Korruption und Korruptionsbekämpfung: Beiträge auf der 8. Speyerer Demokratietagung vom 27. und 28. Oktober 2005 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428525263, 9783428125265

In der jüngeren Vergangenheit hat das Thema Korruption und Korruptionsbekämpfung weiter an Gewicht gewonnen. Auch in der

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Korruption und Korruptionsbekämpfung: Beiträge auf der 8. Speyerer Demokratietagung vom 27. und 28. Oktober 2005 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428525263, 9783428125265

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 185

Korruption und Korruptionsbekämpfung Beiträge auf der 8. Speyerer Demokratietagung vom 27. und 28. Oktober 2005 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Hans Herbert von Arnim

Duncker & Humblot · Berlin

Korruption und Korruptionsbekämpfung

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 185

Korruption und Korruptionsbekämpfung Beiträge auf der 8. Speyerer Demokratietagung vom 27. und 28. Oktober 2005 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von Hans Herbert von Arnim

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomeschanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-12526-5 (Print) ISBN 978-3-428-52526-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-82526-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band enthält die überarbeiteten Vorträge und Podiumsdiskussionen der 8. Speyerer Demokratietagung, die am 27. und 28. Oktober 2005 stattfand und dem Thema „Korruption und Korruptionsbekämpfung“ gewidmet war. Die Beiträge ausgewiesener Experten aus Theorie und Praxis behandeln zum einen ausgewählte Korruptionsbereiche, zum anderen setzen sie sich mit Strategien zur Bekämpfung von Korruption auseinander. Sie bauen damit auf den Ergebnissen der 6. Speyerer Demokratietagung auf, die das Thema „Korruption in Politik und Verwaltung“ zum Gegenstand hatte (Knaur Taschenbuch, ISBN 978-3-426-77683-4). Als Fazit dieser Dokumentation bleibt festzuhalten: Das Thema „Korruption und ihre Bekämpfung“ hat nichts von seiner Aktualität verloren. Die Beiträge führen die Brisanz des Korruptionsproblems vor Augen und mahnen die Dringlichkeit wirksamer Bekämpfungsmaßnahmen an. Frau Assessorin Regina Heiny und den Herren Stefan Ittner, M. A., Dr. Stefan Kleb und Dr. Sebastian Wolf sei für die Vorbereitung der Tagung und die redaktionelle Betreuung dieses Bandes herzlich gedankt. Speyer, Ende 2006

Hans Herbert von Arnim

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Überblick Von Regina Heiny und Stefan Ittner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Begrüßung durch den Prorektor Von Karl-Peter Sommermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Korruptionsbekämpfung am Beispiel des Landes Rheinland-Pfalz Von Ingolf Deubel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sind Parteien korrupte Organisationen? Von Fritz Goergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der gekaufte Abgeordnete. Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik Von Hans Herbert von Arnim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Korruption im Gesundheitswesen Von Maximilian Gaßner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Korruption und Korruptionsbekämpfung im Sport Von Wolfgang Maennig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Streitgespräch: „Wie unabhängig ist Transparency International Deutschland?“ Mit Hans See und Peter von Blomberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Politik und Moral Von Christoph Böhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Korruptionsregister, Unternehmenshaftung, Transparenzgesetze – geeignete Mittel zur Korruptionsbekämpfung? Von Jost Pietzcker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Erfolge und Blockaden bei der Korruptionsbekämpfung Von Wolfgang Schaupensteiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Die UN-Konvention gegen Korruption und ihre Auswirkungen auf Deutschland Von Anke Martiny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Podiumsdiskussion: „Mehr Zivilcourage durch verbesserten Schutz von Whistleblowern?“ Mit Winfried Maier, Hans-Peter Martin und Hans-Martin Tillack . . . . . . . . . . 201 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Einleitung und Überblick Von Regina Heiny und Stefan Ittner In der jüngeren Vergangenheit hat das Thema Korruption und Korruptionsbekämpfung weiter an Gewicht gewonnen. Auch in der Politik hat sich einiges getan. Die UN-Konvention gegen Korruption, die im Dezember 2003 in Mexiko unterzeichnet wurde, wird auch Deutschland zu Änderungen zwingen, insbesondere zur wirksamen Bekämpfung von Abgeordnetenbestechung. Schon jetzt geht der öffentliche Druck, ausgelöst durch einige Missbrauchsfälle, dahin, problematische Nebeneinnahmen von Abgeordneten zu unterbinden. Der Bund ist im Sommer 2005 vorangegangen. Das Thema Korruption erhält zusätzliche Aktualität durch die EU-Osterweiterung. In den neuen Mitgliedstaaten ist Korruption vielfach ein besonderes Problem. Manche befürchten, dass sie nunmehr verstärkt auch auf Deutschland überschwappen könnte. Die jüngste Flut von Schmiergeldaffären, in die deutsche Traditionsunternehmen wie Volkswagen oder Siemens verwickelt sind, macht sehr deutlich, dass die bestehenden Strategien zur Korruptionsbekämpfung noch nicht voll greifen und weitere Anstrengungen unternommen werden müssen. Das Thema Korruption wird – entsprechend seiner Komplexität und Vielgestaltigkeit – interdisziplinär, aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert. Die Referenten sind ausgewiesene Experten, die sich in der Theorie oder Praxis bereits intensiv mit dem Thema „Korruption und ihre Bekämpfung“ beschäftigt haben. In seinem Eröffnungsbeitrag skizziert Staatssekretär Ingolf Deubel, zugleich Korruptionsbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz, inzwischen Finanzminister dieses Landes, zunächst die aktuelle Korruptionslage in Deutschland und insbesondere in Rheinland-Pfalz: Korruption greife um sich, so seine These. Das große Potential für Korruption in der öffentlichen Verwaltung liege dort, wo bestimmte Akte der Verwaltung für Wirtschaft oder Bürger von großer wirtschaftlicher Bedeutung seien. Hauptbeispiel für solche Gefährdungslagen sei die Vergabe von Bauaufträgen. Die Gefahr sei besonders groß, wenn Auftragsgeber, Nutzer und Zahlungspflichtige auseinanderfallen, wie Deubel am Beispiel des Ausbaus des Flughafens Ramstein darlegt. Als Instrumente im Kampf gegen Korruption bieten sich laut Deubel vor allem vier Bausteine an: Eine vollständige und korrekte Do-

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kumentation aller Entscheidungen mit finanzieller Tragweite einschließlich ihrer Gründe sei unentbehrlich, sie erhöhe die so wichtige Transparenz. Für größere Offenheit und ein Minimum an innerer Kontrolle sorge auch ein Vier-Augenprinzip, das auch den Zweitunterzeichner voll in die Verantwortung bringe. Wesentlich sei vor allem ein Vertrauensanwalt – eine Einrichtung, bei der Rheinland-Pfalz die Vorreiterrolle übernommen habe. Da der Vertrauensanwalt der Schweigepflicht unterliege, seien Informanten vor einer Bloßstellung in der Öffentlichkeit und vor beruflichen Repressalien geschützt. Diese Einrichtung habe in Rheinland-Pfalz schon mehrfach zur Aufdeckung korruptiver Verfehlungen durch sogenannte Whistleblower beigetragen. Die Zahl relevanter Hinweise halte sich bisher allerdings in engen Grenzen. Der letzte Baustein sei die „Schwarze Liste“. Da mit ihrer Hilfe korrumpierende Unternehmen konsequent von der Auftragsvergabe ausgeschlossen werden könnten, sei der Abschreckungseffekt nicht zu unterschätzen. Abschließend lenkt Deubel das Augenmerk auf eine selten beachtete Kehrseite der Korruptionsbekämpfung: die persönlichen Schicksale von unschuldig Verdächtigten. Auch hier könne der Vertrauensanwalt eine Schleuse zur Abwehr ungerechtfertigter Denunziationen bilden. Die provokante Frage „Sind Parteien korrupte Organisationen?“ bejaht der frühere FDP-Bundesgeschäftsführer Fritz Goergen ohne Umschweife. Parteien seien schon ihrem Wesen nach korrupt: Sie hätten die Kontrolle über die Bewilligung öffentlicher Mittel, und er wagt die These, die Korruption wachse mit dem Umfang dieser Mittel. Goergen unterscheidet drei Formen von Parteienkorruption: Zum einen die illegalen Praktiken. Sie seien bei der Parteienfinanzierung derart verbreitet, dass sie schon als „pathologische Systemkrankheit“ bezeichnet werden könnten. Weder die Aufarbeitung der Flick-Spendenaffäre noch des Skandals um die Finanzierung des berühmt-berüchtigten Flugblattes Möllemanns oder die Klage der GRÜNEN gegen die Gewährung von Globalmitteln an politische Stiftungen, deren Grenzen zu den Parteien höchst durchlässig seien, hätten im Kern etwas an der illegalen Praxis geändert. Nur die Wege seien heute andere. Die wirklichen Kungler und gegenseitigen Nutznießer der Parteienfinanzierung blieben bis heute verborgen. Auch die Medien seien „Teil des Schweigekartells“, weil sie den korruptiven Verflechtungen und Kungeleien allenfalls ausnahmsweise auf den Grund gingen. Beim Umzug von Bonn nach Berlin habe sich die Zahl der Hauptstadtjournalisten verdoppelt, ihre kritische Leistungsfähigkeit habe sich aber eher halbiert. Eine weitere Form von Korruption betreibe der Lobbyismus. Sie sei auch auf den unteren Hierarchieebenen wirksam, zumal sie dort relativ kostengünstig sei, und verhelfe der Wirtschaft zu unverdienten Privilegien. Die Politik degeneriere geradezu zu einem „Basar des Stimmenkaufs“. Die „mentale Korruption“ sei die dritte Form. Die Parteistrukturen begünstigten ein Abheben der Abgeordneten

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von der Lebenswelt des Volkes und züchteten eine Funktionärsschicht, für die Wertschöpfung ein Fremdwort sei. Ein probates Mittel gegen diese Formen von Korruption sei die Prävention durch Verringerung der Macht des Staates und damit auch der Parteien. Hierfür schlägt Goergen institutionelle Reformen wie Direktwahl des Regierungschefs, Mehrheitswahlrecht, ehrenamtliche Abgeordnete und die Beschränkung der parlamentarischen Tätigkeit auf politische Richtungsentscheidungen vor, räumt aber auch ein, dass dafür zur Zeit wenig Chancen bestehen. Hans Herbert von Arnim rückt mit seinem Thema „Der gekaufte Abgeordnete“ die Problematik verdeckter und offener Einflussnahmen auf Abgeordnete in den Mittelpunkt. Die Sicherung der Gemeinwohlverpflichtung, der die Abgeordneten gemäß Art. 38, 48 GG unterliegen, erweise sich als besonders schwierig. Das liege zum einen daran, dass das Parlament über den rechtlichen Status seiner Abgeordneten selbst, also „in eigener Sache“ entscheide, zum anderen sei die Ausübung eines bezahlten Berufes neben dem Mandat weiterhin erlaubt, obwohl sich dieses vom Ehrenamt zum vollalimentierten Fulltime-Job gewandelt habe. Als eine Form illegitimer, verdeckter Einflussnahmen auf Abgeordnete nennt von Arnim im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht sogenannte „arbeitlose“ Einkommen, d. h. Zahlungen des Arbeitgebers, für die der Abgeordnete keine normale Gegenleistung erbringe. Solche Zahlungen begründeten zumindest den bösen Schein, dass in Wahrheit politischer Einfluss erkauft werde. Verboten und wieder eingezogen würden diese Zahlungen aber nur im niedersächsischen Landtag und seit jüngstem im Bundestag. Außerdem, bestünde weder auf Landes- noch auf Bundesebene eine ausreichende Publikationspflicht für Nebeneinnahmen von Abgeordneten. Die jüngste Novelle zum Bundesabgeordnetengesetz reiche nicht aus. Direktspenden an Abgeordnete stellten eine weitere Form problematischer der Einflussnahme dar; sie seien dennoch in unbegrenzter Höhe erlaubt und müssten zudem erst ab 10.001 Euro im Jahr veröffentlicht werden, so die Kritik von Arnims. § 108e StGB biete keinen wirklichen Schutz gegen Abgeordnetenbestechung. Als weitere Form der Einflussnahme nennt von Arnim die bezahlte Lobbyistentätigkeit von Abgeordneten, die oft sogar ganz offen erfolge. Solche Diener zweier Herren würden fatalerweise im Kreise ihrer Kollegen oft besondere Wertschätzung genießen. All diese Gesetzeslücken und die verstärkte Immunisierung der Abgeordneten gegen Anforderungen der allgemeinen Moral hätten – so von Arnims Fazit – negative Auswirkungen auf das Ansehen der Abgeordneten und auf die Korruptionsbekämpfung allgemein. Mit „Korruption im Gesundheitswesen“ befasst sich Maximilian Gaßner, Ministerialdirigent im Bayerischen Gesundheitsministerium, und identifiziert zunächst drei verschiedene Korruptionsformen. Häufig sei zum einen

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kriminelles Verhalten, das die strafrechtliche Korruptionstatbestände erfülle oder eng mit ihnen zusammenhänge. Auch korrupte Verhaltensweisen in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität wie etwa Fehlbuchungen zu Lasten der Pflegeversicherung seien im Gesundheitswesen verbreitet. Legales, aber rechtsethisch und rechtspolitisch bedenkliches Verhalten stelle schließlich die dritte Form von Korruption im Gesundheitssektor dar. Hierunter fasst Gaßner z. B. das Sponsoring von Patientengruppen oder das Erstellen von Auftragsstudien im Interesse der Pharmaindustrie. Die relativ weite Verbreitung von Korruption im Gesundheitssektor sei – so die These Gaßners – auf strukturelle Ursachen zurückzuführen. Neben der Intransparenz und Komplexität, die insbesondere das Abrechnungssystem kennzeichne, begründeten vor allem unzureichende Wettbewerbsstrukturen die gesteigerte Korruptionsgefahr; bestehende Nomenklatura-Strukturen auf der Entscheidungsebene der Krankenkassen seien ebenso mitursächlich wie eine defizitäre Rechtsaufsicht und unzureichende externe Prüfungen. Gaßner schlägt, um die Korruption zumindest zu begrenzen, einen Katalog von Maßnahmen vor. Hierzu gehört die Einführung neuer Straftatbestände sowie die konsequente staatliche Kontrolle und Ahndung von Rechtsverletzungen, verbunden mit der Herstellung transparenter Strukturen und der Stärkung marktwirtschaftlicher Elemente. Der Korruption im Sport widmet sich Wolfgang Maennig, Professor für Wirtschaftspolitik in Hamburg und lange Zeit selbst Athlet und Sportfunktionär im Ruderverband. Maennig hebt zunächst den Zusammenhang zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Korruption hervor: Der Eindruck weiter Verbreitung von Korruption führe in der Tendenz dazu, die eigenen Moralschranken zu senken und Korruption tatsächlich auszuweiten. Was unter Korruption zu verstehen sei, lasse sich nur schwer beantworten. Der Begriff variiere von Nation zu Nation und von Sportart zu Sportart und unterliege dem gesellschaftlichen Wandel. Auch wenn das Ausmaß von Korruption schwer festzustellen sei, stehe doch fest, dass Korruption im Sport besonders problematisch sei, da das Ansehen des Sportes sinke und sich potentielle Athleten und Sponsoren abwenden. Laut Maennig bietet gerade die Ökonomik eine Reihe von Ansätzen und Erkenntnissen, mit denen der Kampf der Sportverbände gegen Korruption verbessert werden könne. Aus ökonomischer Sicht sei Korruption das Ergebnis eines rationalen Wahlaktes, bei dem unter mehreren Handlungsalternativen diejenige gewählt wird, die den größten Nettovorteil verspreche. Faktoren bei dieser Wahl seien die Erfolgswahrscheinlichkeit der Korruption und ihre finanziellen Vorteile, die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung und Bestrafung, der finanzielle und statusmäßige Verlust bei Verurteilung und die moralische Widerstandskraft der Betroffenen. Als Maßnahmearten zur Bekämpfung von Korruption empfiehlt Maennig deshalb die Verringerung der Profite aus Kor-

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ruption, eine Eindämmung der Ermessensspielräume von Schiedsrichtern, erhöhte Rechenschaft durch verstärkte Kontrollen und Sanktionen sowie eine Veränderung in der Einstellung zur Korruption. Gleichzeitig räumt er ein, dass bisher nur wenige dieser Strategien tatsächlich umgesetzt wurden und Maßnahmen wie verstärkte Kontrollen und härtere Strafen noch keineswegs überall akzeptiert und damit umsetzbar wären. Hans See, Vorsitzender der Anti-Korruptionsorganisation Business Crime Control, und der stellvertretende Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Peter von Blomberg, debattieren über die Frage, wie unabhängig Transparency International (TI) im Kampf gegen Korruption ist. See vertritt die Position, das von TI verfolgte Konzept der Kooperation statt Konfrontation sei falsch. Die von TI geübte Zusammenarbeit mit Unternehmen, vor allem ihre Mitgliedschaft und teilweisen Finanzierung von TI, hält er für problematisch, weil so die Gefahr begründet werde, dass die Kontrollinstanz eingebunden werde und ihre Bissigkeit verliere. Den Mangel an Unabhängigkeit, der TI auch schon den Vorwurf eingebracht habe, ein bloßes Feigenblatt für Regierungen und Unternehmensführungen zu sein, zeige sich darin, dass TI die Aufklärung und den Korruptionskampf auf bestimmte Bereiche begrenze. So würde das Thema des Missbrauchs wirtschaftlicher Macht von TI weitgehend ausgeblendet. Der von TI eingesetzte Corruption Perception Index, in dem regelmäßig die ärmsten Länder der Welt schlecht abschneiden, diene marktstrategischen und politischen Interessen der Global Players. Blomberg hingegen verteidigt die Strategie TIs als sinnvoll und richtig. Eine Veränderung korruptionsfördernder Strukturen sei nur möglich, wenn man die Verantwortlichen überzeuge und gewinne. Dies werde aber vor allem in der Wirtschaft nicht durch Pauschalkritik, sondern nur „vor Ort“ bei dem einzelnen Unternehmer oder Manager erreicht, der auch praktisch unterstützt werden müsse. Gleichzeitig sei TI sich aber auch der Gefahr versagender Kontrollen bewusst: Zwar gebe es kein formelles Monitoring der korporativen Mitglieder, es existierten aber vielfältige Formen der Kommunikation und die Möglichkeit, die Mitgliedschaft des in einen Korruptionsskandal verwickelten Unternehmens ruhen zu lassen bzw. zu beenden. Zudem erinnerte Blomberg an den Bribe Payers Index, der die Korruptionsbereitschaft von Unternehmen messe, sowie an die langjährige Forderung TIs nach einem Zentralregister korrupter Unternehmen in Bund und Ländern. Dies zeige, dass der Vorwurf der mangelnden Bekämpfung von Wirtschaftskorruption unbegründet sei. Christoph Böhr, ehemaliger Vorsitzender der CDU Rheinland-Pfalz, setzt sich mit dem Verhältnis von Politik und Moral auseinander. Sein Beitrag ist aus der Dinner Speech auf dem Hambacher Schloss hervorgegangen. Poli-

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tische Macht, so der Ausgangspunkt von Böhrs Überlegungen, dürfe kein Selbstzweck, sondern müsse stets Mittel zu einem weitergehenden Zweck sein, dem Wohl der Gemeinschaft. Um dies zu gewährleisten, bedürfe Macht der Zähmung. Aufgabe der Moral sei es, die Ziele und Regeln vorzugeben, mit denen der Machtgebrauch im Einklang stehen müsse. Standort der Moral in der Politik sei damit zunächst und vor allem die Regel, in der sich die moralische Bindung einer Entscheidung offenbare. Umgekehrt sei die Frage nach der Wirkung der Moral gleichbedeutend mit der Frage nach der Bestandskraft einer Regel. Aufgabe der Politik sei es, richtige Anreize zu setzen, damit die Befolgung guter Regeln leichter falle. Die Ursache vieler Fehlentwicklungen sieht Böhr deshalb nicht im moralischen Niedergang der Gesellschaft, sondern im Versagen der Politik, die es nicht verstehe, Anreize so zu setzen, dass der Verstoß gegen moralische Regeln sich nicht mehr lohne. Bekämpfungsstrategien wie Korruptionsregister, Unternehmenshaftung und Transparenzgesetze stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Jost Pietzcker, der vor allem über das erstgenannte Instrument intensiv geforscht hat. Alle drei Instrumente dienten auch der Korruptionsbekämpfung, auch wenn dies nicht ihr primäres Ziel darstelle. Das Vergaberegister als Register unzuverlässiger Unternehmen solle in erster Linie die Zuverlässigkeit des Auftragnehmers sichern. Die Transparenzgesetze gewährleisteten in erster Linie die demokratisch und grundrechtlich bedeutsame Information der Öffentlichkeit über Verwaltungsvorgänge. Und die Ausdehnung der Strafbarkeit auf juristische Personen solle eine Lücke schließen, die in Bezug auf zahlreiche Straftatbestände und keineswegs nur Korruptionsdelikte empfunden würde. Bei allen drei Instrumenten erscheine eine zu starke Umpolung auf den Primärzweck der Korruptionsbekämpfung nicht unproblematisch, und alle Instrumente bedürften im Hinblick auf die damit verbundenen Rechtseingriffe einer sorgfältigen „Eichung“. Dennoch bewertet Pietzcker zumindest das Korruptionsregister und die Transparenzgesetze als geeignete und wichtige Instrumente im Kampf gegen Korruption: Das Korruptionsregister entfalte eine hohe Abschreckungswirkung, da die Auftragssperre die geschäftlichen Chancen mindere, und auch die Transparenzgesetze wirkten präventiv, da an der Korruption beteiligte Personen nun eher mit einer Aufdeckung ihrer Tat rechnen müssten. Wolfgang Schaupensteiner, Oberstaatsanwalt in Frankfurt a. M. und seit langem mit der Praxis der Korruption und ihrer Bekämpfung vertraut, widmet sich den Erfolgen und Blockaden der Korruptionsbekämpfung im allgemeinen und zeichnet zunächst ein Lagebild der Korruption in Deutschland. Wirtschaftskriminalität und Korruption hätten in den letzten Jahren trotz Warnungen weiter zugenommen. Vor allem strukturelle Formen seien

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auf dem Vormarsch. Trotz immenser materieller und immaterieller Schäden würden die Gefahren weiterhin unterschätzt, vorsätzlich geleugnet oder einfach nicht wahrgenommen. Als Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung listet Schaupensteiner eine Reihe gesetzgeberischer und sonstiger Maßnahmen auf, so etwa die Novellierung der Korruptionstatbestände durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz von 1997, die Abschaffung der Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern und die zahlreichen administrativen Anstrengungen wie z. B. die Korruptionspräventionsrichtlinie der Bundesverwaltung. Auch die Privatwirtschaft habe in Form von Ethik-Richtlinien neue Präventionsinstrumente eingeführt. Diese sähen aber weder eine Umsetzungskontrolle noch Sanktionen bei Regelverstößen vor. Schaupensteiner hegt deshalb Zweifel, ob die Wirtschaft bereit sei, Korruption wirksam zu bekämpfen. Ingesamt konstatiert Schaupensteiner eine fehlende Einsicht in die Notwendigkeit ausreichender Kontrollen und Sanktionen in der Verwaltung wie in der Politik und der Privatwirtschaft. Als besorgniserregend empfindet Schaupensteiner die Bedenkenlosigkeit, mit der die Mehrheit der Deutschen bereit wäre, um des eigenen Vorteils willen Regeln zu verletzen. Dieses Phänomen führt er nicht zuletzt auf die unzähligen Negativ-Vorbilder in Staat und Gesellschaft zurück. Er schließt seinen Beitrag mit einem Appell an die politische und wirtschaftliche Elite, ihrer Vorbildrolle gerecht zu werden. Inwieweit die UN-Konvention gegen Korruption Deutschland bei der Korruptionsbekämpfung auf die Sprünge hilft, ist das Thema von Anke Martiny, Vorstandsmitglied von TI Deutschland. Den Fokus legt sie dabei auf politische Korruption. Zunächst skizziert Martiny die in Deutschland gegenwärtig bestehende Lage in diesem Bereich und konstatiert – wie schon Goergen und von Arnim –, dass die Bekämpfung politischer Korruption trotz zahlreicher Skandale und immenser immaterieller Schäden noch immer lückenhaft geregelt sei. Sobald Deutschland die UN-Konvention endlich ratifiziert, ergäben sich weitreichende Konsequenzen: Vor allem müsse der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung, § 108e StGB, deutlich verschärft werden, da die UN-Konvention Abgeordnete und Amtsträger gleichsetze. Auch die Abgeordnetengesetze und Verhaltensregeln der Parlamente müssten verschärft werden, denn die UN-Konvention sehe vor, mögliche Interessenkonflikte von Amtsträgern offen zu legen, zu diesem Zweck Angaben über Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorzuschreiben und auch Sanktionen zu normieren (Art. 8 Nr. 5 und 6). Diese Anforderungen erfüllten die Abgeordnetengesetze und Verhaltensregeln bisher höchstens ansatzweise. Über die Frage „Mehr Zivilcourage durch verbesserten Schutz von Whistleblowern?“ diskutieren schließlich der ehemalige bayerische Staatsanwalt Winfried Maier, der Europaabgeordnete Hans-Peter Martin und der Stern-

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redakteur Hans-Martin Tillack. Alle drei Referenten haben ihre eigenen Erfahrungen mit diesem Thema gemacht: Maier trug als Staatsanwalt in Augsburg zur Aufdeckung der CDU-Spendenaffäre um Kohl, Pfahls und andere bei, Martin provozierte einen öffentlichen Skandal, als er per versteckter Videokamera die Spesenreiterei von EP-Abgeordneten dokumentierte, und Tillack deckte als Journalist in Brüssel eine Reihe von Missständen auf und sah sich dann einem Verfahren von Seiten der EU- und belgischer Behörden ausgesetzt. Übereinstimmend stellen Maier und Tillack fest, der Ausdruck Whistleblower sei in Deutschland stark negativ besetzt und werde mit Denunziantentum gleichgesetzt. Einmütig vertreten die drei Referenten deshalb die Ansicht, der wirksamste Schutz des Whistleblowers liege schlussendlich in einer Stärkung seines gesellschaftlichen Ansehens. Erst dann ließen sich rechtliche Diskriminierungsverbote wirkungsvoll umsetzen. Dieser Gedanke wird in der anschließenden Diskussion auch von Tagungsteilnehmern aufgegriffen: Das öffentliche Ansehen von Whistleblowern müsse durch Preisund Ordensverleihungen oder ähnliches verbessert werden. Tillack weist darauf hin, dass auch Parlament und Medien zur Stärkung der Stellung von Whistleblowern beitragen könnten; sei die Kontrolle durch diese Institutionen aber nicht voll wirksam, so wie dies auf EU-Ebene der Fall sei, werde sich die Position von Whistleblowern noch weiter verschlechtern. Die Beiträge vermitteln eine ganze Reihe von übergreifenden Erkenntnissen, von denen hier nur einige kurz angesprochen werden sollen: Auch wenn das tatsächliche Ausmaß an Korruption nicht exakt messbar ist (Deubel, Maennig, Schaupensteiner), gehen die Referenten übereinstimmend davon aus, dass Korruption in Deutschland nach wie vor verbreitet ist und energischer bekämpft werden muss (Deubel, Schaupensteiner). Vor allem von der Wirtschaft gingen Korruptionsinitiativen aus (Deubel, Schaupensteiner). Einigkeit besteht auch über die gewaltigen materiellen, vor allem aber immateriellen Schäden, die Korruption verursacht (Deubel, Maennig, Schaupensteiner). Als besonders negativ werden die Auswirkungen der Korruption politischer und wirtschaftlicher Eliten auf die Einstellung in der Gesellschaft und die Korruptionsbekämpfung allgemein eingeschätzt (von Arnim, Böhr, Martiny). „Wenn permanentes Machtstreben und überzogene Gewinnsucht demonstriert werden kann, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wenn, anstatt in der Hierarchie sozialer Anerkennung abzusteigen, solche Personen auch noch das mediale Interesse in Talkrunden auf sich ziehen, dann wundert es nicht, dass die Deutschen bei solchen Vorbildern in nur wenigen Jahren akzeptiert haben, in einem Land zu leben, in dem Korruption in Politik und Wirtschaft als normal gilt.“ – So fasst Schaupensteiner die von vielen Seiten geäußerte Kritik zusammen. Zwar konstatieren alle Referenten, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Maßnahmen gegen Korruption eingeführt wurden. Erwähnt seien hier

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noch einmal die Verschärfung der Korruptionstatbestände durch das Antikorruptionsgesetz und die Anstrengungen in zahlreichen Bundesländern, die zur Errichtung von Korruptionsregistern oder dem Erlass von Transparenzgesetzen geführt haben (Schaupensteiner, Deubel, Pietzcker). Auch könnten Strategien der Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen, wie von TI praktiziert, einen Beitrag zur Sensibilisierung der Wirtschaft leisten. Im politischen Bereich habe sich mit dem Verbot und der Pflicht zur Einziehung „arbeitsloser Zahlungen“ und der Publikation der Größenordnung von Nebeneinnahmen im Bundestag ebenfalls etwas bewegt, wie von Arnim in seinem Beitrag feststellt (von Arnim). Dennoch bleiben mehr oder weniger große Defizite bei der Bekämpfung von Korruption. Das Gesundheitswesen ist nach wie vor von großen strukturellen Defiziten geprägt (Gaßner). Vor allem in der Politik bestehen immer noch erhebliche Lücken: Grenzen für Lobbyismustätigkeiten, für Direktspenden oder für Nebeneinnahmen sind bis heute nicht ausreichend geregelt (Goergen, von Arnim, Schaupensteiner, Martiny), und die illegale Parteienfinanzierung wird von Goergen sogar als „pathologische Systemkrankheit“ bezeichnet. Von den auf der 6. Speyerer Demokratietagung 2002 aufgestellten „10 Geboten zur Korruptionsbekämpfung“ ist bisher bis auf eine Ausnahme – das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, das seit 1.1.2006 in Kraft ist – keines erfüllt (Schaupensteiner). Diese Defizite seien vermutlich zu einem wesentlichen Teil auf eine Immunisierung gegen die Anforderungen der allgemeinen Moral bzw. auf fehlende Einsicht in die Notwendigkeit der Bekämpfung von Korruption bei politischen und wirtschaftlichen Eliten zurückzuführen (von Arnim, Schaupensteiner). Übereinstimmend werden umfassende Reformen angemahnt, die von einer Stärkung des Rechtsrahmens bis hin zu größerer Transparenz reichen. Präventiven Maßnahmen wird dabei durchweg der Vorrang vor repressiven Instrumenten eingeräumt. Vor allem wird ein Wandel in der Einstellung zur Korruption für erforderlich gehalten. Gerade den Eliten in Politik und Wirtschaft komme die wichtige Aufgabe zu, als positives Vorbild voranzugehen und Korruption sichtbar zu ächten (von Arnim, Schaupensteiner).

Begrüßung durch den Prorektor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Univ.-Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann Sehr geehrte Damen und Herren, es ist mir eine große Freude, Sie in meiner Eigenschaft als Prorektor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer zur 8. Speyerer Demokratietagung begrüßen zu dürfen. Die von Herrn Professor Hans Herbert von Arnim geleiteten Demokratietagungen – die erste Tagung fand im Jahr 1997 statt – sind im Veranstaltungsprogramm unserer Hochschule längst eine Institution. Auch diesmal sind die Einladung und das mit hervorragenden Referenten ausgestattete Programm wie zu sehen auf große Resonanz gestoßen. Dem Thema „Demokratie“ durch eine Veranstaltungsreihe kontinuierlich Aufmerksamkeit zu widmen, rechtfertigt sich aus unserer Sicht nicht nur wegen seiner grundlegenden Bedeutung für unseren Staatsaufbau, sondern auch im Hinblick auf neue Problemlagen, die grundsätzliche Diskussionen über die institutionelle und prozedurale Ausgestaltung der Demokratie fordern. Die vor allem in der Politikwissenschaft, zunehmend aber auch in der Rechtswissenschaft seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts intensivierte Demokratiedebatte wurde nicht zuletzt dadurch ausgelöst, dass Bürgerbefragungen einen Vertrauensverlust der Institutionen der westlichen Demokratien, auch in der Bundesrepublik, offenbarten. In Speyer wurden dazu auch empirische Untersuchungen von Herrn Professor Helmut Klages durchgeführt. Zur Wahrnehmung von Legitimationsdefiziten trägt gewiss auch die aus der Sicht der Bürger über die Jahre gewachsene Intransparenz der Entscheidungsprozesse bei. Diese ist insbesondere einer Ausdifferenzierung der Entscheidungsträger auf nationaler und internationaler Ebene sowie einer zunehmenden Verflechtung der Entscheidungsebenen im europäischen Mehrebenensystem geschuldet. Das Problem ist erkannt, und so hat beispielsweise die Kommission der Europäischen Gemeinschaft in ihrem Weißbuch „Europäisches Regieren“ aus dem Jahre 2001 unter den fünf Leitprinzipien „guten Regierens“ an erster Stelle den Grundsatz der Offenheit benannt, um das Vertrauen der Bürger in die europäischen Institutionen zu stärken. Als „transzendentale Formel des öffentlichen Rechts“ hatte bereits Immanuel Kant vor über 200 Jahren postuliert: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich mit der Publizität verträgt, sind unrecht.“

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Die bereits aus demokratisch-rechtsstaatlichen Gründen gebotene Transparenz, die klassisch in Elementen wie öffentlichen Parlamentsdebatten, Publizität der Normen, öffentlichen Gerichtsverhandlungen und Klarheit der Verantwortungszurechnung zum Ausdruck kommt, weiter zu erhöhen, ist auch in den staatlichen Institutionen geboten. Im Schatten von Intransparenz kann bekanntlich Korruption gedeihen, die das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen besonders nachhaltig untergräbt. Von einem amerikanischen Sozialwissenschaftler (Joseph J. Senturia) wurde Korruption für den öffentlichen Sektor bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bündig als Missbrauch öffentlicher Befugnisse zum privaten Vorteil („misuse of public power for private profit“) definiert. Dass Korruption auch in Deutschland mit seiner rechtsstaatlichen Tradition und einem nach rationalen Prinzipien organisierten öffentlichen Dienst ein ernstes Thema werden könnte, hätten vor 20 Jahren wohl nur wenige prognostiziert. Eine neue Wahrnehmung setzte mit den im Jahre 1987 bekannt gewordenen Fällen von Vorteilsannahme, Bestechlichkeit und Untreue in der Frankfurter Straßenbauverwaltung ein, die durch systematische staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ans Licht gebracht wurden. Seitdem hat das Thema in wachsendem Maße Aufmerksamkeit gefunden und seit den 90er Jahren wurden auf Bundes- und Landesebene zahlreiche Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung ergriffen. Was die strafrechtliche und disziplinarrechtliche Seite anbetrifft, so sei nur an das Bundesgesetz zur Bekämpfung der Korruption aus dem Jahre 1997 erinnert und, was allgemeine Verhaltensregeln für die Mitglieder des öffentlichen Dienstes anbelangt, etwa an die zahlreichen Verwaltungsvorschriften in den Ländern, die häufig den aus den angelsächsischen Staaten bekannten ethics codes (Verhaltenscodizes) entsprechen. In Rheinland-Pfalz kann dies anhand der Verwaltungsvorschrift der Landesregierung über die Bekämpfung der Korruption in der öffentlichen Verwaltung aus dem Jahre 1996 gezeigt werden, die im Jahre 2000 überarbeitet wurde und im Jahre 2003 durch ein Merkblatt des Ministeriums der Finanzen für die Beschäftigten der Landesverwaltung ergänzt wurde. Hierauf wird Herr Staatssekretär Professor Deubel in seinem Eröffnungsvortrag gewiss zu sprechen kommen. Die Maßnahmen und Debatten in Deutschland sind eingebettet in eine internationale Entwicklung, in der sich sowohl die nationalen Parlamente und Regierungen als auch immer mehr internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie namentlich Transparency International des Themas der Korruptionsbekämpfung annehmen. Programme und völkerrechtliche Verträge wurden nicht nur im Rahmen der OECD und des Europarates initiiert, sondern auch auf globaler Ebene unter dem Dach der Vereinten Nationen. Die Antikorruptions-Konvention der Vereinten Nationen wurde am 31. Oktober 2003 von der Generalversammlung angenommen

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und mittlerweile von 133 Staaten unterzeichnet und 34 Staaten ratifiziert, so dass sie am 14. Dezember dieses Jahres in Kraft treten wird. Die von Deutschland unterzeichnete, bisher aber noch nicht ratifizierte Konvention betont den Charakter der Korruption als einem transnationalen Phänomen und sieht Verpflichtungen sowohl hinsichtlich Maßnahmen der Korruptionsprävention als auch solcher repressiver Natur vor. Im Übrigen beruht das Regime der Konvention auf internationaler Zusammenarbeit und dem vor allem von den Entwicklungsländern favorisierten Prinzip der Rückgewährung der durch Korruption erlangten Vermögenswerte. Die Auswirkungen der UN-Konvention auf Deutschland wird am morgigen Tag eines der zu erörternden Themen sein. Die Themen der diesjährigen Demokratietagung zeigen, dass die Erscheinungsformen der Korruption und der Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen erheblich vielfältiger sind, als hier auch nur angedeutet werden konnte. Auch zeigen die Themen im Vergleich zu denen der Demokratietagung von 2002, die ebenfalls dem Thema Korruption gewidmet war, dass vieles im Fluss ist und unter sehr unterschiedlichen Perspektiven diskutiert werden kann. So liegen gewiss zwei spannende Tage vor Ihnen, in denen sich unsere Hochschule einmal mehr als intraföderale Begegnungsstätte und Ort eines Austausches zwischen Wissenschaft und Praxis bewähren soll. Ich wünsche Ihnen produktive Diskussionen hier im Saal und anregende Gespräche auch am Rande der Tagung.

Korruptionsbekämpfung am Beispiel des Landes Rheinland-Pfalz Von Ingolf Deubel I. Korruption greift um sich, die Position von Rheinland-Pfalz Wenn man die Presse der letzten Monate aufmerksam gelesen hat, glaubt man Deutschland der Bananenrepublik ein Stück näher. Kaum eine Woche vergeht, in der uns der Blätterwald vor neuen Schreckensmeldungen zu diesem Grundübel unseres Wirtschaftssystems verschont. Wenig tröstlich ist die Erkenntnis, dass die spektakulärsten Fälle nicht Korruption im engeren Sinn betreffen, also die Unrechtsbeziehung zwischen einem Amtsträger und einem Verwaltungsexternen. Vielmehr greift die Krake der Korruption mehr und mehr innerhalb der Wirtschaft um sich und erfasst etwa neben der Automobilindustrie zunehmend das Dienstleistungsgewerbe, den Sport, den Journalismus. Solche Bereiche also, die man vorher kaum mit Bestechung und Bestechlichkeit in Verbindung gebracht hätte. Eine neue Dimension hat die Korruption dabei im Personalwesen entfaltet, das bei der VW-Affäre ganz offensichtlich eine ungeahnte Quelle des Skandals geworden ist. Dieser weitergehende Begriff der Korruption – außerhalb des staatlichen Bereichs, der auf der Ebene der öffentlichen Wahrnehmung eine bedeutsame Rolle spielt, wird es fördern, dass das Bild Deutschlands in der Weltöffentlichkeit Schaden nimmt. Auf dem international wichtigen Index von Transparency International rangiert Deutschland aktuell auf Rang 16 mit 8,2 „Integritätspunkten“, weit hinter den skandinavischen Ländern, aber auch hinter Singapur (Rang 5) und Hongkong (Rang 15). Die Position Deutschlands stagniert nach Rang 15 in 2004 und Rang 16 in 2003. Ich fürchte, dass wir aufgrund der jüngsten Entwicklungen im nächsten Jahr weiter absacken, hoffentlich nicht wieder auf Rang 20 wie 2001. Als Vertreter der rheinland-pfälzischen Landesregierung verfolge ich die Entwicklung in unserem Bundesland natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit. Ministerpräsident Kurt Beck hat mich mit der Leitung einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe gegen Korruption in der Verwaltung beauf-

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tragt und dem Finanzministerium damit eine gewisse Federführung für Korruptionsbekämpfung übertragen. Zunächst einige Fakten. Ein Blick auf die Strafverfolgungsstatistik unseres Bundeslandes zeigt folgendes Bild: 2004 wurden 7 Personen in Rheinland-Pfalz wegen Korruptionsdelikten verurteilt, davon drei zu einer Freiheitsstrafe. 2003 waren es drei Verurteilungen, 2002 zwölf. Seit 1990 – innerhalb von 15 Jahren – verzeichneten wir insgesamt 191 wegen dieser Delikte verurteilte Personen. Zugegebenermaßen liegt Rheinland-Pfalz mit diesen Zahlen nicht im Zentrum der Korruption, und darin bin ich mir mit Justizminister Mertin einig. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir nicht die zentrale Heimat wirtschaftlicher Ballungsräume sind. Es gibt aber nichts zu beschönigen. Erstens liegen die Zahlen der Strafverfolgungsstatistik deutlich hinter denen der polizeilichen Kriminalstatistik zurück. Dort werden ja die Fälle abgebildet, die überhaupt zur Anzeige und polizeilichen Nachforschung kamen. Eine Vielzahl dieser Fälle endet bekanntlich mit einer Einstellung des Verfahrens. Ich komme auf die damit verbundene Belastungssituation für die letztlich Losgesprochenen noch zu sprechen. Zudem weiß ich um das große Dunkelfeld, das diesen Taten immanent ist. Denn wie kaum bei einer anderen Straftat mangelt es hier an einem personifizierbaren Opfer. Beide Beteiligte – und zur Korruption gehören mindestens zwei – sind der Täterseite zuzurechnen. Es gibt also so gut wie keinen Grund, dass eine Seite sich für eine Anzeige entschließt. Korruption ist deswegen so gefährlich, weil sie nicht nur zu erheblichen monetären Schäden führt, sondern auch die Integrität staatlichen Handelns und die Verlässlichkeit des Staates ernsthaft beschädigt. Wir nehmen diese Taten sehr ernst, und die Strafverfolgungsbehörden bekämpfen sie mit aller Entschlossenheit. II. Erklärungsversuche Wo kann Korruption auftreten? Wo kann sie insbesondere in der öffentlichen Verwaltung auftreten? Das Potenzial für Korruption liegt in monetären oder geldwerten Beziehungen zwischen Amtsträgern auf der einen Seite und der Wirtschaft oder Bürgern auf der anderen Seite. Diese Beziehungen sind in der Regel mit Geldströmen verbunden, sei es dass der Staat Leistungen und Waren einkauft, sei es dass er Transferzahlungen leistet. Anders als bei Korruption in der Wirtschaft kommen aber auch staatliche Hoheitsakte als gefährdete Leistungsbereiche hinzu wie Genehmigungen, Konzessionen oder Anerkennungen, die für die Empfänger von wirtschaftlicher Bedeutung sind.

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Bei den staatlichen Leistungen mit finanzieller Tragweite rücken vor allem Bauleistungen in den Vordergrund, die der Staat bei der Baubranche einkauft. Der neuralgische Punkt ist dabei die Vergabe. Ich bin weit davon entfernt, eine ganze Branche oder ganze Verwaltungszweige zu verteufeln. Es soll lediglich zum Ausdruck kommen, dass es aufgrund der Größenordnung der bewegten Gelder und der Rahmenbedingungen des Wettbewerbs Bereiche gibt, bei denen die latente Anfälligkeit höher ist und wo wir besonders wachsam sein müssen. Außerdem hat die sehr angespannte Lage der Bauwirtschaft in den letzten Jahren zu Verhaltensweisen geführt, bei denen die Gefahr von Korruption besonders groß ist. Ich komme an dieser Stelle auf einen aktuellen Fall zu sprechen, in dessen Zentrum Ramstein steht, nur 70 Kilometer von hier entfernt. Vorab sei bemerkt, dass dabei heftigste Korruptionsvorwürfe erhoben werden, dass aber bislang mit keinem Deut etwas Handfestes nachgewiesen werden konnte. Die Struktur dieses Vorhabens ist aber so, dass die Korruptionsgefahr besonders groß ist. Seit dem Zweiten Weltkrieg hielten die Amerikaner, die US Air Forces in Europe, kurz USAFE, einen Teil des Frankfurter Flughafens in ihrer Hand, die so genannte Rhein-Main-Air-Base. Es war ein lang gehegtes Ziel Hessens und der Fraport – damals noch FAG –, diesen Teil räumen zu lassen und in den zivilen Teil des Flughafens zu integrieren. 1999 endlich die Einigung: Bund, Amerikaner, Fraport und die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz vereinbarten die Verlegung nach Rheinland-Pfalz und zwar größtenteils nach Ramstein. In Ramstein unterhalten die Amerikaner das größte Luftdrehkreuz außerhalb der Vereinigten Staaten, auf dem nunmehr der komplette Passagier- und Frachtverkehr für Europa und den nahen und mittleren Osten abgewickelt werden soll. Vor 17 Tagen wurde der Frankfurter Luftbetrieb eingestellt, wobei die Baumaßnahmen in Ramstein noch nicht komplett abgeschlossen sind. Es handelte sich über Jahre um eine der größten Baustellen Europas, in die neunstellige Beträge investiert wurden und werden. Das Baumanagement für die 14 einzelnen Teilprojekte bis hin zu einer zweiten Start- und Landebahn liegt in der Hand unserer staatlichen Bauverwaltung, einem Landesbetrieb, der meinem Haus untersteht. Finanziert wird das Ganze durch eine Gemeinschaft von fünf Partnern: der Fraport, der NATO, dem Bund, Hessen und Rheinland-Pfalz. Ihre Anteile bemessen sich nach dem Anteil des Interesses an dem Projekt. Die Amerikaner selbst tragen als Gaststreitkraft nur marginal mit Dollarmitteln zur Finanzierung bei; der militärische Finanzbeitrag der NATO ist etwas anderes. Die US-Streitkräfte als militärische Nutzer Ramsteins sind indessen der Empfänger der Leistungen. Sie formulieren die baulichen Anforderungen

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maßgeblich mit und nehmen die fertigen Bauten als vertragsgemäß ab. Sie reden also ein wichtiges Wort mit, obwohl sie für die meisten Vorhaben keinen finanziellen Beitrag leisten. Offizieller Auftraggeber gegenüber unserem Landesbetrieb ist dagegen der Bund, nämlich das Bundesfinanzministerium; bestimmte Funktionen für den Bund übernimmt die BImA, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Andere das Bundesministerium der Verteidigung. Gegenüber dem Landesbetrieb tritt der Kunde mithin wie eine vielköpfige Hydra auf. Dabei kann man wenigstens nach drei Gruppen sortieren: nach dem Auftraggeber Bund, dem Leistungsadressaten Amerikaner und nach dem Zahlungspflichtigen, den Finanzierungspartnern. Es bedarf keiner großen Phantasie sich vorzustellen, dass dieser dreigeteilte Kunde des Landesbetriebes nicht immer mit einer Zunge spricht. Der Auftraggeber Bund übt einen enormen Druck aus, um das Projekt zeitgerecht zum Abschluss zu bringen. Der Leistungsadressat, die Amerikaner üben einen nicht geringeren Druck aus, um ihre baulichen Wünsche und Ausstattungsmerkmale verwirklichen zu lassen. Denn das ursprünglich vereinbarte Pflichtenheft ist keineswegs so eindeutig, dass jedes einzelne Leistungsmerkmal daraus abgelesen werden kann. Schon gar nicht im Detaillierungsgrad eines Leistungsverzeichnisses. Die Gaststreitkräfte streben möglichst einen höheren Komfort als in Frankfurt an. Es wundert nicht, dass über den ursprünglichen Hauptvertrag mit den Bauunternehmen hinaus Nachtrag für Nachtrag hinzukommen musste. Bei einem Teilprojekt sogar über 100 Nachträge! Der Zahlungspflichtige „Finanzierungspartner“ leistet solchen Nachtragsforderungen Widerstand und übt auf den Landesbetrieb damit Druck aus einer weiteren Windrichtung aus. Auf der anderen Seite stehen dem Landesbetrieb die Auftragnehmer gegenüber: Baufirmen und Ingenieurbüros. Wenn man weiß, wie die wirtschaftliche Lage der Baubranche ist, wenn man weiß, dass viele Baufirmen ums Überleben ringen, kann man sich lebhaft vorstellen, dass mit allen Mitteln gekämpft wird, um an Aufträge zu kommen. Nachträge sind dabei ein willkommenes Mittel, um einen Ausgleich für nicht kostendeckende Preise zu schaffen, die zum Zuschlag auf das Hauptangebot geführt haben. In diesem Gezerre zwischen Terminnot, Leistungsdruck und finanziellem Engpass sind die Verantwortlichen unseres Landesbetriebes einer unglaublichen Belastungsprobe ausgesetzt, die bei einem staatlichen Bauprojekt dieser Ausprägung vollkommen ungewöhnlich ist. Dass dabei auch Fehler gemacht werden, darf nicht verwundern. Unter höchstem Zeitdruck bleiben da auch mal Positionen in Nachtragsangeboten unentdeckt, die bereits in den Hauptverträgen vereinbart waren, oder es werden überhöhte Preise akzeptiert.

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Solche Fehler wurden bei intensiven Prüfungen auch tatsächlich festgestellt. Manipulationen waren zunächst nicht auszuschließen. Die Prüfungen wurden veranlasst, weil es Anzeichen für Unregelmäßigkeiten bis hin zu anonymen Korruptionsvorwürfen gab. Auch die jüngsten detaillierten Hinweise auf angeblich gewährte Vorteile, ja auf Bestechung, auch die breiten Untersuchungen der Staatsanwaltschaft erbrachten allerdings bislang keinen Beweis, dass tatsächlich Korruption im Spiel war. Wir waren indessen gezwungen, personelle Konsequenzen zu ziehen, was den Fortschritt des Gesamtprojektes weiter verschärft. Ich möchte mit diesen Ausführungen zwei Dinge deutlich machen: Der dreigeteilte Kunde, das Auseinanderfallen von Auftraggeber, Nutzer und Zahlungspflichtigem ist ein strukturelles Problem, das korruptionsanfällige Situationen fördert. Je größer der Auftragskuchen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass unterlegene Wettbewerber zu Neidern werden und vor einer Diskreditierung des Verwaltungsapparats oder gar der Demontage von Personen in diesem Apparat nicht zurückschrecken. Wir werden weiterhin wachsam sein und die Szenerie genauestens beobachten. III. Instrumente gegen Korruption Welche Instrumente stehen uns im Kampf gegen Korruption zur Verfügung? Wir verfügen in der rheinland-pfälzischen Verwaltung selbstverständlich über ein umfassendes Anti-Korruptionsprogramm mit einer Vielzahl von Bausteinen. Ich möchte nur vier nennen, die mir besonders am Herzen liegen: die Dokumentationspflicht, das Vier-Augen-Prinzip, die sogenannte Schwarze Liste und den Vertrauensanwalt. Der erste wichtige Baustein ist die Dokumentation. Nicht erst aus dem Ramsteiner Fall vermag ich die Bedeutung einer vollständigen und korrekten Dokumentation von Entscheidungen einzuschätzen, vor allem kritischer Entscheidungen. Offenheit zahlt sich aus – Verschleierung rächt sich. Ich erwarte von jedem Bearbeiter, der Entscheidungen mit finanzieller Tragweite trifft, dass er die tragenden Gründe zu Papier bringt, und zwar vor einem Vertragsabschluss, und das sollte er auch im eigenen Interesse tun. Im Spannungsfeld zwischen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, der Termintreue und dem fachlichen Regelwerk ist es nicht leicht, allen übergeordneten Anforderungen Rechnung zu tragen. Wer je an der Front gearbeitet hat, kennt die Zwangslage. Muss man im Interesse der Aufgabe nicht auch mal eine Regel zurückstellen? Sowohl die Justiz als auch der Dienstherr – und ich nehme mich als Dienstvorgesetzten dabei nicht aus – werden es honorieren, wenn der Entscheider die Beweggründe für seine Entscheidung ordentlich zu Papier ge-

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bracht hat. Ich weiß, dass diese Verantwortungsträger die Entscheidung im kritischen Moment auch kaum nach oben delegieren können und im Sinne zügiger Entscheidungen auch nicht sollen. Sollte die Entscheidung im Einzelfall – aus der Retrospektive betrachtet – auch als falsch eingeschätzt werden, rate ich Jedem dringend in einer solch kritischen Situation, die entscheidenden Motive, die terminliche, die finanzielle und die leistungsbezogene Zwangslage nachvollziehbar zu dokumentieren. Zweitens ist mir das Vier-Augen-Prinzip wichtig, mehr als nur eine abgedroschene Plattitüde. Es geht mir weniger um das formale Abhaken einer Entscheidung, die der eine Kollege vorbereitet und der andere – zum Beispiel der Haushaltsbeauftragte – gegenzeichnet. Es gibt kritische Entscheidungssituationen, in denen vielleicht gegen eine an sich richtige Regel verstoßen werden muss, um ein als höherrangig eingestuftes Ziel einzuhalten. Dann will ich sehen, dass ein zweiter Verantwortlicher in voller Kenntnis der Gründe die Entscheidung mitträgt! Sie mag für die Instanzen, die im Nachhinein prüfen wie Rechnungshof oder Justiz, immer noch falsch sein. Eines soll die Mitverantwortung indessen bezwecken: Transparent dokumentierte und von einer weiteren Person mitgetragene Verstöße gegen das Regelwerk sind zumindest nicht als grob fahrlässige Pflichtverletzungen zu werten. Der Vertrauensanwalt ist das dritte wichtige Element, mit dem wir als staatliche Verwaltung bundesweit Neuland betreten haben. Das Thema „Schutz von Whistleblowern“ steht ja morgen auf der Tagesordnung für die Podiumsdiskussion und ich denke, wir haben dafür eine recht probate Methode. Mit unserem System können sich Whistleblower diskret an einen vom Land bestellten Rechtsanwalt wenden und unter dem Schutz ihrer Identität bei der Aufdeckung von Korruption mitwirken. Informanten, die Hinweise auf Korruption geben wollen, können dies entweder unter Preisgabe ihrer Identität oder anonym tun. Anonyme Hinweise haben den Nachteil, dass oft ein winziger Baustein für ein Gesamtbild fehlt und Ermittlungen deshalb erfolglos sind. Bei Offenbarung seiner Identität setzt sich ein Informant aus der Verwaltung der Gefahr persönliche Nachteile aus; ein Informant von Auftragnehmerseite mag Nachteile für weitere Aufträge befürchten. Selbst die vertrauliche Anzeige bei der Staatsanwaltschaft schützt dann nicht mehr, wenn der Beschuldigte zum Gegenschlag ausholt und seinerseits Strafanzeige wegen übler Nachrede oder Verleumdung erstattet. Dann rückt die Person des Informanten in die Publizität. Dagegen unterliegt ein beauftragter Rechtsanwalt dem Schutz des Berufsgeheimnisses, das auch gegenüber dem Staatsanwalt gilt. Die Anonymität des Informanten bleibt im gesamten Verfahren gewahrt, sofern er sich nur einem Vertrauensanwalt offenbart.

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Das Finanzministerium hat vor diesem Hintergrund das System zunächst mal in zwei Pilotverwaltungen ausprobiert. Damit sollten die Personen erreicht werden, die bisher aus Furcht vor Nachteilen Hinweise auf Korruption nicht preisgegeben haben. Einen Sumpf haben wir damit zwar nicht aufgedeckt, aber in der Tat etwa 10 Hinweise auf Verfehlungen bekommen, die sonst unentdeckt geblieben wären. Dabei traten natürlich auch Missstände außerhalb von Korruptionstatbeständen zu Tage, denen die jeweiligen Aufsichtsbehörden mit den gebotenen Mitteln nachgingen. Nach Auswertung der gewonnenen Erfahrungen haben wir 2003 die Ausweitung des Vertrauensanwaltsmodells auf die gesamte Landesverwaltung beschlossen. Im Jahr 2003 haben wir sieben relevante Fälle gezählt, davon ist ein Fall auf den Hinweis eines Verwaltungsangehörigen zurückzuführen, sechs auf Hinweise von Externen. 2004 waren es acht Fälle, je zur Hälfte durch interne und durch externe Hinweise zur Untersuchung gekommen. Das System „Vertrauensanwalt“ wird also in bescheidenem Umfang in Anspruch genommen. Wir wollen daran festhalten, vor allem weil wir damit einen weiteren Beitrag zur Verunsicherung aller potenziell Korrupten leisten. Beim vierten Baustein, der so genannten Schwarzen Liste handelt es sich im Amtsdeutsch um ein „Verzeichnis unzuverlässiger Bewerber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge“. Korrumpierende Unternehmen können damit konsequent von der Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Wir führen diese Liste zentral für die Auftragsstellen des Landes im Finanzministerium bei der sogenannten Melde- und Informationsstelle. Nach den Verdingungsordnungen können unzuverlässige Bewerber bekanntlich von der Teilnahme am Wettbewerb um öffentliche Aufträge ausgeschlossen werden. Als Unzuverlässigkeit ist stets eine schwere Verfehlung durch Korruptionstatbestände anzusehen. Auffällig gewordene Unternehmen werden mit Hilfe dieses Verzeichnisses für drei Jahre koordiniert von der Vergabe öffentlicher Aufträge des Landes und der freiwillig angeschlossenen Kommunen gesperrt. Die Auftragsstellen des Landes fragen vor der Vergabe relevanter Aufträge bei der Melde- und Informationsstelle nach, ob das als Auftragnehmer vorgesehene Unternehmen „indiziert“ oder „sauber“ ist. Die Auftragsstelle trifft aufgrund dieser Information eigenständig die Entscheidung über Ausschluss oder Vergabe. Diese Vergabesperre ist eigentlich nichts Neues, weil die Verdingungsordnungen das schon immer vorsahen. Das besondere ist daran, dass ein Unternehmen, das den Staat auf der einen Seite bescheißt, nicht von einem anderen Verwaltungszweig des Staates mit einem Auftrag belohnt werden kann. Der Höchstwert an Einträgen lag im Jahr 2000 bei 40. Zur Zeit ist nur noch eine einstellige Zahl von Unternehmen indiziert. Sollte nun die Frage

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gestellt werden, ob eine Liste mit so wenig Einträgen überhaupt eine spürbare Wirkung entfaltet, kann ich mit einem deutlichen Ja antworten. Die Effizienz des Verzeichnisses zeigt sich dabei nicht im Kampf gegen die wenigen Firmen, die wirklich auf dem Index stehen. Sie dürften es eh für einige Zeit verspielt haben, mit dem Staat Geschäfte zu machen. Nein, die viel wichtigere Wirkung zeigt sich in dem Abschreckungseffekt, in einem präventiven Merkmal. Es ist erstaunlich, wie Unternehmen reagieren, wenn ihnen Sanktionen ins Haus stehen. Im Gespräch mit Vertretern der wirtschaftlichen Interessenverbände spürt man ganz deutlich: Die Unternehmen haben eine Mordsangst, auf den Index gesetzt zu werden. Die Schwarze Liste ist nach meiner Einschätzung ein außerordentlich wirksames Instrument, um Korruption zu begegnen. Um so bedauerlicher ist es, dass es bisher nicht gelungen ist, ein bundesweites Korruptionsregister zu schaffen. Rheinland-Pfalz wartet wie andere Bundesländer, die über ein solches Instrument verfügen, dringend auf ein zentrales Register des Bundes. Diese Forderung war bereits mehrfach Gegenstand der Koalitionsvereinbarung, war von der Bundesregierung geplant und ist im Gesetzgebungsverfahren immer wieder gescheitert. Nicht etwa, weil die politischen Kräfte es nicht wollten, sondern alleine aus machtpolitischem Gezerre. Mit einer zentralen Einrichtung könnte endlich die weniger wirksame regionale Listenführung aufgegeben und der Datenbestand für alle öffentlichen Auftraggeber bereit gehalten werden. Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass es mit der sich jetzt anbahnenden Großen Koalition gelingen wird, diese überaus wichtige Forderung zu realisieren. IV. Konsequenzen für Betroffene – Schuldige wie Unschuldige Bei aller Notwendigkeit, Korruption entschlossen zu bekämpfen, bei allem Eifer der Strafverfolgungsbehörden dürfen wir eines nicht aus den Augen verlieren: Die extrem schwierige Phase der Vorverurteilung der Korruptionsverdächtigen, ihre Ächtung im Beruf und in der Gesellschaft, die oft mehrjährige Unsicherheit über das endgültige Schicksal – dies alles kann Menschen in die Verzweiflung, in die Psychiatrie oder in den Suizid treiben. Da spielen sich persönliche Dramen ab. Können Sie sich die außerordentliche Belastungssituation vorstellen, denen die Betroffenen über die Jahre ausgesetzt sind, vom Beginn der Ermittlungen bis zur Anklage oder bis zum Strafurteil? Muss man sich dann nicht die Frage stellen, ob der Rechtsstaat die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt hat, wenn schließlich das Verfahren eingestellt wird? Lassen Sie mich von einem weiteren Fall aus unserer Landesverwaltung berichten. Ausgelöst durch eine Rechnungshofprüfung bei einem Dienstleis-

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ter der mittelbaren Landesverwaltung gab es vor einigen Jahren staatsanwaltliche Ermittlungen gegen mehrere Beschuldigte wegen des Verdachts auf Korruption, Untreue und weiterer Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft hat ein breites Register von Ermittlungsmethoden gezogen, das bis zum Einsatz verdeckter Ermittler reichte. Man führe sich vor Augen, was eine konspirative Beobachtung des Wohnhauses, die Ausforschung des persönlichen Umfelds, der persönlichen Gebrauchsgegenstände – wie des Autos – für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet haben muss, zumal diese Methoden nicht immer unbemerkt bleiben. Was bedeutet es schließlich, wenn eine überraschende Hausdurchsuchung durch die Polizei in Anwesenheit der eigenen Kinder vorgenommen wird? Was bedeutet es, wenn minutiös jede Kontobewegung beobachtet und ausgewertet wird? Die Belastungsproben gingen nicht immer zu Gunsten der betroffenen Familien aus. In einem fünfjährigen Anspannungszustand sind Ehen gescheitert, der Keim für noch heute anhaltende Depressionen gelegt worden, sind Menschen in die Psychiatrie gegangen. In diesem Fall standen schließlich zwei Behördenmitarbeiter vor Gericht. Endlos lange wurden Gutachten zu einer hochkomplexen technischen, organisatorischen, vergaberechtlichen und betriebswirtschaftlichen Materie erstellt, zwischen den Parteien ausgetauscht, bestritten und bekräftigt. Der Gutachter hatte seinen Sitz in Berlin und war nie vor Ort, um sich mit den Arbeitsumständen vertraut zu machen. Nachdem ein Vermögensschaden nicht nachzuweisen war, hatte sich das Gericht schließlich dazu durchgerungen, eine Einstellung des Verfahrens zu empfehlen. Die Staatsanwaltschaft ließ sich auf diesen Vorschlag nur gegen eine Geldauflage ein. Hatte sie nicht jahrelang ermittelt und gekämpft, um die Delinquenten ihrer gerechten Strafe zuzuführen? Sollte mit einer bedingungslosen Einstellung nunmehr das Eingeständnis der Unschuld gemacht werden? Zermürbt und aufgezehrt vom jahrelangen Kampf ließen sich schließlich auch die Beschuldigten auf den Deal ein und akzeptierten die vierstellige Geldauflage. Beide Beschuldigte waren rechtschutzversichert. Die Versicherung erstattete in diesem Fall nicht nur die Verfahrenskosten, sondern auch die Geldauflage. Ein Indiz dafür, wie die Rechtschutzversicherung den Fall einschätzte. Juristisch waren die beiden nun mit einem blauen Auge davon gekommen; familiär und persönlich waren sie ruiniert. Der Verwaltungsapparat der Dienstleistungseinrichtung war in dieser Zeit völlig gelähmt und verfiel zusehends in eine Art Angststarre. Wer hätte es wagen wollen, eine irgendwie riskante Entscheidung zu treffen oder gar nur Auskünfte zu erteilen? Die Mannschaft hatte keinen Mumm mehr. Die wirtschaftliche Situation unserer Landeseinrichtung verschlechterte sich dramatisch. Erst mit einem Befreiungsschlag, der Änderung der Organisationsund Rechtsform und mit einer neuen Leitung, konnten wir sie wieder zum

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Leben erwecken und frischen Wind hinein blasen. In der Zwischenzeit erwirtschaftet dieses Unternehmen, das wir jetzt als Landesbetrieb führen, wieder Gewinne. Man fragt sich, wie unbescholtene, hoch motivierte Mitarbeiter in einen solchen Strudel geraten konnten. Waren es nicht die absoluten Leistungsträger, die unter enormem Zeitdruck Aufträge erteilen mussten? Die wichtigen Entscheider, die die Verhandlungen mit den Bietern führten und mit allen Mitteln versuchten, wirtschaftlich gute Ergebnisse zu erzielen? Die dann auch mal alle Fünfe grade sein ließen und Entscheidungen im Sinne der Wirtschaftlichkeit trafen, wobei dann formal gegen andere Gebote verstoßen wurde? Die Leistungsträger, die unter ungeheuren Zeit- und Kostendruck gesetzt werden und unter ständiger Beobachtung von Firmen und Konkurrenten stehen? Wie müssen diese Menschen es empfinden, wenn ihn nach Abschluss solch kritischer Lebensphasen keine Rehabilitation zuteil wird? Dass die Fälle nicht selten sind, in denen Beschuldigte eine langwierige, eine äußerst kritische Phase der Ungewissheit und der sozialen Spannungen durchstehen müssen, zeigt nicht nur der erhebliche Abstand zwischen den Zahlen der Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik, sondern auch folgendes Bild. Wir mussten kürzlich zur Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage umfangreiche Erhebungen bei den Ressorts der Landesverwaltung machen. Es ging um die Frage, welche Verwaltungszweige in einem jüngeren Zeitraum von drei Jahren mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert waren und wie diese strafrechtlich und disziplinarisch gewürdigt wurden. Die Erhebung brachte folgendes Bild: Es gab – gemessen an Beschuldigten – 24 berichtspflichtige Fälle. Davon entpuppten sich sieben als korruptionsfremde Delikte wie Untreue und Betrug, die zweifellos ebenso schädlich und inakzeptabel sind wie Korruption, aber nichts mit dem heutigen Thema zu tun haben. Von den übrigen 17 Fällen laufen bei fünf noch die Ermittlungen. Bei den abgeschlossenen zwölf Fällen hat die Staatsanwaltschaft in drei Fällen keinen Anfangsverdacht festgestellt. Die anderen neun Fälle wurden eingestellt, zum Teil gegen Geldauflage. Ein Urteil erging in keinem einzigen Fall. Die neun eingestellten Fälle wurden alle auch disziplinarisch beurteilt. In einem Fall wurde eine Geldbuße verhängt, in drei Fällen eine Missbilligung ausgesprochen, in fünf Fällen ergingen keine disziplinarischen Konsequenzen. Viel Lärm um nichts? Was tun, wenn sich Anschuldigungen oder anonyme Anzeigen als Rohrkrepierer erweisen? Wie gehen wir damit um, wenn Beschuldigte diese schwere Phase der Anspannung und sogar des Überlebenskampfes mitmachen? Wie reagieren wir auf eine einsetzende Lähmung des Verwaltungsapparats?

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Als Dienstvorgesetzte, als Personalchefs, als Behördenleiter sind wir in der Pflicht. Es gilt zunächst die Unschuldsvermutung und wir müssen den Betroffenen volles Vertrauen schenken, solange ihre Schuld nicht zugegeben oder bewiesen ist. Wir müssen im Sinne aller integren Mitarbeiter den betroffenen Verwaltungszweigen das Gefühl vermitteln, dass wir nach wie vor hinter ihnen stehen. Wir dürfen sie nicht allein lassen, weil sie sich sonst mehr mit sich selbst als mit ihrer Arbeit beschäftigen. Wir müssen aber auch mit aller Deutlichkeit klarstellen, dass wir unredliche Machenschaften unter keinen Umständen dulden und mit aller Konsequenz gegen sie antreten. Wer unser Vertrauen missbraucht, kann sich unseres Rückhalts nicht versichern. Nach all diesen Erfahrungen bin ich von einem überzeugt: Der erfolgreichste und beste Kampf gegen Korruption findet nicht auf dem Gebiet der Repression, sondern auf dem der Prävention statt. Die beste Korruption ist die, die wir verhindert haben.

Sind Parteien korrupte Organisationen? Fritz Goergen Mein Thema lautet: „Sind Parteien korrupte Organisationen?“ Meine Antwort ist nicht nur als Provokation gemeint: Das ist ihr Wesen. Bernardo Provenzano vom Clan der Corleonesi gilt heute als alleiniger „Pate“ der „Cosa Nostra“. Ein Foto der Polizei von Corleone aus dem Jahr 1958 ist das einzige Bild des 1933 geborenen. Es dokumentiert seinen Start als Käsedieb. Mit diesem Foto konnte ihn trotz modernster Computersimulation niemand identifizieren. Seit 42 Jahren lebt er im Untergrund: also unerkannt. Generalstaatsanwalt Piero Grasso beobachtet seit langem, „wie sich praktisch unter unseren Augen ein Wandel der Cosa Nostra zu einer Cosa Nuova vollzieht, der es dabei vor allem darum geht, sich die Institutionen gefügig zu machen.“ Don Bernardo hat der Mafia eine neue Strategie gegeben. Ihr Ziel: die Kontrolle über den Einsatz öffentlicher Gelder. Hauptinstrument: die Besetzung von Positionen in Banken und Investmentgesellschaften, in der Verwaltung von Krankenhäusern und Kommunen, in Justiz und Polizei – sowie von politischen Ämtern jeder Art. Was das mit unseren politischen Parteien zu tun hat? Sie haben die Kontrolle über den Einsatz öffentlicher Mittel. Nun, werden Sie sagen, das gehört zu den legalen und legitimen Aufgaben von Politik. Gegen diesen Einwand setze ich eine These, auf die ich am Schluss zurückkomme: Je mehr öffentliche Mittel, desto mehr Korruption. In diesen Tagen und Wochen der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD sticht besonders ins Auge: Politik als Basar des Stimmenkaufs. Da geht es nicht um die Sache der Allgemeinheit, sondern um Cosa Nostra, unsere Sache. Ich springe in der Zeitachse zurück. Meine erste Begegnung mit dem Thema öffentliche Gelder machte ich 1967 beim Verband Deutscher Studentenschaften (VDS). Und lernte schnell, dass es sich so bei allen Jugendorganisationen verhielt. Die Teilnehmer von Seminaren füllten mehrere Teilnehmerlisten aus. Eine für die tatsächliche Veranstaltung – und mehrere für fiktive. Der Unwissende wurde ohne Umschweife aufgeklärt. So „erwirtschafte“ man die fehlenden Eigenmittel. Denn der Zuschussgeber leiste, wie sein Name ja schon ausdrücke, nur Zuschüsse. Zuschüsse wozu? Na,

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zu Eigenmitteln. Da der Zuschuss-Geber aber wisse, dass die ZuschussEmpfänger über keine nennenswerten Eigenmittel verfügten, drücke er beide Augen zu. Denn nur aus Eigenmitteln dürfen laufende Kosten getragen werden: also die Personal- und Infrastrukturaufgaben. Die Zuschüsse sind Projektmittel und wie jedes Projekt zeitlich befristet. Übrigens: Die politischen Stiftungen und Vertriebenen-Verbände haben es einfacher. Sie erhalten vom Bundesminister des Innern „Globalzuschüsse“ – als Eigenmittel. Was sich für manche vielleicht nur wie Verwaltungschinesisch anhört, erweist sich in der Wirklichkeit von unzähligen Organisationen weit hinaus über den Bereich der Politik als stilbildend für das Verhältnis von Bürger und Staat. Ich sollte besser sagen: als miss-stilbildend. Eine unausgesprochene Kumpanei sagt, wir tun so, als hielten wir uns an die Vorschriften. Wer so auf seine Reise ins öffentliche Leben geschickt wird, lernt in kleinen (und später immer größeren) Dosen: beim Einsatz von öffentlichen Mitteln ist Tricksen Trumpf. Ja, in den Organisationen wird den Obertricksern besonderer Respekt entgegen gebracht. Bis zum „Alles geht“ sind es dann nur noch graduelle Schritte. In meinem Buch über die FDP1 erzähle ich mehr über die pathologische Systemkrankheit, als die Zeit hier erlaubt. Erinnern will ich nur an zwei Ereignisse, die mir nachgehen. Weil sie im Kern folgenlos geblieben sind. Bei beiden geht es um illegale Parteienfinanzierung. Die Flick-Affäre stand noch nicht auf der Tagesordnung, als mir FDP-Bundesschatzmeister und hessischer Staatsminister für Wirtschaft, Technik und Verkehr, Heinz-Herbert Karry, den Problemkern der Parteienfinanzen erklärte: „Immer wenn es viel Geld braucht, spätestens vor Wahlkämpfen, kriegt man das nur von den wenigen, ganz Großen in der Wirtschaft. Die aber stellen eine Bedingung: Ich will nicht genannt sein. Und deshalb wird es nie eine legale Spendenregelung geben.“ Karry wurde ermordet. Von wem ist bis heute ungeklärt. Bei Beginn des Flick-Prozesses zitierten manche Kenner Shakespeare: „Dieser Mortimer starb euch sehr gelegen.“ Ich erinnere mich gut, wie Otto Graf Lambsdorff, Landesschatzmeister der FDP in Nordrhein-Westfalen (die stets dramatisch mehr Geld hatte als die Bundes-FDP), einen jungen Mitarbeiter des Bundesschatzmeisters abkanzelte, der ihm höflich und sachlich fundiert erklärte, weshalb die Methode des Geldtransfers von Industrie und Wirtschaft über die „Staatsbürgerliche Vereinigung“ an die Parteien nicht mehr lange gut gehen könne. Warum er das tat? Wer Geld für Parteien managt, verfügt über Macht, sehr viel Macht. Ginge das alles ganz offen und ohne Geheimnisse vor sich, ver1 Skandal FDP. Selbstdarsteller und Geschäftemacher zerstören eine politische Idee. BrunoMedia Buchverlag. Köln 2004. ISBN 3-9809607-8-1.

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siegte diese Machtquelle. Aus der, wie wir wissen, längst nicht alles in den Kassen der Parteien landet. Dass in meinen Ausführungen die FDP so oft vorkommt, liegt nicht daran, dass ich meiner ehemaligen Partei besonders viel Abneigung entgegenbrächte. Ich kenne eben diese Partei so in- und auswendig wie keine andere. Vieles gilt pars pro toto. Alles was direkt nach dem Flickprozess und später an der gesetzlichen Parteienfinanzierung geändert worden ist, hat an ihrem Kern nichts geändert. Beweisen kann ich das nicht. Aber der Fall Möllemann begründete – vorläufig zuletzt – einen schweren Anfangsverdacht. Die eigene Parteiführung erkannte glasklar, wie sie ihren Plagegeist aus Münster endlich zur Strecke bringen kann: Wegen der Finanzierungsart seines berühmt-berüchtigten Flugblattes, nicht wegen seines Inhaltes, das die einen anti-israelisch, die anderen antisemitisch nannten. In der Wirkung war er beides. Daraus ergeben sich zwei Fragen. Sie zu stellen bedeutet zugleich, sie zu beantworten. 1. Wie kamen FDP-Bundesschatzmeister Rexrodt und seine Leute Möllemann über Nacht auf die Finanzschliche, wenn sie diese nicht schon längst kannten? 2. Warum folgte dieser Finanzaffäre nicht einmal die sonst immer unausweichliche Forderung der anderen Parteien nach einer parlamentarischen Untersuchung – warum wurden nun nicht alle Rechenschaftsberichte in gleicher Weise geprüft? 20 Jahre nach der Flick-Affäre lautet meine These: In der illegalen Parteienfinanzierung haben sich allenfalls die Wege geändert. Das zweite Ereignis, das mir nachgeht, ist die Klage der GRÜNEN gegen die Gewährung der Globalmittel an die politischen Stiftungen vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie hatte sich direkt aus der Flick-Affäre entwickelt, weil erhebliche Summen für die Parteien nicht an sie direkt, sondern indirekt an ihre Stiftungen gegangen waren. Wie das Leben so spielt. Heute gehört Otto Schily, der seine damalige Partei als Anwalt sehr effektiv vertrat, ebenso der SPD an wie Günter Verheugen. Der damals Generalsekretär der FDP war und als Vorsitzender der Geschäftsführung der Friedrich-Naumann-Stiftung die Quittungen für die Spenden-Millionen von Flick blanko unterschrieb. Warum blanko lernte ich auch erst später. Flick entschied immer erst am Jahresende, welcher Konzernteil die Spende in seine Bilanz schrieb. Steuermanagement nennt man das. Es illustriert sehr schön: Am Ende zahlen die Steuerzahler. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage der Grünen zwar ab. Aber die Begründung enthielt eine lange Liste, was die Stiftungen zu Gunsten ihrer Parteien nicht (mehr) tun dürfen. Das hielt

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nicht lange. Die Grenzen zwischen Stiftungen und Parteien sind nach wie vor osmotisch. Und die Fraktionen? Das große Geld im Kosmos Parteien haben inzwischen sie. Ohne in die Details zu gehen: Parteinützliche Aktivitäten zu Hauf. Das gleiche gilt für Regierungen und ihre Mitglieder auf allen Ebenen. Die Öffentlichkeitskampagnen von Regierungen wirken auf die Öffentlichkeit doch nicht Parteienneutral! Damit nähere ich mich einem verminten Gelände. Meine diesbezügliche These: Die wirklichen Synergien der Parteienfinanzierung bleiben verborgen. Und erst recht, für wen persönlich wo wie viel abfällt. Der Vorläufer hatte zu Recht so geheißen. 1976 zog die SPD in den Neubau der „SPD-Baracke“ in Bonn ein. Mein täglicher Weg zur Arbeit führte an ihr vorbei. Deshalb stach mir früher ins Auge, dass Stil und Materialien dem zur gleichen Zeit vollendeten Neubau des Kanzleramtes glichen wie ein Ei dem anderen. Das Bonmot unter Bonner Journalisten lautete wenig überraschend: „Ein Schelm, der Böses dabei denkt.“ Zum Thema machte es niemand. – Meine Unterthese zur eben formulierten wird Sie deshalb nicht überraschen: Die Medien sind Teil des Schweigekartells. Einige wenige Leyendeckers können das nicht ändern. Was ihre Verdienste in keiner Weise schmälert. Vom Augenschein von Baracke und Kanzleramt in Bonn führt der Fingerzeig zu den vielen Aufträgen, die von Parteien, Politikern und von Ministerien, nachgeordneten Behörden sowie im undurchdringlichen Dschungel der gesellschaftlichen Großorganisationen vergeben werden. Wem da auf welche Weise was zu Gute kommt, würde auf Seiten der Medien nicht nur wirkliche Unabhängigkeit und viel persönlichen Mut verlangen, sondern auch kräftige Investitionen der Verlage in die Recherche-Kapazitäten. Davon kann in der real existierenden Medienwelt keine Rede sein. Im Gegenteil. Wo Massenmedien das Tempo des öffentlichen Lebens immer noch mehr anheizen, geht es nur noch um das, was Zyniker „Gestaltung des Werbeumfeldes“ nennen. Dabei gäbe es so viel zu recherchieren: Wenn Werbe- und PR-Agenturen sowie solche für Unternehmensberatung heute für die Partei X und morgen für ihre Regierung arbeiten, ist das weder illegal noch illegitim. Das würde es, wenn sich herausstellte, dass – Rechnungen für gleiche Dienstleistungen da und dort unterschiedlich hoch oder ganz ausfielen, – Rechnungen an Dritte ohne erkennbare Gegenleistungen bezahlt würden, – Leistungen für Dritte – etwa Mandats- und Funktionsträger und/oder deren Mitarbeiter – sich als auffallend günstig oder kostenfrei herausstellten.

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Jede Phantasie wird garantiert von der Wirklichkeit übertroffen. Ich könnte noch lange weiter erzählen und mir A, B, C zusammenreimen. Was übrigens auch alle könnten, die weniger Zeit als ich im Inneren unseres Politikbetriebes verbracht haben. Hier und heute will ich aber das verlassen, was ich den ersten Grad der Korruption nennen möchte. Er ist bei weitem nicht der schlimmste. Der zweite Grad läuft ganz und gar verborgen ab. „Nicht einmal ich“, sagte mir ein hochrangiger Politiker, „weiß, in welchem Wörtchen oder Nebensätzchen steckt, was für diese Branche, jenes Unternehmen, diesen Verband, jene Gewerkschaft, entscheidend ist.“ Nicht einmal die kundigsten Abgeordneten in den Fachausschüssen erkennen in 90% oder mehr der Fälle, welches Lobby-Ei ihnen die Ministerialbürokratie als Beratungsvorlage liefert. Vielen Abteilungsleitern geht es nicht anders, wissen Kundige. Jene seltene Spezies Parlamentarier, denen ein solches Stück doch gelungen ist, erzählt davon im Ruhestand – manchmal. Dann beginnt man zu ahnen, was da unter der Oberfläche ruht. Wirklich wirksame Lobby läuft auf der untersten Hierarchieebene. In Brüssel gründet der ganze breite Mittelstand von Gastronomie auf dem soliden Fundament unzähliger Lunchs und Dinners der Damen und Herren auf beiden Seiten des Tisches. Die verbreitete Klage, zwischen 13 und 16 Uhr würde in der Kommission niemand arbeiten, ist unbegründet. Dass kaum wer ans Telefon geht, heißt doch nicht, dass die Leute untätig wären. Spaß beiseite. Und eine These: Je weiter unten in der Hierarchie, desto wirksamer ist Korruption und desto kostengünstiger fällt sie aus. Der Politik kommt danach die Rolle zu, nach dem bekannt werden von erschlichenen Privilegien ihre Abschaffung zu verhindern: auf dem Basar des Stimmenkaufs. Beim dritten Grad der Korruption wird es ganz bitter ernst. Und sehr, sehr traurig. Ich bin bei der mentalen Korruption. Und zugleich: bei der Droge Politik. Wer ihr wieder entrinnt, sollte über keinen Preis klagen. Weil dann der Mensch wieder zum Vorschein kommt. Zuerst zu ihrer Jugendorganisation, den „Deutschen Jungdemokraten“, und dann zur FDP kam ich wegen ihrer fortschrittlichen Bildungspolitik und wegen ihrer Ostpolitik. Einfacher: zu Zeiten der großen Koalition 1966 erschien nicht nur mir die FDP als die einzige moderne Partei. Wie wenig sie das war, merkte ich früh. Aber zusammen mit Gleichgesinnten war ich überzeugt: Die Tage dieser alten Säcke sind gezählt, morgen führen wir den Verein. Den Oberen fallen solche Heißsporne schnell auf. Sie kriegen diese und jene Chance. Das ist die Einstiegsdroge. Lassen sie in ihrem Neuerungsdrang nicht nach, werden sie bald kaltgestellt. Übrig bleiben jene, denen Karriere vor Überzeugung geht. Die Einschleifmühle Parteien ist gnadenlos.

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Ab und zu tritt dieses Wirkungsraster vorübergehend außer Kraft: in Zeiten großer Umbrüche. Beim Koalitionswechsel der FDP von der Union zur SPD 1969 und beim umgekehrten 1982. Zwischen 1969 und 1971 räumten „Nationalliberale“ die mittleren und oberen Führungsränge, so dass „Linksliberale“ und „Sozialliberale“ in die freien Plätze einrücken konnten. Das gleiche geschah seitenverkehrt 1982. Die Besten unter den Linken gingen. Die Generation Gerhardt/Möllemann füllte die Lücken. Kampflos bezogen Westerwelle und die anderen Gründer der „Jungen Liberalen“ ihre Startpositionen. In anderen Parteien vollzog sich zu anderen Zeitpunkten Ähnliches. Danach setzte der Anpassungsmechanismus nicht nur wieder ein. Ja, er verschärfte sich. Daran ist ursächlich das Bundesverfassungsgericht schuld. In den 60er Jahren hat es mit dem historischen Urteil zu den Finanzverhältnisse der Abgeordneten den Grundstein für das gelegt, was ich Verbeamtung der Politik nenne. Gelegentlich leiste ich mir bei der Beschreibung der Struktur des Berufsbeamtentums diese: Einfacher Dienst, mittlerer, gehobener, höherer – und dann die Parlamentarier als allerhöchster Dienst. Der letztere ist der einzige, für den keine Vorkenntnisse verlangt werden. An diesem Spott meine ich eines sehr ernst. Der Weg zum gewählten Abgeordneten führt immer öfter am wirklichen Leben vorbei. Im Studium Mitarbeiter von Parlamentariern ist hilfreich, die erste Sprosse der Karriereleiter zu meistern: in den Orts- oder Kreisvorstand. Das verhilft zum Delegiertenmandat. Wer eine Lehre macht oder voll studiert, hat weder die Zeit, noch die Kraft – und auch nicht das Abgeordnetenbüro als kostenfreie persönliche Schaltstätte. Ob er und sie dann überhaupt fertig studieren, wird zweitrangig. Es geht in den Bezirks- und/oder Landesvorstand von Jugendverband und/ oder Partei. Zum Delegierten auf Landes- und/oder Bundesebene. Lange in Sitzungen ausharren sticht inhaltliches Engagement aus. Mitkungeln sticht mitdiskutieren. Eine Zeit lang kann man beides verbinden. Ein Stipendium der nahestehenden politischen Stiftung passt auch in dieses Set. Jedenfalls gelangen immer mehr Nachwuchspolitiker aller Parteien in Amt und Mandat, ohne die Lebenswelt des Volkes kennen gelernt zu haben. Ich höre, das sei heutzutage bei Gewerkschaftssekretären und anderen Verbandsfunktionären nicht anders. Umso schlimmer. Unsere Strukturen züchten eine Funktionärsschicht, die fern der Welt jener lebt, die zu dem beitragen, was die Ökonomen Wertschöpfung nennen. Die Amerikaner haben für diese Kluft eine böse Formel: „makers and takers“. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Tut es schon heute nicht mehr. Aber auch hier versagen die einzigen, die Zusammenhänge wirkungsvoll aufzeigen könnten: die Medien. Für sie ist erst der offenkundige Skandal ein Thema. Wenn einzelne mit ihren Privilegien und Versuchungen so umge-

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gangen sind, dass es nicht mehr unter der Decke bleibt. Meist, weil Konkurrenten aus den eigenen Reihen damit den Weg für sich selbst freischießen. Dabei beobachte ich sorgenvoll einen gefährlichen Trend: Früher wurden Politiker durch Skandale gestürzt. Heute werfen ihnen die Medien Skandale nach, wenn sie schon stürzen. Aber das ist eine eigene Geschichte. Hier nur eine Frage: Die Zahl der Hauptstadt-Journalisten hat sich beim Umzug von Bonn nach Berlin verdoppelt. Hat sich ihre kritische Leistungsfähigkeit halbiert? Korruption an und für sich ist unvermeidlich – wie andere Formen von Diebstahl auch. Ja, im Ergebnis ist Korruption Diebstahl. Denn jemand muss die Rechnung ja zahlen – und zwar nie aus der eigenen Tasche. Womit ich bei meiner These vom Anfang bin: Je mehr öffentliche Mittel, desto mehr Korruption. Nachdem ich nun schon eine Weile lebe, habe ich gelernt: Wir werden die Menschen nicht ändern. Führen wir sie also möglichst wenig in Versuchung. Die beste Prävention von Diebstahl ist, die Gelegenheiten zu verringern. Nicht anders verhält es sich mit der Korruption. Folgen Sie mir für einen Moment ins Reich meiner politischen Träume. In diesem haben wir aus einigen Tatsachen Konsequenzen gezogen. Aus der Tatsache, dass unsere Parlamente jahraus jahrein Gesetze verabschieden, die in Wahrheit Verwaltungsvorschriften sind – also Verordnungen. Deshalb erlässt in meinem Traum Verordnungen die Verwaltung. Sie wird von einer starken Regierung geführt. Ihr Chef wird direkt gewählt. Auf sechs Jahre. Wiederwahl ist nicht möglich. In den Parlamenten werden politische Richtungsentscheidungen gefällt. Da das höchstens zwei Mal im Jahr vorkommt, sind unsere direkt gewählten Abgeordneten ehrenamtlich tätig. (In meinem Traum haben wir natürlich ein Mehrheitswahlrecht.) Mit einer Tagungswoche im Quartal kommen sie leicht hin. Ihr Verdienstausfall wird ersetzt. Das tritt an die Stelle der sogenannten Diäten, Versorgungsprivilegien usw. Gleichzeitig hat sich der Staat auf seine modernen Kernaufgaben konzentriert: – die Herrschaft des Rechts und seine Durchsetzung – die innere und äußere Sicherheit – eine bedingungslose Grundversorgung für alle aus Steuermitteln – eine zeitgemäße Infrastruktur für alle aus Steuermitteln, erbracht durch private Dienstleister im Auftrag der Verwaltung: vor allem für eine Vielfalt des lebenslangen Lernens – dem Standortfaktor Nr. 1. Und wissen Sie, was dann passiert? Abgeordnete werden nicht mehr bestochen. Warum? Weil sie für die Bestecher nichts mehr tun können. Wie

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das mit der Beziehungskiste von Bürokratie und Lobby ausschaut, habe ich beschrieben. Wo aber wenige allgemeine Regeln an die Stelle des Mikromanagements getreten sind, wird auch die Verwaltung nicht mehr in Versuchung geführt. Außerdem können die Parlamente nicht nur die Regierung kontrollieren, sondern auch die Bürokratie. Sie sind nicht mehr ihr Legalisierungsapparat. Sie leben in der wirklichen Welt. Und ihr Geld verdienen sie nicht im Beruf Politik, sondern im richtigen Leben. Sie halten das für illusionär? Im Moment ich auch. Aber vergessen Sie nicht: Morgen ist heute gestern. Wer etwas ändern will, muss wissen in welche Richtung, wenn es besser werden soll. Zwischen dem Ist von heute und dem Soll von übermorgen gibt es viel Raum. Der Parlamentspräsident im britischen Unterhaus sitzt traditionell auf einem Sack voller Wolle. Nicht um seiner Bequemlichkeit willen, sondern als Symbol für die Interessen von Handel und Wirtschaft, die das Parlament beeinflussen – als ständige Mahnung vor dem Basar des Stimmenkaufs. Verringern wir die Gelegenheiten. Das hilft mehr gegen Korruption als alles andere. Geben wir den Menschen möglichst wenig Macht über Menschen. Denn Macht korrumpiert.

Der gekaufte Abgeordnete Nebeneinkünfte und Korruptionsproblematik Von Hans Herbert von Arnim I. Struktur des Abgeordnetenmandats Das Dilemma der Macht beschäftigt Philosophen seit Jahrtausenden: Wie kann verhindert werden, dass die Repräsentanten des Volkes die ihnen anvertraute Macht für eigene Interessen nutzen statt für die Belange des ganzen Volkes, wie es heute bei uns das Grundgesetz und die Landesverfassungen verlangen? Die verfassungsrechtliche Pflicht ist nach Rechtsprechung und Staatsrechtslehre eindeutig. Alle Amtsträger haben dem Gemeinwohl zu dienen. Das gilt m. E. auch für Abgeordnete, die nach Art. 48 GG ebenfalls ein „Amt“ innehaben und nach Art. 38 GG das „ganze Volk“ repräsentieren.1 Die Einhaltung dieser Gemeinwohlverpflichtung wirklich zu sichern, erweist sich aber bei Abgeordneten als besonders schwierig.2 Das hat zwei Gründe, die in der Struktur des Abgeordnetenmandats wurzeln. Der eine Grund liegt darin, dass das Parlament über den rechtlichen Status seiner Abgeordneten selbst entscheidet, hier also „in eigener Sache“ tätig wird, wie das BVerfG in seinem Diätenurteil von 1975,3 das durch ein Rechtsgutachten aus meiner Feder vorbereitet worden war,4 formuliert hat. Das Parlament müsste sich also selbst Schranken setzen. Es müsste sich wie einst Odysseus an den Mastbaum binden lassen, um zu verhindern, dass der eine 1

Josef Isensee, Konkretisierung des Gemeinwohls in der freiheitlichen Demokratie, in: Hans Herbert von Arnim/Karl-Peter Sommermann (Hg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, 2004, S. 95 (113); Hans Herbert von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, S. 388 ff. mit weiteren Nachweisen. 2 Doris Dietze, Nebeneinkommen von Parlamentsabgeordneten in Deutschland, unveröffentlichte Speyerer Seminararbeit, Sommersemester 2004. 3 BVerfGE 40, 296 (327) – Urteil vom 5.11.1975. 4 Hans Herbert von Arnim, Abgeordnetenentschädigung und Grundgesetz, 1975, S. 73 (Entscheidung des Parlaments „in eigener Sache“). Siehe dazu auch die Würdigung durch Friedrich-Karl Fromme, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.10.1975, S. 5.

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oder andere Volksvertreter den Versuchungen des „großen Geldes“ erliegt. Kann man das wirklich erwarten? Der andere Grund liegt in der Parlamentsgeschichte. Die Wirklichkeit des Abgeordnetenmandats hat in den vergangenen Jahrzehnten zwar einen grundlegenden Wandel erfahren, Art. 48 Grundgesetz spiegelt aber noch einen früheren Zustand wider, der faktisch längst überholt ist. Ursprünglich war das Parlamentsmandat ein Ehrenamt, das ganz selbstverständlich neben einem Erwerbsberuf ausgeübt wurde. Diese Vorstellung spiegelt sich noch im Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 Grundgesetz, der erkennbar vom Bild eines Abgeordneten mit Erwerbsberuf ausgeht, indem er die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen der Übernahme des Mandats für unzulässig erklärt. Dementsprechend galt auch die Entschädigung, die Abgeordnete aus der Staatskasse erhielten, ursprünglich als reine Aufwandsentschädigung, die den Mehraufwand abdecken sollte, der Abgeordneten durch ihr Mandat entstand. Die Entschädigung war deshalb auch steuerfrei. II. Wandel des Abgeordnetenamts vom Ehrenamt zum „Fulltime-Job“ 1. Das Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts Im Laufe der Zeit ist die Arbeit von Abgeordneten, zumindest auf Bundesebene, immer aufwendiger geworden. Zugleich sind die Diäten immer weiter gestiegen, so dass die Vorstellung vom Ehrenamt zur bloßen Fiktion wurde. Daraus hat das BVerfG in seinem Diätenurteil die Konsequenz gezogen: Die Diäten seien inzwischen zu einer „Vollalimentation“ der Abgeordneten für einen „Fulltime-Job“ geworden, hat das Gericht erkannt, und deshalb zu versteuern. Die angemessene Entschädigung, auf die Bundestagsabgeordnete nach Art. 48 Abs. 3 Grundgesetz zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit Anspruch haben, sei – bei den heutigen Gegebenheiten – eine volle Bezahlung für den Lebensunterhalt des Abgeordneten und seiner Familie geworden. Wir haben hier also den Fall eines Wandels des Inhalts der Verfassung ohne Änderung ihres Wortlauts, allein durch gerichtliche Auslegung. Mit einer solchen Vollalimentation erschien auch das Ruhegehalt von Abgeordneten aus dem öffentlichen Dienst unvereinbar und wurde deshalb vom Gericht für verfassungswidrig erklärt. Bis dahin hatten Abgeordnete aus dem öffentlichen Dienst ein Ruhegehalt bezogen, sozusagen als Ausgleich dafür, dass sie bei Eintritt ins Parlament – aus Gründen der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat – nicht mehr weiter aktiven Dienst tun können. Das Gericht begründete die Verfassungswidrigkeit des Ruhegehalts damit, neben

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einer vollen staatlichen Alimentation sei der Bezug weiterer staatlicher Gelder, für die der Abgeordnete nichts tue, ein Privileg, für das es keine Rechtfertigung gebe. Analog dazu erklärte das Gericht auch Zahlungen von Unternehmen oder Verbänden an Abgeordnete für verfassungswidrig, wenn die Zahlungen lediglich dafür geleistet würden, den Einfluss des Abgeordneten zu kaufen. Das widerspreche dem Grundsatz der Unabhängigkeit von Abgeordneten und „ihrem Anspruch auf gleichmäßige finanzielle Ausstattung in ihrem Mandat“. Das Gericht verlangte deshalb von den Parlamenten gesetzliche Vorkehrungen, die solche Zahlungen unterbinden.5 Streitig blieb,6 ob das Diätenurteil dahin zu interpretieren ist, dass nur solche Zahlungen verfassungswidrig seien, bei denen eine Beeinflussungsabsicht des Geldgebers nachweisbar sei7 und keinerlei Gegenleistung des Abgeordneten, also auch keine Teilleistung, vorliege, oder ob die Leistung „arbeitsloser“ Zahlungen, also von Zahlungen ohne volle normale Gegenleistung, grundsätzlich ausreiche. Ich interpretiere das Urteil von Anfang an im letzteren Sinne,8 und eine ausführliche Stellungnahme des Bundesinnenministeriums vom Oktober 1977 folgte mir darin ausdrücklich.9 Denn arbeitslose Zahlungen erhält der Abgeordnete typischerweise für die politische Wahrnehmung der Interessen des Geldgebers, was seine Unabhängigkeit beeinträchtigt und dem Gleichheitssatz widerspricht. Eine Beeinflussungsabsicht ist kaum je beweisbar. Und wenn eine teilweise Gegenleistung des Abgeordneten ausreichen würde, wäre der Nachweis erst recht unmöglich. Dagegen wollten die meisten Parlamente das Urteil im ersteren Sinn verstehen und entwerteten es insoweit praktisch. 5 BVerfGE 40, 296 (318 f.): „Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und der formalisierte Gleichheitssatz [. . .] verlangen [. . .] gesetzliche Vorschriften dagegen, dass Abgeordnete Bezüge aus einem Angestelltenverhältnis, aus einem sog. Beratervertrag oder ähnlichem, ohne die danach geschuldeten Dienste zu leisten, nur deshalb erhalten, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, sie würden im Parlament die Interessen des zahlenden Arbeitgebers, Unternehmers oder der zahlenden Großorganisation vertreten und nach Möglichkeit durchzusetzen versuchen. Einkünfte dieser Art sind mit dem unabhängigen Status der Abgeordneten und ihrem Anspruch auf gleichmäßige finanzielle Ausstattung in ihrem Mandat unvereinbar.“ 6 Zum Streitstand: Werner Braun/Monika Jantsch/Elisabeth Klante, Abgeordnetengesetz des Bundes, Kommentar, 2002, S. 430. 7 So z. B. Joachim Henkel, Das Abgeordnetengesetz des Bundestages. Kritische Anmerkungen und Ausblick auf die Landtage, DÖV 1977, S. 350 (355). 8 Hans Herbert von Arnim, Das Verbot von Interessentenzahlungen an Abgeordnete, 1976; ders., Zweitbearbeitung des Artikels 48 GG im Bonner Kommentar (1980), Randnummern 146 ff. (150 f.). 9 Bundesministerium des Innern, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestags (Bundestagsdrucksache 7/5525), hektografiertes Skript, Oktober 1977, S. 22.

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2. Nebeneinander von Mandat und Beruf Gleichzeitig bestätigte das Gericht, dass es für Abgeordnete weiterhin verfassungsrechtlich erlaubt ist, neben ihrem Mandat einen Beruf auszuüben und daraus ein Einkommen zu beziehen.10 Denn davon geht Art. 48 Abs. 2 Grundgesetz nach wie vor unübersehbar aus. Und dies für obsolet zu erklären, weil Abgeordnete nun voll aus der Staatskasse bezahlt und versorgt werden, dazu konnte das Gericht sich offenbar nicht durchringen. Das ausdrückliche Berufsverbot der Artikel 55 und 66 GG gilt ja auch nur für den Bundespräsidenten und die Mitglieder der Bundesregierung. Das Nebeneinander von Abgeordnetenmandat und Beruf ist also von der historischen Entwicklung her zu verstehen. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass Bundestags-, Europa- und Landtagsabgeordnete auch heute noch einen privaten Beruf ausüben dürfen. Das ist, bei Lichte betrachtet, ein großes Privileg, wie man auch daran sieht, dass grundsätzlich kein anderer staatlich voll bezahlter Amtsträger in Deutschland zusätzlich noch einen Privatberuf voll ausüben darf. In den USA ist es den Mitgliedern des Repräsentantenhauses und des Senats grundsätzlich verboten, noch ein zusätzliches privates Berufseinkommen zu beziehen. Das Nebeneinander von Mandat und Beruf kann zwei Probleme begründen: 1. dass zuviel Arbeitskraft für den privaten Beruf abgezweigt wird, so dass der Volksvertreter seine Mandatsaufgaben nicht mehr gehörig wahrnehmen kann; das BVerfG hat zwar gemeint, Abgeordnete seien rechtlich völlig frei, wie sie ihr Mandat wahrnehmen.11 Faktisch aber erwarten die Bürger vom Abgeordneten eine ordentliche Wahrnehmung seines Amtes. 2. Vor allem besteht die Gefahr, dass der Volksvertreter sich vom Geldgeber beeinflussen lässt. Das wäre dann Korruption, wenn man unter Korruption den Missbrauch einer anvertrauten Machtstellung zu privatem Vorteil versteht.12 Gleichwohl plädiere ich nicht für eine Radikalkur nach US-Vorbild. Wir sollten in Deutschland vielmehr an der bestehenden Verfassungslage festhalten und den Abgeordneten auch weiterhin die Fortführung eines Berufs 10

BVerfGE 40, 296 (318 f.). BVerfGE 40, 296 (312). 12 Hans Herbert von Arnim, Korruption in Politik und Verwaltung, in: ders. (Hg.), Korruption, 2003, S. 18. 11

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erlauben, solange das Mandat nicht darunter leidet. Denn das private Standbein verspricht drei positive Effekte: – Es sichert ein Mindestmaß an Unabhängigkeit auch gegenüber der eigenen Partei, – es bringt Berufserfahrung ins Parlament und – es erleichtert auch Hochqualifizierten die Übernahme eines Mandats. III. Unterbindung illegitimer Zahlungen an Abgeordnete Umso nachdrücklicher müssen aber illegitime Zahlungen an Abgeordnete unterbunden werden. Das Mandat darf nicht dazu missbraucht werden, sich zu bereichern. Dabei geht es keineswegs nur um die direkte Beeinflussung parlamentarischer Entscheidungen durch Geldzuwendungen. Auch der Zugang zum Machthaber, den Abgeordnete entweder selbst darstellen oder vermitteln, ist Unternehmen und Verbänden oft viel Geld wert. Das gleiche gilt für die frühzeitige Information, was politisch ansteht. Dürfte das „große Geld“ sich unbeschränkt politischen Einfluss kaufen, hätten wir Plutokratie statt Demokratie, also die „Herrschaft des Geldes“ statt der „Herrschaft des Volkes“. 1. Fehlen gesetzlicher Regelungen in der Vergangenheit Das Postulat, illegitime Zahlungen zu ächten, klingt einfach. Es wirklich durchzusetzen, ist aber das große Problem. Das liegt vor allem daran, dass die Parlamente die erforderlichen Regelungen in eigener Sache treffen müssen. Es liegt aber auch in Abgrenzungsproblemen begründet, die es den Parlamenten erleichtern, Einwände gegen durchgreifende Regelungen zu machen. Die Folge ist ein ausgesprochen einseitiges Vorgehen. Für die Abgeordneten günstige Regelungen, zu denen das Diätenurteil tatsächlich oder auch nur scheinbar ermächtigt (wie z. B. die Vollalimentation, hohe staatliche Versorgungen und hohe steuerfreie Kostenpauschalen), wurden rasch beschlossen. Einschränkungen wurden dagegen nur sehr zögerlich in Angriff genommen. Dazu gehören auch Regelungen, die den Einfluss des Geldes auf die Politik eindämmen sollen. Hier ist von der sonst viel kritisierten „Regelungswut“ des Gesetzgebers nicht viel zu spüren. Wenn das Parlament in eigener Sache entscheidet, ist – neben der Kontrolle durch das Gericht selbst – Öffentlichkeit die einzige wirksame Kontrolle. Das hat das BVerfG klar ausgesprochen,13 und das zeigt sich auch hier. Es bedurfte immer wieder öffentlicher Skandalfälle, um die Parlamente zumindest zu gewissen Regelungen zu bewegen. 13

BVerfGE 40, 296 (327).

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Die vorerst letzte Skandalrunde drehte sich vor zwei Jahren, als der Fall Hermann-Josef Arentz immer weitere Kreise zog und immer mehr Abgeordnete ins Fadenkreuz der öffentlichen Kritik gelangten. Es ging dabei um Zahlungen, für die die Abgeordneten keine normale Gegenleistung erbracht hatten, also um „arbeitsloses“ Einkommen, welches das Gericht nach m. E. richtiger Interpretation (siehe oben) schon 1975 für verfassungswidrig erklärt hatte. Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete und frühere Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Arentz, hatte frank und frei eingeräumt, dass er für die jährlichen 60.000 Euro und das Stromdeputat, das er von RWE bekam, nichts tue. Andere Abgeordnete wie der Generalsekretär der CDU, Laurenz Meyer, der ebenfalls viel Geld von RWE bekommen hatte, behaupteten zwar, eine normale Gegenleistung erbracht zu haben. Das war aber wenig glaubhaft. Solche „arbeitslosen“ Zahlungen begründen zumindest den bösen Schein, dass in Wahrheit politischer Einfluss oder Insiderwissen gekauft wird und dies durch den Abschluss eines scheinbar normalen Arbeitsvertrags oder Beratervertrags bloß verschleiert wird. Es ist ja auch kaum zu glauben, dass Unternehmen den bei ihnen beschäftigen Abgeordneten das Geld hinterherwerfen, ohne sich etwas von ihnen zu versprechen. Bei Beamten spräche man in ähnlicher Situation zumindest von einem strafbaren „Anfüttern“:14 Der Empfänger wird für das Anliegen des Geldgebers geneigt gemacht. Arentz und Meyer mussten ihre Ämter schließlich niederlegen. Der öffentliche Druck war zu groß. An das Land abführen mussten sie die Gelder allerdings nicht, weil in Nordrhein-Westfalen eine dahingehende Vorschrift fehlte. 2. Ausnahme: Niedersächsisches Abgeordnetengesetz Im Gegensatz dazu verbietet das niedersächsische Abgeordnetengesetz seit langem „arbeitslose“ Zahlungen an Mitglieder des Landesparlaments ausdrücklich.15 Zwei einschlägige Fälle wurden ebenfalls Anfang 2005 bekannt. Die beiden niedersächsischen Landtagsabgeordneten Ingolf Viereck und Hans-Herrmann Wendhausen (beide SPD) hatten jahrelang von VW Zahlungen erhalten, die sich insgesamt auf über 750.000 Euro summierten, 14

Bernd Heinrichs, Rechtsprechungsüberblick zu den Bestechungsdelikten (§§ 331–335 StGB), Neue Zeitschrift für Strafrecht 2005, 197 (198). 15 § 27 Abs. 3 Niedersächsisches Abgeordnetengesetz: „Abgeordneten dürfen mit Rücksicht auf ihr Mandat keine anderen als die in diesem Gesetz vorgesehenen Zuwendungen gemacht werden. Insbesondere darf einem Abgeordneten eine Vergütung aus einem Dienst- oder Werkverhältnis nur gewährt werden, soweit sie den Wert einer vom Abgeordneten tatsächlich erbrachten und mit seinem Mandat nicht zusammenhängenden Tätigkeit entspricht.“ Abs. 4: „Wer eine. . . nach Absatz 3 verbotene Zuwendung empfängt, hat sie oder, falls dies nicht möglich ist, ihren Wert an das Land abzuführen. Der Präsident des Landtages macht den Anspruch geltend.“

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ohne eine entsprechende Gegenleistung belegen zu können. Landtagspräsident Gansäuer forderte diesen Betrag von den Abgeordneten heraus. Dazu ist er nach dem niedersächsischen Abgeordnetengesetz befugt. Dass dort auf Grund des Diätenurteils ein solches Gesetz geschaffen wurde, hängt auch damit zusammen, dass der niedersächsische Landtag einen wirklich unabhängigen wissenschaftlichen Dienst besitzt, der darauf drang, das richtig interpretierte Verfassungsgebot zu vollziehen und eine entsprechende Vorschrift ins Abgeordnetengesetz einzufügen. Da die beiden Abgeordneten die Zahlung verweigerten, erhob der Landtagspräsident Klage beim Verwaltungsgericht Braunschweig, das die Abgeordneten mit Urteilen vom 16. November 2005 zur Zahlung von 766.000 Euro verurteilte, allerdings Berufung zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg zuließ.16 Die niedersächsischen Regelungen seien verfassungsgemäß und „vom Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975 getragen“17. Arbeitslose Zahlungen eines Unternehmens seien grundsätzlich unzulässig, es sei denn, der Abgeordnete könne nachweisen, dass das Unternehmen „ausschließlich andere Motive verfolgt hat als die Beeinflussung der parlamentarischen Arbeit“.18 Auch eine teilweise Gegenleistung des Abgeordneten könne die Abführungspflicht hinsichtlich des überschießenden Teils der Zahlung nicht beseitigen. Damit übernimmt das Gericht die m. E. richtige Interpretation des Diätenurteils. Andernfalls bleibe das Gebot des Verfassungsgerichts, wirksame Vorkehrungen gegen Interessentenzahlungen zu treffen, unerfüllt.19 Das Urteil des Verwaltungsgerichts dürfte, wenn es Bestand hat, auch andere Parlamente unter erheblichen Druck setzen, endlich auch ihre Vorschriften anzupassen. Denn die meisten anderen Landtage und bis vor kurzem auch der Bundestag haben bisher keine wirksamen gesetzlichen Vorkehrungen gegen arbeitslose Einkünfte von Abgeordneten getroffen. Verboten sind – jedenfalls nach der bisherigen Auslegung der Vorschriften durch die Parlamente – meist nur Zahlungen, die mit Beeinflussungsabsicht des Financiers gegeben werden.20 Auch die Abführungspflicht an das Parlament und die Durchsetzungsbefugnis des Präsidenten fehlen regelmäßig. Deshalb waren Bundestagsprä16

Aktenzeichen 1 A 162/05 und 1 A 163/05. So laut AP-Meldung vom 16.11.2005 der Vorsitzende der Ersten Kammer des Gerichts, Christian Büschen, bei der mündlichen Urteilsbegründung. 18 Presseerklärung des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 16.11.2005. 19 Verwaltungsgericht Braunschweig, AZ 1 A 163/05 (Umdruck), S. 11, 16. 20 Siehe z. B. Ziff. V der Verhaltensregeln für die Mitglieder des Bayerischen Landtags: „Die Abgeordneten dürfen kein Rechtsverhältnis eingehen, aufgrund dessen sie Bezüge erhalten, die sie, ohne die danach geschuldeten Dienste zu leisten, nur deshalb bekommen, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandant erwartet wird, daß sie im Landtag die Interessen des Zahlenden vertreten werden.“ 17

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sident Wolfgang Thierse – ebenfalls Anfang 2005 – bei den Abgeordneten Hans-Jürgen Uhl (SPD) und Ulrike Flach (FDP) die Hände gebunden, obwohl dort gleichfalls der Verdacht nahe lag, dass sie arbeitslose Einkommen von VW beziehungsweise von Siemens bezogen hatten. Ermittlungen konnte Thierse nicht anstellen, schon gar nicht arbeitslose Zahlungen einkassieren. 3. Neuerungen im Abgeordnetengesetz, Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete und Kontrolle durch die Öffentlichkeit Die monatelange öffentliche Kritik zu Anfang des Jahres hat die Bundestagsmehrheit aber schließlich dazu gebracht, mit Wirkung für den am 18. September 2005 neu gewählten Bundestag Art. 44a Abgeordnetengesetz zu erweitern, „arbeitslose“ Zahlungen ausdrücklich zu verbieten und vom Bundestagspräsidenten einziehen zu lassen.21 Der Präsident ist dabei allerdings an die Zustimmung des Bundestagspräsidiums gebunden, in dem normalerweise alle Fraktionen vertreten sind.22 Das verspricht nicht gerade ein rigides Vorgehen. Deshalb bleibt die öffentliche Kontrolle wichtig. Bei Viereck und Wendhausen begann die niedersächsische Landtagsverwaltung mit ihren Ermittlungen auch erst, als herausgekommen war, wieviel Geld beide Abgeordneten von VW bekamen. Deshalb sollten Abgeordnete durch Gesetz zusätzlich gezwungen werden, ihre Nebeneinnahmen nicht nur dem Bundespräsidenten mitzuteilen, sondern sie auch zu publizieren, ihrer Art, aber auch ihrer Höhe nach. Dann kann man die Spreu vom Weizen trennen. Dann lässt sich in etwa abschätzen, ob der Abgeordnete – in Anbetracht seiner Aufgaben als Abgeordneter – noch eine normale Gegenleistung erbringen kann oder ob er seine parlamentarische Stellung versilbert. Verfassungsrechtlich ist eine solche Publikationspflicht m. E. durchaus zulässig. 21 § 44a Abs. 2 Sätze 2–4 Abgeordnetengesetz des Bundes in der Fassung des 26. Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 22.8.2005 (BGBl. I S. 2482): „Unzulässig ist insbesondere die Annahme von Geld oder von geldwerten Zuwendungen, die nur deshalb gewährt werden, weil dafür die Vertretung und Durchsetzung der Interessen des Leistenden im Bundestag erwartet wird. Unzulässig ist ferner die Annahme von Geld oder von geldwerten Zuwendungen, wenn diese Leistung ohne angemessene Gegenleistung des Mitgliedes des Bundestages gewährt wird. Die Entgegennahme von Spenden bleibt unberührt.“ Abs. 3 Sätze 1 und 2: „Nach Absatz 2 unzulässige Zuwendungen oder Vermögensvorteile oder ihr Gegenwert sind dem Haushalt des Bundes zuzuführen. Der Präsident macht den Anspruch durch Verwaltungsakt gelten, soweit der Erhalt der Zuwendung oder des Vermögensvorteils nicht länger als drei Jahre zurückliegt.“ 22 § 8 Abs. 5 der Verhaltensregeln für Bundestagsmitglieder in der Fassung der Bekanntmachung einer Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 12. Juli 2005 (BGBl. I S. 2512).

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Dem Zwei-Berufe-Privileg entspricht als Kehrseite die Zumutung der Öffentlichkeit. Abgeordnete müssen deshalb – im Hinblick auf ihren vollbezahlten Abgeordnetenstatus und dessen Sauberkeit – eine deutlich stärkere Einschränkung der Grundrechte, die sie in ihrer Rolle als private Berufstätige genießen, hinnehmen als normale Berufstätige, insbesondere der Berufsfreiheit und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Auch hier hat der Bundestag auf die öffentliche Kritik reagiert und auf der Basis einer neu eingefügten Ermächtigung im Abgeordnetengesetz23 die Verhaltensregeln für Abgeordnete ergänzt. Statt dass nun aber der Betrag der Nebeneinnahmen zu veröffentlichen ist, muss seit Beginn der neuen Legislaturperiode im Handbuch und im Internet nur die ungefähre Größenordnung mitgeteilt werden. Damit ist der Bundestag auf halbem Wege stehen geblieben. Es werden drei Einkommensstufen gebildet: zwischen 1000 und 3500 Euro monatlich, zwischen 3501 und 7000 Euro und über 7000 Euro monatlich. Zu veröffentlichen ist nur, ob die Nebeneinnahmen der Stufe 1, 2 oder 3 angehören.24 Die in § 1 Abs. 4 der Verhaltensregeln vorgesehenen Ausführungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln hat der Bundestagspräsident am 30.12.2005 mit Wirkung vom selben Tag erlassen. Die nach § 1 Abs. 6 der Verhaltensregeln vorgesehene Frist für die Anzeigen (drei Monate nach Erwerb der Mitgliedschaft im Bundestag) soll nach Ziff. 13 der Ausführungsbestimmungen hinausgeschoben werden und erst drei Monate nach deren Erlass enden, also am 30. März 2006. IV. Spenden an Abgeordnete Ein anderer Fall von Einflussnahme erfolgt durch einmalige Geldgeschenke an Abgeordnete, sogenannte Spenden. Hier geht es nicht um Geld, das der Abgeordnete an seine Partei weiterleitet, also um „Durchlaufspenden“, sondern um Geldgeschenke, die beim Abgeordneten selbst verbleiben. Warum – solche „Direktspenden“ – auch nach der Neuregelung des Bundestages25 – anders behandelt werden als laufendes „arbeitsloses“ Einkommen, ist eigentlich nicht recht einzusehen. Deshalb hatte schon die von Bundespräsident Richard von Weizsäcker eingesetzte Parteienfinanzierungs23

§ 44 Abs. 4 Abgeordnetengesetz in neuer Fassung. § 3 der Verhaltensregeln für Bundestagsmitglieder in neuer Fassung. Die von dem hessischen FDP-Bundestagsabgeordneten Heinrich Kolb angekündigte Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Veröffentlichungspflicht (Claudia Nauth, Wiesbadener Kurier vom 12.1.2006) halte ich aus den im Text genannten Gründen nicht für erfolgsversprechend. 25 Siehe § 44a Abs. 2 Satz 4 Abgeordnetengesetz (oben Fußnote 21). 24

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kommission (in der auch ich Mitglied war) in ihrem Bericht von 1993 empfohlen, solche Direktspenden an Abgeordnete gesetzlich zu verbieten. Spenden an Abgeordnete sollten aber zumindest publiziert werden, und zwar nicht erst ab 10.000 Euro im Jahr,26 wie dies – in Anlehnung an das Parteienrecht – bisher schon vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzt wurde.27 Abgeordnete kann man bereits mit niedrigeren Beträgen illegitim beeinflussen. Zugleich sollte man wirksame Sanktionen schaffen, die bisher ebenfalls fehlen. Seit Anfang der neunziger Jahre hat es angeblich noch keine einzige veröffentlichungspflichtige Spende an Abgeordnete gegeben. V. § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung) Genauso lückenhaft ist der strafrechtliche Tatbestand der Abgeordnetenbestechung. In Deutschland kann man theoretisch einem Abgeordneten einen ganzen Sack Geld auf den Tisch stellen, ohne mehr zu riskieren, als dass er einen rauswirft. Nimmt der Abgeordnete aber das Geld an, handeln beide, der Abgeordnete und der Geldgeber, völlig legal. Der Abgeordnete braucht das Geschenk nicht einmal der Einkommensteuer zu unterwerfen, sondern nur der meist sehr viel niedrigeren Schenkungsteuer. Zwar gibt es seit 1994 einen Paragraphen 108e StGB,28 doch der ist nur symbolische Gesetzgebung, weil er nur den Kauf einer Abgeordnetenstimme bei Wahlen oder Abstimmungen im Plenum des Parlaments und in den Ausschüssen bestraft.29 Die Begrenzung auf den Stimmenkauf ist viel zu eng. Zudem weiß jeder, dass die eigentlichen Entscheidungen der Parlamente meist nicht im Plenum, sondern in den Fraktionen fallen, wo die Weichen für die Entscheidungen gestellt werden. Schließlich werden auch nachträgliche „Dankeschön“-Spenden von der Vorschrift nicht erfasst. Es hat denn auch noch nie eine Verurteilung nach § 108e StGB gegeben. Während man schon mit einem Bein im Gefängnis steht, wenn man einem Beamten auch nur ein paar Flaschen Wein anbietet, kann man einen Abgeordneten also straflos bestechen. Das Defizit 26

So § 4 Abs. 3 der Verhaltensregeln des Bundestags. BVerfGE 85, 264 (323 ff.) – Urteil vom 9.4.1992. 28 § 108e Abs. 1 StGB lautet: „Wer es unternimmt, für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 29 Näheres bei Hans Herbert von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld. Parteienfinanzierung in Deutschland, 2. Aufl., 1996, S. 295 ff. mit weiteren Nachweisen. Siehe auch Manfred Ernst Möhrenschlager, Die Struktur des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung auf dem Prüfstand – Historisches und Künftiges, Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag, 2004, S. 217 (222 f. mit weiteren Nachweisen). 27

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ist umso offensichtlicher, als seit 1998 die Bestechung von ausländischen Abgeordneten und von deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments30 – weit über § 108e StGB hinaus – unter Strafe gestellt ist.31 Dabei wäre ein umfassender strafrechtlicher Tatbestand der Abgeordnetenbestechung, wie er auch in den meisten anderen Demokratien besteht,32 zur wirksamen Bekämpfung von Korruption besonders wichtig, weil Gerichte und Staatsanwälte ihre schneidigen Instrumente zur Sachverhaltsaufklärung nur dann einsetzen können, wenn strafrechtliche Verbote verletzt sein können: die Erzwingung von Zeugenaussagen, Beschlagnahmen und sonstige Zwangsmaßnahmen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts. Diese Instrumente sind angesichts der scheinbaren „Opferlosigkeit“ von Korruption doppelt wichtig. Durch den Konkurs des Medienunternehmens Kirch kam heraus, dass Helmut Kohl und mehrere seiner früheren Minister nach 1998, als sie nur noch einfache Abgeordnete waren, jahrelang bis zu 600.000 Mark pro Jahr und pro Mann von Kirch bekommen hatten, als „Berater“. Manche vermuteten zwar, dass es sich dabei um Dankeschön-Spenden für die frühere Kirch-freundliche Medienpolitik der Kohl-Regierung gehandelt habe. Das wäre dann als Bestechung strafbar, denn Minister sind – anders als Abgeordnete – Amtsträger im Sinne des Strafgesetzbuches, allerdings kaum nachweisbar. Die Zahlung hoher Geldsummen an Abgeordnete fällt dagegen bisher unter kein Strafgesetz. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft blieben deshalb aus. Die tatbestandliche Enge des § 108e StGB reißt eine noch sehr viel größere Lücke, wenn und soweit auch die Mitglieder von Gemeinderäten und Kreistagen wie Abgeordnete behandelt, sie von den Straftatbeständen der Amtsträgerbestechung (§§ 331 ff. StGB) ausgenommen und nur dem § 108e 30 Winfried Schubert, in: Heinz-Bernd Wabnitz/Thomas Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, S. 719. 31 Artikel 2 § 2 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung – IntBekG vom 10.9.1998, BGBl. II 1980 S. 2327. Die Vorschrift lautet: „(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen Auftrag oder einen unbilligen Vorteil im internationalen geschäftlichen Verkehr zu verschaffen oder zu sichern, einem Mitglied eines Gesetzgebungsorgans eines ausländischen Staates oder einem Mitglied einer parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation einen Vorteil für dieses oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass es eine mit seinem Mandat oder seinen Aufgaben zusammenhängende Handlung oder Unterlassung künftig vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.“ 32 Möhrenschlager (Fußnote 29), S. 223 ff. mit weiteren Nachweisen.

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StGB unterstellt werden, wie dies die Rechtslehre überwiegend propagiert.33 Dagegen hatte das Landgericht Köln in einer Entscheidung vom 28.5.2003 auch gemeindliche Mandatsträger uneingeschränkt den §§ 331 ff. StGB unterstellt.34 Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 9.5.2006 allerdings entschieden, kommunale Mandatsträger seien „keine Amtsträger, es sei denn, sie werden mit konkreten Verwaltungsaufgaben betraut, die über ihre Mandatstätigkeit in der kommunalen Volksvertretung hinausgehen“.35 VI. Abgeordnete als Lobbyisten Es geht aber nicht nur um verdeckte Einflussnahme des „großen Geldes“. Geradezu zynisch erscheint es mir, wenn Volksvertreter offen als bezahlte Lobbyisten von Großunternehmen, als Geschäftsführer von Interessenverbänden oder als Vorstandsmitglieder von Gewerkschaften fungieren. Sie verkaufen dann ganz ungeniert ihre Unabhängigkeit, obwohl der Steuerzahler sie doch gerade „zur Sicherung“ eben dieser Unabhängigkeit alimentiert (siehe für Bundestagsabgeordnete Art. 48 Abs. 3 GG). Hier wird – anders als bei der verdeckten Form der „arbeitslosen“ Einkommen – politischer Einfluss offen honoriert: legalisierte Korruption. Ein Beispiel ist Elmar Brok. Er ist CDU-Europaparlamentarier sowie Mitglied des Bundesvorstandes der Partei und außerdem hochbezahlter Leiter des Lobbybüros von Bertelsmann in Brüssel. Das ist, gelinde gesagt, ein Unding. Doch der Einfluss Broks reicht so weit, dass Journalisten, die darüber kritisch schreiben, ihren Job riskieren. Im Mediendienst „Message“ wurde ausführlich beschrieben, wie Brok Redakteure, die über seine Doppelrolle berichten wollen, einzuschüchtern und ihre Chefs gegen sie einzunehmen versucht.36 Ein anderer „Diener zweier Herren“ ist der CDUAbgeordnete Reinhard Göhner, der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Anfang des Jahres 2005 33 Zum Streitstand: Thomas Fischer, in: Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 53. Aufl., 2006, § 11 StGB, Randnummern 12a und 23; Kristian Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 25. Aufl., 2004, § 11 StGB, Randnummer 11; Albin Eser, in: Schönke/Schröder, 26. Aufl., 2001, § 11 StGB, Randnummer 23. 34 Aktenzeichen 114 Q5 5/03, StV 2003, 507 ff. Diese Entscheidung wird, soweit ersichtlich, vom gesamten Schrifttum abgelehnt. Siehe z. B. Knut Marel, Die Strafbarkeit kommunaler Mandatsträger gem. §§ 331, 332 StGB, Strafverteidiger-Forum, 2003, 259 ff.; Mark Deiters, Die Frage der Strafbarkeit von Gemeinderäten wegen Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, NStZ 2003, 453 ff.; Jakob Julius Nolte, Das freie Mandat der Gemeindevertretungsmitglieder, DVBl 2005, 870 ff.; Bernd Heinrichs, Rechtsprechungsüberblick zu den Bestechungsdelikten (§§ 331–335 StGB), NStZ 2005, 197 (202). 35 Aktenzeichen 5 StR 453/05, zitiert ist der Leitsatz 1a). 36 Luth Mücke, Der Parlaments-Broker, Message 4-2005, S. 34 ff.

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wurde berichtet, er werde bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten, um die öffentliche Kritik an seiner Doppelrolle zu beschwichtigen.37 Dennoch findet man ihn nach der Wahl vom 18. September 2005 wieder im Bundestag. Die Betroffenen verteidigen die Praxis als „ganz legal“ und „für jedermann sichtbar“. Jeder Einfluss auf konkrete Entscheidungen des Parlaments wird vehement in Abrede gestellt, auch wenn es darauf gar nicht ankommt (siehe oben). Von Brok liegen übrigens Arbeitsberichte für die Konzernleitung vor, in denen er sich der direkten politischen Einflussnahme in zahlreichen für den Medienkonzern Bertelsmann wichtigen Fällen brüstet. Zusätzlich sollten Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, alle politischen Mandatsträger (einschließlich der Kommunalvertreter), die bei ihnen beschäftigt sind, öffentlich bekannt zu geben. Bei VW sollen es rund 100 sein, bei RWE bis zu 240, bei der BASF rund 235. Auch die entsprechenden unternehmensinternen Regelungen sollten veröffentlicht werden. Viele Großunternehmen garantieren nämlich in Betriebsvereinbarungen die Weiterbezahlung von Mandatsträgern, unabhängig davon, ob diese ihre volle Arbeitsleistung noch erbringen oder nicht. Hier ist die mögliche Leistung (zumindest teilweise) „arbeitsloser“ Zahlungen sogar kollektivvertraglich niedergelegt.38 Auch diese Regelungen müssen, wenn man der Interpre37 Handelsblatt vom 20.1.2005 („Doppelter Job ist nicht mehr salonfähig. Abgeordnete Göhner und Repnik konzentrieren sich auf ihr Kerngeschäft“). 38 Siehe z. B. die einschlägige Betriebsvereinbarung der BASF AG („BV 39 Mitarbeiter mit politischen Mandaten und ehrenamtlichen Tätigkeiten“ in der Fassung vom 1.12.1970, die mir von der BASF AG am 27.1.2005 zur Verfügung gestellt wurde), Ziff. 3.1: „Träger von Mandaten im Sinne der Ziffer 1.1., die einer im Bundestag vertretenen Partei oder einer Wählergemeinschaft auf kommunaler Ebene angehören, die für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt, erhalten für die Dauer ihrer Mandatsausübung von der BASF einen finanziellen Ausgleich für den Fall, dass ihre Bezüge durch die Übernahme des Mandats hinter ihrer BASFEinkommensentwicklung zurückbleiben und öffentlich-rechtliche Vorschriften, insbesondere solche des Beamtenrechts, der Ausgleichszahlung nicht entgegenstehen.“ Ziff. 3.2: „Die für ehrenamtliche Tätigkeit gemäß Ziffer 1.2 ausfallende Arbeitszeit wird so vergütet, als ob regelmäßig gearbeitet worden wäre.“ Ziff. 1: „Diese Betriebsvereinbarung gilt für Mitarbeiter, die 1.1 Mandate als – Mitglieder des Europaparlamentes, – Bundestagsabgeordnete, – Landtagsabgeordnete, – hauptamtliche Bürgermeister oder – in vergleichbaren hauptamtlichen Funktion wahrnehmen und Parteien angehören, die für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten. 1.2 ehrenamtliche Tätigkeiten – in Standes-, Berufs- und Versehrtenorganisationen, soweit diese ihnen gesetzlich zugewiesene Aufgaben erfüllen;

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tation des Diätenurteils durch das Verwaltungsgericht Braunschweig folgt, in Zukunft geändert oder zumindest neu interpretiert werden. RWE hat hier mit einem im September 2005 ergangenen „Verhaltenskodex“ einen Anfang gemacht.39 Der Konzern reagierte damit auf die Skandale um HermannJosef Arentz und Laurenz Maier.40 Solche „arbeitslosen“ Zahlungen können Unternehmensvorstände in eine richtiggehende „Zwickmühle“ bringen: Entweder wollen sie die Volksvertreter damit zumindest „anfüttern“ – das wäre Korruption – oder sie verschenken Gelder ihres Unternehmens, was bekanntlich als Untreue strafbar ist. Vor diesem Dilemma stand offenbar auch das BASF-Vorstandsmitglied Eggert Voscherau, als er am 16. Januar 2005 bei Sabine Christiansen erklären sollte, warum Jürgen Creutzmann, Vizepräsident des rheinlandpfälzischen Landtags, gleichzeitig noch als Prokurist der BASF bezahlt wird. Creutzmann arbeite, so argumentierte Voscherau vor einem Millionenpublikum, von den 260 Arbeitstagen im Jahr 210 für die BASF und nur 50 für den Landtag – eine Aussage, die die Behauptung der meisten Landesparlamente, Landtagsmandate seien „Fulltimejobs“, allerdings in einem merkwürdigen Licht erscheinen lässt. Die gesamte, immer noch vielfach anfechtbare Praxis der finanziellen Einflussnahme auf Abgeordnete konnte sich nur deshalb etablieren, weil die Abgeordneten die Regeln selbst beschließen und diese deshalb immer noch lückenhaft sind. An die laxen Regelungen gewöhnt, hat die politische Klasse eine Ideologie entwickelt, die an solchem Dienen für zwei Herren – in Verwaltungs- und Selbstverwaltungskörperschaften des Bundes und der Länder, insbesondere in Gemeinden als Organ (z. B. Ortsbürgermeister) oder in Organen (z. B. Mitglieder des Kreistags, Stadt- und Gemeinderäten; – als Laienrichter bei staatlichen Gerichten aller Instanzenzüge; – aufgrund zwingender gesetzlicher Bestimmungen ausüben.“ 39 Danach beschäftigt RWE, d. h. „die RWE AG sowie alle ihr unmittelbar oder mittelbar verbundenen in- und ausländischen Unternehmen [. . .] um bereits den Anschein einer unangemessenen Einflussnahme zu vermeiden, [. . .] keine Mitarbeiter, die hauptberuflich öffentliche Ämter ausüben oder hauptberuflich öffentliche Mandate innehaben. Mit Vertretern dieses Personenkreises werden auch keine Beraterverträge oder ähnliche entgeltliche Vereinbarungen abgeschlossen.“ „Öffentliche Mandate“ nehmen nach einer erläuternden Mail von RWE vom 4.1.2006 „Mitglieder des Bundestages, eines Landtages, des Europäischen Parlaments oder damit vergleichbare Abgeordnete wahr.“ Nach dem Verhaltenskodex gibt RWE auch „keine Spenden an politische Parteien sowie an Organisationen oder Stiftungen, die in einer engen Beziehung zu politischen Parteien stehen.“ 40 An der „Erarbeitung der Grundsätze“ des Verhaltenskodex haben prominente Persönlichkeiten „mitgewirkt“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.12.2005): Prof. Paul Kirchhof, Lord Ralf Dahrendorf, Weihbischof Grave (Essen), der Münchener Professsor für Wirtschaftsethik Karl Homann und der Vorsitzende des BASFAufsichtsrats Dr. Jürgen F. Strube.

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nichts Anstößiges mehr findet. Das Unrechtsbewusstsein fehlt oft völlig. Schon Helmut Kohl stand in seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag auf der Gehaltsliste eines Chemieunternehmens. Deshalb fand der spätere Bundeskanzler Kohl auch nichts dabei, dass seine Parlamentarische Staatssekretärin Cornelia Yzer Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller, eines Lobbyverbandes, wurde und gleichwohl ihr Bundestagsmandat behielt. Sein damaliger Forschungsminister Jürgen Rüttgers gratulierte Frau Yzer sogar zur neuen Aufgabe. Solche Diener zweier Herren werden intern nicht geächtet. Der Korpsgeist hat umgekehrt dazu geführt, dass solche Abgeordnete fataler Weise oft besondere Wertschätzung genießen und als politische Schwergewichte gelten: Die Wirtschaft honoriert den politischen Einfluss ihrer Partner, die Politik honoriert die Verbindung der Abgeordneten mit der Wirtschaft. Diese Immunisierung gegen die Anforderungen der allgemeinen Moral entfernt die politische Klasse aber immer weiter von den Bürgern, die sich in ihrem Gefühl von richtig und falsch nicht irre machen lassen. Damit soll nichts gegen Politiker aus der Wirtschaft gesagt sein. Im Gegenteil, wirtschaftliche Erfahrung und wirtschaftlicher Sachverstand gehören auch in die Politik. Doch etwas völlig anderes ist es, wenn Geld zur Erhöhung des Einflusses der Wirtschaft an Politiker gezahlt wird. Die große Mehrzahl unserer Abgeordneten ist keineswegs korrupt, aber dass die Mehrheit der Minderheit nicht endlich das Handwerk legt, dafür ist die Gesamtheit der politischen Klasse verantwortlich. Oder sollten deutsche Parlamente wirklich die Blamage riskieren, dass sie erst durch das Strafrechtübereinkommen des Europarats von 1999 oder durch die UN-Konvention zur Bekämpfung von Korruption von 2003, die eigentlich für Entwicklungsländer, besonders für Bananenrepubliken gedacht war, zu wirksamen Regelungen gegen Abgeordnetenkorruption gezwungen werden?41 Der rechtspolitische Einwand des Bundestags, Abgeordnete seien Interessenvertreter, deshalb könne kein schneidigerer strafrechtlicher Tatbestand geschaffen werden,42 überzeugt nicht. Wenn Abgeordnete Interessen zu vertreten haben, sind das die Interessen ihrer Wähler, nicht die von möglichen Geldgebern. Und was das Schlimmste ist: Die Gesetzeslücken und der Korpsgeist der Berufspolitiker haben vermutlich enorme negative Auswirkungen auch auf die Bekämpfung von Korruption im Allgemeinen. Wenn Volksvertreter an 41

Zu beiden Konventionen Möhrenschlager (oben Fußnote 29), S. 229 f. So die Begründung für die bisherige Fassung des § 108e StGB (Bundestagsdrucksache 12/5927, S. 5). 42

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der Spitze des Staates sich straflos korrumpieren lassen können, wer will es dann „kleinen Beamten“ noch verargen, Korruption ebenfalls als ein bloßes Kavaliersdelikt anzusehen? Darin dürfte auch ein Grund für die – oft kritisierte – mangelnde Bereitschaft der Politik liegen, Korruption wirklich mit aller Kraft zu bekämpfen.43 Welche demoralisierende Wirkung die Permissivität des Gesetzgebers gegenüber Abgeordnetenkorruption haben kann, zeigt der Fall des Leiters der Kriminalpolizei Konstanz Rainer Magulski.44 Magulski quittierte unter ausdrücklichem Hinweis auf den Flick-Skandal und das Fehlen wirksamer rechtlicher Regelungen gegen Abgeordnetenkorruption den öffentlichen Dienst, weil er, wie er in einer Petition an den Bundestag schrieb, nicht mehr „Erfüllungsgehilfe eines Gesetzgebers“ sein könnte, der sein „Vertrauen“ verloren habe. Mögen nur wenige wie Magulski bereit sein, um ihrer rechtsstaatlich-demokratischen Überzeugung willen ihre berufliche Existenz aufs Spiel zu setzen, so bleibt doch die Feststellung, dass die unangemessene Großzügigkeit der Parlamente gegenüber sich selbst unerhörte Auswirkungen auf die innere Einstellung der Verwaltung (und der Bürger) zu Staat und Recht haben kann. Der Fall Magulski dürfte nur die Spitze eines Eisbergs sein.45

43 Die laxe Korruptionsbekämpfung rügt zum Beispiel Hans-Ludwig Zachert, Korruptes Deutschland?, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Juli 2001. Zachert war früher Präsident des Bundeskriminalamts. Siehe auch Britta Bannenberg, Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle, 2002, S. 445, 460 ff. Ähnliche Kritik äußert zum Beispiel der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang J. Schaupensteiner. 44 „Zur Person: Rainer Magulski“, Frankfurter Rundschau vom 28.1.1987. 45 von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld (Fußnote 29), S. 300 f.

Korruption im Gesundheitswesen Von Maximilian Gaßner Vorbemerkung Seit es eine menschliche Gesellschaft und damit verbunden ein Normengefüge gibt, das den Zusammenhalt dieser Gesellschaft regelt, dürfte es korruptives Verhalten geben. Je intensiver und ausgeprägter dieses Normengefüge ist, umso ausgeprägter ist auch korruptives Verhalten. Nicht umsonst berichten die frühesten Quellen aus dem ägyptischen, griechischen und römischen Bereich immer wieder über Fälle der Korruption. Mit dem korruptiven Verhalten ist auch die Bekämpfung der Korruption aber auch die politische Instrumentalisierung dieses Kampfes verbunden. So stellen wir fest, dass der Kampf Ciceros gegen den korrupten Catilina nicht nur der Bekämpfung des Übels Korruption im Staate diente, sondern vor allem auch der eigenen politischen Kariere. Ein Muster, das sich in unserer Zeit wiederfindet, wenn man zum Beispiel an den New Yorker Staatsanwalt Mark Spitzner denkt. Wer über Korruption diskutiert, sollte drei Ebenen strikt auseinander halten: Das gesellschaftliche Normengefüge, das, je komplexer es ist, umso mehr zu Korruption herausfordert, das „Überspielen“, das Aushebeln dieses Normengefüges durch ein Zusammenspielen mehrerer Akteure und die Bekämpfung dieses Verhaltens verbunden mit der gleichzeitigen Instrumentalisierung des Kampfes für eigene Interessen. I. Allgemeines zum Thema Korruption 1. Definition Wer über Korruption spricht, muss wissen worüber er redet. Nicht alles, was einem nicht passt, und auch nicht alles, was man als rechtswidrig oder normwidrig ansieht, ist Korruption. Der Mord des Ehemanns oder der Diebstahl eines wertvollen Gegenstandes ist nach allgemeiner Auffassung noch keine Korruption. Korruption kann aber sehr schnell bei diesen Delikten im Spiel sein, wenn sie im Zusammenwirken mit einer Person, die dazu berufen ist, diese Delikte zu verfolgen, vertuscht oder ihre Verfolgung gehindert werden.

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Notwendig ist eine möglichst eindeutige Definition nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen. Wer Ländervergleiche oder intertemporäre Vergleiche über korruptives Verhalten veröffentlicht, braucht für die diesen Vergleichen zugrunde liegenden Statistiken eindeutige Definitionen. Andernfalls muss er sich den Vorwurf der Unseriosität gefallen lassen. 2. Wissenschaftliche Eindeutigkeit fehlt So sehr ein klarer und möglichst eindeutiger Korruptionsbegriff notwendig ist, so sehr fehlt er bislang. Der allgemeine Sprachgebrauch bezeichnet mit Korruption einen weiten Bereich moralisch verwerflicher Sachverhalte, die von Amtsmissbrauch bis zum gesellschaftlichen Sittenverfall reichen. Etymologisch leitet sich der Begriff vom lateinischen Verb „corrumpere“ ab. Corrumpere bedeutet bestechen, verführen, verfälschen, fälschen und sittlich verderben. Betrachtet man das Objekt des Fälschens und Verfälschens, so findet sich der Hinweis auf die „litteras publicas“ und hinter der Übersetzung „sittlich verderben“ findet sich als Objekt „populum largitione“, also das Volk, das durch Geschenke verderben wird. Das lateinische Substantiv ist die „corruptio“, die mit Verderbtheit, Verführung, Bestechung, Zerstörung ins Deutsche übersetzt wird. Objekt der Zerstörung ist die „integritas“. Die Auseinandersetzung mit der etymologischen Bedeutung des Begriffs weist schon auf zentrale Bestandteile des Korruptionsbegriffs: Das Volk, die Gesetze und die Moral stehen mit im Kernpunkt der Auseinandersetzungen. Der explizite Hinweis auf den Tatbestand der Bestechung verweist – „pars pro toto“ – auf ein weiteres zentrales Korruptionselement, das Zusammenspiel Zweier zu Lasten eines Dritten, des Staates oder eines sonstigen öffentlichen Trägers oder eines privaten Dritten, in der Neuzeit einer Firma oder eines sonstigen Arbeitgebers. Korruption ist damit im Wesentlichen in sehr vielen Fällen auch „collusio“, also Zusammenspiel Zweier zu Lasten eines Dritten. 3. Korruptionsbekämpfungsgesetz von 1997, §§ 331 ff. StGB Die Straftatbestände der §§ 334 StGB (Bestechung), 332 StGB (Bestechlichkeit), 331 StGB (Vorteilsnahme), 333 StGB (Vorteilsgewährung), 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) umschreiben zutreffend den Kernbereich der Korruption und stehen damit auch im Einklang mit der etymologischen Bedeutung des Begriffs. Freilich sind sie insgesamt zu eng. Was das Strafrecht als ethisches Minimum betrifft, so ist wohl auch der Tatbestand der Untreue, jedenfalls in Teilbereichen, den Korruptionstatbeständen zuzuordnen. Da das Strafrecht das ethische Minimum ist, kann es naturgemäß den vorgelagerten oder „meta-Bereich“ der rechtspolitischen oder moralisch-ethischen Bewertung nicht umfassen.

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4. Definition von Transparency International In früheren Veröffentlichungen ging die Organisation Transparency International von einem sehr weiten Begriff der Korruption aus. Man verstand unter Korruption den „Missbrauch von Macht zum privaten Nutzen“. Zwischenzeitlich lehnt man sich mehr an USA-amerikanische Begriffe an und versteht Korruption als einen „Missbrauch von öffentlicher Macht zu persönlichen Nutzen“. Während die ursprüngliche Definition von Transparency International zu weit und zu unpräzise war, umfasst die jüngere Definition zentrale Bereiche des Korruptionsbegriffs. Freilich geht es bei korruptivem Verhalten nicht nur um privaten oder persönlichen Nutzen. Es kann auch um Vorteile für eine Partei, eine politische Gruppierung oder eine andere gesellschaftliche Gruppe zum Beispiel Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Industrieverbände oder sonstige Lobbygruppen gehen. 5. Verstoß gegen allgemeine rechtsstaatliche Prinzipien Zentraler Kernbereich des Rechtsstaates ist die uneingeschränkte Respektierung des „Vorrangs des Rechtes“. Korruptives Verhalten stellt diesen Vorrang in Frage. Dementsprechend ist durch Korruption immer der Rechtsstaat in seinem Kernbereich herausgefordert, und dies in zweierlei Hinsicht: Zum einen durch den Bruch des Rechts durch private Dritte, zum anderen aber auch und besonders durch die Außerachtlassung der so genannten „zweiseitigen Verbindlichkeit“ des Rechts. Nicht nur der Bürger, sondern auch die staatlichen Institutionen und Amtsträger sind an das Recht gebunden. Sie dürfen Rechtsvorschriften, Rechtsprinzipien wie die Gewaltenteilung nicht zu Gunsten irgendwelcher anderer Interessen überspielen. Wenn Politiker oder sonstige Amtsträger mit Rechtsvorschriften nicht zufrieden sind, müssen sie diese im Rahmen der vorgesehenen Verfahren ändern. Auch diese „zweiseitige Verbindlichkeit“ des Rechts, die historisch nicht immer eine Selbstverständlichkeit war, gehört zu den Kernelementen des Rechtsstaates. Korruptiv ist deshalb das Zusammenspiel von Aufsicht und Beaufsichtigten im Falle der rechtswidrigen Tolerierung – ja Aufforderung – zur illegalen Verschuldung von Krankenkassen aber auch der so genannte „AABG-Deal“ vom 08.11.2001, mit dem die damalige Bundesregierung auf Preisregulierungen zu Lasten der Arzneimittelindustrie gegen eine Abstandszahlung von 200 Mio. Euro verzichtet hat. 6. Pragmatisches Vorgehen Lassen wir den Versuch einer Begriffsbestimmung der Korruption hinter uns, zumal uns auch neuere Gesetzesbestimmungen wie §§ 81a, 197a

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SGB V, die die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen regeln, nicht sehr viel weiter helfen, genauso wenig wie die internationalen Konventionen der OECD oder der UN, und nähern wir uns dem Thema der Korruption im Gesundheitswesen pragmatisch. Danach sollen drei Bereiche unterschieden werden: 1. Illegales Verhalten, das die Korruptionsdelikte erfüllt oder mit ihnen eng zusammenhängt, 2. die Grauzone zwischen Legalität und Illegalität und 3. das legale aber rechtspolitisch und rechtsethisch bedenkliche oder gar verwerfliche Verhalten. II. Darstellung der Situation 1. Kriminelles Verhalten Ehrenrettung: Vorab ist festzuhalten, dass zwar kriminelles Verhalten im Bereich des Gesundheitswesens aus strukturellen Gründen häufig vorkommt, dennoch gibt es keinerlei belastbare Hinweise, dass die Akteure des Gesundheitswesens krimineller sind als Personen in anderen Bereichen. Die Tatsache, dass nach CIA-Quellen der Bereich des Gesundheitswesens in der Rangfolge nach dem Bereich organisierter Kriminalität steht, sagt im Prinzip hierzu nichts aus. Neben den noch näher zu erörternden strukturellen Gründen darf nie vergessen werden, dass das Gesundheitswesen im Bereich der entwickelten Industriestaaten zwischen 7% und 14% des Bruttoinlandsprodukts umfasst und schon entsprechend dieser hohen Quote auch die Anzahl des kriminellen Verhaltens sehr hoch sein muss. Es trifft (fast) alle: Fast alle Berufsgruppen wie Ärzte, Apotheker, Funktionäre der Kassen, Angestellte der Pharmaindustrie und sonstige Leistungserbringer aber auch und besonders die Versicherten selbst, sind betroffen. Sehr häufig sind: – der Abrechnungsbetrug insoweit, als nicht oder nicht in der behaupteten Anzahl erbrachte Leistungen abgerechnet werden, – Rückvergütungen für das „Vermitteln“ von Leistungen oder – das Erbringen von Leistungen in Fällen, wo diese Leistungen nicht indiziert oder gar kontraindiziert sind. So werden in großer Zahl Herzkatheter geschoben oder so genannte „stents“ gesetzt, die nicht oder kontraindiziert sind. Es werden künstliche Befruchtungen mit abgestorbenen oder nicht befruchteten Eizellen vorgenommen oder radiologische Aufnahmen außerhalb plausibler medizinischer Diagnostik erbracht. Das Verwerfliche an

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letzteren Fällen ist, dass die Vermögensdelikte gleichzeitig mit einer Körperverletzung des Patienten verbunden ist. Höchst problematisch sind auch Arzneimittelfälschungen, die zunehmend durch die fortschreitende Internationalisierung des Arzneimittelmarktes in den Verkehr kommen. Hier sind nichtwirksame Potenzmittel wie ein Placebo der Potenzpille „viagra“ noch das harmloseste. Problematischer sind hochwirksame Mittel, deren Inhaltsstoffe nicht denen der zugelassenen Mittel entsprechen oder die falsche Instruktionsanweisungen enthalten. 2. Grauzone Die Fallgruppe der Grauzone zeichnet sich dadurch aus, dass sie „an der Kante genäht“ zum kriminellen Bereich steht. Hier werden Lücken von Vorschriften ausgenützt. Manchmal ist das Verhalten zwar illegal aber nicht strafbar. Hierzu gehört zum Beispiel der umfangreich in der veröffentlichten Meinung diskutierte Fall „Schottdorf“. Dieser Laborarzt hat die im Bereich der ärztlichen Vergütung übliche Degressionsregelung dadurch „umschifft“, dass er weitere Laborärzte anstellte, die die zuständige Kassenärztliche Vereinigung bzw. die Staatsanwaltschaft als scheinselbstständige Laborärzte einschätzte. Hierzu gehört auch die Vorteilsnahme für die Verordnung bestimmter Arzneimittel. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz, gehört das so genannte Dispensierverbot zum Kernbereich des deutschen ärztlichen Standardrechtes. Der Arzt darf für die Verordnung von Leistungen, wozu auch Arzneimittel gehören, kein gesondertes über die Gebührenposition hinausgehendes Entgelt verlangen. Tut er dies dennoch, handelt er standeswidrig, nach wohl herrschender Meinung jedoch nur in Ausnahmefällen mit strafrechtlicher Relevanz im Bezug auf den Tatbestand des § 266 StGB. Insoweit ist es auch höchst problematisch, wenn nunmehr durch den Entwurf eines AVWG (Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung) eine Bonus- und Malusregelung für die Verordnung von Arzneimitteln durch den niedergelassenen Arzt vorgesehen wird. Hierdurch konterkariert der Gesetzgeber eine Jahrhunderte alte bewährte Tradition, ökonomische Interessen für das Verordnen medizinisch indizierter Leistungen auszuschließen. Im Graubereich laufen auch viele Geschäfte in der Labormedizin ab. Verbreitet sind insbesondere die kostenlose Erbringung von so genannten O1-Leistungen, also Leistungen die der Arzt direkt mit der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen kann, mit so genannten O3-Leistungen. Das sind solche qualifizierten Laborleistungen, die nur der Laborarzt abrechnen

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kann. Die Explosion diagnostischer Leistungen im Laborbereich, die über Jahre und Jahrzehnte beobachtet werden konnte, hängt auch mit dieser Art von Koppelungsgeschäften zusammen. Erwähnt sei auch der so genannte graue Arzneimittelmarkt. Die Pharmafirmen dürfen Arzneimittel kostenlos, kostengünstig oder mit sonstigen ökonomischen „Incentives“ versehen dem stationären Bereich zur Verfügung stellen. Sie tun dies jedoch nicht aus Nächstenliebe, sondern deshalb, weil damit die Patienten im stationären Bereich auf teuere Arzneimittel „eingestellt“ werden, und diese teuren Arzneimittel dann auch im ambulanten Bereich – langfristig (!) – weiter verabreicht werden. Vielfach sind krankenhausversorgende Offizinapotheker in der Lage, einen Teil der für den stationären Bereich vorgesehenen Ware in den ambulanten Bereich gegen die Gewährung von Rabatten etc. weiterzuschleusen. Die Pharmaindustrie könnte diesen grauen Arzneimittelmarkt unschwer unterbinden, nützt ihnen aber teilweise auch selbst zur Marktdurchdringung mit bestimmten Medikamenten. Auch öffentliche Körperschaften befleißigen sich korruptiven Verhaltens. Benachteiligt sind gemeinsame Kassen, wie der Risikostrukturausgleich oder andere Sozialsysteme, wie die Pflegeversicherung oder die Rentenversicherung. So wurden im Zusammenhang mit der Einführung des Risikostrukturausgleichs Familienversicherte in den RSA gebucht und hierdurch der RSA in Milliardenhöhe geschädigt. Bis heute werden zu Lasten der Pflegeversicherung von bestimmten Kassen Fehlbuchungen von Pflegehilfsmitteln, die eigentlich zu Lasten der Krankenversicherung gebucht werden müssten, vorgenommen. 3. Legales, aber rechtspolitisch und rechtsethisch bedenkliches Verhalten Hierzu seien beispielhaft folgende Tatbestände angeführt: Naturalrabatte: Beschleunigt durch die vor einiger Zeit erfolgte Änderung der so genannten aut-idem-Regelung werden den abgebenden Apotheken von der Pharmaindustrie zunehmend Rabatte, insbesondere Naturalrabatte, gewährt. Für die Hersteller, vor allem für die Hersteller von Generika, ist dies ein Absatzförderungsinstrument. Über Naturalrabatte wird darüber hinaus Ware aus dem grauen Arzneimittelmarkt im Markt der Offizinapotheken untergebracht, zumal es sich hierbei oft um Einzelchargen handelt, die ohne Rabattierung nicht veräußert werden könnten. Die Apotheker berechnen den Krankenversicherungen – im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens den Versicherten selbst – den Arzneimittelpreis ohne Berücksichtigung der gewährten Rabatte. Dieses Verfahren ist nach herrschender Meinung legal, rechtspolitisch jedoch bedenklich, da der Apotheker mit seinem Apothe-

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kenzuschlag ausreichend entlohnt ist. Insoweit ist es durchaus konsequent, dass der Gesetzgeber nunmehr durch das AVWG – entgegen dem allgemeinen Trend zur Liberalisierung bei der Preisgestaltung – ein Rabattverbot einführen will. Ob und inwieweit sich dies in der Praxis bewähren wird, wird sich zeigen. Bekanntlich können derartige Rabattverbote unschwer durch sonstige absatzfördernde Instrumente – Zahlungen auf Auslandskonten, getarnte Wissenschaftsleistungen etc. – umgangen werden. Die Praxis im ärztlichen Bereich liefert hier genügend Beispiele. Insoweit wäre es wohl anreizkompatibler gewesen, kein Verbot auszusprechen, dafür aber die aut-idem-Regelung in ihrer ursprünglichen Form wieder herzustellen und die gewährten Rabatte bei der Festpreisbildung zu berücksichtigen. Praxissoftware: Rechtlich zulässig ist bis heute die kostenlose Überlassung der Praxissoftware von bestimmten Firmen, die im Einflussbereich der Pharmaindustrie, insbesondere der Generika-Hersteller stehen. Mit dieser Praxissoftware wird der Arzt automatisch auf die pharmazeutischen Produkte eines bestimmten Herstellers geleitet. Dessen Produkte sind oftmals wesentlich teurer als vergleichbare generische Konkurrenzprodukte. Auch insoweit hat nunmehr der Entwurf eines AVWG die richtige Konsequenz gezogen und die Zertifizierung der Praxissoftware durch die – insoweit neutrale – Kassenärztliche Bundesvereinigung vorgesehen. Eigenlabor/Fremdlabor: Der Zahnarzt ist nicht verpflichtet, zahntechnische Produkte im gewerblichen Fremdlabor eines Zahntechnikers anfertigen zu lassen, sondern kann die Anfertigung auch im so genannten Eigenlabor seiner Praxis durchführen. Insoweit gibt es kein Dispensierverbot. Dementsprechend eröffnet das Eigenlabor auch vielfältige Möglichkeiten der Manipulation. Zunächst ist der Zahnarzt aus wirtschaftlichen Gründen motiviert, sein Eigenlabor immer voll auszulasten. Dies kann dazu führen, dass zahntechnische Leistungen auch dann appliziert werden, wenn sie eigentlich medizinisch nicht indiziert sind. Darüber hinaus ist das Eigenlabor das ideale Einfallstor für billig hergestellten Zahnersatz aus dem Ausland, wie der so genannte Globudent-Fall zeigt. Für die Zulassung von Eigenlaboren sprechen zwar gewichtige praktische Vorteile, wie die flexible schnelle Patientenversorgung. Eine Wettbewerbsgleichheit zwischen Fremd- und Eigenlaboren wird es jedoch nicht geben können, wie sich aus dem durchschnittlich doppelt so hohen Umsatz des Eigenlabors gegenüber dem Fremdlabor ergibt. Sponsoring von Patientengruppen: Die unmittelbare ökonomische Interessenverfolgung der Pharmaindustrie wird zunehmend von einem kritischen Kommentar der Öffentlichkeit begleitet. Insoweit verwundet es nicht, dass sich die Pharmaindustrie auf die mittelbare Interessenverfolgung durch Sponsoring von solchen Patientengruppen verlegt, für die sie Produkte auf den Markt bringt. Die Gruppe der Erkrankten an Morbus Alzheimer und

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ihre Angehörigen sind genauso wie die Gruppe der Herz-Kreislauf-Kranken, der Osteoporosekranken oder der Diabetiker ein Millionenpublikum, das unschwer instrumentalisiert werden kann und dafür sorgt, dass auch problematische Produkte mit geringer Wirksamkeit nicht auf Positivlisten erscheinen oder bei einer Nutzenbewertung durchfallen. Der AABG-Deal vom 08.11.2001: Durch den Entwurf eines Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetzes (AABG) sollte der Pharmaindustrie ein Preisabschlag auf ihre Produkte in Höhe von 4 Prozent auferlegt werden. Für die global agierende Pharmaindustrie war dieser faktische „Zwangsrabatt“ nicht nur wegen der entsprechenden Schmälerung der Gewinnmargen problematisch, sondern insbesondere auch aufgrund der Absenkung des Preisniveaus im Rahmen der in verschiedenen anderen Ländern üblichen Referenzpreisbildung. Die damalige Bundesregierung ließ sich den Verzicht auf die Preisreglementierung durch eine Pauschalzahlung der Pharmaindustrie in Höhe von rund 200 Mio. Euro entlohnen. „Wissenschaftliche“ Beratung der Politik: Wissenschaft sollte nach Wahrheit streben. Bedauerlicherweise erliegt der Wissenschaftler in der Praxis aber oft ökonomischen oder sonstigen Interessen. Das gilt nicht nur für die vielen Auftragsstudien der Pharmaindustrie, die wissenschaftlich oft wertlos sind, sondern auch für die volkswirtschaftliche Beraterszene der deutschen Gesundheitspolitik. Musterbeispiel für die Verfälschung wissenschaftlicher Ergebnisse aus politischem Opportunismus ist der Fall Lyssenko. Lyssenko war ein sowjetischer Biologe, der aus politischem Opportunismus eine dialektisch-marxistische Vererbungslehre entwickelte und sie mit manipulierten Versuchen „untermauerte“. Danach sollten entgegen dem allgemein anerkannten Prinzip „Mutation und Selektion“ neue Erbeigenschafen durch Verhalten gelenkt werden können, eine These, die die marxistische Dogmatik wissenschaftlich absichern sollte. Ein ähnlicher Fall im Bereich der Gentechnik ereignete sich jüngst in Korea. Im deutschen politischen Beratungsgeschäft ist die wissenschaftliche Studie ein beliebtes Instrument zur Unterstützung politischer Forderungen. Die Studien sind meist ergebnisorientiert gestaltet, was bei der Flexibilität des volkswirtschaftlichen Instrumentariums bekanntlich nicht sehr schwer ist. III. Struktureller Hintergrund der Korruption im Gesundheitswesen Wenn man von der These ausgeht, dass normabweichendes Verhalten statistisch bei den Menschen in etwa gleich verteilt ist, dann müssen es wohl strukturelle Gründe sein, wenn normabweichendes Verhalten in einem Bereich besonders häufig auftritt. Was sind diese strukturellen Gründe?

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1. Gesundheitsmarkt als ein besonderer Markt „Invisible hand“-Metapher funktioniert im Gesundheitswesen nicht. Das marktwirtschaftliche Theorem beruht auf der eigennützigen Interessenverfolgung jedes einzelnen Marktteilnehmers. Der volkswirtschaftliche Nutzen stellt sich dennoch von alleine ein „ . . . (man) intends only his own gain, and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end, which was not part of his intention“. Diese Metapher von Adam Smith, die quasi die Grundregel der Marktwirtschaft umschreibt, setzt voraus, dass der einzelne seine Interessen unschwer verfolgen kann und bei der Verfolgung seiner Interessen dem anderen nicht a priori überlegen ist. Gerade hierin liegt aber das Problem des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Der Arzt ist nicht nur intellektuell überlegen, weil er seine Leistung überblickt, während der Patient dies meist nicht kann. Er ist auch emotional überlegen, da die Gesundheit für den Patienten ein existentielles Gut ist, über das der Patient nicht preisrational verfügt. Gerade wenn der Patient schwer krank ist oder um sein Leben kämpft, wird er regelmäßig alle materiellen Güter hingeben, um wieder gesund zu werden. Um hier eine Domestizierung des ökonomischen Interesses zu erreichen, wird der Arzt eben nicht als ein üblicher Gewerbetreibender angesehen, sondern auf die Stufe des „freien Berufs“ gehoben, dessen Berufsausübung eigentlich nicht zum Zwecke des Gelderwerbs erfolgt und dessen Liquidationsmöglichkeit sich an einer strikten Gebührenordnung orientiert und nicht an der Chance der konkreten Marktsituation. 2. Versicherungssystem Das Gesundheitswesen ist in nahezu allen entwickelten Industriestaaten heute als ein Versicherungssystem ausgestaltet. Das Wesen eines Versicherungssystems ist die Übernahme des ökonomischen Risikos der Krankheit des Nachfragers der versicherten Leistung durch das Kollektiv der Versicherten. Nahezu allen Versicherungssystemen ist das sog. „moral-hazard“Verhalten immanent. Entsprechend seinem individuellen ökonomischen Kalkül verhält sich der Versicherte Nutzen maximierend. Vereinfacht gesprochen: Er versucht möglichst viel aus dem System herauszuholen, da ja nicht er, sondern das Kollektiv die Rechnung bezahlt. Dieses Verhalten wird noch ausgeprägter bei steigenden Zwangsbeiträgen. Aber auch bei den Leistungserbringern führt das Versicherungssystem zu einem unzureichenden Kostenbewusstsein, da der ökonomisch nur begrenzt leistungsfähige Patient nicht Schuldner ist, sondern das nahezu unbegrenzt leistungsfähige Versichertenkollektiv. „Moral-hazard“-Verhalten ist jedem Versicherungssystem immanent. Es spielt hierbei keine Rolle, ob dieses Versicherungssystem öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich organisiert ist. Es kann marktwirt-

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schaftlich konform bekämpft werden, wenn man auf Versichertenseite wieder ökonomische Anreize, zum Beispiel durch Eigenbeteiligungen, Selbstbehalte, Beitragsrückgewähr, Praxisgebühren etc. einführt. Freilich führt das zur Rücknahme des Versicherungsschutzes. Kollektiv organisierte Bekämpfungsmaßnahmen setzen an der Überprüfung des Ausgabeverhaltens der Leistungserbringer an. Stichproben- und Durchschnittsprüfungen sind hier geeignete Maßnahmen, um korruptivem Verhalten auf die Spur zu kommen und zu bekämpfen. 3. Intransparenz allgemein Wie oben (III. 1., 2.) dargestellt, verhält sich der Versicherte im Bezug auf seine eigene Gesundheit meist nicht preisrational. Gesundheitsgefährdendes Verhalten, wie z. B. der Genuss legaler und illegaler Drogen, wirkt sich oft nicht kurzfristig aus. Diagnose und Therapie einer Krankheit werden oft unzureichend verstanden. Die Qualität eines Leistungserbringers ist oft nicht oder nur sehr schwer einzuschätzen. Soweit Qualitätslisten bestehen, sind sie meist methodisch unzureichend oder selbst Gegenstand der Manipulation. Das Angebot auf dem medizinischen Markt wird fast immer von den Leistungserbringern definiert und nicht von den Leistungsempfängern. Krankheit ist kein naturwissenschaftlicher Begriff, sondern ein normativer. Krank ist, wer als krank definiert wird. Und die Definitionshoheit haben die Leistungserbringer. Bestes Beispiel hierfür sind Blutdruck- und Cholesterinwerte. Werden sie großzügig angesetzt, sinkt die Zahl der Kranken, umgekehrt steigt sie. Für die Leistungserbringer, insbesondere die Pharmaindustrie, eröffnet sich damit ein Milliardenmarkt oder auch nicht. Datenschutz: Entsprechend den datenschutzrechtlichen Prinzipien können Daten nur verarbeitet und weitergegeben werden, soweit entsprechende gesetzliche Ermächtigungen vorliegen. Da die Gesetze die hochkomplexen Abläufe im Gesundheitswesen in der Regel nicht umfassend nachvollziehen können, gibt es oft erhebliche Kontrolllücken, die von vielen Leistungserbringern rigoros ausgenutzt werden. Die Datenschutzgesetze und die damit verbundenen Institutionen wie die Datenschutzbeauftragten sind für viele Leistungserbringer das ideale Mittel, Hürden aufzubauen, um korruptive Konstellationen zu verschleiern. Co-produktive Herstellung von personenbezogenen Dienstleistungen: Gesundheitsdienstleistungen werden oft nicht von einem einzelnen Leistungserbringer, sondern von vielen in Zusammenarbeit erbracht. So benötigt der Haus- oder Facharzt Labordaten, bildgebende Verfahren oder Unterstützung von einem Arzt einer anderen Fachgruppe oder einem sonstigen Dienstleister des Gesundheitswesens wie z. B. einem Zahntechniker, einem Physiothe-

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rapeuten oder einem Apotheker. Was hier abläuft, wer mit wem kooperiert und wie die einzelnen Dienstleistungen zusammenhängen, versteht der Patient meist nicht, und selbst die Kontrolleure von Versicherungen scheitern oft an der Komplexität der Sachverhalte verbunden mit der Interpretationsfähigkeit medizinischer Sachverhalte. Sachleistungssystem: Das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung geht vom Sachleistungssystem (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) aus, also der Trennung der Leistungserbringung für den Versicherten und der Bezahlung der Leistung. Kostenerstattung – also die Bezahlung der Leistungserbringung durch den Versicherten selbst und Erstattung der Kosten durch die Versicherung – ist nur in Ausnahmefällen (§ 13 SGB V) zulässig. Die Folge ist, dass der Versicherte regelmäßig weder Art und Umfang der abgerechneten Leistungen erfährt noch über die Höhe des Preises informiert wird. Damit ist von vorneherein eine Marktkonstellation nicht gegeben. Das Sachleistungsprinzip ermöglicht darüber hinaus unschwer ein kollusives Zusammenwirken diverser Akteure des Gesundheitswesens zu Lasten des Versicherungssystems. Andererseits schützt es die Versicherten vor Übervorteilung durch die Leistungserbringer, da sich diese mit dem relativ starken Kollektiv auseinandersetzen müssen und nicht mit den wirtschaftlich schwachen Versicherten. Gerade bei teuren Leistungen sichert es zudem die jederzeitige Liquidität der Versicherten als Nachfrager nach Gesundheitsleistungen. Nicht umsonst gehen insoweit auch die privaten Versicherungen bei Krankenhausleistungen zunehmend zu einer Direktabrechnung mit dem Krankenhaus und damit faktisch zum Sachleistungsprinzip über. 4. Im Besonderen: Komplexes und intransparentes Abrechnungssystem Die Abrechnung ärztlicher Leistungen geschieht in Deutschland nicht nach einem einheitlichen System. Im privatärztlichen Bereich und im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es völlig unterschiedliche Systeme. Es kommt hinzu, dass die Gebührenordnungen im privatärztlichen Bereich über Jahre hinweg aus politischen Gründen nicht mehr fortgeschrieben wurden, so dass in der Gebührenordnung für bestimmte ärztliche Leistungen zunehmend Lücken auftreten und die Bewertungen der Leistungen infolge des medizinischen Fortschritts, aber auch infolge der Inflationsentwicklung nicht mehr realistisch sind. Hinzu kommt, dass sich in den Preisen neben analytischen Kostenfeststellungen auch historische Marktpreise und bestimmte Interessen von Leistungserbringern widerspiegeln, die im Endergebnis zu einem intransparenten und nicht schlüssigen Preisgefüge führen. Insoweit wird durchaus zu Recht die politische Forderung nach einheitlichen Preisen für alle ärztlichen Leistungen erhoben, unabhängig ob sie für einen PKV- oder GKV-Versicherten erbracht werden.

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5. Gerechtigkeitsprobleme Das System der gesetzlichen Krankenversicherung postuliert zwar eine leistungsadäquate Vergütung, die praktische Umsetzung ist jedoch oft defizitär. Zwar können Einzelleistungen durchaus leistungsinadäquat vergütet werden, solange die Gesamtleistung angemessen ist. Jedoch gibt es hierüber ständige politische Auseinandersetzungen, da das Gesamthonorar budgetiert und eine faire Interessenrepräsentanz der einzelnen Arztgruppen, insbesondere der kleineren, in den Kassenärztlichen Vereinigungen nur begrenzt politisch realisierbar ist. Die Budgetierungsrestriktionen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung führen darüber hinaus zu Ausweichreaktionen der Ärzte in die flexiblere privatrechtliche Gebührenordnung und dort zu Leistungs- und Gebührenausweitungen. Die Inkongruenz zivilrechtlicher, sozialrechtlicher und verfassungsrechtlicher Entscheidungen verstärkt darüber hinaus das Gefühl vieler Leistungserbringer, ungerecht behandelt zu werden. Quasi als Revanche versucht man deshalb aus dem System herauszuholen, was einem aus seiner Sicht in „unrechtmäßiger“ Weise vorenthalten wurde. 6. Unzureichende Wettbewerbsstrukturen Das deutsche Gesundheitssystem ist ein „Bastard-System“ zwischen Planwirtschaft, Syndikalismus und Marktwirtschaft. Rechtlich und faktisch bestehen sowohl auf Seiten der Leistungserbringer als auch auf Seiten der Krankenkassen Monopolstrukturen. Viele AOK’en sind auch heute noch auf regionaler Ebene faktisch Monopolanbieter von Versicherungs- bzw. Monopolnachfrager nach Gesundheitsleistungen. Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen haben heute noch weitgehend Monopolcharakter, wenngleich dieses Monopol durch den Gesetzgeber zunehmend durch Vertragsgestaltungen außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigungen aufgebrochen wird. Auch das ärztliche Standes- und Vertragsarztrecht ist zwar in vielen Fällen aus guten Gründen reglementiert, verhindert aber gerade dadurch zureichende Wettbewerbsstrukturen. Gerade dieses Geflecht von Monopol, standesrechtlichen Restriktionen und wettbewerblichen Elementen ist ein idealer Nährboden für korruptives Verhalten. 7. Nomenklatura-Strukturen auf der Entscheidungsebene Das deutsche Gesundheitswesen ist durch eine ständige Abfolge neuer Gesetze, Verordnungen und Erlasse weitgehend politisch determiniert. Auch auf den verschiedenen Entscheidungsebenen des Systems agieren Personen aus dem politisch-gesellschaftlichen Geflecht. Während die Gewaltenteilung

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im klassischen administrativen Bereich weitgehend durchgehalten wird, wird sie im Sozialversicherungsbereich in weiten Bereichen ausgehebelt. Verwaltungsräte der Krankenkassen sitzen im Parlament bis hin zum Gesundheitsausschuss des deutschen Bundestages und vertreten dort die Interessen ihrer Institutionen. Die Krankenkassen selbst sind weitgehend institutionalisierter Beutebestandteil des Gewerkschaftslagers und der Arbeitgebervereinigungen. Demokratische Wahlen finden zum großen Teil nicht statt. Gerade das Institut der „Friedenswahl“ ermöglicht ausgeprägte Nomenklatura-Strukturen mit der Konsequenz, dass bestimmte Entscheidungsträger zugleich den Vorsitz eines Verwaltungsrates einer Großkasse, den Vorsitz der Vertreterversammlung einer Rentenversicherungsanstalt und die DGB-Spitze besetzen und gleichzeitig ein Bundestagsmandat und einen Sitz im Gesundheitsausschuss des Bundestages innehaben. Vertreter auf der Arbeitgeberseite agieren durchaus auch auf Seite der Leistungserbringer, sei es, dass sie dort formell Beiratspositionen etc. innehaben, sei es, dass sie über ihre Verbandsfunktionen gerade industriellen Leistungserbringern wie Herstellern von bestimmten Medizingeräten, Pharmaherstellern etc. nahe stehen. Institutionen des Systems wie der Gemeinsame Bundesausschuss verleiten dazu, dass die Interessen der dort Repräsentierten vorrangig vor Interessen der dort nicht Repräsentierten verfolgt werden, wie diverse Leistungsausschlüsse des Bundesausschusses beweisen. 8. Unzureichende externe Prüfungen Zwar unterliegen Ärzte und Zahnärzte einer Abrechnungsprüfung durch ihre jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen, jedoch sind diese oft unzureichend. Insbesondere fehlen Prüfungen vor Ort in der Praxis des Leistungserbringers. Auch sind die Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Prüfungen durchführen, Organisationen der Leistungserbringer und deshalb sehr oft interesseninvolviert. Hieran haben im Endergebnis auch die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen (§§ 81a, 197a SGB V) nichts geändert. Ihre Implementierung erfolgt von KV zu KV aber auch von Kasse zu Kasse höchst unterschiedlich. Aus den ersten vorliegenden Berichten ist zu entnehmen, dass sie teilweise nur die Funktionen eines Placebos haben. Ob und inwieweit die Aufsichten hier in der Lage sind, den „Hund zum Jagen zu tragen“, wird sich zeigen. 9. Situation bei den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden Während der Bereich des Gesundheitswesens über Jahrzehnte hinweg strafrechtlich mehr oder minder eine „terra incognita“ war, bessert sich

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bei einzelnen Staatsanwaltschaften die Situation allmählich. Für die Staatsanwaltschaften ist die Eroberung dieses Geländes auch deshalb schwierig, weil ihnen vielfach sowohl das medizinische als auch das sozialrechtliche „know-how“ fehlt. Es kommt hinzu, dass auch die Staatsanwaltschaften unter der restriktiven Personalpolitik des öffentlichen Sektors leiden und deshalb gerade ermittlungsaufwändige Sachverhalte oft nur unzureichend recherchieren können. 10. Defizite bei den Aufsichten Auch die Rechtsaufsichtsbehörden über die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen sind aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, komplexe Korruptionsfälle zureichend zu bekämpfen. Das rechtsaufsichtliche Instrumentarium ist für solche Fälle eigentlich nicht geschaffen, denn es geht vom Vorliegen rechtswidrigen Verhaltens nur in Ausnahmefällen aus. Das vom Gesetz vorgesehene Verfahren ist extrem umständlich, teilweise sind bei Rechtsverstößen keine Sanktionen vorgesehen bzw. Sanktionen, die niemandem wehtun. Erst nach und nach sind bei besonders extremen Fällen gewisse Sanktionsmöglichkeiten geschaffen worden (z. B. § 79a SGB V, Bestellung eines Beauftragten), die jedoch meist nur punktuell greifen. Es kommt hinzu, dass das sozialgerichtliche Verfahren in der Praxis extrem lange dauert, so dass viele Rechtsverstöße durch die ständigen im System stattfindenden Rechtsänderungen zum Entscheidungszeitpunkt überholt bzw. erledigt sind. Oftmals verhindern auch die dramatisch hohen Ausgleichskosten eine Revision eines Rechtsverstoßes. Dies gilt insbesondere dann, wenn durch die Korrektur die Institution insgesamt finanziell gefährdet wäre. 11. Die politische Komponente bei den Aufsichten Während die Prüfämter nach den einschlägigen landesrechtlichen Regelungen weitgehend fachlich unabhängig sind, unterliegen die Aufsichtsbehörden – meist integriert in die zuständigen Landesministerien oder in das Bundesgesundheitsministerium – der vollen Weisungsbefugnis der politischen Spitze. Dementsprechend wird von dieser immer wieder in die eine oder andere Richtung Einfluss genommen. Gerade vor Wahlen werden politisch inopportune administrative Entscheidungen beeinflusst. Beispiel hierfür ist die illegale Verschuldung der Krankenkassen bis zu 10 Mrd. Euro in den Jahren 2000–2004. Auch bei der Einführung der Disease-Management-Programme wurden auf politischen Druck gesetzliche Restriktionen beim Einschreibeverfahren außer Acht gelassen, um möglichst schnell eine politisch opportune Erfolgsbilanz für die Bundestagswahl vorweisen zu können.

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Insbesondere Landesaufsichten werden immer wieder unter Druck gesetzt, wenn es um die Korrektur illegalen Verhaltens einzelner Landeskörperschaften geht. Gehört der Vorsitzende einer großen Regionalkasse der gleichen politischen Partei an wie der für die Aufsicht zustehende Minister, so verbindet beide oft die gemeinsame Interessenlage, die landeseigene Körperschaft im Verhältnis zu anderen Landeskörperschaften oder einer Bundeskörperschaft zu privilegieren. Ein Beispiel hierfür ist die Verfolgung illegaler Fehlbuchungen von Pflegehilfsmitteln durch bestimmte Krankenkassen. Hier ist es bezeichnend, dass nur einzelne Länderaufsichten und die Bundesaufsicht dagegen vorgegangen sind, der größte Teil der Länderaufsichten jedoch das Geschehen toleriert oder sich mit dem Hinweis auf ein angebliches Musterverfahren mit den illegalen Fehlbuchungen „abfindet“. IV. Lösungsansätze Alle Gesundheitssysteme – öffentlich-rechtlich wie privatrechtlich organisiert – sind korruptionsanfällig. Selbst wenn man strukturelle Änderungen vornimmt, wird es immer korruptives Verhalten geben. Gesundheitssysteme sind in jedem entwickelten Industriestaat Versicherungssysteme. Die mit den Systemen verbundenen medizinischen, medizin-technischen, organisatorischen und juristischen Sachverhalte werden in Zukunft nicht einfacher, sondern eher komplexer und damit schwieriger zu beherrschen. Die moralischen und ethischen Bindungen der Leistungserbringer, aber auch der Versicherten nehmen tendenziell eher ab. Gesetzgeberische Interventionen folgen keinerlei „Systemplan“, sondern schlagen meteoritenhaft auf das System ein. Dennoch gibt es eine gewisse Chance, korruptives Verhalten zwar nicht ganz abzustellen, jedoch einzuschränken und einzugrenzen. Dies fordert auch die immer dringender werdende Frage der finanziellen Ressourcen. Korruptives Verhalten ist immer auch eine Ressourcenverschwendung, die man sich umso weniger leisten kann, je weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Welche Punkte müssen angegangen werden? 1. Konsequente Einhaltung elementarer rechtsstaatlicher „basics“ Zunächst ist erforderlich, dass alle beteiligten Stellen strikt den gegebenen Rechtsrahmen einhalten. Das gilt insbesondere für die politischen Eliten, die Maßstabsfunktion für die sonstigen Gewaltunterworfenen haben. Illegales Verhalten der öffentlichen Körperschaften darf unter keinen Umständen toleriert oder gar gefördert werden. Wer hier „erwischt“ wird, muss zumindest sein Amt verlieren. Hierfür sind institutionelle Regelungen zu schaffen.

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Aber auch die politische Toleranzschwelle gegenüber korruptivem Verhalten der „classa politica“ ist zu ändern. Es muss hier das Prinzip der Null-Toleranz gelten. 2. Konsequente Verfolgung kriminellen Verhaltens Soweit eindeutig kriminelles Verhalten vorliegt, ist die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Der Gesetzgeber hat mit den Tatbeständen der §§ 81a Abs. 4, 197a Abs. 4 SGB V und § 47a SGB XI nunmehr explizit angeordnet, dass die Staatsanwaltschaften unverzüglich unterrichtet werden „sollen“, wenn die Prüfung ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlung mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung bestehen könnte. Im Endergebnis bedeuten diese gesetzlichen Bestimmungen, dass regelmäßig bzw. grundsätzlich die Staatsanwaltschaft einzuschalten ist. Strittig ist hier allenfalls, ob die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen auch befugt sind, über den subjektiven Tatbestand zu entscheiden. Aber auch bei den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbehörden sind Verbesserungen nötig. Das betrifft sowohl das notwendige „Know-how“ als auch die Personalausstattung. Die Ermittlungen müssen zeitnah und konsequent durchgeführt werden, um eine schnelle Verurteilung der Täter zu erreichen. Auch die Gerichte müssen den zur Verfügung stehenden Strafrahmen konsequent ausnutzen. Es geht nicht an, dass Abrechnungsbetrug deutlich geringer geahndet wird als sonstige Betrügereien im Wirtschaftsleben. Für den Bereich der Administrierung der Körperschaften in der Sozialversicherung erscheint zudem die Fixierung eines gesonderten Tatbestands der Haushaltsuntreue unumgänglich. Es darf nicht sein, dass öffentliche Kassen immer wieder in die Töpfe anderer öffentlicher Kassen und Versicherten langen, um ihren Haushalt zu konsolidieren. Darüber hinaus sind auch Tatbestände, die bislang nur durch das Standesrecht sanktioniert werden, wie die Annahme von „kick backs“, konsequent strafrechtlich zu verfolgen. 3. Sonstige Sanktionen Neben der konsequenten Strafverfolgung und der Schaffung neuer Straftatbestände sind auch weitere Maßnahmen erforderlich: – Leistungserbringer, die einer Bestechung oder Vorteilsgewährung überführt worden sind, müssen zumindest für einen bestimmten Zeitraum von der Leistungserbringung ausgeschlossen werden. So sollten Erbringer von Reha-Leistungen, die Kassenfunktionäre bestochen haben, für länger Zeit nicht mehr von den Kassen mit Patienten beschickt werden, auch wenn dies in dem einen oder anderen Fall den Konkurs des Unternehmens zur Folge haben könnte.

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– Niedergelassene Vertragsärzte, die sich einer schwerwiegenden Abrechnungsmanipulation schuldig gemacht haben, sollte der Zulassungsausschuss konsequent die Zulassung entziehen (§ 95 Abs. 6 SGB V i. V. m. § 27 Zulassungsverordnung-Ärzte). – Die berufsdisziplinarrechtlichen Sanktionen und Maßnahmen bis hin zu Approbationswiderruf sind konsequent auszuschöpfen und anzuwenden (§§ 5 Abs. 2, 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO). 4. Abbau intransparenter Strukturen Offenlegung der Verflechtungen der Akteure: Es ist unerlässlich, dass die wettbewerblichen Beteiligungen von Leistungserbringern und sonstigen Akteuren im Gesundheitswesen offen gelegt werden. Allererste Voraussetzung der Bekämpfung kollusiven Verhaltens ist die Offenlegung der Verflechtung der Beteiligten. Wer eine Funktion in einer öffentlichen Körperschaft unternimmt, sollte deshalb offen legen müssen, in welchem Gremium von Leistungserbringern er beteiligt ist. Ggfs. ist die Neutralität durch Inkompatibilitätsvorschriften zu sichern. Stärkung der Kompetenz des Patienten: Zentral ist auch die Stärkung des Patienten in seiner gesundheitlichen Kompetenz, um zumindest ein Mindestmaß an Kontrollfunktion wahrnehmen zu können. Internetportale der Kassenärztlichen Vereinigungen oder der Ärztekammer sind hier genauso ein geeignetes Instrumentarium wie die Aufklärungsarbeit der staatlichen Institutionen oder der Patientenverbände. Konsequente Leistungsaufstellung und Euro-Rechnung: Es ist technisch ohne weiteres machbar, dass der gesetzliche Versicherte nach der Behandlung, mindestens aber am Quartalsende eine detaillierte Aufstellung der ihm gegenüber erbrachten Leistungen und ggfs. auch der (voraussichtlichen) Vergütung erhält. Kostenerstattungsprinzip? Hinsichtlich der Kostentransparenz würde sicherlich die generelle Einführung des Kostenerstattungsprinzips am weitesten führen. Eine obligatorische Einführung des Kostenerstattungsprinzips ist jedoch gerade im Interesse des Versichertenschutzes abzulehnen. Veröffentlichung der Berichte der Prüfbehörden: Die Berichte der Prüfbehörden (Landesprüfungsämter, Bundesversicherungsamt und Bundesrechnungshof) sollten jedem Versicherten, der dies verlangt, zugänglich gemacht werden. Möglich wäre auch, diese Berichte konsequent ins Internet einzustellen. Einen Fortschritt hat bereits die Vorschrift des § 305b SGB V gebracht. Danach haben die Krankenkassen in ihren Mitgliederzeitschriften in hervorgehobener Weise und gebotener Ausführlichkeit jährlich für die

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Verwendung ihrer Mittel im Vorjahr Rechenschaft abzulegen und zugleich ihre Verwaltungsausgaben gesondert als Beitragssatzanteil auszuweisen. Konsequente und nachvollziehbare Veröffentlichung der Vorstandsgehälter: Mit Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2190) wurden die Krankenkassen gezwungen, „die Höhe der jährlichen Vergütungen der einzelnen Vorstandsmitglieder einschließlich Nebenleistungen sowie die wesentlichen Versorgungsregelungen in einer Übersicht jährlich zum 01.03., erstmalig zum 01.03.2004 im Bundesanzeiger und gleichzeitig in der Mitgliedszeitschrift der betreffenden Kassen zu veröffentlichen.“ Diese gesetzliche Bestimmung ist ein Meilenstein bei der Herstellung der Transparenz bezüglich der Verwendung der Zwangsbeiträge, wenngleich manche Kassenvorstände oder Vorstände von Kassenärztlichen Vereinigungen durch ungenaue oder unvollständige Angaben versucht haben, die wahren Vergütungstatbestände zu verschleiern oder sich gar insgesamt geweigert haben, ihre Vergütungen offen zu legen. 5. Separierung der Akteure versus „integrierte Versorgung“ Der Trend im Gesundheitswesen geht unter dem Schlagwort der „integrierten Versorgung“ hin zu mehr Vernetzung und Kooperation insbesondere zwischen dem stationären und ambulanten Bereich (vgl. §§ 140a ff. SGB V). Die integrierte Versorgung der Patienten ist für diese unter dem Gesichtspunkt der Prozessoptimierung differenzierter und komplexer Vorgänge durchaus von Vorteil. Vergessen wird jedoch hierbei das ökonomischstrukturelle Problem. Durch die zunehmende Verzahnung werden auch die Voraussetzungen für unzulässige Zusammenarbeit und Absprachen zur Ausplünderung des Systems „verbessert“. Rechtsstaatlichkeit auf der öffentlichrechtlichen Seite und Garantie einer Wettbewerbsstruktur auf der privatrechtlichen Seite erfordern jedoch prinzipiell die Separierung der Akteure. Mit der integrierten Versorgung werden diese Akteure aber stärker und verknüpft verschränkt, die Gefahr der Ausplünderung des Systems gesteigert. Dieser Gesichtspunkt wurde bislang weder vom Gesetzgeber noch von den Apologeten der integrierten Versorgung aus dem gesundheitsökonomischen Bereich auch nur andeutungsweise beachtet. Es ist zu befürchten, dass durch weitere geplante „wettbewerbliche“ Strukturen, die Missbrauchsmöglichkeiten eher weiter ausgebaut als eingeschränkt werden. 6. Einhaltung des Koppelungsverbotes Grundsätzlich sollten ökonomische Anreize nicht kausal für die Erbringung einer medizinischen Leistung sein. Das Dispensierverbot bei der Arzneimittelversorgung ist hier der Prototyp des allgemeinen Gedankens. Inso-

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weit ist es auch verfehlt, dass Zahlungen aus dem Risikostrukturausgleich für die Einschreibung von Disease-Management-Programmen geleistet werden. Diese Koppelung ist aufzuheben. Das Gleiche gilt für Regelungen, die für eigene ökonomische Zwecke leicht instrumentalisiert werden können, wie die gegenwärtige aut-idem-Regelung. Wenn durch die Änderung der Verordnung des Arztes der Apotheker die Chance erhält, ein Präparat abzugeben, bei dem er einen höheren ökonomischen Vorteil hat, als bei der Abgabe des verschriebenen Medikaments, so führt dies automatisch zu Missbräuchen. Auch diese Regelung ist zu ändern. 7. Externe Kontrollen Eine Eigenkontrolle ist im Gesundheitswesen regelmäßig nur sehr begrenzt möglich. Insoweit sollte der Kontrolleur neutral sein. Dies ist er jedoch im Gesundheitssystem sehr oft nicht, insbesondere wenn er in der gleichen Interessensituation ist wie der Kontrollierte. Deshalb sollten interne Kontrollen der Leistungserbringer zumindest durch externe Kontrollen von neutralen Dritten (z. B. MDK) ergänzt werden. Unerlässlich erscheint auch, dass die Kontrollen unmittelbar beim Leistungserbringer ansetzen und unangemeldet erfolgen. Gerade die Erfahrungen im Pflegeheimbereich beweisen, dass nur durch unangemeldete Kontrollen ein Mindestmaß an Qualitätssicherung zum Schutz der Pflegebedürftigen möglich ist. Dies gilt auch für Kontrollen zur Prävention des Abrechnungsbetrugs. 8. Stellen nach §§ 81a, 197a SGB V, § 47a SGB XI Die Einrichtung dieser Stellen zeigt, dass der Gesetzgeber in jüngster Zeit das Thema Korruptionsbekämpfung durchaus ernst nimmt. Die Proteste der Leistungserbringer, insbesondere bestimmter Zahnärzte, sind nach anfänglichem Aufbäumen sehr schnell wieder eingeschlafen, wenngleich eingeräumt werden muss, dass manche Körperschaften die Vorschrift nicht sehr ernst nehmen. Politisch strittig war insbesondere, ob und inwieweit die Stellen nach §§ 81a, 197a SGB V auch anonyme Anzeigen entgegennehmen und verfolgen müssen. Hier gab es kritische Stimmen, die den Stellen bei den Krankenkassen unterstellten, dass sie zu denunziatorischem Verhalten aufriefen. Die Ermöglichung anonymer Anzeigen hat mit Denunziation jedoch nicht das Geringste zu tun. Nicht umsonst richten manche Firmen besondere Stellen ein, um anonyme Anzeigen entgegennehmen zu können, zumal allgemein bekannt ist, dass es viele Situationen im Leben gibt, wo man eine Anzeige nicht offen erstatten kann. So hat der US-amerikanische

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Maximilian Gaßner

Gesetzgeber im Gefolge des Euron-Skandals mit dem „Sarbanes-Oxley“-Gesetz bei börsennotierten Gesellschaften anonyme Anlaufstellen für die Meldung korruptiven Verhaltens eingerichtet. 9. Stärkung der Marktwirtschaft (balances and checks) Eine effektive Bekämpfung von Missständen im System kann nur erfolgen, wenn die marktwirtschaftlichen Elemente des Systems gestärkt und ausgebaut werden. Es genügt dabei nicht, wie es in den jüngeren Gesetzen immer wieder geschieht, dass naiv marktwirtschaftliche Elemente implementiert werden. Unerlässlich ist es vielmehr, darauf zu achten, dass das Funktionieren der Marktwirtschaft zumindest eine gewisse Gleichgewichtigkeit der Austauschpartner (balances of power) genauso voraussetzt wie die Sicherstellung der Gleichgewichtigkeit durch einen entsprechenden staatlichen Ordnungsrahmen (checks). Hierzu ist zunächst erforderlich, dass der Versicherte – soweit dies aus sozialen Gründen überhaupt möglich ist – einen gewissen ökonomischen Anreiz hat, eine kostengünstige Versorgung zu wählen. Hierzu sind im Rahmen des sozial Zumutbaren Eigenbeteiligungen, Selbstbehalte, Beitragserstattungen, Beitragsrückgewähr, Festbeträge die geeigneten Instrumente. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass überall dort wo Austauschbeziehungen stattfinden, das allgemeine Wettbewerbsrecht als Ordnungsrahmen uneingeschränkt zur Anwendung gebracht wird. Je mehr der Gesetzgeber marktwirtschaftliche und vertragliche Elemente zulässt, je mehr er das Kollektivvertragsrecht durch Einzelverträge auflöst, desto notwendiger und dringender ist die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechtes. 10. Klarer Ordnungsrahmen für das Agieren der Krankenkassen Bislang sind zentrale Statusfragen im Recht der Krankenkassen ungelöst. So unterliegen die Krankenkassen keinem einheitlichen Insolvenzrecht. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts unterliegen sie zudem nicht dem Bilanzrecht privatrechtlicher Kapitalgesellschaften, sondern pflegen die kameralistische Buchführung. Klare Sanktionen bei Verstößen gegen Buchungsund Bilanzvorschriften fehlen. Insoweit ist der Gesetzgeber aufgerufen, klare und eindeutige Regelungen zu schaffen. 11. Aufbrechen der Nomenklatura-Strukturen Die oben dargestellten Nomenklatura-Strukturen sind aufzubrechen. Dazu sind folgende Maßnahmen notwendig:

Korruption im Gesundheitswesen

79

Verflechtungen abbauen: Der Wechsel von Personen der Aufsichtsbehörde zur beaufsichtigten Körperschaft muss ausgeschlossen bzw. Restriktionen unterworfen werden. Maßstab hierfür könnte § 20 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung sein. Entsprechend dieser Vorschrift sollte ein Wechsel zwischen Aufsichtsbehörde und beaufsichtigter Körperschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraums regelmäßig verboten werden. Dementsprechend könnte der Beamte oder Angestellte nur in eine solche Körperschaft oder Organisation überwechseln, die nicht von der Behörde beaufsichtigt wird, der er angehört. Ebenso sollten Politiker mit Mandat möglichst nicht in Verwaltungsräten oder Vorständen von Selbstverwaltungskörperschaften sitzen und Funktionäre ihre Tätigkeit auf möglichst ein Amt beschränken. Friedenswahl: Die Friedenswahlen sind abzuschaffen. Stattdessen muss den Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt werden, auf die Zusammensetzung der Vorschlagslisten im Rahmen der Wahlhandlung Einfluss zu nehmen. Dies würde das Interesse an den Sozialversicherungswahlen deutlich steigern, neuen Gruppierungen den Zugang zu den Selbstverwaltungsorganen erleichtern und die Bildung dieser Organe demokratischer und damit transparenter gestalten. 12. Mehr Gerechtigkeit im System Der Gesetzgeber ist gefordert, eindeutige und verständliche Regeln darüber aufzustellen, welches Verhalten er von seinen Rechtsunterworfenen erwartet. Hierzu ist folgendes erforderlich: – Die sozial- und zivilrechtlichen Haftungsmaßstäbe sind aufeinander abzustimmen und in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen. Es geht nicht an, dass das Zivilrecht oder das Strafrecht einen Maßstab (z. B. für die „lege-artis“-Behandlung) fordern und das Sozialrecht nicht die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt. Wie auch immer die Regel aussieht (Patientenschutz vor Budgetierung oder umgekehrt), jedenfalls ist die Positivierung einer derartigen Kollisionsregelung schon aus rechtsstaatlichen Gründen unerlässlich. – Im Hinblick auf den grauen Arzneimittelmarkt bedarf es einer klaren gesetzlichen Regelung zur eindeutigen und dauerhaften Kennzeichnung von Krankenhausware. 13. Beachtung ethischer Maßstäbe Die Reaktion auf korruptives Verhalten ist häufig die Etablierung neuer Rechtsregeln. Rechtliche Regeln werden deshalb geschaffen, weil moralische und ethische Regeln im Kreis der Betroffenen nicht mehr hinreichend

80

Maximilian Gaßner

Wirkung entfalten. Rechtliche Regeln sind jedoch meist nicht sehr flexibel. Sie müssen den rechtsstaatlichen Anforderungen in formeller und materieller Hinsicht genügen. Weil sie immer kontrolliert und überwacht werden müssen, sind sie eine ständige Quelle von Bürokratie. Insoweit wäre es für alle besser, wenn das Handeln der Beteiligten wieder mehr ethischen Maßstäben genügen würde. Ärztliches Handeln wird nicht allein von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geleitet, sondern auch von normativen, insbesondere ethischen Aspekten. Nicht umsonst bestimmt § 2 Abs. 1 der (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte, dass der Arzt – in Anlehnung an den hippokratischen Eid – „seinen Beruf nach seinem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit“ ausübt. Eine ethische Fundierung des Handelns der Akteure des Gesundheitswesens ist und bleibt auch im 21. Jahrhundert unerlässlich. Der Gesundheitsmarkt ist kein Markt wie der übliche Warenmarkt, wo sich regelmäßig annähernd gleichstarke Partner gegenüberstehen. Deshalb ist heute immer noch ein Festhalten an den Werten des hippokratischen Eides unerlässlich. V. Ergebnis Das Gesundheitssystem wird infolge seiner immanenten Verflechtungen auf den verschiedenen Leistungsebenen, seiner Anbieterdominanz und seiner nur begrenzt marktkompatiblen Ausgestaltung immer ein Ort korruptiven Verhaltens bleiben. Dennoch gibt es Ansätze für Verbesserungen. Sie müssen genutzt werden, zumal korruptives Verhalten zu einer erheblichen Ressourcenverschwendung und im Extremfall auch zu einer Gesundheitsgefährdung der Versicherten führen kann. Strikte Einhaltung rechtsstaatlicher „basics“ ist hier ebenso gefordert wie marktwirtschaftliche Elemente verbunden mit klaren Wettbewerbsregeln und einer konsequenten und harten staatlichen Kontrolle.

Korruption und Korruptionsbekämpfung im Sport Von Wolfgang Maennig Die meisten Korruptionsvorwürfe im Sport sollten zunächst einmal nicht ernst genommen werden. Wenn Sportler verlieren, neigen sie dazu, die Schuld überall zu suchen – aber nicht bei sich selbst. Gerne werden auch unlautere Machenschaften der Gegner wie Korruption und Doping als Argument angeführt. Und wenn Fans ihre Mannschaft verlieren sehen, ist der Vorwurf der Schiebung schon immer schnell da gewesen. Von daher spricht gerade im Sport Vieles für den juristischen Grundsatz, von Tatsachen nur auszugehen, wenn rechtskräftige Urteile vorliegen – und den Bericht über Fälle, in denen lediglich Verdachtsmomente vorliegen, entweder zu unterlassen oder aber die beteiligten Personen weitestgehend zu schonen. Allerdings gibt es aus ökonomischer Sicht einen Aspekt, der dafür spricht, sich explizit auch mit den Verdachtsmomenten zu befassen: Die tatsächliche Korruption in einer Gesellschaft hängt über den Mechanismus der „self-fulfilling prophecies“ positiv von der allgemein wahrgenommenen bzw. empfundenen Korruption ab. Eine Wahrnehmung, dass die Korruption weit verbreitet ist, senkt die eigenen Moralschranken. Insofern sollen sich die folgenden Ausführungen auch auf Fälle erstrecken, in denen noch keine rechtskräftigen Urteile, sondern lediglich Verdachtsmomente bestehen. Dies soll im Übrigen nicht als Versuch des Autors interpretiert werden, sich über die betroffenen Personenkreise des Sportes, insbesondere diejenigen, die im Folgenden direkt oder indirekt persönlich genannt werden, zu „erheben“. Einige der betroffenen Personen schätzt der Autor persönlich sehr, und er ist überzeugt, dass sie sich – teilweise ohne persönliche Vorteile, sondern nur zum Vorteil des von ihnen vertretenen Sportes – in den bestehenden (Sport)Strukturen trotz eigener moralischer Bedenken gezwungen fühlten, in (vermeintlich) korruptiver Manier zu handeln. Die Analyse der Motivation der Korruption in Abschnitt 2 verdeutlicht im Übrigen, dass sich aus ökonomischer Sicht korrupte Personen nicht strukturell von nichtkorrupten Personen unterscheiden, sondern ausschließlich durch die von ihnen wahrgenommenen Parameter in der Abwägung zwischen „sauberem“ und „unsauberem“ Wettkampf. Insofern sollte diese Arbeit eher als ein Fingerzeig an die Führungspersönlichkeiten in den Sportgremien gesehen werden, wie die Anti-Korruptions-

82

Wolfgang Maennig

maßnahmen gestaltet werden könnten, damit Athleten, Schiedsrichter und andere Funktionäre künftig nicht „in Versuchung geraten“. Intendiert ist, einen Beitrag zu leisten, um einer der schönsten „Nebensachen der Welt“ ihren wichtigen Platz in der Gesellschaft zu sichern – was nur möglich sein wird, wenn anerkannte Werte des Sports wie Fairness dauerhaft gesichert bleiben. Im Folgenden soll in Abschnitt 1 – nach einem Definitionsversuch des Begriffes der Korruption im Sport – zunächst ein Überblick über aktuelle Fälle gegeben werden. Es soll ferner dargestellt werden, weshalb die versuchte Abgrenzung der Korruption im Sport problematisch ist. In Abschnitt 2 wird die Korruption im Sport aus ökonomischer Sicht analysiert. In Abschnitt 3 werden die jüngst verabschiedeten Anti-Korruptionsmaßnahmen des Internationalen Amateurboxverbandes (AIBA) und des Deutschen Fußballverbandes (DFB) dargestellt. Sie basieren auf zwei grundsätzlich verschiedenen Ansätzen und können als stellvertretend für fast alle Antikorruptionsmaßnahmen im Sport gelten. Abschnitt 4 fasst zusammen und skizziert, inwieweit die typischerweise im Sport getroffenen Maßnahmen durch effiziente Maßnahmen aus ökonomischer Sicht ergänzt werden können. I. Definition(sproblematik) und Ausmaß der Korruption im Sport Im Folgenden soll unter Korruption im Sport ein Verhalten – von Athleten verstanden werden, bei dem diese nicht den sportüblich hohen Einsatz zur Erringung eines sportlichen Sieges oder guten Ranges leisten und anderen Athleten diesen vorsätzlich überlassen bzw. – von Funktionsträgern verstanden werden, in welchem diese ihnen übertragene Aufgaben bewusst nicht versehen entsprechend den Zielsetzungen und moralischen Werten ihres Vereines, Verbandes, des Wettkampfsportes im Allgemeinen und/oder der Gesellschaft, in welcher sich der Sport bewegt, weil sie hierdurch pekuniäre und nicht-pekuniäre Vorteile für sich (oder beispielsweise Bekannte, Verwandte und/oder nahe stehende Sportinstitutionen) von dem Begünstigten (bzw. dessen Bekannte etc.) erhalten oder erhoffen.1 Selbst bei Beschränkung auf die Jahre seit 20032 ist die Anzahl der Korruptionsfälle beeindruckend hoch. Tab. 1 gibt zunächst einen Überblick 1 Für alternative Definitionsversuche vgl. Theobald (1990), zu den verbleibenden Abgrenzungsschwierigkeiten Bardhan (1997, 1321). 2 Zu einem Überblick über die wichtigsten Korruptionsfälle des 20. Jahrhunderts und im klassischen Olympischen Sport sowie entsprechende Literaturhinweise vgl. Maennig (2005b).

bis 2005

Saison 2004/5

2004-2005

3

4

5

Polen

Türkei

Brasilien

Finnland

Nicht näher publizierte Manipulation von mehreren Begegnungen.

Der türkische Nationalmannschaftsspieler Gökdeniz Karadeniz (Trabzonspor Istanbul) gibt zu, mehrere Partien manipuliert zu haben, um Wetterlöse zu maximieren.

FIFA-Schiedsrichter Periera de Carvalho und Geschäftsmann Fayad geben zu, bis zu elf Erstligaspiele manipuliert zu haben. Schiedsrichter Paulo Danelon gibt Manipulation von 4 Partien in der Regionalmeisterschaft von Sao Paulo zu. Pro Spiel sollen 3700 bis 5550 e geflossen sein.

o.V. 2005l

Ashelm (2005), Deong (2004), ZDF (2003a)

Literaturquelle

o.V. 2005o

Verhaftung des Vorsitzenden des oberschlesischen o.V. 2005p Schiedsrichterverbandes und eines Schiedsrichters aus Niederschlesien. Fußballverband richtet EthikKommission ein, die bei Verdacht ermittelt. Vereinsungebundene Sonderbeobachter bei bestimmten Spielen. Schiedsrichter wohnen nur noch in vom Verband ausgesuchten Hotels.

10 monatige Spielsperre für Gökdeniz Karadeniz.

Elf Erstliga-Spiele wurden vom Verband annuliert. o.V. Diese Annulierung wurde allerdings von einem 2005m Gericht aufgehoben. Lebenslange Sperre für Car- und n n valho.

UEFA, finn. Fußballverband und Staatsanwaltschaft ermitteln. Erkki Alaja, Präsident des FC Alianssi und ein weiteres Vorstandmitglied treten zurück.

2005

2

Finnischer FC Alianssi soll Punktspiel absichtlich (hoch) verloren haben. Eigentümer des FC ist der Chinese Zhenyun Ye, der auch ein Wettbüro besitzt.

Vorwürfe, dass praktisch kein einziges Fußball-Li- Schiedsrichter J. Gong wegen Bestechlichkeit zu gaspiel unmanipuliert laufe. FIFA-Schiedsrichter 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Drei Spieler des J. Gong hat in den Jahren 2000 und 2001 insFC Chongqing Lifan wegen Absprachen gesperrt. gesamt 50.000 e von Buchmachern erhalten, damit er Spiele in der chinesischen Liga manipuliere.

China

andauernd

1

Gegenmaßnahmen

Art der Korruption(sverdachtsmomente)

Zeitperiode Land der Korruption

Lfd. Nr.

Tabelle 1 Korruption(sverdachtsfälle) im Fußballsport/Spielmanipulationen

Korruption und Korruptionsbekämpfung im Sport 83

2004

bis 2004

bis 2004

bis 2004

7

8

9

Art der Korruption(sverdachtsmomente)

FC Genua erkauft sich Sieg gegen AC Venedig, um aufzusteigen. Großteil der Erstligavereine im Verdacht, Fußballspiele in höchsten Ligen zu Wettzwecken zu manipulieren.

3 kroatische Wettspieler bestechen Schiedsrichter, Spieler und Vereinsfunktionäre und manipulieren mehrere Pokal- und Ligaspiele mit dem Ziel, Wetterlöse zu maximieren. Nach Hoyzer war es bis vor 2 Jahren üblich, dass Schiedsrichter auf Kosten der Vereine zu Bordell-Besuchen eingeladen wurden.

Südafrika 34 der 40 bestqualifizierten Schiedsrichtern des Südafrikanischen Fußballverbandes wird vorgeworfen, Spiele der höchsten Ligen für 3.000 Rands (normales Monatsgehalt) bis 40.000 Rand (5.300 e, Top-Gehalt) manipuliert zu haben. Die meisten sind geständig.

Italien

Deutschland

Russland/ Der Kapitän der lettischen Nationalelf Vitalijs AtLettland safjevs wirft dem russ. Fußballverband vor, versucht zu haben, den Ausgang des Spiels Lettl.Russland am 17.8.2004 (1:1) mit Geld zu manipulieren.

Zeitperiode Land der Korruption

6

Lfd. Nr.

Tabelle 1: Fortsetzung

o.V. 2005q

Literaturquelle

2 Verbandsangestellte und die meisten der Schiedsrichter werden verhaftet und gesperrt. Der südafrikanische Fußballpräsident Trevor Phillips denkt darüber nach, ausländische Schiedsrichter einzufliegen. Bislang keine Anklage erhoben.

o.V.2004g

Freisprüche für FC Chievo Verona, FC Modena Schümer und deren Funktionäre. Zwangsabstieg des Erst-Li- 2005, o.V. gisten FC Genua in die dritte Liga. Dessen Ver2005t einspräsident Preziosi tritt zurück. Ansonsten lediglich geringfügige Bußen gegen 34 verwickelte Spieler und 19 Vereine. Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen gegen namentlich nicht genannte Schiedsrichter auf.

DFB führt allgemeines Wettverbot für Spieler, o.V. 2005 Schiedsrichter und Funktionäre ein und überlegt r und s die Einführung einer eigenen Wette. DFB sperrt mehrere Schiedsrichter und Spieler. HSV erhält Entschädigung (0,5 Mio. e bar und 1 Länderspiel) im Wert von insg. rd. 2 Mio. e. Anklage gegen Schiedsrichter Hoyzer und Marks, Spieler Stefen Karl und 3 Wettspieler. Hoyzer erhält 2 Jahre und 5 Monate Haft, der Wettspieler Sapina 6 Monate mehr. Spätere Anklagen gegen weitere Schiedsrichter(betreuer wahrscheinlich).

Gegenmaßnahmen

84 Wolfgang Maennig

2005

bis 2004

11

12

Portugal

Frankreich

150 Personen aus 10 portugiesischen Vereinen der ersten bis dritten Liga geraten in Verdacht, den Ausgang von Meisterschaftsspielen manipuliert zu haben.

Mindestens ein Spieler des FC Metz erhielt ein Angebot zur Manipulation des Spieles gegen den Meister Olympique Lyon (0:4) erhalten haben

30 Schiedsrichter sollen Spielergebnisse der ersten Liga für je 1000–6000 e im Auftrag von Vereinsunktionären manipuliert haben, die Wetteinnahmen maximieren oder ihren Tabellenplatz verbessern wollten. 14 der 16 Erstligavereine sind betroffen.

bis 2004

10

Tschechien

Art der Korruption(sverdachtsmomente)

Zeitperiode Land der Korruption

Lfd. Nr.

o.V. 2004h und i, Huber 2005

Literaturquelle

16 Personen festgenommen. Anklage gegen Jose Antonio Pinto de Sousa, Vorsitzender der Schiedsrichterkommission, wegen Verdacht der Manipulation in 21 Fällen.

Klemm 2005, o.V. 2004b und c

Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Liga und der o.V. 2005a nationale Verband haben sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen und wollen vor eigenen Schritten die Ergebnisse der behördlichen Ermittlungen abwarten.

Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen gegen 16 Schiedsrichter und einen Funktionär auf. 12 Schiedsrichter wurden Zahlungen bereits nachgewiesen. Punktabzüge und Geldbußen für bestechende Vereine, insb. Erstliga-Absteiger Victoria Zizkov. Der tschechische Ligaausschuss bestraft sechs Schiedsrichter und zwei Funktionäre mit Sperren und Geldstrafen.

Gegenmaßnahmen

Korruption und Korruptionsbekämpfung im Sport 85

86

Wolfgang Maennig

über die bekannt gewordenen Korruptions(verdachts)fälle ausschließlich im Fußballsport. Es wird deutlich, dass dieser viel geliebte Sport nicht etwa aktuell nur in Deutschland, sondern weltweit3 von der Korruption betroffen ist. Die Fußball-Korruptionsfälle lassen sich in zwei Arten unterteilen: Regelmäßig – aber nicht ausschließlich – dominiert in den Ländern, in denen die Wettmärkte weniger entwickelt sind, die Korruption mit dem Ziel, den Kampf um bessere Rangplätze in den Ligen, insbesondere um Aufstiegsplätze (oder die Vermeidung von Abstiegsplätzen) zu beeinflussen. In Ländern mit entwickelten Wettmärkten dominiert die Korruption mit dem Ziel der Manipulation einzelner Spiele, um damit Wetterlöse zu maximieren. Tab. 2 verdeutlicht, dass die Sport-Korruption sich weder auf den Fußballsport (vgl. Fälle 1 bis 4) noch auf die Manipulation von Wettkampfergebnissen beschränkt. Vielmehr ist der gesamte „Produktions- bzw. Wertschöpfungsprozess“ des Sportes betroffen. Korruption(sverdachtsmomente) existiert bzw. existieren bereits bei der Entscheidung um die Orte, an denen bestimmte Sportereignisse stattfinden sollen. Der bekannteste Fall war derjenige der Olympischen Winterspiele 2002 von Salt Lake City, in dessen Gefolge Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ausgeschlossen wurden und sich das IOC einer weitgehenden Strukturreform unterzog (vgl. Maennig 2002). Ein weiterer Korruptionsfall indiziert aber, dass das Problem des IOCs trotz dieser deutlichen Gegenmaßnahmen virulent bleibt. Weiterhin existiert Korruption beim Bau der Sportstätten, was angesichts der allgemeinen Anfälligkeit der Bauwirtschaft für die Korruption kaum verwundert. Korruption existiert auch beim Sponsoring, bei der Berichterstattung im Fernsehen, ja selbst bei der Vergabe von Funktionärsposten. Ein Fall ist besonders interessant, weil das Motiv auf Seiten der Bestechenden nicht in der Erlangung von geldlichen Vorteilen liegt, sondern in der Erlangung von ehrenamtlichen(!) Funktionärsposten. In den meisten anderen Fällen ist bzw. war das Motiv der Bestechenden die Erlangung direkter oder indirekter geldlicher Vorteile.4 3 Dass für den australischen Fußballsport kein jüngerer Korruptionsskandal bekannt ist, mag auch damit zusammenhängen, dass der Fußballsport dort keine vergleichbar zentrale Rolle hat wie in anderen Erdteilen. 4 Dies gilt auch für die Korruption um die Austragungsorte und die (Fernseh-)übertragungen. Im Fall der Korruption um die Austragungsorte ist der erhebliche internationale Wettbewerb der Städte um attraktive Sportveranstaltungen nicht auf die besondere Sportliebe der Entscheidungsträger, sondern auf die mit den Veranstaltungen erhofften Image-, Einkommens- und Beschäftigungseffekte für die Städte zurückzuführen. Die Bestechung zur Erlangung der Übertragung der Veranstaltungen im Fernsehen erklärt sich letztlich vor allem aus der verbesserten Möglichkeit zur Akquisition von Sponsorverträgen.

2004

?

2005

2004

2004

2

3

4

5

IOC

Boxen

Art der Korruption(sverdachtsmomente)

Gegenmaßnahmen

Deutschland

40.000 US-$ sollen bezahlt worden sein, um den Sieg des thailändischen Boxers Manus Boonjumjong gegen den Kubaner Yudel Johnson sicherzustellen.

o.V. 2004k

Simeoni 2005

o.V. 2005u

Löffler (2004)

Literaturquelle

Bulgarien (Durch BBC vorgetäuschter) erfolgversprechender IOC entzieht Slawkow die O.V. Bestechungsversuch für London 2012 gegenüber Mitgliedschaft. Vier Nicht2005v Mr. Slawkow. Mitglieder, die als ,,IOCStimmen-Händler" auftraten, werden zur persona non grata erklärt.

Olympische Spiele in Athen/ Thailand

Vorwurf diverser Manipulationen von Finalkämpfen mit dem Ziel, die Prämieneinkommen für Regionen, Trainer und Militärs zu manipulieren.

Im Zuge des Fußball-Wettskandals sagt der Hauptbeschuldigte R. Hoyzer aus, einer der drei ebenfalls angeklagten Wettspieler habe ihm gesagt, dass er früher schon Tennisspieler bestochen habe.

Russland/ Der Ukrainer Sergej Karjakin behauptet, der Russe Einladung zu wichtigen Deutsch- Wassilij habe ihm Geld für einen für Wassilij Turnieren in Frage gestellt. land günstigen Spielausgang geboten. Der in Deutschland lebende Russe Igor Chenkin soll mit seinem Schachgegner Sergej Rubljewski für das Moskauer Frühjahrs-Open eine Teilung des Preisgeldes vereinbart haben. Chenkin vermied daraufhin ein logisches Remis und verlor rasch.

Nationale Spiele: China Judo, Taekwon-do, Boxen, Rhythmische Sportgymnastik

Tennis

Schach

Zeitperiode Institution/Sportart Land der Korruption

1

Lfd. Nr.

Tabelle 2 Weitere Korruptionsfälle

Korruption und Korruptionsbekämpfung im Sport 87

2002-2003

?

?

bis 2004

7

8

9

Infineon/BF Consulting

Fußball/Fortuna Düsseldorf/Stadt Düsseldorf

Formel Eins

Fußball/TSV München 1860

Deutschland/ Schweiz

Deutschland

Deutschland

Deutschland

Zeitperiode Institution/Sportart Land der Korruption

6

Lfd. Nr.

Tabelle 2: Fortsetzung

Wildmoser jun. Zu viereinhalb Jahre Haft verurteilt; ein Komplize zu 2 Jahren auf Bewährung

Gegenmaßnahmen

Infineon-Vorstandsmitglieder Ulrich Schumacher und Andreas von Zitzewitz sollen Oldtimer ,,zum Freundschaftspreis" bzw. 259.000 e Schmiergeld von BF Consulting erhalten haben, damit das Formel Eins Sponsoring der Infineon weiter läuft.

Verdacht, dass Stadionbau-Unternehmen Walter Bau auf Betreiben der Stadt 700.000 e an Fortuna Düsseldorf ,,gespendet" hat. Ein dem Schwiegersohn des Oberbürgermeisters gehörende Unternehmen soll vor Zuschlagserteilung eine Vereinbarung erzielt haben, Unteraufträge zu erhalten. Beide Vorstandsmitglieder zurückgetreten bzw. entlassen. Staatsanwaltschaft ermittelt gegen beide.

Verdacht gegen Mitarbeiter von Baufirmen und ei- Staatsasnwaltschaft Mannnes Ingenieurbüros sowie gegen den damaligen heim ermittelt. Projektleiter, beim 65 Mio. e teuren Umbau des Hockenheimringes überhöht abgerechnet zu haben.

Beim Bau des neuen Fußballstadions von Bayern München und TSV München 1860 hat Wildmoser jun. Prämien in Höhe von rd. 2,8 Mio. e dafür erhalten, dass er an die österreichische Baufirma Alpine-Mayreder Bau Salzburg GmbH Hinweise gegeben hat, welche es der Firma ermöglichten, den Bauauftrag über 280 Mio. e zu erhalten.

Art der Korruption(sverdachtsmomente)

O.V. 2005z

o.V. 2005y

o.V. 2005x

o.V. 2005w

Literaturquelle

88 Wolfgang Maennig

bis 2004

bis 2003

11

12

Koreanisches NOK/IOC/WeltTaek-wondoVerband

HR/mehrere Sportarten

Südkorea

Deutschland

Deutschland

2003 bis 2005

10

Deutsche Sporthilfe/MDR

Zeitperiode Institution/Sportart Land der Korruption

Lfd. Nr.

Kim Un-Yong, damaliger Präsident des koreanischen NOC und u. a. Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees soll insgesamt etwa 333.000 e von Funktionären erhalten zu haben, welche dafür in das Nationale Olympische Komitee (von Südkorea) aufgenommen wurden.

Der damalige HR-Sportchef E. verlangte von Verbänden, die Wettkämpfe übertragen lassen wollen, Zahlungen von 20.000 bis 30.000 e an die Vermarktungsfirma seiner Ehefrau oder an eine bestimmte andere Vermarktungsfirma, an welcher seine Ehefrau still beteiligt ist.

Die Firma Techem zahlte 1997 bis 2005 insg. über 100.000 e an einen Medienberater, der gleichzeitig MDR-Sportchef war. Dafür wurde der sportlich unbedeutende Techem-Hallenfußballcup im MDR übertragen. Von 2003 bis 2005 stellt der Chef der Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH) G., der früher Vorstands- und Aufsichtsratvorsitzender von Techem war, den MDR-Sportchef als ,,Medienbotschafter" an und zahlt 45.000 e.

Art der Korruption(sverdachtsmomente)

Hanfeld (2005), o.V. 2005ab

Hanfeld (2005), o.V. 2005aa

Literaturquelle

Südkoreanische Justiz vero.V. 2005v urteilt Kim zu 2 Jahren Haft (inzwischen vorzeitig entlassen). Kim kommt seinem IOC-Ausschluss durch Rückzug zuvor.

Staatsanwaltschaft ermittelt gg. HR-Sportchef E.. Dem Sportchef wurde vom HR gekündigt.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen MDR-Sportchef M. und DSH-Chef G. DSH-Chef G. tritt zurück. MDR-Sportchef M. wird vom MDR entlassen.

Gegenmaßnahmen

Korruption und Korruptionsbekämpfung im Sport 89

90

Wolfgang Maennig

Weder der obige Definitionsversuch noch die tabellarischen Schilderungen dürfen darüber hinweg täuschen, dass eine klare Abgrenzung der Korruption schwer fällt, weil der Begriff von Nation zu Nation (und von Kontinent zu Kontinent) sowie von Sportart zu Sportart unterschiedlich ausgelegt wird und einem Wandel im Zeitablauf unterliegt.5 Was die von Kontinent zu Kontinent unterschiedlichen (sich aber offensichtlich teilweise angleichenden) Interpretationen betrifft, kann auf Vorwürfe hingewiesen werden, bei der Vergabeentscheidung der Fußball-WM 2006 nach Deutschland sei mit Hilfe der Vereinbarung von finanziell lukrativen Freundschaftsspielen des FC Bayern München mit Mannschaften aus Thailand, Tunesien, Trinidad und Malta „nachgeholfen“ worden. Franz Beckenbauer, Präsident des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006 wies die Korruptionsanwürfe mit dem Verweis „international üblich[e]“ Freundschaftsgesten und Geschenke zurück (o. V. 2003c). Was den Wandel der Regeln des Verbandes bzw. der Einstellungen der Gesellschaft im Zeitablauf betrifft, aber auch die unterschiedliche Interpretation von Sportart zu Sportart, kann zunächst auf den Fall der Tour de France von 1904 hingewiesen werden (vgl. Maennig 2004). Obwohl schon seit dem ersten Jahr der Tour (1903) „Teams“ existierten, gab es eine klare Anweisung, die einen „reinen Kampf der Einzelfahrer“ vorschrieb. Lucien Pothier und Bruder César Garin überließen ihrem Teamkollegen Maurice Garin dennoch den Gesamtsieg und begnügten sich mit Platz zwei und drei. Die Höhe der Vergünstigung ist unbekannt. Viereinhalb Monate nach dem Ende der Tour wurden alle drei Fahrer vom französischen Fahrradbund disqualifiziert und Henri Cornet zum Sieger erklärt. Im Gegensatz zu damals ist heute ein Fahren der einzelnen Fahrer „für den Kapitän“ des Rennstalles bei der Tour selbstverständlich, allen bekannt und regelgerecht. Das „Geben und Nehmen“ gilt jedoch bei Radsportveranstaltungen wie der Tour de France darüber hinaus. Der Tausch von Berg-, Sprint- und Etappenprämien, dass Prinzip vom „leben und leben lassen“, das bewusste „sich zurücknehmen“ zur Sicherung der Freundschaft in- und außerhalb des eigenen Rennstalls ist in diesem Sport fest etabliert und allgemein bekannt. Wer sich – wie der sechsfache Toursieger Lance Amstrong – nicht daran hält, sondern seine radfahrerischen Fähigkeiten stets voll ausspielt, macht sich in den dortigen Kreisen allseits unbeliebt. Bei anderen Sportevents außerhalb des Radfahrens hingegen wird solches Verhalten von der Gesellschaft (noch) nicht akzeptiert. Beispiel hierfür waren die Zuschauerproteste gegen die „Stallorder“ bei der Scuderia Ferrari, beim Formel Eins-Grand Prix von Österreich 2002, als Rubens Barrichello 5

Vgl. Bac (1998) und Tanzi (1998), 9 f.

Korruption und Korruptionsbekämpfung im Sport

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seinen Teamkollegen Michael Schumacher kurz vor dem Ziel passieren ließ.6 Seitdem ist die Stallorder in der Formel Eins (offiziell) verboten. Nur bedingt geeignet als Beispiel für die sportartenspezifisch unterschiedliche Interpretation der Korruption ist das Verhalten der inzwischen 27(!) Profi-Weltboxverbände,7 bei denen Weltranglistenplätze regelmäßig verkauft und/oder Titelkämpfe mit nicht gelisteten Athleten gegen (Schmiergeld-)Zahlungen angesetzt werden. Nur wenn solche Weltboxverbände (fälschlicher Weise) als „normale“ Sportverbände angesehen werden, bei denen es an zentraler Stelle darum geht, systematisch die besten Athleten in Wettkämpfen zu ermitteln, ist das vorgeworfene Verhalten als Korruption zu werten. Werden solche Verbände hingegen als Unternehmen gewertet, die ihr Einkommen und dasjenige ihrer Athleten, Promoter und Funktionäre unter anderem dadurch maximieren, indem sie gegen Entgelt Sportevents mit (fernseh-)zuschauer- und sponsorträchtigen Athleten an geeigneten Orten auf der Grundlage von „Ranglisten“ (Graham 1999) inszenieren, können die genannten Zahlungen auch als übliche Einnahmeart angesehen werden. Das Verhalten dieser Verbände ist hinreichend bekannt, sodass sich ein Zuschauer oder Sponsor kaum betrogen fühlen kann.8 Auch beim Catchen würde niemand auf die Idee kommen, die nicht „echten“ Schläge und Würgegriffe und die zuvor von den Kämpfern gemeinsam einstudierten Kampfelemente und Wettkampfergebnisse als „Korruption“ zu bezeichnen. Erstaunlich (aus athletischer Sicht: gut), dass Juristen dieses allgemein bekannte Verhalten der Boxverbände teilweise nicht akzeptieren wollen: So wurde der „WBC“ (World Boxing Council) von einem New Yorker Gericht zu einem Schadensersatz vom 31 Mio. US-$ an den deutschen Profi-Boxer Graciaono Rocchigiani verurteilt. Der WBC hatte Rocchigiani den Weltmeistertitel, den er am 21. März 1998 gegen den US-Amerikaner Michael Nunn gewann, aberkannt. Der WBC hatte kalkuliert, dass er mit einem Titelkampf mit dem US-Amerikaner Roy Jones jr. statt Rocchigiani einen größeren Profit machen könnte. Nach dem Urteil meldete der WBC Insolvenz an (o. V. 2004d)). Dass das Thema Korruption in verschiedenen Sportarten unterschiedlich behandelt wird, könnte jedoch auch aus dem zunächst als reine Wirtschaftskorruption erscheinenden Fall des Mitarbeiter im AOK-Gebäudemanagement herausgelesen werden, der von der Firma Hochtief eine Einladung zum Formel-Eins-Rennen erhielt. Hochtief hatte zuvor die AOK-Zentrale in 6 „Stallorder“ kann mit Korruption insofern in Zusammenhang gebracht werden, als dass mit deren Befolgung ein Sportler auf eine bessere sportliche Platzierung verzichtet, um sich seinen gut dotierten Arbeitsplatz zu erhalten. 7 Diese müssen streng getrennt werden von dem später noch zu besprechenden olympisch anerkannten Internationalen Amateurboxverband. 8 Zumindest Interessierten kann und muss das Verhalten bekannt sein; vgl. Riess (1984, insb. S. 349 ff.), Graham (1999) sowie o. V. (2004a).

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Hannover gebaut. Der Mitarbeiter wurde entlassen, die Staatsanwaltschaft ermittelt (o. V. 2005ac). Ein AOK-Mitarbeiter darf also nicht „gesponsort“ Formel Eins sehen. Gelten beim Fußball andere Regeln? Die Praxis fast jeden Wochenendes in Deutschland: Firmen (auch Hochtief) laden „Geschäftsfreunde“ in ihre Logen in Fußballballstadien ein. Diese Logen und/oder Business-Seats kosten bei den Spitzenmannschaften fünfstellige Eurobeträge pro Jahr, sodass selbst die Einladung zu nur einem Spiel in der Saison schnell die üblichen Grenzen für Aufmerksamkeiten und Geschenke übersteigt. Allerdings ist die Wertbemessung der Aufmerksamkeit und die Abwägung, ob die Grenzen überschritten sind, durchaus schwierig. Insofern ist beispielsweise die Einrichtung einer Hotline der Daimler Benz AG zu begrüßen: „Wenn etwa eine Führungskraft zur Jagd oder zum Golfen einlade, (gibt) die Hotline Auskunft darüber, ab welcher Größenordnung die Einladung als Bestechung gewertet werde“ (2005ad). Übrigens hat das Bundesfinanzministerium ein Schreiben zur ertragssteuerlichen Behandlung von Aufwendungen für VIP-Logen in Sportstätten veröffentlicht (Az.: IV B 2 – S 2144 – 41/05 vom 22. August 2005), in welchem festgehalten wird, dass auf der Seite des Empfängers solche Einladungen als geldwerter Vorteil zu versteuern sind.9 Diese höchstamtliche „Absegnung“ könnte als Indikator dafür gesehen werden, dass Einladungen in VIP-Logen nicht als Korruption interpretiert werden sollen. Möglicher Weise ändert sich dies bald; zum Einen wird das Thema „Bewirtung“ als Korruptionsmittel vom Bundeskriminalamt inzwischen sehr ernst genommen (vgl. den folgenden Abschnitt). Zum Anderen laufen in Berlin gegen Hertha BSC, Alba und 100 bis 150 wirtschaftliche bzw. politische Entscheidungsträger Vorermittlungsverfahren (gegen einige bereits staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren) wegen des Verdachts der Vorteilsgewährung bzw. -annahme, weil die Vereine letzeren Eintrittskarten geschenkt hatten (o.V. 2006a). Auch gegen den Vorstandsvorsitzenden der ENBW AG, Utz Claasen läuft zurzeit der Niederschrift ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren, weil er drei baden-württembergischen Ministern (Gutscheine für) Eintrittskarten zur Fußball-WM 2006 hat zukommen lassen. Und: Beamteten Hochschullehrern, die von Unternehmen zu Fußballspielen eingeladen wurden, wurde dies von ihren Dienstherren der Besuch mit Hinweis auf das grundsätzliche Verbot für öffentlich Bedienstete, Geschenke anzunehmen, bereits untersagt (Heintzen, 2006). 9 Zu den in diesem Schreiben geregelten Möglichkeiten, mit Hilfe einer Pauschalbesteuerung auf Seiten des Einladenden eine Besteuerung als geldwerten Vorteil auf Seiten des Eingeladenen überflüssig zu machen, vgl. Jurek und von Loeben (2005).

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Die Jahrzehnte lange unkritisierte Praxis, Entscheidungsträgern Freikarten zu Sportveranstaltungen zukommen zu lassen, wird inzwischen offensichtlich teilweise neu und als Vorteilsnahme bewertet – auch wenn es politische Entscheidungsträger geben soll, welche ihre Besuche bei Sportveranstaltungen nicht als Lust, sondern als (lästige) Pflicht ansehen. Auch ohne dass sich die beschriebene Bewertung der Staatsanwaltschaften bereits durchgesetzt hat, sind davon nicht nur politische Entscheidungsträger, sondern auch Persönlichkeiten aus der freien Wirtschaft betroffen. Nach vertraulichen Informationen aus einem europäischen Großunternehmen, dass Anfang 2006 rund 400 WM-Karten aus seinem Kontingent an Geschäftsfreunde geben wollte, gab es für nur 60 Karten Abnehmer; viele Absagen erfolgten mit Hinweis auf „Claasen/ ENBW“. Ein Indiz für einen möglicher Weise auch sehr schnellen gesellschaftlichen Werte- und Einstellungswandel zur Korruption im Sport stellen übrigens die Fälle sowohl des ehemaligen HR-Sportchefs E. als auch des ehemaligen MDR-Sportchefs M. dar. Diese beiden Fälle unterscheiden sich jedoch allenfalls geringfügig von zwei anderen Fällen, die nur wenige Monate früher, allerdings zeitlich vor dem Fußballwettskandal und einer seitdem besonders sensibilisierten Öffentlichkeit (und Staatsanwaltschaft) bekannt, aber nicht weiter (staatsanwaltlich) verfolgt wurden: Der eine Fall ist derjenige des ehemaligen ARD-Sportkoordinators B., der qua Amt einen erheblichen Einfluss darauf hat, welche Sportereignisse (und damit: welche Firmenlogos) in welchem Umfang übertragen werden. Der ARD-Sportkoordinator B. hatte nebenamtlich einen „Moderatoren“-Vertrag mit der Telekom-Tochter T-Mobile, welche Hauptsponsor des Rennstalls des bekanntesten deutschen Radrennfahrers Jan Ulrich ist. B. lässt sich unwidersprochen in einer deutschen Tageszeitung zitieren mit: „Sagt die Telekom, es gibt keinen Dopingfall, dann gibt es keinen Dopingfall für die ARD“ (Meutgens 2005). Um die Angelegenheit abzurunden, schreibt B. ein gemeinsames Buch mit Jan Ulrich10 – dem Athleten, über den die ARD angemessen kritisch berichten soll. Die Reaktion des Rad-Profis Jens Voigt (nicht Mitglied im T-Mobile Rennstall), dass der ARD-Sportkoordinator B. aufgrund dessen „Telekom-Sponsoring . . . etwas einspurig“ berichte (o. V. 2004e) erscheint nachvollziehbar. Die einzige bekannt gewordene Reaktion ist freilich, dass B. auf seine Nebentätigkeit für die Telekom verzichtet (o. V. 2004f). Ähnlich gelagert ist der Fall des (ehemaligen) ZDF-Sportchefs P., der für die Firma Gerolsteiner, einem weiteren Rennstallsponsor bei der Tour de France im „Nebenamt“ moderiert hat. Die Reaktion auf Beschwerden freier Journalisten, dass (deshalb) über eine mögliche Doping-Involvierung des 10 Jan Ulrich mit Hagen Bosdorf (2004): Ganz oder gar nicht. Meine Geschichte, Ullstein, Berlin.

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Teams Gerolsteiner nicht oder nur teilweise im ZDF berichtet wurde? Das ZDF weist den Verdacht zurück (o. V. 2005b). Die Fälle des HR und des MDR eignen sich über diesen Vergleich hinaus zu einer generellen Hinterfragung, inwieweit ihr Verhalten (bzw. dasjenige der diese aktiv angehenden Firmen und Sportinstitutionen) korrupt oder aber nur die Verkettung von Handlungsfolgen darstellen, die einzeln oder gar in ihrer Gesamtheit gesehen in anderen, aber nicht andersartigen Fällen als unproblematisch oder gar effizient angesehen werden. Ist es problematisch, dass versucht wurde, a) Einfluss zu nehmen auf die redaktionellen Sendeinhalte öffentlich-rechtlicher Sender, indem b) Firmen Zahlungen erhielten, die Privatpersonen gehören, die im Hauptamt Entscheidungsfunktionen in den Sendern haben? Ad a) Sind solche Beeinflussungsversuche nur im Fall der öffentlichrechtlichen Sender problematisch? Wären sie bei Privatsendern, die als Zielfunktion ohnehin nur die Einkommensmaximierung haben, weniger problematisch? Die Reaktionen auf die Fälle von product placement und Schleichwerbung in deutschen Sendern (vgl. Hanfeld 2005) indizieren, dass die Öffentlichkeit Derartiges für beide Senderformen (noch) nicht akzeptiert.11 Andererseits sind die Bemühungen der EU zu vernehmen, Regelungen gegen Schleichwerbung und product placement abzuschaffen – mit dem Argument, dass europäische Produzenten systematische Wettbewerbsnachteile gegenüber US-Anbietern hätten (Platho 2005). Wenn dann bald product placement legal ist – warum soll „sport event placement“ illegal sein? Ein entsprechendes rechtsvergleichendes (Wettbewerbs-)Argument ist schnell gefunden: In den USA ist es seit langem Usus für „kleinere“ Sportarten, dass sie sich ihre Übertragungszeiten bei den Fernsehsendern erkaufen. Auch unter – freilich relativ eng gefassten – ökonomischen Aspekten ließe sich der Kauf von Sendezeiten durch die Sportveranstalter in vielen Fällen rechtfertigen: Einer Vermarktbarkeit via Sponsoring entsteht bei den meisten Sportveranstaltungen erst bei der Übertragung im Fernsehen. Mit anderen Worten: die Fernsehübertragungen sind Ursache für die wirtschaftliche Produktivität der Veranstaltungen. Nach den üblichen ökonomischen Erklärungen richtet sich die Entlohnung der Produktionsfaktoren im Effizienzfall nach deren (Grenz-)Produktivitäten. Übrigens: Der Chef der Deutschen Sporthilfe G. musste 2005 gehen, weil er unter Verwendung von Geldern eine positivere und umfangreichere Berichterstattung für seine Institution erreichen wollte. Sein Nachfolger im Amt des Sporthilfe-Chefs soll in seiner früheren Funktion als Präsident 11 RTL wurde wegen einer Sendung mit Schleichwerbungscharakter von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt zu einem Bußgeld von 50.000 Euro verurteilt, vgl. o. V. (2005d).

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eines deutschen Sportverbandes als einer der Ersten in Deutschland dafür gezahlt haben, dass seine Sportart im Fernsehen übertragen wurde (o. V. 2005e). Auch vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass der Nachfolger über seinen Vorgänger sagt: „Er mag politische Fehler gemacht haben, hat aber guten Gewissens gehandelt“ (Heike, 2005). Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Autor hält diese Sichtweise für nachvollziehbar. Es geht hier nicht um den Versuch, allseits hoch angesehene (und auch vom Autor geschätzte) Persönlichkeiten zu kriminalisieren, sondern lediglich um das Aufzeigen der Problematik einer Grenzziehung zwischen innovativem und effizienzorientiertem Verhalten einerseits und als korrumptiv empfundenen Verhalten andererseits. Schließlich: Die Problematik betrifft nicht nur den Rundfunk, sondern den Journalismus insgesamt. So genannte „PR-Anzeigen“, also bezahlte Artikel, die jedoch nicht (oder nicht hinreichend deutlich) von normalen redaktionellen Beiträgen optisch oder anderweitig abgegrenzt werden, sind insbesondere im Zusammenhang mit großen Sportveranstaltungen nicht unüblich. Teilweise werden anlässlich von großen Veranstaltungen wie Biathlon-Weltmeisterschaften vom Hauptsponsor (überzahlte) Anzeigen auf der Sportseite geschaltet, um sicher zu stellen, dass in „hinreichendem“ Umfang über das Ereignis berichtet wird. Wenn der mehrfache FormelEins-Weltmeister Michael Schumacher in den „Skiurlaub“ fährt, lässt sein Rennstall den gesamten Hangbereich sperren. Journalisten, die über den Ski fahrenden Formel-Eins-Weltmeister berichten wollen und oder mit ihm in direkten Kontakt treten wollen, müssen sich für mehrere Tage im exklusiven und ebenfalls komplett gesperrten Hotel des Sportstars einbuchen. Die dabei entstehende Nähe zu den Journalisten scheint wertvoll zu sein: Die Journalisten müssen keinerlei Kosten tragen – dies macht der Rennstall des Rennfahrers. Die bereits erwähnte, offensichtlich besonders offensive Telekom bzw. ihre Tochter T-Mobile, bis 2005 Sponsor des Deutschland-Achters, hat die (relativ kleine) Schar vor Ruderjournalisten beispielsweise mit Firmenjets zur exklusiven Royal Henley Regatta in England geflogen, sie in teuren Hotels untergebracht und zu intimen Abendessen mit den Spitzenruderern eingeladen. Verwundert es, dass der Deutsche Ruderverband und sein Vorsitzender bei dem Versuch, die ohne Einschaltung des Verbandes abgeschlossenen Werbeverträge der Telekom mit dem Deutschland-Achter zu hinterfragen, in der Berichterstattung der entsprechenden JournalistInnen (z. B. Simeoni 1999, 2000, Fischer 2000) einen schweren Stand hatte?12 12 Telekom und FAZ waren sich noch nicht einmal zu schade, am gleichen Tag des zweitgenannten Artikels von Simeoni eine zweiseitige Anzeige (S. T.8 und 9) mit Jürgen Kindervater, dem damaligen Geschäftsbereichsleiter Presse und Konzernkommunikation, zu schalten.

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Solche „Bearbeitungen“ von Journalisten und Medien sind allerdings ein Phänomen, dass nicht nur den Sport, sondern dem Vernehmen nach insbesondere den Reise- und Automobiljournalismus, aber durchaus auch andere Bereiche betrifft und deshalb umfassender in einer Untersuchung zur Korruption im Medienbereich behandelt werden sollte.13 Gut, dass der Kauf von redaktionellen Inhalten trotz der um sich greifenden Akzeptanz dennoch ab und zu für Aufmerksamkeit sorgt – wie im gerade bekannt gewordenen Fall der Verträge des US-amerikanischen Verteidigungsministerium mit „amerikanischen Werbeunternehmen“, die im Irak Zeitungen und Journalisten für die Veröffentlichung von Artikeln über Erfolge bei der Stabilisierung und beim Wiederaufbau des Landes bezahlen (o. V. 2005c). Ad b) Wenn – wie zuvor genannt – international Zahlungen für redaktionelle Sendezeiten und inhaltliche Ausrichtungen bereits üblich sind und sich auch in Deutschland zu etablieren scheinen, liegt die Problematik dann darin, dass die Zahlungen nicht an die Sender direkt, sondern an anderweitige Firmen gehen? Gelder, welche diese Firmen der gesicherten Übermittlung nach nutzen, um sie entweder zum (geringeren) Teil an die Medien direkt weiterzuleiten oder aber um die Entscheidungsträger in den Medien mit allerlei Benefits wie Essen, Reisen, Geld und anderen Vorteilen zu beeinflussen, die jedenfalls ein Beamter nicht ohne strafrechtliche Konsequenzen annehmen dürfte? Wer dieses Verhalten als Problem ansieht, sollte sich im Klaren sein, dass diese Firmen üblicher Weise „PR-Agentur“ o. ä. heißen, in Deutschland tausendfach existieren, und das praktisch alle Unternehmen, politische Parteien, Verbände in Deutschland und anderen Ländern sich ihrer bedienen. Tatsächlich scheint es gerade ein existentieller Teil der Aufgabe dieser PR-Agenturen zu sein, den Auftraggeber von diesem problematischen Bereich fernzuhalten. Was das Ausmaß betrifft, sind erhebliche Dunkelziffern der Korruption (im Sport) zu beachten. In Industrieländern wie Deutschland werden höchstens 5% der Korruptionsfälle aufgedeckt (Bannenberg und Schaupensteiner, 2004). Dieser korruptionsspezifische Wert stimmt gut mit der Schätzung von Dunkelziffern bezüglich der allgemeinen Wirtschaftskriminalität von über 96% überein.14 Unter der Annahme, dass international und im Sport 13 Beispielsweise bieten Hotels und Automobilproduzenten Sonderkonditionen für Journalisten. Im Gespräch mit Hansjörg Elshorst, Vorsitzender des deutschen Chapters von Transparency International und Stanislas Cutzach, Officer, Governance Structures, kamen diese zu der Auffassung, dass diese auch in Deutschland verbreitete Verhaltensweise solange nicht als Korruption zu werten sei, wie die Rabatte allen Journalisten und ohne Betrachtung der Inhalte ihrer Veröffentlichungen gewährt werden. 14 Vgl. O. V. (2003a)). Auch aus den Angaben für Deutschland von Rügemer (1996) lassen sich hohe Dunkelziffern für die allgemeine Korruption ableiten.

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Entnommen aus: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 21.5.2006, 32. Abb. 1: Korruption im Sport von untergeordneter Bedeutung?

vergleichbare Dunkelziffern herrschen, impliziert dies, dass das tatsächliche Ausmaß der Korruption im Sport größer ist, als die bekannt gewordenen Fälle vermuten lassen. Dies liegt insbesondere deshalb nahe, weil die in der allgemeinen Korruptionsdiskussion als besonders belastet geltenden (Sub-)Kontinente Afrika, Südamerika15 und Asien mit wenigen Ausnahmen nicht oder allenfalls untergeordnet vorkommen. Dennoch darf dies noch nicht in die Richtung interpretiert werden, dass die Korruption im Sport ein besonders großes, über die Korruption in anderen Bereichen menschlichen Zusammenlebens hinaus gehendes Problem ist. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich angesichts der vielen Sportbegegnungen an jedem Tag in der Welt die nachgewiesenen Korruptionsfälle im Sport auch unter Berücksichtigung einer erheblichen Dunkelziffer relativieren. Ferner ist auf Abb. 1 hinzuweisen, welche veranschaulicht, dass in der Wahrnehmung der (deutschen) Bevölkerung der Umfang der Korruption im Sport für geringer als in anderen Lebensbereichen angesehen wird. In der Ökonomik ist die Annahme von „gebunden rationaler“ Wirt15 Zur Schilderung der teilweise problematischen Verhältnisse im südamerikanischen Fußball, bei denen jedoch die Grenze zwischen Korruption, systematischen Wettbewerbsverzerrungen, Erpressung und Unterschlagung schwer zu ziehen ist, vgl. Duke and Corlley (2001).

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schaftssubjekte üblich, die sämtliche zur Verfügung stehende Informationen verarbeiten, solange die (Grenz-)Kosten der Informationsverarbeitung kleiner/gleich derer (Grenz-)Nutzen sind. Bei solchen gebunden rationalen Wirtschaftssubjekten weichen ihre Wahrnehmungen nicht systematisch von der Realität ab, solange davon ausgegangen werden kann, dass die Informationslage bezüglich der Korruption im Sport nicht grundlegend schlechter ausfällt als in den anderen Bereichen. Schließlich muss angemerkt werden, dass auch die Höhe der Bestechungsgelder im Sport relativ kleiner erscheint als in anderen Bereichen, wo inzwischen bis zu 30% der Summe des Auftrages, der „an Land gezogen“ werden soll, erreicht werden (Müller, 2002, 492 und 495). Im Falle der Münchener Allianz-Arena floss „nur“ 1 Prozent. Und im bekanntesten Korruptionsfall der Sportgeschichte, dem Bestechungsskandal um die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City, wo die Führung des Bewerbungskomitees von Salt Lake City um den Vorsitzenden Tom Welch und seinen Stellvertreter Dave Johnson Mitglieder des IOCs u. a. mit Reisen, Immobiliengeschäften, Operationen und Barzahlungen und sonstigen Vorteilsgewährungen wie z. B. Aufenthaltsgenehmigungen und Universitätsstipendien für Angehörige in Höhe von rd. 1,2 Mio. US$ beeinflusst haben soll (O. V. 2000a, 53 f.; RP Online 2003; o. V. 2003d), belaufen sich die Vorteilsgewährungen im Vergleich zu den Milliarden-Effekten, welche Olympische Spiele in einer Austragungsregion ausüben, im Promillebereich. Apropos Salt-Lake-City-Skandal: Nach intensiven, sportinternen Ermittlungen wurden knapp 10% der IOC-Mitglieder ermahnt oder bestraft; der überwältigende Anteil der rd. 100 Mitglieder hat sich korrekt verhalten. Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass die Anklage des USJustizministeriums gegen die ehemaligen Chefs des Bewerbungskomitees von Salt Lake City, Tom Welch und Dave Johnson vom US-Bundesgericht in Utah zurückgewiesen wurde (o. V. 2003d). Die Berufung wurde zu einem Freispruch „erster Klasse“ für Welch und Johnson. Richter Sam führte aus: „. . . a reasonable jury could not find beyond a reasonable doubt that either defendant Welch or defendant Johnson had the required intent to promote, manage, establish, carry on, or facilitate any unlawful activity. Moreover, there is insufficient evidence for a reasonable jury to find that these defendants violated elements of Utah’s commercial bribery statute. . .“ (o. V. 2003e). War der berühmteste Korruptionsfall des Sportes keiner? Die obigen Schilderungen von aktuellen Korruptionsskandalen dürfen auch nicht ohne Weiteres in die Richtung interpretiert werden, dass die Korruption ein in jüngerer Zeit verstärkt auftretendes Phänomen sei – möglich ist, dass lediglich die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema erhöht ist. Wenngleich die ökonomische Analyse der Korruption durchaus Faktoren

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aufdeckt, die zu einer zunehmenden Korruption in den letzten Dekaden geführt haben können (Maennig 2002), ist zu beachten, dass aufgrund der in jüngerer Zeit verbesserten Archivierungs- und internationalen Kommunikationstechnologien, Informationen auch über die Korruption im Sport besser verfügbar werden. Klare empirische Belege zur These einer verstärkten Korruption im Sport liegen jedenfalls bisher nicht vor.16 Obwohl weder Beweise für eine Korruption im Sport vorliegen, die trendmäßig ansteigt und/oder über das Korruptionsausmaß in anderen Lebensbereichen hinaus, ist sie im Sport besonders problematisch. Aufgrund der vorsätzlichen Verletzung der sportlichen Werte wie Fairness und leistungsorientierte, aber ansonsten ergebnisoffene Wettkämpfe wird der zentrale Sinn des Sportes nicht mehr erfüllt. Das Ansehen des Sportes sinkt, potenzielle Athleten (bzw. beim Nachwuchs: deren Eltern) wenden sich von Sport ab, Sponsoren stellen ihre Unterstützung ein.17 Diese Form von „Kosten“ entstehen spätestens mittelfristig dem gesamten Sport und den Athleten. Deshalb erscheint es angemessen, wenn der IOC-Präsident Rogge (2005) festhält, dass die Korruption eine der größten Gefahren für den Sport ist. II. Ökonomik der Korruption im Sport18 1. Das „Angebot“ an Korruption im Sport Korruption dürfte diejenige Art von Unfairness im Sport sein, die am stärksten ökonomisch bedingt ist. Insofern ist es verwunderlich, dass ökonomischer Sachverstand bei der Korruptionsbekämpfung nur begrenzt nachgefragt wird. 16 Zur Frage, ob die allgemeine Korruption weltweit zugenommen hat oder ob nur die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit gestärkt wurde, vgl. Tanzi (1998, 4 ff.). Im Zusammenhang mit den Themen „trendmäßige Entwicklung der Korruption im Sport“ bzw. auch „Dunkelziffer“ ist übrigens sowohl der Olympische Boxskandal von 1988 (vgl. die Einleitung des folgenden Abschnittes) als auch der Skandal von Salt Lake City interessant: Der Boxskandal war durch den Staatssicherheitsdienst der DDR dokumentiert, wurde aber erst mit Offenlegung der „Stasi-Akten“ allgemein bekannt. Und was den Skandal um die Olympischen Winterspiele 2002 betrifft, so dürfte das US-Olympia-Bewerberkomitee dem Vernehmen nach nicht das erste und einzige gewesen sein. Spätestens seit 1991, zu Zeiten der Olympiabewerbungen für 2000, als Dossiers über die angeblichen Neigungen und Wünsche von IOC-Mitgliedern auftauchten, war das problematische Verhalten von einigen IOCMitgliedern bekannt. Vgl. im Einzelnen Fuchs (1999). 17 Die reduzierte Unterstützung durch Sponsoren bekam im Falle der noch zu besprechenden Olympischen Winterspiele von 2002 der Täter selbst zu spüren: Johnson & Johnson zog sich aus seinem 30 Mio. US$-Vertrag zurück (o. V. 2003b). 18 Dieser Abschnitt greift umfänglich auf Maennig (2002 und 2005) zurück.

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Korruption ist aus ökonomischer Sicht das Ergebnis eines rationalen Wahlaktes, bei dem unter mehreren legalen und illegalen Handlungsalternativen von einem Individuum diejenige gewählt wird, die ihm zum Entscheidungszeitpunkt den größten erwarteten Vorteil verspricht. In Erweiterung des Modells von Becker (1968) entspricht der vom – risikoneutralen – Individuum kalkulierte Nettonutzen der Korruption des illegalen Vorgehens der Differenz zwischen dem Nutzen einer „erfolgreichen“ Korruption, für welches es nicht bestraft wird und dem (negativen) Nutzen bei Entdeckung, Verurteilung und Bestrafung:19 È1ê

EÈUni ê ã È1  pi ê½Ui Èpj Yi  DCi;  POCi ê þ pj NPBi  NOCi Å þpi ½Ui ÈFi  DCi  POCi ê  LRi  NOCi Å;

wobei E(Uni) der vom Individuum i erwartete Nettonutzen des korrupten Verhaltens ist und der Differenz des in Klammern hinter (1  pi ) beschriebenen Nettonutzens im Falle der Nicht-Verurteilung und dem Nutzenverlust im Falle einer Verurteilung ist (Ausdruck in Klammern hinter pi) entspricht. pi ist die Wahrscheinlichkeit einer (rechtzeitigen) Bestrafung mit 0 £ pi £ 1. „Rechtzeitig“ in Erweiterung von Becker (1968) ist im Fall der Korruption im Sport bedeutsam, wie am Beispiel der Olympischen Winterspiele von 2002 veranschaulicht werden kann. Die Entdeckung erfolgte zu spät und endete letztlich ohne Strafe für die (vermeintlich) Bestechenden. Salt Lake City richtete die Spiele aus und genoss die mit den Spielen verbundenen Vorteile. pj ist die Erfolgswahrscheinlichkeit der Korruption mit 0 £ pj £ 1. Auch diese Erweiterung des Modells von Becker (1968) ist im Falle der SportKorruption wichtig; beispielsweise kann ein Bestecher eines Schiedsrichters nicht sicher sein, ob dessen manipulierte Entscheidungen genügen, das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Bei mehreren Schiedsrichtern (Eiskunstlauf, Turnen, Boxen, etc.) müssen hinreichend viele andere Schiedsrichter entsprechend votieren. Solange der Bestechende seinen „Erfolg“ nicht voll kontrollieren kann, ist pj < 1. pj mag positiv von der Höhe der Bestechungsgelder beeinflusst sein, ohne dass dies im Folgenden modelliert wird. Ui ist die Nutzenfunktion des potenziell korrupten Individuums bzw. der potenziell korrupten Institution bezüglich des Einkommens, Yi der pekuniäre Bruttoerfolg einer „erfolgreichen“ Korruption. DCi sind die direkten Vorbereitungs-, Durchführungs- sowie Strafvermeidungskosten des Täters (einschließlich der Bestechungsgelder). POCi bzw. NOCi sind die 19 Die drei letztgenannten Phänomene müssen einander nicht entsprechen. Vereinfachend wird hiervon im Folgenden abstrahiert.

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individuellen pekuniären bzw. nichtpekuniären Opportunitätskosten, die dadurch entstehen, dass die Korruption das Beenden der legalen Strategie erfordern kann. Auch aus „sauberen“ Strategien kann Nutzen aus dem Sport bzw. einer Bewerbung um eine Veranstaltung gezogen werden. Wenngleich im Zweifelsfall die Siegesehre fehlen mag – auch Rangplätze „nutzen“. NPBi ist der nichtpekuniäre Nutzen aus der Korruption, also beispielsweise der Imagegewinn einer erfolgreich (d. h. unentdeckt) korrupten Stadt oder eines Sportlers. Fi ist die finanzielle Strafe bzw. der finanzielle Verlust bei Verurteilung, beispielsweise in Form von künftig ausbleibenden Startund Preisgeldern sowie verringerten Sponsoreinnahmen. LRi ist der (nichtpekuniäre) Nutzenverlust aufgrund verminderter Reputation bei Verurteilung. Zur illegalen Handlung kommt es, wenn der erwartete Nettonutzen die individuellen erwarteten Nutzeneinbußen des illegalen Verhaltens NPCi überschreitet, welche durch moralische Werte o. ä. entstehen. NPCi kann – muss jedoch nicht – für jedes Individuum konstant sein. Allerdings kann diese Größe – so wie alle anderen wahrgenommenen Nutzen und Kosten in (1) – unterschiedliche Größen für unterschiedliche Personen annehmen. Das Individuum verhält sich korrupt, wenn È2ê

EÈUni ê > NPCi ;

d. h. wenn der Nettonutzen aus der illegalen Handlung eine bestimmte moralische Wertgrenze überschreitet. Zu einem abgeschlossenen Korruptionsakt kommt es jedoch erst dann, wenn die geschilderte Abwägung nicht nur für den potenziell Bestechenden, sondern auch für den potenziell Bestochenen „positiv“ ausfällt. Hierin, in der Notwendigkeit, dass mindestens zwei Individuen oder Institutionen sich Vorteile aus der Delinquenz versprechen, liegt eine Besonderheit der Korruption im Vergleich zu den meisten anderen Formen der Delinquenz. Aus (1) und (2) kann abgeleitet werden, weshalb sich unter gleichen Rahmenbedingungen einige Mitglieder von Sportverbänden korrupt verhalten, während andere dies nicht tun. So besticht unter sonst gleichen Bedingungen eine Athletin, die besser trainiert und talentiert ist (und somit höhere Opportunitätskosten hat), seltener als andere. Funktionäre und Schiedsrichter aus Ländern mit geringem Einkommen (und entsprechend vergleichsweise höherem Nutzen aus einer gegebenen Geldsumme) sind ceteris paribus bestechlicher. Athleten und Funktionäre, die – liege es an ihren Sportarten oder an ihrer regionalen Herkunft – mit Siegen besonders hohe pekuniäre und nichtpekuniäre Vorteile (Yi und NPBi) erzielen können, neigen eher zu aktiver Bestechung (Fußball). Sportler, für welche die Bestechungsgelder in

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hoher Relation zu den wahrgenommenen Nutzen aus ihrem Sport stehen, neigen zur Annahme von Bestechungsgeldern. Sportfunktionäre und Sportler mit hohen moralischen Wertvorstellungen, d. h. einem hohen NPCi, werden ein illegales Verhalten über eine größere Bandbreite von Realisationen der anderen Variablen ablehnen, als Personen mit geringen moralischen Werten bzw. regional bedingt anderen Anschauungen zum Thema Korruption. Damit sollte klar werden, dass in die ökonomische Analyse Faktoren, die von anderen Fakultäten regelmäßig in den Erklärungsvordergrund gestellt werden,20 durchaus ebenfalls Berücksichtigung finden. Ökonomen neigen nicht dazu, lediglich „ökonomische“ Größen als Erklärungsfaktoren zuzulassen. Und sie neigen erst recht nicht dazu, nur „Geld“ als Motivation von Korruption zu akzeptieren. Im Gegenteil: Ökonomen konzidieren die zentrale Rolle ethisch-moralischer Werte. Sie sehen, dass je nach Ausgestaltung der oben genannten, durchaus in den sozio-kulturellen Bereich fallenden, die Individuen prägenden (Hintergrund-)Faktoren die von den Individuen getroffene rationale Wahl unterschiedlich ausfällt. Allerdings übersetzen sie die Faktoren nach dem obigen Muster in Kosten-Nutzen-Kategorien, wobei sie ausdrücklich festhalten, dass die genannten Variablen keine objektiven Daten, sondern wahrgenommene Werte darstellen, die durchaus einer individuellen Verzerrung unterliegen mögen. Oder wie Becker (1968) formuliert: „Some persons become ‚criminals‘, therefore, not because their basic motivation differs from that of other persons, but because their (perceived) benefits and costs differ.“ Andererseits wird auch klar, dass ein steigender erwarteter Nettonutzen aus Korruption dazu führen kann, dass die moralischen Schranken eines zuvor „sauberen“ Athleten oder eines Sportfunktionärs überschritten werden können und sie sich delinquent verhalten, sofern sie, was bei steigenden Nettonutzen wahrscheinlich ist, einen geeigneten Korruptionspartner finden. Aus dem bisher für Individuen dargestellten Kalkül lässt sich auch für das gesellschaftliche, sportweite „Angebot“ an Korruption ein entsprechender Zusammenhang ableiten, weil bei steigender „Rentabilität“ der Korruption immer mehr Athleten und Sportfunktionäre ihre individuellen moralischen Grenzwerte überschreiten (Ehrlich 1996).

20 Zu solchen Einflussfaktoren gehören in der allgemeinen Delinquenz beispielsweise familiäre Vorbelastungen, Beziehungs- und Erziehungsverhalten der Eltern, Alter, Rasse, sozialer Hintergrund und soziales Umfeld. Prinzipiell gelten solche Einflussfaktoren auch im Falle der Korruption.

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2. Duldung als „Nachfrage“ nach Korruption Was die Bereitschaft betrifft, Korruption zu tolerieren, so unterliegen die auf dieser Marktseite der Delinquenz agierenden privaten bzw. sportpolitischen Entscheidungsträger der Aufgabe, die sportbezogenen Kosten der Korruption zu minimieren.21 Da vermehrte Korruption unter anderem mit steigenden Opfer- sowie Tatplanungs- und Durchführungskosten einhergeht, können die sportpolitischen Entscheidungsträger in der Regel die sportbezogenen Kosten der Korruption verringern, indem sie bei zunehmender Häufigkeit die Gegenmaßnahmen verstärken (Ehrlich 1996). Diese verstärkten Gegenmaßnahmen führen auf Seiten der (potenziell) Korrupten zu einem verringerten erwarteten Nettonutzen aus dem delinquenten Verhalten. Oder, vereinfacht ausgedrückt: In einer Sportart, in der die Korruptionsrate – beispielsweise aufgrund besonders hoher moralischer Werte der Sportler und Sportfunktionäre – nur sehr gering ist, lohnt ein intensiver sportpolitischer Kampf gegen die Korruption nicht. Entsprechend kann die Rendite für die wenigen korrupten Individuen hoch sein. Bei häufiger Korruption werden die sportpolitisch Verantwortlichen hingegen versuchen, die Gegenmaßnahmen zu verstärken, was die Renditen aus korruptem Verhalten reduziert. Diese „endogene“ Reaktion der sportpolitischen Entscheidungsträger führt zu einem negativen Zusammenhang zwischen Korruptionsrate und erwartetem Nettonutzen aus der Korruption. Die entsprechend ableitbare (negative) Funktion zwischen Korruptionsrate und korruptiver Rentabilität stellt die Tolerierungsbereitschaft von – ökonomisch: „Nachfrage“ nach – Korruption dar. 3. Gleichgewicht auf dem Markt für Korruption und ausgewählte Einflussfaktoren Für das Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage, welches die gleichgewichtige Korruptionsrate determiniert, gilt, dass sämtliche gesellschaftliche Faktoren bzw. deren Veränderungen, die in das geschilderte (implizite) Kosten-Nutzen-Kalkül der Akteure auf den beiden Marktseiten eingehen, Einfluss auf die Höhe der Delinquenz und deren Veränderung haben. So folgt beispielsweise auf eine allgemeine Werteverschlechterung (NPC fällt), dass bei gleicher Rendite aus Korruption mehr potenziell Korrupte als zuvor ihre moralischen Schranken überschreiten. Dadurch erhöht sich das Angebot an Korruption, was – bei gegebener Nachfrage- bzw. Duldungskurve – zu einem neuen Gleichgewicht mit erhöhter Rate an Korruption führt. 21

Vgl. hierzu detaillierter Maennig (2005).

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III. Zur ökonomisch effizienten Korruptionsbekämpfung im Sport Aus den theoretischen Erkenntnissen ergeben sich zunächst zwei zentrale Erkenntnisse bezüglich der optimalen Anti-Korruptionspolitik im Sport: Erstens sind Maßnahmen zur Verringerung der Delinquenz nur in dem Umfang anzuwenden, wie ihre sozialen Grenzkosten in Form von Vermeidungskosten die aus ihnen resultierenden sozialen Grenznutzen (eingesparte Opfer- und Tatdurchführungskosten, vgl. Maennig, 2005) nicht übersteigen. Dieser Sachverhalt führt in der Literatur zur allgemeinen Delinquenz zu der Schlussfolgerung, dass es in der Regel nicht das gesellschaftliche Ziel sein sollte, die Rate der Delinquenz auf Null zu senken. Mit anderen Worten: Aus effizienzorientierter Sicht ist ein bestimmtes Maß an Delinquenz optimal – oder mit freundlicheren Worten: tolerierbar. Im Falle der Korruption im Sport spricht jedoch Einiges dafür, dass die „optimale“ Rate gleich Null ist: Bereits ein erster Korruptionsfall kann signifikanten sozialen Grenzschaden anrichten, da im Allgemeinen erheblicher Ansehensverlust nicht nur für die Täter, sondern für ihre gesamte Sportart entsteht. Streng genommen gilt dies nur, wenn die Korruption veröffentlicht wird. Hieraus erklärt sich die zögerliche Haltung von Verbänden, aufgedeckte Fälle zu publizieren. Der Schaden kann gar den Sport allgemein betreffen und durchaus über die Grenzen des eigenen Landes hinaus anfallen: Mit dem jüngsten deutschen Fußball-Korruptionsskandal hatte nicht nur die hauptsächlich betroffene Zweite Bundesliga ein Problem; der Fall strahlte auf alle Ligen und (sicherlich gemindert) auf alle Sportarten aus. Andererseits sollte es möglich sein, die sozialen Grenzkosten der Vermeidung der Korruption im Sport letztlich relativ gering ausfallen zu lassen. Die bisher in der Sportpraxis durchgeführten, in Abschnitt 1 geschilderten Maßnahmen, die meistens auf Wettkampfsperren der Täter hinauslaufen, bedeuten beispielsweise relativ geringe Grenzkosten der Korruptionsvermeidung. Zweitens bietet die Ökonomik Ansätze, wie die gesamten Kosten der Korruptionsvermeidung systematisch klein gehalten werden können. Bei der Zusammenstellung der Maßnahmen gegen die Korruption im Sport sind diese so einzusetzen, dass das Verhältnis ihrer individuellen sozialen Grenznutzen zu ihren sozialen Grenzkosten identisch ist. Selbst wenn also beispielsweise eine Maßnahme doppelt so wirksam ist wie eine andere (exakter: doppelt so hohe Grenznutzen hat), darf sie nur solange eingesetzt werden, wie sie nicht mehr als das Doppelte der anderen Maßnahme an Grenzkosten auslöst. Die hinter der aus dieser Formulierung deutlich werdende Notwendigkeit, die Wirksamkeit („Nutzen“) der Maßnahmen mit ihren Kosten zu relativieren,

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ist von zentraler Bedeutung für den – aus ökonomischer Sicht – effizienzorientierten Kampf gegen Korruption im Sport. Zur systematischen Analyse der in der Sportpraxis bislang getroffenen bzw. zusätzlich möglichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption im Sport lohnt es, diese in zumindest drei Kategorien zu unterteilen, die sich aus der „Formel“ Klitgaards (1987, 75) „Korruption = Monopol + Ermessen – Rechenschaft“ ableiten lassen.22 Eine weitere Kategorie besteht aus sonstigen Maßnahmen (Abschnitt III.4.). 1. Maßnahmen zur Verringerung von ökonomischen „Renten“23 Zur Finanzierung hinreichend großer Bestechungsgelder an die Entscheidungsträger müssen ausreichend hohe Renten aus den manipulierten Verhaltensweisen erwirtschaftet werden können. Betroffen von Korruption sind praktisch ausschließlich Sportarten, in denen erhebliche Einkommensströme generiert werden. Auch der Skandal um die Olympischen Spiele passt in dieses Erklärungsschema. Solange die Ausrichtung der Spiele für die Austragungsstädte ein „Zuschussgeschäft“ war, gab es nur relativ wenige Bewerber. Nach dem finanziellen Debakel von Montreal 1976 gab es Ende der siebziger Jahre für die Spiele von 1984 nur einen Bewerber (und somit kaum Korruptionspotential). Der dramatische Wandel in der Finanzierbarkeit der Spiele nach Los Angeles 1984 (und nicht etwa die Sportbegeisterung der Bürger und der jeweiligen regionalen politischen Entscheidungsträger) ist ein wesentlicher Grund dafür, dass zur Zeit rund zehn Bewerber pro Olympischer Sommerspiele auftreten – und dass die Korruptionsproblematik zumindest bis zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen zeitweilig auftauchte. Damit solche Renten erwirtschaftet werden können, müssen Wettbewerbsbeschränkungen vorhanden sein.24 Diese existieren in Form der unilateralen Monopole, welche die einzelnen Sportverbände für ihre jeweilige Sportart haben, und welches durch andere Anbieter kaum gefährdet wird.25 Auch 22 Die Maßnahmen lassen sich alternativ in „negative“, „positive“ bzw. „pädagogische“ Maßnahmen einteilen. Zu den negativen Maßnahmen gehören insbesondere die härtere Bestrafung und die Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit. Zu den positiven gehören diejenigen, welche die Opportunitätskosten des delinquenten Verhaltens erhöhen. 23 Der Begriff lässt sich – leicht verkürzend – mit „Profite“ in den nichtökonomischen Sprachgebrauch übersetzen. 24 Für eine Bestätigung auf volkswirtschaftlicher Ebene vgl. Krueger (1974) sowie Ades und de Tella (1999), wobei die nationalen Handelsbarrieren bzw. die Gewinne auf Unternehmensebene als Proxyvariable für das Ausmaß von Wettbewerbsbeschränkungen verwendet werden.

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stehen die Sportarten in einem allenfalls begrenzten Wettbewerb zu anderen Sportarten. Im Falle des IOC ist die Monopolsituation besonders deutlich. Theoretisch denkbar ist zwar eine Entwicklung, wonach den Olympischen Spielen oder anderen großen Sportveranstaltungen nicht mehr einzigartige Nutzen von den Bewerberstädten zugemessen werden, sondern beispielsweise Friedensspiele, Weltausstellungen, Weltjugendtreffen als Substitutionsmöglichkeiten empfunden werden. Die Entwicklung eines solchen, die Renten verringernden Produktwettbewerbes ist im Augenblick jedoch nicht zu erkennen – und aus Sicht der (der grundsätzlich an Renten interessierten) Familie des Sportes auch nicht unbedingt wünschenswert. Die weitestgehende Maßnahme zur Vermeidung der Veranstaltungskorruption mittels Rentenverringerung (und somit Verringerung von finanzierbaren Schmiergeldern Yi sowie den nichtpekuniären Vorteilen NPBi in Gleichung (1)) wäre deshalb, Wettkämpfe wie die Olympischen Spiele zu versteigern (Stewart und Wu, 1997), ggf. nachdem bestimmte Mindeststandards für technische und organisatorische Details festgelegt wurden (Maennig 2002). Zum einen hätten die IOC-Mitglieder kaum noch Entscheidungsmöglichkeiten (außer bei der Festlegung der Standards), zum anderen würden in einem effizienten Bieterverfahren die Renten wegkonkurriert werden. Bei aller Effizienz, bei allen Möglichkeiten, durch Subventionierungen auch ärmeren Ländern in einem solchen Verfahren realistische Chancen zu gewähren – diese Maßnahme ist sicherlich im Augenblick politisch nicht durchsetzbar. Besser durchsetzbar erscheint es – und dies gilt auch für andere Sportgroßveranstaltungen außer den Olympischen Spielen –, den Anteil der Familie des Sportes beispielsweise an den Fernseh- und Marketingerlösen von wichtigen Wettkämpfen weiterhin zu erhöhen, um Aussicht auf Renten in Form von finanziellen Überschüssen und/oder eine günstige Mitfinanzierung städtischer Infrastruktur durch Olympische Spiele und somit die Anzahl der Bewerber und die Intensität des Wettbewerbs zu verringern. Die weiterhin (zu) hohe Zahl von Bewerbern für wichtige Wettkämpfe in zumindest einigen Sportarten zeigt, dass solche Wettkämpfe noch immer (zu) profitabel für die Ausrichter bzw. deren Städte sind. Was die Wettkampfkorruption betrifft, wäre eine Gegenmaßnahme die Wiedereinführung der Amateurbestimmungen (Verbot von Geldzahlungen an Sportler), wenn es gelänge, damit die potenziellen Schmiergeldzahlungen (Yi in Gleichung (1)) zu reduzieren. Letzteres ist allerdings fraglich. Die At25 Wenn sich – wie in den USA in der Vergangenheit geschehen – neue ParallelLigen zu den bestehenden etablieren, werden alle Anstrengungen unternommen, um diese einzubinden oder zu beseitigen. Heute versuchen die US-amerikanischen Ligen, möglichen Wettbewerb dadurch zu vermeiden, dass die Ligen schnellstens um vermeintlich wirtschaftskräftige Standorte erweitert werden.

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traktivität des Sports führt zu einer hohen Wertschöpfung in der Kette Sportler – Wettkampforganisatoren – Medien – Sponsoren (Tietzel/Müller, 2000). Die Re-Amateurisierung der Sportler würde vornehmlich die Profite Anderer erhöhen und die wesentlichen Akteure von der materiellen Wertschöpfung ausschließen. Der Fall des College-Sports in den USA zeigt, dass gerade Amateursportarten korruptionsgefährdet sind, wenn erhebliche Renten im jeweiligen Sportsystem vorhanden sind. Zudem wäre die Durchsetzung der Amateurbestimmungen mit hohen Kontrollkosten der Sportverbände verbunden. 2. Verringerung der Ermessensspielräume Was die Rolle des Ermessens(spielraumes) für die Korruption betrifft, so sind einfache, transparente und schnell nachvollziehbare Entscheidungen wenig korruptionsgefährdet. Von erheblicher Bedeutung bei der Bekämpfung der Korruption ist deshalb die Schaffung einer hohen Transparenz (Tanzi, 1998). In der Ausdrucksweise der Gleichung (1) wird bei hoher Transparenz der Bruttonutzen aus Korruption gesenkt, weil die Erfolgswahrscheinlichkeit pj abgesenkt, die Tatvorbereitungskosten DCi und die pekuniären Opportunitätskosten POCi erhöht werden. Die bis vor kurzem üblichen Schiedsrichterentscheidungen, beispielsweise im Boxen und Eiskunstlauf, waren mit erheblichen Freiheitsgraden verbunden – entsprechend tauchten in solchen Sportarten Korruptionsfälle auf. Schiedsrichter im 100-MeterLauf beispielsweise, wo Frühstarts automatisch angezeigt und der Zieleinlauf über Zielvideos und automatische Zeitmessung eindeutig dokumentiert sind, werden hingegen kaum Ziel von Korruptionsattacken. Die in Abschnitt 3 zu besprechenden Reaktionen der betroffenen Box- und Eiskunstlaufverbände, die in Richtung einer besseren Nachvollziehbarkeit der Schiedsrichterentscheidungen und verringerter Absprachemöglichkeiten gehen, sind mit nur relativ geringen Grenzkosten verbunden und somit ökonomisch sinnvoll. 3. Erhöhte Rechenschaft Aus Gleichung (1) wurde deutlich, dass verschärfte Kontrollen (d. h. erhöhte Entdeckungs- und Verurteilungswahrscheinlichkeit pi) und erhöhte Strafen Fi die Entscheidungskalküle der potenziell Korrupten tendenziell in Richtung eines sauberen Verhaltens beeinflussen. Die Zusammenhänge zwischen Kontrollsystem und Strafhöhe auf der einen und der Korruption auf der anderen Seite sind jedoch komplexer als dies zunächst erscheint. Beim Kontrollsystem spielt zunächst die Bildung

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eines klaren Verhaltenskodexes, an welchem das (Fehl-)Verhalten gemessen werden kann, eine wichtige Rolle. Zudem ist die Mehrschichtigkeit des Kontrollsystems von großer Bedeutung. Hierzu sind systematische interne Revisions- und Kontrollmaßnahmen durch höhere (Sport-)Instanzen notwendig. Hierbei ist es wichtig, dass die höheren Instanzen direkte Verantwortung für eventuelle Vergehen ihrer „Untergebenen“ tragen und über angemessene Anreizsysteme sichergestellt wird, dass die Kontrolleure bzw. Vorgesetzten nicht selbst korrupt sind: Die erwartete Strafe verringert sich mit einem zunehmenden Anteil korrupter Kontrolleure (Andvig/Moene 1990). Ferner sind unabhängige Beschwerdeinstanzen, unabhängige Untersuchungsinstitutionen, Anonymitätszusicherungen, unter Umständen gar Prämien für sachdienliche Hinweise26 und eine freie Presse bedeutsam (vgl. z. B. Bac, 1998, 103). Schließlich können (bedingte) Aufweichungen der Prinzipien von Vertraulichkeit und geheimen Wahlen sinnvoll sein: Zur Erhöhung der Rechenschaft bzw. Verbesserung der Kontrolle sollten die Abstimmungen beispielsweise für Ausrichterstädte zwar für die Allgemeinheit weiterhin geheim, für einen engen Kreis von zur Verschwiegenheit verpflichteten Notaren jedoch namentlich nachvollziehbar sein. Im Falle von Korruptionsvorwürfen ist eine schnelle Überprüfung möglich, ob die Verdächtigten entsprechend gestimmt haben bzw. ihre Stimmen wahlentscheidend waren. Wenngleich hohe Strafen das Ausmaß der Korruption in ihrer Häufigkeit reduzieren mögen, ist ein ungewünschter Effekt hoher Strafen für den Bestochenen zu beachten: Die von ihm erwarteten Kosten des korrupten Verhaltens können zu verstärkten Abwehr- und Geheimhaltungsmechanismen sowie zu erhöhten Schmiergeldforderungen führen (Tanzi, 1998, 18). Insofern gilt: Werden Bestochene stärker bestraft, so kann das Ausmaß an Korruption (allerdings ausschließlich gemessen am Volumen der Bestechungszahlungen) steigen (Bac, 1998). Eine erhöhte Strafe für die Bestechenden wirkt hingegen eindeutig in Richtung einer verringerten Korruption (Bac, 1998). Bei bestimmten Arten von korruptionsanfälligen Entscheidungen im Sport wären somit – in Anlehnung an strafrechtliche Forderungen für den Unternehmensbereich (O. V. (2000)) – hohe Konventionalstrafen angemessen, die zuvor zu vereinbaren wären und beispielsweise über bei Einreichung der Bewerbung zu hinterlegende Kautionen gesichert werden könnten. Sind – wie beim Fußball-Wettskandal – Sportexterne die Bestechenden, hilft dieses Mittel jedoch kaum. Unter Beachtung dieser Einschränkung sollte untersucht werden, wie eine Bestrafung Bestochener wirksamer ausgestaltet werden kann als der bisherige, meist vorgenommene Ausschluss von Wettkämpfen etc., der in den 26 Hierbei muss allerdings auf die Problematik „produzierter“ Anschuldigungen geachtet werden.

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meisten Sportverbänden schon immer und schon vor den etwaigen Korruptionsfällen möglich war. Strafen in Form von Geldbußen haben dabei aus ökonomischer Sicht gegenüber anderen Strafformen wie beispielsweise Haftstrafen den Vorteil, dass sie kaum soziale Ressourcen verbrauchen – mit anderen Worten nur zu allenfalls geringen Grenzkosten der Korruptionsvermeidung führen. Individuell bemessene Geldstrafen wird aus Sicht der Ökonomen deshalb häufig der Vorzug gegeben (Becker 1968, 193 ff.). Was die konkrete Ausgestaltungsform betrifft, so sind Schadensersatzansprüche aufgrund der Problematik der Schadensbemessung (Maennig 2005) fragwürdig, zumal sie beispielsweise bei der Veranstaltungskorruption nur im Zusammenhang mit der zuvor skizzierten, verringerten Geheimhaltung der Wahlen möglich wären. Klarer wäre die vertragliche Vereinbarung von Konventionalstrafen. Auch diese laufen allerdings ins Leere, wenn das geringe Einkommen der Bestochenen ein wesentlicher Grund für deren Empfänglichkeit war. Da Personen, die am (wirtschaftlichen) Erfolg ihrer Tätigkeit beteiligt werden, weniger korruptionsanfällig sind,27 könnte es sich im Falle des Sportes deshalb anbieten, die ehrenamtlichen oder nur relativ gering entlohnten Tätigkeiten von Funktionären, Schiedsrichter und Athleten durch eine höher entlohnte Tätigkeit abzulösen. Beispielsweise könnte IOCMitgliedern oder Schiedsrichtern eine monatliche pauschale Aufwandsentschädigung gezahlt werden, die über der Marktentlohnung für vergleichbare Tätigkeiten liegt.28 Eine Orientierung könnten die Bezüge von Richtern bieten. Allerdings sollte nur ein Teil (z. B. die Hälfte) der Entschädigungen laufend ausgezahlt werden – der andere Teil wird in einen Fonds zur Alterssicherung eingezahlt. Die Ansprüche aus dem Fonds entfallen gänzlich, wenn das unehrenhaft aus seinem Amt ausscheidet. Dieses Vorgehen hätte zwei anreizkompatible Wirkungen. Erstens wird die generelle Empfänglichkeit aufgrund der verbesserten Einkommenssituation verringert. Zweitens ist ein unehrenhaftes Ausscheiden mit erhöhten finanziellen Nachteilen verbunden. Die Fondslösung bewirkt, dass die Strafe unabhängiger vom (Dienst-)Alter des IOC-Mitgliedes wirkt. Für jüngere IOC-Mitglieder wäre ein Ausschluss mit weit reichenden zukünftigen Einkommensverlusten verbunden. Für lang gediente Funktionäre, die nur noch geringe Verluste aus wegfallenden zukünftigen Aufwandsentschädigungen befürchten müssen, wäre der Wegfall der jahrelang angesparten Fondsgelder schmerzhaft.

27

Vgl. Mookherjee/Png (1995) sowie zum theoretischen Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Korruptionsanreizen auch Cadot (1987), Klitgaard (1987), Besley und McLaren (1993), Bac (1998) und Tanzi (1998, 16), zur empirischen Überprüfung Ul Haque und Sahay (1996) sowie Ades und de Tella (1999). 28 Zur Mikrofundierung solcher, über dem Marktniveau liegender „Effizienzlöhne“ vgl. Becker und Stigler (1974).

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4. Sonstige Maßnahmen Von weiterer Bedeutung für die Bekämpfung der Korruption im Sport sind Faktoren, die sich aus ökonomischer Sicht unter dem Stichwort „institutionenökonomisch“29 zusammenfassen lassen: – Die historisch gewachsenen (Korruptions-)Strukturen und die aufgrund dessen gewachsenen grundsätzlichen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen determinieren das aktuelle Korruptionsausmaß: Eine allseits hohe Korruption vermindert die von den korrupten Akteuren wahrgenommenen Grenzkosten ihrer Aktivitäten, beispielsweise in Form von Reputationsverlusten (LRi in Gleichung (1)). Wenngleich daraus der Schluss gezogen werden könnte, dass es schwierig ist, einen korrupten Sport zu bessern, zeigen Beispiele aus dem Bereich der allgemeinen Korruptionsbekämpfung (beispielsweise die öffentlichen Verwaltungen von Hong Kong und Singapur, vgl. Tanzi, 1998, 16), dass eine relativ rasche und deutliche Veränderung der Korruptionsmentalität mit glaubwürdigen Maßnahmen möglich ist. Die genannten Sportinstitutionen haben in der Regel in effizienter Weise Ehrenkodizes erarbeitet, Manipulation als Sportstraftatbestand definiert und Aufklärungsmaterial produziert, welches verdeutlicht, dass korruptes Verhalten die schlechte Ausnahme ist. Die Grenzkosten dieser Form der Maßnahmen zur Erhöhung der moralischen Schwelle NPCi, in der Verhaltensgleichung (2) sind relativ gering. – Jobrotation bzw. die Begrenzung der Amtszeiten werden teilweise als sinnvolle Maßnahme gegen Korruption angesehen, weil damit verhindert wird, dass die Vertrautheit zwischen potenziell Bestechendem und Bestochenem zu groß und die Entdeckungswahrscheinlichkeit kleiner wird.30 Insofern könnten die IOC-Entscheidungen zur Begrenzung der Amtszeiten vorbildlich auch für andere Verbände sein. – Vornehmlich Projekte, bei deren Entscheidungen eine geringe Anzahl von Entscheidungsträgern involviert ist, sind korruptionsanfällig: Bei einer hohen Anzahl von Entscheidungsträgern wird der Bestechungsversuch relativ teuer (im Kalkül des Bestechenden steigt DCi in Gleichung (9)), besonders entdeckungsgefährdet (pi steigt) und in seinem Erfolg pj kaum kontrollierbar. Insofern ist beispielsweise eine angemessen hohe Anzahl von Schiedsrichtern wichtig.

29

Für eine grundlegende institutionenökonomische Analyse der Korruption vgl. Dietz (1998). 30 Vgl. Bardhan (1997, 1338) sowie ausführlicher und die Rotation in Behörden stark befürwortend Abbink (1999).

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IV. Anti-Korruptionsmaßnahmen im modernen Sport 1. Technische Überwachung der Schiedsrichterleistungen: Der Fall des Amateur-Weltboxverbandes AIBA Bei den Olympischen Boxwettkämpfen in Seoul 1988 erhielten Wettkampfrichter Bestechungsgelder in Höhe von rund 5.000 US$. Hauptbetroffener war der oben in anderem Zusammenhang bereits erwähnte US-Supermittelgewichtsboxer Roy Jones, der hinter dem Koreaner Park Si-Hun „nur“ Silber gewann (Boxen.com o. D., Jennings 2000, Townsend 2002). Das IOC drohte danach dem Amateur-Weltboxverband AIBA mit der Streichung der Sportart Boxen aus dem olympischen Programm, wenn es nicht zu einschneidenden Verbesserungen in der Bewertung der Wettkampfleistungen durch die Kampfrichter im Boxen kommt (vgl., auch im Folgenden Bastian 2006). Die AIBA führte darauf hin zu den Weltmeisterschaften 1989 in Moskau für alle internationalen Wettkampfhöhepunkte ein elektronisches Bewertungssystem (Boxpunktmaschine) ein, dass seitdem mehrfach modifiziert wurde und inzwischen auch auf nationaler Ebene Einzug gehalten hat. In diesem System quittieren die fünf rund um den Boxring platzierten Kampfrichter (s. Abb. 2) jeden Treffer. Ein Treffer zählt nur, wenn ihn mindestens drei der fünf Kampfrichter innerhalb einer Sekunde werten. Ein Video-

Quelle: Bastian (2006) Abb. 2: Überblick über die technische Ausstattung des AIBA-Bewertungssystems

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Quelle: Bastian (2006) Abb. 3: Videokontrollsystem im Box-Amateursport

kontrollsystem, welches den Wettkampf von allen vier Seiten zeitsynchron zur Boxpunktmaschine erfasst (Abb. 3), ermöglicht es, im Nachhinein jeden gegebenen Treffer auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Sämtliche Aktivitäten der Kampfrichter werden statistisch verarbeitet; das Ergebnisprotokoll steht unmittelbar und unbeeinflussbar nach Ende des Wettkampfes zur Verfügung. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Software gleichzeitig die Kampfrichter evaluiert. Die Evaluierungskriterien sind die Höhe der Differenz zwischen den individuellen Punkten/Treffern und den akzeptierten Treffern (Wertungstreffern), die Differenz der individuellen Treffer zur Totalwertung (Kampfergebnis), die Abweichung der individuellen Treffer in Prozent vom Mittelwert der Wertungen der 5 Punktrichter sowie Fälle, in denen ein Punkrichter gegen die vier anderen entschieden hat. Die Software berechnet die Schiedsrichterleistung „real time“ und gibt automatisiert „Cautions“ und „Warnings“ bei abweichendem Kampfrichterverhalten aus (vgl. Abb. 4). Die gewichtete Anzahl von Cautions und Warnings, dividiert durch die Anzahl der Wettkämpfe als Wettkamprichter, wird als Maßzahl31, 32 für die 31 Die Formel lautet (Cautions + 4 warnings)/Anzahl der Wettkampfrichtereinsätze.

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Quelle: Bastian (2005). Abb. 4: Ergebnismaske einer Kampfrichter-Evaluierung

Güte der Wettkampfrichter herangezogen. Als „Standard“ gilt ein Wert von 1–1,5. Über 2 gilt als „very poor“. Weder die Kampfrichter noch ihre Kollegen erfahren ihre Bewertung. Bei schwachen Leistungen werden sie jedoch unmittelbar durch die Kampfrichterkommission des internationalen Amateurboxverbandes AIBA für weitere Wettkämpfe suspendiert. Ein derartiges Vorgehen wurde beispielsweise bei den Olympischen Spielen von Athen 2004 praktiziert. Grobes Fehlveralten kann aber auch zu längeren Einsatzsperren (1–2 Jahren, oder auch lebenslanger Sperre) führen. Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass die jeweiligen Kampfrichter von ihrem eigenen Land, welches sie delegiert, mit einer normalen Aufwandsentschädigung (so wie auch Sportler/Trainer/Funktionäre) versehen werden. Dieses Tagegeld (abzüglich der Verpflegungsleistungen im Hotel) konvergiert in der Regel gegen Null. Bei Olympischen Spielen 32 Email-Auskunft, auch zum Rest des Absatzes von Herrn Michael Bastian, Projektleiter Boxen, Institut für Angewandte Trainingswissenschaft Leipzig vom 1. und 7.11.2005.

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erhält der durch den Weltverband AIBA nominierte Kampfrichter (wie alle anderen Kampfrichter in anderen Sportarten) eine Aufwandspauschale von 50,– e pro Tag. Hierfür hat der Kampfrichter teilweise über 8 Stunden täglich zu amtieren.33 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die AIBA in ihren Anti-Korruptionsbemühungen stringent auf die technische Überwachung der Schiedsrichterentscheidungen setzt und so zu einer hohen Transparenz der Entscheidungen gelangt.34 Die Maßnahmen der AIBA ähneln in vielen Punkten denjenigen der ISU Internationalen Eiskunstlauf-Union,35 die ihr traditionsreiches Wertungssystems nach dem Skandal um den Olympischen Eiskunstlauf von Salt Lake City 200236 grundlegend geändert hat.37 Auch im deutschen Eishockey ist inzwischen der Video-Beweis eingeführt (Leydenberg, 2005). 2. Wettverbote als zentrale Antikorruptionsmaßnahme: Das Beispiel des Deutschen Fußballverbandes (DFB) Der Manipulations- und Wettskandal im Deutschen Fußball führte zum einen zu einer umfangreichen Aufarbeitung sowohl durch die DFB-Sportgerichtsbarkeit als auch durch ordentliche Gerichte. Im Rahmen dieser Bearbeitung wurden die Hauptakteure wie der Schiedsrichter Robert Hoyzer und die Wettspieler Sapina zu Haftstrafen von 2 Jahren und fünf bzw. 11 Monaten verurteilt (o. V. 2005r). Der Deutsche Fußball-Bund schloss Hoyzer aus dem Verband und seinen angeschlossenen Vereinen aus. Andere Schiedsrichter und einige Spieler wurden zeitweilig gesperrt. Wieder andere, auch in Verdacht geratene Schiedsrichter, entzogen sich der Sportgerichtsbarkeit der DFB bis auf weiteres durch Austritt aus den Mitgliedsvereinen.38 Zum anderen nahm der DFB eine sportpolitische Aufarbeitung vor. Der außerordentliche Verbandstag des DFB beschloss am 28.04.2005, keine 100 Tage nach Bekanntwerden des Skandals, eine Reihe von entsprechenden Anträgen, unter anderem zu Satzungsänderungen (vgl. auch im Folgenden DFB 2005a und b sowie Koch, 2006). So wurde der Begriff der Spielmanipulation definiert (Beeinflussung des Verlaufs bzw. des Ergebnisses eines Spiels durch wissentlich falsche Ent33 34 35 36 37 38

Email-Auskunft von Michael Bastian 22.11.2005. Zu kritischen Bemerkungen bzgl. des Systems vgl. Bastian (2006). Zur Beschreibung des neuen Bewertungssystems vgl. ISU (2005). Vgl. Maennig (2005). Zur Kritik an der Reform der Eiskunstlaufwertung, vgl. o. V. (21.3.2005). Vgl. zu Einzelheiten Koch (2006).

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Tabelle 3 Schiedsrichter-Entschädigungen im DFB, in e je Spiel (Stand 2005) Bundesliga

2. Bundesliga

Pokalspiele wenn Heim- wenn Heim- wenn Heimverein in verein in verein in Bundesliga 2. Bundesliga Amateurliga

Schiedsrichter

3068

1534

3068

1534

Schiedsrichterassistenten

1534

767

1534

767

383,5

750

375

187,5

Vierter Offizieller

750

767

Quelle: DFB, Schreiben des Justiziars Goetz Eilers vom 10.10.2005.

scheidungen, um sich oder anderen Vorteile zu verschaffen) und als speziell normierter Sportstraftatbestand und Einspruchsgrund verankert. Zudem wurde ein direktes und indirektes Wettverbot verhängt für Spieler, Trainer und Funktionsträger für Spiele, an denen sie beteiligt sind. Für Schiedsrichter gilt ein Wettverbot für alle Spiele in Ligen, in denen sie aktiv sind. Zudem veranstalteten DFB und Deutsche Fußball Liga (DFL) ein Treffen mit zahlreichen europäischen Buchmachern und Wettanbietern, welches mit einem Zusammenschluss zu einem neuen Frühwarn- und Reaktionssystem, der Vereinbarung zum Austausch von Daten und der Gründung einer Arbeitsgemeinschaft der Beteiligten endete. Schließlich wurde ein Antrag auf Einführung einer eigenen Fußball-Wette ab der Saison 2006/2007 verabschiedet, wobei jedoch ein entsprechendes (deregulierendes) Umfeld in Deutschland abgewartet werden soll. Erneut der Vollständigkeit halber soll auf die Vergütung der Schiedsrichter des DFB bzw. der DFL eingegangen werden, welche in Tab. 3 zusammen gefasst ist. Angesichts von 20 Schiedsrichtern der 1. Bundesliga ergibt sich für diese eine Entschädigung, die über eine Saison gerechnet in die Höhe eines mittleren fünfstelligen Eurobetrages gelangt. Der verstärkte Einsatz von technischen Mitteln zur Überprüfung des Schiedsrichterverhaltens wurde (im Gegensatz beispielsweise zur AIBA und zur ISU) nicht umgesetzt, obwohl er technisch denkbar wäre. Mit Minisendern im Fußball und in den Schienbeinschonern in Zusammenhang mit 3-D-Ortungssystemen und einer Videoaufzeichnung wären automatische Torprüfungen und Abseitsmeldungen und die sofortige Korrektur von Fehlent-

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scheidungen und Objektivierung der Schiedsrichterentscheidung möglich (Whitfield 2002, Miller 2003). Bei der Fußball-WM der Unter-17-Jährigen vom 16.9. bis zum 2.10.2005 wurden diese technischen Hilfsmittel bereits eingesetzt (o. V. 2005f). Dass sich der Fußballverband dennoch bislang nicht zu derartigen Maßnahmen durchringen konnte, liegt vor allem an einem grundsätzlichen Einwand des Präsidenten des Weltfußballverbandes FIFA, dass Fußball in allen Liganiveaus immer gleich sein müsse. Einsichten, dass in keinem Sport die Bedingungen „von unten bis oben“ gleich sind, sowie die Übernahme von Erfahrungen anderer Verbände scheinen erst unter einem neuen Präsidenten möglich zu sein: „As long as I am president, there will be no video evidence“ (Zitat Blatter, o. V. 2005i). Die zentrale Rolle von Wettverboten in den Antikorruptionsmaßnahmen ist auch aus anderen Ballsportligen bekannt. So hat der italienische Fußballverband, seit langem Opfer von Wettskandalen (Schümer 2005), jüngst ein umfassendes Wettverbot mit Sperrandrohungen von bis zu 1 ½ Jahren beschlossen (o. V. 2005k). Auch in den US-amerikanischen Collegesportarten, die jahrzehntelang von Wettskandalen betroffen waren, sind Wettverbote die zentralen Gegenmaßnahmen.

V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Auch unter Beachtung von erheblichen Dunkelziffern ergibt sich kein Nachweis, dass die Korruption im Sport zunimmt oder im Vergleich zur Korruption in anderen Bereichen menschlicher Aktivitäten ein größeres Ausmaß aufweist. Diese Relativierung darf nicht als Plädoyer für eine weniger stringente Korruptionsbekämpfung im Sport verstanden werden. Im Gegenteil: Es spricht Einiges dafür, dass die allgemeine Erkenntnis aus der Ökonomik der Delinquenz, wonach die optimale Delinquenzrate nicht Null sein muss, im Falle der Korruption im Sport in dieser allgemeinen Form nicht gilt: Bereits ein erster Korruptionsfall kann signifikanten sozialen (Grenz-)schaden anrichten, da im Allgemeinen erheblicher Ansehensverlust nicht nur für die Täter, sondern für ihre gesamte Sportart, gar für den Sport allgemein, und durchaus über die Grenzen des eigenen Landes hinaus anfallen können. Zudem zeigen die bereits von Sportverbänden durchgeführten bzw. potenziellen weiteren Maßnahmen, dass die sozialen (Grenz-)kosten der Vermeidung der Korruption im Sport bei geschickter Zusammenstellung der Maßnahmen letztlich relativ gering gehalten werden können. Aus dem Kalkül, dass die Korruptionsbekämpfung solange ausgedehnt werden soll, bis deren soziale

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Grenzkosten die Grenznutzen der Korruptionsbekämpfung entsprechen, dürfte sich eine Korruptionsrate, die nur insignifikant von Null verschieden ist, ergeben. Es verbleibt weiterhin die zentrale allgemeine ökonomische Erkenntnis, dass bei der Zusammenstellung des Policy-Mixes der Anti-Korruptionsmaßnahmen das Verhältnis der Grenznutzen der individuellen Maßnahmen zu deren Grenzkosten für alle Maßnahmen identisch sein muss – mit anderen Worten: Dass Antikorruptionsmaßnahmen mit vergleichsweise hohen sozialen Grenzkosten durch kostengünstigere zu ersetzen sind. Aus dieser Perspektive bietet die Ökonomik eine Reihe von Ansätzen und Erkenntnissen, mit denen der bisherige Kampf der Sportverbände gegen die Korruption verbessert werden kann. So ist dem internationalen Sport zwar zu attestieren, dass er in den meisten Fällen mit angemessen hoher Geschwindigkeit Anti-Korruptionsmaßnahmen ergriffen hat, die zumindest zum großen Teil grundsätzlich in die richtige Richtung gehen. Dabei ist auch zu konzidieren, dass die optimalen Lösungen in unterschiedlichen Sportarten verschiedenartig ausfallen können. Beim Boxen und beim Eiskunstlauf, bei denen die Schiedsrichterkorruption im Vordergrund stand, sind die umfassende Überarbeitung und Objektivierung der Schiedsrichterleistungen, welche eine deutlich erhöhte Transparenz schafft, aus Sicht des Autors sehr beeindruckend. Beim Deutschen Fußballbund ist insbesondere die neu vorgenommene Definition der Spielmanipulation und deren Einstufung als Sportstraftatbestand sowie die Koordinierung der Wettanbieter in Richtung eines Frühwarnsystems, an welchem die Wettanbieter ohnehin ein Interesse haben sollten, bedeutsam. Das Wettverbot für Spieler und Schiedsrichter erscheint hingegen als eine Selbstverständlichkeit, die jedoch den jüngsten Skandal nicht verhindert hätte: Die inzwischen belangten Schiedsrichter und Spieler haben – bis auf geringfügige Ausnahmen – nicht selber gewettet. Aus ökonomischer Sicht könnten diese Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption durch zusätzliche effiziente Maßnahmen ergänzt werden. Regelmäßig gehören hierzu: – Dort, wo dies (teilweise, weil man es für unnötig erachtet) noch nicht geschehen ist, sollten klare Ehrenkodizes erarbeitet werden, aus denen nicht erwünschte (und strafbare) Verhaltensweisen eindeutig ablesbar sind. In den meisten Sportverbänden existieren solche Kodizes für das Verhalten von Funktionären und Sportlern untereinander. In Bezug auf Externe wie Sponsoringpartner und Medien gilt dies hingegen nicht. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn Sport, Wirtschaft und Medien unerwünschte gegenseitige Verhaltensweisen klar kodifizieren.

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– Die Rente bzw. Überschüsse aus der Veranstaltung von Sportgroßveranstaltungen in den Austragungsstädten sollten verringert werden, indem die Familie des Sports noch stärker an den monetären Vorteilen beteiligt wird. Die Überschussverringerung ist so lange fortzusetzen, bis die Bewerberzahl hinreichend stark sinkt. Bewerberstädte aus ärmeren Ländern könnten von der internationalen Sportfamilie gezielt subventioniert werden. – Die Auswahlverfahren für Sportveranstaltungsorte sollten transparenter gestaltet werden. – Für Athleten und Funktionäre sollten verstärkte finanzielle Anreizmechanismen geschaffen werden, mit denen die Opportunitätskosten der Korruption erhöht werden, indem ihnen für ihre Aktivitäten offizielle Vergütungen zufließen, die über den Marktlöhnen für vergleichbare Aktivitäten liegen. Es soll in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Fußball-Wettskandal nicht etwa Spiele der ersten Bundesliga betraf, sondern Ligen darunter, wo den Schiedsrichtern nicht bereits „Entschädigungen“ gezahlt werden, welche an die oben skizzierten, zur Korruptionsvermeidung notwendigen Höhen von Zahlungen heranreichen. – Es sind verstärkte Kontrollen und härtere Strafen einzuführen, wobei neben den in Abschnitt 1 geschilderten, in den Sportverbänden bereits meistens vorgesehenen Ausschlüssen vom Sportgeschehen, auch höhere Geldstrafen zu prüfen sind. Es muss allerdings zugegeben werden, dass es bezüglich der beiden letzten Punkte wohl noch eine Weile dauern wird, bis solche Strategien für die Öffentlichkeit akzeptabel und somit für die Sportverbände durchführbar werden. Der bereits weiter oben erwähnte Un Yong Kim sowie Prinz Willem der Niederlande sollen im Vorfeld der Wahl zum IOC-Präsidenten im Juli 2001 vorgeschlagen haben, dass alle IOC-Mitglieder jährlich US$ 50.000 Aufwandsentschädigung für ihre Funktion als Botschafter des IOC in ihren Ländern erhalten sollen.39 Der Vorschlag soll Kims Chancen auf das Amt des IOC-Präsidenten deutlich verringert haben, da er als korrumptiv (im Sinne der Beeinflussung der Präsidenten-Wahlen zu seinen Gunsten) empfunden wurde. Sogar die Ethik-Kommission des IOC beschäftigte sich mit der Angelegenheit (o. V. 2001b). Und zu den Forderungen des FIFA-Präsidenten Blatter, den Schiedsrichtern 100.000 e pro Jahr zu zahlen (o. V. 2005h), kommentiert „Der Tages39 IOC-Präsidiumsmitglieder erhalten 1.000 US$ pro Konferenz (egal wie lange sie dauert) und normale IOC-Mitglieder 150 US$ pro Tag für die jährliche Session. Der Internationale Fußballverband FIFA zahlt seinen Präsidiumsmitgliedern 50.000 US$ pro Jahr. Councilmitglieder des internationalen Leichtathletikverbandes IAAF erhalten pro Konferenz und Tag 300 US$, vgl. O. V. (2001c).

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spiegel“ auf seiner Titelseite: „Nur der deutsche Beamte kann den hohen Anforderungen Blatters gerecht werden. Eingestuft in die Besoldungsgruppe B8 (ltd. Strafraumdirigent), ausgestattet mit Sekretärin, Arbeitsstab, Unfallversicherung und Pensionsregelung, wird er ein mächtiges Bollwerk sein gegen alle Anfechtungen, die sein schwerer Berufsstand bereithält . . . Der Nachteil: Vor jedem Torschuss sind ein paar Formulare auszufüllen. Mit Durchschlag. Doch daran werden sich unsere Stürmer schon noch gewöhnen“ (o. V. 2005g). Und was die Geldstrafen betrifft, so dürften diese in den Augen vieler Sportenthusiasten ebenfalls unangemessen sein.40 Ein Blick zurück in den antiken Sport zeigt jedoch, dass die Idee keineswegs neu ist. Im klassischen Olympia wurden korrupte Athleten mit schweren Geldstrafen belegt. Sie hatten den Bau sogenannter „Schandsäulen“ („Zanes“) zu finanzieren, die am Eingang des Olympiastadions postiert wurden. Diese Säulen wurden aus erlesenen Materialien von bekannten Künstlern gefertigt und kosteten ein Vermögen. Wenn die Athleten nicht zahlen konnten, musste die entsendende Stadt zahlen. Die Säulen wurden für die „Ewigkeit“ gebaut und sind in Ihren Überresten tatsächlich noch heute in Olympia zu betrachten. Die Inschriften beinhalteten den Namen des korrupten Athleten, sein Vergehen und eine moralische Botschaft. Neben dem pekuniären Schaden tragen die Sünder einen Reputationsverlust (LRi in Gleichung 1), der gegen Unendlich strebt. Literatur Abbink, K.: Staff rotation: a powerful weapon against corruption?, Discussion Paper Sonderforschungsbereich 303, Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn 1999. Ades, A./Tella, R. de (1999): Rents, competition, and corruption. American Economic Review. 89, 982–993. Andvig, J. Chr./Moene, K. O. (1990): How corruption may corrupt. Journal of Behavioural Organization. 13, 63–76. Ashelm, M. (2005): Das China-Syndrom, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.10.2005, S. 37. Bac, M. (1998): The scope, timing, and type of corruption. International Review of Law and Economics. 18, 101–120. Bannenberg, B. (2002): Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Analyse. Eine kriminologisch-strafrechtliche Analyse. Neuwied. Bannenberg, B./Schaupensteiner, W. (2004): Korruption in Deutschland. Portrait einer Wachstumsbranche. München. 40 Dies gilt insbesondere, wenn sie Wettkampfstrafen substituieren sollen und somit als ein „Freikaufen“ interpretiert werden können. Insofern sollten Geldstrafen als Begleitung von Wettkampfstrafen ausgesprochen werden.

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Streitgespräch: „Wie unabhängig ist Transparency International Deutschland?“ Mit Hans See und Peter von Blomberg Von Arnim: Das vielleicht auf den ersten Blick etwas provokativ anmutende Thema „Wie unabhängig ist Transparency International Deutschland“ geht zurück auf einen vor zwei Jahren veröffentlichten Bericht im „Spiegel Online“ von der Redakteurin Claudia Eltermann. Ihr kritischer Bericht über Transparency International Deutschland war gut recherchiert. Der Kern der Kritik betraf die kooperativen Mitglieder von TI, die die Organisation zu einem nicht unerheblichen Teil finanzieren. Es handelte sich dabei um viele Großunternehmen wie z. B. auch Siemens, die selbst teilweise in korruptive Praktiken verstrickt waren. In dem Beitrag wurde der Eindruck erweckt, zahlreiche Großunternehmen treten gerade dann TI Deutschland bei, wenn Korruptionsvorwürfe gegen sie erhoben würden. Der Beitritt sei also eine Art Strategie, um in der Öffentlichkeit besser dazustehen. Diese Veröffentlichung steht also hinter dem heutigen Streitgespräch zwischen Herrn Dr. Peter von Blomberg, der Mitglied des Vorstands von TI Deutschland ist – vielen Dank, Herr von Blomberg, dass Sie diese Diskussion mit uns führen – und Herrn Prof. Dr. Hans See, dem Vorsitzenden von Business Crime Control. Bei dieser Frage handelt es sich um ein generelles Problem von, wie ich meine, großer Tragweite. Auch aus anderen Bereichen von Verbänden und auch von NGOs, etwa der Umweltverbände oder der Steuerzahlerverbände, kennen wir das Bestreben der Kontrollierten, sich der Kontrolle dadurch zu entledigen oder die Kontrolle zu schwächen, dass sie versuchen, die Kontrolleure zu umarmen und einzubinden. Ob dies auch bei TI Deutschland der Fall ist, müssen wir jetzt diskutieren. Es handelt sich aber jedenfalls um kein Einzelproblem, sondern, wie man weiß, und ich auch aus längerer Erfahrung festgestellt habe, um ein Grundproblem. Deswegen finde ich das Thema auch durchaus spannend. Ich würde die beiden Herren auf dem Podium zunächst um ein kurzes fünfminütiges Statement bitten, vielleicht zuerst Herr See und dann Herr von Blomberg, und dann vielleicht noch mal Rede und Gegenrede. Dann würde ich gerne auch das Plenum einbeziehen, um Fragen an die beiden Kontrahenten zu stellen. Herr See, darf ich Sie bitten.

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Hans See und Peter von Blomberg

See: Korruption ist seit rund 10 Jahren ein Schlüsselbegriff der deutschen und internationalen Politik. Aber diejenigen, die sich über Korruption in Deutschland, Europa und der Welt äußern, sachlich oder empört, berufen sich nicht auf Regierung oder Wirtschaft, sondern auf Transparency International. TI ist eine NGO, eine Nicht-Regierungsorganisation. Sie wurde 1993 von Dr. Peter Eigen gegründet. TI machte mit der Proklamation des Kampfes gegen Korruption, dessen Existenz bis zum Untergang des Ostblocks von Politik und Wirtschaft völlig geleugnet wurde, in kürzester Zeit „Weltkarriere“ und gewann enormen Einfluss auf die veröffentlichte und, über diese, auch die öffentliche Meinung. Der Fall TI beweist, dass Wirtschaft, Medien und Politik den Widerstand gegen Missstände nicht grundsätzlich gegen die Wand laufen lassen, sondern nur, wenn das Konzept die Geschäfte stören könnte. Im Gegensatz zu vielen anderen NGOs stand also TI von Anfang an Regierungen und – entscheidender noch – den Chefetagen der Konzerne äußerst nahe. Der bei kritischeren Köpfen schon früh aufgekommene Verdacht, hier sei eine NGO geschaffen worden, um ein Feigenblatt für Regierungen und Unternehmensführungen zu schaffen, ist bis heute nicht ausgeräumt. Auch wenn man die Feigenblatt-Theorie nicht teilt, gibt es genügend andere Aspekte, die mit Blick auf die offizielle Zielsetzung von TI problematisch sind. Es ist nun einmal äußerst fragwürdig, dass Unternehmen, auch wenn sie in Korruptionsfälle verstrickt sind, korporative Mitglieder bei TI werden können. Hier erhebt sich nun einmal die Frage nach der Unabhängigkeit. Wie man Korruption gemeinsam mit denen bekämpfen kann, die bei genauerer Analyse korrupter Beziehungen als deren Urheber erkennbar werden, ist vielen ein Rätsel. Was bedeutet diese große Regierungs- und Wirtschaftsnähe, wenn man nicht nach den erklärten Zielen, sondern nach der objektiven Funktion fragt, die TI in dem als Globalisierung bezeichneten internationalen Wettbewerb um Märkte hat? In den zahlreichen Selbstdarstellungen wird zugegeben, dass die NGO Transparency International auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung ein Meinungsmonopol geschaffen hat: „Transparency International ist weltweit die einzige internationale Nichtregierungsorganisation, die sich auf die Bekämpfung von Korruption konzentriert. Mit diesem Ziel führt sie Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat zusammen, damit diese kooperieren und gemeinsam einflussreiche Koalitionen bilden können.“ Das strategische Konzept besteht also darin, dass Transparency International mit Staaten und Unternehmen gemeinsame Sache macht, um dem Problem Korruption, das faktisch eines der Beziehung zwischen Wirtschaft und Staat ist, zu Leibe zu rücken. Nur vage wird versprochen, dass TI beide Seiten des Korruptionsgeschäfts (das sind nun einmal Wirtschaft und Staat) und die verschiedenen

Streitgespräch: „Wie unabhängig ist Transparency International Deutschland?“ 129

Staaten gleich behandeln wolle: „TI beschäftigt sich mit nationaler und internationaler Korruption sowie mit der Angebots- und Nachfrageseite von Korruption.“ Dieses Versprechen wird sogar eingelöst, allerdings nur innerhalb der Grenzen, die das Kooperationskonzept gerade noch erlaubt. TI sagt: „Auf internationaler Ebene zielt TI darauf ab, das öffentliche Bewusstsein für die verheerenden Folgen von Korruption zu schärfen.“ Diese Aussage hält einer kritischen Überprüfung stand. Allerdings auch nur, wenn man die Korruptionsdefinition von TI nicht problematisiert. Wenn TI definiert, Korruption sei „der heimliche Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“, ist das so abstrakt, dass Korruption in jedem nur denkbaren Beziehungsproblem vermutet und entdeckt werden kann. Man muss sich aber – wenn es zur Sache geht – zwischen Beliebigkeit und Aufklärung, oder, um mit Habermas zu argumentieren, in Konfliktfällen, zwischen Austragung und Vertagung entscheiden. Das TI-Konzept basiert auf Vertagung der notwendigen Wurzelbehandlung. Denn in Sachen Korruption geht es um den Missbrauch der Verfügungsgewalt über Kapital auf der einen, den Missbrauch politischer Ämter, Mandate und Verletzung von Amtspflichten auf der anderen Seite. Beide Seiten gehören zusammen. Um Korruption wirksam zu bekämpfen, muss das Thema Wirtschaftskriminalität, der Kernbereich aller auf Kapitalbeschaffung und Kapitalverwertung ausgerichteten Deliktformen, stärker ins Zentrum öffentlicher Aufklärung und Kritik gerückt werden. Transparency International verfolgt zweifellos ein hohes Ziel: Es soll das Krebsgeschwür unserer Zeit bekämpft werden. Allerdings – und hier sollte der Zivilgesellschafter doch einmal innehalten und nachdenken – gemeinsam mit Staat und Wirtschaft. Dass der Kampf gegen Korruption notwendig ist und unterstützt werden muss, steht für mich außer Frage. Auch, dass TI sich hier Verdienste erworben hat. Doch muss man sich nicht über die Mittel und Methoden Gedanken machen, mit denen das Ziel – das eingestandenermaßen in weiter Ferne liegt – erreicht werden soll? Vor allem: Muss man nicht fragen, ob aus den spezifischen Interessenlagen der Unternehmen, die Mitglieder bei TI sind, nicht noch andere Ziele als die der Korruptionseindämmung verfolgt werden können? Nutzen nicht Firmen jede Chance, ihr schönes Äußeres zu pflegen, als Sponsoren von sich reden zu machen, auch wenn sie heimlich Steuern hinterziehen, Ausschreibungsund Subventionsbetrug begehen? Wenn Unternehmensführungen tatsächlich einmal unabhängig von ihren betriebwirtschaftlichen Eigeninteressen entscheiden, geht es ihnen doch meist nur um Vergrößerung der Möglichkeiten politischer Einflussnahme der Wirtschaft insgesamt auf Staaten und Märkte. Der populäre Korruptionsindex, auf den ich zurückkomme, bietet hierzu wichtige Entscheidungshil-

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fen. Die Zeitschrift „Rheinischer Merkur“ zitiert zum Beispiel den TI-Gründer mit dem augenzwinkernden Satz: „Politiker sind natürlich sehr stark am Image interessiert“, schmunzelt Eigen, „und der Index ist auch sehr wichtig für Investitionsentscheidungen, denn es ist schädlich für ein Land, einen schlechten Ruf zu haben.“ Zwar wird behauptet, man wolle keines der Länder mit dem Index schädigen. Aber es geschieht dennoch. Wäre es nicht wirksamer, TI erstellte einen Index darüber, wie die – sagen wir 500 oder 1000 – größten Wirtschaftsunternehmen der Welt wahrgenommen werden. Als wirtschaftskriminell, als korrupt? Als gesetzestreu, als verantwortungsbewusst? Das wäre der Ansatz, für den ich mich, wenn mir die materiellen Mittel zur Verfügung stünden, entscheiden würde. Die öffentliche Aufmerksamkeit und die Zustimmung, die TI findet, beweist den meisten Menschen zur Genüge, dass hier ernsthaft einer schweren Krankheit zu Leibe gerückt wird. Die Fragen, die bisher kaum öffentliche Aufmerksamkeit gefunden haben, aber unbedingt finden sollten, sind die, die im Alltagsleben jedem Arzt gestellt werden: Ob seine Therapie auf einer sachgerechten Diagnose beruht, ob er die wesentlichen Ursachen kennt und anerkennt, er also nicht nur an Symptomen kuriert. Aber man muss auch herausfinden, das darf man den Arzt nicht fragen, ob in seine Therapie Interessen (zum Beispiel der Pharmaindustrie) einfließen und die Interessenlagen bzw. die Geldbeziehungen zwischen Arzt und Wirtschaft, die aus Krankheiten ihre Gewinne ziehen, transparent sind. Es sind die Fragen, die auch die Abhängigkeitsverhältnisse von TI betreffen. Ich bestreite nicht, dass TI in Teilbereichen wichtige Aufklärung leistet und manche dem erklärten Ziel der Eindämmung der Korruption nützliche Maßnahme und Gesetzesinitiative anstieß, auch wenn das Selbstlob, man habe die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern abgeschafft, nicht ganz richtig ist. Man hat sie nur erschwert. Dass ist ein anerkennenswerter Schritt in die richtige Richtung. Öffentliches Interesse und möglichst öffentliche Empörung sind nun einmal in demokratischen Gesellschaften die wichtigsten Voraussetzungen, Politiker zu bewegen. Doch trotz öffentlichen Drucks tun sie nicht unbedingt das, was dem Übel abhilft. Besonders die gegenüber der Wirtschaft schwer durchsetzbaren Forderungen werden in Parteitags- und Parlamentsritualen derart verformt, dass sie bestenfalls in einem wirkungsneutralen Gesetz enden. Das hat viel mit Korruption, aber mehr noch mit allzu großer Wirtschaftsmacht zu tun. Sie setzt Abgeordneten Grenzen, wenn es Probleme zu lösen gilt, die Investoren die Unterordnung ihrer privaten unter die öffentlichen Interessen abverlangen. Sozialstaatliche und ökologische Politik müssten sich also erst einmal die Mehrheit, dann auch noch die faktische Macht erkämpfen, die sie benötigt, den ständigen Übergriffen der Wirtschaftsmacht auf kommunale, staatliche

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und supranationale Institutionen wirksam Einhalt zu gebieten. Hier allerdings erweist sich TI als Hindernis. Das kann nicht gelingen, solange der Missbrauch wirtschaftlicher Macht generell und von TI (von sporadischen Äußerungen Eigens, die aber nicht von den Massenmedien aufgegriffen werden, einmal abgesehen) weitgehend aus der Korruptionsdiskussion ausgeblendet und dafür der Missbrauch politischer Macht und Verwaltungsbefugnisse in unverantwortlicher Einseitigkeit hervorgehoben wird. Der große Einfluss von TI auf die öffentliche, vor allem aber auf die veröffentlichte Meinung, zeigt daher fatale Wirkungen. Besonders gefährlich ist es, wenn die Hauptursache der Vorgänge, die TI Korruption nennt, durch einseitige Akzentuierung als alleiniges Problem des Staatsapparats und der Parteien erscheint, und die anarchischen, man kann auch sagen selbstherrlichen, eigenmächtigen und skrupellosen Wirtschaftspraktiken, für die die Chefetagen die Verantwortung tragen, hier und in den korruptesten Entwicklungsländern, kaum thematisiert werden können. Der Bilderbucherfolg der Antikorruptionskampagne lässt sogar globalisierungskritische NGOs gegenüber dem sehr problematischen Konzept von Transparency verstummen. Dabei zeigen sich die Folgen dieser ausgeblendeten Wirtschaftskritik in nahezu allen Aktionsfeldern, in denen man das Wirken von TI genauer überprüft. Die Probleme, die bei einer solchen Überprüfung sichtbar werden, lassen sich eindeutig auf das Konzept, auf die „Philosophie“ der Organisation, zurückführen. Das Konzept lässt sich auf die sympathische Formel bringen: Kooperation statt Konfrontation. Dass der Begriff der „Kooperation“ auch Unternehmen einschließt, die sich wirtschaftskrimineller Praktiken bedienen, um ihre Geschäfte erfolgreich abzuwickeln, also nicht davor zurückschrecken, Politiker und Beamte zu bestechen, würde ich einer therapeutisch arbeitenden Ethikschule für Manager vorbehaltlos zubilligen, nicht aber einer NGO, die das Krebsgeschwür Korruption durch Aufklärung wirksam bekämpfen will. Hier erwarte ich Konfrontation, das heißt offene Kritik, Nennung von Ross und Reiter – klare Distanzierung, auch offener Konflikt. Schon die Kooperation mit „sauberen“ bzw. „seriösen“ Unternehmen ist aus meiner Sicht äußerst problematisch. Selbst dann, wenn sie unter völlig transparenten Bedingungen stattfindet. Mitgliedschaften von Unternehmen in Aufklärungsorganisationen, die der Sache wegen wirtschaftskritisch (nicht zu verwechseln mit wirtschaftsfeindlich) sein müssen, überschreiten für mich die zulässigen Grenzen eines akzeptablen Kooperationsbegriffs. Hier beginnt die Kumpanei, eine der Hauptursachen versagender Kontrollen. TI müsste, um das Kooperationsmodell jeglicher Missdeutung und jeglichem Missbrauch zu entziehen, den Korruptionsbegriff so definieren, dass unmissverständlich klar ist: Es gibt heute keine gesellschaftspolitisch rele-

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vante Korruption, die nicht dem Ziel dient, ein Wirtschaftsdelikt zu begehen, es vorzubereiten, es zu erleichtern und zu verschleiern. Korruption als Selbstzweck gibt es nicht. Bei Beziehungen zwischen Privatwirtschaft und Staat, die unter dem Stichwort Korruption diskutiert werden, handelt es sich nun einmal um aktive Bestechung oder Vorteilsgewährung. Beide gehen eindeutig von der Kapitalseite aus und könnten – da damit die Grenzen des geltenden Strafrechts überschritten werden – als kriminelles Marketing oder privat vorgezogene, sprich wettbewerbskriminelle Deregulierung definiert werden. TI dagegen lässt die Geberseite (die einen erheblichen Teil der Kosten dieser NGO trägt) weitgehend unbeachtet, lenkt vielmehr die Aufmerksamkeit und öffentliche Kritik auf die Nehmer, die Bestochenen, die Bestechlichen, im Regelfall auf Parteien, Politiker, Beamte, auch auf Abgeordnete. Wenn Peter Eigen in einem Interview bei N-TV über den VW-Skandal von den Nehmern sagt, dass diese die Geber auch erpressen, müsste das Problem noch einmal völlig neu diskutiert werden. Denn dann handelt es sich um einen völlig anderen Straftatbestand. Die Form der Korruptionsbekämpfung, für die TI sich entschieden hat, lenkt die Kritik ab von Bestechung und Vorteilsgewährung auf Bestechlichkeit und Vorteilsnahme. Deshalb wird Korruption nicht als Problem einer übermächtig und übermütig gewordenen Wirtschaft, sondern als Staats-, Verwaltungs- oder Demokratieproblem wahrgenommen. Das belegen vor allem die im Zusammenhang mit dem Korruptionsindex geführten öffentlichen Debatten. Die im Kooperationskonzept wie im Corruption Perceptions Index (CPI) angelegte bewusste Einseitigkeit trägt – ähnlich der bekämpften Korruption selbst – erheblich zur allseits beklagten Staats- und Demokratieverdrossenheit und zu dem verallgemeinernden Diktum bei, letztendlich seien alle Politiker und Beamte käuflich. Da Kritik am „faulen“ Staat und der Kampf gegen den Missbrauch von Staatsgewalt zum Wesen des bürgerlichen Rechtsbewusstseins gehört und tief im Alltagsleben verankert ist, werden die Gefahren, die von der Wirtschaft ausgehen und Staaten wie Gesellschaften bedrohen, allenfalls von wenig beachteten, eher verachteten kritischen Minderheiten erkannt. Zur Verdeutlichung der Einseitigkeit von TI will ich hier das besonders problematische „Aufklärungsinstrument“ von Transparency International kurz und in aufklärerischer Absicht beleuchten. Es handelt sich um den öffentlichkeitswirksamen so genannten Korruptionswahrnehmungsindex, dem Corruption Perceptions Index, Kürzel CPI. Er erscheint seit 1995 und lenkt – was wahrscheinlich ein wichtiger Zweck der zelebrierten Veröffentlichung ist – jedes Mal den Blick der Weltöffentlichkeit zuerst auf TI und dann auf den Rang, der dem eigenen Land in diesem Index zugewiesen wurde. Von der Öffentlichkeit wird dieses fragwürdige Nationenranking völlig unkritisch hin- und wahrgenommen. Der Index wird, trotz oder wegen des auf-

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wendigen Verfahrens, mit dem er erstellt wird, von den meisten Journalisten in unverantwortlicher Weise als wissenschaftlich überprüfbares Faktum dargestellt. Die Öffentlichkeit interpretiert die Rangliste in einer Form, die allenfalls geeignet ist, Nationen bzw. Staaten zu diskriminieren. Der Index ermöglicht und legitimiert vordergründig die Einmischung von reicheren Staaten und Investoren in die Politik vor allem der ärmeren und ärmsten Länder der Welt, richtet aber damit zusätzlichen Schaden zu den ohnedies vorhandenen Benachteiligungen an. Nur wenige wissen, dass dies der Grund einer Abspaltung von TI und der Gründung einer ähnlichen Organisation in London gewesen ist. Im Rheinischen Merkur dazu: „TI ist selbst ein mächtiger Spieler geworden, der Staaten und Unternehmen nicht nur bewertet, sondern auch wie eine Wirtschaftsberatung arbeitet. Wer so viel Einfluss gewinnt, der hat auch Kritiker. 2003 kehrten zwei wichtige TI-Mitglieder Eigen den Rücken, um in London eine eigene Korruptionsbekämpfung zu gründen: ‚Tiri‘. Wie viele andere kritisierten sie, dass der TI-Index Entwicklungsländer auf ewig brandmarke, und bemängelten auch Eigens autoritären Führungsstil.“ Der Index ist zweifellos ein mit großem wissenschaftlichem Aufwand und auch mit subjektiver Redlichkeit gefertigtes „wissenschaftliches“ Werk. Aber er wird immer eindeutiger als Waffe im Kampf um politische Macht verschiedener Parteien und Interessengruppen missbraucht. So berichtet TI mit erkennbarem Stolz über die malaysische Regierung, die sich zuerst einmal gegen den Index zur Wehr gesetzt, später aber der TI-Antikorruptionskampagne in Malaysia angeschlossen habe. Die Regierung sprach anfangs noch offen aus, was viele Menschen in Entwicklungsländern, die im Ranking des Index als die korruptesten stigmatisiert werden, also ganz unten stehen, über dieses Instrument einer Korruptions-Rangliste denken. Premierminister Mahatir nannte den Index ein Beispiel „westlichen Kulturimperialismus“. Selbst wenn der TI-Index in naiver Arglosigkeit erstellt werden würde, verliert er doch seine Unschuld, sobald er in die Öffentlichkeit gelangt. Dort wird er von Interessengruppen instrumentalisiert, nicht selten als moralische Waffe genutzt, um Regierungen und Verwaltungen rückständiger Länder weltweit in Verruf zu bringen und neoliberalen Oppositionellen die Legitimation zu verschaffen, traditionelle, sich gegen die Freiheit der Märkte zur Wehr setzende Regierungen möglichst ohne Krieg loszuwerden. Gewaltsame Ablösungen von Regierungen und von außen erzwungene wie im Falle Jugoslawien, Afghanistan und Irak – dies scheint hinter dem Index zu stecken – könnten die Ausnahme bleiben. Immerhin sind eine Reihe von Regierungswechseln der vergangenen Jahre auf die massiven Korruptionsvorwürfe gegen regierende Parteien zurückzuführen. Niemand weiß, wer diese Kampagnen organisiert und finanziert. Es genügt aber ein Blick ins Inter-

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net, um festzustellen, dass überall in der Welt, wo in den vergangenen Jahren Wahlkämpfe stattfanden bzw. augenblicklich stattfinden, Oppositionsparteien, auch die, die nachweislich selbst zutiefst in das jeweilige korrupte System verstrickt sind, sich bei der Kritik an ihren Regierungen auf den Korruptionsindex stützen können. Der Index beruht aber nicht etwa auf zuverlässigen sozialwissenschaftlichen Daten und Fakten, von denen, soweit überhaupt in korrupten Ländern vorhanden, einige eingeflossen sind. In erster Linie verdankt er sich der subjektiven Wahrnehmung und in ihren Motiven nicht transparent zu machenden Einschätzungen einer ziemlich einseitig orientierten „Elite“ von Geschäftsleuten. Nach welchen Kriterien sie ausgewählt werden, nach welchen diese die Korruption in den Ländern wahrnehmen, bleibt offen. Hinzu kommen Beobachtungen einer Reihe von „wissenschaftlichen Institutionen“, von denen niemand genau weiß, ob sie, und wenn ja, von welchen Wirtschaftsinteressen sie abhängig sind. Das aber hat bisher kaum jemanden daran gehindert, die aus meiner Sicht eher für agitatorische als aufklärerische Zwecke geeignete Rangliste für bare Münze zu nehmen. Vielleicht ist es das beeindruckende Beiwerk, dass verschleiern hilft, dass dieser Index marktstrategischen und politischen Interessen der Global Player dient. In den Händen mächtiger Akteure der „Weltwirtschaft“ wird aus dem Index ein leicht zu missbrauchendes Werkzeug zur Durchsetzung ihrer Interessen mit „moralischen“ Mitteln. Entwickelt hat den Index Dr. Johann Graf Lambsdorff (ein in der Wirtschaft Vertrauen erweckender Name), ein Mann aus der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen, heute an der Uni Passau als Professor tätig. Der Index beruhte von Anfang an auf der Analyse von Umfragen und Untersuchungen von Gallup International, des World Competitiveness Report, der Political & Economic Risk Consultancy in Hongkong, von DRI/McGraw Hill, von Global Risk Service in East Syracuse/USA sowie auf einer von Lambsdorff per Internet durchgeführten Umfrage. Lambsdorff zur Methode: „Dieser Index fasst die Ergebnisse mehrerer Befragungen über die subjektiven Einschätzungen von Geschäftsleuten, Länderexperten und der allgemeinen Öffentlichkeit zusammen. Er gibt einen Einblick in Wahrnehmungen, die wiederum das Geschäftsgebaren von Unternehmen insbesondere in Japan, Nordamerika und Westeuropa in der übrigen Welt beeinflussen.“ Und Dr. Peter Eigen, Gründer von TI, der gar nicht leugnet, dass das Problem Korruption von Unternehmen ausgeht, dies aber offensichtlich für ganz normal hält und daher Parteien, Politiker, Beamte, die sich bestechen lassen, für das Problem der Korruption verantwortlich macht: „Die Medien konzentrieren sich in ihrer Berichterstattung über Korruption häufig auf Entwicklungsländer, weil Korruption dort am stärksten auffällt. Die Öffentlichkeit sollte aber auch wahrnehmen, dass ein Großteil der Kor-

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ruption von multinationalen Unternehmen verursacht wird, die ihren Sitz in den Industriestaaten haben und die massive Bestechung benutzen, um in Entwicklungsländern und den Transformationsstaaten an Aufträge zu kommen.“ Und Eigen fügt dem – fast wie eine Entschuldigung – hinzu: „Wir sagen mit diesem Index nicht, dass ein Land korrupter ist als das andere. Vielmehr geben wir wieder, wie Geschäftsleute die Häufigkeit von Korruption in verschiedenen Ländern empfinden. Man sollte dabei nicht vergessen, dass viele dieser Geschäftsleute selbst ein Teil des Problems darstellen.“ Da die Korruptions-Einstufung eines Landes von der Wahrnehmung politischer und wirtschaftlicher „Eliten“ abhängt, und der jeweilige Rang – wie TI selbst behauptet – für Investoren ausschlaggebend geworden sein soll, ob sie einen Teil ihrer Profite in Bangladesch, in der Bundesrepublik Deutschland oder anderswo anlegen, wäre von TI bzw. den Wissenschaftlern, die den Index erstellen, zunächst einmal offen zu legen, wessen Wahrnehmungen denn zur Erstellung einer solchen Liste abgefragt werden. Da es hier, wie bei Meinungsumfragen üblich, keinen Zufallsgenerator zu geben scheint, sondern gezielte Abfragen, wäre es wichtig, Namen, Adressen, eine kurze Vita der Befragten mit Angabe ihrer Funktionen in Wirtschaft, Staat und wissenschaftlichen Einrichtungen zu erfahren, da sie doch nach Peter Eigen selbst Teil des Problems sind. Dann hätte der Kritiker wenigstens eine kleine Chance, dem Index größere Gerechtigkeit widerfahren zu lassen als dies derzeit möglich ist. Dass TI der Korruption den Kampf angesagt hat, wird hier nicht kritisiert, sondern das Wie und Wozu. Die Zielsetzung in ihrer abstakten Aussage ist in Ordnung, ja verdient Unterstützung. Meine Kritik bezieht sich darauf, dass TI sich zu eng an Regierungen, an Weltbank und IWF anlehnt, sich von korrupten Firmen einen erheblichen Teil ihrer Arbeit bezahlen lässt und den Index als politische Waffe missbraucht. Das sozialpartnerschaftliche Kooperationskonzept verbietet es TI, die in den angeblich korruptesten Ländern ansässigen Firmen und Firmenbosse beim Namen zu nennen und weltweit anzuprangern. Schon gar nicht die, die die Arbeit von TI als Sponsoren und Mitglieder finanzieren helfen. Wenn TI der Korruption beschuldigte und überführte Firmen als Sponsoren und Mitglieder brüsk ablehnen, und, soweit sie schon Mitglieder sind, hinauswerfen würde, wäre dies möglicherweise ein starker Anreiz für andere Firmenleitungen, ob in Deutschland, Europa oder der übrigen Welt, damit aufzuhören, ihre Interessen mit Hilfe von Schmiergeldern, durch Politiker- und Beamtenkauf, durchzusetzen. So könnten sich Erfolge einstellen, die sich in einem dann vielleicht auch seriöseren, akzeptableren Index niederschlagen. Was der Öffentlichkeit kaum auffiel oder auch gerade recht war, betrachte ich als gefährliche Einseitigkeit. Denn TI hat in den Kampagnen ge-

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gen Korruption das Problem der Wirtschaftskriminalität zu stark in den Hintergrund gerückt. Viele haben es dann einfach ausgeblendet. Es wurde so behandelt, als wären Wirtschaftkriminalität und Korruption zwei völlig getrennte Sphären. Zum Beispiel haben Dr. jur. Peter Eigen, bis 1991 Direktor der Regionalmission der Weltbank für Ostafrika, und der Schweizer Rechtsprofessor Mark Pieth, Präsident der OECD Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Korruption im internationalen Geschäftsverkehr (Working Group on Bribery, WGB.) gemeinsam ein Standardwerk herausgegeben (Titel: Korruption im internationalen Geschäftsverkehr – Neuwied/Kriftel 1999), in dem der Begriff Wirtschaftskriminalität nicht und der Begriff Wirtschaftsstraftaten nur an einer Stelle eher beiläufig vorkommen, also systematisch vermieden werden. Dem entspricht meine Erfahrung, dass ein Vortrag, den ich in einer TI-Veranstaltung in Kronberg im Taunus vor etwa 50 Journalisten hielt, in der später veröffentlichten Dokumentation nicht abgedruckt wurde – angeblich vergessen. Ich war der einzige, der das Problem der Mitgliedschaft korrupter Unternehmen bei TI angesprochen hatte. Man wird mir nicht verübeln, dass ich bis heute nicht glaube, die Aufnahme meines Beitrags in diese Dokumentation sei nur aus Versehen nicht geschehen. Wer über Korruption redet, darf über die Wirtschaftskriminalität nicht schweigen. Wer, wie TI (oder mit TI) die weltweit um sich greifende Korruption bekämpfen will, wird Scheitern, wenn er die Geberseite, wenn er deren wirtschaftskriminelle Zielsetzungen ausblendet, totschweigt oder auch nur verharmlost. Vor Ende des Kalten Krieges wurde Korruption völlig ausgeblendet, totgeschwiegen, ihre Existenz geleugnet. Dass Korruption heute für alles steht, für Wirtschaftskriminalität, Organisierte Kriminalität, Geldwäsche, für das gesamte Spektrum von Delikten, die zur illegalen Kapitalbeschaffung, illegalen Kapitalverwertung und illegalen Kapitalsicherung (Pflege politischer Landschaften) begangen werden, kann nur noch mit größtem Vorbehalt als Aufklärung bezeichnet werden. Transparenz jedenfalls schafft Transparency mit diesem Ansatz nicht. Halten wir fest, dass die regierungs- und wirtschaftsnahe Nichtregierungsorganisation TI sich von Unternehmen finanzieren lässt, die selbst in Korruptionsfälle verwickelt sind. Das hat den Verdacht genährt und verstärkt ihn mit jedem neuen Mitglied, dass TI, wie es Spiegel Online andeutete, ein Feigenblatt der Wirtschaft ist und sich, wie ich anhand meiner bisherigen Recherchen bis zum Beweis des Gegenteils unterstellen muss, als Helfershelfer bei der Durchsetzung von politischen Interessen der neoliberalen Wirtschaftseliten transnationaler Konzerne nützlich macht. Faktisch und ideologisch bilden (so sieht es TI selbst), die bestechende Wirtschaft und die Bestochenen, also die Staats- oder Arbeitnehmerseite (siehe VW-Skandal) eine Koalition gegen Korruption. Wie sich in dieser Koalition die erklärte Unabhängigkeit von TI Geltung verschaffen will, bleibt das Geheim-

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nis ihrer Akteure. Ich kann bisher nur deutliche Hinweise auf Abhängigkeit erkennen. Das aber bedeutet Begrenzung der Aufklärung und des Antikorruptionskampfes auf jene Bereiche, von denen sich alle Koalitionäre Vorteile versprechen. Aus meiner Sicht ist deshalb das Konzept „Kooperation statt Konfrontation“ falsch und kontraproduktiv. Konfrontation mit den Unternehmen, die Wirtschaftsdelikte begangen haben, und kritische Distanz zu allen anderen, auch denen, die sauber sind oder als sauber gelten, schafft die Transparenz, die TI fordert. Kritische Distanz zu jeglicher Macht, auch der demokratisch legitimierten, ist die tragende Säule jeder Demokratie. Sie ist das Wesen der Demokratie, das Wesen der Rechtsstaatlichkeit. Interessengegensätze dürfen nicht verwischt und vermischt, sondern müssen geklärt, erklärt und offen ausgetragen werden, anders ist Machtkontrolle, ist auch demokratischer Fortschritt insgesamt, nicht möglich. Was TI als Korruption bekämpft, ist eine Funktion von Wirtschaftskriminalität. Indem dieser Sachverhalt verschleiert, verharmlost oder ausgeblendet wird, ist der Kampf gegen Korruption ein Kampf gegen Symptome. Ich plädiere dafür, statt der Problematik der Korruption (ohne sie auszublenden) Wirtschaftskriminalität ins Zentrum der Debatten zu rücken, die täglich um die Entwicklung der sozialstaatlichen Demokratie und die Lösung der drängenden Weltprobleme geführt werden. Der Kampf um die Frage, was Wirtschaft darf und was nicht, wo die Freiheitsgrenzen der Kapitalbeschaffer, der Kapitalverwerter und der Sicherer und Versicherer von Kapital und Kapitalinteressen, die wir unter dem Sammelbegriff Wirtschaft zusammenfassen, verlaufen, wird – bei fortschreitender Privatisierung öffentlichen Eigentums und hoheitlicher Dienstleitungen – in absehbarer Zukunft die Gesellschaftspolitik nicht nur Deutschlands und Europas, sondern der ganzen Welt bewegen. Von Arnim: Vielen Dank, Herr See. Herr von Blomberg, was ist die beste Strategie für eine NGO – Konfrontation oder Kooperation? Von Blomberg: Bei kritischer Betrachtung erweist sich der Titel unseres Streitgesprächs vielleicht als fragwürdig. Kann es unterschiedliche Grade von Unabhängigkeit überhaupt geben? Oder muss man dem strapazierten Beispiel mit der Schwangerschaft folgen und feststellen: „Ein bisschen unabhängig gibt es nicht!“ Ich habe dem Formulierungsvorschlag des Herrn v. Arnim zugestimmt. Die erste Version, in der von einem „Feigenblatt“ die Rede war, knüpfte wörtlich an einen Beitrag in „Spiegel Online“ vom November 2003 an, der sich kritisch mit der Institution unserer korporativen Mitglieder aus der Wirtschaft auseinandersetzte. Diesem Schlagwort hatte ich als einer Art sub-

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tiler Vorverurteilung widersprochen – wenngleich ein transparentes Feigenblatt seine Funktion eigentlich gar nicht erfüllen kann. Jenseits aller philologischen Deutungen strebe ich nun aber an, Sie am Ende überzeugt zu haben, dass Tl/Deutschland nicht nur ein bisschen, sondern gänzlich unabhängig agieren kann. Ich konzentriere mich zunächst auf Tl/D. Zu unserer Dachorganisation werde ich einige ergänzende Anmerkungen machen. Tl/D ist ein eingetragener Verein nach deutschem Recht. Sein Zweck ist – abgekürzt – die Bekämpfung jeder Art von Korruption in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sowie in deren Beziehungen untereinander und zu Einzelpersonen (§ 2 d. Satzung) Der Verein verfolgt gemeinnützige Zwecke. Er ist selbstlos tätig und verfolgt keine eigenwirtschaftlichen Zwecke (§ 3). Mitglieder des Vereins können natürliche und juristische Personen (korporative Mitglieder) werden, die sich einer aktiven Förderung und Verwirklichung seiner Ziele verpflichtet fühlen. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Aufnahme als Mitglied erfolgt durch Beschluss des Vorstands. Zusätzliche Voraussetzung für korporative Mitglieder ist eine vom Verein vorgegebene, schriftliche Selbstverpflichtung. Diese lautet für Unternehmen – es gibt daneben Varianten für Kommunen und gemeinnützige Vereine – in ihrer seit der Einführung unveränderten Fassung wie folgt: „Wir treten Transparency/Deutschland bei, weil wir Korruption in jeder Form ablehnen. Wir unterstützen alle Bestrebungen um hohe ethische Standards im Geschäftsverkehr und wollen korruptives Verhalten weder in unserem Unternehmen tolerieren noch bei unseren Geschäftspartnern hinnehmen. Unser Unternehmen hat eine für alle Beschäftigten verbindliche Geschäftspolitik eingeführt, nach der Bestechung und andere Formen der Korruption weder eingesetzt noch toleriert werden. Wir haben auch ein Umsetzungsprogramm zur Schulung unserer Beschäftigten für eine aktive Korruptionsprävention. Wir setzen uns in unseren Interessenverbänden dafür ein, dass branchenspezifische Problembereiche erkannt und angemessene Maßnahmen ergriffen werden.“

Die Höhe der Mitgliedsbeiträge (§ 7 Abs. 2) ist in einer Beitragsordnung geregelt. Gegenwärtig bezahlen natürliche Personen 80 e und juristische Personen zwischen 1000,– e (Normalfall) und 5000 e (ab 100 Mill. e Umsatz) pro Jahr. Durch Vorstandsbeschluss kann eine Mitgliedschaft beendet werden, wenn das Mitglied vorsätzlich oder grob fahrlässig die Interessen des Vereins verletzt oder sein Verhalten geeignet ist, den Ruf des Vereins gravierend zu schädigen (§ 5 Abs. 4). Der Beschluss muss durch die Mitgliederversammlung bestätigt werden. Wenn Anhaltspunkte existieren, dass ein Mitglied durch sein Verhalten die Interessen des Vereins verletzt haben könnte, die Klärung des Sachverhalts jedoch längere Zeit in Anspruch nimmt, kann der Vorstand beschließen, dass die Mitgliedschaft bis zur Klärung bzw. einem Beschluss über die Beendigung der Mitgliedschaft ruht (§ 6).

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Tl/D hat gegenwärtig rund 550 persönliche und 38 korporative Mitglieder. Systematische Mitgliederwerbung hat bisher in keinem Sektor stattgefunden. Die Zahl der persönlichen Mitglieder wächst dennoch kontinuierlich, die korporativen Mitglieder stagnieren. 2004 kamen unsere Einnahmen (rd. 180.000 e) zu 47,7% aus Firmenbeiträgen und weiteren 2,7% aus Spenden von Firmen (zusammen 50,5%). 2005 werden unsere Einnahmen durch Bußgelder in Höhe von 85.000 e einen außerplanmäßigen Sprung auf 242.000 e machen. Dadurch verringert sich der Anteil der nahezu unveränderten Firmenbeiträge auf knapp 40%. Hinzu kommen Firmenspenden (auch von Nichtmitgliedern) in Höhe von 14.000 e (5,8%). Der Plan für 2006 sieht Einnahmen von 214.000 e vor, von denen wiederum 87.000 e (40,7%) auf Firmenbeiträge entfallen und geplante 10.000 e Firmenspenden weitere 4,7% ausmachen werden. Eine wesentlich detailliertere Darstellung unserer Mitglieder und des Rechenwerkes finden Sie auf unserer Website. Dort finden Sie im einzelnen dokumentiert, welchen Betrag welches Unternehmen als Beitrag oder Spende bezahlt hat, wer uns Spenden oder Projektbeiträge ab 1000,– e geleistet hat, von welchem Gericht wir welchen Bußgeldbetrag bekommen haben etc. Da der Beitrag bei 5000,– e (rd. 2,5% des Jahresetats) gedeckelt ist, kann finanzielle Abhängigkeit von der Mitgliedschaft eines oder mehrerer Unternehmen nicht entstehen. Dennoch hat der Vorstand beschlossen, den Anteil der Firmenbeiträge durch Steigerung der persönlichen Mitglieder zu verringern. Um Kostensprünge (Personalanbau) bei der Mitgliederverwaltung zu vermeiden, soll dies ohne größere Aktionen schrittweise erfolgen; ein erster Schritt (Mitgliederwerbung durch Mitglieder) läuft zur Zeit. Man muss wissen, dass die Mitgliederbetreuung bei Tl personalintensiv ist, weil ein relativ hoher Anteil sich weitergehend als nur durch Beitragszahlung engagieren möchte. Warum hat Tl/D korporative Mitglieder? Wie gestaltet sich der Umgang mit Ihnen? Wie reagiert Tl/D bei der Aufdeckung von Korruptionsfällen? Zu Punkt 1: Korporative Mitglieder sind in der Gesamtorganisation von Tl kein Standard. Außer in Deutschland gibt es kooperative Mitgliedschaften oder andere Kooperationsformen mit dem privaten Sektor in 23 Ländern, davon 9 in Europa. Die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen dieser Modelle sind mit der Tl/D-Lösung nur bedingt vergleichbar. Eine Gesamtbeurteilung lautet: Die Mehrheit der knapp 100 TI-Chapter lehnt korporative Mitglieder bisher ab. Unter den positiven Beispielen gilt die Lösung bei Tl/D als vorbildlich. Ebenso wie die Gründer von Tl/D hält es der heutige Vorstand im Sinne der Kernzielsetzungen von Tl für konsequent und sinnvoll, die Mitglied-

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schaft für Unternehmen und Anstalten und Körperschaften des Öffentlichen Rechts zu öffnen. Initiativen aus der Mitgliedschaft gegen korporative Mitgliedschaften gibt es (bisher) nicht. Gleichwohl verfolgen Mitglieder, Medien und Öffentlichkeit die Institution mit kritischer Aufmerksamkeit, der wir uns jederzeit stellen. Tl verbindet seit Beginn das Ziel der Korruptionsbekämpfung mit dem Prinzip der Kooperation und Koalition. Erfolgreiche Korruptionsbekämpfung bedeutet für Tl Veränderung der Strukturen und Rahmenbedingungen, in denen die Entstehung von Korruption erleichtert oder ihre Entdeckung und Verfolgung erschwert werden. Strukturen und Rahmenbedingungen der korruptionsgefährdeten Bereiche in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft kann Tl aber nicht selbst verändern; sie muss die dafür Verantwortlichen überzeugen und gewinnen, diese Veränderungen als notwendig und als möglich zu erkennen, und muss sie zum Handeln veranlassen. Überzeugung und Handlungsbereitschaft werden aber nicht allein durch vollmundige politische, wirtschaftliche, juristische oder ethische Pauschalforderungen erreicht. Gerade in der Wirtschaft muss dies „vor Ort“, also bei dem einzelnen Unternehmer oder Manager erreicht und praktisch unterstützt werden. In diesem Kontext verstehen wir Korporative Mitgliedschaften als eine besondere Form von Koalitionsbildung mit einer vertretbaren Verteilung von Chancen und Risiken auf beiden Seiten. Die Unternehmen gewinnen die Möglichkeit eines verstärkten Austauschs von Konzepten und Erfahrungen mit anderen Mitgliedern und mit Tl sowie die Chance auf einen Reputationszuwachs, obwohl mit der Mitgliedschaft kein „Gütesiegel“ verbunden ist. Dafür setzen sich die Mitglieder in ein „Glashaus“, setzen sich also mit ihren Bemühungen um Korruptionsvermeidung der Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und TI aus. Wird die Selbstverpflichtung nicht oder unzureichend erfüllt, muss das Unternehmen den Verlust der Mitgliedschaft und Reputationsverlust befürchten. Für Tl/D besteht der Gewinn in einer nicht nur finanziellen Unterstützung der Vereinsziele und in einer möglichen Vorbildrolle für andere Unternehmen. Das Risiko liegt in der möglichen Nicht- oder Schlechterfüllung der Selbstverpflichtung und einer damit verbundenen Gefährdung des Rufes von Tl. Zu Punkt 2: Die konkrete Gestaltung der Beziehungen zu den korporativen Mitgliedern ist ein work in progress. Nach einem Beginn mit wenigen Mitgliedern „auf Vertrauensbasis“ wurde Ende der 90er Jahre die Verpflichtungserklärung eingeführt, und zwar auch für die „Altmitglieder“. Anstelle eines formellen Monitoring-Verfahrens in Bezug auf die Selbstverpflichtung hat sich im Laufe der Zeit folgende Praxis gebildet: Vor der Aufnahme fin-

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det ein Gespräch zwischen Tl-Vorstand und dem Vorstand des Beitrittskandidaten statt. Darin werden der geschäftspolitische Stellenwert der Korruptionsbekämpfung, das persönliche Commitment des Vorstandes, der Status quo der Maßnahmen und deren weitere Planung erörtert und festgehalten. Zu offenen Punkten werden Verabredungen getroffen. Bestehen nach dem Gespräch keine ernsthaften Zweifel, dass die Verpflichtungserklärung sofort oder in angemessener Zeit erfüllt werden kann, beschließt der Vorstand die Aufnahme. Nach der Aufnahme benutzt Tl jede sich bietende Gelegenheit zu Kontakt und Kommunikation mit den Beauftragten des Mitglieds. Insbesondere gehört dazu das zweimal jährlich angebotene Forum der Korporativen Mitglieder, bei dem jeweils ein Mitglied sein Anti-Korruptionssystem zur Diskussion stellt, andere aktuelle Themen diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht werden. Wird ein nach Beginn der Mitgliedschaft begangener Korruptionsfall bekannt, wird der Vorstand aufgefordert, über das Zustandekommen, das verletzte Regelwerk und über die getroffenen organisatorischen/personellen Konsequenzen zu berichten. Mit dieser Information will Tl eine Einschätzung gewinnen, ob der Vorgang als „nicht vermeidbarer Betriebsunfall“ oder eher als Hinweis auf ein unzureichendes oder nicht konsequent implementiertes Präventionssystem zu bewerten ist. Danach entscheidet der Tl-Vorstand auf Fortsetzung, bei schwebenden Strafverfahren im Zweifel auf Ruhen oder auf Beendigung der Mitgliedschaft. In diesen beiden Fällen werden die Firmen von der Tl-Website entfernt. Zur Zeit ruht die Mitgliedschaft in zwei Fällen. Ein Ausschluss ist noch nicht erfolgt. Tl/D sieht seine Unabhängigkeit weder durch das Vorhandensein noch durch das Verhalten korporativer Mitglieder gefährdet oder eingeschränkt. Die „Gefahr schonender Behandlung“ erkennt auch Tl und „läuft ihr deshalb nicht ins Messer“. Eine Pressekonferenz mit dem Schwerpunkt „Korruption in der Wirtschaft“ und deren reichhaltiges Echo hat in der vergangenen Woche unsere Position zur Verantwortlichkeit der Wirtschaft für die Korruption und Deutschland und auf der Welt deutlich gemacht. Das durch maßgebliche Mitwirkung von Tl zustande gekommene Verbot der Auslandsbestechung oder unsere hartnäckige Forderung nach Zentralregistern in Bund und Ländern sind weitere Belege gegen einen Vorwurf, Tl habe im Umgang mit der Wirtschaft eine „belegte Zunge“. Korruptionsbekämpfung ohne Fokus auf die Wirtschaft wäre das Todesurteil für Tl. Die korporativen Mitglieder schätzen den Wert unserer Unabhängigkeit als Gradmesser unserer Glaubwürdigkeit offensichtlich nicht geringer ein als wir selbst. Infolgedessen gibt es bisher nicht einen Versuch, uns zu

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einem bestimmten Handeln oder Unterlassen zu bewegen. Das hindert nicht den Austausch kontroverser Meinungen zu bestimmten Sachpunkten, wie z. B. kritische Rückmeldungen einzelner Mitglieder zu dem Antrag von Tl/D, im Deutschen Corporate Governance Kodex das Thema Korruptionsprävention zu verstärken, oder zur kritischen Nennung von Unternehmen im Rahmen einer Pressekonferenz – in beiden Fällen nachträglich. Umgekehrt suchen wir – z. B. in der Pharma-Branche – bei kritischen Berichten in den Medien das Gespräch, um uns klar zu werden, ob wir aufgrund der Selbstverpflichtung tätig werden müssen. Wenn bisher noch keine korporative Mitgliedschaft von Tl beendet worden ist, liegt dies nicht an der Rücksicht auf die Beitragseinnahme, sondern an fehlenden Voraussetzungen. Sollte sich bei einer der zur Zeit ruhenden Mitgliedschaften ein Sachverhalt herausstellen, der zweifelsfrei als Verletzung der Selbstverpflichtung zu werten ist, werden wir ohne Zögern die Konsequenzen ziehen. Das internationale Büro (Tl/S) hat 2004 seine Einnahmen von rd. 6,5 Mill. e zu 4,9% (321 Tsd. e) durch Spenden aus dem Privatsektor bezogen. 2003 waren es 5,6% (358 Tsd. e von 6,4 Mill. e). Daneben gab es Beteiligungen privater Firmen an der Projektfinanzierung. Firmen und Größenordnung ihrer Zuwendungen finden Sie auf der Website und im Annual Report. Von Arnim: Bitte schön, Herr See. See: Wenn man sich NGO nennt, dann soll das ja auch heißen, dass man nicht allzu regierungsnah und auch nicht allzu wirtschaftsnah ist, sondern die Zivilgesellschaft vertritt. Da aber habe ich schon erste Bedenken, ob das für TI tatsächlich zutrifft. Die Regierungsnähe ist unübersehbar, ob sie sich jetzt in der Großen Koalition fortsetzt, weiß ich nicht. Aber Regierungen steht Transparency m. E. generell viel zu unkritisch gegenüber, obwohl ja ständig Kritik an den korruptiven Verhältnissen geübt wird. Der Widerspruch erklärt sich mit dem Kooperationskonzept. Ich will zugestehen, dass man, wenn man sich für die Kooperation entschieden hat, nicht mit dem Holzhammer aufklären kann. Dazu braucht man Organisationen wie BCC, die zumindest in schweren FäIlen schonungslos aussprechen, was Sache ist. Wir machen uns damit unbeliebt und kriegen nicht die Presse, die der von uns kritisierte Fall verdient. Ich will auch noch einmal das Beispiel nennen, das meinen Zweifel an der tatsächlichen Entschlossenheit von TI nährt, Probleme an der Wurzel zu packen: den Korruptionsindex. Ich möchte doch gern mal eine Liste der Befragten haben und erfahren, welche lnstitutionen sie repräsentieren, damit ich weiß, wer da eigentlich was als Korruption wahrnimmt. Das wird nicht offengelegt. Hier fordere ich von Transparency mehr Transparenz.

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Ich sehe Grenzen der Aufklärung bei TI, wende mich nicht gegen diese Form der Aufklärung, möchte aber, dass diese Grenzen der Öffentlichkeit bekannt sind. TI könnte bei größerer Distanz zur Wirtschaft die Probleme offenlegen, die das Kooperationskonzept verschleiert. Hat TI Angst, die Wirtschaftseliten zu kränken? Es wäre wirkliche Aufklärung, wenn alle wüssten, welche Interessen hinter den Wertungen stecken, die im Index zum Ausdruck kommen. TI liefert mit diesem Index eine politische Waffe, die missbraucht wird, z. B. um unliebsame Regierungen in die Bredouille zu bringen. Transparency brüstet sich selbst, schon Regierungen mit dieser Konzeption unter Druck gesetzt zu haben. Es ist konflikträchtige Einflusspolitik, wenn Zivilgesellschaften Regierungsparteien anderer Staaten diskreditieren. Längst greift jede Opposition ihre Regierung mit Korruptionsvorwürfen an. Es ist auch bekannt, dass durch die Geldnot der Parteien und die Geldgier einiger Abgeordneter oder Regierungsmitglieder Geld erbettelt oder auch schon mal gefordert wird. Wenn aber Peter Eigen im Fernsehsender n-tv angesichts des VW-Skandals die Sache so darstellt, als ob Politiker oder Gewerkschafter die Wirtschaft erpressen, Geld fordern, ist das der Punkt, an dem man aufhören muss, über Korruption zu reden. Stellt man den Sachverhalt so dar, als sei die Wirtschaft Opfer und nicht Täter, dürfte TI nicht mehr länger nur die Bestechlichkeit, sondern müsste auch die Erpressung bekämpfen. Die bisher mit Korruptionsvorwürfen überzogenen Parteien, Politiker und Beamten müssten dann als Erpresser angeprangert und angeklagt werden. Ich vermute, dass die Strafen für Erpressung weit höher sind als für Bestechlichkeit. Mir scheint, dass sich durch TI eine Mentalität in Medien und an Stammtischen breit gemacht hat, alle Probleme auf die Korruption zu schieben und bei Korruption nur noch an Politiker, die Staatsbürokratie, Abgeordnete, Parteien und hohe Beamte zu denken. Die andere Seite, die das Geld überweist, es meist sogar auf die Rechnungen der erledigten Aufträge draufschlägt, wird hingegen fast völlig vergessen. Spezialisten wie Oberstaatsanwalt Schaupensteiner und andere in der Bundesrepublik haben die Rolle der Wirtschaft bei der Korruption längst aufgezeigt. Man braucht nicht mehr über Korruption zu diskutieren, sondern nur noch nachzulesen, wie sie funktioniert und wozu sie dient. Dabei zeigt sich, dass die Wirtschaft kein Erpressungsopfer ist. Das mag in Einzelfällen vorkommen. Etwas anderes ist, dass Bestechung meist nur einmal klappt. Beim zweiten Mal kann es schon Erpressung sein, denn der Bestecher hat den in der Hand, der sich bestechen ließ. Bestochen wird aber nicht die Wirtschaft. Diese Mechanismen mit ihrem jeweiligen Automatismus müssen kritisch reflektiert werden. Eine politisierte Zivilgesellschaft müsste über illegale Beschlüsse in Chefetagen informiert werden. Wozu gibt es Aufsichtsräte und Mitbestimmungsrechte? Ich kann mir auch nicht erklären, warum sich eine

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Organisation, die sich mit Korruption beschäftigt, nicht auch mit Wirtschaftskriminalität befasst. Für mich, und ich spreche auch für Business Crime Control, ist dies der Kernbereich, aus dem organisierte Kriminalität, Geldwäsche und auch Korruption abgeleitet werden müssen. Von Arnim: Herr von Blomberg, nun haben sie noch einmal die Gelegenheit, auf diese Kritikpunkte einzugehen. Von Blomberg: Hier gibt es sehr viel falsche Wahrnehmung zu widerlegen. Ich beginne mit dem letzten Punkt. Prof. See, wenn sie TI vorwerfen, dass es sich aus sehr wohl erwogenen Gründen entschlossen hat, Korruption zum Thema zu machen, dann müssen Sie eigentlich auch dem Metzger vorwerfen, dass er keine Brötchen oder Sportschuhe verkauft. Das war eine strategische Festlegung. Diese strategische Festlegung gilt noch heute und wir sind der Meinung, dass diese Fokussierung auf das Thema Korruption ein wesentlicher Teil des Erfolges dafür ist, dass dieses Thema wirklich in das Bewusstsein der Welt heute sehr viel mehr eingegangen ist, als es das vor 12 Jahren war. Das haben Sie vorhin ja auch gesagt. Also das als einen Vorwurf zu formulieren, halte ich für ziemlich absurd. Dass die Korruption ein Teil der Wirtschaftskriminalität ist, daran ist überhaupt kein Zweifel. Und wenn ich in einem Vortrag oder sonst irgendwie darüber berichte, dass Korruption Hand in Hand geht mit vielen anderen Delikten, dann ist das keine Selbstverständlichkeit, dass darüber die Überschrift „Wirtschaftskriminalität“ steht. Warum veröffentlicht das Bundeskriminalamt jedes Jahr einen dicken Bericht, der „Bundeslagebericht Korruption“ heißt? Also ganz offensichtlich hat doch Korruption eine eigene Qualität. Und wegen dieser eigenen Qualität lohnt es sich, sich speziell um sie und ihre Strukturen und besonderen Probleme zu kümmern. Und das ist der Grund gewesen, dass Transparency sich so fokussiert hat. Das sagt überhaupt nichts darüber aus, dass wir Untreue, Unterschlagung, Wirtschaftsspionage oder Geldwäsche oder Sonstiges nicht für wichtig halten. Es ist nicht unser Geschäft. Wir versuchen, auf diesem engeren Feld kompetent zu sein. Zweitens. Wenn Sie das Presseecho auf den CPI vor 10 Tagen in einer gewissen Breite gelesen hätten, das kann man vielleicht nicht erwarten, dann hätten Sie z. B. lesen können, dass ich in dieser Bundespressekonferenz gesagt habe, das, was bei VW geschehen ist, hatte nicht nur eine eigene Qualität, sondern es war wahrlich ein Skandal. Und ich habe das damit begründet, dass ausgerechnet Manager des Personalwesens in unserem Verständnis eine wesentliche Vorbildfunktion haben, um Korruption im Unternehmen zu unterbinden. Dass ausgerechnet die sich hergegeben und Scheinfirmen gegründet haben, um in ihrer eigenen Gesellschaft Geschäfte zu machen, das ist eine der schärfsten Formen von Versagen. Und ich habe

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weiter gesagt, in einem Unternehmen, wo Vorstände sich zu so etwas verführen lassen, können sie nicht ernsthaft behaupten, dass sie das Thema Korruptionsbekämpfung in ihren Mauern überhaupt schon ernsthaft begonnen haben. Die Vorstellung, wir würden die Wirtschaft bei unseren ganzen Überlegungen ignorieren, womöglich sogar umarmen, ist völlig neben der Sache. Und wenn Sie sich beim CPI die Presseerklärungen, auch der internationalen Organisation vor Augen halten, würden Sie dort wörtlich ein Zitat finden, das ganz deutlich in Richtung Wirtschaft geht. Der CPI selbst hat in der Tat eine sehr große Wirkung entfaltet, die gelegentlich überschätzt wird. Wenn ich mich darüber unterhalte, sage ich, der CPI ist ein Barometer, der eine bestimmte Situation recht allgemein beschreibt, und er wird in der Tat von der Presse, auch von anderen, gelegentlich überschätzt oder, wenn sie so wollen, auch missbraucht: für Schlussfolgerungen, die er gar nicht zum Ausdruck bringen will. Ich möchte aber eines noch ergänzen, Herr Prof. See, das habe ich bei Ihnen noch nicht gehört. Transparency hat bereits vor Jahren, wenn Sie so wollen, auch als Reaktion darauf, dass der CPI den Blick so sehr auf die Länder und die öffentlichen Bereiche in diesen Ländern lenkt, einen zweiten Index, der nicht so bekannt geworden ist, entwickelt, und der heißt BPI (Bribe Payers Index). In diesem Index wird das Verhalten von gut 20 Industrienationen und Schwellenländern beobachtet. Der Index ist hoch interessant. Natürlich wird der Fokus genauso auf die Länder, nicht auf die Unternehmen gelenkt. Der gelegentlich geäußerte Wunsch, dass man doch eigentlich dort Unternehmen benennen müsste, ist schlicht gesagt unrealistisch. Dazu ist die Zahl der Firmen viel zu groß. Es gibt ja auch unendlich viele Mittelständler, die auch exportieren, es würde also überhaupt nicht funktionieren. So, und letzter Satz zum Corruption Perception Index. Dem von Herrn Prof. See so kritisierten CPI Intransparenz vorzuwerfen, finde ich schwer nachvollziehbar. Er wird mit einem ganzen Apparat von Erläuterungen veröffentlicht. Es stehen alle Untersuchungen dort aufgeführt, das sind ja alles Untersuchungen, die nicht TI selber macht, sondern Untersuchungen von Institutionen und kommerziellen Unternehmen. Insgesamt 16 verschiedene Untersuchungen weltweit, die existieren und immer schon existiert haben. Die haben wir nicht erfunden. Ein Land kommt nur dann in den CPI, wenn mindestens drei voneinander unabhängige Untersuchungen für dieses Land existieren. In Deutschland sind es ungefähr 12. Und was TI macht, beruht nur auf diesen 12 Untersuchungen. Prof. Lambsdorff hat gerade ein großes Seminar gemacht, in dem das Verfahren sehr genau erläutert und auch kritisch diskutiert worden ist. Der CPI ist in seiner Entstehung völlig transparent. Natürlich steht da nicht drin, wer welche Personen befragt hat. Sagen sie mir mal eine Untersuchung, wo sie nachher erfahren, dass die Personen, die da als Auskunftsgeber waren, veröffentlicht werden. Das gibt

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es doch gar nicht. Darüber können wir auch gar nicht verfügen, es sind nicht unsere Befragungen. Die geben natürlich nur Antwort, wenn sie anonym bleiben. Das ist bei jeder Befragung so. Von Arnim: Vielen Dank. Ich glaube, wir haben die Argumente ausgetauscht zwischen Ihnen beiden. Es besteht sicher noch die Möglichkeit für eine Schlussbemerkung, aber darf ich jetzt um Wortmeldungen aus dem Plenum bitten. Bitte schön. Gierlich von der BASF: Die BASF ist eines der korporativen Mitglieder und hat die Mitgliedschaft 2003 erworben. Dem gingen etwa ein Jahr Gespräche mit TI und natürlich auch eine interne Diskussion voraus. Letzten Endes waren es drei Argumente, die für die Mitgliedschaft sprachen. Natürlich verspricht sich ein Unternehmen eine positive Außenwirkung. Die Mitgliedschaft wird also auch im Unternehmensbericht erwähnt. Das hat aber auch eine erhebliche Innenwirkung zur Folge, weil die Mitarbeiter und Partner sich klar machen, dass BASF es mit seinem Compliance Programm ernst meint. Das dritte Argument, jetzt bezogen auf TI, war die Möglichkeit, wirtschaftliche Erfahrungen in Diskussionen einzubringen. Was sicherlich nicht für den Beitritt maßgeblich war, ist der Versuch, irgendwie Einfluss und Macht auszuüben. Wie denn auch? Wir sind weder im Vorstand von TI vertreten, noch in irgendeinem Beirat vertreten, gehen kaum zu Mitgliederversammlungen hin. Wenn Sie wollen, der einzige Einfluss, den wir versuchen zu nehmen, ist, dass wir Vorschläge machen für die Tagesordnung der zweimal pro Jahr stattfindenden Versammlung der korporativen Mitglieder, weil wir den Eindruck haben, dort ziehen alle Unternehmen am selben Strang und haben vergleichbare Probleme, so dass dieser Erfahrungsaustausch insgesamt weiterhilft. Was wird es einem Unternehmen helfen, wenn publik würde, dass es bei Transparency International wegen der Probleme derzeit eine ruhende Mitgliedschaft hat? Die Mitarbeit bei TI ist also durchaus ein Forum, so wie die Unternehmen ja andere Foren suchen, in denen sie gemeinsame Probleme vorantreiben können. Stichwort im Bereich der Korruption ist beispielsweise die Zusammenarbeit mit Global Compact Firmen oder die Zusammenarbeit mit der International Chamber of Commerce oder mit Transparency International. Von Arnim: Bitte schön. Noch zwei Wortmeldungen, dann müssen wir, um zum Schluss zu kommen, den Podiumsteilnehmern noch mal das Wort geben. Wortmeldung aus dem Publikum: Herr von Blomberg, um beispielsweise Mitglied bei ihrer Organisation zu werden, muss man regulär einen Antrag stellen. Bei der Lektüre dieser Antragsunterlagen sieht man dann einige

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der korporativen Mitglieder von TI. Und da drängt sich eine Frage auf. In der Diskussion um einen verbesserten Korruptionsschutz oder Korruptionsbekämpfung im öffentlichen Bereich fordern sie vom Gesetzgeber ein Korruptionsregister. Was tut denn Transparency International für eine Transparenz für die Öffentlichkeit und potentielle Interessenten an einer Mitarbeit oder Mitgliedschaft. Um etwa einschätzen zu können, ob z. B. ein Unternehmen vielleicht brutalste Kinderarbeit bzw. Ausbeutung von Arbeitern in Südamerika und in verschiedenen anderen Bereichen betreibt. Ich weiß nicht, ob Herr Obasanjo, der Präsident Nigerias, für mich unbedingt ein zuverlässiger Partner wäre, um gemeinsam Korruption in Afrika zu bekämpfen. Genauso frage ich mich, ob bestimmte Unternehmen dafür geeignet sind, an der Korruptionsbekämpfung mitzuwirken. Noch eine kleine Reflektion zu der Frage CPI. In der Diskussion um die Messung von Korruption musste Lambsdorff Kritik einstecken. Die Befragungen werden nämlich teilweise aufgrund von Aussagen von Kaufleuten erstellt. Ich hatte den Eindruck, dass die Methodik dieser Befragungen, die dann zu dem CPI zusammengegossen werden, doch auf sehr wackeligen Füßen steht. Die Frage wäre, ob man nicht zu einem anderen Monitoringsystem kommen könnte als dem CPI, der offenbar doch stark in der öffentlichen Aufmerksamkeit und auch Kritik ist, um dann mehr Glaubwürdigkeit zu erlangen. Ganz generell würde ich sagen, dass Transparency International auf jeden Fall ein Gewinn für die gemeinsame Aufgabe der Korruptionsbekämpfung ist. Guido Heinen, Tageszeitung „Die Welt“: Herr von Blomberg, laut Ihren Unterlagen kommen 75 Prozent der Einnahmen von TI von korporativen Mitgliedern. Hat das bei Ihrer Planung, bei Ihrer finanziellen Sortierung irgendwelche Auswirkungen? Damit zusammenhängend die Frage, wenn man mit Unternehmen sozusagen sozialtherapeutisch oder korruptionstherapeutisch arbeiten möchte, müssen die dann Mitglieder sein oder könnte man das nicht auch machen, indem man einfach nur mal kostenlose Seminare oder Beratungen macht? Die Frage ist also, warum müssen sie 75 Prozent ihrer Gelder bezahlen? Zweitens: Korruption ist, glaube ich, neben bandenmäßigen Delikten und terroristischen Vereinigungen das einzige Delikt, das immer mindestens zwei Täter voraussetzt. Das ist eine Grunderkenntnis aller Strafverfolger. Bei Ihnen tritt aber nur eine potentielle Tätergruppe auf. Ich weiß nicht woran das liegt, ich habe es nie verstanden, obwohl ich die Arbeit von TI seit Jahren verfolge. Die Frage ist, könnte etwa auch die Stadt Wuppertal bei Ihnen kooperatives Mitglied werden? Oder das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium. Gibt es Möglichkeiten, dass die bei Ihnen ebenfalls konstruktiv mitarbeiten, oder warum ist es nur die eine mögliche Tätergruppe?

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Von Arnim: Vielen Dank. Ich darf Sie jetzt um Ihr Schlusswort bitten, bei dem Sie auch auf die Fragen noch eingehen können. Von Blomberg: Kommunen können seit kürzerer Zeit auch Mitglied bei uns werden. Wir haben auch einige, Wuppertal ist allerdings nicht dabei. Wir haben auch eine eigene Selbstverpflichtung für Kommunen, die ist ein bisschen abgewandelt gegenüber der für Unternehmen. Zweitens: Selbstverständlich haben wir Kontakte zu vielen Unternehmen, Kommunen und anderen, die keine Mitglieder sind. Wir werben nicht um diese Mitgliedschaft und die Möglichkeit, bei uns mitzuarbeiten, steht jedem offen. Unsere Arbeit wird ja insgesamt ehrenamtlich geleistet, es gibt bei uns keine hauptamtlichen Mitarbeiter, außer einer Geschäftsführerin. Wir alle arbeiten ehrenamtlich. In Folge dessen begrüßen wir natürlich auch, wenn Mitglieder bei uns mitarbeiten. Was kann eine solche NGO leisten? Sie kann das leisten, was ihre Mitglieder leisten, was sie mitbringen an Erfahrung und Können. Die Information, dass die korporativen Mitglieder 75 Prozent unserer Einnahmen ausmachen, ist falsch. Über die Finanzierung finden Sie alles bei uns auf der Website. Wer Mitglied ist und wer wie viel Geld bezahlt, das ist alles nachzulesen. Es sind zurzeit etwa 40 Prozent. Transparency Deutschland wirtschaftet mit einem Etat von unter 200.000 Euro pro Jahr. In diesem Jahr ist es etwas mehr, weil wir unerwartet reichhaltige Bußgelder bekommen haben von einigen Gerichten. Aber im nächsten Jahr fallen sie wieder weg. Bezogen auf dieses Volumen liegt das, was die korporativen Mitglieder erbringen, in der Summe bei ca. 40 Prozent. Man muss aber wissen, der Höchstbeitrag des einzelnen Unternehmens oder der einzelnen Kommunen sind 5.000 Euro. Das ist eigentlich die entscheidende Zahl. Keines dieser Mitglieder, und sei es noch so stark, kann uns mit ihrem Beitrag in irgendeiner Weise erschlagen oder uns abhängig machen, wenn sie austreten wollten, oder wenn wir sie ausschließen müssten. Was wir natürlich können, wenn dafür die Voraussetzungen da sind. Also, die Vorstellung, dass die korporativen Mitglieder unsere Lebensfähigkeit erst ermöglichen, trifft so nicht zu. Dennoch sind auch wir der Meinung, dass diese Proportion 40/60, wie wir sie haben, nicht optimal ist. Was machen wir? Wir werben keine korporativen Mitglieder, wir haben das auch nie systematisch getan, aber was wir jetzt beginnen zu tun, sind persönliche Mitglieder zu werben. Die sind uns bisher auch ohne Werbung zugelaufen. Wir haben etwa 550, was ja auch nicht viel ist. Wir wollen also mehr persönliche Mitglieder haben, um damit die Proportionen auf der Einnahmeseite etwas ausgewogener zu machen, und insofern akzeptiere ich diese Art von Kritik. Von Arnim: Vielen Dank. Herr See, bitte schön.

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See: Ich möchte noch einmal zu dem Vorwurf, das sei alles absurd, was ich am Index kritisiert habe, sagen, dass die Maßstäbe, die ich anlege, direkt vom Gründer von TI stammen. Ich zitiere Ihnen noch einmal das sehr progressive, mir gut gefallende Zitat von Peter Eigen. Da heißt es, die Öffentlichkeit sollte auch wahmehmen, „dass ein Großteil der Korruption von multinationalen Unternehmen verursacht wird, die ihren Sitz in den Industriestaaten haben, und die massive Bestechung benutzen, um in Entwicklungsländern und in Transformationsstaaten an Aufträge zu kommen“. Und Eigen fügt hinzu. „Wir sagen mit diesem Index nicht, dass ein Land korrupter ist als das andere.“ Das aber ist meine Frage, ob das wahrgenommen wird oder nicht. Ich glaube nicht. Wie aber wird der Wahrnehmungsindex wahrgenommen? Darüber gibt es keine Untersuchung. Eigen sagt: „Vielmehr geben wir wieder, wie Geschäftsleute die Häufigkeit von Korruption in verschiedenen Ländern empfinden. Man sollte dabei nicht vergessen, dass viele dieser Geschäftsleute selbst einen Teil des Problems darstellen.“ Hier stimme ich Peter Eigens Statement zu. Ich plädiere überdies dafür, dass TI das Problem der Wirtschaftskriminalität ins Zentrum rücken sollte. Der Kampf um die Frage, was Wirtschaft darf und was nicht, wo die Freiheitsgrenzen der Wirtschaft verlaufen, wird in absehbarer Zukunft die Gesellschaftspolitik nicht nur in Deutschland und Europa, sondem in der ganzen Welt bestimmen. Danke schön. Von Arnim: Vielen Dank. Herr von Blomberg, bitte noch einen Satz. Von Blomberg: Transparency International ist diejenige Organisation, die ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass seit dem Jahr 1999 die Auslandsbestechung in Deutschland und in allen wesentlichen Industriestaaten unter Strafe steht. Dieses zum Thema, Transparency habe sich nicht um die Strafbarkeit der Wirtschaft im Rahmen des Korruptionsgeschäftes gekümmert. Damit ist wirklich eine ganz entscheidende Rahmenbedingung für die Bekämpfung der Korruption weltweit mit klarem Fokus auf die Wirtschaft verändert worden. Und dazu hat Transparency entscheidende Beiträge leisten können. Von Arnim: Ich darf beiden Herren auf dem Podium noch mal sehr herzlich danken. Graf Lambsdorff, der diesen Korruptionswahrnehmungsindex wissenschaftlich betreut, haben diejenigen, die bei der letzten Demokratietagung schon dabei waren, ja auch gehört. Er hat hier einen fulminanten Vortrag letztes Jahr gehalten. Bei der ganzen Diskussion bleibt unbeschadet natürlich, dass TI und auch TI Deutschland große Verdienste haben und dass – das haben Sie ja auch nicht bestritten – der Korruptionsindex dem Thema Korruption nicht nur in Deutschland, sondern international einen enormen Stellenwert in dieser öffentlichen Diskussion geschaffen hat, unab-

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hängig von der wissenschaftlichen Diskussion, die eine andere Ebene ist, das ist auch unbestreitbar. Und es ist, glaube ich auch, eine beeindruckende Erfolgsbilanz, wenn Sie mit 200.000 Euro jährlich in Deutschland eine solche öffentliche Diskussion angefacht haben und weiter am Leben halten, und dass das alles mit ehrenamtlichem Spitzenpersonal erfolgt, nötigt einem zweifellos Achtung ab, denn es gibt auch andere NGOs, die an ihre Vorstände ganz hohe Gehälter bezahlen. Aber, und auch das habe ich aus Ihren Worten, Herr von Blomberg, entnommen, keine Organisation ist so gut, dass man sie vielleicht nicht noch besser machen könnte. Sie haben ja selbst von dem Entwicklungsprozess gesprochen. Insofern war unsere heutige Diskussion, glaube ich, auch von Wert. Ich danke Ihnen besonders, dass Sie sich beide dieser Diskussion gestellt haben.

Politik und Moral* Von Christoph Böhr Die Frage, ob eine Handlung erlaubt ist, begleitet die Menschheit von Anfang an. Wird diese Frage in politischen Zusammenhängen gestellt, ist jeder Versuch einer Beantwortung zunächst abhängig von einer Grundentscheidung, die auf das Selbstverständnis von Politik im Allgemeinen zielt: die Entscheidung nämlich, ob politische Macht als Mittel oder als Zweck verstanden wird. Von dieser Entscheidung hängt ab, welche Selbstauskunft der Politik einer Antwort auf die Frage nach der Erlaubtheit ihrer Handlungen vorausgeht. Wenn nämlich politische Macht nur Zweck und nicht Mittel ist, wird die Antwort nach der Zulässigkeit einer Handlung anders ausfallen als im Falle einer Verständnisweise von Politik ausschließlich als Mittel zu anderen Zwecken. Erst wenn klar ist, was Mittel und was Zweck ist, kann das Gespräch darüber beginnen, was gemeinhin als Gegenstand einer moralischen Prüfung wert erscheint: ob nämlich der Zweck die Mittel heiligt, oder ob auch die Wahl der Mittel dem Maßstab der Erlaubtheit unterliegt. Dass die Fragen nach der Zulässigkeit einer Handlung und dem Verständnis politischer Macht als Mittel oder als Zweck nicht einfach zu beantworten sind, zeigt allein die Tatsache, dass die Meinungen in dieser Sache seit Menschengedenken weit auseinander gehen. Beispielhaft sei hier nur erinnert an die Auseinandersetzung zwischen Sokrates und den Sophisten. Wenn Macht zum Zweck erhoben wird, dann liegt auf der Hand, dass sie anders zur Geltung gebracht wird als die politische Macht, die sich nur rechtfertigt als Mittel, das an einen nicht von der Macht selbst abgeleiteten Zweck gebunden ist. Es sind also zwei Fragen, die sich hinter der Prüfung der Erlaubtheit einer Handlung verbergen: Zunächst ist es die Frage, ob eine Handlung als Mittel oder als Zweck verstanden werden muss. Erst dann kann die Frage beantwortet werden, ob eine Handlung erlaubt ist. Ist die Verletzung fremden Eigentums die Folge von Neid und Missgunst, also verboten, oder schützt sie vor dem Hungertod, ist also erlaubt? Und steht die Handlung in einem Verhältnis zum Zweck? Handelt es sich um einen Mundraub oder um einen * Dinner-Speech vom 27. Oktober 2005 auf dem Hambacher Schloß.

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Banküberfall? Entsprechend unterschiedlich fällt das Ergebnis einer Überprüfung der Erlaubtheit einer Handlung aus. Wenn der Zusammenhang zwischen Politik und Moral in den Blick gerät, ist demnach in einem ersten Schritt zu klären, ob Macht erlaubterweise tatsächlich den Rang eines Zweckes beanspruchen kann. Anders gesagt: Besteht das letzte Ziel der Politik darin, Macht zu erringen und zu sichern? Macht zu haben heißt, andere Menschen beeinflussen und nach eigenem Willen leiten zu können. Wenn also Macht als Zweck an sich betrachtet wird, dann wäre das Ziel aller Politik die Beherrschung von Menschen. Der Versuch, Macht um der Macht willen zu erringen und auf jede weitere Zweckbindung von Herrschaft zu verzichten, bedeutet nichts anderes, als Menschen grenzenlos verfügbar zu machen. Das aber heißt, einem Menschenbild zu folgen, das so ziemlich das Gegenteil von dem darstellt, was die Idee der unantastbaren Würde über den Wert eines Menschen unabweisbar zum Ausdruck bringt. Wenn Macht jedoch nur Mittel zum Zweck ist, weil die Idee der Würde des Menschen eine unumstößliche Grenze für den Einsatz und den Gebrauch von Macht zieht, hat das ganz alltagspraktische Folgen: Macht bedarf dann der Bändigung und der Zähmung. Sie muss sich einrichten innerhalb der Grenzen, die ihr durch die Idee der Unverfügbarkeit des Menschen gesteckt werden. Dann schlägt die Stunde der Moral. Denn wenn Macht nur Mittel und niemals Zweck ist, kann sie aus sich selbst niemals die Frage nach den Zielen beantworten. Auskunft über die Ziele gibt allein die Moral, die der Frage nachgeht, unter welchen Bedingungen ein geglücktes Leben gelingen kann. Sie, die Moral, bestimmt die Ziele, mit denen folglich die Regeln des Gebrauchs von Macht im Einklang stehen müssen. Was sind das für Regeln? Was ist überhaupt unter dem Begriff einer Regel zu verstehen? Regeln sind Handlungs- und Verhaltensbegrenzungen, die allen denkbaren menschlichen Interaktionen einen Rahmen setzen, mehr noch: die jede menschliche Interaktion strukturieren und präfigurieren. Damit wird sichtbar, dass in der Politik nahezu alles steht und fällt mit dem Verständnis von Regeln, die hier begriffen werden als die politische Übersetzung von moralischen Zielen. Von der Einhaltung einer Regel hängt ab, ob der einzelne oder die ganze Gesellschaft ein bestimmtes Ziel zu erreichen in der Lage sind. Aus eben diesem Grund hat eine Regel eine so herausragende Bedeutung. Deshalb steht ihre Zerstörung auch im Mittelpunkt einer Handlungsabsicht, die sich von den Zielen entfernt hat, denen eine Regel verbindlichen Ausdruck verleiht. Die Verfolgung einer solchen – zielwidrigen – Absicht nennen wir Korruption. Eine Interaktion wird im Blick auf ihre moralische Zweckbindung beschädigt – eben korrumpiert –, indem die Bindung einer

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Handlung an bestimmte Regeln zerstört wird. Das Ziel von Korruption kollidiert mit dem Ziel der Moral, ja, Korruption legt es darauf an, den moralischen Zweck einer Handlung auszuhebeln, indem man diese Handlung von ihrer Bindung an bestimmte Regeln löst. Damit kann ein erstes Zwischenergebnis festgehalten werden: Der Ort der Moral in der Politik ist zunächst und vor allem die Regel, der sich jede Absicht und jede Handlung zu unterwerfen haben. Eine Regel ist die Institution, in der sich die moralische Zweckbindung einer Entscheidung offenbart. Wie eine verdunstende Kochsalzlösung zur Bildung von Kristallen führt, so kann man die Interaktionsregeln einer Gesellschaft vergleichen mit der Auskristallisierung der Moral einer Gesellschaft. In der Institution, der Regel also, findet die Moral zu ihrer Verfestigung. So sehr Tugendkataloge ihre Bedeutung haben und behalten: für Politik und Staat ist die institutionelle Sicherung der Moral entscheidender. In diesem Zusammenhang lohnt vielleicht ein Blick auf Gesellschaften, für die Korruption etwas ganz alltägliches und selbstverständliches ist. In den seltensten Fällen wird eine noch so laute Klage über den Tugendverlust in diesen Gesellschaften dazu führen, dass die Korruption zurückgeht. Im Kampf gegen die Korruption wird man nur Fortschritte machen, wenn man beginnt, Regeln – wie beispielsweise eine unabhängige Rechtsprechung und rechtsstaatliche Verfahren – zur Geltung zu bringen. Nur die institutionelle Sicherung der Moral verspricht ihre Durchsetzung. In diesem Sinne beschreiben Regeln nicht nur die Grenzen erlaubten Handeln, sondern entfalten auch eine verhaltensprägende Kraft, die das Handeln der Menschen an bestimmte Ziele bindet und damit einer Interaktion die Richtung weist. Darauf hat schon Aristoteles in der Nikomachischen Ethik hingewiesen. Gerade Gesellschaften, in denen Korruption in großem Stil zu einer alltäglichen Erfahrung geworden ist, zeigt sich, dass die Bindung an Regeln die einzige, wirklich entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass die Mitglieder einer Gesellschaft im großen wie im kleinen davon abgehalten werden, mit ihrem Handeln gegen die Absichten der Moral zu verstoßen. Somit kann ein zweites Zwischenergebnis festgehalten werden: Die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Moral ist die Frage nach den Regeln, den Institutionen also, denen individuelles wie kollektives Handeln unterworfen ist. Solche Institutionen sind Regeln, die gemeinhin und zu Recht als Errungenschaften des Verfassungsstaates verstanden werden: freie und geheime Wahlen, eine unabhängige Rechtsprechung, Pressefreiheit oder auch der Grundsatz der Mehrheitsentscheidung. Diese Verfassungsregeln sind allesamt Institutionen, die das Ziel haben, Macht zu zügeln – und unabhängig von jeder Zielsetzung im Einzelnen politische Macht im Zaum zu halten. So, wie Leitplanken rechts und links der Straße den Bewegungsraum eines

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Fahrzeuges eingrenzen, so dienen Regeln dazu, den Rahmen zulässiger Handlungsmöglichkeiten abzustecken. Nur am Rande sei bemerkt, dass Verstöße gegen solche Institutionen anfangs oft unmerklich und geräuschlos einsetzen, so dass sie in den seltensten Fällen Widerstand hervorrufen. Ich will in diesem Zusammenhang erinnern an die in Deutschland – und anderen westlichen Demokratien – zu beobachtende Entparlamentarisierung der Politik. Statt eine Frage im Deutschen Bundestag zu diskutieren, erfreut es sich zunehmender Beliebtheit, eine Kommission damit zu beauftragen, Antworten zu finden, die anschließend vom Parlament nur noch der guten Form halber abgenickt werden. Ein anderes Beispiel findet sich in der Verlagerung der politischen Debatte weg vom Parlament hin zur Talkshow im Fernsehen. Wer interessiert sich da noch für den Nachklapp – nämlich die Wiederholung der längst bekannten Meinungen und Vorschläge einige Tage später im Parlament? Auf diese Weise wird das Parlament nicht nur entmachtet, es wird irgendwann ausgesprochen lästig – als nachträgliche und einflusslose Bekräftigung einer Entscheidung, die von einer Kommission erarbeitet wurde, oder als Wiederholung eines Meinungsaustausches, dem niemand mehr Aufmerksamkeit schenkt, weil er längst zu bester Sendezeit am Bildschirm stattgefunden hat. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Frage nach der Wirkung von Moral gleichbedeutend ist mit der Frage nach der Bestandskraft einer Regel. Wenn nämlich der Regelverstoß zur Regel wird – und nicht die Ausnahme bleibt –, dann hat die Moral endgültig abgedankt. Wie aber ist das zu verhindern? Eine verbreitete Meinung setzt in diesem Zusammenhang auf die Pädagogik. Durch Erziehung und Bildung sollen Moral und Ethik gestärkt werden. Ist das aber wirklich vorstellbar in einer Gesellschaft, in der diejenigen, die sich redlich bemühen, nach moralischen Standards ihr Leben zu gestalten, zu oft enttäuscht werden, statt dass sie umgekehrt für ihr Bemühen Anerkennung erfahren? Wie sollen Moral und Ethik in einer Gesellschaft überleben, in der immer häufiger der Anständige den Eindruck gewinnt, am Ende der Dumme zu sein? Die Antwort liegt auf der Hand: Moral und Ethik überleben in einer Gesellschaft, wenn es Anreize gibt, die entsprechenden Regeln zu befolgen. Negative Anreize versprechen demjenigen, der gegen eine moralische Regel verstößt, dass er vom Platz gestellt wird und das Spielfeld verlassen muss. Positive Anreize hingegen bieten dem, der sich an die Regel hält, die Gewähr, dass er sich zumindest nicht schlechter steht als andere. Ein drittes Zwischenergebnis: Anreize, positive wie negative, sind notwendig, damit es leichter fällt, einer guten Regel zu folgen. Sie bieten einen

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Anhalt für unser Verhalten und stützen ein Handeln nach moralischen Standards. Hier nun genau liegt die Aufgabe der Politik: Politische Entscheidungen sollen solche Anreize schaffen. Aufgabe der Politik ist es nicht, in ein allgemeines Wehklagen über die Zerrüttung der Moral einer Gesellschaft einzustimmen. Vielmehr muss von der Politik erwartet werden, dass sie Anreize so gestaltet, dass diese ein Verhalten gemäß der Regel der Moral stützen, erleichtern und anregen. Das ist die Aufgabe von Ordnungspolitik. Diese allgemeine Aufgabenbeschreibung von Politik lässt sich fasslicher am Beispiel der Korruption erläutern. Wer sich an Korruption beteiligt, muss vom Platz gestellt werden – beispielsweise indem er zehn Jahre lang keine öffentlichen Aufträge mehr erhält und von der Teilnahme an Ausschreibungen ausgeschlossen bleibt. Lange aber haben die Regeln – beispielsweise unser deutsches Steuerrecht – zu einem ganz anderen Verhalten angehalten: indem nämlich Korruption, zumindest wenn sie im Ausland betrieben worden ist, bagatellisiert, ja legalisiert wurde. Überhaupt bietet unser Steuerrecht eine unübersehbar große Zahl von Fehlanreizen. Eine Vielzahl legaler Steuersparmodelle führt dazu, dass bis heute der progressive Steuertarif, wie er auf dem Papier steht, untergraben, ja geradezu auf den Kopf gestellt wird. Denn tatsächlich haben wir längst einen degressiven Tarif: Wer mehr verdient, zahlt weniger Steuern – dank der vielfältigen rechtmäßigen Gestaltungsmöglichkeiten, die nur dem offen stehen, der ein hohes Einkommen hat, während der Bezieher eines niedrigen Einkommens so gut wie keine Steuergestaltungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen kann. Das Steuerrecht aber ist so etwas wie der Ausdruck des Gerechtigkeitsempfindens einer Gesellschaft. Ausgerechnet auf diesem so wichtigen und empfindsamen Feld leisten wir Deutsche uns die Moralillusion des Gutmenschen. Wir verschaffen uns ein gutes Gewissen mit dem Verweis auf die Progression des Tarifs. So soll sichergestellt werden, dass nach Leistungskraft besteuert wird, während in Wahrheit die Schwächeren überdurchschnittlich gefordert und die Stärkeren überdurchschnittlich geschont werden. Das zerrüttet die moralischen Grundlagen einer Gesellschaft und eröffnet zudem eine Art Schnäppchenjagd nach dem unerkannten Regelverstoß, weil die Umkehrung des proportional progressiven Tarifs landläufig längst als recht und billig empfunden wird. Vieles spricht dafür, dass wir uns heute in Deutschland in einer umfassenden Moral- und Gerechtigkeitsillusion wiegen. Wir wehren uns gegen jeden Versuch, der darauf hinausläuft, diese Illusion zu zerstören. Die Debatte über die Steuerreformvorschläge seit Mitte der 80er Jahre bis heute sprechen in diesem Zusammenhang Bände. Das, was unser Steuerrecht heute erlaubt, nämlich rechtmäßige Regelverletzungen, nenne ich legale Korruption: Die Beschädigung – eine gesetzlich

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erlaubte Beschädigung – einer ursprünglich guten Regel. Der Staat selbst hat den Anreiz gesetzt, diese Regel von Fall zu Fall außer Kraft zu setzen. Und diese Anreize verfehlen natürlich nicht ihre korrumpierende Wirkung. Wir erfahren das in allen Lebenslagen: Der Anreiz, dem Empfänger von Hartz IV seitens des Staates die Wohnung zu bezahlen, wenn er nur einen Mietvertrag vorweisen kann, und der Anreiz, die steuerliche Bemessungsgrundlage des Multimillionärs so zu verringern, dass am Ende seine Steuerlast fast gegen Null geht. Die auf diese Weise gewollte und herbeigeführte schreiende Ungerechtigkeit stört uns nicht, weil wir nach wie vor einer Gerechtigkeitsillusion frönen, die uns offenbar die tatsächliche Ungerechtigkeit leichter tragen lässt. Somit sei ein letztes Ergebnis festgehalten: Anreize müssen moralisch begründete Regeln unterstützen und dürfen diese nicht untergraben. Dabei sind sowohl materielle wie immaterielle Anreize gemeint. Ein Beispiel aus dem Steuerrecht soll noch einmal erläutern, was gemeint ist: Unser geltendes Steuerrecht begünstigt – heute mehr denn je – Einkünfte aus Kapitalvermögen. Umgekehrt bestraft unser Steuerrecht denjenigen, der Beschäftigung schafft. Die Wirkung dieser Regeln liegt auf der Hand: Ein immer höherer Anteil der in unserer Gesellschaft erbrachten Arbeitsleistung erfolgt auf dem Weg der sogenannten Schwarzarbeit. Weil sozialversicherungspflichtige Arbeit zu stark belastet – also bestraft – wird, folgen immer mehr Menschen diesem negativen Anreiz und flüchten in die – durch positive Anreize begünstigte – Schwarzarbeit. Der Löwenanteil beispielsweise der familiennahen Dienstleistungen könnte als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erbracht werden, wenn unser Steuerrecht entsprechende Anreize bereit halten würde. Dem ist aber nicht so. Und deshalb steigen in unserem Land gleichermaßen Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit Hand in Hand von Jahr zu Jahr. Wer diese Entwicklung unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Moral und Politik erklären will, geht in die Irre, wenn er sie zurückführt auf einen moralischen Verfall, den die Politik angeblich nur hilflos zur Kenntnis nehmen könne. Das Gegenteil ist der Fall. Es wäre Aufgabe der Politik, die Anreize neu zu setzen, so dass die Befolgung einer moralischen Regel eben nicht dazu führt, dass sich am Ende der Anständige als der Dumme fühlt. Es ist eben nicht der moralische Niedergang unserer Gesellschaft, der Ursache vieler beklagenswerter Fehlentwicklungen ist. Vielmehr liegt der Grund in einem Versagen der Politik, die es nicht versteht, Anreize so zu setzen, dass der Verstoß gegen die moralische Regel nicht mehr lohnt. Die Politik, wenn Sie moralischen Standards verpflichtet bleiben will, darf von den Bürgerinnen und Bürgern keine heroische Selbstüberwindung fordern. Um der Moral in der Gesellschaft weiterhin Geltung zu verschaf-

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fen, darf nicht vorausgesetzt werden, dass die Bürger ihre eigenen Nutzenerwartungen über Bord werfen. Politik muss Regeln und Anreize so bestimmen, dass sich moralisches Handeln lohnt – oder doch zumindest am Ende nicht bestraft wird. So eng der Zusammenhang von Moral und Politik auch ist, so wird doch dieser Zusammenhang nicht gefestigt, wenn nicht die Moral gestützt wird durch Anreize und Regeln, die am Ende wenigsten nicht zur Selbstbeschädigung führen dürfen. Das ist dann zwar immer noch keine todsichere Garantie für das Überleben der Moral in der Politik. Aber es wäre doch weit mehr als das, was wir heute haben.

Korruptionsregister, Unternehmenshaftung, Transparenzgesetze – geeignete Mittel zur Korruptionsbekämpfung? Von Jost Pietzcker I. Thema Im Thema sind drei Instrumente angesprochen, die jeweils für sich sehr komplex und vielfach diskutiert sind und neben dem juristischen ein sozialwissenschaftliches Urteil verlangen. Aus Zeit- und Kapazitätsgründen ist die nachfolgende Betrachtung auf das Korruptionsregister fokussiert, wirft daneben einen kürzeren Blick auf die Transparenzgesetze und fügt zur Unternehmenshaftung lediglich eine Anmerkung bei. Sie hat einen juristischen Ansatz und kann dabei immerhin zu zeigen versuchen, dass die löbliche Absicht der Korruptionsbekämpfung nicht die genaue Betrachtung des jeweiligen Instruments und seiner rechtlichen Schranken überflüssig macht. II. Das Korruptionsregister Der Begriff des Korruptionsregisters ist verhältnismäßig neu, er dürfte wohl erstmals vor etwa fünf Jahren aufgetaucht sein. Die Sache, um die es geht, ist älter und wurde früher unter dem Stichwort der Auftragssperre behandelt. Nicht das Register, sondern die Sperre, nicht die Korruption, sondern die Unzuverlässigkeit stand im Vordergrund der Betrachtung.1 Der Begriffswandel zeigt eine Akzentverschiebung an, die bei der folgenden Betrachtung eine größere Rolle spielen wird. Ein solcher Begriffs- und Funktionswandel bringt nämlich gewisse Nachteile und Gefahren mit sich. 1 Vgl. Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978, S. 103 ff. und S. 388 ff.; Reimann/Schliepkorte, ZfBR 1992, 251; die Beiträge von Amelung, Emmerich, Füchsel, Noack, Pietzcker, Schaupensteiner in: Seminar Ausschluß von Unternehmern von der Teilnahme am Wettbewerb aus strafrechtlicher, verwaltungsrechtlicher sowie zivilrechtlicher Sicht, Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Baurecht e. V. Band 24, 1995; Mestmäcker/Bremer, Die koordinierte Sperre im deutschen und europäischen Recht der öffentlichen Aufträge, BB 1995, Beilage 19; M. Brenner, Der Ausschluss von Wettbewerbern als Sanktion im öffentlichen Auftragswesen vor dem Hintergrund der EG-Richtlinien, 1997.

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1. Der Ausgangspunkt: Ausschluss unzuverlässiger Unternehmen a) Besonderheiten der Auftragsvergabe Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung zu Besonderheiten der staatlichen Auftragsvergabe beginnen. Bekanntlich ist der staatliche Einkauf von Gütern und Dienstleistungen, also die sogenannte Vergabe öffentlicher Aufträge, besonders problematisch und regelungsbedürftig. Während der Einkauf privater Unternehmen in der Regel aufgrund der Kräfte des Wettbewerbs sich an dem sachlichen Kriterium des günstigsten Angebots orientiert, ist die rationalisierende Wirkung dieser Wettbewerbsmechanismen beim Einkauf staatlicher Verwaltungen eingeschränkt. Die Beschaffungsverwaltung unterliegt nicht in gleichem Maße den Marktkräften, da sie ihre Mittel nicht am Markt erwirtschaften muss, sondern durch hoheitliche Abgaben erhält. Zweitens steht die Spitze der jeweiligen Verwaltung unter politischem Einfluss. Eine Stadt mag bestrebt sein, ortsansässige Unternehmen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, durch einen Auftrag zu unterstützen, oder es bestehen parteipolitische Querverbindungen. Es kommt hinzu, dass die Marktübersicht und die Vertrautheit mit Marktverhältnissen seitens der Beschaffungsverwaltung geringer ist als in der Privatwirtschaft. Zusammengefasst kann man sagen, dass die enge Verflochtenheit von Politik und Wirtschaft im Vergabewesen die Gefahr nichtwirtschaftlicher Einflüsse auf die Beschaffung und damit unter anderem auch die Gefahr der Korruption deutlich erhöht. Das Vergaberecht mit den insbesondere beim offenen Verfahren oder der öffentlichen Ausschreibung stark formalisierten Abläufen versucht, diesen Gefahren vorzubeugen. Das immer wieder aufbrechende Dilemma besteht dann allerdings darin, dass die formalisierten Regeln den ökonomisch effizienten Einkauf nicht unbedingt sichern, sondern teilweise sogar erschweren und in bestimmten Situationen, wenn nämlich die potentiellen Bieter wenige sind und sich kennen, sogar wettbewerbsbeschränkende Absprachen erleichtern. Hier wie so häufig bei dem Versuch, durch Recht zu steuern, zeigen sich ambivalente Wirkungen. Die Konsequenz kann nicht in dem Verzicht auf Steuerungsversuche liegen, sondern in der Berücksichtigung der verschiedenen zu erwartenden Effekte bei der konkreten Ausgestaltung der Instrumente. Vor allem muss man sich der Grenzen der verschiedenen Mittel bewusst sein. b) Korruption Was die Korruption im Vergabewesen angeht, so kann sie verschiedene Gestalt annehmen. Der Begriff der Korruption selbst ist nicht sehr scharf

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definiert. Hier soll er vorsätzliches rechtswidriges Verhalten bezeichnen, das im Zusammenwirken entweder zwischen Vergabeverwaltung und Unternehmen oder aber zwischen verschiedenen Unternehmen stattfindet und mit einer wirtschaftlichen Schädigung des Staates verbunden ist. Es geht also insbesondere um Absprachen zwischen einem Bieter und einem Bediensteten der Beschaffungsverwaltung, die in unterschiedlichsten Formen zu einer durch die Vergabevorschriften nicht gerechtfertigten Vergabe an das betreffende Unternehmen führen, obwohl ein anderes Unternehmen ein für die Verwaltung günstigeres Angebot gemacht hatte. Die andere große Fallgruppe sind wettbewerbswidrige Absprachen unter den Bietern. In beiden Fallgruppen greift § 298 StGB ein, der auf rechtswidrigen Absprachen beruhende Angebote bei einer Vergabe pönalisiert. Fließen Vorteile von den Unternehmen an die Amtsträger, greifen zusätzlich die Strafvorschriften über Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung sowie Bestechlichkeit und Bestechung ein (§§ 331–335 StGB). c) Das vergabeimmanente Ziel des Ausschlusses unzuverlässiger Unternehmen Der Blick aufs Strafrecht provoziert die Frage, weshalb es daneben noch des Korruptionsregisters bedarf. Dies führt mich auf die eingangs erwähnte in den letzten Jahren beobachtbare Akzentverschiebung von der Auftragssperre zum Korruptionsregister. Das Korruptionsregister gilt als Abschreckungselement. Die Auftragssperre hat aber primär eine ganz andere Bedeutung. Alle Vergabeordnungen enthalten Vorschriften über die Anforderung an die Eignung von bietenden Unternehmen. So können etwa Unternehmen, die sich in Liquidation oder im Insolvenzverfahren befinden, ebenso ausgeschlossen werden wie Unternehmen, die ihrer Pflicht zur Zahlung von Steuern und Sozialabgaben nicht nachkommen. Die Beschaffungsverwaltung soll nicht gezwungen sein, mit derartigen sich in prekären Verhältnissen befindenden oder sonst unzuverlässigen Unternehmen Verträge abzuschließen. Die EG-Richtlinien formulieren in dem Katalog der Eignungskriterien gleichlautend, dass Unternehmen von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen werden können, die entweder mit rechtskräftigem Urteil aus Gründen bestraft worden sind, die ihre berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellen, oder die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, die von den öffentlichen Auftraggebern nachweislich festgestellt wurde.2 Die deutschen Vergabeordnungen haben diese beiden 2 Jetzt Art. 45 II c, d der Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge vom 31.3.2004 (2004/18/EG), Amtsblatt der EU 2004 S. L 134/114.

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alternativen Ausschlusstatbestände zu einem einzigen zusammengezogen, der folgendermaßen lautet: Von der Teilnahme am Wettbewerb dürfen Unternehmer ausgeschlossen werden, die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stellt.3 Derartige Verfehlungen liegen insbesondere vor, wenn eines der Korruptionsdelikte begangen ist. Allerdings beschränkt sich dieser Ausschlussgrund nicht auf Korruption; bekannte BGH-Entscheidungen betrafen z. B. einen Abschleppunternehmer, der die Polizei wüst beschimpft und bedroht hatte,4 oder einen Apotheker, der – ohne irgendwelche Absprachen – gegenüber der AOK unrichtig abgerechnet, sie also betrogen hatte.5 Sogar die bewusste andauernde oder mehrfache Nichterfüllung vertraglicher Pflichten kann die Unzuverlässigkeit begründen.6 Das primäre Ziel dieser Vorschriften über die Eignungsanforderungen und den möglichen Ausschluss ist nicht die Korruptionsbekämpfung, sondern der Schutz des Auftraggebers vor der Zusammenarbeit mit einem unzuverlässigen Auftragnehmer. Diese Unterscheidung ist rechtlich von erheblicher Bedeutung. In den achtziger und neunziger Jahren wurde von der Bauwirtschaft die Auftragssperre – also die generalisierte Erklärung einer Beschaffungsverwaltung, mit einem bestimmten Unternehmen wegen der schweren beruflichen Verfehlung vorläufig nicht mehr in vertragliche Verbindung zu treten – mit dem Argument angegriffen, eine solche Auftragssperre habe pönalen Charakter, bedürfe deshalb jedenfalls einer gesetzlichen Grundlage und sie dürfe erst nach rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilung ausgesprochen werden. Dabei muss man sich daran erinnern, dass bis zum Vergaberechtsänderungsgesetz von 1998 das Vergabeverfahren und damit auch der Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht gesetzlich geregelt war – ein Zustand, der in Deutschland heute noch für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte – und das sind über 90% der Vergaben – besteht. In meinen Augen ist diese Auffassung von der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage unzutreffend. Der Ausschluss von Bietern, denen eine schwere berufliche Verfehlung nachgewiesen werden kann, ist keine Strafmaßnahme, sondern entspricht vernünftigem marktkonformem Verhalten eines Nachfragers. Sie stellt auch keinen Grundrechtseingriff dar, da das Grundrecht der Berufsfreiheit keine Ansprüche auf Abschluss eines Beschaffungsvertrages mit dem Staat gibt.7 Deshalb ist der Ausschluss derartiger Unternehmen von Vergabeverfahren ohne gesetzliche Grundlage zuläs3

Z. B. § 8 Nr. 5 (1) c VOB/A. BGH NJW 1977, 628. 5 BGH NJW 1976, 2302. 6 Prieß/Hausmann, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB/A, 2001, Abschnitt 1 § 8 Rn. 102. 4

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sig. Weniger eindeutig ist, ob nicht ein zentrales Register aus datenschutzrechtlichen Gründen – handelt es sich um natürliche Personen, liegt eine Weitergabe personenbezogener Daten vor – einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Angesichts der Situation – freiwillige Teilnahme an einem Wettbewerb um einen Vertragsschluss – würde ich dies verneinen.8 Auch das Argument der Gegner der Auftragssperre, ein betroffenes Unternehmen dürfe nur jeweils für das gerade in Rede stehende Vergabeverfahren, nicht aber pauschal etwa für zwei Jahre ausgeschlossen werden, ist unrichtig. Es geht um die Zuverlässigkeit als Voraussetzung des Vertragsschlusses und damit auch um ein Vertrauensverhältnis. Wenn diese Zuverlässigkeit einmal wegen schwerer beruflicher Verfehlung verlorengegangen ist, kann sie nicht sofort wieder neu entstehen.9 d) Die koordinierte Auftragssperre Die Vergabeverwaltungen in Bund und Ländern sind dann teilweise einen Schritt weiter gegangen und haben durch Verwaltungsvorschriften angeordnet, dass innerhalb der Bundesverwaltung oder innerhalb einer Landesverwaltung ein zentrales Register geführt wird, in dem nach diesen Kriterien unzuverlässige Unternehmen, gegen die eine Auftragssperre durch eine Vergabestelle verhängt worden war, verzeichnet sind und das von allen Vergabestellen eingesehen werden kann. Insbesondere in einem Gutachten von Mestmäcker und Bremer wurde dieser Praxis vorgeworfen, sie stelle eine gegen das GWB und die Wettbewerbsvorschriften des EGV verstoßende wettbewerbsbeschränkende Absprache dar.10 Mich überzeugt diese Sichtweise nicht. Es geht nicht um eine Verstärkung des reinen Pönalisierungseffekts durch abgestimmtes Vorgehen oder um wettbewerbs- oder sittenwidriges Verhalten, sondern um die Weitergabe von Informationen innerhalb der staatlichen Verwaltung, die dort über unzuverlässige Bieter vorhanden sind. Es wäre seltsam, wenn die Beschaffungsverwaltungen diese im Wirtschaftsverkehr allgemein bedeutsamen Informationen nicht untereinander weitergeben dürften. Das Stichwort der Pönalisierung oder des Abschreckungseffekts bezeichnet also nicht den Zweck dieser Register, sondern lediglich eine u. U. damit verbundene 7 Hierzu einerseits etwa Puhl, VVDStRL 60 (2001), 456, 482 oder P. M. Huber, JZ 2000, 877, 880, andererseits z. B. Hermes, JZ 1997, 909, 913; Burgi, NZBau 2001, 64, 66. 8 Ausführlicher hierzu meine Darlegungen in NZBau 2003, 242, 245 f. 9 Hierzu mit Nachweisen Pietzcker, in: Motzke/Pietzcker/Prieß (o. N. 6), Syst VIII Rn. 56–58. 10 Mestmäcker/Bremer, BB 1995, Beilage 19.

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mittelbare Wirkung. Rechtlich gesehen ist der Zweck der Verhinderung des Vertragsschlusses mit einem unzuverlässigen Bieter maßgebend, und dieser Zweck kann ohne gesetzliche Grundlage erreicht werden. e) Verurteilung als Voraussetzung des Ausschlusses? Ein weiterer Aspekt dieser primären Zwecksetzung ist von ganz wesentlicher Bedeutung, und er spielt auch unmittelbar für Gesetze über Korruptionsregister eine Rolle. Wann darf ein Unternehmen in das Register aufgenommen werden, welcher Grad von Gewissheit über die schwere berufliche Verfehlung ist erforderlich? Insbesondere geht es darum, ob ein Unternehmen erst nach strafrechtlicher Verurteilung aufgenommen werden darf. Wenn dies richtig wäre, könnte der Primärzweck eines solchen Registers, die Beschaffungsverwaltungen über die Unzuverlässigkeit eines Bieters zu informieren, allenfalls ganz eingeschränkt erreicht werden. Wirtschaftsstrafverfahren dauern in der Regel lange – man denke an das Stichwort Abfallwirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Wenn hier eine – womöglich sogar rechtskräftige – Verurteilung abgewartet werden müsste, wäre die Beschaffungsverwaltung in den dazwischen liegenden Jahren verpflichtet, den nach allen Informationen unzuverlässigen Bieter wie jeden anderen zu behandeln und gegebenenfalls mit ihm weiterhin Verträge abzuschließen. Das Risiko, mit einem höchstwahrscheinlich, wenn auch noch nicht durch strafrechtliches Urteil bestätigt unzuverlässigen Unternehmen einen Vertrag abzuschließen, wäre dem Auftraggeber auferlegt – ein mit den allgemeinen Grundsätzen der Auswahl des Vertragspartners am Markt nicht vereinbares Ergebnis. Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, dass nicht jeder ganz ungesicherte Verdacht die Vergabestelle dazu berechtigt, ein Unternehmen zu sperren und die Sperrung durch Mitteilung an ein zentrales Register zu generalisieren. Denn auch ein zu leicht zu erhebender Vorwurf der Unzuverlässigkeit kann ein Mittel unlauterer Beeinflussung des Vergabeverfahrens durch Ausschaltung eines in Wahrheit zuverlässigen und scharfen Konkurrenten sein. So formulieren inzwischen die einschlägigen Verwaltungsvorschriften oder vereinzelte gesetzliche Regelungen wie z. B. das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, dass die schwere berufliche Verfehlung in einer vernünftige Zweifel ausschließenden Weise nachgewiesen sein muss, was z. B. bei Vorliegen eines Geständnisses gegeben sein kann. Dies ist mit den EG-Richtlinien vereinbar, die ja ausdrücklich neben dem Fall der rechtskräftigen Verurteilung die weitere Fallgruppe der schweren beruflichen Verfehlungen kennen, die von den öffentlichen Auftraggebern nachweislich festgestellt wurde. Hier kommt alles auf die Auslegung des Begriffes nachweislich an, und die systematische Nebeneinanderstellung der bei-

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den Fallgruppen zeigt jedenfalls, dass der Nachweis nicht nur durch ein rechtskräftiges Urteil geführt werden kann.11 f) Umfang der Sperre Eine weitere mit diesem primären Zweck der Auftragssperre und der Registrierung gesperrter Unternehmen verbundene Folgerung lässt sich für das Ausmaß der Sperre ziehen. Wenn ein Unternehmen wieder zuverlässig geworden ist, weil es notwendige Reinigungs- und Verbesserungsmaßnahmen vorgenommen hat, muss die Sperre aufgehoben und das Unternehmen dementsprechend aus der Liste gestrichen werden. Gewiss gibt es hier Raum für Typisierungen. Ein gestörtes Vertrauensverhältnis, wie es zwischen Vertragspartnern nötig ist, wird auch durch effektive Gegenmaßnahmen nicht sofort wiederhergestellt. Nicht gerechtfertigt wäre aber eine sozusagen generalpräventive Beibehaltung einer in Bezug auf das Zuverlässigkeitserfordernis nicht mehr gerechtfertigen Sperre. Auch das räumliche Ausmaß der Sperre wird von entsprechenden Gesichtspunkten beschränkt. Wenn nur ein Betriebs- oder Konzernteil unzuverlässig geworden ist und klar ist, dass insofern keine Verbindungen zum Gesamtunternehmen bestehen, muss die Sperre hierauf beschränkt werden. g) Recht auf Einsicht in das Register Vielleicht noch wichtiger ist die folgende Einschränkung: Die Sperre und die zentralisierte Registrierung der gesperrten Unternehmen dient der staatlichen Beschaffungsverwaltung. Einsicht in das Register dürfen dementsprechend nur Beschaffungsverwaltungen nehmen. 2. Probleme einer Ablösung von dem vergaberechtlichen Ausgangspunkt a) „Pönalisierung“ als Zweck Spricht man, wie es mein Thema vorgibt, über Korruptionsregister, muss man also diese Genese der Register und ihren primären Zweck im Auge behalten. Die erwähnten zahlreichen Besonderheiten und Begrenzungen hängen unmittelbar mit diesem Zweck zusammen. Sieht man nun, wie es der in den letzten Jahren zu beobachtenden Akzentverschiebung entspricht, Korruptionsregister primär als, wie schon der Name andeutet, Mittel der 11 Die Bestimmung der Nachweislichkeit stand im Zentrum der Auseinandersetzung um die Richtlinien der DB AG zur Sperrung von Auftragnehmern, hierzu einerseits Battis/Kersten, NZBau 2004, 303 und andererseits meine Auffassung, NZBau 2004, 530.

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Bekämpfung der Korruption, so kann dies Rückwirkungen auf die rechtlichen Maßstäbe haben. Zweifellos hat das bisher in zahlreichen Bundesund Landesverwaltungen bestehende Register gesperrter Unternehmen auch spezial- und generalpräventive Wirkung, d. h. es wirkt in die Richtung, dass das gesperrte Unternehmen sich um Wiederherstellung der Zuverlässigkeit bemüht und dass andere Unternehmen einen zusätzlichen Anreiz bekommen, im Vergabebereich nicht korrumpierend vorzugehen. Dies sind aber mittelbare Effekte, die die rechtliche Beurteilung nicht prägen. Löst man sich vollständig von diesem Ausgangspunkt und zielt allein auf eine effektive Sanktionierung oder Pönalisierung von Korruption, kann dies einige Konsequenzen haben. b) Unzuverlässigkeit oder Korruption? Ansatzpunkt für die Aufnahme in das Register kann dann nicht mehr die weiter gefasste vergaberechtliche Unzuverlässigkeit sein, die auch beispielsweise ein grob vertragswidriges Verhalten umfasst. Der Begriff der Korruption muss enger und genauer bestimmt werden. Während es bisher möglich war, die Voraussetzungen der Unzuverlässigkeit etwa durch Betrug oder wettbewerbsverhindernde Absprachen nur beispielhaft zu nennen, müsste nun bei primär abschreckendem Zweck des Registers der Katalog der Verhaltensweisen abschließend genannt und wohl auf strafbares oder ordnungswidriges Verhalten beschränkt werden. c) Gesetzesvorbehalt; Verurteilung als Voraussetzung? Auch das bisher vorgebrachte Bedenken, wonach das Register einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedarf, wäre plausibler. Die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Register müssten verschärft werden. Im Hinblick auf die strafrechtsähnliche Präventivwirkung genügte dann möglicherweise nicht mehr der wenn auch substantiierte Verdacht, sondern vielleicht bedürfte es eines bestandskräftigen Bußgeldbescheids oder einer rechtskräftigen Verurteilung. Ein solches Register könnte offensichtlich nicht mehr den Zweck der bisherigen Register gesperrter Unternehmen erreichen, da hier die unmittelbare Reaktion des Auftraggebers auf einen substantiierten Verdacht aus Anlaß des nächsten Vertragsschlusses im Vordergrund steht. d) Recht auf Einsicht in das Register Die Prangerwirkung eines Korruptionsregisters würde vervielfacht, wenn nicht nur die Beschaffungsverwaltungen, sondern Dritte, also insbesondere

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die Presse (oder Konkurrenten?) Einblick in das Register nehmen könnten. Ob eine solche Erweiterung rechtspolitisch wünschenswert ist, erscheint zweifelhaft. Sie läge zwar auf der Linie der Transparenz der Verwaltung, die sich etwa im Umweltinformationsgesetz oder in den allgemeinen Informationsfreiheitsgesetzen manifestiert. Gleichzeitig ist unsere Rechtsordnung durch Bemühungen um Datenschutz gerade im strafrechtlichen oder strafrechtsähnlichen Bereich bemüht. Das Bundeszentralregister ist nicht für jedermann einsehbar, und wir kennen bisher nicht wie einige Bundesstaaten in den USA so genannte Megan’s laws, die es ermöglichen, den Zuzug bestimmter früherer Straftäter in eine Gemeinde über das Internet zu erfahren. Bislang sehen die Gesetze und Gesetzesentwürfe für Korruptionsregister lediglich das Einsichtsrecht von Beschaffungsverwaltungen vor. Verfassungsrechtlich gesehen mag es zulässig sein, die Informationsansprüche nach den Informationsfreiheitsgesetzen auch auf derartige Listen zu erstrecken. Jedenfalls müssten dann die Korruptionsregister aber in dem geschilderten Sinne enger gefasst und auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden; ihre primäre Funktion würde also beeinträchtigt. 3. Folgerungen Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Eignung von Korruptionsregistern zur Korruptionsbekämpfung? Schon die bisherigen Register gesperrter Unternehmen, die primär der ordnungsgemäßen Beschaffung dienen und an die deshalb in verschiedener Hinsicht geringere Anforderungen zu stellen sind, haben vermutlich eine erhebliche antikorruptive Wirkung. Die zugrunde liegende Auftragssperre vermindert die geschäftlichen Chancen, und das insbesondere und besonders stark dann, wenn es sich um ein in hohem Maße von staatlichen Aufträgen abhängiges Unternehmen, etwa ein Straßenbauunternehmen handelt. Die durch die Registrierung erreichte Information anderer und je nachdem aller öffentlichen Auftraggeber erhöht diesen Effekt. Dieser Effekt schwingt aber lediglich mit und ist nicht der eigentliche Grund für die Registrierung. Belässt man es hierbei – und das gilt auch dann, wenn man ein solches Register auf eine gesetzliche Grundlage stellt, da dies allein ja keine Zweckänderung bewirkt – kann man die bisherige Praxis im wesentlichen beibehalten. In praktischer Hinsicht empfiehlt es sich, ein bundesweites Register zu schaffen, da das Wirtschaftsgeschehen nicht an den Grenzen der Bundesländer haltmacht, sondern sich größere Unternehmen bundesweit bewerben. Hamburg hat jüngst sein erst vor kurzem eingefügtes Gesetz über das Register unter anderem unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer bundes-

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weiten Regelung aufgehoben. Die Pflicht der Beschaffungsverwaltung zur Einsichtnahme vor der Auftragsvergabe könnte ein Landesgesetz nur für die staatliche Verwaltung innerhalb des Landes, ein Bundesgesetz möglicherweise nur für die Bundesverwaltung anordnen. Unproblematisch ist dagegen die Gewährung von Einsichtsrechten für alle staatliche Verwaltung und auch über die Staatsgrenzen hinaus für Verwaltungen in anderen EGMitgliedstaaten. Zu regeln ist dann sowohl das Verfahren der Aufnahme in die Liste wie einer Löschung. Außerdem muss klar ersichtlich sein, was der Grund für die Sperre und die Aufnahme in die Liste ist und insbesondere, ob rechtskräftige Verurteilung oder lediglich ein näher substantiierter erheblicher Verdacht vorliegt. Die Eintragung in ein derartiges zentrales Vergaberegister wirkt in verschiedenen Situationen unterschiedlich stark und ist nicht überall ein sehr schlagkräftiges Mittel. Manche Unternehmen bemühen sich nur gelegentlich um öffentliche Aufträge und werden deshalb durch eine Auftragssperre nur geringfügig getroffen. In anderen Fällen, insbesondere wenn die Beschaffungsverwaltung auf die Leistung des betroffenen Unternehmens ohne wirkliche Ausweichmöglichkeit angewiesen ist, wird sie von sich aus von einer Sperre absehen, was übrigens interessante Fragen möglicher Rechte der Mitbieter auf Ausschluss eines unzuverlässigen Konkurrenten aufwirft.12 Endlich hat es sich gezeigt, dass in manchen Fällen eine Sperre faktisch ins Leere läuft, weil das gesperrte Unternehmen durch ein drittes Unternehmen – unter Ausschluss der für die Verfehlung verantwortlichen Personen – übernommen wird. In diesen drei Fallgestaltungen ist die Wirkung der Auftragssperre und eines Vergaberegisters also beschränkt oder aufgehoben. Dies sind aber nicht die Regelfälle und deshalb kein Anlass, die Tauglichkeit der Auftragssperre und des Vergaberegisters für die behandelten Zwecke zu bezweifeln. 4. Das Beispiel des nordrhein-westfälischen Korruptionsbekämpfungsgesetzes Zur Veranschaulichung einer derartigen die sachgemäße Auftragsvergabe unterstützenden und gleichzeitig faktisch der Korruptionsbekämpfung dienenden Regelung können wir einen Blick auf das nordrhein-westfälische Korruptionsbekämpfungsgesetz von Dezember 2004 werfen. Das Gesetz gilt für alle Behörden des Landes und der dem Land angegliederten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, für alle Be12 Vgl. hierzu meine Ausführungen in NZBau 2003, 242, 247 f. Nach der neuen Vergaberichtlinie der EG (2004/18/EG), Art. 45 I, ist der Ausschluss im Falle der rechtskräftigen Verurteilung wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation, Bestechung, Betrug oder Geldwäsche obligatorisch.

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schäftigten im öffentlichen Dienst, ferner für privatrechtliche Gesellschaften, die vom Land beherrscht sind, und endlich natürlich für diejenigen, die sich um Aufträge bewerben. Beim Finanzminister wird ein Vergaberegister geführt mit Informationen über Vergabeausschlüsse, aber auch Hinweise auf Verfehlungen, die nicht zu einem Vergabeausschluss geführt haben. Übrigens spricht das Gesetz interessanterweise vom Vergabe- und nicht vom Korruptionsregister. Die Verfehlungen sind näher definiert durch Nennung ganz bestimmter Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Hier hat also schon eine Einengung stattgefunden, sonstiges die Unzuverlässigkeit begründendes Fehlverhalten wird nicht erfasst. Die Eintragung erfolgt nach strafrechtlicher Verurteilung oder rechtskräftigem Bußgeldbescheid, aber auch bei Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO, außerdem schon bei Zulassung der Anklage und unabhängig hiervon während eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, wenn „im Einzelfall angesichts der Beweislage bei der meldenden Stelle kein vernünftiger Zweifel an einer schwerwiegenden Verfehlung besteht“. Die Beschaffungsstellen müssen derartige Informationen übermitteln, Bund und andere Bundesländer können dies tun. Voraussetzung ist nicht unbedingt eine Vergabesperre, sondern das Bekanntwerden einer derartigen Verfehlung. Das betroffene Unternehmen ist anzuhören und über den Wortlaut der Eintragung zu informieren. Die Beschaffungsstellen im Land sind verpflichtet, bei Aufträgen oberhalb von 25.000 bzw. bei Bauaufträgen 50.000 Euro bezüglich des Bieters, der den Zuschlag erhalten soll, eine Anfrage über etwaige Eintragungen an die Informationsstelle zu richten. Unterhalb dieser Wertgrenzen steht die Anfrage offen. Interessanterweise führt das Gesetz dann ausdrücklich an, dass das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen auf die Regelungen über das Vergaberegister keine Anwendung findet. Das heißt, dass weder die Presse noch interessierte Dritte oder konkurrierende Anbieter zur Einsichtnahme berechtigt sind. Weshalb hat der Gesetzgeber diese Einschränkung angeordnet? III. Transparenzgesetze 1. Die Forderung nach Verwaltungsöffentlichkeit Dies leitet über zu dem zweiten im Thema angesprochenen Mechanismus, den Transparenzgesetzen, zu denen insbesondere die Informationsfreiheitsgesetze gehören, die in vielen Bundesländern und nun auch auf Bundesebene bestehen. Sie sind Ausfluss nunmehr über 30 Jahre andauernder Bestrebungen, ähnlich wie in skandinavischen Ländern und in den USA mit dem Freedom of Information Act die Informationen der Verwaltung in größerem Umfang als bisher der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu

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machen. Stichworte bei diesen Bemühungen sind etwa die Forderung nach dem gläsernen Rathaus, nach Verwaltungsöffentlichkeit oder generell nach Transparenz. Primäre Zielsetzung dieser Gesetze ist nicht die Korruptionsbekämpfung, sondern das demokratische und grundrechtliche Anliegen, die für den Bürger in zahlreichen Zusammenhängen relevanten Informationen der Verwaltung, die ja im Interesse der Allgemeinheit und damit der Bürger tätig wird, zugänglich zu machen. Dies soll ihn in die Lage versetzen, seine Interessen besser einschätzen und verfolgen zu können und seine politischen Entscheidungen auf eine bessere Informationsgrundlage zu stellen. Vorreiter in Deutschland war das durch eine EG-Richtlinie geforderte Umweltinformationsgesetz. Die Begrenzung der EG-Richtlinie erklärt sich einerseits daraus, dass die EG hierfür, nicht aber für generelle Vorschriften über Verwaltungsöffentlichkeit eine Kompetenz besitzt, andererseits aus dem besonderen Interesse der umweltorientierten Bürgerinitiativbewegung an Zugang zu Verwaltungsinformationen. 2. Die Spannung zwischen Informationsfreiheit und Datenschutz Alle Informationsfreiheitsgesetze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Einschränkungen vorsehen zum Schutz öffentlicher und privater Interessen. Darin drückt sich die sachgegebene Spannung aus zwischen der Forderung nach Verwaltungstransparenz und Informationsöffentlichkeit auf der einen Seite und dem Schutz des Persönlichkeitsrechts, der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung andererseits. Beide Forderungen sind interessanterweise in Deutschland zu ungefähr derselben Zeit virulent geworden. Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sozusagen offiziell entdeckt und ihm Geltung verschafft hat, stammt aus dem Jahre 1983, kann aber auf eine Reihe früherer Entscheidungen wie etwa die über die Offenlegung von Scheidungsakten, den Mikrozensus (1969) oder über die einen Fernsehfilm zu dem Mörder von Lebach untersagende Entscheidung aus dem Jahre 1973, verweisen. Die Datenschutzdebatte beginnt Anfang der siebziger Jahre. Ungefähr gleichzeitig werden Forderungen nach Zugänglichkeit von Verwaltungsinformationen im Zuge der Partizipations- und Demokratisierungsbewegung lauter. Es wird gelegentlich übersehen, dass hier zwei bürgerschützende Bewegungen gegenläufige Ziele verfolgen.13 Die interessantesten Daten der Verwaltung sind eben doch allemal solche, die sicherheitsempfindliche Bereiche, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder persönliche Daten betreffen. 13 Sehr klar hierzu J. Masing, Transparente Verwaltung – Konturen eines Informationsverwaltungsrechts, VVDStRL 63 (2004), S. 377 ff.

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Wenn es um Einsicht in Unterlagen geht, die Monsanto der für gentechnische Erlaubnisse zuständigen Behörde über Untersuchungen zu ihren Maissorten vorgelegt hat, so ist einerseits das Interesse etwa von Greenpeace oder von Ökobauern an Einsichtnahme evident, andererseits aber auch die Problematik, dass Konkurrenten damit Geschäftsgeheimnisse erfahren und sich die Untersuchungsergebnisse für ihr eigenes Produkt zunutze machen können. In den USA erfolgen ca. 80% aller Anfragen nach dem Freedom of Information Act durch konkurrierende Unternehmen. Wenn etwa die Vergabeakten der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich wären, könnte dies zwar die Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten u. U. erleichtern, würde aber gleichzeitig Konkurrenten die Möglichkeit geben, sich über vermögenswerte Geschäftsgeheimnisse zu informieren. Nicht umsonst beschränkt deshalb § 111 GWB sogar für das Verfahren vor der Vergabekammer und dem Oberlandesgericht die Akteneinsicht der Beteiligten, „soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimnisschutzes oder zur Wahrung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist“ (§§ 111, 120 GWB). Entfiele diese Schutzvorschrift, wären häufig Angebote nicht mehr hinreichend aussagekräftig oder würden sich wichtige Bieter nicht mehr am Vergabeverfahren beteiligen, was im Ergebnis zu einem auch finanziellen Schaden der öffentlichen Hand führt. Ähnliche Zielkonflikte lassen sich auch in anderen Bereichen der Öffentlichkeit von Verwaltungsinformationen vermuten. Viele Informationen beruhen auf Mitteilungen Privater. Müssen diese damit rechnen, dass jedermann diese Informationen einsehen kann, werden sie je nachdem in der Weitergabe der Informationen an die Verwaltung zurückhaltend sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat jüngst den Anspruch eines Sozialhilfeempfängers gegen das Sozialamt auf Benennung eines Informanten, der das Amt auf einen möglichen Missbrauch durch den Sozialhilfeempfänger hingewiesen hatte, für den Fall verneint, dass der Informant nicht wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Behauptungen aufgestellt hat.14 Außerdem könnte in manchen Fällen der Herstellung von Verwaltungsöffentlichkeit ein ähnlicher Mechanismus am Werke sein, wie er aus der Diskussion um die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen des Bundestags oder anderer Gremien geläufig ist: Gewisse Dinge werden nicht öffentlich dargelegt und diskutiert; wird Öffentlichkeit hergestellt, verlagert sich die wirkliche Diskussion und Entscheidungsfindung in informelle, ihrerseits nicht öffentlich tagende Zirkel.15 Die Grenze ist freilich nicht natürlich vorgegeben, und ein Wandel der Anschauungen oder der Organisations14

BVerwGE 119, 11 = NJW 2004, 1543. Zu dem Zusammenspiel zwischen formalen Regeln und informellen Ausweichmanövern s. aufschlussreich Morlock, Informalisierung und Entparlamentarisierung 15

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kultur kann tatsächlich zu größerer Öffentlichkeit ohne negative Effekte führen. Man darf aber nicht von vornherein ein Ausbleiben solcher Effekte unterstellen. 3. Beschränkte Einsicht in das Korruptionsregister? Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, weshalb das nordrheinwestfälische Gesetz die Einsicht in das Register über unzuverlässige Unternehmen beschränkt. Informationen über die Unzuverlässigkeit stellen ja gewiss keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse dar, und es lassen sich gute Gründe dafür anführen, weshalb Konkurrenten – die sicherstellen wollen, dass ein unzuverlässiges Unternehmen nicht dennoch beteiligt wird – oder private Dritte, die ebenfalls nicht bei einem unzuverlässigen Unternehmen einkaufen wollen, ein Interesse an der Information haben. Ein möglicher Grund für die Beschränkung der Einsichtnahme in das Vergaberegister wurde vorhin schon gestreift: Die mit dem Register nicht primär beabsichtigte, aber tatsächlich bemerkbare strafähnliche Wirkung würde deutlich verschärft, wenn jedermann – und damit natürlich auch die Presse – Einsicht nehmen könnte. Unter diesen Umständen wäre es dann möglicherweise unverhältnismäßig, auch Unternehmen in das Register aufzunehmen, bei denen nur der substantiierte Verdacht einer Verfehlung besteht, ohne dass schon ein rechtskräftiges Urteil oder ein bestandskräftiger Bußgeldbescheid vorliegt. Die Aufnahme gerade solcher Unternehmen ist aber für die Zwecke der Beschaffungsverwaltung von eminenter Bedeutung. Die Transparenz muss eingeschränkt werden, um die Erreichung des primären Zwecks des Vergaberegisters zu sichern. 4. Transparenzgesetze als Mittel zur Korruptionsbekämpfung Wenden wir uns noch einen Augenblick der allgemeinen Frage zu, was Informationsfreiheitsgesetze in der näher umschriebenen Gestalt mit den genannten Einschränkungen für die Korruptionsbekämpfung leisten. Eine pauschale Antwort fällt nicht leicht. Man müsste insbesondere untersuchen, welche korrupten Praktiken etwa in den USA aufgrund des Freedom of Information Act aufgedeckt wurden; wie schon erwähnt, liegt hier jedenfalls nicht der zahlenmäßige Schwerpunkt der Anfragen. Die Vermutung liegt nahe, dass einerseits geschickte Korruption so vonstatten geht, dass sich in den Verwaltungsakten keine hinreichenden Anhaltspunkte finden lassen, dass aber andererseits doch immer wieder, und sei es im Wege einer Mosaiktheorie, aus zahlreichen öffentlich zugänglichen Informationen Hinweise politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung? VVDStRL 62 (2003), S. 37 (insbes. S. 45 ff.).

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auf unzulässige Absprachen gefunden werden können. Nicht unwesentlich dürfte die abschreckende Befürchtung der an der Korruption Beteiligten sein, dass möglicherweise doch irgendwelche Informationen über den Vorgang in den Verwaltungsunterlagen zu finden sein können. 5. Speziell die Offenlegung von möglichen Interessenverflechtungen Nach so vielen Relativierungen bleibt aber doch ein Punkt, in dem die Transparenz uneingeschränkt positiv wirkt. Das nordrhein-westfälische Korruptionsbekämpfungsgesetz enthält auch einen vierten Abschnitt mit der Überschrift „Vorschriften zur Herstellung von Transparenz“. Im Kern statuieren diese Bestimmungen eine Pflicht der Mitglieder der Landesregierung, der Leiter von Körperschaften oder vom Land beherrschter Unternehmen und bestimmter oberster Behörden, Angaben u. a. über Beraterverträge, Mitgliedschaft in Aufsichtsräten und Vorständen und Funktionen in Vereinen zu machen, die jährlich zu veröffentlichen sind. Das Informationsfreiheitsgesetz findet hier Anwendung. Die Regelung stellt also einen Ausschnitt dar aus dem größeren Kreis entsprechender schon erlassener oder diskutierter Gesetze über die Offenlegung derartiger berufsbezogener zusätzlicher Tätigkeiten. Ich sehe hier einmal davon ab, dass die Vorschriften zum Teil äußerst intransparent formuliert sind – eine kurze Leseprobe mag genügen: „Die Mitglieder nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 geben gegenüber der Ministerpräsidentin oder dem Ministerpräsidenten, die Mitglieder nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 geben gegenüber der Hauptverwaltungsbeamtin oder dem Hauptverwaltungsbeamten, Hauptverwaltungsbeamtinnen oder Hauptverwaltungsbeamte und Leiterinnen oder Leiter von sonstigen der Aufsicht des Landes unterstellten Körperschaften (. . .) geben gegenüber der Leiterin oder dem Leiter der Aufsichtsbehörde (. . .) schriftlich Auskunft über Beraterverträge (. . .)“. Derartige Versuche der sprachlichen Frauenförderung, die in Nordrhein-Westfalen inzwischen die gesamte Gesetzgebung durchziehen, übersehen, dass die Sprache das Handwerkszeug der Juristen ist. Wird die Hauptfunktion der klaren Übermittlung eines Sachverhalts und eines Normbefehls beeinträchtigt, und sei es zu einem noch so guten Zweck, nimmt die Rechtsanwendung – in der Ausbildung ebenso wie in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis – erheblichen Schaden. Eine konsequente sprachliche Umstellung in diesem Sinne endet im Irrsinn. Wird Art. 69 I GG („Der Bundeskanzler ernennt einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter“) entsprechend angepasst, so lautet er in Zukunft: „Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin ernennt einen Bundesminister oder eine Bundesministerin zu seinem Stellvertreter oder zu seiner Stellvertreterin oder zu ihrem Stellvertreter oder zu ihrer Stellvertreterin“.

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In der Sache wird die Pflicht leitender Bediensteter statuiert, Beraterverträge, Mitgliedschaften in Aufsichtsräten usw. offenzulegen mit der Folge, dass diese Angaben dann jährlich in geeigneter Form veröffentlicht werden. Dies scheint mir ein begrüßenswerter und nicht mit nennenswerten negativen Nebenwirkungen verbundener Schritt zu sein. Die öffentliche Kenntnis über mögliche Interessenzusammenhänge und Verflechtungen erleichtert politische Einschätzungen und kann entsprechende Anreize zu korrektem Verhalten bei den Betroffenen ausüben. Die Schwierigkeiten werden bei der Auslegung etwa des Begriffs des Beratervertrages oder der ebenfalls hier genannten „Funktion in Vereinen oder vergleichbaren Gremien“ beginnen. Eine Schwäche der Regelung besteht auch darin, dass die Pflicht zur Auskunftserteilung über diese Verbindungen, soweit ersichtlich, in keiner Weise sanktioniert ist. Immerhin ist damit ein erster Schritt in Richtung auf eine sinnvolle Transparenz getan. IV. Unternehmenshaftung Zum Schluss nur noch ein kurzes Wort zur Unternehmenshaftung. Es geht um die Frage, ob zur Erhöhung der Präventionswirkung des Strafrechts auch die Strafbarkeit juristischer Personen selbst, also von Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung usw. eingeführt werden soll, die dann neben die Strafbarkeit der die Straftat begehenden Unternehmensangestellten tritt. Ich betrete hier fremdes Gelände und kann deshalb eigentlich nur den Stand der Diskussion referieren.16 Strafrechtsdogmatisch bereitet es angesichts der Anknüpfung des Strafrechts an individuelles Handeln und an Schuld Schwierigkeiten, die Strafbarkeit einer bloß juristischen Person zu denken. Um dieses dogmatische Grundproblem ranken sich alle möglichen Einzelfragen, was die dann notwendigen Voraussetzungen für eine hinreichende Zurechnung des strafbaren Verhaltens der Angestellten an die juristische Person angeht. Aus praktischer Sicht wird die Notwendigkeit einer eigenen Strafbarkeit der juristischen Person überwiegend bestritten. Dies insbesondere deswegen, weil nach § 30 OWiG gegen die juristische Person selbst eine Geldbuße festgesetzt werden kann, wenn leitendes Personal der juristischen Person, und sei es nur durch Verletzung der Überwachungspflicht, eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat. Die hier an sich vorgesehene Höchstgrenze einer Buße von 1 Mio. Euro kann überschritten werden, wenn der wirtschaftliche Vorteil aus der Tat darüber hinausgeht. Die Geldbuße kann 16 Einen Überblick bietet Peglau, JA 2001, 606. Die Einführung einer Strafbarkeit befürwortend etwa Dannecker, GA 2001, 101, sie ablehnend etwa G. Jakobs, FS für Lüderssen, 2002, S. 559. Als Monographie beispielsweise Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995.

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auch verhängt werden, wenn der Individualtäter nicht namentlich bekannt ist. Hinzu kommen Möglichkeiten der Einziehung und des Verfalls aufgrund der §§ 73 ff. StGB. Eine vom Bundesjustizministerium einberufene Kommission zur Strafrechtsreform kam im Jahre 2000 mit 12 zu 1 Stimmen zu der Empfehlung, keine Unternehmensstrafbarkeit einzuführen.17 In der Zusammenschau der dogmatischen und praktischen Aspekte möchte ich mich als Außenstehender diesem Votum anschließen. V. Schluss Fasse ich meine Ausführungen kurz zusammen und suche nach einem die drei Stichworte des Themas verbindenden Gedanken, so liegt er wohl darin, dass die Korruptionsbekämpfung gar nicht das primäre Ziel, wohl aber ein unterschiedlich gewichtiger Effekt dieser rechtlichen Instrumente darstellt. Das Vergaberegister als Register unzuverlässiger Unternehmen dient in erster Linie der Sicherung der Zuverlässigkeit des Auftragnehmers. Die Transparenzgesetze sichern primär die demokratisch und grundrechtlich bedeutsame Information der Öffentlichkeit über Verwaltungsvorgänge. Die Ausdehnung der Strafbarkeit auf juristische Personen soll in Bezug auf zahlreiche Straftatbestände, nicht nur Korruptionsdelikte, eine gelegentlich empfundene Lücke schließen. Zugleich hat sich gezeigt, dass eine zu starke Umpolung auf den Primärzweck der Korruptionsbekämpfung problematisch ist und dass diese Instrumente entweder, so das Vergaberegister und die Transparenzgesetze, einer sorgfältigen Justierung im Hinblick auf die damit verbundenen Rechtseingriffe bei vielleicht zu Unrecht verdächtigten Unternehmen oder bei den geschützten Daten bedürfen. Oder es sprechen, wie im Falle der Strafbarkeit von juristischen Personen, die der bisherigen Strafrechtssystematik zugrunde liegenden Prinzipien gegen dieses Instrument, für das doch nur ein geringes praktisches Bedürfnis besteht. Das ändert nichts daran, dass man die im Thema gestellte Frage für das Vergaberegister und die Transparenzgesetze bejahen kann – sie sind in bestimmten Grenzen in der Tat geeignete und wichtige Instrumente zur Verhütung oder Bekämpfung von Korruption.

17 Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, eingesetzt durch das BMJ 1998, Abschlussbericht aus dem Jahre 2000, dort in Kapitel 12 zur Einführung einer Verbandsstrafe.

Erfolge und Blockaden bei der Korruptionsbekämpfung Von Wolfgang Schaupensteiner I. Lagebild Korruption Noch in den 80iger Jahren hätte kaum einer gewagt zu behaupten, in Deutschland sei Korruption flächendeckend anzutreffen. Wenn ein Staatsanwalt in öffentlicher Rede die Korruption in Wirtschaft und Verwaltung auch nur in die Nähe von Wirtschaftskriminalität gebracht hätte, hätte er wohl unweigerlich eine Dienstaufsichtsbeschwerde riskiert und wäre zum Rapport zitiert worden. Was kann man von einem Staatsanwalt schon anderes erwarten, als dass er aus Einzelfällen ein Bedrohungsszenario konstruiert und dazu neigt, alles und jeden unter Generalverdacht zu stellen? Mittlerweile gehört es zu den Versatzstücken einer Anmoderation, dass Korruption die soziale und demokratische Ordnung unserer Gesellschaft untergräbt, dass Korruption die Prinzipien der Gleichheit vor dem Gesetz, der Unparteilichkeit der Amtsführung sowie den fairen Leistungs- und Preiswettbewerb verletzt und dass Korruption alles in allem eine intransparente Privilegiengesellschaft fördert. Wer hätte vor Jahr und Tag sich vorstellen können, dass Vorstandsetagen sich genauso ordinär an fremden Geld bedienen, wie weiland die unteren Chargen in der Frankfurter Stadtverwaltung, über die damals das mediale Entsetzen wie eine Furie hereinbrach. Mit dem kleinen Unterschied allerdings, dass diese es bei wenigen einhundert Euro bewenden ließen, während jene, die es noch weniger nötig haben, ungeniert in die Vollen greifen und fortfahren sich auch dann noch schamlos zu bereichern, wo weniger Skrupellose längst in vollsatter Zufriedenheit die Früchte ihres kriminellen Tuns heimlich genießen. Aber der Appetit kommt bekanntlich beim Essen: Zum Chalet in der Schweiz gehört das prall gefüllte Nummernkonto. Zum Überwintern braucht man die Ferienwohnung in Florida. Das Segelboot in der Karibik ist gut für allerlei Geschäftskontakte. Man gönnt sich, weil man schon alles hat, eine luxuriöse Uhrensammlung und besitzt einen 400-qm Bungalow als repräsentatives Zuhause mit Tiefgarage und einem ansehnlichen Fuhrpark für jede Jahreszeit, dazu wertvolle Oldtimer, auf die jedes Museum stolz wäre.

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Schon 1996 hatte die IMK – selten hellseherisch – gewarnt, Korruption werde sich „zu einer ernsthaften Bedrohung der moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft entwickeln“. Haben die Mahnungen der Korruptionsfahnder etwas bewirkt, rechtzeitig einzugreifen, anstatt zuzuwarten, bis der Schmiergeldstrom auch den letzten Winkel der Republik umspült? In immer kürzeren Abständen erreichen uns Meldungen über korrupte Umtriebe in immer neuen Bereichen des öffentlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens. Und die Sorge ist berechtigt, dass bislang nur ein verschwindend kleiner Teil an die Oberfläche gezerrt worden ist. II. Korruption – ein Skandal? Korruption als Teil der Unternehmenspolitik? Die erstaunlichen Nehmerqualitäten der Bestechlichen werden mit schriller Empörungs-Rhetorik Auflagen fördernd begleitet und zu Skandalen hoch stilisiert, obwohl die Korruption in Deutschland alles andere als ein Skandal ist. Denn dem Skandal wohnt die exzessive Abweichung von der Regel inne. Der Skandal rechtfertigt seinen Anspruch außergewöhnlich zu sein damit, dass er nicht dem üblichen Referenzrahmen gesellschaftlicher Anschauungen und Normen folgt. Die voyeuristische Neugier des Publikums speist sich doch gerade aus der ganz unkonventionellen Gestaltung menschlichen Verhaltens. Der Skandal bleibt somit schon seiner Natur nach immer die Ausnahme. Die Korruption in Deutschland ist daher die Bezeichnung „Skandal“ nicht wert. Auch für verbandsnotorische Zweifler sollte deutlich geworden sein, dass wir nicht von Einzelfällen, sondern von strukturellen Formen eines verbreiteten Schmiergeldunwesens auszugehen haben. Korruption zählt zum kalkulierten Teil unternehmerischer Entscheidungen und auch die Öffentlichen Hände haben ein massives Problem, dem mit den Grundsatz von Treu und Glauben und der Beschwörung des preußischen Beamtenethos nicht mehr beizukommen ist. III. Kein Unrechtsbewusstsein Fehlendes Unrechtsbewusstsein und moralische Bedenkenlosigkeit sind die gemeinsamen psycho-sozialen Merkmale der Akteure auf beiden Seiten des Korruptions-Dialogs. Sie sind das personifizierte Ergebnis einer verbreiteten Auffassung, dass bei der Suche nach materiellem Wohlstand, Macht und Einfluss alle Mittel erlaubt sind: „Legal oder illegal, ganz egal“.

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IV. Materielle und immaterielle Schäden – Gefahren werden unterschätzt Die materiellen Schäden sind immens. Angesichts des weiten Dunkelfeldes müssen die Schätzungen über die Milliarden-Beträge, die in dunkle Kanäle fließen, unterschiedlich ausfallen. Die immateriellen Vertrauensschäden für staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Rechtsstaat und Politik, ja für den Standort Deutschland insgesamt und das weltweite Image unseres Landes lassen sich auch nicht annähernd in Geld berechnen. Und doch werden die von der Korruption ausgehenden Gefahren immer noch unterschätzt, oder vorsätzlich geleugnet, weil man aus den Verflechtungen im Korruptions-Dreieck von Wirtschaft, Verwaltung und Politik vielfältigste Vorteile zieht, oder einfach nicht wahrgenommen (wie eine Befragung deutscher Manager ergab: „Das Problem haben nur die anderen“). V. Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung Wenn heute von mir eine Art Zwischenbilanz über „Erfolge und Blockaden bei der Korruptionsbekämpfung“ gezogen werden soll, möchte ich zunächst die „Erfolge“ in die Waagschale der Justitia legen, und die wiegen doch einiges. 1. Neue Gesetze Da ist zunächst die Novellierung der Korruptionstatbestände im Strafgesetzbuch zu nennen. Mit dem am 13.8.1997 verabschiedeten Gesetz zur Bekämpfung der Korruption, das zuletzt im Jahr 2000 auf die Angestelltenbestechung im Ausland erweitert worden ist (§ 299 Abs. 3 StGB), wurde die Korruptionsbekämpfung entscheidend vorangebracht. Seitdem die Staatsanwaltschaften auch für die Bestechung in der Privatwirtschaft („Angestelltenbestechung“) und für den Submissionsbetrug (landläufig als „Preisabsprachen“ bezeichnet) zuständig sind, steht die oft zitierte „Pest des Schmierens“ in der Privatwirtschaft im Focus der Fahnder. Ein anerkennenswerter Akt gesetzgeberischer Hygiene bestand in der Neufassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG vom 24.03 1999 (im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002). Bis 1996 war die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern in Deutschland trotz aller, auch internationale geübter Kritik unbeschränkt möglich. Seit 1999 ist es dem Geber nicht mehr gestattet, Bestechungsgelder und andere strafrechtlich relevante Vorteile von der Steuer abzusetzen. Die Finanzverwaltung ist darüber hinaus verpflichtet, jeden Korruptionsverdacht anzuzeigen. In der Praxis zeigt sich insoweit allerdings kein einheitliches Bild bei der Umsetzung des § 4 EStG.

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Durch das EU-Bestechungsgesetz vom 10.08.1998 (in Kraft seit 22.09.1998) werden Amtsträger aus EU-Mitgliedsstaaten und Gemeinschaftsbeamte bei Bestechungshandlungen den inländischen Amtsträgern gleichgestellt. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG) vom 10.09.1998 (in Kraft seit 15.02.1999) werden über das EU-BestechG hinaus auch Zuwendungen an Amtsträger und Parlamentarier anderer Staaten und internationaler Organisationen erfasst, die im Zusammenhang mit dem internationalen Geschäftsverkehr erbracht werden. Am 01.01.2006 wird nach langer Diskussion das Informationsfreiheitsgesetz in Kraft treten, das der Schaffung von mehr Transparenz in der Öffentlichen Verwaltung dienen soll. Das Gesetz beschränkt sich allerdings auf Bundesbehörden und Bundesgerichte, den Bundestag und die Bundesbank. Die Landes- und Kommunalverwaltungen einschließlich ihrer Eigenbetriebe sowie die gesamte privatisierte Leistungsverwaltung bleiben davon unberührt. Es wird sich zeigen, ob die Bedenken zutreffen, das Gesetz mache die Ausnahme vom Auskunftsanspruch zur Regel. Damit ist die gesetzgeberische Leistungsbilanz, soweit ihr Kernanliegen die Korruptionsbekämpfung ist, am Ende. 2. Präventionsmaßnahmen der Öffentlichen Hand und in der Privatwirtschaft Von den außergesetzlichen Anstrengungen der staatlichen Verwaltung ist beispielhaft auf die Richtlinien zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung hinzuweisen (aktualisiert am 30.07.2004), sowie auf die verschiedenen Maßnahmenkataloge der Länder. Auf kommunaler Ebene ist insbesondere die beachtliche Zahl der Städte hervorzuheben, die zentrale Vergabestellen und Antikorruptionsreferate einrichten, mobile Prüfgruppen unterhalten und ihre Mitarbeiter schulen, um etwa die Gefahren des „Anfütterns“ aufzeigen. Wie sieht es nun mit der Korruptionsvorsorge in der Privatwirtschaft aus? Da Korruption Teil der Unternehmensstrategie ist, die Initiative also nicht von Einzelpersonen ausgeht, sind die Unternehmen nach konkreten Schritten zu Präventionsmaßnahmen gefragt. In der Ankündigung der deutschen „Compliance Tage“ für den Februar 2006 geht der Veranstalter davon aus, dass „das Bewusstsein bei den Unternehmen für die Notwendigkeit Präventionsmaßnahmen einzuleiten, deutlich gestiegen ist.“

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Ist dies wirklich so? Hat in der Privatwirtschaft die Einsicht Oberhand gewonnen, dass sich die Beachtung der Regeln auf lange Sicht auszahlt, dass sich Absprachen und Bestechung als insgesamt Wettbewerbs schädigend und damit als kontra produktiv erweisen können? Investieren die Unternehmen verstärkt in bessere, in vorbeugende Kontrollsysteme? Unternehmen und die Verbände aus Handel und Industrie sind vor dem Hintergrund presseöffentlicher Wirtschaftskriminalität bemüht, das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Seriosität der deutschen Wirtschaft zu stärken und unterstützen den Aufbau von Ethik-Richtlinien. Reichen diese Aktivitäten aus? Hier sind z. B. der Medizin-Kodex vom Oktober 2000 (ausgelöst durch die Herzklappen Affäre und die bundesweiten sog. Ärzteverfahren) zu nennen und vor allem der Deutsche Corporate Governance Kodex vom 21.05.2003. Der Governance Kodex soll eine neue Kultur in die Unternehmen transportieren und bewirken, dass wesentliche Prinzipien anständigen Wirtschaftens eingehalten werden. Diese Richtschnur für eine ethisch-moralische Grundhaltung der Unternehmensführung sieht allerdings weder eine Kontrolle ihrer Umsetzung noch eine Sanktion für Regelverstöße im Umgang mit Finanzen, Kunden und Lieferanten vor. Die Standards der Corporate Governance sind noch nicht im deutschen Management angekommen, klagt das Handelsblatt am 03.08.2005. Dieser Tage stellte die – um die Wiedergewinnung verlorenen Vertrauens werbende –Immobilienwirtschaft auf der Münchener Messe ihren neuen „Leitfaden Wertemanagement“ vor. Auch hier sucht man vergebens nach konkreten Vorgaben zur Implementierung des Leitfadens in die Unternehmensorganisation, nach einer Kontrolle seiner Umsetzung und nach Mechanismen zur Evaluierung seiner Effizienz. Eine Sanktion bei Verstoß gegen die selbst postulierten Werte gibt es nicht. VI. Placeboeffekt und Zweifel an ernsthaften Bemühungen der Wirtschaft So entsteht insgesamt trotz des beeindruckenden Theaterdonners der Eindruck von Scheinaktivitäten, die nur vorgeben, das Problem zu lösen. Ethikerklärungen und Verhaltensstandards, die nur auf den guten Willen der Beteiligten setzen, bewirken nicht mehr als ein Placebo in der Medizin: Sie helfen nicht, schaden aber auch nicht; allerdings kann man sich und anderen einreden, etwas gegen das Übel getan zu haben. Anti-Korruptions-Strategien, die Glaubhaftigkeit für sich beanspruchen, lassen sich nicht auf bloße Appelle beschränken. In den USA genügt es (seit 2004) nicht mehr, Ethik-Leitlinien auf firmeneigenem Hochglanzpapier

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zu verkünden. Vielmehr sind für börsennotierte Unternehmen ComplianceOrganisationen zwingend vorgeschrieben, deren Aufgabe darin besteht, die Beachtung gesetzlicher Vorschriften im Unternehmen durchzusetzen. Es gibt Anlass daran zu zweifeln, dass die Wirtschaft ernsthaft bereit ist, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, von den wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, wie etwa der Deutschen Bahn und den Inhabern des Gütesiegels „Ethics in Business“ – der „Deutsche Preis für Wirtschaftsethik“ wird am 2.11.2005 in Berlin durch den Schirmherrn Ulrich Wickert erstmals verliehen. Wie anders sind die anhaltenden Widerstände gegen das Korruptionsregister zu erklären, das dem Schutz des seriösen Wettbewerbs dient und damit im ureigenen Interesse der Wirtschaft liegen sollte? Was ist der eigentliche Anlass für die Polemik gegen ein Unternehmenstrafrecht, das in den USA und in EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich eingeführt worden ist, weil Geldbußen nicht abschrecken? VII. Blockaden bei der Korruptionsbekämpfung Die Realität sieht anders aus als Firmenbroschüren und hochkarätig besetzte Symposien Glauben machen wollen. Ethik-Kodices und Absichtserklärungen sind nicht selten dem schlichten Umstand geschuldet, dass Öffentlichkeit und Kunden sie erwarten. Tatsächlich aber ist man der Auffassung, dass die Korruptionsgefahren fahrlässig dramatisiert werden. 1. Korruption als legitimes Instrument des Wirtschaftens In einem Leitartikel des Handelsblatt war kürzlich nachzulesen, dass das Übertreibungsszenario in Wahrheit Beratungsfirmen wie Wirtschaftsprüfern als Geschäftsmodell diene – und Staatsanwälten als Mittel zur Beförderung ihrer Karriere (da klingen sie doch wieder durch, die 80iger Jahre). Korruption sei ein Instrument „brauchbarer Illegitimität“, um Schneisen in einem „Dschungel aus widersprüchlichen Normen zu schlagen“. Tatsächlich wird trotz aller Lippenbekenntnisse das Korruptionsgeschäft allenthalben in das unternehmerische Kalkül einbezogen, wenn es um Marktanteile und Gewinnmaximierung geht. Korruption wird als Notwendigkeit gerechtfertigt, weil es ja alle machen. Korruption diene der Abwehr ruinöser Preise (und damit vorgeblich dem Erhalt von Arbeitsplätzen) und wird als pure Notwehr gegen einen übermächtigen Staat angesehen.

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2. Wachstumsbranche Korruption: Illegale „Gefälligkeiten“ haben Konjunktur Nach einer Forsa-Umfrage von 2002 haben hochgerechnet 150.000 kleine und mittelständische Unternehmen bereits Schmiergeld gezahlt oder andere „Gefälligkeiten“ erwiesen, um einen Auftrag zu ergattern. Bestechungspraktiken gelten als „Usancen“. 57% der Führungskräfte in Unternehmen und 76% der Selbständigen geben an, dass Vorteilsnahme „geübte Praxis“ ist und den Geschäftsabschlüssen durch Zuwendungen „nachgeholfen“ wird. Während Deutschlands Wirtschaft in den vergangenen Jahren nahezu stagnierte, gilt die Korruption als Wachstumsbranche. Nicht wirtschaftliche Erfolge sondern Themen wie Misswirtschaft und Korruption dominieren die Schlagzeilen. Bekannte Namen sind darunter: VW, BMW, DaimlerChrysler, Infineon, IKEA Deutschland, Siemens. Mal wieder der zweitgrößte Konzern der Republik Siemens. Die Tochtergesellschaft Power Generation aus Offenbach/M. soll 6 Millionen e an Manager des italienischen Stromkonzerns Enel als Gegenleistung für die Lieferung von Gasturbinen im Auftragswert von 336 Millionen e gezahlt haben. Nicht weniger als 160 Millionen e bot Siemens nach Verhaftung der Beteiligten sogleich als Entschädigung an. Nach jüngstem Eingeständnis eines Siemens Managers sollen für den Verkauf von Medizintechnik Millionen nach Russland geflossen sein: „Die Bestechung russischer Beamter war bei Siemens übliche Praxis“ und bei Siemens-Chef v. Pierer „kein Geheimnis“. Siemens Pressechef Eberhard Posner erklärte hierzu die Sicht der Unternehmensleitung: „Bestimmte Gegebenheiten gilt es im Ausland gelegentlich zu berücksichtigen“. Der Konzernlenker v. Pierer schreibt in dem Buch „Zwischen Profit und Moral“ (Hrsg. Karl Homann/Gertrude Lübbe-Wolff): „Die wesentlichen Parameter unternehmerischen Erfolges sind die Bindung allen Handelns an übergeordnete, zeitlos gültige Werte wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Fürsorge, Fleiß und Respekt“ und der Autor fordert zusammenfassend „das absolute Verbot von Korruption“. Manche Dinge sind eben nur schwer vorstellbar. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind nicht frei von Korruption. Auch hier nur die Spitze eines Eisbergs? Was ist mit Product Placement, Beistellungsverträgen und Sponsoring? Alles legal? Im Gesundheitswesen sollen europaweit bis zu 100 Milliarden e versickern, das wären 10% des Gesamtbudgets.

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3. Heimliche Alimentierung von Politikern Sogar in der Politik soll es korrupt zugehen. Alles scheint möglich: Der Fall Holger Pfahls nur eine der vielen Facetten im Korruptionsdickicht der Republik? Die „white corruption“ genannte heimliche Alimentierung von Abgeordneten durch Wirtschaft und Verbände hat in deutschen Parlamenten längst Einzug gehalten. Und der Einfluss der Lobbys wächst. 4. Rückschritte bei der Korruptionsbekämpfung Mittlerweile wird sogar entgegen aller öffentlichen Bekenntnisse zum Rückzug in Sachen Korruptionsbekämpfung geblasen! Im Zusammenhang mit der sog. Wissenschaftsförderung hatte bereits die Pharmazeutische Industrie den – gescheiterten – Versuch unternommen, die Verschärfungen durch das KBG von 1997 rückgängig zu machen. In der staatlichen Verwaltung werden vielerorts Vorbeugemaßnahmen angesichts leerer Kassen wieder zurückgefahren. Das als Bollwerk gegen die Korruption geltende Vergaberecht soll zur Disposition gestellt werden. Die Kommunen fordern drängend die vergabewidrige Bevorzugung ortsansässiger Firmen. Der Innenminister von Baden-Württemberg Heribert Rech plädiert neuerdings gar für eine generelle Lockerung der bestehenden Antikorruptionsgesetze, die „mehr Schaden als Nutzen gebracht haben“, und fordert, dass der Einwerbung von Spenden durch Bürgermeister keine Grenzen gesetzt werden dürfen (lt. dpa Stuttgart 21.9.2005). Als hätte es nicht den vom BGH entschiedenen Fall „Kremendahl“ zur Straflosigkeit von Parteispenden in Abgrenzung zu den Einflussspenden gegeben (s. Saliger/Sinner in NJW 2005, 1077). VIII. Welche Lösung bietet sich an? 1. Das Entdeckungsrisiko entscheidet über die Rechtstreue Die Einsicht muss Platz greifen, dass die Korruptionsbekämpfung eine Daueraufgabe ist und ihre Lösung nicht nur ein ethisches Problem darstellt, sondern vor allem ein ökonomisches. Bei kalkulierten Delikten wie Wirtschaftsstraftaten und Korruption gibt es keine Abschreckung allein durch die abstrakte Strafandrohung der Norm. Das Entdeckungsrisiko entscheidet bei der White-Collar-Crime über Tun oder Lassen.

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Nur wenn das Risiko groß ist, zeitnah erwischt und gehörig bestraft zu werden, übersteigen die Kosten der Gesetzesverletzung den Ertrag hieraus. Der Regelverstoß wird wirtschaftlich unkalkulierbar. 2. Moral muss sich bezahlt machen Darüber hinaus muss sich Rechtstreue für das Unternehmen aber auch materiell lohnen. Folglich muss man für die Unternehmen materielle Anreize für präventive Vorsorgemaßnahmen schaffen. Selbstverpflichtende Kodices und der schlichte Normbefehl „Bestechen verboten“ werden dem Korruptionsphänomen nicht Paroli bieten. Moral wird nur dann zur Richtschnur unternehmerischen Handelns, wenn sie sich als Wettbewerbsvorteil bezahlt macht. Solange man sich aber auf korruptionssensiblen Märkten durch Bestechung nahezu risikolos gegenüber der Konkurrenz Vorteile verschaffen kann, wird das Rattenrennen um den vordersten Platz an den Auftragströgen ungebrochen weiter gehen. Erst wenn der Wettbewerb um die besten Bestechungsleistungen einem Wettbewerb um die besten Vorbeugemaßnahmen weicht, wird der Kampf gegen die Korruption zu gewinnen sein. 3. Forderungen an den Gesetzgeber und die Strafverfolgung Der Gesetzgeber bleibt also aufgefordert, den vielfältigen Erscheinungsformen von Korruption und Wirtschaftskriminalität im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur Korruptionsbekämpfung durch eine Implementierung von Instrumenten zu begegnen, die der glaubhaften Abschreckung potentieller Täter dienen, den Kriminellen keine Chancen zur Gewinnmaximierung lassen und Präventionsmaßnahmen materiell belohnen. 2002 hatte ich anlässlich der sechsten „Speyerer Demokratietagung“ von dieser Stelle aus Maßnahmen aufzeigen dürfen, die nach meiner Auffassung der effizienten Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität dienen. Nahezu drei Jahren sind seitdem vergangen und von den „Zehn Geboten zur Korruptionsbekämpfung“ ist bis auf eine Ausnahme, nämlich das am 1.1.2006 in Kraft tretende Akteneinsichtsrecht, keines befolgt worden. Und es haben sich neue Gesetzes-Lücken aufgetan. Ein bundesweites Korruptionsregister und ein Unternehmensstrafrecht ist meiner Überzeugung nach das beste Skalpell gegen die Krebsgeschwüre der Korruption. Aber die Einrichtung eines bundesweiten Korruptionsregisters lässt weiter auf sich warten. Die auf Länderebene geführten Register sind bedeutungslos geblieben. Hamburg hat jüngst sein Sperrregister wieder ab-

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geschafft. Die Einführung eines Unternehmensstrafrechts wird von Politik und Wirtschaft in seltener Eintracht vehement abgelehnt. Die weithin unbekannten Regelungen in den Beamtengesetzen zum sog. Lagerwechsel sollten als Vergehenstatbestand in das Strafrecht übernommen werden. Das Gesetz über die Abgeordnetenbestechung ist ein Gesetz, das nichts bewirkt. Selbst die Affären um „arbeitslose Einkommen“ (von Arnim) haben den Gesetzgeber nicht motivieren können, die strafrechtliche Privilegierung der Abgeordneten abzuschaffen. Nach wie vor ist Korruption in der Privatwirtschaft straflos möglich, etwa die Bestechung von Selbständigen, niedergelassenen Ärzten, Journalisten (soweit nicht Amtsträger) und Angehörigen der beratenden Berufe. Fälle von Schiedsrichterbestechung haben Regelungslücken im Sport deutlich gemacht. Der Geldwäschetatbestand erfasst nicht alle Korruptionstatbestände. Der altdeutsche Grundsatz, dass Straftaten sich nicht lohnen dürfen, sollte auch vom Gesetzgeber beherzigt und die rechtlichen Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung verbessert werden. Es darf keine sicheren Häfen für Schmiergelder geben. Unter Experten ist unstreitig, dass die Telefonüberwachung bei Korruption zulässig sein muss. Der Gesetzgeber ist auch hier bis heute untätig geblieben. Dasselbe gilt für die Kronzeugenregelung bei schweren Bestechungsdelikten. Unverzichtbar ist die Höherqualifizierung der Strafverfolgungsbehörden in personeller und organisatorischer Hinsicht, damit sie ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, Straftäter zu überführen und den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen, erfüllen können. Auch hier gereicht die Kriminalpolitik nicht zum Vorbild. IX. Ausblick Hans Leyendecker geht davon aus, dass das öffentliche Bewusstsein in Deutschland gegenüber Filz und Vetternwirtschaft selten so wachsam war wie heute (SZ 16.7.2005). Zugleich aber erstaunt doch die Bedenkenlosigkeit, mit der die Mehrheit der Deutschen einer Umfrage zufolge bereit wäre, sich durch Zahlung von Schmiergeldern Vorteile zu verschaffen. Die Bereitschaft, um des eigenen Vorteils willen Regeln zu verletzen, ist verbreitet und so offensichtlich, dass gemutmaßt wird, wir seien bereits alle Teil einer Gier-Gesellschaft (Theodor Baums, Handelsblatt 3.8.2005). Man ist geneigt den Deutschen eine soziopsychologische Schizophrenie zu diagnostizieren, wenn einerseits die Neigung illegal abzukassieren wächst, und andererseits die Bielefelder Kriminologin Britta Bannenberg den Deutschen grundsätzlich legale Wertvorstellungen attestiert. Vielleicht

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liegt ein Erklärungsansatz darin, dass die Deutschen infolge ungezählter Negativ-Vorbilder in Staat und Gesellschaft schon längst begonnen haben, von überkommenen Ordnungsmustern Abschied zu nehmen. Wenn permanentes Machtstreben und überzogene Gewinnsucht demonstriert werden kann, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wenn anstatt in der Hierarchie sozialer Anerkennung abzusteigen, solche Personen auch noch das mediale Interesse in Talkrunden auf sich ziehen, dann wundert es nicht, dass die Deutschen bei solchen Vorbildern in nur wenigen Jahren akzeptiert haben, in einem Land zu leben, in dem Korruption in Politik und Wirtschaft als normal gilt. Der Gesetzgeber wird sich zu drastischen Maßnahmen durchringen müssen, um dem zunehmenden Eindruck der Käuflichkeit von Politikern, Managern und Beamten energisch entgegentreten und das Vertrauen in moralisches Wirtschaften und in die Sachbezogenheit staatlicher Entscheidungen zu stärken. Mut und Entschlossenheit für die Umsetzung von Lösungen auch abseits ausgetretener Pfade sind gefragt. Weitere Untätigkeit schadet der Gesellschaft. In Griechenland, dessen Bürger zu mehr als 85% ihre Behörden für korrupt halten, sah sich der stellvertretende Finanzminister kürzlich genötigt, seine Zollbeamten zu ermahnen: „Mindern Sie zumindest den Beschleunigungstarif bei der Zollabfertigung“. 75% der Griechen hegen keine Hoffnung mehr auf eine Änderung solcher Verhältnisse. Wie viele Bundesbürger mögen es sein, die noch ernsthaft an ein Zurückdrängen der Korruption in Deutschland glauben? X. Zusammenfassung Wirtschaftskriminalität und Korruption haben in den letzten Jahren zugenommen. Überall, wo man hin greift, wird man fündig. Kein Zugriff gerät zum Fehlgriff. Es entsteht der fatale Eindruck, dass Korruption überall statt findet. Wo noch nichts gefunden wurde, hat man noch nicht gesucht. Wir werden auch in Zukunft mit noch weit mehr Kriminalität in diesen Bereichen zu rechnen haben (Prognose Ernst & Young Deutschland, Oktober 2005). Aufgrund der schlechten konjunkturellen Lage, Kostensteigerungen und einem härter werdenden Wettbewerb stehen viele Manager unter hohem Erwartungsdruck. Damit wächst die Bereitschaft, durch Regelverstöße die Unternehmensziele zu erreichen. Obwohl der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Korruptionsbekämpfungsgesetzes von 1997, mit dem EU-Bestechungsgesetz und dem Internationalen Bestechungsgesetz einiges auf den Weg gebracht hat, rei-

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chen die gesetzlichen Bestimmungen bei weitem nicht aus, die Korruption auf ihrem weiteren Vormarsch zu stoppen. Nach wie vor wird ein bundesweites Korruptionsregister zur Aussperrung kriminell agierender Unternehmen vermisst. Nur ein Unternehmensstrafrecht mit einem flexiblen Sanktionensystem würde den erforderlichen materiellen Anreiz für den Aufbau Korruption vorbeugender Kontrollmechanismen in den Unternehmen geben. Insgesamt ist die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit ausreichend qualifizierter Kontrollen in der staatlichen Verwaltung wie in der Privatwirtschaft zu beklagen. Entscheidungsebenen werden wegrationalisiert und Kontrollfunktionen aufgegeben, denn die Sicherheit gilt nach verbreiteter Auffassung immer noch als lästiger Kostenfaktor. Strafbarkeitslücken für eine verbreitete Korruptionspraxis bei den niedergelassenen Ärzten, Selbständigen und beratenden Berufen, im Sport und im Journalismus sollten endlich geschlossen und die Abschöpfung krimineller Gewinne erleichtert werden. Die strafrechtliche Privilegierung von Abgeordneten muss einer Gleichstellung mit den Amtsträgern bei der Bestrafung korruptiven Verhaltens weichen. Dementsprechend ist die UN-Konvention zur Korruption endlich zu ratifizieren und in nationales Gesetz umzusetzen. Vor allem aber mangelt es an der konsequenten Anwendung der Antikorruptionsgesetze und einer effizienten Strafverfolgung durch personell verstärkte und organisatorisch besser aufgestellte Ermittlungsbehörden. Mit schärferen Strafgesetzen allein ist dem Bestechungsunwesen nicht beizukommen. Das beste Bollwerk gegen Korruption ist eine Kultur in der Gesellschaft, die Korruption in allen ihren Spielarten ächtet, seien es anonyme Großspenden, die verdeckte Alimentierung von Abgeordneten, Einflussspenden, Amigobeziehungen oder der sog. Lagerwechsel nach dem Ausscheiden aus Amt und Politik in gut dotierte Positionen der Wirtschaft. Die Einstellung zur Unannehmbarkeit jeglicher Form von Korruption setzt ihrerseits eine allgemeine, unverbrüchliche Anerkennung und Praktizierung ethischer Grundwerte wie Loyalität, Fairness und Rechtstreue des Zusammenlebens in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft voraus. Wo aber die politische und wirtschaftliche Elite einer Gesellschaft von der Mehrheit als käuflich eingeschätzt wird, und man den Verantwortlichen die Fähigkeit abspricht, die drängenden Probleme des Landes zu lösen, wächst die Gefahr für das allein auf Legitimität begründete System insgesamt.

Die UN-Konvention gegen Korruption und ihre Auswirkungen auf Deutschland Von Anke Martiny Bei der Internationalen Anti-Korruptionskonferenz 2001 in Prag wurde ich als ehemalige Parlamentarierin gebeten, mich mit einer Gruppe schwarzafrikanischer Parlamentarier zu treffen. Sie wollten mich mit GOPAC bekannt machen. Ich hatte davon noch nie gehört und war deshalb neugierig. Der Gründer und Vorsitzende von GOPAC war und ist ein Kanadier mit dem Allerweltsnamen John Williams, seines Zeichens konservativer Parlamentsabgeordneter und als Parlamentarier befasst mit Fragen der kanadischen Finanzen. Er ist ein frommer Mann. Deswegen geht es ihm nicht in erster Linie um Geld, sondern vor allem um Werte, konkret: um Wert und Geltung von Demokratie weltweit. Er ist ein aktives Mitglied von Transparency International Canada und war deswegen nach Prag eingeladen, wo ich einen Workshop über Korruption im Gesundheitswesen zu leiten hatte. GOPAC steht für „Global Organization for Parliamentarians Against Corruption“. Die Organisation wurde offiziell im Jahr 2002 in Ottawa gegründet. Die noch inoffizielle Vorstufe, die ich in Prag kennen lernen sollte, war das Ergebnis eines mit britischen Entwicklungshilfegeldern finanzierten Projektes, das Abgeordnete aus verschiedenen schwarzafrikanischen Ländern zusammengeführt hatte, um gegen die grassierende Korruption in ihren Ländern aktiv zu werden. Inzwischen hat das Europäische Parlament einen europäischen Zweig der Organisation begründet, der sich als wichtigste Aktivität für die Ratifikation der UN-Konvention gegen Korruption einsetzt. Ob die Ratifikation der Konvention durch Frankreich in jüngster Zeit wenigstens teilweise auf das europäische GOPAC zurückzuführen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Es wäre zu wünschen. Ich war seinerzeit verblüfft, mit welcher Stringenz und welcher Hartnäckigkeit diese schwergewichtigen, dunkelhäutigen Männer für ihre Sache fochten. Für sie war völlig unbestreitbar, dass John Williams recht hatte mit seinem Statement: „Behind every government that is corrupt, you will find a parliament that is either ineffective in holding a government accountable or corrupt. That is one of GOPAC’s key goals, to make parliaments more effective in holding governments to account, through education, peer

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support, and programs that can give parliamentarians the tools to do the job they were elected to do“. Diese Sätze sagte er allerdings erst 2004, zum Antikorruptionstag am neunten Dezember. In der Zeit nach 2001 bemühte ich mich sehr, in den Fraktionen des Deutschen Bundestages und im Präsidium des Parlamentes dafür zu werben, dass GOPAC aus Deutschland Unterstützung gewann. Als ich einsehen musste, dass dies keinen Erfolg haben würde, weil sich in den Fraktionen und im Parlamentspräsidium niemand dafür zuständig fühlte und meine Fragen an mich selbst zurückspielte mit der Aufforderung, bei den einzelnen Abgeordneten für das Projekt zu werben, versuchte ich es über die Organisation der ehemaligen Abgeordneten. Ich dachte, diese könnten sich nicht mehr selbst betroffen fühlen und seien daher unabhängiger und engagierter. Aber auch dies misslang. Erreicht habe ich bestenfalls, dass in Deutschland einige Abgeordnete jetzt wissen, was GOPAC bedeutet. Auch Sie, geschätzte Zuhörerschaft, wissen es jetzt. Und vielleicht gelingt es mit dem Weg über das Europäische Parlament, die deutschen Parlamentarier etwas aufgeschlossener zu stimmen. Dass das Bewusstsein dafür, welch unermesslichen Schaden für die Geltung und Akzeptanz der Demokratie die politische Korruption anrichtet, zumindest in der Theorie in Schwarzafrika größer zu sein scheint als bei uns, erstaunt doch sehr. Politische Korruption untergräbt das Vertrauen der Menschen in die Allgemeingültigkeit von Gesetz und Recht aber nicht nur dort, sondern hat bei uns beispielsweise dazu geführt, dass die Deutschen bei einer Repräsentativumfrage 2004 ihre Legislativorgane an die dritte Stelle rückten, als sie nach den korruptesten Institutionen unserer Gesellschaft gefragte wurden.1 Im Jahr 2005 führte das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung eine Befragung von Bundestagsabgeordneten durch, über die in den WZB-Mitteilungen berichtet wird.2 „Wie Vertrauen verloren geht“ ist der zentrale Aufsatz überschrieben. Ich spreche zu Ihnen als Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland und als ehemalige Parlamentarierin und Politikerin, die sich mit der UN-Konvention gegen Korruption vertraut gemacht hat. Ich bin aber keine Juristin und werde mich daher keinesfalls auf das Glatteis juristischer Finessen locken lassen. Mein Anliegen ist ein politisches und in gewisser Weise auch ein demokratietheoretisches: Ich sehe und erfahre, dass das gesellschaftliche Bewusstsein sich hinsichtlich der politischen Korruption stark verändert, wovon sich in unserer Gesetzgebung aber noch 1

Quelle Repräsentativumfrage „TI Global Corruption Barometer 2004“ http:// www.transparency.org/surveys/barometer/dnld/barometer_report_8_2004.pdf. 2 WZB-Mitteilungen Heft 107, März 2005, S. 13–22, mit vielen Hinweisen auf weitere Literatur.

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nicht allzu viel niedergeschlagen hat. Um eine leistungsfähigere moderne Demokratie zu werden, haben wir politischen Handlungsbedarf. Wie immer er dann juristisch akkurat zu fassen ist. Eine von zahlreichen aktiven Untergruppen bei Transparency Deutschland befasst sich mit dem Sektor „Korruption in der Politik“. Sie besteht aus etwa 15 überwiegend jüngeren Menschen, meist Juristen und Politologen. Wir verstehen uns als Lobby für korruptionsfreie Klarheit und Transparenz in der politischen Arbeit – wohlgemerkt auf beiden Seiten des Spielfelds: im Parlament und in der Wirtschaft. So beschäftigen wir uns zur Zeit intensiv mit Verfahrensregeln für einen transparenten Lobbyismus. Drei Personen aus unserer Gruppe waren früher Mitglieder im Bundestag und Landtag. Die Gruppe hat die Frage nach den Konsequenzen, die sich aus der UN-Konvention für Deutschland ergeben, ausgiebig diskutiert. Was ich Ihnen darstellen werde, ist das Ergebnis dieser Diskussionen. Außerdem stütze ich mich auf zwei Aufsätze, die in jüngster Zeit zu diesem Thema erschienen sind.3 Ich habe meinen Vortrag nach fünf Thesen gegliedert. Entlang dieser Thesen werde ich meinen Vortrag entwickeln. 1. Maßnahmen gegen die politische Korruption sind in Deutschland immer noch lückenhaft und gesetzlich nach wie vor ziemlich schlecht geregelt. Die Skandale der letzten Jahrzehnte haben zwar das Problembewusstsein in der Gesellschaft erhöht und das Ansehen der Volksvertreter als einzelne und des Parlamentes als Verfassungsorgan weiter geschmälert, die gesetzlichen Grundlagen haben sich aber nicht wesentlich verbessert. Nach dem Misstrauensvotum gegen Willy Brandt, dessen überraschendes Ergebnis vermutlich durch Stimmenkauf zustande gekommen ist, wurde die Frage der politischen Korruption im Parlament und in der Öffentlichkeit erstmals breit und intensiv diskutiert. Ein Untersuchungsausschuss versuchte damals ergebnislos, den Sachverhalt zu klären. Nach 1989 tauchten durch die Veröffentlichung von Unterlagen der Staatssicherheitsbehörde der DDR neue Hinweise auf, die dem lange zurück liegenden Vorgang einen veränderten Kontext verliehen. In den siebziger Jahren wurde durch die so genannte „Parteispendenaffäre“ virulent, dass sich die Parteien, aber auch einzelne Abgeordnete, durch Gelder, die in der Wirtschaft gesammelt und über Zwischenträgerorganisationen illegal weitergeleitet worden waren, hat3 van Aaken, Anne, Genügt das deutsche Recht den Anforderungen der VN-Konvention gegen Korruption, in: ZaöRV 65, 2005 S. 407–446; Deiters, Mark, Die UNKonvention gegen Korruption – Wegweiser für eine Revision der deutschen Strafvorschriften?, in: von Alemann, Ulrich, Hrsg., Dimensionen politischer Korruption. Beiträge zum Stand der internationalen Forschung, Wiesbaden, September 2005, S. 424–443.

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ten finanzieren lassen. Beide Vorgänge hatten Konsequenzen in den Gesetzen, auch das Bundesverfassungsgericht wurde tätig. Es änderte sich aber nichts an dem Tatbestand, dass Mandatsträger im Bundestag und in den Landtagen in Deutschland anders behandelt werden als Mandatsträger auf der kommunalen Ebene4, dass sie neben ihrem Mandat beruflich tätig sein dürfen – vielleicht sogar sollen – und dass das Abgeordnetengesetz ihnen nicht abverlangte, ihre Haupt- und Nebeneinkünfte transparent zu machen. Die Parteien selbst korrigierten ihr Verhalten oder wurden zumindest erheblich vorsichtiger im Umgang mit Spenden. Es ist aber eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich, dass der Korruptionsfall um die Hessische CDU, der Ende der neunziger Jahre aufgedeckt wurde und sich durch eine beachtliche kriminelle Energie in der Umgehung bestehender Gesetze auszeichnete, seinen Ursprung noch im illegalen Parteispendenskandal früherer Zeiten hat. Als Ende der neunziger Jahre um Helmut Kohl ein neuer Korruptionsfall aufgedeckt wurde, als im Bundeskanzleramt nach dem Regierungswechsel 1998 in großem Umfang Akten verschwunden waren oder nur „gereinigt“ wieder aufgefunden wurden, als schließlich in Köln und danach in ganz Nordrhein-Westfalen, ein Spendensumpf im Zusammenhang mit Müllverbrennungsanlagen aufgedeckt wurde und schließlich eine Reihe von Skandalen um einzelne Abgeordnete im Bund und in den Ländern für angebliche Nebentätigkeiten Gelder kassierten, die sie nicht angegeben hatten oder für die sie nicht das geringste hatten tun müssen, wuchs die Frustration in der Bevölkerung gegenüber Parlament und Parteien weiter an. Eine neuerliche Verschärfung des Parteiengesetzes, des Abgeordnetengesetzes und auch der zu Beginn einer Legislaturperiode zu beschließenden Verhaltensregeln der Abgeordneten waren die Folge. Ob die geänderten Verhaltensregeln in der am 18. Oktober 2005 beschlossenen Form Bestand haben werden, ist nach einer in den Medien verbreiteten Äußerung des neuen Parlamentspräsidenten Norbert Lammert fraglich geworden. Transparency Deutschland wird dies beobachten; wir finden ohnehin nur einen Teil unserer Forderungen in der Neuregelung wieder und werden etwaigen Aufweichungen mit all unseren Kräften entgegentreten. Die Grundlage für die juristische Behandlung der Abgeordneten wurde im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 gelegt. Hier wurde die systematische Trennung vorgenommen, die Beamte und Abgeordnete unterschiedlich behandelt. Seit dieser Zeit gelten Abgeordnete in Bund und Ländern nicht als Amtsträger, was sie von Ausschussvorsitzenden oder einfachen Mitgliedern 4 Durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Mai 2006 sind seither auch kommunale Mandatsträger nicht mehr als Amtsträger einzustufen. In der Zwischenzeit mussten einige Gerichtsverfahren neu aufgerollt werden. Insofern sind auch einige Argumente dieses Beitrags von der Aktualität überholt worden.

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in Gemeinde- und Kreisräten unterscheidet; letztere gelten quasi als Teil der Verwaltung5. Seit 1871 war das Verhalten eines Abgeordneten nur dann strafbar, wenn er eine Vereinbarung geknüpft hatte, zugunsten einer bestimmten materiellen Leistung seine Wahlstimme zu verkaufen. Der Stimmenkauf bei Abstimmungen hatte in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus seither eine wechselvolle, aber niemals richtig praktisch werdende Geschichte. Aktive oder passive Abgeordnetenbestechung – analog zur Bestechung von Beamten oder kommunalen Mandatsträgern – war im Strafrecht hingegen nicht vorgesehen, ebenso wenig Regelungen zu Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung durch Bundes- oder Landtagsabgeordnete. Dabei ließe sich dazu durchaus etwas sagen. Dieser intransparente Zustand gilt bis heute. 2. Andere Länder verlangen ihren Parlamentariern erheblich weiter gehende Deklarationen über ihre finanzielle Situation, über Haupt- und Nebeneinkünfte ab, untersagen Tätigkeiten, aus denen Interessenkonflikte erwachsen können, und regeln auch Sanktionen. Hier herrscht in Deutschland nach wie vor beredte, aber trübe Undurchsichtigkeit, aus der in unschöner Regelmäßigkeit neue politische Skandale entstehen. „We have to realize that public office is based on a conflict between duty and interest. We would be deluding ourselves if we did not start on the premise that politics is concerned about compromise, partiality and self interested behaviour. The problematic question is where on the spectrum does that behaviour become unacceptable“6, diesen Satz aus einer bei Transparency International verfügbaren Quelle stellt die Juristin Anne van Aaken in ihrem grundlegenden Aufsatz zur UN-Konvention dem Kapitel voran, in dem es um internationale Standards bei der Bekämpfung der politischen Korruption geht. Wer in Deutschland bescheiden darauf hinweist, dass es in der Politik Interessenkonflikte gibt, ja dass Politik geradezu aus Interessenkonflikten besteht, macht sich rasch verdächtig, das letzte freie Fleckchen fehlender Regulierung mit einem bürokratischen Regularium überziehen zu wollen, das der demokratischen Selbstbestimmung, der freien Berufswahl, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder ähnlich hehren Zielen Fesseln anlegt. Nichts dergleichen ist beabsichtigt. Man muss nur offen aussprechen, dass wir unsere Parlamentarier als repräsentative Vertreter des ganzen Volkes gewählt sehen wollen, die aus einer breiten Palette von Berufen kommen und ihre Berufs- und Lebenserfahrung in das Parlament einbringen. Dieses Idealbild ist in unseren Parlamenten ohnehin nicht realisiert. 5 6

Siehe Fußnote 4. Zitiert nach van Aaken, Fußnote 3, S. 413.

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Aber auch in seiner real vorliegenden Form bringt es als Folge mit sich, dass unsere Parlamentarier Interessenvertreter sind. Hieraus ergeben sich Inkompatibilitäten. Unvereinbarkeitsnormen sind in Deutschland aber nur insoweit geregelt, als niemand gleichzeitig einem Bundes- und Landesparlament oder gleichzeitig einer Bundes- und Landesregierung angehören kann. Wirtschaftliche Unvereinbarkeitsregeln gibt es für deutsche Parlamentarier hingegen nicht. Es gibt aber auch nur sehr eingeschränkte Regeln dafür, dass private Interessen offengelegt werden müssen, was dem Wildwuchs ebenfalls Schranken setzen würde. Deshalb sind Beeinflussungsabsichten, Entscheidungsbegründungen, Abstimmungsverhalten im parlamentarischen Prozess in Deutschland besonders undurchsichtig. In den meisten uns umgebenden oder mit uns vergleichbaren Ländern werden Abgeordnete den Amtsträgern hinsichtlich Bestechungsstraftaten gleichgestellt, so in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Estland, Spanien, Italien, den Niederlanden und den USA. Darüber hinaus haben beispielsweise die USA als Reaktion auf den Watergate-Skandal 1978 den „Ethics in Government Act“ beschlossen (geändert 1989) und außerdem das „Ethics Manual for Members, Officers, and Employees of the U. S. House of Representatives“ in Kraft gesetzt, das ein sehr detailliertes System von Offenlegungsvorschriften für die Mitglieder beider Häuser und unter bestimmten Umständen auch für deren Ehepartner und Kinder festlegt. Alle Tätigkeiten von Abgeordneten in Unternehmen und Organisationen, dazu Grund- und Kapitalvermögen, Honorare, aber z. B. auch Zusagen für eine Beschäftigung nach der Zeit im Senat müssen angegeben werden. Persönliche finanzielle Transaktionen oberhalb einer bestimmten Grenze, aber auch Schulden über 10.000 Dollar, sowie Geschenke, deren Wert eine Bagatellgrenze überschreitet, sind ebenso anzeigepflichtig. Private Berufstätigkeit neben dem Mandat ist im Prinzip erlaubt, Nebeneinkünfte dürfen aber nicht mehr als 15% der Diäten betragen, und Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats dürfen kein Einkommen für Tätigkeiten beziehen, die auf einem Treueverhältnis beruhen, also z. B. rechtsberatende Berufe, Immobilien- und Versicherungsdienstleistungen, aber auch Vorstand oder Aufsichtsrat eines Unternehmens. All diese Angaben müssen jährlich zum 15. Mai gemacht werden und werden veröffentlicht. Nicht- oder Falschangaben verfolgt der Justizminister mit einer Zivilklage, auch parlamentarische Sanktionen sind möglich. Auch in Frankreich sind wirtschaftliche Inkompatibilitäten umfassend geregelt. In staatlichen Unternehmen dürfen Abgeordnete keine führenden Positionen einnehmen; auch in Unternehmen, die von staatlichen Subventionen abhängig sind, dürfen sie nicht sein. Die Aufnahme einer neuen Beratertätigkeit während der Zeit der Parlamentszugehörigkeit ist ebenfalls ver-

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boten. Verzichtet der Abgeordnete nicht auf den inkompatiblen Beruf, so kann der Verfassungsrat von Amts wegen den Verlust des Mandats erklären. Im Laufe der Zeit hat Frankreich die wirtschaftliche Inkompatibilität eingeschränkt; parallel dazu wurden aber die Veröffentlichungspflichten ausgeweitet. Innerhalb von zwei Monaten nach Amtsübernahme müssen die Abgeordneten ihre gesamten Vermögensverhältnisse gegenüber einer hierfür vorgesehenen Kommission offen legen. Es ist, gelinde gesagt, schwer verständlich, warum sich die deutschen Parlamentarier so schwer tun, eine wirtschaftliche Inkompatibilität anzuerkennen und angemessen zu regeln. Natürlich ist es eine offene Frage, ob die französischen Abgeordneten oder die Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus in den USA sich korrekter verhalten als die Deutschen. Die Regelungen spiegeln aber deutlich wider, wo gesellschaftliche Interessenkonflikte vermutet werden, die – wenn sie verborgen bleiben – im Konfliktfall das Ansehen des Parlamentes schädigen. Der Reflexionsstand über die Schädlichkeit von politischer Korruption ist in anderen Ländern also offenbar erheblich höher. 3. Der Widerstand im deutschen Parlament gegen die UN-Konvention war bis zur Verabschiedung im Oktober 2003 anhaltend und politisch schwer verständlich. Das Bundesjustizministerium hätte gern rascher und offensiver entschieden. Noch immer ist die Konvention bei uns nicht ratifiziert. Hauptstolperstein ist der Amtsträgerbegriff. Warum dürfen Landtagsabgeordnete etwa im Saarland oder in Bremen Dinge tun, die Stadträten in München oder Köln bei Strafe verboten sind?7 Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschloss mit der Resolution 55/61 am 4. Dezember 2000, ein effektives internationales rechtliches Instrumentarium gegen Korruption zu schaffen. Zwei wichtige internationale Übereinkommen waren diesem Beschluss vorausgegangen: Erstens das OECD-Abkommen über die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997. In ihm wurde bei der Übernahme in deutsches Recht im Jahr 1998 (IntBestG) die aktive Bestechung ausländischer Amtsträger unter Strafe gestellt. International schließt der Amtsträgerbegriff die Abgeordneten ein. Diesem Gesetz folgend dürfen also auch ausländische Abgeordnete durch die Vertreter, Agenten, Subunternehmer deutscher Firmen nicht bestochen werden. Deutsche Abgeordnete haben aber immer noch einen anderen Rechtsstatus; sie dürfen straffrei bestochen werden oder bestechen. Eine Rechtsangleichung war seinerzeit zwar beabsichtigt, ist aber noch nicht erfolgt. Zweitens die Palermo-Konvention gegen transnationale organisierte Kriminalität, die für 94 Vertragsstaaten im September 2003 in Kraft trat. 7

Siehe Fußnote 4.

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Die UN-Konvention kann im Dezember dieses Jahres in Kraft treten, denn sie wurde inzwischen von 30 Mitgliedstaaten ratifiziert. Deutschland ist nicht darunter. Bei uns mangelt es vor allem an einer gültigen deutschen Übersetzung, die zusammen mit der Schweiz und Österreich zu formulieren und dann im Parlament zu verabschieden wäre. Man hört aus Österreich, dass die Zeit der Österreichischen EU-Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2006 genutzt werden soll, den Kampf gegen Korruption voranzutreiben. Vielleicht kommt diese Anstrengung auch der noch ausstehenden Übersetzung der Konvention zugute8. Die UN-Konvention ist das erste globale, völkerrechtlich bindende Instrument, das der Korruption weltweit Schranken setzen kann. Sie ist umfassender angelegt als andere internationale Übereinkünfte, die entweder regional oder hinsichtlich der erfassten Delikte beschränkt bleiben. Die Präambel der Konvention thematisiert die Gefahren der Korruption eindrücklich: die Sicherheit und Stabilität der Gesellschaften wird gefährdet, Einrichtungen und Werte der Demokratie werden aufs Spiel gesetzt und die Rechtsstaatlichkeit wird in Frage gestellt. Interessanterweise wird in der Konvention „Korruption“ nicht definiert, sondern in ihren verschiedenen Ausprägungen in allen gesellschaftlichen Bereichen beschrieben. Entsprechend detailliert werden die Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung ausgeführt. Das Haupthindernis für die deutsche Unterschrift unter die Konvention war die Tatsache, dass der Begriff „public officials“/„Amtsträger“ die Abgeordneten mit umfasst, während Deutschland darauf beharrt, dass Abgeordnete keine Amtsträger seien. Dies mag historisch sauber abgeleitet und juristisch begründet sein. Aber es ist weltfremd. Der bei uns verbotene Stimmenkauf hat noch zu keinem einzigen Verfahren geführt. Wenn auf der ganzen Welt in den besonders korrupten oder wenigstens nicht korruptionsfreien Systemen die gewählten Abgeordneten Bestandteile dieser fehlerhaften Systeme sind, dann kann doch nicht ausgerechnet in Deutschland der Fall anders liegen? Eine Berufung auf das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 ist keine hinreichende Begründung, zumal dann nicht, wenn es in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus eine Fülle von Fällen gegeben hat, aus denen sich genau dies ergibt: auch Abgeordnete sind bestechlich und können bestechen, wenn dies in ihrem Interesse liegt. Und man sollte sie dafür bestrafen können so wie jeden anderen Staatsbürger auch. Keinem vernünftig denkenden Menschen will im Übrigen einleuchten, dass zwar die Stadträte der deutschen Großstädte Amtsträger sind und mehr als einen Kugelschreiber und einen Taschenkalender als Geschenk nicht annehmen dürfen, die Abgeordneten des Landes Bremen aber, denen mög8 Österreich hat die Konvention trotz des ungeklärten Amtsträgerbegriffs 2006 ratifiziert.

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licherweise eine Entscheidung zum Hafenausbau versüßt werden soll, oder jene aus dem Saarland, wo es vielleicht um den Ausbau des Verkehrssystems, die Ansiedlung eines Industrieunternehmens oder das Universitätsklinikum geht, straffrei jede Wohltat genießen dürfen, die ein Anbieter sich nur ausdenken mag, wenn er ein Abstimmungsergebnis beeinflussen will9. Natürlich sind Bundestagsabgeordnete an die Entscheidungsstränge der Verwaltung in den Regierungen nicht direkt angeschlossen, aber ihr Einfluss auf die Exekutive ist natürlich nennenswert. Warum hätte Thyssen sonst, wie behauptet und noch nicht entschieden, eine Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium für das Panzergeschäft mit den Saudis zu „erwärmen“ gesucht? Auf dem alten „Amtsträger-Begriff“ beharren besonders eindringlich nach wie vor die Sprecher von CDU/CSU und FDP. Transparency International Deutschland hatte im August dieses Jahres an alle Parteivorsitzenden einen Brief geschrieben und um die Beantwortung einer Reihe von Fragen gebeten, die für die kommende Legislaturperiode bedeutsam sind. Auch in ihrer Antwort darauf halten CDU/CSU und FDP daran fest, dass Abgeordnete keine Amtsträger sind und man die UN-Konvention in der vorliegenden Fassung nicht ratifizieren könne. Wenn sich am Amtsträger-Begriff also die Geister scheiden, müssen vielleicht andere Wege gesucht werden, wie man die Abgeordneten bei Vorteilsannahme und -gewährung oder aktiver und passiver Bestechung zur Rechenschaft zieht. 4. Die UN-Konvention gegen Korruption ist ein riesiger Fortschritt zur Bekämpfung dieses weltweit verbreiteten gesellschaftlichen Übels, an dem die Industrieländer mindestens soviel Verantwortung tragen wie die Länder der Südhemisphäre. Die Industrieländer sollten sie jetzt rasch ratifizieren und die ihnen gebotenen Maßnahmen ebenso rasch einleiten. Die Konvention enthält im Bereich der politischen Korruption Bestimmungen, die durch die Vertragsstaaten implementiert werden müssen und solche, die nicht unmittelbar zur Umsetzung verpflichten, aber bezüglich einer angemessenen Umsetzung zu erwägen sind. Hinsichtlich des Amtsträger-Begriffs, mit dem sich der erste Abschnitt der Konvention befasst, gibt es keinen Zweifel, dass Deutschland hier tätig werden muss. Ähnliches gilt für den zweiten Abschnitt der Konvention, der sich mit Prävention befasst. Hier ist Artikel 8 von Bedeutung, der Verhaltenskodizes für Amtsträger regelt, die öffentlichen Aufgaben korrekt, redlich und ordnungsgemäß wahrzunehmen. Zur Gewährleistung dieser Ansprüche wird den Amtsträgern aufgegeben, mögliche Interessenkonflikte zu deklarieren und deshalb Angaben zur Einkommens- und Vermögenssituation zu machen, wie sie 9

Siehe Fußnote 4.

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etwa in den USA üblich sind. Auch Sanktionen sollen dort normiert sein. Derzeit erfüllt Deutschland diese Anforderungen höchstens ansatzweise. Transparency International wird seine Anstrengungen gegenüber der neu zu bildenden Bundesregierung verstärken, die Konvention rasch zu ratifizieren und hinsichtlich des Amtsträger-Begriffes eine realistische Lösung vorzuschlagen. Schon bei den Beratungen zwischen 2001 und 2003, als ein Unterausschuss die Konvention erarbeitete, war Deutschland mit seiner Position isoliert. Außenpolitisch und auch wirtschaftspolitisch wäre es sehr schädlich, wenn Deutschland sich aus dem allgemeinen Geleitzug abkoppelte. Es gibt zwei weitere Punkte, in denen die Konvention über das hinausgeht, was in Deutschland derzeit für Abgeordnete geregelt ist. Der erste betrifft „trading in influence“ – Artikel 18 der Konvention –, also das Ausnutzen von Einflussmöglichkeiten, um ein bestimmtes Verhalten zu erreichen. Diese Überlegungen kommen der Definition von Korruption nahe, die Transparency International benutzt: Korruption ist das Ausnutzen anvertrauter Macht zum persönlichen Nutzen oder Vorteil. Dies könnte nach geltendem deutschen Recht bei Amtsträgern als strafbarer Amtsmissbrauch behandelt werden, würde aber auch dort nicht für Abgeordnete gelten. Hier muss also auch gehandelt werden. – Der zweite Punkt ist das „illicit enrichment“, also der nicht erklärbare Vermögenszuwachs bei Politikern. Artikel 20 der Konvention bewertet dies bei public officials als strafbares Unrecht, wenn die Betroffenen nicht in der Lage sind, den Vermögenszuwachs im Verhältnis zu ihrem rechtmäßigen Einkommen plausibel zu erklären. Auch hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, um den Politikern klar zu machen, dass sie öffentlich Rechenschaft schuldig sind, wie sie ihr Vermögen erworben haben; sie müssen deshalb eine gesetzliche Grundlage schaffen, durch die Transparenz hergestellt wird. De mortuis nil nisi bene, aber: es bleibt doch erstaunlich, dass ein ehemaliger Studienrat, selbst wenn er viele Jahre Ministerämter innehatte und schließlich Ministerpräsident war, seinen drei Kindern ein Millionenvermögen hinterlassen konnte 5. Deutschland muss die gesetzlichen Grundlagen, in denen die Abgeordnetenbestechung geregelt ist, verändern. Außerdem müssen die Verhaltensrichtlinien des Parlaments weiter verschärft werden. Die Veröffentlichungspflichten sind auszuweiten. Einen „gläsernen Abgeordneten“ wird niemand fordern. Aber für die Öffentlichkeit muss klar sein, ob jemand im Hauptberuf Abgeordnete(r) ist oder ob er beruflich auf zwei Schultern trägt und statt für das Allgemeinwohl für spezielle Interessen tätig ist. Wenn Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert, wozu es jetzt verpflichtet ist, dann besteht kein Zweifel, dass bestimmte

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Vorschriften im Abgeordnetengesetz verändert werden müssen. Vor allem der Paragraph 108e StGB muss verändert werden. Derzeit beschränkt sich die deutsche Regelung auf den sehr engen Tatbestand des Stimmenkaufs und -verkaufs vor öffentlichen Abstimmungen. Hier weiß jeder auch nur einigermaßen Bewanderte, dass so ein Fall praktisch nie vorkommen wird. Viel wichtiger sind die Beeinflussungen im Vorfeld von Abstimmungen, aber auch die sogenannten „Dankeschön“-Spenden. Auch Vergünstigungen, die Verwandten zugute kommen, sind im heutigen Gesetz nicht strafbewehrt. Ganz zu schweigen von der Ungleichbehandlung ausländischer und deutscher Abgeordneter. So bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesjustizministerin, die vermutlich mit der derzeit amtierenden identisch ist und die diese UN-Konvention sehr unterstützt hat, die Ratifikation durch Deutschland zügig in die Hand nehmen wird. In der Öffentlichkeit sollen dann Veranstaltungen wie die heutige und Organisationen der Zivilgesellschaft, aber auch die Oppositionsparteien Druck machen, damit eine Regelung zustande kommt, die Deutschland im Hinblick auf die politische Korruption endlich eines besseren belehrt: Wir brauchen die volle Transparenz bei Interessenkonflikten der Parlamentarier und wir brauchen wirkungsvolle Sanktionen, damit sich niemand mehr durchmogelt. Denn bestechliche Abgeordnete schaden nicht nur sich selbst und ihren Parteien, wenn die Skandale aufgedeckt werden; sie schaden dem Ansehen der Demokratie insgesamt. Sie untergraben unser aller Vertrauen in das Gemeinwesen, weil wir nicht mehr annehmen dürfen, dass unsere Anliegen bei den Gewählten in guten Händen sind.

Podiumsdiskussion: „Mehr Zivilcourage durch verbesserten Schutz von Whistleblowern?“ Mit Winfried Maier, Hans-Peter Martin und Hans-Martin Tillack Von Arnim: Whistleblower sind Personen, die auf Missstände und Fehlentwicklungen aufmerksam machen, die bisher nicht bekannt sind. Solche Whistleblower sind für die Bekämpfung der Korruption besonders wichtig, denn Korruption ist ja bekanntlich ein Missstand, von dem regelmäßig nur die Spitze des Eisbergs bekannt wird. Kaum irgendwo sonst ist die Dunkelziffer derart hoch wie bei Korruption, und das liegt wiederum daran, dass Korruption ein sogenanntes opferloses Delikt ist. Es gibt jedenfalls kein konkretes Opfer, das etwa als Leiche irgendwo herumliegt, oder als Verletzter oder Betrogener Anzeige erstatten könnte. Das Opfer ist vielmehr die Allgemeinheit, etwa die Steuerzahler und Konsumenten oder auch das Vertrauen in die Rechtsordnung insgesamt. Die zum Schutz dieser Rechtsgüter der Allgemeinheit berufenen Organe der Polizei, Staatsanwaltschaft bis hin zu den Medien wissen eben typischerweise gerade nichts von den zahlreichen Korruptionsfällen, die irgendwo unter der Decke schwelen. Deshalb ist es so wichtig, dass Personen, die die Interna kennen und deshalb über Korruptionssachverhalte Bescheid wissen, oder jedenfalls Verdachtsmomente kennen, ihre Kenntnisse von innen heraus den Verfolgungsbehörden oder auch der Öffentlichkeit mitteilen und so die Bekämpfung der Korruption erleichtern. Das ist allerdings, das wird auf diesem Podium sicher noch deutlicher werden, für die Betreffenden oft nicht leicht, oft besteht hier ein gewisser Korpsgeist, oft ist die sogenannte Amtsverschwiegenheit auch gesetzlich vorgeschrieben, das heißt der Whistleblower muss eine Gesetzesverletzung in Kauf nehmen. Es gibt also eine ganze Reihe von Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen: welche Formen, welche Fälle von Whistleblowing kennen wir, ist Whistleblowing überhaupt schützenswert, und wenn ja, in welchen Fällen, und wie kann dann vor allen Dingen ein wirksamer Schutz aussehen. Hier auf dem Podium sind Persönlichkeiten, die direkt oder indirekt mit dem Thema Whistleblowing zu tun haben. Hans-Peter Martin ist dadurch besonders bekannt geworden, dass er mit versteckter Kamera Abgeordnete im Europäischen Parlament in Brüssel und Straßburg dabei gefilmt und auch tonmäßig aufgenommen hat, wie sie, ich

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sage es mal ganz platt, Spesenreiterei betrieben haben, und zwar in großem Stil. Diese Aufnahmen wurden dann auch vom Fernsehen, etwa von Stern TV und anderen Sendern, immer wieder veröffentlicht, so dass es eine recht hitzige Diskussion gab, er wird darüber selbst noch einiges sagen. Neben mir Winfried Maier, der Staatsanwalt in Augsburg war, und dort bei bestimmten Ermittlungen nicht locker gelassen hat, was schließlich zur Veröffentlichung der CDU-Spendenaffäre um Kohl und andere geführt hat. Es ist ihm aber wohl nicht wirklich gelohnt worden, Sie werden ja darüber auch noch sprechen. Herr Tillack ist Redakteur beim Stern. Er war investigativer Journalist in Brüssel, hat eine ganze Reihe von Dingen aufgedeckt und im Stern veröffentlicht. Plötzlich wurde er mit einem überraschenden Verfahren von OLAF überzogen, seine Räume durchsucht und er selbst für kurze Zeit festgesetzt. Das Verfahren läuft noch, aber auch da ist die Frage, ob das Imperium zurückgeschlagen hat. Ich darf jetzt vielleicht die drei Herren auf dem Podium um ein kurzes, vielleicht fünfminütiges Statement zu dieser Themenfrage „Warum ist Whistleblowing schützenswert? Und wie kann ein solcher Schutz aussehen?“ bitten, und dann die Diskussion eröffnen. Herr Martin, bitteschön. Hans-Peter Martin: Ja danke. Wenn es sieben Minuten werden, so dann deshalb, weil ich mich die erste Minute eigentlich bedanken möchte. Ich denke, das, was hier abläuft und was Sie hier zu Wege gebracht haben, ist außergewöhnlich, auch für jemanden wie mich – Ich war 15 Jahre beim Spiegel und bin für sechs Jahre im Europäischen Parlament – äußerst aufschlussreich und hilfreich und ich wünsche auch Ihnen als Teilnehmern, dass Sie viel mit nach Hause nehmen können. Als ich von Herrn Prof. von Arnim eingeladen wurde, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, ging es mir gerade nicht gut. Und ich habe dann im Fernsehen spät nachts einen Film gesehen, und dann ging es mir viel besser. Warum ging es mir nicht gut? Weil ich gerade am Ende der fünf E’s angelangt war, die, glaube ich, das Whistleblowing begleiten. Ich denke, es geht um die Entscheidung es zu tun, dann die Enthüllung selbst, die darauf folgende Einschüchterung, danach die Enttäuschung und am Schluss das Ergebnis. Der Film, den ich da nachts in der ARD gesehen habe, machte mir plötzlich sehr klar, dass es gar nicht um den einzelnen Menschen geht, der da hineingeraten ist, den einzelnen Whistleblower, sondern ich glaube, dass es ein System ist. Darum habe ich auch gebeten, als Erster sprechen zu dürfen, weil ich auf die Reaktion der nachfolgenden Redner sehr gespannt und neugierig bin, ob sie diese Einschätzungen teilen. Als Whistleblower wird man nicht geboren. Da muss irgendwie was in einem vorgehen. Bei mir war es die Tatsache, dass ich wirklich mit einer Mischung aus eigener Überschätzung, Naivität, aber auch Idealismus in die

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Politik gegangen bin. In der Tat glaubte ich, dass die Europäische Union zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine historische Chance hat, viele Fehler nicht zu machen, die anderswo gemacht worden sind, und dass wir eben zu dem, was man den europäischen Traum nennen kann, finden können. Ich habe geglaubt, dass das innerhalb der Sozialdemokratie am leichtesten möglich wäre, war Spitzenkandidat bei der Europawahl 1999 in Österreich. Wir haben gewonnen und danach kam ich aus dem Staunen nicht raus. Ich gehöre zu den Abgeordneten, die deutlich mehr Geld hatten, als sie in die Politik gingen. Aber das war mir eben auch nicht wichtig. Ich habe jedoch gesehen, dass es bei vielen Kollegen anders läuft, gleichzeitig aber auch kein entsprechendes Unrechtsbewusstsein existiert. Und immer mehr sind in mir zwei Sätze gereift. Satz 1: Der schlechte Ruf der Politik besteht völlig zu unrecht. Satz 2: Die meisten davon sind in Wirklichkeit noch viel schlimmer. Darauf gibt es dann drei unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten. Entweder: „Dafür kann ich nicht einstehen, also gehe ich.“ Oder: „Ich tue etwas dagegen.“ Oder: „Ich mache mit.“ Die letzte Option ist für mich jedenfalls ausgeschieden. Wäre ich gegangen, hätte sich mir die Möglichkeit geboten, als Redakteur bei DIE ZEIT zu arbeiten. Ich habe mich aber entschieden, zu bleiben und etwas gegen die Missstände zu unternehmen. Will man nun aber ein bestimmtes Ergebnis erreichen, so ist überlegtes, professionelles Vorgehen entscheidend. Das heißt, ich habe mich mit Anwälten beraten, ja, ich habe jahrelang daran gearbeitet, bestimmte Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen, und da war ein dringender anwaltlicher Rat „Du musst dich schützen für das, was auf dich zukommen wird. Und im Falle eines Gegenangriffs musst du Beweise vorlegen können.“ So kam es aus einer Notwehr heraus zum Filmen. Ich säße heute ganz sicherlich nicht hier, sondern vermutlich ganz woanders, wenn eben nicht Filmaufnahmen gemacht worden wären, die natürlich dann später kriminalisiert worden sind von der anderen Seite. Wenn es dann zur Enthüllung kommt, so trifft es jemanden, auch wenn er selbst im Journalismus war wie ich, immer noch unerwartet in der Heftigkeit. Damit meine ich das hochkommende Medieninteresse einerseits, aber natürlich auch die Gegenreaktion. Vor 150 Journalisten und 25 Fernsehkameras zu sitzen hat eine ganz eigene Dynamik, und natürlich besteht auch die Gefahr, in eine gewisse Euphorie hineingezogen zu werden, auch in dem Glauben, jetzt werde sich tatsächlich etwas ändern. Umso dramatischer ist dann natürlich die sofort einsetzende Gegenphase der Einschüchterung. Ich glaube, es gibt ein Muster: Die, die angegriffen werden, die, die etwas zu verbergen haben, die, die von Missständen profitieren – ich habe das Wort Korruption kein einziges Mal verwendet – sind durch Regeln, die die sich selbst gegeben haben, abgesichert. Sie, Herr Prof. von Arnim, kritisieren dies als strukturell falsch. Auch die Bemerkung, die Sie gestern Abend gemacht haben, betrifft diese Situation: „Wer kontrolliert

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die Kontrolleure?“. Sie – in diesem Fall die Abgeordneten – kontrollieren sich selbst, und natürlich auch das Parlament in Brüssel. Und das anzugreifen, hat sofort dazu geführt, dass man mit sehr massiven Mitteln versucht hat, aus mir den Betrüger zu machen. Die Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF wurde in Stellung gebracht. Es hat anonyme Anzeigen gegeben, und plötzlich gab es tatsächlich gegen meine Person eine Anzeige bei der österreichischen Staatsanwaltschaft wegen Verdachts des schweren Betruges. Dahinter stand, dass Mitarbeiter, die im Jahr 2004 noch für mich tätig waren, noch nicht endabgerechnet waren, das war es auch schon. Und die Anzeige richtete sich dann allenfalls gegen diese Mitarbeiter, aber in der Öffentlichkeit wurde dies so aufgenommen, als sei ich der Verantwortliche. Solche Reaktionen sind doch gerade das Problem der Whistleblower und nicht das, was er da öffentlich gemacht hat. In einer solchen Situation muss man guten familiären Rückhalt und auch gute Nerven haben, um das durchzustehen, weil gleichzeitig versucht wird, die Angelegenheit totzuschweigen. Die Geschichte ist durch, es ist nicht mehr eine große Sache für die Titelseite der Bild-Zeitung. Leider, das muss ich in diesem Raum sagen, ist der SPIEGEL weit davon entfernt, noch ein Sturmgeschütz der Demokratie zu sein, das heißt die potentiellen Partner für Whistleblower in der Öffentlichkeit sind sehr reduziert. Ich denke, dass die Kontrolle seitens der Öffentlichkeit in dieser Republik abgenommen hat, und ich sehe hier eine direkte Relation zur Zunahme der Korruption in den letzten 10 oder 15 Jahren. Dies führt dann automatisch in die Phase der Ernüchterung und letztendlich dann zur Enttäuschung. Was hat es alles gebracht? Warum hat man sich das angetan? In meinem Fall würde ich sagen, es ist schon gut so. Immerhin sind bestimmte Extrempraktiken eingestellt worden. Die Reisekosten werden, zumindest ab 2009, nach tatsächlichen Kosten abgerechnet. Gerade in dieser Woche hatten wir einen Beschluss des Parlaments, dass immerhin 20 Mio. Euro, die wirklich nicht gebraucht werden, bei den Steuerzahlern belassen werden. Insoweit kann man seine eigene Situation dann doch schon rationalisieren. Aber unterm Strich wüsste ich nicht, ob ich es noch mal täte, und so war ich dann gerade, weil das Ergebnis ein – wie ich fand – dürftiges war, sehr ernüchtert. Dann gab es diese Nacht, in der ein großes Porträt, über eine Person, ausgestrahlt wurde, die mir bisher zu diesem Zeitpunkt leider gar nicht bekannt war. Ich war sehr beeindruckt, mit welcher Standhaftigkeit und Klarheit sich dieser Mann im Film präsentierte und seine Sache bearbeitet hatte. Diese Person war der Oberstaatsanwalt Maier, und es hat mir sehr imponiert und neue Kraft gegeben, und darum freue ich mich, hier mit Ihnen sitzen zu können und mit Ihnen diskutieren zu können. von Arnim: Vielen Dank, Herr Martin. Es gehört ja vielleicht noch zu Ihrer Geschichte dazu, dass Sie dann, als Sie fraktionsintern von Ihrer SPÖ-

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Fraktion gemobbt wurden, selbst in die Offensive gegangen sind und beim Europawahlkampf im Jahr 2004 dann zusammen mit Kollegen erfolgreich über eine freie Liste für das Europaparlament kandidiert haben und jetzt im Parlament sitzen. Das zeigt ja, dass man auch in die Offensive gehen kann. Zum Begriff Korruption: Wenn man unter Korruption Missbrauch einer Machtstellung zum persönlichen Vorteil versteht, dann kann ja auch das Entscheiden des Parlaments in eigener Sache Korruption sein, wenn missbräuchliche Regelungen beschlossen werden und Spesenreiterei betrieben wird. Missbrauch einer Machtstellung zum eigenen Vorteil, man nennt das in der Literatur Autokorruption. Also auch das könnte dann unter den Korruptionsbegriff fallen. Herr Maier, Sie haben schon ein Stichwort gekriegt, darf ich Sie um Ihr Statement bitten. Dr. Winfried Maier: Wie kann man Whistleblower besser schützen? Hilft uns der Blick in den angloamerikanischen Rechtskreis? Lösen Diskriminierungsverbote, ein spezieller Kündigungsschutz, interne Vertrauensleute in der öffentlichen Verwaltung oder in Betrieben oder Anreizsysteme die Probleme? All diese Überlegungen klingen wenig wirkungsvoll und können mich nicht überzeugen. Der Kündigungsschutz bewahrt nicht vor Mobbing. Innerbetriebliche Vertrauensleute sind meist Vertraute der Vorgesetzten, von denen sie bezahlt werden (huius regio, eius religio), oder Mitarbeiter, die sonst schwer im Betrieb oder der Verwaltung einzusetzen sind. Anreizsysteme, d. h. Beteiligung des Whistleblowers an den strafrechtlich abzuschöpfenden Bestechungszahlungen sind weder wirklichkeitsnah noch moralisch wünschenswert. Warum erscheinen die beispielsweise in den USA angewandten Methoden bei uns so realitätsfern? Die Antwort liegt bereits in der Bezeichnung „Whistleblower“. Wir haben dafür keinen deutschen Ausdruck. Während der Whistleblower im englischen Sprachraum jemanden bezeichnet, der Alarm schlägt, also positiv besetzt ist, ist der Whistleblower ins Deutsche übersetzt ein Nestbeschmutzer – so jedenfalls wurde ich in einer Presseüberschrift bezeichnet. In Deutschland ist der Whistleblower also ein Denunziant, ein Verräter oder ein – um auf Vorwürfe gegen meine Person zurück zu kommen – illoyaler Mitarbeiter. Der Whistleblower verdient damit als Geächteter keinen Schutz. Er bewegt sich vielmehr am Rande der Strafbarkeit wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses, des Betriebs- oder Steuergeheimnisses oder ihm werden zumindest beängstigende Schadensersatzforderungen angedroht. Dieser kleine Ausflug in die Wortkunde zeigt das Dilemma auf. Unsere Gesellschaft und jeder einzelne von uns ist nicht reif für ein Whistleblowing. Wir erkennen nicht, dass der Whistleblower Alarm schlägt, um Korruption oder zumindest Fehlentwicklungen zu verhindern oder einzudämmen.

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Warum ist das so? Dies liegt darin begründet, weil auch der, der korruptives Verhalten entdeckt, letztlich so denkt, wie sein korruptiver Vorgesetzter, nämlich was bringt ein Whistleblowing für mich. Die Antwort ist auch hier einfach – nichts, Ende der Karriere, Anfeindung, Ausgrenzung, Schadensersatzdrohungen. Sein vielleicht widerstrebendes Gewissen beruhigt er mit dem Hinweis, gegen die da oben komme ich ohnehin nicht an. Ist die Zivilcourage damit nichts für uns, führt sie in die Sackgasse? Diese Frage ist dann und nur dann zu bejahen, wenn jeder seine Situation nur am eigenen materiellen Gewinn misst, wenn sowohl der Korrupte als auch der mögliche Whistleblower fragen, was bleibt mir. Diese düsteren Gedanken sollen und können jedoch nicht entmutigen. Sie sollen uns nur klar vor Augen führen, dass Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Zivilcourage sich nicht orientieren dürfen am Wertesystem des persönlichen Vorteils. Gemessen an diesem Wertesystem ist der Schutz der Zivilcourage weder ethisch überlegen, noch kann dieser Schutz in diesem Wertesystem bestehen oder tatsächlich Schutz bieten. Der Whistleblower muss also berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Nur dann ist er glaubwürdig, nur dann ist er überlegen, nur dann kann er die Gesellschaft überzeugen. Ist Zivilcourage damit nur etwas für Helden? Ich hoffe nicht. Denn mit Berthold Brecht bin ich überzeugt, weh dem Land, das Helden nötig hat. Zivilcourage stellt keine überhöhten Anforderungen. Sie verlangt nur Mut und ein der Gemeinschaft – nicht sich selbst – verpflichtetes Gewissen. Kann man aber von jedem Mut fordern? Selbstverständlich, oder ist es nicht mutig, mit 230 km/h über die Autobahn zu rasen oder gefährliche Sportarten auszuüben? Mut zur Selbstgrenzenerfahrung führt jedoch zu politischer und gesellschaftlicher Mutlosigkeit. Ist dies nicht vielfach bezeichnend für unsere Gesellschaft? Also Mutpotential ist ausreichend vorhanden, nur die Zielrichtung ist oft ohne Orientierung. Ein der Gemeinschaft – nicht sich selbst – verpflichtetes Gewissen – trifft man das heute noch an? Selbstverständlich, der Durst nach gemeinschaftsbezogenen Werten ist groß – das sollte man nicht nur bei Papstbesuchen erkennen. Wir haben nur manchmal die Richtung verloren, wenn wir Grundrechte nur als Freiheitsrechte des einzelnen wahrnehmen und nicht erkennen, dass echte Freiheit nur als Freiheit durch den anderen, durch die Gemeinschaft gelingt. Zurück zur Ausgangsfrage, Zivilcourage kann sich demnach nur entfalten, wenn wir Mut und verantwortungsbewusstes, gemeinschaftsbezogenes Handeln als Gegenpol zu eigennützigem Denken fördern. Fördern wir also den Mut durch externe Beratungsstellen (z. B. Korruptionsbeauftragte).

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Denn der Mut ist gefährdet, weil der Whistleblower sich in einer extremen Zwangslage befindet. Er setzt seine berufliche Existenz aufs Spiel. Dies ist – insbesondere wenn er Familie hat – gerade bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation nicht einfach. Eine professionelle Beratung kann diese Zwangslage des Whistleblowers abmildern oder abbauen – wir kennen dies auch in anderen Bereichen (z. B. Schwangerenberatung). Die Beratungsstelle hilft nicht nur, die psychische Zwangslage zu entkrampfen. Der Whistleblower kann auch das taktische Vorgehen (z. B. Einsatz oder Sammeln von Beweisen) und die Erfolgsaussichten seines Vorhabens besprechen. Schließlich gibt es einen helfenden Mitwisser. Fördern wir den Mut, indem wir die Kapazitäten zur Korruptionsermittlung ausbauen. Denn nur dann kann der Whistleblower darauf vertrauen, dass seinem mutigen Hinweis auch nachgegangen wird und er nicht im Regen stehen bleibt. Fördern wir also ein verantwortungsbewusstes Gewissen durch Veranstaltungen wie diese Tagung der Uni Speyer, durch Presseberichte über beispielgebendes Verhalten von Whistleblowern – nicht der Skandal, die schlechten Nachrichten, sondern die mutige Aufklärung des Skandals ermuntert uns und zeigt, dass jeder einzelne von uns auch Möglichkeiten besitzt, die Lage zum Besseren zu wenden. Fördern wir ein gemeinschaftsbezogenes Gewissen, indem die Volks- und Betriebswirtschaftslehre, die Sozial- und die Rechtswissenschaft den Nutzen des Whistleblowings herausstellt. Erst wenn diese gesellschaftliche Überzeugung zu keimen beginnt, lassen sich rechtliche Diskriminierungsverbote auch tatsächlich wirkungsvoll umsetzen. Auch wenn ich nicht von der Tankstelle komme, ist eines klar: es gibt viel zu tun, packen wir’s an! Von Arnim: Vielen Dank, Herr Maier, für Ihren von großem Ernst getragenen Appell zum Gewissen, zum Mut, zum Aufstand der Zivilcourage gegen interne Kumpanei, wie ich es mal vielleicht zusammenfassen möchte. Das gehört alles auch in den Zusammenhang der gestrigen Dinner Speech, die Sie ja auch erwähnt haben, unter der Überschrift Korruption und Moral. Vielen Dank. Hans-Martin Tillack: Zunächst einmal: Ich bin auf dieses Podium geraten, obwohl ich selbst kein Whistleblower bin. Ich bin Journalist, und insofern ist es für mich eine sich aus dem Beruf ergebende Pflicht, das zu tun, weswegen viele Whistleblower massiven Ärger bekommen haben, ja Ihre Karriere riskiert haben. Journalisten werden dafür bezahlt auszuplaudern, was einige gerne geheim halten würden. Whistleblower werden dafür bestraft. Das ist ein großer Unterschied. Trotzdem gibt es einige Berührungspunkte. Und das ist vielleicht der Grund, warum ich hier eingeladen bin.

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Ich war fünf Jahre stern-Korrespondent in Brüssel und habe mir dort ebenfalls öfter sagen lassen müssen, ich würde zu viel ausplaudern. Brüssel funktioniert anders als die Politik in Berlin oder Paris oder London. In Brüssel regiert seit 1958 eine übergroße europäische Koalition, es gibt keine Opposition im Parlament und es gibt ein großes Tabu-Thema: Das ist der Betrug mit EU-Geldern. Selbst viele meiner deutschen Korrespondentenkollegen haben mir immer wieder gesagt, man solle über Betrug lieber nicht so oft schreiben. Denn das schade Europa. Viele meiner Korrespondentenkollegen haben mir ganz offen gesagt, dass sie gerne für die Institutionen der EU werben wollen. Vielleicht drückten sie es etwas vornehmer aus: Sie wollten für Europa werben. Aber weil Europa keine bloße Chimäre im Reich der Ideen ist, sondern ein politischer und bürokratischer Machtapparat, machen diese Kollegen PR-Arbeit für diesen Apparat. Man sieht es jeden Tag vielen Artikeln an, die man in deutschen Tageszeitungen aus Brüssel liest. Ich habe versucht das zu vermeiden. Ich habe auch über die Dinge geschrieben, die in Brüssel schief gehen – nebenbei gesagt: Anders kann man für ein Magazin wie den stern überhaupt nicht arbeiten. Und anders habe ich auch zuvor als Redakteur von taz und stern in Berlin und Bonn nicht gearbeitet. Aber in Brüssel hat mir das viele Anfeindungen von Kollegen eingetragen – und schließlich auch Attacken der Brüsseler Bürokratie selbst. Die EU-Kommission hat mir gegen Ende meiner Korrespondentenzeit die Polizei ins Haus geschickt. Der Chef der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf hatte eine Razzia empfehlen und auf „Dringlichkeit“ pochen lassen – weil ich angeblich dabei sei, nach Washington umzuziehen. Das war die Unwahrheit, wie so vieles, was Olaf-Chef Franz-Hermann Brüner – übrigens ein ehemaliger deutscher Oberstaatsanwalt – zu diesem Fall von sich gegeben hat. Trotzdem hatte ich es leichter als viele Whistleblower. Ich geriet nicht in Konflikt mit meinem eigenen Arbeitgeber. Der stern hat mich immer unterstützt und tut es bis heute, indem er die Klagen finanziert, die wir gegen die EU-Kommission und das Königreich Belgien bei den beiden höchsten europäischen Gerichten eingereicht haben. Ich habe nicht meinen Job riskiert. Ich hatte Glück. Allerdings hat das so genannte Betrugsbekämpfungsamt der EU-Kommission versucht, meinen Ruf zu ruinieren in dem es mich öffentlich der Bestechung bezichtigte – kaum eine Beschuldigung kann einen Journalisten, der über Korruption schreibt, härter treffen als diese. Ich war nicht der erste Journalist, den die Brüsseler Behörden versucht haben mundtot zu machen. Schon 1999 verbreitete die Kommission über einen Luxemburger Journalisten, der der Behörde zu schaffen machte, er sei ein Rechtsradikaler. Ein Kommissionssprecher notierte Anfang 1999,

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man müsse investigative Journalisten von anderen Kollegen isolieren und dabei „Freunde“ der Kommission im Pressecorps als „mögliche Bündnispartner benutzen“. Auch in Deutschland haben wir in den vergangenen Monaten eine Menge Presseschelte gehört. Aber in Brüssel ist die Aversion gegen kritische Berichterstattung besonders stark – und das aus leicht nachzuvollziehenden Gründen: Die, die in Brüssel die Macht haben, sind Kritik nicht gewohnt. Es gibt eben keine parlamentarische Opposition. Die Presse – siehe oben – frisst den EU-Beamten und EU-Abgeordneten oft aus der Hand. Die Folge ist eindeutig: Die Brüsseler Regenten reagieren auf Kritik wie verwöhnte Kinder. Sie schlagen leicht um sich. Auf diese Weise kommt man auch als Journalist unter Umständen in eine Situation, die zumindest in einigen Aspekten der Erfahrung von Whistleblowern ähnelt. Normalerweise haben wir Journalisten insofern mit Whistleblowern zu tun, als sie wichtige Quellen für unsere Arbeit sind. Wir sind dankbar für ihre Informationen. Sie profitieren, wenn sie Glück haben, von der öffentlichen Unterstützung, die die Presse zumindest kurzzeitig bieten kann – bis der Medienzirkus seine Zelte woanders aufschlägt und der Whistleblower feststellen muss, dass er unter Umständen doch wieder alleine ist. Aber nie zuvor hatte ich so häufig mit Whistleblowern zu tun wie in Brüssel. Viele traf ich unter geradezu konspirativen Bedingungen – zum Beispiel spät in der Nacht in ihrer Wohnung. Gerade weil andere Kontrollmechanismen kaum greifen, ist es in den EU-Apparaten oft der einzelne Beamte, der die Alarmglocke läutet. Einige sind berühmt geworden, aber viele hatten massiv zu leiden, verloren ihre Gesundheit und ihre Stelle. Paul van Buitenen sitzt heute im Europaparlament. Aber die kritische Rechnungsführerin Marta Andreasen wurde von der deutschen Kommissarin Michaele Schreyer – einer Grünen-Politikerin – gefeuert. Dabei war klar, dass Andreasen mit ihrer Kritik recht hatte. Sie wies darauf hin, dass die Buchführungssysteme der Kommission notorisch unzuverlässig und offen für Betrug seien. Genau das gleiche hatte der Europäische Rechnungshof jahrelang vergebens angemahnt. Einer, der Andreasen unterstützte, war der damalige Brüsseler Chefinnenrevisor Jules Muis. Er war Vizepräsident bei der Weltbank und verließ die Kommission im vergangenen Frühjahr vorzeitig, nachdem man seine Vorschläge für eine bessere Kontrolle der EU-Finanzen immer wieder abgelehnt hatte. Ein hoher Beamter drohte Muis ganz offen: „Wir wissen, wie man Leuten wie Ihnen das Genick bricht.“ Die dänische Beamtin Dorte Schmidt-Brown, deren Protest 2002 den Eurostat-Skandal auslöste, wurde für invalide erklärt. Nachdem sie herausgefunden hatte, dass ihr Vorgesetzter in Betrugsmanöver verwickelt war und sie protestierte, wurde sie Stück für Stück isoliert. Sie fand ein spre-

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chendes Bild für ihre Erfahrungen: Es sei, als sitze man auf einer Eisscholle, die sich langsam vom Packeis löse. Langsam werde einem klar, dass man allein sei – und dass es keinen Weg zurück gebe. US-Forscher wie der Politikprofessor C. Fred Alford von der Universität Maryland haben die Motive von Whistleblowern untersucht und die Ergebnisse decken sich mit meinen Erfahrungen. Whistleblower sind keine Zyniker. Denn Zyniker rufen nicht den Alarm aus. Whistleblower sind im Gegenteil Menschen, die wollen, dass ihre Werte auch an ihrem Arbeitsplatz beachtet werden – auch um den Preis ihrer Karriere. Mit am Erstaunlichsten beim Thema Whistleblowing ist die Tatsache, dass wir dafür kein deutsches Wort haben. Selbst die Niederländer haben dafür einen Ausdruck: Klokkenluider – Glockenläuter. Wir nicht. Es liegt wahrscheinlich in der autoritären Traditionslinie der deutschen Geschichte begründet, dass wir uns oft schwer tun mit Leuten, die ausscheren. Marta Andreasen wurde von einer Brüsseler Korrespondentin angegriffen, sie habe ihre Beamtenpflicht der Loyalität verletzt. Die meisten deutschen Medien berichteten erst nach Monaten – wenn überhaupt – über Andreasens Fall – obwohl oder weil eine deutsche Kommissarin involviert war. Diese Kultur muss sich ändern. Denn indem sie auf Missstände hinweisen, leisten Whistleblower einen Dienst für die Allgemeinheit. von Arnim: Vielen Dank, Herr Tillack, für Ihren Bericht aus Brüssel und über Ihre spezielle Situation. Wir haben also zwei Podiumsteilnehmer, die aus Brüssel berichten. Wir hätten sogar, wenn Paul van Buitenen nicht kurzfristig hätte absagen müssen, drei. Van Buitenen war derjenige, der korruptive Machenschaften in der Santer-Kommission aufdeckte, zunächst intern im öffentlichen Dienst der Europäischen Union dagegen vorgehen wollte und dann, als das nicht ging, an die Öffentlichkeit trat. Auch ein weiterer Podiumsteilnehmer, Herr Klaus Förster, musste leider wegen einer schweren Erkrankung kurzfristig absagen. Er hatte seinerzeit den FlickSkandal als Steuerfahnder aufgedeckt und auch als er zurückgepfiffen werden sollte nicht nachgelassen. Wir wären also sogar hier zu Fünft auf dem Podium gewesen. Weil das nicht der Fall ist, lassen Sie mich ganz kurz aus eigenem Erleben auch noch einen Fall von Whistleblowing schildern. Es war 1991, als ich den Hamburger Diätenskandal aufdeckte. Das bestand eigentlich nur darin, dass ich einen Paragraphen eines Gesetzentwurfs dechiffrierte. Er war völlig unverständlich, und aus ihm ergab sich dann, dass Fraktionsvorsitzende und der Parlamentspräsident des Hamburger Parlaments in ganz kurzer Zeit eine Riesenpension bekommen sollten, obwohl in der Hamburger Verfassung noch stand, dass das dortige Amt eines Parlamentariers ein Ehrenamt sei. Da wogte die öffentliche Diskussion hin und

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her. Das Parlament hat dann rasch nach dieser Kritik gesagt, dann ändern wir eben die Verfassung und streichen das Wort Ehrenamt. Bis mich ein Mann aus der Hamburger Verwaltung abends, 22 Uhr, anrief und sagte, mein Großvater war in der SPD, mein Vater war in der SPD und ich bin in der SPD. (Das war die dort seit langer Zeit herrschende Regierung. Voscherau war damals Bürgermeister in Hamburg.) Aber ich kann es mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren, muss Ihnen das sagen. Gucken Sie sich doch mal – das war 1991 – das Gesetzgebungsverfahren vier Jahre vorher von 1987 an. Und dann habe ich mir das gleich angeguckt und festgestellt, dass das Senatorengesetz als das dortige Ministergesetz geändert worden war, und genau die Versorgung, die jetzt die Fraktionsvorsitzenden und Parlamentspräsidenten bekommen sollten – nämlich nach ganz kurzer Zeit eine Riesenpension für Senatoren – vier Jahre vorher beschlossen worden war, und zwar in einem Camouflage-Verfahren, in dem das ganze Gesetzgebungsverfahren nur zwei Stunden dauerte – Unterausschuss, Ausschuss und Plenum, das Plenum gleich zwei Mal. Das Parlament insgesamt – nur die Grünen waren dagegen gewesen – hatte das Vorhaben durchgenickt und beschlossen. Und da kam raus, dass es eine Verbindung gab, eine Absprache zwischen Parlament und Senat, über diese gewaltige Erhöhung der Versorgung. Und als ich das dann bekannt machte und meine ganzen Unterlagen auch dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, das war damals Hans-Jochen Vogel, schickte, dieser dann – mit hochrotem Kopf, wie ich später hörte – in die Fraktion ging, sagte, was machen die Genossen in Hamburg, und mir einen Brief schrieb, in dem er mich ermächtigte, ihn zu veröffentlichen, da war die Sache gelaufen. Das Gesetz, das inzwischen schon von der Bürgerschaft in Hamburg verabschiedet worden war, wurde durch ein Veto des Senats angehalten. Es wurde ein Untersuchungsausschuss zur Klärung der Frage eingesetzt, wie es dazu vier Jahre vorher hatte kommen können. Es wurde außerdem eine Enquête-Kommission eingesetzt, für die Zukunft ein vernünftiges Gesetz zu machen. Es war also dann ein voller Erfolg, aber das Ganze ist nur zustande gekommen dadurch, dass ein Mann, der glaubte, es mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren zu können, mir diese Information spätabends gegeben hat. Auch das, glaube ich, ist ein Fall von Whistleblowing. Ich habe darüber noch nie berichtet, aber das ist inzwischen solange her, dass man diesen Mann, glaube ich, überhaupt nicht mehr identifizieren kann. Deswegen kann ich das hier jetzt sagen. Vielen Dank. Jetzt darf ich die Diskussion aus dem Plenum heraus eröffnen. Ja, bitte schön. Peter Gierlich, Rechtsanwalt und Compliance Beauftragter der BASFAktiengesellschaft, Ludwigshafen: Ich möchte sie kurz über die Unterneh-

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menspraxis informieren. In den Compliance Programmen der Unternehmen spielt inzwischen Whistleblowing eine zunehmend wichtige Rolle. Das hat zum Teil rechtliche Gründe. Wir sprachen vorhin schon über US-amerikanische Gesetzgebung. Beispielsweise nach dem Sarbanes-Oxley Act ist die Möglichkeit des Whistleblowing zwingend vorgeschrieben. Es ist auch gesetzlich vorgeschrieben, dass der Whistleblower geschützt werden muss. Das heißt, alle Unternehmen in diesem Rechtskreis müssen zwingend solche Möglichkeiten im Rahmen des Sarbanes-Oxley Acts einrichten. Aber auch darüber hinaus ist die Institution des Whistleblowings, des Hinweisgebens, inzwischen zur best practice von Compliance Programmen geworden. Es liegen noch einige andere rechtliche Grenzen vor, die dabei mitberücksichtigt werden müssen. Einmal datenschutzrechtliche Grenzen: Dazu gibt es eine Entscheidung aus Frankreich bei grenzüberschreitender Übermittlung von entsprechenden persönlichen Daten. Außerdem die Frage der Mitwirkungsrechte, der Arbeitnehmerbeteiligung. Hierzu existieren Entscheidungen in Frankreich und erste Entscheidungen vom Arbeitsgericht Wuppertal in Deutschland. Ich persönlich meine, dass eine Whistleblowing-Institution ein wichtiges Element eines Compliance Programms ist, unter drei Voraussetzungen. Die erste Voraussetzung: Es muss für den Whistleblower die Möglichkeit bestehen, anonym zu bleiben. Die zweite Voraussetzung: Es muss ein für den betroffenen Mitarbeiter transparentes und glaubwürdiges Verfahren sein, das festlegt, wie mit einer solchen Meldung umgegangen und wie sie abgearbeitet wird. Und Drittens schließlich: Dem Whistleblower muss glaubwürdig versichert und garantiert werden, dass ihm daraus keine Nachteile erwachsen. Claudia Iyiaagan-Bohse: Ich müsste eigentlich zurzeit im Gefängnis sitzen. Ich bin durch die unglaublich intensive Arbeit von Grit Hartmann, einer Leipziger Journalistin, und die brillante Arbeit des Heidelberger Anwalts, Dr. Lehner, nach sechs Wochen aus der Haft entlassen worden. Heute in einer Woche findet die Revisionsverhandlung vor dem Leipziger Landgericht statt. Ich weiß, wovon Sie sprechen, Herr Martin und Herr Meyer. Ich mache seit etwa 14 Jahren auf Missstände in der Stadtverwaltung im Freistaat Sachsen aufmerksam. Es macht es mir leicht, ich habe nichts zu verlieren, ich habe in der DDR nichts gewinnen können und habe durch diese Arbeit nunmehr seit vier Jahren die Arbeitslosigkeit, so dass ich, wie gesagt, den Rücken frei habe. Ich weiß auch, was es für die Familie bedeutet, wenn man sich gegen diese Strukturen wendet. Ich kann allerdings eben nur ermuntern, keine Möglichkeit auszulassen und sich Verbündete zu suchen, die es einem dann doch möglich machen, über diese harten Zeiten hinweg zu kommen. Inzwischen gelingt das immer besser, und ich warte auf das Ergebnis dieser Verhandlung. Ich werde mich nicht kleinkriegen

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lassen, das verspreche ich hier in dieser Runde, und Sie werden es vielleicht auch verfolgen können, wenn Sie es denn interessiert, wie dieses Ergebnis ausfällt. Und ich habe in diesen sechs Wochen im Gefängnis mir schon neue Projekte überlegen können und ich versichere Ihnen, dass ich diesen Projekten nachgehen werde. Dr. David Schneider-Addae-Mensah: Ich schließe mich der Vorrednerin in gewisser Weise an. Ich frage auch, jetzt aus eigener Erfahrung durchaus, was kann man unternehmen, um Whistleblower zu schützen, und zwar nicht nur strafrechtlich, sondern auch rein faktisch. Denn ich habe festgestellt, dass solche Leute starke berufliche und persönliche Nachteile erleiden. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich das, denn ich habe auf Grund ähnlicher Enthüllungen, die ich mal in Hamburg vorgenommen habe, jahrelang nach einem Job gesucht. Aber unabhängig davon, frage ich eben, was kann man machen, um diese Leute im rein Faktischen zu schützen. Denn gerade in meiner Altersgruppe, glaube ich, gibt es immer weniger Bereitschaft auch Dinge, die junge Menschen nun mal auch mitbekommen, zu enthüllen, darauf hinzuweisen und gerade in dieser Generation finde ich es ausgesprochen wichtig, dass man diese Leute geradezu ermuntert auch auf Missstände hinzuweisen, denn sonst schleift etwas ein, was wir in der vorherigen Generation vielleicht gar nicht in der Intensität eingeschliffen hatten, weil da eben immer noch Leute mit ehernen Grundsätzen vorhanden waren. Carl-August Vollertsen: Ich habe bewundert, Herr Maier, wie Sie diese schwierige Situation bewältigt haben. Auf der einen Seite den Faktor Mut als Selbstverständlichkeit zu erachten, auf der anderen Seite auch den Faktor des Allgemeinwohls für viel wichtiger zu halten als das eigene Interesse und das eigene Interesse zurückzustellen, kann nur meine Hochachtung erwecken. Ich denke auch, dass dies gerade nicht die Normalität ist, dass man das Allgemeinwohl voranstellt und das eigene Wohl zurückstellt. Das ist die Situation der Whistleblower. Und insofern stellt sich die Frage auch zu recht, es wurde gerade eben angesprochen, wie kann man diesen Menschen helfen. Ich könnte mir vorstellen, dass man vielleicht eine Stiftung ins Leben rufen könnte, um tatsächlich tatkräftig solchen Menschen zu helfen, die berufliche Nachteile auf sich genommen haben und vielleicht auch eine Beratung brauchen. Ich halte das für sehr wichtig. Denn in Deutschland ist diese Tradition, dass man Kritik übt, die sich auch gegen die Herrschenden richtet, eigentlich nie besonders geschätzt worden – das Wort des Netzbeschmutzers gibt diese negative Wertung ja auch wieder. Der eine Vorschlag wäre also, eine Stiftung zu gründen. Ich denke auch, einen Preis zu stiften in Deutschland, einen Preis für Zivilcourage. All das gibt es ja nicht. Und ich möchte auf der anderen Seite hervorheben, wie wichtig es für jeden Einzelnen ist, dass es solche Menschen überhaupt gibt. Ich will

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nicht allzu lange ausholen, aber in Schleswig-Holstein gibt es eine Tierärztin, die schon 1991 BSE bekannt gemacht hatte und dann fristlos entlassen worden ist. Also es ging dort ja auch um eine lebensgefährliche Erkrankung. Ich denke jetzt z. B. zu Zeiten der Vogelgrippe könnte es interessant sein zu wissen, welche Bevorratung an Grippeviren hemmenden Mitteln in den Bundesländern vorhanden ist. Wie kann die Öffentlichkeit davon erfahren? Man hört beispielsweise in Bayern ist die Bevorratung sehr gut, in anderen Ländern, die weniger Mittel haben, ist sie nicht so gut. Das ist doch wohl eine Frage, die über Leben und Tod entscheiden kann. Ja, da gibt es sicherlich irgendwo Mitarbeiter, die das mitbekommen und genau wissen, welche Unterschiede es gibt. Also, es ist eine Frage, die jeden Einzelnen angehen kann und die über Leben und Tod entscheiden kann. Und die letzte Bemerkung. Ich wundere mich eigentlich, dass die Presse diese Themen nicht weiter verfolgt. Da vermute ich ein Zusammenspiel mit den Herrschenden, so dass also eigentlich auf Dauer keine gemeinwohlfördernde Wirkung zu erzielen ist. Sie sagten selbst, der Zirkus zieht weiter, das nächste Thema kommt, und dadurch wird eigentlich kein Effekt erzielt und vor allem die Solidarisierung der Allgemeinheit mit denjenigen, die sich ja engagiert haben, findet nicht statt. Das könnte die Presse aber leisten. Danke schön. Claus Plantiko: Meines Erachtens ist es eine Frage der fehlenden Öffentlichkeit, also im Grunde ein Demokratiedefizit, wenn wir auf Missstände hinweisen müssen, die von den Machtstrukturen aus eigenen Interessen geheimgehalten werden. Meines Wissens gibt es in Frankreich eine wohltätige Einrichtung. Dort dürfen Beamte und auch Privatpersonen dem Journalisten Informationen geben und der recherchiert, stellt fest, dass das wahrheitsgemäß ist und oder zumindest glaubwürdig und veröffentlicht das dann. Diese Zeitung genießt allerhöchstes Ansehen in allen Kreisen und stellt gewissermaßen ein Korrektiv dar gegen die Geheimhaltung zu Missbrauchszwecken. So was müsste, meiner Ansicht nach, auch in Deutschland möglich sein. Tillack: Auch in Deutschland übernehmen Medien diese Rolle. Wenn sich jemand bei uns meldet mit einer Information, versuchen wir dem nach zu gehen und zu belegen, das ist unser Job. Was das Problem der mangelnden Wertschätzung angeht, so finde ich, dass das eine sehr gute Idee wäre, z. B. mit einem Preis oder anderen ähnlichen Ideen das öffentliche Ansehen von Whistleblowern in Deutschland zu verbessern, um klar zu machen, dass eben solche Leute nicht Netzbeschmutzer sind und dass sie das auch nicht böswillig tun. Es ist ein Vorurteil, gegen das man oft kämpfen muss. Viele glauben, dass Whistleblower Leute seien, die sich wichtig machen wollten, die bloß Ärger schaffen wollten. Es gibt auch Untersuchungen aus

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den USA, Maryland Universität, die klar zeigen, das sind Leute, für die ihre Werte, ihre Überzeugungen so wichtig sind, dass sie diese auch am Arbeitsplatz wiederfinden wollen. Viele von uns passen sich mehr oder minder am Arbeitsplatz an, und Whistleblower sind Leute, die diese Anpassungsleistung an einem bestimmten Punkt verweigern, weil sie sagen, das widerspricht meinen Werten. Und das ist in der Tat genau die Zivilcourage, die Herr Maier erwähnt hat, und ich meine, dass Deutschland es schaffen könnte, dem mehr öffentliche Wertschätzung entgegen zu bringen. Maier: Mir ist es ganz wichtig zu betonen, dass ich hier eigentlich am falschen Platz sitze. Ich bin nämlich kein Whistleblower. Es wurde mir oft vorgeworfen, dass ich derjenige bin, der aus Ermittlungsakten die Presse füttert. Das hat mir, nebenbei bemerkt, das Leben sehr schwer gemacht. Was den Schutz des Whistleblowers betrifft, Herr Gierlich: Wenn das in der Wirtschaft so gehandhabt wird, also anonym, transparent und keine Nachteile, so ist dies sicher wünschenswert und vorbildhaft. Die Frage ist nur, wenn sie in unteren Chargen etwas aufdecken, dann mag das gut gelingen. Ich frage aber, ob das auch so gut funktioniert, d. h. Anonymität und Transparenz gewährt bleiben bzw. keine Nachteile erwachsen, wenn der Whistleblower den Vorstandvorsitzenden angreift. Zur Frage der Anonymität: Wie sichern Sie Beweise und wie werfen Sie eigentlich ein Fehlverhalten vor. Sie müssen ja einmal aussagen. Was die Beratung für Whistleblower betrifft – ich persönlich möchte sagen, für mich war immer ganz wichtig, dass ich einen stabilen familiären Hintergrund habe. Ich habe auf Herrn Martins Eingangsbemerkung über die Fernsehsendung noch gar nicht geantwortet. Das mache ich deshalb jetzt am Schluss, ganz kurz, weil es auch so ein bisschen die Situation zeigt. Ich habe lange überlegt, ob ich in dieser Fernsehsendung überhaupt was sagen soll oder nicht, weil nämlich die Gefahr besteht – auch Sie, Herr Tillack, haben dies angesprochen – dass man sofort als egomanischer Selbstdarsteller verleumdet wird. Ich habe mal in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass das von offizieller Seite über mich gesagt wurde. Deshalb war folgendes wichtig: In dieser Zeit, wie Sie sich vorstellen können, stand wegen der Parteispendenaffäre das Telefon bei mir gar nicht mehr still. Alle Talkshows haben bei mir angerufen und wollten natürlich exklusiv berichten. Ich kann nur jedem raten, seien Sie vorsichtig, weil da verspielen Sie praktisch Ihre gesamte Glaubwürdigkeit. Abgesehen davon haben sie, wenn sie nicht so eloquent sind, überhaupt keine Chance. Wichtiger ist es vielmehr, sich genau zu überlegen, Schritt für Schritt, wie können Sie die Sachen, die Sie anprangern wollen, auch beweisfest machen. Da hatte ich vielleicht als Staatsanwalt einen kleinen beruflichen Vorteil, aber Sie dürfen mir glauben, auch da ist es nicht immer einfach. Wichtig ist, in so einer Situation einen klaren Kopf

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zu bewahren. Wenn sie die Fernsehsendung beeindruckt und bewogen hat, an dieser Podiumsdiskussion teilzunehmen, dann war das eigentlich die einzige Motivation, die ich hatte. Man versucht damit, Leuten was mitzuteilen. Es soll nicht Porträt oder persönliche Selbstdarstellung sein, sondern es soll vielleicht ein ganz klein bisschen aufrütteln. Nun ein ganz kleines Schlusswort dazu, warum es hier so wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass wir selber verantwortlich sind: Ich habe dieser ganzen Tagung entnommen, dass immer die Politiker beschimpft, die Abgeordneten beschimpft werden. Wir haben die Abgeordneten, die wir verdienen und es ist hier zu oft schon Cicero zitiert worden. Ich möchte es vielleicht jetzt auch mal tun. Er hat gesagt, dieser Stand der Senatoren, also der Abgeordneten, soll frei von Tadel sein, denn er soll den Übrigen ein Vorbild sein. Ich stimme im Vergleich zu meinen Vorrednern Cicero nicht ganz zu. Denn das ist nur eine Seite der Medaille. Auch wir, jeder von uns, sind gefordert, und wir können uns nicht hier zurücklehnen und sagen, wir fordern Gesetze, aber wenn die Abgeordneten nichts machen, na gut, dann kann man auch nichts machen. Das, kann nicht der Weg sein, da treffen wir uns in drei Jahren wieder und wenn wir das Resümee ziehen, was geschehen ist, dann werden wir sagen, es ist nichts geschehen. Vielen Dank. Von Arnim: Also, Politik ist zu wichtig als dass man sie den Politikern überlassen könnte. So könnte man das ja vielleicht auch sagen. Vielen Dank für Ihr Statement. Herr Martin? Martin: Dieser Meinung bin ich auch. Und darum bin ich weiterhin in der Politik. Man darf sie nicht denen überlassen, die derzeit das Sagen haben. Zu dem was Sie ausgeführt haben, dass der Whistleblower eine garantierte Anonymität haben müsse, das ist in der Praxis sehr schwierig. Mein engster Mitstreiter derzeit ist Paul van Buitenen, der leider einen schweren Bandscheibenvorfall hat, und darum heute nicht hier bei uns sitzen kann. Es gibt verschiedene Überlegungen im Brüsseler System, Whistleblower zu schützen. Wir kommen immer wieder auf das gleiche Ergebnis. Ich denke, der Schutz des Whistleblowers besteht schlussendlich in einer Veränderung des gesellschaftlichen Ansehens. Da sind wir hier ja auch alle einer Meinung. Ich denke, dass die Idee eines Preises aber auch mehr sein muss als nur Zivilcourage. Es hat dann auch ganz viel mit der konkreten Mediensituation zu tun. Und das ist mir tatsächlich ein Herzensanliegen. Ich bin politisiert worden durch den Kniefall von Willy Brandt, nicht über das was Bruno Kreisky gemacht hat. Mich hat der Werdegang des Spiegels sehr fasziniert und ich bin auch mit großer Freude dort ein Redaktionsmitglied gewesen. Aber die Möglichkeit für Whistleblower, positiv dargestellt zu werden in den Medien, hat sich, glaube ich, deutlich verschlechtert. Ich hatte den Spiegel schon erwähnt, aber wir haben es auch mit einer Misere im

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öffentlich-rechtlichen System zu tun. Das ist eine ganz andere Geschichte als die des Oberstaatsanwalts. Ich war es durchaus gewohnt, ab und an bei Sabine Christiansen sitzen zu können und zu dürfen als Politiker und als Journalist. Als ich die „bösen Roten“ kritisierte, hätte ich ja fast auch noch den Preis des Bundes der Deutschen Steuerzahler gekriegt und war plötzlich eingeladen von allen Schwarzen und ein „Star“ im ZDF heute. In dem Moment aber, in dem ich grundsätzliche Kritik übte, die alle Parteien betraf, wurde ich rausgedrängt, da waren die, die Kontrolle darüber haben, sofort ganz dick beieinander. Am Freitag vor der Sendung von Reinhard Beckmann wurde ich ausgeladen, Begründung: politische Intervention. Ja, das ist dann die Realität, ein Systemproblem, und da bleibt einem nur ein relativ schmaler Bereich. Ich denke schon, dass die deutsche politische Lage etwas mit der Zeit zu tun hat. Nachdem es schon einmal eine große Koalition gab ist dies nach einem gewissen Zyklus wieder passiert. Es gab zuerst den, wie ich meine, sehr sinnvollen und erfreulichen Machtwechsel dahin, dass die Sozialdemokraten eine Chance bekommen haben. Sie haben es zuerst mit der FDP probiert. Dann war es wieder andersrum. Dann hatten wir rot-grün und was herausgekommen ist, das halte ich geradezu für paradigmatisch. Jetzt habt ihr die Große Koalition. Ich bin ganz sicher, dass da auch innerhalb der Parteien wieder etwas aufbrechen wird, weil man ja über so vieles den Mantel des Schweigens legen möchte, und dass es daraus neue Chancen gibt und dass deswegen das Whistleblowing auch in der Politik und Gesellschaft eigentlich eine Zukunft hat. Aber immer nur in der Verbindung mit kritischem Journalismus, und den gilt es ebenso zu fördern wie die kritische Öffentlichkeit in Form von Veranstaltungen wie dieser. Danke noch einmal.

Verzeichnis der Autoren* von Arnim, Hans Herbert, Dr., Universitätsprofessor, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. von Blomberg, Peter, Dr., Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland, ehem. Vorstandsmitglied der Allianz-Versicherungs AG. Böhr, Christoph, Dr., CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag Rheinland-Pfalz. Deubel, Ingolf, Dr., Professor, Staatssekretär im Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz. Gaßner, Maximilian, Dr., Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. Goergen, Fritz, Dr., ehem. FDP-Bundesgeschäftsführer, freier Kommunikationsberater und Publizist. Heiny, Regina, Ass. iur., Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer. Ittner, Stefan, M. A., Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer. Maennig, Wolfgang, Dr., Universitätsprofessor, Universität Hamburg. Maier, Winfried, Dr., Richter am Oberlandesgericht München. Martin, Hans-Peter, Dr., Mitglied des Europäischen Parlaments und Publizist. Martiny, Anke, Dr., Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland, Publizistin, Senatorin a. D., ehem. Mitglied des Bundestages. Pietzcker, Jost, Dr., Universitätsprofessor, Universität Bonn. Schaupensteiner, Wolfgang, Oberstaatsanwalt am Landgericht Frankfurt am Main. See, Hans, Dr., Professor, Fachhochschule Frankfurt am Main, Vorsitzender von Business Crime Control e.V. Sommermann, Karl-Peter, Dr., Universitätsprofessor, Prorektor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Tillack, Hans-Martin, Redakteur beim Magazin „Stern“.

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Stand: Oktober 2005.