Kommunalwirtschaft im Europa der Regionen: Vorträge auf dem Speyerer Wirtschaftsforum vom 25. bis 27. September 2002 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428514557, 9783428114559


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Kommunalwirtschaft im Europa der Regionen: Vorträge auf dem Speyerer Wirtschaftsforum vom 25. bis 27. September 2002 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428514557, 9783428114559

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Kommunalwirtschaft im Europa der Regionen

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 164

Kommunalwirtschaft im Europa der Regionen Vorträge auf dem Speyerer Wirtschaftsforum vom 25. bis 27. September 2002 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von Rainer Pitschas/Jan Ziekow

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-11455-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band faßt die Vorträge zusammen, die auf dem Speyerer Wirtschaftsforum „Kommunalwirtschaft im Europa der Regionen" vom 25. bis 27. Sept. 2002 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung danken die Herausgeber Frau Ass. iur. Stefanie Gille und Frau Michaela Busche, Frau Priv.-Doz. Dr. Annette Guckelberger, Frau Erika Kögel und Herrn Dr. Thorsten Siegel. Die sachkundige Formatierung des Bandes ist von Frau Erika Kögel übernommen worden. Speyer, im November 2003

Rainer Pitschas /Jan Ziekow

Inhaltsverzeichnis

Kommunalwirtschaft im regionalen Wettbewerb Von Bruno Klein, Mainz

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Zur Rolle der Kommunen in der europäischen Integration Von Ralf von Ameln, Brüssel

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Kommunale Daseinsvorsorge im europäischen Binnenmarkt - Grenzen der Liberalisierung kommunaler Dienstleistungen in der europäischen Wettbewerbsgesellschaft Von Rainer Pitschas, Speyer

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Neue europäische Herausforderungen fur die deutschen kommunalen Sparkassen Von Uwe Geske, Speyer

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Die Sparkassen und der „Brüsseler Kompromiss" - zur Zukunft der öffentlichen Banken in Deutschland Von Jochen Grünhage, Brüssel

55

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote Von Karl-Heinz Schweig, Gelsenkirchen

69

Kommunalwirtschaft in Japan und öffentlicher Personennahverkehr Von Tahenori Murakami , Osaka / Japan

95

Kontrollierter Wettbewerb im ÖPNV. Der ÖPNV zwischen Wettbewerbsprinzip und Daseinsvorsorgeauftrag Von Michael Ronellenfltsch,

Tübingen

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(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext Von Godehard Hennies, Hannover

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8

Inhaltsverzeichnis

Public Private Partnership in der Abwasserwirtschaft am Beispiel der Stadt Ludwigshafen Von Peter Lubenau, Ludwigshafen

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Vergaberechtliche Probleme einer Liberalisierung des ÖPNV Von Lutz Horn, Frankfurt a. M

177

Regionale Public Private Partnerships: Flucht aus dem Vergaberecht? Von Ute Jasper, Düsseldorf

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Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Ziele mit Mitteln des Vergaberechts Von Jan Ziekow, Speyer Verzeichnis der Referenten

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Kommunalwirtschaft im regionalen Wettbewerb V o n Bruno K l e i n

I. Einleitung Das zweite Speyerer Wirtschaftsforum widmet sich der Thematik „ K o m m u nalwirtschaft i m Europa der Regionen". Es ist eine Thematik, die auf vielfältige Weise die politischen und ökonomischen Diskussionen der vergangenen Monate geprägt hat. A u c h der Deutsche Juristentag hat sich auf seiner Jahrestagung 2002 unter anderem dieser Thematik gewidmet. Ich darf die prägnante Kurzdarstellung des Deutschen Juristentages zu dem Thema kurz zitieren. Dort heißt es: „Nicht nur in Deutschland ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, welche Rolle die öffentliche Wirtschaft künftig spielen soll. Die Auseinandersetzungen sind vor allem eine Folge der europäischen Rechtsentwicklung. Diese zwingt die öffentlichen Unternehmen immer häufiger, Monopolstellungen abzugeben und sich dem Wettbewerb zu stellen. Damit muss das bisherige System der Erbringung von Leistungen zur Daseinsvorsorge insgesamt auf den Prüfstand gestellt werden. Vor allem die Kommunen, die in großem Ausmaß bei der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Betreuung ihrer Einwohner als Anbieter von Dienstleistungen in Erscheinung treten, werden stark herausgefordert. Die Betroffenen sind sich uneinig darüber, wie auf die geänderten Rahmenbedingungen reagiert werden soll. Die Vertreter der Privatwirtschaft verweisen darauf, dass in einer marktwirtschaftlichen Ordnung der privatwirtschaftlichen Betätigung der Vorrang gebührt. Dagegen verlangen die öffentlichen Unternehmen gleiche Wettbewerbschancen durch Abbau öffentlichrechtlicher Sonderbindungen. Das Thema hat von der europäischen Ebene bis in die Rathäuser für die praktische Politik und die Privatwirtschaft Bedeutung ..."

IL Europäische Überformung des Themas Das Thema, was ich an dieser Stelle näher ausführen möchte, lautet „ K o m munalwirtschaft i m regionalen Wettbewerb". A u c h wenn i n dieser Themenstellung das W o r t „Europa" bzw. die beiden Buchstaben E U nicht ausdrücklich genannt sind, so ist Europa m i t seiner Rechtsetzung gerade i m Zusammenhang m i t Binnenmarkt und Liberalisierung und vor allem auch m i t seinem Wettbe-

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Bruno Klein

werbsrecht für kommunale Leistungen der Daseinsvorsorge und damit für die wirtschaftliche Bestätigung der Kommunen insgesamt ein zunehmend bestimmendes Element. Es wäre daher sicherlich zu kurz gegriffen, wenn ich nun lediglich den § 85 der Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz intensiv analysieren würde. Etwas verkürzt heißt es dort: „Eine Gemeinde darf wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt ... und der öffentliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Dritten erfüllt werden kann."

In knappe Worte gefasst heißt dies übersetzt: Soviel Wettbewerb wie möglich, soviel öffentliche Daseinsvorsorge wie nötig. Dies ist geltendes rheinlandpfälzisches Recht und ist zugleich Grundüberzeugung der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Ich habe daher mit Interesse auch die Presseberichterstattung zum Deutschen Juristentag 2002 gelesen. Dort gab es wohl eine Reihe höchst interessanter Referate und Plädoyers. Eine Patentlösung für die Frage, wie viel Wettbewerb und wie viel Daseinsvorsorge es nun geben soll, gab es allerdings dort auch nicht. Wohl aber eine große Übereinstimmung mit der Position von Professor Klaus-Dieter Borchardt aus Brüssel, der dafür plädierte, die Spannung zwischen den Grundprinzipien des nationalen und des europäischen Rechts also eben der Daseinsvorsorge des Staates einerseits und dem Wettbewerb nach EU-weit gleichen Regeln andererseits - auszuhalten. Dies ist besonders interessant vor dem Hintergrund, dass in den liberalisierten Bereichen das EU-Wettbewerbsrecht, namentlich das grundsätzliche Beihilfeverbot der EU von der Kommission äußerst streng überwacht wird. Ausnahmen von dieser strengen Regel sind zwar möglich, allerdings unter Einhaltung einer in den letzten Jahren immens angewachsenen Fülle von EU-Beihilfevorschriften, sei es nun in Form von Verordnungen, Mitteilungen, Leitlinien etc. Aber auch in Bereichen, in denen Liberalisierungsschritte erst begonnen haben oder zum Teil heftig ablehnend diskutiert werden - ein typisches Beispiel ist die Wasserwirtschaft - , spielen EU-Vorgaben beihilferechtlicher und vergaberechtlicher Natur wie auch die vielgestaltigen EU-Papiere des thematischen Umfeldes eine immer größere Rolle. Eine Rolle, die zum Teil für die Handelnden und die Verantwortungsträger durchaus manchmal verwirrenden Charakter besitzt.

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I I I . Die Vorgaben der Europäischen Kommission und die Position des Bundesrates Dies resultiert nicht zuletzt aus dem Auftrag und dem Bestreben der Kommission, Papiere und Vorgaben zu Themenbereichen zu erarbeiten, die dann fur alle EU-Mitgliedsstaaten Geltung besitzen sollen, die aber damit fast zwangsläufig jeweils nationale Anliegen eben nicht treffsicher abdecken können. Wie langwierig und schwierig es ist, selbst Kernbereiche der zum Teil doch wohlbegründeten mitgliedstaatlichen Anliegen in den EU-Meinungsprozess einzubringen, zeigt sich am Beispiel der Daseinsvorsorge sehr deutlich. Ich darf Ihnen dies im Folgenden u. a. an den vielfältigen Bundesratsbeschlüssen als Antwort auf diese unterschiedlichen Kommissionspapiere darstellen: Da ist sozusagen grundlegend die Mitteilung der Kommission „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" vom Herbst 2000 zu nennen - eine Mitteilung, die selbstverständlich auch im Zusammenhang mit der anhaltenden und für die Zukunft der EU insgesamt wichtigen Diskussion um Abgrenzung der Kompetenzen von EU einerseits, Bund, Land und Kommune andererseits zu sehen ist. In dieser Mitteilung verdeutlicht die Kommission ihre Sicht der Dinge, beschreibt die Erfahrungen etwa im Bereich der Liberalisierung der Telekommunikation. Sie betont, dass öffentliche Unternehmen, soweit sie wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, bei denen sie in Konkurrenz zu privaten Anbietern stehen, die Spielregeln des Gemeinsamen Marktes einzuhalten haben. Die Kommission verweist ferner darauf, dass es durchaus möglich sei, die im öffentlichen Interesse erbrachten von den kommerziellen Dienstleistungen buchhalterisch oder betrieblich zu trennen (Stichwort: Transparenzrichtlinie). Der Bundesrat hat hierzu im Februar 2001 einen umfassenden und deutlichen Beschluss gefasst. Er hat entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip bei Leistungen der Daseinsvorsorge die Verantwortung vor allem der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften für die Erfüllung von Gemeinwohlbelangen in besonderer Weise betont. Durch europaweite Rahmenregelungen sei lediglich sicherzustellen, dass nationale Regelungen zur Daseinsvorsorge nicht zum Schutz nationaler Leistungsanbieter missbraucht werden. Der Bundesrat hat auch darauf hingewiesen, dass das Prinzip der Neutralität im Hinblick auf öffentliches und privates Eigentum an Unternehmen nicht dazu führen darf, dass eine Aufgabenerfüllung durch kommunale Gesellschaften gefährdet wird. Es ist nicht nur die Kommission, die EU-Vorgaben setzt. Ganz entscheidend ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat im November 2001 das in der Zwischenzeit berühmt gewordene „Ferring"-Urteil verkündet. Danach ist Artikel 87 EG-Vertrag, also der Beihilfenartikel, so auszulegen, dass eine Maßnahme nur insoweit eine staatliche Beihilfe darstellt, wie der Vorteil, den das begünstigte Unternehmen daraus zieht, die zusätzlichen Kosten über-

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Bruno Klein

steigt, die ihm für die Erfüllung der ihm auferlegten gemeinwirtschaftlichen Pflichten entstehen. Ebenso sei Artikel 86 Abs. 2 EG-Vertrag auszulegen. Er betrifft die öffentlichen Unternehmen und die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Liegen hier keine übersteigenden Ausgleichszahlungen vor, so bedarf es konsequenterweise auch keiner vorherigen Beihilfeanmeldung an die Kommission. Am 15. Oktober 2002 steht nun allerdings der Fall Altmark Trans zur zweiten mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof an. Auch er mit grundsätzlicher Bedeutung für den Bereich Daseinsvorsorge. Von Seiten der Bundesregierung wurde bereits signalisiert, dass sie in dieser mündlichen Verhandlung nachdrücklich im Sinne des „Ferring"-Ansatzes plädieren werde. Nach dem Schlussantrag des Generalanwalts vom März diesen Jahres allerdings ist nicht auszuschließen, dass die bisherige Rechtsprechung zur Daseinsvorsorge grundsätzlich neu ausgerichtet wird, dass also ggf. Ausgleichszahlungen für öffentliche Dienstleistungen doch als staatliche Beihilfe anzusehen sind.1 Es bleibt absolut spannend. Die Kommission würde auf ein solches Urteil im Sinne des Generalanwalts wahrscheinlich dergestalt reagieren, dass sie in einem ersten Schritt einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen erstellt. In einem zweiten Schritt würde dann aufgrund der Erfahrungen mit diesem Gemeinschaftsrahmen ggf. eine EU-Verordnung erlassen werden, mit der bestimmte Beihilfen im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse von der Verpflichtung zur vorherigen Anmeldung ausgenommen werden. Und auch hier müssten dann wieder Stellungnahmen und Beschlüsse des Bundesrates erfolgen. Bezeichnend im Gesamtkontext ist auch, dass die Kommission gegenwärtig ein Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse vorbereitet, das angeblich neben sektorspezifischen Ausführungen auch einen beihilferechtlichen Teil enthalten soll, der dann wiederum von der erwähnten Rechtsprechung geprägt sein wird. Und äußerst interessant ist eine bereits vorgelegte Kommissionsmitteilung über eine mögliche Evaluierungsmethodik in der Daseinsvorsorge vom Sommer diesen Jahres, die sich zunächst auf die Bereiche Strom, Gas, Luftverkehr, Eisenbahn, Postdienste und Telekommunikation beziehen soll. Später sollen dann - so die Kommission - weitere Bereiche hinzukommen. Auch diese Mitteilung der Kommission ist heftig umstritten.

1 Anmerkung der Herausgeber: Das Urteil des EuGH vom 24.7.2003 (Rs C-280/0Q Altmark Trans) spricht öffentlichen Zuschüssen, die den Betrieb von Liniendiensten im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr ermöglichen sollen, die Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 87 EG-Vertrag ab, soweit sie als Ausgleich anzusehen sind, der die Gegenleistung für Leistungen darstellt, die von den begünstigten Unternehmen zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden.

Kommunalwirtschaft im regionalen Wettbewerb

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Die Bundesregierung hat zusammen mit den Bundesländern wiederum eine kritische Stellungnahme hierzu erarbeitet. Die mir vorliegende Entwurfsfassung dieser Stellungnahme betont nachdrücklich, dass die Definition von Leistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zuallererst den Mitgliedstaaten obliege. Die Mitgliedstaaten legen dabei die verfolgten Ziele fest und sind deshalb nach dem Grundgedanken des Subsidiaritätsprinzips auch für die Evaluierung verantwortlich. Zweck einer Evaluierung auf Gemeinschaftsebene könne - so heißt es weiter - nur sein, die Verwirklichung der Ziele zu prüfen, die nach den Gemeinschaftsvorschriften mit der Marktöfihung und der Festlegung von Universaldienstleistungen verfolgt werden. Es könne nicht um eine allgemeine Bewertung der netzgebundenen Wirtschaftszweige insgesamt gehen. Grundsätzlich müsse eine Evaluierung daher an der Entwicklung in den Mitgliedstaaten anknüpfen und könne nicht als Ziel haben, auf eine gemeinschaftsweite Vereinheitlichung hinzuwirken. Insbesondere könne es nicht das Ziel sein, Leistungen der Daseinsvorsorge im Sinne einer Kohäsionspolitik (Angleichung) gemeinschaftsweit vereinheitlichen zu wollen. In diesen gerade zitierten Argumenten des Bundes und der Länder findet sich viel von der Skepsis wieder, die bereits im Bundesratsbeschluss vom 30. November 2001 zur Gesamtthematik Daseinsvorsorge zum Ausdruck kam. Und ich denke auch für die künftige Diskussion ist der genannte Bundesratsbeschluss weiter durchaus richtungsweisend. Denn gefordert wurden damals bereits unter anderem möglichst konkrete Aussagen zur Abgrenzung wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Tätigkeiten und auch die klare Feststellung, dass viele Tätigkeiten von Einrichtungen, die weitgehend soziale Aufgaben ohne Gewinnabsicht erfüllen und deren Zweck nicht in der Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit besteht, von den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des Vertrages in der Regel nicht erfasst sind. Ganz elementar ist etwa auch die Forderung einer Klarstellung, wann eine spürbare Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Handels zu erwarten ist bzw. rein lokale / regionale Märkte betroffen sind, die EU also über das Wettbewerbs·, das Beihilfenrecht mitbestimmen darf über Handlungen vor Ort oder eben nicht. Deutlich ist schließlich die Forderung des Bundesrates, dass es Unternehmen, die mit Gemeinwohlaufgaben betraut sind, ermöglicht werden muss, diese unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen erfüllen zu können. Und damit verbunden ist dann auch die Betonung des umfassenden Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten bei der Gewährleistung des Ausgleichs für anfallende Mehrkosten.

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IV. Public-Private-Partnership und Vergaberecht Ich darf nahtlos übergehen zu dem weiteren Thema, das auf dieser Tagung thematisch aufgegriffen wird, nämlich den Public-Private-Partnerships im Zusammenspiel mit dem Vergaberecht. Ich brauche nicht zu betonen, dass die enger werdenden Handlungsspielräume der öffentlichen Haushalte - sei es nun Kommune, Land oder Bund - uns in den kommenden Jahren etliches Kopfzerbrechen bereiten werden. Man sehe hier als Beispiel nur den Baubereich. Was hier in den nächsten Jahren an Infrastruktur benötigt wird, lässt sich über Steuern und öffentliche Einnahmen alleine wohl kaum noch finanzieren. Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben wird daher die öffentliche Diskussion zunehmende intensiv bestimmen, wobei beim Stichwort Privatisierung ja durchaus ganz unterschiedliche Dinge gemeint sein können - sei es nun die Überführung öffentlich-rechtlicher Strukturen in private Rechtsformen und die Veräußerung der dadurch entstandenen Anteile der öffentlichen Hand an Unternehmen oder etwa die Übertragung von Teilaufgaben, wobei die Verantwortung für die Aufgabenerfüllung weiterhin bei der öffentlichen Hand bleibt. Geschäftsbesorgungsmodelle, Betreibermodelle, Kooperationsmodelle, Konzessionsmodelle - die Varianten sind vielgestaltig. Diese Vielgestaltigkeit und Komplexität ist selbstverständlich im Zusammenhang zu sehen mit vergaberechtlichen Aspekten. Aufgrund von europäischen Vorgaben der letzten Jahre hat sich auch hier ein grundlegender Umbruch in einer Breite und einem Tempo vollzogen, der es den öffentlichen Auftraggebern häufig schwer macht, den Überblick zu behalten. Der Auftraggeberbegriff wurde weit gefasst, um eine Umgehung durch die Flucht ins Privatrecht zu unterbinden. Auch wurde durch die Einbeziehung bisher häufig monopolisierter Bereiche der Daseinsvorsorge - wie etwa Energie, Wasser, Verkehr - der Anwendungsbereich des Vergaberechts deutlich ausgedehnt. Um mehr Rechtssicherheit zu erreichen und das Risiko von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften zu minimieren, hat das Wirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz bereits sehr früh die Initiative ergriffen und im Herbst 1998 als erstes Bundesland alle landesrechtlichen Regelungen zum öffentlichen Auftragswesen zusammengefasst dargestellt. Die äußerst positive Resonanz der Praxis hat gezeigt, wie notwendig dieser Schritt war.

V. Bereich Sparkassen Im Bereich der Sparkassen konnte nach langem Hin und Her Mitte vergangenen Jahres zwischen der Bundesregierung und Kommissar Monti eine Verständigung über die beihilferechtliche Behandlung von Anstaltslast und Ge-

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währträgerhaftung erreicht werden. Diese Einigung mit der EU war auch Anlass für die Novellierung des rheinland-pfälzischen Sparkassengesetzes. Nach einer bis zum 18. Juli 2005 geltenden Übergangsfrist wird die Gewährträgerhaftung abgeschafft, die Anstaltslast wird grundlegend umgestaltet. Sie darf sich künftig nicht mehr von einer normalen marktwirtschaftlichen Eigentümerbeziehung unterscheiden. Rheinland-Pfalz hat diese Gesetzesänderung auch dazu genutzt, die Vorschriften über die Wirtschaftsführung der Sparkassen zu modernisieren. Dies betrifft etwa die Vorlage eines jährlichen Erfolgsplans der Sparkassenvorstände an den Verwaltungsrat. Diese Änderungen werden sicherlich in den kommenden Jahren eine Reihe auch strategisch-organisatorischer Fragen bezüglich der Sparkassen wie auch der Sparkassenorganisation mit sich bringen, die es gezielt zu lösen gilt. Denn ich darf dies hier deutlich unterstreichen: Wir brauchen in Rheinland-Pfalz eine leistungsfähige Sparkassenorganisation, da sie neben den genossenschaftlichen Kreditinstituten für große Teile des Mittelstandes die Kreditversorgung gewährleistet.

VI. Bereich Wasserwirtschaft Die Wasserwirtschaft der Kommunen steht ebenfalls auf dem Programm dieser Tagung. Nach den Marktöffnungen im Energie- und Telekommunikationssektor ist Ende der 1990er Jahre auch der Bereich der Wasserwirtschaft in den Blickpunkt einer möglichen Liberalisierung gerückt. Dies hat zu teils heftigen Reaktionen bei vielen Beteiligten geführt. Seit Herbst 2001 liegt zudem ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten vor, in dem die „Optionen, Chancen und Rahmenbedingungen einer Marktöffhung für eine nachhaltige Wasserversorgung" untersucht worden sind. Auch die Wirtschaftsministerkonferenz (WMK) hat sich mit der Problemstellung bereits wiederholt befasst. Sie hat auf ihrer Frühjahrskonferenz 2002 auch ausdrücklich anerkannt, dass eine vergleichbare Marktöffhung im Wasserbereich aus verschiedenen Gründen problematisch sein kann. Sie hat aber gleichzeitig betont, dass eine Einbeziehung wettbewerblicher Elemente dort weiter verfolgt werden sollte, wo dies sinnvoll ist. Im Übrigen hat das rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerium beim Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz ein Gutachten zum Thema „Liberalisierung von öffentlichen Monopolen" in Auftrag gegeben. Die Wasserwirtschaft ist neben dem Schienenverkehr, den Gas- und Strommärkten, der Telekommunikation, der Abfallwirtschaft und andern Bereichen Gegenstand der Untersuchung, die etwa in einem Monat abgeschlossen sein wird.

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Bruno Klein

Derzeit werden in einer Arbeitsgruppe der W M K zu drei Punkten konkrete umsetzungsfähige Vorschläge erarbeitet. Sie sollen bis Dezember 2002 vorliegen und betreffen •

die steuerliche Gleichbehandlung der privaten mit den öffentlich-rechtlich tätigen Abwasserentsorgern,



die Einfuhrung von Ausschreibungspflichten bei der Aufgabenübertragung,



die Einführung eines Kennziffernvergleichsystems, insbesondere um Kostensenkungspotential zu entdecken und zu realisieren.

V I I . Bereich ÖPNV Ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang die Öffnung des öffentlichen Personennahverkehrs für private Wettbewerber. Derzeit steht zu dem zentralen Begriff der „Eigenwirtschaftlichkeit" eine wichtige Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes noch aus, bevor ein endgültiges Urteil des Bundesverwaltungsgerichts getroffen werden kann. Zu beachten ist auch, dass die Kommission nach einem ersten Vorschlag vom Juli 2000 nun eine zweite Fassung für eine ÖPNV-Marktzugangsverordnung mit entsprechenden Ausschreibungspflichten vorgelegt hat. Die rheinland-pfälzische Landesregierung ist zu diesem Themenkomplex insgesamt der Auffassung, dass ein kostengünstiger und qualitativ hochwertiger ÖPNV am besten durch eine wettbewerbliche Orientierung erreicht werden kann. Dies ist im übrigen auch der erklärte politische Wille der Verkehrsminister aller Länder, die den Verkehrsmarkt ÖPNV deregulieren und verstärkt Wettbewerb einführen möchten. Sie haben betont, dass der ÖPNV eine unverzichtbare Dienstleistung im Bereich der Mobilitätssicherung ist. Die Sicherstellung eines ausreichenden Angebots ist deshalb eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Der aufkommende Wettbewerb im ÖPNV hingegen betrifft den Bereich der unternehmerischen Leistungserstellung. Denn die Chancen des Wettbewerbs liegen ja auch hier in den neuen innovativen Ideen, flexiblem Reagieren, kostengünstigem Produzieren und der Nutzung von Qualitätsverbesserungen. Einem Wettbewerb, der zu einem Preis- und Lohndumping führen würde, muss hier natürlich - wie in anderen Bereichen auch - eine eindeutige Absage erteilt werden. Die mittelständischen Strukturen des Verkehrsgewerbes mit ihren qualifizierten Arbeitsplätzen sollen - so der ausdrückliche und einhellige Wunsch der Verkehrsminister - erhalten bleiben. Dass aber auch eine vollständige Privatisierung kommunaler Verkehrsbetriebe nicht zwangsläufig mit negativen Auswirkungen für das ÖPNV-Bedienungs-

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angebot verbunden sein muss, hat in Rheinland-Pfalz u. a. die Übernahme der Verkehrsbetriebe Bad Kreuznach gezeigt.

V I I I . Bereich Energiepolitik An dieser Stelle ist noch auf einen weiteren Bereich zu kommen, der zum gesamten Themenkomplex dazugehört: die Energiepolitik. Gerade in diesen weltpolitisch bewegten Zeiten gilt es umso mehr, dass gesicherte Energieversorgung die Grundlage für Produktion, Wohlstand, Mobilität und Fortschritt ist. Aufgabe des Staates dabei ist es, durch entsprechende Rahmenbedingungen die Sicherung der Energieversorgung zu gewährleisten. Die eigentliche Energieversorgung kann dann - dies ist unsere Überzeugung - wiederum von privaten Unternehmen erbracht werden. Während der Mineralöl- und der Festbrennstoffmarkt schon seit jeher von Angebot und Nachfrage geprägt sind, gibt es bei Strom und Gas erst seit vier Jahren durch die Liberalisierung eine Öffnung der Märkte. Von Seiten der Landesregierung sind wir überzeugt, dass wir bei allen technischen und rechtlichen Problemen nicht auf halbem Weg stehen bleiben dürfen, sondern der Weg des Wettbewerbs weiter beschritten werden sollte. Dabei ist es entscheidend, dass der Netzzugang für verschiedene Anbieter diskriminierungsfrei geregelt und von den Kartellbehörden überwacht wird.

IX. Resümee Ich darf abschließend zumindest ansatzweise ein Resümee versuchen und drei Aspekte besonders betonen, die auch in der einschlägigen Literatur zu dieser Thematik als zentral benannt werden. •

Wir müssen erstens gemeinsam tragfähige Vorstellungen darüber entwickeln, welche Leistungen durch die Öffentliche Hand im Bereich der Daseinsvorsorge in Zukunft erbracht werden sollen.



Wir müssen zweitens immer die ökonomisch effiziente Erstellung im Auge behalten. Aus meiner Sicht bedeutet dies, dass wir überall da, wo es möglich ist, Wettbewerb zulassen müssen.



Und wir müssen drittens - und dies wäre mit Sicherheit ein Thema für eine weitere dreitägige Veranstaltung - intensiv die Reform der Kommunalfinanzen insgesamt voranbringen.

2 Pilschas/Zickow

Z u r Rolle der Kommunen in der europäischen Integration Von Ralf von Ameln

I. Einleitende Bemerkung Es ist unstreitig und auch auf europäischer Ebene anerkannt, dass den Kommunen eine wesentliche Rolle in der europäischen Integration zukommt. Dies gilt um so mehr, als das Europa der Bürger ständig beschworen wird. Wie sich diese Rolle allerdings definiert, ist abhängig von den Möglichkeiten kommunalen Handelns. Je aktiver die kommunale Ebene in den europäischen Entscheidungsprozess eingebunden ist, um so mehr wird auch in der Reflexwirkung ihre integrative Rolle deutlich. Aktiv gestaltende oder passiv rezipierende Rolle der Kommunalverwaltungen bezeichnet das Spektrum der Möglichkeiten. Die Beantwortung der Frage, welche Rolle die Kommunalverwaltungen im europäischen Kontext spielen, hängt untrennbar mit der Beurteilung zusammen, welche möglichen Chancen und Risiken der europäischen Integration für die kommunale Selbstverwaltung bestehen. Denn den Kommunalverwaltungen können nur so viele Handlungsfelder erhalten bleiben, wie auch in den politischen Entscheidungskompetenzen gesichert bestehen bleiben. Für einen überzeugten Verfechter des bisherigen und zu erwartenden Weges der europäischen Integration wäre die Antwort auf die dem Thema inhärente, soeben aufgeworfene Frage eindeutig. Bei weitem würden die Chancen - immer aus dem gesamteuropäischen Blickwinkel von oben nach unten betrachtet - die Risiken nicht nur weit überwiegen, sondern möglicherweise aus dieser Sicht es sogar schwer fallen, Risiken zu erkennen. Gerade unter Berücksichtigung der unterschiedlichen kommunalen Strukturen in Europa würde der Blick dabei vor allem auf die mit Hilfe der europäischen Integrationspolitik erreichten infrastrukturellen Erfolge in Ländern mit eher schwachen kommunalen Systemen gerichtet sein. Ganz anders müsste die Beurteilung ausfallen, wenn man die Betrachtung ausschließlich aus deutscher Sicht von unten nach oben durchführt. Ohne Zweifel würde dabei eine brisante Mischung von die Chancen weit überwiegenden Risiken entstehen, deren Ursache sowohl in der Problematik der grundgesetzlich gesicherten, also aus rein deutscher Sicht zu betrachtenden Garantie der 2*

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Ralf von Ameln

Selbstverwaltung als auch durch die Beimischung europaspezifischer Risiken liegt. Die Ausgangslage scheint noch faktisch eindeutig, obwohl der Konvent gerade in der Kompetenzdebatte auch die lokale Ebene berücksichtigen soll. Dahin gehen die Forderungen der deutschen kommunalen Spitzenverbände in ihrem an den Konvent gerichteten Positionspapier. Demgegenüber stimmt es bedenklich, dass im Rahmen der Konventsberatungen die kommunalen Belange lediglich in der Arbeitsgruppe des Konvents zum Bereich „Zivilgesellschaft" mit behandelt werden, wenngleich andererseits nach der sog. „Christophersen Formel" als Ergebnis der Arbeitsgruppe „Ergänzende Zuständigkeiten" die kommunale Selbstverwaltung zu wahren ist, und sie damit ausdrückliche Erwähnung gefunden hat. Nach wie vor aber ist eine grundsätzliche Änderung der Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Union und Gemeinschaft nicht eingetreten. Allerdings kann man dem Grunde nach beginnend mit der Einheitlichen Europäischen Akte eine Konkretisierung der europäischen Politikbereiche feststellen. Diese Konkretisierung hat zum einen kommunalrelevante Folgen, zum anderen hat sie kommunale Aufgabenstellungen als Ziel der Überprüfung und Veränderung gebracht.

I I . Zur Risikoeinschätzung Hier bereits zeigt sich der wesentliche Grund der in regelmäßigen Abständen auftauchenden Fragestellung nach dem Verhältnis von kommunaler und europäischer Ebene. Die qualitative Beurteilung von kommunalrelevanten Maßnahmen steht nämlich auch stets unter dem Präjudiz der Einordnung als folge- oder als zielgerichtet. Dass unter die Tragelastrichtlinie auch kommunale Mülleimer fallen, ist lediglich eine Folge der unter den Politikbereich „Arbeits- und Gesundheitsschutz" fallenden Konkretisierung. Wenn demgegenüber aber mit der Mitteilung zur Daseinsvorsorge 1 bisher kommunal erfüllte Aufgaben auf den wettbewerblichen Prüfstand gestellt werden, ist dies, weil kommunalspezifisch, als zielgerichteter Prüfungseingriff mit möglicher unmittelbarer Regelungsfolge anzusehen. Betrachtet man anschließend den Gesamtbereich des öffentlichen Auftragswesens, lässt sich eine dritte Kategorie von Regelungen mit Kommunalrelevanz identifizieren. Während auf den ersten Blick, schon aufgrund des quantitativen Umfangs kommunaler Auftragsvergaben die Regeln des öffentlichen Auftrags-

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ABl. vom 19.1.2001, Nr. C 17, S. 4.

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wesens2 kommunal gerichtet erscheinen, gelten sie doch bei näherem Hinsehen für alle öffentlichen Auftraggeber, was bereits der Blick in die enumerativen Anhänge der Richtlinien beweist. Würde aber beispielsweise die bisherige Möglichkeit der „Inhouse Vergabe" verwehrt werden, läge wieder der Fall einer kommunal-zielgerichteten Eingriffsmaßnahme vor. Identifiziert man die für die kommunale Ebene, vor allem auch in der Bundesrepublik Deutschland, maßgeblichen europäischen Gesetzgebungsvorhaben und erfolgten Rechtsakte, lässt sich jedenfalls feststellen, dass sie in maßgeblicher Weise die Exekutivfunktion der kommunalen Ebene binden. Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass auch kommunal-zielgerichtete Maßnahmen aus europäischer Sicht keinesfalls der Einschränkung kommunaler Entscheidungskompetenzen dienen. Dass deren Folge allerdings gleichermaßen zu einer Einengung der Entscheidungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene führt, macht das Ergebnis nicht weniger gefährlich.

I I I . Harmonisierung versus bürgerschaftliche Selbstbestimmung Neben der vorgenannten Einengung der Entscheidungsmöglichkeiten entsteht aber auch ein neues Spannungsverhältnis. Ein gutes Beispiel dafür ist die europäische Diskussion um die Neugestaltung des ÖPNV. Einerseits soll unter dem Primat wettbewerblicher Reglungen eine - im Interesse des Nutzers - bessere Marktöffhung erfolgen. Andererseits führt diese auf lokaler Ebene dazu, dass der der kommunalen Selbstverwaltung inhärenten Entscheidungszustän-

2 Vgl. die Richtlinie 71 / 305 / EWG des Rates vom 26.7.1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ersetzt durch die Richtlinie 93 / 37 / EWG des Rates, geändert durch die Richtlinie 97 / 52 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates; die Richtlinie 77 / 62EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ersetzt durch Richtlinie 93 / 36 / EWG des Rates, geändert durch die Richtlinie 97 / 52 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates; die Richtlinie 92 / 50 / EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, geändert durch die Richtlinie 9 7 / 5 2 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates; die Richtlinie 93 / 3 8 / E W G des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, geändert durch Richtlinie 9 8 / 0 4 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates sowie die Interpretierende Mitteilung der Kommission über das auf das öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen vom 4.7.2001, KOM (2001) 274 endg. Zuletzt geänderter Vorschlag für eine RL über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge vom 27.8.2002 KOM (2002) 236 endg., ABl. C 203 E / 210.

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Ralf von Ameln

digkeit zu enge Grenzen gesetzt werden. Mit seinen Änderungsanträgen 3 zum Gesamtpaket ÖPNV hat das EP dieses Problem nicht nur erkannt, sondern auch versucht, einen Interessenausgleich herzustellen. Diese Vorschläge hat die EUKommission aufgegriffen. Die Diskussion rankt sich dabei vor allem um Artikel 6 des VO-Entwurfs. 4 Nicht nur der Entscheidungsrahmen selbst findet allerdings aufgrund europäischer Regelungen engere Grenzen, sondern auch - und dies dürfte letztlich von noch weitergehender Bedeutung sein - , die demokratische, hier bürgerschaftliche Kontrolle. Die nicht nur über die Mitteilung zur Daseinsvorsorge 5 angesprochene Privatisierung von Leistungen wirft nämlich das Problem einer nachhaltigen Kontrolle bei Umfang, Qualität und Dauerhaftigkeit der Leistung auf. Dass entsprechend bürgerschaftlichem Willen etwa Veränderungen des Leistungsumfangs aufgrund politisch gewünschter und sachlich gebotener Anpassungen nicht mehr ohne weiteres möglich sind, ergibt sich zwangsläufig. Die unmittelbare politische, vom Bürgerwillen getragene Steuerungsfunktion vor Ort würde entfallen. Solche Veränderungen oder Anpassungen waren bisher aber ebenfalls Bestandteil und selbstverständliche Möglichkeit bürgerschaftlicher Mitbestimmung. In Großbritannien mutieren lokale Strukturen inzwischen zu reinen Auftragsvergabe- und Kontrollstellen, wobei auch die Kontrolle selbst wiederum vergeben wird! Die Entscheidungsmöglichkeiten sind minimiert, das soeben beschriebene Spannungsverhältnis zugunsten der Wettbewerbspolitik entschieden. Wer aber ein Europa der Bürger proklamiert, sollte diesen Bürgern das Recht auf Selbstbestimmung nicht ohne Not beschneiden und ihre politischen Repräsentanten nicht zu reinen Vergabestellen degradieren. Aus alledem ergibt sich eine erste Schlussfolgerung: Es besteht eine natürliche Spannung zwischen notwendiger europäischer Harmonisierung einerseits und dem Recht auf bürgerschaftliche Selbstbestimmung und lokale Entscheidung und deren Verwaltung andererseits.

3 Vorschlag ftir eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats über Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Strasse und auf Binnenschiffahrtswegen, abgeänderter Vorschlag des Europäischen Parlaments vom 14.11.2001, Dokument A5 - 0364 / 2001. 4 Geänderter Vorschlag fur eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen vom 21.2. 2002 K O M (2002) 107 endg. 5 Vgl. Anmerkung Nr. 1.

Zur Rolle der Kommunen in der europäischen Integration

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Das Problem liegt in der Grenzziehung. Es wäre und ist zu einfach, wenn, wie es der von mir zu Beginn beschriebene absolute Befürworter der europäischen Integration um jeden Preis formulieren würde, das Problem mit dem Hinweis des Vorrangs europäischen Rechts vom Tisch gewischt würde. Auch dies kann exemplarisch belegt werden: Die Wasserrahmenrichtlinie 6 ist ein begrüßenswertes Beispiel der europäischen Kodifikation. Sie fasst nicht nur bisherige, über mehrere Jahrzehnte entstandene Einzelregelungen hinsichtlich der Ressource „Wasser" zusammen, sondern setzt auch klare Anforderungen zur Sicherung, Wahrung und Nutzung dieser Ressource. Dieser Art von Harmonisierung kann und darf nicht widersprochen werden. Wenn dem allerdings, was zur Zeit noch auf europäischer Ebene bestritten wird, eine von interessierter Seite bereits jetzt betriebene Regelung zur Liberalisierung der Wassermärkte folgen würde, wäre aus kommunaler Sicht die eben beschriebene Grenze überschritten. Aus europäischer Sicht würde eine solche Liberalisierung lediglich die logische Folge der Umsetzung der Binnenmarktregeln in diesem Bereich darstellen.

IV. Primat des Wettbewerbs Eine zweite Feststellung lässt sich aus diesem Beispiel ebenfalls ziehen: Die Risiken der europäischen Integration für die Kommunalverwaltungen scheinen umso höher, als das Primat des Wettbewerbs nicht gleichgewichtig mit anderen berechtigten Interessen ist, deren Berücksichtigung gleichermaßen das europäische Vertragswerk bereits vorsieht. Nicht anders lässt sich nämlich die aktuelle Diskussion über eine mögliche konstitutive Bedeutung des Art. 16 EG-V im Verhältnis zu den Wettbewerbsregeln der Art. 82 ff EG-V erklären. Aufgrund des ausdrücklichen Auftrags des Europäischen Rates von Laeken am 14. und 15.12.2001 sowie des Rates von Barcelona am 15. und 16.3.2002 erarbeitet die Europäische Kommission zur Zeit ein Grünbuch zur Konkretisierung des Art. 16 EG-V.

V. Beteiligungsmöglichkeiten Das soeben beschriebene Spannungsverhältnis führt notwendigerweise zu der weiteren wesentlichen Frage:

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ABl. vom 22.12.2000, Nr. L 327, S. 1 ff.

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Ralf von Ameln Kann und gegebenenfalls auf welchem Wege soll dem Anliegen der Wah-

rung der kommunalen Selbstverwaltung besser Rechnung getragen werden? Auch hier ist zunächst der B l i c k auf die derzeitige Situation zu richten. Während naturgemäß der Bund über seine mitgliedstaatlichen Rechte und die Länder über ihre mit der Einführung des neuen Art. 23 GG festgeschriebenen bundesratlichen Einwirkungsmöglichkeiten sehr wohl ihre Interessen in einem strukturierten und formalisierten Verfahrensweg wahren können, ist dies bei der kommunalen Ebene nicht der Fall. Dies gilt bekanntermaßen für die Bundesrepublik Deutschland für die Verfahrenswege im föderalen System. Dies gilt aber auch auf europäischer Ebene. E i n Beispiel sind die Regelungen der Europäischen Kommission zu Asyl- und Migrationsverfahren 7 . Bezeichnenderweise wurden in diesem Zusammenhang

7 Richtlinie 2001 / 55 / EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl. vom 7.8.2001, Nr. L 212, S. 12 f. (zugrundeliegender Vorschlag der Kommission vom 24.5.2000, K O M (2000) 303 endg.).

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 1.12.1999, K O M (1999) 638 endg., geänderter Vorschlag vom 10.10. 2000, KOM (2000) 624 endg.; Vorschlag für eine Richtlinie über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, KOM (2000) 578; Vorschlag für eine Richtlinie über Mindestnormen betreffend die Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern, KOM (2001) 181; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den Status der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatenangehörigen, KOM (2001), 127; Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM (2001) 447; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatenangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit, K O M (2001) 0386; Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein Aktionsprogramm für Verwaltungszusammenarbeit in den Bereichen Außengrenzen, Visa, Asyl und Einwanderung (ARGO) vom 16.10.2001, KOM (2001) 567 endg.; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen ftir die Anerkennung und den Status von Drittstaatenangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 15.11.2001, KOM (2001) 510 endg.; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Erteilung kurzfristiger Aufenthaltstitel für Opfer der Beihilfe zur illegalen Einwanderung und des Menschenhandels, die mit den zuständigen Behörden kooperieren vom 11.2.2002, KOM (2002) 0071 endg. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweiten geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird vom 22.11.2000, KOM (2000) 755 endg. sowie den ersten Bericht der Kommission über die Durchführung Mitteilung KOM (2000) 755 endg., KOM (2001) 710 endg.; Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Migrationspolitik der Gemeinschaft vom 22.11.2000, KOM

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Gespräche mit der Bundesregierung geführt und zahlreiche NGO's konsultiert, so zum Beispiel Amnesty International, UNHCR oder Ärzte ohne Grenzen. Die Kommunen dagegen, die letztendlich mit der Umsetzung und zu einem nicht geringen Anteil auch der Finanzierung betraut sein werden, wurden dagegen von der Europäischen Kommission nicht in die Beratungen einbezogen. Kommunalspezifisches Fachwissen bleibt also unberücksichtigt.

1. Ausschuß der Regionen Zwar ist daran zu erinnern, dass die erstmalige Erwähnung der lokalen Ebene im europäischen Vertragswerk über den mit dem Maastrichter Vertrag eingeführten jetzigen Artikel 263 EG-V erfolgt ist. Der Ausschuss der Regionen oder - um in der Diktion des Vertrages deutlicher zu bleiben - der Ausschuss aus Vertretern der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften ist aber nach wie vor eine lediglich beratende organähnliche Einrichtung. Seine wesentliche Bedeutung dürfte aber auch darüber hinaus nicht in der Einflussnahme auf Einzelfallregelungen in Entwürfen der Europäischen Kommission, sondern der politischen Deutlichmachung des dezentralen Ansatzes im europäischen Integrationsprozess bestehen.

2. Informell verbindliche Beteiligung Demgegenüber würde es sich anbieten, der kommunalen Ebene Europas einen strukturierten informell verbindlichen Beteiligungsprozess in der Entstehungsphase kommunalrelevanter Regelungen einzuräumen. Ein solcher Prozess wäre informell, weil er keine inhaltliche Bindungswirkung gegenüber den Organen der europäischen Ebene beinhalten würde, zugleich aber verbindlich, weil er eine Anhörungsverpflichtung der Europäischen Kommission mit deren Verpflichtung zur Stellungnahme bei gegebenenfalls vorgetragenen Bedenken und Anregungen beinhalten müsste.

(2000) 757 endg.; Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Offener Koordinierungsmechanismus für die Migrationspolitik der Gemeinschaft, K O M (2001) 387; Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der illegalen Einwanderung vom 15.11.2001, KOM (2001) 672 endg. Arbeitsdokument der Kommission, Das Verhältnis zwischen der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Erfüllung der Anforderungen aus internationalen Schutzverpflichtungen und den diesbezüglichen Instrumenten vom 5.12.2001, KOM (2001) 743 endg.

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In ihrer Mitteilung „Konsultationsdokument: Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs - Vorschlag für allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission" könnte die Kommission diesen Gedanken aufgegriffen haben. Sie greift damit zurück auf im Weißbuch „New Governance" 8 formulierte Positionen. Im Weißbuch heißt es: „Europäisches Regieren Im Zuge der Ausdehnung der Tätigkeiten der Union während der letzten fünfzehn Jahre ist sie auch in größere Nähe zu den Regionen, Städten und Kommunen gerückt, die heute für die Umsetzung der EU Politik in der Landwirtschaft und bei den Strukturfondshilfen bis hin zu den Umweltstandards verantwortlich sind. Die stärkere Einbindung der Regional- und Kommunalbehörden in die Politik der Union ist auch Ausdruck ihrer wachsenden Verantwortlichkeiten in manchen Mitgliedstaaten und eines stärkeren Engagements der Menschen und demokratischen Basisorganisationen vor Ort. Einbindung in die Politikgestaltung Auf EU Ebene sollte die Kommission dafür sorgen, dass die regionalen und lokalen Erfahrungen und Bedingungen bei der Entwicklung politischer Vorschläge berücksichtigt werden. Dazu sollte sie einen systematischen Dialog mit den europäischen und nationalen Verbänden der Regional- und Kommunalbehörden organisieren, wobei die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Regelungen der einzelnen Staaten zu beachten sind."

Wie bereits angedeutet, hat die Europäische Kommission in dem Konsultationsdokument ihre allgemeinen Grundsätze und Mindeststandards für Konsultationen konkretisiert. Dabei gesteht sie der „organisierten Zivilgesellschaft" eine besondere Rolle zu. Gleichwohl muss sie eingestehen, dass es keine gemeinsame oder gar rechtliche Definition des Begriffs „organisierte Zivilgesellschaft" gibt. Allerdings nur ergänzend zu diesem Konsultationsprozess mit der organisierten Zivilgesellschaft soll es ein weiteres Instrument geben, das einen Rahmen für einen systematischeren Dialog mit den europäischen und nationalen Verbänden der Regional- und Kommunalbehörden in der EU vorgibt. Ob und wie sich das nicht auszuschließende Spannungsverhältnis zwischen organisierter Zivilgesellschaft einerseits und dem besonderen Konsultationsprozess mit der regionalen und lokalen Ebene Europas letztlich löst, muss zur Zeit noch offen bleiben. Neben diesem zunächst als positiv zu bewertenden, wenngleich wenig konkreten Ansatz der EU-Kommission bleibt auch noch das endgültige Ergebnis der Konventsberatungen abzuwarten, das aber trotz des dargestellten ersten positiven Ansatzes sicher darüber hinaus keine Aussagen zur konkreten Einbin-

8 Europäische Kommission, Weißbuch, Europäisches Regieren vom 25.7.2001, K O M (2001) 428 endg.

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dung der lokalen Ebene in den europäischen Beratungs- und Entscheidungsprozeß beinhalten wird.

VI. Zwischenergebnis Aktuell stellt sich damit die Situation, zurückgeführt auf ihre wesentlichen Elemente, immer noch wie vor wie folgt dar: Wird die kommunale Ebene von Rechtsetzungsakten als Folge oder als Ziel betroffen, hat sie lediglich die Möglichkeiten der informellen Intervention, die sich nicht von denen anderer Akteure, etwa der Wirtschaft unterscheidet, ja zum Teil faktisch hinter diese zurückfällt. Es dürfte unstreitig sein, dass Akteure wie die Deutsche Bank, Daimler Chrysler oder Lyonnais des Eaux als mächtige Wirtschaftsfaktoren eher Gehör finden als die kommunalen Akteure. Hier bleibt die kommunale Ebene Objekt der Regelungen. Von einer Rolle als aktives Subjekt ist sie mit allen bereits beschriebenen möglichen negativen Folgen soweit entfernt wie je. Dieses Bild scheint für den einen oder anderen Betrachter nicht mehr klar zu sein. So wird als Begründung für eine veränderte Situation der Begriff der „Partnerschaft" angeführt. Analysiert man diejenigen Fälle, in denen sich die europäische Ebene, insbesondere die Europäische Kommission, auf diesen Begriff beruft, so stellt man eine enge Begrenzung seiner Verwendung fest. Es handelt sich dabei meistens um Fälle, in denen es um finanzielle Beziehungen zwischen der Europäischen und der kommunalen Ebene geht. Dazu zählen beispielsweise, wenn auch eingeschränkt, die Gemeinschaftsinitiativen und Strukturfonds, vor allem aber einzelne Programme. Beruft sich die Europäische Ebene aber auf dieses Partnerschaftsprinzip, steht dahinter der Gedanke, der eigenen - europäischen - Politik zur Umsetzung zu verhelfen. Daraus wiederum wird deutlich, dass man sehr wohl die Bedeutung der kommunalen Ebene zur Realisierung der europäischen Integration erkannt hat. Aber auch hier verbleibt es letztlich bei der Tatsache, dass die europäische Ebene in der kommunalen Struktur nur ein interessantes Objekt und Instrument zur Verwirklichung eigener Politiken sieht. Hieraus ergibt sich ein weiteres Spannungsfeld. Es besteht in der Frage, wieweit beide Ebenen verpflichtet sind, bestehende Strukturen, wie etwa in dem angestammten Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, zu respektieren und andererseits solche Strukturen, dem europäischen Integrationsprozess und seinen Politikzielen folgend, auf kommunaler Ebene selbst anzupassen. Dieser Prozess befindet sich in einer hochaktuellen Phase, die sich kurz- und mittelfristig noch verdichten wird. Wie viel kommunale Selbstverwaltung kann erhalten bleiben, ohne auf reine Vergabe- und Kontrollfunktionen beschränkt zu werden? Und wie viel harmo-

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nisierte Einheitsverwaltung, nach europaweit gleichen Regeln agierend, ist zur Erreichung des gemeinsamen Integrationsziels notwendig? Die Kommunen haben an Gestaltungsspielraum verloren, obwohl in vielen Bereichen sachgerechte Entscheidungen besser auf ihrer Ebene getroffen werden. Zu Recht ergibt sich daraus die Forderung nach klarerer Aufgabenzuweisung und nach der Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, wie sie die Mitglieder des AdR im Konvent formuliert haben9.

V I I . Europäische Fördermittel als Chance Auch jede finanzielle Förderung selbst führt letztlich zu einer gewollten Angleichung der Verhältnisse oder - schlimmer - zu einer inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anpassung. Die soeben angesprochene Förderung, die auch oder speziell auf die kommunale Ebene abzielt, soll selbstverständlich nicht nur als Risiko im Sinne der Vereinheitlichung oder gar der Korrumpierung und damit verbundenen Aufgabe politisch angestammter Rechte, sondern auch als Chance gesehen werden. Unabhängig von der Beurteilung der Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit solcher Mittel, deren Bedeutung naturgemäß in Abhängigkeit zur Validität und Prosperität des Empfängers steht, haben sie dennoch stets auch einen fördernden Ansatz. Gerade diejenigen, deren exekutive und wirtschaftliche Möglichkeiten geringer sind, als sie für den Durchschnitt der deutschen Städte, Gemeinden und Kreise gegeben sind, müssen und sollen diese Möglichkeiten als Chance be- und ergreifen.

V I I I . Die Globalisierung als Chance Der zweite wesentliche Aspekt, der unter das Stichwort „Chancen" für die Kommunalverwaltung subsumiert werden kann, ergibt sich aus der auf europäischer Ebene beförderten Möglichkeit der Globalisierung. Diese unstreitig als Herausforderung an Europa zu bezeichnende Entwicklung wirkt wiederum auf den ersten Blick kommunalbeschränkend. Wenn Telebooking, Telebanking, Teleshopping und e-commerce bei Erfüllung der Voraussetzungen des datensicheren und leistungsfähigen Anschlusses von jedem Ort der Welt möglich sind, scheint es auf die einzelne Gebietskörperschaft nicht

9 Der Ausschuss der Regionen im Konvent vertreten, Pressemitteilung des AdR vom 4.3.2002.

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mehr anzukommen. Damit erschließt die Telekommunikation auch den Kommunen die globale Dimension. Globalisierung ist somit die eine Seite. Die andere Seite der Medaille heißt Lokalisierung. Sie bedeutet, dass hinter allen Leistungen in der Informationsgesellschaft immer noch Menschen stehen, die arbeiten aber auch leben wollen. Menschen, die eben neben ihrer Arbeit ganz persönliche Bedürfiiisse haben. Und da ist die Auswahl nicht mehr beliebig, nicht weltweit, nicht in Europa, ja nicht einmal in einem der Mitgliedstaaten der EU. Erst wenn die Voraussetzungen der Globalisierung, also der Zugang zu den Datennetzen, und zugleich die eben beschriebenen Qualitäten der Lokalisierung, die ja auch als „weiche Standortfaktoren" beschrieben werden, gleichermaßen erfüllt sind, wird es tatsächlich zur bewussten Auswahl eines Standortes kommen. Die lokale Ebene bildet in einer Welt, die immer stärker von multinationalen Konzernen und großen kontinentalen Freihandelsgemeinschaften beherrscht wird, eine „menschlichere" und zugleich „effiziente" Organisationsebene. In der Politikwissenschaft wird diese Beziehung von Globalisierung und Lokalisierung auch mit „Glokalisierung" bezeichnet. Aber die regionale und lokale Wirtschaftsentwicklung in den Kommunen macht nicht automatisch durch vorhandene Infrastrukturen für Informationsund Kommunikationstechnologien Fortschritte. Wer nur über Infrastrukturen verfügt, löst dadurch nicht unbedingt deren Nutzung aus. Der erwartete Erfolg erfordert einen integrierten Ansatz. Zu ihm gehören zahlreiche Aspekte, von denen an dieser Stelle zunächst Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und die Mobilisierung aller Akteure genannt werden sollen. Es scheint eine Binsenweisheit zu sein, Humanressourcen in lokalen oder regionalen Entwicklungsstrategien als vorrangig darzustellen. Aber der Begriff „in Kenntnisse und Fähigkeiten investieren" ist noch neu. Leider werden auch lokal immer noch Ausund Fortbildung allzu häufig nicht als langfristige Investitionen erkannt. Im Gegensatz zu diesen, auch mit dem Begriff „Software-Investitionen" zu bezeichnenden Aufwendungen wurde in der Vergangenheit eher in die „HardwareFaktoren" wie Autobahnen, Gewerbegebiete oder materielle Beihilfen für Unternehmen investiert. Weil auch bei der Entwicklung von Telearbeit, Teledienstleistungen und anderen Anwendungsbereichen der modernen Telekommunikationstechnologien der „Faktor Mensch" entscheidend bleibt, dürfte auch auf die lokale Wirtschaftsförderung ein Paradigmenwechsel zukommen. Man muss ihn als Chance begreifen. Zu folgen ist im Übrigen nicht der weitverbreiteten Annahme, dass moderne Kommunikationstechnologien Entfernungen und geografische Hindernisse überwinden und somit Unterschiede zwischen den Regionen ausgleichen können. Tatsache ist, dass die Telematik die Abhängigkeit von der Entfernung, von Zugangsmöglichkeiten zur Information und von zahlreichen Hindernissen, die sich der interaktiven Kommunikation in den Weg stellen, überwinden kann. Das

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aber bedeutet nicht, dass Lage oder Entfernung keine Rolle mehr spielen, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf andere, mit der Lage verbundene Faktoren. Dazu zählen etwa Umweltqualität, menschliche Ressourcen, Dynamik und Innovationsfähigkeit der lokalen Wirtschaft, die Aufgeschlossenheit der Akteure und Betroffenen gegenüber Neuem und ihre Flexibilität. Die eigentliche Besonderheit der modernen Kommunikationstechnologien liegt eben nicht in der Überwindung von Entfernungen, sondern in ihrer Fähigkeit, zeitliche Abläufe zu verkürzen, komplexe Vorgänge zu bearbeiten und Flexibilität zu organisieren. Für die lokale oder regionale Politik und den bereits geforderten integrierten Ansatz ist es besonders wichtig, sich dieser Perspektive bewusst zu sein. Es ist interessant, dass die Europäische Kommission die Bedeutung der lokalen Politik im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung nicht nur erkannt hat, sondern nachhaltig zu fördern versucht. Auch insoweit ist eine aktive Rolle der lokalen Ebene als integrativer Faktor in der wirtschaftlichen Entwicklung Europas anerkannt. Die „Wirtschaftskompetenz" der lokalen Ebene in Europa setzt selbst aber wieder voraus, dass der politische Entscheidungsspielraum und damit auch das Sachwissen um wirtschaftspolitische Zusammenhänge erhalten bleibt. Der beschriebene integrative Ansatz ist eine unabdingbare Voraussetzung in einer partizipativen Bürgergesellschaft. Erst eine solche Vorgehensweise kann Überfremdungsängste abbauen und zugleich eine neue, zukunftsorientierte Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Region und ihrer Gemeinde schaffen und durch diese Offenheit zugleich integrative Wirkung zeitigen. Nur wenn die Betroffenen die Entwicklung mittragen, kann ihr Erfolg beschieden sein. Von unten nach oben zu planen, zu beraten und zu entscheiden, bedeutet nichts anderes als auch das Subsidiaritätsprinzip ernst zu nehmen. Es mag verwundern, aber die Globalisierungsdiskussion stärkt die kommunale Ebene und die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips.

IX. Die Erweiterung als Chance Ein letzter Aspekt ist zu erwähnen. Er bezieht sich auf die Erweiterung. Nicht ohne Grund wird im Rahmen der Beitrittspartnerschaften mit den Beitrittskandidaten auf europäischer Ebene großer Wert auf den Ausbau funktionierender demokratischer und administrativer Strukturen auf lokaler Ebene gelegt. Ihnen wird besondere Bedeutung als stabilisierender Faktor der demokratischen Prozesse in den Beitrittsstaaten aber auch als funktionierende Verwaltungseinheit im Interesse der Für- und Vorsorge für die Bürgerinnen und Bürger und der Umsetzung des europäischen Rechts zugesprochen. Hier wird besonders deutlich, dass kein Projekt, keine Maßnahme, keine Investition oder konsumptive Hilfe ohne die lokale Ebene realisiert werden kann und die gewünsch-

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te kurz- oder mittelfristige Wirkung zeigt. Effektive und effiziente Verwaltung vor Ort macht unmittelbar gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern die positiven Seiten der europäischen Integration deutlich. Hier sei das Stichwort „Twinning" genannt. Diese Chance fur die europäische Integration durch die kommunale Ebene lässt sich aber wiederum nur verwirklichen, wenn den kommunalen Akteuren auf europäischer Ebene ein angemessener Stellenwert nicht nur als Objekt, sondern als Subjekt zugestanden wird. Selbst wenn man mit der notwendigen Zurückhaltung die Organisationshoheit der neuen Beitrittsstaaten respektiert, ist es dennoch eine Aufgabe Europas, die Kommunalverwaltungen, wiederum auch im eigenen Interesse, nicht nur nachhaltig finanziell zu fördern, sondern im Sinne der bereits angesprochenen wirklichen Partnerschaft als Berater und Ratgeber einzubeziehen.

X. Abschließende Bemerkungen Zusammenfassend lassen sich folgende Thesen aufstellen: 1.

Die Rolle der Kommunalverwaltungen in Europa wird über diejenige der kommunalen Selbstverwaltung definiert. Es besteht ein aktuelles Spannungsverhältnis zum Begriff der „organisierten Zivilgesellschaft".

2.

Chancen und Risiken der europäischen Integration für die kommunale Selbstverwaltung und damit ihre Verwaltungen in Europa liegen eng beieinander.

3.

Bestehende Risiken der unmerklichen Umgestaltung kommunaler Verwaltungsstrukturen zur kommunalen Einheitsverwaltung lassen sich durch die Berücksichtigung gleichwertiger Vertrags immanenter Politikziele vermeiden.

4.

Die nachhaltige Sicherung von Umfang, Tragweite und Inhalt örtlicher Entscheidungskompetenzen ist ein Indikator für die Ernsthaftigkeit der Bemühungen um einen „bottom-up-Ansatz" und dient zugleich der Verwirklichung eines das Subsidiaritätsprinzip achtenden Gesellschaftsmodells.

5.

Der kommunalen Selbstverwaltung in Europa ist national und europäisch eine Rolle als mitgestaltendes Subjekt einzuräumen. Sie darf für Europa nicht lediglich interessantes Objekt bleiben.

6.

Die kommunale Ebene muss ihre Chance als Bindeglied zwischen der Globalisierung und der Lokalisierung nutzen.

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7.

Effektive und effiziente Kommunal Verwaltungen können die Vorteile der europäischen Integration vor allem in den Beitrittsländern unmittelbar vor Ort deutlich machen.

8.

Der Erweiterungsprozess wird nur dann erfolgreich sein, wenn Europa das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung als Chance bürgerschaftlicher Beteiligung begreift und es bei Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität adaptiert.

K o m m u n a l e Daseinsvorsorge i m europäischen B i n n e n m a r k t Grenzen der Liberalisierung kommunaler Dienstleistungen in der europäischen Wettbewerbsgesellschaft Von Rainer Pitschas*

I . „Daseinsvorsorge' 4 als unfertiges Rechtskonzept kommunaler Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Wer heute inmitten der Debatte um die Europäische Wettbewerbsgesellschaft über Liberalisierung und Wettbewerbsöflhung auch für die kommunale Daseinsvorsorge nachdenkt, sich also beispielsweise zur Überführung alltäglicher Versorgungs- und Verkehrsdienstleistungen in eine wettbewerbliche Organisation von Angebot und Nachfrage auf offenen Märkten Gedanken macht, steht zu allererst vor der Frage, worauf sich die „Daseinsvorsorge" rechtlich überhaupt gründet 1. Die Beschreibung kommunaler Dienstleistungen wie der Versorgung mit Wasser, Gas und Elektrizität, dem Betrieb von Verkehrsmitteln, der Bereitstellung von Postdienstleistungen oder Krankenhäusern und vielem anderem im Rahmen der kommunalen Sozialpolitik gibt darauf noch keine befriedigende Antwort. Ein rechtlich ausgefeiltes Konzept oder Rechtsinstitut der „Daseinsvorsorge" existiert eben nicht. Das Kommunalverfassungsrecht der Länder knüpft denn auch und vielmehr die Zulässigkeit kommunaler Vorsorgeleistungen an den damit verfolgten „öffentlich-rechtlichen Zweck" 2 . Dieser muss die Leistungserbringung durch kommunale Anstalten oder Unternehmen Meiner Wiss. Mitarbeiterin Ass. iur. Stefanie Gille danke ich herzlich für ihre Hilfe bei der Materialbeschaffung und den Anmerkungen. 1

So bspw. Uwe Brandl, Die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge, BayBürgermeister 2002, 52 ff.; dazu auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl., Berlin / New York 1999, Rz. 118 ff. 2

Siehe dazu als Beispiel § 8 I GemONW: „Die Gemeinden schaffen innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Betreuung ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen." Zur Thematik allgemein siehe Peter J. Tettinger, Verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie und kommunale Wirtschaft, in: Günter Püttner (Hrsg.), Zur Reform des Gemeindewirtschaftsrechts, Baden-Baden 2002, S. 23 ff. 3 Piischas/Zickow

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rechtfertigen. Hinzu treten regelmäßig kommunalrechtliche Subsidiaritätsklauseln. Ihnen zufolge müssen kommunale Unternehmen den öffentlichen Zweck zumindest ebenso gut, wenn nicht besser und wirtschaftlicher als ihre (privaten) Konkurrenten erfüllen 3. In der Regel wird solchen Klauseln allerdings kein drittschützender Charakter zuerkannt, so dass privatwirtschaftliche Konkurrenten wenig bis nichts für ihre wettbewerbliche Berücksichtigung tun können4. Was also ist die rechtliche Legitimationsgrundlage der kommunalen Daseinsvorsorge? Die Antwort auf diese Frage verlangt nach der Definition dessen, was wir unter Daseinsvorsorge im nationalen und dann im supranationalen Zusammenhang verstehen. Die Antwort hierauf wiederum mündet in die Überlegung ein, wie weit diese Daseinsvorsorge im europäischen Zusammenhang einen besonderen Schutz in Abgrenzung zur Marktverfassung der Gemeinschaft genießt5.

1. Daseinsvorsorge als Tatbestand der nationalen Leistungsund Infrastrukturverwaltung Der Begriff der „Daseinsvorsorge" ist in Deutschland eng und nachhaltig mit den Arbeiten von Ernst Forsthoff verknüpft. Man schlägt am besten bei ihm nach, wenn man wissen will, was unter Daseinsvorsorge zu verstehen ist und was sie umfasst. In der sehr bekannten Schrift dieses Autors von 1938 zur „Verwaltung als Leistungsträger" findet sich zu lesen: „Neben der Energiewirtschaft und Personenbeförderung zu Lande wäre hier an die Wasserwirtschaft, an öffentliche Einrichtungen wie Badeanstalten, Krankenhäuser, Heil- und Erholungsanstalten und Sportanlagen zu denken, welche gegen Entgelt einer allgemeinen Benutzung offen stehen und auf welche das Volk lebenswichtig angewiesen ist". Hierfür habe der Staat, so fährt Forsthoff fort, die Daseinsverantwortung 6.

Dirk Ehlers, Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Wirtschaftsbetätigung, in: Jörn Ipsen (Hrsg.), Kommunalwirtschaft im Umbruch - Kommunale Wirtschaftsunternehmen zwischen öffentlicher Aufgabe und Wettbewerb, Osnabrück 2001, S. 10, 14 ff. 4 Joachim Burmeister, Verfassungsrechtliche Grundfragen der kommunalen Wirtschaftsbetätigung, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, Heidelberg 1983, S. 623, 625; Hans D. Jarass, Kommunale Wirtschaftsunternehmen und Verfassungsrecht, DÖV 2002, 489 ff.; Stefan Storr, Zwischen überkommener Daseinsvorsorge und Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, DÖV 2002, 357, 358. 5 Hans-Jürgen Papier, Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Dienste der kommunalen Daseinsvorsorge aus nationalstaatlicher und europäischer Sicht, BayGTzeitung 2002, 424 ff.; ders., Kommunale Daseinsvorsorge im Spannungsfeld zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht, DVB1. 2003, 686 ff. 6 Ernst Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 5 f.

Kommunalrechtliche Daseinsvorsorge im europäischen Binnenmarkt

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Man mag diese Sprache in gewisser Weise als umständlich oder als veraltet empfinden, doch ist die Ausdrucksweise der modernen zeitgemäßen Ökonomie in diesem Punkt nicht viel besser, findet sich doch hier u. a. die Aussage, „Daseinsvorsorge" umfasse „Leistungen des oft preisunelastischen Grundbedarfs, die ein Mensch zur unmittelbaren Organisation seines Lebens benötigt" (CA. Blankart) 1. Für den Ökonomen liegt darin eine gängige Verständnisweise. Gleichwohl erscheint sie mir problematisch, weil sie eine klare Grundaussage verschweigt: Die Versorgung mit dem Grundbedarf an Wasser ist für Menschen in erster Linie nicht eine Frage der Preiselastizität, sondern eine solche von Leben oder Sterben. Denn Wasser ist ein unverzichtbares Lebensmittel, dessen Versorgung um jeden Preis sichergestellt sein muss. Aus dieser Daseinsverantwortung darf sich der Staat keinesfalls zurückziehen 8. Das besagt selbstverständlich noch nichts über die Art und Weise der Beschaffung des Lebensmittels „Wasser". Aber deutlich wird doch, in welche Richtung das Verständnis von „Daseinsvorsorge" zielt. Es geht hier um Leistungen von allgemeinem sozialen und ökonomischen Interesse, die für das Publikum mehr oder weniger im Alltag von Nöten sind, weil sie - wie schon Forsthoff ausgeführt hat - sich als „lebenswichtig" erweisen9.

2. Die spezifische Gemeinwohlverpflichtung der Daseinsvorsorge Für den Rechtscharakter daseinsvorsorgerischer Leistungen und die Art und Weise ihrer Erbringung folgen daraus allerdings noch keine unmittelbaren Festlegungen. Sie müssen aber, soviel ist klar, nicht notwendig durch die öffentliche Hand, also auf kommunaler Ebene durch öffentliche Unternehmen erbracht werden 10. Ganz im Gegenteil dürfen und müssen sie sogar unter der Geltung der europäischen Wettbewerbsverfassung weitgehend privaten Unternehmen, d. h. dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb überlassen werden. Ich neige sogar zu 7

Charles B. Blankart, Daseinsvorsorge ökonomisch betrachtet, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 2002, 28, 30 f. 8 So auch Ulrich Cronauge, Zukunft der kommunalen Wasser- und Abwasserwirtschaft, BWGZ 2002, 322, 323; Jürgen Salzwedel, Optionen, Chancen und Rahmenbedingungen einer Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, in: Martin Oldiges (Hrsg.), Daseinsvorsorge durch Privatisierung - Wettbewerb oder staatliche Gewährung, Baden-Baden 2001, S. 149 ff. 9 Forsthoff (Fn. 6), S. 7 ff; siehe auch Winfried Pöcherstorfer, Daseinsvorsorge und Marktöffnung durch Gemeinschaftsrecht - auch in der Wasserwirtschaft?, ZURSonderheft 2003, 184 ff. 10 Dazu auch Winfried Fuest/Rolf Kroker/Klaus-Werner Schatz, Die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen und die Daseinsvorsorge, Köln 2002, S. 29 ff; Ulrich Hösch, Die kommunale Wirtschaftstätigkeit, Tübingen 2000, S. 31 ff

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der Auffassung zu sagen, dass es letztlich keine daseinsvorsorgerische Leistung gibt, die nicht marktlich erbracht werden könnte. Man sieht das am besten an den Versorgungsleistungen im Sozialsektor, in dem selbst Pflegeleistungen in der höchsten Pflegestufe wettbewerblichen Angeboten privater Pflegedienste und marktwirtschaftlich gestalteter Durchführung überantwortet sind 11 . Es hat daher die Sachkundigen nicht überrascht, dass die Europäische Kommission mehrfach, insgesamt in drei Mitteilungen und vor allem im Jahr 2000 zu den Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa zwar die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten betont, zugleich aber diesen den verfügbaren Spielraum hierfür entschieden begrenzt hat 12 . Die Kommission definiert den Begriff der Daseinsvorsorge als „marktbezogene oder nichtmarktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden" 13 . Mit der Feststellung der begrifflichen Reichweite von „Daseinsvorsorge" akzeptiert die Kommission einerseits, dass darunter auch nicht marktbezogene Tätigkeiten fallen können. Sie rechnet deshalb m. a. W. auch solche Tätigkeiten zur Daseinsvorsorge, die gerade nicht auf Märkten angeboten werden! Zum anderen wird die Gemeinwohlverpflichtung bei daseinsvorsorgerischen Leistungen als der entscheidende Punkt anerkannt 14. In der Konsequenz dessen wäre es falsch anzunehmen, daseinsvorsorgerische Dienste als solche von allgemeinem Interesse würden generell die Grenzen rein marktfähiger Prozesse kennzeichnen. Dem ist nicht zu folgen. Selbst die klassischen Bereiche der überkommenen Daseinsvorsorge können - bei entsprechender staatlicher Wahrnehmung der Daseinsverantwortung im Wege einer Gewährleistungsaufsicht und eventuellen „Ersatzvornahme" dem Wettbewerb überlassen werden 15.

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Jürgen Wasem, Die private Pflegeversicherung - ein Modell fur eine alternative Organisation der sozialen Sicherung zwischen Markt und Staat?, in: Winfried Schmähl (Hrsg.), Soziale Sicherung zwischen Markt und Staat, Berlin 2000, S. 78 ff. Siehe dazu auch Rainer Pitschas, Innere Sicherheit in der EU und europarechtliche Grundlagen des Sicherheitsgewerbes, NVwZ 2002, 519 ff. 12 Europäische Kommission, Daseinsvorsorge in Europa, Mitteilung vom 26.09.1996, KOM (1996), 443 endg., Abi. C 281 / 1996, S. 3 ff.; Europäische Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Mitteilung vom 20.9.2000, KOM (2000), 580 endg., Abi. C 17 / 2001; Europäische Kommission, Bericht fur den Europäischen Rat von Laeken vom 17.10.2001, Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001), 598 endg. 13 KOM (1996) 443 endg., S. 2. 14 Ernst-Joachim Mestmäcker, Daseinsvorsorge und Universaldienst im europäischen Kontext, in: Franz Ruland / Bernd Baron von Maydell / Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, Heidelberg 1998, S. 635 f. 15 So wohl auch Jörg Ennuschat, Die neue Mitteilung der EU-Kommission zu den „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa", RdE Nr.2 / 2001, 46 f.

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3. Daseinsvorsorge zwischen Marktöffnung und dem Vorbehalt öffentlicher Dienste Marktbezogen sieht die Kommission deshalb zu Recht die Telekommunikation, Postdienste, Erbringung von Verkehrsleistungen, die Energie- und Stromversorgung, den Hörfunk und das Fernsehen - mag auch die (vorübergehende) Begleitung der Liberalisierung durch die Einrichtung von Regulierungsbehörden erforderlich sein. Auch diese Form der Marktöffhung verträgt sich auf Zeit mit den Voraussetzungen des europäischen Wettbewerbsrechts 16. Denn die Kommission will es prinzipiell den Mitgliedstaaten überlassen, welche Leistungen zum Bereich der Daseinsvorsorge gezählt werden sollen und welche von den allgemeinen Wettbewerbsregeln ausgenommen werden dürfen. Freilich hält sie Letzteres nur dann für zulässig, wenn die Herausnahme aus dem Wettbewerb zur Erfüllung der dann öffentlichen Anstalten oder Unternehmen übertragenen Aufgaben unbedingt erforderlich sein sollte. Die Kommission will sich aber diesbezüglich auf eine Missbrauchskontrolle beschränken. In deren Gesichtskreis würde dann aber auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Maßnahmen der Marktschließung rücken 17 . Die „Gestaltungsfreiheit" der Mitgliedstaaten muss ferner die Existenz von Mindeststandards der Qualität, Dauerhaftigkeit und Gleichbehandlung von Vorsorge gewährleisten. Darin scheint die Vorstellung einer Grundform „öffentlicher Dienst" durch Daseinsvorsorge auf, wie sie dem Konzept des „service public" in Frankreich nicht unähnlich ist 18 . Die hieran orientierte Art der Daseinsvorsorge unterliegt nach französischem Recht einer öffentlichen Vorsorgeverantwortung, bei der die besondere Rolle des Staates als Träger des „service public" ebenso hervorgehoben wird, wie der Umstand, dass die Erbringung der Leistungen der Befriedigung eines öffentlichen Interesses dient und ihr zugleich die Gewinnerzielungsabsicht fehlt 19 . Ein

16 Ludwig Grämlich, Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post im Jahr 2002, CR 2003, 414 ff.; Siegfried Klaue, Liberalisierung und / oder Regulierung in der Energiewirtschaft, BB 2002, 162 ff.; Johannes Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts, Verw 36 (2003), 1 ff. 17 Rudolf Geiger, E U V / E G V , 3. Aufl., München 2000, Art. 16, Rz.3 ff.; HansGünter Henneke, Die Rolle der Kommunen in Europa, Der Landkreis 2002, 370, 374; Christian Jung, in: Christian Calliess / Mathias Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EUV / EGV, 2. Aufl., Neuwied 2000, Art. 16, Rz. 11 ff. 18 Chantal de Ν estour / Bernd-Michael Zinow, Rechtsfragen des „Service Public", RdE 1994, 129 f. 19 Patrick Celestine / Marcus Felsner, Öffentliche Unternehmen, Privatisierung und service public in Frankreich, RIW 1997, 105 f.; Jean-Marie Woehrling, Die Kontrolle der europäischen Wirtschaftsverwaltung aus französischer Sicht, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Die rechtsstaatliche Einbindung der europäischen Wirtschaftsverwaltung, Baden-Baden 2002, S. 57, 60 f.

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solches Verständnis akzentuiert das im Begriff des „öffentlichen Dienstes" eingelagerte Allgemeininteresse; es rückt dem Verständnis des Gemeinschaftsrechts von der Daseinsvorsorge im „allgemeinen wirtschaftlichen Interesse" (Art. 86 Abs. 2 EGV) ziemlich nahe. Der entscheidende Unterschied zu dem deutschen Verständnis von Daseinsvorsorge liegt in der Anbindung der kommunalen Daseinsvorsorge in Deutschland an die bürgerschaftlich-demokratische Partizipation bei Festlegung der Leistungen sowie der Kriterien hierfür 20 . Dagegen werden nach französischem Dafürhalten, wie auch die 13. Erklärung zur Schlussakte des Amsterdamer Vertrags zum Ausdruck bringt, die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse durch die Grundsätze der Qualität, der Dauerhaftigkeit und der Gleichbehandlung präzisiert. Allerdings ist das französische Institut des „service public" nicht vollständig in das Gemeinschaftsrecht übernommen worden 21 .

I I . Leistungen der Daseinsvorsorge im Konzept des europäischen Gemeinschaftsrechts 1. Die Steuerungsnorm des Art. 16 EGV Das Gemeinschaftsrecht kennt den Begriff der Daseinsvorsorge nicht; es gibt in ihm keine ausdrückliche Definition der „öffentlichen Dienste". Der dem Maastrichter Vertrag eingefügte Art. 16 EGV bezieht sich allerdings auf die Daseinsvorsorge, insofern er Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ins Auge fasst 22. Dabei lässt sein Text eine gewisse Annäherung an das französische Modell erkennen. Zugleich aber wird auf die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhangs abgestellt, so dass Art. 16 EGV nicht nur die kommunale Daseinsvorsorge in ihrer territorialen Begrenzung auf den kommunalen bzw. lokalen Sektor einbezieht, sondern auch die regionale Perspektive als Steuerungskriterium des gemeinschaftsrechtlichen Ausgleichs zwischen den Interessen an einem unverzerrten Wettbewerb und dem Interesse an einer effizienten Wahrnehmung staatlicher Vorsorgeaufgaben einführt 23 .

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Arndt Schmehl, Teilprivatisierung der Daseinsvorsorge, Demokratieprinzip und Gewinnerzielungsabsicht, JuS 2001, 233 ff. 21 Johann-Christian Pielow, Frankreich - Service Public, in: Rudolf Hrbek / Martin Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, BadenBaden 2002, S. 155 ff. 22 Dazu näher und mit weiteren Nachweisen Christian Jung, in: Christian Calliess / Matthias Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl., Neuwied 2002, Art. 16 EGV, Rz. 3 ff. 23 Martin Nettesheim, Mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge im Spannungsfeld zwischen Wettbewerbskonformität und Gemeinwohlverantwortung, in: Rudolf Hrbek / ders.

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Mit dieser Zielsetzung entfaltet Art. 16 EGV fur die Diskussion über die Daseinsvorsorge im europäischen Binnenmarkt eine entscheidende Bedeutung. Er führt nämlich dazu, dass die Wettbewerbsverfassung des Gemeinschaftsrechts nunmehr nicht allein als maßgebliche Ordnung der öffentlichen Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse fungiert. Daneben wird eine gemeinschaftsrechtlich verankerte Alternative zugunsten einer wettbewerblich zurückgenommenen Ordnung daseinsvorsorgerischer Leistungen erkennbar 24. Allerdings gilt dann für diese das Beihilfenregime, wie die jüngste Rechtsprechung des EuGH offenbart 25.

2. Erwerbswirtschafliche Tätigkeit von Gemeinden in der europäischen Integration Wenn man dies erkennt, dann treten die Erbringung der kommunalen Daseinsvorsorge durch privilegierte Dienstleistungen einerseits und die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts andererseits in ein gewisses Spannungsverhältnis. Für die Bundesrepublik Deutschland ist dieses Spannungsverhältnis nicht weiter zu verheimlichen. Betrachtet man die Entwicklungsphasen und die daran anschließenden Gewährleistungsfunktionen der Kommunalwirtschaft in Deutschland, die immer ausgerichtet war durch ihre Bindung an den öffentlichen Zweck in den einzelnen Gemeindeordnungen der Bundesländer 26, wird man erkennen können, dass wir vor einem ernormen Wandel der kommunalen Daseinsvorsorge in Deutschland stehen. Ursprünglich gab es die Vorstellung, dass sich die deutschen Städte im Rahmen ihrer Selbstverwaltung sehr stark in der Wirtschaft zugunsten ihrer Bürger engagieren. An den Sparkassen kann man dies schon seit 1850 sehr schön er-

(Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, Baden-Baden 2002, S. 39, 50 f. 24 Günter Püttner, Die Aufwertung der Daseinsvorsorge in Europa, ZögU 2000, 373. 25 Siehe neuestens EuGH, Urteil vom 24.7.2003 sowie Schlussanträge vom 14.1.2003 und 19.3.2003, Rs. C-280/00 - Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg / Nahverkehrsgesellschaft Altmark - , momentan nur im Internet unter http://curia.eu.int/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de (Stand: 30.8.2003) zu finden. Allgemein dazu auch mit weiteren Nachweisen Hans-Jürgen Papier, Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Dienste der kommunalen Daseinsvorsorge aus nationalstaatlicher und europäischer Sicht, BayGTzeitung 2002, 424, 429. 26 Siehe dazu ausführlich Günter Püttner, Das grundlegende Konzept der Daseinsvorsorge. Kommunale Daseinsvorsorge - Begriff, Geschichte, Inhalte, in: Rudolf Hrbek / Martin Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, Baden-Baden 2002, S. 32 ff.

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kennen 27 ; hinzu kommen die Gas- und Wasserversorgung, später auch die Stromversorgung und der Nahverkehr. Natürlich gab es zu den damit verbundenen sozialisierenden Tendenzen immer auch Gegenbewegungen aus der Privatwirtschaft, aber es blieb die sehr starke Bindung der kommunalen Ebene an einen bestimmten Zweck der Leistungen, die dann in den sechziger Jahren zunahm 28 . Man kann in diesem Kontext von einer Art der sozialen Verdichtung der Daseinsvorsorge sprechen, die einhergeht mit einer großen Anspruchshaltung der Bürger in den Kommunen 29 . Dabei ist nur an den übermäßigen Bau von Schwimmbädern und Sporthallen in den sechziger und siebziger Jahren zu erinnern. Es wurde als ein Muss für die Kommunen angesehen, die Lebensqualität ihrer Bürger durch entsprechende Einrichtungen zu unterstützen 30. Vergleicht man etwa die heutigen Aufwendungen für Kultur und Sportstätten mit den Zahlen aus dem Jahre 1963 bis 1975 so wurden damals 15,3 Mrd. D M für den Sportstättenbau aufgewendet, von denen 9,8 Mrd. D M von kommunaler Seite einflossen 31. Dabei handelt es sich um einen Anteil der Kommunen bei der Finanzierung der Sporttätigkeit ihrer Bürger, an den heute in Zeiten der Schließung von Sportplätzen und Gemeindebädern gar nicht mehr zu denken ist. In den achtziger Jahren erreichte die Situation mit der Phase der Privatisierungsdebatte dann freilich einen ersten streitigen Höhepunkt. Die Tätigkeit der Kommunen führte nicht nur zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zum Thema, ob Kommunen überhaupt in den erwerbswirtschaftlichen Bereich vordringen dürfen, sondern vor allem dazu, dass sich immer mehr private Unternehmen gegen die kommunalwirtschaftliche Tätigkeit wendeten und dem Preisdumping im Wettbewerb mit den Kommunen entgehen wollten 32 . Die Sparkassen bzw. öffentlichen Banken bis hin zur westdeutschen Landesbank sind ein sehr schönes Beispiel für diese Entwicklung. Nahmen etwa die Kommunen durch ihre Sparkassen 1987 ein Drittel des Kredit- und Barvolumens in Deutschland für sich in Anspruch, so war in den Zeiten zuvor das Gesamtvolu-

27 Ulrich Immenga / Joachim Rudo, Die Beurteilung von Gewährträgerhaftung und Anstaltslast der Sparkassen und Landesbanken nach dem EU-Beihilfenrecht, BadenBaden 1997, S. 14 ff. 28 GünterPüttner, Kommunale Betriebe und Mixed Economy, in: Helmut Wollmann / Roland Roth (Hrsg.), Kommunalpolitik, 2. Aufl., Opladen 1999, S. 541. 29 Adelheid von Saldern, Rückblicke. Zur Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, in: Helmut Wollmann / Roland Roth (Hrsg.), Kommunalpolitik, 2. Aufl., Opladen 1999, S. 23, 33 ff. 30 Peter Michael Mombauer, Daseinsvorsorge in Gemeinden und Kreisen, in: Albert von Mutius, Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, Heidelberg 1983, S. 503, 523. 31 Joseph-Theodor Blank, Sportstätten- und Bäderbau, Städte- und Gemeinderat 1980, S. 13, 15. 32 OLG Hamm, NJW 1998, 3504 f.; Hermann Hill, In welchen Grenzen ist kommunalwirtschaftliche Betätigung Daseinsvorsorge?, BB 1997, 425 f.

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men wesentlich niedriger. 1987 wurden etwa 50 Prozent der privaten Haushalte durch die kommunale Elektrizitätsversorgung versorgt 33.

3. Regionalisierte, sektorielle Betrachtungsweise der Kommunalwirtschaft Anders ausgedrückt führte also das Wachstum der kommunalen Wirtschaft und ihr Ausgriff in den Bereich privaten Wirtschaftens zu einer Gegenbewegung gegen die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden. Heute stehen wir mit den neunziger Jahren und dem Übergang in das 21. Jahrhundert vor der Phase der regionalisierten sektoriellen Kommunalwirtschaft. Die Aufmerksamkeit galt dort in jüngster Zeit vor allem dem Bereich des Bankwesens; der Begriff des sog. Brüsseler Kompromisses ist dafür kennzeichnend34. Obwohl im Amsterdamer Vertrag durch eine gesonderte Erklärung Nr.37 die Fortexistenz der Sparkassen für Deutschland garantiert wurde 35 , ist es durch das Wirken der Generaldirektion Wettbewerb auf europäischer Ebene zu einer Erklärung der deutschen öffentlichen Banken gekommen. Inhalt der Erklärung ist, dass die öffentlichen Banken nunmehr in den Wettbewerb eintreten und die Gewährträgerhaftung und die Anstaltslast bis zu deren völligen Wegfall zurückgeschnitten wird 3 6 . Eine in etwa gleiche Entwicklung stellen wir bei den kommunalen Versorgungs- und Verkehrsbetrieben fest. Allerdings ist diese Entwicklung in einem gewissen Maße zögerlicher, wenn es z.B. darum geht, den öffentlichen Personenverkehr neu zu organisieren und wettbewerblich zu verfassen. Dabei tauchen die Fragen der Gewährleistung der Qualität der Angebote in den Randzeiten sowie der Dauerhaftigkeit und Häufigkeit der Verkehrsorganisation auf. Diese sind in ihrer Bedeutung für die kommunale Bevölkerung nicht zu leugnen 37 .

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Hans-Uwe Erichsen, Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, Heidelberg 1987, S. 11. 34 Gesellschaft für öffentlichen Wirtschaft, Öffentliche Kreditinstitute in der Bundesrepublik Deutschland und EG-Binnenmarkt, ZögU 1990, 409, 418; Dirk Schmidt, Zukunft ohne Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, Kreditwesen 2000, 1050 ff., 1142 ff. 35 Abgedruckt in BGBl. II 1998, S. 438 ff. 36 Siehe dazu ausfuhrlich Jochen Grünhage, Die Sparkassen und der Brüsseler Kompromiss - zur Zukunft der öffentlichen Banken in Deutschland (in diesem Band). Außerdem dazu auch Engelbert Münstermann, Die Sparkassen auf dem Weg in die Zukunft, der gemeindehaushalt 2002, 11 ff.; Janbernd Oebbecke, Das Europarecht als Katalysator der Sparkassenpolitik, VerwArch 93 (2002), 278 ff. 37 So auch Sibylle Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, Bielefeld 2000, S. 109 ff.; Martin Gegner, Staat soll Grundversorgung im Nahverkehr sichern, der städtetag 2003, 27 f.; Oliver Mietsch, Der ÖPNV im Spannungsfeld von Liberalisierung und Gemeinwohlverpflichtung, Verkehr und Technik 2001, 529, 534.

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Das Bankwesen, die kommunale Versorgung und die Verkehrsbetriebe unterscheiden sich von dem Bereich des Wassers und Abwassers in einem wesentlichen Punkt: Die Wasserversorgung handelt mit einem Gut, das meiner Ansicht nach nicht nur in der Frage der Preiselastizität Zweifeln ausgesetzt ist 38 . Dieses Gut ist nicht immer wieder ersetzbar. Die Frage, wann und wo man Wasser benötigt, ist nicht nur eine Frage der Lebensqualität, sondern der Existenz und somit hat Wasser eine andere Grundbedeutung 39. Diese Abstufung, die zwischen Bankwesen, kommunaler Versorgung und Verkehrsbetrieben sowie Wasser und Abwasser existiert, wird im Folgenden noch einmal zu beleuchten sein.

4. Wettbewerbsrechtliche Einbindung der Leistungen der Daseinsvorsorge Betrachtet man die rechtlichen Fragestellungen in diesem von mir so genannten Spannungsfeld zwischen den privilegierten Dienstleistungen dieser drei Beispielsektoren und der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, so tritt die Problematik auf, dass das europäische Wettbewerbsrecht nicht nur in Art. 16 des Gemeinschafisvertrags den Hinweis auf die wirtschaftlichen Interessen beinhaltet. Vielmehr dringt die europäische Wettbewerbsverfassung in den Art. 81 ff. EGV darauf, auch solche Sektoren wie das Bankwesen, die Versorgung und die Verkehrsbetriebe ihrem Regime zu unterstellen, also den offenen Wettbewerb und die völlige Anwendung des Wettbewerbsrechts durchzusetzen 40. Die Einschränkung dieser Bemühungen erfolgt im Rahmen des Art. 86 Abs. 2 EGV. Danach können die Vorschriften des Vertrages für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind, nur eingeschränkt Anwendung finden. Diese eingeschränkte Anwendung erfolgt, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. In der Umsetzung bedeutet dies, dass die Ausnahmeklausel greift, wenn dies von der kommunalen Daseinsvorsorge in einzelnen Sektoren plausibel gemacht werden kann. Dabei muss die Anwendung des allgemeinen europäischen Wettbewerbs-

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Holger Tschense, Finanzielle Reflexe der Privatisierung kommunaler Aufgaben, in: Martin Oldiges (Hrsg.), Daseinsvorsorge durch Privatisierung - Wettbewerb oder staatliche Gewährung, Baden-Baden 2001, S. 150 ff. 39 Ulrich Cronauge, Zukunft der kommunalen Wasser- und Abwasserwirtschaft, BWGZ 2002, 322 ff.; Nikolaus Geiler, Enorme Verantwortung, der gemeinderat speziai „Wasserwirtschaft im Fluss", Sonderheft August 2002, 56 f. 40 Martin Burgi, Perspektiven kommunaler Wirtschaftstätigkeit im europäischen Raum, Der Landkreis 2003, 26; Hans-Günter Henneke, Zehn Jahre Europäischer Binnenmarkt: Auswirkungen auf Strukturen, Institutionen und Modalitäten der Daseinsvorsorge in Deutschland, Der Landkreis 2003, 15, 16 f.

Kommunalrechtliche Daseinsvorsorge im europäischen B i n n e n m a r k t 4 3 rechts für die kommunale Daseinsvorsorge also rechtlich oder tatsächlich von Nachteil sein 41 .

5. Abgrenzungslinien in praktischer Konkordanz Man findet damit eine Art verflochtenes Verhältnis zwischen der kommunalen Daseinsvorsorge in wettbewerblicher Aktionsform einerseits und den Vorbehalten, die aus der Daseinsvorsorge kommen, andererseits 42. Dies gilt jedenfalls für die Bereiche der öffentlichen Banken und kommunalen Versorgungsund Verkehrseinrichtungen oder auch im Wasser- und Energiesektor. Im Anschluss an Jürgen Schwarze lässt sich dieser Umstand mit einer rechtlichen nicht nur tatsächlichen - Aufforderung bezeichnen, im Gemeinschaftsrecht zu einer praktischen Konkordanz zu gelangen, bei der es keine festen Abgrenzungslinien zwischen der Gewährleistung von Daseinsvorsorge und der Durchsetzung des offenen Wettbewerbs gibt 43 . Ganz im Gegenteil meine ich, dass man ein gewisses Verhältnis der Graduierung schaffen bzw. berücksichtigen muss. Es gibt zwischen der Sicherung von Grundbedürfnissen (ζ. B. dem nach Wasser) und einer eigentlich nur öffentlich-rechtlichen Form des Betreibens (ζ. B. im Bankwesen) nicht nur einen graduellen, sondern einen prinzipiellen Unterschied. Dazu kommt man, wenn man entweder von einer normativen Theorie der Daseinsvorsorge, die in der Ökonomie nach Maßgabe der Preiselastizität entwickelt wird 4 4 , oder von einer rechtlichen Grundlegung einer solchen normativen Theorie, die dann natürlich an Forthoff anschließen kann, herkommt 45 . Rechtlich gesehen bedeutet die Anerkennung dieses prinzipiellen Unterschieds von Leistungen der Daseinsvorsorge zugespitzt formuliert, dass das europäische Wettbewerbsrecht im Bereich von Wasser und Abwasser eher zu-

EuGH Rs. 4 1 / 8 3 - British Telecommunications, Slg. 1985, 873; EuGH Rs. C-320 / 91 - Corbeau - Slg. 1993 I, 2563; EuGH Rs. C-393 / 92 - Gemeente Almelo Slg. 1994 I, 1477. 42 Siegfried Magiera, Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge durch das EGBeihilfenrecht?, in: Jörn Ipsen / Edzard Schmidt-Jortzig (Hrsg.), Recht - Staat - Gemeinwohl, Köln u.a. 2001, S. 269, 272; Nettesheim (Fn. 23), S. 39, 52. 43 Jürgen Schwarze, Daseinsvorsorge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2001, 334 ff. Siehe dazu auch Rainer Pitschas, Deutsches und europäisches Gesundheitsrecht zwischen öffentlich-rechtlicher Wettbewerbsordnung und Verbraucherschutz, ZSR 2000, 475 ff. 44 Blankart (Fn.7) sowie Holger Mühlenkamp, „Marktversagen" als ökonomische Begründung für Interventionen der öffentlichen Hand, in: Rudolf Hrbek / Martin Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, BadenBaden 2002, S. 65 ff. 45 Forsthoff (Fn. 6) sowie Mestmäcker (Fn. 14) und Peter J. Tettinger, Für die Versorgungswirtschaft bedeutsame Entwicklungslinien im primären Gemeinschaftsrecht, RdE 1999, 45 ff.

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rücktreten muss, als im Bereich des öffentlichen Bankwesens, wobei die Durchsetzungsstärke der Generaldirektion Wettbewerb Einflussfaktor ist. Sie konnte sich im öffentlichen Bankwesen durchsetzen, wohingegen im Wasser- und Abwasserbereich noch viele Diskussionen zu fuhren sind.

I I I . Leistungen der Daseinsvorsorge in der EU als rechtlicher Gestaltungsauftrag 1. Regulierte Daseinsvorsorge unter Balance-Herrschaft von Markt- und Sozialwirtschaft Nunmehr kommt ein dritter Überlegungsschritt hinzu. Auf der Grundlage des gefundenen Ergebnisses einer praktischen Konkordanz wird in einem weiter gedachten Schritt deutlich, dass das europäische Gemeinschaftsrecht spätestens seit der Einführung des Art. 16 im Maastrichter Vertrag, aber auch durch den nunmehr hinzutretenden Art. 36 der Grundrechte-Charta 46, an einem Zugang zu vielen Dienstleistungen für die Europabürger festhält. Im Rahmen einer Balance zwischen Marktwirtschaft einerseits und der so von mir und Rupert Scholz bezeichneten Sozialwirtschaft 47 andererseits lässt sich für Europa die Aussage wagen, dass man keine rein wettbewerblich strukturierte europäische Wirtschaftsverfassung vorfindet, sondern ein Vorbehalt für gewisse Formen der Sozialwirtschaft erklärt wird, die dann in mitgliedstaatlicher Vorrangverantwortung und Kompetenz liegen. Die rechtliche Begründung aus dem Subsidiaritätsprinzip halte ich allerdings für falsch 48. Wenn man zu einer solchen Balanceherrschaft im europäischen Wettbewerbsrecht kommt, dann stellt sich die Frage, ob die Gegenstände einer solchen kommunalen sozialen Daseinsvorsorge im weiteren Sinne nicht doch einer Art der Regulierung unterliegen. Es gilt dabei darauf zu achten, dass die schlechten privaten Monopole nicht durch schlechte öffentliche Monopole abgelöst oder ergänzt werden. Wenn man die Sozialwirtschaft in Teilen in die Wettbewerbswirtschaft entlässt, ist zu überlegen, ob man in der Übergangsphase für eine Re46 Christoph Grabenwarter, Die Charta der Grundrechte für die Europäische Union, DVB1. 2001, 1, 9 f.; Rainer Pitschas, Europäische Grundrechte-Charta und soziale Grundrechte, VSSR 2000, 207 ff. 47 Rupert Scholz / Rainer Pitschas, Der Beitrag der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu anderen Rechtsgebieten - Sozialstaat und Gleichheit, in: Deutscher Sozialgerichtsverband (Hrsg.), Sozialrechtsprechung: Verantwortung für den sozialen Rechtsstaat, Köln u.a. 1979, S. 627, 653 ff. sowie in der Weiterführung dieses Gedankens Rainer Pitschas, Nationale Gesundheitsreform und europäische „Governance" in der Gesundheitspolitik, VSSR 2002, 75, 86 f. 48 So aber Bruno Klein, Kommunalwirtschaft im regionalen Wettbewerb (in diesem Band).

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gulierung sorgen muss. Insofern befindet man sich momentan auf dem Weg in eine neue Infrastruktur öffentlicher Verwaltung, die die Bereiche der früheren Daseinsvorsorge loslässt und unter dem Dach einer Regulierungsbehörde in die Privatwirtschaft freigibt - was sich am Beispiel des Sektors der Telekommunikation sehr gut beobachten lässt49. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht lässt sich nun darüber streiten, ob diese Ökonomisierung und die Schaffung von Regulierungsbehörden nicht eher wettbewerbsschädlich sind 50 . Darauf soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Vielmehr soll nur darauf hingewiesen werden, dass man die „Krücke" der Regulierung brauchen kann und nutzen muss, um den Übergang von Sektoren der kommunalen und gemeinwirtschaftlichen Daseinsvorsorge in den Bereich der Wettbewerbswirtschaft erfolgreich zu meistern 51. Naturgemäß bleibt es aber natürlich auch dann immer bei der Verpflichtung auf das Gemeinwohl, wie man dem interpretatorischen Sinn des Art. 16 EGV entnehmen kann. Geht man von dieser Grundüberlegung aus, so ist die häufig angebrachte Argumentation hinsichtlich der vergabefremden Zwecke bei der vergaberechtlichen Kontrolle eigentlich nicht zu halten 52 . Vergabefremde Zwecke kann es in diesem Rahmen nur sehr begrenzt geben. Jedenfalls sind solche sozialstaatlichen Orientierungen an fortwirkenden Gemeinwohlverpflichtungen keine vergabefremden Zwecke, sondern sie entsprechen dem Sinn der regulierten, gesteuerten Vergabe im Zusammenhang der Sozialwirtschaft 53.

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Zu den Fragen der Regulierung siehe Fn. 16 sowie Monopolkommission, Wettbewerbsentwicklung bei Telekommunikation und Post 2001: Unsicherheit und Stillstand, Sondergutachten, Bonn 2001, bes. S. 71 ff.; Jens Neitzel, Regulierung in der Sackgasse?, CR 2002, 256 ff. 50 Dazu am Beispiel der Telekommunikation Frank Schmidt / Wolrad Rommel, Regulierung zwischen Dienste- und Infrastrukturwettbewerb, MMR 2002, 225 ff. 51 Monopolkommission, Netzwettbewerb durch Regulierung, 14. Hauptgutachten der Monopolkommission, Bonn 2002, S. 43 ff. 52 Andreas Bartosch, Vergabefremde Kriterien und Art. 87 I EG: Sitzt das öffentliche Beschaffungswesen in Europa auf einem beihilferechtlichen Pulverfass?, EuZW 2001, 229 ff.; Christoph Benedict, „Vergabefremde" Aspekte nach Beentjes und NordPas-de-Calais, NJW 2001, 947 f.; Hans-Joachim Prieß /Christian Pitschas, Die Vereinbarkeit vergabefremder Zwecke mit dem deutschen und europäischen Vergaberecht dargestellt am Beispiel der Scientology Erklärung, ZVgR 1999, 144 ff.; Jan Ziekow, Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, 72 ff. 53 In diesem Sinne wohl auch Carsten Jennert, Vergabefremde Kriterien - keine Beihilfen, sondern gemeinwirtschaftliche Pflichten, NZBau 2003, 417 ff.; außerdem zu der Idee eines „fairen" Beschaffungswesens jüngst Jan Ziekow, Faires Beschaffungswesen, VergabeR 2003, 1 ff.

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2. Rechtliche Folgeprobleme kommunalwirtschaftlicherDaseinsvorsorge in Deutschland Wenn man die dargestellte Linie verfolgt, kommt man zu einer Reihe kommunalrechtlicher Folgeprobleme, die im Einzelnen zu beleuchten sind. Im Bereich des Spannungsfeldes zwischen privilegierten Dienstleistungen der fortwirkenden Daseinsvorsorge und dem Übergang in den Wettbewerb bedürfte es einer sektoriell-bedürfnisbezogenen Abwägungsordnung. Die Kommission ist daher aufgefordert, für den Konflikt zwischen gemeinwirtschaftlichen Diensten und offenem Wettbewerb eine solche Art der Ordnung zu schaffen, um die praktische Konkordanz zu erreichen. Dabei spielen Art. 86 ff. EGV eine gewisse Rolle in der Rechtsprechung des EuGH. Man wird nicht bestreiten können, dass beispielsweise die Anstaltslast eine Beihilfe darstellt, wobei allerdings für den Sparkassensektor auch die Frage offen bleibt, wer den Bürger in einem regionalen Kontext bedient. Diese Berücksichtigung regionaler bürgerschaftlicher Interessen wird - wie oben bereits aufgezeigt - durch Art. 16 EGV vorgegeben. Die Kommission ist deshalb auf dem richtigen Weg, wenn sie eine Art zweistufige Abwägungsordnung schafft, indem sie eine Rahmenordnung für Beihilfen vorgibt und erst in einem zweiten Schritt dann einzelne Beihilfen weiter ausrastert 54. Weiterhin bleibt für die rechtlichen Folgeprobleme zu beachten, dass es zu einem Funktionswandel der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie neben der fortbestehenden Gemeinwohl- und Daseinsvorsorgeverpflichtung kommt 55 . Schreibt man dabei eine eher konservativ selbstverwaltungsrechtliche Argumentation fort 56 , kann man versuchen, die Selbstverwaltungsgarantie den modernen europarechtlichen Erfordernissen anzupassen. Dies würde dann dazu führen, dass man in den regionalen Wirkungskreis einer solchen Garantie vorstößt und sie gleichsam flexibel macht, wobei man sie eben nicht aufweicht. Dabei würde man dann im Rahmen einer Umformung zur regionalen Steuerungsgarantie Ansprüche aus der kommunalen Daseinsvorsorge für die Bürger mit Ansprüchen der Wettbewerbsordnung verschmelzen. 54 In dieser Richtung wohl auch Siegfried Magiera, Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge durch das EG-Beihilfenrecht, in: Jörn Ipsen/Edzard Schmidt-Jortzig (Hrsg.), Recht - Staat - Gemeinwohl, Köln u.a. 2001, S. 269, 272. 55 Axel Endlein, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland und Europa muß gewährleistet bleiben, Die Neue Verwaltung 2001, 4 f.; Franz-Ludwig Knemeyer, Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland unter europäischem Einfluss, in: Rainer Pitschas / Shigeo Kisa (Hrsg.), Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts, Berlin 2002, S. 245 ff.; Stephan Tomerius / Tilman Breitkreuz, Selbstverwaltungsrecht und Selbstverwaltungspflicht, DVB1. 2003, 426, 434. 56 Siehe dazu Ralf von Ameln, Zur Rolle der Kommunen in der europäischen Integration (in diesem Band).

Kommunalrechtliche Daseinsvorsorge im europäischen B i n n e n m a r k t 4 7 Natürlich lassen sich auch Grenzen der Wettbewerbsliberalisierung und damit auch der Regulierung nicht verkennen. Es ist zwar übertrieben zu glauben, dass die Liberalisierung an sich - die ja nicht zwingend Privatisierung sein muss57 - die Grundversorgung der Bevölkerung mit Strom, Wasser, Gelddienstleistungen oder öffentlichem Personennahverkehr gefährdet. Allerdings ist doch auch nicht zu verkennen, dass es gewisse Grenzen einer solchen wettbewerblichen Überführung gibt. Diese können beispielsweise in ökologischen Erfordernissen liegen, die den Bedarf nach einer funktionsfähigen Infrastruktur etwa beim öffentlichen Personennahverkehr in den Abendstunden formulieren 58. Weitere Grenzen sind auch aus der politischen Kultur möglich. Dabei gilt es bei der Propagierung des Wettbewerbs durch die Kommission zu bedenken, dass der französische Begriff des „service public" eine andere Anbindung erforderlich macht als etwa der der Daseinsvorsorge in Deutschland, wo die Selbstverwaltung eine völlig andere Rolle spielt 59 . Mit anderen Worten lässt sich eben nicht festhalten, dass die kommunale Daseinsvorsorge in Europa als solche automatisch dem Geltungsvorrang des Wettbewerbsrechts untersteht.

IV. Zusammenfassung und Schlussfolgerung Zwei Punkte lassen sich am Ende noch einmal zusammenfassend formulieren. Die Ausführungen haben nachgewiesen, dass kommunale Daseinsvorsorge in der Europäischen Union kraft der Entwicklung der Rechtsgrundlagen des Gemeinschaftsrechts in Artikel 16 EGV sowie Artikel 86 Abs. 2 EGV in Verbindung mit weiteren Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und Art. 356 der Europäischen Grundrechte-Charta so etwas bereithält wie eine alternative Wirtschaftsform. Es ist deutlich geworden, dass die Verfassung der alternativen Wirtschaftsform selbstverständlich nicht völlig vom Wettbewerbsrechts abgekoppelt ist, sondern in bestimmten Zeitabschnitten bzw. Phasen und je nach unterschiedlichen betroffenen Gütern (Wasser bzw. Banken) eine sektorielle Überprüfung vorzunehmen ist. Eine solche Prüfung hat sich darauf zu beziehen, ob diese Wirtschaftsform so bestehen bleiben kann bzw. ob und wie sie an die

57 So auch Rüdiger Dohms, Öffentliche Unternehmen und europäisches Gemeinschaftsrecht, in: Jörn Ipsen (Hrsg.), Kommunalwirtschaft im Umbruch, Osnabrück 2001, S. 35 f.; Hans-Günter Henneke, Die Rolle der Kommunen in Europa, Teil 1, Der Landkreis 2002, 370 f.

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Siehe dazu Fn. 37 sowie Eckehard Frenz, Die umweit- und verkehrspolitische Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs, ZUR 1997, 1 ff.; Thomas Muthesius, Zukünftiger Ordnungsrahmen für den allgemeinen öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland, in: Günter Püttner (Hrsg.), ÖPNV in Bewegung, Baden-Baden 2000, S.13, 21 59 ff. Birgit E. Beck, Kommunale Unternehmen zwischen Selbstverwaltungsgarantie und Europarecht, Frankfurt a.M. 2001, S. 201 ff; Pieiow (Fn. 21), S. 155 f., 170 f.

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Wettbewerbsordnung der Gemeinschaft angepasst oder angenähert werden muss. Daneben existiert dann eine sozialstaatliche Regelungsverantwortung der Mitgliedstaaten für die Gewährleistung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Diese sozialstaatliche Regelungsverantwortung darf sich eben nicht darauf beschränken, die Prüfung, ob ein Sektor liberalisiert werden muss oder nicht, Jahr für Jahr hinauszuschieben - wie dies in Deutschland geschehen ist. Beispiele für diese Aufschub-Mentalität bilden der Krankenversorgungssektor sowie der schon viel zitierte Sektor der öffentlichen Banken. Sozialstaatliche Regelungsverantwortung zielt in einer solchen europäischen Konstruktion dann notwendig darauf ab, eine leistungsfähige und zugangsoffene Infrastruktur in allen auch wettbewerblich überantworteten Bereichen zu schaffen. Dafür steht das Beispiel der Telekommunikationsdienste. Hier muss ein Universaldienstangebot mit Zugangsöffnung für Jedermann bereitgehalten werden. Dieser Gedanke gilt sicher dann auch, wenn man Bildungsangebote in wettbewerbliche Margen überführt, auch wenn die Kommission diesen Bereich derzeit noch immer als nichtmarktlichen Sektor betrachtet.

Neue europäische Herausforderungen für die deutschen kommunalen Sparkassen Von Uwe Geske1

Bevor ich eine eigene Einführung in die Problematik unter Konkretisierung auf die Lage der Kreis- und Stadtsparkasse Speyer nach dem Brüsseler Kompromiss übernehme, gestatten Sie mir, dass ich unser Haus - die Kreis- und Stadtsparkasse Speyer - und mich persönlich kurz vorstelle. Die Kreis- und Stadtsparkasse Speyer umfasst das Geschäftsgebiet Stadt Speyer und ein Drittel des Landkreises Ludwigshafen. Daraus resultierend handelt es sich um einen sog. Zweckverband, bei dem zwei Drittel der Trägerschaft die Stadt Speyer und ein Drittel der Trägerschaft der Kreis Ludwigshafen innehaben. Insgesamt existieren 15 Geschäftsstellen im Stadt- und Kreisgebiet, wir verfügen z. Zt. in etwa über eine Milliarde Euro Bilanzsumme und beschäftigen ca. 300 Mitarbeiter. Damit bewegt sich dieses Haus im Mittelfeld aller Sparkassen. Insgesamt nehmen wir den öffentlichen Auftrag als Sparkasse sehr ernst, was ζ. B. im Bereich der Mittelstandsförderung deutlich wird. Ich selbst stamme aus Bielefeld in Nordrhein-Westfalen und bin seit 1996 Vorstandsmitglied und seit 1999 Vorstandsvorsitzender der Kreis- und Stadtsparkasse Speyer. Nunmehr möchte ich im folgenden kurz in die Thematik des sog. Brüsseler Kompromisses einführen, wobei ich meinen Beitrag in vier Bereiche aufteilen möchte: 1.

Entstehung und Zusammenhang des Streits und des Brüsseler Kompromisses;

2.

Umsetzung in die Ländergesetzgebung am Beispiel des Landes RheinlandPfalz;

3.

kurze Skizzierung des öffentlichen Auftrages;

1 Der Beitrag basiert auf der Version, die als Abendvortrag während des Empfangs der Kreis- und Stadtsparkasse Speyer gehalten wurde. Der Vortragsstil wurde im wesentlichen beibehalten.

4 Pitschas/Ziekow

50 4.

Uwe Geske kurze Betrachtung der Auswirkung des Brüsseler Kompromisses auf die Landesbanken und Sparkassen (teilweise aber auch am Beispiel der Kreisund Stadtsparkasse Speyer).

I. Der Streit und der Kompromiss Im Dezember 1999 hatte die Europäische Bankenvereinigung die Haftungsgrundlagen der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Deutschland mit einer Beschwerde bei der Europäischen Kommission angegriffen. Behauptet wurde, die Haftung der Gewährträger der öffentlichen Kreditinstitute in Form von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sei eine verbotene staatliche Beihilfe im Sinne des EG-Vertrages, weil diese die Kreditwürdigkeit der Institute erhöhe und so ihre Finanzierungsbedingungen verbessere. Ungeachtet der Überzeugung, dass die Beihilfevorwürfe einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten würden, sind Bundesregierung, Länder, Kommunen, Institute und Verbände der Sparkassen-Finanzgruppe übereinstimmend der Auffassung gewesen, dass eine jahrelange Auseinandersetzung schädlich für die Sparkassen-Finanzgruppe sei. Permanent auch öffentlich ausgetragener Streit drohte sich negativ auf das Vertrauen der Kunden und Anleger auszuwirken. Um dieses Gefährdungspotenzial einzudämmen, hat die S-Finanzgruppe für eine Verständigung mit der EU-Kommission über die angegriffenen Haftungsgrundlagen plädiert. Schließlich haben sich die EU-Kommission, die deutsche Bundesregierung, die Länder und die Sparkassen-Finanzgruppe am 17. Juli 2001 über eine Änderung der Haftungsgrundlagen der öffentlich-rechtlichen Sparkassen und Landesbanken verständigt. Kernpunkte der Verständigung sind: •

Die Gewährträgerhaftung - das Einstehen des Trägers für sein Institut über die Substanz des Unternehmens hinaus - wird nach einer Übergangszeit bis zum 18. Juli 2005 aufgehoben. Anschließend dient nur noch das Vermögen des jeweiligen Instituts als Haftungsmasse.



Ab diesem Zeitpunkt wird auch die Anstaltslast an privatwirtschaftliche Grundsätze angepasst. Der Träger einer Sparkasse oder Landesbank übernimmt keine unbegrenzte und unbefristete Bestandsgarantie. Die finanziellen Beziehungen zwischen Träger der Landesbank oder Sparkasse unterscheiden sich dann nicht mehr von einer normalen, privatwirtschaftlichen Beziehung. Eine Verpflichtung zur Bereitstellung der Mittel besteht nicht.



Neben den Änderungen in der Gewährträgerhaftung und Anstaltslast ab 2005 ist eine Übergangsfrist vom 19. Juli 2001 bis zum 18. Juli 2005 ver-

Neue europäische Herausforderungen fur die deutschen kommunalen Sparkassen 51 einbart worden, um den beteiligten Instituten sowie den Kapitalmärkten die Anpassung an die veränderten Haftungsbedingungen zu ermöglichen. Darüber hinaus ist ein sog. Grandfathering für alle bis dahin vereinbarten Verbindlichkeiten vorgesehen. Für solche Verbindlichkeiten, die bis zum 18. Juli 2001 vereinbart waren, gilt dies zeitlich unbegrenzt. Für danach bis zum 18. Juli 2005 vereinbarte Verbindlichkeiten gilt das Grandfathering, wenn deren Laufzeit nicht über den 31. 12. 2015 hinausgeht. •

Die öffentliche Trägerschaft von Kommunen und Ländern bleibt erhalten. Sparkassen und Landesbanken werden auch künftig im Wettbewerb sicherstellen, das gute Finanzdienstleistungsangebote überall und für jedermann in Deutschland zur Verfügung stehen. Dies ist nach wie vor Teil ihres besonderen Auftrags für die Gemeinschaft.

Bei Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen hat die EU-Kommission anerkannt, dass die wirtschaftlichen Grundlagen von Sparkassen und Landesbanken in Einklang mit dem EU-Recht stehen. Die Institute der Sparkassen-Finanzgruppe dürfen danach gegenüber privaten Geschäftsbanken weder bevorzugt noch benachteiligt werden.

II. Die Umsetzung in die Ländergesetzgebung am Beispiel des Landes Rheinland-Pfalz Im Abkommen zwischen der EU-Wettbewerbskommission und den Repräsentanten der Sparkassen-Finanzgruppe wurden lediglich Grundsätze für die vereinbarten Änderungen getroffen. Es bleibt den Landesgesetzgebern überlassen, diesen Rahmen durch entsprechende Gesetzesänderungen auszugestalten. Die Gesetzgebungsverfahren müssen entsprechend den Vorgaben bis Ende 2001 eingeleitet und bis spätestens Ende 2002 abgeschlossen sein. In der Sitzung des Landtages von Rheinland-Pfalz ist am 19. Juni 2002 das Siebte Landesgesetz zur Änderung des Sparkassengesetzes verabschiedet worden. Das Gesetz tritt mit Ausnahme des Artikel 1 am 19. Juli 2005 in Kraft. Artikel 1 des siebten Landesgesetzes zur Änderung des SpkG trat am Tage nach der Verkündigung Mitte Juli 2002 in Kraft. Die wesentlichsten Änderungen im Überblick: •

§ 1 Abs. 2 Zusatz zum alten Sparkassengesetz Im Falle einer Auflösung ist das nach Erfüllung sämtlicher Verbindlichkeiten verbleibende Vermögen den Gewährträgern (Trägern) zur Verwendung für öffentliche, mit dem gemeinnützigen Charakter der Sparkasse im Einklang stehende Zwecke zuzuführen.

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52 •

§ 3 Trägerverantwortung und Stammkapital (1) Die Sparkasse haftet für ihre Verbindlichkeiten mit ihren gesamten Vermögen. Soweit Stammkapital durch Einlagen gebildet wurde, ist die Haftung der Träger hieraus beschränkt. Im Übrigen haften die Träger der Sparkasse nicht für deren Verbindlichkeiten. (2) Die Träger unterstützen die Sparkasse bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit der Maßgabe, dass ein Anspruch der Sparkasse gegen die Träger oder eine sonstige Verpflichtung der Träger, der Sparkasse Mittel zur Verfügung zu stellen, nicht besteht.



§ 30 a Haftung der Träger ab dem 19. Juli 2005 Regelung der Haftung für Verbindlichkeiten bis zum 18. Juli 2001 und der Verbindlichkeiten bis zum 18. Juli 2005 mit einer Laufzeit bis maximal 31. 12. 2015 durch den Träger der Sparkasse.



Für die Landesbank Rheinland-Pfalz - Girozentrale - Veränderung in § 26 SpkG; für die Westdeutsche Immobilienbank § 26 a SpkG und § 26 b SpkG (Übertragung der Trägerschaft und der Beteiligungen am Stammkapital der Landesbank Rheinland-Pfalz - Girozentrale - und der Westdeutschen Immobilienbank.

I I I . Der Öffentliche Auftrag In § 2 des Sparkassengesetzes sind die Aufgaben und der öffentliche Auftrag beschrieben: (1) Die Sparkassen haben als kommunale Wirtschaftsunternehmen die Aufgabe, vorrangig im Gebiet ihres Errichtungsträgers die Versorgung mit geldund kreditwirtschaftlichen Leistungen zu sichern. (2) Die Sparkassen stärken als öffentliche Banken den Wettbewerb im Kreditgewerbe. Sie erbringen Leistungen für die Bevölkerung, die Wirtschaft, den Mittelstand und die öffentliche Hand nach wirtschaftlichen Grundsätzen und den Anforderungen des Marktes. a)

... fördern die Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten.

b)

... fördern die Erziehung junger Menschen zu eigenverantwortlichem wirtschaftlichen Verhalten.

c)

... tragen zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung insbesondere junger und mittelständischer Unternehmen im Geschäftsgebiet bei.

d)

... tragen zur Finanzierung der Schuldnerberatung bei.

Neue europäische Herausforderungen fur die deutschen kommunalen Sparkassen 53 e) (4) ... führen für natürliche Personen aus ihrem Geschäftsgebiet auf Antrag Girokonten. Als Beispiele für die Umsetzung des öffentlichen Auftrages sind das dichte Geschäftsstellennetz der Sparkassen-Finanzgruppe, die (nicht unbedingt problemlose) Marktführerschaft bei der Begleitung von Existenzgründern, die StartUp-Initiative, das „Girokonto für jedermann", der Beratungsdienst der Sparkassen „Geld und Haushalt" sowie das umfangreiche Engagement in Kultur, Sport und für weitere gemeinnützige Einrichtungen zu sehen.

IV. Auswirkungen des „Brüsseler Kompromisses" auf die Landesbanken und Sparkassen Vieles spricht dafür, dass aufgrund der neuen haftungsrechtlichen Verhältnisse auch veränderte Bonitätseinstufüngen für die Sparkassen und Landesbanken wahrscheinlich sind. Die stärker am Kapitalmarkt orientierten Landesbanken werden in diesem Zuge unmittelbar, die Sparkassen aber zumindest mittelbar von höheren Finanzierungskosten betroffen sein. Unmittelbar nach dem 18. Juli 2001 erhöhten sich die Finanzierungskosten der einzelnen Landesbanken um 0,05 - 0,25 %-Punkte, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch die Gewährträgerhaftung und Anstaltslast besteht. Trotz des Drucks auf den Zinsüberschuss und nicht ausreichender Kompensationsmöglichkeiten im Provisionsgeschäft gilt es für die betroffenen Institute, höheren Zuführungen zum Einlagensicherungsfonds nachzukommen, um auf diese Weise die entfallenden Haftungen zumindest teilweise zu kompensieren. In einem bereits herausfordernden und sich weiter verschärfenden Marktumfeld ergibt sich aus dieser Konstellation die Notwendigkeit zu einer klaren strategischen (Neu-)Positionierung, die in gleicher Weise den rechtlichen, betriebswirtschaftlichen wie auch wettbewerblichen Anforderungen im Sinne von Strukturerhalt, Kostensenkungen und Ertragsverbesserungen Rechnung trägt. Eine erfolgversprechende strategische Ausrichtung lässt sich über die Fokussierung auf drei elementare Bausteine erreichen: •

Die Ausrichtung der Geschäftsprozesse auf die Kernprozesse im Sinne einer Optimierung der Fertigungstiefe und -breite;



die Verbesserung der Kostenstrukturen zur Steigerung der operativen Effizienz;



die Generierung eines dauerhaften Wachstums unter ertrags- und risikoorientierten Gesichtpunkten.

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Basis einer zukunftsfähigen Positionierung der eigenen Sparkasse in dem sich neu formierenden Rechts- und Wettbewerbsumfeld ist eine detaillierte Stärken- und Schwächenanalyse, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Den ersten Schritt zur strategischen Neuausrichtung bildet daher eine auf die Identifikation von Werttreibern und Wertvernichtern gerichtete Untersuchung der Sparkasse. Neben einer Neuausrichtung der Vertriebskonzeption im Sinne eines ganzheitlichen Beratungsansatzes und einer darauf konsequent ausgerichteten Personalpolitik ist die Optimierung sämtlicher Prozessabläufe innerhalb des Unternehmens mit Auswirkungen auf die Ablauf- und Aufbauorganisation erforderlich. Nennenswerte Kostensenkungspotenziale durch eine Restrukturierung können erfahrungsgemäß in den Zentralfunktionen einschließlich des ITBereiches realisiert werden. Diese beiden Funktionsbereiche gehören im Regelfall nicht zu den werttreibenden Kerngeschäftsfeldern, repräsentieren aber gleichwohl einen bedeutenden Teil der anfallenden Kosten. Ein bankspezifischer, Cash-Flow-orientierter Unternehmensbewertungsansatz auf Grundlage der barwertorientierten Marktzinsmethode stellt das hierfür geeignete, praxistaugliche Instrument dar. Mit Hilfe dieses Ansatzes, als zwingende Nebenbedingung sind die HGB-Bilanzierungsrichtlinien zu beachten, wird konkret ermittelt, welche Unternehmensbereiche in ihrem jeweiligen operativen Geschäft in welcher Größenordnung einen wertsteigernden bzw. wertmindernden Beitrag leisten. Durch diese Methode kann eine ertrags- und risikoorientierte Geschäftspolitik bewertet und gemessen werden. Die (Neu-)Ausrichtung zu einem Geschäftsmodell, das auf den bestehenden Kernkompetenzen basiert, bedarf in der Regel eines Bündels verschiedener Maßnahmen. Dazu gehören Restrukturierung von Arbeitsprozessen, Überlegungen zum Outsourcing einzelner Geschäftsbereiche sowie die Überlegungen hinsichtlich regionaler Kooperationen und Fusionen. Dabei gilt es insbesondere, die BeziehungsgefÜge zwischen dem neu ausgerichteten Unternehmen auf der einen und den Mitarbeitern, Kunden sowie Wettbewerbern auf der anderen Seite in die Betrachtung zu integrieren. Letztendlich ist es notwendig, keine abwartende Haltung einzunehmen, sondern proaktiv zu handeln, um die Veränderungsprozesse zu gestalten und abgestimmt auf die regionalen Gegebenheiten die zukunftsfähige Positionierung erreichen zu können.

Die Sparkassen und der „Brüsseler Kompromiss 4 ' zur Zukunft der öffentlichen Banken in Deutschland Von Jochen Grünhage

Das Thema des heutigen Abends, „Die Sparkassen und der „Brüsseler Kompromiss" - zur Zukunft der öffentlichen Banken in Deutschland", ist politisch wie ökonomisch von weittragender Bedeutung für die Institute, die Regionen, die Unternehmen und die Bürger. Dabei möchte ich eingangs gleich klarstellen: Das notwendige Nachdenken über die künftige Positionierung der Sparkassen und Landesbanken im Markt ist nicht erst durch die mit der Europäischen Kommission erreichte Verständigungslösung vom 17. Juli 2001 ausgelöst worden. Gründe dafür sind vielmehr ein schwieriger gewordenes ökonomisches Umfeld, sich verändernde Markt- und Wettbewerbsbedingungen, verschärfte Anforderungen aus internationalen bzw. europäischen Vereinbarungen und Regelungsvorhaben wie Basel II oder dem Aktionsplan Finanzdienstleistungen der Brüsseler Institutionen. Ehe ich auf den sogenannten „Brüsseler Kompromiss" eingehe, erleichtert es, so meine ich, das allgemeine Verständnis, wenn ich zunächst die Rolle der Europäischen Kommission im Zusammenspiel mit den anderen europäischen Institutionen, den nationalen Regierungen und der beteiligten Wirtschaft skizziere.

I. Die Rolle der Europäischen Kommission Aus meiner insgesamt 20-jährigen beruflichen Erfahrung an der Ständigen EU-Vertretung Deutschlands in Brüssel weiß ich, dass in Deutschland oft Missverständnisse über die differenzierten Machtverhältnisse in Europa bestehen: Im Ministerrat, dem zentralen Gesetzgebungsorgan der EU, haben die Regierungen im Zusammenspiel mit dem Europäischen Parlament (EP) das Sagen. Die Kommission hat hier „nur" ein Vorschlagsrecht, das allerdings als Monopol für Gesetzgebungsinitiativen ausgestaltet ist. Die Aufgaben der Kommission reichen aber weit darüber hinaus, d. h. insbesondere: •

Sie ist Hüterin der Verträge und wacht über die Anwendung der europäischen Gesetzgebung.



Sie hat die maßgebliche Kompetenz in handelspolitischen Fragen.

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Sie entscheidet über die Verteilung umfangreicher europäischer Haushaltsmittel.



Sie ist Denkfabrik und Initiatorin fur umfangreiche Liberalisierung und Deregulierung. Denken Sie nur an die früher auch in Deutschland streng regulierten Verkehrs-, Energie- oder Telekommunikationsmärkte.



Und - last not least - sie ist oberste und nur der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs unterworfene Europäische Wettbewerbsbehörde.

Gerade Deutschland beklagt oft diese letztgenannte Rolle der Kommission bei ihren Einzelentscheidungen. Dabei war es Deutschland, das bei der Gründung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und gegen den Widerstand anderer Mitgliedstaaten die strengen Wettbewerbsvorschriften des Vertrages durchgesetzt hat. Der europäischen Kommission als von den Regierungen unabhängige Institution wurde insbesondere die Beihilfenkontrolle nach Art. 87 des EG-Vertrages übertragen. Grund dafür war, einen europäischen Beihilfewettlauf zu Lasten des grenzüberschreitenden Wettbewerbs, der Staatshaushalte, der Steuerzahler und des Strukturwandels in den verschiedenen Wirtschaftszweigen zu vermeiden. Dies war und ist notwendig und vernünftig. Allerdings ist das europäische Beihilferecht in den letzten Jahren auf der Grundlage einer umfangreichen europäischen Rechtsprechung eines geschärften „europäischen Bewusstseins" von Konkurrenten und eines gestiegenen Selbstverständnisses der Europäischen Kommission in einem Ausmaß erweitert worden, das die Väter der Römischen Verträge wohl kaum voraus gesehen haben. Finanzhilfen für Industrie und produzierendes Gewerbe sind längst nicht mehr die alleinigen staatlichen Stützungsmaßnahmen, auf die sich der strenge Blick der Brüsseler Wettbewerbshüter richtet. Inzwischen nimmt die EU-Wettbewerbsdirektion auch bereichsprägende Strukturelemente ins Visier. Dass dabei die Grenzen zwischen reiner Rechtsanwendung und politischem Gestaltungswillen verschwimmen, ist kaum zu leugnen. Auf ein Kuriosum möchte ich in diesem Zusammenhang hinweisen. Die Kommission wacht streng darüber, dass Beihilfemaßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten keine grenzüberschreitenden - nur um die geht es - Wettbewerbsverzerrungen auslösen. Bei der Mittelvergabe aus europäischen Programmen stellt sich die Kommission diese Frage aber nicht. Dabei ist es keineswegs so, dass alle Beihilfen der Kommission nur und schon deshalb wettbewerbsneutral sind, weil sie auf europäischer Ebene vergeben werden. Wie übrigens in anderen Fällen auch, sind in Deutschland Rolle und Durchsetzungswille der Kommission bei der Prüfung von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung der deutschen Landesbanken und Sparkassen - insbesondere auch von den politischen Entscheidungsträgern auf Länderebene - von Anfang an und eine gute Wegstrecke darüber hinaus unterschätzt worden. Die Einsicht kam spät, aber gerade noch rechtzeitig, um zu einer ausgewogenen, für alle Be-

Die Sparkassen und der „Brüsseler Kompromiss"

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teiligten insgesamt zufriedenstellenden und zukunftsweisenden Übereinkunft zu kommen. Im Verlauf der schwierigen Beratungen mit den auf deutscher Seite beteiligten Verhandlungsführern Bundesregierung, Landesregierungen und dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) haben Kommissar Monti und seine maßgeblichen Mitarbeiter immer wieder klargemacht, dass die Kommission nach dem Vertrag allein über die Zukunft von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung entscheiden kann. Sie hat aber eine Verständigungslösung vorgezogen, um langwierige Auseinandersetzungen vor dem EuGH mit ungewissem Ausgang zu vermeiden. Dabei stand die Kommission immer unter dem Druck der Beschwerde des Europäischen Bankenverbandes, der mit einer Klage vor dem EuGH gegen die Kommission gedroht hatte, sei es wegen Untätigkeit oder wegen einer fehlerhaften Entscheidung. Auch für die deutsche Seite war eine Verständigungslösung der klügere Weg gegenüber einer einseitigen, hoheitlichen Entscheidung der Kommission. Der entscheidende Grund für die Bereitschaft der in Deutschland Beteiligten, das Ergebnis vom 17. Juli 2001 mitzutragen, liegt in der damit gewonnenen Rechtssicherheit, keineswegs in einer impliziten Anerkennung der Rechtsposition der europäischen Kommission. Gegen die Argumente der Kommission lassen sich viele gute Gründe anführen. Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sind nichts anderes als die Eigenhaftung des Staates für seine - vom EG-Vertrag zugelassene - unternehmerische Tätigkeit. Den Vorteilen der staatlichen Haftung stehen spezifische Lasten gegenüber. In eine europarechtliche Bewertung der Haftungsinstrumente sind die in den Landesbanken- und Sparkassengesetzen festgelegten, gemeinwohlorientierten Aufgaben einzubeziehen. Richtigerweise bedürfte es einer Gesamtbetrachtung der mit der traditionellen Anstalt öffentlichen Rechts verbundenen Strukturelemente, von denen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung nur einen Teil der Elemente darstellen, der jedoch von der Europäischen Kommission isoliert herausgegriffen und einer Partialanalyse unterzogen worden ist. Hinzu kommt, dass auch die großen privaten Banken faktische staatliche Einstandspflichten genießen. Dieses „too big to fail"-Phänomen wird den großen deutschen Bankhäusern von den Rating-Agenturen gutgeschrieben. Wenn also die baldige Herstellung der Rechtssicherheit der entscheidende Grund für die Bereitschaft zur Verständigung mit der Kommission war, so ist es aus heutiger Sicht müßig, sich noch mit der Frage zu befassen, ob nicht eine Entscheidung des EuGH für die Sparkassen-Finanzgruppe ein günstigeres Ergebnis erbracht hätte. Allein die Tatsache, dass ein mehrjähriger Prozess sich negativ auf die Geschäftstätigkeit der Institute ausgewirkt hätte, zeigt, dass es richtig war, sich mit der Kommission außergerichtlich zu verständigen. Von kommunaler Seite ist in einem früheren Verhandlungsstadium auch mehrfach eingebracht worden, man hätte durch eine schärfere Konturierung und

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Präzisierung des öffentlichen Auftrags der Institute eine Entscheidung auf europäischer Ebene vermeiden können. Konsequenz eines solchen Lösungsversuchs wäre aber gewesen, dass die öffentlichen Institute unmittelbar in den Anwendungsbereich der europäischen Transparenzrichtlinie gefallen wären. Damit wäre eine ständige Überwachung der öffentlichen Kreditwirtschaft und fortlaufender Streit mit der Kommission über die Verhältnismäßigkeit staatlicher Vorteile gegenüber den mit der Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen erforderlichen Kosten ausgelöst worden. Ein solcher Weg wäre das Gegenteil von Rechtssicherheit gewesen. Dies gilt um so mehr, als die Kommission zu erkennen gegeben hat, dass sie bei weitem nicht das, was wir in Deutschland als Daseinsvorsorge begreifen, als „Leistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" im Sinne des Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag respektieren würde. Vielleicht - das ist meine persönliche Spekulation - hätte es früher zu einem Ausgleich mit der Kommission kommen können, wenn noch im Vorfeld der Beschwerde der Privatbanken informelle, aber intensive Gespräche mit den Verantwortlichen in Brüssel geführt worden wären. Die Kommission wäre dazu bereit gewesen. Diese Bereitschaft fand in Deutschland aber keinen Widerhall. Im Gegenteil: Auf politischer Ebene wurde - zum Teil auch öffentlich - der Gedanke eines europäischen Beihilfeprüfverfahrens mit Vehemenz zurückgewiesen. Das war nicht immer klug. Die Kommission ist ein politisches Organ mit erheblicher Machtfülle, gerade im Wettbewerbsbereich. Die Lebenserfahrung zeigt: Derjenige, dessen Macht und Entscheidungsbereitschaft unterschätzt oder gar bestritten wird, geht bei der Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden Instrumente konsequent und zielstrebig vor.

I I . Der

„Brüsseler

Kompromiss46

1. Vorgeschichte des Kompromisses Die Überprüfung der historisch gewachsenen und zum Teil gewohnheitsrechtlich anerkannten Haftungsgrundlagen des öffentlichen Bankensystems in Deutschland - d. h. Anstaltslast und Gewährträgerhaflung - bilden ein treffliches Beispiel für das gestiegene Selbstverständnis der Kommission im Wettbewerbsbereich. Die teilweise gesetzlich geregelte, teilweise auf einem ungeschriebenen Rechtsgrundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts beruhende Anstaltslast bezeichnet die Verpflichtung des Trägers, das jeweilige öffentliche Unternehmen, die Anstalt, mit den zur Aufgabenerfüllung nötigen finanziellen Mitteln auszustatten und so für die Dauer ihres Bestehens funktionsfähig zu erhalten. Die Gewährträgerhaftung umschreibt demgegenüber die unmittelbare Haftung des Trägers einer Sparkasse oder Landesbank für die Verbindlichkeiten

Die Sparkassen und der „Brüsseler Kompromiss"

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der Anstalt, ζ. B. der Refinanzierung dienende Inhaberschuldverschreibungen oder Sparkassenbriefe, soweit die Gläubiger nicht durch das Kreditinstitut selbst befriedigt werden. Bereits im Jahre 1995 hatte die Europäische Kommission in einem sogenannten „Non-paper" die Vereinbarkeit von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung mit den EG-Wettbewerbsvorschriften in Frage gestellt. Da die in diesem Papier vorgetragenen Gesichtspunkte weder für die öffentliche Kreditwirtschaft noch für ihre Träger überzeugend waren, forderte der Bundesrat 1997 die Bundesregierung auf, den Bestandsschutz des deutschen öffentlichen Bankensystems EGvertraglich festzuschreiben. Dieses Ziel konnte im Rahmen der Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag nicht erreicht werden. Dessen Durchsetzung scheiterte am Widerstand anderer Regierungen. Es war auch nicht möglich, ein entsprechendes Protokoll zum Vertrag durchzusetzen. Übrig blieb schließlich eine Erklärung der Regierungskonferenz von 1997, die im Kern die Wettbewerbsregeln des Vertrages bestätigt und die Kommission mit einer Untersuchung beauftragt hat, ob es in den übrigen Mitgliedsstaaten vergleichbare Fälle wie die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Deutschland gibt. Die Kommission legte ihren Bericht im Jahre 1998 vor und gelangte darin zu der Auffassung, dass Anstaltslast und Gewährträgerhaftung verbotene Beihilfen darstellten, soweit sie sich nicht lediglich auf die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse beschränkten. Am 21. 12. 1999 legte die europäische Bankenvereinigung eine Beschwerde gegen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung ein. Am 26. 1. 2000 teilten die Dienststellen der Kommission der Bundesregierung eine sogenannte vorläufige Position mit, dass Anstaltslast und Gewährträgerhaftung nicht mit dem gemeinsamen Markt vereinbar seien. Nach Stellungnahme der Bundesregierung, in der der Kommissions-Auffassung widersprochen wurde, verabschiedete die Kommission am 8. 5. 2001 auf der Grundlage von Art. 88 des EG-Vertrages einen sogenannten „Vorschlag zweckdienlicher Maßnahmen", mit der die staatlichen Haftungsregelungen nach Kommissions-Auffassung an die Erfordernisse der Beihilferegeln des EG-Vertrages angepasst werden sollten. Nach diesem Vorschlag sollten die in den Landesgesetzen explizit oder implizit verankerten, öffentlichen Garantie-Instrumente in der Substanz ohne Übergangszeit abgeschafft werden. In der Folgezeit kam es zu intensiven Verhandlungen zwischen Kommissions-Vertretern und der deutschen Seite unter Federführung der Bundesregierung. Das Ergebnis dieser Verhandlungen vom 17. 7. 2001 stellt aus Sicht der von der Bankenbeschwerde Betroffenen eine wesentliche Verbesserung gegenüber der Position der Kommission vom 8. 5. 2001 dar. Zum Erfolg entscheidend beigetragen hat das geschlossene Auftreten der deutschen Verhandlungsdelegation unter Leitung von Staatssekretär Koch-

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Weser vom Bundesministerium der Finanzen. In der Delegation, der sogenannten Koch-Weser-Gruppe, waren die Finanzminister der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen vertreten, sowie der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Das geschlossene Auftreten der deutschen Seite war durch intensive interne Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen einerseits und den Instituten und Verbänden der Sparkassen-Finanzgruppe andererseits möglich geworden. Die Entwicklung des sogenannten Plattform-Modells, das die Verständigungslösung überhaupt erst ermöglicht und bestätigt hat, ist das Verdienst aller Beteiligten, insbesondere auch der Verbandsspitze der Sparkassen-Finanzgruppe.

2. Inhalt des „Brüsseler Kompromisses" Die Verständigung vom 17. Juli 2001, die im Wesentlichen die Abschaffung der Gewährträgerhaftung und die Ersetzung der Anstaltslast nach einer im Einzelnen festgelegten Übergangsphase vorsieht, ist insgesamt ausgewogen. Unwesentlicher Inhalt ist der folgende:

a) Geltung für Landesbanken und Sparkassen Sie gilt gleichermaßen fur alle Landesbanken wie fur die Sparkassen. Gelegentlich wird noch behauptet, dass eine Einbeziehung der Sparkassen in die Verständigung nicht erforderlich gewesen sei. Dies ist unzutreffend. Zwar standen im Laufe der Diskussion lange Zeit nur die Landesbanken im Fokus. Auch die Europäische Kommission erweckte zunächst in ihrer Öffentlichkeitsarbeit den Eindruck, dass die Sparkassen von keinem Verfahren bedroht seien. Tatsächlich betraf jedoch der Beihilfevorwurf der Wettbewerbsdirektion ausdrücklich auch die Sparkassen. Bereits die Europäische Bankenvereinigung hatte in ihrer Beschwerde mit der Stadtsparkasse Köln ein Sparkasseninstitut exemplarisch herausgegriffen. In dem Beschluss der Europäischen Kommission über den Vorschlag zweckdienlicher Maßnahmen vom 8. Mai 2001 wird die uneingeschränkte Reichweite des Beihilfevorwurfs deutlich. Die Kommission lehnt es dort ausdrücklich ab, dem Beihilfevorwurf für die einzelnen Institute jeweils gesondert nachzugehen. Vielmehr betrachtet sie Anstaltslast und Gewährträgerhaftung als eine Art übergreifendes Beihilfeprogramm, das zu Gunsten einer unbestimmten Zahl lediglich allgemein und abstrakt definierter Unternehmen gilt. Damit waren automatisch sämtliche öffentlich-rechtlichen Institute in die Untersuchung mit einbezogen. Die Kommission führte aus, dass die Haftungen nur dann als mit dem EGVertrag vereinbar betrachtet werden könnten, wenn sie jeglichen auch nur po-

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tentiellen Beihilfecharakter ausschließen. Die Kommission machte des Weiteren deutlich, dass sie geschäftliche Vorteile aus der Trägerhaftung keineswegs nur bei offiziell gerateten Instituten sieht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könnten auch relativ kleine Beihilfebeträge und Beihilfen an relativ kleine Unternehmen, die nur innerhalb ihres Heimatlandes tätig sind, prinzipiell den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigen. Damit sind grundsätzlich auch rein regional tätige Institute ohne Auslandskontakte betroffen. Aus dieser von der Kommission vertretenen Rechtsauffassung ergibt sich, dass sich die Frage nach einer Trennlinie in der rechtlichen Behandlung von Landesbanken einerseits und Sparkassen andererseits nie ernsthaft stellen konnte. Für eine etwaige Trennlinie mitten durch das Lager der Sparkassen gilt das gleiche. Darüber hinaus wäre eine Zweiteilung der Sparkassen auch aus eigenem geschäftspolitischem Interesse der Sparkassen-Finanzgruppe unsinnig gewesen. Sie zieht ihre Stärke und Wettbewerbsfähigkeit aus dem Verbund, auch und gerade in Zukunft; ich merke an: trotz einiger Unkenrufe auf Grund durchsichtiger Partikularinteressen.

b) Abschaffung der Gewährträgerhaftung und Ersetzung der Anstaltslast Die Verständigung sieht fur die Zukunft die Abschaffung der Gewährträgerhaftung vor. Die Anstaltslast wird - um zu verdeutlichen, dass eine finanzielle Beziehung zwischen Träger und Institut bestehen bleibt - nicht einfach abgeschafft, sondern ersetzt. Maßstab soll dabei eine „normale wirtschaftliche Eigentümerbeziehung gemäß marktwirtschaftlichen Grundsätzen" sein, vergleichbar der „zwischen einem privaten Anteilseigner und einem Unternehmen in einer Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung". Diese allgemeine Aussage wird in der Verständigung anschließend konkretisiert: Danach geht es darum, jegliche Verpflichtung des öffentlichen Trägers zu wirtschaftlicher Unterstützung des Instituts und jeglichen Automatismus zugunsten des Instituts auszuschließen. Eine unbeschränkte Haftung des Trägers für Verbindlichkeiten des öffentlichen Kreditinstituts soll ebenso wenig bestehen wie eine Garantie, den Bestand des Instituts sicherzustellen. Hiermit ist der Kern des Beihilfevorwurfs, der sich speziell gegen eine der Anstaltslast zugeschriebene Automatik unbeschränkter wirtschaftlicher Unterstützung richtete, ausgeräumt. Unberührt bleibt selbstverständlich die Möglichkeit des Trägers, wie ein privater Unternehmer dem Institut nach seinem Ermessen Mittel jeglicher Art zuzuführen. Sofern diese Unterstützung allerdings ein Ausmaß erreicht, das von

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einem privaten Unternehmer nicht erbracht worden wäre, läge eine nach europarechtlichen Regeln der Kommission zu notifizierende Beihilfe vor, die von ihr auf etwaige grenzüberschreitende Wettbewerbsverzerrungen nach Art 87 des EG-Vertrages zu überprüfen wäre.

c) Übergangszeit Den deutschen Verhandlungsführern gelang die Durchsetzung eines einheitlichen Übergangszeit von vier Jahren, beginnend mit dem 18. Juli 2001. Sie ist für die Beurteilung der Verhandlungsergebnisse vom 17. Juli 2001 von zentraler Bedeutung. Diese Übergangszeit ermöglicht den Instituten wie den Finanzmärkten und der Wirtschaft, einen akzeptablen Anpassungspfad, insbesondere auch für eine Neuausrichtung der Landesbanken - Beispiel WestLB - und des Haftungsverbunds: •

Die am 17. 7. 2001 bestehenden Refinanzierungen genießen einen unbefristeten Vertrauensschutz und bleiben damit durch die Trägerhaftung voll und unbegrenzt abgesichert.



Die während der Übergangszeit - d. h. zwischen dem 19. Juli 2001 und dem 18. Juli 2005 - eingegangenen Verbindlichkeiten sind während dieses Zeitraums von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung gedeckt.



Nach dem Ende der Übergangszeit sind diese Verbindlichkeiten bis zum 31. 12.2015 von der Gewährträgerhaftung erfasst, sofern ihre Laufzeit nicht über dieses Enddatum hinausgeht.



Daraus folgt, dass nach dem 18. Juli 2005 gegründete Neuverbindlichkeiten keine Sicherung durch die Gewährträgerhaftung erhalten.

Mit diesen Ergebnissen kann die öffentliche Kreditwirtschaft leben. Entgegen manchen Befürchtungen haben die Rating-Agenturen die Auswirkungen der Verständigungslösung durchaus realistisch, d. h. moderat bewertet. Die sich aus der Brüsseler Übereinkunft ergebenden Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage sind bis zum 31. 12. 2002 durch entsprechende Anpassung der Rechtsgrundlagen vorzunehmen. Die Gesetzgebungsverfahren laufen zur Zeit. In mehreren Ländern sind sie bereits abgeschlossen bzw. stehen kurz vor dem Abschluss. In jedem Fall wird der Zeitplan eingehalten.

3. Bewertung des Kompromisses Wichtig für die Bewertung der Verständigungslösung ist folgendes: Während der gesamten Verhandlungen ist die öffentliche Trägerschaft bei Sparkassen und

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Landesbanken von der Kommission nie in Frage gestellt worden. Maßgeblicher Grund dafür ist Art. 295 des EG-Vertrages, der festlegt, dass die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten von den vertraglichen Vorschriften unberührt bleibt. Wenn also in Deutschland - ich denke hier ζ. B. auch an die saarländischen Überlegungen - über eine eventuelle Privatisierung der Sparkassen nachgedacht wird, kann sich niemand auf das Ergebnis der Verhandlungen mit der Kommission berufen. Dennoch meinen einige, der nächste logische Schritt zur Anpassung an sich verändernde politische und ökonomische Rahmenbedingungen sei die Privatisierung von Landesbanken und Sparkassen. So wird in der Literatur vereinzelt die Auffassung vertreten, in den nächsten Jahren werde es „unausweichlich" zu einer Privatisierung der Sparkassen und Landesbanken kommen.1 Begründet wird diese Auffassung insbesondere mit der Behauptung, die Vereinbarkeit von Regionalprinzip und Verbundsystem der Sparkassenorganisation mit dem Europäischen Wettbewerbs- und Kartellrecht böten neue Angriffsflächen als Folge der Verständigungslösung und erhöhten den Privatisierungsdruck auf die Sparkassenorganisation. Ich teile diese Auffassung nicht. Kein Institut aus anderen Mitgliedstaaten ist rechtlich oder faktisch daran gehindert, im deutschen Markt präsent zu sein und sich dem intensiven Wettbewerb zwischen den öffentlichen, genossenschaftlichen und privaten Banken zu stellen. Rein innerstaatlich relevante Regelungen, die nicht zu grenzüberschreitenden Wettbewerbsverzerrungen führen, fallen nicht in die Zuständigkeit der Wettbewerbshüter der Europäischen Kommission. Mit anderen Worten: Da das Regionalprinzip der Sparkassen keine Anwendung auf nichtdeutsche Institute findet, ist es europarechtlich wettbewerbskonform. Auch das Verbundsystem der Sparkassen-Finanzgruppe kann keineswegs als eine den Wettbewerb in Europa beschränkende Organisation qualifiziert werden. Vielmehr ist es - nicht anders als übrigens das Verbundsystem anderer dezentraler Gruppen wie etwa der genossenschaftlichen Banken - ein wettbewerblich notwendiges Gegenstück zur Organisationsstruktur der großen Konzerne. Es hilft damit, Wettbewerb zu bewahren und bezweckt nicht, ihn einzuschränken. Die Europäische Kommission hat jedenfalls nicht die Absicht, diese Form der Zusammenarbeit dezentraler Unternehmen anzugreifen. In der kreditwirtschaftlichen Diskussion wird ebenfalls hin und wieder der Ruf nach einer Privatisierung aufgrund veränderter Rahmenbedingungen laut. Hinter der Fragestellung, ob eine Privatisierung der Landesbanken und Sparkassen nicht eine logische Folge der mittelfristigen Ersetzung von Anstaltslast und Abschaffung der Gewährträgerhaftung sei, stehen nicht nur Prinzipientreue zur Marktwirtschaft und Forderungen nach einem Rückzug der öffentlichen Hand 1

So Wiesel, in: Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft 2002, Heft 4, S. 288.

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Jochen Grünhage

aus allen Feldern, die nicht unmittelbar klassischen hoheitlichen Aufgaben des Staates zugerechnet werden. Es sei daran erinnert, dass Stützpfeiler der Marktwirtschaft die Ordnungspolitik ist. Der Staat hat insbesondere für funktionierenden Wettbewerb zu sorgen. Gleichzeitig hat er soziale Verantwortung. Dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft entspricht es, wenn eine flächendeckende Versorgung aller Bevölkerungsschichten mit Bankdienstleistungen sichergestellt wird. Landesbanken und Sparkassen erfüllen diese Aufgabe, und sie stehen - ich sagte es - in intensivem Wettbewerb im Rahmen unseres dreigliedrigen Bankensystems. Hinter der Forderung nach Privatisierung stehen oft ganz andere Motive. Mit einer dreistufigen Strategie sollen Marktanteile erobert werden, die dann letztlich zur Beschränkung des Wettbewerbs führen kann. Diese Strategie wird beschönigend und unzutreffend als „Marktbereinigung" bezeichnet. Im Einzelnen bedeutet das: •

In der ersten Stufe werden die öffentlichen Sicherungs- und Garantiesysteme ersetzt bzw. abgeschafft.



In einer zweiten Stufe sollen durch Auslösung einer öffentlichen Diskussion das Terrain für eine Privatisierung vorbereitet und Fliehkräfte innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe und ihrer Träger freigesetzt werden.



Die dritte Stufe soll zur Übernahme von besonders erfolgreichen öffentlichen Sparkassen durch private Institute führen.

Man könnte dagegen einwenden: „so what"? Das wäre aber kurzsichtig. Der Erfolg einer solchen Strategie wäre nicht zum Nutzen unserer Gesellschaft und unserer Volkswirtschaft in ihrer föderativen und regionalen Ausprägung. Empirisch lässt sich das mit einem Blick auf die britische Bankenlandschaft belegen. Dort sind die öffentlichen Sparkassen im Jahre 1976 privatisiert worden. Ich komme darauf zurück. Wenn also die Forderung nach Privatisierung der Sparkassen nicht als Folge europäischer Rechtsentwicklungen dargestellt werden kann und sich deshalb die Frage nach dem cui bono - wem nützt es - stellt, warne ich davor zu meinen, eine Privatisierung sei jedenfalls für den Träger aus fiskalischen Gründen nur von Vorteil und ohne jedes Risiko. Mit einer formellen Privatisierung, d. h. der Umwandlung in eine private Rechtsform unter Beibehaltung mehrheitlich öffentlicher Trägerschaft, würde die auf das volkswirtschaftliche Gemeinwohl bezogene Orientierung der Institute auf Dauer in Frage gestellt. So soll man nicht glauben, dass durch kommunalrechtliche Bestimmungen wie die Einrichtung privilegierter Stimmrechte zu Gunsten der Kommunen die aufgabenbezogene Geschäftspolitik der Sparkassen gesichert werden könnte. Ist erst einmal die Umwandlung in eine private Rechtsform vollzogen, könnte sich ein latentes Spannungsverhältnis mit anderen europäischen Regelungen, etwa dem europäi-

Die Sparkassen und der „Brüsseler Kompromiss"

65

sehen Übernahmerecht und der Rechtsprechung der EuGH zu den Grundfreiheiten auflun. Ein Auskauf besonders lukrativer Institute durch private Wettbewerber wäre dann später nicht mehr auszuschließen. Auch der Landesgesetzgeber, der die öffentliche Rechtsform seiner Kreditinstitute in Frage stellt, muss wissen, dass er damit für die Zukunft seine gesetzlichen Handlungsinstrumente aus der Hand gibt. Aktien- und Genossenschaftsrecht sind Bundesrecht. Mit der Aufgabe seiner Gesetzgebungskompetenz würde sich das betreffende Land wichtiger regionalpolitischer Gestaltungsmöglichkeiten begeben. Die Erhaltung der öffentlichen Rechtsform für Sparkassen und Landesbanken auch in Zukunft ist keineswegs nur aus traditionellen, prinzipiellen oder formalrechtlichen Gründen sinnvoll und notwendig. Mit dem deutschen dreigliedrigen Bankensystem fahren wir im europäischen Vergleich gut. Der Wettbewerb funktioniert und ist intensiv, im Interesse der Gesamtwirtschaft wie der Verbraucher. Nicht so ζ. B. in Großbritannien. Dort gibt es nur noch private Geschäftsbanken. Analysen der Bank of England und der vor gut zwei Jahren vorgelegte Cruickshank-Bericht zum britischen Bankenmarkt zeigen, dass es in Großbritannien gravierende Wettbewerbsmängel gibt. Vier große Banken wickeln rund 80 Prozent des Privatkundengeschäfts ab. Auf Grund der erheblichen Konzentration im Bankenmarkt ist die Basisversorgung der breiten Bevölkerung und der mittelständischen Wirtschaft mit Finanzdienstleistungen nicht gewährleistet, die Preise sind übermäßig hoch, Dienstleistungen für wirtschaftlich schwächere Kunden und Standorte schlecht. Zwischen 2,5 bis 3,5 Millionen Erwachsener sind ohne Zugang zu einem Giro- und Sparkonto. In Großbritannien wird deshalb die Einführung staatlicher Eingriffe diskutiert, wie sie in den USA bereits existieren. Dort wird ein enormer bürokratischer und regulativer Aufwand betrieben, um die privaten Banken dazu zu bringen, ihre Dienstleistungen für alle gesellschaftlichen Gruppen in allen Regionen anzubieten. In Deutschland stehen wir nicht vor diesen Problemen, weil das Retailgeschäft dezentral geführt wird, mit einem intensiven Wettbewerb vor Ort. Hier zu Lande sichern Sparkassen und Landesbanken das flächendeckende Angebot an Finanzdienstleistungen und einen funktionierenden Wettbewerb in der Kreditwirtschaft, ohne eingriffsintensive staatliche Regulierungen. Der landesgesetzlich festgelegte öffentliche Auftrag der Sparkassen-Finanzgruppe ist deshalb auch nach der Brüsseler Übereinkunft keineswegs obsolet. Vielmehr gewinnt er - aus ganz anderen Gründen - zunehmend an Bedeutung. Eine Reihe von Wettbewerbern haben sich Schritt für Schritt aus den Regionen und Geschäftsfeldern zurückgezogen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Demgegenüber können und werden die Sparkassen und Landesbanken auch künftig ihre wirtschafts- und gesellschaftspolitisch wichtigen Aufgaben erfüllen: 5 Piischas/Ziekow

66

Jochen Grünhage



Dazu gehört erstens die Versorgung aller gesellschaftlichen Gruppen mit Finanzdienstleistungen.



Dazu gehört zweitens die Betreuung breiter Bevölkerungsschichten in geldund kreditwirtschaftlichen Fragen wie Budgetplanung, Altersvorsorge oder der Umgang mit Geld allgemein.



Zum öffentlichen Auftrag gehört drittens die flächendeckende Präsenz der Institute der Sparkassen-Finanzgruppe vor Ort. Diese führt zu einer besonderen Kenntnis der Stärken und Schwächen der einzelnen Regionen. Sie ermöglicht die Förderung der endogenen Potenziale der Regionen durch Sparkassen und Landesbanken. Hier spielt auch das Regionalprinzip eine wichtige Rolle, das die Geschäftstätigkeit der Sparkassen auf das Gebiet des Trägers konzentriert. Die jeweilige Sparkasse hat deshalb ein besonderes Interesse an einer prosperierenden Region. Damit wirken die Unternehmen der Sparkassen-Finanzgruppe an der grundgesetzlichen Norm der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" (Art. 72 GG) schon aus geschäftspolitischem Selbstinteresse intensiv mit.



Und viertens gehört die kreditwirtschaftliche Betreuung des Mittelstandes zu den besonderen Aufgaben und zu den Kernkompetenzen von Sparkassen und Landesbanken. Die Zahlen sprechen für sich: Insgesamt liegt der Anteil der Sparkassen-Finanzgruppe bei der Unternehmensfinanzierung bei rund 40 Prozent. Darüber hinaus haben drei Viertel aller kleinen und mittleren Unternehmen eine Bankverbindung zu einer Sparkasse oder Landesbank, rund zwei Drittel aller in Deutschland vergebenen Kredite an Handwerksbetriebe kommen von einer Sparkasse, jede zweite Existenzgründung wird von ihnen beraten und finanzierend begleitet, und bei der Durchleitung von Förderkrediten der DtA und der KfW stehen sie mit den Landesbanken an erster Stelle. Die Sicherstellung der Finanzierung der mehr als drei Millionen kleinen und mittleren Unernehmen hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftspolitische Bedeutung. Kennzeichen mittelständischer Unternehmen sind Kreativität und Innovationsfähigkeit, sie sichern Markt- und Kundennähe und tragen entscheidend zu Wettbewerb und Strukturwandel bei. Jüngstes Beispiel für das aktive Engagement der Sparkassen-Finanzgruppe in den Regionen ist das umfassende Sofortprogramm zu Gunsten der von der Hochwasserkatastrophe Geschädigten im Umfang von insgesamt 1 Mrd. € zinsbegünstigter und zum Teil tilgungsfreier Kredite, die die Förderprogramme der öffentlichen Hand ergänzen sollen.

Die Sparkassen und der „Brüsseler Kompromiss"

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I I I . Fazit Lassen Sie mich das Fazit aus meinen Ausführungen ziehen. Die Brüsseler Verständigungslösung vom 17. 7. 2001 gibt den Instituten der Sparkassen-Finanzgruppe für die Zukunft Rechtssicherheit und eröffnet damit den Weg, sich frei von Wettbewerbseinwänden der Europäischen Kommission auf die Zukunftsaufgaben zu konzentrieren. DSGV-Präsident Hoppenstedt hat es einmal so formuliert: Mit der auf europäischer Ebene erreichten Verständigung beginnt für die deutschen Sparkassen und Landesbanken in gewisser Weise ein neues Zeitalter. Europa wächst nicht nur zu einer wirtschaftlichen, sondern auch zu einer politischen Union zusammen. Unternehmensstrukturen, Unternehmenskulturen und Sozialversicherungssysteme treten grenzüberschreitend in Wettbewerb zueinander. Nicht nur innerhalb des deutschen Umfelds, auch im zusammenwachsenden Europa muss sich die öffentliche Kreditwirtschaft den Herausforderungen der Zukunft stellen. Die gesetzlich festgelegte öffentliche Trägerschaft von Kommunen und Ländern bleibt dabei erhalten. Sie sichert auch für die Zukunft die besonderen Aufgaben für Wirtschaft und Gesellschaft ab. Die Landesbanken werden - bei allen organisatorischen und geschäftspolitischen Veränderungen - weiterhin ein wichtiger Teil in einer gemeinsamen Sparkassen-Finanzgruppe sein. Die Zukunft der öffentlichen Banken in Deutschland ist vor dem Hintergrund der Brüsseler Vereinbarung von den tiefgreifenden Veränderungen im Markt geprägt: Engere Margen und steigender Kostendruck, verschärfter Wettbewerb durch branchenübergreifende Fusionen und Übernahmen sind nur einige Stichworte. Eine nachhaltige Stärkung der Eigenkapitalbasis ist deshalb erforderlich. Der Ruf nach verstärkten Gewinnausschüttungen steht dem entgegen. Eine Privatisierung von Sparkassen würde dazu führen, dass die Kommunen sich eines wichtigen ordnungspolitischen Instruments begeben würden, die regionale Entwicklung aktiv zu gestalten. Die Grundprinzipien der Sparkassen-Finanzgruppe sind Grundlage des Erfolges ihrer Institute und auch nach dem „Brüsseler Kompromiss" Chance für die Zukunft. Das sind: Verbundprinzip, öffentlicher Auftrag, Regionalprinzip, Gemeinwohlorientierung, kommunale Bindung und dezentrale Unternehmensverantwortung. Zwei entscheidende Zukunftsaufgaben stellen sich den öffentlichen Kreditinstituten: •

5*

Die Sicherung der Dezentralität bei verbesserter betriebswirtschaftlicher Effizienz und

68 •

Jochen Grünhage die Sicherung des Nutzens von Sparkassen und Landesbanken für Wirtschaft, Region und alle sozialen Schichten.

Ich bin überzeugt, dass die Sparkassen-Finanzgruppe beide Aufgaben erfolgreich bewältigen wird, nachdem die Bürde eines Brüsseler Beihilfe-PrüfVerfahrens von ihren Schultern gefallen ist.

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote 1 Von Karl-Heinz Schweig

I. Problembeschreibung In den 90er Jahren wurden die Planung, die Organisation und die Finanzierung des ÖPNV in der Region - hier insbesondere des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) - einem deutlichen Wandel unterzogen. Im Zuge von Rechtsänderungen auf EG- und Bundes-Ebene wurde die Bahnreform durch die Regionalisierungsgesetze des Bundes vorbereitet. Die Länder haben zudem eigene ÖPNV-Gesetze erlassen, die nunmehr eine Zusammenführung von Planungsund Finanzierungshoheit des SPNV auf der Länderebene ermöglichen. Zur Wahrnehmung der Planungs- und Finanzierungshoheit werden den Ländern jedes Jahr durch den Bund Mittel in Höhe von etwa 6,6 Mrd. € zur Verfügung gestellt.2 Des weiteren ist nach § 7 des Regionalisierungsgesetzes mit diesen Mitteln insbesondere der SPNV zu finanzieren 3. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit zur Finanzierung eines Schienenersatzverkehrs (SEV) 4 , dessen vermehrter Einsatz aus Kostengründen vielerorts gefordert wird.

1

Der Beitrag resultiert aus den Ergebnissen einer Forschungsarbeit, die der Verfasser gemeinsam mit den Herren Prof. Dr. Stefan Keuchet und Dipl.-Ing. Daniel Rump für das Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Verkehr und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführt hat. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden ebenfalls publiziert in Rump, DJSchweig, K.-HJKeuchel, S., ÖPNV-Angebote in der Region - Modellhafte Überlegungen zur Entscheidungsfindung Bus oder Bahn?, in: Der Nahverkehr 4/2002, S. 8-14. 2 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 1999, S. 77. Gemäß Regionalisierungsgesetz sind die Finanzierungsmittel im wesentlichen an die Bereitstellung von Schienenpersonennahverkehrs-Leistungen gemäß des Fahrplanes 1993/94 gekoppelt. Damit ergibt sich zugleich eine leistungsorientierte Aufteilung der Mittel auf die jeweiligen Bundesländer. 3 Freise, R., Taschenbuch der Eisenbahn-Gesetze, 1996, S. 85. 4 Ewers, H.-J. / Ilgmann, G., Wettbewerb im ÖPNV: Gefordert, gefurchtet und verteufelt, in: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft 2/2000, S. 133; Werner, J., Nach der Regionalisierung - der Nahverkehr im Wettbewerb, 1998, S. 238.

70

Karl-Heinz Schweig Tabelle 1 Spektrum der Entscheidungsvarianten Bus oder Bahn

Ausgangssituation des SPNV

Entscheidungsergebnisse bzgi. Zukunft des SPNV

vorhanden

ja =

nicht vorhanden

ja =

Aufrechterhaltung, ggf. Revitalisierung (Re-) Aktivierung

nein = nein =

Bus, Schienenersatzverkehr Bus

Sofern sich im SPNV Low-cost-Strategien umsetzen lassen, die nicht mit einem Aufzehren der Qualitätsvorteile des SPNV einhergehen und damit nicht zu sinkenden Fahrgastzahlen führen, kann die Entscheidung bezüglich der Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Region in Zukunft möglicherweise häufiger zugunsten des SPNV ausfallen. Reine Kostenuntersuchungen erscheinen für die Mittelverwendung im ÖPNV folglich ebenso wenig zielführend zu sein wie einfache Faustformeln über erforderliche Fahrgastpotentiale. Angesichts der durch zunehmenden Wettbewerb zu erwartenden günstigen Kostenentwicklungen im SPNV sind die bisherigen Nutzen-Kosten-Analysen bezüglich ihrer Validität zu überprüfen. Die Zielsetzung der diesem Beitrag zugrunde liegenden Forschungsarbeit war es, aktuelle Spannweiten der Parameter, welche die Nutzen-Kosten-KoefFizienten beeinflussen, herauszuarbeiten und zu prüfen, ob sie die Koeffizienten nennenswert zu beeinflussen in der Lage sind. Sollten sich somit die NutzenKosten-Koeffizienten der unterschiedlichen ÖPNV-Angebote bedeutsam beeinflussen lassen, kann dies erheblichen Einfluss auf künftige Entscheidungen über die Ausgestaltung von ÖPNV-Angeboten haben - mit Bus oder Bahn!

I I . Kostenarten im ÖPNV Um bei konkreten Einzelfällen zur Entscheidung über ÖPNV-Angebote in der Region nicht pauschale Durchschnittskostensätze verwenden zu müssen, ist eine hinreichend differenzierte Aufteilung des Systems ÖPNV in die wesentlichen Kostenarten vorzunehmen. Eine Abgrenzung der zu berücksichtigenden Kostenarten geschieht analog der im Verkehrswesen üblichen Einteilung in Kosten für das Netz und für den Betrieb. Die Kosten für das Netz setzen sich dabei aus folgenden Punkten zusammen: • •

Fahrweg, Haltestellen,

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote • • •

71

Signalanlagen, Sicherungsanlagen und Bahnübergänge, Personal anteilig, Sonstiges anteilig.

Demgegenüber sind bei den Kosten für den Betrieb folgende Positionen zu berücksichtigen: • • • •

Fahrzeuge, Betriebshof, Personal anteilig, Sonstiges anteilig.

Den Investitionskosten kommt insbesondere bei der Betriebsaufhahme eine hohe Bedeutung zu. Es sind darüber hinaus aber auch die während der Nutzungsdauer entstehenden, nicht unbedeutenden Kosten für regelmäßig erforderliche Wartungsarbeiten, für Versicherungen u.ä. mit in die Berechnungen einzubeziehen. Einige der aufgelisteten Kostenarten sind systembedingt in sehr unterschiedlicher Größenordnung beim Bus- sowie beim Schienenverkehr vorhanden. So fällt ζ. B. auf, dass beim Busverkehr in der Regel keine oder nur geringe Investitionskosten für den Fahrweg aufzubringen sind, weil die vorhandene Infrastruktur genutzt werden kann. Beim Schienenverkehr machen diese Kosten allerdings oftmals einen relevanten Anteil der insgesamt zu berücksichtigenden Kosten aus. Die bei einem ÖPNV-Angebot von einem Verkehrsunternehmen zu tragenden Kosten reduzieren sich durch die von der öffentlichen Hand in erheblichem Umfang bereitgestellten Fördermittel, ζ. B. nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz oder nach dem Regionalisierungsgesetz. Diese Fördermittel sorgen zwar bei konkreten ÖV-Projekten für eine Lastenverteilung auf die beteiligten Akteure. Zur Ermittlung der insgesamt durch ein ÖV-Projekt verursachten Kosten ist es jedoch unerheblich, welche Anteile davon durch Verkehrsunternehmen, durch Aufgabenträger oder durch andere Beteiligte getragen werden. Deshalb geschieht im Rahmen der hier durchgeführten Kostenermittlungen keine „Verrechnung" von Fördermitteln. In einem konkreten Fall, in dem über die Ausgestaltung des ÖPNV durch einen Bus- oder einen Zugverkehr zu entscheiden ist, ist bei der Kostenermittlung jeweils für Bus und Bahn zunächst genau zu untersuchen, in welchem Umfang welche Bestandteile benötigt werden. So ist unter anderem unter Berücksichtigung des zu erwartenden Verkehrsaufkommens und des vorgesehenen Fahrplanes (der für Bus- und Zugangebot durchaus unterschiedlich sein kann) festzulegen, in welchem Umfang Infrastrukturmaßnahmen und Fahrzeugbeschaffungen vorzunehmen sind und mit welchem Personalbedarf zu rechnen ist (Mengengerüste).

72

Karl-Heinz Schweig

Danach sind die Elemente der Mengengerüste mit konkreten Kostenangaben (Wertgerüste) zu verknüpfen. Festgestellte große Spannweiten bei bestimmten Kostenarten erschweren es, den „richtigen" Kostensatz zugrundezulegen. Tabelle 2 zeigt exemplarisch anhand ausgewählter Kostenarten auf, welch breit gefächelte Kostenangaben in den geprüften Quellen zu finden sind. Tabelle 2 Spreizung von Wertansätzen für Bestandteile von ÖPNV-Angeboten (Auszug) Kostenart

Einheit

Bus

Zug

Maximum

Minimum

Maximum

Minimum

Fahrweg

€ / km

332.000

1.553.000

0

194.000

Fahrzeuge

€ / Stk.

664.000

2.351.000

199.000

306.000

Haltepunkte inkl. Ausstattung

€ / Stk.

30.000

204.000

10.000

25.000

Personal

€ / P*a

31.000

49.000

30.000

38.000

Quelle: unterschiedliche Gutachten, Fachliteratur und Expertengespräche

Die großen Spannweiten bei den aufgeführten Wertansätzen weisen auf Möglichkeiten zur unterschiedlichen Ausgestaltung des ÖPNV-Angebotes hin. Sowohl hochpreisige als auch Low-cost-Ausführungen - die nicht minderwertig sein müssen - sind mit den Kostensätzen abzubilden. Verschiedene Bestandteile eines ÖPNV-Angebotes weisen zum Teil deutliche Unterschiede bezüglich ihrer Nutzungsdauer auf. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sind alle Kosten als Annuitäten auszudrücken. Bei der Annuität handelt es sich um die regelmäßige Jahreszahlung bei der Tilgung einer Kapitalschuld, wobei die Jahreszahlung die Zins- und Tilgungsquote umfasst. Sie errechnet sich nach der Formel: mit A

A = Annuität (Jahreszahlung), Κ = Kapitalschuld, η = Tilgungszeitraum in Jahren, ρ = Zinssatz in %.

K*(f*{q=

qn - 1

1)

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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Somit werden alle Kosten der zu untersuchenden Alternativen unter Berücksichtigung der Nutzungsdauer der zugehörigen Elemente als jährliche Zahlungen dargestellt. Als Zinssatz werden 8% p.a. zugrundegelegt, was einem langjährigen Durchschnittswert entspricht.

I I I . Möglichkeiten zur Kostensenkung im ÖPNV Die zuvor in Tabelle 2 aufgezeigten Elemente für ein Wertgerüst zeigen die Spannweite auf, welche die unterschiedlichen Elemente haben können. Sowohl im Bereich Netz als auch beim Betrieb des SPNV sind deutliche Hinweise erkennbar, dass durch die Nutzung für den Einzelfall angemessener, relativ preisgünstig am Markt verfügbarer Elemente relevante Kosteneinsparungen erzielt werden können. Zu nennen sind hierbei vor allem die Herstellung des Fahrweges, der Haltepunkte und die Beschaffung neuer Züge. Bei den Fahrzeugen hat die in den letzten Jahren deutlich erweiterte Produktpalette eine gewisse Auswahl ermöglicht. Dies macht ebenfalls deutlich, dass die Analyse der Kosten eines ÖPNVAngebotes - und damit letztlich auch die Entscheidung für den Einsatz eines Busses oder eines Zuges - nur zielführend geschehen kann, wenn eine hinreichend differenzierte Vorgehensweise gewählt wird, die das System SPNV in seinen Bestandteilen analysiert. Deshalb wird im folgenden gezielt auf einzelne Elemente eingegangen, die bezüglich ihrer Kostensenkungsmöglichkeiten einer ausführlicheren Behandlung bedürfen: • • • • •

Kategorie Kategorie Kategorie Kategorie Kategorie

Netz: Netz: Betrieb: Betrieb: Betrieb:

Trassierungs- und Baustandards von Schienenstrecken, Signalanlagen, Sicherungsanlagen und Bahnübergänge, Umfang des zu bedienenden SPNV-Netzes, Bedarfshalte an ausgewählten Haltepunkten, Fahrzeuginstandhaltung und -betrieb.

1. Kategorie Netz: Trassierungs- und Baustandards von Schienenstrecken Der Bau regionaler Schienenstrecken geschieht bislang fast ausschließlich nach den Vorschriften der EBO 5 . Seit den 90er Jahren wird jedoch verstärkt in Erwägung gezogen, auch die einen Güterverkehr i.d.R. ausschließende BOStrab 6 auf Schienenstrecken in der Region anzuwenden. Beispiele für

5 6

Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung. Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen.

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Karl-Heinz Schweig

SPNV-Konzepte, die sowohl die EBO als auch die BOStrab anwenden, sind das sogenannte Karlsruher Modell, die Saarbahn oder die Vogtlandbahn in der Region Zwickau. Beide Vorschriften stellen an bestimmte Merkmale des Schienennetzes unterschiedliche Anforderungen. Wesentliche Anforderungen sind in der folgenden Tabelle dargestellt: Tabelle 3

Anforderungen von EBO und BOStrab bezüglich Trassierungs- und Baustandards Merkmal

EBO

BOStrab

Kurvenradien

> 180 m

> 25 m*

Steigungen (freie Strecke)

< 4,0 %

*

**

* *

Möglichkeit zur Gleisführung im Straßenraum

Nein

ja

Mindestachslasten auf Oberbau und Bauwerken

> 16 t

-

Bahnübergangssicherung

* In BOStrab §15 (2) heißt es lediglich: „Bogenhalbmesser und Längsneigungen sollen fahrdynamisch günstig sein und hohe Geschwindigkeiten zulassen/' Oer angegebene Radius von 25 m wird in den BOStrab-Trassierungsrichtlinien genannt und kann in Sonderfällen unterschritten werden. Der zu wählende Radius hängt damit wesentlich von der gewünschten Geschwindigkeit und der möglichen Gleisüberhöhung ab. Um in engen städtebaulichen Situationen Kurven bzw. Abzweigungen anlegen zu können, sind kleine, langsam zu befahrende Radien möglich. Dabei ist auf die Eignung des Fahrzeugtyps für derart enge Radien sowie die Lärmentwicklung zu achten. ** Die Art der Sicherung ist abhängig von der Art und Verkehrsbelastung des zu kreuzenden Weges sowie ggf. von der zulässigen Geschwindigkeit auf der Schienenstrecke. Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Vieregg-Rössler, Bau und Betrieb von Schienenstrecken nach BOStrab statt EBO - Homepage der Vieregg-Rössler GmbH (www.vr-transport.de/home/n082. html#hd802, Datum: 16.1.2001), 1997

Deutlich wird bei den in Tabelle 3 dargestellten Merkmalen, dass die EBO im Vergleich zur BOStrab strengere bzw. weniger flexible Anforderungen an die Trassierung und den Bau von Schienenstrecken stellt. Die durch die BOStrab gegebene größere Gestaltungsfreiheit und die nicht vorhandene Forderung nach einer Mindestachslast ermöglicht bei der (Re-)Aktivierung von SPNV-Strecken eventuell die Erstellung einer kostengünstigen Trasse, die unter der Anwendung der EBO so nicht zu realisieren wäre.

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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2. Kategorie Netz: Signalanlagen, Sicherungsanlagen und Bahnübergänge Bei diesem Element sind gegenwärtig Entwicklungen feststellbar, die einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Stand der Technik bedeuten. Auf europäischer Ebene befinden sich Zugbeeinflussungssysteme in der Entwicklung, die eine grenzüberschreitende Kompatibilität der Systeme sicherstellen sollen (European Train Control System, ETCS). Im Rahmen dieses Standards gibt es ein neues Sicherungsverfahren für schwach frequentierte Nebenstrecken - den Funkfahrbetrieb (FFB). Mehrere Systemanbieter erproben das Verfahren zurzeit in der Praxis auf Beispielstrecken. Der erste Einsatz im planmäßigen Betrieb wurde ursprünglich für das Jahr 2002 angestrebt, technische und genehmigungsrechtliche Probleme sind allerdings zunächst zu bewältigen.

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Oser, U./Arms, J.-Chr. / Wegel, H., FunkFahrBetrieb (FFB) zum wirtschaftlichen Einsatz auf Regionalstrecken, in: Eisenbahntechnische Rundschau 6 / 1997, S. 323 Abb. 1 : Komponenten und Kommunikationswege beim Funkfahrbetrieb

Abbildung 1 zeigt, dass sich die Komponenten des FFB auf drei Bereiche aufteilen: die FFB-Zentrale, die Fahrzeuge und die Fahrwegelemente. Die gestrichelten Linien weisen darauf hin, dass bestimmte Verbindungen lediglich in Ausnahmesituationen genutzt werden. Vom Grundprinzip her werden beim FFB Komponenten der Sicherungstechnik weitgehend von der Strecke in die Fahrzeuge verlegt. Ortsfeste Signale beispielsweise können abgebaut werden, wenn Fahr- bzw. Haltebefehle von der FFB-Zentrale oder von Fahrwegelementen per Funk zum Fahrzeug übertragen werden und im dortigen Führerstand auf einem Bildschirm angezeigt werden.

76

Karl-Heinz Schweig

Quelle: Siemens, SIMIS FFB - Auf Regionalstrecken optimal fahren - Mit FunkFahrBetrieb FFB, 2000, O.S. Abb. 2: Beeinflussung von Fahrwegelementen im Rahmen des Funkfahrbetriebes

Bislang vorliegende Schätzungen gehen für den FFB von rund 100.000 € Investitionen pro Strecken-km aus, zuzüglich etwa 100.000 € Investitionen für die Ausrüstung je Fahrzeug. Inwieweit diese Werte realistisch sind, wird die spätere Praxis zeigen müssen. Aufgrund der Verwendung bereits etablierter Mobilfunktechniken und der großen Zahl von Regionalstrecken ergeben sich allerdings günstige Rahmenbedingungen für eine Serienfertigung. Durch die nicht notwendige (Wieder-) Errichtung von ortsfesten Signalen, zugehörigen Streckenverkabelungen u.ä. sowie durch die intensive Automatisierung des Betriebes lassen sich Kosten einsparen. Bei den Betriebskosten der Sicherungstechnik werden erhebliche Einsparungsmöglichkeiten gegenüber konventionell gesicherten Strecken erwartet. So ist von einer Senkung der Betriebsführungskosten um 50% bis etwa 75% gegenüber dem herkömmlichen Betrieb auszugehen7. Neben dem FFB, welcher der weitgehenden Automatisierung der Schienenverkehrssicherung dienen soll, gibt es auch andere technische Möglichkeiten. Das System RELIS 2000 beispielsweise bietet die Möglichkeit, die Sicherung des SPNV-Betriebes stufenweise zu automatisieren. Das heißt, es werden Lösungen möglich, die zwischen der vollkommen technischen und der ausschließlich handbedienten Sicherung des SPNV-Betriebes liegen. Je nach lokalen Gegebenheiten, wie Verkehrsaufkommen, Komplexität des Betriebes, Topografie usw. muss für den konkreten Anwendungsfall eine adäquate Lösung gewählt

7 Schwarz , Α., Signale aus dem A l l für die Bahn, in: Internationales Verkehrswesen 10/2000, S. 451,453.

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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werden. Die Ausrüstung einer Zugleitzentrale mit dem System RELIS 2000 ist mit rund 100.000 € anzusetzen, die Ausrüstung jedes Fahrzeuges mit annähernd 50.000 €. In Abhängigkeit von der betreffenden Strecke sind weitere Kosten für die RELIS-Ausstattung von Weichen in Bahnhöfen zu berücksichtigen (etwa 100.000 € für einen Bahnhof mit zwei Weichen). Je nach Ausbaustufe des Systems lassen sich wiederum Einsparungen im Personalbereich erzielen. Im übrigen sind auch vereinfachte Betriebsformen mit geringem technischen Aufwand in der Lage, zu relevanten Kosteneinsparungen beizutragen. Unabhängig von den unterschiedlichen, künftig am Markt verfügbaren Zugleit- und Sicherungssystemen ist generell folgendes zu beachten: Da Streckensicherung und Personal bislang einen erheblichen Anteil an den Kosten des Fahrweges haben, wird deutlich, dass mit Innovationen im Bereich der Zugleitund Sicherungstechnik relativ kostenintensive Elemente des Systems beeinflusst werden können. So liegt heute auf zahlreichen Nebenstrecken der DB AG der Personalaufwand für die Fahrwegsicherung bei 1,3 Personen je km 8 . Bei der Revitalisierung bzw. Reaktivierung von SPNV-Strecken können möglicherweise auch einige Bahnübergänge entfallen. Diesem Aspekt kommt je nach Strecke eine unterschiedlich hohe Bedeutung zu. Der Praxis entnommene Beispiele weisen aber daraufhin, dass es durchaus realisierbar ist, rund 30% der entlang einer Strecke vorhandenen Bahnübergänge aufzuheben - ggf. verbunden mit der Ergreifung angemessener Ersatzmaßnahmen9. 3. Kategorie Betrieb: Umfang des zu bedienenden SPNV-Netzes Der jeweilige Aufgabenträger des SPNV hat bereits vor der Vergabe der zu erbringenden Verkehrsleistungen die Möglichkeit zur indirekten Einflussnahme auf die späteren Kosten. Die bislang im SPNV wettbewerbsmäßig vergebenen Leistungen werden auf Strecken bzw. in Netzen erbracht, die zum Teil ungünstig abgegrenzt sind. Die von 1996 bis 1999 im Wettbewerb vergebenen SPNVLeistungen umfassen durchschnittlich 1,04 Mio. Zug-km pro Jahr und Netz 10 . Wenn die zu bedienenden Strecken so im Raum verteilt sind, dass das jeweilige Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) voneinander isolierte Strecken bedient,

8

Heinisch, R., Innovationen im Bereich der Bahnen, in: Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.), Mobilitätsforschung für das 21. Jahrhundert Verkehrsprobleme und Lösungsansätze, 2000, S. 165, 176. 9 Arms, J.-Chr. /Porzig, A. /Menne, D., Funkfahrbetrieb im Übergang von der Entwicklung zur Pilotrealisierung, in: Eisenbahntechnische Rundschau 7-8 / 2000, S. 476, 478. 10 Eigene Berechnungen in Anlehnung an Schnell, M. Cl. Α., Analyse des Wettbewerbs um SPNV-Leistungen in Deutschland, in: Der Nahverkehr 9 / 2000, S. 8, 9.

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besteht die Gefahr einer unnötig großen vorzuhaltenden Betriebsreserve (für jede Strecke ein Fahrzeug). Ebenfalls besteht die Gefahr von unnötig langen Standzeiten, in denen weder Fahrzeuge noch Personal produktiv eingesetzt werden. Wenn hingegen statt isolierter Strecken der Betrieb auf zusammenhängenden regionalen Netzen vergeben wird, entstehen Rationalisierungspotentiale. So ist insbesondere durch eine zentral im Netz stationierte Betriebsreserve die Chance gegeben, den Umfang dieser Reserve so gering wie möglich zu halten. Daneben können durch die Bedienung eines ganzen Netzes Umläufe optimiert werden, indem Züge an Linienenden auf anderen Linien weiterfahren und somit ihre Standzeiten minimieren. In der Diskussion um die optimale Netzgröße einer SPNV-Ausschreibung wird - basierend auf praktischen Erfahrungen - eine Netzgröße von jährlich rund 2-3 Mio. Zug-km als günstig angesehen11. Hierdurch mögliche Kostensenkungen kommen dem Aufgabenträger zugute. 4. Kategorie Betrieb: Bedarfshalte an ausgewählten Haltepunkten Im konkreten Anwendungsfall ist die Möglichkeit zur Einrichtung von Bedarfshalten zu prüfen. Dabei wird an ausgewählten Haltepunkten nur noch gehalten, wenn ein im Zug befindlicher Fahrgast dies dem Triebfahrzeugfiihrer rechtzeitig signalisiert hat oder wenn Fahrgäste auf dem Bahnsteig stehen. Diese im Bus- und Straßenbahnverkehr etablierte Verfahrensweise kommt auch für schwach frequentierte Haltepunkte im SPNV in Frage, weil somit die Umlaufzeiten verkürzt und gegebenenfalls auch Kosten eingespart werden können. Zu überlegen ist gegebenenfalls auch die vollständige Auflassung von Haltepunkten, wenn diese dauerhaft geringe Einsteigerzahlen aufweisen. Abhängig vom spezifischen Fall kann die somit erzielbare Beschleunigung wieder zur Optimierung von Umläufen führen.

5. Kategorie Betrieb: Fahrzeuginstandhaltung und -betrieb Die Fahrzeugwartung und -Instandhaltung führt durch den erforderlichen Personal- und Materialeinsatz unmittelbar zu Kosten. Indirekt entstehen auf diesem Wege weitere Kosten, etwa durch die zeitweise Nicht-Verfügbarkeit von Fahrzeugen und die Nutzung der Betriebsreserve. Oftmals sind für die erforderlichen Wartungsarbeiten an Fahrzeugen je nach Fahrzeugkomponente unterschiedlich lange Wartungszeiträume einzuhalten. So kann bei mehreren kurz 11

Overath, Α., Nahverkehrsplanung für die Schiene - Unterlagen zum Vortrag auf der Tagung „Nahverkehrspläne - Anforderungen an die 2. Generation" in Dortmund am 9. 11.2000.

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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hintereinander liegenden Wartungsterminen für unterschiedliche Komponenten ein wiederholter Abzug von Fahrzeugen aus dem Betrieb erforderlich werden. Zur Vermeidung dieses Effektes und zur Kostensenkung erscheint es zielführend, sowohl bei der Fahrzeugkonstruktion als auch beim Betrieb auf möglichst einheitliche Wartungsintervalle und damit möglichst zusammenfallende Wartungstermine zu achten. Auch in der generellen Verlängerung von Wartungsintervallen ist eine Chance zur Senkung der Wartungskosten zu sehen. Die Instandhaltung und der Fahrzeugbetrieb lassen sich insbesondere dann optimieren, wenn EVU gleichzeitig Busverkehr betreiben. Durch die Verwendung von Buskomponenten in neuen, leichten Schienenfahrzeugen wird die Wartung und Reparatur vereinfacht. Somit können auch in der Nähe von SPNV-Strecken ansässige Busunternehmen ihr Tätigkeitsfeld erweitern, indem sie Wartungsaufgaben im SPNV übernehmen. Der pro Fahrzeug anzusetzende Personalbedarf verringert sich im übrigen, wenn das Fahrpersonal Lizenzen zum Führen von Straßen- und Schienenfahrzeugen hat.

IV. Kostensenkungen und Variationen des Nutzens Werden kostensenkende Maßnahmen ergriffen, so profitiert insbesondere das Verkehrsunternehmen davon. Es kann allerdings sein, dass sich die erhofften Kostenersparnisse erst mit zeitlicher Verzögerung einstellen, wenn beispielsweise zunächst Investitionen in neue, sparsame Fahrzeuge getätigt werden müssen. Neben den Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern gibt es weitere Akteure, deren Nutzen durch Kostensenkungsmaßnahmen im SPNV beeinflusst werden kann. Dabei handelt es sich um die Benutzer der Verkehrsmittel und um die Allgemeinheit. In Anlehnung an die standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs 12 werden die Ziele bzw. die Nutzenarten dieser Akteure berücksichtigt. Tabelle 4 zeigt die drei in der standardisierten Bewertung aufgeführten Nutzenträger und ihre Ziele. Es ist davon auszugehen, dass die in der Tabelle nicht grau hinterlegten Ziele durch Kostensenkungen nicht wesentlich oder höchstens mittelbar beeinflusst werden, beispielsweise im Rahmen von resultierenden Verkehrsverlagerungen vom M I V zum ÖPNV.

12 Heimerl, G.f Intraplan Consult, Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV und Folgekostenrechnung, 2000.

80

Karl-Heinz Schweig Tabelle 4

Nutzenträger und ihre Ziele Verkehrsbetreiber / Aufgaben träger

Benutzer

Allgemeinheit

Erhöhung der Erlöse

Verminderung der Reisezeiten

Verminderung der durch das GVS (*) verursachten Luftschadstoffbel.

Minderung der Betriebskosten Minderung der Investitionskosten

Erhöbung des Beförderungs-

Verminderung der durch das GVS

komforts

verursachten Geräuschbel.

Minimierung der Aufwendungen für

Verminderung des vom GVS benötigten Primärenergiebedarfs

Ortsveränderungen Verbesserung der Erreichbarkeiten

Erhöhung der Verkehrssicherheit

Verbesserung des überregionalen Netzzusammenhangs

Begrenzung des Flächenbedarfs für das GVS

Verbesserung der Anpassungsfähigkeit an Nachfragesch wankung

Verminderung wasserwirtschaftlicher Beeinträc htigungen Verminderung von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft Unterstützung von raumordn. Zielen (Schwerpunkte und Achsen) Verminderung von Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes Verminderung von Beeinträchtig, v. Freizeit- u. Naherholungsgeb. Verminderung von Trennwirkungen Verbesserung der regionalen Wirtschafts- und Sozialstruktur Verminderung von Beeinträchtigungen des Stadtbildes

* GVS = Gesamtverkehrssystem Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Heimerl, G., Intraplan Consult Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV und Folgekostenrechnung, 2000, S. 5155

Inwieweit bei den Akteuren die erforderlichen Kostensenkungen im SPNV zu einer positiven oder negativen Beeinflussung des Nutzens führen, kann nicht pauschal beurteilt werden. Vielmehr muss dies für jede Nutzenart einzeln geprüft werden. Die nachfolgende Aufzählung zeigt anhand einiger ausgewählter Nutzenarten auf, wie Kostensenkungsmaßnahmen darauf wirken können. Seitens der Verkehrsteilnehmer lässt sich im SPNV das Ziel „Verminderung der Reisezeiten" unter anderem dadurch erzielen, dass neue, kostengünstige Züge eingesetzt werden. Denn neue Züge sind oftmals im Verhältnis zu ihrem Eigengewicht stärker motorisiert als früher, erreichen damit ein höheres Beschleunigungsvermögen und können somit Fahrzeiten verkürzen. Auch die oftmals stufenlos und breiter gestaltete Einstiegssituation neuer Zugtypen trägt zur

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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Verringerung der Reisezeiten bei, da an Haltepunkten nun schnellere Fahrgastwechsel realisiert werden können. In diesem Fall führen Kostensenkungsmaßnahmen im SPNV zu einer Steigerung des Nutzens der Verkehrsteilnehmer. Maßnahmen zur Erzielung geringerer Kosten können allerdings auch Nachteile auf Seiten der Verkehrsteilnehmer nach sich ziehen. Beispielsweise wurde in der Vergangenheit oftmals die Offenlassung von Haltepunkten in Erwägung gezogen, um kürzere Umlaufzeiten zu erreichen oder um schwach frequentierte Haltepunkte nicht weiter instandhalten zu müssen. Hier stehen den Vorteilen der Durchreisenden (kürzere Fahrzeiten) die Nachteile seitens der bisherigen Nutzer des betreffenden Haltepunktes (Verlängerung der Zu- und Abgangswege zum SPNV) gegenüber, so dass hierbei keine einheitliche Aussage über die Wirkung auf den Nutzen zu treffen ist. Es zeigt sich ein Zielkonflikt zwischen den Interessen des Verkehrsunternehmens sowie der Durchreisenden auf der einen Seite und den Interessen der Nutzer des Haltepunktes auf der anderen Seite. Seitens der Allgemeinheit ist die Erhöhung der Verkehrssicherheit ein wesentliches Ziel. Kostensenkungsmaßnahmen im SPNV können dieses Ziel in unterschiedlicher Weise beeinflussen. So steht beispielsweise als eine mögliche Betriebsform für Nebenstrecken der Zugleitbetrieb zur Verfügung. Wird dieser in seiner ursprünglichen Form als lediglich per Sprechfunk und nicht-technisch gesichertes Verfahren angewendet, so kann damit eine Reduzierung der Verkehrssicherheit einhergehen. Erst wenn ergänzend dazu einfache technische Sicherungsmaßnahmen für den Betrieb ergriffen werden, steht mit dieser Betriebsform ein preiswertes und gleichzeitig sicheres Verfahren zur Verfügung. Dies ist ein Hinweis dafür, dass Schritte zu Kosteneinsparungen im SPNV je nach Ausführungsvariante zum Teil gravierende Steigerungen oder Minderungen des Nutzens der Beteiligten hervorrufen können und somit einer genauen Prüfung zu unterziehen sind. Ein Beispiel für verbesserte Verkehrssicherheit bei gleichzeitiger Kostensenkung ist im Einsatz von innovativen Leichttriebwagen zu sehen. So wird etwa bei den Fahrzeugen vom Typ Regio-Sprinter in Abbildung 3 eine Gewichtsersparnis durch eine gezielte Leichtbaukonstruktion erzielt. Diese ist zwar im Falle einer Kollision nur in der Lage, einer geringeren Längsdruckkraft standzuhalten als bei konventionellen Zügen (600 statt 1.500 kN). Allerdings wird dies mindestens kompensiert mittels einer Fahrzeuggestaltung, die im Kollisionsfall Energie abbauen kann („Knautschzonen") und durch eine verbesserte aktive Sicherheit. Der Regio-Sprinter hat ein Bremssystem, das erheblich stärker wirkt als im SPNV üblich, und erzielt damit deutlich kürzere Bremswege, um Kolli-

6 Pilschas/Zickow

82

Karl-Heinz Schweig

sionen vermeiden zu können13. Der Nutzen der Allgemeinheit kann deshalb trotz der Kostensenkungen gesteigert werden. Es bleibt anzumerken, dass oftmals alle seit der Bahnreform neu entwickelten Triebwagen pauschal als leichte Nahverkehrstriebwagen (LNT) mit den genannten positiven Eigenschaften bezeichnet werden14. Jedoch weisen einige dieser Zugtypen im Vergleich zum als überholt geltenden Triebzug vom DB-Typ VT 628 / 928 (Abbildung 6) sowohl absolut als auch bezogen auf den einzelnen Sitzplatz sogar ein höheres Gewicht auf (Tabelle 5). In diese Kategorie fällt zum Beispiel der auf vielen Nebenstrecken eingesetzte Fahrzeugtyp Talent (Abbildung 5). Demzufolge ist zwar bei neuen Fahrzeugtypen eine Verbesserung einiger Merkmale festzustellen, hinsichtlich eines wirklichen Leichtbaus sind jedoch erst wenige Fahrzeugtypen am Markt zu finden.

Quelle: Koschinski, K., Eisenbahnjournal - Die Regio Triebwagen, 2000, S. 76 Abb. 3: Dieseltriebwagen vom Typ LVT / S

13 Alfter, R., Erfahrungen des Betreibers mit dem Low-cost-Fahrzeug RegioSprinter - Vergleich zwischen Schienenfahrzeugen und Bussen, in: ZEV + DET Glasers Annalen 124, 2-3/2000, S. 128, 129. 14 Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Regionaler Schienenpersonennahverkehr-Neue Fahrzeuge und deren Einsatzfelder, 1998, S. 22-23.

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

Quelle: Koschinski, K., Eisenbahnjournal - Die Regio Triebwagen, 2000, S. 19 Abb. 4: Dieseltriebwagen vom Typ Regio-Sprinter

Quelle: Koschinski, K., Eisenbahnjournal - Die Regio Triebwagen, 2000, S. 42 Abb. 5: Dieseltriebwagen vom Typ Talent

6*

83

84

Karl-Heinz Schweig

Quelle: Archiv Abb. 6: Dieseltriebwagen vom Typ VT 628

Tabelle 5

Merkmale Leichter Nahverkehrstriebwagen - L N T

Hersteller Höchstgeschwindigkeit [km/h] Kraftübertragung Maximale Anfahrbeschleunigung [m/s'j NotbremsVerzögerung [m/s2] Fahrzeuglänge üb. Puffer (Kupplung) 1mm] Niederfluranteil (%) Dienstgewicht (Fahrzeuggewicht leer) lt]

LVT/S (HLB/Eurobahn)

Regio-Sprinter (Vogdandbahn)

Talent (DB Baureihe 643)

Talent (DB Baureihe 644)

VT 628 (DB Baureihe 628.4)

Borabardicr-DWA

DUEWAG

Bombardicr-Talbot

Bombardier-Talbot

DUEWAGLHB/AEG

100

100

120

120

120

hydrodyn.-mech.

hydrodyn.-mech.

hydrodyn.-mech.

clcktrisch

hydrodyn.-mech.

0.90

1.10

0.85

1,00

1.0

2.7

1.2

1.2

1.1

16.540

25.170 (LüK)

43.860 (LüK)

52.160 (LüK)

46.400

55

75

71

75

0

23.0

31.5

72.7

84,3

72.0

Sitzplätze 1. Klasse

0

0

16

16

12

Sitzplätze 2. Klasse

53

74

104

104

112

Klappsitze

13

6

17

41

22

Sitzplätze gesamt

66

80

137

161

146

Stehplätze

41

84

150

150

146

Dienstgewicht /Sitzplatz 1kg]

348

394

531

524

493

Maximale Längsdruckkraft IkN]

1.500

600

1.500

1.500

1.500

Maximale Antriebsleistung [kW|

265

2x228

2x315

2x505

485

Spezifische Antriebsleistung lkWt]

11.5

14.5

8.7

12,0

6,7

664.679

1.022.584

1.789.522

2.351.943

2.224.120

Beschaffungspreis (Preisstand 2000) l€]

Quelle: Koschinski, K., Eisenbahnjournal - Die Regio Triebwagen, 2000 sowie eigene Berechnungen

Es zeigt sich, wie unterschiedlich die Folgen der anzustrebenden Kostenreduzierungen im SPNV sein können. Da je nach Einzelfall verschiedene Rahmen-

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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bedingungen und Ausgangssituationen vorzufinden sind, muss bei konkreten Maßnahmen sorgfältig zwischen den erwünschten Kostenvorteilen und möglichen unerwünschten Nachteilen abgewogen werden. Gezeigt werden konnte aber auch, dass die Einsparung vermeidbarer Kosten nicht zwingend zu Nachteilen fuhren muss, sondern zum Teil sogar erst damit Nutzensteigerungen ermöglicht werden.

V. Variation von Kosten und Nutzen in einem Fallbeispiel Um zu einer Abschätzung der Auswirkungen von Kostensenkungen auf den Erlös-Kosten-Koeffizienten von ÖPNV-Angeboten zu kommen, bedurfte es der Analyse mindestens eines konkreten Einzelfalles. Zur Analyse eines praxisrelevanten Beispiels wurde eine in Nordrhein-Westfalen zur Reaktivierung anstehende Relation ausgewählt. Im folgenden wird auf einige Grundannahmen eingegangen, um zu verdeutlichen, in welchem Rahmen überhaupt Variationen der Angebotsparameter möglich sind. Wesentliche Angaben zu den Spezifika dieser Relation beruhen auf einem zur Verfügung gestellten Gutachten. Bei der untersuchten Strecke handelt es sich um eine rund 18 km lange Relation. Heute besteht eine Buslinie als ÖPNV-Angebot. Auf einem knapp 11 km langen Teilabschnitt der Schienenstrecke findet allerdings noch Güterverkehr statt. Der restliche Teil der Schienenstrecke ist für den Gesamtverkehr gesperrt. Um die Auswirkungen von möglichen Kostensenkungsmaßnahmen auf den Erlös-Kosten-Koeffizienten prüfen zu können, werden insgesamt vier unterschiedliche Szenarien simuliert. Dabei handelt es sich auf der einen Seite um zwei SPNV-Szenarien mit je 194.500 Zug-km pro Jahr, die im Rahmen einer möglichen Reaktivierung hohe bzw. niedrige Mengen- und Wertansätze berücksichtigen („Zug High-cost" und „Zug Low-cost"). Zum anderen werden unterschiedliche Mengen- und Wertansätze für einen vergleichbaren Busverkehr zugrundegelegt (Varianten „Bus High-cost" und „Bus Low-cost"). Neben den Mengen- und Wertansätzen wird gleichfalls die kalkulatorische Nutzungsdauer der jeweiligen Elemente im Rahmen der vorliegenden Spannweiten variiert. Allen Szenarien gemeinsam ist die Absicht, den ÖPNV auf der betreffenden Strecke so im Stundentakt auszugestalten, dass an einem Endhaltepunkt Anschluss an die Züge einer dort ebenfalls haltenden Regional-Express-Linie aus bzw. in Richtung des nächstgelegenen Ballungsraumes besteht. Dabei wird zur Bewältigung der prognostizierten Nachfragewerte von einer benötigten Kapazität der Fahrzeuge auf der zu analysierenden Strecke von insgesamt mindestens 240 Sitzplätzen ausgegangen, was unmittelbare Auswirkungen auf die Anzahl der benötigten Fahrzeuge hat. Tabelle 6 gibt einen Überblick über die wesentlichen Parameter, die bei der Modellierung der vier Szenarien zugrundegelegt wurden. Außer den in der Tabelle aufgezeigten Unterschieden sind die beiden Low-cost-

Karl-Heinz Schweig

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Szenarien durch einfacher gestaltete, aber dennoch funktionale, Ausführungsformen gekennzeichnet. Abbildung 7 veranschaulicht dies anhand eines Bahnsteiges, wie er im Szenario „Zug Low-cost" Verwendung fand. Bei diesen Elementen ist im Rahmen der Annuitäten-Ermittlung eine gegebenenfalls kürzere Lebensdauer anzusetzen als bei konventionellen Massivbauten. Tabelle 6

Parameter der modellierten Szenarien (Auszug) Kostenart

Zug High-cost

Zug Low-cost

Bus High-cost

Bus Low-cost

Bau- und Betriebsordnung

EBO

EBO

StVO

StVO

Höchstgeschwindigk eu

80 k m / h

60 km / h

80 k m / h

80 k m / h

Fahrzeit zwischen Endhaltestellen

27 Minuten

28 Minuten

30 Minuten

30 Minuten

Haltepunkte

13

13

17 (i.d.R. mit je 2 Haltest.)

17 (i.d.R. mit je 2 Haltest.)

Fahrzeugleit- und Sicherungssvstem

signalisierter Zugleitbetrieb

Zugleitbetneb u. RELIS 2000

RBL u. LSABeeinflussunu

RBL

Netzbezogenes Personal

12 Pers.

5 Pers.

5 Pers.

5 Pers

Fahrzeuge

2 χ Talent (VT 643.0)

4 χ LVT/S

4 x 1 8 m-Bus

4 x 1 8 m-Bus

Betriebs bezogenes Personal

12 Pers.

11,5 Pers.

16 Pers.

15,5 Pers.

Quelle: eigene Darstellung

Quelle: Hering-Bau, o.J., O.S. Abb. 7: Beispiel für den Einsatz kostengünstiger Bahnsteigelemente

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler Ö P N V - A n g e b o t e

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D i e K o s t e n der unterschiedlichen Ö P N V - A n g e b o t e sind i n Tabelle 7 zusammengefasst. D a z u w u r d e n die z u v o r beschriebenen Kostenarten verwendet u n d m i t den durch Gutachten u n d in Expertengesprächen ermittelten, theoretischen M i n i m a l - b z w . M a x i m a l w e r t e n für einen Bus- sowie für einen B a h n v e r kehr verknüpft. Tabelle 7 Kosten unterschiedlicher Ö P N V - A n g e b o t e (in € pro J a h r ) Kostenart

Zug High-cost 1.299.000

Zug Low-cost 407.000

Haltestellen

170.000

78.000

Fahrweg

Bus High-cost 31.000 104.000

Bus Low-cost 0 45.000

Signal- / Sicherungsanlagen

459.000

240.000

93.000

0

Netzbezogenes Personal

583.000

156.000

192.000

153.000

Fahrzeuge

547.000

471.000

340.000

330.000

Betriebshof

532.000

268.000

168.000

30.000

Betriebsbezogenes Personal

583.000

359.000

614.000

476.000

Summe Netz

2.511.000

881.000

420.000

198.000

Summe Betrieb

1.662.000

1.098.000

1.122.000

836.000

Gesamtsumme

4.173.000

1.979.000

1.542.000

1.034.000

Quelle: eigene Berechnungen

4,5 4,0 3,5 3,0 2,5

2,0 1,5

1,0 0,5

0,0 Zug High-cost

Zug L o w - c o s t

Bus High-cost

Bus L o w - c o s t

• Betrieb BNetz Quelle: eigene Darstellung Abb. 8: Kosten unterschiedlicher ÖPNV-Angebote (in Mio. € pro Jahr)

88

Karl-Heinz Schweig

Somit werden alle Kosten unter Berücksichtigung der Nutzungsdauer der zugehörigen Elemente als jährliche Zahlungen dargestellt. Als Zinssatz werden 8% p.a. zugrundegelegt. Details zu den Kosten sind der Forschungsarbeit zu entnehmen. Abbildung 8 aggregiert die Daten aus Tabelle 7 und differenziert die Kosten lediglich nach Netz und Betrieb. In einem weiteren Schritt sind den ermittelten Kosten die Erlöse gegenüberzustellen. Allgemein ist die Ermittlung der durch ein ÖPNV-Projekt zu erzielenden Erlöse mit größeren Unsicherheiten behaftet als die Ermittlung der Kosten. Denn während es für die Kosten plausible Anhaltswerte aus vergleichbaren bzw. ähnlichen Projekten gibt, zeigen sich bei den Erlösen die Spezifika unterschiedlicher Teilräume unter Umständen sehr deutlich. Schließlich gilt es, für ein noch nicht existierendes Verkehrsmittelangebot die Nachfrage der Fahrgäste zu simulieren. Im Rahmen der Forschungsarbeit wurden Erlösschätzungen des vorliegenden Gutachtens, das auch das Mengengerüst lieferte, für die in Rede stehende Strecke übernommen. Um die einer Erlösabschätzung anhaftende Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen, ist in dem genutzten Gutachten eine optimistische und eine pessimistische Erlösschätzung durchgeführt worden (Tabelle 8). Tabelle 8

Geschätzte Erlöse (in € pro Jahr) Eriösvariante optimistisch pessimistisch

alle Szenarien 1.149.000 679.000

Für die Gegenüberstellung von Kosten und Erlösen im Rahmen der vorliegenden Studie wird bei den vier Szenarien kein Unterschied seitens der Erlöse angenommen. Diese Vorgehensweise erscheint gerechtfertigt, weil sich die „harten" Angebotsparameter Fahrzeit (27 bzw. 28 Minuten im SPNV, 30 Minuten mit dem Bus) und Fahrpreis (Verbundtarif für Schiene und Straße) zwischen den Szenarien nicht erheblich unterscheiden. „Weiche" Angebotsfaktoren, welche die Nachfrage szenariospezifisch beeinflussen können, sind durchaus plausibel anzunehmen. So wird in der Literatur und in Expertengesprächen auf den sogenannten Schienenbonus hingewiesen. Dieser Begriff steht für dem SPNV zugeschriebene positivere Eigenschaften im Verhältnis zum straßengebundenen ÖPNV15. Als Folge wird dem SPNV oftmals die größere Ausschöpfung von

15

Barth, S., Nahverkehr in kommunaler Verantwortung - Der öffentliche Personennahverkehr nach der Regionalisierung, 2000, S. 234 sowie Karopka, H.-J. et al., Wie er-

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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Nachfragepotentialen unterstellt. Eine genaue Abgrenzung des Schienenbonus liegt allerdings bislang nicht vor, geschweige denn eine Quantifizierung. Deshalb ist ein solcher Effekt an dieser Stelle nicht hinreichend genau modellierbar, um szenariospezifische Erlöse ermitteln zu können. Unterstellt man die Existenz eines Schienenbonus, so führt hier seine Nicht-Berücksichtigung zu einer relativen Begünstigung der Busszenarien bezüglich ihrer Erlöse. Dies ist bei der Interpretation von Erlös-Kosten-Kennziffern der Szenarien zu bedenken. Die Gegenüberstellung von Kosten und Erlösen geschieht hier mittels Erlös-KostenKoeffizienten. Ein Erlös-Kosten-Koeffizient größer als 1 bedeutet dabei höhere jährliche Erlöse als Kosten und umgekehrt. Die Abbildung 9 differenziert die Ergebnisse auch nach einer Berücksichtigung des Netzes auf der Kostenseite. Dies greift die übliche Trennung insbesondere des Schienenverkehrs in Netz und Betrieb auf. Es ermöglicht damit einen besseren Vergleich von Bus- und Bahnangeboten, da oftmals für einen Busverkehr keine netzbezogenen Kosten aufgeführt werden. Für den Bereich SPNV wird deutlich, dass die Kombination der in diesem Beispielfall vorgeschlagenen Kostensenkungsmaßnahmen in der Lage ist, die Gesamtkosten einer Reaktivierung erheblich zu reduzieren. So beträgt die Senkung der jährlichen Kosten vom Szenario „Zug High-cost" zur Variante „Zug Low-cost" gut 50% (Abbildung 8). Wenngleich dabei bereits die Senkung der Betriebskosten deutlich ausfallt, so ist das besondere Augenmerk auf den Bereich der Senkung der Netzkosten um mehr als 60% zu richten. Somit wurde es sogar möglich, den Anteil der Netzkosten an den Gesamtkosten kleiner zu halten als den Anteil der Betriebskosten (Tabelle 7). 16 Durch die größere Fahrzeuganzahl steigen die insgesamt zurückzulegenden Fahrzeugkilometer an, wodurch sich der Wartungs- und Reparaturaufwand erhöhen kann. Dennoch ließen sich aufgrund der Nutzung innovativer Leichttriebwagen auch für den Bereich Schienenfahrzeuge insgesamt Senkungen der jährlichen Kosten um knapp 15% erzielen. Eventuell anfallende Instandhaltungskosten für die auch von anderen Fahrzeugen genutzten Straßen wurden dem Busverkehr in den Szenarien nicht angelastet, wodurch seine netzbezogenen Kosten im Vergleich zum SPNV gering ausfallen. Für die busbezogenen Ansätze bleibt festzuhalten, dass durch den Verzicht auf umfangreiche netzseitige Investitionen (z.B. Busspuren) sowie durch einen kostengünstigen Personaleinsatz bei der Low-cost-Variante Reduzierungen der jährlichen Kosten von immerhin ca. 30% im Vergleich zur kos-

lebt der Kunde den öffentlichen Nahverkehr? - Qualitativ-psychologische Grundlagenstudie zur ÖPNV-Nutzung, in: Der Nahverkehr 11 / 2000, S. 18, 20. 16 Nähere Einzelheiten zum Wert- und Mengengerüst sind in der Forschungsarbeit (Fußn. 1) ersichtlich.

90

Karl-Heinz Schweig

tenintensiven Ausgestaltung des Busverkehrs erzielt wurden. Seitens der eingesetzten Fahrzeuge ergab sich lediglich ein geringer Spielraum bei den Kosten, weil die eingangs offengelegten Grundannahmen zur Sicherstellung der Sitzplatzkapazität einzuhalten waren. Auffällig ist der höhere Personalbedarf beim Busverkehr. Hier zeigt sich der bei größeren Fahrgastzahlen gegebene SPNVVorteil des geringeren Personalbedarfs im Verhältnis zur Zahl der beförderten Fahrgäste. Vergleicht man die Erlös-Kosten-Koeffizienten der einzelnen Szenarien miteinander, fuhren die geringeren Kosten des Busangebotes bei hier angenommenen gleichen Erlösen zu im Schnitt höheren Koeffizienten als beim SPNV (Abbildung 9, siehe folgende Seite). Unter Miteinbeziehung netzbezogener Kosten lässt sich nahezu kein über 1,0 liegender Erlös-Kosten-Koeffizient erzielen (Ausnahme: das Szenario „Bus Low-cost" bei gleichzeitig optimistischer Erlöseinschätzung). Bei Nicht-Berücksichtigung der Netzkosten fuhren allerdings mehrere Szenarien zu einem Koeffizienten über 1,0. Dabei handelt es sich - eine optimistische Nachfrageeinschätzung zugrundegelegt - um die modellierten ÖPNV-Angebote „Zug Low-cost" sowie die beiden Busangebote. Hervorzuheben ist dabei der etwas höhere Koeffizient des preiswerten Zugangebotes im Vergleich zum hochpreisig angesetzten Busverkehr. Es sei nochmals mit Nachdruck auf die nicht ohne weiteres gegebene Verallgemeinerbarkeit der hier getroffenen Aussagen hingewiesen. Denn die vorliegenden Ergebnisse berücksichtigen lediglich eine ausgewählte Beispielrelation in Nordrhein-Westfalen, die mit den eingangs erläuterten Grundannahmen analysiert wurde. Die Modifikation einiger Grundannahmen bzw. die Anwendung der Berechnungen auf andere Relationen kann zu Verschiebungen bei den Ergebnissen fuhren. Dies macht noch einmal die Notwendigkeit sehr sorgfältiger, einzelfallbezogener Analysen anstelle pauschaler Grundannahmen oder Faustformeln deutlich. Unabhängig von der Bedeutung der Netzkosten bleibt für die Optimierung der Betriebskosten unterschiedlicher ÖPNV-Angebote auf jeden Fall die Chance zur deutlichen Kostensenkung im SPNV und damit die Annäherung an, im günstigsten Fall sogar die Unterschreitung der Busbetriebskosten festzuhalten. Die Abbildung 10 verdeutlicht dies für den analysierten Beispielfall nochmals. Ebenfalls bleibt als Ergebnis der Beispielrechnungen festzuhalten, dass aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive die modellierten Busangebote im Schnitt einen Kostenvorteil gegenüber den Zugangeboten mit sich bringen. Eine zusätzliche Berücksichtigung von volkswirtschaftlichen Effekten (z.B. durch geringeres Unfallrisiko im SPNV im Vergleich zum Bus) und von möglicher weise unterschiedlich hoher Ausschöpfung der Nachfragepotentiale durch Bus und Bahn kann diese Kosten vorteile jedoch relativieren.

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

1,60

• Erlöse optimistisch, Kosten f. Netz u. Betrieb —

• Erlöse pessimistisch Kosten f. Netz u. Betrieb • Erlöse optimistisch, Kosten nur f. Betrieb I Erlöse pessimistisch Kosten nur f. Betrieb • Erlöse optimistisch, Kosten f. Netz u. Betrieb

• Erlöse pessimistisch, Kosten f. Netz u. Betrieb

• Erlöse optimistisch, Kosten nur f. Betrieb

• Erlöse pessimistisch, Kosten nur f. Betrieb

Quelle: eigene Darstellung Abb. 9: Erlös-Kosten-Koeffizienten unterschiedlicher ÖPNV-Angebote unter Berücksichtigung verschiedener Erlösvarianten (mit und ohne Berücksichtigung von Netzkosten)

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92

120 100 80 60 40 20

0 Zug High-cost

Zug Low-cost

Bus High-cost

Bus Low-cost

Quelle: eigene Darstellung Abb. 10: Relative Höhe der Betriebskosten unterschiedlicher ÖPNV-Angebote (in %, Szenario „Zug High-cost" = 100%)

VI. Fazit, Empfehlungen Es kann festgestellt werden, dass die Kostensätze für Bestandteile von ÖPNV-Angeboten erhebliche Spannweiten aufweisen. Dies gilt insbesondere für den Vergleich von aufwendigen, hochwertigen mit einfacheren, funktionalen Schienenverkehrsangeboten. Zum zweiten gilt dies auch für den Vergleich von SPNV- mit Bus-Angeboten. Die Kostensätze mit den relevanten Spannweiten sind: •

Investitionskosten für den Fahrweg,



Investitionskosten für Haltestellen,



Investitions- und Betriebskosten für Fahrzeuge (weniger innerhalb eines Fahrzeugtyps, sondern insbesondere durch das vergrößerte Angebot an Fahrzeugtypen) sowie



Personalkosten.

Die bei diesen Kostenarten festgestellten Spannweiten können als Hinweise für noch ausschöpfbare Kostensenkungspotentiale beim Bau von Anlagen oder beim Betrieb insbesondere des SPNV interpretiert werden. Insofern stellen die aufgeführten Kostenarten wesentliche Parameter zur Beeinflussung einer Entscheidung über ÖPNV-Angebote in der Region dar. Die Größe der Spannweiten bei den Kostenarten und die Breite der Ansatzpunkte zu Kostensenkungen lassen die im SPNV (vor allem im konventionellen Betrieb) vorhandenen Kosten-

Verkehrsplanerische Aspekte der Gestaltung regionaler ÖPNV-Angebote

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Senkungsmöglichkeiten mehr als nur marginal erscheinen. Je nach Einzelfall können diese allerdings deutlich variieren. Ein durch Kosteneinsparungen erzielbarer Nutzen tritt zunächst unmittelbar bei den Verkehrsbetreibern, also bei den EVU, als auch bei den EisenbahnInfrastrukturunternehmen auf. In Anlehnung an die Kategorien der standardisierten Bewertung 17 wurde ebenfalls geprüft, ob bei den Nutzern des SPNV und bei der Allgemeinheit auch mit Beeinflussungen des Nutzens zu rechnen ist. Denn oftmals wird Ansätzen zur Kostensenkung vorgeworfen, per se einen geringeren Nutzen zu stiften. Dabei ergab sich ein ambivalentes Bild. Durch einige Kostensenkungsmaßnahmen ist mit einer Minderung des Nutzens seitens der Verkehrsteilnehmer sowie der Allgemeinheit zu rechnen. Andererseits können bestimmte Nutzensteigerungen erst durch die Ergreifung innovativer kostensenkender Maßnahmen erzielt werden. Mithin kann nicht pauschal unterstellt werden, dass Kostensenkungen mit Nutzenminderungen einhergehen müssen, womit ein grundsätzliches Argument gegen Ansätze zur Kostensenkung im SPNV zu entkräften ist. Anhand einer in Nordrhein-Westfalen zur Reaktivierung im SPNV anstehenden Strecke wurden Modellrechnungen mit High- und Low-cost-Szenarien jeweils fur Zug und Bus durchgeführt. Dabei wurde unter Annahme eines unveränderten Nutzens der Einfluss von Kostensenkungsmaßnahmen auf die Gesamtkosten aufgezeigt. Im Ergebnis ist ein erhebliches Kostensenkungspotential seitens des SPNV festzustellen, wenn der kombinierte Einsatz kostenreduzierender Schritte im Rahmen einer Low-cost-Strategie verfolgt wird. So konnten in der modellhaften Untersuchung die jährlichen Kosten einer SPNV-Bedienung der Strecke mit einem Low-cost-Ansatz um über 50% gegenüber einer Alternative mit vergleichsweise hohen Kostensätzen gesenkt werden. Auch im Busverkehr zeigten die Modellrechnungen, an welchen Stellen Kostensenkungen realisierbar erscheinen (Szenario Bus High-cost vs. Bus Low-cost). Diese fallen mit im Beispiel insgesamt gut 30% relativ geringer aus als im Schienenverkehr. Im Vergleich von Zug- und Busszenarien wurde festgestellt, dass durch einen Lowcost-SPNV ähnliche Kosten zu erzielen sind wie mit einem High-costBusangebot. Beachtet man nur die Betriebskosten, so konnten im preisgünstigen SPNV-Szenario sogar geringere Kosten ermittelt werden als im hochpreisigen Busszenario. Wird jedoch auch im Busbereich ein Low-cost-Ansatz verfolgt, so stellte sich dies als das kostengünstigste der modellierten Szenarien heraus. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass künftige Entscheidungen über ÖPNVAngebote in der Region möglicherweise eher zugunsten des SPNV ausfallen können als dies noch in den vergangenen Jahren (ohne Wettbewerb und unter 17 Heimerl, G., Intraplan Consult, Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV und Folgekostenrechnung, 2000.

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Karl-Heinz Schweig

Verwendung konventioneller Techniken) der Fall war. Erforderlich ist in jedem Fall eine detaillierte Einzelfallanalyse, die u.a. die zuvor genannten Kostenarten und adäquate Kostensätze berücksichtigt. Die Ergebnisse sind mit zwei offenen Fragen verbunden. So sollte erstens anhand weiterer Fälle geprüft werden, wie sich kostengünstige Ansätze im ÖPNV etablieren lassen. Damit wäre eine Überprüfung der hier lediglich für eine Strecke ermittelten Werte möglich. Zweitens sollten die erzielten Ergebnisse zu einer verstärkten Berücksichtigung der Nutzenaspekte bei weiteren Forschungsarbeiten in diesem Themenfeld führen. Sollte sich nämlich ein so genannter Schienenbonus einstellen, der bislang allerdings nicht wissenschaftlich belegt ist 18 , würde dieser zusammen mit der Verfolgung eines Low-cost-Ansatzes zu einer relativen Steigerung der Erlös-Kosten-Koeffizienten von SPNVProjekten führen. Im Rahmen weiterer Forschungsarbeiten sollte geprüft werden, ob bzw. in welchen Ausprägungen ein Schienenbonus wirklich nachzuweisen ist.

18 Hass-Klau, C. / Deutsch, V./Crampton, G., Städtische Nahverkehrssysteme im internationalen Vergleich, in: Der Nahverkehr 10 / 2000, S. 31, 35-36.

Kommunalwirtschaft in Japan und öffentlicher Personennahverkehr Von Takenori Murakami

I. Das System der japanischen kommunalen Selbstverwaltung 1. Staat und Kommunen Japan ist kein föderaler, sondern ein Einheits-Staat. Es existieren zur Zeit zirka 3000 Gemeinden und 47 Präfekturen, die die Gemeinden überformen bzw. integrieren. Zur Einordnung dieser Zahlen sollte man wissen, dass Japan in etwa genauso groß ist wie Deutschland und einige Präfekturen dabei sogar die Größe von Bundesländern haben.

2. Kommunale Selbstverwaltung und japanische Gemeindeordnung Eine starke Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Sinne einer Autonomie ist durch die japanische Verfassung sowie die japanische Gemeindeordnung gewährleistet. Gemäß Art. 92 der japanischen Verfassung ist der Wesensgehalt der lokalen Kommunalhoheit gewährleistet. Art. 94 garantiert, dass die Kommunen innerhalb des Rahmens der staatlichen Gesetze ihre eigenen Satzungen erlassen können. Eine umfassende Reform der Gemeindeordnung im Jahre 1999 führte dazu, dass die Aufgabenerfüllung der Kommunen normalerweise nicht mehr unter einer Kontrolle der staatlichen Aufsicht steht. In der Regel sollten die regionalen Aufgaben in den Händen der lokalen Selbstverwaltung liegen. Demnach soll der Staat hauptsächlich auf die Rolle zurückgeführt werden, internationale Beziehungen zu fördern, den Frieden zu sichern und die überregionalen, ganz Japan betreffenden Aufgaben zu erledigen. Durch diese Gesetzesreform hat die Bedeutung der staatlichen Aufsicht über die kommunale Aufgabenerfüllung stark abgenommen. Einzelne Gesetze regeln zwar immer noch, dass die Kommunen nur mit einer Genehmigung und im Einvernehmen mit dem Staat handeln dürfen; grundsätzlich darf der Staat seinen Einfluss auf die Kommunen jedoch nunmehr nur noch mit einem schlichten Rat

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Takenori Murakami

bzw. einer Empfehlung oder einer Orientierung geltend machen. Nur insoweit die Kommunen ihre eigenen Aufgaben gesetzeswidrig, extrem inadäquat und offensichtlich mit einem Verstoß gegen das Gemeinwohl erledigen, darf der Staat handelnd eingreifen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Handelt es sich um eine Aufgabe, die auf dem Hoheitsaufgabengebiet der Kommune angesiedelt ist, kann der Staat nur eine Reform erbitten bzw. einfordern. Handelt es sich um eine Aufgabe, die auf dem Auftragsaufgabengebiet der Kommunen angesiedelt ist, können durch eine stärkere Form der Weisung Reformen angeordnet werden. Nur wenn die Kommunen eine solche Weisung zur Reform nicht ernsthaft ausführen, kann das Ministerium direkt vor das Obergericht (normalerweise die zweite Instanz) ziehen. Wenn das Gericht dann zugunsten des Ministeriums entscheidet, kann der Minister ζ. B. anstelle des Gouverneurs die Aufgabe selbst erfüllen. Im Bereich des Hoheitsaufgabengebietes gibt es jedoch eine solche Möglichkeit, über das Gericht die Reformforderung des Ministers realisieren zu können, nicht.

3. Beschränkte Steuerhoheit der Kommunen und Manipulation des Staates durch den Ausgleich a) Steuerhoheit des Staates und der Kommunen Das Steuer-Einnahmeverhältnis liegt seit langem immer noch zu etwa 70% in den Händen des Zentralstaates und nur zu 30% in den Händen der Gebietskörperschaften (Gemeinden und Präfekturen). Daran lässt sich ermessen, dass das japanische Finanzministerium sehr mächtig ist, und gleichzeitig wird es angesichts solcher Zahlen verständlich, dass sich die Kommunalwirtschaft permanent in einer finanziellen Krise befindet. Merkwürdigerweise verhält es sich bei der Quote der Ausgaben ganz anders. Im ganzen Haushalt Japans erreicht die Summe des Ausgabenbetrages der lokalen Gebietskörperschaften 70%, jedoch die des Staates nur 30%. Warum ist dies so? Die Antwort darauf ist ganz einfach: Der Staat zieht so viel Steuern wie möglich ein und vergibt dann die Gelder an die lokalen Gebietskörperschaften. Damit wird deutlich, dass die Kommunen über Geld gesteuert werden. Durch diesen Verteilungs-Mechanismus können die Kommunen mehr Geld für verschiedene Projekte direkt einfordern und verwenden. Je nach Situation der Kommunen kann die zentrale Regierung natürlich auch die Notlage der regionalen Interessen ausgleichen. Allerdings scheint es für die Zukunft eine der vordringlichsten Aufgaben zu sein, diese Funktionsweise der kommunalen Wirtschaft, die durch das Geld des Staates manipuliert wird, zu reformieren.

Kommunalwirtschaft in Japan und ÖPNV

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b) Subventionierung über Finanzfonds aus Bürgerersparnissen bei der Postbank In Japan wie in Deutschland ist es möglich, Subventionen sowohl aus dem normalen ersten Haushalt des Staates als auch aus dem Haushalt der Kommunen zu finanzieren. In Japan existiert daneben und zusätzlich allerdings noch ein sog. zweiter (Schatten-)Haushalt, dessen Summe die Hälfte des normalen Haushaltes eines einzelnen Jahres erreichen kann. Dieser zweite Haushalt entsteht hauptsächlich aus den riesigen Sparguthaben der Buerger bei staatlich betriebenen Postbanken. Das Finanzministerium erstellt jedes Jahr einen staatlichen Plan für die von den Postbanken gesammelten bzw. von den Bürgern einbezahlten Fonds. Diesen Haushalt nennt man den staatlichen Finanzinvestitions- und Darlehensplan. Dieser Plan wurde nach dem Zweiten Weltkrieg institutionalisiert und sollte nach der Theorie von John Maynard Keynes (1883-1946) je nach der wirtschaftlichen Situation angewandt werden. Aber natürlich wird zum Beispiel der Autobahnbau und der Autobahnbetrieb nicht nur aus dem normalen staatlichen Haushalt bezahlt, sondern auch aus diesem Sonderstaatsplan finanziert. Das Problem liegt also darin, dass das Finanzministerium bei der Realisierung dieses Planes immer größere Spielräume und Initiativmöglichkeiten besitzt. Man könnte sogar behaupten, dass es in Japan, solange ein zweiter Schattenhaushalt existiert, keine Notwendigkeit für Private Finance Initiative (PFI) oder Public Private Partnership (PPP) gibt, da schon ausreichend Kapital vorhanden ist. Durch diese zu unternehmerfreundlichen Maßnahmen der planerischen Subventionen vergisst der Unternehmer allmählich das notwendige Konkurrenzbewusstsein. Bürokratische, uneffektive oder unwirtschaftliche Betriebsweisen haben das wichtige Gewinnmaximierungsbewusstsein beseitigt und dadurch einen riesigen Schuldenberg entstehen lassen. Zur Zeit wird oft behauptet - so auch von dem japanischen Premierminister Koizumi - , dass dieser Finanzinvestitions- und Darlehensplan ganz beseitigt werden müsste. Ich glaube jedoch, dass dieses Plansystem grundsätzlich bestehen bleiben könnte, wenn auch das Staatspostbanksystem bestehen bleibt. Dafür wäre es allerdings notwendig, das Staatspostbanksystem zu reformieren und es an den Gedanken der Respektierung der Freiheit der normalen privaten Banken anzupassen. Zumindest ist aber eine Reduzierung der Aufgaben der Staatspostbanken erforderlich. In Japan werden, wie ich oben schon erwähnt habe, die Infrastruktur und die Öffentlichen Unternehmen einschließlich des Personennahverkehrs immer öffentlich finanziert und subventioniert.

7 Piischas/Ziekow

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Takenori Murakami c) PFI-Gesetz in Japan

Zur Zeit befinden sich in Japan ebenso wie in Deutschland sowohl der Staat als auch die Kommunen in großen Finanzkrisen. Deshalb kann man nicht mehr mit der unbeschränkten Leistungsfähigkeit der Verwaltungsträger rechnen. Ein grundlegender Wandel vollzieht sich vor allem darin, dass die Buerger nunmehr auch ohne rechtliche Hindernisse an bisher rein über den staatlichen Haushalt finanzierten Projekten teilnehmen sollen und diese auch mitfmanzieren sollen dürfen. Dafür existiert in Japan das Gesetz über „Private Finance Initiative" (PFI). Der häufigste Anwendungsfall dieses Gesetzes ist zur Zeit noch der, dass die öffentliche Hand ein Grundstück besitzt, auf dem sie mit privatem Geld eine öffentliche Einrichtung erbauen möchte. Durch eine Fortschreibung dieses Gesetzes kann man erwarten, dass öffentliche Unternehmen leichter privatisiert werden könnten und eine effektivere und wirtschaftlichere Realisierung der öffentlichen Unternehmen - einschließlich des Personennahverkehrs - erreicht werden kann.

4. Rechtlicher Charakter der Kommunen Herrschaftsträger und Unternehmensträger Wie ich schon oben erklärte, haben die Kommunen aktuell mehr Hoheitsgewalt, eine eigene Politik und eine eigene Verwaltung selbständig zu entwickeln. Kommunen dürfen alles machen und ihre Aufgaben in der Regel unabhängig von der Zentralregierung durchführen, soweit sie ihre Aufgaben nicht gesetzwidrig erledigen. Die Aufgabenerledigung erfolgt dabei entweder als direkte Erfüllung staatlicher Gesetze oder in Erfüllung ihrer eigenen Satzungen. Den Kommunen ist es bereits seit langem natürlich erlaubt, außer der normalen Aufgabenerfüllung zum Zwecke des Gemeinwohls (Bau, Ausbildung, soziale Wohlfahrt etc.) auch Kapitalgesellschaften und öffentliche Unternehmen zu gründen und zu betreiben, so ζ. B. in den Bereichen der Energie- und Wasserversorgung, der Verkehrswirtschaft, dem Betrieb von Krankenhäusern und Märkten. Um diese öffentlichen Unternehmen betreiben zu können, müssen die Kommunen einen Sonderhaushalt anfertigen und diese Unternehmen müssen nach dem sogenannten Eigenbudgetsystem betrieben werden. Dafür wird nicht die normale Gemeindeordnung angewandt, sondern als spezielles Gesetz das Gesetz für die öffentlichen Unternehmen der Kommunen.

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I I . Öffentliche Unternehmen in Japan 1. Die geschichtliche Entwicklung der rechtlichen Systeme der öffentlichen Unternehmen In der kaiserlichen Meiji-Verfassung von 1889, die unter dem starken Einfluss der kaiserlichen Verfassung Preußens entstand, gab es den Gedanken, dass nur der japanische Kaiser (Staat) ein monopolistisches Betriebsrecht für die öffentlichen Unternehmen hat. Das bedeutete, dass nur der Staat demgemäss die Betriebsrechte für öffentliche Unternehmen einschließlich des Personennahverkehrs sowohl an Private als auch an Kommunen vergeben konnte. Man könnte diese Form der Genehmigung nach der Theorie von Otto Mayer, dem Vater der Verwaltungsrechtslehre, als Konzession im alten Sinne bezeichnen. Diese Entwicklung führte dazu, dass genau diese Form der Konzessionsvergabe erfolgte und in Japan aus diesem Grund schon seit langem private Straßenbahnunternehmen oder Eisenbahnunternehmen für den Personennahverkehr, besonders in Großstädten wie Tokio, Osaka, Nagoya und Fukuoka, existieren. Nach dem Krieg zwischen Japan und Russland im Jahre 1906 wurde die Eisenbahn weitgehend verstaatlicht und die IGR (Imperial Government Railways) gegründet. Im Vergleich dazu: In Deutschland wurde das Staatseisenbahnsystem im Jahre 1920 gegründet.

2. Art. 22 der japanischen Verfassung und Gewerbefreiheit Nach der jetzigen japanischen Verfassung gewährleistet Art. 22 die Berufsfreiheit. Danach kann jedermann alle Betriebe, einschließlich der öffentlichen Unternehmen, frei betreiben. Natürlich werden in vielen einzelnen Gesetzen die Voraussetzungen für den Betrieb von öffentlichen Unternehmen bestimmt, aber die Basis ist die verfassungsrechtlich gewährleistete Berufsfreiheit. Auch die Kommunen sind befugt, öffentliche Unternehmen zu betreiben.

3. Öffentliche Unternehmen und ihre Probleme Bei den Unternehmen der öffentlichen Hand, einschließlich der Kommunen, gibt es verschiedene Probleme. Die Hauptprobleme sind die bürokratischen Betriebsweisen und die vorhandenen Schulden. Aus diesen beiden Gründen sind auch in Japan in den letzten Jahren viele Aufgaben (Bereiche) der Verwaltungsträger fortschreitend privatisiert worden. PFI oder PPP werden immer stärker betont, wobei im Mittelpunkt der Debatte immer die Kosten und die Effektivität stehen. Im Vergleich zu Deutschland sind die Sektoren Telekommunikation und 7*

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Takenori Murakami

Eisenbahnpersonenfernverkehr etwas früher privatisiert worden. Momentan diskutiert man sehr intensiv über Autobahnen und andere Privatisierungsprobleme. Es stehen sich, um es mit anderen Worten auszudrücken, zwei Fronten gegenüber: die Effektivität und die Politik.

I I I . Die Situation in den japanischen Ballungszentren 1. Geographische Situation der Großstädte in Japan Bevor ich über das Problem des Personennahverkehrs berichte, möchte ich zuerst die geographische Situation Japans, besonders bezüglich der Großstädte, erläutern. Innerhalb der Tokio-Präfektur oder auch der Osaka-Präfektur gibt es mehrere Städte, die ganz eng nebeneinander liegen. In diesen Ballungszentren leben extrem viele Einwohner (in Osaka knapp 9 Millionen) auf engstem Raum zusammen. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass es ein gut ausgebautes Netz des Personennahverkehrs gibt. Ich möchte hier betonen, dass die Verkehrssituation in Japan ganz anders ist als in Deutschland. Von München aus gesehen ζ. B. liegt die nächste größere Stadt Augsburg etwa 60 km entfernt. Bei uns in Osaka liegen die Städte ganz eng nebeneinander und es reihen sich Stadt an Stadt bis zur benachbarten Präfektur Kyoto.

2. Notwendigkeit des Personennahverkehrs in den Großstädten In den japanischen Städten ist es unbedingt notwendig, dass ein gutes Straßen» und Eisenbahnnetz existiert. Die Straßen werden je nach ihrer Zugehörigkeit - Landesstrassen, Präfekturstrassen, Gemeindestrassen und spezielle Autobahnen - von verschiedenartigen Betriebssubjekten aufgebaut und verwaltet. Autobahnen werden meistens von einer speziellen (staatlich gegründeten) öffentlich-rechtlichen Körperschaft (Japan-Autobahn-Körperschaft) betrieben. Diese Körperschaften wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in den 60er Jahren speziell auf Grund eines Gesetzes errichtet, werden vom Staat finanziert und unterliegen einem starken Einfluss der Regierung. Solche speziellen Sonderkörperschaften sollten nicht unter der Betreuung der „unsichtbaren Hand Gottes", sondern offenbar als erweiterte Hand der Regierung die öffentlichen Ziele entwickeln und realisieren. Die Zahl solcher speziellen Körperschaften hat seit den 60er Jahren immer weiter zugenommen.

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3. Die Autobahn und ihre Rolle im Personennahverkehr Die Autobahnen spielen sowohl für den Personenfernverkehr als auch für den Personennahverkehr eine wichtige verkehrspolitische Rolle. Obwohl niemand kostenlos die Autobahnen benutzen kann und diese sehr teuer sind, spielen sie im Personennahverkehr eine wichtige Rolle. Der Neubau von Autobahnen verursacht im ganzen Land hohe Kosten, so dass die Autobahn-Körperschaften unter einer enormen Verschuldung leiden, obwohl sie in den Ballungszentren durchaus hohe Gewinne verzeichnen können. Japan ist ein sehr gebirgiges Inselland, das außerdem in fast regelmäßigen Abständen von verschiedenen Naturkatastrophen heimgesucht wird. Die Kosten für den Ausbau eines sicheren Verkehrsnetzes sind in Japan deshalb weit höher als in vergleichbaren Industrieländern. Die oben angeführte Japan-Autobahn-Körperschaft hat, immer unter politischem Einfluss und Druck, auch in den ländlichen Gebieten das Autobahnennetz unter immensem Kostenaufwand permanent weiter erneuert und ausgedehnt. Unter politischem Einfluss entstanden oder entstehen Autobahnverbindungen in entlegene Teile Japans, in denen das Verkehrsaufkommen, verursacht durch eine relativ geringe Bevölkerungsdichte, in der Realität sehr gering ist. So haben zum Beispiel drei ehemalige Premierminister mit faktischem Zwang erreicht, dass drei Autobahnbrücken zwischen der Hauptinsel Honshu und der kleinen Shikoku-Insel errichtet wurden. Man könnte dazu ironisch formulieren, dass mindestens eine Brücke inzwischen fast nur noch von Vögeln genutzt wird, die sich dort ungestört von Auspuffgasen ausruhen möchten. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die unglaublich teuren Projekte unter erdrückenden Schuldenbergen leiden, da für die Fahrt über die Brücken überteuerte Mautgebühren verlangt werden, und als Folge davon das vorher erwartete Verkehrsaufkommen stark unterschritten wird. Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt es zur Zeit weitreichende Privatisierungsdebatten, die sich vor allem auch mit Haushaltseinsparungen und der Effektivität der öffentlichen Unternehmen beschäftigen. Zum Beispiel wird diskutiert, dass die jetzige einzige Japan-Autobahn-Körperschaft in vier oder fünf spezielle Kapitalgesellschaften geteilt und privatisiert werden sollte.

IV. Kommunalwirtschaft und öffentlicher Personennahverkehr 1. Verfassungsrechtliche Verantwortung und Formenvielfalt Nunmehr ist an dieser Stelle zu klären, wie die japanischen Kommunen den öffentlichen Personennahverkehr betreiben. Anders als in Deutschland gab es in Japan keine Regeln der (verfassungs-)rechtlichen Verantwortung der öffentli-

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Takenori Murakami

chen Hand fur den Verkehr. Nur der Artikel 25 der japanischen Verfassung gewährleistet das Recht auf einen Mindeststandard des Lebens der Bürger. Der Artikel 13 regelt, dass der Staat die Persönlichkeit des Einzelnen respektieren muss. Daraus könnte man folgern, dass sowohl der Staat als auch die Kommunen für die Buerger ein Mindestmass an Personennahverkehr bereitstellen müssten. Deswegen gibt es in Japan seit langem verschiedene Betriebsformen, ζ. B. rein öffentliche Organisationsformen, privatrechtliche Organisationsformen und gemischte Formen. Somit existiert kein einheitliches System, sondern es bestehen ganz verschiedene Formen der öffentlichen Unternehmen, unterschieden je nach Stadt oder Region.

2. Straßenbahn und Personennahverkehr Der Straßenbahn-Betrieb lag verhältnismäßig früh - bereits vor dem Zweiten Weltkrieg - in den Händen privater Unternehmen. Im Gegensatz dazu wurden die U-Bahnen jedoch wegen der großen Kosten von öffentlichen Verwaltungsträgern finanziert und betrieben. Grundsätzlich ist in den letzten Jahren ein Rückgang des Betriebs von Straßenbahnen zu beobachten, weil diese den Autoverkehr stark behindern. Ein Beispiel für den noch funktionierenden und ausgebauten Betrieb von Straßenbahnen ist in der Stadt Hiroshima zu sehen, wo immer noch eine private Betreibergesellschafi tätig ist, und man heute sogar einige moderne und bequeme Straßenbahnwagen aus Deutschland benutzen und genießen kann. Ein Grund für die immer noch vorhandene Straßenbahn-Infrastruktur in den Städten Hiroshima und Nagasaki ist dabei, dass man durch die Zerstörungen der Atombomben die Möglichkeit des Neuaufbaus hatte und sofort breitere Straßen gebaut hat, auf denen Straßenbahnen kein Hindernis für den Autoverkehr mehr waren.

3. Busverkehr und Gemeinden a) Konkurrenz zwischen Gemeindebetrieb und privaten Busverkehrsgesellschaften Im Busverkehrsbereich gibt es ganz verschiedene Betriebsformen. Oft betreiben die privaten Busgesellschaften seit langem den Personennahverkehr, teilweise treten aber auch die Gemeinden selbst in Erscheinung. Der Grund für den Betrieb eines gemeindlichen Busverkehrs liegt dabei allerdings nicht immer in einem zu erwartenden finanziellen Gewinn, sondern in der vorhandenen Ver-

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antwortung für die Einwohner. Obwohl es in manchen Ortschaften nur wenige Fahrgäste gibt, sollte die Gemeinde immer diese Leistung erfüllen. Aufgrund der Stärke der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes sind die Gemeinden dabei häufig gezwungen, immer höhere Personalkosten aufzubringen, was bei den gemeindlichen Busbetrieben zu einem hohen Schuldenstand führt. Man kann deshalb vermuten, dass viele Gemeinden nicht mehr in der Lage oder gewillt sind, den Busverkehr zu betreiben. Außerdem wurde dieses Jahr das Straßentransportgesetz reformiert. Demgemäß muß der Busverkehr immer unter gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen betrieben werden. Damit können auch private Bustransportfirmen mit kommunalen Busbetrieben konkurrieren. Ein weiterer Faktor ist noch hinzuzufügen: Bis vor etwa 6 Jahren hatte die zentrale Regierung auch über die Einrichtung (Festlegung) von einzelnen Haltestellen in den lokalen Busverkehrsnetzen zu entscheiden. Aufgrund der heftigen Kritik gegen eine zu starke Regulierung durch den Zentralstaat wurden schließlich einige Bereiche der Entscheidungshoheit an die Gemeinden abgegeben.

b) Busnahverkehr und das „ community bus "-System Der Community Bus wird von einer Gemeinde unterstützt und von einer privaten Busgesellschaft betrieben. Er ist etwas kleiner als ein normaler Bus und kann dadurch auch in sehr schmale Straßen hineinfahren. Außerdem muss es im Abstand von je 200 Metern eine Haltestelle geben, damit ältere Mitbürger oder Kinder leichter den Bus benutzen und ein- bzw. aussteigen können. Ein gutes Beispiel eines solchen Community Busses ist im Jahre 1995 in der Gemeinde Musashino in der Präfektur Tokio realisiert worden. Das System wurde im Jahre 1998 in Japan in insgesamt 107 Orten eingeführt.

4. U-Bahnen und Kommunen a) Beispiel: Tokio Die U-Bahnen werden meistens nicht von privaten Unternehmen, sondern von den Großstädten selbst betrieben. Ein anderes Beispiel ist allerdings Tokio. Dort war die U-Bahn aber schon während des Zweiten Weltkrieges in den Händen einer gemischten Betriebsform. Während des Zweiten Weltkrieges waren für die Kriegsführung mehrere spezielle, fast vollkommen staatlich finanzierte und gesetzlich organisierte Handelsgesellschaften gegründet worden. Die Tokio Metropolitan U-Bahn war und ist auch eine solche durch den Staat stark beeinflusste Form einer speziellen Gesellschaft (Eidan). Deren Vorstände werden

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immer noch vom Ministerium benannt, der Haushalt wurde und wird von der ehemaligen Staatseisenbahn und den betreffenden Gemeinden (hauptsächlich der Präfektur Tokio) finanziert und kann auch vom Staat subventioniert werden. Nach dem Krieg musste wegen der Länge der Strecken aber außerdem auch die Präfektur Tokio selbst ihr U-Bahn-Netz weiter entwickeln. Die allein von der Präfektur Tokio organisierte U-Bahn wurde konstruiert, nachdem die Tokio-City-Straßenbahn außer Betrieb genommen worden war. Das Personal der ehemaligen Straßenbahn wurde dabei automatisch von der neu gebildeten Präfektur-U-Bahn übernommen. Aus diesem Grund waren und sind die Personalkosten offensichtlich viel größer als bei der Tokio-U-Bahn-Gesellschafi (Eidan).

b) Beispiel: Osaka In Osaka betreibt die Stadt Osaka (nicht die Präfektur) die U-Bahn. Außerhalb der Stadtregion baut die Präfektur Osaka die U-Bahn. Allerdings darf die Stadt Osaka auch außerhalb der Gemeinde Osaka die U-Bahnen betreiben. Dabei handelt es sich also um ein sehr gutes Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Gemeinde und Präfektur. Außerhalb der Stadtregion betreibt jedoch ausnahmsweise auch eine Sonderkapitalgesellschaft (eine öffentlichprivat gemischte Kapitalgesellschaft) eine Kurzstrecken-U-Bahnlinie, an der die Präfektur Osaka mit ca. 50% des Kapitals beteiligt ist.

5. Eisenbahn und Personennahverkehr a) Situation des Eisenbahnpersonennahverkehrs Der Eisenbahnpersonennahverkehr ist in Japan ziemlich kompliziert konstruiert. In Großstädten wie Tokio oder Osaka sowie auch in anderen Städten gibt es seit langem private Eisenbahnverkehrsgesellschaften. In Osaka ζ. B. gab es seit Anfang des 20. Jahrhunderts private Eisenbahngesellschaften für den Personennahverkehr. Bis vor 20 Jahren organisierte die öffentlich-rechtlich gegründete Staatseisenbahn nicht nur den Fernverkehr, sondern sie erfüllte neben den privaten Eisenbahngesellschaften auch eine wichtige Rolle im Personennahverkehr. Die japanische Staatsbahn verursachte wegen ihrer bürokratischen Betriebsweise riesige Schulden. Nach langen Debatten wurde deshalb die japanische Staatsbahn privatisiert und durch diese Reform effektiver. In Großstädten wie Tokio, Osaka und Nagoya spielen aber immer noch auch die privatisierten Eisenbahngesellschaften eine wichtige Rolle im Personennahverkehr.

Kommunalwirtschaft in Japan und ÖPNV b) Privatisierung

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der Staatseisenbahn

Die Staatseisenbahn-Körperschaft wurde im Jahre 1987 in 7 Gesellschaften geteilt und privatisiert. Die Fahrpreise können allerdings auch weiterhin immer nur mit Genehmigung des staatlichen Verkehrsministeriums in Tokio festgelegt werden. Aufgrund der Privatisierung der japanischen Staatsbahn wurden mehrere ineffektive lokale Eisenbahnlinien beseitigt, und es blieben nur Eisenbahnlinien erhalten, die als absolut notwendig betrachtet wurden. Die neuen Rechtsformen - gemischte Formen, die privatrechtlich organisiert sind und gleichzeitig teilweise ueber Aktienanteile durch die Gemeinden beeinflußt werden - erfüllen immer noch Personennahverkehrsaufgaben besonders in lokalen Gebieten, in denen nur wenige Fahrgäste zu transportieren sind, aber trotzdem ein Erhalt der Bahnlinien dringlich erscheint. Dadurch vergrößern sich aber die Schulden der Kommunen Jahr für Jahr und die Kommunalwirtschaft wird immer mehr in einen Krisenzustand versetzt.

c) Probleme durch Privatisierung

der Eisenbahn

Die entscheidende Frage, die sich die Verantwortlichen immer wieder stellen, lautet stets: Beseitigung uneffektiver Bahnlinien oder Privatisierung? Naturgemäß haben private Unternehmen kein Interesse daran, nur uneffektive Strecken zu führen und diese Aufgaben zu übernehmen. Bei einer Weiterentwicklung könnte es irgendwann keinen Personennahverkehr mehr geben, wenn die Kommunen nicht unterstützend eingriffen. Deshalb sollte auf die öffentliche Verantwortung oder die Aufgabe der gemeindlichen Daseinsvorsorge nicht vollkommen verzichtet werden. Die Kommunen sollten dann vielmehr dazu übergehen, zumindest irgendwelche Ersatzleistungen, ζ. B. Bus Verkehrsdienste, anzubieten oder zumindest zu subventionieren.

6. Seeschiffspersonennahverkehr In Japan existiert daneben in den Kommunen auch der Seeschiffspersonennahverkehr. Die Gemeinden, wie zum Beispiel die Stadt Fukuoka auf der Insel Kyushu, betreiben den Personennahverkehr, um den Bürgern auf kleinen und abgelegenen Inseln zu ermöglichen, die japanischen Hauptinseln bzw. Nachbarinseln zu erreichen. In vielen Gebieten ist auch der Seeschiffspersonennahverkehr naturgemäß privatisiert.

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Takenori Murakami 7. Kooperation zwischen Präfekturen und Gemeinden

Wie ich schon am Anfang erwähnt habe, wurde im Jahr 1999 eine große Reform des lokalen Kommunensystems bzw. der Gemeindeordnung durchgeführt. Damit wurde eine Gleichwertigkeit oder Gleichberechtigung zwischen dem Staat und den Kommunen realisiert. Außerdem wurde auch das Gleichgewicht zwischen den Präfekturen und den Gemeinden im Machtgefüge hergestellt. Früher spielte die Präfektur als Beauftragte des Staates die Rolle der Aufsicht über die Aufgabenerfüllung der Gemeinden. Die Präfekturen führten als größere Gebietskörperschaften übergreifende, koordinierende und ergänzende Aufgaben durch. Bezüglich des Personennahverkehrs haben die Präfekturen ziemlich wichtige und überregionale Aufgaben inné, ζ. B. den Aufbau und Betrieb von Einschienenbahnen in Osaka (sogenannte „Monorails"), die durch mehrere Gemeinden verlaufen.

8. Kooperationen zwischen öffentlicher Hand, privaten Unternehmen und Bürgern In Japan geht es nicht nur bei dem Personennahverkehr, sondern auch bei sonstigen öffentlichen Unternehmen darum, dass die Kooperation zwischen der öffentlichen Hand und den privaten Unternehmen gut funktioniert, und dass auch eine Zusammenarbeit mit dem Bürger respektiert und akzeptiert werden sollte. Natürlich gibt es manchmal auch negative Beispiele: In einer neuen Siedlung wird eine neue U-Bahnhaltestelle sehr weit entfernt von einer schon existierenden Bushaltestelle gebaut, die eigentlich eine wichtige Rolle beim Umsteigen der Passagiere spielen sollte. In solch einem Fall könnte eigentlich erwartet werden, dass eine neue U-Bahnstation im Sinne einer gut funktionierenden Kooperation und unter dem Gesichtspunkt des Bürgers als Kunden möglichst in der Nähe geplant werden müsste. Diese Funktionsfähigkeit müsste hinsichtlich einer Kooperation sichergestellt werden, damit im Sinne einer Bürgerfreundlichkeit und Daseinsvorsorge im kommunalwirtschaftlichen Bereich gehandelt werden kann. Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht noch einmal eine Zahlenübersicht, die den Stellenwert der einzelnen Beteiligten am öffentlichen Personennahverkehr verdeutlicht. Nur bei einem guten Zusammenspiel aller Akteure kann eine gute Funktionsfähigkeit im Sinne der Nutzer sichergestellt werden.

Kommunalwirtschaft in Japan und ÖPNV

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Ballungsraum Tokio

Ballungsraum Osaka

Transportzahl der Personen

64.580.000 pro Tag

28.130.000 pro Tag

JR (Japan Railway)

22,4 %

13,3 %

Private Eisenbahngesellschaften

20,8 %

23,8 %

U-Bahnen

11,8%

11,1 %

Straßenbahnen

0,2 %

0,4 %

Busse

7,9 %

8,6 %

Taxis

3,1 %

3,0 %

Eigene Autos

33,8 %

39,9 %

Quelle: Imidas 2002, Shueisha, S. 597. Die Zahlen sind aus dem Jahr 1998

9. Sinn der Privatisierung Die zentrale Frage, die sich im Hinblick auf die jetzige Diskussion stellt, ist, ob die Privatisierung eigentlich immer nur Vorteile mit sich bringt. Als Beispiel könnte man hier das Vorzeigeprojekt Tokio benennen. Diese Stadt und ihr öffentlicher Personennahverkehr kann auf die riesige Zahl der Fahrgäste verweisen, die jeden Tag von den U-Bahnen transportiert werden. International bekannt ist, dass jeden Morgen und jeden Abend zu den Spitzenzeiten Bahnangestellte mit weißen Handschuhen die Menschen in die schon überfüllten Wagen hineindrücken, um noch den letzten Platz effektiv auszunutzen. Den Fahrgästen wird eigentlich jegliche Menschenwürde genommen, indem sie wie ein Stückgut behandelt werden. Bei diesem Beispiel zeigen sich aber eben auch die Nachteile: Nicht nur die Effektivität, sondern auch die Menschenwürde muss bei den Fragen der Kommunalwirtschaft respektiert werden.

10. Bürgerinitiative In Japan ist durch die japanische Gemeindeordnung eine Bürgerinitiative und eine Popularklage gewährleistet. Jeder Einwohner hat die Möglichkeit, bei der illegalen oder gemeinwohlverletzenden (nicht zweckmäßigen) Aufstellung und Verwendung des öffentlichen Haushaltes sowohl in den Präfekturen als auch in den Gemeinden zuerst einmal vor die Rechnungsabteilung (Kansaiin) der Kommunen und abschließend, bei nachgewiesener Illegalität, vor Gericht zu gehen. Bei der unangemessenen Verwendung des staatlichen Haushaltes kann sich ausschließlich der Betroffene nur vor dem Rechnungshof beschweren.

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Takenori Murakami

V. Fazit Zum Schluss bleibt folgendes zusammenzufassen: In Japan spielen bereits seit langem private Unternehmen im Ausbau und Betrieb des Personennahverkehrs eine wichtige Rolle. Somit kann man feststellen, dass Privatisierungen bereits eine lange Geschichte haben. Trotzdem gibt es daneben immer noch auch den Personennahverkehr, der durch die öffentliche Hand gewährleistet wird. Eine abschließende Feststellung darüber, ob die Kooperationsbeziehungen gut oder schlecht funktionieren, ist an dieser Stelle nicht möglich, weil für beides Beispiele existieren. Alle Bereiche der Verkehrsplanung wurden und werden politisch zwischen dem Staat, den Präfekturen, den Gemeinden und den privaten Unternehmen je nach Situation der lokalen Kommunen koordiniert. Mit einbezogen werden sollten auch immer der Bedarf und das Interesse der Bürger sowie die Menschenwürde.

Kontrollierter Wettbewerb im ÖPNV Der ÖPNV zwischen Wettbewerbsprinzip und Daseinsvorsorgeauftrag Von Michael Ronellenfitsch

I. Ausgangslage Die Umsätze im deutschen ÖPNV belaufen sich auf über 20 Mrd. € / Jahr 1. Hiervon stammen 45 % aus Fahrgeldeinnahmen gegenüber 55 % aus staatlichen Hilfen und Ausgleichszahlungen. Staatliche Unterstützungen werden gewährt für Infrastrukturinvestitionen, durch Einkauf von Zug- und Busangeboten und durch die Förderung von Schüler- und Schwerbehindertenverkehren. Der hohe Anteil staatlicher Zuwendungen rechtfertig sich einerseits aus der Gemeinwohlbindung des ÖPNV. Andererseits wird die gewerbliche Unternehmerfreiheit vom Daseinsvorsorgeauftrag überlagert. Für die wirtschaftliche Relevanz das ÖPNV zählen nur die Umsatzzahlen. Danach ist der ÖPNV auch im europäischen Binnenmarkt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Von vielen Seiten wird gefordert, den ÖPNV stärker dem europäischen Wettbewerb zu unterwerfen. Für auf die Wahrnehmung der Daseinsvorsorgeaufgabe ausgerichtete ÖPNV-Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie dieser Aufgabe im europäischen Wettbewerb gerecht werden können.

I I . Historische Entwicklung l.EU Der Verkehr zählt zu den Wirtschaftssektoren, für die schon die Europäischen Verträge eine „gemeinsame Politik" vorsahen. Die Verkehrspolitik der EWG war zwar marktwirtschaftlich ausgerichtet, die vorgesehene Liberalisie1

Vgl. Ronellenfitsch, 131 ff., 293 ff.

Der ÖPNV im europäischen Binnenmarkt, VerwArch. 2001,

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Michael Ronellenfitsch

rung der Verkehrsmärkte kam aber lange nicht voran. Erst in Folge des Urteils des EuGH vom 22.5.19852 ergingen Rechtsakte auf allen Gebieten des Verkehrs, die zum Abbau zahlreicher Marktzugangs- und Marktaustrittsschranken der nationalen Verkehrsordnungen beitrugen. Der Europäische Rat und der Rat in der Zusammensetzung der Verkehrsminister beschlossen bis 31.12.1992 einen freien Verkehrsmarkt ohne mengenmäßige Beschränkungen zu schaffen 3. Seither wurden weitere Maßnahmen zur Verwirklichung des freien Verkehrs von Waren, Personen und Dienstleistungen getroffen, die auch den ÖPNV nicht unberührt ließen. Daneben war aber immer der Daseinsvorsorgeauftrag des Verkehrssektors anerkannt.

2. Deutschland In Deutschland entwickelte sich der Personenverkehr im Spannungsfeld von privatwirtschaftlicher Gewinnmaximierung und Gemeinwohlbindung. a) Personenfernverkehr Im Fernverkehr bestand bis zum Aufkommen der Eisenbahnen ein Beförderungsmonopol der Post. Als die Eisenbahnen überörtliche und örtliche Personenbeförderung zu betreiben begannen, trat die privatwirtschaftliche Komponente der Personenbeförderung in den Vordergrund. Das Reichspostgesetz von 1871 (RGBl. S. 347) beseitigte das Postregal. Die gewerbliche Personenbeförderung wurde genehmigungsfrei. Im Straßenverkehr begannen auf profitablen Hauptstrecken private Pferdefuhrwerke die Personenposten zu verdrängen. Polizeiliche Erwägungen führten zum Erlass der VO über Kraftfahrzeuglinien vom 24.1.1919 (RGBl. S.97), die eine Genehmigungspflicht für den überörtlichen Omnibuslinienverkehr vorsah. Die Dritte VO des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 558) sprach dem Reichsverkehrsminister die Beschwerdeentscheidung über den Widerspruch eines öffentlichen Verkehrsbetriebs gegen die Zulassung einer privaten Kraftfahrzeuglinie zu. Die entgeltliche Personenbeförderung auf der Straße im örtlichen Bereich wurde

2 EuGH - Rs 13/83, Parlament / Rat, Slg. 1985, 1513; hierzu auch Basedow, Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, in: ders., Europäische Verkehrspolitik, 1987, S. 19 ff.; Brandi , TranspR 1986, 89 ff.; Erdmenger, EuR 1985, 199 ff. sowie Jacqué, Revue trimestrielle de droit européen (RTDE) 1985, 761 ff. 3 Erdmenger, Die gemeinsame Binnenverkehrspolitik der EG nach dem GerichtsUrt. vom 22.5.1985, in: Basedow, Europäische Verkehrspolitik, 1987, S. 83 ff.

Kontrollierter Wettbewerb im ÖPNV

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schon vorher als Gewerbe behandelt, auf das die §§ 37, 40, 76 GewO Anwendung fanden. b) Personennahverkehr Für die Personenbeförderung im Nahverkehr bestand Gewerbefreiheit. Die Ortspolizeibehörden konnten zwar für die innerörtlichen Verkehre Regelungen treffen und Taxen festlegen. Diese Genehmigungen wurden aber ausschließlich nach verkehrspolizeilichen Gesichtspunkten erteilt 4. Dem örtlichen Nahverkehr dienten zunehmend Klein- oder Lokalbahnen. Für diese führte das preußische Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlussbahnen vom 28.7.1892 (GS S. 225) ein Genehmigungsverfahren ein. Die Genehmigung für die dem örtlichen Verkehr dienenden Kleinbahnen wurde auf Grund einer polizeilichen Prüfung erteilt, bei der auch die Interessen des öffentlichen Verkehrs zu berücksichtigen waren. Der gewerbliche Charakter des ÖPNV verhinderte nicht die Kommunalisierung der Straßenbahnen und Buslinien seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Hatten anfänglich private Unternehmer auf besonders verkehrsreichen Strecken Linien betrieben, zwang jetzt die rasche Urbanisierung die Kommunen, entferntere Stadtteile und Vororte mit Nahverkehrsmitteln zu erschließen. Zwischen den 1880er und 1930er Jahren entstand der moderne dezentralisierte, deregulierte und wettbewerbsorientierte ÖPNV. Die Zunahme des Personenverkehrs machte eine Koordinierung aller Verkehrsträger des Landverkehrs unumgänglich. Diese erfolgte durch das Reichsgesetz über die Beförderung von Personen zu Lande vom 4.12.1934 (RGBl. I S. 1217). § 2 PBefG 1934 unterwarf die gesamte gewerbsmäßige Personenbeförderung der Genehmigungspflicht. Nach 1945 galt das PBefG mit einigen Änderungen fort. Das PBefG 1961 (BGBl I S. 241) machte die Personenbeförderung mit Straßenbahnen, Obussen, Kraftfahrzeugen im Linienverkehr vom Vorliegen einer Unternehmergenehmigung abhängig5.

4 Hein, Gesetz über die Beförderung von Personen zu Lande vom 4. Dezember 1934, Komm., 1935, § 9 Anm. la, S. 63 f. 5 § 2 Abs. 1 PBefG 1961.

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Michael Ronellenfitsch I I I . Aktueller Stand 1. Gemeinschaftsrecht a) Primärrecht

Die speziellen Rechtsgrundlagen des europäischen Verkehrswesens finden sich in Art. 3 lit. f und in Art. 70 - 80 EG. Erfasst werden alle Verkehrsmittel und alle Verkehrsarten einschließlich ÖPNV. Soweit nicht diese speziellen Rechtsgrundlagen anwendbar sind, gelten für die Verkehrswirtschaft in den Mitgliedstaaten der EU die allgemeinen Vorschriften des EG. Vor allem binden die allgemeinen Vertragsgrundsätze auch die Verkehrspolitik 6. Folglich muss die Erbringung von Verkehrsleistungen in der Gemeinschaft im Rahmen eines marktwirtschaftlichen Systems erfolgen, das nach den Regeln des Wettbewerbs funktioniert 7. Nach Art. 71 EG kann der Rat zur Durchführung der gemeinsamen Verkehrspolitik i.S.v. Art. 70 EG unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verkehrs verschiedene Maßnahmen treffen. b) Sekundärrecht In den Mitgliedstaaten der EU wurde der Daseinsvorsorgeauftrag des ÖPNV häufig dadurch umgesetzt, dass den Verkehrsunternehmen eine Gemeinwohlverpflichtung auferlegt wurde. Hiergegen richtete sich die Forderung, die auferlegten Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes nur noch insoweit aufrechtzuerhalten, als sie für die Sicherstellung ausreichender Verkehrsbedienung unerlässlich waren, und die Belastungen, die den Verkehresunternehmern aus den beibehaltenen auferlegten Verpflichtungen entstehen, auszugleichen. Die Entscheidung des Rates vom 13.5.1965 über die Harmonisierung bestimmter Vorschriften, die den Wettbewerb im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehr beeinflussen 8, griff diese Forderung auf. Die Harmonisierungsentscheidung wurde zunächst nur auf die Staatseisenbahnen bezogen. Dem entsprach

6

EuGH, Urt. vom 4.4.1974 - Rs 167 / 73, Kommission / Frankreich, Slg. 1974, 359, insbesondere Tz 17-28; bestätigt durch EuGH, Urt. vom 30. 4.1986 - Rs. 209-213 / 84, Slg. 1986, 1425, insbesondere Tz 27-45; Erdmenger, in: v.d. Groeben / Thiesing / Ehlermann (Hrsg), Kommentar zum EU- / EG-Vertrag, Band 1,5. Auflage 1997 , Vorbem. zu den Art. 74 bis 84, Rn 14 ff., 19; Art. 77 Rn 1, 2. 7 Vgl. EuGH, Urt. vom 30.11.1982 - Rs. 12/82, Ministère public / Trinon, Slg. 1982, 4089. 8 A B l Nr. 88 vom 24.5.1965, S. 1500.

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die VO (EWG) Nr. 1191 /69 9 . Immerhin erlaubte weiteres Sekundärrecht Beihilfen für Belastungen, für die die VO (EWG) Nr. 1191/69 einen Ausgleich nicht vorsah. So legte die VO (EWG) Nr. 1107 / 70 1 0 in Art. 3 Nr. 2 fest, dass Beihilfen für die Abgeltung von Leistungen, die mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängen, bis zum Inkrafttreten entsprechender gemeinschaftsrechtlicher Regelungen zulässig sind, sofern die Zahlungen an Unternehmen des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehrs zum Ausgleich der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes erfolgen, die diesen Unternehmen vom Staat oder von öffentlich-rechtlichen Körperschaften auferlegt werden und entweder Tarifpflichten, die in Art. 2 Abs. 5 der VO Nr. 1191 / 69 nicht enthalten sind, oder Verkehrsunternehmen oder Verkehrstätigkeiten betreffen, die vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen sind 11 . Durch die Änderung der VO (EWG) Nr. 1191 / 69 durch die VO (EWG) Nr. 1893 / 91 12 wurde auch der ÖPNV erfasst. Entsprechend ihrer Präambel beabsichtigt die VO (EWG) Nr. 1191 / 69, zu einer gemeinsamen Verkehrspolitik beizutragen und die Unterschiede zu beseitigen, „die sich dadurch ergeben, dass die Mitgliedstaaten den Verkehrsunternehmen mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundene Verpflichtungen auferlegen." Diese Unterschiede führen „zu einer erheblichen Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen." Folgerichtig verpflichtet Art. 1 Abs. 3 VO 1191/69 n.F. die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zur Aufhebung der auf dem Gebiet des Eisenbahn-,

9 VO des Rates über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs vom 26.6.1969 (ABl L 156 vom 28.6.1969, S. 1). 10 VO des Rates vom 4.6.1970 über Beihilfen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr (ABl L 130 vom 15.6.1970, S. 1); zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 3579 / 82 (ABl L 364 vom 12.12.1992, S. 11); VO (EG) Nr 2255 / 96 (ABl L 304 vom 27.11.1996, S.3) und VO (EG) 543 / 97 vom 17.3.1997 (ABl L 84 vom 26.3.1997, S. 6). 11 Im Schrifttum wurde vertreten, dass durch die VO (EWG) Nr. 1107 / 70 der Anwendungsbereich des früheren Art. 77 EGV und jetzigen Art. 73 EG eingeschränkt worden sei; vgl. Erdmenger, in: v.d. Groeben / Thiesing / Ehlermann (Hrsg), Kommentar zum EU- / EG-Vertrag, Band 1, 5. Auflage 1997, Art. 77 Rn 14; Werner, Ausschreibungen, S.20 (Abschlussfünktion der VO). Dadurch werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Sekundärrecht kann den nationalen Gesetzgeber nur im Rahmen des Primärrechts binden. Daher muss Art. 3 der VO (EWG) Nr. 1107 / 70 vertragskonform dahingehend interpretiert werden, dass primärrechtlich zulässige Beihilfen unberührt bleiben; so auch Frohnmeyer, in: Grabitz / H i l f (Hrsg), Kommentar zur Europäischen Union, Band I, Loseblatt, Art. 77 Rn 8: Beihilfe könne selbständig auf Art. 73 EG gestützt werden; vgl. die beiden Staatsbeihilfenentscheidungen der Kommission N N - 97 / 95 - Österreich - ERP Verkehrsprogramm vom 27.3.1996, A B l C 123 vom 26.4.1996, S. 9; Ν 97 / 97 - Niederlande - Beihilfevereinbarung für den kombinierten Verkehr (SGG) vom 21.10.1997, ABl C 377 vom 12.12.1997, S. 3. Schließlich dürfen verkehrsbezogene Beihilfeentscheidungen unbeschadet der VO (EWG) Nr. 1107 / 70 und des Art. 73 EG nach allgemeinem Beihilferecht ergehen. 12 ABl L 196 vom 29.6.1991, S. 1.

8 Pilschas/Zickow

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Straßen- und Binnenschiffsverkehrs auferlegten, in der VO definierten Verpflichtungen, die mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbunden sind (Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht). Nur in Ausnahmefällen ist es zulässig, diese Verpflichtungen aufrechtzuerhalten, nämlich wenn die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung unter Berücksichtigung sozialer, umweltpolitischer und landesplanerischer Faktoren erforderlich ist („spezifisches öffentliches Interesse an Verkehrsdienstleistungen") oder soweit es sich um Sondertarife für bestimmte Gruppen von Reisenden handelt 13 . Nach den Erwägungsgründen und den einzelnen Regelungen der VO (EWG) Nr. 1191 / 69 n. F. geht es somit nur darum, Verkehrsunternehmen im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Eigenständigkeit vor auferlegten Gemeinwohlverpflichtungen zu schützen. Daneben tritt das fiskalische Schutzziel der geringsten Kosten für die Allgemeinheit 14 . Die VO wurde jedoch von Anfang für die Durchsetzung des ordnungspolitischen Wettbewerbsprinzip instrumentalisiert, indem ihr der Zweck unterschoben wurde, Wettbewerbsverzerrungen auf den nationalen Märkten und im europäischen Markt infolge unberechtigter Zahlungen zu verhindern 15. Aber selbst dann ist der Schluss verfehlt, dass Zahlungen der öffentlichen Hand an Verkehrsunternehmen nur im Zusammenhang mit Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes gemeinschaftsrechtskonform sind. 2. Nationales Recht a) Überblick Die Trennung zwischen Bestellung und Erstellung von Verkehrsleistungen wurde in Deutschland durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz - ENeuOG) vom 27.12.1993 (BGBl I S. 2378). realisiert. Sie erfolgte nicht nur im Eisenbahnbereich, sondern auch für den übrigen ÖPNV mit Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen. Mit dem ÖPNV beschäftigt sich vorrangig das als Art. 4 ENeuOG erlassene Regionalisierungsgesetz. § 1 Abs. 1 RegionalisierungsG bezeichnete die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV aus-

13

Art. 1 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 1191 / 69 n.F. In den Erwägungen zur VO (EWG) Nr. 1893 / 91 wurde als weiteres Motiv angegeben: „Um dem Grundsatz der Eigenständigkeit der Verkehrsunternehmen gerecht zu werden, empfiehlt es sich, im Rahmen eines Vertrages zwischen den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates und dem Unternehmen die Einzelheiten dieser Dienstleistungen festzulegen". 14

Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1191 / 69 n.F. Küpper, in: Frohnmeyer / Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht, Loseblatt, Nr. 3 Rn 4. 15

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drücklich als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Zur Erfüllung dieser Aufgabe können nach § 4 Satz 1 RegionalisierungsG „gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen" nach Maßgabe der VO (EWG) Nr. 1191/69 n.F. mit einem Verkehrsunternehmen vertraglich vereinbart oder einem Verkehrsunternehmen auferlegt werden. Bis zum 1.1.1996 erließen mit Ausnahme von Hamburg alle Länder Gesetze zur Neuregelung des Ordnungsrahmens im ÖPNV 1 6 . Die Gesetze qualifizieren den ÖPNV ebenfalls als Aufgabe der Daseinsvorsorge 17,

16 Baden-Württemberg: Gesetz über die Planung, Organisation und Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNVG) vom 8.6.1995 (GBl S. 417), geändert durch Art. 37 der 5. Anpassungsverordnung vom 17.6.1997 (GBl S. 278, 282); Bayern: Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern (BayÖPNVG ) i.d.F. der Bek. vom 30.7.1996 (GVB1 S. 336); Berlin: Gesetz über die Aufgaben und die Weiterentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs im Land Berlin - ÖPNVG - vom 27.6.1995 (GVB1 S. 390); Brandenburg: Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr im Land Brandenburg (ÖPNV-Gesetz - ÖPNVG) vom 26.10.1995 (GVB1 I S. 252), geändert durch das Haushaltsstrukturgesetz 1998 vom 22.12.1997 (GBl I S. 163); Bremen: Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr im Land Bremen (BremÖPNVG) vom 15.5.1995 (GBl S. 317); Hessen: Gesetz zur Weiterentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs in Hessen - ÖPNVG - I.d.F. vom 19.1.1996 (GVB1 I S. 50), Neubekanntmachung des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNVG) vom 21.12.1993 (GVB1 I S. 726); Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Mecklenburg-Vorpommern (ÖPNVG M - V ) vom 15.11.1995 (GVB1 S. 550); Niedersachsen·. Niedersächsisches Nahverkehrsgesetz (NNVG) Art. 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Neuordnung des öffentlichen Personennahverkehrs vom 28.6.1995 (GVB1 S. 180); Nordrhein-Westfalen: Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs sowie zur Weiterentwicklung des ÖPNV (Regionalisierungsgesetz NW) Vom 7.3.1995 (GV N W S. 1961), geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs sowie zur Weiterentwicklung des ÖPNV (Regionalisierungsgesetz) vom 2.7.1996 (GV NW S. 234); Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über den öffentlichen Personennahverkehr (Nahverkehrsgesetz - NVG) vom 17.11.1995 (GVB1 S. 450); Saarland: Gesetz Nr. 1361 über den Öffentlichen Personennahverkehr im Saarland (ÖPNVG) vom 29.11.1995 (ABl S. 74); Sachsen: Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr im Freistaat Sachsen (ÖPNVG), vom 14.12.1995 (GVB1 S. 412) Vom 24.11.1995 (GVB1 S. 339); Sachsen Anhalt: Gesetz zur Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs im Land Sachsen-Anhalt (ÖPNVG LSA) vom 24.11.1995 (GVB1 S. 339); Schleswig-Holstein: Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Schleswig-Holstein (ÖPNVG) vom 26.6.1995 (GVOB1 S. 262), geändert durch Art. 2 der Landesverordnung über den Fortfall der Bezeichnung Magistrat und Kreisausschuss in Gesetzen und Verordnungen des Landes vom 16.6.1998 (GVOB1 S. 210) vom 26.6.1995 (GVOB1 S. 262), geändert durch Art. 2 der Landesverordnung über den Fortfall der Bezeichnung Magistrat und Kreisausschuss in Gesetzen und Verordnungen des Landes vom 16.6.1998 (GVOB1 S. 210); Thüringen: Thüringer Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr (ThürÖPNVG) vom 8.12. 1995 (GVB1 S. 357). 17 BW: § 5 ÖPNVG; Bay: Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayÖPNVG; Bin: § 2 Abs. 1 Satz 2 ÖPNVG; Bbg: § 2 Abs. 1 Satz 1 ÖPNVG; Brem: § 2 Abs. 1 Satz 1 BremÖPNVG; Hess: § 2 Abs. 2 ÖPNVG; Nds: § 2 Abs. 1 NNVG; NW: § 1 Abs. 1 RegionalisierungsG ; RP: § 4 Abs. 1 Satz 1 NVG; Saar: § 2 Abs. 1 Satz 1 ÖPNVG; Sachs: § 2 Abs. 1 Satz 1

8*

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kennen als Planungsinstrument und Lenkungsmittel den Nahverkehrsplan 18 und trennen Besteller und Ersteller des ÖPNV 1 9 . Aufgabenträger sind i.d.R. kommunale Selbstverwaltungskörperschaften. Die Durchführung des ÖPNV ist Angelegenheit des Verkehrsunternehmens unabhängig von den Eigentumsverhältnissen. In Betracht kommen Verkehrsunternehmen in öffentlicher oder privater Trägerschaft. Auf Betreiben der Länder wurde auch das PBefG durch das ENeuOG geändert. In der seit 1.1.1996 gültigen Fassung gibt das PBefG als Zielsetzung der Genehmigungsbehörde und des Aufgabenträgers das Interesse an einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV sowie einer wirtschaftlichen Verkehrsgestaltung an. Wichtigste Neuerung der Novelle war die Unterscheidung von eigen- und gemeinwirtschaftlichen ÖPNV-Verkehrsleistungen. b) Genehmigungspflicht Die Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linien- oder Gelegenheitsverkehr ist nach § 2 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 PBefG genehmigungspflichtig. Die Genehmigung ergeht als Unternehmergenehmigung 20. Durch sie enthält der Unternehmer eine Rechtsstellung, die in künftigen Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen ist 21 und auf ein befristetes Quasi-Monopol hinausläuft. Die Genehmigung muss beantragt werden 22 und darf nur erteilt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Hierbei ist zwischen eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehren zu unterscheiden. Grundsätzlich sind Verkehrsleistungen im ÖPNV eigenwirtschaftlich zu erbringen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 PBefG). Soweit eine eigenwirtschaftliche Verkehrsbedienung nicht möglich ist, muss im Einklang mit der VO (EWG) Nr. 1191/69 n.F. vorgegangen werden, um eine gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung zu gewährleisten. (§ 8 Abs. 4 Satz 3 PBefG). Ob ein Verkehr

ÖPNVG; LSA: § 1 Abs. 1 ÖPNVG LSA; SH: § 1 Abs. 1 ÖPNVG; Thür: § 2 Abs. 1 Satz 1 ThürÖPNVG. 18 BW: §§ 11 f. ÖPNVG; Bay : Art. 1 BayÖPNVG; Bin: § 5 ÖPNVG; Bbg: § 7 ÖPNVG; Brem: § 8 BremÖPNVG; Hess: § 12 ÖPNVG; MV: § 7 ÖPNVG M - V ; Nds: § 6 NNVG; NW: § 8 RegionalisierungsG; RP: § 8 NVG; Saar. § 9 ÖPNVG; Sachs: § 5 ÖPNVG; LSA: § 6 ÖPNVG LSA; SH: §§ 4 und 5 ÖPNVG; Thür: §§ 5 f. ThürÖPNVG. 19 Boy: Art. 8 Abs. 1 Satz 3 BayÖPNVG; Bin: § 3 Abs. 1 Satz 2 ÖPNV; Bbg: § 3 Abs. 6 ÖPNVG; Brem: § 6 Abs.4 BremÖPNVG; Hess: § 7 Abs. 2 Nr. 2 ÖPNVG; MV: § 4 Abs. 3 ÖPNVG M - V ; NW: § 2 Abs. 10 RegionalisierungsG; RP: § 4 Abs. 1 Satz 2 NVG; Saar: § 2 Abs. 5 ÖPNVG; LSA: § 5 Abs. 1 ÖPNVG LSA; SH: § 2 Abs. 7 ÖPNVG; Thür: § 3 Abs. 4 ThürÖPNVG. 20 § 3 Abs. 1 ; § 2 Abs. 1 Satz 2 PBefG. 21 § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG. 22 § 12 PBefG.

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eigen- oder gemeinwirtschaftlich durchgeführt werden soll, hat der Antragsteller zu entscheiden. c) Eigenwirtschaftliche

Verkehre

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 PBefG darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn „die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebs gewährleistet sind". Gemeint ist insbesondere die „finanzielle Leistungsfähigkeit" des Unternehmers. Zur Gewährleistung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Betriebes kommen auch Zuwendungen der öffentlichen Hand in Betracht. Eigenwirtschaftlich sind nach § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG solche Verkehrsleistungen, deren Aufwand durch Beförderungserlöse, Erträge aus gesetzlichen Ausgleichs- und Erstattungsregelungen im Tarif- und Fahrplanbereich sowie sonstige Erträge im handelsrechtlichen Sinne gedeckt wird. Der in den §§ 275 und 277 HGB präzisierte handelsrechtliche Begriff des Unternehmensertrags umfasst Umsatzerträge aller Art, ohne dass es auf Handelsüblichkeit, auf eine Gegenleistung oder eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage ankommt 23 . Die objektive Genehmigungsvoraussetzung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG („öffentliche Verkehrsinteressen") erfasst verkehrspolitische Belange, die nur auf einen relativen Besitzstandsschutz der vorhandenen Verkehrsunternehmen hinauslaufen. Die gestaffelten Anforderungen schließen Konkurrenz nicht völlig aus 24 . Durch Abs. 2a und den Verweis auf den Nahverkehrsplan trat eine weitere Relativierung des Besitzstandsschutzes ein 25 . Damit ist die Möglichkeit des Aufgabenträgers geschaffen, planerisch den Wettbewerbsgedanken stärker zu betonen26. Dem Wettbewerbgedanken entspricht auch das Anhörungsverfahren nach § 14 PBefG, das Konkurrenten in die Lage versetzt, ebenfalls Genehmigungsanträge für denselben Verkehr oder dieselbe Linie zu stellen. Erfüllen mehrere Antragsteller die Genehmigungsvoraussetzungen, hat die Genehmigungsbehörde eine Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung der öffentlichen Verkehrsinteressen zu treffen. Das Auswahlermessen ist gebunden; es gilt, den geeignetsten Bewerber herauszufinden. Den Zuschlag erhält, wer die öffentlichen Verkehrsinteressen am besten wahrnehmen kann. Hierfür ist vor allem die bessere Verkehrsbedienung maßgebend. Den Ausschlag gibt auch bei eigenwirtschaftlichen Verkehren der Daseinsvorsorgeauftrag. 23 Vgl. Heinze, Zur Rechtsstellung der Unternehmen in dem seit 1. Januar 1996 geltenden Personenbeförderungsrecht, DÓV 1996, 977 (978). 24 Vgl. nur BVerwG, Urt. vom 16.12.1977 - I C 59.74, NJW 1978, 1065 m. Anm. Zuck. 25 Bidinger / Bidinger, Personenbeförderungsrecht, Kommentar, Loseblatt (§ 13 Vorbem.). 26 Zur früheren Rechtslage bereits BVerwG, Urt. vom 28.7.1989 - 7 C 39.87, BVerwGE 82, 260 (265), Beschl. vom 2.10.1991 - 7 Β 59.91, DÖV 1992, 534.

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d) Gemeinwirtschaftliche

Verkehre

Soweit eine ausreichende eigenwirtschaftliche Verkehrsbedienung nicht möglich ist, kann sie „gemeinwirtschaftlich" im Sinn von § 13a PBefG erfolgen. Durch Verweis in § 8 Abs. 4 Satz 3 PBefG gelten für die nur bezuschusst zu betreibenden „gemeinwirtschaftliche" Verkehre die Regelungen der VO (EWG) Nr. 1191/69 n.F. Eine Leistung ist nur dann „gemeinwirtschaftlich", wenn sie eine „Verpflichtung des öffentlichen Dienstes" betrifft und deswegen vereinbart oder auferlegt werden muss. Zur Entlastung der öffentlichen Haushalte sieht § 13a Abs. 1 PBefG vor, dass bei der behördeninitiierten Auferlegung oder Vereinbarung diejenige Lösung gewählt werden soll, die die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt. Zur Ermittlung der geringsten Kosten findet nach § 1 Abs. 2 der VO zur Anwendung von § 13a Abs. 1 Satz 3 des PBefG vom 15.12.1995 (BGBl I S. 1705) regelmäßig ein Vergabeverfahren im Wettbewerb, verbunden mit einer Ausschreibung nach VOL statt. Gegenüber dem im Vergabeverfahren vom Aufgabenträger ermittelten Bewerber besteht für die Genehmigungsbehörde grundsätzlich eine Genehmigungspflicht.

IV. Künftige Entwicklung 1. Magdeburg-Streit Die Rechtslage ist kompliziert, aber eindeutig. Dennoch trat durch den sog. Magdeburg-Streit (auch „Altmark-Streit") Verwirrung ein. Bis zur endgültigen Entscheidung des EuGH, mit der im Frühjahr 2003 zu rechnen ist, wird die Verwirrung andauern. Der Magdeburg-Streit ist ein Konkurrentenstreit zwischen einem privaten Busunternehmen und einer kommunalen Betreibergesellschaft. Das private Unternehmen hatte im Zuge der Privatisierung von Staatsbetrieben der DDR einen ÖPNV-Betrieb im heutigen Landkreis Stendal übernommen und befristete Genehmigungen zur Beförderung von Personen auf Omnibuslinien erhalten. Zwei Jahre später wurde die kommunale Betreibergesellschaft zu dem Zweck gegründet, regionale private Busunternehmen mit der Durchführung des ÖPNV zu beauftragen. Daraufhin erhielt die kommunale Betreibergesellschaft einen Teil der Genehmigungen für Linien, die bisher vom privaten Busunternehmen betrieben worden waren 27 . Zur Gewährleistung der Leistungsfähigkeit des Betriebs wurden beide Unternehmen vom Landkreis bezuschusst; beide machten sich wechselseitig die Genehmigungen streitig. Der

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Beantragt waren alle Genehmigungen.

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Rechtsstreit vor dem E u G H 2 8 betrifft nur die Genehmigungen, die dem privaten Unternehmen erteilt worden waren und die die kommunale Betreibergesellschaft i m Wege der Verpflichtungsklage für sich erstreiten wollte. Während das V G Magdeburg die Klage aus Sachgründen abwies 2 9 , kam es in der Berufungsinstanz zum Eklat. Das Urteil des O V G Sachsen-Anhalt v o m 7.4.1998 3 0 versetzte den gesamten Ö P N V in Aufregung 3 1 . Es gab dem Aufhebungsbegehren der kommunalen Betreibergesellschaft statt, ohne derem Verpflichtungsbegehren zu entsprechen 32 . Das Urteil, das teilweise sogar auf Zustimmung i m Schrifttum 3 3 und bei einigen Instanzgerichten 3 4 stieß, bot allen Anlass für die Zulassung der Revision. Das B V e r w G setzte das Revisionsverfahren m i t Beschluss v o m 6.4.2000 3 5 nach Art. 234 Abs. 3 E G aus, u m eine Vorabentscheidung des E u G H einzuholen 3 6 . A m 6.11.2001 fand eine erste mündliche Ver-

28 Die Anfechtungsklage des privaten Unternehmens, die das OVG Sachsen-Anhalt mit Urt. vom 7.4.1998 - A 1 / 4 S 222 / 97 - wegen vermeintlich fehlender Klagebefugnis abgewiesen hatte, wurde vom BVerwG (Beschl. vom 6.4.2000 - 3 C 6.99 - , DVB1 2000, 1614) an das OVG zurückverwiesen und dort für erledigt erklärt. 29 Urt. vom 17.3.1997- 1 A 3 8 6 / 9 5 - . 30 OVG Sachsen-Anhalt, Urt. vom 7.4.1998 - A 1 / 4 S 221 / 97, ZUR 1998, 210 = TranspR 1999, 27 = L K V 1999, 31. 31 Hierzu Barth, ZUR 1998, 218 ff.; Baumeister, L K V 1999, 12 ff.; Berschin, TranspR 1999, 33 ff.; Metz, Bus und Bahn 7-8 / 1998, 2 f.; Neusinger, VersorgW 2000, 29 ff. 32 Zur Begründung führte das OVG aus, die erteilten Genehmigungen seien rechtswidrig, da die Bezuschussung gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen habe. § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG müsse gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden. Seit 1.1.1996 dürfe der Landkreis Stendal, solange er als Aufgabenträger die Bedienung der streitigen Linien weder vertraglich vereinbart noch durch Verwaltungsakt aufgegeben habe, einen Genehmigungsinhaber nicht mehr finanziell unterstützen. Konkret hätten alle Genehmigungen auf der Grundlage von § 13a PBefG erfolgen müssen. 33 Holger Zuck, DÖV 1994, 941 ff. (944); Fromm, Der Fortbestand des Querverbunds - ein steuerliches Problem?, BB 1994, 2366 ff (2368); ders., TranspR 1994, 425 ff (430); ders. /Fey, Personenbeförderungsrecht, 2. Aufl., 1995, § 8 Rdnr. 10 ff; Bidinger, Änderungen des Personenbeförderungsrechts durch das Planvereinfachungsgesetz und das Eisenbahn-Neuordnungsgesetz, NZV 1994, 209 ff (213); Meyer, Die Ausschreibungspflicht im gemeinwirtschaftlichen Linienverkehr und ihre Auswirkungen auf den Bestand der Genehmigung, DVB11999, 1409 f. (1410). 34 VG München, Urt. vom 4.11.1998 - M 6 Κ 97.8581 - ; V G Freiburg, Beschl. vom 12.11.1999 - 3 Κ 2269/99 - ; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 10.11.1998 - 7 A 12844 / 97.0VG 35 BVerwG, Beschl. vom 6.4.2000 - 3 C 7.99, DVB1 2000, 1617 mit Anm. Seilmann. Gegenposition zum Bundesverwaltungsgericht und überzogene Kritik durch Felix Berschin, Auslegung, Eigen- und Gemein Wirtschaftlichkeit im ÖPNV - Der Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6.4.2000, Verkehr und Technik 2000, 469 ff 36

Zur Begründung beurteilt das BVerwG den Rechtsstreit zunächst nach nationalem Recht. Danach kam es für die Erteilung der Linienverkehrsgenehmigungen auf die Unterscheidung von eigenwirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen

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handlung vor dem E u G H statt 3 7 , die ausschließlich auf die Frage konzentriert war, ob der deutsche Gesetzgeber von der Möglichkeit des Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 V O ( E W G ) Nr. 1191 / 69 n.F. Gebrauch gemacht habe, den Ö P N V v o m Geltungsbereich der V O auszunehmen 38 . M i t Beschluss v o m 18. 6. 2002 nahm der E u G H die mündliche Verhandlung wieder auf und bat die Prozessbeteiligten, „ z u der Frage Stellung zu nehmen, ob und nach welchen Kriterien ein finanzieller Ausgleich, den der Mitgliedstaat einem Verkehrsunternehmen als Gegenleistung für i h m auferlegte Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes gewährt, als staatliche Beihilfe' i m Sinne von Art. 92 Abs. 1 E G V (nach Ä n derung jetzt Art. 87 Abs. 1 EG) zu qualifizieren ist". Anlass waren die konträ-

in § 8 Abs. 4 PBefG an. Die Regelung wirft nach Ansicht des BVerwG die Frage auf, ob ein Linienbetrieb im ÖPNV, von dem feststeht, dass er aus den Beförderungserlösen nicht rentabel betrieben werden kann und daher zwingend auf Zuschüsse der öffentlichen Hand angewiesen ist, als eigenwirtschaftlich i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG angesehen werden kann oder notwendigerweise als gemeinwirtschaftlich zu geltend hat und damit dem Genehmigungsverfahren nach § 13a PBefG unterliegt. Aus dem Gesetzeswortlaut („Unternehmenserträge im handelrechtlichen Sinn"), der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck von § 8 Abs. 4 PBefG leitet das BVerwG ab, dass die Notwendigkeit öffentlicher Zuschüsse nicht den Ausschluss der Eigenwirtschaftlichkeit zur Folge hat. Das BVerwG sah es sodann als zweifelhaft an, ob das Normengeflecht der Art. 73, 87 EG und der VO (EWG) Nr. 1191 / 69 zu einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung von § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG zwinge. Angesichts des komplizierten Systems von Verboten, Ausnahmen und Rückausnahmen hielt es jedoch eine Klärung dieser Problematik durch den EuGH für geboten. 37

Rs.C-280/00. Der Vertreter der Kommission räumte dabei ein, dass von dieser Möglichkeit auch implizit Gebrauch gemacht werden könne und erklärte die deutsche Regelung im Ergebnis für gemeinschaftsrechtskonform. Der Verfasser dieses Beitrags trug als Prozessvertreter des privaten Busunternehmens trug vor, die teilweise und stillschweigende Ausnahme sei kein Versehen des Gesetzgebers gewesen, sondern führe die Tradition des deutschen Personenbeförderungsrechts fort, das den ÖPNV seit jeher zugleich als unternehmerische Betätigung und Dienstleistung im Gemeinwohl betrachte. Dass der deutsche Gesetzgeber implizit eine Bereichsausnahme getroffen habe, stehe fest. Fraglich sei nur, ob er sie habe treffen dürfen. Die Argumentation, wo eine volle Bereichsausnahme zulässig sei, müsse auch als minus eine teilweise Bereichsausnahme zulässig sein, klinge zwar recht formalistisch. Gemeint sei jedoch: Wie eine volle bedürfe auch eine teilweise Bereichsausnahme der gemeinschaftsrechtlichen Rechtfertigung. Die Rechtfertigung für die volle Bereichausnahme für den ÖPNV habe in dem fehlenden zwischenstaatlichen Wettbewerb, in den gewachsenen Strukturen und im öffentlichen Auftrag des ÖPNV bestanden. Eine teilweise Bereichsausnahme sei gerechtfertigt, wenn diesen Legitimationsgründen immer noch Rechnung getragen werden müsse. Dies sei der Fall. Der zwischenstaatliche Wettbewerb komme erst allmählich in Gang. Im Rahmen der Dienstleistungen nach der VO (EWG) Nr. 1191 / 85 gehe es zudem um den Wettbewerb um zulässige Beihilfen. Dieser mit Ausschreibungen verbundene Wettebwerb sollte nur schrittweise zugelassen werden, ohne die Möglichkeiten zu beseitigen, die Eigenwirtschaftlichkeit bei nicht auferlegten Verkehrsleistungen auf andere Weise herzustellen. Die Beschränkung auf einen „geordneten" Wettbewerb sei mit sekundärem Gemeinschaftsrecht nicht nur vereinbar, sondern im Bereich der Daseinsvorsorge nach primärem Gemeinschaftsrecht geboten. 38

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ren Auffassungen der Generalanwälte Léger 39 und Jacobs 40 zur Beurteilung des sog. Fernring-Urteils des EuGH 41 . Die mündliche Verhandlung fand am 15.10. 2002 statt. Die Entscheidung des EuGH steht noch aus. 41a

2. Novellierung der VO (EWG) Nr. 1191 / 69 Unbeschadet des Ausgangs des Magdeburg-Streits wird die bisherige Regelung keinen Bestand haben. Ob des Konzept der VO (EWG) Nr. 1191 / 69 n.F. dem Spannungsverhältnis von Daseinsvorsorgeauftrag und Wettbewerbsprinzip wirklich nicht gerecht wurde, ist noch nicht erwiesen. Die Kommission favorisiert gleichwohl schon länger eine marktorientierte „Verkehrspolitik auf allen Ebenen". a) Grünbuch „Bürgernetz" Die Bedeutung des ÖPNV für den Binnenmarkt wurde bereits im Grünbuch „Das Bürgernetz" hervorgehoben. Die Kommission neigte dazu, auch im ÖPNV die Marktstrukturen zu verändern. Bei diesem Verständnis musste die VO (EWG) Nr. 1191/69 n.F. überarbeitungsbedürftig erscheinen 42. Im Grünbuch kündigte die Kommission an, sie beabsichtige, die VO zu überprüfen 43. b) Verordnungsvorschlag

Komm (2000) 7 endg.

Ergebnis der Prüfung der europäischen Marktsituation des ÖPNV war der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr 39

Schlussantrag vom 19.3.2002. Vgl. Fußn. 58. 41 Rs. C-53 / 00, Slg. 2001,1-9067. 41a Anm. der Hrsg.: Vgl. nunmehr das Urteil des EuGH vom 24.7.2003, Rs. C 280 / 00, DVB1. 2003, 1206 ff. - Altmark Trans. 42 Nach Ansicht der Kommission bietet die Möglichkeit, gemein wirtschaftliche Verpflichtungen festzulegen, nur vordergründig die beste Lösung, um die Erfüllung der vorgegebenen gemeinwirtschaftlichen Anforderungen zu gewährleisten. Die Praxis habe demgegenüber gezeigt, dass die Regulierung des öffentlichen Verkehrs durch betriebliche Auflagen ohne einen direkt hieran gekoppelten finanziellen Ausgleich zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führe, da finanzielle und betriebswirtschaftliche Anreize zur Verbesserung der Beförderungsleistungen und zu ihrer effizienteren Gestaltung fehlten. 43 Grünbuch „Das Bürgernetz" Nr. 100, S. 36. 40

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auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen vom 26.7.200044. Darin machte die Kommission den »kontrollierten Wettbewerb" zum Allheilmittel für die Attraktivitätssteigerung der öffentlichen Verkehrsdienste und ignorierte, dass der Daseinsvorsorgeauftrag nur effektiv erfüllt werden kann, wenn flexible Entscheidungsspielräume bei der Aufgabenwahrnehmung zur Verfügung stehen. Bei näherem Zusehen ging der Vorschlag obendrein über einen „kontrollierten Wettbewerb" hinaus. Vielmehr sollte dem Wettbewerbsprinzip schlechthin zum Durchbruch verholfen werden. Das zeigte sich schon bei der umfassenden Bestimmung des Anwendungsbereichs der VO in Art. 1 und dem dort versteckten Bekenntnis zum geordneten Wettbewerb, setzte sich fort durch die weitgreifende Definition des „öffentlichen Dienstleistungsauftrags" in Art. 3 Buchstabe h und endete bei den restriktiven Möglichkeiten der Direktvergabe. Generell lässt sich festhalten, dass dem Wettbewerb Vorrang vor den Belangen der Daseinsvorsorge eingeräumt wurde. c) Legislatiworschlag Der Legislatiworschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen vom 18. 10.2001 betont den Daseinsvorsorgegedanken und das Subsidiaritätsprinzip wesentlich stärker als der Kommissionsvorschlag. Dies ist nicht zuletzt das Ergebnis von insgesamt 486 Änderungsanträgen, die im federführenden Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr gestellt worden waren und die im ersten Durchgang vor dem Plenum des Europäischen Parlaments zu immer noch 96 Änderungen führten 45. Positiv zu vermerken sind bereits die Erwägungsgründe 46. In den Einzelregelungen kommt der Daseinsvorsorgegedanke an vielen Stellen zum Ausdruck 47 . In vielerlei Hinsicht nähert sich der Legislatiworschlag der deutschen Rechts-

44

Komm(2000) 7 endg. In der nichtautorisierten Fassung war noch von der Verordnung „über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit gemeinwirtschaftlichen Anforderungen und der Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen" die Rede. Der englische „Originaltitel" des Verordnungsvorschlags lautet „ Proposal for a Regulation of The European Parliament and of The Council on action by Member States concerning public service requirements and the award of public service contracts in passenger transport by rail, road and inland waterway." 45 Vgl. dann den Beschl. vom 17.1.2002 (ABl. C-271 E vom 7.11.2002 S. 62). 46 Erwägungsgründe 1, 2, 4a, 9, 13, 18 a, 19, 20 und 25. 47 Vgl. Art. 1 Satz 1, 3 g, 4 Abs. 1, Abs. 2 , Abs. 3 und Abs. 3 a, Art. 5 Abs. 1, Art. 6, Art. 7 Art. 7 a, Abs. 1, Art. 10, Art. 10 a, Art. 16, Art. 17 Abs.l.

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läge an. Er lässt Spielräume für eine primärrechtskonforme Auslegung und eröffnet grundsätzlich eine hinreichend lange Anpassungszeit. d) Verordnungsvorschlag

Komm (2002) 107 endg.

Die Kommission legte am 21.2.2002 einen erneuten Verordnungsvorschlag vor, mit dem sie zahlreichen Anregungen des Europäischen Parlaments entsprach, aber die grundsätzliche Wettbewerbskonzeption beibehielt. Ein Kompromiss zeichnet sich aber wohl immer noch nicht ab. e) Bewertung Im Gegensatz zum Verordnungsvorschlag der Kommission stellt der Legislativvorschlag des Europäischen Parlaments eine behutsame Fortentwicklung des bestehenden Sekundärrechts dar, der genügend Nischen für nationalstaatliche Ausgestaltungen lässt. Positiv zu verbuchen ist, dass der von der Kommission ursprünglich propagierte reine Ausschreibungswettbewerb zugunsten von kontrollierten Formen der Eigenproduktion abgemildert wurde. Auch die Möglichkeit der Direktvergabe von Schienenverkehrsleistungen wurde verbessert, auch wenn sie auf Metro- und Straßenverkehrsdienste beschränkt bleibt. Die Nichtberücksichtigung der Eisenbahnverkehrsleistungen stellt einen Kompromissvorschlag dar, der durch die Anhebung der Schwellenwerte für die Kommunen schmackhafter gemacht wurde. Das im Kommissionsvorschlag zunächst unklar gebliebene Verhältnis zum allgemeinen Vergaberecht ist im Sinne der exklusiven Spezialität der Verordnung aufgelöst. Der nationale Gesetzgeber hat aufmerksam zu beachten, welche vergaberechtlichen Vorgaben ihm in der Verordnung gemacht werden. Die Übergangsregelung ist mit einer Frist von acht Jahren ausreichend lang. Im Detail vermengt sind indessen Vertrauensschutzgesichtspunkte mit Umstrukturierungsnotwendigkeiten. Eine schlüssige Vereinfachung erscheint hier dringend geboten. Eine Einigung setzt aber vor allem Klarheit im Grundsätzlichen, d.h. über das Verhältnis von Wettbewerb und Daseinsvorsorge voraus.

V. Wettbewerb 1. Ordnungsprinzip Voraussetzung einer funktionierenden Marktwirtschaft ist der freie Wettbewerb. Der Wettbewerb hat Prozesscharakter. Im Wettbewerb verdrängen überlegene Produkte und Leistungen die weniger geeigneten. Es findet ein Konkur-

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renzkampf mit dem Ziel der Förderung des eigenen Unternehmens und der Erzielung von Gewinn statt. In letzter Konsequenz kann der Wettbewerb zur Folge haben, dass der unterlegene Konkurrent vom Markt verschwindet. Gleichwohl hat sich der Wettbewerb als Ordnungsprinzip, auf dessen Grundlage dem Mangel an begehrten Produkten und Leistungen am besten begegnet werden kann, bewährt, weil er das Angebot nach den Präferenzen der Nachfrager steuert. Auch die Preise richten sich nach Angebot und Nachfrage. Um Kosten zu senken, müssen sich die Unternehmer um den wirtschaftlichsten Einsatz ihrer Leistungsmittel bemühen. Der Wettbewerb verhindert ferner den Aufbau endgültiger Machtpositionen48 und sorgt dadurch für eine gleichmäßige Machtverteilung in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Vorteile des Wettbewerbs kommen nur zum Tragen, wenn die Grundvoraussetzungen des freien Zugangs zum Markt und der Möglichkeit freier wirtschaftlicher Betätigung gegeben sind. Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs hängt damit von seinen rechtlichen Rahmenbedingungen ab.

2. Gemeinschaftsrecht Die europäische Wirtschaftsverfassung betont den ordnungspolitischen „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (Art. 4 Abs. 2 EG) 49 . Eine Rechtsordnung, die sich zu diesem Ordnungsprinzip bekennt, muss die Grundvoraussetzungen des Wettbewerbs sicherstellen. So umfasst die Tätigkeit der EU nach Art 3 g EG „ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt." Der von Art. 3 lit. g EG geforderte unverfälschte Wettbewerb soll nach der Präambel des Vertrags einen redlichen Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft gewährleisten. Dem Schutz der durch die Wettbewerbsfreiheit gekennzeichneten Wirtschaftsordnung der E U 5 0 dient ein differenziertes Wettbewerbssystem auf zwei Ebenen. Einmal gilt es, den Wettbewerb gegen private Beschränkungen zu schützen, zum anderen müssen Interventionen der öffentlichen Hand mit dem unverfälschten Wettbewerb in Einklang gebracht werden. Mit dieser Stoßrichtung wird Art. 3 lit. g EG durch den speziellen Wettbewerbstitel V I EG konkretisiert. Die Wettbewerbsregeln des EG bestehen aus Vorschriften für Unternehmen (Art. 81 bis 86 EG) und Vorschriften über staatliche Beihilfen (Art. 87 bis 89

48

So Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 2. Vgl. zum Gesamtzusammenhang Badura, Wandlungen der europäischen Wirtschaftsverfassung, EuR Beiheft 1 / 2000, S. 45 ff. 50 EuGH, Urt. vom 25.10.1977 - Rs. 2 6 / 7 6 , Metro / Kommission, Slg. 1977, 1875 (1905). 49

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EG). Art. 86 Abs. 1 EG 5 1 untersagt es den Mitgliedstaaten, in Bezug auf öffentliche Unternehmen oder Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten, Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, durch die die Unternehmen gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen. Ein öffentliches Unternehmen ist Jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand auf Grund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann" 52 . Die Rechtsform des öffentlichen Unternehmens ist irrelevant. Maßgeblich ist allein der beherrschende Einfluss des Mitgliedstaats oder seiner Gebietskörperschaften. Ein beherrschender Einfluss wird vermutet, wenn die öffentliche Hand unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des Kapitals des Unternehmens besitzt oder über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann 53 . Unternehmen mit Sonderrechten sind Unternehmen, denen der Staat Privilegien bis hin zu Monopolen einräumt. Auch partielle Ausschließlichkeitsrechte werden erfasst. Unternehmen mit Sonderrechten können zugleich öffentliche Unternehmen sein. Aus Art. 86 Abs. 1 EG folgt allerdings auch, dass das Gemeinschaftsrecht von einer Koexistenz des öffentlichen Sektors mit dem privaten Sektor ausgeht. Öffentliche Unternehmen sind nicht schlechthin von der Anwendung der Vertragsregeln freigestellt. Für öffentliche und sonstige Unternehmen nach Art. 86 Abs. 1 EG trifft Art. 86 Abs. 2 EG eine Sonderregelung, sofern die Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, d.h. sofern sie (wirtschaftliche) Daseinsvorsorgeaufgaben wahrnehmen 54. Die effektive Aufgabenerfüllung hat hier Vorrang vor den anderen Vertragszwecken, also auch vor dem Wettbewerbsprinzip. Nach Art. 87 Abs. 1 EG sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Dies gilt freilich nur, soweit der EG nichts anderes bestimmt. Etwas anderes bestimmt der Verkehrstitel. Dem

51 Zu den einschlägigen Grundsatzentscheidungen des EuGH Sedemund / Montag, Die Entwicklung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, NJW 1994, 625 ff. (632 ff.). 52 Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 80/723 / EWG der Kommission vom 25. Juni 1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (TransparenzRL). ABl L 195 vom 29.7.1980, S. 35; geändert A B l L 229 vom 28.8.1985, S. 20; ABl L 254 vom 12.10.1993, S. 16; ABl L 1 vom 3.1.1994, S. 457; A B l L 193 vom 29.7.2000, S. 15. 53 Art. 2 Abs. 2 TransparenzRL. 54 Hierzu Jan Keller, Service public und Art. 86 Abs. 2 EGV, 1999 = Diss. FU Berlin 1999.

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EG liegt die Vorstellung zu Grunde, der Verkehr weise „Besonderheiten" auf, die Abweichungen von den allgemeinen Vorschriften rechtfertigen. So gestattet Art. 73 EG in Abweichung von Art. 87 Abs. 1 EG Beihilfen, die den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs oder die Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen entsprechen 55. Art. 73 EG stellt im Hinblick auf Art. 87 EG keine Sondervorschrift dar, sondern ist eine weitere, Art. 87 Abs. 2 und 3 und Art. 86 Abs. 2 EG ergänzende Ausnahmevorschrift zu Art. 87 Abs. 1 EG 5 6 . Statthaft sind für den Verkehrsbereich auch Zahlungen, die ohne diese Sonderbestimmung mit den Beihilfevorschriften der Art. 87 ff. EG unvereinbar wären. Im Übrigen umfasst der weit verstandene Begriff „Beihilfe" alle Begünstigungen von Unternehmen oder Produktionszweigen, soweit sie nicht durch eine entsprechende marktgerechte Gegenleistung des Begünstigten kompensiert werden 57 . Maßgeblich sind allein die Wirkungen der Begünstigungen, deren Gründe oder Ziele sind unerheblich 58 . In Betracht kommen nicht nur alle Formen von Zuschüssen, sondern auch Kostenentlastungen59. Ob gleichwohl Ausgleichsleistungen für Daseinsvorsorgelasten stets rechtfertigungsbedürftige Beihilfen darstellen 60 oder (zutreffend) schon tatbestandlich nicht unter Art. 87 Abs. 1 EG fallen 61 , ist noch nicht abschließend geklärt 62 . Zuwendungen an öffentliche Unternehmen durch die Trägerkörperschaft sind jedenfalls nach herkömmlicher Rechtsprechung Beihilfen, wenn ein privater Gesellschafter in einer gleichartigen Lage unter Rentabilitätsgesichtspunkten eine solche Beihilfe nicht gewährt hätte 63 .

55 Die Anwendung von Art. 73 EG kann sich aber nicht dahingehend auswirken „die Beihilfen für den Verkehr dem allgemeinen Regelungssystem des EG-Vertrages betreffend die staatlichen Beihilfen und den dort vorgesehenen Kontrollen und Verfahren zu entziehen"; EuGH, Urt. vom 12.10.1978 - Rs 156/77, Kommission / Belgien, Slg. 1978, 1881. 56 Zuck, EG-Recht, Konzessionen und Ausschreibungen, in: Schriftenreihe ÖPNV, Heft 21, 1998, S. 43 ff. (57). 57 EuGH vom 23.2.1961 - Rs.30/59, De Gezamenlijke Steenkolenminjen in Limburg / Hohe Behörde, Slg. 1961, 1. 58 EuGH vom 17.6.1999 - Rs. C 7 5 / 9 7 , Belgien / Kommission, Slg. 1-3671 = EuZW 1999, 534. 59 Beispiele Rawlinson, in: Lenz (Hrsg), EG-Vertrag, Kommentar, 2. Aufl., 1999, Art. 87 Rn 15 ff. 60 So Generalanwalt Léger im Magdeburg-Streit (Rs. C 280 / 00). 61 EuGH vom 22.11.2001, Rs. C-53 /00, Ferring / Across, Slg. 2001 1-9067 Rn 23,29 sowie Generalsanwalt Jacobs Rs. C-126/01 - GEMO SA, Schlussanträge vom 30.4.2002 Rn 110 ff. 62 Hierzu ausführlich Nettesheim, Europäische Beihilfeaufsicht und mitgliedschaftliche Daseinsvorsorge, EWS 2002, 253 ff (257 ff). 63 EuGH, vom 14.9.1994 - Rs C-278 / 92 bis C 280 / 92, Spanien / Deutschland, Slg. 1994 1-4103; Geiger, EUV / EGV, 3. Aufl., 2000, Art. 87 EGV, Rn 8.

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3. Nationales Recht Auch wenn das Grundgesetz als wirtschaftpolitische neutral gilt 6 4 , lässt sieht die Affinität der Grundrechte zum Wettbewerbsprinzip nicht leugnen65. Der Wettbewerbsgedanke prägte schon vor Erlass des Grundgesetzes die deutsche Rechtsordnung. Seit jeher gilt aber auch die Beobachtung, dass ein autonomer Wettbewerb zu Verfälschungen tendiert, auf staatlichen Schutz angewiesen ist 66 und staatlicher Eingriffe bedarf. Interventionen sind nicht per se mit einer am Markt orientierte Wirtschaftsordnung unvereinbar.

4. Schranken Sind staatliche Eingriffe zur Erhalt des Wettbewerb zulässig, dann bedeutet es auch keinen Systembruch, die Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung nicht ausschließlich dem Wettbewerb zu überantworten 67. Als Ordnungsprinzip ist Wettbewerb kein Selbstzweck68, sondern lediglich Mittel zur Erreichung anderer Zwecke. Die zu ordnenden Wirtschaftsbereiche erfordern eine jeweils auf sie zugeschnittene spezifische Ausformung des maßgeblichen Wettbewerbsmodells. In vom Daseinsvorsorgegedanken geprägten Lebensbereichen können auch nicht-wettbewerbskonforme Maßnahmen zur sozialgerechten Steuerung des Markts vorgesehen werden.

V I . Daseinsvorsorge 1. Rechtsbegriff Der Rechtsbegriff der Daseinsvorsorge 69 reflektiert auf der Ebene des einfachen Rechts die Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts und des Gemeinschaftsrechts. Vom Schöpfer des Rechtsbegriffs war das nicht so gedacht. Für

64

Vgl. Tettinger, Verfassungsrecht und Wirtschaftsordnung, DVB1 1999, 679 ff. Ronellenfltsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, 1995, S. 23. 66 Vgl. auch Pieroth /Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 16. Aufl., 2000, Rn 815. Zu Konkurrenz durch kommunale Unternehmen BVerwG, Beschl. vom 21.3.1995 - 1 Β 2 1 1 / 9 4 - , NJW 1995, 2938. 67 Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 14. 68 Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 37. 69 Hierzu Ronellenfltsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel / Doehring / Klein, Kolloquium zum 100. Geburtstag von Emst Forsthoff, 2003 (im Druck). 65

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Forsthoff, der das Konzept der Daseinsvorsorge zwischen 193570 und 193871 entwickelte, war die Daseinsvorsorge Verwaltungsaufgabe und nur auf der Ebene des Verwaltungsrechts verankert. Der damaligen Situation entsprechend musste Forsthoff die Daseins vorsorge zum Schutz der Betroffenen vor Zugriffen der NSDAP von der „Verfassungs"-ebene fernhalten. Nach Inkrafltreten des Grundgesetzes bezog Forsthoff die extreme Gegenposition und verteidigte den liberalen Rechtsstaat gegen sozialstaatliche Verwässerungen ebenfalls auf der Verfassungsebene. Gerade dort zeigt sich aber die Bedeutung der Daseinsvorsorge. Das Grundgesetz hat sich für den Staat als Organisationsform des sozialen Zusammenlebens entschieden. Der Staat wird im Innenverhältnis durch seine Zwecke definiert. Als Verfassungsstaat garantiert der moderne Staat vorrangig die individuelle Freiheit. Da Freiheit ohne Schranken sich selbst auflösen würde, muss der Staat die gebotenen Freiheitseinschränkungen vornehmen, Die mit der Ausübung der Staatsgewalt verbundenen Freiheitseinschränkungen bedürfen der Legitimation. Die staatlichen Zwangsbefugnisse werden u.a. legitimiert, wenn sie kollidierende individuellen Freiheitsrechte zum Ausgleich bringen und wenn sie den individuellen Freiheitsgebrauch erst ermöglichen. Garant der Freiheit kann der Staat im sozialen Rechtsstaat nur sein, wenn er soziale Mindeststandards und eine der Grundrechtsverwirklichung adäquate Infrastruktur gewährleistet. Sozialstaatliche Daseinsfürsorge und rechtsstaatliche Daseinsvorsorge ergänzen sich. Sie zählen zu den Staatszwecken des sozialen Rechtsstaats. Diese Staatszwecke werden durch Staatsaufgaben konkretisiert. Hierzu zählen originäre Staatsaufgaben, die der Staat erfüllen muss. In diesem Zusammenhang wäre es anachronistisch, allein die Aufgaben als originäre Staatsaufgaben einzuordnen, die nur hoheitlich erfüllt werden können. Dem modernen Staat obliegen auch Leistungsaufgaben. Diese bestehen gegenüber allen, nicht nur den sozial Schwachen. Wo Private nicht in der Lage sind, eine flächendeckende Versorgung mit Daseinsvorsorgeleistungen zu gewährleisten, besteht eine entsprechende staatliche Verpflichtung. Einzuräumen ist freilich, dass der Rechtsbegriff der Daseinsvorsorge erst Konturen gewinnt, wenn es gelingt, seinen Anwendungsbereich abzustecken. Auch wenn alle Versuche, die originären staatlichen Leistungsaufgaben und sei es auch nur als Momentaufnahme aufzuzählen, erfolglos blieben, herrscht jedoch Einvernehmen, dass es eine originäre staatliche Aufgabe ist, die für das Funktionieren der Industriegesellschaft unentbehrliche Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten. Ferner hat die räumliche Beweglichkeit, Grundbedingung 70 Das neue Gesicht der Verwaltung und die Verwaltungsrechtswissenschaft, Deutsches Recht 1935, 331 f.; Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, ebd., S. 398 ff. 71 Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938.

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menschlicher Existenz, als „zirkuläre Mobilität" grund- und menschenrechtliche Relevanz. Auch wer sich der Anerkennung eines eigenständigen „Grundrechts auf Mobilität" 7 2 verweigert, muss den grundrechtlichen Gehalt der Mobilität zur Kenntnis nehmen. Die meisten Grundrechte stoßen ohne Verkehrsmobilität ins Leere. Die Mobilität ist zumindest faktisches Substrat der Grundrechtsentfaltung. Bei etlichen Grundrechten fällt die Mobilität darüber hinaus eindeutig in den Schutzbereich der jeweiligen Bestimmung. Bestimmte Formen der Mobilität sind damit noch nicht gewährleistet. Bejaht man jedoch zutreffend ein Grundrecht, Auto zu fahren 73, dann muss auch die Mobilität derjenigen sichergestellt sein, denen die Teilhabe am Individualverkehr versagt ist oder die ihn ablehnen. Der ÖPNV ist nach alledem für die Verwirklichung des Mobilitätsgrundrechts bzw. der Mobilitätsgrundrechte unentbehrlich. Als Daseinsvorsorgeaufgabe kann der Staat den ÖPNV nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen darf. Wie und von wem die Aufgaben des ÖPNV wahrgenommen werden, ist von nachrangiger Bedeutung. Auch eine unternehmerische Betätigung kommt in Betracht. Erforderlich ist dann aber, dass sich im Wettbewerb eine ausreichende Erfüllung der Daseinsvorsorgeaufgabe sicherstellen lässt. Ausreichende Erfüllung bedeutet, dass die grundrechtlich abgesicherten Lebensbedürfnisse zu erschwinglichen Preisen befriedigt werden. Die Europäische Gemeinschaft ist zwar nur eine Staatenverbindung, nimmt aber für sich auch im Binnenbereich Elemente der Staatlichkeit in Anspruch. Auch sie wird nicht nur durch den Binnenmarkt, sondern nicht zuletzt durch Erfüllung von Daseins vorsorgeaufgaben im Interesse der Gemeinschaftsbürger legitimiert.

2. Gemeinschaftsrecht a) Primärrecht Der Ausrichtung der Europäischen Gemeinschaft auf eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft stellte bereits Art. 90 EGV (jetzt Art. 86 EG) die „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" entgegen, die anfänglich als Fremdkörper im europäischen Binnenmarkt betrachtet wurden. Dieses Verständnis widersprach der Integrationsdynamik der Gemeinschaft. Seit 1993 bemühte sich insbesondere das Europäische Parlament, die Stellung 72 Vgl. Ronellenfltsch, Mobilität: Vom Grundbedürfnis zum Grundrecht?, DAR 1992, 321 ff.; ders., Die Verkehrsmobilität als Grund- und Menschenrecht, JöR n. F. 44 (1996), 168 ff. 73 Michael Ronellenfltsch, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Betrachtungen zur Mobilität mit dem Auto, 1994, S. 46. Das Grundrecht impliziert die Freiheitsposition, nicht auf das Auto angewiesen zu sein.

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der unmittelbar dem Gemeinwohl verpflichteten Unternehmen aufzuwerten. Diese Bemühungen führten zur Einfügung von Art. 16 in den EGV durch den Amsterdamer Vertrag. Die Hinzufügung von Art. 16 EG lässt trotz der Formulierung „Unbeschadet der Artikel 7, 86 und 97 ..." das Verhältnis von Wettbewerb und „Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" nicht unberührt. Der Wettbewerbsgedanke wird zwar nicht ganz verdängt, jedoch kommt den Diensten von allgemeinem Interesse besondere Bedeutung zu 74 . b) Mitteilung „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" 1996 Die „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" werden für den deutschen Sprachraum als „Dienste der Daseinsvorsorge" bezeichnet75. Eine gegenständliche Beschreibung der Daseinsvorsorge ist damit nicht verbunden. Bereits in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" vom September 199676 war festgelegt worden: „Leistungen der Daseinsvorsorge (oder gemeinwohlorientierte Leistungen) sind marktbezogene oder nichtmarktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden". Im Text der Mitteilung (Tz 45) wurde Daseinsvorsorge als die mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängenden Leistungen i. S. v. (ex) Art. 77 EGV verstanden. Einen inhaltlich präzisierten, eigenständigen gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Daseinsvorsorge schlechthin enthielt die Mitteilung nicht. Die Gegenstände der Daseinvorsorge wurden in der Kommissions-Mitteilung ebenso wenig präzisiert wie die Art und Weise der Erfüllung dieser Aufgabe. Der Versuch, die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge im Amsterdamer Vertrag exakt festzuschreiben, scheiterte. Gemeinschaftsrechtlich diente der Begriff der Daseinsvorsorge lediglich der Zuordnung gemeinwohlorientierter Leistungen, die eine Sonderbehandlung erfordern. Welche Leistungen das sind und wie die Sonderbehandlung aussieht, blieb dem Einzelfall überlassen. c) Mitteilung „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" 2000 Die Neuformulierung der Mitteilung vom 20.9.200077 will expressis verbis an diesem Befünd nichts ändern; sie soll nur der Aktualisierung dienen (Tz 1). Auf den ersten Blick trifft das zu. Im Rahmen der Begriffsbestimmungen (An-

74 75 76 77

Zutreffend Streinz, Der Vertrag von Amsterdam, EuZW 1998, 137 ff. Vgl. nur Geiger, EUV / EGV, 3. Aufl., 2000, Art. 16, Überschrift. „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" (ABl C 281 vom 26.9.1996, S. 3). K O M (2000) 580 - 2 0 0 1 /2157 (COS).

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hang II) sind die „Leistungen der Daseinvorsorge" wie bisher umschrieben. Statt die „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" des neuen Art. 16 EG zu definieren, wurde sogar die Definition des in Art. 86 EG verwendeten Begriffs der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" übernommen. Das verrät die Absicht, den Wettbewerbsgedanken bei Daseinsvorsorgeleistungen zu verstärken. Seit 1996 haben aus der Sicht der Kommission Erfahrungen in Daseinsvorsorgebereichen, die dem Wettbewerb geöffnet worden sind, gezeigt, dass Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, Binnenmarkt und gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik einander ergänzen (Tz 3). Trotz des Bekenntnisses zum Subsidiaritätsprinzip 78 macht die aktualisierte Mitteilung Vorgaben für die Behandlung einzelner (wirtschaftlicher) Daseinsvorsorgebereiche. Hinsichtlich des Personenverkehrs ist sie äußerst vage gehalten79. Auch wenn der ÖPNV nur am Rande erwähnt wird, steht damit aber wenigstens fest, dass er gemeinschaftsrechtlich als Leistung der Daseinsvorsorge anerkannt ist. d) Weitere Entwicklung Mit Schreiben vom 22. 9. 2000 übermittelte die Kommission die Mitteilung dem Europäischen Parlament. In der Sitzung des Europäischen Parlaments vom 3. 9. 2001 wurde die Mitteilung federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Währung verwiesen. Im Ausschussbericht vom 17. 10. 2001 80 wurde u. a. in der Erwägung, „dass die Politik der Liberalisierung verschiedener Leistungen der Daseinsvorsorge für den Bürger / Nutznießer sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben kann und dass diese Politik daher eine präzise und vergleichende Evaluierung der Qualität der erbrachten Dienstleistungen erfordert, bevor neue Liberalisierungsmaßnahmen eingeleitet werden", ein Entschließungsvorschlag formuliert. In Ziff. 66 fordert dieser „die Mitgliedstaaten auf, entsprechend den Vorschlägen der Europäischen Kommission in Zukunft regionale und kommunale Verkehrsdienste in den von der Kommission definierten Größenordnungen europaweit auszuschreiben; weist jedoch daraufhin, 78

Vgl. Tz 22, 55. Tz 49 lautet: „Marktentwicklungen haben dazu geführt, dass sich das Angebot von Diensten zur Personenbeförderung im Schienen- und im Straßenverkehr derzeit stark wandelt. Mehrere Anbieter spielen inzwischen eine aktive Rolle in anderen Mitgliedstaaten. Parallel dazu haben die Mitgliedstaaten begonnen, ihre Märkte dem Wettbewerb zu öffnen. Ein gemeinsames Mindestmaß an Wettbewerb und minimale Transparenzanforderungen bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen wurden als Voraussetzung fur ein hohes Qualitätsniveau angesehen. Die Kommission hat ein neues Regelwerk vorgeschlagen, das sicherstellen soll, dass die öffentlichen Verkehrsbetriebe unter dem Druck der Konkurrenz bessere Leistungen für die Kunden bieten, ihre Kosten unter Kontrolle halten und ein Höchstmaß an Sicherheit garantieren." 80 A5-0361 / 2001. 79

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dass aufgrund der vorwiegend klein- und mittelbetrieblichen Struktur dieser Unternehmen eine deutliche Differenzierung zwischen Bahn- und Busleistungen vorgenommen werden muss." Der Europäische Rat von Nizza vom 7., 8. und 9. 12. 2000 nahm die Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000 ebenfalls zur Kenntnis und billigte eine Erklärung des Rates Binnenmarkt vom 28. 9. 2000, in der die Rolle bestätigt wurde, welche die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse „bei der Gewährleistung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der Europäischen Union spielen" 81 . Zugleich forderte er in seinen Schlussfolgerungen die Kommission auf, anlässlich seiner Tagung in Laeken im Dezember 2002 über Leistungen der Daseinsvorsorge erneut zu berichten. Zu den Schlussfolgerungen ergingen u. a. eine Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland82 und ein Memorandum Frankreichs 83, die sich in unterschiedlicher Intensität für eine Öffnung des Daseinsvorsorgebereichs für den Wettbewerb aussprachen. Der Bericht „Leistungen der Daseinsvorsorge" der Kommission für den Europäischen Rat in Laeken vom 17. 10. 2001 84 geht nur in Nebenpunkten auf solche Anregungen ein, versteht sich aber nicht als Korrektur der Mitteilungen von 1996 und 2000, sondern hält an ihrem Wettbewerbscredo fest. e) Kritik Die Kommission und in abgemilderter Form der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments, die den „kontrollierten Wettbewerb" im Gegensatz zur Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigte und soziale Angelegenheiten vom 14.6. 2001 zum Allheilmittel für die Attraktivitätssteigerung der öffentlichen Verkehrsdienste machen, verkennen, dass der Daseinsvorsorgeauftrag nur effektiv erfüllt werden kann, wenn den Aufgabenträgern flexible Entscheidungsspielräume bei der Aufgabenwahrnehmung zur Verfügung stehen. Vor allem aber ist ihnen offenbar der rechtliche Gehalt des Daseinsvorsorgeauftrags nicht bewusst. Wo Wettbewerb mit dem Daseinsvorsorgeauftrag vereinbar ist, sollte er möglichst rasch eingeführt werden. Wo aber „besondere Gegebenheiten" dem Wettbewerb entgegenstehen, darf er überhaupt nicht eingeführt werden. Darüber hinaus hat der Wettbewerb in diesem Zusammenhang nur dienende Funktion. Das wohlklingenden Bekenntnis in der Einführung zum Laeken-Bericht, in einer „Welt des Wandels" blieben Leistun-

81 Europäischer Rat (Nizza): Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 08.12.2000, Nr. 400 / 1 / 00 Ziff. E 45 Ano. II. 82 Dok. des Rates der EU 12028 / 01 vom 20.9.2001. 83 Dok. des Rates der EU 12029 / 01 vom 20.9.2001. 84 K O M (2001) 598 end. Hierzu überzeugend Kämmerer, Daseinsvorsorge als Gemeinschaftsziel oder: Europas „soziales Gewissen", NVwZ 2002, 1041 ff.

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gen der Daseinsvorsorge eines der „wesentlichen Fundamente des Europäischen Gesellschaftsmodells" gerät zum Lippenbekenntnis, wenn der Wandel von der Kommission selbst forciert wird.

3. Nationales Recht Seit von der Daseinsvorsorge die Rede ist, wurde der ÖPNV ihr zugeschlagen 85 . Diese Klassifizierung hat der Gesetzgeber übernommen 86, ohne näher anzugeben, welche rechtlichen Konsequenzen damit verbunden sein sollen. Mit der staatlichen Gewährleistung des ÖPNV bestätigte der Gesetzgeber einen im Sozialstaatsprinzip und der Grundrechteordnung implizit enthaltenen Verfassungsauftrag. Ob der staatliche Daseinsvorsorgeauftrag zureichend erfüllt wird, hängt vom Entwicklungsstand, den Lebensumständen und dem konkreten Aufgabenbereich ab. Das RegionalisierungsG und die ÖPNV-Gesetze umschreiben die Daseinsvorsorge nur funktionell. So ist nach § 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz „die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV" eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Das ist konsequent. „Daseinsvorsorge" ist ein sachbezogener Begriff, der auf das aktuelle Versorgungsbedürfnis der Bevölkerung reagiert. Das Versorgungsbedürfnis richtet sich nach dem allgemeinen Lebensstandard 87. Danach lassen sich die Mindestanforderungen an den ÖPNV, auf die das Kriterium der „ausreichenden" Bedienung abstellt, nur grob bestimmen. Der Gesetzgeber ist aber an die eigenen Zielsetzungen gebunden ist, die er mit dem ÖPNV verfolgt. Alle ÖPNV-Gesetze geben als Zielsetzung den Beitrag des ÖPNV zur Mobilitätsgewährleistung im Rahmen eines integrierten Gesamtverkehrssystems an. Die Daseinsvorsorge ist dann ausreichend, wenn der ÖPNV flächendeckend als vollwertige Alternative zum motorisierten Individualverkehr zur Verfügung steht und zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beiträgt. Materiell kommt es bei der Daseinsvorsorge lediglich darauf an, dass dieses mit dem ÖPNV bezweckte Ziel erreicht wird. Wie das Ziel erreicht wird, lassen die ÖPNV-Gesetze offen. Zur Zielverwirklichung kommt auch eine unternehmerische Betätigung in Betracht. Der Staat bzw. die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften müssen kraft Verfassungsauftrags lediglich Aufgabenträger des ÖPNV sein. Bei der Erfüllung des Auftrags können sie auf die Kräfte des Marktes setzen, soweit im Wettbewerb eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen erfolgt.

85 86 87

Vgl. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 3. Aufl., 1944, S. 172. Batzill / Zuck, Personenbeförderungsrecht, S. 1. Ernst Forsthoff Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 12.

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V I I . Folgerung Die jüngere Entwicklung im ÖPNV zielt auf eine Verstärkung des Wettbewerbs ab. De lege ferenda ist eine sekundärrechtliche Ausweitung des Wettbewerbsprinzips im ÖPNV nicht kategorisch ausgeschlossen. Jedoch setzen die Art. 73, 86 Abs. 1 und 2 und selbst Art. 87 Abs. 1 EG solchen Bestrebungen Schranken. Den Bestrebungen der Kommission und zahlreicher Wettbewerbsund Europarechtler, dem Wettbewerbsprinzip auch im Daseinsvorsorgebereich zum Durchbruch zu verhelfen und öffentlich-rechtliche Bindungen nur als lästige Ausnahmen hinzunehmen88, muss mit Nachdruck begegnet werden. Forsthoff wollte sogar den Wettbewerb im Daseinsvorsorgebereich a priori ausschließen. Das lässt sich heute nicht mehr halten 89 . Bei marktbezogenen Daseinsvorsorgetätigkeiten ist Daseinsvorsorge im Wettbewerb möglich 90 . Im Spannungsverhältnis von Wettbewerbsfreiheit und Daseinsvorsorgeauftrag hat der Wettbewerb im ÖPNV aber nur dienende Funktion. Er kann im Interesse der Daseinsvorsorge instrumentalisiert werden, um den günstigen Anbieter für die Erfüllung der öffentliche Aufgabe zu ermitteln. Private Gewinnerzielung widerspricht auch nicht automatisch der Gewährleistung einer angemessenen Daseinsvorsorge. Selbst bei Einrichtungen der Daseinsfürsorge schließt das Selbstkostendeckungsprinzip kalkulatorische Gewinne nicht aus91. Einen Interessenausgleich zwischen privatem Gewinnmaximierungs- und öffentlichem Versorgungsinteresse kann es jedoch nicht geben. Öffentlicher Daseinsvorsorgeauftrag und private Gewinnmaximierung sind unvereinbar. Wenn

88 Vgl. Mestmäcker, in: Festschr. f. Zacher, S. 665 ff.; Harms, Daseinsvorsorge im Wettbewerb, 2001.; Magiera, in: Festschr. f. Rauschning, S. 269 ff; Koenig, Daseinsvorsorge durch Wettbewerb!, EuZW 2001, 481 ff; ausgewogener Nettesheim, Mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge im Spannungsfeld zwischen Wettbewerbskonformität und Gemeinwohlverantwortung, in: Hrbek / Nettesheim, Daseinsvorsorge, S. 39 ff; Vgl. auch Storr, DÖV 2002, 357 ff (358 ff), dessen Kooperationsprinzip in die richtige Richtung zielt. Dass die Privatwirtschaft gegen die Daseinsvorsorge zu Felde zieht, liegt auf der Hand, ebenso, dass dabei ein Popanz aufgebaut wird; vgl. nur BDI vom 7.12.2000: „Deckmantel Daseinsvorsorge - Privatwirtschaft in Bedrängnis"; ähnliche Tendenz im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundsministerium für Wirtschaft und Technologie „Daseinsvorsorge" im Europäischen Binnenmarkt vom 12.1.2002, wo der Ausdruck „Daseinsvorsorge" attackiert wird, da er „in problematischer Weise auf Sinnstiftung gegen die Disziplin des Wettbewerbs" angelegt sei. Eher richtet sich das Konzept der Daseinsvorsorge gegen die Disziplinen, denen die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats angehören. 89 Insofern ist die Kritik des Generalanwalt am EuGH Alber, Unternehmen der Daseinsvorsorge im europäischen Wettbewerbsrecht, in: Schwarze, Daseinsvorsorge, S. 73 ff (82 f.) an Forsthoff gerechtfertigt. 90 A u f nichtmarktbezogene Tätigkeiten gelten die Wettbewerbsvorschriften per definitionem nicht, vgl. Schwarze, EuZW 2001, 334 ff (335). 91 BVerwG vom 1.12.1998 - 5 C 29.97, BVerwGE 108, 56.

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es zum Konflikt kommt, muss sich der durch Art. 16 EG bekräftigte Daseinsvorsorgedanke durchsetzen. In diesem Sinn sind sowohl das nationale Recht wie auch das Gemeinschaftsrecht zu verstehen. Wettbewerb, der zu einer existenziellen Bedrohung öffentlicher Einrichtungen fuhrt, die ihren Beitrag zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge beim ÖPNV leisten, darf gemeinschaftsrechtlich nicht „verordnet" werden. Jedes andere Verständnis würde die europäische Integration zurückschrauben und die EU auf eine reine Wirtschaftsgemeinschaft reduzieren. Das vielberufene Regel-Ausnahme-Verhältnis in Art. 86 Abs. 2 EG führt zu keiner anderen Sichtweise: Zum einen macht es das Wesen einer Ausnahme aus, dass es die Regel verdrängt. Zum anderen sind die Ausnahmekriterien so vage gehalten, dass ein weiter Gestaltungsspielraum für nationale Ausnahmeregelungen besteht92, während die Eingriffsschwelle für die Kommission hoch angesetzt ist 93 . Der Daseinsvorsorgeauftrag modifiziert das Wettbewerbsprinzip, lässt Beschränkungen des Wettbewerbs zu und rechtfertigt die sog. staatliche Eigenproduktion, wenn nur durch sie eine ausreichende Daseinsvorsorge gewährleist ist. Umgekehrt ist aber kein „Roll back" angesagt. Daseinsvorsorge im Wettbewerb ist im Zweifel die effektivere Form der Daseinsvorsorge. Die Gewährleistung des Daseinsvorsorgeauftrags ist dann aber Rahmenbedingung für den Wettbewerb. „Kontrollierter Wettbewerb" bedeutet im Interesse der Daseinsvorsorge regulierter Wettbewerb.

92 Vgl. EuGH vom 19.5.1993 - Rs. C-320/91, Corbeau, Slg. 1993, 1-2533; vom 27.4.1994 - Rs. C-393 / 92, Almelo, Slg. 1994,1-477; vom 23.10.1997 - Rs. C-159 / 94 - Kommission / Französische Republik, Slg. 1997, 1-5815; vom 10.2.2000 - verb. Rs. C-147 u. 148 / 97, Remailing, Slg. 2000,1-825 Rn. 49 ff. 93 Die Wettbewerbsbeschränkung darf die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigen, die dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext Von Godehard Hennies

I. Einleitung „Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss." „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen." Weltkommission für Umwelt und Entwicklung

Der Feststellung und dem Auftrag „Wasser ist keine übliche Handelsware sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss", wird man sicherlich schnell seine Zustimmung geben. Dies ist der Erwägungsgrund Nr. 1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Dezember 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. Außerdem kann man diesem Thema noch eine weitere Aussage der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der sog. Brundtlandkommission, von 1987 voranstellen: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen". Dennoch oder gerade deswegen hat sich in den letzten Jahren eine umfangreiche Diskussion in Europa, auch speziell in Deutschland, über das Wie der Wasserpolitik ergeben, also eben wie dieses Erbgut geschützt, verteidigt und behandelt werden soll, insbesondere verteilt, gereinigt und in welchen Organisationsformen dies umgesetzt werden soll. Dabei möchte ich zunächst die Begriffe klären, um die es hier geht, nämlich den Begriff der Liberalisierung, den Begriff der Privatisierung und danach auch den Begriff der Modernisierung.

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Godehard Hennies

I I . Liberalisierung 1. Der Begriff der Liberalisierung - das „Ob" Unter Liberalisierung (des Wassermarktes speziell in Deutschland) wird die Aufhebung des Schutzes der heutigen Gebietsmonopole der Wasserversorgung verstanden (§ 103 GWB des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen a. F.), die es den Kommunen ermöglichen, ausschließlich über die Art und Weise der Wasserversorgung in ihrem Gebiet zu bestimmen. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen schließt Verträge zum Schutz dieser Gebietsmonopole von den allgemeinen Bestimmungen des Wettbewerbs aus und ermöglicht somit den ausschließlichen Auftritt eines Wasserversorgungsunternehmens in einer bestimmten Region. Die Liberalisierung - also die Streichung dieser Rechtsvorschrift - würde einen unmittelbaren Wettbewerb im Markt ermöglichen. Da Artikel 28 Abs. 2 GG den Gemeinden das Recht gewährleistet, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, und auch die Gemeindeverbände im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenbereiche nach der Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung haben, könnte die Frage aufgeworfen werden, inwiefern die Liberalisierung der Wasserversorgung einen Eingriff in dieses gemeindliche Selbstverwaltungsrecht begründet, weil die Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben im Bereich der Daseinsvorsorgen tangiert werden. Der 64. Deutsche Juristentag hat über folgendes Thema abgestimmt: „Empfiehlt es sich, das Recht der öffentlichen Unternehmen im Spannungsfeld von öffentlichem Auftrag und Wettbewerb national und gemeinschaftsrechtlich zu regeln?" So wird etwa zu Artikel 28 GG festgestellt: „Eine verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 II GG erfasst auch die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden und Kreise" 1 . Und weiter: „Die Abschaffung eines kommunalen Monopols im Wege der gesetzlichen Zulassung privater Wirtschaftsunternehmen berührt das Selbstverwaltungsrecht nicht. Eine rechtfertigungswürdige Schwächung der Selbstverwaltung liegt vor, wenn der Staat den Kommunen eine wirtschaftliche Betätigung ge- oder verbietet" 2.

1 Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002, zu finden unter http://www.djt.de/mainframe.htm (Stand vom 20.11.2002), S. 31, Nr. 14. 2 Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002 (Fn.l), S. 31, Nr. 15.

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

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2. Der Europäische Kontext der Liberalisierung Zunächst ist die Liberalisierung der Daseinsvorsorge durch das offene Wettbewerbsmodell, d. h. die offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb im Zusammenhang mit den Grundsätzen des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs Art. 4 I und Art.3 I c EGV wesentlich bestimmt worden. Dies bezog sich vornehmlich auf den Telekommunikationssektor, den Energiesektor, den Postsektor, den Bereich des Schienen- und Seeverkehrs. So hat der Rat in Lissabon Wasser bei der verstärkten Liberalisierung nicht mit erwähnt 3. Wasserversorgung und Abwasserentsorgung waren und sind außer durch die Sektorenrichtlinie 4 nicht betroffen, weil insbesondere die Wasserversorgung ein natürliches Monopol ist. Es besteht kein flächendeckendes Verbundnetz, Vermischung ist nicht ohne weiteres möglich (physikalische, chemische, mikrobiologische Unterschiede), Auf- und Ausbau von Verbandsstrukturen sind sehr kapital- und wasserkostenintensiv (70 - 80 % der Kosten entfallen darauf!) und Wasser ist kein homogenes, gleichartiges Gut.

a) Grundrechtscharta Artikel 36 der Europäischen Grundrechtscharta 5 ist zwar kein Bestandteil der EU-Verträge, legt aber als Zusammenfassung aller wichtigen Freiheits- und Gleichheitsrechte aller Mitgliedsstaaten einen Schwerpunkt auf den Zugang aller Unionsbürger zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, was als Mittel zur Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der Union angesehen wird, und so versteht dies auch die Kommission: „Die Union anerkennt und achtet den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geregelt ist, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fordern" 6.

3 Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000: Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, K O M (2000) 580 endsg., S. 24, Nr. 58 „... Liberalisierung der Gas-, Strom-, Verkehrs- und Postdienste...". 4 Richtlinie 93 / 38 / EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Abi. EG Nr. L 199 / 84 vom 9.8.1993. 5 Sonderbeilage „Charta der Grundrechte der EU" zu NVwZ 2001, Heft 1. 6 K O M (2000) 580 endg. (Fn.3), S. 26, Nr. 64.

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Godehard Hennies b) Art. 16EG-Vertrag

Dieser Begriff der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wurde im neuen Artikel 16, der durch die Beschlüsse von Amsterdam in den EGVertrag im Mai 1999 eingefügt wurde, aufgenommen. Dieser Begriff entspricht in etwa dem Begriff der Daseinsvorsorge, wie er in Deutschland geprägt wurde. Hier zeigt sich jetzt ein gewisses Spannungsfeld aus der jüngeren Geschichte der Entwicklung der Verträge und eine unterschiedliche Bewertung der Organe der Europäischen Union, auf der einen Seite das Parlament und auf der anderen Seite die Kommission, die man vielleicht dahingehend qualifizieren kann, dass in der Entwicklung der Rahmenbedingungen zwischen der stark wettbewerbsorientierten Wirtschaftsverfassung und den gemeinwohlinteressierten grundlegenden Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa kein Gleichgewicht geherrscht hat, sondern dass der sogenannten offenen Marktwirtschaft (Art. 4 I EGV) und ihrer Förderung ζ. B. durch die Sektorenrichtlinie 7 bezüglich der Ausschreibungsvorschriften jeweils der Vorrang eingeräumt wurde, während die gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge öffentlich-rechtlich organisiert eher als Ausnahmefall angesehen wurde 8. Der 64. Deutsche Juristentag hat zu diesem SpannungsVerhältnis in drei sehr deutlichen mehrheitlichen Abstimmungen festgestellt, dass die Teilnahme von Unternehmen mit mindestens mehrheitlicher Beteiligung der öffentlichen Hand am Wirtschaftsverkehr ein legitimes Instrument zur Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe ist. Er hat festgestellt, dass sie in diesem Spannungsverhältnis der Binnenmarktsfreiheit und dem unverfälschten Wettbewerb und dem in nationalem Verfassungsrecht wurzelnden Bindungen an diesen öffentlichen Zweck stehen, und er hat sich dafür ausgesprochen, dass das Recht - nämlich das Recht der öffentlichen Unternehmen - einerseits die bestmögliche Aufgabenwahrnehmung gewährleisten soll; es soll aber auch andererseits den Erfordernissen eines freien und unverfälschten Wettbewerbs gerecht werden 9. Diesbezüglich hat sich der Deutsche Juristentag für eine Veränderung von Artikel 16 EGV ausgesprochen, in dem die Bezugnahme auf die Wettbewerbsvorschriften durch die Streichung der Wörter „unbeschadet der Artikel 73, 86 u. 87" geschehen soll 10 .

7

Siehe Fn. 4. Ausfuhrlich dazu Christian Callies / Matthias Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag und EG-Vertrag, 1999, Art. 16 EG-Vertrag, Rz. 3 ff. 9 Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002 (Fn. 1), S. 29 ff. 10 Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002 (Fn. 1), S. 33, Nr. 27 und 28. 8

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c) Art. 86 EG-Vertrag Insoweit wird mit der weiteren Vorschrift des Artikels 86 des EG-Vertrages das Verhältnis von Wettbewerb, freiem Binnenmarkt und den Leistungen der Daseinsvorsorge auf der anderen Seite konkretisiert und entwickelt. Denn in Artikel 86 sind Unternehmen mit Gemeinwohlverpflichtungen ausnahmsweise von den Vorschriften des Wettbewerbsrechts befreit, wenn dies zur Gewährleistung der Aufgabe unbedingt erforderlich ist. Der Deutsche Juristentag schlägt vor, dass Artikel 87 Abs. 1 EG-Vertrag dadurch ergänzt werden soll, dass die Vorschriften über staatliche Beihilfen nur dann Anwendung finden sollten, soweit das Unternehmen Vergünstigungen erhält, die die erforderlichen zusätzlichen Kosten der übertragenen Dienstleistungen von Artikel 86 Abs. 2 EGV überstei-

d) Prinzipien auf europäischer Ebene Insgesamt kann man auf folgende Prinzipien auf europäischer Ebene hinweisen: -

Artikel 295 EG-Vertrag proklamiert bezogen auf die Eigentumsordnung den Grundsatz der Neutralität, dass nämlich die Gemeinschaft gegenüber der Organisationsform öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich in Fragen der Gemeinwohlaufgabenwahrnehmung die Wahl keineswegs in Frage stellt oder eine Privatisierung vorschreibt. Nach Meinung des Deutschen Juristentages schränkt der Neutralitätsgrundsatz der Gemeinschaft den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbs- und Beihilfebestimmungen nicht ein. Dabei soll Maßstab Artikel 86 Abs. 2 EG-Vertrag sein, wobei sich der Juristentag in der Freistellungsregelung zwar grundsätzlich für eine enge Auslegung ausspricht; sie muss den öffentlichen Unternehmen aber die Erfüllung besonderer öffentlicher Aufgaben unter Einbeziehung der Wertungen von Artikel 16 EG-Vertrag ermöglichen 12.

-

Im Weiteren ist das Subsidiaritätsprinzip aus Artikel 5 Abs. 2, 86 EGVertrag zu nennen, durch welches die Freiheit der Mitgliedsstaaten, die Leistungen der Daseinsvorsorge festzulegen, den Anbietern dieser Leistung erforderliche und besondere Rechte einzuräumen, nicht hinterfragt wird, sofern die Regelungen des Wettbewerbs Anwendung finden.

11 12

und 5.

Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002 (Fn.l), S. 33, Nr. 28. Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002 (Fn.l), S. 29, Nr. 4

142 -

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Dies findet sich ja auch im dritten Prinzip, nämlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, wieder, die die Mitgliedsstaaten zur Gestaltung der Daseinsvorsorge anwenden, die sicherstellen sollen, dass Beschränkungen des Wettbewerbs und Begrenzungen der Freiheiten im Binnenmarkt nicht über das zur wirksamen Erfüllung der Aufgaben notwendige Maß hinausgehen13. Nach diesem Prinzip müssen die Regelungen zum Schutz der Gebietsmonopole (Liberalisierungsfrage) in Deutschland erforderlich sein, um den Auftrag der Daseinsvorsorge im Bereich der Wasserversorgung hier speziell und tatsächlich zu erfüllen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geht dieser sogar davon aus, dass unter der Voraussetzung der Erforderlichkeit auch der Ausschluss jeglichen Wettbewerbs für zulässig erachtet wird (entwickelt im Bereich der Postmonopole) 14 .

3. Positionen in Deutschland Den umfangreichen Meinungsbildungsprozess zur Abwägung dieser Verhältnismäßigkeit in Deutschland darzustellen übersteigt die Möglichkeiten dieses Vortrags beträchtlich. Dass die Kommission diese Verhältnismäßigkeit gegenprüfen muss, ist klar. Sie prüft diese Entscheidung der Mitgliedsstaaten allerdings nur auf offenkundige Fehler 15 . Ich möchte nur kurz drei inhaltliche Dinge benennen, die sich u. a. aus den Quellen der Studie des Umweltbundesamtes zu dem Thema 16 , den Aussagen des Sachverständigenrates für Umweltfragen 17, den vorliegenden Bundestagsbeschlüssen18, der Aussagen der Innenminister- 19 und Wirtschaftsministerkonfe-

13

K O M (2000) 580 endg. (Fn. 3), S. 4 Zusammenfassung und S. 11 f., Nr. 23. Corbeau - RS C 320 / 91, Urteil vom 19.5.1993, Amtl. Sammlung 1993 1-02533. 15 K O M (2000) 580 endg. (Fn. 3), S. 3 f. Zusammenfassung. 16 Umweltbundesamt, Nachhaltige Wasserversorgung in Deutschland, November 2001, zu finden unter http://www.umweltdaten.de/wasser/sustain.pdf (Stand: 20.11. 2002) oder älter bereits Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, November 2000, zu finden unter http://www.umweltbundesamt.org/fpdf-l/ 1888.pdf. 17 Siehe beispielhaft und neuestens Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 2002: Für eine neue Vorreiterrolle, Stuttgart 2002 oder BT-Drs. 14 / 8792; alternativ auch Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 2000: Schritte ins nächste Jahrtausend, Stuttgart 2000 oder BT-Drs. 14 / 3363. 18 Beschluss des Deutschen Bundestages, Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland, BT-Drs. 14/7177 vom 17.10.2001 und Beschlusslage dazu im Plenarprotokoll vom 21.3.2002, BT-Drs. 14 / 227. 19 Siehe beispielhaft Beschluss der Innenministerkonferenz vom 10.5.2001. 14

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

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renz 20 , der Stellungnahme der Spitzenverbände der Wasserversorgung 21 sowie den Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände 22 ergeben, aus denen in der Quintessenz deutlich wird, dass -

eine Liberalisierung erhöhte Risiken fur die Gesundheitsfragen und für die Qualität ausmachen könnte,

-

dem Umweltschutz nicht nachhaltig genug Rechnung getragen werden könnte,

-

die Effizienzgewinne eher begrenzt sind (10 E / Haushalt / Jahr),

so dass sinngemäß dem Bundeswirtschaftsministerium zu folgen ist, dass aufgrund der eher nachteiligen Auswirkungen die Deutsche Wasserversorgung dem Liberalisierungsexperiment mit ungewissem Ausgang nicht unterworfen werden sollte 23 . Dabei begrüßt der Deutsche Bundestag - vor diesem Hintergrund - den in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Leistung der Daseinsvorsorge in Europa" bekräftigten Grundsatz der Neutralität in Bezug auf die Unternehmensorganisation zur Leistung der Daseinsvorsorge in Europa. Er fordert die Bundesregierung auf, bei Rechtsakten der Europäischen Union, die die Wasserver- und -entsorgung betreffen, die Einhaltung dieses Grundsatzes sicherzustellen und die Wasserversorgung als Kernaufgabe öffentlicher Daseinsvorsorge zu erhalten. In diesem Zusammenhang unterstützt der Deutsche Bundestag die Vorschläge des Europäischen Parlaments und der Kommission, die Rechtssicherheit im Bereich der Daseinsvorsorge durch die Verabschiedung einer Rahmenrichtlinie zu erhöhen. Er fordert die Bundesregierung auf, diese Chance aktiv zu nützen24. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich der Deutsche Juristentag recht eindeutig gegen eine solche Rahmenrichtlinie und darin enthaltene umfassende Regelungen ausgesprochen hat 25 . Er hat sich allerdings bei bestimmten 20

Bundesrat: Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz vom 2. / 3. Mai in Hamburg, Punkt 7 der Tagesordnung: Neustrukturierung der Wasserwirtschaft. 21 Hierzu eine Aufstellung beispielhaft zu finden beim Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft, Berlin unter http://www.bundesverband-gas-und-wasser.de/ bgw/trinkwasser/politik_wirtschaft_stell_x.htm (Stand: 20.11.2002). 22 Als Beispiel kann hier herangezogen werden Deutscher Städte- und Gemeindebund, Thesenpapier zur Zukunft der kommunalen Wasserversorgung in Deutschland, mit weiteren Hinweisen zu finden unter http://www.dstgb.de/index_inhalt/homepage/ navigation/einstieg wir/ index.html (Stand: 20.11.2002). 23 BMWi-Forschungsvorhaben, Optionen, Chancen und Rahmenbedingungen einer Marktöffnung für eine nachhaltige Wassservorsorgung, zu finden unter http://www. bmwi.de/ Homepage/ download/wirtschaftspolitik/Wasserversorgungl .pdf. 24 Beschluss des Deutschen Bundestages (Fn. 18). 25 Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002 (Fn. 1), S. 13, Nr. 29.

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Godehard Hennies

Dienstleistungen dafür ausgesprochen, dass staatliche Beihilfen aufgrund von Freistellungsverordnungen mit dem gemeinsamen Markt für vereinbar erklärt und von der Notifizierungspflicht entbunden werden sollen, eine vorgeschlagene Maßnahme der Kommission, auf die ich noch näher eingehen werde.

4. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen Bezogen auf das genannte Spannungsfeld zwischen den Begriffen in der Entwicklung offenen Marktwirtschaft auf der einen Seite und den Leistungen der Daseinsvorsorge im Gemeinwohlinteresse auf der anderen Seite zeigt die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zur Mitteilung der Kommission „Leistung der Daseinsvorsorge in Europa" 26 beispielhaft den aktuellen Stand, in dem der Ausschuss daraufhinweist: „2.2.... dass der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gemäß Artikel 2 EG-Vertrag unter dem Blickwinkel ein der Wettbewerbspolitik übergeordneter Grundsatz ist, da die Einführung von Systemen der indirekten Verwaltung für Leistung der Daseinsvorsorge darauf gerichtet sein muss, die Lebensqualität der Bürger zu verbessern." Zum Wasser wird unter 2.2.4 ausdrücklich ausgeführt, dass der Ausschuss daher den Leitprinzipien stärkeren Nachdruck verleihen will, die in den Mitteilungen der Kommission für die Schaffung von Leistungen der Daseinsvorsorge genannt werden, u. a. die erforderliche Berücksichtigung der natürlichen Lebensgrundlagen und knappen Ressourcen (wie Wasser und Luft), die als Bestandteile des Gemeingutes insbesondere von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten oder Gesellschaften verwaltet werden können. Die Stellungnahme wirft unter „6. Stärkung des Gedankens der Gemeinwohlverpflichtung" einen Blick auf die Rechtsunsicherheit, die im Vertrag über die Gemeinwohlaufgaben von Leistungen der Daseinsvorsorge besteht, daher spricht sie sich unter 6.3 dafür aus, dass nach Auffassung des Ausschusses eben der Gemeinwohlauftrag - unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips - zu den grundlegenden Zielen der Europäischen Union im gleichen Rang wie die Verwirklichungen im Binnenmarkt gehört. Die Vollendung des Binnenmarktes und die Sicherung des Gemeinwohls sind zwei komplementäre Ziele im Prozess der europäischen Einigung. Bestimmung, Ausgestaltung und Organisation der Aufgaben der Leistung der Daseinsvorsorge obliegen vorrangig den Regionen und Kommunen.

26

Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zu der Mitteilung der Kommission: „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" vom 20. September 2001, Abi. EG C 1 9 / 8 vom 22.1.2002.

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

145

Nach Auffassung des Ausschusses ist es in diesem Zusammenhang dringend erforderlich, auf europäischer Ebene deutlicher als bisher sicherzustellen, dass neben dem Streben nach Wettbewerbsfähigkeit auch die Gemeinwohlverpflichtungen eingehalten werden. Die Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs, Versorgungssicherheit und Kontinuität der Dienstleistung, Qualität derselben sowie demokratische Kontrolle und öffentliche Verantwortung für die Dienstleistungen sind Grundkriterien von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse. Daher spricht sich der Ausschuss für die rechtliche Verankerung der Leistung der Daseinsvorsorge im Vertrag aus und regt an, den Gemeinwohlauftrag in geeigneter Form in Artikel 3 des Vertrages aufzunehmen, um in Ausübung der Kompetenzen in den Mitgliedstaaten im Bereich der Leistungen die Daseinsvorsorge zu unterstützen.

5. Bericht der Kommission für den Rat von Laeken Inzwischen hat sich eine „gewisse Emanzipation" der Daseinsvorsorge von den Wettbewerbsregeln und dem Beihilfeverbot ergeben, wie man aus dem Bericht der Kommission für den Europäischen Rat in Laeken27 erkennen kann: „In einer Welt des Wandels bleiben Leistungen der Daseinsvorsorge eines der wesentlichen Fundamente des europäischen Gesellschaftsmodells. Bürger und Unternehmer erwarten heute, dass ein breites Spektrum derartiger Leistungen von hoher Qualität und erschwinglichen Preisen verfügbar ist." Die Kommission geht in ihrem Bericht bezüglich Wasser auf das Benchmarking als ein Instrument der Modernisierung ein, wie sie allgemein eine schrittweise, strukturelle Liberalisierung incl. Schutzmaßnahmen vorgesehen hat. Konkrete zukünftige Schritte sollen sein: -

Prüfung einer Rahmenrichtlinie in der Daseinsvorsorge;

-

Ergänzung von Artikel 3 EGV um die Daseinsvorsorge;

-

Zweistufiger Ansatz: Rahmen für Beihilferecht und Gruppenfreistellung und eigener Berichtsteil für die Daseinsvorsorge;

-

Fallsammlungen bei Beihilfen sektoral, so dass diese hoheitlichen Leistungen nicht mehr der Kontrolle unterliegen;

-

Benchmarkingsysteme.

27 Bericht für den Europäischen Rat in Laeken - Leistungen der Daseinsvorsorge, K O M (2001) 598 endg. vom 17.10.2001.

10 Pitschas/Ziekow

146

Godehard Hennies

In diesem Zusammenhang hat sich der Deutsche Juristentag u. a. dafür ausgesprochen, dass die EG-Kommission zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit i. S. einer Selbstbindung Leitlinien zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Artikel 87 Abs. 1 u. 86 Abs. 2 EG-Vertrag und zur Feststellung einer angemessenen Kompensation erlassen sollte, dass im Weiteren diese Kompensation nicht nur durch Ausschreibung erreicht werden kann und dass für die Auswahl der mit der Erbringung von Dienstleistung von allgemein wirtschaftlichem Interesse zu betreuenden Unternehmen im Rahmen von Artikel 86 EG-Vertrag von einer Ausschreibungspflicht abgesehen werden sollte 28 .

6. W T O Fraglich gestalten sich die zukünftigen Auswirkungen der Haltung der EU im Rahmen der WTO-Verhandlungen, insbesondere über das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade in Services), in dem die EU gegenüber Drittländern u. a. die umfassende Liberalisierung der Wasserver- und -entsorgung mit unbeschränktem Zugang zu diesem „Markt" fordert. 1995 aufgenommen in das Vertragswerk sollen Marktzugang und Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Anbieter erreicht werden. Daneben sollen medizinische, soziale Dienste, Bildung und Unterhaltung mit einbezogen werden. Hierzu kann man durchaus die Frage stellen, ob sie nach außen fordern kann, was sie nach innen nicht umsetzt.

7. Wasserrahmenrichtlinie Dagegen wirkt sich die EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) 2 9 nur indirekt auf Liberalisierung, Privatisierung und Modernisierung aus; in Art. 9 werden kostendeckende Wasserpreise für Industrie, Haushalte, Landwirtschaft gefordert, die auch die Umwelt- und Ressourcenkosten beinhalten. Art. 14 fordert eine transparente Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Erreichung der Ziele: -

guter ökologischer Zustand der Oberflächengewässer und

-

guter chemischer Zustand des Grundwassers.

28

Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages in Berlin 2002 (Fn. 1), S. 34, Nr. 30-

32. 29

Richtlinie 2 0 0 0 / 6 0 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (EU-Wasserrahmenrichtlinie), Abi. EG L 327 / 1 vom 22.12. 2000; dazu auch ausführlich die Beiträge in Stephan von Keitz / Michael Schmalholz (Hrsg.), Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, Berlin 2002.

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

147

Als Leistung der Daseinsvorsorge in der Präambel Nr. 15 ist die Wasserversorgung genannt, nicht jedoch die Abwasserentsorgung.

1992 Agenda 2 Kapitel 18:

Rio de Janeiro



Integrierte Planung und Bewirtschaftung von Wasserressourcen



Abschätzung des Wasserdargebots



Schutz der Wasserressource, Wasserqualität und aquatische Ökosysteme



Trinkwasserversorgung und Sanitärmaßnahmen



Wasser und nachhaltige städtische Entwicklung



Wasser für nachhaltige Nahrungsmittelproduktion



Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die Wasserressourcen

8. Fehlende Erfahrung mit Liberalisierung Europaweit hat kein Mitgliedstaat Erfahrungen mit einer Liberalisierung. Für die internationale Fachtagung „Umweltaspekte einer Privatisierung der Wasserwirtschaft in Deutschland" am 20. und 21. November 2000 in Berlin 30 wurde eine Aufstellung entworfen, aus der für die verschiedenen europäischen Länder der Status hervorgeht. Um eine vergleichbare Übersicht zu haben, ist es sinnvoll, diese Aufstellung in Tabellenform zu berücksichtigen. Dabei werden sowohl die allgemeine Situation und die Privatisierung als auch der Stand der Liberalisierung berücksichtigt.

30

Siehe dazu Fritz Holzwarth /Andreas Krämer (Hrsg.), Umweltaspekte einer Privatisierung der Wasserwirtschaft in Deutschland: Dokumentation der Internationalen Fachtagung vom 20. und 21. November in Berlin, 2001. 10*

Godehard Hennies

148

Thema

Land

England und Wales

Frankreich

Allgemeine Situati- Keine Aussage on und Privatisierung

Privatisierung der Wasserwirtschaft 1989 hat zum Ausbau der Wasser- und Abwasserinfrastruktur und zur Steigerung der Effizienz gefuhrt; infolgedessen Preissteigerungen um 40 %; Aufgrund Preisobergrenze sind Unternehmen kaum in der Lage, erforderliche Investitionen zum Systemerhalt zu tätigen; Anlagevermögen wird daher z.T. an die öffentliche Hand zurück verkauft

Etwa die Hälfte der Kommunen hat für Wasser und Abwasser Eigenbetriebe; restliche Kommunen (etwa 80 % der Bevölkerung) haben Leistungserstellung über Konzessionsverträge an private Unternehmen übertragen; Kommunen sind Eigentümer des Anlagevermögens und ggüber Kunden verantwortlich; da es nur drei große private Unternehmen gibt, ist der Wettbewerb sehr eingeschränkt; in den letzten 10 Jahren Preissteigerungen von rd. 100 %

Liberalisierung

Begrenzter Wettbewerb um den Endkunden theoretisch möglich; mit Einschränkungen ist freie Wahl des Anbieters möglich

Keine umfangreichen Erfahrungen mit Liberalisierung, da i.d.R. abgeschlossene Versorgungsgebiete existieren

(Teil 1 der Tabelle)

Deutschland

Keine umfangreichen Erfahrungen mit Liberalisierung, da i.d.R. abgeschlossene Versorgungsgebiete existieren

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

149

Portugal

Niederlande

Allgemeine Situati- Konzentrationsproon und Privatisie- zess mit Zielwert rung von 150 bis 200 Organisationseinheiten (bisher rd. 11 000 Betreiber fur 8000 Kommunen); französisches Konzessionsmodell setzt sich überwiegend durch: Die Kommune bleibt Eigentümer und verantwortlich, Betriebskonzessionen fur max. 20 Jahre werden über Ausschreibung an private Betreiber vergeben

Wasserver- und -ent sorgung wird traditionell von Kommunen durchgeführt; schlechte Qualität der Wasserdienstleistungen und Auflagen der EU haben zu einem Konzentrationsprozess und zum Trend zur Vergabe von Konzessionen geführt; Konzessionsteilnehmer sind überwiegend Unternehmen im Eigentum der Kommunen; aus finanziellen Gründen sind künftig Verkäufe von Anteilen an private Firmen zu erwarten; aufgrund der Sorge um Umwelt· und Gesundheitsschutz sind keine Entwicklungen zur Liberalisierung zu erwarten

Per Gesetz Verbot für den Verkauf von Anteilen der Wasserver- und Abwasserentsorgungsunternehmen (materielle Voll- und Teilprivatisierung); erzwungene Konzentration der Wasserver- und -entsorgungsunternehmen (von mehreren 100 auf derzeit ca. 20); Ziel: 10); Wasserdienstleister i.d.R. privatrechtliche Unternehmen der öffentlichen Hand; Kostendeckungsgrad vglsweise hoch

Liberalisierung

Keine umfangreichen Erfahrungen mit Liberalisierung, da i.d.R. abgeschlossene Versorgungsgebiete existieren

Keine umfangreichen Erfahrungen mit Liberalisierung, da i.d.R. abgeschlossene Versorgungsgebiete existieren

Thema

Land

(Teil 2 der Tabelle)

Italien

Keine umfangreichen Erfahrungen mit Liberalisierung, da i.d.R. abgeschlossene Versorgungsgebiete existieren

150

Godehard Hennies

I I I . Privatisierung 1. Begriff der Privatisierung

Eine Typologie der Privatisierung

Verantwortung für die Leistungserstellung In ι privater Hend

In öffentlicher Hand



Finanzielle Privatisierung Privatisierung dutch Verkauf

Am tf«tarMlVMAOtf*r0b*dltB4rM

Betriebliche Verantwortung für Anlagen

Privatisierung durch Übertragung

Otartrefwif dtr VmntwortUAf «tri Prtv«tt

(

r

Rechtliche Privatisierung Kommunale

K«pNag l tMeKh«n In kotnrmmvlM Clpntum ölfefidtchn Unternehmen

ItipIWgmlMheA Infftarrtfctem Eg i entum

\

Privatisierung durch Delegation

Rechtsform des Betreibers

Recht

In privater Hand

In Hl öffentlicher

CffentHchet

Konzessionen

Mriaicto 0«Uf ation ém Birtb« Afilvgm In MtrtltetMfli oder pdrattm Etgwrtum Am End· Obwtmgung *n MtoiHtch· Trlpar

Λ

Formale Privatisierung Korporative Privatisierung

RieMtflhlg· AiutoKMteUehtn Rwfct»

Oemlacht-wlrtschefUlchea

Administrative Privatisierung

tUptelpMlKhefl tmhrMNeh InMMtfchim Pjtntum

CJgmtotrM« und VwMnd·

Abgeleitet aus dem Grundgesetzartikel und den Gemeindeordnungen sowie den Wassergesetzen ist zunächst einmal festzuhalten, dass es das Recht der Kommunen ist, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung grundsätzlich frei zu regeln. Sie haben damit die Wahl, dies in privater oder öffentlicher Hand umzusetzen, so dass sich daraus die finanzielle Privatisierung oder die Privatisierung durch Delegation oder die rechtliche Privatisierung oder formale Privatisierung ableiten lassen. Einige Verfassungen oder Wassergesetze einiger Länder weisen den Gemeinden dabei die Wasserversorgung als Pflichtaufgabe zu, so zum Beispiel Artikel 83 Abs. 1 Bayerische Verfassung, § 37a Abs. 1 Satz 1 Berliner Wassergesetz, § 54 Hessisches Wassergesetz, § 46 Abs. 1 Wasserge-

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

151

setz Rheinland-Pfalz, § 61 Abs. 1 Satz 1 Thüringisches Wassergesetz, § 57 Abs. 1 Satz 1 Sächsisches Wassergesetz.

2. Privatisierung in Deutschland und Europa a) Zusammenhang mit Konvergenzkriterien Gemäß Artikel 295 EGV, der die Eigentumsordnung in der Form anspricht, dass dieser Vertrag die Eigentumsordnung in verschiedenen Mitgliedsstaaten unberührt lässt, wird das Neutralitätsgebot im Hinblick auf öffentliches oder privates Eigentum festgeschrieben, so dass die Europäische Union diesbezüglich keinen Druck auf die Organisationsform der Durchführung der Daseinsvorsorge ausübt. Allerdings wird durch die Sektorenrichtlinie dafür gesorgt, dass private und öffentliche Auftraggeber sich im Wettbewerb gleich verhalten und gleichbehandelt werden sollen. Zum Neutralitätsprinzip muss noch dargestellt werden, dass es auf dieses sehr deutliche Auswirkungen im Hinblick auf die faktische Aufgabe gibt, da durch die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages gemäß Artikel 121 EG-Vertrag ein deutlicher Druck auf die Privatisierung bzw. zur Privatisierung ausgeübt wird. Denn bei der Prüfung der dauerhaften Konvergenz darf der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte, in den Kommunen, Verbände und Zweckverbände mit integriert sind, 3 % des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten; der öffentliche Bruttogesamtschuldenstand aller Bereiche des Staatssektors darf 60 % des Bruttoinlandsproduktes nicht erreichen. Klar wird damit auch in der dynamischen Entwicklung, dass Verkaufserlöse bei Vermögensprivatisierung den Schuldenstand direkt verringern und der Verkauf von Betrieben mit hohem Investitions- und Finanzierungsbedarf die Neuverschuldung auf den privaten Sektor überträgt und damit in indirekter Weise den Schuldenstand der öffentlichen Hand betrifft. Dass dies relevant ist, zeigt eine Zusammenstellung des Deutschen Instituts für Urbanistik nach Globus der Jahre 2000 - 2009 (siehe unten). Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) haben die Gemeinden in Deutschland bis zum Jahr 2009 einen Investitionsbedarf von insgesamt 686 Milliarden Euro. Das meiste Geld ist für die Bereiche Verkehr, soziale Infrastruktur sowie Wasser und Umwelt erforderlich. Für Straßen, Lärmschutz, öffentlichen Nahverkehr, Information und Steuerung werden 179 Milliarden Euro veranschlagt. Für Schulen, Krankenhäuser, Sport- und Kindertageseinrichtungen sind es 129 Milliarden Euro. Ähnlich hoch ist der Betrag für Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Abfallwirtschaft. Für die alten Bundesländer beziffert das Institut den Investitionsbedarf auf 475 Milliarden Euro; das sind 7117 Euro je Einwohner. Für die neuen Bundesländer lautet die

152

Godehard Hennies

Summe über 211 Milliarden Euro; das sind 13812 Euro je Einwohner, also fast das Doppelte des West-Bedarfs. Die kommunalen Investitionen sind ein wesentlicher Bestandteil der gesamtstaatlichen Investitionen. Fast zwei Drittel der öffentlichen Sachinvestitionen werden von den Gemeinden, ihren Krankenhäusern und Zweckverbänden getätigt (Globus, statistische Angaben: Deutsches Institut für Urbanistik).

Gemeinden blicken in die Zukunft Kommunaler Investitionsbedarf in Deutschland für die Jahre 2000 bis 2009 insgesamt

686 Milliarden Euro Verkehr

179 Mrd. Euro

Straßen, Lärmschutz, ÖPNV,Quartiersgaragen, Informationen, Steuerung

Soziale Infrastruktur

129

Wasser und Umwelt

125

Schulen, Krankenhäuser, Sport, Kindertageseinrichtungen

Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Abfallwirtschaft u.a. 48

Wohnungsbau Energieversorgung

42

Strom, Gas, Fernwärme, gemeinsame Einrichtungen 36

Erwerb von Grundvermögen 19

Verwaltungsgebäude 5

Telekommunikation

Quelle: difu-Schätzung

Sonstige Bereiche 103

An dritter Stelle stehen für Wasser und Umwelt in der Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Abfallwirtschaft insgesamt 125 MRD € an.

b) Erfahrungen

mit Privatisierungen

Erfahrungen mit der Privatisierung zeigen in Europa - ζ. B. England, Frankreich, Deutschland - ein gemischtes Bild:

aa) England 1989 wurde die Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung in England privatisiert. Mit einer Entschuldung von über 8 MRD Euro sowie einer weite-

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

153

ren Sonderzuwendung von etwa 2,6 Mrd. Euro wurden die zehn regionalen Wasser- und Abwasserunternehmen wettbewerbsfähig gemacht und zusätzlich mit einem Konzessionsvertrag über 25 Jahre ausgestattet. Die Auswirkungen sind bis heute ambivalent. Im Durchschnitt der Jahre 1989 bis 1999 hat sich der Preis für Wasser und Abwasser verdoppelt, selbst inflationsbereinigt ist dies noch eine Steigerungsrate von 46 %. In der Zeit sind diese gesamten Umsatzzuwächse als Dividende ausgeschüttet worden, insgesamt über 6 Mrd. Euro zwischen 1990 und 1997. Im Trockenjahr 1995 kam es zu Versorgungsengpässen in der Trinkwasserversorgung. Im Fall von „Yorkshirewater" machte die Aufsichtsbehörde die überhöhten Dividenden auf Kosten der Infrastrukturinvestitionen direkt für die Krise verantwortlich: „Die Direktoren und Aktionäre der britischen Wasserunternehmen haben ihre Monopolstellung dazu benutzt, den größten legalen Raub der britischen Geschichte zu organisieren" 31. Inzwischen gibt es eine bemerkenswerte Entwicklung, in der einige private Unternehmen zur Rekommunalisierung zurückdrängen, d. h. die Rückgabe der unrentablen Netz- und Anlagepflege in öffentliche Genossenschaften und somit den Rückverkauf an die Verbraucher.

bb) Frankreich Dort sitzen die größten Wasserversorger der Welt mit VIVENDI, ONDEO und SAUR. Etwa die Hälfte der Kommunen hat für Wasser und Abwasser Eigenbetriebe. Die restlichen Kommunen, die etwa 80 % der Bevölkerung versorgen, haben Leistungserstellung über Konzessionsverträge an die genannten privaten Unternehmen übertragen. Die Kommunen sind aber Eigentümer des Anlagevermögens und gegenüber den Kunden verantwortlich. Da es nur diese drei großen privaten Unternehmen gibt, ist der Wettbewerb sehr eingeschränkt und in den letzten 10 Jahren hat es Preissteigerungen von rd. 100 % gegeben. Die Problematik des französischen Konzessionssystems liegt aufgrund der langen Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten offen, da dadurch relativ gering innovativ gehandelt werden kann und weitgehend Wettbewerbsfreiheit entsteht, was der französische Rechnungshof schon öfter in Richtung Mangel an Transparenz der privaten Betriebsführung gerügt hat.

31

Zitat aus der Daily Mail 1999.

154

Godehard Hennies cc) Italien

Dort setzt sich der Konzentrationsprozess mit dem Zielwert von 150 bis 200 Organisationseinheiten weiter fort. Bis jetzt gibt es rund 11.000 Betreiber für 8.000 Kommunen. Dort setzt sich auch das französische Konzessionsmodell überwiegend durch, dass nämlich die Eigentümerin als Kommune verantwortlich bleibt und Betriebskonzessionen für maximal 20 Jahre über Ausschreibung an private Betreiber vergibt.

dd) Portugal Wasserver- und -entsorgung wird traditionell von den Kommunen durchgeführt. Die schlechte Qualität der Wasserdienstleistungen und die Auflagen der Europäischen Union, was die Wasserqualität angeht, haben zu einem Konzentrationsprozess und zur Trennung von Vergabekonzessionen geführt. Konzessionsnehmer sind überwiegend die Unternehmen im Eigentum der Kommunen aber - ähnlich wie in Deutschland - aus finanziellen Gründen sind künftig Verkäufe an private Firmen zu erwarten.

ee) Niederlande Per Gesetz ist ein Verbot für den Verkauf von Anteilen der Wasserver- und Abwasserentsorgung ausgesprochen (insofern Verbot der materiellen Voll- und Halbprivatisierung). Der Konzentrationsprozess der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung von mehreren Hundert von derzeit auf 20 ist erzwungen worden, man will das Ziel 10 Wasserver- und Wasserentsorger erreichen. Die Dienstleister sind in der Regel privatrechtliche Unternehmen der öffentlichen Hand. Benchmarking ist verpflichtend eingeführt worden.

ff) Deutschland Teilprivatisierungen sind in Deutschland zur Zeit in vollem Gange, insbesondere durch die PPP-Modelle und Minderheitsbeteiligungen privater Unternehmen vornehmlich an Stadtwerken. Beim Verbandsmodell ist es noch zu keiner Privatisierung insoweit gekommen, als Minderheitsbeteiligungen an Verbänden aufgetreten sind.

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

155

3. Ursachen dieser Diskussion - neben der Liberalisierung a) Gemeindefinanzen Aus der Sicht in Deutschland muss man zunächst einmal die katastrophalen Gemeindefmanzen nennen, die heute schon zu massiver formaler und materieller Privatisierung fuhren. Momentan wird vieles nach dem Motto „Gewinne privatisieren und Verluste kommunalisieren" angegangen, wie es der Vizepräsident des Deutschen Städtetages und Gemeindebundes, Heribert Thalmeyer, Bürgermeister von Starnberg, anlässlich der „KOMMUNALE 2001" am 8. November 2001 ausgeführt hat.

Entwicklung der öffentlichen Haushalte 2001 (Mrd. D M ) I. Ausgaben Bund

478,5

Länderest)

380,5

Gemeinden (West)

237,0

Länder

(Ost)

118,5 Gemeinden (Ost)

51,0

Sonderrechnungen des Bundes

83,5

Öffentlicher Gesamthaushalt

1.179

II. Einnahmen Bund Länder (West)

432,5

Gemeinden (West)

235,0

Länder

(Ost)

358,0

110,0 Gemeinden (Ost)

50,5

Sonderrechnungen des Bundes

82,5

Öffentlicher Gesamthaushalt

1.098,5

I I I . Finanzierungssaldo Bund

-46,5

Länder (West)

-22,5

Gemeinden (West)

-27,0

Länder (Ost )

-8,5

Gemeinden )

-0,5

Sonderrechnungen des Bundes Öffentlicher Gesamthaushalt

-1,5 -81

156

Godehard Hennies

Entwicklung der öffentlichen Schulden (Mrd. D M ) Jahr

Schuldenstand

1990

1.048,8

1991

1.165,5

1992

1.329,7

1993

1.497,2

1994

1.643,1

1995

1.974,1

1996

2.091,3

1997

2.188,7

1998

2.258,4

1999

2.313,9

Die Verschuldung der Gemeinden und Gemeindeverbände ist dabei von 136,9 Mrd. D M aus 1991 auf 172,9 Mrd. D M in 1999 gestiegen. Die Zinssteuerquote, die den Anteil der Zinsausgaben an den vorbehaltenen Steuern dokumentiert, wurde für 1999 mit 20,9 % Kommunen neue Bundesländer bzw. 9,3 % alte Bundesländer ausgewiesen. Dass bei der Entwicklung auch die Aufsichtsbehörden der Kommunen eine gewichtige Rolle spielen zeigt beispielhaft der Artikel aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), dass die Bezirksregierung in Hannover die finanziell stark angeschlagene Stadt intensiv darauf hinweist, die Anteile an den Stadtwerken Hannover zum Haushaltsausgleich meistbietend zu verkaufen. Dabei zahlen diese Stadtwerke neben Konzessionsabgaben auch noch einen erheblichen Anteil in den städtischen Haushalt über eine weitere Gewinnabführung.

b) Wachstumsmarkt Weiterer Grund für die Diskussion, die uns in Zukunft noch begleiten wird, ist das Interesse der Banken und Unternehmen am Wassermarkt als Wachstumsmarkt, wobei inzwischen nicht nur Ertragsgesichtspunkte, sondern auch die Besonderheit dieses „Wassermarktes" erkannt wird. Aspekte wie die m. E. große Problematik um das Cross-Border-Leasing oder die Diskussion um Basel II und die Auswirkungen auf die Gewährträgerhaftung der Kommunen sind aktu-

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

157

eile und mittelfristige Begleitumstände dieser Sichtweise der Banken. Auf den Investitionsbedarf hatte ich ebenso hingewiesen wie auf die Fragestellungen des zuständigen Finanzmanagements, Liquiditätssteuerung, Zinsmanagement usw.

c) Preise Ebenfalls als wesentlicher Grund fur Privatisierung wird der hohe Preis des deutschen Wassers genannt.

4

Abbildung 22: Anteil der Trinkwasserkosten am verfügbaren Einkommen im europäischen Vergleich

C

0.1

0,2

0.3

0.4

0.5

0.6

158

Godehard Hennies

H Wasserpreis

Quelle: BGW-Wasserstatistik 2001 In der Vergleichsübersicht aus Europa wird sichtbar, wie das Verhältnis von Einkommen zu Wasserpreis bzw. der Anteil am Gesamteinkommen in den unterschiedlichen europäischen Ländern aussieht. In der zweiten Übersicht wird eine Aufschlüsselung der Möglichkeiten der Preisreduzierung aufgeführt. Das Argument des hohen Preises als Grund für die Privatisierung kann damit widerlegt werden. Der Wasserpreis ist gemessen am verfügbaren Einkommen einer 4-köpfigen Familie in Europa nicht auffallend. Des Weiteren kann der Wasserpreis, wie nachgewiesen, durch unterschiedliche Entscheidungen weit gestaltet werden. Allerdings geben die EG-WRRL und die nationalen Gesetze Kostendeckung vor.

I V . Modernisierung 1. Entwicklung und Verbesserung der bestehenden Systeme Die Kommission hat sich in den Bereichen der Leistungen der Daseinsvorsorge, die nicht Gegenstand der sektoralen Berichterstattung oder der horizonta-

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

159

len Evaluierung im Rahmen des Cardiff-Prozesses sind (also ζ. B. Wasser / Abwasser), für eine Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zwecks Einfuhrung eines Benchmarking-Systems bereit erklärt. Insgesamt schlägt die Kommission zur Weiterentwicklung die schon oben genannten Maßnahmen vor.

2. Auffassung des Bundestages Ausgangspunkt der neuen Begrifflichkeit „Modernisierung" ist der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 21. März 2002 32 , in der der Bundestag feststellt: „In Deutschland ist jederzeit und allerorts gesicherte Versorgung der Bevölkerung mit hygienisch einwandfreiem Wasser traditionell eine Kernaufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit der Kommunen ... Vor diesem Hintergrund schließt sich der Deutsche Bundestag den Beschlüssen der Umwelt- und Innenministerkonferenzen der Bundesländer, der Kommunalen Spitzenverbände, der Verbandsvertreter der Deutschen Wasserwirtschaft an. Diese haben sich gegen eine grundlegende Neuordnung der Strukturen der Deutschen Wasserwirtschaft durch die Streichung des kartellrechtlichen Tatbestandes nach § 103 GWB (a. F.) und gegen eine Liberalisierung des Deutschen Wassermarktes ausgesprochen. Auch das Umweltbundesamt äußert in seinem Gutachten ,Liberalisierung der Deutschen Wasserversorgung 4 vom November 2000 erhebliche Bedenken. Gleichwohl ist der Deutsche Bundestag der Auffassung, dass es Modernisierungsbedarf in der Wasserwirtschaft gibt. II. Daher fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, eine Modernisierungsstrategie für die Deutsche Wasserwirtschaft zu entwerfen mit den Kernpunkten der Einführung eines Verfahrens zum Leistungsvergleich zwischen Unternehmen (Benchmarking), des Einsatzes bestehender und neu zu entwickelnder Instrumente des Qualitätsmanagements sowie moderner Managementsysteme der Unternehmens- und Mitarbeiterführung, Prüfung mit den Ländern, welche positiven und negativen Folgen der Vereinheitlichung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes zu erwarten sind, dass im Weiteren unter 2. die kommunale Entscheidungshoheit erhalten bleibt, mit der Möglichkeit, die Qualitätsstandards zu sichern, dass die Wettbewerbsfähigkeit gefördert wird durch die Schaffung größerer international handlungsfähiger Betriebseinheiten, dass in Ausbildung, Forschung und Wissenstransfer die weitere Qualifizierung des Personals notwendig ist und insbesondere die Internationalisierung angeregt

32

Siehe dazu bereits Fn. 18.

160

Godehard Hennies

wird. Darüber hinaus die Stipendien- und Austauschprogramme, die Einrichtung eines entsprechenden Fonds, die Möglichkeiten des Wissenstransfers genutzt werden, dass der erhebliche potentielle Wettbewerbsvorteil der Deutschen Wasserwirtschaft in innovativen Techniken und Verfahren durch die Forschung und Entwicklung weiter gestärkt wird, dass die Wasserpolitik und die Nachhaltigkeitsstrategie unter 6. in den Gesamtrahmen eines nationalen Umweltplanes einzubetten ist, für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Deutsche Wasserwirtschaft und dass der Erhalt der Ressource Wasser nicht nur im Umweltressort, sondern auch in Verantwortung aller anderen, insbesondere der Landwirtschaft, der Wirtschaft, der Verkehrspolitik, als Querschnittsaufgabe organisiert wird". Dabei darf man insgesamt bei dieser Modernisierungsstrategie nicht vergessen, dass in den 16 Bundesländern durchaus noch unterschiedliche Meinungen herrschen, wenn man einmal etwa die Beschlusslage der Innenministerkonferenz oder die Wirtschaftsministerkonferenz betrachtet. Als einen wichtigen Schritt dieser Modernierung kann das Benchmarking als learing of the best angesehen werden.

3. Benchmarking beim Wasserverbandstag (WVT) Um das Benchmarking-System des Wasserverbandstages anschaulich zu machen, müssen zuerst die Zusammenhänge der Teilaspekte geklärt werden. Beim Kennzahlenvergleich kommt es eben auf die verschiedenen Leistungszahlen an, die in ein Verhältnis zueinander gesetzt sind. Dementsprechend werden Hauptkennzahlen herausgefiltert, welche in einer Struktur zusammengefügt sind und alle in den Bewertungsprozess einfließen. Daneben werden dann unterhalb der einzelnen Hauptkennzahlen wiederum einzelne Benchmarking-Gesichtspunkte erfasst. Graphisch aufbereitet lässt sich das ganze System des Wasserverbandstages folgendermaßen darstellen:

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

Hauptkennzahlen Zusammenhang der Teilaspekte

Kunden / Service

Finanzen

Wasserressourcen I Umwelt

Kundenbefragung

Mitarbeiterbefragung Anlagen und Prozesse

PROZESS - B E N C H M A R K I N G

4m 11 Pitschas/Ziekow

Mitarbeiter/ Innovation

161

162

Godehard Hennies Benchmarking

Ressourcenherkunft Wasser

Ressourcen-

Soziale Nachhaltigkeit

Schutz

Nach-

Wasser

haltigkeit Substanz-

Ressourcen-

Erhaltung

Verbrauch

(technisch, ökonomisch)

Wasser, Energie, Rohstoffe

^L/JIJ ii/V. V/i » J,

V. Ausblicke Folgende Ausblicke lassen sich an dieser Stelle als Forderungen thesenartig zusammenfassen: 1. Die Gleichberechtigung der Interessen der Daseinsvorsorge müssen im EGVertrag berücksichtigt werden, ζ. B. indem Art. 2 und 3 EG-Vertrag angepasst werden. 2. Es soll keine Liberalisierung bzw. keine Ausschreibungspflicht i. S. der Liberalisierung geben. 3. Die Maßnahmen der Kommission können grundsätzlich mitgetragen werden. Fraglich sind sie allerdings hinsichtlich einer Richtlinie zur Daseinsvorsorge. Dabei gilt es insbesondere die Rechtssicherheit zu beachten und daneben die Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung aufmerksam mit zu verfolgen. 4. Es ist die Aufgabe von Bund und Ländern, die Kommunalfinanzen aufgabengerecht gegenzufinanzieren. Folgende Zielvorstellungen lassen sich entwickeln: -

Das öffentlich-rechtliche Monopol soll nicht durch ein privates ersetzt werden.

(Ab-)Wasserwirtschaft der Kommunen im europäischen Kontext

-

163

Die Wasserver- und Abwasserentsorgung verträgt sich nicht mit den Aspekten der Gewinnmaximierung.

Weitere Fragen oder Aspekte, die in der Entwicklung zu berücksichtigen sind, sind daneben noch: -

Wie wird der WTO-Prozess weiterhin verlaufen?

-

Die Wirtschaftsministerkonferenz prüft die Liberalisierung. Welches Ergebnis ist dabei zu erwarten?

-

§ 1 a I I I WHG ist in den Ländergesetzen zu verankern.

-

Wie sieht es mit der Umsatzsteuergleichbehandlung aus?

-

Das Benchmarking muss auf jeden Fall freiwillig bleiben, damit es nicht wie in den Niederlanden abläuft.

-

Synergieeffekte sind auszunutzen durch Bildung von Wasser- und Bodenverbänden bzw. Zweckverbänden.

-

Es sollte ein Wahlrecht für den Wiederbeschaffiingszeitwert bei der Abschreibung geben.

-

Die Frage des § 18a WHG ist zu stellen: Soll eine Übertragung der Abwasserentsorgung auf private Dritte durch Landesgesetze zugelassen werden?

11

Public Private Partnership in der Abwasserwirtschaft am Beispiel der Stadt Ludwigshafen Von Peter Lubenau

I. Liberalisierung auf dem (Ab-)Wassermarkt Die seit einigen Jahren andauernde Liberalisierung des Energiemarktes hat die Diskussion über die Möglichkeiten auf dem Wassermarkt und damit auch in der Abwasserentsorgung in vielen deutschen Gebietskörperschaften auf breiter Front ins Rollen gebracht. In der Diskussion sind verschiedene Modelle der öffentlich-privaten Zusammenarbeit in unterschiedlichen Rechts- und Gesellschaftsformen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass im Gegensatz zur Versorgungswirtschaft fur den Bereich einer Gebietskörperschaft u.a. in Rheinland-Pfalz lediglich die Aufgabenerfüllung, nicht aber die Abwasserbeseitigungspflicht an einen privaten Dritten übertragen werden kann. Bei der Frage der wirtschaftlichsten Gesellschaftsform können sich erhebliche Vorteile in der Erfüllung der Aufgabe durch einen öffentlichen Partner, durch einen Privaten oder durch ein Gemeinschaftsunternehmen ergeben.

I I . Wirtschaftsbetrieb und Stadtentwässerung Ludwigshafen Die Stadtentwässerung Ludwigshafen wurde bis zum Jahr 1991 als Regiebetrieb und Abteilung im Tiefbauamt der Stadtverwaltung Ludwigshafen / Rhein geführt. Die Abteilung Kanalbetrieb hatte bereits zu diesem Zeitpunkt eine Kostenrechnung und eine Betriebsabrechnung, die allerdings wesentlich pauschalere Verrechnungen beinhaltete, als dies heute der Fall ist. Im Jahr 1991 wurde der Eigenbetrieb Abwasserbeseitigung der Stadt Ludwigshafen / Rhein (später Stadtentwässerung) gegründet, der bis 1997 als selbständiger Eigenbetrieb innerhalb der Stadtverwaltung Ludwigshafen / Rhein bestand. Im Jahr 1997 wurde aus mehreren Eigenbetrieben, eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen und ehemaligen Ämtern der „Wirtschaftsbetrieb der Stadt Ludwigshafen / Rhein (WBL)" gegründet, in dem auch die Stadtentwässerung aufging.

Peter Lubenau

166

Wirtschaftsbetrieb Ludwigshafen (WBL)

Spartenleitung j

Planung

j|

I 1

1

Waiserrecht

Großbaumaßnahmen j Kleinbaumaßnahmen j

I j

Betrieb

j S Betriebsverwaltung

I Ι

Netzbetrieb

1

Allgemeine Planung Dokumentation

1

1

Grundstücksentwftsserung

j

Bauleitung

j

|

I

η Einkauf

1

1 Lagerverwaltung

1 I Entgelte j [Verträge j

Stadtentwässerung Ludwigshafen

Abwasserlabor

1

Rechnungswesen

j Pumpwerke · Maschinen j 1 Zentrale Überwachung j

j j

1

J Pumpwerke · Steuerung j

Abwasserkontrolle

|

I

Penonalverwaltung

1 Ί

J

j

1 j

Erlaubnisse

|

j Indirekteinleiterkataster |

"

|

]

I

PPP in der Abwasserwirtschaft am Beispiel der Stadt Ludwigshafen

167

I I I . Privatisierungen in der Abwasserwirtschaft in Deutschland Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern Großbritannien und Frankreich ist der Grad der Privatisierung der Unternehmen der Wasser- und Abwasserwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland bisher noch relativ gering. Während in Frankreich etwa 77% der Wasser- und 60% der Abwasserwirtschaft in privater Hand sind, gilt dies für Deutschland nur für 8% der Wasserwirtschaft bzw. 4% der Abwasserwirtschaft. Selbst unter Berücksichtigung privater Minderheitsbeteiligungen an kommunalen Unternehmen liegt der Privatisierungsgrad der Wasserversorgung in Deutschland bei etwa 15%, der der Abwasserbeseitigung bei etwa 10%. In Großbritannien ist der Prozentsatz der privaten Wasserversorgung bzw. Abwasserentsorgung demgegenüber mit etwa 87 / 88% noch höher als in Frankreich. Die Möglichkeiten, Wasser und Abwasser kommunal oder privat zu organisieren, sind vielfältig und unterliegen entsprechend der jeweiligen Organisationsform unterschiedlichen gesetzlichen, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Bedingungen.

Größere Public-Private-Partnerships in der deutschen (Ab-)Wasserwirtschaft

Wamow-Wasser- und Abwasserverband

1993

Eurawasser

Betreibervertrag

Hansewasser

Verkauf 74,9 %

(Hansestadt Rostock und Umgebung)

Stadtentwässerung Hansestadt Bremen

199Θ

(SWB AG + Gelsenwasser)

Berliner Wassertetriebe

1999

RWE, Vivendi, Allianz

Verkauf 49 %

IV. Gründe für Privatisierung 1. Allgemein Der zur Frage der Privatisierung von bisher öffentlich erbrachten Dienstleistungen am häufigsten genannte Grund ist die Entlastung der kommunalen Haushalte. Die Finanzsituation speziell der kommunalen Gebietskörperschaften zwingt die Mandatsträger zunehmend, sich mit den Fragen der wirtschaftlichsten Aufgabenerbringung offensiv auseinander zu setzen.

168

Peter Lubenau

Als weitere Punkte werden ins Feld gefuhrt und von einer Privatisierung erwartet: •

Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit



Steigerung der Effektivität.

2. Stadt Ludwigshafen Als Gründe, in der Stadt Ludwigshafen eine Lösung unter Einbeziehung eines privaten Partners anzustreben, können genannt werden: •

Topografie



Größe der Anlage



BASF höhere Handlungsfähigkeit als Wirtschaftsunternehmen



Betrieb durch größten Nutzer



Vermarktungsmöglichkeit freier Kapazitäten - Klärschlamm - Abwasser per Rad - Abwasser aus weiteren Kommunen. 3. Nachteil der privaten Gesellschaftsform



Alle Leistungen steuerpflichtig - Betriebskosten - Abwasserabgabe

V. Vertragsbestandteile und Abrechnungsmodalitäten Die im Jahr 1976 zwischen der BASF AG und der Stadt Ludwigshafen/ Rhein geschlossene Vereinbarung enthält die wesentlichen Punkte, die auch nach heutigen Gesichtspunkten ein Vertrag zwischen einem öffentlichen und einem privaten Partner enthalten sollte. Allerdings würde nach den derzeitigen Maßstäben ein solch weitreichender Vertag sicherlich deutlich umfangreicher ausfallen als die siebenseitige Vereinbarung mit insgesamt 10 Paragrafen. Die beiden Anlagen, die die Abrechnungsmodalitäten regeln, sind mit einem Umfang von acht Seiten länger als der eigentliche Text der Vereinbarung. Nach heutigen Gesichtspunkten müßten in einer solchen Vereinbarung mindestens die folgenden Aspekte geregelt werden:

PPP in der Abwasserwirtschaft am Beispiel der Stadt Ludwigshafen •

Ziele der Parteien



Pflichten des Privaten



Rechte der Kommune(n)



Höhe des Entgelts



Anpassung des Entgeltes



Vertragslaufzeit



Vertragsbeendigung (auch vorzeitig)



Vertragsende (Anlagevermögen, Personal).

169

Die Vereinbarung von 1976 enthält aber noch zwei weitere aus Sicht der Stadt Ludwigshafen wichtige Einzelpunkte, •

zum Einen können Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung nur in gegenseitigem Einvernehmen getroffen werden,



zum Anderen ist vereinbart, dass eine Prüfung der Abrechnungsunterlagen der BASF durch die Kommune jederzeit möglich ist.

Die relativ allgemein gefaßten Formulierungen der Vereinbarung haben zur Folge, daß sich das Vertragsverhältnis im Laufe der Jahre stetig weiterentwickeln und sich den Notwendigkeiten beziehungsweise den veränderten gesetzlichen und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen konnte. Im Laufe der letzten Jahre hat sich die Situation auch innerhalb der BASF AG verändert. So wird die Kläranlage faktisch heute kostenmäßig als eigener Betrieb geführt. Die Kläranlage rechnet nicht nur gegenüber den angeschlossenen Kommunen, sondern auch gegenüber den einzelnen Betrieben auf dem Gelände der BASF detailliert ab. Die Entwicklung des Konzerns hat sich inzwischen soweit entwickelt, daß auf dem Betriebsgelände der BASF auch Fremdfirmen angesiedelt wurden, die sich teilweise aus BASF-eigenen Betrieben herausgebildet haben. Insofern ist der Kostendruck auf den Betrieb der BASFKläranlage nicht nur aus den Reihen der angeschlossenen Kommunen, sondern auch aus den BASF-eigenen Betrieben erheblich und nimmt täglich zu. In der folgenden Tabelle sind die Abrechnungsmodalitäten der BASF-Kläranlage dargestellt, wie sie in der Vereinbarung zwischen BASF und den angeschlossenen Kommunen vereinbart sind. Insbesondere werden drei Anlagenteile unterschieden: •

Zuleitungssammler



Abwasserreinigung



Schlammbehandlung.

Zusätzlich erfolgt dann noch die Unterscheidung zwischen Investitionskosten, festen und variablen Betriebskosten und Kosten der Abwasserabgabe.

Peter Lubenau

170

Abrechnungsmodalitäten BASF Kläranlage

Investitionskosten

Zuleitungssammler

Abwasserreinigung

Schlammbehandlung

Kontingent

Kontingent

Kontingent

Betriebskosten - Festanteil

Kontingent

Kontingent

Kontingent

Betriebskosten - variabler Anteil

Jahresmenge

Jahresmenge

Jahresmenge

Abwasserabgabe

Jahresmenge

Abrechnungsmodalitäten BASF Kläranlage

Während Investitionskosten und der Festanteil an den Betriebskosten nach festgelegten Kontingenten abgerechnet wird, erfolgt die Abrechnung des variablen Anteils an den Betriebskosten und an der Abwasserabgabe entsprechend der jeweiligen Jahresabwassermenge.

VI. Grundsätzliche Punkte zur Zusammenarbeit BASF - Stadt Ludwigshafen 1. Technisch / wirtschaftliche Zusammenarbeit Der Betrieb einer gemeinsamen Kläranlage erfordert wie jede positive Zusammenarbeit sowohl in wirtschaftlicher als auch in technischer Hinsicht eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende Abstimmung. Daher findet einmal jährlich, üblicherweise im September, um die Ergebnisse dieser Besprechung noch in die jeweiligen Wirtschaftspläne des nächsten Jahres einarbeiten zu können, eine gemeinsame Besprechung aller an die Kläranlage angeschlossener Kommunen mit der BASF statt. In diesem Jahresgespräch werden die folgenden Punkte besprochen: a) Laufendes Geschäftsjahr -

Entwicklung der Betriebskosten

-

Entwicklung der Investitionen

-

Stand Abwasserabgabe Schmutzwasser

PPP in der Abwasserwirtschaft am Beispiel der Stadt Ludwigshafen

171

b) Kommendes Geschäftsjahr -

Vorausberechnung Betriebskosten

-

Vorausberechnung Investitionskosten

-

Entwicklung Abwasserabgabe Schmutzwasser c) Folgejahre

-

mittelfristige Investitionsplanung

-

Entwicklung Abwasserabgabe

d) Besondere Punkte -

Entwicklung externer Geschäftsfelder (Klärschlamm, Abwasser) e) Technische Fragen

-

Kapazitätsauslastung (Abwasserreinigung, Klärschlammverbrennung)

Natürlich kann sich eine Zusammenarbeit auf einem solch umfangreichen Gebiet nicht auf eine einzige Besprechnung im Jahr beschränken, sondern je nach Gesprächsbedarf werden zusätzlich bilaterale oder multilaterale Termine vereinbart. 2. Technische Zusammenarbeit a) Qualitätsmessung •

Meßstationen der BASF an allen Übergabepunkten an das Netz der BASF



Messung erfolgt in den Gebäuden der Übergabepumpwerke der Stadtentwässerung Ludwigshafen



Gebäude errichtet und unterhalten durch Stadtentwässerung Ludwigshafen



Betreiber der Messeinrichtungen BASF



Entnahme der Proben täglich durch Mitarbeiterinnen der BASF



Monatliche Meldung der gemessenen Werte

172

Peter Lubenau b) Mengenmessung



An den Übergabepunkten durch Stadtentwässerung



Kontrollmessungen durch BASF innerhalb des Werksgeländes



Monatlicher Abgleich der gemessenen Daten c) Nebeneffekt



Notstromversorgung des Hauptpumpwerkes der Stadtentwässerung über das Werksnetz der BASF, völlig unabhängig vom Stadtnetz der TWL, daher keine Notstromaggregate an dieser Stelle erforderlich

V I I . Entwicklung der BASF Kläranlage Die BASF-Kläranlage ist auf die folgenden Kapazitätswerte ausgelegt: Abwassermenge: Gesamtabwassermenge 1 4 m 3 / Sekunde entspricht 49.320 m 3 / Stunde Zum Vergleich: 250.000.000 m 3 / Jahr entspricht 28.500 m 3 / Stunde BSB 5: 370 Tonnen / Tag zum Vergleich: 120.000 Tonnen / Jahr entspricht 330 Tonnen / Tag Feststoff (Schlamm): 440 Tonnen / Tag zum Vergleich: 120.000 Tonnen / Jahr entspricht 330 Tonnen / Tag

PPP in der Abwasserwirtschaft am Beispiel der Stadt Ludwigshafen

173

V I I I . Projekte in der Zusammenarbeit BASF Stadt Ludwigshafen 1. Erhöhung des Kapazitätsanteils der Stadt Ludwigshafen an der BASF-Kläranlage Aufgrund einer Forderung der Wasserbehörde mußte die Stadt Ludwigshafen die Zulaufmenge zur Kläranlage von 1,15 m 3 / s auf 1,65 m 3 / s erhöhen. Da die BASF freie Kapazitätsanteile zur Verfügung hatte, bot es sich an, dass die BASF freie Kapazitäten an die Stadt Ludwigshafen verkauft. Die BASF war auch grundsätzlich bereit, die erforderliche Kapazität zur Verfügung zu stellen. Folgende Fragen waren allerdings zu klären: a) Welche Parameter werden bei der Kapazitätserhöhung in Ansatz gebracht? •

Wasser



BSB5



Schlamm b) Welche Anlagenteile sind betroffen?



Zulaufkanal



Abwasserreinigung



Schlammbehandlung c) Welche Kosten sind anzusetzen?



Herstellungskosten



Wiederbeschaffiingskosten



Restbuchwert d) Sind die angesetzten Kosten zu verzinsen?

Aus den unterschiedlichen Ansätzen ergaben sich erheblich unterschiedliche Kosten für den von der Stadt Ludwigshafen benötigten Anteil an der Kläranlage.

174

Peter Lubenau 2. Kapazitätsanpassung der Abwasserreinigung (Anteil BASF)

Aufgrund des Rückgangs der Abwassermengen aus dem Gelände der BASF hat die BASF einen zu hohen Kapazitätsanteil an der Abwasserreinigung. Daraus ergibt sich, dass die Kläranlage bei den heutigen Zulaufmengen nicht wirtschaftlich betrieben werden kann und die nicht mehr erforderlichen Becken in eine Rückhaltung im Regenfall (nur für die BASF erforderlich) umgebaut werden sollen. Folgende Szenarien sind denkbar: •

Investition wird nur von BASF getragen



Investition wird anteilig von allen Nutzern getragen



Festanteile an Investitions- und Betriebskosten werden der neuen Situation angepaßt, das bedeutet eine Erhöhung der Festkostenanteile der Kommunen



Festanteile an Investitions- und Betriebskosten bleiben erhalten.

Im Ergebnis beteiligen sich die Kommunen an der Investition, im Gegenzug bleiben die Festanteile an Investitions- und Betriebskosten erhalten. Durch die Reduzierung der Kapazität in der Abwasserreinigung wird sich die Wirtschaftlichkeit des Anlagenbetriebes erhöhen, so dass sich die Investition der Kommunen (und natürlich auch der BASF) innerhalb weniger Jahre rechnet. 3. Verrechnung der Abwasserabgabe (Schmutzwasser) mit Investitionsaufwendungen a) Beschreibung der Problematik Die BASF-Kläranlage wird durch das Land Rheinland-Pfalz fur die Einleitung von Schmutzwasser in den Rhein zur Zahlung von Abwasserabgabe herangezogen. Die Verteilung der Kosten auf die einzelnen Einleiter (Kommunen wie Betriebe der BASF) erfolgt seitens der BASF entsprechend der jeweiligen Frachtanteile. Im Gegenzug werden diesen Abgaben die abgaberelevanten Investitionen der Einleiter bzw. die abgaberelevanten Maßnahmen auf der Kläranlage anteilig gegengerechnet und gutgeschrieben. Während die Betriebe der BASF bereits seit Jahren Investitionen gegen die Abwasserabgabe verrechnen können, war dies in der Vergangenheit für die Kommunen nicht möglich, da auf der Kläranlage in letzter Zeit keine schmutzfrachtreduzierenden Investitionen getätigt wurden. Diese Möglichkeit ergibt sich erstmals und zeitlich befristet durch die Maßnahme „Nitrifikation" auf der Kläranlage. Die von der Stadt Ludwigshafen für das Projekt „Nitrifikation" zu

PPP in der Abwasserwirtschaft am Beispiel der Stadt Ludwigshafen175 zahlenden Investitionskosten können mit der Abwasserabgabe für die Einleitung von Schmutzwasser in den Rhein verrechnet werden. b) Forderung der Kommunen Die Kommunen haben bei der BASF einen Verrechnungsansatz gefordert, die für diese spezielle Maßnahme eine bevorzugte und möglichst vollständige Verrechnung der von der Stadt Ludwigshafen und den anderen angeschlossenen Kommunen geleisteten Investitionen ermöglicht. c) Lösung Die BASF hat daraufhin einen Vorschlag zur Verrechnung der Abwasserabgabe für Schmutzwasser unterbreitet, der sich an den Aufwendungen für den Parameter NH4-N orientiert und damit zu einer Besserstellung der Kommunen als bei dem Ansatz der gesamten Aufwendungen in der BASF führt. Durch eine Beispielrechnung anhand der hochgerechneten Zahlen für die Jahre 1998 bis 2000 wird deutlich, dass durch den gewählten Ansatz eine Rückerstattung von etwa 90,5 % der Investitionskosten erfolgt, wogegen bei dem gegenüber den Betrieben der BASF üblichen Ansatz nur etwa 69,5 % der Aufwendungen erstattet werden.

IX. Zusammenfassung Bereits seit Mitte der 70er Jahre besteht in der Stadt Ludwigshafen eine öffentlich-private Zusammenarbeit im Abwasserbereich. Die von der BASF betriebene Kläranlage reinigt das Abwasser der BASF, der Städte Ludwigshafen und Frankenthal sowie der Gemeinde Bobenheim-Roxheim. Die topografischen Gegebenheiten, die Tatsache, dass es für eine eigene Kläranlage der Stadt Ludwigshafen praktisch keinen wirtschaftlich vertretbaren Standort gab, sowie die erwartete Wirtschaftlichkeit im Betrieb führten in der ersten Hälfte der 70er Jahre zu der zwischen der Stadt Ludwigshafen und der BASF getroffenen Vereinbarung zum Bau einer gemeinsamen Kläranlage. Außerdem war für die Entscheidung über den Betreiber der Kläranlage das Verhältnis der Abwassermengen von elementarer Bedeutung. Aus den genannten Gründen bot sich die Übergabe des städtischen Abwassers an definierten Punkten in das Kanalnetz der BASF als wirtschaftlichste Lösung an. Elementare Grundvoraussetzungen für das gemeinsame Interesse an einem wirtschaftlichen Betrieb der Anlage sind u.a. verschiedene Bestandteile der

176

Peter Lubenau

1976 zwischen der Stadt Ludwigshafen und der BASF abgeschlossenen Vereinbarung. Beispielsweise können wesentliche Fragen gemeinsamen Interesses nur im Einvernehmen zwischen BASF und Stadt Ludwigshafen entschieden werden. Außerdem trägt die Systematik der Abrechnung zum gemeinsamen Interesse am wirtschaftlichsten Betrieb der Kläranlage erheblich bei. Die öffentlich - private Zusammenarbeit zwischen dem Weltunternehmen BASF und seinem Heimatstandort Ludwigshafen mit dem Betrieb der gemeinsamen Kläranlage ist eine aus Sicht der Stadt seit mehr als 25 Jahren immer wieder neu geschriebene Erfolgsgeschichte.

Vergaberechtliche Probleme einer Liberalisierung des Ö P N V Von Lutz Horn

I. Vorbemerkung Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) steht im Zusammenhang mit dem Stichwort Vergaberecht gegenwärtig zunehmend im öffentlichen Interesse. Erinnert sei hier nur an den breit in den Medien abgehandelten erfolgreichen Nachprüfungsantrag des großen Verkehrsunternehmens Connex, wo dem Land Sachsen-Anhalt Anfang Juni 2002 die rechtswidrige Vergabe von Nahverkehrsbeförderungsleistungen an die DB AG bescheinigt worden ist. 1 Ende Juli 2002 hat der Vergabesenat beim OLG Düsseldorf eine Entscheidung der Vergabekammer Düsseldorf korrigiert, wonach staatliche Subventionen bei der Prüfung von Angeboten für Beförderungsleistungen für den ÖPNV in der Wertung berücksichtigt werden müssten.2 Das ist folglich also nicht der Fall. Anfang September hat schließlich der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Kommunen die Vergabe von Nahverkehrsdienstleistungen künftig auch an solche Umweltkriterien knüpfen können, die nur wenige Bieter zu erfüllen imstande sind.3 Diese Entscheidungen haben in Deutschland bereits Auswirkungen auf die Gesetzgebung gehabt. Gleichwohl hat dies streng genommen nichts mit dem Thema dieses Vortrags zu tun. Denn vergaberechtliche Probleme einer Liberalisierung des ÖPNV münden nicht in die Frage, ob die Beauftragung von Verkehrsdienstleistungen durch die öffentliche Hand ausschreibungspflichtig sind. Wie nachfolgend zu erörtern sein wird, ist diese Frage seit vielen Jahren geklärt und zu bejahen. Vergaberechtliche Probleme einer Öffnung der Märkte für Beförderungsleistungen im Personennahverkehr konzentrieren sich statt dessen auf komplexe Folgeprobleme, die darin bestehen, dass die öffentliche Hand, die in Deutsch-

1 2 3

V K Magdeburg, Beschl. vom 6.6.2002 - V K 05 / 02 - . OLG Düsseldorf, Beschl. vom 26.7.2002 - Verg 22 / 02 - . EuGH, Urt. vom 17.9.2002 - Rs C-513 / 99

12 Pitschas/Ziekow

178

Lutz Horn

land traditionell den ÖPNV nahezu exklusiv betreibt, ihr geschütztes Refugium verlassen und in Konkurrenz zur Privatwirtschaft treten muss. Im Einzelnen:

I I . Was bedeutet Wettbewerb im ÖPNV? Nach dem Verständnis der EU-Kommission bedeutet Wettbewerb im ÖPNV einen „Wettbewerb um den Markt" (sogenannter intramodaler Wettbewerb), der von dem sogenannten intermodalen Wettbewerb, d. h. einem Wettbewerb zwischen verschiedenen Verkehrstypen (etwa Bus-Schiene) abzugrenzen ist. Beim Wettbewerb um dem Markt erhalten Verkehrsunternehmen (VU) durch die zu erwerbenden Verkehrsgenehmigungen („Konzessionen") eine besondere Rechtsstellung. Dieses Ausschließlichkeitsrecht zum Betreiben von Nahverkehrslinien bedarf der Rechtfertigung durch ein diskriminierungsfreies, rationales und zielorientiertes, d. h. von sachlichen Erwägungen geleitetes Auswahlverfahren. Gewollt ist ein sogenannter „kontrollierter Markt" im Binnenmarkt, der eine Synthese aus dem monopolistisch geprägten „geschlossenen Markt" und dem völlig freien, sogenannten „deregulierten Markt" darstellt.

I I I . Wie will die EU-Kommission dieses Ziel erreichen? Maßnahmen zur Marktliberalisierung berühren im öffentlichen Personennahverkehr in erster Linie beihilferechtliche Gesichtspunkte. Das beruht darauf, dass nach Auffassung der EU-Kommission öffentlicher Personennahverkehr bei Gewährleistung einer ausreichenden Grundversorgung der Bevölkerung mit Verkehrsdienstleistungen ohne staatliche Zuschüsse nicht zu realisieren ist. Diese Sichtweise trifft nach den bisherigen Erfahrungen sicherlich auch für den deutschen ÖPNV zu. Der Bogen zwischen Beihilfe- und Vergaberecht wird dadurch geschlagen, dass ein im Wettbewerb (d. h. durch Ausschreibung) ermitteltes wirtschaftlichstes Angebot eine unzulässige Beihilfe grundsätzlich nicht enthalten kann. Die EU-Kommission beabsichtigt deshalb, die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für erlaubte Beihilfen im ÖPNV zu ändern und Ausschreibungspflichten zu verschärfen. Im Mittelpunkt steht dabei eine Neufassung der sogenannten Verkehrs Verordnung 1191/69. Der Verordnungs-Entwurf 4 vom 26.7.2000 (sogenannte „EU-ÖPNV-Liberalisierungsverordnung", im Folgenden VO-Entwurf) sah deshalb eine grundsätzliche Ausschreibungspflicht für alle

4

K O M (2000) 7 endg. - 2000 / 0212 (COD).

Vergaberechtliche Probleme einer Liberalisierung des ÖPNV

179

(gemeinwirtschaftlichen i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 13a PBefG und eigenwirtschaftlichen gem. § 8 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 13 PBefG) Verkehrsdienstleistungen vor (vgl. Art. 6 lit. a) VO-Entwurf). Insbesondere sollte diese Ausschreibungspflicht auch im Verhältnis von kommunalen Aufgabenträgern zu ihren Regie- und / oder Eigenbetrieben bzw. Eigengesellschaften gelten. Gerade letzterem ist allerdings das Europäische Parlament mit umfangreich verabschiedeten Änderungsanträgen energisch entgegen getreten. Inzwischen hat die Kommission, wie zu erfahren war, insoweit ihre Position ganz oder teilweise revidiert. Gleichwohl verzögern die immer noch anhaltenden inhaltlichen Diskussionen die Endfassung der Verordnung, mit deren Inkrafttreten mit einigem Optimismus für das Jahr 2003 zu rechnen ist. Welche Übergangsfristen in der als Rechtsverordnung in den Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlichen Liberalisierungsverordnung vorgesehen werden, ist ebenfalls noch nicht endgültig geklärt. Hier variieren die Angaben zwischen 8 Jahren für Busverkehrsleistungen und 15 Jahren für den Schienenpersonennahverkehr, wobei wegen des hohen Investitionsbedarfs dort aber auch ein längerer Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen ist. Wie also die Wechselwirkung zwischen Beihilferecht und Vergaberecht durch die beabsichtigten Rechtsänderungen tatsächlich aussehen wird, steht deshalb heute noch nicht fest.

IV. Die bisherigen Ausschreibungspflichten Jedenfalls für im Sinne des PBefG gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen besteht, wie angedeutet, schon heute nach den einschlägigen EU-Vergaberichtlinien (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie - DKR - und Sektorenkoordinierungsrichtlinie - SKR - ) eine grundsätzliche Verpflichtung zur Ausschreibung von Bus- und Schienenverkehrsleistungen. Erstere sind der Kategorie 2 des Anhangs I A der DKR („Landverkehr") zuzuordnen, letztere der Kategorie 18 des Anhangs I Β DKR („Eisenbahn"). Auch wenn der geschätzte Netto-Auftragswert die relevanten Schwellenwerte von EUR 200.000,00 (DKR) bzw. EUR 400.000,00 im Sektorenbereich (vgl. § 2 Nr. 1 und 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung) wegen den üblichen Vertragslaufzeiten in aller Regel deutlich überschreitet, besteht bei Schienenverkehrsleistungen im Personennahverkehr als sogenannte „nachrangige Dienstleistung" i.S. des Anhangs I Β allerdings keine Pflicht zur europaweiten Vergabe. Die Richtlinien sind unter anderem mit der V O L / A 1997 in das deutsche Recht umgesetzt worden. Seitdem ist von deutschen Nachprüfungsorganen wiederholt festgestellt worden, dass öffentliche Auftraggeber (d. h. die jeweiligen Aufgabenträger) die Vergabe von Busverkehrsleistungen europaweit im 13 Pilschas/Zickow

180

Lutz Horn

Offenen oder Nichtoffenen Verfahren durchzufuhren haben. Für den Schienenverkehr ist diese grundsätzliche Pflicht durch die eingangs bereits erwähnte Entscheidung der Vergabekammer Magdeburg vom 6. 6. 2002 sowie durch den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 26. 7. 2002 ebenfalls ausdrücklich bestätigt worden. Für gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen folgt die Ausschreibungspflicht auch unterhalb der EU-Schwellenwerte aus § 1 der Verordnung zu § 13a PBefG („Geringste-Kosten-VO"-GKV) i.V.m. Abschnitt 1 der VOL / Α. Darauf hinzuweisen ist allerdings ausdrücklich, dass die GKV in ihrer Anwendung verdrängt wird, wenn der geschätzte Auftragswert den EU-Schwellenwert erreicht oder überschreitet. Denn in diesem Fall gehen die gemeinschaftsrechtlichen Vergabevorschriften vor, die - im Gegensatz zur GKV, die auf Abschnitt 1 der VOL / A für die nationale Vergabe verweist - eine europaweite Ausschreibungspflicht gebieten. Diese Erkenntnis haben einige Vergabestellen im Rahmen von Nachprüfungsverfahren auf unangenehme Art und Weise gewinnen müssen, als ihre nationalen Vergabeverfahren auf Grundlage der GKV für rechtswidrig erklärt worden sind.

V. Vergaberechtliche Folgen der Marktliberalisierung Die eigentlichen vergaberechtlichen Konsequenzen einer Marktliberalisierung des ÖPNV beruhen auf typischen Liberalisierungsfolgen: Wie schon bei der Liberalisierung des Strommarktes in den Jahren 1998 /1999 zu beobachten war, suchen insbesondere kommunale Unternehmen nun auch im ÖPNV verstärkt nach strategischen privaten Partnern. Die Wettbewerbsfähigkeit mit Privaten soll durch privates Know-How und privates Kapital erreicht werden. Hier stellt sich die Frage, ob insbesondere die Übertragung von Gesellschaftsanteilen an kommunalen V U der Ausschreibungspflicht unterliegt. Grundsätzlich ist das nicht der Fall, da es sich bei gesellschaftsrechtlichen Vorgängen nicht um die Erbringung von ausschreibungspflichtigen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen handelt. Anderes gilt nach der inzwischen herrschenden Meinung im Vergaberecht5 aber dann, wenn der gesellschaftsrechtliche Vorgang einen beschaffungsrechtlichen Bezug erhält. Das ist immer dann der Fall, wenn der künftige private Mitgesellschafter für die Gesellschaft Leistungen erbringt, die anderenfalls auf dem Markt hätten eingekauft werden müssen. Streitig ist, ob schon der Erwerb von bloßen Marktpositionen oder die Miterfüllung bereits erteilter Aufträge durch den neuen Mitgesellschafter zu einer vergaberechtlichen Relevanz

5 Vgl. Jaeger , Public-Private-Partnerships und Vergaberecht, NZBau 2001, 6 ff: m.w.N., insbesondere aus der Rechtsprechung.

Vergaberechtliche Probleme einer Liberalisierung des ÖPNV

181

führen kann. Das ist abzulehnen, weil es sich in dem einen Fall nicht um ausschreibungspflichtige Leistungen handelt, in dem anderen jedenfalls eine Beschaffungsabsicht zu verneinen wäre. Eine Rückausnahme gilt außerdem für reine Kooperationsvereinbarungen zwischen kommunalen Verkehrsunternehmen im ÖPNV: Nach einem Beschluss des OLG Koblenz vom 13. 12. 20016 handelt es sich hier um interne Organisationsakte und nicht um öffentliche Aufträge, sofern keine entgeltlichen Dienstleistungsaufträge dabei übertragen werden. Würde der Wettbewerb künftig auch für die kommunale Regie-/ Eigenbetriebe und / oder Eigengesellschaften gelten, könnten diese darüber hinaus nicht mehr vom eigenen Aufgabenträger direkt mit der Erbringung von Verkehrsleistungen beauftragt werden. Sie müssten sich statt dessen im Wettbewerb mit anderen Verkehrsunternehmen bei der eigenen Kommune selbst um den Auftrag bewerben. Ein Erfolg in solchen Vergabeverfahren wird nur wettbewerbsfähigen kommunalen Verkehrsunternehmen beschieden sein. Jetzt besteht hier in der Regel keine Ausschreibungspflicht, da es sich um ein sogenanntes vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäfi handelt. Insoweit wird aber ohnehin die Endfassung der neuen Liberalisierungsverordnung abzuwarten sein. Ein Randproblem könnte bei einer entsprechenden Ausweitung des Wettbewerbs gegebenenfalls aber auch auf gemeindewirtschaftsrechtlicher Ebene entstehen: Denn hier besteht nach vielen Gemeindeordnungen in Deutschland für kommunale Gesellschaften bzw. Einrichtungen grundsätzlich eine Beschränkung der Tätigkeit auf das eigene Gebiet. Würde eine Marktliberalisierung im ÖPNV auch zu Ausschreibungspflichten zwischen Kommune und eigenen kommunalen Unternehmen führen, müsse konsequenterweise das Gemeindewirtschaftsrecht ebenfalls angepasst, also geöffnet werden. Denn anderenfalls käme es zu einem nicht mehr auflösbaren Spannungsverhältnis zwischen beiden Rechtsregimen. Ein Folgeproblem, das bereits heute gelegentlich auftritt, besteht im übrigen gerade im Verhältnis zwischen kommunalen Aufgabenträgern und kommunalen Verkehrsunternehmen in der Beachtung des § 16 der Vergabeverordnung. Denn den Voraussetzungen dieser spezialgesetzlichen Befangenheitsregelung könnte auf kommunaler Ebene praktisch kaum Rechnung getragen werden, weil hier sogenannte „Doppel-Mandatierungen" kommunaler Funktionsträger üblich sind. Nach § 16 VgV wäre die Vergabeentscheidung einer Kommune rechtswidrig, wenn etwa der Bürgermeister als Organ des Auftraggebers gleichzeitig auch - als Organ des Auftragnehmers - einen Sitz im Aufsichtsrat des eigenen kommunalen Verkehrsunternehmens bekleiden würde.

6

- 1 Verg4/01-.

182

Lutz Horn

Schließlich führte die von der EU geplante Marktliberalisierung im ÖPNV auch zur erweiterten Anwendung des Vergaberechts auf Dienstleistungskonzessionen: Dogmatisch sind eigenwirtschaftliche Verkehrsgenehmigungen i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 1 PBefG als Dienstleistungskonzession einzustufen, weil der Verkehrsunternehmer hier allein das wirtschaftliche Risiko des Linienbetriebes trägt. Dienstleistungskonzessionen sind nach gegenwärtiger Rechtslage nicht von den EU-Vergaberichtlinien oder der VOL / A erfasst. 7 Das würde sich ändern müssen. Der hier insoweit gem. § 13 PBefG durchzuführende „Genehmigungswettbewerb" ist mit einem Vergabeverfahren nicht vergleichbar.

V L Ausblick Nach gegenwärtigem Stand lässt sich zusammenfassend festhalten, dass eine verstärkte Liberalisierung des ÖPNV zu einer schwierigen rechtlichen Gemengelage führen kann. Vergaberechtliche Fragen werden hier im Zentrum der Diskussion stehen. Eine erste Reaktion des deutschen Verordnungsgebers ist im Vorgriff auf die zu befürchtende Verschärfung des Wettbewerbs bereits erfolgt: Mit Beschluss des Bundeskabinetts vom 11.9. 2002 und Beschluss des Bundesrates vom 18. 10. 2002 ist die erste Änderungsverordnung zur Vergabe Verordnung verabschiedet worden, wonach in § 4 ein neuer Absatz 3 eingefügt wird. 8 Danach ist unter bestimmten Voraussetzungen im Bereich Schienenpersonennahverkehrsleistungen auch eine Freihändige Vergabe zulässig, wobei die Laufzeit der Verträge sogar bis zu 12 Jahre dauern darf. Diese Ausnahmeregelung soll allerdings am 31. 12. 2014 schon wieder außer Kraft treten.

7 Vgl. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Vergaberecht vom 29.4.2000, ABl. C 121. 8 BGBl. I, 4338.

Regionale Public Private Partnerships: Flucht aus dem Vergaberecht? Von Ute Jasper

Bei regionalen Public Private Partnerships haben sich in der Praxis vier typische Fallgruppen entwickelt, die die Frage aufwerfen, ob ein Vergabeverfahren erforderlich ist: •

Auftragsvergabe an Private, insbesondere bei Vertragsverlängerungen,



Aufträge an kommunale Unternehmen / Stadtwerke-Kooperationen,



gesellschaftsrechtliche Kooperationen zwischen der öffentlichen Hand und Privaten,



Verkäufe von Unternehmen und Geschäftsanteilen.

Regionale PPP-Modelle ohne Vergabeverfahren

ϊ

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184

Ute Jasper

Nachfolgend werden beispielhaft Grenzfälle aus diesen vier Bereichen dargestellt, in denen die Anwendung des Vergaberechts zweifelhaft ist.

I. Auftragsvergabe an Private / Vertragsverlängerungen Kurz vor Liberalisierung der Energiemärkte war es üblich, dass die Stromlieferanten den Kommunen anboten, die Verträge langfristig, beispielsweise um 10 Jahre, zu verlängern und gleichzeitig die Entgelte zu verringern.

Energie Verkehr

Φ Kündigung

Φ Verlängerung

(3) Änderung

In vielen Fällen stimmten die Kommunen zu, weil es sich häufig um ortsansässige Unternehmen oder sogar um Beteiligungsgesellschaften der Kommune, deren Stadtwerken, handelte. Die Frage der Ausschreibungspflicht wurde meist mit dem Argument in den Hintergrund gedrängt, es handele sich nur um eine Vertragsänderung, nicht um eine Neuvergabe, eine bewährte langfristige Zusammenarbeit solle lediglich auf der Grundlage neuer Vertragskonditionen fortgesetzt werden. Das Wettbewerbsprinzip trat gegenüber dem Grundsatz „bekannt und bewährt" in den Hintergrund. Richtigerweise hätte aber die Ausschreibungspflicht nach folgenden Grundsätzen geprüft werden müssen:

Regionale PPPs: Flucht aus dem Vergaberecht?

185

Zunächst hätten die Auftraggeber feststellen müssen, ob der bestehende Vertrag befristet oder unbefristet ist. Bei einem befristeten Vertrag, der ausläuft, ohne dass es einer Kündigung bedarf, setzt eine Verlängerung einen neuen Vertragsabschluss und damit eine Auftragsvergabe voraus. Eine Verlängerung eines befristeten Vertrages führt also immer zwingend zur Anwendung des Vergaberechts und - beispielsweise beim Einkauf von Energie - zur Ausschreibung. Bei unbefristeten Verträgen, die sich ohne eine Kündigung verlängern, besteht nicht ohne Weiteres eine Ausschreibungspflicht. Der Verzicht auf die Kündigung, also das bloße Nichtstun, löst für sich genommen noch nicht die Anwendbarkeit des Vergaberechts aus. Wenn aber mit der Verlängerung eines Vertrages eine wesentliche Vertragsänderung einhergeht, unterliegt diese Änderung dem Vergaberecht. Dies gilt beispielsweise nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, wenn im Zusammenhang mit der Vertragsverlängerung - wie in dem obigen Beispiel geschildert - die Entgelte gesenkt werden.

Zusammengefasst bedeutet dies: Eine Vertragsverlängerung ist ohne Vergabeverfahren nur dann zulässig, wenn es sich um einen unbefristeten Vertrag handelt und der Vertrag allenfalls unwesentlich geändert wird. In allen anderen Fällen löst eine Vertragsverlängerung ein Vergabeverfahren aus.

186

Ute Jasper

I I . Aufträge an kommunale Unternehmen / Stadtwerke-Kooperationen Der zweite Randbereich, bei dem Auftragsvergaben ohne Vergabeverfahren möglich sind, betrifft die Aufträge an Tochtergesellschaften des Auftraggebers. Auch hierzu ein Beispiel: In den neuen Bundesländern hatte eine Stadt den Auftrag für das Sammeln und Transportieren von Abfall an ein privates Unternehmen vergeben, der oft sehr lukrativ war. Die Stadt kam auf die Idee, diese Vorteile selbst zu nutzen und kündigte den Entsorgungsvertrag. Sie gründete eine Tochtergesellschaft und wollte diese mit den Abfallentsorgungsleistungen beauftragen.

Vergabe an kommunale Gesellschaften Auftrag

Stadt

Auftrag

Stadt 100%

gekündigt

Privater

Privater

Auftrag

Stadtwerke GmbH

Der Private griff diese vorgesehene Auftragsvergabe mit dem Argument an, die Stadt müsse den Auftrag, der jenseits der Schwellenwerte lag, europaweit ausschreiben. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Teckal-Urteil vom 18.11.1999) und inzwischen auch des BGH muss aber ein öffentlicher Auftraggeber nicht jeden Auftrag an ein verbundenes Unternehmen in einem Vergabeverfahren vergeben. Für In-House-Geschäfte gibt es einen vergaberechtsfreien Raum, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:

Regionale PPPs: Flucht aus dem Vergaberecht?

187



Der Auftraggeber muss Gesellschafter des Auftragnehmers sein.



Der Auftraggeber muss den Auftragnehmer beherrschen „wie eine eigene Dienststelle", so der EuGH wörtlich.



Schließlich muss der Auftragnehmer überwiegend Leistungen für seinen Gesellschafter erbringen.

EuGH und BGH

ι

Im vorliegend geschilderten Fall liegen die ersten beiden Voraussetzungen vor. Für die Antwort kommt es also darauf an, ob die kommunale Gesellschaft überwiegend Leistungen für die Stadt erbringt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sie mehr als 90 % ihres Umsatzes mit der Stadt erwirtschaftet. Richtigerweise reichen sogar in analoger Anwendung von § 10 VgV 80 % Umsatz im „Konzern Stadt" aus. Wenn die Tochtergesellschaft also zu nicht mehr als 20 % für Dritte tätig ist, darf die Stadt sie ohne ein Vergabeverfahren direkt beauftragen. Selten sind aber die Grenzfälle in der Praxis so einfach zu beurteilen. Die Tendenzen in den Kommunen, ihre Beteiligungsunternehmen zu diversifizieren und Konzernstrukturen zu schaffen, werfen auch im Vergaberecht besondere Fragen auf. Darf beispielsweise eine kommunale Beteiligungsgesellschaft, an der die Kommune nur mittelbar Anteile hält, Aufträge an eine andere kommunale Beteiligungsgesellschaft erteilen, ohne ein Vergabeverfahren durchzuführen?

188

Ute Jasper

Spartengesellschaften

Stadtwerke GmbH 100%

100% Verkehr I

I

Versorgung 1

1

100% Entsorgung 1

100% Dienstleistungen

1

WerkFahr- InfraAbNetze Vertrieb Abfall wasser stätten betrieb struktur

I

I EDV

Auftrag

In derartigen Fällen ist der Auftraggeber zwar verbundenes Unternehmen, nicht aber Gesellschafter des Auftragnehmers, er beherrscht diesen auch nicht „wie eine eigene Dienststelle". Gleichwohl werden die Leistungen ausschließlich im Innenbereich der öffentlichen Hand, lediglich in privater Rechtsform, erbracht. Eine Vergabe, das heißt, eine Beschaffung am Markt, findet nicht statt. Deshalb handelt es sich meines Erachtens um einen innerorganisatorischen Vorgang, der nicht dem Vergaberecht unterfällt, solange der Auftragnehmer zumindest mittelbar durch die öffentliche Hand beherrscht wird und überwiegend (das heißt, zu mindestens 80 %) Leistungen im Konzern erbringt. In diesem Fall kommt es nicht darauf an, wie die Konzernstrukturen aussehen, also welche Rechtsformen und Beteiligungen die Stadt für ihr Handeln wählt. Darin ist sie nach Art. 28 Abs. 2 GG frei. Wenn sie diese Organisationsfreiheit ausübt, baut sie dadurch keine neuen vergaberechtlichen Schranken auf.

I I I . Gemischtwirtschaftliche Gesellschaften Besonders umstritten sind die Fälle, in denen öffentliche Auftraggeber mit Privaten in gemischten Gesellschaften zusammenarbeiten, beispielsweise wenn

Regionale PPPs: Flucht aus dem Vergaberecht?

189

sie mit einem privaten Partner eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft gründen und diese Gesellschaft mit Leistungen beauftragen wollen.

In diesen Fällen hat man früher versucht, mit dem sogenannten Zwei-StufenModell das Vergaberecht zu meiden. In der ersten Stufe wurde zunächst eine 100%ige Tochtergesellschaft gegründet und beauftragt. Auf diese wurden Vermögen und Personal übertragen. Man vertrat die Auffassung, es handele sich um ein reines In-House-Geschäft, weil kein Privater beteiligt sei. Erst in einer zweiten Stufe wurden 49 % der Geschäftsanteile einer Tochter-GmbH an den privaten Kooperationspartner verkauft. Dieser Vorgang wurde deshalb nicht dem Vergaberecht unterworfen, weil es sich nicht um eine Beschaffung, sondern um eine Veräußerung von Vermögen handelt, die dem Vergaberecht nicht unterfällt. Inzwischen ist in verschiedenen Nachprüfungsverfahren festgestellt worden, dass dieses Zwei-Stufen-Modell nicht den Weg am Vergaberecht vorbei eröffnet. Zuerst haben die Vergabekammern in Düsseldorf und Baden-Württemberg entschieden, das Zwei-Stufen-Modell sei als „Paket" anzusehen, weil ein privater Partner - zumindest mittelbar - einen Auftrag erhalte. Deshalb sei das Vergaberecht grundsätzlich anzuwenden.

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Ute Jasper

Zwei-Stufen-Modell Ο Stufe 1 • Gründung einer 100 % Tochter-GmbH • Beauftragung der Tochter-GmbH • Übertragung von Vermögen und Personal Ο Stufe 2 • Verkauf von 49 % der Geschäftsanteile an der Tochter-GmbH

Nur ausnahmsweise, bei weitgehender Beherrschung der PPP-Gesellschaft durch die öffentliche Hand, darf auf ein Vergabeverfahren verzichtet werden. Wie weit die Beteiligung gehen muss, steht noch nicht fest. Die Tendenz geht wohl dahin, eine mindestens 90 %ige Beteiligung der öffentlichen Hand zu fordern, um ein In-House-Geschäft bei Beteiligung eines privaten Partners zu bejahen.

V e r g a b e k a m m e r n D ü s s e l d o r f und Bad e n - W ü r t t e m b e r g

2-Stufen-Modell als „Paket" Vergaberecht grundsätzlich anwendbar Ausnahme: sehr weitgehende Beherrschung

Regionale PPPs: Flucht aus dem Vergaberecht?

191

IV. Anteilsverkäufe Eine weitere Fallgruppe, bei der die Anwendung des Vergaberechts streitig ist, betrifft die Verkäufe von Geschäftsanteilen. Dazu folgendes Beispiel: Eine Stadt hält Geschäftsanteile an einem Wasserversorgungsunternehmen. Dieses Unternehmen hat keinen öffentlichen Auftrag, sondern hält lediglich eine Konzession, Wasser an Bürger und Unternehmen zu verkaufen. Die Stadt will 74,9 % der Geschäftsanteile an einen strategischen Partner veräußern.

Anteilsverkauf

Stadt

Künftig 25,1%

verkauf

10O %

Konzession

Wasser GmbH

— --

*

Strategischer Partner

Künftig 74,9 %

In diesem Fall darf die Kommune auf das Vergaberecht verzichten. Sie erteilt weder mittelbar noch unmittelbar einen öffentlichen Auftrag, wenn sie die Anteile verkauft. Ein Beschafftmgsvorgang ist damit nicht verbunden. Die Vermögensveräußerung ist deshalb vergaberechtlich nicht relevant. Die Stadt darf trotzdem nicht auf jeden Wettbewerb verzichten. Sie ist aus europa-, kartell-, kommunal- und haushaltsrechtlichen Gründen verpflichtet, einen transparenten Wettbewerb durchzufuhren und den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Insbesondere darf sie kein Verfahren wählen, das Bieter diskriminiert oder dazu führt, dass kein Marktpreis für die Geschäftsanteile erzielt wird. Anderenfalls läuft sie Gefahr, nicht nur eine unerlaubte Beihilfe zu gewähren, sondern auch gegen die kommunal- und haushaltsrechtlichen Vorschriften zu verstoßen, die eine sparsame Haushaltsführung gebieten.

192

Ute Jasper

Anteilsverkauf φ

Vergaberecht gilt nicht, wenn kein Auftrag

Φ trotzdem Wettbewerb wegen - EU-Recht - Kartellrecht - Kommunalrecht - Haushaltsrecht

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Ziele mit Mitteln des Vergaberechts Von Jan Ziekow

Kommunalwirtschaftliches Handeln vollzieht sich in vielen Facetten und auf vielen Aktionsfeldern. Wichtige und aktuelle Handlungsfelder sind beispielsweise die Reorganisation des Sparkassenwesens, die Gestaltung des Personennahverkehrs, die eigenwirtschaftliche Betätigung im Wettbewerb oder verschiedene Formen von Public Private Partnerships. Das schlichte Beschaffungswesen erscheint demgegenüber oft weniger spektakulär - zu Unrecht. In Fragen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand Erfahrene wissen, dass die Nagelprobe bei der Entwicklung vieler Projekte das Vergaberecht ist, das dementsprechend nicht selten als lästiger Hemmschuh betrachtet wird. Der altvertrauten „Flucht ins Privatrecht" ist eine „Flucht aus dem Vergaberecht" 1 an die Seite getreten. Aus Sicht politisch Verantwortlicher ist eine solche Betrachtung des Vergabewesens allerdings nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die der möglichen Öffnung politischer Gestaltungsspielräume. Der Mechanismus ist bekannt: Wer der in das Vergabeverfahren eingebrachten politischen Zielvorstellung genügt, hat vergaberechtliche Vorteile. Hier geht es nicht - jedenfalls nicht primär - darum, das Einkaufsverhalten des Staates an dem Ziel der möglichst sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung zu orientieren, sondern um die Verfolgung anderer - eben „externer" (im Sinne von „vergaberechtsexterner") - Ziele. Als solches externes Ziel ist nahezu alles denkbar, was auf der Liste politischer Wünschbarkeiten stehen mag, von der Förderung von Betrieben, die Langzeitarbeitslose beschäftigen, Lehrlinge ausbilden, Frauenförderpläne umsetzen oder Tariflöhne zahlen, über den Ausschluss von Betrieben, die zu missliebigen Weltanschauungsgemeinschaften in Beziehung stehen, und die Belohnung umweltfreundlicher Betriebs- und Produktionsorganisationen bis hin zur Förderung mittelständischer Unternehmen und regionalansässiger Betriebe. Für die neue Bestuhlung der Stadthalle ist eben die Lehrlinge ausbildende ortsan-

1

s. den Beitrag von Ute Jasper in diesem Band.

194

Jan Ziekow

sässige Tischlerin, die kirchlich engagiert ist, Arbeitslose einstellt und ökologisch auf dem neuesten Stand ist, genau die Richtige. Wer wollte daran zweifeln? Wie prosaisch klingen demgegenüber doch die Verdingungsordnungen: „Der Zuschlag ist auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen" (§ 25 Nr. 3 S. 1 VOL / A). Diese Formulierung weckt Zweifel, ob das Vergabeverfahren der richtige Platz ist, politischen Gestaltungswillen zu demonstrieren. Geht es vielleicht doch nur um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags nach wirtschaftlichen und keinen anderen Gesichtspunkten? Meine folgenden Überlegungen sollen sich damit beschäftigen, - negativ gewendet - die Grenzen und - positiv gewendet die Möglichkeiten der Verfolgung externer politischer Ziele mit Mitteln des Vergaberechts zu skizzieren. Eine solche Skizze hat sich zunächst an der Struktur des Vergaberechts zu orientieren. Erreicht das Auftragsvolumen den jeweiligen Schwellenwert, so sind die an den sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien zu messenden Vorschriften des 4. Teils des GWB, die Vergabeverordnung und jeweils der 2. Abschnitt - die „a-Paragraphen" - zusätzlich zu den Basisparagraphen von VOB / A und VOL / A anzuwenden. Die Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte richtet sich hingegen allein nach den Basisparagraphen von VOB / A und VOL / Α. Oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte gleichermaßen gelten die primärrechtlichen Vorschriften des EG-Vertrages sowie das deutsche Verfassungsrecht. Die folgende Darstellung wendet sich zunächst dem oberhalb der Schwellenwerte geltenden Rechtsregime mit Ausnahme des Verfassungsrechts, also in erster Linie den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu. Dabei ist zu beachten, dass die dort entwickelten primärrechtlichen Anforderungen des EG-Vertrages auch für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte gelten.2 Anschließend werden das Verfassungsrecht und die Basisparagraphen von VOB / A bzw. VOL / A auf ihr Steuerungspotential gegenüber der Implementation externer politischer Ziele im Vergabeverfahren befragt.

2

Christoph Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 199; Dieter B. Schütte /Michael Horstkotte, Vergaberecht bei öffentlichen Aufträgen, 2001, S. 29; Jan Ziekow, Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, S. 72 (76).

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Ziele

195

I. Aufträge oberhalb der Schwellenwerte 1. Vergaberichtlinien Nach der durch das Urteil in der Rs. Nord-Pas-de-Calais inzwischen konsolidierten Rechtsprechung des EuGH stehen die Vergaberichtlinien der Verfolgung materiell vergabefremder Zwecke indifferent gegenüber. Entscheidend ist die Zuordnung zu einer der drei Kriterienkategorien eignungsbezogene, zuschlagsbezogene und besondere zusätzliche Kriterien, fur die jeweils unterschiedliche Zulässigkeitsanforderungen gelten. Für die Beurteilung kommt es allein darauf an, welcher Kategorie das Kriterium in der vom öffentlichen Auftraggeber konkret gewählten Form zuzuordnen ist. Dass ein mit einem Kriterium verfolgter Zweck ggf. auch in der Form einer der beiden anderen Kriterienkategorien hätte verfolgt werden können, ist ohne Belang.3 Dies entspricht dem auch vom BGH betonten Grundsatz, dass bieterbezogene Kriterien und Zuschlagskriterien getrennt zu prüfen sind.4 Nach der Systematik der Vergaberichtlinien werden die Zuschlagskriterien erst dann relevant, wenn das Vorliegen von Ausschlussgründen und die finanzielle, wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit als bieterbezogene Kriterien geprüft worden sind. Nichts anderes bringt nach ganz herrschender Meinung die Reihenfolge der Aufzählung in § 25 VOB / A bzw. VOL / A zum Ausdruck. 5 Diese Prüfungsreihenfolge ist also auch für die Wertung von Angeboten bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte vorgesehen. Als Beispiel kann die Tariftreueerklärung dienen: Führt die Weigerung des Bieters, eine Tariftreueerklärung abzugeben, zum Ausschluss vom weiteren Vergabeverfahren, so handelt es sich um ein bieterbezogenes Kriterium auf der Stufe der Eignungsprüfung. A u f dieser Stufe ist die Tariftreueerklärung eindeutig unzulässig. Der EuGH hat mehrfach entschieden, dass die in den Vergaberichtlinien enthaltenen Kataloge der bieterbezogenen Kriterien der Ausschlussgründe und Eignungsnachweise abschließend sind.6 Sofern andere Nachweise als die in der Richtlinie ausdrücklich genannten gefordert werden, dürfen sie nur zum Nachweis der Leistungsfähigkeit dienen.7 Dies schließt es 3

Ziekow (Anm. 2) S. 76. BGH NJW 1998, S. 3644 (3646). 5 Vgl. nur Rainer Noch, in: Müller-Wrede (Hrsg.), Verdingungsordnung für Leistungen - VOL / A, 2001, § 25 Rdnr. 7 f. 6 EuGH, Urt. v. 3.6.1992, Rs. C-360 / 89, Kommission / Italien, Slg. 1992, S. 1-3401 (3420) Rdnr. 20 f.; Urt. v. 26.4.1994, Rs. C-272/91, Kommission / Italien, Slg. 1994, S. 1-1409(1442) Rdnr. 35. 7 EuGH, Urt. v. 10.2.1982, Rs. 7 6 / 8 1 , SA Transporoute et travaux / Ministère des travaux publics, Slg. 1982, S. 417 Rdnr. 9,15. 4

196

Jan Ziekow

aus, auf der Stufe der Eignungsprüfung Nachweise zu fordern, die anderen Zwecken dienen.8 Ein solcher unzulässiger zusätzlicher Nachweis ist aber die Tariftreueerklärung. 9 Statt als bieterbezogenes ließe sich die Tariftreueerklärung aber auch als zuschlagsbezogenes Kriterium fassen. Wird diese Konstruktion gewählt, so stellt das Unterlassen der Abgabe der Tariftreueerklärung nicht die Eignung des Bieters in Frage, sondern fuhrt zur Nichtberücksichtigung beim Zuschlag. Zuschlagsbezogene Kriterien sind allerdings nur entweder der niedrigste Preis oder Kriterien, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. Das deutsche Vergaberecht hat sich dafür entschieden, dass das wirtschaftlichste Angebot maßgebend sein soll (§ 97 Abs. 5 GWB, § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB / A, § 25 Nr. 3 VOL / A). Damit bleibt dem öffentlichen Auftraggeber die Auswahl der Kriterien überlassen, auf die er für die Erteilung des Zuschlags abzustellen beabsichtigt.10 Wegen der Offenheit des Kriterienkataloges könnte die Versuchung nahe liegen, den Begriff der Wirtschaftlichkeit in einem weiteren Sinne zu verstehen und beispielsweise gesamtwirtschaftliche Folgekosten einzubeziehen. Doch schließt es der notwendige Bezug der Kriterien auf den jeweiligen Auftrag aus, vergabefremde Zwecke wie die Tariftreue als Kriterien des wirtschaftlich günstigsten Angebots einfließen zu lassen.11 Gemeinschaftsrechtlich ist der Befund eindeutig: Die Vergaberichtlinien sehen die Berücksichtigung externer Zielsetzungen beim Zuschlag nicht vor. Allerdings kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass die Vergaberichtlinien die Zuschlagskriterien abschließend regeln und keinen Raum für die Einfuhrung vergabefremder Zwecke durch die Mitgliedstaaten lassen12. Denn nach 8 Vgl. EuGH, Urt. v. 3.6.1992, Rs. C-360/89, Kommission / Italien, Slg. 1992, S. 1-3401 (3420) Rdnr. 20; Urt. v. 17.11.1993, Rs. C-71/92, Kommission / Spanien, Slg. 1993, S. 1-5923 (5989) Rdnr. 41 f. 9 Ziekow (Anm. 2) S. 74. 10 EuGH, Urt. v. 20.9.1988, Rs. 31 / 87, Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 (4657) Rdnr. 19; Thomas Stickler , in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht, 2000, § 97 Rdnr. 27. 11 Zur Unzulässigkeit Benedict (Anm. 2) S. 138 ff.; Arnold Boesen, Vergaberecht, 2000, § 97 Rdnr. 149; Stickler (Anm. 10) § 97 Rdnr. 25. 12 So aber Michael Brenner, Neuere Entwicklungen im Vergaberecht der Europäischen Union, 1997, S. 47 f.; Meinrad Dreher, Politische Vorgaben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus rechtswissenschaftlicher Sicht, ZVgR 1999, S. 289; Walter Götz, Die Zulässigkeit beschaffungsfremder Vergabekriterien nach Europarecht, EuR 1999, S. 621 (628 ff.); Peter M. Huber, Das öffentliche Auftragswesen als Beschaffungsvorgang oder Instrument der Wirtschaftslenkung und der Sozialgestaltung, ThürVBl. 2000, S. 193 (195); Jörg Karenfort / Ulrich von Koppenfels /Stefan Siebert, Tariftreueerklärungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge - vereinbar mit deutschem Kartellrecht und Europarecht?, BB 1999, S. 1825 (1831); Andrés Martin-Ehlers, Die Unzulässigkeit vergabefremder Kriterien, WuW 1999, S. 685 (692); Volker Neßler, Politische Auftragsvergabe durch den Staat?, DÖV 2000, S. 145 (149); Fritz Rittner, Die „sozialen Be-

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Z i e l e 1 9 7 der Rechtsprechung des EuGH werden Kriterien, die weder eignungs- noch zuschlagsbezogen sind, von der Koordinierungswirkung der Vergaberichtlinien überhaupt nicht erfasst. 13 Ein besonderes zusätzliches Kriterium, das nicht der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dient, ist daher am Maßstab der Vergaberichtlinien nicht unzulässig.14 D. h., auch hier kommt es wieder auf die vom öffentlichen Auftraggeber konkret gewählte Form an. Hat er etwa die Beispiele der für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots heranziehbaren Kriterien in § 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 2 VOB / A um das Kriterium „Tariftreue" erweitert, so handelt es sich um ein unzulässiges, weil ohne Bezug auf den Auftrag bleibendes zuschlagsbezogenes Kriterium. Wird es hingegen selbständig neben die Kriterien für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots gestellt, so handelt es sich um ein besonderes zusätzliches Kriterium, das von den Vergaberichtlinien nicht berührt wird. Bei anderen über die reine Beschaffung hinausgehenden Zielsetzungen kann die Abgrenzung schwieriger sein, ζ. B. bei den Umweltkriterien. Umweltkriterien können zunächst auf die Leistung selbst bezogen sein, indem in die Leistungsbeschreibung die Umweltverträglichkeit des Produkts beschreibende Kriterien eingeführt werden. Hierbei handelt es sich, soweit die noch zu behandelnden Vorgaben des EG-Vertrages beachtet werden, um zulässige zuschlagsbezogene Kriterien. 15 Dies hat der EuGH in seiner lange erwarteten Entscheidung vom 17. Sept. 2002 16 ausdrücklich bestätigt. Ein besonderes zusätzliches Kriterium liegt hingegen in der Anknüpfung an Merkmale oder Verhaltensweisen des Bieters, beispielsweise einer umweltfreundlichen Bauweise des Produktionsstandorts oder der Erreichung einer bestimmten Produktionsquote als umweltfreundlich eingeschätzter Güter. Für die Zulässigkeit der besonderen zusätzlichen Kriterien gelten folgende Anforderungen: 1. Nach § 97 Abs. 4 Hs. 2 GWB sind solche weitergehenden Anforderungen nur zulässig, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. Die Berücksichtigung vergabeexterner politischer Zielsetzungen bedarf also der Einführung durch ein formelles Bundes- oder Landesgesetz. Eine

lange" i.S. der EG-Kommission und das inländische Vergaberecht, in: Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 87 (93). 13 Ziekow (Anm. 2) S. 75 f. m.N. 14 EuGH, Urt. v. 26.9.2000, Rs. C-225/98, Kommission / Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Rdnr. 50 f. 15 Michael Herma, Auftragsvergaberecht als Mittel zur Durchsetzung von Umweltschutz und Umweltrecht, NuR 2002, S. 8 (9); Noch (Anm. 5) § 25 Rndr. 109. 16 EuGH, Urt. v. 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab / Heisingin kaupunki, Rdnr. 64. 14 Pitschas/Ziekow

Jan Ziekow

198

Regelung durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift ist ebenso ausgeschlossen17 wie durch kommunale Satzung. Bei Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte haben die Kommunen daher keine Möglichkeit zur eigenständigen Formulierung politisch externer Zielsetzungen. 2.

Die Verfahrensvorschriften der betreffenden Vergaberichtlinien, insbesondere die Publizitätsanforderungen, müssen beachtet werden. Dies bedeutet, dass das besondere zusätzliche Kriterium in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich angegeben werden muss, damit die Unternehmen in der Lage sind, vom Bestehen einer solchen Bedingung Kenntnis zu nehmen.18

3.

Die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot, müssen beachtet werden. 19 Hierauf wird im Folgenden einzugehen sein. 2. Vorschriften des EG-Vertrages

Die materiell-rechtlichen Maßstäbe für die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit von externen politischen Zielsetzungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ergeben sich aus dem EG-Vertrag. Bei den zu beachtenden Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts steht das Diskriminierungsverbot im Vordergrund. Die einschlägigen Vorschriften vor allem über die Warenverkehrs- (Art. 23 ff. EG) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG) verbieten sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen auf Grund der Staatsangehörigkeit. Unmittelbare Diskriminierungen werden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge selten sein. Am ehesten in diesem Bereich hinein ragt die Bevorzugung ortsansässiger oder regional verwurzelter Unternehmen. Allerdings wird auch hier regelmäßig die Ansässigkeit und nicht die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungskriterium gewählt werden. Verboten sind jedoch auch mittelbare Diskriminierungen, die durch Anlegung anderer Unterscheidungsmerkmale faktisch zu dem gleichen Ergebnis führen. 20 Eine solche mittelbare Diskrimi-

17

Boesen (Anm. 11) § 97 Rdnr. 111. EuGH, Urt. v. 20.9.1988, Rs. 31 / 87, Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 (4661) Rdnr. 36; Urt. v. 26.9.2000, Rs. C-225 / 98, Kommission / Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Rdnr. 50 f. 19 EuGH, Urt. v. 20.9.1988, Rs. 31 / 87, Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 (4659) Rdnr. 29 f.; Urt. v. 26.9.2000, Rs. C-225/98, Kommission/ Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Rdnr. 50 f. 20 Zur Unterscheidung unmittelbare / mittelbare Diskriminierung vgl. nur EuGH, Urt. v. 3.6.1992, Rs. C-360 / 89, Kommission / Italien, Slg. 1992, S. 1-3401 (3418) Rdnr. 11; Urt. v. 5.12.1989, Rs. C - 3 / 8 8 , Kommission / Irland, Slg. 1989, S. 4035 (4059) 18

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Ziele

199

nierung stellt das Kriterium der Ortsansässigkeit dar. 21 Zu Recht verbieten die Verdingungsordnungen eine Beschränkung des Wettbewerbs auf Bewerber, die in bestimmten Regionen oder Orten ansässig sind (§ 8 Nr. 1 S. 2 VOB / A, § 7 Nr. 1 Abs. 1 S. 2 VOL / A). Der Grundsatz „bekannt und bewährt" reüssiert im Vergaberecht nicht. Eine Rolle kann die Ortsansässigkeit nur dann spielen, wenn sie einen unmittelbaren Leistungsbezug aufweist, sie beispielsweise notwendig ist, um bei komplexen technischen Anlagen einen Fehler sofort beheben zu können. 22 Ob die Förderung der durch die Flutkatastrophe an der Elbe geschädigten regionalen Wirtschaft zur Zulässigkeit entsprechender Präferenzkriterien führt, muss nach dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts bezweifelt werden. Denkbar wäre dies nur, wenn die Stabilisierung der flutgeschädigten Wirtschaft aus dem EG-Vertrag als zwingendes Allgemeininteresse ableitbar wäre. Typische weitere mittelbare Diskriminierungen, bei denen die betreffenden Bedingungen zwar auch von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten erfüllt werden können, jedoch nur unter größeren Schwierigkeiten als von den einheimischen Bietern 23 , sind beispielsweise •

die Vorgabe nationaler Normen für bei der Auftragserfüllung zu verwendende Produkte 24,



die Notwendigkeit, im Besitz einer Niederlassungsgenehmigung des den Auftrag vergebenden Staats zu sein 25 , oder



die Bezugnahme auf Klassifizierungen nationaler Berufsverbände für von den Bietern geforderte technische Spezifikationen, da es für die Bieter aus anderen Mitgliedstaaten schwerer ist, innerhalb der kurzen Frist Gebote abzugeben, weil sie sich bei den betreffenden öffentlichen Auftraggebern zunächst über Gegenstand und Inhalt der Klassifizierungen informieren müs-

Rdnr. 8; Urt. v. 29.10.1980, Rs. 22 / 80, Boussac Saint Frères GA / Brigitte Gerstenmeier, Slg. 1980, S. 3427 (3436) Rdnr. 9. 21 Noch (Anm. 5) § 25 Rdnr. 103 f. m.N. 22 Noch (Anm. 5) § 25 Rdnr. 105. 23 Zu diesem Begriff der mittelbaren Diskriminierung im Vergaberecht EuGH, Urt. v. 20.9.1988, Rs. 3 1 / 8 7 , Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 (4659) Rdnr. 30; Urt. v. 26.9.2000, Rs. C-225 / 98, Kommission / Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Rdnr. 81 f. 24 EuGH, Urt. v. 22.9.1988, Rs. 45/87, Kommission / Irland, Slg. 1988, S. 4929 (4964) Rdnr. 19 f. 25 EuGH, Urt. v. 10.2.1982, Rs. 76 / 81, SA Transporoute et travaux / Ministère des travaux public, Slg. 1982, S. 417 (427 f.) Rdnr. 14. 26 EuGH, Urt. v. 26.9.2000, Rs. C-225/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Rdnr. 81 ff.

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Für die primärrechtliche Bewertung der Einführung externer Zielsetzungen in Vergabeverfahren ist weiter zu beachten, dass Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit nicht nur unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern auch unterschiedslos in- und ausländische Bieter betreffende Maßnahmen verbieten. Voraussetzung ist, dass diese Maßnahmen den Handel bzw. die Erbringung von Dienstleistungen behindern und nicht aus zwingenden Erfordernissen zu rechtfertigen sind. 27 Wichtigstes Beispiel aus der Rechtsprechung des EuGH sind die sogenannten UNIX-Urteile 28 . Sie betrafen ein niederländisches und ein österreichisches Vergabeverfahren, in denen den Bietern u. a. vorgeschrieben wurde, dass als Betriebssystem das in den USA entwickelte UNIX-System verwendet werden müsse. Der Gerichtshof beanstandete die Vorgabe als handelsbehindernd, da sie Interessenten, die ähnliche Systeme wie UNIX verwenden, davon abhält, sich an der Ausschreibung zu beteiligen. 29 In seinem Urteil vom 17. Sept. 2002 hat der EuGH allerdings eine Abgrenzung dahingehend vorgenommen, dass der Umstand allein, dass ein Kriterium nur von einer kleinen Zahl von Unternehmen erfüllt werden kann, keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstellt. 30 Allerdings handelte es sich dabei nicht um ein besonderes zusätzliches Kriterium, sondern ein leistungsbezogenes Kriterium zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots. Als kurzes Zwischenresümee ist festzuhalten, dass das Primärrecht differenzierte Maßstäbe für die Beurteilung der Zulässigkeit vergabeexterner Zielsetzungen zur Verfügung stellt. Auch hier kommt es entscheidend darauf an, in welcher Weise der öffentliche Auftraggeber die Zielsetzung verfolgt. Die Beurteilung ist nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls möglich. 31 Je nach der konkret gewählten Ausgestaltung kann die Verfolgung desselben Zwecks ebenso gut zulässig wie unzulässig sein.

27

EuGH, Urt. v. 9.2.1999, Rs. C-383 /97, van der Laan, Slg. 1999, S. 1-731 (759) Rdnr. 19; Urt. v. 26.6.1997, Rs. C-368/95, Vereinigte Familiapress Zeitungsverlagsund -Vertriebs GmbH / Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997, S. 1-3689 (3713) Rdnr. 8; Urt. v. 20.2.1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649 (662 ff.) Rdnr. 6 ff. 28 EuGH, Urt. v. 24.1.1995, Rs. C-359/93, Kommission / Niederlande, Slg. 1995, S. 1-168; Urt. v. 28.10.1999, Rs. C-328/96, Kommission / Österreich, Slg. 1999, S. 1-7479. 29 EuGH, Urt. v. 24.1.1995, Rs. C-359/93, Kommission/Niederlande, Slg. 1995, S. 1-168 Rdnr. 27; Urt. v. 28.10.1999, Rs. C-328/96, Kommission/Österreich, Slg. 1999, S. 1-7479 Rdnr. 68 if. 30 EuGH, Urt. v. 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab / Heisingin kaupunki, Rdnr. 85. 31 EuGH, Urt. v. 20.9.1988, Rs. 31 / 87, Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 (4659) Rdnr. 30.

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Z i e l e 2 0 1 Dies kann nochmals am Beispiel der sogenannten Tariftreueerklärung demonstriert werden. Auch arbeitsmarkt- und sozialpolitisch intendierte Zwecksetzungen müssen diskriminierungsfrei ausgestaltet sein. Eine Diskriminierung liegt etwa vor, wenn benachteiligte Gruppen, deren Beschäftigung gefordert werden soll, nur durch Verweis auf nationale Vorschriften beschrieben werden. Denn hierdurch ist den Bietern aus anderen Mitgliedstaaten eine Angebotskalkulation innerhalb der Angebotsfrist nur erschwert möglich. Dieser Gesichtspunkt ist auch bei der Tariftreueerklärung von Bedeutung. Eine Tarifireueerklärung, die ohne weitere Spezifizierung zur Einhaltung der am Ort der Auftragsausführung geltenden Tarifverträge verpflichtet - auf diese gleichsam dynamisch verweist - , wirkt mittelbar diskriminierend. 32 Es bedeutet für Bieter aus anderen Mitgliedstaaten eine Erschwerung gegenüber ihren deutschen Konkurrenten, sich mit den Einzelheiten des deutschen TarifVertragssystems vertraut machen zu müssen. Dies gilt insbesondere bei größeren Aufträgen, bei denen unter Umständen verschiedene Tarifverträge einschlägig sind. Diskriminierungsfrei wäre hingegen eine Ausgestaltung, die für die bei der Leistungserbringung vorzunehmenden Arbeiten in den Vergabeunterlagen Mindestlöhne festlegt, die den Tariflöhnen entsprechen.33

II. Aufträge unterhalb der Schwellenwerte Wie bereits angedeutet, ist das Erreichen der Schwellenwerte für die Beurteilung der Zulässigkeit vergabeexterner politischer Zielsetzungen nicht von so großer Bedeutung wie etwa im Bereich des Rechtsschutzes34. Zwar sind die sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien nur bei Erreichen der Schwellenwerte anwendbar, jedoch enthalten sie - wenn die externe Zielsetzung als besonderes zusätzliches Zuschlagskriterium formuliert ist - gerade keine Regelung über die 32

Monika Böhm / Claudia Danker, Politische Zielvorgaben als Vergabekriterien, NVwZ 2000, S. 767 (768); Karenfort / v. Koppenfels /Siebert (Anm. 12) S. 1831 f.; Michael Kling, Tariftreue und Dienstleistungsfreiheit, EuZW 2002, S. 229 (232ff.); Fridhelm Marx, Vergabefremde Aspekte im Lichte des europäischen und des deutschen Rechts, in: Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 77 (86). 33 Zur Vereinbarkeit der Festlegung von Mindestlöhnen mit den Grundfreiheiten EuGH, Urt. v. 23.11.1999, Rs. C-369/96 u. C-376/96, Arblade / Leloup, Slg. 1999, S. 1-8453 Rdnr. 41 f. 34 Zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte vgl. nur Martin Freitag, Vergaberechtsschutz unterhalb der europäischen Schwellenwerte, NZBau 2002, S. 204 ff; Jens-Hinrich Binder, Effektiver Rechtsschutz und neues Vergaberecht, ZZP 113 (2000), S. 195 ff; Oliver Dörr, Das deutsche Vergaberecht unter dem Einfluss von Art. 19 Abs. 4 GG, DÖV 2001, S. 1014 ff; Matthias Krist, Gerichtlicher Rechtsschutz in Vergabeverfahren unterhalb der EU-Auflragssch wellen werte, VergabeR 2001, S. 373 ff.

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Zulässigkeit dieses Kriteriums. Die primärrechtlichen Vorschriften des EGVertrags gelten jedoch für Aufträge oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte gleichermaßen. Gleiches gilt für die verfassungsrechtlichen Vorgaben und die Basisparagraphen der Verdingungsordnungen, auf die gleich einzugehen sein wird.

1. Bindungswirkung der Verdingungsordnungen Gerade für die Kommunen könnte ein wesentlicher Unterschied allerdings in der Unanwendbarkeit des § 97 Abs. 4 Hs. 2 GWB bestehen. Unterhalb der Schwellenwerte bedarf die Einführung vergabeexterner Zielsetzungen in das Vergabeverfahren keiner Grundlage in einem formellen Gesetz. Diese Freiheit ist allerdings zunächst nur eine solche von der Form einer gesetzgeberischen Entscheidung. Für die Frage der inhaltlichen Freiheit zur Implementation vergabefremder Zwecke ist - abgesehen von den bereits behandelten Bindungen durch das EG-Recht und den noch zu behandelnden, durch das Verfassungsrecht gezogenen Grenzen - zweierlei von Bedeutung: zunächst die Frage, wie weit die Bindung der Kommunen durch die Verdingungsordnungen reicht oder - anders gewendet - inwieweit die Kommunen von den Verdingungsordnungen abweichen können, und anschließend die Untersuchung der von den Verdingungsordnungen formulierten Anforderungen an die Zulässigkeit der Einführung externer Zwecke. Soweit es um Vergaben oberhalb der Schwellenwerte geht, dürfte mittlerweile weitgehende Einigkeit bestehen, dass den Verdingungsordnungen Teil A vermittels des in § 97 Abs. 6, § 127 GWB, §§ 4 ff. VgV verankerten sogenannten Kaskadenprinzips jedenfalls im Umfang der Verweisung der Charakter außenverbindlicher Rechtsnormen zukommt. 35 Für die Basisparagraphen der Verdingungsordnungen in der Anwendung auf Aufträge unterhalb der Schwellenwerte gilt dies jedoch nicht. Die Geltung der Basisparagraphen der Verdingungsordnungen für die Kommunen trägt nach ganz überwiegender Auffassung lediglich den Charakter von Verwaltungsvorschriften ohne Außenwirkung. 36 Dies ist zwar richtig, ändert jedoch nichts daran, dass die Bindung der Kommunen eine rechtliche ist. Soweit die Gemeindehaushaltsverordnungen nicht wie etwa in Brandenburg (§ 29 GemHVO Bbg.) oder Mecklenburg-Vorpommern (§ 29 GemHVO M - V ) VOB und VOL unmittelbar für anwendbar erklären, verweisen sie für die Vergabegrundsätze in der Regel auf die Bekanntma35

Horst Kuß, Verdingungsordnung fur Bauleistungen, 3. Aufl. 2002, Einführung Rdnr. 16; Gerd Motzke, in: Motzke / Pietzcker / Prieß, VOB Teil A, 2001, Syst III Rdnr. 70 ff. 36 Kuß (Anm. 35) Einführung Rdnr. 16\ Motzke (Anm. 35) Syst III Rdnr. 147 ff.

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Z i e l e 2 0 3 chung der Vergabegrundsätze durch die Innenministerien (§ 30 Abs. 2 HessGemHVO; § 31 Abs. 2 GemHVO RP; § 31 Abs. 2 GemHVO NW; § 31 Abs. 2 GemHVO BW; § 31 Abs. 2 SächsGemHVO; § 32 Abs. 2 NdsGemHVO). Durchweg ordnen diese Bekanntmachungen die Anwendung von VOB und VOL an. Auch die Stufung Gemeindehaushaltsverordnung - Bekanntmachung - Verdingungsordnung aber schneidet den Kommunen die Möglichkeit, von den Verdingungsordnungen abzuweichen, ab. 37 In den Ländern, in denen die Geltung der Verdingungsordnungen für die Kommunen lediglich auf der gemeindehaushaltsrechtlich vorgesehenen Bekanntmachung der Vergabegrundsätze durch das Innenministerium beruht, steht es allerdings dem Innenministerium frei, die Berücksichtigung vergabeexterner Zielsetzungen durch ergänzende Richtlinien anzuordnen. Diese ergänzenden Richtlinien haben dann den gleichen Rang wie die Verdingungsordnungen und modifizieren diese; erst die Zusammenschau von Verdingungsordnungen und ergänzenden Richtlinien ergibt die in den Gemeindehaushaltsverordnungen genannten, durch das Innenministerium zu konkretisierenden Vergabegrundsätze. 38 Die Kommunen sind dann an die Verdingungsordnungen in der modifizierten Form gebunden. Diese Möglichkeit zur Modifikation der Verdingungsordnungen durch ergänzende Richtlinien entfällt, soweit die Verdingungsordnungen unmittelbar durch die Gemeindehaushaltsverordnungen für anwendbar erklärt werden. Sachsen ist neuerdings den Weg gegangen, ein Landesvergabegesetz zu erlassen, das die Vorschriften der Verdingungsordnungen ergänzt. 39

2. Zulässigkeit vergabeexterner Zielsetzungen nach den Verdingungsordnungen Inhaltlich setzt der jeweilige Abschnitt 1 der Verdingungsordnungen der Berücksichtigung externer Zielsetzungen enge Grenzen. Die den gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien zugrundeliegenden und in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB für das nationale Recht oberhalb der Schwellenwerte zum Ausdruck gebrachten Prinzipien des Vergaberechts - Wettbewerb, Transparenz und Diskriminierungsfreiheit - haben auch Eingang in die Verdingungsordnungen gefunden. § 2 Nr. 1 S. 2 VOB / A und § 2 Nr. 1 Abs. 1 VOL / A fordern übereinstimmend, dass die Vergabe im Wettbewerb die Regel sein muss. § 2 Nr. 2 VOB / A und § 2 Nr. 2 VOL / A schreiben das Gebot der diskriminierungsfrei-

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Christoph Riese, Vergaberecht, 1998, S. 206 f. Riese (Anm. 37) S. 205. 39 Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Freistaat Sachsen vom 8.7.2002, Sächs-GVBl. 218. 38

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en Vergabe ausdrücklich fest. Das Gebot, wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen zu bekämpfen (§ 2 Nr. 1 S. 3 VOB / A, § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL / A), ist Ausdruck des Transparenzprinzips 40. Wiederum im Gleichklang mit dem Gemeinschaftsrecht verlangen die Verdingungsordnungen die Gleichbehandlung in- und ausländischer Bieter und verbieten die Beschränkung auf Bieter, die in bestimmten Bezirken ansässig sind (§ 8 Nr. 1 VOB / A, § 7 Nr. 1 Abs. 1 V O L / A ) . Anderes gilt für die Forderung von Nachweisen betr. die unter dem Oberbegriff der Eignung zusammengefassten bieterbezogenen Kriterien. Im Unterschied zu den Vergaberichtlinien kennt insbesondere § 7 Nr. 4 VOL / A keinen enumerativ wirkenden Katalog von Nachweisen, die gefordert werden dürfen. Es steht vielmehr im durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkten Ermessen des Auftraggebers, welche Nachweise der Eignung er verlangt. 41 Inhaltlich dürfen sich diese Nachweise allerdings nur auf die Fachkunde, die Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit beziehen und dies auch nur, soweit es durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt ist (§ 7 Nr. 4 VOL / A). Dies schließt es auch auf der Ebene der Verdingungsordnungen aus, eine Tarifireueerklärung als bieterbezogenes Kriterium einzuführen. Abweichend ist hingegen beispielsweise die sog. Scientology-Erklärung zu bewerten, wenn sie dem Unternehmen die Versicherung abverlangt, nicht nach ScientologyTechnologie geführt zu werden und diese Technologie abzulehnen. Bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte ist dieser nicht vorgesehene zusätzliche Nachweis generell unzulässig42 (anderes gilt, wenn er als besonderes zusätzliches Kriterium gefasst ist 43 ). Unterhalb der Schwellenwerte ist das Abfordern der Erklärung als Nachweis der Zuverlässigkeit nach § 7 Nr. 4 VOL / A zulässig, soweit es sich beispielsweise um die Vergabe von Beratungs- und Schulungsleistungen handelt. Der Zuschlag ist sowohl nach VOB / A (§ 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 2) als auch nach V O L / A (§ 25 Nr. 3 S. 1) auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Die Angabe aller Zuschlagskriterien, die bei der Wertung berücksichtigt werden sollen, ist zwar empfehlenswert, aber anders als bei Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte (§§ 25a VOB / A, 9a VOL / A) nicht zwingend vorgeschrieben. Ungeachtet dessen kommen zur Bestimmung des wirtschaftlichsten Ange-

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Dieter B. Schütte / Michael Horstkotte, Vergaberecht bei öffentlichen Aufträgen, 2001, S. 9. 41 Malte Müller-Wrede, in: ders. (Anm. 5) § 7 Rdnr. 31. 42 Benedict (Anm. 2) S. 136; Hans-Joachim Prieß / Christian Pitschas, Die Vereinbarkeit vergabefremder Zwecke mit dem deutschen und europäischen Vergaberecht, ZVgR 1999, S. 144 (146 f.). 43 Vgl. Prieß / Pitschas (Anm. 42) S. 150 f.

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Z i e l e 2 0 5 bots nur auf die Leistung bezogene Kriterien in Betracht. 44 Hierzu zählen weder die Tariftreue des Unternehmens 45 noch das Vorhandensein von Frauenförderplänen 46 noch andere vergabeexterne politische Zielsetzungen. Fasst man den Rechtszustand nach den Verdingungsordnungen in seiner Bedeutung für kommunale Auftraggeber kurz zusammen, so müssen sich diese jedenfalls in dem durch die Verdingungsordnungen gezogenen und ggf. durch ergänzende Richtlinien modifizierten Rahmen bewegen. Eigenständige Möglichkeiten zur Verfolgung externer politischer Zwecksetzungen mit den Mitteln des Vergaberechts haben sie nicht. A u f der Stufe der Eignungsprüfung sind nur auf die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Bieters bezogene Kriterien zulässig, für die Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots nur leistungsbezogene Kriterien.

3. Verfassungsrechtliche Bewertung In der Konsequenz heißt dies, dass das Verfassungsrecht dem Vergabeverhalten der Kommunen kaum Grenzen setzen kann, die sich nicht schon aus dem EG-Vertrag oder den Verdingungsordnungen ergeben. Die Bedeutung des Grundgesetzes im Vergaberecht, soweit es vergabefremde Zwecke anbetrifft, besteht primär darin, Maßstäbe für die Prüfung der Einführung vergabeexterner Zielsetzungen auf Bundes- und Landesebene - sei es durch Gesetz oder Rechtsverordnung, sei es durch Erlass - zu errichten. Da es sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge um Handeln der öffentlichen Gewalt handelt, wird mit Blick auf Art. 1 Abs. 3 GG kaum noch ernsthaft bestritten, dass die Auftragsvergabe unter Bindung an die Grundrechte erfolgt. 47 Je nach Konstellation können verschiedene Grundrechte thematisch einschlägig sein. Im Falle der sog. Tariftreueerklärung ist an die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit, im Falle der sog. ScientologyErklärung etwa an die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Art. 4 GG zu denken. Schließlich könnte die Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) bzw. die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) konkurrierender Bieter durch eine Vergabeentscheidung berührt werden. Jedenfalls hinsichtlich der letzteren Grundrechte fehlt es allerdings am Vorliegen eines Grundrechtseingriffs. Die Vergabe eines

44

Noch (Anm. 5) § 25 Rdnr. 88. Thomas Αχ , Vergabemanagement für öffentliche Auftraggeber, 2000, S. 126; Noch (Anm. 5) § 25 Rdnr. 119; Riese (Anm. 37) S. 236. 46 Noch (Anm. 5) § 25 Rdnr. 116; Riese (Anm. 37) S. 253. 47 Martin Burgi, Vergabefremde Zwecke und Verfassungsrecht, NZBau 2001, S. 64 (65); Boesen (Anm. 11) Einl. Rndr. 86; Müller-Wrede (Anm. 41) Einl. Rdnr. 19. 45

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Auftrags an den erfolgreichen Bieter führt zu keiner Verschlechterung einer vorhandenen Position der Mitbieter. 48 Schwieriger ist die Frage des Vorliegens eines Grundrechtseingriffs für andere schutzbereichlich einschlägige Freiheitsgrundrechte zu beantworten. Ein Grundrechtseingriff kann dabei nicht schon deshalb verneint werden, weil kein Ge- oder Verbot ausgesprochen wird und dem staatlichen Handeln deshalb die Finalität fehlt. 49 Dass die Grundrechte des Grundgesetzes nicht nur vor finalen Eingriffen, sondern ebenso vor mittelbar-faktischen nachteiligen Wirkungen schützen, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26.6. 2002 in aller Deutlichkeit ausgesprochen50. Ohne dass dieser Problembereich hier vertieft werden müsste, kommt es vielmehr auf das Vorliegen einer gewährleistungsgehaltsbezogen zu ermittelnden Eingriffsintensität an 51 . Sie kann durchaus von Branche zu Branche differieren. In den Teilen der Baubranche, die ihre Aufträge ganz überwiegend von der öffentlichen Hand erhalten, wird sich das Erreichen der erforderlichen Intensitätsschwelle kaum bestreiten lassen. Die weitere Frage ist dann die, ob und wie sich ein staatliches Einschreiten zum Schutz der tariflichen Entlohnung aus grundrechtlicher Perspektive rechtfertigen lässt. Unabhängig von dieser im Einzelfall möglichen Einschlägigkeit von Freiheitsgrundrechten, sind Vergabeentscheidungen generell am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. 52 Die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes kann nur in sach- und regelungsspezifischer Abwägung erfolgen. 53 Was in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein festlegen, sondern nur stets in Bezug auf die Eigenart des konkreten Sachbereichs, der geregelt werden soll. 54

48

Burgi (Anm. 47) S. 66. So aber Burgi (Anm. 47) S. 71. 50 BVerfG NJW 2002, S. 2626 ff. 51 Im einzelnen Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 553. 52 BVerfGE 55, S. 72 (88); 82, S. 60 (86); 84, S. 197 (199); 95, S. 39 (45); BVerfG NJW 2000, S. 3341 (3342). 53 Lerke Osterloh, in: Sachs (Hrs.), Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 3 Rdnr. 37. 54 BVerfGE 90, S. 145 (195 f.). 49

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Z i e l e 2 0 7 Für die Gleichheitsprüfung von Beschaffungsvorgängen bedeutet dies, dass der Auftraggeber die Auswahl unter den Bietern unter den Gesichtspunkten der sachgerechten und wirtschaftlichen Auftragserfüllung treffen muss. Dies heißt nicht, dass die Berücksichtigung anderer Auswahlkriterien unzulässig wäre; jedoch müssen diese einer Rechtfertigungsprüfung standhalten.55 Elemente dieser Prüfung sind die Legitimität des mit dem externen Kriterium verfolgten Ziels, die Eignung des Kriteriums zur Erreichung des Ziels, das geringstmögliche Maß der Ungleichbehandlung sowie die Angemessenheit des Kriteriums zur Verwirklichung des Differenzierungsziels. 56 An dieser Stelle endet allerdings weitgehend die Einigkeit. Welche Folgerungen aus dem dargestellten Befund gezogen werden können, ist von den Grundsätzen bis in die Einzelheiten äußerst umstritten. Die Facetten der Diskussion reichen von der Anerkennung einer legitimierenden Wirkung aller verfassungsrechtlich zulässigen Ziele mit einer wohl nur in Ausnahmefällen zur Unzulässigkeit des vergabeexternen Ziels führenden Verhältnismäßigkeitsprüfung 57 bis zur generellen Anzweiflung der Eignung vergabefremder Kriterien mit Blick auf die Zufälligkeit des Auftretens der Bieter in diesem Marktsegment, so dass eine Regelung über ein allgemeinverbindliches Gesetz erfolgen müsste58. Richtigerweise wird man aber zu bedenken haben, dass die sachliche Vertretbarkeit eines Kriteriums im Rahmen der Gleichheitsprüfung nur mit Blick auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs beurteilt werden kann. Prägend für diese Eigenart sind für das Vergabewesen die Gesichtspunkte der sachgerechten und wirtschaftlichen Auftragserfüllung. Deshalb wird es für die Zulässigkeit externer Zwecksetzungen darauf ankommen, dass diese einen Bezug zu den genannten Gesichtspunkten aufweisen, also zur Leistung oder - insbesondere bei Dienstleistungsaufträgen - zur Leistungserbringung. Kriterien, die wie die Forderung nach einer umweltfreundlichen Betriebsorganisation allein unternehmensbezogen sind, entbehren dieses notwendigen Bezugs.59 Um zu der in diesem Beitrag gleichsam als „roter Faden" verwendeten Tariftreueerklärung zurückzukommen: Sie dürfte auch dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gewachsen sein. Der erforderliche Leistungsbezug wird sich mit der Begründung, wirtschaftlich handele es sich bei der finanziellen Gegenleistung

55 Hermann Pünder, Zu den Vorgaben des grundgesetzlichen Gleichheitssatzes für die Vergabe öffentlicher Aufträge, VerwArch Heft 1 / 2004. 56 Burgi (Anm. 47) S. 70; Pünder (Anm. 55). 57 Pünder (Anm. 55). 58 Vgl. Thomas Puhl, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), S. 456 (497). 59 Burgi (Anm. 47) S. 70 f.

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des öffentlichen Auftragsgebers um die Honorierung der von den einzelnen Arbeitskräften für den Staat erbrachten Leistungen60, kaum herstellen lassen. Dem öffentlichen Auftraggeber steht rechtlich wie wirtschaftlich als Partner allein das Unternehmen, nicht dessen Beschäftigte gegenüber. Honoriert werden nicht die Leistungen der Arbeitskräfte, sondern die Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistung des Unternehmens. Sonst wäre der öffentliche Auftrag für das Unternehmen ein Nullsummenspiel ohne die Möglichkeit einer den Aufwand übersteigenden Gewinnerzielung. Das innerbetriebliche Entlohnungssystem ist ein rein unternehmensbezogenes Kriterium. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn das Unternehmen keine Tariflöhne zahlt, obwohl es tarifgebunden ist. In diesem Fall könnte überlegt werden, an der Eignung des Bieters zu zweifeln. Anders als bei den üblichen Tariftreueerklärungen kommt es hier jedoch auf die Entlohnung nach der für das Unternehmen geltenden Tarifbindung, nicht jedoch auf den Tariflohn am Ort der Leistungserbringung an.

III. Schlussbetrachtung Ein Resümee der Möglichkeiten der Kommunen, vergabeexterne politische Zielsetzungen mit Mitteln des Vergaberechts zu verfolgen, kann keine Chancen für eigenständige politische Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen. Für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte ergibt sich dies schon daraus, dass nach § 97 Abs. 4 Hs. 2 GWB die Berücksichtigung jener Zielsetzungen nur auf der Grundlage eines formellen Bundes- oder Landesgesetzes möglich ist. Darüber hinaus ziehen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags sowie - auf verfassungsrechtlicher Ebene - insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz Zulässigkeitsgrenzen. Erschweren die nicht der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienenden Kriterien die Wettbewerbsteilnahme von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten im Vergleich mit deutschen Bietern, so sind sie grundsätzlich unzulässig, wenn sie nicht ausnahmsweise durch zwingende Allgemeininteressen gerechtfertigt werden können. Art. 3 Abs. 1 GG schließt externe Zwecksetzungen ohne Bezug zur Leistung oder Leistungserbringung, insbesondere unternehmensbezogene Kriterien, aus. Die Anforderungen gelten auch für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte. Die Spielräume der Verdingungsordnungen zur Berücksichtigung vergabefremder Zwecke sind gering. Auch auf dieser Ebene ist der Eignungs- und Leistungsbezug der Kriterien notwendig. Eine Ausnahme besteht lediglich in den Ländern, in denen die Geltung der Verdingungsordnungen für die Kommunen auf einer ministeriellen Bekanntmachung beruht und ergänzende Richtlinien 60

So aber Burgi (Anm. 47) S. 71.

Möglichkeiten und Grenzen der Verfolgung externer politischer Z i e l e 2 0 9 externe Zielsetzungen in das Vergabeverfahren einfuhren. Hier gelten die Verdingungsordnungen für die Kommunen in dieser modifizierten Form. Dies ändert nichts daran, dass vergabefremde Kriterien materiell nur auf äußerst zurückgezogener Linie zulässig sind. Die öffentliche Hand ist eben nicht irgendein Nachfrager.

Verzeichnis der Referenten Dr. Ralf von Ameln, Prof., Europabüro der Deutschen Kommunalen Selbstverwaltung, Brüssel Uwe Geske, Vorstandsvorsitzender der Kreis- und Stadtsparkasse Speyer Dr. Jochen Grünhage, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Brüssel Godehard Hennies, Geschäftsführer des Wasserverbandstags e.V. Bremen / Niedersachsen / Sachsen-Anhalt, Hannover Dr. Lutz Horn, Rechtsanwalt, Clifford Chance Pünder, Frankfurt a. M. Dr. Ute Jasper, Rechtsanwältin, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Bruno Klein, Miniserialdirigent, Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheiland-Pfalz, Mainz Peter Lubenau, Dipl.-Ing., Leiter der Stadtentwässerung Ludwigshafen Dr. Takenori Murakami , Universität Osaka, Japan Dr. Rainer Pitschas, Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Michael Ronellenftisch,

Univ.-Prof., Universität Tübingen

Dr.-Ing. Karl-Heinz Schweig, Prof., Fachhochschule Gelsenkirchen Dr. Jan Ziekow, Speyer

Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften