Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch: Beiträge zum 1. Speyerer UGB-Forum vom 21. und 22. Oktober 1999 und zum 2. Speyerer UGB-Forum vom 19. und 20. März 2001 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428510054, 9783428110056

Während die Bundesregierung Mitte des Jahres 1999 auf die im Regierungsprogramm von 1998 angekündigte Kodifikation des d

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Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch: Beiträge zum 1. Speyerer UGB-Forum vom 21. und 22. Oktober 1999 und zum 2. Speyerer UGB-Forum vom 19. und 20. März 2001 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428510054, 9783428110056

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Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 155

Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch Beiträge zum 1. Speyerer UGB-Forum vom 21. und 22. Oktober 1999 und zum 2. Speyerer UGB-Forum vom 19. und 20. März 2001 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Eberhard Bohne

Duncker & Humblot . Berlin

Bibliografische Infonnation Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0561-627\ ISBN 3-428-\\ 005-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Vorwort Wer es unterninunt, nach dem Verzicht der Bundesregierung auf ein Umweltgesetzbuch im Sonuner 1999 zwei wissenschaftliche Foren zur Schaffung eines Umweltgesetzbuchs durchzuführen und die Beiträge zu diesen Foren zu veröffentlichen, läuft Gefahr, als umweltpolitischer Sektierer ins wissenschaftliche und rechtspolitische Abseits zu geraten. Die gut besuchten Speyerer Foren zum Umweitgesetzbuch am 21. und 22. Oktober 1999 und am 19. und 20. März 2001 sowie die Bereitschaft namhafter Wissenschaftler, Politiker und Verwaltungspraktiker aus Deutschland, Österreich, Spanien und Schweden, die (fach-) öffentliche Diskussion über die Kodifikationen des Umweltrechts mit neuen Beiträgen fortzuführen, zeigen jedoch, dass das Thema "Umweitgesetzbuch" nicht "tot" ist. Die in Deutschland seit fast 30 Jahren verfolgte rechtspolitische Vision eines Umweltgesetzbuchs hat nichts von ihrer umwelt- und rechtspolitischen Anziehungskraft eingebüßt. Im Gegenteil, die Kodifikation des Umweltrechts hat inzwischen eine europäische Dimension gewonnen. So trat in Schweden am 1. Januar 1999 ein Umweitgesetzbuch (Miljöbalk) in Kraft, das rd. 15 mediale und sektorale Umweltgesetze ersetzte. Frankreich hat sein Umweltrecht ebenfalls in einem Umweltgesetzbuch (Code de l'environnement) vom 18. September 2000 zusanunengefasst. Dänemark, die Niederlande und Großbritannien verfügen über kodifikationsähnliche Umweltgesetze, die vor allem das Anlagemecht umfassen. Verschiedene Beiträge geben daher einen Überblick über die Entwicklung nationaler Anlagemechte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ferner bilden Beiträge zur Selbstregulierung und zu wirtschaftlichen Ameizinstrumenten einen Schwerpunkt der Diskussionen über neue Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch. Die Beiträge des 1. Speyerer Forums wurden aktualisiert und geben die Rechtslage am Ende des Jahres 2001 wieder. Der Herausgeber dankt der Autorin und den Autoren für ihre Kooperation und Geduld. Speyer, im Mai 2002

Eberhard Bohne

Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Nationale Umsetzungen der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien Aktuelle Entwicklungen zum Umweltgesetzbuch Von Franz-Jose[Feldmann ................................................................................. 13 Diskussion zu dem Referat von Franz-JosefFeldmann Von Sabine Frellzel ............................................................................................. 33 Umsetzung der UVP-Richtlinie bis zum Inkrafttreten eines Umweltgesetzbuches Von Jürgell Lindemann ....................................................................................... 37 Diskussion zu dem Referat von Jürgen Lindemann Von Sabine Frenzel ............................................................................................. 57 Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien in Österreich Von Waltraud Petek ............................................................................................ 59 Diskussion zu dem Referat von Waltraud Petek Von Sabine Frenzel ............................................................................................. 77 Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien in Schweden Von Björn Sälde .................................................................................................. 79 Diskussion zu dem Referat von Bjöm Sälde Von Sabine Frenzel ............................. ,............................................................... 89 Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien in Spanien Von Cesar Colino ............................................................................................... 93 Diskussion zu dem Referat von Cesar Colino Von Sabine Frenzel ........................................................................................... 109

8

Inhaltsverzeichnis

Muddling-Through im Umweltrecht Von Eberhard Bohne ........................................................................................ 113 Diskussion zu dem Referat von Eberhard Bohne Von Sabine Frenzel ........................................................................................... 197

Zweiter Teil

Anreizinstrumente im Rahmen eines Umweltgesetzbuches Umweltaudit und Anlagengenehmigung Von Hel/mut Wagner ........................................................................................ 201 Diskussion zu dem Referat von Hellrnut Wagner Von Burkhard Margies ..................................................................................... 221 EG-Initiative zur Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts Von ChristofSangenstedt ................................................................................. 223 Diskussion zu dem Referat von Christof Sangenstedt Von Stefanie Gil/e ............................................................................................. 237 Rechtsrahmen für Umweltvereinbarungen in einem Umweltgesetzbuch Von Jürgen Knebel ........................................................................................... 243 Diskussion zu dem Referat von Jürgen Knebel Von Mike Weber ................................................................................................ 261 Die Emanzipation der Abwasserabgabe vom Ordnungsrecht im Rahmen der EG-Wasserrahmenrichtlinie und eines Umweltgesetzbuches Von Dieter Ewringmann ................................................................................... 265 Diskussion zu dem Referat von Dieter Ewringmann Von Kathrin Schwalb ........................................................................................ 295 Zur Zweckbindung von Umweltsteuern im Rahmen eines Umweltgesetzbuches Ein verfassungsrechtlicher Beitrag zur Zwecksteuer und zum Grundsatz der Gesamtdeckung des Haushalts Von Peter Selmer .............................................................................................. 297

Inhaltsverzeichnis

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Diskussion zu dem Referat von Peter Selmer Von Stefan Kleb ................................................................................................ 315 Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform Von Michael Müller .......................................................................................... 3 19 Diskussion zu dem Referat von Michael Müller Von Oliver Schmidt ........................................................................................... 33 1

Dritter Teil

Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch Abstimmung von Anreizinstrumenten mit dem Ordnungsrecht im Rahmen eines Umweitgesetzbuchs Von Reinhard Hendler ...................................................................................... 337 Diskussion zu dem Referat von Reinhard Hendler Von Marion Weschka ........................................................................................ 355 Einstieg in ein Umwe1tgesetzbuch Von Eberhard Bohne ........................................................................................ 359 Diskussion zu dem Referat von Eberhard Bohne Von Oliver Graf ............................... ................................................................. 387 Sachverzeichnis .......................................................................................................... 393 Verzeichnis der Referenten, Berichterstatter und Diskussionsteilnehmer .................. 399

Erster Teil

Nationale Umsetzungen der IVU-, UVP- und Seveso li-Richtlinien

Aktuelle Entwicklungen zum Umweltgesetzbuch

Von Franz-J osef Feldmann •

I. Ziele des Umweltgesetzbuches Die Bundesregierung hat sich seit langem die Harmonisierung und Fortentwicklung des Umweltrechts in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch (UGB) zum Ziel gesetzt. So ist die Absicht, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, erneut Gegenstand der Koalitionsvereinbarung l der derzeitigen Legislaturperiode. Auch in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers2 vom 10. November 1998 wird das Umweltgesetzbuch als wichtiges Gesetzgebungsvorhaben angeführt. 1. Bisherige Entwicklungen zur Harmonisierung und Fortentwicklung

des Umweltrechts in einem einheitlichen UmweItgesetzbuch a) Die Notwendigkeit eines Umweltgesetzbuches

Das Umweltrecht in Deutschland präsentiert sich dem Rechtsanwender uneinheitlich: Einerseits ist die deutsche Umweltgesetzgebung Ausdruck eines gestiegenen Umweltbewusstseins und verschärfter Anforderungen an die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen. Andererseits stellt es sich in seiner historisch gewachsenen Ausgestaltung - ergänzt durch europarechtliche Vorgaben als Nebeneinander von zahlreichen Fachgesetzen dar.

• Die Darstellung gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder, die nicht identisch mit der Auffassung des Bundesumweltministeriums sein muss. I Aufbruch und Erneuerung - Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert, Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen, Bonn, 20. Oktober 1998, Kap. IV Nr. 2, Kap. IX Nr. 9. 2 Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bonn, 10. November 1998, "Weil wir Deutschlands Kraft vertrauen ... ", Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 10. November 1998, Nr. 484/98, S. 10.

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Franz-J osef Feldmann

Ein Umweltgesetzbuch kann neben einer besseren Überschaubarkeit insbesondere die vorhandene Zersplitterung des geltenden Umweltrechts aufheben. Regelungslücken wie aber auch teilweise auftretende Wertungswidersprüche im Umweltrecht können so beseitigt werden. Durch Vereinheitlichung und Vereinfachung des Umweltrechts soll der ökologische Rechtsrahmen fiir die soziale Marktwirtschaft geschaffen werden.

b) Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum UGB Bereits 1992 wurde eine Unabhängige Sachverständigenkommission vom Bundesumweltrninisterium mit dem Auftrag eingesetzt, ein einheitliches Umweltgesetzbuch zu erarbeiten. Deren Entwurf3 liegt seit dem 9. September 1997 vor. Der Entwurf der Sachverständigenkommission gliedert sich in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil. In dem Allgemeinen Teil werden die übergreifenden und allgemeinen Rechtsgrundsätze des Umweltrechts zusammengefasst und sozusagen vor die Klammer gezogen. Er enthält Vorschriften zu den Grundlagen des Umweltschutzes, zu Recht- und Regelsetzung, zur Planung, zur Zulassung von Vorhaben, zum Produktbereich, zur Überwachung, zum betrieblichen Umweltschutz, zur Umwelthaftung und zu sonstigen ökonomischen Instrumenten, zur Umweltinformation und zum grenzüberschreitenden Umweltschutz. Insgesamt gesehen sorgt der Allgemeine Teil fiir eine behutsame Fortentwicklung geltenden Rechts: So werden etwa im Abschnitt über die Grundlagen des Umweltschutzes die Leitlinien einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung aufgezeigt. Sie sollen dazu beitragen, dass die begrenzten Ressourcen auch noch künftigen Generationen in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Ein weiteres Beispiel ökologischer Modemisierung ist das Vorhabenzulassungsrecht. Der Entwurf der Sachverständigenkommission sieht eine integrierte Vorhabengenehmigung vor, mit der ein Vorhaben einheitlich und medienübergreifend auf seine Auswirkungen auf die Umwelt überprüft wird. Statt bei einer isolierten Betrachtung einzelner Auswirkungen auf Wasser, Boden oder Luft sowie Natur und Landschaft stehen zu bleiben, soll die beste Lösung für die Umwelt insgesamt verwirklicht werden. Neben dieser einheitlichen Vorhabengenehmigung sind weitere behördliche Zulassungen nicht erforderlich; eine Kompetenzzersplitterung zwischen verschiedenen Behörden soll demnach nicht mehr stattfmden. ) Bundesministerium fiir Umwelt. Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch: (UGB-KomE), Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998.

Aktuelle Entwicklungen zum Umweltgesetzbuch

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Belastungen für die Umwelt und den Menschen gehen jedoch nicht nur von Industrieanlagen aus. Ein neuartiges Kapitel über Produkte will schädliche Umweltauswirkungen bei der Herstellung und beim Gebrauch begrenzen. Ohne eine Zulassungspflicht für Produkte selbst vorzusehen, sollen bestimmte Pflichten der Hersteller, Vertreiber und Verwender normiert werden, die das jeweilige Produkt "von der Wiege bis zur Bahre" begleiten. Daneben soll durch das UGB auch die Eigenverantwortung im Umweltschutz gestärkt werden. Unverzichtbare Elemente der behördlichen Kontrolle und Überwachung sollen durch Eigenüberwachung und betrieblichen Umweltschutz, aber auch durch ökonomische Instrumente wie Umwelthaftung oder Umweltabgaben ergänzt werden. Des weiteren stärkt der Entwurf der Sachverständigenkommission die Mitwirkungsrechte des Bürgers. Durch weitgehenden Zugang zu Umweltinformationen soll er in den Stand versetzt werden, sich im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung besser einbringen zu können. Dem dient auch die intensivere Beteiligung von Verbänden im Rahmen der Vorhabengenehmigung. Der Besondere Teil schließlich gliedert sich in neun Kapitel, die spezielle Regelungen zu einzelnen Umweltmedien und Umwelteinwirkungen enthalten. Er befasst sich mit Naturschutz, Artenschutz, Landschaftspflege und Waldschutz, mit dem Bodenschutz und dem Gewässerschutz, mit Immissionsschutz und umweltschonender Energieversorgung, mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz. Auch der Umweltschutz bei Verkehrs- und Leitungsanlagen, bei der Gentechnik und sonstigen Biotechnik und bei gefährlichen Stoffen wird einbezogen. Mit einem Kapitel zur Abfallwirtschaft schließt der Besondere Teil des Umweltgesetzbuchs.

c) Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch

Der EntwUrf der Unabhängigen Sachverständigenkommission ist seinerzeit vom BMU4 als geeignete Grundlage für die weiteren Arbeiten am Umweltgesetzbuch aufgegriffen worden. Dabei war aber von vorneherein klar, dass das Projekt eines Umweltgesetzbuches nicht kurzfristig verwirklicht werden kann, sondern als langfristige Herausforderung für die Umweltpolitik zu verstehen ist und ein zu schaffender Regierungsentwurf eingehender Diskussionen bedarf. 4 Angela Merkel, Der Kommissionsentwurf - Innovative Gesetzgebung oder Vergeudung knapper politischer und administrativer Ressourcen?, in: Eberhard Bohne (Hrsg.), Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?: Der Entwurf eines Umweltgesetzbuches der Unabhängigen Sachverständigenkommission beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1999, S. 379 fT., S. 381.

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Franz-Josef Feldmann

Für das weitere Verfahren wurde in Aussicht genonunen, Schritt für Schritt zu einem einheitlichen Umweltgesetzbuch zu konunen. Schon vor Übergabe des Entwurfes der Unabhängigen Sachverständigenkommission stellte sich die Frage nach der Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie 5 und der lVU-Richtlinie6 in das deutsche Recht. Die lVU-Richtlinie schreibt ein integriertes Konzept für die Genehmigung von Industrieanlagen vor, um durch die vollständige Koordinierung des Genehmigungsverfahrens und der Genehmigungsauflagen in den Bereichen Luft, Wasser und Boden ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen. Die UVP-Richtlinie steht mit ihrer medienübergreifenden Umweltverträglichkeitsprüfung in einem engen Zusanunenhang mit der IVU-Richtlinie (vgl. Art. 9 Abs. 2). Eine einheitliche Umsetzung in einem Gesetzeswerk drängte sich deshalb auf. Nach intensiver Diskussion unter Beteiligung von Ländervertretern fiel im BMU im Frühjahr 1997 die Entscheidung, von einer Umsetzung der Richtlinien in den einzelnen geltenden Umweltgesetzen abzusehen und statt dessen den schon weitgehend bekannten Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission mit dem Vorschlag einer integrierten Vorhabengenehmigung aufzugreifen. In einem Ersten Buch zum Umweltgesetzbuch (UGB I) sollte zur Umsetzung der Richtlinien eine solche integrierte Vorhabengenehmigung geregelt werden, wenn auch unter Modifikationen, die sich unter anderem aus dem Charakter eines Ersten Buches ergeben. Zusanunen mit allgemeinen Vorschriften zur Zweckbestinunung des Gesetzes, zu allgemeinen Grundsätzen zum Schutz des Menschen und der Umwelt, insbesondere hinsichtlich der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, und zu grundlegenden Begrifflichkeiten sollten die Vorschriften zur Vorhabengenehmigung so einen Grundstein für später zu ergänzende Teile eines umfassenden Umweltgesetzbuches legen. 2. Stand des Gesetzgebungsvorhabens zum Ersten Buch des UGB (UGB I) Die Initiative des BMU für das Projekt Umweltgesetzbuch ist von der Konferenz der Umweltrninister von Bund und Ländern am 04./05.06.1997 begrüßt worden. Zur Förderung der Zusanunenarbeit zwischen Bund und Ländern wurde eine spezielle "Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Umweltgesetzbuch" eingerichtet.

5 Richtlinie 97/1 liEG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABL. EG Nr. L 73, S. 5. 6 Richtlinie 96/91 lEG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Venninderung der Umweltverschmutzung, ABL. EG Nr. L 257, S. 26.

Aktuelle Entwicklungen zum Umweltgesetzbuch

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Das BMU hat dann am 05.03.1998 einen (infonnellen) Arbeitsentwurf für ein UGB I vorgelegt. In dem Entwurf war im Schwerpunkt eine Regelung über die integrierte Vorhabengenehmigung vorgesehen, mit der einheitlich und medienübergreifend über die Zulassung raumbedeutsamer Vorhaben wie Industrieanlagen, Abfallentsorgungsanlagen und Deponien, Kläranlagen sowie Leitungsanlagen (Pipelines, Strornleitungen etc.) entschieden wird. Die Regelung sollte zugleich die Vorgaben der IVU-Richtlinie und der UVP-Richtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie in das deutsche Recht umsetzen. Der Entwurf war Gegenstand intensiver Diskussionen innerhalb der Bundesregierung und in der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft sowie der Fachöffentlichkeit7• Unter Berücksichtigung der Diskussionsergebnisse ist sodann mit Datum vom 31.08.1998 ein Referentenentwurf für ein UGB I fertiggestellt und zu diesem Entwurf Anfang September 1998 vom BMU die Ressortabstimmung eingeleitet worden. Die Ressortabstimmung konnte in der alten Legislaturperiode allerdings kaum mehr vorangebracht werden. Im Hinblick auf die bereits eingangs erwähnte Regierungserklärung des Bundeskanzlers ist in der neuen Legislaturperiode entschieden worden, das Gesetzesvorhaben UGB I unter Berücksichtigung eines von einigen Ländern vorgelegten Alternativentwurfes fortzuführen. Ein überarbeiteter Referentenentwurf vom 23.04.1999, der auch vereinheitlichte Regelungen zur Überwachung von Vorhaben und zum Umweltbeauftragten sowie das Umweltinfonnationsrecht enthielt, ist dann in die weitere Ressortabstimmung gegangen. Wiewohl die Frage nach den Gesetzgebungskompetenzen für die integrierte Vorhabengenehmigung von Anfang an bedacht worden ist und gute Lösungsansätze 8 aufgezeigt worden sind, waren die Verfassungsressorts in der weiteren Ressortabstimmung nicht zu überzeugen und hielten an kompetenzrechtlichen Bedenken in einem nicht für möglich gehaltenen Maße fest. Soweit die Vorschriften des UGB I die Sachmaterien Wasserhaushalt sowie Naturschutz und Landschaftspflege regeln sollten, standen ihnen äußerst restriktive Anforderungen gegenüber, die aus der Rahmenkompetenz des Art. 75 GG in der sich aus der Verfassungsrefonn 1994 ergebenden Fassung abgeleitet wurden. Der Entwurf hätte in einer Vielzahl von Punkten angepasst werden müssen, um den Forderungen der Verfassungsressorts Rechnung zu tragen. Bei einer derartigen Anpassung des UGB I wären jedoch die mit der Kodifikation und insbesondere die mit der Einführung der integrierten Vorhabengenehmigung verfolgten Ziel7 Hafls-Werner Reflgeliflg (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch I, Sechste Osnabrücker Gespräche zum deutschen und europäischen Umweltrecht, 1999. 8 Siehe UGB-KomE (Fn. 3), S. 613 f.; Hafls- Werner Rengeling, Gesetzgebungskompetenz für den integrierten Umweltschutz, Heymanns, 1999; Hans D. Jarass, Verfassungsrechtliche Kompetenzen des Bundes für ein Umweltgesetzbuch I, 1999, bislang unveröffentlichtes Gutachten. 2 Bohne

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setzungen der Vereinheitlichung, Vereinfachung und ökologischen Modemisierung des Umweltrechts verfehlt worden. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Zeitdrucks zur Umsetzung der EG-Richtlinien wurde Ende August 1999 entschieden, die Weiterverfolgung des Gesetzesvorhabens UGB I bis auf weiteres zurückzustellen und dem gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungsbedarf durch eine Änderung einzelner geltender Umweltgesetze nachzukommen. Bei diesem Gesetz geht es somit um ein ,,Artikelgesetz", das ursprünglich wegen der damit notwendigerweise verbundenen Bestätigung der Zersplitterung des Umweltrechts abgelehnt worden ist. Die Widerstände gegen das UGB I ließen leider keine andere Wahl. Das Artikelgesetz ist am 3.8.2001 in Kraft getreten. 9 Ungeachtet dessen will die Umweltpolitik am Projekt Umweltgesetzbuch festhalten. Um eine gesicherte verfassungsrechtliche Grundlage für eine bundeseinheitliche Kodifizierung des Umweltrechts durch ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, soll eine Initiative zur Erweiterung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ergriffen werden. Sobald eine gesicherte verfassungsrechtliche Grundlage vorhanden ist, sollen die Arbeiten am UGB I fortgeführt werden.

11. Konzeption des UGB I Es ist im Hinblick auf eine spätere Fortführung der Arbeiten am UGB I zu hoffen, dass sich mit dem Referentenentwurfvon August 1998 und der überarbeiteten Fassung von April 1999 mehr als nur eine rechtshistorische Perspektive verbindet. Zwar ist sehr fraglich, ob der Entwurf nach einer Erweiterung der Bundeskompetenzen unverändert wieder auflebt, seine auf den Arbeiten der Unabhängigen Sachverständigenkommission aufbauende Konzeption lO sollte aber auch in der Zukunft - trotz der geltend gemachten Bedenken - tragfähig sein. Es war beabsichtig, mit dem UGB I teilweise "Neuland" zu betreten. Die folgenden Punkte, die der Konzeption des Entwurfes zugrunde liegen, sollen nochmals das verfolgte Anliegen verdeutlichen.

BGBI 1 S. 1950. Horst Send/er, Zur Umsetzung der IVU- und der UVP-Änderungsrichtlinie durch ein Umweltgesetzbuch I, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1998, S. 7 fT. 9

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1. Modernisierung des Umweltrechts, insbesondere Vereinheitlichung und Vereinfachung Das Erste Buch zum Umweltgesetzbuch soll den ersten Schritt auf dem Weg zu einer Kodifikation des deutschen Umweltrechts bilden. Das Umweltgesetzbuch bedeutet eine grundsätzliche Weichenstellung zur Modemisierung des Umweltrechts; Ziel ist insbesondere seine Vereinheitlichung und Vereinfachung. Es soll zugleich Rechtsentwicklungen auf europäischer Ebene Rechnung tragen, die zunehmend vom Gedanken der Integration, der Kohärenz und der Kodifikation gekennzeichnet sind. 2. Vereinheitlichung des Zulassungsrechts für umweltbedeutsame Vorhaben durch eine integrierte Vorhabengenehmigung Im Rahmen der erforderlichen Umsetzung der IVU-Richtlinie und der UVPÄnderungsrichtlinie in das deutsche Recht soll das Zulassungsrecht für umweltbedeutsame Vorhaben im UGB I neu geregelt und eine einheitliche Vorhabengenehmigung eingefUhrt werden, durch die eine die Bereiche Luft, Wasser und Boden sowie Natur und Landschaft umfassende Prüfung der Auswirkungen von umweltbedeutsamen Vorhaben erfolgt. Hierdurch soll zugleich das Zulassungsrecht als ein Kembereich des Umweltrechts vereinheitlicht und vereinfacht werden. 3. Verschmelzung von IVU und UVP in der Vorhabengenehmigung für Industrieanlagen Da die Umweltgesetzgebung zunehmend in die Schere zwischen Umsetzung des EG-Rechts und Wahrung der Besonderheiten und Gewohnheiten des deutschen Rechts mit einer sich daraus ergebenden Unübersichtlichkeit und Vielschichtigkeit des deutschen Umweltrechts gerät, soll mit der Umsetzung der Richtlinien das EG-Recht und das deutsche Recht pragmatisch zusammengefUhrt werden. Bloße Fortschreibungen des geltenden Rechts würden die Komplexität des Prüfungs- und Zulassungsverfahrens sowie den sich daraus ergebenden Verfahrensaufwand steigern und damit zu einem Weniger an Praktikabilität fUhren. Die Vorhabengenehmigung des UGB I integriert daher die Anforderungen der lVU, der UVP und des deutschen Zulassungsrechts in einem einheitlichen Verfahrens-, Prüfungs- und Entscheidungssystem ("VerschmeIzungsansatz"). Dadurch erübrigen sich ein spezielles lVU-Gesetz oder entsprechende Novellierungen des BlrnSchG und des WHG rur Industrieanlagen sowie des KrW-/AbfG für Deponien; auch das UVP-Gesetz wird insoweit obsolet. 2·

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4. UVP in der Vorhabengenehmigung als Basisprüfung für die Vielzahl weiterer umweltbedeutsamer Vorhaben Im Zuge der Vereinheitlichung soll das Prüfungs- und Zulassungsrecht fiir umweltbedeutsame Vorhaben pragmatisch an das europäische Verständnis der UVP herangeführt werden, die aufgrund des durch die Änderungsrichtlinie erheblich ausgeweiteten Anwendungsbereiches auf eine Basismethodologie rur die Breite umweltbedeutsamer Vorhaben abzielt. Um demgegenüber nicht angemessene Anforderungen der bisherigen UVP-Praxis in den Griff zu bekommen und um die UVP an dem gemeinschaftsrechtlich erforderlichen Maße zu orientieren, sollen die Verfahrens- und Prüfungsanforderungen der UVP in die Vorhabengenehrnigung integriert werden; Umfang und Tiefe der Prüfungen sollen auf das nach den Genehrnigungsvoraussetzungen Entscheidungserhebliche ausgerichtet werden. Einerseits werden dadurch ,,Auswirkungsgutachten" begrenzt; andererseits wird dadurch das Ergebnis der UVP bestimmend rur Genehrnigungsentscheidungen und Auflagen. 5. Integrativer Prüfungsansatz im Genehmigungsverfahren für Luft, Wasser und Boden sowie Natur und Landschaft Die Modernisierung des Umweltrechts soll der Entwicklung des Umweltschutzes von der vorwiegend medien- und symptombezogenen Gefahrenabwehr zu Vorsorge und nachhaltiger Entwicklung Rechnung tragen. Dieser Entwicklung entspricht ein integrativer Prüfungs ansatz im Genehrnigungsverfahren, der die Umwelt als Ganzes sowie die situativen Bedingungen eines Vorhabens und seiner Schutz- und Vorsorgemaßnahmen in den Blick nimmt. Dieser Prüfungsansatz dient zugleich der Effizienzsteigerung von Umweltschutzmaßnahmen. Die Vorhabengenehrnigung soll daher im Rahmen der Genehrnigungsvoraussetzungen rur eine integrative Prüfung geöffnet werden, die eine Berücksichtigung der genannten Aspekte ermöglicht. 6. Verzahnung von Genehmigungsverfahren und vorgelagerten Verfahren Im Zuge der Vereinfachung soll das Prüfungs- und Zulassungsrecht rur umweltbedeutsame Vorhaben flexibel sein rur Entlastungen durch vorgelagerte Verfahren. Werden dort bereits Umweltauswirkungen geprüft, kann der Umfang von Antragsunterlagen bei der Vorhabengenehrnigung entsprechend begrenzt werden. So kann auch die Prüfung von Eingriffen in Natur und Landschaft Gegenstand vorgelagerter Bauleitplanverfahren bleiben; entsprechend reduziert sich die Prüfung der Genehrnigungsvoraussetzungen (einschließlich der damit verschmolzenen UVP) im Genehrnigungsverfahren.

Aktuelle Entwicklungen zum Umweltgesetzbuch

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7. Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch untergesetzliches Regelwerk Rechtssicherheit und Wettbewerbs gleichheit sollen bei der integrativen Prüfung und Zulassung von umweltbedeutsamen Vorhaben gewährleistet sein. Das UGB I sieht daher wie schon das geltende Recht vor, dass die im Umweltrecht üblichen unbestimmten Rechtsbegriffe durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften konkretisiert werden, um dem Vollzug die erforderliche Anleitung zu geben. Das bisherige untergesetzliche Regelwerk wird fiir eine angemessene Übergangszeit beibehalten. Es soll zunehmend von einem mit den beteiligten Kreisen abgestimmten neuen Regelwerk abgelöst werden, in dem Vorsorgewerte zur Reinhaltung von Luft, Wasser und Boden integrativ abgeleitet und normiert werden. Ziel ist der Erlass einer Technischen Anleitung lVU. 8. Integrativer Verfahrensansatz und Wegfall paralleler Zulassungsverfahren Die Vorhabengenehmigung soll anwendungs- und vollzugs freundlich sein; die Regelungen sollen sich auf das Wesentliche beschränken und zu einem "Weniger" an Bürokratie fiihren. Das UGB I sieht daher fiir die Vorhabengenehmigung die Einrichtung eines einheitlichen Verfahrens vor. Neben einer besseren Übersichtlichkeit und Strukturierung der gesamten Regelungsmaterie werden dadurch insbesondere Vollzugsvereinfachungen und Verfahrensbeschleunigungen herbeigefiihrt; dem dienen vor allem die Einrichtung nur eines Antragserfordernisses fiir das gesamte Vorhaben bei nur einer Behörde und damit einhergehende Zuständigkeits- und Behördenstraffungen, die Einrichtung einer Antragsberatung und einer Antragskonferenz, der Wegfall paralleler Zulassungsverfahren mit aufwendiger Verfahrenskoordinierung und die Konzentration der Zulassung auf nur eine Genehmigung. 9. Einheitlicher Anwendungsbereich für IVUund UVP-ptlichtige Industrieanlagen Der Situation kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) soll bei der Vorhabengenehmigung Rechnung getragen werden. Das UGB I sieht daher vor, dass nur Anlagen mit besonderem Gefährdungspotential fiir Mensch und Umwelt der Vorhabengenehmigung unterworfen werden. Die abschließende Auflistung der genehmigungsbedürftigen Anlagen in der UGB-Vorhabenverordnung wird dabei europäisch ausgerichtet: Dem Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung unterliegen die nach den Richtlinien lVU- und UVP-pflichtigen Anlagen. Für Anlagen, die nicht lVU- oder UVP-pflichtig sind, wird grundsätzlich

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nur ein vereinfachtes Genelunigungsverfahren ohne Offentlichkeitsbeteiligung durchgefiihrt. Darüber hinaus wird ennöglicht, dass nach Maßgabe einer UGBAnzeigeverordnung an die Stelle des vereinfachten Genelunigungsverfahrens ein einfaches Anzeigeverfahren (unbeschadet einer baurechtlichen Genelunigungsbedürftigkeit nach Landesrecht) treten kann.

10. Vereinheitlichung des Rechts der staatlichen Überwachung für umweltbedeutsame Vorhaben Da die Zulassung und die Überwachung von umweltbedeutsamen Vorhaben nicht nur in der Praxis, sondern auch im Recht miteinander abgestimmt sein sollten, soll das UGB I die verschiedenen fachrechtlichen Vorschriften vereinheitlichen und vereinfachen. Ein einheitliches Kapitel über die Überwachung von Vorhaben soll das Kapitel über die Vorhabengenelunigung ergänzen. Da auch das Instrumentarium der eingreifenden Maßnahmen (nachträgliche Anordnungen etc.) in diesen Zusammenhang gehört, ist eine entsprechende Regelung als Teil dieses Kapitels vorgesehen. Dabei werden besondere Anforderungen berücksichtigt, die das Wasserhaushalts gesetz, das zunächst noch neben dem UGB I gilt, an das Einleiten von Abwasser bei Vorhaben stellt.

11. Stärkung der unternehmerischen Eigenverantwortung Zur Fortentwicklung des Umweltrechts soll eine Verzahnung der Vorhabengenelunigung und der staatlichen Überwachung mit modernen Instrumenten des Umweltschutzes gehören, die auf unternehmerische Eigenverantwortung abstellen, um einerseits Engagement und Initiative für innovativen Umweltschutz zu fördern und andererseits staatliche Ressourcen auf dringliche Aufgaben zu konzentrieren. Zu diesem Zweck sieht das UGB I eine angemessene Privilegierung für die Teilnahme am Umweltaudit vor. Darüber hinaus bietet es mit der Einheitlichkeit der Vorhabengenelunigung einen besseren Anknüpfungspunkt auch für andere Instrumente (Selbstverpflichtungen etc.). In diesen Zusammenhang gehört deshalb nicht nur eine allgemeine Regelung über die Eigenüberwachung von Vorhaben, sondern auch eine einheitliche Regelung des Umweltbeauftragten. Mit dieser Regelung werden die verschiedenen fachrechtlichen Betriebsbeauftragten zusammengefiihrt; das Instrument wird dadurch gestärkt. 12. Öffentlichkeits beteiligung, Informationszugang Die Beteiligung der Öffentlichkeit am Genelunigungsverfahren soll mit dem UGB I gestärkt werden. Im Zuge der Vereinheitlichung des Genelunigungsver-

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fahrens wird die Einwendungsbefugnis für jedermann, die bislang für imrnissionsschutzrechtlich genehrnigungsbedürftige Anlagen kennzeichnend war, auf weitere Vorhabenarten erstreckt; neben Industrieanlagen und Abfallentsorgungsanlagen sollen auch Kläranlagen, Deponien und Leitungsanlagen dieser Form der Öffentlichkeitsbeteiligung unterliegen. Die Einheitlichkeit des Verfahrens soll darüber hinaus für alle Beteiligten ein höheres Maß an Transparenz gewährleisten; auch der Rechtsschutz soll dadurch erleichtert werden. Ein eigenes Kapitel über den freien Zugang zu Umweltinformationen soll schließlich das UGB I abrunden. Das Umweltinformationsgesetz soll mit Änderungen, die aufgrund der Rechtsprechung insbesondere des Europäischen Gerichtshofes veranlasst sind, in das Dauerrecht des UGB I übernommen werden. Da der freie Zugang zu Umweltinformationen weit über die Bereiche der Vorhabengenehrnigung und der Überwachung hinaus von Bedeutung ist, soll das Kapitel Umweltinformation schon über dieses Kernstück des UGB I hinausweisen und zusammen mit dem Kapitel über die allgemeinen Vorschriften deutlich machen, dass das UGB I auf Ergänzung durch weitere Teile angelegt ist.

111. Widerstände gegen das UGB I Im Rahmen der Abstimmung des Referentenentwurfes für das UGB I sind verschiedenste Bedenken und Forderungen geltend gemacht worden. Neben den bereits erwähnten kompetenzrechtlichen Bedenken aufgrund des Art. 75 GG und einer daraus resultierenden Forderung nach kompetenzgerechter Ausgestaltung mit Regelungsspielräumen für die Länder ging es im Wesentlichen um Folgendes: Bedenken gegen ein eigenständiges Genehrnigungsverfahren im UGB I, Forderung nach Berücksichtigung des Vorrangs der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder. Bedenken gegen ein integratives Genehrnigungsverfahren, Forderung nach einer I: I-Umsetzung der UVP- und lVU-Richtlinien. Bedenken gegen den ,,AT" des UGB I mit allgemeinen Grundsätzen und Begriffiichkeiten, Forderung nach einem "schlanken" UGB I. Forderung nach einer "partizipativen" Ausgestaltung des UGB I. Diese Bedenken und Forderungen sollen im folgenden aufgezeigt werden; sie sind ggf. auch nach einen Wiederaufgreifen des Gesetzesvorhabens UGB I oder auch im Hinblick auf die Initiative zur Änderung des Grundgesetzes und einen sachgerechten Zuschnitt der Kompetenztitel von Bedeutung.

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1. Kompetenzgerechte Ausgestaltung des UGB I

Die kompetenzrechtlichen Bedenken und Forderungen waren in der Ressortabstimmung von besonderer Bedeutung, nicht zuletzt auch im Hinblick auf Alternativen für das UGB I. Trotz des Umstandes, dass die Regelungen des UGB I im Schwerpunkt Sachmaterien des Art. 74 GG betreffen und sie im Übrigen auch nicht annähernd Sachmaterien des Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG erschöpfen, wurde aufgrund der von den Verfassungsressorts vertretenen Forderungen zu Art. 75 GG, nicht nur ausfüllungsfähige sondern auch ausfüllungsbedürftige Gesetzgebungsspielräume für die Länder vorzusehen sowie unmittelbar geltende Regelungen auf Ausnahmefälle zu beschränken, im Laufe der Ressortabstimmung immer klarer, dass die Forderungen in letzter Konsequenz entweder zu einer weitgehenden Fassung der Vorschriften des UGB I als allgemeine Gesetzgebungsaufträge an die Länder oder zu einer Spaltung der einheitlichen und medienübergreifenden Vorhabengenehrnigung entsprechend der verfassungsrechtlichen Verteilung der Kompetenzen in den Artikeln 74 und 75 GG führen mußten. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen hätte nur entsprochen werden können, wenn dies umweltpolitisch und auch wirtschaftspolitisch akzeptabel erschienen wäre. Dabei ging es um folgende Zielsetzungen: Die IVU-Richtlinie und die UVP-Änderungsrichtlinie mit ihren grundlegenden Anforderungen für die Prüfung und Zulassung von Industrieanlagen und Deponien soll vollständig im UGB I umgesetzt werden. Mit der integrierten Vorhabengenehrnigung des UGB I soll eine Vereinheitlichung, Vereinfachung und ökologische Modernisierung des Zulassungsrechts erreicht werden. Entsprechend dieser Zielsetzung soll die Regelung des Verfahrens der Vorhabengenehrnigung nach Art und Umfang im Wesentlichen dem Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission (UGB-KornE) gleichkommen, zurnal dieser insoweit schon im Vergleich zum BIrnSchG und zur 9. BIrnSchV weniger detailliert ist. Öffnungsklauseln mit Gesetzgebungsaufträgen an die Länder dürfen Regelungsspielräume für die Länder nur soweit schaffen, wie über die Umsetzung der Richtlinien hinausgehende nähere Regelungen in den Bereichen Wasser sowie Natur und Landschaft möglich und erforderlich sind oder wie allgemein nähere Regelungen bestimmter Verfahrensschritte auf Länderebene sinnvoll sind. Diese Zielsetzungen wären jedoch nicht gewahrt worden. Eine Ausgestaltung des UGB I mit einer weitgehenden Fassung der Vorschriften als allgemeine Gesetzgebungsaufträge an die Länder, d.h. nur mit Regelungen auf weit abstrakterer Ebene als der des UGB-KornE, hätte die mit der Kodifikation des Zulas-

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sungsrechts und der Einführung der integrierten Vorhabengenehrnigung verfolgte Zielsetzung der Vereinheitlichung, Vereinfachung und ökologischen Modernisierung verfehlen müssen. Gleiches hätte für eine weitgehende Aufspaltung der Vorhabengenehrnigung (Vollregelung für Sachmaterien des Art. 74 GG, Rahmenregelung für Sachmaterien des Art. 75 GG) mit spezifischen Gesetzgebungsaufträgen in den Bereichen Wasser sowie Natur und Landschaft gelten müssen; die Aufspaltung hätte nur den status quo (einerseits Vollregelung des immissionsschutzrechtlichen Genehrnigungsverfahrens im BIrnSchG, andererseits Rahmenregelung des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren im WHG) widerspiegeln können, möglicherweise mit einigen allgemeinen Rechtsharrnonisierungen, aber auch mit neuen Disparitäten und Ungereimtheiten (z.B. Spaltung der bislang vorgesehenen einheitlichen Regelung des Erörterungstermins: einerseits als Vollregelung hinsichtlich Auswirkungen auf Luft und Boden, andererseits als Rahmenregelung hinsichtlich Auswirkungen auf Gewässer). Für die Umsetzung der IVU-Richtlinie hätte es dann auf jeden Fall der ergänzenden Vollregelung durch Novellierung von 16 Landeswassergesetzen bedurft; für die Umsetzung der UVP-Richtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie wäre dann sehr fraglich geworden, ob im UGB I die Einheitlichkeit der UVPVerfahrensregelungen entsprechend dem UVP-Gesetz noch hätte aufrecht erhalten werden können, ggf. mit der Folge, dass die in der Vorhabengenehrnigung vorgesehene Integration der UVP hätte aufgegeben werden müssen. Eine solche Ausgestaltung des UGB I erschien nicht mehr akzeptabel; erste Arbeiten für ein UGB I mit Öffnungsklauseln für die Länder haben dies sehr schnell aufgezeigt und sind deshalb nicht weiterverfolgt worden.

2. Verfahrensausgestaltung des UGB I Die Forderungen des Bundesministeriurns des Innern zur Verfahrensausgestaltung des UGB I, die sich auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom 20.11.1998 stützten, zielten aufgrund des postulierten Vorrangs der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder auf eine Regelung des Zulassungsverfahrens für umweltbedeutsame Vorhaben in diesen Gesetzen ab 11. Nur falls fachlich geboten, sollten daneben noch verfahrensrechtliche Sonderregelungen im UGB I möglich sein. Auf diese Weise sollten auch kompetenzrechtliche Probleme vermieden werden. Die Berücksichtigung dieser Forderungen hätte nicht nur die Auflösung der mit dem UGB I angestrebten bundeseinheitlichen Regelung des umfassenden Genehrnigungsverfahrens für umweltbedeutsame Vorhaben bedeutet, sondern in der Konsequenz ggf. auch der noch geltenden Regelung des immissionsschutzJ J Siehe dazu Horst Send/er, Verwaltungsverfahrensgesetz und Umweltgesetzbuch, NVwZ 1999, S. 132 ff.

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rechtlichen Genehmigungsverfahrens. Aus umweltpolitischer Sicht erschien dies als völlig inakzeptabel. Das Zulassungsrecht wäre unter Druck gekommen; mit dem Wettbewerbsföderalismus wären Einbrüche in umweltrechtliche Verfahrensstandards vorprogrammiert worden. Auch aus Sicht der Wirtschaft hätte in einem größer werdenden Europa an dieser Auflösung der Bundeseinheitlichkeit des Verfahrensrechts letztlich kein Interesse bestehen sollen; sowohl die Wettbewerbsgleichheit als auch die Rechtssicherheit wären gefährdet worden. Nicht nur fiir den Bürger, sondern auch für Unternehmen und insbesondere ausländische Investoren wäre der Zugang zum Umweltrecht erheblich erschwert worden. Im Übrigen hätte auch die vom Bundesministerium des Innern mit dem postulierten Vorrang der Verwaltungsverfahrensgesetze erstrebte Einheitlichkeit des gesamten Verwaltungsverfahrensrechts nicht erreicht werden können. Die Forderung nach dem Vorrang der Verwaltungsverfahrensgesetze beruht angesichts ihres allgemeinen Regelungscharakters auf einer Überschätzung ihrer Leistungsfähigkeit fiir den besonderen Regelungsbedarf im Umweltschutz. Insbesondere hätte das von der lVU-Richtlinie geforderte integrierte Konzept, das eine vollständige Koordinierung des Genehmigungsverfahrens und der Genehmigungsanforderungen fiir die Zulassung von Industrieanlagen und Deponien verlangt (siehe Art. 7 der lVU-Richtlinie), mit einem solchen rechtspolitischen Kurs nicht in Einklang gebracht werden können.

3. Integrative Ausgestaltung des UGB I Das Bundesministerium fiir Wirtschaft, gestützt auf einen Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz, und die Wirtschaftsverbände forderten eine 1: 1Umsetzung der EG-Richtlinien; zusätzliche Belastungen, die die Wirtschaft mit dem Entwurf des UGB I, insbesondere mit der integrierten Vorhabengenehmigung und ihrem sog. Verschmelzungsansatz fiir die lVU, die UVP und das hergebrachte deutsche Zulassungsrecht verbunden sah, sollten vermieden werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ging es um unterschiedliche Anwendungsbereiche fiir die lVU- und UVP-Verfahrenselemente der integrierten Vorhabengenehmigung. Materiellrechtlich sollten nach Ansicht der Wirtschaft die medialen und sektoralen Genehmigungsvoraussetzungen und die umfassende Integrationsklausel nicht über das hinausgehen, was die lVU und die UVP in ihren jeweiligen, nach den Richtlinien unterschiedlichen Anwendungsbereichen vorgeben. Aus umweltpolitischer Sicht stand eine solche 1: I-Umsetzung völlig quer zu der mit dem UGB I verfolgten Kodifizierung des Umweltrechts; die Zielsetzung der Vereinheitlichung und der Vereinfachung sowie der ökologischen Modernisierung des Zulassungsrechts fiir umweltbedeutsame Vorhaben wäre damit außer acht gelassen worden. Es hätte sich um eine bloße Fortschreibung des zer-

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splitterten Umweltrechts in anderem Gewande gehandelt; die Idee der Kodifikation wäre schon in ihrer Initialphase diskreditiert worden. Darüber hinaus wäre der Anschluss an die europäische Entwicklung verpasst worden. Die Integration des bislang medialen und sektoralen Umweltschutzes ist Anliegen moderner europäischer Umweltgesetzgebung; dahinter sollte das UGB I nicht zurückstehen. Da schon die IVU-Richtlinie die Umsetzung eines integrierten Konzeptes fordert, das sich über die Vermeidung und Verminderung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden hinaus auch auf die Auswirkungen auf die gesamte Umwelt bezieht, wäre es dem Integrationsgedanken zuwidergelaufen, die lVU-Anforderungen abzuschichten von der Anforderung der UVP, erhebliche Umweltauswirkungen eines Vorhabens zu berücksichtigen. Auch aus praktischen Erwägungen wurde eine solche Abschichtung abgelehnt. Sollte die Konkretisierung der Genehmigungsvoraussetzungen und der Integrationsklausel nicht erst im Einzelfall erfolgen, sondern aus guten Gründen - wie schon bislang und deshalb auch im UGB I vorgesehen - so weit wie möglich schon durch das untergesetzliche Regelwerk, kann in der Praxis dessen Ausgestaltung nur einheitlich erfolgen, und nicht unterschiedlich nach verschiedenen, wenn auch sich wiederum weitgehend überlappenden Anwendungsbereichen von lVU und UVP. Bei dieser Ausgestaltung muss die UVP berücksichtigt werden; dies ergibt sich fiir die der lVU unterliegenden Vorhaben schon aus Art. 9 Abs. 2 und 8 der IVU-Richtlinie. Diesem Gedanken hätte es widersprochen, die Vorgaben fiir die Ausgestaltung des untergesetzlichen Regelwerks nur auf die Genehmigungsvoraussetzungen der lVU auszurichten und die Berücksichtigung der UVP erst bei der Einzelfallentscheidung anzuhängen. Genau dies macht nämlich den unbefriedigenden Zustand des geltenden Rechts aus, der mit dem UGB I überwunden werden sollte. 4. Kodifikationsgerechte Ausgestaltung des UGB I Mit der Forderung verschiedener Ressorts und auch der Wirtschaft nach einem "schlanken" UGB I wurden verschiedene Anliegen zusammengefasst, die sich auf Regelungsgehalt wie auch auf Regelungstechnik beziehen. Lag die verbale Anlehnung an den "Schlanken Staat" grundsätzlich nahe, konnte jedoch den Anliegen insoweit nicht entsprochen werden, wie ihre Berücksichtigung den Kodifikationsgedanken beeinträchtigt hätte.

a) Allgemeine Grundsätze und Begrifflichkeiten Die Forderung, die allgemeinen Vorschriften des grundlegenden ersten Kapitels mit Zweckbestimmung, allgemeinen Grundsätzen und Begriffsbestimmungen wegen ihrer über den aktuellen Regelungsgehalt des UGB I hinausweisen-

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den Bedeutung ganz oder wesentlich zu streichen, konnte nicht akzeptiert werden. Gegenüber dem UGB-KomE waren die allgemeinen Grundsätze bereits gestrafft worden. Weitere Streichungen hätten dem mit dem Projekt Umweltgesetzbuch verfolgten Anspruch, einen ökologischen Rechtsrahmen fiir die soziale Marktwirtschaft zu setzen, nicht gerecht werden können. Hingegen hätten einige Begriffsbestimmungen, die bislang nur für das Kapitel Vorhabengenehmigung relevant waren, umgruppiert werden können. Damit hätten sich Sorgen ausräumen lassen, die Tragweite der Begriffe sei im Hinblick auf ihre Anwendung im Rahmen späterer Bücher zum UGB noch nicht absehbar.

b) Nukleusbauweise / Modulbauweise Soweit unter dem Aspekt Praktikabilität Bedenken gegen die sog. Nukleusbauweise des UGB I vorgebracht worden sind, war ihnen mit der Überarbeitung des Entwurfes bereits in gewissem Umfang Rechnung getragen worden. Das allgemeine Kapitel mit den Regelungen zur Vorhabengenehmigung und die weiteren medialen oder sektoralen Fachkapitel, in denen vorerst nur die vorhabenspezifischen Anforderungen geregelt waren, die aber im Hinblick auf das gesamte Fachrecht auf Ergänzung und Vervollständigung durch spätere Bücher zum Umweltgesetzbuch angelegt waren, hätten möglicherweise in ihrem Verhältnis zueinander aber noch weiter in Richtung eines schlankeren Aufbaues verändert werden können. Dabei wäre es darum gegangen, allgemeine sowie mediale und sektorale Anforderungen im Kapitel zur Vorhabengenehmigung näher zueinander zu bringen, um die Zusammenhänge klarer zu vermitteln. Durch ein solch umfassendes Regelungsmodul wäre dann zwar die Perspektive auf spätere Bücher zum Umweltgesetzbuch nicht mehr so deutlich vorgezeichnet gewesen, sie wäre aber durch das erste Kapitel mit den über das UGB I hinausweisenden allgemeinen Vorschriften aufrecht erhalten geblieben. Im übrigen hätten sich bei der sog. Modulbauweise spätere Bücher zum Umweltgesetzbuch leichter anfügen lassen.

c) Industrieanlagenzulassung / Vorhabengenehmigung Vorbehalte der Ressorts richteten sich gegen das Kapitel zur Vorhabengenehmigung auch insoweit, wie über den vorgesehenen Anwendungsbereich für bestimmte Vorhaben hinaus (Industrieanlagen, Abfallentsorgungsanlagen und Deponien, Kläranlagen, Leitungsanlagen) das Kapitel auf Ergänzung durch weitere umweltrelevante Vorhaben angelegt war. Diese Konzeption entsprach dem Kodifikationsprinzip und umweltpolitischen Zielvorstellungen; sie durfte deshalb nicht aufgegeben werden. Ein bloßes Industrieanlagenzulassungsgesetz zur Umsetzung der lVU-Richtlinie wäre zu wenig gewesen. Auch symbolische

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Schutzklauseln gegen den weiteren Kodifikationsprozess durften nicht akzeptiert werden. Nur soweit es demgegenüber um Klarstellungen des Anwendungsbereichs des UGB I im Verhältnis zu den anderen Gesetzen unterliegenden Vorhaben ging, waren regelungstechnische Abgrenzungsklauseln unschädlich und u. U. erforderlich. Im Ergebnis musste es wenigstens um die Einbeziehung von solchen Vorhaben in das UGB I gehen, fur die die UVP-Änderungsrichtlinie ein Genehmigungsverfahren fordert, fur die aber das geltende Bundesrecht noch kein oder kein geeignetes Verfahren vorhält, das als Trägerverfahren fur die UVP dienen kann. Deshalb ging es darum, dass UVP-pflichtige Hochspannungsfreileitungen und Gashochdruckleitungen der Vorhabengenehmigung unterliegen. Aus umweltpolitischer Sicht erschien es wenig sinnvoll, im Energiewirtschaftsgesetz noch formal ein Zulassungsverfahren einzufuhren, um dann nichts anderes zu tun, als wegen seiner wesentlichen Prüfungs inhalte auf Anforderungen des UGB I oder der Umweltfachgesetze und des UVP-Gesetzes zu verweisen.

5. "Partizipative" Ausgestaltung des UGB I Grundsätzlich bestand die Absicht, Forderungen von Seiten der Umweltverbände nach einer "partizipativen" Ausgestaltung des Umweltgesetzbuches zu berücksichtigen. Im Einzelnen musste jedoch bedacht werden, ob bestimmte Forderungen nicht den Rahmen des unter erheblichem Zeitdruck stehenden Projektes UGB I sprengten. a) Freier Zugang zu Umweltinformationen Für den freien Zugang zu Umweltinformationen, der auch fur die Beteiligung am Genehmigungsverfahren von Bedeutung ist, löst die Arhus-Konvention einen größeren Anpassungsbedarf fur das deutsche Recht aus. Art und Ausmaß dieses Anpassungsbedarfs werden sich aber im Einzelnen erst zeigen, wenn die EU ihre Umweltinformationsrichtlinie novelliert hat. Um eine zweifache Anpassung des deutschen Rechts zu vermeiden, war beabsichtigt, diese Novellierung abzuwarten. Es sollten lediglich das UIG in das Dauerrecht des Umweltgesetzbuches überfuhrt und dabei die aufgrund der EuGH-Rechtsprechung notwendigen Änderungen vorgenommen werden. Weitergehende Änderungsabsichten hätten im Übrigen aufgrund der restriktiven Auffassung der Verfassungsressorts zu Art. 75 GG nur eine weitere kompetenzrechtliche Diskussion auslösen können, ob der Bestandsschutz nach Art. 125a GG so weit reicht, das Umweltinformationsrecht umfassend im Bundesrecht zu halten. Es erschien aussichtsreicher, eine solche Diskussion erst dann zu fuhren, wenn zunächst in einem ersten Schritt die Überfuhrung des UIG in das UGB I gelungen war.

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b) Verbändebeteiligung Die Forderung nach einer stärkeren Beteiligung der Verbände im Genehmigungsverfahren erschien folgerichtig. Zwar wurden schon mit der notwendigen Erweiterung des Informationszugangs auf das laufende Genehmigungsverfahren und mit der durchgehenden Erstreckung der Öffentlichkeitsbeteiligung mit "Jedermann - Einwendungsbefugnis" auf den gesamten Anwendungsbereich der Vorhabengenehmigung die Beteiligungsmöglichkeiten auch fiir Verbände verbessert. In der Konsequenz der Vereinheitlichung des Zulassungsrechts hätte aber auch die Ausweitung der im § 29 BNatSchG geregelten Mitwirkungsfalle auf den gesamten Anwendungsbereich der Vorhabengenehmigung gelegen. Auch fiir die Wirtschaft hätte dies akzeptabel sein sollen, da in der Praxis zahlreiche Betriebsänderungen bei Industrieanlagen nicht mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind.

c) Verbandsklage

Im Hinblick auf die Forderung nach Einrichtung einer Verbandsklage bestand das Problem, dass in der Kürze der Zeit keine Klarheit über ihre Modalitäten zu gewinnen war. Schon mögliche Standorte der Verbandsklage in der VwGO, im UGB I oder im BNatSchG standen fiir unterschiedliche Konzeptionen und Ausgestaltungen. So hätte man eine Regelung der Verbandsklage im BNatSchG nur auf naturschutzrechtliche Mitwirkungsfalle und auf anerkannte Naturschutzverbände erstrecken können, während eine Regelung im UGB I oder gar in der VwGO mit Vorstellungen verbunden war, auch andere Mitwirkungsfalle und auch Umweltverbände zu erfassen. Deshalb erschien es angebracht, die erforderliche Klärung unabhängig von dem unter Zeitdruck stehenden Gesetzesvorhaben UGB I in Angriff zu nehmen. Dass dann allerdings das Anliegen, erhebliche Verzögerungen des Gesetzesvorhabens zu vermeiden, gegenstandslos wurde, hat zunächst mit den oben angeführten verfassungsrechtlichen Gründen zu tun, aber sicherlich auch damit, dass das Gesetzesvorhaben UGB I überall auf Widerstände traf und es am Ende ohne Freunde dastand.

IV. Ausblick Der Erlass eines "Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der lVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz" wird sicherlich nicht ohne Einfluss auf die Frage sein, ob das Gesetzesvorhaben UGB I nochmals wieder aufgegriffen wird und wie es gegebenenfalls ausgestaltet werden kann. Da das Artikelgesetz an der Forderung der Wirtschaft nach einer 1:1Umsetzung der EG-Richtlinien, von geringfiigigen Ausnahmen abgesehen, nicht

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vorbeigehen konnte, wird es bei einem Wiederaufgreifen des UGB I nicht einfach sein, die mit dem Artikelgesetz geschaffenen Strukturen zu überwinden. Die Ausgangsbedingungen fiir ein UGB I mit dem Kernstück einer integrierten Vorhabengenehmigung werden auf jeden Fall schwieriger werden. Dies wird nicht nur fiir das Wie sondern auch schon fiir das Ob eines neuen Anlaufes gelten. Zwar wird auch noch in der Zukunft die Verankerung des Gesetzesvorhabens in der Koalitionsvereinbarung von Bedeutung sein, es wird aber vor allem darauf ankommen, ob die Koalition nach Erlass des sogenannten Artikelgesetzes noch die Kraft finden wird, das soeben novellierte Zulassungsrecht wieder auf die politische Agenda zu setzen und alle Beteiligten von der Notwendigkeit einer Kodifizierung zu überzeugen. Der Vollzug wird sich auf das novellierte Zulassungsrecht einrichten wollen und der Ruf nach einer Phase der Konsolidierung wird laut werden, zumal man die politischen Schwierigkeiten sehen wird, die mit einer Initiative zur Erweiterung der Bundeskompetenzen verbunden sind und die erst einmal überwunden sein wollen. Seinerzeit war es jedenfalls die politische Einschätzung, dass es eines Anstoßes fiir den Einstieg in die Kodifizierung des Umweltrechts bedarf und dass die Vorlage des Entwurfes der Unabhängigen Sachverständigenkommission gut mit dem Umsetzungsbedarf aufgrund der EG-Richtlinien zusammentraf. Auf der anderen Seite wird es auch weitere EG-Richtlinien mit integrativen Regelungsansätzen geben, die eine fachrechtsübergreifende Umsetzung erfordern und die von daher nach einem Einstieg in die Kodifizierung des Umweltrechts rufen. Ein solcher Einstieg muss dann aber nicht identisch sein mit dem Gesetzesvorhaben UGB I, so wie es ursprünglich konzipiert worden ist. Vielleicht wird der Einstieg über die erforderliche Umsetzung der vorgesehenen Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, der anstehenden Richtlinie über die Änderung der Umweltinformationsrichtlinie oder auch einer zu erwartenden Richtlinie zur Umwelthaftung erfolgen. Je weiter sich das fachübergreifende Umweltrecht entwickelt und nach einheitlichen" das gesamte Umweltrecht durchdringenden Begrifflichkeiten, Grundsätzen und Strukturen verlangt, desto mehr wird eine Kodifikation unausweichlich sein.

Diskussion zu dem Referat von Franz-Josef Feldmann Bericht: Sabine Frenzel· Nach Feldmanns Ausführungen waren zunächst die Gründe des vorläufigen Scheiterns des UGB Gegenstand der Diskussion. Bohne verwies auf die Probleme der Kodifikation als eines rationalen Ordnungsversuchs für ein umfassendes System gesellschaftlicher und staatlicher Akteure und zog einen Vergleich zu den Anreizinstrumenten. Für das Scheitern des UGB sah er folgende Gründe: Erstens die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zu Partikularismus und Besitzstandserhaltung geführt hätten; zweitens die politisch schwache Position des BMU und drittens die nationale Introvertiertheit des deutschen Rechts. Jeder fragte nach der Perspektive der Änderung des UVPG und stellte dabei klar, dass das UVPG auch ein Schritt auf dem Weg zum UGB gewesen sei. Allerdings habe sie ein grundsätzlich anderes Verständnis von der UVP als Feldmann, der die Auffassung vertrete, dass die UVP als Basismethodologie zu verstehen sei. Demgegenüber gebe nach ihrem Verständnis des EG-Rechts die lVU-Richtlinie das Basisprüfverfahren vor. Die UVP-Änderungsrichtlinie gliedere sich hierin ein. In der chemischen Industrie seien Anlagen, die bindend UVP-pflichtig sind, also solche des Anhangs I, keine einzelnen lVU-Anlagen, sondern integrierte chemische Anlagen. Demzufolge müsste für die UVPPflichtigkeit etwas Besonderes hinzukommen. Bei Anlagen des Anhangs II sei durch Einzelfalluntersuchung die UVP-Pflichtigkeit festzustellen. Feldmann erwiderte darauf, dass das UVPG als ein Schritt in Richtung UGB auch vor dem Hintergrund der historischen Situation zu sehen sei. Mit der seinerzeitigen Einfügung bestimmter Verfahrens schritte zur Durchführung der UVP in das Fachrecht sei eine gewisse Harmonisierung des Umweltrechts einhergegangen. Die Frage der Prüfungsstufen für die UVP-Pflichtigkeit sei noch nicht geklärt. Schwellenwerte wie in der 4. BlmSchV zu fixieren sei nicht haltbar. Die UVP-Pflichtigkeit könne auch aufgrund eines sensitiven Standortes bei kleineren Vorhaben auftreten. Insoweit müsse eine Vorprüfung stattfinden, ob dann die UVP anzuwenden sei, das sogenannte "Screening". Dann stelle sich die Frage des "opting-in" oder "opting-out" . • Die Diskussion bezieht sich auf den Sachstand im Zeitpunkt des /. Speyerer Forums zum Umweltgesetzbuch am 2/./22./0./999. 3 Bohne

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Sabine Frenzel

Bohne fragte nach der Bedeutung der EuGH-Rechtsprechung, worauf Feldmann allgemein ausführte, dass nach dem EuGH-Urteil vom 21.09.l999 die UVP-Pflichtigkeit nicht nur anhand von Schwellenwerten, Art und Größe der Vorhaben festzulegen sei, sondern auch hinsichtlich sensitiver Standorte. Ein weiterer Aspekt sei die Vertiefung der "Kraaijeveld"-Entscheidung, wonach die Schwellenwerte nicht so fixiert werden dürften, dass kumulative Wirkungen außer Betracht blieben. Weigand brachte sein Entsetzen über die Entscheidung des BMU vom 1. September 1999 zum Ausdruck, die Kodifikation des U mweltrechts vorerst nicht weiter zu verfolgen. Die Länder seien rur den Vollzug des Umwe1trechts zuständig und könnten nicht vollziehen, weil ein Zwiespalt zwischen innerstaatlichem und Europarecht bestünde. Er fragte, was mit unharmonisiertem Fachrecht zu tun sei und stellte fest, dass eine Verfassungsänderung von Bayern nicht mitgetragen werde. Schließlich sei 10 Jahre über das Projekt UGB diskutiert worden, ohne dass eine Verfassungsänderung rur notwendig erachtet worden sei. Er halte dies für ein vorgeschobenes Argument. Auch zahlreiche Staatsrechtslehrer würden darauf hinweisen, dass diese nicht notwendig sei. An die Wirtschaft gerichtet fragte er, ob ein europäisch geHirbtes UVPG entstehen solle. Das sei doch gerade nicht gewollt. Dabei habe es so viele Diskussionen mit der Wirtschaft über das UGB gegeben, um es in einer harmonisierten und schlanken Weise zu erlassen. Schröder schloss sich seinem Vorredner an und betonte, dass das Argument eines verfassungsrechtlichen Kompetenzmangels des Bundesgesetzgebers nicht von den Ländern komme. Auch sei eine verfassungsrechtliche Diskussion nicht geführt worden Die Länder hätten vom Bund nur allgemeine Hinweise erhalten, dass der UGB-Entwurf verfassungswidrig sei. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Artikelgesetzes, hob Schröder hervor, werde suggeriert, dass das Artikelgesetz über Art. 125 a GG verfassungskonform realisierbar sei. Allerdings sei kein Land bereit, Kompetenzen herzugeben.

Auch drohe eine umweltrechtliche Zersplitterung. Die Länder müssten aufgrund § 4 UVPG der Europäischen Kommission erklären, wie weit sie mit der Umsetzung seien. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Vertragsverletzungsverfahren eröffnet würden. Das Artikelgesetz müsse ohne erneute Verfassungsdiskussion in ein UGB münden. Dabei sollten auch § 4 UVPG geändert und Sonderregelungen im Fachrecht kein Raum mehr gegeben werden. Scheel forderte, dass im UVPG rur einige Anlagetypen ein zentrales Trägerverfahren geschaffen werden müsse. Unselbständige Bestandteile des Verfahrens müssten verschmolzen werden. Dem Bund sei es nicht gelungen, der Industrie das Misstrauen zu nehmen. Die Belastungen der UVP dürften nicht ausgedehnt werden auf Anlagetypen, die bisher nicht UVP-pflichtig gewesen seien.

Diskussion zu dem Referat von Franz-JosefFeldmann

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Schmidt-Eriksen knüpfte an die Diskussion zum Artikelgesetz an und hinterfragte die Position des BMU, dass das Artikelgesetz rechtzeitig eine Änderung des UVPG und die Umsetzung der IVU-Richtlinie mit sich bringe. In zeitlicher Hinsicht sehe er keine Lösung. 1

Darauf erwiderte Feldmann, dass die Pläne schon konkretisiert seien. Es werde um eine Konzeption gerungen, wobei der Prozess zwar noch nicht abgeschlossen sei, jedoch auch nicht mehr am Anfang stehe. An Jeder gerichtet führte er aus, dass es darum gehe, für bestimmte UVP-Verfahren ein Trägerverfahren einzurichten. Die UVP-Änderungsrichtlinie setze voraus, die UVP vor der Erteilung der Genehmigung durchzuführen. Sie müsse aber nicht integriert, sondern könne auch vorgelagert sein. Nach Ansicht des BMU sei die UVP integrierter Bestandteil des Genehmigungsverfahrens und bei Fehlen eines Genehmigungsverfahrens müsse ein solches eingerichtet werden. Fraglich sei nur, in welchem Gesetz es einzurichten sei, im Fachrecht, in einem Sondergesetz oder im UVPG. Hierbei sei an den Regelungsanlass anzuknüpfen. Der eigentliche Regelungsgegenstand sei die UVP. Daher solle es im UVPG geregelt werden. Mit Verschmelzung sei die Verbindung von IVU und UVP gemeint, d. h. das UVP-Verfahren sei mit den Anforderungen der IVU zu verschmelzen. Hierfür sei aber die Einrichtung von Trägerverfahren erforderlich.

I Das Artikelgesetz ist am 3.8.2001 fast zweieinhalb Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist der UVP-Änderungsrichtlinie (am 14.3.1999) und fast zwei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist der IVU-Richtlinie (am 30.10.1999) in Kraft getreten.

J'

Umsetzung der UVP-Richtlinie bis zum Inkrafttreten eines Umweltgesetzbuches Von Jürgen Lindemann' Im Folgenden wird ein Überblick über die Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des novellierten UVP-Gesetzes am 3. August 2001 gegeben. Die Darstellung der Rechtslage bis zum Inkrafttreten des neuen UVP-Gesetzes soll einen Eindruck von den Schwierigkeiten vermitteln, denen sich die Vollzugsbehörden der Länder ausgesetzt sehen, wenn die Umsetzung einer EU-Richtlinie erst fast zweieinhalb Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist erfolgt.

I. Unmittelbare Rechtswirkung der EU-UVP-Änderungsrichtlinie 1. Begründung der unmittelbaren Rechtswirkung

Am 3.3.1997 ist die Richtlinie 971111EG des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (im Folgenden EU-UVP-Änderungsrichtlinie genannt) ergangen. Die zweijährige Frist zur Umsetzung ist am 14. März 1999 abgelaufen, ohne dass die Umsetzung in das innerstaatliche Recht von Bund und Ländern erfolgt ist. Diese Fristversäumnis ist insbesondere auf die Absicht zurückzuführen, die EU-UVP-Änderungsrichtlinie in wesentlichen Teilen durch ein erstes Buch zu einem Umweltgesetzbuch in deutsches Recht umzusetzen. Dieser Versuch ist vorerst gescheitert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entfalten die einzelnen Bestimmungen einer EG-Richtlinie unmittelbare Wirkung, wenn sie nicht ordnungsgemäß oder nicht fristgesetzt umgesetzt wurden, inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind . • Die Darstellung gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder, die nicht mit der Auffassung des nordrheill-westfälischen Umweltministeriums übereinstimmen muss.

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Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes muss davon ausgegangen werden, dass der Europäische Gerichtshof eine unmittelbare Wirkung der wesentlichen Bestimmungen der EU-UVP-Änderungsrichtlinie annehmen wird. Es besteht deswegen eine nahezu einhellige Auffassung, dass zumindest aus Risikovermeidungsgründen von einer unmittelbaren Rechtswirkung der EU-UVP-Änderungsrichtlinie auszugehen ist. Dies gilt um so mehr, weil die Grundregeln eines Bundes-UVP-Gesetzes bereits bestehen, es sich (nur) um die Änderung einer bestehenden Regelung handelt. Dem wird unter anderem entgegengehalten, dass damit eine unzulässige belastende Wirkung von Investoren etc. verbunden sei. Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 11. August 1995 1 ist jedoch zweifelhaft, ob bei Drittbelastung die unmittelbare Rechtswirkung ausgeschlossen ist. Weiter wird gegen die unmittelbare Rechtswirkung vorgebracht, dass ftir die Projekte nach Anhang 11 der UVP-Änderungsrichtlinie erst bestimmt werden müsse, ob wegen erheblicher nachteiliger Umweltauswirkungen eine UVP erforderlich sei. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Grundlage ftir die Auswahl der Vorhaben durch die ausdrückliche Vorgabe von Auswahlkriterien eingegrenzt ist. Auf jeden Fall muss die unmittelbare Rechtswirkung ftir die Vorhaben gelten, die schon in der UVP-Richtlinie 1985 enthalten sind und die nur deswegen im nationalen Recht nicht UVP-pflichtig sind, weil der Bund insofern die UVPRichtlinie schlecht umgesetzt hat2• Nach dieser Rechtsprechung hätte in der Bundesrepublik Deutschland geregelt werden müssen, dass für jede Vorhabenskategorie des Anhang 11 eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgefiihrt werden muss, wenn mit erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Da dies in Deutschland nach dem alten UVP-Gesetz nicht der Fall ist, ist die UVP-Richtlinie nicht richtig umgesetzt worden.

2. Empfehlung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für Vollzugs hinweise der Länder zur Anwendung der UVP-Änderungsrichtlinie und der ihr zugrunde liegenden UVP-Richtlinie Das BMU hat am 1. Juni 1999 Empfehlungen für Vollzugshinweise der Länder ausgegeben. 3

Rs-C-431192, EuGHE 95, 2189 = NVwZ 1996, 369 ff. - "Großkrotzenburg". Urteil des Europäischen Gerichtshofes EuGH v. 22. Oktober 1998 - Rechtssache C 301/95. 3 Quelle: http://www.upd.de/aktuell/RdSchrBMU.zip. 1

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Umsetzung der UVP-Richtlinie bis zum Inkrafttreten eines UGB

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Diese Empfehlung ergingen nach Beratungen unter anderem mit Ländervertretern. Es handelt sich um ein sehr umfangreiches, ausführliches Papier mit allgemeinen Ausführungen und mehreren Anhängen. Die Anhänge enthalten eine Begründung der unmittelbaren Rechtswirkung, einen Überblick über die (möglicherweise) UVP-pflichtigen Vorhaben, sowie konkrete Hinweise für einzelne Fachmaterien. Die allgemeinen Ausftihrungen unterscheiden zwischen der Rechtslage bei Zulassungsanträgen ab dem 14. März 1999 und der Rechtslage vor dem 14. März 1999.

a) Rechtslage bei Zulassungsanträgen ab dem 14. März 1999 Dieser Teil enthält Ausführungen sowohl zur Bestimmung der UVP-Pflichtigkeit von Vorhaben als auch zum anzuwendenden Verfahren, falls eine UVPPflicht besteht . aa) UVP-pflichtige Vorhaben In den Empfehlungen werden die einzelnen Vorhaben aufgelistet, für die nach Anhang I immer eine UVP-Pflicht besteht, und für die nach Anhang 11 dann eine UVP-Pflicht besteht, wenn mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Bei Anhang lI-Vorhaben wiederum wird unterschieden zwischen Vorhaben, die neu nach der EU-UVP-Änderungsrichtlinie UVP-pflichtig sind, und den Vorhaben, für die aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 22.10.1998 4 schon aufgrund der UVP-Richtlinie aus dem Jahre 1985 bei erheblichen Umweltauswirkungen eine UVP hätte durchgeführt werden müssen, für die aber in Deutschland bislang bundesrechtlich und in der Regel auch landesrechtlich keine UVP vorgesehen ist. Diese Unterscheidung wird nicht bei den ab dem 14. März gestellten Anträgen relevant, wohl aber für die davor gestellten Anträge, über die noch nicht abschließend entschieden worden ist. Bei neuen Anhang I-Vorhaben ist grundsätzlich eine UVP durchzuführen. Dabei sind die dort genannten Schwellenwerte zugrunde zu legen. Bei Anhang lI-Vorhaben der UVP-Richtlinie, für die nach nationalem Recht bisher noch keine UVP vorgesehen ist, muss anhand der in Anhang III der EU-UVP-Änderungsrichtlinie genannten Auswahlkriterien im Einzelfall geprüft werden, ob mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Dabei sind insbesondere auch die in Nummer 2 genannten standortbezogenen Kriterien für die Bestimmung einer UVP-Ptlicht zu beachten. Liegen für das Vorhaben im geltenden Recht bereits Schwellenwerte oder Kriterien vor, so können diese als Orientierungswerte für die Entscheidung über 4

Rechtssache C 301/95.

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die UVP-Pflicht genutzt werden. Bei Vorhaben in einer Größenordnung unterhalb der Schwellenwerte kann davon ausgegangen werden, dass keine erheblichen Umweltauswirkungen vorliegen, es sei denn, dass ein geschütztes Gebiet beeinträchtigt werden kann. Gleiches gilt hinsichtlich Industrieanlagen, die in der 4. BImSchV ihrer Art nach nicht benannt sind. Muss hier aufgrund des Standortbezuges gleichwohl eine UVP durchgeflihrt werden, kann dies nicht im immissionsschutzrechtlichen Verfahren stattfinden, sondern nur in einem bauordnungsrechtlichen oder naturschutzrechtlichen Verfahren. Sofern eine UVP-Pflicht flir Anhang lI-Vorhaben bereits national besteht, ist hinsichtlich der dort vorgesehenen Schwellenwerte davon auszugehen, dass dabei bereits die Kriterien des Anhangs III der EU-UVP-Änderungsrichtlinie berücksichtigt worden sind. Kleinere Vorhaben unterhalb der Schwellenwerte sind daher nicht UVP-pflichtig. Kommt die Behörde zum Ergebnis, dass keine UVP-Pflicht besteht, erfolgt das erforderliche Zugänglichmachen der Entscheidung nach den Vorschriften des Umweltinformationsgesetzes schon im laufenden Verwaltungsverfahren. Bei neuen Vorhaben ohne bisheriges Trägerverfahren ist die Durchflihrung einer UVP nicht möglich. bb) Verfahren bei der Durchflihrung der UVP in unmittelbarer Anwendung der EU-UVP-Änderungsrichtlinie Bei der Durchftihrung einer UVP in unmittelbarer Anwendung der EUUVP-Änderungsrichtlinie ist eine schriftliche Öffentlichkeitsbeteiligung ausreichend, anders als nach dem Bundes-UVP-Gesetz ist ein mündlicher Erörterungstermin nicht verpflichtend. Zusätzlich zu den Anforderungen der UVP-Richtlinie 1985 sind durch die EU-UVP-Änderungsrichtlinie folgende Anforderungen neu eingeflihrt worden: Erweiterter Prüfrahmen der Wechselwirkungen, die Belange "Sachgüter und kulturelles Erbe" sind in die Prüfung der Wechsel wirkungen einzubeziehen (Art. 3, 4. Spiegelstrich), erweiterter Prüfrahmen durch Einbeziehung der wichtigsten anderweitigen vom Projektträger geprüften Lösungsmöglichkeiten und Angabe der wesentlichen Auswahlgründe im Hinblick auf die Umweltauswirkungen als verpflichtende Mindestangaben (Art. 5 Abs. 3, 4. Spiegelstrich), Einflihrung der Unterrichtung über den voraussichtlichen Untersuchungsrahmen (Art. 5 Abs. 2; dies ist jedoch durch § 5 des Bundes-UVP-Gesetzes bereits abgedeckt), Zugänglichmachen der Einzelfallentscheidung über die UVP-Pflicht (Art. 4 Abs. 4),

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EinfUhrung der grenzüberschreitenden Öffentlichkeitsbeteiligung, verbunden mit einer Konsultationsptlicht (Art. 7), Bekanntgabe der Entscheidung über die beantragte Genehmigung, Zugänglichmachen von Hauptgründen der Entscheidung (obligatorisch) sowie, falls erforderlich, Beschreibung von Ausgleich- und Vermeidungsmaßnahmen gegenüber der Öffentlichkeit (Art. 9 Abs. 1). Diese zusätzlichen Anforderungen der EU-UVP-Änderungsrichtlinie gelten nicht nur fUr die neuen, bisher nicht UVP-ptlichtigen Vorhaben, sondern auch fUr die Vorhaben, fUr die bisher schon eine UVP-Ptlicht besteht. Sie treten ergänzend zu den Verpflichtungen nach dem Bundes-UVP-Gesetz sowie nach den Landes-UVP-Gesetzen. Sofern im nationalen Recht eine Möglichkeit besteht, statt eines Planfeststellungsverfahrens ein Plangenehrnigungsverfahren durchzufUhren, ist dies immer dann ausgeschlossen, wenn mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Für diesen Fall muss immer ein Planfeststellungsverfahren durchgefUhrt werden. b) Rechtslage bei Zulassungsanträgen vor dem J4. März J999

Für die Vorhaben des Anhangs 11, die Deutschland fehlerhaft nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 22.1 0.1998 5 nicht in die nationalen UVP-Regelungen aufgenommen hat, ist schon für alle Anträge, die nach dem 3.7.1988, dem Ablauf der Umsetzungsfiist für die UVP-Richtlinie 1985, gestellt worden sind und über die noch nicht entschieden worden ist, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Für diese Vorhaben ist über die UVP-Ptlicht im Einzelfall zu entscheiden. Dabei kann nicht auf die Kriterien des Anhangs III der EU-UVP-Änderungsrichtlinie zurückgegriffen werden; vielmehr ist in unmittelbarer Anwendung der UVP-Richtlinie 1985 zu entscheiden, ob unter Berücksichtigung von Art, Größe oder Standort des Vorhabens erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Liegen fUr das Vorhaben im geltenden Recht bereits Schwellenwerte oder Kriterien vor, so können diese als Orientierungswerte für die Entscheidung über die UVP-Ptlicht genutzt werden.

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Rechtssache C 301/95.

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Jürgen Lindernann c) Anhänge zu einzelnen Fachmaterien

Die Anhänge enthalten konkrete Regelungen zum Immissionsschutz, zur Wasserwirtschaft, zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, zum Strahlenschutz, zur Landwirtschaft, zur Bauleitplanung und zur Landesverteidigung. Dabei werden im Einzelnen Schwellenwerte als Orientierungswerte angegeben. So werden im Anhang Landwirtschaft folgende Schwellenwerte benannt: Anhang II l.c: Gewässerbenutzung durch Bodenbewässerung und Bodenentwässerung in der Landwirtschaft auf mehr als 500 ha nach Einzelfallprüfung, Anhang II l.d: Umwandlung von mehr als 25 ha Wald in eine andere Bodennutzungsart sowie nach Einzelfallprüfung Erstaufforstung von mehr als 200 ha und Anhang II l.f: Anlagen zur intensiven Fischzucht, die ihre Erzeugung ausschließlich durch Zufütterung decken und bei denen die an die Umwelt abgegebenen Stickstoff- und Phosphatfrachten diejenigen einer Abwasserreinigungsanlage mit einer Kapazität von 150.000 Einwohnerwerten übersteigen. Im Anhang Bauleitplanung werden folgende Schwellenwerte angegeben: Errichtung von Feriendörfern, Hotelkomplexen und sonstigen großen Einrichtungen für die Ferien- und Fremdenbeherbergung ab einer Bettenzahl von 300 oder einer Gästezimmerzahl von 200 (Anhang II 12 c), Errichtung von ganzjährig betriebenen Campingplätzen ab einer Stellplatzzahl von 200 (Anhang II 12 d), Errichtung von Freizeitparks ab einer Größe des Plangebietes von 20.000 qm (Anhang II 12 e), Errichtung von Parkplätzen ab einer Stellplatzzahl von 500 (Anhang II 10 b), Errichtung von Windfarmen ab einer Größe des Plangebietes von 100 ha (Anhang II 3 i) und Errichtung einzelner oder mehrerer baulichen Anlagen ab einer zulässigen Grundfläche von insgesamt 20.000 qm (Anhang II 10 a, b). Wegen der großen Problematik dieser Schwellenwerte ist auf diese in dem nordrhein-westfälischen Erlass bewusst verzichtet worden.

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3. Nordrhein-westfälischer Gemeinsamer Runderlass "Durchführung der UmweItverträglichkeitsprüfung" In Nordrhein-Westfalen ist am 27.7.1999 zwischen den betroffenen Ministerien ein Gemeinsamer Runderlass zur unmittelbaren Rechtswirkung beschlossen worden. 6

a) Allgemeines Dieser Runderlass ist gegenüber der Empfehlung des Bundes erheblich vereinfacht und auf das unbedingt Erforderliche beschränkt worden. Dies zum einen deswegen, weil es für eine vorläufige Regelung ausreichend erschien, sich auf einige Grundsätze zu beschränken. Zum anderen deswegen, weil es auf diesem Weg erfolgreich gelungen ist, schnell eine landesweite Abstimmung zu erreichen. Je mehr man in die Einzelheiten gegangen wäre, um so schwieriger wäre eine zügige landesweite Abstimmung gewesen. Die Vereinfachung bezieht sich insbesondere auf folgende Gesichtspunkte: aa) Verzicht auf ,,Altflille" Erfasst von dem Erlass sind nur Anträge, die nach dem 14. März erfolgt sind bzw. bei denen ein vor dem Stichtag eingereichter Antrag nicht ordnungsgemäß gestellt worden ist. Mit der letzten Einschränkung, die zugegebenermaßen nur sehr unbestimmt formuliert werden konnte, soll den betroffenen Behörden die Gelegenheit gegeben werden, bei Anträgen, die offensichtlich nur formal im Hinblick auf den Stichtag gestellt worden sind, deutlich hinter dem zurückzubleiben, was ansonsten bei derartigen Anträgen an Unterlagen üblich ist, gleichwohl eine UVP zu fordern. Nicht erfasst werden die Anträge, die schon vor dem 14. März gestellt worden sind und die sich auf Anhang lI-Projekte der UVP-Richtlinie 1985 beziehen, die aufgrund der Schlechtumsetzung der UVP-Richtlinie entsprechend dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22.10.1998 7 bisher nicht vom nationalen UVP-Recht erfasst sind. Der gemeinsame Runderlass beschränkt sich bewusst auf die Fälle der EU-UVP-Änderungsrichtlinie. Gerade die Regelung der "Altflille" ist mit derartigen Problemen verbunden, dass dies eine schnelle Vereinbarung über den Runderlass erschwert, wenn nicht gar verhindert hätte. 6 Ministerialblatt rur das Land Nordrhein-Westfalen NT. 55 vom 5. Oktober 1999. S. J083. 7 Rechtssache C 301/95.

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bb) Keine Schaffung neuer Schwellenwerte Der Runderlass verzichtet ferner darauf, die Priifung bei Anhang lI-Projekten, ob wegen erheblicher Umweltauswirkungen eine UVP erforderlich ist, mit neuen Schwellenwerten zu verknüpfen. Es wird lediglich an vorhandene Schwellenwerte, z. B. in Spalte 1 und Spalte 2 der 4. BImSchV, angeknüpft. Im Übrigen wird immer eine Einzelfallpriifung vorgesehen. Die Schaffung neuer Schwellenwerte hätte möglicherweise zu heftigen Diskussionen geführt. So hält der Verfasser beispielsweise den schon erwähnten Schwellenwert im Anhang Landwirtschaft der Empfehlungen des BMU zur intensiven Fischzucht, wonach nur die Anlagen UVP-pflichtig sind, bei denen die an die Umwelt abgegebenen Stickstoff- und Phosphatfrachten diejenigen einer Abwasserreinigungsanlage mit einer Kapazität von 150.000 Einwohnerwerten übersteigen, für rechtlich nicht haltbar. 150.000 Einwohnerwerte, dies entspricht dem Wert des Anhangs I ftir Kläranlagen. Dass Kläranlagen auch in Anhang 11 genannt sind und deswegen auch bei kleineren Kläranlagen eine UVP durchzuführen ist, wenn mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist, wird mit diesem Schwellenwert vollständig unterschlagen. Zum Vergleich: derzeit liegt die UVP-Pflicht für Kläranlagen nach § 18 c WHG ungefähr bei 50.000 Einwohnerwerten.

cc) Keine Verfahrensregelung Verzichtet wurde in dem Runderlass im Unterschied zu den Empfehlungen des BMU weiterhin darauf, neue Verfahrensregelungen aus der EU-UVPÄnderungsrichtlinie im Vergleich zur UVP-Richtlinie 1985 zu benennen. Hierzu wurde die Auffassung vertreten, dass die Unterschiede derart gering und nur minimal anwendungsrelevant sind, dass im Hinblick auf das Ziel, einen kurzen einfachen Erlass mit den wesentlichen Punkten herauszugeben, dies vernachlässigbar erschien.

b) Fallgruppen Unterschieden wird zwischen schon jetzt UVP-pflichtigen Projekten, Projekten mit Zulassungs verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung, aber ohneUVP, Projekten mit Zulassungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, Projekten ohne Trägerverfahren.

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aa) Projekte, für die jetzt schon nach nationalem Recht eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht Für diese Projekte ergeben sich in Bezug auf die UVP-Pflichtigkeit keine Änderungen. Es wurde, wie gesagt, auf eine Regelung der Änderungen des Verfahrens verzichtet. bb) Projekte, über die in einem Zulassungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu entscheiden ist, für die aber keine nationale UVP-Pflicht besteht Für Projekte nach Anhang I der Richtlinie ist zukünftig verpflichtend eine UVP durchzuführen. Für Projekte nach Anhang II kann von einer UVP abgesehen werden, wenn eine Einzelfalluntersuchung ergibt, dass das Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht unterzogen werden muss. Bei immissionsschutzrechtlichen Vorhaben wird die Umweltverträglichkeitsprüfung im förmlichen Genehrnigungsverfahren nach dem BundesImmissionsschutzgesetz (BlmSchG) in Anlehnung an die diesbezüglichen Vorschriften der 9. BlmSchV durchgeführt. Sofern für die Realisierung des Projektes ein vorhabenbezogenes Bebauungsplanverfahren durchgeführt wird, hat die UVP bereits in diesem Verfahren zu erfolgen; eine zusätzliche UVP im Baugenehrnigungsverfahren ist entbehrlich. cc) Projekte, die in einem Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung zugelassen werden Für Projel\te nach Anhang I ist immer eine UVP durchzuführen. Für Projekte nach Anhang II kann von einer UVP abgesehen werden, wenn eine Einzelfalluntersuchung ergibt, dass das Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht unterzogen werden muss (sog. "screening"). Dabei sind insbesondere die Auswahlkriterien des Anhangs III der UVP-Richtlinie zu berücksichtigen. Das Ergebnis der Einzelfalluntersuchung ist zu dokumentieren und die Entscheidung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, z. B. durch Aushang oder Veröffentlichungen im Amtsblatt. An dieser Stelle erfolgt im Gemeinsamen Runderlass ein kurzer allgemeiner Hinweis auf das Verfahren dahingehend, dass dies nur den Mindestanforderungen der UVP-Richtlinie genügen muss. Dies bedeutet insbesondere die Notwendigkeit folgender Verfahrens schritte :

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JürgenLindernann Unterrichtung über die vorzulegenden Angaben, Angaben des Projektträgers, Gelegenheit für die betroffene Öffentlichkeit, sich zu äußern; hierbei ist eine schriftliche Öffentlichkeitsbeteiligung ausreichend, ein Erörterungstermin nicht erforderlich, bei grenzüberschreitenden Auswirkungen Beteiligung der Behörden und der Öffentlichkeit des Nachbarstaates, Berücksichtigung der Angaben und Äußerungen bei der Entscheidung, Bekanntmachung der Entscheidung.

Im Folgenden werden fiir einzelne Fachbereiche die Anforderungen noch speziftziert: Immissionsschutzrechtliche Vorhaben Bei UVP-pflichtigen Vorhaben nach Spalte 2 des Anhangs zur 4. BIrnSchV soll die Genehrnigungsbehörde darauf hinwirken, dass der Vorhabenträger gemäß § 19 Abs. 3 BIrnSchG einen Antrag auf Durchführung eines förmlichen Genehrnigungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung stellt, in dem dann wie unter bb) beschrieben verfahren wird. Wird ein derartiger Antrag nicht gestellt, ist im vereinfachten Verfahren eine UVP mit den Mindestanforderungen durchzufUhren. Für diejenigen kleinen Projekte, die unterhalb der Schwellenwerte von Spalte 2 des Anhangs zur 4. BIrnSchV liegen, stellt sich die UVP-Frage nur fiir das Baugenehrnigungsverfahren. Hier kann jedoch im Rahmen der Einzelfallprüfung davon ausgegangen werden, dass mangels erheblicher Umweltauswirkungen eine Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen kann, wenn nicht die Anlage Auswirkungen auf besonders geschützte Gebiete (insbesondere ausgewiesene Naturschutzgebiete, FFH-Gebiete oder EU-Vogelschutzgebiete) haben könnte. Wasserrechtliches Zulassungsverfahren Hier wird zum einen dargelegt, dass fiir die Vorhaben, die nur einem nichtförmlichen Verfahren (§§ 2, 3 Wasserhaushaltsgesetz oder § 99 Landeswassergesetz) unterliegen, in diesem Verfahren eine UVP nach den Mindestanforderungen der EU-UVP-Änderungsrichtlinie durchzufiihren ist. Hinsichtlich des vorhandenen Schwellenwertes bei Kläranlagen von 50.000 Einwohnerwerten kann davon ausgegangen werden, dass bei Unterschreiten der Grenze nur dann eine UVP in Frage kommt, wenn Auswirkungen auf die o. g. besonders geschützten Gebiete zu erwarten sind.

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Baugenehmigungsverfahren Hier wird beispielsweise speziell rur Windenergieanlagen die Vermutung geregelt, dass fiir einzelne privilegierte Vorhaben im Außenbereich die UVP entfallen kann, wenn keine Auswirkungen auf besonders geschützte Gebiete zu erwarten sind.

Energieleitungen Im Raumordnungsverfahren fiir Energieleitungen (Freileitungen mit 110 KV und mehr Nennspannung und Gasleitungen mit einem Betriebsüberdruck von mehr als 16 bar) ist eine UVP durchzuruhren, wenn es sich um Projekte nach Anhang I handelt oder bei Projekten nach Anhang 11 eine Einzelfallprüfung zu dem Erfordernis einer UVP ruhrt. Bei kleineren Energieleitungen, rur die die UVP im landschaftsrechtlichen Genehmigungsverfahren durchgeruhrt werden müsste, kann davon ausgegangen werden, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist, wenn keine Auswirkungen auf besonders geschützte Gebiete zu erwarten sind.

Plangenehmigungsverfahren Entsprechend der Feststellung in der Empfehlung des Bundes wird allgemein und konkret rur die Vorhaben nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz festgestellt, dass nur ein Planfeststellungsverfahren und kein Plangenehmigungsverfahren möglich ist, wenn die Einzelfallprüfung ergeben hat, dass eine UVP erforderlich ist. Vorhaben, rur die im geltenden Recht kein Zulassungs verfahren vorgesehen ist Für diese Vorhaben besteht derzeit keine UVP-Pflicht, da ohne Trägerverfahren kein Ansatzpunkt rur eine unmittelbare Rechtswirkung der EU-UVPÄnderungsrichtlinie besteht.

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11. Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie durch das Artikelgesetz mit Änderung des Bundes-UVP-Gesetzes8 1. Bestimmung UVP-pflichtiger Vorhaben Kernpunkt der Umsetzung ist die Neubestimmung von UVP-pflichtigen Vorhaben. Das Bundes-UVP-Gesetz und, soweit vorhanden, die Länder-UVP-Gesetze haben die UVP-Pflicht bisher an bestimmte Zulassungsverfahren angeknüpft. Zum Beispiel war in einem Planfeststellungsverfahren nach § 31 WHG immer eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, ohne dass es einer Prüfung im Einzelfall bedurfte, ob erhebliche Umweltauswirkungen von dem Vorhaben ausgehen oder nicht. Die Folge dieses deutschen Ansatzes war, dass teilweise mehr Vorhaben einer UVP unterzogen worden sind als dies nach der UVP-Richtlinie von 1985 erforderlich war, teilweise jedoch ganze Vorhabenskategorien des Anhangs 11 nicht umgesetzt worden sind. In dem schon genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22.10.1998 9 hat dieser die deutsche Regelung für fehlerhaft erklärt. Für jede Vorhabenskategorie des Anhangs 11 müsse bei möglichen erheblichen Umweltauswirkungen eine UVP durchgeführt werden. Dies hat zur Konsequenz, dass es für alle diese Projekte ein Trägerverfahren geben muss, in dem eine erforderliche UVP durchgeführt werden kann. Diese Auffassung des Europäischen Gerichtshofes ist nunmehr auch in der EU-UVP-Änderungsrichtlinie ausdrücklich normiert worden. Danach bestimmen die Mitgliedstaaten bei Projekten des Anhangs 11 anhand einer Einzelfallprüfung (sog. "screening") oder anhand festgelegter Schwellenwerten bzw. Kriterien, ob eine UVP erforderlich ist. Dabei sind die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III zu berücksichtigen. Eine derartige Grundsatzregelung ist nunmehr in §§ 3 - 3c und in § 3e erfolgt. Der Gesetzgeber ist der Auffassung der zuständigen UVP-Länder-Referatsleiter gefolgt und hat den Anhang III der EU-UVP-Änderungsrichtlinie in Anlage 2 in nationale Begriffe umgesetzt. Lange Zeit war man davon ausgegangen, durch einen einheitlichen Schwellenwert mögliche erhebliche Umweltauswirkungen hinsichtlich Art, Größe oder Standort (Art. 2 Abs. 1 der EU-UVP-Änderungsrichtlinie) bzw. hinsichtlich 8 Im Folgenden sind Vorschriften ohne Gesetzesbezeichnung solche des UVPG; siehe: Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vorn 5.9.2001, BGBI I S. 2350 9 Rechtssache C 301/95.

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Merkmal, Standort und potentiellen Auswirkungen (EU-UVP-Änderungsrichtlinie Anhang III) erfassen zu können. Gegen diese Absicht sind frühzeitig von verschiedener Seite Bedenken erhoben worden. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Irland-Urteil vom 21. September 1999 10 eine Entscheidung getroffen, die allgemein so verstanden wird, dass damit die Möglichkeit eines einheitlichen Schwellenwertes ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich aus dem Irland-Urteil, Randnummern 65 ff. So wird in Randnummer 66 vom Europäischen Gerichtshof aus ge fuhrt, dass auch ein Projekt von geringer Größe erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könne, wenn es an einem empfindlichen Standort verwirklicht werde. Insgesamt kommt der Europäische Gerichtshof zu der Beurteilung, dass Irland die Richtlinie fehlerhaft dadurch umgesetzt habe, dass es fiir bestimmte Projektklassen des Anhangs 11 Schwellenwerte festgesetzt habe, die nur die Größe der Projekte, nicht aber ihre Art und ihren Standort berücksichtigten. Aufgrund der EuGH-Rechtsprechung hat der bundesdeutsche Gesetzgeber die UVP-Pflichtigkeit von Vorhaben vollständig neu geregelt. Insbesondere hat er die bisherige Systematik für die UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens aufgegeben ll , nach der die UVP-Pflicht an das Vorhandensein eines fachgesetzlichen Trägerverfahrens für die UVP anknüpfte. Nunmehr richtet sich die UVP-Pflicht nach den physischen Merkmalen der Vorhaben, die in Anlage 1 zu § 3 aufgefuhrt sind .

a) Generelle UVP-Pflichtigkeit Gemäß § 3b Abs. 1, Anlage 1 sind alle Vorhaben obligatorisch einer UVP zu unterziehen, die die festgelegten Leistungs- oder Größenwerte erreichen oder überschreiten und in Spalte 1 durch ein "X" gekennzeichnet sind. Die UVPPflicht besteht nach § 3b Abs. 2 auch dann, wenn mehrere Vorhaben derselben Art, die gleichzeitig von demselben oder mehreren Träger(n) verwirklicht werden sollen und die in einem engen Zusammenhang stehen (kumulierte Vorhaben), die maßgeblichen Leistungs- oder Größenwerte erreichen oder überschreiten. Der geforderte "enge Zusammenhang" zwischen mehreren Vorhaben wird in § 3b Abs. 2 Satz 2 durch funktionale und räumliche Merkmale und durch die Anforderung eines "vergleichbaren Zwecks" der Anlagen näher bestimmt. Ob diese nicht unerhebliche Ausdehnung der obligatorischen UVP durch eine teleologisch restriktive Norrninterpretation auf die Fälle einer rechtsmissbräuchlichen Aufsplitterung eines Vorhabens in mehrere Vorhaben Rechtssache C-392/96. Kritisch: Rainald EnderslMichael Krings. Zur Änderung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung durch das Artikelgesetz zur Umsetzung der UVPÄnderungsrichtlinie, DVB12001, S. 1242,1244. 10

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beschränkt werden kann l2 , erscheint zweifelhaft. Denn die Kumulationsregelung erfasst nach § 3b Abs. 2 Satz 1 auch Vorhaben verschiedener Träger und damit Fälle, in denen eine rechtsmissbräuchliche Vorhabenaufsplitterung nicht grundsätzlich unterstellt werden kann.

b) UVP-Pflichtigkeit im Einzelfall Bei Vorhaben der in Anlage 1 aufgeführten Art, die die in Spalte 1 gekennzeichneten Leistungs- oder Größenwerte nicht erreichen, ist gemäß § 3c Abs. 1 eine Vorprüfung des Einzelfalls (sog. "Screening") durchzuführen. Die zuständige Behörde muss prüfen, ob das Vorhaben nach Anlage 1 Spalte 2 UVPptlichtig ist. Das Gesetz unterscheidet zwischen einer allgemeinen Vorprüfung, die in Spalte 2 durch ein "A" gekennzeichnet ist, und einer standortbezogenen Vorprüfung, die in Spalte 2 durch ein "S" angegeben ist. aa) Allgemeine Vorprüfung Gemäß § 3c Abs. 1 Satz 1 ist ein Vorhaben, für das in Spalte 2 eine allgemeine Vorprüfung vorgesehen ist, einer UVP zu unterziehen, wenn es nach Einschätzung der zuständigen Behörde aufgrund überschlägiger Prüfung und unter Berücksichtigung der in Anlage 2 aufgeführten Kriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 12 zu berücksichtigen wären. Die Vorprüfung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst ist festzustellen, ob das Vorhaben die für eine allgemeine Vorprüfung (A) erforderlichen Leistungsund Größenwerte erreicht oder überschreitet. Ist diese Voraussetzung erfüllt, muss geprüft werden, ob das Vorhaben voraussichtlich erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen im Sinne des § 12 verursacht. Dieser Prüfschritt erfordert keine Detailuntersuchung, sondern lediglich eine überschlägige Abschätzung der möglichen Umweltauswirkungen anhand der in Anlage 2 aufgeführten Kriterien. 13 Allerdings ist vor dem Versuch zu warnen, § 3c Abs. 1 Satz 1 einschränkend dahingehend zu interpretieren, dass nur in Ausnahmefällen eine UVP-Ptlichtigkeit aufgrund der Vorprüfung anzunehmen ist. 14 Die IrlandEntscheidung des Europäischen Gerichtshofs stützt diese Auffassung nicht. Auch Art. 4 Abs. 2 und 3 der UVP-Änderungsrichtlinie enthält keine Anhaltspunkte, dass Vorhaben im Sinne des Anhangs 11 der Richtlinie nur in Ausnahmefällen einer UVP unterliegen. Schließlich sieht die für die Norrninterpretation maßgebende Zweckbestimmung des § 1 keine eingeschränkte UmweItvorsorge für Vorhaben vor, die einer Vorprüfung zu unterziehen sind. Vielmehr ist

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So: EnderslKrings (Fn. 11), S. 1248. Gesetzesbegründung , BT-Drs. 14/4599, S. 95. So: EnderslKrings (Fn. 11), S. 1246.

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davon auszugehen, dass Vorhaben umso eher einer UVP unterliegen, je mehr sich ihre Leistungs- und Größenwerte den Werten der Spalte 1 annähern. 15 Denn diese Werte markieren ein Gefährdungspotential von Vorhaben, das nach Auffassung des Gesetzgebers eine generelle UVP-Pflicht - losgelöst vom Einzelfall - begründet. Daher müssen bei Vorhaben, die sich diesem Gefahrenpotential nähern, überzeugende Gründe vorliegen, dass keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu besorgen sind und von einer UVP abzusehen ist. bb) Standortbezogene Vorprüfung Mit der standortbezogenen Vorprüfung nach § 3c Abs. 1 Satz 2 wird anhand der Standortkriterien der Anlage 2 Nr. 2 geprüft, ob bei Vorhaben, die die in Anhang 1 Spalte 2 mit "A" markierten Leistungs- und Größenwerte nicht erreichen, die aber in Spalte 2 mit "S" gekennzeichnet sind, eine Umweltverträglichkeitsprüfung wegen möglicher Auswirkungen auf schützenswerte Gebiete erforderlich ist. Eine derartige Einzelfallprüfung ist handhabbar. Die Naturschutzbehörden beispielsweise können relativ leicht aufgrund der Art des Vorhabens und den davon ausgehenden Emissionen und des ihnen bekannten besonderen Schutzzweckes des Gebietes beurteilen, ob erhebliche Umweltauswirkungen eintreten werden. In der Praxis könnte die schon aus der Umsetzung der FFH-Richtlinie bekannte Problematik wieder eine Rolle spielen, in welcher Entfernung von dem schützens werten Gebiet noch Auswirkungen möglich sind (Umgebungsschutz). Hier wird im Interesse des Verwaltungsvollzuges darauf zu achten sein, dass dies ftir die Praxis handhabbar bleibt. Eine Möglichkeit z. B. läge darin, in der Rechtsverordnung nach § 3c Abs. 2(a) oder nach § 3c Abs. 2(b) in der Allgemeinen UVP-Verwaltungsvorschrift Vermutungsregeln aufzustellen, ab welcher Entfernung grundsätzlich nicht mehr von erheblichen Umweltauswirkungen auszugehen ist. Nach der Anlage 2 Nr. 2 sind nachteilige Umweltauswirkungen auf folgende Gebiete zu prüfen: FFH / EU -Vogelschutzgebiete, Nationalparke im Sinne des § 14 BNatSchG, Naturschutzgebiete im Sinne des § 13 BNatSchG,

15 Im Ergebnis ebenso: Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/4599, S. 97; Franz-Josej Feldmann. Die Umsetzung der UVP-Anderungsrichtlinie in deutsches Recht, DVBI 2001, S. 589,596.

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Jürgen Lindernann Biosphärenreservate und Landschaftsschutzgebiete gemäß §§ 14 a, 15 BNatSchG, gesetzlich geschützte Biotope nach § 20 c BNatSchG, Verdichtungsräume im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 und 5 ROG, Wasserschutzgebiete im Sinne des § 19 WHG und Heilquellenschutzgebiete im Sinne des Landesrechts, verzeichnete Denkmale und archäologisch bedeutsame Landschaften in amtlichen Listen oder Karten, Gebiete mit Überschreitung von EU-Umweltqualitätsnormen.

Zu beurteilen ist immer, ob von dem jeweiligen Schutzzweck des Gebietes her erhebliche Umweltauswirkungen durch das Vorhaben möglich erscheinen. c) UVP-Pflichtigkeit bei inderung und Erweiterung von Vorhaben

Nach bisherigem Recht unterlag die wesentliche Änderung eines Vorhabens nur dann einer UVP, wenn für das Änderungsgenehrnigungsverfahren die Einbeziehung der Öffentlichkeit erforderlich war. Dies bedeutete im praktischen Ergebnis, dass die Durchführung einer UVP meist im Ermessen der zuständigen Behörde stand, weil nach Fachrecht von der Einbeziehung der Öffentlichkeit in Änderungsgenehrnigungsverfahren abgesehen werden konnte. Nunmehr sind die Änderung und Erweiterung von Vorhaben generell UVPpflichtig, wenn gemäß § 3b Abs. 3 Satz 1 und 2 die Änderung oder Erweiterung eines bestehenden, bisher nicht UVP-pflichtigen Vorhabens die in Anlage I Spalte I markierten Leistungs- oder Größenwerte allein oder kumulativ mit anderen Vorhaben im Sinne des § 3b Abs. 2 erstmals erreicht oder überschreitet, oder gemäß § 3e Abs. I Satz I die Änderung oder Erweiterung eines bestehenden, bereits UVP-pflichtigen Vorhabens die in Anlage 1 Nr. I angegebenen Leistungs- oder Größenwerte selbst erreicht oder überschreitet. Sofern die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ist gemäß §§ 3c Abs. I Satz 5 , 3 b Abs. 3 im Rahmen einer allgemeinen Vorprüfung im Sinne des § 3c Abs. I Satz I oder einer standortbezogenen Vorprüfung im Sinne des § 3c Abs. I Satz 2 zu untersuchen, ob die Änderung oder Erweiterung eines bestehenden, bisher nicht UVP-pflichtigen Vorhabens erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen verursachen wird. Entsprechende Untersuchungen sind bei Nichterfüllung der genannten Voraussetzungen gemäß § 3e Abs. I Nr. 2 im Rahmen einer allgemeinen Vorprü-

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fung auch bei der Änderung und Erweiterung eines bestehenden, bereits UVPpflichtigen Vorhabens durchzuführen. d) UVP-Pflichtigkeit nach Maßgabe des Landesrechts

Aus kompetenzrechtlichen Gründen sind im Bundes-UVP-Gesetz für die meisten wasserwirtschaftlichen und forstlichen Vorhaben nur Leistungs- oder Grössenwerte festgelegt, soweit unstreitig eine UVP-Pflicht besteht. Im Übrigen verpflichtet § 3d die Länder, für die in der Anlage 1 aufgeführten und in Spalte 2 durch "L" gekennzeichneten Vorhabenarten durch Leistungs- oder Größenwerte und/oder eine allgemeine oder standortbezogene Vorprüfung die UVP-Pflichtigkeit zu bestimmen. Mit dieser Regelung ist der Gesetzgeber nicht der Auffassung der Länder gefolgt, die insbesondere eine möglichst weitgehende Einbeziehung wasserwirtschaftlicher Vorhaben in die Bundesregelung angestrebt und die Rahmenkompetenz des Bundes hierflir als ausreichend angesehen hatten. 2. Zulassungsverfahren für bestimmte Leitungen und andere Anlagen im Bundes-UVP-Gesetz Bisher fehlten bundesrechtliche UVP-Trägerverfahren für Produktpipelines, Dampf- und Wasserpipelines, Wasserfemleitungen und künstliche Wasserspeicher. Für diese Anlagen ist in §§ 20-23 ein Planfeststellungs- und Plangenehrnigungsverfahren eingeführt worden. Die Aufnahme dieser Vorschriften in das Bundes-UVP-Gesetz ist eine Konsequenz der fehlenden KodifIkation des deutschen Anlagenzulassungsrechts. Die gegen diese Regelung vorgebrachten systematischen Bedenken 16 , die sich auf die unzutreffende Annahme stützen, dass das UVP-Gesetz ausschliesslich verfahrensrechtlichen Charakter besitze, sind unbegründet. Denn ein neues Bundesgesetz für die genannten Anlagen - wie vorgeschlagen - hätte zu einer weiteren Zersplitterung des Anlagenzulassungsrechts geführt. Darüber hinaus ergibt sich aus den §§ 1, 2 Abs. 1 Satz 2 und § 24 Nr. 1 und 3, dass das UVP-Gesetz auch materiellrechtliche Bestimmungen enthält und zum Erlass entsprechender untergesetzlicher Regelungen ermächtigt. Schließlich knüpfen Planfeststellung und Plangenehrnigung dieser Vorhaben an die UVP-Pflichtigkeit an, so dass die Regelung im Rahmen des UVPGesetzes sachgerecht ist.

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Enders/Krings (Fn. 11). S. 1251.

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3. Verfahrensvorschriften Folgende neue Verfahrensvorschriften wurden aufgrund der EU-UVPÄnderungsrichtlinie in das UVP-Gesetz aufgenommen:

a) Definition der UmweltverträglichkeitsprüJung Die Definition der UVP wurde durch § 2 Abs. 1 Satz 2 NT. 4 dahingehend geändert, dass sich die Betrachtung der Wechsel wirkungen auch auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter bezieht.

b) Unterrichtung über die voraussichtlich beizubringenden Unterlagen Die Struktur dieser Vorschrift zum "scoping" wurde dahingehend geändert, dass Ansatzpunkt der Regelung die Verpflichtung ist, dass die zuständige Behörde gemäß § 5 Satz 1 den Vorhabenträger über die voraussichtlich beizubringenden UVP-Unterlagen zu unterrichten hat, sofern dieser darum ersucht oder die Behörde es für erforderlich hält. Die im späteren Verfahren zu beteiligenden Behörden müssen nach § 5 Satz 2 verpflichtend an der Besprechung über Inhalt und Umfang der Unterlagen beteiligt werden. c) Vorzulegende Unterlagen

In §§ 6 Abs. 3 und 4 sind teilweise die injedem Fall vorzulegenden Unterlagen (Absatz 3) und die im Einzelfall zusätzlich vorzulegenden Unterlagen (Absatz 4) ausgetauscht worden. Nach § 6 Abs. 3 müssen die Unterlagen in jedem Fall enthalten u.a.: eine Beschreibung des Vorhabens, eine Beschreibung der Umwelt und ihrer Bestandteile im Einwirkungsbereich des Vorhabens, Beschreibung der vorgesehenen Umweltschutzmassnahmen, Beschreibung der zu erwartenden erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen, eine Übersicht über die wichtigsten, vom Träger des Vorhabens geprüften anderweitigen Lösungsmöglichkeiten und Angabe der wesentlichen Auswahlgründe im Hinblick auf die Umweltauswirkungen des Vorhabens. Nach Lage des Einzelfalls erforderlich (Absatz 4) sind zukünftig Unterlagen zur Beschreibung von Art und Umfang der zu erwartenden Emissionen, der Abfälle, des Anfalls von Abwasser etc.,

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zur Beschreibung der wichtigsten Merkmale der verwendeten technischen Verfahren, und zu den Schwierigkeiten, die bei der Zusammenstellung der Angaben aufgetreten sind. Das bisher geltende Erfordernis individueller Zumutbarkeit zur Beibringung dieser Unterlagen ist entfallen.

d) Grenzüberschreitende Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung Neu eingeführt wurde in Umsetzung des Ee-Übereinkommens über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Zusammenhang vom 25. Februar 1991 (ESPOO-Konvention) und der EU-UVP-Änderungsrichtlinie die gleichberechtigte Beteiligung der Öffentlichkeit des Nachbarstaates bei grenzüberschreitender UVP und die uneingeschränkte Pflicht zur Durchführung von behördlichen Konsultationen, §§ 8, 9a und 9b. Eine gleichberechtigte Beteiligung der Öffentlichkeit des Nachbarlandes setzt in praktischer Hinsicht voraus, dass Unterlagen und Entscheidungen übersetzt werden. Nach § 9a Abs. 2 kann die zuständige Behörde bei Vorhaben im Inland vom Vorhabenträger eine Übersetzung der nichttechnischen Zusammenfassung des Vorhabens und weiterer für die Öffentlichkeitsbeteiligung bedeutsamer Unterlagen verlangen, sofern im Verhältnis zum anderen Staat die Grundsätze der Gegenseitigkeit und Gleichwertigkeit erfüllt sind. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, bestimmte Verfahrensregelungen schon im Bundes-UVP-Gesetz zu treffen, beispielsweise wem gegenüber die Äußerungen der Öffentlichkeit des Nachbarlandes zu erfolgen haben: gegenüber einer vermittelnden Behörde des Nachbarlandes oder direkt gegenüber der verfahrens führenden Behörde des Ursprungsstaates oder ob dies bilateralen Vereinbarungen zwischen den betroffenen Staaten überlassen bleiben soll. Eine Konsultation der zuständigen obersten Bundes- und Landesbehörden ist immer dann durchzuführen, wenn der Nachbarstaat darum ersucht, § 8 Abs. 2.

e) Entscheidungsbegründung Die Begründung der Entscheidung muss zukünftig erforderlichenfalls die Darstellung der Verrneidungs-, Minderungs-, Ausgleichs- und Ersatzrnaßnahmen enthalten, § 11 Satz 5.

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Jürgen Lindemann

4. Fazit Bund und Länder haben durch Erlass zur unmittelbaren Rechtswirkung datUr gesorgt, dass während der "Übergangszeit" zwischen Ablauf der Umsetzungsfrist am 14. März 1999 und Inkrafttreten des geänderten UVP-Gesetzes am 3. August 2001 der Direktwirkung der UVP-Änderungsrichtlinie Rechnung getragen wurde und zumindest in den meisten Fällen dann eine Durchflihrung der UVP bzw. eine Einzelfallprüfung erfolgte, wenn dies notwendig war. Dabei konnten erste Erfahrungen mit der in Deutschland bisher weitgehend unbekannten Einzelfallprüfung gesammelt werden. Das nunmehr verabschiedete Bundes-UVP-Gesetz wird den Anforderungen der UVP-Änderungsrichtlinie und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, insbesondere dem Irland-Urteil gerecht. Es enthält drei Arten von UVP-Relevanz, eine verpflichtende UVP tUr größere Vorhaben, eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls tUr mittelgroße Vorhaben und eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls für mittlere und kleinere Vorhaben. Für die Praxis wird es entscheidend darauf ankommen, wie die Vorprüfung gehandhabt wird, dass weder eine umfangreiche Einzelfallprüfung mit dem Regelfall einer nachfolgenden UVP stattfindet, noch die Vorprüfung fast immer zu dem Ergebnis kommt, es müsse keine UVP durchgetUhrt werden, sondern sachgerecht der Einzelfall betrachtet wird.

Diskussion zu dem Referat von Jürgen Lindemann Bericht: Sabine Frenze1' In Bezug auf das rechtspolitische Konzept der Einzelfallprüfungen stellte Schumacher fest, dass ca. 90% der Anlagen aller Unternehmen der mittelständischen Gießereibranche im Sinne des Anhangs 11 der UVP-Änderungsrichtlinie genehrnigungspflichtig seien. Da in Nordrhein-Westfalen alle Vorhaben mit Öffentlichkeitsbeteiligung UVP-pflichtig seien, müssten die Auswirkungen in diesem Bereich hinsichtlich der Dauer der Verfahren abgeschätzt werden. Des weiteren sollen genehrnigungspflichtige Vorhaben im Sinne des Anhangs 11 der Richtlinie einem Screening unterworfen werden. Insoweit sei es in Bezug auf Anhang III der Richtlinie rechtspolitisch ebenso möglich, dass die Prüfung an eine Anzeigenverordnung angehängt werde, was im Wesentlichen von der Zielbestimmung abhänge. Schumacher nahm noch einmal Bezug auf den Vortrag von Petek und stellte erhebliche Dissonanzen zwischen den Zielwertbestimmungen fest. Er verwies darauf, dass laut UBA bei 60-70% der gesamten Bundesrepublik die Qualitätsnormen der Staubbelastung nicht eingehalten würden. Lindemann räumte hinsichtlich der Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung das Missverständnis aus, dass alle Anlagen UVP-pflichtig seien. Er stellte fiir diese Verfahren vielmehr eine potentielle UVP-Pflichtigkeit fest, da es davon abhänge, wie der Immissionsschutz seine Schwellenwerte bestimme. Weiter verwies Lindemann darauf, dass der Immissionsschutz bisher mit einem Schwellenwert ausgekommen sei, insbesondere auch hinsichtlich des Standortes. Resultat sei gewesen, dass Schwellenwerte niedrig angesetzt worden seien, um alle Fälle zu erfassen. Dies sei nach der neuen Rechtsprechung des EuGH so nicht mehr möglich. Demzufolge könnte über die Fixierung der Schwellenwerte neu diskutiert werden mit der Folge, die Schwellenwerte ftir eine UVPPflicht oder eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalles höher anzusetzen. Ergänzend würde dann die Standortprüfung hinzukommen. Hinsichtlich der Dauer der Genehmigungsverfahren sei nicht davon auszugehen, dass eine Verlängerung zu beftirchten sei, da ja eine Frist die Dauer begrenze . • Die Diskussion bezieht sich auf den Sachstand im Zeitpunkt des 1. Speyerer Forums zum Umweltgesetzbuch am 21./22.1999.

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Sabine Frenzel

Petek kam noch einmal zurück auf den Runderlass des Landes NordrheinWestfalen und stellte die Frage, inwieweit von einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie ausgegangen werde. Besonders bei Teilen der Richtlinie, die Verpflichtungen beinhalte, sei zu fragen, ob eine Mitwirkungspflicht hinsichtlich des Betreibers oder eine Ermittlungspflicht auf Seiten der Behörde bestehe. Lindemann stellte diesbezüglich zwei verschiedene Auffassungen dar. Zum einen seien Anträge mit unvollständigen UVP-Angaben abzulehnen, zum anderen bestehe die Meinung, eine Amtsermittlung durchzuführen und die entsprechenden Kosten dem Betreiber aufzuerlegen. Die Praxis habe derzeit noch keine Probleme damit.

Sodann kam Krekel auf die Ausftihrungen Lindemanns zur Übersetzung von Unterlagen bei Vorhaben mit grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen zurück. Er betonte, dass Voraussetzung für eine grenzüberschreitende Behördenund Öffentlichkeitsbeteiligung sei, dass zwischen beiden Staaten eine Vertrauensgrundlage bestehe. Zum Beispiel herrsche zwischen der Bundesrepublik und Polen noch großes Misstrauen. Demzufolge müsse jeder Schriftsatz übersetzt werden. Selbst die Grenzgewässerkommission müsse in strittigen Fragen stets festlegen, was im Planfeststellungsverfahren nach Wasserrecht zu entscheiden seI. Darauf bezugnehmend verwies Lindemann auf seine Erfahrungen mit den Niederlanden. Schon 1995 habe eine unterschriftsreife Vereinbarung zwischen den Umweltrninisterien der Niederlande und Nordrhein-Westfalens existiert. Grund für das Nichtzustandekommen der Vereinbarung sei die damals noch fehlende Verbindlichkeit der ESPOO-Konvention gewesen. In Deutschland bestehe immer die Gefahr, dass eine Grundsatzdebatte geführt werde. Insoweit sollte die Problemlösung pragmatisch erfolgen, insbesondere im Hinblick darauf, inwieweit die Nachbarseite überhaupt betroffen sei. Schröder ergänzte hinsichtlich der Dauer der Verfahren, dass der Untersuchungszeitraum nicht unbeachtet bleiben dürfe. Entscheidende Bedeutung habe die Festlegung des Untersuchungsrahmens für die UVP. Dabei seien es vor allem die Sachverständigen, die versuchten, einen weiten Untersuchungs rahmen festzulegen. Lindemann stimmte zu, dass es im Scoping nicht immer gelinge, sich auf die erforderlichen Materialien zu begrenzen. Knäpple interessierte des weiteren, ob sich aus der UVP-Änderungsrichtlinie Änderungen für den Nachbarschutz ergäben. Hierzu wies Lindemann darauf hin, dass eine Änderung der Rechtsprechung nicht zu erwarten sei.

Die Umsetzung der IVU-,..UVPund Seveso lI-Richtlinien in Osterreich Von Waltraud Petek

I. Einleitung und Allgemeines zum Anlagenrecht in Österreich In Österreich gibt es leider noch kein Umweltgesetzbuch. Das österreichische Umweltschutzrecht ist durch eine starke Zersplitterung und Fragmentierung gekennzeichnet, daher verfolgt man in Österreich mit großem Interesse die Bestrebungen zur Schaffung eines Umweltgesetzbuches in Deutschland. Gerade die Erfordernisse der Umsetzung von EU-Recht im Umweltbereich zeigen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer Richtlinie in verschiedensten Fachgesetzen. Das Anlagenrecht und insbesondere der Schutz der Umwelt vor Auswirkungen von Anlagen hat sich in Österreich innerhalb einzelner Rechtsmaterien auf Bundes- und Landesebene entwickelt, sodass kein einheitliches Anlagenrecht besteht. In diesem gewachsenen System ist eine Umsetzung von EU-Recht, insbesondere wenn es einen Umweltmedien übergreifenden und integrativen Ansatz verfolgt, mit Problemen verbunden, die sich insbesondere in Verzögerungen bei der Umsetzung der EU-Richtlinien in verschiedensten Fachgesetzen auf Bundes- und Länderebene zeigen. Österreich ist wie Deutschland ein Bundesstaat mit Gesetzgebung auf Bundes- und auf Landesebene. Die Bundesverfassung enthält eine Auflistung der Bundeskompetenzen, alle übrigen Kompetenzen liegen im Bereich der Länder'. Überdies besteht in Österreich der Grundsatz der Kompetenztrennung - nur in wenigen Fällen gibt es eine konkurrierende Gesetzgebung, etwa im Bereich des Abfallrechtes mit einer Bedarfsgesetzgebung des Bundes. Beispielsweise bestehen Bundeskompetenzen zur Erlassung von Umweltrecht fiir die Bereiche Gewerbe und Industrie, Wasser, Luft, Forst, gefährliche Abfälle und eine Bedarfskompetenz für nicht gefährliche Abfälle sowie seit 1993 auch fiir die Umweltverträghchkeitsprüfung. 2 Im Bereich der Landeskompetenzen bestehen die I Art. 10 bis 15 B-VG; zur Systematik der Kompetenzverteilung s. Rohert WalteriHeinz Mayer, Grundriss des österreich isehen Bundesverfassungsrechts, 9. Aufl., 2000, Rdnr. 247 ff. 2 Vgl. Art. 10 Z 8,10 und 12 sowie Art. 11 Abs. 1 Z 7 B-VG.

Waltraud Petek

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umweltrelevanten Zuständigkeiten etwa für Naturschutz, allgemeine Raumordnung, Bauordnung, nicht gefährliche Abfälle, Energie und Katastrophenschutz. Diese Zersplitterung des Umweltrechtes auf Bundes- und Landesebene durch unterschiedliche Gesetzgeber und Regelungen in zahlreichen Fachgesetzen wird noch verstärkt durch unterschiedliche Vollzugsstrukturen, wobei der größte Bereich des Umweltschutzrechts in Form der so genannten mittelbaren Bundesverwaltung in den Ländern durch den Landeshauptrnann und die Bezirksverwaltungsbehörden erfolgt. Dies führte zu einem sektoral ausgeprägten, komplizierten Umweltrecht mit unterschiedlich ausgeprägten Standards und unterschiedlichen Anforderungen an die Zulassung von Anlagen, etwa abhängig davon, ob sie gewerblich im Sinn der Gewerbeordnung 3 , von einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband oder etwa im Rahmen einer Landwirtschaft betrieben werden. 4 Daher gibt es auch in Österreich bereits seit langem den Ruf nach einer Vereinheitlichung und Zusammenführung der zerstreuten Rechtsbereiche, vor allem im Anlagemecht, wo für Errichtung und Betrieb einer Anlage noch vielfach zahlreiche Genehmigungen nach den einzelnen Verwaltungsvorschriften des Bundes und der Länder erforderlich sind, die von verschiedenen Behörden auf verschiedenen Ebenen erteilt werden, etwa die Baugenehmigung durch den Bürgermeister auf Ebene der Gemeinde, sonstige Genehmigungen je nach Anlagentyp und Fachgesetz auf Ebene des Bezirks, des Landes oder auch durch ein Bundesministerium. Bislang hat man sich in Österreich in diesem System vor allem mit Konzentrationsbestimmungen für Genehmigungsverfahren beholfen, wobei in einem Genehmigungsverfahren die materiell-rechtlichen Bestimmungen eines anderen Fachgesetzes mitangewendet werden. s Eine für den Bundesbereich umfassende Konzentration fand sich dann im Abfallwirtschaftsgesetz 19906 , das bei der abfallrechtlichen Anlagengenehmigung eine Mitanwendung aller relevanten bundesrechtlichen Vorschriften und überdies die Anwendung der bautechnischen Bestimmungen des jeweiligen Bundeslandes vorsieht. Eine Konzentration aller bundes- und landesrechtlichen Genehmigungen findet sich seit 1993 im Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 7, um eine umfassende Berücksichtigung der Gewerbeordnung 1994, BGBI. Nr. 194/1994 i. d. F. BGBI. I Nr. 53/2001. Einen Überblick über das Anlagenrecht in Österreich geben Jose! Öberseder. Handbuch Anlagenrecht, 1996, und Stephan Schwarzer, Die Genehmigung von Betriebsanlagen, 1992, sowie Harald StolzlechneriHarald Wendl/RudoljZitta, Die gewerbliche Betriebsanlage, 2. Aufl., 1991 und Ergänzungsband 1994. 5 Erste diesbezügliche Bestimmungen fanden sich in § 50 Abs. 2 Forstgesetz 1975, BGBI. Nr. 44011975 i. d. F. BGBI. I Nr. 10812001, sowie § 6 des Luftreinhaltegesetzes für Kesse1anlagen (LRG-K), BGBI. Nr. 38011988 i. d. F. BGBI. 1 Nr. 11511997. 6 § 29 Abs. 2 Abfallwirtschaftsgesetz (A WG), BGBI. Nr. 32511990 i. d. F. BGBI. I Nr. 108/2001. 7 UVP-G 2000, BGBI. Nr. 69711993 i. d. F. BGBI. I Nr. 108/2001. 3

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UVP und des integrierten Ansatzes verwirklichen zu können. Seit der Gewerbeordnungsnovelle 19978 ist dort eine Mitanwendung anderer zum Schutz vor Auswirkungen der Anlage erforderlicher materiell-rechtlicher Regelungen des Bundes bei der Erteilung der gewerberechtlichen Genehmigung vorgesehen, wobei aber nur bestimmte wasserrechtliche Bewilligungen von der Gewerbebehörde als Wasserrechtsbehörde miterteilt werden und diesbezüglich ein getrennter Instanzenzug läuft. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer zügigen Umsetzung von EUUmweltrecht wie auch einer Reform der Genehmigungsverfahren und des Anlagemechts hat sich die Bundesregierung im Regierungsprogramm 2000 "Österreich neu regieren" fUr den Bereich des Anlagemechts drei Reforrnstufen vorgenommen: Zunächst die rasche Umsetzung von EU-Umweltrecht, insbesondere der IVU-RL, der UVP-RL und der Seveso II-RL für das Jahr 2000, dann als nächsten Schritt die Schaffung einer einzigen Ansprechstelle für Genehmigungsverfahren, also Zuständigkeitsverlagerungen und weiter gehende Konzentration von Genehmigungsverfahren, und als dritten Schritt eine Vereinheitlichung des Anlagemechts im Bundesbereich. Im Folgenden soll nun auf die Umsetzung des ersten Schrittes eingegangen und dann auch ein Ausblick auf die weiteren Reformvorhaben gegeben werden.

11. Die Umsetzung der UVP-Richtlinie in Österreich Das 1993 erlassene Umweltverträglichkeitsprufungsgesetz (UVP-Gl diente der Umsetzung der EU-Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprufung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL)IO, die inhaltliche und verfahrensmäßige Vorgaben für die Umweltverträglichkeitsprufung enthält, verwirklicht aber auch andere Reformen wie das vollständig konzentrierte Genehmigungsverfahren ("one-stop-shop") und eine umfassende Öffentlichkeits- und Bürgerbeteiligung. Im Rahmen der eingangs dargestellten Systematik der Kompetenzverteilung war zur Verwirklichung des UVP-G eine Änderung der Bundesverfassung erforderlich, um dem Bund die Regelungskompetenz für die UVP und die Entscheidungskonzentration zukommen zu lassen 11. Auf Grund dieser Kompetenzbestimmung steht dem Bund BGBI. 1 Nr. 63/1997, § 356b GewO. BGBI. NT. 697/1993 i. d. F. BGBI. NT. 773/1996; s. dazu insbesondere Bernhard Raschauer, Kommentar zum UVP-G, 1995, Marlin Köhler/Slephan Schwarzer, Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, 1997, Wilhefm Berglhafer/Kar! Weber/Johann Wimmer, Die Umweltverträglichkeitsprüfung, 1998 und Markus Riller, Umweltverträglichkeitsprüfung, 1995; alle mit weiterführenden Literaturangaben. 10 ABI. EU L 175/40 vom 05.07. 1985. 11 Art. I lAbs. 1 Z 7 B-VG, BGBI. NT. 508/1993. 8

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die Gesetzgebung zur Regelung der Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich der Genehmigung zu, die Vollziehung obliegt autonom den Ländern l2 . Als Rechtsmittelinstanz wurde ein unabhängiger Umweltsenat eingerichtet, der aus Richtern und vom Bund und den Ländern nominierten Mitgliedern besteht 13 • Der Anwendungsbereich wurde durch eine taxative Liste im Anhang 1 zum UVP-G festgelegt, der 50 Typen von Vorhaben, alle Vorhaben des Anhangs I sowie auch Projekte des Anhangs II der EU-RL 85/337/EG umfasst. Für die Neuerrichtung und bestimmte Änderungen dieser Vorhaben ist ein konzentriertes Genehmigungsverfahren mit Durchführung der UVP bei der Landesregierung vorgesehen. 14 Hinsichtlich des Verfahrensablaufes sah das UVP-G 1993 ein verpflichtendes Vorverfahren zur Abklärung des Untersuchungsrahmens mit einer Beteiligung der Öffentlichkeit über die Gemeinden vor (§ 4). Mit dem Genehmigungsantrag ist eine Umweltverträglichkeitserklärung einzureichen (§ 6) und es findet eine umfangreiche Behördenbeteiligung statt: Sogenannte mitwirkende Behörden, das sind jene Behörden, die ohne Genehmigungskonzentration für die Erteilung von Genehmigungen für das Vorhaben zuständig wären, der Umweltanwalt l5 , Gemeinden und das Umweltrninisterium sind zu beteiligen. Ebenso ist eine mehrfache Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen: bereits im Vorverfahren über die Gemeinden, Auslage der Unterlagen im Verfahren und Stellungnahmerecht für jedermann, Durchführung der öffentlichen Erörterung. Im Verfahren ist ein integratives Gesamtgutachten zu erstellen, das auch auf Wechselwirkungen, kumulative Auswirkungen etc. eingeht und eine Gesamtbewertung im Sinn des integrativen Ansatzes enthält (§ 12). Für die Entscheidung in Form eines Gesamtbescheides ist die Mitanwendung aller relevanten Fachgesetze im UVP-Verfahren vorgesehen sowie zusätzliche Genehmigungskriterien im Hinblick auf den vorsorgenden Umweltschutz (§ 17): Emissionsbegrenzung von Schadstoffen nach dem Stand der Technik, möglichst geringe Immissionsbelastung, Abfallvermeidung nach dem Stand der Technik oder Verwertung oder, soweit es wirtschaftlich nicht vertretbar ist, ordnungsgemäße Entsorgung. Weiter ist auch ein zusätzlicher Abweisungstat12 Ausgenommen für die durch den Verkehrsminister zu erlassenden Trassenverordnungen bei Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken. 13 Art. 11 Abs. 7 B-VG und Bundesgesetz über den UmweItsenat, ursprünglich BGB\. Nr. 698/1993, neu gefasst durch das USG 2000, BGB\. I Nr. 11412000. 14 Bei den in § 24 UVP-G 1993 erfassten Vorhaben im Bereich der Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken, die mit Verordnung festgelegt werden, ist die UVP vom jeweils zuständigen Bundesminister durchzuführen; es findet kein konzentriertes Genehmigungsverfahren statt und die UVP ist auch in den nachfolgenden Genehmigungen, etwa der wasserrechtlichen oder naturschutzrechtlichen Genehmigung, zu berücksichtigen. Dieses System wurde auch im UVP-G 2000 beibehalten. 15 § 2 Abs. 4 UVP-G definiert den Umweltanwalt als ein Organ, das vom Bund oder vom betroffenen Land besonders dafür eingerichtet wurde, um den Schutz der Umwelt im Verwaltungsverfahren wahrzunehmen.

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bestand bei zu erwartenden schwer wiegenden Umweltauswirkungen vorgesehen. ParteisteIlung im Verfahren haben sowohl die Nachbarn als auch die nach den mitanzuwendenden Fachgesetzen vorgesehenen Parteien sowie überdies Bürgerinitiativen l6 , der Umweltanwalt sowie die Standortgemeinde und unmittelbar angrenzende Gemeinden. Nach Fertigstellung des Vorhabens ist eine Abnahmeprüfung vorgesehen und nach drei bis ftinf Jahren eine Nachkontrolle. Auf Grund der Erfahrungen mit durchgeftihrten UVP-Verfahren l7 und der EU-rechtlichen Vorgaben durch die Änderungsrichtlinie 97/111EG 18 wurde seit 1997 an einer Reform des UVP-Rechts gearbeitet, die im Juli 2000 zu einer umfangreichen Novelle des UVP-G in Form des UVP-G 2000 ftihrte l9 . Durch die geänderte EU-RL ergab sich ein Umsetzungsbedarfftir Österreich vor allem hinsichtlich des Anwendungsbereiches: Es mussten mehr Vorhaben UVP-pflichtig gemacht werden und bei der Festlegung der UVP-Pflicht mussten die neuen Vorgaben des neuen Anhang III Berücksichtigung finden. Bereits 1997 sandte das damalige Bundesministerium ftir Umwelt, Jugend und Familie (BMUJF) zwei Begutachtungsentwürfe ftir Neufassungen des

16 Gemäß § 19 Abs. 4 UVP-G können mindestens 200 Personen, die in der Standortgemeinde oder angrenzenden Gemeinde zum Gemeinderat wahlberechtigt sind, gemeinsam eine Stellungnahme abgeben und nehmen dann als Partei am Verfahren teil; sie können die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften als subjektives Recht im Verfahren geltenden machen. 17 Siehe dazu den Bericht des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie über die Vollziehung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz gern. § 44 UVP-G an den Nationalrat, 111-171 Blg StnProt, NR XX. GP, sowie die Studie von Andreas SommeriWilhelm Bergthaler "Evaluation der Verfahren nach dem UVP-Gesetz", Schriftenreihe des BMLFUW Band 11/2000. Das UVP-Verfahren wurde von Behörden und Projektwerbem vielfach als zu beschwerlich und unflexibel empfunden; die Anwendung war in den ersten Jahren daher sehr zögerlich. 18 ABI. EU L 73/05 vom 14.03.1997. Schwerpunkte der Novellierung sind eine Ausweitung des Anwendungsbereiches, der Anhang I wird von bisher neun auf 21 Projekte ausgeweitet, der Anhang" wird um neue Projektarten ergänzt und der neue Anhang III gibt Kriterien für die Festlegung der UVP-Pflicht bei der Festsetzung von Schwellenwerten und Kriterien bzw. im Einzelfall vor; weiters wird neu ein Scoping-Verfahren auf Antrag des Projektwerbers aufgenommen und im Hinblick auf die ECE-EspooKonvention über UVP im grenzüberschreitenden Rahmen werden die Bestimmungen des Art. 7 erweitert. 19 BGB!. I Nr. 89/2000 i. d. F. 108/2001; s. dazu: Christian BaumgartneriSusanna EberhartingeriAstrid Merl/Wallraud Petek, Das neue UVP-G 2000, in: Recht der Umwelt (RdU) 2000/4, S. 123 bis 131, Waltraud PeleklAslrid Merl, Das neue UVP-Gesetz 2000, in: Stephan Schwarzer (Hrsg.), Die Anlagenrechtsnovellen 2000 - Zwischen Verfahrensbeschleunigung und integriertem Umweltschutz, Wissenschaftliche Reihe Wissenschaft und Wirtschaftspraxis der Wirtschaftskammem Österreich, Band 9, 2001, S. 94 bis 111, sowie Bernhard Raschauer, Neuerungen im Anlagenrecht, Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung (JAP) 2000/200 I, S. 175.

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UVP-G aus 20 . Überlagert wurden diese Entwürfe von Diskussionen um eine umfangreiche Anlagenrechtsreform, die auch die UVP umfassen sollte 21 und vor Ende der XX. Legislaturperiode erfolgte noch im Juni 1999 der Versuch einer Neuregelung durch einen Initiativantrag im Parlament22 . Im Hinblick auf die bereits im März 1999 abgelaufenen Umsetzungsfrist für die EU-RL 97/1 liEG nahm die ab Februar 2000 neu amtierende Bundesregierung im Frühjahr 2000 einen weiteren Anlauf, um - wie im Regierungsprogramm vorgesehen - eine rasche Umsetzung der UVP-RL bis Sommer 2000 zu erreichen. Am 17.5.2000 wurde ein Novellierungsentwurf flir das UVP-G mit Initiativantrag im Nationalrat eingebrache3 und nach Beratungen im Umweltausschuss im Mai und Juni 200024 erfolgte im Juli die Verabschiedung im Parlament durch Nationalrat und Bundesrat. Das UVP-G 2000 trat am 11.8.2000 in Kraft. Von den im Rahmen der Reform der UVP aufgetretenen Tendenzen einer Regelung der UVP in einzelnen Fachgesetzen wurde dies nur ftir den Bereich der Bodenreform realisiert: Diesbezüglich erfolgte die Regelung der UVP im Rahmen des Agrarrechtsänderungsgesetzes 2000 25 • Da durch die Verzögerungen der Reform der Umweltverträglichkeitsprüfung eine rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie 97/11 lEG bis zum vorgesehenen Zeitpunkt, März 1999, nicht möglich war, wurde vom Bundesministerium ftir Umwelt, Jugend und Familie (BMUJF) im März 1999 ein Rundschreiben zur unmittelbare Anwendbarkeit der UVP-RL herausgegeben26 , um die Vollzugsbehörden auf die EU-rechtlichen Verpflichtungen hinzuweisen und so Anlassfälle für allfällige Beschwerden an die Europäische Kommission hintanzuhalten.

20 BMUJF GZ 11 4751/9-111/97 vom 22.04.1997 und GZ 11 4751/43-111/97 vom 01.12.1997. 21 Entwurf des Bundesministeriums flir wirtschaftliche Angelegenheiten (BMwA) flir ein "Bundesgesetz über den Schutz der Umwelt vor Auswirkungen von Betriebsanlagen" (BAG) GZ 15.875/80-Pr/7/98 vom 31.07.1998 und der gemeinsame Entwurf des BMwA und des BMUJF flir ein "Umweltgesetz flir Betriebsanlagen" (UGBA), BMwA GZ 32.830/65-III/A/2/99 und BMUJF GZ 11 4121/34-/11/99 vom 28.04.1999; in diesen Entwürfen waren auch Regelungen zur UVP. Daneben gab es auch einen weiteren Begutachtungsentwurfflir ein UVP-G, BMUJF GZ 11 4751114-111/99 vom 12.04.1999. 22 Antrag 1 167/A, XX. GP. 23 Antrag 168/A, XX/. GP. 24 Ausschussbericht 228 Blg StenProt NR XXI. GP. 25 BGBI. 1 Nr. 39/2000 durch Änderung des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951 und des Grundsatzgesetzes 1951 über die Behandlung der Wald- und Weidennutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten. 26 BMUJF GZ 11 4751/63-111/98 vom 10.03.1999.

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Nachfolgend die Neuerungen im Überblick: Durch die Novelle 2000 erfolgte vor allem eine Ausweitung des Anwendungsbereiches der UVP von 50 auf 88 Vorhabenstypen und eine Neugestaltung des Anwendungsbereiches durch ein differenziertes System im Anhang sowie den Einsatz der Einzelfallprüfung zur Abklärung der UVP-Pflicht. Es wurden zahlreiche neue Vorhabenstypen in den Anhang aufgenommen, um den Änderungen der Anhänge I und 11 der UVP-RL gerecht zu werden, z.B. Windfarmen, Freizeit- und Vergnügungsparks, Einkaufszentren, Parkplätze, Tiefbohrungen, Stauwerke, Grundwasserentnahmen und zahlreiche Industrieanlagen, etwa im Bereich Textilindustrie, Kfz- und Motorenwerke, Lebensmittelindustrie bis hin zu gentechnischen Anlagen. Neu ist die Unterteilung des Anhanges in drei Spalten: Spalte 1 enthält Vorhaben, die einem UVP-Verfahren zu unterziehen sind; Spalte 2 enthält Vorhaben, die einer UVP im vereinfachten Verfahren (s.u.) zu unterziehen sind und Spalte 3 enthält Vorhaben in schutzWÜfdigen Gebieten, die einer Einzelfallprüfung und danach allenfalls einer UVP im vereinfachten Verfahren zu unterziehen sind. Die fiir die Spalte 3 relevanten schutzWÜfdigen Gebiete sind in einem neuen Anhang 2 festgelegt: Kategorie A - "Besonders Schutzgebiet" umfasst Vogelschutzgebiete nach der Vogelschutz-RL 79/4091EWG 27 sowie Natura-2000-Gebiete nach der Flora-Fauna-Habitat-RL 94/24/EG28 , weiters Bannwälder29 sowie durch Verwaltungsakt ausgewiesene Schutzgebiete nach den Natur- und Landschaftsschutzgesetzen der Länder. Kategorie B - "Alpinregion" bezeichnet Gebiete in Höhenlagen ab der Waldgrenze, die auf Grund der klimatischen Bedingungen sowie der kurzen Vegetationsperioden besonders sensibel auf Veränderungen reagieren. Kategorie C - "Wasserschutz- und Schongebiet" umfasst die gemäß Wasserrechtsgesetz 1959 bestimmten Gebiete, die zum Schutz bestehender Wasserversorgungsanlagen bzw. zur Sicherung der zukünftigen Wasserversorgung sowie von Heilquellen und Heilrnooren ausgewiesen sind.

ABI. EU L 103/1 vom 25.04.1979. ABI. EU L 20617 vom 22.07.1992. 29 Gern. § 27 des Forstgesetzes 1995, BGBI. Nr. 440/1975 i. d. F. BGBI. I Nr. 108/2001. 27 28

5 Bohne

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Kategorie D - "Belastetes Gebiet (Luft)" stellt auf Gebiete ab, in denen die Immissionsgrenzwerte des Immissionsschutzgesetzes-Luft30 wiederholt oder auf längere Zeit überschritten und die in einer Verordnung des Umweltministers gern. § 3 Abs. 8 UVP-G 2000 festgelegt werden. Für einige Vorhaben (Massentierhaltungen, Gerbereien, Rohstoffgewinnung), die besonders geruchs- bzw. lärmbelästigend sind, kommt zusätzlich in Spalte 3 das Kriterium der Lage in oder im Nahebereich von Siedlungsgebieten zur Anwendung. Um der Judikatur des EuGH im Bereich der UVP gerecht zu werden, wonach der Ermessensspielraum bei der Umsetzung der UVP-RL in nationales Recht überschritten wird, wenn ein Mitgliedsstaat lediglich ein Kriterium der Projektgröße festlegt, ohne sich außerdem zu vergewissern, ob das Regelungsziel nicht durch Aufsplittung von Projekten umgangen würde 3' , wurden im UVP-G 2000 Kumulationsbestimmungen aufgenommen, die vorsehen, dass Vorhaben unterhalb der Schwellenwerte des Anhangs 1 einer Einzelfallprüfung und darauf folgend allenfalls einer UVP zu unterziehen sind, wenn sie die jeweils festgelegten Schwellenwerte oder Kriterien gemeinsam mit anderen Vorhaben des gleichen Vorhabenstyps erreichen, mit denen sie in einem räumlichen Zusammenhang stehen. 32 Hierbei sind auch verschiedene Vorhabensstadien {beantragte sowie realisierte Vorhaben) und die Vorhaben verschiedener Projektwerber zu berücksichtigen. Die erwähnte Einzelfallprüfung wurde im UVP-G neu eingeführt und dient der Feststellung, ob bei Verwirklichung eines Vorhabens erhebliche schädliche, belästigende oder belastende Umweltauswirkungen zu erwarten sind und daher eine UVP erforderlich ist. Diese Einzelfallprüfung ist nunmehr vorgesehen für die in Spalte 3 des Anhangs genannten Vorhaben in schützens werten Gebieten33 , bei Änderungsvorhaben, bei denen eine Ausweitung der Kapazität um mindestens 50 % des im Anhang 1 festgelegten Schwellenwertes bzw. der bisher genehmigten Kapazität erfolge 4 sowie bei der Kumulation von Vorhaben. Einzelfallprüfungen sind auf Antrag des Projektwerbers, des Umweltanwaltes oder einer mitwirkenden Behörde durchzuführen; sie können auch von Amts wegen von der UVP-Behörde eingeleitet werden. Die Kriterien für die EinzelfaIIprüfung wurden dem Anhang III der UVP-RL entlehnt und finden sich in § 3 Abs. 4 UVP-G 2000; sie umfassen insbesondere die Merkmale des Vorha-

30 IG-L, BGBl. I NT. 115/1997 i. d. F. 62/2001.

Urteil vom 21.09.1999 in der Rs C-392/96 Kommission gegen Irland. § 3 Abs. 2, § 3a Abs. 6, § 23a Abs. 3 und § 23b Abs. 3 UVP-G 2000. 33 § 3 Abs. 4 UVP-G 2000. 34 § 3a Abs. 2 und 3 UVP-G 2000.

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bens, die ökologische Empfindlichkeit des Standortes sowie die Merkmale der potenziellen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt. Neben einer Neufassung des Anwendungsbereiches war Ziel der UVP-Reform vor allem eine Vereinfachung und Beschleunigung der UVP-Verfahrens. Dem Wunsch nach einer Flexibilisierung und Verkürzung der Verfahrensdauer wurde durch zahlreiche Vereinfachungen, den Entfall von F ormalerfordernissen sowie eine Abstimmung mit der 1998 erfolgten umfassenden Novelle des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG)35 Rechnung getragen. Dies betrifft insbesondere Erleichterungen bei Kundmachungen und Ladungen, die nurrnehr fakultative Durchführung einer öffentlichen Erörterung in Großverfahren (mehr als 100 Beteiligte) sowie die Regelungen über Erwerb und Verlust der Parteistellung. Das Vorverfahren zur Abklärung des Untersuchungsrahmens ist nurrnehr fakultativ auf Antrag des Projektwerbers durchzuführen und wurde wesentlich vereinfache 6 ; die Behörde erhält im Ermittlungsverfahren mehr Spielraum, z.B. hinsichtlich der Gutachterbestellung oder des PTÜfbuches für das Umweltverträglichkeitsgutachten. Die maximale Verfahrensdauer wird von 18 auf 9 Monate reduziert. Weitere Vereinfachungen ergeben sich fUr die in Spalte 2 und 3 des Anhangs 1 angeführten Vorhaben durch das vereinfachte UVP-Verfahren mit reduzierten Anforderungen an die Umweltverträglichkeitserklärung, einer zusammenfassenden Bewertung der Umweltauswirkungen (§ 12a) an Stelle des Umweltverträglichkeitsgutachtens und einer Beteiligtenstellung für Bürgerinitiativen (im vereinfachten Verfahren keine Parteiemechte und Rechtsmittelbefugnis). Im vereinfachten Verfahren gilt eine Entscheidungsfrist von sechs Monaten. Auch für alle neu hinzukommenden Vorhaben ist die UVP mit einem konzentrierten Genehrnigungsverfahren mit breiter Beteiligung der mitwirkenden Behörden, des Umweltanwaltes, der Standortgemeinde und betroffener angrenzender Gemeinde, der Nachbarn, von Bürgerinitiativen sowie - neu - des wasserwirtschaftlichen Planungsorganes vorgesehen37 • Da auch das neue vereinfachte UVP-Verfahren eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung enthält, konnte das Bürgerbeteiligungsverfahren im 5. Abschnitt des UVP-G 1993 entfallen. Neu gefasst wurden auch die Bestimmungen über die UVP für Trassenvorhaben von Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken im 3. Abschnitt. Der Anwendungsbereich wurde in den §§ 23a und b neu gefasst; auch bei Trassenvorhaben gibt es die EinzelfallpTÜfung in geschützten Gebieten und Kumulationsbestimmungen. Die bislang vielfach nur durch Verweise geregel-

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BGB!. I Nr. 158/1998. § 4 UVP-G 2000. Siehe insbesondere §§ 5, 17 und 19 UVP-G 2000.

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ten Verfahrensbestimmungen wurden umfassend neu geregelt, eine öffentliche Erörterung ist weiterhin verpflichtend vorgesehen. Das UVP-G 2000 ist am 11.8.2000 in Kraft getreten. Zur Anleitung der Vollziehung wurde seitens des BMLFUW ein Rundschreiben zur Durchruhrung des UVP-G 2000 erstelles sowie weitere Anleitungen zur Vollziehung publiziert, insbesondere ein Leitfaden zur Einzelfallprüfung 39 •

III. Die Umsetzung der lVU-Richtlinie in Österreich Die Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU_RL)40 legt einen allgemeinen Rahmen mit Grundsätzen zur integrierten Vermeidung und Vermindung der Umweltverschmutzung rur die im Anhang I erfassten industriellen Tätigkeiten (Energiewirtschaft, Industrie, Bergbau, bis hin zur Intensivtierhaltung) fest. Sie sieht Genehmigungspflichten rur Neuanlagen und wesentliche Änderungen sowie bis 2007 auch eine Einbeziehung bereits bestehender Anlagen in das intendierte integrative System vor. Zur Erreichung eines hohen Schutzniveaus rur die Umwelt verlangt dieser integrative Ansatz der Richtlinie eine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen der Anlage auf alle Medien (Luft, Wasser, Boden), Abfallvermeidung, effiziente Energieverwendung und die Verhinderung von Unfällen bzw. die Begrenzung von Unfallfolgen. Art. 3 definiert so genannte Grundpflichten des Betreibers, und Art. 9 legt als Genehmigungsstandard die Emissionsbegrenzung nach den "besten verrugbaren Techniken" (BAT) fest. Bei der Genehmigung sind weiters EU-rechtliche Umweltqualitätsnormen zu berücksichtigen. Zur Sicherstellung eines wirksamen integrierten Konzeptes aller zuständigen Behörden verpflichtet die Richtlinie in Art. 7 zur vollständigen Koordinierung des Genehmigungsverfahrens und der Genehmigungsauflagen. Weiter sind die Genehmigungsauflagen von der Behörde regelmäßig sowie unter bestimmten Voraussetzungen (Beeinträchtigung von Schutzgütem, Änderung von BAT) zu überprüfen und zu aktualisieren (Art. 13). In Österreich sind die von der IVU-RL betroffenen ca. 550 bis 600 Anlagen41 zwar von einer Vielzahl von Verwaltungsmaterien erfasst (s.o. Punkt 1.), Umsetzungsbedarf bestand in Österreich vor allem hinsichtlich folgender Anforderungen: GZ 11 4751/4-1/IU/01 vom 30.05.2001. Leitfaden Einzelfallprüfung gemäß UVP-G 2000, Band 2/200 I, Schriftenreihe BMLFUW. 40 ABI. EU L 257/26 vom 10.10.1996. 41 Ergebnis einer vom BMLFUW im Jahr 1997 bei den Landesregierungen durchgeflihrten und durch eigene Recherchen ergänzten Erhebung. 38 39

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Integriertes Konzept bei der Genehmigung - Gesamtbetrachtung Koordination der Genehmigungsverfahren und -auflagen Umsetzung der Betreiberpflichten bzw. Genehmigungskriterien (insbesondere effIziente Energieverwendung) Einbeziehung der Altanlagen regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der Genehmigung Öffentlichkeitsbeteiligung grenzüberschreitende Auswirkungen. Lediglich für UVP-pflichtige Neuanlagen waren diese Anforderungen großteils bereits über das UVP-G abgedeckt (s.o. Punkt 11.). Auch bei der lVU-RL ergab sich das Problem der Umsetzung einer medienübergreifenden Richtlinie im System sektoraler Fachgesetze. Zwar bestand bereits für alle betroffenen Anlagen eine Genehmigungspflicht nach verschiedenen Fachgesetzen und waren Teilbereiche abgedeckt, eine umfassende, einheitliche Regelung war aber noch ausständig. Seit 1996 untersuchten verschiedene Arbeitsgruppen im Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie und im Bundesministerium rur wirtschaftliche Angelegenheiten die Umsetzungserfordernisse und arbeiteten an Umsetzungsvorschlägen. Die bereits unter 11. erwähnte Diskussion um eine umfangreiche Anlagernechtsreform (s. Fn. 21) bezog sich auch auf eine Umsetzung der lVU-RL. Da die geplante Anlagemechtsreform aber am Ende der XX. Legislaturperiode im Sommer 1999 scheiterte und auf Grund der im Oktober 1999 ablaufenden Umsetzungsfrist großer Zeitdruck bestand, wurde von der Bundesregierung und vom Parlament im Frühjahr 2000 - parallel zur Umsetzung der UVP-RL im UVP-G 2000 - die Umsetzung der lVU-RL in den wichtigsten Fachgesetzen vorgenommen, der Gewerbeordnung 1994 (GewO)42 und dem Abfallwirtschaftsgesetz (AWG)43. Die Umsetzung der lVU-RL in der GewO und im A WG erfolgten nach dem gleichen Muster44 . Hinsichtlich des Anwendungsbereiches wurden in Anlage 3 der GewO die im Anhang I der lVU-RL angeruhrten Anlagentypen mit den korrespondierenden Schwellenwerten übernommen 45 und in Anlage 1 zum 42 Antrag I 66/A XXI. GP; 8GB\. I Nr. 88/2000.

Antrag 167/A XXI. GP; BGB\. I Nr. 90/2000. Siehe zu Umsetzung insbesondere Sylvia Paliege-Barfuß, Die neue integrierte Anlagengenehm~~ung für Industrieanlagen in: Schwarzer (Fn. 19), S. 13 bis 25, und Christian Glasei, Anderungen im System des Abfallanlagenrechts, in: Schwarzer (Fn. 19), S. 71 bis 78, sowie Raschauer (Fn. 19). 45 Nicht erfasst sind dabei aus kompetenzrechtlichen Gründen die in Punkt 6.6 des Anhanges I der IVU-RL angeführten Anlagen zur Intensivtierhaltung sowie auf Grund der Einschränkung in § 1 Abs. 2 GewO auf gewerbliche (im Sinn von auf Gewinnab43

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A WG die in Punkt 5 des Anhang I der lVU-RL erfassten Anlagen der Abfallbehandlung. Aufbauend auf den bereits in der Gew0 46 und dem A WG47 festgelegten Genehmigungsvoraussetzungen und Verfahrensvorschriften wurden nunmehr fiir lVU-Anlagen zusätzliche Bestimmungen aufgenommen. Zur Umsetzung des Art. 3 der lVU-RL wurden in § 77a GewO über die bereits bislang gemäß § 77 GewO geltenden Voraussetzungen aufgenommen, dass lVUBetriebsanlagen so errichtet, betrieben und aufgelassen werden, dass alle geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Umweltverschmutzung, insbesondere durch den Einsatz von dem Stand der Technik entsprechenden technologischen Verfahren, Eimichtungen und Betriebsweisen getroffen werden, Energie effizient verwendet wird, die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um Unfalle zu verhindern und deren Folgen zu begrenzen und die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um bei der Auflassung der Betriebsanlage die Gefahr der Umweltverschmutzung zu vermeiden und um einen zufrieden stellenden Zustand des Betriebsanlagengeländes wieder herzustellen. Die Definition von Umweltverschmutzung (§ 77a Abs. 2) wurde aus der Richtlinie übernommen. In § 71 a GewO wurde die Definition des "Standes der Technik" grundsätzlich beibehalten und im Hinblick auf die Definition der "besten verfügbaren Techniken" in Art. 2 Z 11 der lVU-RL um ein Verhältnismäßigkeitskriterium ergänzt48 • Zur Umsetzung des Art. 9 lVU-RL wurden in § 77a Abs. 3 und 4 GewO für den Genehmigungsbescheid weiter festgelegt, dass er jedenfalls Ernissions-

sicht abzielende) Tätigkeiten, Anlagen von Gebietskörperschaften sowie durch die Ausnahmen in § 2 GewO nicht erfasste Anlagen, etwa der Energieerzeugung. 46 Siehe die in §§ 74 tT. und §§ 353 ff. GewO geregelten Anforderungen an Betriebsanlagen und Verfahrensvorschriften ftir das Genehmigungsverfahren. 47 Siehe insbesondere § 29 AWG. 48 Eine Diskussion um "Stand der Technik" versus "beste verftigbare Techniken" war einer der Hauptpunkte bei der Frage der Umsetzung der IVU-RL. Die komplexe Definition von BAT in Art. 2 Z Il der RL, die beim Kriterium "verftigbar" nicht nur auf eine Berücksichtigung des KostenlNutzen-Verhältnisses enthält, sondern auch auf eine wirtschaftliche Vertretbarkeit abstellt, wurde letztendlich als Aufweichung des als strenger verstandenen und als Meilenstein des Vorsorgeprinzips geltenden Standes der Technik abgelehnt. Im Zuge der Umsetzungsdebatte wurden die Unterschiede von BAT und SdT im Rahmen eines Workshops untersucht, die Ergebnisse in Form des Endberichtes "Definition Stand der Techniklbeste verftigbare Techniken" sind in der Schriftenreihe des BMUJF, Band 16/1998, publiziert.

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grenzwerte fiir Schadstoffe der Anlage 4 (entspricht Anhang III der IVU-RL), die in relevanten Mengen emittiert werden, zu enthalten hat, wobei die mögliche Verlagerung der Verschmutzung von einem Medium in ein anderes zu berücksichtigen ist, um zu einem hohen Umweltschutzniveau für die Umwelt insgesamt beizutragen. Ebenso müssen Anforderungen für die Überwachung der Emissionen, erforderlichenfalls Auflagen zum Schutz des Bodens sowie Maßnahmen für andere als normale Betriebsbedingungen bei Gefahr für die Umwelt aufgenommen werden. In Entsprechung zur Art. 10 der IVU-RL sind zur Verhinderung des Überschreitens eines gemeinschaftsrechtlich festgelegten Immissionsgrenzwertes zusätzliche Auflagen vorzuschreiben. Auch hinsichtlich der im Verfahren vorzulegenden Unterlagen gemäß Art. 6 lVU-RL und der in Art. 15 und 17 vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligung und Einbeziehung anderer von den Auswirkungen des Projekts möglicherweise betroffener Staaten wurden neue Verfahrensbestimmungen in § 356a GewO aufgenommen. Die bereits bislang im Rahmen des § 356b GewO vorgesehene Mitanwendung anderer Verwaltungsvorschriften des Bundes bei der Genehmigung zur Sicherstellung eines konzentrierten Genehmigungsverfahrens wurden für lVU-Anlagen durch § 77a Abs. 6 GewO ausgeweitet und in Abs. 8 eine Verpflichtung auch zur Koordination mit Verfahren bei anderen Behörden (vor allem Landesbehörden) ergänzt. Gemäß Abs. 9 wird die umfassende Zuständigkeit der Gewerbebehörde auch nach der Genehmigung auf nach anderen Fachgesetzen durchzufiihrende Kontrollen, Anpassungen, Vorschreibungen, Änderungen und Wiederverleihung von Rechten ausgedehnt. Die Vorgaben des Art. 12 lVU-RL für Änderungen der Anlage wurden in § 81 a GewO umgesetzt, die bislang der GewO fremde regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der Genehmigungsauflagen durch die zuständige Behörde (Art. 13 IVU-RL) wurde im neuen § 8Ib GewO in der Form umgesetzt, dass zunächst der Betriebsinhaber jeweils innerhalb einer Frist von 10 Jahren zu prüfen hat, ob sich der seine Betriebsanlage betreffende Stand der Technik wesentlich geändert hat und gegebenenfalls unverzüglich die erforderlichen wirtschaftlich verhältnismäßigen Anpassungsmaßnahmen zu treffen hat. Der Behörde ist eine Darstellung der Entwicklung des Standes der Technik und eine Darstellung der getroffenen Anpassungsmaßnahmen zu übermitteln. Sind die Maßnahmen nicht ausreichend, so hat die Behörde entsprechende Maßnahmen mit Bescheid anzuordnen. Die in Art. 13 Abs. 2 der lVU-RL vorgesehenen Überprüfungen und Anpassungen des Bescheides sind in § 81 b Abs. 2 GewO übernommen. Fast gleich lautende, aber an das System des Abfallwirtschaftsgesetzes angepasste Umsetzungsmaßnahmen für Abfallbehandlungsanlagen finden sich in den §§ 29b bis d des A WG, wobei aber die Definition des Standes der Technik

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gemäß § 2 Abs. 8 AWG unverändert beibehalten wurde und kleinere Abweichungen bestehen49. Da gemäß Art. 15 Abs. 3 der IVU-RL eine Veröffentlichung eines Verzeichnisses der wichtigsten Emissionen und ihrer Quellen anhand der von den Mitgliedsstaaten übermittelten Informationen vorgesehen ist, wurden in § 84h GewO und § 29b Abs. 9 A WG Bestimmungen zur Errullung gemeinschaftsrechtlicher Berichtspflichten aufgenommen, die die erforderliche Übermittlung von Daten von den Betreibern an die zuständigen Behörden sicherstellen sollen. Mit den Umsetzungen der IVU-RL in der GewO und im AWG ist die IVURL ftir den Großteil der betroffenen Anlagen umgesetzt. Ausständig ist die Umsetzung jedoch noch in einigen Fachbereichen des Bundes, insbesondere rur Anlagen im Bereich des Bergbaues 50 sowie rur nicht gewerbliche Feuerungsund Elektrizitätserzeugungsanlagen im Bereich des Luftreinhaltegesetzes ftir Kesselanlagen 51 • Für die im Bereich der Landeskompetenzen liegenden IPPCAnlagen, insbesondere die Intensivtierhaltung, ist erst das Land Vorarlberg durch ein IPPC-Anlagengesetz den Umsetzungserfordernissen nachgekommen52 .

IV. Die Umsetzung der Seveso lI-Richtlinie in Österreich Nach dem schweren Chemieunfall von Seveso wurde 1982 die Richtlinie 82/501lEWG über die gefahren schwerer Unfalle bei bestimmten Industrietätigkeiten53 erlassen, die der Verhütung von Unfällen und der Begrenzung von Folgen fiir Mensch und Umwelt dient. Wenn bei Industrietätigkeiten bestimmte im Anhang angeruhrte chemische Stoffe in den dort genannten Mengen eingesetzt oder gelagert werden, treffen den Betreiber spezielle Mitteilungspflichten. 49 V gl. z.B. § 77a Abs. 3 Z 1 GewO mit § 29b Abs. 7 Z I AWG, in dem bei der Festlegung von Emissionsgrenzwerten auch die technische Beschaffenheit der Abfallbehandlungsanlage, ihr Standort und die jeweiligen örtlichen Umweltbedingungen zu berücksichtigen sind und nach Z 7 auch erforderlichenfalls Auflagen für Vorkehrungen zur weitgehenden Verminderung der weiträumigen oder grenzüberschreitenden Verschrnutzung festzulegen sind - vgl. Art. 9 Abs. 4 der IVU-RL. so Mit § 121 des MineralrohstofTgesetzes, BGBl. I NT. 38/1999, war zwar bereits eine erste, rudimentäre Umsetzung erfolgt, eine Verbesserung ist in der im Januar 2001 zur Begutachtung ausgesandten Novelle zum MinroG, BMwA GZ 62.012/10-III/B/13/ 01, vorgesehen. SI Auch für das LRG-K, BGBl. Nr. 380/1988 idF BGBl. I NT. 158/1998, ist eine Novelle auch zur Umsetzung der IVU-RL in Vorbereitung. S2 Vbg. LGBl. Nr. 20/2001. S3 Sogenannte "Seveso-Richtlinie", ABI. EU L 230/1 vom 05.08.1982 i. d. F. der RL 911692/EWG, ABI. EU L 377/48 vom 31.12.1991.

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso II-Richtlinien in Österreich

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Er muss den Behörden bestimmte Angaben über die verwendeten Stoffe, die Anlage, die Gefahrenquellen und die getroffenen Sicherheitsrnaßnahmen sowie Alarm- und Gefahrenabwehrpläne vorlegen. Die Behörden der Mitgliedsstaaten müssen in bestimmten Abständen Inspektions- und Kontrollrnaßnahmen durchfuhren, bei Störfällen bestehen Meldepflichten und weiter sieht die Richtlinie auch eine präventive Information der Öffentlichkeit über Gefahren, Sicherheitsrnaßnahmen und das Verhalten bei einem Störfall vor. Die Umsetzung dieser Richtlinie erfolgte in Österreich 1988 in § 82a der GewO, der die grundlegenden Anforderungen festlegte und in der dazu ergangenen Störfallverordnung 54 sowie fiir die präventive Störfallinformation in § 14 des Umweltinformationsgesetzes und der dazu ergangenen Störfallinformationsverordnung55 • Die Störfallverordnung und die Störfallinformationsverordnung gelten auch fur bestimmte Abfallbehandlungsanlagen56 , letztere gilt darüber hinaus auch fiir einen weiteren Anlagenkreis 57 • Mit der Richtlinie 96/821EG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen58 , der so genannten Seveso II-RL, wurden die Störfallbestimmungen der EU zur Gänze neu erlassen. Die Richtlinie stellt nunmehr nicht auf bestimmte Anlagenarten, sondern auf ein reines StofflMengenkonzept ab und enthält überdies ein 2-Stufen-Konzept, bei bestimmten höheren Mengenschwellen gelten strengere Anforderungen. Regelungsschwerpunkte der Seveso II-RL sind: Allgemeine Betreiberpflichten, Unfallverhütungskonzept bzw. Sicherheitsbericht inkl. Sicherheitsmanagement, interne und externe Notfallplanung, Überwachung der Ansiedlung (Raumordnung!), Information und Beteiligung der Öffentlichkeit und ein strenges behördliches Kontrollsystem. Wesentliche Neuerungen gegenüber der bisherigen Richtlinie umfassen den "gesamten Betrieb" als Betrachtungseinheit, die stärkere Betonung des betrieblichen Sicherheitsmanagements unter teil weiser Zurückdrängung des rein technischen Sicherheitskonzepts, die Berücksichtigung des sog. "Domino-EffekBGB!. Nr. 593/1991. Umweltinformationsgesetz (UIG), BGB!. Nr. 495/1993 i. d. F. BGB\. I Nr. 137/1999 und Störfallinformationsverordnung (StIV), BGB!. Nr. 391/1994. 56 Siehe § 2 Z I Iit. b der Störfallverordnung. 57 Siehe § 2 der StIV, etwa dem Strahlenschutzgesetz unterliegende Anlagen, Sperrbauwerke nach WRG etc. 58 AB!. EU L 10/13 vom 14.01.1997. 54

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tes"S9 sowie von Gesichtspunkten der Raumordnung, nähere Speziftzierung der internen und externen Notfallsplanung, Ausbau der Information der Öffentlichkeit und eine Ausweitung der Stoffliste und der gefährlichen Stoffe, z.B. auf solche, die erst bei einem Unfall entstehen. Für Österreich ergab sich durch die Seveso I1-RL ein Umsetzungsbedarfvor allem in folgenden Bereichen: Ausweitung von Störfallregelungen auf bisher noch nicht erfasste Bereiche (z.B. Aufbereitungsanlagen des Bergbaus), Berücksichtigung von Abstandsvorschriften in der Raumordnung, Durchführung im Bereich des Katastrophenschutzes (externe Notfallspläne ), Implementierung der Bestimmungen zum "Domino-Effekt", Errichtung eines effektiven behördlichen Inspektionssystems, Ausbau der Informations- und Stellungnahmerechte der Öffentlichkeit, Betonung des betrieblichen Sicherheitsmanagements und die Aufnahme umweltgefährdender Stoffe in den Geltungsbereich. Von einer Arbeitsgruppe der betroffenen Bundesministerien und Vertretern der Länder wurde bereits 1998 ein Entwurf für ein "Bundesstörfallgesetz" erarbeitet, der dann in die bereits oben erwähnten Arbeiten zur Reform des Anlagenrechts einfloss 60 • Die Umsetzung erfolgte dann für den Bereich der gewerblichen Betriebsanlagen und für die Abfallbehandlungsanlagen zusammen mit der Umsetzung der lVU-RL in den im Sommer 2000 verabschiedeten Novellen zur GewO und zum AWG 61 • In die Gewerbeordnung 1994 wurde ein neuer Abschnitt 8a betreffend die Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen (§§ 84a bis g) aufgenommen, in denen die Seveso lI-Bestimmungen in starker Anlehnung an den Text der Richtlinie umgesetzt wurden. Das Unfallregime ist nicht mehr mit dem Genehrnigungsverfahren verknüpft, die Informations- und Meldepflichten laufen über die zuständigen Behörden (Bezirksverwaltungsbehörde oder Landeshauptrnann) zum Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit als zentraler Meldestelle, hinsichtlich grenzüberschreitender Information bei schweren Unfällen mit möglicherweise grenzüberschreitenden Folgen ist die Bundeswarnzentrale beim Bundesministerium für Inneres zuständig. Hinsichtlich des Anwendungsbereiches wurde der Anhang I der Richtlinie als Anlage 5 der GewO übernommen; viele technische Details der Richtlinie, insbesondere der Anhänge, wurden der in § 84d Abs. 7 GewO vorgesehenen Verordnung vorbehalten. Diese Industrieunfallverordnung ist derzeit noch in Vorbereitung 62 , sie enthält vor allem Konkretisierungen zum Sicherheitskon-

59 Art. 8 der RL; erhöhtes Risikopotenzial oder erhöhte Wahrscheinlichkeit von schweren Unfällen durch die räumliche Nähe mehrerer dem Seveso-Regime unterliegender Betriebe. 60 Siehe Fn. 21. 61 Siehe Fn. 42 und 43. 62 Ein Begutachtungsentwurfwurde vom BMWA mit GZ 33.300/24-III/A/2/01 vom 29. Mai 2001 zur Begutachtung ausgesandt.

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien in Österreich

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zept, zum Sicherheitsbericht, zu internen Notfallplänen und zum Sicherheitsmanagement. Für Abfallbehandlungsanlagen wurde in der A WG-Novelle 200063 ein neuer § 2ge in das Abfallwirtschaftsgesetz aufgenommen, der die Bestimmungen der §§ 84a bis 84g der GewO 1994 auch für bestimmte Abfallanlagen fiir anwendbar erklärt. Durch die eben genannten Rechtsvorschriften ist die Seveso II-RL zwar für den größten Bereich der betroffenen Anlagen umgesetzt, Defizite ergeben sich aber noch z.B. für den Bereich der dem Luftreinhaltegesetz für Kesselanlagen unterliegenden Dampfkesseln, für Munitionsfabriken nach dem Schieß- und Sprengrnittelgesetz64 sowie dem Landesrecht unterliegende Anlagen wie Eislaufplätze, Kühlhallen etc. 65 Die Überwachung der Ansiedlung im Bereich gefährlicher Betriebe gemäß Art. 12 der Richtlinie fällt in den Bereich der Raumordnung, für die nach der österreichischen Kompetenzverteilung die Länder zuständig sind. Gleiches gilt für die gern. Art. 11 der Richtlinie zu erstellenden externen Notfallspläne, die in den Bereich des Katastrophenschutzes fallen. Die meisten österreichischen Bundesländer haben ihre Raumordnungs- und Katastrophenschutzgesetze bereits an die erforderlichen Regelungen angepasst66 •

V. Bewertung und Ausblick Die in Österreich in den letzten Jahren aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Umsetzung von EU-Anlagenrecht, insbesondere im Bereich UVP, IVU und Seveso, und die in der Folge auftretenden Probleme durch Beschwerdeschreiben der Europäischen Kommission bis hin zu Vertragsverletzungsverfahren, zeigen deutlich, dass die in Österreich bestehenden Strukturen der Kompetenzverteilung sowie die noch weithin bestehende sektorale Ausrichtung des Umweltschutzrechtes einer raschen und effektiven Umsetzung von EU-Recht hinderlich ist. Die großen Reformanläufe der letzten Jahre für eine Bundesstaatsreform oder auch nur einer Reform des Anlagenrechtes sind aber jeweils an Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern wie auch zwischen den Ressorts gescheitert. Die im Programm der derzeitigen Bundesregierung vorgeBGB\. I NT. 90/2000. BGB\. NT. 196/1935 i. d. F. BGB\. I Nr. 191/1999. 6S Siehe allgemein zum Industrieunfallrecht und speziell zum Umsetzungsbedarf Rudolf Donninger, Das neue Industtieunfallrecht, in: Schwarzer (Fn. 19), S. 52 bis 69. 66 Siehe beispielsweise für die Steiermark: Katastrophenschutzgesetz, Stmk. LGB\. Nr. 62/1999 und die Verordnung der Landesregierung vom 04.12.2000 über Vorbereitungsmaßnahmen zur Abwehr und Bekämpfung von Katastrophen, Stmk. LGB\. NT. 80/2000 sowie §§ 14, 17 und 23 Raumordnungsgesetz, Stmk. LGBI. Nr. 64/2000. 63

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sehene Stufenlösung entspricht somit wohl den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, dass der "große Wurf' einer umfassenden Lösung nicht leicht erreichbar ist. Der "Fleckerlteppich" mehrfacher Umsetzungsregelungen auf Bundesund Landesebenen für die Umsetzung einer EU-RL beansprucht jedoch sowohl in den Behörden als auch in der Gesetzgebung zahlreiche Organe parallel, und die vollständige und einheitliche Umsetzung einer Richtlinie ist damit leider nur schwer erreichbar. Das derzeit in Diskussion stehende Verwaltungsreforrngesetz 2001 67 versucht durch Zuständigkeitsverlagerungen zur Bezirksverwaltungsbehörde und Zuständigkeitskonzentrationen im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz sowie Erleichterungen bei der elektronischen Abwicklung von Verfahren zumindest für den Bürger und für den Vollzugsbereich Erleichterungen im komplexen Dschungel der Gesetzesvorschriften zu bringen. Für mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, effizienteren Vollzug und Transparenz flir die Öffentlichkeit wird jedoch auch in Zukunft eine gründliche Durchforstung des komplexen umweltrelevanten Anlagenrechts und eine Neukonzeption erforderlich sein. Die Arbeiten am Umweltgesetzbuch in Deutschland wie auch die Erfolge in Schweden und Frankreich bei der Zusammenftihrung des Umweltrechts können hier nur beispielgebend und zukunftsweisend sein.

67 Entwurf des Bundeskanzleramtes GZ 602.380/020-V/2/2001 vom 01. August 2001; BGB\. I Nr. 65/2002.

Diskussion zu dem Referat von Waltraud Petek Bericht: Sabine Frenzel' Im Hinblick auf das in Österreich vorhandene konzentrierte Genehmigungsverfahren fragte Bohne nach den entsprechenden Zuständigkeiten und enthaltenen materiell-rechtlichen Regelungen. Petek erläuterte, dass die jeweilige Landesregierung zur Erteilung der Genehmigung im konzentrierten Genehmigungsverfahren zuständig sei. Das bedeute, dass alle Genehmigungen in einem Verfahren erteilt würden, welches eine Art Trägerverfahren darstelle. Daher seinen alle fur ein Projekt erforderlichen Anträge gemeinsam zu stellen. Entsprechend werde abschließend ein einziger Bescheid erteilt, der alle Genehmigungen umfasse. Intern seien für das Verfahren teilweise die Umweltabteilungen, teilweise aber auch andere Fachabteilungen zuständig. Da das Genehmigungsverfahren einen großen Managementaufwand erfordere, habe jede Landesregierung dafür zuständige Koordinatoren eingesetzt. Darauf bezugnehmend fragte Bohne, ob die konzentrierte Genehmigung mehrere, rechtlich verschiedene Genehmigungen umfasse, die in einem Verfahren, dem so genannten "one stop shop", erteilt würden oder ob es sich um eine tatsächliche Verschmelzung der Genehmigungen handele. Rechtslage sei die Addition von Genehmigungen und einigen zusätzlichen Genehmigungstatbeständen, die subsidiär seien, so Petek. Dies sei die Basis für alle Verfahren. Eine rechtliche Vereinheitlichung des Anlagenrechts verlange eine Neufassung der bestehenden Genehmigungstatbestände, was jedoch sehr schwierig durchzusetzen sei. Ziel sei zwar die Vereinheitlichung, aber solche neuen Wege zu beschreiten, koste noch viel Überzeugungsarbeit. Problematisch sei hierbei auch, die Behörden zu ermächtigen, über unbestimmte Rechtsbegriffe zu entscheiden. Eine Einigung über die Genehmigungsstandards sei noch nicht erfolgt, vielfach werde gefordert, nur auf die Mindeststandards der EU abzustellen.

, Die Diskussion bezieht sich auf den Sachstand im Zeitpunkt des I. Speyerer Forums zum Umweltgesetzbuch am 21./22.10.1999.

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Sabine Frenzel

Daran anknüpfend, wandte sich Bohne mit der Frage an die anwesenden Wirtschaftsvertreter, ob die Wirtschaft Mindeststandards der UVP-Richtlinie als Gegenleistung für die Unterstützung zur Vereinheitlichung des Gesetzes akzeptieren würde.

Jeder erwiderte, dass der Verschmelzungsansatz, hinter dem sich mehrere Problemfelder verbürgen, problematisch sei. Eine inhaltliche Auseinandersetzung sei aber innerhalb der Wirtschaftsverbände nicht erfolgt. In den Diskussionen über die Entwürfe der UVP-Richtlinie sei für die Verbände Ausgangspunkt gewesen, dass eine Ausdifferenzierung erfolge. Eine Verschmelzung von Anlagen aus Anhang I lVU-Richtlinie mit den Anlagen aus Anhang I und 11 der UVP-Änderungsrichtlinie dergestalt, dass jede lVU-Anlage gleich UVP-Anlage und umgekehrt sei, funktioniere nach ihrer Ansicht nicht. Es könne nicht sein, dass für die rechtliche Genehmigung von Anlagen das Niveau der lVURichtlinie gefordert werde, obwohl dies die UVP-Richtlinie gar nicht voraussetze. Wenn mehr Anlagen der UVP unterfielen, stelle dies eine höhere Belastung der Wirtschaft dar, als EG-rechtlich gefordert. Die Diskussion sei dann jedoch in den Wirtschaftsverbänden nicht mehr weitergeführt worden, weil sich diese auf den Verschmelzungsansatz fokussiert hätte und kein Bewegungsspielraum mehr vorhanden gewesen sei.

Petek hielt dagegen, dass die UVP ein Prüfverfahren sei und keine Genehmigungstatbestände enthalte. Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten sei es, die Genehmigungstatbestände festzulegen, in denen dann die Umweltauswirkungen beachtet werden müssten. In Österreich sei problematisch, dass diese Genehmigungsstandards stark unterschiedlich seien. Deshalb habe man versucht, über § 17 UVP-G Grundstandards festzulegen. Eine Festlegung auf EU-Mindeststandards sei für EU-Mitgliedstaaten mit klein strukturierten Unternehmen sehr gefährlich. Diese Unternehmen damit aus dem Genehmigungsregime zu entlassen und nur mit dem Zivilrecht zu arbeiten, bekäme dem Umweltschutz sehr schlecht. Auch in Österreich sei die Anzahl von Anlagen, die unter die lVURichtlinie fielen, sehr gering. Das Gros der Anlagen liege unterhalb der Schwelle von UVP- und lVU-Richtiinie. Die Festlegung der Anlagen in den einzelnen Anhängen, für die eine UVP erforderlich sei, erscheine sehr willkürlich, da teilweise ähnliche Anlagen mit vergleichbarem Verschmutzungspotential oft nicht erfasst seien, fiihrte Petek weiter aus. Auch gebe es in Anhang 11 der UVP-Richtlinie keine Schwellenwerte, so dass zuerst die Erheblichkeit über Einzelfallprüfungen festgestellt werden müsse. Bei einem Vergleich der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich der von Anhang 11 der UVP-Richtlinie erfassten Projekte könne man feststellen, dass es große Unterschiede gebe. Auch die nationalen Genehmigungsverfahren unterschieden sich stark voneinander. Dies bringe auch unterschiedliche Schwellenwerte mit sich, stellte Petek abschließend fest.

Umsetzung der IVU-, UVPund Seveso lI-Richtlinien in Schweden Von Björn Sälde

I. Umsetzung der EU-Richtlinien Für die Umsetzung der EU-Richtlinien in Schweden bestand folgende Ausgangslage: Mit dem Beitritt von Schweden zur Europäischen Union wurde das EURecht übernommen. Ein Gesetz von 1994 bestätigt dies. Vor der EU-Mitgliedschaft war das schwedische Recht durch den EES-Vertrag teilweise dem EURecht angepasst. Die UVP-Richtlinie 85/337 wurde durch Bestimmungen im Umweltschutzgesetz von 1969 und im Gesetz über den schonenden Umgang mit Naturressourcen umgesetzt. Der Mitgliedstaat hat bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht die Wahl der Form und Mittel. Es ist nicht notwendig, dass der Text der Richtlinie wörtlich und unverändert übernommen wird. Allerdings gilt das Legalitätsprinzip, so dass sich die Bestimmungen der Richtlinie in einer Rechtsvorschrift widerspiegeln müssen, zumindest wenn die Richtlinie Pflichten oder Rechte begründet. Das EU-Recht schreibt nicht vor, durch welchen Typ von Rechtsvorschrift die Richtlinien umzusetzen sind. So sind in Schweden viele Richtlinien durch Bestimmungen umgesetzt worden, die einen niedrigeren Rang als Gesetze aufweisen. Bestimmungen mit technischem Inhalt sind oft durch die Verwaltung mittels Verwaltungsvorschriften umgesetzt worden. Der Erlass dieser Vorschriften stützt sich dann entweder auf eine gesetzliche Ermächtigung durch den Reichstag (Riksdagen) oder auf eine Verordnung der Regierung. Am 1. Januar 1999 trat das Umweltgesetzbuch in Kraft. Grundlegende Bestimmungen der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien sind daher durch das Umweltgesetzbuch umgesetzt worden. Einige Bestimmungen der Richtlinien sollen in der Folge durch Vorschriften umgesetzt werden, die sich entweder auf

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gesetzliche Ennächtigungen des Reichstags oder auf Ennächtigungen in Verordnungen der Regierung stützen. I Eine gesetzliche Umsetzung von Richtlinien erfolgt im Umweltgesetzbuch, soweit die Richtlinien einen materiellen Charakter haben. Dabei muss sichergestellt werden, dass eine Harmonisierung mit der EU-Richtlinie erfolgt. Es ist sehr wichtig, dass Definitionen und die Anwendung der schwedischen Regelungen mit dem EU-Recht übereinstimmen. Richtlinien enthalten oft die Forderung an die Mitgliedstaaten zur Aufstellung von Plänen, die die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung bestimmter Umweltqualitätsziele ausweisen. Diese Pläne haben die Mitgliedsstaaten an die Europäischen Kommission zu leiten. Diese Pläne müssen regelmäßig aktualisiert werden. Das schwedische Umweltrecht kennt solche Instrumente nicht. Die notwendigen Bestimmungen sind daher in das Umweltgesetzbuch eingefügt worden.

11. UmweItgesetzbuch Das Umweltgesetzbuch enthält also die grundlegenden Bestimmungen und die notwendigen Ennächtigungen. Die Regierung und die Verwaltung können aufgrund der Ennächtigungen ausführliche Regelungen erlassen. Das Umweltgesetzbuch stellt ein Rahmengesetz dar. Die Rahmenregelungen werden durch Bestimmungen der Regierung und/oder der Verwaltung ausgefüllt. In der Einleitung zum Umweltgesetzbuch wird auf viele Richtlinien des Rates hingewiesen, u. a. auf die UVP- und lVU-Richtlinie. Im ersten Kapitel, in § 6 gibt es folgenden Hinweis zum EG-Recht: Bestimmungen über die Wirkungen des EU-Vertrages und andere Instrumente sowie von Beschlüssen der EU sind in dem Gesetz enthalten, weIches aus Anlass des Beitritts Schweden zur Europäischen Union verabschiedet wurde.

Dies bedeutet, dass das Gemeinschaftsrecht, das vor dem schwedischen Beitritt erlassen wurde, in Schweden ebenso gilt wie in anderen Mitgliedstaaten. Durch die Einführung des Umweltgesetzbuches mit seinen Ausführungsbestimmungen hat Schweden einen großen Teil des Gemeinschaftsrechts umgesetzt. Ausdrücklich sind die lVU- und UVP-Richtlinie durch das Umweltgesetzbuch umgesetzt worden. Der Inhalt und der Aufbau der schwedischen Umweltgesetzgebung entsprach jedoch auch schon vor dem Beitritt zu einem großen Teil dem, was nun gemäß dem EU-Recht, u. a. den genannten Richtlinien, gilt. Neu im schwedischen Umweltrecht sind die Ermächtigungen zum Erlass I

Prop. 1997/98 S. 197 f.

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von Umweltqualitätsnonnen (KapitelS des Umweltgesetzbuches). Mit diesen Bestimmungen wurde eine "Lücke ausgefUllt". Die Regierung kann außerdem nun die Behörden anweisen, Umweltqualitätsnonnen zu erlassen, so weit dies aufgrund der EU-Mitgliedschaft Schwedens erforderlich ist. 2 Die Seveso lI-Richtlinie wurde nach Inkrafttreten des Umweltgesetzbuches umgesetzt und ist daher in einem eigenen Gesetz geregelt: das Gesetz über die Venneidung und Verminderung der Gefahren bei schweren Unfällen mit Chemikalien. Das Gesetz ist seit dem 1. Juli 1999 in Kraft. Nun einige Worte über die Gesetzgebung und das Umweltrecht in Schweden. Das gesamte schwedische Recht wurde im Jahre 1734 in einem Gesetzbuch zusammengefasst. Dieses Gesetzbuch ist in mehrere "Bücher" - unter der Bezeichnung "Balk" - und in einem Anhang eingeteilt. Im Anhang sind Gesetze einbezogen, die nicht im "Gesetzbuch selbst" Platz gehabt haben. Dies ist heute mehr und mehr ein nur symbolischer Unterschied, da es im Anhang viele Gesetze gibt, die zur modemen Gesellschaft gehören. Das neue Umweltgesetzbuch ist formal eines der "Bücher" des Gesetzbuches von 1734. Damit ist das Umweltrecht zu einem zentralen Rechtsgebiet aufgewertet worden. Die Umweltgesetze entstanden in Schweden zuerst mit dem Naturschutzgesetz von 1964 und dem Umweltschutzgesetz von 1969. Zugleich wurden auch die zentralen Umweltbehörden eingerichtet, u. a. der Genehmigungsrat fUr Umweltschutz, der bis zum Inkrafttreten des neuen Umweltgesetzbuchs fUr die Genehmigung u. a. großer Industrieanlagen in ganz Schweden zuständig war. In den siebziger, achtziger und neunziger Jahren folgten Gesetze über Chemikalien, Wasser, Abfall usw. Planungs- und Baugesetze sind im schwedischen Recht immer parallel zu den eigentlichen Umweltgesetzen erlassen worden. Das schwedische Umweltrecht hat stets auf integrierte Genehmigungsverfahren und auf Offenheit der Verfahren mit öffentlich zugänglichen Unterlagen, Bekanntmachungen, Schriftwechseln, Erörterungen und Ortsbesichtigungen gesetzt. Insoweit haben schon die bisherigen Gesetze die IVU-Richtlinie erfUllt. Die Vorbereitungen für ein neues Umweltgesetzbuch fmgen 1989 an und der erste Vorschlag fUr ein vollständiges Umweltgesetzbuch kam 1993.3 Im Mai 1994 legte die Regierung den Entwurf eines Umweltgesetzbuchs vor.· Diese Vorlage wurde am 13. Oktober 1994 zurückgezogen. Die Untersuchungen wurden fortgesetzt. Zwischenzeitlich kam es zu einem Regierungswechsel. Im Jahr 1996 legte die hierfür eingesetzte Kommission einen neuen Vorschlag fUr ein Umweltgesetzbuch vor. 5 Am 3. Juni 1998 wurde der Entwurf des Umwelt2 J 4

S

Kapitel 5 § I Umweltgesetzbuch. Miljöbalk, SOU 1193:27. Prop. 1994/95: 10. Miljöbalken, SOU 1996: 103, prop. 1997/98:45.

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gesetzbuchs vom Reichstag verabschiedet. Unterschiede zur ersten Vorlage betrafen u. a. das Wasserrecht und die Verwaltungsforrnen. Die Kodifikationsgrundsätze für das Umweltgesetzbuch bestanden zunächst in der Vereinheitlichung des Umweltrechts. Das Umweltgesetzbuch sollte ferner folgendes enthalten: 6 rechtlich bindende Prinzipien und Bestimmungen über ein umweltgerechtes Verhalten, die jedermann zu befolgen hat, Bestimmungen über den schonenden Umgang mit Boden und Naturressourcen, Bestimmungen über Umweltqualitätsnorrnen und UVP, Bestimmungen über das Genehmigungsverfahren, Bestimmungen über wirksame Überwachungsmaßnahmen und Sanktionen. Man kann dies "Integration" nennen. Der Gesetzgeber in Schweden spricht hier von einer "umweltgesetzlichen Kette". Das Umweltgesetzbuch ersetzt 15 Umweltgesetze/ u. a. das Naturschutzgesetz, das Umweltschutzgesetz, das Abfall- und Wegereinigungsgesetz, das Chemikaliengesetz und das Wassergesetz. Jetzt haben wir also ein umfassendes, zentrales Gesetz fiir das Umweltrechtsgebiet. Der Zweck des Umweltgesetzbuches ist eine weitgehende Integration, insbesondere von Verfahren, Organisation und materiellem Recht. Diese Integration ist ähnlich der in Frankreich, allerdings ist die materielle Integration weitergehend. Bei der Genehmigung von Industrieanlagen wird zwischen einer kommunalen Baugenehmigung und einer Umweltgenehmigung unterschieden, die alle übrigen Umweltbereiche, einschließlich UVP umfasst. Die Baugenehmigung ist im Planungs- und Baugesetz geregelt. Neue Anlagen sind genehmigungspflichtig nach dem Umweltgesetzbuch, aber auch nach dem Planungs- und Baugesetz. Man braucht daher eine Baugenehmigung. Die Genehmigungsbehörde ist die Gemeinde. Auch der Planungsprozess ist ein selbständiges Verfahren bei der Gemeinde. Nicht in allen Fällen des Planungsprozesses ist eine UVP erforderlich. Die UVP kann jedoch fiir alle genehmigungspflichtigen Vorhaben durchgefiihrt werden (z. B. beim Öresund-Anschluss). Das Genehmigungsverfahren fiir besonders umweltgefährliche Vorhaben wird von einem Umweltgericht durchgefiihrt. 8 Es umfasst UVP, Luft, Wasser, Länn, Boden, Abfall, Naturschutz und Störfallverhütung. Das Gericht prüft da-

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Prop. 1997/98:45, S. 168 f. § 2 Einflihrungsgesetz zum Umweltgesetzbuch. Kapitel 20 Umweltgesetzbuch.

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bei, ob die Tätigkeit mit dem Planungsrecht in Einklang steht. 9 Die UVP umfasst alle Angaben, die in Art. 5 Abs. 3 der UVP-Änderungsrichtlinie aufgeführt sind. Die Behörde kann darüber hinaus für Tätigkeiten, die erhebliche Umweltauswirkungen haben, bestimmte weitere Angaben fordern.

1. UVP Die bisherigen Regelungen des Umweltschutzgesetzes von 1969 und vieler anderer Gesetze, u. a. des Wassergesetzes, schlossen die UVP mit ein. Eine UVP ist nicht nur bei Projekten mit erheblichen Umweltauswirkungen, sondern regelmäßig in allen Genehmigungsverfahren durchzuftihren. Es gibt jedoch Ausnahmen, u. a. im Planungs- und Baugesetz und im Naturschutzgesetz, deren Anforderungen mit der UVP-Richtlinie übereinstimmen. Man betrachtet in Schweden die UVP als ein Dokument, das die Grundlage für die Entscheidung darstellt. Da die Richtlinien nur Mindestanforderungen enthalten, stehen die schwedischen Regelungen nicht im Widerspruch zu den Richtlinien. Die Integration der UVP in das Genehmigungsverfahren schließt entsprechend der Regelung des Art. 2 Abs.2a der UVP-Änderungsrichtlinie die Anforderungen der IVU-Richtlinie mit ein. Das Umweltgesetzbuch erweitert den bisherigen Anwendungsbereich der UVP. Unter den Gesetzen, die durch das Umweltgesetzbuch ersetzt wurden, gab es welche, die keine UVP verlangten oder die die Anwendung der UVP nur bei Projekten mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt vorschrieben. Nach dem Umweltgesetzbuch ist die UVP für alle Genehmigungsverfahren vorgeschrieben. 10 Dabei gibt es einige Ausnahmen, z. B. das Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen von Produkten, die gentechnisch modifIziert wurden. Mit Rücksicht auf die Richtlinie 901220 über die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt kann Schweden eine von dieser Richtlinie abweichende UVP in diesem Fall nicht vorschreiben. Die Regierung kann die UVP auch in anderen Fällen vorschreiben,11 z. B. bei Genehmigungsverfahren und bei Tätigkeiten, die keine erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Die UVP ist in einer Verordnung vorn 25. Juni 1998 geregelt. Die Bestimmungen enthalten ein offenes Verfahren mit Antragsberatung durch die Behörde und Einbeziehung der Öffentlichkeit. Die Antragsberatung erfolgt durch die Kreisbehörde. Die Kreisbehörde entscheidet, ob das Projekt

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Kapitel 16 § 4 Umweltgesetzbuch. Kapitel 6 § I Umweltgesetzbuch. Kapitel 6 § I Umweltgesetzbuch.

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erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat, die eine UVP erfordern. 12 Danach erfolgt eine Beratung über den Umgang der UVP ("Scoping") und der Betreiber vervollständigt den Genehmigungsantrag. 13 Das Umweltgericht macht den Genehmigungsantrag öffentlich bekannt und fasst in der Bekanntmachung u. a. die UVP-Erklärung zusammen. Das Gericht entscheidet, spätestens in der Genehmigungsentscheidung über die UVP. 14

2.IVU Die schwedische Gesetzgebung entsprach auch schon früher der lVURichtlinie. Die Gesetze enthielten z. B. die Prinzipien der BAT und PPP. Die lVU-Richtlinie brachte daher keine großen Veränderungen im Umweltrecht. Das Umweltgesetzbuch bedeutet eine größere Integration, da nun noch weitere Vorhaben in das Gesetz einbezogen wurden. Bemerkenswert ist die Übertragung von Verwaltungsfunktionen auf Gerichte. Der bisherige Genehmigungsrat für Umweltschutz (ein nationaler Rat) und die regionalen Wassergerichte wurden aufgelöst und durch fünf regionale Umweltgerichte ersetzt. Auch das Wasser-Berufungsgericht wurde aufgelöst und durch ein Umwelt-Berufungsgericht ersetzt. Die neuen Umweltgerichte entscheiden auch über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Behörden. Es gibt also manchmal zwei oder drei Instanzen. Es gibt in Schweden eine lange Tradition mit weisungsunabhängigen Behörden. Die Gerichte spielten keine besondere Rolle im Verwaltungsbereich. Eine Ausnahme bildeten nur die Wassergerichte, die zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehörten. Viele schwedische Behörden erfüllen wahrscheinlich die Anforderungen der Europakonvention für Gerichte. Nachdem Schweden der Europäischen Union beigetreten war und eine Anpassung des schwedischen Rechts an das EU-Recht und die Europakonvention zu erfolgen hatte, bestand die Wahl, den Gerichten eine größere Rolle zu übertragen oder die Rolle der weisungsunabhängigen Behörden nicht zu verändern. Die Entscheidung ist nicht ganz eindeutig gefallen, obwohl Verwaltungsgerichte schon in den siebziger Jahren eingerichtet wurden, deren Bedeutung inzwischen zugenommen hat, z. B. im Umweltrecht. Warum wurden Verwaltungs funktionen aufUmweltgerichte, die Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind, übertragen? Ein Grund dafür bestand in der Möglichkeit, gerichtliche Kontrollen anzuordnen.

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Kapitel 6 § 4 Umweltgesetzbuch. Kapitel 6 §§ 5 - 7 Umweltgesetzbuch. Kapitel 6 §§ 8 - 10 Umweltgesetzbuch.

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Für Entscheidungen einer Behörde in der höchsten Instanz, z. B. der Regierung, die nicht mehr angefochten werden und auch nicht durch ein Gericht überprüft werden können, gilt das "Rechtsprüfungsgesetz", welches eine gerichtliche Kontrolle anordnet. Diese gerichtliche Kontrolle erfolgt dann bei der "Regeringsrätten", vergleichbar dem höchsten Verwaltungsgericht. Durch diese gerichtlichen Kontrollen entspricht Schweden auch der Anforderung der Europakonvention, welche zur Überprüfung von zivilen Rechten durch Gerichte berechtigt. Viele umweltrechtliche Entscheidungen der Behörden könnten bei der Regierung angefochten werden, z. B. im Natur- und Umweltschutz. Die Regierung versucht, solche Entscheidungen in Anfechtungssachen auf andere Stellen zu verlagern. Mit der Übertragung von Verwaltungsfunktionen aufUmweltgerichte kann die Regierung die Anfechtungssachen auf andere Stellen verlagern und auch die "Regeringsrätten" entlasten. Warum wurden Verwaltungs funktionen nicht auf Verwaltungsgerichte übertragen? Nachdem das Wassergesetz in das Umweltgesetzbuch integriert wurde, gab es noch Wassergerichte, die eine lange Tradition besaßen. Die prozessualen Bestimmungen des Wassergesetzes waren umfassend und sehr kompliziert. Für das Umweltgesetzbuch übernahm man im Prinzip die Ordnung des Wassergesetzes und der Wassergerichte. Im Umweltgesetzbuch gibt es aber auch Fälle, in denen die Regierung eine rechtliche Stellungnahme zur Genehrnigungsfähigkeit abgibt, die für die Umweltgerichte und Kreisbehörden bei der Genehmigungserteilung rechtsverbindlich ist (Kapitel 17 Umweltgesetzbuch). Über militärische Projekte wird bei der Kreisbehörde entschieden. Nach dem Umweltgesetzbuch können Entscheidungen der Kreisbehörde über militärische Projekte nur bei der Regierung angefochten werden. In diesen Fällen kann, da die Regierung kein Gericht ist, eine gerichtliche Kontrolle angeordnet werden. Die Genehmigungsverfahren sind zwischen den Umweltgerichten und den regionalen Behörden aufgeteilt. In der Verordnung vom 14.07.1998 über umweltgefährdende Vorhaben und den Schutz der Gesundheit gibt es ein Verzeichnis aller genehmigungspflichtigen umweltgefährdenden Vorhaben, in dem die Zuständigkeit der Genehmigungsbehörde festgelegt ist. Entscheidend sind u. a. die Größe und die Umweltrisiken der Vorhaben. Bei den Kreisbehörden sind neue, weisungsunabhängige Organe eingerichtet, so genannte "Delegationen für Umweltgenehrnigungen". Man kann die Entscheidung der "Delegation" vom Umweltgericht überprüfen lassen. Der Begriff "Beste verfügbare Techniken"(Art. 2 Nr. lIder lVU-Richtlinie) gilt in Schweden für gewerbliche Tätigkeiten (Kapitel 2 § 3 Umweltgesetzbuch). In der Vorlage (1997/87:45, Seite 215 ff.) wird u. a. ausgeführt, dass in Schweden eine striktere Anwendung des Begriffes "Beste verfügbare Techni-

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ken" existiert, als die Richtlinie vorgibt. Nach Kapitel 2 § 7 Umweltgesetzbuch ist eine Abwägung zwischen den Umweltrisiken eines Vorhabens und dem Nutzen von Schutzmaßnahmen durchzufuhren. Diese Abwägung kann zu strengeren technischen Anforderungen fuhren. Die Bedeutung des Begriffes "Beste verfugbare Techniken" im Umweltgesetzbuch ist jedoch nicht neu, und ich glaube, dass die bisherige Praxis eine gute Übereinstimmung mit der Richtlinie aufweist. Neu im Umweltgesetzbuch ist der Begriff der Umweltqualitätsnormen. Die Regelung in Kapitel 5 ist ähnlich der Regelung der Richtlinie. Das Umweltgesetzbuch ermächtigt die Regierung zum Erlass von Umweltqualitätsnormen. Die Regierung kann aber auch eine Behörde anweisen, die Normen festzulegen, falls Schweden nach EU-Recht zum Erlass von Umweltqualitätsnormen verpflichtet ist. Gemäß der Richtlinie kann eine Umweltqualitätsnorm auch das Treffen weiterer Maßnahmen erfordern. Um die Einhaltung von Umweltqualitätsnormen zu gewährleisten oder um den Anforderungen aus der EU-Mitgliedschaft fiir die Erfullung der Umweltqualitätsnormen zu genügen, ist nach dem Umweltgesetzbuch ein Maßnahmekatalog aufzustellen. Der Maßnahmekatalog ist von der Regierung zu erstellen; sie kann jedoch auch eine Behörde dazu anweisen. Ein Problem im schwedischen Umweltrecht sind die bestehenden Genehmigungen im Verhältnis zu weiteren Anforderungen laut den Umweltqualitätsnormen. Weitere Maßnahmen können aufgrund Art. 10 IVU-Richtlinie gefordert werden. Aber wie weit kann man gehen? Die Überprüfung und Aktualisierung der Genehmigungsauflagen war gemäß dem Umweltschutzgesetz bereits seit 1969 möglich. Neu im Umweltgesetzbuch ist dagegen die Möglichkeit des Widerrufs einer Genehmigung. IS Es handelt sich dann um die Verschärfung der Auflagen, was auch Artikel 10 der Richtlinie entspricht. Das Resultat der Überprüfung ist zumeist eine Verschärfung, so dass die Umweltqualitätsnormen eingehalten werden. Die Genehmigung war bisher zeitlich unbegrenzt, obwohl die Möglichkeit der Begrenzung gemäß § 18 Umweltschutzgesetz von 1969 bestand. Es gibt jetzt natürlich eine Konkurrenzsituation, wenn gültige Genehmigungen überprüft werden müssen. Daher stellt sich in Schweden auch die Frage nach Entschädigung. Bei den Beratungen des Gesetzes im Reichstag wurde gesagt, dass der Wortlaut den Bestimmungen des Grundgesetzes entspricht und der Staat in solchen Situationen den wirtschaftlichen Ersatz bezahlen muss. Es gibt bisher noch keine praktischen Erfahrungen dazu und auch die Bestimmungen im Grundgesetz haben sich nicht geändert. Es existieren noch andere Fragen zur rechtlichen Stellung des Maßnahmekataloges, jedoch sind hier genug Probleme angedeutet worden.

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Kapitel 24 § 3 Umweltgesetzbuch.

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3. Seveso 11 Die Richtlinie wurde durch das Gesetz vom 27.05.1999 über die Vermeidung und Verminderung von Chemikalien bei schweren Unfällen mit Chemikalien und durch Bestimmungen im Gesetz über Sicherheit am Arbeitsplatz umgesetzt. Die Regierung hat gemäß dem Gesetz eine Verordnung erlassen. Zur gleichen Zeit ist Schweden der internationalen Konvention über grenzüberschreitende Auswirkungen bei schweren Unfällen in der Industrie vom 17.03.1992 beigetreten. Das Gesetz ist mit dem Umweltgesetzbuch koordiniert worden, so dass ein Genehmigungsantrag Angaben gemäß der Seveso 11Richtlinie enthalten muss. Die Angaben sollen in Form eines Sicherheitsberichts erstellt werden. Über den Sicherheitsbericht wird ebenfalls im Genehmigungsverfahren entschieden. Der Bericht hat den Vorgaben der zentralen Umweltbehörde und des Zentralamtes fiir Zivil-, Katastrophen- und Brandschutz zu entsprechen und ist strenger als die Richtlinie. Die Aufsicht hat das Zentralamt fiir Zivil-, Katastrophen- und Brandschutz.

111. Abschließender Kommentar Das Einführungsgesetz zum Umweltgesetzbuch bestimmt, dass die vor dem 01.01.1999 eingegangenen Genehmigungsanträge nach den alten Vorschriften zu entscheiden sind mit Ausnahme gewisser prozessualer Bestimmungen. Die praktische Folge war, dass Ende 1998 eine große Anzahl von Genehmigungsanträgen beim Genehmigungsrat fiir Umweltschutz und anderen Behörden eingereicht wurde. Danach sind das Umweltgesetzbuch berührende Anträge kaum eingegangen. Die Ressourcen werden vollständig durch Entscheidungen über vorliegende Anträge gebunden. Es gibt also kaum Erfahrungen über vollständige Prüfungen nach dem Umweltgesetzbuch. In einer Hinsicht haben sich die Aufgaben vermehrt, und zwar aufgrund der neuen Sanktionsgebühr. Die Gebühr ist eine Verwaltungssanktion und ersetzt andere Sanktionen, die eher Strafen waren. Die Festsetzung der Gebühren kann bis zum Umweltgericht angefochten werden. Man hat auch in Verbindung mit der Einführung des Umweltgesetzbuches einige Ressourcen fiir Untersuchungen zu Übertretungen eingesetzt. Das ist eine Verbesserung auf einem Gebiet, das kritisiert worden war. Bei der Vorbereitung des Gesetzes gab es zahlreiche Kritik, u. a. über die Auswahl der in das Umweltgesetzbuch einzubeziehenden Gesetze und über die Qualität der Vorschläge. Es ist ein Mangel, dass das Planungs- und Baugesetz nicht einbezogen wurde. Das Wassergesetz war in der ersten Vorlage nicht eingeschlossen. Die Zeit war so kurz, dass die jetzige Einfügung nicht ganz geglückt ist.

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Das Umweltgesetzbuch ist als Rahmengesetz abgefasst. Das bedeutet, dass es schwierig ist zu sagen, wie allgemein gefasste Bestimmungen, u. a. über umweltgerechte Rücksichtnahme, anzuwenden sind. Es gibt viele, die die Hoffnung haben und meinen, dass im Ergebnis etwas Neues im schwedischen Umweltrecht entstanden ist.

Diskussion zu dem Referat von Björn Sälde Bericht: Sabine Frenzel· Bohne eröffnete die Diskussion mit der Feststellung, dass das schwedische System auf Konsens beruhe. Dagegen neige man in Deutschland eher dazu, Konflikte auszutragen. Aus deutscher Sicht gebe es im schwedischen System mehrere Besonderheiten. Hervorzuheben seien insbesondere die Umweltgerichte, die einerseits als normale Gerichte fungierten, andererseits aber auch Genehmigungen erteilten. Letzteres stelle einen Bruch der Gewaltenteilung dar.

Sälde erwiderte, dass dies praktisch kein Problem darstelle. Die Genehmigungen würden von Richtern erteilt, die sehr kritisch seien. Bohne kam dann auf eine weitere schwedische Besonderheit zu sprechen. Für bestimmte Großprojekte gebe es fiir die Regierung eine Kompetenz zur Stellungnahme zu der Frage der Genehmigungsfahigkeit. Diese Stellungnahme binde die Kreisbehörde und das Umweltgericht. Zu hinterfragen sei der Sinn dieser Regelung.

Hierzu entgegnete Sälde, dass diese Regelung ihren Ursprung in dem Umweltschutzgesetz von 1969 habe. Viele der betroffenen Industriezweige verursachten hohe Kosten flir den Schutz der Umwelt, so dass man entschieden habe, solche Anlagen durch die Regierung zu überprüfen. Zwar sei diesbezüglich im neuen Umweltgesetzbuch vieles geändert worden, allerdings seien auch einige Regelungen aus den alten Gesetzen übernommen worden. Bohne reflektierte die 30 Jahre, die seit dem ersten schwedischen Umweltschutzgesetz vergangen seien. Er zog dabei einen Vergleich zwischen dem früheren schwedischen Genehmigungsrat und dem deutschen Bundeskartellamt, welches als Kollegialorgan entscheide. Er führte weiter aus, dass nach den ursprünglichen Entwürfen auch das Wasserrecht in das neue schwedische Umweltgesetzbuch habe integriert werden sollen. Jedoch hätten sich die Wassergerichte gegen den damit einhergehenden Verlust ihrer Unabhängigkeit gewehrt. Daher habe man einen politischen Kompromiss ausgehandelt, wonach das Wasserrecht zwar in das Umweltgesetzbuch integriert, als Gegenleistung dafür • Die Diskussion bezieht sich auf den Sachstand im Zeitpunkt des 1. Speyerer Forums zum Umweltgesetzbuch am 21./22./0.1999.

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aber die Genehmigungsstruktur des Wasserrechts beibehalten worden sei. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Wassergerichte insoweit in die Zivilgerichtsbarkeit integriert worden seien. Sä/de erinnerte zu diesem Punkt daran, dass sich die politischen Machtverhältnisse in Schweden in dem betreffenden Zeitraum drei Mal geändert hätten. Zu Beginn der Vorbereitungen zur Schaffung des Umweltgesetzbuches sei eine sozialdemokratische Regierung an der Macht gewesen, während hingegen nach Vorlage des ersten Entwurfs die Konservativen die Regierung gestellt hätten. Diese sei schließlich wieder von einer sozialdemokratischen Regierung abgelöst worden. Seitens der obersten Richter sei beim ersten Entwurf des Umweltgesetzbuches die fehlende Integration des Wasserrechts kritisiert worden. Es habe also auch einen rechtlichen Grund für die Integration des Wasserrechts in das Umweltgesetzbuch gegeben. Weigand fragte nach der Einbeziehung der Öffentlichkeit in Umweltsachen, der Möglichkeit einer Popularklage und dem freien Zugang nach Informationen zu sprechen.

Darauf erwiderte Sä/de, dass in den nordischen Länder die bei Behörden vorhandenen Informationen frei zugänglich und gebührenfrei zu erhalten seinen. Der notwendige Datenschutz werde durch ein entsprechendes Gesetz gewährleistet. Anfang der siebziger Jahre habe es ein reges Interesse an den öffentlichen Anhörungen gegeben, wodurch manche dieser Anhörungen mehrere Tage gedauert hätten. Insoweit gebe es also diesbezüglich eine lange Tradition in Schweden. Allerdings sei im Laufe der Zeit das Interesse an den öffentlichen Anhörungen wieder etwas zurückgegangen. Petek interessierte sich fiir die Baugenehmigung, die in Schweden separat erteilt werde, und die Koordination mit dem Umweltrecht. Des weiteren fragte sie nach der Zusammenarbeit zwischen den Umweltgerichten und den Behörden. Sä/de führte dazu aus, dass es nach Auffassung der Umweltgerichte ein Nachteil sei, dass die Baugenehmigung nicht in das Umweltgesetzbuch integriert worden sei. Deshalb sei es notwendig, die Baugenehmigung in Einklang mit der Umweltgenehmigung zu bringen. Im Ergebnis würden zwei separate Genehmigungsbescheide erteilt.

Daran anknüpfend fragte Bohne, ob die Baugenehmigung, soweit sie erteilt worden sei, bei der nachfolgend beantragten Umweltgenehmigung erneut durch die Umweltgerichte überprüft, insbesondere auch zurückgenommen werden könne. Dies verneinte Sä/deo Allerdings könne die Umweltgenehmigung verweigert werden, was zur Folge habe, dass dann auch die Baugenehmigung wertlos sei. Gilhuis wollte hinsichtlich der Umweltgerichte zum einen wissen, ob es auch Mitglieder des Gerichts gebe, die keine Richter seien. Zum anderen

Diskussion zu dem Referat von Bjöm Sälde

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nälunen die Gerichte zwei verschieden Funktionen wahr, eine administrative und eine judikative. Es sei also zu fragen, ob die Mitglieder der Umweltgerichte auch ihre Arbeit entsprechend trennen würden, also diejenigen, die fiir administrative Aufgaben zuständig seien, nicht judikativ tätig würden und umgekehrt. Sälde stellte die Struktur des Rates dar, nach der zwei Mitglieder des rates Richter seien, einer Jurist, der andere technischer Bediensteter. Die beiden anderen Mitglieder seien Laien. Diese hätten aber das gleiche Stimmrecht wie die Richter. Etwa 60% der täglichen Arbeit des Rates beträfe Umweltsachverhalte, ca. 40% Zivilprozesse.

Bezugnelunend auf die erwähnten Umweltsachverhalte gebe es sowohl administrative, als auch judikative Funktionen des Rates, so Bohne. Insoweit sei es interessant zu erfahren, ob es Interessenkonflikte gebe und wie diese gelöst würden. Sälde antwortete, dass es wenige Konflikte gebe, da die Funktionen so unterschiedlich seien. Im Gegensatz zu zivilen Prozessen, wo sich zwei Parteien gegenüberständen, seien in Umweltsachen die beantragten Genehmigungen Gegenstand der Prüfung. Untersuchungsmaßstab sei allein der Schutz der Umwelt, nicht hingegen ein Parteiinteresse. Gegebenenfalls sei die Genehmigung nicht zu erteilen.

Wol/mann merkte an, dass es sich doch wohl nur um eine Funktion handele, unabhängig davon, wie sie bezeichnet werde.

Dem widersprach Bohne. Er führte aus, dass das Gericht zum einen über Rechtsmittel gegen Genehmigungsentscheidungen der Kreisbehörden, zum anderen über Genehmigungsanträge fiir Großanlagen entscheide. Dies bestätigte Säldeo Abschließend fragte Bohne nach dem Grund dafiir, dass diese Verwaltungsfunktion nicht auf die Verwaltungsgerichte übertragen worden sei. Sälde entgegnete, dass 1996 die politische Entscheidung zugunsten der Umweltgerichte gefallen sei, als das Wasserrecht in das Umweltgesetzbuch integriert worden sei. Es sei zwar bereits 1980 versucht worden, die administrativen Aufgaben den Behörden zu übertragen, jedoch habe dies nicht funktioniert. Deshalb sei der dargelegte Weg gewählt worden.

Die Umsetzung der IVU-, UVPund Seveso lI-Richtlinien in Spanien Von Cesar Colino Ein dänischer Professor fiir Politikwissenschaft, der in Madrid als Gastprofessor tätig war, pflegte zu sagen: "Es gibt nur zwei Gesetze in den Sozialwissenschaften. Das erste lautet: Es gibt keine Gesetze in den Sozialwissenschaften. Das zweite lautet: Alles funktioniert anders im Süden." Ich hoffe, dass Sie nach meinem Vortrag selbst beurteilen können, ob diese Aussage stimmt oder ob es sich um ein typisch nordisches Vorurteil handelt. Mein Vortrag gliedert sich in folgende Teile. Einleitend werde ich auf die Verteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen im spanischen System eingehen. Am Beispiel Kataloniens, das eine der leistungsflihigsten autonomen Gemeinschaften Spaniens ist, werde ich mich dann mit dem spanischen Genehmigungsrecht befassen und kurz die wichtigsten Umweltvorschriften und Genehmigungsverfahren darstellen. In diesem Zusammenhang werde ich auch auf einige empirische Daten eingehen, die im Rahmen des Forschungsvorhabens "The Evolution of Integrated Permitting and Inspections of Industrial Installations in the European Union" erhoben wurden. I Danach werde ich die katalanische Umsetzung der IVU-Richtlinie darstellen, die einen gewissen Modellcharakter fiir die noch ausstehende Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene besitzen dürfte. Die Umsetzung der IVU-Richtlinie erfolgte bisher nur in Katalonien. Auf nationaler Ebene liegen bisher2 nur interne Diskussionsentwürfe vor. Ich beschränke mich daher auf einige Hinweise zur möglichen Rechtsentwicklung

I Forschungsvorhaben im Auftrag der Europäischen Kommission, des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Österreich), des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Umweltbundesamts (Deutschland) und der Environment Agency (England und Wales); Leitung: Professor Dr. Eberhard Bohne, M. A. 2 Hinweis des Herausgebers: Ende 200) befand sich ein Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren: Proyecto de Ley de prevenci6n y contro) integrados de la contaminaci6n, Boletin Oficial de las Cortes Generales, 30 de Noviembre de 200), Serie A. Num.60-1.

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und zu den Aussichten fUr einen integrierten Ansatz im spanischen Umweltrecht.

I. Einführung in das Regulierungssystem Spaniens 1. Verfassungsrechtliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Zentralstaat und autonomen Gemeinschaften im Umweltschutz Der Übergang vom Franco-Regime zu einer demokratischen Regierung und zur Dezentralisierung ergab keine deutliche Aufteilung der gesetzgebenden und administrativen Zuständigkeiten zwischen der Nationalregierung und den neu gegründeten autonomen Gemeinschaften. Durch die spanische Verfassung von 1978 (Constituci6n Espanola - CE) wurde ein dezentralisierter Staat, der "Staat der autonomen Gemeinschaften", geschaffen, dessen Strukturen sich einem Bundesstaat annähern. In diesem Modell ist keine klare Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen dem Zentralstaat und den 17 autonomen Gemeinschaften zu erkennen. Die Verteilung von Zuständigkeiten ergibt sich aus regionalen Autonomiegesetzen und aus Entscheidungen des obersten Verfassungsgerichts. Diese unklare Kompetenzverteilung ist Ursache für viele Probleme des spanischen Umweltrechts. Die Liste von Zuständigkeiten in Art. 148 CE für die autonomen Gemeinschaften und Art. 149 CE ftir die Zentralregierung spricht Politikfelder an, ohne immer zwischen gesetzgebenden und exekutiven Zuständigkeiten zu unterscheiden. In der Literatur3 wird verschiedentlich zwischen ausschließlichen, konkurrierenden und aufgeteilten Zuständigkeiten unterschieden. Allerdings ist die begriffliche Abgrenzung umstritten. 4 Im Grundsatz lässt sich die Unterscheidung wie folgt kennzeichnen: Zur ausschließlichen Zuständigkeit (competencias exclusivas) des Zentralstaats gehören alle gesetzgebenden und exekutiven Funktionen fUr z. B. internationale Beziehungen, Verteidigung, Strafrecht, Außenhandel, Koordination der Wirtschaftsordnung usw. Es gibt auch Bereiche, in denen alle

3 Vgl. Enrique Alvarez Conde. Curso de Derecho Constitucional. Los organos constitucionales. EI Estado autonomico, 1997, S. 427 ff.; Kirsten Wendland. Spanien auf dem Weg zum Bundesstaat? Entstehung und Entwicklung der Autonomen Gemeinschaften, 1998, S. 100 tT.; Maria Torres Bonet. Public Environmental Law in Spain, in: Rene SeerdenlMichiel Heldeweg (Hrsg.), Comparative Environmental Law in Europe. 4 Wendland (Fn. 3), S. 109 ff.

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gesetzgebenden und exekutiven Funktionen ausschließlich bei den autonomen Gemeinschaften liegen (z. B. Kultur).5 Konkurrierende Zuständigkeit (competencias concurrentes), in der die Grundlagengesetzgebung (Iegislaci6n basica) beim Zentral staat liegt. Die Zuständigkeit, diese grundlegenden Normen durch sogenannte Entwicklungsgesetzgebung (Iegislaci6n de desarrollo) zu ergänzen und die Normen auszufilhren, ist den autonomen Gemeinschaften zugewiesen. 6 Aufgeteilte Zuständigkeit (competencias compartidas), in der der Zentralstaat und die autonomen Gemeinschaften unterschiedlichen Staatsfunktionen annehmen. Die gesetzgebende Funktion obliegt dem Zentralstaat, die exekutive Funktion und der Gesetzvollzug hingegen den autonomen Gemeinschaften. 7 Die Unterscheidung zwischen Grundlagengesetzgebung und Entwicklungsgesetzgebung basiert auf der Idee, dass filr bestimmte Bereiche der Zentral staat die grundlegenden Aspekte im Sinne des Staatsinteresses regeln müsse. Alsdann ergänzen die autonomen Gemeinschaften den betreffenden Sachbereich durch ihre eigene Gesetzgebung. Das Verfassungsgericht hat erklärt, dass die Grundlagengesetzgebung Grundsätze und Mindestkriterien festlegen, gleichzeitig aber den autonomen Gemeinschaften einen ausreichenden Spielraum filr eigene Regelungen lassen soll. Der Inhalt der Grundlagenkompetenzen des Zentralstaates ist ohne Zweifel einer der wichtigsten und schwierigsten Aspekte der Beziehungen zwischen der nationalen und den regionalen Rechtsordnungen. 8 Die Verteilung der Kompetenzen war mehrfach Anlass für Verfassungsstreitigkeiten zwischen der Zentralgewalt und den autonomen Gemeinschaften, die vom Verfassungsgericht gelöst werden mussten. Im Falle des Umweltschutzes gibt Art. 149 Abs. I Nr.22 CE dem Zentralstaat die ausschließliche Zuständigkeit für "Gewässer von überregionalem Interesse". Demgegenüber schreibt Art. 149 Abs. I Nr. 23 CE vor, dass die Grundlagengesetzgebung filr den Umweltschutz im allgemeinen, filr Waldland, forstwirtschaftliche Projekte und Viehdriften beim Zentralstaat liegt. Die Entwicklungsgesetzgebung in Umweltfragen liegt im Verantwortungsbereich der regionalen Parlamente der autonomen Gemeinschaften. Sie soll die Torres Bonet (Fn. 3), S. 351. Joaquin Tornos Mas, La delimitaci6n constitucional de las competencias. EI principio de territorialidad y las competencias. Legislaci6n bäsica, bases, legislaci6n y ejecuci6n, in: EI funcionamiento deI Estado auton6mico, 1996, S. 83 ff. 7 Tornos Mas (Fn. 6), S. 84. 8 Luciano Parejo, Umweltschutz und Umweltrecht in Spanien, DVBI, 1992, S. 1272 f.; Luciano Parejo/Antonio Jimenez Blanco/Luis Ortega (Hrsg.), Manual de derecho administrativo, 1996. 5

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Grundlagengesetzgebung des Zentralstaates ausfilllen sowie die Durchführung der staatlichen Normen regeln. 9 Ferner sind die autonomen Gemeinschaften berechtigt, zusätzliche Vorschriften (Art. 149 Abs. 1 Nr.23 CE) zu erlassen, die über die allgemeinen Standards der Grundlagengesetzgebung des Zentralstaats hinausgehen. Schließlich werden die autonomen Gemeinschaften durch Art. 148 Abs. 1 Nr.9 CE ermächtigt, Umweltangelegenheiten außerhalb der Grundlagengesetzgebung der Zentralstaaten im Sinne des Art. 149 CE zu regeln. Allerdings wird diese Kompetenz durch Art. 149 Abs. 3 CE davon abhängig gemacht, dass die Sachmaterie in die jeweiligen Autonomiegesetze aufgenommen wurde. Sonst unterliegt sie dem Zugriff des nationalen Gesetzgebers. Diese komplizierte Verteilung der Zuständigkeiten im Umweltbereich hat häufig zu Kontroversen gefilhrt. Das Verfassungsgericht hat auf dem Gebiet des Umweltschutzes (z. B. in den Bereichen Küsten, Wasser, Abfall, Naturschutz) Zuständigkeitsstreitigkeiten durch verschiedene Urteile entschieden. In seinem Urteil 17011989 hat das Verfassungsgericht dargelegt, dass die Grundlagengesetzgebung in Umweltfragen nicht die Funktion der Vereinheitlichung, sondern des Mindestschutzes hat. Die autonomen Gemeinschaften haben damit die Möglichkeit, strengere Schutzstandards zu schaffen, die aber nicht im Widerspruch zu der zentralstaatlichen Regelung stehen dürfen. 10 2. Verteilung von VerwaItungskompetenzen

Da die spanische Verfassung nicht eindeutig zwischen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen unterscheidet, bestehen auch im Verwaltungsbereich zahlreiche Streitigkeiten zwischen Zentralregierung und autonomen Gemeinschaften. Im Grundsatz reichen die Verwaltungszuständigkeiten der Zentralregierung so weit wie ihre Gesetzgebungszuständigkeiten. Die nationalen Umweltgesetze sehen im allgemeinen vor, dass der Vollzug den autonomen Gemeinschaften oder den Kommunen obliegt. Eine Ausnahme besteht im Hinblick auf die Benutzung überregionaler Gewässer. Hier obliegt der Gesetzesvollzug der nationalen Gewässerschutzverwaltung (Confederaciones Hidrograficas).

9 Parejo (Fn. 8), S. 1274 tf.; Gerardo Ruiz-Rico Ruiz, Las competencias de las comunidades auton6micas en materia de medio ambiente y la jurisprudencia constitucional, in: Gerardo Ruiz-Rico Ruiz (Hrsg.), La protecci6n deI medio ambiente en el ordenamiento juridico espai'lol, 1995, S. 195-232; Francisco L6pez Ram6n, Regimen juridico de la protecci6n deI aire, in: lose Esteve Pardo (Hrsg.), Derecho deI medio ambiente y administraci6n local, 1996, S. 285-302; lavier Domper Ferrando. EI medio ambiente y la intervenci6n administrativa en las actividades cIasificadas: vol I, Planteamientos Constitucionales; voIlI, La normativa deI Estado y de las Comunidades Aut6nomas, 1992. 10 Ruiz-Rico Ruiz (Fn. 9), S. 215.

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien in Spanien

97

Die autonomen Gemeinschaften folgen im Bereich der Umweltpolitik wie auch bei der Organisation ihrer Verwaltungen weitgehend dem Beispiel der zentralen Staatsverwaltung. Die Consejerias, die das Äquivalent der Ministerien auf Regionalebene darstellen, oder ein gleichwertiges Organ sind in der Regel filr öffentliche Belange zuständig, z. B. filr das Transportwesen, die Raumordnung, den Städte- und Wohnungsbau und den Umweltbereich. 11 3. Kompetenzverteilung bei der Umsetzung von EU-Recht und die politische Praxis Art. 93 CE erlaubt die Übertragung von Kompetenzen auf die EU und weist dem Zentralstaat die Pflicht zur Erfilllung der Verträge und des EU-Rechts zu. Der Zentralstaat ist filr eine korrekte Umsetzung des Gemeinschaftsrechts verantwortlich. Die rechtsdogmatische Diskussion und verschiedene Urteile des Verfassungsgerichts verdeutlichen, dass die Anwendung des Europarechts nicht die verfassungsmäßig garantierte Verteilung von Zuständigkeiten verändert. Die verbreitete Doktrin und politische Praxis ist, dass der Kompetenzverlust, den die supranationale Eingliederung Spaniens auf den verschiedenen Ebenen mit sich bringt, diejenigen Instanzen betriffi, die gemäß der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zuständig sind. Aus diesem Grund steht die Umsetzung und gegebenenfalls die direkte Ausfilhrung der EU-Normen den jeweiligen Gebietskörperschaften zu, die nach der Verfassung oder den Autonomiegesetzen auch dafilr verantwortlich sind. Infolgedessen können der Zentral staat und die autonomen Gemeinschaften europäische Richtlinien aufgrund ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umsetzen. Wenn der Zentralstaat seine Zuständigkeit filr verschiedene Bereiche, wie z. B. die Garantie der Gleichheit der Regionen in der Ausübung von Grundrechten oder die Koordination der Wirtschaftsordnung, nicht in Anspruch nimmt, erfolgt die Umsetzung durch die autonomen Gemeinschaften. Es ist auch möglich, dass autonome Gemeinschaften eine Richtlinie umsetzen, bevor die Umsetzung durch den Zentralstaat erfolgt. Das ist verfassungsgemäß, kann aber im nachhinein dazu filhren, dass die regionalen Normen der staatlichen Gesetzgebung angepasst werden müssen. Dies ist aber nur der Fall, wenn der Zentralstaat eine EU-Richtlinie umsetzt, die einige Aspekte des betroffenen Sachgebiets zur Grundlagengesetzgebung erklärt. Die Tatsache, dass filr viele Bereiche die Verantwortung filr die Ausftlhrung der EU-Normen den autonomen Gemeinschaften zukommt, bringt filr den spanischen Zentral staat das Problem, die Erfilllung von EU-Recht sicherzustellen.

11

Parejo (Fn. 8), S. 1275 ff.

7 Bohne

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Wegen der Komplexität der Zuständigkeits verteilung ist Spanien noch im Rückstand bei der Umsetzung einer Vielzahl von Richtlinien. 12

11. Das geltende Genehmigungsrecht für Industrieanlagen 1. Nationales Genehmigungsrecht

a) RAMINP-Verordnung von 1961 "Verordnung über belästigende, ungesunde, schädliche oder gefährliche Gewerbetätigkeiten"13 Die Verordnung gehört zum Gewerbepolizeirecht und dient dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit durch KlassifIzierung gewerblicher Aktivitäten und Beschränkungen für den Betrieb von Industrieanlagen. Die Verordnung regelt die Gewerbegenehrnigung durch die Gemeinde und einen Katalog von "Aktivitäten nach ihren angenommen Auswirkungen". Ferner sind der Zuständigkeitsbereich der Gemeinden (Art. 6) und das Einspruchsrecht der Behörden festgelegt, die technische Stellungnahmen während des Genehrnigungsverfahrens abgeben müssen (Art. 7,2). Art. 29-34 enthalten Vorschriften für das Genehrnigungsverfahren, Überwachungsmaßnahmen und Sanktionen.

b) Gesetz zum Schutz der Atmosphäre von 1972 Das Luftreinhaltegesetz von 1972 14 enthält u. a. genehrnigungsrechtliche Grundsatzregelungen. Die Umsetzung des Gesetzes durch die Durchflihrungsverordnung von 1975 (Decreto 833/1975)15 sieht die Schaffung eines nationalen Überwachungsnetzes, das Monitoring von Luftverschmutzungen sowie ein Genehrnigungssystem für die "die Atmosphäre potentiell verschmutzenden Aktivitäten" vor. In den Anhängen der Verordnung werden die Aktivitäten in drei Gruppen (A, Bund C) aufgeteilt und in einem Katalog zusammengefasst. Geregelt werden ebenfalls die Überwachung, Sanktionen sowie Emissions- und Immissionsgrenzwerte.

12

Parejo (Fn. 8), S. 1275 ff.

Decreto 2414/1961 de 30 de noviembre, Reglamento de Actividades Molestas, Insalubres, Nocivas y Peligrosa (RAMINP), Boletin Oficial dei Estado mIm. 292, 7.12.1961. 14 Ley 38/1972 de 22 diciembre de Protecci6n dei Ambiente Atmosferico, Boletin Oficial dei Estado mIm. 309, 26.12.1972. I~ Decreto 833/1975 de 6 de febrero, por eI que se desarolla la ley 38/1972 de Protecci6n dei Ambiente Atmosferico, Boletin Oficia1 des Estado mIm. 96, 22.4.1975. 13

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso II-Richtlinien in Spanien

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c) UVP-Regelungen von 1986, 1988 und 2001 Die UVP-Richtlinie 85/337/EWG wurde durch die UVP-Verordnungen von 1986 16 und 1988 17 umgesetzt. Die Regelungen sehen u. a. eine Umwelterklärung vor, die Auskunft über die voraussichtlichen Umweltauswirkungen des Vorhabens gibt. 18 Die UVP-Änderungsrichtlinie 97/l1/EG wurde durch Gesetz vom 8.5.2001 19 in nationales Recht umgesetzt. Es handelt sich um Grundlagengesetzgebung (legislaci6n bäsica), an die die autonomen Gemeinschaften ihre UVP-Regelungen anpassen müssen. d) Wassergesetz von 2001

Im Wassergesetz von 2001 20 ist auf der Grundlage von Art. 149 Abs. 1 Nr. 22 CE die zentralstaatliche Zuständigkeit filr Wasserrechte und Gewässerschutz geregelt. Die Durchfilhrungsverordnung von 1986 über die Organisation des öffentlichen Wassereigentums 21 beinhaltet Quantitäts- und Qualitätsaspekte sowie die Regelung der Zuständigkeitsbereiche der Wasserbehörden (Confederaciones Hidrogräficas). Ebenfalls geregelt werden die Einleitungsgebühren, Emissionsgrenzwerte und Sanktionen bei Verstößen gegen das Gesetz. Die Genehmigung filr Abwassereinleitungen in Oberflächengewässer ist in Art. 100 und 101 des Wassergesetzes von 2001 geregelt.

16 Real Decreto Legislativo 1302/1986 de 28 de junio de Evaluaci6n de Impacto Ambiental, Boletin Oficial dei Estado num. 155, 30.6.1986. 17 Real decreto 11311 1988 de 30 de septembre, por el que se aprueba el reglamento para la ejecuci6n dei Real Decreto Legislativo 1302/1986 de 28 junio de Evaluaci6n de Impacto Ambiental, Boletin Oficial dei Estado mIm. 239, 5.10.1988. 18 Zur UVP in Spanien vgl. Javier Rosa Moreno, Regimen juridico de la Evaluaci6n de Impacto Ambiental, 1993; Diego Vera Jurado, La disciplina ambiental de las actividades industriales. Autorizaciones y sanciones administrativas en materia de medio ambiente, 1994; Diego Vera Jurado, La evaluaci6n de impacto ambiental y las competencias ejecutivas en materia de medio ambiente: un analisis de la jurisprudencia dei Tribunal Constitucional, RAP, 1999, 148, S. 177-194. 19 Gesetz 6/2001 vom 08.05.2001 (Ley 6/2001, de 8 de mayo, de modificaci6n dei Real Decreto Legislativo 1302/1986, de 28 dejunio, de Evaluaci6n de Impacto Ambiental, Boletin Oficial dei Estado num. 111,09.05.2001). 20 Durch das Real Decreto Legislativo 112001, de 20 de julio, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley de Aguas, Boletin Oficial dei Estado num. 176, 24.07.200 I wurde das Wassergesetz von 1985 mit den dazu ergangenen Änderungen und Ergänzungen zu einem Gesetz zusammengefasst. 21 Real Decreto 849/1986 de 11 de abril, por el que se aprueba el Reglamento dei Dominio Publico Hidraulico, Boletin Oficial dei Estado num. 103,30.4.1986.

7"

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100

e) Ab/al/gesetz von 1998 Das Abfallgesetz von 1986 wurde im Jahr 1998 novelliert. 22 Dieses Gesetz regelt die Verpflichtungen und Anforderungen fUr das Abfallmanagement. Art. 9 und 13 nonnieren die Abfallgenehmigung und weisen die Zuständigkeit den regionalen Behörden zu. Die Ausftihrungsvorschriften der Abfallverordnung von 1988 23 gelten fort.

2. Das nationale Genehmigungssystem am Beispiel Kataloniens Katalonien war der Pionier unter den autonomen Gemeinschaften Spaniens

in Sachen Umweltpolitik und erließ bereits in den achtziger und frühen neun-

ziger Jahren eigene regionale Umweltgesetze. Diese Umweltgesetze basierten zum Teil auf der EU-Gesetzgebung. Die nationalen Konzepte und Grenzwerte wurden jedoch meistens ohne große Verfahrens innovationen in die regionalen Bestimmungen übernommen.

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Abbildung 1: Genehmigungsverfahren rur große Industrieanlagen, UVP und StörfallverhUtung in Katalonien (Rechtslage bis 1999)

Abbildung I zeigt das Genehmigungsverfahren ftir große Industrieanlagen, UVP und Störfallverhütung, das in Katalonien bis 1999 galt und im Grundsatz

22 Ley 10/1998 de 21 de abril de Residuos, Boletin Oficial de1 Estado mim. 96, 22.4.1998. 23 Real Decreto 833/1988 de 20 de julio, por el que se aprueba e1 reglamento para la ejecuci6n de la ley 20/1986 de 14 mayo basica de Residuos T6xicos y Pe1igrosos, Boletin Oficial deI Estado mim. 182, 30.12.1988.

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien in Spanien

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die derzeitige Rechtslage in den meisten autonomen Gemeinschaften veranschaulicht.

a) Baugenehmigung (Licencia de Obras) Die Baugenehmigung richtet sich nach den fiir jede Gemeinde geltenden Bebauungsplänen und Planungsvorschriften und wird durch den Bürgermeister (Alcalde) erteilt. Die Genehmigung legt die planungsrechtlichen Anforderungen und bauordnungsrechtlichen Sicherheitsmaßnahmen fest, die bei Errichtung der Anlage einzuhalten sind.

b) Gewerbegenehmigung (Licencia de Actividad) Die Gewerbegenehmigung nach der RAMINP-Verordnung wird in der Regel von der Gemeinde erteilt. Für bestinunte Energieanlagen liegt die Genehmigungszuständigkeit beim nationalen Industrieministerium. In mehreren autonomen Gemeinschaften enthält die Gewerbegenehmigung auch die behördliche UVP-Beurteilung und die Luftreinhalteauflagen, fiir die jeweils die regionale Umweltbehörde - in der Regel das Umweltministeriumzuständig ist. Die behördlichen Stellungnahmen sind fiir die Gemeinde rechtlich verbindlich. Die Gewerbegenehmigung ist gemäß Art. 3 Abs. 4 des Luftreinhaltegesetzes von 1972 aus Gründen der Luftreinhaltung zu versagen, wenn die rechtlich festgelegten Emissions- und Immissionsgrenzwerte durch die von der geplanten Tätigkeit hervorgerufene Verschmutzung überschritten werden.

c) Abwassergenehmigung (Autorizacion de Vertidos) Für die direkte Einleitung von Abwässern ist eine wasserrechtliche Genehmigung nach Art. 100, 101 ff. Wassergesetz (2001) erforderlich. Sie wird fiir Einleitungen in überregionale Flüsse von nationalen Gewässerschutzbehörden (Confederaciones Hidrogräficas) erteilt. Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn alle sonstigen erforderlichen Genehmigungen fiir die Errichtung oder den Betrieb der Industrieanlage vorliegen.

d) Abfal/genehmigung (Autorizacion de residuos) Die Abfallgenehmigung wird in Art. 9 und 13 des Abfallgesetzes von 1998 geregelt. Diese Normen schreiben eine Abfallgenehmigung neben der Gewerbe- und Baugenehmigung vor, wenn es um den Umgang mit giftigen oder gefahrlichen Abfallstoffen geht. Die Genehmigung enthält die zulässige Höchstmenge und die Eigenschaften des vom Anlagenbetreiber erzeugten Abfalls. Die regionale Umweltbehörde ist zuständig fiir die Erteilung der Genehmigung. Für

\02

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Deponien gelten die genau klassifIzierten Bereiche, die Verordnung vorgescluieben sind.

In

der RAMINP-

e) UmweltverträglichkeitsprüJung Nach den nationalen UVP-Vorscluiften sind eine Untersuchung und Beurteilung der Umweltauswirkungen beim Anlagenbetrieb erforderlich. Die UVPUntersuchung wird vom Betreiber durchgeführt und soll die von dem Betrieb ausgehende potentielle Belastung darstellen sowie Maßnahmen für ein Überwachungsprogramm vorschlagen. Nach der Öffentlichkeitsbeteiligung gibt die zuständige Umweltbehörde - meist das regionale Umweltrninisterium - eine Beurteilung der Umweltverträglichkeit ab. Die UVP-Beurteilung enthält auch die Bedingungen und Auflagen, die der Betreiber der Anlage einzuhalten hat und die in die Gewerbegenehmigung aufgenommen werden.

f) Stär/al/verhütung Die Störfallverhütung ist nicht Teil des Genehmigungsrechts, sondern ein selbständiges Kontrollverfahren. Nach der Störfallverordnung von 1999 24 , die die Seveso lI-Richtlinie in nationales Recht umsetzt, ist eine Anzeige an die zuständigen regionalen Behörden - in der Regel das Innen- oder Industrieministerium - erforderlich. Diesen Behörden ist auch der Sicherheitsbericht vorzulegen, auf dessen Grundlage die notwendigen Sicherheitsrnaßnahmen angeordnet werden. In Katalonien ist das Industrieministerium fUr den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen innerhalb der Industrieanlage und das Innenministerium für den Schutz außerhalb der Anlage zuständig. 3. Die Probleme im System: Schwierigkeiten im Hinblick auf den integrierten Ansatz Die rechtliche Lage und die regionalen Unterschiede in Spanien ftihren zu erheblichen Problemen im Hinblick auf die Integration des spanischen Genehmigungssystems. Die komplizierte Rechtslage des spanischen Umweltrechts, bedingt durch eine quasi-"f6derale" Struktur des Landes, ist höchst unübersichtlich.

24 Real Decreto 1254/1999, de 16 de julio, por el que se aprueban medidas de control de los riesgos inherentes a los accidentes graves en los que intervengan sustancias peligrosas, Boletin Oficial deI Estado, 20.7.1999.

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso II-Richtlinien in Spanien

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Als Haupthindernisse filr die Integration gelten auch die politischen und administrativen Machtverhältnisse und Traditionen. Beispiel hierfür sind die Widerstände, die die Gemeinden gegen die Zusammenfassung der Gewerbegenehmigung für Industrieanlagen mit anderen Umweltgenehmigungen sowie die nationale GewässerschutzverwaItung gegen die Erteilung der Wassergenehmigung für überregionale Gewässer durch UmweItbehörden der autonomen Gemeinschaften leisten. Insbesondere das Wasserrecht und die Wasserverwaltung haben für den spanischen Zentral staat und im öffentlichen Bewusstsein einen sehr hohen Stellenwert. Da verschiedene autonome Gemeinschaften unter akutem Wassermangel leiden, sind viele der Auffassung, dass der notwendige interregionale Ausgleich knapper Wasserressourcen nur von nationalen Behörden vorgenommen werden kann. Daher dürfte die vollständige Integration der nationalen Wassergenehmigung in regionale UmweItgenehmigungen bis auf weiteres politisch nicht durchsetzbar sein. Auch praktische und organisatorische Probleme erschweren die Integration des spanischen Genehmigungssystems. Das oben genannte Forschungsprojekt25 hat einige interessante Ergebnisse zur Einstellung der Behörden hinsichtlich Qualität und Quantität nationaler Rechtsvorschriften erbracht. Befragt zur Qualität der Vorschriften, drückten die schriftlich befragten Behörden in allen 17 autonomen Gemeinschaften eine deutliche Unzufriedenheit (70%) mit der Klarheit und Präzision der Regelungen aus. Über die Quantität der Vorschriften beklagten sich ca. 75% der Behörden. Diese Ergebnisse werden durch die Experteninterviews bestätigt. , Hauptproblem in Spanien scheinen die Organisationsstrukturen zu sein, also die Anzahl der Behörden, die Kompetenzverteilung und die Koordinierungsmechanismen im Genehmigungsverfahren und im Überwachungssystem. Infolge der parallelen Entwicklung des Umweltrechts zum Dezentralisierungsprozess in den achtziger Jahren wurden die Regelungen ständig geändert. 75% der Befragten und mehr sind der Auffassung, dass zu viele Behörden am Genehmigungs- und Überwachungs system beteiligt sind, die Zuständigkeitsverteilung unklar ist und die Koordinierungsmechanismen nicht funktionieren. Ein weiteres Problem ist die Verfilgbarkeit technischer, personeller und anderer Ressourcen. Alle autonomen Gemeinschaften schätzten dieses Problem als "schwerwiegend" oder "sehr schwerwiegend" ein. Die ernste Situation der spanischen Umweltbehörden wurde von einem Behördenvertreter mit drastischen Worten wie folgt zusammengefasst: Es beginnt damit, dass wir auf einem Bein verkrüppelt sind, weil angemessene Rechtsvorschriften fehlen. Berücksichtigt man das geringe Umweltbewusstsein der Betreiber, dann sind wir auch auf dem anderen Bein verkrüppelt. Wir befinden uns in der Lage eines doppelseitig Gelähmten, der im Rollstuhl sitzt und - bedenkt man,

25

Siehe Fn. I.

104

Cesar Colino

dass wir nur 15 Leute sind, die alle Aufgaben [in der autonomen Gemeinschaft] erledigen müssen - der dazu noch blind ist und in seinem Rollstuhl hangabwärts fährt.

III. Reformansätze: Die nationalen Regelungsentwürfe und das Beispiel Kataloniens 1. Stand der nationalen Umsetzung a) IVU-Richtlinie Die IVU-Richtlinie war bis zur Jahreswende 200112002 noch nicht in nationales Recht umgesetzt. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der IVU-Richtlinie haben einige autonome Gemeinschaften und die Nationalregierung durch verschiedene Maßnahmen versucht, eine Optimierung des spanischen Systems unter Einhaltung des EU-Rechts zu erreichen. Einige autonome Gemeinschaften, wie z. B. Katalonien, haben bereits einige der Konzepte und die Ansätze der IVU-Richtlinie in die regionale Gesetzgebung mit einbezogen. Die Verschmelzung der verschiedenen existierenden Verfahren auf nationaler Ebene wird als Verbesserung rur nationale Regelungen vorgeschlagen. Dies würde zu einer "integrierten Umweltgenehmigung" (Autorizaci6n Ambiental Integrada) ruhren, die von der regionalen Umweltbehörde erteilt wird und die Medien Luft, Wasser, Abfall und Boden umfasst. Nach dem weitestgehenden, in der Diskussion befindlichen Entwurf soll die nationale Wasserbehörde im Fall von Abwassereinleitungen in überregionale Gewässer eine verbindliche Stellungnahme abgeben, während zugleich ein "one-stopshop" etabliert würde. Eine Art von "lokaler Freigabebescheinigung" durch die Gemeinde würde dabei erhalten bleiben. Das UVP-Verfahren würde nach diesen Plänen mit dem IVU-Verfahren koordiniert werden. Dieser Entwurf, der darüber hinaus auch die nationale RAMINP-Verordnung aufheben würde, ist auf starken Widerstand der Wasserbehörden und Gemeinden gestoßen Andere Vorschläge, die auch in der Diskussion stehen und die Unterstützung gemeindlicher Behörden und einiger Akteure auf der nationalen Ebenen haben, sind weniger integriert. Sie befilrworten die Beibehaltung der RAMINPVerordnung und des bestehenden gemeindlichen Genehmigungsverfahrens sowie der Abwassergenehmigung, die weiterhin von den nationalen Wasserbehörden erteilt werden würde. Die Umweltgenehmigung würde zwar mit der Abwassergenehmigung und der gemeindliche Gewerbegenehmigung koordiniert, nicht aber integriert.

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien in Spanien

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b) UVP-Anderungsrichtlinie Das neue UVP-Gesetz von 2001 erweitert die Anhänge UVP-pflichtiger Vorhaben und stellt neue, bei der UVP anzuwendende Kriterien auf. Insbesondere wird die Anzahl von Projekten in dem neugefassten Anhang I erheblich erweitert, die obligatorisch UVP-pflichtig sind. Einige neue Projekte sind auch in Anhang 11 enthalten, wobei die UVP-Pflicht der darin aufgezählten Projekte durch die Genehmigungsbehörde nach dem jeweiligen Einzelfall entschieden wird. Zur Anwendung kommen hierbei die in Anhang III enthaltenen Kriterien. Die Definitionen und Schwellwerte der meisten Aktivitäten in den Anhängen sind auch an die IVU- und Seveso lI-Richtlinie angepasst worden. Darüber hinaus werden die Umweltbehörden verpflichtet, dem Betreiber alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen sowie eine Beurteilung über den Umfang der Umweltuntersuchung filr das Projekt abzugeben. Hinsichtlich organisatorischer Aspekte verlangt das UVP-Gesetz, der Verfassungsgerichtsentscheidung 13/1998 folgend, die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen zuständigen Behörden auf den verschiedenen Ebenen zu fördern. Die autonomen Gemeinschaften sind ermächtigt, strengere Schwellenwerte und zusätzliche UVP-pflichtige Projekte festzulegen. Schließlich regelt das Gesetz die Anforderungen filr Vorhaben mit grenzüberschreitenden Auswirkungen. c) Seveso II-Richtlinie In Bezug auf Störfallverhütung ist das Innenministerium rur die Umsetzung der Seveso lI-Richtlinie zuständig. Die Nationalregierung hat die Richtlinie 96/82/EG (Seveso 11) durch die Verordnung 1254/199926 umgesetzt, die die bisherigen Verordnungen von 1988 und 1990 ersetzt. Entsprechend den europäischen Vorgaben umfasst die Verordnung von 1999 neue Definitionen (Art. 3) und stellt ein vereinheitlichtes System der Anwendung her. Das bestehende System wird vereinfacht und erweitert (Art. 1), zudem wird die Liste der industriellen Anlagen durch eine Liste geflihrlicher Substanzen ersetzt. Die Verordnung von 1999 enthält auch in den neuen Anhänge allgemeine Kriterien filr die Klassifikation der Substanzen, bei denen zum ersten Mal die Auswirkungen auf die Umwelt ausdrücklich erwähnt werden. Schließlich enthält die Verordnung 1254/1999 neue Anforderungen an den Betreiber hinsichtlich der Gefahrverhütung (Art. 7-9) und verstärkt die Kontrolle und Informationsaustauschsysteme (Art. 19-20).

26

Siehe Fn. 24.

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Die Zuständigkeiten der unterschiedlichen Behörden, national, regional und lokal, werden in Art. 16 behandelt, ihre notwendige Koordination sieht Art. 17 vor.

2. Das katalanische Gesetz über die integrierte Genehmigung 3/98: Die neue rechtlich te Landschaft. Was ist neu? Katalonien hat im Jahre 1998 ein integriertes Anlagengenehmigungsgesetz zur Umsetzung der IVU-Richtlinie erlassen 27 , das im Juni 1999 in Kraft getreten ist. Das Gesetz 3/1998 wird durch die regionale Ausführungsverordnung 136/199928 ergänzt. Das neue Gesetz löst die RAMINP-Verordnung in Katalonien ab und führt eine integrierte Umweltgenehmigung ein. Abbildung 2 zeigt das System des Genehmigungsverfahrens für große Industrieanlagen, UVP und Störfallverhütung nach dem neuen Gesetz 3/1998.

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Abbildung 2: Genehmigungsverfahren flir große Industrieanlagen, UVP und Störfallverhütung nach dem Gesetz 3/1998

27 Ley 3/1998 de 27 febrero de la Intervenci6n Integral de la Administraci6n Ambiental (IIAA), Diari Oficial de la Generalitat de Catalunya num. 2598, 13.3.1998. 28 Decret 136/1999, de 18 maig, per qual s'aprova el Reglament general de desplegament de la llei 3/1998, de 27 de febrer, de la intervenci6 integral de l'administraci6 ambiental, i s'adapten eis seus annexos, Diari Oficial de la Generalitat de Catalunya num. 2894, 21.5.1999.

Die Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso II-Richtlinien in Spanien

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Der Vergleich mit Abbildung I zeigt eine deutliche Vereinfachung des Verfahrens. Das UVP-Verfahren wurde in die Umweltgenehmigung integriert. Dies gilt ebenfalls für die Abfallgenehmigung und die Störfallverhütung. Die Gemeinden erteilen weiterhin die Baugenehmigungen. Die wesentlichen Merkmale des integrierten Genehmigungssystems für große Anlagen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das System der Einzelgenehmigungen und das sektorale Kontrollverfahren für die Störfallverhütung werden durch eine einzige Genehmigung in einem integrierten Verfahren ersetzt. Durch periodische Kontrollen, die den neuesten Stand der Technik berücksichtigen, soll der maximal mögliche Schutz der Umwelt gewährleistet werden. Die integrierte Genehmigung deckt die Bereiche Luft, Wasser, Abfall, Boden, UVP und Störfallverhütung ab. Das regionale Umweltministerium ist für die Erteilung der integrierten Genehmigung zuständig. Die Abwassergenehmigungen werden weiterhin - wenn es sich um einen überregionalen Fluss handelt - von den nationalen Wasserbehörden erteilt. Die Umweltgenehmigung (autorizaci6n ambiental) betrifft Anlagen nach Anhang I des Gesetzes, der dem Anhang I der IVU-Richtlinie ähnlich ist und die meisten UVP-pflichtigen Vorhaben einschließt (Art. 11-23). Dane ben gibt es ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren (licencia ambiental) für Anlagen mit geringen Auswirkungen auf die Umwelt nach Anhang 11 (Art. 24-34). Diese Genehmigung wird durch die Gemeinde erteilt. Die Anträge sowohl für die Umweltgenehmigung als auch für die Umweltlizenz werden bei der Gemeinde eingereicht. Bei den provinziellen AußensteIlen der Regionalregierung werden Umwelt-Management-Büros eingerichtet, die für die Koordination der Verfahren zwischen den regionalen Ministerien, Fachbehörden und Betreibern verantwortlich sind. Der Genehmigungsantrag wird zusammen mit der UVP-Untersuchung des Antragstellers bei der Gemeinde eingereicht. Diese leitet die Unterlagen an das zuständige Umwelt-Management-Büro weiter, wo die Prüfung auf Vollständigkeit erfolgt. Danach werden die Unterlagen dem regionalen Umweltausschuss vorgelegt, der sich aus verschiedenen Ressorts der Umweltbehörden bildet. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist auf 20 Tage befristet. Der Umweltausschus$ legt einen Genehmigungsentwurf vor. Der Antragsteller hat 10 Tage Zeit, um sich zu dem Entwurf zu äußern. Danach erfolgt die Erteilung der Genehmigung durch das Umweltministerium.

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Das Genehmigungsverfahren ist zeitlich begrenzt und darf 6 Monate nicht überschreiten. Schweigen der Behörden, wird dies als Genehmigung gewertet. Durch diese Befristung sind die Behörden gezwungen, effektiv und effizient zu arbeiten, um die Terminvorgaben einzuhalten.

IV. Zusammenfassung Unklarheiten und Probleme im spanischen Umweltrechts- und Genehmigungssystem, begleitet von Kompetenzstreitigkeiten, erschweren die Verwirklichung eines integrierten Ansatzes im spanischen Umweltrecht. Der Versuch, einen Konsens zwischen dem nationalen Umweltministerium, den Umweltverbänden und den autonomen Gemeinschaften zu finden, ist bisher gescheitert. Katalonien hat ein eigenes Gesetz zur Umsetzung der IVU-Richtlinie erlassen. Es ist möglich, dass andere politisch und wirtschaftliche starke autonome Gemeinschaften diesem Beispiel folgen werden. Im Umweltbereich spiegeln sich die politischen Spannungen zwischen Zentral staat und autonomen Gemeinschaften wider, die den spanischen Staat bei der Umsetzung des Integrationskonzepts der Europäischen Union vor eine besondere Bewährungsprobe stellen.

Diskussion zu dem Referat von Cesar Colino Bericht: Sabine Frenzel· Nach Colinos Ausftlhrungen wies Bohne noch einmal auf die Komplexität des spanischen Systems hin. Politisch verliefen in Spanien zwei Frontlinien. Eine dieser Frontlinien trenne die nationalen und die regionalen Behörden. So existiere beispielsweise im Bereich des Wasserrechts eine nationale Wasserbehörde, die ftlr die überregionalen spanische Flüsse zuständig sei, während regionale Flüsse würden in die Zuständigkeit der autonomen Gemeinschaften fielen. Die Zuständigkeitsverteilung sei besonders bei Genehmigungen, die überregionale Flüsse beträfen, von Bedeutung. Diese Genehmigungen erteile die Wasserwirtschaftsverwaltung des Zentralstaats durch nachgeordnete Behörden, die in den Regionen säßen, so dass sich hier das Problem der Integration nationaler und regionaler Genehmigungsverfahren stelle. Alle Kompetenzen auf die nationale Ebene zu ziehen, sei nicht möglich. Umgekehrt sei es zwar denkbar, die Kompetenzen im Bereich des Wassers von der nationalen Ebene auf die regionale Ebene zu verlagern, jedoch sei dies politisch nicht gewollt. Zudem stelle sich in Spanien das Problem der Knappheit des Wassers. Soweit die entsprechenden Zuständigkeiten im Bereich des Wassers regionalisiert seien, könne es zu einer Benachteiligung wasserarmer Regionen kommen, da es an einem "Schiedsrichter" fehle, der als neutraler Schlichter die unterschiedlichen Bedürfnisse zum Ausgleich bringe. Die zweite Frontlinie verlaufe zwischen den Kommunen und den regionalen Behörden. Traditionell besäßen die Kommunen, besonders die Bürgermeister, im politischen System Spaniens eine starke Stellung. Dies zeige auch die RAMINP-Verordnung, die sämtliche Zuständigkeiten bei den Gemeinden beließe. Die erste der gezeigten Graphiken habe noch viele Linien aufgewiesen, die zu den Gemeinden liefen und die dort angesiedelten Zuständigkeiten symbolisierten. Das sei bei der zweiten Graphik schon anders gewesen. Nach dieser läge nur noch die Baugenehmigung in der Zuständigkeit der Gemeinden. Diese Änderung sei bei den Gemeinden natürlich auf Ablehnung gestoßen. Das spani-

• Die Diskussion bezieht sich auf den Sachstand im Zeitpunkt des I. Speyerer Forums zum Umweltgesetzbuch am 2 J./22. JO. J999.

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sche System befinde sich also in einer Spannungs lage zwischen Kommunen, Regionen und Nationalstaat und müsse die notwendige Integration bewältigen. Schmidt-Eriksen stellte die Frage, ob das Genehmigungsverfahren in Spanien auf einer gebundenen Genehmigung basiere oder ob es planerisches Ermessen kenne. Darauf erwiderte Colino, dass nach der Rechtsprechung und der Rechtslehre die Gewerbegenehmigung als gebundener Verwaltungsakt betrachtet werde, dessen Versagung angefochten werden könne. Allerdings gebe es keinen Genehmigungsanspruch im Umweltrecht, wie man ihn in Deutschland kenne. Lediglich bei der Baugenehmigung kenne das spanische Recht ein ähnliches Instrument, das allerdings seinen Ursprung in den Grundrechten habe. Bohne wies bei diesem Punkt darauf hin, dass es bei den Befragungen in allen Ländern, die an der Untersuchung teilgenommen hätten, schwierig zu vermitteln gewesen sei, was ein Genehmigungsanspruch bedeute. Man könne zwar das Wort übersetzen, aber nicht zugleich den deutschen Inhalt transportieren. In den geführten Interviews seien dementsprechend längere Erklärungen notwendig gewesen. Bohne zeigte die große Machtfülle der spanischen Bürgermeister auf, die vor der Inbetriebnahme eines Vorhabens eine Art "Freigabebescheid" (licencia de puesta en marcha) erteilten, der jedoch keine materielle Prüfung des Vorhabens beinhalte. Es sei vielmehr eine Prüfung, ob alle formellen Anforderungen erfüllt seien. Sofern es sich um ein politisch umstrittenes Vorhaben handele, könne es vorkommen, dass die Freigabe nicht erteilt werde, obwohl alle Anforderungen ert1llIt worden seien. Ähnliches gebe es auch in Italien. Wol/mann führte zum Verständnis aus, dass Länder wie Spanien und Portugal aus Diktaturen hervorgegangen seien und daher in der Bevölkerung großes Misstrauen gegenüber den Herrschenden bestünde. Man würde nichts von der Verwaltung erwarten. Man würde nicht nach Recht fragen, sondern sich arrangieren, um die Genehmigung zu bekommen. Colino erwiderte, dass es seit den fünfziger Jahren ein Verwaltungsverfahrensgesetz und eine Verwaltungsgerichtsordnung in Spanien gebe, auf die sich zumindest die Gewerbetreibenden berufen könnten. Die Verwaltungs gerichtsbarkeit könne durchaus mit der deutschen, italienischen oder französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit verglichen werden. Zwar seien unter der FrancoDiktatur die Grundrechte nicht gewährleistet gewesen, jedoch habe es immer eine Möglichkeit für Anlagenbetreiber gegeben, sich gegen Verwaltungsakte zu wehren. Schon aus wirtschaftlichen Gründen habe Rechtssicherheit herrschen müssen. Wol/mann ergänzte, dass es in Spanien schon Regelungen gebe, vielfach seien Strukturen von anderen Ländern übernommen worden. Auch das portugiesi-

Diskussion zu dem Referat von Cesar Colino

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sche Verwaltungsrecht sei älter als die Revolution von 1974. Das Problem liege jedoch in der Frage der Umsetzung und Praktikabilität der Mittel, die zur VerfUgung stünden. Zwar könnten Prozesse gefUhrt werden, diese dauerten aber Jahre, so dass der Sinn von Investitionen dann anzuzweifeln sei. Bohne wies darauf hin, dass die spanische Verfassung ein ,,Recht auf Umwelt" kenne. Allerdings sei die Literatur der Auffassung, dass es sich hierbei um kein einklagbares Recht handele, sondern um eine Art Staatszielbestimmung. Wollmann fUgte hinzu, dass der Grund, warum die Genehmigungen fiir die Industrie kein Problem seien, darin liege, dass eine hohe Arbeitslosigkeit herrsche. Daher würden teilweise Öffentlichkeitsbeteiligungen übergangen, um Investitionen zu fördern. Petek fUhrte die Diskussion zu den regionalen Umweltmanagementbüros zurück. Dabei sei sie insbesondere an der Koordination interessiert, da Bau- und Wassergenehmigung noch separat erteilt würden. Auch die Befugnisse Kataloniens zur Umsetzung der IVU-Richtlinie seien noch nicht ganz deutlich. Weiterhin bemerkte Petek, dass Katalonien die IVU-Richtlinie zwar schon umgesetzt habe, gleichzeitig aber noch zwei nationale Gesetz erlassen würden, die teilweise einen anderen Inhalt hätten. Die Wassergenehmigung könne dann auch von der regionalen Behörde erteilt werden, wenn eine Stellungnahme der nationalen Wasserbehörde vorliege. Insoweit stelle sich die Frage, ob damit nach nationalem Recht die Wassergenehmigung erteilt werden könne. Colino antwortete, dass es so genannte "integrierte Umweltbüros" gebe, die als Außenstellen in der katalanischen Provinz etabliert seien. Diese hätten drei verschiedene Einheiten, nämlich einen "one stop shop", eine Verwaltungseinheit und eine technische Einheit. Ihre Funktion sei es, Informationen und Material vom Betreiber zu sammeln und eine erste Einschätzung zu treffen. Darüber hinaus nähmen sie technische und administrative Funktionen wahr. In den Büros gebe es eine Konzentration von technischen Mitarbeitern und Inspektoren, die eine erste Stellungnahme über Genehmigungspflichtigkeit und Anforderungen abgäben. Diese Vorschläge würden sodann dem so genannten Umweltausschuss übermittelt, der auf der zentralen Ebene der regionalen Ministerien gebildet werde. Die Mitglieder des Ausschusses kämen aus allen Bereichen, also Wasser, Abfall, Luft, UVP, und entschieden über die Projekte.

Weiter fUhrte Colino aus, dass bezüglich des Wassers der Fall in Katalonien kompliziert sei. Dies sei eine der wenigen Regionen, die auch regionale Flüsse aufweise, die nur durch Katalonien flössen. Im Ergebnis gebe es daher zwei verschiedene Genehmigungsmöglichkeiten innerhalb Kataloniens. Einerseits sei die nationale Wasserbehörde zur Erteilung der Genehmigung kompetent. Andererseits aber, wenn es sich um einen regionalen Fluss handele, sei die katalanische Regierung zuständig. Die Genehmigung werde dann vollständig in

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andere Genehmigungen integriert. Falls es sich hingegen um einen nationalen Fluss handele, käme zur integrierten Genehmigung noch die nationale Wassergenehmigung hinzu. Allerdings sei tatsächlich das gesamte Verfahren der Wassergenehmigung bei den katalanischen Behörden angesiedelt, die auch filr das übrige Verfahren zuständig sei. Die nationale Wasserbehörde unterzeichne lediglich die Genehmigung.

Muddling-Through im Umweltrecht Von Eberhard Bohne Nach dem Überblick über verschiedene nationale Konzepte zur Umsetzung der IVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien fragt sich, worin die Hauptunterschiede zwischen den Genehmigungsrechten für Industrieanlagen der EUMitgliedsstaaten bestehen. Von besonderem Interesse ist ferner die Frage, weshalb die Bundesregierung Mitte 1999 ihr Vorhaben aufgegeben hat, die IVUund UVP-Richtlinien im Rahmen des ersten Buches eines Umweltgesetzbuches (UGB I) umzusetzen, und statt dessen den Weg eines Artikelgesetzes zur Umsetzung der Richtlinien in deutsches Recht wählte. Die amtliche Begründung für den abrupten Kurswechsel, der Bund besitze keine ausreichenden Gesetzgebungskompetenzen im Wasserrecht, dürfte das Scheitern des UGB I nur unvollständig erklären.

I. Analyse- und Bewertungsrahmen 1. Vergleichsgegenstand

Der Ländervergleich beschränkt sich auf Dänemark (DK), Deutschland (D), Frankreich (F), Italien (I), Niederlande (NL), Österreich (A), Spanien (SP), Schweden (S) und Großbritannien (England und Wales)l sowie auf das Kernelement des neuen europäischen Anlagengenehmigungsrechts: das Konzept der materiellen Integration der Genehmigungsentscheidung. Hierunter ist die medien- und sektorübergreifende, ganzheitliche (holistische) Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens und die Festlegung der erforderlichen Umweltschutzmaßnahmen im Genehmigungsbescheid zu verstehen, die ein hohes Schutzniveau fUr die Umwelt insgesamt gewährleisten. Das Konzept der mateI Der Vergleich stützt sich auf den Forschungsbericht des Verfassers "The Evolution of Integrated Pennitting and Inspections of Industrial Installations in the European Union", Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer, April 2000 (rev. 2001), S. 17 ff. (erscheint bei Kluwer Law International in überarbeiteter und gekürzter Fassung unter dem Titel "The Quest for Environmental Regulatory Integration in the European Union: IPPC, EIA and Major Accident Prevention").

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riellen Integration wird im Rahmen des Ländervergleichs präzisiert werden. Zur Erläuterung des Analyse- und Bewertungsrahmens genügt die Feststellung, dass dieses Konzept eine Abkehr von der herkömmlichen medialen und sektoralen Ausrichtung des Anlagengenehmigungsrechts darstellt, die ursprünglich die nationalen Genehmigungsrechte in allen EU-Mitgliedsstaaten prägte. Zwar hatten bereits vor Erlass der lVU-Richtlinie verschiedene Mitgliedsstaaten (z.B. UK) integrierte Genehmigungskonzepte eingeführt, deren Schwerpunkte allerdings bei der verfahrensrechtlichen Integration von Genehmigungsverfahren lagen. Die materielle Integration von Genehmigungsentscheidungen stellt gegenwärtig alle Mitgliedsstaaten vor noch ungelöste konzeptionelle, methodische und administrative Probleme. Das Konzept der materiellen Integration ist somit der anspruchsvollste und schwierigste Teil des europäischen Genehmigungsrechts. Seine Verwirklichung erforderte in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich weitreichende Änderungen der Regulierungssysteme in rechtlicher, fachlicher und ggf. auch umwe1tpolitischer Hinsicht. Der Inhalt und Umfang der materiell-rechtlichen Veränderungen in den nationalen Genehmigungsrechten sind Gegenstand des Ländervergleichs. Der umweltpolitische Veränderungsbedarf und hiergegen gerichtete Widerstände stehen im Mittelpunkt der Frage nach den Ursachen für das Scheitern des UGB I. 2. Grundzüge des inkrementellen Entscheidungsmodells Es liegt auf der Hand, dass es zur Bestimmung des Umfangs materiell-rechtlicher Veränderungen in nationalen Genehmigungssystemen nicht sinnvoll wäre, die einschlägigen geänderten und neuen Rechtsvorschriften in den EUMitgliedsstaaten zu zählen und zu vergleichen. Die empirische Analyse rechtlicher, politischer und sonstiger sozialer Veränderungen setzt theoretische Vorstellungen über die relevanten Variablen und möglichen Zusammenhänge zwischen den Variablen voraus. Das inkrementelle Entscheidungsmodell ist ein brauchbarer Theorieansatz zur Beschreibung und Erklärung politischen Entscheidungs verhaltens. Er bedarf der näheren Erläuterung. Denn das Modell wird hierzulande meist nur - und daher verkürzt - als normative politische Handlungsanleitung diskutiert und wegen seiner Status quo-Orientierung überwiegend abgelehnt. 2

2 So z.B. Carl Böhret, Entscheidungshilfen für die Regierung, 1970, S. 34 fT. Siehe zur notwendigen Unterscheidung zwischen der empirischen und nonnativen Leistungsfahigkeit des Modells unten S. 121 fT.

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a) Zweck Der bekannte amerikanische Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Charles E. Lindbiom veröffentlichte im Jahre 1959 einen Aufsatz mit dem Titel "Tbe Science of ,Muddling-Through",3, der für die politische Entscheidungstheorie bis heute richtungsweisend ist. 4 Wie der provokante Titel "Die Wissenschaft vom Sichdurchwursteln" andeutet, richtete sich der Aufsatz gegen das in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften favorisierte Rationalitätskonzept, das im "homo oeconomicus" einen modellhaften Ausdruck findet und insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften die weitgehend akzeptierte Grundlage der Tbeoriebildung darstellt. S Die Bezeichnung ,,Muddling-Through" für das Lindblom'sche Modell wurde in der Folgezeit durch den neutraleren Begriff des incrementalism ersetzt. 6 Dieser Begriff bedeutet - wörtlich übersetzt - "Zuwachslehre,,7, was sinngemäß eine Lehre der kleinen Entscheidungsschritte bezeichnen soll. Da sich eine allgemein akzeptierte Übersetzung des Wortes "incrementalism" im Deutschen nicht durchgesetzt hat, werden hier die eingedeutschten englischen Begriffe "Inkrementalismus" und "inkrementell" verwendet. Die analytische und politische Bedeutung des inkrementelIen Entscheidungsmodells ergibt sich aus seiner Kritik am Konzept umfassender Rationalität. Dieses Konzept verfolgt einen holistischen Entscheidungsansatz und stellt an einen rationalen Entscheidungsprozess folgende Anforderungen8 : (I) präzise Definition und umfassende Analyse des Entscheidungsproblems, (2) widerspruchstreie Bestimmung der Handlungsziele und Präferenzen,

3 Public Administration Review 1959, S. 79-88. 20 Jahre später griff Lindbiom das Thema in einem zweiten Aufsatz wieder auf mit dem Titel "Still Muddling, Not Yet Through", Public Administration Review 1979, S. 517-526. 4 Zur inkrementellen Entscheidungstheorie ausflihrIich: Michael T. Hayes, Incrementalism and Public Policy, 1992 und ders., The Limits of Policy Change: Incrementalism, Worldview, and the Rule ofLaw, 2001. S Dazu: Gebhard Kirschgässner, Homo Oeconomicus: das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 2. Aufl., 2000. 6 Lindbiom (Fn. 3), Public Administration Review 1959, S. 517. 7 Der Begriff "incrementalism" ist von dem Wort "increment" abgeleitet, das ins Deutsche mit "Zuwachs" zu übersetzen wäre. 8 Siehe: Lindbiom (Fn. 3), Public Administration Review 1959, S. 81; Herbert A. Simon, Administrative Behavior, 4. Aufl., 1997, S. 77; Kenneth A. Shepsle/Mark S. Bonchek, Analyzing Politics. Rationality, Behavior, and Institutions, 1997, S. 15-35; Joachim Behnke, Die politische Theorie des Rational Choice: Anthony Downs, in: Andre BrodoczlGary S. Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart 11, 2001, S.435.

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(3) Ennittlung aller zur Zielverwirklichung geeigneten Maßnahmen und Alternativen, (4) Prognose der möglichen Folgen aller Handlungsalternativen, (5) Bewertung der Handlungsalternativen anhand der festgelegten Ziele und Präferenzen, (6) Wahl der optimalen Handlungsalternative, (7) DurchfUhrung und Evaluation der getroffenen Entscheidung. Es ist evident, dass Entscheidungsprozesse in der Praxis diese Anforderungen nicht erfüllen und - allein schon wegen der kognitiven Begrenzung des menschlichen Entscheidungsvermögens9 - auch nicht erfüllen können. b) Merkmale inkrementeller Entscheidungsprozesse

Hier knüpft das inkrementelle Entscheidungsmodell an, nach dem politische Entscheidungsprozesse in der Praxis meist wie folgt ablaufen 10: (1) Es werden überwiegend nur solche Probleme aufgegriffen, auf deren Lösung Interessengruppen und/oder die Öffentlichkeit drängen. (2) Die Definition und Analyse von Problemen erfolgen bruchstückhaft und uneinheitlich. Sie stützen sich auf Informationen und Untersuchungen von höchst unterschiedlicher Reichweite, die von den beteiligten Akteuren für die sie berührenden Teilaspekte der Entscheidungsproblematik vorgelegt werden. Meinungsverschiedenheiten über Definitionen der Entscheidungsprobleme werden ggf. im Wege von Verhandlungen beigelegt und bleiben teilweise ungeklärt (sog. social fragmentation of analysis). (3) Die Beteiligten beschränken ihre Überlegungen und Abwägungen auf solche Ziele und Maßnahmen, die nur geringfügig (inkrementell) vom Status quo (z.B. von der bestehenden Rechts- und Entscheidungslage) abweichen.

9 Dies hat Simon (Fn. 8), S. 118 ff. mit dem Konzept der "bounded rationality" auf den Begriff gebracht. Manche neueren Ansätze des rationalen Entscheidungsmodells (vgl. Shepsle/Bonchek, Fn. 8) stellen erheblich geringere Infonnationsanforderungen als das im Text skizzierte Rationalkonzept, indem sie z.B. auf den Stufen (3) und (4) subjektive Wahrscheinlichkeitsannahmen über Kausalbeziehungen (beliefs) ausreichen lassen (Shepsle/Bonchek, Fn. 8, S. 32). Aber auch die verbleibenden Anforderungen wie widerspruchsfreie Ziel- und Präferenzordnung sind in der Praxis allenfalls in einfachen Entscheidungssituationen erfüllt. 10 Dazu: LindbIom (Fn. 3), Public Administration Review 1959, S. 81; David Braybrooke/Charles E. LindbIom, A Strategy of Decision, 1970, S. 83-106. Zusammenfassend: Hayes (Fn. 4) 1992, S. 16-19.

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(4) Die Auswahl von Handlungsalternativen beruht auf dem Vergleich der voraussichtlichen Folgen, die sich aus den Status quo-Abweichungen der in Betracht gezogenen Ziele und Maßnahmen ergeben können (sog. margin-dependent choice). (5) Im Rahmen dieses Vergleichs erfolgt keine Ziel-Mittel-Optimierung. Vielmehr werden die Handlungsalternativen nach Gesichtspunkten ausgewählt, die entweder den Präferenzen des dominierenden Akteurs oder Kompromissen zwischen den Beteiligten entsprechen. Gegebenenfalls werden Ziele geändert und an die von den Beteiligten bevorzugten Maßnahmen angepasst (sog. adjustrnent of objectives to policies). (6) Entscheidungen werden nicht einseitig von einem Akteur getroffen, sondern sind das Ergebnis von Verhandlungsprozessen, wechselseitiger Anpassung und Kompromissen (sog. partisan mutual adjustrnent). (7) Insgesamt zielt der Entscheidungsprozess nicht auf endgültige Problernlösungen, sondern auf eine - zumindest vorübergehende - Abmilderung der negativen Folgen bestehender Probleme (sog. remedial solutions). (8) Demzufolge wiederholt sich der skizzierte Entscheidungsprozess (sog. serial decisions), bis zufriedenstellende Lösungen gefunden sind oder das Problem nicht mehr von Interesse ist. Da die Maßnahmen, die im Rahmen der sich wiederholenden Entscheidungsprozesse getroffen werden, jeweils nur geringfügig vom Status quo abweichen, können aus Fehlern und Irrtümern Lehren gezogen und der Handlungskurs verhältnismäßig leicht korrigiert werden (sog. trial and error). Die Botschaft des inkrementelIen Entscheidungsmodells ist: politisch-soziale Veränderungen lassen sich in normalen Zeiten nicht mittels umfassender rationaler Handlungsentwürfe, sondern nur durch die Abfolge einer Vielzahl einzelner kleiner Schritte herbeiführen, die auf wechselseitiger Anpassung und Konsens beruhen. c) Ursachen inkrementeller Entscheidungsprozesse

Der inkrementelle Charakter politischer Entscheidungsprozesse lässt sich weitgehend mit allgemeinen Merkmalen der Problem- und Entscheidungssituation, der Akteure und der Bewahrung Status quo-bedingter, politisch-sozialer Vorteile erklären. Die Problem- und Entscheidungssituationen, in denen inkrementeIle Entscheidungen getroffen werden, sind in der Regel gekennzeichnet durch Komplexität und Unsicherheit über Handlungsfolgen, Meinungsverschiedenheiten der Beteiligten über Ziele, Mittel und ihr Verhältnis zueinander,

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Eberhard Bohne Mangel an notwendigen Informationen, an personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen sowie Zeitknappheit, die umfangreiche und meist zeitraubende Sachanalysen verhindert.

Hinzu kommt die Begrenztheit der menschlichen Intelligenz und menschlichen Wissens, die es unmöglich macht, alle problemrelevanten Ursachen und Kausalbeziehungen zu erkennen sowie alle sachlich in Betracht zu ziehenden Handlungsziele eindeutig und widerspruchsfrei zu bestimmen und entsprechend den Präferenzen der Beteiligten zu gewichten. In dieser Lage reduziert die Beschränkung auf wenige Handlungsalternativen, die nur geringfiigig vom Status quo abweichen, die Entscheidungskomplexität und die Unsicherheit über die voraussichtlichen Folgen der zu treffenden Maßnahmen. Ferner lassen sich Konflikte über Ziele, Prioritäten und Maßnahmen ausklammern oder im Kompromisswege beilegen. Der Verzicht auf umfangreiche Analysen erspart zudem Geld, Zeit und sonstige Kosten. Schließlich ist der Aspekt der Bewahrung eigener Vorteile ein wichtiger Erklärungsfaktor fiir die Verbreitung inkrementeller Entscheidungsprozesse. In jedem politischen System sind diejenigen Akteure bestrebt, die bestehenden Verhältnisse möglichst wenig zu ändern, die aus dem politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen oder gesellschaftlichen Status quo Nutzen ziehen oder zumindest mit ihm zufrieden sind. Dieses Bestreben bringt - oft unbewusst - Werthaltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen hervor, die inkrementelle Entscheidungen gegenüber weiterreichenden politischen Veränderungen begünstigen. II

d) Nicht-inkrementelle Entscheidungsprozesse Zahlreiche Studien haben die inkrementelle Natur politischer Entscheidungsprozesse aufgezeigt. 12 Diese vielfältigen Belege inkrementellen Entscheidungsverhaltens dürfen jedoch nicht den Blick dafiir verstellen, dass nicht-inkrementelle Entscheidungsprozesse öfter auftreten als manche Vertreter des inkrementellen Entscheidungsmodells annehmen. 13 Anerkanntes Beispiel einer nicht-inkrementellen Politik in den USA ist Präsident Kennedys Entscheidung von 1961, binnen 10 Jahren einen Menschen auf 11 Diesen Gesichtspunkt betont Lindbiom in seinen späteren Schriften, z.B. in: Democracy and Market System, 1988, S. 12 f. 12 Zu den überzeugendsten Darstellungen gehört die Beschreibung des US-Budgetprozesses von Aaron B. Wildavsky/Naomi Caiden, The New Politics of the Budgetary Process. 4. Aufl., 2001, S. 47 ff. Siehe die Literatumachweise bei Hayes (Fn. 4). 13 Dies betont Hayes (Fn. 4) 1992, S. 126.

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dem Mond zu landen. 14 Für Europa wird man auf die Entscheidung der EUMitgliedstaaten verweisen können, zum 01.01.2002 die nationalen Geldwährungen durch die gemeinsame Währung des Euro zu ersetzen. Weniger spektakuläre Beispiele nicht-inkrementeller Politikentscheidungen bietet die Umweltgesetzgebung in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. In den USA wurde mit Erlass des Clean Air Act ein rechtlich stringentes, technikorientiertes Luftreinhaltungsregime mit zahlreichen neuen Zuständigkeiten für die Bundesverwaltung eingeführt, das von der bisherigen Rechtslage erheblich abwich. 15 Freilich ging der nicht-inkrementelle Charakter des Clean Air Act von 1970 im Gesetzesvollzug wieder verloren. Daher werden die durch das Gesetz tatsächlich bewirkten Veränderungen als inkrementeIl beurteilt. 16 Eine ähnliche Einschätzung dürfte in Deutschland für das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 und das Bundes-Imrnissionsschutzgesetz von 1974 gelten. Die rechtlichen Änderungen, die durch diese Gesetze herbeigeführt wurden, waren so weitreichend, dass hierftir das Grundgesetz eigens ergänzt werden musste (Art. 24 Abs. 1 Nr. 24). Beide Gesetze stellten daher nichtinkrementelle Entscheidungen dar. aa) Abgrenzung inkrementeller und nicht-inkrementeller Politikänderungen Das Auftreten nicht-inkrementeller Entscheidungsprozesse führt zu der Frage, wie diese von inkrementellem Entscheidungsverhalten abzugrenzen sind lJIld unter welchen Bedingungen sie auftreten. Präzise Abgrenzungskriterien fehlen. Die Entscheidungsmerkmale "inkrementell" und "nicht-inkrementell" werden als die beiden Endpunkte eines Kontinuums von Politikänderungen betrachtet. Dabei sind diese Merkmale nicht rein quantitativ, sondern auch qualitativ zu verstehen, etwa im Sinne von unwichtig (inkrementelI) und wichtig (nicht-inkrementell). Für die qualitative Einstufung von Politikänderungen als unwichtig oder wichtig wird überwiegend die jeweils hierzu herrschende Meinung als Kriterium genannt. 17 In Fällen wie der Mondlandung des ersten Menschen oder der Einführung des Euro dürfte Konsens über die nicht-inkrementelle Natur der politischen

14 Dazu und allgemein zur Problematik nieht-inkrementeller Politikänderungen: Paul R. Schulman, Nonineremental Poliey Making: Notes Toward an Alternative Paradigm, Ameriean Politieal Seienee Review 1975, S. 1354-1370; Ian Lustick, Explaining the Variable Utility of Disjointed Inerementalism: Four Propositions, Ameriean Politieal Seienee Review 1980, S. 342-353; Hayes (Fn. 4) 1992, S. 131 f. 15 Hayes (Fn. 4) 1992, S. 131. 16 Hayes (Fn. 4) 1992, S. 139 und 2001, S. 93. 17 Siehe: Braybrooke/Lindblom (Fn. 10), S. 64.

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Entscheidungen vorherrschen, die diesen Ereignissen zugrunde liegen. In anderen Fällen wird Streit bestehen. Daher werden zahlreiche Versuche unternommen, die Merkmale "inkrernentell/nicht-inkremente II " näher zu bestimmen. 18 Im Einzelnen braucht hierauf nicht eingegangen zu werden. Denn es zeigt sich, dass die Einstufung konkreter Politikänderungen als inkrementell oder nicht-inkrementell in erheblichem Maße von den Besonderheiten des jeweiligen Politikfeldes und der Art der getroffenen Entscheidungen abhängt. Im vorliegenden Zusammenhang geht es um rechtsetzende Entscheidungen des Parlaments und der Exekutive. Rechtsetzende Entscheidungen (Rechtsvorschriften) weisen - anders als sonstige Entscheidungen des Parlament und der Exekutive - besondere äußere und innere Regelungsstrukturen auf, die auf geschriebenen und ungeschriebenen Verfassungs- und Rechtsgrundsätzen, der Rechtsdogmatik, der Regelungssystematik eines Rechtsgebiets und auf Rechtstraditionen beruhen. Beispiele fiir strukturprägende Rechtsvorschriften sind u.a. Regelungen des Zwecks und des Anwendungsbereichs von Normen, Errnächtigungsgrundlagen flir rechts gebundene Verwaltungsentscheidungen und flir Ermessensentscheidungen der Behörden sowie fachliche Grundsatzregelungen. Rechtsetzende Entscheidungen, die die bestehenden Regelungsstrukturen eines Rechtgebiets nicht verändern - sog. strukturkonforme Entscheidungen -, sind unter dem Gesichtspunkt der Status quo-Abweichung als inkrementeIl zu beurteilen. 19 Demgegenüber sind rechtsetzende Entscheidungen als nichtinkrementeIl einzustufen, wenn sie die rechtlichen Regelungsstrukturen eines Sachbereichs neu begründen oder vorhandene Rechtsstrukturen beseitigen oder wesentlich verändern - sog. strukturverändernde Entscheidungen. Sie sind als nicht-inkremente II zu beurteilen, weil sie vom rechtlichen Status quo erheblich abweichen.

Dazu: Hayes (Fn. 4) 1992, S. 147 ff. BraybrookelLindblom (Fn. 10), S. 63 lehnen die Unterscheidung zwischen Strukturänderungen und Änderungen innerhalb bestehender Strukturen als generelles Kriterium zur Abgrenzung nicht-inkrementeller und inkrementeller Politikänderungen als nicht objektivierbar ab. Derselbe Vorwurf kann gegen die von den beiden Autoren bevorzugte Abgrenzung "Iarge" und "small changes" erhoben werden. Die Frage nach der Möglichkeit einer allgemeingültigen und zugleich präzisen Abgrenzung von inkrementellen und nicht-inkrementellen Politikänderungen kann hier jedoch offen bleiben. Denn jedenfalls im Bereich der Rechtsetzung ist die Unterscheidung zwischen strukturkonformen und strukturverändemden Regelungen als Kriterium für inkrementelle und nicht-inkrementeile Politikänderungen hinreichend objektivierbar. 18

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bb) Bedingungen nicht-inkrementeller politischer Entscheidungen Es fragt sich, unter welchen Bedingungen mit nicht-inkrementelIen politischen Entscheidungen zu rechnen ist. 20 Den genannten Beispielen nicht-inkrementeller Entscheidungen - Mondlandung, Euro-Einführung, frühe Umweltgesetzgebung - sind drei Merkmale gemeinsam: (1) Die Entscheidungssituation ist durch das Vorliegen schwerwiegender Krisen21 gekennzeichnet. (2) Die Entscheidung wird von einer entschlossenen und hinreichend starken politischen Führung getroffen und durchgesetzt. 22 (3) Die Entscheidung wird von der Öffentlichkeit mehrheitlich oder jedenfalls von einer starken Minderheit unterstützt. 23 Das dritte Merkmal ist allerdings keine notwendige Eigenschaft nichtinkrementeller Entscheidungen. Letztere können auch zustande kommen, wenn sie (zunächst) höchst unpopulär sind wie etwa die Einführung der sozialen Marktwirtschaft oder der Bundeswehr nach dem zweiten Weltkrieg. Krisensituationen und entschlossene politische Führung sind jedoch unabdingbare Voraussetzungen nicht-inkrementeller politischer Entscheidungen.

3. Brauchbarkeit und Grenzen des inkrementelIen Entscheidungsmodells Das inkrementelle Entscheidungsmodell ist wegen seiner Status quo-Orientierung auf Kritik gestoßen. 24 Bei näherem Zusehen zeigt sich allerdings, dass

20 Dazu: Hayes (Fn. 4) 1992, S. 146 ff., dessen Ursachenanalyse nicht-inkrementeller Politikentscheidungen allerdings weitgehend auf die Besonderheiten der USInnenpolitik und der politischen Rolle des Kongresses abstellt. Seine Thesen sind daher auf deutsche Verhältnisse nur eingeschränkt übertragbar. 21 Mondlandung: erheblicher US-Rückstand in der Raketentechnik gegenüber der früheren Sowjetunion (Sputnik-Schock der USA); Frühe Umweltgesetzgebung: erhebliche Luftverschmutzung in den Industriegebieten der USA und Deutschlands; hohe Zahl illegaler Müllablagerungen in Deutschland; Euro-Einfohrung: Währungskrisen in den 1970/S0er Jahren; dem wirtschaftlichen und politischen Globalisierungsdruck können die europäischen Staaten nur mit Hilfe supranationaler Einrichtungen - wie der gemeinsamen Geldwährung - Stand halten. 22 Mondlandung: Kennedy war ein starker Präsident; Frühe Umweltgesetzgebung: in den USA Forderung der Republikaner (Präsident Nixon) und der Demokraten (Muskie); in Deutschland entschlossene Umweltpolitik der sozialliberalen Bundesregierung unter Federführung des Bundesinnenministeriums; Euro-Einfohrung: entschlossene politische Führung durch die Regierungen Deutschlands und Frankreichs. 23 Mondlandungsprogramm, frühe Umweltgesetzgebung und Euro-Einführung hatten - zumindest zeitweise - die Unterstützung der Öffentlichkeit.

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sich die Kritik vornehmlich gegen den nonnativen Anspruch des Inkrementalismus als politische Handlungsanleitung richtet. Daher ist zwischen seiner Brauchbarkeit als empirischer Analyserahmen und als nonnative politische Handlungsanleitung zu unterscheiden.

a) Empirisch In empirischer Hinsicht lässt sich kaum bezweifeln, dass das inkrementelle Entscheidungsmodell für den Nonnalfall eine recht wirklichkeitsnahe Beschreibung politischer Entscheidungsprozesse enthält. Geringfügige Abweichungen vom jeweiligen Status quo sind häufig alles, was in der Praxis zu erreichen ist. Politische Veränderungen erfolgen im Alltag üblicherweise durch eine Vielzahl kleiner Schritte und selten aufgrund umfassender Handlungsentwürfe, die einen drastischen politischen Kurswechsel erfordern würden. In der Gesetzgebung verkörpern Artikelgesetze, die auch im Umweltschutz verbreitet sind, den Prototyp inkrementeller Entscheidungen. Sie ändern bei geltenden Gesetzen hier ein Wort, dort einen Satz, fügen einen neuen Absatz hinzu oder ergänzen das Gesetz durch eine Reihe neuer Vorschriften. Artikelgesetze lassen nonnalerweise die Regelungsstruktur der zu ändernden Gesetze unberührt. Eine analytische Schwäche des inkrementellen Entscheidungsmodells bildete anfangs die Ausblendung nicht-inkrementeller Entscheidungen. Letztere wurden als "politisch irrelevant" und nicht voraussagbar abgetan. 25 Mittlerweile werden diese Entscheidungen ebenfalls im Rahmen des inkrementellen Entscheidungsmodells berücksichtigt. 26 Allerdings ist die Reichweite des Modells bei der Erklärung nicht-inkrementeller Entscheidungen begrenzt. Wie oben (I. 2 d bb) dargelegt, sind Krisensituationen und entschlossene politische Führung, gegebenenfalls auch die (zumindest zeitweise) öffentliche Unterstützung Bedingungen nicht-inkrementeller Politikentscheidungen. Da diese Ereignisse allenfalls notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen nicht-inkrementeller Entscheidungsprozesse sind, erlaubt ihr Vorliegen keine Voraussage nicht-inkrementeller Entscheidungen. Lediglich das Nichtzustandekommen oder Scheitern nicht-inkre-

24 Dazu: Yehezkel Dror, Muddling Through - "Science" or Inertia, Public Administration Review 1964, S. 153-165; Amitai Etzioni, Mixed-Scanning: A "Third" Approach to Decision-Making, Public Administration Review 1967, S. 385-392; Böhret (Fn. 2); Gilbert SmithiDavid May, The artificial debate between rationalist and incrementalist models of decision making, in: Michael Hili (Hrsg.), The Policy Process, 2. Aufl., 1997, S. 163-174. 2S So: Lindbiom (Fn. 3), Public Administration Review 1959, S. 85. 26 Siehe die Literatumachweise in Fn. 14.

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menteller Entscheidungen lässt sich mit dem Fehlen der genannten Bedingungen erklären. b) Normativ

In normativer Hinsicht ist zu betonen, dass es falsch wäre, das inkrementelle Entscheidungsmodell als nicht-rational, irrational oder gar anti-rational zu bezeichnen. Ihm liegt die prinzipiell gleiche Ziel-Mittel-Logik wie dem rationalen Entscheidungsmodell zugrunde. Diese Logik ist allerdings hinsichtlich der zu berücksichtigenden Ziele, Mittel und Folgen im inkrementelIen Entscheidungsmodell auf wenige Beziehungen begrenzt. Die Kritik des inkremente lien Entscheidungsmodells richtet sich gegen den Universalitätsanspruch und die apolitische Rigorosität des rationalen Entscheidungsmodells, das nicht durch Sachanalysen ermittelte, sondern z.B. im Verhandlungswege festgelegte ZielMittel-Verhältnisse sowie auf Status quo-Abweichungen begrenzte Folgenanalysen nicht akzeptiert. Zur Kennzeichnung dieses gesteigerten Rationalitätsanspruchs soll im Folgenden vom "rationalistischen" Entscheidungsmodell die Rede sein. Im Übrigen dürfte die Beurteilung der praktischen Brauchbarkeit des inkrementelIen Entscheidungsmodells . als politische Handlungsanleitung kulturabhängig sein. In den USA trifft das Modell - wenn auch nicht immer unter dem Begriff Inkrementalismus - überwiegend auf Zustimmung, weil es eine Reihe verbreiteter politischer Grundhaltungen widerspiegele: Pragmatismus, politischer Konservativismus, Flexibilität, Kostenrninderung, Orientierung an Mehrheitsentscheidungen statt an abstrakten Konzepten von Rationalität und materieller Richtigkeit. Hierzulande stößt diese Grundhaltung - jedenfalls in den Sozialwissenschaften - eher auf Ablehnung. Denn sie widerspricht der - seit Hegels Staatsphilosophie (Staat als Verwirklichung der allgemeinen Vernunft)28 - im deutschen Kulturraum tief verwurzelten und verbreiteten Überzeugung, dass der Staat und damit die Politik nach objektiv vernünftigen Entscheidungen streben müssten. Vor diesem Hintergrund erscheint der Inkrementalismus mit seiner Bevorzugung von kleinen Schritten, Konsens, Flexibilität und Kostenvermeidung als Strategie der Unvernunft. 29 27 Siehe die Liste der Tugenden (virtues) des Inkrementalismus bei Hayes (Fn. 4), 2001, S. 42. 28 Dazu der Überblick bei Arno Baruzzi, Hegel, in: Hans MaierlHeinz Rausch/Horst Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Bd. 2, 1968, S. 187-216,204. 29 Diese auch unter Nicht-Hegelianern verbreitete Grundhaltung mag miterklären, weshalb das inkrementelle Entscheidungsmodell in Lehrbüchern der Verwaltungswissenschaft nicht (z.B. Gunnar Falke Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000) oder nur beiläufig (z.B. Werner Thieme, Verwaltungslehre, 4. Aufl., 1984, Rdnr. 406) erwähnt und in Darstellungen zeitgenössischer politischer Theorien ignoriert wird (z.B. Klaus

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Lindblom 30 hat das inkrementelle Entscheidungsmodell zu einer allgemeinen Demokratietheorie fortentwickelt. Auf der Grundlage der geschichtlichen Erfahrungen und Grundwerte der USA werden angeblich unvenneidbare Funktionsbedingungen demokratischer Systeme fonnuliert und damit letztlich - wegen der behaupteten Unvenneidbarkeit - normativiert. 31

Ähnlichkeiten bestehen zu Poppers Konzept des "piecemeal social engineering,,32, das - ausgehend vom wissenschaftsmethodischen Prinzip des "Versuch und Irrtum" (trial and error) - nur eine Politik der kleinen Schritte als vereinbar mit einer freien Gesellschaft ansieht. 33 In normativer Hinsicht ist die Brauchbarkeit des inkrementelIen Entscheidungsmodells und seiner demokratietheoretischen Erweiterungen zweifelhaft. Für diese Feststellung genügt an dieser Stelle die Berufung auf den späten Lindblom 34 und der Hinweis auf wenig erfolgreiche Beispiele inkrementeller Politik wie die Vietnam-Politik oder Energiepolitik der USA 35 , den "Refonnstau" in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts und - wovon im Folgenden die Rede sein wird - die deutsche Umweltpolitik seit Ende der 1980er Jahre.

von Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart, 7. Aufl., 1992; Andre Brodocz/Gary S. Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart 11, 2001). 30 The Intelligence of Democracy, 1965. 31 Lindbiom hat sich später (in: Politics and Markets, 1977, S. 170 ff., 344) von der hiermit verbundenen Rechtfertigung wirtschaftlicher Ungleichheiten und Machtkonzentrationen distanziert. Den Zwiespalt zwischen seinen frühen und späteren Positionen hat Lindbiom (Fn. 11, S. 15 f.) zum Teil mit den subtilen Indoktrinationsmechanismen des Wissenschaftsbetriebs an der Universität von Minnesota und der Yale Universität erklärt, denen zu widerstehen, er erst im Alter den Mut gehabt habe - ein höchst aufschlussreiches Bekenntnis eines bekannten Wissenschaftlers, der einen informellen Konformitätszwang beschreibt, der auch im deutschen Wissenschaftsbetrieb verbreitet ist. 32 Siehe: Hayes (Fn. 4), 2001, S. 36 fT. 33 Kar! Raimund Popper, Das Elend des Historizismus, 3. Aufl., 1971, S. 51 fT. 34 Siehe Fn. 31. 35 Kritisch: Hayes (Fn. 4), 1992, S. 24.

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11. Nationale Regelungen zur materiellen Integration von Genehmigungsentscheidungen nach der lVU-Richtiinie im Vergleich 1. Materielle Integration und nationaler Regelungsbedarf

a) EG-rechtliche Vorgaben Wie oben (I. 1.) dargelegt, ist das Konzept der materiellen Integration das Kernstück der Reform des Anlagengenehmigungsrechts nach der lVU-Richtlinie. Die integrierte Vermeidung und Verminderung schädlicher Umweltverschmutzungen ist ein holistisches Konzept zum Schutz der Umwelt und somit Ausdruck einer rationalistisch geprägten europäischen Umweltpolitik. 36 Dieses bedarf der Erläuterung, um die gemeinsame EG-rechtliche Ausgangslage für die zu vergleichenden nationalen Integrationsregelungen zu erkennen. aa) Integration und hohes Umweltschutzniveau Das Integrationskonzept ist in Art. 1-3,6, 7, 9 und 10 der lVU-Richtlinie geregelt. Es fehlt jedoch eine Definition des Integrationsbegriffs. Den Art. 1, 2 Nr. 11, 7 und 9 Abs. 1 und 8 der Richtlinie ist lediglich die Unterscheidung zwischen einem "integrierten Konzept" ftir Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen und dem Ziel der Gewährleistung eines "hohen Schutzniveaus ftir die Umwelt insgesamt" zu entnehmen. Nach dem Wortlaut der Richtlinie bezeichnen somit die Begriffe "integriert" und "hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt" verschiedene Merkmale des Handlungskonzepts, das die EU-Mitgliedstaaten der Genehmigung von Industrieanlagen zugrunde zu legen haben. (1) Für die Interpretation des Integrationsmerkmals sind der Zweckbestimmung des Art. 1 sowie den Begriffsbestimmungen des Art. 2 Nr. 2 (Umweltverschmutzung) und Nr. 11 (beste verftigbare Techniken) in Verbindung mit Anhang IV der lVU-Richtlinie weitere Anhaltspunkte zu entnehmen. Nach Art. 1 lVU-Richtlinie ist "Integration" eine Eigenschaft von Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung. Letztere ist in Art. 2 Nr. 2 lVU-Richtlinie definiert als die vom Menschen bewirkte Freisetzung von Stoffen und Energie "in Luft, Wasser oder Boden", die Schädigungen der Gesundheit, der Umweltqualität und von Sachwerten sowie Beeinträchtigungen von rechtmäßigen Umweltnutzungen verursachen können. Der Ge-

36

Siehe: Bohne (Fn. 1), S. 17 ff.

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genstand integrierter Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen ist hinsichtlich der zu berücksichtigenden Ursachen möglicher Schäden auf stoffliche und energetische Emissionen im Sinne des Art. 2 Nr. 5 lVU-Richtlinie begrenzt, erstreckt sich also nicht auf Eingriffe in Natur und Landschaft wie z.B. das Fällen von Bäumen. Demgegenüber umfasst der Schutzbereich integrierter Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen den Menschen, Sach- und Rechtsgüter sowie die natürliche Umwelt ohne Einschränkungen. Wie die Erwägungsgründe Nr. 7 und 8 der lVU-Richtlinie verdeutlichen, heißt "integriertes Konzept", dass alle medienspezifischen Emissionen zu berücksichtigen und "soweit wie möglich" zu vermeiden und zu vermindern sind. Der Umfang der Minimierungsaufgabe richtet sich nach den Anforderungen der besten verfiigbaren Technik im Sinne des Art. 2 Nr. 11 lVU-Richtlinie und der allgemeinen Zielvorgabe, ein hohes Schutzniveau fiir die Umwelt insgesamt zu gewährleisten. Hierauf ist gleich ausfiihrlicher einzugehen. Zunächst ist der Zusammenhang zu erläutern, der zwischen integrierten Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen besteht und ihre Integrationseigenschaft begründet. Nach dem holistischen Rationalitätsprinzip, das die entscheidungstheoretische Grundlage der lVU-Richtlinie bildet, erfordert die rationale Auswahl geeigneter Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen die Festlegung einer konsistenten Präferenzordnung fiir die Umwelt-, Sach- und Rechtsgüter im Schutzbereich der lVU-Richtlinie sowie gemeinsamer Mess- und Bewertungseinheiten fiir emissionsbedingte Beeinträchtigungen dieser Schutzgüter. Alsdann müssten die voraussichtlichen Beeinträchtigungen von Schutzgütern durch die Vorhabenverwirklichung sowie die Entlastungswirkungen der zur Auswahl stehenden Emissionsbegrenzungsmaßnahmen nach quantitativen Maßstäben miteinander verrechnet oder nach qualitativen Maßstäben jeweils gegeneinander abgewogen werden, um den Schutz der Umwelt insgesamt zu gewährleisten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Verschiedenartigkeit der Umwelt-, Sach- und Rechtsgüter im Schutzbereich der lVU-Richtlinie die Festlegung einer allgemeingültigen Präferenzordnung sowie gemeinsamer quantitativer Mess- und Bewertungseinheiten fiir diese Güter unmöglich macht. Dies wird als Inkommensurabilität der Umwelt- und sonstigen Schutzgüter bezeichnet. Die Inkommensurabilität hat zur Folge, dass integrierte Entscheidungen zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung grundsätzlich nur nach qualitativen Kriterien auf der Grundlage von Abwägungen getroffen werden können. Diese Abwägungen können generell-abstrakt fiir eine Vielzahl von Fällen oder individuell-konkret im Einzelfall erfolgen. In beiden Fällen liegt ein integriertes Konzept vor. Seine Optimierung, d. h. die Auswahl der besten (wirksamsten) Integrationslösung fiir die Festsetzung von Genehrnigungsauflagen erfordert allerdings eine Abwägung aller relevanten Faktoren im Einzelfall. Dabei schließt die Inkommensurabilität nicht aus, dass Teilaspekte von Entscheidungen über Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen z.B.

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mit Hilfe von Nutzen-Kosten- oder von Nutzwertanalysen quantifIziert werden. 37 In diesen Fällen wird jedoch stets eine ergänzende qualitative Abwägung im Einzelfall erforderlich bleiben. 38 Abwägungen zwischen inkommensurablen Gütern werden im Englischen vielfach als "trade-off' - als Handel oder Tausch - zwischen Werten bezeichnet. 39 In diesem Begriff kommt der Tauschcharakter des Abwägungsvorgangs, der auch Voraussetzung für Entscheidungen über integrierte Vermeidungs- und Venninderungsmaßnahmen ist, plastisch zum Ausdruck. Somit sind integrierte Vermeidungs- und Venninderungsmaßnahmen durch ein Tauschkonzept gekennzeichnet, das der Lösung von Wertkonflikten zwischen den Schutzgütern der IVU-Richtlinie dient. Dieses Tauschkonzept allein gewährleistet allerdings kein bestimmtes Umweltschutzniveau. Denn medienübergreifende Abwägungen zwischen Schutzgütern können im Prinzip auf jedem Umweltqualitätsniveau erfolgen. Daher stellt ein integriertes Konzept im Sinne der IVU-Richtlinie bestimmte Anforderungen an die Mittel, die zur Vermeidung und Venninderung der Umweltverschmutzung eingesetzt werden. Diese Anforderungen sind allgemein durch den Grundsatz der besten verfügbaren Techniken festgelegt, den anzuwenden eine Grundpflicht des Betreibers nach Art. 3 Buchstabe a IVU-Richtlinie ist. Die besten verfügbaren Techniken bilden die konzeptionell-technische Grundlage für die Festsetzung einzelfallbezogener Emissionsgrenzwerte und genereller Emissionsgrenzwerte für bestimmte Schadstoffe, Energiefreisetzungen und Anlagentypen. Die technischen Anforderungen sind gemäß Art. 2 Nr. 11 in Verbindung mit Anhang IV der IVU-Richtlinie holistisch medienübergreifend, fortschrittlich und praktikabel, emissionsbezogen und erfassen alle Freisetzungen von Schadstoffen und Energie in Luft, Wasser und Boden, wirkungs bezogen und dienen der Vorsorge gegen emissionsbedingte Schäden aller Umwelt-, Sach- und Rechtsgüter im Schutzbereich der IVURichtlinie, technisch und wirtschaftlich vertretbar im jeweils betroffenen Industriebereich,

37 Dazu: Enviroment Agency (England and Wales), Best practicable environmental option for integrated pollution control, Vol. I: Principles and methodology, Technical Guidance Note (Enviromental) EI, London, HMSO 1997; G. Sauer, IVU-Richtlinie vs Umweltgesetzbuch-I: Integrierte Vorhabengenehmigung und mediale Kopplung, Immissionsschutz 3, 1999, S. 98-102. 38 Environment Agency (Fn. 37), S. 11. 39 Siehe: Hayes(Fn.4)2001,S. 15.

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effIzient und am besten (wirksamsten) geeignet, ein "allgemein hohes Schutzniveau rur die Umwelt insgesamt" zu erreichen. Die beiden letztgenannten Anforderungsmerkmale betreffen das Ziel-MittelVerhältnis emissionsbegrenzender Maßnahmen und beschreiben eine Optimierungsaufgabe, keine Maximierungsaufgabe. Danach sind mit technisch und wirtschaftlich vertretbaren Mitteln die Emissionen in einzelne Umweltmedien nicht im größtmöglichen Umfang fiir das jeweilige Umweltmedium, sondern "effIzient" und "wirksam" zu begrenzen. Das heißt: die Emissionen sind in Bezug auf alle Umweltmedien und unter Berücksichtigung von Problemverlagerungen soweit zu vermeiden und zu vermindern, dass mögliche schädliche Auswirkungen aufUmwelt-, Sach- und Rechtsgüter gering gehalten werden, also ein allgemein hohes Schutzniveau rur die Umwelt insgesamt erreicht wird. Ferner müssen die getroffenen Maßnahmen möglichst wirksam sein und das angestrebte Schutzniveau mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen. Anders ausgedrückt: die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung nach den besten verfügbaren Techniken hat auf der Grundlage der für die jeweils betroffene Industriebranche technisch und wirtschaftlich vertretbaren Mittel emissionsseitig medienübergreifend effIzient und wirkungsseitig effektiv zu erfolgen. Zusammenfassend lässt sich ein "integriertes Konzept" im Sinne der lVURichtlinie kennzeichnen durch den Ausgleich medienübergreifender Wertkonflikte (Tauschkonzept) und den Einsatz der besten verrugbaren Techniken im dargelegten Sinn zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung. (2) Wie bereits erwähnt, wird in Art. 1 und 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie ausdrücklich zwischen "der integrierten Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung" bzw. einem "integrierten Konzept" einerseits und dem Ziel eines "hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt" andererseits unterschieden. Da der Begriff der besten verfügbaren Techniken, der Bestandteil des Integrationskonzepts ist, in Art. 2 Nr. 11 lVU-Richtlinie als Techniken definiert wird, die "allgemein ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt" erreichen, fragt sich, welche Bedeutung der zusätzlichen Bezugnahme auf ein hohes Umweltschutzniveau in Art. 1 und 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie zukommt. Die Antwort lässt sich aus Art. 2 Nr. 11, Spiegelstrich 3 und Art. 10 lVURichtlinie ableiten. Die Anwendung der besten verrugbaren Techniken zielt nach dem Wortlaut des 3. Spiegelstrichs in Art. 2 Nr. 11 lVU-Richtlinie auf ein "allgemein" hohes Umweltschutzniveau. Hierunter ist dasjenige hohe Umweltschutzniveau zu verstehen, das im Norrnalfall von dem Einsatz einer bestimmten Technik zu erwarten ist. Davon zu unterscheiden ist das im Einzelfall angestrebte oder erforderliche hohe Umweltschutzniveau. Letzteres wird nicht

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zwangsläufig durch den Einsatz der besten verfügbaren Techniken im konkreten Fall erreicht. Dies verdeutlicht Art. 10 IVU-Richtlinie, der strengere Genehmigungsauflagen vorschreibt als nach den besten verfügbaren Techniken erforderlich wären, soweit EG-rechtliche Unweltqualitätsnormen im konkreten Fall nicht eingehalten werden. Die gleiche Situation besteht, wenn das im Einzelfall gewünschte Umweltqualitätsniveau durch den Einsatz der besten verfügbaren Techniken nicht erreichbar ist. Daher schreibt Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie vor, dass bei der Festlegung von Genehmigungsauflagen nach den besten verfügbaren Techniken die technische Beschaffenheit der betreffenden Anlage, ihr geographischer Standort und die jeweiligen örtlichen Umweltbedingungen zu berücksichtigen sind. Aus allem folgt, dass die Erreichung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt nicht nur eine generelle, sondern eine in jedem Einzelfall zu verwirklichende Zielvorgabe für die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung ist. Allerdings gibt Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, bestimmte Anforderungen für Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung durch "allgemeine bindende Vorschriften" statt in Genehmigungsauflagen festzulegen, "sofern dabei ein integriertes Konzept und ein gleichwertiges hohes Schutzniveau für die Umwelt gewährleistet werden." Streitig ist, ob Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie es den Mitgliedsstaaten gestattet, von der Einzelfallbeurteilung der örtlichen Umweltqualität nach Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie abzusehen, wenn sie rechtlich verbindliche, generelle Emissionsgrenzwerte entsprechend den besten verfügbaren Techniken festgelegt haben. In diesem Falle wären eine Einzelfallbeurteilung der Umweltqualität und hieraus abzuleitende Genehmigungsauflagen nur erforderlich, um die Einhaltung EG-rechtlicher Umweltqualitätsnormen gemäß Art. 10 lVU-Richtlinie sicherzustellen. Diese Streifrage steht im Mittelpunkt der materiellen Umsetzung der lVU-Richtlinie durch die Mitgliedsstaaten.

bb) Genehmigungsauflagen nach Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie Die Verpflichtung der nationalen Genehmigungsbehörde gemäß Art. 9 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 lVU-Richtlinie, die ökologischen und sonstigen Standortbedingungen des Einzelfalls bei der Festlegung von Genehmigungsauflagen nach den besten verfügbaren Techniken und zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt im Wege einer Einzelfallbeurteilung zu berücksichtigen, ist eine verfahrensrechtliche Reaktion auf die holistische Rationalität des Integrationsprinzips und die Inkommensurabilität der Umwelt-, Sach- und Rechtsgüter im Schutzbereich der lVU-Richtlinie. Die hiergegen ge-

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richtete Kritik40 ist wenig überzeugend, wenn man bedenkt, dass die Inkommensurabilität der Rechtsgüter das "täglich Brot" der Planfeststeller ist4 \ die sich hierüber noch nie beschwert haben. Im Übrigen schließt die Notwendigkeit einer vergleichenden und ausgleichenden Abwägung (trade-off) aller im Einzelfall zu erwartenden medialen Umweltbeeinträchtigungen und umweltentlastenden Effekte nicht aus, dass die Genehmigungsauflagen nach den besten verfügbaren Techniken auf der Grundlage allgemein verbindlicher Emissionsgrenzwerte festgelegt werden. Allerdings müssten generell verbindliche Emissionsgrenzwerte mit ÖffnungsklauseIn versehen sein, die die Berücksichtigung der örtlichen Umweltbedingungen gemäß Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 IVU-Richtlinie zulassen. In diesem Sinn wird in einem der ersten BAT-reference (BREF)-Dokumente42 , die nach Art. 16 Abs. 1 lVU-Richtlinie die Grundlage für die Festlegung nationaler Emissionsgrenzwerte bilden, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Festlegung geeigneter Genehmigungsauflagen die technischen, geographischen und ökologischen Standortbedingungen berücksichtigt werden müssen. Auch die OECD hob in einem vergleichenden Bericht über nationale Genehmigungsverfahren hervor, dass eine Genehmigung nicht optimal wirksam sein könne, wenn sie keinen guten Ausgleich zwischen vorsorgeorientierten Technikanforderungen und standortspezifischen Umweltqualitätsanforderungen aufweise. 43 Im deutschen Genehmigungsrecht ist die Notwendigkeit einer Einzelfallbeurteilung nur im Bereich der Gefahrenabwehr anerkannt (Schutzgrundsatz), nicht jedoch im Bereich der Vorsorge. Daher wird Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie hierzulande vielfach als eine britisch inspirierte "Fluchtklausel" aus den Technikanforderungen des Vorsorgeprinzips betrachtet44 , weil die Einzelfallbeurteilung es bei günstigen lokalen Umweltverhältnissen erlaubt, weniger strenge Genehmigungsauflagen festzusetzen als nach den besten verfügbaren Techniken geboten ist. Die

40 Siehe z.B.: Johannes Masing, Kritik des integrierten Umweltschutzes, DVBI 1998, S. 549-559. 41 So auch Horst Sendler, Zur Umsetzung der IVU- und der UVP-Änderungsrichtlinie durch ein Umweltgesetzbuch I, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1998, S. 7-45,22. 42 So: European IPPC Bureau, Integrated Pollution Prevention and Control (lPPC). Reference document on best available techniques in the cement and lime manufacturing industries, March 2000, S. VII. 43 OECD, Environmental requirements for industrial permitting, Vol. 1: Approaches and instruments, 1999, S. 43. 44 [n diesem Sinne z.B.: Gertrude Lübbe-Wolff, Integrierter Umweltschutz - Brauchen die Behörden mehr Flexibilität?, NuR [999, S. 24[-247, 246; Gerhard Feldhaus, Beste verfligbare Techniken und Stand der Technik, NVwZ 2001, S. 1-9, 5; Lutz Meinken, Emissions- versus [mmissionsorientierung, 2001, S. 149 f, 289.

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Nichtumsetzung dieser Vorschrift in nationales Recht sei daher als "verstärkte Schutzmaßnahme" im Sinne des Art. 176 EGV EG-rechtlich zulässig. 45 Die rechtspolitische Bewertung des Art. 9 Abs. Satz 1 IVU-Richtlinie als Fluchtklausel beruht auf der bis in die 1980er Jahre im großen und ganzen zutreffenden, inzwischen aber überholten Auffassung, dass das britische Umweltrecht im Wesentlichen ein auf Kosten- statt Ernissionsrninderung gerichtetes Fallrecht sei. Diese inzwischen zu einer Art umweltpolitischen "Feindideologie,,46 erstarrte deutsche Sichtweise verstellt den Blick auf die tiefgreifenden Veränderungen des britischen Umwe1trechts in den 1990er Jahren, die - nicht zuletzt als Folge des EG-Rechts - durch rechtliche Formalisierung, Zentralisierung und Technikorientierung gekennzeichnet sind und frühere Darstellungen des englischen Umweltrechts schlicht als überholt erscheinen lassen. 47 Das britische Umweltrecht verfUgt über eine Fülle technischer "guidance notes", die fiir bestimmte Anlagentypen Emissionsbegrenzungen und Grenzwerte nach den besten verfUgbaren Techniken48 vorsehen. Obwohl die Ernissionsgrenzwerte der technischen guidance notes nicht rechtsverbindlich sind, wirken sie im Normalfall wie bindende Standards. 49 Die Behörden dürfen nur aus überzeugenden Gründen weniger strenge Auflagen festsetzen als die guidance notes 45 So: 1. Dürkop/H.Kracht/A. Wasielewski, Die künftige EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie), UPR 1995, S. 425-434, 431; Meinken (Fn. 44), S. 150, 154. 46 So belegt Meinken (Fn. 44), S. \05 und Fn. 369 ibid. diese Auffassung mit Wortzitaten aus englischer Literatur der I 970er und Anfang I 980er Jahre zum Alkali Inspectorate, dem Vor-Vorgänger der heutigen Environment Agency, und schlussfolgert: "Diese auf die Arbeit des Alkali Inspectorate bezogenen Aussagen lassen sich auf die britische Herangehensweise im Umweltschutz allgemein übertragen." So einfach ist die Beweisführung, wenn es um die Bestätigung von Feindbildern geht. 47 So findet sich in dem bekannten Lehrbuch von Simon Ball/Stuart Bell, Environmental Law, 4. Aufl., 1997, S. \08 folgende Warnung an ausländische Beschreibungen des britischen Umweltrechts aus den 1980er Jahren und früher (hier bezogen auf die viel zitierte Untersuchung des US-Amerikaners David Vogel, National Styles of Regulation, 1986): "At this point a warning should be given .... the British approach ist currently changing quite rapidly. The informal and flexible basis rernains, but the approach has undoubtedly got more open, more centralised, more legalistic and more contentious, especially in the last 10 years or so ... As a result, Vogel's analysis, is beginning to look outdated". Zum Wandel des britischen Umweltrechts siehe auch Adrienne Heritier/ Christoph Knill/Susanne Mingers, Ringing the Changes in Europe, 1996, S. 208 ff. 48 Dieser Standard entspricht nach Auffassung des britischen Umweltministeriums dem früheren britischen Standard BATNEEC (best available techniques not entailing excessive costs), siehe Department 0/ the Environment, Transport and the Regions (DETR), Fourth consultation paper on the implementation of the IPPC directive, 1999 (zugänglich im Internet unter: http://www.defra.gov.uk). 49 BallIBell (Fn. 47), S. 329: "The details contained within the guidance notes act as standards which new processes will have to meet." Ebenso für das dänische Anlagenrecht, das ebenfalls indikative Technikstandards bevorzugt: Mogens Moe, Environmental Administration in Denmark, 1995, S. 64.

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vorsehen. So heißt es in den einschlägigen lVU-Erläuterungen50 fiir die englischen Behörden: (9.20) Domestic guidance will be produced on required standards and BAT... This guidance should contain clear, indicative standards for both new and existing installations ... Operators should take account of this when preparing their applications, and shouldjustify any proposed departure from the indicative requirements ... (9.21) The regulator will then decide wh ether to accept any arguments the operator may have made for not following the indicative requirements. Regulators must be able to explain any cases where they have permitted.

Legt man also die ideologischen Scheuklappen ab, so ist leicht erkennbar, dass die Einzelfallklausel des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 IVU-Richtlinie keine Fluchtklausel, sondern eine notwendige Folge der holistischen Rationalität des Integrationsprinzips und der Inkommensurabilität der Umweltgüter darstellt. Die These, dass die Klausel gemäß Art. 176 EGV nicht in nationales Recht umgesetzt zu werden brauche, beruht auf einer irreführenden deutschen Übersetzung des in englischer Sprache konzipierten und verhandelten Richtlinientextes und ist rechtlich nicht haltbar. Die Verknüpfung des Grundsatzes der besten verfügbaren Techniken mit der Berücksichtigung der örtlichen Umweltbedingungen in Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie verkörpert - wie dargelegt - ein einheitliches Integrationskonzept, das nicht in einen umsetzungspflichtigen Technikteil und einen nicht-umsetzungspflichtigen Umweltqualitätsteil aufgespaltet werden darf. Der deutsche Richtlinientext, der Technik- und Umweltqualitätsteil durch ein Semikolon in zwei selbständige Halbsätze aufteilt, legt zwar sprachlich auf den ersten Blick die Möglichkeit nahe, beide Satzteile rechtlich unterschiedlich behandeln zu können. Im englischen Richtlinientext 51 erscheinen technische und standortbezogene Anforderungen jedoch als gemeinsame Voraussetzungen der Genehmigungsentscheidung. Schließlich ist auch die Annahme fachlich unzutreffend, der Verzicht auf die Berücksichtigung örtlicher Umweltbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie gewährleiste einen wirksameren Umweltschutz als eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Gewiss, letztere kann dazu genutzt werden, Kostenargumenten ein größeres Gewicht zu verschaffen als ökologischen Argumenten. Dies dürfte allerdings nicht einfach sein, weil die Richtlinie ein hohes Umweltschutzniveau fiir die Umwelt insgesamt fordert. Davon abgesehen, kann die Abwägungsklausel in besonderen Fällen zu Genehmigungsauflagen fUhren, die weniger streng sind als die Anforderungen der 50 Department 0/ the Environment, Transport and the Regions (DETR), Integrated Pollution Prevention and Control: a Practical Guide vom 25.7.2000, ergänzt am 15.3.200 I (http://www .defra.gov. uk). 51 Dieselbe Feststellung gilt für die französische, italienische und spanische Fassung des Richtlinientextes.

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besten verfügbaren Techniken, die aber dennoch ein höheres Schutzniveau für die Umwelt insgesamt sicherstellen als die Einhaltung der besten verfügbaren Techniken. Nigel Haigh 52 hat diese Situation mit dem Forellenmord-Fall illustriert, der im Folgenden leicht abgewandelt ist: Eine stark luftverschmutzende, aus technischen wie wirtschaftlichen Gründen nicht mehr sanierungsflihige Anlage soll durch eine hochmoderne Neuanlage ersetzt werden. Durch die den besten verfügbaren Techniken entsprechende Luftreinhaltemaßnahme A (z.B. Nasswäsche) wird das Abwasser der Anlage, das in einen Forellenbach eingeleitet werden soll, so stark mit Schadstoffen belasten, dass die Forellen voraussichtlich nicht überleben können. Demgegenüber würde bei Einsatz der Luftreinhaltemaßnahme B, die hinter den besten verfügbaren Techniken zurückbleibt, eine für die Forellen tödliche Abwasserbelastung vermieden werden. Zugleich würde bei dieser Luftreinhaltetechnik auch die vorhandene Luftbelastung vermindert werden, weil die Altanlage stillgelegt werden könnte. Der Fall zeigt, dass bei einem Verzicht auf eine Einzelfallbeurteilung die immissionsschutzrechtliche Genehmigung den Einsatz der Reinhaltetechnik A gemäß § 5 Abs. I Nr. 2 BImSchG fordern und die wasserrechtliche Einleitungserlaubnis wegen der Vernichtung des Forellenbestandes gemäß § 6 WHG abgelehnt werden müsste. Dies wäre nicht nur ein wirtschaftlich, sondern auch ökologisch unsinniges Ergebnis, weil hierdurch die Stilllegung der Altanlage und damit eine Verminderung der bestehenden Luftverschmutzung verhindert WÜrde. 53 Zur Lösung der aufgezeigten Fallproblematik wird man daher ohne eine Öffnungsklausel im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie nicht auskommen. Freilich sollte man sie nicht in einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift verstecken 54 , wo sie EG-rechtlich ohnehin irrelevant wäre. 52 Integratives Umweltrecht - Bestand, Ziele, Möglichkeiten -, in: Gesellschaft for Umweltrecht (Hrsg.), Integratives Umweltrecht, Dokumentation zur 21. wissenschaftlichen Fachtagung, 1997, S. 57-67, 62. 53 Dieser Fall wird sich auch nicht durch (künftig festzulegende) generelle Emissionsgrenzwerte lösen lassen, die die Verschiebung von Umweltverschmutzungen zwischen den Umweltmedien zu verhindern trachten. Denn generelle Emissionsgrenzwerte können prinzipiell nicht alle in der Wirklichkeit auftretenden Standortverhältnisse berücksichtigen. Hilfskonstruktionen wie der Vorschlag von Lübbe-WolfJ(Fn. 44), S. 246, beide Luftreinhaltetechniken A und B - nach Fallgruppen unterschieden - als Stand der Technik anzuerkennen, führen nicht weiter. Denn sie würden zu immer komplizierteren und damit schwerer zu vollziehenden Regelungen führen, die schließlich doch vor der Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit kapitulieren müssten. 54 So: Feldhaus (Fn. 44), S. 7, dessen These, dass es sich im Rahmen des Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 IVU-Richtlinie um sog. "atypische Fälle" im Sinne der Rechtsprechung handele, die bereits nach geltendem Recht ein Abweichen vom Stand der Technik in diesen Fällen zulasse, erscheint ein wenig übertrieben. Die zitierten Entscheidungen (BVerwGE 69, 37, 45; BVerwG, NVwZ 1995, S. 994 und NVwZ 1997, S. 497) betreffen Abweichungen vom Stand der Technik aus wirtschaftlichen Gründen auf der Grund-

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cc) Allgemeine bindende Vorschriften nach Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie Einzelfallabwägungen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 IVU-Richtlinie widersprechen nach traditioneller deutscher Doktrin der ,juristischen Strenge und Efflzienz,,55 des immissionsrechtlichen Genehmigungsanspruchs. Angesichts der zahlreichen einzelfallbezogenen Abwägungsklauseln56 des Fachrechts, der 9. BlmSchV und der TA Luft, die bei einer Genehmigungsentscheidung nach § 6 Abs. 1 BlmSchG anzuwenden sind,57 erscheint die verbreitete Auffassung von der ,juristischen Strenge" des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsrechts ebenso als Ideologie (im Sinne eines unzutreffenden Abbildes der Wirklichkeit) wie die Beurteilung der einzelfallbezogenen Abwägung nach Art. 9 Abs. 4 Satz 1 IVU-Richtlinie als britisch inspirierte Fluchtklausel. Dennoch hat die Bundesregierung bei der Umsetzung der lVU-Richtlinie auf eine ausdrückliche integrative Einzelfallabwägung im Rahmen der Genehmigungsentscheidung verzichtet58 und versucht, die integrative Steuerung der Anlagengenehmigung primär über abstrakte, rechtsverbindliche Standards zu erreichen, die in ein noch zu entwickelndes untergesetzliches Regelwerk, namentlich in die zu novellierende TA Luft aufgenommen werden sollen. Diese Umsetzungskonzeption stützt sich auf Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie. Zur Begründung wird meist nur der Wortlaut der Vorschrift angefiihrt,59 ob-

lage des Verhältnismäßigkeitsprinzips und sind für den Forellenmord-Fall und ähnliche Problemkonstellationen nicht einschlägig. 55 So: Rüdiger Breuer, Zunehmende Vielgestaltigkeit der Instrumente im deutschen und europäischen Umweltrecht - Probleme der Stimmigkeit und des Zusammenwirkens, NVwZ 1997, S. 833-845,838. 56 Die rechtsdogmatische Unterscheidung zwischen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen betrifft nur die Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltung und Gerichten. In tatsächlicher Hinsicht ermöglichen daher unbestimmte Gesetzesbegriffe Abwägungen ebenso wie Ermessensvorschriften. 57 Hierzu im Einzelnen: Eberhard Bohne, Langfristige Entwicklungstendenzen im Umwelt- und Technikrecht, in: Eberhard Schmidt-AßmannlWolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 217-278, 249 f. 58 Das Bundesumweltministerium hatte noch in § V 5 Abs. 2 des UGB I-Entwurfs vom 23.04.1999 (G I 4 - 410 22) eine einzelfallbezogene Integrationsklausel mit Rücksicht auf die "komplexeren Anforderungen an einen fortgeschrittenen Umweltschutz" für notwendig gehalten (Begründung, Allgemeiner Teil, S. 16). 59 So z.B.: Bundesregierung, Amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz, BT-Drs. 14/4599, S. 77; Hans-Joachim Koch/Heiko SiebelHuffmann, Das Artikelgesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVURichtlinie und weiterer Umweltschutzrichtlinien, NVwZ 200 I, S. 1081- \089, 1084; Dieter Sellner, Der integrative Ansatz im Bundes-Immissionsschutzgesetz, in: KlausPeter Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 401-417, 409; Gerhard Feldhaus, Integriertes Anlagenzulassungsrecht, materiell- und verfahrensrechtliche Anforde-

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wohl dieser alles andere als klar und unmissverständlich ist. Dieses Argumentationsdeflzit überrascht angesichts der dem Genehmigungsrecht attestierten ,juristischen Strenge", zumal die Steuerung integrierter Entscheidungen über untergesetzliche verbindliche Standards "die leitende Regelungsidee der deutschen Umsetzung" (Koch/Siebel-Hujfmann) ist. Der Erlass allgemeiner bindender Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie anstatt der Festsetzung von Genehmigungsauflagen im Einzelfall setzt voraus, dass dabei "ein integriertes Konzept" und "ein gleichwertiges hohes Schutzniveau für die Umwelt" geWährleistet werden. Nach allgemeiner Meinung 60 kommen mit Rücksicht auf die rechtliche Bindungswirkung für den Anlagenbetreiber nur Gesetze und Rechtsverordnungen als "allgemeine bindende Vorschriften" in Betracht, Verwaltungsvorschriften reichen nicht aus. Für das Verständnis des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie stellen sich jedoch zwei Fragen: Sind die Anforderungen eines "integrierten Konzepts" und eines "gleichwertigen hohen Schutzniveaus für die Umwelt" selbstständige Vorraussetzungen für den Erlass allgemeiner bindender Vorschriften? und, bejahendenfalls, Welcher Maßstab ist zur Beurteilung der Gleichwertigkeit eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt herdnzl.'ziehtn':' (1) Wenn man zur Rettung des deutschen Genehmigungsanspruchs Einzelverhindern will, dann muss man das Tatbestandsmerkmal "gleichwertiges hohes Schutzniveau für die Umwelt" als Bestandteil des Tatbestandsmerkmal "integriertes Konzept" interpretieren und letzteres mit der Anwendung der besten verfiigbaren Techniken gleichsetzen. 61 Dann ist integrierter Umweltschutz im Norrnalfall62 gleichbedeutend mit der Anwendung der besten verfiigbaren Techniken, die - soweit praktisch möglich - gemäß Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie durch den Erlass genereller Emissionsgrenzwerte in Form allf~llbeurteilungen

rungen nach neuem Recht, ZUR 2002, S. 1-6,5; Klaus Hansmann, Integrierter Umweltschutz durch untergesetzliche Normsetzung, ZUR 2002, S. 19-24, 20. 60 In diesem Sinne z.B. EU Networkfor the Implementation and Enforcement ofEnvironmental Law (IMPEL), The Application ofGeneral Binding Rules in the Implementation of the IPPC Directive, May - October 2000, Bericht, angenommen von den Mitgliedstaaten in der IMPEL Plenarsitzung am 18.-21.6.2001, S. 14; Sellner (Fn. 59), S. 409; Monika Böhm. Umsetzungsdefizite und Direktwirkung der IVU- und UVP- Änderungsrichtlinien?, ZUR 2002, S. 6-11, 9; Feldhaus (Fn. 59), S. 5. 61 In diesem Sinne Feldhaus (Fn. 59), S. 3,4. 62 Ausnahmen bestehen nur, wenn die Überschreitung von EG-rechtlichen Umweltqualitätsnormen (Art. 10 IVU-Richtlinie) oder die Gewährleistung eines hohen Umweltschutzniveaus im Einzelfall (Art. 9 Abs. 4 Satz I IVU-Richtlinie) strengere Auflagen erfordern, als nach den besten verfügbaren Techniken verlangt werden könnte.

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gemeiner bindender Vorschriften festgelegt werden. Diese Rechtsinterpretation widerspricht allerdings dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie. Ferner wird übersehen, dass der Begriff eines hohen Umweltschutzniveaus in der Definition der besten verfUgbaren Techniken nach Art. 2 Nr. 11 lVU-Richtlinie durch das Wort "allgemein" qualifiziert wird, während in Art. 9 Abs. 8 lVURichtlinie dieses Wort fehlt und ein hohes Umweltschutzniveau angesprochen wird, das dem Niveau gleichwertig ist, das durch Genehrnigungsauflagen im Einzelfall erreichbar ist. Die Umweltschutzniveaus im Sinne des Art. 2 Abs. 11 und des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie können, müssen aber nicht - wie der Forellenmord-Fall zeigt - gleichwertig sein. (2) Dieser Wortinterpretation könnte man mit einem rechtssystematischen Argument begegnen und auf Art. 18 lVU-Richtlinie verweisen, der die EG zum Erlass allgemeiner rechtsverbindlicher Emissionsgrenzwerte ermächtigt und hierfür keine Gleichwertigkeit des Umweltschutzniveaus verlangt, das dem durch Einzelfallentscheidungen erreichbaren Schutzniveau entspricht. Wenn also die EG allgemeine verbindliche Emissionsgrenzwerte ohne Einzelfallklausel erlassen darf, dann - so folgert z.B. das Bundesumweltrninisterium aus Art. 18 lVU-Richtlinie - sind die EG-Mitgliedstaaten hierzu ebenfalls befugt. Diese Argumentation verkennt jedoch den von Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie verschiedenen Norrnzwecke des Art. 18 lVU-Richtlinie. Diese Vorschrift dient der Vermeidung und Beseitigungen von Fehlentwicklungen in der Gemeinschaft. Sie greift ein, wenn sich insbesondere aus dem Inforrnationsaustausch der Mitgliedstaaten nach Art. 16 lVU-Richtlinie ergibt, dass die Gemeinschaft tätig werden muss. Dies ist der Fall, wenn die Ziele der lVU-Richtlinie verfehlt zu werden drohen, z.B. weil die Anforderungen der besten verfUgbaren Techniken in den Mitgliedstaaten nicht oder nicht einheitlich angewandt werden. Art. 18 lVU-Richtlinie ermächtigt die EG in diesen Fällen zur Festlegung europaweit geltender Mindestanforderungen zur Emissionsbegrenzung, auf deren Grundlage die Mitgliedstaaten Einzelfallentscheidungen nach Art. 9 Abs. 4 lVU-Richtlinie zu treffen oder - gegebenenfalls schärfere - allgemeine bindende Vorschriften nach Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie zu erlassen haben. In diesem Sinne heißt es ausdrücklich im 13. Erwägungsgrund der Abfallverbrennungsrichtlinie (2000176/EG) vom 4.12.2000 und im 8. Erwägungsgrund der Großfeuerungsanlagen-Richtlinie (2001/80/EG) vom 23.10.2001, dass die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte der Richtlinie "als notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für die Einhaltung der Anforderungen der Richtlinie 96/61/EG betrachtet werden" müsse. Demnach richtet sich die Festsetzung allgemeiner verbindlicher Emissionsgrenzwerte auf nationaler Ebene allein nach Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie. (3) Damit stellt sich die Frage, welcher Gleichwertigkeitsmaßstab bei der Beurteilung des Umweltschutzniveaus im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-

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Richtlinie anzuwenden ist. 63 Der systematische Zusammenhang der Absätze 4 und 8 in Art. 9 lVU-Richtlinie legt eine Interpretation nahe, die das im Rahmen einer Einzelfallentscheidung nach Art. 9 Abs. 4 Satz 1 IVU-Richtlinie erreichbare Umweltschutzniveau als Gleichwertigkeitsrnaßstab für die Beurteilung des Umweltschutzniveaus versteht, das durch allgemeine bindende Vorschriften gewährleistet werden kann. 64 In diesem Fall müssten allgemeine bindende Vorschriften mit einer Öffnungsklausel versehen werden, die - entsprechend den Standortverhältnissen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 IVURichtlinie - Abweichungen von den festgesetzten Emissionsgrenzwerten nach unten und oben im Rahmen der Genehrnigungsentscheidung zulässt. Diese nach Wortlaut und Regelungssystematik einleuchtendste Interpretation des Art. 9 Abs. 4 und 8 lVU-Richtlinie entspricht der umweltpolitischen Regelungsphilosophie Großbritanniens und der skandinavischen Länder, widerspricht aber den Regelungsphilosophien Deutschlands, Frankreichs und anderer kontinentaleuropäischer Staaten. 65 Diese Staaten folgen dem Konzept rechtsverbindlicher Emissionsgrenzwerte im Sinne von Mindestanforderungen, die aus besonderen Schutz- oder Vorsorge gründen des Einzelfalls unterschritten, nicht aber überschritten werden dürfen. Angesichts dieser unterschiedlichen nationalen Regelungskonzeptionen ist zu bedenken, dass EG-Richtlinien stets politische Kompromisse darstellen, bei denen die Mitgliedsstaaten ihre nationalen Besonderheiten soweit wie möglich zu erhalten trachten. Daher stellt sich aufgrund des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 EGV und mit Blick auf den gesetzgeberischen Willen der Mitgliedsstaaten die Frage, ob nicht der lVURichtlinie ein anderer Gleichwertigkeitsrnaßstab zu entnehmen ist, der es den

63 Die Notwendigkeit, einen Gleichwertigkeitsmaßstab zu benennen, wird in der deutschen Diskussion meist mit Schweigen übergangen, vgl. die Nachweise in Fn. 59. Rainer Wahl, Materiell- integrative Anforderungen an die Vorhabenzulassung - Anwendung und Umsetzung der IVU-Richtlinie -, in: Gesellschaft for Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zur Sondertagung "Die Vorhabenzulassung nach der UVP-Änderungs- und der IVU-Richtlinie", 2000, S. 67-93, 87 plädiert in der Sache für Art. 9 Abs. 4 Satz 1 IVU-Richtlinie als Gleichwertigkeitsmaßstab. Böhm (Fn. 60), S. 9 stellt nur lapidar fest, dass allgemeine bindende Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 IVURichtlinie "als funktionales Äquivalent für die Integration im Rahmen von Einzelentscheidungen" anzusehen seien. 64 In diesem Sinne wohl auch Wahl (Fn. 63), S.87; Böhm (Fn. 63), S. 9; unklar dagegen IMPEL (Fn. 60), S. 13 f., wo anscheinend angenommen wird, dass die Gleichwertigkeit des Umweltschutzniveaus nicht auf der Ebene der Einzelanlage, sondern nur auf der Ebene der Anlagenkategorie zu bestehen braucht, auf die die allgemeinen bindenden Vorschriften anzuwenden sind. Diese Annahme widerspricht dem medienübergreifenden Integrationszweck der IVU-Richtlinie, da dieses Gleichwertigkeitserfordernis nur bei Schadstoffen erfüll bar ist, bei deren Vermeidung und Verminderung es nicht auf medienübergreifende Auswirkungen ankommt, wie die in dem Bericht genannten Emissionsbeispiele (Dioxine, CO2 , Chlorideinleitungen ins Meer) zeigen. 65 Siehe unten S. 144 ff., 166 f.

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Mitgliedstaaten erlaubt, beim Erlass allgemeiner bindender Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie ihre nationale Regelungsphilosophie soweit wie möglich beizubehalten. (4) Als Gleichwertigkeitsmaßstab kommen Art. 3 Buchstaben a und b lVURichtlinie in Betracht. Danach müssten allgemeine bindende Vorschriften das gleiche hohe Schutzniveau für die Umwelt im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVURichtlinie gewährleisten, das bei der Festlegung der Genehrnigungsauflagen unter Berücksichtigung der Prinzipien nach Art. 3 Buchstaben a und b lVURichtlinie erreicht wird. Das bedeutet: Um sicherzustellen, dass keine erheblichen Umweltverschmutzungen im Sinne des Art. 3 Buchstabe b lVU-Richtlinie verursacht werden, müssen es allgemeine bindende Vorschriften nach Art. 9 Abs. 8 lVURichtlinie zulassen, dass im Einzelfall strengere Genehrnigungsauflagen festgesetzt werden als nach den besten verfügbaren Techniken erforderlich wären. Diese Anforderung dürfte in allen Mitgliedstaaten erfüllt sein, da die nationalen Genehrnigungsrechte zur Einhaltung des Schutzprinzips überwiegend Einzelfallprüfungen vorsehen. Mediale Umweltqualitätsstandards stellen in allen Mitgliedstaaten die Ausnahme dar. Der Maßstab des Art. 3 Buchstabe a lVU-Richtlinie verlangt, dass allgemeine bindende Vorschriften dasselbe hohe Umweltschutzniveau gewährleisten, das mit Genehrnigungsauflagen unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips, insbesondere der besten verfügbaren Techniken erreicht wird. Da Art. 3 Buchstabe a lVU-Richtlinie - im Unterschied zu Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie - bei der Festlegung von Genehrnigungsauflagen nach den besten verfügbaren Techniken nicht die Berücksichtigung der jeweiligen Standortverhältnisse vorschreibt, brauchen allgemeine bindende Vorschriften - bei Zugrundelegung dieses Gleichwertigkeitsmaßstabs - grundsätzlich keine Einzelfallprüfungen vorzusehen. Lediglich Verschärfungen müssen im Einzelfall möglich sein, wenn die Prämissen der generell verbindlichen Emissionsgrenzwerte wegen ökologisch besonders empfindlicher Standortverhältnisse nicht erfüllt sind. Dieses Erfordernis ergibt sich unmittelbar aus dem Vorsorgeprinzip in Verbindung mit dem Gesichtspunkt des EG-rechtlichen effet utile. Denn die Verwirklichung des Vorsorgeprinzips wäre nicht gewährleistet, wenn die Maßnahmen nach den besten verfügbaren Techniken auf falschen Prämissen beruhten. Im Ergebnis würde es also bei Heranziehung des Art. 3 Buchstaben a und b lVU-Richtlinie ausreichen, wenn allgemeine bindende Vorschriften lediglich mit Öffnungsklauseln für Verschärfungen im Einzelfall versehen würden. Diese Richtlinieninterpretation trüge zwar den kontinentaleuropäischen nationalen Regelungsphilosophien Rechnung, hätte aber zwei nachteilige Konsequenzen: Zum einen verbietet Art. 3 Buchstabe a lVU-Richtlinie nicht, Einzelfallüberprüfungen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie

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mit allgemeinen bindenden Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVURichtlinie zu verknüpfen. Das heißt: Es würden zumindest auf dem Papier zwei unterschiedliche umweltpolitische Integrationsniveaus in der Europäischen Union entstehen. Die skandinavischen Länder und Großbritannien66 werden die Anwendung allgemeiner bindender Vorschriften von einer Einzelfallüberprüfung abhängig machen, während Deutschland, Frankreich und andere kontinentaleuropäischen Länder die Genehrnigungsbehörden grundsätzlich zur Anwendung der allgemeinen bindenden Vorschriften verpflichten werden. Der zweite Nachteil dieser Richtlinieninterpretation besteht darin, dass bei Verzicht auf eine allgemeine Öffnungsklausel im Rahmen des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie bestimmte Fallkonstellationen, bei denen die medienübergreifende Optimierung des integrierten Konzepts zur Nichteinhaltung der besten verfügbaren Techniken im Hinblick auf ein einzelnes Umweltmedium führen würde - wie z.B. im Forellenmord-Fall-, nicht gelöst werden können. Da es sich bei diesen Fällen aber eher um Ausnahmen handeln dürfte, erscheinen die skizzierten Nachteile hinnehmbar, da sie die Verwirklichung der Umweltschutzziele der lVU-Richtlinie insgesamt nicht gefährden. (5) Es fragt sich, welcher Auslegungsvariante zu folgen ist: Kommt als Gleichwertigkeitsmaßstab im Rahmen des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie das Umweltschutzniveau in Betracht,· das aufgrund einer Einzelfallprüfung im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie erreichbar ist, oder können die Mitgliedstaaten als Maßstab ein Vorgehen nach Art. 3 Buchstaben a und b lVURichtlinie wählen, das Einzelfallprüfungen nur zur Verschärfung der Genehrnigungsauflagen über die besten verfügbaren Techniken hinaus zulässt? Beide Auslegungsalternativen erscheinen juristisch gleichwertig. Die erste Alternative hat Argumente holistischer Rationalität, die zweite Alternative Argumente politischer Rationalität für sich. Der Verfasser würde juristisch der zweiten und rechtspolitisch der ersten Alternative den Vorzug geben. Denn Regelungen, die ein Teil der Mitgliedstaaten erkennbar ablehnen, sollte man ihnen nicht nachträglich im Wege der Rechtsinterpretation aufzwingen. Rechtspolitisch ist der deutsche Genehrnigungsanspruch allerdings ein "Auslaufmodell", das spätestens mit der Einführung eines Handelssystems für Treibhausgasemissionen67 aufgegeben werden muss. Wie der Europäische Gerichtshof entscheiden würde, ist schwer vorauszusagen. Vermutlich würde er der ersten Alternative folgen, da sie die größere Rechtseinheitlichkeit - jedenfalls auf dem Papier - in Europa herstellt. 66

50).

So z.8. Nr. 7.4 der britischen Ausführungsrichtlinien zur IVU-Umsetzung (Fn.

67 Siehe dazu den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/6 liEG des Rates vom 23.10.2001, KOM (2001) 581 endg. (200110245 (eOD».

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(6) Gleichgültig, welcher Auslegungsalternative man folgt, allgemeine bindende Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie müssen zwei Anforderungen erfüllen: die Rechtsform des Gesetzes oder der Rechtsverordnung und die generalisierende Berücksichtigung medienübergreifender Auswirkungen von Emissionen. Die erste Anforderung entspricht der herrschenden Auffassung. 68 Allerdings wird hieraus nicht die Konsequenz gezogen, die TA Luft anlässlich der laufenden Novellierung in eine Rechtsverordnung umzuwandeln. Man glaubt69 , dies sei rechtlich nicht erforderlich, weil die sich aus der TA Luft ergebenden Betreiberpflichten durch Auflagen im Genehmigungsbescheid individuell festgelegt würden und damit eine Einzelfallprüfung im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie vorliege. Die TA Luft schränke lediglich den Beurteilungsspielraum der Behörden ein. Richtig ist, dass bei der Festlegung von Genehmigungsauflagen nach der TA Luft rechtsformal eine Einzelfallentscheidung im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie vorliegt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die verwaltungs interne Einschränkung des behördlichen Beurteilungsspielraums durch die TA Luft EG-rechtlich unerheblich ist. Vielmehr ist es als ein EG-rechtswidriges "venire contra factum proprium" anzusehen, wenn der Staat einerseits im Rahmen der unbestimmten Gesetzesbegriffe des § 5 Abs. 1 BlrnSchG Einzelfallprüfungen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie ermöglicht, anderseits aber die Ausübung des gewährten Beurteilungsermessens entgegen Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVURichtlinie durch Verwaltungsvorschrift verbietet. Die rechtliche Folge dieses widersprüchlichen Verhaltens besteht darin, dass die TA Luft im Hinblick auf die Festlegung von Genehmigungsauflagen bei Anlagen im Sinne des Anhangs I der lVU-Richtlinie ihre bindende Wirkung ftir die Behörden verliert und zu einer indikativen Richtlinie wird. Was die zweite Anforderung, die generalisierende Berücksichtigung medienübergreifender Auswirkungen von Emissionen, anbelangt, so lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen, inwieweit sie erflillbar ist. AufEG-Ebene werden bislang nur einige allgemeine Gesichtspunkte diskutiert, die bei Erlass von allgemeinen bindenden Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie zu beachten sind. Die bislang genannten Stoffe, die fIir generelle Festlegungen nach Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie geeignet sein sollen,

68

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Siehe die Nachweise in Fn. 60. So z.B. Feldhaus (Fn. 59), S. 5; Hansmann (Fn. 59), S. 21.

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haben keine medienübergreifende Bedeutung oder sind SonderHille. Genannt werden Dioxine, CO z, Einleitung von Chloriden ins Meer, Rohstoffnutzung. 7o Die vorliegenden BREF-Dokumente bieten kaum Ansätze fUr medienübergreifend konzipierte Emissionsgrenzwerte. 71 Der Entwurf der novellierungsbedürftigen TA Luft vom 12.12.2001 beschränkt sich - wie die TA Luft 1986 und ihre Vorgängerinnen - auf schädliche Umweltwirkungen durch Luftverunreinigungen (Nr.1), erfasst also nur Emissionen in die Luft. 72 Sie enthält eine Reihe allgemeiner Grundsätze in Nr. 5.1.3, die die Verschiebung von Schadstoffen aus dem Abgas in andere Umweltmedien verhindern sollen. Medienübergreifende Abwägungen, die den festgelegten Emissionsgrenzwerten zugrunde liegen könnten, sind jedoch kaum73 erkennbar, zumal die TA Luft als Verwaltungsvorschrift keiner amtlichen Begründung bedarf. Auf keinen Fall sollte man sich der Selbsttäuschung hingeben, dass die seit Erlass der lVU-Richtlinie "neu entdeckten" integrativen Aspekte des Imrnissionsschutzrechts 74 den Europäischen Gerichtshof sonderlich beeindrucken werden, wenn er künftig einmal die EG-Rechtskonforrnität deutscher Emissionsgrenzwerte zu überprüfen hat. Denn die praktische Vernunft der Preußen, in die man aus heutiger Sicht integrative Aspekte punktuell hineininterpretieren mag, lässt sich nicht zu einem integrierten Konzept im Sinne der lVU-Richtlinie hochstilisieren. 75 Zusammenfassend ist festzustellen: Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie in Verbindung mit Art. 3 Buchstaben a und b lVU-Richtlinie und Art. 5 EGV ist dahingehend zu interpretieren, dass die Mitgliedstaaten die Anforderungen der besten verfügbaren Techniken (z.B. generelle Emissionsgrenzwerte) in allgemeinen bindenden Vorschriften festlegen können, sofern sie dabei eine Öffnungsklausel vorsehen, die im Einzelfall Verschärfungen zur Gewährleistung eines hohen Umweltschutzniveaus zulässt. Im Ergebnis zwingt die lVU-Richtlinie die kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten, soweit sie einem rechtsverbindlichen, technikorientierten Grenzwertkonzept folgen, also nicht, dieses aufzugeben. Die hieraus möglicherweise folgende Entstehung zweier unterschiedlicher Integrationsniveaus in der Europäischen Union - ein umfassendes in Großbritannien 76 und den skandinavischen Staaten und ein begrenztes auf dem Siehe: IMPEL (Fn. 60), S.11 ff und die Anmerkung in Fn. 64. Dazu: Andreas Wasielewski, Die versuchte Umsetzung der IVU-Richtlinie in das deutsche Recht - Eine Bilanz, in: Klaus-Pe/er Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001,S. 213-233,227f( 72 Kritisch: Wasielewski (Fn. 71), S. 227. 73 Zwei entsprechende Hinweise gibt das Bundesminis/erium fiir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Die neue TA Luft, Umwelt Nr. 3,2002, S. 214-219,219. 74 Siehe: Feldhaus (Fn. 59), S.3; Hansmann (Fn. 59), S.19 7S SO auch Wahl (Fn. 63), S. 78. 70

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Kontinent - ist mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EGV) hinzunehmen. b) Nationale Umsetzungsoptionen

Die lVU-Richtlinie setzt einen rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten verschiedenen Optionen zur Einführung eines integrierten Genehmigungssysterns besitzen. Zentrale Instrumente für das Zustandekommen materiell integrierter Genehmigungsentscheidungen sind der Gesetzestatbestand der einschlägigen Genehmigungsvorschriften, die generellen und individuellen Regelungen der besten verfügbaren Techniken zur Emissionsbegrenzung sowie generelle und individuelle Regelungen zur angestrebten physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit einzelner Umweltmedien (Umweltqualitätsanforderungen). Die lVU-Richtlinie gewährt einen weiten Rechtsrahmen zur nationalen Einführung eines integrierten Genehmigungssystems. So fordert die Richtlinie keinen einheitlichen Genehmigungstatbestand, der die Emissionen in Luft, Wasser und Boden insgesamt regelt. Es genügt, wenn die Verschmutzung dieser Umweltmedien durch mehrere mediale bzw. sektorale, inhaltlich aber "vollständig" koordinierte Genehmigungen vermieden oder vermindert wird, Art. 7 lVURichtlinie. Die Mitgliedstaaten können also wählen zwischen einer einheitlichen, vollständig integrierten Anlagengenehmigung, der Kombination einer teilintegrierten Genehmigung, die die Emissionen in zwei Umweltmedien erfasst, mit einer medialen bzw. sektoralen Genehmigung, die die Emission in das dritte Umweltmedium regelt, und einzelnen medialen bzw. sektoralen Genehmigungen jeweils für Wasser, Boden und Luft, die inhaltlich vollständig koordiniert werden müssen. Es gibt keine EG-rechtlichen Vorgaben, welche Anforderungen die vollständige Koordinierung verschiedener Anlagengenehmigungen erfüllen muss. Für die materielle Beurteilung der Emissionen in Luft, Wasser und Boden und ihrer Auswirkungen auf die Umweltgüter sowie für die Festlegung des an16 Die Kennzeichnung des Integrationsniveaus als "umfassend" gilt bei Großbritannien nur für den Anwendungsbereich der IVU-Richtlinie. Dagegen sind UVP und Störfallverhütung nach der Seveso li-Richtlinie dort nicht in die Genehmigung nach der IVU-Richtlinie integriert, sondern Gegenstand selbständiger Verfahren. Demgegenüber umfassen die Anlagengenehmigungen in Dänemark und Schweden außer der IVU auch die UVP und die Störfallverhütung im Sinne der Seveso li-Richtlinie; siehe dazu unten S. 146 ff., 148 ff.

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zustrebenden hohen Umweltschutzniveaus setzen die Art. 3, 9 und 10 lVURichtlinie den eben dargelegten (11. 1 a) rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten Umsetzungsmaßnahmen treffen können. Abgesehen von den wenigen rechtsverbindlichen EG-rechtlichen Emissions- und Umweltqualitätsstandards, haben die Mitgliedstaaten die Wahl zwischen der individuellen Beurteilung der Emissionen sowie der Qualität von Luft, Wasser und Boden in jedem Einzelfall, der Kombination von Einzelfallbeurteilungen mit indikativen allgemeinen Emissionsstandards und indikativen und/oder rechtlich bindenden, medialen Umweltqualitätsstandards sowie der Kombination von rechtsverbindlichen allgemeinen Emissionsstandards, indikativen und/oder rechtsverbindlichen, medialen Umweltqualitätsstandards und ergänzenden Einzelfallbeurteilungen. Als Grundlage fiir Einzelfallbeurteilungen können die Mitgliedstaaten außerdem indikative oder rechtsverbindliche Vorgaben fiir das PTÜfverfahren und die Bewertungsmethodik treffen, die bei der Lösung von Problemen der Inkommensurabilität der Umweltgüter Orientierung geben. Von besonderer Bedeutung fiir den Vergleich der nationalen Umsetzungskonzeptionen ist die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Mitgliedstaaten ihre bestehenden Genehmigungssysteme lediglich um Anforderungen der lVU-Richtlinie ergänzt oder aber durch neue integrierte Genehmigungssysteme ersetzt haben. Im ersten Fall liegt ein systemkonformer Regelungsansatz vor, der nach den oben dargelegten Kriterien (I. 1 d aa) als "inkrementelI" bezeichnet werden soll. Im zweiten Fall verändert die Umsetzung der lVURichtlinie die nationalen Regelungsstrukturen und ist daher als "nichtinkrementelI" einzustufen. Das inkrementelle Entscheidungsmodell bildet den theoretischen Bezugsrahmen für die Interpretation und Erklärung nationaler Umsetzungsstrategien und Unterschiede.

2. Nationale Genehmigungssysteme Unter dem Gesichtspunkt materieller Integration lassen sich drei Arten nationaler Genehmigungssysteme unterscheiden: integrierte Vorhabengenehmigung, teilintegrierte Vorhabengenehmigung, mediale und sektorale Vorhabengenehmigungen. Im vorliegenden Zusammenhang soll eine Genehmigung als "integriert" bezeichnet werden, wenn sie den Anwendungsbereich der lVU-Richtlinie im vol-

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len Umfang formell und materiell abdeckt, d.h. für die Vermeidung und Verminderung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden ist nur eine einzige Genehmigung erforderlich, die auf der Grundlage eines einheitlichen materiellen Genehmigungstatbestandes erteilt wird. Dies ist nicht der theoretisch größtmögliche Integrationsumfang einer Genehmigung, da die UVP, die Störfallverhütung nach der Seveso lI-Richtlinie und naturschutzrechtliche Eingriffe nicht zum Anwendungsbereich der lVU-Richtlinie gehören, jedoch in eine einheitliche Genehmigung integriert sein können. Eine teilintegrierte Vorhabengenehmigung liegt vor, wenn nicht alle Emissionen in der Genehmigung geregelt werden. Vielmehr bedürfen die Emissionen in ein bestimmtes Medium (z.B. Wasser) und loder bestimmte Arten von Emissionen (z.B. gefahrliche Abfälle) einer eigenen medialen oder sektoralen Genehmigung. Falls diese Genehmigung zwar formell in einer Genehmigung fiir das Gesamtvorhaben konzentriert wird, aber der materielle mediale oder sektorale Gesetzesbestand als Genehmigungsgrundlage bestehen bleibt, liegt aus der Sicht des materiellen Integrationskonzepts ebenfalls nur eine teilintegrierte Vorhabengenehmigung vor. Schließlich gibt es nationale Genehmigungssysteme, die fiir jedes Umweltmedium und fiir verschiedene Emissionsarten selbständige mediale und sektorale Genehmigungen vorschreiben. Die formelle Konzentration dieser Genehmigungen in einer einzigen Genehmigung fiir das Gesamtvorhaben begründet keine materielle Integration, wenn die Erteilung der konzentrierten Genehmigung auf der Grundlage der fortbestehenden medialen und sektoralen Genehmigungsbestände erfolgt. Wie die unterschiedlichen nationalen Genehmigungssysteme die von der lVU-Richtlinie geforderte materielle Integration sicherzustellen suchen, ist im Folgenden darzulegen. 77 a) Integrierte Vorhabengenehmigungen

Frankreich, Schweden, Dänemark und Großbritannien (England und Wales) haben die lVU-Richtlinie durch eine integrierte Vorhabengenehmigung in nationales Recht umgesetzt. aa) Frankreich Art. L 512-1 Umweltgesetzbuch (Code de l'environnement) enthält einen einheitlichen Genehmigungstatbestand für gewerbliche Anlagen, der alle Emissionen in die Umwelt sowie - über die lVU-Richtlinie hinausgehend - alle 77

Siehe dazu die Länderberichte von Bohne (Fn. I).

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sonstigen Gefahren und Belästigungen ftir die Umwelt, für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit, die Landwirtschaft sowie ftir die Bewahrung von Landschaften und Denkmälern erfasst. Die betroffenen Anlagetypen sind in einem Anhang zur Ausführungsverordnung (Dekret) Nr.77-1133 vom 21.9.1977 (in der jeweils gültigen Fassung) aufgeftihrt. Die Genehmigung wird vom Präfekten des Departments erteilt, in dem die Anlage errichtet und betrieben wird. Fachlich wird die Entscheidung von der regionalen Direktion für Industrie, Forschung und Umwelt (Direction regionale de I 'industrie, de la recherche et de l'environnement - DRIRE) im Zusammenwirken mit anderen Fachbehörden vorbereitet. Außer der Baugenehmigung sind weitere Umweltgenehmigungen für ein Vorhaben nicht erforderlich Art. L 512-1 Umweltgesetzbuch 78 ist eine Generalklausel, die tatbestandlich praktisch alle Umweltbeeinträchtigungen abdeckt und dem Präfekten ein weites Verwaltungsermessen für die Entscheidung über den Genehmigungsantrag einräumt. Das Ermessen wird durch den gesetzlichen Tatbestand und eine Reihe von Rechtsverordnungen begrenzt. Der Gesetzestatbestand macht die Erteilung der Genehmigung davon abhängig, dass keine Gefahren und Belästigungen im Sinne des Art. L 511-1 Umweltgesetzbuch vorliegen. Die wichtigste Ausführungsverordnung, die das Ermessen zugleich steuert und begrenzt, ist die Integrationsverordnung (arrete integre) vom 2.2.1998, mit der die lVU-Richtlinie in französisches Recht umgesetzt wurde. Der Anwendung dieser Verordnung dient die Verwaltungsvorschrift (circulaire d'application) vom 17.12.1998. 79 Die Integrationsverordnung vom 2.2.1998 ist eine allgemeine bindende Vorschrift im Sinne des Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie. Sie enthält u.a. generelle Emissionsgrenzwerte nach den besten verfügbaren Techniken (Art. 21 und 74 der Verordnung) ftir die Freisetzung von Schadstoffen in die Luft, in Oberflächengewässer, in landwirtschaftlich genutzte Böden, Anforderungen für die Behandlung von Abfällen sowie ftir Lärm und Erschütterungen. Dabei wird zum Teil auf andere untergesetzliche Rechtsvorschriften des Fachrechts verwiesen. In Art. 1 und Art. 21 Abs. 11 der Integrationsverordnung wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die festgelegten Grenzwerte nicht überschritten, wohl aber im Einzelfall verschärft werden dürfen. Letzteres kann der Fall sein, wenn Umweltqualitätsstandards überschritten oder besonders empfindliche Umweltnutzungen beeinträchtigt werden.

78 Die Vorschrift lautet: nL'autorisation ne peut etre accordee que si ces dangers ou inconvenients peuvent etre prevenus par des mesures que specifie I'arrete prefectoral." 79 Die Texte der Integrationsverordnung und der Verwaltungsvorschrift sind abgedruckt und kommentiert in: Fran~ois Jallon/Sy/vie Letourneux, Guides de lecture de I'arrete integre du 2 fevrier 1998 et de sa circulaire d'application du 17 decembre 1998, 1999. IO Bohne

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Allerdings sind die generellen Abwägungen (trade-offs), die bei der Festlegung technischer Anforderungen zwischen den Umweltgütern getroffen wurden, aus der Verordnung und den Vollzugsrichtlinien kaum erkennbar. Für Abwägungen im Einzelfall fehlen den Behörden amtliche methodische Anleitungen zur Bearbeitung medienübergreifender Bewertungsprobleme. Die französische Umsetzung der materiellen Integration nach der lVURichtlinie beruht also auf einer einheitlichen, medienübergreifenden Vorhabengenehmigung in Verbindung mit allgemeinen bindenden Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie, die im Einzelfall Verschärfungen der Genehmigungsauflagen über die besten verfiigbaren Techniken hinaus zulassen. 8o Nach diesem Umsetzungskonzept ist eine medienübergreifende Optimierung von Umweltschutzmaßnahmen insoweit nicht möglich, als sie im Einzelfall zur Überschreitung medialer Emissionsgrenzwerte - wie im Forellenmord-Fall führen würde. Allerdings beruht diese Integrationsbeschränkung nur auf der Verordnung vom 1998. Auf gesetzlicher Ebene wäre eine weitergehende Integration im Sinne des Art. 9 Abs. 4 lVU-Richtlinie aufgrund der Generalklausel des Art. L 512-1 Umweltgesetzbuch zwanglos möglich. bb) Schweden Schweden hat die Umsetzung der lVU-, UVP- und Seveso lI-Richtlinien mit der KodifIkation des Umweltrechts verbunden. Am 1.1.1999 ist ein Umweltgesetzbuch in Kraft getreten, das ca. 15 Umweltgesetze in einem Gesetz zusammenführt. 81 Aus der Sicht des schwedischen Rechts ist nicht nur ein Anlagenbetreiber, sondern jedermann verpflichtet, die erforderlichen Schutz- und Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um Schäden oder Beeinträchtigungen der Gesundheit und der Umwelt zu verhindern oder zu beseitigen, die durch eigene Handlungen verursacht werden können. 82 Demzufolge gibt es keine besondere Genehmigungsvorschrift, die die materiellen Vorraussetzungen der Genehmigungserteilung aufführt. Vielmehr gelten die allgemeinen Verhaltungsgrundsätze in Kapitel 2 §§ 2-6 Umweltgesetzbuch, deren voraussichtliche Einhaltung

80 In diesem Sinne das Schreiben des französischen Umweltministeriums vom 28.07.2000 an den Verfasser. 81 Siehe dazu den Beitrag von Sälde, S. 79 ff. Eine englische Übersetzung des Umweltgesetzbuches ist unter der Internet-Adresse des schwedischen Umweltministeriums zugänglich: http://www.miljo.regeringen.se/pressinfo/pdf/ds2000_61.pdf. 82 Kapitel 2 § 3 Abs. 1 Umweltgesetzbuch lautet: "Persons who pursue an activity or take a measure, or intend to do so, shall implement protective measures, comply with restrictions and take any other precautions that are necessary in order to prevent, hinder or combat damage or detriment to human health or the environment as a result of the activity or measure. For the same reason, the best possible technology shall be used in connection with professional activities."

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durch die Anlagenbetreiber Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist. Dementsprechend wird die Regierung in Kapitel 9 § 6 Umweltgesetzbuch ermächtigt, fiir bestimmte umweltgefährliche Aktivitäten, zu denen die Errichtung und der Betrieb gewerblicher Anlagen gehören, eine Genehmigungspflicht einzuführen. Die genehmigungsbedürftigen Anlagen sind in einer Rechtsverordnung von 1998 83 aufgeführt und entsprechend ihrer Umweltgefährlichkeit in die Kategorien A (Anlagen mit großem Gefährdungspotential) und B (Anlagen mit mittlerem Gefährdungspotential) aufgeteilt. Die Genehmigung fiir Anlagen der Kategorie A wird von Umweltgerichten erteilt. Für die Genehmigung von Anlagen der Kategorie B sind die Kreisbehörden zuständig. Bei den Umweltgerichten handelt es sich um besondere Kammern der ordentlichen Gerichte, die mit der Genehmigungsentscheidung Verwaltungsfunktionen wahrnehmen. 84 Die Vorhabengenehmigung im Sinne des Kapitels 9 § 6 Umweltgestzbuch deckt alle denkbaren Emissionen nach der IVU-Richtlinie und alle sonstigen Umweltbeeinträchtigungen ab. Sie umfasst die UVP und die Störfallverhütung im Sinne der Seveso lI-Richtlinie, nicht dagegen die Baugenehmigung. Die Erteilung der Genehmigung steht im Ermessen der Umweltgerichte und Kreisbehörden. Die materiellen Voraussetzungen fiir die Genehmigungserteilung ergeben sich aus den erwähnten Verhaltungs grundsätzen in Kapitel 2 §§ 2-6 Umweltgesetzbuch, die die Grundpflichten des Art. 3 IVU-Richtlinie einschließen und die grundsätzlich jeder erfüllen muss, dessen Handlungen mit Umweltbeeinträchtigungen verbunden sein könnten. Für Anlagenbetreiber werden diese Grundsätze in untergesetzlichen Vorschriften konkretisiert, insbesondere durch zahlreiche unverbindliche Emissionsgrenzwerte nach den besten verfügbaren Techniken. Im Normalfall wirken diese Werte wie rechtsverbindliche Emissionsbegrenzungen. Abweichungen erfolgen nur, wenn dies besondere Gründe im Einzelfall rechtfertigen. Aus Umweltgründen können Verschärfungen der Genehmigungsauflagen über die besten verfügbaren Techniken hinaus, aber auch - wie im Forellenmord-Fall angezeigt - hinter diesem Standard zurückbleibende Anforderungen festgesetzt werden. Generell unterliegt der Inhalt der Genehmigungsentscheidung dem Grundsatz der "Vernünftigkeit", der NutzenKosten-Betrachtungen einschließt (Kapitel 2 § 7 Umweltgesetzbuch). Letztere dürfen jedoch nicht zu Entscheidungen führen, die die Nichteinhaltung von Umweltqualitätsstandards zur Folge haben.

SFS 1998:899. Siehe zu den Gründen für die Einrichtung von Umweltgerichten Bohne (Fn. 1), S. 442 ff. 83

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Das grundsätzlich weite Verwaltungsermessen der Umweltgerichte und Kreisbehörden wird in drei Fällen erheblich eingeschränkt bzw. aufgehoben: Die Vorhabengenehmigung ist grundsätzlich zu versagen, wenn das Vorhaben gegen detaillierte Pläne oder Regelungen der Flächennutzung verstößt. Ausgenommen sind geringfügige Verstöße (Kapitel 16 § 4 Umweltgesetzbuch). Die Vorhabengenehmigung ist ferner zu versagen, wenn beim Betrieb einer Neuanlage die einschlägigen Umweltqualitätsstandards nicht eingehalten werden. Ausnahmen sind möglich, falls die Vorbelastung durch die Neuanlage soweit gesenkt wird, dass sich die Möglichkeit, die Umweltqualitätsstandards einzuhalten, wesentlich verbessert. (Kapitel 16 § 5 Umweltgesetzbuch). Schließlich kann die Vorhabengenehmigung versagt werden, wenn der Antragsteller in der Vergangenheit gegen Genehmigungsauflagen verstoßen oder Anlagen ohne Genehmigung betrieben hat (Kapitel 16 § 6 Umweltgesetzbuch). Zusammenfassend ist festzustellen: Die schwedische Umsetzung der lVURichtlinie beruht in materieller Hinsicht auf einer einheitlichen, medienübergreifenden Vorhabengenehmigung in Verbindung mit indikativen Emissionsstandards nach den besten verfügbaren Techniken und Einzelfallabwägungen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie. Amtliche methodische Anleitungen zur Lösung materieller, medienübergreifender Bewertungsprobleme fehlen. Allerdings sind alle genehmigungsbedürftigen Anlagen auch UVPpflichtig, wodurch eine breite Diskussion aller Vor- und Nachteile von Genehmigungsanträgen sichergestellt ist. cc) Dänemark Vorbild für das dänische Genehmigungsrecht ist das schwedische Umweltschutzgesetz von 196985 , dessen Genehmigungsvorschriften konzeptionell weitgehend mit den Regelungen des neuen Umweltgesetzbuchs übereinstimmen. Ähnlich wie das schwedische Recht betrachtet auch das dänische Recht die Errichtung und den Betrieb gewerblicher Anlagen als einen Unterfall umweltgefährdender Aktivitäten, auf die die jedermann treffenden allgemeinen Verhaltenspflichten zur Umweltschonung Anwendung finden. § 33 Abs. 1 des Konsolidierten Umweltschutzgesetzes (KUSG) von 199886 begründet daher nur die 8~ So: Moe (Fn. 49), S. 63.

Englische Übersetzungen des Umweltgesetzes und der wichtigsten Ausflihrungsverordnungen sind zugänglich unter der Internet-Adresse des dänischen Umweltministeriums und der dänischen Enviromental Protection Agency: http://www.denmark.dk. 86

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Genehmigungspflicht der in einer Liste geführten Vorhaben, enthält aber keine materiellen Genehmigungsvoraussetzungen. Diese ergeben sich zum einen aus der Jedermann-Verpflichtung in § 4 KUSG, die Risiken der Umweltverschmutzung zu minimieren durch die Wahl des Standorts, die Planung und den Betrieb der Anlage, den Einsatz "sauberer Technologien". Zum anderen konkretisiert die Verordnung Nr. 807 vom 25.10.1999 diese Risikominimierungspflicht sowie die allgemeinen Ziele und Grundsätze des Umweltschutzgesetzes in §§ 1-3 KUSG als materielle Voraussetzungen fUr die Genehmigung genehmigungsbedürftiger Anlagen. Letztere sind in einem Anhang zur Verordnung Nr. 807 aufgeführt, die zugleich das Hauptinstrument zur Umsetzung der IVU-Richtlinie darstellt. Die Zuständigkeit für die Genehmigungsentscheidung liegt fUr die meisten Anlagen im Sinne lVU-Richtlinie bei den Kreisen. Für einige Anlagen mit mittleren Gefährdungspotential sind die Gemeinden zuständig. Die Vorhabengenehmigung im Sinne des § 33 Abs. 1 KUSG erfasst alle Emissionen im Sinne der lVU-Richtlinie und schließt die UVP und Störfallverhütung im Sinne der Seveso II-Richtlinie ein, nicht aber die Baugenehmigung. Die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen sind generalklauselartig in

§ 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 807 87 zusammengefasst und in den folgenden

Vorschriften näher speziflziert. Die Anforderungen der besten verfügbaren Techniken sind durch eine Vielzahl genereller indikativer Emissionsgrenzwerte konkretisiert, die im Normalfall wie bindende Grenzwerte wirken88 • Außerdem gibt es einige wenige Umweltqualitätswerte für einzelne Umweltmedien, die überwiegend aufEG-Recht beruhen. Die Genehmigungserteilung steht im behördlichen Ermessen, das durch die vorgenannten Regelungen zugleich gesteuert und begrenzt wird. Im Ergebnis folgt also die dänische Umsetzung der lVU-Richtlinie in materieller Hinsicht dem Modell einer einheitlichen, medienübergreifenden Vorhabengenehmigung in Verbindung mit indikativen Emissionsstandards nach den 87 Die Vorschrift lautet: "The competent permit authority may grant a permit pursuant to section 33 (I) ofthe Act, provided that the authority finds it demonstrated: I. that the operator has taken the measures required to prevent and control pollution by means ofthe best available techniques; and 2. that the installation can be operated on the site without negative effects on the environment that are incompatible with consideration for the vulnerability and quality of the surroundings, cf. Part I ofthe Act." 88 Siehe: Moe (Fn. 49).

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besten verfügbaren Techniken und Einzelfallabwägungen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie. Amtliche methodische Anleitungen zur Lösung materieller medienübergreifender Bewertungsprobleme fehlen. dd) Großbritannien (England und Wales) Die Umsetzung der lVU-Richtlinie erfolgte flir England und Wales durch die Rechtsverordnung "The Pollution Prevention and Control (England and Wales) Regulations,,89 (im Folgenden: PPC regulations 2000), deren Ermächtigungsgrundlage § 2 Abs. 1 des Pollution Prevention and Control Act 1999 ist. 90 Weitgehend gleichbedeutende Vorschriften gelten flir Schottland und Nordirland, die jedoch aufgrund der Autonomiestatute beider Regionen auf selbständigen Rechtsakten beruhen. Die PPC regulations 2000 regeln die Betriebsgenehmigung für gewerbliche Anlagen im Sinne der lVU-Richtlinie und decken alle Emissionen und Schutzgüter der Richtlinie ab. Im Unterschied zu Frankreich, Dänemark und Schweden sind die Anlagenerrichtung, die UVP und die Störfallverhütung im Sinne der Seveso lI-Richtlinie nicht Gegenstand der integrierten Vorhabengenehmigung. Vielmehr sind die Anlagenerrichtung und die UVP Gegenstand einer Planungsgenehmigung (planning perrnission) nach dem Town and County Planning Act, während die Störfallverhütung in einem selbständigen Verwaltungsverfahren nach den "Control of Major Accident Hazards (COMAH) Regulations 1999" erfolgt. Die PPC Genehmigung wird für die meisten Anlagen im Sinne der lVURichtlinie von den Außenstellen der Environment Agency erteilt. Für die Genehmigung einer Anzahl von Anlagen mit mittleren Gefährdungspotential sind Kommunalbehörden zuständig. Die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen sind in Regulations 10-13 der PPC regulations 2000 geregelt. Nach Regulation 10 Abs. 2 der PPC regulations 2000 91 steht die Erteilung der Genehmigung im Ermessen der zuständigen Behörde. Voraussetzung für die Genehmigungserteilung ist die Festsetzung von Genehmigungsauflagen im Sinne der Regulation 12 der PPC regulations 2000, bei deren Ausgestaltung die Grundsätze der Regulation 11 zu berücksichtigen sind, die weitgehend identisch mit den Betreiberpflichten nach Art. 3 lVU-

Statutory Instrument 2000, No 1973. Die Vorschriften sind zugänglich unter der Internet-Adresse des HM Stationary Office: http://www.1egis1ation.hmso.gov.uk. 91 Die Vorschrift lautet: "Subject to paragraphs (3) and (4), where an application is duly made to the regulator, the regulator shall either grant the permit subject to the conditions required or authorised to be imposed by regulation 12 or refuse the permit." 89

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Richtlinie sind. Hierzu gehört nach Regulation 12 Abs. 6 der PPC regulations 2000 die Aufnahme von Emissionsgrenzwerten in den Genehmigungsbescheid, die den Anforderungen der besten verfügbaren Techniken entsprechen, zugleich aber auch die Standortverhältnisse der Anlage berücksichtigen müssen. Die Vorschrift entspricht weitgehend dem Art. 9 Abs. 4 lVU-Richtlinie. Grundlage für die Festsetzung von Emissionsgrenzwerten im Genehmigungsbescheid sind guidance notes, die indikative Emissionswerte nach den besten verfügbaren Techniken enthalten. Im Normalfall wirken diese indikativen Werte wie verbindliche generelle Emissionsgrenzwerte. 92 Für einige Anlagentypen sind allgemeine bindende Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie angekündigt (z.B. für Anlagen der Intensivtierhaltung) oder in Vorbereitung. 93 Die Anwendung einer allgemeinen bindenden Vorschrift erfolgt gemäß Regulation 14 Abs. 3 der PPC regulations 2000 auf Antrag des Betreibers und steht im Ermessen der Genehmigungsbehörde. Schließlich gibt es einige Umweltqualitätsstandards, die zum Teil auf EGRecht beruhen und zu deren Einhaltung die Genehmigungsauflagen über die Anforderungen der besten verfügbaren Techniken hinaus verschärft werden können. Das behördliche Ermessen ist eingeschränkt und die Genehmigungserteilung gemäß Regulation 10 Abs. 3 und 4 der PPC regulations 2000 ausgeschlossen, wenn der Antragsteller nicht der tatsächliche Betreiber der Anlage ist oder -;

im Falle einer Abfallbehandlungsanlage nicht die erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit oder die erforderliche Planungsgenehmigung für die Anlagenerrichtung besitzt.

Soweit ersichtlich hat Großbritannien als einziger EU-Mitgliedstaat methodische Empfehlungen zur quantitativen medienübergreifenden Bewertung von Umweltauswirkungen gewerblicher Anlagen veröffentlicht. 94 Diese Empfehlungen betreffen das Konzept der "best practicable environmental option" (BPEO), das ein Element des früheren IPC Regimes ist. Die praktische Bedeutung der BPEO-Methodik ist bislang sehr begrenzt. 95 Seine Fortentwicklung unter dem PPC Regime ist fraglich. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die britische Umsetzung der lVU-Richtlinie eng an die EG-rechtlichen Vorgaben hält. Dies überrascht nicht, da sich Konzeption und Inhalt der Richtlinie wesentlich an dem früheren britiSo: Ball/Bell (Fn .49). Siehe: IMPEL (Fn. 60), S. 9. 94 Environment Agency, Technical Guidance Note "Best Practicable Environmental Option Assessments for Integrated Pollution Control", EI, 1997. 95 Dazu: Bohne (Fn. 1), S. 572 f. 92

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sehen Regime der "Integrated Pollution Control (IPC)" orientieren, dessen Export auf den europäischen Kontinent sicherlich zu den bemerkenswertesten Erfolgen der britischen Umweltpolitik gehört. Die britische Umsetzung verbindet die integrierte Vorhabengenehmigung mit der Einzelfallabwägung nach Art. 9 Abs. 4 IVU-Richtlinie. Ergänzend sind fiir bestimmte Anlagentypen und Probleme (z.B. Energieeffizienz) allgemeine bindende Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie vorgesehen, deren Anwendung allerdings einen Antrag des Betreibers voraussetzt und im Ermessen der Genehmigungsbehörde steht.

b) Teilintegrierte Vorhabengenehmigungen Deutschland, die Niederlande und Österreich verfugen über teilintegrierte Genehmigungssysteme von unterschiedlichem Integrationsgrad, die zur Umsetzung der lVU-Richtlinie in nationales Recht leicht modifiziert wurden. Diese Genehmigungssysteme haben das gemeinsame Merkmal, dass die Genehmigung von Abwassereinleitungen und/oder anderen Gewässerbenutzungen nicht oder nur zum Teil in die Vorhabengenehmigung einbezogen ist. aa) Niederlande Die Errichtung und der Betrieb von Vorhaben nach der lVU-Richtlinie bedürfen einer Umweltgenehmigung im Sinne des § 8.1 des Umweltrnanagementgesetzes (UMG)96 von 1992, einer Genehmigung fur die Einleitung von Abwasser in Oberflächengewässer im Sinne des § I Abs. I des Gesetzes gegen die Verschmutzung von Oberflächengewäss~rn97 und einer Baugenehmigung. Die genehmigungsbedürftigen Anlagen sind in einer Verordnung, dem "Environmental Management Establishments and Licences Decree",98 aufgefiihrt. Die Umweltgenehmigung fiir lVU-Anlagen wird von den Provinzen erteilt. Zuständig fiir die Genehmigung von Abwassereinleitungen dieser Anlagen sind nachgeordnete Behörden auf Provinzialebene des Ministeriums fiir Verkehr und Wasserwirtschaft. Die Zuständigkeit fiir die Baugenehmigung liegt bei den Gemeinden.

96 Wet milieubeheer vom 15.\0.1992 (Stb. 551), im Folgenden zitiert als Environmental Management Act in der englischen Übersetzung des niederländischen Umweltministeriums vom 1.1.1999. 97 Wet verontreiniging oppervlaktewateren vom 13.11.1969 (Stb. 536), im Folgenden zitiert als Pollution ofSurface Waters Act in der englischen Übersetzung des niederländischen Ministeriums für Verkehr und Wasserwirtschaft vom 1.5.1996. 98 Englische Übersetzung des niederländischen Umweltministeriums vom April 1998.

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Die materielle Rechtsgrundlage fUr die Umweltgenehmigung ist § 8.10 UMG. 99 Danach darf die Genehmigung nur im Interesse des Umweltschutzes verweigert werden. Bei Verstoß gegen zwingende Rechtsvorschriften nach diesem oder anderen Gesetzen ist der Genehmigungsantrag abzulehnen. Einige besonders wichtige Umweltbelange und Umweltregelungen, die bei der Genehmigungsentscheidung zu berücksichtigen bzw. zu erfiillen sind, finden sich in den §§ 8.8 und 8.11 UMG. Hierzu gehört der Grundsatz in § 8.11 Abs. 3 UMG, dass der größtmögliche Schutz vor schädlichen Umweltauswirkungen gewährleistet sein muss, es sei denn dies kann "vernünftigerweise" nicht verlangt werden. Diese Regelung ist die gesetzliche Positivierung des sog. ALARA-Prinzips (as low as reasonably achievable)lOo, nach dem Umweltbeeinträchtigungen, einschließlich der Emissionen, so gering wie technisch möglich zu halten sind. Dieses Prinzip geht - jedenfalls auf dem Papier - über den Grundsatz der besten verfiigbaren Techniken hinaus. Es verlangt Maßnahmen, die die Emissionen nicht nur in einem wirtschaftlich und technisch vertretbaren Umfang begrenzen, sondern diese nach dem Maßstab des unter vernünftigen Gesichtspunkten technisch Machbaren - auch im Sinne einer medienübergreifenden Optimierung - vermeiden und vermindern. Nach Auffassung des Evaluierungsausschusses zum Umweltmanagementgesetz beim niederländischen Umweltrninisterium lOl wird jedoch in der Präxis der normative Anspruch des ALARAPrinzips im Sinne des § 8.11 Abs. 3 UMG nicht erfiillt. Emissionsbegrenzungen, die über die allgemein akzeptierten Standards hinausgehen, würden in der Regel als "unvernünftig" angesehen und somit nicht als Genehmigungsauflage festgelegt werden. Auch medienübergreifende Abwägungen (trade-offs) erfolgten nur selten. Zur Konkretisierung des ALARA-Prinzips und anderer Genehmigungsvoraussetzungen stützt sich das niederländische Recht in erheblichen Umfang auf untergesetzliche Rechtsvorschriften, die den Charakter allgemeiner bindender Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie haben. 102 Hierzu gehören zahlreiche Emissionsstandards in Gestalt von Rechtsverordnungen der Zentralregierung und der Provinzen nach §§ 8.45 und 8.46 UMG, deren Erfiil-

99 Die Vorschrift lautet: "I. A licence may only be refused in the interest of protecting the environment. 2. The licence shall at any rate be refused if the granting thereof would be at variance with the provisions which the competent authority must take into account in accordance with section 8.8. subsection 3, or if the granting thereof would conflict with the rules referred to in section 8.9." 100 Siehe: P.c. Gilhuis/J M. Verschuuren, Environmental Law, in: JM.J Chorus/P.H.M. Gerver/E.H. Hondius/A.K. Koekkoek (Hrsg.), Introduction to Dutch Law, 1999, S. 355-381,370. 101 Evaluation Committeefor the Environmental Management Act, Integration where necessary. Advice on the "integrated" EMA licence, September 1998, S. 9. 102 Siehe: IMPEL (Fn. 60), S. 7.

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lung gemäß § 8.8 Abs. 3 Buchstaben bund c UMG Teil der Genehmigungsvoraussetzungen ist. Die Regelungen nach §§ 8.45 und 8.46 UMG sollen Öffnungsklauseln enthalten, die festlegen, unter welchen Umständen von diesen Standards im Einzelfall nach oben oder unten abgewichen werden kann. Daneben gibt es rechtlich unverbindliche, für die Praxis aber bedeutsame Emissionsrichtlinien. 103 Die Konkretisierung der Umweltqualitätsanforderungen im Rahmen des § 8.10 UMG folgt dem gleichen Regelungsschema. Es gibt rechtsverbindliche Umweltqualitätsstandards, gegebenenfalls mit Öffnungsklausel, deren Einhaltung zu den Genehmigungsvoraussetzungen gehört, und unverbindliche Qualitätsstandards, die bei der Genehmigungsentscheidung gemäß § 8.8 Abs. 2 UMG nur zu berücksichtigen sind. Alles in allem ist das Genehmigungssystem des Umweltmanagementgesetzes höchst flexibel und gewährt den Behörden weite Ermessensspielräume. (2) Die Abwassereinleitungsgenehmigung nach dem Gesetz gegen die Verschmutzung von Oberflächengewässern richtet sich in materieller Hinsicht nach den eben erläuterten Regelungen des Umweltmanagementgesetzes. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 4 des Gesetzes gegen die Verschmutzung von Oberflächengewässern, der auf die Genehmigungsvoraussetzungen des Umweltrnanagementgesetzes verweist. Einleitungs- und Gewässergütestandards werden gemäß §§ 1 a und 1 c des Wassergesetzes durch Rechtsverordnung festgelegt. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Genehmigung von Anlagen im Sinne der lVURichtlinie materiell auf einem fiir alle Umweltmedien einheitlichen Genehmigungstatbestand beruht. Allerdings werden die Genehmigungsentscheidungen von verschiedenen Behörden getroffen. Um ein koordiniertes Entscheidungsverhalten zu gewährleisten, enthalten das Umweltmanagementgesetz und das Gesetz gegen die Verschmutzung von Oberflächengewässern eine Reihe aufeinander abgestimmter Verfahrensregelungen. Hervorzuheben ist die Verpflichtung des Anlagenbetreibers, die Anträge fl.ir die Umweltgenehmigung und die Einleitungsgenehmigung bei den zuständigen Behörden gemäß § 8.30 UMG gleichzeitig vorzulegen. Außerdem darf die eine Genehmigung nur erteilt werden, wenn auch die andere Genehmigung erteilt wird. Eine amtliche methodische Anleitung zur Lösung materieller medienübergreifender Bewertungsprobleme gibt es allerdings nicht. Zusammenfassend ist festzustellen: Die niederländische Umsetzung der lVU-Richtlinie besteht aus einer teilintegrierten Umweltgenehmigung, die mit Ausnahme des Wassers alle Emissionen und Umweltgüter der Richtlinie abdeckt, sowie aus einer wasserrechtlichen Genehmigung, deren materielle Ge103

Z.B. die Nederlandse Emissie Richtlijnen (NER).

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nehmigungsvoraussetzungen sich weitgehend nach dem Umweltmanagementgesetz richten. Die Begrenzung von Emissionen erfolgt auf der Grundlage allgemeiner bindender Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie, deren Anwendung jedoch durch Öffnungsklauseln in bestimmten Fällen in das Ermessen der Behörden gestellt wird. Ergänzend greifen Einzelfallabwägungen und indikative Emissionsrichtlinien ein. In normativer Hinsicht sollen sich Emissionsbegrenzungen aufgrund des Umweltmanagementgesetzes nach dem ALARA-Prinzip richten. In der Praxis dürfte jedoch die Anwendung dieses Prinzips die Anforderungen der besten verfügbaren Techniken nicht überschreiten. bb) Deutschland Die deutsche Umsetzung der lVU-Richtlinie wird hier als bekannt vorausgesetzt. Im Ergebnis beruht sie auf einer teilintegrierten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie einer wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung für Gewässerbenutzungen. Anders als das niederländische Recht sorgt das deutsche Recht nicht für eine materielle Übereinstimmung beider Genehmigungstatbestände. Im Gegenteil, der Genehmigungsanspruch nach § 6 BlmSchG und das Bewirtschaftungsermessen nach § 6 WHG beruhen auf unterschiedlichen umweltpolitischen Regelungsphilosophien. Hinzu kommt, dass die Umsetzung der materiellen Anforderungen der lVU-Richtlinie für den Bereich wasserrechtlicher Entscheidungen - mit Ausnahme der Anforderungen an das Einleiten von Abwasser im Sinne des § 7 a WHG - den Bundesländern gemäß § 7 Abs. 1 WHG überlassen bleibt. Die materielle Integration emissionsbegrenzender Maßnahmen nach den besten verfügbaren Techniken soll in der Regel durch allgemeine bindende Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVURichtlinie erfolgen. Während die Abwasserverordnung eine allgemeine bindende Vorschrift im Sinne der Richtlinie darstellt, trifft dies für die TA Luft als Verwaltungsvorschrift nicht zu. Für den Luftreinhaltebereich wird somit die integrierte Emissionsbegrenzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG durch Einzelfallabwägung im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie vorgenommen. Die verwaltungsinterne Bindung der behördlichen Entscheidung an die TA Luft stellt jedoch mit Blick auf das Abwägungsgebot des Art. 9 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie ein EG-rechtswidriges "Venire contra factum proprium" dar und ist unwirksam. Immissionsschutzbehörden und Wasserbehörden sind jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich verpflichtet, die - im Sinne des Art. 7 lVU-Richtlinie vollständige Koordinierung der Zulassungs verfahren sowie der Inhalts- und Nebenbestimmungen der Genehmigungsentscheidungen sicherzustellen (§ 10 Abs. 5 Satz 2 BlmSchG, § 7 Abs. 1 Satz 3 WHG). Allerdings besitzen beide Behörden für den Aufgabenbereich der jeweils anderen Behörde keine verfahrens- oder materiellrechtlichen Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse. Im

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Konfliktfall muss die gemeinsame vorgesetzte Stelle entscheiden. Amtliche methodische Anleitungen zur Lösung materieller medienübergreifender Bewertungsprobleme gibt es nicht. cc) Österreich Für die österreichische Umsetzung wird auf den Beitrag von Petek lO4 verwiesen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das materielle Zulassungsrecht in Österreich ähnlich heterogen ist wie in Deutschland. Man behilft sich mit verfahrensrechtlichen Konzentrationsregelungen 105, die für UVP-pflichtige Vorhaben alle bundes- und landesrechtlichen Genehmigungsverfahren im UVP-Verfahren nach dem UVP-Gesetz zusammenfassen, ohne die materiellen, fachspezifischen Genehmigungsvoraussetzungen zu vereinheitlichen (§ 17 UVPG), für abfallrechtliche Vorhaben alle bundesrechtlichen Genehmigungsverfahren in der Genehmigung nach dem Abfallwirtschaftsgesetz zusammenfUhren und für sonstige gewerbliche Anlagen eine Zusammenfassung bundesrechtlicher Genehmigungsverfahren mit Ausnahme bestimmter wasserrechtlicher Bewilligungen in der gewerberechtlichen Genehmigung nach der Gewerbeordnung bewirken. Emissionsbegrenzungen erfolgen auf der Grundlage von Emissionsstandards im Sinne des Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie und von Einzelfallprüfungen im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 IVU-Richtlinie. c) Mediale und sektorale Vorhabengenehmigungen Italien und Spanien hatten die IVU-Richtlinie bis zum Jahresende 2001 nicht in nationales Recht umgesetzt. In beiden Staaten ist die Umsetzung besonders schwierig, weil die Errichtung und der Betrieb gewerblicher Anlagen jeweils mehrere mediale und sektorale Genehmigungen erfordert. Hinzu kommt, dass die Rechtsgrundlagen dieser Genehmigungen meist eine Gemengelage zentralstaatlicher und regionaler Rechtsvorschriften darstellen, die in einzelnen Regionen Unterschiede aufweist, in dem Zusammenspiel der verschiedenen Rechtsebenen höchst kompliziert ist und deren Anwendung durch verfassungsrechtliche Kompetenzkonflikte belastet wird. Zur Überwindung dieser Schwierigkeiten befinden sich in Italien und Spanien jeweils Gesetzentwürfe im parlamenta-

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Siehe oben S. 59 tr. Siehe Petek, S. 60 f.

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rischen Verfahren, die auf die Vereinheitlichung und Vereinfachung des Genehmigungsrechts abzielen. aa) Spanien Das spanische Genehmigungsrecht 106 ist durch das Spannungs verhältnis zwischen den Regelungen des Zentralstaates und der autonomen Gemeinschaften gekennzeichnet, das seinen Ursprung in politisch ungelösten Konflikten und daher in verfassungsrechtlich unklaren Kompetenzvorschriften hat. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf den zentralstaatlichen Rechtsrahmen 107 für die Genehmigung gewerblicher Anlagen. Die Errichtung und der Betrieb einer gewerblichen Anlage im Sinne der IVU-Richtlinie bedürfen neben der Baugenehmigung in der Regel einer gewerbepolizeilichen Genehmigung nach der Verordnung über belästigende, gesundheitsgefahrdende, schädliche und gefahrliche Aktivitäten vom 30.11.1961 108 - im Folgenden mit dem spanischen Akronym "RAMINP" bezeichnet -, die außer Gesichtspunkten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, dem Schutz vor Lärm, Gerüchen und sonstigen Belästigungen sowie - in den meisten Autonomen Gemeinschaften - Maßnahmen der Luftreinhaltung nach dem Luftreinhaltegesetz vom 22.12.1972 109 regelt, einer Einleitungsgenehmigung für Abwasser in Oberflächengewässer nach dem Konsolidierten Wassergesetz vom 20.07.2001 11 °, einer Genehmigung für die Wiederverwendung und Beseitigung von Abfallen nach dem Abfallgesetz vom 21.04.1998 111 , eines "Freigabebescheides" I 12 nach dem RAMINP, der nach Vorliegen aller Einzelgenehmigungen zur Inbetriebnahme der Anlage erforderlich ist. Das "Rückgrat" des spanischen Genehmigungsrechts bildet (noch) - trotz ihrer Herkunft aus der Franco-Zeit - die gewerbepolizeiliche Genehmigung, da Siehe dazu den Beitrag von Colino oben S. 93 tr. Katalonien hat bereits im Jahre 1998 die IVU-Richtlinie umgesetzt, siehe dazu Colino, S. 114 ff. Der spanische Text der nationalen und katalonischen Vorschriften ist zugänglich unter der Internet-Adresse der katalonischen Regierung: http://www.gencat. es/ mediambllIeis/cllei i.htm?boe. \08 Decreto 2414/1961, Reglamento de Actividades Molestas, Insalubres, Nocivas y Peligrosas (RAMINP). 109 Ley 38/1972 de Proteccion dei Ambiente Atmosferico. 110 Real Decreto Legislativo 1/2001, par el que se aprueba el texto refundido de la Ley de Aguas. 111 Ley 10/1998 de residuos. 112 Licencia de puesta en marcha y fonctionamiento 106

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sich die generalklauselartigen Vorschriften des RAMINP - entsprechend ihrem französischen Regelungsvorbild - als offen für neue Probleme erwiesen haben. Die Genehmigung wird von den Kommunen erteilt. Sie enthält in den meisten Autonomen Gemeinschaften auch die erforderlichen Luftreinhalteauflagen, die inhaltlich aber auf einer bindenden Stellungnahme des regionalen Umweltministeriums beruhen. Für einige große Anlagetypen von nationaler Bedeutung (z.B. Kraftwerk) ist eine Luftreinhaltegenehmigung des nationalen Wirtschaftsministeriums erforderlich. Die Zuständigkeit fiir die Genehmigung der Abfallbehandlung und der Einleitung von Abwässern in regionale Gewässer liegt bei den Regierungen bzw. den Umweltrninisterien der Autonomen Gemeinschaften. Es besteht die Besonderheit, dass die Genehmigung für Einleitungen in überregionale Oberflächengewässer (z.B. den Ebro) von teilautonomen Wasserverbänden (Confederaciones Hidrograficas) erteilt wird, die zur zentralstaatlichen Verwaltung gehören. Für den Freigabebescheid nach Erteilung der Einzelgenehmigungen sind wiederum die Kommunen zuständig. Es gibt zahlreiche untergesetzliche Rechtsvorschriften des Zentralstaates und der Autonomen Gemeinschaften, die medienspezifische Ernissions- und Umweltqualitätstandards festlegen. Die Emissionsstandards folgen jedoch keinem einheitlichen Regelungsprinzip und bleiben auch meist hinter den besten verfiigbaren Techniken zurück. Dieser Standard liegt vornehmlich den EG-rechtlich vorgegebenen Emissionsgrenzwerten zugrunde. Schließlich erhöht sich die Komplexität des Genehmigungsrechts durch die EG-rechtlichen Anforderungen der UVP und der Störfallverhütung. Sie sind nach dem Recht des Zentralstaates als selbständige Verfahren ausgestaltet, die von den Autonomen Gemeinschaften übernommen, modifiziert oder ganz oder teilweise in andere Verfahren eingefiigt werden können. Die Umsetzung der lVU-Richtlinie macht eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des geltenden Genehmigungsrechts erforderlich. Demzufolge sieht der Entwurf eines Gesetzes über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Verschmutzung vom 27.11.2001 113 vor, dass für Anlagen im Sinne der lVU-Richtlinie die umweltbezogenen medialen und sektoralen Genehmigungen ersetzt werden durch eine einzige, materiell-rechtlich teilintegrierte Umweltgenehmigung, die von den zuständigen Behörden der Autonomen Gemeinschaften erteilt wird. In enger Anlehnung an den Wortlaut der lVU-Richtlinie legt Art. 22 des Gesetzentwurfs die materiellen Anforderungen für die Erteilung der 1\3 Proyecto de ley, Prevenci6n y control integrados de la contaminaci6n, Boletin Oficial de las Cortes Generales, num. 60-1, 30.11.2001

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Umweltgenehmigung fest. Hierzu gehören insbesondere die Begrenzung der Emissionen in Luft, Wasser und Boden nach den besten verfiigbaren Techniken. Letztere sollen gemäß Art. 7 Abs. 2 des Gesetzentwurfs durch allgemeine bindende Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 IVU-Richtlinie konkretisiert werden. Bis zum Erlass dieser Vorschriften sind zumindest die geltenden nationalen und regionalen Begrenzungsvorschriften zu erfüllen, auch wenn sie häufig hinter den besten verfiigbaren Techniken zurückbleiben. Im Übrigen sind bei der Genehmigungsentscheidung die Standortverhältnisse im Einzelfall zu berücksichtigen, Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b des Gesetzentwurfs. Die zuständigen Behörden dürften bei der Erteilung der Umweltgenehmigung einen beträchtlichen Entscheidungsspielraum besitzen, da die Genehmigungsanforderungen vielfach nur als Berücksichtigungsvorschriften formuliert sind (Art. 4, 7 des Gesetzentwurfs) und die Genehmigungsermächtigung 114 außer einer Entscheidungsfrist von höchstens 10 Monaten - keine weiteren Vorgaben enthält. Einen Anspruch auf Erteilung der Umweltgenehmigung wird man daher nicht annehmen können. 115 In materieller Hinsicht ist allerdings die Reichweite der Umweltgenehmigung beschränkt. Bestimmte Genehmigungsvoraussetzungen der medialen und sektoralen Fachgesetze (z.B. hinsichtlich Genehmigungsunterlagen, Kontrollen) bleiben auch im Rahmen der Umweltgenehmigung anwendbar l16 , die insoweit nur teilintegriert ist. Insbesondere ist die Genehmigungsbehörde bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit von Abwassereinleitungen in überregionale Oberflächengewässer gemäß Art. 19 Abs. 2 des Gesetzentwurfs inhaltlich an die Stellungnahme des zuständigen Wasserverbandes gebunden, der zum Geschäftsbereich des nationalen Umweltministeriums gehört. Diese Regelung ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht eine Folgerung aus Art. 149 Abs. 1 Nr. 22 Spanische Verfassung, der überregionale Wasserressourcen der ausschließlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit des Zentralstaates zuordnet. In politischer Hinsicht soll durch diese Regelung der wasserwirtschaftliehe Interessenausgleich zwischen den Autonomen Gemeinschaften gewährleistet werden, da in einigen Gemeinschaften Wassermangel herrscht.

114 Die Genehmigungsvorschrift lautet: "EI 6rgano competente para otorgar la autorizaci6n ambiental integrada, dictara la resoluci6n que ponga fin al procedimiento en el plazo mäximo de diez meses." 115 Verschiedentlich wird fLir die gewerbepolizeiliche Genehmigung nach dem RAMINP die Auffassung vertreten, es handele sich um eine gebundene Genehmigung (caracter reglado), woraus man einen Genehmigungsanspruch folgern könnte (vgl. R. Martin Mateo, Tratado de derecho ambiental, vol. I, 1991, S. 365). Diese Rechtsmeinung dürfte auf das neuartige Instrument der integrierten Umweltgenehmigung nicht übertragbar sein. 116 Siehe NT. 2 Satz 2 der Regelung über die Aufhebung von Vorschriften (disposici6n derogatoria) und die amtliche Begründung, S. 6.

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Schließlich ist hervorzuheben, dass das Erfordernis des oben erwähnten Freigabebescheids nach dem RAMINP aus Rücksicht auf die Kommunen nicht beseitigt werden soll, Art. 29 Abs. 1 des Gesetzentwurfs ll7 . Die skizzierten Regelungen des Gesetzentwurfs stellen Grundsatzregelungen (legislaci6n basica) dar, die der Ergänzung durch die Autonomen Gemeinschaften bedürfen, wie z.B. Regelungen zur Einbeziehung von UVP und Störfallverhütung in das Genehmigungsverfahren Art. 22 Abs. 5 des Gesetzentwurfs. bb) Italien Das italienische Genehmigungsrecht fiir gewerbliche Anlagen weist hinsichtlich seiner Zersplitterung und regionalen Vielfalt große Ähnlichkeiten mit dem spanischen Genehmigungsrecht auf. Die Darstellung beschränkt sich auch hier auf den zentralstaatlichen Rechtsrahmen. 118 Die Errichtung und der Betrieb einer gewerblichen Anlage im Sinne der lVU-Richtlinie bedürfen neben der Baugenehmigung in der Regel einer Luftreinhaltegenehmigung nach dem Gesetz gegen Luftverschmutzung vom 13.07.1966 119, einer Einleitungsgenehmigung fiir Abwasser in Oberflächengewässer nach der Verordnung zum Schutz der Gewässer gegen Verschmutzungen vom 11.05.1999 120, einer Genehmigung fiir die Behandlung und Beseitigung von insbesondere gefahrlichen Abfällen nach der Abfallverordnung vom 05.02.199i 21 • Je nach Problemlage und Anlagentyp können außerdem besondere Genehmigungen fUr toxische Abgase, Lärm oder - ähnlich wie in Spanien - fUr die Inbetriebnahme der Anlage (nulla osta) erforderlich sein. Siehe die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, S. 4. Der italienische Text der zitierten Vorschriften ist zugänglich unter den InternetAdressen: http://www.ambiente.itlimpresalmappa.htm oder http://www.reticiviche.fvg. itllex. 119 Legge 615/1 966, Provvedimenti contro I'inquinamento atmosferico in Verbindung mit dem Decreto deI Presidente della Repubblica vom 24.05.1988 (DPR 203/1 988) über Luftqualität und industrielle Luftverschmutzung. 120 Decreto Legislativo 152/1999 recante disposizioni sulla tute la delle acque dall' inquinamento e recepimento della direttiva 91/27 IICEE concemente il trattamento 9I1676/CEE relativa alla protezione delle acque dall' inquinamento provocato dai nitrati provenienti da fonti agricole (G.U.n. 124 deI 29 maggio 1999, s.o. n. lOIIL) con le correzioni di cui all' avviso di rettifica pubblicato sulla G.U.n. 170 deI 22 luglio 1999. 121 Decreto Legislativo 22/1 997, attuazione delle direttive 9I1156/CEE sui rifiuti, 91/689/CEE sui rifiuti pericolosi e 94/62/CEE sugli imballaggi e sui rifiuti di imballaggio. 117

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Abgesehen von der Genehmigung einiger Großanlagen im nationalen Interesse (z.B. Kraftwerke) auf der nationalen Ministerialebene sind die Zuständigkeiten fiir die vorgenannten Genehmigungen zwischen Regional- und Provinzialregierungen sowie den Kommunen aufgeteilt. Die Zuständigkeitsverteilung weist regionale Unterschiede auf. Die Genehmigungen zum Schutz vor Luft- und Gewässerverschmutzungen und fiir Abfalle werden in der Regel von den Regionalregierungen erteilt, können aber auch auf die Provinzen delegiert sein. Die Kommunen sind zuständig fiir Baugenehmigungen, in einigen Regionen fiir Abwassereinleitungsgenehmigungen, in unterschiedlichem Umfang fiir Spezialgenehmigungen (z.B. zur Freisetzung bestimmter toxischer Abgase) und fUr die "nulla osta" vor Inbetriebnahme der Anlage. 122 Das italienische Genehmigungsrecht verfügt über zahlreiche rechtlich bindende Emissionsgrenzwerte, die allerdings nicht immer die besten verfügbaren Techniken widerspiegeln. Ferner gibt es verbindliche und unverbindliche Umweltqualitätswerte. Die Regelungen zur UVP und zur Störfallverhütung im Sinne der Seveso HRichtlinie sind sehr komplex. In beiden Bereichen wird auf der Grundlage von Anlagenkatalogen unterschieden zwischen nationalen UVP- und Störfallverhütungsverfahren fiir Vorhaben mit großem Gefahrdungspotential sowie regionalen Verfahren fUr die übrigen Vorhaben im Sinne der UVP- und Seveso HRichtlinien, die von den Regionen geregelt werden. Im Rahmen der national geregelten Verfahren entscheidet das nationale Umweltrninisterium über die Umweltverträglichkeit eines Vorhabens und über notwendige Sicherheitsanforderungen. Diese Entscheidungen sind fiir die Genehmigungsbehörden bindend. Zur prozeduralen Koordinierung der zahlreichen Genehmigungsverfahren sollen die Kommunen nach Art. 3 der Verordnung 447 vom 20.10.1998 123 eine Stelle einrichten, die alle Genehmigungsanträge entgegennimmt, fiir den zügigen Ablauf der Verfahren sorgt und am Ende alle Genehmigungen den Antragstellern aushändigt. Die Einrichtung dieses sog. "einzigen Behördenschal-

122 Der Begriff "nulla osta" (von lat. nihil obstat) ist rechtlich schillernd. Er wird - je nach Rechtsgebiet - zur Bezeichnung einer selbständigen Genehmigung und einer nur verwaltungsinternen Zustimmung zur Erteilung einer Genehmigung durch andere Behörden verwendet. 123 DPR 447/1998 co si come modificato dal DPR 440 del 7 dicembre 2000, regolamenta di semplificazione dei procedimenti di autorizzazione per la realizzazione di impianti produttivi, per il IOTO ampliamento, ristrutturazione e riconversione, per I'esecuzione di opere interne ai fabricati nonche' per la determinazione delle aree destinate agli insediamenti produttivi (nn. 26, 42, 43 e 50 di cui all' allegato alla legge 15 marzo 1997 n. 59). 11 Bohne

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ters" (sportello unico) scheitert allerdings häufig an fehlenden personellen und finanziellen Ressourcen der Kommunen. 124 Der materiellen Koordinierung der Genehmigungsauflagen dient eine Konferenz aller beteiligten Behörden (conferenza di servizi), die gemäß Art. 4 der Verordnung 447/1998 innerhalb von sechs Monaten zu Ergebnissen gekommen sein muss. Angesichts der skizzierten Rechtszersplitterung ist die Umsetzung der lVURichtlinie mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Bis Ende 2001 ist sie nur für bestehende Anlagen durch die Verordnung 372 vom 04.08.1999 125 erfolgt. Für Neuanlagen soll die Umsetzung der lVU-Richtlinie mit der - ebenfalls noch ausstehenden - Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie zusammengefasst werden. Seit 1998 befindet sich ein entsprechender Gesetzentwurf126 im parlamentarischen Verfahren. Art. 4 der Verordnung 372/1999 schreibt vor, dass die geltenden umweltbezogenen Genehmigungen bestehender Anlagen im Sinne der lVU-Richtlinie innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens - spätestens bis zum 30.10.2004 durch eine integrierte Umweltgenehmigung ersetzt werden, deren Auflagen spätestens bis zum 30.10.2007 erfüllt sein müssen. Für die Genehmigungserteilung sind UVP-Behörden im Sinne des geltenden Rechts (in der Regel die Regionalregierungen) oder die hierfür von den Regionen bestimmten Behörden zuständig (Art. 2 Nr. 8 der Verordnung 372/1999). Art. 5 der Verordnung 372/1999 legt in enger Anlehnung an den Wortlaut der Art. 3 und 9 lVU-Richtlinie die materiellen Anforderungen für die Erteilung der Umweltgenehmigung fest. Insbesondere müssen die Emissionsbegrenzungen den besten verfügbaren Techniken entsprechen. Die Genehmigungsvorschrift sieht zwar eine Einzelfallbeurteilung im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie vor, schränkt diese jedoch durch die geltenden nationalen und regionalen Anforderungen zur Emissionsbegrenzung in Form von verbindlichen Mindestanforderungen ein (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung 372/1999). Insofern hält Italien am bisherigen Konzept allgemeiner verbindlicher Vorschriften zur Emissionsbegrenzung im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVURichtlinie fest.

124 Siehe: OECD, 2001 OECD review ofregulatory reform in Italy, 2001, Kapitel 2, S. 7, (http://www.agcom.itloecdlindex_eng.htm). m Decreto Legislativo 372/1 999, attuazione della direttiva 96/61/CE relativa alla prevenzione e riduzione integrate deli' inquinamento. 126 Proposta di legge n. 5100, disciplina della valutazione deli' impatto ambientale, Camera dei Deputati (wysiwyg://216/http://www.camera.il...tampati/sk5500/frontesp/ 51000a.htm).

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Die Behörden besitzen einen weiten Entscheidungsspielraum bei der Erteilung der Umweltgenehmigung. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung 372/1999 127 schreibt nur den Mindestinhalt der Genehmigung vor, legt aber keine weiteren Voraussetzungen fiir ihre Erteilung oder Ablehnung fest. Hinzu kommen die Abwägungsklausel in Anlehnung an Art. 9 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 lVURichtlinie und nicht zuletzt die Fortgeltung fachrechtlicher materieller Genehmigungsanforderungen. So wird die Anwendbarkeit des Abfallrechts Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c der Verordnung 372/1999 ausdrücklich festgelegt. Art. 5 Abs. 7 der Verordnung sieht außerdem die Möglichkeit vor, weitere Auflagen in den Genehmigungsbescheid aufzunehmen. Schließlich enthält die Verordnung keine Regelungen zur Aufhebung oder Verdrängung bisher geltender Genehmigungsvorschriften. Dies führt zu rechtlichen Unklarheiten, die faktisch den Entscheidungsspielraum der Behörden vergrößern, - eine häufig kritisierte Erscheinung des italienischen Verwaltungs- und Umweltrechts. 128 Im Ergebnis bewirkt also die Verordnung 379/1999 nur eine begrenzte materiell-rechtliche Integration der Genehmigungserfordernisse fiir bestehende Anlagen. Das heißt: es liegt materiell-rechtlich eine teilintegrierte Umweltgenehmigung vor. Denselben Charakter dürfte auch die geplante Umweltgenehmigung fiir Neuanlagen besitzen. Nach Art. 1 und 2 Abs. 3 des Gesetzentwurfs 5100 soll das UVP-Verfahren zu einem umfassenden Genehmigungsverfahren fiir Anlagen im Sinne der lVU-Richtlinie fortentwickelt werden. Der Gesetzentwurf enthält jedoch überwiegend verfahrensrechtliche Vorschriften und lässt das Verhältnis zum bisherig geltenden materiellen Genehmigungsrecht ebenfalls ungeklärt (Art. 17).

3. Strukturvergleich aus der Sicht des inkrementelIen Entscheidungsmodells

Auf der Grundlage des inkrementellen Entscheidungsmodells lassen sich die nationalen Umsetzungen der lVU-Richtlinie unter der Fragestellung vergleichen, ob die materiellen Rechtsänderungen innerhalb der bestehenden Strukturen der geltenden nationalen Genehmigungsrechte erfolgten oder diese Strukturen veränderten. Im ersten Fall liegt eine inkrementelle, im zweiten Fall eine nicht-inkrementelle Veränderung der Genehmigungssysteme vor. Zugleich

127 Die Vorschrift lautet: "L'autorizzazione integrata ambientale rilasciata ai sensi dei presente decreto deve inc1udere tutte le misure necessarie per soddisfare i requisiti di cui agli articoli 3 e 6 al fine di conseguire un livello elevato di protezione dell' ambiente nel suo complesso." 128 Dazu kritisch: OECD (Fn. 124), Kapitel 2, S. 9.

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lenkt diese Beurteilung den Blick auf mögliche Ursachen für Art und Umfang der vorgenommenen Rechtsänderungen.

a) Genehmigungsanforderungen Eine strukturelle Veränderung des materiellen Genehmigungsrechts liegt vor, wenn durch die Umsetzung der IVU-Richtlinie die getrennten Genehmigungstatbestände von mindestens zwei nationalen und/oder sektoralen Genehmigungen durch einen einheitlichen Genehmigungstatbestand ersetzt werden. aa) Mitgliedstaaten mit integrierten Vorhabengenehmigungen Die nationalen Genehmigungssysteme mit materiell integrierten Vorhabengenehmigungen - in F, DK, S und Großbritannien (England und Wales) - verfügten bereits bei Erlass der IVU-Richtlinie (1996) jeweils über medienübergreifende Genehmigungsvorschriften, deren Anforderungen auf den Schutz von Luft, Wasser und Boden vor Emissionen und der Umwelt insgesamt abzielten. (1) In Frankreich galt das Gesetz Nr. 76-663 vom 19.07.1976 über die klassifizierten Anlagen zum Schutz der Umwelt, das im Wesentlichen unverändert als Titel 1 des 5. Buches in das Umweltgesetzbuch übernommen wurde. Die ursprünglich bestehende, nicht spannungsfreie Zweispurigkeit von Anlagemecht und Wasserrecht l29 wurde seit Ende der 1980er Jahre durch verschiedene Rechtsakte für den Bereich klassifizierter Anlagen beseitigt. Art. 11 des früheren Wassergesetzes Nr. 92-3 vom 03.01.1992 in der Fassung des Art. 69-1 des Gesetzes Nr. 95-101 vom 02.02.1995 unterwarf Abwassereinleitungen und Wasserverbrauch durch klassifizierte Anlagen den Vorschriften des Gesetzes Nr. 76-663. Das bedeutete, dass die Umsetzung der IVU-Richtlinie nur geringfügige Rechtsänderungen im Rahmen der bestehenden Strukturen des Anlagenrechts erforderte. Die Richtlinienumsetzung erfolgte im Wesentlichen durch die Integrationsverordnung vom 02.02.1998 und war mit nur inkrementelIen Rechtsänderungen verbunden. (2) In Schweden galt bei Erlass der IVU-Richtlinie das Umweltschutzgesetz von 1969 in der Fassung von 1995. 130 Das Gesetz enthielt Regelungen über ei129 Zur französischen Rechtsentwicklung siehe: Jean-Pierre Boivin, Droit des installation c1assees, 1994, Kapitel 1 Rdnr. 49 und Kapitel 3 Rdnr. 89 ff.; Michel BaucomontlPierre Gousset, Traite de droit des installations c1assees, 1994, S. 72 f. Zum französischen Umweltgesetzbuch: Pascale Kromarek, Un code ou non? Über den UGBWunsch in Frankreich, in: Klaus-Peter Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 189-211. 130 Siehe: Ministry 0/ the Environment, Swedish environmental legislation, booklet I: Environmentally hazardous activities and liability for environmental damage, Stockholm 1996; Staffan Wester/und, Public environmental law in Sweden, in: Rene Seer-

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ne medienübergreifende Umweltgenehmigung, die mit geringfiigigen Ergänzungen und Anpassungen an die IVU-Richtlinie in das Umweltgesetzbuch übernOInmen wurde. Die mit der Schaffung des Umweltgesetzbuches vorgenommene strukturelle Änderung des schwedischen Genehmigungsrechts war nicht materiell-rechtlicher Art, sondern betraf die Zuständigkeit fiir die Genehmigungsentscheidung. Der National Lincensing Board, der fiir die Genehmigung von Anlagen mit großem Gefährdungspotentiallandesweit zuständig war, wurde aufgelöst und durch fiinf Umweltgerichte ersetzt, die mit der Genehmigungsentscheidung Verwaltungsfunktionen wahrnehmen. In materiell-rechtlicher Hinsicht hat das Umweltgesetzbuch jedoch nur inkrementelle Änderungen im Genehmigungsrecht herbeigeführt. (3) Dieselbe Feststellung gilt fiir die Umsetzung der lVU-Richtlinie in Dänemark. Das dänische Umweltschutzgesetz von 1973 folgte dem schwedischen Regelungsmodell von 1969.'31 Das Gesetz wurde im Jahr 1991 grundlegend überarbeitet und sah bei Erlass der lVU-Richtlinie bereits eine integrierte Umweltgenehmigung vor. Die konsolidierte Fassung des Umweltschutzgesetzes von 1998 und die Verordnung Nr. 807 vom 25.10.1999, die die lVU-Richtlinie in dänisches Recht umsetzten, enthielten nur inkrementelle Rechtsänderungen. (4) Großbritannien hatte mit dem Environmental Protection Act von 1990 in Kapitel 43 ein integriertes Genehmigungssystem unter der Bezeichnung "Integrated Pollution Control" (IPC) eingefiihrt, an dem sich später das EGrechtliche System der "Integrated Prevention and Pollution Control" (IPPC) in konzeptioneller Hinsicht orientierte. Daher erforderte die Umsetzung der lVURichtlinie keine grundlegenden materiell-rechtlichen Veränderungen. Gleichwohl nahm die britische Regierung die Richtlinienumsetzung zum Anlass, das Genehmigungssystem auf eine neue gesetzliche Grundlage, den Pollution Prevention and Control Act 1999, zu stellen und vor allem das Verfahren durch Verordnung - das sind die Pollution Prevention and Control (England und Wales) Regulations 2000 - stärker als bisher rechtlich zu formalisieren. Dies geschah nicht zuletzt deshalb, weil die lVU-Richtlinie eine nicht unerhebliche Anzahl von Anlagen in der Genehmigungszuständigkeit der Kommunen erfasst, die nicht dem früheren IPC-Regime unterlagen. Die materiellen Rechtsänderungen beschränken sich jedoch auf begriffliche Anpassungen und Ergänzungen, die inkrementeller Natur sind.

den/Michiel Heldeweg (eds), Comparative environmental law in Europe. An introduction to public environmentallaw in the EU member states, 1996, S. 367-393, 378 ff. 131 Zur dänischen Rechtsentwicklung siehe: Moe (Fn. 49), S. 63 ff.; Mikael Skou Andersen, Denmark: the shadow of the green majority, in: Mikael Skou Andersen/Duncan Lie.fJerink (eds.), European environmental policy, 1997, S. 251-286, 256 f.

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Eberhard Bohne bb) Mitgliedstaaten mit teil integrierten Vorhabengenehmigungen

Die Niederlande, Deutschland und Österreich besaßen bei Erlass der lVURichtlinie teilintegrierte Vorhabengenehmigungen, die durch selbständige wasserrechtliche Genehmigungen ergänzt wurden. An dieser Rechtslage hat sich durch die Umsetzung der lVU-Richtlinie nichts geändert. Die eingetretenen materiellen Rechtsänderungen sind daher inkrementeller Natur. Der deutsche Versuch, eine integrierte Vorhabengenehmigung im Rahmen des UGB I einzufUhren, ist gescheitert. Auf die Gründe für das Scheitern dieser Rechtsreform ist aus der Sicht des inkrementellen Entscheidungsmodells noch einzugehen (III). cc) Mitgliedstaaten mit medialen und sektoralen Vorhabengenehmigungen Aus EG-rechtlicher Sicht könnten sich Italien und Spanien gemäß Art. 7 lVU-Richtlinie darauf beschränken, Verfahrensmechanismen zur inhaltlichen Koordinierung der medialen und sektoralen Genehmigungsentscheidungen nach geltendem Recht einzufUhren. Eine solche Umsetzungskonzeption würde aber die ohnehin komplizierten italienischen und spanischen Genehmigungssysterne noch komplizierter machen und dürfte in praktischer Hinsicht wohl nichts bewirken. Aus diesem Grunde sind beide Mitgliedsstaaten dabei, materiell-rechtlich teilintegrierte Vorhabengenehmigungen einzuführen. Hierdurch würden die materiellen Genehmigungsanforderungen verschiedener, bislang rechtlich selbständiger Genehmigungen zu einem einheitlichen Genehmigungstatbestand zusammengefasst. In Spanien wäre hiervon die Einleitungsgenehmigung fiir Abwässer in überregionale Oberflächengewässer ausgenommen. In Italien ist die Reichweite der materiell-rechtlichen Integration derzeit nicht abzuschätzen. Falls die eingeleiteten Reformen der Genehmigungsrechte zum Erfolg fUhren, werden Italien und Spanien eine erhebliche strukturelle Vereinfachung und Vereinheitlichung ihrer Genehmigungsrechte - im Sinne eines nichtinkrementellen Rechtswandels - verwirklicht haben.

b) Medienübergreifende Bewertung Wie oben (11. 1 a) dargelegt, kann die Festlegung von emissionsbegrenzenden Maßnahmen nach den besten verfügbaren Techniken entweder auf der Grundlage einer medienübergreifenden Einzelfallbeurteilung im Sinne des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 lVU-Richtlinie - gegebenenfalls unter Hinzuziehung allgemeiner indikativer Emissionsstandards - erfolgen oder durch allgemeine bindende Vorschriften im Sinne des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie vorgenommen werden, die eine generalisierende medienübergreifende Bewertung der Emission und ih-

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rer Auswirkwlgen auf die Umweltgüter voraussetzen. Daher muss im zweiten Falle die Möglichkeit einer ergänzenden Einzelfallprüfung bestehen, wenn weitergehende Umweltschutzmaßnahmen erforderlich erscheinen, als in den allgemeinen bindenden Vorschriften vorgesehen sind. Es finden sich beide Regelungsansätze in allen Mitgliedsstaaten. Allerdings sind beide Ansätze auch Ausdruck unterschiedlicher umweltpolitischer Regelungsphilosophien, die die angelsächsischen und skandinavischen Mitgliedstaaten von den übrigen Kontinentalstaaten Europas trennen. Kein Mitgliedsstaat hat bei der Umsetzung der lVU-Richtlinie seine bisherige Regelungsphilosophie zur Emissionsbegrenzung aufgegeben. Das bedeutet: Das Regelungsmodell des Art. 9 Abs. 4 IVU-Richtlinie dominiert die Richtlinienurnsetzung in Dänemark, Schweden und in Großbritannien, während Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich und Spanien schwerpunktrnäßig dem Regelungsmodell des Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie folgen. Insoweit zeigt die Umsetzung der lVU-Richtlinie ein eindeutig inkrementelles Entscheidungsmuster.

4. Nationale Strukturreformen vor Erlass der IVU-Richtlinie a) Mitgliedstaaten mit integrierten Vorhabengenehmigungen und die Niederlande Auf den ersten Blick scheint das Entscheidungsmuster der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung materieller Integrationsanforderungen der lVU-Richtlinie eindeutig inkrementelle Merkmale zu tragen. Danach würden die nationalen Umsetzungen der lVU-Richtlinie und insbesondere der gescheiterte deutsche Versuch einer nicht-inkrementellen Richtlinienumsetzung durch ein UGB I erneut die Aussagen des inkremente lIen Entscheidungsmodells bestätigen, dass die Komplexität der Entscheidungssituation, der Mangel an Informationen und an personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen, Zeitknappheit, Konflikte aller Art sowie - last but not least - die Begrenztheit der menschlichen Intelligenz im Normalfall nur inkrementelle, insbesondere strukturkonforme Politikänderungen zulassen. Auf den zweiten Blick fällt jedoch auf, dass die Mitgliedstaaten mit integrierten Vorhabengenehmigungen und die Niederlande mit zwei Genehmigungssystemen, die materiell-rechtlich weitgehend verzahnt sind, bereits vor Erlass der lVU-Richtlinie - etwa seit Mitte der 1980er Jahre - integrationsorientierte Reformen des nationalen Anlagenrechts durchgeführt haben. Zu erinnern ist

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für Frankreich an Art. 11 des Wassergesetzes von 1992 in der Fassung von 1995, der die Genehmigung klassifIzierter Anlagen zur Grundlage für wasserrechtliche Anforderungen machte, \32 für Schweden an das Umweltschutzgesetz von 1969 in der Fassung der Novellierungen der 1980er und 1990er Jahre, das schon frühzeitig eine integrierte Vorhabengenehmigung eingeführt hatte, \33 für Dänemark an die Neufassung des Umweltschutzgesetzes im Jahr 1991, die das Anlagernecht umfassend modernisierte,134 und für England und Wales an den Environmental Protection Act von 1990, der das bis dahin zersplitterte, mediale und sektorale Anlagernecht durch das Ipe-Regime ersetzte. 135 In den Niederlanden setzte eine integrationsorientierte Reform des Umweltrechts Mitte der 1980er Jahre ein, die zum Erlass des Umweltmanagementgesetzes im Jahr 1992 führte. 136 Mehrere mediale und sektorale Genehmigungen mit Ausnahme der wasserrechtlichen Genehmigung - wurden in einer Genehmigung verschmolzen. Möglichen Schwierigkeiten, die sich aus der rechtlichen Selbständigkeit der wasserrechtlichen Genehmigung für die Festlegung integrierter Genehmigungsauflagen ergeben können, wurde mit einer engen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Verzahnung bei der Genehmigungssysteme begegnet. Insbesondere erfolgt die Erteilung der teilintegrierten Umweltgenehmigung und der wasserrechtlichen Genehmigung gemäß § 7 Abs. 4 des Gesetzes gegen die Verschmutzung von Oberflächengewässern auf der Grundlage derselben materiell-rechtlichen Genehmigungsanforderungen, nämlich nach den Bestimmungen des Umweltmanagementgesetzes. Damit sind Umweltgenehmigung und wasserrechtliche Genehmigungen soweit integriert, wie das unter Beibehaltung einer selbständigen wasserrechtlichen Genehmigung möglich ist. In diesem Punkt unterscheidet sich die teilintegrierte Vorhabengenehmigung in den Niederlanden von den deutschen und österreichischen teilintegrierten Vorhabengenehmigungen. Letztere werden auf der Grundlage selbständiger materiell-rechtlicher Genehmigungstatbestände erteilt. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass die Mitgliedsstaaten mit integrierten Vorhabengenehmigungen und die Niederlande bereits mehr oder weniger umfangreiche, strukturelle - und damit nicht-inkrementelle - Reformen ih-

132 133

\34 \35 \36

Siehe die Literaturnachweise in Fn. 129. Siehe Fn. 130. Siehe Fn. 13l. Dazu: Ball/Bell (Fn. 47), S. 299 ff. Siehe zur niederländischen Rechtsentwicklung: Gilhuis/Verschuuren (Fn. 100),

S. 362 ff.

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rer Anlagengenehmigungsrechte durchgefiihrt hatten, als die lVU-Richtlinie erlassen wurde. b) Erklärungen Sucht man nach Erklärungen fiir diese integrativen Reformen, so geraten - aus der Sicht des inkremente lIen Entscheidungsmodells (oben I. 2 d bb) - drei sehr ähnliche Ursachenkomplexe in den genannten Mitgliedsstaaten in den Blick. Diese gelten als notwendige, nicht hinreichende Bedingungen nichtinkrementeller Politikänderungen und können zusammen mit jeweils nationalen Besonderheiten, auf die hier nicht eingegangen werden kann, eine Erklärung fiir die integrativen Rechtsreformen vor Erlass der lVU-Richtlinie liefern. Als notwendige Reformbedingungen trafen damals in den genannten Mitgliedsstaaten folgende Faktoren zusammen: Umwelt- und Vollzugskrisen, Unterstützung von Reformen durch die (Fach)Öffentlichkeit und eine ausreichend starke politische Führung. Auslöser der Rechtsreform und der Einfiihrung integrierter Umweltgenehmigungen waren in Schweden und Dänemark die zunehmende Umweltverschmutzung durch industrielle Tätigkeiten, eine völlig zersplitterte Rechtslage und das Fehlen einer wirksamen Umweltverwaltung gegen Ende 1960er/Anfang der 1970er Jahre. Die Einfiihrung und Fortentwicklung integrierter Umweltgenehmigungen sowie die Errichtung jeweils einer zentralstaatlichen Environmental Protection Agency in Schweden und Dänemark, die den Vollzug des Genehmigungsrechts durch Informationen und Richtlinien steuerten, wurden in beiden Mitgliedstaaten von der Öffentlichkeit unterstützt. 137 Gruppenspezifische Widerstände richteten sich nur gegen fachliche Detailregelungen, nicht gegen die Notwendigkeit integrierter Genehmigungssysteme. Demzufolge konnte die politische Führung beider Mitgliedstaaten - unbehelligt von schwerwiegenden umweltpolitischen Kontlikten, wie sie etwa fiir die Entwicklung des deutschen Umweltrechts kennzeichnend sind, - integrierte Genehmigungssysteme einführen, die teilweise weitergehende Anforderungen aufweisen als die lVU-Richtlinie (z.B. UVP-Ptlichtigkeit aller Anlagen in Schweden). Ähnlich verlief die Rechtsentwicklung in den Niederlanden. 138 Die teilintegrierte Vorhabengenehmigung und ihre enge materiell-rechtliche Verzahnung lJ7 Siehe zu Schweden: Wester/und (Fn. 100), S. 379 f., 385 f.; Annica KronseIl, Sweden: setting a good example, in: Mikael Skou AndersenlDuncan Liefferink (eds.), European environmental policy, 1997, S. 40-80, 49 f.; siehe zu Dänemark: Moe (Fn. 49), S. 63 ff., 67 f.; Andersen (Fn. 131), S. 265 ff. 138 Siehe: GilhuislVerschuuren (Fn. 100), S. 36\.

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mit der wasserrechtlichen Genehmigung waren die staatliche Reaktion auf steigende, industrielle Umweltverschmutzungen und eine ursprünglich zersplitterte Rechtslage. Freilich reichten die (fach)öffentliche Unterstützung und das politische Durchsetzungsverrnögen der Regierung nicht aus, den Widerstand der Wasserwirtschafts verwaltung und ihr nahestehender gesellschaftlicher Gruppen gegen die vollständige Integration der wasserrechtlichen Genehmigung in die Umweltgenehmigung zu überwinden. Entgegen der Empfehlung 139 des Evaluation Committee for the Environmental Protection (General Provisions) Act von 1979 140 blieb es bei der rechtlichen Selbständigkeit der wasserrechtlichen Genehmigung, die jedoch materiell-rechtlich an die Voraussetzungen des Umweltrnanagementgesetzes gebunden wurde. In Frankreich war die Ausgangslage etwas anders als in Dänemark, Schweden und den Niederlanden. Dort bestand bereits seit 1810 ein umfassendes, zentral gesteuertes Genehmigungssystem für Industrieanlagen, das beständig fortentwickelt worden war. Allerdings wurde der Gesetzesvollzug durch zahlreiche Zweifels fragen belastet, die sich aus der gleichzeitigen Anwendbarkeit des Wassergesetzes auf Industrieanlagen ergaben. Nicht zuletzt die Erfahrungen auf Grund der bereits im Jahre 1976 eingefiihrten UVP, dass eine medial oder sektoral getrennte Behandlung der Umweltauswirkungen von Industrieanlagen wissenschaftlich-technisch nicht sinnvoll ist, sowie die Antizipierung der lVU-Richtlinie gaben der Regierung die erforderliche politische Schubkraft für integrative Reforrnmaßnahmen zu Beginn der 1990er Jahre. 141 Besonders deutlich treten die Erklärungsfaktoren für nicht-inkrementelle Politikänderungen bei den britischen Reforrnmaßnahmen in Erscheinung. Bis zum Ende der 1980er Jahre waren das Umweltrecht und die Umweltverwaltung Großbritanniens medial und sektoral ausgerichtet sowie durch eine erhebliche Zersplitterung der Regelungen und Zuständigkeiten gekennzeichnet. Kritiker 142 sprachen von einem "Verwaltungsdschungel" und von fundamentalen Regelungsmängeln des sektoralen Umweltrechts, die fortwährend "die Autorität des Rechts unterminierten". Diese innere Krise des britischen Umweltrechts wurde durch den Druck des EG-Rechts verschärft, das bis Mitte der 1980er Jahre stark von Deutschland und seinen Technikstandards geprägt wurde. Unter dem Druck dieser krisenhaften Entwicklung setzte die britische Regierung eine

139

S.3.

Dazu: Evaluation Committee [or the Environmental Management Act (Fn. 101),

Vorläufer des Umwe1tmanagementgesetzes von 1992. Vgl. Boivin (Fn. 129), Kapitel 3 Rdnr. 3 und Kapitel 16 Rdnr. 13 ff. sowie Kromarek (Fn. 129), S. 196 f. zu den Schwierigkeiten des Kodifikationsverfahrens, die überwunden werden mussten. 142 Ball/Bell (Fn. 47), S. 30 I. 140

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grundlegende Neuorientierung und Restrukturierung des Umweltrechts und der Umweltverwaltung durch. 143 Der Erlass des Environmental Protection Act 1990 mit der Einfiihrung des IPC-Regimes fiir Industrieanlagen sowie die Zusammenfiihrung der Wasserwirtschaftsverwaltung (National River Authority), der Immissionsschutzverwaltung fiir Industrieanlagen (HM Inspectorate of Pollution) und der bislang kommunalen Zuständigkeiten fiir die Abfallwirtschaft in der Environment Agency (England und Wales)l44 im Jahre 1995 waren Marksteine des Modernisierungsprozesses. Mit der strategischen Einsicht, dass nationale Regelungssysteme auf Dauer nur Bestand haben, wenn sie im EG-Recht abgesichert sind, sowie mit beträchtlichem taktischem Gespür fiir politische Machtlagen in Brüssel und für die Bildung politischer Koalitionen mit den Mitgliedsstaaten gelang es der britischen Regierung, ihre Reformkonzepte in das Umweltrecht der EG zu exportieren. Selbstbewusst erklärte die damalige britische Umweltrninisterin Virginia Bottomleyl45 auf eine parlamentarische Anfrage im Jahr 1989: "We have already taken the lead in Europe in preparing an integral pollution control system. Integrated pollution control is the way legislation on environmental protection will develop across Europe in the 1990s."

Ein Jahr später bekräftigte der Umweltstaatssekretär Chris Patten 146 den britischen Führungsanspruch in der europäischen Umweltpolitik: "This will be the first system of integrated pollution control in Europe. We are ahead of the field. Other countries, particularly in the Community, are tuming their attention to this question ofthe integrated nature ofpollution contro!. They will, I believe, be impressed by the advantages of our approach."

Außer der lVU-Richtlinie zeugen die Seveso lI-Richtlinie, die Umweltinformationsrichtlinie und die EMAS-Verordnung von der umweltpolitischen Durchsetzungskraft der britischen Regierung auf europäischer Ebene.

Siehe: HeritieriKnill/Mingers (Fn. 47), S. 207 ff.; Ball/Bell (Fn. 47), S. 299 ff. Dazu: Ball/Bell (Fn. 47), S. 42 ff. 145 Parliamentary Written Answers, Co\. 646, 22nd March 1989, zitiert nach Adrian Smith, Integrated pollution control, 1997, S. 1. 146 Parliamentary Debates, Co\. 35, 15th January 1990, zitiert nach Smith (Fn. 145), S.2. 143

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5. Still muddling, not yet through 147 a) Föderative und regionale Partikularismen Ein wesentlicher Grund für die Verschleppung struktureller Refonnen des Anlagenrechts in Deutschland, Österreich, Italien und Spanien dürfte die (umwelt)politische Durchsetzungsschwäche der nationalen Regierungen in Bundesstaaten (A, D) und in Staaten mit (teil)autonomen Regionen (I, SP) sein. Der Koordinierungs- und Konsensbedarf bei Erlass und Vollzug der (Umwelt)Gesetze ist in diesen Staaten ungleich größer als in Einheitsstaaten (wie F, DK, S und UK). Die Bundesländer und (autonome) Regionen verfügen über Kompetenzen und Mitwirkungsrechte in der Gesetzgebung, mit denen sie ihre partikularen Interessen zur Geltung bringen und Refonngesetze der nationalen Regierungen blockieren können. Abgesehen von nationalen Unterschieden ist vor allem das Wasserrecht in den genannten Staaten eine Domäne der Bundesländer und Regionen. So reichte bisher die politische Führungskraft der nationalen Regierungen in den genannten Mitgliedsstaaten nicht aus, um strukturelle Refonnen des Genehmigungssystems für gewerbliche Anlagen gegen föderative und regionale Partikularinteressen durchzusetzen. Aus der Sicht des inkrementelIen Entscheidungsmodells fehlte somit eine notwendige Bedingung für nichtinkrementeIle Reforrnrnaßnahmen. Allerdings haben in Italien und Spanien die Notwendigkeit der Richtlinienumsetzung und der allgemeine "Leidensdruck", dem Unternehmen und Behörden durch das zersplitterte und unübersichtliche Genehmigungsrecht ausgesetzt sind, inzwischen zur Einleitung von strukturellen Refonnmaßnahmen geführt. In Österreich wurde immerhin eine umfassend konzentrierte Genehmigung für UVP-pflichtige Vorhaben eingeftihrt. Was aber ist in Deutschland geschehen, dessen Regierungen sich so gerne einer europäischen Vorreiterrolle rühmen?

b) Fachliche Über-Identifikation Deutschland verfügte mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1974 und seinen Ausftihrungsvorschriften über ein fortschrittliches und leistungsfähiges Genehmigungssystem ftir gewerbliche Anlagen bis etwa zur Mitte der 1980er Jahre. Dieses Recht war stark technikorientiert und überwiegend auf den Schutz vor Luftverunreinigungen und Länn ausgerichtet. Außer Frankreich verfügte kein EU-Mitgliedstaat über ein ähnlich ausgefeiltes Genehmigungssystem. Das deutsche Anlagenrecht besaß damals eine Vorbildfunktion ftir 147

1979.

So der gleichlautende Titel eines Aufsatzes von Lindbiom (Fn. 3) aus dem Jahre

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zahlreiche EG-Richtlinien, wie z.B. für die Industrieanlagen-Richtlinie (84/360IEWG) vom 28.06.1984 oder die Großfeuerungsanlagen-Richtlinie (88/609/EWG) vom 24.11.1988. Aus diesen Leistungen erwuchs die in Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft vorherrschende Überzeugung - man könnte sie auch als Selbstüberschätzung bezeichnen -, dass das deutsche Genehmigungsrecht in seiner Grundkonzeption - wie Z.B. Genehmigungsanspruch, Dominanz allgemeiner verbindlicher Technikstandards, Ausschluss ökonomischer Anreizinstrumente - nicht veränderungsbedÜfftig sei. Mit dieser Einschätzung war und ist bei denjenigen in der Verwaltung, Wirtschaft und teilweise auch in der Wissenschaft, die das Genehmigungsrecht fachlich betreuen, anwenden oder kommentieren, ein starkes Identifikationsgefiihl mit dem Immissionsschutzrecht verbunden, das angesichts der trockenen Sachmaterie verblüfft. So dichtete keine Geringere als die (ehemalige) Vorsitzende des Sachverständigenrats fiir Umweltfragen, eine unermüdliche Kämpferin 148 fiir den Schutz des Immissionsschutzrechts vor ökonomischen und anderen schädlichen Einwirkungen, mit leichter Ironie, doch sehr liebevoll über die Poesie des Immissionsschutzrechts 149: " ... es gibt auch Liebe für das Immissionsschutzrecht. Wenn aber etwas Liebe in uns weckt, dann wird es zum poetischen Objekt. Bloß offenbart sich dessen Poesie nur dem, der liebt, und dem, der nicht liebt, nie."

Aus der Sicht der Liebenden müssen Deregulierungsmaßnahmen im Genehmigungsverfahren für EMAS-registrierte Betriebe, wie sie z.B. in Österreich im Jahre 2001 eingefiihrt wurden 150, als Akte der Zerstörung erscheinen. So heißt es denn auch im Umweltgutachten 2002 des Sachverständigenrats für Umweltfragen 151 wenig poesie voll, sondern eher barsch im Kommandoton des preußischen Polizeirechts: "Nach Auffassung des Umweltrates ist es an der Zeit, die Deregulierungsdiskussion in diesen beiden Bereichen zu beenden."

148 Siehe: Gertrude Lübbe-Wolffz.B. in (Fn. 44) und dies., Instrumente des Umweltrechts - Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen, NVwZ 2001, S. 481-493. 149 Gertrude Lübbe-Wolff, Von der Poesie des Immissionsschutzrechts, in: Dieter CzajkalKlaus HansmannlManfred Rebentisch (Hrsg.), Immissionsschutzrecht in der Bewährung, Festschrift für Gerhard Feldhaus zum 70. Geburtstag, 1999, S. 523 f. ISO Wegfall der Änderungsgenehmigung für Vorhaben von EMAS-registrierten Betrieben gemäß § 21 Umweltmanagementgesetz, BGBI. I Nr. 96/2001. ISI SRU Umweltgutachten 2002 - Kurzfassung -, März 2002, Tz. 33. Siehe den Beitrag von Wagner unten S. 213 ff., der die Diskussion über Deregulierungsmaßnahmen im Genehmigungsverfahren für EMAS-registrierte Betriebe fortführt.

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Es fällt schwer sich vorzustellen, dass die Wörter love, amour, amore oder amor in anderen Mitgliedsstaaten Verwendung im Zusammenhang mit dem Genehmigungsrecht für Industrieanlagen fmden würden. Hohe Selbsteinschätzung und Distanzlosigkeit zum bestehenden Recht paarten sich mit der hierzulande verbreiteten Vorliebe fiir den Status quo und der Sehnsucht nach vollkommener Rechtssicherheit. Insbesondere die Wirtschaftsverbände verteidigten den Genehmigungsanspruch mit Zähnen und Klauen, obwohl er die Anpassung des deutschen Genehmigungsrechts an die europäische Rechtsentwicklung erheblich erschwerte und wesentlich zur Kompliziertheit der Regelungen zur Umsetzung von EG-Richtlinien beitrug. Da Liebe bekanntlich blind machen kann, nahm man die Reformen nationaler Anlagemechte in den europäischen Nachbarstaaten nicht wahr und die Rechtsentwicklung auf EG-Ebene zunächst nicht ernst. Seit dem Inkrafttreten der UVP-Richtlinie im Jahre 1985 befindet sich das deutsche Umweltrecht in permanenten Abwehrgefechten gegen strukturelle Rechtsänderungen auf Grund von EGRichtlinien, die viele als europäische Überfremdung und manche gar als ,,rechtsmissbräuchliche und besatzungsrechtsähnliche Intervention in gewachsene und allein vollzugs effiziente Norrnstrukturen des nationalen Rechts .. 152 empfinden. Die Gefechtsstrategie folgt - fast lehrbuchhaft - dem inkrementelIen Entscheindungsmodell, dessen vorrangiges Gesetzgebungsinstrument das Artikelgesetz ist. Artikelgesetze ermöglichen die gleichzeitige Änderung mehrerer Gesetze und eignen sich vornehmlich für Lösungen, die die Konzeption und Strukturen der bestehenden Gesetze nicht infrage stellen. Vielmehr beschränken sie sich darauf, Probleme abzumildern (remedial solutions) und dabei nur die Folgen der Abweichungen vom geltenden Recht, nicht jedoch die Konsequenzen des geltenden Rechts selbst und konzeptioneller Alternativen hierzu zu berücksichtigen (margin-dependent choice). Zwei Artikelgesetze repräsentieren in besonderem Maße die inkrementelle Abwehrstrategie des deutschen Anlagengenehmigungsrechts gegen Brüsseler Interventionen: das Artikelgesetz zur Umsetzung der UVP-Richtlinie vom 12.02.l990 153 und das Artikelgesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVURichtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27.07.2001.

152 So: Jürgen Salzwedel, Neuere Tendenzen im Wasserrecht, NVwZ 1991, S. 946 ff.,947. 153 Der Verfasser war im Bundesumweltministerium flir das Gesetz fachlich zuständig.

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aa) Remedial solutions oder umweltrechtliche Flickschusterei Von 1985 bis 1987 waren die fiir das Anlagenrecht Verantwortlichen der Auffassung, dass die Anforderungen der UVP-Richtlinie durch das damals geltende deutsche Recht bereits erfiillt seien und allenfalls einige norminterpretierende Verwaltungsvorschriften erforderten. Erst Bundesumweltrninister Töpfer entschied wenige Monate nach seinem Amtsantritt im Frühjahr 1987 auf der Grundlage einer Stellungnahme des Sachverständigenrates fiir Umweltfragen 154, dass fiir die Richtlinienumsetzung aus EG-rechtlichen Gründen ein Gesetz notwendig sei. Etwa fiinfMonate vor Ablauf der Umsetzungs frist eröffnete dann das Bundesumweltministerium gegen den Widerstand der beteiligten Bundes- und Landesressorts mit dem Arbeitsentwurf eines UVP-Gesetzes das Gesetzgebungsverfahren. Ausdrückliche politische Vorgabe der Gesetzgebungsarbeiten war der Grundsatz, dass die Rechtsstrukturen des Anlagengenehmigungsrechts, insbesondere der inunisionsschutzrechtliche Genehmigungsanspruch nicht angetastet werden durften. Das bedeutete: die deutsche Umweltpolitik verfolgte eine eindeutig inkrementelle Umsetzungsstrategie fiir die UVP-Richtlinie zu einer Zeit, in der die west- und nordeuropäischen Nachbarn Deutschlands im Begriff oder dabei waren, integrationsorientierte, strukturelle Reformen ihrer Anlagenrechte einzuleiten bzw. durchzufiihren. Es war nicht einfach, die inkrementelle Umsetzungsstrategie zu verwirklichen, ohne EG-Recht zu verletzen. Die Hauptschwierigkeiten lagen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung und bei der medienübergreifenden Bewertung von Umweltauswirkungen im Sinne des Art. 3 UVP-Richtlinie. Die Lösung der Bewertungsproblematik erfolgte materiellrechtlich in § 12 UVPG und verfahrensrechtlich in § 14 UVPG. Diese Regelungen waren typische "remedial solutions" im Sinne des inkremente lIen Entscheidungsmodells. Nach der damals herrschenden und vom Sachverständigenrat fiir Umweltfragen unterstützten Meinung 155 enthielt die UVP-Richtlinie auch materielle, wenngleich sehr allgemeine und konkretisierungsbedürftige Anforderungen, die auf eine medienübergreifende, gesamthafte Bewertung von Umweltauswirkungen abzielten. Da ein einheitlicher, medien- und sektorübergreifender Genehmigungstatbestand wegen des Widerstandes der betroffenen Verwaltungen und der Wirtschaft nicht eingefiihrt werden konnte, sollte § 12 UVPG den Behörden IS4 SRU, Stellungnahme zur Umsetzung der EG-Richtlinie über die UmweltverträglichkeitspTÜfung in das nationale Recht, November 1987, abgedruckt in DVBI 1988, S. 21 fT. ISS SRU (Fn. 154); Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL) vom 27.06.1985 in das nationale Recht, in: Festschrift für Kar! Doehring, 1989, S. 889 fT., 898 fT; Rüdiger Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts - Ziele, Wege und Inwege, 1993, S. 53.

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die Möglichkeit eröffnen, die materiellen Genehmigungsanforderungen "der geltenden Gesetze" durch Rechtsinterpretation zu einem medien- und sektorübergreifenden Bewertungsprogramm im Sinne einer "Umweltvorsorge" im Einzelfall zu entwickeln. 156 FurJktional stellte § 12 UVPG eine gesetzliche, materielle Integrationsklausel für den Einzelfall dar. Diese "Interpretationslösung" des Problems der materiellen Integration wurde in verfahrensrechtlicher Hinsicht durch § 14 UVPG flankiert, der fiir den Fall paralleler Genehmigungen einer federführenden Behörde die Aufgabe übertrug, das Zustandekommen einer medien- und sektorübergreifenden Bewertung der Umweltauswirkungen sicherzustellen. Die Aufnahme der Vorsorgeklausel in dem Wortlaut des § 12 UVPG erfolgte erst auf Intervention des Umweltausschusses des Deutschen Bundestags. Aufgrund einer öffentlichen Expertenanhörung zum Regierungsentwurf wollte der Ausschuss den materiell-rechtlichen Vorsorgecharakter der UVP im Gesetzeswortlaut verankern. Dies ist sprachlich missglückt, aber als gesetzgeberischer Wille zweifelsfrei aus dem Ausschussbericht zu entnehmen. 157 Im praktischen Ergebnis stellte die gesetzliche Auslegungsregel des § 12 UVPG sicherlich nur eine Minimallösung fiir die medien- und sektorübergreifende Bewertung von Umweltauswirkungen dar. Sie konnte im Einzelfall Abhilfe schaffen, ließ aber die materiell-rechtliche Strukturproblematik des Genehmigungsrechts ungelöst. Sie war also eine typische "remedial solution" - oder Flickschusterei - im Sinne des inkrementellen Entscheidungsmodells. Für die Schaffung eines neuen einheitlichen Genehmigungstatbestandes fehlte die politische Kraft. Selbst diese Minimallösung wurde im Gesetzesvollzug für Industrieanlagen de facto wieder rückgängig gemacht. In die Bewertungsvorschrift des § 20 Abs. 1 b der 9. BImSchV fand die Vorsorgeklausel des § 12 UVPG keine Aufnahme. In der Literatur schob man die Auslegungsfunktion des § 12 UVPG häufig mit polemischen Bemerkungen beiseite. 158 Außerdem gewann - in Abkehr von der bis dahin herrschenden Meinung - die Auffassung an Boden, dass das UVPGesetz keinen materiell-rechtlichen, sondern einen ausschließlich verfahrens156 Dazu eingehend: Axel Vorwerk, Die Bewertung von Umweltauswirkungen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 12 UVPG, Die Verwaltung 29 (1996), S. 241 ff.; Heinz-Joachim Peters, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, Kommentar, 2. Aufl., 2001, § 12 Rdnr. 17. 157 Siehe: BT-Drs. 11/5532, S. 31. 158 Siehe z.B. Breuer (Fn. 155), S. 61 (§ 12 UVPG als "dilatorischer FormeIkompromiss"); Willi Vallendar, Bewertung von Umweltauswirkungen - Gibt § 12 UVPG sein Geheimnis preis? -, UPR 1993, S. 417 ff. (§ 12 UVPG als "Rätsel"); Martin Beckmann, in: Werner Hoppe (Hrsg.), Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG), Kommentar, § 12 Rdnr. 76 (§ 12 UVPG als Versuch, gesetzliche Zulassungsschranken "handstreichartig" zu verändern); Udo Di Fabio, Integratives Umweltrecht, NVwZ 1998, S. 329 ff., 333 (§ 12 UVPG wirkt "eigentümlich kraftlos, beinah deplaziert").

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rechtlichen Regelungsgehalt besitze. 159 Diese Auffassung wurde vom Bundesverwaltungsgericht 160 ohne Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 12 UVPG - jedenfalls für Planfeststellungsverfahren 161 - gebilligt. Das ungelöste Problem der materiellen Integration stellt sich nunmehr verschärft bei der Umsetzung der IVU-Richtlinie durch das Artikelgesetz vom 27.07.2001. bb) Margin-dependent choice oder Rückfall in die Provinzialität Wenn der Gesetzgeber bei der Umsetzung von EG-Richtlinien nur die voraussichtlichen Gesetzesfolgen der geplanten Abweichung vom rechtlichen Status quo in den Blick nimmt, verzichtet er zwangsläufig darauf, die Effektivität und Praktikabilität bestehender gesetzlicher Problemlösungen anhand der vorliegenden Erfahrungen zu überprüfen. Erst recht verspielt er die Möglichkeit, von den Lösungsansätzen und praktischen Erfahrungen anderer EG-Mitgliedstaaten zu lernen. Der gesetzgeberische Horizont verengt sich auf vorhandene Regelungen und die voraussichtlichen Folgen marginaler Abweichungen. Dies ist der Kern der "margin-dependent choice" im Sinne des inkrementellen Entscheidungsmodells. Die hiermit verbundene fachliche, räumliche und zeitliche Blickverengung ist - aus europäischer Sicht - kennzeichnend für den Rückfall des deutschen Umweltgesetzgebers in die Provinzialität bei Erlass des Artikelgesetzes vom 27.07.2001. (1) Für die Umsetzung des Gebotes der materiellen Integration im Sinne der lVU-Richtlinie in parallelen immissionsschutz- und wasserrechtlichen Zulassungsverfahren gibt es weder eine für beide Zulassungsentscheidungen verbindliche, materielle Integrationsklausel - vergleichbar der des § 12 UVPG noch eine federruhrende Behörde im Sinne des § 14 UVPG, die die materielle Integration der Genehmigungsauflagen sicher zu stellen hat. Statt dessen übernahm man die wichtigsten materiellen Integrationsanforderungen der lVU-Richtlinie - mit Ausnahme des Art. 9 Abs. 4 lVU-Richtlinie fast wortgetreu in das Bundes-Immissionsschutzgesetz (§§ 1 Abs. 2; 3 Abs. 6; 5 Abs. 1 und § 7 Abs. 1) und in das Wasserhaushaltsgesetz (§§ 1a Abs. 1 und 7a Abs. 5). Ferner wurden die imrnissionsschutz- und wasserrechtlichen Verfah159 Siehe z.B. Matthias Schmidt-Preuß, Der verfahrensrechtliche Charakter der Umweltverträglichkeitsprüfung, DVBI 1995, S. 486 f.; Thomas Mayen, Die Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-Gesetz und der UVP-Verwaltungsvorschrift, NVwZ 1996, S. 319 ff., 325; Eckart Wen, Die UmweltverträglichkeitspTÜfung in der gerichtlichen Praxis, NVwZ 1997, S. 422 ff., 423; Di Fabio (Fn. 158), S. 333. 160 Urteil vom 25.01.1996, DÖV 1996, S. 604 ff., 605. 161 Da sich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf die UVP in PIanfeststellungsverfahren bezieht und letztere für medienübergreifende Bewertungen keine besonderen Probleme aufwerfen, könnte man - jedenfalls theoretisch - die Bedeutung des Gerichtsurteils auf die UVP im Planfeststellungsverfahren begrenzen.

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rensvorschriften (§ 10 Abs. 5 BlmSchG, § 7 Abs. 1 WHG) um die Koordinierungsklausel des Art. 7 IVU-Richtlinie ergänzt. Die parallele Aufnahme des Richtlinientextes in das Bundes-Immissionsschutzgesetz und das Wasserhaushaltsgesetz soll die Europäische Kommission offensichtlich davon überzeugen, dass die IVU-Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt wurde. Freilich sollte man nicht allzu sehr darauf setzen, dass die Kommission den überwiegenden Symbolcharakter der Regelungen nicht durchschaut. Denn trotz ihres medien- und sektorübergreifenden Wortlauts beschränken sich die Rechtswirkungen der Regelungen auf den jeweiligen Anwendungsbereich von Bundes-Immissionsschutzgesetz und Wasserhaushaltsgesetz. Das heißt: die immissionsschutzrechtlichen Vorschriften regeln nicht Inhalt und Verfahren wasserrechtlicher Entscheidungen und die wasserrechtlichen Vorschriften regeln nicht Inhalt und Verfahren immissionsschutzrechtlicher Entscheidungen. Die Behörden haben ftir den Aufgabenbereich der jeweils anderen Behörde keine materiellen oder prozeduralen Weisungsrechte. Selbst die verfahrens leitenden Befugnisse einer federführenden Behörde im Sinne des § 14 UVPG stehen ihnen nicht zu. Man vergleiche hiermit nur die umfangreichen materiellen verfahrensrechtlichen Koordinierungsmechanismen zwischen Umweltgenehmigung und wasserrechtlicher Genehmigung im niederländischen Genehmigungsrecht (oben II 2 b aa). Im Ergebnis haben die deutschen Behörden im lVU-Verfahren weniger Befugnisse als im UVP-Verfahren, obwohl das Integrationsgebot der lVU-Richtlinie klar und unmissverständlich ist. Von einer wirksamen Umsetzung der lVU-Richtlinie kann also insoweit kaum die Rede sein. Auch das Bundesumweltrninisterium dürfte dies im Ernst nicht glauben. Denn in der Begründung zum UGB I hob es sogar ausdrücklich hervor, dass die Regelungen des UVP-Gesetzes, insbesondere §§ 12 und 14 UVPG, bei der Umsetzung des bereichsübergreifenden Ansatzes nur bedingt Abhilfe schaffen, "da sie die mediale und sektorale Zersplitterung des geltenden Umweltrechts und seiner verschiedenen Zulassungsverfahren nicht beseitigen, sondern nur ergänzende Regelungen vorsehen.,,162 Daraus folgt, dass hinter §§ 12 und 14 UVPG zurückbleibende Regelungen erst recht nicht in der Lage sind, den integrierten Ansatz zu verwirklichen.

(2) Ferner sei daran erinnert (oben 11 1 a cc (6», dass die Umsetzung der Pflicht zum Einsatz der besten verfügbaren Techniken durch die verwaltungsintern verbindlichen Emissionsgrenzwerte der TA Luft von Art. 9 Abs. 8 lVU-Richtlinie nicht gedeckt wird, weil es sich um eine Verwaltungsvorschrift handelt, und

162 Siehe: Bundesumweltministerium (Fn. 58), Begründung des Allgemeinen Teils, S.7.

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gegen Art. 9 Abs. 4 Satz I, Halbsatz 2 lVU-Richtlinie verstößt, weil die Verwaltungs vorschrift die Möglichkeit einer Einzelfallabwägung im Normalfall ausschließt. (3) Abgesehen von den aufgezeigten Mängeln bei der Umsetzung der lVURichtlinie, enthält das Artikelgesetz eine Reihe von Ungereimtheiten, die EGrechtlich nicht zu beanstanden oder teilweise zu retten sind, die aber den Gesetzesvollzug erschweren oder zu neuen Konflikten einladen. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Zur Illustration sei jedoch auf einige Punkte hingewiesen: Da das UVP-Verfahren gemäß § 2 Abs. I Satz 1 UVPG ein unselbständiger Teil bestehender Verfahren ist, knüpfte die UVP-Pflichtigkeit nach bisherigem Recht an die fachrechtlich bestimmte Notwendigkeit an, ein Zulassungs verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. Dieser Anknüpfungspunkt wurde mit dem Artikelgesetz aufgegeben. Die UVPPflichtigkeit eines Vorhabens richtet sich gemäß § 3 b bis § 3 f UVPG nunmehr nach bestimmten physischen Merkmalen, die sich aus der Anlage I zu § 3 UVPG - gegebenenfalls in Verbindung mit einer Einzelfallprüfung - ergeben. Anwendungskonflikte zwischen UVP-Gesetz und Fachrecht sind demnach vorprogrammiert. 163 Die neue Regelung wird von der Bundesregierung damit gerechtfertigt, dass die fachrechtlichen Verfahrenskriterien die ordnungsgemäße Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie nicht mehr sicherstellen. l64 Eindrücklicher als mit dieser Argumentation lassen sich die strukturellen Schwächen des Artikelgesetzes kaum veranschaulichen. Da ein Artikelgesetz fachgesetzliche Strukturen nicht umkrempeln kann, musste ein UVP-spezifischer Vorhabenbegriff den Fachgesetzen aufgepfropft werden. Im Rahmen einer Kodifikation des Anlagenrechts hätten diese Friktionen vermieden werden können. Eine Anlagenänderung kann aufgrund einer Vorprüfung gemäß § 3 c Abs. I und § 3 e Abs. I Nr. 2 UVPG UVP-pflichtig sein, ohne einer Änderungsgenehmigung gemäß § 16 Abs. I BlmSchG zu bedürfen, z.B. wenn die Anlagenänderung unter Berücksichtigung der Standortkriterien im Sinne der Anlage 2 einen erheblichen Eingriff in Natur und Landschaft (§ 18 BNatSchG) darstellt. Da Naturschutzeingriffe nicht unter § 6 Abs. I Nr. I und § 16 Abs. I BlmSchG fallen, fehlt es jedoch an einem Trägerverfahren für die UVP, es sei denn, es besteht eine naturschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit nach Landesrecht. Soweit dies nicht der Fall ist, dürfte 163 Dazu: Rainald EnderslMichael Krings, Zur Änderung des Gesetzes über die Umwe1tverträglichkeitsprüfung durch das Artikelgesetz zur Umsetzung der UVPÄnderungsrichtlinie, DVB12001, S. 1242-1252,1244 f. 164 So: Bundesregierung (Fn. 59), S. 94; Franz-Josef Feldmann, Die Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie in deutsches Recht, DVB12001, S. 589-601, 594.

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die UVP-Änderungsrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sein. 165 Die neuen Vorschriften in § 58 e BImSehG, § 55 a KrW-/AbfG und § 21 h WHG enthalten wortgleiche Verordnungsermächtigungen, die u. a. "Erleichterungen zum Inhalt der Antragsunterlagen im Genehmigungsverfahren" fiir EMAS-registrierte Betriebe ermöglichen sollen. Nimmt man die Bezugnahme auf die "Genehmigungs verfahren" wörtlich, so würden sich die genannten Erleichterungen im Wasserrecht auf Genehmigungsverfahren fiir Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe nach § 19 a WHG beschränken. Denn Gewässerbenutzungen unterliegen nicht der Genehmigung, sondern der Erlaubnis und Bewilligung. Im Abfallrecht würde die Deregulierungsklausel hinsichtlich von Genehrnigungsverfahren leer laufen, weil Abfallbeseitigungsanlagen nach § 31 Abs. 1 KrW -/AbfG nur einer immissionschutzrechtlichen, aber keiner abfallrechtlichen Genehmigung bedürfen. Die Zulassung von Deponien erfolgt dagegen nicht durch Genehmigung, sondern durch Planfeststellung oder Plangenehmigung. Da der Ausschluss von Erlaubnis-, Bewilligungs-, Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren von den genannten Deregulierungsklauseln keinen Sinne machen Mirde, ist zu vermuten, dass die Verfasser des Artikelgesetzes schlicht den Überblick über die unterschiedlichen Gesetzesstrukturen verloren haben. Zusammenfassend ist festzustellen: der Artikelgesetzgeber ist bei der Umsetzung des materiellen Integrationskonzepts der lVU-Richtlinie in instrumenteller Hinsicht hinter das UVP-Gesetz von 1990 zurückgefallen und hat eine gegenseitige Abstimmung von lVU- und UVP-Anforderungen versäumt. Demgegenüber haben die nord- und westeuropäischen Nachbarn Deutschlands ihre Anlagenrechte im letzten Jahrzehnt modernisiert. Auch Italien und Spanien sind dabei, im Rahmen der Umsetzung der lVU-Richtlinie das Genehmigungsrecht strukturell zu reformieren. Wie konnte es in Deutschland zu diesem Tiefpunkt der Umweltgesetzgebung kommen?

111. Strukturdefizite der deutschen Umweltgesetzgebung Die Ursachen ftir den Niedergang des Anlagenrechts, einst das Paradestück der deutschen Umweltgesetzgebung, sind vielfältig. Sie beruhen nicht auf feh165

So auch: Enders/Krings (Fn. 163), S. 1249.

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lender fachlicher Qualifikation der Beamten und können auch nicht einzelnen Politikern zugerechnet werden. In gewissem Umfang sind sie Ausdruck der allgemeinen innenpolitischen Lage, die seit 20 Jahren durch eine zunehmende Versteinerung überkommener Rechtsstrukturen und eine gruppen-egoistische Besitzstandshaltung gekennzeichnet ist, die Deutschland nicht nur im Umweltschutz hinter seine europäischen Partner hat zurückfallen lassen. Allerdings gibt es auch umweltspezifische Ursachen fiir den Niedergang des Anlagenrechts, die sich auf Strukturmängel des Gesetzgebungssystems im Umweltschutz zurückfUhren lassen. Diese wurden schlaglichtartig sichtbar, als das Bundesumweltministerium in den Jahren 1998 und 1999 vergeblich versuchte, die IVU-Richtlinie und die UVP-Änderungsrichtlinie durch ein UGB I umzusetzen, das sich an dem Entwurf eines Umweltgesetzbuches (UGBKornE) der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (SK-UGB) aus dem Jahr 1997 orientierte. 166 1. Umweltgesetzbuch: Versuch einer nicht-inkrementellen Umweltgesetzgebung Der Entwurf eines UGB 1167 beschränkte sich auf die Umsetzung der IVURichtlinie und der UVP-Änderungsrichtlinie. Dieser Beschränkung lagen keine konzeptionellen Erwägungen zugrunde. Vielmehr beruhte sie auf der EffIzienzüberlegung, dass es nicht sinnvoll sei, die Richtlinie zunächst in den bestehenden Gesetzesstrukturen umzusetzen, um gleich anschließend das novellierte Anlagenrecht durch ein UGB abzulösen. Das UGB I orientierte sich an den Regelungen des UGB-KornE der SK-UGB und war somit in eine Gesamtkonzeption fiir die Kodifikation des Umweltrechts eingebunden. a) UGB-KomE und SK-UGB Das Kodifikationskonzept des UGB-KornE ist das Ergebnis und zugleich ein seltenes Beispiel fiir eine langfristig angelegte und seit Mitte der 1970er Jahre planmäßig verfolgte, nicht-inkrementelle Gesetzgebung, die fast lehrbuchrnäßig die Anforderungen des rationalen Entscheidungsmodells erfiillte. 168 Der UGBKornE beschränkt sich nicht auf die rechtstechnische Zusammenfassung des 166 Bundesministerium for Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998. 167 Dazu der Beitrag von Feldmann, oben S. 18 ff. 168 Zur Entstehungsgeschichte des UGB-KomE: Eberhard Bohne, Innovation in Politik, Verwaltung und Wirtschaft durch Kodifikation des Umweltrechts, in: Politik und Verwaltung auf dem Weg in die transindustrielle Gesellschaft, earl Böhret zum 65. Geburtstag, 1998, S. 375 ff., 380-382.

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geltenden Umweltrechts, sondern zielt auch auf die Fortentwicklung und Modemisierung der Rechtsstrukturen unter ökologischen und europäischen Gesichtspunkten ab. Er ist geeignet, Deutschland das modernste Anlagenrecht in der Europäischen Union und damit zugleich eine hervorragende Ausgangslage fiir den regulatorischen Wettbewerb der Mitgliedstaaten in Brüssel zu geben. Dabei versteht sich, dass angesichts des den gesamten Umweltschutz umfassenden Regelungsbereichs nicht alle Regelungsvorschläge des UGB-KornE die gleiche Überzeugungskraft besitzen und verdienen verwirklicht zu werden. Manche Vorschläge beruhen auf kontroversen, fachlichen Beurteilungen oder auf Gesichtspunkten der kornrnissionsinternen Kompromiss- und Konsensfindung, die im politischen Prozess abweichend bewertet werden mögen. Der Entwurf setzt jedoch einen brauchbaren Rahmen rur die politische und gesellschaftliche Diskussion der Umweltordnung und fiir die Einleitung eines kodifikatorischen Gesetzgebungsprozesses. Die SK-UGB wurde im Jahr 1992 von Bundesumweltrninister Töpfer eingesetzt und überreichte den UGB-KornE im Herbst 1997 der Bundesumweltrninisterin Merke!. Die Kornrnission bestand aus sieben hervorragenden Umweltjuristen und einem Ingenieur, der Konzernbeauftragter rur Umweltschutz war. 169 Sie stellte im begrenzten Umfang ein Mikrosystem teilweise gegensätzlicher gesellschaftlicher Interessen dar, die bei der Erarbeitung des UGB-KornE ausgeglichen werden mussten. Diese Zusammensetzung der Kornrnission beruhte auf der Einschätzung, dass die Schaffung eines Umweltgesetzbuches nicht allein ein intellektuelles und juristisches Problem, sondern vor allem ein Problem der gesellschaftlichen Konsensfindung ist. Demzufolge trägt der UGB-KornE kompromisshafte Züge und enthält vornehmlich im Besonderen Teil zahlreiche Detailregelungen, die wohl eher der Konsensbildung in der Kornrnission dienten als auf Rechtsvereinfachung abzielen. Die konsensstiftende Funktion der SK-UGB bewährte sich 1992, als es den Kornrnissionsmitgliedern gelang, den Deutschen Juristentag von der Zweckmäßigkeit einer Kodifikation des Umweltrechts zu überzeugen. 170 Die wichtige, vertrauenschaffende Funktion der pluralistisch zusammengesetzten Kornrnission zeigte sich erneut im Jahre 1995. Im Rahmen eines politi-

169 Mitglieder der SK-UGB waren Rechtsanwalt Prof. Dr. Manfred Bul/ing (Regierungspräsident Stuttgart a.D.), Dr. Günter Gaentzsch (Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht), Prof. Dr. Hubert Peter Johann (Konzembeauftragter für Umweltschutz, Mannesmann AG), Prof. Dr. Michael Kloepfer (Humboldt-Universität Berlin, Stellvertretender Kommissionsvorsitzender), Rechtsanwalt Dr. Rüdiger Schweikl (Umweltreferent der Stadt München a.D.), Rechtsanwalt Dr. Dieter Sel/ner (Bonn), Prof. Dr. Horst Sendler (Präsident des Bundesverwaltungsgerichts a.D., Kommissionsvorsitzender), Prof. Dr. Gerd Winter (Universität Bremen). 170 Siehe die Beschlüsse des 59. Deutschen Juristentags, 1992, Bd. II, S. N 202 ff.

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sehen Kolloquiums zum Umweltgesetzbuch, das Bundesumweltministerin Merkel mit führenden Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Umweltverbänden veranstaltete, trug die SK-UGB dazu bei, dass die Teilnehmer des Kolloquiums keine prinzipiellen politischen oder rechtlichen Einwände gegen das Kodiflkationsvorhaben erhoben, sondern es im Grundsatz unterstützten. 171 Die Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Regierungskoalition vom 20.10.1998 kündigte die Kodiflkation des Umweltrechts als Teil einer ökologischen Modernisierungsstrategie an. Bundeskanzler Schröder bestimmte - wie schon sein Vorgänger Kohl - die Schaffung eines Umweltgesetzbuches in der Regierungserklärung vom 10.11.1998 als Ziel der Regierungsarbeit. Im April 1999 legte das Bundesumweltministerium den Referentenentwurf für ein UGB I vor, im Juli 1999 wurde der Entwurf aus verfassungsrechtlichen Gründen zurückgezogen und das Kodiflkationsvorhaben bis zur Änderung des Grundgesetzes aufgegeben. Was war geschehen?

b) Gründe für das Scheitern des UGn I aal OffIzielle Gründe Das UGB-Vorhaben wurde vom Bundesumweltministerium mit der Begründung aufgegeben, dass der Bund für den Gewässerschutz gemäß Art. 75 GG nur die Kompetenz zur Rahmengesetzgebung besitze, "die" - so Bundesumweltminister Trittin in einer Presseerklärung vom 02.09.1999 172 " ... nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Vorschriften erlaubt. Nach Ansicht der Verfassungsressorts Justiz und Inneres müsste das UGB I den Ländern im Gewässerschutz weitreichende Gesetzgebungsspielräume eröffnen, um den Anforderungen des Art. 75 GG Rechnung zu tragen. Damit wäre die Einheitlichkeit der vorgesehenen Regelungen auf Bundesebene nicht mehr gegeben, ein wesentliches Ziel des Umweltgesetzbuches würde verfehlt ... Erst eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Gewässerschutz wird uns die umwelt- und wirtschaftspolitisch erwünschte Vereinheitlichung und Vereinfachung des Umweltrechts ermöglichen."

Soweit ersichtlich, ist diese kurze Presseerklärung die einzige, öffentlich zugängliche Begründung für den abrupten Kurswechsel des Bundesumweltministeriums. Einige zusätzliche verfassungsrechtliche Erläuterungen zu Art. 75 GG

171 Siehe das stenographische Protokoll des Kolloquiums in: Umweltbundesamt (Hrsg.), Zukunftssicherung durch Kodifikation des Umweltrechts, Berichte 2/96, 1996. 172 Grundgesetzänderung zur Schaffung des Urnweltgesetzbuchs angestrebt, BMUUmwelt NT. 11/1999, S. 516 f.

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finden sich in dem Aufsatz eines damaligen BMJ-Mitarbeiters 173 . Ein BMIMitarbeiter steuerte rechtspolitische Erwägungen bei. 174 Nach Auffassung der beiden Bundesministerien sollen seit der Einrugung des Absatzes 2 in Artikel 75 GG im Jahr 1994 u.a. "unmittelbar geltende erschöpfende Regelungen in jedem Fall unzulässig" sein I75 , wie sie der Erlass des UGB I zur Normierung der integrierten Vorhabengenehrnigung vorsah. Diese verfassungsrechtliche These wird, soweit ersichtlich, von niemandem in der verfassungsrechtlichen und umweltrechtlichen Literatur geteilt. 176 Rechtlich hat diese These zur Folge, dass die Kodifikation des Umweltrechts, insbesondere des Anlagengenehrnigungsrechts ohne Übertragung der vollen Gesetzgebungskompetenz fUr den Wasserhaushalt sowie rur Naturschutz und Landschaftspflege auf den Bund nicht möglich ist. Da nicht erkennbar ist, dass die Länder einer solchen Grundgesetzänderung je zustimmen werden, - zumal sie ja diese im Unterschied zum Bund nicht als Voraussetzung fiir ein UGB ansehen -, bedeutet die eben zitierte Äußerung des Bundesumweltrninisteriurns im praktischen Ergebnis einen endgültigen Verzicht auf das UGB-Vorhaben. Für die Frage, warum die beiden Bundesministerien mit dieser Extreminterpretation des Grundgesetzes das UGB I zu Fall bringen konnten, kommt es auf eine juristische Auseinandersetzung 177 mit der Ressortauffassung nicht an. Es genügt darauf hinzuweisen, dass die Rechtsauffassung der SK-UGB, die die Kompetenzfrage ausruhrlieh geprüft und bejaht hatte I78 , rechtlich zumindest ebenso gut vertretbar ist, dass die Verfassungsinterpretation der beiden Ressorts, konsequent angewandt, die bundesstaatliche Funktion der Rahmengesetzgebung zerstört,

173 Siehe: Christo! Gramm, Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Umweltgesetzbuch, DÖV 1999, S. 540-549. 174 Siehe: Heribert Schmitz, 20 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz - Neue Tendenzen im Verfahrensrecht auf dem Weg zum schlanken Staat, NJW 1998, S. 2866-2871, 2870 f.; ders., Moderner Staat - Modemes Verwaltungsverfahrensrecht, NVwZ 2000, S. 1238-1244, 1242 f. 175 So: Gramm (Fn. 173), S. 543 176 Dies betont Franz-Joseph Peine, Probleme der Umweltschutzgesetzgebung im Bundesstaat, NuR 2001, S. 421-427,426. 177 Dazu: Hans-Werner Rengeling, Die Bundeskompetenzen für das Umweltgesetzbuch I, DVBI 1998, S. 997-1008; Horst Sendler, Kodifizierung des Umweltrechts in einem UmweItgesetzbuch, ET 2000, S. 256-262; Peine (Fn. 176) und der Beitrag des Verfassers unten S. 375 ff. 178 Siehe: UGB-KomE (Fn. 166), S. 85 f.

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auseinanderdriftendes Landesrecht und damit die rechtliche Partikularisierung des Bundesstaates zu verhindern 179 , dass Deutschland auf der Grundlage der Ressortmeinung zunehmend in die Zwickmühle gerät, bei der Umsetzung von EG-Richtlinien entweder das Grundgesetz (Beispiel UGB I) oder das EG-Recht (Beispiel Artikelgesetz vom 27.07.2001) verletzen zu müssen, dass die Landesumweltminister und insbesondere der Freistaat Bayern, der gemeinhin als Gralshüter des deutschen Föderalismus gilt, die Schaffung eines UGB unterstützten, 180 dass die Bundesregierung ohne viel Aufhebens ihre verfassungsrechtliche Extremposition inzwischen wieder geräumt hat, indem sie eine bundeseinheitliche, den Gewässerschutz mit umfassende Regelung ftir die Registrierung von Unternehmen nach der EMAS-Verordnung in Verbindung mit § 32 UAG mit dem "integrativen Ansatz" der EMAS-Verordnung und der Unmöglichkeit einer sinnvollen medienspezifischen, teils bundes- und teils landesrechtlichen Lösung gerechtfertigt hat (BT-Drs. 14/8231, S. 18), obwohl dieselben Argumente ftir die integrierte Vorhabengenehmigung im Rahmen des UGB I verworfen wurden und in der Sache die Unternehmensregistrierung parallel im IHK-Register und im bereits vorhandenen, landesrechtlich geregelten Wasserbuch hätte erfolgen können. Bei dieser Sachlage erscheint es auf den ersten Blick unerklärlich, weshalb die beiden Bundesministerien die genannte singuläre Interpretation des Art. 75 wählten, das Bundesumweltministerium zum Verzicht auf das UGB-Projekt zwingen konnten und somit die Verwirklichung des in der Koalitionsvereinbarung festgelegten Kodifikationsziels vereitelten. Wer jedoch mit der Funktionsweise der genannten Ressorts ein wenig vertraut ist l81 , wird im Rückblick das Scheitern des UGB unter den in der 14. Legislaturperiode gegebenen politischen Rahmenbedingungen als fast zwangsläufig betrachten.

\79 So: Peine (Fn. 176), S. 426. Folgt man der Ressortauffassung, so wären z.B. verfahrensrechtliche Konzentrationsvorschriften mit Auswirkungen auf den Natur- und Gewässerschutz rechtlich unzulässig und das gesamte Planfeststellungsrecht des Bundes in Frage gestellt. Denn bestehende Konzentrationsregelungen würden nur noch unter dem Schutz des Art. 125 a GG fortgelten und somit al\mählich "versteinern". \80 Siehe zur Haltung der Länder zum UGB: Horst Sendler, Zur Misere der Umsetzung von EG-Umweltschutz-Richtlinien, NJW 2000, S. 2871-2872. \8\ Der Verfasser gehörte jeweils 10 Jahre dem Bundesinnenministerium und dem Bundesumweltministerium an.

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Eberhard Bohne bb) Institutionalisierter Inkrementalismus

Wie allen größeren Organisationen ist den Bundesministerien ein bestimmtes institutionelles Selbstverständnis der Mitarbeiter l82 eigen, das ihr Entscheidungsverhalten beeinflusst. Dieses Selbstverständnis ist nicht in Dienstvorschriften formuliert, es wird nicht in Fortbildungsveranstaltungen vermittelt und auch nicht im dienstlichen Alltag verbalisiert. Vielmehr findet ein Sozialisierungsprozess statt, der überwiegend unbewusst abläuft und in dem die Mitarbeiter lernen, was in der Institution als "gut" und "schlecht" gilt, welches Verhalten zum beruflichen Erfolg oder Misserfolg führt und wie man sich im Normalfall gegenüber anderen Institutionen verhält. In großen Bundesministerien (z.B. BMI, BMJ, BMWi, BMF, AA), die jeweils mit sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zusammenwirken, kann das institutionelle Selbstverständnis auch abteilungsspezifische Besonderheiten aufweisen. Grundlage des institutionellen Selbstverständnisses von Angehörigen der Verfassungsabteilungen im Bundesinnenrninisterium und im Bundesjustizministerium ist eine juristisch geprägte Status quo-Orientierung, für die das geltende Recht die Vermutung der Vernünftigkeit in sich trägt, die rechtlichen Strukturveränderungen im Normalfall mit Ablehnung begegnetund die das institutionelle Interpretationsmonopol für die Verfassung unnachgiebig gegen ressortfremde verfassungsrechtliche Interpretationsversuche verteidigt. Hinzu kommt eine juristische Grundsatzorientierung, die fachliche Probleme im Rahmen der Verfassungsinterpretation möglichst ausklammert und sich auf die dogmatische Stimmigkeit der Interpretationsergebnisse konzentriert. Schließlich verbindet die Angehörigen der Verfassungsabteilung häufig ein gewisses Elitebewusstsein, weil ihnen der Ruf vorauseilt, gute Juristen zu sein. Aus diesem institutionellen Selbstverständnis ergibt sich ein Entscheidungsverhalten, das oft mit argumentativer Überlegenheit und dogmatischer Unnachgiebigkeit verfassungsrechtliche Argumente instrumentalisiert, um missbilligte politische Entwicklungen, insbesondere strukturelle Rechtsänderungen zu blockieren. 183 Dieses Entscheidungsverhalten besteht unabhängig von der jeweili-

182 Dieses Selbstverständnis ist Ausdruck der jeweils bestehenden Organisationskultur; siehe: Georg Schreyögg, Organisation, 3. Aufl., 1999, S. 436 ff. 183 Der Verfasser hat in den Jahren 1978 und 1979 in der Verfassungsabteilung des Bundesinnenministeriums die hohe Kunst dieser Abwehrstrategie erlernt und damals er-

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gen Regierungspartei und soll als "institutionalisierter Inkrementalismus" bezeichnet werden. Dieser institutionalisierte Inkrementalismus ist keineswegs als prinzipiell negativ zu bewerten. Zum einen ist er unvermeidbar, weil er sich - organisationstheoretisch gesprochen - aus dem Bestandsinteresse der Institutionen ergibt. Zum anderen erfüllt er wichtige Systemfunktionen, indem er die Funktionsfahigkeit des politisch-administrativen Systems und betroffener gesellschaftlicher Gruppen vor manchen tagespolitischen Modetorheiten bewahrt. Allerdings verhindert der institutionalisierte Inkrementalismus auch notwendige Strukturreformen, wenn die verantwortlichen Politiker im konkreten Fall nicht gegensteuern. Im Jahr 1989 griffen der damalige Bundesjustizminister Engelhardt und Bundesumweltrninister Töpfer ein, als das Umwelthaftungsgesetz - trotz Ankündigung in der Koalitionsvereinbarung - mit verfassungsrechtlichen Argumenten von der BMJ-Arbeitsebene blockiert wurde. In einem Chefgespräch wurde vereinbart, dass das Bundesjustizministerium weitgehend die vom Bundesumweltrninisterium geforderten Haftungsregeln und das Bundesumweltrninisterium die federführende Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums für das Gesetz akzeptierte. Im Jahr 1995 drohte das Umweltauditgesetz an den verfassungsrechtlichen Einwänden der Verfassungsabteilungen von Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium zu scheitern. Dies konnte nur durch Intervention von Bundesumweltrninisterin Merke! beim Chef des Bundeskanzleramtes und durch das Zusammenwirken von Bundesumweltrninisterium, Bundeswirtschaftsministerium und Bundesinnenministerium auf Staatssekretärsebene verhindert werden. Im Jahr 1999 fehlte dieses politische Gegensteuern gegen den institutionalisierten Inkrementalismus, was zum Scheitern des UGB-Vorhabens beitrug. cc) Ressortinteressen Im Falle des UGB I verband sich der institutionalisierte Inkrementalismus mit handfesten Ressortinteressen des Bundesinnenministeriums. Seit dem Erlass der 9. BIrnSchV vom 18.02.1977 - etwa einen Monat nach dem Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes am 01.01.1977 - war das Umweltverfahrensrecht der Verfassungsabteilung im Bundesinnenministeriums ein Dom im Auge. Denn es stellte den KodifIkationsanspruch des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Frage. Nach der Verlagerung der Umweltabteilung aus dem Bundesinnenministerium in folgreich dazu beigetragen, eine Verschärfung des Ausländer- und Asylrechts zu blockieren.

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das Bundesumweltministerium hat das Bundesinnenministerium zu wiederholten Malen bei den Verhandlungen über Umweltgesetze oder Rechtsbereinigungsgesetze versucht, die 9. BImSchV aufzuheben. Vor diesem Hintergrund musste der Versuch des Bundesumweltministeriums, ein integriertes Genehmigungsverfahren einzufiihren und das zersplitterte Umweltverfahrensrecht in einem Umweltgesetzbuch zu vereinheitlichen, dem Bundesinnenministerium als ein weiterer Schritt in die falsche Richtung erscheinen. Das UGB I wurde als direkter Angriff auf das Verwaltungsverfahrensgesetz begriffen. Nur so ist zu erklären, dass das Bundesinnenministerium 10 Tage nach der Ankündigung eines UGB durch den Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 10.11.1998 einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom 20.11.1998 akzeptierte, in dem der Vorrang des Verwaltungsverfahrensgesetzes vor einem UGB gefordert wurde, 184 dass der für das Verwaltungsverfahrensgesetz zuständige BMI-Referatsleiter 185 sich in einem Fachaufsatz gegen die Kodifizierung des Umweltverfahrensrechts in einem UGB aussprach, obwohl letzteres von der Regierungskoalition gerade vereinbart worden war. dd) Wirtschaftsinteressen Bei dem Scheitern des UGB traten wirtschaftliche Interessenverbände öffentlich nicht besonders in Erscheinung. Immerhin hatten sie gegenüber den früheren Bundesumweltministern Töpfer 186 und Merkel 187 ihre lauwarme Zustimmung zur Kodifikation des Umweltrechts - jedenfalls im Grundsatz - erklärt. Allerdings wurde die integrierte Vorhabengenehmigung von den Verbandsvertretern überwiegend abgelehnt. 188 Man darf daher vermuten, dass die Wirtschaft die Verfassungsressorts über ihre ablehnende Haltung unterrichtet hat und den Verfassungsressorts im Übrigen dankbar war, dass sie für die Wirtschaft die Kastanien aus dem Feuer holten.

184 Siehe: 153. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 20.11.1998 in Bonn, Beschluss zu TOP 12. 18S Schmitz (Fn. 174) 1998, S. 2870. 186 Siehe dazu das stenographische Protokoll des "AueIer Kamingespräch zum Umweltgesetzbuch" am 8.10.1990, Umweltbundesamt (Hrsg.), Berichte 6/91, 1991. 187 Siehe das stenographische Protokoll des politischen Kolloquiums zum Umweltgesetzbuch am 19.10.1995 in Potsdam (Fn. 171). 188 So z.B.: Jürgen Fluck, Vorhabengenehmigung - Stellungnahme aus der Sicht der Unternehmen, in: Eberhard Bohne (Hrsg.), Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 125-138.

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2. Ohnmacht des Bundesumweltministeriums Bedenkt man die umwelt- und gesellschaftspolitische Bedeutung des UGBVorhabens, seine Ankündigung in der Koalitionsvereinbarung und in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers sowie die zwei Jahrzehnte andauernden Vorarbeiten, so fragt es sich, weshalb das Bundesumweltministerium das verfassungsrechtliche Veto von Bundesinneruninisterium und Bundesjustizministerium hinnahm und nicht eine Grundsatzentscheidung des Bundeskabinetts über ein künftiges UGB herbeiftihrte. Die Antwort ergibt sich aus der regierungsstrukturell bedingten Machtlosigkeit des Bundesumweltministeriums. Diese besteht unabhängig von den politisch handelnden Personen und hat ihren Ursprung in der Gründung des Bundesumweltministeriums im Jahre 1986. a) Gründungsmängel In der Öffentlichkeit herrscht die Auffassung, dass der Umweltschutz in Deutschland durch die Gründung des Bundesumweltministeriums politisch gestärkt wurde. Das Gegenteil ist richtig. Der Umweltschutz wurde geschwächt. 189 Diese auf den ersten Blick paradoxe Feststellung wird jedoch verständlich, wenn man die Begleitumstände der Ressortgründung sowie die geringen Machtressourcen des Bundesumweltministeriums und die Funktionsmechanismen zur Durchsetzung von Politik auf Bundesebene betrachtet. Die Gründung des Bundesumweltministeriums war eine politische Reaktion der Kohl-Regierung auf den Atomreaktorunfall von Tschernobyl. Sie sollte der Bevölkerung demonstrieren, dass sich die Bundesregierung in besonderem Maße für die Sicherheit von Kernreaktoren einsetzt, was sich z.B. in der sachlich irreführenden Aufnahme des Wortes "Reaktorsicherheit" in den Namen des Ministeriums niederschlug. So besaß die nukleare Entsorgung natürlich den gleichen politischen Stellenwert wie die Reaktorsicherheit. Darüber hinaus wurde Wallmann, der CDU-Kandidat fur den Posten des hessischen Ministerpräsidenten, zum ersten Bundesumweltminister ernannt, um ihm rd. 10 Monate vor der hessischen Landtagswahl eine bundespolitische Handlungsplattform zu geben und damit die Wahlchancen der CDU in Hessen zu verbessern. Dieses politische Kalkül ging auf. Wallmann wurde Wahlsieger, trat im Frühjahr 1987 als Bundesumweltminister zurück und ging nach Hessen. Für die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Bundesumweltministeriums, in dem die Mitarbeiter aus drei Bundesministerien (Innen, Landwirtschaft und Gesundheit) mit unterschiedlichen institutionellen Selbstverständnissen zu189 Siehe dazu die Befragungsergebnisse im Bundesumweltministerium von Heinrich Pehle, Das Bundesministerium flir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ausgegrenzt statt integriert?, 1998, S. 50 ff.

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sammentrafen und in dem eine neue Zentralabteilung (Personal, Haushalt, Organisation) aufgebaut werden musste, hatte das wahltaktische Manöver kurzund langfristig fatale Folgen. Der auf Bundesebene unerfahrene und zunehmend vom hessischen Wahlkampf absorbierte Wallmann mit seiner aus Hessen mitgebrachten ministeriellen Führungsriege musste mehr oder weniger hilflos zusehen, sofern er es überhaupt merkte, wie die etablierten Ministerien und das Bundeskanzleramt in der Gründungsphase leistungsschwache, oft ältere Mitarbeiter in das Bundesumweltrninisterium abschoben und das Bundesinnenministerium leistungsstarke, jüngere Mitarbeiter aus dem Bundesumweltrninisterium abwarb. Zugleich wurde das Bundesumweltrninisterium auf fünf Standorte in Bonn verteilt. Unter den personellen und organisatorischen Fehlern und Versäumnissen der Gründungsphase hat das Bundesumweltrninisterium bis heute zu leiden. Nicht zuletzt geriet das Bundesumweltrninisterium durch diese Mängel in eine schwache Ausgangsposition, als es in der "Hackordnung" der Ministerien seine Position suchen musste.

b) Strukturelle Mängel Schwerwiegender als diese Geburtsfehler, weil ohne Reorganisation der Bundesregierung nicht korrigierbar, ist die durch die Aufgabenstruktur bedingte, politische Schwäche des Bundesumweltrninisteriums. Die Handlungsinstrumente der Bundesministerien sind im Wesentlichen die Vorbereitung von Gesetzen und der Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften (Rechtsetzung), der Einsatz von Geld (z.B. Subventionen, Beschaffungsmaßnahmen etc.) und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung (moral suasion). Im Unterschied zu den Landesministerien verfUgen die Bundesministerien nach dem Grundgesetz nur in wenigen Ausnahmefällen (z.B. Wehr-, Verkehrsbereich) über Zuständigkeiten im Vollzug von Rechtsvorschriften und politischen Programmen. Je fachspezifischer der Aufgabenbereich eines Ministeriums ist, umso begrenzter sind seine rechtlichen und finanziellen Mittel sowie der Bereich der beeinfluss baren öffentlichen Meinung. Dementsprechend gering ist im Normalfall die politische Verhandlungsmacht des Ministeriums gegenüber anderen Ressorts sowie gegenüber Ländern, Kommunen und gesellschaftlichen Akteuren. Der Aufgabenbereich des Bundesumweltministeriums ist fachlich eng begrenzt auf die Umweltmedien Luft, Wasser, Boden, Naturschutz, Strahlenschutz, Abfall und Industriechemikalien. Aber selbst in diesen Bereichen liegen zahlreiche Zuständigkeiten bei anderen Ministerien (z.B. der Verkehrswegebau, Gentechnik etc.).

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Hinzu kommt, dass die Aufgaben des Bundesumweltministeriums darin bestehen, durch Rechtsvorschriften und andere Maßnahmen die Aktivitäten anderer staatlicher und gesellschaftlicher Akteure zum Schutz der Umwelt einzuschränken oder mit besonderen Verhaltenspflichten zu belasten. Das Bundesumweltministerium ist also stets ein Bittsteller und kann - im Unterschied zu anderen Bundesministerien - den Ländern, Kommunen und gesellschaftlichen Akteuren keine Vorteile verschaffen. 19o Demzufolge stehen hinter dem Bundesumweltministerium auch keine durchsetzungskräftigen und einflussreichen Interessengruppen als politische Verbündete. Die Umweltorganisationen sind hierzulande l91 im politischen Alltagsgeschäft unter dem Gesichtspunkt der Machterhaltung und Machtausübung nur von untergeordneter Bedeutung. Alles in allem folgt aus der Aufgabenstruktur des Bundesumweltministeriums und den Besonderheiten des Politikfeldes Umweltschutz, dass die politische Verhandlungsmacht des Bundesumweltministeriums im Vergleich zu der von BMI, BMJ, BMWi, BMF, BMVBW und anderen Ressorts mit breitem Aufgabenspektrum im Normalfall gering und auf Fachfragen beschränkt ist. Ausnahmefälle wie der Kernenergieausstieg, der eine Existenzvoraussetzung der rot-grünen Bundesregierung darstellte, oder Unfallsituationen und Umweltkrisen (z.B. das Waldsterben in den 1980er Jahren) bestätigen nur den Regelfall der politischen Einflusslosigkeit des Bundesumweltministeriums. Die strukturbedingte politische Schwäche des Bundesumweltministeriums wurde in den Anfangsjahren des Ministeriums von Bundesminister Töpfer mit seiner Fachkompetenz und seinen kommunikativen Fähigkeiten beim Umgang mit den Informationsmedien überspielt und teilweise kompensiert (z.B. beim UVP-Gesetz von 1990). Auch der Nachfolgerin Merkel gelang es, aufgrund ihrer Nähe zum Bundeskanzleramt strukturbedingte Schwächen punktuell auszugleichen (z.B. beim Umweltauditgesetz von 1995). Bei der umweltpolitischen Richtungsbestimmung fallen die Entscheidungen seit Beginn der 1990er Jahre jedoch meist nicht im Bundesumweltministerium, sondern im Bundeskanzleramt, zeitweise im Bundeswirtschaftsministerium und in anderen "klassischen" Ressorts, soweit sie betroffen sind. Dies wurde überdeutlich bei der Beschleunigungsgesetzgebung in den 1990er Jahren, als das Bundesumweltministerium de facto zu einer weisungsabhängigen "nachgeordneten Behörde" abgestuft wurde, die ihre Weisungen vom Bundeskanzleramt und dem damaligen BMWi-Staatssekretär Ludewig erhielt.

190 Die Umweltindustrie profitiert zwar von den rechtlichen Umweltschutzanforderungen des Bundesumweltministeriums; sie ist jedoch zu heterogen, um ein wirksamer Verbündeter des Bundesumweltministeriums zu sein. 191 In den USA sind Umweltorganisationen politisch wesentlich einflussreicher als in Deutschland.

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Eine ähnliche Situation lag bei der Entscheidung über das UGB-Vorhaben im Jahr 1999 vor. Wegen der richtungsbestimmenden und potentiell weitreichenden rechtspolitischen Bedeutung des UGB wurde das Bundesumweltrninisterium von den Verfassungsressorts abgeblockt. Demgegenüber verfUgte der Umweltschutz im Bundesinnenministerium über wesentlich mehr politischen Einfluss als später im BundesumweltrninisteriUm. I92 Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte das Bundesinnenministerium die Verfassungswidrigkeit des UGB-Vorhabens nicht vertreten, wenn der Umweltschutz dort ressortiert hätte. Diese Einschätzung lässt sich mit einem früheren, dem UGB-Projekt vergleichbaren Gesetzesvorhaben belegen. Nachdem die Sachverständigenkommission "StaatszielbestimmungenlGesetzgebungsaufträge" in ihrem Bericht vom September 1983 u.a. die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer staatlichen Bestimmung "Umweltschutz" festgestellt hatte, versuchten die Verfassungsabteilungen von Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium in einer gemeinsamen Kabinettsvorlage, die Bundesregierung durch Kabinettsentscheidung bis auf weiteres auf die Ablehnung einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung festzulegen. Da die Umweltabteilung im Bundesinnenministerium die Mitzeichnung der Kabinettsvorlage verweigerte 193, kam es nicht zu dieser umweltpolitisch nachteiligen Entscheidung des Bundeskabinetts. Dies bewahrte die Kohl-Regierung vor dem Dilemma, bei der Ankündigung der Staatszielbestimmung Umweltschutz in der Regierungserklärung am 18.03.1987 rechtfertigen zu müssen, weshalb sie noch drei Jahre vorher die entgegengesetzte Entscheidung getroffen hatte. Im Falle des UGB-Vorhabens ist es mehr als unwahrscheinlich, dass es überhaupt zu dieser Zuspitzung der Entscheidungssituation gekommen wäre. Heute dürfte feststehen, dass die Ausgliederung des Umweltschutzes aus dem Bundesinnenministerium fachlich und umweltpolitisch ein schwerer Fehler war. Im Kern hat sie lediglich zur Vermehrung von Beamtenstellen und politischen Ämtern beigetragen. Wie eine umweltpolitische Neuorganisation der Bundesregierung aussehen könnte, ist hier nicht zu erörtern. Fest steht jedoch, dass die Kodifikation des Umweltrechts mit den bestehenden Regierungsstrukturen nicht zu bewältigen ist.

192 Zu den Gründen siehe: Günter Hartkopf/Eberhard Bohne, Umweltpolitik 1, 1983, S. 149; Edda Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 2. Aufl., 1995, S. 535 ff. 193 Schreiben des Umweltabteilungsleiters im Bundesinnenministerium vom 21.11.1983 (U I 3 - 500 100/2) an den Verfassungsabteilungsleiter sowie Referatsschreiben der Umweltabteilung von 12.7.1984 (U I 3 - 500 100/2).

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3. Ständestaatliche Strukturen Die Neuorganisation des Umweltschutzes in der Bundesregierung ist nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung fiir die Kodifikation des Umweltrechts und die Rückgewinnung gestalterischer Funktionen fiir die Umweltpolitik. Eine weitere notwendige Bedingung zur Erreichung dieser Zwecke ist eine organisatorische Neugestaltung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Umweltschutz. Denn ohne die Länder, die nach dem Grundgesetz fiir den Vollzug der Umweltgesetze des Bundes zuständig sind, läuft nichts in der Umweltpolitik des Bundes. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Umweltschutz erfolgt auf drei Ebenen: Arbeitsebene: Länderausschuss fiir Immissionsschutz (LAI), Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA), Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA), Länderarbeitsgemeinschaft fiir Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA), Länderausschuss fiir Atomkernenergie (LAA), Bund-lLänder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz (LABO), Bund-lLänderAusschuss Chemikaliensicherheit (BLAC) sowie verschiedene Bund-lLänderarbeitskreise fiir Spezialfragen, Staatssekretärsebene: Amtschefkonferenz (ACK), Ministerebene: Umweltrninisterkonferenz (UMK). Die bestehende Gremienstruktur ist überwiegend medial und sektoral. Von Spezialfragen abgesehen (z.B. Verkehr, Energie, Nachhaltigkeit), gibt es kein Gremium fiir allgemeine medienübergreifende und europäische Umweltfragen. Die bestehenden Ausschüsse, Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise tragen in ihrer fachlichen Selbstisolierung ständestaatliche Züge. 194 Verschiedene Versuche, einen Bund-/Länderarbeitskreis "Fachübergreifendes Umweltrecht" auf Dauer einzusetzen, scheiterten im Jahr 1992 am Widerstand einiger Bundesländer, die einen Machtzuwachs des damals CDUgeführten Bundesumweltministeriums befiirchteten. Lediglich ein informeller Bund-lLänderarbeitskreis "UVP" fristet seitdem ein kümmerliches Schattendasein. Der Arbeitskreis darf keine Beschlüsse fassen, keine Vorschläge vor die ACKlUMK bringen und wird nicht einmal auf der Homepage der Umweltrninisterkonferenz erwähnt. 195 Er dient allein dem Informationsaustausch der Fachleute. 194 Siehe: Eberhard Bohne, Das Umweltrecht - ein irregulare aliquod corpus et monstro simile", in: Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 181-233, 194 fr. 195 Siehe: http://www.umweltministerkonferenz.de/start.php. 13 Bohne

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Medien- und sektorübergreifende Gesetzesvorhaben wie die Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie, die Schaffung der Vollzugsvoraussetzungen für die EMAS-Verordnung und das UGB I können daher nur auf ad hocZusammenkünften von Bundes- und Landesumweltministerien erörtert werden. Das Fehlen einer festen Entscheidungsstruktur fiir medien- und sektorübergreifende Umweltfragen ist ein Anachronismus angesichts der seit Mitte der 1990er Jahre gegenläufigen Entwicklung des EG-Umweltrechts. Das Fehlen von Querschnittsstrukturen im Bund-/Länderverhältnis spiegelt zugleich Defizite in der Organisationsstruktur der Länderumweltrninisterien wider. Auch dort sind - von Einzelflillen abgesehen - keine funktionstüchtigen Organisationseinheiten fiir medien- und sektorübergreifende Fragen vorhanden. So ergab sich bei der Erarbeitung der Allgemeinen UVP-Verwaltungsvorschrift vom 18.09.1995 die groteske Situation, dass die Fachabteilungen der Umweltministerien in den einzelnen Bundesländern sich intern nicht auf einheitliche Positionen ihres Landes zum Entwurf der UVP-Verwaltungsvorschrift einigen konnten. Daher mussten 16 Länderstaatssekretäre und der Staatssekretär im Bundesumweltministerium in zwei Klausurtagungen persönlich Satz rur Satz der Verwaltungs vorschrift aushandeln. 196 Die Reaktion der Mehrheit der Landesumweltministerien auf diese Situation trug tragik-komische Züge. Das Mandat des befristet eingesetzten Bund-/Länderarbeitskreises "Fachübergreifendes Umweltrecht" wurde nicht verlängert. Denn seine Mitglieder, die in den einzelnen Länderrninisterien die medien- und sektorübergreifenden Probleme der UVP artikuliert und zur Entscheidung gestellt hatten, galten als "trouble-makers". Die entsprechenden Querschnittseinheiten in den Umweltministerien wurden daher aufgelöst oder personell "ausgedünnt". Die "Boten" der europäischen Rechtsentwicklung in den Länderumweltministerien wurden also - bildhaft gesprochen - "hingerichtet" wie weiland die Boten des persischen Großkönigs Xerxes, als sie dem Herrscher die Nachricht von der Niederlage seiner Flotte bei Salamis überbrachten. Wie sich der Großkönig von der verlorenen Seeschlacht nicht mehr erholte, so erholten sich die Landesumweltministerien nicht von der Zerschlagung ihrer Querschnittsstrukturen. Seitdem gilt auch in den Ländern: Still muddling, not yet through.

196 Der Entscheidungsprozess wird beschrieben von Eberhard Bohne, Entscheidungsprozesse in der Schnittstelle von Technik, Verwaltung und Politik: Der Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung, in: Hans Hermann Hartwich (Hrsg.), Entscheidungsprozesse im Spannungsverhältnis TechnikGesellschaft-Politik, VDI-Report 25,1996, S. 37-56,41 ff.

Muddling-Through im Umweltrecht

195

IV. Fazit Die Botschaft der Analyse ist, dass die deutsche Umweltpolitik insbesondere im Bereich des Anlagenrechts im Begriff ist, konzeptionell den Anschluss an die europäische Rechtsentwicklung zu verlieren, an teilweise überholten Rechtsstrukturen festhält und sich damit andauernd in einer Risikozone der EG-Rechtswidrigkeit bewegt, seit Mitte der 1980er Jahre strukturell auf Bundes- und Länderebene so geschwächt wurde, dass sie - wie das Scheitern des UGB zeigt - zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen-gesellschaftlichen Entwicklung in den bestehenden Regierungsstrukturen nicht mehr in der Lage ist. Der Einfluss der Umweltpolitik beschränkt sich auf fachliche Detailfragen, internationale Repräsentation und die Unterhaltung der Öffentlichkeit. Die Umweltpolitik ist dabei, zu einer Art ,,spaßpolitik" zu werden, was allerdings angesichts der ökologischen Probleme - keineswegs spaßig ist.

Diskussion zu dem Referat von Eberhard Bohne Bericht: Sabine Frenzel" Petek betonte, dass es Auffassungsunterschiede in den einzelnen Ländern gebe, was unter einem "integrativen Ansatz" zu verstehen sei. Gerade in Deutschland und Österreich sei die Diskussion dazu sehr theoretisch. Andere Länder verfolgten dagegen mehr den "common sense approach". Eine österreichische Studie zur lVU auf der lokalen Ebene zeige, dass oft eine Berücksichtigung einzelner Medien in den Entscheidungen fehle. Es sei versucht worden, eine Methodik mit Instrumenten und Matrizen zu entwickeln, die die kritischen Punkte herausfinden sollte. Die Befürchtung beim integrativen Ansatz sei doch, dass immer eine umfassende Untersuchung zu erfolgen habe. Daher sollte ein rasches Prüfverfahren entwickelt werden, das die Konfliktpotentiale deutlich mache. Oftmals werde die medienübergreifende Betrachtung schon intuitiv vorgenommen, nun aber müsse sie auch rationalisiert werden. Generell sollten dabei die regionalen und lokalen Behörde mit einbezogen werden. Bohne stimmte dem Befund zu. Ferner bekräftigte er seine Auffassung, dass lVU und UVP zusammengefiihrt werden sollten, da beide eine medienübergreifende Bewertung verlangten. Dann könne die Anzahl der Vorhaben in Spalte I der 4. BIrnschVO reduziert werden, und eine Öffentlichkeitsbeteiligung brauche nur noch bei lVU-Anlagen durchgeführt werden. Die restlichen Vorhaben könnten in Spalte 11 der 4. BlrnschVO aufgenommen oder ganz aus der Genehrnigungspflicht genommen werden. Schließlich sei eine Weiterentwicklung der Bewertungsmethodik erforderlich. Es sei in keinem Land erkennbar gewesen, dass ein System entwickelt worden sei, um eine inhaltlich medienübergreifende Bewertung durchzufiihren. Sie werde vielmehr nur rein verfahrensmäßig vorgenommen. Wenn aber der Verwaltung keine materiellen Bewertungsregelungen an die Hand gegeben würden, geschähe auch bald keine intuitiv medienübergreifende Betrachtung mehr.

" Die Diskussion bezieht sich auf den Sachstand im Zeitpunkt des 1. Speyerer Forums zum Umweltgesetzbuch am 21.122.10.1999.

Zweiter Teil Anreizinstrumente im Rahmen eines Umweltgesetzbuches

Umweltaudit und Anlagengenehmigung Von Hellrnut Wagner

I. Einleitung Die Anlagengenehmigung als Werkzeug direkter Verhaltens steuerung ist das klassische Instrument administrativer Kontrolle in Form einer "Eröffnungskontrolle" mit Hilfe eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt in Erfüllung eines mehr oder minder klar umrissenen Normenprogramms. Ziel des Umweltaudits (EMAS) ist eine kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes auf dem Boden der Einhaltung des Umweltordnungsrechts mit Hilfe eines standortbezogenen Umweltmanagementsysterns als Kernstück. Das Umweltaudit ist ein Instrument indirekter Verhaltenssteuerung. I Diese beiden Begriffe bedeuten zwei Welten mit jeweils wesentlichen Strukturunterschieden und Gestaltungsräumen. Ein engerer Zusammenhang zwischen Umweltaudit und Anlagengenehmigung ist in der Literatur nicht vertieft behandelt worden. 2 Werden aber beide Instrumente in einem Atemzuge genannt, so wird eine Verknüpfungsmöglichkeit geleugnet. 3 In der Gesetzes- und Verordnungsgebung wird ein nur loser äußerlicher Zusammenhang hergestellt, wenn etwa nach § 4 Abs. 1 Satz 2 der 9. BIrnSchV bei Vorlage der Antragsunterlagen zu berücksichtigen ist, ob die Anlage Teil eines EMAS-Standortes ist. Die Bundesregierung hat gelegentlich Prüfung zugesagt, inwieweit auditierten

I Bei meinen Ausftihrungen greife ich - vor allem was den empirischen Befund angeht - im erheblichen Umfang zurück auf eine Studie von Eberhard Bohne/Hel/mut Wagner ftir das Umweltbundesamt "Öko-Audit und Deregulierung im innerstaatlichen Recht auf Gesetzes- und Vollzugsebene" nach der Verordnung EWG 1836/93 (Forschungsbericht 29718086 im Auftrag des Bundesamtes, August 1999) - im Folgenden "Bericht" genannt. 2 In Ansätzen: Gerhard Feldhaus, Umweltaudit und Entlastungschancen im Vollzug des Immissionsschutzrechts, UPR 1997, S. 341,343 f.; Klaus Hansmann, Umwe1taudit: Verhältnis der Eigenüberwachung zur behördlichen Kontrolle, in: Hans-Werner Rengeling (Hrsg.), Integrierter und betrieblicher Umweltschutz, 1996, S. 207 ff., 210 f. 3 Besonders intensiv von Gertrude Lübbe-WoljJ, Instrumente des Umweltrechts Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen, NVwZ 2001, S. 481, 483, 491; dies., Ökoaudit und Deregulierung, ZUR 1996, S. 173.

202

Hellrnut Wagner

Unternehmen im Rahmen von Genehmigungsverfahren ordnungsrechtliche Erleichterungen gewährt werden können, 4 hat aber daraus keine Konsequenzen gezogen.

11. Struktur von Umweltaudit und Anlagengenehmigung 1. Strukturunterschiede

Beide Instrumente kennzeichnen wesentliche Strukturunterschiede: Das Umweltaudit ist eine Instrument indirekter Steuerung und Selbststeuerung (Binnensteuerung); die Anlagengenehmigung ein solches direkter Steuerung und Fremdsteuerung (Außensteuerung). Beide Instrumente, die Anlagengenehmigung als Element des Ordnungsrechts und EMAS als "Anreizsystem" stehen in ihren Regelungsformen und Regelungsstrukturen wie auch in ihren Steuerungselementen selbständig nebeneinander. Beide Systeme unterscheiden sich daher prinzipiell auch in ihren Wirkungsmechanismen wie sich der nachfolgenden Abbildung 1 entnehmen lässt. S EMAS steuert im Zusammenwirken mit ordnungsrechtlichen Vorgaben das betriebliche Verhalten. Anlagengenehmigung und Umweltaudit-System streben auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Mitteln die gleichen Ziele an, nämlich die Betriebe anzuhalten, die umweltrechtlichen Anforderungen zu erfüllen und den Umweltschutz zu verbessern.

4 So beispielsweise in einer Antwort vom 24.9.1997, Bundestagsdrucksache 13/8582, S. 5, auf eine kleine Anfrage. S Einzelheiten dazu: Bericht (Fn. I), S. 60, 62 ff.

Umweltaudit und Anlagengenehmigung

203

Tabelle I Regelungsstruktur von Ordnungsrecht (Anlagengenehmigung) im Vergleich zum Umweltaudit Merkmale der Regelungsstruktur von im Vergleich Ordnungsrecht I. Direkte Steuerung I. 2. Fremdsteuerung (Außensteuerung) 2. 3. 3. (Überwiegend) medialer Ansatz

5. Mehr Präventivkontrolle 6. Statische Grundstruktur I bedingte

4. Anlage- oder tätigkeitsbezogen

4. 5. 6.

7. StufenfOrmig wirkend

7.

Dynamik (="Linear-Dynamik")

8. Normerfüllungsorientiert 9. Technikorientiert ( "Stand der Technik") 10. Bestrafungseffekt 11. Managementneutralität (mit Ausnahmen)

8. 9. 10. 11.

zum Umweltaudit Indirekte Steuerung Selbststeuerung (Binnensteuerung) Integrativer Ansatz (stärker produkt-, prozess- und verfahrensbezogen) Standort- und organisationenbezogen Nachgehende (Eigen-) Kontrolle Dynamische Grundstruktur (=,,3DDynamik": Mensch - Technik - Organisation) Stufenloses Regelungssystem Erfolgsorientiert Organisationsorientiert ("Umweltmanagementsystem") Belohnungseffekt Integriertes Managementsystem (Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz; Personal-, Qualitätsmanagement)

2. Strukturelle Gemeinsamkeiten Die prinzipiellen Unterschiede zwischen Anlagengenehmigung als Instrument des Ordnungsrechts und EMAS schließen eine partielle Übereinstimmung in den Steuerungsmechanismen nicht aus. So gibt es Regelungsbereiche, in denen sichbeide System überlagern und EMAS die Ansätze indirekter Steuerung im Ordnungsrecht verstärkt (zum Beispiel in der betrieblichen Organisation und in der Beteiligung der Öffentlichkeit). Felder einer solchen Verzahnung sind der Abbildung 2 zu entnehmen. Umgekehrt ist die Einhaltung des Ordnungsrechts in den Formen umweltrechtlicher Anforderungen Teil und gleichzeitig Ziel des Steuerungsmechanismus beider Systeme. 6

6

Einzelheiten dazu: Bericht (Fn. I), S. 74 ff.

204

Hellmut Wagner Tabelle 2

Felder der Verzahnung von Ordnungsrecht und Umweltaudit Felder der Verzahnung von und Ordnunesrecht Umweltaudit Einhaltung umweltrechtlicher VorI. Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften schriften Beauftragtenwesen 2. Umweltrnanagementsystem Eigenüberwachung (in ausgewählten 3. Eigenüberwachung (flächendeckend) Bereichen) Einsatz von privaten Dritten 4. Einsatz von privaten Dritten (punktuell) (essentiell) Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfah- 5. Öffentlichkeitsbeteiligung durch Information ren

I.

2. 3. 4.

5.

111. Die umweltschutzfördernde Verknüpfung beider Instrumente Es lohnt sich zu versuchen, beide Instrumente im Interesse des Umweltschutzes zu verzahnen. 1. Die Annäherung vom Audit her

Das im Rahmen des Umweltaudits zu schaffende Umweltmanagementsystem umfasst auch die Anlagenplanung. So prüfen die Umweltgutachter auch die umweltrechtlichen Anforderungen an die Anlagenplanung zumindest stichprobenartig in vielen Fällen. 7 Außerdem prüfen die Umweltgutachter bei der Validierung die Einhaltung der umwe1trechtlichen Anforderungen an die Genehmigungspflicht vollständig oder stichprobenartig zu fast 100% und die Genehmigungsbescheide vollständig oder stichprobenartig zu über 95%.8 Dieser Befund zeigt Verbindungslinien auf, die genutzt werden sollten. 2. Die Annäherung vom Anlagenrecht her Flexibilisierungs- und Dynamisierungselemente in der neueren Entwicklung des allgemeinen und des besonderen Verwaltungsrechts erleichtern die Annäherung von Anlagengenehmigung und Umweltaudit. Der integrative Ansatz ist fiir das Umweltaudit konstitutiv. Über die IVURichtlinie und ihre Umsetzung in nationales Recht durch das sog. Artikelge7 8

Dazu Bericht (Fn. 1), S. 118 f. Dazu Bericht (Fn. 1), S. 118.

Umweltaudit und Anlagengenehmigung

205

setz9 fließen fonnelle und materielle Ansätze integrativer Betrachtung in das Recht der Anlagengenehmigung. \0 Das vom Ordnungsrecht vorgeschriebene Beauftragtenwesen ll zeigt in Ansätzen Elemente des Umweltrnanagementsystems, wie es im EMAS vorgesehen ist. Die Regelung über die Beauftragten nach Ordnungsrecht erleichtert die Ankopplung der Anlagengenehmigung als Teil des ordnungsrechtlichen Systems an das System des Umweltaudit; dies trägt zur Verträglichkeit beider prinzipiell nebeneinander stehenden System bei in dem Sinne, dass Elemente der Fremdsteuerung und Elemente der Selbststeuerung über das Beauftragtenwesen zwanglos ineinander greifen können.

IV. Empirische Untersuchungsergebnisse Im Folgenden wird auf einige ausgewählte Ergebnisse der empirischen Untersuchung zur Umsetzung von EMAS in der Praxis hingewiesen. 1. Ausgewählte Themenbereiche

a) Vollzugshemmnisse des Ordnungsrechts

Schwächen des ordnungsbehördlichen Steuerungssystems sind bekannt und auch in der Literatur ausreichend gut beschrieben. 12 Die höchste Steuerungswirksamkeit des Ordnungsrechts liegt in den Zulassungsverfahren für umweltrelevante Anlagen; insofern kommt der Anlagengenehmigung eine beträchtliche Bedeutung zu. Das Genehmigungsverfahren insgesamt verliert aber an Steuerungswirksamkeit dadurch, dass die Zahl der Genehmigungen insgesamt und vor allem die Zahl der Neugenehmigungen zurückgeht, also in einem Bereich, in dem das Ordnungsrecht am effizientesten ist. Inzwischen betreffen etwa 80 bis 90% aller Genehmigungsverfahren Anlagenänderungen. Eine wirkungsvolle Anlagenüberwachung ist sehr eingeschränkt. Die Regelüberwachung ist zur Ausnahme geworden und die Anlassüberwachung ist die Regel. 13 9 Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27.7.2001 (BGB!. I. S. 1950) im folgenden Artikelgesetz. 10 Beispiel dafür sind: Art. 1 a.E., Art. 2 Nr. 2, Art. 7, Art. 9 Abs. 1,3,4,8, Art. 10. 11 Z. B. § 52 a BlmSchG und Bericht S. 78 f. 12 Bericht (Fn. I), S. 85 fT., 102 f. m. N. 13 Dazu Bericht (Fn. I), S. 85, 102 f.

206

Hellmut Wagner

b) Die Teilnehmerzahlen und ihre Entwicklung

Ab September 1995 hat die Gesamtteilnehmerzahl mehr oder weniger stetig zugenommen; der höchste monatliche "Zugewinn" an Teilnehmern war mit 117 im April 1998 zu verzeichnen (bei einer Gesamtzahl an Teilnehmern bis dahin von 1.366). Bereits im letzten Quartal 1998 flachte sich der Trend ab. Seit Januar 1999 stehen den neuen Teilnehmern "Aussteiger" aus dem EMAS-System gegenüber, die vor allem im letzten Quartal des Jahres 2000 zu einer starken Abflachung der Zuwachsrate geführt haben. Ende Dezember 2001 war die Zahl der registrierten EMAS-Standorte erstmalig rückläufig (2662 gegenüber 2674 Ende September 2001). c) Das Umweltmanagementsystem (Aujbau-/Ablauforganisation)

Die Unternehmen haben eine Verbesserung der Betriebsorganisation seit Einfiihrung von EMAS festgestellt; 14 diese Verbesserung wurde teilweise schon darin gesehen, dass die bestehenden Strukturen und Abläufe systematisch erfasst und dokumentiert wurden. Nach Aussagen der Unternehmen in der schriftlichen Befragung führt EMAS eindeutig zu Verbesserungen der Aufbauorganisation. 87% der Befragten antworteten auf die Frage, ob sich die Aufbauorganisation seit der Einführung von EMAS verbessert habe entweder mit "trifft eher zu" oder mit "trifft voll und ganz zu". Bei der gleichen Frage nach der Ablauforganisation antworteten 90% der Befragten mit "trifft eher zu" oder mit "trifft voll und ganz zu". Ebenso positiv äußerten sich die Umweltgutachter. Die Aufbauorganisation hat sich nach Meinung von 96% der Umweltgutachter und die Ablauforganisation nach Meinung von 95% der Umweltgutachter verbessert. Das ist eine gute Voraussetzung für eine kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes. d) Prüfung der umweltrechtlichen Anforderungen durch den Umweltgutachter

In Bezug auf die ordnungsrechtlichen Anforderungen zur Betriebsorganisation geben 84% der Umweltgutachter eine "vollständige" Prüfung an. Sehr dicht ist die Prüfung auch bei der Anzeige-/Genehrnigungspflicht (60%: vollständige Prüfung; fast 40% stichprobenweise Prüfung). Am geringsten ist die Prüfungsintensität bei den umweltrechtlichen Anforderungen an die Anlagenplanung; gleichwohl prüfen aber auch hier 84% die Anforderungen zumindest stichprobenartig. Alle in den Interviews gefragten Umweltgutachter sahen es grundsätzlich als ihre Aufgabe an, die Einhaltung umweltrechtlicher Vorschrif14

Dazu Bericht (Fn. I), S. 111, 123, 189 f., 19 \.

Umweltaudit und Anlagengenehmigung

207

ten am Standort zu überprüfen. Der Umweltgutachter selbst prüft zumindest stichprobenartig die tatsächliche Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften. 15 e) Einfachere Einhaltung von Umweltrecht

Zur formalen Zielsetzung EMAS-gestützter Steuerung gehört "die Einhaltung aller einschlägigen Umweltvorschriften" durch die teilnehmenden Betriebe. 61 % der Befragten aus dem Bereich der Unternehmen bestätigten - wenngleich überwiegend mit Einschränkungen -, dass die Einhaltung des Umweltrechts seit der Einfiihrung von EMAS im Betrieb einfacher geworden ist. Diese Auffassung vertraten rund 72% der antwortenden Umweltgutachter. Bemerkenswert dabei ist, dass die Aussagen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) einerseits und großen Unternehmen andererseits keine nennenswerten Unterschiede aufweisen. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass EMAS die organisatorischen Voraussetzungen fiir rechtskonformes Verhalten in den Betrieben verbessert. Die durch EMAS bewirkten Verbesserungen bei der Lösung betrieblicher Bestandsprobleme stärken die Steuerungswirksamkeit von EMAS bei der Einhaltung des Umweltrechts. Das heißt: Unternehmen, die Verbesserungen im Bereich von Umfeldanpassung, betrieblicher Integration und RessourceneffIzienz angeben, bestätigen im Allgemeinen auch, dass sich die Einhaltung des Umweltrechts seit der Einfiihrung von EMAS vereinfacht hat. 16 f) Verbesserung der RessourcenejJizienz 17

Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass nach Auffassung von 95% der Unternehmen EMAS zur kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes beigetragen hat. In diesem hohen Zustimmungs grad dürfte sich die Wirkungsdynamik wiederspiegeln, welche das Gesamtsystem MenschTechnik-Organisation umfasst. Noch größer ist Zustimmung der Umweltgutachter zu den EffIzienzgewinnen von EMAS. Mit einer Ausnahme bestehen keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Aussagen von KMUs und großen Betrieben: Große Betriebe (72%) geben häufiger Kosteneinsparungen aufgrund von EMAS an als KMU (58%). Dieses Ergebnis überrascht nicht, weil in großen Betrieben wegen der Kostendegression großer Anlagen mehr Einsparpotentiale bestehen als in KMU.

15 16 17

Dazu Bericht (Fn. I), S. 117 f. Dazu Bericht (Fn. I), S. 187 f., 198 f. Dazu Bericht (Fn. I), S. 196 fr.

208

Hellrnut Wagner

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass EMAS im erheblichen Umfang und weitgehend unabhängig von der Betriebsgröße zu einem effIzienterem Umgang mit knappen ökologischen und finanziellen Ressourcen beiträgt. Diese Ergebnisse stimmen in bemerkenswertem Umfang mit den Ergebnissen anderer empirischer Studien oder Umfragen überein. 18

2. Folgerungen aus dem empirischen Befund a) ZweckerjUllung von EMAS

EMAS hat bei aller notwendigen Kritik im Einzelnen sehr positive Auswirkungen erkennen lassen, soweit es um die Erreichung der Ziele von EMAS geht, nämlich um die Einhaltung umweltrechtlicher Anforderungen am Standort (in gleicher Weise oder besser als Betriebe, die nicht an EMAS teilnehmen) und eine kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes. Dieses Ergebnis wird auch von staatlicher Seite anerkannt. 19 In der Neufassung der UmweltauditV0 20 bleibt die Einhaltung des geltenden Umweltrechts eine essentielle Voraussetzung für eine Registrierung. Zusätzlich zu den allgemeinen Anforderungen kommt der Einhaltung von Rechtsvorschriften eine besondere Bedeutung zu (Erwägungsgrund Nr. 17 EMAS 11). Die Überprüfung dieser Rechtskonformität wird verstärkt: die Organisationen müssen nachweisen können, dass sie alle relevanten Umweltvorschriften ermittelt haben und für deren Einhaltung sorgen (Anh. I B. 1. Buchstabe a und b). Der Umweltgutachter muss die Validierung untersagen, solange er über den Ver-

18 Hessisches Ministerium for Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit (Hrsg.), Fachwissenschaftliehe Bewertung des EMAS-Systems (Öko-Audit) in Hessen, erstellt durch ERM Lahmeyer International/Institut for Ökologische Wirtschaftsforschung/Klaus Heuvels/Eckard Rehbinder, 1998; Umweltbundesamt (Hrsg.), EGUmweltaudit in Deutschland. Erfahrungsbericht 1995 - 1998, 1999; Unternehmerinstitut UNI der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) e. v., Öko-Audit in der mittelständischen Praxis - Evaluierung und Ansätze für eine Effizienzsteigerung von Umweltmanagementsystemen in der Praxis, 1997, Ms. 19 So sehr deutlich der Beschluss der Umweltministerkonferenz am 27.128.10.1999 zu TOP 7 der Tagesordnung: "Die UMK stellt fest, dass sich das Öko-Audit bewährt hat. Sie hält das Öko-Audit-System weiterhin fUr ein wichtiges Instrument zur Verwirklichung des kooperativen Umweltschutzes." 20 Verordnung (EG) Nr. 76112001 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 19. März 2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen in einem Genehmigungssystem für das UmweItmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS), ABI. U114 vom 24.4.2001 - im Folgenden EMAS 11.

Umweltaudit und Anlagengenehmigung

209

stoß gegen Rechtsvorschriften informiert ist (Anhang V 5.4.3). Zu den fünf Schlüsselbereichen der Umweltprüfung gehört die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungs vorschriften (Anhang VII Nr. 7.2.a). Damit wird die Rechtfertigung für weitergreifende Deregulierungsvorschläge (siehe dazu unten IV) erleichtert.

b) Entlastungfiir die Umweltverwaltung Aufsicht und Kontrolle über auditierte Unternehmens standorte ist gleich oder besser als bei Betrieben, die nicht an EMAS teilnehmen, d. h. dass die externe Validierungsprüfung durch einen zugelassenen Umweltgutachter der behördlichen Überwachung durch die zuständigen Behörden gleichwertig ist. Das Ergebnis der empirischen Untersuchungen bedeutet gleichzeitig, dass ein Grundvertrauen in EMAS gerechtfertigt ist und bezogen auf auditierte Unternehmensstandorte auch eine Entlastung der Umweltverwaltung damit verbunden ist. Diese nachgewiesenen tatsächlichen Auswirkungen von EMAS rechtfertigen auch eine grundsätzlich positive Betrachtung von tiefergreifenden Deregulierungsvorschlägen.

v.

Bemühungen um Deregulierung

1. Versuche von Bund und Ländern

Im geltenden Bundesrecht sind bereits (marginale) Privilegierungen für EMAS-Unternehmen vorgesehen, und zwar aufgrund von Rechtsverordnungen im Rahmen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes. Zu diesen Erleichterungen gehören beispielsweise Nach § 1 Abs.2 Satz 3 der Verordnung über Verwertungs- und Beseitigungsnachweise (Nachweisverordnung - NachwV) vom 10. September 199621 hat die zuständige Behörde im abfallrechtlichen Nachweisverfahren (Grundverfahren) bei der Prüfung der Zulässigkeit der vorgesehenen Entsorgung die Angaben aus einer ihr vorliegenden Umwelterklärung zu berücksichtigen. § 8 Abs. 6 der Verordnung über Abfallwirtschaftskonzepte und Abfallbilanzen (Abfallwirtschaftskonzept- und Bilanzverordnung - AbfKoBiV)

21

BGBI. I, S. 1382, ber. BGBI. I, S. 2860.

14 Bohne

2\0

Hellrnut Wagner

vom 13. September 199622 sieht vor, dass eine Umwelterklärung die nach der Umweltaudit-Verordnung abgegeben und für gültig erklärt worden ist, als Abfallwirtschaftskonzept oder dessen Fortschreibung und als Abfallbilanz anerkannt wird, wenn die der Umwelterklärung zugrunde liegende Umweltbetriebsprüfung den Anforderungen der §§ 19 und 20 KrW-/AbfG entspricht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 der 9. Verordnung zur Durchführung des BundesImrnissionsschutzgesetzes (Verordnung über das Genehmigungsverfahren- 9. BlmSchV) ist bei der Prüfung der Antragsunterlagen zu berücksichtigen, ob die Anlage Teil eines eingetragenen Standortes ist. Diese Regelung hatte bisher nach übereinstimmender Auffassung von Unternehmens- und Behördenvertretern keinerlei praktische Bedeutung. Außerdem haben in den vergangenen Jahren fast alle Bundesländer durch Verwaltungsvorschriften, Erlasse oder VereinbarunKen V ollzugserleichterungen vor allem im Imrnissionsschutzrecht vorgesehen. 23

2. Deregulierung aufgrund des Artikellesetzes vom 27.7.2001 Das Artikelgesetz vom 27.7.2001 24 hat mit § 58e BImSchG und § 55a KrW-/ AbfG neue Ermächtigungsgrundlagen für Erleichterungen für auditierte Unternehmensstandorte eingefiihrt. Danach können durch Rechtsverordnung insbesondere Erleichterungen vorgesehen werden zu Kalibrierungen, Ermittlungen, Prüfungen und Messungen, Messberichten sowie sonstigen Berichten und Ergebnissen, Aufgaben des Imrnissionsschutz- und Störfallbeauftragten, Mitteilungspflichten zur Betriebsorganisation und zur Häufigkeit der behördlichen Überwachung. Der Entwurf für eine Verordnung über imrnissionsschutz- und abfallrechtliche Überwachungserleichterungen fiir nach der Verordnung (EG)Nr. 76112001 registrierte Standorte und Organisationen (EMAS-PrivilegierungsVerordnungEMASPrivilegV) vom 20.9.2001 25 macht von diesen Ermächtigungen Gebrauch.

BGBI. I, S. 1447, ber. BGBI. 19971, S. 2862. Vgl. dazu Abschnitt V in Anhänge zum Bericht. 24 BGBI. 200 I, S. 1950 ff. 25 Art. I der Verordnung zum Erlass und zur Änderung immissionsschutzrechtlicher und abfallrechtlicher Verordnungen vom 20.9.2001, BR-Drs. 730/01. 22 23

Umweltaudit und Anlagengenehmigung

211

Diese "Erleichterungen für auditierte Unternehmens standorte" dürften nach den empirischen Ergebnissen der eingangs erwähnten Untersuchung 26 für die Praxis nur von geringer Bedeutung sein. Im Einzelnen ist zu den vorgesehenen Regelungen zu bemerken: Bei Kalibrierungen, Messungen etc. ist das Erleichterungspotential "mittel"; Vorschläge dieser Art sind teilweise bereits als Substitutionsmaßnahmen in den Ländern umgesetzt. Im Berichtswesen ist das Erleichterungspotential "gering" bis "mittel"; in vielen Bundesländern sind die Möglichkeiten teilweise oder voll als Substitutionsmaßnahmen umgesetzt. Im Beauftragtenwesen ist das Erleichterungspotential "gering"; das bisherige Beauftragtenwesen hat sich bewährt. Bei Änderungen würde das Umweltmanagementsystem geschwächt und die Wirksamkeit von EMAS (allerdings nicht sehr wesentlich) verringert. Bei der Betriebsorganisation ist das Erleichterungspotential überwiegend "gering" . Die Regelüberwachung ist selten; das Erleichterungspotential ist "gering". Der Vorschlag geht daher weitgehend ins Leere.

3. Schlussfolgerung Die hier eröffneten Möglichkeiten bleiben an der Oberfläche. Diese Deregulierungsvorschläge ändern weder in formeller noch in materieller Hinsicht die bestehenden ordnungsrechtlichen Strukturen. Es ist daher folgerichtig, dass bereits bestehende Substitutionsvorschläge in den Ländern und die Vereinbarungen mit der Wirtschaft von den unmittelbar Betroffenen kaum wahrgenommen werden und daher nicht als "Teilnahme-Anreiz" empfunden werden. Damit ist auch das Urteil über die EMAS-PrivilegierungsV gesprochen. Es handelt sich bei diesen Vorschlägen daher um symbolische Gesetzgebung. Es tritt keine Verminderung unnötigen Aufwands ein. Ein Anreiz zur Teilnahme am Umweltaudit wird damit nicht geschaffen. Es gibt keine auch nur annähernde Verbindung zwischen Umweltaudit und Anlagengenehmigung, die keine rechtsdogmatische sein muss, aber eine rechtspragmatische sein kann, damit ein Anreiz zur Beteiligung am Umweltaudit geschaffen wird.

26 14*

Dazu Bericht (Fn. I), S. 127 ff., 172 f.

212

Hellrnut Wagner

VI. Ein neuer Anlauf? 1. Vorbemerkungen Die empirischen Untersuchungen zeigen, dass das Erleichterungspotential strukturkonformer Vorschläge gering bis mittelgroß ist. 27 Man gewinnt auch den Eindruck, dass der politische Mut, gravierende Erleichterungen zu schaffen, langsam erschlafft, wenn er denn je vorhanden war. Eine Ausnahme machen das Bundeswirtschaftsministerium und einzelne Länder (insbesondere der Freistaat Bayern), die im Gesetzgebungsverfahren zum Artikelgesetz 28 Vorschläge zur Einbeziehung von Anlagengenehrnigung und Genehrnigungsverfahren in die Deregulierung gemacht haben. 29 Der Freistaat Bayern ist dabei von der richtigen Überlegung ausgegangen, dass die Teilnehmer an EMAS freiwillig Eigenverantwortung für den Umweltschutz übernehmen und über die gesetzlichen Anforderungen hinaus Leistungen fiir den betrieblichen Umweltschutz erbringen und dadurch auch gleichzeitig die Verwaltung von unnötigem Aufwand entlasten, ohne dass ein wirksamer Umweltschutz darunter leidet. Dazu später ein paar ergänzende Bemerkungen. 2. Vorschläge

a) Genehmigungsverfahren als Deregulierungsgegenstand (strukturkonforme Vorschläge) aa) Der Verzicht auf behördliche Einholung von Sachverständigengutachten Der Vorschlag des BMU, dass sowohl fiir das immissionsschutzrechtliche Genehrnigungsverfahren wie auch fiir das abfallrechtliche Planfeststellungsverfahren Antragsunterlagen von EMAS-Betrieben "im Hinblick auf die behördliche Prüfungstiefe die Wirkung eines Sachverständigengutachtens haben,,30, ist von den Ländern abgelehnt worden und nicht im Artikelgesetz wie auch nicht im Entwurf fiir eine Verordnung zu Überwachungserleichterungen fiir nach der EG-Öko-Audit-Verordnung registrierte Standorte und Organisationen (EMASPrivilegierungsV, Stand: 12.6.2001) enthalten. Nach diesem Vorschlag könnte also in diesem Umfang auf die behördliche Einholung von SachverständigenBericht (Fn. I), S. 173 Siehe dazu Fn. 9. 29 Siehe dazu eine Fülle von Änderungsanträgen des Freistaates Bayern zum Deregulierungspotential im Abfallrecht, Wasserrecht und Immissionsschutzrecht im Rahmen der Beratungen des Entwurfs des Artikelgesetzes - Bundesrat-Drucksache 674/1/00 vom 12.12.2000. 30 Bericht (Fn. 1), S. 169. 27

28

Umweltaudit und Anlagengenehmigung

213

gutachten verzichtet werden. Nach den Interviewergebnissen kann dieser Vorschlag in seinem Erleichterungspotential wie in der Steuerungswirksamkeit als beachtlich angesehen werden. Es ist nicht verständlich, warum dieser Vorschlag nicht aufgenommen worden ist, denn EMAS fördert und verbessert die Erstellung von Antragsunterlagen, weil der Betrieb einen systematischen Überblick über seine Umweltprobleme und bestehende Lösungsmöglichkeiten erhält und die systematische Dokumentation einen Zugriff auf vorhandene Daten wesentlich erleichtert. Ähnlich wie im Falle der Erstellung von Abfallwirtschaftskonzepten und Abfallbilanzen macht daher EMAS die Einschaltung von Sachverständigen im Allgemeinen entbehrlich. bb) Erleichterung des Nachweises effIzienter Energieverwendung Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG war der Betreiber einer Anlage verpflichtet, die beim Anlagenbetrieb entstehende Wärme nach Maßgabe einer Rechtsverordnung zu nutzen oder an Dritte abzugeben. Die lVU-Richtlinie geht über diese Vorschrift hinaus und verlangt in Art. 3 Buchstabe d, dass "Energie effIzient verwendet wird". Die Umsetzung dieser Regelung in deutsches Recht fiihrte im Artikelgesetz zu der Fassung, dass "Energie sparsam und effIzient verwendet wird".3\ Dies hätte die Möglichkeit geboten, fiir EMAS-registrierte Betriebe vorzusehen, die Erfiillung der Pflicht zur effIzienten Energieverwendung durch EMAS-Unterlagen nachzuweisen. Dieser Vorschlag ist weder im Artikelgesetz noch im Entwurf der EMASPrivilegierungsV enthalten. Im Rahmen der empirischen Untersuchung hat sich jedoch gezeigt, dass seine Verwirklichung sinnvoll wäre. Denn es spricht vieles dafiir, dass EMAS hier im Ergebnis wirkungsvoller ist als das Anlagenzulassungsrecht. 32 b) Das Genehmigungsaudit in vereinfachter Version (strukturverändernde Vorschläge)

aa) Kurzdarstellung Nun möchte ich das von Bohne33 vor einiger Zeit entwickelte Genehmigungsaudit kurz vorstellen, und zwar in vereinfachter Version. Dieser Vorschlag Art. 2 Nr. 5 Buchst. a) bb) (§ 5 Abs. I Nr. 4 BlmSchG). Dazu im Einzelnen: Bericht (Fn. I), S. 261 f. 33 Eberhard Bohne, Die integrierte Genehmigung als Grundlage der Vereinheitlichung und Vereinfachung des Zulassungsrecht und seiner Verknüpfung mit dem Umweltaudit, in: Hans-Werner Rengeling (Hrsg.), Integrierter und betrieblicher Umweltschutz, 1996, S. \05 ff., 125 ff. 31

32

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verknüpft die inhaltlichen Anforderungen von EMAS mit den Genehmigungsvoraussetzungen im Immissionsschutzrecht. Im Unterschied zur Rahmengenehmigung der Schlichterkommission34 beschränkt sich das Genehmigungsaudit auf Erleichterungen bei der behördlichen Prüfung von Emissionsbegrenzungen nach dem Stand der Technik. Im Mittelpunkt des Genehmigungsaudits steht das betriebliche Umweltprogramm im Sinne der Umwelt-AuditVO. Wie EMAS I (in Art. 2 Buchstabe c) enthält auch EMAS 11 (in Art. 2 Buchstabe h) eine Begriffsbestimmung "Umweltprogramm". Im Unterschied zu EMAS I (vgl. dazu Anhang IA Nr. 5) ist in EMAS 11 kein ausdrücklicher Hinweis auf ein "Umweltprogramm" (in Anhang I) enthalten. Ausgehend von der Begriffsbestimmung und aus dem inhaltlichen Gesamtzusammenhang von Umweltpolitik (Anhang I A 2), Bestimmung der Umweltaspekte (Anhand I A 3.1), Ermittlung der gesetzlichen Anforderungen (Anhang I A 3.2), Festlegung von Zielsetzungen und Einzelzielen (Anhang I A 3.3), die Einfiihrung von Umweltrnanagementprogrammen (Anhang I A 3.4) und der Darstellung der Umweltleistung (Anhang III 3.3) ergibt sich in der Sache ein überprüfbares "Umweltprogramm", das Gegenstand von Umweltbetriebsprüfung (Anhang 11 2.1 und Anhang 11 2.6) und Validierungsprüfung (Anhang III 3.2) ist. Das Umweltprogramm verzeichnet alle am Standort vorhandenen Anlagen und alle im Programmzeitraum geplanten Neuanlagen und wesentlichen Anlagenänderungen. Es weist fiir jede Anlage und jeden Schadstoff quantitative Emissionsminderungsziele aus, die mindestens dem Stand der Technik entsprechen. Das Genehmigungsaudit beschränkt sich auf die formelle Prüfung, ob die im Genehmigungsantrag dargelegten Emissionsbegrenzungen nach dem Stand der Technik im Einklang mit den quantitativen Emissionsminderungszielen stehen, die im validierten Umweltprogramm anlagenspezifisch ausgewiesen sind. Das Umweltprogramm ist das Bindeglied zwischen der einzelnen Vorhabenplanung und EMAS. Umweltpolitik und Umweltprogramm enthalten die Regelung der gesetzlichen Anforderungen (Anhang I A 3.2), die Festlegung von Zielsetzungen lll"t Binzelzielen (Anhang I A 3.3 und Anhang I B 2.), die Festlegung der Veramwortung, der Mittel und der Zeitvorgaben in einem Umweltrnanagementprogramm (Anhang I A 3.4). Dieses Programm ist Gegenstand der internen Umweltbetriebsprüfung und der externen Validierungsprüfung. Die Überprüfung der Emissionsminderungsziele muss nach Anhang 11 2.2, 2.3, 2.6 und Anhang V 5.4 anlagenspezifisch und unter Berücksichtigung der einschlägigen Emissionsstandards erfolgen. Dabei sind auch die betriebsrelevanten Daten zu beurteilen (Anhang 11 2.3 und Anhang V 5.5.3 sowie 5.5.4.1). Das heißt: Die im Umweltprogramm vorgesehenen Emissionsminderungsziele

34

Dazu Bericht (Fn. 1), S. 175,207,238.

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müssen auf ihre fachlich-technischen und methodisch-prognostischen Grundlagen hin überprüft werden. Verstöße gegen den Stand der Technik bei der Festlegung der Emissionsminderungsziele können also vom Umweltbetriebsprüfer und vom Umweltgutachter rechtzeitig vor Erteilung der Anlagengenehmigung entdeckt und korrigiert werden, notfalls durch Verweigerung der Validierung. Das Umweltprogramm stellt im Hinblick auf die Emissionsbegrenzungen bei künftigen Neuanlagen oder Anlagenänderungen eine präventive, anlagenspezifische Kontrolle im Rahmen von Umweltbetriebs- und Validierungsprüfung dar. Soweit das Umweltprogramm keine quantitativen, anlagenspezifischen Emissionsminderungsziele enthält, muss die Genehmigungsbehörde eine nur formelle Überprüfung der Einhaltung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BIrnSchG im Genehmigungsverfahren ablehnen und - wie bisher - eine materielle Prüfung durchfuhren. Im Hinblick auf die Emissionsbegrenzungsziele ist daher die Steuerungswirksamkeit von Genehmigungsprüfungen im EMAS als gleich zu bewerten. Die funktionale Äquivalenz beider Instrumente ist insoweit gegeben. bb) Rechtlicher Rahmen Das Genehmigungsaudit lässt die materiellen Betreiberpflichten (insbesondere die Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BIrnSchG) unberührt. Es widerspricht den Strukturen des geltenden Genehmigungsrechts in zwei Punkten: Aufhebung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 24 VwVfG) fiir die behördliche Ermittlung des Standes der Technik und fiir die Aufnahme von entsprechenden Auflagen zur Emissionsbegrenzung in den Genehmigungsbescheid; teilweise Beseitigung des Bestandsschutzes der Genehmigung im Bereich der Auflagen zur Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik. Diese strukturverändemden Merkmale des Genehmigungsaudits verstoßen weder gegen EG-Recht (Art. 3 Buchstabe a, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3 und Abs. 4 IVU) noch gegen das Grundgesetz (Art. 12, 14 GG).33 cc) Empirische Ergebnisse Für diesen Vorschlag ist nach dem Ergebnis der Umfragen und der Interviews von einem mittleren Erleichterungspotential und einer ebenso großen Steuerungswirksarnkeit auszugehen. 34 33 Näheres dazu Bericht (Fn. I), S. 219 fT., 232 tf., 239 f. 34 Nachweis in Bericht (Fn. I), S. 180 f., 186.

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Aus diesem Befund folgt: Die sachlichen Voraussetzungen fiir die Einfiihrung eines Genehmigungsaudit (in vereinfachter Version) sind gegeben. Die rechtliche Umsetzung verlangt, dass die § 6, 12 und 14 BImSchG ergänzt werden. Nun sind politischer Mut und Reformfreude gefordert. c) Neuregelung der Genehmigungsbedürjtigkeit von Anlagen

Hierbei handelt es sich um strukturneutrale Vorschläge. Es gibt unausgeschöpfte Möglichkeiten spürbarer Deregulierung - völlig unabhängig von der Umweltaudit-Verordnung und unabhängig von den Auswirkungen einer Beteiligung an EMAS. So wiesen Gesprächspartner in Behörden, und zwar in der Ministerialinstanz, der Mittelinstanz und der unteren Instanz (allgemeine Behörden und Fachbehörden) weitgehend übereinstimmend darauf hin, dass es Möglichkeiten der Deregulierung ohne nachteilige Auswirkungen fUr die Umwelt (unabhängig von EMAS) gibt. Zu diesen Möglichkeiten zählen: aa) Der "Euro-Standard" im Bereich der Zulassungsverfahren Ausgangspunkt fUr eine spürbare Deregulierung ist die Überlegung, den durch das europäische Gemeinschaftsrecht (insbesondere durch IVU- und UVP-Richtlinie) offengehaltenen Freiraum fiir einen Verzicht auf die klassische Präventivkontrolle in beschränktem Rahmen zu nutzen. Das bedeutet, dass im Grundsatz bislang notwendige Genehmigungen, die bisher im förmlichen Verfahren zu erteilen sind, künftig nur noch einem vereinfachten Verfahren unterliegen oder ganz entfallen, soweit das europäische Gemeinschaftsrecht dies zulässt. Bei einem Verzicht auf den Genehmigungsvorbehalt tritt an seine Stelle eine Anzeigepflicht der Anlagenbetreiber. Gegen diesen Ansatz wendet sich Lübbe-Wolff/? die verkennt, dass das Umweltaudit ein Instrument gesteuerter Selbstregulierung unter staatlicher Aufsicht ist, das nicht nur "einen Anreiz zur Selbstprüfung, Selbstkontrolle und Selbstverbesserung" schafft38 sondern die Hauptziele, nämlich "Einhaltung des Ordnungsrechts" und "kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes" einer periodischen Überprüfung durch Dritte (zugelassene unabhängige Umweltgutachter) unterzieht und somit eine mit Sanktionen versehen Erfolgskontrolle im Sinne einer Ergebniskontrolle etabliert. Dies wird auch durch das Ergebnis empirischer Untersu-

37 Instrumente des Umweltrechts - Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen, NVwZ 2001, 481,483 (Fn. 3). 38 So Lübbe-WolfJ(Fn. 3), S. 481,498.

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chungen deutlich belegt. 39 Dabei möchte ich nicht auf die grundsätzliche Aversion von Lübbe-W olff gegen das Umweltaudit eingehen. 4o Zunächst für eine Umsetzung von EU-Richtlinien als "verabschiedungsreife Minimalumsetzung" spricht sich auch ein so ein unverdächtiger Zeuge wie der Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes41 aus, der mit Recht daraufhinweist, dass die Umsetzungsverfahren "... sich immer wieder zu spezialgesetzlichen, über das europarechtlich Notwendige hinausgehenden Zusatz- oder Verschärfungsregelungen auswachsen", die das " ... ohnehin schon infolge unseres Perfektionsdrangs reichlich komplizierte deutsche Recht noch unübersichtlicher ... " machen " ... als es ohnehin schon ist". Er schlägt vor, dass der Gesetzgeber vorschreibt, dass bis zum Fristablauf für eine Umsetzung eine "verabschiedungsreife Minimalumsetzung" vorliegen müsse (das ist eben der "EuroStandard"). bb) Die Neufassung der Anlage zur 4. BImSchV Aufgrund der vorstehenden Überlegungen sollten in die Spalte 1 der 4. BIrnSchV nur diejenigen Anlagen aufgenommen werden, die nach der IVURichtlinie und der UVP-Richtlinie einem Genehmigungsverfahren unter Einbeziehung der Öffentlichkeit unterliegen. In die Spalte 2 der 4. BIrnSchV sind Anlagen aufzunehmen, die nicht dem EG-Recht unterfallen und nach dem heutigen Stand der Technik ein nicht vernachlässigbares Gefährdungspotential aufweisen. Soweit die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, entfällt das Genehmigungserfordernis. An seine Stelle tritt eine Anzeigepflicht. In diese Richtung weisen Vorschläge des Freistaates Bayern im Bundesrat anlässlich der Behandlung des Artikelgesetzes: Bei Anlagen von geringer Umweltrelevanz kann die Genehmigung durch eine Anzeigepflicht ersetzt werden; die Anzeigepflicht entfällt für nicht wesentliche Änderungen einer Genehmigung. 42 Bericht (Fn. 1), S. 109 ff., 123, 186 ff. So beispielsweise in Gertrude Lübbe-Wolff, Bleibt der Umweltschutz auf der Strecke? Öko-Audit - der neue Fluchtweg aus Umweltrecht und behördlicher Kontrolle, in: Siegfried LettretterlWerner Schneider (Hrsg.), Was bringt's dem Umweltschutz?, 1998, S. 45 ff.; oder dieselbe, Betriebstor zu flir die Behörden. Wie man sich mit Hilfe des Öko-Audits die behördliche Umweltaufsicht vom Halse schaffen kann, WSI Mitteilungen 8/1998, S. 516 ff. 41 In seiner Jahresbilanz 2000 des BVerwG in NVwZ 2001, 416, 419. 42 Anträge des Freistaates Bayern zu Art. 2 Nummer 10a - neu - (§ 16 BImSehG) und zu Art. 2 Nummer 9a - neu - (§ 15 BImSehG) jeweils SR-Drs. 674/00. 39

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VII. Schlussbemerkungen 1. Die Fortentwicklung von EMAS

Vor allem in den Jahren ab 1999 bis heute gibt es eine ständig rückläufige Entwicklung der monatlichen neu hinzukommenden Teilnehmern. 43 Für die zukünftige Entwicklung von EMAS wird bedeutsam sein, ob sich dieser Trend fortsetzen wird oder ob in absehbarer Zeit eine positive Trendwende eintritt. Die Aussichten stehen schlecht, obwohl EMAS sich in der Praxis im Wesentliehen bewährt hat. EMAS hat die Einhaltung umweltrechtlicher Anforderungen verbessert und eine kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes erreicht. Aufsicht und Kontrolle über EMAS-Betriebe ist entgegen der unbegründeten Annahme von Lübbe- Wolf! gleich oder besser als bei Betrieben, die nicht an EMAS teilnehmen. 44 Man muss also die Teilnahme an EMAS steigern. Dazu sind Anreize nötig. Ein praktisch wirkungsvoller Anreiz ist eine sinnvolle Deregulierung. 2. Die Notwendigkeit der Deregulierung

Aus der Sicht der Teilnehmer an EMAS gibt es einen Zusammenhang zwischen einer spürbaren Deregulierung und der Teilnahme an EMAS. Es haben etwa 60% der Unternehmen, die nach ihren Teilnahmemotiven und -erwartungen gefragt wurden, Deregulierung als "wichtig" und "sehr wichtig" genannt. Die befragten Kammern schätzen diesen Zusammenhang noch höher ein. Die Interviews mit den beteiligten Akteuren bestätigen deutlich den Zusammenhang zwischen der Attraktivität von EMAS und der Deregulierung. Wenn aber eine wesentliche Erhöhung der Zahl der registrierten Betriebe den "gesamtwirtschaftlichen Umweltschutz" erheblich erhöht und dieses Ergebnis fiir wünschenswert gehalten wird, muss die Anziehungskraft der Teilnahme an EMAS gestärkt werden. Das kann auch durch Deregulierungsmaßnahmen geschehen, die in ihrer Wirkung strukturverändernd sind wie z. B. das Genehrnigungsaudit. Es kann unter den Gesichtspunkten eines verbesserten materiellen Umweltschutzes, der Transparenz und Übersichtlichkeit staatlicher Regulierung, der angemessenen Vollzugs kontrolle,

43 44

Siehe oben S. 206. Siehe oben S. 205.

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des finanziell-organisatorischen Aufwandes bei Staat und Unternehmen kein Dogma sein, einmal getroffene normative Regelungen von Verfahren und materiellem Recht für immer unangetastet zu lassen und sie als jeweiligen Mindeststandard unter Denkmalschutz zu stellen. Die Bilanzierung der Wirkung von direkten und indirekten Instrumenten des Umweltschutzes und ihre Kombination muss Veränderungen möglich machen, die nicht sofort als ,,Abbau von Umweltstandards" diskreditiert und mit einer "Veränderungs sperre" belegt werden. Dies gilt auch fiir Fälle einer Verknüpfung von EMAS und Anlagengenehrnigung.

Diskussion zu dem Referat von Hellmut Wagner Bericht: Burkhard Margies Zu den von Wagner gemachten Deregulierungsvorschlägen merkte Krekel an, dass Überblicksprüfungen und verkürzte Entscheidungsfristen an die Behördenmitarbeiter einerseits erhöhte Qualiflzierungsanforderungen stellten, während andererseits Fortbildungsrnittel fehlten. Außerdem hätten Deregulierungen letztlich einen Stellenabbau bei den Genehrnigungsbehörden zur Folge. Insgesamt sei daher zwar die Verantwortung fiir Umweltauswirkungen richtigerweise an die Unternehmen zurückzugeben, der Gefahr, dass die Behörden aufgrund mangelnder Expertise ihren Überprüfungsauftrag nicht mehr wahrnehmen können, sei aber zu begegnen. Weigand betonte dagegen, dass aufgrund der bestehenden Überlastung der Behörden und dem sich daraus ergebenden Vollzugsdeflzit mit einem Stellenabbau zunächst nicht zu rechnen sei. Er fordere endlich einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Verantwortung auf Seiten der Bürger und weg vom Obrigkeitsdenken. Außerdem werde die Vereinfachung sich überlappender und überschneidender Verfahren auch von der Europäischen Kommission verlangt. Bezüglich einer Verbindung von Genehrnigungsverfahren und EMAS erläuterte Petek den gegenwärtigen Stand der Diskussion in Österreich. Den Hintergrund für Deregulierungsbestrebungen bilde auch dort einerseits ein bestehendes Vollzugsdeflzit im Überwachungsbereich, andererseits die Pflicht zur Erhöhung der Kontrolldichte z.B. fiir große Betriebe, die sich aus geänderten EURichtlinien, wie der Seveso-II-Richtlinie, ergebe. In der Einführung von EMAS in Unternehmen werde auch in Österreich die Chance gesehen, zu einer Entlastung der Verwaltung von Kontrollpflichten zu gelangen. Sowohl eine Erhöhung der Zahl der Erstteilnahmen an EMAS als auch der Zahl der Erneuerungsprüfungen über entsprechende Anreize werde angestrebt. Geplant sei die Möglichkeit des Aufschubs der Strafanzeige für den Fall, dass im Rahmen der erstmaligen EMAS-Prüfung kleinere Verstöße gegen das Umweltstrafrecht aufgedeckt würden. Weiterhin solle der im Rahmen des Audit-Verfahrens erlangte Überblick über die für einen Betrieb bestehenden Genehrnigungs- und Änderungsbescheide zur Erteilung eines konsolidierten Genehrnigungsbescheides genutzt werden können, der auch eventuell bestehende Widersprüche bereinige.

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Burkhard Margies

Gemessen an der Amortisationszeit der Kosten für die Teilnahme am AuditVerfahren erwachse dem Unternehmen aus dem ersten Audit der größte "benefit", wie Petek weiter ausfiihrte. Für Erneuerungsprüfungen seien daher andere und länger wirkende Anreize zu schaffen. Ein derartiger Anreiz für EMASBetriebe sei in Österreich mit der Einfiihrung der Erteilung von Veränderungsgenehmigungen im Anzeigeverfahren geplant. Gemeint sei damit eine Erklärung des Umweltgutachters gegenüber der Genehmigungsbehörde, dass die geplante Änderung im Rahmen der Emissionsreduktionsziele des Umweltprogramms liege und die weiteren Bestimmungen des Umwelt- und Nachbarschaftsschutzes eingehalten würden. Die behördliche Prüfung des Standes der Technik und weiterer Standortanforderungen entfalle dann. Eine UVP werde durch dieses Anzeigeverfahren jedoch nicht ersetzt. Die Einfiihrung dieser Regelung sei im parlamentarischen Verfahren aber noch sehr umstritten. Bohne wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Wirkung dieses Anzeigeverfahrens noch über das von ihm und Wagner vorgeschlagene Genehmigungsaudit hinaus gehe, da auch Fragen des Nachbarschaftsschutzes geprüft würden. Der Aufgabenbereich des Umweltgutachters werde insofern über den bei EMAS vorgesehenen erweitert. Dazu äußerte Schulz für die Seite der Umweltgutachter, dass zwar die externe Validierung des Betriebs bezüglich der Vermeidung künftiger Gesetzesverstöße von jeher eine präventive Komponente enthalte und auch vom Betrieb ausgehende Umweltauswirkungen im Umweltgutachten berücksichtigt würden, sie aber einer Ausweitung der Aufgaben des Umweltgutachters auf Fragen des Nachbarschaftsschutzes skeptisch gegenüberstehe. In dem von Wagner und Bohne vorgeschlagenen Genehmigungsaudit werde der Untersuchungsgrundsatz im Sinne des § 24 VwVfG für die behördliche Ermittlung des Standes der Technik aufgehoben, woraus sich eine teilweise Beseitigung des Bestandschutzes der Genehmigung ergebe. Nach Ansicht Bohnes sei daher die Kernfrage, ob sich die Industrie im Gegenzug für die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens auf das Risiko der gegen die geänderte Anlage gerichteten Klageerhebung durch Dritte einlassen wolle. Jeder antwortete, dass sich angesichts der hohen Investitionsvolumina aus einem nicht bestandsgeschützten Genehmigungsbescheid für die Chemische Industrie keine "benefits" ergeben würden. Die Bereitschaft der Industrie, für die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens erhöhte Risiken einzugehen, sei also nicht gegeben, so Bohnes Resümee.

EG-Initiative zur Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts Von Christof Sangenstedt'

I. Hintergrund und aktueller Sachstand Die EG-Kommission hat im Februar 2000 ein Weißbuch zur Umwelthaftung herausgegeben I. In dem Weißbuch werden verschiedene Möglichkeiten untersucht, wie ein Umwelthaftungssystem der Gemeinschaft ausgestaltet werden kann. Im Ergebnis spricht sich die Kommission fiir die schrittweise Erarbeitung einer Rahmenrichtlinie aus. Dabei soll zunächst nur ein Ordnungsrahmen festgelegt werden, der bestimmte Mindestanforderungen enthält. Dieser Rahmen soll dann unter Berücksichtigung der in der ersten Phase gewonnenen Erfahrungen sukzessive durch weitere Elemente ergänzt werden. Mit dem Haftungssystem soll auf Gemeinschaftsebene ein wirksames Instrument geschaffen werden, das es ermöglicht, Verursachern von Umweltschäden die Kosten fiir die Wiederherstellung intakter Umweltverhältnisse auf zuerlegen. Weiterhin verspricht sich die Kommission eine bessere Durchsetzung zentraler Umweltgrundsätze des EG-Vertrages, insbesondere des Verursacher- und Vorsorgeprinzips, sowie eine Stärkung der Umweltvorschriften der Gemeinschaft. Das gemeinschaftliche Umwelthaftungssystem soll ferner einen Beitrag zur Integration der Umweltbelange in andere Politikbereiche sowie zur Funktionsfohigkeit des Binnenmarktes leisten. Grundgedanke ist, dass die Geltung einheitlicher EG-übergreifender Haftungsmaßstäbe die Akteure dazu veranlassen wird, haftungsbegründende Umweltschäden durch geeignete Schutzund Vorsorgemaßnahmen zu vermeiden. Hierdurch soll zugleich eine Internalisierung der Umweltkosten bewirkt werden. Auf die Vorgeschichte des Weißbuchs zur Umwelthaftung soll hier aus Raumgründen nur kurz eingegangen werden. Die Kommission hatte bereits

• Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder. I Europäische Kommission, Weißbuch zur Umwelthaftung, KOM (2000)66 endg., 9. Februar 2000, Herausgegeben von der Kommission, Generaldirektion Umwelt; abgedruckt auch in Bundesrats- Drucksache 148/00 vom 08.03.2000.

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Christof Sangenstedt

1993 ein Grünbuch zur Umwelthaftung veröffentlicht2, in dem relativ weitgehende Vorstellungen entwickelt worden waren. Das Grünbuch ist in der Auseinandersetzung in Deutschland auf z. T. heftige Kritik gestoßen3• Der Kommission wurden unausgewogene Regelungsvorschläge vorgeworfen, die einseitig zu Lasten der Wirtschaft gingen. Nach Einholung verschiedener Studien4 entschied die Kommission Anfang 1997, dass sie ihre Vorstellungen überarbeiten und ein Weißbuch vorlegen werde. Im Vergleich mit dem Grünbuch stellt das Weißbuch einen wesentlich konkreteren und realistischeren Diskussionsansatz dar. Es muss allerdings vermerkt werden, dass das Weißbuch zu bestimmten Themen, die sich bei der Diskussion des Grünbuchs als besonders brisant erwiesen hatten - so z. B. in den Fragen der Beweislastverteilung und der Rechtfertigungsgründe -, keine klare Position mehr bezieht. Das Konfliktpotential dürfte daher durch das Weißbuch nicht unbedingt entschärft sein; die Probleme sind vielmehr nur ausgeklammert worden und werden damit früher oder später wieder auf den Tisch kommen. Vor der Diskussion wesentlicher inhaltlichen Fragen zunächst noch ein kurzer Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Stand der Diskussion seit Veröffentlichung des Weißbuchs. Die Kommission hat alle Betroffenen und Interessierten zu einer breiten Diskussion und zur Übermittlung von Vorschlägen aufgerufen. Die Bundesregierung ist dieser Aufforderung nachgekommen. Das Bundesumwe1trninisterium und das Bundesjustizministerium, die fiir Fragen der Umwelthaftung innerhalb der Bundesregierung gemeinsam zuständig sind, haben die Landesjustiz- und Umweltbehörden sowie die Verbände beteiligt. Der Bundesrat hat sich mit dem Weißbuch eingehend beschäftigt und am

2 Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat, das Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß vom 14. Mai 1993, KOM(93)47 endg.; abgedruckt auch in Bundesrats-Drucksache 436/93 vom 16.06.1993. 3 Anders die Diskussion auf europäischer Ebene. Das Europäische Parlament hat die Kommission am 20.4.1994 in einer Entschließung aufgefordert, einen Vorschlag für eine Richtlinie über die zivilrechtliehe Haftung für (zukünftige) Umweltschäden vorzulegen (ABI. C 128/165). Ähnlich der Wirtschafts- und Sozialausschuss in einer Stellungnahme vom 23.2.1994 (CES 226/94). 4 Z.B. McKenna & Co, Studie über zivilrechtliche Haftungssysteme zur Wiedergutmachung von Umweltschäden, 1996; ERM Economics, Wirtschaftliche Aspekte eines Haftungs- und Entschädigungssystems zur Wiedergutmachung von Umweltschäden, 1996 (eine Zusammenfassung der Ergebnisse der bei den vorgenannten Studien ist abgedruckt in Europäische Kommission (Fn. 1), Anlagen 1 und 2); Edward H.P. Brans, Mark Uilhoorn, Liability for Damage to Natural Resources, 1997; Sophie Deloddere, Donatienne Ryckbost, Liability for Contaminated Sites, 1997 (die beiden zuletzt genannten Studien sind im Internet veröffentlicht [http://europa.eu.intlcommlenvironmentlliability/background.htm]. Seit der Herausgabe des Weißbuchs hat die Kommission weitere Studien zu verschiedenen Aspekten der Umwelthaftung eingeholt, die inzwischen ebenfalls im Internet veröffentlicht sind (http://europa.eu.intlcommlenvironmentl liability/followup.htm).

EG-Initiative zur Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts

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14. Juli 2000 hierzu einen kritischen Beschluss gefasst5 . Die Bundesregierung hat der Kommission Anfang Oktober 2000 eine umfangreiche Bewertung übermittelt, bei der die Position der Länder sowie die Äußerungen der beteiligten Verbände berücksichtigt worden sind. Ähnliche Aktivitäten hat es auch in anderen EG-Mitgliedstaaten gegeben. Zusammenfassungen aller der Kommission übermittelten Stellungnahmen sind im Internet veröffentlicht6 • Auf europäischer Ebene hat sich der Umweltrat mehrfach mit dem Weißbuch befasst. Bereits im März 2000, also kurz nach Vorlage des Weißbuchs, fand eine erste, naturgemäß noch sehr allgemeine Orientierungsdebatte statt. In der Sitzung im Oktober 2000 hat die Kommission eine erste Bewertung der bei ihr eingegangenen Stellungnahmen vorgenommen. Im Dezember 2000 hat der Umweltrat eine zweite Orientierungsdebatte durchgeführt, bei der bereits bestimmte Fragenkomplexe vertiefter erörtert wurden. Grundsätzlich haben alle Mitgliedsstaaten die Erarbeitung einer Rahmenrichtlinie befiirwortet. Bei der Ausgestaltung im Einzelnen gehen die Meinungen jedoch z. T. noch weit auseinander. Vor diesem Hintergrund muss es als äußerst ehrgeiziges Vorhaben betrachtet werden, dass die Kommission angekündigt hat, bereits Ende 2001 einen konkreten Richtlinienvorschlag vorzulegen 7• Welche Probleme dabei zu lösen sind, soll in den nachfolgenden Abschnitten noch näher aufgezeigt werden.

11. Überblick über das im Weißbuch vorgeschlagene Haftungssystem Zunächst sollen die Grundzüge des im Weißbuch vorgeschlagenen Haftungssystems skizziert werden.

Bundesrats-Drucksache 148/00 (Beschluss). Http://europa.eu.intlcommlenvironmentlwellmainlindex.cfm. Die Kommission hat angekündigt, dort jeweils auch noch die Langfassungen der ihr übermittelten Stellungnahmen zu veröffentlichen. 7 Dieses Ziel scheint weiterhin aktuell zu sein. Die derzeitige belgische Ratspräsidentschaft hat in ihrem Arbeitsprogramm hervorgehoben, dass sie den angekündigten Richtlinienvorschlag zur Umwelthaftung als ein Schwerpunktthema ihrer Amtszeit betrachtet. Anmerkung des Herausgebers: Der Richtlinienvorschlag zur Umwelthaftung wurde Anfang 2002 von der Kommission vorgelegt. Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und Rates über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt, KOM(2002) 17 endgültig, 23.01.2002. 5

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1. Welche Schäden sollen erfasst werden? Das geplante Umwelthaftungssystem soll zwei Arten von Schäden einbeziehen:

a) "Traditionelle" Schäden Gemeint sind damit Sach- und Personenschäden. Beispiel: durch den vorschriftswidrigen Betrieb einer Anlage kommt es zu einer Explosion, die zur Beschädigung von Gegenständen oder zur Verletzung von Personen führt.

b) Umweltschäden Bei den Umweltschäden unterscheidet das Weißbuch zwei Untergruppen: Schädigungen der biologischen Vielfalt. Diese Schadenskategorie soll sich auf die Verletzung von Naturressourcen in Natura 2000-Schutzgebieten nach der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie 8 beschränken. Schädigungen der Biodiversität außerhalb solcher Schutzgebiete sollen nicht erfasst werden. Bodenverschmutzungen9 . Anders als bei den "traditionellen" Sachschäden geht es bei den Umweltschäden nicht um eine Aufhebung oder Minderung des Sachwertes, sondern um den Verlust bzw. Einbußen des ökologischen Werts des beeinträchtigten Gegenstandes. Werden beispielsweise durch einen rechtswidrigen Eingriff Bäume in einem Schutzgebiet geschädigt, so liegt der Umweltschaden nicht darin, dass das Holz nun nicht mehr oder nur zu einem verminderten Preis verkauft werden könnte. Entscheidend ist vielmehr die Beeinträchtigung der ökologischen Funk-

8 Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogel arten (ABI. Nr. L I 03,S.I); Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung des natürlichen Lebensraums sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABI. Nr. L 206, S.7) 9 Bei dieser Schadenskategorie hat es infolge eines Übersetzungsfehlers zunächst eine erhebliche Begriffsverwirrung gegeben. Während in der englischen Fassung des Weißbuchs der Begriff "contaminated sites" verwendet wird, wurden diese Schäden in der ersten von der Kommission verbreiteten deutschen Fassung als "Altlasten" bezeichnet. In späteren deutschsprachigen Veröffentlichungen des Weißbuchs hat die Kommission den Begriff "Altlasten" dann durch den Begriff "Bodenverschmutzung" ersetzt. Tatsächlich konnten, worauf die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom Oktober 2000 hingewiesen hat, "Altlasten" nicht gemeint gewesen sein, weil sich sonst Widersprüche zu anderen Aussagen des Weißbuchs ergeben hätten. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen nämlich Schäden, die durch früheres, vor dem Inkrafttreten des geplanten Gemeinschaftshaftungssystems liegendes Verhalten verursacht werden, nicht erfasst werden.

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tion des betroffenen Gehölzes. Damit steht hier nicht die Verletzung eines Individualrechtsguts, sondern die Schädigung eines öffentlichen Guts zur Debatte. Dies ist beispielsweise von Bedeutung für die Frage, inwieweit der Einwilligung des Eigentümers des betroffenen Grundstücks rechtfertigende Wirkung zukommt.

2. Welche Aktivitäten sollen erfasst werden, und welcher Verschuldensmaßstab soll dabei jeweils gelten? Generell sollen (potentiell) gefährliche Aktivitäten zur Haftung fUhren, wenn sie einen Schaden bewirken. Als potentiell gefährlich soll ein Verhalten dann gelten, wenn Umweltvorschriften der Gemeinschaft die Ausübung regulieren. Anders ausgedrückt: wenn der Schaden durch den Verstoß gegen Bestimmungen des EG-Umweltrechts ausgelöst wurde, die dem Schutz des beeinträchtigten Gutes dienen, ist das Verhalten haftungsrelevant. Verschulden ist nicht erforderlich, es soll vielmehr eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung gelten. Bei der Schädigung von Naturgütern in Natura 2000-Schutzgebieten soll die Haftung darüber hinaus auch durch (potentiell) ungefährliches Verhalten - d. h. durch Aktivitäten, die nicht gegen spezifische Umweltschutzbestimmungen der EG verstoßen - ausgelöst werden. In diesen Fällen möchte die Kommission aber eine Beschränkung auf schuldhaft herbeigeführte Schäden vornehmen.

111. Bewertung des von der Kommission vorgeschlagenen Haftungssystems Das Weißbuch der Kommission enthält eine Fülle von Aussagen, die kritischer Durchleuchtung bedürfen. In diesem Beitrag kann nur auf einige dieser Punkte eingegangen werden. Vorab sei zunächst vor einem Missverständnis gewarnt, auf das man in der Diskussion gelegentlich stößt. Bei einer Bewertung des von der Kommission vorgeschlagenen Umwelthaftungssystems liegt es nahe, einen Vergleich mit den deutschen Haftungsvorschriften vorzunehmen. Dabei dürfen als Vergleichsgrundlage jedoch nicht allein die Haftungsnormen des Zivilrechts in den Blick genommen werden. Das Weißbuch unterscheidet nicht zwischen zivilrechtlichen Haftungstatbeständen und öffentlichrechtlichen Wiederherstellungsund Beseitigungsansprüchen. Den Mitgliedsstaaten soll es im Hinblick auf unterschiedliche Rechtstraditionen vielmehr freigestellt werden, ob sie das künfti15*

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ge Umwelthaftungsrecht der Gemeinschaft im Zivilrecht oder im öffentlichen Recht umsetzen. Damit ergibt sich hier eine erweiterte Perspektive: die Vorschläge des Weißbuchs sind im Hinblick auf ihre Kompatibilität mit dem deutschen Recht auch an der Elle bestehender öffentlichrechtlicher Instrumente zu messen. 1. Anwendungsbereich Der erste Punkt der Umwelthaftungskonzeption des Weißbuchs, der nachfolgend betrachtet werden soll, ist die Bestimmung des haftungsbegründenden Verhaltens. Hier scheint es von einem gemeinschaftsrechtlichen Standpunkt aus zunächst plausibel, dass die Kommission Schäden erfassen möchte, die durch eine Verletzung von Vorschriften des EG-Umweltrechts hervorgerufen werden. Durch diesen Ansatz erfährt der Anwendungsbereich der Haftungsregelungen eine erste sinnvolle Eingrenzung. Das Haftungsrecht schafft damit einen Anreiz fiir die Einhaltung der europäischen Umweltschutzbestimmungen. Andererseits wird hierdurch ein Anwendungsbereich eröffnet, der weit über den Rahmen des deutschen Umwelthaftungsgesetzes hinausreicht. Das UHG geht vom Grundsatz der Anlagenhaftung aus. Gehaftet wird für den Betrieb von bestimmten, fiir die Umwelt (potentiell) gefährlichen Anlagen, die in einem Anhang zum Gesetz detailliert aufgelistet sind. Andere Aktivitäten sind nicht erfasst. Der Vorteil dieses Systems liegt in der Klarheit und Transparenz fiir die dem Umwelthaftungsgesetz unterliegenden Wirtschaftsakteure. Eine tätigkeitsbezogene Handlungshaftung bildet im deutschen Recht eher die Ausnahme. Vorgesehen ist sie beispielsweise im Gewässerbereich. Vor diesem Hintergrund wäre zu überlegen, ob die auf Gemeinschaftsebene vorgesehenen Umwelthaftungstatbestände nicht weiter konkretisiert und eingegrenzt werden sollten. In der Orientierungsdebatte des Umweltrates im Dezember 2000 haben sich die Mitgliedsstaaten mehrheitlich fiir einen weiten, aber klar definierten Anwendungsbereich (z. B. mit einer Liste der erfassten Aktivitäten) ausgesprochen, wobei sie aber offenbar auch nicht EG-rechtlich geregelte Aktivitäten einbeziehen wollen. Abgesehen von dem letztgenannten Punkt entspricht dies auch der Auffassung der Bundesregierung. Für die Betroffenen muss im vorhinein deutlich erkennbar sein, ob sie mit einem bestimmten Verhalten unter das strenge Gefährdungshaftungsregime fallen oder nicht. Die Bundesregierung hat deshalb in ihrer Stellungnahme für die Fixierung eines abschließenden Kataloges der Tätigkeiten und Anlagen plädiert, die dem neuen Haftungsregime unterfallen sollen. Darüber hinaus spricht vieles dafür, die strenge Gefährdungshaftung nur dort eingreifen zu lassen, wo es um Verhaltensweisen geht, denen eine erhebliche inhärente Gefahr jUr die Umwelt innewohnt. Im Einzelnen wird es bei der Festlegung der haftungsauslösenden Tatbestände darum gehen, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des

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Geschädigten und den Belangen des Schadensverursachers zu finden. Dies ist eine hochpolitische Frage, deren Klärung spannende Auseinandersetzungen verspricht. 2. Sach- und Personenschäden Zu den beiden vorgesehenen Schadenskategorien, die die Konunission mit dem geplanten Gemeinschaftshaftungssystem erfassen möchte, gehören zunächst die traditionellen Schäden. Zur Erinnerung: gemeint sind damit die durch Verstöße gegen Umweltvorschriften bewirkten Sach- und Personenschäden. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme Zweifel angemeldet, ob im Sinne des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 EG-Vertrag) auf diesem Felde überhaupt ein gemeinschaftsrechtlicher Regelungsbedarf besteht. Dabei geht es nicht um die Frage, ob Umwelthaftungsbestimmungen, wie sie der Konunission vorschweben, geeignet sind, umweltpolitisch sinnvolle Zwecke zu erfüllen. Ein stringentes Umwelthaftungssystem kann einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu leisten, dass die materiellen Umweltschutzvorschriften in der Praxis ernstgenommen und in ihrer Geltung gestärkt werden. Die Verpflichtung zum Schadenersatz kann den Schädiger u. U. wesentlich schwerer treffen als die Verhängung von Strafen oder Bußgeldern. Umwelthaftungsvorschriften ergänzen daher durch ihre präventiven Effekte die Schutzwirkung der materiellen Umweltrechtsvorschriften und verbessern damit die Position potentiell Geschädigter. Sie fiihren darüber hinaus zu einer konsequenten Durchfiihrung des Verursacherprinzips: der Schadensverursacher hat als primär Verantwortlicher fiir die Folgen seines Verhaltens unmittelbar einzustehen, indem er diese beseitigen oder ausgleichen muss. Zuzustimmen ist der Konunission schließlich darin, dass eine Inanspruchnahme des Schädigers sowie dessen Bemühen, entsprechende Haftungskonsequenzen durch geeignete Vorsorgemaßnahmen zu vermeiden, Faktoren darstellen, die zur Internalisierung von Umweltkosten beitragen. Eine ganz andere Frage ist, ob diese Ziele nicht bereits durch die bestehenden nationalen Haftungsvorschriften erreicht werden. Für Verstöße gegen Umweltvorschriften, die Sach- und Personenschäden hervorrufen, stehen in allen Mitgliedsstaaten der EG Haftungsvorschriften zur Verfügung. Diese Bestimmungen sehen, wie die Konunission selbst ausführt, überwiegend auch eine verschuldensunabhängige Haftung vor. Es stellt sich daher die Frage, ob sich die nationalen Haftungsvorschriften als so unzulänglich erwiesen haben, dass die Gemeinschaft tätig werden muss. Diesen Nachweis bleibt die Konunission im Weißbuch schuldig. Ein weiteres kommt hinzu. Die Einbeziehung von Sach- und Personenschäden in ein europäisches Umwelthaftungssystem stellt einen erheblichen Eingriff

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in die nationalen Rechtsordnungen dar. Die Haftung rur Sach- und Personenschäden fällt nach der Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedsstaaten traditionell in die Regelungszuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Würde die EG eigenständige Umwelthaftungsvorschriften zum Ersatz von Sach- und Personenschäden erlassen, so könnten damit innerhalb des nationalen Haftungsregimes Regelungswidersprüche entstehen. Für Schäden, die beispielsweise durch die Missachtung von Verkehrsvorschriften verursacht werden, würden dann u. U. andere Anforderungen gelten als bei Schäden, die auf der Verletzung von Umweltvorschriften beruhen. Dies wäre nicht nur unter rechtssystematischen Gesichtspunkten keine optimale Lösung. Über die Durchsetzbarkeit dieser Position sollte sich allerdings niemand Illusionen machen. Die deutschen Bedenken werden von den meisten Mitgliedsstaaten der EG nicht geteilt, die sich in den Orientierungsdebatten im Umweltrat fUr einen weiten europäischen Haftungsansatz unter Einbeziehung traditioneller Schäden ausgesprochen haben. Entgegen einer verbreiteten Stimmung in Deutschland werden Umweltvorschriften der EG von den Mitgliedstaaten überwiegend nicht als Belastung, sondern als Bereicherung empfunden. Dies prägt natürlich auch die Einstellung zum Subsidiaritätsprinzip. Während insbesondere die deutschen Länder dieses Prinzip geradezu wie eine Monstranz vor sich hertragen, von der sie sich Hilfe bei der Abwehr der meist ungeliebten Brüsseler Umweltgesetzgebung erhoffen, wird Subsidiarität bei unseren europäischen Partnern eher als offener, pragmatisch zu handhabender Programmsatz betrachtet. Realistischerweise muss daher davon ausgegangen werden, dass sich diese Linie wohl auch bei der Umwelthaftung durchsetzen wird. 3. Umweltschäden Für den Bereich der eigentlichen Umweltschäden - gemeint ist die Verletzung überindividueller ökologischer Schutzwerte - stellt das Subsidiaritätsprinzip ersichtlich kein Problem dar. Da in diesem Bereich überwiegend keine oder nur partielle nationale Haftungsvorschriften existieren, muss der Schutz der Umwelt hier bislang weitgehend ohne die verstärkende Wirkung des Umwelthaftungsrechts auskommen. Auch das Verursacherprinzip kann bei solchen Umweltbeeinträchtigungen nicht die haftungsrechtlichen Konsequenzen entfalten, die sich bei der Verletzung individueller Schutzgüter ergeben. Die Folge ist, dass die Schadensbeseitigung öffentlichen Stellen - und damit der geschädigten Allgemeinheit selbst - obliegt. Bei den ökologischen Schäden besteht daher in der Tat ein haftungsrechtliches Deflzit, das die Etablierung gemeinschaftlicher Haftungsvorschriften rechtfertigt. Für Deutschland ist hierzu allerdings anzumerken, dass die Naturschutzgesetze verschiedener Länder bei einer Beeinträchtigung von Schutzgebieten die

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Möglichkeit der Wiederherstellung auf Kosten des Verursachers vorsehen \0. Falls die tatsächliche Wiederherstellung ausgeschlossen ist, können Ausgleichs- und Ersatzrnaßnahmen oder Ausgleichszahlungen angeordnet werden, fiir die bestimmte Pauschalbeträge vorgesehen sind 11. Damit verfügt das deutsche öffentliche Recht partiell bereits heute über einen Bestand von Vorschriften, die eine Haftung fiir ökologische Schäden im Sinne des Weißbuchs beinhalten. Diese Regelungen stellen aber, soweit mir bekannt ist, in Europa ein Unikum dar. Andere Mitgliedsstaaten der EG kennen keine entsprechenden Bestimmungen. Mit der geplanten Gemeinschaftsregelung wird daher doch mehr oder weniger Neuland betreten. Auf vielfache Ablehnung ist in der Orientierungsdebatte des Umweltrates im Dezember 2000 die Absicht der Kommission gestoßen, die Haftung fiir Schädigungen der Biodiversität aufNatura 2000-Schutzgebiete zu beschränken. Durch diese räumliche Begrenzung würde sich eine "territoriale Spaltung" des Haftungsrechts - geschützte natürliche Ressourcen in Schutzgebieten einerseits, nicht erfasste Umweltschäden außerhalb solcher Schutzgebiete andererseits ergeben. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist diese Differenzierung nicht zwingend, sondern sogar inkonsequent. Die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie, um deren haftungsrechtliche Flankierung es hier geht, schützen bestimmte gefährdete Arten auch außerhalb von Natura 2000-Schutzgebieten I2 • Angesichts der Neuartigkeit der Materie erscheint es jedoch vertretbar, entsprechende Haftungsbestimmungen in einem ersten Regelungsschritt zunächst auf Bereiche zu konzentrieren, bei denen unter Umweltgesichtspunkten ein vordringlicher Regelungsbedarf auszumachen ist. Deshalb hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme gegen diese Einschränkung letztlich keine Bedenken erhoben. Im Gesamtkontext ist die eben erörterte Frage allerdings eher ein Randproblem. Die eigentlichen Schwierigkeiten bei dieser Schadenskategorie sind konzeptioneller Art. Obwohl die Bundesregierung der Entwicklung gemeinschaftsrechtlicher Umwelthaftungsvorschriften fiir ökologische Schäden grundsätzlich positiv gegenübersteht, hat sie in ihrer Stellungnahme vor unrealistischen Erwartungen gewarnt, dass ein solches Haftungssystem kurzfristig entwickelt werden kann. Die Bewertung des Schutzgutes "Umwelt" - und damit die Beurteilung, ob und in welchem Umfang ein Schaden vorliegt und zu kompensieren So beispielsweise § 43b NatSchG Berlin,.§ 41 NatSchG Hessen. So beispielsweise Art. 13a Abs. 3 iV.m. § 6a Abs. 5 NatSchG Bayern, § 25a Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 4 NatSchG Baden-Württemberg, § 57 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 15 Abs. 4 bis 6 LNatSchG Mecklenburg-Vorpommem, § 45d Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 8 LNatSchG Schieswig-Hoistein. 12 Vgl. insbesondere Art. 2 und 10 f. der FFH-Richtlinie sowie Art. 3 Abs.2 und Art. 4 Abs. 4 Satz 2 der Vogelschutzrichtlinie. \0

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ist - stellt eine fachlich, rechtlich und politisch nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Dieses Vorhaben dürfte von der Regelungsreife noch weit entfernt sein. Die nachfolgend genannten Problempunkte mögen dies verdeutlichen: Da der Umwelt kein "Marktwert" zukommt, müssen zur Bewertung ökologischer Schäden eigenständige Kriterien herangezogen werden. Hierzu werden gegenwärtig weltweit völlig unterschiedliche Bewertungsansätze diskutiert 13 • Zur Erarbeitung einer gemeinschaftlichen Haftungskonzeption wird es deshalb erforderlich sein, dass sich Kommission und Mitgliedsstaaten mit den unterschiedlichen Bewertungsmodellen und -methoden fachlich eingehend auseinandersetzen und auf ein bestimmtes Bewertungsverfahren verständigen. Dieser komplexe Prüf- und Abstimmungsprozess ist aufwändig, er wird sich voraussichtlich schwierig gestalten und erhebliche Anstrengungen erfordern. Das Weißbuch weist selbst zutreffend darauf hin, dass nicht nur allgemeine Kriterien zur Schadensbewertung bei Naturgütern, sondern darüber hinaus auch spezielle Vorgaben zur Bestimmung der Erheblichkeit eines Umweltschadens sowie Maßstäbe für den Umfang der Haftung benötigt werden. Es geht um die Fixierung von Bagatellschwellen, um die Festlegung von Wiederherstellungsstandards und um eine Begrenzung des Wiederherstellungsaufwandes unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten. Insgesamt ergibt sich damit hier ein sehr umfangreiches, vielschichtiges und differenziertes Prüf- und Arbeitsprogramm. Nicht vernachlässigt werden dürfen schließlich auch die Aspekte der VerJahrensejJizienz und Praktikabilität. Hier geben einige Überlegungen im Weißbuch Anlass zu Bedenken. Nach den Vorstellungen der Kommission soll zur Bestimmung des Umfangs der Ersatzpflicht offenbar in jedem Einzelfall eine Kosten-Nutzen-Analyse bzw. eine "Angemessenheitsanalyse" durchgefiihrt werden. Dies klingt nach zeitraubenden und kostenintensiven Gutachten. Ziel sollte es demgegenüber sein, bei der Entwicklung einer Bewertungsmethodik nach Möglichkeit einfach handhabbare Beurteilungskriterien und -maßstäbe zu erarbeiten, mit denen der Verfahrens- und Kostenaufwand in Grenzen gehalten werden kann. Von einer abschließenden Klärung dieser Fragen ist die Kommission bei ihren bisherigen Überlegungen noch weit entfernt 14. Eine Klärung sollte jeden13 Vgl. beispielsweise Alfred Endres, Karin Holm-Müller, Bewertung von Umweltschäden, 1998; Robert Markgraf, Sabine Straub u.a., Ökonomische Bewertung der natürlichen Umwelt, 1997; ferner die in Fn. 14 genannte Studie. 14 Die Kommission hat allerdings inzwischen die folgende neue Studie vorgelegt, die sich mit den angesprochenen Fragen befasst: MacAlister Elliott and Partners Ltd, Economicsfor the Environment Consultancy Ltd, Study on the Valuation and Restoration of

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falls erfolgen, bevor der Komplex der ökologischen Schäden in ein Umwelthaftungssystem der Gemeinschaft integriert wird. Eine Rahmenrichtlinie, die die Beantwortung der offenen Bewertungsaspekte den Mitgliedstaaten überließe, würde zwangsläufig zu uneinheitlichen Haftungsvorschriften in Europa fUhren. Damit würde das Regelungsziel einer Harmonisierung der Umwelthaftung verfehlt. 4. Versicherbarkeit Auf die Notwendigkeit anerkannter und praktikabler Bewertungsmaßstäbe und -methoden für die Kalkulation ökologischer Schäden hat mit Nachdruck nicht zuletzt die Versicherungswirtschaft hingewiesen. Sie sieht sich außerstande, für Umweltschäden, wie sie die Kommission in künftigen Haftungsvorschriften erfassen möchte, Versicherungsschutz anzubieten. Da das Haftungsrisiko ohne geeignete Bewertungsgrundlagen nicht sicher abschätzbar ist, dürfte es z. Zt. kaum möglich sein, belastbare Versicherungstarife festzulegen. Damit gerät die Kommission, die diese Problematik durchaus nicht verkennt, in ein gewisses Dilemma, das sich im Weißbuch in Form widersprüchlicher Aussagen niederschlägt. Einerseits wird zurecht betont, dass die Versicherbarkeit von Umweltschäden eine zentrale Rolle für ein funktionsHihiges Umwelthaftungssystem spielt, weil sie dazu beiträgt, den Aufbau haftungsumgehender Unternehmensstrukturen zu vermeiden. Andererseits möchte die Kommission die geplante Umwelthaftungsrichtlinie aber offenbar schon vor der Klärung der offenen Bewertungsfragen auf den Weg bringen. Ein solches Vorgehen wäre nicht seriös. Die Inkraftsetzung gemeinschaftlicher Haftungsbestimmungen ist nur dann für die Akteure verkraftbar, wenn die Haftungsrisiken qualitativ und quantitativ verlässlich ermittelt werden können. In diesem Zusammenhang sollte auch über die Einfiihrung von Haftungshöchstgrenzen nachgedacht werden. Das Weißbuch geht auf diese Frage nicht ein. Haftungshöchstgrenzen wären nicht nur ein einfaches und wirksames Mittel, um die Umwelthaftung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen zu begrenzen. Sie erleichtern auch die Kalkulierbarkeit potentieller Umweltschäden damit deren Versicherbarkeit. Der Umweltrat hat sich in seiner Orientierungsdebatte im Dezember 2000 mit dem Thema befasst, wie der Schadensausgleich in Umwelthaftungsfällen realisiert werden könnte, in denen ein Verursacher nicht feststellbar oder nicht leistungsfähig ist. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage einer möglichen the Darnage to Natural Resources for the Purpose of Environmental Liability, 2001, veröffentlicht im Internet unter http://europa.eu.intlcomlenvironrnentlliabilitylbiodiversity_rnain.pdf.

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Einstandspflicht des Staates. Deutschland hat sich zusammen mit anderen Mitgliedsstaaten unter Hinweis auf das Verursacherprinzip gegen eine subsidiäre Staatshaftung für Umweltschäden ausgesprochen. Zur Haftung im Konkursfalle des Verursachers wurden in der Debatte zum Teil Garantiefonds oder Versicherungsmodelle vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat dabei aus den eben genannten Gründen rur die Einruhrung einer ausreichenden obligatorischen Deckungsvorsorge sowie von Haftungshöchstgrenzen plädiert. 5. Schadensbeseitigung Zum Abschluss soll noch kurz das Thema angeschnitten werden, in welcher Weise der Haftende rur die Schadensbeseitigung zu sorgen hat. Nach der Haftungskonzeption des Weißbuchs soll der Verursacher zur Zahlung der Kosten für die Beseitigung des angerichteten Umweltschadens veranlasst werden. Gegenstand der Haftung ist somit die Leistung eines monetären Ausgleichs. Damit reduziert sich der Beitrag des Schädigers auf eine bloße Zahlungspflicht. Für die physische Wiederherstellung eines umweltgerechten Zustandes sollen dagegen offenbar der Geschädigte selbst oder öffentliche Stellen zuständig sein. Das deutsche Haftungsrecht - und zwar sowohl das Zivilrecht als auch das Polizei- und Ordnungsrecht - beschreitet dagegen einen anderen Weg. Danach ist es vorrangig der Schädiger, der rur die tatsächliche (physische) Beseitigung des Schadens zu sorgen hat. Der Geschädigte oder Behörden treten nur subsidiär - z. B. nach öffentlich-rechtlichen Kategorien im Wege der Selbst- oder Ersatzvornahme - auf den Plan, wenn der Schadensverursacher seiner Pflicht nicht nachkommt. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme gegenüber der Kommission zu bedenken gegeben, ob das deutsche Haftungsmodell dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip nicht besser gerecht wird als ein System, bei dem der Schädiger als bloßer Kostenträger in Erscheinung tritt. Ein solcher Ansatz würde unterstreichen, dass Umweltschäden nicht schon durch eine angemessene Geldleistung als solche, sondern erst durch die tatsächliche Realisierung der notwendigen Sanierungsmaßnahmen ausgeglichen sind, für die das Geld bereitgestellt wird. Dies wäre auch im Sinne der FFH- und Vogelschutzrichtlinie konsequent, die die Mitgliedsstaaten verpflichtet, bei einer Schädigung geschützter Naturressourcen die Wiederherstellung intakter Umweltverhältnisse zu gewährleisten ls . Mit einer entsprechenden haftungsrechtlichen Regelung würde diese Verpflichtung umnittelbar an den Schädiger durchgereicht. Immerhin sieht das Weißbuch bei den ökologischen Schäden eine ausdrückliche Verpflichtung der IS Vgl. Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. I und Art. 6 der FFH-Richtlinie sowie Art. 3 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie.

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Behörden vor, den vom Schädiger geleisteten Betrag effektiv und zweckgerichtet zur Sanierung der verletzten Naturressource einzusetzen. Es wäre in der Tat beruhigend zu wissen, dass der Schadenersatz in solchen Fällen tatsächlich der ramponierten Umwelt zugute kommt, und nicht etwa zur Finanzierung sonstiger Ziele oder allgemein zur Behebung von HaushaltsdefIziten eingesetzt wird.

IV. Fazit Das Weißbuch zur Umwelthaftung ist eine inhaltsreiche und komplexe Unterlage. Es enthält eine Vielzahl von Überlegungen und Regelungsvorschlägen, von denen vorstehend nur ein Teil gewürdigt werden konnte. Vertiefte Aufmerksamkeit verlangen nicht zuletzt solche zentralen Haftungsgesichtspunkte, die in der Darstellung der Kommission ausgeklammert worden sind oder zu denen sich das Weißbuch lediglich in Andeutungen ergeht. Hierzu gehören etwa die Ausgestaltung der Beweislast, die Festlegung von Rechtfertigungsgründen sowie mögliche Haftungsbefreiungen oder -erleichterungen aufgrund von Billigkeitserwägungen. Ein wichtiger Fragenkreis, auf den hier ebenfalls nicht mehr eingegangen werden kann, wird im Weißbuch eher missverständlich unter dem Stichwort "Zugang zu Gerichten" zusammengefasst. Dort geht es nicht allein um die Frage, wer prozessrechtlich legitimiert ist, Umwelthaftungsansprüche geltend zu machen. Thematisiert wird vielmehr auch, inwieweit Einzelpersonen der Bevölkerung oder Verbände die Befugnis erhalten sollen, bei drohenden Umweltschäden präventiv - durch Anrufung von Behörden und Gerichten oder sogar qua Selbsthilfe - tätig zu werden 16 - ein Gedanke, der in der umweltpolitischen Diskussion hierzulande z. T. blankes Entsetzen auslöst, in anderen EG-Staaten aber - auch aufgrund der unspektakulären Erfahrungen, die dort mit solchen Instrumenten gewonnen werden - wesentlich entspannter betrachtet wird. Unerwähnt bleiben muss schließlich auch das Verhältnis des künftigen Umwelthaftungsrechts der Gemeinschaft zu internationalen Haftungskonventionen. Mit dem vorliegenden Beitrag konnte angesichts der Fülle des Materials nur ein erster Einstieg in die Materie geleistet werden. Der von der Kommission angekündigte Richtlinienvorschlag 17 wird Gelegenheit geben, die Diskussion demnächst auf konkreterer Grundlage fortzuführen und zu intensivieren. 16 Die Kommission beruft sich bei ihren diesbezüglichen Ausführungen u. a. auf Art. 9 des UN-ECE Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention). Das erwogene Selbsthilferecht dürfte allerdings über die Forderungen der Aarhus-Konvention hinausgehen. 17 Siehe Fn. 7.

Diskussion zu dem Referat von Christof Sangenstedt Bericht: Stefanie Gille Nachdem Sangenstedt über den Stand der EG-Initiative zur Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts berichtet hatte, wurden in der Diskussion noch einmal die problematischen Punkte der Initiative aufgegriffen und hinterfragt. Die Diskussion wurde eröffnet durch Knebel, der aus der Haftungskonzeption des Weißbuchs der Kommission zur Umwelthaftung den Bereich der Aktivitäten und Verschuldensmaßstäbe noch einmal herausgriff und auf die haftungsbegriindende Aktivität einging, die einen zentralen Punkt fiir die Wirtschaft darstelle. Der Vergleich mit dem deutschen UGB zeige, dass man sich dort als Anknüpfungspunkt auf den Anlagenbegriff beziehe, was vor allem auch mit Blick auf die Versicherungswirtschaft und die zu versichernden Risiken geschehe. Im Weißbuch der EG werde nun ein anderer Ausgangspunkt, nämlich "Aktivität" an sich gewählt. Damit ginge das Weißbuch zwar einerseits weiter, weil keine Eingrenzung auf Anlagen vorgesehen sei, andererseits müsse es sich aber um Aktivitäten handeln, die gegen EG-Umweltrecht verstießen. Die Definition eines Rechtsverstoßes ziehe es nach sich, dass auch ein rechtswidriges Verhalten vorliegen müsse. Dies sei nach deutschem Recht gegenwärtig aber nicht der Fall, da auch bei Norrnalbetrieb, also bei Einhaltung von Grenzwerten, eine Haftungsbegriindung vorliegen könne, wenn ein Schaden entstünde. Eine Anlage im bestimmungsgemäßen Betrieb, die einen Schaden verursache, unterläge damit zwar nach momentanem deutschen Recht möglicherweise einer Haftung, nach den Vorgaben des Weißbuchs sei dies dann allerdings nicht mehr der Fall. Das stelle einen Rückschritt für die bisherige deutsche Rechtslage dar und sei insofern kaum wünschenswert. Sangenstedt pflichtete dem insofern bei, als im Weißbuch nicht klar werde, ob der Begriff des "Verstoßes" in diesem Zusammenhang rechtswidrige Aktivitäten erfordere oder auch eine Aktivität im allgemeinen in einem Bereich, der von der EG rechtlich geregelt sei, ausreiche. An anderer Stelle im Weißbuch werde unter den Stichworten Rechtfertigungsgründe und Gleichheitsgrundsatz erörtert, ob jemand, der sich im Rechtsrahmen halte, also z.B, auch im Rahmen einer Genehmigung handele, nicht von der Haftung befreit werden könne. Dies könne als Hinweis darauf verstanden werden, dass es auf die Rechtswidrigkeit letzten Endes nicht ankomme. Somit bleibe die Auslegung des Begriffs der

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"Aktivität" dehnbar. Klar sei nur, dass es sich um eine Gefährdungshaftung handeln solle. Bevor man also das Haftungssystem implementiere, seien solche Fragen noch zu klären. In Bezug auf die zu erwartenden Fort- oder Rückschritte wollte Wagner wissen, wie denn das nun folgende Verfahren aussehe und welche Schritte zur Umsetzung nunmehr unternommen werden sollten. Bezugnehmend auf seinen Vortrag erläuterte Sangenstedt, dass die Stellungnahmen der Mitgliedstaaten nunmehr fast alle bei der Kommission eingegangen und auch bereits in einem ersten Durchlauf begutachtet worden seien. Es habe im Dezember 2000 eine erste komplexe Debatte über das zu planende Umwelthaftungsrecht im Umweltrat zu konzeptionellen Fragen einer möglichen künftigen Umwelthaftungsrichtlinie gegeben. Nach einer Ankündigung der Kommission solle bereits Ende 2001 ein erster Entwurf als Vorschlag für eine Haftungs-Rahmenrichtlinie vorliegen. 1 Bezogen auf die versicherungsrechtlichen Probleme der Haftungskonzeption des Weißbuchs der Kommission fragte Kriese nach, ob der Grund der Bedenken der Versicherungswirtschaft gegen die Neukonzeption nicht vor allen Dingen in dem bisherigen Fehlen von statistischem Material liege. Für die Versicherungswirtschaft sei zum Teil sehr entscheidend, dass Datenmaterial über Wahrscheinlichkeit und Auswirkungen eines Schadensfalles vorliege und dies sei im Umweltbereich - gerade auch bezogen auf die ökologischen Schäden eben noch nicht der Fall. Das Problem mangelnder Vorauskenntnis werde sich im Laufe der nächsten Jahre verringern und mit ihm auch die Bedenken der Versicherungswirtschaft, wenn man über entsprechende Daten verfuge. Sangenstedt bestätigte, dass dies ein Punkt sei, der die Bedenken der Versicherungswirtschaft mit begründe. Das Entscheidende sei aus seiner Sicht aber, dass die Branche bisher nicht wisse, wofUr sie nach der Änderung des Haftungsrechts Leistungen erbringen müsse. Zum einen wisse man nicht, was fUr Schäden mit einbezogen würden. Zum anderen wolle die Kommission eine Bagatellschwelle fixieren, nach deren Größe sich auch der Aufwand der Wiederherstellung bemesse. Außerdem sei als obere Grenze ein "Abschneidekriterium" geplant, was dazu fuhren solle, dass ein unverhältnismäßiger Aufwand nicht erfasst werde. In dem Zwischenbereich gebe es Einbußen an Naturgütern, die keinen Marktpreis hätten. In einigen Naturschutzgesetzen der Länder gebe es recht simple Vorschriften, nach denen Pauschalsätze als Ausgleichszahlungen vorgesehen seien, so z.B. fUr einen Kubikmeter Erde 100 DM, was aber auch nur eine sehr grobe Einteilung darstelle und nicht allgemein zu verwenden sei. Insofern sei eine Kalkulation des Schadens nicht einfach und die ProblemaI Der Richtlinienvorschlag wurde im Januar 2002 vorgelegt. Siehe Fn. 7 im Beitrag Sangenstedt.

Diskussion zu dem Referat von Christof Sangenstedt

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tik stelle sich zum Teil schon im Naturschutzrecht selbst, wo die Begriffe "Schaden" und ,,Ausgleich" miteinander kumulierten. Die entscheidenden Fragen seien dabei, wie auszugleichen sei, was dies koste und ob der Ausgleich verhältnismäßig sei. Wichtig sei rur die Versicherungswirtschaft vor allem, dass man eine Haftungshöchstgrenze vorsehe, die bisher in dem Entwurf der EU nicht vorgesehen, aber von Deutschland bereits in Brüssel angeregt worden sei. Hinsichtlich der Bodenverunreinigung stellte Kromarek die Frage, inwiefern eine solche Verunreinigung überhaupt in das Haftungsrecht der EU Einzug fmden könne. Entweder man behandele es als reine Bodenverunreinigung und erfasse es somit als Schädigung der biologischen Vielfalt, oder aber man behandele solche Fälle als Gegenstand reinen Polizei- bzw. Verwaltungsrechts. Dann aber habe die Schädigung in einem solchen Haftungsystem nichts zu suchen. Sangenstedt stellte hierzu fest, dass auch dies ein sehr problematischer Bereich mit noch vielen Unklarheiten sei. Die Schwierigkeiten seien die gleichen wie bei den Schäden an der biologischen Vielfalt, so dass es dort große Berührungspunkte gebe. Bereits im Rahmen einer Beschäftigung mit dem Bodenschutzgesetz in Deutschland werde die Problematik sichtbar. Es müsse ergänzt werden durch verschiedene Kriterien und Maßstäben, was aber angesichts der Vielfalt der Stoffe außerordentlich schwierig sei. Die Kommission sei der Meinung gewesen, dass der Bodenschutz eine eigenständige Kategorie sei, worüber sich jedoch streiten lasse. Vergleiche man die Schäden der biologischen Vielfalt in Natura 2000-Gebieten und Bodenverunreinigungen, dann passe dies in der Tat nicht zusammen, weil die "Bodenverunreinigung" relativ weit, der andere Bereich sehr viel schmaler und enger gefasst sei. Die Umsetzungsprobleme seien in beiden Feldern aber ganz ähnlich. Auch bei der Bodenverunreinigung sei es schwierig, Schäden zu kalkulieren, im Bodenschutzrecht existierten zudem sehr verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Berechnungsarten. Man werde sich in Zukunft innerhalb der Gemeinschaft noch darüber verständigen müssen, wie man dieses Problem in den Griffbekomme.

Zum Abschluss der Diskussion stellte Bohne noch einmal Fragen zu dem starren Anlagenkatalog im deutschen Recht, der eine Abgrenzung der erfassbaren Handlungen ermöglichen solle. Die Frage danach, ob die Richtlinie der EU dazu zwingen würde, von diesem Katalog abzuweichen, wurde von Sangenstedt mit dem Hinweis beantwortet, dass dies bisher nicht ausreichend diskutiert und deswegen noch nicht klar sei. Er vermute allerdings, dass die Kommission sich nicht mit einer alleinigen Anlagenhaftung zufrieden geben werde. Der Wunsch der Mitgliedstaaten sei es vielmehr, den Kreis weiter zu ziehen, wobei man allerdings auch präziser werden wolle. Dass eine von Bohne angesprochene Anpassung des Anlagenkatalogs nach dem UmweltHG erforderlich sei, wurde von Sangenstedt ebenso gesehen. Diese befände sich bereits in der Planung.

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Die Frage von Bohne nach der Möglichkeit einer Regelung der ökologischen Schäden auch über einen zivilrechtlichen Anspruch in Deutschland, wurde von Sangenstedt mit dem Hinweis auf eine zu erwartende öffentlich-rechtliche Regelung verneint. Dennoch kam Bohne auf die Idee einer zivilrechtlichen Regelung zurück, wobei er hierbei auf eine mögliche Ergänzung der Geschäftsführung ohne Auftrag abstellte. Diese würde voraussetzen, dass man ein fremdes Geschäft mit Zustimmung des Betroffenen führe. Die Zustimmung könne über das öffentliche Interesse geregelt werden, so dass in der Folge ein Kostenerstattungsanspruch entstehen würde. Diese Konstruktion stelle insofern auch keine dogmatische Spielerei dar, weil im Unterschied zum öffentlichen Recht auch private Umweltgruppen und ähnliche, die bestimmte Arbeiten zur Schadensbeseitigung vorgenommen hätten, einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen könnten. Bei der Lösung über das öffentliche Recht müsse ein Verwaltungsakt erlassen werden, gegen den ein Widerspruch eingelegt werden könne. Dadurch bestehe die Gefahr eines langwierigen Verfahrens zur Durchsetzung des Kostenerstattungsanspruchs. Zudem müsse die Behörde auch tätig geworden sein. Bei Nicht-Tätigwerden könne man nur eine Untätigkeitsklage erheben. Die größere Dynamik, die das Zivilrecht hier mit sich bringen könnte, sei aus diesen Gründen nicht zu unterschätzen. Zwar könne er sich nicht vorstellen, dass aus Umweltschutzgründen das BGB geändert werde, aber eine entsprechende Regelung im Umwelthaftungsgesetz sei denkbar. Die Diskussion wurde von Sangenstedt damit beendet, dass er noch einmal auf die Überlegungen im Weißbuch zum Zugang zu den Gerichten verwies. Diese behandelten genau diesen Themenkomplex und sähen vor, dass Private, einzelne Bürger, Verbände etc., eingetretene Umweltschäden quasi im Wege der Selbsthilfe oder als Geschäftsführung ohne Auftrag beseitigten oder drohende Umweltschäden verhinderten. Das Weißbuch sehe dies allerdings nur dann vor, wenn staatliche bzw. öffentliche Hilfe nicht zu erreichen sei, was bereits enge Grenzen ziehe. In Deutschland habe es um die Implementierung in das Zivilrecht bereits Debatten gegeben, wobei aber das Szenario, dass Greenpeace in die nächste Fabrik ziehe und die Produktion stilllege, weil ein wenig Rauch aus dem Schornstein gedrungen sei, sehr abschreckende Wirkung gehabt habe. Bereits jetzt gebe es im Zivilrecht die Geschäftsführung ohne Auftrag, die auch nur in bestimmten Grenzen möglich sei und nicht aufgedrängt werden dürfe. Er könne sich vorstellen, dass die Elemente eines solchen Instituts im Rahmen einer zu erwartenden Regelung genutzt würden, wolle sich aber nicht festlegen bei der Frage, ob man dies nun zwingend im Zivilrecht regeln müsse oder ob nicht auch das öffentliche Recht Entsprechendes vorsehen könne. Der Grundgedanke jedenfalls sei im Zivilrecht schon vorhanden, so dass man daran anknüpfen könne. Bohne erinnerte abschließend daran, dass bei der Erarbeitung des Umwelthaftungsgesetzes mit dem BMJ bereits über die Geschäftsftihrung ohne Auftrag

Diskussion zu dem Referat von Christof Sangenstedt

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diskutiert worden sei, wobei diese vom BMJ im Hinblick auf Umweltschäden wie Bohne formulierte - als eine "Perversion des Zivilrechts" angesehen worden sei. Der "Funkenflugfall" (BGHZ 40,28) habe nach Auffassung des BMJ einen ,,Betriebsunfall der Rechtsprechung" dargestellt.

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Rechtsrahmen für Umweltvereinbarungen in einem Umweltgesetzbuch Von Jürgen Knebel

I. Einleitung 1. Selbstverpßichtungen sogar bei der Klimavorsorge

Wer Selbstverpflichtungen auch heute noch als untergeordnetes oder gar seltenes Instrument bezeichnet, übersieht die Bedeutung, die ihnen in den letzten Jahren zugewachsen sind. Ca. 130 Selbstverpflichtungen wurden abgegeben und sogar das zentrale umweltpolitische Anliegen der Bundesregierung, den Klimaschutz voranzutreiben, soll im Wesentlichen mit Hilfe entsprechender Selbstverpflichtungen erreicht werden. Ausgehend von der Erklärung der deutschen Wirtschaft vom 27. März 1996 wurde am 9. November 2000 eine Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft zur globalen Klirnavorsorge getroffen, in der die Wirtschaft ihre umweltbezogene Zusage erneuert und bekräftigt. Sie erklärt ihre Bereitschaft, ihre spezifischen Emissionen über alle sechs im Kyoto-Protokoll genannten Treibhausgase insgesamt um 35% bis 2012 im Vergleich zu 1990 zu verringern. In diesem Zusammenhang sagt die deutsche Wirtschaft zu, bis 2005 zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um eine spezifische CO2-Minderung von 28% im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Die Bundesregierung begrüßt in dieser Vereinbarung diese erweiterte Erklärung und wird - solange die Selbstverpflichtung erfolgreich umgesetzt wird keine Initiative ergreifen, um die klimaschutzpolitischen Ziele auf ordnungsrechtlichen Wege zu erreichen. Dies ist - verkürzt aber prägnant - das Muster aller Selbstverpflichtungen: Zusagen der Wirtschaft gegen ordnungsrechtlichen Verzicht der Regierung. Diese Zusagen sind bislang jeweils als einseitige Erklärungen ohne Rechtsbindungswillen zu verstehen, so dass ein Vertrag nicht zustande kam. Die Klimavorsorgeerklärung indessen vom 9.11.2000 stellte die bisherigen einseitigen Erklärungen "auf eine gemeinsame Basis", um "damit auch die beiderseitige Verbindlichkeit der Zusagen zu unterstreichen". Ob damit die Rechtsbindung i. S. der Vertragsqualität und die Einklagbarkeit der Verpflichtungen gewollt ist, dürfte zweifelhaft sein, vermutlich soll lediglich die (einseitige aber wechselbezügliche) Zusagequalität auf eine höhere Stufe

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gestellt werden. Auf jeden Fall wird hier deutlich, dass selbst zentrale klimapolitische Weichenstellungen mit dem Instrument der Selbstverpflichtungen administriert werden, was den Ruf nach Regulierung dieses Instruments - z. B. im UGB - unvermeidlich werden lässt. 2. Der Ruf nach Regulierung Der Ruf nach der Regulierung informalen Handeins im Unweltbereich ist so alt wie das Informale selbst. Als in der Bundesrepublik die ersten Selbstverpflichtungen, I also rechtlich unverbindliche Umweltvereinbarungen, das Licht der Welt erblickten, erhoben sich etliche Vorbehalte: Da Recht schließlich von der Form lebe und die rechtsstaatliche Errungenschaft gerade in der Überwindung rechtsbindungslosen Verwaltungshandelns bestehe, können Selbstverpflichtungen leicht zu gesetzesfemer Nachlässigkeit und Missbrauch fUhren. Mahnende Worte wie "Dunkelkammer des Rechtsstaats"2, "Verkauf von Hoheitsakten,,3, "Vertrauliche aber freundschaftliche Kungelei,,4, "Schwachstelle des Rechtsstaates"S und ähnliches legen Zeugnis ab vom hohem Misstrauen in die Zuverlässigkeit rechtsstaatlicher Steuerung in diesem Bereich. Und heute über zwei Dezennien später, nach Erfahrungen von ca. 130 abgelaufenen und noch aktuellen Selbstverpflichtungen, nach vielen erfolgreichen und wenigen weniger erfolgreichen Selbstverpflichtungen6 wird die Frage aktueller, ob wir diesem Instrument einen rechtlichen Rahmen geben wollen, und was läge näher, dies in einem Umweltgesetzbuch zu tun? Die Unabhängige Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim BMU7 hat diese Frage dadurch beantwortet, dass sie bei der "Recht- und Regelsetzung" in den §§ 34 bis 40 des Entwurfs fUr die rechtlich unverbindlichen Selbstverpflichtungen und normenersetzenden Verträge eine recht ausI Zur Begriffiichkeit Jürgen Knebel/Lutz Wicke/Gerhard Michael, Selbstverpflichtungen und normersetzende Umweltverträge als Instrumente des Umweltschutzes, Berichte 5/99 des UBA, 1999, S. 24 ff.; zum Informalen grundlegend Eberhard Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981; ders., Informales Verwaltungshandeln, in: OUo Kimminich/Heinrich von LersneriPeter-Christoph Storm, Handwörterbuch des Umweltrechts, Bd. I, 2. Aufl., 1994, Sp. \046- \082. 2 Vgl. dazu zusammenfassend Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 46 m.w.N. 3 Vgl. m.w.N. Michael Kloepjer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, § 5 Rdn.189. 4 Wolfgang HofJmann-Riem, Gesetzgebung im Rechtsstaat - Selbstbindungen der Verwaltung, VVDSt RL 40, 1982, S. 187, 234. 5 Horst Sendler, 40 Jahre Rechtsstaat des Grundgesetzes - Mehr Schatten als Licht?, DÖV 1989, S.482, 486. 6 V gl. zu dem Maßstab des Erfolges näher Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 316 ff. 7 Bundesministeriumfür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), UGBKornE,1998.

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fiihrliche Regelung geschaffen hat, die vor dem Hintergrund der neuen Entwicklungen zum UGB überprüfenswert ist. Es ist der Regelungsnotwendigkeit unter mehreren Gesichtspunkten nachzugehen und dabei jeweils zwischen Selbstverpflichtungen und nonnersetzenden Verträgen wegen ihrer unterschiedlichen Rechtsqualität zu differenzieren. Dabei kann man sich in diesem Rahmen nur auf wenige bedeutende Punkte konzentrieren.

11. Normierung des Informalen - ein Widerspruch in sich selbst? Die Selbstverpflichtung als Ausdruck konsensualer Handlungslösungen setzt sich vom imperativen Vorgehen u. a. dadurch ab, dass sie vom Privileg der freien Fonnenwahl8 Gebrauch macht: die Verhandlungs lösung tritt an die Stelle der Rechtsverordnung und das Aushandeln tritt an die Stelle der Direktive. Die strengen Inhalts- und Verfahrensregelungen rechtsstaatlicher Rechtsetzung einschließlich vieler Beteiligungsregelungen stören die Kreise der am Aushandlungsprozess Beteiligten nicht. Gerade die Regelungsfeme ist gewünscht und ein wichtiger Grund für die Beliebtheit des Instruments. Und gerade dieser Vorteil soll beseitigt werden? Es ist zu Recht in der Vergangenheit oft auf die Gefahren der Refonnalisierung des Infonnalen hingewiesen worden. Denn es wird neues Venneidungsverhalten provoziert und es werden neue Subsysteme etabliert. 9 Ferner steht ein Rechtsrahmen für Umweltvereinbarungen im Widerspruch zu den Bemühungen in Deutschland und der EU um Deregulierung. 10 Und ist nicht die Delegation zur gesellschaftlichen Selbstbeherrschung i. S. von mehr Eigenverantwortung und Eigeninitiative eines der gewollten Rezepte, um die Staatsentlastung im Umweltschutz sowie die Vereinfachung des Rechts sowie die Deregulierung auch in der realen Politik durchzusetzen oder auch der Vollzugskrise zu begegnen? 11 Und sind schließlich neue Handlungsfonnen der Recht- und Regelsetzung nicht auch Ausdruck des gelebten und vom Umweltrecht ausdrücklich gewolltem Kooperationsprinzips, 12 das bei Selbstverpflich8 Vgl. zur Auseinandersetzung mit der Lehre von der Formgebundenheit Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 75 ff. m.w.N. 9 Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 47. 10 Wolfgang HojJmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsentwicklung, DÖV 1997, S. 433, 435; vgl. auch Der Rat von Sachverständigen fiir Umweltfragen (SRU). Umweltgutachten 1998, S. 160. 11 Vgl. dazu näh·er Bohne (Fn. I), 1981, S. 22 ff. 12 Vgl. dazu aktuell Christoph Gusy, Kooperation als staatlicher Steuerungsmodus, ZUR 200 I, S. I ff.; Dietrich Murswiek, Das sogenannte Kooperationsprinzip - ein Prin-

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tungen im Vorfeld der verbindlichen Regelsetzung sogar nachweisbar normvermeidend wirkt? Wer all dies bedenkt, wird bei der rechtlichen Einhegung der Umweltvereinbarungen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten wollen; der Charakter der Umweltvereinbarungen sollte nicht angetastet werden; der "Witz" ihrer Existenz - z. B. bei den Selbstverpflichtungen - liegt gerade in der Unverbindlichkeit und fehlenden Formalisierung; hier sollte nur insoweit eine positiv rechtliche Regelung erfolgen, als sie verfassungsrechtlich zwingend notwendig ist und die praktische Anwendbarkeit des Instruments fakultativ unterstützen hilft, also konstruktive Schwächen des informalen Instruments abmildert.

III. Verfassungsrechtliche Bindungen und Maßstäbe für Selbstverpflichtungen Unbestritten ist, dass das Informale der ordnenden Welt des Rechts teilhaftig werden muss, unabhängig davon, ob die Akteure dies wollen oder sogar zu vermeiden versuchen. Die Rechtunverbindlichkeit der Selbstverpflichtungen fUhrt nicht zur Rechtsunerheblichkeit: Faktisches Handeln wie z. B. bei Selbstverpflichtungen ist genauso wie das förmliche Tun rechtsstaatlich und demokratiestaatlich so einzuhegen, dass der Staat sich nicht durch Formenwahl seiner verfassungsrechtlichen Bindungen entziehen kann. \3 Dagegen könnte nun vorab schon eingewandt werden, verfassungsrechtliche Bindungen gelten ohnehin unmittelbar und bedürften keiner gesetzlichen Unterstützung im UGB. Dies ist zwar theoretisch richtig, geht aber an dem Befund vorbei, dass die gesetzgeberische einfach-gesetzliche Ausformung verfassungsrechtlicher Vorgaben unter rechtspraktischen Gesichtspunkten oft sinnvoll ist; auf jeden Fall aber die Rechtssicherheit erhöht, gerade im Hinblick auf Rechtsgeltung und Rechtsbestand rechtsformlosen HandeIns. Was verfassungsrechtlich nicht mehr in Frage gestellt wird, hat größere Geltungs- und sicherere Wirkkraft.

zip des Umweltschutzes, ZUR 200 I, S. 7 ff.; Moritz Reese, Das Kooperationsprinzip im Abfallrecht, ZUR 2001; S. 14 ff.; Joachim Wieland, Das Kooperationsprinzip im Atomrecht, ZUR 2001, S. 20 ff. sowie Andreas Voßkuhle, Das Kooperationsprinzip im Immissionsschutzrecht, ZUR 2001, S. 23 ff. 13 Vgl. dazu statt aller Philip Kunig, Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, DVBI. 1992, S. 1193, 1198; Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln; 1995, S. 83.

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1. Vorbehalt des Gesetzes in seiner rechtsstaatlichen Dimension Lassen Sie mich dies am Beispiel des Vorbehalts des Gesetzes in seiner rechtsstaatlichen Dimension verdeutlichen. Geht man davon aus, dass der staatliche Mitwirkungsakt öffentlich-rechtlich zu qualiflzieren ist, da das Tun das öffentlich-rechtliche exekutive Rechtssetzungsermessen betrifft l4 und geht man weiterhin davon aus, dass nach der Empirik die vorn Staat ausgehende Drucksituation prinzipiell geeignet ist, zu einern Grundrechtseingriff zu fUhren (mehr als nur "hoheitliche Inspiration") und auch die Freiwilligkeit des Grundrechtsverzichts höchst fraglich ist,15 wird die Frage nach der Ermächtigungsgrundlage bedeutsam. Da die meisten Selbstverpflichtungen verordnungsvertretenden Charakter haben, liegt die gesetzliche Grundlage fUr von der Selbstverpflichtung ausgehenden Eingriffe in der entsprechenden Verordnungsermächtigung, d. h. Eingriffe in die Rechtssphäre der betroffenen Vereinbarungspartner wie auch Dritter, insbesondere Zulieferer, werden dadurch eingriffsrechtlich legitimiert. Dieser Gedanke der Geltung des Vorbehaltsprinzips ist auch Grund dafUr, dass die Sachverständigenkommission in § 35 ihres Entwurfs von Selbstverpflichtungen fordert, dass ihre Inhalte "Gegenstand einer Rechtsverordnung nach diesem Gesetzbuch sein können". Mit dieser Festlegung ist sichergestellt, dass grundrechtsrelevante Selbstverpflichtungen dem Vorbehalt des Gesetzes entsprechen. Zweifel über die Eingriffsqualität und über die Reichweite der Grundrechtsbeschränkung in der zuliefemden Absatzkette können dann nicht mehr auftauchen. Gleiches gilt ftir die normersetzenden Verträge, fUr die die Sachverständigenkommission u. a. die Prämisse aufgestellt hat, dass die Vorraussetzungen fUr den Erlass einer Rechtsverordnung vorliegen müssen, vergleichbar der Verwaltungsakts-Surrogats-Regelung des § 54 VwVfG. Für Verträge gilt die Vorbehaltsrestriktion urnso mehr, als der normersetzende Inhalt rechtlich verbindlich ist und insoweit von vorneherein den gleichen Vorbehaltsanforderungen wie die Rechtsetzung entsprechen muss. Insoweit neige ich also dazu, eine dem Vorbehaltsprinzip entsprechende Regelung vorzusehen. Sie ist nötig, um keine verfassungsrechtlichen Zweifel in Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes aufkommen zu lassen.

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Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 49. Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 61.

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2. Überschießender Selbstverpflichtungsinhalt Hält sich die grundrechtseingreifende Selbstverpflichtung oder der Vertrag nicht in den Grenzen der RVO-Ermächtigung, liegt also ein überschießender Inhalt vor und fehlt ein wirksamer Grundrechtsverzicht, sind die Selbstverpflichtungen und die Verträge verfassungsrechtlich nicht mehr zu retten, wobei der Blick bei komplexen Selbstverpflichtungen wie der COrMinderungsverpflichtung sich nicht nur auf eine Ermächtigungsgrundlage richten darf, sondern es muss das einschlägige Fachgesetz und ggf. eine Gesamtschau aller Ermächtigungsgrundlagen des Fachrechts entscheiden. 16 Stellt sich heraus, dass keine RVO-Ermächtigung vorhanden ist, könnte für diese Fälle auch keine noch so allgemeine Ermächtigungsnorm - z. B. im UGB - helfen, denn sie wäre angesichts ihrer UnspezifIk in Hinblick auf Inhalt, Zweck und Ausmaß der Regelung verfassungswidrig. Zulässig bleiben aber Eigeninitiativen der Wirtschaft und solche Selbstverpflichtungen, bei denen im staatlichen Mitwirkungsakt kein Grundrechtseingriff zu sehen ist oder gar ein zulässiger Grundrechtsverzicht angenommen werden kann. Davon geht offensichtlich - wenn man die insofern knappe Begründung heranzieht - wohl auch die Sachverständigenkommission aus. 17 Hier besteht also noch eine Stück verfassungsrechtlich verbürgter Freiheit, die auch einfach-gesetzlich nicht eingeengt werden sollte. Deckt die RVO-Ermächtigung den normersetzenden Vertrag nicht, dürfte es kaum Heilungschancen geben. Der Grundrechtseingriff liegt bereits in der Übernahme belastender Pflichten. Der verordnungsersetzende Umweltvertrag wird nur deshalb geschlossen, um der invasiveren Verordnung zu entgehen. In vielen Fällen handelt es sich um ordnungsrechtliches Vorgehen im vertraglichen Gewande: Bereits im Abschluss des Vertrages liegt der Grundrechtseingriff. Eine Legalisierung durch einfach-gesetzliche Regelungen im UGB kommt verfassungsrechtlich nicht in Betracht. 3. Gesetzesersetzende Umweltvereinbarungen Bei gesetzesersetzenden Selbstverpflichtungen fehlt es naturgemäß an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zweifelhaft ist, ob hier überhaupt der Vorbehaltsgedanke greift, da der Regelungsgegenstand wegen seiner wesentlichen Bedeutung (Wesentlichkeitstheorie) ohnehin dem Parlament vorbehalten ist. Die Exekutive ist also nicht nur nicht zuständig, sondern wegen der Wesentlichkeit der Regelung gilt der Parlamentsvorbehalt, so dass allenfalls ein Dazu näher Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 68. Bundesministerium ftir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Fn. 7), S.509. 16

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parlamentarischer Legitimationsakt i. S. eines "demokratischen Parlamentsvorbehalts" erwogen werden kann, z. B. in Parallele zu parlamentarischen Mitwirkungsakten des Bundestages bei der Verordnungsgebung (z. B. § 48a Abs. 1 BImSehG, §§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 Nr. 1 und 4, 23, 24, 57 i. V. m. 59 KrW-/ AbfG). Diese Frage ist nicht nur theoretischer Natur: Betrachtet man die Selbstverpflichtung der Deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge, die eingangs erwähnt wurde, könnte man durchaus auf die Idee kommen, dass derartige wesentliche staatspolitische Weichenstellungen wirtschafts- und umweltpolitischer Natur vom Gesetz- und nicht vom Verordnungs geber getroffen werden müssen, wenn man denn hoheitlich normierend vorgegangen wäre. Da ähnliche umweltpolitische Konstellationen künftig nicht ausgeschlossen werden können, wäre eine entsprechende Regelung über den notwendigen parlamentarischen Legitimationsakt im UGB wohl recht hilfreich, um nicht von vornherein an Zuständigkeitsfragen zu scheitern. Hier könnte auch die Qualität des parlamentarischen Zustimmungsaktes (Beschluss des Plenums oder gar Schweigen) geregelt werden. Was für Selbstverpflichtungen zulässig wäre, ist indessen für verbindliche Umweltvereinbarungen kaum praktikabel, weil ein bloßer Zustimmungsbeschluss des Bundestages den rechtsstaatlichen Anforderungen bei gesetzesvertretenden Verträgen nicht gerecht wird. Hier müssten angesichts identischer Rechtsgeltung wie bei der Norm die Stufen des Gesetzgebungsverfahrens durchlaufen werden mit entsprechenden hohen inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen. Will man auch Verträge zu Lasten Dritter, müsste dies gesetzlich in entsprechender Weise im UGB verfahrensmäßig abgesichert werden. 18

4. Gefahrenabwehr und Vorsorge Elementar ist weiterhin die Frage, ob in einem UGB geregelt werden sollte, dass Selbstverpflichtungen auch im Gefahrenabwehrbereich oder nur zur Vorsorge in Betracht kommen. Die Unabhängige Sachverständigenkommission reduziert Selbstverpflichtungen auf Vorsorgeinhalte, um nicht mit staatlichen Schutzpflichten zu konfligieren!9 In der Tat könnte das enttäuschte Vertrauen auf freiwilliges Tun bei Gefahrenabwehr Schutzpflichten verletzen. Aber: Nicht jede Schutzpflicht muss mit Gesetz und Verordnung administriert werden! Auch hier bestehen Gestaltungsspielräume in Hinblick auf kooperative Hand18 Zu diesen Überlegungen näher Der Rat von Sachverständigen for Umweltfragen (SR U) (Fn. 10), S. 185 sowie Knebel/Wicke/Michael (Fn. I), S. 202. 19 Nur "Anforderungen zur Vorsorge gegen Risiken" können gem. § 35 Abs. 1 UGB-E Gegenstand einer Selbstverpflichtung sein, vgl. Bundesministerium for Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Fn. 7), S. 120.

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lungsformen. Es ist einhellige Auffassung, dass die Einsatzmöglichkeiten informalen Handelns und hier der Selbstverpflichtungen im besonderen Maße im Vorsorgebereich liegen. Dies ist zweifellos der angestammte Platz für freiwillige Vereinbarungen. Sie beziehen sich zum ganz überwiegenden Teil auf Vorsorgeaspekte, zum Teil ist es auch nicht möglich, zwischen beiden Bereichen randscharf abzugrenzen. So ist z. B. fraglich, ob bei der ,,Asbest-ZementSelbstverpflichtung" angesichts der potentiellen Gesundheitsgefahren fiir den Menschen nicht schon Gefahrenabwehr im Spiel war und auch bei der Vereinbarung zur globalen Klimavorsorge könnte es sich in Teilbereichen um Gefahrenabwehr handeln. Zwar ist die zeitliche Distanz zum möglichen Schaden (Erderwärmung und Folgen) erheblich, das Ausmaß des Schadens allerdings wegen der partiellen Existenzvernichtung ganzer Landstriche exorbitant, was tendenziell fiir die Annahme einer Gefahr spricht, da auch weit entfernte Schäden eine Gefahr begründen können, wenn das Schadensausmaß nur groß genug ist, wie das Atomrecht zeigt. Gleiche Überlegungen kann man für den FCKW-Ausstieg anstellen, da auch hier der (höchstwahrscheinliche) Schaden in der Zerstörung der Ozonschicht liegt und damit das Überleben nachfolgender Generationen gefährdet wird. Deshalb gilt: Je mehr der Regelungsgegenstand die Vorsorge verlässt und die Gefahrenabwehr erreicht, desto wahrscheinlicher und abgesicherter muss die Zielerreichung sein. Und je schneller und sicherer ein Umwelterfolg aus Gefahrenschutzgründen erreicht werden muss, um so weniger kommen Selbstverpflichtungen mit ihrer Option für einen künftigen Fluchtweg aus der Kooperation in Betracht. Aus diesem Grund scheint es weder zielfiihrend noch verfassungsrechtlich zwingend, den Einsatz von Selbstverpflichtungen von vorneherein auf den Vorsorgebereich positiv-rechtlich zu begrenzen. All dies braucht für den vertraglichen Bereich indessen nicht problematisiert zu werden, da hier die Zielerreichung vertraglich abgesichert und durchsetzbar ist und deshalb auch Gefahrenabwehr Vertragsinhalt sein kann.

5. Der Bestimmtheitsgrundsatz Ein unbestimmtes Gesetz oder eine entsprechende Verordnung sind rechtsstaatswidrig. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die von einer "Regelung Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einzurichten verrnögen".20 Diese Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der materiellen Pflichten verlangt bei normersetzenden Selbstverpflichtungen verfassungsrechtlich zwingend, dass ihr Inhalt erkennen lässt welche konkreten Pflichten die Wirtschaft übernimmt und 20 BVerfDE 31, 255, 264 und 45, 400, 420 sowie 65, 1,44.

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innerhalb welcher Zeit die Pflichten zu erflillen sind, wie die Pflichterflillung ggf. in Stufen erreicht werden soll und wie die Pflichterfüllung kontrolliert und bewertet wird und wie die einzelnen Stufen der Zielerreichung messbar sind. Nicht nur, dass der Staat sich durch Forrnenwahl nicht grundlegender rechtsstaatlicher Bestimmtheitsbindungen entziehen darf: Bei Selbstverpflichtungen kommt hinzu, dass sie "aus sich selbst heraus" ohne weitere "Konkretisierungsinstanzen" die Pflichten konkret bestimmen müssen. Das Gesetz oder die Verordnung können durch die Gerichte und deren Rechtsprechung ggf. unter Zuhilfenahme von (norrninterpretierenden oder norrnkonkretisierenden) Verwaltungsvorschriften bestimmt werden; flir die Selbstverpflichtung gilt dies nicht, sie muss möglichst aus sich selbst heraus (autonom) vollziehbar sein. Die Selbstverpflichtung muss danach mindestens die begriffliche Schärfe erreichen, um zwischendurch oder spätestens am Ende der Laufzeit definitiv beidseitig übereinstimmend, wenn auch unter Zuhilfenahme von Dritten, feststellen zu können, ob die Verpflichtung ganz, teilweise oder gar nicht eingehalten wurde. Die Möglichkeit dieser Feststellung ist der Prüfstein flir die hinreichende Bestimmtheit des Selbstverpflichtungsinhaltes, so dass eine entsprechende Regelung im UGB - beispielhaft in §"35 Abs. 2 UGB-E - verfassungsrechtlich geboten erscheint. Allerdings wird man verfassungsrechtlich nicht so weit gehen können, den Bestimmtheitsgrundsatz auch auf die vertikale Ebene zwischen Verband und Unternehmen auszuweiten, weil sie in der Regel nicht Gegenstand der Verbandsverpflichtung gegenüber dem Staat ist, und nur das, was Abspracheinhalt ist, kann dem Präzisierungsgebot unterfallen. Hinzu kommt, dass der Staat in der Regel mangels Kenntnis der differenzierten Wirtschaftsvorgänge nicht beurteilen kann, weIches Unternehmen z. B. mit weIchen Instrumenten innerhalb weIcher Zeit bei weIchen Stoffen und Verfahren mit weIchen Kosten die Umwelt entlasten kann. 6. Kontrolle und Nachweisführung

Wenn es so etwas wie einen "Vollzug" der Selbstverpflichtungen gibt, kann es sich nur um die Berichterstattung gegenüber dem Staat und um die Art und Weise der Nachweisflihrung handeln, um zu dem Urteil zu kommen, ob die Anforderungen der Selbstverpflichtung eingehalten wurden oder nicht. Ist die Erfolgskontrolle eine verfassungsrechtliche Pflicht und gehört sie ins UGB? Die Frage läuft verfassungsrechtlich darauf hinaus, ob die Kontrolle der Einhaltung staatlicher Regelungen zum verfassungsrechtlichen Pflichtenkanon gehört. Sieht man das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Funktion des Verwaltungsrechts nicht nur unter der traditionellen Freiheitssi-

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cherung des Bürgers, sondern nach neuerern Verständnis zugleich auch in seiner potentiellen Steuerungs funktion rur gesellschaftliche Prozesse, könnte man im Gesetz auch einen verfassungsrechtlichen Auftrag an die Verwaltung sehen, das Gesetz nicht nur als Grenze des Handeins aufzufassen, sondern die gesetzliche Programmierung zu verwirklichen, zu vollziehen und in ihrer Wirksamkeit zu überprüfen. Folgt man dem, verdichtet sich die Kontrolle der Wirksamkeit staatlicher Normierung immer mehr zu einem Prinzip des Verfassungsrechts insbesondere vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Anforderungen an eine optimale Gesetzgebungsmethodik i. S. plausibler Prognosen der Wirkungen, methodischer Stringenz und aufgabenorientierter Konzeption von Zielen und Instrumenten. Des weiteren sollte zwischen grundrechtsneutralen und grundrechtseingreifenden Selbstverpflichtungen differenziert werden. Das heißt: Soweit die Selbstverpflichtungen normvertretene Funktion haben, also rur eine bestimmte Zeit staatliche Regulierung ersetzen und einen Grundrechtseingriff darstellen, besteht eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Überprüfung und Bewertung des Erfolges oder Misserfolges einer Selbstverpflichtung. Ist der Erfolg wegen der Unverbindlichkeit nicht garantiert, legitimiert sich ein Grundrechtseingriff nur dann, wenn die Tauglichkeit des Instruments im Hinblick auf die Zielerreichung wirkungsvoll kontrolliert wird. Von daher ist es zu rechtfertigen, bei normvertretenden grundrechtseingreifenden Selbstverpflichtungen verfassungsrechtlich eine Pflicht zur Kontrolle der Zielerreichung zu fordern. In allen anderen Fällen ist die Kontrolle zwar auch wünschenswert, zweckmäßig und bei modemen Selbstverpflichtungen auch üblich, das Fehlen von Kontrollmöglichkeiten würde aber derartige Selbstverpflichtungen nicht etwa rechtlich fehlerhaft oder gar rechtlich unzulässig machen. Besteht insoweit keine unbedingte verfassungsrechtliche Pflicht, wäre es aber durchaus zweckmäßig, sie positiv rechtlich zu regeln. Diesen Weg geht § 35 Abs. 3 UGB-KomE, der sowohl eine Kontrolle regelt wie auch Durchsetzungsnormen bereithält, § 35 Abs.3 Satz 5 des Entwurfs. Was die Überwachungsrechte anbelangt, die in gleichem Umfang bestehen wie bei sonstiger behördlicher Überwachung (§ 134 UGB-KomE) sind sie allerdings mit der Unverbindlichkeit der Selbstverpflichtung nur schwer in Einklang zu bringen. Insbesondere die Zwangsrechte und Duldungspflichten wie Betreten von Grundstücken und Räumen (§ 139 UGB-KomE), Probenahme und Aushändigung von Gegenständen (§ 140 UGB-KomE) sowie die Auskunftspflichten (§ 141 UGB-KomE), die zwangsweise auch gegen den Willen des Betroffenen durchgesetzt werden können, sind sehr weitgehend und könnten in der Folge dazu fuhren, dass aus Furcht vor behördlichen Kontrollaktionen (Imageverlust!) die Bereitschaft zur Eingehung von Selbstverpflichtungen sinkt. Viel wirkungsvoller und weniger invasiv erscheint dagegen eine Klausel im Absprache inhalt, wonach bei Nichterrullung oder Schlechterrullung der Unterrichtung des Staates über den Stand der Umsetzung die Selbstverpflichtung als

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gescheitert gilt und damit der Staat wieder in seine Reservekompetenz eintritt: Er kann frei normieren, ohne Rücksichtsnahme auf die als gescheitert zu betrachtende Selbstverpflichtung. Die Verbände und Unternehmen werden sich in einem solchen Fall sehr gut überlegen, ob sie das Scheitern und ordnungsrechtliches Vorgehen des Staates riskieren, oder lieber die Kontrollpflichten erfiillen. 7. Die Art und Weise der Nachweisführung und Transparenzgebot Wenn im UGB-E im § 35 Abs. 2 Nr. 5 Angaben über "die Art und Weise der Nachweisfiihrung" im Hinblick auf die Erfiillung des Selbstverpflichtungsinhalts gefordert werden, ist dies Ausdruck des Transparenzgebots hinsichtlich des methodengerechten Monitorings, der Validität der Daten, der Zeiträume und der Unabhängigkeit und Fachkunde der Kontrollpersonen. Dies ist von überragender Bedeutung fiir die Akzeptanz von Selbstverpflichtungen. Gleiches gilt verfassungsrechtlich zwingend fiir die Veröffentlichung der Selbstverpflichtung und der Kontrollergebnisse. Sie schafft Öffentlichkeit, weckt Interesse, ermöglicht breite Kontrolle, vermag Druck auf die Akteure auszuüben und beeinflusst Käuferverhalten. Die Grenzen des Datenschutzrechts, der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und die schutzwürdigen Interessen Dritter sind allerdings zu beachten. Die Unabhängige Sachverständigenkommission zum UGB beim BMU geht in § 35 Abs. 3 Satz 1 UGB-KornE zwar ebenfalls von der Unterrichtung der Öffentlichkeit durch den Erklärungsgeber über den Stand der Umsetzung aus. Allerdings soll das bei nicht veröffentlichten Selbstverpflichtungen nicht immer, sondern nur "im Regelfall" gelten. Im Falle der Veröffentlichung trifft die Bundesregierung eine Veröffentlichungspflicht (§ 35 Abs. 3 Satz 2). Durch diese Regelung wird dem Verdacht der Geheimniskrämerei Vorschub geleistet. Da nach der UGB-Konzeption nicht jede Selbstverpflichtung veröffentlicht werden muss (§ 35 Abs. 1 Satz 2: "soll") und bei Nichtveröffentlichung auch eine Unterrichtung der Öffentlichkeit zwingend vorgeschrieben ist, wird ohne Not eine "Grauzone" kooperativer Absprachen eröffnet, die entbehrlich ist und unzuträglichen Spekulationen über "Absprachen im Dunkeln" Raum gibt. Dies sollte im Interesse der Akzeptanz, Seriosität und Glaubwürdigkeit dieses Instruments tunlichst vermieden werden. Da die authentische Veröffentlichung des Absprachewortlauts zu den grundlegenden rechtsstaatlichen und demokratiestaatlichen Forderungen gehört, muss sich alles "vor den Augen des Bürgers abspielen". Der UGB-KommissionsEntwurf fordert dementsprechend in § 35 Abs. 1 Satz 2, dass die Selbstverpflichtung "in geeigneter Weise öffentlich bekannt gemacht wird", wobei hier davon ausgegangen wird, dass damit der gesamte authentische Wortlaut gemeint sein soll, denn anders sind die Prüfungen und Nachweise darüber, ob die

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Anforderungen der Selbstverpflichtung erfüllt worden sind, gar nicht möglich (§ 35 Abs. 3 UGB-KornE). Damit auch eine "Nachprüfungsmöglichkeit" gegeben wird, ist zweckmäßigerweise der Volltext zu veröffentlichen. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass § 35 Abs. 1 Satz 2 UGB-KornE kein striktrechtliches Publizitätsgebot aufstellt, sondern lediglich eine "Soll-Vorschrift" vorschlägt. Wenn auch eine "Soll-Norm" regelmäßig bis auf atypische Ausnahmefälle als "Muss-Vorschrift" zu interpretieren ist, bleibt eine Grauzone, ein Stück "Dunkelkammer", deren rechtsstaatliche Existenzberechtigung nur schwer nachzuweisen sein wird. Auch parlamentarische Anfragen, Nachfragen der Presse, der Umweltverbände, von Sachverständigen und Expertengremien und die Kontrolle durch die sonstige interessierte Öffentlichkeit bedürfen einer textlichen Authentizität, die nur durch die Veröffentlichung des Absprachewortlauts hergestellt werden kanu. Denn anders als durch Kenntnis ist eine politische und technisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Sachrnaterie nicht möglich, dies dürfte sowohl für die Selbstverpflichtung wie auch für den Vertrag gelten. Hinzu tritt, dass der Drittschutz erst dadurch verwirklicht werden kann, dass der betroffene Dritte die Möglichkeit hat, die Absprache selbst und ihre Auswirkungen auf seine Rechtsposition abzuschätzen. Ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 Umweltinformationsgesetz (UIG) ersetzt dabei nicht die Publizitätspflicht, da sie die Normzugänglichkeit für die Öffentlichkeit allgemein fordert, während § 4 Abs. 1 UlG lediglich einen Individualanspruch einräumt. Im Ergebnis heißt das: Es bedürfte einer archivmäßig gesicherten textidentischen Quelle, die beispielsweise beim Umweltbundesamt geführt werden könnte, wenn man nicht den Weg beschreiten möchte, den Abspracheinhalt im Bundesanzeiger oder im Gemeinsamen Ministerialblatt zu veröffentlichen. Der UGB-Komrnissionsentwurf indessen fordert für Selbstverpflichtungen die öffentliche Bekanntmachung in geeigneter Weise (§ 35 Abs. 1 Satz 2 UGBKornE), ohne dass das Publikationsorgan oder die archivrnäßige Sicherung genannt wird, während für den (rechtlich verbindlichen) normersetzenden Vertrag ausdrücklich die Veröffentlichung des Vertrages im Bundesanzeiger vorgeschrieben werden soll (§ 36 Abs. 1 Satz 4 UGB-KornE). Bedenkt man, dass das Interesse an der öffentlichen Kontrolle beider Instrumente kaum von ihrer Rechtsform (SelbstverpflichtunglVertrag) abhängen dürfte, spricht einiges dafür, beim Publizitäts gebot in beiden Fällen gleiche Maßstäbe anzulegen.

8. Das free-rider-Problem Wer sich bei Selbstverpflichtungen und Verträgen nicht einbinden lässt, behält Freiheit und erlangt Wettbewerbsvorteile. Die Veröffentlichung ,,schwarzer Schafe" durch den Staat kommt einer unzulässigen Stigmatisierung gleich; allenfalls könnten die privaten Absprachepartner öffentlichkeitswirksam tätig

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werden. Ein Vertrag zu Lasten Dritter kommt auch nicht in Betracht und das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung wie im Tarifvertragsgesetz greift - wenn man es denn will - nur beim normersetzenden Vertrag, wovon die Sachverständigenkommission mit § 37 Gebrauch macht. Hier zeigt sich eine elementare Schwäche der Vertragskonstruktion: Sie kann nur so gut sein wie es die Kooperationsbereitschaft der Unternehmen zulässt. Ist sie hoch, kann der Vertrag an die Stelle der Verordnung treten; ist sie gering, sperrt der Gleichheitsgrundsatz und es wäre zudem umweltrechtlich und ordnungspolitisch unvertretbar, nur Gutwillige zu belasten. Will man den normersetzenden Vertrag im UGB verankern, kommt man aus diesen Gründen an der Allgemeinverbindlichkeitserklärung wohl nicht vorbei, deren Anwendung unter bestimmten Kautelen - ähnlich wie im TVG - im UGB geregelt werden sollte.

IV. Verfahrensrechtliche Anforderungen Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Grundrechtssicherung durch ordnungsgemäßes Verfahren21 im Zusammenhang mit der schwierigen Abschätzbarkeit der grundrechtsrelevanten tatsächlichen Folgewirkungen einer Umweltvereinbarung sowie der höchst problematische Drittschutz einschließlich des drittbezogenen Rechtsschutzes sowie die Verfahrensbeteiligung bei konsensualen Verwaltungsverfahren (vgl. z. B. § 58 VwVfG) fuhrt zur staatlichen Verfahrensverantwortung i. S. der verfahrensmäßigen Formung und Strukturierung des Verhandlungs- und Entscheidungsprozesses. Allerdings sollte man bei der Reforrnalisierung des Informalen bedacht vorgehen, Folgenbetrachtungen vornehmen und nur verfassungsrechtliche Mindestanforderungen statuieren, um der Verwaltung nicht zu enge Fesseln anzulegen. 22 1. Drittbetroffenheit

Der Zulieferer ist z. B. bei der Aushandlung der Selbstverpflichtung nicht beteiligt, kann seine Interessen nicht einbringen und ist manchmal härter betroffen als der Selbstverpflichtungspartner, wirtschaftlich oft abhängig und schützenswerter als der Hauptakteur. Gleichwohl liegt der Fall anders als bei der Drittbeteiligung gern. § 13 Abs. 2 Satz I und 58 Abs. 1 VwVfG: In den gesetzlich geregelten Fällen handelt es sich stets um überschaubare Verwaltungsrechtsverhältnisse mit begrenztem Personenkreis, während die verordnungsersetzende Selbstverpflichtung angesichts der hohen Drittbetroffenenzahl eine 21 Roman Herzog, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog/Rupert Schotz, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20, Abs. IV, Rdnr. 44. 22 Vgl. dazu weiter Knebel/Wicke/Michael (Fn. 1), S. 146 m.w.N.

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praktikable Verfahrensbeteiligung nicht mehr erlaubt. Unproblematisch ist die Umweltvereinbarung, wenn die VO-Ermächtigung sie abdeckt. Ansonsten ist ein Höchstmaß an verfahrensrechtlich abgesicherter Transparenz erforderlich, um die fehlende Beteiligung und den Rechtsschutzverlust zu kompensieren. 23 Dieses verfahrensrechtliche Optimum an Transparenz ist deshalb auch zwingend verfassungs gefordert, nicht verzichtbar und sinnvollerweise im UGB zu verankern. 2. Anhörung beteiligter Kreise Fordert die RVO-Ermächtigungsgrundlage die beteiligten Kreise anzuhören, verlangt § 36 Abs. 2 Satz 2 UGB-E dies gleichfalls nur beim normersetzenden Vertrag, nicht bei der Selbstverpflichtung. Dies erscheint wohl im Ergebnis richtig, da es eine Verfassungspflicht, inhaltlich optimale Normen zu erlassen, in dieser Stringenz nicht gibt. Gleichwohl aber muss sich der Staat durch "innere Distanz und Neutralität" auszeichnen und im Konfliktverhältnis nicht gegenwärtige oder nicht repräsentierte Rechte und Interessen dürfen weder ausgeblendet noch vernachlässigt werden. 24 Das hindert die Verwaltung nicht daran, sich die Fakten der Verbände und deren Wertungen zu eigen zu machen. Die Verwaltung ist aber verpflichtet, deren Plausibilität zu überprüfen und bei Zweifeln diese zu verifIzieren, so dass es auf diesem Wege letztendlich sogar auch zu entsprechenden Anhörungen kommen kann. Sie sind aber nicht generell verfassungsgefordert. 25 Ihr Verzicht macht die Selbstverpflichtung nicht rechtswidrig, wohl aber den normvertretenden Vertrag.

3. Beteiligung des Bundestages, Bundesrates, der Bundesregierung und der Bundesministerien

Bei gesetzesersetzenden Selbstverpflichtungen muss der Bundestag vor Abschluss informiert werden. Diese Pflicht ist verfassungsgefordert, da der Gesetzgeber befugt ist, "die Materien, die er zu regeln wünscht, nach freier Entscheidung auszuwählen und zu bestimmen".26 Dies sollte im UGB klargestellt werden. Rechtspraktisch wichtig ist die Beteiligung des Bundesrates bei verordnungsvertretenden Absprachen, wenn die VO der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Gegen die Mitwirkung des Bundesrates spricht, dass sie sich aus So auch § 36 Abs. 2 Satz I UGB-E. Knebel/Wicke/Michael (Fn. 1), S. 144. 2S Philip Kunig, Alternativen zum einseitig hoheitlichen Verwaltungshandeln, in: Wolfgang HojJmann-RiemiEberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, 1990, Bd. 1, S. 43, 52 26 Herzog (Fn. 21), Art. 20, Abs IV, Rdnr. 44. 23

24

Rechtsrahmen für Umweltvereinbarungen in einem Umwe\tgesetzbuch

257

der Verwaltungszuständigkeit der Länder ergibt (Art. 83 ff. GG) und da bei Selbstverpflichtungen die Länder nichts zu vollziehen haben, ist eine Zustimmung entbehrlich, allerdings mit Ausnahmen z. B. beim Monitoring oder der Evaluierung der Zielereichung durch die Länder. Hier müsste allerdings analog Art. 80 Abs. 2 GG die Zustimmung des Bundesrates eingeholt werden. 27 Bei Verträgen indessen ist im UGB zu regeln, dass sie der Zustimmung wie die Rechtverordnungen bedürfen. 28 4. GGO-Verpflichtungen Die sich aus den Geschäftsordnungen der Bundesregierung und der Bundesministerien ergebenden Beteiligungsverpflichtungen sind nur partiell (z. B. hinsichtlich der Ressortverantwortung gern. Art. 65 GG) verfassungsgefordert und gehören deshalb in der Regel in untergesetzliche Regelwerke und nicht in das UGB.

v.

Wettbewerbsrecht

Da Umweltvereinbarungen potenziell wettbewerbsbeschränkend sind, ist der Zielkonflikt zwischen Umwelt- und Wettbewerbsschutz unvermeidlich. Das geltende Wettbewerbsrecht ist prozedural und materiell nur sehr eingeschränkt in der Lage, diesen Zielkonflikt zu bewältigen. Grundsätzlich sind Umweltvereinbarungen als wettbewerbsbeschränkende Absprachen i. S. d. § I GWB anzusehen. Ein ,,Kartellprivileg Umweltschutz" ist nicht überzeugend, auch nicht vor dem Hintergrund des Art.20a GG. Im Prinzip kann der Zielkonflikt systemimrnanent im Kartellrecht oder von außen spezialfachgesetzlich gelöst werden. Der UGB-Komrnissions-Entwurf enthält (fachgesetzlich) differenzierte kartellrechtliche Regelungen in den §§ 34 ff. mit dem Vorschlag einer "gemeinsamen Ministerentscheidung", womit allerdings kompetenziell und materiell hohe Hürden errichtet werden, so dass das Ziel, Umweltvereinbarungen wettbewerbsrechtlich behutsam zu legalisieren, wohl verfehlt werden dürfte. Stattdessen wird hier vorgeschlagen,29 zunächst de lege ferenda ein zweistufiges kartellbehördliches Kontroll- und Legalisierungsinstrumentarium vorzusehen. Auf der ersten Stufe steht ein vorgelagertes Anzeigeverfahren, welches den Beteiligten die Gelegenheit gibt, die beabsichtigte Vereinbarung mit der Kartellbehörde inhaltlich abzustimmen. Auf der zweiten Stufe soll das f6rmli27 28

29

Vgl. dazu weiter Knebel/Wicke/Michael (Fn. 1), S 146 m.w.N. So auch § 36 Abs. 2 Satz 1 UGB-E. Dazu m.w.N. Knebel/Wicke/Michael (Fn. 1), S. 224 ff., 254.

17 Bohne

Jürgen Knebel

258

che Zulassungsverfahren stehen, welches entweder (nach dem Vorbild des UGB-Kommissions-Entwurfs) als Anzeigeverfahren oder als Genehrnigungsverfahren ausgestaltet werden könnte. Hier wird ein Genehrnigungsverfahren präferiert. Für kartellbehördlich nicht legalisierungsfähige Selbstverpflichtungen und Umweltverträge sollte ebenfalls eine Ministererlaubnis vorgesehen werden. Die Zuständigkeit soll allerdings bei dem fiir Umwelt zuständigen Minister liegen, der im Benehmen mit dem Wirtschaftsminister entscheidet.

VI. Regelung im Verwaltungsverfahrensgesetz Da der normersetzende Umweltvertrag eine Sonderform des öffentlichrechtlichen Vertrages ist, käme auch eine Regelung in den §§ 54 ff. VwVfG in Betracht. Der inhaltliche Zusammenhang wäre gewahrt und es käme nicht zum Auseinanderreißen von Regelungsmaterien durch das UGB. Wegen der normierenden Funktion, also der abstrakt-generellen Regelung, weicht der Umweltvertrag in seiner Typik vom Vertrag des § 54 VwVfG indessen erheblich ab, da er nur Verwaltungsakte ersetzt und damit Einzelfallregelungen erfasst. Als auf die Umweltmaterie bezogen, gehört er zum Umweltrecht und kann durchaus im UGB seine Heimat finden, zumal die meisten Regelungen im VwVfG ohnehin nicht passen. Auch eine entgegengesetzte Entscheidung, insbesondere dann, wenn sich der normersetzende Vertrag auch in anderen Politikbereichen etabliert, wäre alles andere als abwegig. Bei den Selbstverpflichtungen, die ihren Schwerpunkt in der Praxis ganz eindeutig im Umweltbereich haben und als typisches informales umweltpolitisches Phänomen gelten, spricht wegen dieser Spezifik vieles fiir die Normierung im UGB. Aber auch hier gilt: Prinzipiell handelt es sich um Instrumente, die im gleichen Maße auch in anderen Politikbereichen eingesetzt werden können, wenngleich die Umweltpolitik im Vorsorgebereich ideale Voraussetzungen gerade für dieses Instrument bietet. Die Sachverständigenkommission verortet die Umweltvereinbarungen bei der "Recht- und Regelsetzung" und unterstreicht damit den instrumentalen Charakter der Regelung. Nach dem Vorschlag Bohnes 30 sollen die Umweltvereinbarungen - untergliedert in Verträge und normvollziehende Absprachen - unter dem Kapitel "Eigenverantwortung des Bürgers" geregelt werden und zwar im Anschluss an das Kapitel ..Recht und Regelsetzung", dieses wiederum differenziert nach Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Technischen Regelwerken. Für die unterschiedlichen Lösungen lassen sich jeweils gute Gründe finden: Umweltverein30

Siehe unten S. 374 f., 384.

Rechtsrahmen für Umweltvereinbarungen in einem Umweltgesetzbuch

259

barungen sind umweltpolitische Instrumente wie Gesetze und Verordnungen, nur eben bei Selbstverpflichtungen nicht verbindlich wie das Ordnungsrecht. Selbstverpflichtungen gründen zweifellos aber auch in der gesellschaftlichen Sphäre und haben daher Bezug zur Eigenverantwortung des Bürgers, nur dass der einzelne Bürger daran nicht teilhat, sondern mächtige gesellschaftliche Gruppen. Versteht man die Eigenverantwortung des Bürgers so weit, dass auch einfluss starke Verbände hierunter fallen, wäre Bohnes Vorschlag durchaus akzeptabel und systematisch folgerichtig.

VII. Ausblick Die ordnende Kraft eines Umweltgesetzbuches wird auch die Umweltvereinbarungen umgreifen und die Selbstverpflichtungen und normersetzenden Verträge in Geltung und Wirkung auf eine noch tragfähigere Grundlage stellen. Dies kann und soll aber nur ein flexibler Ordnungsrahmen sein, der von den Akteuren in größtmöglicher Freiheit ausgefüllt werden soll. Der Leitrnaxime des "Schlanken Staates" wird dadurch genauso Rechnung getragen wie dem Wunsch nach Deregulierung und gesellschaftlicher Selbstbeherrschung. Die wenigen Normen im UGB für Umweltvereinbarungen können Hunderte neuer Paragraphen, die sonst das Ordnungsrecht für den gleichen Regelungserfolg bräuchte, praktisch überflüssig machen. Das ist mit das stärkste Argument für die Einsetzbarkeit von Selbstverpflichtungen und normersetzender Verträge.

17'

Diskussion zu dem Referat von Jürgen Knebel Bericht: Mike Weber Bohne leitete die Diskussion mit einem Verweis auf die Beliebtheit von Selbstverpflichtungen ein. Mittlerweile werde das Thema bereits in Talkshows behandelt. So verweise etwa der ehemalige BDI-Präsident Henkel stets darauf, dass freiwillige Selbstverpflichtungen ein adäquates Mittel seien, die der Wirtschaft die notwendige Flexibilität garantierten. Der Vortrag von Knebel habe mit dem politisch-rechtlichen System die andere Seite der Selbstverpflichtungen gezeigt. Von den zahlreichen Aspekten, die im Vortrag behandelt worden seien, wolle er zwei nochmals betonen. Zum einen gehe es um die Transparenz der getroffenen Vereinbarungen, zum anderen stelle sich die Frage, wie bei Nichteinhaltung der Selbstverpflichtungen zu verfahren sei.

Seim er fragte nach, wie die Vereinbarungen unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen seien. In den siebziger Jahren habe es eine ähnliche Diskussion bereits gegeben. Damals hätten die wettbewerbsrechtlichen Bedenken bei der Diskussion um die freiwilligen Selbstbeschränkungen im Vordergrund gestanden. Das kartellrechtlich Problem sei entscheidend bei der Frage, ob eine Vereinbarung überhaupt zustande komme, räumte Knebel ein. Es gebe kein generelles Kartellprivileg des Umweltschutzes. Auch eine Ministererlaubnis erweise sich als problematisch, da hierüber das BMWi zu befinden habe, das für Umweltfragen nicht zuständig sei. Eine Verlagerung der Entscheidungsbefugnis auf das BMU erscheine schwer durchsetzbar, aber sinnvoll. Nach Ansicht der unabhängigen Expertenkommission für das UGB wecke eine Bereichsausnahme nur die Begehrlichkeiten anderer Politikfelder und sei daher ebenfalls nicht praktikabel. Es gebe fUr diese Problematik also bisher keine eindeutige Klärung. Die Kommission hat sich für ein sehr kompliziertes Verfahren mit hohen Hürden ausgesprochen. Die kartellrechtlichen Fragen sollte man in zwei Stufen angehen. Zunächst solle informell beim Kartellamt angefragt werden, ob eine ausgehandelte Vereinbarung grundsätzlich möglich sei. Erst wenn das Kartellamt auf diesem Wege die Möglichkeit fUr eine Zustimmung signalisiere, werde ein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung von BMU und BMWi angestrengt, wie es auch das UGB vorsehe. Das vorgeschaltete Anzeige- und Informationsverfahren verhindere, dass die Umweltpolitik in eine kartellrechtliche Falle

262

Mike Weber

tappe. Die Ministererlaubnis sollte beim fiir Umwelt zuständigen Minister liegen, der im Benehmen mit dem Wirtschaftsminister entscheidet. Auf grundlegende Zweifel stieß bei Sangenstedt die verfassungsrechtliche Ableitung der Vorschläge des Referenten. Er fragte, ob Selbstverpflichtungen und normersetzende Verträge stets einen Eingriff in die Grundrechte darstellten oder ob nicht vielmehr durch den Gesetzesvorbehalt ein legitimes Gestaltungsrecht des Staates vorgehalten werde. Die Selbstverpflichtung bleibe in jedem Falle freiwillig. Wenn beispielsweise mit einer zusätzlichen Steuer von einer Mark auf einen Liter Benzin gedroht werde, wenn die Autonutzung nicht deutlich zurückgehe und dadurch auch tatsächlich weniger Auto gefahren werde, stelle dies nicht automatisch einen Grundrechtseingriff dar. Es sei also vielmehr abzuwägen, von welcher Qualität eine Beeinträchtigung sein müsse, um als Grundrechtseingriff zu gelten. Die Frage des Grundrechtseingriffs entscheide maßgeblich über die Freiheit, die bei Selbstverpflichtungen gegeben sei, bestätigte Knebel. Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass auch allgemeines Verwaltungshandeln nach bestimmten Kriterien als Grundrechtseingriff verstanden werden könne. Beispielhaft sei hierfiir die Birkel-Entscheidung. Auch schlichtes Verwaltungshandeln könne dann grundrechtsverkürzende Funktion haben, wenn es final ausgerichtet sei, wenn der Eingriff beabsichtigt und vorhersehbar sei und die Folgen in Kauf genommen würden, wenn es sich um grundrechtsspezifisches Verhalten handele und eine objektive Beeinträchtigungstendenz gegeben sei. Eine mit seiner Beteiligung durchgefiihrte empirische Untersuchung, bei der insgesamt 87 bis zum Jahre 1998 abgegebene Selbstverpflichtungen betrachtet worden seien, deute ebenfalls in diese Richtung. In der Hälfte der Fälle sei der Druck des Staates nach Angaben der Verbände enorm gewesen. Die Freiwilligkeit sei also mit Vorsicht zu betrachten. Die Vertragsfreiheit gelte eben nicht beim öffentlichen Recht. Nach der modemen Grundrechtsdogmatik stellten somit die meisten Selbstverpflichtungen einen Grundrechtseingriff dar. Daher sei es erforderlich, sich mit der Grundrechtsrelevanz auseinander zu setzen, um die Vorschläge gegen dahingehende Einwände abzusichern. Aus ihren Erfahrungen mit der Arbeit beim VCI bestätigte Jeder, dass sich die chemische Industrie häufig der Selbstverpflichtungen bediene. Dabei gebe der Verband die Zusagen, auf seine Mitglieder einzuwirken, die Selbstverpflichtungen umzusetzen. Dieser Zwischenschritt sei in der bisherigen Betrachtung überhaupt noch nicht berucksichtigt worden. Bei der Diskussion um das Papier der Expertenkomrnission habe das BMU darauf bestanden, dass der Terminus Technicus "Absprache" nicht falle und es sich bei den Selbstverpflichtungen auch nicht um "Umweltvereinbarungen" handele. Nach offizieller Lesart gebe der vcr die Erklärung ab und das BMU nehme sie zur Kenntnis. Damit solle ausgedriickt werden, dass es zu keiner rechtlichen Beziehung komme. Somit bewege man sich ausschließlich im privatrechtlichen Bereich,

Diskussion zu dem Referat von Jürgen Knebel

263

der Weg zur Grundrechtsrelevanz sei da überaus schwierig. Allerdings bleibe das Bild von der einseitigen Erklärung ihrer Ansicht nach problematisch. Für den Bereich der Vorsorge möge diese Sichtweise denkbar sein, im Bereich der Gefahrenabwehr verhalte sich dies anders. Dabei handele es sich um einen ureigenen Bereich staatlichen Handelns. Hier müsse der Staat tätig werden und könne nicht bei der reinen Kenntnisnahme stehen bleiben. Wenn nun nach der Systematik im UGB gefragt werde, dann könne man ihrer Ansicht nach die Selbstverpflichtungen unter die Eigenverantwortung der Bürger - und damit auch der Unternehmen - subsumieren, was dem dritten Kapitel der von Bohne vorgeschlagenen Systematik entspreche. Ob man den mittelständischen Unternehmen, die sie vertrete, aber einen Gefallen damit tue, dieses flexible Instrument rechtlich zu reglementieren, wage sie zu bezweifeln. Ergänzend führte Bohne zwei Aspekte an. Erstens scheine es sich um eine "falsa demonstratio", um eine falsche Deklarierung, zu handeln, wenn von einseitigen Erklärungen der Verbände gesprochen werde. Zweitens sei der Begriff "Bürger" in der vorgeschlagenen Gliederung sehr umfassend gemeint und bezeichne sowohl Personen als auch Unternehmen und Verbände. Für ihn stelle sich nun die Frage, ob Knebel bei seiner Einordnung nicht zu sehr auf die einzelne Person abziele und deshalb die volle Grundrechtsdogmatik anwende. Wenn - wie es beim Asbest geschehen sei - einem Zulieferer die Geschäftsbasis entzogen werde, weil das Endprodukt aufgrund einer Selbstverpflichtung vom deutschen Markt genommen werde, dann bewege man sich wohl im grundrechtsdogmatischen Bereich. Im Strom- und Gasmarkt werde demgegenüber fast ausschließlich mit Verbändevereinbarungen gearbeitet, um etwa den Zugang zu den Netzen zu sichern. Da es sich dabei faktisch nicht um Grundrechtseingriffe handele, stünden hier Fragen nach der Publizität der Vereinbarungen und der Erfolgskontrolle im Vordergrund. Knebel bestätigte, dass er die Differenzierung nach Verbänden und einzelnen Akteuren ebenso sehe. Es sei zudem eine Frage, wie weit der Staat bei der Entstehung der Vereinbarungen involviert sei. Teils würden die Erklärungen einseitig abgegeben, teils gehe ihnen ein jahrelanges intensives Gefeilsche voraus. Im zweiten Fall bewege man sich im grundrechtsrelevanten Bereich, und die Vereinbarungen seien dann als öffentlich-rechtlich zu klassifIzieren, auch wenn sie privat-rechtlichen Erklärungscharakter haben.

Abschließend ftihrte Knebel einige empirische Ergebnisse an. Das Messen der Einhaltung von Vereinbarungen erweise sich bei empirischen Untersuchungen zu Selbstverpflichtungen als großes Problem. Zumeist ließen sich nicht die optimalen Ergebnisse erzielen, da es sich als kaum darstellbar erweise, was mit alternativen Maßnahmen zu erreichen gewesen wäre. Bei der unter seiner Beteiligung durchgeführten Untersuchung hätte man sich daher darauf verständigt, die selbstgesteckten Ziele als Bewertungskriterium anzulegen. Ob das Ordnungsrecht das effektivere Vorgehen gewesen wäre, ließe sich einfach nicht

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Mike Weber

bestimmen. Nach ihrem Kriterium seien vier Fünftel der von ihnen untersuchten Selbstverpflichtungen erfolgreich gewesen. In acht Fällen ließen sich keine Aussagen machen, da die erforderlichen Informationen nicht vorlägen. Dies verweise wieder auf die Problematik der mangelnden Publikationspflichten. Nur in sieben Fällen seien die Ziele nicht erreicht worden.

Die Emanzipation der Abwasserabgabe vom Ordnungsrecht im Rahmen der EG-Wasserrahmenrichtlinie und eines Umweltgesetzbuches Von Dieter Ewringmann

I. Vorbemerkungen Für Ökonomen stellen Entwicklung und gegenwärtige Verfassung der Abwasserabgabe, die ja als Prototyp eines ökonomischen Lenkungsinstrumentes eingeführt worden war, seit langem ein Ärgernis dar. Die Abgabe ist in eine immer stärkere Abhängigkeit vom Ordnungsrecht geraten und hat sich dadurch auch vom allokativen Grundgedanken einer preislichen Effizienzsteuerung weg zu einer vorwiegend den Vollzug des Wasserhaushaltsrechts unterstützenden Verwaltungszwangsabgabe entwickelt; sie ist für das Ordnungsrecht funktionalisiert worden. Dies ist sicherlich zum größten Teil darauf zurückzuführen, dass der Gedanke ökonomischer Steuerung und einer knappheitsorientierten preislichen Bewirtschaftung von Umweltressourcen im Allgemeinen und der Gewässerressourcen im Besonderen von den Ökonomen selbst lange Zeit lediglich abstrakt und ohne konkretes Urnsetzungsmodell entwickelt wurde, unter Rechtswissenschaftlern eher verpönt war! und sich daher wie auch aus anderen GIiinden2 im politisch-praktischen Geschäft der Instrumentengestaltung nicht so recht durchsetzen konnte. Es soll hier nicht näher untersucht werden, ob sich daran grundlegend etwas geändert hat. Zwei "Ereignisse" jedoch sind eine spezielle Betrachtung wert und provozieren geradezu die Frage, ob sie u.u. die Rahmenbedingungen für eine stärkere Ökonomisierung bzw. Effizienzorientierung der Abwasserabgabe verbessern können, ob sie vor allem dazu beitragen

I Dieter Ewringmann/Karl-Heinrich Hansmeyer, Der Stand der Diskussion bei den marktsteuemden Instrumenten der Umweltpolitik. Die Sicht der Wissenschaft, IzR 1992, S. 81 ff. 2 Zu einer Analyse aus polit-ökonomischer Sicht siehe bspw. Erik Gawel, Zur politischen Ökonomie von Umweltabgaben, Walter Eucken Institut, Vorträge und Aufsätze Bd. 146, 1995; Bernd Hansjürgens, Symbolische Umweltpolitik - Eine Erklärung aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie, in: Bernd Hansjürgens/Gertrud Lübbe-WoljJ (Hrsg.), Symbolische Umweltpolitik, 2000, S. 182 ff.

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Dieter Ewringmann

werden, dieses Instrument mit einer selbständigen, vom Ordnungsrecht gelösten Lenkungs- und Anreizfunktion zu versehen: Das erste Ereignis stellen die Professoren- 3 und Kommissionsüberlegungen4 fiir die Formulierung eines einheitlichen Umweltgesetzbuches (UGB) dar; in ihnen finden sich einige Ansatzpunkte, die darauf hindeuten, dass Umweltabgaben generell, aber auch das Abwasserabgabengesetz (AbwAG) künftig eine etwas "andere" Rolle im Rahmen der Umweltpolitik spielen könnten. Dass die bisherigen Anläufe zur Vereinheitlichung des Umweltrechts in einem UGB gescheitert sind, lässt eine allzu optimistische Kurzfristperspektive zwar ohnehin nicht zu. Doch wäre es immerhin ein großer Fortschritt für die ökonomische Sichtweise eines rationalen umweltpolitischen Instrumentariums, wenn einzelne Grundgedanken von Rechtswissenschaftlern in ihre Kodifizierungsüberlegungen Eingang gefunden hätten; dies ist allerdings zu prüfen. Ein zweites Ereignis stellt die Verabschiedung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) dar, die noch ins deutsche Recht umzusetzen ist. In ihr fanden sich bereits in frühen Entwurfsphasen Bewirtschaftungsansätze und Anknüpfungspunkte fiir eine stärkere Anwendung kostenanlastender Instrumente, die ökonomische Überlegungen widerspiegeln. Zwar hat die verabschiedete Fassung an ökonomischer Stringenz eingebüßt, und im nationalen Umsetzungsprozess ist erst recht damit zu rechnen, dass sinnvolle Instrumentierungselemente, die der Abwasserabgabe eine neue Rolle zukommen lassen müssten, nicht genutzt werden. Gleichwohl ist auch die Wasserrahmenrichtlinie als Impuls fiir eine neue Sicht gegenüber den ökonomischen Instrumenten zu würdigen; sie verbessert die Reformperspektive. Beide Ereignisse sollen hier dazu dienen, die Chancen fiir eine Emanzipierung der Abwasserabgabe vom Ordnungsrecht auszuloten und aus ökonomischer Sicht auch den Bedarf fiir eine derartige Emanzipierung erneut darzulegen. Dazu soll zunächst die Abwasserabgabe in einer ökonomischen Interpretation, d.h. unter besonderer Berücksichtigung ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit als umweltpolitisches Instrument vorgestellt werden. Dies ist allerdings - wie fiir andere ökonomische Instrumentenansätze auch - bereits so häufig geschehen,5 dass hier einige wesentliche Stichworte genügen sollten. Nur ansatzweise soll im Anschluss daran auch die Entwicklungsgeschichte der Abwasserabgabe in Deutschland skizziert werden, um die seinerzeitigen - durchaus ökonomischen - Ausgangsüberlegungen zu präzisieren und dann den Weg in die UGB-ProfE. UGB-KomE. 5 Siehe als Beispiel für viele Kar/-Heinrich Hansmeyer, Die Abwasserabgabe als Versuch einer Anwendung des Verursacherprinzips, in: Otmar Issing (Hrsg.), Ökonomische Probleme der Umweltpolitik, Schriften des Vereins für Socialpolitik N.F. 91, 1976, 3 4

S. 65 ff.

Emanzipation der Abwasserabgabe vom Ordnungsrecht

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Abhängigkeit Revue passieren zu lassen, den gegenwärtigen Stand und die Reformbestrebungen zu referieren, um dann auf die beiden Hoffnungsträger - jedenfalls aus ökonomischer Sicht - zu sprechen zu kommen: auf die WRRL und die UGB-Entwürfe der Professoren und der Sachverständigenkommission. In beiden Elementen könnte eine Chance liegen, die ökonomischen Instrumente effIzienter im Sinne einer langfristigen Nachhaltigkeits- und Bewirtschaftungsstrategie und unabhängig vom ordnungsrechtlichen Rahmen einzusetzen. Ob dem im Hinblick auf das Verhältnis von Wasserhaushaltsrecht und Abwasserabgabe wirklich so ist, bedarf allerdings im Weiteren ebenfalls der Überprüfung.

11. Die Entwicklung der Abwasserabgabe: Von der ökonomischen Steuerungsidee in die Abhängigkeit vom Wasserrecht 1. Die Abwasserabgabe - eine ökonomische Steuerungsidee

Die Abwasserabgabe entspricht in ihrer allgemeinen Grundkonzeption einer ökonomischen Allokationsidee für Umweltgüter. Wer Gewässer durch Schadstoffeinleitungen nutzt und dadw:ch Dritten oder der Allgemeinheit möglicherweise Schäden zufügt und Kosten verursacht, soll diese negativen Folgen seines Tuns ,,zu spüren" bekommen, damit er in Kenntnis und unter Berücksichtigung dieser Folgen seine eigenen Entscheidungen und Planungen überdenkt und sich anpasst. Für die Inanspruchnahme öffentlicher Güter soll insoweit durch "Internalisierung" eine den Marktgütern entsprechende individuelle, an den jeweiligen Kosten und Nutzen orientierte Abwägung institutionalisiert werden, die erst einen ökonomisch-rationalen Umgang mit knappen Ressourcen ermöglicht. Die Internalisierung sonst extern bleibender Entscheidungsfolgen und Kosten der Gewässerverschmutzung mit Hilfe einer Abwasserabgabe erfüllt mehrere Funktionen gleichzeitig: Zunächst einmal konfrontiert die Abgabe den Verursacher mit einem Knappheitssignal. Es macht deutlich, dass die Vorfluternutzung nicht unbegrenzt verfügbar ist, dass der Verschmutzer also auch in Konkurrenz zu anderen Verursachern und Nutzungsinteressenten steht und bei Aufrechterhaltung seiner Nutzungsansprüche andere zu einem Nutzungsverzicht zwingt. Damit wird zugleich eine Abwägung erzwungen, ob die Nutzung für ihn von besonderer Dringlichkeit ist oder ob er seine Ressourcen nicht besser anders einsetzen kann, z.B. ob es möglich ist, durch eigene Vermeidungsmaßnahmen die Verschmutzung und damit auch die Abgabenkosten zurückzufahren und die Gesamtkosten zu mindern. Durch diesen Mechanismus wird überdies ein marktrelevanter Ausgleich zwischen denjenigen vorgenommen, die das Gewässer stark belasten, und je-

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Dieter Ewringmann

nen, die kaum Verunreinigungen hervorrufen. 6 Ohne Abgabe sind die Starkverschmutzer stets in ihrer relativen Marktposition begünstigt, da sie ihre Produkte ohne Anlastung der durch sie hervorgerufenen externen Ressourcenkosten relativ billiger anbieten können als diejenigen, die kaum externe Kosten verursachen. Die Abgabe beseitigt insoweit auch bestehende Wettbewerbsverzerrungen oder verringert sie zumindest. Im Vergleich zu einer Situation ohne internalisierende Abgabe fuhrt eine Bepreisung der Abwassereinleitungen unter Berücksichtigung des empirisch in der Regel bestätigten Nachfragegesetzes 7 auch zu einem Verschmutzungsrückgang. Zumindest ist davon auszugehen, dass die von der Abgabe belasteten und insoweit verteuerten Schadstoffe oder Verfahren reduziert werden. g Dabei wird die bewirkte Emissionsminderung kosteneffizient erbracht, weil bei rationalem Verhalten diejenigen Vermeidungs- bzw. Minderungsmaßnahmen durchfuhren, bei denen die dadurch entstehenden spezifischen Kosten unter dem "Abgabepreis" liegen. Schließlich hat eine Abgabe auch stets einen Aufkommenseffekt. Lediglich in höchst unwahrscheinlichen Grenzfällen tendiert das Abgabenaufkommen gegen Null. Gerade in der Rechtswissenschaft verbinden sich mit den Aufkommenseffekten von lenkenden Umweltabgaben größere Missverständnisse. 9 Die These, dass eine Umweltabgabe nur dann gut sei, wenn sie kein Aufkommen mehr erbringe, eine aufkommensstarke Abgabe dagegen umweltpolitisch unwirksam sei, ist schlicht und einfach falsch. Wie zuvor erwähnt wird der abgabenbelastete umweltrelevante Gegenstand mit einem Preis bedacht. Güter, Leistungen und Ressourcen, die einen Preis haben, sind aber nicht etwa der Nachfrage entzogen. Der Preis und also auch die Abgabe sind - darauf kann man sich in diesem Zusammenhang beschränken - lediglich ein Instrument zur Selektion der potenziellen Nachfrager nach ihrer Dringlichkeit bzw. Zahlungsbereitschaft; sie dienen insoweit als Zu- oder als Verteilungsmechanismus. Für das Erzwingen einer Nullnachfrage sind Preise eine völlig ungeeignete Institution; sie sollen doch gerade die Nachfrage mit dem Angebot zum Ausgleich 6 Bei einer entsprechend breiten Internalisierungsabgabe, die nicht nur die externen Kosten infolge von Abwasserein!eitungen, sondern auch die negativen Folgen anderer Gewässernutzungen anlasten würde, käme es selbstverständlich zu wesentlich umfassenderen Entzerrungen des Wettbewerbs. 7 Es besagt vereinfacht, dass bei höherem Preis eines Gutes die Nachfrage danach geringer ist als bei niedrigerem Preis. 8 Inwieweit die Anpassungsprozesse zu Substitutionen fUhren, die möglicherweise andere Schadwirkungen hervorrufen, ist eine andere Frage; das damit angesprochene Problem ist aber keines der Abgabe, sondern ganz allgemein das einer stark fragmentierten Umweltpolitik. 9 Siehe dazu ausfUhrlich Erik Gawel/Dieter Ewringmann, Lenkungsabgaben und Ordnungsrecht, Stu W 1994, S. 295 ff.

Emanzipation der Abwasserabgabe vom Ordnungsrecht

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bringen. Aus diesem Grunde ist auch eine Umweltabgabe, die den belasteten Gegenstand völlig aus dem Verkehr drängen soll, eine unsinnige - wahrscheinlich auch eine unzulässige - Lösung. 10 In solchen Fällen hat das ordnungsrechtliche Verbot absoluten Vorrang. Wenn aber eine Nullemission nicht das Abgabeziel ist, also der Abgabengegenstand auch nach seiner administrativen Bepreisung weiterhin - wenngleich in geringerem Ausmaß als ohne Abgabenbelastung - existiert, dann wird es auch ein Aufkommen geben, und dies ist keineswegs ein Versagen der Abgabenlösung. 11 Eng verbunden mit diesem Missverständnis ist ein weiteres, nämlich dass umweltpolitische Lenkungsabgaben mit dem Erreichen eines Lenkungszieles wieder abgeschafft werden müssten. 12 Auch dabei wird die preisliche und selektierende Funktion der Abgabe völlig verkannt. Ihre Lenkungswirkung besteht - vereinfacht formuliert - darin, dass die abgabenbelasteten Gegenstände in Relation zu anderen, nicht oder geringer belasteten Gegenständen verhältnismäßig "teuerer" gemacht werden. Dies wird für bestimmte Verursacher Anlass sein, sich für "billigere" Alternativen zu entscheiden. Wenn solche Anpassungsmaßnahmen durchgeführt worden sind, ist es aber kontraproduktiv, die Abgabe wieder abzuschaffen und so erneut die fiiiheren Preisrelationen herzustellen, die doch zu unerwünschtem Verhalten geführt hatten und dann auch für die weitere Zukunft wieder führen würden. Das Ansinnen, eine Abgabe nach einem bestimmten Erfolg wieder abzuschaffen, ist insoweit ähnlich plausibel wie der Vorschlag, ein Verbot wieder aufzuheben, wenn sich vorübergehend keine Übertretungen haben feststellen lassen, oder einen Immissionsgrenzwert wieder zu streichen, wenn Z.Z. keine Überschreitung droht. Die zuvor kurz dargestellten Wirkungen treten bei Umweltabgaben tendenziell immer auf, allerdings in Abhängigkeit von der konkreten Abgabenausgestaltung (z.B. der Höhe der Abgabensätze) und den bestehenden Rahmenbedingungen (z.B. gleichzeitige Wirksamkeit anderer Instrumente) mit jeweils unterschiedlicher Intensität. Abgabenwirkungen der beschriebenen Art sind auch dann zu erwarten, wenn Abgaben mit einem ordnungsrechtlichen "Auflagemegime" gemischt werden, wenn also z.B. eine Abwasserabgabe neben dem Wasserhaushaltsrecht existiert. Die Art der Kopplung von Wasserrecht und Abwas-

10 Daraus lässt sich im Übrigen auch ableiten, dass eine Abwasserabgabe (oder genereller: eine Abgabenlösung oder ein anderes sogen. ökonomisches Instrument) allein kein hinreichendes Instrument fUr eine nachhaltige, gefahrenabwehrende und vorsorgende Gewässergütepolitik ist. 11 Dazu im Besonderen Erik Gawel, Umweltabgaben zwischen Steuer- und Gebührenlösung, 1999, S. 24 ff. 12 Auf diese Missverständnisse wird im Zusammenhang mit den AusfUhrungen zum UGB zurückzukommen sein.

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serabgabe bestimmt allerdings maßgeblich die Belastungs- und Lenkungsprofile der Abgabe, also ihre Verteilungs- und Allokationsfolgen. Insofern ist es kein Wunder, dass die Struktur der Abwasserabgabe und ihre Funktion gegenüber dem WHG von der Einftihrungsphase bis heute umstritten geblieben sind und dass politische wie wirtschaftliche Interessen immer wieder versucht haben, das Verhältnis von WHG und AbwAG aufgrund ihrer jeweiligen Betroffenheit neu zu gestalten. Daraus hat sich eine weitgehende Abhängigkeit des Abgabenmechanismus vom Wasserhaushaltsrecht ergeben und somit auch eine Schwächung der effizienten Steuerungseigenschaften einer Abgabe. Die Entwicklung dorthin soll im Folgenden kurz skizziert werden. 2. Preissteuerung und regionales Bewirtschaftungskonzept als Ausgangspunkt des Abwasserabgabenentwurfes Die Diskussion um die Abwasserabgabe war in ihrer frühen Phase, d.h. etwa von 1971 bis 1980, vor allem von der fachübergreifenden Erkenntnis geprägt, dass Umweltpolitik in einer marktwirtschaftlichen Ordnung auf dem Verursacherprinzip beruhen sollte, dass generell zur Umsetzung des Verursacherprinzips das Ordnungsrecht allein nicht hinreichend sei und dass speziell das traditionelle gewässergütepolitische Instrumentarium fur eine langfristige Sicherung der Gewässerqualität nicht ausreiche, dass es vielmehr um einen "ökonomischen Hebel" ergänzt werden müsse. Die Einführung einer Abwasserabgabe war bereits im Umweltprogramm der Bundesregierung vom 29. September 1971 13 als ein Schritt zur Umsetzung des seinerzeit rein ökonomisch interpretierten Verursacherprinzips angekündigt worden. Dazu heißt es u.a.: "Das Verursacherprinzip wird ... bei der derzeitigen Verteilung der Kosten der Umweltbelastungen weitgehend durchbrochen, indem diese Kosten vom Produkt oder der Leistung losgelöst der Allgemeinheit angelastet werden.... Damit sind Kapitalfehlleitungen und volkswirtschaftliche Leistungsminderungen verbunden. Auch aus diesem Grund muss für die Verhinderung und die Beseitigung von Umweltbelastungen das Verursacherprinzip gelten; soweit erforderlich, wird es durch gesetzliche Vorschriften durchzusetzen sein. Das kann zum Beispiel durch Abgaben geschehen, die nach Art und Menge der Umweltbelastungen gestaffelt sein können. Einen Anfang dafur setzt dieses Programm mit der vorgesehenen Abwasserabgabe".14 Obgleich die Abgabenpläne nicht zuletzt auch und gerade von Juristen (Salzwedel) und Siedlungswasserwirtschaftlern (Rincke) forciert wurden, stan13 Umweltprogramm der Bundesregierung vom 29. September 1971,4. A. 1974, S. 101 f. 14 Umweltprogramm (Fn. 12), S. 33.

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den also ökonomische Vorstellungen Pate. Die notwendige Verbesserung der Gewässergüte sollte durch eine Efftzienzerhöhung des gewässergütepolitischen Instrumentariums in Form einer administrierten Bepreisung von Gewässernutzungen angestrebt werden, durch die zugleich die bestehenden Wettbewerbsverfälschungen auf den Märkten behoben werden können. Die Abgabe sollte insoweit Steuerungsimpuls rur kostenorientierte weiterjUhrende Vermeidungsmaßnahmen werden, also zwangsläufig im Bereich der sogen. Restverschmutzung wirken. In dieser Phase der Diskussion und Vorbereitung der Abwasserabgabe ging es aber um weit mehr: Im Hintergrund stand nämlich im Rahmen eines Gewässerschutzprogramrns eine qualitätsorientierte Vorgabe. Ziel war es, "fiir alle verunreinigten Gewässer mindestens die zweitbeste von vier Güteklassen zu erreichen oder zu behalten",ls um das ökologische Gleichgewicht der Gewässer zu bewahren, die Trinkwasserversorgung qualitativ und quantitativ zu sichern und die übrigen Gewässernutzungen auf lange Frist zu ermöglichen. 16 Nach der Vorstellung der Bundesregierung war dazu am ehesten ein bewirtschaftendes Gewässermanagement in der Lage. Sie forderte, "dass man den Behörden, Verbänden und anderen Stellen, die wasserwirtschaftliche Maßnahmen zu treffen oder zu koordinieren haben, jeweils die Zuständigkeit rur ein ganzes Flussgebiet überträgt". 17 Rückblickend bleibt daher zu konstatieren, dass die nunmehr über die Europäische Wasserrahmenrichtlinie in das Blickfeld gerückten "neuen" Ansätze rur differenzierende immissionsorientierte Bewirtschaftungskonzepte auf Einzugsbzw. Flussgebietsebene und für eigenständige Kostenanlastungs- und Lenkungseffekte einer verursachergerechten Abgabe bereits vor der Einruhrung der deutschen Abwasserabgabe eine zentrale Rolle gespielt haben. Solche Überlegungen wurden seinerzeit auch von einer Regionalisierungsperspektive begleitet, deren Verfolgung und Umsetzung man sich allerdings wegen der erwarteten Konkurrenz zwischen den Bundesländern nicht zutraute; sie wurde aber explizit nur auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Noch in der Begründung zum Gesetzentwurf vom 18.06.74 hieß es nämlich (Hervorhebungen v. Verf.): "Die Höhe der Abgabe ist vorerst im ganzen Bundesgebiet einheitlich. Das ist bis auf weiteres erforderlich, um einen wirksamen Anreiz zur Verminderung der Gewässerverschmutzung in weitestem Umfang zu schaffen ... Darauf kann zumindest in absehbarer Zukunft noch nicht verzichtet werden .... Für eine künftige Ausgestaltung der Abwasserabgabe ergibt sich aus Gründen einer optimalen Wassergütewirtschaft und ihrer Synthese mit 15

16 17

Umweltprogramm (Fn. 12), S. 110. Umweltprogramm (Fn. 12), S. 103. Umweltprogramm (Fn. 12), S. 103.

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der Raumordnung die Notwendigkeit einer regionalen Differenzierung"; und: "Bei einheitlichem Abgabesatz werden die Einleiter ... veranlasst, ihre Bemühungen voll auf die Verringerung der Schmutzfrachten ... zu konzentrieren, anstatt in Regionen mit niedrigerem Abgabesatz abzuwandern."ls Aus dem letzten Zitat wird die Befürchtung deutlich, dass eine regionale Differenzierung das Standortverhalten von Unternehmen beeinflussen könne. Angesichts der damals diskutierten Höhe der Abgabensätze mag dies - unabhängig davon, dass unterschiedliche Kostenanlastungen aufgrund unterschiedlicher Ausgangssituationen und Präferenzen durchaus geboten sein können l9 sogar plausibel gewesen sein; angesichts der jetzigen Struktur und der geringen aktuellen Höhe der Abwasserabgabe erscheinen solche Befürchtungen heute eher unbegründet. Immerhin wird deutlich, dass in der EinfUhrungsphase die als besser erkannte differenzierte Ausgestaltungsoption für die Abwasserabgabe nur "auf Eis gelegt" wurde. Auch wenn man sich daher zunächst von dem Grundgedanken einer regionalen Bewirtschaftung mit Hilfe der Abwasserabgabe gelöst hatte, so ist doch die allgemeine ökonomische Anreiz-, Internalisierungs-, Kompensations- und Steuerungsfunktion der Abwasserabgabe lange Zeit weitgehend unstreitig gewesen, und zwar bis in die Verabschiedungsphase des Gesetzes hinein. Konzeptionell hat sich an dieser ökonomischen Perspektive selbst in der harten Diskussion zwischen Bund und Ländern sowie zwischen der Regierungskoalition und der CDU/CSU-Fraktion nicht viel geändert. Dass es einer preissteuernden Zusatzmaßnahme bedurfte, um die Gewässer zu sanieren, war allgemein anerkannt. So wurden letztlich sogar zwei alternative Ausgestaltungsmodelle vorgelegt. Die CDU/CSU-Fraktion brachte einen Entwurf für eine Gewässerbenutzungsund Reinhalteabgabe im Rahmen einer WHG-Änderung ein20, die Bundesregierung legte 1974 den Entwurf eines Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer vor. 21 Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Abgabe war als ein erster Einstieg in das sogen. ökonomische Instrumentarium konzipiert. Die gewählten Begründungsmuster entstammten unmittelbar dem Grundgedanken zur ökonomischen Umsetzung des Verursacherprinzips: Die Abgabe sollte selbständiges Lenkungsinstrument werden, das im Verhältnis zum Wasserrecht unabhängig bzw. zusätzlich Vermeidungs leistungen auf kostenefftziente Weise hervorruft.

BT-Drucksache 7/2272 v. 18.06.1974, S. 21 tT. Horst Siebert, Zur Zweckmäßigkeit regional differenzierter Instrumente einer Umweltpolitik, IzR 1976, S. 367 ff. 18

19

20

21

BT-Drucksache 7/\088. BT-Drucksache 7/2272.

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Ihre Aufgabe sollte vor allem darin bestehen, unabhängig von den Pflichten zur Abwasserreinigung einen wirtschaftlichen Anreiz auszuüben, ,,-

in erheblich stärkerem Masse als bisher Kläranlagen zu bauen, den Stand der Abwasserreinigungstechnik zu verbessern, abwasserarme oder abwasserlose Produktionsverfahren verstärkt einzuführen, abwasserintensiv hergestellte Güter sparsam zu verwenden,,?2

Die Abgabe sollte einen eigenständigen Reinigungsanreiz ausüben, eine gerechtere Kostenzurechnung ermöglichen und dadurch sicherstellen, "dass dort, wo bei sorgfaltiger Güterabwägung im Gesamtinteresse eine Schädigung des Gewässers gleichwohl in Kauf genommen wird, vom Verursacher ein angemessener Ausgleich zu leisten ist".23 Ihrer Basisaufgabe entsprechend, im Restverschmutzungsbereich die Effizienz von Reinigungsmaßnahmen zu erhöhen und die Vermeidungstechnologie ständig fortzuentwickeln, wurde auch die Rolle der Abwasserabgabe im Spektrum der gewässergütepolitischen Instrumente klar und aus heutiger Sicht überaus interessant definiert (Hervorhebung v. Verf.): ,,Der durch die Erhebung der Abgabe entstehende Anreiz zur Verminderung der Schädlichkeit des anfallenden Abwassers wirkt nicht isoliert. Hinzu kommen Anreize aus der steuerlichen Sonderabschreibung und aus der Möglichkeit, aus dem Abgabeaufkommen Kredite oder Zuschüsse zum Bau einer Abwasserbehandlungsanlage zu erhalten. Darüber hinaus steht das ,klassische' Instrumentarium von Einleitebedingungen und -auflagen ergänzend zur Verfügung".24 Die Ausgestaltung entsprach daher konsequent derjenigen einer eigenständigen und vollständigen Restverschmutzungsabgabe: Sie sollte nach der Schädlichkeit des jeweiligen Abwassers bemessen und diese Schädlichkeit sollte prinzipiell durch Messung festgestellt werden, nur in besonderen Fällen durch Pauschalierungen. Als Abgabesatz waren flir jede festgestellte Schadeinheit, unabhängig davon, ob sie im Rahmen des wasserrechtlichen Bescheides emittiert oder "unerlaubt" eingeleitet wurde, zunächst 25 DM und ab 198040 DM je Schadeinheit vorgesehen; dies waren in der Situation der siebziger Jahre recht beachtliche Belastungen. Die Einhaltung von Mindestanforderungen oder anderen technischen Standards nach Wasserhaushaltsrecht war - legt man diesen Entwurf zugrunde - insoweit für die Abgabenerhebung also bedeutungslos.

BT-Drucksache 7/2272, S. 2. BT-Drucksache 7/2272, S. 22. 24 BT-Drucksache 7/2272, S. 23. 22 23

18 Bohne

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Der Bundesrat hat seinerzeit zwar das Prinzip der Abgabenerhebung zur Schaffung eines neuen ökonomischen Hebels in der Gewässerpolitik mitgetragen, allerdings auf wesentlichen Änderungen des Regierungsentwurfs bestanden, die dann vom Innenausschuss des Bundestages in zentralen Elementen aufgegriffen und zu der später in Kraft getretenen Kompromissfassung umgearbeitet wurden. Sieht man einmal davon ab, dass der Einstiegssatz für die Abgabe verringert, gleichzeitig der Erhebungsbeginn bis 1981 hinausgeschoben und zusätzlich eine besondere Übergangsregelung geschaffen wurde, wodurch sich natürlich die Anreizstärke deutlich verringerte, so gab es vor allem drei wesentliche Änderungen im Vergleich zum Konzept der Bundesregierung: Durch eine engere Verknüpfung mit dem wasserrechtlichen Vollzug sollte der Vollzugsaufwand gesenkt werden. Primär zur Senkung der Erhebungskosten also wurde die sogen. Bescheidlösung eingefiihrt, nach der nicht vorrangig gemessen wird, die Schadeinheiten vielmehr dem wasserrechtlichen Bescheid entnommen werden. Aus Gründen der Vereinfachung dient seither nicht die tatsächliche Emission, sondern die "erlaubte Emission" als Bemessungsgrundlage. Gleichzeitig wurde diese kontrolltechnisch motivierte Kopplung mit dem WHG allerdings dazu genutzt, die Abgabe zu halbieren, soweit der Einleiter die Mindestanforderungen nach § 7 a WHG einhielt. Damit verlor die Restverschmutzungsabgabe nicht nur aufgrund der verringerten bzw. zeitlich hinausgeschobenen Regelsätze, sondern auch infolge der systematischen Verbindung von Normerfiillung und Abgabesatzhöhe an Bedeutung. Schließlich sollte das Aufkommen aus der Abgabe auch zur Deckung der beim Vollzug entstehenden Verwaltungskosten verwendet werden. Auch wenn der ursprüngliche Gesetzentwurf so zwecks Vollzugskostenersparnis und Verfahrenserleichterung mit dem WHG "verbandelt" wurde, ging es dabei nicht vorrangig um eine Funktionalisierung der Abgabe fiir das WHG. Eher sollte die Abgabenerhebung vom "eingespielten" System des ordnungsrechtlichen Vollzuges profitieren. So stand auch argumentativ der selbständige Efflzienzbeitrag der Abgabe weiterhin im Vordergrund. Daran hat sich nicht einmal in der Begründung des Gesetzes - wie es 1978 in Kraft trat - etwas geändert. Selbst im Erfahr4ngsbericht zum AbwAG, den der BMI im Jahre 1983 vorlegte,25 spielte noch die allokative Lenkungswirkung der Abgabe eine dominierende Rolle. Die Abgabe wurde als Mittel zur "volkswirtschaftlich rationellsten Ressourcenverwendung" (S. 4) durch Anlastung sonst extern bleibender Kosten 25 Bundesminister des Innern, Erfahrungsbericht zum Abwasserabgabengesetz, Bonn, August 1983.

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gewürdigt, weil es "hier unterhalb der im Rahmen der ,Mindestanforderungen' bestimmten Schmutz- und Schadstofffrachten oder unterhalb der durch die zuständigen Wasserbehörden festgesetzten verschärften Anforderungen in das Ermessen des Einleiters gestellt ist, entweder die Abgabe zu entrichten oder Minderungsmaßnahmen durchzuführen und dadurch die Zahlung der Abgabe ganz oder teilweise zu vermeiden" (S. 5). 3. Funktionalisierung für die Vollzugs unterstützung des WHG Dass die Abwasserabgabe ihren ökonomischen Funktionen de facto weitgehend beraubt worden war und weiterhin an eigenem Lenkungspotenzial einbüßen sollte, wurde erst 1986 deutlich artikuliert. Die 2. Novelle zum AbwAG brachte seinerzeit ohne nähere Begründung und ohne Rückgriff auf die frühere Zielvorgabe oder gar ihre Relativierung deutliche Formulierungsänderungen, die einen Konzeptwandel und einen radikalen Funktionswandel der Abgabe signalisierten. Zwar hieß es im Abschnitt über die Zielsetzung noch allgemein, dass die ,,Anreiz/unktion der Abwasserabgabe erhöht" werden solle. 26 Diese Funktion wurde jedoch nunmehr grundlegend anders interpretiert und vorrangig auf den Beschleunigungseffekt fiir den Vollzug wasserrechtlicher Normen beschränkt. "Die Einführung des Standes der Technik ... soll ... abgaberechtlich flankiert werden", hieß es; die Einhaltung der ordnungsrechtlichen Bescheidswerte sei "abgabenrechtlich zu unterstützen", und es sollten "verbesserte Reinigungsleistungen über die allgemein anerkannten Regeln der Technik hinaus bei der Höhe des Abgabesatzes" berücksichtigt werden (ebenda). Die Quintessenz fmdet sich dann in der Begründung fiir die Umstellung vom Regel- auf den Überwachungswert: "Hierdurch kommt es zu einer noch stärkeren Anbindung an das ordnungsrechtliche Wasserrecht (Hervorhebung v. Verf.) und zur Vereinfachung des Vollzuges" (S. 9). Zwar fehlt es auch nicht an Hinweisen auf den dynamischen Innovationsanreiz der Restverschmutzungsabgabe; da jedoch der Abgabesatz in diesem Bereich von 20 DM z. T. auf 8 DM, z. T. sogar auf 0 DM pro Schadeinheit reduziert werden konnte, kommt diesen Ausführungen allenfalls deklamatorische Bedeutung zu. Diese grundsätzliche Umorientierung - zusätzlich flankiert durch die Aufrechnungsmöglichkeiten nach § 10 Abs.4 AbwAG - bedeutete letztlich das Ende der Abwasserabgabe als selbständig lenkende Restverschmutzungsabgabe und als ökonomischer Anreiz mit Innovationsimpulsen und Kostenrninimierungstendenzen. In der Begründung zur 3. Novelle wird dies noch deutlicher

26

IS"

BT-Drucksache 10/5533, S. \.

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fonnuliert. Hier geht es für die Abgabe nur noch darum, "den Anreiz ... zur Durchsetzung des ordnungsrechtlichen Wasserrechts flankierend zu unterstützen".27 Es bleibt zwar eine Belastung der erlaubten Restverschmutzung erhalten - partiell findet sogar eine Erhöhung des Restverschmutzungssatzes gegenüber dem nach der 2. Novelle geltenden Stand statt; die Abgabe ist in diesem Bereich stark ansteigender Grenzkosten jedoch so niedrig (sie betrug ab 1993 nur 75 % des im Jahre 1986 gültigen Satzes, war real also massiv entwertet worden), dass sie zusätzliche Lenkungswirkungen nicht zu entfalten vennochte.

4. Ökonomische Beurteilung des aktuellen AbwAG Seither dient die Abwasserabgabe praktisch ausschließlich als WHG-Vollzugshilfe und als Finanzierungsquelle ftir Verwaltungskosten und Sanierungssowie Ausbauprogramme im Bereich der Abwasserbehandlungsanlagen. Einen eigenen EffIzienzbeitrag kann sie kaum leisten. 28 Aber selbst für die übergestülpte vollzugsunterstützende Funktion ist die Ausgestaltung der Abgabe nicht besonders gut geeignet. Unter dem Aspekt der WHG-Vollzugsunterstützung wäre es nur konsequent, die Abgabepflicht mit Erfüllung der WHG-Anforderungen enden zu lassen, damit den ökonomischen Anreiz zur Nonnerfüllung zu vergrößern29 und zugleich offen zu bekunden, dass die Abgabe Teil des Ordnungsrechts geworden, ein darüber hinausgehender dauerhafter Innovationsanreiz über eine eigenständige Abgabenlösung also nicht beabsichtigt ist. Von dieser KlarsteIlung hat der Gesetzgeber bisher jedoch nichts wissen wollen. Der Grund liegt vor allem darin, dass dann das Aufkommen wegbräche und weder für Subventionierungen noch zur Verwaltungskostenfinanzierung zur Verfügung stünde. In der Möglichkeit des § 13 AbwAG, auch den Verwaltungsaufwand aus dem Aufkommen zu decken, drückt sich im Übrigen eine weitere Inkonsistenz aus. Wenn nämlich die Abgabe ausschließlich dem Vollzug des Ordnungsrechts dient, so müssten die Erhebungskosten auch als Teil des WHG-Vollzugsaufwandes definiert werden; sie wären dann entsprechend auf dieselbe Weise zu refinanzieren, nämlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen. Angesichts derartiger Ungereimtheiten und der fehlenden eigenen Anreizwirkung im Restverschmutzungsbereich steht die Abwasserabgabe seit längerem in der Kritik. Es ist kein Wunder, wenn seit geraumer Zeit immer wieder BT-Drucksache 11/4942, S. 6. Dass sie in Kopplung mit dem WHG durchaus positive Wirkungen erzeugt hat, ändert an diesem Urteil nichts. Zur Effektivität des Instrumentenverbundes siehe Rainer Scholl, Verhaltensanreize der Abwasserabgabe, 1998. 29 Dazu Christo! Maas, Das Abwasserabgabengesetz und seine geplante Änderung Wirkungen auf Emissionen und Innovation, ZfU 1987, S. 65 ff. 27 28

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die Frage gestellt wird: Wozu brauchen wir überhaupt die Abwasserabgabe? Sollte sie nicht ersatzlos abgeschafft werden? In der Tat hat es mehrere Abschaffungsinitiativen gegeben. 30 Die Abschaffungspläne liegen z.Z. genau so auf Eis wie der seit einigen Jahren vorliegende Entwurffiir eine 5. Novelle. In ihrem Mittelpunkt steht die Forderung nach einem Übergang von der jetzigen Bescheidlösung per Überwachungswert zur sogen. Messlösung. Hinter dieser Forderung steckt ein kompliziertes Bündel von Interessen und Argumentationen, auf das hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. 31 Die Messlösung würde bei der derzeitigen Struktur des AbwAG und als Folgeeffekt einer früheren unsystematischen Lösung lediglich zur Absenkung der gegenwärtigen Belastungsintensität der Abgabe fiihren. Sie stellt zudem ein ziemlich teures Verfahren zur Feststellung der Bemessungsgrundlage dar; dies war schließlich offiziell der Anlass, 1976 davon Abstand zu nehmen. Wie bereits erwähnt entspräche die Einfiihrung einer Messlösung zwar der ursprünglichen ökonomischen Forderung; nur so wird der Abgabenanreiz unmittelbar wirksam. Ökonomisch macht die Einfiihrung einer Messlösung jedoch nur Sinn, wenn von der Abgabe im Restverschmutzungsbereich auch tatsächlich ein ökonomischer Anreiz zu weitergehender Reinigung ausgeübt werden kann. Dies ist bei der gegenwärtigen Tarifkonstruktion und der Anbindung an das WHG jedoch nicht der Fall. Funktionsgerecht wäre die Einfiihrung einer echten Messlösung also nur, wenn sie mit einer Re-Vitalisierung der Abgabe als Kosteninternalisierungsund Lenkungsinstrument, also mit einer durchgreifenden Tarifreform und größerer Unabhängigkeit vom wasserrechtlichen Bescheid einher ginge 32 oder wenn sie konsequent zu einem Intemalisierungs- und Lenkungsinstrument im Rahmen der regionalen Gewässerbewirtschaftung nach der WRRL umgebaut würde. 30 So hatte bspw. das Land Baden-Württemberg eine Umfrage bei den Ländern durchgeführt und dabei Unterstützung für eine Initiative zur Abschaffung abgefragt, allerdings keine Mehrheit gefunden. Der BGW forderte im September 1998 in einer öffentlichen Erklärung "die Abwasserabgabe zur Entlastung des Bürgers abzuschaffen". Das Institut für das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft an der Universität Bonn hat auf seinem 281 Bonner Kolloquium das Thema "Gibt es eine Zukunft für die Abwasserabgabe?" diskutiert. Das Hauptreferat stand unter dem Motto "Nein. Abschaffung". 31 Dieter Ewringmann/Rainer Scholl, Zur fünften Novellierung der Abwasserabgabe: Meßlösung und sonst nichts? Finanzwissenschaftliehe Diskussionsbeiträge Nr. 96-2, Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln, 1996. 32 In diese Richtung zielen z.B. die Vorschläge des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln zur Tarifreform der Abwasserabgabe. Auf einen einfachen Nenner gebracht laufen sie auf eine Abschaffung der Verrechnungsmöglichkeiten und sonstigen Minderungsmöglichkeiten hinaus. Als Ersatz käme alIenfalIs eine Freibetragsregelung in Betracht, die den Grenzabgabensatz aufrecht erhalten würde. Siehe EwringmannlScholl (Fn. 31).

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111. Zur Funktion einer Abwasserabgabe im Rahmen der Bewirtschaftung nach der EG-Wasserrahmenrichtlinie 1. Die Bewirtschaftungsperspektiven der neuen Rahmenrichtlinie

Die Europäische Wasserrahmemichtlinie hat eine lange und für manchen Beobachter auch schmerzvolle Geschichte. Im Vergleich zu den ursprünglichen Absichten und ehrgeizigen Ausgangsentwürfen hat die verabschiedete Fassung deutlich an Regelungsinhalt und umweltpolitischer Leistungsfähigkeit eingebüßt. Dennoch: im Vergleich zum bisher in Deutschland dominierenden Emissionsprinzip, zu den schwachen Bewirtschaftungsinstitutionen und zum bestehenden Instrumentarium enthält selbst die im Verhandlungsprozess deutlich geschwächte Richtlinie zahlreiche sinnvolle Neuerungen, zumindest zahlreiche interessante Anknüpfungspunkte fiir den nationalen Gesetzgeber. Mit ihnen kann man in unterschiedlicher Weise umgehen. Die bisherigen nationalen Umsetzungsüberlegungen lassen befürchten, dass dabei nach dem Motto vorgegangen wird: "Was müssen wir gesetzestechnisch unbedingt tun, um dem Wortlaut der Richtlinie zu genügen?" In nicht unbedingt guter politisch-administrativer Tradition wird man wohl das gewachsene deutsche Recht so interpretieren, dass es die Neuerungen der Wasserrahmemichtlinie bereits längst vorweggenommen habe, zumindest implizit bereits enthalte und dass daher nur marginale Anpassungsbedarfe entstehen. 33 Die neue Richtlinie könnte demgegenüber natürlich auch als Anlass dafiir genommen werden, die in ihr enthaltenen Grundgedanken positiv und konstruktiv aufzugreifen und zu überlegen, wie sie denn fiir Verbesserungen im deutschen System fruchtbar gemacht werden können. Dies würde allerdings dazu zwingen, den Reformbedarf des deutschen Systems auszuloten und die Ausgestaltungs- sowie SteuerungsdefIzite im Hinblick auf die von der Richtlinie entwickelten neuen Grundsatzüberlegungen durch grundlegendere Anpassungsmaßnahmen abzustellen. Dieser konstruktiveren Sicht wird im Weiteren gefolgt. Aus ökonomischer Perspektive ist die Wasserrahmemichtlinie vor allem ein Programm zur stärkeren Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsprinzips, also zum langfristigen, intergenerativen Gewässerschutz. Greift man auf die Formulierung im Bericht der sogen. Brundtland-Kommission zurück, wonach nachhaltige Entwicklung gleich gesetzt wird mit "development that meets the needs

33 So z.B. der Tenor auf der LAWA-Tagung zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie am 13./14. Dezember 2000 in Schwerin. Dazu Tagungsband: EU-Wasserrahmenrichtlinie - Programm rur die Zukunft des Gewässerschutzes.

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of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs,,34, so verbinden sich damit zwei Postulate: Im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie ist es zum einen, die Nutzung von Gewässern so zu begrenzen, dass keine irreversible Potenzialminderung eintritt und die Leistungs- bzw. Funktionsfähigkeit der Gewässer auch ftir die Nutzungsinteressen künftiger Generationen erhalten bleibt. Weil dies mit Beschränkungen ftir die jeweils lebenden Generationen verbunden ist, kommt es zum anderen darauf an, den Schutz effizienter als bisher zu gestalten, also auch kosteneffIzient im volkswirtschaftlichen Sinne, damit der lebenden Generation bei dem gebotenen Verzicht auf zusätzliche Nutzungen keine unverhältnismäßig hohen und letztlich überflüssigen Opfer abverlangt werden. Daraus werden in der Wasserrahmenrichtlinie - beschränkt man sich wieder vor allem auf eine ökonomische Perspektive - drei Konsequenzen gezogen, die fiir die künftige Konstellation von Wasserrecht und Abwasserabgabe in Deutschland von Bedeutung sein können. Die WRRL wird längerfristig den Bewirtschaftungsaspekt in Verbindung mit einer Stärkung des Immissionsansatzes in den Vordergrund rücken, einer stärkeren Anwendung des Verursacherprinzips mit zusätzlichen Kosteninternalisierungen zum Durchbruch verhelfen und durch eine entsprechende "Bepreisung" auch zusätzliche Lenkungs- und Wasserspareffekte hervorrufen und auf dieser Grundlage auch eine fiir die jeweiligen Bewirtschaftungseinheiten differenzierte Instrumentierung mit "Bepreisungsfunktionen" erzwingen. Es geht nämlich in der Wasserrahmenrichtlinie letztlich um die effiziente Organisation von Nachhaltigkeit; dies bringt der Terminus der Bewirtschaftung angemessen zum Ausdruck: Bewirtschaften beschreibt eine staatlich geregelte Knappheitsbewältigung in den Fällen öffentlicher oder gemischter Güter, in denen der Markt dazu weder effektiv noch effizient noch "gerecht" in der Lage ist. Bewirtschaftung heißt dann vor allem: Vorgabe eines klaren, vom langfristigen Schutzgedanken getragenen Knappheitsrahmens fiir die öffentlich zu bewirtschaftenden Einheiten und Einsatz flexibler, effizienter und gerechter Instrumente zur Verteilung bzw. Zuteilung der Knappheit. Dass eine solche Bewirtschaftung nicht allgemein und abstrakt, sondern auf der Basis räumlich-zeitlicher Konkretheit, in funktionsräurnlichen Sys34

S.43.

World Commission on Environment and Development, Our Common Future 1987,

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ternen - hier Flussgebietssystemen bzw. der kleineren Bearbeitungseinheiten - erfolgen muss, leuchtet ein. Dass eine solche Bewirtschaftung nicht allein auf dem Emissionsprinzip beruhen kann, ist ebenfalls evident; es muss also das Immissionsprinzip verstärkt angewendet werden. Dass eine effIziente Bewirtschaftung in diesem Sinne nicht allein mit Hilfe des Ordnungsrechts zu schaffen ist, liegt auf der Hand, zumal das Ordnungsrecht nicht in der Lage ist, das Verursacherprinzip im Sinne der Internalisierung möglichst sämtlicher externer Kosten umzusetzen. 35 Und dass sich Anreize zur nachhaltigen Bewirtschaftung nicht gegen verfälschte Preise durchsetzen können (gegen ein Kosten- und Preisdumping der nicht-nachhaltigen Alternativen), dass sich EffIzienz nur an vollständigen Kostenzurechnungen festmachen lässt, versteht sich wohl von selbst. Dies alles entspricht ökonomischen Denkrnustern weit eher, als dies die bestehenden Regelungen des deutschen Wasserrechts oder ihre Handhabung tun; es entspricht z.T. auch alten Forderungen, wie sie bspw. schon bei der ursprünglichen Diskussion um die Einführung der Abwasserabgabe in den siebziger Jahren erhoben worden waren; auf einige Aspekte wurde bereits hingewiesen. Aus diesen Grunden kann man in der neuen Wasserrahmenrichtlinie sicherlich einen Impuls fiir eine Stärkung der bewirtschaftenden bzw. ökonomischen Elemente im Rahmen der Gewässerpolitik sehen. Dieser aus ökonomischer Sicht prinzipiell positiven Einschätzung stehen allerdings zugleich einige Risiken und Probleme bei der Umsetzung der WRRL gegenüber. Die Mitgliedstaaten sind von den hier kurz skizzierten Prinzipien fiir ein effIzientes Gewässermanagement z.T. noch sehr weit entfernt. Die Entgelte fiir Wassernutzungen sind mehr oder weniger stark subventioniert, und eine echte Knappheitsbewirtschaftung findet selten statt. Die Anlastung von Gewässerkosten ist Gegenstand nationaler und regionaler wettbewerbspolitischer Schutzüberlegungen. Die europäische Beihilfekontrolle, die das Problem der Nicht-Internalisierung von Umweltkosten und der umweltgerechten Differenzierung von Internalisierungsmaßnahmen konzeptionell bisher nicht in den Griff bekomme6 , begünstigt teilweise sogar das Unterlassen verursacherkonformer Kostenanlastungen. Bis zu einer Gewässerbewirtschaftung im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie bedarf es daher in den Mitgliedstaaten z.T. einer sehr weitgehenden Anpassung und Verschätfung des Wasserrechts. Die langen Ü35 Dies ist zumindest nur in AusnahmefalIen möglich, wenn nämlich eine Aktivität einem totalen Verbot unterworfen wird. 36 Dieter Ewringmann/Michael Thöne, Die europäische Beihilfenaufsicht im Umweltschutz - Darstellung und Kritik des neuen Gemeinschaftsrahmens, UBA-Texte 0102,2002.

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bergangsfristen, die recht weichen und vor allem die fehlenden Defmitionen in der Rahmenrichtlinie lassen erahnen, dass kurzfristig nicht viel bewegt werden kann und einheitliche Maßstäbe für die Anwendung des ökonomisch effIzienten Verursacherprinzips vorerst nicht zustande kommen werden. Dazu hat die Kommission in den früheren Phasen der Diskussion um die Wasserrahmenrichtlinie sicherlich beigetragen. Die Entwürfe schienen zunächst vor allem von Versuchen geprägt, neue Kommissionskompetenzen zu begründen. So hatte die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 1997 angekündigt, sie werde "Vorschläge vorlegen, um sicherzustellen, dass die Preise von Wassernutzungen auch Umweltkosten und Ressourcenkosten widerspiegeln .... ". Ein harmonisiertes bzw. zentralisiertes Reglement für die Anlastung von externen Kosten ist indessen äußerst problematisch, soweit es sich nicht auf generelle Maßstäbe bzw. Kriterien beschränkt. Kosten sind nämlich nicht objektiv vorgegeben, sie sind stets das Ergebnis von Bewertungsvorgängen. Die Bewertung externer Kosten auf politischer Ebene fällt zudem ebenenspezifisch höchst unterschiedlich aus, und die meisten der mit dem Gewässer zusammenhängenden externen Kosten fallen auf unterschiedlichen Ebenen an, werden daher auch dezentral bzw. auf mehreren Stufen zu bewerten sein. Dass dabei - ökonomisch durchaus richtig - unterschiedliche Präferenzen und Ausgangsbedingungen zu lokal und regional unterschiedlichen Ergebnissen und Anlastungen, also letztlich zur Differenzierung führen können, mag der Kommission und manchem Umweltschützer unwillkommen sein, liegt aber in der Logik des Ansatzes begründet. Die regionale Bewirtschaftungsperspektive der Wasserrahmenrichtlinie ist zwar mit einheitlichen Kostenerfassungskriterien und Methodenansätzen vereinbar, verträgt sich aber nicht mit einem stark zentralisierten Kosten- und Instrumentenansatz. Das Verursacherprinzip beruht schließlich auf einer präferenzgesteuerten Bewertung von Umweltgütern, die über eine differenzierte Kostenanlastung die bestehenden (und aufgrund von Externalitäten) verfälschten Wettbewerbsstrukturen aufbrechen will. Die von der Kommission bislang praktizierte Wettbewerbsschutzperspektive trägt dem - wie u.a. die Erfahrungen mit dem Gemeinschaftsrahmen für Umweltschutzbeihilfen zeigen - nicht in allen Punkten Rechnung. Insofern war es abzusehen, dass die Vorschläge der Kommission nach einheitlichen Regelungen für die Kosteninternalisierung auf Misstrauen bei den Mitgliedstaaten trafen, die ein weiteres Einfallstor für nicht legitimierbare zentralistische Eingriffe in die Gewässergütepolitik witterten. Dadurch ist aber zugleich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden, weil nunmehr nicht einmal einheitliche Definitionen und Kriterien festgelegt werden konnten. Es ist daher zu vermuten, dass die Mitgliedstaaten ihrerseits das Gewässermanagement auch weiterhin unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen für die Konkurrenzfähigkeit einheimischer Unternehmen und Produkte handhaben werden. Man sollte auch nicht darüber hinweg sehen, dass der vorgesehene Bewirtschaftungsansatz mit großen Schwierigkeiten verbunden sein wird: Ein großer

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Teil dieser Probleme ist bekannt. Die Aufgabe, alle Gewässernutzungen in einem Bewirtschaftungsgebiet zu optimieren und dazu vorab die Alternativen möglichst vollständig zu erfassen und zu bewerten, Kosten und Nutzen, Wirksamkeit oder Nutzwerte festzustellen, kennt man aus fiüheren optimistischen Phasen der Bewirtschaftungsplanung, aus ehrgeizigen Pilotprojekten3?, aber auch aus etlichen in anderen Feldern angesiedelten Versuchen, rur den Bereich öffentlicher Güter die nicht bekannten vorhandenen Präferenzen ergründen zu müssen, um die hier vom Markt nicht gelieferten Informationen "fingieren" zu können. 38 Ob monodimensional monetäre oder multidimensionale bzw. -kriterielle Verfahren gewählt werden: um die Grundprobleme der fehlenden primären Informationsbasis und der analytischen Kosten einer auch nur annähernd befriedigenden Erschließung von "Ersatzinformationen" kommt man ebenso wenig herum wie um die Selektions-, Aggregations- und Bewertungszufälligkeiten, die in einigermaßen praktikablen Verfahren Platz greifen werden. Dies alles ist jedoch kein Grund, von Bewirtschaftungselementen und von der Anwendung des Verursacherprinzips Abstand zu nehmen. Der Informationsmangel und die geschilderten Probleme der Abwägung betreffen jeden politisch-instrumentellen Ansatz fiir den Gewässerschutz gleichermaßen. Im Rahmen der bisherigen Gewässerpolitik werden die Schwierigkeiten lediglich dadurch vertuscht, dass eine Knappheitsbewirtschaftung de facto nicht stattfindet, von der konkreten Immissionssituation und von den Kosten der Verschlechterung weitgehend abstrahiert wird. Nachhaltigkeit ist so nicht sicherzustellen, Kostenefftzienz auch nicht. Insofern wird sich die Frage vor allem in der Weise stellen, ob die Nachhaltigkeits- und Efftzienzgewinne, die mit einem praktikablen regionalen Bewirtschaftungskonzept zu erzielen sind, möglicherweise durch zusätzliche Transaktions- bzw. Verwaltungs- und Informationskosten kompensiert werden, oder: welches Verfahren zum regionalen Gewässermanagement unter Berücksichtigung der zusätzlichen Verwaltungskosten gerade noch einen positiven Nettoeffekt fiir den Gewässerschutz erbringt.

2. Die Bedeutung von Art. 9 der Richtlinie Eine der fiir Ökonomen wichtigsten Normen der WRRL ist der Art. 9. Darin geht es um eine konsequentere Umsetzung des Verursacherprinzips durch eine möglichst vollständige Anlastung der Kosten, die mit der Inanspruchnahme von Wasserdienstleistungen verbunden sind. Konzentriert man sich hier auf die grundlegenden Aussagen des Art. 9 Abs. 1 WRRL, so müssen die Mitgliedstaaten künftig dafiir sorgen, dass denjenigen, die Wasserdienstleistungen in Anspruch nehmen, kostendeckende, also verursachergerechte Preise in Rechnung 37

38

Z.B. aus dem Pilotvorhaben zum Bewirtschaftungsplan Leine. Für einen Überblick siehe Dieter Cansier, Umweltökonomie, 2. A. 1996, S. 78 ff.

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gestellt werden, dass dazu nicht nur die einzelwirtschaftlichen Kosten, sondern auch die bisher externen Umwelt- und Ressourcenkosten zu kalkulieren sind, und zwar auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Analyse der Wassernutzungen im Rahmen eines Bewirtschaftungsgebietes. Dieses Prinzip ist zwar aufgrund des hinhaltenden Widerstandes aus Mitgliedstaaten und Betroffenengruppen für die erste Implementationsphase pragmatisiert und auch geschwächt worden;39 an der möglichst vollständigen Internalisierung nach dem ökonomisch verstandenen Verursacherprinzip (Polluter-Pays-Principle), nicht zuletzt unter Berücksichtigung der ökologischen, geographischen und klimatischen Gegebenheiten der einzelnen Regionen, wird jedoch langfristig festgehalten. Das Ziel der Norm ist eindeutig: Die einzelnen Gewässer- bzw. Wassernutzer sollen verursachergerechte Preise oder Entgelte zahlen, also mit jenen Kosten belastet werden, die sie im Rahmen ihres BewirtschaJtungsgebietes hervorrufen, oder anders formuliert: mit denjenigen Kosten, die aufzuwenden sind, um Gefährdungen des jeweiligen Bewirtschaftungszieles im Einzugsgebiet zu vermeiden. Dabei gibt es im Einzelnen durchaus Abgrenzungsprobleme, z.B. was unter den hier relevanten Wasserdienstleistungen bzw. Gewässernutzungen zu verstehen ist, oder was als Umwelt- und Ressourcenkosten erfasst werden sollte; auf diese Fragen soll hier nicht weiter eingegangen werden. 40 Unstreitig ist, dass die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung im Vordergrund stehen und dass es sich um ein volkswirtschaftliches Kostenverständnis handelt, also auf den entgangenen Nutzen abzustellen ist. Angesichts der Themenbeschränkung auf die Abwasserabgabe soll hier lediglich ein kurzer Blick auf die Anforderungen für kostendeckende Preise im Hinblick auf die Abwasserentsorgung geworfen werden. Angelastet werden müssen zunächst einmal die einzelwirtschaJtlichen Kosten. Sie umfassen zumindest die Betriebs- und Wartungskosten, die Kapitalerhaltungskosten, die Kosten für Kapital und Zinsen sowie Rücklagen für künftige Investitionen und Erweiterungen für sämtliche Anlagen und Maßnahmen der Abwassersammlung und -behandlung. Dies sah jedenfalls der Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 19974 \ vor, der diese Begriffsbestimmung als Nr. 33 in Art. 2 einfiihrte. In ihrer endgültigen Fassung enthält die WRRL eine solche Definition nicht mehr. Die Mitgliedstaaten haben somit einen größeren Gestaltungsspielraum. Auch in Deutschland gibt es infolgedessen Möglichkeiten, die Kostenanlastung über die 39 Z. B. dadurch, dass bei der Kostenanlastung auch soziale und wirtschaftliche Auswirkungen berücksichtigt werden können, oder dass es ausreicht, als Verursach ergruppen Industrie, Haushalte und Landwirtschaft zu unterscheiden. 40 Dazu im Einzelnen Ecologic, Umwelt- und Ressourcenkosten von Wassemutzungen vor dem Hintergrund der künftigen Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft, 1999. 41 KOM (97)49 endg. v. 26.2.1997.

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im Rahmen der Gebührenbemessung bisher üblichen Kostenbestandteile hinaus in Richtung langfristige Grenzkosten-Preise zu erweitern; auf Überlegungen, wie dieser Spielraum im Detail auszufüllen ist, soll hier verzichtet werden. 42 Auch auf Einzelheiten einer Definition für die in Art. 9 WRRL explizit genannte, aber nicht näher definierte Kategorie der Umwelt- und Ressourcenkosten wird hier nicht weiter eingegangen. In ihrem Entwurf von 1997 hatte die Kommission im Rahmen ihrer Erläuterungen dazu geschrieben: "Umweltkosten und Kosten ftir die Erschöpfung der Ressourcen. Diese Kosten können je nach den hydrologischen und sozioökonomischen Gegebenheiten sowie den Rechtsund Verwaltungsvorschriften im Einzugsgebiet eine Rolle spielen. Sie stellen die Kosten der Umweltzerstörung dar, mit denen bestimmte Wassernutzer andere Nutzer - auch künftige Nutzer - oder die Gesellschaft als Ganzes belasten, und sind auch Kosten für die Möglichkeiten, die anderen Wassernutzern durch die Erschöpfung einer Ressource über ihre natürliche Anreicherungs- oder Erholungsrate hinaus, entgehen".43 Es handelt sich also um externe Zusatzkosten, die zu den langfristigen Grenzkosten der einzelwirtschaftlichen Leistungserbringung hinzukommen. Zieht man ein erstes Fazit, so ist der Appell von Art. 9 der WRRL- sieht man von einzelnen definitorischen Unklarheiten ab - eindeutig: Auf lange Sicht müssen die Mitgliedstaaten zwecks Umsetzung des Verursacherprinzips und zur Effizienzsteigerung der Gewässergütepolitik den Rahmen für die Kostenanlastung bei Wassernutzungen in zweifacher Hinsicht ändern: Erstens sollen Wassernutzer wie z.B. die Abwassereinleiter zumindest mit den "echten" einzelwirtschaftlichen Erstellungskosten der Abwasserentsorgung belastet werden. Zweitens sollen darüber hinaus die sogen. externen Kosten (Umwelt- und Ressourcenkosten) angelastet werden. Dies hat - so muss man aus dem Bewirtschaftungskonzept der WRRL folgern - aufgrund der jeweiligen, im konkreten Einzugsgebiet bestehenden örtlichen bzw. regionalen Gewässersituation, der in der Bewirtschaftungskonzeption zu definierenden Knappheiten und der insoweit von einzelnen Wassernutzern bzw. Verschmutzern hervorgerufenen zusätzlichen Umwelt- und Ressourcenkosten zu geschehen.

42 Dazu und auch zur Anlastung von externen Kosten in den Gebühren siehe insbesondere Erik Gawel, Die kommunalenGebühren, 1995; Erik Gawel, Ökologisch orientierte Entsorgungsgebühren, 1995; Ecologic, Kostendeckung bei Wasserpreisen und Abwassergebühren vor dem Hintergrund der künftigen Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft, 1999. 43 Kom (97) 49 endg. v. 26.2.1997, zu Art. 12 Abs. 2.

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Wer, nach welchen Maßstäben und über welche Mechanismen den im Planungsraum bzw. im Bewirtschaftungsgebiet anbietenden Ver- und Entsorgern die über die "freiwillig" kalkulierten einzelwirtschaftlichen Herstellungskosten hinaus gehenden Kosten diktiert und anlastet, das ist mithin die zentrale Folgefrage, die sich aus Art. 9 WRRL ergibt; dafür die entsprechenden Regelungen zu schaffen, ist die wichtigste Aufgabe für die Mitgliedstaaten. In Deutschland scheint sich die Vorstellung durchzusetzen, dass man diese Aufgabe weitgehend bereits in der Vergangenheit bewältigt habe. Der zuständige LA W A-Obmann für den Unterausschuss zur rechtlichen Umsetzung der WRRL hat jedenfalls für ein Symposium in Schwerin geschrieben: "Der die Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen regelnde Art. 9 WRRL ist in seinem Absatz 11 Satz 1 bereits größtenteils durch das Abwasserabgabengesetz und die landesrechtlichen Ausführungsvorschriften, durch die landesrechtlichen Regelungen zu den Abgaben für Wasserentnahmen und durch die Kommunalabgabengesetze der Länder umgesetzt". 44 Diese Vorstellung ist indessen falsch. Die "preisstellenden" Institutionen sind in Deutschland typischerweise kommunale oder private Wasserversorger oder Abwasserentsorger. Für sie geht es ausschließlich um Refinanzierung oder Kapitalerhaltung aus der Sicht des jeweiligen Trägers, also um das Erlösen der einzelwirtschaftlichen Kosten. Die Träger werden daher auch in ihrer "PreissteIlung" über Gebühren bzw. Entgelte ausschließlich diese einzelwirtschaftlichen Kosten der Ver- und Entsorgung berücksichtigen; da es sich um eminent politische Preise handelt und das Kostenbewusstsein auf der kommunalen Ebene keine große Tradition hat, finden sich im Übrigen angesichts des relativ weiten Rahmens des Kommunalabgaben- und Haushaltsrechts schon hier Abweichungen vom Grundsatz der Kostenverursachung. Es gibt Quersubventionierungen, Sonderregelungen für abwasserintensive Betriebe, aber auch Tendenzen, den Gebührenbedarf, zu hoch zu veranschlagen. Staatliche Subventionen treten hinzu, z.B. Zuwendungen für den Bau von Abwasserbehandlungsanlagen. Dadurch werden abwasserintensiv produzierende Unternehmen als Indirekteinleiter mittelbar, als Direkteinleiter unmittelbar begünstigt, was eigentlich gegen die Wettbewerbsnormen des EG-Vertrages verstößt und nach dem Gemeinschaftsrahmen für Umweltschutzbeihilfen zumindest notifizierungsbedürftig wäre. Die in der WRRL implizierte Forderung, solche Subventionen künftig abzubauen, reicht weit über diesen unternehmensorientierten Ansatz der europäischen Beihilfekontrolle hinaus. Es geht dabei prinzipiell auch um den Abbau von Hilfen, die den privaten Haushalten bei sozial unverträglich erscheinenden

44 Günther-Michael Knopp, Rechtliche Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland, in: LAWA-Tagungsband, EU-Wasserrahmenrichtlinie - Programm flir die Zukunft im Gewässerschutz, 2000, S. 15.

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Abwassergebühren die Last mindern. Viele Bundesländer versuchen, "sozialpolitische Härten" steigender Entsorgungskosten dadurch zu vermeiden, dass sie die kommunalen Entwässerungsgebühren auf eine als tragbar und zumutbar eingestufte Höhe heruntersubventionieren. Fehlt es insoweit oftmals schon an der Anlastung der "richtigen" einzelwirtschaftlichen Kosten, so gibt es auf der kommunalen Ebene erst recht wenig Interesse daran, die externen Zusatzkosten der Umwelt- und Ressourcennutzung bzw. die Kosten der Gefahrdung des spezifischen regionalen Bewirtschaftungszieles zu ermitteln und im Preis zu berücksichtigen. Die Gemeinden haben in aller Regel aber auch gar nicht die Möglichkeit, von sich aus diese Kostenbestandteile auf einer vernünftigen und validen Grundlage zu ermitteln. Die aus der kommunalen Perspektive extern anfallenden Kosten lassen sich zumeist nur "extern", d.h. auf den höheren föderalen Ebenen feststellen und bewerten. Sie müssen dann aber auch zwangsweise angelastet werden; freiwillig werden auf der kommunalen Ebene solche Kosten nicht kalkuliert. Mit Recht kann darauf verwiesen werden, dass es in Deutschland zumindest zwei Mechanismen gibt, über die externe Umwelt- und Ressourcenkosten den Ver- und Entsorgern zugerechnet werden: die Wasserentnahmeentgelte, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, und die Abwasserabgabe. Darauf, dass diese Abgabe in ihrer gegenwärtigen Konstruktion die von der WRRL verlangte Aufgabe nicht erfüllen kann, wurde aber bereits verwiesen. Es gibt also auch in Deutschland zwei Schwachstellen in der verursachergerechten Kostenanlastung: Subventionen und andere Transfers von staatlichen Stellen, die zu einer künstlichen Verbilligung der einzelwirtschaftlichen Kosten von Wassernutzungen - hier vor allem der Abwasserkosten - führen; dabei werden die Gemeinden oder einzelne Verursachergruppen gezielt entlastet, um unerwünschte Belastungseffekte bei Unternehmen und/oder privaten Haushalten zu vermeiden. Das Fehlen einer hinreichenden verursachergerechten Anlastung externer Umwelt- und Ressourcenkosten. Solche externen Kosten berücksichtigen die Ver- und Entsorger nur, wenn sie von einer übergeordneten Stelle zwangsweise auferlegt werden. Die sich daraus ergebenden Anpassungs- und Reformbedarfe können hier nicht umfassend dargestellt werden; es soll lediglich skizziert werden, wie eine Abwasserabgabe auszugestalten wäre, die den künftigen Anforderungen der Richtlinie entspricht.

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3. Die Abwasserabgabe als Instrument zur Anlastung von Umwelt- und Ressourcenkosten Die externen Umwelt- und Ressourcenkosten, die von Wasserentnehmern und -einleitern bzw. -verschmutzern verursacht werden, müssen nach der Logik der WRRL von der Bewirtschaftungseinheit unter Berücksichtigung von Ausgangszustand und Bewirtschaftungszielen festgestellt und angelastet werden. Sie können in ihrer Höhe von Bewirtschaftungsgebiet zu Bewirtschaftungsgebiet differieren, da in jeder Region schon der Abstand zu den Zielwerten des guten Gewässerzustandes unterschiedlich ist oder zumindest sein kann, damit auch die zur Vermeidung der Zielverletzung aufzuwendenden Kosten differieren und damit auch die verursacherbezogenen Kostenanlastungsinstrumente spezifisch auszugestalten sind. Dies gilt erst recht, wenn in Bewirtschaftungseinheiten andere bzw. weitergehende Ziele verfolgt werden. Daraus folgt: Die Kostenanlastungsinstrumente müssen regionalisiert werden können, damit sie für die Bewirtschaftung in den Flussgebieten instrumentell nutzbar werden. Die Kostenanlastung bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Gemeinde bzw. des einzelnen Wasserversorgers oder Abwasserentsorgers setzt darüber hinaus einen ökonomischen Übertragungshebel voraus: eine Abgabe. 45 Im Rahmen von regionalen Bewirtschaftungskonzepten gibt es keinen plausiblen Grund, die Abgaben bundesweit einheitlich zu erheben. Die Abwasserabgabe ist in der Lage, einen Teil der Umwelt- und Ressourcenkosten anzulasten, sie müsste allerdings reformiert werden. Für ihre neue Funktion müsste insbesondere ihre bisherige Ankopplung an das WHG gelockert werden; die Abgabe müsste unabhängig von den allgemeinen wasserhaushaltsrechtlichen Standards an den spezifischen Zusatz-Bedürfnissen der Einzugsgebiete orientierbar werden; eine Regionalisierung vorgesehen werden. Wenn die Abwasserabgabe Kostenanlastungsfunktionen für ein Bewirtschaftungskonzept übernehmen soll, wird ihre bisher dominante Funktion der Vollzugsunterstützung weniger bedeutend, ihre eigenständige Funktion als Kostenbzw. Preissignal hingegen bedeutender werden. Zur Stärkung ihrer räumlich differenzierten Bewirtschaftungsaufgabe gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Zu prüfen wäre insbesondere, ob

4S In Bewirtschaftungsgebieten kann die verursacherkonforme Kostenanlastung auch über zertifikatsähnliche Konstruktionen gehandhabt werden; darauf soll hier angesichts der thematischen Begrenzung nicht eingegangen werden.

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eine gezielte Differenzierung in der Bemessungsgrundlage vorgenommen werden sollte, z.B. eine flussgebiets- oder vorfluterspezifische Differenzierung der Schädlichkeitsparameter, und/oder die Abgabensätze regionalisiert werden sollten. Andere Optionen für eine Regionalisierung sollten im Hinblick auf das Ziel, die Abwasserabgabe von ihrer ordnungsrechtlichen Prägung zu befreien, nicht erwogen werden. Dies gilt z.B. fiir die Möglichkeit, nur das Aufkommen räumlich gezielt urnzuverteilen; erst recht für den Ansatz, nach Vorfluter oder Regionen gestaffelte Einleitungsanforderungen bei der Abgabenermäßigung zu berücksichtigen. Unabhängig davon, fur welche Ausgestaltungsoption man sich entscheidet eine Reform der Abwasserabgabe wäre nur ein erster Schritt zur Umsetzung der Kostenanlastungsstrategie der WRRL. Die Abwasserabgabe allein ist natürlich nicht in der Lage, sämtliche Wassernutzungen und Gewässerbelastungen (diffuse Quellen) bzw. ihre externen Kosten zu erfassen und zu bepreisen. Insofern müssten also weitere Instrumente eingesetzt werden. Für den Bereich der Wasserentnahme kämen dazu beispielsweise die Wasserentnahmeentgelte der Bundesländer in Betracht; auch sie bedürften allerdings der Umgestaltung. Generell kommt es auch dabei darauf an, die Regionalisierungsmöglichkeiten zu verbessern, um so die Voraussetzungen fiir eine auf der Bewirtschafhmgsebene vorzunehmende Kostenanlastung zu verbessern. Wie erwähnt ist die Erkenntnis nicht neu, dass das gegenwärtige Instrumentarium in dieser Hinsicht reformbedürftig ist. Im Hinblick auf die Abwasserabgabe wurde bereits 1976 formuliert: "Zielgerechter Gewässer- und Immissionsschutz, effiziente Verwendung der dafür verfügbaren Mittel, Verbesserung der Umweltqualität in belasteten Zonen, Sicherung wasserwirtschaftlicher Vorranggebiete und langfristige umweltorientierte Beeinflussung von Standortentscheidungen erfordern eine regionale Differenzierung der Abwasserabgabe. Zeitlich gesehen wird sie benötigt, wenn der gröbste Nachholbedarf im Sinne von bundesweiten Mindestanforderungen im Gewässerschutz abgedeckt ist. Um die Regionalisierung dann nicht zu einem Instrument wirtschaftspolitischen UnterbietungsWettbewerbs zwischen den Bundesländern ... werden zu lassen, sind hierfiir bundeseinheitliche Kriterien ... unerlässlich.,,46 Was seinerzeit mit Blick auf eine bundesdeutsche Lösung formuliert war, gewinnt heute im Hinblick auf eine europäische Lösung ein besonderes Gewicht. Die Abwasserabgabe ist in einem solchen Kontext und nach einer entsprechenden Reform als Instrument zur Bewirtschaftung und zur verursachergerechten Kostenanlastung durchaus geeignet. Die Frage ist, ob das deutsche Wasserrecht der Abgabe den nötigen Spiel46 Dieter Ewringmann/Harald IrmerlGünther Rincke, Raumordnerische und gewässergütewirtschaftliche Aspekte zur Abwasserabgabe, IzR 1976, S. 373 tf.

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raum einräumen wird; in dieser Frage konzentriert sich das Interesse auf die Versuche, das Umweltrecht im Rahmen eines UGB neu zu kodifIzieren.

IV. Das UGB - eine Emanzipationshilfe für die Abwasserabgabe? An die Entwicklung eines UGB haben sich seit langem - nicht zuletzt von Ökonomen - große Erwartungen geknüpft. Vor allem erhofft man sich von Seiten der Ökonomen eine bessere Verankerung von ökonomischen Instrumenten oder anders formuliert: eine leichtere und intensivere Einsatzmöglichkeit fUr flexible und effIzientere preis- und mengensteuernde Instrumente, die ihre spezifIsche Leistungsfähigkeit ohne überflüssige Einengung durch das Ordnungsrecht in den Instrumentenverbund einbringen können. Dazu - dies sei vorweg bemerkt - enthalten sowohl der Professoren- als auch der Kommissionsentwurf in der Tat einige vielversprechende Ansatzpunkte, jedenfalls soweit es die allgemeinen Teile des UGB anbelangt. Sie stünden einer neuen selbständigen lenkenden Funktion der Abwasserabgabe (und der Wasserentnahmeentgelte) nicht entgegen. In ihrem besonderen Teil haben die Professoren und die Kommissionsmitglieder allerdings jeweils weitgehend auf die Abwasserabgabe in ihrer bisherigen Struktur zurückgegriffen. Insoweit bestehen aus der Sicht eines Ökonomen größere Diskrepanzen zwischen den allgemeinen und dem besonderen Ausführungen zum neuen Umweltgesetzbuch: In den Abgaberegelungen ihrer allgemeinen Teile sehen sowohl der Professoren- als auch der Kommissionsentwurf eine zunächst einmal ungebundene, d.h. nicht zwangsläufIg an das Ordnungsrecht gekoppelte Abgabenerhebung vor - so scheint es jedenfalls nach dem Wortlaut ihrer Grundsatzerklärung. Der allgemeine Grundsatz lautet schlicht: Für umwelterhebliche Handlungen werden nach den Bestimmungen des UGB Abgaben erhoben. Dabei wird im Professorenentwurf insbesondere an Abgaben "für die Verursachung von Emissionen" gedacht; im Kommissionsentwurf wird neben der Verursachung von Emissionen auch "die Nutzung natürlicher Ressourcen" genannt. In den Erläuterungen fInden sich zu dieser Art der Abgabenerhebung interessante Aussagen. So unterscheiden die Professoren zwischen UmweltfInanzierungs- und Umweltlenkungsabgaben, widmen die konkreten Regelungen aber allein den Lenkungsabgaben. "Sie werden ... typischerweise so ausgestaltet, dass dem Abgabetatbestand (ganz oder teilweise) ausgewichen werden kann. Bei diesem Typus der Umweltabgabe ist das erzielte Abgabeaufkommen regelmäßig nur eine ungewollte, allenfalls sekundär hingenommene Nebenfolge der Abgabenlenkung". Hier klingt das zuvor bereits angesprochene Missverständnis bereits an, das sich unter Juristen mit dem Abgabeaufkommen und der Abgabefunktion verbindet. Deutlicher wird es wenige Abschnitte weiter im Rahmen einer Würdigung der Erfahrungen mit dem bisherigen Recht. Dort 19 Bohne

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wird das Aufkommen als eine "allenfalls während einer Übergangsphase hinzunehmende Nebenfolge" charakterisiert. Dies lässt darauf schließen, dass letztlich nur solche Umweltabgaben vom UGB "gutgeheißen" werden, die sich nach möglichst kurzer Zeit durch das Ausbleiben von Aufkommen selbst wieder überflüssig machen. Man sollte diese Fehlinterpretation ökonomischer Sachzusammenhänge in ihren Effekten nicht unterschätzen. Die rechtswissenschaftliche und verfassungsrechtliche Beurteilung neuer Abgabenvorschläge ist nicht zuletzt deshalb immer wieder so kritisch ausgefallen, weil die fälschlicherweise unterstellten Wirkungshypothesen den selbst gewählten Kriterien nicht entsprachen Problematisch erscheint auch ein anderer, seit langem diskutierter Aspekt, der in den UGB-Entwürfen wieder auftaucht. Im Professorenentwurf heißt es generell zu den Instrumenten der indirekten Steuerung, zu denen auch die Umweltabgaben gehören: "Der Staat formuliert dort gegenüber dem Bürger lediglich eine (häufig mit Anreizen versehene) Verhaltenserwartung, wobei das erwartungswidrige Verhalten rechtmäßig (jedoch unerwünscht) bleibt.,,47 Dies ist zunächst einmal eine aus ökonomischer Sicht erfreuliche Klarstellung, bedeutet es doch, dass entgegen häufiger Juristenmeinung die zulässige Restverschrnutzung mit Umweltabgaben belastet werden darf. Daraus folgt aber eigentlich auch, dass Umweltabgaben - soweit sie sich auf auch ordnungsrechtlich regulierte umweltrelevante Handlungen beziehen - nur die "erlaubte" Restverschmutzung belasten können. Nur in diesem Bereich bleibt die bei unzureichendem Anreiz bestehende Option der Beibehaltung des unerwünschten Verhaltens rechtmäßig. Werden demgegenüber beim Emittieren ordnungsrechtlich vorgegebene Standards überschritten, so ist dies nicht rechtmäßig. Eine Abgabe, die eine solchermaßen rechtswidrige Verschrnutzung belastet und insoweit lediglich eine Verhaltenserwartung formuliert, passt daher nicht in das System. 48 Abgaben, die beispielsweise allein auf Messergebnissen basieren und die gemessenen Schadeinheiten - unabhängig davon, ob sie erlaubt oder unerlaubt zustande kommen - einem einheitlichen Abgabesatz unterwerfen, sind daher vor diesem Ansatz obsolet. Auch die gegenwärtige Abwasserabgabe, die aber von den UGB-Entwürfen als Prototyp einer Umweltabgabe verstanden und in ihrer Struktur unverändert in den besonderen Teil übernommen wird, ist dann nicht systemkonform; auch sie, die im Regelfall am Bescheid, also am Erlaubten anknüpft, fUhrt unter bestimmten Bedingungen zur Abgabepflicht für das Unerlaubte. In § 79 des Professoren-Entwurfs heißt es zudem: "Die Höhe der Abgabe richtet sich nach dem Grad der nachteiligen Wirkungen auf die Umwelt (Schädlichkeit) nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes." Und in § 192 des 47

48

UGB-ProfE, Vorbemerkung zu Sechstes Kapitel: Indirekte Steuerung. Siehe dazu vor allem Erik Gawel (Fn. 11), S. 23 fT.

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Konunissionsentwurfes klingt das ähnlich: ,,Die Höhe der Abgabe richtet sich nach dem Grad der nachteiligen Auswirkungen der Handlung auf die Umwelt, dem Wert der Ressourcennutzung oder der Höhe der Vermeidungskosten nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzbuches." Dies verspricht eine vom Stand der Technik und von der jeweiligen Genehmigung unabhängige Abgabengestaltung und -erhebung, die zudem von umweltunerheblichen Aspekten freigehalten wird. Die Abgabenlast soll auf die Abgabepflichtigen nach dem Maßstab der jeweils verursachten Schädlichkeit verteilt werden. Ob es sich dabei um eine erlaubte oder unerlaubte Schädlichkeit handelt, darf insoweit keine Rolle spielen, auch nicht ob ein Emittent besonders leistungsfähig oder bedürftig ist. Vor allem wird dadurch - legt man den Wortlaut zugrunde - die Abgabe nicht an eine vollzugsunterstützende Funktion fiir das Wasserrecht gebunden; sie bleibt letztlich selbständig und kann eigene Lenkungseffekte entfalten. Nun weist auch das jetzige Abwasserabgabenrecht - das Pate gestanden hat

fiir die Abgabenkonkretisierung im besonderen Teil der UGB-Entwürfe - in der

allgemeinen Formulierung die Abgabe bereits als unabhängig vom Ordnungsrecht aus. Im § 3 AbwAG heißt es nämlich: "Die Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers, die ... in Schadeinheiten bestimmt wird." Auch im gegenwärtigen Recht sollte also die Abgabenlast in Abhängigkeit von den Schadeinheiten der Abgabepflichtigen ermittelt und verteilt werden, also so wie es die UGB-EntWÜffe vorsehen. Daraus müsste folgen, dass derjenige, der den Vorfluter in stärkerem Maße beeinträchtigt, auch stärker belastet wird, dass zwei Emittenten, die - aus welcher Branche auch immer sie stammen - dieselben Schadstofffrachten und -konzentrationen aufweisen, in gleicher Höhe belastet werden. Mit anderen Worten - die jeweils extern verursachten Effekte bzw. Kosten sollen die Abgabeschuld bestimmen. Das wäre das Prinzip einer unabhängig vom Ordnungsrecht erhobenen lenkenden und internalisierenden Abgabe. Davon ist die bestehende Abwasserabgabe allerdings weit entfernt. Zunächst einmal wird - wie bereits erwähnt - gar nicht die tatsächliche Zahl der Schadeinheiten zugrunde gelegt. Als üblicher Wert gilt vielmehr der Überwachungswert, also sozusagen die genehmigte anstatt der tatsächlichen Emission. Diese sogen. Bescheidlösung ist jedoch in diesem Zusammenhang noch eher das geringere Problem, schließlich kann man sie als eine Maßnahme der Verwaltungsvereinfachung ansehen. Wesentlich problematischer ist die Tarifspaltung im Punkt der erfiillten Mindestanforderungen nach § 7 a WHG. Der Abgabesatz sinkt nämlich auf 50 %, wenn der Bescheids- oder auch der Erklärungswert mindestens den 7 a-Anforderungen entspricht und die Werte auch tatsächlich eingehalten werden. Dadurch wird die effektive Abgabenbelastung eine Funktion der 19'

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wasserrechtlichen Normerfüllung: Zwei Abgabepflichtige mit gleicher Anzahl von Schadeinheiten werden unterschiedlich belastet, wenn einer von ihnen die WHG-Anforderungen erfüllt, der andere dagegen verstößt. Diese Regelung des § 9 Abs. 5 AbwAG ist es eigentlich, die erst die strikte Ankopplung der Abgabe an das Ordnungsrecht hervorruft. Es gibt allerdings noch einen weiteren Punkt, der die Abwasserabgabe im gegenwärtigen Recht deformiert und dazu fuhrt, dass die Abgabenbelastung eben nicht nach dem Grundsatz des § 3 AbwAG und nach den von den Professoren und von der Kommission vorgeschlagenen Belastungsgrundsatz strukturiert wird. Dies ist die sogen. Verrechnungsklausel im § 10 Abs. 3-5 AbwAG. Stark vereinfacht besagt sie, dass derjenige, der in Abwasserbehandlungsanlagen investiert, die dafür anfallenden Aufwendungen unter bestimmten Konditionen mit der Abgabeschuld verrechnen kann. Dadurch wird der Belastungsgrundsatz des § 3 AbwAG völlig pervertiert. Bei gleicher Anzahl von Schadeinheiten zahlt derjenige eine geringere Abgabenlast, der zusätzliche Investitionen vornimmt. Am geringsten wird dadurch letztlich derjenige mit Abwasserabgabe belastet, der besonders teuere und ineffiziente Vermeidungsmaßnahmen plant. Die bestehende Abwasserabgabe ist daher in sich inkonsistent. Verschiedene ihrer Detailregelungen widersprechen dem Belastungsgrundsatz des § 3 AbwAG und beeinträchtigen die selbständige allokative Lenkungsfunktion der Abgabe. Dies ist auch ein deutlicher Widerspruch zu den allgemeinen Prinzipienvorgaben der Entwürfe für ein UGB im Hinblick auf das ökonomische Instrument der Umweltabgaben. Da die UGB-Entwürfe aber die gegenwärtige Struktur der Abwasserabgabe in ihre Regelungsvorschläge übernehmen, sind auch die Konzepte der Professoren und der Sachverständigenkommission in sich widersprüchlich. Die Entwürfe übernehmen die Bescheidlösung, vor allem aber die Tarifspaltung bei Erfüllung der WHG-Anforderungen;49 insoweit bleibt die Abgabe daher entgegen den programmatischen Erklärungen und Vorgaben in den allgemeinen Regelungsteilen doch weiterhin in der engen Bindung an das Wasserhaushaltsrecht verfangen. Die Entwürfe übernehmen im Übrigen auch die Verrechnungslösungen50 und tragen insoweit dazu bei, dass andere als Schädlichkeitskriterien die Verteilung der Abgabelast determinieren. Dies erstaunt um so mehr, als im § 404 UGB-E die Kommission sogar eine sprachliche Präzisierung gegenüber dem geltenden Recht versucht hat. Der gegenwärtigen Formulierung in § 3 AbwAG "Die Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit ... " stellt die Kommission die Formulierung "Die Höhe (Hervorhebung v. Verf.) der Abgabe richtet sich nach der Schädlichkeit ... " gegenüber. Es fragt sich, warum sie - wenn ohnehin alles beim Alten bleiben 49

50

Siehe z.B. § 409 UGB-KomE. § 4 \0 UGB-KomE.

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soll- nicht zutreffender fonnuliert hat: "Die Höhe der Abgabe richtet sich nach der Schädlichkeit, nach der Genehmigung, nach der Nonntreue und nach den Kosten fiir eigene Maßnahmen." Es zeigt sich daher, dass die beiden Entwürfe für ein UGB noch einige Fallstricke fiir eine unabhängige, vom Ordnungsrecht losgelöste und ökonomisch systernkonfonne Umweltabgabe aufweisen. Allgemeiner und besonderer Teil sind noch nicht aufeinander abgestimmt. Für die Abwasserabgabe bleibt es so bei dem fundamentalen Widerspruch, den die Abgabe bereits enthält und die ihre Abhängigkeit vom WHG konstituiert. Die UGB-Entwürfe weisen daher der Abwasserabgabe noch keinen sicheren Weg aus der ordnungsrechtlichen Abhängigkeit.

Diskussion zu dem Referat von Dieter Ewringmann Bericht: Kathrin Schwalb

Sailer eröffnete die Diskussion, indem er hinterfragte, ob ein Umweltgesetzbuch (UGB) überhaupt notwendig sei oder ob nicht die bisherigen europäischen Vorgaben ausreichten, um in absehbarer Zeit Veränderungen herbeizufiihren. Er fiihrte aus, dass die Kommission beispielsweise im vergangenen Jahr eine Mitteilung herausgegeben habe, die sehr detaillierte Ausfiihrungen über die Wasserpreisgestaltung enthalte. Diese Vorgaben seien früher oder später umzusetzen - auch ohne die Existenz eines UGB. Ewringmann stimmte mit Sailer insofern überein, dass die Wasserrahmenrichtlinie sicherlich der entscheidende Impulsgeber in Richtung einer Neufunktionalisierung der Abwasserabgabe sein werde. Er hob jedoch hervor, dass die Abwasserabgabe nur ein einzelner herausgenommener Regelungsbereich sei, der die prinzipielle Notwendigkeit eines UGB nicht in Frage stelle. Bohne thematisierte anschließend den Aspekt der Regionalisierung und das damit verbundene Problem der Abwanderung in Niedrigabgabegebiete, welches auch heute nicht von der Hand zu weisen sei. Ewringmann unterstrich, dass in der Zeit des kooperativen Föderalismus und angesichts einer noch sehr schwierigen und prekären Situation im Umweltschutzbereich die damalige Entscheidung für eine bundeseinheitliche Abgabe durchaus richtig gewesen sei. Damals wäre es nicht nur zum Wettbewerb um die Höhe der Abgabensätze, sondern auch zu einem Wettlauf um möglichst niedrige Umweltschutzanforderungen gekommen. Heute hätten sich aber die Rahmenbedingungen geändert: Vor dem Hintergrund der Globalisierung werde gefordert, die Länder, Regionen und Gemeinden aus der Bevormundung und finanziellen Abhängigkeit zu entlassen und in Wettbewerb zueinander treten zu lassen. Diese Forderung bedeute allerdings auch, dass man den kleineren räumlichen Einheiten gemäß dem Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz mehr Steuerungsmasse für eigene Entscheidungen lassen müsse. Wenn unter dem Vorzeichen der Globalisierung also mehr Wettbewerb gefordert werde, so seien die Regionen auch in die Lage zu versetzen, ihre Abgaben selbst zu bestimmen. Ewringmann argumentierte weiterhin, dass man im Gewässerschutz schon lange im Vorsorgebereich angelangt sei. In Verbindung mit den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie und den sich ergebenden Bewirtschaftungszwängen hätten sich zum einen völlig unterschiedliche Ausgangssituationen in einzelnen

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Flussgebieten herausgebildet, zum anderen könnten die Nutzungen der Gewässer sehr unterschiedlich bestimmt werden. Dies sei mit einer bundeseinheitlichen Abgabe nicht mehr zu vereinbaren. Abschließend führte Ewringmann aus, dass es prinzipiell drei Möglichkeiten der Regionalisierung gebe: Man könne entweder die Bemessungsgrundlage mit unterschiedlichen, nach der Bewirtschaftung besonders dringlichen Schadstoffen oder Parametern differenziert anbieten, man könne unterschiedliche Abgabensätze anbieten oder man könne eine Umverteilung des Mittelaufkommens vornehmen. Bezug nehmend auf diese Ausführungen erläuterte Kromarek die Abwasserabgaberegelungen in Frankreich: Im Grunde sei in Frankreich die Wasserrahmenrichtlinie schon 1964 umgesetzt worden, denn in Frankreich gebe es eine nach Flussgebieten regionalisierte Abwasserabgabe. Es gebe insgesamt sechs sogenannte ,Agences de Bassin' (Wasserämter), die über ein bestimmtes, jährlich unter Beteiligung verschiedener Akteure neu festgelegtes Budget verfügten und von der staatlichen Wasserbehörde unabhängig seien. Die Abgaben würden nach der eingeleiteten Schmutzfracht berechnet, entweder pauschal oder nach der tatsächlichen Einleitung. Die Abwasserabgabensätze seien von Agence zu Agence verschieden. Kromarek hob hervor, dass zwischen der Höhe der Abgaben und dem Bescheid der Wasserbehörde über die zu zahlende Abgabe streng zu unterscheiden sei. Während die Wasserbehörde für die Bescheide zuständig sei, lägen die Abwasserabgaben im Zuständigkeitsbereich der Agences. Zum Teil würden die von den Agences gezahlten Gelder wieder an diese zurückfließen, beispielsweise als Honorierung von Anlagen, die dem Stand der Technik entsprächen, aber auch für Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität. In der Verwendung der Abwasserabgaben liege allerdings auch ein Problem, denn ein Teil der Abgaben würde eben nicht in den Umweltschutzbereich zurückfließen, sondern in den Staatshaushalt zur Finanzierung der Sozialversicherung, was die Regionalisierung im Grunde gefährde. Unabhängig von der Abwasserabgabe - fügte Kromarek hinzu - müsse natürlich auch in Frankreich die Wasserrahmenrichtlinie umgesetzt werden. Inzwischen gebe es schon den 28. Vorschlag zur Reform des Wassergesetzes. Dies hänge allerdings damit zusammen, dass eine Reform bereits diskutiert wurde, bevor die Wasserrahmenrichtlinie erlassen worden sei. Daher werde es auch noch geraume Zeit dauern bis die Reform tatsächlich verabschiedet werde. Petek schloss die Diskussion mit der Bemerkung, dass Österreich in Europa relativ weit zurückliege, was eine Ökosteuer oder generell Lenkungssteuern anbelange. In Österreich gebe es lediglich Abwassergebühren, die regional von den Kommunen und Abwasserverbänden erhoben würden. Daher habe auch die Wasserrahmenrichtlinie eine intensive Diskussion um die Kosten der Wasserver- und -entsorgung ausgelöst. Sie bedauere es, dass in Österreich bisher die Chance eines UGB mit einer systematischen Regelung zur Verknüpfung von Ordnungsrecht und Anreizinstrumenten nicht genutzt worden sei.

Zur Zweckbindung von Umweltsteuern im Rahmen eines Umweltgesetzbuches Ein verfassungsrechtlicher Beitrag zur Zwecksteuer und zum Grundsatz der Gesamtdeckung des Haushalts Von Peter Selmer

I. Einleitende Bemerkungen Der 63. Deutsche Juristentag hat sich im vergangenen Jahr in seiner Abteilung Öffentliches Recht mit der "Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabemechts" befasst. In meinem mit Brodersen im Deutschen Verwaltungsblatt publizierten Beitrag zu den verfassungsrechtlichen Grundfragen dieses Themas glaubte ich in unserem Resümee Anlass zu der Aufforderung zu haben, die wissenschaftliche Aufmerksamkeit möge sich künftig mehr noch als bisher den Problemen der Verwendung des Aufkommens aus Lenkungsabgaben zuwenden 1. Meine zu dem heutigen Anlass angestellten Überlegungen haben mich hierin bestärkt. Das trifft vor allem fiir die steuerlichen Umweltabgaben zu, die in erster Linie Gegenstand dieses Vortrages zu sein haben. So finden sich denn auch die steuerlichen Abgaben in den bisherigen Ansätzen zu einem Umweltgesetzbuch2 nicht thematisiert: Weder die umweltabgabemechtlichen Bestimmungen des sog. Professorenentwurfs (§§ 77 - 81)3 noch die des sog. Kommissionsentwurfs (§§ 190 - 195)4 haben, worauf jüngst Hend-

I Vgl. Peter Selmer/Carsten Brodersen, Die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts - Verfassungsrechtliche Grundfragen -, DVB12000, S. 1153, 1165. 2 Vgl. zu ihnen instruktiv Werner Hoppe/Martin BeckmanniPetra Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl., 2000, § 1 Rdnrn. 176 ff. m. w. Nachw. insb. in Fn. 445 u. 455. 3 Vgl. Michael KloepferiEckard RehbinderiEberhard Schmidt-Aßmann unter Mitwirkung von Philip Kunig, Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil -, in: Umweltbundesamt (Hrsg.), Berichte 7/90,1990, S. 69 ff., 339 ff. 4 Vgl. Unabhängige Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, in: Bundesministe-

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[er noch einmal hingewiesen hat S, das Steuerwesen in ihr Regelungsprogramm aufgenommen. Das gilt naturgemäß auch fiir die in § 81 ProtE und § 194 KornE vorgeschriebene Verwendung des Aufkommens der Umweltabgaben durch die Länder fiir - so die gegenüber § 81 ProtE erweiterte Formulierung des § 194 I S. 1 KornE - "Maßnahmen und Vorhaben zum Schutz der Umwelt, die Erforschung und Entwicklung von umweltschonenden und umweltverbessernden Verfahren einschließlich der Durchführung von Pilotvorhaben, die Beratung und Information über umweltgerechtes Verhalten sowie die Aus- und Fortbildung der Abgabepflichtigen oder ihres Personals,,6. Mit den Verfassungsrechtsfragen, wie sie mit einer Zweckbindung, insbesondere einer entsprechend generellen Zweckbindung von Umweltsteuern im Rahmen eines Umweltgesetzbuches des Bundes gegebenenfalls verbunden sind, werden sich meine nachfolgenden Bemerkungen vor allem befassen.

Sie haben sich im einzelnen mit drei jedenfalls im Ansatz sorgfältig voneinander zu trennenden Aspekten der Problematik auseinanderzusetzen: zunächst einem steuerbegrifflichen und damit steuergesetzgebungsrechtlichen sowie einem haushaltsverfassungsrechtlichen Aspekt. Der erste betrifft die Bedeutung von Zweckbindungen fiir den begrifflichen Abgabetypus Steuer und damit fiir die gebotene Einordnung der jeweiligen Abgabe in das (nur) fiir Steuern geltende Finanzverfassungsregime 7, der zweite die Vereinbarkeit von Zweckbindungen mit den spezifischen Anforderungen des Haushaltsverfassungsrechts, wie sie sich aus dem Grundgesetz und dem Bundeshaushaltsrecht ergeben. Der dritte Aspekt schließlich bezieht sich auf die Frage, welche Grenzen Zweckbindungen in beiderlei Hinsicht von Verfassungs wegen gezogen sind. Dabei verstehe ich unter Zweckbindung des Auflmmmens in allen Zusammenhängen ausschließlich die explizite sach- oder haushaltsgesetzlich festgeschriebene Verpflichtung, das Aufkommen der in Rede stehenden Steuer ganz oder zu einem bestimmten Anteil für die gesetzlich vorgegebenen Zwecke auszugeben8 •

rium flir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), UmweItgesetzbuch (UGBKornE), 1998, S. 182 ff., 779 ff. S Vgl. Reinhard Hendler, Zur Entwicklung des Umweltabgabenrechts, NuR 2000, S. 661, 668. 6 In Bezug auf die Regelung der Aufkommensverwendung bestimmte § 194 II S. 1 KornE: "Die Länder regeln Näheres über die Verwendung des Aufkommens". 7 Zu den Art. 105 ff. GG als speziellen und gegenüber den Art. 73 ff. GG vorrangigen Kompetenzbestimmungen vgl. BVerfGE 3, 407, 435 f.; 4, 7, 13; 7, 244, 251; 13, 181, 196 f.; 14,76, 162, st. Rspr.; vgl. dazu näher Peter Seimer, Sonderabfallabgaben und Verfassungsrecht - Ein Beitrag zum Umweltschutz durch Sonderabgaben und Steuern -, 1996, S. 24 f. 8 So auch durchweg das die Anwendung des Haushaltsrechts (§ 7 HGrG, § 8 BHO) beherrschende Verständnis: Vgl. flir viele Hermann Dommach, in: Ernst Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, Stand 1998, § 8 BHO Rdnr. 3; Sieghardt v. KöckritzlGünter

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Dagegen begründet die von den Gesetzesinitiatoren in der Gesetzesbegründung oder im sonstigen publizistischen Vorfeld der Gesetzesentstehung als programmatisches Ziel in Aussicht gestellte Verwendung des Steueraufkommens für sich allein noch keine rechtlich erhebliche Zweckbindung9 , von der allein hier die Rede zu sein hat.

11. Zweckbindungen und Steuerbegriff 1. Grundsätzliches Durchaus sicheren Boden meint man zunächst unter den Füßen zu haben, misst man abgabenmäßige Verwendungszweckbindungen am - auch finanzverfassungsrechtlich maßgeblichen - Steuerbegriff des § 3 I AO IO • Ihm zufolge sind "Steuern" solche "Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft". Nähere Betrachtung lehrt freilich seit langem, dass in diesem Steuerbegriff eine Reihe recht tückischer Probleme angelegt sind, die gerade bei Zweckbindungen des Aufkommens in Erscheinung treten und bislang noch keineswegs durchgehend überzeugend bewältigt werden konnten. Die Befassung mit ihnen hat der Rechtswissenschaft vor allem von Seiten der Ökonomen nicht selten den Vorwurf einer "endlosen Perpetuierung" eines "rechtsdogmatisch ebenso unbefriedigenden wie rechtspolitisch unergiebigen Formenstreits" eingebracht ll . Hierfür hat man gewiss Verständnis aufzubringen. Gleichwohl fUhrt angesichts der für Steuern - und nur für Steuern - geltenden speziellen Zuständigkeitsanord-

ErmischiNorbert DittrichiChristel Lamm, Bundeshaushaltsordnung, Stand 1998, § 8 BHO Erl. 3.1. 9 So auch BVerfGE 93, 319, 347. 10 Zur Aussagekraft des in § 1 I RAO, später in § 3 I AO 1977 umrissenen Steuerbegriffs für den finanzverfassungsrechtlichen Steuerbegriffvgl. BVerfGE 3, 407, 435; 4, 7,13; 7, 244, 251; 8, 274, 317 f.; 29, 402, 408 f.; 36, 66, 70; 38, 61, 79 f.; 49, 343, 353; 55, 274, 299; 67, 256, 282, st. Rspr.; vgl. m. w. Nachw. näher dazu Klaus Vogel/Christian Waldhoff, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand November 1997, Vorbem. z. Art. 104a-115 Rdnm. 362 ff. 11 Vgl. wie oben durchaus eindrucksvoll insb. Erik Gawel, Umweltabgaben zwischen Steuer- und Gebührenlösung - Eine finanzwissenschaftliche Kritik der Rechtsreformrestriktionen für administrierte Umweltpreise -, 1999, S. 116 f. und passim (s. auch die weithin zust. ausf. Rezension von Dieter Ewringmann, StuW 2000, S. 103); ders., Das Rechtskleid für Umweltabgaben - Abgabengestützte Umweltlenkung zwischen Steuer- und Gebührenlösung -, in: Ute Sacksojsky/Joachim Wieland (Hrsg.), Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, 2000, S. 108 ff., 116 ff., jew. m. zahlr. Nachw.

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nungen in Art. 105 f. GG kein Weg an der Forderung vorbei, Steuern und Nicht-Steuern klar voneinander zu unterscheiden l2 • Hieran hat auch der Wasserpfennig-Beschluss des BVerfG nichts geändert, der zwar die genaue Qualifikation einer nichtsteuerlichen Abgabe für verfassungsrechtlich belanglos erklärt, an der Dichotomie von Steuern und Nicht-Steuern aber nachchücklich festgehalten hat 13. Für den Steuerbegriff ist vor allem die fehlende Abhängigkeit von einer Gegenleistung, ihre hierin liegende Voraussetzungslosigkeit konstitutiv l4 . Ihr steht, worüber Einigkeit besteht, nicht schon die Zweckbindung des Aufkommens fur sich allein entgegen. Der Satz, auch Zwecksteuern seien Steuern im Sinne des Grundgesetzes, darf heute als gesichertes Gemeingut gelten l5 . Aber er setzt eben voraus, daß eine Steuer begrifflich überhaupt vorliegt, ja versieht die Beantwortung der hierauf sich richtenden Frage mit einer zusätzlichen Schwierigkeit. Ihr sieht sich der Rechtsanwender nur dort enthoben, wo es sich bei der geäußerten Zweckbindung nur um eine außerrechtliche Zielbekundung handelt, die den Betroffenen die Belastung plausibel machen soll. So hat sich das BVerfG mit Recht geweigert, dem baden-württembergischen Wasserentnahrneentgelt den (zuvor ins Auge gefassten) Gegenleistungscharakter unter Hinweis darauf abzusprechen, dass das Abgabeaufkommen in Wahrheit nicht der Vorteilsabschöpfung, sondern der Finanzierung der Entschädigungsleistungen an die Landwirte wegen Düngemittelbeschränkungen in Wasserschutzgebieten nach § 19 IV WHG zu dienen bestimmt sei: Dies möge ein politisches Motiv fiir die Erhebung der Abgabe gewesen sein. Da die Abgabe rechtlich nicht zweckgebunden sei, komme es auf die Motive für ihre Einfiihrung nicht an l6 . Hiervon abgesehen ist die Aufgabe, der spezifischen Voraussetzungslosigkeit der begrifflichen Steuer gegenüber den Nicht-Steuern, insbesondere der Gegenleistungsbezogenheit der Gebühren und Beiträge, aber auch gegenüber der Eigenart der sog. Sonderabgaben in allseits anwendungsfahiger Weise klare Konturen zu verleihen, noch weitgehend ungelöst. Das macht sich vor allem 12 Vgl. m. w. Nachw. Peter SeImer, Finanzierung des Umweltschutzes und Umweltschutz durch Finanzierung, in: Werner Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 25, 35 f., 36 ff. 13 Vgl. BVerfDE 93, 319, 342-345. 14 Vgl. BVerfDE 55, 274, 298; 67, 256, 275. IS Vgl. BVerfDE 7, 244, 254; 9, 291, 300; 49,343,353 f.; 55, 274, 305, 310 f.; 65, 325, 344) aus dem Schrifttum s. für viele m. w. Nachw. etwa Klaus Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986, S. 214 m. Fn. 174; Herbert FischerMenshausen, in: Ingo von MünchlPhilip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl., 1996, Art. 105 Rdnr. 6a; Monika Jachmann, in: Hermann v. MangoldtlFriedrich Klein/Christian Starck, Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl., Bd. 3, 2001, Art. 105 Rdnr. 4. 16 BVerfDE 93, 319, 347.

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dort schmerzlich bemerkbar, wo das Eingreifen des Äquivalenzgedankens nichtsteuerliche Abgaben und Zwecksteuern in unmittelbare Nachbarschaft bringt 17 . Für die Abschichtung der Gegenleistungsabgaben ist das BVerfG insoweit über sein frühzeitiges Bekenntnis, "die Grenze zwischen Zwecksteuern und laufenden Beiträgen (sei) anerkanntermaßen schwer zu ziehen"ls, bis heute nicht wesentlich hinaus gelangt. Immerhin haben sich gewisse Indizien herausgebildet: So sei bei der Zwecksteuer, anders als beim Beitrag, der Kreis der Abgabepflichtigen nicht notwendig auf die vorteilziehenden Personen begrenze 9; auch komme der etwaige Vorteil den Pflichtigen bei der Zwecksteuer nur mittelbar, beim Beitrag dagegen unmittelbar zugute 20 ; schließlich zeichne sich die Zwecksteuer durch eine mehr allgemeine Zweckbindung aus, während eine hochspezialisierte bei ihr schwerlich vorstellbar sei 21 . Schwieriger noch erscheinen die Probleme der Scheidung der Zwecksteuer von den sog. Sonderabgaben22 • Mein Versuch (auf den ich hier nur verweisen kann), zwischen aktiven - "parafiskalischen" -, d.h. voraussetzungslos erhobenen Sonderabgaben einerseits und "reaktiven", voraussetzungsgebundenen Sonderabgaben andererseits zu unterscheiden, wobei bei den ersteren die Distanz zur Steuer durch eine gruppennützige Verwendung, bei den letzteren durch eine an einen vorgegebenen gesetzlichen (Pflichten-)Zusammenhang anknüpfende Sachzweckgebundenheit hergestellt erscheint23 , ist wohl in der Literatur

17 Vgl. dazu etwa Wolfgang Puwalla, Qualifikation von Abgaben, 1987, S. 132 ff.; Lerke Osterloh, "Ökosteuern" und verfassungsrechtlicher Steuerbegriff - Alte Fragen zum staatlichen Steuererfindungsrecht, neu gestellt -, NVwZ 1991, S. 823, 827 u. passim; Dieter BirkiRolf Eckhoff, Staatsfinanzierung durch Gebühren und Steuern: Vorund Nachteile aus juristischer Perspektive, in: SacksofskylWieland (Fn. 11), S. 54 ff., 60 f.; Frank Rainer Balmes, Verfassungsmäßigkeit und rechtliche Systematisierung von UmweItsteuern, 1997, S. 128 ( u. passim.; Johanna Hey, Rechtliche Zu lässigkeit von UmweItabgaben unter dem Vorbehalt ihrer ökologischen und ökonomischen Wirksamkeit, StuW 1998, S. 32, 35 ff., 50 ( 18 BVerfGE 9, 291, 300. 19 Vgl. BVerfGE 7, 244, 254 f.; 49, 343, 354; 65, 325, 344. 20 Vgl. BVerfGE 49, 343, 353. 21 Vgl. BVerfGE 55, 274, 311; 67, 256, 279. 22 Zu ihnen vgl. insb. BVerfGE 55, 274; 57, 137; 67, 256; 75, 108; 78, 249; 81, 156; 82, 159; 91, 186; 101, 141; aus dem jüngeren Schrifttum vgl. m. w. Nachw. etwa die Darstellungen bei Selmer (Fn. 7), S. 28 ff., 33 ff.; VogeIIWaldhoff(Fn. 10); Vorbem. z. Art. 104a - 115 Rdnrn. 436 ff.; Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Vorbem. z. Abschnitt X Rdnrn. 123 ff.; Ute Sacksofsky, Umweltschutz durch nicht-steuerliche Abgaben, 2000, S. 55 ff.; Rolf Caesar, Umweltsonderabgaben oder Umweltsteuern?, in: Klaus MackscheidtlDieter EwingmanniErik Gawel (Hrsg.), UmweItpolitik mit hoheitlichen Zwangsabgaben?, Karl-Heinrich Hansmeyer zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, 1994, S. 91,92 u. passim. 23 Vgl. Seim er (Fn. 12), S. 36 ff., insb. 39 ff.; ders., Verfassungsrechtliche und finanzrechtliche Rahmenbedingungen, in: Rüdiger BreuerlMichael KloepferiPeter Mar-

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verbreitet auf grundsätzliche Zustimmung gestoßen24 . Das BVerfG hat ihn aufzugreifen bislang freilich noch keine Gelegenheit gehabt. Nur indizielle, aber keine konstitutive Bedeutung für die QualiflZierung einer Abgabe als Zwecksteuer oder nichtsteuerliche (Sonder-)Abgabe darf in diesem Zusammenhang jedenfalls der Umstand haben, ob der Gesetzgeber das Aufkommen aus einer Abgabe in den staatlichen Haushalt fließen läßt oder nicht. D.h. weder konstituiert die Einstellung der Abgabe in diesen Haushalt als solche ihre begriffliche Steuereigenschaft noch wird diese ihr ohne weiteres genommen, wenn das Aufkommen unmittelbar nicht einer Gebietskörperschaft, sondern einer anderen juristischen Person oder Einrichtung zufließt25 . Die Qualifikationsfrage ist entscheidend nach Maßgabe anderer, bisher freilich noch nicht abschließend gesicherter materieller Kriterien zu beantworten. Nur auf diese Weise erscheint die "Steuer"-Verfassung des Grundgesetzes gegenüber manipulativen Zugriffen des einfachen Gesetzgebers resistent26 . Das BVerfG hat dies, von einem Fehltritt des Ersten Senats abgesehen27 , im Grundsatz nicht verkannt28 • Wird man indes dies alles auch de lege ferenda bei der Ausformung von Umweltabgaben im Auge zu behalten haben, so bieten doch die bisherigen Öko steuer-Ansätze insoweit keinen Anlass zu kritischer Betrachtung. Das gilt auch für die strom- und mineralölsteuerlichen Belastungen der sog. Ökologi-

burgerlMeinhard Schröder (Hrsg.), Umweltschutz durch Abgaben und Steuern, UTR Bd. 16,1992, S. 15,46 tf.; ders. (Fn. 7), S. 38 tf.; ders. (Fn. 1), S. 1163. 24 Vgl. etwa Wolfgang Köck, Die Sonderabgabe als Instrument des Umweltschutzes, 1991, S. 54, 56 ff., 60, 83 tf., 143; ders., Umweltsteuern als Verfassungsproblem, JZ 1993, S. 59, 65; Paul Henseler, Besprechung von: Peter SelmerlCarsten BrodersenlGert Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben für den Schwerverkehr, 1989, NVwZ 1991, S. 558; Werner Heun, Die Sonderabgaben als verfassungsrechtlicher Abgabetypus, DVBI 1990, S. 666, 669 m. Fn. 48, 670 m. Fn. 56; Osterloh (Fn. 17), S. 827 m. Fn. 48; Klaus Meßerschmidt, Energieabgaben und Klimaschutz, RdE 1992, S. 182, 226, 228; ders., Ökonomisch rationale Umweltpolitik - rechtswidrig? Die juristische Sicht, Heft 13/99 der Forschungsgruppe Rationale Umweltpolitik - Rationales Umwe1trecht am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (1998/99), S. 15; Michael KloepjerlMartin Schulte, Zuständigkeitsgrenzen bei der Einführung landesrechtlicher Abfal1(Sonder-)abgaben, UPR 1992, S. 201, 204 m. Fn. 65; Gawel (Fn. 11), S. 116. 2S Vgl. dazu näher Peter SeImer, Steuer und parafiskalische Sonderabgabe, GewArch 1981, S. 41 ff.; Paul Henseler, Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, 1984, S. 33 ff., 41; Hans D. Jarass, Verfassungsrechtliche Grenzen für die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben, DÖV 1989, S. 1013, 1017 f.; Heun (Fn. 24), S. 668 f.; Wolf gang Jakob, Sonderabgaben - Fremdkörper im Steuerstaat?, in: Paul Kirchhof/Klaus OfJerhauslHorst Schöberle (Hrsg.), Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 663,668 ff. 26 Deutlich insb. Henseler (Fn. 25), S. 41. 27 Vgl. BVerfDE 57, 139, 166. 28 Vgl. BVerfDE 55, 274, 305; 65, 325, 344; 67, 256, 276.

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schen Steuerreform von 19991200029 • Bei ihnen, die sie durchgehend in den staatlichen Haushalt eingehen, handelt es sich ohne weiteres um begriffliche Steuern. Die vom ehemaligen Präsidenten des BFH List mehrfach publizierte Auffassung, sie entbehrten des Steuercharakters, weil sie nicht dem Finanzbedarf des Bundes, sondern dem der Sozialversicherung dienten3o, trifft nicht zu. Das gilt um so mehr, als es bei den in Rede stehenden Bestimmungen an einer ausdrücklichen, im Gesetz selbst normierten Zweckbindung des Aufkommens fehlt. Die sozialversicherungsrechtliche Zwecklichkeit des Gesetzes ergibt sich über seine Programmatik und Begründung hinaus normativ vielmehr erst aus dem Zusammenhang, der in den Regelungen (§ 10 11 StrornStG, § 25a III, IV MinöStG) zwischen dem Umfang der dort ausgesprochenen Steuervergünstigungen und einer Entlastung der begünstigten Unternehmen durch Verminderung des Arbeitgeberanteils an den Rentenversicherungsbeiträgen durch Senkung der Beitragssätze hergestellt wird31 • Auf die haushaltsverfassungsrechtliche Seite der den Steuergesetzen zur ökologischen Steuerreform vorausgesetzten Aufkommensverwendung werde ich sogleich (unter IV2) noch einmal zurückkommen. 2. Zweckbindungen und steuerspezifische Kompetenzordnung Von Vorstehendem abgesehen: Gerade für das Steuerrecht sind die kompetenzrechtlichen Probleme noch keineswegs hinreichend geklärt, die sich mit der Normierung bundesgesetzlicher Zweckverwendungsregelungen von der Art verbinden, wie sie für ökologische Sachkompetenzabgaben (Gebühren, Beiträge, Sonderabgaben) in § 81 ProfE und § 194 KornE vorgeschlagen worden sind. Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass, wie sich unmittelbar aus Art. 105, 106 GG ergibt, steuerliche Gesetzgebungs- und steuerliche Ertragszuständigkeiten nicht durchgehend deckungsgleich sind, sondern teilweise auseinanderfallen. Das legt die Frage nahe, ob für die sachgesetzliche Ausformung einer Zweckbindung die Steuergesetzgebungszuständigkeit oder die Ertragszuständigkeit maßgebend ist. Folgte man der letzteren Alternative, so hätte dies ftir den Bund die Konsequenz, dass er nur dort das Recht zur Ausformung einer Zweckbindung besitzt, wo er für die in Rede stehende Steuer nicht nur die Gesetzgebungs-, sondern auch die Ertragszuständigkeit besitzt, während im Übri29 Vgl. Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24.3.1999 (BGBI I, 378) sowie Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16.12.1999 (BGBI I, 2432); vgl. zum Schrifttum die Nachw. bei SelmeriBrodersen (Fn. I), in Fn. 44,51,52 und 145. 30 Vgl. Heinrich List, Gedanken zur Öko-Stromsteuer, OB 1999, S. 1623, 1625; ders., Die Ökobesteuerung und das Grundgesetz, BB 2000, S. 1216,1217. 3\ Vgl. dazu auch Wolfgang Löwer, Wen oder was steuert die Ökosteuer?, 2000, S.13.

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gen die Länder selbst qua Haushaltsplan und Haushaltsgesetz uneingeschränkt über die Modalitäten der Verausgabung der ihnen zufließenden Mittel entscheiden. Ohne Weiteres von der Hand zu weisen ist diese Sicht gewiss nicht; denn es erscheint im Ansatz keineswegs selbstverständlich, dass es in der Macht des Bundes stehen soll, von Verfassung wegen den Ländern zustehende Steuererträge apriori in ganz bestimmte Verwendungskanäle zu leiten. Gleichwohl wird man im Ergebnis, was freilich weitergehender Klärung bedarf, der ersteren der genannten Alternativen grundsätzlich den Vorzug zu geben haben. Der Begriff der Steuer und damit auch der der Zwecksteuer ist finanzverfassungsrechtlich eine genuin steuergesetzgebungsrechtliche - und nur in Konsequenz der jeweiligen steuergesetzlichen Rechtslage auch steuerertragsrechtliche - Kategorie, wie denn auch die verwendungs-, d.h. haushaltsrechtliche Seite der Zweckbindungsproblematik in § 7 HGrG, § 8 BHO nicht etwa auf Steuererträge im besonderen, sondern auf "Einnahmen" im allgemeinen abstellt. Allerdings muss es sich, was zwecksteuerliche Ingerenzen des Bundes in solche den Ländern zufließende Steuererträge angeht, bei den privilegierten Zwecken um solche handeln, deren Finanzierung entsprechend Art. 104a GG i. V. mit Art. 30, 83 ff. GG gerade den Ländern obliegt. Im Übrigen trägt der Zustimmungsvorbehalt des Art. 105 III GG, der die fmanziellen Interessen der Länder und Gemeinden an der bundesgesetzlichen Regelung der Steuern sichern so1l32, auch im gegebenen Zusammenhang dafiir Sorge, dass sich die dirigierende Einflussnahme des Bundes auf das Verwendungsverhalten der Länder nicht ohne deren Mitwirkung vollzieht. Nimmt sie gleichwohl, aus welchen Gründen auch immer, in unangemessener Weise überhand, setzt dem der Grundsatz der Bundestreue 33 eine spezifische weitere Schranke entgegen.

111. Zweckbindungen und Haushaltsverfassung 1. Grundsätzliches

Der damit angesprochene zweite Aspekt meines Themas erscheint zunächst ohne besondere Brisanz. Das Haushaltsverfassungsrecht des Grundgesetzes übt bemerkenswerte Enthaltsamkeit, was die gesetzliche Festschreibung von Zweckbindungen staatlicher Einnahmen angeht. Art. 110 11 GG normiert zwar verfassungskräftig das Budgetrecht des Parlaments34, äußert sich zu dessen SelbstbeVgl. Fischer-Menshausen (Fn. 15), Art. \05 Rdnr. 27. Zu seiner potentiellen Einwirkungskraft vgl. im vorliegenden Zusammenhang BVerfGE 55, 274, 329, 346 ff. 34 Vgl. zu ihm etwa, jew. m. w. Nachw., Fischer-Menshausen (Fn. 15), Art. 110 Rdnm. I, 20 ff.; Siekmann (Fn. 22), Art. 110 Rdnm. 12 ff. 32 33

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schränkung durch von ihm selbst ausgesprochene Zweckbindungen aber nicht. So findet sich auch das Gesamtdeckungsprinzip (Nonaffektationsprinzip) "Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel für alle Ausgaben,,35 - als expliziter Grundsatz nur in das einfache Haushaltsrecht verwiesen (§ 7 S. 1 HGrG, § 8 S. 1 BHO), das relativierend schon bisher hinzufügte: "Auf die Verwendung bestimmter Zwecke dürfen Einnahmen nur beschränkt werden, soweit dies durch Gesetz vorgeschrieben ist oder Ausnahmen im Haushaltsplan zugelassen worden sind" (§ 7 S. 2 HGrG, § 8 S. 2 BHO). Durch die Streichung der Worte "nur" und "Ausnahmen" durch das Haushaltsrecht-Fortentwicklungsgesetz vom 22.12.1997 (BGBl I, 3251) ist überdies das Gesamtdeckungsprinzip mit Wirkung ab 1.1.1998 weiter gelockert worden, freilich ohne dessen Grundsatzcharakter damit in Frage zu stellen36 . Das BVerfG, das sich dem Zweckbindungs-Thema lange Zeit ausschließlich unter dem steuerbegrifflichen Aspekt genähert hatte, hat erstmals in seinem Wasserpfennig-Beschluss37 mit größter, nicht immer genügend gewürdigter Zurückhaltung haushaltsverfassungsrechtlich zur Gesamtdeckung Stellung bezogen. Es verweist hier nur darauf, daß allgemein davon ausgegangen werde, daß dem Grundsatz der Gesamtdeckung des Haushalts Verfassungsrang nicht zukomme 3s , um sogleich hinzuzufügen: "Es kann dahinstehen, ob diese Auffas35 Vg\. zum Gesamtdeckungsprinzip Klaus Vogel/Hann!ried Walter, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand 1971, Art. 105 Rdnr. 44; Wolfgang KrügerSpitta/Horst Bronk, Einführung in das Haushaltsrecht und die Haushaltspolitik, 1973, S. 102 ff.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11, 1980, S. 1244 f.; Walter Wittmann, Zweckbindung öffentlicher Einnahmen, in: Dieter Pohmer (Hrsg.), Beiträge zum Äquivalenzprinzip und zur Zweckbindung öffentlicher Einnahmen, 1981, S. 9; Meßerschmidt (Fn. 15), S. 183,215 f.; Gunter Kisker, Staatshaushalt, in: Jose! IsenseeiPaul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, 1999, § 89 Rdnr. 77; Caesar (Fn. 22), S. 93 f.; Jörg Heimlich, Die Verleihungsgebühr als Umweltabgabe, 1996, S. 108 ff., 156 ff.; Fischer-Menshausen (Fn. 15), Art. 110 Rdnr. 13; Vogel/Waldhoff(Fn. 10), Vorbem. z. Art. 104a-115 Rdnrn. 37, 383; Christoph Gröpl, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand 2001, Art. 110 Rdnr. 145; unter Berücksichtigung der Entwicklungslinien des Gesamtdeckungsprinzips vg\. auch Karl Heinrich Friauf, Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, 1968, S. 29 f. und passim; Hans Fecher, Probleme der Zweckbindung öffentlicher Einnahmen, 1963, S. 16 ff., 21 und passim; Reinhard Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, S. 50, 63, 87 f., 247 f. Aus der Kommentarliteratur zur Bundeshaushaltsordnung vg\. Dommach (Fn. 8), § 8 BHO Rdnrn. 2 ff.; v. Köckritz/Ermisch/Dittrich/Lamm (Fn. 8), § 8 BHO Er\. 1 ff.; Peter Mießen, in: Erwin Adolf Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 2. Aufl., 1970/2000, § 8 BHO Rdnrn. I ff.; Werner Patzig, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, Bd. 11, Stand 1982, § 8 BHO Rdnrn. 1 ff. 36 V g\. Mießen (Fn. 35), § 8 BHO Rdnr. 1. 37 BVerfGE 93,319,338 ff., 348. 38 Unter Hinweis auf Vogel/Walter (Fn.35), Art. 105 Rdnr. 44; Stern (Fn. 35), S. 1244; Kisker (Fn. 35), § 89 Rdnr. 77 sowie auf BVerfGE 7, 244, 254; 9, 291, 300. Den Verfassungsrang des Gesamtdeckungsprinzips verneinend vg\. ferner auch Hans-

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sung uneingeschränkt zutrifft. Eine - möglicherweise verfassungswidrige Einengung der Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn Zweckbindungen in unvertretbarem Ausmaß stattfanden,,39. Diese offenbar bewusst vage gehaltene Formulierung lässt vielen Deutungen Raum. Ihnen umfassend nachzugehen ist hier nicht die Zeit. Ich darf mich deshalb im Folgenden auf einige grundlegende Bemerkungen beschränken. Geboten erscheint mir zunächst die grundsätzliche Feststellung, dass man den Eingriffsgehalt sach- und haushaltsgesetzlicher Zweckbindungen bestimmter Einnahmen fiir die Budgethoheit des Parlaments nicht überbewerten sollte4o . Denn der Gesetzgeber selbst geht hier eine Bindung ein, von der er überdies entsprechend der lex posterior-Regel für die nächste Haushaltsperiode in der Regel wieder befreien kann. Die vor einiger Zeit von Balmes unter Hinweis auf das Demokratieprinzip vertretene Auffassung, Zweckbindungen von Umweltsteuern seien unter diesem Aspekt durchgehend verfassungswidrig 41 , erscheint daher in solcher Allgemeinheit keineswegs begründet42 . Richtig ist allerdings, dass das Gesamtdeckungsprinzip über das Budgetrecht des Parlaments hinaus in Erwägungen seine argumentative Grundlage findet, die bei der verfassungsrechtlichen Bewertung seiner jeweiligen gesetzlichen Verkürzung nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Das Gesamtdeckungsprinzip gewährleistet nicht nur den Überblick über das Ganze. Es sichert vor allem die "finanzwirtschaftliche Zukunftsoffenheit und gegenwartsgerechte Flexibilität" des Steuerstaates43 , wirkt in Richtung einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Staats- und Verwaltungszwecke und erschwert die Durchsetzung von Partikularinteressen, verhindert potentiell aber auch die Unterversorgung mit bestimmten Staatsleistungen. Schließlich erleichtert es den konjunkturpolitischen Einsatz der Mittel, d.h. die Wahrnehmung der Lenkungsfunktion des Budgets, wie sie in Art. 109 11 GG vorgeschrieben ist 44 • Jürgen Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, 1973, S. 77, Fn. 175; Fischer-Menshausen (Fn. 15), Art. 110 Rdnr. 13; Meßerschmidt (Fn. 15), S. 183; Vogel/WaldhojJ (Fn. 10), Vorbem. z. Art. 104a-115 Rdnr. 383; Patzig (Fn. 35), § 8 BHO Rdnr. I; Siekmann (Fn. 22), Art. 110 Rdnr. 47; Gröpl (Fn. 35), Art. 110 Rdnr. 145.

BVerfGE 93, 319, 348. Vgl. hierzu und zum Folgenden etwa Siekmann (Fn. 22), Art. l04a Rdnr. 59; Löwer (Fn. 31), S. 35; Dommach (Fn. 8), § 8 BHO Rdnr. I. 41 Vgl. Balmes (Fn. 17), S. 127 f. 42 Vgl. auch Löwer (Fn. 31), S. 35, Fn. 86. 43 Vgl. Paul Kirchhof, Verfassungsrechtliche Grenzen von Umweltabgaben, in: ders. (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht, DStJG, Bd. 15, 1993, S. 3,23. 44 Zu den rur das Gesamtdeckungsprinzip und gegen seine Durchbrechung sprechenden Gründen vgl. summierend etwa Wittmann (Fn. 35), S. 11 ff.; Patzig (Fn. 35), § 8 BHO Rdnr. I; Balmes (Fn. 17), S. 125 fT.; Fischer-Menshausen (Fn. 35), Art. 110 39

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Hiervon ausgehend darf denn auch heute mit Recht die Auffassung als gesichert gelten, dass es jedenfalls grundsätzlich - anders als bei den Sonderabgaben - ein (wie auch immer näher zu begrundendes) verfassungsrechtliches Zweckbindungsgebot nicht geben kann45 • Das gilt ohne weiteres auch fiir Umweltsteuem und unbeschadet des Umstands, dass eine lenkungszweckadäquate Zweckbindung der aus ihnen resultierenden Aufkommen ihre Lenkungsfunktion unterstützt und Ameiz zu weitergehenden Vermeidungsanstrengungen sein kann46 • Die - fiir Maßnahmen und Vorhaben des Umweltschutzes nicht in Frage zu stellende (s. a. Art. 20a GG) - Legitimität eines Verwendungszweckes rechtfertigt zwar im Grundsatz, d.h. soweit die skizzierten finanzwirtschaftlichen Gründe nicht in concreto evident entgegenstehen, eine entsprechende Zweckbindung des Aufkommens 47 , erzwingt sie indes nicht.

2. Einwirkungen der föderativen Verfassung Ergänzen darf ich meine haushaltsverfassungsrechtlichen Überlegungen durch eine Bemerkung zu einer Komponente der föderativen Seite des Themas. Diese hat einmal im Auge zu behalten, dass die Normierung von Verwendungszweckregelungen durch den Gesetzgeber des Bundes von dessen Steuergesetzgebungskompetenzen getragen sein muss. Bereits hier werden einige noch offene Fragen zu beantworten sein - insbesondere die, ob der Bund schon gesetzgebungskompetentiell daran gehindert ist, sich bei den in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fallenden Umweltsteuem unter Verzicht auf ein ihnen zustehendes Vereinnahmungsrecht auf die bloße Normierung einer die Länder bindenden Zweckverwendungsklausel zu beschränken, den Ländern im Übrigen aber (sofern er die Kompetenz nicht später selbst weitergehend in Anspruch nimmt) das Recht zur gesetzlichen Regelung des Ob und des Wie zu überlassen. Wird man auch diese aus Art. 72 I GG zu beantwortende Frage ver-

Rdnr. 13; Mießen (Fn. 35), § 8 Rdnr. I; Franz Rottländer, Haushaltspolitische Bedeutung und Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben, 1988, S. 45, 49 f. 45 V gl. flir viele Meßerschmidt (Fn. 15), S. 181 u. passim. 46 Darauf verweisend mit Recht die Begr. zu § 194 UGB-KomE (Fn. 4), S. 787; vgl. ferner auch Reinhard Hendler, Umweltabgaben und Steuerstaatsdoktrien, AöR 115 (1990), S. 577,583; Bernd Hansjürgens, Sonderabgaben aus finanzwissenschaftlicher Sicht - am Beispiel der Umweltpolitik, StuW 1993, S. 20,24; Karl-Heinrich Hansmeyer, Steuern auf spezielle Güter, in: Fritz Neumark (Hrsg.), Hdb. d. Finanzwissenschaft, 3. Aufl., Bd. 11, 1979, S. 709, 732; Peter Seimer, Umweltschutz und öffentliche Abgaben, in: Universität Hamburg (Hrsg.), Klima-Umwelt-Gesellschaft. Ein interdisziplinäres Seminar der Universität Hamburg (16./17.11.1995), 1996, S. 167, 177 f.; a.A. Balmes (Fn. 17), S. 126 f. 47 A. A. Kirchhof(Fn. 43), S. 24. 20·

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neinen dürfen48 , was freilich noch tieferer Durchdringung bedarf, so bleibt doch ein problematischer Aspekt, der in der bundesstaatlichen Haushaltsverfassung des Art. 109 GG angelegt ist. Er betrifft die in Absatz 1 dieser Bestimmung verfassungskräftig angeordnete Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaften von Bund und Ländern. Sie lässt, was (wenn ich recht sehe) weder im Professorenentwurf noch im Kommissionsentwurf zu einem Umweltgesetzbuch erörtert worden ist, eine bundesseitig vorgeschriebene Zweckbindung von Landessteuern und sonstigen den Ländern zufließenden Abgaben als Verstoß gegen Art. 109 I GG erscheinen49 • Man wird deshalb gegebenenfalls zu erwägen haben, ob man durch Aufnahme eines speziellen Zweckverwendungsgrundsatzes in das auf Art. 109 III GG gestützte Haushaltsgrundsätzegesetz (§ 7) einer solchen Schlußfolgerung vorbeugen kann.

IV. Verfassungsrechtliche Grenzen von Zweckbindungen 1. Grundsätzliches Bei der Aufdeckung der verfassungsrechtlichen Grenzen von Zweckbindungen ist zunächst von der selbstverständlichen Prämisse auszugehen, daß der jeweils ins Auge gefasste Verwendungszweck rechtlich als solcher nicht zu beanstanden ist. Mit Recht hat das BVerwG insoweit gefordert, dass eine Zweckbindung des Steueraufkommens nicht ausgesprochen werden dürfe für einen Zweck, der nicht erfiillbar oder der als Zweck bundesrechtlich zu missbilligen sei50 • Aber dieser Aspekt darf hier des weiteren gewiss auf sich beruhen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es vielmehr vor allem darum, der Einwirkungskraft der vor dem Demokratiegebot zu sehenden parlamentarischen Budgethoheit auf steuerliche Zweckbindungen gewisse Konturen zu verleihen. Dabei zeigt sich nach meiner Überzeugung, dass die Problematik einmal eine mehr qualitative Dimension, sodann aber - und dies im Regelfall - eine insbesondere quantitative Dimension aufweist. In ersterer Hinsicht ist vorauszusetzen, daß die Modalität der Zweckbindung des Steueraufkommens nicht von einer Qualität sein darf, die die parlamentarische Budgethoheit substantiell berührt. Dies scheint mir dann der Fall zu sein, wenn das Aufkommen nach Weisung des Abgabengesetzgebers nicht in den 48 Vgl. tendenziell in diese Richtung etwa auch Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee/Kirchhoj(Fn. 35), § 100 Rdnr. 116, sowie BVerfDE 78, 249,250. 49 So auch Fischer-Menshausen (Fn. 15), Art. \09 Rdnr. 6a. 50 BVerwGE 66, 140, 144; vgl. auch Hans D. Jarass/Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl., 2000, Art. 105 Rdnr. 6.

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Haushalt der Gebietskörperschaft eingestellt wird, der Gesetzgeber es vielmehr einer juristischen Person, die nicht Gebietskörperschaft ist, zur autonomen, wenn auch zweckgebundenen Verwendung zuweist. Hier wird - bei Wahrung der materiell zu bestimmenden Steuerqualität - die Budgetplanung und -entscheidung über die Konstellation einer bloßen Selbstbindung des Parlaments hinaus "ausgelagert" und einer (freilich gesetzesvorgeprägten) Fremdbestimmung unterworfen 51 • Damit dürfte in etwa zugleich der verfassungskräftige Kern des Gesamtdeckungsprinzips umschrieben sein, den anzuerkennen sich das BVerfG in seinem Wasserpfennig-Beschluss in verklausulierter Form immerhin vorbehalten hat 52 . Er gewährleistet von Verfassungs wegen (Art. 110 II GG), dass die mit Zweckbindungen von Einnahmen durch den Abgabengesetzgeber einhergehende Entmachtung des Haushaltsgesetzgebers eine bestimmte Intensität grundsätzlich nicht überschreitet. Er kann und braucht hier in qualitativer Hinsicht im Einzelnen nicht nachgezeichnet zu werden. In unserem Zusammenhang geht es vorrangig nicht so sehr um die Bewertung haushaltsrechtlich ausgelagerter und autonom verwalteter Sonderfonds. Vielmehr stellt sich vor allem die Frage, welche quantitativen Grenzen umweltsteuerlichen Zweckbindungen von Verfassungs wegen gezogen sind, wobei ich zugrunde lege, dass - wie bei § 81 ProfE und § 194 KornE - vorliegend ausschließlich ökologische Verwendungszwecke des Aufkommens in Rede stehen. Eine präzise Anweisung lässt sich aus der Verfassung schwerlich herleiten. Sie ist auch dem BVerfG nicht eingefallen, wenn es eine "möglicherweise verfassungswidrige" Einengung der Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers allenfalls fiir den Fall von "Zweckbindungen in unvertretbarem Ausmaß" in Erwägung zieht 53 • Eine gewichtige Rolle spielt bei der Eingrenzung dieses haushaltsverfassungsrechtlich "unvertretbaren Ausmaßes" gewiss der Umstand, ob sich künftig das Prinzip der Aufkommensneutralität von UmweltabgabenS4 nachdrücklicher als bisher durchsetzen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, sollten also künftig umweltabgabenrechtliche Belastungen und entsprechende Einnahmen zu den bisher schon anfallenden Fiskalabgaben hinzutreten, wird das Schwergewicht der verfassungsrechtlichen Problematik vor allem auf der vorVgl. dazu auch Henseler (Fn. 25), s. 34 f., 42, 44; Jakob (Fn. 25), S. 669. Vgl. BVerfGE 93, 319, 348. 53 Vgl. BVerfGE 93, 319, 348; s. die hier liegende Problematik erkennend bereits die Begr. zu § 81 UGB-ProfE (Fn. 3), S. 346; ferner die Begr. zu § 194 UGB-KomE (Fn. 4), S.787. 54 Vgl. zu ihm näher Ferdinand Kirchhof, Umweltabgaben - Die Regelungen in der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten, in: Hans-Werner Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 1998, S. 1226,1233 f.; Joachim Lang, Der Einbau umweltpolitischer Belange in das Steuerrecht, in: BreuerlKloepferiMarburgeriSchräder (Fn. 23), S. 55, 84; Balmes (Fn. 17), S. 32; Hendler (Fn. 5), 668. 51

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rangigen Frage der Grundrechtskonformität, also auf der Belastungsseite liegen. Sollte dagegen das Prinzip der Aufkommensneutralität entscheidend an Boden gewinnen 55 , so werden urnweltspezifische Zweckbindungen notwendig mit einer entsprechenden Abnahme der für sonstige Staatsaufgaben zur Verfügung stehenden Mittel verbunden sein. Das verleiht naturgemäß dann der Frage nach den Grenzen solcher Zweckbindungen ungleich größeren Dringlichkeitsgehalt. Um es insoweit bei einer hier nur möglichen allgemeinen Formel bewenden zu lassen: Nicht mehr vertretbar erscheinen umweltabgabenrechtliche Zweckbindungen unter dieser Voraussetzung jedenfalls dann, wenn die Deckung der ,,notwendigen Ausgaben" (vgl. Art. 106 III S. 4 Nr. 1 GG)56 unter Ausnahme der zugunsten ökologischer Belange zu verwendenden ernstlich gefährdet erscheint. Soweit dies evident der Fall ist, ist nicht ohne weiteres die Erhebung der Steuer(n) als solche verfassungswidrig, wohl aber die gesetzliche Regelung ihrer ökologischen Verwendung. Die hier in Rede stehende generelle Zweckbindung des Aufkommens aus bestimmten Umweltsteuern57 und sonstigen Umweltabgaben wirft darüber hinaus auch aus anderer Sicht, d.h. unter dem Aspekt gebotener demokratischer Legitimation gewisse Probleme auf. Denn diese setzt im vorliegenden Zusammenhang auch voraus, dass die Zweckbindung einer Abgabe durchgehend, d.h. auch bei Novellierungen, etwa einer ModiflZierung des Abgabesatzes, vom Willen des Gesetzgebers gedeckt ist. Das bedeutet, dass eine allgemeine Zweckverwendungsregelung im Rahmen eines Umweltgesetzbuches rechtlich nicht im Sinne einer dynamischen Verweisung verstanden werden darf, weil eine Begrenzung der Verweisung, wie sie (auch) unter demokratischem Aspekt notwendig ist, bei solcher Auslegung nicht mehr erkennbar erscheint58 . Bei Novellierungen ist also die Zweckbindung der Steuer oder sonstigen Abgabe unter erneuter Anstellung finanzwirtschaftlicher Prioritätsüberlegungen noch einmal in den gesetzgeberischen Willen aufzunehmen und gegebenenfalls angesichts der neuen Rechtslage ad hoc zu bestätigen. So sollte, wie ich meine, auch das BVerfG verstanden werden, wenn es seiner denkbar großzügigen QuantiflZierung zulässiger ~weckbindungen die nur scheinbar dazu in Widerspruch ste55 So die Erwartung von Hendler (Fn. 5), S. 668. 56 Vgl. zum Begriff der "notwendigen Ausgaben" m. w. Nachw. etwa Fischer-

Menshausen (Fn. 15), Art. 106 Rdnr. 26a; Rudolf Wendt, Finanzhoheit und Finanzausgleich, in: IsenseeiKirchhof(Fn. 35), § 104 Rdnr. 56. 57 Der Bezug einer Zweckverwendungsklausel zu im Einzelnen bestimmten Umweltsteuem muß schon aus Gründen rechtsstaatlicher Klarheit und Bestimmtheit gewahrt bleiben. 58 Zur (freilich umstrittenen) Fragwürdigkeit dynamischer Verweisungen (auf Normen in ihrem jeweiligen Bestand) vgl. m. w. Nachw. Michael Sachs, in: ders. (Fn. 22), Art. 20 Rdnr. 123; Jarass/Pieroth (Fn. 50), Art. 20 Rdnr. 65; aus der Judikatur des BVerfG vgl. etwa BVerfGE 64, 208, 215.

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hende Feststellung voranstellt, die Zweckbindung von Einnahmen sei - ,jedenfalls in Einzelflillen" - zulässig59 • 2. Insbesondere: Zum Verhältnis von steuerlichem Erhebungszweck und dem Verwendungszweck des Aufkommens Lassen Sie mich im folgenden einen kurzen Blick auf die angesichts der jetzigen Ökobesteuerung naheliegende Frage werfen, wie es mit dem Verhältnis von steuerlichem Erhebungszweck und dem Verwendungszweck des Steueraufkommens bestellt ist. Von selbst versteht sich zunächst, dass dem Lenkungsgesetzgeber im Rahmen des soeben Ausgefiihrten ein Ermessensspielraum in der Entscheidung darüber zusteht, ob er dem Gesamtdeckungsprinzip folgen oder eine Zweckbindung des Aufkommens vorschreiben will. Entscheidet er sich in letzterem Sinne, so ist freilich problematisch, ob die steuerliche Zahlungslast mit dem Verwendungszweck in einem inneren legitimatorischen Zusammenhang stehen muss. Bei Fiskalzwecksteuern ist dies in der Regel zu verneinen, soweit nicht ausnahmsweise die legitimierende causa der steuerlichen Belastung gerade in einem bestimmten Verwendungszweck liegen S01l6O. Ansonsten darf der Steuerzahler grundsätzlich nicht erwarten, dass seine Steuerleistungen fUr bestimmte Zwecke verwendet bzw. nicht verwendet werden. Denn der heutige Steuerstaat zeichnet sich dadurch aus, dass der Einzelne in Distanz zu den Ausgabeentscheidungen des Haushaltsgesetzgebers steht, der nach Maßgabe seiner Befugnisse über die Verwendung entscheidet61 . Deshalb kann auch von einem Steuerpflichtigen nicht etwa geltend gemacht werden, dass eine bestimmte Steuerverwendung in verfassungswidriger Weise in seine Grundrechte eingreife 62 . Er hat sich grundsätzlich mit den Budgetentscheidungen des über die Haushaltshoheit verfUgenden Parlaments abzufinden. Für Erhebungszwecksteuern, die bei den Betroffenen eine Verhaltens lenkung bewirken sollen, kann indes Entsprechendes nicht gelten63 •

Vgl. BVerfGE 93, 319, 348. Wie bei BVerfGE 49,343,353 f. (schleswig-holsteinische Abgabe we~en Änderung der Gemeindeverhältnisse von 1970) und bei BVerfDE 65, 325, 344 (Uberlinger Zweitwohnungsteuer). 61 Vgl. Paul Kirchhof, Staatliche Einnahmen, in: Isensee/Kirchhoj (Fn. 35), § 88 Rdnr. 14. 62 Vgl. BVerfGE 67, 26, 37; 78, 320, 331; BFH, NJW 1992, S. 1407 = JuS 1993, 347 Nr. 12 (Seimer). 63 Auf die sich hieraus naturgemäß ergebende und gelegentlich nicht leicht zu bewältigende Abgrenzungsproblematik sei hier nur verwiesen. Für einige Aspekte vgl. in diesem Zusammenhang etwa Peter Seimer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 61 ff.; Ferdinand Kirchhof, Die Tauglichkeit von Abgaben zur Lenkung des Verhaltens, DVBI 2000, S. 1166, 1167 f.; Gertrude Lübbe-WoljJ, Instrumente des Um59

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Die leitende und legitimierende Ratio von Lenkungssteuern liegt nicht in der Bereicherung des Staatshaushalts, sondern in der Entziehung der Mittel auf der Seite der Lenkungsadressaten. Die gleichwohl notwendig eintretende Zunahme an staatlichem Vermögen mag dann zwar als willkommener "Beifang" mit den anderen Mitteln des allgemeinen Staatshaushalts frei verwendet werden. Meint aber der Gesetzgeber, die zu erwartenden Mittel zweckgebunden verwenden zu müssen, so kann es dabei von Verfassungs wegen (Art. 2 I, 3 I GG) nur um eine fOrdernde Unterstützung gerade der Lenkungsziele gehen. Ihre Unterstützung auf der Verwendungsseite trägt, und das gilt ohne weiteres auch fiir Umweltabgaben, zu einer zügigeren Erreichung der Erhebungszwecke bei64 und ist daher potentiell in der Lage, auf weitere Sicht eine Abmilderung der Lenkungseingriffe gegenüber den Betroffenen zu ermöglichen65 • Dieser im Ansatz grundrechtsschonende Effekt lenkungsadäquater Zweckbindungen lässt es für die Betroffenen als unzumutbar erscheinen, sozusagen auf ihre Kosten erhebungszweckfremde Gruppeninteressen zu befriedigen66 • Das bedeutet, bezogen auf die gegenwärtige Stromsteuer und die erhöhte Mineralölsteuer67 , dass die Verkoppelung dieser steuerlichen Zahlungslasten mit der ins Auge gefassten und praktizierten Verwendung eines Großteils des Aufkommens zugunsten einer Senkung des Arbeitgeberanteils an den Rentenversicherungsbeiträgen entgegen der von Löwer vertretenen Auffassung 68 jedenfalls dann verfassungsrechtlich fragwürdig ist, wenn man die genannten Steuern als rechtliche Zwecksteuern zu würdigen hat. Dies erscheint freilich nicht zweifelsfrei gesichert. Denn in den steuergesetzlichen Regelungen wird eine entsprechende Verwendungszusage nicht unmittelbar ausgesprochen, sondern nur vorausgesetzt. Allerdings schaffen ihre Erstattungsbestimmungen mittelbar eine gewisse normative Verknüpfung mit der sog. "doppelten Dividende" und damit einen inneren Begründungszusammenhang zwischen Aufbringung und Verwendung der Steuern69 • Ob das die Steuern zu rechtlichen Zwecksteu-

weltrechts - Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen, NVwZ 200 I, S. 481, 487; Diet-

rich Drömann, Nichtsteuerliehe Abgaben im Steuerstaat, 2000, S. 339 m. Fn. 136.

Vgl. oben bei und in Fn. 46. Vgl. hierzu aus jüngster Zeit auch Joachim Becker, Gleichheitsrechtliche Grenzen indirekter Steuerung durch staatliche Abgaben und Leistungen, in: Europäisches Zentrum für Staatswissenschaften und Staatspraxis (Hrsg.), Diskussionspapiere zu Staat und Wirtschaft, Heft 20/2001, S. 12 m. w. Nachw. 66 Zu weiteren Aspekten zie\gerechter Zweckbindungen vgl. aus finanzwissenschaftlicher Sicht Wittmann (Fn. 35), S. 20 ff. 67 Vgl. dazu oben bei und in Fn. 29 ff. 68 Vgl. Löwer (Fn. 31), S. 36; s. dazu krit. bereits SelmeriBrodersen (Fn. I), S. 1157 m. Fn. 43; zuletztJachmann (Fn. 15), Art. 105 Rdnr. 4. 69 Vgl. oben bei und in Fn. 3 I. 64 65

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ern macht70 oder ob es sich dabei gleichsam um ein politisches Junktim handelt, gedacht nur zu dem Zweck, die Belastungen plausibel zu machen, ohne doch rechtlich an der Eigenständigkeit der gesondert zu sehenden Budgetentscheidung des Parlaments etwas zu ändern, erscheint immerhin problematisch und wird wohl abschließend erst durch das BVerfG entschieden werden. Ich selbst muss diese Frage hier im Einzelnen auf sich beruhen lassen 7l .

V. Resümee Insgesamt begründen die angestellten Überlegungen die folgenden Feststellungen: Einer Zweckbindung von Umweltsteuern im Rahmen eines Umweltgesetzbuches stehen nicht schon apriori grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Maßnahmen und Vorhaben des Umweltschutzes verkörpern einen - in Art. 20a GG sogar verfassungsverbürgten - Gemeinwohlzweck, der im Rahmen des ansonsten verfassungsrechtlich Zulässigen eine entsprechende Zweckbindung von Steueraufkommen rechtfertigen kann. Diese Zweckbindung wirft freilich bei näherer Betrachtung eine Reihe von Problemen auf, die noch nicht hinreichend geklärt sind. Das gilt einmal in steuerbegrifflicher und insofern kompetenzrechtlicher, aber gerade auch in haushaltsverfassungsrechtlicher sowie in diesem Zusammenhang in demokratie staatlicher Hinsicht. Im Einzelnen bedarf vor allem die Frage der - vom BVerfG bislang nur angedeutetenverfassungsrechtlichen Grenzen und Modalitäten umweltsteuerlicher Zweckbindungen über die hier vorgetragenen Erwägungen hinaus weiterer Aufhellung. Demgegenüber dürfte das - nachdrücklich anzuerkennende - Gebot eines inneren legitimatorischen Zusammenhangs zwischen steuerlicher Zahlungslast und Zahlungszweck bei Zweckbindungen von Umweltsteuern grundsätzlich keine Schwierigkeiten bereiten. Verfassungsrechtlich durchaus fragwürdig erscheint in dieser Hinsicht die Bewältigung des Erhebungs-Nerwendungszweck-Zusammenhangs durch die strom- und mineralölsteuerrechtlichen Regelungen der sog. Ökologischen Steuerreform von 1999/2000.

So Löwer (Fn. 31), S. 34 ff. Indes spricht manches dafür, dem Steuergesetzgeber nicht zu gestatten, sich dem Gebot der Erhebungszweckakzessorietät der Abgabenverwendung durch eine Konstruktion wie die vorliegend praktizierte zu entziehen. 70

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Diskussion zu dem Referat von Peter Selmer Bericht: Stefan Kleb Ewringmann leitete die Diskussion mit einer Frage bezüglich der Lenkungsqualität der Einkommensteuer ein, mit der zum Beispiel auch der Wohnungsbau im Osten mitgelenkt worden sei. Selmer meinte hierzu, dass bei einer Lenkungssteuer der Wille des Gesetzgebers explizit auf die Schaffung einer solchen Lenkungsfunktion ausgerichtet sein müsse. Es genüge nicht, wenn eine Steuer vorwiegend fiskalischen Zwecken diene und nebenbei lenkende Wirkungen habe. Diese seien empirisch auch schwer zu erfassen. Es gäbe kaum eine steuerliche Regelung, die nicht auch nebenbei eine lenkende Wirkung entfalte. So sei die Einkommensteuer keine Lenkungssteuer, wogegen bei den Ökosteuern klar ein Lenkungszweck verfolgt werde. Es stehe fest, dass durch die ökologischen Steuern bei den von ihnen Betroffenen ein Verhalten erreicht werden solle, das dem Umweltschutz zu gute käme. Bohne fragte den Referenten anschließend, ob denn, da aus seinem Vortrag hervorginge, dass er kein Problem darin sehe, die Ökosteuern unter den Steuerbegriff zu subsumieren, sämtliche Aufsätze, die zu diesem Thema in letzter Zeit erschienen seien, Makulatur seien. Des weiteren fragte er, ob die Ökosteuern nach Ansicht des Referenten Verbrauchsteuern seien. Selmer erwiderte, dass es ein Problem darstelle, wenn Autoren Aufsätze veröffentlichten, die aus Rechtsgutachten hervorgegangen seien. Das müsse dann wenigstens kenntlich gemacht werden. Nach seiner Auffassung seien die Ökosteuern steuerbegriffiich völlig unproblematisch - und auch Verbrauchsteuern. Aber selbst wenn man sie als Zwecksteuern definiere, so unterfielen sie doch in jedem Fall dem Steuerbegriff. Die Ökosteuern dienten im übrigen zwar im Ergebnis auch sozialversicherungsrechtlichen Zwecken, aber das sei vor allem eine Motivation des Gesetzgebers. Das ökologische Endziel ihrer Erhebung sei dagegen völlig klar und steuerbegrifflich unproblematisch. Es möge also in den kommenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG Probleme geben, aber sicherlich nicht in Bezug auf den Steuerbegriff. Bohne bezweifelte, dass die Lenkungswirkung der Ökosteuern tatsächlich so stark sei, da nicht jeder die notwendigen finanziellen Mittel besitze, etwa sein Haus vollständig zu renovieren, um Energie zu sparen. Für viele auch stelle,

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zumindest in Bezug auf einen bestimmten Mindestbedarf, die Stromsteuer eine Steuer dar, der man nicht entrinnen könne. Selmer entgegnete hierauf, dass die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung an die Lenkungsfunktion einer Steuer stelle, minimal seien. Die Ökosteuern müssten schon evident untauglich sein, den Lenkungszweck zu erfiillen, wenn das Bundesverfassungsgericht den Lenkungscharakter dieser Steuern ablehnen sollte. Etwas anderes gelte verfassungsrechtlich jedoch, falls das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten sollte, dass die Ökosteuern Zwecksteuern seien. Dann sei in der Tat der Zusammenhang zwischen Erhebungszweck und Verwendungszweck gleichheits- und damit verfassungsrechtlich als solcher fragwürdig. Sailer meinte in Bezug auf Bohnes Einwand, dass allein durch den Austausch von Elektrogeräten in den Haushalten von einem Drittel bis zur Hälfte des verbrauchten Stroms gespart werden könne. Ewringmann merkte an, dass eine Steuer, der man nicht entgehen könne, nicht unbedingt verfassungswidrig sei. Dann müsse auch die Mehrwertsteuer verfassungswidrig sein. Im übrigen sei die Ökosteuer gar nicht so neu. Es habe immer derartige Steuern gegeben, wie zum Beispiel die Mineralölsteuer oder den Kohlepfennig. Er fragte dann nach dem Zusammenhang zwischen Lenkungszweck und dem Leistungsfahigkeitsgrundsatz bei Lenkungssteuern und ob hier der Lenkungszweck vorrangig sei. Seim er antwortete hierauf, dass bei den Lenkungssteuern in der Tat der Leistungsfahigkeitsgedanke nach Maßgabe des Interventionszwecks verfassungsrechtlich zurücktrete, aber das Überrnaßverbot auch hier die Grenze bilde. Bohne wies noch einmal auf die in der Literatur vertretene Ansicht hin, die Ökosteuern seien Zwecksteuern und stellte die Frage, ob man im UGB nicht die Zweckbindung der Ökosteuern auch gesetzlich verankern solle, damit die Politik das Geld später nicht fiir ganz andere Zwecke verwende. Seim er hatte diesbezüglich Bedenken. Eine dynamische Verweisung derart, dass die aus dem Steuergesetz jeweils in neuester Fassung in den Haushalt fließenden Mittel ftir bestimmte ökologische Zwecke zu verwenden seien, sei verfassungsrechtlich und haushaltsrechtlich jedenfalls problematisch. Möglicherweise ist denn u. a. auch aus diesem Grunde bei den hier in Rede stehenden Steuern der sog. Ökologischen Steuerreform die Zweckbindung rechtlich nur unvollkommen ausgebildet worden. Wagner fragte dann nach dem Zusammenhang von Erhebungszweck und Verwendungszweck bei den Lenkungssteuern. Seim er meinte hierzu, dass die Verfassung vom Gesetzgeber hier gewiss keinen absoluten Perfektionismus erwarte. Wenn man Erhebungszweck und Verwendungszweck sachlich einander annähere, könne das Gesetz nicht in Frage gestellt werden. Der deckungs-

Diskussion zu dem Referat von Peter Selmer

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gleiche Zusammenhang sei seiner Auffassung nach nicht von verfassungsrechtlichem Gewicht. Ewringmann regte zum Schluss an, die Ökosteuern in das UGB einzuarbeiten, aber mit einem umweltnützlichen Verwendungszweck. Schon heute sei die hinter den Ökosteuern stehende Philosophie, die Kosten fiir den Faktor Arbeit zu verringern und damit etwas fiir die relative Preisstruktur zugunsten der Umwelt zu tun.

Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform Von Michael Müller

I. Das Umweltgesetzbuch muss kommen Zuerst geht der Dank an Eberhard Bohne für seine Initiative. Wir hätten ihn übrigens auch gerne in Berlin, denn in den Ministerien sind die kreativen Köpfe rar. Er ist einer der Motoren in den Grundsatzfragen der Umweltpolitik. Ihm kommt vor allem das Verdienst zu, sich für eine Systematisierung und Fortentwicklung des Umweltrechts einzusetzen. Diese ist auch nach dem Regierungswechsel dringend erforderlich, zumal das große Vorhaben eines Umweltgesetzbuches im ersten Anlauf nicht erfolgreich war. Dagegen haben wir derzeit in Bundestag und Bundesrat das Drama: Umsetzung der europäischen IVU- und UVP-Richtlinie. Es handelt sich dabei schon um einen in komplizierten und zumindest teilweise umstrittenen Fragen fast typischen Fall, dass eine fast unübersichtliche Zahl von Lobby- und Verbandsinteressen auf die Entscheidungsträger einwirken und staatliche und gesellschaftliche Akteure die politische Eigenverantwortung abschieben, aber zugleich versuchen, das Handeln des anderen zu blockieren. Das gibt einen Vorgeschmack auf die Beratung eines eventuellen Umweltgesetzbuches, wo noch mit sehr viel weitergehenden Interventionen und Einwirkungen zu rechnen ist. Denn die IVUIUVP-Richtlinie konnte sich auf eine vergleichbar gesicherte Grundlage beziehen, nämlich die sehr eng begrenzte Umsetzung einer europäischen Vorgabe. Bei einem UGB wäre die Situation sehr viel offener, zumal die ökologische Festigkeit selbst in Ministerien, die sich Umweltrninisterien nennen, in unserer Zeit des platten Ökonomismus nicht so ausgeprägt ist, wie man das eigentlich erwarten sollte. Auch unter diesem Gesichtspunkt halte ich es für richtig, erst einmal zu einer Zusammenführung, Neugliederung und Vereinfachung des Umweltrechts zu kommen. Damit könnten wir eine bessere Grundlage für das unverändert wichtige Vorhaben Umweltgesetzbuch schaffen. Es muss einen "roten Faden" in die Umweltpolitik und das Umweltrecht bringen. Es bleibt politisch wie für Wirtschaft und Gesellschaft von zentraler Bedeutung.

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Aus der Sicht der Umweltpolitiker in der Berliner Regierungskoalition verspreche ich: Das UGB-Projekt wird nicht aufgegeben. Der Vorschlag von Eberhard Bohne, nämlich den Einstieg in die KodifIzierung des Umweltrechts durch eine Schaffung von zwei, nach umweltpolitischen, nicht rechtsdogmatischen Gesichtspunkten unterschiedenen Teilen des Umweltgesetzbuches sowie durch Konsolidierung geltender Umweltgesetze zu bewirken, ist ein sehr sinnvoller Ansatz. Auch wenn wir dieses Vorhaben in dieser Legislaturperiode nicht mehr schaffen werden, muss die Umsetzung dieser Idee jetzt beginnen, so dass wir nach 2002 mit der parlamentarischen Beratung starten können. Es muss aber heute begonnen werden, die Gespräche werden auch schon gefiihrt, weil wir ausreichend Zeit brauchen, denn in der praktischen Politik, die gerade in derartigen Fragen unter hohen Außeneinfluss steht, ist nicht immer unbedingt die Logik ausschlaggebend, wie beispielsweise - um an das mir gestellte Thema anzuknüpfen - auch die Steuergesetzgebung zeigt. Deshalb werde ich bei meinen Ausfiihrungen über die Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform auch mit einer politischen Bewertung anfangen, dazu bin ich als Politiker nicht nur kompetent, sondern auch eingeladen worden.

11. Nachhaltigkeit ist mehr als Umweltschutz Ich verstehe Ökologie in einer doppelten Hinsicht. Zum einen betrifft Ökologie die zentrale Frage des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen. Damit übrigens auch den Schutz der Familie. Ich kann beispielsweise nicht nachvollziehen, wenn Familienverbände vor allem die Ökosteuer kritisieren. Das offenbart ein sehr verengtes Verständnis von Verantwortung. Die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ist doch kein Selbstzweck, sondern soll auch und gerade künftiges Leben bewahren und ihm eine Qualität geben. Zum anderen ist die ökologische Umsteuerung ein entscheidender Faktor fiir die künftigen Gesellschafts- und Wirtschafts strukturen unseres Landes, also fiir das, was heute weltweit Nachhaltigkeit genannt wird. Sowohl der unmittelbare Schutz der Umweltgüter als auch die Frage der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft sind von zentraler und wachsender Bedeutung fiir die Individual- wie fiir die Kollektivrechte. Ich sehe deshalb in dem Gedanken der Nachhaltigkeit sowohl die Qualität eines grundlegenden Menschenrechts als auch die Bewahrung des gemeinsamen Erbes der Menschheit. Ob es uns gelingt, vor allem in den Industriestaaten dieses Prinzip durchzusetzen, ist eine Schlüsselfrage sowohl fiir eine in der Globalisierung notwendige Weltinnenpolitik als auch ftir eine friedliche Zukunft generell.

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In diesem Verständnis geht es bei der Ökologie um weitaus mehr als um ein verengtes Teilgebiet der Politik. Nachhaltigkeit ist die Grundlage - für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und als verantwortbare Weichenstellung fiir die weitere Zukunft. Ohne eine Bewältigung der ökologischen Herausforderung, mit der zahlreiche ökonomische und soziale Fragen eng verbunden sind, wird die Erde mehr und mehr zu einer zerbrechlichen Einheit. Auch in Anbetracht der Verzahnung zwischen Umweltzerstörung, Verarmung und wachsender Ungleichheit in der Welt beinhaltet eine Politik der Nachhaltigkeit im Kern drei zentrale Aspekte: die Neubestimmung der ökonomischen EffIzienzfrage, die von zentraler Bedeutung sowohl für den Schutz der Umwelt als auch fiir die Schaffung von Arbeitsplätzen ist; die Fähigkeit, mit Grenzen umzugehen, die in vielen Bereichen bereits sichtbar werden, mit denen umzugehen wir aber in der Tradition der westlichen Moderne nicht gelernt haben; die Fähigkeit der Industriestaaten, Umbau und Umsteuern angesichts erkennbarer, inzwischen unbestritten nachgewiesener Zukunftsgefahren zu organisieren. Hier gibt es eine enge Verbindung der drei Ziele EffIzienz, insbesondere Energie- und Ressourcenproduktivität, SuffIzienz, also das Erkennen von Grenzen, Entschleunigen von Prozessen und ein ökologisches Maß, sowie Konsistenz, worunter das Rückholen der Natur in Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen ist. Insgesamt verstehe ich unter Nachhaltigkeit die Schaffung eines dauerhaften Gleichgewichts in der nationalen, europäischen wie globalen Entwicklung zwischen der immer wieder über den bestehenden gesellschaftlichen Rahmen hinaustreibenden industriellen Dynamik und den Erfordernissen der sozialen Gerechtigkeit und ökologischen Tragfahigkeit. Mit der Globalisierung hat diese Aufgabe überragende Bedeutung bekommen.

111. Die Welt wird zur zerbrechlichen Einheit Im Zentrum der Nachhaltigkeitsdebatte stehen die Erkenntnisse in der Klimaproblematik. Sie waren übrigens auch in der Bundesrepublik ein entscheidender Auslöser fiir die ökologische Steuerreform. An der realen Gefahr der ökologischen Selbstzerstörung der modernen Industriezivilisation lässt sich der ausgeführte Zusammenhang konkret aufzeigen. Ende des Jahres 2000 wurden vom IPCC, das im Auftrag der Vereinten Nationen arbeitet und dem rund 100 Klimawissenschaftler angehören, auf der Tagung in Shanghai die aktuellen Daten veröffentlicht. Zum ersten Mal waren darin auch die Ergebnisse der Impact-Forschung einbezogen. Danach kann 21 Bohne

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nicht ausgeschlossen werden, dass es bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine durch Treibhausgase verursachte Erwännung der Erdatmosphäre im globalen Mittel von 5,8 0 C geben kann. Um die Dimension dieser Prognose zu verdeutlichen: Eine derartige Aufheizung wäre etwa das Vierfache dessen, was die Klimaforschung als das maximal Erträgliche bezeichnet. Dabei geht es bei den Klimagefahren nicht mehr um Gefahren, die regional begrenzt sind oder die mit relativ einfachen Mitteln in den Griff zu bekommen wären, sondern um eine Menschheitsherausforderung, die wie kaum eine andere über die Zukunft entscheidet. Hinzu kommt ein zweiter Aspekt: Diese Veränderungen treten mit Zeitverzögerungen ein. Sie haben in der Regel einen Vorlauf von fast zwei Generationen. Das bedeutet, dass die Verursacher die Folgen ihres Handeins in der Regel nicht mehr zu spüren bekommen werden. Umso wichtiger aber ist heutiges Handeln. Die Klimafrage stellt also in aller Schärfe die Frage nach der Zukunftsfahigkeit unserer Zivilisation. Es geht um die Frage des künftigen Lebens und Zusammenlebens. Verfassungsrechtlich gesehen, stellt sich die Frage nach der Verantwortung unseres heutigen Handeins fiir das künftige Gemeinwohl, von dem auch das Individualwohl abhängig sein wird. Daraus ergeben sich ganz neue Anforderungen an unser Verständnis von Freiheit und Verantwortung. Wir stehen an einem Scheidepunkt, der in besonderer Weise die Refonnfahigkeit des europäischen Modells herausfordert. Wenn ich von der Defmition von Norbert Elias ausgehe, stellt sich für den Prozess der Zivilisation die Frage, ob die modeme Gesellschaft heute die Speerspitze der Kultur ist, oder ob wir zu so etwas wie "late barbarians", den dann wirklich letzten Barbaren, werden. Es gibt immer Scheidepunkte, an denen eine sich selbst überlassene Entwicklung von Gesellschaften gefahriich wird. Das macht eine neue Qualität von Verständigung und Rahmensetzung notwendig. Der frühere amerikanische Vizepräsident Al Gore sieht in dem Begriff der Dysfunktionalität eine Metapher fiir den Zustand unserer Zivilisation. In den Vorschläge fiir einen globalen Marshallplan beschreibt er ihn als "einen planetarischen HIV-Virus, der Gaia, die Mutter Erde, mit AIDS infIziert, sie unfahig macht, ihren Widerstand aufrechtzuerhalten". Die globale Erwännung ist, um im Bild zu bleiben, das Fieber, das das Immunsystem der Erde zerstört. Aber - siehe die schleppende Debatte um ein weltweites Klimaabkommen - der Erkrankte ist nicht in der Lage, das eindringende Fieber zu bekämpfen. Damit stellt sich die Frage, ob wir diese Herausforderung mit den gängigen politischen und rechtlichen Instrumentarien bewältigen können. Aus meiner Sicht steht fest, dass wir sie mit ihnen nicht in den Griff bekommen. Neue Instrumente sind notwendig, so auch die ökologische Finanzrefonn, wobei die Ökosteuer nicht unbedingt neu ist, denn die Anfange gehen auf Pigou in den

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20er Jahren des letzten Jahrhunderts zurück. Modernisierung kann deshalb auch durch eine Fortentwicklung des Bestehenden geschehen, aber eben doch durch eine Fortentwicklung. Mit der Globalisierung stellt sich zugespitzt die Frage nach der Modernisierung - vor allem unter folgenden vier Aspekten: Das bisherige Modell des sozialen Friedens, der Wohlstandsvermehrung und der demokratischen Stabilität baute im wesentlichen auf der Stärke des Nationalstaats und seiner Steuerungsfähigkeit sowie den sozialen Verständigungen in begrenzten Räumen wie den Flächentarifverträgen auf. Diese Instrumente erodieren heute. Es ist geprägt von der Integrationsfähigkeit der Gesellschaften. Durch die wachsende Komplexität wird diese Steuerungsfähigkeit überfordert. Umso wichtiger wird es, selbststeuernde Elemente zu finden, die zugleich den Anforderungen an eine nachhaltige Gesamtentwicklung entsprechen. Die Bindungswirkungen der Gesellschaft gehen durch die von Dahrendorf beschriebene Zunahme von Optionen bei gleichzeitigem Verlust von Wertbindungen in einem wachsenden Umfang verloren. Es kommt also darauf an, neue Anschlussfähigkeiten zu schaffen: dezentrale Steuerungsmechanismen, Innovationen, mehr Mitbestimmung und Teilhabe. Das Modell des quantitativen Wachstums gerät objektiv an Naturschranken, aber auch an die Grenzen sozialer Ungleichheit, da die Wohlstandverteilung zwischen Nord und Süd nicht nur zunimmt, sondern durch weltumspannende Formen der Information und Mobilität auch eine politische Sprengkraft annimmt, die in die Industrieländer zurückwirkt. Insofern stellt sich die Frage, wie die Entwicklung eingeschätzt wird, damit es zu einer neuen Verständigung über Ziele und Instrumente kommt, auch um das Bestehende, den Verfassungsstaat, die demokratische Zivilgesellschaft oder auch die soziale Marktwirtschaft, zu bewahren. Wie also können die Gefahren, die sich aus der Zunahme von Optionen und dem Verlust an Wertbindungen, den wachsenden Ungleichheiten und der ökologischen Überlastung ergeben, bewältigt werden?

IV. Ökosteuer: Vom Konsens zum politischen Streitthema Die ökologische Steuerreform steht im Zusammenhang mit dem Ziel, unter diesen schwierigen Bedingungen mehr Politikfähigkeit, gesellschaftliche Gestaltung und soziale Verantwortung herzustellen. Ich weiß, dass dies in der Debatte über die Ökosteuer nicht richtig deutlich geworden ist. Das mag auch an einigen der beteiligten Akteure liegen, aber der entscheidende Punkt auch fiir die Ökosteuer ist, unter diesen komplexen Herausforderungen politische Gestaltungsfä21·

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higkeit, die sich möglichst selbst trägt, zu stärken. Sie ist insofern der Versuch, sich nicht blind den vorherrschenden Entwicklungstrends unterzuordnen. Natürlich sind bei der ökologischen Steuerreforrn auch andere Konstruktionen denkbar, zum Beispiel in der Linie der ursprünglichen Abwasserabgabe, die aber leider in den letzten Jahren verwässert und abgeschwächt" wurde. Ich halte das gekoppelte System von Abgaben und Anreizen für ein sehr gutes ökologisches Steuerungsinstrurnent. Allerdings müssen die Rahmenbedingungen seit Mitte der 90er Jahre gesehen werden. Dabei trafen insbesondere zwei Fragen zusammen: Einerseits die hohen Lohnnebenkosten mit den Risiken für den Standort Deutschland und steigende Arbeitslosigkeit, andererseits die ökologische Problematik, wobei insbesondere die Klimaänderungen im Mittelpunkt standen. Entsprechend positiv war das politische Umfeld: Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hatte im Zusammenhang mit dem nationalen Klimaschutz bereits 1990 einen Beschluss über eine Ökosteuer gefasst, der allerdings folgenlos blieb. Der Beschluss zur CO 2 Reduktion um 25 Prozent bis zum Jahr 2005 beinhaltete auch die Einfuhrung einer schadstofforientierten Öko steuer. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben sich Mitte der neunziger Jahren für eine ökologische Steuerreforrn ausgesprochen, woran einige heute nicht mehr erinnert werden möchten. Zwei Beispiele: Zum einen Wolfgang Schäuble: "Ich halte einen nationalen Alleingang bei der ökologischen Steuerreforrn fur durchaus sinnvoll. Das Beispiel des Katalysatorautos zeigt, wohin solche Erfolge fuhren können." Zum anderen der damalige Wirtschaftsminister Günter Rexroth: "Der nationale Alleingang ist geeignet, eindeutige Signale zu geben und damit zum Umdenken zu zwingen. Wir können hierdurch Vorreiter in Europa werden." Derartige Aussagen gibt es zahlreich, auch von Angela Merkel oder in den Programmen von Union und FDP. Tatsächlich aber wurden diese Ansätze zu einer ökologischen Steuerreforrn gestoppt. Ein entscheidender Einschnitt war dabei die Intervention des BDI bei Helmut Kohl im Jahr 1995. Auf Druck insbesondere der Vorstandssprecher großer Unternehmen und Finanzinstitute wurden die Beschlüsse der Fraktionen ohne Beachtung der politischen und demokratischen Spielregeln in den Schubladen abgelegt. Auch der Mehrheitsbeschluss der FDP-Bundestagsfraktion wurde gestoppt, von den Parteitags beschlüssen gar nicht zu reden. Dennoch: Die damaligen Vorschläge der Parteien zur ökologischen Steuerreform haben sich - mit Ausnahme der PDS - nur marginal von dem Modell unterschieden, das 1998/1999 von der Bundesregierung vorgelegt wurde. In fast allen Modellen waren Erhöhungen der Kraftstoffpreise in der Größenordnung zwischen 5 und 10 Pfennig pro Liter in mehreren Schritten vorgesehen, alle sahen eine längerfristige Ausrichtung vor. Sie beinhalteten eine Erhöhung des Strompreises etwa in der Höhe des Kohlepfennigs und wollten ein aufkom-

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mensneutrales Vorgehen in dem Sirme, dass durch das Steueraufkommen die Lohrmebenkosten gesenkt wurden. Die Begründung hierfiir war, wie bereits ausgefiihrt, die Senkung der Lohnnebenkosten, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern, und der ökologische Strukturwandel, wobei insbesondere der Klimaschutz gestärkt werden sollte. Im Jahre 1998 haben darm die Regierungsfraktionen begormen, ihre Vorschläge einer ökologischen Steuerreform umzusetzen. Beide Fraktionen wollten, anders als es darm durchgesetzt werden kormte, die Besteuerung nicht auf Energie begrenzen und einen Zusammenhang mit dem Abbau ökologisch schädlicher Subventionen herstellen. Zudem sollte die Steuerreform mit Rücksicht auf die Akzeptanz in der Gesellschaft und der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft auf den internationalen Märkten aufkommensneutral verwirklicht werden. Im Vorfeld wurde allerdings in beiden Regierungsfraktionen diskutiert, einen Teil der Eirmahmen zweckgerichtet fiir ein Programm zum Klimaschutz bzw. zur Ressourcenschonung einzusetzen, zumal in beiden Wahlprogrammen entsprechende Zielsetzungen genannt wurden: Zum einen die Reduktion des CO 2-Austosses um 25 Prozent bis zum Jahre 2005, zum anderen die stärkere Ausnutzung der Einsparpotentiale in der Energieversorgung, um die Umwelt zu schonen und die hohe Ressourcenabhängigkeit zu verringern. Dies ist nicht nur möglich, sondern auch dringend notwendig: Nach den Untersuchungen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz der Erdatmosphäre" existiert in der Bundesrepublik ein nicht genutztes Energieeinsparpotential von über 40 Prozent. Ebenso wichtig ist die Förderung neuer solarer Energietechniken. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass bis 1998 die regenerativen Energien nur den bescheidenen Anteil von 2,3 Prozent an der Primärenergie lieferten. Zusätzliche Zielsetzungen waren zudem der Umbau des Verkehrssystems und Schritte in eine stärkere Kreislaufwirtschaft. Dies waren wichtige Ziele auf der ökologischen Seite. Auf der Ausgabenseite war in den Fraktionsbeschlüssen von SPD und Bündnis 90IDie Grünen zuerst eine Entlastung der Arbeitskosten und ab einer festgelegten Senkung eine Reduktion bei der Einkommenssteuer.

v.

Die konkrete Ausgestaltung der Ökosteuer

Tatsächlich wurde jedoch ein stark modifiziertes Modell durchgesetzt, das zwar in der Grundstruktur geplant war, aber in den Einzelausformungen sehr wesentlich durch das freie Spiel der politischen Kräfte und insbesondere durch den hohen machtpolitischen Druck, der während der Beratungen vor allem von den Interessenverbänden ausgeübt wurde, geprägt wurde. Schon bei den Bera-

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tungen hat es auf Regierungsseite ständig eine 2 zu 1 Situation gegeben, nämlich Finanzministerium und Umweltministerium auf der einen und Wirtschaftsministerium auf der anderen Seite. Bei diesen Verhandlungen kam es insbesondere bei der unspezifischen Zielsetzung, die Prozesswärme von der Besteuerung auszunehmen, zu geradezu obskuren Vorschlägen des Wirtschaftsministeriums. So sollten alle energieintensiven Betriebe von der Ökosteuer ausgenommen werden, ohne jedoch präzise und rechtsfest definieren zu können, was ein energieintensiver Betrieb ist. In den Verhandlungen wurden über Wochen hinweg alle möglichen Hilfskonstruktionen gesucht, die allerdings dazu fiihrten, die Konstruktion immer weniger konsistent zu machen. Das Ergebnis war absehbar, der Vorschlag der Bundesregierung, die Energieintensität anhand der Angaben des Statistischen Bundesamtes zu bestimmen und dadurch Branchen einzubeziehen oder zu befreien, scheiterte in Brüssel, da er von der EU-Kommission nicht als rechtskonform angesehen wurde. Auch andere, durchaus sinnvolle Vorschläge konnten nicht realisiert werden. So sollten die erneuerbaren Energien von der Ökosteuer befreit werden, wie dies in Holland und Dänemark der Fall ist. Aber auch dies war EU-rechtlich nicht möglich, weil in der Bundesrepublik, anders als in den Niederlanden, die Stromsteuer nicht beim Verbraucher, sondern beim Versorger erhoben wird, so dass man nicht nachkontrollieren kann, aus welchen Quellen welcher Strom kommt. Damit scheiterte - außer bei der Eigenversorgung - eine generelle Befreiung der erneuerbaren Energien von der Ökosteuer, solange es kein EnergieAudit gibt. Wir haben erst im Gesetzgebungsprozess große Schwierigkeiten festgestellt. Durch den zeitlichen Druck, denn aus der sachlichen, nicht gesetzlichen Koppelung der Ökosteuer mit der Senkung der Rentenbeiträge ergab sich ein zeitlicher Druck. Dadurch entstand eine Vielzahl von Unklarheiten und Widersprüchen. Nachbesserungen kamen hinzu, wie beispielsweise die nachträglichen steuerlichen Entlastungen bei öffentlichen Verkehrsunternehmen und den landwirtschaftlichen Unterglasbetrieben. Dies ist meiner Ansicht nach der speziellen Situation zuschreiben, dass letztlich keine eindeutigen ökologischen Vorgaben erfolgten und im Verfahren aufgrund des hohen öffentlichen Drucks sehr taktisch operiert wurde. Deshalb will ich noch einmal meine Position deutlich machen, auch im Zusammenhang mit der Frage eines Umweltgesetzbuches. Das Kernproblem liegt in einer nicht geklärten Grundfrage: Einerseits sehen viele in der Ökosteuer den Königsweg, was aus meiner Sicht nicht stimmt. Andererseits ist die Ökosteuer fiir viele ein ungeliebtes Kind und wollen deshalb die Eingriffe so gering wie möglich halten. Daraus ergibt sich eine taktische Gemeinsamkeit: Beide Seiten verdrängen die konzeptionellen Zusammenhänge, die eine erfolgreiche ökolo-

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gische Finanzreform braucht. Doch auch und gerade die Ökosteuer steht in einem logischen und funktionalen Zusammenhang mit anderen Instrumenten, um die Wirkungen zu entfalten, die beabsichtigt sind. Die ökologische Steuerreform war in erster Linie deshalb mehrheitsfähig, weil über diesen Weg die Lohnnebenkosten, speziell bei der Rente, gesenkt werden konnten. Über diesen Weg gab es eine Mehrheit für die Verfolgung ökologischer Ziele. Ich glaube zwar, dass die ökologische Steuerreform auch dann, wenn auch unter größeren Widerständen, gekommen wäre, wenn es nicht die konkrete Debatte um Rente und Lohnnebenkosten gegeben hätte. Aber so vergrößerten sich die Widersprüche, die nicht zu bestreiten sind. Dennoch war der Einstieg richtig und ist eine Fortsetzung notwendig. Das Gesetz besteht aus zwei Elementen, nämlich dem ökologischen Ziel und die - nicht im Gesetz verankerte, aber in einem engen Zusammenhang stehende Senkung der Lohnnebenkosten. Dahinter steht das Ziel, den Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 Prozent im Jahr 1998 auf rund 18 Prozent und damit den Sozialversicherungsanteil insgesamt auf möglichst unter 40 Prozent zu senken. Unter diesen konkreten Bedingungen ergab sich dann folgende Lösung: Unter dem Druck der Wirtschaft wurde die Stromsteuer - zum Teil auch die Mineralölsteuer - für die produzierende Wirtschaft aus Wettbewerbs gründen deutlich niedriger angesetzt, d. h. beim produzierenden Gewerbe nur 0,5 Pfennig statt der sonst üblichen 2 Pfennig. Bei Strom und Mineralöl wird die Steuerbelastung steigen, während andere Bereiche - Heizöl und Gas - in der ersten Stufe der Steuerreform verbleiben. Aus dieser Konstruktion ergibt sich auch für die Fortsetzung der Ökosteuer ein erhebliches Problem: Während nämlich die Belastung des Verbrauchers immer größer wird, bleibt dagegen die Belastung in energieintensiven Branchen vergleichsweise niedrig. Hieraus ergibt sich ein sozialer Konflikt, der erheblich ist. Die aus der Ökosteuer erzielten Einnahmen werden an die Rentenversicherung weitergegeben - mit einer Ausnahme. Da die regenerativen Energien außer zur Eigenversorgung - nicht von der Ökosteuer befreit werden konnten, fließen im Umfang der Besteuerung der regenerativen Energien Finanzmittel in ein Anreizprogramm für diese Energien. Im Jahr 2001 ergeben sich daraus rund 600 Millionen DM. Dieses Programm zeigt erhebliche Erfolge. Im letzten Jahr hat sich der Anteil des regenerativen Stroms auf etwa 5 Prozent der gesamten produzierten Strommenge erhöht, also fast verdoppelt. Hinzu kommen im Ökosteuergesetz weitere Regelungen, die ich hier nicht ansprechen möchte, wie zum Beispiel die Einführung von Bagatellgrenzen. Wichtiger ist ein anderer Hinweis: Alle Sonderregelungen wurden von der EU nur befristet genehmigt. Mit anderen Worten: In absehbarer Zeit muss es auf jeden Fall eine erneute Beratung über die Ökosteuer geben, da sonst die Europäische Kommission eingreift und möglicherweise alle Sonderregelungen ver-

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bietet. Ursprünglich war die Überprüfung der Ausnahmeregelungen von der EU bereits fiir 2001 vorgesehen, wurden aber erst einmal bis Anfang 2003 verlängert. Aber es muss auf jeden Fall eine erneute Debatte des Ökosteuerkonzepts geben. Nun zur Aufkommens- und Verwendungsseite der ökologischen Steuerreform. In 1999 wurde durch die Ökosteuer ein Aufkommen von 8,4 Milliarden DM erzielt. In die Rentenversicherung flossen 8,8 Milliarden DM, rund 200 Millionen DM wurden in die erneuerbaren Energien investiert. Im Jahre 2000 betrugen die Einnahmen 17,2 Milliarden DM, 200 Millionen DM weniger als prognostiziert. Die Mehrleistung an die Rentenversicherung beliefen sich auf 16,6 Milliarden DM, der Anteil für die erneuerbaren Energien erreichte über 300 Millionen DM. Damit liegt im wesentlichen ein ausgeglichenes, d. h. aufkommensneutrales Verhältnis zwischen Einnahmen und Verwendung vor.

VI. Gesamtkonzept notwendig Warum ist es wichtig, die Ökosteuer nicht isoliert zu sehen, sondern in das umweltpolitische Instrumentarium einzuordnen? In den letzten Jahren gab es - auch das scheint ein Ausdruck des Widerspruchs zwischen Wissen und Handeln zu sein, der auch in unserer Gesellschaft vorherrscht - eine sehr demagogische Debatte über die Ökosteuer. Sie wird aus machtpolitischen Interessen instrumentalisiert. So verzeichneten wir im Jahr 2000 bei den Kraftstoftpreisen einen Anstieg um 61 Pfennig, bei der auf die politischen Vorgaben 7 Pfennig entfielen, 6 Pfennig Ökosteuer plus 1 Pfennig. Für die Steigerung sind andere Gründe weitaus wichtiger. Sie liegen in der spekulativen Dollar-Euro-Parität, einer veränderten Transportstrategie und Logistik der Öl-Multis und der Einengung des Wettbewerbs durch Konzentration und Oligopolbildung, was sich auch an den Tankstellen auswirkt. So gibt es eine enge Verbindung zwischen den Preissteigerungen und der Verdrängung freier Anbieter auf ~em Tankstellenmarkt. Weitere Gründe fiir die Benzinpreissteigerungen sind die Verschiebungen auf den Weltölmärkten und damit verbundene Stärkung der OPEC, zumal auch das Nordseeöl schneller ausgebeutet wird als erwartet sowie die hohen politischen und technischen Kosten für die Erschließung neuer Ölfelder in der Kaspischen Region, Stichwort Tschetschenien. Dies ist ein entscheidender Punkt, der zuwenig gesehen wurde: Die Preisbildung erfolgt nicht autonom durch Politik und Wettbewerb, sondern auf hoch verrnachteten und wenig durchschaubaren Märkten. So fließen Faktoren ein, die ohne ein Gesamtkonzept und ohne eine höhere Transparenz schwer erkennbar sind. Diese Faktoren werden fiir eine Instrumentalisierung und Aushebelung eines richtigen Ziels genutzt. Deshalb muss die Umweltpolitik aus ihrer Isolierung herausgelöst und in die Gesamtpolitik eingebettet werden, um damit

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Zusammenhänge und Perspektiven deutlich zu machen. Eine Gesamtstrategie, die in der ganzen Diskussion um die Ökosteuer bisher zu kurz kommt, ist erforderlich. Ein Umweltgesetzbuch ist nur mit einer Gesamtperspektive für die funktionalen Zusammenhänge ordnungsrechtlicher und anreizorientierter Instrumente machbar. In einem Umweltgesetzbuch können die Eckpunkte für die Ausgestaltung steuerlicher Instrumente festgelegt werden - ökologisch relevante Steuergegenstände, Bemessungskriterien, Verwendungskriterien und das Verhältnis zu ordnungspolitischen Instrumenten. Insgesamt ist die Ökosteuer, so die Erfahrung, erfolgreich: Es ist ein deutlicher Anstieg in der Energieproduktivität zu verzeichnen, nicht nur im Verkehrssektor, sondern auch beim Strom. Während in den letzten fiinfzehn Jahren die Energieproduktivität absank, steigt sie heute deutlich an. 2000 ging der Mineralölverbrauch um 4,3 Prozent zurück, wobei dies nicht allein, aber eben auch auf die Ökosteuer zuriickgeht. Durch die Öko steuer werden bis zum Jahr 2005 ca. 8 bis 10 Millionen Tonnen CO 2 eingespart. Der Anteil der regenerativen Energien hat sich deutlich erhöht. Nach den Untersuchungen des RWI wären bei einem Wegfall der Ökosteuer rund 100.000 Arbeitsplätze gefährdet. Durch die Steuer wurden rund 70.000 bis 75.000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Auch wenn solche Zahlen immer auf Annahmen beruhen, ist die Tendenz eindeutig. Das zeigt schon, dass ein Stillstand oder eine Rücknahme falsch wären, zumal wir uns im Jahre 2002 erneut mit der Ökosteuer beschäftigen müssen. Also: Wie geht es in der Bundesrepublik weiter? Und wie kann eine Harrnonisierung in der Europäischen Union beschleunigt werden? Dabei ergibt sich schon für das bestehende System Änderungsbedarf. Zum einen liegt er in den Befristungen seitens der EU-Kommission. Zum anderen arbeiten Bundesregierung und Koalitionsfraktionen daran, wie durch ein Energie-Audit künftig regenerativer Strom von der Ökosteuer befreit werden kann. Doch die Debatte muss darüber hinaus gehen. Dann sind eine Reihe von Fragen von großer Bedeutung: Soll sich die Ökosteuer im wesentlichen nur auf Energie beziehen? Kann die Ökosteuer auf eine sehr viel breitere Basis gestellt und stärker auf eine Anreiz- und Lenkungsfunktion ausgerichtet werden? Ich halte es fiir richtig, den Gedanken einer Abfallabgabe erneut aufzugreifen, zu vertiefen und sie an die Stelle des fragwürdigen, teuren und auch in hohem Maße fiir die Bürger ärgerlichen Systems des Grünen Punkts zu setzen. Ein weiterer Aspekt wäre eine stärkere ökologische Komponente bei der Flächenbesteuerung. Insgesamt könnten wir in den drei großen Bereichen Energie, Abfall und

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Flächen durchaus mit einem ökologischen Steuerinstrumentarium weiterkommen. Zudem muss geklärt werden, wie das Steueraufkommen künftig verwendet werden soll. Es ist durchaus denkbar und auch sinnvoll, dass vor dem Hintergrund der besorgniserregenden Tendenzen auf den Weltmärkten der ökologischen Strukturwandel der Wirtschaft auch durch Anreize beschleunigt werden sollte, um zur Stabilisierung der Wirtschaft und zu mehr Beschäftigung beizutragen. Derartige Überlegungen werden in den Fraktionen angestellt, sie sollen nach der Sommerpause im Jahre 2001 konkretisiert werden. Der Bundestag darf nicht - wie 1998 - erneut überrascht werden, dass die Schubladen der zuständigen Ministerien leer sind, wenn es um eine Weiterentwicklung geht. Deshalb müssen bereits im Vorfeld die Grundelemente fiir die Weiterentwicklung der Ökosteuer geklärt werden. Schlussbemerkung: In sieben europäischen Ländern existiert in der Zwischenzeit eine Ökosteuer. Beispielsweise in Schweden oder den Niederlanden zeigt sich, dass nach den anfanglichen Widerständen die Zustimmung zu der Ökosteuer enorm groß ist. Daran müssen wir anknüpfen, eine Rücknahme wäre unverantwortlich, denn die ökologische Bedrohung ist unverändert alarmierend. Die Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches könnte die Debatte auf eine bessere und transparente Basis stellen. Das könnte den politischen Diskussions- und Entscheidungsprozess so zuspitzen, dass er die ökologischen Bedrohungen bewusst macht und den notwendigen gesetzlichen Rahmen fiir langfristige und bereichsübergreifende Lösungen schafft. Deshalb geht auch zum Abschluss noch einmal mein Dank an Eberhard Bohne, denn das Umweltgesetzbuch muss kommen, um die Debatte aus der Vereinzelung und Verzettelung herauszuholen.

Diskussion zu dem Referat von Michael Müller Bericht: Oliver Schmidt

Bohne begrüßte, dass Müller aufgezeigt habe, dass man "den Wald vor lauter Bäumen" nicht aus dem Auge verlieren dürfe. Es sei wichtig, den umfassenden Ansatz einer ökologischen Politikausrichtung zu betonen, wobei es um mehr als um reine Gesetzestechnik gehe. Zur KlarsteIlung fragte Wagner, welche selbststeuernden Systeme gemeint seien, insbesondere, wie beim Öko-Audit die Anreize für mehr betrieblichen Umweltschutz erhöht werden könnten. Er kritisierte, dass das Artikelgesetz hier nur marginale Möglichkeiten vorsehe. Zum Thema Subventionen wies er darauf hin, dass hier die vorhandenen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft würden. So sei z. B. im politisch schwierigen Bereich der Kohlesubventionen ein Abbau von Subventionen in Höhe von ca. 7,5 Mrd DM pro Jahr möglich. Hier sehe man sich aber einer großen Koalition der Gegner von Subventionsabbau gegenüber. Weiterhin interessiere ihn, so Wagner, was international zur Abwehr von Umweltgefahren getan werden könne. Zur Diskussion um die Ökosteuer merkte er an, dass sie für den Normalbürger oft nicht einleuchtend sei, da z. B. diejenigen, die am meisten Energie verbrauchten, durch Ausnahmen von der Steuer befreit seien, wie auch Müller selbst kritisch angemerkt habe.

Weigand fragte nach der Möglichkeit, EMAS-registrierte Unternehmen, also solche, die ein Öko-Audit durchführten, von der Ökosteuer freizustellen. Er sehe in EMAS einen Paradigmenwechsel im Umweltrecht und rufe dazu auf, die Vorschläge zur Deregulierung in der Regierungskoalition intensiver zu diskutieren, auch wenn sie aus Bayern kämen. Müller kritisierte, dass in der Erklärung der Industrie zum Öko-Audit zugleich gefordert werde, dass die Bundesregierung auf Regelungen verzichten müsse. Dies sei keine logische Art der Politik. EffIZienz müsse aus Überzeugung durchgesetzt und nicht durch Gegenleistungen erkauft werden. Der derzeitige Usus, wie z. B. beim Atomausstieg, zerstöre die Verbindlichkeit von Politik. Wenn es kein übergeordnetes Prinzip gebe, werde sich die Politik bei der Befriedigung von Einzelinteressen zunehmend in Widersprüche verwickeln. Er halte ein Öko-Audit dann für sinnvoll, wenn es nicht, wie bisher, allein den Status Quo beschreibe, sondern gleichzeitig ehrgeizige Ziele vorgebe, auf die durch die Unternehmen transparent hingearbeitet werden müsste. Unter dieser

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Voraussetzung käme auch eine Privilegierung in Betracht. Zum Subventionsabbau verwies Müller darauf, dass mit dem Steueränderungsgesetz eine ganze Reihe von Subventionen abgebaut worden sei. Allerdings seien mit der Ökosteuer auch wieder neue Subventionen geschaffen worden, beispielsweise die Erhöhung der Pendlerpauschale oder beim ökologischen Landbau, wo aufgrund des Europarechtes immer eine Kofinanzierung durch die öffentliche Hand erfolgen müsse. Wenn ökologisch umgesteuert werden solle, gebe es zu öffentlichen Anreiz- und Finanzierungssystemen kaum eine Alternative, denn durch die Globalisierung komme es zu einer "Kurzatmigkeit", da alle zeitintensiven, innovativen Bereiche dem kurzfristigen Renditeziel, dem "Shareholder Value" zum Opfer fielen. Subventionsabbau müsse daher von Umbau unterschieden werden. So würde z. B. bei der Kohle ein Ersatz subventionierter heimischer Kohle durch Importkohle keinen ökologischen Vorteil bringen. Wenn man aber ein anderes Energiesystem wolle, müsse zunächst investiert werden. International sehe er deutliche Bewegung bei der Ökosteuer auf europäischer Ebene, wo zur Zeit vor allem Spanien die weitere Entwicklung blockiere. Momentan werde ein Modell mit einer hohen CO 2-Komponente diskutiert, das aber auf Deutschland erhebliche Auswirkungen haben würde. Bei seiner Realisierung würde die deutsche Energieversorgung von Gas abhängig werden, was jedoch nicht die richtige Strukurveränderung sein könne. Ewringmann merkte an, dass der neue Gemeinschaftsrahmen fiir Umweltbeihilfen von der EU-Kommission sowohl bezüglich der Subventionen, als auch des Energie-Audits berücksichtigt werden müsse. Danach sei eine steuerliche Begünstigung des Audits ausgeschlossen. Außerdem seien bis Ende 2001 alle umweltrelevanten Subventionen an diesen Rahmen anzupassen, was von den Bundesländern noch gar nicht verstanden worden sei. So müsse z. B. auch die Abwassergesetzgebung umfassend angepasst werden. Ein reines Energiemanagement-Audit, wie es angedacht worden sei, sei fiir das neue EU-Recht nicht ausreichend, um als Umweltbeihilfen anerkannt zu werden. Müller stimmte diesen Ausführungen zu. Darüber hinaus müsse das Urteil des EuGH zum Stromeinspeisegesetz beachtet werden. Danach seien im Zweifelsfall Maßnahmen des Klimaschutzes höher zu bewerten als der freie Warenverkehr. Dies sei daher eine unerwartet weitreichende Entscheidung gewesen. Bohne griff das Thema "nationale Alleingänge" auf. Er erinnerte daran, dass z. B. die Briten mit dem Konzept der "Integrated Pollution Control" (IPC) in den achtziger Jahren einen gezielten Alleingang gestartet hätten, was durch Äußerungen der damaligen britischen Umweltministerin im Unterhaus belegt sei: "We are taking the lead. Europe is going to look at us." Dies hätten die Briten konsequent auf EU-Ebene durchgesetzt. Das zeige zugleich, dass es auch eine Frage geschickten politischen Managementes sei, erfolgreiche Umweltpolitik durchzusetzen. Dazu gehöre auch, fähiges, eigenes Personal im Apparat der EU-Kommission unterzubringen. Für die diesbezügliche Leistung der Bri-

Diskussion zu dem Referat von Michael Müller

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ten habe er großen "sportlichen" Respekt. Die umweltpolitischen Managementfähigkeiten des Bundes im EU-Bereich seien eher schwach ausgeprägt. Weiter fragte er Müller, warum dieser beim Öko-Audit auf ehrgeizigen Zielen bestehen wolle. Schließlich könne eine Selbstverpflichtung auf Seiten der Industrie auch zu einer Freisetzung von Behördenressourcen im Überwachungsbereich ruhren, die dann anderweitig zur Verfugung ständen. Sangenstedt bekräftigte Bohnes AusfUhrungen. Er betonte, dass wesentliche Entwicklungen und Impulse im Umweltrecht von der EU kämen. Dagegen gebe es besonders bei den Bundesländern eine grundsätzliche Abwehrhaltung. Dies sei ein falscher Weg. Deutschland solle sich nicht als "umweltpolitischer Geisterfahrer" betätigen, sondern sich aktiv und gestaltend in die aktuellen Diskussionen auf EU-Ebene einbringen, z. B. hinsichtlich der Verstärkung von Bürgerbeteiligungen oder der Umweltinformation. Bei diesen aktuellen Diskussionen besetzten z. B. die Briten oft schnell Schlüsselpositionen und dominierten dann diese Diskussionen. Hier gebe es Defizite auf deutscher Seite. Sailer unterstützte diese Aussagen. So sei der Gemeinschaftsrahmen für Umweltbeihilfen ein ganz entscheidender Punkt rur jeden, der die Entwicklung mit beeinflussen wolle. Ein weiterer Punkt sei die Energiesteuerrahmenrichtlinie, die dem Finanzministerrat vorliege. Hier habe die schwedische Präsidentschaft eine neue Initiative gestartet. Davon werde z. B. abhängen, welche strukturelle Begünstigungen bei der nächsten Stufe der Ökosteuer von der EUKommission akzeptiert würden. Kromarek meinte, dass Deutschland wie jeder andere Staat auch sehr gut in der Lage sei, seine Eigeninteressen geltend zu machen. Der Unterschied zwischen den Staaten bestehe vielmehr darin, dass Deutschland sich sehr stark auf der technischen, andere sich stark auf der rechtlichen Seite engagierten. So sei man in Frankreich davon überzeugt, dass Deutschland hinter den meisten Richtlinien stehe. Deutschland sei das einzige Land, dass den "Stand der Technik" so stark betone. EMAS sei z. B. in Deutschland fast nur am Stand der Technik orientiert, obwohl dies nicht dem Geist der EMAS-Verordnung entspreche. Bei der IPPC-Richtlinie verhalte es sich so, dass bereits die Fassungen in englischer, deutscher. und französischer Sprache inhaltlich unterschiedlich seien. Als ein weiteres Thema, das an Bedeutung in der EU gewinne, nannte Kromarek produktbezogene Regelungen unter dem Stichwort IPP - Integrated Product Policy. Der Fokus verlagere sich damit von der Regelung der Industriestandorte und der Verbraucherrechte zur Regelung der Produkte und der verarbeiteten Stoffe. Müller erwiderte, an den Initiativen zur IPP z. B. aus Schweden sei interessant, dass sie im wesentlichen auf Ergebnissen der Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" beruhten. Diese seien u. a. vom Hauptgeschäftsruhrer des Verbandes der chemischen Industrie mit erarbeitet

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worden, der heute an der Spitze derjenigen stände, die IPP verhindern wollten. Er unterstütze die Idee der Kreislaufwirtschaft, so Müller, obwohl er das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz ablehne. Er betonte noch einmal, dass ein übergeordnetes Prinzip fehle, nach dem Entscheidungen getroffen würden. So habe er bei Umweltrninisterratssitzungen erlebt, dass die Diskussion sich in technologischen Fragen verloren und sich jeder lediglich als Interessenvertreter eines einzigen Landes verstanden habe. Solange dies nicht ändere, werde man in der Umweltpolitik nicht wesentlich vorankommen. So stünden auch in der Cherniepolitik die Chancen schlecht, wenn sofort wieder technische Details erörtert würden, ohne dass die Zielsetzung einer Stoffpolitik verstanden worden sei. Hierum werde es in den nächsten Jahren gerade auch in der Bundesrepublik harte Auseinandersetzungen geben. Er teile im Übrigen die Ansicht von Kromarek, dass die Bundesrepublik stark bei der technischen Ausgestaltung und schwach bei der strategischen Weichenstellung der Umweltpolitik vertreten sei.

Dritter Teil Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch

Abstimmung von Anreizinstrumenten mit dem Ordnungsrecht im Rahmen eines Umweltgesetzbuchs Von Reinhard Hendler'

I. Problemskizze Das klassische Instrument des Umweltschutzes ist das Ordnungsrecht. Auch heute noch wird in großem Umfang auf das Ordnungsrecht (häufig unter Einbeziehung des Grenzwertemodells) zurückgegriffen, wenn ökologische Ziele verwirklicht werden sollen. Ordnungsrechtliche Normierungen in Verbindung mit Grenzwertfestlegungen stellen nach wie vor das Fundament des Umweltrechts dar. Sie sind anerkanntermaßen auch unentbehrlich, soweit es um die Sicherung des ökologischen Mindeststandards geht. I Denn sie bieten den entscheidenden Vorteil, dass die Einhaltung der fiir die betreffenden Umweltbeeinträchtigungen festgelegten Grenzwerte mit hoheitlichen Mitteln durchgesetzt werden kann, und zwar erforderlichenfalls - etwa wenn es um Gesundheitsgefährdungen geht - auch äußert kurzfristig. Im Übrigen aber wird das ordnungsrechtliche Grenzwertemodell seit einiger Zeit verstärkt in Frage gestellt, weil sich gezeigt hat, dass es erhebliche Nachteile aufweist. Hierzu gehört insbesondere die Wirkungslosigkeit gegenüber dem Restverschmutzungsproblem. Da Grenzwerte allein auf die Festlegung der maximal zulässigen Umweltbeeinträchtigung (der so genannten Restverschmutzung) gerichtet sind, vermitteln sie keine Ameize, das festgelegte Maximum zu unterschreiten. Zudem kann die Grenzwertbestimmung kaum vollständig mit dem wissenschaftlich-technischen Erkenntnisfortschritt sowie • Für hilfreiche Zuarbeit dankt der Verfasser Frau Rechtsreferendarin Claudia Tesdorf sowie Herrn Wiss. Mitarbeiter Marcel Seche. I v gl. z.8. Michael Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, § 5, Rn. 280; Paul Kirchhof, Abgabe, in: Dito Kimminichl Heinrich von LersneriPeter-Christoph Storm (Hrsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts, 8d. I, 2. Aufl., 1994, Sp. 21, 28, 32 f.; Hartmut Söhn, Umweltsteuern und Finanzverfassung, in: Joachim Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit. Festschrift rur Klaus Stern zum 65. Geburtstag, 1997, S. 587, 590; Michael Rodi, UmweItsteuem, 1993, S. 19; Klaus Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986, S. 83 ff.; Erik Gawel, UmweItallokation durch Ordnungsrecht, 1994, S. 12. 22 Bohne

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der industriellen Entwicklung Schritt halten, so dass die Werte schnell veralten und hinter den ökotechnischen Möglichkeiten zurückbleiben. Ferner ist die einheitliche allgemeine Festlegung von Grenzwerten volkswirtschaftlich insofern ungünstig, als unberucksichtigt bleibt, dass den Betrieben unterschiedlich hohe Kosten bei der Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen entstehen. Vorzugswürdig ist es demgegenüber, Umweltbeeinträchtigungen jeweils dort zu bekämpfen, wo die geringsten Vermeidungskosten anfallen. Für das Ordnungsrecht ist überdies charakteristisch, dass menschliches Verhalten mit Hilfe von Befehl und Zwang gesteuert wird. Es werden Gebote und Verbote statuiert, deren Missachtung eine hoheitliche Sanktion auslöst. Die Ökonomen sprechen im Hinblick auf die ordnungsrechtlichen Verhaltensbefehle vielfach von Auflagen,2 was die Juristen indes gern vermeiden, weil es sich insoweit nicht (jedenfalls nicht allein) um den rechtlichen Auflagenbegriff des § 36 Abs. 2 Nr.4 VwVfG handelt. Wegen seines repressiven Charakters steht das Ordnungsrecht hiernach in einem Spannungsverhältnis zum Anspruch eines modernen freiheitlichen Staatswesens, mit einem Minimum an Befehl und Zwang auszukommen. Wenngleich das ordnungsrechtliche Grenzwertemodell herkömmlicherweise das Hauptinstrument des Umweltschutzes bildet, so besitzt es doch keinesfalls eine Monopolstellung. Gerade in jüngerer Zeit wird es wegen der ihm anhaftenden Nachteile zunehmend zurückgedrängt. Bereits bei einem flüchtigen Blick auf die Rechtsordnung sowie den aktuellen umweltpolitischen und umweltwissenschaftlichen Diskurs sind folgende weitere Instrumente ordnungsrechtlicher und vor allem nichtordnungsrechtlicher Art auszumachen: Umweltplanung, Umweltabgaben, Umweltzertifikate, Umweltsubventionen, Umwelthaftung, Umweltverträglichkeitsprufung, Recht auf freien Zugang zu Umweltinformationen, Gewährung von Benutzungsvorteilen, Verbandsklage, Umweltaudit, Umweltbeauftragte, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, Kompensationsmodelle etc. Einige dieser Instrumente (wie z.B. die Umweltverträglichkeitsprufung und das Umweltaudit) haben ihre Wurzeln in fremden, auf anderen Struktur- und Ordnungsgedanken beruhenden Rechtskreisen. Sie sind aufgrund von Vorgaben des Europäischen Gemeinschaftsrechts in die deutsche Rechtsordnung eingefiigt worden, obwohl sie sich mit den gewachsenen nationalen Rechtsstrukturen nicht ohne weiteres vertragen. Die daraus resultierenden Probleme tragen indes lediglich Übergangscharakter. Zwar mag die Integration der zunächst als Fremdkörper empfundenen neuen Elemente in die überkommene Rechtsordnung Schwierigkeiten bereiten und Spannungen erzeugen. So2 Vgl. z.B. Horst Siebert, Analyse der Instrumente der Umweltpolitik, 1976, S.20, 65 tT.; Dieter Cansier, Umweltökonomie, 1993, S. 133, 144, 155, 209; Lutz Wicke, Umweltökonomie. Eine praxisorientierte Einführung, 4. Auf!. 1993, S. 195 ff., 425; Martin StengellKerstin Wüstner, Umweltökonomie, 1997, S. 25 f., 48, 57, 62.

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fern die Integration jedoch phantasievoll und möglichst schonend erfolgt, dürften keine dauerhaften Unzuträglichkeiten entstehen, da sich die Rechtsordnung mit den neuen Elementen fortentwickeln und bei den Rechtsanwendern alsbald ein Gewöhnungseffekt eintreten wird. 3 Hierauf ist auch zu verweisen, soweit beispielsweise im Schrifttum Zweifel daran geäußert werden, "ob börsenähnlich zu handelnde Verschmutzungszertifikate in die gewachsene Landschaft des deutschen Umweltrechts passen".4 Im Übrigen lässt sich das umfangreiche umweltrechtliche Instrumentarium nach verschiedenen Kriterien typologisch ordnen, d. h. in Sachgruppen und gegebenenfalls Untergruppen einteilen. So können z.B. die ökonomischen Instrumente (Umweitabgaben, Umweltsubventionen Umweltzertifikate etc.) in einer Sachgruppe zusammengefasst und von denjenigen Instrumenten abgegrenzt werden, die primär der Aktivierung der Wirtschaftssubjekte zur ökologischen Selbsttätigkeit dienen (Umweltaudit, Selbstverpflichtungen etc.) oder auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit für die Effektivierung des Umweltrechts gerichtet sind (Recht auf freien Zugang zu Umweltinformationen, Verbandsklage etc.). Welche Typologisierungskriterien gewählt werden, hängt maßgeblich vom jeweiligen Erkenntnisinteresse ab. Im hier behandelten Zusammenhang bezieht sich das Erkenntnisinteresse auf die Anreizinstrumente und deren Verhältnis zum Ordnungsrecht, so dass es hilfreich ist, sich die diesbezüglichen Besonderheiten zu vergegenwärtigen. Anreizinstrumente sind dadurch gekennzeichnet, dass für ein bestimmtes erwünschtes Verhalten ein (zumeist ökonomischer) Vorteil in Aussicht gestellt wird, wie z.B. die Gewährung einer Finanzhilfe (Subvention), die Nichtzahlung oder Reduktion einer Abgabe, die Vermeidung eines Haftungsrisikos, die Werbung mit einem Zeichen oder Zertifikat, Erleichterungen bei der behördlichen Überwachung etc. Der Unterschied zum Ordnungsrecht besteht darin, dass auch dann, wenn das erwünschte Verhalten nicht praktiziert wird, kein illegales Handeln oder Unterlassen im Sinne eines Verstoßes gegen verwaltungs- oder strafrechtliche Regelungen vorliegt. Mit dem zunehmenden Einsatz von Anreizinstrumenten, die das Ordnungsrecht teils ersetzen, häufiger allerdings lediglich ergänzen oder überlagern, wächst ein Abstimmungsproblem heran. AbstimmungsbedÜfftig sind die Anreizinstrumente untereinander sowie in ihrer jeweiligen Beziehung zum Ord3 Wesentlich kritischer Rüdiger Breuer, Zunehmende Vielgestaltigkeit der Instrumente im deutschen und europäischen Umweltrecht - Probleme der Stimmigkeit und des Zusammenwirkens, NVwZ 1997, S. 833 ff. Vgl. im weiteren auch den Bericht von Kurt Faßbender, NuR 2000, S. 681, 682, zum Referat von Breuer bei der Düsseldorfer Tagung "Umweltschutz im Widerstreit differierender Konzepte" (22.123.8.2000). 4 Michael Rodi, Instrumentenvielfalt und Instrumentenverbund im Umwe1trecht, ZG 2000, S. 231,243.

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nungsrecht. Im Folgenden geht es indessen lediglich um die zuletzt genannte Beziehung, die sowohl unter Zweckmäßigkeits- als auch unter Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten untersucht werden soll.

11. Zweckmäßigkeitsfragen der Abstimmung von Anreizinstrumenten mit dem Ordnungsrecht Über den Grundsatz, dass eine möglichst zweckmäßige Verknüpfung zwischen Anreizinstrumenten und Ordnungsrecht angestrebt werden sollte, dürfte Einigkeit leicht zu erzielen sein. Dissensträchtig ist lediglich die Konkretisierung dieses Grundsatzes, wie das Beispiel der Abwasserabgabe zeigt. Die juristische Konstruktion der Abwasserabgabe zeichnet sich dadurch aus, dass eine besonders enge Verknüpfung zwischen Anreizinstrument und Ordnungsrecht hergestellt worden ist. Inwieweit es sich hierbei allerdings um eine gelungene Verknüpfung handelt, wird überaus unterschiedlich beurteilt. 5 Hinsichtlich der Kombination von Ordnungsrecht und Anreizinstrumenten ist davon auszugehen, dass sowohl Friktionen und wechselseitige Hemmungen als auch synergetische Umweltschutzeffekte oder sonstige Vorteile entstehen können. Es liegt z.B. auf der Hand, dass Subventionierungen solcher umweltrelevanter privater Maßnahmen, gegen die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten eingeschritten werden könnte, nachteilig und deshalb unzweckmäßig sind. Gleiches gilt im umgekehrten Fall, dass ordnungsrechtlich erwünschtes Verhalten mit einer Abgabe belegt und dadurch zurückgedrängt wird. So klar wie in diesen Beispielen liegen die Dinge allerdings häufig nicht. Gleichwohl lassen sich zwei Grundvarianten einer zweckmäßigen Kombination von Ordnungsrecht und Anreizinstrumenten ausmachen. Die erste Variante betrifft die Wirkungsverstärkung des Ordnungsrechts durch Anreizinstrumente. Ein Beispiel hierrur bildet die Konstellation, dass ordnungsrechtlichen Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Verringerung von Schadstoffeinleitungen oder Abfall durch Abgabenerhebungen zusätzliches Gewicht verliehen wird. Auf diese Weise entsteht bei den Betroffenen eine ökonomische Motivation, über das von den Behörden imperativ Verlangte hinauszugehen oder es zumindest strikt einzuhalten.

S Vgl. dazu beispielsweise Konrad Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl., 1995, S. 21 ff.; Monika Böhm, Die Wirksamkeit von Umweltabgaben, 1989, S. 47 ff.; Dieter Ewringmann, Das Ende der Abwasserabgabe - Kritik am Entwurf zur 4. Novelle des AbwAG, ZAU 1993, S. 153, 160; Ute Sacksofsky, Umweltschutz durch nichtsteuerliche Abgaben, 2000, S. 34 ff.

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Bei der zweiten hier zu behandelnden Variante geht es um die ordnungsrechtliche Wirkungsverstärkung der Anreizinstrumente. Insoweit sei beispielhaft auf das Umweltaudit verwiesen, dessen ökologischer Nutzen nicht zuletzt davon abhängt, wie viele Unternehmen sich daran beteiligen. Die Beteiligungsbereitschaft lässt sich hierbei dadurch erhöhen, dass den erfolgreich auditierten Unternehmen auf ordnungsrechtlichem Gebiet Erleichterungen gewährt werden, etwa im Rahmen der behördlichen Überwachungstätigkeit. Eine Wirkungsverstärkung von Anreizinstrumenten wird zwar bereits dann erzielt, wenn die Behörde nur kontrolliert, ob die für diese Instrumente geltenden "Spielregeln" von den Betroffenen auch eingehalten werden, also die Umweltabgabe in der vorgesehenen Höhe entrichtet wird oder die emittierte Schadstoffmenge von den eingekauften EmissionszertifIkaten abgedeckt ist. Doch handelt es sich insoweit lediglich um einfaches flankierendes Ordnungsrecht, das nicht der speziellen Wirkungsweise des jeweiligen Anreizinstrumentes in qualifIzierter Form angepasst worden ist. Immerhin kann hier aber eine Untergruppe der zweiten Grundvariante gebildet werden.

III. Rechtliche Anforderungen an die Abstimmung von Anreizinstrumenten mit dem Ordnungsrecht 1. Das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung

Das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist vom Bundesverfassungsgericht erstmals in den beiden Urteilen vom 7. Mai 1998 zur kommunalen Verpackungsteuer6 sowie zu den Landesabfallabgaben7 inhaltlich näher dargelegt und als entscheidungserheblicher Gesichtspunkt herangezogen worden. Seither hat das Gericht dieses Gebot gelegentlich noch erwähnt, aber nicht mehr vertieft. 8 Gleichwohl arbeitet die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit ihm9 und im Bereich der Rechtswissenschaft stellt es zur Zeit einen bevorzugten Gegenstand fachliterarischer Erörterungen dar. \0 BVerfGE 98, \06 ff. BVerfGE 98, 83 ff. 8 BVerfGE 98, 265, 301. 9 Vgl. z.B. BVerwG, DÖV 2000, S. 552 ff.; NdsOVG, DVBI. 1999, S. 406 ff. 10 Vgl. z.B. Michael KloepferiKlaus T. Bröcker, Das Gebot der widerspruchsfreien Normgebung als Schranke der Ausübung einer Steuergesetzgebungskompetenz nach Art. \05 GG, DÖV 2001, S. 1 ff.; Paul Kirchhof, Die Widerspruchsfreiheit im Steuerrecht als Verfassungspflicht, StuW 2000, S. 316 ff.; Helge Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, JZ 1999, S. 864 ff.; Walter Frenz, Das Prinzip widerspruchsfreier Normgebung und seine Folgen, DÖV 1999, S. 41 ff.; Hans-Günter Henneke, Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als Begrenzung der Gesetzge6

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In den beiden erwähnten bundesverfassungsgerichtlichen Grundsatzurteilen zum Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ll geht es um das Verhältnis zwischen dem Abfallrecht des Bundes einerseits sowie abgabenrechtlichen Regelungen der Länder (bzw. der von ihnen ermächtigten kommunalen Gebietskörperschaften) andererseits. Die abgabenrechtlichen Regelungen weisen dabei die Besonderheit auf, dass mit ihnen Lenkungszwecke auf dem Sachgebiet des Abfallrechts verfolgt werden. a) Inhalt Nach den Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts obliegt allen rechtsetzenden Organen die Pflicht, ihre Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Vorschriften erreichen, die Rechtsordnung also nicht aufgrund unterschiedlicher Anordnungen widersprüchlich wird. 12 Wie das Gericht präzisierend bemerkt, darf der Abgabengesetzgeber aufgrund einer Abgabenkompetenz nur insoweit lenkend in den Kompetenzbereich eines Sachgesetzgebers übergreifen, als die Lenkung weder der Gesamtkonzeption der sachlichen Regelung noch konkreten Einzelregelungen zuwiderläuft. 13 Dass hier auch auf die "Gesamtkonzeption" abgestellt wird, eröffnet dem Gericht weitreichende Entscheidungsspielräume und Interventionsmöglichkeiten. So hat es beispielsweise festgestellt, dass die Lenkungswirkung der Verpackungsteuer mit dem "gesetzlichen Kooperationskonzept" des Bundesabfallrechts unvereinbar ist. 14 Und bei den Landesabfallabgaben hat es einen Widerspruch zur "Gesamtkonzeption von Abfallgesetz und BundesImmissionsschutzgesetz" erkannt, die nach seiner Auffassung maßgeblich durch das Kooperationsprinzip geprägt wird. ls Herleitung und argumentative Verwendung des Kooperationsprinzips sind in der Fachliteratur auf zum Teil heftige Kritik gestoßen. 16 bungskompetenz ftir Lenkungssteuem, ZG 1998, S. 275 ff.; Martin Führ, Widerspruchsfreies Recht im uniformen Bundesstaat?, KJ 1998, S. 503 ff.; Christian Schrader, Gebot der Widerspruchsfreiheit, Kooperationsprinzip und die Folgen, ZUR 1998, S. 152 ff.; Horst Sendler, Grundrecht auf Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung? - Eine Reise nach Absurdistan?, NJW 1998, S. 2875 ff.; Kristian Fischer, Die kommunale Verpackungssteuer und die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung - BVerfG, NJW 1998, S. 2341 und BVerwGE 96, 272, BVerwG, JuS 1998, S. 1096 ff. 11 Vgl. oben Fn. 6,7. 12 BVerfGE 98,83,87 unter Hinweis auf BVerfGE 98, 106 ff. 13 BVerfGE 98,83,98 unter Hinweis auf BVerfGE 98,106,118 ff. 14 BVerfGE 98, 106, 130 ff. 15 BVerfGE 98,83,101 ff. 16 Vgl. neben anderen Moritz Reese, Das Kooperationsprinzip im Abfallrecht, ZUR 2001, S. 14, 18; Joachim Wieland, Das Kooperationsprinzip im Atomrecht, ZUR 2001, S. 20, 21 f.; Andreas Voßkuhle, Das Kooperationsprinzip im Immissions-

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In der Tat kann dem Bundesverfassungsgericht hier nicht gefolgt werden. Dabei mag die Überzeugungskraft der im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung offenbleiben, der zufolge ökologische Lenkungsabgaben nachgerade als Ausprägungen des umweltrechtlichen Kooperationsprinzips zu deuten sind. 17 Denn dem Bundesverfassungsgericht ist insbesondere vorzuwerfen, dass es dem Kooperationsprinzip keine klaren Konturen zu geben vermocht hat. Im Urteil zu den Landesabfallabgaben wird dieses Prinzip vom Gericht maßgeblich auf § 5 Abs. I Nr.3 BImSchG gestützt. 18 Die Vorschrift verpflichtet die Betreiber genehrnigungsbedürftiger Anlagen, produktionsbedingte Abfalle zu vermeiden oder ordnungsgemäß und schadlos zu verwerten, soweit die Vermeidung und Verwertung technisch möglich und zumutbar sind. Damit bemisst das Immissionsschutzrecht des Bundes - wie das Bundesverfassungsgericht argumentiert - die konkreten Umweltpflichten nach dem "individualisierenden Maßstab der Verhältnismäßigkeit, der das Ziel der Abfallvermeidung und Abfallverwertung jeweils nach den Möglichkeiten der einzelnen Anlage, ihres Trägers und Betreibers verwirklicht".19 Weiterhin stellt das Gericht darauf ab, dass die Anlagenbetreiber die freie Entscheidung über die Art und Weise der Erfiillung der abfallrechtlichen Pflichten haben. Dies fuhrt zu der richterlichen Feststellung, der zufolge das bundesrechtliche Immissionsschutzkonzept auch insoweit auf Kooperation angelegt ist, als es für die Handlungsmittel jedem Betreiber Wahlfreiheiten sichert. 20 Gegenüber der dargelegten Argumentation ist jedoch hervorzuheben, dass auch im Polizei- und Ordnungsrecht der "individualisierende Maßstab der Verhältnismäßigkeit" gilt. 21 Denn nach diesem Maßstab richten sich die konkreten Gefahrenabwehrpflichten des Störers. So heißt es beispielsweise in § 3 Abs. 2 schutzrecht, ZUR 2001, s. 23, 27 f.; Dietrich Murswiek, Umweltrecht und Grundgesetz, DV 33 (2000), S. 241, 278 f.; Jürgen Fluck, Das Kooperationsprinzip im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, UPR 2000, S. 281 ff.; Reiner SchmidtlLars Diederichsen, Entscheidungsanmerkung, JZ 1999, S. 37, 39; Joachim Lege, Kooperationsprinzip contra Müllvermeidung, Jura 1999, S. 125, 128 f., 130 f.; Clemens Weidemann, Rechtsstaatliche Anforderungen an Umweltabgaben, DVBI. 1999, S. 73, 75 ff.; Horst Sendler, Entscheidungsanmerkung, NJW 1998, S. 365, 365; Michael Bothe, Zulässigkeit landesrechtlicher Abfallabgaben, NJW 1998, S. 2333 ff.; Tonio Gas, Finanzverfassungsrechtliche und rechtsstaatliche Aspekte einer kommunalen Verpackungssteuer, SächsVBI. 1998, S. 229, 234 f.; Schrader (Fn. 10), S. 154 f.; Führ (Fn. 10), S. 504 ff., 512; Fischer (Fn. 10), S. 1097 f. Relativierend Udo Di Fabio, Das Kooperationsprinzip - ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Umweltrechts, NVwZ 1999, S. 1153, 1157. 17 Vgl. z.B. Reese (Fn. 16), S. 18; Meinhard Schröder, Konsensuale Instrumente des Umweltschutzrechts, NVwZ 1998, S. 1011, 1012; Man/red Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, UTR 10, 1990, S. 45 ff. 18 BVerfDE 98,83, 102 f. 19 BVerfDE 98,83, 102. 20 BVerfDE 98,83,103. 21 Im gleichen Sinne Voßkuhle (Fn. 16), S. 28, sowie Fluck (Fn. 16), S. 283.

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RhPfPOG: "Kommen zur Abwelrr einer Gefalrr melrrere Mittel in Betracht, so genügt es, wenn eines davon bestimmt wird. Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird".22 Der Störer besitzt danach Wahlfreiheit bezüglich der Frage, welches der in Betracht kommenden Mittel er zur Gefalrrenabwelrr einsetzt. Wenn aber - wie sich hier zeigt - bei Zugrundelegung der bundesverfassungsgerichtlichen Kriterien selbst das klassische obrigkeitsrechtliche Sachgebiet des Polizei- und Ordnungsrechts vom Kooperationsprinzip durchdrungen ist, dann erweist sich dieses Prinzip juristisch als unbrauchbar, weil ihm kein spezifischer Aussagegehalt melrr innewohnt. Zudem wirft ein derart weit verstandenes Kooperationsprinzip die Frage auf, ob überhaupt noch ein Sachgebiet für den Einsatz von Lenkungsabgaben verbleibt. Bei der inhaltlichen Präzisierung des Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung geht das Bundesverfassungsgericht ferner vom Vorrang der Saclrregelung gegenüber den Lenkungswirkungen einer Abgabe aus. Dieser Vorrang gilt - wie das Gericht ausdrücklich betont23 - sowohl dann, wenn die Saclrregelung vom Bund und die Abgabenregelung vom Land getroffen wird, als auch für den umgekehrten Fall, dass das Land sachgesetzliche und der Bund abgabengesetzliche Regelungen erlässt. Bei der zuletzt genannten Konstellation ergibt sich zudem eine interessante zusätzliche Rechtsfrage: Wie verhält es sich, wenn die Lenkungswirkung einer bundesrechtlich normierten Abgabe den Saclrregelungen nur eines Landes oder einiger, nicht aber aller Länder zuwiderläuft? Greift die Kompetenzsperre für den Bund hier mit der Wirkung ein, dass er von der Einfiilrrung der Abgabe vollständig absehen muss, oder darf er sie zumindest in dem/den Land/Ländern einfülrren, wo kein Widerspruch zur Gesamtkonzeption einer Saclrregelung oder zu konkreten sachlichen Einzelregelungen besteht?24

b) Rechtsgrundlagen Das Bundesv~rfassungsgericht leitet die Pflicht aller rechtsetzenden Organe zur widerspruchsfreien Normgebung sowohl aus der bundesstaatlichen Kompetenzordnung (Bundesstaatsprinzip) als auch aus dem Rechtsstaatsprinzip ab. 25 Dabei soll das Rechtsstaatsprinzip im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung der Gesetzgebungskompetenz zugleich Sclrranken der Kompetenzausübung be22 Wörtlich oder sinngemäß ebenso z.B. § 5 Abs. 2 BayPAG, § 5 Abs. 2 HSOG, § 5 Abs. 2 NdsGefAG, § 3 Abs. 2 SaarIPOG, § 6 Abs. 2 SaAnSOG, § 5 Abs. 2 ThürPAG. 23 BVerfGE 98, 106, 119 f. 24 Vgl. zu dieser Frage auch Michael Rodi, Bundesstaatliche Kompetenzausübungsschranken rur Lenkungssteuern, StuW 1999, S. 105, 113. 25 BVerfGE 98,83,97; 98,106,118 f.

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gründen. 2~ Dies widerspricht freilich der bisherigen bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur, wonach "aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken fiir Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar" sind. 27 Bemerkenswerterweise hat sich das Bundesverfassungsgericht bei der nunmehr erfolgten Konstruktion rechtsstaatlicher Kompetenzausübungsschranken mit seiner eigenen gegenläufigen Judikatur nicht näher auseinandergesetzt. c) Reichweite

Im Verpackungsteuerurteil hat das Bundesverfassungsgericht das Prinzip der Widerspruchs freiheit der Rechtsordnung auf das Verhältnis von Regelungen angewandt, die vom Bund auf der Grundlage der Sachgesetzgebungskompetenz (Art. 70 ff. GG) und von den Ländern bzw. den von ihnen ermächtigten kommunalen Gebietskörperschaften auf der Grundlage der Steuergesetzgebungskompetenz (Art. 105 GG) erlassen worden sind. Aus dem Urteil zu den Landesabfallabgaben ergibt sich, dass dieses Prinzip auch dann eingreift, wenn Bund und Länder jeweils die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz in Anspruch nehmen. Hierzu legt das Gericht dar: "Konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen werden vom Grundgesetz bereits in der Weise aufeinander abgestimmt, dass der Landesgesetzgeber grundsätzlich nur insoweit zur Gesetzgebung befugt ist, als nicht der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch macht. Stehen landesgesetzliche Regelungen mit einer bundesgesetzlichen Regelung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit in Widerspruch, überschreiten sie den dem Landesgesetzgeber belassenen Zuständigkeitsbereich. ,,28 Schon das Wort "grundsätzlich" im vorstehend zuerst zitierten Satz erweist sich angesichts des Wortlauts von Art. 72 Abs. 1 GG als deplaziert. Im Übrigen bestand bis zur bundesverfassungsgerichtlichen Entdeckung des Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als Abgrenzungskriterium fiir die Betätigung von Bund und Ländern auf dem Gebiet der konkurrierenden Sachgesetzgebung Einigkeit darüber, dass hier allein ausschlaggebend ist, inwieweit der Bund eine Materie abschließend bzw. erschöpfend geregelt hat. Lag keine abschließende bzw. erschöpfende Regelung vor, so wurde als entscheidend angesehen, welcher Gestaltungsspielraum den Ländern verblieben war. Je nach 26 BVerfGE 98, 106, 119. Kritisch dazu Murswiek (Fn. 16), S. 275 f.; Rodi (Fn. 24), S. 105, 108 ff; Sendler (Fn. 10), S. 2875 f; Lege (Fn. 16), S. 128; Gas (Fn. 16), S. 232 ff.; Führ (Fn. 10), S. 510 f, 514; Fischer (Fn. 10), S. 1099; Christian Bumke, Gesetzgebungskompetenz unter bundesstaatlichem Kohärenzzwang?, ZG 1999, S. 376, 377, 382 f Restriktive Deutung bei KloepferlBröcker (Fn. 10), S. 8 ff. 27 BVerfGE81, 310, 338. 28 BVerfGE 98,83,97 f

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dem Umfang dieses Gestaltungsspielraums konnten die Länder für ihr Gebiet die Bundesregelung erweitern, ergänzen, verstärken oder auch durch gegenläufige Regelungen abschwächen, entschärfen etc. War der Gestaltungsspielraum entsprechend groß, besaßen sie auch die Befugnis, andere konzeptionelle Regelungsvorstellungen als der Bund zu verwirklichen. Die bisher praktizierte Abgrenzung mit Hilfe der traditionellen Formel der abschließenden bzw. erschöpfenden Regelung genügt allerdings künftig nicht mehr den Anforderungen. Fortan ist vor allem auch zu fragen, ob die landesgesetzliche Regelung mit der "Gesamtkonzeption" eines bundesrechtlichen Normenkomplexes übereinstimmt. Der Nutzen dieser Fragestellung vermag jedoch nicht einzuleuchten, weil es entscheidend darauf ankommt, ob (und gegebenenfalls inwieweit) der Bund Abweichungen von seiner "Gesamtkonzeption" zugelassen hat. Überdies sollte nicht übersehen werden, dass die Ermittlung der einem rechtlichen Normenkomplex zugrunde liegenden "Gesamtkonzeption" der juristischen Phantasie, Kreativität und Innovationsfreude beachtliche Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet, womit nicht zuletzt auch für das Bundesverfassungsgericht entsprechende Entscheidungs- und Interventionsspielräume entstehen. Da es im bundesverfassungsgerichtlichen Urteil zu den Landesabfallabgaben um den Fall geht, dass auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz vom Bund eine Sachregelung und vom Land eine Abgabenregelung getroffen wird, ist die Frage zu klären, ob das Prinzip der Widerspruchsfreiheit nur für diese Konstellation oder darüber hinaus gelten soll. Insoweit fällt jedoch auf, dass die einschlägigen Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts allgemein gefasst sind und keinen Anhaltspunkt für eine Beschränkung auf eine bestimmte Fallgestaltung aufweisen. 29 Dies bedeutet für den hier behandelten Zusammenhang, dass auch solche landesrechtlichen Vorschriften, die sich nicht auf die Erhebung von Umweltabgaben, sondern auf den Einsatz anderer ökologischer Anreizinstrumente beziehen, verfassungswidrig sind, sofern sie der - wie auch immer ermittelten - "Gesamtkonzeption" einer bundesrechtlichen Sachregelung zuwiderlaufen.

d) Zur Frage der Beschränkung auf das Bund-Länder- Verhältnis Fraglich ist, ob das Gebot der Widerspruchs freiheit der Rechtsordnung in dem vom Bundesverfassungsgericht verstandenen Sinne lediglich im wechselseitigen Verhältnis bundes- und landesrechtlicher Normen oder auch innerhalb des Bundes- bzw. Landesrechts gilt. Da dieses Prinzip vom Bundesverfassungsgericht nicht nur aus dem Bundesstaatsprinzip, sondern namentlich auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird, könnte angenommen werden,

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BVerfDE 98, 83, 97; 98, 106, 118 f.

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dass es über das Bund-Länder-Verhältnis hinaus eingreift. 30 Die Annahme hätte beispielsweise zur Folge, dass die bundesverfassungsgerichtlich verworfenen Regelungen zu den Abfallabgaben auch dann verfassungswidrig gewesen wären, wenn sie nicht vom Landesgesetzgeber, sondern vom Bundesgesetzgeber erlassen worden wären. Es läge dann ein Widerspruch vor zwischen dem Kooperationskonzept der abfall- und imrnissionsschutzrechtlichen Sachregelung des Bundes einerseits sowie der einer Kooperation unzugänglichen bundesrechtlichen Abgabenregelung andererseits. Im Hinblick auf neuere Überlegungen zur Einführung einer Bundesabfallabgabe könnten diese Zusammenhänge eine entscheidende Bedeutung erlangen. Hervorzuheben ist hier jedoch, dass der Bundesgesetzgeber die Befugnis besitzt, die eigene Sachregelungskonzeption abgabenrechtlich zu modiftzieren, d. h. zu verstärken oder abzuschwächen. So kann er beispielsweise mit einer - nach bundesverfassungsgerichtlicher Beurteilung - kooperationsfeindlichen Abgabe 3 \ die Grenzen einer in der Sachregelung zum Ausdruck kommenden Kooperationskonzeption markieren. Abgaben- und Sachregelung bilden dann gemeinsam die Gesamtkonzeption. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Bundesgesetzgebers bestünde, Regelungskonzeptionen jeweils in reiner Form durchzusetzen. Ein derartiges Reinheitsgebot lässt sich jedoch nicht ausmachen. Dies gilt auch fiir den Landesgesetzgeber. Das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist nach alledem lediglich im Bund-Länder-Verhältnis anwendbar. 32 An diesem Ergebnis vermag auch die Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts nichts zu ändern, wonach die Verpflichtung zur Beachtung der bundes staatlichen Kompetenzgrenzen und zur Ausübung der Kompetenz in wechselseitiger bundesstaatlicher Rücksichtnahme durch das Rechtsstaatsprinzip in ihrem Inhalt verdeutlicht und in ihrem Anwendungsbereich erweitert wird. 33 Denn bei der vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen Erweiterung des Anwendungsbereichs geht es nicht um die Erstreckung rechtlicher Anforderungen über das Bund-Länder-Verhältnis hinaus. Vielmehr bedeutet sie, dass innerhalb dieses Verhältnisses die Ver30 So Z.B. Paul Kirchhof, Der Auftrag des Grundgesetzes zur Erneuerung des Steuerrechts, StBeratg. 1998, S. 385, 388; ders. (Fn. 10), S. 322 ff.; Walter Frenz, Energiesteuern als widerspruchsfreie Normgebung?, BB 1999, S. 1849, 1850; ders. (Fn. 10), S. 44; A. Thorsten Jobs, Zur Gesetzgebungskompetenz für Umweltsteuem, DÖV 1998, S. 1039, 1044 f.; Murswiek (Fn. 16), S. 275; Weidemann (Fn. 16), S. 74; Führ (Fn. 10), S.515. 3\ Zur Auffassung im Schrifttum, wonach Lenkungsabgaben eine Ausprägung des Kooperationsprinzips darstellen, vgl. die Nachweise oben in Fn. 17. 32 Ebenso KloepferlBräcker (Fn. 10), S. 6 ff.; Schrader (Fn. 10), S. 155; Fischer (Fn. 10), S. 1099. 33 BVerfDE 98,106,118.

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pflichtungen von Bund und Ländern durch das Rechtsstaatsprinzip ausgedehnt werden. Denn die bisherigen, aus dem Bundesstaatsprinzip (Bundestreue) hergeleiteten Verpflichtungen schlossen im Wesentlichen nur ein missbräuchliches wechselseitiges Gesetzgebungsverhalten aus. Die insoweit vom Rechtsstaatsprinzip gestellten rechtlichen Anforderungen sind dagegen nach bundesverfassungsgerichtlicher Auffassung deutlich strenger.

e) Zwischenbilanz Wenngleich das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (abgesehen von den seit jeher anerkannten und hier nicht interessierenden Fällen echter Normwidersprüche) vielfältigen Einwänden ausgesetzt ist, so kann doch festgestellt werden, dass dieses Gebot für das Bund-Länder-Verhältnis durchaus einen weiterführenden Ansatz enthält. Denn wie das Bundesverfassungsgericht überzeugend entschieden hat, bedarf es beim Erlass von lenkungssteuerrechtlichen Regelungen neben der Steuergesetzgebungskompetenz nicht zusätzlich noch einer entsprechenden Sachgesetzgebungskompetenz. 34 Bei dieser Ausgangslage ist es allerdings unerlässlich, Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass ein Land Steuern einführt, deren Lenkungswirkungen die von den Sachregelungen des Bundes geschaffene Ordnung verfälschen. Zu fordern ist hiernach Widerspruchsfreiheit in dem Sinne, dass ein Land nicht mit Hilfe von Lenkungssteuern die bundesrechtlichen Sachregelungen konterkarieren darf. Dieser Forderung kann indes mit Hilfe des Grundsatzes der Bundestreue (der gegebenenfalls im Sinne der Verdeutlichung von Kompetenzausübungsschranken bereichsspezifisch fortzubilden wäre) ohne weiteres Rechnung getragen werden. Einer besonderen Mobilisierung des Rechtsstaatsprinzips bedarf es hierzu nicht. Ungeachtet derartiger konstruktiver Überlegungen lautet die entscheidende Frage, unter welchen Voraussetzungen ein verfassungsrechtlich relevanter Widerspruch zwischen einer landesrechtlichen Lenkungssteuer und einer bundesrechtlichen Sachregelung vorliegt. Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Rechtsordnung im föderativ und dezentral organisierten Staatswesen einer pluralistischen Gesellschaft nicht nur nach Maßgabe glatter Systematik wächst, sondern vor allem auch unter Gesichtspunkten der bestehenden Machtkonstellation und Interessenlage, des aktuellen Handlungsbedarfs, der Kompromissbildung sowie der politischen Opportunität und Symbolik. Die Rechtsordnung wird nicht am wissenschaftlichen Reißbrett entworfen. Wertungswidersprüche, konstruktive Unebenheiten und sonstige systematische Unzulänglichkeiten gehören gleichsam zu ihrem natürlichen Wachstumsprozess. Derartige Schwächen der Rechtsordnung kann das Bundesverfassungsgericht nur um den Preis 34 BVerfDE 98, 106,118. Ablehnend Winfried Kluth, Entscheidungsanmerkung, DStR 1998, S. 892,892 f.; kritisch auch Murswiek (Fn. 16), S. 274.

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tiefer Eingriffe in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verhindern. 35 Deshalb sind die Voraussetzungen, unter denen die lenkungssteuerrechtliche Regelung eines Landes wegen Widerspruchs zur Sachregelung des Bundes verfassungswidrig und damit nichtig ist, eher eng als weit zu fassen. Im Wesentlichen geht es hier um die Abwehr einer missbräuchlichen oder sonstwie die Belange des Bundes grob missachtenden Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenz. Dies gilt im Übrigen entsprechend auch fiir den Fall, dass der Bund diese Kompetenz in Anspruch nimmt. So wäre es beispielsweise unzulässig, wenn der Bund es unternähme, eine von ihm missbilligte rechtmäßige gliedstaatliche Sachregelung mit Hilfe einer Lenkungssteuer zu bekämpfen. 36 Das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist nach alledem auf das Bund-Länder-Verhältnis und hier überdies auf die Konstellation beschränkt, dass auf der einen Ebene eine Sachregelung und auf der anderen eine Steuerregelung getroffen wird. Ferner sind auch die materiellrechtlichen Anforderungen dieses Gebots niedriger einzustufen als vom Bundesverfassungsgericht angenommen.

2. Das Gebot der Systemgerechtigkeit oder Normierungskonsequenz (Folgerichtigkeit) Allerdings verfügt der Gesetzgeber außerhalb des Anwendungsbereichs des (im vorstehend dargelegten engeren Sinne verstandenen) Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung keineswegs über eine unbeschränkte konzeptionelle Gestaltungsfreiheit. Vielmehr hat er den Anforderungen Rechnung zu tragen, die aus dem Gebot der Systemgerechtigkeit oder Normierungskonsequenz (Folgerichtigkeit) erwachsen. 37 Daraus folgt, dass der Gesetzgeber von einem System bzw. Konzept, das er einer Problemlösung (wie z.B. einer kommunalen Gebietsform) zugrunde legt, nicht ohne himeichenden Grund in Ein35 V gl. hierzu auch KloepferlBröcker (Fn. 10), S. 2, 11 f, die darauf hinweisen, dass "nicht zuletzt das Demokratieprinzip ... gegen eine allgemeine oder gar schroffe Anwendung des Gebots der widerspruchsfreien Normgebung spricht". 36 Vgl. auch BVerfGE 98,106,119 f. 37 Zu dieser - in den Detailstrukturen bisher nur unzureichend geklärten - Rechtsfigur vgl. z.B. Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976; Franz-Joseph Peine, Systemgerechtigkeit, 1985; Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Josef IsenseelPaul Kirchhof(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 1992, § 124 Rn. 231 ff.; Karlheinz Konrad, Umwe1tlenkungsabgaben und abfall rechtliches Kooperationsprinzip, DÖV 1999, S. 12, 16 f; Jörg Lücke, Die Allgemeine Gesetzgebungsordnung, ZG 2001, S. 1,21 ff.; BVerfGE 60,16,43; 61,138,148 f.; 68, 237, 253; 76,130, 139 f; 81, 156, 207; 93, 121, 136 m. w. N. Kirchhof(Fn. 10), S. 322 ff., stellt die Gebote der Folgerichtigkeit und der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung in einen derart engen Zusammenhang, dass sie als austauschbare Größen erscheinen.

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zelfällen abweichen darf. Es handelt sich hierbei letztlich um einen Anwendungsfall des in Art. 3 GG normierten Gleichheitssatzes. Es ist aber zwischen der Abweichung von einem System im Einzelfall und der ModifIkation eines Systems durch Aufnahme zusätzlicher, aus anderen systematischen Zusammenhängen stammender Strukturelemente zu unterscheiden. Dass sich ein System aus mehreren unterschiedlichen Strukturelementen zusammensetzen kann, dürfte unstreitig sein, wie ein Blick auf das System ftir die Wahlen zum Deutschen Bundestag zeigt, das Elemente des Verhältnis- und des Mehrheitswahlsystems miteinander verbindet. Wenn daher ein durch Sachregelung geschaffenes System der Kooperation mit einem (nach bundesverfassungsgerichtlicher Beurteilung38) kooperationsfeindlichen Abgabensystem kombiniert wird, dann liegt kein widersprüchliches, sondern ein abgabenrechtlich modifIziertes oder begrenztes Kooperationssystem vor. Die Kooperation erfolgt lediglich bis zur Grenze der Abgabepflicht.

IV. Schlussfolgerungen 1. Allgemeine Abstimmungsnormen Fraglich ist, welche Schlussfolgerungen aus den vorstehenden Darlegungen für die inhaltliche Ausgestaltung eines Umweltgesetzbuchs zu ziehen sind. Nicht empfehlenswert dürfte es sein, in ein derartiges Gesetzbuch eine allgemeine Abstimmungsnorm zur Sicherung der Zweckmäßigkeit des Instrumenteneinsatzes aufzunehmen. Denn eine entsprechende Norm könnte lediglich Selbstverständlichkeiten zum Ausdruck bringen, wie z.B., dass Ordnungsrecht und Anreizinstrumente aufeinander abzustimmen sind oder dass auf eine zweckmäßige Verbindung zwischen ihnen zu achten ist. Normierungen dieser Art stellen lediglich Beiträge zur Gesetzesflut dar, mit denen eine Rechtsordnung nicht belastet werden sollte. Abzulehnen ist auch der im Schrifttum bisweilen unterbreitete Vorschlag, für das Gebiet vorsorgender Umweltpolitik einen Vorrang marktorientierter Instrumente gegenüber dem Ordnungsrecht zu statuieren. 39 Insoweit gilt es zu beachten, dass das Sachgebiet der Vorsorge vielfach sehr komplexe Problemlagen mit jeweils spezifIschen Anforderungen aufweist. Die Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen sollte jedoch nicht durch eine allgemeine Vorrangregelung behindert werden. Soll der Vorrang zudem nur für den Fall gelten, dass die marktorientierten Instrumente in gleichem Maße umweltschützend sind wie das 38 Zur teilweise gegenteiligen Beurteilung im Schrifttum vgl. die Nachweise oben in Fn.17. 39 Radi (Fn. 4), S. 244 m. w. N.

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Ordnungsrecht (Gleichwertigkeitsklausel), so ist er von vornherein weitgehend wertlos, weil sich das Ordnungsrecht an Zielgenauigkeit und Wirksamkeit letztlich nicht übertreffen lässt. Soweit es um eine allgemeine Abstimrnungsnorm zur Sicherung der Rechtmäßigkeit des Instrumenteneinsatzes geht, sind weiterfiihrende, substantiell bedeutsame Normierungsmöglichkeiten ebenfalls nicht ersichtlich. Eine Vorschrift, welche die Einhaltung des Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung fordert, ist schon insofern unangebracht, als dieses Gebot erhebliche Rechtsunsicherheiten birgt und deshalb abzuwarten bleibt, ob es vom Bundesverfassungsgericht überhaupt wieder in entscheidungserheblicher Weise aufgegriffen und wie es gegebenenfalls konkretisiert wird. Auffälligerweise ist es in der unlängst ergangenen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zur Lizenzpflicht fiir die Sonderabfallentsorgung nach § 10 NRW AGfG a. F. nicht einmal erwähnt worden, obwohl auch hier über einen Bund-Länder-Konflikt im Bereich der abfallrechtlichen Gesetzgebungskompetenz zu befmden war. 40 Versteht man das Gebot der Widerspruchsfreiheit unter Vermeidung der Rechtsunsicherheiten von vornherein im oben41 dargelegten eingeschränkten Sinne, so geht es in der (u. U. maßvoll fortentwickelten) bundesstaatlichen Treuepflicht auf. Eine besondere Normierung lohnt sich dann nicht. Auch eine Vorschrift des Inhalts, beim Einsatz umweltrechtlicher Instrumente das Gebot der Systemgerechtigkeit oder Folgerichtigkeit zu beachten, erübrigt sich. Denn eine derartige Vorschrift läuft lediglich darauf hinaus, die Einhaltung des Art. 3 GG zu fordern. Es ist aber wenig weiterfiihrend und entspricht auch bisher nicht legislativer Praxis, in einem Gesetz allgemein (d. h. außerhalb einer besonderen Gefährdungslage ) zu verlangen, verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen. Bezeichnenderweise ist im Schrifttum bereits empfohlen worden, "offen anzuerkennen, dass sich kaum (verbindliche) rechtliche Vorgaben rur die Herstellung eines optimalen Instrumentenmixes finden lassen".42 Wenngleich sich diese Empfehlung nicht nur auf das Verhältnis zwischen Ordnungsrecht und Anreizinstrumenten bezieht, so kann sie doch auch hierfiir Geltung beanspruchen. 2. Bereichsspezifische Abstimmungsnormen Sinnvollerweise in Betracht zu ziehen sind nach alledem lediglich bereichsspezifische Abstimrnungsnormen. Als Beispiel sei der Bereich der Selbstver-

40 41

42

BVerfG, UPR 2000, 304 ff. Gliederungsabschnitt 111 I e, (S. 348). Rodi (Fn. 4), S. 241.

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pflichtungen und sonstigen Umweltvereinbarungen erwähnt. Hierzu treffen bereits die beiden vorliegenden Entwürfe zu einem Umweltgesetzbuch, der so genannte Professorenentwurf (ProfEt 3 und der Kommissionsentwurf (KornE)44, jeweils eine besondere Regelung im Rahmen des Kooperationsprinzips. So heißt es beispielsweise in § 7 Abs. 2 KornE: "Bei Maßnahmen auf Grund der umweltrechtlichen Vorschriften sollen die Behörden prüfen, ob die Zwecke dieses Gesetzbuchs in gleicher Weise durch Vereinbarungen mit den Betroffenen erreicht werden können".45 Der Grundgedanke dieser Regelung findet sich im Übrigen auch in § 3a BNatSchG. Danach sind die Länder verpflichtet, sicherzustellen, dass bei Maßnahmen zur Durchführung der im Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes erlassenen Rechtsvorschriften geprüft werden soll, ob der Zweck auch durch vertragliche Vereinbarungen erreicht werden kann. Naheliegend sind ähnliche Regelungen im Bereich des Umweltaudits. So könnte etwa in einem Umweltgesetzbuch sinngemäß normiert werden, dass Unternehmen, die sich erfolgreich am Umweltaudit beteiligt haben, ordnungsrechtliche Erleichterungen (Privilegierungen) gewährt werden können. Möglicherweise kann auch bei konkreten, im Umweltgesetzbuch geregelten ordnungsrechtlichen Anforderungen (etwa Nachweis-, Messungs-, Vorlagepflichten etc.) zugleich bestimmt werden, dass für die betreffenden Unternehmen eine Ausnahme gilt. Die hier angesprochene Thematik ordnungsrechtlicher Erleichterungen bei erfolgreicher Teilnahme am Umweltaudit ist keineswegs neu, sondern Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion. Teilweise sind derartige Erleichterungen bereits rechtlich verwirklicht worden46 , wenn auch nicht in dem namentlich von Wirtschaftskreisen gewünschten Umfang. Dass die Kumulation von Ordnungsrecht und Anreizinstrumenten nicht zu übermäßig hohen Belastungswirkungen beim Einzelnen führen darf, ergibt sich bereits aus dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 47 Gleichwohl mag tUr Bereiche, in denen eine erhöhte Gefahr der Verletzung dieses Grund43 Michael Kloepfer et al. , Umweltgesetzbuch - A\1gemeiner Teil -, Berichte des Umweltbundesamtes 7/90, 1990. 44 Bundesministerium for Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE). Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium ftir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998. 45 Vgl. ergänzend auch die entsprechenden Bestimmungen des § 6 Abs. I Sätze 3, 4 ProfE. Kritisch zu diesen Bestimmungen Eberhard Bohne, Das Umweltrecht - ein "irregulare aliquod corpus et monstro simile", in: Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Aufdem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 181, 228 fT. 46 Vgl. z.B. § 4 Abs. I Satz 29. BlmSchV, § 8 Abs. 6 AbfKoBiV, § 13 Abs.4 EntsorgFachbetrVO, § 20a Abs. 3 BaWÜLAbfG. 47 Zu den Schwächen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Belastungskumulationen vgl. Michael Kloepfer, Umweltschutz zwischen Ordnungsrecht und Anreizpolitik: Konzeption, Ausgestaltung, Vo\1zug, ZAU 1996, S. 56,200,207 f.

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satzes besteht, eine Regelung mit einer entsprechenden Warnfunktion normiert werden. Dies gilt namentlich für den Bereich der Umweltabgaben. Denn sofern bei wirtschaftlich fühlbaren ökologischen Maßnahmen auf dem Gebiet des Ordnungsrechts die Erhebung von Umweltabgaben "draufgesattelt" wird, kommt es zu einer Lastenkumulation, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten problematisch sein kann, möglicherweise vom Abgabengesetzgeber auch gar nicht bedacht worden ist. Insofern könnte eine Norm hilfreich sein, die vorschreibt, dass beim Einsatz mehrerer Umweltschutzinstrumente mit belastender Wirkung die bei den Betroffenen eintretende Gesamtbelastung zu berücksichtigen ist. Dass dem Schutz des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine besondere Norm gewidmet wird, stellt im Übrigen eine aus dem Polizei- und Ordnungsrecht bekannte Erscheinung dar. 48 Auch hier handelt es sich um einen Sachbereich, der erhöhte Gefahren für die Integrität des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes birgt. Erhöhte Aufmerksamkeit verdienen die Fälle, in denen besonders komplexe Lösungen bei der Kombination von Ordnungsrecht und Anreizinstrumenten gewählt werden, wofür die Abwasserabgabe ein Beispiel bildet. Sofern die ökologischen und sonstigen Auswirkungen dieser Lösungen nicht präzise vorhersehbar sind, dürfte ein gesetzliches Evaluationsgebot empfehlenswert sein. 49 Die Evaluation hätte sich auf die Prüfung zu richten, inwieweit die intendierten Erfolge (ohne nachteilige Nebenwirkungen) eingetreten sind und ob es gegebenenfalls gesetzgeberischer Nachbesserungen bedarf. Allerdings erweisen sich derartige Prüfungen, die kaum ohne wissenschaftliche Unterstützung auskommen, vielfach als sehr aufwendig, so dass eine breite Anwendung aus Kostengründen ausscheidet. Schon deshalb kommen lediglich bereichs spezifische gesetzliche Evaluationsgebote in Betracht. Eine allgemeine Norm etwa des Inhalts, dass in geeigneten Fällen Evaluationen vorzusehen sind, wäre ohne greifbaren Nutzen. Als letztes Beispiel sei eine bereits erfolgte bereichsspezifische Abstimmung von Ordnungsrecht und Anreizinstrument angeführt: das Umwelthaftungsrecht. Die Abstimmung ist hier in der Weise erfolgt, dass die Einhaltung des Ordnungsrechts zu Haftungserleichterungen führt (§§ 5, 6 Abs.2-4 UmweltHG). Daraus resultiert eine Wirkungs verstärkung des Ordnungsrechts, weil eine erhöhte Motivation erzeugt wird, die diesbezüglichen Anforderungen zu erfüllen. Im Rahmen einer abschließenden Gesamtbetrachtung bleibt festzuhalten, dass beim umweltrechtlichen Instrumentarium noch ein hoher Bedarf an Abstimmung, Harmonisierung und Koordination besteht. Dies hängt nicht nur mit der inzwischen vorhandenen beträchtlichen Instrumentenvielfalt zusammen, 48 49

Vgl. z.B. Art. 4 BayPAG, § 2 RhPfPOG. Vgl. dazu auch Rodi (Fn. 4), S. 238, 245 ff.

23 Bohne

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sondern auch mit dem Umstand, dass der Instrurnenteneinsatz auf mehreren politischen Ebenen erfolgt. Eingesetzt werden die verschiedenen umweltrechtlichen Instrumente auf kommunaler, gliedstaatlicher, nationaler und supranationaler Ebene. Dies erschwert die Ausgestaltung der Rechtsordnung im Sinne der Entwicklung systematischer Normstrukturen sowie der Sicherstellung abgestimmter Normanwendung erheblich. Wer wegen der Schwierigkeit der Aufgabe bereits von Resignationsgefiihlen geplagt wird, mag allerdings Trost finden in der Erfahrung, dass beim Umweltschutz während der vergangenen Jahre bemerkenswerte Fortschritte erzielt werden konnten, obwohl das Umweltrecht nach allgemeiner Auffassung ein hohes Systematisierungsdefizit aufweist. Offenbar lässt sich auch mit einem systematisch unzulänglichen, teilweise als ,,Dschungel" gescholtenenso Umweltrecht einiges erreichen. Es wäre nicht das schlechteste Ergebnis, wenn wir Juristen am Ende feststellen müssten: Unserer Umwelt geht es immer besser und keiner weiß warum.

so Rod; (Fn. 4), S. 232, 240.

Diskussion zu dem Referat von Reinhard Hendler Bericht: Marion Weschka Ewringmann eröffuete die Diskussion mit der Frage, ob das Aufsatteln von Abgaben auf bestehendes Ordnungsrecht wirklich ein Problem darstelle, ob also z.B. eine Pigou-Steuer, die externe Effekte zu bewerten und anzulasten versuche, danach grundlegend verfassungswidrig sei. Weiterhin fragte er, ob es einen Widerspruch darstelle, wenn man vom kooperativen Prinzip ausgehe und dann zusätzlich eine Abgabe erhebe, oder ob man nicht vielmehr im Sinne des Verursacherprinzips von einer notwendigen Ergänzung sprechen könne. Hendler erläuterte, dass sich beim Aufsatteln von Abgaben das Problem der Lastenkumulation stelle. Es bestehe die Möglichkeit, außerordentlich scharfe Grenzwerte, die erhebliche Investitionskosten verursachten, einzuführen, zu denen die Abgabe dann noch hinzukäme. Es stelle sich also die Frage, ob diese Belastung im Hinblick auf das angestrebte Ziel noch verhältnismäßig sei, was jedoch vom Einzelfall abhänge. Die Überwälzung der externen Kosten durch die Pigou-Steuer werde man im Gegensatz dazu nicht als verfassungswidrig ansehen können, wenn alles, was extern verursacht worden sei, mit rechtsstaatlicher Sicherheit ermittelt und einem Betreiber konkret zugerechnet werden könne. Gleichzeitig müsse man jedoch die sonstigen Belastungen berücksichtigen. Man dürfe also bei der Einhaltung der ökologischen Anforderungen nicht nur auf die Verlagerung externer Kosten abstellen, sondern müsse auch andere Bereiche, aus denen weitere Belastungen resultieren könnten, registrieren. Grundsätzlich handele es sich jedoch um das reine Verursacherprinzip, und es sei auch unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsprinzips geradezu wünschenswert, diese Kosten dem Verursacher anzulasten.

Im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Abgabe und Kooperation habe er auf der Grundlage der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung argumentiert, so Hendler. Das Ergebnis sei, dass auch eine Bundesabfallabgabe sehr problematisch wäre. Laut Paul Kirchhofhandele es sich bei dem Gebot der Widerspruchsfreiheit um ein universal gültiges Prinzip, das nicht nur auf das Bund-Länder-Verhältnis begrenzt sei, sondern auch innerhalb des bundes- oder landesrechtlichen Rechtssystems gelte. Folge man dieser Prämisse und gehe auch noch von der Annahme des Bundesverfassungsgerichts aus, dass zwischen Kooperation und Abgabe ein Widerspruch bestehe, so käme 23*

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man zur Unzulässigkeit einer Bundesabfallabgabe. Andererseits werde abweichend von der Position des Bundesverfassungsgerichts in der Literatur die Abgabe gerade auch als ein Kooperationsinstrument aufgefasst. Hierfiir spreche einiges, so dass man bei einer solchen Betrachtungsweise mit der Vereinbarkeit von Kooperation und Abgabe keine Probleme habe. Bohne griff das Bild der beiden sich überlappenden Verantwortungskreise von Staat und Bürger l auf und folgerte daraus, dass es in dem Bereich, in dem der Bürger handele und Entscheidungsbefugnisse habe, nicht nur die Kooperation mit dem Staat gebe. Der Bürger habe nicht allein die Wahl, mit dem Staat zu kooperieren oder zu gehorchen, sondern auch die Möglichkeit, individuell zu entscheiden, ob er einem Anreiz folgen wolle, ob er also Z.B. das Öko-Audit annehme. Ausgehend von diesem Bild könne er den vom Bundesverfassungsgericht konstruierten Gegensatz, dass der Staat nicht einerseits mit Kooperation regeln und andererseits mit Lenkungsabgaben eingreifen dürfe, nicht erkennen. Unter einem zweiten Gesichtspunkt stelle sich jedoch die Frage, ob man nicht, wenn man Anreizinstrumente einführe, die wirksam steuern sollen, zwingend auch staatliche Entscheidungsbefugnisse zurücknehmen müsse. Beides gleichzeitig sei nicht möglich. Hendler führte aus, dass das Kooperationsprinzip im Zusammenhang mit den beiden bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Verpackungssteuer und zu den Landesabfallabgaben auf erhebliche Kritik gestoßen sei. Wenn man beim Kooperationsprinzip von Freiwilligkeit spreche, so sei diese Freiwilligkeit selbstverständlich in Anftihrungszeichen zu setzen, da man nur die Wahl habe, sich dem Lenkungsziel mit den erhöhten Investitionen zu unterwerfen oder die Abgabe zu zahlen. Dies sei zwar eine Alternative, jedoch lediglich eine durch den Staat beschränkte im Hinblick darauf, dass man entweder investieren oder bezahlen müsse. Er könne die Kritik durchaus verstehen, die echte Freiwilligkeit zum Prinzip erhebe, und bemängele, dass der Staat nicht auf der einen Seite davon ausgehen könne, ein bestimmtes Ziel im Wege der Freiwilligkeit zu erreichen, um dann auf der anderen Seite diese Freiwilligkeit wieder einzuschränken. Freiwilligkeit finde dann nur in den Grenzen statt, die auf der anderen Seite normiert worden seien. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass das Kooperationsprinzip nicht vom Prinzip echter Freiwilligkeit ausgehe, zumal man im Verhältnis Bund-Land aus dem Kooperationsprinzip Restriktionen der Gesetzgebung herleiten könne. Das Bild der überlappenden Kreise sei hier sehr anschaulich. Man könne mit diesem Bild die bei den Wirkungskreise des Privaten und des Staates, des hoheitlichen und des gesellschaftlichen Bereiches beschreiben und es werde deutlich, dass es einen Überschneidungsbereich gebe. Das Novum in der bundesverfassungsgerichtlichen Recht-

I

Siehe Bohne, S. 375.

Diskussion zu dem Referat von Reinhard Hendler

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sprechung bestehe darin, diese komplizierten Wechselverhältnisse zwischen bürgerlicher Freiheit und hoheitlicher Lenkung in rigider Fonn zu einem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt für die Frage gemacht zu haben, ob der Gesetzgeber etwas tun dürfe oder nicht. Wenn man diesen Ansatz weiter verfolge, komme man zu einer verhältnismäßig starken Beschränkung der gesetzgeberischen Tätigkeit und werde den in dem Bild der Überlappung der Kreise zum Ausdruck kommenden tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Bohne verdeutlichte seine These, dass man bei der Einfiihrung eines Anreizinstruments stets danach suchen müsse, welche ordnungsrechtliche Nonn man einschränke, am Beispiel der Bescheidslösung bei der Abwasserabgabenlast. Wenn man jemandem die Möglichkeit gebe, seine AbwasserabgabenJast dadurch zu senken, dass er höhere Reinigungsinvestitionen vornehme, so setze diese Kopplung voraus, dass zunächst der Überwachungswert im Bescheid geändert werde, um danach die Abgabenlast reduzieren zu können. In dem Augenblick aber, in dem der Betreffende den neuen, niedrigeren Überwachungswert habe, sehe er sich dem Risiko des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts ausgesetzt, weil jetzt das vorher freiwillig Geleistete zu einer ordnungsrechtlichen Verbindlichkeit werde. Hendler erwiderte, dass es nur eine Variante darstelle, ein Anreizinstrument einzuftihren mit dem Ziel, das Ordnungsrecht zurückzufahren. Man könne auch ein Anreizinstrument einfiihren, um das Ordnungsrecht zu verstärken. Aber auch bei der Einfiihrung eines Anreizinstruments zur Rückftihrung des Ordnungsrechts obliege die Kopplung von Anreizinstrument und Ordnungsrecht der gesetzgeberischen Entscheidungsfreiheit. Bohne fragte, worin noch ein Anreiz liege, wenn man ordnungsrechtlich zu einem bestimmten Verhalten gezwungen werde und bei rechtswidrigem Handeln noch einen zusätzlichen Nachteil erhalte.

Nach Hendler stelle die von Bohne beschriebene Situation einen absoluten Sonderfall dar, der auch dann vorliege, wenn auf rechtswidriges Verhalten eine Abgabe erhoben werde. Vielfach werde es für unzulässig gehalten, auf rechtswidriges Verhalten außerhalb von Bußgeld und Strafe noch eine Belastung aufzuerlegen. Er sei diesbezüglich jedoch anderer Ansicht. Es sei nicht völlig ausgeschlossen, zunächst fiir das legale Verhalten eine Abgabe zu erheben, um die Motivation, die Restverschmutzung zurück zu drängen, zu verstärken, und dann für den Fall, dass der Rahmen des Ordnungsrechts verlassen werde, das illegale Verhalten nicht nur mit einem Bußgeldbescheid zu sanktionieren, sondern auch die Abgabe in dem Maße der Überschreitung des Grenzwertes zu erhöhen. Der Wasserpfennig werde z.B. auch für illegale Wasserentnahmen erhoben, was juristisch nicht zu beanstanden sei. Folgte man der Ansicht von Bohne, sei die Konsequenz, dass auch der Wasserpfennig nur auf legale Wasserentnahmen erhoben werden dürfe.

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Ewringmann überlegte, dass bei der Abwasserabgabe demzufolge bei einem Verstoß gegen Ordnungsrecht nur der Restverschmutzungssatz zur Hälfte erhoben werden dürfe, während es aber tatsächlich so sei, dass er im Fall der ungesetzlichen Einleitung verdoppelt werde. Dagegen bezahle detjenige, der sich rechtskonform verhalte, weniger. In dem Fall der rechtswidrigen Einleitung müsse also besonders viel gezahlt werden, während fiir den Fall der rechtskonformen Einleitung der Anreiz, weiter etwas für den Umweltschutz zu tun, gegen Null gefahren werde. Dennoch werde von Seiten der Industrie immer wieder argumentiert, die Abgabe, die auf die erlaubten Einleitungen, also auf die zulässige Restverschmutzung erhoben werde, sei eine Art Strafsteuer. Da höre fiir ihn die Einordnungsfähigkeit völlig auf. Bohne war ebenso wie Seim er der Ansicht, dass es sich bei den auf rechtswidriges Handeln erhobenen Abgaben um eine Geldstrafe handele und man hier nicht weiter euphemistisch von Anreiz sprechen dürfe. Hendler wies zusammenfassend darauf hin, dass bei Vollzugsproblemen wegen fehlenden Kontrollpersonals die Effektivität des Ordnungsrechts dadurch gesteigert werden könne, dass das Risiko ordnungswidrigen Verhaltens erhöht werde. Bohne und Seim er seien dabei der Ansicht, dass dies nicht mit der Abgabe, sondern nur durch Bußgeld und Strafrecht zu erreichen sei. Dies entspreche dem Prinzip der Formenwahrheit, wonach ein Verstoß gegen die Rechtsordnung strafrechtliche oder ordnungsrechtliche Konsequenzen habe. Zwar spreche aus rechtsstaatlichen Erwägungen einiges für eine solche Sichtweise, gleichzeitig werde aber die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit dadurch auch wieder eingeschränkt. Er sei dabei eher großzügig und überlasse die Ausgestaltung im Einzelnen dem Gesetzgeber, während Bohne und Se/mer die rechtsstaatliche Form als Grenze, die der Gesetzgeber nicht überschreiten dürfe, in den Vordergrund stellten. Seim er stimmte dem Referenten zu, machte jedoch den Vorschlag, als eine Art Mittelweg die Zahlung von Zwangsgeldern einzuführen, um die Betreffenden zu einem ordnungsgemäßen Verhalten anzuhalten. Auch Bohne ging mit dem Schlusswort von Hendler konform und schloss das Forum mit dem Wunsch, bei einem Wiedersehen in Speyer über einen konkreten Vorschlag eines Umweltgesetzbuches und nicht nur über eine Vision diskutieren zu können.

Einstieg in ein Umweltgesetzbuch Von Eberhard Bohne

I. Kodifikationsbedarf 1. Ausgangslage

Die Schaffung eines Umweltgesetzbuches wird seit Jahren von den verschiedenen Bundesregierungen als eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben im Umweltschutz bezeichnet. Zuletzt wurde dieses Vorhaben in der Koalitionsvereinbarung vom 20.10.1998 und der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 10.11.1998 angekündigt. Der Entwurf eines ersten Buches für ein Umweltgesetzbuch (UGB I), das zur Umsetzung der EG-Richtlinien über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie) und über die Umweltverträglichkeitsprufung (UVP-Richtlinie) das Anlagenzulassungsrecht modernisieren sollte, wurde Mitte 1999 vom Bundesumweltrninisterium zurückgezogen. Grund hierfür war die Auffassung des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, dass der Bund angeblich nicht die für ein Umweltgesetzbuch erforderlichen Gesetzgebungskompetenzen im Wasser- und Naturschutzrecht besitze. I Daher soll nach Auffassung der Bundesregierung2 zunächst die Erweiterung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Grundgesetz angestrebt werden, bevor ein neuer Anlauf zur Schaffung eines Umweltgesetzbuches unternommen wird. Diese Haltung bedeutet, die Kodifikation des Umweltrechts auf den SanktNimmerleinstag zu verschieben. Denn es ist nicht erkennbar, dass die Bundesländer einer Beschränkung ihrer Gesetzgebungskompetenzen im Wasser- und Naturschutzrecht in absehbarer Zeit zustimmen werden. Seit Beginn der siebzi-

Siehe die Beiträge von Feldmann, S. 17 f. und Bohne, S. 183 f.. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz, BT-Drs. 14/4599, S. 88. I

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ger Jahre sind entsprechende Versuche der Bundesregierungen immer wieder am Widerstand der Bundesländer gescheitert. Mancher Umweltschützer - auch auf politischer Ebene - wird dem endgültigen Scheitern des Umweltgesetzbuches keine Träne nachweinen. Die Kodifikation des Umweltrechts wird gelegentlich als ein rein rechtstechnischer Vorgang betrachtet, der den hohen Personal- und Verwaltungsaufwand nicht rechtfertigt. Verschiedentlich besteht auch die Furcht, dass die Kodifikation zu einem Übergewicht der Juristen im Umweltschutz führt. Diese Furcht wird zwar öffentlich nicht ausgesprochen und intern meist nur indirekt artikuliert. Bei manchen - oft besonders engagierten - Umweltschützern ohne rechtliche Ausbildung sind jedoch nicht selten anti-juristische Ressentiments unverkennbar. Die gleichgültige bis ablehnende politische Haltung gegenüber einem Umweltgesetzbuch spiegelt ein bei manchen Umweltschützern verbreitetes Unverständnis dafür wider, dass im politischen Mehrebenensystem von EG, Bund, Ländern und Kommunen politische Ziele und Interessen dauerhaft nur mittels rechtlicher Regelungen durchgesetzt werden können. Unter politischen Gesichtspunkten ist eine Rechtskodifikation gleichbedeutend mit der Konsolidierung politischer Macht in einem bestimmten Politikfeld. Vor diesem Hintergrund ist es weder aus umweltpolitischen noch verfassungsrechtlichen Gründen akzeptabel, die Schaffung eines Umweltgesetzbuches bis zu einer Änderung der Gesetzgebungskompetenzen im Grundgesetz hinauszuschieben und damit das Vorhaben faktisch endgültig aufzugeben. An fehlenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ist das UGB I in Wirklichkeit nicht gescheitert. Hieran wird auch ein neu zu konzipierendes Umweltgesetzbuch nicht scheitern, worauf gleich noch einzugehen ist (unten

II.2 a, I1I.4).

Der oben beschriebene institutionalisierte Inkrementalismus3 lässt sich überwinden, wenn die Bundesregierung die Kodifikation des Umweltrechts als ein wichtiges gesellschaftspolitisches Vorhaben begreift und Letztentscheidungen nicht der Arbeitsebene überlässt. Die strukturellen Mängel4 innerhalb der Bundesregierung und in der Bund/Länder-Zusammenarbeit müssen freilich behoben werden. Sonst ist ein neuer Kodifikationsversuch im politischen Prozess zum Scheitern verurteilt. In der 15. Legislaturperiode sollte ein neuer Anlauf zur Schaffung eines Umweltgesetzbuches unternommen werden, da der Reformstau im Umweltrecht am effizientesten durch eine Kodifikation bewältigt werden kann. Gründe

3 4

Bohne, S. 186 f. Bohne, S. 190-195.

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und konzeptionelle Grundlagen für den Einstieg in ein Umweltgesetzbuch sollen daher im Folgenden aufgezeigt werden. 2. Gründe Die Rechtfertigungsgründe für ein Umweltgesetzbuch sind vom Bundesumweltministerium5 und von der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (SK-UGB)6 ausführlich dargelegt worden. Für Einzelheiten kann hierauf verwiesen werden. Stichwortartig seien jedoch die wichtigsten Gründe für ein Umweltgesetzbuch zusammengefasst. Es ermöglicht die überfällige Reform des Umweltrechts unter den Gesichtspunkten der Europäisierung, der Harmonisierung und Vereinheitlichung der über viele Gesetze verteilten und meist auf unterschiedlichen Konzeptionen beruhenden Umweltvorschriften, der Konsolidierung und Vereinfachung sowie der Steigerung der VollzugseffIzienz des Umweltrechts. Der Kodifikationsbedarf unter dem Gesichtspunkt der Europäisierung des Umweltrechts bedarf der Erläuterung, zumal die Gegner eines Umweltgesetzbuches gelegentlich einen Gegensatz zwischen der europäischen Rechtsentwicklung und der Kodifizierung nationaler Rechte konstruieren. Die Europäisierung des deutschen Umweltrechts hat kurz- und mittelfristige sowie langfristige Aspekte. In kurz- und mittelfristiger Perspektive muss das Umweltrecht an den materiellen Grundsätzen ausgerichtet werden, die sich in den 1980er und 1990er Jahren als prägend für das Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft herausgebildet haben und die auch in diesem Jahrzehnt die Entwicklung des europäischen Umweltrechts leiten werden. Die Europäische Kommission hat in dem Entwurf des Sechsten Umweltaktionsprogramms 7 der Europäischen Gemeinschaft "Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand" fünf Schwerpunktstrategien genannt:

5 Denkschrift für ein Umweltgesetzbuch, hrsg. vom Umweltbundesamt, Berichte 9/94, S. 13 f1 6 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998, S. 71 ff. 7 Mitteilung der Kommission vom 24.01.2001, KOM (2001) 31 endg. - 2001/0029 (COD), S. 14.

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Verbesserung der Umsetzung und des Vollzugs europäischer Rechtsvorschriften, Integration von Umweltbelangen in andere Politikbereiche, Marktorientierung des Umweltschutzes, Stärkung des Einflusses der Bürger, Verbesserung von raumbezogenen Planungen8 und raumbezogenen Managemententscheidungen. Verschiedene Richtlinien und Richtlinienvorschläge aus jüngster Zeit konkretisieren diese Schwerpunktbereiche. Der medienübergreifende und auf die Verbesserung der Umweltqualität zielende Integrationsansatz, der künftig auch andere Politikbereiche einbeziehen soll, sowie die Stärkung der Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit und des einzelnen Bürgers sind charakteristische Merkmale des europäischen Umweltrechts, die das deutsche Umweltrecht endlich akzeptieren muss. Das juristische Katz- und Mausspiel mit der EG, das insbesondere die Umsetzung der UVP-, IVU- und Umweltinformations-Richtlinien gekennzeichnet hat, darf nicht länger fortgesetzt werden. Die Wasserrahmenrichtlinie vom 23.10.2000 (2000/60/ EG) setzt die umweltqualitäts- und öffentlichkeitsorientierte Linie der EG fort. Hinzu kommt die Fortentwicklung des raumbezogenen planungsrechtlichen Instrumentariums, das mit medienübergreifender Akzentuierung auch Gegenstand der Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 21.07.2001 (2001l42/EG) ist und durch eine stärkere Öffentlichkeitsbeteiligung ergänzt werden soll entsprechend dem Richtlinienvorschlag über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates vom 18.01.2001. 9 Darüber hinaus sieht dieser Richtlinienvorschlag die Einführung einer Verbandsklage zur gerichtlichen Überprüfung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von behördlichen Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen bei UVP- und lVU-Vorhaben vor. Dieser Trend zur umweltqualitäts- und öffentlichkeitsorientierten Ausgestaltung der raumbezogenen Planung und zu vom Individualrechtsschutz losgelösten Gerichtskontrollen wird sich fortsetzen,

8 Die deutsche Übersetzung des englischen Begriffs "land use planning" mit Flächennutzungsplanung in der deutschen Fassung des Entwurfs des Sechsten Aktionsprogramms ist viel zu eng, da Flächennutzungsplanung ein rechtstechnischer Begriff der Bauleitplanung nach dem Baugesetzbuch ist. Dies ist ein weiteres Beispiel auf der langen Liste sprachlicher Gleichgültigkeit der deutschen Umweltpolitik gegenüber politischen und rechtlichen Texten der EG. 9 KOM (2000) 839 endg. - 2001/0331 (COD).

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wie in dem oben genannten fünften Schwerpunktbereich des Sechsten Umweltprogramms zum Ausdruck kommt. Schließlich wird die EG das ökonomische Ameizinstrumentarium weiter ausbauen. Der Richtlinienvorschlag über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/611EG des Rates vom 23.10.2001 \0 weist hier neue Wege. Da diese und andere Umweltrichtlinien fristgerecht umgesetzt werden müssen, kann mit der Umsetzung nicht bis zum Inkrafttreten eines Umweltgesetzbuches gewartet werden. Allerdings wäre es bei einer Grundsatzentscheidung der Bundesregierung über die Schaffung eines Umweltgesetzbuches möglich, die anstehende Umsetzung von Richtlinien an der Konzeption für ein Umweltgesetzbuch - wie der des UGB-KomE - zu orientieren und so vorzunehmen, dass die getroffenen Regelungen sich später ohne größere Schwierigkeiten in ein Umweltgesetzbuch einfügen lassen. Beispielsweise könnten Regelungen für gleiche Sachverhalte wie Öffentlichkeitsbeteiligung, Umweltinformation und Verbandsklage, die in mehreren neuen Richtlinien angesprochen werden, in einem selbständigen Gesetz erfolgen, das später in ein Umweltgesetzbuch integriert wird, statt diese Regelungen - wie bisher üblich - auf die verschiedenen Fachgesetze zu verteilen. Auf diese Weise würde die Fortentwicklung des Umweltrechts bereits kurzfristig und schrittweise aus der konzeptionellen Enge partikularer Fachrechte heraustreten. Neben diesen eher kurzfristigen inhaltlichen Anforderungen an das Umweltrecht ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der Europäisierung auch langfristige Anforderungen, die über den umwe1tpolitischen Zeithorizont der EG bis 2010 hinausreichen, materielle und formelle Merkmale verbinden und hier als "Rezeptionsfähigkeit" und "Rezeptionseignung" des Umweltrechts bezeichnet werden sollen. Unter Rezeptionsfähigkeit ist die Eigenschaft einer Rechtsordnung zu verstehen, die Grundsätze und Konzepte anderer Rechtsordnungen aufzunehmen und mit dem eigenen Rechtssystem zu verschmelzen. Als Rezeptionseignung soll dagegen die Eigenschaft einer Rechtsordnung bezeichnet werden, Regelungsmodelle bereitzustellen, die von anderen Rechtssysternen ganz oder teilweise übernommen und integriert werden können. Die Rezeptionsfähigkeit des deutschen Umweltrechts wird durch die europäische Rechtsentwicklung - z. B. im Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligung, Umweltinformation, UVP und lVU - seit Mitte 1980er Jahre überfordert, wie die zahlreichen umweltrechtlichen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof belegen. Die Rezeptionseignung des 10

KOM (2000) 581 endg. - 2001/0245 (COD).

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deutschen Umweltrechts beschränkt sich weitgehend auf technische Regelungen. ll Vereinzelt haben aber auch nicht-technische Vorschriften als Regelungsvorbild fiir EG-Richtlinien gediene 2 und auf diesem Weg Eingang in die nationalen Umweltrechte der EU-Mitgliedsstaaten gefunden. Rezeptionsfähigkeit und Rezeptionseignung der nationalen Rechtsordnungen sind wichtige Voraussetzungen für eine Fortentwicklung des EG-Rechts, die sich so weit wie möglich an den Erfahrungen nationaler Rechte orientieren und so wenig wie möglich in nationale Rechtstraditionen eingreifen sollte. In dem Maße, in dem nationale Rechtsordnungen sachlich überholte "Regelungsunikate" - wie den Genehrnigungsanspruch nach § 6 BImSchG l3 - und rigide Rechtsdoktrinen - wie das Konzept des subjektiven Rechts als Gerichtsschutzvoraussetzung (§ 42 Abs. 2 VwGO)14 - enthalten, fUhrt die Umsetzung von EG-Richtlinien wegen unzureichender Rezeptionsfähigkeit der nationalen Rechtsordnung zu andauernden innerstaatlichen Friktionen und europarechtlichen Konflikten. Außerdem sind nationale Sonderheiten dieser Art zur Rezeption durch andere Rechtsordnungen ungeeignet und auf europäischer Ebene zur Einflusslosigkeit verurteilt. Das Umweltgesetzbuch bietet die Chance, verkrustete Strukturen im deutschen Umweltrecht aufzubrechen sowie seine Rezeptionsfähigkeit und Rezeptionseignung zu erhöhen. Letztere ist fiir die Fortentwicklung des europäischen Umweltrechts von besonderer Bedeutung, da die Rezeptionseignung einer Rechtsordnung konsistente und praktikable nationale Regelungskonzepte vor-

11 So hat die TA Luft 1986 in EU-Mitgliedsstaaten (z. B. die Industrial Air Pollution Control Guidelines, No. 9, 1992 des dänischen Umweltministeriums) als Regelungsvorbild rur entsprechende nationale Regelungen gedient oder wird dort bei der FestIegung von Genehmigungsauflagen informell herangezogen. Die Großfeuerungsanlagenverordnung (13. BlmSchV) war Regelungsvorbild rur eine entsprechende EG-Richtlinie vom 24.11.1988 (88/609/EWG) - inzwischen neugefasst durch die Richtlinie vom 23.10.2001 (2001/80/EG) - und hat aufgrund der nationalen Richtlinienumsetzung Eingang in die Umweltrechte der EU-Mitgliedstaaten gefunden. 12 Beispielsweise orientiert sich Art. 3 IVU-Richtlinie am Pflichtenmodell des § 5 Abs. 1 BImSchG. 13 Zur Singularität dieser Regelung im Vergleich zu anderen nationalen Genehmigungsrechten siehe Eberhard Bohne, Langfristige Entwicklungstendenzen im Umwelt- und Technikrecht, in: Eberhard Schmidt-AßmannlWolfgang HofJmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 217-278,250 f. 14 Die Prognose des Verfassers (Bohne (Fn. 13), S. 274 ff.), dass die individuelle Rechtsschutzdoktrin der EG-rechtlichen Entwicklung nicht standhalten wird, ist dabei, Wirklichkeit zu werden, vgl. Art. 2 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 4 des Richtlinienvorschlags über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG vom 18.01.2001 (Fn. 9).

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aussetzt. Gegenüber der verbreiteten Kritik 15 an der unklaren Begrifflichkeit, teilweisen Widersprüchlichkeit und übergroßen Zahl von EG-Rechtsvorschriften pflegt die Europäische Kommission mit gewissem Recht darauf hinzuweisen, dass die EG-Rechtsetzung nicht besser sein könne als die Entscheidungen der nationalen Regierungen, die das EG-Recht beschließen. Indirekt könnte ein Umweltgesetzbuch also auch zur Verbesserung des EG-Rechts beitragen, indem es die konzeptionelle Qualität der deutschen Verhandlungsbeiträge auf EG-Ebene erhöht. Mit Blick auf die angestrebte Rezeptionseignung des deutschen Umweltrechts sollte sich das Umweltgesetzbuch möglichst auf grundsätzliche Regelungen beschränken und Einzelheiten eher der Regelung durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften überlassen. Dieser Regelungstechnik folgen die Umweltgesetzbücher von Frankreich und Schweden.

11. Konzeptionelle Grundlagen 1. Zielsetzung

Vor dem Hintergrund der skizzierten Ausgangslage muss eine Kodifikationskonzeption entwickelt werden, die einen pragmatischen Kompromiss zwischen rechtlichen und politischen Gesichtspunkten darstellt, und zwar zwischen der umfassenden Systemidee eines Umweltgesetzbuches, wie sie fur den Entwurf der SK-UGB von 1998 kennzeichnend ist, sowie den rechtlichen und politischen Beschränkungen, denen die Umweltgesetzgebung heute und auf absehbare Zeit wohl unterliegt. Damit ist der UGB-KornE keineswegs überholt. Er verkörpert ein Kodifikationsmodell, das aufgrund der pluralistischen Zusammensetzung der SK-UGB nach wie vor im Grundsatz politisch konsensfähig ist und sich als Referenzsystem ftir den politischen Prozess eignet. Das heißt: Abweichungen vom UGBKornE sollten sorgfältig begründet sein. Diese Referenzfunktion war dem UGB-KornE vom Auftraggeber von Anfang an zugedacht. Es bestand nicht die Absicht, den UGB-KornE unverändert als Gesetzentwurf in den politischen Entscheidungsprozess einzufuhren. Denn die interne Willensbildung im Bundesumweltministerium und in der Bundesregierung sollte erst nach der Vorlage des UGB-KornE eingeleitet werden. Sie hätte sicherlich zu teilweise abweichenden Regelungskonzepten geftihrt, weil unterschiedliche fachliche Sichtweisen und widerstreitende politische Interessen zur Geltung gekommen wären.

15 Siehe: Hans-Werner Rengeling, Überlegungen zur Qualität des Gemeinschaftsrechts, in: ders. (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band H, 1998, Rdnr. 20-29

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Das Hauptziel eines Einstiegs in die KodifIkation des Umweltrechts sollte bei realistischer Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse - zunächst darin bestehen, das geltende Umweltrecht in einem Umweltgesetzbuch zu konsolidieren, das insoweit eine ähnliche Funktion wie das französische Umweltgesetzbuch von 2000 besäße 16, im Hinblick auf überflüssige, in der Praxis irrelevante Vorschriften zu bereinigen 17, zu vereinfachen beispielsweise durch Zusammenfassen von Vorschriften mit ähnlichen Regelungsgegenständen, die über verschiedene Fachgesetze verteilt sind 18 , und an das EG-Recht so anzupassen, dass offenkundige Umsetzungsrisiken entfallen. 19 Bei der Einführung neuer inhaltlicher Konzepte sollte vorerst Zurückhaltung herrschen. Beispielsweise dürfte der politische Grundsatz der Nachhaltigkeit noch zu unbestimmt sein2o , um in einem Umweltgesetzbuch verrechtlicht zu werden. Diese begrenzte Zielsetzung dient dem Einstieg in die KodifIkation des Umweltrechts. Ihm werden weitere KodifIkationsschritte mit zusätzlichen, eher inhaltlichen Zielen folgen. Dabei dürfte längerfristig die Verbesserung der Rezeptionseignung des Umweltrechts, d. h. die Bereitstellung von Regelungsmodellen für die europäische Rechtsentwicklung, an Bedeutung gewinnen.

16 Dazu: Pascale Kromarek, Un code ou non? Über den UBG-Wunsch in Frankreich, in: Klaus-Peter Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 189-211, 193 f. 17 Beispielsweise sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5.9.2001 zur Umsetzung der WasserrahmenrichtIinie die ersatzlose Aufhebung der Vorschriften über Abwasserbeseitungspläne, Reinhalteordnung und wasserwirtschaftliche Rahmenpläne vor (Entwurf eines 7. Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes - http:// www.bmu.de/downloadldateien/wrrl_entwurf.pdf). Siehe dazu: Guy Beaucamp, Aus vier mach eins - das wasserwirtschaftliche Planungsinstrumentarium nach dem Entwurf des 7. Gesetzes zur Änderung des WHG, UPR 2001, S. 423-426. 18 Ein Beispiel sind die Regelungen über Betriebsbeauftragte im BlmSchG, KrW-/ AbfG und WHG, siehe dazu den Kodifikationsvorschlag in §§ 155-163 UGB-KomE. 19 So wird die Umsetzung der UVP- und IVU-RichtIinien einige Nachbesserungen erfordern, vgl. oben Bohne, S. 177 ff. 20 In diesem Sinne z. B. die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 20. September 2000, Unsere Bedürfnisse mit unserer Verantwortung in Einklang bringen - Einbeziehung des Umweltschutzes in die Wirtschaftspolitik, KOM (2000) 576 endg., S. 21.

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2. Kodifikationsgrundsätze Aus der aufgezeigten Zielsetzung und den gegebenen politischen Rahmenbedingungen ergeben sich folgende Grundsätze, an denen sich Aufbau und Inhalt eines Umweltgesetzbuchs orientieren sollten: keine Änderung der bestehenden verfassungsrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen, Gliederung des Umweltgesetzbuchs in Regelungen zum Schutz der Umwelt als Gesamtsystem sowie Regelungen zum Schutz einzelner Umweltbereiche und zum Schutz vor bestimmten Umweltbeeinträchtigungen, Rechtskonsolidierung und Rechtsvereinfachung, Rechtsbereinigung, Verbesserung der Rezeptionsfähigkeit und Rezeptionseignung des Umweltrechts im europäischen Kontext, zunächst im Bereich von Öffentlichkeitsbeteiligung und Bürgerverantwortung. a) Beibehaltung bestehender verfassungsrechtlicher Gesetzgebungskompetenzen

Der Grundsatz, aus Anlass der KodifIzierung des Umweltrechts die verfassungsrechtliche Ordnung der Gesetzgebungskompetenzen nicht zu ändern, trägt der politischen Machtverteilung im BundlLänderverhältnis Rechnung, die sich seit Erlass des Grundgesetzes herausgebildet hat. Natürlich würden sich die gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten des Bundes erheblich vergrößern, wenn der Gewässer- und Naturschutz in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes aufgenommen würde. Da sich der Bund jedoch in den letzten drei Jahrzehnten mehrfach "eine blutige Nase" geholt hat, wenn er versuchte, die Kompetenzverteilung namentlich im Gewässerschutz zu seinen Gunsten zu verändern, wäre es politische Kraft- und Zeitverschwendung, erneut einen - zum Scheitern verurteilten - verfassungsändernden Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Dieselbe Prognose gilt auch rur andere Vorschläge zur Änderung der Gesetzgebungskompetenzen, z. B. rur den - von seinen Befiirwortern21 - als "Patentlösung" bezeichneten Vorschlag, die Länder im Grundgesetz zu ermächtigen, ihre Gesetzgebungskompetenzen zwecks Umsetzung von EG-Recht im Einzelfall auf den Bund zu übertragen. Aus der Sicht der Länder besteht keinerlei Veranlassung, die bestehenden Gesetzgebungskompetenzen zugunsten des 2\ Siehe: Eckard RehbinderiRainer Wahl, Kompetenzprobleme bei der Umsetzung von europäischen Richtlinien, NVwZ 2002, S. 21 - 28, 28.

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Bundes - auch nicht in Gestalt einer Ermächtigungsklausel - zu verändern. Denn die Landesumweltminister hätten das UGB I auch auf der Grundlage der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzvorschriften akzeptiert. 22 Die Landesinnenminister dagegen lehnen jede Regelung ab, die zu Einbrüchen in die Verwaltungsverfahrensgesetze führen könnte. 23 Selbst wenn die vorgeschlagene Ermächtigung in das Grundgesetz aufgenommen würde, ist bei der skizzierten Interessenlage nicht erkennbar, was die Länder dazu motivieren sollte, den Bund zum Erlass EG-rechtlich veranlasster wasser- und naturschutzrechtlicher Regelungen zu ermächtigen. Außerdem übersieht dieser Vorschlag, dass die Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern in der Praxis häufig durch die politischen Gegensätze zwischen der Bundesregierung und denjenigen Landesregierungen verschärft werden, die von politischen Parteien geführt werden, die sich auf Bundesebene in der Opposition befinden. Da in der Umweltministerkonferenz praktisch das Einstimmigkeitsprinzip herrscht, ist es Landesregierungen, die zum Oppositionslager zählen, ein leichtes, alles zu verhindern, was dem Bund im Bereich der Rahmengesetzgebung Handlungsvorteile verschaffen könnte. 24 Vor diesem Hintergrund sollte die Umweltpolitik aufPassen, dass sie nicht in die neu aufgeflammte Föderalismusdiskussion hineingezogen wird, die derzeit vor allem im Bereich der Finanzverfassung geführt wird. Abgesehen davon, dass die periodisch wiederkehrenden Föderalismusdebatten meist wie das Hornberger Schi essen ausgehen, hat der Bund im Bereich des Umweltschutzes kaum Möglichkeiten, den Ländern kompetenzielle Zugeständnisse durch großzügige Finanzierungslösungen oder sonstige Kompensationsleistungen abzuringen. Unter dem Strich läuft die notwendige Reform des Umweltrechts im Sog der Föderalismusdiskussion Gefahr, auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben zu werden und in Vergessenheit zu geraten. Die Lösung der Kompetenzproblematik liegt in einer Europa-orientierten Interpretation des Art. 75 Abs. 2 GG, der "nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen" des Bundes zulässt. Nach Auffassung von Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium25 sind nach dieser Vorschrift "unmittelbar geltende erschöpfende Regelun-

22 Siehe zur Haltung der Länder zum UGB: Horst Sendler, Zur Misere der Umsetzung von EG-Umweltschutz-Richtlinien, NJW 2000, S. 2871-2872. 23 Siehe: 153. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 20.11.1998 in Bonn, Beschluss zu TOP 12. 24 Beispielsweise notwendige Koordnierungsgremien; siehe zu den Strukturproblemen in der Bund/Länder-Zusammenarbeit: Bohne, S. 193 f. 25 Dazu: Christo! Gramm, Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Umweltgesetzbuch, DÖV 1999, S. 540-549, 543, 546.

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gen in jedem Fall unzulässig". Für europarechtlich begründete Effektivitätsgesichtspunkte sei im Rahmen des Art. 75 Abs. 2 GG kein Platz. Diese Auffassung wird in der verfassungsrechtlichen Literatur - soweit ersichtlich - bislang von niemandem außer von Gramm vertreten. Nach ganz herrschender Meinung 26 soll die 1994 in das Grundgesetz eingefiigte Vorschrift die Möglichkeiten punktueller Vollregelungen des Bundes im Bereich der Rahmengesetzgebung einschränken, die das Bundesverfassungsgericht unter der alten Rechtslage gebilligt hatte. 27 Diese Möglichkeit werde aber durch Art. 75 Abs. 2 GG nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern bleibe in Ausnahmefällen zulässig. Es braucht hier nicht auf die vielfältigen Versuche eingegangen zu werden, qualitative und/oder quantitative Kriterien fiir die Bestimmung von Ausnahmefällen zu entwickeln. 28 Im Kern laufen alle Versuche darauf hinaus, unmittelbar geltende Detailregelungen des Bundes zu akzeptieren, wenn fiir sie im Einzelfall ein besonders schwerwiegender, im öffentlichen Interesse liegender Sachgrund besteht. Hierzu gehört insbesondere die Verpflichtung Deutschlands zur vollständigen und fristgerechten Umsetzung von EG-Recht. Das EG-Recht begründet zwar unstreitig keine neuen Gesetzgebungskompetenzen fiir den Bund, leitet aber die Auslegung des Begriffs ,,Ausnahmefall" in Art. 75 Abs. 2 GG29 . Das heißt: Soweit ein erhebliches gesamtstaatliches Interesse an einer einheitlichen Umsetzung von EG-Richtlinien besteht, liegt ein Ausnahmefall im Sinne des Art. 75 Abs. 2 GG vor, der punktuelle bundeseinheitliche Vollregelungen rechtfertigt. Diese Voraussetzung ist insbesondere gegeben, wenn EG-Richtlinien durch bundesrechtliche Rahmenregelungen in Verbindung mit ausfiillenden Landesvorschriften nicht vollständig und wirksam umgesetzt werden kön26 Siehe: Hans Hugo Klein, in: Josef IsenseelPaul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 1995, § 198 Rdnr. 75; Philip Kunig, in: Ingo v. MünchlPhilip Kunig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 3. Auf!. 1996, Art. 75 Rdnr. 41 f; Christian Pestalozza, in: Hermann v. MangoldtlFriedrich KleinlChristian Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Rdnr. 731 fT.; Rupert Stettner, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 11, 1998, Art. 75, Rdnr. 10; Christoph Degenhart, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1999, Art. 75 Rdnr. 12a f; Bodo Pieroth, in: Hans D. JarasslBodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 6. Aufl., 2002, Art. 75 Rdnr. 2, 3. 27 BVerfD E 4, 115, 130; 43, 291, 343; 66, 270, 285; 80, 137, 157. 28 Dazu ausführlich: Hans D. Jarass, Allgemeine Probleme der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, DÖV 2000, S. 1089-1096; Franz-Joseph Peine, Probleme der Umweltschutzgesetzgebung im Bundesstaat, NuR 200 I, S. 421,427,425 f 29 So mit teilweise unterschiedlichen Begründungen: Hans-Werner Rengeling, Die Bundeskopetenzen für das Umweltgesetzbuch I, DVBI 1998, S. 997-1008, 1002 fT.; Jarass (Fn. 28), S. 1095; Walter Frenz, Berücksichtigt das geplante Umweltrecht in ausreichendem Maße die Anforderungen der Wirtschaft?, in: Rolf StoberiHanspeter Vogel (Hrsg.), Umweltrecht und Umweltgesetzbuch aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive, 2001, S. 37 fT., 47; RehbinderlWahl (Fn. 21), S. 27 f. 24 Bohne

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nen. Ein Beispiel hierfiir ist die Umsetzung des materiellen und prozeduralen Integrationskonzepts der lVU-Richtlinie. An der Notwendigkeit, die Genehmigung gewerblicher Anlagen bundeseinheitlich zu regeln, dürfte seit der Gewerbeordnung von 1900 kein Zweifel bestehen. Das Vorhandensein bundesrechtlicher Vorschriften fUr Immissionsschutz, Bodenschutz, Abfallwirtschaft und Anlagensicherheit, die auf der konkurrierender Gesetzgebungskompetenz des Bundes beruhen, fUhrt dazu, dass die Länder auf der Grundlage ihrer wasserund naturschutzrechtlichen Kompetenzen keine materielle und prozedurale Vollintegration aller relevanten Umweltbelange bei der Genehmigung gewerblicher Anlagen herstellen können, weil sie zur Änderung der genannten bundesrechtlichen Regelungen nicht befugt sind. Selbst wenn man die Umsetzung der lVU-Richtlinie durch das Artikelgesetz vom 27.7.2001 fiir vereinbar mit dem EG-Recht hält, wird man die Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Umsetzung der lVU-Richtlinie nicht leugnen und aus Art. 75 Abs. 2 GG nicht herleiten können, dass das Grundgesetz nur die EG-rechtlich risikoreichste und fachlich schlechteste Richtlinienumsetzung erlaubt. Diese Auffassung würde gegen elementare Prinzipien der Verfassungsinterpretation verstoßen wie den Grundsatz der praktischen Konkordanz1o, die hier zwischen fOderativen und europäischen Belangen bei der Interpretation des Art. 75 Abs. 2 GG hergestellt werden muss. Inzwischen hat die Bundesregierung ihre verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch nicht haltbare Position stillschweigend aufgegeben. Die bundeseinheitliche, den Gewässerschutz mit umfassende Regelung der Registrierung von Unternehmen nach der EMAS-Verordnung im Verbindung mit § 32 UAG wurde als Ausnahmefall im Sinne des Art. 75 Abs. 2 GG anerkannt und mit dem "integrativen Ansatz" der EMAS-Verordnung und der Unmöglichkeit einer sinnvollen, medienspezifischen, teils bundes- und teils landesrechtlichen Lösung gerechtfertigt (BT-Drs. 14/8231, S. 18). Dieselben Argumente wurden bei der integrierten Vorhabengenehmigung im Rahmen des UGB I verworfen. Inwieweit die Kodifikation des Umweltrechts an die durch Art. 75 Abs. 2 GG gezogenen Grenzen stößt, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur anhand konkreter Regelungsvorschläge bestimmen. Scheitern wird ein Umweltgesetzbuch jedenfalls nicht an Art. 75 Abs. 2 GG1 \ sondern allenfalls an politischen Widerständen, die sich hinter Art. 75 Abs. 2 GG verstecken mögen.

30 Siehe: Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1995, Rdnr. 72 31 So hat der Sachverständigenrat "Schlanker Staat" unter seinem Vorsitzenden Ruperl Scholz das geplante Umweltgesetzbuch mit der integrierten Vorhabengenehmigung im Jahre 1997 nachdrücklich unterstützt, Abschlußbericht, S. 87 Nr. 4.

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b) Unterscheidung zwischen Regelungen zum Schutz der Umwelt als Gesamtsystem sowie Regelungen zum Schutz einzelner Umweltbereiche und zum Schutz vor bestimmten Umweltbeeinträchtigungen Das Aufbauprinzip deutscher Zivil- und Strafrechtskodifikationen ist die rechtssystematische Unterscheidung zwischen Allgemeinem Teil und Besonderem Teil. Die Unterscheidung liegt auch dem UGB-KomE zugrunde. Sie erlaubt es, die allen Umweltbereichen gemeinsamen Regelungen in einen Allgemeinen Teil "vor die Klammer" zu ziehen und somit den Besonderen Teil von inhaltlich gleichen Vorschriften zu entlasten, die Regelungen zu vereinheitlichen und zu harmonisieren sowie insgesamt das Umweltrecht zu straffen. Allerdings erfordert die Gliederung in einen Allgemeinen Teil und einen Besonderen Teil erhebliche Veränderungen bestehender Rechtsstrukturen, wie das Beispiel des UGB-KomE belegt. Da rechtliche Strukturänderungen in der Regel gleichbedeutend mit politischen Widerständen sind, dürfte eine stringente Neustrukturierung des Umweltrechts nach Allgemeinem Teil und Besonderem Teil in einer überschaubaren Zeit politisch nicht durchsetzbar sein. Hinzu kommt, dass diese rechtssystematische Strukturierung in der Praxis der Gesetzesanwendung eine juristisch-abstrakte Denkweise erfordert, die bei den überwiegend naturwissenschaftlich-technisch ausgebildeten Rechtsanwendern auf Akzeptanzprobleme stößt. Aus diesen Gründen wird als Gliederungsprinzip fiir den Einstieg in ein Umweltgesetzbuch vorgeschlagen, zwischen Regelungen zum Schutz der Umwelt als Gesamtsystem vor Beeinträchtigungen aller Art sowie Regelungen zum Schutz einzelner Umweltbereiche und zum Schutz vor bestimmten Umweltbeeinträchtigungen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung dürfte auch dem intuitiven Verständnis des Bürgers vom Umweltrecht nahe kommen, denn sie orientiert sich am generellen Schutzzweck der Umweltpolitik, die die Umwelt sowohl als Gesamtsystem vor Beeinträchtigungen aller Art als auch in ihren einzelnen Bestandteilen und vor speziellen Beeinträchtigungen schützen muss. Wie jede andere denkbare Kategorisierung ist auch diese Unterscheidung nicht völlig trennscharf, sondern richtet sich nach dem Schwerpunkt der jeweiligen Regelungen. Danach würden die medienübergreifenden Vorschriften über die Umweltverträglichkeitsprüfung, den Zugang zu Umweltinformationen oder das Umwelthaftungsrecht zum ersten Bereich, dem Schutz der Umwelt als Gesamtsystem, gehören. Die medialen und sektoralen Umweltfachgesetze wären Bestandteile des zweiten Bereichs, auch wenn sie einzelne Vorschriften medienübergreifenden Charakters enthalten. Für die begrenzte, überwiegend auf Rechtskonsolidierung gerichtete Zielsetzung eines Einstiegs in die Kodifikation des Umweltrechts reicht das vorgeschlagene Aufbauprinzip eines Umweltgesetzbuchs aus. Dies zeigt das französische Umweltgesetzbuch von 2000, das aus sechs Büchern besteht und im ers-

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ten Buch "Allgemeine Vorschriften" zu Umweltinformation, Bürgerbeteiligung, Umweltverbänden, Behördenstruktur und zu einer Steuer auf Umweltverschmutzungen32 enthält. Die übrigen Bücher regeln den Schutz einzelner Umweltmedien (2: Wasser, Luft; 3: Landschaftsräume; 4: Fauna und Flora) und den Schutz vor bestimmten umweltgefahrlichen Aktivitäten (5: gewerbliche Anlagen, Abfalle, Herstellung und Inverkehrbringen von Chemikalien, Lärm). Das sechste Buch enthält Vorschriften für die Überseegebiete Frankreichs. Auch das schwedische Umweltgesetzbuch besitzt keine rechts systematische Unterteilung in einen - dem deutschen Verständnis entsprechenden - Allgemeinen Teil und Besonderen Teil. Es besteht aus sieben Teilen mit 33 Kapiteln. Der erste Teil aus sechs Kapiteln enthält "Allgemeine Vorschriften" über Umweltschutzziele, Handlungsprinzpien, besonders schutzbedürftige Gewässer und Gebiete, Umweltqualität und Umweltverträglichkeitsprüfung. In den übrigen Teilen und Kapiteln des Umweltgesetzbuches werden der Schutz einzelner Umweltmedien, bestimmte umweltbeeinträchtigende Aktivitäten, Verwaltungsorganisation, Verfahren und Rechtsschutz sowie Sanktionen bei Rechtsverletzungen und Entschädigungen Privater durch den Staat geregelt. Entsprechend dem hier vorgeschlagenen Autbauprinzip sollte das Umweltgesetzbuch in zwei Bücher eingeteilt werden. Das erste Buch enthält alle Regelungen zum Schutz der Umwelt als Gesamtsystem vor Beeinträchtigungen aller Art, z. B. Begriffsbestimmungen, Umweltinformation, Umweltverträglichkeitsprüfung. Das zweite Buch enthält alle überwiegend medialen und sektoralen Fachgesetze. Diese umweltpolitische Strukturierung ist für eine Rechtsentwicklung offen, die sich künftig stärker an rechtssystematischen Gesichtspunkten im Sinne der Unterscheidung zwischen Allgemeinem Teil und Besonderem Teil orientiert. Denn Vorschriften im Sinne eines Allgemeinen Teils beziehen sich per definitionem auf die Umwelt als Gesamtsystem und beschränken sich auch nicht auf bestimmte Beeinträchtigungen. c) Rechtskonsolidierung und Rechtsvereinfachung

Das Kodifikationsprinzip der Rechtskonsolidierung zielt vorrangig auf eine rechtsbegriffliche und gesetzestechnische Zusammenftihrung der bestehenden Umweltgesetze in einem Gesetzbuch ab. Es ermöglicht eine begrenzte Harmonisierung der Rechtsbegriffe, erleichtert die Orientierung im Umweltrecht und verzichtet auf politisch kontroverse Eingriffe in bestehende Rechtsstrukturen. Nach diesem Prinzip würden die geltenden Umweltgesetze - vorbehaltlich ei32 Die Steuervorschriften beschränken sich im Wesentlichen auf die Verknüpfung des Umweltgesetzbuches mit dem Zollgesetzbuch, das die Steuer im Einzelnen regelt.

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ner Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsbereinigung und gesetzestechnischer Anpassungserfordernisse - unverändert in das Umweltgesetzbuch übernommen werden. Dies gilt insbesondere fiir die Gesetze des Anlagenzulassungsrechts, die durch das Artikelgesetz vom 27.07.2001 an die Anforderungen der IVU- und UVP-Richtlinien angepasst wurden. Abgesehen von einigen EGrechtlich erforderlichen Nachbesserungen33 , sollte das geltende Anlagenzulassungsrecht im Zusammenhang mit der Schaffung eines Umweltgesetzbuches bis auf weiteres nicht verändert werden. Es muss erst wieder Ruhe in diesen seit über einem Jahrzehnt umkämpften Umweltbereich einkehren, bevor eine voll integrierte Umweltgenehmigung in ein dann bereits bestehendes Umweltgesetzbuch eingefiihrt wird. Das Prinzip der Rechtsvereinfachung geht ein wenig über das Prinzip der Rechtskonsolidierung hinaus. Es ermöglicht die Zusammenfassung bestehender Vorschriften fiir gleiche Sachverhalte, ohne die zugrunde liegenden Regelungskonzepte wesentlich zu verändern. Ein Beispiel hierfiir sind die bestehenden Vorschriften über Betriebsbeauftragte fiir Umweltschutz. Konzeptionelle Vereinfachungen des geltenden Umweltrechts scheiden dagegen aus, soweit sie mit dem Grundsatz der Rechtskonsolidierung nicht vereinbar sind. Allerdings sind die Kodifikationsprinzipien der Rechtskonsolidierung und Rechtsvereinfachung im Vergleich zu einem rechtssystematischen Kodifikationsprinzip, wie es den UGB-KomE prägt, vom Ansatz her weniger leistungsfähig im Hinblick auf konzeptionelle Geschlossenheit, Überwindung historisch bedingter und fachlich überholter Regelungsunterschiede in einzelnen Umweltbereichen und die Verminderung der Regelungsdichte. Der letztgenannte Nachteil lässt sich allerdings weitgehend dadurch vermeiden, dass das Prinzip der Rechtskonsolidierung mit dem Prinzip der Rechtsbereinigung verbunden wird.

d) Rechtsbereinigung Unter Rechtsbereinigung ist die Aufhebung entbehrlicher Regelungen zu verstehen. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 7 GGO ist in der Begründung eines jeden Gesetzentwurfes darzustellen, ob der Entwurf rechtsbereinigende Maßnahmen dieser Art vorsieht. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass die Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches mit einer umfassenden Prüfung verbunden wäre, ob und inwieweit geltende Umweltvorschriften entbehrlich geworden sind. Mit dem Einstieg in ein Umweltgesetzbuch würde also ein erheblicher politischer Druck einhergehen, den umweltrechtlichen Normenbestand zu verringern. Die Umweltpolitik sollte dies nicht als eine Gefährdung normativer Besitzstände, son-

33

Siehe oben Fn. 19.

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dem als eine Chance zur Modernisierung und Efflzienzsteigerung des Umweltrechts begreifen.

e) Stärkung der Eigenverantwortung der Bürger im Umweltschutz

Der Entwurf des UGB I beschränkte sich auf das Anlagenzulassungsrecht. Diese Beschränkung beruhte nicht auf konzeptionellen Gründen, sondern auf der politischen Überlegung, dass die Umsetzung der lVU- und UVP-Richtlinien vordringlich sei und nicht durch Konflikte über andere Regelungsmaterien verzögert werden sollte. Da die Umsetzung der genannten Richtlinien durch ein Artikelgesetz erfolgt ist, entfällt nunmehr der Grund für die inhaltliche Beschränkung des ersten Kodifikationsschrittes auf das Anlagenzulassungsrecht. Vielmehr bietet die Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches, das an den Prinzipien der Rechtskonsolidierung, Rechtsvereinfachung und Rechtsbereinigung ausgerichtet ist, die Chance, neben der Zusammenfassung der geltenden Umweltgesetze in einem Gesetzbuch auch andere Regelungsmaterien in das Umweltgesetzbuch einzubeziehen. Unter dem Gesichtspunkt der Europäisierung und mit der Zielsetzung, die Rezeptionsfähigkeit und Rezeptionseignung des Umweltrechts zu verbessern, sollte sich der Einstieg in ein Umweltgesetzbuch - außer an den vorgenannten Kodifikationsprinzipien - auch an der im Entwurf des Sechsten Umweltaktionsprogramrns der Europäischen Gemeinschaft genannten "Schwerpunktstrategie" orientieren, den Einfluss des Bürgers im Umweltschutz zu verstärken. Da mehr Einfluss auch mit mehr Verantwortung verbunden sein muss, wird im Folgenden von der Stärkung der Eigenverantwortung des Bürgers die Rede sein. Hierzu gehört einmal die Erhöhung der Transparenz staatlicher Entscheidungsverfahren für den Bürger, und zwar nicht nur bei behördlichen Einzelfallentscheidungen, sondern auch auf der Ebene der exekutivischen Recht- und Regelsetzung. Denn die Übernahme von mehr Verantwortung in Umweltangelegenheiten durch den Bürger setzt Einblick in staatliche Rechtsetzungsprozesse voraus. Zum anderen sind Beteiligungsrechte und Entscheidungsbefugnisse des Bürgers wesentliche Bestandteile seiner Verantwortung für die Umwelt. Daneben besteht die Umweltverantwortung des Staates. Bildhaft kann man sich die gemeinsame Verantwortung von Staat und Bürger fUr die Umwelt als zwei sich überlappende Kreise vorstellen, wie in Abbildung 1 dargestellt.

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Einstieg in ein Umwe\tgesetzbuch

Eigenverantwonung der Bürger fIir die Umwek

Staatliche Umweltverantwortung

I

\

Ordnungs-WIll Planungsrecht

-

Umweltaudit Umwehhaflungsrecht Zenifikate Steuern WIll nichtfiskalisc:he Umweltabgaben - Umwehinformationsrechte - Verbandsklage

Abbildung I: Gemeinsame Umweltverantwortung von Staat und Bürger

Analytisch lassen sich drei Handlungsbereiche unterscheiden, in denen die Entscheidungsbefugnisse über die zu treffenden Umweltschutzmaßnahmen beim Staat, beim Bürger oder bei Staat und Bürger gemeinsam liegen. Der erste Bereich wird durch das Ordnungs- und Planungsrecht geprägt. Der zweite Bereich ist durch die Freiheit des Bürgers gekennzeichnet zu entscheiden, ob und welche Maßnahmen er zum Schutz der Umwelt trifft. Hierzu gehören Entscheidungen wie die Zahlung von Umweltabgaben anstelle der Durchfiihrung von Umweltschutzmaßnahmen, Teilnahme am Umweltaudit, Verminderung von Haftungsrisiken etc. Infolge der ordnungs- und planungsrechtlichen Tradition des Umweltrechts ist der zweite Bereich in rechtlicher Hinsicht noch ziemlich unterbelichtet. Dagegen ist er das Tummelfeld der Umweltökonomen, deren zahlreiche Vorschläge auf eine Steuerung umweltschonenden Verhaltens über Marktpreise statt durch Ordnungsrecht abzielen, aber von der Umweltpolitik nur zögernd aufgegriffen werden. Schließlich gibt es den Bereich, in dem Staat und Bürger nach dem Kooperationsprinzip zusammenwirken. Hierzu gehören Verträge und Selbstverpflichtungsabkommen. Auch die Beteiligungsrechte des Bürgers an staatlichen Entscheidungsverfahren sind zu diesem Bereich zu zählen. Das Bild der überlappenden Verantwortungskreise von Staat und Bürger macht deutlich, dass sich der Bereich der Eigenverantwortung des Bürgers

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nicht auf die Kooperation mit dem Staat beschränkt, sondern auch die Freiheit der Alleinentscheidung umfasst. 34 Der Entwurf des UGB I bezog sich auf die staatliche Umweltverantwortung im Bereich des Ordnungsrechts Hir gewerbliche Anlagen. Nunmehr sollte der Schwerpunkt der Kodifizierung des Umweltrechts zunächst auf die Stärkung der Eigenverantwortung des Bürgers, einschließlich der Erhöhung der Transparenz staatlicher Entscheidungsverfahren, gelegt werden.

III. Aufbau und wesentlicher Inhalt eines Umweltgesetzbuchs 1. Aufbau

Das vorgeschlagene Umweltgesetzbuch besteht aus zwei Büchern: 1: Schutz der Umwelt als Gesamtsystem, 2: Schutz einzelner Umweltbereiche und Schutz vor bestimmten Umweltbeeinträchtigungen. Eine mögliche Gliederung beider Bücher enthält der Anhang. Neue Regelungen, die das geltende Umweltrecht nicht kennt, sind in der Gliederung kursiv geschrieben. In die beiden Bücher werden die Vorschriften der geltenden Umweltgesetze aufgenommen, soweit sie nicht aus Gründen der Rechtsbereinigung entbehrlich sind. Dies ist zum Teil mit begrifflichen und gesetzestechnischen Anpassungen des bestehenden Wortlauts einzelner Vorschriften verbunden. Aus der überwiegend medialen und sektoralen Struktur des geltenden Umweltrechts ergibt sich, dass die Mehrzahl dieser Vorschriften in das zweite Buch gehört. Das erste Buch enthält die gesetzlichen Vorschriften des Umweltinformationsgesetzes, des Umweltstatistikgesetzes, des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres, des Umweltauditgesetzes, 34 Daher ist der vom Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit von Landesabfallabgaben (BVerfGE 98, 83, 101) und kommunalen Verpackungsabgaben (BVerfGE 98, 106, 121, 130 f.) konstruierte Widerspruch zwischen Kooperationsprinzip und individueller Entscheidungsfreiheit im Rahmen von Abgabenlösungen weder logisch noch sachlich sehr überzeugend.

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des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, des Umwelthaftungsgesetzes, der Errichtungsgesetze für das Umweltbundesamt, das Bundesamt für Naturschutz, das Bundesamt für Strahlenschutz und für die Stiftung ,,Deutsche Bundesstiftung Umwelt" sowie des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, des Wasserhaushaltsgesetzes und des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes über die Betriebsbeauftragten für Umweltschutz. Da die letztgenannten Vorschriften weitgehend inhaltsgleich sind, bietet sich eine konsolidierende Zusammenfassung des Rechts der Betriebsauftragten im ersten Buch geradezu an. Darüber hinaus sind in das erste Buch neue Vorschriften aufzunehmen, die Zweck, Anwendungsbereich, Grundsätze und Begriffsbestimmungen des Umweltgesetzbuches regeln, die mehr Transparenz im Bereich von Recht- und Regelsetzung für den Bürger gewährleisten, und die die Eigenverantwortung des Bürgers im Umweltschutz stärken. Im Folgenden sollen diejenigen im Anhang aufgefiihrten Regelungsbereiche für das erste und zweite Buch erläutert werden, für die es im geltenden Umweltrecht keine Vorschriften gibt. Sie sind im Anhang kursiv geschrieben. Ihr Regelungsbedarf ergibt sich entweder aus der auf rechtliche Konsistenz, Einheitlichkeit und Harmonisierung gerichteten Kodifikationslogik oder aus der eben begründeten Auffassung, dass der Einstieg in ein Umweltgesetzbuch mit der Stärkung der Eigenverantwortung des Bürgers im Umweltschutz, einschließlich erhöhter Transparenz staatlicher Entscheidungsverfahren, verbunden werden sollte.

2. Wesentlicher Inhalt des Ersten Buches Kapitell: Allgemeine Vorschriften Die Vorschriften zu Zweck, Grundsätzen und Begriffsbestimmungen sind auch für einen vornehmlich auf Rechtskonsolidierung gerichteten Einstieg in ein Umweltgesetzbuch erforderlich, um ein Mindestmaß an rechtlicher Einheitlichkeit, Harmonisierung und Konsistenz zu gewährleisten. Sie könnten sich an den §§ 1-10 UGB-KornE orientieren.

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Kapitel 2: Recht und Regelsetzung des Bundes Die Vorschriften zu Recht- und Regelsetzung sollen die öffentliche Transparenz beim Erlass von Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und bei rechtlichen Verweisen auf private technische Regelwerke erhöhen. Zu denken ist dabei an eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren zum Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sowie an eine Begründungspflicht für Verwaltungsvorschriften. Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien schreibt lediglich eine Beteiligung von Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Fachkreisen und Verbänden vor (§ 62 Abs. 2 und § 70 Abs. 1 GGO). Die Vorschriftenentwürfe der Bundesressorts sind vor der Veröffentlichung als Bundesratsdrucksache - was auch nur bei Zustimmungsbedürftigkeit gilt - nicht allgemein zugänglich. Die Begründung von Verwaltungsvorschriften steht nach § 70 Abs. 1 GGO im Ermessen der federführenden Ressorts und findet in der Regel nicht statt. Die Praxis der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Vorschriftenbegründung in einigen EU-Mitgliedstaaten (z. B. Großbritannien, skandinavische Länder) und in den USA zeigt, dass von Unternehmen, Wissenschaftlern und fachkundigen Bürgern im Einzelfall wertvolle Anregungen zu Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften gegeben werden können. Verweise auf private technische Regelwerke sind im Umweltrecht von großer praktischer Bedeutung. Die Verweisungspraxis ist jedoch äußerst unübersichtlich. §§ 14-24, 27-33 UGB-KornE enthalten Regelungsvorschläge zur Erhöhung der Transparenz der Recht- und Regelsetzung. Allerdings erscheint eine etwas "schlankere" Regelung - ohne Einrichtung der vorgeschlagenen Umweltkommission - möglich. Ferner wäre es in einem ersten Kodifikationsschritt unter dem Gesichtspunkt der Transparenzerhöhung wohl nicht erforderlich, allgemeine materielle Ermächtigungsgrundlagen für Umweltqualitäts-, Technik- und Produktstandards einzuführen (§§ 11-13,25,26 UGB-KornE). Diese grundsätzlich sinnvollen Regelungen sollten einem späteren Kodifikationsschritt vorbehalten bleiben. Kapitel 3: Eigenverantwortung des Bürgers Zur Stärkung der Eigenverantwortung des Bürgers im Umweltschutz verfolgt die EG seit langem die Strategie, die Beteiligung der Öffentlichkeit an behördlichen Entscheidungsverfahren zu erweitern und eine allgemeine Verbandsklage einzuführen.

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So hat die Europäische Kommission im Jahre 2001 einen Richtlinienvorschlag zur Anpassung des Gemeinschaftsrechts an die Aarhus-Konvention35 vorgelegt. Der Vorschlag sieht u. a. die Einführung einer Verbandsklage im Bereich der UVP-Richtlinie und der IVU-Richtlinie vor. Da sog. freiwillige Selbstverpflichtungen zunehmend an die Stelle von Rechtsvorschriften und Verwaltungsakten treten, sind allgemeine Publizitätsund Kontrollvorschriften für diese in der Praxis bedeutsamen Handlungsweisen aus Gründen des Umweltschutzes, der Demokratie und des Rechtsstaates dringend erforderlich. 36 §§ 35-39 UGB-KomE enthalten hierzu Regelungsvorschläge. Die Stärkung des betrieblichen Umweltschutzes wird aus Gründen umweltpolitischer Effizienz und wegen der fiskalischen Zwänge, die den Vollzug des Umweltordnungsrechts beeinträchtigen, allgemein gefordert. Ansatzpunkte hierfür bietet die EMAS-Verordnung. Allerdings ist die Teilnahme der Unternehmen am Umweltrnanagement- und Auditsystem dieser Verordnung rückläufig, weil Bund und Länder ihre Deregulierungsversprechen im Umweltordnungsrecht bislang nicht eingelöst haben. Wenn man es mit der Stärkung der unternehmerischen Eigenverantwortung im betrieblichen Umweltschutz wirklich ernst meint, muss auf diesem Gebiet eine grundsätzliche Neuorientierung erfolgen. 37 Das Umweltgesetzbuch biete hierfür eine Chance. Kapitel 4: Umweltverträglichkeit von Vorhaben, Plänen und Programmen

In diesem Kapitel sollte die Umsetzung der Richtlinie (2001l42/EG) vom 27.6.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme erfolgen. Kapitel 5: Umwelthaftung

Für den Ausgleich ökologischer Schäden besteht im Haftungsrecht der meisten EG-Mitgliedstaaten eine Regelungslücke. 38 Diese Lücke zu schließen, ist das Ziel des Richtlinienvorschlags vom 23.1.2002 über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt. 39 3S Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/6 lIEG des Rates, KOM (2000) 839 endg. vom 18.1.2001. 36 Dazu der Beitrag von Knebel, oben S. 243 ff. 37 Siehe dazu den Beitrag von Wagner, oben S. 201 ff. 38 Siehe dazu den Beitrag von Sangenstedt, oben S. 223 ff. 39 KOM (2002) 17 endg.

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Die Umsetzung der künftigen Richtlinie dürfte durch ein öffentlich-rechtliches Regime erfolgen, dessen einzelne Regelungen aber nicht über verschiedene Fachgesetze verteilt, sondern in einem Gesetz - besser in einem Kapitel des Umweltgesetzbuches - zusammengefasst werden sollten. Kompetenzrechtlicher Anknüpfungspunkt sind die in Anhang I des Richtlinienvorschlags aufgeführten Aktivitäten, die der Haftung unterliegen. Im Bereich wasserwirtschaftlicher Aktivitäten könnten sich daher gewisse Begrenzungen flir bundesrechtliche Regelungen ergeben, was sich allerdings beim derzeitigen Diskussionsstand nicht abschließend beurteilen lässt. 3. Wesentlicher Inhalt des Zweiten Buches Kapitel J: Klimaschutz Die geltenden Klimaschutzregelungen sind derzeit über zahlreiche Gesetze verstreut. Angesichts der zentralen Bedeutung des Klimaschutzes für die Umweltpolitik sollten diese Regelungen in einem Kapitel des Umweltgesetzbuches zusammengeführt werden. Dieses Kapitel wäre auch der Standort für die Umsetzung der künftigen Richtlinie über ein System ftir den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG (Richtlinienvorschlag vom 23.10.2001)40 sowie für künftige wirtschaftliche Anreize zur Förderung umweltschonender Energiesysteme und zur Energieeinsparung. Hierzu gehören beispielsweise ein Zertifikatssystem für die Stromerzeugung aus emeuerbaren Energieträgern oder eine allgemeine Energiesteuer. 41 Abweichend von den bisherigen Entwürfen für ein Umweltgesetzbuch, erscheint auch die Aufnahme von umweltbezogenen Lenkungssteuern in das Umweltgesetzbuch als sinnvoll, damit der umweltbezogene Lenkungszweck nicht nur eine allgemeine politische Willensbekundung bleibt, sondern in dem gesetzlichen Standort der Regelung zum Ausdruck kommt. Die Verfassungsmäßigkeit solcher Steuern dürfte nicht mehr in Frage stehen. 42 Kapitel 2 - 8: Einzelne Umweltbereiche Abgesehen von begrifflichen und gesetzestechnischen Anpassungen sowie von Streichungen aus Gründen der Rechtsbereinigung enthalten diese Kapitel keine Neuerungen gegenüber dem geltenden Umweltrecht.

40 41

42

KOM (2001) 581 endg. -200110245 (eOO). Siehe dazu den Beitrag von Müller, oben S. 319 ff. Siehe dazu den Beitrag von SeImer, oben S. 297 ff.

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4. Gesetzgebungskompetenzen a) Erstes Buch Soweit das erste Buch neue Vorschriften enthält, die sich im geltenden Umweltrecht finden und die fiir den Gewässerschutz sowie für Naturschutz und Landschaftspflege von Bedeutung sind, ergibt sich die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit dieser Vorschriften entweder aus der Ausnahmeklausel des Art. 75 Abs. 2 GG oder aus einer Vorrangklausel für Ländervorschriften in Kapitell, die sich an § 1 Abs. 3 VwVfG orientieren könnte. b) Zweites Buch Die Gesetzgebungskompetenzen fiir das zweite Buch sind grundsätzlich unproblematisch, weil in diesem Buch lediglich das geltende Umweltrecht konsolidiert wird. Allerdings könnte der Konsolidierung bestehender Umweltgesetze in einem Umweltgesetzbuch im Hinblick auf Art. 125 a GG entgegengehalten werden, dass die förmliche Aufhebung und Einfügung von Umweltgesetzen in ein Umweltgesetzbuch, die vor der Verfassungsänderung von 1994 ergangen sind, für die Praxis mit dem Nachteil verbunden sei, dass zahlreiche Regelungen - insbesondere im Wasserhaushalts gesetz - wegfallen würden, da sie wegen ihres Detailliertheitsgrades heute nicht mehr erlassen werden dürften. Diese Regelungen gelten nämlich nach Art. 125 a GG fort und können nur unter bestimmten Voraussetzungen durch Landesrecht "ersetzt" werden. Soweit ersichtlich, hat sich in der rechts wissenschaftlichen Literatur bislang nur Jarass 43 mit der Frage befasst, ob die Bestandsgarantie des Art. 125 a GG auch der Änderung oder Modifizierung von altem Bundesrecht zugute kommt. Er verneint diese Frage unter Berufung auf den Wortlaut der Vorschrift und mit der Überlegung, dass "einer unsachgemäßen Petrifizierung" des Rechts vorzubeugen sei. Den Fall einer konsolidierenden Rechtskodifikation spricht er allerdings nicht an. Aus dem Wortlaut des Art. 125 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 GG - Bundesrecht kann "durch Landesrecht ersetzt werden" - ist zu folgern, dass der Begriff des "Ersetzens" nicht allein die formale Ablösung von Bundesrecht meint, sondern auch dessen inhaltliche Änderung fordert. Denn die schlichte Wiederholung des Wortlauts alter Bundesvorschriften durch den Landesgesetzgeber wäre ein reiner Formalismus, der die Landesgesetzgebung nicht stärken, sondern nur mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand belasten würde. Andererseits folgt aus diesem materiellen Verständnis des Art. 125 a GG, dass nur ge43 Hans D. Jarass, Verfassungsrechtliche Kompetenzen des Bundes flir ein Umweltgesetzbuch I, 1999, S. 55 f., (MS).

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setzestechnische Änderungen alter Bundesgesetze durch den Bundesgesetzgeber, die den bisherigen Inhalt der Vorschriften unberührt lassen, die Fortgeltung des alten Bundesrechts nicht in Frage stellen. Hierfür spricht auch der Sinn und Zweck des Art. 125 a GG, der nicht auf die "Versteinerung" überholter Gesetzesstrukturen abzielt und daher nicht den Bundesgesetzgeber von gesetzestechnischen Verbesserungen abschrecken will. Dieser Effekt würde jedoch eintreten, wenn der Bundesgesetzgeber bei der Zusammenführung zersplitterter Rechtsmaterien in einem Gesetz befürchten müsste, dass das konsolidierte Bundesrecht inhaltlich "ins Rutschen" käme. Dies bedeutet, dass die Konsolidierung des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch der Bestandsgarantie des Art. 125 a GG unterfällt, soweit dies nicht mit inhaltlichen Änderungen verbunden ist.

5. Fazit Die politischen Gründe, die dafür sprechen, in der 15. Legislaturperiode die Schaffung eines Umweltgesetzbuches in Angriff zu nehmen, lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) Der kompetenzrechtlich (wenig überzeugend) begründete Verzicht auf ein Umweltgesetzbuch hat der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und generell der Umweltpolitik Schaden zugefügt. Die Umweltrninisterien der Länder, die sich überwiegend für die Schaffung eines Umweltgesetzbuches ausgesprochen hatten (insbesondere auch Bayern), hat man politisch "im Regen stehen lassen". (2) Der angekündigte Versuch, die Bundeskompetenzen im Gewässer- und Naturschutz durch eine Verfassungsänderung zu erweitern, um dann ein Umweltgesetzbuch zu erarbeiten, ist auf absehbare Zeit politisch aussichtslos und damit ebenfalls unglaubwürdig. (3) Der politische Prozess zur Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches verleiht der Umweltpolitik in der Öffentlichkeit einen wesentlich höheren Grad an Aufmerksamkeit und Zustimmung als die Vielzahl fachspezifischer Einzelaktivitäten. So hat die Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, dass das Bundesnaturschutzgesetz novelliert wurde. Was in der Öffentlichkeit hängen bleibt, sind überwiegend Negativschlagzeilen wie Castor-Transporte und Dosenpfand, auch wenn diese Maßnahmen fachlich sinnvoll sein mögen. (4) Das Umweltgesetzbuch beseitigt die Unübersichtlichkeit des geltenden Umweltrechts und vereinfacht damit den Gesetzesvollzug. Dies fUhrt zu Kostensenkungen für Länder und Kommunen. (5) Eine Gesetzeskodifikation ist wegen der Notwendigkeit, Änderungen in ein normatives Gesamtsystem einzupassen, weniger anfällig gegenüber ta-

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gespolitisch motivierten Änderungsanforderungen als Einzelgesetze und trägt damit zur Eindämmung der "Gesetzesflut" bei. Ein Beispiel hierfiir ist die Zurückhaltung bei der Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches. (6) Die Schaffung eines Umweltgesetzbuches bietet Gelegenheit zu umfassenden Rechtsbereinigungen im Umweltrecht und damit zur Verminderung der vorhandenen Vorschriftenrnengen. (7) Das Umweltgesetzbuch stärkt die Eigenverantwortung der Bürger im Umweltschutz durch mehr - Transparenz, - Öffentlichkeitsbeteiligung, - marktwirtschaftliche Anreize in Abstimmung mit dem Ordnungsrecht und - Deregulierung und schafft damit Möglichkeiten fiir ökologische und wirtschaftlich-technische Innovationen. (8) Das Umweltgesetzbuch bündelt die über zahlreiche Gesetze verstreuten Klirnaschutzregelungen und verbessert die rechtlichen Grundlagen fiir eine wirksame und kohärente Klimaschutzpolitik. (9) Durch das Umweltgesetzbuch findet das deutsche Umweltrecht Anschluss an die Kodifikationsentwicklungen in den europäischen Nachbarstaaten und stärkt die deutsche Position im "regulatorischen Wettbewerb" der EUMitgliedstaaten in Brüssel.

Anhang Umweltgesetzbuch • Erstes Buch: Schutz der Umwelt als Gesamtsystem

Kapitel I: Allgemeine Vorschriften Zweck 11. Anwendungsbereich III. Grundsätze, Begriffsbestimmungen I.

• Kursiv geschriebene Regelungsbereiche kennzeichnen Neuerungen gegenüber dem geltenden Umweltrecht.

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Kapitel2: Recht- und Regelsetzung I. Rechtsverordnungen 11. III.

Verwaltungsvorschriften Technische Regelwerke

Kapitel 3: Eigenverantwortung des Bürgers Informationsgrundlagen, Umweltbewußtsein 1. Umweltinformationsgesetz (UIG) 2. Umsetzung der Aarhus-Konvention und der künftigen Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Ä'nderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG (Richtlinienvorschlag vom 18.1.2001) 3. Umweltstatistikgesetz 4. Gesetz zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres (FÖJG) 11. Beteiligung von Verbänden, Rechtsschutz III. Umweltvereinbarungen 1. Verträge 2. Normenersetzende Absprachen IV. Betrieblicher Umweltschutz 1. Betriebsbeauftragte 2. Umweltauditgesetz (UAG) 3. Privilegierungen for EMAS-registrierte Unternehmen I.

Kapitel 4: Umweltverträglichkeit von Vorhaben, Plänen und Programmen I. Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) 11. Umsetzung der Richtlinie (200J/42/EG) vom 27.6.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme Kapitel 5: Umwelthaftung Umwelthaftungsgesetz Umsetzung der künftigen Richtlinie über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt (Richtlinienvorschlag vom 23.1.2002)

I. 11.

Kapitel 6: Organisatorische Grundlagen I. Gesetz über die Errichtung eines Umweltbundesamtes 11. Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes ftir Naturschutz 111. Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes fur Strahlenschutz

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IV.

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Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Deutsche Bundesstiftung Umwelt"

Zweites Buch: Schutz einzelner Umweltbereiche und Schutz vor bestimmten Umweltbeeinträchtigungen

Kapitell: Klimaschutz 1. Energieeinsparungsgesetz 2. Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz 3. Emeuerbare-Energien-Gesetz (EEG), Umsetzung der Richtlinie (200J/77/EG) vom 27.9.2001 zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt 4. Gesetz zum Schutz der Stromerzeugung ausKraft-Wänne-Kopplung (KWK-Gesetz) 5. Stromsteuergesetz 6. Umsetzung der kürif/igen Richtlinie über ein Systemfor den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur A'nderung der Richtlinie 96/6J/EG (Richtlinienvorschlag vom 23.10.2001) Kapitel 2: Naturschutz und Landschaftspflege, Tierschutz I. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) 11. Tierschutzgesetz (TierSchG) Kapitel 3: Immissionsschutz Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) 11. Benzinbleigesetz (BzBIG) III. Gesetz zum Schutz gegen Fluglänn I.

Kapitel 4: Kernenergie und Strahlenschutz Atomgesetz (AtG) 11. Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) I.

Kapitel 5: Gewässerschutz I.

11. III. IV. 25 Bohne

Wasserhaushaltsgesetz (WHG) Abwasserabgabengesetz (AbwAG) Hohe-See-Einbringungsgesetz Wasch- und Reinigungsmittelgesetz (WRMG)

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Kapitel 6: Bodenschutz Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) Kapitel 7: Kreislauf- und Abfallwirtschaft I. Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) 11. Abfallverbringungsgesetz (AbfVerbrG) Kapitel 8: Schutz vor gefährlichen Stoffen I. Chemikaliengesetz (ChemG) 11. Pflanzenschutzgesetz (PflSchG)

Diskussion zu dem Referat von Eberhard Bohne Bericht: Oliver Graf Storm eröffuete die Diskussion und bezeichnete es als sehr erfreulich, dass Bohne die Initiative ergriffen habe, die Idee eines Umweltgesetzbuches wieder neu zu beleben und gleichzeitig mit seinem Vorschlag, der ernsthafter Diskussion bedürfe, einen Weg weise, diese Idee auch in die Realität umzusetzen. Man müsse jedoch aufpassen, dass nicht ein "UGB light" entstehe, wenn mit dem Verzicht auf einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil auch die systematisierende Kraft eines Allgemeinen Teils, wie sie in der deutschen Rechtstradition begründet sei, verschwände. Es stelle sich hier die Frage, ob man nicht zu viel erleichtere, wenn man praktisch zwei Bücher schaffe, wobei das "Erste Buch" ein allgemeines Umweltgesetzbuch darstelle, das es in dieser Form seit der Entsehung des Umweltrechts 1970 eben nicht gebe. In diesem allgemeinen Umweltgesetzbuch sei alles enthalten, was nach Ansicht Bohnes an neuen und zukunftsträchtigen Entwicklungen zu kodifizieren bzw. regulieren sei. Das "Zweite Buch" hingegen sei nur eine Zusammenstellung der vorhandenen Umweltgesetze, so dass man auch auf gleichartige Darstellungen anderer Autoren zurückgreifen könne. Es stelle sich dabei die Frage, ob wirklich eine Durcharbeitung dieses "Zweiten Buchs" aus der Sicht des "Ersten Buchs", das auch den Titel "Regelungen zum Schutz der Umwelt als Gesamtsystem" trage, erfolge. Storm warf abschließend die Frage auf, ob nicht dadurch, dass ein "Zweites Buch" mit den sogenannten medialen Regelungen geschaffen werde, diese aus dem Zwang entlassen würden, sich mit der Umwelt insgesamt zu beschäftigen.

Im Anschluss nahm Sangenstedt Bezug auf die von Bohne am Artikelgesetz geäußerte Kritik. Er fiihrte aus, dass man dem Artikelgesetz nur gerecht werde, wenn man auch die Begleitumstände der Entstehung betrachte. Diese seien vor allem durch den hohen Zeitdruck geprägt. Bei dem Artikelgesetz gehe es um die Umsetzung verschiedener europäischer Richtlinien zum Umweltschutz, wobei Deutschland seit Jahren Umsetzungsdefizite aufweise, so bei der UVPÄnderungs-, der IVU- und der Umweltinformationsrichtlinie. Da vor dem EuGH deshalb Verfahren gegen Deutschland liefen, komme es darauf an, das Gesetzgebungsverfahren schnell abzuschließen, um drohende Zwangsgelder abzuwenden. Daher habe man im Umweltrninisterium keine Zeit gehabt, neue innovative Modelle zu entwickeln, sondern habe vielmehr mit den vorhandenen 25"

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Instrumentarien und Gesetzeswerken arbeiten, an diesen ansetzen und versuchen müssen, in diesem Rahmen eine Minimalumsetzung zu bewerkstelligen. Daran gemessen, sei das Artikelgesetz gelungen. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass aufgrund der Hektik einige Ungenauigkeiten enthalten seien, jedoch seien diese aber nicht gravierend, da die Vorschriften klar gefasst seien, sich auch durch Auslegung erschlössen und der Gesamtüberblick nicht verloren gegangen sei. Das Projekt "UGB" sei mit dem Artikelgesetz aber nicht aufgegeben worden. Vielmehr habe Bohne bereits die Gründe geschildert, die zum Abbruch des Projekts gefuhrt hätten. Dabei seien verfassungsrechtliche Erwägungen entscheidend gewesen, wobei dahingestellt bleiben könne, ob man die Verfassung auch tatsächlich auf diese Art auslegen müsse. Die Definitionsmacht hierfür liege beim Bundesinnen- und beim Bundesjustizministerium, die diese Frage nun einmal in der genannten Weise entschieden hätten. Die von den beiden Ministerein vertretene Auffassung habe sich bereits im Rahmen der Änderung der Kompetenzvorschriften im Grundgesetz angedeutet, als Äußerungen aus beiden Häusern auf eine sehr restriktive Auslegung im Hinblick auf die Rahmengesetzgebung hindeuteten. Hieran habe man dann hinsichtlich des UGB angeknüpft. Die Möglichkeit einer Verfassungsänderung beurteilte Sangenstedt nicht so pessimistisch wie Bohne, da in der nahen Zukunft eine Reihe von Gesetzgebungsvorhaben anständen, bei denen es um Querschnittsgesetzgebung, um Gesetzgebung mit integrativem Charakter auch im Umweltbereich gehe, die alle auf der Grundlage dieser Kompetenzbetrachtung der Verfassungsressorts umgesetzt werden müssten. Dies gestalte sich außerordentlich schwierig, wie das Beispiel der Umsetzung der Wasserrahmemichtlinie mit ihren komplizierten Vorschriften in 16 Bundesländern zeige. Daher stelle sich die Frage, ob man mit den fOderativen Strukturen und vor allem den Aufteilungen, die in der Kompetenzordnung im Umweltbereich bestehe, tatsächlich so weitermachen könne wie bisher. Dazu komme noch, das auch andere Verfassungsänderungen auf der Tagesordnung stünden, die von den Bundesländern im Rahmen des "Post-Nizza"-Prozesses gefordert würden. Dazu müssten "Pakete" geschnürt werden und dabei könne auch der Umweltbereich Teil eines solchen "Pakets" werden. Sangenstedt begrüßte, dass in dem UGB-Konzept Bohnes großer Wert auf den Bereich Eigenverantwortung und Kooperation gelegt worden sei. Dies sei ein Bereich, der sich schon allein aufgrund der Notwendigkeit, die Verwaltung entlasten zu müssen, weiterentwickeln werde. Man müsse eingestehen, dass die Überwachungsverwaltung in der Praxis nicht existent sei, schlicht und einfach nicht funktioniere. Praktiziert werde vielmehr reine Anlassüberwachung, eine echte präventive Überwachung werde aufgrund der hohen Kosten und der zu kompliziert gewordenen Materie nicht mehr durchgefuhrt. Der einzige gangbare Weg seien daher Kooperation und Eigenverantwortung. Das Hauptproblem dabei sei weniger die Gesetzgebung als vielmehr das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Man könne dem Bürger zwar mehr Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten geben, diese werde er aber ohne einen tiefgreifenden

Diskussion zu dem Referat von Eberhard Bohne

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Bewusstseinswandel nicht nutzen, sondern weiterhin beim Auftauchen eines Problems die Behörden aufsuchen. Nach Bohne belegten die Anmerkungen Sangenstedts, dass, gerade wenn man wie im Ministerium und in der Politik ständig unter Druck stehe, Selbstverständlichkeiten wie Bewilligung, Planfeststellung, Plangenehrnigung etc., einfach übersehen würden. Auch dies sei ein Grund dafür, warum man Artikelgesetze vor allem auf gesetzestechnische Anpassungen mehrerer Gesetze beschränken solle. Bei weitreichenden inhaltlichen Änderungen von Gesetzen eines Politikbereichs seien Reformgesetze vorzugswürdig, die eine Neukonzipierung und Zusammenfassung betroffener Gesetze, gegebenenfalls auch eine (konsolidierende) Kodifikation herbeifiihrten. Den Ausführungen Storms stimmte Bohne im Prinzip zu, betonte aber, er vertraue darauf, dass sich nach der Durchführung eines ersten konzeptionellen Kodifikationsschritts im Laufe der Zeit ein Entwicklungsprozess in Gang setze. Dies sei auch eine Frage von Personen und Generationen. Wenn nun die Generation derer, die seit 20 Jahre in dogmatische Grabenkämpfe verwickelt seien, in Pension gehe, werde sich die Lage entspannen. Wenn dann bereits ein Kodifikationsrahmen vorhanden sei, könne man vieles später aufgreifen. Deswegen sei das Machbare nicht zu Gunsten des Wünschenswerten zurückzustellen. Weiter müsse man im Blick behalten, dass die Gesetzesanwender überwiegend keine Juristen seien. Im tagtäglichen Entscheidungsverhahen seien es vielmehr Ingenieure, Betriebswirte und andere Berufsgruppen, die sich im Gesetzessystem von Allgemeinem und Besonderem Teil zurechtfmden müssten, was ihnen nicht immer leicht falle. Auch der Umstand, dass andere Staaten die strikte Trennung in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil nicht kennen, sei Anlass, darüber nachzudenken, ob nicht eine Kodifikation des Umweltrechts auch ohne diese Trennung möglich und sinnvoll sei. Zur Problematik Kooperation und Eigenverantwortung führte Bohne weiter aus, dass es einer Bewusstseinsänderung bedürfe, die nicht über die Gesetzgebung dekretierbar sei. Jedoch könne man zumindest versuchen, die Gesetzgebung so zu gestalten, dass sie übersichtlich bleibe. Nehme man gesetzliche Entscheidungsbefugnisse des Staates zurück, seien auch gewisse Risiken einzugehen. Erst dann könne eine Entwicklung zu mehr Eigenverantwortung eintreten, deren Anfang nur die Politik machen könne. Weigand fiihrte aus, dass das bereits vorliegende Konzept eines Umweltgesetzbuches fast einhellige Zustimmung gefunden habe. Spezialisten des fachübergreifenden Umweltrechts hätten in der allerletzten Phase der Diskussionen den Aspekt des Verfassungsrechts aufgebracht, der zuvor bereits behandelt worden sei. Dabei habe man sich auch mit der Kompetenzordnung beschäftigt, sei aber zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Problem lösbar sei. Dann aber hätten sich plötzlich nicht die Verfassungsrechtler, sondern die Traditionalisten eines zersplitterten deutschen Umweltrechts durchgesetzt. Die Risse und Konfrontationslinien seinen quer durch die Ministerien verlaufen und vielleicht

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müsse, wie Bohne schon ausgefiihrt habe, erst ein Generationswechsel stattfmden, bevor sich neue Denkansätze durchsetzen könnten. Es erscheine schwierig, gegen die Traditionalisten eines fachspezifischen sektoralen Umweltrechts ein fachübergreifendes integratives Umweltrecht zu etablieren. Man sei bereits auf einem guten Weg gewesen und erst durch eine neuerliche Diskussion in die jetzigen Schwierigkeiten geraten. Dies bedeute aber auch, dass es so schnell keine Verfassungsänderung geben werde. Wie das Beispiel des bayerischen Ministerpräsidenten zeige, der sich 1995 seines Erfolgs der Stärkung des Föderalismus in Deutschland gerühmt habe, sei nicht erkennbar, wie diese Entwicklung in die Gegenrichtung zu Gunsten eines Umweltgesetzbuches verkehrt werden könne. Dieses Umweltgesetzbuch werde aber gebraucht und deshalb sei intensiv darüber nachzudenken, wie die bisherigen Bestrebungen erneuert werden könnten. Zwar könne man das Artikelgesetz als handwerkliches Grundlagenrnaterial bezeichnen, aber es habe keines der Probleme gelöst, die von einem Umweltgesetzbuch erfasst worden wären. Vielmehr bestünden auch bei dem Artikelgesetz ähnliche verfassungsrechtliche Probleme, die jedoch verdrängt würden. Weigand plädierte dafiir, sich auch bei dem Artikelgesetz die nötige Mühe zu geben. Die Bundesländer hätten 350 Korrekturvorschläge vorgelegt und es sei zu hoffen, dass in den laufenden Diskussionen wenigstens einige dieser Vorschläge aufgegriffen würden. In diesem Artikelgesetz gingen mit dem integrativen Ansatz und der Eigenverantwortung auch der gesamte Ansatz zur Erneuerung des deutschen Umweltrechts verloren. Verordnungserrnächtigungen zugunsten von Deregulierungen seinen nur ein mühsamer Versuch in Richtung Erneuerung. Es sei vielmehr eine grundlegende Erneuerung des deutschen Umweltrechts erforderlich. In den Bundesländern seinen nicht nur die Ressourcen erschöpft, sondern es bestünden erhebliche VollzugsdeflZite. Das perfekte deutsche Umweltrecht könne bei abnehmenden personellen und finanziellen Ressourcen in Zukunft immer weniger vollzogen werden. Das Artikelgesetz erschwere die Situation zusätzlich. Um einen besseren Umweltschutz zu erzielen sei vor diesem Hintergrund mehr Eigenverantwortung erforderlich. Nach Ansicht Weigands seien daher ein Umdenken der beteiligten Akteure, mehr Eigenverantwortung und zwingend die Beschränkung des staatlichen "Command and Control"-Systems erforderlich. Dies fiihre zu einer Reduzierung des Vollzugesdefizits und zu einer Verbesserung des betrieblichen und sonstigen Umweltschutzes. Er plädiere dafiir, diese Diskussion nicht im Sande verlaufen zu lasen, sondern zu verstärken, damit das Projekt eines Umweltgesetzbuchs möglichst schnell weiterverfolgt werde. Anschließend merkte Cupei an, dass rückblickend auf die Genese des Umweltgesetzbuches von Zeitdruck überhaupt keine Rede sein könne. Durch die Kloepfer-Gutachten und andere flankierende Aktivitäten werde der Boden fiir ein Umweltgesetzbuch schon seit über 20 Jahren bereitet. Die mangelnde Realisierung liege nicht an der Jurisprudenz oder an idealtypischen Konzepten, sondern an der politischen Wirklichkeit. Man setze immer dann Kommissionen

Diskussion zu dem Referat von Eberhard Bohne

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ein, mache Planspiele und Praxistests, wenn man hoffe, das Projekt werde nicht realisiert. Gegebenfalls ziehe man die Notbremse und habe verfassungsrechtliche Probleme. Dies zeige auch ein Forschungsvorhaben in Kooperation mit dem bayerischen Landwirtschaftsministerium vor ca. 15 Jahren zur Intensivierung oder Extensivierung der Viehzucht auf der Basis der UVP-Grundsätze. Man sei auch zu einem gemeinsam getragenen und recht produktiven Ergebnis gekommen, das Wege zur Problemlösung aufgezeigt habe. Jedoch sei dieses Ergebnis weder in Bayern noch im Bund politisch gewollt gewesen. Auch die EG sei nicht bereit gewesen, die Konsequenzen in Form von Ausgleichszahlungen mitzutragen. Was bei dieser Diskussion über das Umweltgesetzbuch daher fehle, sei ein Politikwissenschaftler, der die Situation analysiere. Jeder führte sodann aus, dass die vorliegende Artikelgesetzlösung aus der Sicht des VCI durchaus geeignet sei, das Querschnittsthema eines integrativen Umweltschutzes zu bewältigen. Hinsichtlich der deutschen Diskussionen zu EG-rechtlichen Umsetzungsrisiken dränge sich ihr der Eindruck auf, dass Umsetzungsrisiken auch herbeidiskutiert werden könnten. Schaue man sich den medienübergreifenden Umweltschutz auf der Basis der EG-Richtlinien an, so stehe Deutschland gerade im Hinblick auf das untergesetzliche Regelwerk recht gut dar. So habe Feldhaus schon 1980 festgestellt, dass die TA Luft medienübergreifend ausgestaltet sei, da sie sich mit Verlagerungseffekten, Energieeffizienz und ähnlichem befasse. Betrachte man also die gegenwärtige Situation aus der Perspektive des Immissionsschutzrechts, so sei diese nicht so negativ wie dargestellt. Auch die Lage in den Bereichen Wasser- und Bodenschutz sei vergleichbar. Bezüglich der Konfliktverlagerung in den Gesetzesvollzug merkte Jeder an, dass auch die Gesetzesanwender in den Unternehmen Probleme hinsichtlich der Ressourcen hätten. Sie stimme zu, dass das Artikelgesetz erheblichen Koordinierungsbedarf und hohe Kosten verursache, und zwar auch für die Unternehmen, da die Vollzugskosten auf diese abgewälzt würden. Zu dem Stichwort "Unübersichtlichkeit" bemerkte Jeder, dass man bei dem Artikelgesetz auch einem vorliegenden Vorschlag hätte folgen und das BundesImmissionsschutzgesetz zu einem Industrieanlagenzulassungsrecht umgestalten können. Hinsichtlich der von Bohne vorgetragenen Kodiftkationsgrundsätze sei sie verwundert, dass er angesichts der Diskussionen mit den Verfassungsressorts der beteiligten Ministerien nicht die These unterstütze, dass eine Verfassungsänderung im Bereich Gesetzgebungskompetenzen anzustreben sei. Mit der bestehenden Kompetenzverteilung verharre man in der Zersplitterung und käme nicht zu einem ganzhaften Umweltschutz. Im übrigen sei Bohnes Skizzierung eines möglichen Umweltgesetzbuches ein pragmatischer Vorschlag für das weitere Vorgehen. Auch in den Diskussionen in den Gremien des vcr habe sich immer die Frage nach dem Nutzen der Unterscheidung in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil gestellt. Abschließend nahm Bohne noch einmal Stellung zu den Diskussionsbeiträgen. Zu den Ausführungen Weigands merkte er an, dass er nicht erkennen könne, dass

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man nach Veröffentlichung des Artikelgesetzes im Gesetzblatt und der Änderung des Zulassungsrechts bald wieder von vom beginnen und das Anlagenzulassungsrecht grundlegend umgestalten werde. Die notwendige Kraft sei hierfür politisch und praktisch nicht vorhanden. Daher sei das auf das Anlagenzulassungsrecht beschränkte UGB I kein Punkt, an dem man anknüpfen könne. Es stelle sich somit die Frage, ob man auf die Professorenentwürfe von 1990 oder den UGB-KornE zurückgreifen oder versuchen wolle, eine pragmatische neue Lösung zu fmden. Dies sei sein Ansatzpunkt, den er aber nicht mit dogmatischen Weihen versehen wolle. Das Anlagenzulassungsrecht als Kembereich des Umweltrechts sei im fast ein Jahrzehnt dauernden Kampf um das Artikelgesetz geändert worden und werde seines Erachtens erst einmal unverändert bestehen bleiben. Eine Analyse durch Politikwissenschaftler, wie von Cupei vorgeschlagen, helfe dabei nicht weiter, da die politische Situation offensichtlich sei. Es habe sich eine Negativkoalition gebildet, die Kompetenzargumente vorschiebe. Auf den Diskussionsbeitrag Jeders eingehend stellte er klar, dass eine Änderung der Kompetenzen im Grundgesetz zwar wünschenswert, aber nicht erreichbar sei. Daher habe er, die Defmitionsmacht von Bundesinnen- und Bundesjustizministerium fiir die Gesetzgebungskompetenzen akzeptierend, einen pragmatischen Ansatz fiir die Schaffung eines UGB gewählt. Im übrigen hätten Bundesinnen- und Bundesjustizrninisterium mit ihrer Auffassung die Bundesregierung in die Lage manövriert, - etwas überspitzt ausgedrückt - bei der Umsetzung von EU-Richtlinien im Bereich der Rahmengesetzgebung künftig entweder verfassungs- oder EGrechtswidrig zu handeln. Zu der von Jeder angeführten TA Luft merkte Bohne an, dass diese nicht als medienübergreifend bezeichnet werden könne, da sie den Stand der Technik Mitte der 80er Jahre widerspiegele, als im Umweltrecht Regelwerke noch nicht medienübergreifend konzipiert worden seien. Die historischen Verdienste des Bundes-Immissionsschutzgesetzes seien aber auch nicht sein Angriffspunkt. Vielmehr müsse das, was in den 70er und 80er Jahren neu und fortschrittlich gewesen, aber heute 20 bis 30 Jahre später überholt sei, fortentwickelt werden.

Sachverzeichnis Abgabe 265,267,268,269,270,271, 272,273,274,275,276,283,284, 285,286,287,288,289,290,295, 296,297,298,299,300,304,306, 323,339,342,345,348,355,356, 358,359,414 Abgabenregelung 342, 344, 345 Absprache 252,253,255,256,257, 263,381,414 Abwasserabgabe 265,266,267,268, 269,270,271,272,274,275,276, 277,278,281,284,285,286,287, 288,289,290,295,296,297,323, 339,351,358,414 Anlagenbetreiber 99, 111, 132, 144, 145,214,342 Anlagengenehmigung 60, 132, 140, 201,202,203,204,209,210,212, 216,414 Anlagenplanung 203,205 Anlagenzulassungsrecht 211,359, 371,372,393,414 Anreizinstrument 170,338,339, 340, 345,348,351,356,357 Anzeigeverfahren 21,223,256 Artikelgesetz 17,30,34,35,47,171, 174,176,181,203,208,210,211, 331,368,371,372,387,391,393, 414 autonome Gemeinschaften 96, 10 I, 102,105 Bescheidlösung 273,275,289,290 beste verfügbare Technik 123,414 Biodiversität 225, 229 Budgetrecht 302, 303 Bundes-Immissionsschutzgesetz 44, 118,170,174,175,208,341,374, 382,393,394,414 Bundesministerium für Umwelt,

Naturschutz und Reaktorsicherheit 414 Bundesverfassungsgericht 249,254, 315,316,340,341,342,343,344, 345,346,347,349,356,367,414 Dänemark 113,142,146,148,162, 164, 165, 166, 167,326,414 Deregulierung 208,210,213,214, 215,216,245,257,331,380,414 Deutschland 13,38,39,41,55,59,72, 89, 110, 113, 118, 122, 136, 149, 153,154,163,164,168,169,170, 178,179,181,185,197,223,228, 229,232,239,240,241,245,266, 276,277,282,283,284,324,332, 333,334,363,387,391,392,414 Effektivierung 338 EG-Recht 18,33,80, 129, 139, 147, 149,168,172,181,191,213,215, 363,364,365,367 Eigeninitiative 245 Eigenverantwortung 14,21,210,245, 257,263,319,372,374,375,376, 377,380,381,389,390,391 EMAS 169,170,177,190,201,202, 203,204,205,207,208,209,210, 211,212,213,214,215,216,221, 223,331,334,376,381,414 EMAS-registrierte Betriebe 170, 177, 211,414 Emissionsprinzip 276, 278 Erhebungszweck 306,316,317 Ermächtigungsgrundlage 147,246, 247 FFH-Richtlinie 50,225,229,414 Finanzverfassung 366,414

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Sachverzeichnis

Frankreich 72,82,113,136,142,148, 161,164,165,167,170,296,297, 334,364,414 Gefahrdungshaftung 225,227,238 Gefahrenabwehr 19, 128,248,249, 263,342 Gemeinschaftsrecht 80,214 Genehmigung, s. Vorhabengenehmigung Genehmigungsaudit 211,212,213, 216,223 genehmigungsbedürftige Anlage 21 Genehmigungspflicht 66, 144, 146, 197,203,205 Genehmigungsrecht 93,97, 128, 132, 146,154,158,161,162,169,170, 171,175,178 Genehmigungsverfahren 19, 20, 21, 22,28,29,44,46,58,60,61,65, 66,70,77,79,77,79,81,82,83, 84,86,93,97,98,101,104,105, 109,110,113,128,154,158,159, 161,170,177,201,204,208,210, 213,215,221,256,261,414 Genehmigungsvoraussetzungen 19, 25,26,67,146,147, 148, 151, 152, 154,157,211 Gesetzgebung 59,61,71, 80, 83, 94, 96,98,102,120,169,178,209, 303,343,357,388,414 Gesetzgebungsinstrument 171 Gesetzgebungskompetenz 180, 181, 343,344,349,367,414 Gesetzgebungsverfahren 172, 210, 388 Gesetzgebungszuständigkeit 343,414 Gestaltungsfreiheit 347,348,359 Grenzwert 98,129,143,147,337,355 Grenzwertemodell 337,338 Großbritannien 113, 136, 139, 142, 147,149,161,163,164,376,414 Harmonisierung 13,33, 79, 231, 329, 351,360,370,375 Haushalt 186, 300, 304, 316 Haushaltsverfassung 302, 304 Immissionsprinzip 278 Immissionsschutzrecht 170, 208, 211,

341,414 Inkrementalismus 114,120,121,182, 183,184,360,414 Integration 18, 24, 25, 81, 82, 83, 90, 100,109,110,113,122,123,141, 142,143,153,160,164,167,173, 174,205,223,338,361,414 integriertes Genehmigungsverfahren s. Vorhabengenehmigung Internalisierung 223,228,267,278, 281 Italien 33,38,39,43,44,45,46, 110, 113,154, 158, 160, 163, 164, 169, 178 IVU-Richtlinie 15, 16, 18, 22, 23, 24, 25,26, 28,29, 33, 35, 65, 78, 80, 81,82,83,85,93,101,102,103, 105,111,113,122,123,124,125, 126,127,128,129,130,131,132, 133,134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147,148,149,150,151,152,153, 154, 155, 156, 158, 159, 160, 161, 162,163,164,165,166,167,168, 169,171,174,175,176,177,178, 203,211,215,359,367,376,414 Katalonien 93,98,100, 102, 103, 104, 105, 111, 112,414 Klimaforschung 321 Klimaschutz 242,324,325,377,381, 414 Klimavorsorge 242, 248 Kodifikation 17,18,23,25,30,33, 34,52, 144, 176, 178, 179, 180, 181,185,189,359,360,364,368, 369,389,414 Kodifikationsprinzip 27,370,371 Kodifikationsvorhaben 180 KompetenzverteiIung 61,71,94,96, 101,228,365,393,414 Konsolidierung 30,319,360,378,379 Kontrolle 14,84, 103,201,202,207, 212,215,250,251,252,253,414 Kooperationsprinzip 341, 342, 356, 373,414 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 41,47,208,374,382 Lenkungsinstrument 271, 276

Sachverzeichnis Lenkungssteuer 3 15, 347 Lenkungswirkung 268,273,315,341, 342 Lenkungsziel 356 Lenkungszweck 315,316,378 Messlösung 275, 276 Monitoring 97,255 Nachhaltigkeit 190,277,280,320, 321,364 Niederlande 59,113, 149, 150, 163, 165, 166 Nonaffektationsprinzip 302 Öffentlichkeitsbeteiligung 14,20,21, 29,40,44,45,54,55,58,61,65, 66,68, 100, 105, 172, 176, 197, 203,361,362,363,365,375,380, 414 Öko-Audit 210,331,333,356,414 ökologische Steuerreform 321,323, 324,326,414 Ökosteuer 297,300,320,322,323, 324,325,326,327,328,329,330, 331,332,334 Österreich 59, 60, 62, 65, 66, 69, 70, 71,77,78,77,78,113,149,154, 163,165,169,170,197,221,223, 297,414 Ordnungsrecht 201,202,203,204, 232,257,264,265,266,269,278, 287,289,290,297,337,339,340, 342,348,349,350,351,355,358, 373,380,414 Planfeststellung 52,177,389 Plangenehmigung 52,177,389 Rahmengesetz 80, 87 Rahmenregelung 23 Recht- und Regelsetzung 13, 244, 245,257,372,375,376,381 Rechtsbegriffe 19,20, 77, 370 Rechtsbereinigung 365,370,371,372, 374,378 Rechtskonsolidierung 365,369,370, 371,372,375

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Rechtsordnung 338,340,341,342, 343,344,345,346,347,348,349, 351,359,362,363,414 Rechtssicherheit 20,25,72,111,171, 245 Rechtsvereinfachung 179, 365, 370, 371,372 Rechtsverordnung 50, 137, 144, 147, 152,208,211,244,246 Regelungsbereich 295 RegeIungsgegenstand 35, 247, 249 Regulierung 216, 242, 244, 251 Ressourcenkosten 267,279,281,282, 284,285,414 Richtlinienvorschlag 224,233,279, 281,361,362,376,377,381,382, 414 RVO-Errnächtigung 246,247,255 Sachverständigenkommission 13, 14, 15,17,23,30,178,188,246,247, 248,252,254,257,266,290,360, 414 Schweden 72,79,80,81,82,83,84, 85,86,90,113,142,144,148,162, 164, 165, 166, 167,330,334,364, 414 Selbstverpflichtung 21,242,244,245, 246,247,248,249,250,251,252, 253,254,255,256,257,261,262, 263,264,333,338,349,376,414 Seveso lI-Richtlinie 59, 69, 79, 80, 86, 93, 100, 103, 113, 141, 144, 147, 148, 159, 169,414 Spanien 93,97, 100, 101, 109, 110, 111, 113, 154, 158, 163, 165, 169, 178,332,414 Stand der Technik 61, 67, 68, 104, 202,211,212,213,215,288,296, 334,394,414 Steuer 262,297,298,299,300,301, 306,307,315,316,317,329,331, 332,346,355,369,378,414 Steueraufkommen 275, 308, 324, 330 Steuerung 132, 201,202,205,244, 265,288,373,414 Steuerungswirksamkeit 204,205,210, 213 Störfall 69 Subsidiaritätsprinzip 139, 228, 229

396

Sachverzeichnis

ÜbenNachung 13,14,16,21,22,67, 70,71,97,207,209,251,339,389 UGB-KomE, s. Umweltgesetzbuch, Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission beim BMU Umsetzung 15, 17, 18,22,23,24,25, 26,27,29,30,34,35,37,47,50, 54,59,60,61,62,64,65,66,67, 69,70,71,79,93,96,97,101,102, 103,105,111,113,127,131,132, 141, 143, 144, 146, 147, 149, 152, 153, 154, 156, 159, 161, 162, 163, 164,165,171,174,175,176,177, 178,181,190,203,211,213,214, 238,251,252,269,270,271,278, 280,282,283,286,319,320,359, 361,362,363,365,367,372,377, 381,382,387,394,414 Umweltabgabe 14,265,267,268, 287,288,290,297,300,305,306, 307,338,340,345,350,373,414 Umweltaudit 21,201,202,203,208, 209,213,214,338,340,350,373, 414 Umweltauswirkungen 14, 19,26,30, 38,39,40,41,43,44,46,47,48, 49,50,51,53,58,62,64,65,78, 82,97, 100, 113,149, 150, 168, 172,173,221,223,361,377,381, 414 Umweltbeauftragter 338 Umweltbeeinträchtigung 128, 142, 144,145,150,229,337,365,368, 369,374,381 Umweltbehörde 81,86,99,100,101, 102, 103, 105, 224 Umweltgenehmigung 82,85,90,91, 100,102, 104, 142, 150, 152, 156, 157,160,161,162,166,167,175, 371,414 Umweltgericht 82,83,85,87,89 Umweltgesetz 414 Umweltgesetzbuch 13,14,15,16,17, 18,20,21,22,23,24,25,26,27, 28,29,30,33,34,35,37,59,72, 79,80,81,82,83,84,85,86,87, 89,90,92, 113, 114, 142, 144, 145, 146,161,162,163,165,175,178, 179,180,181,182,184,185,188, 189,190,191,237,242,244,245,

247,248,250,251,252,253,254, 255,256,257,261,263,265,266, 286,287,288,289,290,295,297, 304,316,317,319,329,330,349, 350,359,360,362,363,364,366, 368,369,370,371,372,374,375, 376,377,378,379,380,387,388, 391,392,393,414 Umweltgesetzbuch, Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission beim BMU 23, 26, 178, 179,251,252,253,362,364, 368,371,375,376,414 Umweltgesetzgebung 13, 18,26,80, 117, 119, 178,228,364,414 Umweltgutachter 203, 204, 205, 206, 207,212,214,223 Umwelthaftung 13, 14,30,223,224, 226,228,231,233,237,238,338, 351,369,377,381,414 Umwelthaftungsrecht 226,238,351, 369 Umwelthaftungssystem 223,224,227, 228,231 Umweltinformation 14,22,333,362, 363,369,370 Umweltinformationsgesetz 22, 253, 381,414 Umweltinformationsrichtlinie 28, 30, 169, 190,387 Umweltkosten 223,228, 278, 282 Umweltmanagementsystem 202, 203, 204,209 Umweltordnungsrecht 377 Umweltplanung 338 Umweltpolitik 15, 17,96,98, 122, 149,169,172,189,191,211,212, 257,262,265,269,319,328,333, 335,348,366,369,371,373,377, 379,380,414 Umweltqualitätsnormen 51, 66, 80, 81,85, 127,414 Umweltrat 224,228, 232, 238 Umweltrecht 13,20,25,30,59,60, 79,80,81,83,84,85,87,90,93, 105, 110, 113, 129, 168, 171, 190, 205,237,245,257,286,319,331, 333,351,360,361,362,363,364, 368,369,370,374,375,376,378, 380,390,394,414 Umweltschaden 223, 225, 229, 231,

Sachverzeichnis 232,233,241,377,381,414 Umweltschutzeffekte 339 Umweltvereinbarung 242,244,245, 247,248,255,256,257,263,349, 381 Umweitverträglichkeitsprüfung 15, 16,18,19,20,22,23,24,25,26, 28,29,33,34,35,37,38,39,40, 41,42,43,44,45,46,47,48,49, 50,51,52,53,54,55,58,59,60, 61,62,63,64,65,66,67,71,77, 78,77,78,79,80,81,82,83,93, 97,98,99, 100, 102, 103, 104, 105, 112,113,141,144,146,147,148, 154,156, 158, 159, 160, 161, 167, 169,171,172,173,175,176,177, 17~ 18~ 190, 191, 197,214,215, 223,319,338,359,361,363,369, 370,371,372,374,376,381,387, 392,414 Umweltvorsorge 50, 173 Unabhängige Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim BMU 178, 179, 180, 181,244,360,364,393,414 UVP-Änderungsrichtlinie 15, 18, 23, 28,29,33,35,37,38,39,40,41, 43,44,46,47,48,49,53,54,55, 59,78,82,97,102,159,171,176, 177,178,414 UVP-Gesetz 18,24,28,37,38,40, 41,47,52,53,54,55,102,103, 154,172,173,175, 176, 17~ 188, 414 UVP-Richtlinie 15,16,24,37,38,39, 40,41,43,44,45,47,60,77,78, 77,78,79,80,82,97,113,171, 172,214,215,319,359,371,372, 376 Validierung 203,207,212,223 Verbandsklage 29,338,361,362,376

397

Verhaltenssteuerung 201 Verursacherprinzip 229,232,269, 278,279,281,355 Verwaltungskompetenzen 93,95 Verwaltungsverfahren 40, 148,254, 414 Verwaltungsverfahrensrecht 414 Verwaltungsvorschrift 50, 131, 13 8, 139,143,153,176,190,414 Verwendungszweck 304,306,308, 316,317 Vollzug 20,30,34,72,95, 167, 169, 187,250,265,273,274,275,376, 414 Vorhabengenehmigung 14, 15, 16, 18, 19,20,21,22,23,25,27,29,30, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 163, 165, 166, 167, 181,185,414 Vorsorge 19, 125, 128,248,249,263, 348,414 Vorsorgeprinzip 136 Wasserhaushaltsgesetz 21,46, 174, 175,378,382 Wasserrahmenrichtlinie 265,270, 276,277,278,295,296,297,361, 388,414 Wiederherstellung 223, 229, 232, 233, 239 Zentralstaat 93, 94, 95, 96, 100, 105 Zertifikatssystem 377 Zulassungsverfahren 20, 28, 44, 46, 47,52,153,174,175,176,204, 214,256 Zuständigkeit 68,85,94,95,96,97, 98,109,147,150,155,162,183, 256,270 Zweckbindung 297,298,299,300, 301,303,304,306,308,316,414

Verzeichnis der Referenten, Berichterstatter und Diskussionsteilnehmer Bohne, Eberhard, Dr., M.A., Universitätsprofessor, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Colino. Cesar, M.A., Dipl.-Politologe, Forschungsreferent, Forschungsinstitut flir öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Cupei, Jürgen, Ministerialrat a.D., Sankt Augustin Ewringmann, Dieter, Dr., Geschäftsflihrer, Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität Köln, Köln Feldmann, Franz-Josef, Dr., Ministerialrat, Bundesministerium flir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin Frenzel, Sabine, Assessorin iur., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Gilhuis, Piet, Dr., Professor, Tilburg Universität, Tilburg Gille, Stefanie, Assessorin iur., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Graf, Oliver, Assessor iur., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Hendler. Reinhard, Dr., Universitätsprofessor, Universität Trier, Trier Jeder, Petra, Dr., Umweltreferentin, Verband der Chemischen Industrie e.V., Frankfurt am Main Kleb, Stefan, Mag. rer. pub\., Assessor iur., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Knäpple. Hans-Jörg, Rechtsanwalt, Bad Dürkheim Knebel, Jürgen, Professor, Dr., Ud. Magistratsdirektor, Bezirksamt Spandau, BerIin Krekel, Jutta, ReferentinlAbteilungsleiterin, Regierungspräsidium Dresden, Dresden Kriese, Ulrich, Aufbauhörer, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Lindemann, Jürgen, Ministerialrat, Ministerium flir Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

400

Verzeichnis der Referenten, Diskussionsteilnehmer und Berichterstatter

Margies, Burkhard, M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Mül/er, Michael, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin Petek, Waltraud, Dr., Abteilungsleiterin, Bundesministerium flir Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien Sälde, Bjöm, Richter am Umweltgericht, Stockholm Sailer, Rainer, Dipl.-Physiker, Gewerbedirektor, Ministerium flir Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Sangenstedt, Christof, Dr., Ministerialrat, Bundesministerium flir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin Scheel, Kurt-Christian, Dr., Rechtsanwalt, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Köln Schmidt, Oliver, Dipl.-Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Schmidt-Eriksen, Christoph, Dr., Ministerialrat, Referent, Niedersächsisches Umweltministerium, Hannover Schröder, Theodor, Regierungsdirektor, Niedersächsisches Umweltrninisterium, Hannover Schulz, Petra, Dipl.-Chemikerin, Umweltgutachterin, utb consult Petra Schulz, Gotha Schumacher, Max, Assessor, Fachberatung Umweltschutz, Deutscher Gießereiverband, Düsse1dorf Schwalb, Kathrin, Lic. oec. int., Dipl.-Verwaltungswissenschaftlerin, Referentin, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Seimer, Peter, Dr., Universitätsprofessor, Universität Hamburg, Hamburg Storm, Peter-Christoph, Professor, Dr., Direktor a.D., Wangen im Allgäu Wagner, Hellmut, Professor, Dr., Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Weber, Mike, Dipl.-Soziologe, Forschungsreferent, Forschungsinstitut flir öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Weigand, Matthias, Dr., Ministerialrat, Referatsleiter, Bayerisches Ministerium flir Landesentwicklung und Umweltfragen, München Weschka, Marion, Mag. rer. publ., Assessorin iur., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Hochschule flir Verwaltungswissenschaften Speyer, Speyer Wol/mann, Ines, Rechtsanwältin, Porto