform frei. 89 Zur Auswahl stehen die Modelle des Regiebetriebs, des Eigenbetriebs, der Eigengesellschaft, der Anstalt des öffentlichen Rechts, des Zweckverbands und des Frenz, KrW- / AbfG, § 28 Rn. 13. So auch Bree, NVwZ 1998, 1127 (1128); ders., Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 192. 88 Für das Einsammeln sind gern. § 5 Abs. 6 AbfG NW die Gemeinden zuständig. 89 BVerwG, ZUR 1999, 160; Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, 1987, S. 4; Tettinger, in: FS Friauf, 569 (575); Erichsen, Die Vertretung der Kommunen in den Mitgliederorganen von juristischen Personen des Privatrechts, 1990, S. 16; für einen grundsätzlichen Vorrang öffentlich-rechtlicher Organisationsformen Ehlers, OVBI. 1998, 497 (505). 86
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gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens. Während etwa der Regiebetrieb in der Gruppe öffentlich-rechtlicher Formen am engsten an die Strukturen der kommunalen Verwaltung angelehnt und organisatorisch in diese mit der Folge eingebunden ist, daß eine starke Lenkung und Kontrolle durch die Gemeinde gegeben ist,90 sieht das Kommunalrecht mit den Eigenbetrieben die öffentlichrechtliche Sonderform eines nicht-rechtsfähigen Unternehmenstyps vor, die durch eine Werks leitung gefiihrt werden und nur mittelbar an die politische Führung gebunden sind. Damit ist der Eigenbetrieb von der Gemeindeverwaltung organisatorisch und finanzwirtschaftlich eindeutig getrennt. 91 So sind bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Abfallentsorgung in der Form eines Regiebetriebes die Leitungsfunktionen des Hauptverwaltungsbeamten bzw. des fiir den Regiebetrieb zuständigen Dezernenten in keiner Weise geschmälert. Dienstanweisung, Ablauf und Verteilung der Geschäfte werden damit weiterhin unmittelbar durch die Gemeindeverwaltung selbst bestimmt. Im Gegensatz dazu obliegt insbesondere die laufende Geschäftsführung beim Eigenbetrieb, bei dem die Führungs- und Leitungsfunktionen auf die Werksleitung, den Hauptverwaltungsbeamten der Körperschaft, das Kommunalparlament und dessen Werksausschuß verteilt sind, der Werksleitung, der gern. § 2 Abs. 1 EigenbetriebsVO NW die selbständige Leitung des Eigenbetriebes übertragen ist. Im Zuge der Organisationsprivatisierung im Abfallsektor findet vielfach ein Wechsel von öffentlich-rechtlichen zu privatrechtlichen Organisationsformen statt. Dies kann in Form der Gründung einer Eigengesellschaft geschehen, die vollständig von der pflichtigen Entsorgungskörperschaft beherrscht wird. In Verfolgung des in Zeiten leerer Haushaltskassen oft im Vordergrund stehenden Privatisierungszwecks der Einbindung privaten Kapitals werden jedoch häufig auch gemischt-wirtschaftliche Unternehmen mit der Wahrnehmung von Entsorgungsaufgaben betraut. Die Organisation in privater Rechtsform kann gegenüber öffentlich-rechtlicher einige Vorteile haben. So kann hochqualifiziertes und -dotiertes Führungspersonal geworben werden, was im starren Tarifsy-
90 Landsberg, in: Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft, Heft 24, S. 39 (43 f.); Hauser, Die Wahl der Organisationsfonn kommunaler Einrichtungen, S. 2; Schink, Kommunalverfassungs- und kartellrechtliche Probleme bei der Organisation der öffentlichen Abfallwirtschaft, in: Bauer / Schink, Organisationsfonnen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, 1993, S. 5 (16); Schmidt-Aßmann, in: ders., Besonderes Verwaltungsrecht, I \. Aufl. 1999, I. Abschn. Rn. 124; Stober, Kommunalrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1996, § 16 II 2. 91 Siehe Stober, Kommunalrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 22 III 2 b; Schmidt-Aßmann, in: ders., Besonderes VerwaItungsrecht, I. Abschn. Rn. 123 ff.; Schink, in: Bauer / Schink, Organisationsfonnen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, S. 5 (16).
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stern des öffentlichen Dienstrechts nicht möglich wäre. 92 Ein weiterer Vorteil wird in der Effizienz und betriebswirtschaftlichen Arbeitsweise privatrechtlicher Unternehmen gesehen. 93 Zudem unterliegt das Handeln privater Entsorgungseinheiten nicht in dem Maße politischer Einflußnahme, wie dies bei öffentlich-rechtlichen Organisationsformen der Fall ist. 94 Das läßt einen schnelleren Willensbildungsprozeß erwarten. Nachteilig kann sich jedoch die Steuerpflichtigkeit privater Gesellschaftsformen auf die Gebührenhöhe auswirken. Zudem verteuert sich die Entsorgungsleistung durch Einkalkulierung eines Gewinnes, wie es bei Privaten stets der Fall sein wird. 95 Trotz der bereits erwähnten grundsätzlichen Organisationshoheit der Kommunen setzen die §§ 107, 108 GO NW der Wahl einer geeigneten Organisationsform Grenzen. Aus § 107 Abs. 1 S. 1 GO NW ergeben sich zunächst die allgemeinen Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden. 96 Aus § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GO NW folgt weiter, daß eine Gemeinde Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform nur dann gründen oder sich daran beteiligen darf, wenn eine solche gewählt wird, die die Haftung der Kommune auf einen bestimmten Betrag begrenzt. Damit kommt flir Eigengesellschaften wie flir gemischt-wirtschaftliche Unternehmen vor allem die Aktiengesellschaft sowie die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Frage. 97 Bezüglich der Aktiengesellschaft hat das Erste Modernisierungsgesetz NRW 98 vom 15. Juni 1999 mit § 108 Abs. 3 GO NW eine Neuerung gebracht. Danach darf sich eine Gemeinde dieser Rechtsform nur bedienen, wenn der verfolgte öffentliche Zweck nicht ebenso gut in einer anderen Rechtsform erflillt wird oder erflillt werden kann. 99 Ob sich diese Subsidiarität der AG nur auf privatrechtliche oder auch auf öffentlich-rechtliche Rechtsformen bezieht, kann man dem Wortlaut nicht 92 Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 19 f., 23; Schink, in: Bauer / Schink, Organisationsformen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, S. 5 (18 f.); Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 101 f. 93 Schach, DVBI. 1994, 1 (9 0; Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1332); kritisch Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 265 f. 94 Kritisch Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 86, 90. 95 OVG Schleswig, ZUR 1999, 160 (162). 96 Vor allem im Hinblick auf den Charakter der Abfallentsorgung als wirtschaftliche Betätigung siehe unten VII. 2. 97 Staber, Kommunalrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 22 III 3; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 100 ff.; Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 222; Britsch, Steuerrecht liehe Aspekte bei der Gründung einer Entsorgungs-GmbH, in: Bauer / Schink, Organisationsformen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, S. 52 (54). 98 Erstes Gesetz zur Modemisierung von Regierung und Verwaltung in NordrheinWestfalen (Erstes Modemisierungsgesetz - 1. ModemG NRW) vom 15.6.1999, GVBI. NW 1999, S. 387. 99 GVBI. NW 1999, S. 387.
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entnehmen. Jedoch enthält der ebenso neu eingeftigte Abs. 4, der Voraussetzungen für die Wahl der GmbH als geeignete Rechtsform statuiert, eine solche Subsidiaritätsklausel nicht. Daraus und aus der systematischen Stellung in § 108 GO NW, der mit "Unternehmen und Einrichtungen des privaten Rechts" überschrieben ist, ergibt sich, daß diese Subsidiarität gegenüber privaten Rechtsformen, vor allem gegenüber der in Abs. 4 behandelten GmbH gelten soll. Damit hat der Gesetzgeber seine Präferenz zugunsten der GmbH als geeignete Rechtsform von Unternehmen und Einrichtungen einer Gemeinde zum Ausdruck gebracht. Die §§ 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, 113 Abs. 3 GO NW statuieren zudem eine sog. Einwirkungspflicht der Kommunen, die der Einflußsicherung in den Überwachungsorganen dieser Unternehmen dient. 100 Der Einfluß der Kommunen erwächst aus der mehrheitlichen Kapitalbeteiligung sowie faktisch durch die Stellung von Führungspersonal, stärker rechtlich über den Aufsichtsrat und die GeseIlschafterversammlung, wobei die kommunalen Vertreter gern. § 113 Abs. 1 GO NW auf die Interessen der Gemeinde verpflichtet und an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind. 101 Hier können aber Konflikte zwischen Kommunalrecht und Gesellschaftsrecht auftreten. 102 Gern. § 113 Abs. 1 S. 4 GO NW besteht diese Weisungsgebundenheit daher auch nur, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Das bedeutet, daß Weisungsrechte nur im Rahmen des gesellschaftsrechtlich Möglichen bestehen. 103 Betreibt eine Gemeinde ein Entsorgungsuntemehmen in Form einer Aktiengesellschaft, beschränken sich diese Weisungsrechte auf die kommunalen Vertreter in der Hauptversammlung. 104 Weisungen gegenüber den Organrnitgliedem in Aufsichtsrat und Vorstand sind aufgrund der ihnen gern. §§ 76 Abs. 1, 111 AktG eingeräumten selbständigen und nur am Wohl der Gesellschaft ausgerichteten Stellung nicht möglich. !Os Gleichwohl werden sich solche Weisun-
100 Spannowsky, Die Verantwortung der öffentlichen Hand für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben und die Reichweite ihrer Einwirkungspflicht auf Beteiligungsunternehmen, DVBI. 1992, 1072 ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 130 f.; Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 65 ff. 101 Näher Erichsen, Die Vertretung der Kommunen in den Mitgliederorganen von juristischen Personen des Privatrechts, S. 120. 102 Näher Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl.
1997, S. 285 f. 103 Vgl. Schmidt, Der Übergang öffentlicher Aufgabenerfüllung in private Rechtsformen, ZGR 1996, 345 (350). 104 Vgl. Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 68; Erichsen, Die Vertretung der Kommunen in den Mitgliederorganen von juristischen Personen des Privatrechts, S. 45; Schmidt, ZGR 1996,345 (353). lOS BGHZ 36, 296 (306) bzgl. entsandter Aufsichtsratsmitglieder; Huffer, Aktiengesetz, 3. Aufl. 1997, § 76 Rn. 10; Hueck, Gesellschaftsrecht, 19. Aufl. 1991, S. 212; Ei-
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gen in einer Eigengesellschaft aufgrund der lOO%-igen Kapitalbeteiligung und der personellen Besetzung faktisch durchsetzen lassen. Hingegen sind bereits die rechtlichen Steuerungsmöglichkeiten der Kommune in der anders strukturierten GmbH besser. Zwar besteht ein verbindliches Weisungsrecht auch hier nur gegenüber den kommunalen Vertretern in der Gesellschafterversammlung. Doch kann diese über eine gern. § 45 Abs. 1 GmbHG mögliche satzungsrechtliche Regelung und über § 37 Abs. 1 GmbHG durch Einzelweisung l06 direkten Einfluß auf die Geschäftsführung nehmen. 107 Auch das Recht zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer gern. § 46 Nr. 5 GmbHG, sowie die Möglichkeit zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung gern. § 46 Nr. 6 GmbHG geben den Kommunen im Rahmen der Gesellschafterversammlung als höchstem Organ 108 der GmbH starke Lenkungsmittel an die Hand. Je nach Höhe der Kapitalbeteiligung und Satzungsgestaltung kann der Rat einer Stadt daher mittelbar über seine rnitgliedschaftlichen Rechte steuernd tätig werden. Daher bietet sich die GmbH als die am besten geeignete privatrechtliche Gesellschaftsform im Rahmen einer Organisationsprivatisierung im Abfallbereich an. 109
IV. Abfallrechtliche Zielgenauigkeit Was die Umsetzung der politischen Ziele betrifft, setzt das KrW- / AbfG vom Ansatz her auf die Stärkung privater Verantwortung durch gesetzliche Implementierung des sog. Verursacherprinzips, vor allem in den §§ 5 Abs. 2, 11 Abs. 1 KrW- / AbfG. Nur auf diese Weise ist eine an marktwirtschaftlichen Kategorien orientierte Kreislaufwirtschaft und ein Anreiz zur Abfallvermeidung zu erreichen. 110 Diesem Konzept würde es entsprechen, in möglichst starkem Umfange private Verantwortung zur Geltung kommen zu lassen. Doch stellt senhardt, Gesellschaftsrecht, 8. Aufl. 1999, Rn. 561; KnieseI I Scheerbarth, StT 1998, 340 (345). 106 Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, § 36 II 3 b; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, Rn. 716. 107 Koppensteiner, in: Rowedder, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 3. Aufl. 1997, § 45 Rn. 6; Erichsen, Die Vertretung der Kommunen in den Mitgliederorganen von juristischen Personen des Privatrechts, S. 48. 108 Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 36 I 2. 109 Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 67, 78; Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 202; Kniesei I Scheerbarth, StT 1998, 340 (346); Erichsen, Kommunalrecht NW, S. 286. 110 Töpfer, Von der Abfallbeseitigung zur Kreislaufwirtschaft, Landkreis 1994, 349 (350); Weidemann, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 13 Rn. 7; Schink, DÖV 1995,881 (881); ders., GemH 1994,241 (242).
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die Privatisierung von Entsorgungsaufgaben keinen Selbstzweck dar, sondern soll deren gleichermaßen ordnungsgemäße wie optimale Erfüllung garantieren. 111 So wurden die den Kommunen weiterhin obliegenden Bereiche gerade deshalb in öffentlich-rechtlicher Verantwortung belassen, um eine umweltverträgliche Entsorgung sicher zu gewährleisten,112 was nach § 1 ebenfalls eine Zwecksetzung des KrW- / AbfG bildet. Blickt man demgegenüber auf die Gewinnerzielungsabsicht, unter deren Diktat jedes privatwirtschaftliche Handeln steht, so ergibt sich daraus der im Rahmen jeder Privatisierung aufkommende Zielkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohlverträglichkeit der Aufgabenerfüllung durch Dritte. 113 So darf eine Privatisierungsentscheidung nicht allein aufgrund von Wirtschaftlichkeitserwägungen getroffen werden. Die Kommunen als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger haben sich bei ihrer Entscheidung über die Beteiligung Privater in erster Linie an dem Gesetzeszweck der umweltverträglichen Abfallbeseitigung gern. § 1 KrW - / AbfG zu orientieren. Daher muß sich eine Privatisierung stets als optimale Verbindung von einerseits ökologischer Effektivität und andererseits ökonomischer Effizienz darstellen. 114 Unter dem Aspekt der gemeinwohlverträglichen Abfallentsorgung treten hierbei vor allem die gern. § 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW- / AbfG gesetzlich verankerte Vermeidungspflicht und die Umweltverträglichkeit der Entsorgung, die Sicherstellung langfristiger und flächendeckender Entsorgung, die Vermeidung illegaler Abfallentsorgung und die sozialverträgliche Gebührengestaltung in den Vordergrund. 115 Was die Möglichkeit einer Pflichtenübertragung bzw. Beauftragung von Dritten gern. § 16 Abs. 1, 2 KrW- / AbfG durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger angeht, wird das diesen privaten Dritten drohende Insolvenzrisiko als Gefahr für eine lückenlose und ordnungsgemäße Abfallentsorgung aus gemacht. 116 Mit dem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen 117 ist aber insoweit von einem unfairen Vergleich auszugehen, sind doch die entsorgungspflichtigen Kommunen allein aufgrund ihrer durch Steuermittel fmanzierten 111 BVerwG, UPR 1990, 63 (64); Schmeken, Oie Abfallwirtschaft und ihre Organisationsformen, StT 1989,239 (245); Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1334 f.); Schach, DVBI. 1994, 1 (8). 112 Queitsch, Kreis1aufwirtschafts- und Abfallrecht, S. 154; Frenz, KrW- / AbfG, § 13 Rn. 1; vgl. auch Weidemann, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 13 Rn. 9,11; Schink, OÖV 1995, 881 (882). 113 Vgl. Klawait, Oie Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 26; Schach, OVBI. 1994, 962 (968). 114 Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 240. 115 Schach, OVBI. 1994, 962 (968); Tettinger, in: FS Friauf, 569 (577); Wendt, Haushaltsrechtliche und gemeindewirtschaftsrechtliche Hemmnisse, Landkreis 1994, 263 (264); Kahl, OVBI. 1995, 1327 (1335). 116 Vgl. Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 244. 117 In: Umweltgutachten 1998, Kap. 3 Tz. 74.
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Deckungsgarantie vor Insolvenzen gefeit. Im Insolvenzfall müssen die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die Entsorgungsaufgabe selbst wahrnehmen oder durch einen anderen privaten Entsorger durchführen lassen. Die mit einem solchen Wechsel des privaten Entsorgers verbundenen Kosten können von der Kommune getragen werden, ohne daß sich hieraus ein Problem im Hinblick auf die Entsorgungssicherheit stellt. Weiter schlägt der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen vor, privaten Anbietem die Vorhaltung von Ersatzkapazitäten vertraglich aufzuerlegen. Diese müßten in diesem Falle selbst ,,Rückversicherungsverträge" mit anderen privaten Entsorgungsunternehmen schließen. Um weiterhin Entsorgungssicherheit zu garantieren und den oben erläuterten Zielkonflikt nicht einseitig zugunsten einer ökonomischen Sichtweise aufzulösen, bedarf es bei einer Einschaltung Dritter zudem der Installierung von Überwachungsmechanismen. Dies ist im Rahmen der Pflichtenübertragung bereits auf gesetzlichem Wege in Form des vom Dritten vorzulegenden Abfallwirtschaftskonzeptes nach § 16 Abs. 3 KrW - / AbfG geschehen. Im Bereich der Beauftragung gern. § 16 Abs. 1 KrW - / AbfG bieten sich Kontrollen an, die im Entsorgungsvertrag geregelt werden können. 118 Insoweit setzt sich die verlorengegangene Aufgabenwahrnehmung in einer Kontrollpflicht fort. 119 Sieht man weiter die hinter einer Privatisierungsentscheidung stehende Erwartung, daß Private Entsorgungsleistungen in der Regel effizienter und daher kostengünstiger erbringen können,120 stellt sich die Beauftragung bzw. Pflichtenübertragung auch als Mittel der Verhinderung illegaler Abfallentsorgung dar. Je niedriger die Kosten der Abfallentsorgung sind, und dies gilt insbesondere für den kostenintensiven Bereich der Sonderabfälle, desto weniger Anreize bestehen, Müll "verschwinden" zu lassen.
118 Arzt / Siederer, in: Gaßner / Versmann, Neuordnung kommunaler Aufgaben im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 52. 119 Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1335); Beckmann, Rechtsfragen bei der Gründung einer Entsorgungs-GmbH - abfallrechtliche Aspekte -, in: Bauer / Schink, Organisationsfonnen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, S. 38 (47 f.); Schoch, DVBI. 1994, 962 (963); ders., Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 150; Spannowsky, DVBI. 1992,
1072 ff.
120 Vgl. Vennerk des BMWi, Möglichkeiten der wettbewerbskonfonnen Erfüllung von Rücknahme- und Verwertungspflichten, November 1994, S. I; Bi//igmann, Die Aufgaben- und Lastenverteilung im Dualen System der Abfallentsorgung, in: Das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft, Heft 24, S. 29 (37); Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1333); allgemein Peine, DOV 1997,353 (353); König, Rückzug des Staates - Privatisierung der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1998,963 (964); kritisch dazu Pippke. Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 241 f.; Schoch, DVBI. 1994, I (2).
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v. Steuerliche Erwägungen Bei der Wahl einer geeigneten Organisationsform durch die entsorgungspflichtigen Körperschaften kann deren steuerliche Behandlung Einfluß auf die Höhe der vom Empfänger der Entsorgungsleistung zu entrichtenden Gebühr haben. Gelingt es den Kommunen, die Organisationsform so zu wählen, daß keine Körperschaft- bzw. Umsatzsteuer anfällt, vermögen sie Entsorgungsleistungen unter Umständen günstiger anzubieten. 1. Körperschaftsteuer
Zunächst ist auf die praktische Bedeutung einer möglichen Körperschaftsteuerpflicht für öffentlich-rechtliche oder nunmehr privatisierte Entsorgungsbetriebe einzugehen. Die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Körperschaften richtet sich gern. § 7 Abs. I KStG nach dem erzielten Einkommen bzw. Gewinn des Steuersubjekts. 121 Bei der Festsetzung ihrer Gebühren für Entsorgungsleistungen sind die Kommunen als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger gern. § 5 Abs. 1 AbfG NW an die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes gebunden. Aufgrund des darin normierten Kostendeckungsgebotes bzw. Äquivalenzprinzips gern. §§ 5 Abs. 4, 6 Abs. 1 S. 3 KAG ist es den Kommunen bei der Kostenfestlegung verwehrt, einen Gewinn einzukalkulieren. 122 Dieser Grundsatz soll garantieren, daß sich die Höhe der Gebühren nach den tatsächlich für die Erfüllung der Aufgabe notwendigen Aufwendungen richtet. Hoheitliche Leistungen sollen nicht verkauft werden. 123 Kommunen müssen sich gern. § 76 Abs. 2 GO NW aus Gebühren und Steuermitteln fmanzieren; ein gezieltes Erwirtschaften von Gewinnen zur Finanzierung des Gemeindehaushaltes ist ihnen untersagt. 124 Dies gilt auf jeden Fall, soweit die Kommunen Entsorgungsleistungen in Form von Regie- oder Eigenbetrieben erbringen. Bei Einschaltung eines Dritten gern. § 16 Abs. 1, 2 KrW- / AbfG verhält es sich genauso. Auch hier setzt die Kommune als der dem Bürger gegenüber verantwortliche Entsorgungsträger die Gebühren nach den Vorschriften des § 6 Abs. I KAG, § 9 Abs. 2 AbfG 121 Pezzer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, 16. Auf!. 1998, § 11 Rz. 1, 23 ff.; Britsch, in: Bauer / Schink, Organisationsforrnen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, S. 52 (59). 122 Peine, OÖV 1997, 353 (359); Kirchhof, in: Achterberg / Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band II, 1992, Kap. 6 Rn. 327. 123 Peine, OÖV 1997,353 (362). 124 BVerfGE 93,319 (342); 78, 249 (266 f.); 82,159 (178); 61, 82 (107) zur bundesdeutschen Finanzverfassung; OVG Bremen, OVBI. 1988, 906 (906); OVG Schleswig, ZUR 1999, 160 (162); Kirchhof, in: Achterberg / Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht 11, Kap. 6 Rn. 327. I1 Ziekow
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NW fest. Die für Fremdleistungen aufzubringenden Kosten dürfen dabei nicht höher angesetzt werden, als sie der Kommune bei selbständiger Erfüllung der Aufgabe entstehen würden. 125 Die Fremdkosten dürfen zwar gern. § 6 Abs. 2 S. 1 KAG, § 9 Abs. 2 S. 1 AbfG NW auch einen angemessenen Gewinn für den Dritten beinhalten. 126 Der Kommune ist es jedoch nicht möglich, dem Dritten einen besonders hohen Gewinn einzuräumen oder auch nur einen Mindestgewinn zu garantieren. 127 Ansonsten könnte die Kommune eine Eigengesellschaft gründen, diese als "Dritten" beauftragen und so die Bindungen des KAG umgehen. Aus diesen Gründen spielt eine mögliche Körperschaftsteuerpflicht im Bereich der kommunal beherrschten Entsorgungswirtschaft eine nur untergeordnete Rolle. Im übrigen hat der BFH in einem die Hausmüllbeseitigung betreffenden Musterrevisionsverfahren vom 23.10.1996 bekräftigt, daß es sich bei der Abfallentsorgung in erster Linie um eine hoheitliche Aufgabe i.S.v. § 4 Abs. 5 KStG handelt. 128 Mit der Abfallentsorgung nehme die öffentliche Hand Belange des Umwelt- und Gesundheitsschutzes wahr, was eine der öffentlichen Hand eigentümliche und ihr vorbehaltene Aufgabe l29 darstelle. Ausdrücklich aber klammert der I. Senat des BFH die Entsorgung von Abfallen aus anderen Bereichen und die Umsatzsteuer aus seinen Überlegungen aus. 130 2. Umsatzsteuerpflicht Im Gegensatz dazu spielt die Frage, ob ein Abfallentsorgungsbetrieb der Umsatzsteuerpflicht unterliegt oder nicht, aus verschiedenen Gründen eine wesentliche Rolle. So ist diese Frage nicht nur aus Sicht von privaten Konkurrenten wegen der damit verbundenen Wettbewerbsnachteile interessant, sondern 125 OVG Schleswig, ZUR 1999, 160 (162); Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 184; Peine, DÖV 1997, 353 (358); Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 144; Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 233. 126 Zu den ansatzfahigen Kosten OVG NW, NVwZ 1995, 1238 (1240) - bzgl. Straßenreinigung durch Dritte; Wiesemann, Benutzungsgebühren und Privatisierung, NWVBI. 1998, 257 (258, 260); Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S.232. 127 Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 144; Tiemann, Privatisierung öffentlicher Verwaltungstätigkeit, BayVBI. 1976,261 (267). 128 BFH, Urt. v. 23.10.1996 - I R 1-2/94, BFHE 181, 322ff. 129 BFH, Urt. v. 23.10.1996 - I R 1-2 / 94, BFHE 181, 322 (324); BFH, Urt. v. 8.1.1998 - V R 32 / 97, BFHE 185,283 (285) - die Abwasserentsorgung betreffend; Urt. v. 30.6.1988 - V R 79 / 84, BFHE 154, 192 (195) - Tätigkeiten einer Landwirtschaftskammer betreffend. \30 BFH, Urt. v. 23.10.1996 - I R 1-2/94, BFHE 181, 322 (325, 327).
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auch aus Sicht der Gemeinde selbst, die, weil an sich nicht umsatzsteuerpflichtig, nicht in den Genuß des Vorsteuerabzugs \31 gern. § 15 UStG kommt. 132 Insbesondere bei hohem Investitionsvolumen der Kommune kann dies aufgrund der von ihr zu zahlenden Umsatzsteuer zu höheren Gebühren führen. Für den privaten Verbraucher macht dies zwar aus umsatzsteuersystematischen Gründen keinen Unterschied, da dieser als Letztverbraucher Träger der Umsatzsteuer iSt. 133 Jedoch ergeben sich fUr gewerbliche Leistungsempfanger und nachfolgende Wirtschaftsstufen Kumulativwirkungen, die daraus entstehen, daß auf die urnsatzsteuerbelasteten Entsorgungsleistungen der Kommune erneut Umsatzsteuer erhoben wird. \34 Kommunale Entsorgungsbetriebe sind gern. § 2 Abs. 3 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG nur dann umsatzsteuerpflichtig, soweit es sich dabei um einen Betrieb gewerblicher Art handelt. Gern. § 4 Abs. 5 KStG gehören solche Betriebe nicht zu denen gewerblicher Art, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen. Bisher hat der V. Senat des BFH in Anlehnung an den Körperschaftsteuersenat die Entsorgungstätigkeiten der öffentlichen Hand im Sinne dieser Vorschrift als hoheitlich gewertet. \35 Erfüllen Kommunen ihre Entsorgungsaufgaben daher in Form von Regie- oder Eigenbetrieben, so sind sie grundsätzlich urnsatzsteuerbefreit. Im Hinblick auf das neue KrW - / AbfG und die 6. Umsatzsteuerrichtlinie RL 77 / 388 / EWG\36 ergeben sich an dieser Auffassung jedoch Zweifel. I37 Gern. Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie sind auch öffentlich-rechtliche Träger als steuerpflichtig anzusehen, wenn die Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen fUhren würde. Der BFH stellt in seiner Entscheidung vom 23.10.1996 noch auf den hoheitlichen Charakter der Abfallentsorgung ab. Daher sei auch ein nur poten-
131 Vg\. Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 208; Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 98; ders., DVB\. 1994, 1 (9). 132 Im Verfahren des BFH am 23.5.1996 - V R 122/93, BFH / NV 1996,86 f. begehrte ein Landkreis den Vorsteuerabzug. Die Klage wurde jedoch zurückgenommen. \33 Klapdor, Entsorgungstätigkeiten und § 2 Abs. 3 UStG, BB 1996, 2065 (2067); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 13 Rz. 1; Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz Kommentar, 5. Aufl 1995, Ein\. Anm. 3. 134 Klapdor, BB 1996, 2065 (2067) spricht von einer Systemstörung. 135 BFH, Urt. v. 8.1.1998 - V R 32 / 97, BFHE 185, 283 (285) - die Abwasserentsorgung betreffend. Bemerkenswert ist allerdings, daß der BFH im Rahmen des Verfahrens V R 122/93 einen Vorbescheid (VKU-Nachrichtendienst Nr. 572 6 /1996,5) erlassen hat, in dem die Abfallentsorgung nicht als eine der öffentlichen Hand eigentümliche und vorbehaltene Aufgabe gewertet wurde. Vg\. auch OVG Schleswig, ZUR 1999, 160 (162). 136 EG AB\. L 145 v. 13.6.1977, S. I. 137 Klapdor, BB 1996, 2065 (2067); Forster, Zwiespältiges und Ungeklärtes im Zusammenhang mit den Entsorgungstätigkeiten von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR), UVR 1999,42 (45).
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tieller Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Anbietern von Entsorgungsleistungen nicht denkbar. 138 Unter Geltung des KrW - / AbfG kann dies allenfalls noch ftir die Entsorgungstätigkeiten im Hausmüllbereich gern. §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 KrW- / AbfG bejaht werden. Wie sich aus §§ 5 Abs. 2, 11 Abs. 1, 13 Abs. 1 KrW- / AbfG ergibt, liegt die Entsorgungspflicht aber zumindest bei gewerblichen Abfällen originär bei den gewerblichen Erzeugern bzw. Besitzern. Ein potentieller Wettbewerb liegt auch insoweit vor, als sich ein Unternehmen aussuchen kann, ob es einen privaten oder öffentlichen Betrieb mit der Wahrnehmung seiner Entsorgungspflichten beauftragt. Diese Zweifel waren vielleicht auch bei dem Urteil des I. Senats des BFH bestimmend, als er nur die Hausmüllentsorgung erfaßte, ausdrücklich die Umsatzsteuer ausklammerte und sich nur auf die Rechtslage der Jahre 1984 und 1985 bezog.139 Im Hinblick auf die von der RL 77 /388 / EWG hervorgehobene Wettbewerbsneutralität des Umsatzsteuerrechts scheint daher zumindest im Bereich der gewerblichen Abfälle eine Neubewertung der Steuerpflicht öffentlichrechtlicher Entsorgungsträger angezeigt. 140 Unter Einbeziehung dieser bis heute aktuellen Spruchpraxis des BFH und der Privatisierungsansätze des KrW - / AbfG ergeben sich nunmehr aus steuerlicher Sicht folgende Gestaltungsmöglichkeiten: Bedient sich die Gemeinde zur Erftillung ihrer Entsorgungspflichten eines Dritten i.S.v. § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG, so besteht eine umsatzsteuerpflichtige Leistungsbeziehung allein zwischen ihr und dem privaten Leistungserbringer, auch wenn die Zahlung direkt an diesen Dritten gehen sollte. 141 Zwischen der Gemeinde und den Leistungsempfängern fmdet kein steuerbarer Leistungsaustausch statt. 142 Sie trägt gern. § 16 Abs. 1 S. 2 KrW- / AbfG weiter alleine die Entsorgungspflicht. Soweit man, anders als hier,143 von der Möglichkeit ausgeht, daß die Kommune nach § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG Entsorgungspflichten auch im Außenverhältnis ganz 138 BFH, Urt. v. 23.10.1996 - I R 1-2 / 94, BFHE 181, 322 (325, 326); kritisch dazu
Klenk, Umsatzbesteuerung bei Unternehmen von Körperschaften des öffentlichen
Rechts nach dem deutschen UStG, UVR 1999,236 (238 f.). 139 BFH, Urt. v. 23.10.1996 - IR 1-2/94, BFHE 181,322 (327 f.); dazu Forster, UVR 1999,42 (43). 140 In diesem Sinne auch die Stellungnahme des BMF vom 21.8.1995 im Revisionsverfahren V R 122/93 gegenüber dem BFH, VKU-Nachrichtendienst NT. 5673/1996, 3; vgl. auch Forster, UVR 1999,42 (45) mit dem Hinweis darauf, daß außer in Irland und Deutschland bereits in allen EU-Ländern Umsatzsteuerpflichtigkeit öffentlicher Entsorgungsbetriebe die Regel ist; Kniesei / Scheerbarth, StT 1998, 340 (347). 141 Weimann / Raudszus, Die umsatzsteuerliche Behandlung der Abfallentsorgung unter Berücksichtigung des neuen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, DStR 1996, 815 (816); Forster, UVR 1999,42 (46); Seifert / NorthojJ, GemH 1995, 156 (\57). 142 Vgl. dazu BMF-Schreiben v. 27.12.1990 - IV A 2 - S 7300 - 66 / 90, OB 1991, 364 (364). 143 Siehe oben 11. 2. a)
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oder teilweise auf Dritte überträgt, so kann der beauftragte Unternehmer direkt mit den Kunden in Leistungsbeziehungen treten, die somit der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Die entrichtete Umsatzsteuer kann ein vorsteuerabzugsberechtigter Leistungsempfänger seinerseits als Vorsteuer in Abzug bringen. 144 Lehnt man hingegen, wie hier,145 die Entlassung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungskörperschaften aus ihrer Verantwortung nach außen hin ab, hängt die Umsatzsteuerpflichtigkeit von der Frage ab, inwieweit die Kommunen selbst der Umsatzsteuer unterliegen. Dafiir spricht partiell die aufgezeigte Wettbewerbssituation im Bereich gewerblicher Abfälle. Werden ehemals öffentlich-rechtlich organisierte Betriebe im Zuge einer Organisationsprivatisierung in privatrechtliche Gesellschaftsformen wie GmbH oder AG umgewandelt, so entfällt grundsätzlich der hoheitliche Charakter der Aufgabe l46 , wodurch diese Unternehmen der unbeschränkten Umsatzsteuerpflicht unterfallen. Jedoch läßt sich der Wunsch einiger Gemeinden nach Vorsteuerabzug nicht einfach dadurch realisieren, daß sie dem Betrieb eine privatrechtliche Form geben. Die Privatisierung darf nicht allein aus steuerrechtlichen Gründen vorgenommen werden. Vielmehr muß sich die Umwandlung aus wirtschaftlicher Gesamtbetrachtung heraus als vernünftig darstellen. Ansonsten könnte sich dieser Akt, wie das FG Rheinland-Pfalz l47 unlängst in einem Fall festgestellt hat, als rechtsmißbräuchlich erweisen. Zudem kann eine allgemeingültige Regel, nach der der Vorsteuerabzug für Kommunen stets vorteilhaft ist, nicht aufgestellt werden. Zumindest in Zeiten hoher Investitionstätigkeit kann dies der Fall sein. Längerfristig kann sich aber die Steuerfreiheit öffentlichrechtlich organisierter Entsorgungsbetriebe als Vorteil herausstellen. 148
144 Weimann / Raudszus, DStR 1996,815 (817); Forster, UVR 1999,42 (46); keinen Vorteil sieht darin Britsch, in: Bauer / Schink, Organisationsformen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, S. 52 (61); kritisch auch Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 99 f 145 Siehe oben 11. 2. a) 146 Heidner, in: Bunjes / Geist, UStG, § 2 Anm. 43; Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 153; Seifert / Northoff, GemH 1995, 156 (156
f).
147 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.2.1998 - 6K 1490 / 97, UR 1998, 271 (272) (rkr.) - bzgl. Abwasserbeseitigung. 148 Britsch, in: Bauer / Schink, Organisationsformen in der öffentlichen Abfallwirtschaft, S. 52 (61); Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 99 f
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VI. Vergaberechtliche Grenzen bei der Einbeziehung Privater in die Abfallentsorgung Bei der Privatisierung von Entsorgungsaufgaben werden ehemals öffentlichrechtlich wahrgenommene Aufgaben in den privatwirtschaftlichen Bereich ausgelagert. Insbesondere im Rahmen der Einschaltung Dritter nach § 16 Abs. 1, 2 KrW - / AbfG können sich daher im Hinblick auf die Auswahl des Dritten vergaberechtliche Grenzen ergeben. 1. Die Neuregelung des Vergaberechts
in der Bundesrepublik Deutschland
Das deutsche Vergaberecht hat durch das Vergaberechtsänderungsgesetz l49 mit Wirkung vom 1.1.1999 eine Neuregelung in den §§ 97 ff. GWB erfahren. 150 Damit werden die erst 1993 im Rahmen der sog. haushaltsrechtlichen Lösung l51 eingefiihrten §§ 57 a-c HGrG sowie die Vergabeverordnung und die Nachprüfungsverordnung abgelöst. Diese Regelungen wurden eingefiihrt, um die zahlreichen auf europäischer Ebene ergangenen Richtlinien auf dem Gebiet des Vergaberechts umzusetzen, insbesondere die Rechtsmittelrichtlinie RL 89 / 665 / EWG I52 und die Dienstleistungsrichtlinie RL 92 / 50 EWG IS3 , unter die auch Aufträge bezüglich Entsorgungsleistungen fallen. 154 Durch die Änderung des HGrG ist die Bundesrepublik Deutschland in minimaler Form den Anforderungen der Richtlinien dadurch entgegengekommen, daß Vergabeprüfstellen eingerichtet wurden, die Vergaberechtsverstöße untersuchen sollten. Die Begründung der Bundesregierung l55 zu dem Gesetzentwurf stellte jedoch klar, daß weiterhin an dem Grundsatz, daß keine subjektiven Rechte etwaiger übergangener Bieter im Vergabeverfahren bestehen, festgehalten werde. Daß diese Regelung allerdings nicht ausreichend sein würde, zeigt ein Urteil des EuGH vom
VgRÄG vom 26.8.1998, BGBI. I 1998, S. 2546 ff. Allgemein zur Neuregelung Byok, Das neue Vergaberecht, NJW 1998,2774 ff.; Thieme I Correll, Deutsches Vergaberecht zwischen nationaler Tradition und europäischer Integration - Zur Neuregelung des Vergabewesens -, DVBI. 1999,884 ff. 151 Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaitsgrundsätzegesetzes (HGrG) vom 26.11.1993, BGBI. I 1993, S. 1928. 152 EG-ABI. L 395 v. 30.12.1989, S. 33. 153 EG-ABI. L 209 v. 24.7.1992, S. I. 154 EuGH,DVBI. 1999, 160 ff.; dazu näher unten VI.3. 155 BT-Drucks. 12/4636, S. 12.; vgl. dazu Byok, NJW 1998,2774 (2775); Bechtold, GWB - Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2. Aufl. 1999, vor § 97 Rn. 11. 149 150
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11.8.1995 156 • Dieses bezieht sich zwar ausdrücklich auf die Zeit vor Einführung der haushaltsrechtlichen Lösung 1993 157 , stellte jedoch klar, daß das europäische Vergaberecht eine subjektiv-rechtliche Seite besitzt, die sich in einem Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten ausdrücke. 158 2. Die Umsetzung der Vergaberichtlinien in deutsches Recht Mit dem VgRÄG ist eine weitgehend richtlinienkonforme Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien, u.a. auch der Dienstleistungs- und Rechtsmittelrichtlinie gelungen. lS9 Wesentliche Grundsätze des Vergabeverfahrens wie der Gleichbehandlungsgrundsatz gern. § 97 Abs. 2 , das Wirtschaftlichkeitsgebot gern. § 97 Abs. 5 und die Einräumung subjektiver Rechte in § 97 Abs. 7 GWB werden in diesem Gesetz festgelegt. Was die materiellen Vergabevorschriften der Richtlinien betrifft, so soll, wie bisher, in einer auf Grundlage des § 97 Abs. 5 GWB noch zu erlassenden Vergabeverordnung l60 auf die jeweiligen Verdingungsordnungen verwiesen werden. Im Rahmen der Verdingungsordnung VOL / A 161 wurden bereits früher die Richtlinie 92 / 50 / EWG wie auch andere Richtlinien l62 durch Einfügung der a-Paragraphen umgesetzt. Die so vorgenommene Inkorporierung der VOL / A in das gesetzliche Vergaberecht stellt insoweit eine weitgehende Neuerung dar, als diese Vergabevorschriften nunmehr aufgrund zwingenden Rechts Anwendung finden und nicht mehr wie früher, wegen ihres Charakters als bloßer Verwaltungsvorschrift l63 , nur auf-
156 EuGH, Urt. v. 11.8.1995 - Rs. C-433 / 93 (Kommission / Deutschland), EuZW 1995,635 ff. 157 EuGH, Urt. v. 11.8.1995 - Rs. C-433 / 93 (Kommission / Deutschland), EuZW 1995,635 (636 Tz. 16); vgl. Byok, NJW 1998,2774 (2775); Bechtold, GWB, vor § 97 Rn. 11. 158 EuGH, Urt. v. 11.8.1995 - Rs. C-433 / 93 (Kommission / Deutschland), EuZW 1995, 635 (636 Tz. 19). 159 Thieme / Correll, DVBI. 1999, 884 (886). 160 Bis zum Erlaß gilt die alte VgV fort; im Entwurf ist aber der Verweis auf Abschnitt 2 der VOL / A vorgesehen; Vorentwurf einer Vergabeverordnung, Anlage 2 zur RegierungsbegTÜndung, BR-Drucks. 646/97, S. 64 ff. 161 Verdingungsordnung für Leistungen - ausgenommen Bauleistungen - (VOL), Teil A Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL / A), Neufassung vom 12.5.1997, BAnz. Nr. 163a. 162 Seidel, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Band 2, 7. Erg.-Liefg., Stand 1/1999,H. IV Rn. 171. 163 BGH, NJW 1992, 827 (827); Eberstein, in: Daub / Eberstein, Kommentar VOL / A Verdingungsordnung für Leistungen - ausgenommen Bauleistungen - Teil A Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen, 4. Aufl. 1998, Einführung Rn. 66 ff., 71; a.A. wohl Seidel, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Bd. 2, H. IV Rn. 175.
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grund einer Verbindlicherklärung durch die den Vergabestellen übergeordneten Behörden l64 , vgl. § 31 Abs. 2 GemHVO NW. Diese gesetzlich vorgeschriebene Anwendung der VOL / A gilt gern. § 100 Abs. 1 GWB allerdings nur für Dienstleistungen, deren Auftragswert den aufgrund von § 127 Nr. 1 GWB in einer Verordnung festzulegenden Schwellenwert überschreitet. Dieser liegt momentan bei 200.000 ECu. 165 Unterhalb dieses Schwellenwertes bleibt es bei der bisher geltenden Praxis. Vor allem ist auch insoweit die Geltung der VOL / A anzuordnen, und gerichtlich durchsetzbare subjektive Rechte bleiben weiter außen vor. 166 Trotz dieser (teilweisen) gesetzlichen Einbindung der VOL / A in das Vergaberecht ergeben sich aufgrund ihrer Eigenschaft als Verwaltungsvorschrift Zweifel an der richtlinienkonformen Umsetzung der europäischen Vergabevorschriften. 167 Wie der EuGH schon früher im Zusammenhang mit der Technischen Anleitung (TA) Luft die unzureichende Umsetzung der Richtlinie 80 / 779/ EWG in Form einer bloßen Verwaltungsvorschrift kritisiert hat,168 stellen sich auch hier die Verdingungsordnungen als fragwürdige Umsetzungsformen dar. Der Verweis auf die VOL / A durch eine Vergabeverordnung allein verschafft dieser noch keinen Verordnungscharakter. 169 Insbesondere im Bereich von subjektiven Rechten müssen zu deren Durchsetzung verbindliche Rechtsnormen geschaffen werden. 170 Diesen Anforderungen wird auch die VOL / A aufgrund ihres zweifelhaft zwingenden Charakters nicht gerecht. Die wichtigste Neuregelung des neuen Vergaberechts ist der Rechtsschutz für sich an einer öffentlichen Ausschreibung beteiligende Unternehmen, die sich nunmehr auch gerichtlich gegen Benachteiligungen bei Ausschreibungsverfahren wehren können. Zentrale Norm ist in diesem Zusammenhang der 164 Eberstein, in: Daub / Eberstein, Kommentar zur VOL / A, Einführung Rn. 67; Bechtold, GWB, vor § 97 Rn.17; Seidel, in: Dauses, Handbuch des EUWirtschaftsrechts Bd. 2, H. IV Rn. 173; für Nordrhein-Westfalen Runderlaß des Innenministeriums vom 15.6.1993, 5MB\. NW 6300. 165 Art. 7 Abs. I RL 92 / 50 / EWG; vg\. Bork / Brnns / Becker, StuGR 1999, 31 (33); Bechtold, GWB, § 100 Rn. I. 166 Kritisch dazu Byok, NJW 1998, 2774 (2776). 167 Noch, Die Revision des Vergaberechts - Bestandsaufnahme und kritische Analyse, ZfBR 1997, 221 (225); Bechtold, GWB, vor § 97 Rn. 18. 168 EuGH, Urt. v. 30.5.1991 - Rs. C-361 /88 (Kommission / Deutschland), Sig. I 1991,2596 (2602 Tz. 20 f.); vg\. dazu Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 201; kritisch Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts - Ziele, Wege und Irrwege, 1993, S. 80 ff. 169 Noch, ZfBR 1997, 221 (225); a.A. Seidel, in: Dauses, Handbuch des EUWirtschaftsrechts Bd. 2, H. IV Rn. 175 noch zur alten Vergabeverordnung. 170 So der EuGH, Urt. v. 30.5.1991 - Rs. C-361 /88 (Kommission / Deutschland), Sig. I 1991,2596 (2602 Tz. 20); vg\. auch EuGH, Urt. v. 20.3.1997 - Rs. C-96 / 95 (Kommission / Deutschland), Sig 11997,1653, (1666 Tz. 35).
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§ 97 Abs. 7 GWB, wonach Bieter einen Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren haben. Freilich kann ein solcher Anspruch nicht allein auf die Verletzung von reinen Ordnungsvorschriften gestützt werden. Vielmehr muß die jeweilige Vorschrift drittschützende Wirkung entfalten. 17I D.h. die verletzte Norm muß gerade den Schutz eines über die Allgemeinheit hinausgehenden, normativ abgegrenzten Personenkreises, zu dem der klagende Bieter gehört, bezwecken. Ob die in der VOL / A geregelten materiellen Vergabevorschriften jeweils drittschützende Wirkung haben, kann im Einzelfall unklar sein. Laut Urteil des EuGH vom 11.8.1995 172 zählen zumindest die Teilnahme- und Publizitätsvorschriften dazu.
3. Einschränkungen bei der Vergabe von Entsorgungsleistungen an kommunal beherrschte Entsorgungsbetriebe ? Das Vergaberecht bindet gern. § 98 Nr. 1, 2 GWB grundsätzlich alle Gebietskörperschaften sowie juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht-gewerblicher Art zu erfiillen, die Rechtspersönlichkeit besitzen und überwiegend von staatlichen Einrichtungen finanziert oder geleitet werden. Dies gilt gern. § 100 Abs. 2 g GWB jedoch nicht, wenn der Auftrag an eine Person vergeben werden soll, die ihrerseits diese Voraussetzungen erfiillt und ein ausschließliches, auf Gesetz oder Verordnung beruhendes Recht zur Erbringung der Leistung hat. Der EuGH hat eine solche Ausnahme in einem Fall der Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen an ein von zwei Kommunen beherrschtes Entsorgungsunternehmen angenommen. I73 Dabei bezog er sich auf die gemeinschaftliche Dienstleistungsrichtlinie RL 92 / 50 / EWG und den darin niedergelegten Art. 6, der weitgehend gleichlautend in § 100 Abs. 2 g GWB umsetzt wurde. Hinsichtlich der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe sei unerheblich, ob diese Aufgaben auch von Privatunternehmen erfiillt werden könnten. Das Vorliegen von Wettbewerb schließt für sich allein also die Annahme eines Allgemeininteresses nicht aus. Im Hinblick auf die in Frage stehenden Ziele des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes zählt der EuGH Entsorgungsdienstleistungen explizit zu den Aufgaben, die ein Staat von Behörden wahrnehmen lassen kann oder auf die er einen entscheidenden Einfluß 171 Byok, NJW 1998, 2774 (2776 f.); Thieme / Correll, DVBI. 1999, 884 (888); Bechtold, GWB, § 97 Rn. 40. 172 EuGH, Urt. v. I \.8.1995 - Rs. C-433 / 93 (Kommission / Deutschland), EuZW 1995,635 (636 Tz. 19). 173 EuGH, Urt. v. 10.11.1998 - Rs. C-360 / 96 (Gemeinden Amheim, Rheden / BFI), DVBI. 1999, 160 (163 Tz. 52).
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behalten möchte. 174 In welchem Ausmaße ein Unternehmen solche Aufgaben dann wahrnimmt, ist allerdings unerheblich; es darf auch noch andere Tätigkeiten ausüben. 175 Selbst wenn dies in sehr großem und überwiegendem Umfange der Fall ist, kann es sich noch um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts handeln. Insoweit wird von einem funktionalen Auftraggeber-Begriff ausgegangen 176 , der den öffentlich-rechtlichen Gehalt jeder einzelnen wahrgenommenen Tätigkeit beleuchtet, nicht aber auf die Rechtsform oder die quantitative Zusammensetzung abstellt. Zusätzlich verlangt aber Art. 6 dieser Richtlinie wie auch § 100 Abs. 2 g GWB, daß das in Betracht kommende kommunalwirtschaftliche Unternehmen eine solche Aufgabe aufgrund eines ausschließlichen Rechts wahrnimmt. Dies war in dem dem EuGH vorgelegten Fall von dem mitgliedstaatlichen Gericht geklärt. Für die Bundesrepublik Deutschland ist indes weiter zu fragen, ob kommunalwirtschaftliche Entsorgungsbetriebe diese Pflichten aufgrund "mit dem Vertrag übereinstimmender Rechts- oder Verwaltungsvorschrift" (Art 6 RL 92 / 50 / EWG) wahrnehmen, vgl. § 100 Abs. 2 g GWB. In dem genannten Fall waren die Gemeinden durch Gesetz fiir das Abholen von Hausmüll verpflichtet. In den jeweiligen kommunalen Verordnungen wurden kommunale Unternehmen als fiir das Abholen des Hausmülls zuständige Einrichtungen benannt. Später wurden diese und weitere Entsorgungsaufgaben durch Beschluß der Gemeinden auf ein gemeinsam gegründetes Unternehmen übertragen. Nach Einfiihrung des KrW- / AbfG kann fiir das deutsche Abfallrecht nicht mehr von einem der öffentlichen Hand zustehenden auschließlichen Recht auf dem Gebiet der Abfallentsorgung gesprochen werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit Dritter, sich im Wege der Pflichtenübertragung gern. § 16 Abs. 2 KrW - / AbfG Entsorgungsaufgaben übertragen zu lassen. Unter Umständen kann bei der Entscheidung über die Pflichtenübertragung eine Ermessensreduzierung auf Null eintreten, so daß sogar ein Übertragungsanspruch Dritter bestehen kann. 177 Auch sieht das deutsche Abfallrecht die Verordnung nicht als Form der Festlegung von Entsorgungspflichten vor. Die Erfiillungssubstitution nach § 16 Abs. 1 KrW - / AbfG erfolgt regelmäßig durch privatrechtlichen Vertrag, die Pflichtenübertragung durch Verwaltungsakt bzw. öffentlich-rechtlichen Vertrag. 178 Darin kann schwerlich ein aufgrund EuGH, Urt. v. 10.1 \.1998 - Rs. C-360 / 96, DVBI. 1999, 160 (163 Tz. 52). EuGH, Urt. v. 10.1 \.1998 - Rs. C-360 / 96, DVBI. 1999, 160 (163 Tz. 54-56). 176 Seidel, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Bd. 2, H. IV Rn. 7 zum im wesentlichen gleichlautenden § 1 b der Koordinierungsrichtlinie öffentliche Bauaufträge; Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 204. 177 Frenz, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 15; Kahl, DVBI. 1995, 1327 (1330); siehe auch Schink,DÖV 1995, 881 (887); a.A. Fluck, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 10. 178 Bree, Die Privatisierung der Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz, S. 133; Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 111; 174 175
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Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht gesehen werden. Das ausschließliche Recht muß in einer Rechtsvorschrift selbst festgelegt werden und nicht lediglich durch einen zusätzlich dazwischentretenden Rechtsakt erteilt worden sein. Die Ausnahme des Art. 6 der RL 92 / 50 / EWG bzw. § 100 Abs. 2 g GWB gilt daher im Falle der Einschaltung Dritter gern. § 16 Abs. 1,2 KrW - / AbfG auch dann nicht, wenn es sich bei diesen Dritten um Eigengesellschaften oder kommunal beherrschte gemischt-wirtschaftliche Entsorgungsunternehmen handelt. 4. Anwendung des Vergaberechts bei der Einbeziehung Dritter in die Abfallentsorgung Somit fmdet Vergaberecht in der Praxis vor allem im Rahmen der Beauftragung gern. § 16 Abs. 1 KrW- / AbfG Anwendung. 179 Damit sind öffentliche Entsorgungsaufträge grundsätzlich im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung zu vergeben. Dies gilt nach dem oben Gesagten auch für die Beauftragung von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen oder Eigengesellschaften. Die ausnahmsweise freihändige Vergabe ist in diesen Fällen nicht dadurch gerechtfertigt, daß ansonsten der Gründungszweck der Gesellschaft verfehlt würde. IBO Die Beteiligung eines öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen bzw. einer Eigengesellschaft darf den Wettbewerb nicht einschränken oder ausschließen. IBI Was die Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG angeht, so ist sie aufgrund ihrer gesetzlichen Konstruktion als "ausschreibungsfeindlich"IB2 einzustufen. So ist § 16 Abs. 2 KrW- / AbfG als Antragsverfahren ausgestaltet. Nicht der Entsorgungsträger, sondern der Dritte erweist sich danach aus rechtlicher Sicht als handelndes Subjekt. Mit Blick auf die über eine reine Beauftragung hinausgehenden Rechtsfolgen der Pflichtenübertragung ist dies kritisch zu sehen. Es wird dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger jedoch faktisch nicht verwehrt sein, im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung geeignete
v. Köller, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 2. Aufl. 1996, S. 182; Peine, in: Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht BT 2, § 13 Tz. 158; siehe auch § 16 Abs. 4 S. 2 KrW- / AbfG mit der Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß von Nebenbestimmungen. 179 Weidemann, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 32; Schoch, Privatisierung der AbfaJlentsorgung, S. 154; Peine, in: Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht BT 2, § 13 Tz. 152. \80 OVG Schleswig, ZUR 1999, 160 (163); a.A. offenbar OVG Münster, NVwZ
1995,1238 (1240).
IBI OVG Schleswig, ZUR 1999,160 (163). IB2 Weidemann, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 78.
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Unternehmen zu suchen und diese sodann, um das gesetzliche Verfahren einzuleiten, zur AntragsteIlung aufzufordern. Zudem sind auch Eigengesellschaften und kommunal beherrschte gemischtwirtschaftliche Entsorgungsunternehmen bei der Vergabe von über dem Schwellenwert liegenden Aufträgen gern. §§ 97 Abs. 1,98 Nr. 2 GWB an die Vergabevorschriften gebunden. 183
VII. Grenzen kommunalwirtschaftlicher Betätigung 1. § 1 UWG i.V.m. § 107 Abs.l GO NW
Wettbewerbsrechtlich stellt sich das Problem, inwieweit eine Gemeinde wettbewerbswidrig gemäß § 1 UWG i.V.m. § 107 Abs. 1 GO NW bzw. der entsprechenden Vorschrift in einem anderen Bundesland handelt, wenn sie außerhalb der Eigenbedarfsdeckung mit Entsorgungsdienstleistungen am Markt auftritt. Gern. § 1 UWG sind solche Handlungen im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs untersagt, die gegen die guten Sitten verstoßen. In einem Urteil vom 23.9.1997 184 hat das OLG Hamm den Verstoß einer Gemeinde gegen § 107 Abs. 1 GO NW als sittenwidrig erachtet. Insoweit handelt es sich bei der so festzustellenden Sittenwidrigkeit um eine wegen der auch im wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich bestehenden Gesetzesbindung gern. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG für das kommunale Handeln besondere Form der Rechtswidrigkeit. 185 Ob eine solche Gleichstellung von Rechts- und Sittenwidrigkeit gerechtfertigt ist, läßt sich nur aus einem Vergleich mit ähnlichen Konstellationen ermessen. So ist im Rahmen des § 1 UWG der Fall des Vorsprungs durch Rechtsbruch allgemein anerkannt. 186 Im Regelfall muß sich die verletzte Norm an alle beteiligten Konkurrenten gleichermaßen richten, andernfalls ist kein Vorsprung denkbar. Adressat des Kommunalwirtschaftsrechts gern. §§ 107 ff. GO NW ist aber in erster Linie die Gemeinde. Nach der Rechtspre-
183 Pippke, Öffentli~he und private Abfallentsorgung, S. 205; Weidemann, in: Brandt / Ruchay / Weidemann, KrW- / AbfG, § 16 Rn. 33. 184 OLG Hamm, NJW 1998, 3504 ff. 185 Schliesky, Über Notwendigkeit und Gestalt eines Öffentlichen Wettbewerbsrechts, DVBI. 1999,78 (84); dagegen Ehlers, DVBI. 1998,497 (504); eine systemwidrige Expansion des Wettbewerbsrechts sieht darin Tettinger, Rechtsschutz gegen kommunale Wettbewerbsteilnahme, NJW 1998,3473 (3474). 186 LG Wuppertal, DVBI. 1999,939 (nicht rkr.); Baumbach / Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl. 1998, § I Rn. 608 f.; Otting, Die Aktualisierung öffentlichrechtlicher Schranken kommunalwirtschaftlicher Betätigung durch das Wettbewerbsrecht, DÖV 1999,549 (551).
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chung des BGW 87 kann ein Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG jedoch schon darin liegen, daß eine wettbewerbliche Tätigkeit aufgenommen wird, wenn dem Verletzer der gesuchte Marktzutritt von Gesetzes wegen verboten ist, etwa weil er die normativ festgelegten besonderen Voraussetzungen eines Marktzutritts nicht erfüllt. 188 § 1 UWG gilt prinzipiell auch im Verhältnis der privaten Mitbewerber zur öffentlichen Hand. Damit unterliegt dieses Verhältnis privatrechtlicher Beurteilung. 189 Bezogen auf dieses Verhältnis ist es der öffentlichen Hand zwar grundsätzlich erlaubt, in Konkurrenz zu privaten Anbietern zu treten. Sie muß dabei aber die Grenzen wahren, die gesetzliche Vorschriften gerade zum Schutz der privaten Mitbewerber aufstellen. 19O Damit stellt sich für die erwerbswirtschaftliche Betätigung der Gemeinden die Frage, inwieweit § 107 GO NW bzw. die entsprechenden Bestimmungen in anderen Bundesländern Grenzen setzen und diese eine drittschützende Wirkung aufweisen. 2. § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW - Abfallentsorgung als wirtschaftliche Betätigung § 107 Abs. 1 GO NW setzt, wie andere Gemeindeordnungen auch, flir eine zulässige wirtschaftliche Betätigung der Kommunen im wesentlichen zwei Bedingungen. Ein öffentlicher Zweck muß sie erfordern, und sie muß nach Art und Umfang der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinde entsprechen. Hinzu tritt mit dem ersten Modernisierungsgesetz NRW 191 vom 15. Juni 1999 gern. § 107 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GO NW jetzt auch wieder eine sog. Subsidiaritätsklausel, die die Betätigung dann verbietet, wenn sie von Privaten besser und wirtschaftlicher wahrgenommen werden könnte. Ob diese Beschränkungen auch im Bereich der Abfallentsorgung gelten, hängt jedoch davon ab, ob diese \87 BGH, NVwZ-RR 1989,410 (41 I); NVwZ-RR 1992, 180 (182) - Kesselofenbauer I + 11 - noch unter der Voraussetzung des Hinzutretens weiterer Umstände; BGH, GRUR 1965,373 (375). \88 LG Wuppertal, DVBI. 1999, 939 (nicht rkr.) für das Anbieten bzw. die Durchführung von Altautorecyclingarbeiten. \89 Entgegenstehenden Äußerungen (Ehlers, DVBI. 1998, 497 (502 f.); Erichsen, Kommunalrecht NW, S. 292), die sich an der älteren Rechtsprechung des BGH (BGHZ 14,222, (227); 37, I (16» orientieren und auf die Qualität der Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen zwischen Kommune und Abnehmer abstellen, ist nicht zu folgen. In ständiger Rechtsprechung hat der BGH deutlich gemacht, daß das Wettbewerbsverhältnis zu Privaten nach Privatrecht zu beurteilen ist. BGHZ I 19,93 (95); GmsOGB BGHZ 108,284 (286); 102,280 (283); 97, 312 (313); so zuletzt auch LG Wuppertal, DVBI. 1999,939 (nicht rkr.). \90 BGH, NJW 1995,2352 (2354); NJW 1990,3 I 99 (3202). \9\ Erstes Gesetz zur Modemisierung von Regierung und Verwaltung in NordrheinWestfalen, GVBI. NW 1999, S. 386.
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als wirtschaftliche Betätigung gern. § 107 Abs. 1 S. 1, 3 GO NW einzustufen ist. Vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung nimmt § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW solche Einrichtungen aus, die dem Umweltschutz, insbesondere der Abfallentsorgung dienen. Insoweit wäre also eine Betätigung der Gemeinde in diesem Bereich zulässig. Vor dem Hintergrund der Einführung des KrW- / AbfG, das insoweit einen Systemwechsel von der Daseinsvorsorge zur privaten Verursacherverantwortung bedeutete,192 sind aber Zweifel an einer Einordnung der gesamten Abfallentsorgung als nicht-wirtschaftliche Betätigung angebracht. So differenziert ein Ansatz danach, ob die Kommunen zur Aufgabenwahrnehmung verpflichtet sind. 193 Anknüpfend an obige Ergebnisse läßt sich zumindest im Bereich der Verwertung gewerblicher Abfälle eine solche Pflichtaufgabe nicht erkennen. 194 Dieser Fall ist auch bereits von § 107 Abs. 2 Nr. 1 GO NW erfaßt. Zudem verkennt diese Ansicht, daß der Wortlaut des § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW die Abfallentsorgung im umfassenden Sinne meint und damit im Hinblick auf § 3 Abs. 7 KrW- / AbfG auch die Verwertung von Abfällen regelt. Ein anderer Ansatz fragt daher weitergehend danach, ob die Angelegenheit als Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinde wahrgenommen werden darf. 195 Aus der Systematik der Privilegierungstatbestände ergebe sich, daß sich im Rahmen der Abfallentsorgung i.S.v. § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW eine Differenzierung zwischen pflichtigen und nicht-pflichtigen Aufgaben verböte. Andernfalls würde dieser Regelung allein eine deklaratorische Wirkung neben Nr. 1 zukommen. Vielmehr solle § 107 Abs. 2 Nr. 4 KrW- / AbfG gerade auch solche Entsorgungstätigkeiten privilegieren, die im nicht-pflichtigen Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben angesiedelt sind. 196 Inwieweit ist aber Abfallentsorgung angesichts von Entsorgungsstrukturen, die im Interesse einer besseren Nutzung von Entsorgungsmöglichkeiten immer großflächiger werden, 192 Breuer, Private Kreislaufwirtschaft und öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger, in: Das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft, Heft 24, S. 3 (4); Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 23; Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 41; siehe auch Fn. 12. 193 Schink, Kommunalverfassungsrechtliche Grenzen und Möglichkeiten für die Teilnahme der kommunalen Gebietskörperschaften an der Kreislaufwirtschaft, UPR 1997,201 (204); zustimmend Moraing, Kommunales Wirtschaftsrecht vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Märkte, WiVerw 1998,233 (238). 194 In diesem Bereich gibt es keine korrespondierenden Überlassungs- und Abnahmepflichten. Die Gemeinden sind gern. § 15 Abs. 3 S. 2 KrW- / AbfG zur Ablehnung auch von gewerblichen Abfällen zur Beseitigung befugt. 195 Beckmann / David, Kommunale Abfallwirtschaft als unlauterer Wettbewerb, DVBI. 1998, 1041 (1043 f.). 196 Beckmann / David, DVBI. 1998, 1041 (1044); kritisch Cosson, Begrenzungen kommunaler wirtschaftlicher Betätigung im Bereich der Abfallwirtschaft, DVBI. 1999, 891 (894).
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überhaupt noch eine Selbstverwaltungsaufgabe, mithin nach Art. 28 Abs. 2 GG eine örtliche Angelegenheit?197 Tiefergehend ist zu fragen, ob § lO7 Abs. 2 GO NW nicht darauf ausgerichtet ist, der Gemeinde die Gewährleistung der Daseinsvorsorge sowie der damit zusammenhängenden Hilfsgeschäfte zu ermöglichen. Die Tätigkeit der Gemeinde ist aber naturgemäß auf ihr Gebiet beschränkt. 198 Nicht von § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW erfaßt sein könnten daher solche Betriebe, die auch außerhalb des Gemeindegebietes auftreten l99 oder sich in dem privater Verantwortung zugewiesenen Entsorgungsbereich bewegen. Indiz dafiir könnte auch der angestrebte Geschäftsumfang sein. 20o Gegen eine allumfassende Einbeziehung der Entsorgungstätigkeiten unter Einschluß der sog. freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben in § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW läßt sich weiter einwenden, daß diese Betrachtung den nach Einfiihrung des KrW- / AbfG veränderten Umständen nicht ausreichend Rechnung trägt. 201 So ist den Kommunen vor allem im Rahmen der Verwertung gewerblicher Abfalle durch das KrW- / AbfG keine vorrangige Rolle eingeräumt worden. Vielmehr sollten in diesem Bereich Anstöße aus der privaten Wirtschaft zu einer effIzienteren Kreislaufwirtschaft im Sinne einer Stärkung des Marktprinzips aufgenommen werden. 202 Diese Grundentscheidung darf aber nicht auf dem Wege der Landesgesetzgebung dadurch beseitigt werden, daß dieser Bereich unter den schützenden Schirm der nicht-wirtschaftlichen Betätigung gerückt wird, womit den Kommunen ein Freibrief zur Betätigung ausgestellt wird. Dies widerspricht dem vom BVerfG geprägten Grundsatz widerspruchsfreier Normgebung, wonach Regelungen von verschiedenen bundeskompetenzrechtlich berufenen Gesetzgebungsorganen so aufeinander abzustimmen sind, daß die Rechtsordnung in sich nicht widersprüchlich wird. 203 Daher können un-
197 Bejahend noch Hoppe, Umweltschutz in den Gemeinden, OVBI. 1990, 609 (610); nach Abfallarten differenzierend bereits Hohmann, "Hochzonung", Subsidiarität der Abfallentsorgung und die kommunale Selbstverwaltung: Änderung von Kompetenzen?, UPR 1989,413 (414 f.); siehe näher dazu Frenz, GewArch 1994, 145 (149). 198 Erichsen, Kommunalrecht NW, S. 273, 274; Ehlers , OVBI. 1998, 497 (504); a.A. Moraing, WiVerw 1998,233 (244 f.). 199 Nur einen räumlichen Bezug fordernd Dtting, Neues Steuerungsmodell und rechtliche Betätigungsspielräume der Kommunen, 1997, S. 135. 200 LG Wuppertal, OVBI. 1999,939. 201 Cosson, OVBI. 1999, 891 (893 f.); Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 192; Tettinger, DÖV 1996, 764 (769). 202 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/5672, S. 44. 203 BVerfG, NJW 1998, 2341 (2342); NJW 1998, 2346 (2347); dazu Frenz, Oer Grundsatz widerspruchsfreier Normgebung und seine Folgen, OÖV 1999,43 ff.; ders., Energiesteuern als widerspruchsfreie Normgebung?, BB 1999, 1849 ff.; Bothe, Zu1ässigkeit landesrechtlicher Abfallabgaben, NJW 1998, 2333 (2333); kritisch Send/er, Grundrecht auf Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung? - Eine Reise nach Absurdistan?, NJW 1998,2875 (2875).
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ter § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NW allenfalls diejenigen Entsorgungsbereiche fallen, denen eine Pflicht gern. §§ 13, 15 KrW- / AbfG zugrunde liegt. Insoweit ist zumindest die Verwertung anderer als aus privaten Haushalten stammender Abfälle als wirtschaftliche Betätigung i.S.v. § 107 Abs. 1 S. 3 GO NW einzuordnen. Daher unterliegt dieser Bereich den Beschränkungen des § 107 Abs. 1 GO NW. 204 Nimmt die Gemeinde trotz einer ausreichenden Anzahl privater Mitbewerber eine solche Aufgabe an, so kann darin ein Verstoß gegen § 107 Abs. 1 Nr. 3 GO NW liegen, da die Gemeinde insoweit in die Subsidiarität zurückgedrängt ist. 3. Drittschützende Wirkung Um im Rahmen von § 1 UWG beachtlich zu sein, muß § 107 GO NW drittschützende Wirkung besitzen. Das OLG Hamm bejaht dies in seinem Urteil vom 23.9.1997. Es verweist auf die Zielrichtung der Vorschrift, die erwerbswirtschaftliche Betätigung der Gemeinde im Verhältnis zur privaten Wirtschaft zu regeln. 205 Der überwiegende Teil des Schrifttums206 und die verwaltungs gerichtliche Rechtsprechung 207 dagegen maßen jedenfalls § 107 GO NW bisheriger Form keine drittschützende Wirkung zu, aus der heraus Mitbewerber individuell-subjektive Rechte herleiten könnten. Bei § 107 GO NW handele es sich um reines Binnenrecht, 208 das sich allein an die Gemeinde richte und deren finanzpolitische Disziplinierung zum Ziel habe. Auch seien Private ausreichend durch die ihre wirtschaftliche Betätigung deckenden Grundrechte aus Art. 12, 14 GG geschützt. 209 Freilich wird der grundrechtliche Schutz in diesem Bereich nur sehr zurückhaltend gewährt. So wird eine subjektiv-rechtliche Schutzwürdigkeit nur dann angenommen, wenn die Wettbewerbsfreiheit privater Konkur-
204 Im Ergebnis auch Schink, UPR 1997, 201 (204); Pippke, Öffentliche und private Abfallentsorgung, S. 192; Tettinger, OÖV 1996,764 (769); Cosson, OVBI. 1999,891 (894); Kniesei / Scheerbarth, StT 1998,340 (343). 205 OLG Hamm, NJW 1998, 3504 (3505); vgl. auch OLG Oüsseldorf, NWVBI. 1997,353 (354). 206 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rn. 692; Oebbecke, Oie kommunale Beteiligung nach der Reform des nordrhein-westfälischen Kommunalrechts, StuGR 1995, 387 (389); Tettinger, NJW 1998,3473 (3474); Ehlers, OVBI. 1998,497 (503). 207 BVerwGE 39, 329 (336); OVG NW, NVwZ 1986, 1045 (1046). 208 Otting, OÖV 1999, 549 (551); Rehn / Cronauge / v. Lennep, Gemeindeordnung flir das Land Nordrhein-Westfalen, Band 11, 22. Erg.-Liefg., Stand 1 /1999, § 107 Anm. 13. 209 Moraing, WiVerw 1998, 233 (243); Schmidt-Aßmann, in: ders., Besonderes Verwaltungsrecht, I. Abschn. Rn. 121.
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renten in "unerträglichem Maße" eingeschränkt wird. 2IO Insofern läßt sich in der neueren zivilrechtlichen Rechtsprechung eine gewisse Ventilwirkung erkennen, da den Betroffenen dieser Nachweis kaum möglich sein wird. 211 Bei wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand und dem damit verbundenen Entzug von Marktanteilen kann es sich um eine für die Konkurrenten grundrechtsrelevante Einwirkung handeln, insbesondere im Bereich der Berufsfreiheit gern. Art 12 GG. 212 Ein Eingriff kann dann vorliegen, wenn die Folgen des Einsatzes von kommunalen Strukturvorteilen im Wettbewerb nicht durch davon unbeeinträchtigte wirtschaftliche Einflüsse überdeckt sind. 213 Vor diesem Hintergrund hat das kommunale Wirtschaftsrecht einen Ausgleich zwischen der grundsätzlich auch der öffentlichen Hand zugänglichen wirtschaftlichen Betätigung und den Grundrechten der privaten Konkurrenten zu schaffen. In § 107 GO NW kann somit eine wertbezogene 214 Norm gesehen werden, mit der der Gesetzgeber die politische Entscheidung getroffen hat, einen ausufernden Wettbewerb der Kommunen zu Lasten anderer zu verhindern. 215 Zugleich hat er aber eine Grenze geschaffen, bei deren Überschreitung der damit verbundene Eingriff in Art 12, 14 GG mit Hilfe von § 1 UWG sanktioniert werden kann. Die Wiedereinführung der Subsidiaritätsklausel in die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung, deren Fehlen gegen einen drittschützenden Charakter angeführt wurde 216 , stützt die Einordnung der §§ 107 ff. GO NW als drittschützend. Können andere Unternehmen, und damit sind private gemeint, den mit der Tätigkeit verfolgten öffentlichen Zweck besser und wirtschaftlicher erfüllen, so sollen die Gemeinden den Wettbewerb nicht dadurch verschärfen, daß 210 BVerwG, NJW 1995, 2938 (2940); BVerwGE 39, 329 (336 f) m.w.N.; VGH BW, NJW 1995, 274 (274); weiter Frenz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in Konkurrenzsituationen, 1999, S. 99 ff., auch zu Art. 3 Abs. 1 GG. 211 Cosson, DVBI. 1999,891 (896); vgl. auch Ulmer, Die Anwendung von Wettbewerbs- und Kartellrecht auf die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand bei Angebot von Waren und Dienstleistungen, ZHR 146 (1982), 496 (505). 212 V Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rn. 521; Erichsen, Kommunalrecht NW, S. 277; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Stand 2 /1999, Art. 12 Rn. 104,303; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsforrn, S. 75 ff 213 Frenz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in Konkurrenzsituationen, S. 101; näher zu diesem Ansatz zur Abgrenzung von Grundrechtseingriffen ders., Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 278 f 214 LG Wuppertal, Entscheidungsumdruck S. 13 (in DVBI. 1999, 939 nicht abgedruckt); Otting, DÖV 1999, 549 (555). 215 Stober, Kommunalrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 22 I 2; Cosson, DVBI. 1999,891 (896); ohne daraus eine drittschützende Wirkung zu folgern SchmidtAßmann, in: ders., Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Abschn. Rn 120. 216 BVerwGE 39, 329 (336); VGH Mannheim NJW 1984,251 (252); NJW 1995, 274 (274); zu § 107 GO NW Moraing, NWVBI. 1997,355 (356) Anm. zu OLG Düsseldorf, NWVBI. 1997, 353; Ehlers, DVBI. 1998, 497 (503); Tettinger, NJW 1998, 3473 (3474); Rehn / Cronauge / v. Lennep, GO NW, § 107 Anm. 13. 12 Ziekow
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sie mit Hilfe der ihnen auch von diesen Unternehmen zufließenden Steuern und Gebühren wirtschaftlich tätig werden. Dieses Ergebnis wird auch durch den Beschluß des BGH vom 8.10.1998 217 gestützt, in dem er den Revisionsantrag gegen das Urteil des OLG Hamm unter Berufung auf "mangelnde grundsätzliche Bedeutung und fehlende Erfolgsaussicht"(!) abschlägig beschied. Damit gewährt § 107 GO NW Drittschutz218 , der mit Hilfe von § 1 UWG durchsetzbar wird.
VIII. Folgerungen Insgesamt bleibt festzuhalten, daß mit dem KrW- / AbfG die Möglichkeiten der Beteiligung Privater im Bereich der Abfallentsorgung ausgeweitet wurden. Daraus ergeben sich gleichzeitig für die Kommunen als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger zusammen mit der Organisationsprivatisierung bzw. der Beteiligung an gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen eine Vielzahl von Handlungsoptionen, um eine ihren Bedürfnissen und finanziellen Spielräumen angemessene Abfallentsorgung zu gewährleisten. Es ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden, ob Entsorgungsaufgaben unter Kosten- und Gemeinwohlaspekten besser durch öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisierte Entsorgungsbetriebe wahrgenommen werden können. Eine Regel, daß vor allem unter Kostengesichtspunkten private Entsorgungsbetriebe stets zu bevorzugen sind, gibt es nicht. So sollte auch nicht immer die Gegensätzlichkeit zwischen öffentlichrechtlichen und privatwirtschaftlichen Entsorgern im Vordergrund stehen. Vielmehr sollten die sich aus der Zusammenarbeit im Rahmen des Betreiberbzw. Betriebsführungsmodells und der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen ergebenden Vorteile fruchtbar gemacht werden. Daher stellt die weitergehende Öffnung des Entsorgungsmarktes durch das KrW - / AbfG auch nicht das Ende der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger dar2l9 , sondern die Ausweitung des Prinzips der Kooperation im Abfallrecht. 220
Az. I ZR 284 / 97. BGH, GRUR 1965,373 (375) - Blockeis 11 - noch zum alten § 69 GO NW; so auch Erichsen, Kommunalrecht NW, S. 280 f.; Cosson, OVBI. 1999, 891 (896); v. Mutius, Kommunalrecht, Rn. 522; Gerke, Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, Jura 1985, 349 (356). 219 Siehe den Titel bei Kibeie, Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger - ein Auslaufmodell?, VBIBW 1999, 1. 220 Zu diesem BVerfG, NJW 1998, 2341 (2342); bereits Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 26; Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S.170. 217
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Aus Gründen der Gewährleistung größtmöglicher Entsorgungssicherheit müssen die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zwar eine starke Stellung im Bereich der Abfallentsorgung behalten. Diese Stellung räumt ihnen das KrW- / AbfG in seiner gegenwärtigen Konzeption auch ein. Doch sollten sie sich auf die Wahrnehmung der ihnen nach dem KrW- / AbfG eingeräumten Aufgaben beschränken und nicht in die privater Entsorgungsverantwortung obliegenden Bereiche ausgreifen, wo dies aufgrund vorhandener privater Entsorger nicht notwendig ist. 221 Dies ist ein ordnungspolitisches Anliegen des KrW- / AbfG und entspricht auch den Vorgaben des kommunalen Wirtschaftsrechts. Denn von einer prosperierenden Entsorgungswirtschaft profitieren nicht allein die beteiligten Unternehmen, sondern auch die Kommunen selbst.
221 Zur Bedrängung privater Entsorgungsuntemehmen durch scheinprivatisierte kommunale Betriebe, Jahrestagung des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE), in: Die Welt, Bericht v. 18.9.1999.
Probleme der Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz Von Amold Heerd Die Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM) ist ein Beispiel für Public Private Partnership (PPP), an dem sich die Möglichkeiten und Grenzen derartiger Organisationsformen gut darstellen lassen. Neben vergleichsweise harmlosen Haus- oder Gewerbeabfällen gibt es auch solche Abfälle, die in besonderem Maße gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosibel oder brennbar sind bzw. Erreger übertragbarer Krankheiten enthalten können. Solche Abfälle sieht der Gesetzgeber als besonders überwachungsbedürftig an. Abfalldelikte nehmen mit weitem Vorsprung den Spitzenplatz unter den nachgewiesenen Umweltdelikten ein - und dies schon seit einer ganzen Reihe von Jahren. Die Gefahren, denen die Allgemeinheit und die Umwelt durch eine unkorrekte Abfallentsorgung ausgesetzt sind, lassen sich im wesentlichen folgendermaßen zusammenfassen: I. gefährliche Punktbelastungen des Bodens, des Grundwassers und der Atmosphäre durch Schadstoffe (Beispiel: illegale Verkippung); 2. Erhöhung der allgemeinen Hintergrundbelastung durch Schadstoffe, in dem man die Stoffe in stark verdünnter und nicht rückholbarer Form der Umwelt zuführt (Beispiel: Verdünnung zu stark belasteter Abfälle beim Baustoffrecycling); 3. Abluft-, Abwasser-, und Verkehrsbelastungen sowie zusätzliche Abfälle durch unnötige Behandlungsschritte (Beispiel: Destillation stark verdünnter Lösemittelgemische, um diese anschließend zu verbrennen); 4. hohe Kosten für die Allgemeinheit und die Abfallerzeuger, falls die durch unzureichende Abfallentsorgung entstehenden Schäden saniert oder gelindert werden müssen (Beispiel: Betriebseinstellung von Entsorgungsunternehmen vor Abschluß der Entsorgung angenommener Abfälle).
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I. Entsorgungswirtschaftliche Rahmenbedingungen Die Entsorgungsbranche unterliegt heute, anders als zu Beginn der neunziger Jahre, einem sehr starken Wettbewerbsdruck. Für die Abfallerzeuger steht in den meisten Fällen der Entsorgungspreis im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Was mit den Abfallen letztlich geschieht, ist für sie ohnedies schwer zu verfolgen, da sich Entsorgungswege häufig über mehrere Unternehmen erstrecken und ohne aufwendige Recherche wenig transparent gestaltet sind. Nach unseren Beobachtungen ist der durchschnittliche Entsorgungspreis für besonders überwachungsbedürftige Abfalle allein in den letzten zwölf Monaten um ungefahr 25 % gefallen. Während dies in anderen Branchen auf einen bedeutenden Produktivitäts- und Qualitätsfortschritt hindeuten würde, ist dies in der Entsorgungswirtschaft leider nicht der Fall. Nicht die bessere, sondern die billigere Entsorgung setzt sich am Markt durch. Deswegen haben viele hochwertige Entsorgungseinrichtungen, wie zum Beispiel moderne Sonderabfallverbrennungsanlagen, erhebliche Probleme, noch an Abfalle heranzukommen. Auch das europäische Ausland mischt im deutschen Entsorgungsmarkt kräftig mit. Es verfügt zum Beispiel über viele Zementwerke, die gerne und zu günstigen Preisen auch besonders überwachungsbedürftige Abfalle aus Deutschland in ihren Anlagen verbrennen. Es fmdet also ein beachtlicher Mülltourismus statt. Die EU legt im übrigen großen Wert darauf, daß eines ihrer Markenzeichen, die Warenverkehrsfreiheit, so wenig wie möglich beeinträchtigt wird - auch wenn es um Abfalle geht. Dabei sind die Vorstellungen der EU-Partner über das für eine sachgerechte Abfallentsorgung Notwendige sehr unterschiedlich, was naturgemäß auch auf die Preise Einfluß hat. So kann es nicht verwundern, daß das Regelwerk der europäischen Gemeinschaft für Abfalle, das von allen Mitgliedsstaaten zu beachten ist, keineswegs jedem nationalen Wunsch gerecht wird. Auch die nationale Gesetzgebung, die europarechtskonform sein muß, läßt manchen Wunsch offen. So haben wir zum Beispiel in Deutschland (aber nicht nur hier) das Problem, Abfalle von anderen Stoffen zweifelsfrei und praxisgerecht zu unterscheiden. Ebenso halten wir es für wichtig, einer möglichst hochwertigen Verwertung vor der Beseitigung von Abfallen den Vorzug zu geben. Leider ist es uns im deutschen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz jedoch nicht gelungen, eine für praktische Bedürfnisse optimale Abgrenzung zwischen Verwertung und Beseitigung zu defmieren. Hinzu kommt, daß sich der Bund und die Länder nicht auf die Ausarbeitung und anschließende flächendeckende Einführung von Verwaltungsvorschriften einigen konnten. Außerdem haben die Länder unterschiedliche Verwaltungs strukturen zur Überwachung der Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfalle aufgebaut. Der Vollzug des Regelwerks variiert also von Bundesland zu Bundesland, was den an der Entsor-
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gung Beteiligten die Arbeit erschwert und auch Konsequenzen hinsichtlich der Entsorgungskosten hat.
11. Die Neustrukturierung der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz Es liegt auf der Hand, daß es vor diesem Hintergrund sehr schwierig ist, die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle geordnet abzuwickeln. Rheinland-Pfalz hat sich dafür entschieden, dies im Wege einer PPP anzugehen. Diese Entscheidung wurde 1992 gefällt, als die Entsorgungskapazitäten für besonders überwachungsbedürftige Abfälle im Gegensatz zu heute sehr knapp gewesen sind. Jedes kompetente und zuverlässige Entsorgungsunternehmen mit einer Anlage in Rheinland-Pfalz sollte sich an der zu gründenden Gesellschaft beteiligen können. Nachdem die notwendigen Vorarbeiten, zu denen auch eine Änderung des Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetzes gehörte, abgeschlossen waren, wurde dann am 28.7.1993 die SonderabfallManagement-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM) gegründet. Hauptgesellschafter ist das Land Rheinland-Pfalz mit 51 %, 25,1 % hält die Vereinigung privater Entsorgungsbetriebe der Sonderabfallentsorgung Rheinland-Pfalz - VPE GmbH und 23,9 % hält die Vereinigung mittelständischer Entsorgungsbetriebe der Sonderabfallentsorgung Rheinland-Pfalz - VME GmbH. Die beiden privaten Beteiligungsgesellschaften stellen einen Geschäftsführer und einen Prokuristen in die SAM. Das Land entsendet ebenfalls einen Geschäftsführer. Das Ziel dieser grundlegenden Neustrukturierung bestand darin, das operative Geschäft der Abfallentsorgung ausschließlich der privaten Entsorgungswirtschaft zu überlassen und sich staatlicherseits auf die Kontrolle und Steuerung des Entsorgungsgeschehens auf der Grundlage eines Abfallwirtschaftsplans zu konzentrieren. Dafür stehen der SAM, die als beliehenes Unternehmen hoheitliche Funktionen wahrnimmt, insbesondere folgende Instrumente zur Verfügung: 1. Das bundesrechtliche Entsorgungsnachweisverfahren: Es verlangt in bestimmten Fällen, daß vor Beginn einer Entsorgung eine behördliche Bestätigung eingeholt wird, daß die jeweilige Entsorgungsanlage über eine entsprechende Genehmigung verfügt und die Verwertung bzw. Beseitigung dort ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Diese behördliche Bestätigung wird in Rheinland-Pfalz von der SAM erteilt. Die an einem konkreten Entsorgungsvorgang beteiligten Abfallerzeuger, Beförderer und Entsorger müssen außerdem Begleitscheine ausfüllen und mit sich führen, die den Entsorgungsvorgang dokumentieren. Jeweils eine
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Ausfertigung dieser Begleitscheine muß auch der rur den Abfallerzeuger bzw. Abfallentsorger zuständigen Behörde übersandt werden. In RheinlandPfalz werden diese Begleitscheine der SAM zugeleitet, die sie auswertet. Mit diesem bundesrechtlichen Nachweisverfahren lassen sich Entsorgungen im nachhinein relativ gut verfolgen, selten jedoch verhindern. Denn die im Nachweisverfahren rur die Entsorgungsanlage zuständige Behörde nimmt weder Anlagenvergleiche vor, noch kann sie im voraus die Abfallströme aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung ihres Weges vom Ursprung bis zur endgültigen Entsorgung lenken und kontrollieren. Da die Behörde nicht prüft, ob die im Entsorgungsnachweis angegebene Entsorgungsmaßnahme eine Verwertung oder Beseitigung von Abfällen darstellt, kann auch der gesetzlich geregelte Vorrang der - möglichst hochwertigen - Verwertung mit dem Nachweisverfahren nicht umgesetzt werden. 2. Das landesrechtIiche Andienungsverfahren: Deshalb hat das Land Rheinland-Pfalz rur die Sicherstellung der umweltverträglichen Entsorgung eines Teils der besonders überwachungsbedürftigen Abfälle Andienungspflichten bestimmt. Diese Untergruppe der besonders überwachungsbedürftigen Abfälle wird Sonderabfälle genannt, woraus sich der Name der SAM herleitet. Diese Sonderabfälle sind der SAM vor der Entsorgung anzudienen, das heißt der Abfallerzeuger teilt uns mit, welchen Entsorgungsweg er zu wählen beabsichtigt. Bei der Entscheidung über die Zuweisung wird der Wunsch des Abfallerzeugers berücksichtigt, wenn das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die Zielsetzungen des Abfallwirtschaftsplans nicht beeinträchtigt sind. Wenn nach Erteilung der Zuweisung schwerwiegende technische oder organisatorische Mängel bzw. sonstige Umstände die Entsorgungssicherheit beeinträchtigen und dies der SAM bekannt wird, kann sie Zuweisungen widerrufen und dadurch Sonderabfallströme in die Anlage stoppen. Die Andienungspflicht ist im Landesabfallwirtschafts- und AltIastengesetz verankert worden, das sich insoweit auf § 13 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW- / AbfG) stützt. Danach können die Länder Andienungs- und Überlassungspflichten fur besonders überwachungsbedÜfftige Abfälle bestimmen. Rheinland-Pfalz hat sich rur das mildere Mittel der Andienungspflicht entschieden und diese auf besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung und zur Verwertung erstreckt. Andienungspflichten rur Verwertungsabfälle müssen nach dem KrW- / AbfG besonderen Anforderungen genügen, die Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten waren und noch sind. Im Falle von Niedersachsen hat das Bundesverwaltungsgericht kürzlich die Andienungspflicht rur besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung rur nichtig erklärt. Eine Rheinland-Pfalz betreffende Entscheidung steht noch aus und wird rur Ende 1999 erwartet.
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3. Das europarechtliche NotifIzierungsverfahren: Bei der grenzüberschreitenden Abfallverbringung von Rheinland-Pfalz in Länder außerhalb der Bundesrepublik Deutschland oder auch umgekehrt ist die SAM für die diesbezüglichen rheinland-pfälzischen Verwaltungsentscheidungen zuständig. Es muß hervorgehoben werden, daß sich die Zuständigkeiten der SAM auf die Lenkung und Kontrolle der Stoffströme konzentrieren und nicht auf die jeweiligen Anlagenbetriebe. Die Kompetenzen der örtlich für die Anlagen der Abfallerzeuger und der Entsorger zuständigen Behörden bleiben davon unberührt. Die Gesellschaft fInanziert sich nicht aus dem Staatshaushalt, sondern nach dem Verursacherprinzip durch Gebühren. Bei andienungspflichtigen Sonderabfällen beträgt die Gebühr heute nach mehrmaligen Gebührensenkungen maximal 7 % der jeweiligen Entsorgungskosten. Im Schnitt aller Entsorgungen andienungspflichter Sonderabfälle liegt sie gegenwärtig bei etwa 5,3 %. Ein weiteres wichtiges Arbeitsinstrument der SAM ist die Informationsvermittlung. Die SAM bietet zu diesem Zweck eine Reihe kostenfreier bzw. sehr preiswerter Dienstleistungen an und gibt insbesondere für die in RheinlandPfalz zahlenmäßig weit überwiegenden kleinen und mittleren Unternehmen Informationsschriften zur Vermeidung, Verminderung und Verwertung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen heraus. Mit vier ähnlichen Einrichtungen anderer Bundesländer wird ein Internet-Forum fiir produktionsintegrierten Umweltschutz aufgebaut, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wird. Außerdem werden in bestimmten Fällen kostenfreie Betriebsberatungen durchgefiihrt, mehr als 14.000 Entsorgungsanfragen pro Jahr bearbeitet und Seminare veranstaltet, die über die bei der Sonderabfallentsorgung zu beachtenden Vorschriften informieren. Wenn Privatunternehmer eine Gesellschaft gründen, dann geschieht dies normalerweise mit Gewinnerzielungsabsicht. Die privaten Entsorger haben sich deshalb sicherlich erhofft, ihre bestehenden oder zu errichtenden Anlagen mit den zugewiesenen Abfällen besser auszulasten und durch eine entsprechende Preisgestaltung rentabel arbeiten zu können. Hier zeigen sich jedoch sehr deutlich die Grenzen des Modells. Abfallwirtschaftspläne und Andienungspflichten müssen selbstverständlich rechtskonform ausgelegt werden. Die SAM konnte und kann ihre Zuweisungsentscheidungen also nicht an den individuellen wirtschaftlichen Interessen ihrer Minderheitsgesellschafter ausrichten. Diese Interessen können im übrigen durchaus widersprüchlich sein. So würde sich manches Entsorgungsunternehmen sicherlich freuen, wenn die Zuweisungskriterien seitens der SAM bei ihm nur dann angewandt würden, wenn es um seinen Anlageninput ginge. Beim Anlagenoutput (wenn das Entsorgungsunternehmen also selbst Abfälle in andere Entsorgungseinrichtungen bringen will) wäre es sicherlich lieber frei in seinen Entscheidungen, um sich möglichst überregional den günstigsten Entsorgungspartner heraussuchen zu können. Große Entsor-
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gungsunternehmen mit Standorten in mehreren Bundesländern und dem Ausland wünschen sich solche Freizügigkeit außerdem deshalb, weil sie dann ihre Entsorgungsanlagen insgesamt besser auslasten können. Dem steht allerdings insbesondere entgegen, daß der von der SAM zu beachtende Teilplan Sonderabfallwirtschaft des Landes Rheinland-Pfalz für Abfälle, die beseitigt werden sollen, eine Entsorgung nach Möglichkeit innerhalb des Landes vorschreibt. Damit möchte das Land eine umweltgerechte Entsorgungsinfrastruktur langfristig sichern. Aus Sicht des Landes hat man sich bei Gründung der SAM unter anderem erhofft, eine erzeugernahe Entsorgung auf hohem Umweltstandard zu dauerhaft günstigen Preisen etablieren zu können. Man hat sogar die Errichtung einiger neuer Sonderabfallentsorgungsanlagen finanziell gefördert. Hier haben die Entwicklung des Marktes und die Rechtsprechung ganz andere Fakten geschaffen. Der wettbewerbsbedingte Rückgang der Entsorgungspreise in Verbindung mit den nur begrenzten Möglichkeiten, Sonderabfälle mit Hilfe der Andienungspflicht im Land zu halten, hat diesen Wünschen des Landes entgegengewirkt. Allerdings ist es dem Land gelungen, in Form der SAM eine zentrale Stelle zu schaffen, die sowohl den Bürgern und Betrieben als auch den Behörden als Ansprechpartner für Fragen der Sonderabfallentsorgung zur Verfügung steht und die anstehenden Arbeiten relativ rasch und kostengünstig erledigt. Es handelt sich dabei um ein Massengeschäft, das in vielen Fällen nach vorgegebenen Fristen unter hohem Zeitdruck mit einer knappen Mitarbeiterzahl abzuwickeln ist. Immerhin müssen pro Jahr etwa 20.000 Bescheide erstellt werden. Außerdem sind pro Jahr ungefähr 70.000 Begleitscheine zu erfassen und auszuwerten. Diese Auswertung erfolgt einerseits ganzheitlich mit dem Ziel, eine möglichst wirklichkeitsgetreue jährliche Sonderabfallbilanz für Rheinland-Pfalz zu erstellen, damit der Staat eine verläßliche Planungsgrundlage hat. Dies ist weitgehend gelungen. Außerdem erfolgen Auswertungen auch einzelfallbezogen, um zum Beispiel die für die Anlagen örtlich zuständigen Behörden und die Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Damit kann rechtswidrigen Entsorgungen wesentlich besser entgegengewirkt werden, als dies vor Gründung der SAM der Fall war. Sie lassen sich aber, wie die Erfahrung gezeigt hat, nicht völlig verhindern. Letztlich kommt es darauf an, wie die SAM mit den fur die jeweiligen Anlagen örtlich zuständigen Behörden kooperiert, damit die Erkenntnisse der Stoffstromkontrolle in behördliches Handeln vor Ort umgesetzt werden können. Umgekehrt hängt die SAM davon ab, daß sie von den örtlich zuständigen Behörden sachgerecht über die Genehrnigungslage der jeweiligen Entsorgungseinrichtung informiert wird, damit ihr im Rahmen
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der Lenkung und Kontrolle der Stoffströme überhaupt Unstimmigkeiten auffallen können. Wenn eine Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH hoheitliche Funktionen ausübt, so muß sie mit mancherlei Vorbehalten zurechtkommen. Unterliegt sie denselben Geheimhaltungspflichten wie klassische Behörden? Kann oder muß man im Wege der Amtshilfe Informationen mit ihr austauschen? Werden womöglich innerbehördliche Informationen an bestimmte Entsorger, die dem Kreis der Gesellschafter angehören, weitergegeben? Werden die Gesellschafter bei Zuweisungen bevorzugt? Darf man überhaupt eine Gesellschaft des privaten Rechts mit derartigen hoheitlichen Aufgaben betrauen? Die SAM hat sich diesen kritischen Fragen gestellt und eine Organisationsform verwirklicht, die den harten Anforderungen hoffentlich auch in Zukunft genügt. Nach einer dreijährigen Aufbauphase wurde die Gesellschaft von einer großen Unternehmensberatung nochmals auf Herz und Nieren geprüft und Mitte 1998 etwas verkleinert und organisatorisch gestrafft. Die SAM unterliegt unmittelbar den fachlichen Weisungen des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Umwelt und Forsten. Die Minderheitsgesellschafter haben keinen Zugriff auf die Verwaltungsakten der SAM und können die hoheitlichen Entscheidungen der SAM nicht beeinflussen. Die SAM-Mitarbeiter unterliegen allen für den öffentlichen Dienst geltenden Geheimhaltungspflichten. Im Rahmen einer sogenannten Koordinierungsstelle werden allerdings allgemeine Informationen zum Abfallrecht und dessen Vollzug mit den privaten Gesellschaftern ausgetauscht. Man kann dies als institutionalisierten Dialog bezeichnen. Dies kommt einem praxisnahen Vollzug des Abfallrechts in Rheinland-Pfalz sehr zugute. Auch die privatrechtliche Organisationsform bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Die Gesellschaft ist nicht an das immer noch recht unhandliche öffentliche Haushaltsrecht gebunden, sondern kann im Rahmen ihres eigenen Wirtschaftsplanes flexibel arbeiten. Sie kann sich unabhängig von den starren Personalvorschriften des öffentlichen Dienstes geeignetes Personal unmittelbar am Arbeitsmarkt beschaffen und es leistungsgerecht entlohnen. Sie kann bei erhöhtem Arbeitsanfall kurzfristig Aushilfskräfte einstellen oder Überstunden vorsehen. Die Beschaffung bzw. Ersatzbeschaffung der notwendigen Bfuogeräte (insbesondere der aufwendigen EDV) ist ohne große Schwierigkeiten möglich. Bei Bedarf kann die interne Organisation der Gesellschaft relativ rasch umgestellt werden. Dies ist bei Behörden traditionellen Zuschnitts wesentlich schwieriger. Die Gesellschaft kann also, sofern ihr die Rahmenbedingungen bekannt sind, ihre Arbeitsabläufe sehr kostengünstig gestalten und ihre Arbeiten sehr effektiv abwickeln.
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III. Risiken und Chancen einer Public Private Partnership Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß ein großer Teil der Rahmenbedingungen fur die Abwicklung des Alltagsgeschäftes vom Staat gesetzt wird. Wenn also notwendige staatliche Entscheidungen nicht getroffen werden, Rechtsvorschriften unklar sind oder nicht an die Notwendigkeiten der Praxis angepaßt werden (wie das leider bei der Sonderabfallentsorgung in größerem Umfang der Fall ist), dann kann auch eine optimal strukturierte PPP nichts daran ändern. Für die Aufgabenabwicklung in Form einer PPP lassen sich folgende Anforderungen formulieren: Lassen Sie mich nun zu dem Ihnen vorliegenden Thesenpapier kommen: •
Die Abwicklung hoheitlicher Aufgaben in Form einer PPP kann immer dann nützlich sein, wenn sich im konkreten Fall die hoheitlichen Belange des Staates und die wirtschaftlichen Interessen privater Anteilseigner in ausreichendem Maße decken. Wieviel Gemeinsames vorhanden sein muß, um die Gründung oder Aufrechterhaltung einer solchen Partnerschaft zu rechtfertigen, muß von den Beteiligten selbst beurteilt werden und kann sich im Laufe der Zeit ändern.
•
Die Aufgabe, die man in Form der PPP gemeinsam wahrnehmen möchte, sollte sich klar von den übrigen Staatsaufgaben abgrenzen lassen. Zuständigkeitsüberschneidungen mit herkömmlichen Behörden sind zu vermeiden.
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Es sollten nur solche hoheitlichen Aufgaben wahrgenommen werden, die sich kostenmäßig hinreichend erfassen und nach dem Verursacherprinzip umlegen lassen. Dazu können auch Leistungen gehören, die die Gesellschaft für den Staat erbringt.
•
Die Mehrheitsverhältnisse bzw. Entscheidungsbefugnisse innerhalb der PPP sollten so gestaltet sein, daß das Letztentscheidungsrecht des Staates in hoheitlichen Angelegenheiten gewährleistet ist. Die informellen Rechte der privaten Anteilseigner müssen auf das zulässige Maß begrenzt werden, dürfen aber auch nicht zur Makulatur werden.
•
Die effektive Aufgabenabwicklung einer PPP wird wesentlich vom Knowhow ihrer Mitarbeiter beeinflußt. Aus diesem Grund sollte auf ein ausgewogenes Verhältnis von Mitarbeitern mit privatwirtschaftlicher Erfahrung und Mitarbeitern mit den notwendigen Verwaltungskenntnissen geachtet werden.
•
Die Beschäftigtenzahl darf sich nicht nur an wirtschaftlichen Kriterien orientieren, sondern muß den öffentlich-rechtlichen Aufgaben entsprechen.
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Sie kann also nicht allein von den aktuellen Gebühreneinnahmen abhängig gemacht werden. •
Eine PPP im hoheitlichen Bereich muß den Ausgleich zwischen individuellen Interessen ihrer Kunden und den Belangen der Allgemeinheit bzw. des Staates bewerkstelligen. Sie fallt deshalb zwangsläufig auch Entscheidungen, die nicht dem Kundenwunsch entsprechen. Ihre Kundenbeziehungen können also nicht generell so spannungsfrei sein, wie dies in der Privatwirtschaft üblich ist.
•
Die PPP hat gegenüber herkömmlichen Behörden den Vorteil, privatwirtschaftliche Möglichkeiten zur effektiveren und kostengünstigeren Aufgabenabwicklung nutzen zu können. Wo sie jedoch selbst von staatlichen Entscheidungen abhängt, muß sie diese natürlich genauso abwarten wie andere Stellen der öffentlichen Verwaltung, d. h. die Aufgabenerledigung erfolgt dann nicht unbedingt schneller als bei diesen.
Bei einer PPP kommen öffentlich-rechtliche und wirtschaftliche Spezialkenntnisse zusammen. Wenn die Partner über ihre jeweiligen kurzfristigen Interessen hinaus die langfristige Stärkung des Gemeinwesens, die letztlich allen dient, im Auge haben, dann werden sich immer wieder Möglichkeiten zu gemeinsam getragenem Handeln finden. Der Erfahrungsaustausch innerhalb solcher Gesellschaften kann dann dazu führen, daß Kenntnisse über eine effektive und wirtschaftliche Aufgabenabwicklung in die Verwaltung hineingetragen werden. Umgekehrt wird sich auch die Wirtschaft intensiver mit den jeweiligen staatlichen Aufgaben und den Anforderungen an rechtsstaatliches Handeln auseinandersetzen müssen und manches vielleicht anders beurteilen, als dies ohne solche Erfahrungen möglich wäre. Eine PPP beinhaltet grundsätzlich - wie jede andere Organisationsform auch - zugleich Risiken und Chancen. Wenn es in Anlaufphasen und auf schwierigem Terrain zu Fehlleistungen kommt, sollte man derartige Modelle nicht vorschnell verdammen. Wenn unser Gemeinwesen effektiver werden soll, dann müssen wir auch bereit sein, etwaige negative Folgen von Innovationen zumindest eine Zeitlang zu akzeptieren und zu prüfen, ob sie nicht durch weitere Verbesserungen ausgeglichen werden können.
Probleme der Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz Von Olaf Konzak
I. Problemstellung Die Organisation der Sonderabfallentsorgung ist in einer Reihe von Bundesländern dadurch gekennzeichnet, daß Andienungs- und Überlassungspflichten fiir Sonderabfällei gegenüber überwiegend als privat-rechtlich ausgestalteten Entsorgungsgesellschaften festgelegt worden sind. Diese Sonderabfallentsorgungsmonopole der Länder werden in der Entsorgungswirtschaft als "industrielle Form des Raubrittertums" bzw. als ,,Ausformung der Planwirtschaft" bezeichnet. Die Rechtrnäßigkeit der Sonderabfallgesellschaften und das Instrumentarium der Andienungs- und Überlassungspflichten war und ist umstritten. Die juristische Auseinandersetzung um die Rechtrnäßigkeit der landesrechtlichen Bestimmungen zu Andienungs- und Überlassungspflichten hat zwar bereits unter der Geltung des Abfallgesetzes aus dem Jahr 19863 begonnen, doch hat die Intensität der Auseinandersetzung mit der Verabschiedung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes und dessen Inkrafttreten am 7.1 0.1996 zugenommen. Nachdem die Problematik in das Scheinwerferlicht der juristischen Auseinandersetzung gerückt ist, haben sich Rechtsprechung 4 und Literaturs ausfiihrlieh hiermit auseinandergesetzt. I V gl. zu diesem Begriff Peine, UPR 1992, 12); ders., UPR 1996, 161; Kunig, in: Kunig / Schwenner / Versteyl, Abfallgesetz, 2. Auflage, § 3 Rdn. 41; Jarass, Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997, S. 6; 2 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umwe\tgutachten 1998, BT-Drs. 13 / 10195, Rdn. 436. 3 Gesetz über die Venneidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz-AbfG) vom 27.8.1986, BGBI I S. 1410, ber. S. 1501, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.9.1996, BGBI I S. 1354. 4 BVerwG, Beschluß vom 24.8.1994, BVerwGE 96, 318 ff.; Urteil vom 29.7.1999, Abfallpraxis 1999; 178 ff. ; Beschluß vom 29.7.1999, Abfallpraxis 1999, 181 ff.; OVG Lüneburg, Beschluß vom 3.9.1993, NVwZ 1994, 508 ff.; Beschluß vom 21.7.1997,
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Das Konzept der Organisation der Sonderabfallentsorgung mittels Andienungs- und Überlassungspflichten gegenüber privatrechtlichen Entsorgungsgesellschaften steht aber nicht nur im Mittelpunkt juristischer Auseinandersetzungen. Die Diskussion über Sinn und Zweck dieses Organisationsmodells verdeutlicht auch unterschiedliche abfallpolitische Zielvorstellungen im Bereich der Sonderabfallentsorgung. Dies wird durch zwei politische Aussagen belegt. Die ehemalige Umweltministerin des Landes Niedersachsen, Griefahn, hat auf der Gesellschafterversammlung der Niedersächsischen Gesellschaft zur Endablagerung von Sonderabfall mbH (NGS) am 7.6.1995 folgendes ausgeführt: "Dies gilt insbesondere für den Sonderabfallbereich, der kein freier Markt ist und dieser auch nicht sein kann. Die Sonderabfallwirtschaft ist aufgrund des Umgangs mit Gütern, die nicht nur eine geringe Nachfragepräferenz haben, sondern teilweise auch besondere Gefährdungen verursachen könnten, nicht mit einem klassischen Wirtschaftsbereich, z. B. der Bedarfsgüterdeckung, vergleichbar. Es ist deshalb angezeigt, von bewährten Regelungen im Sonderabfallbereich nicht abzuweichen. Zu den bewährten Regelungen im Sonderabfallbereich gehört auch die Andienungspflicht."
Demgegenüber wird der CDU-Fraktionsvorsitzende im Mainzer Landtag, Beth, zur Aufgabenwahrnehmung der rheinland-pfalzischen Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM) wie folgt zitiert6 : "Gebühren gestaltung und Geschäftspraxis der Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM) haben nur wenig mit Marktwirtschaft zu tun. Der jetzt praktizierte "Öko-Sozialismus" darf in der Sondermüllwirtschaft nicht geduldet werden."
Die Praxis der privatrechtlichen Entsorgungsgesellschaften führt jedenfalls zu der berechtigten Frage, ob es sich hierbei nicht um einen "Fremdkörper im modernen Abfallrecht,,7 handelt. Im folgenden soll bezogen auf das Land Rheinland-Pfalz untersucht werden, ob die dortige Organisation der Sonderab-
Nds. VBI 1998, 16 ff.; Beschluß vom 1.7.1997,7 M 425 /96; OVG Brandenburg, Urteil vom 21.11.1996, NVwZ 1997,605; VGH Mannheim, Beschluß vom 24.11.1997, NVwZ-RR 1998, 744; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.11.1998, Abfallpraxis 1999,68 ff.; Urteil vom 18.11.1998, NuR 1999,463 ff. 5 Breuer, Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gern. § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG, 1999; Jarass, Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997; Unruh, Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungspflichten für Sonderabfälle, 1997; Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996; Scherer-Leydecker, DVBI 1999, 1251 ff.; Bartram / Schade, UPR 1995,253 ff.; Peine, UPR 1997,221 ff.; ders., UPR 1992,121 ff.; ders., UPR 1996, 161 ff.; Spoerr, LKV 1996, 145 ff.; Ossenbühl, DVBI 1996, 19 ff.; Konzak / Figgen, BB 1996, 753 ff. 6 Die Rheinpfalz, Ausgabe vom 9.12.1995. 7 Vgl. Breuer, Die Zu lässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gern. § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG, 1999, V.
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fallentsorgung mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Bevor im einzelnen auf die Vereinbarkeit der rheinland-pfälzischen Andienungspflicht mit den Vorgaben des Bundes-, Landes- sowie Europarechtes eingegangen wird, soll zunächst die Ausgestaltung der Organisation der Sonderabfallentsorgung in den einzelnen Bundesländern und im besonderen in Rheinland-Pfalz beschrieben werden.
11. Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz 1. Ausgestaltung der Organisation der Sonderabfallentsorgung in den Bundesländern a) Überblick über die Organisationsmodelle
Die landesrechtlichen Regelungen bezüglich der Andienungs- und Überlassungspflicht sowie die Struktur und die Aufgaben- und Betätigungsfelder der privatrechtlichen Entsorgungsgesellschaften, die auch als Zentrale Stellen oder Einrichtungen bezeichnet werden, unterscheiden sich erheblich voneinander, so daß noch nicht einmal die Gegebenheiten in zwei Ländern übereinstimmen. 8 So haben die Länder Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen vollständig auf eine Organisation der Sonderabfallentsorgung durch Andienungs- und Überlassungspflichten in ihren Ländern verzichtet. Während dieser Verzicht in den Ländern Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen aufgrund des im Gegensatz zu den anderen Bundesländern relativ geringfiigigen Aufkommens an "Sonderabfällen" erklärbar sein mag, ist diese Feststellung fiir das Land Nordrhein-Westfalen durchaus beachtlich. Im Rahmen der Novellierung des nordrhein-westfälischen Landesabfallgesetzes, das am 18.11.1998 vom Landtag verabschiedet worden und am 1.1.1999 in Kraft getreten ist, ist auch die Normierung von Andienungspflichten erörtert worden9 , auf deren Einfiihrung der Landesgesetzgeber jedoch verzichtet hat. Zentrale Stellen oder Einrichtungen, die mitunter als landesofflzielle Entsorgungsgesellschaft bezeichnet werden, existieren in Baden-Württemberg (Sonderabfallentsorgung Baden-Württemberg GmbH - SBW; Sonderabfallagentur Baden-Württemberg GmbH - SAA), in Bayern (Gesellschaft zur Entsorgung von Sondermüll mbH - GSB bzw. Zweckverband Sondermüllentsorgung Mit-
8 Hess, in: 3. Kölner Abfalltage - Abfallrecht 2000, 1995, 11, 15; Peine, UPR 1992, 121; Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 754. 9 Vgl. Höhn, in: Andienungspflichten rur Sonderabfälle auf dem Prüfstand, Entsor-
ga-Schriften 27,1997,15,19 ff. 13 Ziekow
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telfranken - ZVSMM), in Berlin und Brandenburg (Sonderabfallgesellschaft Berlin / Brandenburg GmbH - SBB), in Hessen (Hessische Industriemüll GmbH - HIM), in Niedersachsen (Niedersächsische Gesellschaft zur Endablagerung von Sonderabfall mbH - NGS), in Rheinland-Pfalz (SonderabfallManagement-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH - SAM), im Saarland (Sonderabfall-Service Saar GmbH - SSS), in Schieswig-Hoistein (Gesellschaft für die Organisation der Entsorgung von Sonderabfallen - GOES) und in Thüringen (Thüringer Sonderabfallgesellschaft mbH - TSA). In Hamburg ist durch Gesetz zur Andienung von besonders überwachungsbedürftigen Abfallen zur Beseitigung lO eine Andienungspflicht gegenüber den zugelassenen Abfallbeseitigungsanlagen im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg sowie in den Bundesländern Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen normiert worden. Während unter Geltung des Abfallgesetzes 1986 noch in einigen Ländern eine Überlassungspflicht normiert war (Hessen, Thüringen, Saarland), sind die landesgesetzlichen Regelungen durch die Anpassung der Landesabfallgesetze an das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in eine Andienungspflicht geändert worden. Eine Überlassungspflicht ist derzeit nur noch in Bayern geregeltli. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg l2 sind Privatunternehmen an den Landesgesellschaften beteiligt. Die Beteiligungsanteile reichen von ca. 12 % bis 74,9 %. Mit Ausnahme der HIM in Hessen befinden sich alle anderen Landesgesellschaften zu 50 % und mehr im Besitz der jeweiligen Bundesländer. Die SBW in Baden-Württemberg gehört derzeit zu 100 % öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Minderheitsbeteiligungen bis zu einer Höhe von 49 % bzw. 50 % - im Falle der SBB - werden von der privaten Wirtschaft gehalten, die sich teilweise zu Gruppen oder Interessenvertretungen zusammengeschlossen hat. Die Beteiligungsverhältnisse an der SBB sind paritätisch zwischen den ländern Brandenburg und Berlin und der GBR Abfallerzeuger und GBR Abfallentsorger verteilt. Die HIM in Hessen gehört zu 29 % dem Land und zu 71 % einer Gruppe privater Unternehmen. An der NGS ist das Land Niedersachsen mit 51 % beteiligt. Der 49 %ige Anteil der Privatwirtschaft erstreckt sich auf viele Entsorgungsunternehmen mit unterschiedlicher prozentualer Beteiligung. An der SSS ist zu 25,1 % das Land und zu 25,9 % die Vereinigte-SaarElektrizitäts AG und zu 49 % die Saar-Berg-Ökotechnik GmbH beteiligt. An Vom 25.6.1997, Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1997, S. 279 Siehe zu den einzelnen landesrechtlichen Regelungen Peine, UPR 1992, 121 ff.; ders., UPR 1996, 161 ff. 12 Es ist beabsichtigt, die vom Land Baden-Württemberg gehaltenen Anteile an der Sonderabfallagentur an eine privatrechtliche Gesellschaft zu veräußern. 10
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der TSA ist zu 75 % das Land und jeweils zu 12,5 % die HIM und die GSB beteiligt. Durch Beteiligungsquote der Länder an der HIM und an der GSB erhöht sich der Anteil öffentlich-rechtlicher Körperschaften an der TSA auf nahezu 90 %13.
b) Unterscheidung zwischen Andienungs- und Überlassungspjlichten Andienungs- und Überlassungspflichten sind grundsätzlich voneinander zu unterscheiden l4 und fuhren auch zu einer unterschiedlichen Ausgestaltung des jeweiligen Systems des Landes zur Sonderabfallentsorgung. Adressat der Überlassungspflicht ist der Abfallbesitzer, der dazu verpflichtet wird, den tatsächlichen Besitz zu übertragen. Dies bedingt eine körperliche Zurverfugungstellung des Abfalls 15. Die Ausfuhrung des Entsorgungsvorganges wird dem Überlassungspflichtigen aus der Hand genommen. Die Entsorgungspflicht geht auf denjenigen über, dem der Abfall physisch übertragen wurde, womit der Abfallbesitzer gleichzeitig von dieser Verpflichtung frei wird l6 • Demgegenüber wird mit einer Andienungspflicht keine Übertragung des tatsächlichen Besitzes verlangt, sondern ein Anbieten des Abfalls an einen Dritten, der entscheidet, ob, wo und in welchem Verfahren der Abfall durch den weiter entsorgungspflichtigen Abfallbesitzer zu entsorgen ist 17 • Für den Abfallerzeuger oder -besitzer bedeutet die Andienungspflicht, daß die bei ihm angefallenen andienungspflichtigen Abfälle der Zentralen Stelle anzudienen und mit
13 Siehe im einzelnen zur Rolle und Bedeutung der Landesgesellschaften in der Entsorgung von Sonderabfällen in Deutschland den Sachstandsbericht von Hilger ! Lankes, Oberhausen 1996. 14 Zur Unterscheidung der beiden Begriffe siehe im einzelnen: Breuer, Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs. 4 KrW- / AbfD, 1999, S. 5 f; Hoppe, in: 4. Kölner Abfalltage - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 1996, S. 123, 129; Bartrarn! Schade, UPR 1995,253 f; Hölscher, ZUR 1995, 176, 177; Weidernann, in: Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996, S. 40 f; Ossenbühl, DVBI. 1996, 19, 21; Konzak, in: Andienungsund ÜberJassungspflichten bei der Sonderabfallentsorgung, 3. Abfallrechtliches Kolloquium. 15 Bartrarn! Schade, UPR 1995, 253; Weidernann, in: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 40; Jarass, Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997, S. 8. 16 Bartrarn / Schade, UPR 1995, 253. 17 Bartrarn / Schade, UPR 1995,253; Breuer, a.a.O., S. 5; Weidernann, in: Weidemann / Beckmann, S. 40 f.; Spoerr, LKV 1996, 145, 147.
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ihnen so zu verfahren hat, wie diese Stelle es anordnd 8• Die Anordnung der Zentralen Stelle wird rechtlich als Zuweisungsentscheidung qualifIziert l9 • c) Zweck der Regelung von Andienungs- und Überlassungspjlichten
Der Zweck der Andienungs- und Überlassungspflichten wird einerseits in der Steuerung der Sonderabfallströme gesehen und andererseits in der Überwachung der Sonderabfallentsorgung. Eine Bestimmung, welche Zwecke die jeweiligen landesrechtlichen Andienungs- und Überlassungspflichten primär verfolgen, ist anhand des jeweiligen normativen Gehaltes der Vorschriften zu ermitteln. Das OVG Lüneburg 20 hat die niedersächsischen Regelungen den Überwachungsvorschriften zugeordnet. Aufgrund der durch die Neuregelung des niedersächsischen Abfallgesetzes 21 aufgenommenen Zuweisungskriterien in § 16 Abs. 2 Nds. LAbfG hat Jarass 22 die Auffassung vertreten, daß neben der Überwachung auch eine Steuerung der Sonderabfallströme bezweckt sei. Trotzdem ist im Hinblick auf die niedersächsische Andienungsregelung festzuhalten, daß der Schwerpunkt der Organisation der Sonderabfallentsorgung in Niedersachsen und damit der Prirnärzweck im Bereich der Überwachung liegt. 23 Hinsichtlich der baden-württembergischen Andienungspflicht wird dagegen die Auffassung vertreten, daß es dieser Andienungspflicht im Schwerpunkt um die Steuerung von Abfallströmen - konkret um die Lenkung der Sonderabfälle
Breuer, a.a.O., S. 5 f. Zu dem Auseinanderfallen der Andienungspflicht und Zuweisungsentscheidung s. OVG Brandenburg, Urteil vom 21.11.1996, NVwZ 1997, 604; zu dieser Entscheidung siehe Peine, UPR 1997, 221 ff. 20 Urteil vom 3.5.1993, NVwZ 1994,508,509. 21 Bekanntmachung der Neufassung des Niedersächsischen Abfallgesetzes vom 14.10.1994, GVB11994, S. 467. 22 Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997, S. 40. 23 Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 754; Jarass, a.a.O., S. 40; unverständlich BVerwG, Urteil vom 29.7.1999, Abfallpraxis 1999, 178, 179, das hinsichtlich der niedersächsischen Andienungspflicht eine Zuordnung zu § 3 Abs. 4 AbfG 1986 vornimmt und damit einen Steuerungs- und Lenkungsaspekt als Primärzweck anerkennt; demgegenüber hat das BVerwG, in der sogenannten Altölentscheidung, Beschluß vom 24.8. 1994, BVerwGE 96, 318 ff., auf der Grundlage des Beschlusses des OVG Lüneburg vom 3.9.1993, NVwZ 1994, 508, die niedersächsische Andienungspflicht systematisch den Überwachungsvorschriften des Abfallgesetzes 1986 zugeordnet. 18
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in bestimmte Entsorgungswege - und nicht um die Überwachung der Abfallentsorgung auf Gesetzmäßigkeit gehe 24 • Eine Zuordnung zu dem Hauptzweck der Lenkung und Steuerung von Abfallströmen wird an die Bedingung geknüpft, daß die Lenkung der Abfallströme der Schaffung und Aufrechterhaltung einer öffentlichen (oder jedenfalls öffentlichem Management unterliegenden) Entsorgungsinfrastruktur, ähnlich dem kommunalrechtlichen Anschluß- und Benutzungszwang, dienen muß 2S • Eine Qualiftzierung der Andienungspflicht als behördliches Überwachungs- und Kontrollinstrument ist dann geboten, wenn sie nicht mehr der Sicherung der Auslastung der öffentlichen Einrichtungen dient, sondern vielmehr allein der Lenkung der Abfallströme in private Entsorgungseinrichtungen 26 • Diese Zuordnung ist unter Geltung des Abfallgesetzes 1986 insoweit von rechtlicher Bedeutung gewesen, weil die notwendige landesrechtliche Kompetenz zur Normierung von Andienungs- und Überlassungspflichten in Abhängigkeit von deren Zweck unterschiedlichen bundesrechtlichen Vorschriften zuzuordnen waren. Wurde der Zweck der Andienungs- und Überlassungspflichten in der Steuerung und Lenkung der Sonderabfallströme gesehen, so mußte bundesrechtlich die notwendige Kompetenz fiir landesrechtliehe Regelungen mit der Vorschrift des § 3 Abs. 4 AbfG 27 in Übereinstimmung stehen. Wurde demgegenüber jedoch der Zweck der Andienungs- und Überlassungspflicht in der Überwachung der Sonderabfallentsorgung gesehen, so mußten die landesrechtlichen Vorschriften mit den §§ 11, 12 AbfG in Verbindung mit den Vorschriften der Abfall- und Reststoffiiberwachungsverordnung 28 vereinbar sein. Diese unterschiedliche Zweckrichtung ist unter Geltung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes nur dann noch von Bedeutung, wenn man der Regelung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG eine rechtliche Bedeutung zukommen läßt. Soweit man der weitgehend als "Bestandsschutzregelung" bezeichneten Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG einen Regelungs24 Weidemann, in: Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996, S. 26; zustimmend Spoerr, LKV 1996, 145, 146, Fn. 17, der ebenfalls die Auffassung vertritt, das Primärzweck der baden-württembergischen Andienungspflicht die Lenkung in (direkt oder indirekt) staatlich bereitgestellten Anlagen sei; zu Recht ablehnend: Beckmann, in: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 87, 102 ff. 2S Spoerr, LKV 1996, 145, 148; Peine, UPR 1996, 161. Dies soll nach Spoerr, a.a.O., 145, 148, selbst dann der Fall sein, wenn die Entsorgungseinrichtungen nicht in öffentlicher Eigenregie betrieben, sondern von Privaten der öffentlichen Entsorgungsagentur über vertragliche Bindungen zur Verfügung gestellt werden. Zu Recht kritisch, Peine, a.a.O., 161. 26 Vgl. Spoerr, a.a.O., 145, 146; Beckmann, in: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 87, IOHf. 27 Siehe hierzu ausführlich Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 756 ff. 28 Siehe hierzu Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 755 f.
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spielraum zukommen läßt, so ist nämlich zu berücksichtigen, daß diese Vorschrift nicht geeignet ist, kompetenzwidrig bestimmten landesrechtlichen Andienungspflichten Gültigkeit zu verschaffen29 • Regelungen, die der Landesgesetzgeber ohne Kompetenz erlassen hat, sind von Anfang an nichtig und können nicht mehr aufleben30 • 2. Ausgestaltung der Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des am 1.6.1998 in Kraft getretenen novellierten Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetzes31 obliegt die Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz der Zentralen Stelle für Sonderabfälle. § 8 Abs. 4 Satz 1 LAbtWAG bestimmt, daß Sonderabfälle, die in Rheinland-Pfalz angefallen sind, oder in einer in Rheinland-Pfalz gelegenen Anlage entsorgt werden sollen, der Zentralen Stelle für Sonderabfälle anzudienen sind. Korrespondierend hierzu wird durch § 8 Abs. 5 Satz 1 LAbtWAG der Zentralen Stelle für Sonderabfälle die Verpflichtung auferlegt, die ihr ordnungsgemäß angedienten Abfälle einer dafür zugelassenen und aufnahmebereiten Anlage zur Entsorgung zuzuweisen, soweit eine solche zur Verfügung steht. Laut § 9 Abs. 1 Satz 2 LAbtWAG muß in Rheinland-Pfalz die Zentrale Stelle für Sonderabfälle "ein Unternehmen ... (sein), daß erstens durch seine Kapitalausstattung, innere Organisation sowie Fach- und Sachkunde der Mitarbeiter die Gewähr für eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung bietet und zweitens dem Land Rheinland-Pfalz durch eine Beteiligung von mindestens 51 von 100 einen bestimmenden Einfluß auf den Geschäftsbetrieb hat." Die Bestimmung desjenigen Unternehmens, das diese Voraussetzungen erfüllt und Zentrale Stelle werden soll, wird gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 LAbtWAG durch Rechtsverordnung des zuständigen Ministeriums bestimmt. Durch Landesverordnung über die Andienung von Sonderabfällen vom 2.12.1993 32 ist gemäß § 1 zur Zentralen Stelle für Sonderabfälle die Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM) bestimmt worden. Die Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH 33 ist durch Gesellschaftervertrag vom 28.7.1993 gegründet worden. Den Vorgaben 29 Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 759; Rat von Sachverständigen ftir Umweltfragen, Umweltgutachten 1998, BT-Drs. 13 / 10195, Rdn. 436; anderer Ansicht: Weidemann, in: Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996, S. 44 ff. 30 BVerfG, Beschluß vom 9.6.1970, BVerfGE 29, 11, 17. 31 Vom 2.4.1998, GVBl. 1998, S. 97. 32 GVBl. 1993, S. 617.
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des § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LAbfWAG folgend, ist hieran das Land RheinlandPfalz mit 51 % beteiligt. Im übrigen sind an der SAM zu 25,1 % die Vereinigung privater Entsorgungsbetriebe (VPE) und zu 23,9 % die Vereinigung mittelständischer Entsorgungsbetriebe (VME) beteiligt. Gesellschafter der VPE und VME sind wiederum 15 in der Sonderabfallentsorgung tätige Entsorgungsunternehmen34 • Eine derartige Beteiligung der privaten Entsorgungswirtschaft ist in Rheinland-Pfalz jedoch weder im Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetz noch in der Landesverordnung über die Andienung von Sonderabfällen zwingend vorgeschrieben. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, daß dies von vornherein angedacht war 5 • Dementsprechend ist in dem Gesellschaftervertrag, auf dessen Gestaltung das Land Rheinland-Pfalz infolge seiner gesetzlich vorgeschriebenen beherrschenden GesellschaftersteIlung maßgeblich eingewirkt hat, eine Öffnungsklausel enthalten, nach der weitere Entsorgungsunternehmen, die zum Zeitpunkt der Gründung nicht der VPE oder VME angehören, in die Gesellschaft aufgenommen werden können, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind36 • Ebenso ist der Ausschluß von Gesellschaftern möglich, wenn diese Kriterien nicht mehr vorliegen37 • Die Zentrale Stelle ist daher eine Gesellschaft, an der neben dem Staat intentional allein die Entsorgungswirtschaft beteiligt ist und auch (gesellschaftsrechtlich zwingend) allein beteiligt bleiben wird. Sinn und Zweck gerade der Beteiligung der Entsorgungswirtschaft an der Zentralen Stelle erschließen sich aus dem Gesetz nicht. Auch der Begründung des (in den wesentlichen Punkten unverändert gebliebenen) Gesetzentwurfes der Landesregierung38 läßt sich Ausdrückliches kaum entnehmen. Will man sich nicht allein auf dasjenige zwischen den Zeilen beschränken, so ist allein die Stellungnahme der zuständigen Ministerin ergiebig. Sie führt zu der Beteiligung der privaten Entsorgungswirtschaft an der Zentralen Stelle folgendes 33 Die Bezeichnung "Koordinator-GmbH" fand durch sämtliche Fraktionen hindurch keine Zustimmung. Zu einer Änderung wurde ausdrücklich aufgerufen, vgl. LTSitzungsberichte 12/41 vom 21.1.1993, S. 3336; 12/55 vom 30.6.1993, S. 4377. 34 Reis I Rosenbaum, Das Abfallrecht in Rheinland-Pfalz, Loseblatt-Kommentar, § 9 Anm.1.1. 35 Die Beteiligung von Unternehmen der Entsorgungswirtschaft an der Zentralen Stelle zieht sich durch nahezu sämtliche Gesetzesmaterialien, vgl. im Gesetzgebungsverfahren zum gleichlautenden Vorläufer des § 9 LAbtWAG 1998 (§ 8 b Abs. I LAbtWAG 1991 /93, eingefügt durch Gesetz vom 14.7.1993, GVBI. S. 396) die Stellungnahme der zuständigen Ministerin sowie diverser Abgeordneter, LT -Sitzungsberichte 12 / 41 vom 21.1.1993, S. 3332, 3333, 3335, 3337, 3339; 12 / 55 vom 30.6.1993, S. 4371,4377,4378. 36 Vgl. Reis I Rosenbaum, a.a.O., § 9 Anm. 1.1. 37 Vgl. Reis I Rosenbaum, a.a.O., § 9 Anm. 1.1, was bereits in einem Fall geschehen ist. 38 LT -Drs. 12/2404 vom 23.12.1992, S. 8, 9 f.
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aus 39 : "Neben dem Land (werden) kompetente Partner aus der Privatwirtschaft beteiligt sein. Nur eine solche Symbiose von privatwirtschaftlichem Know-how und staatlichem Controlling kann den Ansprüchen, die wir stellen und zu stellen haben, gerecht werden." Pointierter als der rheinland-pfalzische hat sich der baden-württembergische Gesetzgeber für den im Hinblick auf § 9 Abs. 1 Satz 2 LAbfWAG gleichlautenden § 28 a LAbfG BW40 geäußert. Zur Verdeutlichung desjenigen, was in Rheinland-Pfalz unausgesprochen zwischen den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten klar war, ist von dem baden-württembergischen Gesetzgeber zur Wahl der Privatrechtsform - was mit einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung der privaten Entsorgungswirtschaft Hand in Hand geht - fiir die baden-württembergische Sonderabfallagentur folgendes ausgefiihrt worden41 : "Die privatrechtliche Rechtsform ist aufgrund der AufgabensteIlung ... vorzuziehen. Zur sachgerechten Erledigung der Aufgaben ist ein Einblick in die Entsorgungswirtschaft notwendig, den sich eine privatrechtlich organisierte SteHe, an der auch die Wirtschaft beteiligt ist, leichter verschaffen kann als eine staatliche Stelle. Der Einblick in die Strukturen der Entsorgungswirtschaft wird auch durch eine personelle Durchlässigkeit zwischen Sonderabfallagentur und der Entsorgungswirtschaft erleichtert, die bei einer privatrechtlichen Organisationsform gegeben ist. Das ... erforderliche Spezialwissen kann im Rahmen der staatlichen Verwaltung nur schwer aufgebaut werden. ... Die privatrechtliche Rechtsform erleichtert es, Personal aus der Entsorgungswirtschaft zu integrieren, das die praktischen Abläufe aus eigener Anschauung kennt und Hintergrundwissen besitzt".
Es kann daher wohl davon ausgegangen werden, daß mit der privatrechtlichen Gesellschaftsform der Zentralen Stelle ein Synergieeffekt zwischen Verwaltung und privater Entsorgungswirtschaft genutzt werden sollte. Ob sich aber entsprechende Synergieeffekt eingestellt haben, muß in Anbetracht der Tätigkeit der SAM bezweifelt werden. Es muß auch bezweifelt werden, ob es zu einer personellen Durchlässigkeit gekommen ist. Quellen über die genaue Personalstruktur der Mitarbeiter der Zentralen Stelle einschließlich ihrer vorherigen Tätigkeiten gibt es nicht. Es ist aber zu bezweifeln, daß die Zentrale Stelle ihre Mitarbeiter überwiegend und vor allem für die entscheidenden Positionen aus dem Bereich der privaten Entsorgungswirtschaft rekrutiert hat. Die Zentrale
LT-Sitzungsberichte 12/41 vom 2 \. \.1993, S. 3332, 3333. Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen und die Behandlung von Altlasten in Baden-Württemberg (Landesabfallgesetz - LAbfG) in der Fassung vom 15.\0.1996, GBI. S. 617, geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 24.1 \.1997, GBI. S.470, Art. 4 des Gesetzes vom 16.7.1998, GBI. S. 422 und Art. des Gesetzes vom 19.7.1999, GBI. S. 292. 41 LT-Drs. 11 /6865 vom 5.12.1995, S. 50; siehe auch Beckmann, in: Weidemann / Beckmann, Organisation der SonderabfaHentsorgung, 1996, S. 87, 98 f. 39
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Stelle spricht nämlich selbst mittlerweile von einem erst "zwischenzeitlich erworbenen Know-how ... für Fragen der Sonderabfallentsorgung"42. Eine qualitative und quantitative Integration von erfahrenem Personal aus der privaten Entsorgungswirtschaft in das "feste" Personal der Zentralen Stelle dürfte demgemäß tatsächlich nicht erfolgt sein. Darüber hinaus ist, obwohl sich die Zentrale Stelle in ihrem Selbstverständnis vorrangig als ,,kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen" sieht43 , der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in geradezu klassischer Weise der Eingriffsverwaltung zuzurechnen. Die Tätigkeit der Zentralen Stelle verlangt demgemäß vor allem nach Personal, das auf die der öffentlichen Verwaltung wesensimmanente Gesetzesbindung (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) hin besonders ausgebildet ist und sich dieser in gleicher Weise verbunden fühlt. Die Einbindung von Spezialwissen aus der privaten Entsorgungswirtschaft dürfte somit lediglich entweder über die Konsultation der organschaftIichen Vertreter der privaten Gesellschafter oder aber über die Konsultation der "einfachen" Mitarbeiter der privaten Gesellschafter erfolgen. In den Kategorien des öffentlichen Rechts ist die privatrechtliche Sonderabfall-Management-Gesellschaft mbH als sogenannte Beliehene zu qualifizieren44 • Hierbei handelt es sich um private natürliche oder juristische Personen, die von einem Träger öffentlicher Gewalt mit der hoheitlichen Wahmehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen betraut worden sind4s . Die Beliehenen bleiben statusmäßig eine private natürliche oder juristische Person, können aber funktionell, je nachdem wie weit ihr hoheitlicher Kompetenzbereich reicht, als Verwaltungsträger hoheitlich handeln. Aufgrund der der SAM zugewiesenen Aufgaben und Hoheitsbefugnisse ist davon auszugehen, daß Hauptzweck der Andienungspflicht die Überwachung der Sonderabfallentsorgung ist46 . Das OVG Koblenz47 ist dagegen der Auffassung, daß die Andienungsregelung auf die Lenkung und Steuerung der Abfallströme in geeignete Entsorgungsanlagen und nicht bloß der Überwachung der Abfallströme gerichtet ist. Der Senat führt in der Entscheidung vom 18.11. 42 Pressemitteilung der SAM vom 21.1.1998, S. 5. 43 Pressemitteilung der SAM vom 21.1.1998, S. 6. 44 Vgl. dazu LT-Drs. 12/2404 vom 23.12.1992, S. 1,8; OVG Koblenz, Urteil vom
18.11.1998, NuR 1999,463,470; Peine, UPR 1996, 161, 163 f. 4S Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1 \. Aufl. 1997, § 23 Rdn. 56 ff.; Rudolf, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 53 Rdn. 26; WolfJ / BachojJ / Stober, Verwaltungsrecht 11, § 104 Rdn. 2; Gramm, Verwaltungsarchiv 1999,329,335. 46 Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 754; vgl. auch Breuer, Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG, 1999, S. 130, der neben der Überwachung auch die abfallwirtschaftliche Lenkung als Zweck der Andienungspflicht anerkennt. 47 Urteil vom 18.11.1998, NuR 1999,463,468,469.
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1998 48 weiter aus, daß die Andienungsregelung ursprünglich vorrangig dem Ziel diente, im Hinblick auf den angenommenen Entsorgungsnotstand eine hinreichende Entsorgungsinfrastruktur für die rheinland-pfälzischen Erzeuger von Sonderabfall zu gewährleisten. Dieser Zweck sei angesichts der zur Zeit bestehenden Überkapazitäten im Bereich der Entsorgungswirtschaft in den Hintergrund getreten. Damit trete der weitere Zweck der Andienungsregelung deutlicher hervor, die Sonderabfallströme über eine bloße Überwachung der von den Abfallbesitzern gewählten Entsorgungswege hinaus in Richtung einer möglichst umweltverträglichen Entsorgung zu lenken. Hierdurch erweise sich die Andienungsregelung als Mittel zur Umsetzung der dahingehenden materiellrechtlichen Vorgaben des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes sowie der sogenannten EG-Abfallrahmenrichtlinie. Die vom OVG Koblenz vorgenommene Auslegung des Zwecks der Andienungsregelung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Berücksichtigt man die Praxis der Zentralen Stelle und die Regelungen des Landesabfallwirtschaftsund Altlastengesetzes, so ist nicht erkennbar, weshalb die Andienungsregelung primär auf die Lenkung und Steuerung der Abfallströme gerichtet sein soll. Wenn darüber hinaus ausgeführt wird, daß die Andienungsregelung ursprünglich vorrangig dem Ziel gedient habe, eine hinreichende Entsorgungsinfrastruktur zu gewährleisten, so muß festgestellt werden, daß bereits in dem Zeitpunkt der Gründung der Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH Überkapazitäten im Bereich der Entsorgungswirtschaft bestanden haben. Der vom OVG Koblenz angenommene Wechsel der Zweckrichtung ist in Anbetracht der bundesrechtlichen Regelungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes ebenfalls nicht überzeugend. Insoweit ist zu berücksichtigen, daß die Zwecke der Andienungs- und Überlassungspflichten mit Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes durch die kompetenzrechtliche Bestimmung des § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG vorgegeben werden. Bei den Andienungsregelungen kann es sich mithin nicht um Mittel zur Umsetzung der materiell-rechtlichen Vorgaben des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes handeln.
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NuR 1999, 463, 469.
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111. Vereinbarkeit der Andienungspflicht in Rheinland-Pfalz mit höherrangigem Recht 1. Vorgaben des Bundes- und Landesrechts
a) Zu lässigkeit der Normierung von Andienungspflichten for besonders überwachungs bedürftige Abfiille zur Beseitigung gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG
Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 LAbtwAG gehören zu den Sonderabfällen, die im Sinne von Abs. 4 der Andienungspflicht unterliegen, die besonders überwachungsbedürftigen Abfälle zur Beseitigung im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 2 KrW- / Abtu. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG können die Länder zur Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung Andienungs- und Überlassungspflichten für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung bestimmen. Nach Auffassung des OVG Koblenz49 genügt die rheinlandpfälzische Andienungsregelung den in § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG enthaltenen inhaltlichen Anforderungen ,,zur Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung"50 Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Beschluß vom 29.7.1999 51 hinsichtlich der baden-württembergischen Sonderabfallverordnung festgestellt, daß diese mit der bundesrechtlichen Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG vereinbar ist. Die baden-württembergische Andienungspflicht diene dem Ziel der Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung, da sie das Problem der im Land anfallenden besonders überwachungsbedürftigen Abfälle in einer Weise entschärfen solle, die es ermögliche, angesichts zurückgehender Abfallmengen und freier Kapazitäten in Verbrennungs anlagen anderer Bundesländer die Entscheidung über die seit langem erwogene Errichtung einer oder mehrerer Abfallverbrennungsanlagen in Baden-Württemberg zurückzustellen und die weitere Entwicklung abzuwarten. Mit dem Abschluß des sogenannten AVG-Vertrages sollte ein "Grundstock" an langfristiger Entsorgungssicherheit bei ökonomisch angemessenen Kosten erreicht werden. Ausweislich der Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes ist davon auszugehen, daß der Senat die Sicherstellungsklausel in § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG zu Recht nicht als eine abstrakte Programmformel qualifIziert 52 . 49
Urteil vom 18.11.1998, NuR 1999,463,467.
50 So auch Reis / Rosenbaum, Das Abfallrecht in Rheinland-Pfalz, Loseblatt-Kom-
mentar, § 8 Anm. 4, 8.1. 51 Abfallpraxis 1999, 181 ff. 52 OVG Brandenburg, Urteil vom 2l.1l.1996, NVwZ 1997,604,607; VGH BadenWürttemberg, Beschluß vom 24.1l.1997, NVwZ-RR 1998, 744, 745; Weidemann, in:
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Vielmehr handelt es sich bei dem Merkmal "zur Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung" um ein konkretes Tatbestandsmerkmal, welches die Voraussetzungen des den Ländern durch den Bund eröffneten Regelungsspielraums definiert. Der Landesgesetzgeber kann daher aufgrund der kompetenzrechtlichen Befugnis in § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW - / AbfG nur "zur Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung" tätig werdens3 . Es ist nicht erkennbar, daß die rheinland-pfalzische Andienungsregelung rur besonders überwachungsbedürftige Abfalle zur Beseitigung der Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung im Sinne von § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG dientS4 • Der rheinland-pfalzische Landesgesetzgeber hätte nämlich nur dann eine kompetenzrechtliche Befugnis im Sinne von § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW- / AbfG rur die Normierung einer Andienungspflicht rur besonders überwachungsbedürftige Abfalle zur Beseitigung, wenn ein Sicherstellungsbedarf auszumachen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat hinsichtlich der baden-württembergischen Andienungspfliches eine umweltpolitische Zwecksetzung darin gesehen, daß das Land der Verantwortung rur eine ordnungsgemäße Beseitigung der auf seinem Gebiet anfallenden Abfalle gerecht wird, wobei nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts es auf der Hand liege, daß eine dauerhafte, von unvorhersehbaren Schwankungen der Abfallmengen unabhängige Sicherstellung der Entsorgung nur gewährleistet werden könne, wenn die darur vorgesehenen Abfallbeseitigungsanlagen auch entsprechend langfristig zur Verrugung stünden. Eine Konzeption zur Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung des Landes Rheinland-Pfalz ist durch die Normierung der Andienungspflicht jedenfalls nicht erkennbar. Weder der Landesgesetzgeber noch die Landesregierung haben einen umweltpolitischen Zweck rur die Normierung einer Andienungspflicht festgestellt. Laut einer Pressemitteilung vom 21.1.1998 hat die SAM auf der Grundlage des Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetzes 1991 / 1993 "mit 172 Abfallentsorgungsunternehmen, davon 36 in Rheinland-Pfalz, Entsorgungsverträge abgeschlossen", so daß sich die Möglichkeit ergeben hat, Sonderabfalle ins-
Brandt / Ruchay / Weidemann, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Loseblatt-Kommentar, § l3 Rdn. 118; ders., in: Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996, S. 41. S3 Vgl. Breuer, Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG, 1999, S. 57 ff.; siehe auch Beckmann, in: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 116. S4 SO auch Breuer, a.a.O., S. l31. 5S Beschluß vom 29.7.1999, Abfallpraxis 1999, 181 ff.
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gesamt 220 Entsorgungsanlagen zuzuweisen. Gerade mit der Novellierung des Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetzes (1998) ist das Erfordernis für die SAM zum Abschluß von Entsorgungsverträgen mit den Betreibern von Entsorgungsanlagen entfallen. Der Abschluß von Entsorgungsverträgen wurde weder aus Gründen des Abrechnungsverfahrens noch der Gewährleistung der Entsorgungssicherheit für erforderlich gehalten. Auf der Grundlage der novellierten Fassung des Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetzes (1998) hat die SAM sämtliche bestehenden Entsorgungsverträge mit den Betreibern der Entsorgungsanlagen aufgehoben. In diesem Zusammenhang hat die SAM festgestellt, daß nachteilige Auswirkungen auf die Zuweisung in Entsorgungsanlagen innerhalb oder außerhalb von Rheinland-Pfalz mit dem Wegfall der Verträge nicht verbunden sei. Ein Sicherstellungsbedarf ist daher nicht erkennbar. Ein Sicherstellungsbedarf für die umweltverträgliche Beseitigung kann darüber hinaus nur für die Abfälle angenommen werden, die von den öffentlichrechtlichen Entsorgungsträgern nach § 15 Abs. 3 KrW- / AbfG von der Entsorgung ausgeschlossen worden sind. Solange die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger nach § 15 Abs. 3 KrW - / AbfG Abfälle nicht von der Entsorgung ausgeschlossen haben, sind Abfälle zur Beseitigung nach § 13 Abs. I KrW- / AbfG den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen. In diesem Fall kann ein Sicherstellungsbedarf aufgrund des Regelungsgehaltes in §§ 13 Abs. I und 15 Abs. I KrW - / AbfG nicht vorliegen. Wenn nunmehr der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber in § 4 Abs. 4 Satz I LAbfWAG bestimmt, daß Abfälle, die nach § 8 Abs. 4 LAbfWAG andienungspflichtig sind, nicht der Entsorgungspflicht der Entsorgungsträger unterliegen, ist diese Regelung mit den §§ 13 Abs. I und 15 Abs. I KrW- / AbfG nicht vereinbar. In der Begründung56 wird hierzu ausgeführt, daß § 4 Abs. 4 Satz I eine Abgrenzung der Aufgabe der Zentralen Stelle für Sonderabfälle von denen der Entsorgungsträger enthalte und bestimme, daß nach diesem Gesetz andienungspflichtige Abfälle nicht der Entsorgungspflicht der Entsorgungsträger unterliegen. Mit den bundesrechtlichen Vorschriften des § 13 Abs. 2 und § 15 Abs. 3 Satz 2 KrW - / AbfG ist eine derartige Regelung jedoch nicht vereinbar. Den Ländern ist kein Regelungsspielraum eröffnet, die durch das Bundesgesetz vorgesehenen Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger einzuschränken. Die rheinland-pfälzische Andienungspflicht für besonders überwachungs bedürftige Abfälle zur Beseitigung ist daher mit § 13 Abs. 4 Satz I KrW- / AbfG nicht vereinbar, da ein Sicherstellungsbedarf für eine umweltverträgliche Beseitigung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen in RheinlandPfalz nicht ersichtlich ist. 56
LT-Drs. I3 /1975, S. 26.
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b) Zulässigkeit der Normierung von Andienungspflichten for besonders überwachungs bedürftige Abfolle zur Verwertung gemäß § 13 Abs. 4 Sätze 2, 3 und 4 KrW- / AbfG Die rheinland-pfälzische Andienungspflicht erstreckt sich nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWAG auch auf besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung, die in einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 4 Satz 3 KrW- / AbfG bestimmt sind. Da der Bundesverordnungsgeber von der ihm durch § 13 Abs. 4 Satz 3 KrW - / AbfG eröffneten Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht hat, läuft die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWAG zunächst leer. Darüber hinaus erstreckt sich die rheinland-pfälzische Andienungspflicht gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 LAbfWAG aber auch auf besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung, die vor Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetzes der Andienungspflicht unterlegen sind. Diese sollen durch Rechtsverordnung nach § 9 Abs. 2 Nr. LAbfWAG näher bestimmt werden. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 29.7.1999 57 die niedersächsische Verordnung über die Andienung von Sonderabfällen vom 14.9.1995 für nichtig erklärt hat, soweit sie Abfälle zur Verwertung betrifft, haben die Länder Berlin und Brandenburg ihre Andienungspflichten für besonders überwachungs bedürftige Abfälle zur Verwertung im Vollzug zunächst ausgesetzt. Da das Land Sachsen-Anhalt seine Andienungspflicht generell aufgehoben hat, ist Rheinland-Pfalz derzeit das einzige Land, in dem die Andienungspflicht für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung im Vollzug praktiziert wird. Die rheinland-pfälzische Andienungspflicht für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung kann sich jedoch nicht auf die sogenannte "Bestandsschutzklausel" des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG stützen, da diese Norm in sich widersprüchlich und mißlungen ist. Diese Norm entfaltet deshalb keine Rechtswirksamkeit58 • Diese These von der "gesetzgeberischen Selbstblockade" wird jedoch von Rechtsprechung 59 und Literatur60 überwiegend nicht
Abfallpraxis 1999, 178 ff. So zutreffend Breuer, Die Zu lässigkeit landesreehtlieher Andienungs- und Überlassungspfliehten gemäß § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG, 1999, S. 70 ff., S. 133; Ossenbühl, DVBI. 1996, 19,23; Peine, UPR 1996, 161, 166; Unruh, Die Zulässigkeit landesrechtlieher Andienungspfliehten für Sonderabfalle, 1997, S. 103; Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 758 f. 59 BVerwG, Urteil vom 29.7.1999, Abfallpraxis 1999, 178 ff.; OVG Brandenburg, Urteil vom 21.11.1996, NVwZ 1997, 604; OVG Koblenz, Urteil vom 18.11.1998, NuR 1999,463 ff. 57
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geteilt. Entgegen der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG aber weder als "Bestandsschutzklausel" zu qualiftzieren, noch ist es überzeugend, dieser Norm nur aufgrund ihrer Existenz eine rechtliche Bedeutung beimessen zu wollen. aa) Bestandsschutzwirkung des § 13 Abs. 4 Satz 4 Mit § 13 Abs.4 KrW- / AbfG wurde erstmals eine bundesrechtliche Vorschrift geschaffen, die die Länder ausdrücklich zur Normierung von Andienungs- und Überlassungspflichten unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt61 • Nach Art. 13 des Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen sind lediglich die Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, die zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigen oder solche Ermächtigungen in anderen Gesetzen ändern, am Tage nach der Verkündung, d.h. am 7.10.1994, in Kraft getreten. Im übrigen ist das Gesetz erst zwei Jahre nach Verkündung, d.h. am 7.10.1996, in Kraft getreten. Weil die Regelungen des § 13 Abs.4 Sätze 1 und 2 KrW- / AbfG weder zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigen, noch solche Ermächtigungen in anderen Gesetzen ändern, haben sie erst Geltung ab dem 7.10.1996 entfaltet und besitzen daher keine rechtliche Bedeutung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit derjenigen landesrechtlichen Andienungs- und Überlassungspflichten, die vor diesem Zeitpunkt erlassen und in Kraft gesetzt wurden. Vielmehr ist insoweit die zeitliche Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, der ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers in dem Zeitraum vom 7.1 0.1994 bis 6.10.1996 ausschließt. Es kann als unstreitig bezeichnet werden, daß die zeitliche Sperrwirkung mit der Verkündung des Gesetzes eintritt62 • Ab dem 7.10.1994, dem Zeitpunkt der Verkündung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, entfaltet daher § 13 Abs. 4 Sätze 1 bis 4 KrW- /
60 Jarass, Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997, S. 59 ff.; Hösel / v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Loseblatt-Kommentar, § 13 Rdn. 31; Weidemann, in: Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996, S. 43 ff. 61 Vgl. hierzu die Darstellung bei Bartram / Schade, UPR 1995,253,255 f.; Hoppe, in: 4. Kölner Abfalltage - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 123, 151 ff.; Peine, UPR 1996, 161, 165 ff.; Beckmann, in: Andienungs- und Uberlassungspflichten bei der Sonderabfallentsorgung - 3. Abfallrechtliches Kolloquium, S. 16 ff. 62 Siehe hierzu nur Ossenbühl, DVBI. 1996, 19, 20; Peine, UPR 1996, 161, 166 jeweils m.w.N.
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AbfG (wobei Satz 3 als Rechtsverordnungsermächtigung bereits am 7.10.1994 in Kraft getreten ist) Sperrwirkung mit Blick auf eine Anordnung von landesrechtlichen Andienungs- und Überlassungspflichten. Durch die Verkündung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes hat der Bund den gesamten Bereich ,,Abfallwirtschaft" besetzt63 • Das Gesetz hat eine vollständige Sperrwirkung für gesetzgeberisches Handeln der Länder ausgelöst. Diese Sperrwirkung ergibt sich unmittelbar aufgrund von Art. 72 Abs. 1 GG. Auch aus § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG kann keine Kompetenz des Landesgesetzgebers hergeleitet werden, aufgrund dessen die Statuierung von Andienungs- und Überlassungspflichten fiir besonders überwachungsbedürftige Abfälle vor dem 7.10.1996 möglich wäre 64 . Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG bleiben Andienungspflichten fiir besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung, die die Länder bis zum Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes bestimmt haben, unberührt. Die Regelung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG ist eine Gesetzesvorschrift, die erst im letzten Stadium des Gesetzgebungsverfahrens, nämlich im Vermittlungsausschuß, offenbar als "Kompromißvorschrift" eingefiihrt wurde 65 • Mit dieser "Kompromißvorschrift", die auf Forderungen einiger interessierter Bundesländer im Gesetzgebungsverfahren zurückgeht, ist offenbar seitens einiger Länder bezweckt worden, die bisherige Praxis dieser Bundesländer abzusichern66 • Die der Regelung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG unterstellte "Bestandsschutzwirkung" und der mit ihr verfolgte Zweck, den Bestand der vorhandenen landesrechtlichen Andienungspflichten zu sichern, wird jedoch nur durch einige in der Literatur vertretene Auffassungen belegt67 • Anhaltspunkte hinsichtlich des Willens des Bundesgesetzgebers lassen sich jedoch fiir eine derartige Auslegung den Materialien nicht entnehmen. Vielmehr ist der behauptete Zweck der Regelung des § 13 Abs.4 Satz 4 KrW- / AbfG aufgrund der anhand der Materialien belegbaren Normvorstellung des Gesetzgebers nicht feststellbar. Von den Anhängern der o. a. Auffassung wird offenbar die von einigen Ministerialbeamten der Länder mit der Aufnahme der Regelung des § 13 Ossenbühl,DVBJ. 1996, 19,23; Peine, UPR 1996, 161, 166. Beckmann, NWVBJ. 1995,81,85; Ossenbühl, DVBJ. 1996, 19,23; Konzak/ Figgen, BB 1996,753,759; Peine, UPR 1996,161,166 f.; siehe auch Hoppe, in: 4. Kölner Abfalltage - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 123, 155; anderer Ansicht: Weidemann, in: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 43 ff. 65 Ossenbühl, DVBJ. 1996, 19, 21 f. 66 Schink, DÖV 1995, 881, 884; Versteyl/ Wendenburg, NVwZ 1994, 831, 839; Jarass, Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997, S. 60. 67 Schink,DÖV 1995,881,884; Versteyl/ Wendenburg, NVwZ 1994,831,839; Jarass, Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997, S. 60. 63
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Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG verfolgte Zweckrichtung als maßgeblich fur die Bestimmung des Willens des Bundesgesetzgebers angesehen. Der Wille des Gesetzgebers ist jedoch mit den Zielvorstellungen am Gesetzgebungsverfahren beteiligter Personen nicht identisch. Zu der Frage, welche Deutung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers oder seiner eigenen Normvorstellung am besten entspricht, kommt man jedoch erst, wenn der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch oder einem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes sich ergebende Wortsinn, der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes und die ihm zugrundeliegende begriffliche Systematik immer noch verschiedene Deutungsmöglichkeiten offen lassen68 . Selbst wenn man dieses systematische Vorgehen außer Betracht läßt und sich den Normvorstellungen des Gesetzgebers nähert, so ist das unterstellte Verständnis des Gesetzgebers von der Bestandsschutzwirkung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW-/ AbfG allenfalls von einigen im Bundesrat vertretenen Bundesländern geteilt worden, wobei sich dies aus den bislang vorliegenden Gesetzesmaterialien nicht ergibt. Als der "Wille des Gesetzgebers" können jedoch nur die zutage liegende Grundabsicht des Gesetzgebers und diejenigen Vorstellungen angesehen werden, die in den Beratungen der gesetzgebenden Körperschaft oder ihrer zuständigen Ausschüsse zum Ausdruck gebracht worden und ohne Widerspruch geblieben sind. An ihnen hat sich die Auslegung zu orientieren, soweit es fiir sie auf die Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers ankommt69 • Berücksichtigt man darüber hinaus, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im freiheitlich-demokratischen System des Grundgesetzes dem Parlament als Legislative die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zufällt, weil nur das Parlament hierfiir die demokratische Legitimation besitzfO, und der Bundesrat nicht eine zweite Kammer eines einheitlichen Gesetzgebungsorgans, die gleichwertig mit der "ersten Kammer" entscheidend am Gesetzgebungsverfahren beteiligt wäre 71 , darstellt, so kann der von einigen Ländern des Bundesrates mit der Regelung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW-/ AbfG verfolgte Zweck nicht mit dem Willen des Gesetzgebers gleichgesetzt werden. Die Tatsache, daß noch andere Organe am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind, macht sie nicht zu Mitträgern der Gesetzgebung 72 • Schließlich ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, daß der Regelung des § 13 Abs.4 KrW- / AbfG gerade keine Bestandsschutzwirkung 68 69
70 71 72
Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, 1991, S. 328. Larenz, a.a.O., S. 329. BVerfG, Beschluß vom 17.7.1996, BVerfGE 95,1,15 f. BVerfG, Beschluß vom 25.6.1974, BVerfGE 37,363,380. BVerfG, Urteil vom 16.3.1955, BVerfGE 4,144,152.
14 Ziekow
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zukommt. In der im Regierungsentwurf enthaltenen Fassung der Vorschrift des § 9, die die Überlassungspflichten zum Inhalt hatte, waren Andienungs- und Überlassungspflichten nicht geregele3 • Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu der von der Regierung vorgeschlagenen Fassung der Vorschrift ausgefiihrt, daß in § 9 an Abs. 1 folgender Satz 3 anzufiigen sei: "Unberührt bleiben Andienungs- und Überlassungspflichten flir überwachungsbedürftige Rückstände nach Maßgabe des Landesrechtes.,,74
In der Begründung hat der Bundesrat darauf verwiesen, daß diese Regelung zwingend notwendig sei, um bestehende und bewährte Systeme der Länder zur Entsorgung von Sonderabfällen nicht zu gefährden. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung darauf hingewiesen, daß die vom Bundesrat vorgeschlagene Einfiigung eines Satzes 3 in § 9 Abs. 1 abgelehnt wird75 . Die Bundesregierung hat die Ablehnung der vom Bundesrat gewünschten Änderung wie folgt begründet: "Nur flir Abfälle zur Beseitigung sieht Art. 5 der 'Abfallrahmenrichtlinie der EG' eine möglichst weitgehende Entsorgungsautarkie sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Europäischen Gemeinschaften insgesamt vor. Alle supranationalen Regelungen hinsichtlich verwertbarer Rückstände - insbesondere die Verbringungsverordnung der EG - sehen im übrigen keine Verkehrsbeschränkungen, sondern lediglich Überwachungsmaßnahmen vor. Über Andienungs- und Überlassungspflichten flir überwachungsbedürftige Rückstände wäre zudem ein Großteil der bisher insoweit nicht erfaßten Reststoffe nach § 5 Abs. I Nr. 3 BImSchG betroffen. Diese werden - entsprechend den internationalen Regelungen - national bislang nur nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 AbfG in die Überwachung einbezogen, um Umgehungen der flir Abfälle geltenden Regelungen auszuschließen. Überlassungspflichten flir Sekundärrohstoffe - im Gegensatz zu Abfällen - mit inhärentem Wert sind mit Blick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG abzulehnen. Der Vorschlag des Bundesrates konterkariert zudem das Verursacherprinzip. Es ist zunächst Aufgabe industrieller Erzeuger von Rückständen und nicht öffentlich-rechtlicher Körperschaften, entsprechende Verwertungswege und -möglichkeiten zu finden und auszubauen, insbesondere flir die Vermarktung zu sorgen. Insbesondere unter dem letzten Aspekt müssen sich Andienungs- und Überlassungspflichten demotivierend auswirken und konterkarieren letztendlich das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. "
In der Beschlußempfehlung des Ausschusses fiir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf6 wurde dann in § 13 Abs. 1 in Satz 3 eine Regelung zu den Andienungs- und Überlassungspflichten erstmalig mit folgendem Inhalt aufgenommen: 73 74 75 76
BT-Drs. BT-Drs. BT-Drs. BT-Drs.
12/5672, S. 12/5672, S. 12/5672, S. 12/7240, S.
11. 68. 127, 134. 10.
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"Die Länder können zur Sicherstellung der Entsorgung Andienungs- und Überlassungspflichten für besonders überwachungsbedürftige Abfalle bestimmen."
In der Begründung des Ausschusses wird hinsichtlich der in § 13 Abs. 1 Satz 3 enthaltenen Regelung lediglich darauf verwiesen, daß es sich um einen Vorbehalt fur landesrechtliche Regelungen handelt, zur Sicherstellung der Entsorgung Andienungs- und Überlassungspflichten ftir besonders überwachungsbedürftige Abfälle zu bestimmen. Im Ausschuß konnte sich der von der SPD-Fraktion eingebrachte Antrag hinsichtlich der Normierung von Andienungs- und Überlassungspflichten nicht durchsetzen. Die SPD-Fraktion hatte zu § 9 erneut den Vorschlag gemacht, einen neuen Satz 4 anzuftigen mit dem Inhalt, daß Andienungs- und Überlassungspflichten ftir besonders überwachungsbedürftige Abfälle nach Maßgabe des Landesrechts unberührt bleiben. In der Begründung dieses Antrages hat die SPD-Fraktion erneut darauf verwiesen, daß die Regelung zwingend notwendig sei, um bestehende und bewährte Systeme der Länder zur Entsorgung von Sonderabfällen nicht zu gefährden. In der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses 77 ist dann erstmalig die nunmehr in § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG Gesetz gewordene Regelung aufgenommen worden. Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich, daß sich der Bundesgesetzgeber dazu bereitgefunden hat, lediglich einen Vorbehalt ftir entsprechende landesrechtliche Regelungen aufzunehmen. Die immer wieder vom Bundesrat oder der SPD-Fraktion eingebrachten Vorschläge, um die bestehenden Andienungs- und Überlassungspflichten abzusichern, wurde dagegen nicht aufgegriffen. Wenn es dem Bundesgesetzgeber darum gegangen wäre, das angeblich bewährte System der Andienungs- und Überlassungspflichten der Länder abzusichern, so wäre es naheliegend gewesen, wenn die von der SPDFraktion mit dem Änderungsantrag zu § 9 vorgeschlagene Fassung in das Gesetz aufgenommen wäre. Der Gesetzgeber hat damit zu keiner Zeit mit der Regelung des § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG den Zweck verfolgt, die vorhandenen landesrechtlichen Andienungs- und Überlassungspflichten in ihrem Bestand zu sichern. Daß die Sicherung der vorhandenen Andienungs- und Überlassungspflichten nicht Gegenstand der Regelung sind, belegt auch der Umstand, daß § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG ausschließlich auf Andienungs- und nicht auf Überlassungspflichten abstellt. Aus welchem Grund eine unterschiedliche Sicherung der vorhandenen Andienungs- und Überlassungspflichten geregelt worden sein
77
BT-Drs. 12/8084.
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soll, ist nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, daß sich Andienungspflichten mehr bewährt hätten als Überlassungspflichten, sind nicht erkennbar. Dieser anhand der Materialien belegbare Wille des Gesetzgebers, der allein darauf ausgerichtet war, durch Normierung einer Vorbehaltsklausel die Schaffung von Andienungs- und Überlassungspflichten zu ermöglichen - allerdings in dem von ihm vorgegebenen Umfang -, wird auch belegt durch eine Aussage von Petersen, der als Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums am Gesetzgebungsverfahren beteiligt war und ausgeführt hat, daß es nicht Ziel des § 13 Abs. 4 KrW - / AbfG sei, "den derzeitigen Streit über die Andienungspflichten zu entscheiden; über derzeitige Andienungspflichten entscheide das geltende Abfallgesetz"78. Das vermeintliche Ziel, das mit der Regelung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG von Seiten der im Vermittlungsausschuß vertretenen Bundesländer verfolgt wurde, eine Bestandsgarantie im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz zu regeln, ist nicht erreicht worden. Abgesehen davon, daß § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG keine Rechtsverordnungsermächtigung enthält und daher erst am 7.10.1996 in Kraft getreten ist, bleibt es ein Geheimnis des Gesetzgebers, wie es den Ländern gelingen sollte, vor Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes Andienungspflichten für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung zu bestimmen, wenn dies der Zweck der Vorschrift sein sollte. Ungeachtet aller sonstigen Zweifel hinsichtlich der Auslegung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG ist sein Wortlaut zumindest insoweit eindeutig, als er selbst keine Kompetenz zur Bestimmung von Andienungspflichten verleiht, sondern vielmehr den Bestand derartiger Pflichten, die von den Ländern vor dem 7.10.1996 erlassen wurden, voraussetze 9• Sofern kein Bestand existiert, der geschützt werden kann, läuft eine diesbezügliche Bestandsschutzregelung notwendigerweise leer80. Im übrigen wird auf die Ausführungen von Ossenbüh[B1 verwiesen, der überzeugend begründet hat, daß der Landesgesetzgeber Andienungspflichten auf der Grundlage des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG nicht normieren kann. Alle Auslegungsbemühungen, der Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG dennoch rechtliche Wirkungskraft zukommen zu lassen, können den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift und den systematischen Zusammenhang nicht beseitigen.
78 Petersen, UPR, Band 30, S. 171.
79 Vgl. BVerfG zur Interpretation sogenannter "Unberührtheitsklauseln", Beschluß vom 3.10.1957, BVerfGE 7,120,124; Beschluß vom 8.6.1966, BVerfGE 11, 192,200; Beschluß vom 1.3.1978, BVerfGE 47, 285, 314 f. 80 Konzak / Figgen, BB 1996,753,759. 81 DVBI. 1996, 19, 23.
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Eine analoge Anwendung der Inkrafttretensvorschrift des Art. 13 Satz 1 scheidet aus, da es an den notwendigen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Norm fehlt. Voraussetzungen für eine Analogie sind das Bestehen einer Gesetzeslücke und das Vorliegen eines ähnlichen Tatbestandes. Eine Regelungslücke ist nur dann anzunehmen, wenn sich das Gesetz, gemessen an der sich aus dem Gesetz selbst ergebenden Regelungsabsicht des Gesetzgebers, als unvollständig erweist82 • Der Ausdruck "Lücke" weist auf eine Unvollständigkeit hin. Von "Lücken" eines Gesetzes kann nur dann gesprochen werden, wenn das Gesetz für einen bestimmten Bereich eine einigermaßen vollständige Regelung anstrebt83 • Eine Lücke im Hinblick auf die Inkrafttretensvorschrift des Art. 13 ist jedoch nicht erkennbar. Der Gesetzgeber hat vielmehr über das Inkrafttreten des Gesetzes eine vollständige Regelung getroffen84 • Auch eine Vorwirkung von § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG scheidet aus. Weidemann 85 entnimmt dem § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG die Befugnis der Länder zu einer "vorauseilenden Rechtssetzung". Zutreffend hat Hoppe 86 darauf hingewiesen, daß hinsichtlich der Konstruktion der "vorauseilenden Rechtssetzung" als eine "Voranwendung" noch nicht geltenden Rechts deshalb Bedenken bestehen, weil eine "Voranwendung" nur zulässig ist, wenn die "vorangewendete" Regelung eine zeitlich entsprechende Rückwirkung vorsieht 87 . Dies ist bei § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG aber nicht der Fall. Selbst unter der Annahme, daß § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG aus nicht ersichtlichen Gründen eine derartige Vorwirkung zukommen sollte, wäre diese Vorschrift nicht geeignet, einer - aufgrund der bis zum 7.10.1996 geltenden Rechtslage - kompetenzwidrig bestimmten landesrechtlichen Andienungspflicht Gültigkeit zu verschaffen88 • Denn solche Regelungen, die der Landesgesetzgeber ohne Kompetenz erlassen hat, sind von Anfang an nichtig und können nicht mehr aufleben89 • Nach alledem enthält § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG einen unbehebbaren Regelungswiderspruch, so daß Satz 4 als unvollziehbar bezeichnet werden muß 90 • Der der Vorschrift des § 13 Abs.4 Satz 4 anhaftende "genetische De-
82 83 84 85 86 87 88 89
90
BVeIWG, Urteil vom 25.9.1986, BVelWGE 75, 53, 56. Larenz, a.a.O., S. 371. So zutreffend Peine, UPR 1996,161,167. In: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 45. In: 4. Kölner Abfalltage - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 123, 155. Kloepfer, VOlWirkung von Gesetzen, S. 100 f., 161,275. Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 759. BVerfG, Beschluß vom 9.6.1970, BVerfGE 29, 11, 17. Ossenbühl, DVBI. 1996, 19, 23; zustimmend Breuer, a.a.O., S. 66; Peine, UPR
1996,161,167.
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fekt"91 kann nicht durch einem dem Gesetzgeber unterstellten Zweck der Regelung geheilt werden. bb) Materielle Voraussetzung: Besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG bestimmt, daß Andienungspflichten für "besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung" unberührt bleiben. Die Unberührtheitsklausel des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG findet aufgrund des ausdrücklichen Wortlautes der Vorschrift nur Anwendung auf Andienungspflichten fiir besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung. Unabhängig von den bereits genannten kompetenzrechtlichen Bedenken ist eine Anwendung der Vorschrift vor dem 7.10.1996 auch deshalb ausgeschlossen, weil die von § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG in Bezug genommene Abfallkategorie (besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung) erst seit Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes existiert92 und noch durch Rechtsverordnung definiert werden mußte 93 . Bei den besonders überwachungsbedürftigen Abfällen zur Verwertung im Sinne des § 13 Abs.4 Satz 4 KrW- / AbfG handelt es sich um eine Kategorie von Abfällen, die im Abfallrecht erst nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes eingefiihrt worden ist. § 3 Abs. 8 KrW - / AbfG bestimmt, daß besonders überwachungsbedürftig die Abfälle sind, die durch eine Rechtsverordnung nach § 41 Abs. 1 oder § 41 Abs.3 Nr. 1 bestimmt worden sind. § 41 Abs.3 Nr. I KrW- / AbfG ermächtigt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die besonders überwachungsbedÜfftigen Abfälle zur Verwertung zu bestimmen. Die Bundesregierung hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und in der Bestimmungsverordnung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle die besonders überwachungsbedürftigen Abfälle zur Verwertung aufgefiihrt. Die Bestimmungsverordnung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle ist am 7.10.1996 in Kraft getreten. Dies gilt auch für die Übergangsvorschrift des § 3 BestbüAbfV, die eine Übergangsregelung bis zum 31.12.1998 vorsieht. Darüber hinaus handelt es sich bei den besonders überwachungsbedürftigen Abfällen zur Verwertung, die von einer Andienungspflicht erfaßt werden kön-
91 Ossenbühl, Diskussionsbeitrag, 4. Kölner Abfalltage - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 356. 92 Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 759; Weidemann, in: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 44; Hoppe, in: 4. Kölner Abfalltage - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, S. 123, 154; Ossenbühl, DVBI. 1996, 19,23. 93 Ossenbühl, DVBI. 1996, 19,23; Konzak/ Figgen, BB 1996,753,759.
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nen, lediglich um eine Teilmenge der besonders überwachungsbedürftigen Abfeille zur Verwertung im Sinne von § 41 Abs.3 Nr. 1 KrW- / AbfG. Vielmehr bedarf es auch im Zusammenhang mit § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG für die Teilmenge der besonders überwachungsbedürftigen Abfälle zur Verwertung gemäß § 13 Abs. 4 Satz 3 KrW - / AbfG einer entsprechenden Rechtsverordnung. Diese Rechtsverordnung des § 13 Abs. 4 Satz 3 KrW - / AbfG wird jedoch in naher Zukunft wohl nicht erlassen werden, so daß besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung aus der Andienungspflicht der Länder bis zum Erlaß einer bundesrechtlichen Verordnung herausfallen94 • Die Bundesregierung hat auf eine große Anfrage der SPD-Fraktion zur "Umsetzung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes" ausgeführt95 , daß sie derzeit keinen Bedarf sehe, von der Verordnungsermächtigung des § 13 Abs. 4 Satz 3 KrW - / AbfG Gebrauch zu machen: "Andienungspflichten für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung an öffentliche Einrichtungen widersprechen dem in § 1 des KrW- I AbfG verfolgten Zweck, die Kreislaufwirtschaft vornehmlich in Eigenverantwortung der Wirtschaft und mit weitgehender Nutzung der Privatisierung zu fördern." Da § 13 Abs.4 Satz 3 KrW- / AbfG aufgrund der Inkrafttretensvorschrift des Art. 13 des Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen bereits ab dem 7.10.1994 in Kraft getreten ist, entfaltet er insoweit eine Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber96 • Die Bestimmung der besonders überwachungsbedürftigen Abfälle zur Verwertung, die einer Andienungspflicht zugänglich sind, ist der Bundesregierung vorbehalten. § 13 Abs. 4 Satz 3 KrW- / AbfG begründet in diesem Fall von Verfassungs wegen eine Rechtsanwendungssperre bis zum Erlaß der Verordnung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes97 ist es in den Fällen, in denen der Gesetzgeber zwingend die Ausfüllung einer gesetzlichen Regelung durch eine Rechtsverordnung vorschreibt, Verwaltung und Rechtsprechung nicht ausnahmslos verwehrt, die Vorschriften des Gesetzes unmittelbar anzuwenden, wenn der Verordnungsgeber untätig bleibt. Eine derartige Lösung scheidet jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes von vornherein dann aus, wenn die gesetzliche Regelung ohne die ausstehende Rechtsverordnung nicht vollziehbar ist oder wenn sie dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht genügt. Lediglich soweit Verordnungsermächtigungen dazu gedacht sind, im Gesetz genannte unbestimmte
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Peine, UPR 1996, 161, 169. BT-Drs. 13 13368. Beckmann, in: Andienungs- und Überlassungspflichten bei der Sonderabfallent-
sorgung - 3. Abfallrechtliches Kolloquium, S. 20. 97 Beschluß vom 30.11.1988, BVerfGE 79, 174, 194.
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Rechtsbegriffe zu konkretisieren, bedeuten Verordnungsermächtigungen keine Rechtsanwendungssperre 98 • Bei der Verordnungsermächtigung des § 13 Abs. 4 Satz 3 KrW- / AbfG geht es jedoch nicht darum, daß ein unbestimmter Rechtsbegriff konkretisiert wird, so daß diese Konkretisierung im Wege der Auslegung durch die rechtsanwendenden Behörden nicht selbst vorgenommen werden kann. Vielmehr ist die Regelung des § 13 Abs.4 Satz 3 KrW- / AbfG ohne die ausstehende Rechtsverordnung nicht vollziehbar. Eine Konkretisierung durch Auslegung seitens der rechtsanwendenden Behörden ist ausgeschlossen. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß aufgrund des erweiterten Abfallbegriffes des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, unabhängig von der notwendigen Bestimmung der Kategorie der besonders überwachungsbedürftigen Abfälle zur Verwertung im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes durch Rechtsverordnung, diese Kategorie der Abfälle nicht gleichgesetzt werden kann mit den Abfällen des Abfallgesetzes im Sinne von § 1 Abs. 2, die verwertet worden sind. Es ist daher nicht ersichtlich, wie die Länder vor Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes eine Andienungspflicht fiir besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Verwertung hätten bestimmen können - mithin fiir eine Abfallart, die in diesem Sinne erst ab Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes existiert und durch Rechtsverordnung konkretisiert werden muß. cc) Zu schützender "Bestand" Ungeachtet der Zweifel hinsichtlich der Auslegung des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG, ist der Wortlaut der Norm zumindest insoweit eindeutig, als er selbst keine Kompetenz zur Bestimmung von Andienungspflichten verleiht, sondern vielmehr den Bestand derartiger Pflichten, die von den Ländern vor dem 7.10 .1996 erlassen wurden, voraussetzt. Sofern kein Bestand existiert, der geschützt werden kann, läuft eine diesbezügliche Bestandsschutzregelung notwendigerweise leer. 99 Selbst wenn man daher § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG fiir rechtswirksam erachtet, wäre diese Vorschrift nicht geeignet, der kompetenzwidrig bestimmten landesrechtlichen Andienungspflicht in Rheinland-Pfalz Gültigkeit zu verschaffen. Denn solche Regelungen, die der Landesgesetzgeber
98 BVerfG, Beschluß vom 30.11.1988, BVerfGE 79, 174, 194; Ossenbühl, DVBI. 1996,19,2l. 99 Konzak I Figgen, BB 1996, 753, 759.
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ohne Kompetenz erlassen hat, sind von Anfang an nichtig und können nicht mehr aufleben. 100 Unter Geltung des Abfallgesetzes 1986 sind die rheinland-pfalzischen Vorschriften zur Andienungspflicht kompetenzwidrig erlassen worden. 101 Selbst unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.7.1999 zur niedersächsischen Andienungsverordnung l02 kann festgestellt werden, daß die rheinland-pfalzische Andienungspflicht für besonders überwachungsbedürftige Abfalle zur Verwertung mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist. Eine Unvereinbarkeit der rheinland-pfalzischen Andienungsregelung mit § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW - / AbfG ergibt sich aus dem Umstand, daß der für landesrechtliche Andienungspflichten nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes vorgesehene ,,Bestandsschutz" erst dann eintreten konnte, wenn die Länder erforderlichenfalls zuvor ihre Regelungen an die durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz geschaffene Rechtslage angepaßt hatten. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit war nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes auf Seiten der Länder ein Anpassungsbedarf an die bundesrechtliche Neuregelung im Sinne eines "Bestimmens" gegeben, da die bei Verkündung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes in den Landesabfallgesetzen vorgesehenen Andienungspflichten sich nicht notwendig nur auf die besonders überwachungsbedürftigen Abfalle zur Verwertung bezogen, sondern auf alle Sonderabfalle zur Verwertung erstreckt sein konnten. Darüber hinaus mußten die Länder nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes bedenken, daß die in den Bereich des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG fallenden Andienungspflichten nur solche Stoffe erfassen konnten, die Abfalle i. S. d. Abfallgesetzes waren, also Reststoffe i. S. v. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG (a.F.) nicht betrafen. Aufgrund der unterschiedlichen Abfallbegriffe konnte es daher nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes zu Vollzugsschwierigkeiten kommen, die es möglicherweise angezeigt erscheinen ließen, nur differenziert von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Andienungspflichten für Abfalle zur Verwertung aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus mußten sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes die Länder
BVerfG, Beschluß vom 9.6.1970, BVerfGE 29, 11, 17. Vgl. insoweit Konzak / Figgen, BB 1996, 753, 754 ff.; anderer Ansicht OVG Koblenz, Urteil vom 18.11.1998, NuR 1999, 463, 468 ff.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 29.7.1999, Abfallpraxis 1999, 178 ff. 102 Abfallpraxis 1999, 178 ff. 100 101
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fragen, ob und in welchem Umfang es abfallwirtschaftlich noch sinnvoll war, die bis zur Verkündung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes für Abfälle zur Verwertung begründeten Andienungspflichten angesichts der künftig anders gearteten bindungsrechtlichen Rahmenbedingungen fortzuführen. Diese Prüfung hat das Bundesverwaltungsgericht auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf das Inkrafttreten der EG-Abfallverbringungsverordnung für erforderlich gehalten. Der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber hat die notwendige Prüfung in dem Zeitraum zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes nicht vorgenommen. Ein Anpassungsbedarf an die bundesrechtliche Neuregelung hat sich für den rheinland-pfälzischen Landesgesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zunächst vor dem Hintergrund der in § 8 LAbfWAG (1991/1993) enthaltenen Legaldefinition der Sonderabfälle ergeben. Die Anpassungsregelung war aber auch deswegen erforderlich, weil das Land Rheinland-Pfalz in Anbetracht der anders gearteten bundesrechtlichen Rahmenbedingungen die abfallwirtschaftliche Sinnhaftigkeit der Andienungspflicht überprüfen mußte. Eine derartige Anpassungsregelung hat der Landesgesetzgeber aber erst mit der Novellierung des Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetzes vom 2.4.1998 vorgenommen. Ausweislich der Gesetzesbegründung der Novellierung des Landesabfallwirtschaftsund Altlastengesetzes 1998 sowie der Beratung im Landtag hat sich der Landesgesetzgeber Rheinland-Pfalz erst im Jahre 1998 mit den vom Bundesverwaltungsgericht für erforderlich gehaltenen Prüfungen im Hinblick auf eine erforderliche Anpassung auseinandergesetzt. Bis zum Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes hat man die Notwendigkeit einer Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen des Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetzes überhaupt nicht erkannt. Die notwendige Prüfung des rheinland-pfälzischen Landesgesetzgebers im Hinblick auf die Fortgeltung der landesrechtlichen Andienungspflicht hat in dem Zeitraum zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes nicht stattgefunden. Die rheinland-pfälzische Andienungspflicht gilt damit auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nach Maßgabe der Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 4 KrW- / AbfG nicht fort. c) Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Art. 33 Abs. 4 GG
Die Frage, wie und in welcher Form landesoffizielle Entsorgungsgesellschaften - soweit sie denn überhaupt rechtlich zulässig sind - organisiert sein können, aber auch mit welchen Aufgaben sie betraut werden dürfen, war in der
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Vergangenheit bereits Gegenstand mehrerer Abhandiungen lO3 und Gerichtsentscheidungen 104. In diesem Zusammenhang ist bislang die Frage problematisiert worden, ob ein Unternehmen in einer Rechtsform des Privatrechts, bei dem dem überwiegend beteiligten Land unter Beachtung im einzelnen gesetzlich bestimmter Voraussetzungen ein bestimmender Einfluß auf den Geschäftsbetrieb eingeräumt werden muß, überhaupt ein beleihungsfähiges Rechtssubjekt darstellt. In der LiteraturlOS ist die Auffassung vertreten worden, daß Adressat eines Beleihungsaktes nicht jede beliebige juristische Person des Privatrechts sein kann, sondern nur eine Privatperson im eigentlichen Sinne. Danach scheidet als Subjekt einer Beleihung jede privatrechtliche Gesellschaft aus, bei der der Staat in den maßgebenden Organen überwiegend repräsentiert ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn entweder der Staat infolge der überwiegenden Beteiligung am Gesellschaftskapital personell die Mehrheit in den zur Entscheidung berufenen Gesellschaftsorganen besitzt, oder aber die den Staat vertretenden Personen im Entscheidungsfall durch ein qualifiziertes Stimmrecht die privaten Anteilseigner überstimmen können. Selbst wenn man durchgreifende Bedenken hinsichtlich der Grundsätze der Beleihung nicht anerkennt, so bestehen aber durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsaufgaben auf die in RheinlandPfalz tätige privatrechtliche Andienungsgesellschaft unter dem Gesichtspunkt des Funktionsvorbehaltes des Art. 33 Abs. 4 GG. Art. 33 Abs. 4 GG bestimmt, daß "die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ... als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen (ist), die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen." Gemeint ist durch dieses sogenannte Beamtenprivileg, daß hoheitliche Tätigkeit grundsätzlich durch (Berufs-)Beamte im statusrechtlichen Sinne ausgeübt werden muß lO6 • Nicht unter den Beamtenbegriff fallen die funktionell hoheitlich Tätigen, wie z.B. die Beliehenen. Das Bundesverfassungsgericht hatte bisher eher selten Gelegenheit, sich zum Regelungsgehalt
103 Peine, UPR 1996, 161 ff.; Weidemann, in: Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung 1996, S. 72 ff.; Beckmann, in: Weidemann / Beckmann, a.a.O., S. 120 ff.; Unruh, Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungspflichten für Sonderabfälle, 1997, S.118 ff. 104 OVG Brandenburg, Urteil vom 21.11.1996, NVwZ 1997,604,608 f.; OVG Lüneburg, Beschluß vom 21.7.1997, Nds.VBI. 1998, 16, 17 ff.; OVG Koblenz, Urteil vom 18.11.1998, NuR 1999,463,470. 105 Peine, UPR 1996, 161, 162; siehe auch Unruh, Die Zulässigkeit landesrechtlieher Andienungsptlichten für Sonderabfälle, 1997, S. 125 ff. 106 Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetzkommentar, Art. 33 Rdn. 39; vgl. auch Pieroth, in: Jarass / Pieroth, Grundgesetzkommentar, 4. Autl. 1999, Art. 33 Rdn. 9,13.
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des Art. 33 Abs. 4 GG zu äußern und diesem materiell-rechtliche Kontur zu geben 107 • Es hat sich vor allem auf die Aussage beschränkt, daß jedenfalls die Übertragung der ständigen Ausübung hoheitlicher Befugnisse in größerem Umfang verfassungswidrig ist lO8 • Die in der Literatur herrschende Auffassung hält unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Abweichungen vom Organisationsauftrag des Art. 33 Abs. 4 GG unter zweierlei Gesichtspunkten für denkbar: einerseits, wenn die Übertragung von Hoheitsrechten - anders als im Fall der in Rheinland-Pfalz tätigen SAM - zeitlich begrenzt ist, andererseits, wenn die Übertragung zwar dauerhaft erfolgen soll, das grundsätzliche RegelAusnahme-Verhältnis jedoch nicht in Frage gestellt wird und ein sachlicher Grund für die Übertragung besteht lO9 • Dies wird zum Teil im Hinblick auf den sachlichen Grund verschärft" O, erscheint aber jedenfalls deshalb unnötig, weil eine Übertragung von Hoheitsrechten wie jeder andere staatliche Akt - unabhängig davon, ob er als staatsorganisations- oder grundrechtsbezogen zu qualifIzieren ist - am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen ist lll . Soweit man Art. 33 Abs. 4 GG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal "sachlicher Grund" überhaupt zubilligen will, dürfte dieses, insoweit vereinfachend, überhaupt erst aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzuleiten sein. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die privatrechtliche SAM ist mit dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG nicht vereinbar, weil ein sachlicher Grund für diese Übertragung nicht erkennbar ist. Die Nutzbarrnachung privatwirtschaftlichen Know-hows im Bereich der Sonderabfallentsorgung kann zwar grundsätzlich als legitimer Zweck anerkannt werden, doch kann dies vorliegend nicht zu einer Rechtfertigung im Hinblick auf den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG führen. Im Fall der SAM wird zur Rechtfertigung ihrer Gründung und Übertragung der Hoheitsrechte auf die Nutzbarrnachung des besonderen Know-hows hingewiesen, wie es ihre privaten Gesellschafter aufgrund ihrer unternehmerischen Tätigkeit ein-
107 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Pieroth, in: Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 33 Rdn. 9 f. 108 BVerfG, Urteil vom 27.4.1959, BVerfGE 9, 268, 284. 109 BVerwG, Urteil vom 27.10.1978, BVerwGE 57, 55, 59; Maunz, in: Maunz / Dürig, a.a.O., Art. 33 Rdn. 42; Gramm, VerwArch 1999,329,336. 110 Ossenbühl, Eigensicherung und hoheitliche Gefahrenabwehr, 1981, S. 42 f.; ähnlich Pieroth, in: Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 33 Rdn. 9. 111 Vgl. zur Bindung an die Verhältnismäßigkeit auch bei staatsorganisationsrechtliehen Akten Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 20 Rdn. 95; Herzog, in: Maunz / Dürig, a.a.O., Art. 20 Rdn. 72.
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bringen. Diese Begrundung kann jedoch nicht als sachlicher Grund für die Übertragung herangezogen werden. Der SAM kommt in ihrer Funktion als Zentraler Stelle Behördenqualität zu. Dies hat auch ohne landesgesetzgeberische KlarsteIlung die Bindung an die §§ 20, 21 und 30 VwVfG zur Folge. Bei richtiger Anwendung dieser Vorschriften muß als Ergebnis feststehen, daß weder die organschaftlichen Vertreter der privaten SAM-Gesellschafter, noch deren (einfache) Mitarbeiter in irgendeinen ganz konkreten Fall der Abfallzuweisung eingebunden werden können. Als Konkurrenten anderer Entsorgungsvertragspartner der SAM besteht für die privaten SAM-Gesellschafter jedenfalls die Besorgnis der Befangenheit gemäß § 21 VwVfG. Würde man die Einbindung des privatwirtschaftlichen Know-hows auf ganz allgemeine Konsultationen beschränken - deren Effektivität stark bezweifelt werden muß -, so wäre kein Unterschied zu klassischem Verwaltungshandeln, dem im Einzelfall ebenfalls die Expertenkonsultation, vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG - Sachverständigenvernehmung -, möglich ist, festzustellen. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die SAM widerspricht daher mangels Geeignetheit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Würde man jedoch davon ausgehen, daß die SAM grundsätzlich geeignet ist, privatwirtschaftliches Wissen gewinnbringend in die Organisation der Sonderabfallentsorgung einzubringen, so wird spätestens bei der Angemessenheitsprufung deutlich, daß der Vorteil, den die Beteiligung von Teilen der privaten Entsorgungswirtschaft mit sich bringt, gegenüber den Nachteilen für die Andienungspflichtigen bzw. den Betreibern der Entsorgungsanlagen, für die eine Zuweisung erfolgt, zu hoch ist. Hierbei ist zu berucksichtigen, daß der Geschäftsführer der SAM gegenüber den an der Gesellschaft beteiligten Konkurrenzunternehmen von Entsorgungsunternehmen, die rur eine Zuweisung in Betracht kommen, der Verpflichtung aus § 51 a Abs. 1 GmbHG unterliegt. Dieser privatrechtlichen Verpflichtung kann insbesondere der § § 30 VwVfG nicht entgegenhalten werden, ist letzterer als öffentlich-rechtliche Norm doch nur dann zu beachten, wenn die SAM bzw. ihr Geschäftsführer als Behörde innerhalb eines Verwaltungsverfahrens tätig wird. Auch das Auskunftsverweigerungsrecht des § 51 Abs. 2 GmbHG bietet keine hinreichende Sicherung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Selbst wenn man das Merkmal der Verwendung zu gesellschafts fremden Zwecken annehmen würde, würde doch durch die Weitergabe weder der Gesellschaft noch einem mit ihm verbundenen Unternehmen ein erheblicher Nachteil zugefügt. 112 Selbst wenn der Geschäftsführer also wollte, nach § 51 a Abs. 2 GmbHG könnte er mangels Tatbestandsverwirklichung die Auskunft nicht verweigern. Letztlich würde also nur ein
112 Vgl. zu den Tatbestandsmerkmalen Rath, in: Roth / Altmeppen, GmbHG, 3. Auflage 1997, § 51 a Rdn. 19 ff.
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ungeschriebenes Auskunftsverweigerungsreche 13 weiterhelfen, das aufgrund des Einflusses der Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG auch ohne weiteres konkretisierbar wäre. Beruft sich der SAM Geschäftsführer jedoch nicht auf ein entsprechendes Auskunftsverweigerungsrecht, so werden die Entsorgungsanlagen, in denen eine Zuweisung erfolgen soll, keinerlei Kenntnis von einem Auskunftsverlangen ihrer an der SAM beteiligten Konkurrenten erlangen und selbständig zusätzliche Abwehrmaßnahrnen einleiten können. Gerade weil die konkrete Gefahr für eine unter keinen Umständen zu rechtfertigende Grundrechtsbeeinträchtigung l14 besteht, muß die Übertragung von Hoheitsrechten jedem anderen verfassungsrechtlich legitimen, durchaus wünschenswerten Zweck unter Angemessenheitsgesichtspunkten vorgehen. Auch mangels Angemessenheit widerspricht daher die Übertragung von Hoheitsrechten auf die SAM dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Im übrigen: Selbst dann, wenn man mit der überwiegenden Literaturmeinung lediglich einen sachlichen Grund für die Übertragung von Hoheitsrechten fordert und diesen in eben jener Nutzbarmachung privatwirtschaftlichen Knowhows als gegeben sieht, ist er gleichwohl durch die verwaltungsverfahrensrechtliche "Selbstblockade" der SAM ad absurdum geführt. Abschließend muß festgestellt werden, daß die SAM aufgrund ihrer ganz konkreten Gesellschafterstruktur völlig ungeeignet ist, den mit ihr verbundenen Zweck zu erfüllen. Auch hieran wird wieder deutlich, daß dem Funktionsvorbehalt in Art. 33 Abs. 4 GG in der Verwaltungspraxis nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen wird. d) VoraussetzungenjUr einen Erlaß von Rechtsverordnungen gemäß Art. J J0 Abs. J LVerf Rheinland-Pfalz
Die Beleihung der rheinland-pfälzischen Andienungsgesellschaft ist erst aufgrund gesetzlicher Ermächtigungen vorgenommen worden. Als Instrument zur Übertragung der Hoheitsrechte ist in Rheinland-Pfalz eine Rechtsverordnung gewählt worden. Gerade vor dem Hintergrund der Grundrechtsrelevanz
113
32 ff.
Hierzu detailliert Schmidt, in: Scholz, GmbHG, H., 7. Auflage 1998, § 51 a Rdn.
114 Nicht verkannt wird dabei, daß die Weiterleitung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch Private keinen Grundrechtseingriff darstellt. Der aus dem jeweils betroffenen Grundrecht abzuleitende staatliche Schutzauftrag gebietet jedoch auch den Grundrechtsschutz vor privater Beeinträchtigung, vgl. hierzu Jarass, in: Jarass / Pieroth, a.a.O., Vorbemerkung vor Art. I Rdn. 8 f., 23 m. w. N.
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der Tätigkeit der Zentralen Stelle llS stellt sich die Frage, ob es ausreichend ist, wenn der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber auf die Zentrale Stelle bezogene Regelungen nur in Gestalt der §§ 8 Abs.e 1, 5, 8 und 9, 9 Abs. 1, 10 LAbtWAG erlassen hat, alles Sonstige aber dem Verordnungsgeber überläßt. Eine Regelung über die Befugnisse des rheinland-pfälzischen Gesetzgebers, seine Kompetenz zum Erlaß (materieller) Gesetze weiterzuübertragen, findet sich in Art. 110 LVerfRh-Pf., der inhaltlich mit Art. 80 GG identisch ist. Die Übertragung durch den Gesetzgeber, was im Hinblick auf die Zentrale Stelle durch § 9 Abs. I Satz I LAbtW AG erfUllt ist, kann nur durch ein sogenanntes Ermächtigungsgesetz erfolgen. In Absatz I Satz 2 heißt es sodann, daß "dabei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden (muß)." Zur Auslegung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht diverse Formeln (Selbstentscheidungs- 116 , Programm- ll 1, Vorhersehbarkeitsformel 118) entwickelt, die es teils getrennt, teils aber auch kombiniert 119 verwendet, je nach dem, welches Element stärker zur Geltung gebracht werden soll bzw. muß 120. Greift man sinnvollerweise auf die kombinierte Formel zurück, so dient Art. 80 Abs. I Satz 2 GG dem Gesetzgeber dazu, daß er "nicht einen Teil seiner Gesetzgebungsmacht der Exekutive übertragen (kann), ohne die Grenzen dieser Befugnis bedacht (Selbstentscheidung) und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben (Programm), daß schon aus der Ermächtigung erkennbar und voraussehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (Vorhersehbarkeit)."121 Die Anwendung dieser kombinierten Formel auf den Einzelfall fUhrt jedoch letztendlich nicht immer weiter, da es entscheidend auch auf die Frage ankommt, wie tiefgehend und detailliert der Gesetzgeber Bestimmungen hätte treffen müssen 122 •
IIS Siehe hierzu im einzelnen Breuer, Die Zu lässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs. 4 KrW-1 AbfG, 1999, S. 36 ff. 116 BVerfG, Urteil vom 10.6.1953; BVerfGE 2, 307, 334; Urteil vom 23.6.1965, BVerfGE 23, 62, 72. 117 BVerfG, Urteil vom 13.6.1956, BVerfGE 5, 71, 77; Urteil vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 257, 277. 118 BVerfG, Urteil vom 9.9.1951, BVerfGE I, 14,60; Urteil vom 8.1.1981, BVerfGE 56, I, 12. 119 BVerfG, Urteil vom 8.6.1988, BVerfGE 78, 249, 272; ähnlich Urteil vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 257, 277. 120 Analysierend Lücke, in: Sachs (Hrsg.), a.a.O., Art. 80 Rdn. 25. 121 BVerfG, Urteil vom 8.6.1988, BVerfGE 78, 249, 272. 122 VgJ. Lücke, in: Sachs (Hrsg.), a.a.O., Art. 80 Rdn. 26.
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Die hinreichende Bestimmtheit von Inhalt und Zweck einer Ermächtigung richtet sich an dem von der Verordnung potentiell Betroffenen aus, die hinreichende Bestimmtheit des Ausmaßes der Ermächtigung hingegen am Gesetzgeber 123 • Der im Einzelfall zu erreichende Grad der Bestimmtheit bemißt sich -' so das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf die von ihm entwickelte sogenannte Wesentlichkeitstheorie 124 - nach der Wesentlichkeit der Regelung. Je bedeutsamer die übertragene Materie fiir den Gesetzgeber, je schwerwiegender, d.h. grundrechtsrelevanter, die Auswirkungen fiir den von der Verordnung potentiell Betroffenen sind, desto größer muß die Bestimmtheit des Inhalts, des Zwecks und des Ausmaßes der erteilten Ermächtigung sein 12S • Die Anforderungen an die ausdrückliche Bestimmtheit eines Gesetzes finden aber wiederum dort eine Grenze, wo die Bestimmtheit durch Auslegung ermittelt werden kann. Zur Ermittlung dessen, was im Willen des Gesetzgebers Gesetz sein soll und demgemäß von ihm "bestimmt" wurde, können der Sinnzusammenhang des Ermächtigungsgesetzes mit anderen Vorschriften und das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, berücksichtigt werden 126 • Den Anforderungen an eine hinreichende Bestimmtheit ist im Hinblick auf die Informationssammlung und -behandlung durch die Zentrale Stelle nicht ausreichend Rechnung getragen worden. Bei der Tätigkeit der Zentralen Stelle besteht in der Form, wie sie ihrem rechtlichen Wesen nach vom Gesetzgeber ausgestaltet wurde, ganz konkret die Gefahr einer Kenntnisnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen von Entsorgungsfmnen, denen Abfalle zugewiesen werden, durch Konkurrenten. Die Zentrale Stelle ist im Gesetzgebungsverfahren von der zuständigen Ministerin als "Symbiose von privatwirtschaftlichem Know-how und staatlichem Controlling"127 bezeichnet worden. Wie bereits ausgefiihrt wurde, kann die Feststellung getroffen werden, daß die (sachbearbeitenden) Mitarbeiter der Zentralen Stelle nicht aus der Entsorgungswirtschaft stammen, diese sich vielmehr überwiegend aus der Verwaltung rekrutieren. In der Vergangenheit konnte dagegen festgestellt werden, daß das Lücke, in: Sachs (Hrsg.), a.a.O., Art. 80 Rdn. 26. 124 BVerfG, Urteil vom 8.1.1981, BVerfGE 56,1,13. 125 BVerfG, Urteil vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 257, 277 f.; Urteil vom 20.7.1981, BVerfGE 62, 203, 210; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, Grundgesetzkommentar, 4. Aufl. 1999, Art. 80 Rdn. 11, der auch darauf hinweist, daß in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Entwicklung zur Abschwächung des Bestimmtheitsgebotes erkennbar sei. 126 BVerfG, Urteil vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 307; Urteil vom 14.5.1989, BVerfGE 80, 1,20 m.w.N.; vgl. auch Lücke, in: Sachs (Hrsg.), a.a.O., Art. 80 Rdn. 28 jeweils m.w.N. 127 LT-Sitzungsbericht 12/41 vom 21.1.1993, S. 3332,3333. 123
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bei der Zentralen Stelle erworbene Know-how von der Privatwirtschaft genutzt wird, indem Mitarbeiter der Zentralen Stelle in die Entsorgungswirtschaft gewechselt haben. Das Know-how der Entsorgungswirtschaft könnte von der SAM nur über solche Personen genutzt werden, die entweder als Vertreter der privaten Gesellschafter VPE und VME und damit gleichzeitig als Vertreter jeweils ganz konkreter Entsorgungsunternehmen der Gesellschafterversammlung der Zentralen Stelle angehören oder aber von diesen zu Konsultationszwecken bereitgestellt werden. Will man das Know-how dieser Personen tatsächlich zweckorientiert rur die Arbeit der Zentralen Stelle nutzen, so müßte man ihnen zwangsläufig ganz konkrete und für ZuweisungseinzeWille relevante Informationen über Entsorgungsanlagen ihnen fremder Unternehmen zuleiten. Da derartige Informationen jedoch als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse qualifiziert werden können, besteht aufgrund des gesetzgeberischen Willens hinsichtlich der Arbeit der Zentralen Stelle die Gefahr einer Kenntnisnahme durch Konkurrenten. Aber auch dann, wenn man einen solchen gesetzgeberischen Willen leugnen würde, entfällt diese Gefahr nicht, wenn man § 51 a GmbHG in Betracht zieht 128 • Aus ihm folgt ein gesellschaftsvertraglieh nicht abdingbarer (vgl. § 51 a Abs. 3 GmbHG) Anspruch 129 der Gesellschafter gegen den Geschäftsführer, ,,Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben und die Einsicht der Bücher und Schriften zu gestatten." Hierin liegt ein Instrument zum (Minderheiten-)Schutz des in der Verfolgung eigener legitimer Interessen tätigen Gesellschafters, das es ihm ermöglichen soll, an die für eine sachgerechte Entscheidung und Beteiligung an der organschaftlichen Willensbildung erforderliche Informationen zu gelangen\30. Angelegenheiten der Gesellschaft sind vor allem Angelegenheiten der Geschäftsführung und dabei insbesondere die rechtsgeschäftliche Betätigung (abgeschlossene und in Vorbereitung befindliche Verträge) einschließlich der zugrundeliegenden Willensbildung sowie schlichtweg alles, was den wirtschaftlichen Wert der Gesellschaft ausmacht und rur die Beurteilung der Geschäftsführung und den Erlaß etwaiger Sanktionen relevant ist\3l. Will also ein Gesellschafter der Zentralen Stelle legitimerweise überprüfen, ob diese die ihr zugewiesene Aufgabe der Sonderabfallentsorgung vor allem durch Zuweisung an in konkreten Einzelfällen am besten geeignete Entsorgungsanlagen errullt, so kann er sich rur die notwendige Erlangung von unternehmensbezogenen In-
128 Vgl. Beckmann, in: Weidemann / Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996, S. 132 f.; Spoerr, LKV 1996, 145, 149. 129 Roth, in: Roth / Altmeppen, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 1997, § 51 a Rdn. 3. \30 Roth, in: Roth / Altmeppen, a.a.O., § 51 a Rdn. 3. \31 Roth, in: Roth / Altmeppen, a.a.O., § 51 a Rdn. 5. 15 Ziekow
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formationen trotz seiner KonkurrentensteIlung auf § 51 a Abs. 1 GmbHG berufen. Die Weiterleitung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an Konkurrenten, wenn diese durch die öffentliche Verwaltung erfolgt, greift in die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 sowie 14 Abs. 1 GG ein. Ein legitimer Zweck fiir den Eingriff in diese Grundrechte ist nicht erkennbar. Legitimer Zweck kann vor allem nicht ein der Verwirklichung von angeblich hochwertigem Umweltschutz dienendes (Sonder-) Abfallsystem sein. Eine Geheimnisweiterleitung an Konkurrenten ist für die Erreichung dieses Zwecks schlechterdings ungeeignet. Vielmehr ist der Verwaltung vor dem Hintergrund des Ausmaßes einer Geheimnisweiterleitung zuzumuten, Erfahrungen selbständig zu sammeln und sich das Know-how nach und nach eigenständig zu erarbeiten. Geht man davon aus, daß die Zentrale Stelle den Zielvorgaben des Gesetzgebers folgt und für eine Nutzbarmachung des Know-hows ihrer privaten Gesellschafter diesen konkrete, in Zuweisungseinzelfällen relevante Informationen über fremde Entsorgungsanlagen von sich aus zuleiten sollte, so werden durch hoheitlichen Eingriff Grundrechte in nicht zu rechtfertigender Weise verletzt. Dadurch, daß in dem Eingriff die Verletzung mit inbegriffen ist, kann die Wesentlichkeit der Einbindung der privaten Entsorgungswirtschaft in die Arbeit der Zentralen Stelle für die hiervon potentiell betroffenen Entsorgungsuntemehmen nicht geleugnet werden. Vor dem Hintergrund des offen zutage getretenen gesetzgeberischen Willens, die private Entsorgungswirtschaft in die Tätigkeit der Zentralen Stelle einzubinden, hätte es daher einer Regelung bedurft, die klar und eindeutig Stellung zur Weiterleitung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bezieht, diese also untersagt. Andererseits hätte es einer solchen Regelung selbstverständlich dann nicht bedurft, wenn es sie denn schon gäbe und sie andererseits unproblematisch anzuwenden wäre. Da die Zentrale Stelle als Beliehene Träger öffentlicher Verwaltung und damit Behörde im Sinne des § 2 VwVfG Rheinland-Pfalz ist, ist über § 1 Abs. 1 VwVfG Rheinland-Pfalz das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (weitgehend) auf sie anwendbar. Aus diesem Grund finden die §§ 20, 21 und 30 VwVfG Anwendung. Die §§ 20 und 21 VwVfG sehen den Verfahrensausschluß von Beteiligten oder ähnlichen Personen vor, bei denen generell (§ 20) oder im Einzelfall (§ 21) die Besorgnis der Befangenheit besteht. Nach § 30 VwVfG "haben (die Beteiligten) einen Anspruch darauf, daß ... die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von der Behörde nicht unbefugt offenbart werden." Einzig der Frage der Beteiligung bei den §§ 20 und 21 VwVfG sowie die Klärung des Tatbestandsmerkmales "unbefugt" bei § 30 VwVfG mag man vor dem in Rede stehenden Sachverhalt Bedeutung beimessen. Eine Geheimnisweiterleitung ist jedoch in jedem Fall mit Art. 14 Abs. 1 G nicht vereinbar. Vorschriften, die eine Verletzung von Grundrechten der von der Arbeit der Zentra-
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len Stelle Betroffenen verhindern, existieren damit. Der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber hatte aber gerade die Einbindung der privaten Entsorgungswirtschaft in die Arbeit der Zentralen Stelle vorgesehen. Wie dargelegt, kann dies jedoch nicht anders als eben über jene Geheimnisweiterleitung erreicht werden. Konflikte bei der Auslegung der §§ 20, 21 und 30 VwVfG sind daher rur die Praxis vorprogrammiert gewesen. Bestimmtheitsprobleme dürfen aber nicht über eine Norm gelöst werden, zu der sich der Gesetzgeber erkennbar in Widerspruch gesetzt hat. Gerade dann liegt der Regelung die geforderte hinreichende Bestimmtheit nicht zugrunde. Vor dem Hintergrund notwendiger hinreichender Bestimmtheit wäre eine landesgesetzliche Regelung dahingehend erforderlich gewesen, daß den privatrechtlichen Gesellschaftern der Zentralen Stelle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Konkurrenten nicht zugeleitet werden dürfen. Das Landesabfallwirtschafts- und Altlastengesetz ist, soweit es die Arbeit der Zentralen Stelle betrifft, folglich mit Art. 110 Abs. 1 Satz 2 Landesverfassung Rheinland-Pfalz nicht vereinbar. Ist man aufgrund von § 30 VwVfG der Ansicht, daß eine Unvereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsätzen nicht gegeben ist, so bleibt die Gefahr, die vor einer Weiterleitung von Geheimnissen durch § 51 a Abs. 1 GmbHG besteht. In diesem Zusammenhang müßte der Landesgesetzgeber verpflichtet sein, eine inhaltlich von § 51 a Abs. 1 GmbHG abweichende oder aber § 51 a Abs. 2 GmbHG (Auskunftsverweigerungsrecht) ergänzende Regelung zu schaffen. Rechtlich ist der Landesgesetzgeber hierzu jedoch nicht in der Lage. Das Gesellschaftsrecht gehört nämlich als Teil des Privatrechts \32 gern. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 11 GG zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes. 1J3 Für die GmbH hat dieser mit dem GmbHG eine erschöpfende Regelung vorgenommen, die es den Länder jedenfalls nicht gestattet, eine bundesrechtliche Norm wie den § 51 a GmbHG auszuhebeln. 2. Vorgaben des Europarechts Die Bewertung der Zulässigkeit von landesrechtlichen Andienungspflichten rur besonders überwachungsbedürftige Abfälle darf nicht allein anhand der entsprechenden bundesrechtlichen Vorgaben erfolgen, sondern muß darüber hinaus auch die einschlägigen europarechtlichen Regelungen berücksichtigen. Dies gilt um so mehr, als gerade in jüngerer Vergangenheit verstärkt in Zweifel gezogen wurde, ob derartige Andienungspflichten - insbesondere rur Abfälle Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Auflage 1997, S. 9. Die Zuordnung zu Nr. I oder 11 letztlich offen lassend, Maunz, in: Maunz I Dürig, Grundgesetzkommentar, Art. 74 Rdn. 54. 132 133
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zur Verwertung - mit europäischem Recht in Einklang zu bringen sind. 134 Die Europäische Kommission hat aufgrund von zwei Beschwerden am 30.4.1999 ein Mahnschreiben versandt und die Auffassung vertreten, daß die Andienungspflichten für besonders überwachungsbedürftige Abfalle zur Verwertung mit Europäischem Recht nicht vereinbar sind. Es ist in diesem Zusammenhang zu erwarten, daß die Europäische Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat hinsichtlich der besonders überwachungsbedürftigen Abfalle zur Beseitigung zwar die Auffassung vertreten, daß die baden-württembergische Sonderabfallverordnung mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar sei 135 , hat jedoch im Zusammenhang mit der Andienungspflicht und der in diesem Zusammenhang bestehenden Prüfungskompetenzen den Europäischen Gerichtshof angerufen. Breuer 136 hat überzeugend dargelegt, weshalb Andienungs- und Überlassungspflichten, unabhängig ob für besonders überwachungsbedürftige Abfalle zur Beseitigung oder zur Verwertung, weder mit primärem Gemeinschaftsrecht noch mit sekundärem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
IV. Ergebnis Die rheinland-pfalzische Organisation der Sonderabfallentsorgung mit der Normierung einer Andienungspflicht für besonders überwachungsbedürftige Abfalle zur Beseitigung und zur Verwertung gegenüber der SonderabfallManagement-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH ist weder mit dem Europarecht noch mit den Bestimmungen der Art. 33 Abs. 4 GG, § 13 Abs. 4 KrW- / AbfG bzw. Art. 110 Abs. 1 Landesverfassung Rheinland-Pfalz vereinbar. Unabhängig von der Rechtswidrigkeit der rheinland-pfalzischen Andienungspflicht ist auch abfallpolitisch nicht erkennbar, aus welchem Grund an einem derartigen Instrument festgehalten werden müßte. Vielmehr hat die Praxis gezeigt, daß die im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz verankerte ab-
134 Hoppe / Beckmann, DVBI. 1995, 817 ff; Szelinsky / Schneider, Grenzüberschreitende Abfallverbringung, 1995, S. 115 f.; von Wilmowsky, in: 2. Kölner Abfalltage Abfallwirtschaft im EG-Binnenmarkt, 1993, S. 201; im Hinblick auf Abfälle zur Verwertung wohl zustimmend: Weidemann, in: Weidemann I Beckmann, Organisation der Sonderabfallentsorgung, 1996, S. 56 f; Dieckmann, Das Abfallrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 227. 135 BVerwG, Beschluß vom 29.7.1999, Abfallpraxis 1999, 181, 183. 136 Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gern. § 13 Abs. 4 KrW-1 AbfG, 1999, S. 7 ff
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fallwirtschaftliche Zielhierarchie durch Andienungs- und Überlassungspflichten konterkariert wird. Es wäre zu begrüßen, wenn der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber unabhängig von einem Spruch des Bundesverwaltungsgerichtes die Organisation der Sonderabfallentsorgung in Rheinland-Pfalz neu strukturieren und dabei auf das Instrument der Andienungs- und Überlassungspflicht verzichten würde.
Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft am Beispiel der Abfallpolitik Von Otmar Frey ,,Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft": Gibt es das in Deutschland überhaupt? Erlauben Sie mir einige Gedanken zum "Beispiel der Abfallpolitik". Zur Beantwortung dieser Frage sollen im folgenden die Beispiele "Entsorgung von Batterien" und "Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten" dienen.
I. Entsorgung von Batterien Jährlich kommen 30.000 Tonnen oder 900 Millionen Stück Gerätebatterien auf den deutschen Markt. Das sind die bekannten haushaltsüblichen Mono-, Baby- und Mignonbatterien, die Knopfzellen und wiederaufladbaren Akkus. Und da immer mehr elektronische Geräte mobil einsatzfähig sind - denken Sie nur an Laptops, Handys oder Walkmans - entstehen für Batterien ständig zusätzliche Anwendungsfelder. Der Beginn der Rücknahme gebrauchter Batterien liegt heute bereits mehr als 20 Jahre zurück. Damals haben Batteriehersteller erstmals Sammelboxen für verbrauchte Quecksilberzellen aufgestellt. Auch die weitere Entwicklung war von Selbstverpflichtungen der Hersteller geprägt. Im Jahre 1988 wurde eine Vereinbarung über die Entsorgung von schadstoffhaltigen Batterien (Knopfzellen, Blei- und Nickel-Cadmium-Akkumulatoren) geschlossen. Die dort vorgesehenen Maßnahmen der Kennzeichnung, der Schadstoffreduzierung und der Rücknahme haben die im Jahr 1991 verabschiedete EG-Batterierichtlinie bereits weitgehend vorweggenommen: Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft, geprägt von Vertrauen. Die Batterieindustrie hat auch weiterhin den Weg der freiwilligen Maßnahmen verfolgt; der Staat war nur mittelbar involviert. Nachdem erkennbar war, daß immer mehr schadstofffreie Batterien auf den Markt kommen und das Bedürfnis, auch diesen Teil der Batterien einer geordneten Entsorgung zuzuführen, immer größer wurde, haben Handel und Industrie eine zweite freiwillige Selbstbindung ausgearbeitet, die auch die Rücknahme der schadstofffreien Bat-
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terien zum Inhalt hat. Die Bundesministerien rur Umwelt und rur Wirtschaft haben 1995 den vorgelegten Vorschlag akzeptiert. Das Kartellamt war allerdings anderer Ansicht. Aufgrund unterschiedlicher staatlicher Interessen blieb für Kooperation nur noch wenig Raum. Nachdem sich die Bundesregierung einem immer stärkeren Zwang ausgesetzt sah, die EG-Batterierichtlinie in nationales Recht umzusetzen, hat sie 1997 mit einem Kabinettsbeschluß die Batterieverordnung auf den Weg gebracht. Sie ist am 2. April 1998 in Kraft getreten und verpflichtet Hersteller, Handel und Importeure, ab dem 1. Oktober 1998 von öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern und vom Handel gebrauchte Gerätebatterien "kostenlos" im Sinne von unentgeltlich entgegenzunehmen. Damit wurde eine mehr als 10 Jahre dauernde Phase der Batterierücknahme über eine Selbstverpflichtung beendet und durch eine auf einer Verordnung basierenden Rücknahmeverpflichtung ersetzt. Die Batteriehersteller Duracell, Panasonic, Philips, Ralston, Saft-Nife, Sanyo, Sony und Varta sowie der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI), haben das von der Batterieverordnung vorgeschriebene "Gemeinsame Rücknahmesystem" gemäß § 4 Absatz 2 Batterie-Verordnung als "Stiftung Gemeinsames Rücknahmesystem Batterien" mit Sitz in Hamburg gegründet. Sie hat am 1. Oktober 1998 die Verpflichtungen der Batterie-Verordnung übernommen und öffentlichrechtliche Entsorgungsträger und Handel mit den entsprechenden Sammelgefäßen ausgerüstet. Sollen große Rücklaufmengen zusammenkommen, muß das System einfach sein. Beim Gemeinsamen Rücknahmesystem ist das der Fall. Es werden alle Batterien - egal welche Marke und Type - unentgeltlich zurückgenommen. Der Verbraucher muß nicht sortieren. Erfahrungen hatten gezeigt, daß die Verbraucher nicht unterscheiden können und Batterien jeder Art in die Sammelbehälter geworfen haben. Dabei gibt es mehr als 100 verschiedene Batterietypen und -baugrößen, die von einer Vielzahl von Anbietern hergestellt oder importiert werden. Auch der Handel ist nicht die geeignete Stelle, um Batterien vorzusortieren. Denn in Deutschland gibt es eine kaum zu überschauende Anzahl von Verkaufsstellen für Batterien. Dazu gehört der Andenkenladen in Sylt ebenso wie die Tankstelle in Garmisch, der Hörgeräteakustiker in Dresden, die Foto- und Spielzeugabteilungen des Kaufhauses in Berlin, der Baumarkt in Görlitz und der Supermarkt in Bitburg. Hinzu kommen mehr als 400 Kommunen, die ebenfalls Batterien sammeln. Für alle ist das GRS Batterien gleichermaßen da. Die Aufgabe lautete, jede Stelle, die Batterien verkauft, gleichgültig ob Kiosk, Baumarkt, Elektrogeschäft oder Kaufhaus, mit einem Sammelgefäß auszustatten. Mehr als 200.000 grüne Kunststoffbehälter für den Handel wurden produziert; zusätzlich wurden 450.000 Sammel- und Transportkartons an den
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Handel ausgeliefert. Und - das war neu - auch die Kommunen, die "öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger", mußten mit geeigneten Transportbehältern versorgt werden. 58.000 Kunststoff-Fässer wurden zu den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern gebracht. Die Flächendeckung des GRS Batterien ist die Voraussetzung für die umfassende Rücknahme aller Batterien und damit für die Erreichung der umweltpolitischen Ziele. Wir entsorgen 130.000 Outlets des Handels und erreichen über die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger mehr als 97% der deutschen Bevölkerung. Die zusätzliche Entsorgungsschiene über die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger erleichtert es den Verbrauchern ganz entscheidend, die Sammelgefäße zu erreichen und trägt damit maßgeblich zur Verbesserung der Sammelergebnisse bei: Etwa die Hälfte der gesammelten Batterien kommt über den Weg der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu dem Gemeinsamen Rücknahmesystem. Dies unterstreicht die Bedeutsamkeit dieses Sammelweges. Aber zurück ins Jahr 1995: Die Bundesministerien für Umwelt und für Wirtschaft hatten den Vorschlag der Industrie für eine Selbstbindung akzeptiert. Das Bundeskartellamt, dem der Vorschlag zur Prüfung vorgelegt wurde, hat ihn abgelehnt. Es gibt einen Widerspruch zwischen den Zielen einer eher pragmatisch ausgerichteten Umweltpolitik und der in Deutschland praktizierten stringenten Anwendung des Kartellrechts. Damit gibt es eine Begrenzung für Kooperationen im Umweltbereich. Durch den Erlaß der Batterie-Verordnung wurde aber auf der anderen Seite eine neue Dimension der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft eröffnet, die der näheren Betrachtung wert ist: Die Rücknahme verbrauchter Batterien erfolgt seit dem 1. Oktober 1998 nicht nur durch den Handel, sondern parallel auch durch die Kommunen. Damit entstand eine neue Art der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft: Die öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger, der Staat, sammeln und das GRS Batterien, die Wirtschaft, sorgt für die Verwertung. Ich will eine Zwischenbilanz ziehen: Mit dem Inkrafttreten der BatterieVerordnung wurde die Wirksamkeit der Batterie-Rücknahme in zweierlei Weise ausgedehnt: Zum einen werden jetzt alle Batterien (auch die schadstofffreien) zurückgenommen, zum anderen werden die Batterien nicht nur vom Handel, sondern auch von den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern gesammelt.
11. Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten Der ZVEI betrachtet den Beschluß des Bundesrats-Umweltausschusses für eine umfassende Elektroaltgeräte-Verordnung als eine konstruktive Diskussionsgrundlage. Besonders begrüßt wird die im Verordnungsentwurf ausdrück-
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lich festgeschriebene Weiternutzung der vorhandenen Sammel-Infrastrukturen in finanzieller Eigenverantwortung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger - in Analogie zur Entsorgung von Batterien. Aufgrund der Tatsache, daß die derzeit vorliegende Fassung nicht aus einem Guß geschaffen wurde, sondern durch die Erweiterung des Geltungsbereichs der als geschlossenes Konzept angelegten IT-Altgeräte Verordnung entstanden ist, sehen wir noch Klärungs- und Änderungsbedarf, um ökologisch sinnvolle und für die Industrie tragbare Regelungen zu schaffen, die auch vollziehbar sind. Nach Schätzungen des ZVEI fällt derzeit in Deutschland eine zu entsorgende Menge von rund einer Million Tonnen gebrauchter Elektrogeräte an; das sind rund drei Prozent des gesamten privaten Abfallaufkommens. Von der Altgerätemenge aus privaten Haushalten entfallen deutlich mehr als die Hälfte auf Elektro-Haushalt-Großgeräte, rund ein Fünftel auf privat genutzte Büro-, Informations- und Kommunikationsgeräte sowie rund ein weiteres Fünftel auf Fernseher und sonstige Geräte der Consumer Electronics. Die Kosten für die Entsorgung der heute anfallenden bis zu 20 oder 25 Jahre alten Geräte liegen bei Großgeräten zwischen rund 20 DM für eine Waschmaschine und bis zu 50 DM für einen Fernseher oder einen Kühlschrank. Die von der betroffenen Industrie laut Verordnungsentwurf zu tragenden Verwertungskosten belaufen sich auf ca. 1,5 bis 2 Milliarden DM pro Jahr. Um wirtschaftlich tragfähige Systeme und hohe Rücklaufquoten bei privaten Haushaltungen zu erzielen, sollten auch hier die vorhandenen Sammelstrukturen der Kommunen für die haushaltsnahe Erfassung genutzt und optimiert werden. Hierdurch sind bürgernahe und zugleich kostengünstige Lösungen möglich, weil auf vorhandene und vom Bürger akzeptierte Einrichtungen zurückgegriffen wird. Eine Verpflichtung der Hersteller zur Organisation oder zur Finanzierung einer "haushaltsnahen" Sammlung lehnen wir ab - dies wäre auch gar nicht ziel führend. Die Organisation oder Finanzierung einer haushaltsnahen Sammlung geht über die Einflußmöglichkeiten der Hersteller und damit über den Bereich der von ihnen zu tragenden Produktverantwortung hinaus. Generell lehnt der ZVEI nicht nur die Finanzierung der Kosten einer haushaltsnahen Sammlung an sich, sondern auch eine "Erstattung der Kosten für die Sortierung und Bereitstellung zur Abholung" ab. Hinzu kommt, daß das Kreislaufwirtschaftsgesetz (§ 24 Abs. 2 i. V. m. § 15) keine Ermächtigungsgrundlage für die Forderung nach einer Bezahlung kommunaler Aufgaben durch die Industrie darstellt. Ergänzend zu einer Sammlung durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger kann sich der serviceorientierte Fachhandel auf freiwilliger Basis an der Rückführung von Altgeräten beteiligen. Anders als bei Batterien würde die generelle Bereitstellung entsprechender Sammelflächen durch den Handel
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bei Elektrogeräten einen erheblichen Aufwand bedeuten und in vielen Fällen gar nicht praktizierbar sein. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß die Kommunen durch die Übernahme der Sammlung und einer differenzierten Bereitstellung in der Summe gegenüber den derzeitigen Gegebenheiten nicht zusätzlich belastet, sondern im Gegenteil entlastet werden. Vielfach sammeln Kommunen Elektroaltgeräte bereits heute getrennt, dann werden die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zukünftig ganz offensichtlich von den Verwertungskosten entlastet. Sollten einzelne Kommunen noch nicht getrennt sammeln, dann entfallen zukünftig zumindest die heutigen Aufwendungen für Abfallbehandlung bzw. Deponierung. Niemandem ist mit einer Zersplitterung der Sammelsysteme gedient - nicht dem Verbraucher, nicht den Kommunen, nicht der Umwelt und auch nicht der Politik. Der Bürger sollte einen einzigen Ansprechpartner für alle seine Entsorgungsprobleme haben und nicht völlig unterschiedliche Zugänge zu den unterschiedlichsten Systemen suchen müssen. Ich darf an die Erfahrungen mit der Entsorgung von Batterien anknüpfen: Die Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft ist möglich, erprobt und belastbar. Ein Modell der geteilten Verantwortung, in dem •
die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die haushaltsnahe Sammlung übernehmen, während
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die Industrie die Verwertung übernimmt,
sollte auch für die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Elektro- und Elektronikgeräte als Vorbild dienen.
Verzeichnis der Referenten Alfons Frank, Ministerialrat, Ministerium der Finanzen des Landes RheinlandPfalz, Mainz Dr. Walter Frenz, Univ.-Prof., Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Otmar Frey, Leiter der Abteilung Umweltschutzpolitik im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie, FrankfurtlM. Dr. Arnold Heerd, Geschäftsfiihrer der Sonderabfallmanagement Gesellschaft (SAM) Rheinland-Pfalz mbH, Mainz Dr. Wolfgang Hoffmann, Abteilungsdirektor, Leiter der Abteilung Entsorgung, BASF AG, Ludwigshafen Dr. Olaf Konzak, Rechtsanwalt, Rechtsanwälte Köhler, Klett, Bock & Gerhold, Köln Thomas Kostenbader, Direktor beim Bayerischen Städtetag, München Dr. Ulrich Penski, Univ.-Prof., Universität Siegen Dr. Jürgen Schoer, Geschäftsfiihrer der Abwasser Bremen GmbH Dr. Helge Sodan, Univ.-Prof., Freie Universität Berlin RolfWunder, Beigeordneter, Dezernent für Eigenbetriebe der Stadt Speyer Dr. Jan Ziekow, Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer