Wille, Willkür, Freiheit: Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts 9783110273489, 9783110273243

In 1792, with the aim of defending Kant’s doctrine of freedom, Reinhold redefined freedom of will as the ability to deci

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German Pages 556 Year 2012

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Table of contents :
Einleitung
I. Freimaurer- und Aufklärungsdenken
Auf der Suche nach einem Willensbegriff beim frühen Reinhold
Reinholds Begriff der Religion in Die Hebräischen Mysterien oder die älteste religiöse Freimaurerey
Die „Nothwendigkeit von politischtheologischen Geheimnissen“. K. L. Reinhold über Theokratie und Freiheit
II. Wille, Willkür und Willensfreiheit
Ambiguities in the Will: Reinhold and Kant, Briefe II
The fate of Kantian freedom: One cheer (more) for Reinhold
Zu Reinholds Auffassung von Willensfreiheit in den Briefen II
Kants Replik auf Reinhold
III. Konfigurationen praktischer Philosophie
Moralpsychologie statt Metaphysik der Sitten. Untersuchungen zu Reinholds Konzeption von praktischer Vernunft
„Die praktische Vernunft ist kein Wille“. Reinholds personalitätstheoretische Kritik der Kantischen Freiheitslehre
Die Theorie des Begehrungsvermögens – zu einer Lücke in Reinholds System
Free will as a mediation between reason and sensibility. On interpreting the second volume of Reinhold’s Briefe über die Kantische Philosophie
IV. Debatten und Spannungsfelder
Reinholds Auseinandersetzung mit Rehberg im zweiten Band der Briefe über die Kantische Philosophie
Gefühllose Freiheit oder Freiheit durch Gefühl? Überlegungen zu Johann Heinrich Abichts Willenslehre im Vergleich zu derjenigen Karl Leonhard Reinholds
Die Rezeption Reinholds im Tübinger Stift zwischen 1790 und 1792
V. Folgen und Wirkungen
Freiheit und Sittlichkeit in Reinholds Briefen, mit Berücksichtigung der Ansichten Kants und Fichtes über dieses Thema
Reinholds Freiheitskonzeption im Atheismusstreit
Eine Analyse der Schelling’schen Kritik der Moralphilosophie Reinholds in den Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre
Popular Philosophy : The Cases of Karl Leonhard Reinhold and Jakob Friedrich Fries
Die Natur der Freiheit: K. L. Reinholds abschließende Bilanz
Die Freiheit der Vorstellung. Hegel und Reinhold über symbolische Reflexion
Reinholds Erkenntnistheorie des Dissens
Reinhold on Being, Appearance and Ursein and some Consequences
Anhang : Werkstattbericht
Zum Stand der Arbeiten an den Reinhold-Kollegnachschriften innerhalb der „Gesammelten Schriften“ im Schwabe-Verlag
Über die Autoren
Personenregister
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Wille, Willkür, Freiheit: Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts
 9783110273489, 9783110273243

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Wille, Willkür, Freiheit

Reinholdiana Edited by Ernst-Otto Onnasch

Volume 2

De Gruyter

Wille, Willkür, Freiheit Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts

Herausgegeben von

Violetta Stolz, Marion Heinz und Martin Bondeli

De Gruyter

ISBN 978-3-11-027324-3 e-ISBN 978-3-11-027348-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Für die großzügige finanzielle Unterstützung der 5. Internationalen Reinhold-Tagung gebührt der Deutschen Forschungsgemeinschaft ebenso wie der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften Dank. Auch dem Forschungsinstitut für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Siegen (figs) ist für seine Förderung des internationalen Austauschs herzlich zu danken. Für ihre umsichtige Hilfe bei der Vorbereitung der Tagung möchten sich die Herausgeber bei Christa Still und André Wenclawiak freundlich bedanken. Das Zustandekommen des Bandes wurde durch Sabine Röhr, die für die Klärung aller Fragen der Übersetzung ins Englische oder aus dem Englischen zur Verfügung stand und sich zur Durchsicht der englischsprachigen Beiträge bereit gefunden hat, solidarisch begleitet und gefördert. Dafür gilt ihr unser besonderer Dank. Es war eine glückliche Fügung, dass die Tagung mit der Gründung der Reihe „Reinholdiana“ durch Ernst-Otto Onnasch im Verlag De Gruyter zusammenfiel und dass der Tagungsband nun diese Reihe miteröffnen kann. Für dieses Angebot und für die gute Zusammenarbeit bedanken wir uns bei dem Kollegen Onnasch und bei der Lektorin des Verlags, Frau Dr. Grünkorn. Last but not least ist dem im Hintergrund tätigen und naturgemäß ungenannt bleibenden Gutachter zu danken. Marion Heinz Violetta Stolz Martin Bondeli

Inhalt Marion Heinz, Violetta Stolz, Martin Bondeli Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Freimaurer- und Aufklärungsdenken Sabine Rçhr Auf der Suche nach einem Willensbegriff beim frühen Reinhold

13

Petra Lohmann Reinholds Begriff der Religion in Die Hebrischen Mysterien oder die lteste religiçse Freimaurerey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Gnter Zçller Die „Nothwendigkeit von politischtheologischen Geheimnissen“. K. L. Reinhold über Theokratie und Freiheit

51

II. Wille, Willkür und Willensfreiheit Karl Ameriks Ambiguities in the Will: Reinhold and Kant, Briefe II . . . . . . .

71

Daniel Breazeale The fate of Kantian freedom: One cheer (more) for Reinhold

91

Martin Bondeli Zu Reinholds Auffassung von Willensfreiheit in den Briefen II

125

Manfred Baum Kants Replik auf Reinhold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

VIII

Inhalt

III. Konfigurationen praktischer Philosophie Marion Heinz Moralpsychologie statt Metaphysik der Sitten. Untersuchungen zu Reinholds Konzeption von praktischer Vernunft . . . . . . . . .

167

Jçrg U. Noller „Die praktische Vernunft ist kein Wille“. Reinholds personalitätstheoretische Kritik der Kantischen Freiheitslehre . .

193

Silvan Imhof Die Theorie des Begehrungsvermögens – zu einer Lücke in Reinholds System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223

Karianne J. Marx Free will as a mediation between reason and sensibility. On interpreting the second volume of Reinhold’s Briefe ber die Kantische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251

IV. Debatten und Spannungsfelder Alessandro Lazzari Reinholds Auseinandersetzung mit Rehberg im zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

Faustino Fabbianelli Gefühllose Freiheit oder Freiheit durch Gefühl? Überlegungen zu Johann Heinrich Abichts Willenslehre im Vergleich zu derjenigen Karl Leonhard Reinholds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285

Ernst-Otto Onnasch Die Rezeption Reinholds im Tübinger Stift zwischen 1790 und 1792 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301

Inhalt

IX

V. Folgen und Wirkungen Marco Ivaldo Freiheit und Sittlichkeit in Reinholds Briefen, mit Berücksichtigung der Ansichten Kants und Fichtes über dieses Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

329

Pierluigi Valenza Reinholds Freiheitskonzeption im Atheismusstreit . . . . . . . . . .

349

Jean-FranÅois Goubet Eine Analyse der Schelling’schen Kritik der Moralphilosophie Reinholds in den Abhandlungen zur Erluterung des Idealismus der Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

George di Giovanni Popular Philosophy: The Cases of Karl Leonhard Reinhold and Jakob Friedrich Fries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

383

Alexander von Schçnborn Die Natur der Freiheit: K. L. Reinholds abschließende Bilanz

409

Dirk Westerkamp Die Freiheit der Vorstellung. Hegel und Reinhold über symbolische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427

Sven Bernecker Reinholds Erkenntnistheorie des Dissens . . . . . . . . . . . . . . . . .

453

Rolf Ahlers Reinhold on Being, Appearance and Ursein and some Consequences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

471

Anhang: Werkstattbericht Erich Fuchs Zum Stand der Arbeiten an den Reinhold-Kollegnachschriften innerhalb der „Gesammelten Schriften“ im Schwabe-Verlag . .

515

Über die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

537

Siglenverzeichnis ALZ Baggesen-Briefe Fichte-AA

Hegel-AA

Enzyklopdie Glauben und Wissen Jacobi Rezension Logik Notizbuch PdG Vorlesungsmanuskripte II Hegel-Briefe Hegel-W Herder-SW Jacobi-W

Allgemeine Literatur-Zeitung, hrsg. v. Christian Gottfried Schütz, Jena 1785 – 1803, Halle 1803 – 1849. Jens Baggesen’s Briefwechsel mit Karl Leonhard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi: in zwei Theilen, hrsg. v. Karl u. August Baggesen, Leipzig 1831. Johann Gottlieb Fichte, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. Reinhard Lauth, Hans Gliwitzky, Hans Jacob, Erich Fuchs, Peter K. Schneider u. Günter Zöller, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968 ff. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Hegel-AA 13) Glauben und Wissen (Hegel-AA 4) Jacobi Rezension (Hegel-AA 7) Wissenschaft der Logik, (Hegel-AA 11), Teil I, Objektive Logik Wissenschaft der Logik (Hegel-AA 12), Teil II, Subjektive Logik Jenaer Notizbuch (Hegel-AA 5) Phänomenologie des Geistes (Hegel-AA 9) Vorlesungsmanuskripte II (1816 – 1831) (Hegel-AA 18) Briefe von und an Hegel, hrsg. v. Johannes Hoffmeister, Hamburg 31969. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Theorie-Werkausgabe, hrsg. v. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Frankfurt a.M. 1979. Johann Gottfried Herder, Sämtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan und Carl Redlich, Berlin 1877 – 1913, ND Hildesheim. Friedrich Heinrich Jacobi, Werke, hrsg. v. Klaus Hammacher u. Walter Jaeschke, Hamburg 1998 ff.

XII Kant-AA

GMS MdS KpV KrV KU OP Religion ber den Gemeinspruch Untersuchung WiA Leibniz-PhW Maimon-GW Schelling-AA Schelling-SW Wolff-GW

Siglenverzeichnis

Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, später Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, ab Bd. 24 der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1900 ff. [Die KrV wird nach der üblichen A und B Nummerierung ausgewiesen.] Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Kant-AA 4) Metaphysik der Sitten (Kant-AA 6) Kritik der praktischen Vernunft (Kant-AA 5) Kritik der reinen Vernunft 1781 (Kant-AA 4); 1787 (Kant-AA 3) Kritik der Urteilskraft (Kant-AA 5) Opus postumum. Erste Hälfte (Kant-AA 21) Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft (Kant-AA 6) Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (Kant-AA 8) Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral (Kant-AA 2) Was ist Aufklärung? (Kant-AA 8) Gottfried Wilhelm Leibniz, Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Berlin 1875 – 1890. Salomon Maimon, Gesammelte Werke, hg. von Valerio Verra, Hildesheim, Zürich, New York 1965 ff. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, HistorischKritische Ausgabe, hrsg. v. der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976 ff. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. v. Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart/ Augsburg 1856 – 1861. Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hrsg. v. Jean École, Hans Werner Arndt, Charles Anthony Corr, Joseph Ehrenfried Hofmann u. Marcel Thomann, Hildesheim 1962 ff.

Schriften von Karl Leonhard Reinhold Anleitung

Auswahl

Karl Leonhard Reinhold, Anleitung zur Kenntniß und Beurtheilung der Philosophie in ihren sämmtlichen Lehrgebäuden. Ein Lehrbuch für Vorlesungen und Handbuch für eigenes Studium, Wien 1805. Karl Leonhard Reinhold, Auswahl der besten Aufsäzze über die Kantische Philosophie, Frankfurt/Leipzig [in Wahrheit Marburg] 1790.

Schriften von Karl Leonhard Reinhold

Bardili-Briefwechsel

Beitrge H 1 – 6

Beitrge I

Beitrge II

Briefe 1789

Briefe I Briefe II Das menschliche Erkenntnisvermçgen

Die Hebrischen Mysterien

Ehrenrettung Erkenntniß der Wahrheit

Fundament

XIII

C.G. Bardili und K.L. Reinholds Briefwechsel über das Wesen der Philosophie und das Unwesen der Speculation, hrsg. v. Karl Leonhard Reinhold, München 1804. Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Karl Leonhard Reinhold, Hamburg 1801 – 1803. Karl Leonhard Reinhold, Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, Jena 1790. Karl Leonhard Reinhold, Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Zweyter Band die Fundamente des philosophischen Wissens, der Metaphysik, Moral, moralischen Religion und Geschmackslehre betreffend, Jena 1794. Karl Leonhard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, zum Gebrauch und Nuzen für Freunde der Kantischen Philosophie, Mannheim 1789. Karl Leonhard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie. Erster Band, Leipzig 1790. Karl Leonhard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie. Zweyter Band, Leipzig 1792. Karl Leonhard Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermögen aus dem Gesichtspunkt des durch die Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermögen, Kiel 1816. Karl Leonhard Reinhold, Die Hebräischen Mysterien oder die älteste religiöse Freymaurerey in zwey Vorlesungen gehalten in der Loge zu **** von Br. Decius, Leipzig 1788. Karl Leonhard Reinhold, Ehrenrettung der neuesten Philosophie, in: Der neue Teutsche Merkur, Januar 1791, S. 81 – 112. Karl Leonhard Reinhold, Ueber den Begriff und die Erkenntniß der Wahrheit. Lehrern der Logik und Metaphysik mit der Bitte um belehrende Prüfung, und Zuhörern als Grundlage für mündliche Erörterungen, Kiel 1817. Karl Leonhard Reinhold, Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens, Jena 1791.

XIV Gedanken ber Aufklrung

Grundbegriffe der Moral und des Naturrechts

Grundstze der Moralitt

Grundwahrheiten der Moralitt Hang zum Wunderbaren Herzjesuandacht

KA

Mçnchthum und Maurerey Paradoxien Rezension Fries I Rezension Fries II

Rezension Gott

Siglenverzeichnis

Karl Leonhard Reinhold, Gedanken über Aufklärung, in: Der Teutsche Merkur, 1. Teil: Juli 1784, S. 3 – 22; 2. Teil: August 1784, S. 122 – 33; 3. Teil: September 1784, S. 232 – 45. Karl Leonhard Reinhold, Beytrag zur genaueren Bestimmung der Grundbegriffe der Moral und des Naturrechts. Als Beylage zu dem Dialog der Weltbürger, in: Der neue Teutsche Merkur, Juni 1792, S. 105 – 139. Karl Leonhard Reinhold, Verhandlungen über die Grundbegriffe und Grundsätze der Moralität aus dem Gesichtspunkte des gemeinen und gesunden Verstandes, Lübeck/Leipzig 1798. Karl Leonhard Reinhold, Ueber die Grundwahrheit der Moralität und ihre Verhältnisse zur Grundwahrheit der Religion, in: Der neue Teutsche Merkur, Mai 1791, S. 225 – 262. Karl Leonhard Reinhold, Ueber den Hang zum Wunderbaren: Eine Rede, von Br. R**, in: Journal für Freymaurer 1 (3) 1784, S. 123 – 38. Karl Leonhard Reinhold, Rezension: Die Herzjesuandacht nach theologischen und historischen Gründen geprüft, von Karl Joseph Huber, in: Realzeitung, Wien, 1. Januar 1783, S. 9 – 13. Karl Leonhard Reinhold, Korrespondenzausgabe. Begründet durch Reinhard Lauth, Kurt Hiller u. Wolfgang H. Schrader. Hrsg. v. Faustino Fabbianelli, Kurt Hiller, Ives Radrizzani in Kooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983 ff. Karl Leonhard Reinhold, Mönchthum und Maurerey: Eine Rede, von Br. R.**, in: Journal für Freymaurer 1 (4), 1784, S. 167 – 88. Karl Leonhard Reinhold, Ueber die Paradoxien der neuesten Philosophie, Hamburg 1799. Karl Leonhard Reinhold, Rezension: Neue Kritik der Vernunft (1809), von J. F. Fries, in: ALZ, 12 – 14. Januar 1809, Nr. 10 – 12, S. 73 – 96. Karl Leonhard Reinhold, Rezension: Fichte’s und Schelling’s neueste Lehren von Gott und der Welt, beurtheilt von J. Fries (1809), in: ALZ, 9. Januar 1812, Nr. 7, S. 49 – 56. Karl Leonhard Reinhold, Rezension: Gott, von J.G. Herder, in: Anzeiger des Teutschen Merkur, November 1787, S. CLXI-CLXXI.

Schriften von Karl Leonhard Reinhold

Rezension Schmid

RGS Sekularisation Sendschreiben Skizze einer Theogonie Synonymik ber das bisherige Schicksal Vermischte Schriften I Vermischte Schriften II Versuch Was ist die Wahrheit?

Zuhçrer

XV

Karl Leonhard Reinhold, Rezension: Empirische Psychologie, von Carl Christian Erhard Schmid, in: ALZ, 2. April 1792, Nr. 86, S. 1 – 8; ALZ, 3. April 1792, Nr. 87, S. 9 – 14. Karl Leonhard Reinhold, Gesammelte Schriften. Kommentierte Ausgabe, hrsg. v. Martin Bondeli, Basel 2007 ff. Karl Leonhard Reinhold, Die Wissenschaft vor und nach ihrer Sekularisation, in: Der Teutsche Merkur, Juli 1784, S. 33 – 43. Karl Leonhard Reinhold, Sendschreiben an Lavater und Fichte über den Glauben an Gott, Hamburg 1799. Karl Leonhard Reinhold, Skizze einer Theogonie des blinden Glaubens, in: Der Teutsche Merkur, Juni 1786, S. 229 – 42. Karl Leonhard Reinhold, Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften, Kiel 1812. Karl Leonhard Reinhold, Ueber das bisherige Schicksal der Kantischen Philosophie, in: Der Teutsche Merkur 1789, S. 3 – 37 u. S. 113 – 35. Karl Leonhard Reinhold, Auswahl vermischter Schriften. Erster Theil, Jena 1796. Karl Leonhard Reinhold, Auswahl vermischter Schriften. Zweyter Theil, Jena 1797. Karl Leonhard Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag u. Jena 1789. Karl Leonhard Reinhold, Die alte Frage: Was ist die Wahrheit? Bey den erneuerten Streitigkeiten über die göttliche Offenbarung und die menschliche Vernunft, in nähere Erwägung gezogen, Altona 1820. Karl Leonhard Reinhold, K. L. Reinhold an seine in Jena zurückgelassenen Zuhörer, in: Der Teutsche Merkur, Juli 1794, S. 315 – 23.

Einleitung Marion Heinz, Violetta Stolz, Martin Bondeli Karl Leonhard Reinhold skizziert im zweiten Band seiner Briefe ber die Kantische Philosophie von 1792 Grundlinien zu einer praktischen Philosophie im Anschluss an Kant, in deren Zentrum markante Reflexionen über die Begriffe des Willens und der Willensfreiheit stehen. Diese Reflexionen sind aus mehreren Gründen bedeutsam. Mit ihnen wird nicht nur in einer systematisch prägnanten Form zu einem Themenbereich Stellung genommen, dem in der philosophisch-psychologischen Literatur des 18. Jahrhunderts allgemein große Aufmerksamkeit zuteil geworden ist und der, spätestens mit dem Ausbruch der Französischen Revolution, ebenfalls im Brennpunkt sozialphilosophischer Debatten steht. Mit ihnen legt Reinhold auch den Grundstein zu der in der frühen nachkantischen Systemphilosophie Fichtes und Schellings typischen Auffassung, der Begriff der Willensfreiheit sei als Basis für eine Definition der Begriffe von Moral und Recht, wenn nicht sogar als Fundament des gesamten theoretischen und praktischen Systems der Vernunft zu betrachten. Hinzu kommt, dass sie in einem spannungsvollen Verhältnis zu Kants Freiheitsauffassung stehen und eine Kontroverse darüber auslösen, was unter Freiheit im Bereich von Moral und Recht eigentlich zu verstehen ist. In der Absicht, Kants Aussagen über moralische Freiheit von falschen, im Zeichen eines „intelligiblen Fatalismus“ stehenden Auslegungen fernzuhalten, akzentuiert Reinhold bei seiner Definition der Willensfreiheit das freie Vermögen, sich für oder gegen das Sittengesetz zu entscheiden. Er verstrickt sich damit in einen Disput mit Kant, der in der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten von 1797 festgehalten wird, dass erstens nicht der Wille, sondern allein die menschliche Willkür frei genannt werden kann und dass es zweitens hinsichtlich einer Definition der Willkürfreiheit das Vermögen, durch keine sinnlichen Bestimmungsgründe genötigt zu werden, zu betonen gilt. In den vergangenen Jahren ist wiederholt über Reinholds Begriff der Willensfreiheit von 1792 diskutiert und auf dessen Zusammenhänge mit den Begriffen der Moral und des Rechts, die Reinhold ebenfalls im zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie ausführlich entwickelt, eingegangen worden. Mit der Edition dieses Bandes im Rahmen

2

Marion Heinz, Violetta Stolz, Martin Bondeli

der Gesammelten Schriften Reinholds hat das Interesse an dieser Thematik in jüngster Zeit noch zugenommen. Trotz oder wegen der dabei erzielten neuen Ergebnisse besteht das Bedürfnis nach weiteren Klärungen. Nach wie vor gilt es genauer aufzuzeigen, wie man Reinholds Begriff der Willensfreiheit in seinem Verhältnis zu den Begriffen der praktischen Vernunft und des Sittengesetzes im Detail zu deuten und zu beurteilen hat. Hat Reinhold tatsächlich, wie gelegentlich behauptet wird, die moralische Freiheit im Sittengesetz durch ein irrational-dezisionistisches Wählen des Sittengesetzes gefährdet? Hat er nicht vielmehr ein überlegtes Wählen angenommen und damit der Freiheit im Sittengesetz allererst ihre vollständige Bestimmung verliehen? Nach wie vor ist zudem näher zu erörtern, welche Differenzen zwischen Reinholds Begriff der Willensfreiheit und Kants Auffassung von moralischer Freiheit oder Willkürfreiheit in der Sache eigentlich bestehen und woraus sich diese ergeben. Schwierigkeiten bereitet dabei immer wieder die Tatsache, dass beide Denker ihre Freiheitsauffassungen sowohl terminologisch als auch sachlich präzisiert oder auch verändert haben. Nicht zuletzt von daher rechtfertigt sich schließlich eine weiter zu vertiefende Erschließung der entwicklungsgeschichtlichen und kontextuellen Dimensionen. Reinholds Begriff der Willensfreiheit von 1792 ist in manchen seiner Pointierungen kaum zureichend zu verstehen ohne die Berücksichtigung vorausgegangener Auseinandersetzungen mit Autoren wie C. C. E. Schmid, Rehberg oder Heydenreich sowie der wiederholten Anregungen aus dem eigenen Schüler-Kreis. Gewisse Eigenheiten lassen sich zudem erst erschließen, wenn man das entwicklungsgeschichtliche Untersuchungsfeld ausdehnt, die religiösen und politischen Aufklärungsund Freiheitsideen der vorkantischen Periode Reinholds und die Stellungnahmen zur Willensfreiheit aus späteren Denketappen mit heranzieht. Dass Reinhold mit seinem Begriff der Willensfreiheit Fichte, Schelling und andere Denker seiner Zeit beeinflusst, steht ebenso außer Frage wie die Tatsache, dass insbesondere Fichte und Schelling gleichzeitig gegen Reinhold den Vorwurf erheben, diesen Begriff nicht zureichend zur Geltung gebracht zu haben. Immer noch steht freilich zur Debatte, welche Berechtigung ein solcher Vorwurf haben kann. Mit dem vorliegenden Band, der die überarbeiteten Vorträge der 5. Internationalen Reinhold-Tagung, die vom 8. bis 11. September 2010 an der Universität Siegen unter dem Leitthema „Wille, Willkür, Freiheit. Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts“ stattgefunden hat, enthält, wird dem Bedürfnis einer sich in verschiedene Richtungen ausfächernden neuerlichen Klärung des

Einleitung

3

Reinhold’schen Begriffs der Willensfreiheit und der damit zusammenhängenden Hauptbegriffe Rechnung getragen. Der größte Teil der Beiträge widmet sich Fragen des Willens, der Willkür und der Freiheit bei Reinhold in der Zeit um 1792 sowie in anderen Phasen seines Denkens. In einigen Beiträgen wird daneben gezielt auf Sequenzen von Reinholds politisch-religiösen, ästhetischen und theoretischen Vorstellungen von Freiheit eingegangen. Die Beiträge aus dem ersten Teil werfen ein Licht auf die Willensbegrifflichkeit und auf Freiheitsmotive, die in Reinholds frühem Aufklärungs- und Freimaurerdenken erkennbar sind. Sabine Röhr geht dem Reinhold’schen Willensverständnis aus vorkantischer Zeit nach und kommt zu dem Schluss, dass Reinhold einem intellektualistischen Willensbegriff Wolff’scher Prägung folgt, der vor dem Hintergrund der Aufklärungsidee einer Versinnlichung des Begrifflichen allerdings eine entscheidende Modifikation erfährt. Petra Lohmann und Günter Zöller konzentrieren sich auf das religiöse Aufklärungskonzept und damit einhergehende Freiheitsideen in Reinholds Schrift Die Hebrischen Mysterien. Lohmann macht deutlich, dass Reinholds Trennung von praktischer Vernunft (bzw. Sittengesetz) und Wille, die für das Konzept der Willensfreiheit von 1792 kennzeichnend ist, mit dem durch Einflüsse des frühen Fichte mitbedingten Versuch zusammenhängt, Offenbarung und Vernunft neu in Einklang zu bringen. Zöller vertritt die Auffassung, dass Reinhold, wie sodann auch Fichte, religiöse Aufklärung hauptsächlich als eine Form der Retheologisierung von Philosophie und Politik versteht, was zu Spannungen mit einer Freiheit des Philosophierens führt, die mustergültig in der religiösen Aufklärung und Religionskritik Spinozas verteidigt wird. Im zweiten Teil steht die Konfrontation von Reinholds Konzeptionen des Willens und der Willensfreiheit von 1792 mit entsprechenden Ausführungen bei Kant im Zentrum. Karl Ameriks diskutiert anhand mehrerer Einzelfragen die Stärken und Schwächen von Reinholds Begriff des Willens, der deutlicher als bei Kant von den Begriffen der praktischen Vernunft und des Sittengesetzes abgesetzt wird. Ameriks ist der Ansicht, dass mit Reinholds Vorgehen vor allem Probleme, welche die Verbindlichkeit moralischen Handelns, das Faktum der praktischen Vernunft und das Phänomen des moralneutralen Wollens betreffen, noch gravierender werden als bei Kant. Zu den Pluspunkten Reinholds gehört seiner Meinung nach, dass dessen Bestimmung des Willensbegriffs auf einer besseren Balance zwischen den Standpunkten der Vernunft und des gesunden Verstandes beruht als jene Kants. Daniel Breazeale richtet den

4

Marion Heinz, Violetta Stolz, Martin Bondeli

Blick auf Einwände gegen Reinholds Auffassung von Willensfreiheit, die in der damaligen Diskussion auf dem Weg von Kant zu Fichte wie auch in der aktuellen Sekundärliteratur zu Reinhold eine wichtige Rolle spielen. Seines Erachtens lassen sich viele dieser Einwände entkräften. Breazeale stellt sich dabei unter anderem gegen die Behauptungen, Reinholds Auffassung des freien Willens führe zu einem grundlosen Entscheiden für oder gegen das Sittengesetz oder die von Reinhold befürwortete Unabhängigkeit des Willens – sowohl von sinnlichen Antrieben als auch von der praktischen Vernunft – sei dasselbe wie die Äquidistanz des Willens von diesen beiden Instanzen. Martin Bondeli bemüht sich darum, in systematischer und geistesgeschichtlicher Hinsicht die Differenz zwischen Reinholds Willensfreiheit und Kants Willkürfreiheit aus der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten herauszuarbeiten. Was die Kontroverse zwischen Reinhold und Kant betrifft, vertritt Bondeli die Ansicht, dass mit Kants Deutung einer Freiheit des Entscheidens für oder gegen das Sittengesetz als libertas indifferentiae sowie als empirisches Freiheitsphänomen, sollte diese Deutung in der Tat auf Reinhold gemünzt sein, die Sache verkürzt wiedergegeben wird. Reinholds Ansatz bleibt allerdings ebenfalls nicht ohne Probleme, zumal damit nicht zureichend zum Ausdruck kommt, dass der Entscheid für das Sittengesetz als vollständigere Form von Freiheit betrachtet werden muss. Manfred Baum widmet sich ausführlich der Replik Kants auf Reinhold aus der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten, einer impliziten Replik, auf die Reinhold in der sicheren Annahme, dass sie ihm gilt, 1797 ausführlich geantwortet hat. Bezugnehmend auf die Vorarbeiten zur „Einleitung“ zeigt Baum zunächst auf, welche Gründe Kant dazu geführt haben, zwischen dem Willen, der weder frei noch unfrei genannt werden kann, und der Willkür, die man allein als frei bezeichnen kann, zu unterscheiden und dadurch eine andere Terminologie zu bevorzugen als Reinhold. Kant wollte den Willen als eine Instanz der Selbstgesetzgebung begriffen wissen. In einem weiteren Schritt stellt Baum dar, dass Kant in Bezug auf die Freiheit der Willkür das Moment des Entscheidens für oder gegen das Sittengesetz zwar nicht ausgeschlossen, jedoch, da er den Entscheid gegen das Sittengesetz eher als Unvermögen betrachtete, nicht als Definition dieser Freiheit gelten lassen wollte. Der dritte Teil versammelt Beiträge, die in je verschiedener Perspektivierung die Gestalt der praktischen Philosophie in den Briefen II zu konturieren bemüht sind. Reinholds Konzeption der praktischen Vernunft steht im Mittelpunkt des Beitrags von Marion Heinz. Wenn praktische Vernunft als dasjenige Vermögen des Menschen in Ansatz

Einleitung

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gebracht wird, dessen Vorschriften sich auf die moralischen Vermögen der Person beziehen, beweist das einen gegenüber Kants praktischer Philosophie grundlegend veränderten systematischen Zugriff im Sinne einer anthropologisierenden Moralpsychologie. Im Zuge dieser Transformationen stellt sich das Problem, wie die das menschliche Subjekt als moralisches Wesen bestimmenden Spaltungen, der Widerstreit zwischen vernünftigem und sinnlichem Trieb, aber auch das Paradoxon, vernünftig gegen die Vernunft handeln zu können, in eine unreduzierte Einheit der Person zu überführen sind. Das indiziert eine Überlagerung der Fragen praktischer Philosophie durch subjekttheoretische Problemstellungen – eine bedeutsame Weichenstellung für die nachfolgende Generation von Philosophen. Jörg Noller befasst sich mit Reinholds Bemühungen um eine neue Konzeption von „wirklicher menschlicher Freiheit“. Für diese anthropologische Wende in der Freiheitskonzeption haben die zeitgenössischen Problematisierungen des kantischen Konzepts der Imputabilität eine entscheidende Rolle gespielt: Rehbergs Kritik an Kants Idee einer kausal wirksamen reinen praktischen Vernunft und C. C. E. Schmids Lehre vom intelligiblen Fatalismus stehen im Hintergrund von Reinholds Kritik dieser Idee als ungerechtfertigter Hypostasierung bzw. Personifizierung eines Vermögens. Damit verbunden ist eine Verschiebung der gesamten Konstellation freiheitstheoretischer Begriffe, in deren Zentrum die Entwicklung eines neuen Begriffs von Person als Subjekt der Imputabilität steht. Ausgehend vom Versuch von 1789 arbeitet Silvan Imhof die Schwierigkeiten und Defizite in Reinholds Theorie des Begehrungsvermögens, wie sie sich innerhalb der Architektonik seines ersten monistischen Grundlegungsprogramms der Philosophie ergeben, heraus. Schon auf der Basis seiner – sowohl in den Beytrgen I als auch in der Fundamentschrift vorgenommenen – Weiterentwicklung gelingen wichtige Klärungen zum systematischen Ort dieser Doktrin. Aber erst im Zuge der Neukonzeption des Willens im Rückgriff auf C. C. E. Schmid einerseits und auf Kants Kritik der Urteilskraft andererseits schafft sich Reinhold die Voraussetzung, um auch das Problem der Unterscheidung von Erkennen und Begehren als Arten des Vorstellens zufriedenstellend lösen zu können. Karianne Marx plädiert dafür, Reinholds Briefe II vor dem Hintergrund seiner frühen Schriften zur Aufklärungsphilosophie und der darin enthaltenen vorkritischen Motive zu lesen. Zweifellos geht es Reinhold darum, den praktischen Teil der Elementarphilosophie zu liefern, in dessen Zentrum der neue Begriff des Willens steht. Die Charakteristik dieses Begriffs als eines Mediators zwischen dem spontanen, vernünftigen und dem rezeptiven, sinnlichen

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Vermögen der Person verweist indessen auf die strukturgleichen mediatisierenden Begriffe aus früheren Phasen von Reinholds Denken zurück. Die Arbeiten des vierten Teils bereiten den zeitgenössischen Kontext des Kantianismus oder Antikantianismus in seiner Relevanz für die Briefe II auf. Alessandro Lazzari geht Reinholds Auseinandersetzung mit Rehberg in den Briefen II nach und vertritt die These, dass Rehbergs – vor allem in seiner Besprechung der Kritik der praktischen Vernunft von 1788 vorgebrachte – Einwände gegen Kants praktische Philosophie in dieser Schrift eine ausführliche Erwiderung erfahren. In seiner Antwort geht es Reinhold darum, Kant verteidigend eine Theorie transzendentaler und absoluter Freiheit zu begründen, die von den Vorwürfen Rehbergs nicht betroffen ist. In dieser Absicht entwickelt Reinhold, so Lazzari, eine Auffassung von praktischem Bewusstsein, die – in Analogie zur allgemeinen Bewusstseinstheorie der Elementarphilosophie – das Bewusstsein durch eine Struktur polaren Bezogenseins sich entgegengesetzter und sich wechselseitig einschränkender Triebe konstituiert sieht. Aus der Tatsache dieses praktischen Bewusstseins kann dann die absolute Freiheit erschlossen werden. Faustino Fabbianelli macht Reinholds Verständnis der Freiheit des Willens als Unabhängigkeit von den Nötigungen der Sinnlichkeit zum Gegenstand kritischer Reflexion. Indem die Überlegungen des Kantianers Johann Heinrich Abicht zu einem von der Vorstellung spezifisch verschiedenen Begriff des Gefühls einbezogen werden, kann die strikte Abweisung des Gefühls als Grundlage freier Willensentscheidungen, die sich bei Kant ebenso wie bei Reinhold findet, in Zweifel gezogen werden. Es deuten sich damit Möglichkeiten einer im Gefühl begründeten, „pathischen“ Freiheitslehre an. Ernst-Otto Onnasch befasst sich mit der Reinhold-Rezeption im Tübinger Stift und kommt zu dem Resultat, dass Stiftler wie Gottlob Christian Rapp durch die Lektüre von Reinholds Briefen ber die Kantische Philosophie Zugang zur kritischen Philosophie gefunden haben. Dass am Anfang ihrer Auseinandersetzung mit Kant diese durch Reinholds eigene Anliegen und Fragestellungen geprägte Aneignung Kantischen Denkens und keineswegs die direkte Lektüre der Schriften Kants stand, ist ein philosophiegeschichtlich bedeutsames Faktum, das in seinen Folgen für die Charakterisierung und Einschätzung der Philosophie des deutschen Idealismus noch nicht hinreichend zur Geltung gekommen ist. Im fünften Teil stehen Beiträge teils zu Reinholds späteren freiheitstheoretischen Überlegungen, teils zur Wirkungsgeschichte seiner Konzeption des Willens und der Willensfreiheit von 1792 zur Diskussion.

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Marco Ivaldo deutet diverse Aspekt von Reinholds Begriff der Willensfreiheit in einem ersten Schritt in Konfrontation mit Kant und argumentiert dafür, dass Reinhold mit seiner pointierten Ansicht über den Willen als durch Sinnlichkeit und durch das Sittengesetz nicht bestimmtes, sondern nur, im Sinne eines Veranlassungsgrundes, affiziertes Vermögen ein für ein zureichendes Verständnis sittlichen Wollens und Handelns unabdingbares Moment hervorhebt, nämlich die Verantwortung des Menschen für sein eigenes Tun und Lassen. In einem Folgeschritt wendet er sich Überlegungen Fichtes aus der Sittenlehre von 1812 zu, in denen an diesen Reinhold’schen Freiheits- und Sittlichkeitsgedanken in auffälliger Weise angeschlossen wird. In Abhebung von Reinhold ist Fichte allerdings darauf aus, die Willensfreiheit nicht als Vermögen, zwischen einem Naturtrieb und dem Sittengesetz zu wählen, zu begreifen, sondern als Vermögen, das Sittengesetz zu wollen oder nicht zu wollen. Pierluigi Valenza widmet sich dem Freiheitsbegriff in der Phase von Reinholds philosophischer Gemeinschaft mit Fichte und in der darauffolgenden sog. Zwischenposition zwischen Fichte und Jacobi. In diesen Phasen radikalisiert Reinhold die Trennung des Willens von der praktischen Vernunft bzw. vom Sittengesetz dahingehend, dass der Wille als das im Gefühl und im Glauben verankerte Gewissen wiederkehrt. Bedeutsam wird für Reinhold damals gleichfalls ein an Jacobi erinnernder relationaler Freiheitsbegriff, nämlich die Auffassung, dass Freiheit Teilhaftigkeit, Teilnahme am Unbedingten bedeutet. Das grundlegende Merkmal des freien Willens ist damit nicht mehr die freie Entscheidung zum Sittlichen oder Unsittlichen, sondern das sich im Gewissen manifestierende Verhältnis des Menschen zu Gott, das präsent oder nicht präsent ist. Jean-François Goubet befasst sich mit den Einwänden Schellings aus den 1797 erschienenen Abhandlungen zur Erluterung des Idealismus der Wissenschaftslehre gegen Reinholds Konzept der Willensfreiheit von 1792. Schellings Behauptung, Reinhold kenne keine über den Standpunkt des gemeinen Verstandes hinausgehende Auffassung von Freiheit, lässt sich, so Goubet, nicht aufrechterhalten. Zudem sind Schellings eigene Ansichten zu einer übersinnlichen, absoluten Freiheit nicht unproblematisch und alles in allem kaum näher an den Vorgaben Kants und Fichtes als die Ansichten Reinholds. George di Giovanni beleuchtet den popularphilosophischen Entstehungs- und Wirkungszusammenhang von Reinholds Willens- und Freiheitstheorie von 1792. Es wird daran erinnert, dass Reinhold gegen einen Determinismus ankämpfte, der wesentlich von dem Jenaer Kant-Kritiker J. A. H. Ulrich ausging und der sodann von dem Jenaer Kantianer C. C. E. Schmid vor

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verändertem Hintergrund auf die Moralphilosophie Kants übertragen wurde. Di Giovanni zufolge steht die Debatte zwischen Reinhold und Schmid, die sich aus dieser Situation ergab, insgesamt im Zeichen einer sich in die Richtung von J. J. Fries fortentwickelnden Reduktion von Kants transzendentalphilosophischem Ansatz auf eine Philosophie der Tatsachen des Bewusstseins. In einer weit ausgreifenden Untersuchung von Reinholds Freiheitskonzept unternimmt Alexander von Schönborn den Versuch einer Bilanzierung des Ertrags der lebenslangen denkerischen Anstrengungen auf diesem Gebiet. Wie Reinhold die Rolle der Freiheit im menschlichen Leben und als philosophisches Prinzip in seiner letzten Entwicklungsphase bestimmt, ist die Leitfrage der gesamten Untersuchung, die sich in zwei Problemrichtungen verzweigt: Erstens geht es um die Klärung der Frage, ob der Begriff der Freiheit im System der Philosophie die Position behält, die er sowohl bei Kant als auch in Reinholds früheren Ansätzen behauptete, nämlich die des „Schlußstein[s] von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen, Vernunft“ (KpV A 4). Und zweitens geht es darum, den Freiheitsbegriff von Reinholds Spätphilosophie auf der Folie seines sozialen und philosophischen Kontextes inhaltlich zu bestimmen und als Resultat vorhergehender Veränderungen sichtbar zu machen. Die Arbeiten des sechsten Teils beziehen das Gebiet der theoretischen Philosophie mit ein; sie behandeln in erster Linie Themen, die der Unterscheidung von theoretischer und praktischer Philosophie vorausliegen oder die diese Differenz übergreifen. Dirk Westerkamp eruiert Möglichkeiten, das Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft vermittelst einer Konzeption von produktiver Einbildungskraft, in der sich die Freiheit im theoretischen Ich manifestiert, neu zu deuten. Die so verstandene Einbildungskraft wäre nicht nur als Einheitsgrund von theoretischer und praktischer Vernunft in Anspruch zu nehmen; als spontanes und formproduktives Vermögen avanciert sie zur Grundlage einer erkenntniskritischen Sprachphilosophie, die Hegel und der späte Reinhold als Gegenentwurf zu der als schlechte Metaphysik beurteilten Psychologie ihrer Zeit aufbieten. Ein solcher Rekurs auf das Verhältnis von Freiheit und Einbildungskraft ist indessen nicht nur von antiquarischem Interesse, sondern stellt Theoriepotenziale auch für gegenwärtige Problemstellungen bereit. Sven Bernecker stellt die Bedeutung des Konsensbegriffs für die Elementarphilosophie heraus und erörtert die Systemwechsel Reinholds im Licht dieses Begriffs. Dem Verständnis von Dissens nachgehend, stellt Bernecker heraus, dass „echter“ Dissens für Reinhold Symptom epistemischer Unvollkommenheit und Irrationalität

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ist, so dass er als Vertreter der unter der Bezeichnung „epistemischer Objektivismus“ firmierenden Position zu gelten hat. Rolf Ahlers beschäftigt sich mit dem Dickicht von Einflüssen, thematischen Querverbindungen, philosophischen Motiven und Interessen während der Phase des „Rationalen Realismus“, in welcher Jacobi, Fichte, Hegel und Bardili die entscheidenden Akteure sind. Er ist der Ansicht, dass Reinholds eigener Standpunkt ebenso wie seine Bezugnahmen auf die genannten Mitstreiter am besten im Fokus seines religiösen Interesses an einem „Urwahren“ oder „Urseyn“ zu rekonstruieren sind. Im Anhang berichtet Erich Fuchs über den Stand der Arbeiten an den Reinhold-Kollegnachschriften, die im Rahmen der Gesammelten Schriften Reinholds im Schwabe-Verlag herausgegeben werden sollen. Im Blickpunkt dieser Herausgabe stehen vor allem die Nachschriften zu Reinholds Vorlesungen über die Kritik der reinen Vernunft (von Kalmann und Krause) sowie über Logik und Metaphysik (von Kalmann, Krause und Smidt). Am Beispiel eines Abschnittes über Skeptizismus dokumentiert Fuchs, dass die drei Nachschriften zur Vorlesung über Logik und Metaphysik relevante sachliche Abweichungen aufweisen.

I. Freimaurer- und Aufklärungsdenken

Auf der Suche nach einem Willensbegriff beim frühen Reinhold Sabine Rçhr Abstract: This article argues that Reinhold developed his early concept of enlightenment in reaction to Wolff’s philosophy. By asking philosophers to use concrete, „mediating concepts“ in their education of the people that are distinct but at the same time include sensible elements, he goes beyond the Wolffian dualism of sensibility and understanding and, if only implicitly, assumes the possibility of a free will that is not based on purely abstract concepts, as it is in Wolff. Freedom, in conjunction with reason, develops in a historical-dialectical process and, with the help of „mediating concepts“, enables free acting, thus extending the possibility of enlightenment to the majority of people instead of limiting it to a small group of scholars.

Karl Leonhard Reinhold ist nicht nur als Autor der Briefe ber die Kantische Philosophie bekannt, die maßgeblich dazu beitrugen, Kants Kritik der Vernunft im ganzen deutschsprachigen Raum zu popularisieren, und als Verfasser seiner eigenen Elementarphilosophie, die eine entscheidende Rolle in der Initiation des deutschen Idealismus spielte, sondern auch im Bereich der Ethik für seine Neubestimmung des Begriffs des Willens in Absetzung gegen den Kant’schen. Der Umstand, dass der Begriff des Willens – zumindest während einer entscheidenden Phase der Reinhold’schen Philosophie, nämlich in der Formulierung seiner eigenen philosophischen Position im Anschluss an seine Rezeption der Kant’schen Philosophie – zentral war, ließe die Vermutung zu, dass ein Begriff des Willens, wie auch immer unbestimmt, von Anfang seines Philosophierens an gegenwärtig gewesen sei. Es muss daher überraschen, dass ein solcher Begriff fast gänzlich zu fehlen scheint, wenn man Reinholds frühe Schriften bis zum Anfang seiner Kant-Rezeption kursorisch durchsieht. Der Versuch, mithilfe einer Skizze seines frühen philosophischen Denkens, das die, offensichtlichen und potentiellen, Einflüsse in Betracht zieht, auf einen von diesem Denken implizierten Willensbegriff zu schließen, erweist sich dabei als unfruchtbar, da das Bild, das sich ergibt, nicht nur recht vage ist, sondern die Einflüsse so vielfältig sind (über

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Locke, Leibniz, Wolff und Spinoza zu Adam Weishaupt1, den französischen Materialisten und Johann Gottfried Herder), dass sie ganz unterschiedliche und sogar widersprüchliche Schlüsse zulassen würden. Daher konzentriere ich mich an dieser Stelle auf Reinholds Essay „Gedanken über Aufklärung“ von 1784 und versuche zu zeigen, dass dieser Aufsatz einen Begriff des Willens impliziert (obwohl er ihn nicht explizit ausspricht), der vom Wolff’schen Willensbegriff ausgeht und ihn auf gezielte Weise verändert. Bevor ich mich aber näher mit diesem Aufsatz auseinandersetze, sind ein paar kurze Anmerkungen zur philosophischen Ausbildung seines Verfassers wie auch zu zeitgenössischen philosophischen Strömungen in Österreich angebracht. Reinhold wurde 1757 in Wien geboren. 1772 trat er dem Jesuitenorden bei, der aber schon im folgenden Jahr aufgehoben wurde. 1774 wurde er daher Mitglied des Barnabitenordens, wo er Philosophie und Theologie studierte. Sein wichtigster Lehrer dort war Johannes Jakob Nepomuk Pepermann (Don Paulus).2 Pepermann beschrieb seinen Unterricht Jahre später in einem Brief an Reinhold folgendermaßen: There is no denomination, i less deserve, than that of your Lehrer […] truly pray what obligation can you bear to one, who was obliged to explain to you Storchenau, and Bertieri, and a kind of smattering of Physiks and that to[o] strained to the old wrangling scholastical method? Or what could you expect from me whose metaphysiks did then, and partly do yet scarce reach beyond Malebranche and Wolf, and who as to Divinity was strictly obliged to follow the beaten road of his predecessors, that is to say the traces of a few insipid monkish writers? 3

Pepermann war in England aufgewachsen und sprach nicht nur fließend Englisch, sondern war auch mit dem Gedankengut der britischen Aufklärung vertraut, Kenntnisse, die er wahrscheinlich an seinen Schüler weitergab. Die Briefstelle macht deutlich, dass Reinholds philosophische Ausbildung größtenteils im Zeichen des zeitgenössischen österreichischen Wolffianismus stand. Sigismund von Storchenau (1731 – 1797) lehrte von 1762 bis 1773 Philosophie an der Universität Wien. Werner Sauer zufolge gilt sein Wirken als „Höhepunkt der Wolff-Rezeption durch die österreichischen Jesuiten“. Sauer betont insbesondere, dass Storchenau „in seinem Wolffianismus in der Ontologie über seinen 1 2 3

Adam Weishaupt (1748 – 1830), Gründer des Illuminatenordens. Für eine kurze Biographie Pepermanns, siehe KA 1.138 Anm. 2. Pepermann an Reinhold, 5. Nov. 1786, KA 1.159 f.

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Lehrer Makó hinaus[geht]“4. Joseph Bertieri (1734 – 1804) war Augustiner und Lehrer der Theologie an der Universität Wien.5 Im Zusammenhang mit einem möglichen Einfluss von Nicholas Malebranche weisen sowohl Gerhard Fuchs6 als auch Karianne Marx7 auf den Vorwurf des Spinozismus gegen Malebranche hin – ein interessanter Hinweis im Hinblick auf Reinholds Interesse an Spinoza. 1780 wurde Reinhold zum Priester geweiht und 1781 zum Lektor der Philosophie ernannt.8 In der Vorrede zu seinem Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens von 1789, in der er die erste ausführliche Darstellung seiner eigenen, wenn auch von Kant ausgehenden Elementarphilosophie vorlegte, sagt Reinhold Folgendes über sein Studium und seine Lehre: Zehn Jahre hindurch war speculative Philosophie sein Hauptstudium gewesen, dem er seine Verwendung auf Mathematik und schöne Wissenschaften mit einer Art von Gewissenhaftigkeit unterordnete. Drey Jahre hindurch hatte er philosophische Vorlesungen nach dem leibnitzischen Systeme gehalten, und die Schriften des grossen Stifters desselben, so wie seines würdigen Gegners Locke, waren ihm keineswegs nur aus den neuern philosophischen Produkten unsrer Landsleute bekannt.9

Mit welchen Schriften von Leibniz und Locke Reinhold im Einzelnen vertraut war, lässt sich aus dieser Passage leider nicht bestimmen. Karianne Marx hebt hervor: Indem er sein Werk ,Versuch‘ nannte – auf Englisch ,essay‘ – „stellte Reinhold sein Buch in die Tradition von Locke und Leibniz, die beide Versuche über den menschlichen Verstand geschrieben hatten“. Und wie sie weiterhin erinnert, lehrte Reinhold in den ersten Jahren seiner akademischen Lehrtätigkeit in Jena – also ab 1787 – Logik und Metaphysik auf der Basis von Leibniz, Locke und anderen.10 4 Sauer 1982, S. 40 f. Paul Makó von Kerek-Gede (1723 – 1793) war Storchenaus Vorgänger auf dem philosophischen Lehrstuhl in Wien. 5 Siehe KA 1.159 Anm. 10. 6 Fuchs 1994, S. 16. 7 Marx 2009, S. 15. 8 Siehe KA 1.390. 9 Versuch, S. 51 f. Die Vorrede trägt den Titel „Ueber die bisherigen Schicksale der kantischen Philosophie“. 10 Marx 2009, S. 27 (meine Übersetzung). Marx bezieht sich hier auf ein Verzeichnis von „Reinholds Vorlesungen in Jena (Übersicht)“, das Erich Fuchs 1994, S. 171 ff., zusammengestellt hat. Laut diesem Verzeichnis lehrte Reinhold „Logik und Metaphysik nach Kant, Leibniz, Locke und anderen“ wiederholt ab dem Semester 1789/90, 1788 und 1788/89 allerdings nach Ernst Platners Philosophische Aphorismen und „nach eigenem Diktat“ (ebd. S. 172).

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Und noch ein weiterer Einfluss auf Reinholds philosophische Entwicklung muss kurz erwähnt werden. Während seiner letzten beiden Jahre in Wien – also 1782 und 1783 – nahm er aktiv an der, seit dem Regierungsantritt Josephs II. verstärkt stattfindenden, zeitgenössischen Diskussion über Aufklärung in Österreich teil. Als Angehöriger des „Wiener Kreises“11 kam er nicht nur mit den neuesten Ideen über Aufklärung in Berührung, sondern wurde auch Freimaurer. Er trat im April 1783 der Loge „Zur wahren Eintracht“ bei, die von Ignaz von Born (1742 – 1791) geleitet wurde, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der österreichischen Aufklärung, und wurde ebenfalls Illuminat. In dieser Periode begann Reinhold auch zu publizieren, sowohl in der Wiener Realzeitung, für die er Rezensionen in der Rubrik „Theologie und Kirchenwesen“ verfasste, als auch im Journal fr Freymaurer, das von seiner Loge herausgegeben wurde. Der Konflikt zwischen seiner gleichzeitigen Existenz als katholischer Mönch und illuminatischer Freimaurer trug wahrscheinlich entscheidend zu seiner Flucht aus Wien im November 1783 bei, zuerst nach Leipzig, wo er ein Semester bei Ernst Platner (1744 – 1818) studierte, und im Mai 1784 weiter nach Weimar, wo er durch die Vermittlung seiner freimaurerischen Wiener Freunde Aufnahme bei Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) fand und bald für dessen Zeitschrift Der Teutsche Merkur zu schreiben begann. Reinholds Aufsatz „Gedanken über Aufklärung“, zusammen mit einem zweiten, „Die Wissenschaften vor und nach ihrer Sekularisation“, stellen seine ersten veröffentlichten Aufsätze im Teutschen Merkur dar. Wie Alexander von Schönborn feststellt, stand Reinhold zu dieser Zeit noch ganz auf dem Boden der josephinistischen Aufklärung, eine Einschätzung, die ich teile.12 Wie ich hier zu zeigen unternehme, erarbeitete Reinhold seine aufklärerische Position in philosophischer Hinsicht in Auseinandersetzung mit der Philosophie, die in Österreich bis wenige Jahre vor seiner Flucht die einflussreichste gewesen war, und zwar der Wolff’schen.13 Der Aufsatz beginnt mit seiner Anerkennung der Leistungen der zeitgenössischen Philosophie, deren Kritik der „Schullogik“ und Religion zur Bestimmung von wissenschaftlichen Begriffen der Logik und Metaphysik und zur Berichtigung der sittlichen Begriffe auf der 11 Für eine Darstellung dieses Kreises, siehe Keil 1883. 12 Siehe von Schönborn 1991, S. 13. 13 Siehe Sauer 1982, S. 45, der den Wolffianismus bis Ende der 1770er Jahre als einflussreichste philosophische Strömung in Österreich beschreibt.

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Grundlage der Moral geführt hat und die Grundbegriffe für Ontologie und Naturrecht festgesetzt hat, Grundbegriffe, die zu Grundsätzen geführt haben, die ein „wohlgeordnete[s] vollständige[s] Lehrgebäude“ ergaben.14 Aber dieses Gebäude reicht nach Reinholds Meinung nicht aus, ja, es ist nicht einmal ein richtiges Gebäude, sondern ein bloßes wenn auch vollendetes Gerüst, an dem immer weiter gebaut werde. Die weiter und weiter fortschreitende „Analyse wissenschaftlicher Begriffe“ verliere das wirkliche Leben, den „gemeinen Manne“, ganz aus dem Blick.15 Reinhold nennt keine Namen, aber m. E. ist es eindeutig, dass sich seine Kritik auf die Wolff’sche Philosophie bezieht, und speziell auf Wolffs Deutsche Metaphysik. In der Tat war es Wolffs Ziel, alle Wissensgebiete wissenschaftlich zu fundieren, allen voran die Philosophie als fundamentalste aller Wissenschaften, als theoretische Wissenschaft vom Möglichen als Möglichen, wobei er Wissenschaft definiert als „eine Fertigkeit des Verstandes, alles, was man behauptet, aus unwidersprechlichen Gründen unumstößlich darzutun“,16 oder wie Werner Schneiders formuliert, „eine exakte Demonstration aus evidenten Prinzipien“.17 Und diese Auffassung von Philosophie greift die substanzielle Kritik Reinholds an: „Indessen wurden selbst die allgemeinen Notionen fürs Leben in eben dem Grade unbrauchbar, als sie sich von den individuellen Empfindungen, den Triebfedern aller Thätigkeit des Menschen, entfernten, und mit der ganzen übrigen Ideenmasse ungleichartig wurden.“18 Wolffs Philosophie hat es in ihrer Ausrichtung auf „definitiones essentiales“19 vorwiegend mit Allgemeinbegriffen zu tun, mit der Erkenntnis des „mundus rationalis“ als System von allgemeinen Wahrheiten.20 So sehr Reinhold Wolffs Verdienste um die „Vernunftbildung“ würdigt, so sehr kritisiert er doch die fehlende Anwendbarkeit, da die Vernunftbegriffe allgemein blieben: „Man wußte wie man zu Werke gehen sollte [in der Pflicht zur Aufklärung], um die Vernunft von ihren Krankheiten zu heilen“ – Krankheiten, die die Religion ihr zugefügt hatte – „aber man wußte es nur überhaupt […]. Man wußte sich der Vernunft nur bey

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Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 4. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 5. Wolff 1713, § 2, Wolff-GW I.1. Schneiders 1983, S. 13. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 5. Wolff 1713, § 263, GW I.1. Siehe Schneiders 1983, S. 26.

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allgemeinen Notionen zu bedienen“,21 weshalb das Licht der Aufklärung auf die kleine Schicht der Gelehrten beschränkt blieb. Gegen Wolff behauptet Reinhold, dass Aufklärung als wissenschaftliches System unmöglich ist.22 Er fordert stattdessen, „wirkende[ ] Begriffe“ zu entwickeln, die den „Wandel der Menschen“23 beeinflussen, mit anderen Worten, menschliches Handeln. Hier sei noch einmal an obiges Zitat erinnert, in dem Reinhold behauptet, dass „die allgemeinen Notionen fürs menschliche Leben in eben dem Grade unbrauchbar [wurden], als sie sich von den individuellen Empfindungen, den Triebfedern aller Thätigkeit des Menschen, entfernten […]“. Diesem Gedanken zufolge können Begriffe nur dann wirken, wenn sie auch auf Empfindung beruhen, nicht nur auf dem Verstand. Konsequenterweise fordert Reinhold Begriffe, die weniger allgemein und mehr aufs Besondere bezogen sind und so theoretisch als „Communications-Brücke“ und praktisch als „Brücke zwischen Speculation und Handlung“ fungieren können.24 Obwohl von kleinerem Umfang, sind sie immer noch wissenschaftlich, es sind „neuere wissenschaftliche Begriffe“, die besser an die wirklichen Gegenstände der Welt angepasst sind und jedermann verständlich sind, offensichtlich im Gegensatz zu den Wolff’schen allgemeinen Begriffen, die sich auf die größere Klasse von möglichen Gegenständen überhaupt beziehen und nur einem kleinen Kreis von Gelehrten zugänglich sind. Welcher Art sind nun diese neuen wissenschaftlichen Begriffe? Wir gelangen zu ihnen, indem wir die „auf den Wandel der Menschen zunächst wirkenden Begriffe untersuch[en] und berichtig[en]“25. Sie sind das Produkt der Anwendung der „Regeln der Vernunftbildung“, also von Wolffs wissenschaftlicher Analyse der Möglichkeit von Begriffen, auf Gegenstände des wirklichen Lebens. Bekanntlich unterscheidet Wolff zwischen klaren und dunklen Vorstellungen und Begriffen, und bei den klaren wiederum zwischen deutlichen und undeutlichen oder verworrenen.26 Diese Unterscheidung hängt mit derjenigen zwischen Verstand auf der einen Seite und Sinnlichkeit und Einbildungskraft auf der anderen zusammen. Während der Verstand, als das Vermögen, das Mögliche 21 22 23 24 25 26

Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 8. Siehe Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 9. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 9. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 6. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 9. Siehe Wolff 1752, § 275, GW I.2.

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deutlich vorzustellen, zu deutlichen Begriffen fähig ist, d. h. den Unterschied einer Sache von anderen mit Hilfe der Analyse ihrer Zusammensetzung erklären und bestimmen kann,27 sind die Vorstellungen von Sinnlichkeit und Einbildungskraft als vom Verstand getrennte „höchstens klar, aber nicht deutlich“28. Das Hinzukommen des Verstandes macht sie deutlicher. Aber wenn wir vollkommen deutliche Erkenntnis anstreben, muss der Verstand, als reiner, ganz von Sinnlichkeit und Einbildungskraft abstrahieren. „Weil die Deutlichkeit der Erkäntniß für den Verstand, die Undeutlichkeit aber für die Sinne und die Einbildungs-Kraft gehöret (§ 277); so ist der Verstand abgesondert von den Sinnen und der Einbildungs-Kraft, wenn wir völlig deutliche Erkäntniß haben: hingegen mit den Sinnen und der Einbildungs-Kraft noch vereinbahret, wo noch Undeutlichkeit und Dunckelheit bey unserer Erkäntniß anzutreffen.“29 Reinhold geht es nicht um sinnliche Begriffe im Wolff’schen Sinne, wie der Begriff der Empfindung nahelegen könnte. In seiner Forderung nach neuen wissenschaftlichen Begriffen bezieht er sich explizit auf deutliche, nicht auf klare Begriffe, und weist darauf hin, dass diese „trotz ihrer Unvollständigkeit von den sinnlichen Begriffen der unmittelbaren Erfahrung ganz verschieden sind“30. Indem er deutliche Begriffe von kleinerem Umfang fordert, durchbricht er den Wolff’schen Dualismus von Verstand und Sinnlichkeit zugunsten von „Mittelbegriffen“, die „sowohl mit den geistigsten und feinsten Notionen des Philosophen, als mit den sinnlichsten Ideen des gemeinen Mannes zusammenhängen“.31 Sofern es um Aufklärung geht, gibt Reinhold also die Vollständigkeit von philosophischen Begriffen auf zugunsten der allgemeineren Verständlichkeit von engeren, aber unvollständigen Begriffen. Diese „Volksbegriffe“ sollen, ihm zufolge, weniger abstrakt sein, sich auf Besonderes beziehen, also „von kleinerem Umfange, aber desto größerer Wichtigkeit [sein], denn sie wurden die Brücke zwischen Speculation und Handlung. Diese neuere wissenschaftliche Begriffe paßten nun den wirklichen Gegenständen in der Welt viel besser an, näherten sich den gemeinern Fähigkeiten, leuchteten den Wirkungskreisen aller Stände, und wirkten 27 28 29 30

Siehe Wolff 1752, § 206, GW I.2. Wolff 1752, § 277, GW I.2. Wolff 1752, § 282, GW I.2. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 129. Wolff zerlegt in § 275 seiner Deutschen Metaphysik (GW I.2) deutliche Begriffe weiter in ausführliche und unausführliche, und ausführliche in vollständige und unvollständige. 31 Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 130.

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jene Revolution, die, als sie anfieng merklicher zu werden, mit dem Namen Aufklärung bezeichnet wurde“.32 Marx weist darauf hin,33 dass schon Reinholds Rezensionen in der Wiener Realzeitung sein Bewusstsein von der Notwendigkeit einer Verbindung von abstraktem Denken und konkretem Wirklichkeitsbezug zeigen, wie wenn er, anlässlich der Forderung nach der Rationalisierung von Religion, betont, dass sich „auch in dem hellsten Kopfe eines Weisen […] die abgezogenen Begriffe in sinnliche Bilder zusammendrängen [müssen], bevor sein erhabenster Gedanke zur That reift“34. Nur so ist vernünftiges Handeln möglich. Reinhold definiert Aufklärung folgendermaßen: „aufklären heißt überhaupt aus vernunftfähigen vernünftige Menschen machen“35. Der Mensch ist von Natur aus – „in seiner physischen Anlage“ – vernunftfähig, d. h. fähig, deutliche Begriffe zu denken, nämlich, verworrene Begriffe in ihre Merkmale aufzulösen.36 Sinnliche Eindrücke, Empfindungen, liefern der Vernunft den Stoff; ohne Sinnlichkeit keine Vernunft. Aber als sinnlich-vernünftiges und damit endliches Wesen kann er nur eine gewisse, begrenzte, wenn auch ausreichende, Anzahl von Begriffen denken. Daher muss er sich auf die wichtigsten Begriffe beschränken. Also nicht Quantität wie bei Wolff, für den derjenige am aufgeklärtesten ist, der die meisten deutlichen Begriffe besitzt, sondern Qualität zählt, die Deutlichkeit nicht von „logischen und metaphysischen Definitionen“,37 sondern von Mittelbegriffen, die für die „wirkliche Welt“, das „tägliche Leben“, und letzten Endes für „menschliche Glückseligkeit“ entscheidend sind.38 32 Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 6. 33 Marx 2009, S. 43. Dies ist für sie eine Bestätigung ihrer These, dass Reinhold vom Anfang seines aufklärerischen Denkens an eine Synthese von Vernunft und Sinnlichkeit gesucht habe, die auch seine Rezeption der Kant’schen Philosophie nachhaltig beeinflusst habe. 34 Reinhold, Herzjesuandacht S. 139. 35 Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 123. Diese Definition war wahrscheinlich direkt von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784) beeinflusst. Siehe z. B. Sauer 1982, S. 100 Anm. 54, und ausführlich Bondeli 1998. 36 Reinhold gebraucht den Terminus ,Vernunft’, wo Wolff von ,Verstand’ spricht. 37 Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 129. 38 Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 8 u. 125. Wenn Reinhold bemerkt, dass Menschen, die genug „Aufmerksamkeit“ besitzen, fremde Sprachen zu lernen, auch in der Lage seien, eine „angemessene Anzahl deutlicher Begriffe“ (S. 232) zu denken, dann kann das wieder als Spitze gegen Wolff interpretiert werden, für den ,Aufmercksamkeit‘ ein Vermögen der Seele ist, sich auf spezifische Vor-

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Reinhold bezieht Aufklärung nicht nur auf das Individuum, sondern auch auf die ganze Nation: Nur eine solche kann als aufgeklärt gelten, in der ein großer Teil der Bevölkerung es ist.39 Das heißt nicht, dass alle Menschen Philosophen werden sollen. Reinhold unterscheidet zwischen künstlicher und natürlicher Deutlichkeit, wobei die erstere dem Philosophen und die letztere dem gemeinen Manne zukommt. „[D]er Philosoph lehrt; der Pöbel lernt; der Philosoph zergliedert den Begriff; der Pöbel fasset den zergliederten auf […] jener muß immer so viele Vorräthige beysammen haben, als ihm nöthig sind, um neue Wahrheiten zu finden: diesem genügen die wenigen, die man braucht um eine schon gefundene Wahrheit einzusehen.“40 Allgemeingültigkeit der philosophischen Begriffe, aber allgemeine Geltung der Volksbegriffe, deren Konzeption sich aus der Verbindung der frühaufklärerischen Forderung nach nützlichem Wissen und Wolffs Definition der Philosophie als systematischer Theorie des Möglichen durch deutliche Begriffe ergibt. Als Beispiel benutzt Reinhold den deutlichen, philosophischen Begriff der Gerechtigkeit Gottes und den „verworrenen“ des Volkes von einem unerbittlich strengen, unversöhnlichen Gott, die beide den Begriff eines Vaters gemeinsam haben, der nur aus Güte straft. Dieser, als Mittelbegriff, bezieht sich offensichtlich auf einen Gegenstand von geringerem Umfang, Vater statt Gott, und auf einen konkreten Gegenstand, aber das Verhältnis eines Schöpfers zu seinen Kreaturen ist strukturell, wenn nicht dasselbe, so doch übereinstimmend in der Weise einer Analogie. Ein Mittelbegriff wäre also ein Begriff, der den Umfang eines philosophischen Begriffes vermindert und konkretisiert, aber seine formelle Struktur beibehält.41 stellungen zu konzentrieren (Wolff (1752) [GW I.2] § 268), um sie klarer zu machen, und der, ebenfalls im 3. Kapitel der Deutschen Metaphysik, über das Erlernen von Fremdsprachen schreibt. 39 Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 125. 40 Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 128. Es ist also ganz klar, dass Reinhold den Unterschied zwischen Philosophie und alltäglichem Denken aufrecht erhält. Für Leibniz wie auch für Wolff ist es ein Ziel der Philosophie, neue Wahrheiten zu finden. Über den paternalistischen Charakter dieser Art von Aufklärung sage ich unten mehr. 41 Es ist möglich, dass Reinhold dieses Beispiel ebenfalls von Wolff übernimmt, der in seiner Deutschen Ethik unter Hinweis auf Thomasius betont, dass wir Gott als Gesetzgeber nicht nach dem „Bilde eines herrschsüchtigen Herrn“, sondern nach dem „eines gütigen und liebreichen Vaters“ vorstellen (GW I.4 § 59). Möglicherweise war dieses Bild weithin bekannt. Marx weist darauf hin, dass Gott auch in der Philosophie der Illuminaten als Vater bezeichnet wird (siehe Marx 2009,

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Was ist nun der Grund für Reinhold, diese Mittelbegriffe einzuführen? Oder anders gefragt, was hat das alles mit dem Willen zu tun? Erinnern wir uns noch einmal an das oben angeführte Zitat: „Indessen wurden selbst die allgemeinen Notionen fürs menschliche Leben in eben dem Grade unbrauchbar, als sie sich von den individuellen Empfindungen, den Triebfedern aller Thätigkeit des Menschen, entfernten […].“42 Hier wird eine Verbindung von Sinnlichkeit und menschlichem Handeln hergestellt, die einen Hinweis auf Reinholds Willensbegriff geben könnte. Bekanntlich definiert Wolff die Seele als die Kraft, sich die Welt vorzustellen, und unterscheidet zwischen dem theoretischen, erkennenden und dem praktischen, strebenden Seelenvermögen. Bei der theoretischen Erkenntnis unterscheidet er Empfindung, als sinnliche, mehr oder weniger klare Vorstellungen des gegenwärtigen Zustandes der Welt,43 Verstand als das Vermögen, das Mögliche deutlich vorzustellen, und Vernunft als die Einsicht in den Zusammenhang verschiedener Wahrheiten und damit als vollkommenste Erkenntnis. Auch das menschliche Handeln versteht er als von Vorstellungen bestimmt, nämlich von der Vorstellung, einen vollkommeneren Zustand herzustellen. Das Motiv menschlicher Handlungen entspringt in der Seele, wo die Anschauung von Vollkommenheit Lust oder Vergnügen erregt.44 Und da wir das, was uns vollkommener macht, als gut ansehen, entsteht eine „Neigung der Seele“ in Richtung auf die Sache, die verspricht, uns vollkommener zu machen. Das kann nun auf zwei verschiedenen Ebenen passieren, auf der sinnlichen und der des Verstandes. Eine nur undeutliche Vorstellung des Guten ruft sinnliche Begierde hervor.45 Als nicht deutlich begriffene lässt sie aber den Menschen sozusagen im Dunkeln über seine Motive, da wir durchaus Lust am falschen Schein der Vollkommenheit empfinden können. Also haben diejenigen, die unfähig zu deutlichem Erkennen sind, ihre Lust und damit ihre Handlungen nicht in ihrer

42 43 44 45

S. 19). Marx bezieht sich dort auf Adam Weishaupts „Anrede an die neu aufzunehmenden Illuminatos dirigentes“ (1782), wo Weishaupt in seiner Beschreibung des Urchristentums, das ihm als Vorbild seiner sozialen Utopie dient, Gott als Vater bezeichnet, als dessen Kinder wir in brüderlicher Liebe leben sollen (siehe ebd. die „Anrede“, S. 187). Reinhold war höchstwahrscheinlich vertraut mit dieser Rede; wie schon erwähnt, war er Mitglied der Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ und Illuminat. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung S. 5. Vgl. Wolff 1752, § 823, GW I.2. Vgl. Wolff 1752, § 404, GW I.2. Vgl. Wolff 1752, § 434, GW I.2.

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Gewalt; sie sind buchstäblich die „Sclaven“ ihrer Begierden, Affekte und Einbildungskraft.46 Im Gegensatz dazu definiert Wolff Wille als „die Neigung des Gemüthes gegen eine Sache um des Guten willen, das wir bey ihr wahrzunehmen vermeinen“.47 Wille setzt die deutliche Erkenntnis des Guten voraus; er funktioniert auf der Ebene des Verstandes. Er ist frei, denn die „Seele [hat] den Grund ihrer Handlungen […] in sich“. Die Seele wird durch die vorhandenen Beweggründe nicht genötigt oder determiniert. Und diese Freiheit, als „das Vermögen der Seele durch eigene Willkühr aus zweyen gleich möglichen Dingen dasjenige zu wehlen, was ihr am meisten gefället“, wächst mit dem zunehmenden Grad der Deutlichkeit des Verstandes.48 Meines Erachtens widerspricht Wolffs Willensbegriff Reinholds Konzeption von Aufklärung. Zwei Gründe ließen sich hierfür anführen, nämlich erstens die Implikationen der Wolff’schen Willenskonzeption für die Möglichkeit von Volksaufklärung und zweitens Reinholds schon mehrfach zitierte Überzeugung, dass allgemeine, von Empfindung, d. h. Sinnlichkeit getrennte Begriffe unfähig seien, Handlungen zu initiieren. An dieser Stelle werde ich mich auf ersteren Grund konzentrieren, da nur er sich auf der Textgrundlage der „Gedanken über Aufklärung“ fundieren lässt. Eine Folge der Wolff’schen Willenskonzeption wäre es, dass freies Handeln auf eine äußerst geringe Anzahl von Menschen beschränkt bliebe, denn, wie Wolff feststellt, besitzen die wenigsten Menschen das Talent zu deutlicher Erkenntnis.49 Die meisten Menschen wären also nur zu klarer Erkenntnis fähig und damit zur Unfreiheit verdammt. Das ist aber unbefriedigend für jemanden wie Reinhold, der Volksaufklärung fordert, für den Aufklärung in der „allgemeinere[n] und schnellere[n] 46 Wolff 1752, §§ 405, 416 u. 491, GW I.2. Ganz klar macht dies Wolff in der Deutschen Ethik, § 180 [GW I.4]: „Wenn wir bey den klaren Begriffen verbleiben, und nicht biß auf deutliche gehen (welches die meisten Menschen beständig thun) pflegen wir das Gute und Böse durch die Lust und Unlust zu unterscheiden (§ 432. Met.), und begehren daher dasjenige, was uns Lust bringet, haben aber daran Abscheu, was uns Unlust erreget (§ 434. 436. Met.). Da nun aber hierdurch öfters das Schein-Gut dem wahren Guten vorgezogen, und das Gute als ein vermeintes Uebel verworffen wird (§ 424. 428. Met.); so verblenden uns unsere Sinnen in unserem Urtheile, daß wir das Böse für gut, und das Gute für böse halten“. 47 Wolff 1752, § 492, GW I.2. 48 Wolff 1752, § 518 f., GW I.2. 49 Vgl. Wolff 1752, § 415, GW I.2.

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Verbreitung der uns angelegensten Wahrheiten“ und ihrer praktischen Anwendung besteht.50 Was er braucht, sind deutliche Begriffe, die, obwohl nicht Produkt eines gänzlich reinen Verstandes, trotzdem zum freien Handeln befähigen, und die zum anderen für jeden Menschen verständlich sind. Beide Ziele verfolgt er in seinem Aufsatz über Aufklärung. Er besteht auf deutlichen Begriffen fürs Volk, fordert aber, da die abstraktesten Begriffe sich nicht zum allgemeinen Verständnis eignen, dass weniger allgemeine, besonderere Begriffe gefunden werden müssen, die erstens leichter verständlich, weil anschaulicher, und zweitens in der Lage sind, Menschen zum vernünftigen Handeln zu bewegen. Das würde also zu einem Begriff des Willens führen, der von dem Wolff’schen verschieden ist, insofern er von deutlichen, aber zur gleichen Zeit auch sinnlichen Begriffen angeleitet wird. Eine mögliche Schwierigkeit dieser Interpretation ist, dass Reinhold den Begriff des Willens in seinen „Gedanken über Aufklärung“ gar nicht erwähnt. Ich muss mich also an dieser Stelle auf bloß implizite Folgerungen beschränken. Mit anderen Worten kann ich nur Vermutungen darüber anstellen, wie Reinhold den Wolff’schen Willensbegriff umformuliert hätte, wenn er explizit über den Willen reflektiert hätte – was aber in diesen frühen Schriften nicht geschieht. In Bezug auf den Freiheitsbegriff ist die Lage etwas anders. Zwar erwähnt Reinhold auch ihn nur ein einziges Mal in den „Gedanken über Aufklärung“ und vertritt zudem eine zunächst stark paternalistisch gefärbte Auffassung von Volksaufklärung, in der die Philosophen aktiv aufklären und das gemeine Volk passiv aufnimmt – ganz gemäß der josephinischen Aufklärung des Volkes „von oben“, durch den aufgeklärten Herrscher. Aber er durchbricht diesen Paternalismus mit der Annahme einer geschichtlichen Dialektik, die unaufhaltsam auf Aufklärung und Freiheit hinarbeitet. Schon in dem ersten schriftlichen Zeugnis, das wir von Reinhold besitzen, dem Brief an seinen Vater nach der Auflösung des Jesuitenordens, stützt sich seine Hoffnung auf die baldige Wiederauferstehung der Gesellschaft Jesu, in den Worten von Zwi Batscha, auf einen „dialektischen Umschlag“51. „Denn nach einer klaren Weissagung unsres heiligen Vaters sollte die Gesellschaft zwar der List und Gewalt ihrer Feinde unterliegen, aber nur, um in kurzem mit desto größrer Herrlichkeit wiederhergestellt zu werden.“52 Auf dieselbe Dialektik beruft er sich mehrfach im letzten Teil 50 Reinhold, Mçnchthum und Maurerey S. 169. 51 Siehe Batscha 1977, S. 14. 52 Reinhold an Karl Ägidius, 13. September 1773, KA 1.6 f.

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der „Gedanken über Aufklärung.“ Hier die Passage, in der auch der Begriff der Freiheit auftaucht: Mancher Tyrann dessen Name man nie ohne Abscheu nennen hört, hat im Grunde zur nachmaligen Freyheit seines Volckes mehr beygetragen, als der grosse und gute Mann den das Volk als seinen Retter verehrt. Das Joch mußte vorher unerträglich gemacht werden, wenn man sich entschliessen sollte dasselbe abzuwerfen.

Und wenige Seiten später: [D]ie Bonzen aller Nationen mußten genau so viel für die Verfinsterung des menschlichen Verstandes thun als sie wirklich gethan haben, ehe die schlimmen Folgen davon auffallend genug werden konnten um die Menschen mit Gewalt zum Nachdenken zu zwingen.53

Wie Batscha bemerkt, vertritt Reinhold eine regelrechte Verelendungstheorie, derzufolge die gesellschaftlichen Verhältnisse zuerst unerträglich werden müssen, das Elend „empfindlich“ genug sein müsse, um ein dann aber unbezwingbares Bedürfnis nach Besserung hervorzurufen. Auch in anderen Schriften dieser Periode taucht diese Denkfigur auf, wie z. B. in der maurerischen Schrift „Mönchthum und Maurerey“, in der Reinhold eine Dialektik von verfinsterndem Mönchstum und aufklärerischer Freimaurerei konstruiert. Ebenfalls in dem gleichzeitig mit den „Gedanken über Aufklärung“ veröffentlichten Aufsatz „Die Wissenschaften vor und nach ihrer Sekularisation“ schreibt er: „Der Druck des Elendes zwang endlich die Layen mit Gewalt zum Selbstdenken.“54 Dort verwendet er den Begriff der Freiheit im Sinne von Denkfreiheit und bindet ihn an den ungehinderten Gebrauch von Vernunft. Wie schon erwähnt, definiert Reinhold Vernunft als ein Vermögen – eine „Möglichkeit“ oder „Fähigkeit“ –, das sich geschichtlich entwickelt. Also muss auch Freiheit, als an Vernunft gebundene, sich geschichtlich entwickeln und errungen werden in Auseinandersetzung mit äußeren, sozialen und politischen Gegebenheiten und gemäß inneren „Fähigkeiten“. Reinholds Beschreibung der dialektischen Entwicklung von Vernunft und Freiheit erinnert in ihrer Wortwahl an illuminatische Schriften, z. B. an Weishaupts „Anrede an die neu aufzunehmenden Illuminatos dirigentes“. So zeichnet auch Weishaupt die stufenweise geschichtliche Entwicklung der Menschheit von der „Wildheit“ zur „Gesittetheit“ gemäß eines „unendlichen Plans“ der Natur nach, der durch auf jeder 53 Reinhold, Gedanken ber Auklrung S. 240 f. u. 243. 54 Reinhold, Sekularisation S. 39.

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Stufe neu entstehende „Bedürfnisse“ vorangetrieben wird. „Die Geschichte des Menschen Geschlechts ist die Geschichte seiner Bedürfnisse.“55 Durch die Vermehrung seiner Bedürfnisse verliert es die Freiheit, die es im ursprünglichen Zustand der Wildheit besaß, und gewinnt sie schließlich zurück zusammen mit dem höchsten Grade der Aufgeklärtheit. Weishaupt beschreibt diesen geschichtlichen Prozess auch in quasireligiöser Weise als den anfänglichen Verlust Edens, des Paradieses, durch Sünde und die Wiedergewinnung der Freiheit durch „thätiges Christenthum“, wie es durch die „ächte Freymaurerey“ gelehrt werde.56 Ganz explizit macht Reinhold den Zusammenhang von Vernunft und Freiheit in dem zwei Jahre nach den „Gedanken über Aufklärung“ ebenfalls im Teutschen Merkur veröffentlichten Aufsatz „Skizze einer Theogonie des blinden Glaubens“. Dort beschreibt Reinhold die geschichtliche Entwicklung des menschlichen Vernunftvermögens aus dem anfänglichen „Stand der Unschuld“, in dem die Menschen „aus unvermeidlichem Triebe gewollt“, was sie später, nach dem Durchgang durch eine Mittelphase, als Bürger „mit freyer Wahl [zu] wollen“ gelernt haben.57 Wieder ist diese geschichtliche Entwicklung eine, die Reinhold als von materiellen Verhältnissen und sinnlichen Erfahrungen vorangetriebene beschreibt. Ähnlich wie Weishaupt und auch Herder,58 die beide die geschichtliche Entwicklung der Menschheit in Analogie zu den menschlichen Lebensaltern beschreiben, vergleicht Reinhold die Menschheit in ihrer geschichtlichen Mittelphase mit einem „unbesonnenen brausenden Jüngling, das Mittelding zwischen Mann und Kind“. Sie hat auf dieser Stufe den Instinkt verloren, ist aber noch „zu blödsichtig um durch Vernunft ihre eigene Führerin zu seyn“59. Wie in den „Gedanken über Aufklärung“, in denen die Masse der Menschen ebenfalls als unfähig angesehen wird, sich selber aufzuklären, sondern als auf ihre philosophischen Lehrer angewiesen beurteilt wird, vertritt Reinhold, mehr als ein Jahr nach Kants Essay über Aufklärung, eine paternalistische Position, die den meisten Menschen den selbständigen Weg zur Mündigkeit abzusprechen und dem Gedanken der geschichtsdialektischen Entwicklung der Menschheit zur Aufklärung hin zu widersprechen 55 56 57 58

Weishaupt 1782, S. 169. Weishaupt 1782, S. 172 – 191. Reinhold, Skizze einer Theogonie S. 230. Zur Auseinandersetzung Reinholds mit Herders Geschichtsphilosophie in seinen Briefen ber die Kantische Philosophie siehe Heinz 2005. 59 Reinhold, Skizze einer Theogonie S. 231.

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scheint, ein Widerspruch, der m. E. durch den Begriff des Bedürfnisses aufgelöst werden kann. Wachsende Verelendung führt zum Bedürfnis nach Aufklärung, aber nicht unmittelbar zu den dafür benötigten deutlichen Begriffen. Diese müssen immer noch von den Philosophen zur Verfügung gestellt werden. Nach dem bisher Gesagten könnte es so erscheinen, als ob Reinhold letzten Endes doch mit Wolff eine intellektualistische Auffassung menschlichen Handelns teilt, besonders nach der Lektüre der „Gedanken über Aufklärung“, wo der Empfindungsbegriff sich ausschließlich auf den sinnlichen Gehalt von Begriffen zu beziehen scheint. So heißt es auch in der „Skizze einer Theogonie des blinden Glaubens“, dass der Endzweck der menschlichen Geschichte, das „reine Ideal der höchsten Vollkommenheit […] das Ziel [ist] von dem [des Menschen] Erkenntnis ausgeht, und zu dem sein Wollen zurückkommt“.60 Die Entwicklung der Erkenntnis geht der des Willens voraus.61 Das würde dann zu dem Ergebnis führen, dass Reinhold letztendlich an der Wolff’schen Konzeption eines begrifflich initiierten und bestimmten Wollens festhält, aber – in Abweichung von Wolff – einen veränderten Begriff des freien Wollens impliziert, das nicht auf rein abstrakten Verstandes- und Vernunftbegriffen beruht, sondern auf teilweise sinnlichen, aber zugleich deutlichen Begriffen. In den maurerischen und anderen Schriften gibt es aber genügend Hinweise darauf, dass Reinhold „Empfindung“ nicht nur im erkenntnistheoretischen Sinne versteht, sondern diesem Ausdruck im Sinne des zeitgenössischen Gebrauchs eine weitere Bedeutung von ästhetischen Gefühlen im Allgemeinen gibt. Erinnert sei z. B. an folgenden Satz in der freimaurerischen Schrift „Ueber den Hang zum Wunderbaren“: „Wo ist der Philosoph, der nicht als Knabe bey den Gespenstermährchen und Wundergeschichten seiner Amme mehr empfunden hätte, als er als Jüngling und Mann bey der Vernunftlehre seines Locke dachte?“ Der Anfang dieses Aufsatzes enthält einen ähnlichen Hinweis in der Form von Reinholds frontalem Angriff auf die Ethik der Stoa als eines „System[s] der Gefühllosigkeit“ und der Bemerkung, „daß sich keine Vorstellungskraft ohne Wohlgefallen an vermehrter Tätigkeit, und folglich ohne 60 Reinhold, Skizze einer Theogonie S. 231. 61 Siehe auch den Hinweis von Marion Heinz 2005, S. 324, auf den „intellektualistische[n] Zug von Reinholds Geschichtsphilosophie, der aus der Tradition der Schulphilosophie verständlich wird“.

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Geschmack am Ungewöhnlichen denken lasse“.62 Dies verweist auf den möglichen zweiten Grund, warum Reinhold Wolffs Begriff des Willens nicht unverändert übernehmen konnte, dass er nämlich einen von Empfindung ganz getrennten, rein auf Verstand und Vernunft basierenden Willen als eine Unmöglichkeit ansieht. Liest man nun ,Empfindung‘ in dem weiteren Sinne von ästhetischen Gefühlen, wie oben angedeutet, dann wäre es gerechtfertigt, hier einen frühen Bezug auf den zwei Jahre später in seinem Aufsatz „Ueber die Natur des Vergnügens“ ausgearbeiteten Versuch zu sehen, den Dualismus von Erkenntnis- und Begehrungsvermögen durch ein drittes Vermögen, das des Vergnügens, zu überbrücken,63 ein Versuch, der im Zusammenhang mit diversen zeitgenössischen Ansätzen, den Wolff’schen Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand zu überwinden, gesehen werden muss.64 Diese Möglichkeit zu verfolgen, kann aber nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung sein.

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Reinhold. Alle soglie dell’Idealismo. Archivio di Filosofia LXXIII, Nr. 1 – 3. Pisa, Rom, S. 313 – 326. Keil, Robert (1883): „Wiener Freunde 1784 – 1808. Beitraege zur Jugendgeschichte der Deutsch-Oesterreichischen Literatur“, in: Beitraege zur Geschichte der deutschen Literatur und des geistigen Lebens in Oesterreich. Wien, S. 1 – 102. Marx, Karianne (2009): The Usefulness of the Kantian Philosophy. How Karl Leonhard Reinhold’s Commitment to Enlightenment Influenced His Reception of Kant. Vrije Universiteit Amsterdam (Dissertation). Sauer, Werner (1982): sterreichische Philosophie zwischen Aufklrung und Restauration. Beitrge zur Geschichte des Frhkantianismus in der Donaumonarchie. Würzburg. Schneiders, Werner (1983): „Deus est philosophus absolute summus. Über Christian Wolffs Philosophie und Philosophiebegriff“, in: W. Schneiders (Hrsg.), Christian Wolff 1679 – 1754. Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung. Hamburg, S. 9 – 30. von Schönborn, Alexander (1991): Karl Leonhard Reinhold. Eine annotierte Bibliographie. Stuttgart. Weishaupt, Adam (1782): „Anrede an die neu aufzunehmenden Illuminatos dirigentes“, in: Richard van Dülmen, Der Geheimbund der Illuminaten. Darstellung, Analyse, Dokumentation. Stuttgart 1975, S. 166 – 194. Wolff, Christian (1713): Vernnfftige Gedancken von den Krfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkntniß der Wahrheit (Deutsche Logik). Hildesheim, New York (GW I.1.). Wolff, Christian (1736): Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zur Befçrderung ihrer Glckseligkeit (Deutsche Ethik). Hildesheim, New York (GW I.4.). Wolff, Christian (1752): Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen (Deutsche Metaphysik). Hildesheim, New York (GW I.2.).

Reinholds Begriff der Religion in Die Hebrischen Mysterien oder die lteste religiçse Freimaurerey Petra Lohmann Abstract: Reinhold’s Hebrische Mysterien experience increasing interest in recent time. The reference framework, into which one can place this writing, is large. It has political, institutional, aesthetic, psychoanalytical and religion-philosophical aspects. Reinhold’s reference to the Egyptian Mysteries and their influence on the Hebrew symbolisms and cults goes beyond spirit of the time, mode and institutional motives of other freemason colleagues. Its goal is the reorganization „blinden Glauben[s]“ in Vernunftglauben. This early linkage of enlightenmentand religious questions affects also the development of its later elementary philosophy. In this context, it is to solve the conflict between Ratio and Offenbarung, or reason and faith. Reinhold’s later solution bases on the term of will, which is differentiated from Kant and mainly motivated by Fichte’s Versuch einer Critik aller Offenbarung.

Einleitung Karl Leonhard Reinholds Hebrische Mysterien erfahren in jüngerer Zeit zunehmendes Interesse.1 Das mag u. a. an dem großen Bezugsrahmen liegen, in den man diese Schrift stellen kann. Die Fragestellungen, die sich an diese Schrift herantragen lassen, sind vielfältig. Deren Perspektiven reichen von politischen2, institutionellen3, ästhetischen4, bis hin zu psychoanalytischen5 und religionsphilosophischen6 Aspekten. 1

2 3 4 5

Bei dieser Schrift handelt es sich ursprünglich um Beiträge, die Reinhold 1786 zunächst für das Wiener Journal fr Freymaurer erarbeitet hatte, bevor sie zwei Jahre später 1788 unter dem Titel Die Hebrischen Mysterien oder die lteste religiçse Freymaurerey in zwey Vorlesungen gehalten in der Loge zu **** von Br. Decius bei Göschen in Buchform erschienen (hier zitiert nach Assmann 2001). Vgl. Schiller 1790. Vgl. Born von 1784. Mozart und Schikaneder verarbeiteten ägyptische Mysterien in der Zauberflöte. Sie waren in Wien zusammen mit Reinhold Mitglieder derselben Loge. Vgl. Assman 2004. Vgl. Freud 1999.

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Was Letztere angeht, so kann man sie z. B. im Kontext des zeitgenössischen Programms einer ,neuen Mythologie‘ erörtern oder man kann mit Joseph Ratzinger die These Jan Assmanns beleuchten, demzufolge mit der von Reinhold in dieser Schrift thematisierten „Einführung des Ein-Gott-Glaubens“ ein „neue[r] Religionstyp“ entsteht, der „seinem Wesen nach ,Gegenreligion‘ [ist], die alles, was ihr vorausgeht, als ,Heidentum‘ ausgrenz[t] und nicht [als] Medium interkultureller Übersetzung, sondern [vielmehr als Medium] interkulturelle[r] Verfremdung [fungiert]“7 und dabei hinterfragen, welche Auskunft die Mysterienschrift, in der es Reinhold ausdrücklich um die gemeinsame Wurzel aller Ausprägungen des christlichen Glaubens geht, hinsichtlich der Stellung des Christentums innerhalb der exklusivistischen, inklusivistischen und pluralistischen Ausprägungen der Religionsgeschichte gibt8 und wie sie im Horizont des Verhältnisses von Wissenschaft und Glauben zu erörtern ist.9 Der Stellenwert, den die Auseinandersetzung mit Angelegenheiten der Religion für Reinhold z. Zt. der Abfassung der Mysterienschrift hatte, ist unbestritten. Laut seiner späteren Selbstbiographie im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens (1789) zählt er die Religion „nicht nur zur ersten, sondern gewisser massen zur einzigen Angelegenheit seiner frühen Lebensjahre“10. Hier wird davon ausgegangen, dass Reinholds Bezug auf die ägyptischen Mysterien und deren Anverwandlung in den hebräischen Symboliken und Kulten über Zeitgeist, Mode und institutionelle Motive anderer Freimaurerkollegen11 hinausgeht und sich vielmehr mit dem Hauptimpuls seiner frühen philosophischen Tätigkeit, d.i. die Umbildung „blinden Glaubens“12 in Vernunftglauben verbindet. Diese Verknüpfung von Aufklärungs- und Religionsfragen schlägt sich zudem nicht nur in seinen frühen Arbeiten nieder, sondern sie wirkt sich auch auf die Entwicklung seiner späteren Elementarphilosophie aus. Im Folgenden soll dies deutlich werden, indem Reinholds Position mit Johann Gottlieb Fichtes kontrastiert wird, zu dem sich bei Reinhold auch 6 7 8 9 10 11 12

Vgl. Roehr 2004, S. 152 ff. und Bondeli 2002, S. 255 ff. Ratzinger 2005, S. 171. Vgl. Ratzinger 2005, S. 16. Herder 1830, S. 298 – 313. Versuch, S. 52. Vgl. Starck 1783. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 45.

Reinholds Begriff der Religion in den Hebrischen Mysterien

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im Rahmen dieses Themenbereichs biographische und spekulative Analogien aufzeigen lassen. Sowohl bei Reinhold als auch bei Fichte beginnt die Bestimmung der Religion mit einer persönlichen Glaubenskrise, die im Kontext des Spinozastreits anzusetzen ist und die sich als Konflikt zwischen Ratio und Offenbarung bzw. Vernunft und Glaube äußert. Beide überwinden zwar mit Hilfe der Kant’schen Philosophie ihre Glaubenskrise, doch darin besteht auch zugleich ihre größte Differenz. Während für Reinhold die Kritik der reinen Vernunft vom „peinlichen Gemütszustand“ der Zerrissenheit von „Kopf und Herz“13 erlöst, gilt dies für Fichte erst für die Kritik der praktischen Vernunft und selbst dies auch nur bedingt. Das hat denn auch Konsequenzen für ihren jeweiligen Religionsbegriff, was im Folgenden anhand von Vernunftreligion und Bildung der Vernunftfähigkeit bei Reinhold und Bildung einer Herzensreligion und einer innersubjektiven religiösen Instanz bei Fichte gezeigt werden soll. Dafür werden von Reinhold neben den Hebrischen Mysterien die Skizze einer Theogonie des blinden Glaubens (1786), die Gedanken ber Aufklrung (1784) und die ersten und zweiten Briefe ber die Kantische Philosophie (1786 ff./1791 – 1792) sowie von Fichte die Valediktionsrede (1780) 14, die Aphorismen ber Religion und Deismus (1790) 15 und der Versuch einer Critik aller Offenbarung (1792) 16 herangezogen. Abgesehen von den jeweils letztgenannten Schriften Reinholds und Fichtes haben diese frühen Arbeiten der beiden Philosophen eher rechtfertigenden und appellativen Charakter und drücken das Ringen um die Begründung des eigenen Standpunktes aus. Auf der Grundlage dieser Schriften gliedert sich die Darstellung der Struktur der Religionsbegriffe Reinholds und Fichtes im Folgenden in drei Punkte: Erstens geht es um die persönliche Motivation der beiden Philosophen, zweitens um den religionsphilosophischen Hintergrund ihrer Ausführungen sowie drittens um die Bedeutung, die Immanuel Kant für beide in diesem Kontext hatte. In der Schlussbetrachtung sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Reinhold und Fichte hinsichtlich der Bewältigung ihrer Glaubenskrise zusammengefasst und mit einer Skizze weiterer Entwicklungsstränge versehen werden, die einen Ausblick auf eine wech13 14 15 16

Reinhold, Versuch (1789) 56. Fichte-AA II/1.1 – 29. Fichte-AA I/1.283 – 291. Fichte-AA I/1.1 – 162.

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selseitige Bezugnahme beider Philosophen aufeinander im Anschluss an ihre Kant-Rezeption gibt.

1. Reinhold 1.1 Reinholds Motivation In den Hebrischen Mysterien geht Reinhold von einer „Verwandtschaft“17 zwischen den ersten Anfängen der Freimaurerei und denen der hebräischen Religion aus und identifiziert den mosaischen Monotheismus als „älteste religiöse Freimaurerey“18. Vor dem Hintergrund ihrer in Reinholds Augen problematischen Entwicklungsgeschichte, zieht er Analogien zwischen der Kritik am aktuellen Zustand der Freimaurer und der katholischen Kirche, die in seiner Lösung vom Barnabitenorden und seinem damit einhergehenden masonischen Engagement münden. Durch den „unüberdachten Schwur“19 (Priestereid) sei er von der Welt außerhalb des Ordens getrennt und könne erst mit Hilfe der Gemeinschaft der Freimaurer entsprechend einflussreich wirken kann. Insofern sagt er über seine Zeit in der Wiener Loge „Zur wahren Eintracht“, die Freimaurerei sei zwar seine erste „Bildnerin und Helferin“20 beim Formulieren einer eigenständigen Denkweise gewesen, aber ihr Bezug auf die „Mysterien der Alten“ ist durch Unverständlichkeit gekennzeichnet und so missbrauchen sie die Mysterien entweder „durch Schwärmerey“ oder „durch Gleichgültigkeit“21. Sowie es in der katholischen Kirche das Frömmlerische des Priesterstandes ist22, der auf die Naivität seiner Gemeinde setzt, so reagieren auch die Freimaurer bisweilen despotisch, weil sie – wie er mit Blick auf Wilhelmsbad sagt – aus ihren Mysterien etwas machen, was ursprünglich kein „Geheimnis“ war und „nun nichts als [ein] Geheimnis […] ist“23. Reinhold geht es also in beiden Bereichen, d. h. Loge und Kirche, um Aufklärung. Beiden ist eine Tendenz zum Göttlichen gemein, die sich zunehmend der symbolischen Einkleidung entledigt und am Ende in der unsinnlichen reinen Idee desselben gipfelt. 17 18 19 20 21 22 23

Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 34. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 25. KA 1.11. Zitiert nach Fuchs 1994, S. 23. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 15. Vgl. Reinhold, Skizze einer Theologie, 229. Reinhold, Die hebrischen Mysterien, 17.

Reinholds Begriff der Religion in den Hebrischen Mysterien

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Die Bedeutung, die den Mysterien dabei zukam, war ursprünglich alles andere als die einer „unerklärbaren Ceremonie […]“ oder einer „räthselhaften Formel […]“, sondern sie waren vielmehr eine unmittelbar einsichtige „Volksreligion“24 und der Begriff Gottes ein „Verstandesbegriff […]“25. Das daraus abzuleitende Urchristentum ist für Reinhold ein verobjektivierbares Christentum, weil es durch Vernunft“ konstituiert ist. Der allgemein verständliche und dadurch auch gemeinschaftlich verbindende Charakter dieser Religion, verschwand im Laufe der Zeit und die Gemeinnützigkeit, die gegen den Aberglauben schützen sollte, wurde nun umgekehrt von den „Hierophanten“ verschleiert und zum Aberglauben und zur „Vernunftlosigkeit“ herabgewürdigt. So wie in den Mysterien „die alten Hieroglyphen, die vorhin einen Sinn hatten, der gedacht werden konnte, [nunmehr bloß] eine innere Kraft [hatten], die geglaubt werden musste“26, so vollzog sich – auf die Kirche übertragen – der Übergang von der Vernunft zum blinden Glauben an die übernatürlichen Beweise der Mönchstheologen.27

1.2 Reinholds Glaubenskrise Bei Reinhold führte diese sinnliche Verschleierung der Religion zusammen mit der radikalen Gegenposition, die Religion ganz durch den Verstand erklären will, zu einer Glaubenskrise, die sich in der „unseligen Alternative“ zwischen den „Seelenkrankheiten“ „Aberglauben“28, „der die Einfältigen im Geiste selig preist“29 und „Unglauben“30, der Sittenlosigkeit und Verrohung bewirkt, niederschlug. In diesem Zusammenhang fragt er nach den „Gränzen des Vernunftvermögens in Rücksicht auf die Angelegenheiten der Religion“31. Im Hintergrund steht bei ihm nicht nur eine der großen Streitsachen der damaligen Zeit, d. i. der sogenannte Spinozismusstreit von 1785 zwischen Jacobi und Mendelssohn,32 sondern auch die seiner Auffassung nach in ihrer Unbeantwortetheit den Gang der 24 25 26 27 28 29 30 31 32

Reinhold, Die Hebrischen Mysterien (1788) S. 16. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 43. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 16 f. Vgl. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung, S. 17 ff. KA 1.272 f. RA 1.10. KA 1.272 f. Briefe I, S. 80, RGS 2/1.53. Vgl. Kauttlis 1999, S. 1 – 5.

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Aufklärung zurückwerfende Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Vernunft überhaupt. Für Jacobi endet „jeder Weg der [rationalistischen] Demonstration“ Gottes als Weltursache im „Fatalismus“. Er ist der Auffassung, dass das Wissen der Realität des Seins wie auch der höchsten Dinge sich in einem ebenso unmittelbaren wie unableitbaren Gefühl des Glaubens manifestiert, das durch „das Principium Offenbarung“33 gegeben ist. Mendelssohn hingegen versucht in seinen Morgenstunden das Dasein Gottes unabhängig von Offenbarung auf rein vernünftigem Weg nachzuweisen.34 Obwohl Reinhold den Begriff Gottes als „Verstandesbegriff […]“35 bezeichnet, enthebt ihn Mendelssohns rationalistischer Ansatz nicht der „Seelenkrankheit […]“ des „Aberglaubens“36. Denn ihm geht es, wie er in einer Rezension von 1782 schreibt, um ein „praktisches Christentum“, das sich als „Gehorsam gegen die Gebote Gottes aus jener Liebe, welche sich auf Erkenntniß und Glauben gründet“37 realisiert.38 Dazu muss nicht nur die Diskrepanz zwischen Aufklärung und Gegenaufklärung zu bewältigen sein, sondern dasselbe gilt auch für die verschiedenen Strömungen innerhalb der Aufklärung selbst. Dieses Unterfangen geht Reinhold in der Theogonie des blinden Glaubens und in den Gedanken ber Aufklrung in einer für seine Zeit eigentümlichen geschichtsphilosophischen Rekonstruktion der Entwicklung der Menschheit in einer dreiteiligen verweltlichen Darstellung der christlichen Heilsgeschichte an. Sie beginnt mit der Einheit von Gott und den Menschen in „reinste[r] und unmittelbarste[r] Gemeinschaft“39, die später durch die Ausbildung von Vernunft und Freiheit zerstört und zum Schluss am Ende der Entwicklung wieder neu gebildet wird. Die „Zwischenzeit“ ist das eigentlich Problematische. Es ist die Zeit des „Chaos“40 des „unmündige[n]“41 Menschen und seiner „verworrenene[n] Begriff[e]“. Reinhold beschreibt hier seine eigene Zeit, in der auf der einen Seite „dem Instinkte de[r] unbedingte[ …] Gehorsam aufgekündigt [wurde]; [und] auf der andern [… Seite] die Vernunft zu [ungeordnet war]“, um 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Vgl. Jacobi 1998, Jacobi 1.123 ff. Vgl. Morgenstunden (1786), Mendelssohn 1974, S. XVI. Vorlesung. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 43. KA 1.272 f. Zit. nach Fuchs 1994, S. 26. Vgl. Bondeli 2007, S. XXIV-XXXIII. Reinhold, Skizze einerTheogonie, S. 229. Reinhold, Skizze einerTheogonie, S. 231. Reinhold, Skizze einerTheogonie, S. 240.

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„ihre eigene Führerin zu seyn“. Es herrschten deshalb „ungebethene Vormünder der Menschen“42. Doch „der gemeine Mann war nicht dumm genug, um nicht so manche gedruckte Ungereimtheit für Ungereimtheit anzusehen [ …]. Sein Unwille gegen die Aufklärer stieg mit der Summe der Zeit und des Geldes, um die er sich betrogen sah. Wie hätte er aus der ungeheurn Anzahl elender Broschüren die ihm von Zeit zu Zeit angekündiget wurden, die wenigen guten herausfinden sollen; er, der sich eigentlich nur durch Zufall, Titel und Preis in seiner Wahl mußte leiten lassen? Was er zu Gesichte bekam war höchst elend; wer wird ihm verargen, wenn er die Aufklärung seines Vaterlandes nach dem beurtheilet, was ihm unter diesem Namen aufgedrungen wird“43 und er die „schaalen Neckereyen der Broschürenarbeiter“, d. h. die „unbärtigen Prediger der Aufklärung“ und die Predigten „der Mönche mit einerley Augen ansah“44. Auf beiden Seiten war er auf „Wundergaben“45 und „Gnade“46 verwiesen. Entsprechend seiner Rede vom „Gemeinnützigen“ und der „Volksreligion“47 in der Mysterienschrift fordert Reinhold auch hier die Entwicklung der „Vernunftfähigkeit“ mittels Volksaufklärung, die auf einer „Communikationsbrücke“ „zwischen Speculation und Handlung“48 beruht. Erst wenn in Sachen Religion die Differenz zwischen Esoterik und Exoterik sowie zwischen Supernaturalismus und Rationalismus überwunden ist, ist der Endzustand der Heilsgeschichte erreicht, in dem „endlich die Stärke der Vernunft allein die Harmonie des Menschen mit der Gottheit wiederher[stellt], welche die Schwäche der Vernunft auf immer aufgehoben zu haben schien“. Dies gelingt Reinhold zufolge, wenn man „ein Religionssystem […] mit philosophischem Auge durchschaut“49 hat und das heißt für ihn, es nach Kant zu deuten, demzufolge gilt: „Daß sich aus der Natur der theoretischen Vernunft die Unmöglichkeit aller objektiven Beweise für und wider das Dasein Gottes, und aus der Natur der praktischen Vernunft die Nothwendigkeit des

42 43 44 45 46 47 48 49

Reinhold, Skizze einerTheogonie, S. 231 f. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung, S. 13. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung, S. 14. Reinhold, Skizze einerTheogonie, S. 234. Reinhold, Skizze einerTheogonie, S. 239. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 16. Zitiert nach Adam (1930) 22. Reinhold, Gedanken ber Aufklrung, (1784) S. 19.

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moralischen Glaubens an das Daseyn Gottes ergebe“50, dessen Ursprung im Sittengesetz jenseits der theoretischen Vernunft liegt.

1.3 Reinholds Lösung Es sind Kants Ausführungen im Kontext der „Moral des gesunden Verstandes“ bzw. des Vernunftglaubens, mit denen er in der Kritik der reinen Vernunft die These verbindet, dass die Wahrheit von Religion und Moral nicht durch metaphysische Erkenntnis bedingt ist, für Reinhold die supernaturalistische „echte Mönchsmoral“ zwar aufheben, dies aber eher vermittelnd und nicht radikal aufklärerisch, was letztlich zum Atheismus führen würde. Wie Reinhold an Friedrich Heinrich Nicolai am 12. 10. 1789 schreibt, lässt sich mit Kant der Widerstreit der „vier […] Hauptsysteme“ die da sind „Supernaturalismus“, „Atheism“, „Theismus“ und „Skepticism“, die er in religionsphilosophischen Angelegenheiten „zehn Jahre“ lang „behauptet und widerlegt“51 hat, auf eine Kopf und Herz befriedigende Weise lösen. Deshalb bezeichnet Reinhold Kants moraltheologische Ausführungen als Fortsetzung der Lehre Jesu oder mit anderen Worten als „objectives Christentum“. In seinem Brief an Kant vom 12. 10. 1787 berichtet Reinhold denn auch von der „heilsamen Revolution“52, die die Kritik der reinen Vernunft in ihm ausgelöst hat, und die einer „radikale[n] Genesung“53 von seinen Glaubenszweifeln gleichkam. In den Briefen I bezeichnet er die Kritik der reinen Vernunft als „Evangelium der reinen Vernunft“54.

2. Fichte 2.1 Fichtes Motivation Neben diversen Predigten, erörtert Fichte vor allem in den Aphorismen ber Religion und Deismus die „Natur der christlichen Ueberzeugung“.55 Dabei geht es ihm vornehmlich um die Aufklärung des Gefühls, durch das 50 51 52 53 54 55

Briefe I, S. 163, RGS 2/1.108. KA 1.169. KA 1.271. KA 1.273. Briefe I, S. 183, RGS 2/1.120. Fichte-AA II/I.90.

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er die subjektimmanente Instanz und die Praxis der religiösen Selbstbestimmung absichern will. Das „Wesen der christl. Religion“ gründet in einer „warmen fruchtbaren Ueberzeugung“ des Verstandes, „die ihren Ursprung aus dem Herzen“56 hat. Der Zusammenhang von Ratio und Gefühl, wobei das Gefühl dominiert, lässt sich bei ihm auf einen religionspädagogischen Exkurs aus seiner Valediktionsrede zurückführen. Dort heißt es, dass es wesentlich auf die Art und Weise der Genese einer Erkenntnis ankommt, wenn über ihre praktische Effektivität geurteilt werden soll. Christliche Gesinnung wird nur dann erreicht, wenn Verstand und Gefühl gleichermaßen gefordert werden.57 Sie ist nicht Resultat eines singulären Aktes, sondern etwas permanent in lebendiger Auseinandersetzung mit sich selbst zu Erringendes. Selbsttätigkeit erklärt Fichte, indem er der von ihm favorisierten „Religion des Herzens“ die orthodoxe Verstandesreligion gegenüberstellt. Letztere verbindet er mit religiösem Indifferentismus und Gewohnheitschristentum. „Scharfe, tief gedachte Betrachtungen u[nd] strenge Beweise“ führen zu einer „Religion einiger weniger guten Köpfe“ bzw. „einer bloßen Wissenschaft“, die „ihre Anhänger mehr stark, als richtig denken“58 lehrt. Eine bloße „Gedächtniß, u[nd] MundReligion“59, die auf kontinuierlich tradierten „VerstandesBeweiße[n]“60 beruht, und zu einer Sekte „fantastischer ungebesserter Menschen“61 führt, wäre die Folge. „Eignes Nachdenken [und] ernstliches [eigenständiges] Forschen“62 sind nicht gefordert. Das ist für ihn gleichbedeutend damit, dass weder etwas verinnerlicht wird noch den Lebenswandel beeinflusst. Denn dazu müssten die Vermittlungen der Wahrheiten der christlichen Religion „von der Art [sein], daß sie das Herz mit allen Empfindungen der Güte, u[nd] des Wohlwollens erfüllen [… und] diese Empfindungen müßen wieder unsrer Erkenntniß u[nd] unsrer Ueberzeugung von diesen Wahrheiten neue Stärke geben.“ Das Christentum ist eine „Religion guter Herzen“.63

56 57 58 59 60 61 62 63

Fichte-AA I/1.79. Vgl. Fichte-AA II/1.88. Vgl. Fichte-AA II/87. Vgl. Fichte-AA II/89. Vgl. Fichte-AA II/88. Fichte-AA II/1.89. Fichte-AA II/1.80. Fichte-AA II/1.88.

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2.2 Fichtes Widerstreit Ein Brief Karl Gottlob Fiedlers vom 28. 1. 1785 an Fichte sowie Fichtes Diskussionen mit Hartmann Rahn und Nikolaus Achelis und seine Aphorismen ber Religion und Deismus belegen jedoch, dass Fichte in philosophisch-spekulativer Hinsicht eine deterministische Weltanschauung vertritt, die in Konkurrenz zu seiner präwissenschaftlichen christlichen Denkungsart in den Predigten steht.64 Auf dem Gebiet der Philosophie bricht bei ihm die Einheit von Kopf und Herz auf. So vertritt er in den Aphorismen die Auffassung, dass die „Grundsätze der Religion […] mehr auf Empfindungen, als auf Ueberzeugungen“65 beruhen und sie daher „ohne die geringste Zumischung von philosophischem Raisonement“66 zustande kommen. Für die Religion gelte der in der „allgemeinen Empfindung der nicht speculierenden Menschheit“67 gründende Empfindungssatz68, „daß Sünde sey, und daß der Sünder nicht anders, als nach gewissen Aussöhnungen, sich Gott nahen könne“69. Für Fichtes Deismus gilt: „es ist ein ewiges Wesen“ und „durch den […] nothwendigen Gedanken dieses Wesens entstand die Welt“, in der „jede Veränderung“ und „jedes denkende und empfindende Wesen […] notwendig so bestimmt“ werden, wie sie sind. „Was die gemeine Menschen = Empfindung Sünde nennt, entsteht aus der notwendigen, größern oder kleinern Einschränkung endlicher Wesen“70. Der oberste Grundsatz dieses rein deistischen Systems ist der Satz des zureichenden Grundes, demzufolge sowohl das physikalische Geschehen in der Sinnenwelt als auch das moralische Handeln des Menschen durchgängig kausal erklärbar sind. Den Gott des Deismus, von dem jede kausale Bestimmtheit ausgeht, versteht Fichte als „unveränderliches, keiner Leidenschaft fähiges Wesen“, das „gar keinen Berührungspunct“71 mit dem Menschen hat. Im Gegensatz zu Karl Ferdinand Hommel, auf den Fichtes Deismus zurückzuführen ist, und für den die präwissenschaftliche christliche 64 65 66 67 68 69 70 71

Vgl. Fichte-AA III/1.167, 171 u. 193. Fichte-AA I/1. Aph. 12. Fichte-AA I/1. Aph. 2. Fichte-AA I/1. Aph. 9. Vgl. Fichte-AA I/1. Aph. 10. Fichte-AA I/1. Aph. 9. Fichte-AA I/1. Aph. 15. Fichte-AA I/1. Aph. 4.

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Denkungsart und die Spekulation des Deisten keinen unüberwindbaren Widerspruch darstellen, weil sie in der Person des Philosophen im Sinne eines „Amphibions“72, d. h. Bürgers zweier Welten, der auf der Ebene der philosophischen Spekulation das „Gefühl für Freyheit, Imputation, Schuld und Strafe“73 als eine Täuschung der Natur anerkennt, während er auf der Ebene des natürlichen, nicht spekulativen Bewusstseins zugleich aus dieser Täuschung Nutzen zieht, vereinigt werden können, enden Fichtes Aphorismen in einer Aporie.74 Denn der Deist erlebt auch solche Zustände, in denen sich „das Herz […] an der Speculation rächt; wo es sich zu dem als unerbittlich anerkannten Gotte mit heißer Sehnsucht wendet, […] wo die Empfindung einer sichtbaren Hülfe, einer fast unwidersprechlichen Gebets = Erhörung das ganze System zerrüttet“75. Dies ist der Augenblick, in dem sich der Deist in einer ausweglosen Situation erlebt. Er kann den Regungen seines Gefühls für „Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe“76 auf Grund seiner eigenen philosophischen Theorie nicht vertrauen. Da diese für ihn „objective Gültigkeit“77 besitzt, ist es „ihm unmöglich, zu glauben“78 und dieses Gefühl nicht als „Wirkung einer zureichenden Ursache“79 zu deuten. „Das einzige Rettungsmittel“ aus dieser Aporie wäre, „sich jene Speculationen über die Gränzlinie hinaus abzuschneiden“80. Daraus folgt aber die Konsequenz, dass die christliche Religion zur Volksreligion der nicht spekulierenden Menschheit absinkt,81 so dass dem Deisten zufolge für den aufgeklärten Menschen die christliche Religion lediglich „eine Religion guter und simpler Seelen“82 darstellt.

72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82

Belohnung und Strafe (1772) § 137, Hommel 1970. Belohnung und Strafe (1772) § 23. Belohnung und Strafe (1772) §§ 117, 137, 139, 141 u. 186b. Fichte-AA I/1. Aph. 17. Fichte-AA I/1. Aph. 13. Fichte-AA I/1. Aph. 10. Fichte-AA I/1. Aph. 18. Fichte-AA I/1. Aph. 15. Fichte-AA I/1. Aph. 18. Vgl. Fichte-AA I/1. Aph.16. Fichte-AA I/1. Aph. 12.

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2.3 Fichtes Lösung Den Ausweg aus dieser Aporie bildet für Fichte ebenfalls Kant. Dies ist bei ihm aber nicht so unvermittelt wie bei Reinhold der Fall und zudem wesentlich durch seine von Hommel geprägte Interpretation der Kant’schen Auffassung von Freiheit und Empfindung problematisiert. Obwohl Fichte in seinen Aphorismen in einer Anmerkung zu Aphorismus 15 Kants Verteidigung der Freiheit in der Kritik der reinen Vernunft für die scharfsinnigste hält, die je unternommen wurde, kann sie ihn nicht von der Unhaltbarkeit des Hommel’schen Determinismus überzeugen. Denn der Begriff der Freiheit kommt bei Kant dort nur als denkmögliche Alternative zur Kausalnotwendigkeit vor. Zum Schluss der dritten Antinomie äußert er, dass er mit den vorgängigen Überlegungen nicht die Wirklichkeit von Freiheit habe beweisen wollen.83 Indem er die Freiheit als noumenales Vermögen des Subjekts von dessen kausaler Determination in der Natur trennt,84 will er nachweisen, dass es widerspruchsfrei möglich ist, den Willen des Subjekts einerseits, sofern er Erscheinung ist, als kausal determiniert und andererseits, sofern er als Ding an sich selbst verstanden wird, als frei zu denken. Kant beansprucht damit zu zeigen, „daß Natur der Kausalität aus Freiheit wenigstens nicht widerstreite“. Aus Fichtes Anmerkung zu Aphorismus 15 geht hervor, dass er Kants Differenz zwischen der intelligiblen Welt, in der die Freiheit als „transzendentale Idee“85 gedacht wird und der Welt der Erscheinungen, in der die Notwendigkeit herrscht, nicht folgt. Da Fichte zur Zeit der Aphorismen das Kausalprinzip verabsolutiert, ist er der Auffassung, dass Kant in der Kritik der reinen Vernunft inkonsequent argumentiert. Kant habe in der fortgehenden Reihe [seiner] Schlüsse zuweilen inne[ge]halten, um mit neuen Principien, die [er] sich irgendwoher [hat] geben lassen, eine neue Reihe an[ge]fangen. So ist [ … Fichte zufolge Kant] der Begriff der Freiheit überhaupt irgendwo anders her [von der Empfindung, ohne Zweifel] gegeben, und er thuht in seinem Beweise nichts, als ihn rechtfertigen und erklären: da er im Gegentheil in ungestört fortlaufenden Schlüssen aus den ersten Grundsätzen der menschlichen Erkenntniß nie auf einen Begriff von der Art würde gekommen seyn86.

83 84 85 86

Vgl. KrV A 558/B 586. Vgl. KrV A 544/B 572. Vgl. KrV A 558/B 586. Fichte-AA I/1. Anm. zu Aph. 15.

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In diesem Zusammenhang vertritt Armin G. Wildfeuer die These, dass Fichte Kants Begriff der Empfindung im Lichte des Hommelschen Determinismus interpretiert, weil Kant Empfindung als „,Materie‘ der Anschauung, die auf ,Affektion‘ der Sinnlichkeit durch die Dinge beruht, definiert“.87 Erst die Auseinandersetzung mit dem Kant’schen Freiheitsbegriff in der Kritik der praktischen Vernunft führt bei Fichte zu einer „Revolution“ seiner gesamten „Denkungsart“,88 denn die Kant’sche Auffassung vom unzertrennlichen Zusammenhang des Moralprinzips mit der Freiheit erlöst Fichte von seinen „falsche[n] Grundsätze[n]“89, durch die er die Verbindlichkeit des moralischen Gefühls ableugnen mußte.90 In einem Brief vom 7. 9. 1790 an Friedrich August Weißhuhn schreibt Fichte: „Ich lebe in einer neuen Welt, seitdem ich die Kritik der praktischen Vernunft gelesen habe. Sätze, […] von denen ich glaubte […], sie könnten mir nie bewiesen […], und ich fühle mich darum nur um so froher“91 und weiter heißt es : „Ehrliche Leute habe ich genug gefunden, die anders nicht dachten, – das konnten sie überhaupt nicht, – sondern fühlten“.92 Heinrich Nikolaus Achelis gesteht er in einem Brief vom 29. 11. 1790: „Sie leitete ihr unverdorbenes sittl. Gefühl beßer, als mich mein Räsonnement“.93

Schlussbetrachtung Die folgenden Ausführungen setzen bei der Feststellung an, dass zum Zeitpunkt der ersten, an der Bestimmung der Religion ausgerichteten Kant-Rezeption Reinhold den Primat der Vernunft, Fichte die Evidenz des Gefühls favorisiert. Diese Differenz bringt Fichte sogar in gewisse Nähe zu dem von Reinhold kritisierten Supernaturalisten Friedrich Heinrich Jacobi. Im Einklang mit Kant moniert Reinhold an Jacobi, dass dieser den unmittelbaren Glauben der Vernunft vorzieht und so dem Aberglauben Tür und Tor öffnet. Fichte hingegen redet später, d. h. 1795, von der 87 88 89 90 91 92 93

Wildfeuer 1999, S. 378. Fichte-AA III/1.194. Fichte-AA III/1.195. Fichte-AA III/1.194. Fichte-AA III/1.167. Fichte-AA III/1.167. Fichte-AA III/1.193.

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„auffallenden Gleichförmigkeit“ der „philosophischen Überzeugungen“94 zwischen ihm und Jacobi. Bei Fichte steht das Gefühl als „Quelle aller Realität“95 bzw. als Grund allen Realitätsbewusstseins96 am Anfang und am Ende einer jeden Erkenntnis – ganz gleich, ob es sich um theoretische oder praktische Erkenntnis handelt. Und das ist auch schon beim frühen Fichte der Fall. Dieser Bezug auf die Sinnlichkeit, der für Fichtes Bestimmung der Religion konstitutiv war, lässt einige Zeit später Reinhold eine kritische Haltung gegenüber Kant einnehmen, die in den Briefen II kulminiert. Die Aussage aus dem Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermçgens, dass Kants Kritik der reinen Vernunft seine Glaubenskrise „auf eine Kopf und Herz vollkommen befriedigende, für immer entscheidende […] Weise“97 bereinigt hat, stimmt nicht uneingeschränkt. In Reinholds Brief an Jens Baggesen vom 22. 6. 1792 heißt es, dass er „nur die Hälfte der religiösen Überzeugung besessen“98 hat. Für die Sphäre des Herzens scheint er nun mehr bloß den Status eines Postulats zu fordern. Diese Einsicht hat bei Reinhold ihre Vorgeschichte in der Ambivalenz, mit der er die Sinnlichkeit früher behandelte. Einerseits wendet er sich schon in der Mysterienschrift gegen diejenigen, die unter Religion „Verstandesbegriffe“ und den durch sie „erzwungenen Glauben“99 verstehen. Religion ist für ihn so gleichbedeutend mit einem bloßen sittlichen Regelwerk. Andererseits kommen der Sinnlichkeit in den Hebrischen Mysterien mit Moses’ Strategie der Offenbarung der Vernunftreligion durchaus problematische Züge zu. Denn in der sinnlichen Einkleidung der Vernunftreligion, durch die sie an den intellektuellen Stand des hebräischen Volkes anpassbar wurde, lag auch ineins der Keim für ihren künftigen Verfall ins Diffuse. Dieses Dilemma um die Sinnlichkeit spitzt sich bei Reinhold 1792 zu und bringt ihn in eine ähnliche Situation, der auch schon Fichte zur Zeit der Aphorismen ausgesetzt war. So beklagt Reinhold im Brief vom 22. Juni des Jahres an Jens Baggesen angesichts der durch die kritische Philosophie aufgeklärten Religion eine „gewisse […] Kälte“ und einen Mangel an entsprechender religiöser Praxis und innerer Überzeugung. 94 95 96 97 98 99

Fichte-AA III/2.391. Fichte-AA I/2.267. Lohmann 2004, S. 63 – 91. Versuch, S. 56. Baggesen-Briefe, 1.219. Reinhold, Die Hebrischen Mysterien, S. 43.

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Am 23. Juli 1792 schreibt er weiter an Jens Baggesen: „Der bloße reine praktische Glaube […] war Überzeugung für mich. Aber ich fühlte es, daß dieser Überzeugung noch Manches zu […] Lebhaftigkeit [und] Anschaulichkeit […] fehlte“.100 Wie er Jens Baggesen in seinem Brief mitteilt, scheint ihm Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1791) bei der Lösung dieses Problems geholfen zu haben.101 Fichte geht es in dieser Schrift darum, „den Begriff der Offenbarung vor der Vernunft und durch die Vernunft als einen vernunftgemäßen, rechtmäßigen, vernunftmöglichen Begriff nachzuweisen“102. Er fragt, ob sich in der Vernunft selbst ein Datum dafür findet, dass jede Vernunft diesen Begriff notwendig haben und hervorbringen muss, oder ob er ihr lediglich, solange er in sich selbst nicht widersprüchlich ist, erlaubt ist. Da der Offenbarungsbegriff des letzteren „wenigstens sehr verdächtig“ ist, muss sich, „um diese Idee aus den leeren Träumen der Vernunft herauszuheben“, ein „empirisch gegebenes practisches Bedürfnis“103 zeigen lassen, das den Begriff zwar nicht geben kann, aber doch – sofern er in sich nicht widersprüchlich ist – berechtigt. Von daher ist der Offenbarungsbegriff gegeben, sondern gemacht, aber nicht erkünstelt104. Die Idee der Offenbarung lässt sich für Fichte von der moralischpraktischen Vernunft deduzieren. Dies allerdings nicht mittels einer Begriffsexplikation dieser Vernunft allein, sondern auf die Weise ihrer Synthese mit dem sich in einem entsprechenden Bedürfnis manifestierenden niederen Begehrungsvermögen. Peter Baumann zufolge macht Fichte deutlich, dass die „Idee der Offenbarung […] keine Idee vom Rang der Vernunftpostulate“ ist, sondern „sie ist ein Entwurf der Menschen, worauf sie aber Vernunft und empirische Selbsterkenntnis leicht führen konnten“105. Das Bedürfnis nach Offenbarung richtet sich auf ein in der Sinneswelt wahrnehmbares Wirken Gottes als moralische Instanz. Es gründet in dem Überwältigtsein von dem Bild, das die Einbildungskraft von der Allmacht und Liebe Gottes entwirft. Dieses Bild stellt das Motiv einer Gegenkraft gegen die sinnlichen Neigungen und 100 Baggesen-Briefe, 1.219 f. 101 Am 22. 6. 1792 schreibt Reinhold an Baggesen: „Seit den Evangelien hat die Religion keine solche Stütze, wie durch dieses Werk erhalten“. Zitiert nach Lauth 1989, S. 108. 102 Baumann 1990, S. 25. 103 Fichte-AA I/1.43. 104 Vgl. Fichte-AA I/1.113. 105 Baumann 1990, S. 28.

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Begierden dar und erleichtert ein Handeln, weil es angesichts der Heiligkeit und Allmächtigkeit Gottes den Menschen ehrfürchtig stimmt und auf das, was die Offenbarung verheißt, hoffen läßt.106 Vor diesem Hintergrund geht Fichte davon aus, dass sich mit „den empirischen Bestimmungen der Menschheit“ ein „Bedürfniß“107 nach Offenbarung verbindet und dass mit dem Gedanken der sinnenweltlichen Ankündigung Gottes notwendig der Gedanke einer „korrelativen Aufgeschlossenheit der Offenbarungsempfänger seitens ihrer Sinnlichkeit“108 einhergeht. Das heißt, es muss ein Zustand vorherrschender Sinnlichkeit und innerhalb dieses Zustands Empfindlichkeit für Größe, Befehlsgewalt und Majestät vorausgesetzt werden, deren göttlicher Grund als Teil fundamentaler religiöser Erfahrung schlechthin geglaubt wird. Für Fichte steht fest, „daß der Begriff der Offenbarung überhaupt nicht nur an sich denkbar sey, sondern daß auch, im Fall des eintretenden empirischen Bedürfnisses, sich etwas ihm correspondierendes außer ihm erwarten lasse“109. Die Zusicherung des Begriffs der Offenbarung, dessen intelligibler Gehalt sich in der sinnlichen Welt entäußert bleibt Fichte jedoch schuldig. Denn ihr Begriff ist weder a priori gegeben und daher auch nicht aus dem Gottesbegriff einfachhin zu deduzieren, noch ist a posteriori der göttliche Ursprung an einer Erscheinung in der Sinnenwelt nachzuweisen, und dies selbst nicht einmal durch Wahrscheinlichkeitsgründe.110 Trotz dieser nicht unwesentlichen Einschränkungen, äußert sich Reinhold voller Begeisterung über Fichtes Schrift. Dies erklärt sich Alessandro Lazzari zufolge dadurch, dass Reinhold in der Zeit seiner Weiterentwicklung der Kant’schen Lehre in der Theorie des Vorstellungsvermçgens und der Reorganisation seiner Elementarphilosophie, durch Fichtes Versuch einer Critik aller Offenbarung motiviert wurde, in seiner eigenen Philosophie nach Begründungsmomenten einer Offenbarung zu suchen.111 Das geht aus den beiden schon zitierten Briefen an Jens Baggesen hervor. Dort heißt es: „Ich […] weiß nun, daß Offenbarung möglich ist, und […] begreife diese Möglichkeit aus der Natur der praktischen Vernunft, und glaube an die Göttlichkeit des Christentums 106 107 108 109 110 111

Vgl. Fichte-AA I/1.20. Fichte-AA I/1.114. Baumann 1990, S. 27. Fichte-AA I/1.114. Vgl. Fichte-AA I/1.101. Lazzari 2010, S. 141.

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im eigentlichsten Verstande“112. Wie Alessandro Lazzari gezeigt hat, formuliert Reinhold seine Lösung mittels der Trennung von praktischer Vernunft und Wille. Die praktische Vernunft stellt das Sittengesetz auf und zum Willen heißt es in Reinholds Brief an Baggessen vom 28. 3. 1792: Gänzlich entferne ich mich von Kant […] im Begriff vom Willen, den ich […] als ein von der Vernunft und Sinnlichkeit gleich verschiedenes Vermögen der Person halte, sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens (Foderung des eigennützigen Triebes) zu bestimmen.113

In diesem Konzept fällt der Wille insofern nicht mehr unter die Befehlsgewalt der theoretischen Vernunft, als er nun widerspruchsfrei etwas wollen kann, was seitens der theoretischen Vernunft nicht denkbar ist: z. B. ein allwissender, gütiger Gott des Christentums, der sich offenbart. Die theoretische Vernunft greift demnach nicht im Bereich des Glaubens. Reinhold resümiert daher: Mein nun völlig entwickelter Begriff vom Willen kommt mir dabei trefflich zu statten. Ich sehe nun ein, wie der Glaube durch das Sittengesetz geboten werden kann, wie er durch dasselbe vom Willen abhängt, und wie ich glauben kann, wenn ich will.114

Für Fichte ist seinerseits die Begründung seiner Überzeugung vom sittlich-religiösem Gefühl ein grundlegendes Motiv für die Entstehung der Wissenschaftslehre, wie die im Anschluss an die Offenbarungsschrift erfolgte Theorie des Willens als Vorbereitung einer Deduktion der Religion berhaupt (1793) zeigt. Sie ist wesentlich durch die von Reinhold ausgelöste Diskussion um das Fundament der Philosophie sowie von dessen Begriff des „ursprüngliche[n] Begehrungsvermögen“115 beeinflusst, unter dessen Weiterentwicklung Fichte das „Princip aller Philosophie“ versteht und von dem ausgehend er die Frage: „Wie entsteht nun aus Theologie Religion“116, genetisch beantworten will.

112 113 114 115 116

Baggesen-Briefe, 1.198. Baggesen-Briefe, 1.168 f. Baggesen-Briefe, 1.220. Fichte-AA I/1.140. Fichte-AA I/1.23.

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Petra Lohmann

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Die „Nothwendigkeit von politischtheologischen Geheimnissen“ K. L. Reinhold über Theokratie und Freiheit

Gnter Zçller Abstract: The essay explores the Masonic background of Reinhold’s pioneering reception of Kant’s critical philosophy. The focus is on Reinhold’s early work, The Hebrew Mysteries or the Oldest Religious Freemasonry (1787), which seeks to retrieve the Mosaic founding of monotheism for the secret prehistory of modern freemasonry. Section 1 details Reinhold’s involvement with the Viennese late Enlightenment Masonic movement. Section 2 presents Reinhold’s reading of Moses as a political renegate who turns the secret religion of the Egyptians into the public and political religion of the Hebrews. Section 3 analyses the transition from the ancient Hebrew conception of theocracy to the early modern conception of state religion. Throughout the essay explores the complex relationship between secrecy and publicity, religion and politics, and theology and philosophy in European Enlightenment thought. Les hommes n’eurent point d’abord d’autres Rois que les Dieux, ni d’autre Gouvernement que le Théocratique. (Rousseau, Du contrat social) öffentlich täuschen und insgeheim aufklären (Schelling, ber die Gottheiten von Samothrake)

1. Reinhold der Freimaurer Karl Leonhard Reinhold war nicht nur Kantianer, bevor er Fichteaner wurde. Er war auch Klerikaler, bevor er Kantianer wurde. Vor allem aber war er schon als Wiener Barnabitermönch Freimaurer und publizistisch aktiv im Rahmen der zeitgenössischen Bemühungen um die Regeneration und Reformation des orientierungslos gewordenen Geheimordens. Individualbiographisch wie geistesgeschichtlich gehört Reinholds bahnbrechende produktive Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des achtzehnten

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Jahrhunderts in den weiteren Kontext seiner freimaurerisch inspirierten aufklärerischen Bemühungen um die Vereinbarung von Erkenntnis und Bekenntnis, von Glauben und Wissen und von elitärer Philosophie und populärer Religion. Ein aufschlussreiches Dokument der freimaurerischen Vorprägung von Reinholds Kantdeutung im allgemeinen und ihrer Ausrichtung auf religionsphilosophische Themen im besonderen ist seine 1787, mit der Jahreszahl 1788 versehen pseudonym erschienene Buchpublikation „Die Hebräischen Mysterien oder die älteste religiöse Freymaurerey. In zwey Vorlesungen gehalten in der Loge zu ***** L.– v. Petkovich von Br. Decius“1. Der Text umfasst in der Originalausgabe2 192 Seiten und enthält außer den beiden annähernd gleichlangen Vorlesungen, deren die erste von den „kleinern Mysterien der Hebräer“ und die zweite über die „größeren Mysterien der Hebräer“ handelt, eine kurze Einleitung des Autors zur gegenwärtigen Lage des Freimaurertums und zum doppeltgestuften Rekurs der folgenden beiden Vorlesungen auf die Geheimlehren der Ägypter und der Hebräer. Nachdem Reinholds frühe Schrift über die Mysterien der Hebräer lange Zeit völlig unbeachtet geblieben war und auch in der ReinholdForschung keinerlei Berücksichtigung gefunden hatte, erfuhr der Text im Jahr 2001 eine Neuedition durch den Ägyptologen und Kulturtheoretiker Jan Assmann, die 2006 in zweiter, erweiterter Auflage erschien.3 Assmann hat dem Abdruck des Textes, dessen Orthographie dabei unverändert blieb, doch dessen exzessive Kommazahl behutsam vermindert wurde4, ein kurzes Vorwort beigegeben, das die Bedeutung des Auszugs der Hebräer aus Ägypten für die „Gedächtnisgeschichte“ der westlichen Welt herausstellt und insbesondere Sigmund Freuds spätes Buch Der Mann Moses und die monotheistische Religion heranzieht.5 Vor allen aber hat Assmann dem obskurem Text ein umfangreiches Nachwort gewidmet6, das Reinholds Buch in den historischen und zeitgenössischen Kontext der Forschungen über die Mysterien der Alten stellt und seinen direkten 1 2 3 4 5 6

Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1788 (hier zitiert nach Assmann 2006, s. Anm. 3. Die digitalisierte Version des Exemplars der Universitätsbibliothek München ist bei Google Books im Worldwide Web verfügbar. Reinhold 2006. Siehe Reinhold 2006, S. 12. Siehe Reinhold 2006, S. 6. Siehe dazu jetzt auch Freud 2010, S. 175 – 216 (Nachwort des Herausgebers). Siehe Reinhold 2006, S. 157 – 204.

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Einfluss auf Friedrich Schiller erörtert, dessen von Reinhold angeregte und durchweg abhängige Abhandlung „Die Sendung Moses“ aus dem Jahr 1790 im Anhang von Assmanns Neuedition des Reinhold-Textes zum Abdruck kommt.7 Assmanns instruktives Nachwort präsentiert wichtige Angaben zum komplexen zeitgenössischen Hintergrund von Reinholds Schrift. Insbesondere skizziert Assmann die Sinnkrise des Freimaurertums in den frühen achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts, nachdem die bislang vertretene templerische Genealogie der Freimaurer hinfällig geworden und auch der Sinn und die Bedeutung der Riten und Zeremonien des Geheimbundes in Vergessenheit geraten waren. In dieser Situation kam es speziell im Wiener Freimaurertum zur konzertierten Bemühung um eine alternative Genealogie der Geheimlehre. Assmann verweist auf die Forschungen aus dem Wiener Freimaurerkreis über die Mysterienkulte der Alten Welt und resümiert, dass innerhalb weniger Jahre nicht weniger als dreizehn Untersuchungen über die Geheimlehren der Alten vorgelegt wurden, von den Ägyptern über die Inder, Perser, Kabiren und Phönizier bis zu den Hebräern.8 Reinholds Doppelbeitrag zu den hebräischen Mysterien entstand 1785 und 1786, nach seiner Flucht aus Wien, die ihn über Leipzig nach Weimar geführt hatte.9 Nach der Schließung seiner Wiener Loge („Zur Wahren Eintracht“) und dem Verbot des Publikationsorgans Journal fr Freymaurer, in dem zuvor die anderen Wiener Forschungen zu den alten Mysterienkulten erschienen waren, bemühte sich Reinhold um eine selbständige Publikation seiner beiden Vorlesungen über die Mysterien der Hebräer an prominenter Stelle und korrespondierte zu diesem Zweck mit dem Berliner Verleger und Aufklärungsliteraten Friedrich Nicolai. Doch erschien das Buch schließlich in Leipzig, ohne größere Beachtung zu finden, die es erst durch Schillers Um- und Einarbeitung in „Die Sendung Moses“ und so auch nur indirekt erfuhr.10 Zusätzlich zu den wertvollen Hintergrundinformationen zu Zweck und Ziel von Reinholds Abhandlung und Schillers Folgeschrift liefert Assmanns Nachwort auch interpretatorische Hinweise zum Charakter und zum Resultat der Mysteriendeutung von Reinhold und Schiller. Im 7 Siehe Reinhold 2006, S. 129 – 156. 8 Siehe Reinhold 2006, S. 159. Siehe auch die Zusammenfassung der Mysterienbeiträge aus dem Journal fr Freymaurer in Assmann 2010a, S. 243 – 350. 9 Siehe Reinhold 2006, S. 159 f. 10 Siehe Reinhold 2006, S. 161 f.

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Mittelpunkt steht dabei die von Assmann herausgestellte politische Instrumentalisierung der Religion bei den Hebräern, die Assmann, ohne weitere Begründung und Erläuterung, als deren „politische Theologie“11 anspricht und mit „frommer Politik“ gleichsetzt.12 Assmanns Einschätzung der politischen Dimension der hebräischen Religion im allgemeinen und ihrer Mysterien im besonderen steht hier im impliziten Kontext seiner Forschungen und Vorstellungen zu den politischen Implikationen und Konsequenzen der monotheistischen Religionen mit ihrer „Mosaischen Unterscheidung“ von wahrer und falscher Religion und darauf gegründeter antagonistisch-divisionistischer Politik.13 Assmanns Auffassung des Konzepts der politischen Theologie als politisch motivierter und insofern manipulativer Theologie rückt seine Einschätzung der theologisch bestimmten Politik der Alten in die Nähe zur radikal-aufklärerischen Anklage der Religion als institutionalisiertem Priesterbetrug. Tatsächlich verortet Assmann Reinholds religionspolitische Deutung der hebräischen Mysterien „hart an der Grenze des Vorwurfs vom Priesterbetrug“ und diagnostiziert bei Schiller ein „vernichtende[s] Urteil über die biblische Religion“14. Diese verkürzte Sicht auf die politisch-theologisch komplexen Ausführungen und Einschätzungen der hebräischen Mysterien und der Sendung Moses bei Reinhold und Schiller ist umso mehr zu bedauern, als Assmann selbst an anderer Stelle eine Auffassung vom historischen Verhältnis zwischen religiöser und politischer Herrschaft und Gewalt entwickelt hat, die der konventionellen These vom theologischen Hinter- und Untergrund politischer Ordnung die Umkehrthese vom politischen Ursprung speziell des mosaischen Gottesverständnisses entgegengestellt hat.15 Auch die weiteren vergleichenden und kontrastierenden Überlegungen und Ausführungen Assmanns über die politische Theologie bei 11 12 13 14 15

Siehe Reinhold 2006, S. 182, 187 und 194. Siehe Reinhold 2006, S. 187. Siehe Reinhold 2006, S. 195, sowie Assmann 1997 und 1998 und Assmann 2003. Siehe Reinhold 2006, S. 185 u. 196. Siehe Assmann 2006, S. 23 – 113. Der Text basiert auf einem Vortrag vom Oktober 1991 in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München-Nymphenburg, der 1992 erstmals, 1995 in zweiter Auflage und 14 Jahre später ergänzt um ein Nachwort (S. 115 – 127) erschien. Jüngst hat Assmann eine gründlichere Analyse und Einschätzung von Reinholds Beitrag über die ägyptischen Mysterien vorgelegt, in deren Mittelpunkt die Quellen von Reinholds Auffassung und seine Perspektive auf die Genealogie des Freimaurertums stehen. Siehe Assmann 2010a, S. 140 – 142 und 319 – 336.

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den Ägyptern und den Hebräern lassen eine zentrale Dimension der einschlägigen Texte Reinholds und Schillers unerschlossen. Weder Reinhold noch Schiller begrenzen ihre Analysen und Deutungen auf die instrumentelle Funktion der Religion für politische Zwecke. Noch steht bei den beiden Autoren die Kritik an politischen Defekten der Religion der Hebräer und an intellektuellen oder moralischen Unzulänglichkeiten ihrer Protagonisten und Praktikanten im Vordergrund. Vielmehr geht es Reinhold wie Schiller um eine angemessene Würdigung der religiösen und politischen Errungenschaften der Hebräer und speziell von Moses. Überdies steht die historische Analyse der hebräischen Mysterien und der mosaischen Mission bei den beiden Autoren im umfassenderen Kontext der möglichen politischen Aktualität von Mysterien und Religion. Insbesondere adressieren Reinhold und Schiller, mit je verschiedener Akzentuierung, den Aufklärungscharakter der hebräischem Religion und dies in der doppelten Fragestellung nach dem in der Instituierung der hebräischen Religion vorliegenden Ausmaß an Aufklärung und nach dem möglichen Beitrag der hebräischen Religion für eine fortgesetzte Aufklärung im Zeichen religiösen wie politischen Fortschritts.16 Der bei Reinhold wie Schiller in der Auseinandersetzung mit der hebräischen Religionsstiftung festzustellende Fokus auf Aufklärung und fortschrittlicher Fortentwicklung von Religion und Politik lässt die radikal- oder vielmehr vulgär-aufklärerische Ideologie von betrügerischer Religion und religiösen Betrügern zurücktreten zugunsten einer differentiellen Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen von Religion und von religiös begründeter Politik. Im Mittelpunkt der Beschäftigung mit Reinholds und Schillers Analysen der hebräischen Religionspolitik soll deshalb im folgenden nicht der polemisch inflektierte Begriff der politischen Theologie stehen17, sondern das politisch-philosophische Konzept der Theokratie, dessen sich Reinhold selber bedient, um die religiös gegründete und begrenzte Gestalt von politischer Herrschaft bei den Hebräern zu kennzeichnen.18 Mit dem zentralen politisch-religiösen Lehrbegriff der Theokratie ist auch der direkte Anschluss der Überlegungen Reinholds und Schillers an die maßgeblichen modernen Theorien über die politische Begründung der Religion und die damit 16 Siehe Reinhold 2006, S. 129. 17 Zum spezifischen Begriff der politischen Theologie siehe Meier 2006. 18 Siehe Reinhold 2006, S. 66, 76 und 78 – 87 (Zweite Vorlesung. Dritter Abschnitt. Von der Theokratie der Hebräer). Der Begriff ,Theokratie’ geht zurück auf Flavius Josephus, Contra Apionem, II, 17.

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einhergehende religiöse Begründung des Politischen gegeben, die von Spionzas Tractatus theologico-politicus (1670) über Rousseau Du contrat social (1762) bis zu Fichtes Staatslehre (1813) reichen und die allesamt dem Ursprung und der Ausbreitung des theokratischen Regimes wichtige Einsichten im Hinblick auf die Gegenwart und die Zukunft politischer Herrschaft entnehmen zu können glauben.

2. Moses der ägyptische Hebräer Bei der Suche nach dem ebenso verborgenen wie verlorenen Sinn der freimaurerischen Geheimlehren wählt Reinhold den Rückgriff auf die Riten und Zeremonien der Hebräer, für die er frappierende inhaltliche Übereinstimmungen mit den klandestinen Praktiken der Freimaurer geltend macht. Brisant wird Reinholds historischer Rekurs durch die beanspruchte Herleitung der hebräischen Geheimlehren aus dem alten Ägypten als dem „Vaterland der Mysterien“19. Reinhold vertritt hier nicht nur die allgemeine These des historischen Ursprungs der mittelmeerischen und vorderasiatischen Geheimkulte aus dem pharaonischen Ägypten, sondern die spezielle Abhängigkeit der hebräischen von den ägyptischen Mysterien im Zusammenhang mit dem hebräischen Gründungsmythos vom Auszug aus Ägypten. Im Zentrum der These Reinholds von der ägyptisch-hebräischen Mysterientranslation steht die Gründergestalt des Moses, der zwischen den beiden Völkern wechselt und sie dadurch auf eigentümliche Weise miteinander in Verbindung bringt. Die biographische Koppelung von kulturell-religiöser ägyptischer Prägung und ethnisch-nationeller hebräischer Prägung bei Moses dramatisiert Reinhold im Rückgriff auf antike Quellen zum politischen Projekt des ägyptisch erzogenen Moses, das eigene Volk aus der jahrhundertewährenden Knechtschaft unter den Ägyptern in die Freiheit zu führen. Nach den barbarisierenden, körperlich wie geistig verelendenden Erfahrungen der Hebräer in Ägypten bedarf es, so die von Reinhold rekonstruierte Einsicht des Moses, besonderer und origineller Maßnahmen, um den politisch befreiten Hebräern ein eigenes funktionsfähiges Gemeinwesen zu geben. Die Pointe von Moses’ Projekt einer hebräischen Staatsstiftung liegt, Reinhold zufolge, im imitierend-modifizierenden Rückgriff auf die Verhältnisse in genau jenem Staat, der die Hebräer bislang unterdrückt 19 Siehe Reinhold 2006, S. 23.

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hatte und der trotzdem Vorbildfunktion haben soll für den neu zu schaffenden Staat der Hebräer. Allerdings ist es, so Reinhold, nicht das politische Regime der Ägypter, die pharaonische Herrschaftsstruktur, an dem Moses die hebräische Staatsgründung ausrichtet, sondern die ägyptische Priesterherrschaft oder „Hierarchie“20. Insbesondere sind es die sogenannten kleineren und größeren Mysterien der Ägypter, die – in Reinhold Geschichts(re)konstruktion – von Moses gezielt herangezogen werden bei der Neugründung des Staatswesens der Hebräer. Mit den ägyptischen Geheimlehren und -kulten sei Moses, so Reinhold, durch seine frühere prinzliche Erziehung in Ägypten bestens vertraut gewesen. Doch bei aller inhaltlichen Orientierung an den ägyptischen Mysterien zielt Moses, Reinhold zufolge, gerade nicht auf die Gründung eines hebräischen religiösen Geheimkultes. Vielmehr sollen die vormals, in Ägypten geheimgehaltenen Lehren ein çffentliches Geheimnis werden, das allen Mitgliedern der hebräischen Staatsnation zugänglich ist und dessen allgemeine Kenntnis integraler Bestandteil der Gründung wie des Fortbestandes des neuen hebräischen Staates sein soll. Mehr noch: das vormalige priesterliche Geheimwissen wird geradezu zum Hauptgegenstand der hebräischen Staatsgründung, die als Priesterstaat oder Theokratie entwickelt und fortentwickelt wird. Die geheime Religion der Ägypter wird so zur „Volksreligion der Hebräer“ und das hebräische Staatsvolk zu einer „Nation aus lauter Eingeweihten“.21 Der Grund für Moses’ selektive und modifizierende Übernahme der ägyptischen Mysterien ist politisch-theologischer Art. In Ermangelung einer hochstehenden religiösen und politischen Kultur, über die das in Ägypten in sklavischen Zuständen gehaltene hebräische Volk nicht verfügt, braucht es für die zu erzielende politische Selbständigkeit der Hebräer eine neue Sinnstiftung hebräischer nationaler Existenz. Indem Moses die Mysterien der Ägypter sozusagen ausplaudert und öffentlich macht, sucht er – nach Reinholds Auffassung – die politische Gründungsgewalt der Theokratie von ihren ägyptischen Ursprüngen in die vergleichsweise späte Zeit der hebräischen Emanzipation zu übertragen. Im pharaonischen Ägypten ist zur Zeit des Auszugs der Hebräer die anfängliche Priesterherrschaft längst einer religiös verbrämten weltlichen Herrschaftsform gewichen, der das Priestertum mit seinen Mysterienkulten zur politisch-theologischen Machtstütze dient. Reinhold mutmaßt, dass zur damaligen Zeit auch die Priesterschaft über den politischen 20 Reinhold 2006, S. 85 und 90. 21 Siehe Reinhold 2006, S. 33 und 56.

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Ursprung und die ursprüngliche politische Bedeutung der ägyptischen Mysterien bereits im Unklaren war. Dem ägyptisch erzogenen, aber auf die politische Befreiung der Hebräer sinnenden Moses spricht Reinhold außer der gründlichen Kenntnis der alt-ägyptischen Mysterien die Einsicht in das politische Gründungspotential der Mysterientheologie zu. Zu Zeiten der fortgeschrittenen Verweltlichung der Staatsmacht, wie sie in Ägypten vorliegt, kommt das politische Potential der Mysterien nicht mehr – so die von Reinhold dem Moses zugeschriebene Einsicht – durch deren angestrengte Geheimhaltung zum Zweck des Machterhalts zur Entfaltung, sondern durch die gezielte Publizität, die aus der Politik der geheimen Mysterien das gelüftete politische Geheimnis der Religion macht. Gegenstand der alten ägyptischen Mysterien wie ihrer modifizierenden Aktualisierung für die hebräische Staatsgründung durch Moses ist zum einen die negative Überzeugung von der Unhaltbarkeit der traditionell und nationell verehrten Gottheiten („Nichtigkeit der Volksgötter“22) und zum anderen die positive Einsicht in die wahre Natur des Göttlichen: die „Einheit des höchsten Wesens“, das nicht als Neben- und Gegeneinander von Partikulargottheiten besteht, sondern das als Eines in Allem west und wirkt. Die ultimative Nullität des Polytheismus musste aber in Ägypten, das wie praktisch alle späteren Staaten auf die Verehrung partikularer und nationeller Divinitäten gegründet war, geheim bleiben. Die exklusive Bindung eines Staatswesens an die eigenen schützenden Gottheiten, denen es seinen Anfang und Erhalt verdanken soll, kann nur um den Preis der existentiellen Bedrohung des Staatswesens aufgegeben werden. Wer die Volks- oder Nationalreligion angreift, attackiert den Staat selbst und riskiert mit der religiösen Aufklärung den politischen Untergang. Seinem Zustandekommen wie seinem Fortbestand nach gründet deshalb der ägyptische Staat, wie jede vergleichbare alte Staatsgründung, auf der „Nothwendigkeit von theologischpolitischen Geheimnissen“23. Doch anders als die Ägypter und vergleichbare zivilisierte und polizierte alte Staatsvölker sind die ungebildeten Hebräer nach dem Auszug aus Ägypten zunächst ohne staatstragenden Glauben, ja ohne einen eigenen Staat. Unter Berücksichtigung seiner eigenen früheren Erfahrungen mit den politisch motivierten, aber zwischenzeitlich ineffektiv gewordenen ägyptischen Mysterien, gründet Moses den Staat der He22 Reinhold 2006, S. 69. 23 Reinhold 2006, S. 67.

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bräer gezielt nicht auf der Verheimlichung der religiösen Wahrheit, sondern auf der emphatischen Propagierung: Gott ist einig und einzig. Der neue Gott steht nicht in politisch-theologischer Konkurrenz zu anderen Nationalgottheiten und zu Gottheiten anderer Nationen. Noch teilt er seine umfassende Herrschaft mit anderen zeitlichen und ewigen Mächten. Seine Macht ist ebenso ungeteilt wie unbegrenzt. Ursprünglich ist der Eine Gott deshalb auch „politischer König“ der Hebräer, der seine Macht zunächst und zuerst auf die Priester überträgt. Der neu gegründete Staat der Hebräer ist ein „priesterliches Königreich“ oder eine Theokratie.24 Nach Reinholds Rekonstruktion ändert Moses bei der hebräischen Religionsstaatsgründung zwar den Modus der zugrundegelegten ägyptischen Mysterien von exklusiver Geheimhaltung zu öffentlicher Kundmachung. Doch behält Moses, so Reinhold, wesentliche materiale Einsichten der ägyptischen Geheimlehren bei. Im einzelnen unternimmt es Reinhold, die Ritualvorschriften und Zeremonialgesetze der Hebräer auf die sogenannten kleineren Mysterien der Ägypter zurückzuführen. Als tertium comparationis für die ägyptisch-hebräische Übertragung ägyptischer Geheimlehren in die Offenheit religiöser Praktiken bei den Hebräern fungiert bei Reinhold die Hieroglyphenschrift der Ägypter, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht entziffert ist und weithin als exklusives Vehikel priesterlichen geheimen Wissens und Handelns gilt.25 Des weiteren verweist Reinhold auf den Umstand, dass der Name des neuen hebräischen Gottes ( Jehovah) in seiner wörtlichen Bedeutung einer bloßen Existenzbehauptung Gottes von sich („Ich bin, der ich bin, der ist“) der Verwerfung bedingender und beschränkender Namensgebung für das göttliche Wesen in den ägyptischen Mysterien genau entspricht.26 Den Verweis Reinholds auf gleich- oder ähnlichlautende legendäre Kennzeichnungen der Isis im Heiligtum zu Sais („Ich bin alles, was ist, war und seyn wird“27) wird später Schiller in seiner Adaptation von Reinholds Aufsatz und auch an anderen Stellen seiner Schriften aufgreifen und weiterverfolgen.28 Auch im Hinblick auf die eigentliche Gotteslehre der „größern Mysterien“ vertritt Reinhold die materiale Identität zwischen dem 24 25 26 27 28

Reinhold 2006, S. 82 und 86. Reinhold 2006, S. 34 – 57. Reinhold 2006, S. 41. Reinhold 2006, S. 42. Siehe dazu die Ausführungen von Jan Assmann in Reinhold 2006, S. 188 – 196.

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ägyptischen Religions- und Staatsgeheimnis von dem einen höchsten Wesen und dem Gott des Moses. Anders als bei den Ägyptern, deren Priester dem Volk den von Aberglauben und Vorurteilen gereinigten Gottesbegriff vorenthalten, lehrt Moses sein Volk die Einheit und Einzigkeit des wahren Gottes. Doch auch wenn Moses bei der Stiftung der hebräischen Staatsreligion nicht die ägyptische Praxis der Geheimhaltung der wahren Natur des Göttlichen übernimmt, folgt er weiterhin, so Reinhold, der politischen Einsicht der ägyptischen Priesterherrscher – und aller religiösen Staatsgründer – in die Notwendigkeit von politischtheologischen Geheimnissen. Allerdings betrifft das politisch-theologische Geheimnis der Hebräerreligion nicht, wie im Fall Ägyptens, die unistische, monotheistische Wahrheit über den pluralen, polytheistischen Volksglauben. Der neue, vom ganzen Volke zu glaubende und zu verehrende Gott der Hebräer ist eins, einig und einzig wie sonst nur der geheime Gott der Mysterienkulte. Doch, wie Reinhold ausführt, wusste Moses es besser, als seinem unkultivierten Volk einen abstrakten, geradezu philosophischen Gott zu präsentieren, dessen Verständnis und Verehrung in den Geheimkulten langwierige Einführung und Einübung verlangt hatte. Statt den neuen, einzigen Gott philosophisch zu begründen, begründet ihn Moses – so Reinhold – nationell, als hebräischen Volksgott, der die Hebräer zu seinem Staatsvolk gemacht haben soll und den die Hebräer zu ihrem Staatsgott machen sollen. Insbesondere identifiziert Moses den avancierten post-polytheistischen Gott der vormaligen ägyptischen und nachmaligen hebräischen Mysterien mit der traditionellen vorägyptischen Nationalgottheit der Hebräer, dem Gott der Väter oder dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Dadurch bleibt der Anschluss an verbliebene religiöse Traditionen gewahrt und genutzt. So wird der neue, einzige Gott der Hebräer zum Gott des neuen, als einziges von ihm auserwählten und damit eigentlich einzigen Gottesvolks. Damit verbleibt aber in der neu gegründeten hebräischen Staatsreligion und dem ihr korrelierten Gottesstaat ein Element von politischtheologischer Verheimlichung, die zu bestimmen wäre als die dem Moses noch gegenwärtige, aber nach ihm auf immer aus dem Bewusstsein der Hebräer geschwundene epistemische Differenz zwischen blind-geglaubtem und vernünftig-verstandenem Gott. Reinhold spricht geradezu von der „politischen Unentbehrlichkeit des blinden Glaubens“29 unter den Hebräern, bei denen so ein avanciertes Grundverständnis des gött29 Reinhold 2006, S. 87.

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lichen Wesens – der eine Gott – einhergeht mit der ungeprüft übernommenen und weitergegebenen stammesväterlichen Gottesauffassung der vorägyptischen Tradition. Doch trotz des volksgläubigen Makels, der der alt-neuen Religion der Hebräer anhaftet, repräsentiert der Monotheismus der Hebräer gegenüber den nur im geheimen monotheistischen und nach außen hin polytheistischen Religionen einen allgemein kulturellen und einen spezifisch politischen Fortschritt, den Reinhold explizit mit dem Prozess der Aufklärung in Verbindung bringt. Schiller wird ihm hierin unmittelbar folgen.30 Zum einen entspricht es der aufklärerischen Forderung von Publizität, dass die zuvor verborgengehaltene Natur des Göttlichen entdeckt und öffentlichgemacht wird.31 Zum anderen erlaubt das Fehlen einer wesentlichen materialen Differenz zwischen dem Monotheismus der hebräischen Volksreligion und dem philosophischen Begriff der Einheit Gottes die zukünftige Überführung des blinden Volksglaubens in einen mit ihr, im wesentlichen, materialiter, identischen vernünftigen Glauben, der das mit Gründen versieht und verstärkt, was zuvor ohne Gründe und in der Gestalt von Vorurteil und Aberglauben für wahr gehalten und praktiziert wurde. Vor diesem Hintergrund postuliert und prognostiziert Reinhold, im Seitenblick auf die fällige Reform des Freimaurertums als der ahnungslos gewordenen Hüterin der hebräischen Mysterien, dass man „das Organ des blinden Glaubens in ein Organ der Vernunft umschaffen“ solle und werde.32 Im Hinblick auf den von Reinhold herausgestellten theokratischen Ursprung der Staates im allgemeinen und den besonderen theokratischen Charakter des Staates der Hebräer sind aber weniger die von ihm abschließend gezogenen Parallelen zwischen hebräischen und freimaurerischen Mysterien von Interesse als vielmehr die dabei zutagetretende ursprüngliche und nachhaltige Vernunftaffinität gerade jenes Staates, der vermittels der theologisch-politischen Gestalt des Moses auf dem Sinai durch religiöse Offenbarung zustandekommt und der in seiner späteren Geschichte, solange er Bestand hat, an diesem Offenbarungsglauben festhält. Hintergrund für die vernunftgeschichtliche und geschichtsphilosophische Auszeichnung des Staates der Hebräer ist der Wahrheitsstatus der zugrundeliegenden Theologie. Sowohl Reinhold als auch der von ihm weitgehend abhängige Schiller halten die mosaische Religion unter 30 Siehe Reinhold 2006, S. 155. 31 Zum Junktim von Aufklärung und Öffentlichkeit siehe Zöller 2009. 32 Siehe Reinhold 2006, S. 121.

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den Religionen der Alten Welt für die einzig wahre33, auch wenn Schiller Moses die theologisch-politische Einsicht in das strategische Erfordernis zuschreibt, „seinen wahren Gott auf eine fabelhafte Weise zu verkünden“34. Als öffentliche Vernunftreligion, die die mosaische Religion dem Sinn ihres Gründers zufolge im Kern darstellt, vermochte die Religion der Hebräer deshalb auch, so Reinhold, das Vorbild abzugeben für spätere vernünftige Bemühungen um das Anliegen der Religion, insbesondere durch die Freimaurer. Die genetische Identität der „Grundwahrheiten“ wie der „äußerlichen Bestandteile“ der hebräischen Religion mit den großen Geheimlehren der Ägypter wertet Reinhold darüber hinaus als Hinweis auf die Unhaltbarkeit der ausschließenden Entgegensetzung von Vernunft und Offenbarung.35 Genau das, was in Ägypten ohne direkte göttliche Instruktion mit den Mitteln der natürlichen Vernunft entdeckt wurde, tritt bei den Hebräern als Gegenstand einer göttlichen Offenbarung in Erscheinung. Als ebenso hinfällig erweist sich, in Reinholds Einschätzung, im Hinblick auf die Religion der Hebräer die überkommene theologische Kontrastierung eines personal wirkenden, sich offenbarenden Gottes („Urheber der Gnade“) und eines die Natur schaffenden und in ihr wirkenden Gottes („Urheber der Natur“). Wenn überhaupt noch im Hinblick auf Gottes Wirken zwischen Gnade und Natur unterschieden werden kann, dann so, dass im Sonderfall der hebräischen Staatsgründung der „Urheber der Gnade“ dem Volk der Hebräer genau jene „Wahrheiten und Formalitäten“ geoffenbart hat, die schon bei den Ägyptern auf natürlich-vernünftigem Weg eingeführt waren.36 Für Reinhold stellt die von ihm angedachte, wenn nicht propagierte Zurücknahme der Entgegensetzung von göttlicher Natur und göttlicher Gnade sowie von Vernunftreligion und Offenbarungsreligion eine kulturgeschichtlich späte Abkehr von jenem langwährenden Gottes- und Religionsverständnis dar, das Bestand und Einfluss der Priesterschaft („sakrifikuli aller Religionen“) an die Aufgabe der Besänftigung, Versöhnung oder Zufriedenstellung persönlich und willkürlich agierender Gottheiten gebunden hatte.37 Von seiner genetischen und philosophischen Deutung der 33 Siehe Reinhold 2006, S. 67 und 155. 34 Reinhold 2006, S. 149 (im Original Hervorhebung). Schiller geht so weit, die Hebräer ein „universalhistorisches Volk“ zu nennen, Reinhold 2006, S. 130. 35 Siehe Reinhold 2006, S. 56. 36 Reinhold 2006, S. 33 (im Original Hervorhebung). 37 Reinhold 2006, (im Original Hervorhebung).

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hebräischen Mysterien erhofft sich Reinhold deshalb nicht nur die Wiedergewinnung der verlorenengegangenen Bedeutung der freimaurerischen Geheimnisse, sondern die Beförderung der fälligen Überführung der Religion von einem „Organ des blinden Glaubens“ in ein „Organ der Vernunft“.38

3. Vom Religionsstaat zur Staatsreligion Die philosophischen Überlegungen Reinholds zu Ursprung und Funktion der hebräischen Mysterien in Verbindung mit ihrer Vorgeschichte im Alten Ägypten und ihrer Nachwirkung im modernen Freimaurertum veranschaulichen auf ebenso faszinierende wie irritierende Weise, die heimlich-unheimliche Nähe der Aufklärung zum Geheimnis – einer Aufklärung, die Geheimhaltung und Geheimwissen ebenso bekämpft wie benutzt, ebenso enthüllt wie einsetzt, ebenso kritisiert wie praktiziert. Das Jahrhundert der Aufklärung ist zugleich das Jahrhundert der Geheimorden, Geheimbünde und Geheimkünste. Zeitgleich und epochenidentisch mit der Mittwochsgesellschaft tagen die Illuminaten, parallel zu Kant agiert Cagliostro. Das doppelte Gesicht der Aufklärung, das der Dunkelheit ebenso zugewandt ist, wie es sich von ihr abwendet, gewinnt dramatische Gestalt in der Figur des Sarastro, der in Emanuel Schikaneders zweideutigem Libretto zu Mozarts pseudo-freimaurerischem Übersingspiel Die Zauberflçte zuerst als verdächtiger Gegenspieler der zunächst unschuldig erscheinenden Königin der Nacht auftritt, um sich dann als verschworener Vorkämpfer für Licht und Wahrheit zu erweisen, ohne dabei den autoritären Führungsstil des Mystagogen, der „im Namen der Menschheit“ propagiert und agitiert, je abzulegen.39 Die irritierende Faszination der Aufklärung für den Obskurantismus manifestiert sich politisch im Liebäugeln nicht weniger Aufklärer mit den Strukturen von Herrschaft und Gewalt, deren traditionelle, voraufklärerische Inhalte von der Aufklärung gerade bekämpft werden. Zwar soll die Herrschaft der Priester und der Despoten gebrochen oder doch infragegestellt werden, doch herrschen sollen nun – ganz so wie vormals die Nacht, die Priester und die Despoten – das Licht, die Aufgeklärten und die Demagogen. Die politische Ambivalenz der Aufklärung wird be38 Reinhold 2006, S. 121 (im Original Hervorhebung). 39 Siehe Mozart 1971, S. 37 f. (Zweiter Aufzug, Erster Auftritt). Zum esoterischexoterischen Doppelcharakter des Werkes siehe Assmann 2010b.

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sonders deutlich an der Einschätzung der Theokratie. Einigkeit besteht vor allem in der Auffassung vom theokratischen Ursprung bürgerlicher und staatlicher Gesellschaft. Als typisch kann hier Reinholds Ansicht stehen, dass der vom Staat dem Menschen abverlangte Freiheitsverzicht, insofern er von ursprünglich freien und sich als frei verstehenden Menschen gefordert und erzwungen wird, zumindest anfänglich und de facto über lange Zeit nur durch Berufung auf eine furchterregende und drohende übermenschliche Befehls- und Strafgewalt erfolgen kann, denen die menschlichen Gesetzgeber ihre Sendung verdanken sollen.40 Die Komplizität der Aufklärung mit ihrem geraden Gegenteil, die sich insbesondere in religionspolitischen Dingen feststellen lässt, ist Ausdruck einer tiefen Ambivalenz ihrer Vertreter gegenüber der politischen Leistungsfähigkeit der Religion, die – in welthistorischer Perspektive betrachtet – politischen Fortschritt ebenso ermöglicht, ja begründet, wie sie ihn verzögert und sogar verhindert. Bei allem sozialreformatorischen Eifer sind sich die Nachdenklichen unter den Aufklärern immer auch darüber im klaren, dass die Religion in verantwortungsvoller Weise nur dann einer radikalen Kritik unterzogen werden kann, wenn man ihre ursprünglich politische Funktion, die sie diesseits von Missbrauch und Verfall besitzt, erhält oder doch durch ein gleichwertiges gesellschaftliches Institut oder Instrument ersetzt. Unter diesen Bedingungen kommt der hebräischen Theokratie die Bedeutung eines Musterbeispiels zu für die aufklärerische Reflexion auf die Bedingungen und Möglichkeiten religiös bestimmter Politik und politisch gewordener Religion in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In der Frage der möglichen Aktualität an der Theokratie orientierter Formen von politischer Herrschaft unterscheidet sich Reinholds freimaurerische Perspektive allerdings radikal von frühmodernen Theoriebildungen über das Verhältnis von Staat und Religion. Während bei Reinhold die gesellschaftliche Leistung der hebräischen Theokratie direkt in Verbindung gebracht wird mit der politischen Bestimmung des Freimaurertums zu einer neuen, vernunftgestützten Priesterherrschaft, reflektieren die politischen Philosophen der frühen Moderne vorrangig auf die historischen Grenzen theokratischer Politik und auf die mögliche Integration der vormals selber politischen Religion in den modernen Staat, der die Religion zwar braucht, sie aber auch so zu gebrauchen

40 Siehe Reinhold 2006, S. 65 f.

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versteht, dass er die eigene Selbständigkeit und Leistungsfähigkeit gegenüber der Religion gerade im gezielten Zugriff auf sie sicherstellt.41 So begrenzen die frühneuzeitlichen Staatsdenker, insbesondere Hobbes, Grotius, Spinoza und Rousseau, die öffentlich präsente Religion auf eine staatlich kontrollierte Religion oder Staatsreligion und restringieren abweichende und weitergehende religiöse Überzeugungen und Praktiken, sofern sie mit dem Fortbestand des Staates kompatibel sind, in einen Bereich außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung – die liberalistisch gewährte Privatsphäre. Grotius unterstellt die Kirche der staatlichen Autorität. Bei Hobbes trägt die politisch sanktionierte Religion Züge einer Nationalkirche. Spinoza und Rousseau argumentieren für eine minimalistische Vernunftreligion, die zum Erhalt des Staates durch die Bildung eines politischen Ethos beitragen soll. Gemeinsam ist diesen modernen Theoretikern des Politischen die Opposition gegen eine Form und Präsenz von Religion, die in Konkurrenz tritt zum Machtanspruch des staatlichen Souveräns durch die Bildung eines Staates im Staate („imperium in imperio“42). Gegenüber der prinzipiellen Verabschiedung des theokratischen Staatsverständnisses in der politischen Philosophie der Neuzeit kommt die von Reinhold erwogene Aktualität der hebräischen Theokratie in der politischen Moderne eigentlich nur bei radikalen Sozialutopisten zum Tragen, die den äußerlichen, rein politischen Staat und seine bürgerliche Gesellschaft überwunden sehen wollen durch eine ästhetisch oder ethisch konstituierte über- oder nachstaatliche Gemeinschaft, für die spezifisch religiöse Formen der Sozialität (Kirche) maßgeblich sind. Neben den ästhetisch-politischen Programmen von Schiller und Hölderlin wäre hier vor allem die antipolitische politische Philosophie Fichtes zu nennen, der schon früh (System der Sittenlehre; 1798) das Absterben des Staates und seine Ablösung durch eine ethische Kirche prognostiziert und propagiert und dessen späte sog. Staatslehre (1813; postum publiziert 1820) in der Rückkehr zur politischen Herrschaftsform der Theokratie mündet.43 In Übereinstimmung mit dem von Reinhold identifizierten aufklärerischen Potential der hebräischen Theokratie soll es sich dabei aber nicht mehr um die vormalige, bloß blind geglaubte Gottesherrschaft handeln, son41 Zur republikanischen Rezeption der hebräischen Theokratie in der modernen politischen Philosophie siehe Nelson 2010. 42 Für die Wendung siehe Spinoza 1967/1979, Bd. 2, S. 256 (Ethica, Pars Tertia, [Praefatio]). 43 Siehe Fichte-AA I/5.226 sowie II/16.165. Siehe dazu Zöller 2010.

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dern um eine Theokratie aus vernünftiger Einsicht.44 An die Stelle von Reinholds Freimaurertum ist beim späten Fichte das rein rationale Priestertum der Philosophie („Wissenschaftslehre“) getreten. Die Theokratie wird restituiert als Logokratie, der Priester als Wissenschaftslehrer und die politisch-theologischen Geheimnisse als die Mysterien der avancierten Transzendentalphilosophie, deren populär vermittelte Inhalte auf die Morphologie des Religiösen zurückgreifen. Bei Reinhold und Fichte bedroht so die angestrebte Retheologisierung der Philosophie wie der Politik jene Freiheit des Philosophierens (libertas philosophandi), die – nach der radikalaufklärerischen Auffassung Spinozas im Tractatus theologico-politicus – für den Bestand des Staates und der Religion nicht nur unschädlich, sondern unerlässlich ist.45

Literaturverzeichnis Assmann, Jan (1997): Moses the Egyptian. The Memory of Egypt in Western Monotheism. Cambridge, Mass. Assmann, Jan (1998): Moses der gypter. Entzifferung einer Gedchtnisspur. München. Assmann, Jan (2003): Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus. München. Assmann, Jan (2006): Politische Theologie zwischen gypten und Israel. Dritte, erweiterte Auflage, München. Assmann, Jan (2010a): Religio duplex. gyptische Mysterien und europische Aufklrung. Berlin. Assmann, Jan (2010b): „Aufklärung und Zaubermärchen. Die Zauberflöte als ,opera duplex’“, in: Lothar Kreimendahl (Hrsg.), Mozart und die europische Sptaufklrung. Stuttgart-Bad Cannstatt, S. 241 – 267. Freud, Sigmund (2010): Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Drei Abhandlungen, hrsg. v. Jan Assmann. Stuttgart. Heinrich Meier, „Was ist Politische Theologie? Einführende Bemerkungen zu einem Begriff“, in: Assmann 2006, S. 7 – 22. Mozart, Wolfgang Amadeus (1971): Die Zauberflçte. Dichtung von Emanuel Schikaneder, hrsg. und eingel. v. Wilhelm Zentner. Stuttgart. Nelson, Eric (2010): The Hebrew Republic. Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought. Cambridge, Mass. Reinhold, Carl Leonhard (2006): Die Hebrischen Mysterien oder die lteste religiçse Freymaurerey, hrsg. u. komm. v. Jan Assmann. Im Anhang: Friedrich Schiller, 44 Zur politischen Theokratie bei Fichte siehe Zöller 2011a und Zöller 2012. 45 Siehe Spinoza 1967/1979, Bd. 1, S. 600 – 621 (Tractatus theologico-politicus, Caput XX). Zur politischen Freiheitslehre von Spinozas Tractatus theologico-politicus siehe Zöller 2011b.

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Die Sendung Moses. Reihe „GegenSatz“, Band 4. Zweite, erweiterte Auflage, Neckargemünd. Rousseau, Jean-Jacques (2007): Du contrat social, prcd de Discours sur l’conomie politique et de Du contrat social. Première version et suivi de Fragments politiques, hrsg. von Robert Derathé. Paris. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1958): ber die Gottheiten von Samothrake. Stuttgart. Spinoza, Baruch de (1967/1979): Opera/Werke. Lateinisch und deutsch, hrsg. v. Konrad Blumenstock, 2 Bde. Darmstadt. Zöller, Günter (2009): „Aufklärung über Aufklärung. Kants Konzeption des selbständigen, öffentlichen und gemeinschaftlichen Gebrauchs der Vernunft“, in: Heiner F. Klemme (Hrsg.), Kant und die Zukunft der europischen Aufklrung. Berlin/New York, S. 82 – 99. Zöller, Günter (2010): „,Freiheit aller von der Freiheit aller’. Das Reich des Rechts in Fichtes geschichtsphilosophischer Staatslehre“, in: Tobias Döring, Barbara Vinken u. Günter Zöller (Hrsg.), bertragene Anfnge. Imperiale Figurationen um 1800. München, S. 199 – 213. Zöller, Günter (2011a): „,Die beiden Grundprincipien der Menschheit’. Glaube und Verstand in Fichtes später Staatsphilosophie“, in: Markus Gabriel u. Jens Halfwassen (Hrsg.), Philosophie und Religion. Historische und systematische Beitrge. Heidelberg, 171 – 191. Zöller, Günter (2011b): „,In Truth the Purpose of the State Is Freedom’. Spinoza on the Political Character of the Relationship Between Religion and Philosophy“, in: Hans Feger (Hrsg.), Philosophie und Religion. Chinesische und deutsche Beitrge. (abrufbar unter: http://philosophie-religion.de/in-truththe-pursose-of-the-state-is-freedom.html). Zöller, Günter (2012): „,An Other and Better World’. Fichte’s The Vocation of Man As a Theologico-Political Treatise“, erscheint in: Daniel Breazeale u. Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte on the Vocation of Man. New Interpretive and Critical Essays. Albany, NY.

II. Wille, Willkür und Willensfreiheit

Ambiguities in the Will: Reinhold and Kant, Briefe II Karl Ameriks Abstract: This essay discusses Reinhold and Kant’s dispute about the definition of the will and its relation to the problem of how best to defend the Critical notion of a primacy of reason in our practical life. I argue that Kant’s approach to the definition of Wille is superior insofar as it does not insist on putting a sensible or selfish tendency within the definition itself. I also point out weaknesses in three arguments that Reinhold appears to be relying on in his belief in the primacy reason in our practical life. I conclude by noting that it is difficult as well for Kant to account for this primacy, but that his notion of a Faktum der Vernunft might be best defended here if it is understood in relation to a notion that Reinhold especially emphasizes, namely, our common “healthy understanding.”

Reinhold’s proposed modification of Kant’s Critical conception of the will as “practical reason” has long been a topic of intense discussion. This topic is probably the best-known issue that arises in the second volume of Reinhold’s Briefe ber die Kantische Philosophie (1792), and it is also treated in several other works by both Kant and Reinhold.1 The topic is also addressed by a large number of other philosophers at that time, and the discussion has a deep resonance in the early stages of German Idealism.2 In recent decades there has been a large and very impressive group of new treatments of this controversy by contemporary researchers. New investigations have provided such a thorough analysis of the historical and textual context of the debate that there seems to be little more to be said along that line.3 Nonetheless, the philosophical issue of the relation of will to reason and freedom remains at the center 1

2 3

See Kant, Religion (1794), Kant-AA 6.26 ff.; MdS, Kant-AA 6.226 ff.; and Reinhold, Grundwahrheit der Moralitt “Einige Bemerkungen über die in der Einleitung zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre’ von I. Kant aufgestellten Begriffe von der Freiheit des Willens” (1797), in: Vermischte Schriften, p. 364 – 400. “Ueber das vollständige Fundament der Moral”, in: Beitrge II, 207 – 294. See e. g., Stolzenberg 2004. See e. g., Lazzari 2004, Fabbianelli 2004 and Bondeli 2008a.

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of contemporary systematic disputes, especially in ethics, and even among Anglophone writers who appear to have little knowledge of, or interest in, Reinhold’s significant role in spurring Kant and others in his era to clarify their stance on this crucial issue. Given this context, it may be useful to take a step back, as much as is possible, from most of the historical details of Reinhold’s and Kant’s ongoing discussion and to search for the substantive peculiarities of their work most pertinent for contemporary philosophers—and especially for those who may be not nearly as sympathetic to the Kantian tradition as are the scholars who directly work on it. Along this line, the following sections will focus mostly on the practical question of the primacy of reason, and they will consider how one might use clues from Reinhold’s discussion to clarify and begin to defend the general Kantian adherence to this primacy in our own age, an age that has to a large extent turned away from any literal acceptance of Kant’s own highly controversial notions of will, reason, and freedom. 1. A relatively uncontroversial place to begin at is to note that Reinhold seems to be much more concerned than Kant is with distinguishing the specific human faculty of will from the faculty of reason in general and its pure moral law. Kant repeatedly draws the terms Wille and practical reason very closely together, and he combines this tendency with his central claim that practical reason—and it alone—demands with necessity that we adhere to the moral law. It is therefore not surprising that some of his followers ascribe to him a position of “intelligible fatalism”, which leaves no room for rational agents like ourselves to have a will that is both free and, as such, sometimes acts against morality. To protect the Critical turn against this result, Reinhold proposes staying closer to what he takes to be our ordinary language (“bestimmten Sprachgebrauch”).4 He understands will from the beginning in terms of an absolute “Freyheit des Willens”.5 This freedom involves more than the relative capacity of a thinking being to act according to principle simply in the sense that it can, on reflection, escape the immediate coercion of instinct. Reinhold defines “Freyheit des Willens” instead in terms of our contingent and yet absolutely free capacity to choose, which he sharply 4 5

Reinhold, “Bemerkungen” (1797), RGS 2/2.312. Cf. Stolzenberg 2004, p. 278: “gemeinen Sprachgebrauchs”. Briefe II, p. 265, RGS 2/2.184.

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distinguishes from the faculty of practical reason and its strictly necessary relation to the moral law.6 The specific terms of Reinhold’s proposal might seem to introduce a radically new view into the Critical philosophy, and yet the general motive behind it remains close to basic aspects of Kant’s thought. Even though there are some differences, Reinhold’s stress on a fundamental threefold distinction7 between feeling, intellect, and will has roots in the basic threefold structure of mind that Kant’s philosophical psychology already inherits. Kant remains, to be sure, somewhat closer to Baumgarten and the scholastic tradition insofar as he always places will within the general faculty of desire, the Begehrungsvermçgen, whereas Reinhold is so concerned with setting off the will that he eventually criticizes Kant for placing it at all within the Begehrungsvermçgen—on the unfair implication that this should force Kant to treat will as mere desire (“bloßes Begehren”).8 Nonetheless, Reinhold shares with Kant a fundamental insistence on not reducing will to either of the other two basic faculties, and especially on not treating it merely as a last stage of desire, as in many empiricist or rationalist theories. Furthermore, like Reinhold—but unlike readers such as C. Chr. E. Schmid9—Kant in fact never takes the Critical philosophy to involve “intelligible fatalism”. Kant repeatedly declares that human beings can act with responsibility, and therefore absolute freedom, in either a moral or immoral way—even though here again Reinhold eventually raises an unfair charge by ascribing Schmid’s extreme position to Kant himself.10 Thanks to Reinhold’s challenges, however, Kant eventually makes clearer than he ever did before that when one does understand the notion of will simply in terms of our individual choice, that is, human Willkr, then one can say that in fact this always involves the basic options that concern Reinhold of either morality or selfishness.11 There are, nonetheless, constant verbal differences between Kant and Reinhold. Kant properly stresses that the fact of our having free options cannot be a matter of the definition of Willkr as such, because that term, as it is traditionally discussed, can apply also to the arbitrium brutum 6 7 8 9 10 11

Briefe II, pp. 266 f., RGS 2/2.185. See e. g., Briefe II, pp. 232 ff., RGS 2/2.167 f. Reinhold, “Bemerkungen” (1797) p. 312. On Schmid, see Bondeli 2008b, p. 386; and Frank 1997, pp. 532 – 568. Reinhold, “Bemerkungen” (1797) p. 321. Kant, Religion (1794), Kant-AA 6.21 and 44.

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of animals.12 Reinhold, in contrast, prefers to call the arbitrium brutum an “improper, so-called type of Willkr”13. In addition, insofar as will can also be called Wille, in contrast to mere Willkr, and is understood by Kant as partially rooted in and having a primary orientation toward intellect and in this respect as essentially a matter of practical reason, Kant can say that this capacity should not be specified in an “indifferent” way, as occurs in definitions such as Reinhold’s.14 2. From these points alone, the issue may appear to have become largely a matter of terminology, a “Wortstreit”, and one might not expect any deep substantive dispute to remain between Kant and Reinhold, especially given their common opposition to empiricism, dogmatic rationalism, and skepticism. The main features that Kant ascribes to Wille may seem to belong also in Reinhold’s system, albeit under the title of practical reason, and the crucial feature of possible free and yet non-moral action that Reinhold stresses can be found in Kant’s system as well, albeit under the heading of our actual kind of Willkr and, ultimately, the doctrine of radical evil. The issue is, however, more complicated than this. Insofar as terminological matters here can lead—and have led—to confusion, the blame may in part be due to peculiarities of language itself, English as well as German. Although both Kant and Reinhold draw a regular and significant distinction between the terms “understanding” and “reason”, and especially between common understanding (gemeiner Verstand) and philosophical reason (philosophische Vernunft), they sometimes use these terms casually and equivocally. They agree that although basic rationality—that is, an ability to make explicit inferences, offer grounds for action and consider principles and their consistency—is, as far as we know, a characteristic unique to our species, there is something else, something unconditioned and fully pure, that is what truly makes human beings significantly distinctive and moral. Nonetheless, Kant sometimes uses the notion of “practical reason” in a merely instrumental way that does not contain this unconditional characteristic (as in 12 MdS, Kant-AA 6.226. 13 Reinhold, “Bemerkungen” (1797) p. 311: “uneigentliche, tropisch sogenannte Willkühr”; cf. Reinhold, “Bemerkungen” (1797) p. 316. 14 Reinhold’s response to the charge of indifference has its weak points, as when he stresses merely that on his view the will is at least not open to even more options than selfishness and unselfishness, and that both options require processing by rationality. Briefe II, pp. 278 f., RGS 2/2.191.

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the title “Critique of—that is, something aimed against—Practical Reason”, that is, against “mere” practical reason in general, in contrast to “pure practical reason”, which does not need a critique). Similarly, in contemporary philosophy the English terms, “rationality”, “practical reason”, and “reason for action” are often used almost interchangeably, without any thought of unconditional grounds or a deep distinction between rationality in general and reason in a specific and much more demanding sense. Reinhold also obscures this distinction at one point when he says, quite dramatically, that “an action against reason [is not] a rational action”15. A similar misleading statement occurs when he simply says, “reason is the capacity of the person to give precepts to its other mental faculties”16—a definition that by itself ignores the fundamental distinction between precepts in general and pure reason’s categorical imperative. In his second Critique Kant draws some attention, albeit parenthetically, to this kind of ambiguity when he says, “besides the relation in which the understanding stands to objects (in theoretical cognition), it has also a relation to the faculty of desire, which is therefore called will and is called the pure will insofar as the pure understanding (which in this case is called reason) is practical through the mere representation of a law”17. In this passage Kant at first appears to be saying that it is understanding and mere rational representation that orients us to genuine morality, but then it becomes clear that Kant realizes he should say that only something higher than ordinary understanding or representation can achieve this, namely, “reason”, which, in its “capital R” or pure practical capacity meaning alone, has the specific unconditional power to generate what he calls genuine law. It may still seem odd to us that Kant uses the term Wille to refer to practical reason in this specific sense, but it is important to notice that when he does so he is never fully equating (i. e., claiming an analytic identity 15 Briefe II, p. 248, RGS 2/2.175: “[…] eine Handlung wider die Vernunft [ist kein] vernnftiges Begehren[…]”. 16 Briefe II, p. 251, RGS 2/2.176: “[…] die Vernunft das Vermögen ist, durch welches die Person den übrigen Vermögen des Gemüthes Vorschriften giebt”. 17 KpV, Kant-AA 5.55: “Außer dem Verhältnisse aber, darin der Verstand zu Gegenständen (im theoretischen Erkenntnisse) steht, hat er auch eines zum Begehrungsvermögen, das darum der Wille heißt, und der reine Wille, so fern der reine Verstand (der in diesem Falle Vernunft heißt) durch die bloße Vorstellung eines Gesetzes praktisch ist.”

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for) the notions of practical reason and Wille but is just saying that they overlap when used in a certain technical context.18 3. These complications all need to be kept in mind when considering the fact that, despite the common ground underlying Reinhold’s and Kant’s most basic views, it is a frequent and understandable objection that Reinhold cannot do justice to the Critical notion of autonomy and to the important positive and overlapping relation between reason, free will, and morality that Kant builds into his account.19 The relation is closest in passages such as, “the will itself, strictly speaking, has no determining ground; insofar as it can determine the capacity for choice it is instead practical reason itself”20, and “since reason is required for the derivation of actions from laws, the will is nothing other than practical reason itself”21. The important complication to keep in mind here is that even in these oft-cited passages Kant is not saying that Wille simply is practical reason, that is, the same in all respects. What Kant is saying is that insofar as we think of something as genuinely “determining” and giving a ground for derivation (Ableitung) of action, it makes sense to call it “will” in contrast to mere feeling or thought. At the same time, it also makes sense to call it “practical reason”, in a pure sense, for it involves not merely something practical, that is, concerning action, but also something that concerns the unconditionality of law. However much Kant’s language can be defended in this way from various misunderstandings, it is also true that Reinhold’s interest in focusing on the individual human agent and its actual choice situation can appear as a helpful supplement to Kant’s elevated preoccupation with speaking of Wille primarily in terms of pure reason and law. This is not to deny that there are several objections that can be made to Rein18 This point obviously bears on the confusions in the controversy with Schmid, and in misunderstandings of Kant to this day. When Reinhold argues, for example, that reason operates in sleep and other processes that are involuntary and hence it is not identical with will, this is relevant only on the false premise that Kant holds that reason and will are the same in all respects. Briefe II, pp. 249 ff., RGS 2/2.176. 19 See e. g., Prauss 1983. 20 MdS, Kant-AA 6.213: “Wille, sofern er die Willkür bestimmen kann, [ist] die praktische Vernunft selbst”, quoted in Reinhold, “Bemerkungen” (1797) p. 312. 21 Kant, GMS (1785), Kant-AA 4.412, cf. 441: “Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anders als praktische Vernunft”.

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hold’s own formal definition of will as “the capacity of a person to determine itself to either actually satisfy or not satisfy the selfish drive”22. A presentation of objections to Reinhold’s definition will in fact dominate the sections that follow, but in considering these objections one should always keep in mind that the underlying problems go beyond Reinhold, and that, no matter exactly how it is expressed, the whole Critical attempt to prioritize will, reason, and autonomy remains very suspicious to the majority of Anglophone philosophers today, and so its defense requires considerable preparation. 4. In Kant’s case, an additional problem here is his ultimate reliance on an appeal to basing the claim to a strict ethics of duty on the phenomenon of a sui generis “fact of reason”23. Although it is very significant that this phenomenon is said to concern “reason”, and thus is explicitly distinguished from any appeal to mystical or merely empirical considerations, it still is true that the use of the term “fact” can suggest an improper dogmatic assumption, especially since the fact is supposed to warrant allegiance to nothing less than absolute claims about moral necessity, the priority of reason, and the freedom of our will—all claims that, as Kantians themselves stress, transcend any kind of merely empirical warrant. This problem appears to be only exacerbated when Reinhold also adopts this kind of language in Briefe II and repeatedly relies on the broader notion of a “fact of consciousness” (“Tatsache des Bewusstseins”).24 He now claims, in a departure from his earlier work, that there are a number of such facts (which are supposedly known by all of us but have never been adequately clarified until his work). Reinhold departs from Kant as well when he goes beyond the second Critique’s claim that our access to the unconditioned ground of absolute duty comes through a fact described as a moral “feeling”, and he claims on his own that although this feeling does not directly reveal its non-natural source, it leads to enough “results” to provide knowledge (Wissen) and not mere belief.25 This position seems so mysteriously overconfident that one must ask why Reinhold believes he is in any better position 22 Briefe II, p. 183, RGS 2/2.135: “Wille heißt das Vermögen der Person, sich selbst zur wirklichen Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des eigennützigen Triebes zu bestimmen.” 23 KpV, Kant-AA 5.31. 24 Briefe II, p. 180, RGS 2/2.133. 25 Briefe II, pp. 286 f., RGS 2/2.194; see also RGS 2/2.174, 193, 227 and 234.

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than his traditional opponents, who he repeatedly castigates for appealing to a source of morality in deterministic powers of “things in themselves”26. The ground for his confidence lies in his notion that these powers are at best some kind of in principle unknowable factual features of what are conceived of—by dogmatists of either the empiricist or rationalist traditions—as ultimate but merely natural or merely supernatural things (“either human or divine reason”).27 In contrast, Reinhold assumes he can appeal to the allegedly evident and self-explanatory features of what Critical philosophy is said to be able to reveal as inherent within our domain of representation28 (rather than “things”) and, more specifically, the self-activity of reason itself, “die Selbstthtigkeit der Vernunft”29. This language of Selbstthtigkeit is just one of many ways in which Reinhold prefigures the kind of move that Fichte would soon become famous for stressing, namely, proposing a foundation for philosophy that speaks of activities rather than things, and thus ultimately of Tathandlungen rather than Tatsachen—an intriguing change in terminology but one that does not by itself provide a clear answer to standard objections to claims about absolute freedom. Reinhold also prefigures Fichte in repeatedly making the unusual presumption that if one does hold on to the notion of actual things in themselves, then this is tantamount to immediately denying our freedom, by making ourselves mere victims of such things, even if they are intelligible or divine beings.30 A focus on positions such as those of Leibniz or Schmid may have been a catalyst for this error, because these philosophers do combine a commitment to intelligible things in themselves and determinism. This does not show, however, that any ontology that posits real things in themselves must deny our freedom. Kant’s own second Critique can be read as a relevant counterexample, for the fulfillment of the highest good that it postulates is intended as precisely a consistent combination of freedom and the activity of intelligible things in themselves. Another unfortunate complication here is that Reinhold sometimes uses his crucial term Selbstthtigkeit (“self-activity”) to refer both to our individual activity of free willing and to the necessary general independ26 27 28 29 30

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pp. 24 ff., RGS 2/2.23 f. pp. 23 f., RGS 2/2.23; see also RGS 2/2.74 and 122. pp. 342 f., RGS 2/2.224 and 226. pp. 65 f., RGS 2/2.52, 74, 137 and 192. pp. 266 f., RGS 2/2.185, 192, 215 and 239.

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ence from sensibility and contingency of the norms of practical reason itself: “The positive moment in freedom consists in the self-activity of the person in willing, a very specific self-activity that is to be strictly distinguished from self-activity of and by reason.”31 Later, Reinhold even allows saying that God too has a kind of Selbstthtigkeit, but he immediately qualifies this by saying it is only remotely “analogous” to our situation.32 He also declares that “the genuine will” is “the human will”, and “when thinking about a will in which the law originates and which intends nothing but the lawful, we can think of it only as a metaphorical term for pure reason as the source of laws”33. Here Reinhold is once again rejecting Kant’s close linking of “practical reason” and “will”, and he is insisting, “practical reason is not a will if it cannot be either a good or evil will”34. 5. The most difficult issue that remains here is how exactly to understand pure reason as, on anyone’s account, a primary “source” of moral authority in the strict Kantian sense. It might be because he thinks it helps him on this issue that Reinhold is so opposed to using any general notion of either pure reason or will that is univocal for human beings and other possible rational beings. This opposition comes at some cost, for Reinhold’s position involves a considerable break from orthodoxy. His opposition may be understandable, though, for someone coming, as he does, from a broadly naturalist Aristotelian tradition. Reinhold seems to be anticipating something like Trendelenburg’s later claim that Kant becomes metaphysical in a way contrary to the very spirit of his own Critical philosophy whenever he speaks about a law that is binding for rational beings in general, rather than restricting himself to what is necessary for human nature as such, the only kind of

31 Briefe II, p. 281, RGS 2/2.192: “Das Positive bey der Freiheit besteht in der Selbstthätigkeit der Person beym Wollen, einer ganz besondern Selbstthätigkeit, die von der Selbstthätigkeit der Vernunft, oder durch Vernunft genau unterschieden werden muß.” 32 Briefe II, p. 25, RGS 2/2.24. 33 Reinhold, “Bemerkungen” (1797) p. 312: “der eigentliche Wille [ist] der menschliche […] ich kann […] bei einem Willen, von dem das Gesetz ausgeht und der auf nichts als aufs Gesetz geht, nichts als eine metaphorische Bezeichnung der reinen Vernunft als der Quelle der Gesetze denken.” 34 Reinhold, “Bemerkungen” (1797) p. 313: “Er [der Wille als praktische Vernunft] ist kein Wille, wenn er nicht guter oder nicht böser Wille sein kann.”

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rational beings with which we are directly acquainted.35 Similar reasoning might be behind Reinhold’s resistance to calling anything a will if it cannot actually be evil—although this insistence also immediately makes one wonder how he could then allow any proper sense to traditional talk of a divine will, and especially Kant’s postulate of a highest good facilitated by the necessarily good intentions of such a will. The difficulties are considerable here because it is Reinhold himself who claims that his Critical conception of free will is the first one that is able to provide a proper conception of both our soul and the existence of God.36 Whatever one thinks of these theological issues, the basic problem remains that if one does go along with Reinhold and insist on a notion of will that is not originally defined in relation to a pure capacity of reason (so that there can be such a thing as a holy will), but simply by an actual human capacity with the specific option of being either selfish or not selfish, then this makes it very difficult to see how one could show that the will can be a normative source of a strictly binding law, that is, a source that involves taking one option to be necessarily better than the other. One general presumption that seems to be present in Reinhold— and that is certainly prevalent in constructivist neo-Kantian ethics as well as contemporary analytic ethics in general—is the thought that for something to be a relevant action-guiding source of a law that is to be authoritative for us, it must have some close connection with our actual identity. Developing this thought could take one far beyond Reinhold’s general “Aristotelian” humanist tendencies and to a more specific kind of “constructivist” view that only a will that is originally defined as having the fully human quality of being capable of evil as well as good can also have the motivation and capacity to be thought of as a self-legislating being providing rules that are accessible and authoritative for us as human beings. According to this view, these rules could then be regarded as a basic expression of our human Selbstthtigkeit and hence as due to our very own making, unlike the allegedly irrelevant powers that might attach to transcendent beings or things in themselves of either a natural or supernatural kind. This “constructivist” view remains an ever-popular proposal, but its obvious weakness here is that by itself it still does not provide an under35 Trendelenburg 1867, p. 415: “[…] wir kennen nur den Menschen.” Cf. Briefe II, p. 167, RGS 2/2.123: “menschlicher Geist”. 36 Briefe II, pp. 308 – 381, RGS 2/2 letters 9 and 10.

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standable source for a strictly binding practical law, as opposed to a merely convenient public rule, because any merely self-made human rules can also appear to be ones that might be just as easily unmade.37 Given these difficulties, it may be fairer to understand the main source for Reinhold’s own thought here as not specifically constructivist after all, but as simply another expression of his long-standing general and negative epistemological doctrine that anything beyond our sphere of human representation must be, at best, a mysterious bare “thing”, something that is so alien to us that it could never have any of the authoritative ties of identity needed by any source of morality that could make a relevant and purportedly inescapable claim on our own self.38 In a sense, Reinhold himself recognizes the problem in all “constructivist” accounts insofar as his own work leaves a place for at least the notion of pure practical reason, and thereby distinguishes the strictly necessary rules that constitute it from the contingent and basically human-centered notion of a will facing selfish options. But since Reinhold also insists that nothing other than a human and originally neutral will counts as a “genuine will”, it remains unclear why a will like that should ever feel itself obliged to follow the specific rules of pure practical reason—a kind of reason that, in its strict necessity, seems, on his own account, to be in basic ways unlike any actual human will. To be sure, Reinhold properly insists that neither practical reason nor the will should be hypostatized or “personified”; they are presumably nothing more than faculties that concrete individuals can have, and already do have, at one and the same time.39 But even if it is allowed that such sharply distinct faculties can co-inhabit the same individual, as long as the idea remains that, as Reinhold stresses, the will itself is defined simply in terms of a capacity for options, then it is mysterious why a person in a choice situation must concede the overriding priority of the principle of practical reason as such. If the will is defined simply in terms of a human ability to choose selfishness or not, why should it side with a 37 See Irwin 2009. 38 Briefe II, pp. 343 ff., RGS 2/2.225; and see also stress on the features of “des menschlichen Geistes” and “des menschlichen Gemüthes”, in contrast to things in themselves, at RGS 2/2.23 and 133. There is already a rejection of the idea of seeking any source of the will’s decision from “eine vom Willen und seiner Freyheit verschiedene Ursache der Willenshandlung” in Reinhold, Grundwahrheiten der Moralität (1791), cited at RGS 2/2.138 fn. 39 Briefe II, pp. 257 ff., RGS 2/2.180 and 244.

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principle that gives a necessary priority to one side of these two options—and, of all things, restricts our natural tendencies? 6. In response to this problem, Reinhold stresses three lines of recognizably Critical argument here that are relevant, although on reflection they turn out—I will argue—not to be sufficient by themselves. The first line is to stress that even when the will is described in terms of having two options, it is crucial that the non-moral option is said to belong to a being that is rational and thus is in principle familiar with the other option, the one that would be necessarily followed by a being acting simply according to reason.40 Hence, since our will is not simply brute, there would seem to be at least something very odd about its giving preference to an option of sensory satisfaction that is basically the same state that a merely brute being can end up with, and as a matter of necessity and not free choice. Nonetheless, it can be countered against this line of thought that it falsely presumes that if a being with rationality pursues sense as such, rather than morality (in the Critical sense), then it cannot be appreciating that it is a rational being rather than a mere animal. This is a false presumption because, even if it makes (as Hume would say) its reason “the slave of passion”, it then would still be making concerted use of its rationality, albeit instrumentally, and thus it would be doing something that a mere brute could not do. Therefore—and even without morality—it could be said to be doing justice to its own distinctively human nature after all. The second line of argument is to say that the two options are not on a level because the moral option represents what is one’s “higher” self.41 A problem with this approach is that it seems either to involve a kind of naturalistic fallacy, that is, a questionable move from some kind of undisputed but basically factual feature, even if it is an objectively complex and simply in that sense “higher” feature—such as the possession of rationality in contrast to mere animality—to a very different kind of conclusion, an absolute normative conclusion; or else the argument appears valid but question-begging because it already understands “higher” in a moral sense, in which case it still has to be determined exactly what it is about the rules of a rational being that give it a relevant moral status. 40 Briefe II, pp. 277 ff., RGS 2/2.191. 41 Briefe II, pp. 187 f., RGS 2/2.139. Cf. Kant, GMS (1785), Kant-AA 4.461.

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The third line of argument is to stress the idea that, as Reinhold says, the moral law is the “only” principle that is set up “by reason itself”42. This statement may be true, but even if it is true, it does not yet explain why such a principle should necessarily be given precedence by a being that is not constituted by reason alone. 7. The problems with these Reinholdian arguments indirectly highlight why the distinction noted earlier (as crucial for Kant), between rationality in general and pure reason in particular, is especially relevant. Kant stresses many times that the mere possession of unique theoretical or pragmatic powers by human beings does not provide us with a source of necessary imperatives and an unconditional and genuinely moral purpose to our life. This point implies that for reason to be able to be understood as a source of value that authoritatively guides our choices, it cannot be either identified with or completely separated from our will’s capacity to choose freely between the unconditional moral law and conditioned aims. It cannot be simply identified with that capacity, because then the options before that capacity appear to be ultimately on a par, even if in fact we are not literally indifferent to them. But reason here also cannot be completely separated from the capacity for choice, because the very notion of a practical primacy of reason for us must involve its being action-guiding, that is, its being that which leads us properly to take the moral rather than the non-moral option.43 One reason why Reinhold’s definition of will is especially problematic here is that his characterization of options is so manifestly unhelpful in responding to the problem of accounting specifically for a primacy of reason. It is odd, to begin with, that for a philosopher who focuses so much on choice, Reinhold myopically proposes that free choice basically arises only in the option between selfishness and non-selfishness. To be sure, it can be objected that both Kant and Reinhold pay inadequate attention to the serious possibility that the most significant ends for human beings may concern other optional pursuits—such as chance, honor, aesthetics, or religion—that do not fit under the supposedly exclusive and exhaustive headings of morality or selfishness. But Reinhold’s discussion here is especially disappointing because he also presumes that if one does pursue selfishness then there is only one way, a 42 Briefe II, pp. 286 f., RGS 2/2.195. 43 This may be why Kant says Wille concerns the “inner” law of reason. Cf. MdS, Kant-AA 6.227.

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clear maximizing way, to do so— which is to overlook the fact that there are many ways in which a will’s distinctive capacity for free choice among significant options could be actualized even within a selfish context.44 The most obvious weakness of Reinhold’s definition, however, comes from the fact that to say, as he does, that the will is simply a capacity to affirm selfishness or not is not at all to say positively what happens when selfishness is not affirmed. The crucial term that Reinhold repeatedly uses here, uneigenntzig, is negative and almost without direction. To state simply that one is not satisfying the selfish drive is not directly to say that one is being moral at all. A fortiori, it is not to know that one is being specifically positive in any way that meets an imperative, let alone in a way that might involve following a law of reason. A similar problem arises when Reinhold speaks of autonomy as what happens when one “sets up a precept to follow simply for its own sake”45—a definition that is too general to capture the specific content of the moral law. All this helps to explain why, in contrast, Kant prefers to begin by defining will in a positive way, as a capacity to follow pure practical reason.46 Without something like that capacity, one could still be said to be essentially like a mere animal, for there would be no need to introduce a notion of will that concerns what one unconditionally should do. What Reinhold needs, as critics have pointed out, is not simply an admission that we have reason and it is something that can make a demand on the will; what he needs is a conception of will that “leans” toward reason.47 Another unfortunate—and very influential—aspect of Reinhold’s account of will is his designation of the moral option as a “drive”, as if it were just another natural force.48 Whatever the oddities of Kant’s 44 Briefe II, p. 288, RGS 2/2.197. 45 Briefe II, p. 68, RGS 2/2.54: “[…] im Aufstellen der Vorschrift um der Vorschrift willen […]”; cf. Briefe II, p. 66, RGS 2/2.52: “Vernunft [ist] das Vermögen der Person zu den durch ihre übrigen Vermögen möglichen Wirkungen sich selbst Vorschriften (Regeln) zu geben”. 46 Kant, GMS, Kant-AA 4.412; cf. MdS, Kant-AA 6.213. 47 Cf. Stolzenberg 2004, pp. 279 – 281. The closest Reinhold may come to appreciating this point may be at Briefe II, pp. 232 f., RGS 2/2.167, when he speaks of a special kind of satisfaction that we can feel with regard to fulfilling the pure will. 48 Briefe II, pp. 86 f., RGS 2/2.67, 178 and 191. Reinhold’s early admiration of Herder—and Platner—may have been a source of his use of this term. See the comment on Briefe II, pp. 166 f., RGS 2/2.123, in Bondeli 2008b, p. 349.

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account, he at least never allows the moral option, in the strict way that he understands it, to be called a drive, for he realizes that any such force can hardly make a claim by itself to necessary legitimacy. Reinhold’s excuse for using the term “drive” nevertheless is simply that he stresses that the non-selfish option is not something created by our actual choices but is given to us prior to our choices and so, in being “involuntary”, it is like the drives of nature.49 But even if this negative similarity holds, it carries attention away from how morality has to be conceived positively, if it is conceived in Kantian terms at all—which is to say, in terms of absolutely necessary rules, and not in terms of forces with mere natural necessity. This point is also a reminder of why Kant makes use of the notion of rational beings in general and the possibility of a divine will, even though he also insists that we cannot have theoretical access to rational beings other than ourselves. In using this notion he is not—as Reinhold appears to fear—falling back into a dogmatic or illegitimate transcendent claim. Kant is simply building on the general thought of what it is like to understand necessary rules—whether in logic or morality—as necessary, and then he is adding the observation that such rules would not require of the beings who appreciate them that they have any kind of sensibility, let alone a selfishness drive. This kind of consideration can open us to the idea that the unconditional rules that govern rational beings in general can also be regarded as a feature of the “higher” self, that is, a feature that we could always give primacy to, despite whatever non-essential sides we may also have. 8. This is a significant claim, but one can still wonder if it responds adequately to the basic question of the primacy of reason for us. Do we not still come back to the problem mentioned earlier as an objection to Reinhold, namely, that the non-moral option is also a basic feature of our self, that is, our actual self, and who is to say now that it too cannot maintain a claim over us? In response, it is worth reiterating that Kant also eventually realizes that if the moral option, in contrast to our present situation, were simply the lure of a totally pure and higher kind of being, entirely above us, then whether or not it is called a “thing in itself”, it would be of no help with the basic problem. Precisely the reason that Kant can still hold that the option in favor of moral reason is not just one possibility among others is that the notion of a purely rea49 Briefe II, p. 182, RGS 2/2.134, see also 149.

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sonable being—one who follows and accepts only the rules of a reasonable being in general and therefore would always choose the moral option—is a special part of our own self-understanding and is not the mystical notion of a totally different kind of being in a literally other world. It is the notion of our very own self, operating as it is in principle able to understand that it could and would, if only its sensory hindrances and temptations were put in their place, that is, in their in principle conditional and therefore subordinate place. Furthermore, moral reason is not simply one aspect among others within our self-understanding, for Kant adds that it comes to us originally not through abstract speculation about possible worlds but in the vivid moral feeling that comes with the “fact of reason” in the common experience of feeling respect for the law. This experience is the first step that even “the most common understanding” (“der gemeinste Verstand”) 50 takes in appreciating in effect that our moral self, our pure will (whether or not we choose to satisfy it now), is something that would stay with us in all possible worlds— whereas the feature of being inclined toward, or having to select, sensuous selfish options need not remain with us in order for us simply to be a self and to have a will. The law of the pure reasonable and moral self can thus be easily regarded as not merely belonging to us but as belonging to our deepest and most “genuine” self because— along with the logical and pure categorial structures of our core theoretical being—it is a specific structure that evidently must remain with us in any situation that we might exist in as persons at all. 9. So much for what I believe Kant himself ultimately believes, and is at least allowed to believe without fear of contradiction. To grant even all of this is still not enough to show that the methodological problem of the primacy of reason has been resolved. More needs to be said than just that the voice of reason is also at least a voice that has a special kind of tie to our identity; one should also say something more persuasive for the sake of what Reinhold also regards as the “impartial” dialogical observer within us.51 Even if Kant’s belief in the primacy of the pure reason of our moral self can be made metaphysically and psychologically understandable, it still involves enormously controversial assumptions—whose difficulties have been passed over here—about ab50 KpV, Kant-AA 5.70. 51 Briefe II, pp. 232 f., RGS 2/2.167.

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solute freedom, moral rules, and the limits of natural explanation.52 Kant cannot—and he realizes that he cannot—contend that all those who do not share these substantive assumptions can be argumentatively vanquished by the fact of reason, that is, shown to be violating their own basic rationality. Given Kant’s own fundamental distinction between the rationality of the understanding’s prudential demands, in contrast to the unconditional demands of pure moral reason, agents who choose not to affirm the unconditional demands could still be said not to have lost their rationality. Such agents might even invoke Kant’s first Critique as a lesson that we need not always try to follow the demands of reason, for it appears that at least in some contexts these demands lead into antinomies and fallacies. It is at this very last point that there is a central methodological notion in Reinhold’s work that can be of some further assistance for the Kantian position. This notion itself is admittedly not original with Reinhold, and it too does not amount to anything like a strict deduction of Kantian morality that could be expected to defeat all other rational positions. Nonetheless, the notion can be very helpful in an apologetic context. The notion consists in Reinhold’s especially emphasized reminder that what Critical philosophy basically holds about pure reason is something that does not require any esoteric or mysterious experience but is in fact already recognized by all of us at the level of common “healthy understanding”53. Despite all the clashes of the Critical philosophy with the relativist empiricists and “popular philosophers” of his era, Reinhold repeatedly comes back (especially in places such as the second volume of the Briefe as well as in the second volume of the Beitrge 54) to stress that there is a layer in our common rational life that is not only common but “healthy” (gesund). In particular, he stresses that we can therefore see a natural alliance, which can be constantly built upon, between the healthy, or, one might say, proper functioning, of the lower level of our intellectual equipment, and the higher functioning of our pure philosophical reason, which can conceptually clarify 52 See, for example, Reinhold’s weak response to “materialism”, which assumes that only inorganic items could ever be explained by science, in Briefe II, pp. 331 f., RGS 2/2.219. 53 Briefe II, pp. 68 f., RGS 2/2.54, 11, 198 and 207. 54 See especially the first essay in Reinhold, Beitrge II, “Über den Unterschied zwischen dem gesunden Verstande und der philosophierenden Vernunft in Rücksicht auf die Fundamente des durch beide möglichen Wissens”, pp. 7 – 48.

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and defend the vivid call of conscience experienced at the level of common life. Insofar as he is understood primarily in terms of the appreciation of this methodological point, Reinhold can be said to have a defensible position, one in which he is, in his own way, “walking a tightrope of reason”55. That is, by relying, for his ultimate balance, on the notion of “healthy” reason, he can escape falling into two of his own unfortunate extremes: a later philosophical tendency that separates the necessities of pure reason too much from the situation of the particular human will (and leaves him open to Kant’s criticism), and an early naïve habit that treats philosophical thought as little more than a Leibnizean task of unpacking common concepts by analysis. Reinhold’s Briefe II at least has the virtue of at times pointing to a middle position that goes as far as can be fairly expected for a defense of reason in Kant’s specific highly demanding sense. This is simply the thought that it is at least fully appropriate (in an apologetic and self-defensive rather than imperialistic project) for those who sense that they do in fact hear the voice of reason, to regard that voice as not just one of many voices within their own “genuine” self. Instead, they may properly keep on treating it as what it presents itself as, namely, their common, “highest”, and “healthy” voice, one that can be “honestly”56 responded to as such only by continuing to give it primacy by regarding it in that way—until rationally forced otherwise. Finally, it is also very much to Reinhold’s credit—and in this respect he appears significantly more progressive than Kant—that he sees that this regard should not be understood as a static or dogmatic matter, but must take the form of a defense of itself in terms of what he calls the “pragmatic history”57 of a continuing rational debate with all the relevant alternatives that challenge it up through the present day.

55 Cf. Fogelin 2003. 56 The idea of holding to what one cannot “honestly” doubt would be familiar to Kant from the “Confession of a Savoyard Vicar” in: Rousseau 1762, § 960: “I was resolved to admit as self-evident all that I could not honestly refuse to believe” (résolu d’admettre pour évidentes toutes celles auxquelles, dans la sincérité de mon coeur, je ne pourrai refuser mon consentement). 57 Briefe II, p. 350, RGS 2/2.228.

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References Bondeli, Martin (2008a): “Einleitung”, in: RGS 2/2, pp. VII-LXXXVI. Bondeli, Martin (2008b): “Kommentar”, in: RGS 2/2, pp. 313 – 428. Fabbianelli, Faustino (2004): “Einleitung”, in: Beitrge zur Berichtigung bisheriger Mißverstndnisse der Philosophen, Zweiter Band. Hamburg, pp. IX-CIII. Fogelin, Robert (2003): Walking the Tightrope of Reason. Oxford. Frank, Manfred (1997): “Unendliche Annherung”. Die Anfnge der philosophischen Frhromantik. Frankfurt/M. Irwin, Terence (2009): The Development of Ethics, Vol. 3: Kant to Rawls. Oxford. Lazzari, Alessandro (2004): “Das Eine, was der Menschen Noth ist”. Einheit und Freiheit in der Philosophie Karl Leonhard Reinholds (1789 – 1792). StuttgartBad Cannstatt. Prauss, Gerold (1983): Kant ber Freiheit als Autonomie. Frankfurt/M. Rousseau, Jean-Jacques, mile ou de l’education (1762), in: Bernard Gagnebin u. Marcel Raymond (eds.) Oeuvres completes, t. 4. Paris (1959 – 1995). Stolzenberg, Jürgen (2004): “Die Freiheit des Willens. Schellings ReinholdKritik in der Allgemeinen Übersicht der neuesten philosophischen Literatur”, in: Martin Bondeli u. Alessandro Lazzari (eds.), Philosophie ohne Beynamen. Basel, pp. 272 – 289. Trendelenburg, Friedrich Adolf (1867): “Der Widerstreit zwischen Kant und Aristoteles in der Ethik”, in: Rüdiger Bittner u. Konrad Cramer (eds.), Materialen zu Kants ‘Kritik der praktischen Vernunft’ (1975). Frankfurt/M., pp. 404 – 421.

The fate of Kantian freedom: One cheer (more) for Reinhold1 Daniel Breazeale Abstract: In 1792, in Vol. II of his Briefe ber die Kantische Philosophie, Reinhold presented the outlines of a new theory of human freedom in direct response to certain criticisms of Kant’s practical philosophy. These criticisms concern: the relationship between freedom, the will, and the moral law; the problem of imputing responsibility for immoral actions; the status of morally neutral actions; and the possibility of demonstrating the reality of human freedom. Reinhold’s response hinges upon sharp new distinctions between practical reason and free will (Wille/Willkr) and between the “selfish” and the “unselfish” drives. His new theory, which is grounded upon a frank appeal to the “direct evidence” of common sense, entails that there can be no morally indifferent actions and successfully explains the possibility of free acts that violate the laws of practical law. Various objections to Reinhold’s new theory of human freedom are considered and rejected. “Alle bisherigen philosophischen Systeme, und alle metaphysischen Begriffe ohne Ausnahme stehen mit dem richtigen Begriffe von der Freyheit im geraden Widerspruche.” (Briefe II p. 263, RGS 2/2.183) Die Kantischen Schriften haben den bestimmten Begriff, der das logische Wesen des Willens enthält, nur erst vorbereitet, keineswegs schon geliefert. (Briefe II p. 268, RGS 2/2.186)

The following remarks attempt to engage as fully as possible in the ongoing discussion and debate concerning the content, meaning, and implications of the strikingly original theory of human freedom proposed and defended by K. L. Reinhold in 1792 in Vol. II of his Briefe ber die Kantische Philosophie. In order to accomplish this goal, I will consider and try to respond to a number of specific criticisms that have been leveled against Reinhold’s position, many of them first raised by Reinhold’s immediate contemporaries, above all, by the young J. G. Fichte, and including criticisms made by recent scholars and interpreters. I will argue that many of these criticisms are misplaced and that Reinhold’s 1

Research for this paper was made possible by an Individual Research Fellowship from the National Endowment for the Humanities.

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theory of freedom is not as implausible as many of his readers and critics—both past and present—might have one believe. (Hence the second part of my title, “One Cheer (more) for Reinhold,” which alludes to an earlier effort of mine to provide a limited defense of Reinhold’s theoretical philosophy against the criticisms of Karl Ameriks, in a paper entitled “Two Cheers for Post-Kantianism.”2) With apologies to Shakespeare, my aim in the present paper is not to bury Reinhold’s practical philosophy but to praise him. One thing I will not be concerned with in this paper is tracing the origin and development of Reinhold’s theory of freedom. And indeed, there is no need to do this, since it has already been accomplished in such splendid fashion in the recent painstaking and path-breaking work of Professors Lazzari and Bondeli,3 as well as in the detailed research of Professors von Schönborn, Gerten, Fabbianelli, and Zöller.4 I am immensely indebted to the work of all of these authors, as well as to those who have raised the specific objections to which I shall attempt to reply on Reinhold’s behalf. Reinhold’s account of freedom is, of course, profoundly indebted to Kant’s, but this is not a study of the “influence” of one philosopher upon the other. Instead, it is a systematic presentation, examination, criticism, and evaluation of Reinhold’s theory, and the role of Kant’s practical philosophy in this undertaking is primarily to provide the appropriate theoretical framework and rhetorical foil for understanding and evaluating Reinhold’s remarkable accomplishment. Hence the first part of title: “Kant and the Fate of Freedom.” My limited defense of Reinhold’s new theory of freedom will be developed within the context of a set of specific questions concerning Kant’s practical philosophy—which, of course, Kant was still in the process of elaborating even as objections to the same were beginning to mount. These questions, which were widely and hotly debated in the years prior to the publication of the second volume of Reinhold’s Briefe, concern a number of fundamental issues, including: the precise relationship between practical reason and the moral law; the place of freedom in Kant’s account of morality and the relationship between the pure spontaneity of practical reason, which Kant often simply identified with the will itself and the elective power of free choice or Willkr; the 2 3 4

See Breazeale 2003, pp. 239 – 59. See Lazzari 2003 and 2004, also Bondeli 2008. See von Schönborn 2005, Gerten 2003, Fabbianelli 2000 and Zöller 2005.

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closely related problem concerning the imputability, according to Kant’s theory, of immoral actions; and finally, Kant’s denial that we can have knowledge of the reality of our own freedom and insistence that is instead merely a postulate or matter of belief. The upshot of the debates over these issues in the 1780 s and early 1790 s can therefore be summarized in the following four questions, to each of which the second volume of Reinhold’s Briefe proposes a new and unambiguous answer: (1.) What is the precise relationship between practical reason, the moral law, pure willing, and human freedom? (2.) How can one be held responsible for an action in violation of the moral law? (3.) Are some voluntary actions morally neutral or indifferent, neither good nor bad? (4.) How can the reality and possibility of free will be demonstrated? More specifically, how can we be sure that we are not simply deluded when we think we have acted “freely”? Before proceeding to a consideration of Reinhold’s answers to these questions and from there to a detailed consideration of eight specific criticisms of these answers, let us pause to recall the general outlines of his new theory of human freedom in Briefe II. Perhaps the easiest to do this is simply by citing in full the following succinct summary of the same from Reinhold’s letter to Jens Baggesen of July 23, 1792: Willen ist mir das Vermögen der Person, sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des Triebes nach Vergnügen (des eigennützigen Triebes) zu bestimmen; und Freiheit des Willens das Vermögen der Person, sich dazu entweder durch das Praktische Gesetz oder gegen dasselbe durch Lust oder Unlust zu bestimmen. Vernunft ist das Vermögen, das den übrigen Vermögen Vorschriften gibt. Beim Wollen kommen dreierlei Vorschriften vor: [1] ein Naturgesetz das Begehrens oder diejenige Vorschrift, welcher Lust und Unlust die Sanktion eines Gesetzes gibt, und welche die unwillkürliche Forderung des eigennützigen Triebes betriff, Regel des Begehrens; [2] das Praktische Gesetz oder diejenige Vorschrift, welcher die bloße Vernunft die Sanktion des Gesetzes gibt, und welche nicht das unwillkürliche Begehren, sondern das Wollen betrifft, Gesetz des Wollens, die Forderung des uneigennützigen Triebes an den Willen ist; [3] und endlich die Maxime oder diejenige Vorschrift, welcher die Willkühr oder Freiheit nach dem praktischen Gesetz oder gegen dasselbe sich selbst zum Objekt gibt, Vorschrift zur Erfllung oder Abweisung des Begehrens, Entschluß. Die eine Vorschrift ist hypothetisch notwendig, die andere absolut notwendig, die Dritte frei. Die letzte nimmt entweder das Praktische Gesetz auf oder schließt dasselbe aus. Die eine kann nichts als Gesetze geben, die andere allein dieselben ausführen oder vernachtlässigen. Meine Freiheit ist ber alle Gesetze erhaben, aber sie ergreift das Praktische durch sich selbst, und mit ihm alles, was durch Praktische bestimmt ist, also auch die Überzeugungsgründe vom Dasein Gottes. Die Eintracht mit mir selbst, weil doch die Praktische

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Vernunft zu dem eigentlichsten Selbst in mir gehçrt, ist nur durch Befolgen des Gesetzes dieser Vernunft, aber diese Befolgung nur durch meine Freiheit möglich. Ich kann dieser Eintracht nur mir selbst zu verdanken haben, und ich könnte nie dieselbe erschaffen, wenn ich sie nicht zerstören könnte.5

Several aspects of this new theory immediately leap to the eye: First of all, it clear that Reinhold has already made an implicit break with Kant’s practical philosophy, inasmuch as he explicitly refuses to treat willing is a function of practical reason, but views it instead as the free self-determination of the finite human agent. It is also noteworthy that Reinhold insists on the essence of such willful self-determination lies in the element of choice or Willkr that is an essential element of such self-determination. On the other hand, an equally prominent feature of this new theory is that a free choice is always and only a choice between the competing demands of what Reinhold calls the “selfish” or eigenntzige and “unselfish” or uneigenntzige drives, where the latter is itself a spontaneous expression of practical reason and thus appears within consciousness as a demand of the moral law. Hence every truly free choice must contain an explicit reference to one’s moral obligations. But in striking contrast to Kant, Reinhold insists that the choice itself is not bound by nor completely grounded upon such obligations (even though they must be at least recognized as obligations if freedom is to be possible); but the choice is utterly free and is grounded upon nothing beyond itself: Freiheit der Willkr. As for the reality of such radical freedom: Reinhold explicitly denies that this is a postulate or a matter of mere belief, and instead maintains that we each have immediate knowledge of our own freedom “as a fact of consciousness” and that this fact is universally acknowledged by “healthy common sense.” Not surprisingly, each of the preceding bold claims immediately proved to be as controversial, and all of them remain controversial to this day. So let us now turn to an assessment of Reinhold’s theory. And let us begin our assessment with a consideration of Reinhold’s answers to the four previously indicated questions raised by Kant’s account of freedom, which are as follows:

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Baggesen-Briefe, Teil 1, pp. 220 f., as cited in Klemmt 1968, pp. 128 f. (emphasis added). This letter was composed while Reinhold was in the midst of writing the central portion of Briefe II, that is, the Sixth, Seventh, and Eighth Letters, which contain the fullest exposition of his new theory of the will.

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1. What is the precise relationship between practical reason, the moral law, pure willing, and human freedom? In striking contrast with Kant’s, Reinhold’s answer to this question is clear and unambiguous; indeed, a razor-sharp distinction between freedom and practical reason lies at the very core of his new theory. According to this account, practical reason is indeed a spontaneously self-legislating and purely intelligible faculty of the person, but its product, the moral law (which Reinhold sometimes simply identifies with practical reason), is present within empirical consciousness in the form of feelings of right and wrong and duty. These are experienced by the person as promptings of his “unselfish” drive, which, upon reflection, provides him with a Vorschrift or rule of conduct in the form of a demand or Forderung that requires that the demands of the opposing, sensible or “selfish” drive ought to be subordinated to reason’s own law. Though practical reason is negatively free in its legislation of the moral law, in the sense that it is determined by nothing outside itself, its own spontaneous operation occurs with necessity and is experienced as such by the moral agent, for whom there is nothing “voluntary” about a demand of the moral law. Freedom in the positive sense, on the other hand, refers to a person’s ability freely to determine his own will in response to the demands of his two fundamental drives, each of which he is aware of only as a potential or veranlassende ground of his action. By determining his will he determines himself; and since such self-determianation is supposed to occur freely, then nothing outside of his own Willkr can possibly lie at the basis of his decision, which might very well therefore be described as “groundless”—even if Reinhold himself preferred to say, somewhat gnomically, that “the ground of Willkr is freedom.” The freedom of the will is therefore negative as well as positive: it is the freedom to determine oneself entirely independently of the influence of either the selfish or the unselfish drive. So understood, willing is a property or power only of human agents, not of practical reason. The will is said to be “pure” when it wills in accord with the moral law, and “impure” when it wills in violation of that law’s requirements, either of which is always a real possibility. An impure will is no less free that a pure one. 2. How can one be held responsible for an action in violation of the moral law? The most obvious advantage of Reinhold’s theory of freedom over other “Kantian” theories of the same is the ease with which it can answer this question. An immoral act is simply an act in which one freely

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elects not to follow the Vorschrift of practical reason and to subordinate the demand of the selfish drive to that of the unselfish drive, despite one’s awareness that one’s reason (as expressed in one’s own unselfish drive) demands that one do just that. According to Reinhold, the correct concept of freedom absolutely requires that one be able to determine one’s will freely either in obedience to or in violation of the moral law. On this theory one is absolutely responsible for every act of Willkr, and all such acts always involve a choice between actions guided by a moral or an immoral maxim. Thus, since the Bestimmungsgrund of every free act lies only within a person’s own will, he is always personally responsible for his moral and immoral acts—and equally responsible for each. 3. Are some voluntary actions morally neutral or indifferent, neither good nor bad? It further follows from this new theory that no truly free acts can be morally indifferent, since a condition for the very possibility of such acts is that one be clearly aware in every case of a demand of the moral law with respect to the decision and action in question. As we have observed, a free act of self-determination always involves a decision concerning whether or not to subordinate the demands of the selfish drive to those of the unselfish drive, and thus every free act either does this (and is therefore moral) or fails to do so (and is therefore immoral). Acts that do not involve such a decision regarding the demand of the moral law are therefore not free at all, but are either involuntary responses to some stimulation of the selfish drive or, at best, merely prudential acts, guided by theoretical reason in the service of sensible desire. Though this may be one of the more counterintuitive features of Reinhold’s theory, it is strictly implied by his new concept of freedom. Kant too had made a distinction between “relative” and “absolute” freedom, but whereas the details of his account of the latter are, as we have seen, rather murky, there is no ambiguity in Reinhold’s position: if an act is free, then it is always either morally good or morally bad. 4. How can the reality and possibility of free will be demonstrated? In particular, how can we be sure that we are not simply deluded when we think we have acted “freely”? Reinhold’s answer to this question is, unfortunately, not as unambiguous as his answers to the preceding three, but the general thrust of his response is clear enough. To be sure, he believed that it would take a rigorously constructed new system of philosophy, grounded in a universally conceded and self-evidently true first

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principle, to defend adequately the possibility of the freedom of the will against all possible theoretical doubts, by showing how all of the fundamental faculties of our mind, including the power of freedom itself, can be derived from the first principle in question. Yet Reinhold also assures us that the completion of such an ambitious speculative project is not necessary for the more modest purposes pursued in his Briefe: namely, putting forward, articulating, and defending a new “Wissenschaft der Moral,” one that includes a new and more adequate concept of the freedom of the will, and showing how this new concept allows one successfully to resolve certain pressing problems facing Kantian moral philosophy. This new theory of freedom or “science of morals,” at least as presented in the Briefe, is not itself part of any new, scientific and deductively based system of philosophy, but is instead an independent and provisional theory, explicitly grounded upon descriptions of our basic human faculties or Grundvermögen.6 For the purposes of this new theory, the most important of these powers are (1.) the “lower faculty of desire,” (2.) the law-giving faculty of practical reason, and (3.) the self-determining faculty of free will or Willkür. The evidence for the reality of each of these powers and thus for the accuracy of Reinhold’s descriptions of them is provided by certain alleged “facts of consciousness,” facts of which everyone (or at least everyone who has undergone a minimal amount of psychological development and social acculturation7) is immediately and constantly aware, and which, practically speaking, are not open to any sort of real doubt (though a person may sometimes be shaken by artificial doubts engendered by bad philosophy). Thus Reinhold stipulates that these same facts will be treated as “agreed upon” or ausgemacht for the purposes of this new theory. 6

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I must therefore disagree with Faustino Fabbianelli’s claim, in his paper in the present volume, that Reinhold’s theory of free will, as articulated in Briefe II, “stands under” the Satz des Bewußtseins, which is, of course, the grounding principle of Reinhold’s Elementarphilosophie. There is thus a certain normative dimension to Reinhold’s conception of “healthy common sense,” which has often been overlooked: see, e. g., his declaration in the Fifth Letter that by the term “gesunder Menschenverstand” he means nothing other than “Urtheile der durch richtige oder vielmehr untrgliche Gefhle geleiteten Vernunft” (Briefe II, p. 144, RGS 2/2.106). For an insightful discussion of what he calls the “qualtitativ-praktische Bedeutung” of Reinhold’s concept of “gesunder Menschenverstand,” see Gerten 2003, pp. 160 – 164.

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The first of these generally accepted facts is that we are aware of our intelligible faculty of practical reason and thus of the fact that we possess an “unselfish” or uneigenntzige drive. This, in turn, is something of which we become aware only by reflecting upon another—in this case, immediately given—fact of experience: namely that we are conscious of moral feelings of right, wrong, and, especially, of a feeling of categorical moral duty, a feeling “ought.” Secondly, it is also ausgemacht that we are aware that we posses a sensible power of desire and thus that we possess a “selfish” or eigenntzige drive. This too is something of which we become aware by means of reflection: that is, by reflecting upon those specific concrete desires of which we are immediately conscious and upon those feelings of pleasure and pain which orient our behavior with regard to these same sensible desires. Finally, and for our purposes most importantly, it is also ausgemacht that we are immediately aware that we can in fact freely determine ourselves, i. e., that we possess a power of willkrlich self-determination or “free will.” And this is something of which we do not become aware through reflection upon anything else; instead, we are immediately aware that we can determine ourselves—and we are aware of this through the undeniable fact that we do determine ourselves. According to Reinhold, this is something that we immediately and directly know about ourselves. But we know this as a fact of consciousness not whenever we make any purely empirical choice, guided purely by the faculty of desire (to eat a peach or an apple, for example); instead, we have direct and incontrovertible first-hand knowledge of our own freedom of self-determination only when we are actively engaged in making a choice that includes some direct reference to the demand of the moral law. Ultimately, therefore, moral philosophy and moral practice are both grounded upon precisely the same “knowledge”—our factually based conviction that we are truly free, at least in certain cases and circumstances: namely, whenever we determine ourselves to act either in conformity with or in violation of the demand of the moral law. We are finally prepared to address a number of specific criticisms of this new theory and to consider how one might reply to the same. 1a. No room for freedom of non-moral choice. One of the earliest criticisms of Reinhold’s new theory of freedom, this objections raised by Fichte, first, in 1793 and without mentioning Reinhold by name, in the new § 2 of the second edition of his Versuch einer Kritik aller Offenbarung,

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and subsequently, this time by name, in his 1797 lectures on ethics.8 In both of these texts Reinhold is criticized for having left no room in his theory for ethically neutral or “non-moral,” which is to say purely sensible, freedom of choice, and for insisting that freedom is limited to the choice between self-determination in accordance with the demands either of the selfish or of the unselfish drive. This same objection to Reinhold’s limitation of freedom to morally significant choices is one that is still being raised today, most recently perhaps by Wolfgang Kersting.9 While still agreeing that “wahre Freiheit, eigent[liche] Selbständigkeit findet freylich nur durch Moralität statt,” Fichte nevertheless insists that a human being also possesses the power, purely on his own and simply as an intellect, to reflect upon those natural drives the satisfaction of which depends upon some contribution from him and to freely select which of these he will satisfy, without taking the moral law into account at all.10 And he further argues that this kind of “freedom in the broadest sense” must, in the history of humanity, precede the kind of “true freedom” associated with morality, the acquisition of which requires additional cultivation.11 In contrast, he complains, “nach Reinholds Theo8 See Fichte-AA I/1.135 – 61; see also Fichte’s Collegium ber die Moral im Sommerhalben Jah. 1796, Nachschrift Otto Johann Henrich von Mirbach, FichteAA IV/1.1 – 148. 9 See too Karl Ameriks contribution to the present volume. Like Fichte, Kersting insists that moral freedom should be viewed simply as a special instance of freedom more broadly construed, though, unlike Fichte, he does not consider the former to more “genuine” than the latter, Kersting 2008, p. 105. Kersting further admits that there is indeed an important difference between utterly nonmoral decisions and decisions to act for or against the moral law, namely the presence of a demand that we determine ourselves in opposition to the demands of sensibility. But according to Kersting, Reinhold new theory of freedom as a “fact of consciousness” cannot coherently account for the possibility of such a decision, since one of the two competing demands completely transcends the realm of sensibility and thus cannot in principle appear among the “facts of consciousness.” 10 See Fichte-AA IV/1.77: “Eine solche Wahl Zwischen mehrern Befriedigung[en] ist möglich, geschieht d[urch] Uebergang von d[er] Unbestimmtheit zur Bestimmtheit d[urch]: den Willen, der hier Bewustseyn ist. Demnach ist hier gar keine Rüksicht genommen [au]f Sittlichkeit; sondern es ist blos Genuß für Genuß.” 11 First, we require that cultivation of the will by the imagination through which alone we acquire the higher, though still utterly non-moral, kind of freedom of choice that is involved in selecting appropriate means for naturally given ends (the freedom of prudential reasoning and acting). “Die in dieser Function des Wählens dem Bewußtseyn empirisch gegebene Freiheit der Willkhr (libertas ar-

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rie, wäre also entweder bloße Moralität, oder bloße Immoralität (Bosheit) möglich”.12 This, as we have seen, is quite correct; but in Reinhold’s defense one might point out that his point seems to be that the only occasion upon which we really know that we are free, as an indubitable fact of consciousness, is not when we are choosing from a menu of potential pleasures, but only when we are forced to choose between two radically different Bestimmungsgrnde, one of which we recognize as claiming the authority to tell us what we ought to do. Kersting anticipates this reply, but objects that this claim is incompatible with Reinhold’s account of the utterly willkrlich character of every free choice. I will attempt to respond to this point below, but for the moment the criticism raised by Fichte and Kersting, along with many others, still stands: we are clearly “free” in some sense when we choose which fruit to eat, but perhaps this is not the sense of freedom that is relevant to ethics, which is, after all, what concerns both Reinhold and Kant in the texts we have been considering. 2a. Objections to Reinhold’s incorporation of a theory of drives in his account of freedom. A second criticism leveled by Fichte against Reinhold’s theory is that the terms “eigennützig” and “uneigennützig” are poorly chosen. First of all, some purely sensible drives—e. g., the so-called “benevolent” ones—seem to be clearly “unselfish”; secondly, according to Fichte, every ethical demands already contain a direct reference to the moral agent himself, as is revealed by the “self-respect” that is a product (though never the aim) of moral action. From this it follows that the drive associated with morality is not utterly “selfless” after all.13 On this point, it seems wisest simply to concede Fichte’s point, which conbitrii), die auch bei einer Bestimmung des Willens durch die sinnliche Neigung vorkommt, und nicht blos in dem Vermögen zwischen der Bestimmung nach dem sittlichen, oder nach dem sinnlichen Triebe, sondern auch zwischen mehrern sich widerstreitenden Bestimmungen durch den letzteren – zum Behuf einer Beurtheilung derselben – zu wählen besteht, ist wohl zu unterscheiden von der absolut-ersten Äußerung der Freiheit durch das practische Vernunftgesetz” (Fichte-AA I/1.146, see too Fichte-AA IV/1.77 f.). But we further require the kind of distinctively moral cultivation that is available only through social interaction with other people and institutions. 12 Fichte-AA IV/1.78. 13 This criticism is also developed in § 2 of Fichte’s Versuch, though again without mentioning Reinhold by name, see Fichte-AA I/1.143.

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cerns nothing more than Reinhold’s poor choice of names for the intelligible and sensible drives. Here again, Kersting is in agreement with Fichte, but he raises an even deeper objection to Reinhold’s account of the role of the drives in every act of willing: namely, that Reinhold’s radical distinction between the selfish and unselfish drives involves an unfortunate dualism. Unlike Kant’s, the dualism in question is not between the empirical (a posteriori) and non-empirical (a priori) grounds of action, but concerns instead the content or object of our motivation for acting. As Kersting (again following Fichte) points out, “unselfishness” is not necessarily an a priori predicate, and thus a choice regarding the two drives could be purely empirical or a posteriori. This is just one of the many reasons why the characteristic feature of moral acts, according to Kant, is not their “unselfishness” (with its attendant opposition of egoism and morality) but their rationality. 14 To this objection—namely, that what makes an act moral is not that it privileges the unselfish over the selfish drive, but is rather the practical rationality of the same—Reinhold would surely reply that the unselfish drive, as he understands and explicates it in his Briefe, is really no more than another name for “practical reason” itself: namely, as this is experienced by an actual human being through moral feeling. (Of course, this still leaves him open to another objection, this one raised by Fichte in his Gebhardt review: namely, how do we know that what we experience in this way is not in fact caused by something other than practical reason? We will consider this objection below as well.) Kersting’s strongest objection to the role of the unselfish drive in Reinhold’s theory of freedom is, once again, that its function is undermined by Reinhold’s claims concerning the role of Willkr in “moral choice.” The latter is supposed to be a power utterly distinct from and therefore not determinable by the power of pure practical reason, which is therefore left with nothing to do but issue moral laws. But if this is so, wonders Kersting, then what is there in this moral legislation of reason that can correspond to the “unselfish drive”? A purely legislative reason would possess no practical power of its own and would thus have no binding force for the acting subject; therefore, it could not be experienced as a “drive” of any kind. Similar criticisms have been made by several recent interpreters of Reinhold, whose objections we must now consider before suggesting how Reinhold might respond to them. 14 See Kersting 2008, pp. 102 – 104.

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3a. Reinhold cannot account for the binding force of the moral law nor explain our interest in the same, and this is due to a critical lack of mediation in his theory between practical reason and the will (between the intelligible and the sensible worlds). This criticism too was first raised, at least implicitly, by Fichte in the second edition of his Versuch, where he objects to the lack of mediation in Reinhold’s theory between the intelligible realm (the domain of practical reason and the moral law) and the sensible one (which, according to Fichte, is, in Reinhold’s theory, the domain of the freely selfdetermining will). One of the implications Fichte draws from this alleged deficiency in Reinhold’s account of free will is its inability to explain how reason—in the form of the moral law—could have any real effect upon the will and thus could have any binding force for the moral agent.15 This criticism is also implicit in Günter Zöller’s claim that Reinhold, in his conception of freedom, “egalisiert […] den Status des Vernunftoder Sittengesetzes mit dem des Naturgesetzes,” inasmuch as both drives produce “formal gleichgestellte Vorgaben für die Selbstbestimmung der Willkür.” This, according to Zöller, deprives the moral law of any practical necessity and turns it into a “quasi-theoretisches Gesetz vernünftigen Seins, das erst durch den Sukkurs der Willkür Wirksamkeit erhält.”16 In responding to this significant objection, one might point, first of all, to the indispensible function of Vorschriften and Maximem in Reinhold’s theory. A mere drive—that is, a simple expression of the power of desire, whether “lower” or “higher”—, though indispensible to the free action of the will on Reinhold’s account, is not a sufficient condition by itself; in addition, the intellectual or “intelligible” faculty of reason (which, in this case, includes theoretical as well as practical reason) must also come into play. This is because only our intellectual powers are capable of transforming the promptings of a mere drive into a Vorschrift or rule for action. The incorporation of this essential feature into his account of free self-determination was clearly intended by Reinhold as one way of bridging the yawning gap between (empirical) willing and (intelligible) practical reason, since this shows how every act of willing, though not itself a product of reason, nevertheless always in15 On this point, see Piché 2004, p. 253. 16 Zöller 2005, p. 80. This objection is echoed by Marion Heinz and Karl Ameriks in their contributions to the present volume.

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volves reason for the construction of those rules or laws that alone can provide the material for a free choice within the sensible world.17 Secondly, one could also respond to this objection by pointing out that though the Vorschriften grounded upon the selfish and unselfish drives may indeed by formally equivalent as veranlassenden grounds of action, they are by no means materially equivalent. By this I do not mean simply that they have distinct objects, but rather that the force or demand (Forderung) of each drive is experienced very differently by the deliberating subject, that of the first as a Mssen, on the basis of which one is always free to act or not to act, and that of the second as a Sollen, on the basis of which one is also free to act or not act. But there is a vitally important difference between the ways in which these two sorts of demands are experienced by the acting subject. In the latter case, one recognizes the presence of something that is conspicuously absent in the former: namely, that the demand in question is accompanied by the feeling that—despite one’s freedom to do otherwise and despite the fact that one can do so—one nevertheless ought to determine oneself in accordance with the demand of the unselfish drive (and, in cases where one has failed to do this, that one nevertheless should have done so). In contrast, failure to satisfy a demand of the selfish drive is not typically accompanied by such remorse. In this sense, therefore, it cannot be said that Reinhold has “equalized” the status of the demands in question. This points to an important and often overlooked feature of Reinhold’s account of free choice, one that is closely tied to his incorporation of the unselfish drive or the demand of the moral law into his explication of the power of free choice as a condition for the very possibility of the latter ( just as freedom, in turn, is a condition for the possibility of moral action) 18. Practical reason, it must be remembered is not a power distinct from the person of the free agent, though it is distinct 17 On this point, see Lazzari 2003, pp. 203 ff. 18 See Briefe II, p. 365, RGS 2/2.242: “[…] die Sittlichkeit, die wir entweder gar nicht, oder nur durch das Bewußtseyn unsrer Freyheit kennen […]”. This however does not mean, as Piché seems to think, that Reinhold makes freedom into not only the ratio essendi but also the ratio cognoscendi of the moral law (see Piché 2004, p. 261). The relationship between the two is more complex, indeed reciprocal: One must be aware of the moral law in order to be aware of one’s freedom, since freedom always involves a choice between moral and immoral actions; and one must be aware of one’s freedom in order to become aware of the moral law, since it demands that one freely determine oneself in a certain way.

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from his faculty of free choice. It is still his practical reason, and the laws it issues are issued by and to him. In contrast, he recognizes that the Vorgabe grounded upon his selfish drive do not really have their origin within him at all, but are given to his sensibility by nature. To be sure, he also recognizes that, as a finite agent, he too is a part of nature as well. His sensible drive is therefore also his—but it is not his in the same intimate sense in which this can be said of his unselfish drive, for it is not a product of his own rational spontaneity. According to Reinhold, every person has an innate longing (a longing rooted in reason’s supreme demand for non-contradiction) to unify the various aspects of his self and to reconcile the often opposed demands of his two basic drives. But in the eyes of the free agent himself, these are in no sense “equal” powers, since only one of them tells him how he ought to determine himself. Thus the only way one can succeed in actually “unifying oneself” is not by granting equal weight to the demands of his two drives, let alone by abandoning oneself to the passions, or, per impossibile, by simply eliminating one’s sensible drive altogether, but only by subordinating the demands of the selfish drive to those of the unselfish drive. It thus does not actually seem to be case that Reinhold’s theory of freedom is guilty of having deprived the moral law of its requisite force and binding character for the freely choosing and acting subject. Of course it remains true, as Zöller reminds us, that the moral law acquires real efficacy only if one freely wills to act in accordance with its demands, but this does not imply that “eigentliche Praktizität liegt nur noch vor in der willkürlich freien Entscheidung,”19 Inasmuch as a Vorschrift produced by one’s own reason within consciousness has the unique attribute of “informing” the freely willing subject that he simply ought to determine himself in a certain way, then it would seem to follow that the moral law, purely on its own and prior to any exercise of Willkr, possesses its own kind of Praktizitt, albeit distinct from the more robustly “practical” character associated with the power of the will. Indeed, the charge that Reinhold’s separation of practical reason (or the unselfish drive) and free will deprives the former of any binding claim upon the agent seems to conflict directly with the role of distinctively moral feelings in Reinhold’s moral theory. According to this same 19 Zöller 2005, p. 80.

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theory, our knowledge of the ethical law is not, as some have charged,20 purely theoretical, but is also practical: to be aware of the dictates of this law is not simply to know what it says, but also to know that one ought to act in accord with it. We do not, pace Kersting, first have to choose to recognize the authority of the moral law, and then, in a second act of choice, determine ourselves to obey this law. Instead, simply by virtue of the utterly distinctive feelings it produces in us, the moral law already possesses a certain efficacy within our consciousness. Even though we always remain free not to transform the Vorschrift of practical reason into a maxim, and are thus always free not to act in accord with this law, we are not free to eliminate our awareness of its demands or to deny its unique authority. According to Reinhold, one always knows when one has violated the moral law, a fact that is announced by feelings of guilt and remorse (which thus may be said to provide additional evidence of the “efficacy” of practical reason). Thus, though it is true, as Kersting asserts, that “in der Reinholdischen Philosophie bedarf der überlegene Handlungsgrund jedoch immer noch einer ausdrücklichen Aufnahme in den Willen, eines eigenen Gewolltseins, um praktische Wirkung zu entfalten,”21 this does not imply that the moral law does not possess any practical authority for the willing subject.22 We shall return to this point below. As for the more general charge that this theory lacks any adequate account of the interaction or mediation between the intelligible and sensible realms, Reinhold would surely have been perplexed by this ob20 See Zöller 2005, p. 80, for example, characterizes Reinhold as having transformed the moral law into a “höhere Naturgesetz” and having carried out a “Naturalisierung und Theoretisierung des Vernunft- oder Sittengesetzes”. 21 Kersting 2008, p. 109. 22 One must therefore question Zöller’s reference to “Reinholds äquidistante Positionierung der freien Willkür zwischen Vernunft- und Sinnentrieb” (Zöller 2005, p. 81). It is certainly true that Reinhold describes Willkr as free to choose between the demands of these two drives, but, as I have tried to indicate, he does not characterize the position of the faculty of free choice as “equidistant” from both drives; on the contrary, the unselfish drive always possesses, even prior to free choice, a certain claim on the person that the selfish drive lacks, precisely because the latter is not a product of the person’s own activity as practical reason. Remarkably, Kersting characterizes free choice in the same misleading manner: “Der Wille verhält sich vielmehr indifferent gegenüber den beiden Optionen, die seinen Freiheitsraum definieren. Er befindet sich als Drittes in Äquidistanz zu Sittengesetz und Sinnlichkeit” (Kersting 2008, p. 109).

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jection, inasmuch as he thought that one of the great advantages of his theory over Kant’s lay precisely in the way that his new account of freedom at least attempts to bridge the gap between these two realms. It does this, first, by connecting the intelligible faculty of practical reason to a drive that is empirically present in consciousness through moral feelings, and, second, by connecting the freedom of choice to both sensibility and reason, inasmuch as the function of Willkr in this theory is strictly limited to the choice between satisfying the demands of the selfish or of the unselfish drive. Thus, in response to Fichte’s canard, Reinhold could say that what he accomplished was not simply to “drag the intelligible down into the realm of the sensible,” but at the same time to elevate the latter into the realm of the former. In other words, what he at least thought he had accomplished was to identify transcendental with empirical freedom by showing that the power of free will could not be intelligible without also being sensible and could not be sensible without also being intelligible (keeping in mind, of course, that such freedom is actually experiencable only in cases of moral or immoral self-determination). This was precisely the point of his boast to Baggesen, “daß ich mich sogar über den Begriff von Sittlichkeit von Kant entferne, indem ich mir ohne Sinnlichkeit keine Sittlichkeit denken kann.”23 To be sure, one may still object to the rather formulaic and abstract manner in which Reinhold actually sat about demonstrating this claim, or complain about his excessive reliance upon the controversial evidence of commonsense moral feelings and other assorted “facts of consciousness.” But one must at least recognize and perhaps even applaud his intention not, as some have charged, to deepen the Kantian dualisms of the intelligible and the empirical, freedom and nature, Sittlichkeit and Sinnlichkeit, but, rather, to overcome them in a new theory of concretely free moral willing. Indeed, if the new concept of freedom as radical choice is the single most obvious and dramatic innovation in Reinhold’s new practical philosophy, surely the second most important one is his effort to establish what one might describe as a quasi-reciprocal24 rela23 Letter of Reinhold to Baggesen of March 28, 1792, as cited in Lazzari 2004, p. 312. 24 This relationship of mutual dependence appears to be only “quasi-reciprocal,” because, whereas Sittlichkeit is, according to Reinhold, impossible without Freiheit and Freiheit impossible without Sittlichkeit, and whereas both Sittlichkeit and Freiheit are impossible without Sinnlichkeit, it would seem that Sinnlichkeit is possible on its own, without either reason or freedom.

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tionship, not simply between Sittlichkeit and Freiheit, but between both of these and Sinnlichkeit. 4a. Some perceived problems with Reinhold’s account of free decision making a. The “irritating doubling” of acts of willing. According to Wolfgang Kersting, Reinhold’s account of the free exercise of the will, with its attendant distinction between the negative and the positive freedom of the will, involves nothing less than eine irritierende reflexive Doppelung. Wir bestimmen uns zur Selbstbestimmung. Dabei gilt, daß die Ausgangsselbstbestimmung, der Akt des freien Willens, sich von der Folgeselbstbestimmung, der Befolgung des Sittengesetzes um seiner selbst willen, unterscheiden muß. Zeigt sich diese in der grundsätzlichen Freiheit, überhaupt durch nicht-empirische Handlungsgründe zum Handeln bewegt zu werden, so ist erstere das Vermögen, eben von dieser grundsätzlichen Freiheit, moralische Einsichten praktische Wirksamkeit zu verliehen, Gebrauch zu machen.25

Kersting thus interprets Reinhold to be claiming that before we can freely determine ourselves to act either in accordance with or in violation of the moral law we first have to choose to acknowledge the force of the latter for us—“der objektiven Vorzugswürdigkeit der Moral Tribut zu zollen”26 To employ Reinhold’s own technical vocabulary, this means we first have to will freely to recognize the Vorschrift of the unselfish drive as a veranlassende ground of our action before we can then freely will to transform it into an actual maxim for our conduct and thus into a Bestimmungsgrund of the same. Any other account, according to Kersting, would violate Reinhold’s conception of the utterly willkrlich freedom of the will. This allegedly Reinholdian account of moral willing is incoherent, according to Kersting, because it fails to recognize that reason is, all by itself, already practical, and does not need to have efficacy bestowed upon it by any act of free choice. But, as we have just seen in our discussion of the preceding objection, this characterization of Reinhold’s theory is inaccurate, since Reinhold contended that we actually do and indeed must recognize the “binding character” of the moral law prior to engaging in any act of free self-determination, and therefore we do not first need to make a free choice to endow it with this character. Again, this would seem to be the whole point of his appeal to 25 Kersting 2008, p. 108. 26 Kersting 2008, p. 109.

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“moral feelings,” as well as the gist of his doctrine of the “unselfish drive.” Simply as a “drive,” practical reason (like the sensible or selfish drive) already possesses (in collaboration with our purely theoretical power of thinking) a certain Wirksamkeit, namely the capacity to present consciousness with the moral law as a veranlassende ground of action, with a Vorschrift for conduct, which it is then up to the freedom of the person to transform or not to transform into a maxim, and thus into a determing ground of action. Moreover, as we have also already noted, the unselfish drive possesses by virtue of its deontic character an additional efficacy for the willing subject that the selfish drive utterly lacks. Nevertheless, the efficacy of practical reason does not and cannot extend to the actual determination of the will; for if it did—and this is surely the main point of Reinhold’s new theory and one that he never misses an occasion to repeat—then the will would not be free. I therefore find Reinhold innocent of the charge of having introduced a new theory of freedom that requires an “irritating doubling” of free acts of selfdetermination. Of course, there is a sense in which free decision making does or can involve a kind of “doubling.” One can for example, through an act of free will, resolve to obey the moral law more faithfully (or to be more honest, more considerate of others, etc.), and this general resolution can then play an important—albeit never determining—role in one’s subsequent, concrete decisions to determine oneself in a certain way in a certain circumstance. This, however, does not appear to be what Kersting has in mind, nor do I believe that this kind of “doubling” of choice raises any special problems for Reinhold’s theory. b. The “little man inside” and the threat of infinite regress. Günter Zöller is responsible for unveiling the alleged necessity in Reinhold’s theory of positing within the moral agent the presence of a mysterious “Menschlein” who actually makes those ungrounded decisions by means of which a person determines himself, and thus for revealing “die homunkularen Implikationen von Reinholds Einführung der Willkürfreiheit”27. And this, he correctly observes, threatens to raise the specter of an infinite regress; for if an inscruitable “homunculus” must be invoked in order to account for our decisions, then what accounts for his? Presumably, what Zöller means to call our attention to in this amusing manner is simply the incomprehensibility of radically free choice on 27 Zöller 2005, p. 82.

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Reinhold’s account. If, after all, the power of Willkr is groundless (or, alternatively, has its ground purely within itself), then what more can one say about it other than that it simply acts in a certain way, without claiming to understanding why it does so? Like a so-called “black box” solution to an engineering problem, Reinhold’s account of free will specifies what Willkr does without saying anything about how it does this. This, however, is something Reinhold confesses quite willingly and often in his Briefe: namely, that his new theory does not even pretend to explain something that is—for ordinary common sense, if not for some future, improved Elementarphilosophie—simply inexplicable. From the standpoint of the Briefe, the freedom of the will is not simply a Tatsache; it is also a Geheimnis—and a good thing too, since if philosophy (or natural science) could ever successfully “explain” this fact, that is, explain why Willkr determines itself in one way rather than another, then freedom, as both Reinhold and ordinary common sense understand it, would be abolished. (Perhaps this also suggests why Reinhold never actually constructed the new scientific system of philosophy, centering on the concept of freedom, which he had forecast in these same Briefe.) c. Ultimately, Reinhold’s theory of the will amounts to a kind of irrational “decisionism.” Perhaps what Prof. Zöller may really be objecting to in Reinhold’s theory is precisely the rational incomprehensibility of the grounds of free choice within this theory—or rather, Reinhold’s candid admission that there simply are no such grounds. Both he and Prof. Kersting appear to chide Reinhold for embracing a theory of free will that positively revels in the “Grundlosigkeit” of the same and thus amounts to an arbitrary and irrationalist decisionism. 28 But of course, as both of the 28 “Entweder muß er moraldifferente Willensgründe angeben, die erklären, warum der freie Wille den eine Entscheidung veranlassenden moralischen Handlungsgrund zur Bestimmung zuläßt, oder er muß die Grundlosigkeit der Moralwahl einräumen” (Kersting 2008, p. 109). “Da es keinen moralneutralen Grund gibt, die moralische Willensbestimmung zu wollen, ist das Wollen der sittengesetzlichen Handlungsdisziplinierung, ist der den überlegenen moralischen Handlungsgrund mit praktischer Wirksamkeit ausstattende Willensakt grundlos, irrational. Die Optionalisierung des Sittengesetzes liefert dieses der Irrationalität des freien Willens aus. Durch den freien Willen zur Bestimmung zugelassen zu werden, aus dem Veranlassungszustand in den Bestimmungsstand erhoben zu werden, ist so unerklärlich wie ein Gnadenakt” (Kersting 2008, p. 110). “Doch ändert dies nichts an der tieferen Grundlosigkeit des willkürli-

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scholars know only too well, that is preicisly how Reinhold, in these Briefe describes a free act: namely, as groundless—or as having its ground in freedom itself (which, to be sure, is hardly an enlightening clarification29). Of course, just because Reinhold appears—if only indirectly— to concede the “groundlessness” of a truly free decision, this does not mean there are no problems with such a position, and many readers over the years have surely shared these critics’ frustration with Reinhold on this score. If the label “decisionism” is meant to imply that Reinhold’s new theory treats the operations of the will as wholly irrational, then a response to this criticism might begin by once again calling attention to the vital role played by reason itself in Reinhold’s account of free decision making, inasmuch as it is reason, not will, that actually constructs those rules of conduct that are the promixate objects of Willkr. 30 chen Freiheitsgebrauchs bei Reinhold, die dessen Position, wo nicht als Indeterminismus und Indifferentismus, so doch als Dezisionismus erscheinen läßt” (Zöller 2005, p. 81). One must be careful not to confuse this kind of “decisionsism” (or “voluntarism”) with another kind of “decision,” one often (though mistakenly) ascribed to Fichte: namely, the view that one must “decide” for or against the reality of freedom itself, purely on the basis of self-interest. As Michael Gerten 2003, p. 162, has pointed out, Reinhold decisively rejects the latter position, since for him freedom is a fact of which we possess knowledge. 29 To be sure, there is a difference between saying that a free decision is “groundless” and saying that it is “grounded upon freedom,” in the sense that one might argue that the concept of freedom itself is sufficient to provide the free agent with a criterion for its own decision making. This is the strategy elaborated with some success by Fichte in his System der Sittenlehre, but it remains entirely undeveloped in Briefe II, in which Reinhold makes no effort to indicate what it might actually mean for an action to have “its ground in freedom” and nor to explain how this differs from saying that it simply has no ground at all. 30 Near the end of the Eighth Letter Reinhold takes note of a different way in which our Denkkraft is related to the exercise of free will, not through the medium of reason’s of self-legislated rules or laws, but rather by empowering the person with an essential faculty of reflection, without which one could never become aware of one’s own power of free will nor of the moral law (which, of course, are for Reinhold, as for Kant, always conjoined within consciousness). According to this account, before one can become aware of the latter faculty, one must first reflect upon the demands made by one’s empirical, selfish drive. This act of reflection (not of willing) places one in a new “Mittelzustand” between instinctive desire and an act of Willkr and thus facilitates a person’s transition from a purely passive to an active state. Moreover, it is only when one occupies such a “middle state” that one acquires the power of intellectual cir-

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This consideration however, is unlikely to satisfy Reinhold’s critics, since it will still be the case that one can point to no reason for the will to choose one rationally constructed Vorschrift over another. What then is the real graveman of this charge against Reinhold? Perhaps Kersting’s objection come closest to the mark: by separating the free will from from the legislation of practical reason, Reinhold simply cannot explain why one chooses to act in accordance with the demands of the moral law, and such a decision “ist so unerklärlich wie ein Gnadenakt”31. Just so!—which is of course is not to suggest that Reinhold himself would have been happy with this description. Instead, he would no doubt, as I have tried to do above, point to various other factors—such as the binding character of the moral law as revealed through moral feelings, or the underlying demand on the part of a person for a unified character—that are certainly relevant to the decision to act morally, but still cannot explain it, inasmuch as they are not, by themselves, sufficient to convert a veranlassenden Grund of action into a Bestimmungsgrund of the same. This, however, may simply be the price one must pay for a fullblooded theory of the radical, willkrlich freedom of the will. Until the twentieth century at least, most such theorists have gone to great lengths to disguise this conclusion as much as possible. Yet it is a conclusion that seems quite inescapable: a free choice is by its very nature inexplicable; nevertheless, we are fully and personally responsible for such a choice, since it is in the deepest sense ours. Thus I would suggest that a properly Reinholdian rejoinder to the objection that his theory implies a kind of radical “decisionism,” which views each person’s self-determination with respect to the demands of the moral law as at once free and rationally inexplicable, would be similar to the reply he is reported to have made to Fichte’s complaint that he had not explained how intelligible freedom could produce any sensible appearances: “es komme darauf ledigl[ich] an[,] so absurd das auch sey”! 32 cumspection or Besonnenheit that, in turn, makes it possible to become conscious of the demands of the practical law as these are immediately expressed through ethical feeling. Until this has occured, asserts Reinhold, “hat auch kein Wille, hat nicht die Person als Person gehandelt” (Briefe II, p. 205, RGS 2/2.205). 31 Kersting 2008, p. 110. 32 “Er sagte mir wieder das was ich dir beschulidge[,] er habe bey d. Willen in d. Erscheinung auf d. Naturnotwendigkeit keine Rüksicht genommen – d. h. wie die einzelnen Handlungen[,] bey denen d. absolute Ursache d. Freyheit gar

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5a. The charge of “psychologism” or “naturalism,” as evidenced by Reinhold’s reliance upon commonsense “facts of consciousness” to ground his account of freedom. a. The critique of any philosophical appeal to facts of consciousness. Along with the charge of irrationalism, perhaps the most widespread objection to Reinhold’s new theory of freedom in his Briefe is that instead of making any effort to derive the elements of his account from philosophical first principles, in the manner expected by readers of the various presentations of his Elementarphilosophie, he instead bases it frankly upon what he claims are certain universal and undeniable “facts” of human consciousness—including (1.) the urgent promptings of sensible desire; (2.) distinctive “moral feelings,” such as those of right, wrong, duty, and regret, all of which seem to make some claim upon the exercise of our freedom; and, of course, (3.) the immediate feeling of freely determining one’s actions, entirely on one’s own, independently of any objective but merely veranalassenden grounds or reasons—including the claims of the moral law. It is on the bases of such “facts” that Reinhold then discovers and analyzes the various Grundvermçgen of sensible desire, reason (both theoretical and practical), and free will. Within the context of the Briefe, these basic powers of the mind function as ultimate explanatory principles. But in every case, including that of our allegedly “intelligible” power of rational self-determination, as well as our intelligible/sensible power of “absolute freedom,” the evidence for positing the same is purely empirical, indeed, psychological, since the “facts” in question are always facts of consciousness, allegedly available to everyone within inner experience. Once again, the first person to object to this grounding procedure and to point out how illegimate it appears from the point of view of pure transcendental philosophy, was Fichte, though similar charges of “psychologism” and “naturalism” echo through much of the more recent literature on Fichte and have been repeated by, among others, Faustino Fabbianelli,33 Günter Zöller,34 and Georg Wallwitz.35 Indeed, nicht sichtbar sey – sich diese mit d. Naturcausalität vereinigen lasse – er sage[,] es komme darauf ledigl. an[,] so absurd das auch sey’” (from the report of Reinhold’s student Herman Coch in a letter to his fellow student Johann Smidt, 10 January, 1794, in Fichte im Gesprch, 6/1.31 (emphasis added). 33 According to Faustino Fabbianelli, Reinhold was unable to escape “von einer psychologischen Auffassung der Freiheit” precisely “weil seine Diskussion auf bloßen Tatsachen des Bewußtseins gegründet bleibt” (Fabbianelli 2000, p. 441, see also 442 f.).

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this seems to be one point about which virtually everyone can agree. In his 1793 review of Leonhard Creuzer’s Skeptische Betrachtungen ber die Freyheit des Willens 36 Fichte formulates this objection in terms of a distinction (which he claims Reinhold has simply overlooked) between the will’s act of determining itself (das Bestimmtwerden) and the determinate, empirical state that is the product of this free act (das Bestimmtsein). Whereas the latter state is sensible, the former act of free self-determination must be purely intelligible, inasmuch as it is supposed to be negatively free from the influence of any sensible cause. Fichte then proceeds to criticize Reinhold for having overlooked or confused this vital difference.37 Only the product of free will, that is, some determinate state of the I, actually appears within human consciousness as a “fact” and hence as an object of knowledge, whereas the act of free Willkr itself can never appear within consciousness and is, says Fichte—here obviously following Kant—only assumed as a postulate of the moral law and hence is an object of faith. 38 Moreover, by treating our experience of freedom as a product of intelligible willing, Reinhold is further guilty of misapplying the principle of sufficient reason (the law of causality) to the intelligible realm, where—again, as Kant has shown—it can find no purchase.39 “So zieht man ein Intelligibles in die Reihe der Naturur34 As Zöller puts it, whereas Kant moved, as the chapter headings of the second Critique plainly suggest, from popular ethical wisdom to the metaphysics of morals and then to a critique of practical reason, “verbleibt die praktische Philosophie bei Reinhold im Feld der Tatsachen des sittlichen Bewußtseins und von deren logisch-analytischer Erhellung im Rahmen von Moralpsychologie” (Zöller 2005, p. 80). So interpreted, Reinhold’s Briefe is not a contribution to philosophy at all, but rather to empirical psychology. 35 Wallwitz 1999, p. 131: “Reinhold hingegen betreibt eine Renaturalisierung des von Kant in der intelligiblen Sphäre angesiedelten Freiheitsbegriffs.” 36 See Fichte-AA I/2.1 – 14. 37 Fichte-AA I/2.9: “Es ist nemlich zu unterscheiden zwischen dem Bestimmen, als freyer Handlung des intelligiblen Ich; und dem Bestimmtseyn, als erscheinendem Zustande des empirischen Ich.” 38 See Fichte-AA I/2.9 f. At this point Fichte had not formulated the new standpoint of the Wissenschaftslehre, and thus he simply repeats the Kantian orthodoxy regarding freedom as a merely postulated object of faith. This will no longer remain the case for him after 1794, when moral freedom is deduced from the original and immediately known self-activity of the freely self-positing I. 39 The only way Fichte could propose to bridge this same gulf in 1793 was by having recourse to a version of the doctrine of pre-established harmony between the sensible and intelligible realms. Indeed, there is some doubt whether he ever escaped from this strategy. As Zöller nicely proposes, his solution to the

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sachen herab, und verliert dadurch, es auch in die Reihe der Naturwirkungen zu versetzen; ein Intelligibles anzunehmen, das kein Intelligibles sey.”40 Even if, as I have been trying to do, one resists Fichte’s characterization of Reinhold as having simply “dragged” the intelligible down into the realm of the sensible, his basic criticism still stands, though now it concerns Reinhold’s alleged failure to provide any mediating link between these two utterly different realms. This echoes a criticism that was already implicit in § 2 of Fichte’s Versuch: Reinhold’s theory of freedom provides us with no way of understanding the necessary “interaction” between intelligible Willkr and the sensible products of the same. As Claude Piché has pointed out in his insightful study of Fichte’s early writings,41 the absence of such a “mediating link” means that the “fact” to which Reinhold appeals in order to establish the reality of the power of free will, might very well turn out to be—as Hume famously thought it always was—no more than one’s experienced lack of awareness of the real, but empirical, determining causes of one’s action. This, as Fichte realized, seems to imply that Reinhold’s apparently robust defense of human freedom is incapable of defending itself against attacks from proponents of natural determinism, since the empirical subject has immediate “factual” access only to the alleged “effect” of an inexperiencable act of free self-determination, which, in turn, is supposed to be the “cause” of the former. In defense of Reinhold on this point one might say that Fichte and the other critics have in this case simply overlooked or misunderstood one of the most characteristic and original—and, in my view, most interesting—features of Reinhold’s new theory (and one already mentioned above): namely, its determination to bridge the yawning gap excavated by Kant between the intelligible and sensible realms. It is—for better or for worse—precisely Reinhold’s claim that we just do have an inner experience of something that we at the same time recognize to be an effect of what we might call our own “intelligible faculty of empirical problem of the harmony between these two realms in the mature works of his Jena period, including the Sittenlehre, might perhaps better be thought of as involving a “system of self-established harmony” (Zöller 1998, pp. 64 f.). 40 Fichte-AA I/2.10. For detailed analysis and discussion of the criticism of Reinhold in Fichte’s Creuzer Review see Piché 2004, pp. 253 – 259 and Wallwitz 1999, pp. 130 – 134. 41 See Piché 2004, pp. 255 – 258.

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self-determination,” and thus that we are aware of our own transcendental freedom as a “fact of consciousness.”42 As Alessandro Lazzari has observed, Reinhold’s new theory implies that the very idea of a completely “pure will” in the sense presupposed by Fichte’s (profoundly Kantian) criticism in the Creuzer review is itself unintelligible. For Reinhold any theory of human freedom that does not make reference to the sensible appearance of the will and its sensible effects simply will not do, since it is incompatible with the evident “facts of consciousness.”43 Martin Bondeli has made a similar point: that an orthodox Kantian insistence upon preserving the “purity” of freedom as an intelligible act threatens to eliminate the very possibility of any robust (i. e., sensible) existence of moral freedom. Thus Reinhold’s appeal to facts of consciousness and his insistence that the sensible drive is an essential constituent of any exercise of free will should be viewed not as a betrayal of sound philosophical principles and procedures, but rather as a deliberate strategy for preventing the moral subject from dissolving into an empty ens rationis of theoretical reason or a Phantasiegebilde of practical reason.44 Unsurprisingly, Reinhold himself was flabbergasted by Fichte’s charge that he had failed to offer a comprehensible account of how an intelligible cause might have an empirical effect, that is, by the accusation that he had failed to provide any mediation between these two realms. According to a report from one of his students, he defended himself from this charge, first, by claiming that this was a problem for metaphysics not ethics, and therefore not one he had to address in the Briefe,45 and secondly (in a passage that I have already had occasion to 42 See Briefe II, pp. 263 f., RGS 2/2.184, Reinhold unambiguously declares that we comprehend the freedom of the will only from its effects, and that it is the latter alone that can be correctly be described as facts of consciousness. 43 Lazzari 2004, p. 312: “[…] im Grunde handelt es sich um einen einzigen Kritikpunkt: Sinnlichkeit ist konstitutiv für eine in sich konsistente Auffassung der Sittlichkeit und eines freien Willen, was Kant aber nicht sehe.” 44 Cf. Bondeli 2001, p. 251. 45 See the passage in the Dec. 6 – 7, 1793 letter from Hermann Coch to his friend Johann Smidt, in which he reports the following reaction of Reinhold to Fichte’s Creuzer Review: “das einzige sagte er [Reinhold] könne er ihm nicht vergeben, daß er [Fichte] ihn darüber tadle er habe in s. Briefen bey d. Lehre v. d. Freyheit nicht auf d. Naturnotwendigkeit – Rucksicht genommen – er wundert sich daß H. Fichte darüber etwas sagen könne – er habe mit voller Ueberzeugung davon geschwiegen weil diese Frage blos in d. Metaphysik gehöre – u er dort nur d[ie] Moral abhandle” (Fichte im Gesprch, 6/1.24).

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cite), by declaring that even if one finds oneself unable to “explain” the relationship between intelligible freedom and the sensible appearances of the same, nevertheless, “es komme darauf ledigl[ich] an[,] so absurd das auch sey.”46 b. The kind of radically free choice posited and required by Reinhold’s theory is not—in fact—a “fact of consciousness” at all. Even if we are willing to recognize the legitimacy of an appeal to the evidence of a peculiar kind of “fact of consciousness,” by means of which an intelligible power transforms itself into a sensible appearance—as is the case, perhaps, with the eigenartig feeling of moral duty—one may well question, as does, e. g., Wolfgang Kersting, whether we really have any experience of the kind of radically unbound freedom of choice presupposed by Reinhold’s theory. Thus Kersting asks: Wie aber soll etwas erfahren werden können, das das Vermögen beinhaltet, sich für oder gegen erfahrbare sinnliche Handlungsmotive entscheiden zu können? Wie soll ein Vermögen erfahrbar sein und zum Tableau personaler Selbstverständigung werden können, das die alle Selbsterfahrung überschreitende Kompetenz der Person begründet, moralisch zu Handeln? 47

To this question, once again, I believe Reinhold might well reply by frankly confessing his inability to explain how this occurs, while insisting nevertheless on the “fact” that it does. In developing his objection, Kersting compares the kind of experience of freedom required by Reinhold’s theory with our everyday experiences of “freely” choosing which goods to buy in the supermarket or deciding whether to go to the theater or to the cinema. From this he concludes that, when it comes to the kind of non-trivial and morally momentous decisions that alone constitute free choices according to Reinhold’s account, “kann von einer intuitiven Freiheitsüberzeugung nicht mehr ausgegangen werden. Gerade diese Freiheit ist nicht mehr introspektiv erfaßbar.”48 But this, of course, is less a criticism than a counter-assertion. Perhaps one should not be so quick to conclude that since there is such a radical difference in kind between these two kinds of “freedom” and since the first can obviously be “experienced,” then the second simply cannot be experienced. It may well be true that instances of this second kind of “ex46 Coch to Smidt, 10 January, 1794, in Fichte im Gesprch, 6/1.31. 47 Kersting 2008, p. 106. 48 Kersting 2008, pp. 106 f.

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perience” of the “fact” of freedom are not quite—or perhaps, not nearly—as common as Reinhold’s Briefe might seem to suggest. But even if this is so, this could just be another way of saying that the great majority of our “free choices,” including our everyday, so-called “moral” choices—are really not free at all, since we very often do not actively consider the fact that we are utterly, radically free not to obey the moral law in any particular case, but simply continue to act as we previously have. Such habitual moral behavior is, of course, not “free” at all in Reinhold’s sense. This, however, does not imply that the experiences in question never occur or that they are impossible. What I am suggesting, therefore, is that this criticism may very well betray an unnecessarily narrow conception of “inner experience” and of what is erfaßbar therein. What is perhaps called for in this case is something entirely lacking in Kant’s practical philosophy, something that might be described as an “aesthetic of practical reason.” This, like the transcendental aesthetic of theoretical reason, would involve no deductions or derivations, but would begin with the frank, factually grounded assumption that we possess certain Grundvermçgen (much as the Kritik der reinen Vernunft begins with the assumption that we have two and only two faculties of experience: sensibility and understanding). It would then attempt to describe the ways in which we are conscious of these faculties and how products of the same are actually encountered within experience. In this case, however, we would be dealing not with intuitions of space and time, but, rather, with our immediate consciousness of desiring and willing—to be followed, perhaps, by Erçrterungen of the same. In other words, what might be needed in order to respond to objections such as Kersting’s is a more careful description than we find in Reinhold’s own writings of our actual experience of freedom as a “fact of consciousness” and a more nuanced account of the varieties of the same. One place one might turn to find such descriptions of our “experience of freedom” might be to the writings of later “philosophers of human freedom” and “moral phenomenologists” such as Kierkegaard, Heidegger, Scheler, and Sartre and to their detailed descriptions of “feelings” such as Angst, shame, humiliation, and guilt—though an even richer lode of inspiration and evidence might well be found in the more purely literary efforts of authors such as Dostoevsky, Melville, Musil, Gide, or Camus. c. Reinhold fails to demonstrate the possibility of practical reason or to prove that reason really can be practical. Intimately associated with the claim that

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Reinhold is guilty of a philosophically illicit reliance upon facts of consciousness to ground his new theory is the charge that it therefore fails to do what any philosophical theory of morality and freedom absolute must do: namely, demonstrate that reason is practical, thereby establishing not merely the practical reality but also the theoretical possibility of freedom. Once again, it was Fichte who first raised this objection, primarily in his 1793 review of F. H. Gebhardt’s Ueber die sittliche Gte aus uninteressirtem Wohlwollen. After criticizing Reinhold’s attempt to ground the reality of transcendental freedom upon our awareness of a state of consciousness that is allegedly the product of this intelligible faculty, Fichte then proceeds to point out that the only way that we can be sure that the mental state in question really is a product of freedom and not of some unknown empirical cause would be by means of a philosophical, which is to say, transcendental, deduction of the power of free will from a higher and self-evident principle—and Fichte even suggests that the principle of such a deduction should be the same one employed by Kant in the transcendental deduction of the first Kritik, namely, the unity of self-consciousness, a unity which, for Fichte, includes the unity of the theoretical and practical activities of the I.49 So far as I can tell, none of the contemporary critics of Reinhold’s alleged “psychologism” fault him for not having successfully “deduced” freedom from any higher principle or faculty, though presumably this is 49 “Der wesentliche Unterschied eines solchen Systems [i. e. Adam Smith’s “ethics of benevolence”] vom Kantischen wäre der, daß in jenem das sittliche Gefühl zwar auch Wirkung der Vernunft […], aber der theoretischen; […] in diesem aber dasselbe Wirkung einer Vernunft wäre, welche in dieser Function unter keiner andern Bedingung stünde, als unter der Bedingung ihres eignen Wesens (der absoluten Einheit, und mithin Gleichförmigkeit) einer praktischen Vernunft. Dieses letztere nun läßt sich weder für eine Thatsache ausgeben, noch irgend einer Thatsache zur Folge postuliren, sondern es muß bewiesen werden. Es muß bewiesen werden, daß die Vernunft praktisch sey. Ein solcher Beweiß, der zugleich gar leicht Fundament alles philosophischen Wissens (der Materie nach) seyn könnte, müßte ungefähr so geführt werden: der Mensch wird dem Bewußtseyn als Einheit, (als ich) gegeben; diese Thatsache ist nur unter Voraussetzung eines schlechthin unbedingten in ihm zu erklären; mithin muß ein schlechthin unbedingtes im Menschen angenommen werden. Ein solches schlechthin unbedingtes aber ist eine praktische Vernunft: – und nun erst dürfte mit Sicherheit jenes, allerdings in einer Thatsache gegebne sittliche Gefühl als Wirkung dieser erwiesnen praktischen Vernunft angenommen werden,” ([Rezension:] Ueber die sittliche Gte aus uninteressirtem Wohlwollen, Fichte-AA I/2.27 f.; see too Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.399).

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indeed what would be required in order to avoid the reliance upon facts of consciousness that is such a conspicuous feature of the Briefe. Reinhold himself appears to have been of two minds on this subject. On the one hand, as we have already had occasion to observe, there are several passages in which he seems to view the theory developed in the Briefe on the basis of commonsense evidence as no more than a provisional one, which would eventually be replaced by something very similar to what Fichte calls for in the Gebhard review. On the other hand, in his January 12, 1794 letter to Fichte, in which he tried to address some of the concerns voiced in the Creuzer and Gebhard reviews, Reinhold appears to embrace something resembling the orthodox Kantian position on this question, when he writes, nur die Mçglichkeit der Freiheit halt ich mit Kant für ein Postulat, oder eigentlicher für einen Glaubens-Artikel der praktischen Vernunft, nämlich in wiefern diesselbe unbegreiflich ist und bleiben muß. Aber die Wirklichkeit der Freiheit ist mir wie die Wirklichkeit des Sittengesetzes, das ich nur als Gesetz der Freiheit denken kann, ein Gegenstand des Wissens. – Das Sittengesetz ist mir nur denkbar, in wiefern mir’s als Gesetz für diejenigen Befriedigung des Begehrens ist, die von meiner Freiheit, als einem von praktischer Vernunft sowohl als vom Begehren unabhängigen Grundvermögen abhängen. – Doch muß ich diese Sache bei nächster Gelegenheit noch genauer durchprüfen.50

Of course, the “opportunity” in question never arrived for Reinhold; or rather, by the time it had arrived he was no longer committed to the systematic project that had absorbed his attention for the better part of a decade, beginning in the mid 1780s. So the question for us today is, do we really want to fault Reinhold for his failure to provide a successful deduction of human freedom from some higher systematic starting point? Michael Gerten is, I think, quite correct to see Reinhold’s abandonment of his own ambitious Jena project as reflecting a dawning awareness of his own inability to answer die philosophische Frage schlechthin: die nach der Einheit – nach der Einheit schlechthin, vermittelt über die Einheit von letztem Grund und höchstem Zweck, von theoretischer und praktischer Philosophie, von Vernunft und Freiheit, von Reflexion und Sittlichkeit, von Philosophie und Leben51.

But unless we believe that, in the more than two centuries since the publication of the second volume of Reinhold’s Briefe, this question 50 Fichte-AA III/2.37. 51 Gerten 2003, p. 188.

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of unity actually has been successfully answered—something that I, for one, do not believe—then perhaps we should look more charitably upon Reinhold’s failure to answer it and turn our attention instead to those features of his theory of free will that may yet prove to be of some lasting value for moral philosophy.

* I sincerely hope that I have managed, if not to advance then at least to invigorate the ongoing discussion of Reinhold’s new theory of freedom. And I hope as well that my attempts to defend this theory against at least some of the objections that have been raised against it may encourage others to take a second look at a position that is far too often and much too easily dismissed out of hand as either “unphilosophical” or “absurd.” In the end, the great advantage of this same theory over many if not most other theories of human freedom, especially those in the Kantian tradition, is that it is able to address and, at least within its own terms, to resolve one of the greatest problems facing any such theory, namely, that of the imputability not only of moral actions but also of those that violate the moral law. On this point I am in agreement with Prof. Piché’s suggestion “daß Reinholds Position in dieser Hinsicht ein gewisses Recht behält.”52 Attractive as Reinhold’s position is in this respect, this of course is not enough to show that it is philosophically sound. In order to decide this, one first has to arrive at some reasoned conclusions concerning the legitimacy of appeals within philosophy to the so-called “facts of consciousness” and thus concerning the proper method of philosophy as such, issues about which I confess that I myself remain uncertain. It is hardly a surprise that Reinhold’s efforts to support his new theory of freedom by appealing to the alleged “facts of consciousness” should have found so little favor among Kant’s idealistic followers, beginning with Fichte. But if the last two centuries of philosophical endeavor have taught us anything at all, it is that systematic idealism, whether in the Fichtean, the Schellingian, the Hegelian, or the Schopenaurean mode is perhaps not the only or even the most promising way to do philosophy after all. Perhaps Reinhold’s project might be greeted some52 Piche 2004, p. 270.

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what more warmly by contemporary practitioners of phenomenology and hermeneutics—not to mention by the legions of contemporary “commonsense philosophers,” “philosophical naturalists,” and self-described “analytic philosophers,” with their never-ending appeals to the presumptive evidence of “our ordinary intuitions”—than it was by the nineteenth century post-Kantian idealists and others still sympathetic to their project? That is to say, perhaps our own contemporaries might greet Reinhold’s theory of freedom somewhat more warmly than its original critics—if only they were familiar with the second volume of Reinhold’s Briefe! And perhaps it is not altogether naive to hope that this may well become possible now, thanks in no small part to Prof. Bondeli’s splendid new edition of this text and to the ongoing efforts of scholars, such as those assembled on this occasion, to lay Reinhold’s provocative and original ideas before a new generation of students and thinkers.53 So allow me to conclude with one cheer more for Reinhold—this time for his new theory of the freedom of the will.

53 It is therefore high time to take seriously a suggestion made by Martin Bondeli more than a decade ago and ask whether it might not have been better if the project of escaping intelligible fatalism (as well as other forms of determinism) had concluded not by going in the direction of idealism in Fichte and after, but rather “mit einer Verdeutlichung von Reinholds Vorschlag” concerning human freedom in his Briefe. (See Bondeli 2001, p. 250). This reflection reinforces the reference in the first part of my own title to “the fate of Kantian freedom.”

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Zu Reinholds Auffassung von Willensfreiheit in den Briefen II Martin Bondeli Abstract: The difference between Reinhold’s concept of free will in Briefe II and Kant’s concept of free choice in the „Introduction“ to Die Metaphysik der Sitten is not as striking as frequently asserted. It consists simply in the fact that, as regards an adequate definition of moral freedom, each thinker weighs the act of deciding for or against the moral law somewhat differently. Kant substantively follows an accentuation set by Martin Luther and thus primarily associates moral freedom with law and justice. Reinhold follows an accentuation set by the rational equilibrism of Luis de Molina and thus emphasizes responsibility and conscientiousness within moral freedom. Both emphases can be justified.

Der menschliche Wille ist frei, frei in der Entscheidung, dem Sittengesetz zu folgen oder nicht zu folgen. Er ist unabhängig sowohl vom „Zwange durch den Instinkt“ als auch von der „Nöthigung durch unwillkührliches von der Vernunft modificiertes Begehren“, wie schließlich auch unabhängig von der „Nçthigung durch die praktische Vernunft“.1 Der menschliche Wille ist demnach frei sowohl als Wille zum Guten oder Sittlichen als auch als Wille zum Bösen oder Unsittlichen: „Der reine Wille sowohl als der unreine“ sind beide gleich mögliche Handlungsweisen des „freyen Willens“.2 Dies ist gleichsam die Quintessenz von Reinholds Auffassung von Willensfreiheit aus dem zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie (Briefe II) von 1792. Für sich gesehen ist dieses Ergebnis wenig außergewöhnlich oder innovativ, steht es doch für eine Ansicht, die im moralischen und juristischen common sense gang und gäbe ist und die ebenso im wissenschaftlichen Diskurs eine lange Tradition kennt, im Bereich der Philosophie und Theologie stets dann geltend gemacht wird, wenn es gegen eine deterministische Weltanschauung, welche angeblich die Willensfreiheit des Menschen bedroht, zu opponieren gilt.3 Anregend und lehrreich wird 1 2 3

Vgl. Briefe II, S. 272, RGS 2/2.188. Briefe II, S. 272, RGS 2/2.188. Um den Eindruck einer einseitigen Sicht der Dinge abzuwenden, sei hier angefügt, dass diese Opposition gegen den Determinismus dort, wo sie mit tradi-

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dieses Ergebnis dagegen dann, wenn man berücksichtigt, dass es im Rahmen eines Kant’schen Denkansatzes zustande gekommen ist und insofern in einer systematisch und argumentativ anspruchsvollen Reflexionsgestalt vorliegt. Und als nachgerade spannend und brisant erscheint es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es mit Ansichten Kants zur Willens- bzw. Willkürfreiheit zu konfligieren und dadurch ein weiter ausschöpfbares konfrontatives Potential bereitzuhalten scheint. Dabei ist allerdings nicht leicht durchsichtig, welche Übereinstimmungen und Differenzen zwischen Reinhold und Kant in diesem Punkt eigentlich bestehen. Die von beiden geführte Auseinandersetzung um das richtige Verständnis von Freiheit im Zusammenhang von Moral und Recht gleicht über weite Strecken eher einem provozierenden Versteckspiel denn einer die Sache klärenden Kontroverse. Erschwerend kommt hinzu, dass sich sowohl bei Reinhold als auch bei Kant unterschiedliche Entwicklungsstadien in der Darstellung und Problematisierung des Verhältnisses von Freiheit und Sittlichkeit abzeichnen. Beide Denker haben ihre diesbezüglichen Auffassungen modifiziert. Im Folgenden werde ich in einem ersten Schritt einige vergleichende Überlegungen vortragen, aus denen hervorgehen soll, worin Reinhold und Kant in der Frage der Willens- bzw. Willkürfreiheit zur Hauptsache differieren (I). In einem zweiten Schritt werde ich ausgehend von Reinholds kritischer Einlassung zu den vorkantischen Freiheitsbegriffen über Motive sprechen, aus welchen begreiflich werden kann, weshalb es die benannte Differenz überhaupt gibt (II).

I Beruht der nach dem Erscheinen der Metaphysik der Sitten augenfällig gewordene Streit zwischen Reinhold und Kant in der Frage, was man unter Freiheit im Zusammenhang von Moral und Recht zu verstehen

tionellen theologischen Überlegungen der Sünden- und Prädestinationslehre einhergeht, eine auffällige Gegenläufigkeit kennt. Die Verteidigung der menschlichen Willensfreiheit vor dem Hintergrund der Idee der Selbstverantwortung des Menschen für seine sündige Natur besteht nicht losgelöst von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber der menschlichen Willensfreiheit, das seinen Grund in der Annahme hat, das Heilsgeschehen sei eine Angelegenheit des göttlichen Willens.

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hat,4 auf einem Missverständnis? Oder liegt ihm in der Tat eine die Sache betreffende Differenz zugrunde? Zumindest lassen sich keine – oder jedenfalls keine relevanten – Abweichungen Reinholds hinsichtlich der folgenden zentralen Einsichten Kants zum Freiheitsthema konstatieren: 1. Was Freiheit ist, lässt sich nicht zureichend verstehen ohne die Einbeziehung des Resultats, das uns das Konzept einer kritischen theoretischen Vernunft bei seiner Auflösung der dritten kosmologischen Antinomie präsentiert.5 Betrachten wir aus der Position der theoretischen Vernunft die Welt als Gesamtheit natürlicher und geistiger Prozesse, können wir nicht umhin anzunehmen, dass es ein Reich der Freiheit (eine intelligible erste Ursache) neben oder jenseits des Reichs der Naturnotwendigkeit (des unter den Bedingungen von Raum und Zeit stehenden Zusammenhangs von Ursache und Wirkung) gibt. Beide Reiche sind zwar verschiedenartigen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, können aber zusammen bestehen, sind miteinander kompatibel. Reinhold erachtet diese Kant’sche Zwei-Reiche-These als unwiderruflichen Fortschritt der philosophierenden Vernunft. Mit dieser These ist seines Erachtens der Standpunkt erreicht, von dem aus sich sowohl der harte Determinismus der Materialisten und Spinozisten überwinden lässt als auch der weiche Determinismus der Leibnizianer, dem zufolge die Freiheit zwar als Gegenteil von Zwang, nicht jedoch von (physischer oder moralischer) Naturnotwendigkeit zu begreifen ist. Desgleichen versteht sich für Reinhold, dass diese These eine notwendige Voraussetzung für den Versuch ist, über Freiheit in moralischer und juristischer Bedeutung Aufschluss zu gewinnen. Erst wenn die Freiheit im Sinne einer intelligiblen ersten Ursache neben dem phänomenalen Bereich notwendiger Beziehungen von Ursache und Wirkung etabliert ist, kann sinnvoll über

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Man beachte zu diesem Streit vor allem Reinholds Aufsatz „Einige Bemerkungen über die in der Einleitung zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre von I. Kant aufgestellten Begriffe von der Freyheit des Willens“ (1797), in: Vermischte Schriften II, S. 364 – 400. Erst mit Reinholds Replik auf Kant im Jahre 1797 wird er ansatzweise mit offenen Karten geführt. Dabei hat Reinhold selbstverständlich vorausgesetzt, die Kritik Kants aus der Einleitung der Metaphysik der Sitten an jenen, welche die moralische Freiheit als libertas indifferentiae ausgelegt hätten (vgl. Kant-AA 6.226), sei auf ihn, Reinhold, gemünzt. Dies ist von der Sache her zwar nahe liegend, jedoch nicht eindeutig erwiesen. Es gibt auch andere Autoren, gegen die sich Kant gewandt haben könnte, vgl. Anm. 53. Vgl. KrV A 532 – 558/B 560 – 586.

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eine im Rahmen der Theorie des Begehrungsvermögens zu entfaltende moralische oder Willensfreiheit gesprochen werden. 2. Das Reich der Freiheit ist wesentlich das Reich der praktischen Vernunft, genauer: der moralisch-praktischen Vernunft. Freiheit ist also im Kern moralische Freiheit; sie betrifft moralrelevantes Handeln und Wollen, erstreckt sich auf Grundsätze, Maximen, Gebote und Gesetze im Bereich von Moral und Recht. Auch an dieser Auffassung zweifelt Reinhold nicht, leistet er doch mit dem 6. Brief der Briefe II vielmehr in nachgerade paradigmatischer Weise den Beitrag zu einer vom Begriff moralischer Freiheit ausgehenden Theorie der Moral und des Naturrechts und stellt damit unmissverständlich klar, dass Freiheit in dieser und keiner anderen Sphäre ihren höchsten und würdigsten Ausdruck findet. Mit dieser Klarstellung möchte Reinhold darüber hinaus genauso wenig wie Kant davon absehen, dass gleichfalls die aus der Auflösung der dritten kosmologischen Antinomie resultierende Freiheit im Sinne der intelligiblen ersten Ursache – Reinhold zufolge die „Idee einer absoluten Ursache“, die sich als „komparativ-frey“ oder auch als „absolut-frey“ denken lässt –6 in der ihr eigentümlichen Weise geltend zu machen und anzuwenden ist. Diese Form von Freiheit wird nicht durch die moralische Vernunft begründet, sondern durch die theoretische Vernunft, welche der Stufe der Vernunftideen gemäß ist. Und sie ist auch ihrem Gehalt nach nicht moralisch, sondern vormoralisch oder moralneutral. Sie lässt sich deshalb zur Beschreibung von Freiheitsphänomenen im Bereich der theoretischen, ästhetischen und technisch-praktischen Vernunft heranziehen. 3. Die moralisch-praktische Vernunft, welche mit dem Reich der Freiheit steht und fällt, ist eine autonome Vernunft. Dies heißt, sie ist eine Vernunft, die es anzunehmen erlaubt, dass den moralischen Urteilen ein autonomer Geltungssinn zukommt. Es wird davon ausgegangen, dass eine moralische Norm aus sich heraus, aus einem moralischen Grund, gültig bzw. geboten ist und nicht deshalb, weil sie gut, nützlich oder angenehm ist, wobei sich ,moralisch‘ am besten mit ,gerecht‘ übersetzen lässt. Diese sowohl für Kant als auch für die heutige Diskursethik von Apel und Habermas typische Auffassung, die man als starken Kognitivismus7 der Moral bezeichnen kann, teilt Reinhold. In diesem Sinne gibt er wiederholt der Überzeugung Ausdruck, dass es konsequent der von Kant dargelegten Abhebung des „formalen“ von jeder möglichen Art eines 6 7

Vgl. Versuch, S. 558 f. Siehe Habermas 1997, S. 15 f.

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„materialen“ Bestimmungsgrundes der Sittlichkeit8 zu folgen gilt.9 Wenn Reinhold dabei im Unterschied zu Kant dazu übergeht, die positive Rolle moralischer Triebe oder Gefühle nicht nur hinsichtlich motivationaler, sondern auch geltungslogischer Moralzusammenhänge hervorzuheben, und als Folge davon eine Verknüpfung von moralischer Vernunft und moralischem Trieb in Vorschlag bringt, bedeutet dies weder von der Absicht noch von der Sache her, dass der autonome Geltungssinn moralischer Urteile in Frage gestellt wird. Es folgt daraus keine Preisgabe des rein moralischen zugunsten eines teleologischen, eudämonistischen oder sentimentalistischen Begründungsansatzes. Eine solche Konsequenz ergibt sich deshalb nicht, weil Reinhold die Verknüpfung von moralischer Vernunft und moralischem Trieb nicht vor dem Hintergrund der Subordination der Sinnlichkeit unter die Vernunft, sondern der Koordination des Standpunktes des gemeinen Verstandes mit dem Standpunkt der philosophierenden Vernunft begreift.10 Der moralische Trieb entspricht dadurch dem durch Vernunftgründe geläuterten Standpunkt des gemeinen Verstandes, die moralische Vernunft dem philosophierenden Standpunkt, der ohne die Voraussetzung des gemeinen Verstandes gegenstandslos ist. Natürlich muss Reinhold in diesem Falle voraussetzen, dass es einen moralischen Trieb im Menschen gibt, welcher der Stufe sittlich-vernünftigen Handelns adäquat ist. Einen Trieb dieser Art sieht er im „uneigennützigen Trieb“, den er im Sinne einer Negation des „eigennützigen Triebes“ fasst11 und dadurch letztlich, was dessen Allge8 Vgl. KpV A 68 – 71, Kant-AA 5.39 – 41. 9 Zu Reinholds enger Anlehnung an Kants Tafel der praktischen materialen Bestimmungsgründe im Prinzip der Sittlichkeit siehe Versuch, S. 99 – 117 und Briefe II, S. 64 – 66, RGS 2/2.51 f. 10 Reinhold will bezeichnenderweise sein gesamtes Konzept der Willensfreiheit im Sinne einer durch die philosophierende Vernunft gerechtfertigten Überzeugung des gemeinen Verstandes aufgefasst wissen (vgl. Briefe II, S. 308 f., RGS 2/2.207). 11 Zur Herkunft von Reinholds Trieblehre und Gegenüberstellung von eigennützigem und uneigennützigem Trieb siehe RGS 2/1.269 f. Unter den möglichen Quellen, die Reinhold zur Annahme der beiden Triebe angeregt haben, sind insbesondere Platners Untersuchungen zum Verhältnis von „eigennützigen Trieben“ und „mittheilenden Neigungen“ (vgl. Platner 1782, §§ 129 ff.) sowie zum „Grund der Sympathie, in Beziehung auf die Eigennützigkeit und Uneigennützigkeit derselben“ (vgl. ebd. §§ 250 ff.) zu berücksichtigen. Man beachte aber auch die möglichen Kant’schen Einflüsse. Die Semantik von Kants Begriff des „guten Willens“ aus dem ersten Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ist maßgeblich durch die Kritik des „Eigennutzes“ und des Handelns in „eigennütziger Absicht“ bestimmt (vgl. Kant-AA 4.397 f.).

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meinheits- oder Gemeinschaftssinn betrifft, über die Vorstellung des „Gemeinnützigen“ hebt.12 Wäre der uneigennützige Trieb nur der gemeinnützige, würde, so Reinholds implizite Überlegung, ein materialer Bestimmungsgrund der Sittlichkeit an die Stelle des formalen gesetzt. 4. Ist im Zusammenhang des Begriffs moralisch-praktischer Vernunft von einem Wollen die Rede, darf man behaupten, dass es einen freien oder autonomen Willen gibt. Dabei soll „Autonomie des Willens“, so Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, verstanden werden als „die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist.“13 Die „Freiheit des Willens“ ist nichts anderes als die „Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein“14. Das „Prinzip“ der Autonomie des Willens ist dabei: „nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien.“15 Das Prinzip der Autonomie des Willens ist somit der kategorische Imperativ in der Bedeutung der unsere Maximen des Wollens betreffenden Verallgemeinerungsformel. Auch in diesem Punkt schließt sich Reinhold offenkundig – ja nachgerade emphatisch – Kant an. Der Wille – nach Reinhold auch: die „Willkühr“, der Wille, der „selbst wählt (erkührt)“16 – ist frei in dem Sinne, dass er autonom, absolut durch sich selbst, unabhängig von heteronomen Gründen agiert. Und dieser autonome Wille würde seinen Namen nicht verdienen, wenn er nicht auf Moralität und den kategorischen Imperativ bezogen wäre. Ausdrücklich wird der Vorstellung eines freien Willen, der nicht auf den Moralzusammenhang (moralisches/moralitätswidriges Handeln) bezogen ist, entgegengehalten: „Freyheit des Willens, Willkühr und Moralität sind von einander unzertrennlich.“17 Bei all dem ist es für Reinhold auch unstreitig, dass der freie Wille, da er von der Moralität nicht losgelöst werden kann, mit der Auffassung von moralischer Nötigung verträglich sein muss. Kant hat im Triebfederkapitel der Kritik der praktischen Vernunft diese Nötigung im Zusammenhang des Pflichtbegriffs hervorgehoben und dabei von einem „unvermeidlichen Zwange“, der durch die eigene 12 Diese Höhereinstufung des Uneigennützigen ergibt sich mit Reinholds Unterscheidung des „Rechtmäßigen“ vom „Gemeinnützigen“ (siehe Briefe II, S. 138, RGS 2/2.102). 13 Kant-AA 4.440. 14 Kant-AA 4.446 f. 15 Kant-AA 4.440. 16 Briefe II, S. 307, RGS 2/2.206. 17 Briefe II, S. 307, RGS 2/2.205.

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Vernunft „allen Neigungen […] angethan wird“18, gesprochen. Reinhold ist in Bezug auf diesen letzten Gedanken vorsichtiger und vermeidet den Ausdruck „Zwang“, der ihm zu stark zu sein scheint, da er ein „Mssen“ involviert.19 Eine „Nöthigung“, die gleichbedeutend ist mit dem moralischen „Sollen“, ist seiner Ansicht nach aber nicht wegzudenken.20 Reinhold, so das sich hier aufdrängende Fazit, ist demnach zwar weniger sinnenfeindlich als Kant, doch ändert dies nichts an der gemeinsamen Annahme, dass Freiheit, Moralität und damit auch moralisches Sollen zusammengehören. So viel zu den Gemeinsamkeiten. Lässt sich dabei nun auch eine als relevant zu bezeichnende Divergenz zwischen dem Freiheitsverständnis Kants und jenem Reinholds ausmachen? Meines Erachtens gibt es eine solche bei einem Teilaspekt der von uns unter 4. erörterten Gemeinsamkeit, nämlich bei der Frage, wie denn eigentlich das Verhältnis von autonomem Willen und kategorischem Imperativ anzusetzen ist. Angesprochen ist damit nicht die berühmte wechselseitige Begründung von Freiheit einerseits und Sittengesetz andererseits, die bei Kant mit Fragen des „Faktums“ oder der möglichen „Deduktion“ des Sittengesetzes wie auch mit Fragen eines möglichen Freiheitsbeweises einhergeht, sondern der Funktionszusammenhang der beiden Instanzen. Nach Kant ist, wie gesagt wurde, der kategorische Imperativ als das Prinzip des autonomen Willens aufzufassen. Mit Reinhold lässt sich dies nur mit Vorbehalt behaupten. Der kategorische Imperativ ist aus seiner Sicht nicht das Prinzip, sondern der als Gegenpart zum eigennützigen Trieb bestehende Bezugs- und Zielpunkt des autonomen Willens. Diese Abweichung, die damit zu tun hat, dass Reinhold den autonomen Willen primär als ein autonomes Vermögen des Wählens und Entscheidens angesichts sittlicher oder unsittlicher Forderungen versteht, lässt sich an den unterschiedlichen Akzentsetzungen in den gemeinsam verwendeten Ausdrücken der „Autonomie“ des Wollen sowie des „Wählens“ von Maximen ablesen. Wenn Kant davon spricht, der autonome Wille sei jener Wille, der sich selbst ein Gesetz sei, so versteht er, wie sich aus dem Kontext ergibt, unter Selbstsein primär ein Selbstgeben oder Selbstbefolgen 18 KpV A 143, Kant-AA 5.80. 19 1789 war Reinhold noch nicht dieser Meinung. Damals sprach er selber noch davon, dass das „freyhandelnde Subjekt“, welches unter der sittlichen Vorschrift steht, sich beim Befolgen der Vorschrift nur durch „Zwang erhalten kann, den es seinem eigennützigen Triebe anthut.“ (Versuch, S. 574) 20 Vgl. Briefe II, S. 195, RGS 2/2.143.

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des Gesetzes. Reinhold dagegen denkt zur Hauptsache an das Selbstwhlen des Gesetzes. Und während Kant mit dem Wählen von Maximen in erster Linie ein Wählen gemß oder zufolge des Sittengesetzes assoziiert, meint Reinhold offenbar zunächst unser Wählen des Sittengesetzes selber. Wenn ich eine Maxime wähle, die ich für ein allgemeines Gesetz halten kann, so folge ich aus der Optik Reinholds nicht nur dem Sittengesetz, sondern ich whle es auch, ich entscheide mich auch für das Gesetz. Der Unterschied erscheint hier als hauchdünn, dennoch ist er nicht zu übersehen. Für Kant ist Wählen im Wesentlichen das Prüfen und Aussondieren von Maximen des Wollens auf der Basis eines Verallgemeinerungstests, für Reinhold dagegen die vorgängige Bejahung oder Verneinung hinsichtlich des sich Einlassens auf den Verallgemeinerungstest.21 Ich habe mich bisher bei Kants Aussagen zur Autonomie des Willens auf die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten bezogen. Berücksichtigt man gleichfalls die einschlägigen Äußerungen zum Freiheitsthema aus der Kritik der praktischen Vernunft, aus der Schrift über Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft und schließlich aus der Metaphysik der Sitten wird man damit konfrontiert, dass zu den unterschiedlichen Akzentuierungen der „Autonomie“ und des „Wählens“ eine Abweichung in den Bedeutungen von „Autonomie des Willens“ und von „Willen“ allgemein hinzukommt. Dies hat damit zu tun, dass Kant markanter als zuvor die gesetzgeberische Perspektive, unter welcher das Sittengesetz aufgestellt wird, und die Perspektive des Menschen, der das Gesetz zu befolgen hat, voneinander abhebt. In der Kritik der praktischen Vernunft wird nicht mehr nur erneut der enge Zusammenhang von Autonomie des Willens und kategorischem Imperativ herausgehoben. Indem davon gesprochen wird, dass die „reine Vernunft“, die „für sich allein praktisch“ ist, „dem Menschen“ das Sittengesetz bzw. den kategorischen Imperativ „giebt“,22 wird die Autonomie des Willens auch unverkennbar dem Autonomie21 Auf den ersten Blick scheint es, dass beide Auffassungen des Wählens auf ein und dasselbe hinauslaufen. Denn wer dem Sittengesetz zufolge handelt und den Verallgemeinerungstest durchführt, hat sich immer auch für das Sittengesetz entschieden, und wer sich für das Sittengesetz entschieden hat, wird immer auch darum bemüht sein, dem Sittengesetz zufolge zu handeln und den Verallgemeinerungstest durchzuführen. Aber es macht doch offenbar einen Unterschied, ob ich den Entscheidungsgedanken einbeziehe oder nicht. Durch seine Einbeziehung wird das Sittengesetz aus einem vorgängigen Freiraum heraus betrachtet, was, so im Falle Reinhold, zu einem strengeren, mit einem verstärkten Verantwortungs- und Verpflichtungssinn behafteten Begriff des Sittengesetzes führt. 22 Vgl. KpV A 56, Kant-AA 5.31.

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charakter der praktischen Vernunft angeglichen. Der autonome Wille erscheint, wie die für sich seiende praktische Vernunft, als ein Moment jener Instanz, die dem Menschen das Sittengesetz gibt. Es entsteht der Eindruck, dass es demnach eine Autonomie des Willens allgemein (verkörpert durch das gegebene Sittengesetz) von einem autonomen oder freien Willen (verkörpert durch den wollenden Menschen, der auf das gegebene Sittengesetz reagiert) zu unterscheiden gilt. Kant bringt eine Unterscheidung dieser Art denn auch insofern zur Geltung, als er eine Gegenüberstellung von Freiheit im „negativen“ und Freiheit im „positiven Verstande“ vornimmt.23 Die positive Freiheit gilt erklärtermaßen als jene Autonomie, die so viel wie „eigene Gesetzgebung“ bedeutet, die negative Freiheit als das menschliche Vermögen, in „Unabhngigkeit“ von der Materie des Gesetzes (bzw. von heteronomen Gründen oder sinnlichen Antrieben) zu agieren. Vor dem Hintergrund dieser zweifachen Autonomie, der Selbstgesetzgebung durch Vernunft und dem menschlichen Vermögen der Unabhängigkeit, kommt es nicht von ungefähr, dass Kant in der Metaphysik der Sitten eine Differenz von gesetzesorientiertem „Willen“, der „weder frei noch unfrei“ ist, und mit dem Aktionsvermögen des „Menschen“ bestehender „Willkür“, die „frei“ genannt werden kann, in Vorschlag bringt.24 Die zweite Form von Autonomie wird nun über den bisherigen Stand der Dinge hinaus als dasjenige betrachtet, was man sinnvoll mit menschlicher Freiheit im Bereich von Moral und Recht gleichsetzen kann. Der Kontrast zu Reinholds Auffassung eines autonomen oder freien Willens wird mit diesem neuen Befund nun natürlich allein deshalb schärfer, weil sich nicht mehr nur eine aus dem Kontext manifest werdende, sondern auch eine durch ausdrückliche Begriffsbestimmungen bedingte Abweichung in der Bedeutung gleicher Termini feststellen lässt. Bei Reinhold stehen „Wille“ oder „Willkür“ gleichermaßen für Freiheit, bei Kant „Willkür“ für Freiheit und „Wille“ für die Instanz des moralischen Gesetzes. Doch darf man nicht darüber hinwegsehen, dass trotz dieser markanteren Divergenz immer noch ein bedeutsamer Konsens in der grundsätzlichen Haltung zur Frage der Willensfreiheit besteht. Reinhold verteidigt sowohl die Handlungsfreiheit als auch die Willensfreiheit. Seines Erachtens hat der Mensch nicht nur ein Vermögen, zu tun oder zu lassen, was er will, sondern auch ein Vermögen, seinen Willen 23 Vgl. KpV A 58 f., Kant-AA 5.33. 24 Kant-AA 4.226.

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durch sich selbst zu bestimmen.25 Auch Reinholds großer Lehrer ist dieser Ansicht. Was Kant Freiheit der Willkür nennt, betrifft nicht nur freies Handeln als solches, sondern auch gewolltes freies Handeln. Von der Willkür gehen, wie Kant festhält, unsere „Maximen“ zu Handlungen aus.26 Demzufolge erstreckt sie sich auch auf etwas, was Menschen aus sich heraus in Rücksicht auf das gegebene Gesetz wollen. Nicht übergangen werden darf zudem, dass sich eine neue sachliche Übereinstimmung ergeben hat. Beide Denker sind der Meinung, dass wir in Bezug auf die Vorstellung des Gegebenseins des moralischen Gesetzes nicht – oder jedenfalls nicht im strengen Sinne – von Freiheit sprechen können, sondern nur im Falle des Verhältnisses des wollenden Menschen zum gegebenen moralischen Gesetz. Der eine, Reinhold, spricht bei diesem Verhältnis von Wille = Willkür, der andere, Kant, von Willkür allein. Wenn wir auf die Entwicklungsstadien achten, die Reinhold bei der Erarbeitung seiner Auffassung von Willensfreiheit aus den Briefen II durchlaufen hat, so ist eine auffällige Gegenläufigkeit zum Weg, den Kant von der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zu seinem rechtsphilosophischen Hauptwerk, der Metaphysik der Sitten, durchschreitet, zu konstatieren. Während Kant nach der anfänglichen Annahme, die Freiheit sei eine Eigenschaft des Willens, den Willen nun der Instanz des Gesetzes zuordnet und dadurch von der Willkür als Freiheit abhebt, hat Reinhold sich zuvor darum bemüht, den mit „Willkühr“ in Verbindung gebrachten Terminus „Wille“ vom Terminus „Gesetz“ fernzuhalten und gezielt mit dem Terminus „Freiheit“ in Verbindung zu bringen. Der Grundgedanke, demzufolge es ein menschliches Vermögen gibt, das frei im Sinne von unabhängig sowohl von sinnlichen Antrieben als auch von Gesetzen der moralischen Vernunft ist, ist dabei kaum einer Entwicklung unterworfen. 25 Das bei dieser Vorstellung eines sich selbst bestimmenden Willens auftauchende Problem eines ,wollenden Wollens‘, das Kritiker der Willensfreiheit gerne als Beweis dafür erachten, dass es sich bei dieser Form von Freiheit um einen leeren Gedanken handelt, manche Befürworter der Willensfreiheit demgegenüber dazu veranlasst, sie für ein kostbares natürliches Geheimnis des Menschseins zu halten, besteht an diesem Punkt weder für Reinhold noch für Kant. Denn beide sind in ihrer Weise der Ansicht, dass ein sich selbst bestimmender Wille doch zumindest insoweit begreiflich ist, als der wollende Mensch sich passiv und aktiv zugleich verhält, nicht nur den Willen, dies oder jenes zu tun, je schon hat, sondern sich auch überlegt, was er will, seinen Willen unter Umständen korrigiert und bildet. Dabei versteht sich allerdings, dass ein sich korrigierender oder bildender Wille unter Umständen noch nicht ausreicht, um von einem freien Willen sprechen zu können. 26 Vgl. Kant-AA 4.226.

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Im ersten Buch des Versuchs einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens aus dem Jahre 1789 schreibt Reinhold bei seinen Ausführungen zum Erkenntnisgrund der Moralität, dass die als „Moralität“ zu begreifende beabsichtigte Übereinstimmung mit den Gesetzen der moralischen Vernunft von der „Willkühr des Handelnden“ abhänge, die dementsprechend ein „Vermögen“ sei, die Forderungen der Vernunft gegen jene der Sinnlichkeit durchzusetzen. Dieses Vermögen als solches betrachtet heiße aber nichts anderes als „Freyheit, in wie ferne der Handelnde bey der Ausübung desselben weder durch die Vernunftgesetze noch durch die Forderungen der Sinnlichkeit gezwungen handelt.“27 Der Handelnde werde bei diesem Vermögen, so Reinhold weiter, lediglich insofern genötigt, als er zwischen zwei Forderungen „whlen msse“, es sei jedoch keinesfalls so, dass er „keine Wahl habe, nicht frey sey.“28 Offenbar hat Reinhold bei diesem Freiheitsverständnis aber noch nicht klar zwischen Handeln und Wollen unterschieden. Es ist nur vom Handelnden die Rede, der dieses Vermögen ausübt. Dieser Mangel wird in der Folge behoben, indem dafür argumentiert wird, dass gerade auch und ganz besonders der menschliche Wille ein absolutes Freiheitsvermögen sei. Aus den Überarbeitungen, die Reinhold an seinen Texten zu den Briefen II vorgenommen hat, lässt sich ersehen, dass er in der Phase von 1790 bis 1792 bestrebt war, das absolute Freiheitsvermögen in erster Linie dem Willen und nicht der Handlung zuzuschreiben. Es finden sich gehäuft Korrekturen, die zum Ziel haben, die „Freiheit“ genauer als Freiheit des „Willens“ oder der „Willenshandlung“ kenntlich zu machen.29 Dass diese Betonung einer den Willen betreffenden Freiheit gleichzeitig mit Reinholds damaliger Auseinandersetzung mit jenen Freunden der Philosophie Kants – allen voran mit Carl Christian Erhard Schmid – verwoben ist, die seines Erachtens eine falsche, weil allzu gesetzeszentrierte Auffassung von Willensfreiheit vertreten, steht außer Frage. Wie Alessandro Lazzari herausgearbeitet hat,30 war Reinhold vor diesem Hintergrund im Übergang zu den Briefen II zunehmend darauf aus, die Differenz von freiem Willen und Sittengesetz hervorzuheben. Die sich verstärkende Akzentuierung des Willensbegriffs ging demnach letztlich mit zwei Abgrenzungsrichtungen einher. Sie wandte sich gegen den noch undifferenzierten Handlungsbegriff wie auch gegen eine An27 28 29 30

Versuch, S. 90. Versuch, S. 90. Siehe dazu RGS 2/2.41, 69, 137, 239 u. 247. Siehe Lazzari 2004, S. 187 – 206.

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gleichung des Begriffs der Willensfreiheit an den Begriff des Sittengesetzes. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob der mit dem Erscheinen der Metaphysik der Sitten auffällig werdende Streit zwischen Reinhold und Kant um die richtige Auffassung der Willens- bzw. Willkürfreiheit nicht lediglich ein Streit um das Wort „Wille“ ist und es am Ende bloß um das Urteil geht, wer dem gemeinen Sprachgebrauch näher steht. Soll man mit Reinhold davon ausgehen, dass „Wille“ und „Willkür“ doch eigentlich sinnverwandt sind? Oder soll man mit Kant den Zusammenhang von Gesetz und Wille (Wille des Gesetzgebers) favorisieren? Die Sache genauer besehen, geht es letztlich um mehr als um einen Wortstreit. Um dies deutlich zu machen, gilt es zu vergegenwärtigen, mit welchem Anspruch Reinhold seine Auffassung der Willensfreiheit aus den Briefen II zur Diskussion stellt. Wenn Reinhold von der Willensfreiheit als dem „Vermögen der Person“ spricht, „sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens entweder nach dem praktischen Gesetze oder gegen dasselbe zu bestimmen“31 – kurz: sich für oder gegen das Sittengesetz zu entscheiden –, so ist er der Ansicht, damit eine Definition dieser Freiheit gegeben zu haben. Und er wendet sich damit ausdrücklich gegen Kant und die Kantianer, die seines Erachtens bisher nur in Form von Erläuterungen über die Willensfreiheit gesprochen oder lediglich einzelne Aspekte derselben erörtert haben. Wir können hier außer Acht lassen, dass Reinhold in dieser Richtung noch einen weiteren folgenreichen Gedankenschritt zurücklegt, indem er seine Definition der Willensfreiheit schließlich zum neu entdeckten Fundament der „künftigen praktischen Philosophie“ erhebt und dadurch als Korrelat oder Pendant zur Definition der „Vorstellung“, die das Fundament des theoretischen Teils der Elementarphilosophie ausmacht, zu begreifen beginnt.32 Denn dieser Schritt ist ein Schritt in eigener Sache und berührt die von uns behandelte Frage der Differenz zu Kant nur indirekt. Was diese Differenz nun als solche betrifft, kommt sie dadurch zum Vorschein, dass auch Kant in der Metaphysik der Sitten zu definitorischen Fragen des Freiheitsbegriffs Stellung nimmt und dabei insbesondere auf die Definition der Willkürfreiheit zu sprechen kommt. Seine zentrale Aussage in dieser Sache

31 Briefe II, S. 271 f., RGS 2/2.188. 32 Vgl. Briefe II, S. 383, RGS 2/2. 254.

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lautet, dass jene Willkür, die frei zu nennen sei,33 „nicht durch das Vermögen der Wahl, für oder wider das Gesetz zu handeln, (libertas indifferentiae) definirt werden“ könne, „– wie es wohl einige versucht haben, – obzwar die Willkür als Phnomen davon in der Erfahrung häufige Beispiele giebt.“34 Die Definition der freien Willkür kann, so Kant, nur die negative Form von Freiheit auf den Begriff bringen. Freie Willkür ist demnach zu definieren als unser Vermögen, „durch keine sinnliche Bestimmungsgründe zum Handeln gençthigt zu werden.“35 Damit ist die Differenz als Differenz in der Sache augenfällig. Während in Reinholds Definition der Willensfreiheit das Entscheiden für oder gegen das Sittengesetz den Dreh- und Angelpunkt bildet, ist für Kant das Vermögen, unabhängig von sinnlichen Bestimmungsgründen handeln zu können, das A und O einer Definition der freien Willkür. Das Wählen oder Entscheiden angesichts des Sittengesetzes gehört, so Kant, nicht in diese Definition oder ist zumindest im Hinblick auf eine solche nebensächlich. Wie noch näher auszuführen sein wird, bin ich der Meinung, dass es für Kants Auffassung, es komme beim Gedanken moralischer Freiheit letztlich auf das von sinnlichen Bestimmungen unabhängige Handeln und nicht auf das Wählen oder Entscheiden angesichts des Sittengesetzes an, gute Gründe gibt. Den Grund, den Kant im Anschluss an seine Kritik an den Vertretern der libertas indifferentiae anführt: dass es sich beim Wählen oder Entscheiden für oder wider das Sittengesetz um eine durch die „Erfahrung“ begründete und insofern ausschließlich empirische Form freier Willkür handle, halte ich allerdings nicht für überzeugend. Betrachtungen darüber, wer sich wann, wo, aus welchen Motiven für oder gegen das Sittengesetz entscheidet, wird man einem empirischen Wählen zurechnen müssen. Ebenso jeden Versuch, Gesetzmäßigkeiten im Handlungsbereich des Entscheidens für oder gegen das Sittengesetz zu entdecken. Das bloße Wählen- oder Entscheidenkçnnen angesichts des Sittengesetzes ist aber, zumindest für einen nicht naiven Empiristen, kein empirisches Datum. Das Wählen- oder Entscheidenkönnen angesichts des Sittengesetzes gehört zu den Bedingungen der als transzendental zu bezeichnenden Tatsache, dass wir als Person ein intelligibel-sinnliches Doppelwesen sind. Nur aufgrund dieser Tatsache werden wir von der 33 Seit der Kritik der reinen Vernunft unterscheidet Kant die menschliche oder freie („arbitrium liberum“) von der tierischen oder unfreien Willkür („arbitrium brutum“), vgl. KrV A 534/B 562 und A 802/B 830. 34 Kant-AA 6.226. 35 Kant-AA 6.226.

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intelligiblen Instanz in uns aufgefordert, von unseren sinnlichen Bestimmungsgründen abzusehen und im Sinne des Sittengesetzes zu handeln; und diese Forderung impliziert, dass wir als Person, die aufgefordert wird, wählen und uns dabei für oder wider das Gesetz entscheiden können.36 Der im Anschluss an diese Deutung mögliche Einwand, das Wählen- oder Entscheidenkönnen angesichts des Sittengesetzes sei letztlich insofern als empirisch zu bezeichnen, als dabei von einer inneren Erfahrung oder einem Gefühl, das eine oder andere wählen zu können, nicht abzusehen sei, mag berechtigt sein. Aber in diesem Falle gilt es selbstverständlich auch beim negativen Freiheitsbegriff, dem Vermögen, durch keine sinnlichen Bestimmungsgründe genötigt zu werden, in Erwägung zu ziehen, ob sich dieser ohne die Annahme eines Gefühls der Selbstheit oder Unabhängigkeit plausibel machen lässt.

II Die Differenz Reinholds und Kants in der Frage der Willens- bzw. Willkürfreiheit auf den Punkt zu bringen, ist die eine Sache. Eine andere Sache ist es, Klarheit darüber zu gewinnen, was denn eigentlich für oder gegen die eine oder andere Position spricht. Weshalb soll, wie Reinhold beteuert, das Entscheiden für oder gegen das Sittengesetz bei einer Definition von Willensfreiheit im Zentrum stehen? Weshalb soll, wie Kant behauptet, dies nicht der Fall sein, sondern im Gegenteil die Unabhängigkeit von sinnlichen Bestimmungsgründen der maßgebende Gedanke 36 Man kann dabei dieses Wahl- bzw. Entscheidungsvermögen nicht, wie Kant im Blick auf ein Wählen, welches nicht empirisch wäre, vorzuschlagen scheint, auf das Vermögen sittlichen Handelns beschränken und das Vermögen unsittlichen Handelns ein „Unvermögen“ (vgl. Kant-AA 4.227) nennen. Denn sonst ist das Wahl- bzw. Entscheidungsvermögen ein Vermögen, das weder den vollen Namen „Vermögen“ verdient noch etwas mit Wahl und Entscheidung im eigentlichen Sinne zu tun hat. Unsittliches Handeln ist zwar keine lobenswerte Leistung oder, wie man manchmal auch sagen möchte, überhaupt keine Leistung. In dieser Hinsicht ist man geneigt, von „Unvermögen“ zu sprechen. Aber das ist kein exakter Ausdruck. Unabhängig davon, ob wir sittlich oder unsittlich handeln, uns spontan oder rezeptiv verhalten, so besteht doch immer eine Einwirkung auf uns wie auch eine Reaktion von uns als einer Person, die über ein entsprechendes Vermögen verfügt. Zur Problematik von Kants Deutung des unsittlichen Handelns als „Unvermögen“ siehe auch Bondeli 2007, S. 262 f. Anderer Ansicht in dieser Frage ist Manfred Baum (siehe seinen Beitrag im vorliegenden Band).

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bei einer Freiheitsdefinition sein? Ich möchte darauf eine Antwort zu geben versuchen, indem ich mich der Kritik zuwende, die Reinhold seit Ende der 1780er Jahre an vorkantischen Freiheitsauffassungen übt. Reinhold hat im Jahre 1788 eine „Entdeckung“ publik gemacht, welcher zufolge es vier vorkantische Hauptparteien gibt, die alle in mangelhafter Form Beweise oder Widerlegungen zum Dasein Gottes vorgetragen haben und die sich, in der Gegenüberstellung betrachtet, teils bestätigen, teils aufheben.37 Im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens wird diese Vier-Parteien-Theorie rekapituliert und auf die Freiheitsfrage ausgeweitet.38 Die besagten vier Parteien, so wird eingeschärft, seien ebenfalls nicht in der Lage, die Frage der Willensfreiheit befriedigend zu beantworten. Zur Diskussion stehen die Positionen des Atheismus, dogmatischen Theismus, dogmatischen Skeptizismus und Supernaturalismus. Reinhold verwirft dabei den Atheismus, zumal die Exponenten dieser Position (die Rede ist dabei vom Fatalisten, Materialisten oder Pantheisten) die Willensfreiheit auf der Grundlage ihres deterministischen Weltbildes ausdrücklich bestreiten oder für „widersprechend“ erklären. Ebenso entschieden wendet Reinhold sich gegen den dogmatischen Theismus. Sosehr der dogmatische Theist (in der Regel denkt Reinhold dabei an Leibniz, Wolff oder Mendelssohn) gegen den Fatalisten die Willensfreiheit verteidigt, befürwortet er bei Lichte besehen eine deterministische Weltsicht. Reinhold attackiert den dogmatischen Theismus zudem ausdrücklich in Bezug auf dessen Aussage, Freiheit sei gleichbedeutend mit dem Vermögen, das „Beste […] zu whlen“,39 womit klarerweise auf Wolff angespielt wird, definierte dieser doch in der Deutschen Metaphysik die Willensfreiheit als das „Vermögen der Seele durch eigene Willkühr aus zweyen gleich möglichen Dingen dasjenige zu wehlen, was ihr am meisten gefället“,40 dies unter der Prämisse, dass ein freier Wille das Gute und nicht das Böse wolle, sowie im Einklang mit Leibniz’ These, dass es beim Wählen keine gleichgewichtigen Willensäußerungen geben könne.41 Besprochen wird sodann die unzureichende Haltung des dogmatischen Skeptikers (Reinhold bezieht sich hier in der Regel auf Hume). Dieser lehnt die Willensfreiheit aufgrund des Räsonnements ab, dass wir normalerweise ,etwas‘ wollen und 37 38 39 40 41

Siehe ALZ Nr. 231a, 25. Sept. 1788, Sp. 831 f. Siehe Versuch, S. 93 – 98. Vgl. Versuch, S. 96. Wolff 1751, § 519, Wolff-GW I/2.1.317. Vgl. Wolff 1751, §§ 506 – 511, Wolff-GW I/2.1.308 – 313.

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nicht tout court wollen, dass somit jede Willensäußerung eine Ursache kennt, an etwas gebunden und insofern unfrei ist. Ein freier Wille kann von daher lediglich mit Zufall oder einem schlecht-unendlichen Wollen des Wollens gleichgesetzt werden.42 Nach Reinhold ist dies eine unzulässige Verkürzung der Sachlage. Der dogmatische Skeptiker kommt zu diesem Ergebnis nur deshalb, weil er die „Grundlosigkeit“ der Willensfreiheit missdeutet, sich bei der Willensfreiheit den Willen als vollständig von Ursachen getrennt denkt. Und schließlich bleibt auch der Supernaturalismus von Kritik nicht verschont. Reinhold hält dieser Position (wenn es um den philosophischen Supernaturalisten geht, denkt Reinhold immer an Jacobi) zugute, dass sie im Unterschied zum klassischen Rationalismus für ein Reich der Freiheit jenseits des Reichs der Naturnotwendigkeit eintritt und insofern mit dem Kantianer über die Bedingung für eine nicht durch Engführungen behelligte Auffassung von Willensfreiheit einig ist. Er geißelt diese Position jedoch dafür, dass sie letztlich Willensfreiheit und Rationalität allzu stark voneinander trennt. Der Supernaturalist spannt die Willensfreiheit in den Mechanismus von Sünde, Glaube und Erlösung durch die Gnade Gottes ein, lässt Freiheit also nur durch „Offenbarung“ wirksam werden. Bei all diesen Überlegungen steht für Reinhold außer Frage, dass Kants Auffassung von Willensfreiheit für die einzig richtige zu halten ist. Unverkennbar ist zudem, dass Reinhold dort, wo er die kritisierten Positionen miteinander kontrastiert und in ihrer jeweiligen relativen Richtigkeit zu porträtieren versucht, große Sympathien für den dogmatischen Skeptiker hegt. Dessen Ansichten werden insbesondere deshalb als fruchtbar empfunden, weil sie dem Determinismus klassischrationalistischer Richtung mit einsichtigen Argumenten den Boden zu entziehen vermögen. Der dogmatische Skeptiker, Hume, hat, wie Reinhold 1791 in der Schrift Ueber das Fundament des philosophischen 42 Ähnliche Bedenken gegenüber der Willensfreiheit, wie Reinhold sie hier dem dogmatischen Skeptiker zuschreibt, haben bereits die empiristischen Vorläufer Humes (Hobbes, Locke) sowie der rationalistische „Fatalist“ Spinoza geäußert. Wollen ist immer das Wollen einer Sache, hat somit einen Grund oder Zweck (entweder außer sich oder in sich). Ein grundloser oder freier Wille wäre demnach ein Wollen, das nichts will, oder ein Wollen des Wollens, somit etwas, was sinnlos oder wenigstens für uns unbegreiflich ist. Demgegenüber erscheint es all diesen Autoren zufolge als sinnvoll, von einer Handlungsfreiheit, einem Tunoder Lassenkönnen dessen, was gewollt ist, zu sprechen und diese zu befürworten.

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Wissens andeutet,43 den Satz des zureichenden Grundes kritisiert und sich dabei zur Auffassung vorgewagt, dass es nicht zu jedem auftretenden Ereignis oder jedem Vorgang der Veränderung eine Ursache gibt.44 In der vorkantischen Ära der deutschen Philosophie hat Christian August Crusius, auf den Reinhold in der Fundamentschrift ebenfalls positiv Bezug nimmt,45 einen vergleichbaren Angriff auf Wolff und die Woffianer unternommen. Deren Behauptung, dass unter der Bedingung des nicht geltenden Satzes des zureichenden Grundes auch der Satz des Widerspruchs ungültig wäre, wird von Crusius als haltlos zurückgewiesen.46 Ein deutscher Anhänger Humes, der in der Berliner Aufklärung bekannte Christian Gottlieb Selle, hat Anfang der 1780er Jahre die moralphilosophische Konsequenz dieser Kritik an Wolff offen gelegt und verteidigt. Er hat 1783 in der Berlinischen Monatsschrift die Auffassung vertreten, ohne die Kontingenz von Ereignissen, d. h. ohne eine „natürliche Zufälligkeit“, würde „moralische Freiheit“ überhaupt nicht existieren.47 Der Wille sei zwar, wie Selle im Einklang mit Hume expliziert, nicht ohne Ursache und damit nicht frei im eigentlichen Sinne, jedoch seiner Natur nach etwas, was nur möglich sei, weil es Kontingenz im Bereich der Handlungen gebe. Es spricht einiges dafür, dass Reinhold der gegen die Wolffianer gerichteten Befürwortung kontingenter Ereignisse große Beachtung schenkte, und dies nicht zuletzt deshalb, weil er sich gleichzeitig von einer Position angezogen fühlte, bei der Kontingenz nicht nur als Voraussetzung, sondern auch als Moment des Willens und dadurch als Bestandteil der Willensfreiheit verstanden wird: Gemeint ist der sogenannte Äquilibrismus. Schon in der Phase der Niederschrift der frühesten Briefe ber die Kantische Philosophie war Reinhold der Überzeugung, die Hauptresultate der Kritik der reinen Vernunft seien dazu geeignet, die Missverständnisse zwischen Deterministen, Fatalisten und Äquilibristen auszuräumen.48 Im 43 Vgl. Fundament (1791), RGS 4.39. 44 „Every effect necessarily presupposes a cause; effect being a relative term, of which cause is the correlative. But this does not prove, that every being must be preceded by a cause“ (Hume 1898, Book I, Part III, Sect. 3 [383]). – Da Hume nur behauptet, dass es nicht zu jedem Ereignis eine Ursache gibt, widerspricht er nicht der zuvor erwähnten Annahme, dass bei Willensäußerungen immer ein Grund im Spiel ist. 45 Vgl. Fundament (1791), RGS 4.34 ff. 46 Vgl. Crusius 1747, § 260. 47 Vgl. Selle 1783, S. 489. 48 Vgl. KA 1.147, 156.

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Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens äußert sich Reinhold sodann ausführlicher zum Streit zwischen dem Deterministen und dem Äquilibristen und führt aus, dass sich beide wechselseitig des Fatalismus beschuldigen können.49 Der Determinist (Reinhold zielt hier unverkennbar auf Leibniz) hält die Vorstellung von einem „gänzlichen Gleichgewicht“, mit welcher der Äquilibrist operiert, für unhaltbar und weist darauf hin, dass ein solches Gleichgewicht, wenn es dieses denn gäbe, entweder der Bewegungslosigkeit gleichkommen oder zu einer „blinden Willkühr“ führen würde. Der Äquilibrist (vermutlich denkt Reinhold an Crusius, zumal dieser im Unterschied zu Leibniz und Wolff eine „vollkommene Freiheit“ [libertas plena] oder „libertas indifferentiae“ bzw. „libertas aequilibirii“ nicht für eine Fiktion hielt) 50 verteidigt sein Theorem des Gleichgewichts dahingehend, dass es eine Freiheit im Sinne der Unabhängigkeit des Willens sowohl vom Zwang durch die Sinne als auch vom Zwang durch die Vernunft geben müsse, anderenfalls ein Fatalismus entweder der Sinne oder der Vernunft unvermeidbar wäre. Was der Leibniz’sche Determinist mit seiner Ansicht einer Freiheit jenseits von Zwang, aber nicht jenseits von physischer oder moralischer Notwendigkeit befürwortet, ist aus der Sicht des Äquilibristen deshalb keine Freiheit, sondern nur ein „milderer Name“ für unüberwindlichen Zwang. Obwohl die Nähe Reinholds zum Äquilibristen aufgrund der vorausgeschickten Definition von Freiheit als absolutes, sowohl von der Sinnlichkeit als auch von der Vernunft unabhängiges Handlungsvermögen unverkennbar ist, sieht er bei dieser Gegenüberstellung von Determinismus und Äquilibrismus von einer Auflösung des Streits ab. Weder nimmt er für den Äquilibrismus Partei noch für eine Synthese der beiden Positionen.51

49 Vgl. Versuch, S. 97 f. 50 Vgl. Crusius 1767, §§ 49 f. – Zur Bedeutung dieser Haltung von Crusius bereits für Kant siehe Klemme 2008, S. 215 – 227. 51 Es sei darauf hingewiesen, dass Gottlob Ernst Schulze ein Jahr zuvor im ersten Band seines Grundrisses der philosophischen Wissenschaften zu einem ähnlichen Resultat gekommen war. Zunächst präsentierte er eine Definition des „Freiheitsvermögens“, das seines Erachtens aus den Momenten „Besinnung, Wahl, Selbstthätigkeit“ bestehen sollte (vgl. Schulze 1788, S. 396), danach diskutierte er Argumente des Determinismus und Indeterminismus und gab am Ende zu verstehen, dass er sich weder mit der einen noch mit der anderen Lehre anfreunden könne.

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In den Briefen II kommt Reinhold, ausgehend von seinem inzwischen gefestigten Begriff der Willensfreiheit, auf den Streit zurück.52 Dabei werden drei markante Fortentwicklungen der bisherigen Diskussion ersichtlich. Erstens ist der Determinist, dem es vorzuwerfen gilt, die Willensfreiheit nicht als absolute Unabhängigkeit verstanden zu haben, jetzt nicht mehr nur der Leibnizianer, sondern zugleich der Kantianer, der den Standpunkt eines intelligiblen Fatalismus vertritt, namentlich C. C. E. Schmid. Zweitens geht Reinhold dazu über, auf einen Grundfehler des Äquilibrismus aufmerksam zu machen. Dieser Grundfehler soll in der Missachtung der Tatsache bestehen, dass es im Bereich des Wollens und Handelns neben „bestimmenden“, d. h. mit Nötigung verbundenen, auch „veranlassende“, d. h. uns lediglich geneigt machende, Gründe gibt.53 Dabei wird diese Kritik von Reinhold derart vorgetragen, dass seine eigene Position sich mit einem verbesserten, reflektierten äquilibristischen Ansatz in Verbindung bringen lässt. Es soll darum gehen, einen Äquilibrismus unter Einschluss der Idee der veran-

52 Vgl. Briefe II, S. 277 – 281, RGS 2/2.190 – 192. 53 Vgl. Briefe II, S. 279, RGS 2/2.191 f. Es ist nicht auszuschließen, dass Reinhold bei dieser Kritik gleichfalls auf eine neue Interpretationstendenz im Kreise der Kantianer Bezug nimmt. So hat Karl Heinrich Heydenreich im zweiten Band der Betrachtungen ber die Philosophie der natrlichen Religion aus dem Jahre 1791 eine Auffassung von moralischer Freiheit unterbreitet, die man als eigentlichen oder starken Äquilibrismus namhaft machen kann. Nach Heydenreich zeichnet sich der „strenge“ und „allein wahre Begriff der moralischen Freyheit“ durch das Vermögen aus, „den vollständigen Grund von Handlungen zu enthalten und wirksam zu machen, welche dem Sittengesetz der Vernunft angemessen oder zuwider sind, ohne zu einem von beyden weder durch Einflüsse fremder Kräfte, noch durch seine eignen Vorstellungen nothwendig bestimmt werden zu können.“ Das freie moralische Wesen ist diesem Verständnis zufolge „durch sich selbst, und ohne alle Bedingung, gleich vermçgend, fr contradictorisch entgegengesetzte Handlungen, kann entweder sittlich gut, oder sittlich böse handeln, ohne eines von beyden mssen zu können.“ (Heydenreich 1791, S. 63 f.) Die Differenz zu Reinholds Konzeption ist unverkennbar. Im Unterschied zu Reinhold verzichtet Heydenreich auf die Annahme veranlassender Gründe. Zudem scheint er sich mit der Formulierung „ohne eines von beyden mssen zu können“ gegen Reinholds Behauptung aus dem Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens zu wenden, dass man bei aller freien Wahl doch immerhin zwischen der Forderung der Vernunft und jener des eigennützigen Triebes „whlen msse“ (siehe Anm. 28). – Reinhold wurde auf die Freiheitsauffassung Heydenreichs nachweislich durch Forberg im September 1791 aufmerksam gemacht. Den Hinweis auf diesen Zusammenhang verdanke ich Guido Naschert.

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lassenden Gründe zu konzipieren.54 Auf dieser Basis ist Reinhold drittens der Überzeugung, dass es eine Synthese äquilibristischer und deterministischer Ansichten zu bewerkstelligen gilt. Der Standpunkt des Deterministen oder intelligiblen Fatalisten, mit dem eine Freiheit im Sittengesetz hochgehalten wird, soll mit dem Standpunkt des Äquilibristen, der eine Freiheit in Bezug auf das Sittengesetz behauptet, zusammengeführt werden. Beide Standpunkte sind Reinhold zufolge in einer bestimmten Hinsicht richtig. Der eine, indem er ein Sittengesetz statuiert, das uns auffordert, sittlich zu handeln und das uns insofern die Nötigung des Sollens auferlegt, der andere, indem er unser Wählenkönnen des Sittengesetzes unabhängig von jeder vorgngigen Nötigung, sei dies durch die Sinne oder durch das Sittengesetz, voraussetzt. Wie ist das Resultat dieser neuerlichen Reflexion zum Verhältnis von Determinismus und Äquilibrismus zu bewerten? Salomon Maimon, mit Reinhold ab 1791 in einen denkwürdigen Briefwechsel verwickelt, hat Reinhold nach der Lektüre des 8. Briefes der Briefe II als Äquilibristen eingestuft und ihm vorgeworfen, den freien Willensentschluss „vom Zufall abhängen“ zu lassen.55 Seines Erachtens kann Reinhold, entgegen allen Beteuerungen, nicht vermeiden, dass mit seiner Auffassung von Willensfreiheit einem Handeln aus einem grundlosen Willen oder aus blinder Willkür das Wort geredet wird. Auch Kant scheint, sofern er mit der kritischen Aussage zu einem Handeln für oder wider das Gesetz, das einer libertas indifferentiae gleichkommen soll, wirklich Reinhold treffen wollte, diesen als Äquilibristen oder Indifferentisten zu sehen, wobei für Kant der Stein des Anstoßes bei dieser Position der erwähnte Befund ist, 54 Es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass Reinhold damit einen Weg einschlägt, den die Anhänger Leibniz’ für verfehlt halten müssen. Nach Leibniz sind veranlassende Gründe nicht Zwang implizierende, sondern uns lediglich zu einer Sache geneigt machende Gründe und deshalb gerade solche Gründe, die im Falle einer Wahl zwischen zwei Optionen den Ausschlag dafür geben, dass wir uns für die eine oder andere Seite entscheiden. In diesem Sinne stehen die veranlassenden Gründe bei Leibniz im Zeichen einer Überwindung des Äquilibrismus (vgl. Theodizee, 1. Teil §§ 43, 46, 49, Leibniz-PhW 6.126 f., 128, 129 f.). Nicht so bei Reinhold. Für Reinhold sind veranlassende Gründe zwar ebenfalls nicht Zwang implizierende, sondern uns lediglich geneigt machende Gründe, doch können sie uns bei einer Wahl nur affizieren und nicht bereits dazu bewegen, uns für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Erst durch das Freiheitsvermögen als absolutes Vermögen sind wir in der Lage, eine Entscheidung zu treffen, indem wir die uns veranlassenden Gründe zu bestimmenden Gründen erheben. Die veranlassenden Gründe sind hier somit Bestandteil des Äquilibrismus. 55 Vgl. Maimon-GW 4.256.

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dass das Wählen in den Bereich der Erfahrung gehört. Gegen das Urteil, Reinhold sei Äquilibrist, lässt sich natürlich umgehend einwenden, dass er in den Briefen II nicht nur dem Äquilibristen, sondern auch dem Deterministen gerecht zu werden versucht. Doch kommt man damit der Sache nicht auf den Grund. Zu klären ist vielmehr, ob die äquilibristische Idee, die Reinhold seiner Auffassung von Willensfreiheit unterlegt, nicht in der Tat genau die negativen Folgen hat, welche Kritiker wie Maimon zur Sprache bringen. Ich denke, dass dem nicht so ist, und ich möchte hierfür ausgehend von einem Hinweis auf den sogenannten Molinismus argumentieren, eine philosophisch-theologische Strömung, welche im 16. und 17. Jahrhundert im Rahmen der Debatten zur Gnadenlehre ein Verständnis von Willensfreiheit verfochten hat, das vermutlich am treffendsten zur Bezeichnung libertas indifferentiae sive aequilibrii passt.56 Der Begründer dieser Strömung, der spanische Theologe und Jesuit Luis de Molina (1535 – 1600), tritt in seinem Hauptwerk Liberi arbitrii cum gratiae donis […] concordia 57 als dezidierter Verfechter der Ansicht auf, dass es Freiheit in einem radikalen, sowohl dem Zwang als auch der Notwendigkeit entgegengesetzten Sinne gibt. Frei ist diesem Verständnis zufolge jenes „Handelnde“ („agens“) zu nennen, „welches, wenn alle Erfordernisse zum Handeln vorliegen, handeln oder nicht handeln kann, oder in der Weise das eine tut, dass es auch das Gegenteil tun könnte“ („quod positis omnibus requisitis ad agendum, postest agere et non agere, aut ita

56 Ist von den Quellen der libertas indifferentiae die Rede, wird gewöhnlich auf das – auch von Reinhold erwähnte (vgl. Briefe II, S. 280 f., RGS 2/2.192) – Beispiel von „Buridans Esel“ hingewiesen, welches in verwandter Form bereits bei Aristoteles und später bei Dante zur Kennzeichnung und Problematisierung einer äquilibristischen Freiheitsvorstellung verwendet worden ist. Von einer eigentlichen Lehre des Äquilibrismus, als die man den Molinismus bezeichnen kann, ist selten die Rede. Ob und wieweit Reinhold Schriften Molinas und seiner Anhänger rezipiert hat, ist nicht bekannt. Dass Reinhold im Laufe seiner jesuitischen Ausbildung zumindest mit den Grundgedanken von Molinas Freiheitslehre in Berührung kam, ist aber doch anzunehmen. Zudem dürfte Reinhold die Kritik an den Molinisten bei Leibniz (vgl. Theodizee 1. Teil § 39, Leibniz-PhW 6.124) bekannt gewesen sein. 57 Das aus Molinas Sentenzenkommentar hervorgegangene Werk konnte erst nach längerem Widerstand seitens der Ordenszensur publiziert werden und stand danach bei der päpstlichen Kommission unter der Anklage des Pelagianismus. Da eine abschließende Verurteilung ausblieb, wurde ihm im Rahmen der kirchlichen Lehre ein gewisses „Gastrecht“ zuteil (siehe Stegmüller 1935, S. 63).

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agere unum, ut contrarium etiam agere possit“).58 Was wir tun oder lassen, für welche Sache wir uns entscheiden, bestimmen wir dieser Freiheitsvorstellung gemäß völlig aus uns selbst heraus. Es besteht weder ein äußerer noch ein innerer Zwang. Zwanglosigkeit besteht zudem sowohl im Prozess der Entscheidungsfindung als auch im Akt des Entschlusses. Zwang gibt es erst, wenn ein Entscheid gefällt, die schließlich gewollte Handlung ausgeführt und damit irreversibel geworden ist. Molina versäumt es in der Folge nicht, gleichzeitig dafür zu plädieren, dass wir diese radikale Freiheit, sosehr sie aufgrund ihrer Charakterisierung als Gegenteil von Notwendigkeit naturgemäß mit der Vorstellung von Kontingenz oder Indifferenz einhergeht, im Sinne einer vernünftigen, begründeten Willenshandlung zu begreifen haben. Seiner Ansicht nach kann ein indifferentes Agieren nicht mit einem rein zufälligen, kopflosen Agieren gleichgesetzt werden. Plausibel machen lässt sich dies etwa im Falle eines Entscheides bei einer Mehrzahl gut begründeter Handlungsoptionen. Wenn wir uns aus der Situation der Indifferenz heraus für die eine dieser Handlungsoptionen entscheiden, kann der Entscheid aufgrund desjenigen, wofür wir uns entscheiden (eine gut begründete Handlung), nicht als grundlos, blind oder willkürlich bezeichnet werden. Indifferenz kann, muss aber nicht Grundlosigkeit oder blinde Willkür zur Folge haben. Molina geht es bei seinem Bestreben, die Freiheit der Indifferenz als vernünftige, begründete Freiheit begreiflich zu machen, allerdings weniger um Erklärungen dieser Art als um den im Titel seines Werks zum Ausdruck gebrachten Versuch, die Willensfreiheit mit der Prädestinationslehre in Einklang zu bringen. Wenn der Mensch völlig ungebunden entscheidet, bedeutet dies auch, dass er in seinem Wollen nicht von Gott beeinflusst wird. Dies wiederum lässt sich nur konsequent denken, wenn Gott selber angesichts der Weltschöpfung als ebenso frei vorgestellt wird wie der Mensch in seinen freien Willenshandlungen. Genau dies setzt Molina dann auch voraus. Gott kann sich in seinem Schöpfungsgeschehen für die eine oder andere Welt entscheiden. Er weiß somit nicht im Voraus, wie die von ihm geschöpfte Welt beschaffen sein wird. Um den Bezug zur Prädestinationsidee, die naturgemäß auf einen wissenden, die Zukunft voraussehenden Gott angewiesen ist, dennoch garantieren zu können, setzt Molina voraus, dass Gott letztlich weder wissend noch unwissend, sondern im Zustand eines mittleren Wissen („scientia media“) ist.59 Gott verfügt mit diesem mittleren Wissen über ein 58 Molina 1595, S. 8. 59 Molina 1588, S. 329 f.

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Vorauswissen über die Vorgänge in der Welt, das gleichsam in einem Zwischenbereich von fingiertem Nicht-Wissen vor der Schöpfung einerseits und fingiertem Wissen nach der vollständig realisierten Schöpfung andererseits zu lokalisieren ist. Gott hat in diesem mittleren Wissen ein Wissen über mehrere mögliche Welten. Mehr aber nicht. Denn da der Zufall und das Verfügen über lediglich hypothetisches Wissen ihm Grenzen setzen, kann er die verschiedenen Welten nicht vollständig als Teile einer einzigen Welt begreifen. Die hauptsächliche Absicht, welche Molina und seine Anhänger mit der Auslegung der Gnadenlehre auf der Basis einer Freiheit der Indifferenz verfolgten, bestand darin, verstärkt an die Verantwortung des Menschen für sein Wollen und Handeln zu appellieren, dem Menschen die Möglichkeit zu entziehen, die Verantwortung für sein Tun und Lassen auf Gott abzuschieben. Ihre Ansichten, allen voran ihre Vorstellung eines freien, indifferenten Wollens Gottes und des Menschen, blieben dabei selbstverständlich nicht unkontrovers. Ein profilierter philosophischer Gegner der Molinisten war Leibniz.60 Für Leibniz war es ausgemacht, dass der Zufall, dem Molina mit dem mittleren Wissen Rechnung trägt, zwar dem Menschen, aber nicht Gott Grenzen zu setzen vermag. Der Zufall hindert Gott nicht daran, von vorneherein die beste aller möglichen Welten zu kennen und sie auch zu schöpfen. Jede andere Schlussfolgerung würde, so Leibniz, die Prädestinationslehre über den Haufen werfen. Theologische Gegner der Molinisten waren die Thomisten und die auf den heiligen Augustinus rekurrierenden Jansenisten, sodann aber auch die Lutheraner. Letztere wandten sich gegen die Auffassung des freien menschlichen Willens, weil sie der Überzeugung waren, dass kein Menschenwerk, sondern allein die Macht Gottes (bzw. Christi) ein Heilsgeschehen in Gang zu setzen vermag. Die Ablehnung der Willensfreiheit hinderte sie allerdings nicht daran, vor anderem Hintergrund für die Idee menschlicher Freiheit einzutreten. Ihrer Meinung nach sollte Gott durch unseren Glauben an ihn in seiner Autorität und damit in seiner Möglichkeit, Gerechtigkeit zu üben, gestärkt werden. Denn nur unter einem starken und gerechten Gott, so der emanzipatorische Grundgedanke, können freie Menschen gedeihen. Gibt es keinen starken und gerechten Gott, ist alles erlaubt, und damit ist auch verantwortliches Handeln der Menschen gegenstandslos. Um zur Pointe meiner Argumentation zu kommen: Reinhold verteidigt eine molinistisch gefärbte Kant’sche Auffassung von moralischer 60 Siehe Theodizee 1. Teil §§ 39 – 43, 48, Leibniz-PhW 6.124 – 126 u. 129.

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Freiheit. Im Mittelpunkt dieser Auffassung steht ein molinistisches Freiheitsmotiv, nämlich die Überzeugung, dass das Verantwortlichsein für unser Tun und Lassen und die Gewissenhaftigkeit unseres Wollens und Handelns nur dann möglich sind, wenn unser Wille frei ist, wenn wir im Wollen völlig auf uns gestellt sind.61 Deshalb wird dem freien Willen als solchem der Vorrang vor einer Reflexion darüber, was denn eigentlich dieser freie Wille will, eingeräumt. Ganz im Sinne des Molinismus ist sodann auch das Bemühen, diesen freien Willen in ein konsistentes Verhältnis zu demjenigen zu bringen, was gewollt oder gefordert ist. Reinhold geht es zwar nicht um das Verhältnis des freien Willens zu einer als prädestiniert zu denkenden Weltordnung, sondern um das Verhältnis von freiem Willen und Sittengesetz. Dennoch geht es hier wie dort um den Versuch, die Unabhängigkeit des wählenden Willens in einer radikalen, auf das eigene Selbst fokussierten Weise derart geltend zu machen, dass gleichzeitig von einem begründeten Wählen die Rede sein kann. Für Reinhold stellt sich hierbei die Sache so dar, dass unser Wille in einem Grundverhältnis zu den als veranlassende Gründe zu begreifenden Instanzen des Sittengesetzes und des eigennützigen Triebes steht. Unser Wille entscheidet frei angesichts der beiden Instanzen, da diese ihn nur zu etwas veranlassen und nicht zu etwas nötigen können. Bei dieser Entscheidungssituation kann insofern von einer Freiheit der Indifferenz oder Kontingenz gesprochen werden, als kein Veranlassungsgrund uns stärker affiziert als der andere, wir somit völlig auf uns selbst zurückgeworfen sind. Aber es besteht bei dieser Entscheidungssituation insofern keine Freiheit der Indifferenz oder Kontingenz, als wir uns nicht für oder gegen etwas Beliebiges, sondern nur für oder gegen das Sittengesetz entscheiden können (und entscheiden müssen). Die von uns getroffene Entscheidung muss zudem nicht grundlos oder der blinden Willkür überlassen sein. Wir 61 Für Reinhold bedeutet dies auch, dass sich Verantwortung und Gewissen zwar im Zusammenhang des Sittengesetzes und nur im Zusammenhang des Sittengesetzes ergeben, dass Verantwortung und Gewissen aber nicht auf das Sittengesetz abgewälzt werden können. Das Ich als wollendes Wesen bleibt immer in der Pflicht. Mein Befolgen des Gesetzes allein bedeutet noch nicht, dass ich meine Verantwortung damit vollauf wahrgenommen habe bzw. dass mein Gewissen ein für allemal beruhigt sein kann. Bei Kant scheinen, wie seine Ausführungen aus der Metaphysik der Sitten zur Gewissensthematik (vgl. Kant-AA 6.437 ff.) verraten, Verantwortung und Gewissen nicht diese starke Bedeutung zu haben. Für Kant ist das Gewissen ein Moment sittlicher Urteilskraft, das dem mit dem Sittengesetz gegebenen praktischen Verstande unterworfen ist und durch Vernunft losgesprochen werden kann.

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sind auch dann, wenn kein Veranlassungsgrund uns stärker affiziert als andere, in der Lage, uns mittels Überlegung, Abwägung von Gründen und Gegengründen für oder wider das Sittengesetz zu entscheiden. Als wollende Person, die wählen kann und zu wählen vermag, vermögen wir auch zu überlegen und zu wissen, was wir wählen. Die Ungebundenheit meines Willens, welche bedeutet, dass mein Wille nur an mich selbst gebunden ist, ich der Wille selbst bin, schließt mit anderen Worten nicht aus, dass ich mich auf veranlassende Gründe zu beziehen und eine kognitive Leistung angesichts dieser Gründe in Gang zu setzen vermag.62 Was diese molinistisch anmutende Freiheitsauffassung Reinholds letztlich als problembehaftet erscheinen lässt, hat meines Erachtens nichts mit einem zufälligen, blind willkürlichen Handeln oder mit einer ungenügenden Respektierung des Sittengesetzes zu tun, sondern einzig und allein mit der nicht explizierten Unterscheidung zwischen der Willensfreiheit als einer Freiheit vor und whrend der Wahl einerseits und der moralischen Freiheit nach der Wahl bzw. der Freiheit durch die richtig getroffene Entscheidung, die Entscheidung zum Sittlichen, andererseits.63 Reinhold hat es für selbstverständlich gehalten, dass man sich für das Richtige, das Sittengesetz, entscheiden sollte. Desgleichen war es für ihn ausgemacht, dass dem Willen ein ausreichendes Vermögen zukommt, die richtige Entscheidung zu fällen. Diese Konnotation von Sittengesetz und Freiheit war seines Erachtens dadurch, dass der Standpunkt der moralischpraktischen Vernunft und damit der moralischen Freiheit überhaupt eingenommen wird, je schon gegeben. Im diesem Sinne ging er immer 62 Aus dieser Sicht wird man behaupten können, dass Reinhold die Auffassung eines Willensvermögens, das sich indifferent oder – wenn man den räumlichen Ausdruck bevorzugt – äquidistant zum eigennützigen und uneigennützigen Trieb verhält, zwar insofern nicht ausschließt, als er annimmt, die Entscheidung für einen der beiden Triebe obliege diesem Vermögen selbst und niemand anderem. Da aber Reinhold kein kraftloses und kein unwissendes Vermögen voraussetzt (keinen toten Punkt, der äquidistant zu zwei anderen liegt), ist dieses dem Verhältnis der Indifferenz oder Äquidistanz nicht ausgeliefert. Die Vorstellung von Indifferenz oder Äquidistanz trifft deshalb auf das, worum es Reinhold insgesamt geht, gar nicht zu. – Man beachte zu diesem Thema auch die Fußnote 22 aus dem Aufsatz von Daniel Breazeale im vorliegenden Band. 63 Auf eine Unterscheidung dieser Richtung scheint Reinhold erst in den Verhandlungen ber die Grundbegriffe und Grundstze der Moralitt von 1798 Wert zu legen. Die Willensfreiheit soll als „ursprüngliche“ Freiheit, als Freiheit zum Sittlichen wie zum Unsittlichen, aber auch als „zu erwerbende Freiheit“, als sittliche Freiheit, begriffen werden (siehe Grundstze der Moralitt. §§ 42 f., S. 31 – 33).

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auch davon aus, das praktische Gesetz könne ein „Gesetz der Freyheit“ heißen.64 Allerdings kommt diese Ansicht mit seiner Definition der Willensfreiheit nicht zum Ausdruck. Es ist dort lediglich von der selbstbestimmten Entscheidung für oder gegen das Sittengesetz die Rede und damit von einer Freiheitsgrundlage, die zwar sittliches und unsittliches Wollen zusammenfasst aber nicht gleichzeitig auch freies Wollen und Freiheitsgesetz. Im Vergleich zu Reinholds Verständnis von Willensfreiheit ist Kants Verständnis von Willkürfreiheit wenn nicht anti-molinistisch, so doch nicht-molinistisch. Und hierin besteht meines Erachtens der Grund für die Differenz zwischen Reinhold und Kant in der Freiheitsfrage. Bei Kant ist ein anderes Freiheitsmotiv vorherrschend als bei Reinhold. Im Zentrum steht die Überlegung, dass die Menschen nur dann frei sind, wenn sie unter einem allgemeinen Gesetz stehen, ihre Willkür auf Allgemeinheit ausrichten oder unter allgemeinen Gesetzen organisieren. Nicht Verantwortung und Gewissenhaftigkeit, sondern Gerechtigkeit ist das, was Kant primär mit dem Gedanken moralischer Freiheit assoziiert. Kants Freiheits- und Sittlichkeitsverständnis ist wiederholt mit Luthers Freiheit des Christenmenschen in Verbindung gebracht worden.65 Im Blick auf die Tatsache, dass Luther Freiheit unmittelbar mit der Gnadenlehre verknüpft, die Realisierung menschlicher Freiheit von der Gnade Gottes abhängig macht, ist dieser Vergleich wohl kaum zu halten. Kant zufolge kommt dem Menschen in seiner Willkürfreiheit das Vermögen zu, aus sich selbst dem Gesetz zu folgen, so dass eine göttliche Gnade hier überflüssig ist und erst bei dem als Postulat aufgestellten moralischen Ziel des höchsten Gutes eine Rolle spielen kann. In anderer Hinsicht, so in Bezug auf die enge Verbindung von Freiheit und moralischem Gesetz, scheint mir der Vergleich Kants mit Luther aber durchaus angemessen. Analog zu Luthers Mensch-Gott-Beziehung kann für Kants Mensch-Gesetz-Beziehung gelten: Nicht menschliche Freiheit in der Entscheidung für oder gegen das moralische Gesetz, sondern menschliche Freiheit im Glauben an das moralische Gesetz, Freiheit durch eine Stärkung und Befolgung des moralischen Gesetzes, ist der richtige Weg. Dem Gedanken einer gesetzeszentrierten Willkürfreiheit entsprechend, geht es Kant nicht um das Whlen des Richtigen, sondern um das Wählen des Richtigen. Auch Kant ist mit seiner Auffassung von Willkürfreiheit der 64 Vgl. Briefe II, S. 68, RGS 2/2.54. 65 Neuerdings geschieht dies wiederum in einigen Beiträgen aus dem Sammelband von Zager 2010.

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Meinung, dass das Wählen eine Rolle spielt; aber weit wichtiger ist ihm, dass die Willkürfreiheit mit dem Sittengesetz konform ist. Das Manko bei Kant ist, dass mit dieser Prioritätensetzung die radikale, das Sittliche wie das Unsittliche betreffende Wahlfreiheit und deren Freiheitseffekte der Verantwortlichkeit und Gewissenhaftigkeit unter ihrem Wert gehandelt werden. Meines Erachtens folgen beide, Reinhold und Kant, einem Freiheitsmotiv, das man in Ehren halten sollte. Vielleicht lässt sich ausgehend von Reinhold und Kant auch ein Konzept moralischer Freiheit entwickeln, das beiden Motiven in ausgewogener Weise gerecht wird.66

Literaturverzeichnis Bondeli, Martin (2007): „Über Ideen, Postulate der praktischen Vernunft und ein wiedererwachtes theologisches Interesse an Kant“, in: Freiburger Zeitschrift fr Philosophie und Theologie 54, Heft 1/2, S. 250 – 263. Crusius, Christian August (1747/1767): Weg zur Gewißheit und Zuverlßigkeit der menschlichen Erkenntniß. Leipzig/3. Auflage Leipzig. Habermas, Jürgen (1997): Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie. 2. Auflage Frankfurt/M. Heydenreich, Karl Heinrich (1791): Betrachtungen ber die Philosophie der natrlichen Religion. Zweyter Band. Leipzig. Hume, David (1898): A Treatise of Human Nature. 2 Bde. London (The philosophical works. Hrsg. von T. H. Green/T. H. Grose). Klemme, Heiner F. (2008): „Moralisches Sollen, Autonomie und Achtung. Kants Konzeption der ,libertas indifferentiae‘ zwischen Wolff und Crusius“, in: Recht und Frieden in der Philosophie Kants, Akten des X. Internationalen KantKongresses, Band 5, hrsg. von V. Rohden u. a. Berlin, New York, S. 215 – 227. Lazzari, Alessandro (2004): „Das Eine, was der Menschheit Noth ist“. Einheit und Freiheit in der Philosophie Karl Leonhard Reinholds (1789 – 1792). Stuttgart-Bad Cannstatt. Molina, Luis de (1588/1595): Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedestinatione et reprobatione, concordia… Lissabon/2. überarbeitete und erweiterte Auflage Antwerpen. Platner, Ernst (1782): Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Anderer Theil. Frankfurt/M. und Leipzig. Schulze, Gottlob Ernst (1788): Grundriß der philosophischen Wissenschaften. Erster Band. Wittenberg und Zerbst. 66 Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Siegener Reinhold-Tagung sowie Jean-Claude Wolf danke ich für wertvolle Anregungen und kritische Bemerkungen.

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Selle, Christian Gottlieb (1783): „Von den Gesetzen der menschlichen Handlungen“, in: Berlinische Monatsschrift 1783/2, S. 488 – 502. Stegmüller, Friedrich (Hrsg.) (1935): Geschichte des Molinismus. 1. Band. Neue Molinaschriften. Münster i.W. Wolff, Christian (1751): Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen berhaupt (Deutsche Metaphysik) Hrsgg. von Charles A. Corr, Gesammelte Werke, Materialien, Dokumente, hrsgg. v. J. Ecole [u.a.], 1.Abt. Dt. Schriften Bd.2.1 und 2.2 2009, Hildesheim, Zürich, New York, Zager, Werner (Hrsg.) (2010): Martin Luther und die Freiheit. Darmstadt.

Kants Replik auf Reinhold Manfred Baum Abstract: In the Introduction to his Metaphysics of Morals Kant replies to Reinhold’s definition of freedom of the will (in the second volume of his Briefe) as a faculty to choose between acting in fulfilment or contrary to the moral law. For Kant the faculty of choice has to be distinguished from the will. The latter is neither free nor unfree, and freedom of the faculty of choice as noumenon cannot be defined as the freedom of choosing between alternatives but must be understood as the positive faculty of causally being determined by the moral law (in adopting a maxim matching the requirement of this law). Die Freiheit der Willkür […] kann nicht durch das Vermögen der Wahl für oder wider das Gesetz zu handeln, (libertas indifferentiae) definirt werden – wie es wohl einige versucht haben, – obzwar die Willkür als Phnomen davon in der Erfahrung häufige Beispiele giebt. (Kant, Metaphysik der Sitten)

Der Begriff der Freiheit hat bei Kant mehr als eine Bedeutung. Wer nicht mindestens zwischen innerer und äußerer, praktischer und transzendentaler, negativer und positiver Freiheit zu unterscheiden weiß, kann die mit ihr verbundenen Probleme nicht angemessen erörtern. Der Begriff gehört nicht nur beiden Teilen der Philosophie an, der theoretischen und der praktischen, sondern er bildet, in einer seiner Bedeutungen, nach Kant auch „den Schlußstein von dem ganzen Gebäude der reinen, selbst der speculativen Vernunft“,1 also dem aus Metaphysik der Natur und Metaphysik der Sitten gebildeten Gesamtsystem der Metaphysik, auch und gerade nach deren kritischer Neubegründung. Die Freiheit ist eine Eigenschaft des praktischen Grundvermögens des Menschen, das Kant Wille oder auch Willkür nennt und das in Kants an Baumgartens psychologia empirica orientierter Einteilung des Seelen- oder Gemütsvermögens das obere oder vernünftige Begehrungsvermögen genannt wird. Bei der Vorbereitung seines endgültigen Systems der 1

KpV, Kant-AA 5.3 f.

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Moralphilosophie, der Metaphysik der Sitten von 1797, und in diesem Buch selbst hat Kant eine terminologische Neuerung gegenüber der Kritik der reinen Vernunft, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, der Kritik der praktischen Vernunft und der Religionsschrift vorgenommen, die seine treuesten Anhänger, jedenfalls nach der Reaktion Reinholds zu schließen, überrascht hat. Reinhold schreibt in seinem Aufsatz Einige Bemerkungen ber die in der Einleitung zu den ,Metaphysischen Anfangsgrnden der Rechtslehre‘ von I. Kant aufgestellten Begriffe von der Freiheit des Willens von 1797, dass er, wie vermutlich auch andere Leser der Kantischen Schriften, die in dieser Einleitung „vorkommenden Erörterungen über Begehrungsvermögen, Willen, Willkür und Freiheit entweder unverständlich oder unhaltbar“ finde.2 Dieses Nichtverstehen eines „sonst sehr verständlichen Lehrers“ setze ihn, wie auch andere Schüler Kants, in „Verlegenheit“,3 und der dieser Verlegenheit entsprungene Aufsatz enthält dann eine sehr heftige Auseinandersetzung mit der neuen Version von Kants Moralphilosophie, die darauf hinausläuft, Kant Inkonsistenz mit seiner bisherigen Lehre und zugleich die Unhaltbarkeit der neuen Lehre nachzuweisen. Wir sind in der glücklichen Lage, eine Vorarbeit Kants zur Einleitung in die Metaphysik der Sitten auf einem losen Blatt aus dem Nachlass Kants zur Verfügung zu haben, aus der sich, zusammen mit dem später gedruckten Text, entnehmen lässt, warum Kant Willen und Willkür als zwei praktische Vermögen des Menschen unterschieden wissen will, obwohl sich die provozierende Behauptung der Druckfassung, „der Wille […] kann weder frei noch unfrei genannt werden,“4 dort noch nicht findet. Reinhold hat angenommen, dass Kants neu eingeführte Unterscheidung in einer Kritik Kants an seiner eigenen, im zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie (1792) enthaltenen Definition der Willensfreiheit ihren Ursprung habe.5. Er selbst erläutert seinen Begriff in dem genannten Aufsatz so, dass Freiheit das Vermögen des Willens sei, „seinem Gesetze gemäß und zuwider zu handeln“ bzw. „das Vermögen entweder Lust und Unlust oder das Gesetz zum Bestimmungsgrund des Entschlusses zu wählen“ (ebd.), wobei unter „Gesetz“ Kants Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft zu verstehen ist, das in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) lautet: „Handle so, daß die Maxime deines 2 3 4 5

Bittner/Cramer 1975, S. 310 f. Bittner/Cramer 1975, S. 311. MdS, Kant-AA 6.226. Bittner/Cramer 1975, S. 317.

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Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“6 (Hier werden übrigens die Maximen von Kant selbst dem Willen und nicht der Willkür zugeordnet.) In den Briefen wurde die Freiheit des Willens definiert als „Vermögen […], jenes Gesetz zu befolgen oder zu übertreten“7 bzw. als „das Vermögen der Selbstbestimmung durch Willkühr für oder gegen das praktische Gesetz“.8 Gegen diese Auffassung von Freiheit des Willens wendet Kant nun zweierlei ein: Sie könne erstens nicht dem Willen, sondern nur der Willkür zugeschrieben werden und diese Aussage sei dann zweitens keine Definition („Erklärung“) der Willkür, sondern nur ein kontingent wahrer Satz über sie. In der Vorarbeit heißt es gleich zu Beginn: „Der Wille des Menschen muß von der Willkür unterschieden werden. Nur die letztere kann frey genannt werden und geht blos auf Erscheinungen, d. i. auf actus, die in der Sinnenwelt bestimmt sind.“9 Die Freiheit der Willkür ist demnach eine Art von Kausalität des menschlichen Handlungsvermögens, dessen Handlungen auf Zweckbegriffen und Maximen beruhen und sich in der inneren und äußeren „Sinnenwelt“ vollziehen. Als Gegenstände uns möglicher Erfahrung sind diese Handlungen bloß actus, als auf Zweckbegriffen und Maximen beruhend sind sie facta, die in der Zeit erfolgen und somit bestimmt sind als (nachfolgende) Wirkungen in der Willkür des Menschen als ihrer Ursache. Als solche unterliegen sie dem transzendentalen Gesetz aller Veränderungen in der Zeit, ihrer Prädetermination durch vorhergehende Ursachen. Der Wille muss also von der so verstandenen Willkür unterschieden werden: „Denn der Wille ist nicht unter dem Gesetz, sondern er ist selbst der Gesetzgeber für die Willkür und ist absolute praktische Spontaneität in Bestimmung der Willkühr.“10 Das Gesetz, dem der Wille im Gegensatz zur Willkür nicht untersteht, ist zunächst das transzendentale Naturgesetz der Prädetermination der Handlungen einer Ursache, seine Bestimmung der Willkür als des Vermögens der Maximen ist deshalb keine unter Zeitbedingungen erfolgende Handlung, sondern ein nur denkbarer Gesetzgebungsakt ohne direkte Wirkung in der erfahrbaren Welt. Der Wille ist also dasselbe wie die praktische Vernunft, beider Gesetzgebung 6 7 8 9 10

KpV Kant-AA 5.30. Briefe II, S. 185, RGS 2/2.137. Briefe II, S. 272, RGS 2/2.188. Kant-AA 23.248. Kant-AA 23.248.

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beruht nicht auf zeitlich vorhergehenden und sie determinierenden Ursachen, sondern ist „absolute praktische Spontaneität“ des indirekten Bestimmens von menschlicher Praxis, das erstens unabhängig von in der Zeit vorhergehenden Ereignissen und zweitens etwas ist, das das Vermögen des Willens (oder der praktischen Vernunft) bekundet, von selbst zu handeln, d. h. eine unbedingte Kausalität als Gesetzgeber zunächst im Verhältnis zur Willkür und ihren Maximen und mittelbar im Verhältnis zu den diesen gemäß erfolgenden Handlungen in der Sinnenwelt zu haben. Die „absolute“ Spontaneität oder die „transzendentale“ Freiheit des Willens wird dabei von der bloß komparativen Freiheit der Willkür unterschieden, sich von bestimmten Neigungen des Begehrungsvermögens unabhängig zu entschließen, also dem, was Kant in der Kritik der reinen Vernunft „praktische Freiheit“ genannt hat, die er als Erfahrungstatsache ansieht. Aber in der Vorarbeit kommt es Kant auf einen anderen Unterschied zwischen Wille und Willkür an, nämlich den in der Art ihrer Freiheit als positives Vermögen der Gesetzgebung einerseits und als Naturvermögen der Wahl zwischen Maximen andererseits. Wenn ich diesem Naturvermögen der Willkür positive Freiheit zuspreche, so kommt sie dem Menschen, der sie hat, nicht als Phänomen oder Objekt der Sinne, sondern nur als Noumenon oder Objekt des Verstandes zu. Denn in der Natur als Inbegriff der Phänomene in der Zeit kann es keine Freiheit geben, da diese unter Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung unmöglich ist. Wenn ich also dem Menschen eine freie Willkür zuspreche, so beziehe ich mich auf den Menschen, der zwar ein Gegenstand der Sinne ist, aber nur als Noumenon, sofern er nämlich kein durch die Zeit bedingter Gegenstand der Sinne, sondern ein bloß denkbarer Gegenstand ist. So heißt es entsprechend in der Vorarbeit: „Willkühr ist das Vermögen unter gegebenen Gegenständen zu wählen. […] Der Grund der Möglichkeit einer Willkühr überhaupt in dem Begriff des Menschen als noumenon, ist nur der der Freyheit (Unabhängigkeit von Bestimmungen durch Sinnlichkeit, mithin blos negativ).“11 Die Freiheit kann dem Naturvermögen der menschlichen Willkür gerade nicht als Naturvermögen, sondern nur als Vermögen eines Noumenons zukommen. Und die Annahme, dass dieses Wahlvermögen in seiner Wahl der Maximen frei sei, woraus folgt, dass es das Vermögen einer intelligiblen Ursache sein müsse, beruht dann auf der vermeintlich erfahrbaren Unabhängigkeit der Maximenannahme von „Bestimmungen durch Sinnlichkeit“, die wir 11 Kant-AA 23.248.

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empirisch als unsere „praktische Freiheit“ kennen mögen, die aber die Möglichkeit einer transzendentalen Freiheit ungeprüft voraussetzt, welche ihrerseits unter Erfahrungsbedingung gar nicht möglich ist. Aber die Willkür kann noch in einem anderen Sinne frei genannt werden, nämlich als frei gegenüber den durch den Willen als Gesetzgeber gegebenen moralischen Gesetzen. Denn die Maximen der Willkür, die auf einem Akt ihrer Annahme durch eben diese Willkür beruhen, können gesetzwidrig und also böse sein, trotz der Gesetzgebung für diese Maximenwahl durch den Willen als reine praktische Vernunft. So sagt Kant: Die Maximen der Willkühr […], weil sie auf Handlungen als Erscheinungen in der Sinnenwelt gehen, können böse seyn und die Willkühr als Naturvermögen ist in Ansehung jener Gesetze (des Pflichtbegriffes) frey, durch die sie eigentlich nicht unmittelbar bestimmbar ist, sondern nur vermittelst der Maximen, sie jenem [Pflichtbegriff] gemäs oder zuwieder zu nehmen.12

Die Freiheit der Willkür in diesem Sinne ist also die Freiheit gegenüber den pflichtgebietenden Sittengesetzen. Kant nimmt also an, dass die Willkür als empirisch bekanntes Wahlvermögen in dieser Wahl negativ frei ist, eine Maxime zu wählen und anzunehmen, die nicht als allgemeines Gesetz für alle Vernunftwesen gedacht werden kann und also gegenüber dem alle Pflichten begründenden Sittengesetz gesetzwidrig und damit pflichtwidrig ist. Diese Art der Wahlfreiheit (liberum arbitrium) als Freiheit von einem unmittelbaren Bestimmtsein durch den Willen oder die reine praktische Vernunft ist also zwar eine empirische Tatsache, aber gleichwohl in ihrer Möglichkeit unerklärlich. Die Willkür ist also durch den Willen als Gesetzgeber zwar bestimmbar zum Handeln, aber nicht unmittelbar, sondern nur vermittelst der Maximen, deren bloße Form durch ihn vorgeschrieben und damit bestimmt wird, welche sie wählen und annehmen soll und welche nicht, ohne dass dadurch eine besondere Maxime geboten würde. Das ist der Grund für die materiale Unbestimmbarkeit und damit negative Freiheit als Unabhängigkeit der Willkür in ihrer Wahl gegenüber dem Willen als Gesetzgeber. Positiv können wir die Willkür nicht in ihrer Beschaffenheit erkennen, so dass es auch möglich würde, diese Unabhängigkeit eines Wahlvermögens gegenüber dem gesetzgebenden Willen in ihrer Möglichkeit ihrerseits zu erkennen. Gleichwohl ist die Willkür auf ihre Weise ein gesetzgebendes Vermögen, sofern sie nämlich der Sinnlichkeit in 12 Kant-AA 23.248.

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Gestalt der gewählten Maxime ein „subjektives Gesetz“13 vorschreibt. Denn das Handeln nach einer Maxime ist vernünftiges Handeln, das die einzelne vorgestellte Handlung als Fall einer allgemeinen Regel meines Handelns subsumiert und sie dadurch in dem Entschluss der Willkür der Sinnlichkeit als Quelle von Antrieben zum Handeln (stimuli) entzieht. Die Willkür muss also ein solches positives Vermögen der Annehmung von Maximen als Handlungsgrundsätzen sein, auch wenn wir ihre innere Möglichkeit und Funktionsweise nicht durchschauen. Denn dieses Vermögen bedeutet ja, dass der vernünftig nach Maximen oder Gesetzen Handelnde nicht nach einem Gesetz der Natur von jenem subjektiven Gesetz abweichen kann, das er sich selbst gegeben hat, indem er seine Maxime annahm. „Das Abweichen vom Gesetz ist kein übersinnliches Vermögen“,14 sondern ein Unvermögen des Menschen, seiner eigenen praktischen Vernunft (durch Befolgung seiner Maximen) gemäß zu handeln, das seinerseits in seiner Möglichkeit nicht eingesehen werden kann. Allerdings kann dieses Abweichen vom Gesetz, sei es dem subjektiven (der Maxime), sei es dem objektiven Gesetz der reinen praktischen Vernunft für die Annehmung von Maximen durch die Willkür, nicht als deren Handlung „nach einem Gesetz der Natur“15 erklärt werden, da es dann durch dieses Naturgesetz eindeutig bestimmt, die gesetzwidrige Maxime also prädeterminiert und somit der Willkür selbst nicht zurechenbar wäre. Auch deshalb muss das Abweichen vom Gesetz bei der Wahl der Maxime durch die Willkür unerklärlich bleiben. Kant fasst seine bisherigen Überlegungen über die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Wille und Willkür so zusammen: Die Freyheit der Willkür in Ansehung der Handlungen der Menschen als Phnomenon besteht allerdings in dem Vermögen, unter zwey entgegengesetzten (der gesetzmäßigen und gesetzwiedrigen) [Maxime] zu wählen und nach dieser [Freiheit] betrachtet sich der Mensch selbst als Phnomen. – Der Mensch als Noumen ist sich selbst sowohl theoretisch als praktisch gesetzgebend für die Objecte der Willkühr und sofern frey, aber ohne Wahl.16

Demnach ist die phänomenale Willkürfreiheit zwar wirklich eine bloße Wahlfreiheit, die auch die Möglichkeit umfasst, gesetzwidrige Maximen zu wählen. Schreibe ich hingegen dem Menschen einen sich selbst das Gesetz gebenden Willen (korrespondierend zu der theoretischen Ge13 14 15 16

Kant-AA 23.249. Kant-AA 23.249. Kant-AA 23.249. Kant-AA 23.249.

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setzgebung durch den reinen Verstand und die Urteilskraft) zu, so kann eine solche Selbstgesetzgebung für die Zwecke des Menschen als Objekte seiner Willkür nur ihm selbst als denkbarem aber unerkennbaren Wesen (Noumenon) zukommen, dessen Autonomie ihn zu einem positiv freien Urheber seiner Handlungen, sc. seiner inneren Handlungen, in der Zwecksetzung und Annehmung seiner Maximen, und seiner äußeren Handlungen gegenüber anderen Menschen als Personen, macht. Die Freiheit der Gesetzgebung durch den Willen für die Willkür ist als Selbstgesetzgebung aber keine freie Handlung, da der Wille als praktische Vernunft sie nicht unterlassen kann. Diese Gesetzgebung kann nur „sofern frei“ genannt werden, als Autonomie Selbstbestimmung und nicht Fremdbestimmung in der Gesetzgebung bedeutet. Aber die praktische Vernunft als Gesetzgeberin ist nur insofern handelnd oder praktisch, als sie notwendig das Gesetz für die Willkür und ihre Wahl der Maximen gibt, die ihrerseits Handlungsmaximen und d. h. vernünftige Bestimmungsgründe der Praxis sind. Dem Willen als Selbstgesetzgeber kommt also gerade nicht die Freiheit der Wahl zu, die für die Willkür konstitutiv ist, ja der Wille ist selbst kein unmittelbar praktisches Vermögen, da er nicht einmal die Maxime des Handelns inhaltlich bestimmt, sondern nur ihre Form vorschreibt. Noch weniger ist der freie Wille wie die Willkür die Ursache einzelner Handlungen nach Maximen. Deshalb kann Kant in der Einleitung der Metaphysik der Sitten in Übereinstimmung mit seiner Vorarbeit sagen, dass der Wille, „der auf nichts Anderes, als bloß auf Gesetz geht“, also als Gesetzgeber, der nicht selbst handelt, „weder frei noch unfrei genannt werden kann“.17 Das ist etwas, was Kant erst nach der terminologischen und sachlichen Unterscheidung von Wille und Willkür, die durch Reinhold veranlasst sein mag, sagen konnte. Dementsprechend fährt Kant fort, der Wille, der nicht auf Handlungen, sondern als gesetzgebende praktische Vernunft „unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen […] geht“, sei „daher auch schlechterdings nothwendig“.18 Der Wille, der nicht selbst handelt, sondern nur das Gesetz gibt: „handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann“,19 hat weder die Freiheit der Wahl, da dieses Gesetz ihm selbst als reiner praktischer Vernunft entspringt und daher gar nicht anders möglich ist als es faktisch lautet, noch ist er, wie die Willkür in ihrer Annehmung von Maximen einer „Nöthigung“ auch nur „fähig“, die 17 MdS, Kant-AA 6.226. 18 MdS, Kant-AA 6.226. 19 MdS, Kant-AA 6.226.

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durch ein Sollen ausgedrückt werden könnte. Denn von ihm selbst geht alle moralische Nötigung, die im Sittengesetz als kategorischem Imperativ ausgedrückt ist und alle moralische Verbindlichkeit von Handlungen als Pflichten begründet, erst aus. Als Gesetz für die Setzung von Zwecken als Objekten der Willkür und für die Annehmung ihnen entsprechender Maximen, aber auch für das Rechthandeln im äußeren Verhältnis des Menschen zu sich und anderen Menschen, kann das durch den Willen der Willkür gegebene Gesetz seinerseits keiner Wahl unterliegen, sondern nur ein notwendiger Ausdruck der reinen praktischen Vernunft als Gesetzgeberin sein, von dem man allenfalls metaphorisch sagen kann, dass der Wille ihn gewollt habe. Aber die Willkür steht unter dem Gesetz der reinen praktischen Vernunft als Gesetz, das die Maximen der menschlichen Handlungen betrifft, „warum er die Wahl hat“.20 Aber die Freiheit dieser Wahl ist nur die einer eingeschränkten Spontaneität im Verhältnis zu gegebenen und von ihren Zwecken bzw. Triebfedern abhängigen Maximen. Die absolute Spontaneität der Selbstgesetzgebung geht also logisch der Maximenwahl vorauf. Insofern ist die Willkür in der Wahl ihrer Maxime „frey zu thun oder zu lassen, was das Gesetz befiehlt“,21 nämlich die Gesetzestauglichkeit der im Handeln befolgten Maxime. Eben wegen dieser Freiheit der gewählten Maxime von der Determination durch den Willen und damit der Willkür im Verhältnis zu dem moralischen Gesetz, das ihrer Entscheidung voraufgeht, kann sich diese Willkür gegen das Gebot des Gesetzes entscheiden und eine sittengesetzwidrige, weil nicht selbst als Gesetz für alle Vernunftwesen taugliche, Maxime wählen. Eine solche Wahl ist ein Akt spontaner Willkür, der erfahrungsgemäß oft geschieht, der aber in eine Definition der Freiheit der Willkür nicht gehört, da er nicht zu den notwendigen Eigenschaften der freien Willkür als solcher gehören kann. Denn nichts würde die Willkür hindern, in ihrer freien Wahl immer die gesetzmäßige Maxime zu ergreifen und sich zueigen zu machen, obwohl diese Wahlentscheidung weder durch ein Naturgesetz noch durch das im Sollen bloß nötigende Sittengesetz notwendig gemacht würde. Also bleibt auch die Entscheidung für eine gesetzwidrige Maxime ein bloßer kontingenter, wenn auch häufiger Sonderfall der Wahl durch die Willkür, der bei der Vereinigung der notwendigen Merkmale in der Definition des Begriffs einer freien Willkür überhaupt nicht aufgeführt werden sollte. 20 Kant-AA 23.249. 21 Kant-AA 23.249.

Kants Replik auf Reinhold

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„Aber der Wille ist auf eine andre Art frey, weil er gesetzgebend, nicht gehorchend ist, weder dem Naturgesetz noch einem andern, und sofern ist die Freyheit ein positives Vermögen, nicht etwa zu wählen, denn hier ist keine Wahl, sondern das Subjekt in Ansehung des Sinnlichen der Handlungen zu bestimmen.“22 Die Freiheit des Willens ist also sein nicht bloß von der Sinnlichkeit unabhängiges, sondern sein positives Vermögen von unbedingter Kausalität, sofern durch das vom Willen gegebene Gesetz der Mensch hinsichtlich seiner möglichen natürlichen Zwecke dazu bestimmt ist, nur solche zu setzen, deren Maxime als allgemeines Gesetz gelten kann. Der freie Wille hat also, ohne selbst zu wählen, die Kausalität der Einschränkung sinnlich bedingter Zwecksetzung auf die Bedingung der Gesetzestauglichkeit ihrer Maximen, auch ohne dass eine bestimmte Handlung durch ihn bewirkt wird. Seine Kausalität und d. h. seine Freiheit wird im Bewusstsein des Sollens erkennbar, durch das das Sittengesetz als die Willkür bei der Wahl unter ihren Maximen nötigend erfahren wird. Das bedeutet, dass die Freiheit als eine Art von Kausalität dem Willen nur insofern zukommt, als die Willkür im Verhältnis zu ihren durch sie wählbaren Maximen nicht bestimmt, sondern nur genötigt wird, die „Form“ der Handlungen der Menschen zum Kriterium ihrer Ausführung durch sie zu machen. Wahlfreiheit der Willkür ist also nur die negative Freiheit ihrer Unabhängigkeit von der Naturbestimmung, die positive Freiheit des Willens ist die der Selbstbestimmung der Willkür des Menschen durch ein Gesetz seiner reinen praktischen Vernunft, das keine Handlungen bewirkt, aber beweist, dass diese reine Vernunft für sich selbst praktisch sein kann, insofern sie ein Prinzip für die Selektion der Maximen des Handelns faktisch bereitstellt. Ist es dem Menschen dann möglich, ein Interesse an denjenigen Handlungen zu nehmen, deren Maximen dem Sittengesetz gemäß sind und deshalb von der Willkür angenommen werden, so kann die reine praktische Vernunft oder, was dasselbe ist, der freie Wille des Menschen indirekt, einen Effekt in der erfahrbaren Welt in Gestalt von moralisch guten Handlungen haben. In einer anderen Vorarbeit23 zu der genannten Passage der Metaphysik der Sitten, in der es ebenfalls um die Unzulässigkeit einer Definition der Freiheit der Willkür unter Zugrundelegung eines Erfahrungssatzes geht, hat Kant auf die Unterscheidung von Wille und Willkür noch keinen Wert gelegt. Ich zitiere daraus nur einige Stellen, an denen Kant von der erstgenannten Vorarbeit und dem Text der Metaphysik der Sitten abweicht. 22 Kant-AA 23.249. 23 OP, Kant-AA 21.470 ff.

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So heißt es von der Freiheit, dass sie ein „uns unbegreifliches Vermögen der Willkühr [sei], […] sinnlichen Triebfedern zu wiederstehen […], nicht bloß ein Vermögen, zwischen ihnen zu wählen“.24 Wenig später heißt es, im Begriff der Freiheit der Willkür denke man sich „ein Vermögen, allen gesetzwiedrigen Neigungen zum Trotz doch dem Gesetz zu folgen“25. Hier wird über die negative Bestimmung der Freiheit der Willkür als Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit, mit ihren Triebfedern und Neigungen hinaus, ein Vermögen der Realrepugnanz gegen diese angenommen, und zwar einerseits gegen sinnliche Triebfedern und andererseits gegen gesetzwidrige Neigungen, wobei dieses Vermögen nicht als positives bestimmt, sondern bloß einer praktischen Anthropologie entlehnt wird. Ferner wird die Wahl zwischen Triebfedern und Neigungen von einer Wahl der Maximen der Handlungen unterschieden, die seltsamerweise „absolute Spontaneität“ und „libertas noumenon“ genannt wird, welche nach der erstgenannten Vorarbeit nur dem Willen im Unterschied zur Willkür zukommen sollen. Schließlich wird die freie Willkür als „die sich selbst bestimmende (nicht durch gegebene Objecte der Sinne bestimmte) Willkühr“ wiederum negativ durch ihre empirisch bekannte Unabhängigkeit und zugleich in großer Nähe zu dem, was sonst Wille heißt, definiert. Allerdings stellt Kant dann einen Zusammenhang her zwischen der Faktumslehre der Kritik der praktischen Vernunft, in der es auf den Unterschied von Wille und Willkür ebenfalls nicht ankommt, und der Freiheit der Willkür „als negative Eigenschaft in uns, nämlich durch keine sinnliche Bestimmungsgründe gençthigt zu werden“.26 Diese Formulierung ist, wie auch die auf sie folgenden, fast wörtlich in die Metaphysik der Sitten übernommen worden. Die Freiheit, die wir zunächst empirisch nur als negative Eigenschaft in uns kennen, ist dieselbe, die als positive „allererst durchs moralische Gesetz in uns kundbar wird“ (ebenda), indem wir aus dem Bewusstsein dieses Gesetzes auf sie schließen. Aber schon in Ermangelung einer genaueren Analyse der Funktion des moralischen Gesetzes im Verhältnis zu Wille und Willkür kann eine positive Bestimmung der Freiheit nicht gegeben werden, so dass statt Gesetzgebung und Maximenwahl hier nur das liberum arbitrium als Vermögen, „die Eindrücke auf unser sinnliches Begehrungsvermögen zu überwinden“,27 gemeint sein kann, wodurch der Nötigung durch 24 25 26 27

OP, Kant-AA 21.470. OP, Kant-AA 21.472. OP, Kant-AA 21.471. KrV B 830.

Kants Replik auf Reinhold

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diese Eindrücke vorgebeugt wird, jedenfalls dann, wenn es nicht um diese oder jene sinnlichen Bestimmungsgründe geht, sondern um sie alle. Trotz aller angedeuteten Unterschiede zur ersten Vorarbeit sind diese Passagen mit der Behauptung der Metaphysik der Sitten kompatibel: „Nur die Willkr […] kann frei genannt werden“.28 Der Begriff der Freiheit ist nun nicht nur der aus der Erfahrung gewonnene Begriff der „praktischen Freiheit“, der nach der Kritik der reinen Vernunft fast ganz aus den Kantischen Schriften zur Moralphilosophie verschwindet. Als reiner Vernunftbegriff ist Freiheit ein Grundbegriff von Kants theoretischer und praktischer Philosophie und zugleich der Grundbegriff von Kants Moralphilosophie selbst als vollständigem System der Rechtspflichten und der ethischen Pflichten, einschließlich der Tugendpflichten. Kants Moralphilosophie will in allen ihren Teilen ganz und gar eine Freiheitslehre sein.

Literaturverzeichnis Bittner, Rüdiger, Cramer, Konrad (Hrsg.) (1975): Materialien zu Kants ,KpV’. Frankfurt/M.

28 MdS, Kant-AA 6.226.

III. Konfigurationen praktischer Philosophie

Moralpsychologie statt Metaphysik der Sitten Untersuchungen zu Reinholds Konzeption von praktischer Vernunft

Marion Heinz Abstract: Reinhold’s adaption of Kant’s practical philosophy in the second volume of his Letters on the Kantian Philosophy is not simply a development of Kant’s Metaphysics of Morals, it is the attempt of grounding a new and original project. Focusing on the concept of practical reason, the article demonstrates some central lines of Reinhold’s psychological approach to problems of moral philosophy.

Im Brief an Baggesen vom 28. 3. 1792 gesteht Reinhold, sich in Bezug auf den Begriff des Willens gänzlich von Kant und den Kantianern entfernt zu haben.1 Anders verhält es sich in seinen der Verbreitung der Kant’schen Philosophie gewidmeten Briefen. Sofern Reinholds Kant-Darstellung in diesem Werk von vornherein im Horizont seines eigenen Projekts der Elementarphilosophie steht, wird die Kant’sche Philosophie implizit und explizit ins Verhältnis zu den eigenen programmatischen Bemühungen gesetzt: sie ist als fortgeschrittenste und zugleich als notwendige und letzte Stufe in der Entwicklung der philosophischen Vernunft begreiflich zu machen, von der aus das ultimative, allversöhnende, den innerphilosophischen Streit ebenso wie die Diskrepanz zwischen Wissenschaft und wahren Bedürfnissen der Menschheit2 aufhebende, elementarphilosophische System der Philosophie zu erreichen ist. Die im zweiten Band der Briefe präsentierten Ausführungen zur praktischen Philosophie Kants sind dementsprechend darum bemüht, die Differenzen zu Kant zu kaschieren oder zumindest herunterzuspielen. Denn es kann der andernorts systematisch entfalteten elementarphilosophischen Programmatik entsprechend zwischen den Begriffen der Kant’schen und Reinhold’schen Philosophie keine inhaltlichen Divergenzen geben; vorgesehen ist lediglich ein Unterschied der logischen Vollkommenheit und damit einhergehend eine höhere Stufe der Abstraktion und Allgemeinheit in

1 2

Aus Baggesen-Briefe, 1.168 f. Vgl. Briefe II, S. 8, RGS 2/2.14

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Reinholds Fortschreibung der Kant’schen Philosophie.3 So kann sich Reinhold einerseits in der Verteidigung Kant’scher Lehren gegen zeitgenössische Verkehrungen als überlegene exegetische Autorität positionieren und andererseits ohne weiteres zugestehen, dass die dunklen Kant’schen Begriffe nur durch Resultate seines eigenen Nachdenkens fasslicher zu machen seien.4 Dies gilt auch für den Begriff der praktischen Vernunft. Kant hat Reinhold zufolge einen neuen Begriff von praktischer Vernunft aufgestellt, der in den Briefen II der Sache nach nicht zu verändern, vielmehr nur zu verdeutlichen ist, um dieses wegen seiner Originalität schwer verständliche Konzept gegen Missverständnisse zu schützen und seiner Verbreitung zu dienen. So heißt es im 3. Brief, der die erste ausführliche Erörterung dieses Begriffs enthält: Dieser [Kant’sche] Begriff von der praktischen Vernunft muß einerseits durch seine Neuheit, andererseits durch die unrichtigen Merkmale, die sich aus unsern bisherigen unbestimmten Begriffen von Vernunft berhaupt in denselben eindringen, für jeden, der die Kritik der praktischen Vernunft noch nicht studiert und verstanden hat, eine Dunkelheit haben, die ich wenigstens in so ferne hinwegzuräumen suchen will, als es zu meiner gegenwärtigen Absicht nöthig ist. Da die Methode, nach welcher dieser Begriff in dem erwähnten Werke entwickelt ist, bey aller ihrer Vortrefflichkeit meiner Ueberzeugung nach keinen verständlichen Auszug zuläßt, so bleibt mir nichts andres übrig als denselben durch folgende Resultate meines eigenen Nachdenkens zu beleuchten, deren weitere Ausführung ich mir für eine andere Gelegenheit vorbehalte.5

Es ist nicht abwegig zu vermuten, Reinhold habe die Metapher „beleuchten“ hier in dem spezifischen terminologischen Sinn verstanden, den Kant im Abschnitt „Kritische Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft“ der Kritik der praktischen Vernunft einführt, um seine Bemühungen zu autorisieren, Kants Lehren im Lichte eigener Vorgaben zu untersuchen. Bei Kant heißt es nämlich, eine kritische Beleuchtung sei die „Untersuchung und Rechtfertigung“ der systematischen Form einer Wissenschaft im Vergleich „mit einem anderen System […], das ein ähnliches Erkenntnißvermögen zum Grunde hat“. (KpV, Kant-AA 5.89) Reinholds Darstellung von Kants Begriff der praktischen Vernunft erfolgt also im Kontext von und im Vergleich mit seinem eigenen systematischen Ansatz von praktischer Philosophie. 3 4 5

Vgl. Briefe II, S. 4 u. 30, RGS 2/2.11 u. 27; schon Zöller 2004. Vgl. z. B. Briefe II, S. 52, RGS 2/2.65 f. Briefe II, S. 65 f., RGS 2/2.52 f.

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Es empfiehlt sich jedoch für die Interpretation der Briefe II, die Reinholds eigener Systematik entsprechenden harmonisierenden Deutungen seines Verhältnisses zu Kants praktischer Philosophie und ihrer Konzeption von praktischer Vernunft fernzuhalten; denn in dieser Optik ist weder Kants Leistung noch Reinholds origineller und folgenreicher Beitrag zur nachkantischen Philosophie angemessen zum Vorschein zu bringen. In philosophiegeschichtlicher und systematischer Perspektive ist es fruchtbarer, die Differenz zwischen beiden Positionen herauszustellen. Den folgenden Ausführungen liegt die These zugrunde, dass die Briefe II den Versuch einer Reformulierung wesentlicher Doktrinen der Kant’schen Moralphilosophie in den Kategorien einer dynamisierten Vermögenstheorie darstellen; oder, wenn man auf den Vergleich der systematischen Ansätze abhebt, dass Reinhold die Konzeption einer anthropologisierenden Moralpsychologie an die Stelle von Kants Projekt einer Metaphysik der Sitten setzt.6 Die jüngere Forschung7 hat sich mit der Entwicklung von Reinholds praktischer Philosophie zwischen den „Grundlinien der Theorie des Begehrungsvermögens“ im Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermçgens und dem neuen Ansatz in den Briefen II intensiv befasst: dass Reinholds Bemühungen um eine neue Konfiguration der praktischen Vermögen in den Briefen II nicht ohne die Anstöße aus der zeitgenössischen Debatte über Kants praktische Philosophie in Gang gekommen wären, – zu nennen ist hier natürlich insbesondere Schmids vermeintlich konsequente Weiterführung Kant’scher Prämissen in der Lehre vom intelligiblen Fatalismus – ist Konsens der Forschung8. Dass die durch Schmids Kritik des Versuchs beförderten Einsichten Reinholds in die Widersprüchlichkeiten seiner eigenen Theorie der Vernunft im Versuch eine ebenso große, wenn nicht größere Rolle für die Genese der Briefe II spielen, ist die These von Alessandro Lazzari.9 Mit seiner Bestimmung des Unterschieds von theoretischer und praktischer Vernunft sei Reinhold 6 7 8 9

Vgl. Zöller 2004. Bondeli 1995 und 2001, Fabbianelli 2000, Frank 1997, Gerten 2003, Kersting 2008, Ivaldo 2010, Marx 2010. Vgl. zu Schmid Zöller 2004, S. 76 ff. Reinhold bezieht sich selbst ausdrücklich auf diese Lehre Schmids, vgl. beispielsweise Briefe II, S. 269, RGS 2/2.186 ff. Vgl. Lazzari 2004, S. 173 ff., bes. 178 f. zu Schmids § LIX „Von der Vorstellungskraft. Begriff“ seiner Empirischen Psychologie (1791) und zu Reinholds Rezension dieser Schrift (ALZ Nr. 86, 2. April 1792, Sp. 1 – 8; ALZ Nr. 87, 3. April 1792, Sp. 9 – 14), die das erste Dokument für die Trennung von praktischer Vernunft und Wille darstellt. Vgl. auch Berger 1998.

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gescheitert – so die Diagnose Schmids. Denn die generische Bestimmung der Vernunft als Kraft zur Hervorbringung von Vorstellungen ist in Anbetracht des grundsätzlichen Unterschieds zwischen theoretischer und praktischer Vernunft nur erschlichen: während in Bezug auf die theoretische Vernunft nur von einem Hervorbringen im Sinne eines innerpsychischen Geschehens die Rede ist, geht es in Bezug auf die praktische Vernunft um ein Hervorbringen im Sinne der Realisierung von Vorstellungen in der Außenwelt. Das Bemühen um die Gewinnung einer einheitlichen, konsistenten, theoretische und praktische Leistungen in ihrer Gemeinsamkeit ebenso wie in ihren Besonderheiten erfassenden Konzeption von Vernunft treibt nach Lazzari Reinholds philosophische Entwicklung zwischen 1790 und 1792 voran.10 Der Begriff der praktischen Vernunft ist demnach aus genetischer Perspektive von besonderem Interesse; aber auch in systematischer Hinsicht ist dieser Begriff für Reinholds praktische Philosophie essentiell: die praktische Vernunft tritt zwar nach der neuen Lehre der Briefe II ihre Funktion als Triebfeder an den Willen ab, aber sie bleibt als Quelle moralischer Normativität unangetastet. Ob Reinholds Versuch der Begründung von Recht und Moral in dieser neuen Konzeption einer ihrer Kausalität zur Bestimmung des Willens beraubten praktischen Vernunft überzeugen kann, ist im Folgenden – unter Einbeziehung von Kants Moralphilosophie – zu prüfen. Im Mittelpunkt des ersten Teils der folgenden Überlegungen steht die Erörterung des Begriffs der praktischen Vernunft und des Begriffs des praktischen Gesetzes im dritten Brief. Denn bereits hier werden die entscheidenden Weichenstellungen für Reinholds konzeptionelle Innovationen bzgl. der Begriffe des Willens und der Freiheit in den mittleren Briefen vorgenommen. Die diesem Brief zugrunde liegende MerkurFassung der Fortsetzung des Aufsatzes „Ehrenrettung des Naturrechts“ vom April 1791 wurde einer grundlegenden Umarbeitung unterzogen.11 Während es in der Merkur-Fassung noch heißt: „Die praktische Vernunft handelt als reiner (moralischer) Willen, in wiefern sie die Gesetzmäßigkeit des Begehrens bloß um der Gesetzmäßigkeit willen realisirt; und folglich ihr eigenes Gesetz aus einer und eben derselben Fülle ihrer Kraft sich selbst giebt, und befolgt“12, spricht Reinhold später in dem für die Buchfassung neu geschriebenen Teil des dritten Briefes der praktischen 10 Vgl. Lazzari 2004, S. 220 ff. 11 Vgl. dazu den ausgezeichneten Kommentar von Bondeli, RGS 2/2.330. 12 Briefe II, S. 65, RGS 2/2.51.

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Vernunft diese doppelte Funktion ab. Dort heißt es: die praktische Vernunft gibt dem Willen das absolut notwendige und allgemeine Gesetz, „das nur durch Freyheit des Willens ausgeübt und übertreten werden kann“.13 Hier also ist die sich von Kant der Sache nach absetzende Selbstkorrektur Reinholds, die für die Briefe II charakteristische Trennung von praktischer Vernunft und Wille, zuerst durchgeführt und begründet. Um Reinholds neue Bestimmung des Moralprinzips in Abhebung von Kant angemessen darstellen zu können, muss des weiteren die Rolle der praktischen Vernunft im Zusammenspiel mit den anderen moralisch relevanten Kräften des Menschen untersucht werden. Die Funktion der – als uneigennütziger Trieb auftretenden – praktischen Vernunft für den Willen und den eigennützigen Trieb zu ermitteln, ist die Zielsetzung des zweiten Teils.

Erster Teil Wenn Reinhold Kant dafür lobt, dass es ihm zuerst gelungen sei, die praktische Vernunft von der theoretischen zu unterscheiden14 und ihm die originellen Einsichten zuschreibt, dass die Quelle des Sittengesetzes nicht im Gefühl oder im Trieb nach Vergnügen, sondern in der selbsttätigen Natur der Vernunft anzutreffen sei; und dass diese Vernunft praktische Vernunft heißt, „in wie ferne sie dem Willen ein Gesetz giebt, das seine absolute Nothwendigkeit und Allgemeinheit nur durch sie allein erhält, und das nur durch Freyheit des Willens ausgeübt und übertreten werden kann“15, ist die Projektion seiner eigenen Auffassung auf Kant unübersehbar. Das Revolutionäre von Kants praktischer Philosophie, alle Versuche der Bestimmung des Moralprinzips durch Konzepte des Guten aufzugeben und stattdessen den so genannten Formalismus zu vertreten, d. h. geltend zu machen, dass das Moralprinzip nur in einem die Gesetzlichkeit von Maximen gebietenden praktischen Gesetz bestehen kann, wird vollkommen übergangen, indem Kants Verdienst in die Neubestimmung des moralphilosophisch ausschlaggebenden Vermögens gesetzt wird. Dass nur durch Geltendmachung eines formalen Prinzips das von der Naturrechtstradition gestellte Problem unbedingter gesetzlicher 13 Briefe II, S. 65, RGS 2/2.52. 14 Vgl. Briefe II, S. 293, RGS 2/2.198. 15 Briefe II, S. 65, RGS 2/2.52.

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Verbindlichkeit zu lösen ist, diese radikale Einsicht Kants wird vernachlässigt, um seine Originalität und Überlegenheit auf dem Feld der Vermögenslehre zu preisen: nicht im Gefühl oder im Trieb nach Vergnügen, sondern in der Vernunft als dem durch Selbsttätigkeit ausgezeichneten Vermögen habe erstmals Kant das Moralprinzip zu begründen unternommen.16 Für Reinhold besteht der Fortschritt der Philosophie überhaupt in der Vervollkommnung der Selbsterkenntnis menschlicher Vernunft, verstanden als Zergliederung ihres Begriffs17 und nicht als Kritik.18 Wenn nun Kant19 vor diesem Hintergrund des „analytischen Ganges, an welchen die philosophierende Vernunft bey der fortschreitenden Entwickelung der Grundvermögen des Gemüthes gebunden ist“20, beurteilt wird, zeigt sich seine exzeptionelle Leistung: Ihm ist es zuerst gelungen, richtige und bestimmte Begriffe der Vermögen des Gemüts aufzustellen,21 die die bisherigen Missverständnisse zwischen den streitenden Lagern auf dem Feld der praktischen Philosophie aufzuklären vermögen und dadurch den ewigen Frieden herbeizuführen versprechen.22 Denn es ist Kant, der die bis dato undurchschaute, allen Widerstreit in der Moralphilosophie bedingende, von allen Positionen geteilte Voraussetzung, dass nämlich das Gefühl oder der Trieb nach Vergnügen die Quelle der Moralität sei, als Ansatzpunkt zur Überwindung des Streits erkannt hat.23 Reinholds Auseinandersetzung mit Kants Philosophie, ihre „Beleuchtung“ und Bewertung vollziehen sich methodisch ihrerseits als Analyse von Vermögen vermittelst der Analyse ihrer Begriffe. Das im16 Vgl. z. B. Briefe II, S. 64, RGS 2/2.51 f. 17 Vgl. Briefe II, S. 21 u. 36, RGS 2/2.21 ff. u. 30. Das vollendete philosophische System ist daher „Ausdruck der ursprünglichen Einrichtung unseres Erkenntnißund Begehrungsvermögens, oder der nothwendigen und allgemeinen Gesetze […], an welche der menschliche Geist durch seine Natur gebunden ist.“ (Briefe II, S. 21, RGS 2/2.21) 18 Reinhold selbst versteht sich allerdings als kritischer Philosoph, insofern nämlich als dieser sich an die Zergliederung der notwendigen und allgemeinen Gesetze der vorstellenden Kraft halte, die er durch Reflexion über Tatsachen der inneren Erfahrung kenne. Vgl. Briefe II, S. 25, RGS 2/2.24. 19 Vgl. Briefe II, S. 77 f. u. 136, RGS 2/2.61 u. 101. 20 Briefe II, S. VII, RGS 2/2.4. 21 Vgl. Briefe II, S. 21 u. 136, RGS 2/2.21 u. 101. Zur Darstellung der bisherigen Missverständnisse vgl. auch den Anfang des 7. Briefes; Briefe II, S. 220, RGS 2/ 2.161 ff. 22 Vgl. Briefe II, S. 174, RGS 2/2.129. 23 Vgl. dazu z. B. Briefe II, S. 223 – 242, RGS 2/2.162 – 172.

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pliziert von vornherein eine Fokussierung auf die Vermögenslehre, von der auch die Lösung sachlicher Problemstellungen, wie etwa der Frage nach dem Prinzip moralischer Verbindlichkeit erwartet wird. Damit ist die stillschweigende Annahme verbunden, dass dieses Prinzip als Leistung oder als Effekt der Wirksamkeit menschlicher Vermögen zu denken ist und daher durch deren Analyse bestimmbar und begründbar ist. Nun bedeutet eine solche Vorrangstellung der Psychologie Reinholds Selbstverständnis nach aber keineswegs eine naive Bindung an vorkantische Metaphysik; im Gegenteil – sie stellt sich Reinhold als unabweisbare Konsequenz der Kant’schen Metaphysikkritik dar.24 Der Rückfall in eine dogmatische Metaphysik der Dinge an sich ist – vereinfacht gesprochen – nur durch eine sich an die Tatsachen des Bewusstseins haltende Vermögenslehre zu vermeiden.25 So geht Reinhold selbst folgerichtig – anders als Kant in der Kritik der praktischen Vernunft – von der Definition der Vernunft im Allgemeinen und der der praktischen Vernunft im Besonderen aus, um von daher zum Begriff des praktischen Gesetzes zu gelangen. Vernunft als solche wird bestimmt als Vermögen der Person, Vorschriften zu geben, die sich auf die übrigen Vermögen und die durch sie möglichen Wirkungen richten.26 Die Vernunft ist mithin selbst Urheberin von Vorschriften, sie ist abweichend von der Merkur-Fassung,27 aber von vornherein nicht als Adressat der Vorschrift, die sie gibt, in Ansatz gebracht. Es gehört für Reinhold zur Definition der Vernunft, dass sich ihre Produkte, die Vorschriften, auf andere Gemütsvermögen und die durch sie erzeugten Wirkungen beziehen.28 Die Vernunft ist also im Ensemble seelischer Kräfte des Menschen als diejenige Instanz in Ansatz gebracht, die die Wirkungen anderer 24 Vgl. Briefe II, S. 180, RGS 2/2.133. 25 In einer nachkantischen Philosophie, die den Rückfall in dogmatische Doktrinen über Dinge an sich vermeidet, werden die Vermögen nicht aus dem Begriff der Substanz hergeleitet, die kritische Einsicht in die Unerkennbarkeit des inneren Wesens der Substanz bleibt gewahrt, wenn die Vermögen von ihren Wirkungen her begriffen werden. Als Kräfte der Seele wirken diese Vermögen auf den inneren Sinn, sodass sie sich in den so gebildeten Tatsachen des Bewusstseins zu erkennen geben bzw. aus der Analyse dieser Tatsachen philosophisch zu Begriff zu bringen sind. Vgl. Briefe II, S. 284, 345, 357 u. 385, RGS 2/2.194, 226, 235 u. 255. 26 Briefe II, S. 65 u. 250, RGS 2/2.52 u. 176. 27 Briefe II, S. 65, RGS 2/2.51. 28 Vgl. insb. Briefe II, S. 250, RGS 2/2.176. Möglicherweise glaubt Reinhold, sich an Kant anschließen zu können, der die Vernunft als ein Verstandesleistungen regulierendes oder synthetisierendes Vermögen versteht.

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Vermögen des Gemüts in einer noch genauer zu bestimmenden Weise normiert. Und es ist daher nicht erstaunlich, dass Reinhold als Oberbegriff im Feld der theoretischen und praktischen Vernunft für Regeln, Gesetze, Forderungen, Maximen den Begriff Vorschrift verwendet und nicht wie Kant den offeneren, sowohl in deskriptiver als auch in präskriptiver Bedeutung zu gebrauchenden Begriff Regel.29 Um vom Gattungsbegriff zur Unterscheidung der Arten theoretischer und praktischer Vernunft zu gelangen, bestimmt Reinhold zunächst den Unterschied zwischen theoretischen und praktischen Vorschriften als Wirkungen durch die Verschiedenheit ihrer Verursachung. Eine Vorschrift ist theoretisch, wenn sie auf einem außerhalb des Vernunftvermögens gegebenen Grund beruht; sie ist praktisch, wenn ihr Grund allein in der Vernunft selber, genauer in deren Selbsttätigkeit liegt.30 Das Vermögen, aus gegebenen Grnden Vorschriften zu erzeugen, heißt entsprechend theoretische Vernunft; das Vermögen, eine Vorschrift zu geben, zu welcher der Grund in seiner bloßen Selbstttigkeit liegt, heißt praktische Vernunft.31 Aus dem Blick auf das Verhältnis der Ursache zu ihren Wirkungen, d. h. aus dem Blick auf das Vernunft-Vermögen als Kraft gewinnt Reinhold also den Unterscheidungsgrund zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Während Kant die Differenz der Gemütsvermögen des Erkennens und Begehrens – und dem entsprechend auch von theoretischer und praktischer Vernunft – in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Vorstellung und Gegenstand bestimmt32, markiert für 29 Vgl. zunächst Briefe II, S. 66, RGS 2/2.52 f.; siehe auch Briefe II, S. 178, RGS 2/ 2.253, wo Reinhold dreierlei Arten von Vorschriften unterscheidet, die zufolge ihrer generischen Bestimmung, Vorschriften zu sein, als Äußerungen der Vernunft begriffen werden müssen, deren spezifische Differenz sich aus dem Zusammenwirken der Vernunft mit anderen Gemütskräften ergibt: Maximen des Willens, Naturgesetze des Begehrens und das praktische Vernunftgesetz, das die Vernunft allein erzeugt. 30 Vgl. Briefe II, S. 66, RGS 2/2.52 f. 31 Vgl. Briefe II, S. 67, RGS 2/2.53. 32 Die Dreiteilung der Vermögen nach diesem Gesichtspunkt findet sich im übrigen bereits in Kants vorkritischer Philosophie. Vgl. dazu Untersuchung ber die Deutlichkeit der Grundstze der natrlichen Theologie und Moral (Kant-AA 2.299 f.); vgl. dazu Heinz 2011. Entweder bestimmt der Gegenstand die Vorstellung, dann hat man es mit dem Vermögen des Erkennens zu tun, oder die Vorstellung bestimmt den Gegenstand wie im Begehrungsvermögen, oder keines von beiden ist der Fall, dann handelt es sich um die keiner Objektivität fähige Selbstempfindung des Subjekts. Der Unterschied von theoretischer und praktischer Vernunft wird entsprechend gefasst: „[…] praktische Vernunft [hat] es nicht mit Gegenständen, sie zu erkennen, sondern mit ihrem eigenen Vermögen jene (der Erkenntnis

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Reinhold die Verschiedenheit bzgl. der Kausalität des Vernunftvollzugs den Unterschied der Arten von Vernunft, womit die Lehre von den Graden der Spontaneität aus dem Versuch fortgeführt wird.33 Im Falle der praktischen Vernunft determiniert sich das Vermögen selbst zum Wirken; der Vollzug der theoretischen Vernunft hingegen ist determiniert durch anderes, außerhalb ihrer Gegebenes. Wenn sich Reinhold darauf aufbauend dem von theoretischer und praktischer Vernunft Hervorgebrachten zuwendet und sich die Frage vorlegt: Wie werden Vorschriften zu Gesetzen, d. h. zu Vorschriften, denen absolute Notwendigkeit zukommt, so ist deren Beantwortung für das Feld der praktischen Philosophie systematisch von größter Bedeutung: Denn die begriffliche Unterscheidung von praktischer Regel oder praktischem Grundsatz als Gattungsbegriff und praktischem Gesetz als Art sowie die Definition des praktischen Gesetzes im § 1 der Kritik der praktischen Vernunft sind der entscheidende Ausgangspunkt für Kants neue Bestimmung des Moralprinzips. Auf der Grundlage des Begriffs des praktischen Gesetzes als objektiv gültiger, für alle Vernunftwesen als solche geltender, d. h. allgemeiner und allgemeingültiger, notwendiger Regel und dem damit gesetzten Unterschied zu Maximen als durch subjektive Gültigkeit bestimmte Art von praktischer Regel kann Kant – über verschiedene Zwischenschritte vermittelt – demonstrieren, dass allein in der Bestimmung des Willens der Form nach das dem Begriff des praktischen Gesetzes inhaltlich entsprechende Prinzip bestehen kann. Wie sehr sich Reinhold von Kants Ansatz entfernt, zeigt sich nicht zufällig an der Art der Einführung des Begriffs eines praktischen Vernunftgesetzes, auf den die Überlegungen zum Unterschied von Vorschriften und Gesetzen zulaufen. Im Feld des Theoretischen wird eine bloße Vorschrift zum Gesetz durch etwas außerhalb der Vernunft Gegebenes: im Falle des höchsten theoretischen Vernunftgesetzes, dem Satz des Widerspruchs, etwa soll die Vorschrift durch das, was gegeben ist, die Materie des Denkens, in ein Gesetz verwandelt werden: Die Denkmaterie von „Zirkel“ und „eckig“ selbst schließt die Möglichkeit der Verbindung bestimmter Merkmale derselben gemäß) wirklich zu machen, d. i. es mit einem Willen zu thun [….]“. (KpV, Kant-AA 5.89) 33 Vgl. dazu Lazzari 2004, S. 175 ff. u. 185; Fabianelli in diesem Band. Vgl. auch Imhoff in diesem Band zur Frage nach der Entwicklung des spezifischen Unterschieds zwischen Erkennen und Begehren bei Reinhold.

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aus.34 In Anbetracht einer gegebenen Denkmaterie ist das Denken also genötigt, dieser Vorschrift zu folgen bzw. für den Denkvollzug wird diese Vorschrift nur durch die gegebene Materie notwendig, d. h. zum Gesetz des aktuellen Wirkens dieses Vermögens. Die in der theoretischen Philosophie anzutreffenden logischen Gesetze sind als Vorschriften der Vernunft bloß Regeln, die erst durch Gegebenes zu Gesetzen werden. Das ist ihnen mit den Gesetzen der Sinnlichkeit und des Verstandes gemeinsam. Zufolge ihrer Bedingtheit durch außerhalb der Vernunft Gegebenes heißen solche Gesetze Naturgesetze, und sie sind als solche des menschlichen Geistes zu begreifen.35 Nur im Bereich der praktischen Vernunft kann es Vernunftgesetze in sensu stricto geben, denn nur hier kann die Vernunft definitionsgemäß unabhängig von Vorgegebenem wirken, also auch unabhängig von außer ihr liegenden Bedingungen eine Vorschrift zum Gesetz erheben: „Die praktische Vorschrift wird durch bloße Vernunft, in welcher ihr Grund allein enthalten ist, zu einer absolut nothwendigen Vorschrift oder zum Gesetz. Sie allein ist also ein schlechthin unbedingtes, von allen außer der bloßen Selbstthätigkeit gelegenen Bedingungen unabhängiges, Vernunftgesetz.“36 Die Kennzeichnung „absolut nothwendig“ als definiens von Gesetz kann in Hinsicht auf das praktische Gesetz nicht bedeuten, dass das der Vorschrift unterstellte Vermögen mit Notwendigkeit nach dieser Regel wirkt oder seinen Vollzug durch diese Regel bestimmt wie es sich in Bezug auf das Denkvermögen verhält. Denn die praktische Vorschrift ist durch die praktische Vernunft allein Gesetz unangesehen dessen, ob sich das durch diese Vorschrift zu regelnde Vermögen, der Wille, entsprechend vollzieht oder nicht. Es kann daher nur folgendes gemeint sein: als Gesolltes ist diese Vorschrift absolut, d. h. sie gilt unbedingt und um zum Gesetz des Willens durch den Willen gemacht werden zu können, ohne diesen Charakter des Unbedingten zu verlieren, darf der Akt der Implementierung des Vernunftgesetzes als Gesetz des Willens nicht von etwas Gegebenem, von einer wie auch immer gearteten Materie des Wollens abhängig gemacht werden – womit bereits auf die genuine Freiheit des Willens vorausgedeutet ist. Im Unterschied zu den sog. Naturgesetzen der Theorie heißt dieses einzige veritable Vernunftgesetz „Gesetz der Freyheit“, d. h. für Reinhold: dieses Gesetz ist Produkt eines selbsttätigen, durch sich selbst bestimmten 34 Vgl. Briefe II, S. 67, RGS 2/2.53 Anm. 35 Vgl. Briefe II, S. 68 f., RGS 2/2.53 Anm. 54. 36 Briefe II, S. 54, RGS 2/2.68.

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Wirkens. Die Selbsttätigkeit der Vernunft besteht „in der Unabhängigkeit von äußern Eindrücken und von der Einrichtung der Sinnlichkeit“, lässt sich aber „nicht ohne die Abhängigkeit der Vernunft von ihrem Gesetze (dem Gesetze der reinen Sebstthätigkeit) denken.“37 Damit ist das Wirken der praktischen Vernunft zugleich als in anderer Hinsicht unfrei charakterisiert, insofern nämlich, als sich dieses Wirken unwillkürlich vollzieht, und das heißt: Im Unterschied zum Willen gibt sich die praktische Vernunft nicht selbst das Gesetz ihrer Wirksamkeit, oder anders gesagt: ihre Handlungsweise verdankt sich nicht einem Akt der Wahl oder Entschließung. Die praktische Vernunft ist – paradox gesprochen – naturgesetzlich zur Freiheit bestimmt.38 Zur Erzeugung praktischer Gesetze bedarf es keines zweiten Aktes, durch den eine Vorschrift erst zum Gesetz gemacht würde; die definitionsgemäß nicht durch Gegebenes, weder durch Zwecke des bloßen Begehrens, noch durch Vorgaben der Erkenntnisvermögen bestimmte praktische Vernunft, kann nicht anders, als sich ihrer eigenen Natur qua Selbsttätigkeit gemäß zu bestimmen und in diesem Sinne autonom und frei zu handeln. „Die ursprüngliche, einzig mögliche, unveränderliche Handlungsweise der praktischen Vernunft, (das Gesetz ihrer Natur) besteht also in der unbedingten Gesetzgebung, im Aufstellen der Vorschrift um der Vorschrift willen, in der Autonomie der Vernunft.“39 Vorschriften der praktischen Vernunft sind eo ipso praktische Gesetze und die praktische Vernunft generiert unausweichlich Gesetze, und keine bloßen Vorschriften oder Regeln.40 37 Briefe II, S. 185, RGS 2/2.137. 38 Vgl. dazu z. B. Briefe II, S. 288, RGS 2/2.196. Ob diese Abgrenzung der praktischen Vernunft vom Willen vermittelst des Begriffs Naturgesetz konsistent ist, erscheint zweifelhaft. Die Intention, die praktische Vernunft als freies, selbsttätiges Vermögen zu bestimmen und ihr zugleich den Charakter einer causa sui abzusprechen, liegt auf der Hand. Die Frage nach der Verursachung der Ursache mit Kategorien zu beantworten, die aus dem Blick auf die Art der Kausalität einer Ursache gewonnen sind, ist indessen misslich. Das aber tut Reinhold, wenn er die praktische Vernunft als einem Naturgesetz unterliegendes Vermögen beschreibt. Mit dieser Terminologie wird die praktische Vernunft implizit als einer Vorschrift der theoretischen Vernunft, einem in seiner Art der Kausalität als unfrei gekennzeichneten Vermögen, unterstehend gedacht; das aber ist sachlich unhaltbar. 39 Briefe II, S. 68, RGS 2/2.54. 40 Immer dann, wenn die Vernunft als Vermögen der Erzeugung von Vorschriften in ihrem Tätigsein von Gegebenem bestimmt wird, handelt es sich um theoretische Vorschriften oder Naturgesetze. Das gilt auch für die Vorschrift, die die

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Worin besteht der „Mehrwert“ dieser Abgrenzung der praktischen Vernunft über den Begriff des Gesetzes als der diesem Vermögen exklusiv zugeordneten Art von Produkt? So ist in Anbetracht dessen zu fragen, dass bereits im ersten Schritt eine Spezifizierung des Genus Vernunft in Arten – und zwar in Hinsicht auf Kausalität – zustande gebracht wurde. Was leistet der Rekurs auf die Produkte der Vernunft, Vorschrift bzw. Gesetz, die ihrerseits wieder aus der Art ihrer Erzeugung in ihrer Differenz bestimmt werden? Reinhold nimmt offensichtlich Bezug auf Kants Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Dort heißt es: „Doch heißen dergleichen praktische Regeln [Regeln der Kunst, der Geschicklichkeit überhaupt und der Klugheit] nicht Gesetze (etwa so wie physische), sondern nur Vorschriften: und zwar darum, weil der Wille nicht bloß unter dem Naturbegriffe, sondern auch unter dem Freiheitsbegriffe steht, in Beziehung auf welchen die Principien desselben Gesetze heißen und mit ihren Folgerungen den zweiten Theil der Philosophie, nämlich den praktischen, allein ausmachen.“41 Kant geht es um die Trennung der Systemteile der Philosophie und ihrer Gegenstände, wobei der Ort der technisch-praktischen Vorschriften in Frage steht. Als praktische Regeln scheinen sie zur praktischen Philosophie zu gehören. Wird aber der Gesichtspunkt des Grundes der Möglichkeit der Gegenstände als Grund der systematischen Einteilung der Philosophie und ihrer Gegenstände eingeführt, sodass eine dichotomische Einteilung in Gegenstände, die durch Naturbegriffe, und solche, die durch Freiheitsbegriffe möglich sind, erreicht wird, gehören technisch-praktische Prinzipien in den Bereich der theoretischen Philosophie; sie sind zwar Prinzipien der Willensbestimmung, aber eben durch Naturbegriffe, sodass der Wille selbst als ein Naturvermögen auftritt. Reinhold bedient sich der Unterschiede von Vorschrift und Gesetz indessen nicht zum Zweck der Gliederung des Systems der Philosophie, sondern in Absicht auf die Spezifikation des Gattungsbegriffs Vernunft in seine Arten theoretische und praktische Vernunft. Die generische Bestimmung der Vernunft als Vermögen, Vorschriften zu geben, macht es dabei für Reinhold von vornherein unmöglich, den Terminus Vorschrift allein für die technisch-praktischen Regeln zu reservieren. Er verwendet den Begriff Vorschrift nicht nur generisch für Produkte der Vernunft überhaupt, sondern auch spezifisch Vernunft dem sog. bloßen Begehren gibt. Hypothetische Imperative sind bei Reinhold abweichend von Kant der Gattung nach nicht als praktische Regeln gefasst. (Vgl. Briefe II, S. 67 f., RGS 2/2.53 f.) 41 KU, Kant-AA 5.172.

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für Produkte der theoretischen Vernunft, von denen die technischpraktischen Vorschriften eine Teilmenge sind. Aus der Gattung Vorschrift überhaupt werden – wie gezeigt – in Hinsicht auf die Art der Erzeugung Gesetze als unabhängig von Gegebenem hervorgebrachte, genuin praktische Prinzipien ausgegrenzt, um damit Kants Vorgabe: „Nur allein im Praktischen kann die Vernunft gesetzgebend sein“42 verwandelt aufzunehmen. Die praktische Vernunft wird bis zu diesem Punkt der Argumentation als eine von vorhergehenden Gründen und Ursachen unabhängige, sich selbst zum Wirken bestimmende Kraft in Anschlag gebracht, deren Wirkung im Sinne des Erwirkten insofern als notwendig erfolgend anzusehen ist, als sie von nichts anderem als der Selbsttätigkeit der Vernunft abhängt. Ein Vermögen, das sich unabhängig von Gegebenem selbst zum Wirken bestimmt, hat keinen anderen Bestimmungsgrund seiner Kausalität als seine eigene Natur der Selbsttätigkeit, daraus folgt die Unveränderlichkeit seines Wirkens und daraus die Notwendigkeit des Produkts. Und schon hier wird klar: Die Restriktion der Kausalität der praktischen Vernunft auf den Akt der Aufstellung des Gesetzes kann als Selbstkorrektur Reinholds hinsichtlich der Lehren des Versuchs verstanden werden. Das Vernunftvermögen als solches, sowohl als theoretische als auch als praktische Vernunft, ist explizit nur noch als Ursache für die Aufstellung von Vorschriften und Gesetzen in Ansatz gebracht; indem der praktischen Vernunft Kausalität im Sinne der unmittelbaren Willensbestimmung zur Handlung und damit zur Realisierung von Vorstellungen abgesprochen wird, ist dem Monitum Schmids Rechnung getragen worden und die Doppelsinnigkeit im Vernunftbegriff aufgelöst. Eine ganz andere Thematik ist die der Geltung: Notwendige Gültigkeit, d. h. Gültigkeit für den Willen jedes vernünftigen Wesens, ist nach Kant das essentielle Merkmal des praktischen Gesetzes, das die spezifische Differenz bildet, durch die diese Art der Gattung praktischer Grundsatz von Maximen als bloß subjektiv gültigen Grundsätzen abgegrenzt wird.43 Notwendigkeit in diesem Sinne ist auch für Reinholds Begriff des praktischen Gesetzes definierend.44 Um die so verstandene, unbedingte oder absolute Notwendigkeit des praktischen Gesetzes im Ausgang von seiner Konzeption praktischer Vernunft zu demonstrieren, argumentiert Reinhold wie folgt: Wenn die Vorschrift keinen anderen Grund hat als 42 KU, Kant-AA 5.174. 43 Vgl. KpV § 1, Kant-AA 5.19. 44 Vgl. Briefe II, S. 288, RGS 2/2.196.

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das Vermögen der praktischen Vernunft, ist sie nicht durch einen besonderen Zweck bedingt. Das ist analytisch wahr, wenn mit Kant angenommen wird, dass Zwecksetzung auf der Lust an der Wirklichkeit des Gegenstandes beruht. Aus der Zweckfreiheit in diesem Sinne will Reinhold auf den Geltungsmodus schließen: eine solche Vorschrift gilt nicht durch anderes, nicht durch einen bestimmten, von ihr verschiedenen Zweck, also unbedingt. Das, was unbedingt vorgeschrieben ist, was nicht unter der Bedingung eines Zwecks gefordert ist, kennzeichnet Reinhold als umwillen seiner selbst Vorgeschriebenes, mithin als eine Art Selbstzweck.45 Es handelt sich um „eine[] Vorschrift, die durch sich selbst Gesetz ist, und die keinen anderen Zweck hat, als die Vorschrift selbst […]“46. Als unbedingt gültige Vorschrift ist das Gesetz für Reinhold zugleich durch sich selbst sanktioniert.47 Damit meint Reinhold in erster Linie, dass das Vorgeschriebene dieser Vorschrift voraussetzungslos gilt und dementsprechend nicht durch Beibringung eines vorhergehenden Grundes zu rechtfertigen ist. Dadurch unterscheidet sich das Gesetz der praktischen Vernunft von dem, was Kant technisch-praktische Vorschrift nennt. Das Vorgeschriebene oder Gesollte dieser Art von Vorschrift gilt nur bedingt, in Abhängigkeit von einer vorhergehenden Zwecksetzung und ist nur durch Berufung auf diese zu rechtfertigen. Erst in zweiter Linie spielt der Gesichtspunkt der philosophischen Rechtfertigung etwa im Sine einer Deduktion oder eines wie auch immer gearteten Beweises der Gültigkeit dieses Gesetzes eine Rolle. In dieser Hinsicht ist auf die vermögenspsychologische Genesis zu verweisen, die für Reinhold eine Deduktion überflüssig macht. Gegenüber der geltungstheoretischen Argumentation Reinholds sind folgende Bedenken vorzubringen: Ist die absolute Notwendigkeit des praktischen Gesetzes im Sinne objektiver, bedingungsloser Gültigkeit zu verstehen, wird der eingeschlagene Weg, auf die Bedingungen seiner Erzeugung zur Erklärung dieser Art von Notwendigkeit zu rekurrieren, als Versuch, das Sollen durch das Sein innerpsychischer Wirkungszusammenhänge zu begründen, kaum überzeugen können. Aus der Bedingtheit oder Unbedingtheit der Aufstellung einer Vorschrift kann eben nur die Zufälligkeit oder Notwendigkeit der aufgestellten Vorschrift in 45 Vgl. Briefe II, S. 68 u. 288, RGS 2/2.54 u. 196. 46 Briefe II, S. 288, RGS 2/2.196. 47 Vgl. Briefe II, S. 68, RGS 2/2.54; vgl. auch Briefe II, S. 252, 266 u. 289 f., RGS 2/ 2.177, 185 u. 196 f.

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Hinsicht auf das Vermögen als Ursache erschlossen werden. Aber es kann positiv nichts über den Modus der Gültigkeit gefolgert werden. Das heißt aber natürlich nicht, dass nicht von der Definition des praktischen Gesetzes als allgemeingültiger Regel darauf geschlossen werden kann, dass nur die Vernunft dieses Produkt hervorbringen kann, wie es bei Kant der Fall ist.48 Reinhold behauptet indessen hartnäckig das Umgekehrte, nämlich Kant habe die Art der Erzeugung des Sittengesetzes zu seinem definierenden Merkmal gemacht: „Die Kritik der praktischen Vernunft hat den Charakter, der das Sittengesetz von allen anderen Gesetzen unterscheidet, zuerst dadurch bestimmt angegeben, daß dasselbe die einzige Vorschrift sey, die […] durch bloße Vernunft als Gesetz aufgestellt werde, während alle andern die bestimmte Nothwendigkeit und Allgemeinheit, durch die sie zu Gesetzen würden, einem von der Vernunft selbst verschiedenen Grunde zu danken hätten.“49 Reinhold kann dazu vermeintlich an Äußerungen Kants wie die folgende anschließen: Zu ihrer [der Vernunft] Gesetzgebung aber wird erfordert, daß sie blos sich selbst vorauszusetzen bedürfe, weil die Regel nur alsdann objectiv und allgemein gültig ist, wenn sie ohne zufällige, subjective Bedingungen gilt, die ein vernünftig Wesen von dem anderen unterscheiden.50

Erkennbar wird damit Reinholds Versuch, Kants Erklärung aus der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, wonach allein die praktische Vernunft gesetzgebend ist, mit Mitteln der Kritik der praktischen Vernunft verständlich zu machen, und zwar unter Beibehaltung der Lehre von den Graden der Spontaneität aus dem Versuch und unter Umgehung von Kants sog. Zweiweltenlehre. Im Gegensatz zu Reinhold definiert Kant die Natur der praktischen Vernunft nicht durch das Merkmal Selbsttätigkeit; und a fortiori ist es undenkbar für Kant, eine sich selbst durch ein solches selbsttätiges Wesen zum Wirken bestimmende Vernunft als notwendige und hinreichende Ursache für eine Gesetzgebung anzusetzen, deren Ergebnis das reine praktische Vernunftgesetz ist. Oder anders gesagt: Das reine praktische Vernunftgesetz ist bei Kant nicht als Wirkung und Ausdruck einer sich in ihrem Wesen qua Selbsttätigkeit realisierenden Vernunft konzipiert, und Kant kann das reine praktische Vernunftgesetz nicht als Zweck begreifen, sofern es sich denn um ein Prinzip der Selektion von Zwecksetzungen handelt. 48 Vgl. zu Produkt KpV § 1, Kant-AA 5.19. 49 Briefe II, S. 286 f., RGS 2/2.195. 50 Kant, KpV § 1, Kant-AA 5.20 f.

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Im Sinne der hermeneutischen Billigkeit ist allerdings dem Anspruch Reinholds, die Resultate der Kant’schen Philosophie durch solche eigenen Nachdenkens verständlicher zu machen, ohne selbst Begründungen zu liefern51, Rechnung zu tragen, indem diese Transformation der Lehren Kants durch Begriffe einer dynamisierten Vermögenspsychologie in ihrer Leistungsfähigkeit und Originalität gewürdigt wird. In Anbetracht der Konzentration des dritten Briefes auf die vermögenspsychologische Herleitung des praktischen Gesetzes und die Erklärung seiner Charaktere als Folge seines Erzeugtseins durch das einzige absolut selbsttätige Gemütsvermögen ist es kaum befremdlich, dass der Inhalt des praktischen Gesetzes hier noch nicht zur Sprache kommt, dass also auch die Funktionen des praktischen Gesetzes als principium diiudicationis und principium executionis noch völlig im Dunkeln bleiben. Nicht nur die Wesensbestimmungen des praktischen Gesetzes werden im Horizont der Vermögenspsychologie behandelt; indem das praktische Gesetz von vornherein als Vorschrift für andere Gemütsvermögen angesetzt ist, sind auch sein Gehalt und seine Leistungen in diesem Paradigma gedacht und folglich erst aus dem Zusammenspiel von praktischer Vernunft und Wille in der Regulierung des sog. bloßen Begehrens zu erschließen. Wie Reinhold Kants Lehre, dass das in einem praktischen Gesetz Gebotene nichts anderes als die gesetzliche Form der Maximen sein kann, in diese vermögenspsychologische Konstellation einbaut, was an Kant’schen Vorgaben bewahrt, was aufgegeben oder neu gestaltet wird, ist für die Einschätzung des Unternehmens der Briefe II insgesamt von Bedeutung.

Zweiter Teil Das Objekt des praktischen Gesetzes, das, worauf es sich richtet, ist der Wille als die einzige causa libera im dynamischen Wechselspiel seelischer Kräfte.52 Denn das praktische Gesetz ist seinem Ursprung nach ein Gesetz der Freiheit, eine nur durch sich selbst bestimmtem und insofern freiem Wirken verdankte Vorschrift; und als solche kann sie nicht das regeln, was naturnotwendig ist.53 „Dem praktischen Gesetze kann nur die Wir51 Vgl. Briefe II, S. III ff., 64 u. 174, RGS 2/2.3 ff., 51 u. 129. 52 Vgl. Briefe II, S. 70, RGS 2/2.55. 53 „Das praktische Gesetz ist daher kein Gesetz des Instinkts und keines unwillkührlichen Begehrens.“ (Briefe II, S. 69, RGS 2/2.54) Alle Vorschriften, die dem durch Lust und Unlust bestimmten Begehrungsvermögen durch Vernunft ge-

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kungsart unterworfen seyn, die lediglich von der Person als Person54 abhängt. Diese besteht einzig und allein in dem Wollen, oder in der Handlung der Person, durch welche sich dieselbe (nicht zu einer Forderung), sondern zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des Begehrungsvermögens selbst bestimmt.“55 Es empfiehlt sich, das, was uno actu geschieht, analytisch zu trennen und zunächst die Relation des praktischen Gesetzes zum Willen als Ursache oder Kraft in Betracht zu ziehen und erst in einem zweiten Schritt die Funktion des praktischen Gesetzes in Hinsicht auf das willentlich Erzeugte, die genuinen Willensvorschriften oder Maximen56 zu erörtern. Wollen ist ebenso wie das Wirken der praktischen Vernunft als selbst bestimmtes Handeln definiert;57 der entscheidende Unterschied besteht darin, dass das Handeln des Willens zwei entgegengesetzte Möglichkeiten zulässt: der Wille kann sich für oder gegen die Forderung der praktischen Vernunft entscheiden,58 ohne dazu durch einen anderen Grund als seine schiere Freiheit determiniert werden zu können. Darin erkennt Reinhold das Spezifische des Willens, das dem, was praktischer Vernunft und durch Lust bestimmtem Begehren gemeinsam ist, entgegensteht: Diese Vermögen sind nämlich zufolge dessen, dass sich ihr Wirken unwillkürlich, den Gesetzen ihrer Natur folgend auf eine bestimmte festgelegte Weise vollzieht, als Triebe zu begreifen.59 Es ist aber das Wesen des Willens, von jeglicher Festlegung durch ein Gesetz seiner Natur frei zu sein. Der Wille ist gesetzlose Freiheit, eine durch keinen inhaltlich bestimmten Grund definierte Kausalität, und eine in ihrer Kausalität eingeschränkte praktische Vernunft ist unfähig, das praktische

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macht werden, sind als anderweitig bedingte aus dem Bereich der praktischen Vernunft auszuschließen. Sie sind nicht technisch-praktische, sondern bloß theoretische Vorschriften. (Vgl. Briefe II, S. 69, RGS 2/2.54) Vgl. auch Briefe II, S. 254, RGS 2/2.178: „Das Gesetz der praktischen Vernunft läßt sich nur durch den Willen, für den es allein gegeben ist, befolgen.“ Person ist in den Briefen II der Terminus, mit dem Reinhold den Menschen als Träger der Gemütsvermögen bezeichnet. (Vgl. dazu etwa Briefe II, S. 66 u. 244 ff., RGS 2/ 2.52 u. 173 ff.) Person im emphatischen Sinne meint das Subjekt der Handlung, und Handeln ist die genuine Wirkungsweise der Person. Vgl. dazu Briefe II, S. 257, RGS 2/2.180: dass und wie gehandelt wird, bestimmt die Person. Vgl. Briefe II, S. 70, RGS 2/2.55. Zu Reinholds Begriff von Maxime vgl. etwa Briefe II, S. 188, RGS 2/2.140. Vgl. etwa Briefe II, S. 246, RGS 2/2.174. Zum Begriff Entschluss als genuiner Willenshandlung vgl. Briefe II, S. 186, 245 u. 253, RGS 2/2.138, 173 u. 177. Vgl. Briefe II, S. 70 u. 182, RGS 2/2.55 u. 134.

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Gesetz zum Bestimmungsgrund des Willens zu machen.60 Daher gilt: „Der Wille bestimmt sich seine Triebfeder selbst.“61 Wenn es also eines derartigen Willensaktes bedarf, um dem praktischen Gesetz Wirksamkeit für das gesamte willentliche Handeln des Menschen zu verschaffen, kann dieser vorgelagerte Akt selbst nicht durch das praktische Gesetz bestimmt sein. Dem Ursprung des praktischen Gesetzes in der Selbsttätigkeit der Vernunft entspricht die Art und Weise, wie es zum Gesetz des Vollzugs eines anderen Vermögens werden kann: Es kann nur durch einen dezisionistischen Akt, also freiwillig und grundlos, durch das von ihm betroffene Vermögen, d. i. durch das Vermögen, an das sich die Vorschrift richtet, zum Gesetz seines Wirkens gemacht werden. Grundlosigkeit stellt sich aber in Reinholds vermögenspsychologischer Moralphilosophie keineswegs als Irrationalität62, als Absenz jeglicher Ratio dar; im Gegenteil, der eigentümliche Charakter des praktischen Gesetzes als einer unbedingt notwendigen Vorschrift verlangt, die Implementierung des praktischen Gesetzes nicht von einem vorhergehenden materialen Grund abhängig zu machen. Und wenn diese Unbedingtheit der Vorschrift das Auszeichnende der praktischen Regel als solcher ist, käme jeder Rekurs auf einen bestimmten Grund der Willensbestimmung einer Verkehrung des praktisch Gesollten zum theoretisch Notwendigen gleich. Der Unterschied zwischen freier und nicht freier Kausalität bei Kant verlagert sich damit bei Reinhold in das Gefüge der innerseelischen Wirkungsweisen, derart dass noch zwischen zwei Arten von freien Vermögen, der praktischen Vernunft und dem Willen, zu unterscheiden sein soll. Die Freiheit des Willens besteht darin, sich ohne Grund selbst die Triebfeder seines Handelns zu bestimmen. Durch diese – mit Kants Lehre von der intelligiblen Tat aus der Religionsschrift vergleichbare – Urhandlung des Willens63 bestimmt sich der Wille im Falle der Entschließung zur Befolgung der Forderung des uneigennützigen Triebs dazu, das praktische Gesetz zum Motiv seines anderweitigen Handelns und zum Gesetz dieses Handelns zu machen. Das heißt, der Wille bestimmt sich 60 „Kant nennt die Vernunft praktisch, nicht in wie ferne sie selbst als Willen handelt, oder was immer für eine ihrer Vorschriften beym Wollen ausführt, sondern weil und inwiefern sie dem Willen eine Vorschrift lediglich durch sich selbst, nur um der bloßen Vorschrift willen, giebt.“ (Briefe II, S. 287, RGS 2/2.196). 61 Briefe II, S. 255, RGS 2/2.179. 62 Vgl. dazu Kersting 2008. 63 Vgl. zu den Bezugnahmen Reinholds auf Kants Religionsschrift bzw. auf den vorweg veröffentlichten ersten Teil derselben Zöller 2004, S. 82 ff.

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nicht nur seine Triebfeder selbst,64 sondern „bestimmt sich zu einer von zwey entgegengesetzten, der Person gegebenen Handlungsweisen“65. Indem sich die Person positiv für die Befolgung der Forderung des uneigennützigen Triebs entscheidet, wählt sie das Prinzip ihres willentlichen Verhaltens zu den Forderungen des eigennützigen Triebes. Das praktische Gesetz in dieser Funktion eines Prinzips zur Regelung der Ansprüche des bloßen Begehrens nennt Reinhold Sittengesetz.66 Willentliches Verhalten zu den unwillkürlich entstehenden Forderungen dieses Triebes ist nur durch die Aufstellung von Maximen möglich. Maximen sind zufällige, durch den Willen erwirkte Vorschriften, die sich auf die wirkliche Befriedigung oder Nichtbefriedigung67 der Forderungen des eigennützigen Triebes beziehen.68 Die Funktion des Sittengesetzes ist daher auch als Prinzip der Aufstellung von Maximen zu beschreiben und als solches ist das Sittengesetz zugleich als Gesetz des Handelns eines Vermögens – des Willens – oder als dessen Triebfeder und Handlungsweise in Anspruch genommen.69 Den Inhalt des als Sittengesetz auftretenden praktischen Gesetzes in dieser besonderen Funktion der Regulierung von Handlungen, die sich auf die Forderungen des eigennützigen Triebs beziehen, bestimmt Reinhold nun wie folgt: „Bey allen deinen Willenshandlungen sey die Befriedigung oder Nichtbefriedigung deines eigenntzigen Triebes der Forderung des uneigenntzigen untergeordnet.“70 Als durch das Sittengesetz Bestimmbare machen die freiwilligen Handlungen zur Befriedigung oder Abweisung von Forderungen des eigennützigen Triebs die Materie des Sittengesetzes aus. (Vgl. ebenda.) Die Form des Sittengesetzes erklärt Reinhold genauer so: es ist die „um ihrer selbst willen beabsichtigte Gesetzmßigkeit dieser Befriedigung oder Nichtbefriedigung, oder die Unterordnung derselben [Befriedigungen bzw. Nichtbefriedigungen des eigennützigen 64 Vgl. Briefe II, S. 252, RGS 2/2.177. 65 Briefe II, S. 258, RGS 2/2.180. 66 Vgl. Briefe II, S. 71 u. 186, RGS 2/2.56 u. 138 f.; Sittlichkeit ist nach Reinhold das aus dem Zusammenwirken von Wille und Vernunft hervorgehende Produkt eines unbedingten Gebots. (Vgl. Briefe II, S. 77, RGS 2/2.60). 67 Mit der Betonung der Wirklichkeit der Befolgung des Sittengesetzes beabsichtigt Reinhold, das Willensgesetz als kausal wirksames von der bloß ein Sollen zum Ausdruck bringenden Vernunftvorschrift zu unterscheiden. 68 Vgl. Briefe II, S. 252, RGS 2/2.177. 69 In diesem Respekt kann Reinhold auch sagen, das Sittengesetz gebe dem Willen eine Richtung und betreffe die Gesinnung der Person. (Vgl. Briefe II, S. 188, RGS 2/2.139). 70 Briefe II, S. 187, RGS 2/2.139.

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Triebes] unter den uneigennützigen Trieb.“71 Wie die willkürlichen Handlungen der Befriedigung bzw. Nichtbefriedigung von Forderungen des eigennützigen Triebs, die die Materie des Sittengesetzes ausmachen, durch das Sittengesetz bestimmt werden, kann ineins als Gesetzmäßigkeit ihrer Befriedigung und als neue Ordnung der naturwüchsigen Forderungen beider Triebe beschrieben werden: ihr natürliches Verhältnis der Entgegensetzung72 wird in die Hierarchie einer Zweckordnung überführt, sodass dem Spezifikum des praktischen Gesetzes, seinem Selbstzweckcharakter, genüge getan ist. Anders gesagt: Die Unbedingtheit der Forderung des uneigennützigen Triebes bringt sich in der der formierenden Leistung der Person verdankten hierarchischen Konstellation ihrer seelischen Kräfte zur Geltung. Für Reinhold sind Gesetzlichkeit und Selbstzweckcharakter Wechselbestimmungen von genuin praktischen, d. i. moralisch-praktischen Vorschriften, die sich aus der Art der Erzeugung dieser Vorschrift herleiten: Der Selbstzweckcharakter der praktischen Vorschrift hängt an ihrem Status als Gesetz, denn die Gesetzlichkeit einer Vorschrift impliziert ihr Erwirktsein durch die unbedingte Kausalität der Vernunft als Ursache, und der Status des Gesetzes resultiert aus der Unbedingtheit, d. h. Zweckfreiheit ihrer Erzeugung.73 Die Besonderheit der praktischen Vorschrift, Gesetz zu sein, müssen auch die Vorschriften des Willens aufweisen, sofern sie durch das praktische Gesetz bestimmt sind. Wenn Gesetzlichkeit ein Merkmal ist, das für praktische Vorschriften, und nur für diese konstitutiv ist, muss es auch den Vorschriften des Willens, die als praktische gelten können, die also von den durch Lust und Unlust bedingten theoretischen Vorschriften verschieden sind, zukommen.74 Das Verfahren, das Reinhold anwendet, um vom Begriff des praktischen Gesetzes zur Bestimmung seines Inhalts zu gelangen, wird jetzt 71 Briefe II, S. 187, RGS 2/2.139. 72 Vgl. dazu Briefe II, S. 256, RGS 2/2.179 f. 73 Vgl. Briefe II, S. 241, 245 u. 258 f., RGS 2/2.172, 174 u. 180 f. Insofern sich eine solche Vorschrift keinem vorhergehenden Zweck verdankt, ist sie für Reinhold nicht nur gesetzlich, sondern auch uneigennützig – so verbindet sich die gemeinhin als moralisch geltende Qualität eines Handlungsprinzips mit seiner formalen Eigenschaft der Gesetzlichkeit durch den Rekurs auf die Art der Erzeugung des Prinzips. 74 Das durch das praktische Gesetz bestimmte Verhalten zu den Forderungen des eigennützigen Triebs ist als moralisches Verhalten vom physischen Zwang ebenso unterschieden wie vom Bestimmtsein durch Regeln der Klugheit. (Vgl. Briefe II, S. 188, RGS 2/2.140).

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erkennbar. Er erklärt: „[d]ie Forderung des uneigennützigen Triebes überhaupt hat an und für sich selbst die bloße Gesetzmäßigkeit zum Objekt“75. Das, was der uneigennützige Trieb fordert, bzw. das, was das praktische Gesetz vorschreibt, ist diejenige Eigenschaft, die es selbst gegenüber allen Vorschriften der Vernunft auszeichnet. Weil Gesetzlichkeit eine Eigenschaft ist, die die moralisch-praktische Vorschrift aufgrund ihrer Erzeugungsart als solche qualifiziert, muss auch jedes Wollen von etwas, das der Forderung des uneigennützigen Triebs genügt, diesen Charakter der Gesetzlichkeit aufweisen. Im Begriff der praktischen Vorschrift als Gesetz manifestiert sich für Reinhold die der Erzeugungsart verdankte Moralität eines Prinzips; dieses Gesetz zu erfüllen, heißt daher: diesen Charakter der Gesetzlichkeit auf alle anderen Vorschriften des Wollens zu übertragen. Es verhält sich mithin nicht so wie bei Kant, dass nämlich das spezifische Merkmal eines praktischen Gesetzes objektiv gltiger praktischer Grundsatz zu sein, als logisches Kriterium der Auswahl dessen fungiert, was unbedingt geboten sein kann. Vermittelst des Merkmals objektiv gltig wird bei Kant erst ein vom Begriff des praktischen Gesetzes verschiedener Inhalt gewonnen – Form der Maxime –, der seinerseits als principium diiudicationis und als principium executionis auftreten kann. Es kann aber nicht der Begriff des praktischen Gesetzes selber unmittelbar als der gesuchte Inhalt des praktischen Gesetzes fungieren. Das Sittengesetz als Formprinzip von Maximen stellt sich nun bei Reinhold so dar: Die praktische Vernunft der Person […] fordert: daß sich die Person zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung des eigennützigen Triebes durch Freyheit solche Vorschriften [Maximen] gebe, die als Gesetze gedacht, sich nicht widersprechen, […] daß die Gesetzmäßigkeit der Befriedigung oder Nichtbefriedigung des eigennützigen Triebes die Maxime der Handlung sei.76

Wie sich die beiden Formulierungen zur Erläuterung der Forderungen praktischer Vernunft zueinander verhalten, ist nicht ganz durchsichtig: es spricht vieles dafür, dass auf den Unterschied von principium diiudicationis und principium executionis Bezug genommen ist. Dann würde es sich allerdings um zwei verschiedene Maximen handeln. Einigermaßen vage bleibt auch die Erklärung des Gesetzescharakters als Eigenschaft moralisch qualifizierter Maximen im Sinne widerspruchsfreier Denk75 Briefe II, S. 187, RGS 2/2.139. 76 Briefe II, S. 189, RGS 2/2.140.

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barkeit. Es bleibt letztlich unklar, wie sich für Reinhold überhaupt der Zusammenhang von Gesetzlichkeit und Widerspruchsfreiheit von Maximen genauer darstellt. Zu beachten ist jedenfalls, dass Widerspruchsfreiheit von Reinhold als die universale Form der Vernunft reklamiert wird, die nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln betrifft.77 Dass dieses Prinzip für die Architektonik von Reinholds Konzeption von Vernunft überhaupt, insbesondere aber für die der praktischen Vernunft eine bislang unterschätzte Relevanz besitzt, ist abschließend nur noch skizzenhaft zu zeigen. Die Vernunft hat eine ihr gegebene Form, an der weder sie selbst noch die Person etwas ändern kann, an welche daher die Person in so ferne gebunden ist. Das Gesetz dieser Form wird durch den Satz des Widerspruchs ausgedrückt, und in Kraft dieses Gesetzes, und so weit als die Person an dasselbe gebunden ist, kann durch sie nichts Widersprechendes wirklich werden.78

An das Gesetz des Widerspruchs ist die Person nur insofern gebunden, als sie nicht Akteur, nicht Subjekt von Handlungen ist, sondern unwillkürlich sich vollziehenden Wirkungen ihrer Vermögen unterliegt, wie es auch beim Denken der Fall sein kann.79 Freiwilligkeit als Charakteristikum von Handlungen setzt den Willen als einziges, nicht naturgesetzlich in seiner Handlungsweise festgelegtes Vermögen voraus. Nun ist es gerade die Entgegensetzung der Triebe, die für die diesem Vermögen zukommende Wahlfreiheit konstitutiv ist.80 Der Antagonismus der Triebe ist als Praxis erst ermöglichende, konstitutive Grundstruktur des Subjekts in Ansatz gebracht, die als naturwüchsig gegebene nicht zu beseitigen ist, zu der sich die Person allerdings willentlich und d. h. so oder anders zu verhalten hat und zwar so, dass sie den Widerstreit willentlich konserviert oder aufhebt. Entscheidet sich die Person dazu, das Sittengesetz zu erfüllen, beseitigt sie den Widerstreit durch Unterordnung. Im Falle willentlicher Nichtbefolgung des Sittengesetzes ordnet die Person die unbedingte Forderung, das unbedingt Gesollte der praktischen Vernunft, den Forderungen des eigennützigen Triebes unter, und d. h. sie ordnet das Gebotene des praktischen Gesetzes dem durch Lust und Unlust bedingten Zweck und den entsprechenden Vorschriften unter. Als durch 77 78 79 80

Vgl. Briefe II, S. 258, RGS 2/2.180. Briefe II, S. 257 f., RGS 2/2.180. Vgl. Briefe II, S. 258, RGS 2/2.180. Vgl. Briefe II, S. 274 u. 291, RGS 2/2.189 u. 197. Reinhold verwendet den Begriff Widerspruch im Kontext von Handlungen offenbar in einem weiten – auch den Widerstreit – umfassenden Sinne.

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praktische Vernunft bestimmtes Subjekt steht die Person in der Möglichkeit, sich mit sich als vernünftiges Wesen in Widerspruch zu setzen: Da die Forderung des uneigennützigen Triebes lediglich durch reine Selbstthätigkeit der Person (praktische Vernunft) geschieht, so kann die Person nur durch einen Widerspruch mit sich selbst dieser Forderung zuwider handeln.81

Sich als freies Vernunftwesen widerspruchsfrei zu sich zu verhalten, heißt, die selbsttätig hervorgebrachte, unbedingte Forderung frei zu erfüllen und dadurch zugleich den natürlichen Antagonismus der Triebe aufzuheben und ein neues Verhältnis der Triebe herbeizuführen, das zumeist als Unterordnung, teils aber auch als Beschränkung des eigennützigen Triebs beschrieben wird.82 Es liegt auf der Hand, dass in dieser neuen Ordnung der seelischen Kräfte dem Selbstzweckcharakter des praktischen Gesetzes genüge getan ist. Der Selbstzweckcharakter des praktischen Gesetzes fungiert mithin als eine Art Direktive, an der sich die willentliche Neuordnung der Gemütskräfte auszurichten hat, um der allgemeinen Vernunftform, dem Widerspruchsprinzip in der Überformung des natürlich Gegebenen Realität verschaffen zu können. Durch die Orientierung am Selbstzweckcharakter des praktischen Gesetzes wird aber nicht nur der Widerspruch der Triebe in die Ordnung einer Zweckhierarchie überführt, auch das Verhältnis von Willenshandlungen und praktischer Vernunft wird harmonisiert: Der Wille ist für Reinhold der eigentliche Akteur im innerseelischen Gesamtleben, der von der praktischen Vernunft so oder so Gebrauch machen, d. h. sich für oder gegen die Forderung der Vernunft entscheiden kann.83 Das aus der Genesis des praktischen Gesetzes gewonnene Spezifikum einer um ihrer Selbst willen erhobenen Vorschrift fungiert auch in dieser Hinsicht als übergeordnete Norm, an der sich der willentliche Gebrauch der Vernunft ausrichten soll. Sofern nämlich der Wille als Vermögen, Vorschriften (Maximen) zu geben, seinerseits Vernunftcharakter hat, kann auch die durch den Willen bestimmte Art des Gebrauchmachens von der Vernunft der Forderung der praktischen Vernunft zuwider sein, sodass es sich um einen vernunftwidrigen Akt eines Vermögens handelt, das dadurch al81 Briefe II, S. 185, RGS 2/2.137. 82 Zum Begriff Selbstbeschränkung vgl. Briefe II, S. 151, 191, RGS 2/2.112, 141; zum Verhältnis der Unterordnung vgl. Briefe II, S. 187 f., 242, 249, 255 u. 260, RGS 2/2.138 f., 172, 175, 177, 179 u. 181. 83 Vgl. Briefe II, S. 258, RGS 2/2.180.

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lerdings nicht aufhört, vernünftig zu sein.84 Im Handeln qua Wollen wird im günstigen Fall moralischen Handelns das praktische Gesetz realisiert, sodass die Art des Gebrauchmachens von der Vernunft und die Forderung der Vernunft im Einklang sind. Oder aber dieses Handeln ist zwar vernünftig im Sinne des Gebens von Vorschriften, ist aber zugleich unvernünftig, insofern sein Aufstellen von Vorschriften (Maximen) der Vorschrift des Gebens von Vorschriften widerspricht. Wie stark Reinholds Moralphilosophie von teleologischen und ins Psychologische gewendeten logischen Denkmustern beherrscht bleibt, ist damit zumindest angedeutet. Die gegebene Form der Vernunft, Widerspruchsfreiheit, durch Herstellung einer vernünftigen innerpsychischen Zweckordnung realisieren – mit dieser Bestimmung des Menschen entfernt sich Reinhold von Kant, um Fichte und Schiller den Weg zu weisen. So findet der Vernunftoptimismus der Aufklärung in Reinholds Konzeption der praktischen Vernunft eine eindrucksvolle Fortsetzung, deren Ingredienzien des Bitteren und Paradoxalen, moderne, etwa existenzialistische Vorstellungen von Subjektivität antizipierende Züge kaum zu übersehen sind. Es ist die Vernunft selbst, die mit der Freiheit von den Determinationen des naturwüchsigen Begehrens die Möglichkeit, sich vernünftig und frei gegen die Vernunft zu entscheiden und vernunftwidrig zu handeln, begründet. Unsittliches Handeln ist nicht Folge von Vernunftschwäche, die Vernunft als solche wirft diesen Schatten, statuiert das Paradox, vernünftig vernunftwidrig handeln zu können.

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Moralpsychologie statt Metaphysik der Sitten

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„Die praktische Vernunft ist kein Wille“ Reinholds personalitätstheoretische Kritik der Kantischen Freiheitslehre

Jçrg U. Noller Abstract: Kant’s Critique of practical reason provides an account of pure practical reason that is able to determine as well as motivate the human will without depending on empirical motives. However, Kant’s identification of will and practical reason raises the question whether it is possible that a person is responsible not only for their morally good but also for their morally evil actions. In this paper I show that Karl Leonhard Reinhold, under the influence of August Wilhelm Rehberg’s critique of Kant’s moral philosophy, developed a critical account of personal autonomy in the second volume of his Letters on the Kantian Philosophy in order to maintain the possibility of moral responsibility by breaking the Kantian identity of free will and pure practical reason.

1. Einleitung Karl Leonhard Reinhold kommt unter den Philosophen, die an der freiheitstheoretischen Debatte im unmittelbaren Ausgang von Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft teilnahmen, eine besondere Stellung zu.1 Im Zentrum dieser Debatte stand speziell die Frage, ob und wenn ja, wie ein Begriff von moralischer Zurechenbarkeit auf Basis der Kantischen Prämissen entwickelt werden kann. Reinhold geht zwar zunächst von Kants freiheitstheoretischen Grundannahmen aus, unterzieht diese dann aber einer scharfsinnigen immanenten Kritik, wodurch er gleichzeitig über sie hinausgeht. In seinen moralphilosophischen Schriften hatte Kant eine Theorie menschlicher Freiheit zu entwickeln versucht, wonach reine praktische Vernunft aus sich selbst heraus den menschlichen Willen sowohl zu bestimmen als auch zu motivieren vermag. Eine solch enge Verbindung von freiem Willen, Autonomie und reiner praktischer Vernunft wirft jedoch die Frage auf, wie es möglich ist, dass eine Person nicht nur für ihre guten, 1

Zur Bedeutung der Reinholdschen Freiheitstheorie im Allgemeinen vgl. Fabbianelli 2000, Bondeli 2000, Lazzari 2003a, Lazzari 2003b sowie Lazzari 2004.

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sondern auch für ihre bösen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden kann. Eine strenge Identität zwischen Vernunftautonomie und Willensfreiheit führt nämlich zu dem moralphilosophischen Problem, dass ein Mensch, der sich heteronom – also gegen die Vorschriften des Sittengesetzes – entscheidet, um einen sinnlichen Trieb zu befriedigen, im Grunde genommen nicht frei genannt werden kann.2 Carl Christian Erhard Schmid hatte in der Freiheitsdebatte eine solche Lesart der Kantischen Theorie forciert und vehement die Position eines „intelligiblen Fatalismus“3 vertreten, der besagt, dass menschliche Freiheit im eigentlichen Sinne mit der vollständigen Bestimmung durch das vernünftige Sittengesetz und dessen Notwendigkeit gleichzusetzen sei. Ich werde im folgenden speziell Reinholds Auseinandersetzung mit dem Problem der moralischen Zurechenbarkeit im Ausgang von Kant untersuchen und mich dazu besonders auf den Begriff der Person konzentrieren, den Reinhold gegen die Kantische Theorie aufbietet und der bislang nur selten ins Zentrum der Reinholdforschung gestellt wurde.4 Dass Reinholds Personenbegriff bislang nur wenig Beachtung gefunden hat, mag damit zusammenhängen, dass dieser im zweiten Band seiner Briefe ber die Kantische Philosophie nicht in einer expliziten und systematisch ausgearbeiteten Form vorliegt, was seine Rezeption erschwert. Um Reinholds impliziten Personenbegriff zu exponieren und zu rekonstruieren, werde ich zunächst als Hintergrund Kants Theorie der Vernunftautonomie darstellen, wobei ich auch einen Blick auf Kants metaphysische Grundlegung seines Freiheitsbegriffs zwischen ,mundus sensibilis‘ und ,intelligibilis‘ werfen werde, innerhalb deren die Freiheit des Menschen ihren Ort hat. Da es also hinsichtlich der Frage nach menschlicher Freiheit und moralischer Zurechenbarkeit immer auch schon um die Frage nach dem Verhältnis und der Verbindung von (menschlicher) Natur und Vernunft geht, werde ich mich hier besonders auf das Lehrstück des moralischen Gefühls der Achtung im Triebfedernkapitel der zweiten Kritik konzentrieren, an welchem sich im Anschluss an Kant besonders die freiheitstheoretische Debatte entzündet hat. In einem weiteren Schritt soll dann gezeigt werden, dass Karl Leonhard Reinhold im zweiten Band seiner Briefe zum Zwecke der Aufrechter2 3 4

Vgl. Fabbianelli 2000, S. 428. Dieser ist in seinem Versuch einer Moralphilosophie. Jena 1790, § 255 ff. enthalten und in der zweiten Auflage von 1792 noch weiter präzisiert worden. Zum Begriff der Person bei Reinhold vgl. speziell Lazzari 2003a, S. 202 ff. sowie Lazzari 2004, S. 281 ff.

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haltung moralischer Zurechenbarkeit eine kritische Handlungstheorie entwickelt hat, die darin besteht, dass die Kantische Einheit von Wille und Vernunft im Zuge einer Kritik der reinen praktischen Vernunft personalitätstheoretisch aufgebrochen wird. Diese Unterscheidung hat weitreichende anthropologisch-metaphysische Konsequenzen. Reinholds Personenbegriff kann insofern als ein Versuch angesehen werden, die ganze Natur des Menschen in die Freiheitsentscheidung mit einzubeziehen und dadurch einen ,wirklichen‘ Begriff menschlicher Freiheit zu entwickeln, die nicht mehr, wie es die Kantische Theorie zu lehren scheint, allein im Intelligiblen angesiedelt ist. Schließlich werde ich Reinholds Theorie der moralisch zurechenbaren Person einer kritischen Betrachtung unterziehen und Problempunkte markieren, die sein Personenbegriff in sich birgt und die Reinholds Theorie nicht befriedigend zu lösen vermag.

2. Kants Theorie der Vernunftautonomie 2.1 Der logische Raum menschlicher Freiheit Kants Theorie menschlicher Freiheit fußt auf einer zweifachen Bestimmung der Natur, wobei Natur „im allgemeinsten Verstande“ zunächst die „Existenz der Dinge unter Gesetzen“ meint.5 Die sinnlich wahrnehmbare, im Unterschied zur übersinnlichen, urbildlichen Natur (natura archetypa) ist in Kants kritischer Philosophie nicht die Wirklichkeit, wie sie an sich besteht, sondern der systematische Zusammenhang physischer und psychischer Erscheinungen unter einheitlichen, ihren Ablauf regelnden Gesetzen, von denen das Kausalitätsprinzip die Erscheinungen durchgängig und ohne Ausnahme determiniert. Als eine solche umfasst die Natur bei Kant die Außen- und Innenwelt als gesetzmäßige Erscheinung der Dinge an sich, als „Objekt aller möglichen Erfahrung“ bzw. als ein „Inbegriff von Erscheinungen“6. Nach Kants Kritik der reinen Vernunft ist der Mensch, insofern er als wirklich frei angesehen wird, nicht an sich selbst ein Naturwesen, welches so nur heteronom bestimmt wäre, sondern muss als ein außerhalb der Natur stehendes Noumenon, ein Vernunftwesen mit intelligiblem Charakter, welches über Freiheitskausalität verfügt, gedacht werden. 5 6

KpV, Kant-AA 5.43. KrV A 114.

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Die Denkmçglichkeit menschlicher Freiheit verhandelt Kant in der Auflösung der kosmologischen Antinomie der Kritik der reinen Vernunft. Kant löst die dritte Antinomie bekanntlich so auf, dass er die These, es existiere einzig und allein die kausalgesetzlich und heternonom bestimmte Ebene der Natur (der ,mundus sensibilis‘), in seiner kritischen Philosophie abschwächt und den theoretischen Denkraum einer zweiten, zeitlosen ,intelligiblen‘ Ebene (des ,mundus intelligibilis‘) eröffnet, auf der „kein Vorher, oder Nachher“ gilt7, wodurch sich beide Arten von Kausalität, die Naturkausalität und die Freiheitskausalität, nicht mehr widersprechen und eine Wirkung also „in Ansehung ihrer intelligiblen Ursache als frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Notwendigkeit der Natur, angesehen werden“ kann.8 Kant kann insofern beanspruchen, die objektive Gültigkeit des wissenschaftlichen Weltbildes gerechtfertigt und gleichzeitig zumindest den logischen Raum, innerhalb dessen moralische Freiheit gedacht werden kann, eröffnet zu haben. Allerdings geschieht der Aufweis einer möglichen Vereinbarkeit beider Ansprüche, von Natur- und Freiheitskausalität, um den Preis einer erkenntnistheoretischen Einschränkung, insofern die Wirkungen der Freiheit in der Erscheinungswelt unbeweisbar bleiben. Kant drückt diese epistemologische Bescheidenheit in der ersten Kritik folgendermaßen aus: „Man muß wohl bemerken: daß wir hierdurch nicht die Wirklichkeit der Freiheit, als eines der Vermögen, welche die Ursache von den Erscheinungen unserer Sinnenwelt enthalten, haben dartun wollen.“9 Freiheit ist deshalb „eine reine transzendentale Idee, die erstlich nichts von der Erfahrung Entlehntes enthält, zweitens deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung bestimmt gegeben werden kann.“10 Diese erkenntnistheoretische Restriktion hat auch Folgen für die Frage nach der Erkennbarkeit moralischer Zurechenbarkeit, wie Kant in einer Fußnote selbst bemerkt: Die eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns daher […] gänzlich verborgen […]. Wie viel aber davon reine Wirkung der

7 8 9 10

KrV A 553/B 581. KrV A 537/B 565. KrV A 557 f./B 585 f. KrV A 533/B 561.

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Freiheit […] zuzuschreiben sei, kann niemand ergründen, und daher auch nicht nach völliger Gerechtigkeit richten.11

Den in der Kritik der reinen Vernunft gewonnenen und umrissenen logischen Raum einer Vereinbarkeit von Natur- und Freiheitskausalität analysiert Kant in der Kritik der praktischen Vernunft weiter, wobei er dort auf etwas Faktisches – das „Faktum der Vernunft“12 – stößt. Reine praktische Vernunft „beweist“ demnach ihre „Realität“ als Bewusstsein des Sittengesetzes „durch die Tat“13, was gemäß der Kantischen Theorie die bloße Denkmöglichkeit zur Wirklichkeit der Freiheit erhebt.

2.2 Vernünftige Selbstbestimmung Kants Theorie des intelligiblen Charakters des Menschen basiert auf einem Begriff einer reinen praktischen Vernunft, welche insofern für seine Freiheitslehre von besonderer Bedeutung ist, als diese das entscheidende Vermögen der komplexen sukzessiven Realisierung menschlicher Freiheit ist und in Kontrast zum Begriff einer „empirisch-beschränkte[n]“14 Vernunft erst ihre spezifische Bedeutung erlangt.15 Reine praktische Vernunft ist insofern vor einer empirisch bedingten Vernunft ausgezeichnet, als sie als Subjekt einer spezifischen Freiheitskausalität angesehen werden kann, die man „nicht allein negativ als Unabhängigkeit von empirischen Bedingungen […], sondern auch positiv durch ein Vermögen bezeichnen [kann], eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen“16, wodurch sie a priori, d. h. ohne bedingende Vermittlung der natürlichen Neigung zur Glückseligkeit, den (freien) Willen zu bestimmen vermag. Kant versucht – im Gegensatz zur bloßen Erkundung des logischen Raums der ersten Kritik – in seiner zweiten Kritik zu zeigen, dass praktische Vernunft rein sein kann, ohne auf Sinnlichkeit angewiesen zu sein, was gerade im Gegensatz zum Programm einer Kritik der reinen 11 KrV A 551/B 579 Fn. Die Tatsache, dass Kant diese Aussage gerade in eine Fußnote aufnimmt, lässt vermuten, dass das Problem moralischer Zurechenbarkeit für Kant hier nach wie vor nicht völlig bewältigt ist. Vgl. zum Phänomen der Kantischen Fußnoten allgemein Kühn 2004, S. XI. 12 KpV, Kant-AA 5.31. 13 KpV, Kant-AA 5.3. Vgl. auch Kant-AA 5.42. 14 KpV, Kant-AA 5.15. 15 Zum Begriff und zur Bedeutung einer reinen praktischen Vernunft vgl. Ivaldo 2010, S. 182 ff. 16 KrV A 553 f./B 581 f.

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theoretischen Vernunft steht, für die eine als Erkenntnisvermögen fungierende reine Vernunft notwendiger Weise dialektisch wird. „Folglich werden wir nicht eine Kritik der reinen praktischen, sondern nur der praktischen Vernunft überhaupt zu bearbeiten haben.“17 Innerhalb des Systems der reinen Vernunft stellt der Begriff der Freiheit bei Kant den „Schlußstein“ dar, insofern er in der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft bereits als denkmöglich erwiesen worden war, und nun, in der Kritik der praktischen Vernunft als objektivpraktisch bestätigt werden kann.18 Als eine transzendentale Idee, als ein Vernunftbegriff, der, obgleich denkbar, keine empirische Tatsache darstellt, bedarf es der Wirklichkeit als einer praktischen Erfahrungstatsache, die die Idee epistemisch bestätigt und dadurch „in der Tat praktisch beweiset“19, dass der Mensch selbst, als ein freies Wesen, faktischen Einfluss auf die Welt hat. Zu Beginn der Kritik der praktischen Vernunft wirft Kant deshalb die für seine Freiheitstheorie entscheidende Frage auf, „wie reine Vernunft praktisch, d. i. unmittelbar willensbestimmend sein könne“20. Kant will den heiklen Brückenschlag der objektiv allgemeinen Vernunft unmittelbar zum Handeln eines Einzelnen, wenn schon nicht begründen, so doch aufzeigen.21 Folgenden Forderungen muss insofern eine Theorie autonomer praktischer Vernunft genügen: Reine praktische Vernunft 17 KpV, Kant-AA 5.15. Vgl. zu dieser Charakteristik Henrich 1963, S. 355: „Die Titel der beiden Werke sind also nicht einfach analog, sondern eher gegenseitig zu lesen. Die reine theoretische und die empirisch bedingte praktische Vernunft erheben unberechtigte Ansprüche und zwingen zur Kritik“. 18 „Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen Vernunft aus, und alle anderen Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche als bloße Ideen in dieser ohne Haftung bleiben, schließen sich nun an ihn an und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objektive Realität, d. i. die Mçglichkeit derselben wird dadurch bewiesen, daß Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbaret sich durchs moralische Gesetz.“ (KpV, Kant-AA 5.3). 19 KpV, Kant-AA 5.42. 20 KpV, Kant-AA 5.46; vgl. auch Kant-AA 5.45. Vgl. dagegen jedoch Kant-AA 5.72. Kant hatte diese Frage zuvor auch schon in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten diskutiert, war aber dabei zu keinem positiven Ergebnis gelangt. Vgl. GMS, Kant-AA 4.458 f.: „Aber alsdann würde die Vernunft alle ihre Grenze überschreiten, wenn sie es sich zu erklren unterfinge, wie reine Vernunft praktisch sein könne, welches völlig einerlei mit der Aufgabe sein würde, zu erklären, wie Freiheit mçglich sei.“ 21 Vgl. zum Problem des freiheitskausalen Übergangs auch Buchheim 2002, S. 384.

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muss aus sich selbst heraus angeben können, nach was der Wille streben soll. Sie muss insofern in der Lage sein, allein aus sich selbst heraus Maximen als moralisch zu qualifizieren. Es muss also in der Vernunft ein Urteilsprinzip, ein principium diiudicationis strukturell angelegt sein. Der empirische Gehalt des menschlichen Willens als seine Materie bestimmt diesen jedoch nur heteronom, insofern er dem Naturgesetz unterliegt, „denn Erfahrung gibt uns nur das Gesetz der Erscheinungen, mithin den Mechanism der Natur, das gerade Widerspiel der Freiheit, zu erkennen.“22 Das Kriterium der sittlichen Beurteilung muss deshalb ein rein formales Kriterium sein, welches seine Gültigkeit vor aller Erfahrung besitzt. Das Gesetz der sittlichen Beurteilung besteht darum allein in der Forderung der Legalität bzw. vernünftigen Verallgemeinerbarkeit der subjektiven Handlungsgrundsätze als Maximen: „Also ist ein Wille, dem die bloße gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen kann, ein freier Wille.“23 Allerdings genügt die rein rationale Urteils- und Erkenntnisfunktion in Form des kategorischen Imperativs noch nicht für eine vollständige Freiheitstheorie aus reiner Vernunft. Im Gegensatz zur bloß pflichtgemßen Angemessenheit der Maximen an das Sittengesetz, welche die Legalität ausmacht, besteht der volle Begriff der Sittlichkeit darin, aus Pflicht, d. h. aus „Achtung fürs moralische Gesetz“24 zu handeln. Ein bloß legales Handeln könnte stets durch einen materialen Bestimmungsgrund motiviert sein. Die Handlung wäre so zwar legal, aber nicht im eigentlichen Sinne moralisch. Der Wille ist also durch die bloße Form des kategorischen Imperativs nur objektiv, nicht jedoch subjektiv durch ein „Interesse an der Befolgung“25 des Sittengesetzes, d. h. moralisch, bestimmt. Allein in der vernünftigen Erkenntnis läge noch keine motivationale Kraft begründet. Es läge zwar eine ,Autognosie‘ der Vernunft in ihre Moralität vor, jedoch noch nicht Autonomie in ihrem aktiven Sinne. Die praktische Vernunft benötigt zusätzlich zu ihrem principium diiudicationis ein principium executionis, durch welches sie im Stande ist, vernünftige Handlungen allein aus sich selbst heraus zu motivieren. Für den Begriff des Willens bedeutet dies, dass er im Idealfall als „nichts anderes als praktische Vernunft“26 gelten kann und „ein freier Wille und ein Wille 22 23 24 25 26

KpV, Kant-AA 5.29. KpV, Kant-AA 5.29. KpV, Kant-AA 5.80. KpV, Kant-AA 5.80. GMS, Kant-AA 4.412.

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unter sittlichen Gesetzen einerlei“ ist.27 Das Moment der freien Wahl einer Maxime aus einer Alternative heraus wird dadurch nun aber zumindest nebensächlich28, denn der vernünftige Wille allein ist „ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d. i. als gut, erkennt“29.

2.3 Moralische Motivation aus reiner praktischer Vernunft Innerhalb der Doppelbestimmung der Vernunft hinsichtlich ihrer beiden Prinzipien und Funktionen muss eine Theorie der Triebfedern den notwendigen Rest für eine Willensbestimmung aus reiner Vernunft liefern, so dass auch sichergestellt ist, dass nicht etwa aus Angst vor Strafe das Sittengesetz eingehalten wird. Der vernünftige Maximentest des kategorischen Imperativs ist also nur die notwendige, nicht aber die hinreichende Bedingung für einen moralisch guten, d. h. freien Willen. Es bedarf einer moralischen Triebfeder, denn gemäß der Kantischen Anthropologie ist der Mensch ein endliches Vernunftwesen, ein Zwischenwesen, das weder rein sinnlich, noch rein vernünftig ist. Die Vorstellung des moralischen Gesetzes allein kann also nicht schon handlungswirksam sein, es bedarf dazu immer noch eines sinnlichen Antriebes. Die Vorstellung des Sittengesetzes muss also mit einem ,positiven‘ Gefühl verbunden sein, das die ,Kluft‘ zwischen vernünftig-erkannter Handlung und praktisch-ausgeführter Handlung in der Welt der Erscheinungen schließt. Die moralische Triebfeder ist insofern „der subjektive Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens […], dessen Vernunft nicht schon vermöge seiner Natur dem objektiven Gesetze notwendig gemäß ist.“30 Eine moralische Triebfeder kann im Rahmen einer Theorie reiner praktischer Vernunft systematisch jedoch keinen anderen Ursprung haben als im Sittengesetz selbst. Kant befindet sich in der Frage nach der Möglichkeit rationaler Motivation jenseits einer Theorie des empiristischen moral sense 31 27 28 29 30 31

GMS, Kant-AA 4.441. Vgl. Bondeli 2001, S. 224. GMS, Kant-AA 4.412. KpV, Kant-AA 5.72. David Hume hatte zuvor die – Kants Theorie diametral entgegengesetzte – These vertreten, „daß die Vernunft allein niemals Motiv eines Willensaktes sein kann, […] daß dieselbe auch niemals hinsichtlich der Richtung des Willens einen Affekt bekämpfen kann“, Hume 1739, Traktat II, S. 151. Kants originäre Leistung

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sprichwörtlich auf der Suche nach dem „Stein der Weisen“32. Es wird nämlich genau genommen im Programm einer Metaphysik der Sitten eine Motivationskraft der Vernunft gesucht, welche aus reiner Vernunft stammt und dennoch praktisch sein kann. Insofern ist mit Blick auf die Vernunft eine ,internalistische‘ Theorie moralischer Motivation zu entwickeln, die gleichwohl das ,emotive‘ Gefühl integrieren kann. Das Triebfedernkapitel der Kritik der praktischen Vernunft kann aufgrund dieser zentralen Fragestellung als das systematische ,Herzstück‘ der Kantischen Moral- und Freiheitslehre angesehen werden. Das Gefühl der Achtung, das darin wiederum seinen Ort hat, ist das entscheidende Glied in einem Prozess der Verwirklichung der Freiheit bzw. einer komplexen Willensbestimmung, deren Ziel es ist, aus reiner Vernunft moralisch zur Handlung zu motivieren und dabei alle möglichen empirischen Einflüsse von der Willkür des Willens fernzuhalten. Im Rahmen seiner kritischen Motivationstheorie versucht Kant einen gangbaren Weg zu finden zwischen der Skylla einer rein intellektualistischen Theorie, nach welcher bereits die Erkenntnis eines moralischen Grundes unmittelbar zu entsprechendem Handeln motiviert und der Charybdis einer empiristischen Theorie, wonach moralische Gründe auf Gefühlen, Begierden oder Wünschen beruhen. Denn jene Theorie würde eine intellektualistische Verkürzung menschlicher Freiheit bedeuten, diese würde dazu führen, dass es überhaupt keine allgemeingültigen moralischen Verbindlichkeiten gäbe.33 Der Prozess der sich bis in die Sinnlichkeit durchsetzenden bzw. ,durchschlagenden‘ reinen Vernunft entzieht sich jedoch aufgrund der fehlenden Anschauung streng genommen der Erkenntnis, denn es existiert keine Kategorie, durch welche die Verbindung einer intelligiblen Ursache mit einer Wirkung in der Sinnlichkeit erkannt werden könnte. Kants Aufgabe besteht also in der zweiten Kritik allein darin, „sorgfältig zu bestimmen, auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermögen als Wirkung jenes Bestimbesteht demnach darin, einen Begriff rein praktischer, d. h. spontaner und freier Vernunft entwickelt zu haben, der die Intuitionen des moral sense aufhebt und diesen zugleich ontologisch als überflüssig erweist. 32 „[D]as kann und wird auch keiner einsehen, daß der Verstand sollte eine bewegende Kraft zu urteilen haben. Urteilen kann der Verstand freilich, aber diesem Verstandesurteil eine Kraft zu geben, und daß es eine Triebfeder werde den Willen zu bewegen, die Handlung auszuüben, das ist der Stein der Weisen.“ Kant-AA 21.1211 u. 1225. 33 Vgl. zur Motivationsproblematik auch Klemme 2004, S. 87.

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mungsgrundes auf dasselbe vorgehe“34. Dabei muss Kant den vernünftigen Weg von der allgemeinen Willensbestimmung durch das Sittengesetz über die besonderen Handlungsobjekte hin zur subjektiven Willensbestimmung des einzelnen Menschen aufzeigen.35 Kant fasst in seiner zweiten Kritik den dreistufigen Prozess der aus sich selbst heraus praktisch werdenden Vernunft folgendermaßen zusammen: Das moralische Gesetz also, so wie es [erstens] formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft, so wie es [zweitens] zwar auch materialer, aber nur objektiver Bestimmungsgrund der Gegenstände der Handlung unter dem Namen des Guten und Bösen ist, so ist es [drittens] auch subjektiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sinnlichkeit des Subjekts Einfluß hat, und ein Gefühl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen beförderlich ist.36

Das moralische Gefühl der Achtung hat dabei also eine zentrale systematische Funktion zu erfüllen: Als Triebfeder und subjektiver Bestimmungsgrund des Willens hat es den heiklen freiheitskausalen Übergang von der vernünftigen Sphäre des Sittengesetzes zur phänomenalen Sphäre der konkreten empirischen Handlung zu leisten. Würde die Kluft zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, zwischen der rationalen und affektiven Natur durch dieses Achtungsgefühl nicht überbrückt, würde der Mensch den moralischen Geboten mit Indifferenz und ohne moralisches Interesse begegnen. Die Handlung wäre zwar legal, aber nicht im eigentlichen Sinne moralisch. Während die Lehre des kategorischen Imperativs den Formalismus der Kantischen Moralphilosophie ausmacht, ist im Lehrstück des moralischen Gefühls der Achtung das eigentlich rigoristische Moment der Kantischen Morallehre enthalten, welches sich aus den metaphysischanthropologischen Prämissen seiner Theorie ,zwangs-läufig‘ ergibt. Weil der Mensch als ein endliches Naturwesen keinen heiligen Willen besitzt, kann das Sittengesetz als Triebfeder zunächst nur negativ auf die Sinn34 KpV, Kant-AA 5.72. Kant kommt an derselben Stelle auf dieses problematische Vorhaben zu sprechen: „Denn wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne (welches doch das Wesentliche aller Moralität ist), das ist ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mit dem einerlei: wie ein freier Wille möglich sei. Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüte wirkt (besser zu sagen, wirken muß), a priori anzuzeigen haben.“ 35 Vgl. zum ,Weg’ des Sittengesetzes auch Metz 2004, S. 142. 36 KpV, Kant-AA 5.75 (Hervorh. d. Verf.).

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lichkeit wirken, was ein Gefühl von „Unannehmlichkeit“37, „Schmerz“38 und sogar „Demütigung“39 mit sich führt. Im moralischen Gefühl der Achtung kommt die in der Kritik der reinen Vernunft theoretisch erörterte zweifache Natur des Menschen in einer internen Dynamik zum Ausdruck: Zunächst negativ, d. h. gegenüber dem Menschen in seiner Sinnlichkeit ,niederschlagend‘ zu wirken, aber gerade dadurch und im Gegenzug dazu positiv ihm seine Erhebung über die Natur bewusst zu machen im Aufweis seiner Fähigkeit, statt seine Neigungen das selbstgegebene Gesetz der Vernunft zu befolgen. So ist das Gefühl der Achtung insgesamt in dieser positiv-negativen Dynamik eine gleichsam ,dramatische‘ Bestätigung und ,Selbstdurchführung‘ des Menschen als einem ,Zwischenwesen‘ zwischen Vernunftwelt und Sinnlichkeit.40 Dem ,vernunftgewirkten‘ Gefühl41 der Achtung kommt insofern eine ganz besondere Stellung im System der Freiheit zu, denn dieses Gefühl ist das einzige, welches als etwas Sinnliches aus reiner Vernunft generiert wird: Es ist nicht pathologisch, „sondern muss praktisch gewirkt heißen“42. Das Gefühl der Achtung ist daher von „eigentümlicher Art“43 und „unergründlich“44. Kant demonstriert an dieser Stelle einen besonders augenfälligen Fall des „Paradoxons der Analyse“, wenn er dazu feststellt: „hier haben wir nun den ersten, vielleicht auch den einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori das Verhältnis eines Erkenntnisses (hier ist es [das] 37 38 39 40

41

42 43 44

KpV, Kant-AA 5.75. KpV, Kant-AA 5.73. KpV, Kant-AA 5.75. Kant fasst diesen Prozess in folgender Passage zusammen: „Also schlägt das moralische Gesetz den Eigendünkel nieder. Da dieses Gesetz aber doch etwas an sich Positives ist, nämlich die Form einer intellektuellen Kausalität, d. i. der Freiheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem subjektiven Widerspiele, nämlich den Neigungen in uns, den Eigendünkel schwcht, zugleich ein Gegenstand der Achtung, und indem es ihn sogar niederschlgt, d. i. demütigt, ein Gegenstand der größten Achtung, mithin auch der Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist, und a priori erkannt wird.“ KpV, Kant-AA 5.73. Vgl. GMS, Kant-AA 4.401: „Allein wenn Achtung gleich ein Gefühl ist, so ist es doch kein durch Einfluß empfangenes, sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl und daher von allen Gefühlen ersterer Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, spezifisch unterschieden“, sowie KpV, Kant-AA 5.76: „Dieses Gefühl (unter dem Namen des moralischen) ist also lediglich durch Vernunft bewirkt.“ KpV, Kant-AA 5.75. KpV, Kant-AA 5.76. KpV, Kant-AA 5.80.

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einer reinen praktischen Vernunft) zum Gefühl der Lust oder Unlust bestimmen konnten.“45

2.4 Rehberg, Schmid und das Problem der moralischen Zurechenbarkeit August Wilhelm Rehberg hat in seiner unmittelbaren Rezension der Kritik der praktischen Vernunft, die im August 1788 in der Allgemeinen Literaturzeitung veröffentlicht wurde,46 eine scharfsinnige Kritik der Kantischen Moralphilosophie gegeben, die für Reinholds Behandlung der Kantischen Freiheitstheorie von zentraler Bedeutung werden sollte.47 Rehberg richtet sich gegen zwei zentrale Punkte der Kantischen Theorie – gegen die metaphysisch-anthropologischen Grundlagen, d. h. das Verhältnis von Sinnlichkeit und Vernunft, und die damit wiederum eng verflochtene Auffassung des Sittengesetzes als principium executionis im moralischen Gefühl der Achtung – so dass man in Bezug auf Rehbergs Rezension der Kritik der praktischen Vernunft von einem „Höhepunkt in der Entwicklung der Einwände“48 und der „zu ihrer Zeit einsichtsvollsten Besprechung dieses Kantischen Werkes“49 sprechen kann. Rehberg akzeptiert zunächst die formale Gültigkeit des kategorischen Imperativs in der Kantischen Lehre als das principium diiudicationis der Sittlichkeit: Die Grundgesetze der Moral müssen categorisch seyn, wenn es überhaupt eine Moral geben, und diese nicht zur Klugheitslehre herabgewürdigt werden soll. Nothwendigkeit findet sich nur in Vernunfterkenntniß, also ist reine Vernunft allein die Erkenntnißquelle reiner Sittenlehre. Das alles ist keinem Zweifel unterworfen.50

Hinsichtlich der Frage jedoch, ob reine praktische Vernunft auch unmittelbar praktisch sein, d. h. den Willen des Menschen als principium executionis bestimmen könne, meldet der Rezensent starke Zweifel an; 45 KpV, Kant-AA 5.73. 46 August Wilhelm Rehberg: „Rezension der ,Kritik der praktischen Vernunft’“, in: ALZ 188a u. 188b, Sp. 345 – 352 u. Sp. 353 – 360. Eine kritische Ausgabe dieses Textes findet sich im Anhang I bei Schulz 1975, S. 230 – 256. 47 Zur Wirkung der Rehberg’schen Kritik vgl. Schulz 1975, S. 177 ff. Zur Vernachlässigung des Einflusses der Rehberg’schen Kant-Kritik auf Reinhold in der Forschung vgl. ebd. S. 178. 48 Schulz 1975, S. 108. 49 di Giovanni 2001, S. 94. 50 Rehberg, Rez. KpV Sp. 351.

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hier ist seiner Ansicht nach die Kantische Theorie „ganz unbefriedigend“51: „Der Gedanke, daß das Gesetz selbst, nicht aber das Vergnügen am Gesetze, die Triebfeder der Sittlichkeit seyn müsse, ist selbst Schwärmerey.“52 Es stellt sich Rehberg also die Frage nach dem ontologischen Status des Achtungsgefühls, es stellt sich die Frage, „in welchem Verhältnisse [das] sittliche[] Gesetz zu dem sinnlichen Menschen stehe“53, womit die Frage nach der Art des „Uebergangs von der Vernunft in die Sinnlichkeit“54 aufgeworfen wird. Denn nur dann, wenn das moralische Gefühl der Achtung tatsächlich ein vernunftgewirktes Gefühl ist, wie Kant behauptet, kann es die von ihm zugeteilte Aufgabe erfüllen.55 Nach Rehberg gibt uns die reine Vernunft zwar die Idee der Sittlichkeit an die Hand, aber sie bewirkt sie nicht. Das Selbstbewusstsein der reinen praktischen Vernunft, das Faktum der Vernunft, so Rehberg, „existirt nirgends“56. Darin erkennt Rehberg eine strukturelle Analogie zur Kritik der reinen Vernunft, welche erwiesen hatte, dass eine reine Vernunft in theoretischer Hinsicht nicht funktionstüchtig ist: „Es bestätigt sich also auch hier, wie im spekulativen Gebrauch, daß die Vernunft sich immer nur in sich selbst herumdreht [und nicht „praktisch“ werden kann].“57 Was Rehberg hier also in Frage stellt, ist der Primat der praktischen Vernunft und die von Kant betonte Asymmetrie zur theoretischen Vernunft. Nach Rehberg besteht zwischen beiden Ausrichtungen der Vernunft vielmehr eine Analogie: Wird die Handlung eines sinnlichen Wesens als Wirkung der Vernunft betrachtet, so ist dieses Verfahren demjenigen völlig ähnlich, welches in der Kritik der reinen Vernunft unter der Ueberschrift: von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe, so vortrefflich in seiner ganzen Schwäche dargestellt wird.58

Sowohl die theoretische, als auch die praktische Vernunft besitzt also in ihrer Reinform keinen faktischen Wirklichkeitsgehalt, soll sich eine Theorie nicht in begriffliche Widersprüche verwickeln. Daraus folgt nach Rehberg die Unmöglichkeit eines Übergangs zur phänomenalen Welt: Rehberg, Rez. KpV Sp. 354. Rehberg, Rez. KpV Sp. 355. Rehberg, Rez. KpV Sp. 352. Rehberg, Rez. KpV Sp. 353. Zur Problematik dieser ,metaphysischen‘ Lesart der Kantischen Moralphilosophie durch Rehberg vgl. Schulz 1975, S. 20. 56 Rehberg, Rez. KpV Sp. 352. 57 Rehberg Rez. KpV Sp. 353. 58 Rehberg Rez. KpV Sp. 353. 51 52 53 54 55

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„Es muß also jener Uebergang durch etwas, mit dem Sinnlichen gleichartiges geschehen, wodurch die reine Vernunft der Zeitbestimmung unterworfen wird, ohne sinnlich zu werden.“59 Dies erfordert aber eine ontologische Neubestimmung des moralischen Gefühls der Achtung. Rehberg wirft an dieser Stelle Kant vor, in seiner Rede von einem ,vernunftgewirkten‘ Gefühl der Achtung einer dunklen Metaphysik anzuhängen: Der Gedanke, daß das Gesetz selbst, nicht aber das Vergnügen am Gesetze, die Triebfeder der Sittlichkeit seyn müsse, ist selbst Schwärmerey. Denn was ist es anders als Schwärmerey? (die in er Erdichtung übersinnlicher Gegenstände besteht,) wenn Achtung fürs Gesetz ein Gefühl und doch keine sinnliche Empfindung seyn soll? 60

Dass Kant durch die exklusive Bestimmung des Achtungsgefühls zugleich alle anderen sinnlichen Gefühle von der Mitwirkung an der Moralität kategorisch ausschließt, welche in seinen Augen intentional opak und indifferent sind, egal auf welchen Gegenstand sie sich richten61, führt Rehberg zu einer weiteren Kritik: [D]iese Schwärmerey führt unmittelbar zu […] dem allerschlimmsten Fanatismus, der Ertödtung der Sinne. Wenn nur das sittlich gut ist, was unmittelbar um des Gesetzes willen geschieht, und die Achtung fürs Gesetz allen sinnlichen Triebfedern Abbruch thut, so wird durch sie auch das Vergnügen am Gesetze eingeschränkt, und wir haben die unglückselige und alle Moralität vernichtende Scrupulosität derer, die sich selbst straften, weil sie an der Liebe Gottes Vergnügen fanden, und ihn also nicht uneigennützig um sein selbst willen, sondern um ihrer dadurch entstandenen Glückseligkeit willen, liebten.62

Neben einer ,materialen‘ Kritik, die sich auf das Achtungsgefühl richtet, findet sich in Rehbergs Rezension aber auch eine Kritik, die auf die formale Verfasstheit menschlicher Freiheit, wie sie bei Kant entwickelt wird, gerichtet ist. Rehberg spricht mit Bezug auf Kants Begriff einer negativen Freiheit von der „Loßmachung von allen möglichen subjec59 Rehberg Rez. KpV Sp. 353 f. 60 Rehberg Rez. KpV Sp. 355 f. 61 KpV, Kant-AA 5.22: „Also sind alle materiale Prinzipien, die den Bestimmungsgrund der Willkür in der, aus irgendeines Gegenstandes Wirklichkeit zu empfindenden, Lust oder Unlust setzen, so fern gänzlich von einerlei Art, daß sie insgesamt zum Prinzip der Selbstliebe, oder eigenen Glückseligkeit gehören.“ 62 Rehberg, Rez. KpV Sp. 355. Mit seiner Kritik an der intentionalen Indifferenz sinnlicher Gefühle bei Kant antizipiert Rehberg bereits die im 20. Jahrhundert von Max Scheler im Rahmen seiner Materialen Wertethik formulierte Kant-Kritik.

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tiven Nebenbestimmungen“63. Dies hat für Rehberg zur Folge, dass Kant die „Natur eines durch das moralische Gesetz bestimmten Willens“ einerseits und die „Natur eines Bestimmungsgrundes des freyen Willens“64 andererseits als identisch auffasst, insofern sich beide durch die Unabhängigkeit von sinnlichen Bedingungen auszeichnen, was gerade die negative Seite des Kantischen Freiheitsbegriffs ausmacht. Dies hat aber, wie auch schon Kants Begriff einer positiven Freiheit als moralisches Gefühl der Achtung, zur Folge, dass ein dem Begriff menschlicher Freiheit inadäquater Begriff entwickelt wird: „Soll aber Freyheit die gänzlich durch sich selbst bestimmte Kraft anzeigen, bey der kein Regressus der Fragen nach höhern Bestimmungsgründen weiter Statt findet, so haben wir gesehen, daß diese Idee keinem andern noumenon als der Gottheit kann beygelegt werden.“65 Diese Einwände, sowohl gegen den negativen als auch gegen den positiven Begriff von Freiheit, führen Rehberg zu einer Leugnung der Existenz einer reinen praktischen Vernunft überhaupt: Aus allen diesem glaubt sich Rec. berechtigt, den Schluß zu ziehen: Daß es gar keine besondre reine praktische Vernunft gebe: sondern daß dieselbe nur in der Anwendung der reinen Vernunft, auf das empirisch gegebne Begehrungsvermögen bestehe: daß folglich (um sich Kantischer Ausdrücke zu bedienen) die transscendenten Principien dieser Critik zu transscendentalen herabgestimmt werden müssen66.

Dies hat jedoch mit Blick auf die Frage nach der moralischen Verantwortung konkret zur Folge, dass das Subjekt der Zuschreibung nicht mehr allein im Bereich des Intelligiblen unter der Wirkung absoluter Spontaneität angesiedelt werden kann, womit Rehberg den Begriff transzendentaler Freiheit in Frage stellt: Die Zurechnung […] geht wirklich nicht auf das […] ganz leere transscendentale Ich, sondern auf das empirische Bewußtseyn. Ich, in meiner Erscheinung in der Sinnenwelt, bin es, der von sich selbst einer Ungerechtigkeit wegen, angeklagt und verachtet wird.67

Nach Rehberg besteht eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem Bereich des Noumenalen und des Phänomenalen, „da unsere transscendente 63 64 65 66 67

Rehberg Rez. KpV Sp. 357. Rehberg Rez. KpV Sp. 357 f. Rehberg Rez. KpV Sp. 358. Rehberg Rez. KpV Sp. 357. Rehberg Rez. KpV Sp. 356.

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Erkenntniß nur auf das Formelle geht“68. Während nach Kant dem Menschen als Naturwesen, insofern er unter dem Gesetz der mechanischen Kausalität steht, keine Freiheit im strengen Sinne zukommt, behauptet Rehberg das Gegenteil. Nach ihm bezieht sich die Zurechnung gerade nicht auf das, wie er hier sagt, „ganz leere transzendentale Ich“, sondern auf das Ich, sofern es im empirischen Bewusstsein erscheint.69 Indem Rehberg das Vermögen einer reinen praktischen Vernunft als Kausalität und Ursprung des moralischen Gefühls der Achtung verwirft, wird „als Idee, aber nicht als Ursache […] der transscendente Gebrauch der reinen praktischen Vernunft, immanent: und dieses ist auch für die Moralität vollkommen hinreichend.“70 Schließlich wirft Rehberg die folgende, für die spätere Diskussion entscheidende, rhetorische Frage auf: „Und wie würde es mit dieser Zurechnung aussehen, wenn sie das transscendentale Ich, das Noumenon, dessen Wesen die reine Vernunft ist, träfe? und absolute Freyheit nothwendig voraussetzte?“71 Hinsichtlich der Frage, wer oder was als Instanz der moralischen Zurechenbarkeit angesehen werden kann, hat Carl Christian Erhard Schmid in seinem Versuch einer Moralphilosophie eine zu Rehbergs Auffassung diametral entgegengesetzte These vertreten. Schmid begreift das moralische Gefühl der Achtung im Anschluss an Kant und gegen Rehberg als aus der Vernunft stammend: Nur ein Gefühl, welches die Vorstellung von der Handlung selbst, sofern sie sittlich ist (ihrer Form nach), und von dem Vernunftgesetze abhängt, hervorbringt, kann eine nothwendige und rein moralische Triebfeder abgeben; nicht aber die Neigung zu demjenigen, was die Handlung ausser sich bewürken soll.72

Die „hervorbringende Ursache“ des moralischen Gefühls ist, so Schmid, „kein Gegenstand der Sinne, sondern die freye Causalität der Vernunft“73. Dabei interessiert Schmid besonders die Frage nach der Möglichkeit einer Freiheit zum Bösen. Hinsichtlich der Annahme, auch der Wille zum Unsittlichen könne als freier Wille betrachtet werden, schreibt er: 68 Rehberg Rez. KpV Sp. 353. 69 Vgl. Schulz 1975, S. 25 f. Um zu zeigen, dass das transzendentale Ich als bloße logische Form des Bewusstseins sich nicht als eine moralisch zurechenbare Instanz eignet, kann sich Rehberg auf das Paralogismuskapitel in der Dialektik der Kritik der reinen Vernunft berufen. 70 Rehberg, Rez. KpV Sp. 355 f. 71 Rehberg, Rez. KpV Sp. 356. 72 Schmid 1792, § 153, S. 239. 73 Schmid 1792, § 154, S. 239.

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Die Möglichkeit nichtmoralischer und unmoralischer Handlungen kann nicht in eben demjenigen zureichend gegründet seyn, worinn sich die Möglichkeit sittlicher Gesinnungen und Handlungen gründet – also nicht in der moralischen Freyheit des Menschen, sondern in dem Mangel derselben.74

Und weiter heißt es an derselben Stelle: Einige rechnen zu der moralischen Freyheit auch das Vermçgen unsittlich zu handeln. Dieß widerspricht aber dem Begriffe von einem sittlichen Vermögen, und eine solche Freyheit wäre ein Vermögen zu contradictorisch entgegengesetzten Handlungen, welches auf einen Widerspruch hinausläuft. Ein solches, in Absicht auf das, was es vermag ganz und gar indifferentes Vermögen, dünkt mich, ein nonsensikalisches Vermögen zu seyn.75

An anderer Stelle merkt Schmid zu diesem Punkt ebenfalls an, dass es zwar nichtmoralische oder unmoralische Handlungen gibt, aber „keine boshaft unsittliche Handlungen“76. Und hinsichtlich der Möglichkeit böser Handlungen stellt Schmid fest: „Das Böse, als Böses, können wir weder wollen, noch begehren; sondern wir wollen nur das an sich Gute“77. Wir haben also laut Schmid „keine Freyheit, keinen ursprünglichen inneren Bestimmungsgrund, das Böse zu wollen“, vielmehr gilt: „In dieser Rücksicht sind wir bloß abhängig.“78

3. Reinholds Begriff der Person als Lösungsversuch des Zurechenbarkeitsproblems 3.1 Die Kritik der reinen praktischen Vernunft Dass Rehbergs Kant-Rezension – neben Carl Christian Erhard Schmids Position eines „intelligiblen Fatalismus“ – auf Reinholds Freiheitstheorie im zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie einen zentralen Einfluss gehabt haben muss, geht aus einer Stelle im Vorwort hervor, in welcher Reinhold dem „Verfasser der merkwürdigen Recension der Kritik der praktischen Vernunft in der Allgem. Lit. Zeit. Nr. 188 a. b. 1788“ bescheinigt, dass dessen Einwände ihm bei seinen Untersuchungen

74 75 76 77 78

Schmid 1792, § 249, S. 334. Schmid 1792, § 249, S. 335. Schmid 1792, § 229, S. 315. Schmid 1792, § 252, S. 341. Schmid 1792, § 252, S. 341.

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über die Freiheit „fruchtbare Winke“ geworden seien.79 Reinhold fährt an besagter Stelle mit Blick auf sein Verhältnis zu Kants Freiheitslehre und deren Kritik durch Rehberg fort: „Ich kann mir, so wenig als Er, in der Wirksamkeit der Vernunft eigentliche Freyheit denken, und, so wenig als Er, die Vernunft in dem Sinne praktisch nennen, als ob sie den vollständigen, durch sich selbst bestimmenden Grund einer Handlung des Willens enthielte.“80 Reinhold scheint also durch Rehbergs Rezension besonders für die Frage nach der Instanz moralischer Zurechenbarkeit sensibilisiert worden zu sein, was sein Bewusstsein für die problematischen Stellen besonders bei Schmid im Anschluss an Kant geschärft haben dürfte, wodurch speziell die Frage nach der Möglichkeit einer Freiheit zum Bösen virulent werden musste. Die Rezension Rehbergs, die in Form einer immanenten Kritik die Kantischen Problempunkte markiert hatte, erlaubt es Reinhold deshalb in der Folge, die bis dahin festgefügten Begrifflichkeiten weiter zu analysieren.81 Reinholds Kritik richtet sich im zweiten Band seiner Briefe ber die Kantische Philosophie vor allem auf das Verhältnis von Wille und praktischer Vernunft, insofern er darin die begriffliche Ursache für das in seinen Augen ungelöste Problem moralischer Zurechenbarkeit enthalten sieht. Wie auch Rehberg in seiner Rezension, so parallelisiert und konfrontiert Reinhold Kants zweite Kritik mit der Vorgehensweise und den Ergebnissen der ersten Kritik, da nach seiner Überzeugung nicht nur die reine theoretische, sondern auch die reine praktische Vernunft einer Kritik bedarf. Analog zu Rehberg richtet sich bei Reinhold die Kritik speziell gegen das Konzept einer reinen praktischen Vernunft, insofern diese nicht nur als principium diiudicationis, sondern zugleich auch als principium executionis begriffen wird. Noch deutlicher allerdings, als dies bei Rehberg der Fall gewesen war, stellt Reinhold – wohl vor dem Hintergrund des ab 1790 entwickelten Schmidschen „intelligiblen Fatalismus“ – die Konsequenzen einer solchen Auffassung der Vernunft heraus. Kants Begriff einer reinen praktischen Vernunft, mit dessen Realität seine Freiheitstheorie steht und fällt, ist genauer deswegen problematisch, weil die beiden Prinzipien, die sie enthält, gewissermaßen ,gleichgeschaltet‘ zu sein scheinen. Bei Schmid hatte dies offensichtlich zu einer

79 Briefe II, S. IX, RGS 2/2.5. 80 Briefe II, S. IX f., RGS 2/2.5. 81 Vgl. zur Wirkung Rehbergs auf Reinhold mit Blick auf die Frage nach der Möglichkeit moralischer Zurechenbarkeit auch Fabbianelli 2000, S. 432.

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Unmöglichkeit der Zurechenbarkeit moralisch böser Handlungen geführt, wie Reinhold konstatiert: Wirklich hat einer der vorzüglichsten Schriftsteller aus der Kantischen Schule gegen Kant zu beweisen gesucht, daß bey den unsittlichen Handlungen nicht etwa bloß der veranlassende, sondern auch der bestimmende Grund des Wollens außer der Person aufzusuchen, und der Wille nur in den sittlichen Handlungen allein frey sey.82

Der Wille ist aber, so Reinhold, nicht dadurch von der „Sklaverey des Instinktes“ zu retten, dass man ihn zum „Sklaven der Denkkraft“ macht.83 Man kann denn auch Reinholds freiheitstheoretisches Programm im zweiten Band seiner Briefe als eine immanente Kritik der reinen praktischen Vernunft beschreiben, infolge derer sich eine Verschiebung der gesamten Konstellation freiheitstheoretischer Begriffe ereignet. Innerhalb dieser Neukonfiguration der freiheitstheoretischen Begriffe nimmt Reinholds Begriff der Person eine ausgezeichnete Stellung ein. Reinholds Kritik der Kantischen Freiheitslehre setzt bei Kants Bestimmung einer reinen praktischen Vernunft an. Es ist für Reinhold nicht begreiflich, wie dieselbe Vernunft, die das Sittengesetz ,legislativ‘ aufstellt, durch dieses ,diiudikativ‘ Maximen als moralisch gut beurteilt und den Menschen zu deren Befolgung durch die Triebfeder der Achtung ,exekutiv‘ nötigt, gleichzeitig auch die Ursache desjenigen sein kann, was diesem Gesetz zuwider ist. Indem Kant den Ort der Freiheit und Zurechenbarkeit im Intelligiblen verortet, stellt sich folgendes systematische Problem: Insofern wir uns als intelligible Wesen begreifen, sind wir in der Intelligibilität einer autonomen praktischen Vernunft und dem damit verbundenen moralischen Zustand, d. h. dem moralischen Zwangscharakter, gefangen. Wenn das Sittengesetz als principium executionis als die intelligible Instanz im Menschen begriffen wird, die diesen als empirischsinnliches Wesen durch die Pflicht zwingt, nach Maximen des Willens zu handeln, welche zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung werden könnten, so stellt sich die Frage, wo genau eigentlich die individuelle Freiheit des Willens, zwischen Alternativen zu wählen, zu verorten ist. Insofern wir uns aber als empirisch-sinnliche Wesen vorstellen, kommen wir nicht in die Intelligibilität hinein und unterliegen damit dem ,heteronomen‘ Naturgesetz. Eine Freiheit zum Bösen erscheint damit jedoch als unmöglich.84 Während Kant wesentlich eine vernunfttheoretische 82 Briefe II, S. 268, RGS 2/2.186. 83 Briefe II, S. 294, RGS 2/2.199. 84 Vgl. Bondeli 2001, S. 246.

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Identität zu erweisen suchte, nämlich die Identität von principium diiudicationis und executionis im Sittengesetz selbst, so besteht das Reinholdsche Programm im Gegensatz dazu in einem kritischen Aufbrechen dieser vernunfttheoretischen Vereinigung beider Prinzipien: Wenn man […] die Handlungen des Willens mit den Aeußerungen der Vernunft beym Wollen verwechselt, diese Aeußerungen selbst nicht genug voneinander unterscheidet [Hervorh. d. Verf.] […], so wird man die eigentlichen Principien der Moral, zu denen nicht bloß das praktische Gesetz, sondern auch der Begriff des Willens gehört, anstatt sie zu entwickeln und aufzuklären, vielmehr verwirren und verdunkeln müssen.85

Was Reinhold hier kritisiert, ist also genaugenommen die Gewaltenballung dreier Gewalten, der Legislative, der Judikative und der Exekutive, innerhalb des Vermögens der reinen praktischen Vernunft.86 Es kann aber, so Reinholds Einsicht, nicht dieselbe Instanz einerseits die Kriterien des Guten vorgeben und diese zugleich ausüben: „Unter anderem wird man durch eine sehr natürliche Erschleichung die Vernunft bey den sittlichen Handlungen personificeren, oder, welches ebensoviel heißt, die praktische Vernunft unabhängig von der Willkühr der Person handeln lassen.“87 Damit sowohl die Möglichkeit einer freien Entscheidung für das Gute wie das Böse aufrecht erhalten werden kann, müssen beide Prinzipien voneinander unabhängig sein. Die eigentliche freie Entscheidung muss deshalb außerhalb des Bereichs einer Nötigung der reinen praktischen Vernunft liegen, die zwar noch als Gesetzgeberin an freien Entscheidungen beteiligt ist, jedoch nicht mehr das von ihr Gesetzte und Beurteilte zugleich ausführt: Aus der Verwechslung der zwar selbstthätigen, aber nichts weniger als freyen Handlung der praktischen Vernunft, – die nichts als das Gesetz giebt, – mit der Handlung des Willens, […] muß nichts geringeres als die Unmöglichkeit der Freyheit für alle unsittlichen Handlungen erfolgen.88

Kants Triebfedernlehre kennt nur das freie, moralische Gefühl der Achtung, jedoch keine frei bewirkte Triebfeder der Missachtung des moralischen Gesetzes.89 Dies hat für Reinhold folgende Konsequenz: 85 Briefe II, S. 257, RGS 2/2.179 f. 86 Es liegt daher nahe, mit Blick auf Kants komplexen Begriff einer reinen praktischen Vernunft, wie er vor allem in seiner zweiten Kritik entwickelt wird, von einem in sich differenzierten, praktischen ,Vernunftmonismus‘ zu sprechen. 87 Briefe II, S. 257, RGS 2/2.180. 88 Briefe II, S. 267, RGS 2/2.185. 89 Vgl. dazu auch Brandt 2010, S. 75.

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Sobald einmal angenommen ist, daß die Freyheit des reinen Wollens lediglich in der Selbstthätigkeit der praktischen Vernunft besteht, so muß man auch zugeben, daß das unreine Wollen, welches nicht durch praktische Vernunft bewirkt wird, keineswegs frey sey.90

Nach Reinhold ist es nun aber möglich, menschliche Freiheit ebenso im Handeln durch Vernunft wie im Handeln nach sinnlichen Antrieben zu verorten: [D]ie praktische Vernunft ist kein Wille, ob sie gleich wesentlich zum Willen gehört, und sich bey jedem eigentlichen Wollen äußert. Die Handlung der praktischen Vernunft ist bloß unwillkürlich. Die Handlung des Willens, sie mag der praktischen Vernunft gemäß oder zuwider seyn, ist willkührlich.91

Und an einer anderen Stelle präzisiert Reinhold dies weiter: „Die praktische Vernunft ist nicht der Wille, und der Wille ist nicht die praktische Vernunft, selbst der reine Wille nicht.“92 Dadurch bezieht Reinhold in den Freiheitsdiskurs das Moment der Wahl ein. Indem er Wollen als Handlung der willkrlichen Selbstbestimmung begreift, etabliert er es als ein von Natur- und Sittengesetz gleichermaßen unabhängiges und zu ihnen frei sich verhaltendes „Grundvermögen“93, das er den anderen Grundvermögen des Gemütes, zu denen er Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft zählt, als viertes beiordnet. Reinholds Trennung von Wille und praktischer Vernunft hat deshalb streng genommen die Preisgabe des spezifisch Kantischen Autonomiegedankens zur Folge. Wird die praktische Vernunft vom Willen losgelöst, verliert sie mithin die Qualität des Willkürlichen: Die Handlung der praktischen Vernunft stellt das bloße Gesetz im Selbstbewußtseyn auf. Diese ist Handlung durch bloße Vernunft, die nur diese einzige Handlungsweise hat; jene ist Handlung durch Freyheit des Willens, die zweyerlei Handlungsweisen hat, die als reiner oder als unreiner Wille handeln kann.94 90 91 92 93 94

Briefe II, S. 267 f., RGS 2/2.185 f. Briefe II, S. 293, RGS 2/2.198 f. Briefe II, S. 70, RGS 2/2.55. Briefe II, S. 284, RGS 2/2.194. Briefe II, S. 70, RGS 2/2.55. Vgl. dazu auch Schiller 2004b, 590 f.: „Die Vernunft hat geleistet, was sie leisten kann, wenn sie das Gesetz findet und aufstellt; vollstrecken muß es der mutige Wille und das lebendige Gefühl. Wenn die Wahrheit im Streit mit Kräften den Sieg erhalten soll, so muß sie selbst erst zur Kraft werden und zu ihrem Sachführer im Reich der Erscheinungen einen Trieb aufstellen; denn Triebe sind die einzigen bewegenden Kräfte in der empfindenden Welt.“

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Reinholds Unterscheidung von Wille und praktischer Vernunft führt mit Blick auf Kants Lehre auch zu einer Neubestimmung von sowohl negativer als auch positiver Freiheit: Menschliche Freiheit besteht insofern weder in der bloßen Unabhängigkeit des Willens vom Zwange durch den Instinkt, und von der Nöthigung durch unwillkührliches von der Vernunft modificiertes Begehren, noch auch in der bloßen Unabhängigkeit der praktischen Vernunft, von allem was sie nicht selbst ist, noch auch in diesen beyden Arten von Unabhängigkeit zusammen genommen allein, sondern auch in der Unabhngigkeit der Person von der Nçthigung durch die praktische Vernunft selbst. 95

Reinhold kann damit seine Neubestimmung menschlicher Freiheit am Leitfaden der vollzogenen Vernunftdifferenz folgendermaßen zusammenfassen: „Im negativen Sinne begreift sie [scil. die Freiheit des Willens] diese drey Arten der Unabhängigkeit, und im positiven Sinne ist sie das Vermögen der Selbstbestimmung durch Willkühr für oder gegen das praktische Gesetz.“96 Freiheit ist nach Reinhold also wesentlich Willensfreiheit, die nicht mehr in der Autonomie einer reinen praktischen Vernunft aufgeht. 3.2 Die Bestimmung der Person Die im zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie vollzogene formale Grundunterscheidung von Wille und praktischer Vernunft eröffnet einen Raum, welchen Reinhold am Leitfaden der Frage nach moralischer Zurechenbarkeit personalitätstheoretisch weiter analysieren kann. Es ist nun nicht mehr die Vernunft, die, personifiziert und durch Freiheitskausalität handelnd, den eigentlichen Kern des moralischen Selbst ausmacht. Reinholds Personenbegriff versucht insofern eine Antwort auf die Frage zu geben, was als Subjekt der Willenshandlungen anzusehen ist, wenn der freie Wille nicht mehr als identisch mit reiner praktischer Vernunft begriffen wird und auch böse Handlungen moralisch zurechenbar sein sollen.97 In Reinholds Handlungsontologie existieren nun zwei entgegengesetzte Triebfedern – der eigennützige und der uneigennützige98 Trieb – die beide durch ihre Auswahl als freie wirken 95 96 97 98

Briefe II, S. 272, RGS 2/2.188. Briefe II, S. 272, RGS 2/2.188. Vgl. auch Lazzari 2003a, S. 204. Vgl. dazu speziell den Siebenten Brief in Briefe II, S. 220 – 261, RGS 2/2.161 – 182, der „Ueber den bisher verkannten Unterschied zwischen dem uneigennützigen

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können. Damit grenzt sich Reinhold von Kant ab, bei dem dafür nur das moralische Gefühl der Achtung in Frage kam, insofern die freie Entscheidung allein intern, im Binnenbereich des Sittengesetzes, d. h. im Bereich des Intelligiblen unwillkürlich stattzufinden hatte und nicht zugleich extern, im Bereich der Natur, aus der Außensicht des Willens betrachtet wurde.99 In formaler handlungstheoretischer Hinsicht wird die Freiheit des Willens insofern von dessen Vernünftigkeit entkoppelt und zu einem selbständigen, wenn auch opaken und „unbegreifliche[n]“100 Grundvermögen. Sie besteht negativ in der doppelten Freiheit der Willensbildung von Sinnlichkeit und Vernunft und positiv in der Willkürlichkeit des Freiheitsgebrauchs, der durch die Gesetze der Natur und der Vernunft zwar orientiert und inkliniert, aber nicht nezessitiert wird. Für sich genommen besitzt also nach Reinhold sowohl der eigennützige, wie auch der uneigennützige Trieb keine hinreichende Fähigkeit zur Willensbestimmung. Beide informieren den Willen nur durch Forderungen, ohne ihn dadurch jedoch schon vollständig zu motivieren: „Die Forderungen der beyden Triebe, des eigennützigen und uneigennützigen, heißen Triebfedern des Willens, in wie ferne sie bey den willkührlichen Befriedigungen oder Nichtbefriedigungen des Begehrens beschäftiget sind.“101 Instanz und Subjekt des Handelns ist für Reinhold deswegen nicht die Vernunft des Menschen, sondern der Mensch selbst als ein natürlich situiertes Individuum bzw. als eine Person, welche durch eine „besondere Handlung“, durch einen „Entschluß“102, einem der beiden möglichen Triebe entschiedene Wirklichkeit verleiht. Kant hatte dagegen in der Kritik der praktischen Vernunft die Persönlichkeit als „die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur“ bestimmt und damit die in Raum und Zeit bestimmte empirische Person vom universalen Aspekt der „Persönlichkeit“ getrennt, so dass „die Person […] als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist.“103 Während durch die praktische Vernunft der Wille unwillkürlich bestimmt wird, vermag die Willkür „diesem Gesetze gemäß oder zuwi-

99 100 101 102 103

und dem eigennützigen Triebe, und zwischen diesen beyden Trieben und dem Willen“ handelt. Vgl. dazu auch Bondeli 2008, S. LXXIV. Briefe II, S. 284, RGS 2/2.194. Briefe II, S. 254 f., RGS 2/2.178. Briefe II, S. 245, RGS 2/2.173. Vgl. auch Briefe II, S. 279, RGS 2/2.191. KpV, Kant-AA 5.87.

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der“104 zu handeln und sie durch eine Entscheidung wirklich werden zu lassen. Beide Male handelt es sich um eine freie und insofern zurechenbare Entscheidung der Person: „Absolute Freyheit kömmt also dem Willen weder allein, in wie ferne er als reiner, noch in wie ferne er als unreiner Wille handelt, zu; sondern in wie ferne er in beyden Eigenschaften handeln kann.“105 Mit Blick auf die Funktionsweise der reduzierten praktischen Vernunft bedeutet dies nach Reinhold: Der Wille giebt sich durch die Maximen seine Handlungsweise selbst, oder vielmehr, er bestimmt sich zu einer von zwey entgegengesetzten, der Person gegebenen Handlungsweisen, während das Denken durch Vernunft an eine einzige gebunden ist.106

Indem Reinhold den Kantischen Begriff der Sinnlichkeit in den eigennützigen und die moralische Triebfeder der Achtung in den uneigennützigen Trieb transformiert, vermag er die Natur in die menschliche Freiheitsentscheidung mit einzubeziehen, denn bei jeder Wahl wird der jeweils andere Trieb indirekt in die Entscheidung mit hineingenommen. Die Person vermag die Forderungen beider Triebe nur dadurch zu vereinigen, dass durch sie „die eine der anderen, oder die andere der einen untergeordnet, die Forderung des Eigennützigen auf Unkosten des Uneigennützigen, oder diese auf Unkosten von jener erfüllt wird“107. Ebenso bezieht Reinhold damit eine gemeinschaftstheoretische Dimension in die Freiheitsentscheidung mit ein, insofern durch den uneigennützigen Trieb ein intersubjektives Interesse an der Verwirklichung eines Zweckes zum Ziele des Gemeinwohls verfolgt wird.108 An dieser Stelle wird Reinholds Interesse an der Verwirklichung personaler Freiheit deutlich, die immer in einen größeren Kontext – die Natur und die Gemeinschaft – eingebettet ist, während für Kant allein die Qualität des an sich guten Willens entscheidend war.109 Insofern jede der Alternativen triebhaft

Briefe II, S. 281, RGS 2/2.192 f. Briefe II, S. 273, RGS 2/2.188. Briefe II, S. 258, RGS 2/2.180. Briefe II, S. 291, RGS 2/2.198. Reinholds Bezeichnung als „uneigennütziger Trieb“ lässt die Frage offen, inwiefern dieser Trieb auch ,utilitaristisch’ bzw. ,konsequentialistisch’ interessiert sein könnte. 109 Vgl. GMS Kant-AA 4.394: „Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut“ sowie KpV Kant-AA 5.45: „Nur auf die Willensbestimmung und den Bestimmungs104 105 106 107 108

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strukturiert ist, entwickelt Reinhold den Begriff einer Freiheit wirklicher Menschen. Reinhold vermag im Rahmen seiner Trieblehre den Bezug zu einer natürlichen, in der Welt der Erscheinungen begreiflichen Instanz herzustellen, wodurch er unmittelbar an Rehbergs Kant-Kritik anknüpft. Dadurch, dass Reinhold dem Kantischen Sittengesetz seinen unbedingt bestimmenden Charakter nimmt und dieses als „uneigennützigen Trieb“ gewissermaßen naturalisiert, befindet sich Reinhold also bereits auf dem Weg zu einem ,realen‘ Begriff menschlicher Freiheit, der es erlaubt, abseits eines Begriffs von Freiheit als einer vernunftimmanenten Wendung, die Natur positiv in die Freiheitsdiskussion mit einzubeziehen.110 In der Person, die, als ein Natur- und Vernunftwesen, im Vermögen ihrer zurechenbaren Entscheidung aufgeht, sind insofern beide Triebe ineinander unauflöslich verflochten, denn das Zulassen des einen Triebes bedeutet gleichzeitig die Zurückweisung des anderen. Reinhold betont hier den Willen als eigentlichen Kern des Selbst nicht nur gegenüber der Wirkung des eigennützigen Triebes – die lediglich in der Person vorgeht, nicht aber Handlung der Person selbst ist111 – sondern auch gegenüber der Tätigkeit der praktischen Vernunft. So ist es für Reinhold „zwar dieselbe Person, welche das Sittengesetz sich selbst giebt und befolgt, aber nicht dasselbe Vermögen in der Person“112. Reinholds personalitätstheoretische Grundunterscheidung von Wille und praktischer Vernunft eröffnet auch eine erkenntnistheoretische Dimension des Personenbegriffs. Der Mensch sieht sich nun als Person vor die Entscheidung gestellt, zwischen zwei gleich möglichen Weisen des Vernunftgebrauchs zu wählen. Gibt die Person dem eigennützigen Trieb nach, so ordnet sie die theoretische, instrumentelle Vernunft der praktischen über; andernfalls die praktisch-absolute der bloß relativen.113 Im Zuge seiner Personalitätstheorie, welche den freien Menschen als ein natürlich und gesellschaftlich situiertes Wesen begreift, gelangt Reinhold schließlich auch zu einem modifizierten Begriff des höchsten Guts. Dadurch, dass der freie Wille zwar nicht mehr als streng mit dem Moralgesetz assoziiert begriffen wird, er aber dennoch immer schon in einem Bezug zu ihm steht, ist seine Befriedigung nicht mehr dadurch möglich,

110 111 112 113

grund der Maxime desselben, als eines freien Willens, kommt es hier an, nicht auf den Erfolg.“ Vgl. Bondeli 2000, S. 247. Vgl. Briefe II, S. 246, RGS 2/2.174. Briefe II, S. 294, RGS 2/2.199. Vgl. Peetz 1995, S. 209.

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dass der eine Trieb auf Kosten des anderen den Vorzug erhält. Indem Reinhold beide Triebe als unauflöslich miteinander verwoben begreift, ist es also nicht mehr möglich, einen der Triebe für sich zu isolieren und einzeln zu behandeln. Die Erfüllung des menschlichen Willens erweist sich damit als eine komplexe, indem beide Triebe zugleich befriedigt werden, wodurch diese nun in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen und darin ,aufgehoben‘ sind:114 Der richtige Begriff von dem vollstndigen Objekte des sittlichen Willens, dem GANZEN Gute des Menschen (das man unrichtig das höchste genannt hat), ist nur durch einen richtigen Begriff vom Willen möglich, […]. Gleichwie dieses ganze Gut nur in der Befriedigung beyder Triebe der menschlichen Natur bestehen kann, so setzt der richtige Begriff von demselben einen Begriff vom Willen voraus, in welchem nicht nur keiner dieser Triebe den andern aufhebt, sondern vielmehr der eine sich ohne den andern nicht denken läßt, einen Begriff, an welchem es aller bisheriger Philosophie gefehlt hat.115

4. Schlussbetrachtung Reinholds personalitätstheoretische Kritik der Kantischen Freiheitslehre hat im Interesse an der Aufrechterhaltung moralischer Zurechenbarkeit im Wesentlichen zwei Ergebnisse zu Tage gefördert. Eine Folge seiner praktischen Vernunftkritik ist zunächst, dass Reinhold nicht mehr von den Kantischen freiheitstheoretischen Prämissen ausgehen kann. Deren Spannung hatte darin bestanden, dass einerseits Freiheit nur im intelligiblen Charakter des Menschen angesiedelt war, andererseits der Mensch aber als ein Wesen bestimmt wurde, welches nicht nur vernünftiger, sondern auch sinnlicher Natur ist. Reinhold versucht deshalb in einem zweiten Schritt einen der Bestimmung des Menschen als eines Zwischenwesens angemessenen ,realen‘ Freiheitsbegriff zu entwickeln, der sich auf eine Person anwenden lässt, die auch auf Basis ihrer natürlichen Existenz und ihrer interpersonalen Situiertheit freie und zurechenbare Entscheidungen zu treffen vermag. Einher mit Reinholds personalitäts114 Reinholds Begriff des „ganzen Guts“, in welchem der eigennützige und der uneigennützige Trieb in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen, nimmt in gewisser Weise bereits Schillers Begriff des den sinnlichen und den Formtrieb aufhebenden „Spieltriebs“ vorweg, den dieser vor allem im 14. seiner Briefe ber die sthetische Erziehung (1795) entwickelt. Vgl. auch Peetz 1995, S. 205. 115 Briefe II, S. 390, RGS 2/2.257.

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theoretischer Kritik geht insofern eine Herabstufung des Kantischen Autonomiegedankens und des ihm zu Grunde liegenden Begriffs einer reinen praktischen Vernunft. Allerdings sind mit Reinholds Theorie der Willensfreiheit auch Probleme verbunden. Reinhold setzt im Zuge der Depotenzierung der Kantischen reinen praktischen Vernunft ein Grundvermögen an, aus dem heraus die Willkür sich zur Befriedigung und zur Nichtbefriedigung des Sittengesetzes und der Triebe, des uneigennützigen und des eigennützigen, selbst zu bestimmen vermag. Weil die Willkür nach Reinhold ein Grundvermögen ist, ist sie aber – wie auch die Sinnlichkeit, der Verstand und die Vernunft – nicht weiter analysierbar. Es stellt sich nun die Frage, wie ein nicht weiter analysierbares, einzelnes ,monolithisches‘ Vermögen in der Lage sein sollte, sich auf die eine oder andere Weise zu bestimmen, wie aus diesem opaken Grundvermögen also so unterschiedliche Maximen hervorgehen können wie das Gute und das Böse. Reinhold gibt im zweiten Band seiner Briefe ber die Kantische Philosophie keine Erklärung dafür, wonach sich dieses Grundvermögen richtet und wie es so unterschiedliche Entscheidungen zu treffen vermag und sowohl im Guten wie auch im Bösen Rechtfertigung beanspruchen kann.116 Handlungstheoretisch wird ferner die Annahme eines solchen vierten Vermögens neben Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft im Hinblick auf die ontologische Sparsamkeit problematisch, weil Reinhold diese additiv neben- bzw. zwischeneinander ordnet und nicht überzeugend die Einheit ihrer Vielheit aufzuzeigen vermag. Trotz dieser hier nur angedeuteten Problemstellen ist Reinholds Versuch einer freiheitstheoretischen Begründung moralisch zurechenbarer Handlungen in Verbindung mit der ganzen Natur des Menschen ein unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Freiheitstheorie. Reinholds personalitätstheoretische Kritik der Kantischen Freiheitslehre, die im Wesentlichen mit der Leitdifferenz Wille und Vernunft operiert und diese weiter ausdifferenziert, sollte ,am Rande des Idealismus‘ bei Schiller117

116 Vgl. dazu auch Zöller 2005, S. 81, der mit Blick auf Reinholds Freiheitstheorie von einem „Dezisionismus“ spricht. 117 Schiller spricht in seiner Schrift ber Anmut und Wrde (1793) von der „aller Aufmerksamkeit würdige[n] Theorie des Willens im zweiten Teil der Reinholdischen Briefe.“ (Schiller 2004a, S. 472) Vgl. zum Verhältnis von Reinhold und Schiller auch Roehr 2003.

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und auch dem späteren Schelling der Freiheitsschrift 118 eine verdeckt wirkmächtige Fortführung erfahren.

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Die Theorie des Begehrungsvermögens – zu einer Lücke in Reinholds System Silvan Imhof Abstract: The theory of the faculty of desire figures as an essential part of Reinhold’s original system, yet it was never accomplished. There are only some rudimentary outlines and a few programmatic remarks in his works which leave unclear even the basic features of the theory. This systematic gap originates from problems Reinhold had with two closely related issues: the integration of the theory of the faculty of desire into the general theory of representation and the deduction of the concept of desire from the concept of representation. With the revision of his system in 1792 Reinhold actually reached a position allowing him to solve both problems. Thus, the fact that the theory of the faculty of desire is not even mentioned in the main works after that point does not mean that he gave up the project, but that he just didn’t complete it.

1. Die Lücke Die Theorie des Begehrungsvermögens nimmt eine eigenartige Stellung in Reinholds Werk zwischen 1789 und 1794 ein, denn obwohl keine Zweifel bestehen, dass sie im ursprünglichen Systemplan vorgesehen war, ist sie nie zur Ausführung gekommen. Während sie im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens von 1789 immerhin noch in ihren Grundlinien dargestellt wird, kommt sie im ersten Band der Beytrge zur Berichtigung bisheriger Mißverstndnisse der Philosophen (1790) nur noch im Zusammenhang programmatischer Äußerungen zur Systemarchitektonik vor und wird dann, im zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie (1792) sowie der Beytrge (1794), als solche nicht mehr erwähnt. Das faktische Fehlen dieses integralen Systemteils ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass für Reinhold jeweils andere Probleme drängender waren: In einer ersten Phase galt es, den im Versuch verfolgten Ansatz der Systemgrundlegung und das Ableitungsverfahren gegen Einwände zu verteidigen und zu präzisieren, spätestens ab 1792 rückte dann die Willens- und Freiheitsproblematik in den Mittelpunkt des Interesses. Gerade vor diesem Hintergrund wird die Theorie des Begeh-

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rungsvermögens bzw. die Lücke, die ihr Fehlen verursacht, besonders interessant, da sie mit beiden Problemfeldern in Zusammenhang steht. Während die programmatischen Äußerungen in Beytrge I erkennen lassen, dass Reinhold eine klare Vorstellung davon hatte, welcher Platz der Theorie des Begehrungsvermögens in der Systemarchitektonik zukommen sollte (3.), sind zuvor schon in der rudimentären Ausführung der Theorie des Begehrungsvermögens im Versuch die Schwierigkeiten zu erkennen, welche ihm die Integration dieses Theorieteils in die allgemeine Theorie des Vorstellungsvermögens sowie die Ableitung ihrer Grundbegriffe aus dem generischen Begriff der Vorstellung bereiteten (2.). Erst 1792, im Anschluss an substanzielle Revisionen von Systemgrundlage und Ableitungsverfahren und im Kontext der Veränderungen in der begrifflichen Konstellation, die sich aus der Neukonzeption des Begriffs des Willens ergaben, sollte Reinhold zu einem Lösungsansatz gelangen (4.). Zur Ausführung der immer wieder angekündigten Theorie des Begehrungsvermögens ist es dann aber doch nicht mehr gekommen, bevor tiefergreifende Veränderungen in Reinholds Philosophie stattfanden.

2. Die „Grundlinien der Theorie des Begehrungsvermögens“ im Versuch (1789) Der Versuch verfolgt das Ziel, die begrifflichen Voraussetzungen der Resultate von Kants Kritik der reinen Vernunft zu explizieren und diese Resultate auf ein sicheres Fundament zurückzuführen. Dieses Fundament findet Reinhold im Begriff der Vorstellung, der durch den später so genannten Satz des Bewusstseins umschrieben wird: „Man ist, durch das Bewußtseyn genöthiget, darüber einig, daß zu jeder Vorstellung ein vorstellendes Subjekt, und ein vorgestelltes Objekt gehöre, welche Beyde von der Vorstellung, zu der sie gehören, unterschieden werden müssen.“1 Was hier zunächst wie ein rein erkenntnistheoretisches Projekt aussieht, steht von Beginn an unter dem „Primat der praktischen Vernunft über die theoretische“2. Reinhold führt im Ersten Buch des Versuchs aus, dass es ihm vorrangig um das „Interesse der Wissenschaften von unseren Pflichten und Rechten in diesem, und dem Grunde unsrer Erwartung für ein zukünftiges Leben, und folglich auch das höchste Interesse der 1 2

Versuch, S. 200. Versuch, S. 102.

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Menschheit“3 geht, mit dem das Ziel verknüpft ist, „allgemeingeltende Erkenntnißgründe für die Grundwahrheiten der Religion und der Moralität“ zu finden und „allgemeingeltende Erste Grundsätze der Moral und des Naturrechtes“ aufzustellen.4 Dies erfordert nicht nur eine Untersuchung der Möglichkeit und Grenzen von Erkenntnis durch Vernunft, der primären Instanz solcher Erkenntnisgründe, sondern auch der Erkenntnisleistungen von Verstand und Sinnlichkeit5 und damit eine vollständige Kritik des Erkenntnisvermögens, was wiederum nicht möglich ist, „so lange man über das Wesen des Vorstellungsvermçgens verschieden denkt“6. Die Ermittlung der Erkenntnisgründe desjenigen, was im höchsten Interesse sowohl der Wissenschaft wie auch der Menschheit ist, verlangt also deren Entwicklung aus dem Begriff der Vorstellung als Grundbegriff und erstem Prinzip: So bald man nun über dieses einig geworden ist, hat man sich in den Besitz eines allgemeingültigen Princips gesetzt, aus welchem sich in der Folge die Gränzen des Erkenntnißvermögens, und die Möglichkeit allgemeingeltender Erkenntnißgründe für die Grundwahrheiten der Religion und Moralität, so wie allgemeingeltender erster Grundsätze der Moral und des Naturrechts bestimmen lassen müssen, wenn sie anders bestimmbar sind.7

Die gesamte Theorie des Vorstellungsvermögens steht somit von Beginn an im Dienste eines höher stehenden praktischen Interesses und kulminiert in der Theorie der Vernunft, genauer: im System der Ideen, jenen Vorstellungen, welche für die praktische Philosophie maßgeblich sein werden. Diese sind allerdings nur so weit zu entwickeln, als sie eine durch das Erkenntnisvermögen bestimmte spezifische Form der Vorstellung sind. Im Zusammenhang mit der Theorie der Vernunft und der Aufstellung des Systems der Ideen stehen auch die „Grundlinien der Theorie des Begehrungsvermögens“8. Es ist der einzige Abschnitt im Versuch, der über die erkenntnistheoretische Ableitung der für die praktische Philosophie relevanten Ideen hinaus ins Gebiet des eigentlich Praktischen hinüber-

3 4 5 6 7 8

Versuch, S. 141. Versuch, S. 71. Vgl. Versuch, S. 172 f. Versuch, S. 189. Versuch, S. 190. Vgl. Versuch, S. 560 – 575.

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reicht.9 Der Bezug auf das Praktische wird allerdings vorbereitet und ergibt sich aus einer Differenz innerhalb der Ideen. Diese sind generell Vorstellungen, „welche durch das Verbinden des gedachten (durch Begriffe vorgestellten) Mannigfaltigen“10 entstehen und sind – in engster Bedeutung – Vorstellungen der unbedingten oder absoluten Einheit des durch Begriffe a priori gedachten Mannigfaltigen.11 Das durch Vernunft vorgestellte Unbedingte oder Absolute der Verbindung wird jeweils auf einen entsprechenden Gegenstand bezogen: die absolute Substanz, die absolute Ursache und die absolute Gemeinschaft.12 Dieser Einteilung der Vernunftbegriffe fügt Reinhold ein weiteres Moment der Differenz hinzu, das sich aus dem der Vorstellung wesentlichen doppelten Verhältnis zu vorgestelltem Objekt und vorstellendem Subjekt ergibt. Dieses Differenzierungsprinzip – das ich im Folgenden das ,Subjekt-ObjektSchema‘ nennen werde – ist im Versuch bestimmend für die Ableitung aller grundlegenden Begriffe.13 Wird das Schema auf die Vorstellungen der Vernunft angewandt, resultiert daraus, dass die Einheit der Verbindung des gedachten Mannigfaltigen einerseits eine objektive, andererseits eine subjektive Seite hat, der jeweils unterschiedliche Gegenstände korrespondieren. Auf diese Weise gewinnt Reinhold zum einen das System der Ideen14, zum andern leitet er den Unterschied zwischen theoretischem und praktischem Vernunftvermögen aus einer generischen Eigenschaft der Vorstellung überhaupt ab: Durch die Unterscheidung von objektiver und subjektiver Vernunfteinheit kann die unterschiedliche Rolle der Idee im Hinblick auf das theoretische und das praktische Vorstellungsvermögen bestimmt werden: „Im theoretischen Vorstellungsvermögen wird durch diese Vernunfteinheit das Systematische der Erkenntniß, im praktischen das Moralische der Willenshandlungen bestimmt.“15 Theoretische Philosophie, so kann man ergänzen, kümmert sich entsprechend um den objekt-, praktische Philosophie um den subjektbezogenen Aspekt der Einheit. 9 Die „Grundlinien“ werden von Lazzari 2004, Abschnitt 2.1 und 2.2, ausführlich als Anomalie im Aufbau des Versuchs kenntlich gemacht. Zu weiteren Einschätzungen dieses Kapitels in der Forschung vgl. Lazzari 2004, S. 89 Anm. 27. 10 Versuch, S. 498. 11 Vgl. Versuch, S. 502 und 511. 12 Vgl. Versuch, S. 522. 13 Vgl. Lazzari 2004, S. 85. 14 Vgl. Versuch, S. 526 sowie die Aufstellung bei Lazzari 2004, S. 87. 15 Versuch, S. 537.

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Durch die Aufstellung des Systems der Ideen, und insbesondere der auf das vorstellende Subjekt bezogenen Ideen, ist das primäre Ziel des Versuchs erreicht: die Bestimmung der Erkenntnisgründe praktischer Grundbegriffe. Weshalb ist es aber nötig, mit den „Grundlinien“ über das Gebiet der Erkenntnistheorie hinauszugehen? Das kurze Kapitel steht im Kontext der Herleitung der Idee der absoluten Ursache, und zwar in ihrem Bezug auf das vorstellende Subjekt, also ihrer praktisch relevanten Seite. Diese wird in § 86 wie folgt definiert: Durch die Idee der absoluten Ursache, in wieferne dieselbe auf die Kaussalität der Vernunft bezogen werden muß, wird das vorstellende Subjekt als freye Ursache vorgestellt; und zwar als komparativ – frey, in wieferne die Vernunft beym Denken geschäftig ist, und das Begehrungsvermçgen posteriori bestimmt; absolut – frey, in wieferne sie das Begehrungsvermögen a priori bestimmt.16

In den Erklärungen, die der Definition folgen, ist vom Begehrungsvermögen noch nicht die Rede. Es geht darum, inwiefern das vorstellende Subjekt als frei gedacht werden muss: Sofern es durch Vernunft handelt, übt es seine Spontaneität aus, die als absolute Tätigkeit oder Selbsttätigkeit zu verstehen ist, deren Wirkungsgrund in nichts anderem als dem vorstellenden Subjekt liegt und die daher frei ist. Darauf erläutert Reinhold den Unterschied zwischen absoluter und komparativer Freiheit, worauf ohne Überleitung die „Grundlinien“ beginnen: Reinhold geht weder auf die Motivation zu diesem Abschnitt ein noch auf die systematische Funktion und Verortung des darin abgehandelten Theorieteils. Ein unmittelbarer Anlass für die Einfügung des Kapitels liegt auf der Hand: Reinhold verwendet in der Definition der Idee des vorstellenden Subjekts als absolute Ursache die Begriffe der Freiheit, des Begehrungsvermögens und der Bestimmung des Begehrungsvermögens. Während der Begriff der Freiheit noch an den Begriff der Spontaneität des vorstellenden Subjekts angebunden werden kann, der bereits in der allgemeinen Theorie des Vorstellungsvermögens hergeleitet wurde, kommt der Begriff des Begehrungsvermögens in der Definition zum ersten Mal vor, was ihn erklärungsbedürftig macht. Das mag auf den ersten Blick eher nebensächlich erscheinen, führt man sich aber vor Augen, dass bei der Suche nach den in der Vernunft liegenden Erkenntnisgründen der Grundwahrheiten von Recht und Moral deshalb beim Begriff der Vorstellung angesetzt werden musste, weil nur bei diesem Einigkeit über seine Realität und seinen Gehalt vorliegt, und somit eine unantastbare 16 Versuch, S. 558.

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begriffliche Basis gegeben ist, so wäre es fatal für das ganze Projekt, würde Reinhold ausgerechnet in der Definition jener Idee, welche Erkenntnisgrund der Freiheit des Subjekts ist, undefinierte und ungeklärte Begriffe verwenden. Der Zweck einer Klärung der in der Definition verwendeten Begrifflichkeit wird durch die „Grundlinien“ formell auch erfüllt, besteht das Kapitel doch zu einem guten Teil aus Ableitung, Abgrenzung und Definition des Begriffs des Begehrens und der damit zusammenhängenden Begriffe. Die eigentliche Frage ist jedoch, weshalb es überhaupt erforderlich ist, die in den „Grundlinien“ explizierten Begriffe des Begehrens und des Begehrungsvermögens in der Definition von § 86 zu verwenden und dadurch den theoretischen Rahmen des Versuchs zu sprengen, zumal auf den ersten Blick eine Alternative zur Verfügung steht, bei der dies nicht der Fall ist: Das vorstellende Subjekt kann insofern als absolute Ursache gedacht werden, als es durch seine Spontaneität die Form der Vorstellung hervorbringt, und zwar durchaus in einem ursächlichen Sinn. Die Analyse des Begriffs der Vorstellung überhaupt hat gezeigt, dass der Formaspekt der Vorstellung auf ein Vermögen der Spontaneität zurückzuführen ist.17 Die Spontaneität kann zwar nicht unmittelbar dem vorstellenden Subjekt zugeschrieben werden, aber doch mittelbar, „in wieferne dasselbe ein Vorstellungsvermögen hat“18. Sofern das vorstellende Subjekt über das Vermögen der Spontaneität verfügt und die Form der Vorstellung von nichts anderem abhängt, als von der Spontaneität des Subjekts, muss dieses als absolute Ursache vorgestellt werden. Näher besehen handelt es sich bei der Ausübung der generischen Spontaneität um einen Fall komparativer Freiheit, wo durch Spontaneität nur der eine Aspekt der Vorstellung, ihre Form, erzeugt wird, so dass die Realisierung der Form immer auch vom andern Aspekt abhängt, vom Gegebensein eines Stoffes, an dem die Form realisiert werden kann.19 Das gilt selbst dann, wenn dieser Stoff wie im Fall der Idee die a priori bestimmte Form des Verstandes ist, die selbst durch Spontaneität erzeugt wird.20 Das Subjekt ist hier zwar absolut wirksam, sofern es alleiniger Grund der Form der Vorstellung ist, es ist aber in der Ausübung seiner Wirksamkeit von etwas anderem abhängig und insofern nicht alleiniger Grund der Wirksamkeit, d. h. nur komparativ frei. Da Reinhold sowohl absolute wie 17 18 19 20

Vgl. Versuch, S. 267. Versuch, S. 270. Vgl. Versuch, S. 558 f. Vgl. Versuch, S. 558 f.

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auch komparative Freiheit als Fälle absoluter Ursächlichkeit versteht, handelt das vorstellende Subjekt „gleichwohl als absolute Ursache“21. Das bedeutet, dass bereits die bloß komparativ freie Ausübung der generischen Spontaneität bei der Erzeugung der Form der Vorstellung hinreichender Erkenntnisgrund des vorstellenden Subjekts als absoluter Ursache ist. Damit ist das unmittelbare Ziel, die Ableitung der Idee des vorstellenden Subjekts als absolute Ursache, bereits erreicht und es erübrigt sich, noch eigens auf das Begehrungsvermögen einzugehen. Das Bedürfnis dazu entsteht nur aufgrund der übergeordneten Zielsetzung des Versuchs, die Erkenntnisgründe der Grundwahrheiten von Moral und Recht ausfindig zu machen. Denn aus praktischem Interesse, d. h. im Hinblick auf moralische Freiheit, ist absolute, und nicht bloß komparative, Freiheit die gesuchte Größe und diese ist nur im Fall der apriorischen Bestimmung des Begehrungsvermögens einsichtig. Mit anderen Worten: generische Spontaneität ist zwar hinreichend als Erkenntnisgrund für komparative Freiheit und damit für das Subjekt als absolute Ursache, aber nicht für absolute Freiheit; die apriorische Bestimmung des Begehrungsvermögens hingegen ist zwar hinreichend als Erkenntnisgrund für absolute Freiheit, aber nicht notwendig als Erkenntnisgrund für absolute Ursächlichkeit. Aus systematischer Sicht ist deshalb auch der Einschub der „Grundlinien“ nicht notwendig und, genau genommen, ist schon die Definition des vorstellenden Subjekts als absolute Ursache in § 86 verfehlt: Es gibt systematisch keinen Grund für die Einführung der Begriffe des Begehrens und des Begehrungsvermögens. Sie wird von Reinhold ad hoc vorgenommen, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit einer Begründung nicht von absoluter Ursächlichkeit, sondern von absoluter, d. h. moralischer, Freiheit. Daher stellen die „Grundlinien“ nicht nur eine äußerliche Anomalie dar, es wird auch gar kein zwingender, systematischer Zusammenhang zwischen den Theorien des Erkenntnisbzw. Vorstellungsvermögens und der Theorie des Begehrungsvermögens hergestellt. Die „Grundlinien“ selbst setzen mit der Unterscheidung des Vorstellungsvermögens des vorstellenden Subjekts von der vorstellenden Kraft ein:22 Ersteres ist Grund der Möglichkeit der Vorstellung, letztere Grund ihrer Wirklichkeit. Davon ausgehend werden der Begriff des 21 Versuch, S. 559. 22 Die gründlichste Untersuchung der „Grundlinien“ findet sich in Lazzari 2004, Kap. I.3. Vgl. auch Klemmt 1958, S. 116 – 129, Gerten 2003, S. 173 – 176 und Marx 2010, S. 151 – 157.

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Triebes als Verhältnis von Vorstellungsvermögen und vorstellender Kraft definiert23 sowie die Begriffe des Begehrens und des Begehrungsvermögens: „Durch den Trieb zur Erzeugung einer Vorstellung bestimmt werden, heißt Begehren, und das Vermögen durch den Trieb bestimmt zu werden, das Begehrungsvermçgen in weiterer Bedeutung.“24 Die Unterscheidung des „eigennützigen“, auf Sinnlichkeit bezogenen Triebes nach Stoff vom „uneigennützigen“, intellektuellen Trieb nach Form25, die Einführung des Willens als das „Vermögen des vorstellenden Subjektes durch die Selbstthätigkeit des Triebes bestimmt zu werden, oder sich selbst zu einer Handlung des Triebes zu bestimmen“26 und die Differenz von empirischem und reinem Willen führen schließlich zu dem Ergebnis, dass der reine Wille, „in wie ferne er das Gesetz des uneigennützigen Triebes befolgt“27, absolut frei ist. Das Gesetz des uneigennützigen Triebes ist die Sittlichkeit, „welche folglich in der um ihrer selbst willen beabsichtigten Realisirung der Handlungsweise der reinen Vernunft besteht“28, sie ist durch die Form der Vernunft zwar notwendig bestimmt, „ihrem Stoffe nach aber, d. h. in Rücksicht der Realisierung dieser Form als Objekt des Willens, ein blosses Produkt der Selbstthätigkeit, der positiven Kraft, des freywirkenden Subjektes“29. Der reine, absolut freie Wille ist zugleich das praktische Vermögen der Vernunft.30 Die Definition der Begriffe des Triebes, des Begehrens und des Willens im Ausgang von den Begriffen des vorstellenden Subjekts, des Vorstellungsvermögens und der vorstellenden Kraft macht deutlich, dass Reinhold Begehrungsvermögen und praktische Vernunft begrifflich aus dem Vorstellungsvermögen zu entwickeln beabsichtigt und die Theorie des Begehrungsvermögens und der praktischen Vernunft als Teile der allgemeinen Theorie des Vorstellungsvermögens betrachtet. Reinholds Absicht, das Begehrungsvermögen mit dem Vorstellungsvermögen in Zusammenhang zu bringen, ist eindeutig zu erkennen, die Art, wie er das tut, ist allerdings fragwürdig: Wenn Reinhold den Begriff des Triebes und indirekt jenen des Begehrens durch das Verhältnis von Vorstellungsvermögen und vorstellender Kraft definiert, bezieht er sich auf das Vor23 24 25 26 27 28 29 30

Versuch, S. 561. Versuch, S. 561. Vgl. Versuch, S. 561 f. Versuch, S. 567. Versuch, S. 572. Versuch, S. 570. Versuch, S. 572. Versuch, S. 571.

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stellungsvermögen in weiterer Bedeutung und daher auf ußere Bedingungen der Vorstellung31, die als ,metaphysisch‘ zu bezeichnen sind. Sie sind nicht unmittelbar erkennbar, sondern nur indirekt zu erschließen, und zwar aufgrund der Analyse der inneren Bedingungen der Vorstellung, welche Aufgabe der Theorie des Vorstellungsvermögens ist. Ausgerechnet für die vorstellende Kraft macht Reinhold gegen die rationalistische Metaphysik geltend, dass diese nicht zum Ausgangspunkt der Untersuchung des Vorstellungsvermögens gemacht werden dürfe, da sie „nur durch ihre Wirkung, die Vorstellung, erkennbar“32 sei und daher nur soweit der Erkenntnis zugänglich ist, wie sie sich in inneren Merkmalen der Vorstellung äußert. In den „Grundlinien“ begeht Reinhold aber genau den Fehler, den er den Metaphysikern anlastet, und definiert Trieb und Begehren durch die Begriffe der vorstellenden Kraft und des Vorstellungsvermögens, ohne dies an inneren Eigenschaften der Vorstellung festzumachen. Er leitet also Trieb und Begehren zwar aus dem Vorstellungsvermögen ab, aber nur in einem metaphysischen, nicht im eigentlich vorstellungstheoretischen Sinn. Es mag zwar berechtigt sein, die Form der Vorstellung als Wirkung der vorstellenden Kraft anzusehen, sofern sie auf eine Äußerung der Spontaneität zurückgeführt werden kann, bei der Ableitung des Begriffs des Begehrens hilft das aber nicht weiter. Die auf dem Vermögen der Spontaneität beruhende Form der Vorstellung ist eine generische Eigenschaft des Vorstellungsvermögens überhaupt und kann somit kein das Begehren auszeichnendes Merkmal liefern. Reinhold müsste zumindest eine spezifische Art und Weise angeben, wie sich Spontaneität beim Begehren äußert und wie sie sich in der inneren Beschaffenheit der entsprechenden Vorstellungen manifestiert. Das tut er aber nicht. Es ist gewiss nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass der Begriff des Begehrens auf der Grundlage innerer Bedingungen der Vorstellung spezifiziert werden kann, und in Teil 4 werde ich zeigen, dass Reinhold dies wenigstens im Ansatz doch noch gelingt, im Versuch verfügt er aber noch über kein taugliches Verfahren. Das hat zur Konsequenz, dass in den „Grundlinien“ keine eigentlich vorstellungstheoretische Ableitung der Grundbegriffe der Theorie des Begehrungsvermögens vorliegt, so dass sowohl die Fundierung dieses Theorieteils wie auch dessen Eingliederung ins Gesamtsystem als gescheitert betrachtet werden müssen. Der Mangel an einem Ableitungsverfahren kommt auch unter einem weiteren Aspekt zum Vorschein: Die vorstellende Kraft versteht Rein31 Vgl. Versuch, S. 202. 32 Versuch, S. 203.

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hold als „Grund der Wirklichkeit der Vorstellung, in so weit derselbe im vorstellenden Subjekt vorhanden seyn muß“33. Demzufolge ist auch das Begehren durch eine spezifische Subjektabhängigkeit zu charakterisieren. Dem Subjekt-Objekt-Schema gemäß müsste es dazu einen Gegenbegriff geben, der sich auf den ,Grund der Wirklichkeit der Vorstellung, in so weit derselbe im vorgestellten Objekt vorhanden sein muss‘, bezieht. Man könnte erwarten, dass dieser Gegenbegriff der Begriff der Erkenntnis ist, jedenfalls stimmt dies mit Reinholds Bemerkung überein, die objektive Seite der Idee beziehe sich auf das Systematische der Erkenntnis, die subjektive Seite beziehe sich dagegen auf das Systematische der Willenshandlungen.34 Dem entspricht aber nichts in der Definition der Erkenntnis. Im Gegensatz zum Begriff des Begehrens wird der Begriff der Erkenntnis konsequent aus der allgemeinen Vorstellungstheorie abgeleitet und selbst wenn vom Bezug „auf den bestimmten Gegenstand“35 die Rede ist, handelt es sich nur um den Gegenstand im vorstellungstheoretischen Sinn, nicht um das metaphysische Objekt, das allenfalls Grund der Wirklichkeit der Vorstellung sein könnte. Um einen objektbezogenen Grund der Wirklichkeit der Vorstellung geht es zwar gegen Ende des zweiten Buches: Zur Wirklichkeit der Vorstellung überhaupt gehört ein von den Formen der Receptivität und Spontaneität verschiedener, dem Subjekte nicht im Vorstellungsvermögen, sondern von aussen her gegebener Stoff, welcher der objektive Stoff heißt.36

In diesem Kontext wird aber bloß erklärt, dass die Formen der Vorstellung nur unter der Bedingung erkennbar sind, dass sie als Formen wirklicher Vorstellungen realisiert sind und dass sie nur als Formen eines durch Affektion der Rezeptivität gegebenen, objektiven Stoffes realisiert werden können. Dies gilt aber für Vorstellungen im Allgemeinen, d. h. für alle Arten der Vorstellung, das Begehren eingeschlossen. Eine Differenz von Erkennen und Begehren ist daraus nicht zu gewinnen. Letztlich ist also im Versuch nicht mehr festzustellen, als Reinholds Absicht, die Theorie des Begehrungsvermögens ins System zu integrieren und aus dem generischen Begriff der Vorstellung zu entwickeln. Auch wenn man annehmen kann, dass Reinhold die Theorien des Erkenntnisund des Begehrungsvermögens im Sinne einer Theorie des Theoreti33 34 35 36

Versuch, S. 560. Vgl. Versuch, S. 537. Versuch, S. 340. Versuch, S. 297; vgl. Versuch, S. 296 f.

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schen und des Praktischen aus der allgemeinen Theorie des Vorstellungsvermögens ableiten will – eine Annahme, die in Teil 3 bestätigt wird –, verfügt er doch im Versuch über kein Prinzip für deren systematische Integration und begriffliche Ausdifferenzierung. Das Problem liegt in erster Linie in der Definition und Ableitung des Begriffs des Begehrens.

3. Die Theorie des Begehrungsvermögens im System der Theorie des Vorstellungsvermögens (1790 – 1791) Der Anmerkung am Ende der „Grundlinien“ zufolge gedenkt Reinhold, die völlig entwickelte Theorie des Begehrungsvermögens „auf die gegenwärtige Theorie des Vorstellungsvermçgens folgen zu lassen“37. Das geschieht dann aber nicht: Auf den Versuch folgen mit dem ersten Band der Beytrge (1790) und dem Fundament (1791) erst einmal Schriften, in welchen sich Reinhold der Fortführung und Konsolidierung der Theorie des Vorstellungsvermögens widmet. Die Theorien des Begehrungsvermögens und der praktischen Vernunft werden kaum erwähnt, geschweige denn, ausgeführt. Dennoch sind die wenigen relevanten Bemerkungen aufschlussreich, denn sie ermöglichen zumindest eine eindeutige Einordnung der Theorie des Begehrungsvermögens in die Gesamttheorie. Tatsächlich hat Reinhold diesbezüglich klare und konsequent vorgetragene Vorstellungen. Was die begriffliche Ableitung des Begehrens aus vorstellungstheoretischen Grundbegriffen angeht, unternimmt Reinhold jedoch nichts, um das mangelhafte Verfahren des Versuchs zu korrigieren. Immerhin lässt sich die Hypothese über die zugrunde liegende Intention belegen, dass die Ausdifferenzierung des Begriffs des Begehrens dem Subjekt-Objekt-Schema zu folgen hat und dass der Begriff des Begehrens aufgrund dieses Schemas als Gegenstück zum Begriff der Erkenntnis zu denken ist. Trotz einer Reihe von Korrekturen hält Reinhold in dieser Phase grundsätzlich am vorstellungstheoretischen Projekt fest, wenn er „Philosophie“ als „Wissenschaft desjenigen, was durch das bloße Vorstellungs-Vermçgen bestimmt ist“38, definiert. Im „Versuch einer neuen Einteilung der Philosophie“, der den ersten Beitrag von Beytrge I beschließt, legt er die Architektonik des Gesamtsystems dar. Er unterscheidet innerhalb der wissenschaftlichen Philosophie „Reine Philosophie; Wissenschaft des Abso37 Versuch, S. 575. 38 Beytrge I, S. 59.

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lutnotwendigen“ und „Empirische Philosophie; Wissenschaft des Hypothetisch Notwendigen“39, wobei zur ersteren gehört, was ausschließlich durch das Vorstellungsvermögen bestimmt ist. Die reine Philosophie zerfällt ihrerseits in die „Elementar-Philosophie“ und die „Abgeleitete reine Philosophie“.40 Erstere umfasst „die Theorie des Vorstellungsvermçgens überhaupt sowohl, als des sinnlichen, verständigen, und vernünftigen Vorstellungsvermögens, oder der Sinnlichkeit, des Verstandes, und der Vernunft“.41 Die abgeleitete reine Philosophie enthält ebenfalls zwei Teile: Erstens die Wissenschaft desjenigen, was im Vorstellungsvermögen in Rücksicht der Beziehung der Vorstellungen auf vorgestellte Gegenstände (im Erkenntnisvermçgen) bestimmt ist. Theoretische Philosophie. Zweitens die Wissenschaft desjenigen, was im Vorstellungsvermögen in Rücksicht der Beziehung der Vorstellungen auf das vorstellende Subjekt (im Begehrungsvermçgen) bestimmt ist. Praktische Philosophie. 42

In aller Deutlichkeit wird hier die Theorie des Begehrungsvermögens als Systemteil aufgeführt, der erstens aus der allgemeinen Vorstellungstheorie abgeleitet ist und zweitens auf systematisch gleicher Stufe wie die Theorie des Erkenntnisvermögens steht. Die wohl auffälligste Revision im Systembau ist die Positionierung der Theorien der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft. Wurden diese im Versuch noch innerhalb der Theorie des Erkenntnisvermögens abgehandelt, gehören sie nun zur Elementarphilosophie, während die Theorie des Erkenntnisvermögens als Teil der abgeleiteten reinen Philosophie von der Elementarphilosophie zu unterscheiden ist. In der neuen Anordnung umfasst die Elementarphilosophie demzufolge das gesamte Programm des Versuchs, mit der Einschränkung, dass die Theorien der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft nicht die Theorie des Erkenntnisvermögens ausmachen, was Reinhold entsprechend korrigiert: Das sinnliche, verständige und vernünftige Vorstellungsvermögen begreift daher sowohl die durch diese Vermögen bestimmten Formen des Begehrens als des Erkennens unter sich, das sinnliche, verständige, vernünftige Begehrungsund Erkenntnisvermögen.43

Berücksichtigt man zudem, dass Reinhold in der „Einteilung“ die Theorien des Erkenntnis- und des Begehrungsvermögens mit theoreti39 40 41 42 43

Beytrge I, S. 85 f. Beytrge I, S. 86. Beytrge I, S. 86. Beytrge I, S. 87. Beytrge I, S. 277.

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scher und praktischer Philosophie identifiziert44, ist die neugefasste Elementarphilosophie als grundlegende Vorstellungstheorie neutral bezüglich der Differenz theoretisch/praktisch.45 Das bedeutet, dass sowohl der Begriff der Vorstellung überhaupt zusammen mit dem Satz des Bewusstseins wie auch die Grundbegriffe der Theorien der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft weder theoretische noch praktische, sondern diesbezüglich unbestimmte Begriffe sind, die erst in den abgeleiteten Theorien des Erkenntnis- und des Begehrungsvermögens ihre theoretische bzw. praktische Bedeutung erhalten.46 Umgekehrt heißt das, dass die allgemeinen, zur Elementarphilosophie gehörenden Theorien der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft nicht nur einer erkenntnistheoretischen Spezifizierung in der theoretischen Philosophie bedürfen, sondern auch einer Spezifizierung in Bezug auf das Begehren in der praktischen Philosophie. Es ist also eine Theorie der praktischen Sinnlichkeit, des praktischen Verstandes und der praktischen Vernunft vorgesehen.47 Welchen Aufbau die Theorie des Begehrungsvermögens darüber hinaus haben soll, sagt Reinhold nicht. In der „Einteilung“ lässt er auf die Unterscheidung von theoretischer und praktischer Philosophie eine recht detaillierte Einteilung der theoretischen Philosophie folgen, leider aber nicht der praktischen, die Reinhold bei anderer Gelegenheit nachliefern will, was dann aber nicht geschieht.48 Da die Theorien des Erkenntnis- und des Begehrungsvermögens bzw. die theoretische und die praktische Philosophie Zweige der abgeleiteten reinen Philosophie sind, versteht es sich von selbst, dass sie in einem vorstellungstheoretischen Sinn fundiert und aus der Elementarphilosophie abgeleitet werden müssen. Auch die Differenz theoretisch/ praktisch ist somit eine abgeleitete Differenz, da sie mit einer Differenz innerhalb des Vorstellungsvermögens, zwischen zwei unterschiedlichen 44 Vgl. auch Fundament, S. 107 und 127, RGS 4.63 und 73. 45 Vgl. Beytrge I, S. 363 f., wo Reinhold festhält, dass die Elementarphilosophie „weder theoretische, noch praktische Philosophie, sondern die Prämisse für beide“ ist. Vgl. auch Beytrge I, S. 276 f. sowie Fundament, S. 71, 106 f. und 127, RGS 4.47, 63 f. und 73. 46 Ob dies de facto der Fall ist, bleibe hier dahingestellt. Kritiker wie Fichte waren jedenfalls der Meinung, der Begriff der Vorstellung sowie der Satz des Bewusstseins seien theoretisch, was es unmöglich mache, die gesamte Philosophie inklusive der praktischen darauf zu begründen; vgl. dazu Lohmann 2004. 47 Vgl. Beytrge I, S. 277. 48 Vgl. Beytrge I, S. 90. Man könnte versuchen, eine Einteilung der praktischen Philosophie in Analogie zu jener der theoretischen zu rekonstruieren, das würde aber den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.

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Arten des Vorstellens, zusammenfällt. Damit hängt die systematische Ausdifferenzierung von theoretischer und praktischer Philosophie unmittelbar davon ab, dass ein vorstellungstheoretischer Unterscheidungsgrund zwischen Erkennen und Begehren aufgewiesen werden kann. Das Problem einer tauglichen Ableitung des Begriffs des Begehrens – wie auch des Begriffs des Erkennens, der nun eindeutig das begriffliche Gegenstück ist – aus der Theorie des Vorstellungsvermögens wird daher noch drängender als im Versuch. Aus den oben zitierten Definitionen der theoretischen und praktischen Philosophie geht auch hervor, dass das Subjekt-Objekt-Schema, die Beziehung der Vorstellung zum Objekt einerseits, zum Subjekt andererseits, das Grundprinzip der Differenzierung von Erkennen und Begehren ist.49 Wie dieses Schema konkret anzuwenden ist, wird allerdings nicht präzisiert. Anders als noch in den „Grundlinien“ wird nicht mehr von metaphysischen Begriffen Gebrauch gemacht, stattdessen ist nur noch von einer unterschiedlichen Bestimmung der Vorstellung durch das vorstellende Subjekt bzw. das vorgestellte Objekt die Rede oder einfach vom Bezug der Vorstellung auf Subjekt bzw. Objekt.50 Weil aber die doppelte Relation zu Subjekt und Objekt das generische Wesen der Vorstellung ausmacht und insofern jede Vorstellung von einer Bestimmung sowohl durch das Objekt wie auch durch das Subjekt abhängt, ist nach wie vor unklar, wie das Subjekt-ObjektSchema eine spezifische Differenz zwischen Erkennen und Begehren, theoretischer und praktischer Vorstellungsart, hinsichtlich des Bezugs bzw. der Bestimmung der Vorstellung generieren können soll. Reinhold bleibt eine Erklärung schuldig, wie sich der Bezug bzw. das Bestimmungsverhältnis derart unterscheiden kann, dass durch diesen Unterschied zwei Modi der Vorstellung, Erkennen und Begehren, konstituiert werden. In den Beytrgen I ist wiederum Reinholds Absicht erkennbar, den Begriff des Begehrens im Gegensatz zu jenem des Erkennens auf vorstellungstheoretischer Grundlage zu bestimmen, aber nicht, wie dies konkret durchzuführen wäre. Bereits im Versuch bestand eine Schwierigkeit bei der Ableitung des Begriffs des Begehrens aus dem generischen Begriff der Vorstellung darin, artbildende Merkmale zu finden. Diese müssen einerseits an spezifische innere Merkmale von Vorstellungen angebunden werden können, andererseits muss dabei zwangsläufig auf begriffliche Ressourcen zurückgegriffen werden, welche nicht schon im generischen Vorstellungsbegriff 49 Vgl. auch Beytrge I, S. 277 und 364. 50 Vgl. Beytrge I, S. 87 sowie 277 und 364.

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enthalten sind. Eine gleichartige Situation liegt auch hier vor: Auf welcher Grundlage können die generischen Begriffe des Bezugs und der Bestimmung der Vorstellung derart spezifiziert werden, dass daraus die Begriffe des Erkennens und des Begehrens resultieren? Dahinter steht ein grundsätzliches Ableitungsproblem: Sind die inneren Bedingungen der Vorstellung in generischer Bedeutung analysiert, ist das Ableitungspotenzial des Begriffs der Vorstellung bzw. des Satzes des Bewusstseins erschöpft. Für weitere Deduktionsschritte muss deshalb aus anderen begrifflichen Quellen geschöpft werden. Reinhold trägt diesem Problem im Fundament und in Beytrge II auch Rechnung, wenn er zusätzliche Tatsachen des Bewusstseins anzunehmen bereit ist, welche weitere Grundsätze stützen, die zwar unter dem ersten Grundsatz stehen, aus diesem aber nicht ableitbar sind, und auf deren Grundlage weitere Formen der Vorstellung hergeleitet werden können. Dieses neue Verfahren soll nun auch explizit die Definition des Erkennens und Begehrens ermöglichen.51 Tatsächlich wird in der Theorie des Erkenntnisvermögens überhaupt, wie sie im dritten Beitrag von Beytrge I dargestellt ist, ein „Satz der Erkenntnis“ formuliert: „In der Erkenntnis wird der vorgestellte Gegenstand sowohl von der vorgestellten Vorstellung als auch von dem vorgestellten Vorstellenden unterschieden.“52 Weil man davon ausgehen kann, dass Erkennen und Begehren Gegenbegriffe im Sinne des SubjektObjekt-Schemas sind, müsste der analoge ,Satz des Begehrens‘ wohl wie folgt lauten: ,Im Begehren wird das vorgestellte Vorstellende sowohl von der vorgestellten Vorstellung als auch von dem vorgestellten Gegenstand unterschieden.‘ Offensichtlich drückt dieser Satz gegenüber dem Satz der Erkenntnis keine Differenz aus. Es wird zwar grammatisch der Fokus verschoben, inhaltlich und formal sind jedoch beide Sätze äquivalent, da gilt: ,Wenn a von b unterschieden wird, wird b auch von a unterschieden.‘ Eine Differenz von Erkennen und Begehren kann auch vor dem Hintergrund von Reinholds erweitertem Ableitungsverfahren nicht rekonstruiert werden. Obschon die Frage nach der Ausdifferenzierung des Begriffs des Begehrens offen bleibt, hat sich immerhin der systematische Status der Theorie des Begehrungsvermögens im System geklärt: An eine weder als theoretisch noch praktisch einzustufende Elementarphilosophie, welche die Theorie des Vorstellungsvermögens überhaupt sowie die allgemeinen Theorien der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft umfasst, 51 Vgl. Fundament, S. 106 f., RGS 4.63 f. 52 Vgl. Beytrge I, S. 223.

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schließt sich die Theorie des Begehrungsvermögens – auf gleicher Stufe wie jene des Erkenntnisvermögens – als abgeleiteter Theorieteil an, in welchem die sinnlichen, verständigen und vernünftigen Vorstellungen hinsichtlich des Begehrens bestimmt werden. Bei diesem Stand der Systemkonzeption wird deutlich, wie gravierend die Lücke ist: Die Theorie des Begehrungsvermögens fällt mit der praktischen Philosophie zusammen und dazu zählt nach wie vor „[d]as Wichtigste unter allen was Menschen wichtig sein soll: die Pflichten und Rechte der Menschheit in diesem, und der Grund ihrer Erwartung im zukünftigen Leben, der Prinzipien der Moral, des Naturrechts, der Religion“53. Die Grundsätze der Moral und des Naturrechts aber […] müssen Grundgesetze des durch praktische Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens ausdrücken, und der Sinn dieser Grundsätze kann, in wieferne er von dem Begriffe von praktischer Vernunft, und Begehrungsvermögen abhängt, durchaus nicht in der Moral und im Naturrechte bestimmt werden; sondern setzt in dieser Rücksicht die von beiden Wissenschaften verschiedenen und denselben vorhergehenden Theorien der Praktischen Vernunft und des Begehrungsvermögens und durch diese die Theorien der theoretischen Vernunft und des Vorstellungsvermögens voraus.54

Das Erreichen des von Anfang an maßgeblichen Ziels, die Fundierung von Moral und Recht, hängt also wesentlich von der erfolgreichen Entwicklung der Theorie des Begehrungsvermögens ab, die weiterhin aussteht. Letzteres liegt daran, dass Reinhold die Theorie des Begehrungsvermögens als integralen Bestandteil des Systems ansieht, aber noch keine Lösung zur Hand hat, wie ihre Integration zu bewerkstelligen ist, das heißt vor allem, wie ihr Grundbegriff, der Begriff des Begehrens, aus dem generischen Begriff der Vorstellung hergeleitet werden kann.

4. Die Lücke im revidierten System (1792 – 1794) Das weitere Schicksal der Theorie des Begehrungsvermögens ist mit bekannten Vorgängen verknüpft: Nachdem zuvor schon neben dem Satz des Bewusstseins weitere ursprüngliche, wenn auch nicht im gleichen Maße fundamentale, Sätze des Bewusstsein in Anspruch genommen werden mussten, womit eine strikte Deduktion der Sätze des Systems aus 53 Beytrge I, S. 83. 54 Beytrge I, S. 137.

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einem Grundsatz bereits nicht mehr möglich war, entwickelt Reinhold um 1792 eine neue Theorie des Willens, mit der er das Projekt des Einheitssystems, d. h. die vorstellungstheoretische Fundierung der gesamten Philosophie, faktisch aufgibt.55 Diese Neukonzeption schlägt sich in Briefe II (1792) und in Beytrge II (1794) nieder, welche zugleich Reinholds erste systematische Arbeiten zur praktischen Philosophie enthalten, mit denen er die Entwicklung der Grundbegriffe und Grundsätze von Moral und Naturrecht in Angriff nimmt. Deren Fundamente werden in engem Zusammenhang mit der neuen Theorie des Willens erarbeitet, in der auch die Begriffe des Begehrens und des Begehrungsvermögens eine tragende Rolle spielen. Von einer eigentlichen Theorie des Begehrungsvermögens ist aber nicht mehr die Rede.56 Unabhängig davon, ob Reinhold ein auf der Vorstellungstheorie aufbauendes Einheitssystem noch anstrebt, gibt es jedoch nach wie vor Gründe, welche eine Theorie des Begehrungsvermögens erforderlich machen. Außerdem spricht einiges dafür, dass Reinhold von einer Integration der Theorie des Begehrungsvermögens in die Theorie des Vorstellungsvermögens weiterhin nicht absieht. Aus einigen Äußerungen, die außerhalb des Werkes stehen, wird ersichtlich, dass Reinhold das Projekt einer Theorie des Begehrungsvermögens auch während und nach den Umbrüchen um 1792 nicht aufgibt. Ein Brief von Baggesen deutet an, dass Reinhold noch Anfang 1792 an der Theorie des Begehrungsvermögens arbeitet.57 Im März desselben Jahres taucht erstmals die neue Konzeption des Willens auf, der zufolge der Wille ein sowohl vom eigennützigen Trieb des Begehrens wie auch vom uneigennützigen Trieb der praktischen Vernunft unterschiedenes und unabhängiges Vermögen der Person ist.58 Die Revision der Theorie des Willens hält Reinhold aber nicht davon ab im Mai anzukündigen, der in Kürze erscheinende zweite Band der Beytrge werde einen „Versuch einer neuen Theorie des Begehrungsvermçgens“59 enthalten. 55 Vgl. dazu Bondeli 1995, Stamm 1995, Frank 1997, Berger 1998, Fabbianelli 2000 und Lazzari 2003. 56 In Briefe II, S. 63, RGS 2/2.50, der einzigen Ausnahme, erwähnt Reinhold „eine ganz neue Theorie des Begehrungsvermçgens und des Willens“, auf die er seinen Leser „durch diese vorläufigen Betrachtungen […] nur vorbereiten kann“. 57 Vgl. Baggesen an Reinhold, 3. 1. 1792, Baggesen-Briefe, 1.141. 58 Vgl. Reinhold an Baggesen, 28. 3. 1792, Baggesen-Briefe, 1.168 f. Zur historischchronologischen Rekonstruktion des Umbruchs vgl. Lazzari 2004, Abschnitt 5.2. 59 Intelligenzblatt der ALZ vom 2. Mai 1792, Nr. 53, Sp. 426 f.

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Zudem werde – ganz im Sinne der bisherigen Systemfassung – der Zusammenhang des Satzes des Bewusstseins „mit den Grundbegriffen der besondern theoretischen und practischen Philosophie, der Metaphysik der Moral und des Naturrechts“60 gezeigt. Wie wir wissen, erscheinen Beytrge II erst 1794, enthalten die versprochenen Beiträge zu Metaphysik, Moral und Naturrecht, aber nichts, was als Fortführung der Elementarphilosophie, als Entwicklung der Grundsätze der theoretischen und praktischen Philosophie im Zusammenhang mit dem Satz des Bewusstseins oder als „Versuch einer neuen Theorie des Begehrungsvermçgens“ anzusehen wäre. In der Vorrede weist Reinhold denn auch darauf hin, dass er „die für den gegenwärtigen Zweiten Band angekündigte fortgesetzte Bearbeitung des Systems der Elementarphilosophie vor der Hand noch aufzuschieben“61 beschlossen habe. Am 18. Juni 1792 berichtet Reinhold an Erhard: Durch meinen neuen Begriff vom Willen: „Er ist das Vermögen der Person, sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung der Forderung eines Begehrens, oder des eigennützigen Triebes, oder des Triebes nach Vergnügen (denn das ist mir ebendasselbe) zu bestimmen“, ist es mir möglich geworden, eine Theorie des Begehrungsvermögens zu liefern, woran ich sonst nicht selten gezweifelt habe. Durch den Willen und die a priorischen Vermögen, die in demselben im Spiele sind, erhielt ich erst genauere Begriffe vom Begehren und dem, was dabei a priori und a posteriori gegeben sein muss. Aber bevor der zweite Band der Briefe, der Michaelis erscheinen soll, heraus ist, und in welchem ich mich mit Freiheit und Willen in Rücksicht auf Moral beschäftige, darf ich für die Theorie des Begehrungsvermögens nichts weiter vornehmen.62

Diese Äußerung bezeugt einerseits, dass die Theorie des Begehrungsvermögens aufgrund des neuen Begriffs des Willens nicht überflüssig geworden ist. Im Gegenteil: nachdem sich Reinhold über den Begriff des Willens Klarheit verschaffen konnte, glaubt er, auch den Begriff des Begehrens geklärt zu haben und damit erstmals in der Lage zu sein, die Theorie des Begehrungsvermögens ausführen zu können. Andererseits geht aus der Passage hervor, dass die Theorie des Begehrungsvermögens mit Briefe II der Sache nach nicht bereits erledigt ist. Beide Punkte werden durch einen Brief belegt, den Reinhold 1793, also nach Erscheinen von Briefe II, an Kant richtet: 60 Intelligenzblatt der ALZ vom 2. Mai 1792, Nr. 53, Sp. 427. 61 Beytrge II, S. IV f. 62 Henrich 1997, S. 912; zu „dem, was dabei a priori und a posteriori gegeben sein muss“ vgl. Briefe II, S. 275, RGS 2/2.189.

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Ihr Urtheil über den Inhalt besonders des siebenten und achten Briefes würde mir, dasselbe möchte nun für meine Theorie von Willen und Freyheit günstig oder ungünstig ausfallen, zum Behuf meines Versuches einer Theorie des Begehrungsvermçgens, den ich schon seit einigen Jahren in meiner Seele herum trage die größte Wohlthat seyn.63

Demzufolge ist die Theorie des Begehrungsvermögens nicht nur systematisch eingeplant, sondern es steht auch ihre Ausführung bevor, zu der nur noch die Sanktion des Meisters erforderlich scheint. Beide Briefstellen legen einen engen Zusammenhang der Begriffe des Willens und des Begehrens nahe – von einer Anknüpfung an den Begriff der Vorstellung ist, wie auch schon im Brief an Baggesen, nicht die Rede. Konkretere Hinweise, was es damit auf sich hat, sind in Reinholds Rezension von C. C. E. Schmids Empirischer Psychologie (1791) zu finden, die im April 1792 erscheint.64 In Auseinandersetzung mit Schmids Begriff des Begehrens trägt Reinhold hier auch die neue Konzeption des Willens vor: „Wollen“ wird definiert als „die Handlung des Subjectes, durch welche sich dasselbe zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des begehrenden Triebes selbst bestimmt“65. Mit der Unterscheidung des Willens, der als Vermögen der Selbstbestimmung des Subjekts verstanden wird, sowohl vom begehrenden Trieb wie auch von der bloßen Vernunft66, ist Reinhold zu jener Konstellation gelangt, die bis Beytrge II maßgeblich sein wird. Schon aus der Formulierung der Willensdefinition folgt, dass der Begriff des Willens den Begriff des Begehrens voraussetzt: Letzterer ist Teil des Definiens und damit eine logisch notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Wollen. Das bedeutet, dass der Begriff des Willens jenen des Begehrens impliziert, aber nicht umgekehrt, und dass daher letzterer nicht aus ersterem abgeleitet werden kann. Der logischen Abhängigkeit des Begriffs des Willens vom Begriff des Begehrens und der logischen Unabhängigkeit des Begriffs des Begehrens vom Begriff des Willens entspricht die reale Abhängigkeit des Wollens vom Begehren sowie die reale Unabhängigkeit des Begehrens vom Wollen. Die Ausübung des Willens ist abhängig vom Vorliegen einer Forderung des begehrenden Triebes, da diese sowohl notwendiger Anlass wie auch Ge63 Reinhold an Kant, 21. 1. 1793, Kant-AA 11.396. 64 Die Bedeutung dieser Rezension für die Ausarbeitung von Reinholds neuer Willenskonzeption heben Berger 1998 und Lazzari 2004, Kap. 5.1 f. hervor. Vgl. auch Reinhold an Baggesen, 11. 6. 1792, Baggesen-Briefe, 1.195. 65 ALZ vom 3. April 1792, Nr. 87, Bd. 2, 1792, Sp. 12. 66 Vgl. ALZ vom 3. April 1792, Nr. 87, Bd. 2, 1792, Sp. 12.

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genstand der willentlichen Selbstbestimmung ist. Die Vermögen des Begehrens und des Willens sind insofern real unabhängig, als das Begehren eine Willensbestimmung veranlassen kann, aber nicht muss, und die Ausübung des Willens zwar veranlassen, aber nicht determinieren kann.67 Was das Systematische betrifft, folgt daraus, dass erstens aufgrund der logischen und realen Abhängigkeit des Willens vom Begehren eine Theorie des Begehrungsvermögens, sowohl zum Zweck einer Erklärung des vorausgesetzten Begriffs des Begehrens als auch einer Analyse der Bedingungen, unter denen das Begehren zum veranlassenden Grund und Gegenstand der Willensbestimmung werden kann, erforderlich ist und dass zweitens aufgrund der logischen und realen Unabhängigkeit des Begehrens vom Willen diese Theorie nicht aus der Theorie des Willens abgeleitet werden kann. In der Rezension schickt Reinhold der Definition des Willens eine Ableitung des Begriffs des Begehrens voraus, die eindeutig beim Begriff des Vorstellungsvermögens ansetzt. So wie es bereits Aufgabe der „Grundlinien“ im Versuch war, den Begriff des Begehrens, welcher in der Definition der Idee des Subjekts als absolute Ursache vorausgesetzt werden musste, durch eine Ableitung aus dem Vorstellungsvermögen zu erläutern, wird auch hier der Begriff des Begehrens vorstellungstheoretisch hergeleitet, nun aber im Hinblick auf die neue Definition des Willens, in die er wesentlich einfließt.68 Anders als noch im Versuch lässt sich hier aber ohne weiteres die Einordnung in den Systembau ablesen: Unter Vorstellungsvermçgen in weitester Bed. denkt er [der Rezensent; S. I.] sich, die im Subject bestimmte Möglichkeit der Vorstellung berhaupt; unter Erkenntnißvermçgen in w. B. diese Möglichkeit in Rücksicht der Beziehung

67 Dies wird später dahingehend präzisiert, dass der Wille als Vermögen der freien Wahl zwischen zwei sich möglicherweise widersprechenden Forderungen des eigennützigen und des uneigennützigen Triebes aufgefasst wird. Die Erläuterung des realen Unterschiedes und Zusammenhanges von Wollen und Begehren ist Gegenstand des 7. Briefs von Briefe II und macht den größten Teil des 4. Beitrags von Beytrge II aus. 68 Berücksichtigt man, dass Reinhold in der Folge die Position vertritt, dass die Person sich im Willensentschluss ihrer absoluten Freiheit bewusst ist, stehen die Erläuterungen zum Begehren auch hier im Dienste der Auffindung des Erkenntnisgrundes der Idee des Subjekts als absoluter Ursache: Freiheit als Tatsache des Selbstbewusstseins ist nur erklärbar, wenn der Wille als ein von Begehren und praktischer Vernunft verschiedenes Vermögen gedacht wird; vgl. Briefe II, S. 283, RGS 2/2.193.

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der Vorstellung auf das Object, und unter Begehrungsvermçgen in w. B. diese Möglichkeit in Rücksicht der Beziehung der Vorstellung auf das Subject. 69

Nimmt man hinzu, dass Reinhold mit Schmids Erörterungen einverstanden ist, „durch welche Hr. S. das Begehrungsvermögen aus den Gesichtspunkten von Receptivitt und Spontaneitt, Stoff und Form, Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft nicht weniger lehrreich als originell darstellt“70, entspricht das in der Rezension skizzierte Projekt grundsätzlich der Architektonik, wie sie in Teil 3 rekonstruiert werden konnte: Erkenntnis- und Begehrungsvermögen gehen auf das Vorstellungsvermögen zurück, entsprechend gilt es, die Begriffe des Erkennens und Begehrens als Vorstellungsarten aus dem generischen Begriff der Vorstellung abzuleiten. In der Theorie des Begehrungsvermögens wird der Begriff des Begehrens anhand der generischen Merkmale der Vorstellung überhaupt sowie hinsichtlich der allgemeinen Formen der Sinnlichkeit, des Verstandes und der Vernunft bestimmt. Während die Darstellung des Verhältnisses von begehrendem oder eigennützigem Trieb – Begehren in engerer Bedeutung – zum Willen recht deutlich ausfällt, bleibt die Rolle der praktischen Vernunft, die in Beytrge I noch zum Begehrungsvermögen in weiterer Bedeutung gerechnet wurde, in der Rezension auffallend unbestimmt. Es wird nicht mehr gesagt, als dass die Vernunft insofern praktisch ist, „als sie die Befriedigung oder Nichtbefriedigung des begehrenden Triebes betrifft“71. Insbesondere wird der uneigennützige Trieb überhaupt nicht erwähnt, der in den „Grundlinien“ das Gegenstück zum eigennützigen war und dort noch der praktischen Vernunft und dem reinen Willen zugerechnet wurde.72 Mit dem neuen Begriff des Willens spricht sich Reinhold explizit gegen eine Engführung von praktischer Vernunft und reinem Willen aus. Damit wird aber nicht auch die Zurechnung des uneigennützigen Triebs zur praktischen Vernunft und entsprechend die Einordnung der Theorie der praktischen Vernunft in die Theorie des Begehrungsvermögens in weiterer Bedeutung aufgegeben, wie sich in Briefe II und Beytrge II zeigt. Dort wird die Vorschrift der praktischen Vernunft konsequent als Äußerung des uneigennützigen Triebes angesehen, der wie der eigennützige Trieb unabhängig vom Willen der Person ist. Eigennütziger und uneigennütziger Trieb äußern sich als zwei unwill69 70 71 72

ALZ vom 3. April 1792, Nr. 87, Bd. 2, 1792, Sp. 11. ALZ vom 3. April 1792, Nr. 87, Bd. 2, 1792, Sp. 13. ALZ vom 3. April 1792, Nr. 87, Bd. 2, 1792, Sp. 12. Vgl. Versuch, S. 571.

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kürliche, an die Person gerichtete Forderungen, die auf gleicher Stufe stehen.73 Das alles läuft letztlich darauf hinaus, dass die Trieblehre der „Grundlinien“, abgesehen von der dezidierten begrifflichen Ablösung des Willens von der praktischen Vernunft, unverändert übernommen wird und dass die systematische Konzeption der Theorie des Begehrungsvermögens, wie sie in Beytrge I dargestellt wurde, von dieser Ablösung nicht tangiert wird. Sie umfasst weiterhin die Theorien des sinnlichen, verständigen und vernünftigen Begehrungsvermögens, die Theorie des Begehrens in engerer Bedeutung mit dem eigennützigen, auf Sinnlichkeit bezogenen Trieb sowie die Theorie der praktischen Vernunft mit dem uneigennützigen, auf die Form der Vernunft bezogenen Trieb, und ist insofern praktische Philosophie.74 Die Untersuchung der Rezension führt also zu dem Befund, dass auch noch die neue Theorie des Willens aus begrifflichen und sachlichen Gründen eine Theorie des Begehrungsvermögens voraussetzt, und zwar unabhängig davon, ob diese vorstellungstheoretisch integriert werden kann oder nicht. Dies ist ohne Einschränkungen auf die Theorie des Willens in Briefe II und Beytrge II übertragbar, da auch dort der Wille durch den Begriff des Begehrens definiert und vom gleichen Verhältnis von Wille und Begehrungsvermögen ausgegangen wird. In der Rezension zeigt sich aber auch, dass unter diesen Voraussetzungen eine vorstellungstheoretische Fundierung der Theorie des Begehrungsvermögens mit der neuen Theorie des Willens durchaus kompatibel und als solche durchführbar ist. Dazu ist nicht einmal eine grundsätzliche Revision der alten Systemarchitektonik erforderlich. Mit der begrifflichen Trennung des Willens von der praktischen Vernunft wird zwar der Wille zu einem Vermögen, das nicht mehr auf das Vorstellungsvermögen zurückgeführt werden kann, so dass der systematische Rahmen der Theorie des Vorstellungsvermögens gesprengt wird. Das gilt aber nicht für die Theorie des Begehrungsvermögens, die der Rezension gemäß integraler Bestandteil der Theorie des Vorstellungsvermögens bleibt. Gerade weil der Wille ein gegenüber dem Vorstellen und Begehren eigenständiges Vermögen ist, können die Theorien des Vorstellungs- und des Begehrungsvermögens 73 Vgl. etwa den 7. Brief von Briefe II. Es ist, nebenbei bemerkt, merkwürdig, wie wenig man von Reinhold über die Forderung des uneigennützigen Triebes, d. h. über das Sittengesetz, erfährt. Im Grossen und Ganzen handelt es sich um nichts weiter, als um Rationalität, die auf keinen anderen Zweck zielt, als die Realisierung von Rationalität, d. h. auf Vernunftmäßigkeit als Selbstzweck. 74 Vgl. Briefe II, S. 181, RGS 2/2.134.

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von der neuen Willenstheorie unberührt bleiben. Ob Reinhold eine Ableitung des Begriffs des Begehrens aus der Vorstellungstheorie in der Art, wie er sie in der Rezension darstellt, weiterhin verfolgt, lässt sich anhand von Briefe II und Beytrge II nicht entscheiden. Aus systematischem Gesichtspunkt spricht aber nichts dagegen, so dass es plausibel ist, dass Reinhold an einer vorstellungstheoretischen Begründung der Theorie des Begehrungsvermögens – und damit natürlich ebenfalls an der Theorie des Vorstellungsvermögens – auch nach den Revisionen von 1792 festhält. Die systematische Integration der Theorie des Begehrungsvermögens in die Theorie des Vorstellungsvermögens hängt allerdings immer noch von der Möglichkeit einer begrifflichen Ausdifferenzierung von Erkennen und Begehren aus dem generischen Begriff der Vorstellung ab, für die Reinhold bislang keine befriedigende Lösung anzubieten hatte. In den „Grundlinien“ greift er auf metaphysische Begriffe zurück, die er nicht mit inneren Eigenschaften der Vorstellung in Verbindung bringt, so dass es sich nicht um eine Ableitung im vorstellungstheoretischen Sinne handeln kann. In Beytrge I verzichtet Reinhold auf metaphysische Begriffe und legt eine Unterscheidung von Erkennen und Begehren nahe, die auf einer Differenz im Bezug auf Objekt bzw. Subjekt beruht. Er gibt jedoch nicht an, wie sich das generische Subjekt-Objekt-Verhältnis derart spezifizieren lässt, dass daraus der Unterschied von Erkennen und Begehren resultiert. In der Rezension wird in dieser Hinsicht ein Fortschritt erzielt und eine echte Lösung des Differenzierungsproblems zumindest angedeutet. Aus der oben zitierten Stelle geht bereits hervor, dass Erkennen und Begehren nach wie vor die Gegenbegriffe sind, welche aus dem Begriff der Vorstellung überhaupt auf Grundlage des Subjekt-Objekt-Schemas abgeleitet werden. Die entscheidenden Neuerungen folgen unmittelbar darauf: Der Erkenntnißtrieb wird durch Vorstellungen, die mit den objectiven Bedingungen übereinstimmen, wahr sind, der Begehrungstrieb durch Vorstellungen, die mit den subjectiven Bedingungen übereinstimmen, angenehm sind, befriedigt, und beide durch das Gegentheil beschränkt.75

Neu sind zwei Dinge: (1) Sowohl das Begehren wie auch das Erkennen werden als Triebe begriffen. Dies war im Versuch nicht der Fall, wo nur das 75 ALZ vom 3. April 1792, Nr. 87, Bd. 2, 1792, Sp. 11; vgl. Briefe II, S. 233, RGS 2/2.167, wo Reinhold im Zusammenhang mit der „Uebereinstimmung zwischen dem vorstellenden Subjekte und dem vorgestellten Objekte“ auch „die Prädikate Angenehm, oder Schçn, oder Sittlichgut“ anführt.

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Begehren als Trieb galt. Diese Änderung nimmt Reinhold als Reaktion auf eine Kritik Schmids vor. Dieser […] tadelt sehr gründlich das Verfahren derjenigen, welche jeden Trieb zum Begehrungsvermögen zählen. Dieses hat sich auch Hr. Reinhold in seiner Theorie zu schulden kommen lassen, in dem er zwar, wie Hr. S., den Trieb als das Verhältniß der Kraft zum Vermögen definirt, allein gleich darauf das Bestimmtwerden durch den Trieb zum Hervorbringen einer Vorstellung das Begehren nennet.76

Reinhold anerkennt diese Korrektur, greift damit aber auch die Herleitung aus den metaphysischen Begriffen des Vorstellungsvermögens und der vorstellenden Kraft wieder auf. Dies war das Vorgehen in den „Grundlinien“, mit dem Unterschied, dass der Trieb als Verhältnis der Kraft zum Vermögen jetzt zum generischen Grund der Vorstellung erhoben wird, so dass jede Vorstellung und Vorstellungsart auf einen Trieb zurückzuführen ist. Folgerichtig ist deshalb nun auch von einem „Erkenntnißtrieb“ die Rede. Als unterscheidendes Merkmal des Begehrens taugt die Abhängigkeit von einem Trieb so natürlich nicht mehr. (2) Dafür kann Reinhold ein Prinzip der Differenz von Erkennen und Begehren anführen, das einerseits auf einer spezifischen Differenz in der generischen Triebabhängigkeit von Erkennen bzw. Begehren beruht und das andererseits deshalb wirksam ist, weil sich diese spezifische Differenz in einer inneren Differenz der Vorstellungsarten manifestiert, in einer Differenz im Subjekt- bzw. Objektverhältnis der Vorstellung. Es handelt sich bei diesem Prinzip um die bereinstimmung mit den subjektiven bzw. objektiven Bedingungen der Vorstellung. Die Vorstellung steht als solche sowohl unter subjektiven wie objektiven Bedingungen, d. h., sie muss Bedingungen erfüllen, unter denen einerseits das Verhältnis zum vorgestellten Objekt, andererseits zum vorstellenden Subjekt konstituiert wird. Es sind dies innere Bedingungen der Vorstellung, zu denen nicht nur die Bezugsbedingungen zählen, sondern auch die davon abhängigen Bedingungen der Übereinstimmung der Vorstellung mit Vorgestelltem bzw. Vorstellendem. Im Fall der Übereinstimmung mit objektiven Bedingungen sind es Wahrheitsbedingungen, im Fall der Übereinstimmung mit subjektiven Bedingungen die Bedingungen des Angenehmseins. Beides kann mit dem Begriff der Erfllungsbedingungen erfasst werden, der in der modernen Philosophie mit der Intentionalität psychischer Zustände in Verbindung gebracht wird. Erfüllungsbedingungen sind interne oder intrinsische Eigenschaften intentionaler Zustände und werden 76 ALZ vom 2. April 1792, Nr. 86, Bd. 2, 1792, Sp. 7; vgl. Schmid 1791, S. 218 ff.

Die Theorie des Begehrungsvermögens– zu einer Lücke in Reinholds System 247

durch deren Gehalt sowie deren Ausrichtung festgelegt.77 Auf Reinholds Modell übertragen heißt das: Während Erkenntnis dann erfüllt (wahr) ist, wenn der vorgestellte objektive Sachverhalt gegeben ist, ist ein Begehren dann erfüllt, wenn der vorgestellte subjektive Zustand eintritt. Erkenntnis ist auf Wahrheit gerichtet, Begehren auf Angenehmsein. Da es innere Merkmale der Vorstellung sind, welche festlegen, wodurch eine Vorstellung erfüllt wird und ob sie durch Übereinstimmung mit objektiven Bedingungen des Wahrseins oder mit subjektiven Bedingungen des Angenehmseins erfüllt werden, gibt es eine innere Differenz zwischen den Vorstellungsarten des Erkennens und des Begehrens. Diese innere Differenz kann ihrerseits mit einer Differenz in der Ausrichtung des generischen Vorstellungstriebes in ursächliche Verbindung gebracht werden. Es ist der spezifische Trieb, der einer Vorstellung eine bestimmte intentionale Ausrichtung gibt, welche festlegt, ob eine Vorstellung auf Wahrheit gerichtet ist oder auf Angenehmsein. Auf diese Weise gelingt es, die metaphysische Definition des Begehrens durch den Trieb als Verhältnis von Vorstellungsvermögen und vorstellender Kraft an innere Merkmale der entsprechenden Vorstellungen anzubinden und dadurch eine vorstellungstheoretische innere Differenz zwischen Erkennen und Begehren zu begründen, die Differenz zwischen Wahrheitsbedingungen und Bedingungen des Angenehmseins. Reinhold kommt auf diesem Weg zu einer durchaus vertretbaren Lösung des ursprünglichen Problems der Ausdifferenzierung des Begriffs des Begehrens aus dem Begriff der Vorstellung sowie der Integration der Theorie des Begehrungsvermögens in die Theorie des Vorstellungsvermögens. Damit einher geht eine bedeutende innovative Leistung: Begehren und Erkennen werden im Sinne intentionaler Einstellungen aufgefasst. Der Begriff von Erfüllungsbedingungen, die als solche intentionale Einstellungen kennzeichnen, mag von mir ad hoc eingeführt worden sein, wird aber der Sache nach durch Reinholds Konzeption nahe gelegt, denn zum einen hängt die innere Differenz von Erkennen und Begehren, die Übereinstimmung mit objektiven bzw. subjektiven Bedingungen, von der spezifischen Ausrichtung des generischen Vorstellungstriebs ab. Zum anderen ist es völlig natürlich, von der Befriedigung eines Triebes zu sprechen, wie Reinhold selbst, gerade in seiner Definition des Willens. Die Bedingungen der Befriedigung des Erkenntnistriebs bzw. des Begehrens sind aber nichts anderes als die Wahrheit bzw. 77 Vgl. etwa Searle 1983, S. 10 – 13.

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das Angenehmsein der entsprechenden Vorstellungen oder eben: ihre Erfüllungsbedingungen. Die in der Rezension angedeutete Lösung verlangte zwei Schritte: erstens die Einsicht in die generische Triebabhängigkeit der Vorstellung, welche eine Definition von Erkennen und Begehren aufgrund ihrer spezifischen Triebabhängigkeit ermöglicht, eine Einsicht, die Reinhold Schmid verdankt. Zweitens die Identifikation der Übereinstimmung der Vorstellung mit subjektiven bzw. objektiven Bedingungen als innere Differenz der Vorstellungen des Erkennens und Begehrens, welche mit der spezifischen Triebabhängigkeit der Vorstellungen in Verbindung gebracht werden kann. Auch für den Rekurs auf die Übereinstimmung mit subjektiven bzw. objektiven Bedingungen findet sich eine Quelle. Im sechsten Beitrag von Beytrge II, der bekanntlich nichts anderes ist als der erste Teil von Reinholds Rezension der Kritik der Urteilskraft, heißt es in terminologisch abweichender, aber sachlich übereinstimmender Weise: Unter Vergnügen wird das Gefhl des befçrderten Lebens überhaupt, unter Beifall der Überzeugung, Bewußtsein der bereinstimmung eines vorgestellten Prädikats mit dem vorgestellten Objekte; unter Wohlgefallen aber, wird Bewußtsein der bereinstimmung eines vorgestellten Prädikats mit dem vorstellenden Subjekte verstanden.78

Die Rezension erschien zwar erst 1793, es ist ihr aber eine längere Beschäftigung mit Kants dritter Kritik, die bereits 1790 publiziert wurde, vorausgegangen, so dass nichts dagegen spricht, dass Reinhold durch die Kritik der Urteilskraft nicht nur zu einer neuen Konzeption philosophischer Fundierung79, sondern auch zum zweiten Schritt der Lösung des Problems der Ausdifferenzierung des Begehrens gelangte. Die zitierte Stelle steht im Kontext der Besprechung von §§ 1 – 5 der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft“, wo man allerdings vergeblich nach einer genauen Entsprechung sucht. Tatsächlich findet man aber bereits zuvor bei Reinhold selbst, in seinem Aufsatz „Ueber die Natur des Vergnügens“ von 1788/89, die Auffassung, dass sich das Vergnügen zum Begehrungsvermögen so verhalte wie die Wahrheit zum Erkenntnisvermögen.80 Es kann vermutet werden, dass Reinhold, angeregt durch Kants 78 Beytrge II, S. 372. 79 Vgl. Bondeli 1994, S. 368 – 371. 80 Vgl. TM, Januar 1789, Bd. I, S. 47. Ein Zusammenhang mit dem Begriff der Übereinstimmung wird hier noch nicht hergestellt. Im Kontext von Briefe II, S. 233, RGS 2/2.167, weist Bondeli auf einen möglichen Einfluss Maimons auf die Ausprägung dieses Begriffes hin; vgl. RGS 2/2.369 f. Anm. 203.

Die Theorie des Begehrungsvermögens– zu einer Lücke in Reinholds System 249

Ästhetik und die systematisch integrative Ausrichtung der dritten Kritik, den systematischen Nutzen einer bereits in den eigenen früheren Arbeiten zur Ästhetik vorhandenen Konzeption erkannte. Auf diesem Weg fand er den Schlüssel zu einer tauglichen und innovativen Lösung seines alten Problems der vorstellungstheoretischen Integration der Theorie des Begehrungsvermögens und der Ausdifferenzierung des Begriffs des Begehrens, so dass er mit Recht behaupten konnte, endlich Klarheit über den Begriff des Begehrens gewonnen zu haben und die Theorie des Begehrungsvermögens ausführen zu können. Leider ist es dazu dann nicht gekommen, so dass die Lücke im System offen geblieben ist.81

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81 Mein Dank geht an Martin Bondeli, die Teilnehmer der Tagung in Siegen und Sarah-Jane Conrad. Die Arbeit wurde unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Projekt 100011 – 122233/1 und 100011 – 124591/1).

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Free will as a mediation between reason and sensibility On interpreting the second volume of Reinhold’s Briefe ber die Kantische Philosophie

Karianne J. Marx Abstract: This paper argues that the second volume of Reinhold’s Briefe ber die Kantische Philosophie (1792) should be interpreted with his pre-Kantian work and earliest Kant-reception in mind. Although the volume was composed and written during the process of formulating and re-formulating the Elementarphilosophie, the problems Reinhold tries to solve in this volume originated from his pre-Kantian Enlightenment framework, rather than from the intricacies of Elementarphilosophie. In our efforts to understand the complexities of Reinhold’s practical philosophy as expressed in Briefe II, we should therefore explicitly include Reinhold’s earlier work.

1. Introduction The contents of Reinhold’s practical philosophy, mainly expressed in the second volume of his Briefe ber die Kantische Philosophie (Briefe II) and the second volume of his Beytrge zur Berichtigung bisheriger Mißverstndnisse der Philosophen (1794), presents scholars with many questions. How should we understand Reinhold’s conception of the freedom of the will, how did it change preceding the publication of Briefe II? How does this conception relate to other interpretations and reworkings of Kant’s practical philosophy, most notably those of Schmid and Rehberg? And how does it relate to Kant’s practical philosophy itself ? Over the past decade, several studies have addressed these and related questions regarding Reinhold’s practical philosophy.1 The present paper is to be understood as an indirect contribution towards solving such questions. It aims to clarify the context in which Briefe II is to be interpreted. This is highly relevant because it is a strange 1

Cf. for instance, Fabianelli 2000, di Giovanni 2001, Gerten 2003, Lazzari 2003 and 2004, Goubet 2004 and Piché 2004.

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work in Reinhold’s oeuvre. Properly understanding the context it was written in and the concerns of the author is crucial for determining its overall aim, and interpreting the claims made in it. The title, Briefe ber die Kantische Philosophie, Zweyter Band, connects it to the first volume, which had appeared two years earlier.2 This first volume, however, was an expanded and reworked version of the series of articles that had appeared under the same title in Der Teutsche Merkur in 1786 – 1787. These articles mark Reinhold’s highly successful first public reception of the Kantian philosophy. With this title, Reinhold suggests a continuity between his early successes and the present volume. However, given Reinhold’s philosophical development in the meantime, this continuity is far from self-evident. Its publication after the first volume of the Beytrge zur Berichtigung bisheriger Mißverstndnisse der Philosophen (1790) and Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erluterungen ber die Theorie des Vorstellungsvermçgens (1791) places it firmly in the context of Reinhold’s Elementarphilosophie. Given that both these previous works claim that the Elementarphilosophie has a practical part, but do not deliver it, Briefe II can easily be seen as providing the practical part of Reinhold’s Elementarphilosophie. However, I believe that such an approach would ignore important links to Reinhold’s early Kant reception and even pre-Kantian thought. Interpreting Briefe II in light of the earlier Enlightenment context of Reinhold’s work will enable us to understand from another perspective why Reinhold came to understand the freedom of the will in the way he did. This is of course not to say that this was purely due to his personal philosophical development, with which the discussions with contemporaries had little or nothing to do. It does help us understand, however, why Reinhold, given the context of the debate of the early 1790 s chose both his solution and his manner of defending it. This abstract description can be made concrete by focusing on the role of the free will as a mediator between our receptive and spontaneous capacities. In his introduction to the new edition of Briefe II, Martin Bondeli has already pointed out the mediating role of the will and compared it to the role of ‘Vorstellung’ in the Versuch. 3 In the present paper I will aim to explain and substantiate that claim, and compare it to the role of ‘practical reason’ in the first Briefe ber die Kantische Philosophie, as they appeared in Der Teutsche Merkur in 1786 – 1787. 2 3

Reinhold, Briefe I (1790). RGS 2/2.LXX-LXXI.

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My argument will consist of several steps. In the first section of the paper I will argue, on the basis of the introduction and the first ‘Brief’, that the project of Briefe II is to be understood as a continuation of both Briefe I and the Versuch. In the second section I will focus on the most relevant features of Reinhold’s conception of the will as put forward in Briefe II. I will forgo the analysis of how Reinhold finally arrived at that conception, since that has already been provided in detail elsewhere.4 Finally, in the third section I will show that Reinhold’s description of the free will in Briefe II has important structural parallels with mediating concepts he had used earlier. It will also be shown that this preoccupation with the need for mediating concepts is strongly related to his pre-Kantian Enlightenment outlook.

2. The project of Briefe II In the Preface of the second volume of his Briefe ber die Kantische Philosophie, Reinhold presents the second volume of Briefe as an attempt to assist a friend in studying Kant’s second Critique. He clearly thinks of its contents as a unified collection, although many ‘Briefe’ contained in it are actually adaptations from separately published articles in Der neue Teutsche Merkur. 5 Based on the table of contents and Reinhold’s presentation of the individual articles in the Preface we can say that Briefe II is divided into five main parts.6 The first article introduces the subject of the work in a rather wide sense. It presents a conflict in current philosophy regarding the status of metaphysics vis-à-vis applied philosophy. The second main part, consisting of the second, third, fourth and fifth articles, introduces more specific problems, namely the lack of accepted principles in the fields of natural and positive right. It further prepares for the solution of these problems by means of the Kantian philosophy. The explication of this solution follows in the sixth article 4 5 6

Lazzari 2004. Some of these have only been changed stylistically, others have undergone strong revision. Cf. RGS 2/2.XIII-XIV. This edition notes all relevant changes between the original articles and the texts as they are found in Briefe II. My understanding of the structure of this work differs from that of Bondeli, who appears to interpret both volumes of Briefe as collections of more or less separate essays dealing with more or less separate fields of application of the Kantian philosophy, rather than presenting a line of argument throughout. Cf. introductions to RGS 2/1 and RGS 2/2.

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and is further developed in the seventh and eighth, which together form the third main part of Briefe II, which aims at a proper determination of the concept of the will. Reinhold fourthly turns to the consequences of the newly determined concept of the will in the ninth, tenth and eleventh articles. Finally, the twelfth article concludes the collection by presenting a dialogue on the likelihood of the reform in philosophy actually coming about. From the above account of the structure of the second volume of Briefe it is clear that there are certain similarities to the first volume. This volume also starts with an overview of the relevance of current philosophical disagreements in a wider cultural context. The problems are then discussed in more detail and a solution inspired by Kantian philosophy is proposed. Finally this is placed in a wider historical framework. The first volume, however, responded to the philosophical problems introduced at the beginning by referring the reader to Kant’s first Critique, which supposedly solved all of them. This strategy is no longer available to Reinhold in the second volume of Briefe. As the title of the first article, ‘Ueber einige Vorurtheile gegen die Kantische Philosophie’,7 indicates, the Kantian philosophy itself has become part of the problem in a way that precludes a simple ‘Read Kant!’ as an advice to the reader. Notwithstanding this changed status of the Kantian philosophy, the structure of the first article in Briefe II is remarkably similar to that of the very first two ‘Briefe’ in the Merkur of August 1786. Reinhold starts by recounting the pessimistic outlook of his correspondent on the current philosophical landscape in order to reinterpret the phenomena in more positive terms. His starting point is a complaint made in Neues Deutsches Museum that Germany suffers from “metaphysischenl influenza.”8 The metaphor of an illness is of great use to Reinhold, who reinterprets the symptoms of the disease as the crisis announcing the recovery from a previous ailment.9 His reply starts by pointing out that, if there is indeed a ‘metaphysical influenza’ it is not of epidemic proportions since the number of Kantianizing writings is still relatively small.10 7 This first ‘Brief’ is a revised version of Reinhold, Ehrenrettung. 8 Briefe II, p. 6, RGS 2/2.12 – 13 Reinhold refers to the following: Marcard, “Ist die Deutsche Nation die erste Nation des Erdbodens?” (1790) p. 1030. Reinhold cites this source both in the NTM-article and in the second volume of Briefe, but uses the term in a way that is independent of the article by Marcard. 9 Cf. Briefe II, p. 7, RGS 2/2.13. 10 Cf. Briefe II, p. 15, RGS 2/2.18.

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As for the remark that ‘experience’ is neglected in the current philosophical debates, Reinhold claims that the parties involved misunderstand Kant’s views on experience, because Kant has first given the proper determination of the boundaries of experience.11 Those who are used to working with their own indeterminate concepts of experience naturally misunderstand Kant’s efforts. This way of reinterpreting the controversy to the advantage of the new, critical philosophy is reminiscent of the Preface to the Versuch, which also discusses the ‘current fate’ of the Kantian philosophy. The controversy surrounding the new philosophy is presented as helping to uncover the weaknesses of the old systems, which will in the end collapse and give way to the only possible system to be built upon determinate fundamental concepts.12 The only cure for the ‘metaphysical influenza’, that is, the ongoing debates concerning the principles of philosophy, is, therefore, the establishment of pure and scientific principles.13 Although Reinhold abstains from explicitly claiming that either the Kantian philosophy or his own Elementarphilosophie has firmly established these principles it is certainly implied that the Kantianizing philosophy deemed responsible for the metaphysical influenza, in fact contains the only possible cure. In its presentation of a current chaos in philosophy, which has to be solved by a proper understanding of its presuppositions and principles, this first article is related to the introductory articles of the first series of ‘Briefe’.14 In dealing with the misunderstanding of the Kantian philosophy and attacking the Popularphilosophen, it is also akin to the Preface and the First Book of the Versuch. 15 Another resemblance to the Preface of the Versuch is found when Reinhold first introduces his plan to present the inner premises of mor-

Cf. Briefe II, pp. 15 – 16, RGS 2/2.18 – 19. Cf. Briefe II, p. 21, RGS 2/2.21. Cf. Briefe II, p. 37, RGS 2/2.30 – 31. Reinhold, “Briefe über die Kantische Philosophie. Erster Brief. Bedürfniß einer Kritik der Vernunft” (1786) and Reinhold, “Zweyter Brief. Das Resultat der Kantischen Philosophie, über die Frage vom Daseyn Gottes” (1786); the first four ‘Briefe’ of Briefe I, RGS 2/1.11 – 96. 15 For Reinhold’s rejection of Popularphilosophie in the Versuch, cf. Versuch, pp. 23 – 24, 122 – 123, 133 – 140. The Preface of the Versuch (pp. 1 – 68) argues that it is well possible that the Kantian philosophy was universally misunderstood, but in fact contains the solution to the disagreement among philosophers regarding the boundaries of cognition.

11 12 13 14

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ality by means of proper characteristics of the will. Here Reinhold remarks the following Zu Folge des analytischen Ganges, an welchen die philosophierende Vernunft bey der fortschreitenden Entwickelung der Grundvermögen des Gemüthes gebunden ist, konnten jene Merkmale nur erst nach dem vorläufig bestimmten Begriffe von dem eigenthümlichen Gesetze des Willens, welcher durch Kant zuerst aufgestellt worden ist, gefunden werden. Sie sind in der Kritik der praktischen Vernunft sowohl als in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zwar nicht unrichtig, aber völlig unentwickelt vorausgesetzt, und die Aufstellung ihrer bestimmten Begriffe ist durch diese Werke zwar erst möglich, aber eben so wenig leicht als entbehrlich gemacht worden.16

The characteristics of the will can only be determined after a provisional concept of the law of the will has been established. Reinhold secures his own place in the history of philosophy by claiming that the course of development of the human mind makes it necessary that Kant’s work is a conditio sine qua non but nevertheless only a condition. A similar way of arguing is found in the Preface to the Versuch, where Reinhold also referred to the “analytical way of proceeding” of the human mind as responsible for the circumstance that “proper premises of a science are only found after that science itself”.17 The concept of ‘representation’ was presupposed rather than determined when Kant set out to determine the concept of ‘cognition’. According to Reinhold this inevitable circumstance explains why Kant’s first Critique had been widely misunderstood. The argument in the Preface of Briefe II amounts to the same, although Reinhold appears to be more confident in claiming that Kant only provided the preparation for the final stage of philosophy, which consists in making Kant’s premises explicit. It is clear that Reinhold’s aim in Briefe II is closely related to the aim of the Versuch. He intends to bring philosophy a step closer to its final, scientific form by making the premises of the Kantian philosophy explicit. In the Versuch this was done with regard to the first Critique, or the theoretical philosophy of Kant. Three years later, in the second volume of the Briefe, he is ready to do the same for Kant’s practical philosophy or the second Critique. Both the Versuch and Briefe II are related to the project of the first set of ‘Briefe’ in Der Teutsche Merkur in that all of these projects aim at solving current philosophical conflicts by finding a 16 Briefe II, p. VII, RSG 2/2.4. 17 Versuch, p. 67.

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common starting point. The main difference between the ‘Merkurbriefe’ on the one hand and the Versuch and Briefe II on the other is, as we have seen, that the first project presents the Kantian philosophy as the solution to current debates in philosophy, whereas the latter two start from the debates surrounding the critical philosophy itself. The second volume of Briefe in turn differs from the earlier two projects in that it explicitly relates to the premises of Kant’s practical philosophy. Although Reinhold speaks of philosophy in a final scientific form as the solution to current philosophical misunderstandings, it is not at all obvious that the second volume of the Briefe ber die Kantische Philosophie are part of the project of Elementarphilosophie. Explicitly and implicitly, Reinhold places the second volume of his Briefe ber die Kantische Philosophie in the context of not only the first volume, which is to be expected, but also in the context of his Versuch. He does not refer to his Elementarphilosophie, nor does he suggest anywhere that this is the practical Elementarphilosophie, or attempt to connect this practical philosophy to the foundations of philosophy developed in Ueber das Fundament des philosophischen Wissens.

3. Freedom of the will in Briefe II The second main part of Briefe II, consisting of the second, third, fourth and fifth articles, in which Reinhold presents the discussions regarding the status of natural and positive rights and prepares for the solution of this problem by Kantianizing philosophy. It provides the actual scholarly context for his theory of the freedom of the will. This context is not so relevant for the present paper, which focuses on the similarities between Reinhold’s solution to actual problems in Briefe II on the one hand and Briefe I and the Versuch on the other hand. It is in the sixth, seventh and eighth ‘Briefe’ that Reinhold develops this solution and explains his conception of the freedom of the will. While the sixth ‘Brief’ is an adaptation from an article that had been published earlier in Der neue Teutsche Merkur,18 both the seventh and eighth were composed especially for inclusion in the second volume of Briefe ber die Kantische Philosophie. Point of departure of the sixth ‘Brief’ is the need of philosophical reason to come to universally accepted (allgemeingeltend) fundamental concepts and principles regarding natural right. These should facilitate 18 Reinhold, Grundbegriffe der Moral und des Naturrechts (1792).

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an agreement between moral and positive jurisdiction, which will in turn be beneficial for mankind.19 A further premise is that Kant has made considerable progress towards such fundamental concepts and premises.20 According to Reinhold, it is important to remember, however, that the concepts developed in Kant’s second Critique are by no means fully developed concepts. Kant provides “expositions” rather than “definitions” and neglects the ‘mediating concepts’ (Mittelbegriffe), through which the second Critique is to be connected to a system of morality and natural right.21 Keeping the need for developing those mediating concepts in mind, Reinhold suggest that he has been successful in the quest for thoroughly determined fundamental concepts.22 He prides himself for having built his account on nothing but the “ursprünglichen und allgemeinen Vermögen des menschlichen Gemüthes, in wie ferne sich dieselben durch Thatsachen des Bewußtseyns ankündigen”.23 The remainder of the sixth ‘Brief’ consists of forty-two numbered articles that form the basis of Reinhold practical philosophy. Most of these claims relate to issues of natural and positive right, rights and duties and need not concern us here. They are based, however, on a series of definitions concerning the nature of the will. In the fourth article, Reinhold defines the will as follows: Wille heißt das Vermögen der Person, sich selbst zur wirklichen Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des eigennützigen Triebes zu bestimmen.24

A person may either satisfy a demand of the selfish drive or she may refrain from doing so. The capacity to determine oneself either way is what Reinhold calls the will. The selfish drive mentioned in the definition is the drive for pleasure, which is opposed to an unselfish drive, which is described as practical reason “in wie ferne sie als ein Trieb gedacht werden muß, dessen Forderung ein Gesetz ist, dem alle freywilligen Befriedigungen des eigenntzigen Triebes unterworfen sind”.25 So, we are dealing here with two drives, one that is directed at pleasure, while the other presents a law for the voluntary satisfaction of the demands of the 19 20 21 22 23 24 25

Cf. Briefe II, p. 174, RGS 2/2.129. Cf. Briefe II, pp. 174 – 175, RGS 2/2.129. Briefe II, p. 179, RGS 2/2.132. Cf. Briefe II, pp. 179 – 180, RGS 2/2.132 – 133. Briefe II, p. 180, RGS 2/2.133. Briefe II, p. 183, RGS 2/2.135. Briefe II, p. 183, RGS 2/2.135.

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first. This means that these drives are by no means equal, pulling us in opposite directions. The unselfish drive is in itself not a demand to do this or that (as the selfish drive is), but rather a demand that we, in deciding whether to comply with the demands of the selfish drive, give priority to the moral law. This capacity of a person to, given those demands, decide whether or not to satisfy a particular demand of the selfish drive, is the will. From this Reinhold’s definition of the freedom of the will follows almost naturally. Das Vermögen der Person, sich selbst in Rücksicht auf die Befriedigungen oder Nichtbefriedigungen des eigennützigen Triebes der Forderung des uneigennützigen entweder gemß, oder derselben zuwider zu bestimmen, ist die natrliche Freyheit des Willens. 26

For a more detailed explanation of the freedom of the will Reinhold refers to his eighth ‘Brief’, fittingly entitled ‘Erörterung des Begriffes von der Freyheit des Willens’. In it, Reinhold demarcates his position on the freedom of the will from that of other philosophers, especially Schmid, who clearly differed in his interpretation of Kant’s conception of the freedom of the will. For our purposes, however, looking at the seventh ‘Brief’ will be more fruitful, for it discusses the distinction between the selfish and the unselfish drive, and between both drives and the will. It is therefore immediately relevant for our purpose of looking at the role of the will as a mediator between our sensible and rational capacities. The starting point of the seventh ‘Brief’ is that philosophical currents up to that point had not properly distinguished between those three capacities of the human mind, selfish drive, unselfish drive and will. Their differences of opinion on issues relating to those capacities spring forth from a misunderstanding that is common to all parties in the conflict.27 Beyde über den uneigennützigen Trieb streitende Partheyen waren […] bisher darüber einig, daß Lust und Unlust die Triebfeder nicht nur des unwillkhrlichen Begehrens, sondern auch des willkhrlichen, oder des Wollens seyen oder seyn mßten. 28

Based upon this supposition, the philosophers are divided over the question whether the pleasure found in moral action is selfish or unselfish. 26 Briefe II, p. 185, RGS 2,2.137. 27 Cf. Briefe II, pp. 221 – 222, RGS 2/2.161. 28 Briefe II, p. 223, RSG 2/2.162.

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After an historical overview of different conceptions of moral pleasure, Reinhold concludes that the only moral pleasure that is properly called unselfish can only be a result of moral action, not a ground, not a Triebfeder, motivating us to act morally. This new understanding of unselfishness derives from Kant. In order to secure the Kantian conception, Reinhold needs to address the subject of the will, since the current conception of the will supports the previous, inadequate understanding of unselfishness.29 Willing has usually been understood as a species of desire, more specifically, as “durch Vernunft geleitete[r] Trieb nach Vergngen”.30 Although it is clear that the drive for pleasure plays a role in willing, it is for Reinhold also clear through a ‘fact of consciousness’ that something else is involved, that is specific for willing, namely an action called ‘decision’ (Entschluss). He describes this action in the following manner: Wir sind uns dieses Entschlusses, als der eigenthümlichen Handlung unsres Ichs (der Person in uns) bewußt, und insbesondere als derjenigen Handlung durch welche wir zwar die Forderung des Begehrens weder aufstellen noch aufheben, aber doch die Befriedigung derselben gestatten oder versagen können.31

From this it is clear in which manner willing is different from desiring. It is not in the involvement of reason, but in the making of a decision, whether do satisfy the demands of desire or not, that willing distinguishes itself from those demands. Since willing is thus not a species of desiring, we may not, from the circumstance that all desire is directed at pleasure, conclude that willing is directed at pleasure as well. Regarding the other element of the traditional definition, the involvement of reason in willing, Reinhold remarks the following: Es ist allerdings Thatsache des Bewußtseyns, daß die Person beym Wollen durch Vernunft handele; aber nicht weniger, daß sie beym Wollen den Aussprüchen der Vernunft entgegen handeln, die Vernunft mißbrauchen könne.32

Clearly, reason is involved in willing; it provides judgments that are not necessarily heeded when a decision is made in the will. When the will is understood as a capacity that enables us to go against reason, it no longer makes sense to define is as ‘rational desire’, as in the traditional defini29 30 31 32

Cf. Briefe II, p. 243, RGS 2/2.172. Briefe II, p. 244, RGS 2/2.173. Briefe II, p. 245, RGS 2/2.173. Briefe II, p. 248, RGS 2/2.175.

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tion. The traditional definition therefore fails not only because willing is not a species of desiring, but also because it cannot be appropriately called rational, if it is a capacity that can either heed or disregard the verdicts of reason. If the will, then, is not characterized by acting according to reason, what is the role of reason in willing? Reinhold looks at reason as a capacity of a person, “durch welches die Person den übrigen Vermögen des Gemüthes Vorschriften giebt”.33 Therefore, the role of reason in willing, can only consist in providing a prescription. With regard to what happens in willing Reinhold distinguishes between different kinds of prescriptions or laws. All of these prescriptions involve reason in some way. First, not all demands of the selfish drive follow directly from instinct, some are modified by reason. Thus, the selfish drive employs reason to modify its demands, which results in prescriptions called natural laws of involuntary desire, which themselves are still sanctioned by pleasure and pain.34 Secondly, there is a prescription given by practical reason alone, which is only sanctioned by reason itself. This is the demand made by the unselfish drive, in the form of a law, “welches alle willkührlichen Befriedigungen und Nichtbefriedigungen des eigennützigen Triebes der Gesetzmäßigkeit unterzuordnen befiehlt”.35 The third kind of prescription Reinhold identifies is the ‘maxim of the will’: the prescription that follows from the decision of the will to satisfy or not satisfy a particular demand of the selfish drive. This prescription can only be understood as an action of voluntary use of reason, determined by the person. Hence the will is called “das Vermögen der Maximen”.36 About the maxims themselves, Reinhold makes the following important remark: In wie ferne die Maximen willkührliche Vorschriften sind, in so ferne haben sie ihren Grund weder im uneigennützigen noch im eigennützigen Triebe, weder in der Vernunft noch in der Sinnlichkeit, weder im Gesetze noch im Vergnügen, sondern in der Freyheit, die den eigenthümlichen Charakter der Maxime und des Willens ausmacht.37

It is important to Reinhold that the will, in deciding and prescribing maxims, is independent from both the selfish and the unselfish drive. 33 34 35 36 37

Briefe II, p. 251, RGS 2/2.176. Cf. Briefe II, p. 252, RGS 2/2.177. Briefe II, p. 252, RGS 2/2.177 Briefe II, p. 253, RGS 2/2.178. Briefe II, pp. 253 – 254, RGS 2/2.178.

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That is why the maxims of the will are only grounded in the will itself, and not in either of the drives. How, then, are we to understand the relation of the will to these drives that make demands, but do not ground the decision that is eventually taken with regard to these demands? Reinhold describes the demands of both the selfish and the unselfish drives as ‘Triebfeder des Willens’, that is, incentives of the will. Although this suggests that this means that they put the will into action, the picture is more complicated than that. Die Forderung des eigennützigen Triebes sowohl als die des uneigennützigen können nur durch willkührliche Vorschriften, nur durch Maximen zu Triebfedern des Willens werden; sie sind nur in so ferne als Bestimmungsgründe der Befriedigung oder Nichtbefriedigung des eigennützigen Triebes beym Wollen denkbar, als sie von der Person in ihre Maxime aufgenommen werden. Der Wille bestimmt sich seine Triebfeder selbst.38

The incentives turn out to be incentives for carrying out the verdict, the decision made by the will. The will is faced with two competing demands, and decide to incorporate one into a maxim for action, thereby elevating this demand to the status of an incentive, a motive for action. Thus, in contrast to the demands of both drives, which are given to a person, the maxim, which incorporates either of those demands is given by the person herself. At the end of the eighth ‘Brief’ Reinhold explains the situation of the will, both drives, and maxims in the following manner. Die Forderungen des eigennützigen sowohl als des uneigennützigen Triebes müssen freylich bey jedem Wollen vorhanden seyn, und sind schon darum, weil ohne sie kein Wollen denkbar ist, Grnde, und weil die Gegenstnde des Wollens durch sie bestimmt werden, objektive Gründe des Willens. Allein sie sind an und für sich nur veranlassende, und nicht durch sich selbst bestimmende Gründe desselben. Der Wille hat nur einen einzigen durch sich selbst bestimmenden Grund, und dieser ist die Freyheit, das Vermögen der Selbstbestimmung, durch welches einer von den beyden veranlassenden zum bestimmenden gemacht wird.39

Thus, Reinhold’s understanding of the will and its freedom is based on a complex picture of relations between two drives, one based on pleasure, the other on a law of pure reason, and the capacity to freely decide between them and transform the demands of those drives into incentives for action by incorporating them into a maxim. 38 Briefe II, p. 255, RGS 2/2.179. 39 Briefe II, pp. 259 – 260, RGS 2/2.181.

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4. The will in comparison to Reinhold’s earlier mediating concepts In order to make plausible that it makes sense to interpret Reinhold’s Briefe II in the context of his pre-Kantian Enlightenment preoccupations, this section will identify the effort to provide a mediation between our receptive and our spontaneous capacities as central to his works on Enlightenment and then trace this theme through his involvement with the Kantian philosophy right up to Briefe II. From his earliest extant writings on, it is clear that Reinhold is an advocate of Enlightenment, which, in line with his upbringing in Vienna, he sees as rational social reform at the expense of outdated, irrational religious practices. However, it is also clear to him from the beginning that the action that is needed will not come about through reason alone. Actual, real people have to take action, which means they must be motivated to do so. Having great ideas does not suffice for acting in a great manner. Thus, he insists that, in order to achieve Enlightenment in society, head and heart, or reason and sensibility must be combined. In an early review Reinhold states that even the wise and enlightened man needs sensibility in order to have something to apply his lofty speculations to.40 A stoic saint will not do the world any good, he needs to be motivated as well. However, it is not only in persons that bridges between sensibility and abstract reasoning are needed, the scheme likewise applies to society as a whole. Philosophers can be regarded as the rational part of society, while the common people for the most part rely on their senses. In order to bring change things in society for the better, the abstract ideas of the philosophers need to be connected to the world of everyday life. In order to conquer superstition, the more rational religion of the philosophers must come down from the ivory tower and connect to the people who have not had a sophisticated education, for they are the ones that need to be enlightened the most. Luckily, philosophers are human beings as well, so they can come up with a sensible dress for their ideas, that will help the common people understand them. Reinhold gives an example of how presenting God as a wise father will help people understand that God’s justice is not to be feared or hated, but rather to be loved.

40 Cf. Reinhold, Herzjesuandacht, p. 139.

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Gott ist ein weiser Vater, wird der Philosoph anfangen; und der Pöbel wird es ihm sogleich einräumen; der Philosoph wird fortfahren: ein weiser Vater strafet nur aus Güte; und der Pöbel wird ihm mit dem Schlusse zuvorkommen: Gott strafet nur aus Güte. Es wird ihm nun sehr begreiflich seyn, wenn ihm sein Lehrer die Gerechtigkeit als eine Eigenschaft Gottes vorstellt, die eben so liebenswürdig ist als die Güte selbst.41

At this Enlightenment stage of Reinhold’s philosophical development, then, he sought to mediate between abstract reasoning and the concrete world of sensation by employing concepts that are familiar to anyone and everyone in order to bring the abstractions as close to everyday life as possible. He consistently relies on the image of the family, which he views as the natural human habitat. Morality is conceptualized as the extension of the natural feelings of love and respect towards family members to larger groups of people, eventually the whole of humanity.42 Although there is a strong sense in Reinhold’s pre-Kantian works that head and heart need to be connected in order to achieve proper Enlightenment, he lacks a systematic framework in which he can consistently argue on behalf of this connection. This starts to change when Reinhold gets acquainted with the Kantian philosophy. From the ‘Briefe über die Kantische Philosophie’ that he publishes in Der Teutsche Merkur in 1786 – 1787 it is clear that he is still intent on creating a mediation between abstract reasoning and the concrete experiences of the world. Studying Kant, he has come across some terminology that is incredibly useful to him, ‘practical reason’ and ‘pure sensibility’. Both terms suggest a connection between abstraction and application in everyday life, a combination between the sensible world and the world of thought. This combination is very attractive for Reinhold, who is not at all interested in reproducing Kant’s understanding of these terms.43 Rather, he employs the terms in presenting the Kantian philosophy as a solution of the Pantheism controversy.44 He frames this this philosophical debate in terms of the problem in that he was dealing with before he had even heard of Kant, namely the disconnection of reason and sensibility. In providing a solution for the Pantheism controversy, the Kantian philosophy, or rather, Reinhold’s understanding of it as providing a connection between our ca41 42 43 44

Reinhold, Gedanken ber Aufklrung, p. 131. Cf. Reinhold, Skizze einer Theogonie, p. 230. Marx 2010, p. 151. Cf. for instance, Reinhold, “Zweyter Brief” p. 131, RGS 2/1.77 – 78.

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pacities for abstraction and sensibility, now takes the place of ‘Enlightenment’ as the way to improve society through philosophy. In the years following the enormous success of the ‘Briefe’, it became clear to Reinhold that his enthusiasm for the Kantian philosophy in this role was far from universal. In order to convince his and Kant’s opponents tried to explain in his Versuch why the new philosophy was a real step forward, yet he could not presuppose it, as its relevance was contested by his fellow philosophers.45 Upon the assumption that philosophers of all different currents would agree with him that the concept of ‘representation’ is essential to our understanding of knowledge,46 Reinhold set out to rebuild what he believed to be the essentials of Kant’s theoretical philosophy on the basis of this concept. His analysis of what he saw as the essential feature of the Kantian philosophy, namely the way in which it allows for a fundamental connection of reason and sensibility, did not significantly change from the time when he wrote the ‘Briefe’. The concept ‘representation’ is intended to build a bridge between reason and sensibility, or, in terms of the Versuch, between our receptive and spontaneous capacities, just as the ‘practical reason’ and ‘pure sensibility’ did in the ‘Merkurbriefe’. In representation the object and subject come together in something that is different from both.47 The structure of the capacity for representation, as Reinhold presents it, shows that our receptive and spontaneous capacities are intimately connected with one another, that they work together in every kind of representation and that it therefore makes no sense to oppose reason and sensibility in the traditional manner. The receptive capacity is associated with the object, providing the material of a representation, whereas the spontaneous capacity is associated with the subject imposing the form of representation on this material.48 Thus, in order to have representation at all, both our receptive and spontaneous capacities need to be involved. If we transpose this model from theoretical to practical philosophy we are already quite close to the model that Reinhold would eventually propose in Briefe II. The will in Briefe II fulfills the same kind of function 45 Because of this strategic aim to advertise the Kantian philosophy I am hesitant to consider the Versuch a part of Elementarphilosophie, since it is only secondarily concerned with an attempt to build a scientific philosophy upon one single principle. 46 Cf. Versuch, pp. 188 – 192. 47 Cf. Versuch, p. 202. 48 Cf. Versuch, pp. 236 – 237, 255 – 259.

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as ‘representation’ in the Versuch. The will is distinct from two drives, one associated with our receptivity, the other with our spontaneity. In deciding whether or not the selfish drive because of or in defiance of the unselfish drive, the will negotiates between those drives, between our spontaneous and receptive sides, as it were. Unlike ‘representation’, the will is not the result of a combination of these capacities but an act of the person whose capacities they are.49 Now the interesting thing here is that Reinhold claims that with this structure he has uncovered the foundation of the Kantian theory of the freedom of the will as expounded in the second Critique. Many fellow Kantians and even Kant himself were not convinced. Yet the circumstance that Reinhold presents his thoughts as such, shows that he saw Briefe II primarily as a continuation of the work he had done in Briefe I and the Versuch, which likewise aim for spreading the good news about the Kantian philosophy and showing why it should be accepted by everyone. The story comes full circle when we consider the circumstance that Reinhold at first, at the end of the Versuch, and in some articles written shortly after it, tries to base a theory of the will on the Kantian philosophy in a very different way. How he does this and why he fails is not of our concern at this point. The interesting thing is that in the end he returns to a description of the will that is very close to what we might call the pre-philosophical standpoint which is expressed in the first Book of the Versuch. There Reinhold introduces the concept of the freedom of the will that common sense would entertain, and that philosophy should ground. Reinhold states the following about the actor. Nicht gezwungen durch die Gesetze der Vernunft kann er, wenn er will, der Sinnlichkeit –, und nicht gezwungen durch Forderungen der Sinnlichkeit kann er, wenn er will, der Vernunft den Vorzug geben. (…) Er hat freie Wahl, entweder seinen Entschluß durch seine Vernunft selbst zu bestimmen, oder ihn durch die Objekte der Sinnlichkeit bestimmen zu lassen. 50

As in Briefe II, the notion Entschluss, decision, plays a central role in Reinhold’s understanding of the will. The freedom of the will understood in this manner is what Reinhold calls the ‘fundamental truth of morality’. He claims in the Versuch, that this freedom is a fact (Thatsache) for anyone who has not tried philosophizing about it. This fact is known to us through a form of self-consciousness (Selbstgefhl). From this it is 49 RGS 2/2.LXX-LXXI. 50 Versuch, p. 90, cited according to Onnasch 2010, p. 66.

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clear that Reinhold needs the Kantian philosophy to support this conception of freedom, while showing the weaknesses of previous philosophical attempts to conceptualize the freedom of the will. Obviously, at the time of writing the Versuch Reinhold thought that he could show this on the basis of the theory of representation. When it turned out that that would not work, he was quick to emancipate practical philosophy from that theory and focus on personhood as the seat for free action. What this clearly shows is that Reinhold conceptualizes the freedom of the will in terms of combining two opposed demands, one related to reason (our spontaneity), the other to sensibility (our receptivity). The philosophical underpinning of this conceptualization is derived from the Kantian philosophy, albeit in a somewhat different manner than Reinhold had thought at first. In a manner, moreover, that did not win Kant’s approval.51 This shows that Reinhold’s interests lay not with the Kantian philosophy in itself, but rather with what he needed the Kantian philosophy to do, namely bringing together the receptive and spontaneous sides of our capacities. This relation to the Kantian philosophy not only holds for Reinhold’s first ‘Briefe’ in Der Teutsche Merkur but also for the Versuch, and even for Briefe II, in which it finally becomes clear that Kant is not really the issue. Rather, pre-philosophical and pre-Kantian interests determine the direction of Reinhold’s philosophical works.

References Fabbianelli, Faustino (2000): “Die Theorie der Willensfreiheit in den ‘Briefen über die Kantische Philosophie’ (1790 – 1792) von Karl Leonhard Reinhold”, in: Philosophisches Jahrbuch 107/2, pp. 428 – 443. Gerten, Michael (2003): “Begehren, Vernunft und freier Wille: Systematische Stellung und Ansatz der praktischen Philosophie bei K. L. Reinhold”, in: Martin Bondeli and Wolfgang Schrader (eds.), Die Philosophie Karl Leonhard Reinholds. Amsterdam, pp. 153 – 189. Giovanni, George di (2001): “Rehberg, Reinhold und C. C. E. Schmid über Kant und die moralische Freiheit”, in: Michael Oberhausen (ed.), Vernunftkritik und Aufklrung: Studien zu Philosophie Kants und seines Jahrhunderts. Stuttgart-Bad Cannstatt, pp. 93 – 113. Goubet, Jean-François (2004): “Der Streit zwischen Reinhold und Schmid über die Moral”, in: Martin Bondeli and Alessandro Lazzari (eds.), Philos51 According to Bondeli, Kant’s criticism of Reinhold is at least partly misplaced. Cf. RGS 2/2.LI-LIII.

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ophie ohne Beynamen: System, Freiheit und Geschichte im Denken Karl Leonhard Reinholds. Basel, pp. 239 – 250. Lazzari, Alessandro (2003): “K. L. Reinholds Behandlung der Freiheitsthematik zwischen 1789 und 1792”, in: Martin Bondeli and Wolfgang Schrader (eds.), Die Philosophie Karl Leonhard Reinholds. Amsterdam, pp. 191 – 215. Lazzari, Alessandro (2004): “Das Eine, was der Menschheit Noth ist. “ Einheit und Freiheit in der Philosophie Karl Leonhard Reinholds (1789 – 1792). StuttgartBad Cannstatt. Marcard, Hinrich Matthias (1790): “Ist die Deutsche Nation die erste Nation des Erdbodens?”, in: Neues Deutsches Museum, October, pp. 1015 – 1047. Marx, Karianne (2010): “Reinhold a Kantian? Practical reason in Reinhold’s ‘Briefe über die Kantische Philosophie’ and Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens”, in: George di Giovanni (ed.), Reinhold and the Enlightenment. Dordrecht, pp. 145 – 159. Onnasch, Ernst-Otto (ed.) (2010): Karl Leonhard Reinhold. Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens, Teilband 1. Hamburg. Piché, Claude (2004): “Fichtes Auseinandersetzung mit Reinhold im Jahre 1793. Die Trieblehre und das Problem der Freiheit”, in: Martin Bondeli and Alessandro Lazzari (eds.), Philosophie ohne Beynamen: System, Freiheit und Geschichte im Denken Karl Leonhard Reinholds. Basel, pp. 251 – 271.

IV. Debatten und Spannungsfelder

Reinholds Auseinandersetzung mit Rehberg im zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie Alessandro Lazzari Abstract: Although stressed by Reinhold in the foreword of the second volume of his Letters on the Kantian Philosophy (1792), the role played by August Wilhelm Rehberg in Reinhold’s theory of freedom has been so far widely neglected by commentators. In my paper I want to show that this theory gives an answer to Rehberg’s objections against Kant in his 1788 review of the Critique of Practical Reason, and that this answer contains a peculiar demonstration of the reality and the possibility of a transcendental and absolute freedom.

Reinholds Bekanntschaft mit den Schriften August Wilhelm Rehbergs geht wahrscheinlich auf das Jahr 1787 zurück. Obwohl die zweite1 in der Allgemeinen Literaturzeitung veröffentlichte Rezension von Rehbergs Abhandlung ber das Verhltnis der Metaphysik zu der Religion 2 nicht mit letzter Sicherheit Reinhold zugeschrieben werden kann, ist sinnvollerweise davon auszugehen, dass Reinhold als Redaktionsmitglied dieser Zeitschrift das Werk Rehbergs schon früh bekannt gewesen ist. Eine Reihe weiterer, nicht immer erfreulicher Gelegenheiten einer gegenseitigen Wahrnehmung sind zwischen 1788 und 1792 erfolgt, angefangen von der parallelen Rezension von Herders Gott 3, bis zu Rehbergs Rezensionen zur Elementarphilosophie von 1789 – 91.4 In dieser gegenseitigen Rezeptionsgeschichte stellt der zweite Band von Reinholds Briefen ber die Kantische Philosophie einen Höhepunkt dar: Zum ersten Mal setzt Reinhold zu einer ausführlichen, wenn auch nicht offen ausgetragenen, umfassenden Antwort auf Rehbergs Einwände gegen Kants praktische Philosophie an.5 Obwohl Reinhold an prominenter Stelle, in 1 2 3 4 5

ALZ vom 26. Juni 1788, Nr. 153 b, Sp. 689 – 696. Rehberg 1787. Eine erste, von Johann F. Schultz verfasste Rezension dieses Werks veröffentlichte die ALZ am 19. Juni 1788, Nr. 147, Sp. 617 – 621. Reinhold, Rezension Gott (1787); Rehberg 1788a. Rehberg 1789a, 1789b und 1791. Karianne Marx vertritt die These, dass bereits der letzte Abschnitt von Reinholds Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens (1789), die „Grundlinien der Theorie des Begehrungsvermögens“, im Wesentlichen als Antwort auf Rehbergs Rezension der Kritik der praktischen Vernunft konzipiert

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der Vorrede zum zweiten Band der Briefe, auf die wichtige Rolle hinweist, die die Auseinandersetzung mit Rehberg in diesem Werk spielt, ist diese bis heute jedoch im Wesentlichen ununtersucht geblieben. Selbst Eberhard Günter Schulz, der in seinem Buch Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik (1975) „Reinholds Berücksichtigung der Einwände Rehbergs“6 ein Kapitel widmet, erörtert hier lediglich die Hypothese des möglichen Einflusses Rehbergs auf Reinholds neue Willens- und Freiheitsauffassung der Briefe, ohne auf die in diesem Werk enthaltene Auseinandersetzung mit Rehberg näher einzugehen. Um diese Forschungslücke zu schließen, möchte ich im Folgenden, ohne näher auf genealogische und textgeschichtliche Fragen einzugehen, zweierlei zu zeigen versuchen: Erstens, dass Reinholds Willens- und Freiheitstheorie der Briefe – trotz Anlehnung an Rehberg in einigen wichtigen Punkten – eine ausführliche Antwort auf Rehbergs vor allem in seiner Besprechung der Kritik der praktischen Vernunft von 17887 vorgebrachten Einwänden enthält, und zweitens, dass diese Antwort ein eigenständiges Argument zum Beweis der Wirklichkeit und der Denkmöglichkeit einer transzendentalen und absoluten Freiheit enthält. Nach einer kurzen Erörterung der Stelle aus der Vorrede der Briefe, in der Reinhold auf Rehberg hinweist, möchte ich daher in einem ersten Schritt Rehbergs wichtigste Einwände gegen Kants praktische Philosophie vorstellen. In einem zweiten Schritt werde ich dann zu zeigen versuchen, dass aus zentralen Stellen der im zweiten Briefband enthaltenen Willens- und Freiheitstheorie eine Antwort auf Rehbergs Einwände ermittelt werden kann. Hier werde ich zunächst an die Grundzüge dieser Theorie erinnern, dann die Zugeständnisse und schließlich die Kritik Reinholds an Rehberg und den gegen diesen gerichteten Beweis der Wirklichkeit und der Denkmöglichkeit einer absoluten Freiheit ausführen. Dass Reinholds Position im zweiten Band der Briefe nicht einfach eine Annäherung an Rehberg darstellt – ein Schluss, der durch die in diesem Werk vollzogene Trennung von Willen und praktischer Vernunft und die einschlägigen Erläuterungen von E. G. Schulz nahegelegt werden

6 7

worden ist (Marx 2010, bes. S. 152 – 159). Für ein Argument, dass der letzte Abschnitt von Reinholds Versuch als Antwort auf immanente, im Lauf des Nachweises der „Nicht-Unmöglichkeit“ einer absoluten Freiheit entstehenden Schwierigkeiten gedacht ist, vgl. Lazzari 2004, bes. Kap. 3 und 4. Schulz 1975, S. 177 – 199. Sehr knapp geht auch George di Giovanni auf diesen Aspekt ein. Vgl. di Giovanni 2005, S. 127. Rehberg 1788b.

Reinholds Auseinandersetzung mit Rehberg

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könnte8 – geht bereits aus Inhalt und Ton jener Bemerkung der Vorrede hervor, in welcher auf den Einfluss Rehbergs explizit hingewiesen wird: Wahrheitliebende Selbstdenker allein können mich belehren […] und die Wichtigkeit des Gegenstands macht es mir zur besondern Pflicht, sie um die Wahrheit dieser Belehrung zu bitten. Vorzüglich möchte ich […] den Verfasser der merkwürdigen Recension der Kritik der praktischen Vernunft in der Allgem. Litt. Zeit. Nr. 188 a. b. 1788 dazu auffordern, dessen Einwendungen, wie er selbst andeuten zu wollen schien, mehr den Ausdruck als den Sinn der Hauptidee jenes Meisterwerkes betroffen haben, und mir bey meinen Untersuchungen über die Freyheit fruchtbare Winke geworden sind. Ich kann mir, so wenig als Er, in der Wirksamkeit der Vernunft eigentliche Freyheit denken, und, so wenig als Er, die Vernunft in dem Sinne praktisch nennen, als ob sie den vollständigen, durch sich selbst bestimmenden Grund einer Handlung des Willens enthielte. Auch weiss ich, dass man Seine Einwürfe gegen die Freyheit, durch die Berufung auf den gemeinen und gesunden Verstand, oder auf die Thatsache des Bewusstseyns und die Unbegreiflichkeit derselben so lange vergeblich widerlegen werde, als man ihm nicht die Denkbarkeit der Freyheit an einem bestimmten Begriffe vom Willen dargethan haben wird.9

Was hier Zugeständnis an Rehbergs wichtigsten Einwänden gegen Kant ist – erstens die Nicht-Existenz eines Selbstbewusstseins reiner praktischer Vernunft und zweitens die Unmöglichkeit bzw. Undenkbarkeit einer absolut freien Vernunftkausalität –, erscheint zugleich als Bestandteil einer – hier noch nicht explizit behaupteten, aber stillschweigend nahegelegten – Theorie, die – gegen Rehberg und in Anlehnung an Kant – die „Denkbarkeit der Freyheit an einem bestimmten Begriffe vom Willen“10 dartun wird. Reinhold verspricht hier implizit den Nachweis, dass, ausgehend von seiner eigenen Theorie des Willens und der Freiheit, Rehbergs Behauptungen zwar zuzustimmen ist, diese aber nicht als Einwand gegen Kant verwendet werden können, und dass die neu vorgelegte Theorie eine Interpretation der Kant’schen praktischen Philosophie liefert, die von Rehbergs Einwänden nicht tangiert wird. Reinholds vorsichtige, an Rehberg gerichtete Bitte um Belehrung hinsichtlich dieser Theorie offenbart somit eine Haltung, die weit entfernt davon ist, eine Anlehnung an die skeptische Position Rehbergs darzu8 „Vielmehr zeigen die unmittelbar anschliessenden Sätze bei Reinhold, dass die Fruchtbarkeit dieser ,Winke‘ darin besteht, dass Reinhold sich von dem ,Verfasser der merkwürdigen Rezension‘ im Hauptpunkte von dessen Kritik an Kant hat überzeugen lassen“ (Schulz 1975, S. 6). 9 Briefe II, S. IX f., RGS 2/2.5. 10 Briefe II, S. X, RGS 2/2.5.

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stellen, in Wirklichkeit den Charakter einer Herausforderung hat. Dass Reinhold sein Versprechen in seinen Briefen auch einhält, möchte ich im Folgenden zu zeigen versuchen.

1. Rehbergs Einwände gegen Kants praktische Philosophie Wie lauten Rehbergs Einwände gegen Kants praktische Philosophie? Rehbergs Rezension von Kants Kritik der praktischen Vernunft enthält eine Reihe von Einwänden, von denen ich im Folgenden nur die zwei wichtigsten vorstellen möchte – sie sind es auch, auf die sich Reinhold in der Vorrede der Briefe zustimmend bezieht. Rehbergs erster Einwand richtet sich gegen Kants Annahme, die Vernunft bestimme „in einem praktischen Gesetze unmittelbar den Willen, nicht vermittelst eines dazwischen kommenden Gefühls der Lust und Unlust“11, und gegen die damit verbundene Lehre vom Faktum der Vernunft, d. i. das Bewusstsein der Wirklichkeit einer solchen durch ihr Gesetz „für sich allein praktisch[en]“12, den Willen unmittelbar bestimmenden reinen Vernunft.13 Hinsichtlich dieser Lehre fragt Rehberg, ob und wie „reine Vernunft für sich allein einen synthetischen Grundsatz14 ihrer Wirksamkeit ausfindig machen könne.15 Dies kann nach Rehberg nur auf zwei mögliche Weisen geschehen: entweder unmittelbar oder mittelbar. Unmittelbar könnte dieser Erweis jedoch nur durch das Bewusstsein seiner selbst als reiner Vernunft und als freier Wille erfolgen.16 Ein solches Selbstbewusstsein als reiner Vernunft existiere aber nirgends.17 Und das Bewusstsein des freien Willens hängt nach Kant selbst vom 11 KpV, Kant-AA 5.25. 12 KpV, Kant-AA 5.31. 13 Vgl. ebd. und KpV, Kant-AA 5.42: „Diese Analytik tut dar, dass reine Vernunft praktisch sein, d. i. für sich, unabhängig von allem Empirischen, den Willen bestimmen könne – und dieses zwar durch ein Faktum, worin sich reine Vernunft bei uns in der Tat praktisch beweiset, nämlich die Autonomie in dem Grundsatze der Sittlichkeit, wodurch sie den Willen zur Tat bestimmt. Sie zeigt zugleich, dass dieses Faktum mit dem Bewusstsein der Freiheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerlei sei […]“. 14 Vgl. KpV, Kant-AA 5.31, wo Kant vom Bewusstsein eines Gesetzes spricht, das „sich für sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori“. 15 Rehberg 1788b, Sp. 352. 16 Rehberg 1788b, Sp. 352. 17 Rehberg 1788b, Sp. 352.

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Selbstbewusstsein als reiner Vernunft ab18, so dass reine Vernunft für sich allein keinen unmittelbaren Erweis eines synthetischen Grundsatzes ihrer Wirksamkeit erbringen kann. Der Versuch, den Erweis eines synthetischen Grundsatzes der Wirksamkeit reiner Vernunft mittelbar zu erbringen, durch Auffinden eines Mittelglieds, wodurch reine Vernunft mit der Sinnlichkeit „verbunden werden könnte“19, führt aber ebenso in eine Sackgasse. Denn um diese Verbindung zu leisten, muss dieses Mittelglied selbst entweder vernünftigen oder sinnlichen Ursprungs sein. Ist ersteres der Fall, wird also „die Handlung eines sinnlichen Wesens als Wirkung der Vernunft betrachtet“20, so haben wir es mit einer „Amphibolie der Reflexionsbegriffe“ zu tun, mit dem Fehlschluss also, der nach Kant in der Äquivokation von Verstandesbegriffen mit Begriffen der Sinnlichkeit besteht. Ist das Mittelglied hingegen sinnlichen Ursprungs, wie im Fall der Annahme eines moralischen Gefühls der Achtung als Triebfeder sittlichen Handelns in der Sinnenwelt, so kommt es zwar zu keiner Amphibolie der Reflexionsbegriffe, doch ebensowenig zum Erweis eines synthetischen Grundsatzes bzw. zur Verbindung zwischen reiner Vernunft und Sinnlichkeit, da das moralische Gefühl, als Gefühl, sinnlich ist und die so zustande gekommene Verbindung eine zwischen Sinnlichkeit und Sinnlichkeit. Dieses Ergebnis führt aber zu dem Schluss, dass reine Vernunft für sich allein weder unmittelbar noch mittelbar und somit gar keinen synthetischen Grundsatz ihrer Wirksamkeit ausfindig machen kann. Soweit Rehbergs erster Einwand gegen Kants praktische Philosophie. Rehbergs zweiter Einwand richtet sich gegen die Denkmöglichkeit eines Begriffs absoluter, transzendentaler Freiheit. Da Noumena unter den Kategorien gedacht werden können, ist es zwar erlaubt, „die reine Vernunft (ein noumenon) als Ursache oder Kraft“21, d. h. eine reine praktische Vernunft zu denken. 22 Ein absoluter Begriff von Freiheit kann aber nicht einmal „von der Vernunft als noumenon“23 erwiesen werden, so dass Kants Behauptung, die Realität des Begriffes der Freiheit sei „durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen“24, nicht zugestimmt werden kann. Denn so wie „Vernunft als causa noumenon 18 19 20 21 22 23 24

Rehberg 1788b, Sp. 352. Rehberg 1788b, Sp. 353. Rehberg 1788b, Sp. 353. Rehberg 1788b, Sp. 352. Rehberg 1788b, Sp. 352. Rehberg 1788b, Sp. 357. KpV, Kant-AA 5.3.

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gedacht werden darf, eben sowohl ist es auch erlaubt, sie unter der Categorie der Wirkung zu denken, und nach dem Grunde ihrer Existenz zu fragen“25, ein Umstand, der zu einem von Wirkung zu Ursache schreitenden Regress führt, der allein in der Vernunftidee einer Sinnlichkeit und Verstand bzw. Vernunft vereinigenden Gottheit seinen Abschluss findet. Allein einer solchen Gottheit kann nach Rehberg in der Idee absolute Freiheit als „gänzlich durch sich selbst bestimmte Kraft […] bey der kein Regressus der Fragen nach höhern Bestimmungsgründen weiter Statt findet“ zugeschrieben werden.26

2. Reinholds Auseinandersetzung mit den Einwänden Rehbergs Das Fundament von Reinholds Antwort auf diese Einwände Rehbergs ist in seiner vor allem im Sechsten bis Achten Brief entwickelten Theorie des Willens und der Freiheit enthalten. Erinnern wir uns kurz an deren Grundzüge. Der Wille, definiert als das „Vermögen der Person, sich selbst zur wirklichen Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des eigennützigen Triebes zu bestimmen“27, steht zwischen zwei „wesentlich verschiedene[n] und wesentlich vereinigte[n]“28 Grundtrieben, eben diesem eigennützigen, und einem uneigennützigen Trieb, die den Willen affizieren. Beide Triebe sind „unwillkürlicher“ Ausdruck von bestimmten Gesetzen und darauf gerichtet, den Willen auf eine bestimmte Art und Weise zum Handeln zu bewegen. Der eigenntzige Trieb ist in der Sinnlichkeit gegründet29, verkörpert das durch die theoretische Vernunft gegebene30 „Naturgesetz des Begehrens“31 und hat das „Vergnügen überhaupt“32 zum Objekt. Der uneigennützige Trieb ist in der persönlichen Selbsttätigkeit33 als praktische Vernunft vorhanden, die „ein le25 26 27 28 29 30 31 32 33

Rehberg 1788b, Sp. 356. Rehberg 1788b, Sp. 356. Briefe II, S. 264, RGS 2/2.184. Briefe II, S. 181, RGS 2/2.134. Briefe II, S. 181, RGS 2/2.134. Briefe II, S. 256, RGS 2/2.179. Briefe II, S. 269, RGS 2/2.186 u. ö. Briefe II, S. 181, RGS 2/2.134. Briefe II, S. 181, RGS 2/2.134.

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diglich durch sich selbst nothwendiges Gesetz aufstellt“34, das „praktische Gesetz“35 oder Sittengesetz. Beide Triebe sind an und für sich nur den Willen „veranlassende Gründe“36, die zur Bestimmung des Willens nicht hinreichen. Erst der Wille kann sich selbst zum Handeln bestimmen, indem er einen der veranlassenden Gründe in eine Maxime aufnimmt37 und dadurch zur Triebfeder des Handelns erhebt. Wird der uneigenntzige Trieb zur Triebfeder erhoben, ist die daraus entspringende Handlung sittlich 38, wird der eigenntzige Trieb zur Triebfeder gemacht, ist die daraus hervorgehende Handlung unsittlich. 39 Der so verstandene Wille - und er allein - kann nach Reinhold im eigentlichen Sinne absolut frei genannt werden.40 Die von ihm verkörperte Freiheit besteht damit in einer dreifachen Unabhängigkeit, in drei negativen Merkmalen der Willensfreiheit, und in einer Abhängigkeit von sich selbst, dem positiven Merkmal der Willensfreiheit. Die negativen Merkmale sind erstens die Unabhängigkeit der Person von der Nötigung durch den eigennützigen Trieb41, zweitens die Unabhängigkeit des von der Vernunft aufgestellten praktischen Gesetzes von Lust und Unlust42 und drittens die „Unabhängigkeit der Person von der Nöthigung durch die praktische Vernunft“.43 Das positive Merkmal der Willensfreiheit besteht hingegen „in der Selbstthätigkeit der Person beym Wollen“.44 Inwiefern stellt nun diese Willens- und Freiheitstheorie eine Antwort auf Rehbergs Einwände dar? Erinnert man sich an die Rehberg-Stelle aus der Vorrede der Briefe, kann man leicht den Eindruck gewinnen, Reinhold folge auch hier Rehberg auf der ganzen Linie. Rehbergs Negation eines Selbstbewusstseins reiner praktischer Vernunft und die unmittelbare Zurückweisung von Kants Lehre vom Bewusstsein des Briefe II, S. 181, RGS 2/2.134. Briefe II, S. 269, RGS 2/2.186. Briefe II, S. 259 f., RGS 2/2.181. Briefe II, S. 255, RGS 2/2.179. Briefe II, S. 260, RGS 2/2.181. Briefe II, S. 260, RGS 2/2.181. Briefe II, S. 273, RGS 2/2.188. Briefe II, S. 264, RGS 2/2.184. Briefe II, S. 266 f., RGS 2/2.185. Briefe II, S. 271 f., RGS 2/2.188. Interessanterweise spricht Reinhold an keiner Stelle von einer Unabhängigkeit des eigennützigen Triebes vom praktischen Gesetz, die es in dieser Konstellation ebenfalls geben müsste, welche Reinhold die Einräumung einer negativen Freiheit des eigennützigen Triebs abnötigen würde. 44 Briefe II, S. 281, RGS 2/2.192. 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

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Sittengesetzes als Faktum der Vernunft werden nämlich ganz aufgenommen in Reinholds neue Willens- und Freiheitstheorie: Erstens bestimmt bei Reinhold der uneigennützige Trieb nie von sich aus den Willen zu sittlichem Handeln, sondern wird erst durch die Willensentscheidung von einem bloß veranlassenden zu einem bestimmenden Grund des Handelns erhoben. Vernunft ist nicht in dem Sinne praktisch, dass sie „den vollständigen durch sich selbst bestimmenden Grund einer Handlung des Willens“ enthält, sondern lediglich in dem Sinne, dass sie das Gesetz aufstellt, das sich an den Willen richtet und von diesem befolgt oder nicht befolgt werden kann. Zweitens haben wir auch nach Reinhold kein Selbstbewusstsein reiner praktischer Vernunft, insofern uns praktische Vernunft einerseits immer schon gewissermaßen in einem sinnlichen Kontext erscheint – als uneigennütziger Trieb –, andererseits insofern unser Bewusstsein eines uns affizierenden uneigennützigen Triebes nie losgelöst ist vom Bewusstsein eines uns ebenfalls affizierenden eigennützigen Triebes. Schließlich kann auch Reinhold zufolge praktischer Vernunft keine eigentliche Freiheit zugeschrieben werden, insofern ihr mit der Unabhängigkeit des praktischen Gesetzes von Lust und Unlust lediglich ein Merkmal der Freiheit zukommt. Betrachtet man Reinholds Ausführungen der Briefe Sechs bis Acht etwas näher, so werden jedoch zum Teil erhebliche Abweichungen von Rehberg sichtbar. Vor allem bezüglich des zweiten Einwands Rehbergs – des Einwands gegen Kants Annahme der Wirklichkeit transzendentaler Freiheit in praktischer Hinsicht – enthält Reinholds neue Theorie des Willens und der Freiheit eine in zweifacher Hinsicht abweichende Position: Reinholds Theorie widerspricht zum einen Rehbergs Behauptung, das Bewusstsein des freien Willens hänge vom Selbstbewusstsein als reiner Vernunft ab, andererseits widerspricht sie dessen Auffassung eines aus der Annahme einer reinen Vernunft als causa noumenon unweigerlich folgenden Begründungsregresses, der die Zuschreibung absoluter Freiheit allein einer als letzte Schöpfungsinstanz und nur als regulative Idee anzunehmenden Gottheit erlaubt. Reinholds Theorie einer Freiheit des Willens, die aus der Unabhängigkeit vom uneigennützigen und vom eigennützigen Trieb einerseits, von der positiven Selbstbestimmung des Willens andererseits besteht, enthält zunächst eine implizite Zurückweisung von Rehbergs (und Kants) Behauptung, das Bewusstsein des freien Willens hänge vom Selbstbewusstsein als reiner Vernunft ab. Das Bewusstsein der Willensfreiheit – so könnte Reinholds explizit ausformuliertes Argument gegen Rehberg lauten – setzt als Tatsache des Bewusstseins kein Selbstbe-

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wusstsein als reine Vernunft voraus. Es ist vielmehr der Umstand, dass in uns zwei entgegengesetzte und einander einschränkende Triebe – der eigennützige und der uneigennützige Trieb – existieren, der die Voraussetzung unseres Freiheitsbewusstseins bildet. Wären wir durchgängig von einem der beiden Triebe zum Handeln bestimmt, ohne auf die Dazwischenkunft eines Willens angewiesen zu sein, könnten wir nicht nur nicht von sittlichem bzw. unsittlichem Handeln, ja von Handeln überhaupt sprechen. Es könnte unter diesen Umständen überhaupt kein Bewusstsein unserer Situation entstehen. Der Trieb würde unmittelbar ein durch ihn bestimmtes Verhalten zur Folge haben, ohne dass die minimale, für ein Selbstbewusstsein nötige Distanz zu sich selbst, gegeben wäre. Unser Selbstbewusstsein als handelnde Wesen, die von zwei Trieben affiziert werden, hängt davon ab, dass sich beide Triebe – die an sich auf unsere durchgehende Bestimmung zielen – gegenseitig einschränken und so zu einer Pattsituation führen, in der eine naturhafte, unmittelbare und damit unbewusste Befolgung von Gesetzmäßigkeiten nicht mehr möglich ist. Dass Reinhold wirklich diese in manchen Aspekten an Sartre45 erinnernde Auffassung vertritt, geht insbesondere aus einer Textpassage aus dem Achten Brief hervor: Durch jedes von diesen beyden Gesetzen [das praktische Gesetz und das Naturgesetz des Begehrens, A. L.] wird er [der Wille, A. L.] von dem andern unabhängig, durch das Vermögen der Selbstbestimmung aber ist er von sich allein abhängig. Ohne das praktische Gesetz würde er von dem blossen Naturgesetze des Begehrens abhängen, und nicht nur nicht frey, son-//dern nicht einmal ein Wille, sondern ein unwillkührliches Begehren seyn, und ohne die Naturgesetze des Begehrens würde er von dem blossen praktischen Gesetze abhängen, die blosse praktische Vernunft selbst, und folglich zwar selbstthätig, aber nicht frey und kein Wille, kein Vermögen sich zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens zu bestimmen seyn […] Die Person kann sich des Vermögens sich selbst zu bestimmen nur in so ferne bewusst werden, als sie sich des Vermögens sich nach zwey verschiedenen Gesetzen zu bestimmen, und folglich als sie sich dieser verschiedenen Gesetze selbst bewusst ist.46

Ein weiterer Beleg für diese Auffassung findet sich wenige Seiten später: 45 „Diese Freiheit, die sich uns in der Angst enthüllt, lässt sich durch die Existenz dieses nichts [rien] kennzeichnen, das sie zwischen die Motive und die Handlung einschiebt. Nicht weil ich frei bin, entgeht meine Handlung der Bestimmung der Motive, sondern im Gegenteil, die Struktur der Motive als unwirksamer ist Bedingung meiner Freiheit“ (Sartre 2006, S. 99). 46 Briefe II, S. 275 f., RGS 2/2.189 f.

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Die Person […] hat nur in so ferne Willen, als sie durch den uneigennützigen Trieb von den Forderungen des eigennützigen, und durch Willkühr von den Forderungen beyder unabhängig ist.47

Reinhold vertritt damit auf praktischer Ebene eine Auffassung, die seiner grundlegenden Bewusstseinstheorie der Elementarphilosophie genau entspricht: So wie hier ein Bewusstsein überhaupt nur dadurch möglich ist, dass das vorstellende Subjekt weder gänzlich durch das Objekt bestimmt wird noch in der gänzlichen aktiven Bestimmung eines Objektes aufgeht, sondern beide Momente als gegenseitig eingeschränkte vorfindet und so Subjekt und Objekt aufeinander beziehen und voneinander unterscheiden kann, so ist ein praktisches Bewusstsein – wie man es nennen könnte – nur dadurch möglich, dass die Person nicht gänzlich durch einen einzigen Trieb bestimmt wird, sondern vielmehr den eigennützigen und den uneigennützigen Trieb als sich gegenseitig einschränkend vorfindet, und so beide durch den Willen aufeinander beziehen und voneinander unterscheiden kann.48 Diese Auffassung des Bewusstseins ist es, die nach Reinhold das Rehberg’sche Argument entkräftet: Obwohl es – wie Rehberg richtig sieht – kein Bewusstsein als reine Vernunft gibt und auch nicht geben kann, folgt aus diesem Umstand nicht die Unmöglichkeit eines Selbstbewusstseins der Freiheit, da letzteres nicht von einem Bewusstsein als reiner Vernunft abhängig ist. Diese Auffassung des Bewusstseins ist es aber auch, die Reinhold eine Antwort auf Rehbergs zweiten Einwand gegen Kants praktische Philosophie, die Behauptung der Denkunmöglichkeit einer absoluten, transzendentalen Freiheit erlaubt. Obwohl auch für Reinhold keine absolut freie Vernunftkausalität gedacht werden kann, folgt daraus nicht überhaupt die Denkunmöglichkeit einer absoluten Freiheit. Das Selbstbewusstsein eines von dem uneigennützigen und dem eigennützigen Trieb unterschiedenen und auf beide bezogenen Willens ist nämlich zugleich das Selbstbewusstsein einer absoluten Freiheit: „Ich weiss so gut, dass ich einen Willen habe, und dass derselbe frey ist, als dass ich Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft habe“49, heißt es in diesem Sinne an einer Stelle des 8. Briefes, und wenige Seiten vorher: 47 Briefe II, S. 307, RGS 2/2.205 f. 48 Vgl. z. B. die Formulierung des „Satzes des Bewusstseins“ im ersten Band der Beitrge: „Im Bewusstsein wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen“ (Beitrge I, S. 167, Neuausgabe 2004, S. 113). 49 Briefe II, S. 284, RGS 2/2.194.

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Die Realität der Freyheit hängt vom Bewusstseyn der Forderung sowohl des eigennützigen als des uneigennützigen Triebes, aber noch überdieses von dem Bewusstseyn des Vermögens ab, die Befriedigungen und Nichtbefriedigungen des Eigennützigen entweder durch oder gegen die Forderung des uneigennützigen selbst zu bestimmen.50

Reinhold setzt hier nicht einfach eine absolute Freiheit des Willens als Tatsache des Bewusstseins, sondern schließt auf sie ausgehend von den Tatsachen des praktischen Bewusstseins. Weil wir überhaupt ein praktisches Bewusstsein haben, von bestimmten sich gegenseitig einschränkenden Trieben und ihren Forderungen affiziert zu werden, und ein Bewusstsein, uns zu ihnen auf bestimmte unterschiedliche Weisen verhalten zu können, dürfen wir uns selbst als in einem absoluten Sinn freie Wesen betrachten. Ohne in diesem absoluten Sinn frei zu sein, könnten wir kein derartiges praktisches Bewusstsein haben. Denn nur wenn die Kausalität der Triebe unterbrochen wird, wenn sie nicht von sich aus, wie ein Naturgesetz, den Willen bestimmt, kann es die Distanz zwischen dem wollenden Subjekt und seinen Trieben geben, die für ein Bewusstsein dieser Triebe notwendig ist. Die von diesem Bewusstsein vorausgesetzte Freiheit ist aber darum nicht lediglich eine negative Freiheit, denn das praktische Bewusstsein ist immer schon das Bewusstsein eines aktiven Beziehens und Unterscheidens der Triebe auf- und voneinander und auf ein und von einem wollenden Subjekt, eine Tätigkeit, die, weil sie weder in der Sinnlichkeit noch in der Vernunft gegründet ist, in sich selbst gegründet sein muss. „Aus ihren Wirkungen, durch welche sie unter den Thatsachen des Bewußtseyns vorkömmt, ist mir die Freyheit des Willens völlig begreiflich; und in sofern kein Gegenstand des Glaubens, sondern des eigentlichsten Wissens für mich“, sagt Reinhold – wohl auch gegen Jacobi gewandt – im Achten Brief 51 und meint mit diesen Wirkungen gerade das Beziehen und Unterscheiden des eigennützigen und uneigennützigen Triebs von einem selbst und voneinander. Dies ist also Reinholds eigentümliches Argument zum Beweis der Wirklichkeit transzendentaler Freiheit: Absolute, transzendentale Freiheit ist Bedingung der Möglichkeit des praktischen Bewusstseins, das Tatsache ist, und ist somit selbst wirklich. Dass aber dieses Argument vor allem gegen Rehberg gerichtet ist, gegen Rehbergs Behauptung der Denkunmöglichkeit transzendentaler Freiheit, wird dort deutlich, wo 50 Briefe II, S. 276, RGS 2/2.190. 51 Briefe II, S. 284, RGS 2/2.194.

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Reinhold den Schritt vom Bewusstsein der Wirklichkeit zur Denkmöglichkeit der Freiheit geht: Die Vernunft hat aber einen sehr reellen Grund, die Freyheit als eine absolute Ursache zu denken; nämlich das Selbstbewußtseyn, durch welches sich die Handlung dieses Vermögens als eine Thatsache ankündiget, und den gemeinen und gesunden Verstand berechtiget, von ihrer Wirklichkeit auf ihre Möglichkeit zu schließen.52

Dies ist eine direkte Antwort auf Rehbergs Einwand, eine absolute, transzendentale Freiheit sei deshalb unmöglich, weil selbst Vernunftkausalität dem Satz des zureichenden Grundes untersteht, dessen Anwendung aber zu einem Regress führe. Die Annahme einer Freiheit als absoluter Ursache verstößt nach Reinhold nicht gegen den Satz des zureichenden Grundes, da dieses Gesetz nur fordert, „dass nichts ohne Grund gedacht werde“53, das Selbstbewusstsein der Freiheit aber gerade der Grund ist, Freiheit als absolute Ursache zu denken. Insofern im zweiten Band von Reinholds Briefen die Theorie eines Selbstbewusstseins der Freiheit aufgestellt ist, das zugleich Bewusstsein eines Willens und auf ihn bezogener Triebe ist, leistet Reinhold gerade das, was er in der Vorrede zu diesem Band zu einer Widerlegung von Rehbergs Einwänden gegen die Freiheit gefordert hatte: den Beweis der Denkbarkeit der Freiheit anhand eines bestimmten Begriffs des Willens, und belegt somit durch seine Theorie die in der Vorrede gegen Rehberg eingenommene herausfordernde Haltung und die Rolle, die Rehberg in der Entstehung dieser Theorie zugeschrieben wird.

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52 Briefe II, S. 283, RGS 2/2.193. 53 Briefe II, S. 283, RGS 2/2.193.

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Rehberg, August Wilhelm (1787): Ueber das Verhltniß der Metaphysik zu der Religion. Berlin. Rehberg, August Wilhelm (1788a): Rezension: „Gotha, bey Ettinger: Gott. – Einige Gespräche von J. G. Herder. 1787. 252 und VIII S. 8.“, in: ALZ vom 2. Januar 1788, Nr. 2 a, Sp. 9 – 16. Rehberg, August Wilhelm (1788b): Rezension: „Riga, bey Hartknoch: Kritik der praktischen Vernunft, von Immanuel Kant. 1788. 292 S. 8.“, in: ALZ vom 6. August 1788, Nr. 188 a und b, Sp. 345 – 360. Rehberg, August Wilhelm (1789a): Rezension: „Jena, b. Mauke: Ueber die bisherigen Schicksale der Kantischen Philosophie, von Karl Leonhard Reinhold, 68 S. gr. 8.“, in: ALZ vom 23. Junius 1789, Nr. 186, Sp. 673 – 676. Rehberg, August Wilhelm (1789b): Rezension: „Prag, b. Widtmann, und Jena, b. Mauke: Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermögens [sic!], von Karl Leonhard Reinhold. 1789. 68 S. Vorr. und 568 S. Text. gr. 8“, in: ALZ vom 19./20. November 1789, Nr. 357/358, Sp. 417 – 429. Rehberg, August Wilhelm (1791): Rezension: „Jena, b. Mauke: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Misverständnisse [sic!] der Philosophen, von Karl Leonhard Reinhold. Erster Band, das Fundament der Elementarphilosophie betreffend. XII. und 456 Seiten in 8. (1 Rthr. 8 gr.)“, in: ALZ vom 28. Januar 1791, Nr. 26/27, Sp. 201 – 214. Sartre, Jean-Paul (2006): Das Sein und das Nichts. Versuch einer phnomenologischen Ontologie, hrsg. von Traugott König. 12. Auflage Reinbek b. Hamburg. Schulz, Eberhard Günter (1975): Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik. Köln/ Wien.

Gefühllose Freiheit oder Freiheit durch Gefühl? Überlegungen zu Johann Heinrich Abichts Willenslehre im Vergleich zu derjenigen Karl Leonhard Reinholds

Faustino Fabbianelli Abstract: The paper aims to outline the essential links between the concepts of freedom and representation in K. L. Reinhold’s Philosophy of the Elements. It is argued that a theoretical approach to the question of freedom must inevitably lead to a negative evaluation of the sentiments as well as of the sensibility. Because of his identification of rational, formal, and apriori on the one side, and irrational, material and aposteriori on the other side, Reinhold’s theory of freedom can be described as apathic. It is therefore shown the importance of J. H. Abicht’s approach to the same topic, in order to establish another concept of freedom by which it becomes possible to understand the sensibility and the sentiments as emergences of the subject as person.

I Wollte man Reinholds Freiheitslehre der Jenaer Jahre kurz zusammenfassen, müsste man erstens auf die innere Verschränkung hinweisen, die zwischen dem freien Willen bzw. der freien Vernunft einerseits und der Vorstellung andererseits besteht, zweitens auf die Rolle des Sittengesetzes und des Vergnügens hinsichtlich der freien Selbstbestimmung: Frei, so würde man sagen, kann der Wille sein, auch weil die Vorstellung selbst frei ist, und weil er sich für die Befolgung des moralischen Gesetzes und gleichzeitig für die Unterordnung jeder Art des Vergnügens unter das letztere entscheidet. Dies will heißen, dass Freiheit einen Begriff darstellt, der sich nur anhand einer vorstellungstheoretischen Betrachtung des entsprechenden freien Vermögens und einer gleichzeitigen Behauptung der Unabhängigkeit desselben vom sinnlichen Zustand des Vergnügens als realer Begriff erweisen lässt. Einige Stellen aus Reinholds Theorie des Vorstellungsvermçgens sollen hier zur Erläuterung des eben Gesagten angeführt werden: Der 86. Paragraph besagt z. B., dass das vorstellende Subjekt, das durch die Vernunft und den Willen handelt – man sieht hier klar die später von Reinhold selbst berichtigte Verwechslung von Willen

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und Vernunft –, insofern selbsttätig d. h. frei handelt, als es den Grund seines Wirkens in sich selbst enthält.1 In dieser Hinsicht ist eine bloße Empfindung eine gezwungene Vorstellung, weil sie durch das Affiziertsein von außen entsteht, ein Begriff hingegen stellt insofern eine freiere Vorstellung dar, als er aufgrund der von jedem vorgestellten Mannigfaltigen der Form nach unabhängigen Verstandeshandlung entsteht; eine Idee endlich ist gegenüber den anderen Formen der Einheit von Vorstellungen die freieste Vorstellung, weil die in ihr vorhandene Spontaneität der Vernunft an keine, weder formelle noch materielle, Bedingung der Sinnlichkeit mehr gebunden ist.2 Dieses nach Graden der Freiheit aufgebaute Modell, das an die Vorstellung angekoppelt ist, verbindet sich nun mit der spekulativen Annahme, derzufolge das Vergnügen letztendlich einen sinnlichen Zustand darstellt, der an sich unfrei ist, weil er das Produkt des Affiziertseins des Gemütes durch die Gegenstände ist, und der auch den Willen bzw. die Vernunft unfrei macht, weil er diese Vermögen an die Sinnlichkeit bindet.3 Das Kant’sche Erbe einer derartigen Theorie ist unübersehbar: Von Freiheit kann nur unter Absehung von dem im Begriff des Vergnügens selbst enthaltenen sinnlichen Moment4 und auf der Grundlage des im Begriff des Sittengesetzes zum Ausdruck kommenden vernünftigen Moments die Rede sein. Der als „Vermögen der Spontaneität der Vernunft“5 zu denkende menschliche Wille ist nämlich nur komparativ frei, wenn er den sinnlichen Trieben folgt, er handelt hingegen absolut frei, wenn er das Sittengesetz befolgt. Dies will heißen, dass die absolute Freiheit nur in der Sittlichkeit wirklich ist.6 Wendet man sich dem zweiten Band der Briefe ber die Kantische Philosophie zu und sieht man dabei von der allerdings sehr wichtigen spekulativen Veränderung ab, die die Frage nach dem Subjekt der Freiheit betrifft, ob nämlich die Vernunft (wie dies teilweise in der Theorie des Vorstellungsvermçgens der Fall ist) oder doch der von der Vernunft selbst verschiedene Wille (wie es eben in Briefe II der Fall ist) als frei betrachtet 1 2 3 4 5 6

Versuch, S. 558. Versuch, S. 535. Versuch, S. 567. Bekanntlich hat das Vergnügen nach Kant mit dem Zustand der sinnlichen „Annehmlichkeit“, mit dem „Übel“ zu tun (Vgl. KpV, Kant-AA 5.60). Versuch, S. 571. Versuch, S. 572: „Die Sittlichkeit ist ohne absolute Freiheit unmöglich, und die absolute Freiheit ist nur in der Sinnlichkeit [zu korrigieren durch Sittlichkeit, F. F.] wirklich.“

Gefühllose Freiheit oder Freiheit durch Gefühl?

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werden muss, ist weiterhin festzustellen, dass die Freiheit mit der Vorstellung und dem Vergnügen in engem Zusammenhang steht. Obwohl es jetzt – anders als im Versuch – nicht mehr möglich ist, die absolute Freiheit mit der Sittlichkeit zu identifizieren, da der Wille und nicht die Vernunft absolut frei ist, indem er sich für die moralische oder die unmoralische Handlung entscheiden kann, und dadurch von der Freiheit im Sinne der Selbsttätigkeit der Vernunft unterschieden ist, gilt nach wie vor Folgendes: Erstens, der Wille, als dritte Kraft zwischen den Forderungen der praktischen Vernunft einerseits und der Sinnlichkeit andererseits stehend, verdankt sein Freisein der Selbsttätigkeit der Vernunft, und zwar insofern, als dieses Vermögen die „Unabhängigkeit von äußern Eindrücken und von der Einrichtung der Sinnlichkeit“ gewährleistet.7 Zweitens muss das Vergnügen als ein Zustand betrachtet werden, dem ein bloß eigennütziger Trieb zugrunde liegt. Sagt das Moment der Beziehung zwischen dem Freisein des Willens und der Selbsttätigkeit der Vernunft, dass die Freiheit nicht ohne die Vernünftigkeit der Vorstellungen aufrechtzuerhalten ist – und die Forderungen der praktischen Vernunft, d. h. die unterschiedlichen Formen des Sittengesetzes sind eben vernünftige Vorstellungen –, stellt das andere Moment fest, dass vom Vergnügen letztendlich nur als von einem sinnlichen8 und deshalb unfreien Zustand die Rede sein kann, das daher die Rolle eines Gegenspielers zum Sittengesetz übernimmt und darüber hinaus wie alle anderen Gefühle9 nichts anderes als eine subjektive Vorstellung darstellt. Besteht, wie Reinhold meint, die sittliche Freiheit des Willens in der Entscheidung für die Befolgung des Sittengesetzes und der damit zusammenhängenden Unterordnung des sinnlichen Vergnügens, heißt dies nichts anderes, als dass sie unter einer Bedingung und einer Annahme steht: Was die Bedingung betrifft, muss gelten, dass das Subjekt Vorstellungen des sittlich Guten sowie des sittlich Bösen zur Verfügung haben muss, um sich zwischen ihnen frei entscheiden zu können; es muss aber auch angenommen 7 8

9

Briefe II, S. 185, RGS 2/2.137. Reinhold zufolge ist nicht alles Vergnügen immer in der bloßen Sinnlichkeit gegründet – es gibt nämlich ein „Vergnügen am Schönen und Guten“, dessen Gegenstand vom Verstand oder von der Vernunft bestimmt wird –, es steht jedoch weiterhin fest, dass jeder Trieb nach Vergnügen, „von was immer für einer Art, […] mehr oder weniger ein sinnlicher Trieb“ ist: Briefe II, S. 182, RGS 2/ 2.134. So erklärt sich Reinhold in einem Brief an Maimon vom 22. August 1791: „Auch Gefhl ist mir Vorstellung, etwas das sich auf S.[ubjekt] und O.[bjekt] bezieht ohne eines von beiden zu seyn.“ (KA 3.242)

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werden, dass das sinnliche Begehren keinen moralischen inneren Wert in sich selbst hat, es bekommt ihn nur gegenüber dem es selbst als moralisch erlaubt deklarierenden Sittengesetz. Anders gesagt, auch wenn Begehren und Sittengesetz gleichermaßen als Produkte der mit Notwendigkeit auf je bestimmte, festgelegte Weisen handelnden Vermögen, Sinnlichkeit und praktischen Vernunft, beansprucht sind, besteht zwischen ihnen ein Unterschied hinsichtlich des Grades ihrer Selbsttätigkeit. Hier kommt erneut das bereits angesprochene Modell der Grade zum Ausdruck, das allerdings nicht mehr wie im Versuch die Selbständigkeit und die ihr gleichwertige Freiheit betrifft, sondern eben nur erstere.

II Es ist also klar, inwiefern Reinholds Freiheitslehre vom Begriff der Vorstellung im allgemeineren Sinn abhängig ist: Frei sind nach der Theorie des Vorstellungsvermçgens die handelnde Vernunft und die von ihr abhängige vernünftige Vorstellung; gezwungen und deshalb unfrei sind hingegen die Sinnlichkeit und die von ihr abhängigen sinnlichen Vorstellungen, seien sie objektiv wie diejenigen, die sich der Affektion durch Gegenstände verdanken, seien sie subjektiv, wie die Gefühle im allgemeinen. Nach Briefe II sind der Wille und die von ihm getroffene Entscheidung bzw. die aus ihm hervorgehende Handlung auch deshalb frei, weil die praktische Vernunft und die von ihr produzierten Forderungen sowie Vorstellungen den Willen selbst von den Forderungen der Sinnlichkeit insofern entfernen, als sie ihm ein Gegengewicht anbieten. In beiden Fällen gilt die Feststellung des höheren Wertes des Vernünftigen gegenüber dem Sinnlichen. Wollte man nach den Gründen dieser Ansicht suchen, müsste man, wie ich meine, auf zwei spekulative Voraussetzungen der Freiheitslehre Reinholds hinweisen: Es gilt erstens anzuerkennen, dass das Sinnliche insofern unter dem Vernünftigen steht, als es mehr von den Gegenständen abhängt. Die Nähe bzw. Entfernung von den sogenannten Dingen an sich ist sozusagen der theoretische Motor, wodurch es möglich wird, die verschiedenen Elemente des menschlichen Gemüts nach Graden voneinander zu unterscheiden. Je näher man der gegenständlichen Welt, d. h. von ihr affiziert ist, desto abhängiger, gezwungener, unfreier, unselbsttätiger ist man; je näher der Vernunft, desto freier bzw. selbsttätiger. Es gilt zweitens, dass die sinnlichen Begierden, die als die gemäß dem formalen Sittengesetz zu verallgemeinernde Materie zu betrachten sind, keinen

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apriorischen moralischen Wert an sich haben; sie stellen ein bloß empirisch-aposteriorisches Moment dar, das sich dem formal-apriorischen unterstellen muss, um moralischen Wert zu bekommen. Reinhold hat gegenüber Kant gute Gründe angeführt, um das Thema der Freiheit von demjenigen der Vernünftigkeit abzukoppeln; bezüglich der Verbindung, die zwischen dem Sinnlichen und dem Vernünftigen besteht, hat er in Kants Fußstapfen tretend jedoch weiterhin angenommen, dass dieses, nicht jenes, an sich einen inneren sittlichen Wert hat: Wesenhaft kann nur die Forderung der praktischen Vernunft uneigennützig sein, der sinnliche Trieb hingegen ist eben nur eigennützig. Diese Sachlage erklärt nun darüber hinaus noch zwei andere Annahmen, von denen Reinholds Ausführungen ausgehen: 1. Das Sinnliche wird mit dem Materialen und das Vernünftige mit dem Formalen identifiziert. 2. Das Materiale stimmt mit dem Empirischen und das Formale mit dem Apriorischen überein. Die Gegenüberstellungen, die daraus entstehen, sind ebenso fragwürdig: Das material-Sinnliche steht im Gegensatz zum vernünftig-Apriorischen und das empirisch-Sinnliche zum formal-Vernünftigen. Die Problematik derartiger Kontrapositionen wird von selbst deutlich, wenn man daran denkt, dass auch die umgekehrten Thesen gut vertretbar sind. Man könnte nämlich die Auffassung verteidigen, dass das Materiale a priori gilt – dass z. B. die Lüge unmoralisch ist, hängt nicht davon ab, dass man sie nicht formal verallgemeinern kann, sondern von der Wesenhaftigkeit, die ihrem materiellen Moment eigentümlich ist. Ebenso hat das Empirische in sich selbst ein ihm zugehöriges formales Moment, und dies nicht nur im erkenntnistheoretischen Bereich, wie sowohl Kant und Reinhold zu konzidieren bereit wären – man denke z. B. an die zeitlichen und räumlichen Formen der Sinnlichkeit –, sondern auch in dem hier interessierenden praktischen Gebiet: Das empirische Gefühl, wodurch man an unglücklichen Ereignissen innerlich teilnimmt, darf nicht als wertvoll oder wertlos angesehen werden, je nachdem, ob es sich mit einer bösen oder guten Gesinnung verbindet, sondern muss als moralisch wertvoll an sich gelten, weil es auf die formale Struktur der Person hinweist (ein Begriff, der für Reinhold zentral ist, dessen wesentliche Merkmale aber von ihm nicht analysiert werden), die es auch kennzeichnet. Wendet man sich diesbezüglich Kants und Reinholds Denken zu, stellt man fest, dass das sinnlich-empirische Moment bei ihnen nicht nur a posteriori, sondern auch materiell gefasst

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wird. Nur der reine und formale Wille, der sich das Sittengesetz autonom gibt, ist an sich a priori wertvoll, alles andere nur auf bedingte Weise.10

III Ich möchte Reinholds Freiheitstheorie, so wie sie vor allem in Briefe II dargestellt wird, anhand der „a-pathischen“ Färbung beschreiben, die ihr eigentümlich ist. Damit meine ich negativ die Tatsache, dass das Freisein des Willens einen Zustand darstellt, in dem das menschliche Willensvermögen völlig unbeeinflusst von allen anderen Vermögen ist. Es gibt zwar die Forderungen der Sinnlichkeit und der praktischen Vernunft, die nur durch den Willen selbst zu Triebfedern des handelnden Subjekts werden können, sie stehen jedoch sozusagen in keinem Verhältnis zu den Willensentscheidungen. Reinholds Vorstellung des menschlichen Willens könnte man anders gesagt mit einer black box vergleichen, die zwar input von außen erhält, deren output aber den äußerlichen Bedingungen ihrer Tätigkeit nicht entsprechen muss. Weiß ich, dass eine Vorstellung X moralisch besser ist als eine andere Y, kann ich mich nichtsdestotrotz für die letztere entscheiden. Sind die Stimmen meiner Körperbegehren lauter als diejenige des Sittengesetzes, bleibe ich weiterhin frei, der Forderung der praktischen Vernunft nachzugehen. Diese Unbeeinflussbarkeit, die fast als ,Isoliertheit‘ verstanden werden könnte, hebt sich zweifelsohne von Kants Lehre ab, die die Freiheit streng an die Autonomie des Willens koppelt. In seiner Absolutheit ist zwar der Wille frei gegenüber der praktischen Vernunft und der Sinnlichkeit, gerade dies stellt nun aber, genauer betrachtet, die andere Seite der Sachlage dar, für die die Freiheit letztendlich negativ ausfällt: Man ist insofern frei, als man in seinen eigenen Entscheidungen sowohl von der Sinnlichkeit als auch von der Vernunft unabhängig ist. Die eigene Freiheit ist weder eine Freiheit der Sinne noch eine der Vernunft, sie ist bloß eine Freiheit des Willens. In diesem letzteren Sinn muss man gleichwohl behaupten, dass sie insofern einen positiven Charakter besitzt, als sie nur von sich selbst abhängt. Aus diesem Grund kann die „a-pathische“ Färbung von Reinholds Freiheitsbegriff auch affirmativ dadurch erläutert werden, dass man die Beziehung des freien Willens zu den Gefühlen analysiert. In dieser Hinsicht kann auch das Kant’sche Denken als Beispiel einer gefühllosen Freiheitslehre angeführt werden. Für beide Konzepte gilt nämlich, dass 10 GMS, Kant-AA 4.393; Briefe II, S. 272 – 275, RGS 2/2.188 – 189.

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die Willensfreiheit sich nicht durch die Freiheit des Pathos, d. h. all dessen, was mit dem sinnlichen Gefühl zu tun hat, etablieren kann, dass sie hingegen gerade durch die Distanzierung vom Pathos erlangt werden kann. Eine „pathische“ Freiheit, besser gesagt eine Freiheit durch das Gefühl kennen weder Kant noch Reinhold.

IV Der Kantianer Johann Heinrich Abicht – Professor für Philosophie an der Universität Erlangen von 1790 bis 1804 – hat sehr klar darauf hingewiesen, dass von Freiheit des Willens erst dann die Rede sein kann, wenn man erwiesen hat, dass auch die Gefühle frei sind. Eine Willensfreiheit setzt, anders gesagt, nicht bloß eine Vorstellungs-, sondern auch eine Gefühlstheorie voraus11. Spielen die Vorstellungen die Rolle von Richtungsgründen für das handelnde Subjekt – sie zeigen uns nämlich die möglichen Ziele, die unsere Handlungen haben können –, übernehmen dagegen die Gefühle den Status von Beweggründen bzw. Triebfedern des Willens.12 Bereits anhand dieser Feststellungen kann die Distanz einer derartigen Lehre gegenüber Reinholds (aber auch Kants) Freiheitsbegriff deutlich wahrgenommen werden. Wir haben nämlich gesehen, dass nach Briefe II sowohl die sinnlichen Begierden als auch die Forderungen der praktischen Vernunft erst durch die Willensentscheidung zu moralischen Triebfedern werden können. Triebfedern sind allerdings Beweggründe für den Willen; fragt man sich aber, was letztendlich beiden Formen von Forderungen, den sinnlichen und den übersinnlichen, gemeinsam ist, muss man antworten, dass Begehren und Sittengesetz Vorstellungen sind. Reinhold zufolge gibt es kein Praktisches, das nicht Vorstellung ist. Der Satz des Bewusstseins, nach dem im Bewusstsein „die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen“ wird,13 steckt gleichermaßen den Bereich ab, innerhalb dessen jede Art des Bewusstseins – theoretisch, praktisch, ästhetisch etc. – ihren natürlichen Ort hat. In Beitrge I wird deshalb behauptet, dass „Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft, Erkenntnis- und Begehrungsvermögen […] Vorstellungsvermçgen sind, und zusammengenommen das Vermögen 11 Abicht 1790, S. 373. 12 Abicht 1793, S. 39 – 40. Vgl. auch Abicht 1789, S. 22. 13 Beitrge I, S. 167.

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eines Subjektes ausmachen“.14 Die Formen der Vorstellungen überhaupt sind also Formen des Erkennens, wenn sie sich auf die Objekte beziehen, sie sind hingegen Formen des Begehrens, wenn sie auf das Subjekt bezogen sind.15 Innerhalb der Elementarphilosophie, welche die Theorie des Vorstellungsvermögens ist, werden aus diesem Grund die Prinzipien aller Philosophie, „der theoretischen und der praktischen, der formalen und der materialen“, gefunden.16 Hier ergibt sich folgende Frage: Wenn ich z. B. ein starkes Interesse an einem Gegenstand verspüre, handelt es sich dabei bloß, wie Reinhold meint, um eine subjektive Vorstellung, wodurch ich mich auf das Objekt beziehe? Wenn mich das Sittengesetz zu einer bestimmten Handlung bewegt, handelt es sich dann zwischen mir und dem Sittengesetz bloß um eine Relation von Vorstellungen? Nach der minimalen Definition von Beitrge I sind Vorstellungen „dasjenige, was sich im Bewusstsein auf Objekt und Subjekt beziehen lßt, und von beiden unterschieden wird“.17 Ein bisschen mehr verrät Reinhold von der Vorstellung, wenn er sie als dasjenige ansieht, das unmittelbar im Bewusstsein vorkommt – wobei Subjekt und Objekt nur mittelbar und durch die bloße Vorstellung im Bewusstsein vorkommen können. Die Vorstellung wird anders gesagt als etwas gedacht, „welches seiner Natur nach dem Objekt und Subjekt im Bewußtsein vorhergeht, beide zu Bestandteilen des Bewußtseins erhebt, und das Prädikat ausmacht, unter dem beide im Bewußtsein gedacht werden müssen.“18 Dieser weiteren Erläuterung vom Begriff der Vorstellung ist nun, wie ich meine, klar zu entnehmen, dass der Vorstellung selbst eine repräsentative Rolle zugesprochen wird, damit Objekt und Subjekt im Bewusstsein vertreten werden können. Die Hauptmerkmale, wodurch Reinhold die Vorstellung kennzeichnet – der Stoff und die Form, das Mannigfaltige als Wesen des Stoffes und die Einheit als Wesen der Form der Vorstellung19 – weisen darüber hinaus auf eine Auffassung hin, die erkenntnistheoretisch genannt werden kann. Dies würde heißen, dass ein derartiges Merkmal nicht bloß den tatsächlich theoretischen Teil der Elementarphilosophie, sondern die ganze Theorie des Vorstellungsvermögens charakterisiert. Eine Auffassung, die bekanntlich zuerst von 14 15 16 17 18 19

Beitrge I, S. 272. Beitrge I, S. 277. Beitrge I, S. 278. Beitrge I, S. 173. Beitrge I, S. 175. Beitrge I, S. 196.

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Fichte vertreten wurde, für die man aber wichtige Ansatzpunkte auch bei Abicht finden kann. Was soll nämlich heißen, dass z. B. das Gefühl der Neugier dasjenige subjektive Moment ist, wodurch das Ich und die Gegenständlichkeit (beide Momente müssen nach der Definition der Vorstellung immer vorhanden sein) im Bewusstsein zu dessen Bestandteilen werden und dadurch vertreten werden, wenn nicht, dass zwischen dem Subjekt und dem als subjektive Vorstellung betrachteten Gefühl eine erkenntnistheoretisch repräsentative Relation besteht? Zu behaupten, dass das Neugier-Gefühl die mannigfaltige Gegenständlichkeit durch seine Form vereinheitlicht und auf das Subjekt bezieht, ist wohl eine Beschreibung dessen, wie man die Welt in den verschiedenen Formen des Erkennens aufnimmt. Und hier, meine ich, sind Abichts Überlegungen zum Begriff des Vergnügens treffend. Er stellt diesbezüglich fest, dass das Gefühl des Vergnügens keine Vorstellung ist, denn durch diese schwebt bloß dem Bewusstsein etwas vor, „welches auf einen Gegenstand bezogen, und dadurch zur Erkenntnis desselben gebraucht werden kann“.20 Ist anders gesagt die Vorstellung „nur dadurch Vorstellung, daß sie Etwas, einen Gegenstand vorstellt, daß sie folglich auf den Gegenstand, den sie vorstellig macht, ferner daß sie auf ein Subjekt, dem sie den Gegenstand vorstellt, bezogen werden kann“,21 dann unterscheidet sich das Gefühl insofern wesenhaft von derselben, als es keinen Gegenstand vorstellt, man sich „mit ihm keiner Eigenschaften eines Gegenstandes bewußt werden“ kann.22 Das Gefühl „läßt sich nicht auf ihn [den Gegenstand] beziehen als wenn es ein Repräsentant des Gegenstandes wäre; auch nicht unmittelbar auf das Subjekt, welches fühlt, außer nur durch die Vorstel lung des Gefhls ; welche aber nicht selbst Gefühl, sondern Vorstellung eines Gegenstandes, Gefühl genannt, ist.“23 Bei Reinhold, so könnte man Abichts Denken frei erläutern und auf unseren Zusammenhang anwenden, wird das Gefühl nach dem Begriff der Beziehung aufgefasst; dadurch wird aber das Gefühl nur als Gegenstand einer Vorstellung betrachtet, nicht in seiner genuinen Qualität als Gefühl verstanden. Letzteres stellt hingegen eine von der Vorstellung gattungsverschiedene „Erscheinung“ im Bewusstsein dar, „die nicht von außen aufgefaßt, die dem Gemüthe nicht eingeflößt, und von den Außendingen von außen gebildet, und so unmittelbar von ihnen 20 21 22 23

Abicht 1789, S. 39. Abicht 1790, S. 386. Abicht 1790, S. 386. Abicht 1790, S. 386 f.

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dem Bewußtsein übergeben, und mitgetheilt wird.“24 Das Gefühl ist positiv betrachtet „ein innres Erzeugtes, eine unmittelbare Wirkung des Gemüths, deren nächster erzeugender Grund überhaupt das Gefhlsvermçgen ausmacht.“25 Das Gefühl mit einer Vorstellung zu vermengen, heißt nichts anderes, als die Seele als „ein hohles Gefäß“ anzusehen, in das die Gefühle so wie die Vorstellungen „als eine flüssige Materie“ eingegossen werden.26 Gefühle sind deshalb keine Empfindungen; letztere stellen nämlich wie alle anderen Vorstellungen Merkmale der Objekte dar. Gefühle sind hingegen bloß Modifikationen des Bewusstseins.27 Trotz dieser wesentlichen Differenz gilt weiterhin, dass die Gefühle so wie die Vorstellungen einen Zusammenhang mit den Gegenständen aufweisen, die kausale Relation der letzteren zu den Gefühlen ist jedoch nur eine mittelbare, nicht eine unmittelbare wie bei den Vorstellungen.28 Diese kausale Relation betrifft genauer ausgedrückt bloß die Wirklichkeit der Gefühle selbst, nicht deren Dasein im allgemeinen, als dessen Grund die Spontaneität der Seele selbst angeführt werden kann;29 anders formuliert: Bedingung und Prinzip des Gefühls seiner Möglichkeit nach ist das Ich bzw. das Selbst, seiner Wirklichkeit nach hingegen das Selbstbewusstsein bzw. die Selbstanschauung.30

V Was bedeutet das für die Willensfreiheit? Bezüglich dieses Themas führen Abichts Überlegungen zu drei unterschiedlichen Ansätzen. Der erste ist der Kant’sche: Man könnte ihn Deus ex machina-Ansatz nennen. Damit ist diejenige spekulative Sachlage gemeint, derzufolge die transzendentale Freiheit über der Menge der sinnlichen Empfindungen bzw. Gefühlen schwebt, die in ihrer sinnlichen Qualität als ein Produkt der äußeren Gegenstände betrachtet werden müssen. In dieser bestimmten Beschaf24 25 26 27 28 29 30

Abicht 1790, S. 390. Abicht 1790, S. 390. Abicht 1790, S. 391. Abicht 1793, S. 73. Abicht 1790, S. 392 f. Abicht 1790, S. 393 f. Abicht 1789, S. 61. Dass in diesen Sätzen Fichte’sches Gedankengut hörbar ist, findet eine Bestätigung in der Tatsache, dass Abicht schon vor dem Erscheinen der Wissenschaftslehre den Begriff der „Thathandlung“ gebraucht: vgl. seinen Versuch einer krittischen Untersuchung ber das Willensgeschfte (1788) S. 228.

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fenheit stehen sie als unabhängig von der Selbsttätigkeit des transzendentalen Ich fest. Fühle ich Neid oder Neugier, hängt dies von der äußeren, sich durch meinen Körper kundgebenden Welt ab. Solche Gefühle müssen so wie alle anderen Vorstellungen „für etwas leidend Empfangenes gelten.“31 Gegen die ihnen eigentümliche, aus dieser Unabhängigkeit resultierende Stärke scheint nur eines zu helfen, nämlich „das Ich als Noumenon […] herbey zu rufen“, das allerdings wie jeder Deus ex machina die problematische Situation nur durch das Zerschneiden der geknüpften Knoten zu lösen imstande ist.32 Die richtige Lehre der Willensfreiheit bedarf hingegen des Erweises, „daß alle unsre Gefühle durch unsre Selbstthätigkeit in uns erzeugt werden können“. Ein erster Schritt dazu stellt die in dieser Hinsicht notwendige Unterscheidung zwischen Empfindungen, Vorstellungen und Gefühlen dar.33 Neben dem Kant’schen Ansatz steht der Reinholds: Trotz vieler Ähnlichkeiten zeichnet er sich gegenüber dem anderen durch die Ankoppelung der Freiheit an die Vorstellungsproblematik einerseits und durch die Hervorhebung des Begriffs der Person andererseits aus. Die Forderungen des eigennützigen und uneigennützigen Triebes sind nichts anderes als Formen von Vorstellungsbeziehungen zwischen der Welt und dem Ich. Die Grundlinien der Theorie des Begehrungsvermçgens erklären unmissverständlich, dass jeder Trieb als ein Trieb des vorstellenden Subjekts aufzufassen ist, wodurch das Verhältnis der Vorstellungskraft zum Vorstellungsvermögen ausgedrückt wird. „Durch den Trieb zur Erzeugung einer Vorstellung bestimmt werden“ heißt darüber hinaus „Begehren“, und das Vermögen, „durch den Trieb bestimmt zu werden, das Begehrungsvermçgen in weiterer Bedeutung.“34 Der Wille selbst als dritte Instanz gegenüber den beiden Forderungen des eigennützigen und uneigennützigen Triebes gleicht ohne Zweifel dem Kant’schen Deus ex machina. Genauer gesagt stellt der Wille bei Reinhold ein machtvolles Vermögen der Person dar, das aufgrund von bloßen Veranlassungsgründen, die aber keine Triebfedern sind – die Freiheit selbst ist nämlich die einzige echte Triebfeder35 –, sich entweder für die Befriedigung oder

31 32 33 34 35

Abicht 1793, S. 19. Abicht 1793, S. 20. Abicht 1793, S. 20 f. Versuch, S. 561. Briefe II, S. 260, RGS 2/2.181.

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Nichtbefriedigung von sinnlichem Begehren gemäß dem Sittengesetz oder gegen dasselbe entscheidet.36 Eine derartige Freiheit als grundlos zu beurteilen, wie es eben Abicht macht, scheint mir unangebracht. Man versteht nämlich nicht, warum das Wählen um des Wählens willen und das sich durch sich selbst Entscheiden um des sich durch sich selbst Entscheidens willen keinen Wahl- und Entscheidungsgrund darstellen können.37 Man hat es dabei anders gesagt nicht mit einer leeren Tautologie zu tun, wie Abicht zu suggerieren scheint, sondern mit einem Sachverhalt, in dem der einzige Grund des Wählens das Wählen selbst ist. Mit Reinholds Worten ausgedrückt: Der Grund für eine bestimmte Handlung liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb des Entschlusses und der Selbstbestimmung der Person.38 Abicht argumentiert diesbezüglich, dass in der Tatsache, „daß ich frey wählen und entscheiden will, noch kein Grund gegeben ist, warum ich eben dies wähle, und dafr entscheide.“39 Er scheint aber dabei die Veranlassungsgründe mit dem Entscheidungsgrund zu vermengen und gleichzeitig zu übersehen, dass das inhaltliche Moment des Entscheidungsprozesses insofern gar nicht fehlt, als es sowohl von der Sinnlichkeit als auch von der praktischen Vernunft angeboten wird. Einen Punkt hat Abicht aber gegenüber Reinhold sowie übrigens auch gegenüber Kant gut hervorgehoben: dass das von den beiden kritischen Philosophen für das Praktische als unumgänglich betrachtete Moment des Vergnügens weder notwendig sinnlich noch notwendig eigennützig ist. Und genau da zeigt sich klar das Profil einer ,pathischen Freiheit’. Ihr liegt die Hauptthese zugrunde, nach der das Vergnügen – man könnte aber auch von Interesse, Lust, Annehmlichkeit oder Gefühl im allgemeinen sprechen – eine Apriorität aufweist, die sich in den qualitativen Beschaffenheiten des Ich selbst gründet. Das Vergnügen stellt anders formuliert nicht das Resultat der Beziehung zwischen dem Subjekt und den äußeren Gegenständen dar, es hat grundsätzlich nicht mit der Empfänglichkeit des Äußeren zu tun, sondern vielmehr mit der Relation des Ich zu sich selbst. Würde man das Vergnügen auf das Verhältnis des Subjekts zu den Gegenständen reduzieren, müsste man zwangsläufig annehmen, dass es sowohl sinnlich als auch empirisch ausfällt. Indem man hingegen zeigen kann, dass das Interessante, das Gefühlsmäßige primär die 36 37 38 39

Briefe II, S. 272, RGS 2/1.188. Abicht 1793, S. X. Beitrge II, S. 218 f. Abicht 1793, S. X.

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Realität des Ich insofern direkt betrifft, als es das Resultat des Selbstbewusstseins ist, das das Ich hat, ist man berechtigt zu behaupten, dass das Vergnügen nicht unbedingt sinnlich sein muss. Obwohl jedes wirkliche Gefühl durch bestimmte Vorstellungen entsteht – ich muss nämlich etwas vergegenständlichen, damit ich es auf meine Realität beziehen und mich dadurch selbst anschauen kann – und deshalb auch als empirisch betrachtet werden muss, steht fest, dass weder jedes Gefühl, wie Kant und Reinhold selbst zugeben würden hinsichtlich des Gefühls der Achtung, noch jedes Vergnügen sinnlich ist. Das Vergnügen deckt sich in seiner Materialität weder mit dem Wirklichsein bzw. dem Empirischsein noch mit dem Sinnlichsein; es gibt nämlich auch ein apriorisches Vergnügen.40 Dieser bei Abicht mehr oder minder verarbeitete Ansatz zu dem, was man berechtigterweise eine Metaphysik des im Vergnügen enthaltenen Apriori-Materialen nennen könnte, steht im direkten Gegensatz zu Kants und Reinholds Auffassung des Vergnügens als etwas Sinnlichem, das deshalb a posteriori ist. Um den apriorischen Charakter des Vergnügens besser zu erläutern, schlägt Abicht einen Vergleich mit den Begriffen von Raum und Zeit vor. Genau wie es bei den letzteren der Fall ist, begleitet das Vergnügen alle Vorstellungen und Empfindungen von Gegenständen. Sind Raum und Zeit nicht empirisch, findet auch das Vergnügen seinen Ursprung nicht in der empirischen Erfahrung. So wie jene sich in unserem Bewusstsein erzeugen lassen, ohne dass man einen Gegenstand haben muss, um ihr Dasein festzustellen, ebenso kann das Vergnügen in unserem Bewusstsein hervorgebracht werden, ohne dass man sich auf die Außendinge bzw. auf seinen eigenen Körper beziehen muss. „Wir dürfen nur z. B. an unsern Verstand, an unsere Freyheit denken, ja blos an unser Daseyn, ein Grad des Interesses, ein ruhiges Wohlgefallen wird nicht außenbleiben.“41 Wendet man sich Briefen II zu, lässt sich feststellen, dass das Vergnügen hier in engem Zusammenhang mit seiner Eigennützigkeit betrachtet wird. Reinhold zufolge ist jedes Vergnügen, das dem Urteile des Wohlgefallens an einem Objekte vorausgeht, eigennützig.42 Ich möchte aber anhand von Abichts Überlegungen43 die Frage stellen, ob z. B. das Vergnügen, das man empfinden kann, wenn man an die Besonnenheit denkt, mit der man die besten Mittel zu einer künftigen Handlung 40 41 42 43

Abicht 1790, S. 586. Abicht 1789, S. 51. Briefe II, S. 233, RGS 2/2.167. Abicht 1793, S. XI.

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ausgesucht hat, tatsächlich eigennützig ist oder doch eher nicht-eigennützig. Das Beiwort „nicht“ soll hier insofern etwas anderes als das bloße „un-“ von „uneigennützig“ bedeuten, als es nicht nur auf einen gegenteiligen Bereich hinweist – wie die Uneigennützigkeit der Eigennützigkeit entgegengesetzt wird –, sondern vielmehr auf einen Außenbereich, auf ein Gebiet also, das weder mit dem einem noch mit dem anderen übereinstimmt, weil es jenseits der ganzen fraglichen Opposition liegt. Das positive Gefühl, das man in der oben genannten Situation hat, ist nicht-eigennützig, weil es wesenhaft mit der Eigennützigkeit bzw. deren Gegenteil nichts zu tun hat. Abicht definiert ein derartiges Vorgefühl bloß als nützlich,44 sein Definitionsvorschlag erweist sich insofern als angebracht, als er eben die angeführte Gegensätzlichkeit umgeht. Der springende Punkt für unsere Überlegungen ist, dass das Gefühl des Vergnügens nicht als eigennützig betrachtet wird; und dies ist eben der Fall in Reinholds Denken. Hier seine Stellungnahme: Das Vorgefühl des Vergnügens, das aus einer künftigen Handlung unmittelbar geschöpft wird, ist freylich auf eine andere Art eigennützig, als dasjenige, das sich auf die bloßen Folgen der Handlung gründet; aber darum nichts weniger als uneigenntzig, sobald es als Bestimmungsgrund des Willens gedacht wird.45

Der Grund einer solchen These wird von Reinhold selbst unmittelbar nachher angeführt: Man soll alles Interesse als eigennützig ansehen, „das in der Tüchtigkeit zum Vergnügen gegründet ist.“46 Ich frage aber: Ist vielleicht die Absicht, einen sich in Lebensgefahr befindenden Menschen zu retten, als eigennützig anzusehen, nur weil mich dabei das Vorgefühl des Vergnügens bewegt, das ich im Denken an die sittliche Größe meiner Handlung habe? Mir scheint, dass dies nicht der Fall ist. Reinhold wertet ein derartiges Vergnügen als eigennützig ab, weil er es als sinnlich, d. h. von der Sinnlichkeit stammend und insofern jedes sittlichen Wertes unfähig betrachtet. Die eben angesprochene Relation, in der unser Philosoph das Gefühl mit dem Willen sieht, führt uns zum Schluss zum Begriff der Willensfreiheit zurück. In Reinholds Gedankengang kann das eigennützige Vergnügen nicht den Bestimmungsgrund der Entscheidung darstellen, da er in der Person selbst zu finden ist. Dies ist das Merkmal seiner Konzeption, das ich apathisch genannt habe, weil es zu einer Freiheit ohne 44 Abicht 1793, S. XI. 45 Briefe II, S. 241, RGS 2/2.171. 46 Briefe II, S. 241, RGS 2/2.171.

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bzw. gegen das Gefühl anstatt zu einer durch das Gefühl führt. Dagegen besteht die Möglichkeit anzunehmen, dass alle Gefühle als Modifikationen des Bewusstseins insofern als frei gelten können, als sich in ihnen letztendlich das Interesse des Ich für sich selbst ausdrückt. Dadurch wäre man imstande, nicht bloß, wie bereits gesehen, ihre angebliche Eigennützigkeit, sondern auch die damit zusammenhängende Opposition Heteronomie-Autonomie in Frage zu stellen, aufgrund derer sich nur der reine Wille in seiner Relation zum Sittengesetz als autonom erweist. Selbst die Gefühle wären insofern durch eine Art von Autonomie gekennzeichnet, als sie als Produkte der Selbstbeziehung des Ich und nicht mehr der – wenn auch durch das Ich vermittelten – Relation zu äußeren Gegenständen angesehen würden. Die Freiheit des Willens würde so auf der Freiheit der Gefühle beruhen, die die Rolle von Beweggründen spielen könnten. Abicht hat wichtige Ansatzpunkte zu dieser Lehre angeführt; ich meine, man sollte sie nicht außer Betracht lassen.

Literaturverzeichnis Abicht, Johann Heinrich (1788): Versuch einer krittischen Untersuchung ber das Willensgeschfte und einer darauf gegrndeten Beantwortung der Frage: Warum gehn die moralischen Lehren bei den Menschen so wenig in gute Gesinnung und Handlungen ber?. Frankfurt am Main. Abicht, Johann Heinrich (1789): „Über die falschen Moralprincipien“, in: Johann Heinrich Abicht und Friedrich Gottlob Born (Hrsg.), Neues philosophisches Magazin. Erluterungen und Anwendungen des Kantischen Systems bestimmt, Bd. I, 1. Leipzig, S. 16 – 63. Abicht, Johann Heinrich (1789): Versuch einer Metaphysik des Vergngens nach Kantischen Grundstzen zur Grundlegung einer systematischen Thelematologie und Moral. Leipzig. Abicht, Johann Heinrich (1790): „Neuer Beweis des aufgestellten Princips zu einer vollständigen Critik des Gefühlsvermögens als eine Einleitung zur praktischen Philosophie“, in: Johann Heinrich Abicht und Friedrich Gottlob Born (Hrsg.), Neues philosophisches Magazin. Erluterungen und Anwendungen des Kantischen Systems bestimmt, Bd. I, 3. Leipzig, 372 – 413. Abicht, Johann Heinrich (1793): Kritische Briefe ber die Mçglichkeit einer wahren wissenschaftlichen Moral, Theologie Rechtslehre, empirischen Psychologie und Geschmackslehre mit prfender Hinsicht auf die Kantische Begrndung dieser Lehre. Nürnberg.

Die Rezeption Reinholds im Tübinger Stift zwischen 1790 und 1792 Ernst-Otto Onnasch Abstract: The great influence of Reinhold’s Letters on the Kantian Philosophy on the reception of Kantian philosophy is often stated but hardly ever exposed in historical detail. This paper deals with the discussion of the Letters in the Tübingen Stift and their influence on the attempt of the Repetent Gottlob Christian Rapp to synthesize Kantian philosophy with Storrian theology. It will be argued that both Reinhold’s Letters and Rapp’s endeavor were a major influence on the young students in the Stift, most importantly Schelling and Hegel. Their first acquaintance with Kantian philosophy was from the very beginning biased by philosophical objectives relating to the discussions on Kantian philosophy that took place within the specific context of the Stift.

Besonders für die Entwicklung der Philosophie des deutschen Idealismus sind Karl Leonhard Reinholds Briefe ber die Kantische Philosophie von allergrößter Bedeutung. Denn durch sie sind so gut wie alle Tübinger Studenten erstmals mit der kritischen Philosophie in Kontakt gekommen und für sie enthusiasmiert. Worin bestand nun dieser Einfluss? Zunächst einmal ist zu bemerken, dass Reinholds Briefe alles andere als eine konzise Wiedergabe der Philosophie Kants sind. Ihr Verdienst besteht vor allem darin, die kritische Philosophie überhaupt auf die Agenda der damaligen philosophischen Debatte gesetzt zu haben. Mit großem Erfolg übrigens, denn sie machten ihren Autor, den unscheinbaren Sekretär des Teutschen Merkurs, über Nacht zur Berühmtheit.1 Der Erfolg der Merkur-Briefe hängt nun sicherlich auch damit zusammen, dass sie sich nicht auf die extrem technischen und auch schwierigen Finessen der Kritik der reinen Vernunft einlassen, sondern deren Resultate vielmehr für die Moraltheologie fruchtbar machen. Sie sind an ein breites Publikum adressiert und fordern es zur Auseinandersetzung mit der neuen Philo1

So schreibt der Kant-Schüler Daniel Jenisch seinem Lehrer am 14. Mai 1787 aus Braunschweig, dass „die Briefe über ihre Philosophie im Merkur […] die eindringlichste Sensation gemacht“ haben und durch sie „alle philosophische[n] Köpfe Teutschlands […] zu der lebhaftesten Theilnehmung für Sie, mein Herr Prof., aufgewekt“ seien (Kant-AA 10.485).

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sophie aus Königsberg auf. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass die Merkur-Briefe überhaupt die erste Publikation ist, die die Kant’sche Philosophie auf positive Weise aufgreift und für neue systematische Zwecke fruchtbar macht. Dass dies nur beim ersten Blick mehr oder weniger in Übereinstimmung mit der ersten Kritik geschieht, musste dem damaligen Beobachter wegen der allgemeinen Unkenntnis der Einzelheiten der kritischen Philosophie entgehen. Und nachdem Kant in seinem Teleologieaufsatz für den Teutschen Merkur Reinholds Briefen selbst seine Anerkennung gezollt hatte,2 waren seine Möglichkeiten nur noch sehr eingeschränkt, korrigierend gegenüber Reinhold zu wirken.3 Im Tübinger Stift war es besonders der Philosophieprofessor Johann Friedrich Flatt (1759 – 1821), der die Auseinandersetzung mit der kritischen Philosophie angekurbelt hatte. Bereits im Sommersemester des Jahres 1790 hält er im Stift eine Vorlesung über Metaphysik, in der er sich ausführlich mit Kants Kritik der reinen Vernunft befasst. Die glücklicherweise erhaltene Nachschrift dieser Vorlesung ist nicht nur das früheste Zeugnis der Lehre über die Kant’sche Philosophie im Stift, sie enthält überdies reichhaltige Informationen über die Lehrinhalte. Im Jahre 1792 veranstaltet Johann Friedrich Abel in Tübingen eine Vorlesung über Reinhold: „Prolegomena Metaphysices secundum theoriam Reinholdianam“. Johann Friedrich Abel (1751 – 1829), der seine akademische Karriere an der Stuttgarter Karlsschule begonnen hatte, hatte sich schon einige Jahre vor Flatt in verschiedenen Schriften mit Kant befasst.4 Weil sich Abel als Flatts Freund5 bezeichnet und 1791 zum Nachfolger des Logikers Gottfried Ploucquet berufen wird, dessen Lehrstuhl Flatt vertrat, ist es gut möglich, dass er auch Flatts Interesse für die kritische Philosophie geweckt hat. Allerdings liegen die genauen Gründe und Ursachen für die KantAuseinandersetzung in Tübingen größtenteils im Dunkeln. Flatts Be2 3

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Vgl. Kant-AA 8.183 f. Anonym schreibt Jenisch 1799, Kant soll auf die Frage, „[w]arum er sich nicht gegen, oder wenigstens über Reinhold öffentlich im Druck erklärte […] geantwortet haben: Reinhold hat mir zu viel guts gethan, als daß ich böses von ihm sagen wollte.“ (Zit. nach Kant-AA 13.501). Vgl. besonders sein anonym veröffentlichter Versuch ber die Natur der speculativen Vernunft. Zur Prfung des Kantischen Systems, 1787. Treffend bemängelt ein Rezensent, Abel nehme „Kantische Begriffe“ auf, „ohne die Principien, aus denen sie hergeleitet sind, anzunehmen. (ALZ vom 19. September 1788, Nr. 226 b, Sp. 762 – 766, Sp. 766). Vgl. Flatt 1825, S. VII.

Die Rezeption Reinholds im Tübinger Stift zwischen 1790 und 1792

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schäftigung mit der kritischen Philosophie steht allerdings argumentativ auf einem sehr viel höheren Niveau als die Abels. Überhaupt ist Abels Kant-Darstellung schon allein deshalb problematisch, weil er die apriorischen Resultate der kritischen Philosophie aus seiner empirischen Psychologie meint ableiten zu können. Es lässt sich schwer genau bestimmen, ob auch Flatt vermittelst Reinholds Merkur-Briefen in die kritische Philosophie eingedrungen ist. Dass dies nicht unwahrscheinlich ist, belegt seine erste Buchpublikation von 1789 über die Kant’sche Philosophie, deren Absicht darin bestehe, „den Glauben an Gott, Vorsehung und Unsterblichkeit zu retten, und gegen alle Angriffe der Atheisten, Materialisten, Skeptiker u.s.w. sicher zu stellen.“6 Obwohl das kein Zitat aus den Merkur-Briefen ist, fasst es dennoch sehr genau Reinholds eigene Pointe hinsichtlich der Absicht der kritischen Philosophie zusammen. Wie vor ihm Reinhold lobt Flatt ferner den Königsberger dafür, das Entweder-Oder von Vernunft und Glauben in Jacobis Spinoza-Büchlein schon mit der ersten Kritik überwunden zu haben. Allerdings bleibt Flatt nicht bei diesem Ergebnis stehen, sondern er will den von Kant gewonnen Freiraum für eine über die Vernunft hinausgehende Offenbarung Gottes gewinnen. Hiermit ist die Stoßrichtung der Kant-Kritik der Tübinger Storr-Schule charakterisiert, nämlich mit der kritischen Philosophie in der Hand zu zeigen, dass kein Weg an der Anerkennung einer göttlichen Offenbarung vorbeiführe. Die Argumentationsstrategie hat jedoch, anders als oft behauptet wird, wenig mit der Anerkennung des moraltheologischen Gottesbeweises der kritischen Philosophie zu tun.7 Im Gegenteil. Wie übrigens auch alle anderen Anhänger der Storr-Schule kritisiert Flatt die von Kant vertretene exklusive Beweiskraft des moralischen Gottesbeweises, und zwar zugunsten eines physikotheologischen Beweises.8 Obwohl Flatt die Ausarbeitung seines Beweisverfahrens über kleinere Ansätze hinaus nicht in extenso durchführt, wird es von vielen Stiftlern – zumindest der Idee nach – zustimmend aufgegriffen. So kündigt Hegel in einem Brief von Anfang 1795 an Schelling ein Verfahren an, den moraltheologischen Beweis mit dem physikotheologischen zu erweitern,9 6 7 8

9

Flatt 1789, S. 2. Vgl. dazu auch Michael Franz 2006 und 2007. Für Storr vgl. seine wichtige Schrift Bemerkungen ber Kant’s philosophische Religionslehre (1794) S. 65 f. Dies ist die Übersetzung der 1793 erschienen Schrift Annotationes quaedam theologicae ad philosophicam Kantii de religione doctrinam, allerdings ohne den langen Anhang von Friedrich Gottlieb Süskind. Schelling-AA III/1.19.

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welches Vorhaben von Schelling leidenschaftlich begrüßt wird.10 Insofern Hegel hier – zumindest in programmatischer Hinsicht – ein Programm aufgreift und benennt, das auch von Flatt und den anderen Vertretern der Storr-Schule verfolgt wurde, haben die Tübinger Lehrer offenbar einen sehr viel größeren Einfluss auf die jungen Stiftler gehabt, als von der modernen Forschung oftmals behauptet wird. Die Adaption von Motiven der Tübinger Storr-Schule muss allerdings auch zur Folge haben, dass die Stiftler der kantischen Philosophie schon recht bald kritisch gegenüberstanden, wobei mit „sehr bald“ das Jahr 1792 oder gar 1791 gemeint ist. Für diese These soll im Verfolg etwas Material zusammengestellt werden. Im folgenden Kapitel 1 wird dafür zuerst die Kant-Kritik Flatts näher erörtert. Anschließend wird in Kapitel 2 auf die durch Reinhold im Stift angeregte Kant-Diskussion zwischen 1790 und 1792 eingegangen. Dabei zeigt sich, dass diese tiefgreifend von Reinholds Briefen beeinflusst ist, was schließlich dazu führt, dass die kritische Philosophie nur noch als Vorstufe der eigentlich wahren und richtigen Philosophie angesehen wird. Von großer Bedeutung für diese Entwicklung sind die Überlegungen des frühverstorbenen Stiftlers und Repetenten Gottlob Christian Rapp (1763 – 1794), die in Kapitel 3 näher erörtert werden. Mit seinem ebenfalls stark an Reinholds Briefen anschließenden Programm der Vermittlung von kritischer Philosophie und Storr-Schule vertrat er im Stift eine einflussreiche Linie, die in der Forschung bislang kaum berücksichtigt ist. Abschließend wird in Kapitel 4 auf Schellings Magisterdissertation De origine malorum von 1792 eingegangen. Hierin finden sich mehrere bislang unbeachtete Reinhold’sche Motive, die nahe legen, dass Kants Philosophie um 1792 von der jüngsten Generation der Stiftler bereits skeptisch betrachtet wurde. Doch betrachten wir zunächst, wie sich Flatt seine physikotheologische Erweiterung des moraltheologischen Beweises der kritischen Philosophie vorgestellt hat.

10 Schelling-AA III/1.21: „Ein herrlicher Gedanke, den Du auszuführen im Sinne hast!“

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1. Flatt als Kritiker Kants Flatt kritisiert an den Kant’schen Postulaten vom Dasein Gottes und der Unsterblichkeit, sie beinhalteten bloß eine „subjective vor aller Erfahrung hergehende Vernunftnothwendigkeit“, weshalb es den Grundsätzen der kritischen Philosophie zufolge nicht erlaubt ist, „auf eine objective Gültigkeit und Nothwendigkeit“ von Gottes Dasein und Seelenunsterblichkeit zu schließen.11 Aus subjektiver Vernunftnotwendigkeit folgt mit anderen Worten nichts Substantielles. Flatt erhebt hiermit im Grunde genommen bereits den späteren Vorwurf Schellings und Hegels, dass die kritische Philosophie ein bloß subjektiver Idealismus sei. Nun wird das subjektive Vernunftprinzip der Kant’schen Philosophie von Flatt deshalb angegriffen, weil es seines Erachtens letztendlich „alle Antriebe zur Befolgung des Sittengesetzes“ vernichte.12 Denn, wie Flatt argumentiert, die kritische Philosophie kann für die Geltungskraft des Sittengesetzes nur subjektive Nötigungsgründe angeben, weshalb es keine objektive Gültigkeit haben kann. Das führt ihn auf den Schluss: „Aber der Wunsch selbst, wie stark und wie vernünftig er auch seyn mag, kann doch nie bey mir die Stelle eines Wahrheitsgrundes vertreten“13. Ist bloß die Hoffnung einer der Sittlichkeit angemessenen Glückseligkeit Antrieb für die Befolgung des Sittengesetzes, greift der moralische Beweisgrund der kritischen Philosophie zu kurz. Und weil die Hoffnung weder aus dem Sittengesetz folgt noch daraus abgeleitet ist, widerspricht sich Kants praktische Philosophie und zieht sich zwangsläufig den vernichtenden Vorwurf zu: „Ich will, daß ein Gott sey“, was nach Flatt auf einen „blinden Glauben“ hinausläuft.14 Für die Beförderung des höchsten Guts ist nach Flatt eine Geisterwelt vorausgesetzt, deren Existenz sich nicht auf der Grundlage der praktischen, sondern nur auf der der theoretischen Vernunft dartun lässt.15 Allerdings taugt die theoretische Vernunft der kritischen Philosophie für einen solchen Existenznachweis nicht, weil damit ein unerlaubter Überschritt zu übersinnlichen Gegenständen involviert ist. Aus diesem Grunde bedarf es nach Flatt eines theoretischen Beweisgrundes, den die kritische Philosophie sowohl für ihren moralischen Beweis als auch für 11 12 13 14 15

Flatt 1789, S. 15 f. Flatt 1789, S. 18. Flatt 1789, S. 19. Flatt 1789, S. 72. Vgl. Flatt 1789, S. 31 f.

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ihre theoretische Philosophie immer schon voraussetzt. Und diesen Beweisgrund lokalisiert Flatt im physikotheologischen Beweis verbunden mit dem kosmologischen:16 Welche Wendung man auch dem moralischen Erkenntnisgrunde der Religion geben mag, so liegt dabey immer die Voraussezung, daß das, was die Vernunft sich als würklich ausser dem Gemüthe zu denken genöthigt ist, würklich ausser unserer Vorstellung vorhanden sey, also auch die Voraussezung zum Grunde, daß die Objecte ausser unserer Vorstellung mit den nothwendigen Bestimmungen unserer Vernunft soweit zusammenstimmen, als zur objektiven Realität gewisser für die letztere unvermeidlich nothwendigen Ideen und Urtheile erfordert wird.17

Mit anderen Worten dürfen die Kant’schen Ideen der Erkenntnis nicht unzugänglich sein, da das gesamte System der Philosophie sonst bloß auf einer subjektiven und damit einseitigen Vernunft aufbaute. Auch hiermit stellt Flatt eine Forderung auf, die in nuce die philosophischen Grundlagen des objektiven Idealismus Schelling’scher und Hegel’scher Prägung vorwegnimmt. Flatts Argumente gegen die Kant’sche Philosophie und ihre Moraltheologie wurden im Stift auf breiter Front anerkannt. Diese Anerkennung, wie auch seine Kritik am subjektiven Beweisgrund, ist jedoch zweischneidig. Sie konnte nämlich auch zur Ablehnung der Möglichkeit von Offenbarung führen, also zu einer Position, die die Storr-Schule gerade mit Kant in der Hand zu verteidigen versuchte. Dieser Standpunkt einer Ablehnung der Offenbarungsmöglichkeit wurde tatsächlich von dem „kantischen enragé“ Carl Immanuel Diez (1766 – 1796) eingenommen. Er übernimmt von Flatt die Einsicht, dass der moralische Beweis der kritischen Philosophie unhaltbar sei, zieht daraus jedoch die Konsequenz, dass die Offenbarung selbst unmöglich oder ein Unding sei. Dass die Argumente für seine Position bemerkenswerterweise denen seines Lehrers Flatt zuweilen sehr ähnlich sind,18 muss Diez in seinem Briefwechsel mit Friedrich Immanuel Niethammer (1766 – 1848) tatsächlich eingestehen, etwa mit beschwörenden Formeln wie: „Glauben Sie nicht, daß ich Flattianer bin.“19 Freilich gab es im Stift für Diez’ radikale Position kaum Parteigänger, obwohl seine scharfsinnigen Argumente ernst genommen und im Stift auf 16 17 18 19

Vgl. Flatt 1789, S. 105. Flatt 1789, S. 103 f. Zur Position Diezens vgl. ausführlich Henrich 2004. Henrich 1997, S. 35.

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breiter Linie diskutiert wurden, auch von den Lehrern. Man darf annehmen, dass Diez mit seinem höchst brisanten und mit Kant’schen Mitteln entwickelten Standpunkt dazu beigetragen hat, dass sich seine engeren Freunde Niethammer, Friedrich Gottlieb Süskind (1767 – 1829) und besonders Rapp auf die Suche nach einem Weg anschickten, der die Kant’sche Philosophie mit dem theologischen Hauptinteresse der StorrSchule – nämlich der göttlichen Offenbarung – versöhnen könne. Freilich hat ein solcher Weg nur dann einen Sinn, wenn die Stiftler die Argumente Flatts gegen die Kant’sche Moraltheologie nicht durchaus ernst genommen hätten.

2. Reinholds Philosophie im Tübinger Stift Die große Wirkung, die Reinholds Philosophie auf die jüngeren Stiftler hatte, lässt sich gut daran erkennen, dass sie es war, die sie überhaupt erst in die kritische Philosophie einführte. In dieser Hinsicht ist es sicherlich auch entscheidend gewesen, dass die Kant-Auseinandersetzung zunächst nicht aufgrund Kants eigener Schriften erfolgte. Wer Kant selbst versuchte zu lesen, wie der philosophisch versierte Diez, resignierte bald. Am 19. Juni 1790 schreibt er Niethammer, im Herbst 1789 mit dem Studium der Kant’schen Philosophie angefangen zu haben, als „noch keine Reinholdische Theorie zu haben war“, und stellt fest: „Der Nutzen war gering.“20 Erst Reinholds Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens (1789) „familiarisierte“21 ihn mit der kritischen Philosophie. Nun ist dieses Hauptwerk Reinholds nicht, wie die „Vorrede“ suggeriert, im Frühjahr, sondern erst Oktober 1789 erschienen.22 Diez hatte sich das Buch sofort besorgt und bis Februar 1790 die ersten beiden Bücher gelesen. Weil nun das erste Buch des Versuchs die Kernthesen der Merkur-Briefe in leicht veränderter Form reformuliert und das zweite Buch die Vorstellungstheorie entwickelt, die der eigentlichen Darstellung der Kritik der reinen Vernunft im dritten Buch zugrunde liegt, kann nur dieses dritte Buch für jene Familiarisierung in Frage kommen. Dieses Buch las Diez erst im Frühjahr und zwar zusammen mit den Erluterungen ber des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft des Kö20 Henrich 1997, S. 17. 21 Henrich 1997, S. 16. 22 Reinholds Versuch erscheint im letzten Oktoberdrittel des Jahres 1789, vgl. dazu Onnasch 2010, Kap. 6.

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nigsberger Hofpredigers Johann Schultz, worüber er schreibt: „In der Tat ein herrliches Buch“, das eine „trefflich gelungene Inhaltsanzeige“ der ersten Kritik ist.23 Tatsächlich wurden alle Stiftler durch dieses Buch in die Philosophie Kants eingeführt,24 übrigens auch Reinhold selbst,25 weshalb man Schultz sicherlich einen größeren Einfluss auf die früheste KantRezeption zubilligen muss als Kant selbst. Wie gesagt erläutert erst das dritte Buch des Versuchs, und zwar unter dem Gesichtspunkt des im zweiten Buch entwickelten Prinzips der Vorstellung – dem späteren „Satz des Bewußtseins“ – die Kritik der reinen Vernunft. Obwohl man mit guten Gründen annehmen kann, dass dieses Prinzip der Vorstellung im Versuch noch als didaktisches Mittel zur Erläuterung der ersten Kritik fungiert, ist der Versuch sofort so verstanden worden, dass er die kritische Philosophie nachbessert, indem ihr fehlendes Prinzip nachgeliefert wird (übrigens bald auch von Reinhold selbst). Diese Einschätzung der ersten Kritik wurde etwa von Flatt nicht geteilt (dazu sogleich mehr). Der Einfluss Flatts wird auch darin erkennbar, dass auch Diez den Versuch nicht ohne Vorbehalt liest, wie seine Bemerkung gegenüber Niethammer zu erkennen gibt: „es mag sich nun mit der Wahrheit der darin [im Versuch, E.-O.O.] aufgestellten Behauptungen verhalten, wie es will“26. Die Stiftler begegneten den methodologischen Ausgangspunkten der Kant-Deutung im Versuch mit Vorsicht und vielleicht auch schon mit Ablehnung, was wohl nur auf den Einfluss Flatts zurückgeht.27 Reinholds Versuch entfaltete untern den Stiftlern nicht auf Anhieb eine größere Wirkung. Wie aus dem Diez-Briefwechsel hervorgeht, 23 Henrich 1997, S. 17. Die Erluterungen sind 1784 in Königsberg erschienen. Eine zweite Aufl. erscheint ebenda 1791 (die Ausgabe Frankfurt 1791 ist ein Raubdruck). 24 Das ist belegt für Schelling; hierüber berichtet Plitt 1869 – 70, 1.27: „Neben seinen fleißigen alttestamentlichen Arbeiten hatte übrigens Schelling […] sich auch an Kant gemacht; er bediente sich beim ersten Studium der Kritik der reinen Vernunft des Schulzeschen Auszugs, den er auch später Anfängern empfahl; in seinem Exemplar stehen unter seinem Namen und der Jahreszahl 1791 die Worte: abs. pr. d. 23 Mart. ej. Da hatte er also Kants Kritik zum erstenmal gelesen.“ 25 Vgl. Onnasch 2010, S. LXI. 26 Henrich 1997, S. 16. 27 In Niethammers Biographie ist davon die Rede, dass er schon seit seinem zweiten Besuch bei Reinhold im Mai/Juni 1790 mit Reinhold die „Zweifel“ zu besprechen, die Niethammer „über das Vorstellungsvermögen“ hegte (Döderlein 1889, S. 21).

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wirkten dort bis Mitte 1790 hauptsächlich die Thesen der Merkur-Briefe. Wenn nämlich Diez am 9. Mai 1790 schreibt, in Stuttgart mit Rapp auf seiner Durchreise nach Jena, d. h. im März 1790, „reinholdisiert“ zu haben,28 so kann sich das in der Hauptsache nur auf den Inhalt der MerkurBriefe beziehen, denn aus dem Brief geht ebenfalls hervor, dass Diez zu diesem Zeitpunkt vom Versuch nur das erste Buch gelesen hatte. Und interpretieren wir einen anderen Beleg so, dass Diez es war, der Niethammer 1789 dazu veranlasste, sich näher mit Reinhold und Kant zu befassen,29 und legen wir diese Stelle neben eine Passage aus Niethammers Selbstbiographie in seiner Schrift De persuasione, so müssen sowohl für Diez als auch für Niethammer zunächst die Merkur-Briefe das entscheidende Kant-Erlebnis gewesen sein. Veranlasst sind Niethammers Reinhold- und Kant-Studien durch Zweifel an der theologischen Morallehre, die sich ihm im Zuge eines Privatunterrichts aufdrängten. Diese Zweifel öffneten ihm Augen und Ohren für dasjenige, „was über die Nützlichkeit und Bedeutung der kritischen Philosophie und über ihre Vorteile berichtet wurde.“30 Terminologisch erinnert diese Passage stark an Reinholds Bestimmung der kritischen Philosophie in den Merkur-Briefen, in denen Nutzen und Bedeutung der kritischen Philosophie ja ebenfalls in den moralischen Bedrfnissen der Zeit lokalisiert werden. Wie stark die Merkur-Briefe auf Niethammer – und damit zweifelsohne auch auf viele andere Stiftler – gewirkt haben, lässt sich ferner daran erkennen, dass „die Gründe für das Dasein Gottes“, die ja in der Hauptsache in den Briefen thematisiert werden, offenbar Hauptgegenstand seines Interesses war.31 Ende 1789 oder Anfang 1790, also als der Versuch gerade erst erschienen war, entschließt er sich in Jena „unter Anleitung“ Reinholds, der in die „Geheimnisse“ der Kant’schen Philosophie „eingeweiht war, […] und der schon damals mit solchem Ansehen durch ganz Deutschland glänzte“, der kritischen Philosophie zuzuwenden.32 Niethammer traf dort um Ostern 28 Henrich 1997, S. 12. 29 Vgl. Diez’ Brief vom 19. Juni 1790 an Niethammer, in dem er seinen Weg zum Kantianismus beschreibt, der für seinen Briefpartner deshalb „[e]iniges Interesse“ haben muss, weil Diez „vielleicht die veranlassende Ursache war, welche Sie [Niethammer, E.-O.O.] zum Reinhold- und Kantianismus bestimmte“ (Henrich 1997, S. 18). Diese These belegt auch eine Quelle zitiert bei Henrich 1997, S. 380. 30 Zitiert nach Henrich 1991, S. 143 f. 31 Döderlein 1889, S. 23. 32 Henrich 1991, S. 143 f.

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1790 ein. Im Zusammenhang mit Diez interessant ist Niethammers weitere Entwicklung. Als er nämlich Anfang 1791 für eine Repetentenstelle im Stift im Gespräch war, „schrieb er an Ephorus Schnurrer, daß er durch die spekulative Philosophie und Kritik etwas von der Religion abgekommen sei, so daß er positive Religion nicht lehren könnte.“33 Die Bildungswege der ersten kantianisierenden Stiftler legen es nahe, dass Reinholds Merkur-Briefe vor 1790 gelesen wurden und das Interesse für Kants Philosophie geweckt haben. Leider geben die bisherigen Quellen keinen Aufschluss darüber, in welcher Fassung die Merkur-Briefe den Stiftlern vorlagen. Der erste, stark erweiterte und von Reinhold selbst herausgegebene Band der Briefe ber die Kantische Philosophie erscheint erst im Mai/Juni 1790,34 weshalb bis zu diesem Zeitpunkt nur die Originalfassung im Teutschen Merkur oder ein 1789 erschienener Raubdruck der Merkur-Briefe zur Verfügung standen.35 Auf sehr ähnliche Weise wie ihre älteren Kommilitonen wurden auch die jüngeren Stiftler, wie Hölderlin, Hegel und Schelling in die Philosophie Kants eingeführt. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang Flatts Metaphysik-Vorlesung von 1790, in der sich eine kurze Anleitung für die Literatur zum Studium der kritischen Philosophie findet. Zur Einführung empfiehlt Flatt nachdrücklich Schultzes Erluterungen. Reinholds Versuch und die Briefe erwähnt er zwar als „vorzüglichste Schriften […] zur Erläuterung“, allerdings nicht zur Einführung. Zur Einführung taugen sie nämlich deshalb nicht, weil es nicht Reinholds Absicht ist, die Kantische Philosophie so, wie sie Kant lehrte, vorzutragen. Man kann vielmehr sein System als ein eigenes /14/ betrachten, das zwar auf Kants Resultate führt, aber aus höheren Principien abgeleitet ist. Oft weicht er sogar von Kant wirklich ab, ohne nur eine [sic!] Fingerzeig davon zu geben. Man muß daher, wenn man sich dieser Schrift als einer Erläuterung der 33 Döderlein 1889, S. 24. 34 Am 20. Juni schickt Reinhold den ersten Band der Briefe an Nicolai, vgl. KA 2.278. Nach einem Brief Jacobis an Kleuker vom 8. Juli 1790 hat ersterer diesen Band schon 4 Wochen im Besitz, vgl. KA 2.273 Anm. 35 Reinhold, Briefe ber die Kantische Philosophie, zum Gebrauch und Nuzen fr Freunde der Kantischen Philosophie, Mannheim bei Heinrich Valentin Bender 1789. Über diesen Raubdruck beschwert sich Reinhold im Intelligenzblatt der ALZ vom 12. Dezember 1989, Nr. 143, Sp. 1183, vgl. auch KA 2.201, weshalb er spätestens im Herbst 1789 erschienen sein muss. Im folgenden Jahr – zumindest dem Titelblatt zufolge – erscheint ein zweiter Raubdruck Auswahl der besten Aufszze ber die Kantische Philosophie, Frankfurt und Leipzig (in Wahrheit Marburg bei Krieger) 1790. Die Raubdrucke belegen die enorme Popularität der MerkurBriefe.

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kantischen bedienen will, zuvor selbst genug mit Kant bekannt sein. – Reinhold wollte allgemeingeltende Principien aufstellen, sein Versuch ist ihm aber nicht ganz geglükt. – Willkührliche Unterscheidung, widersprechende Säze kommen nach Flatts gegenwärtigem Urtheil häufig darinn vor. – Auch Kant selbst ist mit diesem Werk gar nicht zufrieden.36

Bemerkenswert ist Flatts Feststellung, dass weder die Briefe noch der Versuch die Philosophie Kants konzise vortragen. Reinhold beschreitet in beiden Werken eigene Wege,37 die dem Leser nur vor dem Hintergrund der Lektüre der Kant’schen Vernunftkritik selbst klar werden können. Ferner macht er seine Studenten darauf aufmerksam, dass Reinholds höhere Grundsätze, aus denen die Resultate der kritischen Philosophie im Versuch abgeleitet werden, zumindest teilweise defekt sind. Flatts Urteil ist übrigens um vieles sachlicher als das seines Kollegen Johann Friedrich LeBrett. Anlässlich einer Disputation hatte er seine Studenten vor Kant und Reinhold gewarnt, indem er sie als „flüchtige Scholastiker“ bezeichnete, wobei er letzterem außerdem seinen katholischen Hintergrund ankreidete.38 Doch ist dies kein dahingehender Vorwurf, dass die Kant’sche Philosophie gefährlich für die Religion sei. Solche Vorwürfe wurden von den Lehrern im Stift nicht vertreten. So behauptet Flatt in der Metaphysik-Vorlesung: Das Kantische System ist also in Absicht auf ihre Resultate nichts weniger, als gefährlich. – Aber wie dieses System durch und durch mit sich selbst zusammenstimme, sieht Flatt gegenwärtig noch nicht ein. Wird aber dieses noch gezeigt, so ist es unstreitig das vollkommenste System.39

36 Zit. nach dem von Friedrich August Klüpfel überlieferten Ms. „Metaphysische Vorlesungen von Prof. Flatt im Sommerhalb-Jahr 1790. gehalten“, S. 13 f. Eine Ausgabe der Nachschrift bereiten Verf. und Michael Franz vor für die Reihe Spekulation und Erfahrung im frommann-holzboog Verlag. 37 Obwohl in einem Abstand von über vierzig Jahren schreibt auch August Wilhelm Rehberg, Reinhold sei „anfangs mit großem Erfolge bemüht gewesen, Kants Ideen zu verbreiten, [und er, E.-O.O.] war der erste, [der] unter dem Namen der Kantischen Philosophie eine eigene vorgetragen [hatte, E.-O.O.], die sich mit den Grundsätzen seines Lehrers nicht vereinigen ließ.“ (Rehberg 1828 – 1831, 1.142) 38 Henrich 1997, S. 30 f. 39 Ms. S. 64 (siehe oben Anm. 6). – Flatt legt in seinen Briefen (1789) dar, „daß das System des Königsbergischen Philosophen sich nicht nur vollkommen gut mit der Religion vertrage, sondern auch dieser eine neue unerschütterlich feste Stüze gebe, mit der alle übrige, einzeln betrachtet oder zusammen genommen, die Vergleichung nicht aushalten.“ (4)

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Flatts Bemerkungen laufen allgemein darauf hinaus, dass Kants Philosophie längst noch nicht verstanden und richtig gedeutet würde. Damit sensibilisiert er seine Studenten einerseits, eine kritische Haltung hinsichtlich Reinholds Kant-Deutung einzunehmen, anderseits aber auch unwillkürlich dafür, seine eigene Deutung der Kant’schen und Reinhold’schen Philosophie nicht vorbehaltlos anzunehmen. Und damit wäre von Flatt selbst der Keim für eine kritische Haltung gegenüber allen Äußerungen über die Kant’sche Philosophie gelegt, auch gegenüber Flatts eigenen Äußerungen. In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist, dass sich im Frühjahr 1790 im Stift ein Lesekreis formiert, der sich ausdrücklich mit den Werken Kants befasst.40 Den spärlichen Nachrichten zufolge habe sich dieser Lesekreis gebildet, weil man über die im Stift stark auf moraltheologische Fragestellungen zugeschnittenen Auffassungen der kritischen Philosophie unzufrieden war. Weil zu diesem Zeitpunkt nur Reinholds Briefe solche Fragestellungen erörtern, wird man davon ausgehen dürfen, dass es sich hier um eine erste Gegenbewegung der Reinhold’schen Kant-Deutung handelt. Der Kreis beklagt nämlich, dass die „Wasser des Denkens […] hier [d. h. im Stift] trübe und schlammig“ aus dem Boden hervortreten.41 Dies sollte man nicht als Kritik am philosophischen Lehrbetrieb im Stift werten, sondern vielmehr als eine Kritik des Umstands, dass Kants Denken im Stift allgemein mit unkantischen, lies Reinhold’schen Interessen vermischt wurde. Die Rückbesinnung auf Kant selbst wird man als eine Alternative für diese Interessenvermischung deuten müssen. Der Lesekreis scheint sich Ende 1790 wieder aufgelöst zu haben. Seine Existenz bestätigt allerdings ein bestimmtes Symptom der frühesten Kant-Rezeption im Stift. Es ist nämlich zu beobachten, dass sich um 1790 im Stift zwei verschiedene Linien des Kant-Interesses beginnen abzuzeichnen. Die eine ist vornehmlich an den theoretischen Implikationen der kritischen Philosophie interessiert, und zwar auf der Grundlage von Kants eigenen Schriften, bzw. philosophischen Auffassungen (zur Einführung und Vorbereitung dienten hier sicherlich auch Schultzes Erluterungen sowie, trotz aller Unvollkommenheiten, auch das dritte Buch des Versuchs). Bei der anderen Linie liegt das Interesse bei der praktischen Philosophie, indem die kritische Philosophie einerseits gegen die Kritik der Storrianer und anderseits gegen die der extremen Kantianer im Stift 40 Vgl. dazu den Bericht von Henrich 2004, S. 716 ff. 41 Zit. nach Henrich 2004, S. 717.

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verteidigt wird. Es geht hierbei um ein Programm, das versucht, die kritische Philosophie mit den Religionswahrheiten, die man als designierter Theologe ja nicht ohne weiteres abweisen kann, insbesondere aber mit der Offenbarungswahrheit der Storr-Schule zu vereinbaren. Der früheste Vertreter dieser Linie ist der leider viel zu früh verstorbene Repetent Gottlob Christian Rapp. Ihm wollen wir uns nunmehr zuwenden.

3. Gottlob Christian Rapp Der gebürtige Stuttgarter Gottlob Christian Rapp studierte seit 1782 im Stift. 1784 verteidigt er seine selbstverfasste Magisterdissertation De sensu determinismi innoxio. Nach seinem theologischen Examen mit einer Dissertation über den Kolosserbrief wird er 1786 Vikar bei seinem Onkel in Schorndorf. Im März 1790 erlaubt ihm der Konsistorialrat eine Studienreise nach Jena, die er nach einem kurzen Aufenthalt in Stuttgart sogleich antritt. Im Herbst desselben Jahres besucht er auf der Rückreise aus Jena auch die Universität Göttingen. Im Januar 1791 tritt er neben Diez eine Repetentenstelle im Stift an. Seit 1793 bis zu seinem frühen Tod 1794 ist er Diakon an der Leonhardskirche in Stuttgart. Über den aus Jena zurückgekehrten Rapp schreibt Diez seinem Freund Niethammer am 5. Dezember 1790, er „sei als entschiedener Kantianer und Storrianer von Jena gekommen“42. Diez ist nicht nur enttäuscht über Rapps neues philosophisches Bekenntnis, er meint außerdem, dass eine solche Position gar unhaltbar sei. Für dieses Urteil beruft er sich auf den Versuch einer Moralphilosophie (1790) von Carl Christian Erhard Schmid, wonach „alle Offenbarungsschöpfer à la Storr zu Abergläubigen und Christum und seine Apostel zu Phantasten“ gestempelt werden.43 Diez hatte Rapp nach seiner Rückkehr nicht selbst gesprochen. Für sein Urteil beruft er sich auf einen Brief, den er am 6. November 1790 von Süskind bekommen hatte. Hierin heißt es, Rapp sei „von Jena als der entschiedenste Kantianer, aber zugleich auch als der entschiedenste Storrianer zurückgekommen.“44 Dem fügt Süskind hinzu, „[w]er von Euch beiden hat nun recht?“ Denn im Gegensatz zu Diez glaube Rapp an „die Göttlichkeit der Lehre Jesu so fest als irgendwas“ und 42 Henrich 1997, S. 47. 43 Henrich 1997, S. 47. 44 Henrich 1997, S. 209.

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sei ausgerechnet „durch Kantische Philosophie wirklich orthodoxer geworden“.45 Weder der der Storr-Schule nahestehende Süskind, noch der „kantische enragé“ Diez kann sich offenbar damit anfreunden, Rapp ins eigene Lager zu ziehen, denn dem einen ist er zu viel, dem anderen zu wenig Kantianer. Dies lässt bereits etwas über Rapps neuen Ansatz erkennen, der zwischen Kantianismus und Storr-Schule vermitteln will.46 In einem Brief vom 26. Februar 1791 an Diez macht Süskind seiner Unzufriedenheit mit Rapps Kantianismus Luft, den er jetzt als Reinholdianismus beanstandet. Seinen Unmut richtet er auch gegen die Person: Rapp sei „sehr von sich eingenommen“ und habe aus Jena „von seinem Meister Reinhold eine Dosis von Intoleranz und jezuweiliger Grobheit zu Disputieren“ mitgebracht.47 Sachlich wirft er Rapp vor, dass „er Kant nicht verstehe“, offenbar deshalb nicht, weil er eine durch Reinhold inspirierte Kant-Deutung vertritt, die bereits von Flatt kritisiert wurde. Rapps Vermittlungsversuch stößt bei den Storrianern im Stift auf Ablehnung und bei den Kantianern auf Unverständnis. Trotzdem hat er mit seinem Anliegen, Storrianismus und Kantianismus miteinander in Einklang zu bringen, eine durchaus interessante neue Diskussionsgrundlage geschaffen. Denn mit diesem Ansatz lassen sich einerseits die extremen Konsequenzen, die Diez aus der Philosophie Kants hinsichtlich der Offenbarungsmöglichkeit gezogen hat, ablehnen, ohne damit andererseits der Kant-Kritik der Storr-Schule vorbehaltlos folgen zu müssen. Rapp legt nämlich dar, dass auch die Kantianer genausowenig ohne Offenbarung auskommen können, als die Storrianer ohne Kant. Noch in Jena verfasst Rapp eine Schrift über die Glückseligkeit,48 in der er mit Kant und Reinhold die Untauglichkeit der Glückseligkeit als Grundsatz der Sittlichkeit verteidigt. Glückseligkeit als Prinzip der Moral laufe nämlich auf Heteronomie hinaus und verderbe deshalb alle Moralität. Dennoch redet er damit nicht einem rigorosen Kantianismus das Wort. Sein Anliegen ist es nämlich, die beiden grundverschiedenen Naturen des Menschen, d. h. seine sinnliche und vernünftige Natur in einer alternativen Moralbegründung miteinander in Einklang zu bringen. 45 Henrich 1997, S. 209. 46 Vgl. dazu auch Brecht 1977, S. 392 f. Dies ist die erste und letzte umfangreiche Studie über die philosophischen Versuche Rapps. 47 Henrich 1997, S. 231 f. 48 Rapp 1791; die Vorrede ist mit „6. August 1790“ unterzeichnet, weshalb davon auszugehen ist, dass das Buch bereits im Herbst 1790 erschienen ist.

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Als Sinnenwesen strebt der Mensch nämlich nach Glückseligkeit, während er als Vernunftwesen an das Sittengesetz gebunden ist. Beiden Teilen der menschlichen Natur muss Recht widerfahren; und diese Einsicht führt auf einen neuen Grundsatz der Sittlichkeit: „Bestrebe dich, gut und glücklich zu sein“.49 Das heißt, wir müssen unsere Glückseligkeit in Harmonie mit der Sittlichkeit suchen. Denn nur, wenn uns das höchste Gut auch den höchsten Genuss verschafft, so die Argumentationslinie Rapps, kann es uns auch dazu geneigt machen und somit auch wirklich dazu antreiben, sittlich zu handeln. Rapp kritisiert und erweitert somit die bloß formelle oder regulative Funktion des höchsten Guts der kritischen Philosophie. Die Vorgabe für dieses Vorgehen übernimmt Rapp allem Anschein nach von Reinhold, der in § 86 seines Versuchs resümierend feststellt: Aber da das vernünftige endliche Subjekt notwendig nach Glückseligkeit streben muß, so kann die Sittlichkeit nur in Verbindung mit der durch sie bestimmten Glückseligkeit das ganze höchste Gut dieses Subjektes ausmachen; und das ganze höchste Gut kann weder […] bloße Glückseligkeit […] noch […] bloße Sittlichkeit (Tugend) sein.50

Die nähere Ausarbeitung dieses Resümees behält sich Reinhold für eine spätere Theorie des Begehrungsvermögens vor, die allerdings niemals erscheinen sollte. So betrachtet mischt sich Rapp gezielt in ein moralphilosophisches Programm ein, das Reinhold angekündigt, jedoch noch nicht näher herausgearbeitet hatte. Damit zeigt er sich als ein guter Schüler, denn auch Reinhold meinte ja mit seiner neuen Vorstellungstheorie, das von Kant noch nicht gelieferte System der Vernunft zu erbringen. 1792 erscheint in Maucharts Allgemeinem Repertorium fr empirische Psychologie und verwandte Wissenschaften Rapps langer Aufsatz in zwei Teilen „Ueber moralische Triebfedern, besonders die der christlichen Religion“. Hier tritt besonders eindringlich das Programm ans Licht, Kantianismus und Storrianismus miteinander in Einklang zu bringen. Rapp spricht nämlich der Offenbarung Gottes – insbesondere der christlichen Auffassung von Liebe – eine grundlegende Rolle für die Moralbegründung zu, ohne sich deshalb – wie die Storrianer – vom Kant’schen Moralgesetz zu distanzieren. Die historische Bedeutung dieses neuen Ansatzes ist tatsächlich groß; seine Kernthesen werden von Hegel in seinen Berner und Frankfurter Fragmenten aufgegriffen und weiter49 Rapp 1791, S. 80. 50 Versuch, S. 574 f.

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entwickelt, was von der Hegel-Forschung allerdings bislang kaum wahrgenommen wurde.51 Rapp argumentiert in seinem Triebfederaufsatz gegen Kants Ansicht, dass allein die Achtung vor dem Gesetz Triebfeder für moralisches Handeln sein könne. Hierfür bezieht er sich zunächst auf eine ältere These Kants im Kanon der Kritik der reinen Vernunft. Dort behauptete Kant, dass ohne „einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt […] die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung“ seien.52 Zwar hatte der Königsberger diese Position spätestens seit der Grundlegung von 1785 aufgegeben,53 denn seitdem ist die Achtung vor dem Gesetz allein Triebfeder für das moralische Handeln, doch hat Kant trotz dieser gravierenden Umdisponierung jene Stelle in der überarbeiteten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft von 1787 weder gestrichen noch amendiert. Bemerkenswerterweise war genau diese These aus dem Kanon der ersten Kritik auch für Reinhold der eigentliche Anlass, sich im Spätsommer oder Herbst 1785 erstmals mit der Philosophie Kants zu befassen. Wie dieser in seinem ersten Brief vom 12. Oktober 1787 an Kant schreibt, war sie „das einzige Morceau das mir aus dem ganzen in der Litteraturzeitung [gemeint ist die ALZ, E.-O.O.] gelieferten Auszuge Ihres Werkes verständlich war“; er bezeichnet dieses Morceau dann näher als den „moralische[n] Erkenntnißgrund der Grundwahrheiten der Religion“.54 Doch nicht nur für Reinhold ist dies eine Schlüsselstelle der ersten Kritik, auch die Tübinger haben sich ihrer immer und immer wieder zum Nachweis dafür bedient, dass auch Kant der Religion – zumindest zeitweise – eine entscheidende Rolle für die Moralbegründung zubilligte. Rapps zentrales Argument gegen die rigorose Moraltheorie Kants scheint bereits 1790 Gegenstand der Kant-Diskussion im Stift gewesen zu sein. Zunächst einmal führt Süskind die soeben referierte Stelle aus der ersten Kritik gegen den sich immer stärker radikalisierenden Diez ins Feld. In einem Brief vom 2. Dezember 1790 schreibt ihm Süskind, nicht zu begreifen, weshalb dieser Kant und die christliche Moral so ganz miteinander unvereinbar finden könne, da ja doch Kant selbst – er bezieht 51 52 53 54

Vgl. dazu Brecht 1977. KrV A 813/B 841. Vgl. dazu Schulz 1975. KA 1.127; vgl. dazu auch meine Ausführungen in Onnasch 2010, S. LI–LVIII.

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sich auf jene Stelle der ersten Kritik, auf Gespräche mit Rapp und auf Schultz’ Erluterungen, wo jene Stelle ebenfalls an prominenter Stelle Beachtung findet – den Ideen von Gott und Unsterblichkeit Brauchbarkeit „für einen nach dem reinen Sittengesetz handelnden“ Menschen eingeräumt habe, und das nicht, wie Süskind präzisiert, weil damit eine Hoffnung auf künftige Belohnungen verbunden sei, sondern vielmehr als „ein Antrieb, eine Ermunterung, eine Unterstützung für meinen sinkenden Mut beim Kampf der Tugend.“55 Das ist zweifelsohne eine Überstrapazierung oder gar Fehldeutung jener Stelle der ersten Kritik, wichtig ist jedoch die Idee hinter der Darlegung. Weil wir nämlich auch sinnliche Wesen mit zeitweiligen Anfällen von Schwäche sind, reicht die bloße Achtung fürs Gesetz zur Erfüllung der Pflicht nicht aus, es bedarf dazu außerdem eines Mutmachers. Und diesen Mutmacher verortet Süskind mit der ersten Kritik in der Religion. Süskind lässt sich in seinem Brief noch zu einem weiteren Schritt verleiten, der tatsächlich weit über die Grenzen der kritischen Philosophie hinausgeht. Er behauptet nämlich, die Moral habe letztendlich ihren Grund in der Religion. Diese ganz unkantische Konsequenz geht zurück auf die Theologie der Storr-Schule, die sie tatsächlich entschieden vertritt. Von Rapp wird sie allerdings nicht übernommen. Sein Anliegen besteht gerade darin zu zeigen, dass die Offenbarungswahrheiten der kritischen Morallehre nicht widerstreiten, sie machen sogar einen substantiellen Grund für das von Kant nach 1785 unbefriedigend gelöste Triebfederproblem aus. Indem Rapp für die gegenseitige Angewiesenheit von Moralgesetz und Religion bezüglich der moralischen Triebfeder argumentiert, will er – im Gegensatz zu den Storrianern – dem Kant’schen Anliegen Recht widerfahren lassen, dass die Moral die Religion begründen müsse, ohne deshalb die geoffenbarten Religionswahrheiten dem Moralgesetz zu opfern. Rapp macht gegen Kant geltend, dass die Achtung vor dem Gesetz allein unserer natürlichen Abneigung gegen das unbedingte Befolgen des Sittengesetzes nicht entgegenarbeiten könne. Um das zu erreichen, benötigen wir außerdem bestimmte Inzentive, die es vermögen, zwischen Sinnlichkeit einerseits und reinem Sittengesetz anderseits zu vermitteln. Unserer natürlichen Abneigung gegen die Befolgung des Sittengesetzes ist, so Rapp, allerdings immer schon deshalb entgegengearbeitet, weil

55 Henrich 1997, S. 215.

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„Liebe und Tugend in die Herzen der Menschen gepflanzt“56 ist. Hier fällt der entscheidende Begriff einer Liebe des Herzens, den Rapp als Vermittler zwischen Sinnlichkeit und Sittengesetz einsetzt. Geleistet wird diese Vermittlung nämlich dadurch, weil wir „die Vorstellung vom Gesetz mit der vom Gesetzgeber in Verbindung […] setzen: diß geschieht, durch Erhebung der Moral zur Religion.“57 Dazu sogleich mehr. Die Vorlagen für seine neue und durch den Liebesbegriff substantiell informierte Triebfederlehre findet Rapp in den Briefen Reinholds. Nach Ansicht Reinholds hat nämlich die kritische Philosophie „auf dem Wege der Vernunft die Vereinigung zwischen Religion und Moral vollendet“, doch ist diese Vollendung zunächst durch das „Christenthum auf dem Wege des Herzens eingeleitet.“58 Der „Weg des Herzens“ ist in der historischen Entwicklung der Menschheit die ursprüngliche Haltung, die ihr im Verlauf der Geschichte allerdings auch wieder abhanden gekommen ist. Erst durch die Vernunftkritik ist sie wieder erneuert, jetzt allerdings auf dem Wege der Vernunft und nicht mehr auf dem des Herzens. Das heißt, der ursprüngliche „Weg des Herzens“ steht seit der Philosophie Kants unter dem Signum der Vernunft und ist durch die Vernunft geläutert „zur Religion des reinen Herzens“59. Hiermit wird die nach Reinhold eigentümliche Bestimmung des Christentums auf einem höheren, d. h. reflektierten Standpunkt der Menschheitsgeschichte erneut aufgestellt, nämlich „[d]ie moralischen Ansprüche der Vernunft theils für den Verstand des gemeinen Mannes zu versinnlichen, theils dem Denker ans Herz zu legen, und folglich der Vernunft bey der sittlichen Bildung der Menschheit wohltätig an die Hand zu gehen.“60 56 Rapp 1792, S. 144. – Freilich findet Rapp auch bei Kant eine Stelle, die seine Interpretation unterstützt, was sie aber sicher nur in der Rapp’schen Deutung tut. An der soeben angegebenen Stelle bezieht er sich auf KpV B 150, Kant-AA 5.84: Vgl. Es würde wenigstens die Vollendung einer dem Gesetz gewidmeten Gesinnung seyn, wenn es einem Geschöpf möglich wäre, sie zu erreichen, wenn jene ehrfurchtsvolle Scheue in Zuneigung, jene Achtung in Liebe verwandelt würde. 57 Vgl. Rapp 1792, S. 147. 58 Vgl. Rapp 1792, S. 152. Die entsprechende Passage findet sich bei Reinhold im dritten Merkur-Brief, S. 5 (= Briefe I, S. 147): „das durch die Vereinigung von beyden [Moral und Religion, E.-O.O.] auf dem Wege der Vernunft zu vollenden, die der Zweck des Christenthums ist, und von dem erhabenen Stifter desselben, auf dem Wege des Herzens eingeleitet wurde.“ 59 Dritter Merkur-Brief, S. 11 (= Briefe I, S. 154). 60 Dritter Merkur-Brief, S. 7 (= Briefe I, S. 149).

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Vor dem Hintergrund der Tübinger Debatten kann Rapp diese Auffassung Reinholds nicht befriedigen, denn die Offenbarungswahrheit wird so in einen dialektischen Prozeß zu einer Vernunftwahrheit quasi verstümmelt. Deshalb schreibt Rapp nämlich dem ursprünglichen Weg des Herzens auch nach der von Kant eingeleiteten kritischen Wende eine eigene und bleibende Macht zu und zwar deshalb, weil die „sinnlichen Neigungen des Subjekts“ nur entlang dieses Weges überhaupt mit der moralischen Triebfeder zu durchdringen sind.61 Das Moralgesetz allein ist zu dieser Durchdringung nicht in der Lage. Denn ohne sinnliche Einbettung kann es gar keinen Einfluss auf die menschlichen Neigungen haben. Gegen Reinholds Deutung, dass die kritische Philosophie die ursprüngliche, in der Menschheitsgeschichte allerdings auch wieder abhanden gekommene Einheit von Religion und Moral auf dem Wege der Vernunft wiederhergestellt habe, führt Rapp außerdem an, dass nur etwas wiederhergestellt werden kann, was nicht verlorengegangen ist. Folglich muss die neue Einheit auf dem Wege der Vernunft in ihrer ursprünglichen Form immer noch da sein. Hiermit rekurriert Rapp freilich auf die immer daseiende und sich immer erneuernde Offenbarung durch den Heiligen Geist. Jesus Christus hat Kraft der Offenbarung den Mangel der antiken Morallehre aufgehoben, indem er den „reinen Begriff von Sittlichkeit“ als „wirklich verkündigte“ und so Moral und Religion in einer „Religion des reinen Herzens“ auf immer miteinander verbunden hat. Der „Inhalt seiner [d. h. Jesu Christi, E.-O.O.] Lehre“ ist „in dem moralischen Charakter Jesu gleichsam versinnlicht“.62 Die Tatsache dass Gott wirklich und in dieser Welt gelebt, mit uns gegessen, getrunken, gesprochen, gelitten und letztendlich den Menschen auch wirklich geliebt hat, verbürgt die bleibende Wirklichkeit der Verbindung von Sinnlichkeit und reiner Vernunft bzw. reinem Gesetz. Nach Rapp liegt diese Verbindung in dem Hauptsatz der christlichen Religion beschlossen: „Gott ist die Liebe“. Die Offenbarung gibt folglich den bei Reinhold letztendlich fehlenden Grund dafür an, wie und weshalb sich „die Principien des Sittengesetzes […] in ihrem Einflusse aufs Herz versinnlichen, und in wahrer Anschauung darstellen“ lassen.63 Damit können wir nunmehr zurückkommen auf die oben angesprochene Erhebung der Moral zur Religion. 61 Vgl. Rapp 1792, S. 151. 62 Rapp 1792, S. 206. 63 Dritter Merkur-Brief, S. 30 (= Briefe I, S. 174).

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Auch in diesem Zusammenhang greift Rapp auf die Begrifflichkeit der Briefe zurück, insbesondere auf den zwischen Sinnlichkeit und Vernunft vermittelnden „Mittelbegriff“, d. h. den Begriff des „Vaters“.64 Das Christentum stellt uns nämlich den „Gesetzgeber und Richter als einen liebenden Vater“65 vor, wodurch Jesus Christus jene, „die das Gesetz nicht lieben konnten, den Gesetzgeber lieben lehrte.“66 Der Vater liebt seine Kinder und lehrt sie kraft dieser Liebe auch ihn zu lieben. Dies ist, was Achtung, nunmehr jedoch Achtung als eine auch sinnliche Wirkung hervorbringt. Dieses psychologisch motivierte Argument im menschlichen Dasein ist, so Rapp, kraft der Offenbarung auch auf die Liebe Gottes zu übertragen. Die Gottesliebe bekommt so die Funktion, den Menschen für die Befolgung des Sittengesetzes geneigt zu machen. Zwar ist die Gottesliebe ein reines Gesetz, weil sie aber in Jesus Christus wirklich gelebt wurde, kann sie unser sinnliches Wirken oder unsere Neigungen wirklich mitbestimmen. Vermittelst des christlichen und über die Vatergestalt sinnlich gemachten Liebesgebots kann Rapp die Forderung des Evangeliums als ein „leichte(n) [s] Gebot der Liebe“ deuten, „zu dessen Erfüllung Liebe die Triebfeder seyn soll“.67 Rapps Anliegen, die Theologie der Storr-Schule mit der Kant’schen Moralphilosophie zu verbinden, ist einerseits eine klare Absage an die extremen Kantianer im Stift, anderseits aber auch eine Kritik der Storrianer, die, wie Flatt, der Kant’schen Moralphilosophie die Ansicht unterstellen, dass Gottes Wille auch mein Wille sein müsse, was zur Folge hat, dass des Menschen Tugend keinen eigenen intrinsischen Wert mehr hat. Bemerkenswert ist allerdings die Beobachtung, dass Rapp für seinen Vermittlungsversuch intensiv auf Themen und Einsichten rekurriert, die Reinhold in seinen Briefen entwickelt hat. In ihnen liegt somit jenes Potential beschlossen, das Rapp und letztendlich auch Hegel die argumentativen Mittel bereitstellt, um die Überwindung der rigorosen Moralphilosophie Kants angehen zu können.

64 65 66 67

Vgl. Dritter Merkur-Brief, S. 6 (= Briefe I, S. 148). Vgl. Rapp 1792, S. 154. Vgl. Rapp 1792, S. 153. Vgl. Rapp 1792, S. 156.

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4. Schelling und ein Ausblick Viele Studenten, die unter der Obhut der Stiftsrepetenten der frühen 1790er Jahre standen, sind in ihrem Denken nachhaltig von den Inhalten der Reinhold’schen Briefe, sowie den dazugehörigen Diskussionen im Stift inspiriert worden. Zwar gibt es kaum Nachrichten darüber, ob sich die jüngeren Stiftler wie Schelling, Hegel und Hölderlin tatsächlich an den Diskussionen der Repetenten beteiligt haben (Anfang der 90er Jahre gab es am Stift extrem viele Repetenten, nämlich neun), doch werden ihnen ihre Standpunkte und deren Hintergründe in der Reinhold’schen Philosophie kaum entgangen sein. Wie gesagt ist bislang kaum angemessen untersucht, geschweige denn bewertet, wie stark die Briefe im Stift gewirkt haben. Soweit ich sehe, ist immer noch nicht bemerkt, dass auch Schellings im Sommer 1792 verfasste Magisterdissertation De malorum origine Reinholds Briefen entscheidende Einsichten hinsichtlich des Ursprungs des Bösen verdankt. Obwohl die Dissertation den Ursprung des Bösen zum Gegenstand hat, ist sie ein Dokument, das sich auch als ein Beitrag zur Diskussion im Stift über die Verbindung von Moral und Religion verstehen lässt. Schelling versucht diesbezüglich einen eigenen Weg zu gehen. Anders als Diez und Rapp kommt es ihm nämlich darauf an, die in den Briefen dargestellte und sich in der Menschheitsgeschichte ausbildende Alleinherrschaft der Vernunft als den Zweck dieser Menschheitsgeschichte auszuweisen, d. h. eine Offenbarung ist für eine solche Zwecksetzung nicht notwendig. Der für den Ursprung des Bösen wichtige § 7 von De malorum origine stellt zunächst fest, dass die menschliche Natur sowohl sinnlich als auch vernünftig sei. In der modernen Literatur wird für diese Distinktion auf Platons Seelenteile hingewiesen. Doch scheinen diesbezüglich Reinholds Briefe und möglicherweise auch Rapp eine mindestens genauso wichtige Quelle zu sein, denn dieser wie jener betrachten Sinnlichkeit und Vernunft als Komponenten für die „drey Hauptepoken“, durch die die Geschichte der Menschheit gekennzeichnet ist.68 Dieses von Reinhold 68 Dritter Merkur-Brief, S. 33 f. (= Briefe I, S. 177 f.). Reinholds Lehre von den drei Weltepochen findet sich besonders prägnant ausgeführt auch im 12. Brief der 1790 erschienenen Buchausgabe der Briefe, der in großen Teilen eine Überarbeitung ist des 1786 im Teutschen Merkur erschienenen Aufsatzes „Skizze einer Theogonie des blinden Glaubens“. Freilich hat Reinhold dieses Schema der drei Weltepochen auch nicht selbst erfunden, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach Adam Weishaupts (1748 – 1830) illuminatistischen Schriften entnommen. Er gestaltet Weishaupts Vorlage allerdings systematisch um, wobei der leitende

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entwickelte Epochenmotiv greift Schelling in § 7 für seine dreigliedrige Menschheitsgeschichte auf: Erstens, sinnlicher Mensch, wobei Sinnlichkeit und Vernunft noch unvermittelt zusammenfallen; Schelling spricht vom goldenen Anfang der menschlichen Kindheit (aurea […] infantiae humanae primordia).69 In diesem goldenen Zeitalter (aetas aurea) ist der Mensch – innerhalb der Grenzen seiner Sinnlichkeit – glückselig in seiner Unschuld und in Unkenntnis höherer Dinge. Zweitens findet dann ein Abfall von diesem glückseligen Zustand statt, indem sich die Vernunft von der Sinnlichkeit in immer komplexer werdenden Entwicklungsstufen emanzipiert. Es entsteht ein Zeitalter der inneren Zerrüttung, weil der vernünftige Mensch sich entweder der Sinnlichkeit unterstellt, was die Vernunft nicht billigt, oder aber sich der sinnliche Mensch der Vernunft unterstellt, womit er seinem sinnlichen Wesen untreu wird.70 Das Handlungsprinzip dieses Zeitalters ist das der Selbstliebe, was Krieg und Streit zur Folge hat, aber gleichfalls auch Kultur, Handwerk, Gemeinwesen, Humanität und Wissenschaft hervorbringt. Es ist dieses Zeitalter, das der Menschheit das Übel gebracht hat.71 Zugleich entsteht aus diesen Verhältnissen der allgemeinen Zerrüttung auch die das dritte Zeitalter einleitende Rettung, indem nämlich das Böse auch zur Vollendung des höchsten Ziels der Menschheit beiträgt.72 Kultur und Entwicklung der Wissenschaften versetzen die Menschheit nämlich auch in die Lage, nach dem Bösen in sich zu forschen. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse lenken, so Schelling, den Geist auf seiner „Suche nach dem Weg zu einer immer höheren und glückseligeren Vollkommenheit“73. Es eröffnet sich der Blick auf das dritte Zeitalter, in dem die Menschheit ihren eigentlichen Zweck findet: die Alleinherrschaft der Vernunft über alles Menschliche, wodurch schließlich die in uns selbst gegründeten Gesetze des Guten und Wahren überall herrschen werden. Es findet eine Rückkehr ins goldene Zeitalter

69 70 71 72 73

Gedanke nicht nur der ist, von einer ursprünglichen instinktiven Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit, der Emanzipation der Vernunft von dieser Einheit und schließlich einer neuen, nunmehr in sich reflektierten Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit fortzuschreiten, sondern auch, dass die kritische Philosophie diese letzte Einheit tatsächlich hervorgebracht hat. Schelling, De malorum origine (1792), Schelling-AA I/1.94. Vgl. Schelling-AA I/1.95. Vgl. Schelling-AA I/1.97. Vgl. Schelling-AA I/1.98. Schelling-AA I/1.98.

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statt, allerdings jetzt unter Führung und Leitung der Vernunft (sed sola duce et auspice ratione).74 Von der Forschung, aber auch von Schelling selbst wird die Rede von den drei Zeitaltern auf den Göttinger Orientalisten Johann Gottfried Eichhorn (1753 – 1827) zurückgeführt, der die Mythentheorie seines Lehrers Christian Gottlob Heynes (1729 – 1812) erstmals auch auf die alttestamentliche Exegese übertragen hatte. Bezeichnend ist es jedoch, dass Schelling Reinholds Briefe in diesem Zusammenhang nicht einmal erwähnt, obwohl hier genau dasselbe dreigliedrige Schema auf die Entwicklung der Menschheit bezogen wird. Dass Reinholds Epochen für Schellings Dissertation die entscheidende Quelle sind, geht m. E. aus ihrer Pointe hervor. Gegen Reinholds Ansicht, dass die dritte Weltepoche mit der Kant’schen Philosophie erreicht sei, führt Schelling nämlich an, sie sei eine dem Menschengeschlechte durch die Vernunft bloß angekndigte Epoche. Mithin versteht Schelling nicht nur die Philosophie Kants, sondern auch die Reinholds lediglich als Vorstufe für eine Epoche, die es erst noch zu erreichen gilt. Es ist gut möglich, dass Schelling hier die in der Fundamentschrift (1791) besonders klar vorgetragene Ansicht aufgreift, die kritische Philosophie sei bloß Propädeutik für das noch aufzustellende System der Vernunft, denn dann ist das System selbst, das die Menschheit ins goldene Zeitalter führen wird, tatsächlich noch Aufgabe. Eine Aufgabe freilich, die sich der junge Schelling gestellt hat, sofern ja so gut wie alle Stiftler meinen, auf der Grundlage sowohl der kritischen Philosophie als auch der neuen Vorstellungstheorie sei ein solches System nicht herbeizuführen. Die Anfang der 90er Jahre im Stift anhebenden Diskussionen um die kritische Philosophie haben Schelling, aber auch seine Kommilitonen Hegel und Hölderlin bald – d. h. bereits um 1792 – davon überzeugt, dass die kritische Philosophie nicht die große Verheißung ist, die Reinhold noch in ihr erkannt hatte. Tatsächlich weist nichts in den frühen Schriften und Manuskripten der jungen Tübinger darauf hin, dass sie die Standpunkte der kritischen Philosophie noch wirklich ernst nehmen, bzw. für nicht wesentlich erweiterungsbedürftig halten. Dafür war im Stift schon zuviel passiert: Flatt kritisiert den leeren Vernunftglauben, Diez wird mit Kant in der Hand zum Atheisten, Rapp versucht Vernunftkritik und Offenbarung miteinander in Einklang zu bringen, sofern sich die Wahrheit der kritischen Philosophie seiner Ansicht nach nur verteidigen 74 Vgl. Schelling-AA I/1.99.

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lässt, wenn sie mit dem substantiellen Element der Liebe angereichert wird. Diesen Diskussionskontext treffen die jungen Stiftler an, wenn sie selbst anfangen, sich intensiver mit Kant zu beschäftigen. Der Topos der Briefe Reinholds, die kritische Philosophie führe den Menschen in eine neue Menschheitsepoche, muss den jungen Studenten mithin bereits höchst problematisch erscheinen. Nicht aber die Idee, die diesem Topos zugrunde liegt. Implizit spricht Schellings Magisterdissertation die Forderung aus, dass eine neue Philosophie, ein neues Denken her muss, das die Kraft besitzt, die Menschheit endlich ins verheißene goldene Zeitalter zu führen. Angesichts eines solchen Plans ist die Philosophie Kants und Reinholds eine bereits verflogene Gestalt der Philosophie- und Menschheitsgeschichte und erfüllt allerhöchstens noch die Rolle einer Vorbotin für das neue goldene Zeitalter.

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V. Folgen und Wirkungen

Freiheit und Sittlichkeit in Reinholds Briefen, mit Berücksichtigung der Ansichten Kants und Fichtes über dieses Thema* Marco Ivaldo Abstract: My interest in the practical philosophy and ethics Karl Leonhard Reinhold in this essay has mainly a systematic and theoretical reason. Especially in the second volume of his Letters on Kant’s Philosophy (1792), Reinhold presents a conception of the will as the faculty of the person to determine her choice in favor of or against the moral law. This is important to critically reconsider the question of freedom. In the following contribution I will outline some basic views of Reinhold about freedom and morality in the second volume of the Letters. Then I will take into account some ideas of Kant (Critique of Practical Reason) and Fichte (Ethics 1812) on freedom and morality, that are important for ethical and philosophical reflection. Finally I make a short comparison between these ideas of Kant and Fichte and those of Reinhold.

1. Vorwort Mein Interesse für die praktische Philosophie und die Sittenlehre Reinholds im vorliegenden Beitrag ist vorwiegend systematisch-theoretisch begründet. Vor allem im zweiten Band seiner Briefe ber die Kantische Philosophie (1792) vertritt Reinhold eine Auffassung der Willensfreiheit als Vermögens der Person, sich selbst gemäß dem oder gegen das Sittengesetz zu bestimmen, die mir von Bedeutung scheint, um das Problem der Freiheit zu überdenken und zu vertiefen – jenes Problem, das seit Descartes im Mittelpunkt der modernen Philosophie steht. Reinholds (wohl bekannte) Überzeugung ist, dass ein richtig verstandener Begriff des Willens bzw. der Willensfreiheit die entscheidende Voraussetzung für die „Wissenschaft des Sittengesetzes“, und zwar für „die Moral“ bildet, da das moralische Gesetz sich nur als Gesetz eines

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Für die wertvollen Sprachverbesserungen bin ich Herrn Erich Fuchs sehr dankbar.

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(freien) Willens angemessen denken lässt. Reinhold zufolge ist „ohne Freyheit des Willens […] keine Moralität denkbar“1. Ebenfalls bekannt ist, dass Reinhold seine Erörterung und Erhellung des Freiheitsbegriffs als eine wichtige Leistung im Rahmen der Sittenlehren seiner Zeit betrachtete, als einen entscheidenden Beitrag zu einer in praktischer Hinsicht ergänzten „Elementarphilosophie“. Einer These von Alfred Klemmt2 folgend, die durch Faustino Fabbianelli und Martin Bondeli wieder aufgenommen worden ist,3 ließe sich dementsprechend eine gewisse Parallelität feststellen zwischen Reinholds Konzeption der „Tatsache des Bewusstseins“ im Rahmen der theoretischen Philosophie und – in der praktischen Philosophie – der Auffassung der Freiheit des Willens als Freiheit zum Guten und zum Bösen, die sich ebenfalls als eine Tatsache ankündigt. Diese Konzeption Reinholds wäre – zumindest zu Anfang der neunziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts – als eine Philosophie (Phänomenologie?) der Tatsachen des Bewusstseins auszulegen, die den Angaben des „gemeinen“ bzw. „gesunden“ Menschenverstandes Rechnung tragen will und die sich einerseits in der Theorie der Vorstellung artikuliert und andererseits eine bestimmte Konzeption der Willensfreiheit als eines Vermögens der Wahl für oder gegen das Sittengesetz entfaltet und die Grundlage der Sittlichkeit bildet. In Reinholds Analytik des menschlichen Bewusstseins spielt somit die phänomenologische Erhellung der Willensfreiheit keine sekundäre, sondern – zusammen mit der Vorstellungstheorie – eine tragende Rolle in dem Bemühen, den wahren Sinn der Kant’schen ,Revolution‘ in der Philosophie herauszustellen und diese darüber hinaus weiter zu entwickeln. Dies zu tun beabsichtigt Reinhold durch seine Briefe. Einige Interpreten, z. B. jüngst Günter Zöller, haben aber andererseits in Reinholds Auffassung der Freiheit als erfahrbarer Tatsache des sittlichen Bewusstseins die Gefahr einer Theoretisierung der Freiheit gesehen, einer Theoretisierung, welche Reinholds Konzeption der Freiheit und des Praktischen von denjenigen Kants und Fichtes grundsätzlich abhöbe.4 In folgendem Beitrag, auch durch diese kritischen Überlegungen veranlasst, 1 2 3 4

Briefe II, S. 186, RGS 2/2.138. Vgl. Klemmt 1958, S. 465 u. 471 f. Vgl. Fabbianelli 1998 – 1999, S. 53 Anm. Vgl. auch Fabbianelli 2000. Von Martin Bondeli vgl. die Einleitung in Briefe II, RGS 2/2.LXX ff. Vgl. Zöller 2006, der behauptet, die praktische Philosophie Reinholds verbleibe „im Feld der Tatsachen des sittlichen Bewußtseins und deren logisch-analytischen Erhellung im Rahmen der Moralpsychologie“ (75). Zum Thema siehe auch Schönborn 2006.

Freiheit und Sittlichkeit in Reinholds „Briefen“

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möchte ich einige Grundzüge von Reinholds Freiheits- und Sittlichkeitsauffassung aus dem zweiten Band der Briefe darlegen. Anschließend werde ich einige Vorstellungen von Kant und von Fichte über Freiheit und Sittlichkeit in Betracht ziehen, die ich für eine aktuelle Erörterung des Themas von Belang halte.

2. Reinholds Stellungnahme zu Kant in den Briefen II Es ist anfangs angebracht, die Stellungnahme Reinholds in den Briefen zu der Kant’schen Freiheitsauffassung bündig darzulegen. Aus der „Erörterung des Begriffs von der Freyheit des Willens“ (8. Brief) ziehe ich drei Stellen in Betracht, die mir zu diesem Zweck von Interesse scheinen. Zuerst führt Reinhold aus, die Kant’schen Kritiken sowohl der reinen als auch der praktischen Vernunft haben den nach seiner Auffassung „richtigen Begriff von der Freyheit“ „nur angedeutet, keineswegs aber mit denjenigen Merkmalen aufgestellt, die seinen Gegenstand von allen andern unterscheiden“.5 In diesem Sinne habe die Vernunftkritik keine „Erklärung“ des Freiheitsbegriffes angeben können, und das – wie Reinhold interessanterweise erläutert – gerade deshalb, „weil sie dieselbe [Erklärung] nur erst möglich machen konnte und mußte“. Diese Erläuterung gibt Reinhold Anlass für eine ihm eigentümliche, kritische Bemerkung über die Kants „Schüler“: Der Übergang von der Möglichkeit der Erklärung, durch Kant gewährleistet, zur Wirklichkeit derselben, wurde „durch die meisten hieher gehörigen Schriften der Freunde der kritischen Philosophie vielmehr erschwert als erleichtert“ (zu den letzteren zählt Reinhold v. a. Carl Christian Erhard Schmid, aber nicht nur diesen).6 Eine ähnliche Stellungnahme enthält eine zweite Stelle, wo Reinhold feststellt, die Kant’schen Schriften haben den bestimmten Begriff, der das logische Wesen des Willens beinhaltet, „nur erst vorbereitet, keineswegs schon geliefert“.7 Denn Kants Äußerungen über den Willen sollen nach Reinhold nur gewisse Bestimmungen des Willens, nicht aber das „Wesen“ selbst des Willens zum Ausdruck bringen. Nimmt 5 6

7

Briefe II, S. 263, RGS 2/2.183. Der Herausgeber der Briefe in den Gesammelten Schriften, Martin Bondeli, erwähnt unter den durch Reinhold so bezeichneten „Freunden der Kantischen Philosophie“ auch folgende mögliche Autoren: C. J. Kraus, J. H. Abicht, J. G. C. C. Kiesewetter, L. H. Jakob, C. W. Snell, K. H. Heydenreich, S. Maimon, J. L. Ewald (vgl. RGS 2/2.376 Anm.). Briefe II, S. 268, RGS 2/2.186.

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man die Kant’schen „Expositionen“ für „Definitionen“ – wie einige seiner „Schüler“ getan haben –, so werden jene Expositionen „schlechterdings unwahr“. Die dritte Stelle betrifft die „Resultate der Kantischen Philosophie“ mit Rücksicht auf den durch Reinhold aufgestellten Begriff vom „freyen Willen“. Dieser Begriff lautet – will man eine der Definitionen, die Reinhold in den Briefen anführt, in Betracht ziehen – folgendermaßen: Die Freiheit des Willens sei „das Vermögen der Person sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens entweder nach dem praktischen Gesetze oder gegen dasselbe zu bestimmen“8. Die Vernunftkritik hat – Reinhold zufolge – diesen Begriff „vorbereitet“; er ist ja ihrem „Geiste“ „vollkommen angemessen“, aber es widerspricht – so Reinhold – „dem Buchstaben“ einiger Äußerungen der Kant’schen moralphilosophischen Schriften, wenn man diese Äußerungen gegen die eigentliche Absicht des Verfassers für „logische Erklrungen“ des freien Willens annehmen würde: ,Gegen die Absicht‘ Kants, weil dieser keineswegs gewollt habe, dass solche Äußerungen als logische Erklärungen angenommen würden. (Der Unterschied – paulinischer und dann lutherischer Herkunft – zwischen Geist und Buchstabe ist ein in jener Epoche ziemlich gängiger Ausdruck – denkt man z. B. an Fichte oder Jacobi –, der gerade auch verwendet wird, um Resultat und Erbe der Kant’schen Philosophie zu bewerten). Reinhold glaubt z. B., behaupten zu dürfen, Kant habe nicht „die Freyheit bloß auf den reinen Willen eingeschränkt, das Positive derselben in der praktischen Vernunft aufgesucht, und den Willen für nichts als die Causalität der Vernunft beym Begehren angesehen wissen wollen“9, denn Kant hält daran fest, dass nicht nur die sittlichen, sondern auch die unsittlichen Handlungen, als freiwillig anzuerkennen sind. Dennoch könnten Reinhold zufolge einige Äußerungen Kants zu diesen Themen, wenn man sie (irrtümlich) für „logische Erklärungen“ nimmt, zu Missverständnissen über den eigentlichen Begriff des freien Willens führen. Die Stellungnahme Reinholds zu Kant lässt sich also folgendermaßen zusammenfassen: Kant habe den richtigen Freiheitsbegriff nur „angedeutet“ und „vorbereitet“, keineswegs aber „geliefert“ und „erklärt“. Was die „Erklärung“ anbelangt, habe Kant (nur) ihre Möglichkeit gewährleistet, nicht aber ihre Wirklichkeit zustande gebracht. Nimmt man einige Äußerungen Kants über die Willensfreiheit als „logische Erklärungen“ bzw. als „Definitionen“ an – was sie aber nicht sein wollten –, 8 9

Briefe II, S. 271 f., RGS 2/2.188. Briefe II, S. 285, RGS 2/2.194.

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gerät man zu dem richtigen, dem Geist der Kant’schen Morallehre durchaus entsprechenden Begriff der Freiheit in Widerspruch. Es lässt sich vermuten, Reinhold habe seine Bestimmung der Willensfreiheit als die geforderte „Erklärung“ des von Kant erst angedeuteten Freiheitsbegriffes angesehen wissen wollen.

3. Reinholds Lehre von der Freiheit des Willens Der Begriff der Freiheit, den Reinhold in den Briefen vertritt, hebt sich zum Teil von demjenigen ab, den Reinhold 1789 im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens dargelegt hatte. Denn in diesem früheren Werk begegnen uns zwei Charakterisierungen der Freiheit, die nicht dasselbe bedeuten oder sich mindestens nicht auf eine einfache Identität führen lassen. Die erste trifft man im ersten Buch des Versuchs, im „Ueber den Erkenntnißgrund der Grundwahrheit der Moralität“ betitelten Paragraphen. Da wird die Freiheit als das Vermögen bestimmt, aufgrund dessen „der Handelnde bey der Ausübung desselben weder durch die Vernunftgesetze noch durch die Forderung der Sinnlichkeit gezwungen handelt“.10 Positiv ausgedrückt: Die Freiheit ist das Vermögen, zwischen zwei Gesetzen, dem der Vernunft und dem der Sinnlichkeit, auszuwählen, so dass der Mensch die freie Wahl hat, entweder seine eigene Entscheidung durch die Vernunft selbst zu bestimmen oder sie durch die Objekte der Sinnlichkeit bestimmen zu lassen. Reinhold hebt hervor: Der Mensch muss wählen, und zwar entweder der Vernunft oder der Sinnlichkeit den Vorrang zu geben, aber er ist bei dieser (notwendigen) Wahl frei. Nach dieser (ersten) Charakterisierung besteht daher die Freiheit in der Wahlfreiheit angesichts einer zweifachen Forderung, der der Vernunft und der des sinnlichen Triebes. „Aus der Notwendigkeit des Vernunftgesetzes folgt, daß der Mensch […] zwischen beiden [Vernunft und Sinnlichkeit] whlen msse, aber keineswegs, daß er keine Wahl habe, nicht frei sei“.11 Die zweite Charakterisierung findet sich im dritten Buch des Versuches, in den „Grundlinien der Theorie des Begehrungsvermögens“. Hier bezeichnet Reinhold als praktische Vernunft jene „Selbstthätigkeit“, in der das Vermögen liegt, das Objekt des rein-vernünftigen bzw. des uneigennützigen Triebes zu realisieren, und er versteht den „reinen Willen“, als das Vermögen des Subjekts, „sich 10 Versuch, S. 90. 11 Versuch, S. 90.

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durch die Selbstthätigkeit des rein-vernünftigen Triebes zum Handeln zu bestimmen“.12 Nun ist der Wille insofern frei, als er als Vermögen der Spontaneität der Vernunft durch kein „Afficiertwerden“ gezwungen werden kann und weder an das Gesetz des uneigennützigen Triebes noch an dasjenige des eigennützigen (sinnlichen, empirischen) Triebes gebunden ist. Bei dieser Behauptung der Unabhängigkeit des Willens von den Gesetzen beider Triebe scheinen wir von der Charakterisierung der Freiheit im ersten Buch des Versuchs nicht weit entfernt. Eine Akzentverschiebung wird in dem Zusatz erkennbar, der Wille handle nur „komparativ“ frei, wenn er sich dem ihm „fremden Gesetz“ des eigennützigen Triebes unterwirft; er handelt hingegen „absolut“ frei, indem er dem Gesetz des uneigennützigen Triebes, also der praktischen Vernunft folgt. Was ich Akzentverschiebung der zweiten Charakterisierung im Vergleich zu der ersten genannt habe, liegt m. E. darin, dass nach der Definition des ersten Buches das Subjekt bei seiner Wahl nicht nur komparativ, sondern absolut, oder besser: real frei ist, selbst wenn es sich entscheidet, sich von den Gesetzen der Sinnlichkeit bestimmen zu lassen (was es freilich nicht soll), während nach der Charakterisierung im dritten Buch das Subjekt nur dann ,absolut‘ frei ist, wenn es das Vernunftgesetz befolgt. Im ersten Buch wird der Akzent auf die Freiheit als Vermögen der Wahl gelegt; im drittem Buch rücken hingegen das Begehrungsvermögen und die Selbsttätigkeit der Vernunft in den Vordergrund, so dass die Freiheit ihre ganze Bedeutung zu gewinnen scheint, indem sie nicht so sehr als Vermögen der Wahl, sondern als Vermögen der Spontaneität der Vernunft, oder der Befolgung des uneigennützigen Triebes begriffen wird. Die Briefe scheinen mir die erste Charakterisierung der Freiheit aufzunehmen und weiter zu entwickeln und die zweite insofern fallen zu lassen, als diese eine – nach den Briefen irreführende – Identifizierung von praktischer Vernunft und Willen mit sich bringen würde, jene Identifizierung, die Reinhold – wie wir bereits gesehen haben – bei den „Freunden der Kantischen Philosophie“ tadelt. Das bedeutet aber nicht, dass die Errungenschaften der „Theorie des Begehrungsvermögens“ – beispielsweise die Idee einer praktischen Vernunft als spontaner Selbsttätigkeit und als Trieb – rückgängig gemacht werden; sie werden aber in den ersten Gesichtspunkt der Freiheit – Freiheit als Vermögen der Wahl – aufgenommen und von daher weiter durchdacht. Wie anfangs angedeutet, bilden die Begriffe des Willens und der Willensfreiheit die Prämisse des Sittlichkeitsbegriffs. Reinhold verteidigt 12 Versuch, S. 571.

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– in der Linie Descartes’ – eine bestimmte Konzeption der Freiheit des Willens, nicht nur der Freiheit des Handelns: Letztere lässt sich vielmehr erst von der ersteren her begründen und erklären. Wichtig ist daher, zunächst jenen Begriff des Willens zu deuten, der ab dem 6. Brief im Zusammenhang mit dem Verhältnis von eigennützigem und uneigennützigem Trieb beleuchtet wird. Ersterer ist der Trieb, der durch Lust bzw. Unlust tätig und im Erfolgsfalle befriedigt wird. Der eigennützige Trieb ist demnach Streben nach Vergnügen, das nicht nur physischer, sondern auch ästhetischer und moralischer Art – etwa als Vergnügen am Schönen und am Guten – sein kann. Der uneigennützige Trieb ist hingegen weder Streben nach Genuss, auch nicht nach ,höheren‘ Genüssen, noch altruistische Neigung, Wohlwollen gegen andere Menschen. Er ist „einzig und allein die praktische Vernunft“13, inwiefern diese als ein Trieb gedacht wird, dessen Forderung sich von derjenigen des eigennützigen Triebes abhebt. Die Forderung der praktischen Vernunft ist eben das Gesetz, dem alle freiwilligen Befriedigungen des eigennützigen Triebes unterworfen sind bzw. sein sollen (und können). Man könnte diesen Gedanken auch folgendermaßen erläutern: Der uninteressierte Trieb, die praktische Vernunft stellt das bestimmende Kriterium für die gerechte Befriedigung bzw. die Nichtbefriedigung der Forderung(en) des eigennützigen Triebes auf. Nun ist ein solches Kriterium bzw. die Forderung des uneigennützigen Triebes das Sittengesetz selbst und dessen Vorschrift: „Bey allen deinen Willenshandlungen sey die Befriedigung oder Nichtbefriedigung deines eigennützigen Triebes der Forderung des uneigennützigen untergeordnet“.14 Zwischen beiden Trieben hält nun der Wille die Position eines „Mittleren“15, was aber nicht so verstanden werden darf, als ob der Wille eine weitere, dritte Äußerung des menschlichen Begehrungsvermögens (in weiterer Bedeutung des Wortes) wäre, neben den zwei ursprünglichen Trieben desselben, dem sinnlichen und dem vernünftigen. Reinhold erklärt, der Wille sei von beiden Trieben dadurch verschieden, dass er sich selbst seine „Handlungsweise“ bestimmt und mehr als nur eine „Handlungsweise“ hat, während die zwei ursprünglichen Triebe „unwillkürlich“ tätig sind und nur eine einzige, notwendige, „Handlungsweise“ haben, der Eine das Streben nach Vergnügen, der Andere die Aufstellung des Sittengesetzes. Dementsprechend ist der Wille kein Trieb und keine 13 Briefe II, 7. Brief, S. 193, RGS 2/2, 135 14 Briefe II, S. 187, RGS 2/2.139. 15 Vgl. die Einleitung von Martin Bondeli in Briefe II, RGS 2/2.LXX f.

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bloße Äußerung der Triebe, auch keine bloße Äußerung des Vernunfttriebes, sondern ein „freyes Vermögen“ der Person. Anders ausgedrückt: Der Wille ist „Selbstbestimmung“ in Bezug auf beide Triebe – darin läge seine Position bzw. Funktion als aktives Medium –, oder – wie Reinhold sich äußert – der Wille ist „Selbstbestimmung für oder gegen die Forderung des uneigennützigen Triebes zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des eigennützigen [Triebes]“16. Dass der Wille eine von beiden Trieben unabhngige Selbstbestimmung der Person ist, bedeutet aber nicht, dass diese Selbstbestimmung wie in einem leeren Raum erfolge bzw. erfolgen müsse. Einerseits ist die Willensfreiheit das Vermögen der Selbstbestimmung angesichts der Forderungen der Triebe, die als Veranlassungsgründe wirken (darauf werde ich später noch eingehen). Andererseits sind die Forderungen der beiden Triebe, selbst wenn sich die Selbstbestimmung nur in Anbetracht beider vollziehen kann, keineswegs als für die Willensentscheidung gleichwertige Faktoren einzuschätzen. Denn wenn die Person sich selbst gegen die Forderung des uninteressierten Triebes bzw. der praktischen Vernunft entscheidet, wie es ihr freilich faktisch möglich ist, gerät sie (logischmoralisch) in Widerspruch zu sich selbst. Wir lesen in diesem Sinne an einer beachtenswerten Stelle: „Da die Forderung des uneigennützigen Triebes lediglich durch reine Selbstthätigkeit der Person (praktische Vernunft) geschieht [praktische Vernunft ist mithin Selbsttätigkeit der Person, und Wille ist Selbstbestimmung der Person selbst], so kann die Person nur durch einen Widerspruch mit sich selbst dieser Forderung zuwider handeln“17. Dieser Selbstwiderspruch der Person wird nicht durch die Vernunft – die Vernunft kann sich nicht widersprechen –, wohl aber durch die Freiheit des Willens möglich.

4. Der Sittlichkeitsbegriff Diese Freiheit des Willens – oder das, was Reinhold in diesem Zusammenhang die „natürliche Freiheit des Willens“ nennt, also jene Freiheit, die dem Wesen des Willens angehört – ist demnach das Vermögen der Person, sich selbst mit Rücksicht auf die Befriedigung oder die Nichtbefriedigung des eigennützigen Triebes entweder gemäß der Forderung der praktischen Vernunft oder gegen dieselbe zu bestimmen. Zum Wesen 16 Briefe II, S. 183, RGS 2/2.135 f. 17 Briefe II, S. 185, RGS 2/2.137.

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der Willensfreiheit gehört zugleich – das ist ein bei Reinhold durchaus ausschlaggebender Punkt – ihr Unterschied von der Selbsttätigkeit der praktischen Vernunft und deren Gesetz: Die Freiheit des Willens ist das Vermögen, mit Rücksicht auf die willentliche Befriedigung des interessierten Triebes dieses Vernunftgesetz (das Sittengesetz) zu befolgen oder zu übertreten, und (teleologisch angesehen) die Vernunft selbst entweder als Zweck oder als bloßes Mittel der Befriedigung des eigennützigen Triebes zu gebrauchen. Freiheit ist potestas ad utrumque, Selbstbestimmung gemäß dem oder gegen das Sittengesetz in Bezug auf die Befriedigung der Forderung des empirischen Triebes. In Rücksicht auf den Sittlichkeitsbegriff erklärt Reinhold, Sittlichkeit (Moralität) in weiterem Sinne bedeute jenes Verhältnis zwischen den Forderungen beider Triebe, das bei einer Handlung des Willens und durch sie vorkommt, und Sittlichkeit im engeren Sinne (moralische Güte) sei eine bestimmte Form dieses Verhältnisses selbst, nämlich die willentliche, freie „Unterordnung“ der Befriedigung des eigennützigen unter die Forderung des uneigennützigen Triebes (= unter das Sittengesetz). Zu dieser Charakterisierung kann zweierlei bemerkt werden. Erstens spielt nach Reinhold im sittlichen Leben die Anwesenheit und die Forderung des eigennützigen Triebes eine mit entscheidende Rolle. An Baggesen schrieb er 1792: „Ich [entferne] mich sogar über den Begriff von Sittlichkeit von Kant […], indem ich mir ohne Sinnlichkeit keine Sittlichkeit denken kann“.18 Die Sittlichkeit und das sittliche Leben bestehen in einem durch den Willen hervorgebrachten und von ihm bestimmten Verhältnis zwischen Vernunfttrieb und sinnlichem Trieb, wobei ersterem der Vorrang zuerkannt sein soll, damit das Verhältnis selbst als ,moralisch gut‘ angesehen werden könne – ob die Sinnlichkeit bei Kant kaum eine Rolle für die Sittlichkeit spiele, lässt sich indessen m. E. mindestens bezweifeln. Wenn man z. B. den gegen Christian Garve gerichteten Teil des Aufsatzes ber den Gemeinspruch (1793) in Betracht zieht, in dem einige Grundgedanken der moralischen Grundlegungsschriften brillant weiter entwickelt werden, und wo Kant dem Glückseligkeitsstreben eine mitlaufende, obwohl freilich nicht letztendlich bestimmende Rolle im sittlichem Leben zuerkennt, legt sich ein solcher Zusammenhang doch zumindest nahe.19 Die zweite Bemerkung ist, dass Reinhold, um das moralisch gelungene Verhältnis zwischen Vernunft und 18 Baggesen-Briefe, 1.168. 19 Vgl. Kant-AA 8.278 ff.; vgl. auch GMS, Kant-AA 4.399 und KpV, Kant-AA 5.93 u. 61 f.

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Sinnlichkeit auszudrücken, den Terminus „Unterordnung“, den er ausdrücklich von „Unterdrückung“ abhebt, konsequenterweise verwendet: „Unterordnung, nicht Unterdrkkung, Beschränkung, nicht Vernichtung der freywilligen Befriedigung des eigennützigen Triebes ist das Objekt des Sittengesetzes“20. Dementsprechend kann der Vernunfttrieb einerseits zur Befriedigung seiner eigenen Forderung, also zur Erfüllung des Sittengesetzes, des eigennützigen Triebes nicht entbehren; andererseits setzt der Vernunfttrieb der Beschränkung des eigennützigen eine „moralische Gränze“, indem er, in gewissen Fällen, „um seiner selbst willen“, also zum Zweck der Erfüllung des Sittengesetzes, die Befriedigung desselben vorschreibt. Mit einem eher Kant’schen Akzent behauptet somit Reinhold: „Ich kann mein Leben um des Genusses, oder um des Gesetzes willen erhalten. Nur das letztere ist moralisch“21.

5. Veranlassende und bestimmende Gründe Aus den Ausführungen Reinholds zum Begriff der Freiheit des Willens möchte ich nun noch einige Grundbestimmungen desselben deutlich machen. Zunächst gehe ich auf den Unterschied zwischen veranlassendem und bestimmendem Grund ein, den Reinhold bei Leibniz finden konnte: „L’entendement – liest man z. B. in den Nouveaux Essais – peut determiner la volonté, suivant la prevalence des perceptions et raisons d’une maniere qui lors même qu’elle est certaine et infallible, incline sans necessiter“22 Leibniz zufolge kann unser Verstand durch das „Übergewicht“ bestimmter Vorstellungen und Vernunftgründe unseren Wille bestimmen, aber nur in dem Sinne, dass letzterer durch sie inkliniert (geneigt) oder veranlasst, keineswegs gezwungen oder genötigt wird. Dementsprechend sind nach Reinhold unter den drei Faktoren, die bei einer sittlichen Entscheidung am Werk sind (d. i. die zwei Triebe und der Wille), die Forderungen des eigennützigen und des uneigennützigen Triebes „an und für sich nur veranlassende, und nicht durch sich selbst bestimmende Gründe“23 des Willens. Die Triebforderungen sind insofern objektiv veranlassende Gründe, als sie in Form einer Anregung, oder 20 Briefe II, S. 190, RGS 2/2.141. 21 Briefe II, S. 190, RGS 2/2.141. 22 Leibniz, Nouveax Essais sur l’Entendement Humain, Buch 2, Kap. 21, § 8, LeibnizPhW 5.175. Vgl. auch Theodizee 1. Teil, § 43, Leibniz-PhW 6.126 ff. 23 Briefe II, S. 259 f., RGS 2/2.181.

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einer Aufforderung, oder – um ein Wort von Reinhard Lauth aufzugreifen24 – einer Andetermination auf den Willen wirken. Diese Art von (veranlassendem) Wirken der Triebe reicht aber nicht aus, dass dadurch eine sittliche bzw. unsittliche Handlung zustande käme. Es ist ein weiterer Grund erforderlich, und das ist die Freiheit, das Vermögen der Selbstbestimmung, die in Form eines durch sich selbst bestimmenden Willensgrundes wirksam ist. Reinholds These ist, dass nur durch die Freiheit des Willens, die als sich selbst bestimmender Grund tätig ist, die veranlassenden Gründe zu bestimmenden Gründen des Willens erhoben werden können. Man könnte die Sache auch folgendermaßen formulieren: Die Forderungen der Triebe sind bestimmende Gründe der Sittlichkeit bzw. der Unsittlichkeit erst mittelbar, mittels der Selbstbestimmung des Willens; unmittelbar sind sie im menschlichen Bewusstsein nur als veranlassende Gründe tätig. Die sittliche Handlung hat damit ihren durch sich selbst bestimmenden Grund in der Freiheit des Willens – welche dementsprechend als eine „absolute Ursache“25 gedacht werden kann –, und sie hat ihren veranlassenden Grund im Gesetz der praktischen Vernunft (dem Sittengesetz), welches erst durch die Freiheit selbst als „mittelbar bestimmender Grund“ wirksam wird. Bei der unsittlichen Handlung liegt der durch sich selbst bestimmende Grund auch in der Freiheit (wie bei der sittlichen), der veranlassende aber in einer – der Forderung des uneigennützigen Triebes widersprechenden – Forderung des eigennützigen Triebes, welche durch dieselbe Freiheit „zum mittelbar bestimmenden Grunde erhoben ist“. Dadurch tritt eine zentrale These Reinholds in den Vordergrund, die den Positionen der „Freunde der Kantischen Philosophie“ entgegengesetzt ist: Die Willensfreiheit ist der durch sich selbst bestimmende Grund sowohl der sittlichen als auch der unsittlichen Handlungen (potestas ad utrumque!), eine Konzeption, die sich als die einzige Freiheitsauffassung erweist, die der sittlichen Verantwortung des Menschen, seiner moralisch unhintergehbaren Zurechnung völlig gerecht werden kann. Der Wille, der sich für die Vorschrift des Sittengesetzes entscheidet, ist frei und gut, oder – wie Reinhold ihn auch nennt – „rein“; der Wille, der sich gegen diese Forderung und für die Forderung des eigennützigen Triebes entscheidet, ist frei und böse, oder „unrein“. Auch der unreine Wille also, nicht nur der reine, ist ein freier Wille. 24 Siehe Lauth 1997. 25 Briefe II, S. 283, RGS 2/2.193.

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Anders ausgedrückt: sowohl die gute als auch die böse Handlung hat ihren „letzte[n] denkbare[n] Grund“26 in der Freiheit des Willens. Fragt man sich, ob die Forderungen der beiden Triebe von derselben Qualität sind, erhält man folgende Antwort: „Die Nötigung bey der Pflicht heißt ein Sollen, beym Zwang [genauer: beim im eigennützigen Trieb gegründeten, inneren Zwang] ein Mssen“27. Dieser Unterschied wird nachträglich im zweiten Band der Beitrge zur Berichtigung bisheriger Missverstndnisse der Philosophen vom Jahre 1794 (4. Abschnitt: „Über das vollständige Fundament der Moral“) weiter entwickelt. Das Sollen drückt das Gesetz des Willens, d. i. das Sittengesetz, aus; es bringt nur eine unbedingte (kategorische) Notwendigkeit zum Vorschein. Das Müssen drückt hingegen das Gesetz des Begehrens, ein Naturgesetz aus, das zuweilen auch eine nur bedingte Notwendigkeit andeutet. Es lässt sich aber eine weitere, wichtige Differenz im Notwendigkeitscharakter von Sollen und Müssen feststellen. Die Notwendigkeit des Sollens ist als eine „vermeidliche“, diejenige des Müssens dagegen als eine „unvermeidliche“ Notwendigkeit zu denken.28 Das Gesetz des moralischen Sollens ist so beschaffen, dass es unbedingt gebietet; seine kategorische Forderung aber kann der Wollende unbeachtet lassen. Ein Naturgesetz aber kann nicht unbeachtet bleiben, es ist unvermeidlich zu beachten, falls wir unser natürliches Leben fortsetzen wollen (und in diesem Falle wird zugleich der bedingte Charakter der Forderung augenfällig). Das Sollen drückt somit eine ,nicht zwingende, in diesem Sinne also vermeidbare Kategorizität‘ aus, die die wahre Gestalt der moralischen Notwendigkeit ausmacht. Diese ist eine mit der Freiheit des Willens durchaus kompatible ,Nötigung‘, d. i. eine Verpflichtung, die als solche der freien Willensentscheidung Raum lässt und sie sogar fordert. Dieser Zusammenhang zwischen Kategorizität und Vermeidbarkeit, oder zwischen Notwendigkeit und Freiheit im Sollen wird in den Briefen auch folgendermaßen ausgedrückt: „Die Person ist sich bewußt, daß es nicht auf sie ankomme zu Sollen oder Nicht zu sollen, wohl aber das, was sie Soll oder Nicht soll, zu wollen oder nicht zu wollen, dass sie nicht im Sollen und Nichtsollen, aber im Wollen und Nichtwollen frey ist“29. Die Person wird im Sollen und von ihm kategorisch aufgefordert; bei diesem kategorischen Aufgefordertsein verfügt sie über keine Wahlfreiheit, oder – genauer gesagt – dabei 26 27 28 29

Briefe II, S. 282, RGS 2/2.193. Briefe II, S. 195, RGS 2/2.143. Beytrge II, S. 138 ff. Briefe II, S. 293 f., RGS 2/2.199.

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kann die Freiheit des Wählens, die „Willkür“, ihre eigene Rolle nicht ausüben; die Person ist hingegen frei, das Sollen zu wollen bzw. nicht zu wollen. Im Wollen des Sollens liegt die sittliche Entscheidung, wobei die unsittliche im Nichtwollen des Sollens besteht, welches sich zugleich als Entscheidung für die Forderung des natürlichen Begehrens ausdrückt.

6. Über Kant und Fichte Es würde den Rahmen dieses Beitrags bei weitem sprengen, eine ausführliche Darstellung der Ansichten Kants und Fichtes über Freiheit und Sittlichkeit bieten zu wollen. Umso weniger kann ich mich hier mit dem in Briefen und Werken geführten Meinungsaustausch von Reinhold, Kant und Fichte über solche Begriffe und deren Beziehungen auseinandersetzen.30 Ich will mich nur auf wenige Punkte beschränken, die grundsätzlich das Verhältnis von Freiheit und Sittengesetz betreffen und weitere Überlegungen zu den eben dargelegten Konzeptionen Reinholds ermöglichen können. Der Grundgedanke Kants, von dem ich ausgehen möchte, ist in dem wohl berühmten Satz aus der Kritik der praktischen Vernunft ausgesprochen, dem zufolge „die Freiheit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit ist“31. Freiheit und Sittengesetz weisen also wechselweise auf einander zurück, und zwar so: „Wäre nicht das moralische Gesetz in unserer Vernunft eher deutlich gedacht, so […] [würden] wir uns niemals berechtigt halten, so etwas, als Freiheit ist (ob diese gleich sich nicht widerspricht [wie die dritte Antinomie der Kritik der reinen Vernunft deutlich gemacht hat]), anzunehmen. Wäre aber keine Freiheit, so würde das moralische Gesetz in uns gar nicht anzutreffen sein“.32 Versuchen wir, diesen Satz genauer zu verstehen. Einerseits wird in ihm behauptet, dass die Freiheit Seinsgrund des moralischen Gesetzes in uns ist. Das Sittengesetz kann und muss nur als ein Gesetz der Freiheit und für die Freiheit gedeutet werden. Die Freiheit erschließt dem Ich einen 30 Neben den bereits erwähnten Arbeiten von Klemmt 1958, Fabbianelli 1998 – 1999 und 2000, Zöller 2006, Schönborn 2006, Bondeli in der „Einleitung“ zu RGS 2/2, vgl. zu diesen Diskussionen und Fragestellungen auch Olivier 1941, Bondeli 2001, Lazzari 2003 und 2004. 31 KpV, Kant-AA 5.4 Anm. 32 KpV, Kant-AA 5.4 Anm. – Zu dieser Grundidee der Kant’schen Ethik vgl. Ivaldo 2009, den ersten Teil.

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bestimmten Erfahrungsbereich, denjenigen der sittlichen Praxis, und ist als solche ein praktisches Prinzip, welches transzendental-ontologisch in der Konstitution des sittlichen Handelns wirksam ist. Andererseits und zugleich erweist sich nach der angegebenen Stelle der zweiten Kritik das moralische Gesetz als Erkenntnisgrund der Freiheit selbst. Der Gedanke des Sittengesetzes führt uns zum Bewusstsein der Freiheit, denn das Sittengesetz beinhaltet eine praktische Forderung (Sollen), die sich an jemanden wendet, der sinnvoll und widerspruchfrei nur als ein freies Wesen verstanden werden kann. Anders ausgedrückt: Die moralische Gesetzgebung setzt wesensnotwendig im Adressaten ein Vermögen, sie anzunehmen oder abzulehnen, d. i. ein freies Vermögen, voraus. In diesem Sinne ist das Sittengesetz ein praktisches Prinzip, das transzendental-epistemologisch wirkt. Vom Sittengesetz zur Freiheit, das ist der Kant’sche, durchaus innovative Grundgedanke: Die Erkenntnis des „unbedingt Praktischen“ hebt mit dem Bewusstsein des Sittengesetzes, dem „Factum der Vernunft“33 an, und führt (synthetisch a priori) auf den Begriff der Freiheit. Kant legt fest, dass wir uns des moralischen Gesetzes „unmittelbar bewußt werden“, sobald „wir uns Maximen des Willens entwerfen“34. Das Bewusstsein des Sittengesetzes macht sich in der praktischen Reflexion „unmittelbar“ geltend, wenn wir uns reflexiv „Maximen des Willens“, personale Haltungsprinzipien unseren Handelns bilden und auswählen. In diesem praktisch-reflexiven Bewusstsein ist aber das Bewusstsein der Freiheit mit eingeschlossen Es handelt sich – könnte man sagen – um eine ,praktische Erkenntnis‘, deren epistemischen Status Kant erst skizzenhaft angedeutet hat. In seinen Briefen legt Reinhold diese Auffassung Kants folgendermaßen aus: „Die Behauptung der Kritik der praktischen Vernunft, daß der Begriff der Freyheit seine Realität erst durch das Bewußtseyn des Sittengesetzes erhalte,“ sei „unstreitig wahr“; diese Behauptung aber kann „keineswegs den Sinn haben: ,daß die Realität der Freyheit von dem Bewußtseyn des Sittengesetzes allein abhänge‘“35. Die Realität der Freiheit hängt nämlich Reinhold zufolge von einem zweifachen Bewusstsein ab, von demjenigen der veranlassenden Gründe, das seinerseits ein zweifaches ist, indem es Bewusstsein sowohl des eigennützigen als auch des uneigennützigen Triebes ist, und vom Bewusstsein des durch sich selbst bestimmenden Grundes, dem Bewusstsein also unseres bloßen 33 KpV, Kant-AA 5.31. 34 KpV, Kant-AA 5.29. 35 Briefe II, S. 276, RGS 2/2.190.

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Selbst als eines handelnden Wesens. Kants Schwerpunkt scheint aber ein anderer zu sein als der von Reinhold. Reinhold verfährt eher phänomenologisch, Kant transzendental. Einerseits ist nach Kant die Freiheit ein Prinzip, das „in praktischer Absicht“ eine autonome Erfahrungssphäre, den Bereich der menschlichen Praxis aufschließt. Andererseits ist das Sittengesetz nicht nur ein beurteilendes und motivierendes, sondern auch ein in praktischer Hinsicht epistemisches Prinzip: es vermittelt die praktische Erkenntnis der Freiheit als eines ontologischen, die praktische Erfahrung konstituierenden Prinzips. Der Begriff der Freiheit hängt demnach nicht vom Bewusstsein der zwei entgegengesetzten Triebe und vom Willensbewusstsein ab; die Freiheit erweist sich vielmehr als das Vermögen des Antwortens (des Verantwortens) auf jenes moralische Gesetz, das bei der Maximenbildung wirksam wird: Vom Sittengesetz zur Freiheit. Da das Sittengesetz sich einem sinnlich affizierbaren Willen wie dem menschlichen in Form eines Sollens vorstellt, liegt es nahe, dass im Bewusstsein des Sollens und in der entsprechenden, praktischen Reflexion hinsichtlich der Maximenbildung auch das natürliche Streben und dessen Einwirkung auf den menschlichen Willen mit berücksichtigt werden (müssen), nur aber als dem moralischen Gesetz untergeordnete (genauer: als dem Sittengesetz unterzuordnende) Faktoren. Als sinnlich affizierbar fällt daher der menschliche Wille nicht ohne weiteres mit der praktischen Vernunft zusammen. Die Vernunft ist Kant zufolge insofern praktisch, als sie durch die Aufstellung des Sittengesetzes den Willen zu bestimmen vermag, jenen Willen, der sich das Gesetz der praktischen Vernunft zu eigen machen soll (und kann) und dadurch zum autonomen Willen wird. Die Autonomie, die Selbstgesetzgebung des Willens ist somit nicht als ein fester Besitz, wohl aber als ein Projekt des Willens anzusehen. Ähnliche Überlegungen über die Beziehungen zwischen Freiheit und moralischem Gesetz bzw. Prinzip treten auch bei Fichte auf. Von ihm will ich nun eine Ausführung aus der Sittenlehre 1812 berücksichtigen, weil sie eine interessante Stellungnahme zur Reinholds Konzeptionen enthält, in der Fichte einige Gedanken von Reinhold aufzugreifen und andere der Kritik zu unterziehen scheint. Fichte geht in dieser Darstellung von dem sog. „Faktum der Sittenlehre“ aus: „Der Begriff sey Grund der Welt. Mit dem absoluten Bewußtseyn, daß er es sey“36. In den Mittelpunkt der Ethik rückt somit „der 36 Fichte-AA II/13.307.

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Begriff“, und zwar das, was mit Gurwitsch37 und Lauth38 als die sittliche Idee bezeichnet werden könnte. In kantischer Terminologie wird das Faktum der Sittenlehre auch folgendermaßen ausgedrückt: „Die Vft. [Vernunft], oder der Begriff ist praktisch“39. Nach Fichtes eigener Ansicht heißt das eigentlich, dass die Vernunft insofern praktisch ist, als sie als „Grund“ der Faktizität – also der „Welt“ – auftritt und wirksam wird. Nun ist ein solches Grundsein der praktischen Vernunft kein blindes, mechanisches Vorgehen, sondern es „führt bei sich seinen Reflex“40. Es muss also als ein „Akt“ des Übergehens gedacht werden, welcher sich als „Selbstbestimmung“ von „Unwirksamkeit“ zur „Wirksamkeit“ (oder Kausalität) vollzieht. Ein solches Übergehen bildet den „Kern und Mittelpunkt“ des Lebens des Ich, das in sich selbst Leben des „Begriffs“, oder: Inkarnation der sittlichen Idee sein soll. Nun ist die obere Form dieses Übergehens bzw. der Selbstbestimmung der Wille. Wille ist synthetische „Vollziehung“ des sich Bestimmens und des „Sehens“. Das Ich ist insofern „Kraft, der ein Auge eingesetzt ist“41 – d. i. es ist sich bestimmendes und intentionales Vermögen –, insofern es wollen kann, nämlich indem es sich als Vermögen der Selbstbestimmung zu einem Willensakt erfasst. Hier findet man die für mein Thema bedeutsame Ausführung über den Freiheitsbegriff. Dass das Ich wollen kann, heißt zugleich, dass es frei ist, zu wollen oder auch nicht zu wollen. Das Ich ist nicht frei, den „Begriff“ zu haben oder nicht zu haben, denn die sittliche Idee stellt sich ihm kategorisch dar – auf einen ähnlichen Gedanken sind wir bei Reinhold gerade getroffen. Wohl aber ist das Ich frei, „sich zum Grundseyn zu bestimmen“; das Ich ist überhaupt frei, den „Begriff“, der sich ihm kategorisch geltend macht, „zu wollen oder nicht [zu wollen]“42. Diese Freiheit, den „Begriff“ zu wollen oder nicht zu wollen, ist nach der Sittenlehre 1812 die „recht verstandene“ „Freiheit des Willens“. Dieses Konzept wird nun von Fichte von einem davon verschiedenen Freiheitskonzept abgehoben, dem zufolge der Wille frei wäre, „überhaupt zu wollen, u.[nd] sodann dieses oder ein anderes zu wollen“, als ob das Ich sich vor „mehrere[n] Begriffe[n]“ und nicht vor „eine[m] bestimmten 37 38 39 40 41 42

Vgl. Gurwitsch 1924 (Nachdruck: Gurwitsch 1984). Vgl. Lauth 2004. Vgl. Fichte-AA II/13.310. Fichte-AA II/13.311. Fichte-AA II/13.317. Fichte-AA II/13.319.

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Begriff“ befände.43 Da tritt die Differenz zu Reinhold auf. Auf die von diesem vertretene Konzeption des Freiheitsbewusstseins, auf die wir bereits gestoßen sind,44 kritisch hinweisend hebt Fichte hervor, die „recht verstandene“ Freiheit des Willens setze sich von einer Freiheitsvorstellung ab, der zufolge der freie Wille in dem Vermögen bestünde, entweder dem eigennützigen oder dem uneigennützigen Trieb folgen zu können, als ob es „zwei Begriffe“ gäbe, und zwar den, der den Naturtrieb, und den, der den Vernunfttrieb liefert, welche eine gleich veranlassende (obwohl freilich nicht gleichwertige) Funktion hätten. Im Gegenteil ist der „Begriff“, das factum fiens der Sittlichkeit, nur einer, und die Freiheit des Willens im fundamentalen Sinne ist demnach das Vermögen der freien Stellungnahme zum „Begriff“, bzw. das Vermögen der Antwort (der Verantwortung) auf die sittliche Idee. Das bedeutet nicht, dass der Naturtrieb einfach beiseite geschoben werden müsse und keine nennenswerte Rolle für die Sittlichkeit spiele. Der Naturtrieb muss in das sittliche Leben selektiv integriert werden, wie das System der Sittenlehre 1798 dargelegt hat; es darf ihm aber nicht eine des reinen Triebes vergleichbare, veranlassende Funktion zuerkannt werden. Der Wille ist insofern frei, als er das Vermögen ist, die sittliche Idee zu wollen (zu bejahen), oder sie nicht zu wollen. Da nun der „Begriff“ in Form eines „Soll“, eines „Gesetzes für die Freiheit“ ins menschliche Bewusstsein durchbricht, besteht die Freiheit des Willens in dem Vermögen, sich diesem Gesetz hinzugeben oder sich ihm zu verweigern, denn das „Soll“ nicht zu wollen, bedeutet nicht, vor ihm gleichgültig zu bleiben, sondern eher seine „Motion“ (aktiv) abzulehnen. Die Freiheit erweist sich daher in der Sittenlehre 1812 in gewisser Hinsicht als potestas ad utrumque, wie bei Reinhold. Dieses Vermögen (potestas) aber vollzieht sich angesichts einer bestimmten, absoluten Aufforderung, welche das Ich frei ist, sowohl zu bejahen – wie es unbedingt soll – als auch zu verneinen – wie es freilich nicht soll, aber kann. Es ist m. E. ein großes, unleugbares Verdienst Reinholds, hervorgehoben zu haben, dass die Freiheit als eine „absolute Ursache“ zu denken ist. Er schreibt: Freiheit sei „die absolute, die erste Ursache ihrer 43 Fichte-AA II/13.320 (Hervorhebung von mir). 44 Vgl. z. B. Briefe II, S. 276, RGS 2/2, 190: „Die Realität der Freiheit hängt vom Bewußtsein der Forderung sowohl des eigennützigen als des uneigennützigen Triebes, aber auch noch überdieses vom dem Bewußtsein des Vergnügens ab, die Befriedigung und Nichtbefriedigung des Eigennützigen entweder durch oder gegen die Forderung des uneigennützigen selbst zu bestimmen.“

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Handlung, über welche sich nicht weiter hinausgehen läßt, weil sie wirklich von keiner ander[e]n [Ursache] abhängt“45. Allerdings vollzieht sich die menschliche Freiheit in ihrem Grundsein nicht allein oder isoliert, als ob sie in einem ontologisch leeren Raum wäre: Sie ist ja Selbstbestimmung, aber sie soll sich selbst bestimmen angesichts der Forderungen des Vernunfttriebs und des Naturtriebes, und zwar so dass sie entweder die erstere, das Sittengesetz, oder die letztere, das Streben nach Vergnügen, zum bestimmenden Grund der Handlung zu erheben hat. Diese Freiheitskonzeption, die zwischen Wille und praktischer Vernunft streng unterscheidet, sei Reinhold zufolge die einzige, die mit einer wohl verstandenen Idee der menschlichen Verantwortung kompatibel ist. Nun scheint mir, dass bei allen Verschiedenheiten zwischen beiden sowohl Kant als auch Fichte zu einem tieferen Verständnis dieser Verantwortung etwas Wesentliches beigetragen haben. Bei ihnen erhält nämlich die menschliche Verantwortung ihre letzte Rechtfertigung, ihren Sinn durch das Sittengesetz (Kant) oder den „Begriff“ (Fichte), also von oben her. Freisein, Grundsein heißt bei ihnen ontologisch primär, das absolute Sollen zu verantworten und es sich in einer konkreten Entscheidung zu eigen zu machen. Die sittliche Grundentscheidung bezieht sich somit nicht primr auf unterschiedliche Güter bzw. Gattungen von Gütern, unter denen man eine Wahl treffen sollte (was freilich als untergeordneter Faktor eine unleugbare Rolle im sittlichem Leben ausübt). Die sittliche Grundentscheidung hat mit der ,Person‘ zu tun, die ich im Lichte des Sittengesetzes oder der sittlichen Idee werden will bzw. als ,würdig zu sein‘ ansehe. Daher ist sie primär eine Selbstwahl, die Wahl unseres wahren Selbst, welches uns durch das Sittengesetz oder den „Begriff“ im Akt des praktischen Reflektierens letztlich erschlossen wird.

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Reinholds Freiheitskonzeption im Atheismusstreit Pierluigi Valenza Abstract: This essay deals with Reinhold’s concept of freedom at the time of the dispute on Fichte’s atheism. In this debate Fichte’s, Jacobi’s and Reinhold’s views cross one another. Reinhold declares to look for a middle point of view between Fichte and Jacobi, which consists in a metaphysical horizon to conceive freedom and the necessity of the other related to the acting subject. Reinhold’s idea of freedom is exposed through the Sendschreiben an Lavater und Fichte (1799) and the previous text ber die Paradoxien der neuesten Philosophie (1799). Then both writings are compared focusing particularly on the concept of the other. Finally the description of the other in metaphysical terms of God as the other of the man is synthetically considered.

In diesem Aufsatz möchte ich mich auf einige Aspekte der Freiheitsauffassung Reinholds in der Zeit des Atheismusstreits konzentrieren, in der sich die philosophischen Perspektiven Fichtes, Jacobis und Reinholds derart überschneiden, dass Reinhold seine damalige Ansicht als einen Standpunkt zwischen Fichte und Jacobi bezeichnen konnte. Ich möchte untersuchen, inwieweit Reinhold einen metaphysischen Horizont eröffnet, um zu einem besseren Verständnis der Freiheit zu gelangen, und dabei eine eigene Auffassung des Anderen des handelnden Subjekts entwickelt.1 Am Rande werden meine Betrachtungen einen Blick auf die Bedingungen der realistischen Wende erlauben, zumal Reinhold bereits metaphysische Forderungen erhoben hatte, bevor er den Grundriss der ersten Logik von Christoph Gottfried Bardili gelesen und sich zu der dort vertretenen Verbindung von Logik und Metaphysik bekannt hatte. Zu diesem Zweck werde ich die folgenden Schritte unternehmen: 1

Damit hat sich Ives Radrizzani besonders in zwei Abhandlungen, Radrizzani 2003 und 2006, beschäftigt: in der zweiten, der Intersubjektivitätslehre Reinholds gewidmeten Abhandlung vertritt er die These, dass dies kein eigentliches Thema Reinhold’scher Philosophie und demzufolge der Reinholdforschung sei, vgl. Radrizzani 2006, S. 233. In beiden Fällen behandelt er Reinholds Rezeption des Naturrechts Fichtes und versteht die so genannte Fichte’sche Phase der Entwicklung Reinholds als diejenige, in der Reinhold am meisten an diesem Thema interessiert ist. In beiden Fällen lässt Radrizzani jedoch die von mir hier behandelten Schriften beiseite.

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Erstens werde ich kurz die Auffassung der Freiheit im Sendschreiben an Lavater und Fichte (1799) behandeln; zweitens werde ich diese Auffassung durch die Darstellung der Freiheitsproblematik in den kurz zuvor erschienenen Paradoxien der neuesten Philosophie (1799) ergänzen; drittens werde ich in Bezug auf diese Schriften bewerten, inwieweit der Begriff des Anderen des handelnden Subjekts entscheidend für die praktische Philosophie Reinholds ist; schließlich werde ich kurz prüfen, wie dieser Andere beschrieben ist.

1. Freiheit, Gewissen und Gefühl im Sendschreiben an Lavater und Fichte Die Freiheit wird von Reinhold in beiden Teilen des Sendschreibens behandelt, stellt aber nicht das Hauptthema der Schrift dar. Ausführlicher als im Sendschreiben werden die Schlüsselwörter der praktischen Philosophie Reinholds in ber die Paradoxien analysiert. Darum ist ein Vergleich dieser beiden Schriften nützlich. Darüber hinaus kommen auf diese Weise Kontinuitäten und Modifikationen sowie Entwicklungslinien von und Spannungen in Reinholds Auffassung der Freiheit zum Vorschein. Ich möchte von einigen Stellen über die Freiheit im Fichte’schen Teil des Sendschreibens ausgehen. Sie schließen aus, dass die Freiheit für ein Postulat gehalten werden kann; statt dessen wird sich das handelnde Subjekt direkt und ursprünglich der Freiheit bewusst. Im Hinblick auf unser Vorhaben ist es besonders wichtig, dass diese Erfahrung der Freiheit relational verstanden wird, denn Reinhold spricht in Bezug auf Freiheit von Teilhaftigkeit: Nur durch meine Freyheit bin ich mir selbst der Unendlichkeit theilhaftig. Aber ich finde meine Freyheit ursprnglich nur auf dem Standpunkte des Gewissens, auf welchem allein ich sie auch als meine, individuelle, Freyheit, wiederfinden kann.2

Und kurz darauf verwendet er denselben Ausdruck erneut: Nur durch meine Freyheit bin ich mir selbst der Unendlichkeit theilhaftig. So, wie ich dieselbe ursprnglich im Gewissen finde, ist sie mir ein Endliches, aber mit

2

Reinhold, Sendschreiben, S. 87.

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dem Unendlichen auf eine zwar unbegreifliche Weise, aber unzertrennlich, verbunden. 3

Reinholds Ausführungen zufolge wird sich das handelnde Subjekt seiner eigenen individuellen Freiheit bewusst, keinesfalls der Freiheit als einer Abstraktion. Beide Stellen beschreiben mit denselben Worten die Hauptpunkte: 1) der Ort dieses Bewusstseins ist das Gewissen; 2) dieses Bewusstsein ist nicht das Ergebnis eines wissenschaftlichen, philosophischen, erzieherischen oder auf irgendeine andere Weise verstandenen Prozesses, sondern es ist etwas Ursprüngliches („ich finde meine Freyheit ursprünglich“, ich finde dieselbe „ursprünglich im Gewissen“); 3) außerdem unterstreicht Reinhold die Passivität dieses Bewusstseins, denn die Freiheit wird im Gewissen gefunden und nicht hervorgebracht; 4) letztlich wird das handelnde Subjekt durch die Freiheit der Unendlichkeit teilhaftig: es ist durch die Freiheit mit etwas Anderem verbunden, und diese Beziehung ist ein Verhältnis des Endlichen (d. h. des handelnden Subjekts) zum Unendlichen. Eine solche relationale Kennzeichnung der Freiheit durch den Begriff der Teilhaftigkeit hatte Reinhold bisher, soweit ich weiß, nicht vorgenommen.4 Betrachten wir eingehender den Ort des Bewusstseins der Freiheit: das Gewissen. Bereits in dem Brief an Lavater im ersten Teil des Sendschreibens wird das Gewissen als eine Überzeugung eigentümlicher Art bestimmt, und zwar als ein jenseits jedes Wissens liegender Glaube.5 Es ist leicht, hinsichtlich der Definition des Gewissens eine der Kennzeichnung der Freiheit entsprechende Beschreibung zu finden: 3 4

5

Reinhold, Sendschreiben, S. 89. Vgl. Beitrge II, S. 216: unter Freiheit darf „nur diejenige Selbsttätigkeit der Person verstanden werden, die von dem Sittengesetze bei allen Handlungen des Willens, den unsittlichen sowohl als den sittlichen vorausgesetzt wird, durch welche dieses Gesetz eben sowohl übertreten als befolgt werden kann“; Beitrge II, S. 222: die Freiheit wird ein ursprüngliches Vermögen, und zwar „das Vermögen der Person absolute Ursache derjenigen Handlungen zu sein, welche dem Willen eigentümlich sind“, genannt. Vgl. auch Beitrge II, S. 252. Vgl. auch Reinhold, Grundstze der Moralitt, S. 31: die ursprüngliche Freiheit besteht „in dem Vermögen, sich zu entschließen, und ihre Tätigkeit ist sowohl von der Wirksamkeit der Vernunft als auch von der Wirksamkeit des Begehrens […] wesentlich verschieden“. Vgl. Reinhold, Grundstze der Moralitt, S. 32 – 33, wo Reinhold von einer „zu erwerbenden Freiheit“ spricht, die durch eine vierfache Unabhängigkeit charakterisiert ist: 1) vom Dienste der Begierden, Neigungen und Leidenschaften; 2) von den rechtlichen Zwangsgesetzen; 3) von den wissenschaftlichen Lehrgebäuden; 4) von den Gewohnheiten. Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 10 f.

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Es giebt eine Gewißheit zum Behuf unseres eigentlichen Handelns, die jeden Zweifel niederschlägt, die so wie es auf das wirkliche Handeln aus Pflicht ankommt, kein weiteres Raisonnement voraussetzt und zuläßt, keiner Ableitung aus irgend einer andern Ueberzeugung fähig und bedürftig, ursprüngliche, unmittelbare, durch sich selbst wahre und klare Gewißheit ist, und die daher auch den so merkwürdigen, sie von jeder andern Art des Bewußtseyns auszeichnenden Namen: Gewissen führt.6

Das Gewissen ist eine ganz besondere Art von Gewissheit, die so wie die Erfahrung der Freiheit ursprünglich, unmittelbar und unableitbar ist. Diese Gewissheit ist durch sich selbst wahr und klar, also kein Ergebnis irgendeines Vernunftvorganges. Als Ort des Bewusstseins der Freiheit ist diese Form des Bewusstseins auf das Handeln ausgerichtet; das Gewissen ist nämlich eine Gewissheit „zum Behuf unseres eigentlichen Handelns“ und setzt, insofern es „auf das wirkliche Handeln aus Pflicht“ ankommt, „kein weiteres Raisonnement voraus“. Durch die ganze Schrift hindurch bemüht Reinhold sich darum, diese Gewissheit von ihren philosophischen Auslegungen klar zu trennen. Das Gewissen scheint darin also als eine der eigentlichen Handlung vorausgehende Form des Bewusstseins beschrieben zu werden, die mit der Möglichkeit einer pflichtgemäßen Handlung verbunden ist.7 Das Gewissen ist eine Überzeugung – mehr darüber unten – verstanden als ein von allem Wissen unabhängiger Glauben,8 die allerdings im Hinblick auf das Handeln in einem notwendigen Zusammenhang mit dem Wissen steht.9 Sowohl für die Freiheit als auch für das Gewissen als Ort des Bewusstseins derselben handelt es sich eher um eine Erfahrung des sich Befindens und des Findens als um einen absoluten Anfang, den wir selbst verursachen könnten. Das erklärt Reinhold eindeutig im Anschluss an die oben erwähnte Bestimmung der Freiheit: „Auf den Standpunkt des Gewissens habe ich mich nicht selbst gesetzt; und kann ich mich nicht selbst setzen“10. Wie gelange ich nun aber auf diesen Standpunkt? Man verdreht durchaus nicht den Reinhold’schen Sprachgebrauch, wenn man diesbezüglich von einem Gegebenen, von einer Gabe, oder auch von Offenbarung spricht, zumal das Gewissen durch ein ursprüngliches Ge6 Reinhold, Sendschreiben, S. 16. 7 Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 18: „Die Stärke dieser Ueberzeugung besteht einzig und allein in ihrer Selbständigkeit und Lauterkeit.“ 8 Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 17. 9 Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 37. 10 Reinhold, Sendschreiben, S. 87.

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fühl des „reellen, aber schlechthin unbegreiflichen, Unendlichen“11 gegeben ist. So schreibt Reinhold weiter: Dieses schlechthin Unbegreifliche, aber auch schlechthin Reelle, ist Gott; und das Gefhl, wodurch es sich im Gewissen ankündiget, ist die Wurzel des Gewissens, die Urquelle aller Wahrheit und Vernnftigkeit im Menschen.12

Das Gefühl ist daher der Weg, auf dem Gott sich als Quelle des Gewissens und der Freiheit offenbart. Gott ist also mehr als ein Inhalt des Gewissens, er ist vielmehr als dessen Quelle oder Grund das Fundament der Relation, in der die Freiheit besteht: Gott ist das Unendliche, auf welches sich das Endliche in der Erfahrung der Freiheit bezieht.13 Es kann daher nicht erstaunen, dass das Gewissen ebenso als Ort der Offenbarung Gottes bezeichnet wird: Gott „lässt sich im Gewissen zu uns herab“, er „theilt [sich mit], offenbart [sich]“ und wird dadurch denkbar und auch wirklich gedacht.14 Nachdem wir diese ersten Aspekten der praktischen Philosophie im Sendschreiben behandelt haben, können wir nun dazu übergehen, sie mit den entsprechenden Aspekten in ber die Paradoxien zu vergleichen.

2. Die praktische Philosophie der Paradoxien In ber die Paradoxien kommt das Bewusstsein der Freiheit zur Sprache, um den scharfen Gegensatz zwischen der zeitgenössischen Philosophie und Kultur und der neuesten Philosophie – womit die Fichte’sche Philosophie gemeint ist – zu erklären. Das Prinzip der neuesten Philosophie, die Freiheit, wendet sich einerseits gegen das Prinzip der unbegreiflichen Notwendigkeit, welches die metaphysische Tradition zugrundelegt, und andererseits gegen das Prinzip der Glückseligkeit, welches die deutsche Popularphilosophie in der Zeit der Aufklärung als Mittel zur Lösung der menschlichen Lebensfragen aufgezeigt hat. Dieses 11 Reinhold, Sendschreiben, S. 83. 12 Reinhold, Sendschreiben, S. 84. 13 Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 18: Gott ist „wesentlicher, schlechthin unzertrennlicher, innerer, Bestandtheil des Gewissens“; Reinhold, Sendschreiben, S. 54: der Standpunkt des Gewissens ist ein Standpunkt, „auf welchen uns Gott selbst, und Er allein, gesetzt hat“; Reinhold, Sendschreiben, S. 103: Gott ist „der Realgrund alles positiven denkbaren, und eben darum endlichen Reellen, folglich insoferne auch unsrer Freyheit und Vernunft selber“. 14 Reinhold, Sendschreiben, S. 73.

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Prinzip der Freiheit ist Reinhold zufolge auch von der politischen Freiheit, die die Revolution in Frankreich geprägt hat, sorgfältig zu unterscheiden, da sie die Freiheit als Prinzip überhaupt suspekt gemacht hat.15 Darum ist es wichtig, genau zu bestimmen, worin die Freiheit auf dem Standpunkt des so genannten gemeinen Verstandes und der ,natürlichen Überzeugung’ eigentlich besteht. Auf diesem Standpunkt wird die Freiheit in ihrem Unterschied zur Erfahrung, d. h. sowohl zur äußeren als auch zur inneren, sowie in Abhebung von der äußeren Welt der Wahrnehmung fixiert: Allein es ist wirklich eine natrliche Ueberzeugung vorhanden, bey welcher und in welcher von der ussern sowohl, als von der, von usserer abhngenden, innern Wahrnehmung, von allem, was in der Erfahrung wirklich ist, nothwendig abstrahirt wird, und welche keineswegs das, was da ist, sondern, was in der Erfahrung seyn soll, und nur durch die Freyheit unsres Willens bewirkt werden kann, zum Gegenstand hat.16

Gegenstand der Wahrnehmung ist das, „was da ist“, und zwar – so könnte man erläutern – was im Augenblick da ist oder was da gewesen ist. Die natürliche Überzeugung, von der hier die Rede ist, hat dagegen dasjenige zum Gegenstand, was sein soll, also etwas, von dem man will, dass es Gegenstand einer zukünftigen Erfahrung werde. Da Reinhold von einer natürlichen Überzeugung spricht, könnte man diese Auslegung in den Rahmen der Psychologie, und zwar einer empirischen Psychologie, stellen, denn die oben genannte Unterscheidung wird vom natürlichen Verstand vollzogen.17 Es handelt sich dabei auch um eine notwendige Unterscheidung: der Ausdruck ,natürliche Überzeugung’ verweist auf eine spezifisch menschliche Charakteristik, welche die Menschheit von allen anderen Spezies unterscheidet. Darum macht diese auf die Freiheit bezogene Überzeugung Reinhold zufolge die Person aus.18 Die Abstraktion von allem Wirklichen entspricht der Bestimmung einer besonderen Kausalität, welche bereits die vorausgehenden Beschreibungen des Willens und der Freiheit charakterisiert haben.19 Diese

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Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 19 – 20. Reinhold, Paradoxien, S. 52 – 53. Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 53. Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 53 f. Vgl. Beitrge II, S. 220: „Der Akt der Selbstbestimmung bey dem Wollen (der Entschluß) muß in wie ferne er unter dem unbedingt notwendigen Gesetz steht, von der Nöthigung sowohl durch praktische Vernunft als durch Lust oder Unlust schlechterdings unabhngig, und folglich absolut frey seyn“; vgl. Beitrge II, S. 222:

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Abstraktion impliziert aber keinen Verlust der Wirklichkeit als Handlungsbezug, ganz im Gegenteil: Reinhold spricht von einer „nicht unmittelbaren“ Beziehung auf die Erfahrung, denn das handelnde Subjekt weiß, dass es zum Zweck der Handlung auf das Wirkliche reflektieren muss.20 Der abstrahierende Charakter der Freiheit ist jedoch keineswegs unproblematisch: einerseits scheint es nämlich, dass die Freiheit das Ergebnis irgendeiner Konstruktion ist, was durch den Verweis auf die Pflicht bestätigt würde; andererseits ist die Freiheit – wie wir gesehen haben – etwas Unmittelbares, Notwendiges und für die Menschheit Konstitutives, d. h. etwas zur menschlichen Natur Zugehöriges. Die Freiheit des Willens ist eine eigenartige, selbständige Kausalität. Sie ist etwas, wovon man überzeugt ist, d. h. die Rede von der Freiheit betrifft eine natürliche, praktisch orientierte Überzeugung. Zur Tätigkeit, die diese eigenartige Kausalität in Gang setzt, trägt die Überzeugung noch das Denken, wörtlich das „Selbstdenken“21 bei. Reinhold ist jedoch der Meinung, dass die ,selbstdenkende Freyheit’ als Prinzip nicht unbedingt mit dem ,Ich’ verbunden sei, was kritisch gegenüber Fichte klingt.22 Diese rationale Eigenschaft der Freiheit wird aber von Reinhold weder explizit auf irgendeine gesetzliche Form bezogen noch durch Deduktionen oder Schematismen erläutert: es ist bemerkenswert, dass Reinhold in diesem Kontext von bloßer ,Tatsache’ spricht und dem Selbstdenken die ,Selbstanschauung der Freyheit’ gleichstellt.23 Die Definition des Gewissens führt einige Aspekte und Widersprüche, von denen wir oben gesprochen haben, vor Augen: Durch dieses nothwendige Selbstdenken der Freyheit entsteht, und in demselben besteht diejenige Ueberzeugung, welche ihrer unmittelbaren, in ihrer Art einzigen, völligen Gewißheit wegen, das Gewissen heißt, aus welchen zu handeln, und welche zu haben für jederman Pflicht ist, und welche den ber

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die Freiheit wird als „das Vermögen der Person absolute Ursache derjenigen Handlungen zu seyn, welche dem Willen eigenthümlich sind“ gefasst. Vgl. Reinhold, Paradoxien S. 68 f.: „Aber er weiß auch, daß er selbst zum Behuf jener nothwendigen Abstraktion wieder auf ein, von seiner Freyheit unabhängiges Wirkliche in der Erfahrung, worauf er durch seine Freyheit handeln soll, reflektiren msse“. Reinhold, Paradoxien, S. 53 f. Reinhold, Paradoxien, S. 36. Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 70 f.: „Die natrliche Selbstanschauung der Freyheit im Bewußtseyn der Pflicht ist in jedem Menschen vorhanden, ist der Person als Person nothwendig, und ist in so ferne bloße Thatsache, als der Mensch sie in sich selbst findet, ohne wissen, wie er dazu gelangt ist“.

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alle Erfahrung erhabenen und erhebenden Glauben an Gott und Unsterblichkeit in sich begreift.24

Das Gewissen hat also mit einer „unmittelbaren“, „in ihrer Art einzigen […] Gewissheit“ zu tun. Diese Gewissheit ist als „völlig“ charakterisiert, d.i. als frei von einem Mangel, was der absoluten Evidenz entspricht, die wir in den entsprechenden Definitionen im Sendschreiben gefunden haben. Außer dem Charakter des Selbstdenkens führt Reinhold keine Argumente dafür an, wieso das Gewissen solche Gewissheit besitzt. Diese Bestimmung reicht bei weitem nicht an die Definition heran, die Reinhold dem Gewissen in den kurz vorausgehenden Verhandlungen ber die Grundbegriffe und Grundstze der Moralitt (1798) gegeben hatte, in denen er zwischen einem gesetzgebenden und einem richtenden, einem unmittelbaren und einem mittelbaren Gewissen unterschieden hatte.25 Beide Kennzeichnungen werden in der oben erwähnten Beschreibung vermischt, da Reinhold auch von Pflicht spricht und die Begriffe von Gott und Unsterblichkeit miteinbezieht. Auf der Grundlage dieser Beschreibung von Gewissen und Freiheit ließe sich schließen, dass Gewissen und Freiheit natürliche Anlagen sind, ähnlich wie dies für die moderne Sozialpsychologie hinsichtlich des moralischen Bewusstseins der Fall ist. Wenn Pflicht nötig wäre, um Gewissen zu haben, dann hätte dies zur Folge, dass Menschen das Gewissen auch verlieren könnten. Die Unterscheidung zwischen dem Besitz des Gewissens und dem Handeln aus Gewissen würde die oben erwähnte Trennung in den Verhandlungen bewahren: ein Gewissen zu haben, in dem Sinne eines gesetzgebenden Gewissens (wenngleich Reinhold das Wort ,Gesetz’ nicht benutzt), impliziert auf jeden Fall, dass der Mensch als Mensch immer von seinen Handlungen Rechenschaft geben muss, was im Begriff einer ,selbstdenkenden Freiheit’ miteinbeschlossen wäre. Aus Gewissen zu handeln, hängt im Gegenteil von der Aufnahme des Gesetzes, im Sinne des richtenden Gewissens, ab. Überzeugung, ein weiterer zentraler Begriff zur Erläuterung unseres Bewusstseins der Freiheit, hat immer mit Selbstdenken zu tun, das auf die Freiheit bezogen ist. Überzeugung, sei es praktische oder spekulative, d. h. theoretische, ist immer auf das Wirkliche bezogen.26 Was aber ein 24 Reinhold, Paradoxien, S. 54. 25 Vgl. Reinhold, Grundstze der Moralitt, S. 23 – 24. 26 Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 78 f.: „Ueberzeugung berhaupt, sie sey spekulativ oder natrlich, ist ihrem inneren Wesen nach nur durch ein nothwendiges, und auf Freyheit sich beziehendes Selbstdenken möglich. In der natrlichen Ueberzeugung,

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Selbstbewusstsein zur Überzeugung erhebt, ist „ein Anderes“, das Reinhold „ein praktisches reines Selbstdenken“27 nennt. Dadurch, so argumentiert Reinhold, bekommt der Bezug auf das Wirkliche einen deutlichen, praktischen Charakter, richtet sich auf das Handeln, und die praktische Überzeugung erhält dadurch, im Unterschied zur theoretischen, „ihre völlige Gewißheit“28. In den vorausgehenden Abschnitten – aber dieselbe Thematik wird am Schluss der Schrift wieder aufgegriffen – hatte Reinhold die philosophische, durch eine ,absolute Freiheit’ erworbene Abstraktion als ein Fortschreiten zum Unendlichen bezeichnet. Davon wird die praktische Überzeugung strikt unterschieden, die eine einwirkende, auf zukünftige Erfahrung ausgerichtete und darum mit einer spezifischen Gewissheit ausgestattete Kausalität determiniert. Weiter unten gibt Reinhold der Überzeugung eine entsprechende Definition.29 An dieser Stelle erwähnt Reinhold auch die Wahrheit, welche Freiheit und Notwendigkeit vereint, so dass beim Handeln offenbar eine Begrenzung auf das Wirkliche stattfindet. Da dieses Wirkliche Gegenstand einer zukünftigen Erfahrung ist, wird es in der praktischen Überzeugung geglaubt. Während die philosophische Wahrheit eine ideelle Wahrheit ist, bei der die Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit „durch sich selbst“ bestimmt ist, wird der Gegenstand der natürlichen Überzeugung „reelle reine Wahrheit“ genannt und ist ein Gegenstand des Glaubens. Er bietet den Maßstab des Wissens, das sich ihm nur annähern kann: Für die natürliche Ueberzeugung giebt es zwar reelle reine Wahrheit; aber nur im Gewissen, nur im Glauben an reine Wahrheit, und in Wissen bloße Annherung ins unendliche zu derselben, durch die Empirische. 30

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als solcher, bezieht sich zwar das Selbstdenken einerseits durch die Wahrnehmung, auf das Wirkliche, was das Ich durch seinen Willen frey zu behandeln, und durch seine Denkkraft zu erforschen hat. Aber dieses Selbstdenken wird nur durch ein Anderes, das damit unzertrennlich verbunden ist, das sich unmittelbar auf Freyheit bezieht; und zunächst das Selbstbewußtseyn bedingt, erst zur Ueberzeugung erhoben“. Reinhold, Paradoxien, S. 79. Reinhold, Paradoxien, S. 79. Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 90: „Ueberzeugung, so weit wir sie zu denken vermçgen, ist nothwendiges Selbstdenken der Freyheit: und Wahrheit, so weit wir sie als Charakter der Ueberzeugung denken, ist, absolute Vereinigung der Freyheit und der Nothwendigkeit“. Reinhold, Paradoxien, S. 90.

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Dieser Bezug auf die Wahrheit bleibt hier etwas unbestimmt. Das könnte auch dadurch erklärt werden, dass die Form, in der sich diese Überzeugung ankündigt, das Gefühl ist: Sie ist aber als natrliche Ueberzeugung nur im Gewissen, und in demselben nur in der Eigenschaft der praktischen Wahrheit möglich und wirklich; und kündiget sich unter diesem Charakter ursprnglich nur durch das sittliche Gefhl an.31

Die vollständige Beschreibung der Hauptelemente dieser praktischen Philosophie würde den Hintergrund des Gefühls ergeben, das sich unmittelbar dem Bewusstsein zu erkennen gibt. Während die Kant’sche Moralphilosophie sich den Theorien des Gefühls im moralischen Gebiet streng entgegen gestellt hatte, versucht Reinhold die beiden Ebenen zu versöhnen. Bei der Erläuterung und Rechtfertigung der Paradoxien der neuesten Philosophie wird implizit behauptet, dass dieser Versuch den Standpunkt der natürlichen Überzeugung besser als die neueste, d. h. die Fichte’sche Philosophie berücksichtigt. Es ist jedoch bemerkenswert, dass an einer anderen Stelle derselben Schrift in einem anderen Sinne von Gefühl die Rede ist: Diese Vereinigung des Idealen und Realen kündiget sich in der natrlichen Ueberzeugung durch das Gefhl an, welches Gefühl der Wahrheit heißt, das Wesen dieser Ueberzeugung ausmacht, und welches sich der Philosoph durch sein Selbstdenken erklärt, ohne jedoch mit diesem Selbstdenken jemals zu Ende kommen zu können.32

Man könnte vermuten, dass Reinhold zwei Namen für dieselbe Erfahrung gebraucht, da es in dem eben angeführten Zitat um eine praktische Wahrheit, nämlich um die „Vereinigung des Idealen und Realen“ zu gehen scheint. Andernfalls könnte man auch die Annahme wagen, dass Reinhold bei der Rede von der Wahrheit etwas Anderes als das sittliche Gefühl meint. Um dies zu klären, bedarf es aber eines weiteren Schritts.

3. Der göttliche Ursprung der Freiheit Wir können nun eine erste Bilanz aus dem Vergleich der beiden Schriften ziehen. Man kann aufgrund der übereinstimmenden Beschreibungen von Freiheit und Gewissen behaupten, dass wir eine kohärente praktische 31 Reinhold, Paradoxien, S. 60. 32 Reinhold, Paradoxien, S. 96.

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Philosophie vor Augen haben. Der Zusammenhang zwischen Freiheit und Gewissen steht im Rahmen der praktischen Philosophie der Zeit außer Frage. Reinholds Ausführungen in beiden Schriften lassen die Ursprünglichkeit, die Unmittelbarkeit, die Unableitbarkeit, den Bezug auf Handlung und die mögliche Pflichtmäßigkeit der Handlung als gemeinsame Hauptmerkmale erkennen. Die Rolle des Glaubens und des Gefühls stellen dabei ein weiteres übereinstimmendes Kennzeichen dar. Den bisherigen Ausführungen zufolge bestünde der Hauptunterschied zwischen den beiden Schriften darin, dass der relationale Charakter der Freiheit in ber die Paradoxien keine wichtige Rolle zu spielen scheint. Dieser Schluss wäre jedoch irreführend, denn Reinhold führt auf den letzten Seiten dieser Schrift, die eine fast metaphysische, vom platonischen Dualismus inspirierte Wende umreißen, die Idee Gottes als etwas ein, was für die menschliche Freiheit von entscheidender Bedeutung ist. Bevor wir diesen Schluss behandeln und zu prüfen versuchen, welches Licht er auf die ungelösten Probleme der vorangehenden Darstellung wirft, lohnt es sich, die in der vorangehenden Darstellung dieser Schriften noch offen gelassenen Fragen kurz hervorzuheben. In den beiden oben analysierten Schriften des Atheismusstreits bleibt die für die praktische Philosophie Reinholds charakteristische Trennung von Freiheit und gesetzgebender Vernunft noch gewahrt. Diese Trennung bleibt als Grundlage der von mir behandelten Entwicklung außerhalb des Rahmens dieses Vortrags33. Es ist an anderer Stelle analysiert worden, inwieweit die sich aus Reinholds methodischem Standpunkt ergebende Freiheitskonzeption von derjenigen Kants abweicht.34 Die Freiheit ist kein vom Faktum der Vernunft zur Erkenntnis gebrachtes Postulat, sondern eine sich direkt im Bewusstsein ergebende Tatsache, so dass die Erfahrung der Freiheit zum Gegenstand der Psychologie und Anthropologie wird. Die Krise der Elementarphilosophie und die Abkehr davon haben mit dieser Denklinie ebenso zu tun wie die nicht unproblematische Rezeption der Wissenschaftslehre Fichtes.35 Reinhold hatte den intelligiblen Fatalismus, der die Kant’sche Spaltung von zwei Reichen der Natur und der Freiheit vereiteln sollte, mit Erfolg bekämpft. Fichtes Alternative von Dogmatismus und Idealismus und die Ent33 Vgl. dazu Gerten 2003, Lazzari 2003 und 2004. 34 Vgl. z. B. Lazzari 2003, S. 197 – 198. 35 Vgl. Lazzari 2003, S. 212. Vgl. Radrizzani 2003 für die mögliche Wichtigkeit der Rezeption des Naturrechts Fichtes für Reinholds Bekehrung zur Wissenschaftslehre.

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scheidung zugunsten des Idealismus konnten aus Reinhold’scher Perspektive akzeptiert werden, obwohl Reinholds Kritik an der Identifizierung von Selbsttätigkeit und Ich und seine Warnung vor der Gefahr, philosophische und praktische Freiheit zu vereinen, weitere Probleme bei diesem Zugang zur Freiheit aufwarfen36. Ist aber der Standpunkt des gemeinen Menschenverstandes hinreichend? Auf der Grundlage dessen, was in beiden Schriften über die Selbständigkeit der natürlichen Überzeugung behauptet wird, könnte man diese Frage bejahen. Ist es aber von diesem Standpunkt aus möglich, die Einwände zu widerlegen, denen zufolge das Bewusstsein getäuscht werden könne? Die Einführung der Idee Gottes könnte einen Ausweg aus den oben genannten Schwierigkeiten bieten. Von Gott als dem Anderen des freien Menschen ist in Kants Metaphysik der Sitten in Bezug auf das moralische Urteil die Rede. Das Andere des Menschen hatte Fichte als Prinzip der Deduktion des Rechts und der Sittlichkeit durch das Thema der Anerkennung entwickelt und dann auch in der ersten Religionslehre der Schriften des Atheismusstreits weiter verfolgt. Dagegen hatte Jacobi den alternativen Weg des Glaubens schon in den Spinozabriefen beschritten und dort ebenso wie später im Sendschreiben an Fichte den Vorrang des lebendigen, göttlichen Du gegenüber der wissenschaftlichen Sittenlehre herausgestellt37. Der Weg zu Gott wurde von Jacobi in seinem Sendschreiben durch die Analogie begründet38. Dass die natürliche Überzeugung der Freiheit und der Standpunkt des Gewissens mit der Perspektive 36 Zur Kritik Reinholds an dem Ich als Prinzip der Philosophie vgl. Reinhold, Paradoxien S. 36. 37 In der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten spricht Kant vom Gewissen als innerem Gerichtshof des Menschen, das für diese Anlage „eine andere Person“, noch bestimmter „einen Anderen (als den Menschen überhaupt, d. i.) als sich selbst zum Richter seiner Handlungen“ denken muss (MdS, Kant-AA 6.438). In Bezug auf das Thema der Aufforderung schließt Fichte in der Sittenlehre auf „ein wirkliches Wesen“ außer dem Einzelnen, ein Individuum, welchem Freiheit zugegeben werden muss, um die Aufforderung zur eigenen Freiheit zu erklären (Fichte-AA I/5.201). Das intersubjektive Verhältnis verweist, in Bezug auf das Menschengeschlecht, auf ein anderes Wesen außer dem Mensch, das dem Mensch Gott ist; Fichte erfasst diesen Zusammenhang zum ersten Mal in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik von 1796 – 97 (Fichte-AA IV/3.116 f.) und verfolgt ihn dann in den Schriften des Atheismusstreits, besonders in der Bestimmung des Menschen, weiter. Aber gegen Fichtes Moralsystem gewandt hatte Jacobi in seinem Sendschreiben an Fichte Gott nicht nur als „einen ganz Anderen“ ( Jacobi-W II/1.210), sondern auch als einen persönlichen Gott, als „ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen“ ( Jacobi-W II/1.216 u. 220), begriffen. 38 Vgl. Jacobi-W II/1.219 f.

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Jacobis vereinbar wären, wird von Reinhold selbst explizit im Vorbericht der gedruckten Fassung seines Sendschreibens bestätigt.39 Obwohl Reinhold seine Suche nach einem Standpunkt zwischen Fichte und Jacobi nicht für die Suche nach einem neuen Standpunkt hält, bezeugt sie Reinholds Einsicht in die Unzulänglichkeit der Überzeugung des Gewissens. Subjektiv braucht die natürliche Überzeugung der Freiheit keine wissenschaftliche Erläuterung, aber auf der Ebene wissenschaftlicher Argumentation erlaubt sie keine Antwort auf deterministische Einwände. Der erste Schritt zur Einführung der Idee Gottes ist ein Plädoyer für die platonische Ontologie: Der Unterschied und der Zusammenhang zwischen dem spekulativen Wissen und der natrlichen Ueberzeugung, der nur in der Vergleichung von beyden miteinander, und für diese Vergleichung gilt und gelten kann, scheint mir in der platonischen Lehre von den Ideen und den Verhltnissen derselben zu den endlichen, materiellen, Dingen nicht blos angedeutet, sondern mit einer mehr als prophetischen Bestimmtheit und Umständlichkeit vorgebildet – vorausgesetzt, dass unter der reinvernnftigen Seele die sich selbstdenkende und anschauende Freyheit, die philosophierende Vernunft, verstanden werden könne.40

Der platonische Dualismus bietet ein Urbild zur Erklärung des Unterschiedes und des Zusammenhanges von Wissen und natürlicher Überzeugung. Keiner dieser beiden Begriffe ist auf den anderen reduzierbar, aber zugleich kann keiner von ihnen an sich selbst bleiben. Die zwei Bereiche dieses Dualismus eröffnen sich der philosophischen Sicht, die Reinhold als Voraussetzung zugrundelegt. Bei der Gleichstellung mit der platonischen Seele identifiziert Reinhold selbstdenkende und anschauende Freiheit, d. h. das Merkmal der praktischen Freiheit in ber die Paradoxien mit der philosophierenden Vernunft. In welchem Sinne wird die philosophierende Vernunft vorausgesetzt? Die Analogie zwischen der platonischen Seele und der philosophierenden Vernunft besteht darin, dass die philosophische Abstraktion auf unbegreifliche und zufällige Weise unterbrochen und zur Wirklichkeit des praktischen Handelns gebracht wird, genauso wie die Seele in der Metaphysik Platos wegen ihrer ontologischen Grenzen aus der ideellen in die materielle Welt fällt.41 39 Der Verfasser, schreibt Reinhold im Sendschreiben, S. 6 f., von sich selbst, „hält vielmehr, den Fichte’schen Standpunkt für den einzig mçglichen zum Behuf des ächten, und durchaus consequenten, spekulativen Wissens: so wie er denjenigen, den Jacobi demselben entgegenstellt, für den ursprnglichen Standpunkt der lebendigen Ueberzeugung des Gewissens erkennt.“ 40 Reinhold, Paradoxien, S. 101. 41 Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 102.

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Andernfalls könnte die philosophische Abstraktion unendlich weitergehen, so wie die Seele ewig zusammen mit den Göttern leben könnte. In beiden Fällen drängt und beschwert die Materie den Geist und nötigt ihn zum Fall – dies ist es, was die implizite Basis der Analogie ausmacht. Dieses Unbegreifliche im Schicksal des Geistes führt Reinhold zu Gott: Als absolute Freyheit kann der Geist keineswegs als gemacht, oder auch nur als entstanden gedacht werden; er ist unerschaffen, und als ein Endliches Wesen von der unendlichen Freyheit, von Gott, von Ewigkeit her auf eine schlechthin unbegreifliche Weise ausgegangen. Er ist gçttlichen Ursprungs, und nur durch Endlichkeit von Gott verschieden.42

Die Ungleichartigkeit dieser beiden Zustände, d. h. die absolute, auf unbegreifliche Weise verlorene Freiheit einerseits und die endliche, von der Materie abhängige Freiheit andererseits, bringt es mit sich, dass die absolute, der platonischen Seele gleichgestellte Freiheit weder für etwas Hervorgebrachtes noch für etwas natürlicherweise Entstandenes gehalten werden kann. Sobald der Geist seine Endlichkeit und zugleich seinen übernatürlichen Charakter erfasst, begreift er seinen göttlichen Ursprung. Der göttliche Ursprung ist nicht ausschließlich dem spekulativen Kopf zugänglich. Ganz eindeutig denkt Reinhold auf diesen Seiten an eine zweifache Form der Teilhabe an der ideellen Welt: das ,reine Selbstdenken‘ (der eben beschriebene philosophische Weg) und einen Weg, der im weitesten Sinne ,praktisch‘ genannt werden kann. Dieser Weg besteht nämlich darin, etwas außer sich zu verwirklichen und dadurch die Materie den Ideen anzunähern, was, so schreibt Reinhold, „durch sittliches Handeln, durch schöne Kunst, und durch Veredlung des natürlichen Wissens“43 geleistet werden kann. Da solches Tun das gemeine Bewusstsein betrifft, ist jeder Mensch in der Lage, sich des göttlichen Ursprungs bewusst zu werden. Die Lösungen dazu werden in ber die Paradoxien vorgezeichnet und dann im Sendschreiben weiterentwickelt: Gott ist Heiligkeit, das Muster für die Handlung, das vorgibt, was wir sein sollen.44 Als direkte Verkörperung der Pflicht ist Gott der Grund der menschlichen Freiheit: 42 Reinhold, Paradoxien, S. 102 f. 43 Reinhold, Paradoxien, S. 105. 44 Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 107: „Der unendliche Geist, ist für das Gewissen, und das, das Wesen desselben ausmachende, Glauben und Handeln wirklich. Er ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, was der endliche Geist in Ewigkeit werden soll, der himmlische Vater der da heilig ist, wie wir es seyn sollen.“

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Gottes Stimme ist selbst auch die Forderung des Gewissens, die jenes Freyhandeln fordert. Sie ist es, welche die Natur in mir und ausser mir ins Daseyn, ruft, mich aber durch mein Selbstbewußtseyn über die bloße Natur erhebt, mich zum höhern Seyn durch Freyheit, zur Gottähnlichkeit beruft.45

An einer weiteren Stelle weist Reinhold kurz darauf hin, worin dieses Erheben besteht: es geht dabei um die Aufgabe der eigenen Wirklichkeit und um das darauffolgende sich Wiederfinden in Gott.46 Diese neue Ansicht über das Gewissen kann Lösungen für einige Schwierigkeiten geben, über die wir oben reflektiert hatten. Wenn das Gewissen die Antwort auf eine Forderung ist, dann kann man sich erstens seine zweifache Natur besser erklären, welche darin besteht, einerseits notwendiger Bestandteil des Menschen als solchen zu sein und andererseits einer Pflicht zu entsprechen: der Mensch als solcher kann auf die göttliche Forderung antworten und dann handelt er pflichtgemäß. Zweitens wird die ganze Breite des Bezugs auf das Wirkliche bei der Handlung erklärt: es ist nicht nur die Welt der materiellen Sachen und der anderen Subjekte gemeint, sondern auch und hauptsächlich Gott als Ursprung der Welt, der Persönlichkeit und der Freiheit selbst.47 Sogar die Betonung des Gefühls der Wahrheit gegenüber dem sittlichen Gefühl, d. h. die Betonung der Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit, kann in dieser Richtung, die am Ende der Schrift offenbar wird, verstanden werden. Über diesen weiteren Berührungspunkt der beiden Schriften hinaus erklärt die Analyse der letzten Seiten der Paradoxien auch die neue Definition der Freiheit im Sendschreiben: dass das handelnde Subjekt durch die Freiheit „theilhaftig der Unendlichkeit“ wird, setzt die Rezeption der platonischen Ontologie voraus, da die Teilhaftigkeit einen Schlüsselbegriff für den Zusammenhang von Endlichem und Unendlichem in platonischer Sicht darstellt. Ebenso erscheint die Suche nach einem Standpunkt zwischen Fichte und Jacobi im Sendschreiben aufgrund der oben erwähnten platonischen Perspektive in einem neuen Licht: mittels dieser Suche kann Reinhold hoffen, einen philosophischen Standpunkt zu erreichen, der den Standpunkt des gemeinen Bewusstseins besser zu erläutern und auch zu beachten vermag. Durch die religiöse Erfahrung kann die menschliche Freiheit ihren relationalen Charakter erwerben. Letzten Endes besteht diese Erfahrung darin, das Gesetz zu übertreten und 45 Reinhold, Paradoxien, S. 111. 46 Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 109. 47 Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 110 f.

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Böses zu tun. Während Reinhold diese Erfahrung in den früheren Schriften durch ein Verhältnis mehrerer Vermögen in einem einzigen Subjekt dargestellt hatte48, versteht er im Sendschreiben nun das Gewissen als eine göttliche Ebene, der der Mensch teilhaftig ist, ohne aber ständig auf ihr verbleiben zu können. Dies macht den Kern des Unterschieds zwischen göttlichem und menschlichem Glauben aus. Der göttliche Glauben bewahrt die Gewissheit,49 die in ber die Paradoxien dem Gewissen zugeschrieben wurde. Der menschliche Glaube ist keineswegs über jeden Zweifel erhaben, denn er ist veränderlich.50 Die Möglichkeit des Zweifels rechtfertigt die Aufgabe der Philosophie. Das Verhältnis zwischen den beiden Formen des Glaubens betrifft die Handlung. Es genügt, den Begriff des Übergangs vom menschlichen zum göttlichen Glauben in Betracht zu ziehen: Dieses bergehen ist nur in einem Zustande und für denselben möglich, der kein blosses Bewußtseyn, aber nicht ohne Bewußtseyn ist, das in einem Wollen besteht, welches zugleich in der Freyheit des Menschen, und in dem gçttlichen Glauben gegründet ist; in Entschliessungen, zu welchen dieser Glaube auffordert, und durch welche sich der menschliche Glaube in der That und durch die That mit dem Göttlichen vereiniget; in der Gesinnung, durch welche wir Eines Sinnes mit Gott werden, unser Wille der Seinige und sein Wille der Unsrige wird.51

Die Vereinigung zwischen dem Willen Gottes und dem Willen des einzelnen Menschen ist der Zusammenhang zwischen dem Gewissen, das in diesem Fall eindeutig als gesetzgebende Vernunft, Heiligkeit, Pflicht zu verstehen ist, und der Gewissenhaftigkeit, d. h. der Aufnahme des Gewissens als gesetzgebende Vernunft: Durch das Handeln in dieser und aus dieser Überzeugung wird der menschliche Glaube an Gott gçttlich, das Gewissen wirkt als Gewissenhaftigkeit, und unsre Freyheit wird in Gott, und Gott in unser Freyheit realisirt. 52

Durch die Vernunft vernimmt der Mensch das Gesetz, aber er erklärt das Sittengesetz „lediglich aus Gott“53. Man versteht also die Weise, in der Reinhold die Aufnahme des Gesetzes darstellt: nicht nur als ein Tun, 48 49 50 51 52 53

Beitrge II, S. 257 – 258. Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 19 f. u. 54. Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 20 f. Reinhold, Sendschreiben, S. 23. Reinhold, Sendschreiben, S. 24. Reinhold, Sendschreiben, S. 27.

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sondern auch als ein Gehorchen und Aufmerken;54 und man versteht auch Reinholds Aussagen über die menschliche Freiheit, denen zufolge der Mensch seine Freiheit „an Gott abtritt“.55 Außerhalb dieses Zusammenhangs mit Gott findet der Mensch die Trübung des Gewissens und den Verlust von sich selbst bis hin zum Verlust seines Gottesbezugs, wenn er glaubt, Gott selbst schaffen zu können.56

4. Elemente für eine Ontologie des göttlichen Anderen Da Jacobi Reinhold zufolge den Standpunkt des Gewissens verkörpert, könnte man ihn mit guten Gründen für den wichtigsten Gesprächspartner Reinholds während dessen Wende zu einer relationalen Auffassung der Freiheit halten. Reinhold scheint den relationalen Kern der Fichte’schen Philosophie in der Zeit des Atheismusstreits in Bezug nicht nur auf das Naturrecht,57 sondern auch auf die Religionslehre teilweise verfehlt zu haben. Auch wenn die natürliche Überzeugung der Ort der Offenbarung Gottes ist, kann dieser Ausgangspunkt, an dem Religion und Moral vereint sind,58 unser Verständnis der Offenbarungserfahrung nicht erschöpfen: sowohl die geschichtlichen Religionen, die Persönlichkeit Gottes, die Jacobi per Analogie annimmt, als auch die moralische Weltordnung Fichtes sind Formen der in der moralischen Erfahrung manifesten Beziehung.59 Die Frage, mit welchen Argumenten und mit welcher Methode diese Erfahrung philosophisch begründet werden kann, findet in den beiden hier analysierten Schriften keine zureichende Antwort. Die Suche nach einem Zwischenstandpunkt determiniert einige Kriterien, die Reinhold dann in der Theorie des ursprünglichen Glaubens an die Wahrheit und der darauf bezogenen fortschreitenden Konstruktion eines Wissens nach

Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 28. Reinhold, Sendschreiben, S. 26. Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 38 – 40. Das ist der Schluss, den man Radrizzani zufolge aus der Reinhold’schen Rezension des Naturrechts ziehen muss (Radrizzani 2003, S. 246 – 248). 58 Reinhold, Sendschreiben, S. 32: „Religion ist blos in der Spekulation, keines wegs in der Wirklichkeit von Moralitt verschieden; und auch die Spekulation unterscheidet sie nur, um sie in ihrer Unzertrennlichkeit von der Moralität zu erklren.“ 59 Vgl. Reinhold, Sendschreiben, S. 68 – 75. 54 55 56 57

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der realistischen Wende wieder aufgreift.60 Die Wirklichkeit Gottes in der moralischen Erfahrung schließt aus, dass Gott nur ein Postulat ist. Die Vorbehalte gegen Fichte kündigen den späteren Vorwurf des Psychologismus an und können als Rache an Fichtes Kritiken an der Elementarphilosophie verstanden werden.61 Das Plädoyer für die Ontologie Platos erlaubt es meines Erachtens, schon in Bezug auf ber die Paradoxien von einer metaphysischen Wende zu sprechen, die dann auch für Reinholds originelle Rezeption von Bardilis Realismus leitend ist. Ich möchte mich hier auf die Beschreibung Gottes beschränken, um ermessen zu können, inwieweit Reinhold auf das Niveau einer vorkantischen Metaphysik zurückfällt oder die Krise der Ontologie in Betracht zieht. In beiden Schriften ist die Freiheit wesentlich für die Definition der Idee Gottes. Am Schluss der Paradoxienschrift schreibt Reinhold, dass das endliche Wesen des Glaubens an Gott bedarf, d. h. „des unbedingten Voraussetzens der Realitt der absoluten unendlichen Freyheit, die es von seiner eigenen, (als der Freyheit eines Endlichen, ins unendliche endlichen Freyheit,) unterscheiden muß“.62 Gott ist absolute unendliche Freiheit: er ist unendliche Freiheit und dadurch unterscheidet er sich sowohl von der praktischen, mit einem Wirklichen außer sich befassten Freiheit, als auch von der absoluten Freiheit des Philosophen, die auf unbegreifliche und zufällige Weise unterbrochen wird. Man könnte erwarten, dass dieser Unterschied mit typischen Ausdrücken der ontologischen Sprache, wie etwa ,Sein’ oder ,Wesen’, charakterisiert wird. Reinhold ist hier jedoch sehr vorsichtig. Dies zeigt sich zum Beispiel in seinen Vorbehalten gegen die Notwendigkeit als Prinzip aller Dinge, sowohl Gottes als auch der Natur, der Vernunft und des Willens.63 Die Freiheit, die wir ,transzendent’ nennen könnten, bildet den Kern der minimalen Ontologie, die Reinhold im an Fichte gerichteten Teil des Sendschreibens skizziert: das übersinnliche Gefühl, d. h. der Ort des Glaubens an Gott, verbindet Gott und Freiheit. Dieses Gefühl als letzter Horizont der Denkbarkeit gibt die Konturen dieser ,transzendenten‘ Freiheit: 60 Ich beziehe mich exemplarisch schon auf das erste Heft der Beytrge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie, besonders auf die Nummer II: „Was heißt philosophiren? Was war es, und was soll es sein?“ (vgl. Reinhold, Beitrge H1, S. 66 – 89). 61 Vgl. dazu Lauth 1974 und auch Valenza 1994, S. 91 – 115. 62 Reinhold, Paradoxien, S. 106. 63 Vgl. Reinhold, Paradoxien, S. 21.

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Aber in demselben [das Gefühl, P. V.] finde ich meine Freyheit nur durch Ein Anderes, von ihr unzertrennliches – durch ein Nothwendiges – das mich als frey ber alle Natur hinaushebt; das ich nothwendig von aller Natur unterscheide, und insoferne mir selbst gleichartig finde – auch Freyheit nenne – gleichwohl aber von meiner Freyheit, die als endlich ins Unendliche auch der Natur gleichartig ist, unterscheide, und als das Unendliche ins Unendliche, als das bernatrliche Re[e]lle finde, und Gott nenne.64

Die Idee Gottes ergibt sich aus einer gewissermaßen zweifachen Transzendenz: einerseits aus dem Unterschied von der Natur, den man genau wie bei der Offenbarung Gottes als etwas Heiliges und Modellhaftes im Gewissen, also im Einklang von göttlicher und menschlicher Freiheit, vorfindet; andererseits aus dem Unterschied von menschlicher und göttlicher Freiheit, da die menschliche Freiheit wie die platonische Seele mit dem Wirklichen zu tun hat. Das Zitat rechtfertigt auch, von Gott als dem Anderen in der praktischen Philosophie Reinholds zu sprechen, da Reinhold die Formulierung „Ein Anderes“ benutzt, um Gott auszudrücken. Diese Formulierung lässt den entsprechenden Begriff des „ganz Anderen“ anklingen, den Jacobi in seinem Sendschreiben an Fichte als möglichen Namen Gottes verwendet.65 Dieser Umstand stellt im Sprachgebrauch beider Philosophen in dieser Phase durchaus keinen Sonderfall dar.66 Derselbe Vorbehalt gegen eine objektivierende Sprache lässt sich auch bei anderen Begriffen erkennen, z. B. bei der Kennzeichnung Gottes als dem Geber alles Gegebenen, durch die Reinhold erneut auf den Ursprung aller physischen und geistigen Phänomene verweist, ohne diesen Ursprung weiter zu qualifizieren. In demselben Licht muss man das Prädikat ,Grund‘ betrachten. Die von uns als ,minimale’ Ontologie bezeichnete Ontologie Reinholds gerät in die Gefahr, zu einer dahinschwindenden Ontologie zu werden, insofern auch diese wenigen Prädikate relativiert werden. Wenn Reinhold schreibt: Gott „nimmt für uns die Prädikate der Selbststndigkeit und Selbstthtigkeit, Freyheit, Vernnftigkeit, Persçnlichkeit, Heiligkeit an, weil Er uns nur durch unser Streben nach diesen Charakteren zu sich führen kann“,67 macht dieses „für uns“ alle Prädikate nur für unseren Zugang zu Gott und nicht mehr an sich geltend. Das gilt nicht nur für die von Jacobi vertretene Persönlichkeit Gottes, sondern auch für die Freiheit als Schlüsselbegriff der minimalen Ontologie Reinholds. Durch die Ver64 65 66 67

Reinhold, Sendschreiben, S. 100 f. Jacobi-W II/1.210 und vgl. oben Anm. 37. Vgl. Valenza 2008. Reinhold, Sendschreiben, S. 73.

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äußerlichung des Gewissens werden die Schwierigkeiten der Reinhold’schen Freiheitskonzeption nur insofern gelöst, als sie auf eine andere Ebene verschoben werden. In welchem Sinne könnte man Gott Freiheit zuschreiben? Wenn eine korrekte Auffassung der Freiheit dazu führt, die Freiheit von der gesetzgebenden Vernunft zu trennen, kann man dann Gott als Gesetzgeber und als gesetzgebendes Gewissen der Freiheit betrachten? Dies ist keine sinnlose Frage, denn die relationale Auffassung von Gott in der Hegel’schen Deutung der göttlichen Dreieinigkeit oder die Vermutung vom Bösen in Gott in der Freiheitsschrift Schellings können leicht so gedeutet werden. Diese Perspektive sei erwähnt, um die hier dargestellte Auffassung Reinholds im Zentrum der philosophischen Debatte der Zeit zu verorten, jenseits der Polemiken über die realistische Wende und die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus. Auch hinsichtlich des Zusammenhanges von praktischer Philosophie und Religion sowie des dazu erforderlichen metaphysischen Horizonts, kann man Reinhold, um einen weiteren bekannten Ausdruck zu benutzen, am ,Vorhof des Idealismus‘ verorten. Im Kontext der philosophischen Entwicklung Reinholds ist seine eigentümliche Aneignung des Realismus an dem schwierigen Versuch zu bemessen, die oben dargestellte minimale Ontologie auszutarieren; im Zusammenhang mit der philosophischen Debatte der Zeit sind Gründe und Lösungen der realistischen Wende mit den zeitgenössischen Versuchen zu vergleichen, praktische Philosophie und Metaphysik nach Kants Revolution weiterzudenken.

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Eine Analyse der Schelling’schen Kritik der Moralphilosophie Reinholds in den Abhandlungen zur Erluterung des Idealismus der Wissenschaftslehre Jean-FranÅois Goubet Abstract: When Reinhold swore allegiance to Kant in 1797, Schelling signed a review of his latest works. The purpose of this paper isn’t to consider the differences between Kant and Reinhold but to determine how far Schelling’s critique of Reinhold’s moral philosophy is correct or not. Did Reinhold really remain at the level of the common consciousness? It all depends on what the upper levels are: Reinhold knows clearly about a transcendental level but not about an absolute one. Is it necessary to accept a suprasensitive will in order to account for the moral actions? According to Reinhold certainly not. This article comes to the conclusion that Reinhold’s moral theory, though it doesn’t emphasize the concept of motivation, accentuates another concept, i. e. the personal worth. This makes Reinhold’s philosophy still interesting nowadays.

1. Ziel des Beitrags Bekanntlich hat Reinhold 1797 auf die Ausführungen Kants in der „Einleitung“ der Metaphysik der Sitten reagiert1 und damit sein Bekenntnis zu Fichte öffentlich gemacht. In diesem Zusammenhang ist Reinhold von Schelling rezipiert worden, der zu diesem Zeitpunkt seine Aufsätze über die „Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur“ (Abhandlungen zur Erluterung des Idealismus der Wissenschaftslehre) für das Philosophischen Journal verfasste.2 Jürgen Stolzenberg (2004) hat bereits Reinholds Fehde mit Kant näher erörtert. Im Folgenden möchte ich weder auf die Auseinandersetzung Reinholds mit Kant noch auf die Entwicklung des Schelling’schen Denkens eingehen, sondern mich vielmehr mit der Prüfung von Schellings Einwänden gegen Reinhold befassen. Ist Schellings Einwand tatsächlich richtig, dass Reinhold immer noch dem Standpunkt des gemeinen Bewusstseins huldigte? Ist es für die 1 2

Siehe Reinhold, Vermischte Schriften II (1797), S. 364 – 400. Über diesen Anstoß zur Redaktion eines Teils der Abhandlungen vgl. z. B. das Vorwort von W. Schieche in Schelling-AA I/4.30.

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Rechtfertigung des moralischen Handelns nötig, einen übersinnlichen Willen anzunehmen? Dies sind die Fragen, mit denen ich mich auf den folgenden Seiten näher auseinandersetzen will. Dafür werde ich mich insbesondere mit Reinholds Beitrag „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen auf den Inhalt seiner Philosophie“ aus dem ersten Band der Auswahl vermischter Schriften näher beschäftigen, da er von großer Bedeutung für ein angemessenes Verständnis der ethischen Theorie Reinholds ist, aber auch für das Verhältnis dieser Theorie zur Kant’schen.

2. Reinhold, der Fürsprecher des gemeinen Bewusstseins? 2.1. Schellings Urteil über das mangelhafte spekulative Niveau Reinholds Im Hinblick auf Reinholds Begriff der freien Willkür und Kants Begriff des intelligiblen Willens meint Schelling, Kant erhebe sich „über den StandPunkt des gemeinen Bewusstseyns“, während Reinhold „darauf stehen“ bleibe.3 Es entsteht der Eindruck, dass nur zwei Positionen möglich sind, wobei die erste, wenngleich korrekturbedürftig, im Grunde genommen die einzig richtige ist. Kant irrt sich, so Schelling, darin, dass der intelligible Wille weder frei noch unfrei ist, seine Parteinahme für eine übersinnliche Deutung des Willens ist jedoch die einzige, die sich philosophisch vertreten lässt. Bei Reinhold steht dagegen die Erklärung der Freiheit immer in Verbindung mit einer Erfahrung durch den inneren Sinn. Schellings Kritik lässt sich deshalb auch so zuspitzen, dass Reinholds Moralphilosophie im Grunde genommen nicht einmal Philosophie ist, weil sie lediglich wohlbekannte Fakta über andere nicht weniger wohlbekannte Fakta aufzuzählen weiß. An einer anderen Stelle wird Schelling der Lehre Reinholds gerechter. Er führt ein Reinhold-Zitat an, aus dem hervorgeht, dass dieser das gemeine Bewusstsein nicht nur für sich allein betrachtet. Der Kieler Professor denkt sich den ganzen Menschen als sinnlich und übersinnlich zugleich; nur in dieser Rücksicht kann nämlich von Freiheit die Rede sein. Schelling bemerkt an dieser Stelle, dass Reinhold auf eine transzendentale Freiheit hinweise, weil er keine höhere kenne.4 Nun ist die transzendentale Freiheit eine Wirkung des intelligiblen Wesens auf das sinnliche, also ein Verhältnis des überbewussten Teils des Selbst auf seinen 3 4

Schelling-AA I/4.161. Vgl. Schelling-AA I/4.168.

Analyse der Schelling’schen Kritik der Moralphilosophie Reinholds

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bewussten Teil. Mit anderen Worten gibt Schelling zu, dass das Denken Reinholds tatsächlich eine Instanz außerhalb des gemeinen Verstandes annimmt. Folgt man Schelling konsequent, sind genau drei Grundeinstellungen möglich. Entweder (1) man bleibt dem Sinnlichen verhaftet, also im Element des Bewusstseins und der Vorstellung. Oder (2) man bezieht das Sinnliche auf das Übersinnliche und beschreitet damit ein transzendentales Gebiet. Oder (3) man steigt schließlich zum Äther des reinen Übersinnlichen empor und gelangt so zum absoluten Willen. Nur unter der Annahme, dass das Unbedingte als wahrer Ausgangspunkt taugt und alle anderen Ebenen prinzipiell minderwertig sind, kann man es sich mit Schelling zu meinen erlauben, dass Reinhold den Kant’schen Standpunkt leugnet, „weil er auf dem StandPunkt des Bewusstseyns stehen bleibt, und sich nicht zum absoluten Willen erhebt“5. Der vorgängige Aufschwung zum Unendlichen hat zur Folge, dass Reinholds Lehre jetzt auf den Standpunkt des bloß Faktischen reduziert wird. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob Schelling mit einem philosophischen Prinzip, „das jenseits des Bewusstseyns liegt“,6 tatsächlich näher an Kant und Fichte ist als Reinhold mit seinem Standpunkt des bloß Faktischen.

2.2. Reinholds transzendentale Auffassung der Vernunft Bevor ich auf Kant und Fichte zu sprechen komme, möchte ich die transzendentale Position Reinholds etwas näher erörtern. Es stellt sich nämlich die Frage, wie sich aus Reinholds Sicht das gemeine Bewusstsein zur übersinnlichen Vernunft verhält. Oder anders gefragt, wie hat Reinhold die transzendentale Freiheit Kants, d. h. das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen,7 interpretiert und in seine Elementarphilosophie integriert? In dem Aufsatz „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen auf den Inhalt seiner Philosophie“ betont Reinhold ausdrücklich, jeder wisse von sich selbst, dass er Person oder „Bild der Gottheit“ sei8 aufgrund seines auf die Vernunft hörenden Gewissens. Auf der Ebene des gesunden 5 6 7 8

Schelling-AA I/4.167. Schelling-AA I/4.169. Vgl. KrV, A 446/B 474. Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 56.

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Verstandes findet sich der Grund eines philosophischen Lehrgebäudes, das bis auf einen ersten Anfang führt. Gäbe es für Reinhold keine absolute Kausalität, d. h. keine unbedingte Vernünftigkeit, dann wäre alles ein Ereignis, das auf einem anderen beruhte usw. bis ins Unendliche. Die einzige dann noch bestehende Notwendigkeit wäre die des Müssens, keineswegs aber die des Sollens. Mithin wäre die Vernunft lediglich theoretisch. Nach Reinhold kündigt sich im gesunden Verstand eine absolut gebietende Vernunft an, und zwar im Gegensatz zum Triebe der Lust, der die Vernünftigkeit nur als Mittel kennt. Hiermit eröffnet sich ein Spielraum für den freien Willen, sich für die Vernunft als Zweck und Weg zu entscheiden. Das aber widerspricht der Alleinherrschaft des Lustprinzips, d. h. einer theoretischen Rationalität. Folglich muss es eine ursprüngliche absolute Selbsttätigkeit geben.9 Obgleich zur Hauptsache Kants transzendentale Freiheit und nicht Kants später entwickelte moralische Freiheit Spuren in Reinholds Morallehre hinterlassen hat, ist es dennoch unberechtigt, seine Morallehre als faktisch zu verwerfen. Wenn der Mensch zu Selbsttäuschungen neigt, kann nicht entschieden werden, ob dessen Freiheit wirklich ist oder nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Reinhold die Möglichkeit der Selbsttäuschung klar einsieht, nur erkennt es sie keineswegs als ursprünglich an, sondern als abgeleitet. Man muss nach Reinhold zwischen dem „gegebene[n] Wesen“ und dem „angenommenen Charakter“10 des Menschen unterscheiden. Ursprünglich ist der Mensch frei, sich für die Rationalität oder für das Gute als Endzweck unserer Handlungen zu entscheiden, d. h. „entweder die Lust und Unlust der Vernunft, oder die Vernunft der Lust und Unlust“11 unterzuordnen. Unmittelbar an diesen Gedanken, der an Überlegungen zum radikal Bösen aus Kants Religionsschrift erinnert, wird Fichte mit dem berühmten Diktum anschließen, dass die Philosophie, die man wähle, davon abhänge, was für ein Mensch man sei.12 Sicherlich hat Fichte die Abhängigkeit der jeweiligen Philosophie vom Charakter des jeweiligen Philosophen stark übertrieben. Die ursprüngliche Entscheidung für den Idealismus benötigt eine intellektuelle Anschauung, die über 9 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 60 f. 10 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 46. 11 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 45. 12 Vgl. Fichte „Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre“ (1797), Fichte-AA I/ 4.195.

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die psychologischen Fakten erhoben ist. Getreu seiner Grundhaltung konnte Reinhold die freie Wahl für die philosophische Rechtfertigung der Freiheit nur als empirisch angeben, wobei er allerdings auch, anders als Fichte, an die Möglichkeit einer falschen Deduktion aufgrund einer misslungenen Abstraktion dachte.13

2.3. Die doktrinale Nähe Kants, Reinholds und Fichtes Die strukturellen Unterschiede zwischen Reinhold und Fichte scheinen dafür zu sprechen, dass Schelling Recht hat, sich jenem fern und diesem verwandt zu fühlen. Ein anderer Hinweis auf Fichtes Schriften von 1797 zeigt jedoch, dass Schellings Dreigliederung in bloß Empirisches, Transzendentales und Absolutes von Fichte nicht geteilt wird. Anders als die Abhandlungen zur Erluterung des Idealismus der Wissenschaftslehre betont die „Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre“, dass eine intellektuelle Anschauung nur in Verbindung mit einer sinnlichen Anschauung Sinn machen kann, d. h., dass ein Selbstbewusstsein des Tuns nur in Verbindung mit einem Bewusstsein von dem, was ich tue, zu verstehen ist. Die Aufstellung eines unbewussten Wissens liefe, wie dies bereits Claudio Cesa in der „Vorrede“ zu seiner italienischen Übersetzung bemerkt hat,14 auf eine Vergötterung der blinden Naturkraft des Denkens hinaus, und hiervon will der Autor der Wissenschaftslehre nichts wissen. Obschon Reinhold nicht von Grund auf genetisch verfährt, so kann man ihm trotz aller Einwände Schellings auch eine transzendentale Orientierung zuschreiben. Gleichgültig nämlich, ob der Anfang des Philosophierens in Tatsachen des Bewusstseins oder in der reinen Apperzeption angesiedelt wird, so wird doch der verhängnisvolle Schritt zum völlig Unbewussten nicht vollzogen. In seinen Parerga und Paralipomena II (Kap. I: „Ueber Philosophie und ihre Methode“) freut sich Schopenhauer darüber, mit Kant einig in der Methode zu sein, welche vom Faktischen ausgeht und neue Begriffe zu gewinnen versucht. Er tadelt die idealistische Philosophie, insofern sie beansprucht, ihren Anfang mit dem Übersinnlichen zu machen. Obwohl Schopenhauer, indem er alle Nachfolger Kants kritisiert, sich als einziger echter Kantianer profilieren möchte, errichtet er in der Tat eine Scheidewand zwischen 13 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 46. 14 Cesa 1999, S. XXVII.

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Transzendentalismus, egal ob genetisch oder regressiv, und absolutem Idealismus. Hinsichtlich der Methode ist die Nähe der Reinhold’schen Systematik zur Kant’schen Architektonik der reinen Vernunft zu betonen. In „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen auf den Inhalt seiner Philosophie“ ist zweifelsohne der berühmte Passus der Kritik der reinen Vernunft bedeutsam, in welchem erklärt wird, die Philosophie als Wissenschaft bestehe „in der deutlichen Erkenntniß des Zusammenhangs der letzten Gründe des Wissens mit dem Endzweck alles Seyns und Thuns“15. Die „Bestimmung des Menschen“ ist bereits Kant zufolge der „Endzweck“, der höchste, aus moralischen Gründen verfolgte Zweck.16 Reinhold vollzieht hinsichtlich der „Bestimmung der Menschheit“ allerdings eine anthropologische Wende,17 so dass unsere Natur, die sich im gemeinen Verstand ausdrückt, zur Richtlinie für das ganze Wissen wird, egal ob dieses Wissen die äußeren Gegenstände oder unser Tun und Lassen betrifft. Kant und Reinhold teilen die Ansicht, dass seit der Antike der wahre Philosoph nach dem Wissen um das richtige Handelns strebt, denn er will ja Weisheitslehrer werden.18

3. Kann die Vernunft wirklich praktisch sein, wenn sie nicht im Dienste eines höheren Willens steht? 3.1. Die Pointe des Schelling’schen Angriffs Nach diesem methodischen Exkurs kehre ich zu Schellings Kritik an der Freiheitslehre Reinholds zurück. Systematisch gesehen ist es klar, dass Schellings absoluter Wille einen Einheitspunkt stiftet, aus dem sich seine ganze Theorie herleiten lässt. Bei Reinhold sind die Dinge komplizierter; 15 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 33. 16 Vgl. KrV A 840/B 848. 17 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 33. 18 Über die Wiederbelebung antiker Motive, besonders des Weisheitslehrers bei Kant vgl. Hadot 1995, S. 399 – 406. Obgleich Reinholds Philosophie auch Spuren von Wolff (man denke an das Motiv des Zusammenhangs von Lehr- und Folgesätzen sowie der Aufklärung als Verdeutlichung unserer schon klaren Begriffe) und von Platon (man denke an das Motiv der Wahrheit als Einheit des Wissens und des Handelns) verrät, ist sie vor allem mit der Kant’schen verwandt.

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die Freiheit ist hier nämlich selbst ein Produkt. In moralischer Hinsicht hat Schellings Ansatz den Vorteil, das Praktische besser verständlich machen zu können.19 Weil die Willkür notwendige Erscheinung eines ursprünglichen Willens ist,20 behält sie etwas von der Triebkraft dieses Willens und kann so auch als principium executionis fungieren. Reinholds Morallehre wird dagegen vom Theoretischen durchdrungen, wie Schelling zu Recht festgestellt hatte. Es entsteht deshalb die Frage, wo Reinhold die Motivation der Handlung hernimmt, denn die Setzung eines Gebots im Bewusstsein ist eben noch keine Triebfeder. Schellings Kritik lautet folgendermaßen: Wenn […] Reinhold sagt: die Gesetze überhaupt gehen nur von der Vernunft aus, das MoralGesetz sey die Foderung der bloßen Vernunft an den Willen, so ist dies grundfalsch, und eine Behauptung, die alle Autonomie des Willens aufhebt. Denn die Vernunft (ursprünglich ein bloß theoretisches Vermögen) wird zur praktischen Vernunft, nur dadurch, daß sie die Materie eines höhern Willens ausspricht.21

Für Schelling war der Schritt zum Absoluten sicherlich unvermeidlich, um eine einheitliche Lehre zu stiften und so den Trieb des Praktischen zu befestigen. Da Reinhold kein höheres Vermögen als die Vernunft anerkennt, die er noch dazu als bloß theoretisch bezeichnet,22 fragt sich, wie sich ein Indifferentismus vermeiden lässt? Ist nämlich die Vernunft untauglich, den empirischen Willen zu bewegen und zum Handeln aufzufordern, droht die Gefahr, dass der menschliche Wille allein unter dem 19 Über den Standpunkt Schellings in der Zeit von der Schrift Vom Ich bis zum System der transzendentalen Idealismus, vgl. Tilliette 1992, S. 120 f. 20 Schelling-AA I/4.163. 21 Schelling-AA I/4.159 f. 22 Genauer gesagt, gesteht es Reinhold seinem eigenen Sprachgebrauch nach nicht zu. Die Vernunft ist für ihn theoretisch bzw. praktisch, je nachdem ob sie sich in dem Feld des Erkennens bzw. des Handelns ausdrückt. Eine Stelle des durch Schelling zitierten Textes belegt das klar (vgl. Reinhold, „Einige Bemerkungen über die in der Einleitung zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre von I. Kant aufgestellten Begriffe von der Freyheit des Willens“ (1797) [Vermischte Schriften II], S. 394). Dem Buchstaben nach ist die Analyse Schellings falsch, da Reinhold nicht vom theoretischen Charakter der vernünftigen Vorschriften überhaupt spricht, sondern nur diesen Charakter im Zusammenhang des bloßen Begehrens erwähnt, welches sich nicht mit dem freien Wollen deckt (vgl. Reinhold, „Einige Bemerkungen über die in der Einleitung zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre von I. Kant aufgestellten Begriffe von der Freyheit des Willens“ (1797) [Vermischte Schriften II], S. 369 und 382 f.). Dem Geist nach ist sie aber nicht zu rügen, weil sie in der eigenen Sprache eine durch Reinhold vertretene Stellungnahme transkribiert.

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Joch der sinnlichen Leidenschaften steht, ähnlich wie dies von Hume in seinem Treatise of Human Nature klargestellt wurde (Buch II, Teil 3, Kap. 3). Wenn die Vernunft für sich selbst besteht und nicht die Kraft besitzt, das Handeln effektiv zu bestimmen, entstehen nicht leicht zu behebende Schwierigkeiten. Einige von Reinholds Strategien zur Behebung dieser Schwierigkeiten sollen im Folgenden erörtert werden.

3.2. Die Reinhold’sche Auffassung von der Überzeugung Die Kritik der praktischen Vernunft definiert die Triebfeder folgenderweise: der subjective Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens […], dessen Vernunft nicht, schon vermöge seiner Natur, dem objectiven Gesetze nothwendig gemäß ist.23

Von diesem subjektiven Bestimmungsgrund hängt ab, dass eine sittliche Handlung nicht nur dem Buchstaben nach, sondern dem Geiste nach erfüllt wird. In einer Fußnote identifiziert Kant den Geist mit der Gesinnung, also mit der Absicht oder, besser gesagt, der Überzeugung.24 Die Gesinnung ist zwar kein pathologischer Affekt. Sie bleibt trotzdem ein Gefühl, nämlich ein „praktisch gewirkt[es]“25 Gefühl, das unter dem Namen der Achtung fürs Gesetz zum Vorschein kommt. Da sie affektiv ist, ist sie nicht nur als Vorstellung, als nackter Gedanke zu denken. Deshalb bildet die Gesinnung eher eine Überzeugung als die bloße Absicht, eine Handlung auszuführen. In Ueber den Einfluß der Moralitt des Philosophen auf den Inhalt seiner Philosophie skizziert Reinhold eine andere Theorie der Motivation. Von Anfang an betont er die Rolle der Gesinnung: sie wird durch keine Philosophie erschaffen, aber ohne sie ist keine Philosophie möglich.26 Analog lässt sich sagen, dass keine Erfüllung des moralischen Gesetzes ohne die Gesinnung möglich ist, obwohl diese überhaupt nicht durch 23 KpV, Kant-AA 5.72. 24 KpV, Kant-AA 5.72. – Für eine Äquivalenz von Gesinnung und Überzeugung im Kontext der moralischen Motivation plädiert auch die folgende Definition von Rudolf Eisler 1904, 1.383: Die Gesinnung ist „die Motivation des Handelns in ethischer Hinsicht, die gefühlsbetonten Vorstellungen, aus denen der Wille entspringt.“ Ferner wird die Gesinnung als ein Kriterium des Sittlichen angegeben. 25 KpV, Kant-AA 5.75. 26 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 32.

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jenes existiert. Eine praktische Überzeugung ist schon im gemeinen und gesunden Verstand vorhanden. Als Gesinnung ist sie immer schon affektiv und kann demzufolge zum wirklichen Handeln führen; sie besitzt eine treibende Kraft. Daher braucht sie Reinhold auch nicht von einer höheren Instanz abzuleiten. Die affektive Seite des Praktischen, die Kant ans Licht gebracht hatte, wird von Reinhold nicht übergangen. Sie findet vielmehr einen anderen Platz in der Auffassung der Sittlichkeit, die der Kieler Professor vertritt. Es handelt sich dabei um eine Umgestaltung der Kant’schen Achtung fürs Gesetz. Die Ankündigung des Gesetzes im Bewusstsein, die Vorstellung eines Gebots wird noch behauptet. Reinhold leugnet überhaupt nicht, dass die praktische Vernunft das Sittengesetz aufstellt.27 Wie dem auch sei, was in dieser Weise „praktisch gewirkt“ wird, das passt nicht mehr zu der Hervorbringung eines Gefühls, einer Gesinnung als Triebfeder. Des Menschen „Ueberzeugung von seiner Freyheit“ ist vielmehr „dasjenige, was alle Handlungen seines Willens begründet“.28 Nun ist diese Überzeugung, dieser „erste Artikel des Glaubens“, dasjenige, was in sich eine treibende Kraft besitzt. Praktisch wird sie nicht durch etwas anderes, sondern sie ist es immer schon durch sich selbst. In anderen Worten heißt das, Reinhold braucht keine stark entwickelte Theorie der Motivation, weil die Überzeugung und der Glaube im gemeinen und gesunden Verstand zur Verfügung stehen. Schelling irrt sich, wenn er die „theoretische“29 Notwendigkeit des Ausdrucks der Vernunft als Naturnotwendigkeit betrachtet. Er übersieht, dass das Sittengesetz den mit der Natur verbundenen sinnlichen Trieben vom echt moralischen Menschen vorgezogen wird. In der Tat ist bei Reinhold das Siegel Gottes im menschlichen Bewusstsein himmelweit von einem bloßen Zwang durch äußere Objekte entfernt. Das Wesen des Selbst darf also nicht mit der „Elasticitt“30 des Naturdings verwechselt werden. Die Selbstständigkeit der Person würde aufgehoben, wenn kein freier Wille da wäre; „die Vernunft selbst würde lediglich theoretisch seyn“31. Nun 27 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 50. 28 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 64 f. 29 Vgl. oben Anm. 4. 30 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 60. 31 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 61.

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werden alle Handlungen des Willens durch die Überzeugung von seiner Freiheit begründet. Also würde die Selbstständigkeit der Person aufgehoben, wenn kein primärer Glaube an die Freiheit existierte. Mit dieser grundsätzlichen Überzeugung kann ein Ich absolut selbsttätig sein und deshalb auch selbstständig sein. Weil eine ursprüngliche Gesinnung mir meine Kraft zu wählen bewusst macht, bin ich in der Lage, das Sittengesetz in Kraft zu setzen. Wenn es mir gelingt, dann habe ich alle praktischen Elemente meiner Persönlichkeit (interne Motivation, freie Wahl, Gehorsam gegenüber der praktischen Vernunft) in Einklang gebracht, dann bin ich ein einziges Ich.

3.3. Schlussbemerkungen über die Moraltheorie Reinholds Reinholds Hang zu Bekehrungen ist Ausdruck von Gewissenhaftigkeit, von der Unmöglichkeit, eine Theorie zu bewahren, wenn das Herz nicht mehr dadurch befriedigt ist. Nicht nur dass Reinhold nicht mehr fähig war, blind wie vorher zu glauben. Er wollte auch nicht entzweit leben. Der Glaube fordert also die Abschaffung des unzuverlässig gewordenen Wissens. Er bleibt aber unverändert unter allen Systemwechseln. Bei allen Bekehrungen ist Reinhold den Glaubensartikeln seiner Jugend treu geblieben. Es kann sein, dass seine Überzeugung, es gebe eine freie Wahl zwischen Gut und Böse, worin der Mensch als Bild Gottes erscheine, in der katholischen Tradition eines St. Bernhard, eines St. Bonaventura und eines Descartes steht.32 Zwar sagt das nichts über deren Wert aus. Man darf aber daran zweifeln, dass diese Überzeugung eine Tatsache des gemeinen Bewusstseins ist. Mit ein bisschen Boshaftigkeit könnte man dann im Falle Reinholds bedauern, was Schopenhauer bei Jacobi getadelt hat, nämlich seine „kleine Schwachheit […], alles, was er vor seinem fünfzehnten Jahre gelernt und approbiert hat, für angeborne Grundgedanken des menschlichen Geistes zu halten.“33 Die Reinhold’sche Moraltheorie enthält gleichwohl interessante Einsichten: Erstens den Begriff der Gewissenhaftigkeit, verstanden als die Fähigkeit, „über jede seiner vorzunehmenden Handlungen den Ausspruch seines Gewissens“34 einzuholen. Der sittliche Mensch steht immer 32 Vgl. dazu Gouhier 1962, S. 200 Anm. 77. 33 Schopenhauer 1819, S. XV. 34 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 63.

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vor dem Richterstuhl seines Gewissens, er billigt bzw. missbilligt seine Entscheidungen. Die Motivation ist in diesem Kontext nicht so wichtig wie der Beifall bzw. der Missfall, die Rechenschaft, die man sich selbst über sein Handeln gibt. Die Besonnenheit ist das zweite von Reinhold hervorgehobene Charakteristikum des sittlichen Menschen. Sie besteht in dem „Gemüthzustand“ einer „Besonderheit“, in welcher er sich „durch seine Freyheit zu erhalten strebt, und durch die er sich in dem Bewußtseyn seiner Freyheit zu erhalten weiß“35. Unter der Erhaltung ist die Beständigkeit der Persönlichkeit zu verstehen. In der Zukunft soll ich wie in der Vergangenheit handeln, damit ich ein und dieselbe Person bleibe. Die Wahrhaftigkeit ist ein zentraler Bestandteil der Persönlichkeit überhaupt. Der Wert der Person wird hier zum sittlichen Schlüsselbegriff. Die Moraltheorie Reinholds, wenngleich sie das Thema der Motivation nicht stark in Anspruch nimmt, legt den Nachdruck auf einen anderen Punkt, nämlich auf das Selbstwertgefühl. Und diese Eigentümlichkeit macht sie heute noch genauso wie in der nachkantischen Zeit interessant.

Literaturverzeichnis Cesa, Claudio (1999): Prefazione a J. G. Fichte, Prima e seconda Introduzione alla dottrina della scienza. Roma-Bari, S. VII-XXXVII. Eisler, Rudolf (1904): Wçrterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. 1. Berlin Gouhier, Henri (1962): La pense mtaphysique de Descartes. Paris. Hadot, Pierre (1995): Qu’est-ce que la philosophie antique?. Paris. Schieche, W. (1988), Vorwort zu W. J. Schelling, Werke 4, hrsg. von Wilhelm G. Jacobs, Walter Schieche, unter Mitwirkung von Hartmut Buchner. Stuttgart, S. 3 – 56. Schopenhauer, Arthur (1819): Die Welt als Wille und Vorstellung. Leipzig. Stolzenberg, Jürgen (2004): „Die Freiheit des Willens. Schellings ReinholdKritik in der Allgemeinen bersicht der neuesten philosophischen Literatur“, in: Martin Bondeli und Alessandro Lazzari (Hrsg.), Philosophie ohne Beynamen. System, Freiheit und Geschichte im Denken Karl Leonhard Reinholds. Basel, S. 272 – 289. Tilliette, Xavier (19922): Schelling. Une philosophie en devenir, Bd. I. Le syst me vivant 1794 – 1821. Paris.

35 Reinhold, „Ueber den Einfluß der Moralität des Philosophen“ (1796) [Vermischte Schriften I], S. 63.

Popular Philosophy: The Cases of Karl Leonhard Reinhold and Jakob Friedrich Fries George di Giovanni Abstract: The broader thesis motivating this paper is that Popularphilosophie, apparently a spent force with the waning of the Aufklrung, in fact had a large influence in shaping the nineteenth century intellectual climate. This paper concentrates, however, on K. L. Reinhold and J. F. Fries, two representatives of the tradition of Popularphilosophie who straddled the eighteenth and nineteenth centuries. Fries is a case in point for the broader thesis because his theory of psycho-somatic parallelism, which had a long history running well into the twentieth century, demonstrates how Popularphilosophie was finally capable, on the strength of inner resources, to absorb Kant’s Critique of Reason. Reinhold’s case is quite different. He has a place in the paper for two reasons: because he commented on Popularphilosophie both at the beginning and the very late stage of the Kant-reception, and because, in each instance, he demonstrated a curious lack of awareness both of the nature of Popularphilosophie and of the fact that he belonged to it.

The persistence of Popularphilosophie The immediate aim of this paper is to explore aspects of the thought of Reinhold and Fries as both instances of Popularphilosophie. The broader theme motivating this exploration is, however, Popularphilosophie itself. What I am presenting here1 is only a sketch of what is itself only a small segment of a much larger project. There is no doubt that, from 1

This is the enlarged and revised version of a paper originally read at the 2010 Reinhold Workshop held at Siegen. The materials dealing with Fries are based – for the most part, but not exclusively – on earlier research done in conjunction with Hegel. The Fries-Hegel connection, and also – perhaps even more important – Hegel’s own debt to Popularphilosophie, are subjects that deserve close study. Some results of this earlier research have already been published. Cf.: di Giovanni, George (1997): “Wie aus der Pistole: Fries and Hegel on Faith and Knowledge”, in Hegel and the Tradition: Essays in Honour of H . S. Harris, ed. Michael Baur and John Russon, Toronto, 212 – 241. In the present treatment, however, I bring important correctives to my earlier views. Fries was not a phenomenalist as I claimed then, but, like Jacobi, a realist.

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a purely speculative point of view, the interest in the transition from the late Aufklrung to early Romanticism lies in Kant’s program of establishing metaphysics on a new foundation, as well as Fichte’s, Schelling’s, and Hegel’s subsequent efforts to bring this program to fruition. But history does not proceed along speculative lines. The latter, so far as they can be discerned at all, have to be extracted from the intricate mass of influences that contributed to the intellectual process of the day – be these political events or the weight of established habits of language and thought. For the philosopher, these circumstances might count as mere accidents; in fact, they make up the substance of real history. We all know how much Popularphilosophie – considered both as an intellectual and a socio-political movement – shaped the reception of Kant’s Critique of Reason.2 The larger question in which I am interested is to what extent the same Popularphilosophie, on the surface a spent force with the waning of the Enlightenment, in fact continued to influence and shape the intellectual map of the nineteenth century. If one is to believe Frederick Engels’ reports in the December issues of the Telegraph fr Deutschland of the reappearance of Schelling on the Berlin university scene, one might well think that the epoch making event of the day was the confrontation of the schools of Hegel and Schelling – and so might the public of the day have also thought.3 Yet one has reason to wonder whether Popularphilosophie was in fact the force shaping the epoch. One must keep in mind that Schleiermacher – certainly a trend setter for the nineteenth century – counted as his intellectual mentor none other than Johann August Eberhard,4 of anti-Critique fame; also that the successor to Kant’s chair at Königsberg had been Wilhelm Traugott Krug, an avowed promoter of ‘common sense’ philosophy. Fries – about whom much more in what follows – had occasion to refer to this Krug with serious interest,5 and to Gottlob Ernst Schulze 2 3 4 5

This is one of the theme that I develop in: di Giovanni, George (2005): Freedom and Religion in Kant and His Immediate Successors: The Vocation of Humankind, 1774 – 1800, Cambridge. Telegraph fr Deutschland No. 207, December 1841, signed as Friedrich Oswald. http://www.marxists.org/archive/marx/works/1841/anti-schelling/ ch01.htm#004. Cf. Froese, H. Victor (1992): “Postscript” to Friedrich Schleiermacher, On the Highest Good, tr. ed. H. Victor Froese, Lewiston/Queenston/Lampeter, 105 – 107. I shall cite Fries according to König, G. & Geldsetzer, L. eds. (1967 – 69): Jakob Friedrich Fries, Smmtliche Werke, Aalen, by volume number (Roman numeral),

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as well, the same Schulze as of Aenesidemus fame.6 Friedrich Adolf Trendelenburg’s Aristotelian critique of transcendental and dialectical logic also received widespread attention and approval throughout the nineteenth century. One can add to the list. The fact is that the group of intellectuals who gravitated around Jacobi in the last phase of his career in Munich – Schleiermacher, Reinhold, Fries, Bouterwek, Köppen, Roth – and Jacobi himself, all traced their roots to the late Enlightenment tradition of ‘common sense’ philosophy which was closely associated with Popularphilosophie. In the longer term, Feuerbach’s anthropological transformation of Hegel’s idealism, especially when considered in connection with Fries’s Psychische Anthropologie,7 can also be seen as influenced by this same tradition. In brief, one has reason indeed to wonder whether all these individuals, straddling as they did the old and the new century, and all beholden in one way or other to the original program of Popularphilosophie, were the ones ultimately responsible for setting the intellectual tone of the new century. I have no intention at the moment of pursuing this larger theme. My subject is much more circumscribed. At its most conspicuous level, this is a paper about Fries’ psychological transformation of Kant. I am referring to the erstwhile colleague of Hegel at Jena, and the object of the latter’s later contemptuous criticism, whose theory of psycho-somatic8 parallelism had a long history that extended well into the twentieth century. This theory, as I shall try to show, was one possible development of Popularphilosophie – indeed, one that best capitalized on

6 7 8

and page numbers; all volumes cited her are from Abteilung I of the collected works. In volumes that do not have a pagination of their own, the page number is that of Fries’ work as reproduced in the edition. For Krug, cf. inter alias: Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft (1828), V:477. I shall refer to this title as NAKV. Handbuch der psychischen Anthropologie oder der Lehre von der Natur des menschlichen Geistes, Band II (18392), II:69 – 70. Henceforth, HPA Fries referred. HPA (18201, 1837–18392). “Es muß einen durchgreifenden Parallelismus zwischen den Geistesthätigkeiten und den Lebensbewegungen im körperlichen Organismus geben, es wird sich dieser aber erst dann mit Glück verfolgen lassen, wenn wir eine glückliche Theorie des Geisteslebens mit einer eben so gelungenen Theorie des körperlichen Lebens vergleichen lernen. [ …] Wir behaupten, daß in den Geistesthätigkeiten und im körperlichen Leben dasselbe Wesen erscheine, aber nach ganz verschiedenen Erscheinungsweisen, so daß nie dessen Eines zum Erklrungsgrund des Andern gebraucht werden dürfe, so oft sie uns auch wechselseitig Erkenntnißgründe ihrer Zustände werden.” HPA, Band II, II.8.

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the strengths of that tradition. At another level, though less conspicuously, Karl Leonhard Reinhold is the main object of interest – for two reasons. The first is because Reinhold explicitly commented on Popularphilosophie when he was still engaged in his project of reforming Kant,9 and did so again, but this time only by implication, much later when, at a time when he had already rejected all forms of Kant-inspired Idealism, he reviewed and criticized Fries’s major opus.10 He thus provides both end-pieces, so to speak, for our broader theme of Popularphilosophie as presiding over the reception of Kant’s Critique of Reason both at its inception and in its longer term influence. But the second and more substantial reason for my current interest in Reinhold is that, on both occasions when he commented on Popularphilosophie, Reinhold had sorely misunderstood its nature, and failed to recognize how much he too belonged to it. He failed to see where the true strengths of this cultural/philosophical phenomenon lay – and hence failed, in his attempted reform of Kant, to capitalize on precisely these strengths. Rather, just like C. C. E. Schmid, his opponent at Jena, he gave renewed legitimacy, on the basis of what he thought to be critical grounds, to elements drawn from scholastic philosophy. These elements too were part of Popularphilosophie and, at some levels at least, they still encumbered Kant’s critical work. The belief that sensations are passive mental events caused by an external ‘thing in itself’ was a case in point. Reinhold’s was a case of the old taking charge of the new and reasserting itself despite making us of a language that gave the impression – but only the impression – of giving due credit to the new. This is the reason for the conspicuous presence of Fries in a paper on Reinhold. His theory of psycho-somatic parallelism was itself an offshoot of the Popularphilosophie tradition; with respect to Kant, therefore, it was, like Reinhold’s appropriation of the Critique of Reason, a case of the old taking charge of the new. However, the theory also brought a serious corrective to the tradition from which it originated. That this occurred from within the tradition itself was indeed evidence of its strength. But the point now is that the corrective was motivated by the desire to circumvent conceptual problems that genuinely burdened Kant’s critical project – the same problems that Reinhold had rendered 9 Both in Versuch, 24 ff., 133, 154 – 158, 188; and in Fundament, 50 ff., 88 ff., 97 ff. 10 Rezension Fries I and shortly after Rezension Fries II.

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all the more acute by restating issues typical of dogmatic metaphysics, which Kant had in fact rendered moot, in what he thought was the new critical mode of thought. The sad thing, as we shall see, is that in his final review of Fries Reinhold failed to recognize how much, and why, he, Reinhold, had been part of the problem that motivated Fries’ new theory. This is not a flattering image of Reinhold. It is only fair, however, that we should first let him speak for himself on the subject of Popularphilosophie. 11

Reinhold on Popularphilosophie Eclecticism is the trait that, according to Reinhold, best typified Popularphilosophie. 12 The phenomenon owed its origin to the one-sidedness of Leibniz’s and Locke’s systems, both of which were based on two inconsistent assumptions regarding ideas (Vorstellungen or ‘representations’, as Reinhold most commonly refers to them in keeping with German scholastic tradition). The first assumption was that knowledge originates in the conformity of ideas to reality in itself; the second, that the object of a representation is the representation itself. Granted these two assumptions, each system adopted a radically different strategy for determining how a representation, in having itself as object, could none the less conform to external reality. Leibniz, relying on the further assumption of a universal harmony of everything in the universe with everything else, postulated the innate presence in the mind of fundamental representations that reflect this harmony and that can therefore be used as criteria for testing the truth of other more particular representations. Issues of truth thus devolved on the analysis of individual representations that clarifies their connection – if any – to assumed universal and necessary truths. And for this, the principle of contradiction sufficed. Locke, for his part, took a directly opposite tack – arguing that all cognition depends on representations that originate in actual experience. What Leibniz considered universal and necessary ideas were for Locke, rather, derivatives of original sense impressions; as derivatives, they therefore lacked the convincing power of the originals. According11 For a fuller treatment on which the following heavily relies, see di Giovanni (2005), The Vocation of Humankind. Cambridge, Chapter 2, Section 2. 12 Fundament, 14 ff., where the story according to Reinhold of the birth of Popularphilosophie is detailed.

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ly, issues of truths devolved on the question of the simplicity – hence the assumed originality – of the sense impressions on which the more complex representations were based. Theory of knowledge in general thus became a historical (psychological) account of the genesis of the mind. As for the original impressions on which the whole account was based, the convincing power was due to the belief, which in Locke’s theory played the same foundational function as did universal harmony in Leibniz’s, that these impressions were the direct effect of an activity exercised upon the sense organs by an external reality. It did not take long for someone like Hume (so Reinhold’s account proceeds) to come along, and to raise the obvious objections to which both Leibniz’s and Locke’s system were vulnerable. Reinhold expounds on the subject at length. Against Leibniz, Hume argued that the principle of contradiction is purely formal and can only guarantee, therefore, the formal coherence of a representation, never its material truth. Against Locke, he made the obvious observation that, from the existence of a sense impression, that the impression is caused by anything external to it cannot be determined. Reinhold points out, moreover, that Leibniz had already struck a serious blow against Locke’s theory by arguing that there cannot be such a thing as a simple sense impression. Upon careful analysis, the examples on which Locke had relied all turn out to be made up of a complex of representations, each amenable to further analysis.13 Scepticism was the natural upshot of Hume’s criticism. It was a scepticism totally immune to rational argument once the assumption (whether Locke’s or Leibniz’s) from which it derived had been accepted. Philosophy had reached a dead end. It had exhausted the conceptual possibilities inherent in both Leibniz’s and Locke’s starting points and, by the same token, had destroyed itself by undermining the grounds of truth. Such being the situation, Reinhold proceeds, nothing was more natural than the course that Reid, Oswald, Beattie [the three names commonly associated at the time with the so called ‘common sense’ philosophy], and others embarked upon to refute Hume. They summoned the common sense of mankind against him, for it was the only course open to them given the stage of reason’s philosophical advance at the time. They evoked in their writings all the feelings at whose 13 Fundament, 19 – 20. The text of Leibniz that Reinhold very likely has in mind here is Book II, Chapter 2, of Nouveaux essais sur l’entendement humain. In the English translation of Alfred G. Langley (1949), La Salle 120.

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tribunal Hume would necessarily stand convicted […] They were the feelings that for the largest segment of even cultivated people take the place of thought[-determined] principles. Some of them, the moral feelings (as expressions of practical reason), are the one single means of possible orientation for theoretical reason in its unavoidable internal dissensions on its way to (hence before) the discovery of ultimate grounds.14 Reinhold continues, “The proposition: ‘Thus says man’s common understanding’,15 became the first principle of an alleged new philosophy which its followers dubbed eclectic, since it allowed them the most complete freedom.”16 This is the genealogy of popular philosophy according to Reinhold. At its root there lay a misunderstanding about the nature of representation that both the rationalists and the empiricists had in common despite their otherwise totally opposite analyses of experience, namely the erroneous assumption that the object of a representation (whatever the source of the latter) is the representation itself, yet that truth consists in its conformity to a reality external to it. This assumption, coupled with Locke’s critique of rationalism, necessarily led to scepticism. This scepticism led in turn to ‘common sense’ as the only possible non-discursive defence against it. And, since ‘common sense’ has no single internal self-limiting principle, this move paved the way for eclecticism. Of course, this was Reinhold’s mise en sc ne for the introduction of his theory of representation should have resolved, as he thought, the 14 “Nichts war natürlicher, als der Weg, den Reid, Oswald, Beattie u. A. zur Widerlegung Humes eingeschlagen hatten; indem sie den gemeinen Menschenverstand gegen ihn aufriefen; denn es war der einzige Weg, der bey der damaligen Stufe der Fortschritte der philosophirenden Vernunft offen war. Sie weckten in ihren Schriften alle die Gefhle auf, vor deren Richterstuhl Hume nothwendiger Weise [. . . ] verlieren mußte; Gefühle, welche bey dem größten Theile auch der kultivirtesten Menschen die Stelle gedachter Principien vertreten, und worunter einige, die moralischen, als Aeußerungen der praktischen Vernunft, das einzige Mittel sind, durch welches sich die theoretische Vernunft bey den Uneinigkeiten mit sich selbst, die auf dem Wege zur (folglich vor der) Entdeckung der letzten Gründe unvermeidlich sind, zu orientiren vermag.” (Fundament, 51 – 52). 15 Here as elsewhere, Reinhold uses the German more common expression ‘human common understanding’. 16 “Der Satz: ‘Dieß sagt der gemeine Menschenverstand’, wurde nun der erste Grundsatz einer neuen angeblichen Philosophie, die von ihren Anhängern die eklektische genannt wird, weil sie ihnen die vollkommenste Freyheit gestattete.” (Fundament, 53).

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problem posed by his predecessors. And, truth to tell, there was more than a modicum of truth to the account he presented. It suffered, however, from serious historical and conceptual blind spots. Historically, it failed to take note of the fact that there was a tradition of German home-spun eclecticism deeply rooted in the distrust of reason that was part and parcel of Evangelical Christianity.17 Conceptually, Reinhold’s account failed to recognize that eclecticism did not necessarily lack an internal self-limiting principle. On the contrary, it was a position singularly resilient to external attack. For our purposes this last is the important point. The list of authors whom Reinhold cites as eclectics – Eberhard, Tiedemann, Reimarus, Feder, Meiner, Selle18 – and also chides for having abandoned the rigour of systematicity, is testimony to this internal coherence. These authors all had their special agendas to promote, and each his special method for doing it. What they all had in common, however, is that they did not detect the presence of any unresolvable opposition between Leibniz and Locke. Reinhold was indeed right in thinking that these two had presided over the genesis of Popularphilosophie; right also in seeing them as presenting different strategies for explaining the possibility of human knowledge – the one, a priori and analytical; the other, a posteriori and historical. But he was wrong in believing that their difference was one of opposition, or that one was forced to choose between the two. On the contrary, the two strategies converged naturally. On the one hand, there was a historical dimension to Leibniz’s theory. His innate principles of reason were intended to govern a temporal process of elucidating obscure perceptions drawn from experience. On the other hand, Locke had allowed that there were innate fundamental dispositions (Grundbestimmungen) in the soul that made it capable of apprehend17 Christian Thomasius and Christian Crusius belonged to this tradition. Mendelssohn, writing in 1759, had occasion to advert to this eclecticism, and, with respect to Crusius, he expressed the fear that Wolff’s systematic thought had been driven out of the scene and serious philosophy was at an end in Germany. Crusius was also under British influence. Cf. Albrecht, Michael (1989): “Thomasius – kein Eklektiker?”, in: W. Schneiders, ed. (1989), Christian Thomasius 1655–1728. Interpretationen zu Werk und Wirkung, Hamburg, 73 – 94; Kuehn, Manfred (1987): Scottish Common Sense in Germany, 1768–1800. A Contribution to the History of Critical Philosophy, Kingston & Montréal, 264; Mendelssohn, Moses (1759): Briefe, die neueste Literatur betreffend I, 1. März, 129 – 134, Cited after Kuehn (1987), 36. 18 Versuch, 155 – 156.

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ing (empfinden) necessary truths immediately. In this sense, he too allowed for a type of a priori. 19 The way lay open, therefore, for subsequent German philosophers to use Locke’s psychology to recreate in a more empirical form the harmony that Leibniz had instead postulated a priori on the basis of purely logical necessities.20 What Locke’s historical method offered to German philosophers, in other words, was precisely a means of forging in their otherwise rational theory of knowledge a more systematic unity between a priori and a posteriori elements; this method provided them, in other words, with a means of developing the theory psychologically as a theory of the facts of consciousness. It was wrong, therefore, to think that the German popular philosophers had resorted to common sense as an ad hoc defense against Hume’s scepticism – a sort of medicament of last resort, not necessarily a bad medicament but deadly if administered in place of food.21 As a matter of fact, the Germans never really took scepticism to be a serious threat, precisely because they took for granted that, when transposed into the more sophisticated framework of Leibnizian theory, Locke’s psychology was immune to it. In that framework, ‘common sense’ (or ‘healthy human understanding’) denoted the rationality that even feelings might have just because they reflected in their own way the internal harmony (or disharmony) of an organism. Common sense was in effect identical with the felt interests of reason – interests which, though in the form of subjective dispositions of the mind, already delineated in principle the sphere of the possible objective use of concepts. In the light of this popular tradition, one can therefore understand why, as Kant came on the scene, those unsympathetic to him would have seen the Critique of Reason as offering nothing new except distinctions that caused new difficulties without resolving any of the old; while others, more sympathetic, could easily have conflated these new distinctions with the older and would have thought that they thus avoided the difficulties that the new created.22 Then there was

19 This, according to Reinhold’s own reading of Locke. See Versuch, 310 – 311, his comments regarding Platner’s views on Locke. 20 Adam Weishaupt’s work is one of the best, if not the best, example of this synthesis. For this, see di Giovanni (2005), The Vocation of Humankind, 43 – 47. 21 Fundament, 52 – 53. 22 It is interesting to note the list of names, all representative of Popularphilosophie, that Fries gives as examples of those who pursued Kant’s critique without confusing, as Kant himself had done, psychology with metaphysics. Reinhold was

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the already mentioned C. C. E. Schmid. He defined this new, Kant-inspired ‘critico-popular’ program in an essay appended to the 1788 augmented edition of his Kant-Lexicon.23 In the essay he contrasted common ‘empiricism’ with what he called ‘Kantian Purism’ – this last a kind of empiricism that abided strictly by the overt data of consciousness without in any way trying to explain them, as Locke had done, with extra mental causes. Within this newly defined program, according to Schmid, it made at least prima facie sense to accept as an alleged fact of consciousness the idea of a law that commands simply as law (as Kant had argued for), provided it was made clear that only a subject equipped with an especially sophisticated sense of self-identity is capable of entertaining the idea theoretically; provided also that, with reference to actual praxis, one takes into account the social and psychological mechanisms that give rise to the feelings required for acting in accordance with this law. Schmid went on to pursue his interpretation of Kant’s moral law in his Essay in Moral Theory of 1790,24 and it was this essay that occasioned the dispute that arose between Schmid and Reinhold regarding the ‘will’, a noumenal faculty postulated as originating action. According to Reinhold, one had to attribute to this faculty a power of free choice, that is to say, an element of indeterminacy with respect to the action that it initiated which it resolved on its own strength, or freely. Schmid, for his part, argued that the operations of this will, even as conceived noumenally, had also to be subjected, no less than empirical desires, to strict necessity. The dispute is well known. We need not dwell on it.25 The important point for present purposes is that it revealed what Reinhold had not understood about Popularphilosophie. He had not understood, most of all, that he too belonged to this tradition. For one thing, in trying to systematize Kant’s Critique of Reason in the form of a theory of representation based on what he took to be a simple and immediate ‘fact of consciousness’, namely ‘representation’, he was

guilty of the same confusion, and so were Fichte and Schelling under his influence. (HPA, Band I, I:100 – 102). 23 Schmid, C. C. E. (1788): Wçrterbuch zum leichtern Gebrauch der Kantischen Schriften, Jena. 24 Schmid, C. C. E. (1790): Versuch einer Moralphilosophie, Jena. 25 For a full treatment, see di Giovanni (2005), The Vocation of Humankind, 118 – 124.

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in fact pursuing the Lockean strand of Popularphilosophie. 26 Indeed, inasmuch as he had assumed as a principle a much more sophisticated definition of ‘representation’ than any that Locke himself, or any of his followers, had offered, he was on the right track for what could perhaps have been a significant theory. But, as the controversy with Schmid made glaringly apparent, Reinhold had imported into the theory, under the rubric of the ‘merely thought’ for which Kant had critically allowed, a whole array of alleged hyper-physical entities that past metaphysics had simply assumed dogmatically. In doing so, as we have already indicated, Reinhold had in fact re-legitimized that metaphysics on what he took to be critical grounds. Reinhold was not alone in this. It was another tack that popular philosophers had adopted in order to appropriate Kant’s work for their conceptual agendas. The problem was that, even when reintroduced under the rubric of the ‘merely thought’, the entities of past metaphysics came with a baggage of unresolvable conceptual problems. The Reinhold-Schmid controversy demonstrated precisely this. Here is where Fries comes on the scene.27 For, from the start, Fries’s intention was to rid the Critique of Reason, even as advanced by Kant, from its rationalistic encumbrances, and thus to turn it into an unsullied theory of the facts of consciousness.

Popularphilosophie: The case of Jakob Friedrich Fries Fries pursued his studies at Jena first in 1797–1798 – when he was exposed to Fichte but, as he said, was done with him in a matter of hours28 – and then again in 1801–05, when his sojourn coincided with Hegel’s. It was in this second period that he developed his system. He did so with 26 Apparently Reinhold had Locke’s Essay concerning Human Understanding in front of him when penning his Fundament. (Cf. Fundament, 22). 27 So would Hegel. During their common sojourn at Jena, Fries’ and Hegel’s intellectual development seemed to run parallel – though not equal – courses, witness the remarkable similarity of themes in the works that the two either published at the time or (in the case of Hegel) intended to publish. For this, see di Giovanni (1997): “,Wie aus der Pistole’. Fries und Hegel on Faith and Knowledge”, in: Hegel and the Tradition: Essays in Honour of H.S. Harris, eds. Michael Baur/John Russon, Toronto u. a., 212 – 39. 28 Henke, E.L.T., ed. (1867): Jakob Friedrich Fries: Aus seinem handschriftlichen Nachlasse dargestellt, Leipzig, 47 – 48.

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Kant constantly in mind, whom he criticized severely, but not as devastatingly as he criticized Reinhold, Fichte and Schelling.29 Fries’ position was based on a fundamental distinction between what he called transcendental and empirical truth.30 Transcendental truth consists, as per the traditional definition, in the conformity of mind to reality. We shall return to this. Of more immediate interest is the empirical truth, which, by contrast, depends on the accuracy of the observations that we perform on facts that are immediately or intuitively present to the mind as given to it, as well as on the accuracy of the abstractions, inferences, and theoretical constructions established on the basis of such facts. As far as this last type of accuracy is concerned, right method is there to guarantee it. In this, Fries thought to have distilled the essence of critical philosophy. As he never tired of repeating, “the only essential element of Kantian philosophy is its critical method.”31 As for the other type of accuracy – accuracy of observation – the very immediacy of the observed facts, the convincing power that they yield in being given, should do the job of guaranteeing their truth. Here is where Fries strikes his most decisive blow against Kant.32 According to Fries, Kant was wrong in believing, and guilty in leading his followers (notably Reinhold and Fichte) to believe, that sense-intuitions are impressions caused on the senses by external objects – that is to say, that the intuitions are of the effects of these causes and not directly of the objects which are the presumed causes. To claim as much was to assume Locke’s conception of sensation. But to state the matter in this way was, according to Fries, to expose oneself to irrefutable objections. For one thing, we would be committed to defending claims about objects by measuring their truth against these objects as they presumably are in themselves – on the basis, however, of only the subjectively received affections that the objects produce on the senses. But this is impossible. Indeed, that there are 29 The criticism of Hegel came later: J.F. Fries: “Nichtigkeit der Hegelschen Dialektik,” in: Fr Theologie und Philosophie: Eine Oppositionsschrift, eds. Fries, Schröter und Schmid, I.2 (1828) 86 – 112. 30 J.F. Fries (18282): Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft, § 71, IV:408 – 11 (hitherto cited as Neue Kritik), J.F. Fries (18242): Reinhold, Fichte und Schelling, XXIV:466 – 67 (hitherto cited as RFS). 31 “Das einzig wesentliche der Kantischen Philosophie ist die kritische Methode.” RFS, XXIV:310. 32 RFS, XXIV: 455 – 470; Kant had made his whole critical theory vulnerable to the sceptical attack of Aenesidemus, with which Fries could not but sympathize. 466 – 67.

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objects external to the sense, and that the impressions found in the latter are the effects of a causality exercised upon the senses by such objects – all this must be a matter of inference for which there is no unimpugnable evidence. Here is a situation which would call for the first definition of truth – that is, truth as transcendental – yet makes its application impossible. Even more important for Fries was that the relation of sense-intuition to its object as so defined is false as a matter of experiential fact. Here is where Fries brought in his corrective to the tradition of Popularphilosophie. The observable fact of experience is that an object of senseintuition, say a ‘tree’, is given to the mind, or is present to it, precisely as a tree in itself, bearing no causal relation to the sense apprehending it.33 It is a tree there, with traits that pertain to it as tree: any question about it would have to be resolved in terms of the tree itself, even though the resolution might well involve the repositioning of the sense on the subjective side of the mind (a shift, for instance, in the angle of vision or the expansion of one’s view); and, when it is a matter of construing a ‘science of trees’, this also involves a conceptual process of abstraction and theory construction by the mind. In this respect Fries was no less a committed realist than Jacobi was. Of course, it still made sense for Fries to say that the mind is affected by external objects. But, according to him, that there is such an external affection is apparent to us, not on the evidence of sense-intuition as such, but because of other experiences, such as the feeling of being constricted or constrained. Here one must carefully distinguish between ‘feeling’ and ‘sensation’ [Gefhl, Empfindung]. (One serious objection that Fries repeatedly raised again the whole tradition of English empiricism is that it had failed to make this distinction, or at least to abide by it consistently).34 However, Fries continued, inasmuch as we consider the sense as causally affected, we are taking it as itself an object of sense-intuition. We are taking it as a thing among other things and, like all things, as causally affected by these other things. One might want indeed to develop a physical theory of the mind on the basis of this interplay of causes and effects (a ‘physiology’, as Fries occasionally calls it), and also correlate the facts of this theory with facts internal to the mind, that is, the mental events (the 33 Neue Kritik, §15. Cf.: “Die Anschauung in der Empfindung hat für sich allein unmittelbare Evidenz, indem sie den Gegenstand als gegenwärtig vorstelle.” IV:153. 34 Neue Kritik, 406.

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‘seeings’ or the ‘hearings’) 35 which are per se directed at the objects that constitute the physical theory. However, one set of facts does not amount to the other: the physical theory in no way warrants the claim that, in intuiting a tree, we see the tree as affecting us. As Fries characteristically puts is, the claim is based on the mistake of taking what is intuited in sensation (the sense-given or das Sinnliche) for the sensation itself, meaning that we have to account for the latter with factors external to it.36 Here we already have a first sketch of Fries’ theory of psycho-somatic parallelism. More needs to be said, however. Intuition is not restricted to the external sense. There is also the intuition of the inner sense, as well as the peculiar intuitive presence of the objects of the imagination. Mathematical space, on which, according to Fries, the physical sciences all depend,37 is another notable case of intuition. Intuition, furthermore, is not the only type of events constituting the mind. There is also an emotive side to the mind, made up of a variety of feelings, sentiments, and appetitive forces. Most importantly, all these mental events, be they intuitions or otherwise, are, as a matter of fact, themselves the objects of a reflective activity by the mind by virtue of which they become present to it as facts susceptible to immediate inspection. This reflective activity – itself the possible object of further reflection – is responsible for the abstractions and conceptual constructions that 35 Neue Kritik, §15. 36 “Es ist also hier ein Bewußtseyn der Empfindung, und ein Bewußtseyn in der Empfindung. Nun wird zwar ganz richtig gesagt: Empfindungen seyen bloße Modifikationen des Gegenstandes, denn dies ist die einzelne Thatsache, daß ich empfinde, jederzeit; man verwechselt aber dann mit der Empfindung das in ihr Angeschaute.” (Neue Kritik, § 16, IV:156). 37 “In unsrer Erkenntniß kann das historisch gegebene individuelle Daseyn niemals aus der philosophischen Einheit [as it would have to be for Fichte] begriffen werden, sondern beyde kommen nur durch Mathematik in Verbindung, durch ein hypothetisches System von Grund und Folge.” J.F. Fries (1808): “Selbstrezension der Neuen Kritik der Vernunft. Drei Bände,” in: Heidelbergische Jahrbcher der Literatur, Jahrgang 1, Abteilung 1, Heft 2, 241 – 255; 349. IV:15. In the same text, however, Fries stresses the need of a healthy process of induction. Philosophy and mathematics require ‘speculation,” i. e. the process of abstracting laws from given historical data. But natural science must be based on induction, i. e. on precisely such historical data (349). See also Fries’ criticism of Herbart who – quite dogmatically – according to Fries, was trying to construe a science of objects outside space/time: J.F. Fries (1847) “Über den Unterschied zwischen Anschauung und Denken gegen J. F. Herbart,” in Abhandlungen der Fries’schen Schule, Heft 1, 7 – 30. XXIV:795.

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give rise to science, both the physical science of the facts that are intuitively apprehended in external intuition, and the science of facts that are internal to the mind. These last, though available only by virtue of reflection, are none the less just as intuitively apprehended as those external to the mind. Included among them are the external objects again, but this time precisely as apprehended and, as the case may be, imaginatively and/or conceptually reconstructed for the sake of science.38 In this complex of reflectively apprehended objects, however, the divide between facts internal to the mind and facts external to it remains irreducible, so that neither set of facts can be explained in terms of the other.39 It is possible, however, to detect a parallelism between the two sets of facts inasmuch as certain physical facts are found to be de facto accompanied by counterparts in the mind, or, conversely, mental facts are found to be accompanied by physical counterparts. Fries went to great lengths exploring this parallelism, indeed to extremes that to us might seem absurd.40 38 This is the subject matter of the Neue Kritik. For a sketch, see § 26. See also, inter alias, “Erst wenn ich über meine Empfindung denke, und nicht unmittelbar (z. B. beym Sehen) bin ich mir meines Sehens als einer Modifikation meiner selbst bewußt. Unmittelbar schaue ich im Sehen etwas gefärbtes außer mir an. […] Nur für die Thätigkeiten der Reflexion und dasjenige, was im Wissen durch Reflexion ist, d. h. die logischen Funktionen des Verstandes wird diese Wahrnehmung der Wahrnehmung nothwendig vorausgesetzt.” (RFS, XXIV:94 – 95). 39 “Psychische Anthropologie und Physiologie des menschlichen Körpers werden also als theoretische Wissenschaften zwei ganz von einander getrennte Systeme behaupten. Bilde sich niemand ein, durch das Geistige etwas Körperliches, durch das Körperliche etwas Geistiges erklret zu haben oder erklren zu können.” (HPA, Band I, I:6 – 7). Also: “Über das Gebiet der Mathematik hinaus gibt es also gar keine Theorie und innerhalb desselben können wir auch die verschiedenen Qualitäten des materiellen Daseyns und des geistigen Lebens nie in eine Theorie der Naturlehre zu vereinigen hoffen, sondern äussere und innere Naturlehre behält jede ihr eignes für sich geschlossenes Gebiet.” ( J.F. Fries: Selbstrezension, XXIV:15). 40 “Stellen wir diesem nun den Geist zur Vergleichung gegenüber. Die Grundlage aller Vergleichungen wird hier immer die alte Platonische bleiben: die sinnliche Begierde (epihulia) gehört dem Unterleib, die untere Thatkraft (hulof) der Brust, Verstand (kocof), Erkenntniß und Bewußtsein dem Kopf (dem Gehirn). Wir erkennen körperlich die Bedingungen der äußern Anregung und der äußern Wirksamkeit unsers Geistes, sind aber in dem zeitlichen Schicksal unsers Geisteserlebens so durch und durch von diesem Äußern abhängig, daß wir keinen Theil dieser Vergleichung entziehen können. So müssen wir nun den vereinigten Lebensproceß durch das ganze Nervensystem unsers Körpers dem

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Science is the product of reflection, and philosophy, as scientia prima, is the product of ultimate reflection. Fries named the product of this ultimate reflection, in the form that he gave to it in 1828, “New or Anthropological Critique of Reason”. In the original edition of 1808, he had entitled it “New Critique of Reason”. It was a ‘critique of reason’ because it pursued Kant’s project of a reflection on reason, conducted by reason itself, by which reason establishes its limits. It was a ‘new’ critique, because the idea of reason with which Fries was now operating was substantially different from Kant’s. And the adjective added in 1828, ‘anthropological’, indicated precisely where the difference lay.41 I have been using the language of ‘mind’, ‘mental events’, and ‘mental activities’ in an effort to find entry into Fries’ complex theory. But Fries’ more typical language is that of ‘reason’ – the ‘events’ and ‘activities’ at issue being such as belong to reason. The most distinctive feature of Fries’ theory of mind was that the mind has only one faculty, namely ‘reason’ – a reason, moreover, understood in explicit organic terms as a ‘form of life’. For Fries, reason is the life-form specific to human existence.42 And, since philosophy consists of a critical reflection on reason, and since this reason is constitutive of human existence, philosophy is fundamentally a study of human nature: its critique is ‘anthropological’. Gone for Fries, therefore, is the need that Kant felt to distinguish between transcendental logic and psychological construction. Critique is essentially psychology, or more precisely, as Fries puts it, ‘anthropology’. What does Fries mean by reason as a form of life? Any definition, in so far as one can be gleaned from a variety of passages of his works, would have to combine the notions of spontaneous activity (something Geist gegenüber stellen. Könnten wir tiefer eindringen, so möchten wir wohl am unmittelbaren die Parallele alles Geisteslebens im Gehirn zu suchen haben, denn dort scheint doch körperlich der Mittelpunkt aller eigenthümlichen Nerventhätigkeiten.” (HPA, Band II, II:27, § 100). See § 154, where clime is associated with the alleged differences in racial characters. 41 Fries defines this difference at length while criticizing Fichte’s Wissenschaftslehre. “Sie [die Wissenschaftslehre] muß also eine Kenntniß der Organisation unsrer Vernunft enthalten, wiefern diese eine Erkenntniskraft und die philosophischen Erkenntnisse ihre ursprünglichen Handlungen sind. Das heißt sie gründet sich auf innere Erfahrung und Anthropologie; sie ist nichts anders als das, was Kant transcendentale Kritik genannt hat, die Wissenschaft von der Organisation unsrer Vernunft, um daraus erfahrungsmäßig zu zeigen, welche ursprüngliche Erkenntnisse wir allein besitzen.” (RFS, XXIV:78). 42 HPA, I:23 – 25.

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like Aristotle’s 1m]Âceia) and reflectivity.43 But, in a Friesian context, these two notions naturally tend to come together, for it is of the nature of a self-contained activity, such as we expect spontaneous activity to be, that it confirm itself precisely as activity,44 and this is precisely what reflectivity does. Rational acts are self-confirming acts – each, in some way or other, a kind of assertion (Behauptung). Fries’ theory of knowledge is not a simple form of intuitionism. This is an important point to note. Fries clearly indicates as much early in his theory, where he argues that there is more to knowledge than just intuition. For knowledge to come to fruition, judgement is also required – an assertion confirming the truth, the givenness or actual presence, of the intuited object. Reflection is of course responsible for this confirmation: it amounts to precisely a faculty of judgement. And there is a good reason why such a faculty is required. For, according to Fries, reason, or at least human reason, though a source of spontaneous activity, is not thereby infinite in this activity.45 On the contrary, human reason, as a matter of fact, is limited, and, as such, internally differentiated. Reason is sensitive (erregbar): therefore, it is also receptive (empfnglich). In this, however, it remains a spontaneous activity. As receptive, it is not simply presented with sensed objects but it actively also re-presents them: it makes present, as given again (wiedergegeben) in the medium of representations, what would be otherwise simply sensed or felt by it. The senses, feelings, the whole conative side of the mind, and the understanding, are for Fries, not independent faculties, but aspects of the one faculty of reason. This reason reflectively apprehends itself as limited and, in so doing, also sorts out the various facts at play in its activities, in each case sealing the facts, so to speak, in appropriate judgements. In each case, moreover, the judgement is accompanied by what Fries calls a ‘feeling of truth’ (Wahrheitsgefhl)46 – the subjective appropriation, one can suppose, of the otherwise objective evidence of facts as facts. The architectonic of Fries’ system is based on the three (and only three) methods available for the attainment of judgement and the cor43 HPA, I:21 – 22, § 5. 44 “Erkenntniß ist die assertorische Vorstellung, durch welche eine Behauptung begründet wird.” (NAKV, IV:130). 45 “Erregbarkeit müssen wir einer Spontaneität schlechthin entgegensetzen, sie ist eine Selbstthätigkeit, welche sich nicht genug ist.” (NAKV, IV:75). The whole § 12 is relevant. 46 NAKV, § 85.

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responding feeling of truth.47 There is, first, what Fries calls Beweis, or ‘proof’. This is the method typical of the sciences, where the original facts on which a science is based are external and alterable. Fries insists that this method must be regressive, in the sense that it proceeds starting with facts which are first submitted to analysis and then reconstructed by means of abstractions, theories and hypotheses. On the basis of these, it is then possible to return to the original facts, in this way ‘proving’ them. In no way, however, can this proof claim apodeictic force. Only mathematical proof can do this, since mathematics can validate its constructions with reference to a priori intuition.48 Since in the sciences, by contrast, all abstraction entails an element of arbitrariness, it follows that the sciences are artificial (knstlich) products contingent on individual circumstances. They are always reformable, in other words. “For [science],” Fries interestingly says, “is in general only a product of human culture.”49 The second method,50 for which Fries reserves the Latinate name of Demonstration, is more historical in nature. It consists, as the Latin root of the term indicates, in the ‘exhibiting’ or ‘displaying’ of clearly identifiable facts. Fries’ critique of reason, limited as it is to the immediate facts of consciousness, is an obvious case in point. This second method, Fries insists, differs from the first in kind, not just by degree. Neither method, therefore, can either approximate or replace the other. None the less, the judgements on which they are both based still fall under the common rubric of ‘empirical truth’. It is with the third method, to which Fries assigns an equally Latinate name of Deduktion, that the concept of ‘transcendental truth’, or of truth as the mind’s conformity to a transcendent reality, finally comes to its own. How and why this is the case makes for one of the most interesting elements of Fries’ theory of reason. At issue is still Fries’ realism, or his belief that the intention motivating all judgements is to express reality as it is in itself. In the case of sense intuitions and the feelings connected with them, since the reality given in these is restricted to the subjective limitations of reason qualified as sensitivity and receptivity, the ‘in itself ’ 47 Fries’ most concise and clearest statement of method is to be found in J.F: Fries: Selbstrezension, IV:14 – 15. See also RFS, XXIV:382 – 92. 48 RFS, XXIV:380. 49 RFS, XXIV:369. 50 The two differ in kind, not just by degree. Neither can, therefore, either replace or approximate the other. RFS, XXIV:374, 376 ff.

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at issue is attained in judgement only as it is for the senses or for feelings. This does not mean that the reality in question is not known,51 but only that it is not completely known, or known only inasmuch as it is known – indeed, a tautological assertion. There is here a disproportion between ‘the known’ and ‘the unknown’. There is, however, nothing paradoxical in this, as there is in any supposed disproportion between merely subjective phenomena and a thing-in-itself that lies ex hypothesi hidden behind them. However, Fries makes a further move in his theory that introduces another, much stronger, meaning of ‘disproportion’. Fries argues that reason’s reflective awareness of its finitude as sensitive and receptive brings with it an equally reflective awareness of its own transcendence with respect to the sensed and felt objects. In virtue of this awareness, reason is immediately convinced that it also belongs to a higher realm of existence – one not subject to the contingencies of space and time; one not itself available to immediate inspection; one of which, however, it has an intimation (Ahndung) 52 and, along with this intimation and associated with it, also a host of other feelings. As measured against this reality, the objects of the senses will take on indeed the character of ‘appearances’ – not, however, of mere subjective appearances but, rather, of appearances as manifestations of an eternal reality.53 On the basis of the feelings connected with this fundamental Ahndung, reason constructs such objects as belong to the realms of art, morality and religions, or, in general, to what we would nowadays call the realm of values. The truth of such objects is asserted in appropriate judgments. But, in the case of these judgements the paradox obtains entailed by the traditional definition of truth – namely that they have to measure the truth of their objects against a reality that ex hypothesi remains hidden. Fries argues, therefore, that these judgments must be based, not on the intimated reality which they intend but which remains unknown, but on the subjective intimation itself that motivates the judgements in the first place, as well as on the equally subjective feeling of truth which, as a matter of fact, accompanies them. Fries sometime refers to judgements of this sort as ‘aesthetic’, relying a lot on 51 Neue Kritik, IV:122 – 123. 52 “Die Erkenntniß durch reines Gefühl nenne ich Ahndung des Ewigen im Endlichen”, J.F. Fries: Wissen, Glauben und Ahnden (1805), III:604. 53 J.F. Fries: Wissen, Glauben und Ahnden, III:482; ders.: Fichte’s und Schelling’s neueste Lehren von Gott und der Welt (1807), XXIV:605 – 06; ders.: Selbstrezension, IV:18; Neue Kritik, IV:122 – 23.

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Kant’s aesthetic doctrine. Such judgements cannot be said to yield knowledge in a strict sense. The latter is restricted to intuition. What they yield, rather, is faith (Glaube) – knowledge indeed, but one based on subjective evidence alone.54 The essential point for Fries is that, since the convincing power of this kind of judgements is no less compelling than that of other judgements, and since this is the case as a matter of fact, their claim to truth is just as legitimate as that of the other judgements.55 It is likely that Fries gave the name of Deduktion to this third method because the judgements on which it is based, rather than being constrained by the overt truth of their assertions, are on the contrary only subjectively led to the assertions (as per the Latin ducere). Be that as it may, the method represents the crowning piece of Fries’ critique of reason. The system of experience that emerges from this critique can best be characterized as a generalized form of positivism – a positivism sui generis, for, while based on facts, it allows for a variety of them, and, while admitting irreducible and even substantial differences between them, it grants to all of them, including facts that we would label ‘religious’, ‘moral’ or ‘aesthetic’, equal legitimacy precisely as facts.

Popularphilosophie triumphant Fries’ idea of reason as a spontaneous activity which, in trying to get hold of itself reflectively, finds itself affected by an external limit has strong Fichtean overtones. Perhaps Fries had learned more from Fichte in the few hours that it took him to dismiss him than he realized, or was at least ready to admit. But, even more important, his conception of reason also brought him back, past Fichte, to Kant. Albeit in more imaginative language, this conception harked back to two theses of Kant. The first is that there is no direct consciousness of an object without self-consciousness, that is, without the consciousness of having consciousness of that object. The second, which is in fact only a further 54 NAKV, IV:461ff, § 82; Selbstrezension, IV: 18. 55 “Allein diese der Wissenschaft und dem Wissen nebengeordneten Überzeugungen, mögen sie nun Glaube, Ahndung oder wie sonst heißen, müssen doch selbst wieder wissenschaftlich erkannt, Gegenstand der Selbsterkenntniß werden können.” J.F. Fries: Von deutscher Philosophie, Art und Kunst (1812), XXIV:48 – 49.

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specification of the first, is that knowledge requires judgement – a point that Kant made clear by setting up the whole problematic of the Critique in terms of the possibility of various types of judgement. Judgment is more than just the joining of two concepts (subject and predicate) but includes the validation of any such joining on grounds which the judgment must be at least in principle ready to declare. For this reason – that is, because it always entails a moment of self-justification – judgement is a reflective activity. It follows from this that sense intuition too had to be a kind of judgment – an ‘Aussage’ or ‘Behauptung’.56 Fries defended this claim explicitly against Ernst Reinhold (the son of the more famous father) who objected to it in a review of the second edition of his System der Logik. 57 The review was a serious one. It clearly indicated why psychology, though perhaps an aid to logic, could not be its ground.58 It also rightly stressed the contribution of language to the process of cognition, a factor to which Fries had perhaps not given due attention.59 Most importantly, it focussed on precisely Fries’ claim that sensation is an aspect of reason and itself a kind of Aussage or Behauptung that testifies to the presence before the senses of an object external to the mind.60 The reviewer obviously recognized that this, more than any other, was the claim that set Fries’ system at odds with the tradition of empiricism. His argument was that to speak of an ‘assertion’ of the senses goes against common language usage as well as against the language of philosophers of all stripes;61 that it is a mistake due to linguistic confusion to speak of the senses as the ‘receptivity of reason’; that sensations, rather, are events 56 RFS, XXIV:455 – 456. 57 E. Reinhold: Rezension zu Fries System der Logik. In: ALZ, Junius 1819, Nrs. 104 – 105, 345 – 360. The review was signed. 58 “Unsere mit dem Vf. gleichzeitigen Meister der Philosophie, welche sich differente Theorien und Systeme verfertigt, und in denselben sich festgesetzt haben, gehen freylich auch von anderen psychologischen Voraussetzungen aus, als er. [… Aber es] erhellt, daß alles von dem Vf. neu Gegebene in der Anordnung und Ausführung […] der Logik mit der Gültigkeit seiner psychologischen Ansichten steht und fällt.” (Column 347). 59 Column 357. 60 Columns 350 – 352, where E. Reinhold summarizes Fries’ position. He is surprised to see Fries accept as incontrovertible ‘matter of fact’ what is in fact only a matter of popular opinion. The point is sharpened in Column 355. 61 “Es macht uns schon der Genius der vaterländischen Sprache aufmerksam auf einen wichtigen negativen Grundsatz […]: eine wortlose Aussage, eine sprachlose Behauptung ist unmöglich.” (Column 354).

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that fall within the domain of bodily events;62 that, as such, they should be considered simple ‘impressions’ of the mind (Gemt) on the basis of which, but only by way of psychological associations and inferences drawn from these, the concepts of things independent of the mind are generated.63 Of course, in practical life belief in the existence of such things comes naturally. But why this is the case, is at the present stage of philosophical development still an unresolved problem.64 This was as good a Lockean response to Fries as could be had, though the reviewer thought that he had Kant on his side.65 Fries took the review very seriously, dedicating to it a long essay in reply.66 To the reviewer’s specific charge that he had offended common language usage by attributing ‘assertion’ to the senses, he replied that, of course, the attribution was metaphorical, but so also was much else that was said about the senses or the understanding, whether in common or philosophical parlance.67 We need not be detained by the details of the essay. One point that Fries could have made, but did not, was that, in the matter of a ‘judgement of the senses’, Kant might well have been on his, not the reviewer’s side. Had not Kant said that sensations without concepts are blind? Metaphors apart, Kant’s claim implies that, so far as experience is concerned, sense intuitions are significant only to the extent that they are implicated in judgements that bring concepts to bear upon them. Abstracted from these judgements, sensations belong to the pre-history of experience, not to experience itself. 62 Column 355. 63 Column 356. E. Reinhold concludes: “Für das bloß sinnliche Vorstellungsvermögen sind die Gegenstände keineswegs existirende Dinge. Sondern sie sind für dasselbe kommende, schwindende und wiederkehrende, jedoch vermöge der unwillkührlichen Thätigkeit der empfangenden, bewahrenden und vergegenwärtigenden Einbildungskraft von den Einzelbildern und Gemeinbildern derselben begleitete Impressionen.” 64 “Wie nun aber und weshalb mit unseren sinnlichen Wahrnehmungen, so oft die Objecte in der Anschauung hervortreten, die Behauptung unwillkürlich sich einstelle, daß die wahrgenommenen Dinge unabhängig von unserer Wahrnehmung da sind, […] dieß ist bis jetzt philosophisch nicht erkannt worden.” Column 356. 65 Column 356. 66 J.F. Fries: “Verteidigung meiner Lehre von der Sinnesanschauung gegen die Angriffe des Herrn Doktor Ernst Reinhold” (1819). VI. 1.729 – 754. 67 “Warum soll ich denn hier auf einmal an die kyriologische Bedeutung des Wortes Aussage gebunden seyn, warum soll ein so einfacher metonymischer Gebrauch unmöglich seyn?” (ebda., 745).

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Here is where the issue of a priori synthesis arose for Kant. By restating Kant’s analysis of experience in terms of the one faculty of reason and its many activities; by systematizing these activities under the general rubric of judgement – a judgement being in every case a product of reason’s reflectivity – Fries had rid Kant’s Critique of Reason of the need for the syntheses of a priori and a posteriori, understanding and the senses, and reason and understanding, which made it vulnerable to sceptical attack Indeed, with respect to Kant, this is what Fries had accomplished. First, his theory was a sustained and sophisticated attempt at reducing both philosophia prima and the particular sciences to a grand theory about the facts of consciousness. In this, Fries still clearly operated within, indeed, also greatly expanded on, Popularphilosophie’s typical philosophical program. Second, he had preempted even the possibility of reintroducing within the ambit of the Critique of Reason, under the rubric of the ‘merely thought’, such issues regarding the nature of the will considered as a noumenal entity as had divided Reinhold and Schmid. Such issues, still the legacy of dogmatic metaphysics, had no room in Fries’ theory of psycho-somatic parallelism. All that now counted was to discern all that goes into the feeling of being free at the psychic level of experience, and to identify the cluster of somatic events that are associated with this feeling. The issue of causality, whether noumenal or phenomenal, did not arise. Third, by virtue of his theory of faith, and particularly his analysis of ‘feeling’, which bestowed upon the latter intuitive value, Fries had saved the sense of transcendence that accompanies all experience. He had equally saved the autonomy of morality. Yet, he had done all this while avoiding Kant’s unknown ‘thing in itself’ – according to Fries, a source of vacuous formalism and scepticism. In sum, ‘facts of consciousness theory’ had absorbed the Critique of Reason, and Fries had accomplished this feat of absorption in reforming Popularphilosophie at the same time as the Critique of Reason. He had reformed the former by ridding it of the Lockean prejudice about the subjectivity of sensation that had been with it since the beginning and had worked its effect on both Kant’s Critique and its immediate reception. Of course, one can well argue that there was more to the Critique than Fries’ psycho-somatic parallelism; that this parallelism in fact marked an impoverishment of Kant’s original critical project. But at issue now is Popularphilosophie, and, from the standpoint of the latter and by its standards, with Fries the absorption was complete.

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When one turns, therefore, to the 1809 review of Fries’ Neue Kritik der Vernunft by Reinhold p re, one has good reason to wonder how much Reinhold was in the clear regarding the current philosophical situation and how much he had contributed to it. In the review Reinhold paid special attention to Fries’ critique of his contemporaries. Reinhold’s final judgement on Fries thus merged with a judgement on the whole current scene, Schelling obviously looming large. The gist of the judgement as it emerged at the end of the long text, after over two columns of citations on the subject of ‘Reflexion’ assembled from Fries’ text,68 was that Fries, in keeping with the tendency of the time, had run together the unconscious and reflective consciousness, activity and receptivity, sensation and thought, alterability and stability, manifold and unity, the sensuous and the super-sensuous, in this way causing a confusion of language of the proportion of Babel.69 Though Reinhold did not mention the Romantic principle of “the identity of identity and non-identity” which was behind Schelling’s ‘Indifferenzlehre’, it was clear that he took Fries’ system to be simply another manifestation of the pernicious influence that the principle had had on the age.70 Apparently, a return to correctness of distinctions was Reinhold’s remedy for the philosophical malaise of the day.71 To anyone mindful of the principle that Reinhold had affixed at the head of his earlier Elementarphilosophie, this verdict would have sounded particularly lame. Had not Reinhold said of ‘representation’ that it “is distinguished in consciousness by the subject from both subject and object, and is referred to both”? 72 The formula clearly denoted a process of reflection which, in one way or another, would finally issue in an asser68 For the citations, see Rezension Fries I, Columns 91 – 93. 69 ‘Babel’ is not Reinhold’s own image. 70 “In Beiden [i.e. Fries’ system and the other current “Lehrgebuden”] wird das Denken and das Anschauen, und die reine und empirische Erkenntniß, und die Einheit oder Unwandelbarkeit, und die Verschiedenheit oder Wandelbarkeit, nur durch gleichsetzendes Entgegensetzen vereinigt, während die Indifferenzlehre mehr auf die Gleichheit, die neue Kritik der Vernunft mehr auf den Gegensatz hinsieht.” (Rezension Fries I, 93.) 71 In a letter to Fries of 28. Mai 1806, Reinhold wrote: “Es hat ihnen schon damals eingeleuchtet, daß im Denken der Unterschied dem Zusammenhang vorhergehen müsse, wenn Übereinstimmung stattfinden soll. Mein ganzer Versuch ist Ergründung und Ausführung dieses Gedankens durch die Befreiung der Worte Unterschied, Zusammenhang, Übereinstimmung, Identität, Nichtidentität, Widerspruch.” (Henke, 334). 72 “Neue Darstellung der Elementarphilosophie,” in: Beitrge I, 167.

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tion about immediately apprehended objects. Reinhold, in other words, had originally made judgement the principle of his system. But judgement required precisely the synthesis of reflection and immediacy which had proved problematic for Kant and still caused problems for Reinhold – though Reinhold himself did not apparently advert to them. Fichte had argued against Reinhold that the latter’s definition could not serve as a first principle because it presupposed mental acts simpler than representation itself. And both Schulze/Aenesidemus and Salomon Maimon had argued from a Lockean position that the definition was not universal enough because it did not apply to sense impressions which, by definition, were simple events. Apparently the Reinhold of the 1809 review did not see that what he dismissed as simply a confusion due to inattention about language was the attempt on the part of Fries and Reinhold’s other contemporaries to deal with a problem which had originated with Kant, and which, in the immediate past, Reinhold himself, rather than ever clarifying, had on the contrary only compounded. Jacobi had no particular affection for Reinhold. Writing to Fries on October 29, 1812, in regard to Reinhold’s recently published Synonymik, he said: “On my return from the trip I repeatedly tried to read Reinhold’s Synonymik, but every time I had to give up; that man is too much of a trial.”73 Quite a different attitude he manifested towards Fries, with whom he warmly corresponded in the last years of his life, keeping him abreast of the edition of his collected works that he was preparing.74 “As for you, my dearest friend,” he said in one letter, “it also often occurs to me that for the most part only language divides us.”75 Here is another marker of Fries’ success in sealing Popularphilosophie as a force still to be reckoned with in the new century. Jacobi might have had no truck with the scholastic metaphysics which, undoubtedly, was also part of the conceptual heritage of Popularphilosophie. Yet from 73 “Nach der Zurückkunft von der Reise habe ich wiederholt versucht Reinhold’s Synonymik zu lesen, aber jedesmal ablassen müssen; der Mann macht es mir zu sauer.” (Henke, 324). 74 Cf., for instance, the letters of 1. June and 10. August 1815 (Henke, 326 – 328). 75 Letter of 20. April 1813: “Was Sie angeht, mein liebster Freund, so kommt es mir oft auch so vor, als ob uns größtentheils nur Sprache trennte.” (Henke, 326). But, regarding Fries’ doctrine of revelation and positive religion, Jacobi had also said: “Meine Lehre hat damit [i.e. Fries’ doctrine] ganz und gar nichts zu theilen, und ich glaube dies wiederholt auf das bestimmteste erklärt zu haben.” Letter of 24. Dezember 1808 (Henke, 317).

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the beginning he had clearly operated within its ambit and, even before Reinhold’s Versuch of 1789, had already tried his hand at bringing Kant’s Critique in line with a theory based on the facts of consciousness. This he had done in the dialogue David Hume ber den Glauben, oder Idealismus und Realismus of 1787, where he tried to cut through Kant’s many distinctions, which tended to turn into dichotomies, by defining reason as a form of life.76 In this text Jacobi had also asserted the continuity of reason with the senses – reason being, indeed, “only the characteristic of man’s particular sensibility,”77 a claim that dangerously ran into naturalism. Fries could claim that, by defining the senses as an aspect of reason while at the same time distinguishing between facts of the mind and facts of the body, he had finally also done justice to Jacobi’s realism while avoiding the naturalism that had made the early dialogue suspect even in Jacobi’s eye. Seen in this context, the Reinhold of the 1809 review appears strangely out of touch, just as anachronistic as during his debate with Schmid at the closing of the preceding century.

76 F.H. Jacobi (1787): David Hume ber den Glauben, oder Idealismus und Realismus, Breslau, 127. 77 “daß die Vernunft […] nur der Charakter seiner besondern Sinnlichkeit sey.” (ebda., 132).

Die Natur der Freiheit: K. L. Reinholds abschließende Bilanz Alexander von Schçnborn Abstract: This essay briefly sketches K. L. Reinhold’s views of the nature of human freedom throughout the course of his long preoccupation with this topic. It then focuses on the last stage of that long-time concern. In regard to this stage, it becomes clear that Reinhold relinquishes the claim inherited from Kant that the concept of freedom is the capstone of the whole edifice of reason. Since this role of the concept of freedom is taken over by that of truth, concern with freedom moves from the centre to the periphery. What Reinhold does have to say about the nature of freedom is, consequently, both preliminary and, finally, disappointingly inconclusive.

Um eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben, welche abschließende Bilanz Reinhold in Bezug auf die Natur der Freiheit zieht, ist es meiner Ansicht nach nötig, die Frage in zwei weitere zu spalten: Erstens, wie sieht Reinhold am Ende seiner Karriere die Rolle der Freiheit im menschlichen Leben und als philosophisches Prinzip? Bleibt der Begriff der Freiheit, was er für Kant und auch für Reinhold war: „Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen, Vernunft“1 – der Begriff der Freiheit, den Schelling kurz und bündig „das A und Y aller Philosophie“2 nannte? Und zweitens, wie versteht Reinhold am Ende den Freiheitsbegriff in inhaltlicher Hinsicht? Um zu verstehen, warum bestimmte Begriffsinhalte weg- oder hinzukommen, muss man den Begriff in seinem sozialen und philosophischen Kontext sehen. In Bezug auf die erste Frage muss man mit Reinholds eigenem Anfang beginnen. Nach seiner Priesterweihe als Mitglied des Ordens der Barnabiten wirkte er an dessen Kollegium als Lehrer der Philosophie.3 Das diesbezügliche Studium führte eine religiöse Krise herbei, die es ihm unmöglich machte „blind, wie vorher zu glauben“.4 Es war ihm aber auch 1 2 3 4

KpV A 4, Kant-AA 5.3 f. Brief an G. W. F. Hegel vom 4. 2. 1795, Hegel (1952), Bd. I, S. 22. Lauth (1979), S. 594. Versuch, S. 53.

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klar, dass die Philosophie, die seinen Kinderglauben zerstört hatte, „zwar mehr als einen Plan, sich bald mit seinem Kopfe, bald mit seinem Herzen abzufinden, aber keinen einzigen vorzulegen hatte, der die ernsthaften Forderungen von beyden zugleich zu befriedigen vermochte“.5 Der hieraus entstehende persönliche Zwiespalt zwischen religiösem Glauben und philosophischer Vernunft, den Reinhold auch als soziale Wiener Krise begriff, dominiert seine frühen Schriften und schlägt das Thema an, das ihn zeitlebens „intensiv beschäftigen wird: das Verhältnis zwischen unvernünftigem Aberglauben und wahrem Glauben, zwischen ungläubiger Scheinvernunft und wahrer Vernunft“.6 Um dieses „zeitlebens“ zu unterstreichen, erinnere ich nur an den Titel der letzten Arbeit Reinholds: Die alte Frage: Was ist die Wahrheit? bey den erneuerten Streitigkeiten ber die gçttliche Offenbarung und die menschliche Vernunft, in nhere Erwgung gezogen. 7 Dieses Wiener und Weimarer Thema beinhaltet auch schon einen pädagogischen wie auch politischen Freiheitsbegriff als wichtige Bestandteile des Gedankenguts der Illuminaten. Kurz nach Reinholds Ankunft in Weimar hebt er die religiöse Wichtigkeit dieses Begriffs für den Protestantismus hervor8 and fängt an, über Moral zu reflektieren. Er sucht eine universale Moral, die nicht nur von allen metaphysischen Systemen9 und „von allen Religionssystemen […] unabhängig ist“,10 d. h. von deren Sektiererei frei, sondern selbst die wahre Religion und die wahre Philosophie ermöglicht. Und er ,ahnt’11 die Möglichkeit, bisher ganz unbestimmt, einer zweifachen menschlichen Beziehung zu Gott in den Formen des religiösen Glaubens und des philosophischen Wissens; keine der beiden Formen kann die andere entbehrlich machen. Diese Überzeugung beinhaltet den Gedanken der Vermittlung und Ermöglichung dieser beiden Formen der Gottesbeziehung durch Moralität und schließlich den Gedanken der dadurch ermöglichten Überbrückung der konfessionellen Unterschiede in der Religion wie auch der Standesunterschiede im Staat. Versuch, S. 53. Sauer (1982), S. 59. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820). Reinhold, Ehrenrettung (1789). [Reinhold], „Schreiben des Pfarrers“ (1785) Der Teutsche Merkur I, S. 164. [Reinhold], Herzenserleichterung zweyer Menschenfreunde (1785). Frankfurt und Leipzig, S. 13. 11 Von dieser ,Ahnung’, die ihn sein ganzes Leben lang gefangen hielt, spricht Reinhold mehrmals in „Rechenschaft über mein Systemwechseln“ (1803) [Beiträge H 5] 36. 5 6 7 8 9 10

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Dass eine so komplexe Ahnung realisierbar sein sollte, war unwahrscheinlich. Trotzdem findet sie Reinhold verwirklicht. Er schreibt Kant in seinem ersten Brief: Der von Ihnen entwickelte moralische Erkenntnißgrund der Grundwahrheiten der Religion, das einzige Morceau das mir aus dem ganzen in der Literaturzeitung gelieferten Auszuge Ihres Werkes verständlich war, hat mich zuerst zum Studium der Kritik d. r. V. eingeladen. Ich ahnde, suchte und fand in derselben das kaum mehr für möglich gehaltene Mittel, der unseeligen Alternative zwischen Aberglauben und Unglauben überhoben zu seyn. Beyde Seelenkrankheiten habe ich in einem seltenen Grade durch eigene Erfahrung kennen gelernt, und ich weiß nicht ob ich von der letzteren, von der mich die K. d. r. V. geheilt hat, nicht eben so empfindlich gelitten habe, als von der ersteren, die ich gleichsam mit der Muttermilch eingesogen habe […].12

Der durch Freiheit ermöglichte praktische Glaube ist es, der Reinhold zu Kant zieht. Interessant ist, dass Reinhold sich dadurch von dem Unglauben gerettet sieht. Doch schon bald zeigen sich kritische Abweichungen von der Kantischen Moralphilosophie, was Lazzari wie folgt sehr gut zusammenfasst: Im Grunde handelt es sich um einen einzigen Kritikpunkt: Sinnlichkeit ist konstitutiv für eine in sich konsistente Auffassung der Sittlichkeit und eines freien Willens, was aber Kant nicht sehe. Erst das Bewußtsein der Forderung sowohl des eigennützigen wie auch des uneigennützigen Triebes bildet die hinreichende Bedingung der Willensfreiheit. Und erst das Selbstbewußtsein der Willensfreiheit erlaubt es, den uneigennützigen Trieb bzw. unser moralisches Gefühl als Ausdruck der praktischen Vernunft zu verstehen. Derselbe Grund schließt aus, daß man in Bezug auf Gott sinnvoll von Willen, Freiheit und Sittlichkeit sprechen kann, was eine Kritik an Kants Postulatenlehre erkennen läßt.13

Reinholds Emphase der Sinnlichkeit bringt noch weitere Abweichungen als die gerade zitierten in der Moralphilosophie mit sich. Deren reiner Teil verkleinert sich sehr bei Reinhold und die nötigen empirischen Kenntnisse wachsen stark an. Zum Beispiel lässt sich die Legalität der Forderungen des Begehrens keineswegs aus dem praktischen Gesetz ableiten, sondern muss „aus lauter empirischen Quellen“14 geschöpft werden. Im Weiteren gilt, dass „uneingeschränkte und unverlierbare Rechte, und 12 Brief an I. Kant vom 12. 10. 1787, KA 1.272 f. 13 Lazzari (2004), S. 312 f. 14 Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 281.

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vollkommene unveränderliche Pflichten“ nur unter der Voraussetzung denkbar sind, „daß unter gewissen gegebenen Umständen keine die Anwendung des praktischen Gesetzes auf dieselben aufhebende oder einschränkende Bedingungen vorhanden sind“.15 Innerhalb der verkleinerten reinen Moral legt Reinhold das Schwergewicht nicht auf die praktische Vernunft, sondern auf den davon deutlich unterschiedenen Willen. Die praktische Vernunft verliert nicht nur ihre exekutive Funktion,16 sondern auch ihre legislative Funktion zeigt sich in den moralischen Vorschriften ganz rein nur, wie gerade angedeutet, in Ausnahmefällen. Diese Funktionsverkürzungen der praktischen reinen Vernunft werden von Reinhold mittels einer Akzentuierung des Willens wettgemacht. Reinhold erwähnt Kants Unterbewertung der Sinnlichkeit nicht öffentlich vor seinen „Bemerkungen“ aus dem Jahre 1797 zu Kants Einleitung in die Metaphysik der Sitten. 17 Vorher begründet er seine Emphase, indem er erklärt, das vollständige wissenschaftliche Fundament der Moral läßt sich nur vermittelst des durchgängig bestimmten Begriffes von dem eigentlichen Objekte dieser Wissenschaft, welches das Gesetz des Willens ist, entdecken und aufstellen.18 Kant hat den durchgängig bestimmten und richtigen Begriff des Willens der in keinem aller bisherigen Systemen der Moral weder ausdrücklich aufgestellt, noch auch stillschweigend zum Grunde gelegt war, dadurch erst möglich gemacht, daß er den bestimmten Begriff von dem Gesetz des Willens so weit festgesetzt hat, als dieses ohne die vorhergehende Definition des Willens möglich war.19

Laut Reinholds Definition des Willens ist dieser „das Vermögen der Person sich durch sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens zu bestimmen“20. Diese Definition beinhaltet eine spezifische Wahl und es ist daher für Reinhold besonders wichtig, den Willen als Willkür, d. h. als ,Küren’ oder Wählen, zu erläutern. In Bezug auf die Freiheit dieser Wahl schreibt Reinhold: „Der Akt der Freyheit ist in der Handlung nach dem Gesetz und in der gegen das Gesetz, als Akt der 15 Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 284. 16 Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 258. 17 Reinhold, „Einige Bemerkungen“ (1797) [Vermischte Schriften II] S. 393 und passim. 18 Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 209. 19 Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 212. 20 Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 219.

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Freyheit (generisch) eben derselbe; so wie der Akt des Gesetzgebens“.21 Schon der „gemeine und gesunde Verstand“ unterscheidet den Entschluss sowohl von der Forderung des Gewissens, d. h. dem Akte der praktischen Vernunft, als auch von der Forderung des Gelüstens, d. h. dem Akte des Begehrens, „und ist sich in dem Vermögen den Entschluß zu fassen, der Freyheit bewußt, entweder nach den Forderungen des Gewissens, oder nach den Forderungen des Gelüstens zu handeln“.22 Der gesunde Verstand ist daher mit der philosophierenden Vernunft einverstanden, wenn diese den Willen als „das Vermögen der Person erklärt absolute Ursache der Befriedigungen oder Nichtbefriedigungen des Begehrens zu seyn“.23 Diese Begriffsbestimmungen ziehen zwei Entwicklungen nach sich. Auf der Basis dieses vollstndigen Fundaments der Moral entwickelt Reinhold durch weitere „Reflexion über das sittliche lebendige Gefühl“24 einen imposanten, weit reichenden und klaren Entwurf „aus dem Gesichtspunkte des gemeinen und gesunden Verstandes, zum Behuf der Beurtheilung der sittlichen, rechtlichen, politischen und religiösen Angelegenheiten“, wie der Untertitel seiner 1798 veröffentlichten Verhandlungen ber die Grundbegriffe und Grundstze der Moralitt lautet. Nach diesem Entwurf „kann nichts gewisser seyn, als die Freyheit des Willens“ und diese Überzeugung ist der erste Artickel des Glaubens, den wir für den alleinseligmachenden halten, und die Grundwahrheit, durch welche alle übrigen, die moralischen Angelegenheiten betreffenden Ueberzeugungen begründet […] werden müssen […].25

Der philosophische Gesichtspunkt macht, wie zu erwarten, viel größere Schwierigkeiten, deren Bearbeitung die zweite der genannten Entwicklungen bestimmt. Insbesondere ist der Begriff einer absoluten Kausalität des Menschen ein Problem für Reinhold. Wie Lazzari in seinem schon genannten Buch zeigt, ist es eben dieses Vermögen, das Reinhold in seinen Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermçgens integrieren muss und nicht integrieren kann.26 Da dies auch bei den bald folgenden Neuformulierungen der Elementarphilosophie der Fall bleibt, bezeichnet Reinhold selbst den 21 22 23 24 25 26

Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 236. Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 227. Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beitrge II] S. 227. Reinhold, Grundstze der Moralitt (1798) S. XII. Reinhold, Grundstze der Moralitt (1798) S. 26 f. Lazzari (2004), S. 319 ff.

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Status der Theorie des Praktischen und insbesondere der Theorie der Moral als eine Art ,Nebengebäude’27 an dem – wie auch immer konstruierten – Hauptgebäude der Elementarphilosophie. Er sieht keinen Weg, die erforderliche Integration zu leisten. Als Fichte dann zeigt, dass eine andere Form der Elementarphilosophie auf eben der Basis eines absolut kausalen Willens aufzubauen ist, bekennt sich Reinhold 1797 zur Wissenschaftslehre. Er akzeptiert sogar eine absolute Freiheit des Philosophen. Aber schon innerhalb von zwei Jahren wendet Reinhold in ber die Paradoxien der neuesten Philosophie gegen Fichte ein, dass die absolute Freiheit des Philosophen nicht mit der moralischen Freiheit des Menschen identifiziert werden könne, d. h. das moralische Bewusstsein selbst kann weder der praktische Anfang des Philosophierens noch sein abschließendes theoretisches Resultat sein. Die Konsequenz für das System der Wissenschaftslehre ist, dass es seinen geschlossenen Kreislauf verliert. Das Resultat für das Verhältnis von philosophischem Wissen und moralisch-religiösem Leben ist, dass beide einander ergänzen; die Art und Weise der jeweiligen Ergänzung zu bestimmen, soll nicht Aufgabe des Philosophen, sondern des gesunden, d. h. moralisch urteilenden Menschen, sein.28 Aber Reinhold sieht die Unhaltbarkeit dieser Wendung gegen Fichte bald ein. Nach intensiver Lektüre von Kants Metaphysischen Anfangsgrnden der Tugendlehre zeigt Reinhold in seiner 1805 erschienenen Anleitung durch eine Analyse von Kants ,als ob’-Bestimmung des praktischen Glaubens, dass Fichte doch Recht hatte mit seiner Deduktion von diesem „durch die Kritik dem Glauben des Gewissens unterschobenen, so genannten, praktischen Glauben“.29 Fichte Recht zu geben, bedeutet aber zugleich, sich von der Transzendentalphilosophie zu verabschieden. Reinhold bemerkt schon 1803: Meine Ahnung des an sich Absoluten hatte nämlich in das, aus jenem Wissen deducirte, Glauben an die absolute Objektivität der moralischen Weltordnung – die Unterscheidung dieser Weltordnung, als des Wahren an der Natur von dem sich an derselben ankündigenden Urwahren – oder Gott über der Natur – hineingetragen ohne den Widerspruch zu merken, in welchem dieses über die absolute Objektivität zum schlechthin Absoluten hinausge27 Reinhold „Ueber den gegenwärtigen Zustand“ (1797) [Vermischte Schriften II] S. 324. 28 von Schönborn (1997), S. 241 ff. 29 Reinhold, Anleitung zur Kenntniß und Beurtheilung der Philosophie in ihren smmtlichen Lehrgebuden: Ein Lehrbuch fr Vorlesungen und Handbuch fr eigenes Studium. Wien (1805) S. 125 f.

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hende Glauben mit einem Wissen steht, für welches, inwieferne es Wissen ist, die absolute Subjektivität das Erste und das Letzte ist, und das sich nur mit einem Glauben vertragen kann, für welches, inwieferne es Glauben ist, die absolute Objektivität die erste und letzte sein muß.30

Die Transzendentalphilosophie von Kant über Reinhold zu Fichte, Schelling, und Hegel stellt für Reinhold eine konsequente Entwicklung dar, deren einzig mögliches Resultat eine Vermischung Gottes mit der Natur – mit der physischen und/oder der moralischen – sein kann.31 Diese Vermischung ist eine Wurzel des Aberglaubens bzw. des Unglaubens.32 Reinhold wendet sich daher von der Transzendentalphilosophie ab und bekämpft sie für die nächsten zwanzig Jahre, d. h. für den Rest seines Lebens. Sein Animus gilt vor allem Schelling. Der Grund dieser Bekämpfung ist nicht nur philosophischer Art. Denn mit seinem Zugeständnis an Fichte verliert Reinholds religiöser Glaube die Eigenständigkeit gegenüber der Philosophie, und verloren geht damit auch Reinholds Verwirklichung der Wiener ,Ahnung’. Das Wissen der ,neuesten Philosophie’ steht in einem Widerspruch zu dem Inhalt seines Glaubens, und was er bisher als die Begründung dieses Glaubens ansah – Kants moralisch–religiöse Theorie des Praktischen – zeigt sich eben als Implikation dieses Wissens. Da dieses im transzendentalen Idealismus verortet ist, geht Reinhold zu dem logischen Realismus über. Dies ist in Bezug auf mein Thema eine besonders wichtige Zäsur. In Bezug auf die erste Teilfrage meines Beitrags muss man sagen, dass die Freiheit ihre bisherige grundlegende Rolle im menschlichen Leben und in der Philosophie nicht nur einbüßt, sondern dass Reinhold diese Rolle fortan als Ausdruck einer moralisch-religiösen sowie theoretischen Schwäche bewertet. Autonomie, praktische Vernunft und reiner Wille werden als Phänomene der Selbstliebe abgewertet,33 während die ganze philosophische Bewegung als auf erweislich falschen Voraussetzungen und daher auch auf Sprach- und Begriffsverwirrungen basierend ver30 Reinhold „Rechenschaft über mein Systemwechseln“ (1803) [Beiträge H 5] S. 40 f. 31 Reinhold „Rechenschaft über mein Systemwechseln“ (1803) [Beiträge H 5] S. 42 ff. 32 Reinhold, Synonymik (1812) S. 254. Ich sage ,eine Wurzel’, denn Reinhold macht auch die menschliche Selbstigkeit für den Aberglauben und den Unglauben verantwortlich. Vgl. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 66 f. u. 104. 33 Reinhold, „N. III. Ueber die Autonomie“ (1801) [Beiträge H 3] S. 104 ff.

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worfen wird. Der Begriff der Freiheit ist von nun an für Reinhold weder Kants „Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen, Vernunft“ noch, wie für die Kant folgende transzendentalphilosophische Entwicklung, das „A und Y aller Philosophie“. Die Freiheit wird, zusammen mit der Idee der Gnade Gottes, abgewertet zu einem Mittel unserer gelegentlichen Gewissenhaftigkeit. Der logische Realismus, zu dem Reinhold Zuflucht nimmt, ist jener Christoph Gottfried Bardilis. Reinhold erkennt allerdings sehr bald, dass Bardili nicht nur, wie die Transzendentalphilosophen, den Glauben im Wissen ,aufhebt’, sondern dass er auch einen „unhaltbaren Begriff des Denkens“ aufstellt.34 Mit diesem unhaltbaren Begriff des Denkens hat er auch „die darauf gegründete Denklehre und Wesenlehre aufgeben müssen“35. Also beginnt Reinhold ein eigenes System des logischen Realismus zu errichten. Zu diesem Zweck, das zeigen Arbeiten wie Etwas ber den Widerspruch (1804) und Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache (1806), stellt er intensive Untersuchungen zur formalen Logik an. In diesen und weiteren Arbeiten befasst sich Reinhold mit logischen Prinzipien wie jenem der Identität und des Widerspruchs oder auch mit der Reinheit oder Formalität dieser Teildisziplin der Logik. Warum all dies? Weil Reinhold Kant in der Überzeugung folgt, dass die formale Logik den ,Leitfaden’ zur transzendentalen Logik bereitstellt.36 Mittels dieser Studien entdeckt Reinhold traditionelle Voraussetzungen der Denk- und Wesenslehre. Was aber in der bisherigen Denklehre und Wesenlehre Uebereinstimmung und Widerspruch heißt, ist der verworrene Begrif von der Wahrheit und der Unwahrheit, welcher mit dem herrschenden Vorurtheil die Wahrheit sey die Uebereinstimmung des Vorstellens und des Seyns, und das Denken sey das Vorstellen dieser Uebereinstimmung stehen und fallen muß.37

Reinhold konstatiert hier zwei Gleichsetzungen, die er in der Folgezeit hartnäckig bestreiten wird. Die Wahrheit wird traditionell als Übereinstimmung des Vorstellens und des Seins bestimmt, und Reinhold ist bestrebt zu zeigen, dass Wahrheit an sich in erster Linie die Überein-

34 35 36 37

Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 163. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 163. Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 118. Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 56, vgl. ferner S. 69, 73, 103 u., 155 sowie auch Reinhold, Synonymik (1812) S. 79 f.

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stimmung der Charaktere des Seins an sich ist38 und als solche von allem Vorstellen vorausgesetzt wird und von allem Vorstellen unabhängig ist.39 Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Frage „ob, wie und wodurch die Wahrheit des Seyns von dem Scheine des Seyns zu unterscheiden sey […] die eigentliche nicht nur erste, sondern einzige Aufgabe der Philosophie […]“ konstituiert.40 Zweitens wird das Denken als eine Art des menschlichen Vorstellens betrachtet. Reinhold sucht zu zeigen, dass „[…] das Denken als solches, von allem Vorstellen […] durchaus unabhängig […]“ ist.41 Bereits durch Bardili darfür sensibilisiert, die Beziehungen zwischen Denken und Vorstellen zu problematisieren,42 kommt Reinhold durch das Studium der Logik und der Sprachphilosophie zu dem Ergebnis, dass Sprache nicht nur zur Anwendung und zum Ausdruck, sondern sogar zur Erzeugung des menschlichen Denkens notwendig ist. Das diskursive Vorstellen hat eine Denkform sowie eine Sprachform und ohne letztere gibt es weder Begriffe noch Bejahung und Verneinung, kurz, gibt es kein menschliches Denken. Gott denkt, Tiere stellen vor und der Mensch denkt vorstellend.43 Durch das Entwirren der genannten Gleichsetzungen kommt Reinhold zu seinem letzten System der Philosophie. In seiner letzen Schrift von 1820 berichtet er, dass dieses schon in der Synonymik 1812 vorliegt sowie, mit Verbesserungen, in dem menschlichen Erkenntnißvermçgen von 1816.44 Ich glaube, diese Einschätzung ist korrekt, muss aber hinzufügen, dass die die Freiheit betreffenden Passagen meistens nicht nur sehr kurz, sondern auch oft nicht leicht zu harmonisieren sind. Einen Hauptgrund für die genannte Kürze habe ich schon erwähnt. Hatte Reinhold schon früher dem Bereich der reinen Moral Schranken gesetzt, so zählt er sie jetzt zu „den übrigen unhaltbaren Erfindungen der Spe38 Reinhold, Das menschliche Erkenntnißvermçgen (1816) S. 53. Als durch diese Übereinstimmung begründet, gibt es dann, z. B. im philosophischen Wissen, „Uebereinstimmung des deutlichen Begriffes mit dem klaren Gefühle der Wahrheit“. Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 141. 39 Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 312 f. Vgl. Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 128 sowie Was ist die Wahrheit? (1820) S. 131. 40 Reinhold, Synonymik (1812) S. 97. Vgl. auch Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 7. 41 Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 61. 42 Reinhold, Bardili-Briefwechsel (1804) S. VIII. 43 Reinhold, Synonymik (1812) S. 308. Vgl. Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 52, 55, 62 u. 110. 44 Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 163.

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kulation“45. Wie schon zitiert, gibt es ,Sittenlehre’ und ,Rechtslehre’ nur als ,empirische’ Disziplinen. Dieses System der Philosophie lässt sich grob durch zwei Ausdrücke charakterisieren. Der erste stammt von Martin Heidegger, der den Ausdruck ,Onto-theo-logie’ in Bezug auf Hegel prägt, um auszudrücken, „daß die Problematik des am als logische zuerst und zuletzt orientiert ist am heºr, der dabei selbst schon logisch begriffen ist“46. Diese Charakterisierung passt mindestens so gut zu Reinholds letztem System wie zu Hegel. Der zweite Ausdruck stammt von Eugen Fink und wurde von ihm auf Plato und Aristoteles bezogen; er lautet: „Metaphysik der Erziehung“47. Diese Charakterisierung der klassischen griechischen Philosophen trifft auch auf Reinholds letztes System zu.48 In Parenthese möchte ich bemerken, dass in dieser Hinsicht wahrscheinlich Verbindungen zu Reinholds Wiener Vergangenheit bestehen, insbesondere zu Gottfried van Swieten und Joseph von Sonnenfels. Jener ging von einem Bildungsideal im gesamten Unterrichtswesen aus, nach dem z. B. in der Staatsbürgerkunde „sich der mündige Staatsbürger aus freier Einsicht der Autorität einer gerechten Regierung unterwirft“49. Laut Sauer wurde dieses Bildungsideal schon seit 1767 von Sonnenfels öffentlich vertreten.50 Van Swieten galt als Illuminat; Sonnenfels war Illuminat sowie Mitglied der Loge Zur wahren Eintracht. 51 Der Begriff der Freiheit verliert seine grundlegende Stelle im philosophischen System zugunsten der viel älteren Begrifflichkeit Platons und insbesondere derjenigen des heiligen Augustinus. Der Begriff der Wahrheit wird wieder zum philosophischen Zentralbegriff sowie zum Fundament der Moralität. Diese besteht wesentlich im menschlichen sich Unterwerfen unter die veritates aeternae im liebenden Glauben an Gott. Nisi credideritis, non intelligetis. 52 Man kann in Bezug auf Augustinus sagen, dass für ihn der Zweck der Moralität Ordnung ist, ihr Prinzip die Liebe, und der freie Wille das dazu nötige Mittel: „to love God is, ultimately, to 45 46 47 48 49 50 51 52

Reinhold, Die Anfangsgrnde der Erkenntniß (1808) Kiel, S. 83. Heidegger (1980), S. 142. Fink (1970). Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 136 f. Sauer (1982), S. 46. Sauer (1982), S. 46. Sauer (1982), S. 47. Dies wird ausführlicher auch von Reinhold behauptet in Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 261 f.

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love order“53. Die Ordnung ist ordo amoris, in dem das Höhere immer das Niedrigere begründet, nie umgekehrt.54 Sünde oder moralische Bosheit ist immer Perversion, d. h., etwas wird mehr oder weniger geliebt als sein Platz in der Ordnung der Dinge erfordert. Jede dieser Bestimmungen kann man auch in Reinholds letzten Arbeiten finden.55 Liebe betrifft natürlich eine Gesinnung; Reinhold nennt die relevante Form „Gewissenhaftigkeit“. Für menschliche Handlungen und ihre Folgen beansprucht er einen Glauben bzw. ein Wissen, das bestimmte Rechte und Werte im Wesen des Menschen sondern und ordnen kann. Daher wird in Reinholds Augustinismus eine naturrechtliche Wesenslehre eingebaut, an die sich empirische Sitten- und Rechtslehren anschließen56. Diese lex naturae mit vorausgesetzter lex aeterna könnte direkt St. Thomas57 entnommen sein; sie kann aber ebenso von John Locke stammen, der allerdings auch, vermittelt durch Richard Hooker, auf Thomas von Aquin zurückgeht. Weiter ist hier zu erwägen, ob dies nicht eine weitere Mitgift von Reinholds Jugend ist. „Bei der Reform der Rechtsstudien wurde 1753 an der Wiener Universität ein Lehrstuhl für Naturrecht eingerichtet, auf den 1754 Karl Anton von Martini berufen wurde“.58 Martini, der sein naturrechtliches Denken „mit philo-jansenischen Einstellungen“ des Reformkatholizismus verband,59 war während Reinholds Wiener Zeit sehr einflussreich.60 Ich möchte hier nicht den Versuch unternehmen, Reinholds spätes System ontologisch oder sprachphilosophisch zu deuten. Aber bevor ich 53 Roland-Gosselin 1957, S. 238. 54 Reinhold, Synonymik (1812) S. 118 u. 76. 55 In Parenthese möchte ich hinzufügen, dass ich nicht weiß, wie weit sich Reinhold direkt an den heiligen Augustinus anlehnte und wie weit der letztere auf Reinhold vermittelt durch Nicolas Malebranche und andere moderne Denker wirkte. Ich habe das Gefühl, dass Reinhold die Cambridge Platoniker las, da manche seiner späten Thesen mit deren Gedanken übereinstimmen, und daß er sich möglicherweise durch deren Ablehnung des puritanischen Calvinismus in seiner eigenen Reaktion gegen den Katholizismus bestätigt fühlte. Aber wie gesagt, dies sind pure Spekulationen meinerseits. Auch Blaise Pascal kommt hier natürlich in Frage als Teil des jansenistischen Gedankenguts des Reformkatholizismus in Österreich, mit dem Reinhold in seiner Wiener Zeit vertraut war. (Vgl. Cragg (1968) und Hersche (1977)). 56 Reinhold, Synonymik (1812) S. 249 u. 239. 57 Thomas von Aquin (1927), S. 40 ff. 58 Sauer (1982), S. 24. 59 Sauer (1982), S. 28. 60 Sauer (1982), S. 25 f., 45 und passim.

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mich den Änderungen in den Bestimmungen des Freiheitsbegriffs dieses Systems im Vergleich zu Reinholds früheren Arbeiten zuwende, möchte ich wenigstens darauf hinweisen, dass Reinhold damit seine Wiener Hoffnungen wieder realisiert, und diesmal ohne die Vermittlung durch praktische Vernunft und deren auf Freiheit gegründeten Glauben. Zu Anfang dieses Beitrags sagte ich: Er sucht eine universale Moral, die nicht nur von allen metaphysischen Systemen und von allen Religionssystemen unabhängig ist, d. h. von deren Sektiererei frei, sondern selbst die wahre Religion und die wahre Philosophie ermöglicht. Und er ,ahnt’ die Möglichkeit, bisher ganz unbestimmt, einer zweifachen menschlichen Beziehung zu Gott in den Formen des religiösen Glaubens und des philosophischen Wissens; keine der beiden Formen kann die andere entbehrlich machen. Diese Überzeugung beinhaltet den Gedanken der Vermittlung und Ermöglichung dieser beiden Formen der Gottesbeziehung durch Moralität und schließlich den Gedanken der dadurch ermöglichten Überbrückung der konfessionellen Unterschiede in der Religion wie auch der Standesunterschiede im Staat.

Nach Reinhold hat der Mensch eine zweifache Beziehung zu Gott. Im Wahrheitsgefühl des Gewissens, das zusammen mit dem Selbstgefühl und dem Sinnengefühl das menschliche Lebensgefühl ausmacht, vergegenwärtigen sich uns das liebende, denkende Urwesen und die Übereinstimmung des Seins, die durch es allein besteht61, d. h. es offenbart sich der reagierenden Gewissenhaftigkeit, die Gott liebend und glaubend entgegenkommt. Durch den „der gefühlten Wahrheit entgegenkommenden, und an derselben festhaltenden, Willen“ denkt und will der Mensch von Gott, was „Gottes Wille ist, daß er von Gott denke und wolle“.62 Während das Gefühl passiv ist und untrüglich, ist die Reaktion darauf willensbedingt, da sie als Aufmerken und Anschauen Tätigkeiten des Selbst beinhaltet, und der Wille „die einzige, eigentliche, ursprüngliche und unmittelbare Thätigkeit des Selbstes“63 ist. Der Glaube besteht aus dieser Wahrnehmung der Wahrheit, zusammen mit den undeutlichen Begriffen und Urteilen, die der Versuch, diese Wahrnehmung zu artikulieren, mit sich bringt. Die andere Beziehung zu Gott – von der ersten ,unzertrennlich’64 – ist die des philosophischen Wissens. Dieses ist letztlich in der Religionsphilosophie gegeben und besteht in dem auf deutliche Begriffe gebrachten allgemein vorstellbaren Inhalt des Wahrheitsgefühls. 61 62 63 64

Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 102. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 113. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 31. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 132.

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Als notwendig begrifflich versteht Philosophie den Glaubensinhalt im Allgemeinen. So kann Philosophie nie den Glauben ersetzen, der als Anschauung mehr als begrifflich ist, d. h. nicht im bloß Allgemeinen fassbar ist.65 Philosophie benötigt den Glauben, um ihren wahren Inhalt zu erlangen. Umgekehrt braucht der Glaube die Philosophie als ,Schutzwehr’, da er durch das Selbst bedingt und so dem Irrglauben ausgesetzt ist und da religiöse Überzeugungen, die den allgemeinen Erkenntnissen der Philosophie widersprechen, falsch sein müssen. Geheimnisse gibt es in der Philosophie wie im Glauben: sie sind aber nicht dieselben.66 Eine Vermittlung dieser beiden Formen des Gottesbezugs durch Moralität ist nicht mehr nötig, da Reinhold letztere mit Religiosität gleichsetzt.67 Und der Religionsglauben erfüllt die Funktion der universalistischen Überbrückung der Sektiererei der konfessionellen Unterschiede der verschiedenen Religionen mittels der Kantischen Unterscheidung zwischen dem Universalismus des Religionsglaubens und dem Partikularismus der verschiedenen Formen des Kirchenglaubens.68 Was sind die Konsequenzen für den Freiheitsbegriff ? Ich führe zunächst die negativen Resultate an, um mich dann abschließend den positiven zuzuwenden. Die negativen Resultate lassen sich vorweg dahingehend kennzeichnen, dass es sich teils darum handelt, dass bestimmte Begriffe aufgegeben werden, teils darum, dass frühere Begriffe modifiziert werden, woraus sich Konsequenzen für die positiven Resultate ergeben. Wie zu erwarten, ist der Begriff der Autonomie – ob im Sinne von Kants Autonomie der Vernunft oder von Reinholds Autonomie der Person – Opfer des Abschieds vom transzendentalen Idealismus.69 Sowohl die Autonomie als auch der reine Wille werden zu Phänomenen der Selbstliebe degradiert. Ein reiner Wille ist nur ein Wille, „der da nichts will als sein Wollen selbst“70. Das Vermögen einer absoluten Kausalität der Person und so auch die absolute Freiheit des Philosophen werden als etwas Sekundäres betrachtet, Freiheit ist immer nur endlich.71 In Bezug auf das Kausalitätsproblem beschwert sich Reinhold über die durch Kant herbeigeführte Verwirrung, die Nicht-Notwendigkeit der freien 65 66 67 68 69 70 71

Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 104 ff., 121 f. u. 132 f. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 133 f. Reinhold, Synonymik (1812) S. 248 f. u. 256. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 112, 125 u. 155 ff. Reinhold, „N. III. Ueber die Autonomie“ (1801) [Beiträge H 3] S. 104 ff. Reinhold, „N. III. Ueber die Autonomie“ (1801) [Beiträge H 3] S. 119. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 134.

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Handlung als nicht kausal verursacht zu verstehen.72 Der für den früheren Reinhold so zentrale Begriff der Wahl wird in Bezug auf Freiheit in den Arbeiten der letzten Periode nirgends verwendet. Reinhold spricht stattdessen von einem „Entschluß“.73 Ob und wie dieser eine Wahl beinhaltet, ist nicht klar – dies aus Gründen, die ich noch diskutieren werde. Der Ausdruck „Pflicht“ erscheint zwei- oder dreimal; an einer einzigen Stelle ist von ,Pflichtgebot’ die Rede. Die Bedeutung beider Wörter bleibt inhaltlich undeutlich, da Reinhold hier nur von „dem Willen des denkenden Urwesens“74 spricht. Von „Maximen“ spricht Reinhold überhaupt nicht mehr. In Bezug auf die „Forderungen“ der praktischen Vernunft bzw. des Begehrungsvermögens ist die Situation kompliziert. Der Ausdruck „praktische Vernunft“ verliert mehr und mehr den durch Kant und den früheren Reinhold bestimmten Sinn, wird aber noch öfters, obwohl meistens ironisch, gebraucht. „Begehrungsvermögen“ wird allmählich durch „sinnliche Willkür“ abgelöst. Die Zentralbegriffe sind zuletzt die der Liebe und der Wahrheit. Aber der Gedanke der an uns gestellten „Forderungen“ hält sich fast bis zum Schluss durch. Dass auch er wegfallen müsste, wird klar, wenn man Reinholds Modelle der Liebe und der Wahrheit näher bedenkt. Man kann Gott mehr lieben als sich selbst oder auch umgekehrt. Man kann die Wahrheit um ihrer selbst willen suchen und sie so über andere Interessen heben oder sie unter die Interessen des Selbst stellen. Als mit diesen Interessen vermischt kann man den Schein der Wahrheit mit der Wahrheit an sich kontrastieren. Beide Modelle – Gott als Liebe und als Wahrheit – haben ihre bestimmten Vorteile, sind aber als „Forderungen“ kaum zu verstehen, obwohl für Reinhold der stets im Hintergrund stehende ,Wille des denkenden Urwesens’75 ein solches Verständnis nicht ganz ausschließt. Endlich möchte ich noch auf die Verabschiedung einer These hinweisen, die für Reinhold 72 Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 158 f. Interessanterweise formuliert heute Tugendhat (1992), S. 342 die gleiche Klage. An diesem Ort argumentiert er auch gegen R. Chisholms Auffassung einer Kausalität der Person im Unterschied zu der Kausalität der Ereignisse. 73 Reinhold, Synonymik (1812) S. 302. 74 Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 66. 75 Natürlich beinhaltet die Liebe in ihren verschiedenen Formen verschiedenartige Forderungen, aber sie ist nicht selbst als Forderung verstehbar. In Bezug auf die Wahrheit kann man mit Tugendhat (1967), S. 322, sagen, dass „die Wahrheit das einzige ist, dessen Gegenteil, wenn es als solches erkannt ist, sich eo ipso aufhebt, und daher das einzige, was auch ohne und gegen Interesse bindet.“ Aber diese Bindung ist keine Forderung, wie sprachlich leicht anhand des Unterschiedes zwischen einer Aussage und einem Imperativ deutlich wird.

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früher sehr wichtig war: „Der Akt der Freyheit ist in der Handlung nach dem Gesetz und in der gegen das Gesetz, als Akt der Freyheit (generisch) eben derselbe; so wie der Akt des Gesetzgebens“76. Die Suche nach dem Grund für Reinholds Aufgabe dieser so oft gegen Kant und die Kantianer gewendeten These am Ende führt zu den Bestimmungen von Reinholds letztem Begriff der Freiheit. Das Dasein der Willensfreiheit bleibt für Reinhold unproblematisch. Wie er schon 1798 sagte: „Für den Gewissenhaften insbesondere kann nichts so ausgemacht und so einleuchtend seyn, als die Freyheit des Willens“.77 Der Wille bleibt „die einzige, eigentliche, ursprüngliche und unmittelbare Thätigkeit des Selbstes“.78 Und Reinhold sagt sogar, in der Philosophie der Religion sei der Lehrsatz zu erweisen: Daß, und warum dem Willen in der Endlichkeit seiner Freyheit sowohl das Handeln gemäß dem Gewissen, das gewissenhafte, und als solches gute, als auch das Handeln gegen das Gewissen, das selbstische und als solches böse Handeln möglich seyn muß, und daß der endliche Willen nicht frey und also auch kein Wille sey, – und es weder ein gewissenhaftes, noch auch ein gewissenwidriges Handeln geben könnte, wenn dem Willen entweder das gewissenhafte, oder das gewissenwidrige Handeln unmöglich wäre, wenn derselbe das Eine, oder das Andere schlechthin mßte. 79

Für Reinhold ist dieser Satz auf Grund der von ihm geleisteten Verdeutlichung des Begriffs der Wahrheit erst „zu erweisen“, er ist noch nicht zu erweisen versucht worden.80 Warum diese Verzögerung? Der Satz scheint doch dem sehr ähnlich, den ich gerade als von Reinhold verabschiedet zitierte.81 Und die Ähnlichkeit scheint noch größer zu werden, wenn man in demselben Werk liest, dass das Gewissen immer mit dem Willen erwacht, „dieser mag sich für, oder gegen dasselbe bestimmend, entweder als der gewissenhafte, oder als der selbstische Willen handeln“.82 Es scheint, dass wir sogar eine Autonomie, wenn nicht der Vernunft oder des Selbst, so doch des Willens vor uns haben. Dies ist aber nicht der Fall. Laut Reinhold ist der menschliche Entschluss, der eigentliche Akt des Willens, „allein dadurch selbstthätig und frey, da derselbe durch das reine 76 77 78 79 80 81 82

Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beiträge II] S. 236. Reinhold, Grundstze der Moralitt (1798) S. 27. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 31. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 134. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 131. Reinhold, „Fundament“ (1794) [Beiträge II] S. 236. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 98.

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Menschenwesen, und durch die sich in demselben offenbarende gewisse Wahrheit im Allgemeinen begründet ist“.83 Daraus folgt: Frey in eigentlicher und rein wahrer Bedeutung sind also nur die sittlichen, folglich die durch wahre Religiosität bestimmten Handlungen; und mit wahrer Gewissheit frey nur diejenigen, welche in der Unterlassung des Bösen, – mit Wahrscheinlichkeit frey, welche in der Ausübung des positiven Guten bestehen. Aber keineswegs in derselben Bedeutung des gleichnamigen Begriffes sind auch die unsittlichen Handlungen frey. Diese sind und heißen nur in soferne frey; in wieferne sie die Entschließungen eines Einzelwesens sind, welchem ein Gewissen und durch dasselbe die Möglichkeit sittlich zu handeln zu Theil geworden ist, das eben darum nicht gezwungen werden kann, gegen das Gewissen zu handeln, und das, wenn es dagegen handelt, nur mit Willkürlichkeit handelt.84

Der Grund, den Reinhold hier für die Behauptung anführt, dass auch die sittlich bösen Handlungen in bestimmter Weise als frei zu betrachten sind, ist dunkel. Um die Sache aufzuhellen, sind die folgenden Erklärungen zu beachten: Die durch das Zuthuen des Selbstes bedingte, und in soferne selbstthätige Unterordnung des sinnlichen Lebensgefühles unter das Wahrheitsgefühl, ist das Eigenthümliche der Gewissenhaftigkeit in ihrem Unterschiede von dem Gewissen. Diese besteht sonach im willigen Aufmerken des Selbstes auf das Wahrheitsgefühl, im Horchen auf die Stimme des Gewissens, im Gehorsam gegen dieselbe. […] Die Selbstheit geht in die Selbstigkeit, welche das eigentliche positive Gegentheil der Gewissenhaftigkeit ist, über; wann und inwieferne durch die Thätigkeit des mehr auf das sinnliche Lebensgefühl als auf das Wahrheitsgefühl aufmerkenden Selbstes, und in der dadurch entstehenden und bestehenden aktiven Vorstellung das Selbst- und Sinnengefühl über das Wahrheitsgefühl emporsteigt, dasselbe verdunkelt und mit dem Verdunkelten sich vermengend, als Schein der gefühlten Wahrheit hervortritt. Es findet sich dadurch die Gesinnung im Menschen ein, bey welcher ihm nicht nur nichts so gewiß und so wichtig ist als Er sich selbst, sondern auch nichts so wahr, als was die Selbstheit auf Eingebung des Selbst- und Sinnengefühles für wahr annimmt, und nichts so unwahr, als was die Selbstheit auf die besagte Eingebung von sich stößt; daher das Angenehme und das Unangenehme im Leben an die Stelle des Wahren und des Falschen trit, Genuß und Verdruß die höchste Angelegenheit des Menschen werden […].85

Freiheit ist Handlungsfreiheit. Diese wird in Bezug auf zwei Gesinnungen artikuliert – die der Gewissenhaftigkeit und die der Selbstigkeit. 83 Reinhold, Synonymik (1812) S. 301. 84 Reinhold, Synonymik (1812) S. 301 ff. 85 Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 33 ff.

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Die gewissenhafte Person ist frei, insofern sich ihr Entschluss an das im Gewissen vernommene reine Menschenwesen ,anschließt’ und sich ihm unterordnet, d. h. dadurch ,begründet‘. So befreit sich der gewissenhafte Mensch „von der Nötigung durch die wandelbaren Bedingungen der Willkür, von der Herrschaft der Sinnlichkeit“.86 Diese Befreiung scheint auch im Falle einer unsittlichen Handlung des Gewissenhaften zu bestehen. Denn auch wenn eine Forderung des sinnlichen Lebensgefühls sich der Forderung des Gewissens nicht anschließt, d. h. derselben widerspricht, und trotzdem befriedigt wird, erkennt der Gewissenhafte die Möglichkeit einer alternativen Handlung.87 Die Alternative besteht insofern, als – wie die Gewissenhaftigkeit voraussetzt – das Wahrheitsgefühl als von dem sinnlichen Lebensgefühl verschieden erkannt wird. Das Erkennen von Verdienst und Schuld ist daher für die gewissenhafte Person im Allgemeinen keine Schwierigkeit. Und der selbstische Mensch? Wenn, wie gerade zitiert, „das Selbstund Sinnengefühl über das Wahrheitsgefühl emporsteigt, dasselbe verdunkelt und mit dem Verdunkelten sich vermengend, als Schein der gefühlten Wahrheit hervortritt“ und wenn, wie leicht vorstellbar, die Aufmerksamkeit auf diesen Schein von Anfang an fixiert ist, scheint dem so Befangenen keine alternative, d. h. sittliche Handlung möglich. Es besteht in dieser Hinsicht eine Zwanghaftigkeit oder, wie Reinhold sagt, eine ,Nötigung’. Wir scheinen zu Kants „Unvermögen“88 zurückgekommen zu sein, das den früheren Reinhold so empört hat. Der schlechte Mensch scheint nicht anders handeln zu können, keine Handlungsfreiheit zu haben und daher auch nicht verantwortlich zu sein. Denn obwohl objektiv die Möglichkeit einer ,Bekehrung’ besteht, wie ist sie subjektiv fassbar? Reinhold sagt, dass Tatsachen sowie mündliche und schriftliche Belehrungen, durch welche die Aufmerksamkeit des Menschen auf das Gewissen gelenkt wird, nachträglich als „besondere göttliche Erweckungsmittel angenommen werden“.89 Wie viel die neue Richtung der Aufmerksamkeit Gottes Gnade und wie viel sie dem gewissenhaften Streben zu verdanken hat, bleibt in jedem Einzelfall dann immer noch ein Geheimnis.90 Aber ist vor so einer ,Bekehrung’ ihre Möglichkeit, die sittliche Handlung, erkennbar? Wenn nicht, ist die Zwanghaftigkeit des 86 87 88 89 90

Reinhold, Synonymik (1812) S. 304. Reinhold, Synonymik (1812) S. 302. MdS, Kant-AA 6.227. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 156. Reinhold, Was ist die Wahrheit? (1820) S. 134.

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selbstischen Menschen Unschuld? Würde eine Analyse des Überlegens zeigen können, dass in dem Schein die vorausgesetzte Wahrheit erkennbar ist? Wie sonst wäre eine Änderung der Aufmerksamkeit motivierbar? Oder kann der irgendwie zu Gewissenhaftigkeit gekommene Mensch nur flüstern: „There, but for the grace of God, go I!“ Diese und ähnliche offene Fragen werden Reinhold wohl bewegt haben, den genannten Lehrsatz einen noch erst zu erweisenden zu nennen. Unter dieser Voraussetzung ist es gerechtfertigt, eine abschließende Bilanz in Bezug auf Freiheit noch weiter zu verzögern.

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Die Freiheit der Vorstellung Hegel und Reinhold über symbolische Reflexion

Dirk Westerkamp Abstract: The paper detects a kind of “linguistic turn” within late German Idealism by calling attention to the systematic parallels and contiguities between Hegel’s and the late Reinhold’s conception of language as symbolic representation. Both thinkers – Hegel in his Encyclopedia of the Philosophical Sciences (1817) and Reinhold in his The Human Faculty of Knowledge with Regard to the Intermediation of Perception and Thinking provided by Language (1816) – systematically confound their conception of knowledge with a theory of imagination and representation (Vorstellung). The paper gives a parallel close reading of the decisive passages of both theories, and argues that its results are of more than historical interest. Rather, Hegel’s and Reinhold’s views on the relation between language and imagination yield powerful insights into the nature of symbolic representation as discussed in current philosophical, linguistic and anthropological research.

1. Freiheit im theoretischen Ich? Wille und Freiheit sind keine exklusiven Themen der praktischen Philosophie. Zwar lassen sie sich im Horizont des Deutschen Idealismus noch unzweideutig der Vernunftbestimmung des praktischen Ich zuschreiben; doch wenn zu den Motiven der Transzendentalphilosophie Kants und ihrer „idealistischen“ Nachfolger gehört, Einsicht in die Einheit von theoretischem und praktischem Ich zu gewinnen, dann entstünde eine Ungereimtheit in ihrem Verhältnis, wenn sich Freiheit einzig im Vermögen der praktischen Vernunft realisierte. Reinhard Loock hat gezeigt, auf welche Weise Kants Theorie apriorischer Produktivität der Einbildungskraft diese Bestimmung der Autonomie auch im theoretischen Ich zu verankern sucht. Denn der transzendentalphilosophische Kritizismus verwandelt die herrschende erkenntnistheoretische Intuition des Bestimmtwerdens durch Objekte und die von ihnen abhängige Erfahrung in eine Theorie, die Rezeptivität und Spontaneität vermittelt. Es liegt daher nahe zu fragen, ob sich durch die Spontaneität des Selbstbewusstseins, durch eine apriorisch und zugleich bewusstlos produktive Einbildungs-

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kraft nicht auch eine Freiheit im theoretischen Ich zeigt, die mit der Freiheit des praktischen zusammenstimmt. Kants Theorie macht einen entscheidenden Schritt in der Geschichte der Einbildungskraft, weil sie die Imagination vom Primat der Wahrnehmung löst und ihr eine transzendentale Produktivität zuweist, die selbst jedoch in einer „Dimension der Vorgegenständlichkeit, Bildlosigkeit und Unvorstellbarkeit“1 lokalisiert wird. Der Einbildungskraft kommt eine wahrnehmungskonstitutive Funktion zu, insofern sie deren bildlose Form der Zeit bestimmt. Entsprechend vermittelt die Einbildungskraft nicht einfach Denken und Wahrnehmung, sondern begründet das Bewusstsein selbst. Während das Ich im Erkennen eine Erfahrung mit den Gegenständen zu machen scheint, die gerade nicht frei, sondern durch diese bestimmt ist, kommt der Einbildungskraft die Aufgabe zu, das Bestimmtwerden durch die Objekte mit der Autonomie des Subjekts zu vereinbaren: „Sie bringt die Gegenstände selbst hervor, die sie als unmittelbar gegeben anschaut, sie bestimmt das, wodurch sie bestimmt wird.“2 Während Kant das empiristische Paradigma eines primär durch Erfahrungsgegenstände bestimmten Verstandes erst noch mühsam abbauen musste, kann Hegel die Psychologie seiner Enzyklopdie von 1817 bereits unbefangen mit der These einleiten, das theoretische Ich, das er „Intelligenz“ nennt, habe es im Unterschied zur naturbestimmten Seele (Anthropologie) und zum gegenstandsbestimmten Bewusstsein (Phänomenologie) wesentlich nur noch mit seinen eigenen Bestimmungen zu tun; und es ist die Psychologie als die Lehre von den Seelenvermögen (Hegel perhorresziert bekanntlich den Newton’schen Begriff der Kraft), welche diese selbstbestimmende Tätigkeit des theoretischen Geistes in seinen Vermögen analysiert. Damit hängt ein zweiter Aspekt der kantischen und später „idealistischen“ Aufwertung der Einbildungskraft zusammen: Wenn im Vorstellungsvermögen Spontaneität herrscht, so zielt dies nicht nur auf einen möglichen Beziehungsgrund von theoretischer und praktischer Vernunft, sondern konterkariert auf raffinierte Weise auch den traditionellen Willkürvorwurf an die Adresse der Einbildungskraft. Nicht, dass sie vermeintlich keinerlei Beschränkungen unterliege oder frei und chimärisch dichten könne, wäre dann ihr bestimmendes Freiheitsmotiv (wie 1 2

Vgl. Loock (2007), 16. Ebd., 17.

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noch bei Hume) 3, sondern dass die Einbildungskraft spontan und formproduktiv ist. Der späte Reinhold und der Hegel der Enzyklopdie – so die These der folgenden Überlegungen – erweitern diesen erkenntniskritischen Gedanken um die Bedeutung der Sprache. Der Sprache kommt in Reinholds später Schrift über Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) ebenso wie in Hegels enzyklopädischer Psychologie von 1817 die Aufgabe einer Verbindung von theoretischer und praktischer Vernunft, von subjektivem und objektivem Geist zu; sie wird zum Medium der Freiheit der Vorstellung. Es ist diese erstaunliche systematische und zeitliche Kontiguität in der Bestimmung der Freiheit des theoretischen Vernunftvermögens und der Sprache als Ausdruck des Vorstellungsvermögens, die zu einem genaueren Vergleich der Sprach- und Vorstellungstheorie von Reinholds Erkenntnisvermçgen von 1816 mit Hegels Philosophie des subjektiven Geists in der Enzyklopdie von 1817 reizt. Dabei wird es nicht um Rezeptionsabhängigkeiten gehen können, wie sie für den Zeitraum zwischen 1795 und 1806 sorgfältig untersucht sind,4 sondern um die Konstruktion eines späteren Geistergesprächs, deren komparative Analyse Hegels und Reinholds Verschränkung von Vorstellungs- und Sprachtheorie im Blick auf ihren Beitrag zum Verständnis symbolischer Repräsentation rekonstruiert.

2. Hegels und Reinholds Kritik der Psychologie als Wende zur Sprache Die Verschränkung von Vorstellungs- und Sprachdeduktion, die Hegel und Reinhold in unmittelbarer geschichtlicher Nachbarschaft 1816/17 verfolgen, hat einen zunächst gemeinsamen theoriehistorischen Ausgangs- und Abstoßpunkt: die Kritik der empirischen und rationellen Psychologien des 18. Jahrhunderts. Beiden Spielarten der Seelenlehre werfen Hegel und Reinhold eine Geistes- bzw. Sprachvergessenheit vor, die sie als schlechte Metaphysik desavouiert. Während der empirischen Psychologie über dem Beobachten von Fiberschwingungen die „Sub-

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Vgl. Hume (1975), 47. Dazu: Loock (2007), 65 – 80. Vgl. Bondeli (1995), 45 – 87.

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stanzialität der Seele“ (Erkenntnisvermçgen, 98) 5 abhanden kommt, spekuliert eine abstrakte rationelle Psychologie an der Wirklichkeit der Seelenvermögen vorbei (Erkenntnisvermçgen, 4). Wo Hegel es allerdings bei einem polemischen Hinweis auf Aristoteles’ De anima als dem einzig brauchbaren Werk der philosophischen Psychologie belässt, nimmt es Reinhold mit der Kritik der Sprachvergessenheit der Metaphysik theoriehistorisch genauer: „Das sonderbare, von Hume auf Kant vererbte, Stillschweigen von der Sprache hat sich auch wieder von Kant auf jeden anderen philosophierenden Deutschen vererbt, welcher seitdem eine neuere Ansicht vom menschlichen Erkenntnisvermögen aufgestellt hat“. (Erkenntnisvermçgen, 2) Reinholds Spätphilosophie sucht dieses Stillschweigen zu brechen, indem sie sich unter den Anspruch der Forderung Jacobis nach einer vierten kantischen Kritik, der Kritik der Sprache stellt. Dieser Forderung sucht Reinhold durch eine sinnkritische Begriffsanalyse zu entsprechen, die die ungeklärten sprachphilosophischen Grundlagen der Ontologie aufdeckt und deshalb nicht mehr länger Metaphysik, sondern „Synonymik“ genannt werden soll (Synonymik, X). Reinholds synonymische Kritik der sprachindifferenten Tradition trifft sich mit Hegels Kritik der geistvergessenen Seelenlehren in dem Vorwurf, weder die eigentliche Funktion noch den systematischen Ort der Sprache zureichend abgeleitet zu haben. Unabhängig voneinander sind sich beide einig, dass Zeichen und Sprache nicht „irgendwo als Anhang in der Psychologie oder […] Logik eingeschoben“ werden dürfen, sondern aus dem „Systeme der Thätigkeit“6 des vorstellenden und denkenden Ich deduziert werden müssen. Beide, Reinhold und Hegel, entdecken den Ort der Sprache in der Phantasie als dem Grund des Übergangs vom Vorstellungs- zum Denkvermögen. Als die semiotisch objektivierte Seite des Einbildungs- und Vorstellungsvermögens deduziert Hegel die Sprache aus der „Zeichen machende[n] Phantasie“7, Reinhold aus dem „diskursiven Vorstellen“. Bereits der Titel von Reinholds Spätwerk: Das menschliche Erkenntnisvermçgen aus dem Gesichtspunkte des durch die Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermçgen (Kiel 1816) zeigt nicht nur 5 6 7

Für die Zitierung der noch unedierten Spätschriften Reinholds gelten folgende Abkürzungen: Anfangsgrnde der Erkenntniß der Wahrheit, Kiel 1808 (Anfangsgrnde); Ueber den Begriff und die Erkenntniß der Wahrheit, Kiel 1817 (Wahrheit). Enzyklopdie (1817), Hegel-AA 13.214, § 379 (1830: § 458). Enzyklopdie (1830), Hegel-AA 20.451, § 457.

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die paradigmatisch bleibende aristotelische Grundunterscheidung von Sinnlichkeit – Vorstellung – Denken, sondern auch die entscheidende Präzisierung, die Reinhold mit dem Hinweis auf das „diskursive Vorstellen“ (Was ist die Wahrheit?, § 7, 33) der Wortsprache gibt. Wenn die Sprache nicht mehr als Korrolar der Logik oder der Psychologie behandelt wird, sondern in das Zentrum der Theorie des subjektiven Geistes rückt („Wort“ und „Genuß“ sind die Pole der Lehre vom subjektiven Geist) 8, dann kann es bei einer einseitig mentalistischen Vorstellungs- und Bewusstseinstheorie nicht mehr bleiben. Sie berücksichtigt die Selbsttätigkeit des theoretischen Geistes, die darin besteht, dass er sich mit „Denkzeichen“9 bzw. „Nahme[n]“10 – also seinen eigenen Produkten als sprachlich-symbolischen Formen – auf sich selbst bezieht. Reinhold eröffnet diesen Diskurs mit der sprachkritischen Perspektive, dass Psychologie ohne synonymische Bedeutungsanalyse auf Sand baue. Schon die Herkunft der zentralen psychologischen Hauptbegriffe zeigt die ihnen einmal „anhängenden Bilder“ äußerer Erfahrungsbegriffe: Vor-stellen, Ein-bilden, Be-greifen, Ur-teilen, Ver-nehmen, Unterscheiden, Ver-binden etc. (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 102). Wie die Vorstellung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, so steht auch die sprachanalytisch noch unreflektierte Psychologie gleichsam zwischen den Disziplinen.11 Und wie das Bewusstsein nach den Sphären des vorstellenden, aber nicht denkenden, des denkend-vorstellenden und des reindenkenden Bewusstseins unterschieden wird, hält die Psychologie die Mitte zwischen den exakten Wissenschaften und der Metaphysik und zeigt noch die Konturen ihrer traditionellen Vernunftgegenstände:12 8 Enzyklopdie (1830), Hegel-AA 20.438, § 444. 9 Zum Unterschied der Konzeption Reinholds in Das menschliche Erkenntnisvermçgen gegenüber der Synonymik vgl. Valenza (2003), 283 – 301. 10 Enzyklopdie (1817), Hegel-AA 13.215, § 383 (1830: § 462). 11 Reinhold entdeckt hier das methodische Problem eines hermeneutischen Zirkels der Psychologie, dem mit der Forderung strenger Begriffsanalyse begegnet wird: „Der Psycholog insbesondere, welcher die Gemüthszustände beschauen und betrachten will, welcher dieselben absichtlich gewahr zu werden beschließt […], muß nothwendig schon, bevor er diesen Entschluß fasst, und vollzieht, Begriffe von jenen Zuständen besitzen; er muß schon vorläufig kennen, und sich zu benennen wissen, was er durch Beobachtung zu erforschen, und durch Erforschung zu erkennen und zu beschreiben gesonnen ist“. (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 106) 12 Reinhold nennt das Bewusstsein den Zustand der Gewissheit, „welche[r] das menschliche […] denkende Vorstellen begleitet“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 109). Hauptmerkmal des denkend-vorstellenden Bewusstseins ist, dass es

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Während die exakten Wissenschaften im Medium der Sinnlichkeit ein gegenständliches Sein untersuchen, hat es die (empirische) Psychologie mit der Vorstellung und damit dem menschlichen Bewusstsein zu tun, das in der Metaphysik auf eine Erörterung der Vernunftideen hin überschritten wird.

3. Der systematische Ort der Sprache in Hegels Enzyklopdie von 1817 Wie Hegels Enzyklopdie im Ganzen ist auch deren Vorstellungs- und Sprachtheorie vollkommen durchsichtig nach dem Prinzip der absoluten Negativität aufgebaut. Architektonisch folgt sie dem Gang von der Position (P), ihrer Negation (N) und deren Aufhebung durch die Negation der Negation (NN) in eine in sich reflektierte Position (PR), in welcher sich die anfänglich gesetzte Substanzbestimmung vollständig realisiert (vgl. Abb. 2, S. 450). Die „Reflexionstotalitäten“13 spiegeln auf der Mikroebene, zuweilen bis in die einzelnen Sätze hinein, die Struktur der Makroarchitektonik zurück. Entsprechend legt sich Hegels Deduktion der Vorstellung in ein komplexes Zusammenspiel von Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis aus, mit welchem die erinnerte Anschauung restlos in eine zeichenhafte bzw. symbolische Objektivität der Sprache übersetzt wird: Die Anschauung (P) übersetzt und vernichtet sich in die Vorstellung (N), wobei der angeschaute Inhalt sich in der Vernichtung der individuellen Vorstellung zugleich objektiviert (NN) und sich als wiederhergestellte Anschauung in der Objektivität des Zeichens als Denken (PR) mit sprachlichen Symbolen manifestiert. Während umgangssprachlich Erinnerung und Gedächtnis nicht näher unterschieden werden, achtet Hegel auf ihre Differenz, weil er zwischen die Form individueller Erlebniserinnerung und die Form des mechanischen Gedächtnisses der Sprache eine „zeichenmachende Phantasie“ schiebt, die als semantisches Gedächtnis den systematischen Ort der sich anderer Gegenstände als auch seiner selbst bewusst werden, vergewissern und sich von anderen und von sich selbst unterscheiden kann – eine dem fünften Systemwechsel entsprechende Aktualisierung des frühen Satzes des Bewusstseins. Das menschliche Bewusstsein ist denkend-vorstellende Gewissheit, nicht aber rein denkend, sondern qua Sinnlichkeit empirischdenkend-vorstellend und qua Wortsprache reindenkend-vorstellend. 13 Vgl. Scheier (2000), 202 – 214; Henrich (1975), 245 – 256.

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Sprache erreicht. Die Verankerung der allgemeinen und objektiv-geistigen Form der Sprache mag verwundern, doch sucht Hegel zu zeigen, dass die Erinnerungs- und Gedächtnisform des subjektiven Geistes immer schon von den kulturellen Praktiken und Gedächtnisleistungen eines objektiven Geistes durchdrungen ist. Auf dem Grund individueller Erinnerung finden sich dessen objektive und kulturelle Voraussetzungen. Hegels Erinnerungstheorie in der Enzyklopdie analysiert zunächst minutiös den Prozess der „Er-Innerung“14 als Besonderung und Verallgemeinerung einzelner Anschauungen. Es geht den Analysen aber weniger um die einzelnen Funktionen von Erinnerung selbst als um den übergeordneten Zusammenhang der Frage nach der Realisierung von Freiheit im theoretischen Ich. Freiheit erlangt der subjektive Geist erst in der Verallgemeinerung und Übersetzung individueller Vorstellungen in den habitualisierten Symbolgebrauch einer „Zeichen machenden Phantasie“ der Sprache. Deren Objektivierung des zunächst angeschauten, dann vorgestellten Inhalts zu materiellen symbolischen Formen wird von Hegel als eine progredierende Befreiungsgeschichte von der Unmittelbarkeit des sinnlichen Inhalts interpretiert. Wenngleich das Ich in der Vor-Stellung selbsttätig zu werden beginnt, trägt es noch die Spuren der aus Anschauung und Speichererinnerung stammenden Unfreiheit. Als Einbildungskraft ist die Vorstellung deshalb zunächst noch reproduktiv. Allerdings erreicht das Ich in ihr den vollständigen Besitz seiner inneren Bilder, dessen Macht in dem uneingeschränkten bergreifen auf sie besteht. Dazu setzt Hegel, durchaus traditionell, eine kategoriale Assoziations- und Attraktionskraft im Ich voraus, die die einander ähnlichen Bilder ordnet, gleichgültig welchen Erlebnisquellen sie entstammen, und zu kognitiven Schemata verdichtet.15 Der Phantasie kommt das „freie Verknüpfen und Subsumieren“16 von Bildern und Schemata zu, worin ihr allerdings noch die Beschränkungen des jeweils zur Verfügung stehenden Vorrats auferlegt bleiben. Zwischen der Enzyklopdie von 1817 und 1827/30 zeigen sich theoriearchitektonische Verschiebungen, die in der Tat als Weiterentwicklungen und Klärungen gewertet werden können, hier aber nicht im Einzelnen zu erörtern sind. Fest steht, dass mit der „dichtende[n] Einbildungskraft“17 der entscheidende Schritt in Richtung auf die freie 14 15 16 17

PdG (1807), Hegel-AA 9.433. Enzyklopdie (1817), Hegel-AA 13.211, § 376 (1830: § 455). Enzyklopdie (1830), Hegel-AA 20.450, § 456. Enzyklopdie (1817), Hegel-AA 13.213, §§ 377 – 378 (1830: § 456).

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Produktivität der Vorstellung getan ist. Zwar bleibt auch sie weiterhin Beschränkungen unterworfen, die sie aus eigener Kraft nicht überwinden kann. Doch gehen vermöge ihrer Tätigkeit die Vorstellungssynthesen über die Innerlichkeit der Intelligenz selbst hinaus, weil sie sich artikulieren. Damit können sie eo ipso nicht mehr partikular, subjektiv oder ungeäußert bleiben. Sie gewinnen als vormaliges reines Sein-für-sich äußere Gestalt und bringen, als ein Sein-für-Anderes, eine nunmehr symbolisch vermittelte Anschaulichkeit hervor: Die Vorstellungssynthesen sind unwiderruflich in veräußerbare Zeichen verwandelt. Dass diese Objektivierung nicht durch indexikalische oder ikonischmimetische Zeichen gelingen kann, verdeutlicht Hegels Enzyklopdie an zwei Resultaten: (1) Die materialen Ausdrucksformen sind nicht vom Ich selbst produziert, sondern von der Zeichen- und Sprachgemeinschaft, in der es lebt, immer schon gegeben. (2) Dieses Sprach- und Zeichenapriori kleidet jede individuelle Vorstellungssynthese in die Form allgemein verbindlicher und verständigungsorientierter Zeichen. In der Enzyklopdie ist dies der Ort der „Zeichen machende[n] Phantasie“, von der Hegel zeigt, dass sie ihre Synthesen aus einem allgemeinen kulturellen Sprachund Zeichengedächtnis schöpft. Die Enzyklopdie unterscheidet hier genau zwischen der Expressivität der einzelnen Rede als Äußerung einer „sich kund gebenden Innerlichkeit“18 und der Sprache als einem allgemeinen System aus Gebärde, Lexik, Grammatik und Schrift. Die Sprach- und Schriftsysteme des objektiven und kulturellen Geistes sind Indikatoren einer Emanzipation von naturwüchsiger Unmittelbarkeit, die sich an der fortschreitenden Ablösung der ikonischen (in Hegels Terminologie: symbolischen) durch konventionell-symbolische Zeichen (in Hegels Terminologie: Namen) festmachen lässt.19 Hegel interpretiert das Gedächtnis als eine von der Sprache substantiell bereits durchdrungene Übergangsform zum begrifflichen Denken. Denn mit dem Denken (= PR) konvergiert das Gedächtnis darin, dass es „überhaupt nur mit Zeichen zu tun hat“20. Als „namenbehaltendes Gedächtnis“ identifiziert es ein bestimmtes Zeichen mit seinem objektiven, d. h. 18 Enzyklopdie (1817), Hegel-AA 13.215, § 380 (1830: § 459). 19 Hegel unterscheidet (Enzyklopdie [1817], Hegel-AA 13.214, § 379) Zeichen, Symbole und Namen, hat aber eine andere Terminologie als die später durch Peirce geläufig gewordene: Peirces indexikalische Zeichen sind in der Terminologie des 18. Jahrhunderts die natürlichen Zeichen; Peirces ikonischen Zeichen entsprechen bei Hegel die symbolischen Zeichen, während die symbolischen Zeichen von Hegel Namen oder willkürliche Zeichen genannt werden. 20 Enzyklopdie (1830), Hegel-AA 20.453, § 458.

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konventionell festgelegten Bedeutungsinhalt; als „reproduzierendes Gedächtnis“ versteht es in den Namen bild- und vorstellungslos – gleichsam verständnislos – deren Inhalt; und als produktiv-mechanisches Gedächtnis hat es Teil an einer allgemeinen, allen Sprachteilnehmern zugänglichen Vernunft. In dem sprachlichen Regelfolgen der Kommunikation bedürfen wir in der Tat weder der Gegenwart des Bedeutungsinhalts noch seines Vorstellungsbildes: „Es ist in Namen, daß wir denken.“21 Der Name ist auf dieser Stufe nunmehr die allgemeine Existenz des Inhalts einer vormals besonderen Vorstellung oder einzelnen Anschauung. Erst hier ist die Sprachwerdung und Objektivation der Vorstellungen abgeschlossen und produktiv; erst hier ist der subjektive Geist mit dem objektiven, mit seiner kulturellen und geschichtlichen Herkunft verbunden. Vorstellung und Name werden, wie Hegel sagt, durch ein „leere[s] Band“22 in fester Ordnung gehalten, denn wir verwenden in unserem alltäglichen Sprechen die Namen immer schon so, dass wir uns ihre Bedeutung nicht mehr gegenwärtig halten müssen. Dieses mechanische Sprachgedächtnis sichert für Hegel den Übergang in das Denken, das gar nicht mehr anders als begrifflich vorgehen kann – womit der Ort der Sprache in der Enzyklopdie ganz durchschritten ist. Im produktiv-mechanischen Gedächtnis ist der Geist gerade deshalb ganz bei sich selbst, weil er die Wortsignifikanten so gebrauchen kann, dass deren Bezug auf Signifikate und Referenten ganz ausgeblendet wird, und der gesuchte sprachliche Ausdruck frei gewählt werden kann.

4. Der systematische Ort der Sprache in Reinholds Das menschliche Erkenntnisvermçgen von 1816 Vergleicht man Hegels enzyklopädische Vorstellungs- und Sprachdeduktion mit der ein Jahr zuvor veröffentlichten Reinholds, so fallen Parallelen und Differenzen rasch in den Blick. Wie Hegel verbindet auch Reinhold mit der Bestimmung der Sprache einen hohen fundamentalphilosophischen und zugleich metaphysikkritischen Anspruch; er wird nicht müde, die Sprachvergessenheit der Metaphysik zu brandmarken. Ohne Analyse der Sprache würde der „Schein eines unmittelbaren Unterschiedes und Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit, und dem 21 Enzyklopdie (1830), Hegel-AA 20.459 – 460, § 462. 22 Enzyklopdie (1817), Hegel-AA 20.460, § 463.

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Denkvermögen“ befestigt und der „Wahn einer ohne […] Sprache möglichen, […] begriffslosen, innerlichen Wahrnehmung […] und die Einbildung unmittelbarer Vorstellungen“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 9) befördert. Ganz offensichtlich geht es Reinhold um die Kritik einer Unmittelbarkeit, die keine ist, weil sie nur als Unmittelbarkeit einer Vermittlung durch Sprache verstanden werden kann. Für die Gründe dieser Sprachvergessenheit gibt Reinhold eine interessante philosophiegeschichtliche Deutung. Während für Locke und Hume das Sprachproblem ein reines Signifikations- und Nomenklaturproblem bleiben konnte, habe Kants Kritik der reinen Vernunft den Zusammenhang von Sinnlichkeit und Denkvermögen auf ein transzendentales Vermögen verschoben. Entsprechend konnte in den nachkantischen, frühidealistischen „Lehrgebäude[n]“ – inklusive seiner eigenen frühen Theorie des Vorstellungsvermögens – dieser systematische Zusammenhang entweder nur als eine „Thatsache des Bewußtseyns“ postuliert oder die „menschliche Selbstthätigkeit“ als „Spontaneität des Denkvermögens“ nur in der „praktischen Vernunft“ verankert werden. (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 10) Für Reinhold scheiden sich die Nachfolger der Transzendentalphilosophie in spekulative „Seher des Absoluten“ und empiristische „Beobachter des Bewußtseyns“, die gleichermaßen „den Antheil der Sprache an der menschlichen, und daher auch an der philosophischen Erkenntnis mit Stillschweigen“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 11) übergehen mussten. Kantkritisch im Sinne eines Unterscheidens der Leistungen der Transzendentalphilosophie und zugleich seinem frühidealistischen Ansatz treu bleibt Reinhold allerdings darin, dass er Spontaneität nicht nur als Proprium der praktischen Vernunft bestimmt, sondern auch im Zentrum des theoretischen Ich aufsucht, in seinem Vorstellungsvermögen. Dazu durchläuft Reinhold in einer zunächst deskriptiv-funktionalen Analyse die Stationen des Vorstellungsvermögens (vgl. Abb. 2, S. 450). Er geht aus von der sinnlichen Aufmerksamkeit des Gewahrwerdens (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 39) über die „sinnliche Einbildungskraft“, die das „ehemals Empfundene“ entweder reproduzierend oder produktiv vergegenwärtigt (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 42), schließlich zum sinnlichen Erinnerungsvermögen und von diesem über das sinnliche Gedächtnis zur Phantasie. Anders als Hegel, dessen Deduktion des Vorstellungsvermögens an die architektonische Methode absoluter Negativität gebunden bleibt, verfährt Reinholds Analyse in ihrer triadischen Unterscheidung des Bewusstseins zunächst ganz traditionell, um dann mit der Darstellung der Sprache als der Bedingung allen Vorstellens den

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zwischen ihren Funktionen vermittelnden Grund des Vorstellungsvermögens aufzusuchen. Dieser veränderte Blick auf das Vorstellungsvermögen lässt das Verhältnis von Einbildungskraft und Sprache in ein Zentrum rücken, das sich als ein solches allerdings erst am Ende seiner Untersuchung herausschält, die dem Vermögen und Funktionen der Vorstellung gewidmet ist. Zunächst leistet das Vorstellungsvermögen als sinnliches Erinnerungsvermçgen die Vergegenwärtigung unverändert gebliebener Bilder des Empfundenen, umfasst also das, was heute als episodisches und als perzeptuelles Gedächtnis bezeichnet wird. Das sinnliche Erinnerungsvermögen äußert sich auf zweifache Weise: zum einen als Rückerinnerung, die das ehemals empfundene Abwesende als Vergangenes vergegenwärtigt, zum anderen als sinnliche Vorsehung, die das Abwesende als Zukünftiges vergegenwärtigt. Gut kantisch ist auch für Reinhold das Erinnerungsvermögen schon auf der Ebene der Apprehension und Rekognition auf das Vermögen der Einbildungskraft angewiesen, die scheinbar ganz traditionell in ihre reproduzierende und produzierende Kraft unterschieden wird: „Das Eine ist das Vermögen von der Empfindung zurückgelassene, und zurückbleibende Bilder ursprünglich zu erwerben, die producirende Einbildungskraft, – das Andere ist das Vermögen vermittelst des Hervortretens dieser Bilder im sinnlichen Leben das ehemals Empfundene zu vergegenwärtigen, die reproducirende Einbildungskraft.“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 42) Allerdings verarbeitet die reproduzierende Einbildungskraft nicht nur Erlebniserinnerungen, sondern vergegenwärtigt auch Bilder eines jeweils Abwesenden, welches mit dem je Gegenwärtigen in einer Verbindung steht, die entweder Gleichzeitigkeit (coexistirend), zeitliche Folge (succedirend), Ähnlichkeit (Affinität) oder Gegensatz (Contrast) anzeigt. Hegel übrigens legt sich an der systematischen Parallelstelle seiner Enzyklopdie 23 fest und bemerkt, dass die Vorstellungsassoziation jene kognitiven Allgemeinbilder hervorbringe, deren genereller Schematismus genau auf der Schwelle zwischen reproduktiver und produktiver Einbildungskraft stehe – mit einer leichten Neigung zur reproduktiven Seite. Reinhold formuliert hier weniger entschieden, führt aber aus, dass die produzierende Einbildungskraft zum einen von den Zuständen des organischen Lebens abhängig sei (passiv), dass zum anderen aber erst durch sie die Empfindungsvorstellungen und Erinnerungsbilder „als wirkliche Vorstellungen“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 43) ins sinnliche Leben 23 Enzyklopdie (1817), Hegel-AA 13.211, § 375.

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träten (aktiv). Mit einem Wort: Selbst für die Aktivierung von Erinnerungsvorstellungen bedarf es bereits einer nicht mehr nur reproduzierenden Einbildungskraft. Vor dem Hintergrund der systematischen Verschränkung von Einbildungskraft und Sprache in Reinholds Theorie muss verwundern, dass es zu dem, was Hegel an diesem systematischen Ort in der Enzyklopdie ableitet, nämlich zur Sprache als der Grundlage des produktiven Gedächtnisses, kein echtes Pendant in seiner Analyse zu geben scheint. Das aber hat offensichtlich mit der deskriptiv-funktionalen, nicht genetischarchitektonischen Deduktion des Vorstellungsvermögens zu tun und erhält damit den besonderen, schon angedeuteten Sinn: Reinhold lässt die Sprache nicht dem Übergang von der Einbildungskraft ins Gedächtnis genealogisch entspringen, sondern setzt sie systematisch für das gesamte Vorstellen schon voraus. Das hindert ihn nicht daran, ähnlich wie Hegel, von der Einbildungskraft zum prozeduralen und semantischen Gedächtnis überzugehen. Zwar nennt Reinhold dieses Gedächtnis „sinnliches“ und bestimmt seine Funktion als das „Vermögen, unverändert fortdauernde Bilder zu erwerben und zu behalten“, doch wird klar, dass eine solche Verwaltung der unveränderten Bilder und kognitiven Schemata eines semantischen Ordnungssystems und damit des Mediums der Sprache bedarf, deren das sinnliche Erinnerungsvermögen noch entbehren kann. Das sinnliche Gedächtnis hat für Reinhold selbst keine Vorstellungen, sondern bereitet den Stoff der Vorstellungen des sinnlichen Erinnerungsvermögens nach Assoziationsgesetzen auf, die der reproduzierenden Einbildungskraft angehören. Hegels „Entdeckung“ der Differenz zwischen vorsymbolischer Erlebniserinnerung und einem zum produktiven Gedächtnis der Sprachsymbole sich befreienden semantischen Gedächtnis ist nicht weniger auch eine „Entdeckung“ Reinholds, der in fast identischen Worten anmerkt, dass das Gedächtnis „von dem besagten Erinnerungsvermögen unzertrennlich ist, und im gemeinen Sprachgebrauch mit demselben gemeiniglich vermengt und verwechselt werde“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 44). Auf der methodischen Ebene scheint Reinhold genealogisch vorzugehen, vertieft aber in seinem Gang durch die Vermögen des theoretischen Ich dessen Bestimmungen, indem sie ihrem eigentlichen Prinzip immer näher kommen: dem Vermögen zur symbolischen Repräsentation durch die Wortsprache und ihrer Begriffe. Mit dieser Deutung stimmt zusammen, dass am Ende dieses scheinbar traditionellen Durchgangs durch die Seelenvermögen das Vermögen der Phantasie von der Erinnerung, nicht aber vom Gedächtnis abgekoppelt wird. Denn die

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Abb. 1

Phantasie bestimmt Reinhold als Einbildungskraft, die ohne Erinnerung vorstellt, aber dennoch nicht aus Nichts schafft, sondern die aus Empfindungen geschöpften Bilder willkürlich (aktiv) oder unwillkürlich (passiv) zu bloßen Einbildungen verwandelt, die das Empfundene in den veränderten Bildern gerade so vergegenwärtigen, wie es nicht empfunden wurde. Die Bestimmung der Phantasie zeigt die eigentliche „Entdeckung“ der späten Vorstellungstheorie Reinholds. Es ist der Punkt, an dem die theorieaufwendigsten Begründungsleistungen zu geben sind, denn Reinhold bleibt nicht verborgen, dass mit der simplen Behauptung, die Wortsprache sei Bedingung der denkenden Vorstellung, noch nichts begrndet ist. In der Tat bemerkt er zu Beginn des neunten Hauptstücks, dass alle Bestimmungen zum denkenden Vorstellen ohne Reflexion auf die Sprache „als des wesentlichen Vorstellungsmittels des Denkens, und der nothwendigen Bedingung des denkenden Vorstellens“ (Erkenntnisvermçgen, 62) unvollständig blieben. Doch es gehört zu den Ungereimtheiten und schriftstellerischen Ungelenkheiten des philosophischen Autors Reinhold, dass die entscheidende Begründung in den einschlägigen Kapiteln zunächst unter einem Wust pedantisch-scholastischer Unterscheidungen, wie etwa der Dihairese des Vorstellens (vgl. Abb. 1) zu verschwinden droht, um dann erst in den Beilagen zu den einzelnen Kapiteln am Ende des Buches gleichsam nachgereicht zu werden. Der entscheidende Zusammenhang ist das Problem der Vermengung des empirischen Vorstellens mit dem denkenden Vorstellen und des denkenden Vorstellens mit dem reinen Denken, dessen Unterscheidung

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Reinhold so beharrlich beschäftigt.24 Auf den Punkt gebracht wird es erst in den Beilagen II–IV („Ueber das Wesen der menschlichen Sprache“ und „Zur Beschreibung des menschlichen Bewußtseyns“) als das in den 24 In der Beilage IV („Zur Beschreibung des menschlichen Bewußtseyns“) wird dieser, das reife Denken Reinholds konstellierende Zusammenhang klarer bestimmt als an anderen Stellen seines Spätwerks. Das vorstellende, aber nicht denkende Bewusstsein kann zwar nicht per se schon Bewusstsein genannt werden, erfüllt aber dessen Minimalvoraussetzung, stets eine „Art der Vergegenwrtigung“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 248) zu sein. Als Empfindung ist die sinnliche Vorstellung schon im unwillkürlichsten Gewahrwerden eine Art Bewusstsein als „afficirte[r] Leib“ (ebd., 249). Das sowohl denkend-vorstellende als auch vorstellend-denkende menschliche Bewusstsein geht über die reine Vergegenwärtigung des Sinnlichen, also das reine empirische Bewusstsein, hinaus. Während das empirische sinnliche Bewusstsein nichts als Veränderliches und Unmittelbarkeit wahrnimmt, hat das vorstellend-denkende Bewusstsein eine Unmittelbarkeit, die das Unveränderliche (= Göttliche) am Veränderlichen (Welt) zum denkend Vorstellbaren macht; diese Unmittelbarkeit nennt Reinhold auch (Wahrheits-)Gefühl. In dieser Un-Mittelbarkeit steckt aber zugleich eine Mittelbarkeit, in der das Übersinnliche durch Begriffe vermittelt werden kann; dieses Medium ist die Wortsprache, so dass die Synthesis von Wahrheitsgefühl und Wortsprache zum Proprium menschlicher Erkenntnis wird (ebd., 250). Das wortsprachlich fundiert denkende Vorstellen weist allerdings zugleich über sich selbst als vorstellendes Bewusstsein hinaus, woran es zunächst durch ein unbestimmt bleibendes bersinnliches Gefühl erinnert wird. Dieses „Lebensgefühl“ (ebd., 251), wie Reinhold sagt, ist von Begriff und Wortsprache unabhängig und macht eine „unmittelbare Gegenwart des denkenden Urwesens“ (ebd., 251) präsent. Unsere Vernunft ist deshalb nicht nur durch wortsprachliches Begriffsdenken gekennzeichnet, sondern zugleich durch ein Vernehmen des Hervortretens dieses Lebensgefühls als Gewissen und Glaube. Für Reinhold impliziert menschliche Erkenntnis daher das Ensemble von übersinnlichen Wahrheitsgefühlen, sinnlichen Wahrnehmungen bzw. Erinnerungsvorstellungen und Begriffen (als den durch die Wortsprache vermittelten Vorstellungen). Das menschliche Vorstellen und Denken weist an sich selbst auf eine ihm überhobene Sphäre des schlechthin denkenden, aber nicht vorstellenden Bewusstseins, das auch als „an sich ursprüngliche[s] Bewußtseyn“ (ebd. 247) bezeichnet wird. Wahrheit an sich ist in Reinholds spätphilosophischer Wahrheitskonzeption die „positive Gewißheit des Urwahren an dem Wahren“ (ebd., 248), die als Adäquation mit sich selbst zugleich als jene „Offenbarkeit“ erscheint, kraft welcher der Schöpfer sich selbst und seiner Schöpfung als Schaffender durchsichtig wird. Damit schließt sich der Kreis des von Reinhold gestifteten bewusstseinstheoretischen Zusammenhangs: Während sich dem empirischen Bewusstsein nur das Veränderliche am Veränderlichen aufschließt, wird dem denkend-vorstellenden Bewusstsein das Unveränderliche am Veränderlichen gewahr, demgegenüber allein ein nicht-vorstellendes Denken das Ansich-Unveränderliche zu erfassen vermag.

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entsprechenden Hauptstücken rätselhafterweise undiskutiert gebliebene Problem des Zusammenhangs zwischen Begriff, Schematismus und Sprache. Auf dessen Lösung wird er offensichtlich durch G. E. Schulzes Psychologische Anthropologie gebracht,25 denn kurz gesagt behauptet Reinhold, dass die kognitiven Schemata selbst nicht bildlich, auch nicht abstrakt-bildhaft, sondern diskursiv und auch nur als diskursive Einbildungskraftsynthesen auf Erfahrungsgegenstände angewendet werden. Sie mögen nicht der Wortsprache entspringen, können sich aber nur mit ihr entwickeln: „Ohne das Wort würde der Begriff keine Vorstellung, ohne das Denkvermögen keine denkende Vorstellung seyn.“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 225) Nur dadurch, dass die Wortsprache „Denkbilder“ bzw. „Denkzeichen“ bereitstellt, kann das Vorstellungsvermögen des menschlichen Bewusstseins seine Vermittlungsfunktion erfüllen: Als Denkbild zeigt die Sprache ihre Verwandtschaft zum Schematisieren der Einbildungskraft, als Denkbild zeigt sie ihre Verwandtschaft zum reinbegrifflichen Denken. Daher ist die Wortsprache nicht einfach nur Auffassung, Fixierung oder Mitteilung, sondern „ursprüngliche Erzeugung der Begriffe“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 14). Aus der Binnenperspektive seines systematischen Ansatzes könnte man sagen, Reinhold durchschlage den gordischen Knoten, den das Rätsel des Zusammenhangs von Begriff, Schema und Wort im nachkantischen Frühidealismus bildet, und gehe in dessen Auflösung über Fichte und Jacobi hinaus, um in die Nachbarschaft der Hegel’schen Enzyklopdie von 1817 zu rücken. In der Tat war es dieser systematische Punkt der Klärung des Verhältnisses zwischen dem Schematismus der Verstandesbegriffe und der Sprache, an dem Fichte in seiner Abhandlung über die Sprachfähigkeit des Menschen von 1795 in gewisser Weise gescheitert war – auch, weil er das Schematisieren der Verstandesbegriffe als sprachtranszendent bestimmte, aber zugleich das Entstehen der Vernunftbegriffe aus der Vermittlung von Schema und Sprache erklären wollte.26 Seit Fichtes Sprachabhandlung von 1795, „Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprunge der Sprache“, jenem unterschätzten sprachphilosophischen Pendant zur Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794, war das Problem im Grunde liegen geblieben. Auch in Hegels Enzyklopdie wird es unter der Kleinschrittigkeit und Plausibilität einer geschickten Ableitung des Vorstellungsvermögens und 25 Schulze (1816), 160 – 184. 26 Vgl. Fichte-AA I.3, 110 – 112; FW VIII, 319 – 320.

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der Sprache eher verschüttet denn gelöst, bis Schulze und Reinhold einen neuen Erklärungsversuch unternehmen. Reinholds These lautet, dass sich die Gemeinbilder oder kognitiven Schemata ohne das sprachlich-diskursive Schematisieren der Sprache gar nicht „einfinden“ könnten: „Das Gemeinbild würde sich freylich […] nicht ohne das Denkvermögen, und ohne das, dem menschlichen Denkvermögen nothwendige Wort, (das Denkbild) einfinden können. Aber das Gemeinbild ist keineswegs das Denkbild, und dieses nicht jenes. Beyde werden durch ganz verschiedene Funktionen der, dem Denkvermögen dienenden Einbildungskraft aufgestellt.“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 226) Reinhold spricht der Einbildungskraft ein doppelt produktives Vermögen zu, das sich in einem aufeinander abgestimmten Bild- und Sprachschematismus äußert. Während das Bild dem denkenden Vorstellen zuneigt, strebt die Sprache zum vorstellenden Denken. Dieser Schluss führt zu der Überlegung, Schematismus und Wortsprache seien „durch die Einbildungskraft vermittelte Erscheinungen im Leben des denkenden Einzelwesens“, „und zwar vergegenwärtigende, repräsentirende Erscheinungen. Aber durch die Gemeinbilder werden nur wieder andere, ihnen ähnliche, Erscheinungen, in ihrer Abwesenheit, vergegenwärtigt, durch die Wörter aber, in ihrem Unterschiede von den Gemeinbildern, wird von den Erscheinungen, als solchen, hinweggewiesen, und auf das, denselben zum Grunde liegende, unvernderliche Seyn an sich hingewiesen“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 226). Auf die Letztbegründung der Wortsprache in einem schlechthin sprachtranszendenten Sein an sich, auf das die Sprache nur noch „stumm“ zeigt, kann hier nicht mehr genauer eingegangen werden. Auch wäre genauer zu zeigen, dass das Hegel’sche Pendant zu dieser Letztbegründungsebene, die Sphäre des absoluten Geistes, bei Hegel gerade nicht sprachtranszendent, sondern die sich selbst aussprechende Vernunft ist.27 Im Blick auf die vorliegende komparative Analyse soll nur festgehalten werden, dass Reinhold über Hegel sprachphilosophisch insofern hinausgeht, als in seiner Darstellung die Sprache nicht nur die notwendige Objektivation der Innerlichkeit der Vorstellung ist und ihren Schemata entspringt, sondern umgekehrt diesen selbst noch vorausgeht. Anders gesagt: Sprache ist als Mitte der Mitten das absolute Medium des endlichen Geistes: Wenn nämlich das Vorstellen die verbindende Mitte der Bewusstseinstätigkeiten ausmacht und zwischen dem vorstellenden, aber nicht denkenden einerseits und dem rein denkenden, aber nicht vor27 Vgl. Westerkamp (2008), 187 – 232.

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stellenden Bewusstsein des mit sich selbst übereinstimmenden Urwahren andererseits vermittelt, dann wird die Sprache als diskursives Vorstellen selbst zur Mitte der Vermittlung von sinnlichem und denkendem Vorstellen.

5. Symbolische Reflexion als Beziehungsgrund von Sprache und Vorstellung Das systematische Wechselverhältnis von Sprache und Einbildungskraft birgt ein Theoriepotenzial, das keineswegs auf den Horizont des Deutschen Idealismus beschränkt bleiben muss. Als die beiden untrennbaren – objektiven und subjektiven – Seiten symbolischer Repräsentation bestimmen sie das Verhältnis von Freiheit und Willen auch im theoretischen Ich und berühren Aspekte des Verhältnisses von Sprache und Vorstellungskraft, die im Folgenden, eingedenk der unüberwindbaren geschichtlichen und theoriesprachlichen Differenzen, behutsam mit gegenwärtigen Überlegungen zur Eigenart symbolischer Repräsentation enggeführt werden sollen. Symbolische Reflexion soll dabei jenes Wechselverhältnis von Sprache und Imagination heißen, das durch die Eigenschaften der Situationsunabhängigkeit, Spontaneität, Prägnanz, Multiperspektivität und Äquipotenzialität bestimmt ist. 1) Situationsunabhängig sind Sprache und Imagination durch ihre mediale Struktur präsentischer Abwesenheit. Beide stellen nicht Objekte als Gegenstände vor, sondern repräsentieren diese Objekte, seien sie nun real oder ideal, durch Zeichen oder Vorstellungssynthesen. Seit Wolffs Definition in der Deutschen Metaphysik („Die Vorstellungen solcher Dinge, die nicht zugegen sind, pfleget man Einbildungen zu nennen“28) und Kants Bestimmung in der Kritik der reinen Vernunft (Einbildungskraft ist das Vermögen, „einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen“29) werden Vorstellungen als Vergegenwärtigung abwesender Gegenstände bestimmt. Während die Wahrnehmung immer ein präsentes Objekt hat, bleibt das intentionale Objekt der Vorstellung notwendig abwesend; während die Wahrnehmung eine räumliche Beziehung zum wahrgenommenen Objekt unterhält (und sei sie durch Instrumente hergestellt), muss unsere Vorstellung der Person „Cäsar“ keinerlei räumliche Informationen über diese Person enthalten. 28 Deutsche Metaphysik, Wolff-GW I/2,1.130, § 235. 29 KrV B 151, Kant-AA III.119 – 120.

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Die Abwesenheit des intentionalen Objekts stellt für unser Sprach- und Vorstellungsvermögen keinerlei Problem dar, weil beide unabhängig von weiteren Hilfsmedien sind, also den Charakter von Primärmedien besitzen. Vorstellungen unterliegen nicht den Zwängen der Optik und sind ebenso unabhängig von unserer sensorischen Anatomie wie der Gebrauch der Sprache unabhängig von anderen Instrumenten ist. Daher verhalten sich Vorstellungskraft und Sprachvermögen systematisch komplementär: Ihre Repräsentation ist symbolisch darin, dass sie Abwesendes situationsunabhängig vergegenwärtigen. Sprachliche Symbole sind im Unterschied zu den Signalen animalischer Sprachkommunikation nicht an die unmittelbare Präsenz eines auswärtigen Ereignisses gebunden. Diesen Charakter der Reflexivität, den man mit Gärdenfors detached representation 30 oder mit Deacon symbolic reference 31 nennen kann, kennzeichnet der Umstand, dass ein direktes Bestimmtwerden des Zeichens durch das Bezeichnete ausgeschlossen wird und so die nötige Varianz, Flexibilität und Ambiguität erhält. Nur dadurch gewinnen (normalsprachliche) symbolische Zeichen den Vorzug, nicht für einen Gegenstand (ein Dingliches), sondern selbst schon für Bedeutungen (ein Geistiges) zu stehen. Die Fähigkeit zur symbolischen Prägnanz scheint eine Konsequenz des menschlichen Geistes zum Interpretieren von Zeichen und des Reichtums seiner inneren Vorstellungswelten zu sein. Der Geist übersetzt das Gegebene, von außen Empfangene, in selbstgeschaffene Zeichen, wodurch sich die Heteronomie des Bestimmtwerdens in eine allgemeine Autonomie des denkenden Objektumgangs im Medium symbolischer und allgemeiner Sprachzeichen und damit in ein Moment der Selbstbestimmung verwandelt. 2) Die Spontaneität und Willkürlichkeit des Vorstellungsvermögens lässt sich zum einen mit Kant als Formproduktivität begreifen, sie lässt sich aber auch, mit Reinhold und Hegel, als die Freiheit von jedem unmittelbaren Gegenstandsbezug interpretieren, der in den Formen symbolischer Repräsentation durch einen Bedeutungsbezug ersetzt wird. Im Unterschied zu Wahrnehmungen können Vorstellungen gewollt und willentlich gelenkt werden.32 Einem spontanen Beschluss, den Petersdom hier und jetzt vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen oder das Bild 30 Gärdenfors (2003), 143. 31 Deacon (1997), 59; 179. 32 McGinn (2004), 12 – 17.

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eines Verwandten hervorzurufen, steht nichts Grundsätzliches in der Vorstellungskraft selbst entgegen; aber wir können den Petersdom nicht hier und jetzt wahrnehmen. Die Spontaneität und Willkürlichkeit der Vorstellungen ist also kein passiver Akt, sondern eine Tätigkeit, die auf das Handlungsparadigma der Vorstellung deutet. Zwar ist nach transzendentalphilosophischer Deutung auch die Wahrnehmung qua Spontaneität der Einbildungskraft bereits ein produktiver Vorgang, doch den ungleich weiter reichenden Handlungscharakter der Vorstellung bezeugen ihre beiden Aspekte der willkürlichen Initiation und der willkürlichen Selektivität: Nicht nur können wir den Petersdom willkürlich vorstellen, sondern auch unsere Wahrnehmungserinnerung des Petersdoms „nachjustieren“, um etwa in unserem Vorstellungsbild desselben die Kuppel fortzulassen. Ähnlich willkürlich und selektiv kann die symbolische Repräsentation unserer Wortsprache verfahren. 3) Während Signale in ihrer Bedeutung festgelegt sind, verweisen sprachliche Symbole auf eine reiche, situations- und instinktunabhängige Vorstellungswelt; während Signale innerhalb einer Spezies weitgehend identisch sind, diese Spezies also nicht whlen kann, was sie äußert, sind Symbole arbiträre Konventionen, die man lernen muss, um verstanden zu werden – und die geteilt werden können.33 Nur Symbole machen das Innere der Vorstellungen äußerlich mitteilbar. Die dafür nötige indirekte Referenz bedingt, dass wir Symbole immer auch anders interpretieren könnten – und können müssen. Ob die Wellenlinie (die Cassirer in seiner Philosophie der symbolischen Formen als ein Beispiel für diesen Aspekt der symbolischen Prägnanz anführt) eine Sinuskurve, ein Kultzeichen oder eine Hogarth’sche Schönheitslinie ist,34 hängt davon ab, ob wir sie durch ein ästhetisches, mathematisches oder physikalisches Symbolsystem entschlüsseln wollen. Ein damit zusammenhängender Aspekt ist der der Multiperspektivität sprachlicher Zeichen. Nur als symbolische können sie höchst verschiedene Funktionen übernehmen. Michael Tomasellos Studien haben gezeigt, welchen entscheidenden Schritt der frühkindliche Spracherwerb mit der Beherrschung dieser Multifunktionalität von Symbolen vollzieht, die das Kleinkind einüben lassen, dass ein und derselbe Gegenstand „zugleich eine Rose, eine Blume und ein Geschenk“35 meinen kann. Erst durch die Multiperspektivität einer symbolischen Ordnung gewinnen 33 Vgl. Gärdenfors (2003), 143. 34 Cassirer (2004), 257 – 259. 35 Tomasello (1999), 140.

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Phänomene für uns Prägnanz. Die symbolische Ordnung lässt unserer Imagination und Vorstellungskraft die Freiheit, Zeichen anders interpretieren zu können, weshalb Symbolsystem und Vorstellungsvermögen in einem Wechselverhältnis symbolischer Repräsentation stehen, für das der späte Reinhold die Formel vom „diskursiven Vorstellen“ geprägt hat. 4) Die unhintergehbare Symbolizität des Denkens meint zweierlei: Zum einen, dass wir Symbole nicht nicht interpretieren und zum anderen, dass wir sie immer auch anders interpretieren können. Dieser Zusammenhang von nicht festgelegter Referenz, Situationsunabhängigkeit und Multiperspektivität bewirkt, dass eine mit symbolischen Zeichen organisierte Sprache, anders als jede signalgesteuerte Kommunikation, erstaunlicherweise in fast jeder gegebenen Situation zur Anwendung kommen kann: „The extraordinary evolutionary advantage of language lies in its amazing ability to be put to use in any situation. We will call this crucial property of language ‘equipotentiality’. For any situation, real or imaginary, there is always a way to use language to express thoughts about that situation.“36 Zu dieser Äquipotenzialität verhilft der symbolischen Repräsentation eine eigentümliche Synthesisleistung, die der Vorstellungskraft verschwistert ist. Fauconnier und Turner haben in ihrer Konzeption des conceptual blending gezeigt, wie eine sprachgesteuerte Vorstellungskraft verschiedene semantische Felder bzw. kognitive Schemata aufeinander beziehen und aus ihnen neue Semantiken generieren oder ihre verborgenen Bezugs- und Tiefenstrukturen freilegen kann. Dazu ist jene Wechselwirkung zwischen Sprache und Imagination erforderlich, die sich in eine eigentümliche Rückkopplungsschleife fädelt: Bewusstsein, Imagination und Erfindungskraft bringen Techniken oder Symbolsysteme hervor, mit denen eine neue, zuvor unerschlossene Dimension der Vorstellung eröffnet werden kann, die wiederum Veränderungen an der symbolischen Ordnung hervortreibt. Daher scheint diejenige symbolische Ordnung dem Vorstellungsvermögen am gemäßesten, in der mit einer übersichtlichen Menge an Zeichen ein Optimum an Ausdrucksmöglichkeiten und ein Maximum an Flexibilität erreicht wird. Aus diesem Grund privilegieren Reinhold und Hegel die Alphabetschrift der Wortsprache.

36 Fauconnier/Turner (2002), 179.

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6. Sprache als Freiheit der Vorstellung: Die linguistische Wende im Deutschen Idealismus Dass unsere Imagination im „produktiven Gedächtnis“ (Hegel) bzw. im „diskursiven Vorstellen“ (Reinhold) der Sprache ihre Freiheit erreicht, dass sie ihre Vorstellungssynthesen zur Sprache befreit, ist eine sprachphilosophisch folgenreiche Idee, die Reinhold und Hegel aus den je verschiedenen Perspektiven ihrer systematischen Deduktionen des Vorstellungsvermögens gewinnen. Ihre Konzeption scheint auch deshalb fruchtbar, weil sie das Sprachproblem nicht aufraffen, sondern aus dem systematischen Tiefenraum ihrer Philosophien des Geistes herleiten. Reinholds und Hegels Konzeptionen befreien den Sprachbegriff von seiner instrumentalistischen, allerdings nicht schon von seiner mentalistischen Bestimmung: Sprache bleibt primär Ausdruck unserer Vorstellungen, Expression unserer Innerlichkeit. Dass die Sprache Ausdruck der Freiheit der Vorstellung ist, heißt aber nicht, dass sie auch zum Ausdruck der Freiheit von der Vorstellung würde. Im Unterschied zur strukturalen Ideensemantik Lockes, dessen Theorie den Diskurs der Sprachphilosophie der Aufklärung eröffnet, gilt Reinhold und Hegel die Sprache nicht mehr als sekundär gegenüber den Vorstellungen. So können beide die Einseitigkeiten des mentalistischen Sprachparadigmas relativieren und dennoch zeigen, dass es einen guten Sinn hat, in diesem Paradigma zu verbleiben: Nur so wird der Zusammenhang von Sprache und Einbildungskraft plausibel, den die symbolische Repräsentation stiftet: „Und dennoch ist es unläugbar die Sprache, und nur sie, wodurch der, dem menschlichen Erkenntnißvermögen eigene, und wesentliche Zusammenhang zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermçgen im Menschen zunchst vermittelt wird“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 3 – 4). In dem Prinzip der symbolischen Reflexion kommt, für die nachhegelsche Moderne zentral, der Riss zwischen Idealem und Realem, die Auflösung ihrer unmittelbaren Beziehung, zum Tragen. Gegenüber der kritisierten philosophischen Tradition suchen Hegel und Reinhold die Sprache im theoretischen Ich zu verankern, näher im Übergang von der Vorstellung zum Gedächtnis bzw. im Übergang von der Einbildungskraft zum Denken. Freilich muss sich diese zentrale Stellung der Sprache unterschiedlich auf die Systematik ihrer jeweiligen Philosophien des Geistes auswirken: Bei Hegel wird sie zum Beziehungsgrund des endlichen und des absoluten Geistes, der sich als Vernunft

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selbst ausspricht, während sie bei Reinhold zum Unterscheidungsgrund zwischen dem diskursiven Vorstellen des endlichen Erkenntnisvermögens und einem prinzipiell sprachlosen Sein an sich wird. Denn die „Idee von Gott nöthigte [uns], an dem Urwesen […] ein Denkvermögen vorauszusetzen, das keines Dienstes durch Sprache und Sinnlichkeit fähig und bedürftig ist“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 6 – 7).37 Wenn das rein denkende, sprachtranszendente und sprachlose Bewusstsein das Urwahre selbst sein soll, so zeigt sich darin der sprachphilosophische Chiasmus, der das Prinzip und die Methode der Konzeptionen Reinholds und Hegels konstelliert. Während der späte Reinhold eine sprachtheoretische Wahrheitsexplikation unternimmt, deren Fundament in einer sprachlosen Idealität aufgesucht wird, formuliert Hegel eine idealistische Wahrheitsexplikation, deren Letztbegründung in dem SichAussprechen eines vernünftigen Absoluten erreicht wird. Hegels Vertrauen in die Sprache der Vernunft scheint Reinholds Reduktion diskursiven Denkens auf das transdiskursive Fundament der Wahrheitsidee schroff entgegenzustehen. Man kann dessen Position aber auch wohlwollend rekonstruieren: Indem Reinhold die Sprache in der Sphäre des endlichen, vorstellend-diskursiven Geistes belässt und nicht auf einen absoluten Geist ausdehnt und dadurch metaphorisiert, wirkt seine Sprachreflexion „anschlussfähiger“. Die Neubestimmung des systematischen Ortes der Sprache, diese „linguistische Wende“ in der Philosophie des subjektiven Geistes, kommt bei Reinhold und Hegel zu ähnlichen Ergebnissen mit je anderen Konsequenzen für die Bestimmung des Geistes und des systematischen Prinzips beider Philosophien. Die Vermittlungsleistung zwischen Sinnlichkeit und Denkvermögen wird komplementär aufgespalten und der Sprache ein zentraler Ort innerhalb ihrer Synthesis zugesprochen. H.-J. Cloeren hat die wenig plausible These vertreten, dass Reinholds Sprachphilosophie das Denken des Wiener Kreises vorwegnehme.38 Mit dieser abenteuerlichen Behauptung war niemandem geholfen: Weder beleuchtet sie die Vorläuferschaft des Wiener Kreises, noch ist sie dazu angetan, das Verständnis der komplizierten Spätphilosophie Reinholds zu vertiefen. Aber vielleicht lässt sich zeigen, wie die Einrückung der 37 „Offenbar ist also das Denkvermögen, die Sprache und die Sinnlichkeit in uns nicht nur berhaupt unzertrennlich, sondern auch das Denkvermögen hängt mit der Sinnlichkeit, und diese mit jenem, zunächst durch die Sprache zusammen […]“ (Das menschliche Erkenntnisvermçgen, 6). 38 Cloeren (1972), 225 – 236. Zum Thema auch: Gerten (2006), 167 – 192.

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Sprache ins Zentrum ihrer jeweiligen Philosophien des Geistes sowohl beim späten Reinhold als auch beim Hegel der Enzyklopdie um 1817 zu einer „linguistischen Wende“ führt, die für eine Gesamtsicht des Deutschen Idealismus nicht folgenlos bleiben kann – eine linguistische Wende freilich, in deren Horizont diskursive Satzwahrheit noch von der Seinswahrheit eines „absoluten Geistes“ (Hegel) bzw. „Urwahren“ (Reinhold) umgriffen wird. Das unterscheidet die linguistische Wende des Deutschen Idealismus von 1816/7 unüberwindbar von derjenigen, die im 20. Jahrhundert unsere kommunikativen, performativen und medialisierten Äußerungen unwiderruflich zu „sprachrelativen“39 gemacht hat.

39 Davidson (1986), 282; Schnädelbach (2000), 203.

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Literaturverzeichnis Bondeli, Martin (1995): „Reinhold und Hegel“, in: Hegel-Studien 30, 45 – 87. Cassirer, Ernst (2004): „Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie“ (1927), in: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 17, hrsg. von B. Recki und T. Berben, Hamburg, 253 – 282. Cloeren, Hermann-Josef (1972): „Philosophie als Sprachkritik bei K. L. Reinhold. Interpretative Bemerkungen zu seiner Spätphilosophie“, in: KantStudien 63, 225 – 236. Davidson, Donald (1986): Wahrheit und Interpretation, Frankfurt/M. Deacon, Terrence William (1997): The Symbolic Species. The Co-Evolution of Language and the Brain, New York/London. Fauconnier, Gilles/Turner, Mark (2002): The Way We Think. Conceptual Blending and the Mind’s Hidden Complexities, New York. Gärdenfors, Peter (2003): How Homo Became Sapiens. On the Evolution of Thinking, Oxford. Henrich, Dieter (1975): „Formen der Negation in Hegels Logik“, in: HegelJahrbuch 1974, Köln, 245 – 256. Gerten, Michael (2006): „Sprache und System. Zu K. L. Reinholds viertem, sprachphilosophischen Systemwechsel“, in: K. L. Reinhold. Am Vorhof des Idealismus, hrsg. von P. Valenza, Pisa/Rom, 167 – 192. Hume, David (1975): An Enquiry concerning Human Understanding, hrsg. von L. A. Selby-Bigge/P. H. Nidditch, Oxford. Loock, Reinhard (2007): Schwebende Einbildungskraft. Konzeptionen theoretischer Freiheit in der Philosophie Kants, Fichtes und Schellings, Würzburg. McGinn, Colin (2004): Mindsight: Image, Dream, Meaning, Cambridge (Mass.)/ London. Reinhold, Karl Leonhard (1808): Anfangsgrnde der Erkenntniß der Wahrheit, Kiel (Anfangsgrnde). — (1812): Grundlegung einer Synonymik fr den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften, Kiel (Synonymik). — (1816): Das menschliche Erkenntnißvermçgen aus dem Gesichtspuncte des durch die Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermçgen, Kiel (Das menschliche Erkenntnisvermçgen). — (1817): Ueber den Begriff und die Erkenntniß der Wahrheit, Kiel (Wahrheit). Scheier, Claus-Artur (2000): „Die Negation im Dasein. Zum systematischen Ort eines methodischen Terminus in Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Hegels Seinslogik, hrsg. von A. Arndt und Chr. Iber, Berlin, 202 – 214. Schnädelbach, Herbert (2000): Philosophie in der modernen Kultur, Frankfurt/M. Schulze, Gottlob Ernst (1816): Psychologische Anthropologie, Göttingen. Tomasello, Michael (1999): The Cultural Origins of Human Cognition, Cambridge (Mass.)/London. Valenza, Pierluigi (2003): „Das Verhältnis zwischen Denken und Sprache in der Spätphilosophie Reinholds“, in: Die Philosophie Karl Leonhard Reinholds, hrsg. von M. Bondeli und W. H. Schrader, Amsterdam/New York, 283 – 301.

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Westerkamp, Dirk (2008): „Übereinstimmung des Seyns an sich“. Die Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs, in: Am Rande des Idealismus. Studien zur Philosophie Karl Leonhard Reinholds, hrsg. von W. Kersting und D. Westerkamp, Paderborn, 187 – 232.

Reinholds Erkenntnistheorie des Dissens Sven Bernecker Abstract: This paper explains and defends Reinhold’s epistemology of disagreement. The concept of agreement is of central importance for Reinhold’s philosophy. He attempts to settle the most basic disputes among post-Kantian philosophers by offering intermediate positions that reconcile the seemingly incompatible views. Moreover, Reinhold argues for epistemic objectivism, that is, the thesis that a group of philosophers sharing the same information and respecting each other’s opinion may not reasonably disagree. If the members of such a group search for truth then they must converge toward consensus. Disagreement is irrational.

1. Die elementarphilosophische Bedeutung der Allgemeingeltung Die Elementarphilosophie tritt mit dem Anspruch auf, die von der kritischen Philosophie postulierten Dualismen ontologischer, epistemologischer und ethischer Art zu begründen. Beispiele solcher Dualismen sind die Begriffspaare Sinnlichkeit/Verstand, Phänomenon/Noumenon, sensible/intelligible Welt sowie theoretische/praktische Vernunft. Diese Dualismen sind sachlich ebenso schwer zu plausibilisieren wie sie innerhalb des Kritizismus zu rechtfertigen sind. Um sie angemessen begründen zu können, müssen sie Reinhold zufolge aus einem übergeordneten Begriff oder Grundsatz abgeleitet werden. Die historische Relevanz der Reinhold’schen Elementarphilosophie besteht darin, das methodologische Ideal des Monismus in die nachkantische Debatte eingeführt zu haben. Unter Voraussetzung des methodologischen Monismus muss der Kritizismus von einem obersten Grundsatz ausgehen, aus dem alle Theoreme entwickelt werden. Tatsächlich verfügt die Kritik der reinen Vernunft über einen solchen obersten Grundsatz, den „Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption“. Dieser Grundsatz lautet: „jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfah-

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rung“1. Obgleich Kant erklärt, man müsse an diesen „oberste[n] Grundsatz […] allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften“2, unternimmt er keinen Versuch, die Dualismen aus dem Grundsatz abzuleiten. Da es Aufgabe der Elementarphilosophie ist, die methodischen Defizite der Kritik der reinen Vernunft zu überwinden, ist Reinhold bemüht, die Theoreme der Kritik der reinen Vernunft aus einem neuen obersten Grundsatz abzuleiten. Der oberste Grundsatz der Elementarphilosophie ist der Satz des Bewusstseins: „Im Bewußtseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beyde bezogen“3. Dass die Elementarphilosophie vom Satz des Bewusstseins als oberstem Grundsatz ausgeht, ist also sowohl ein Zeichen für ihre Verbundenheit mit der Kritik der reinen Vernunft als auch für ihren Anspruch, sie zu überbieten. Als selbstevidente Überzeugung nimmt der Satz des Bewusstseins innerhalb der Elementarphilosophie die Rolle der Begründungsbasis ein. Er ist der Schlussstein aller Begründung, derjenige Satz, von dem her alle anderen Lehrsätze der Philosophie ihre Gewissheit erhalten und der durch sich selbst begründet ist: „Nur durch diesen obersten Grundsatz erhalten alle übrigen zu derselben Wissenschaft gehörigen Sätze, erhält der ganze Inhalt die Einheit Einer Wissenschaft“4. Ohne die Annahme eines obersten Grundsatzes würde jeder Lehrsatz innerhalb eines philosophischen Systems durch weitere Lehrsätze begründet werden. Das würde aber bedeuten, dass, um auch nur einen Lehrsatz wissen zu können, eine unendliche Kette von Begründungen durchlaufen werden muss. Die Einführung eines durch sich selbst, unabhängig von anderen Lehrsätzen, gerechtfertigten Grundsatzes bringt den infiniten Regress der Begründung zum Stillstand.5 1 2 3 4 5

KrV A158/B197, vgl. Reinhold, Fundament (1791) S. 68, RGS 4.45. KrV B 136 Anm. B134. Beitrge I, S. 167; s. a. Reinhold, Fundament (1791) S. 78, RGS 4.50. Beitrge I, S. 119. Obwohl der durch den Satz des Bewusstseins ausgedrückte Inhalt keiner Begründung fähig ist, kann der Status des Satzes als eines Grundsatzes durchaus begründet werden. Um den Satz des Bewusstseins als den Grundsatz der Philosophie zu begründen, muss gezeigt werden, dass sich alle philosophischen Lehrsätze aus ihm ableiten lassen. Solange die „[Folge]Sätze der Elementarphilosophie nicht wirklich und allgemeingültig aus [dem Satz des Bewusstseins] abgeleitet sind: so lange kann er auch nicht als unmittelbar erster Grundsatz dieser Wissenschaft gelten.“ (Beitrge I, S. 150 f.)

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Weil der oberste Grundsatz den Begründungsregress beenden soll, muss er durch sich selbst begründet sein. Der von Reinhold eingeführte Fachterminus für die selbstbegründende und selbstverifizierende Eigenschaft des ersten Grundsatzes ist „Allgemeingültigkeit“. Ein Satz ist dann allgemeingültig, wenn er „von jedem, der ihn versteht, als wahr befunden wird“6. Der Grundsatz muss aber nicht nur von jedem, der ihn versteht als wahr befunden, sondern er muss tatsächlich von jedermann verstanden werden können. Reinholds terminus technicus für die Selbstevidenz und direkte Erkennbarkeit des Grundsatzes ist „Allgemeingeltung“. Ein allgemeingeltender Satz kann unmittelbar verstanden werden, ohne dass dieses Verständnis die Kenntnis und Anerkennung irgendwelcher philosophischer Theorien oder Argumente voraussetzt. Auf den Satz des Bewusstseins Bezug nehmend schreibt Reinhold: Den Satz muss „jedermann verstehen […], der sich durch ihn nichts als den blossen Satz des Bewußtseyns und folglich kein Philosophisches Theorem über Objekte, die Vorstellung, und das Vorstellende denkt, welches freylich der Satz an sich nicht verhindern kann“7. Reinhold zufolge setzt jede Theorie und jedes Argument allgemeingeltende Prinzipien voraus, da in jeder Theorie von Voraussetzungen ausgegangen wird, die innerhalb der Theorie weder begründet noch eigens thematisiert werden: „Jeder schreibende Philosoph setzt wenigstens bey der Klasse von Lesern, für die er schreibt, etwas allgemeingeltendes voraus; denn wie könnte er sonst hoffen verstanden zu werden?“8. Der Grundsatz der Elementarphilosophie allerdings soll nicht nur von einer „Klasse von Lesern“, sondern tatsächlich von allen „gesunden und philosophirenden Köpfen“ verstanden werden.9 Philosophische Theoreme müssen also nicht nur wahr (und zwar notwendigerweise wahr) sein, sondern sie müssen außerdem allgemein für wahr erachtet werden können. Die Allgemeingeltung besteht im breiten Verständnis sowie in der breiten Akzeptanz. Was für philosophische Theoreme insgesamt gilt, gilt für den obersten Grundsatz ganz besonders. Der Grundsatz muss einem doppelten Evidenzanspruch genügen: Er muss zum einen ein evidenter Satz sein in dem Sinne, dass seine Bedeutung durch ihn selbst bestimmt ist; zum anderen muss er allgemein einleuchten. Wenn der oberste Grundsatz allgemeingeltend ist und wenn alle philosophischen Theoreme aus ihm mittels 6 7 8 9

Beitrge I, S. 150; s. a. Versuch, S. 71. Beitrge I, S. 150. Versuch, S. 73. Versuch, S. 71.

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regressiver Deduktion abgeleitet werden, dann sind also auch die philosophischen Theoreme allgemeingeltend und erlauben deshalb keinen Widerspruch. Eine erfolgreiche Grundsatzphilosophie macht den philosophischen Dissens unmöglich. Die Elementarphilosophie steht im Dienst der Streitschlichtung. Freilich kann man nicht erwarten, dass der Satz des Bewusstseins auf einen Schlag jeglichen philosophischen Streit schlichtet. Am Beispiel von Newtons Lehrsätzen erklärt Reinhold, dass es manchmal ein wenig dauert bis allgemeingültige Resultate allgemeingeltend werden.10 Die Lehrsätze Newtons konnten zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung als allgemeingültig, nicht aber als allgemeingeltend angesehen werden. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis im Prozess der Verständigung Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt und die Lehrsätze als allgemeingeltend betrachtet werden konnten.

2. Allgemeingeltung, Konsens und Aufklärung Die Geschichte der Philosophie ist, Reinhold zufolge, eine Geschichte von Meinungsverschiedenheiten. Die Meinungsverschiedenheiten beruhen auf terminologischen Missverständnissen und behindern den Fortschritt der Philosophie. „Jeder redlich geführte Streit unter Philosophen setzt ein Mißverstndnis, entweder von der Seite des Angreifers, oder des Vertheidigers, oder von beyden voraus“11. Um die philosophischen Meinungsverschiedenheiten endgültig zu beenden oder zumindest fruchtbar zu gestalten, müssen die Grundbegriffe der Philosophie definiert werden und es muss ein Konsens hinsichtlich dieser Definitionen erzielt werden. Es müssen also allgemeingeltende Definitionen der philosophischen Grundbegriffe gefunden werden. Der Grundsatz der Elementarphilosophie ist Reinhold zufolge gegen Fehldeutungen und Missverständnisse immun, weil er allgemeingeltend ist. Der Satz des Bewusstseins kann „entweder gar nicht, oder er muß richtig gedacht werden, und er läßt sich insoferne weder durch ein Mißverständnis behaupten noch läugnen“12. Aufgrund seiner Immunität gegen Missverständnisse eignet sich der Satz des Bewusstseins als minimaler Konsens, auf dessen Grundlage fruchtbar philosophiert werden kann: 10 Vgl. Versuch, S. 72. 11 Beitrge I, S. 341. 12 Beitrge I, S. 356.

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Ich sehe nunmehr ein, daß ich die Erörterung der Mißverständnisse, Zweifel und Einwürfe […] durchaus nicht gegen neue Mißverständnisse zu sichern vermag: so lange ich nicht mit meinen Lesern über einen absolutersten Grundsatz einig bin.13

Mit der Postulierung eines ersten Grundsatzes verbindet Reinhold also die Erwartung, dass seine Elementarphilosophie nicht in fruchtlose Debatten verwickelt wird und dass, sobald sie sich durchsetzt, philosophische Streitereien aufhören. Reinholds Forderung nach Allgemeingeltung ist eng verbunden mit seiner Aufklärungskonzeption. Wenn philosophische Grundsätze nicht nur allgemeingültig, sondern auch allgemeingeltend sein müssen, dann können sie auch vom gesunden Menschenverstand eingesehen werden und somit einen Beitrag zur Aufklärung leisten. In der Fundamentschrift erläutert Reinhold den Zusammenhang von Allgemeingeltung und Aufklärung folgendermaßen: So lange nun die Selbstdenker über die letzten Gründe unsere[r] Pflichten und Rechte in diesem und unserer Erwartung im zukünftigen Leben unter sich uneinig seyn werden […] so lange wird der menschliche Geist […] unmndig bleiben müssen.14

Die Aufklärung ist bekanntlich von Kant als der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit definiert worden. Demnach behauptet Reinhold, die Allgemeingeltung der philosophischen Prinzipien sei eine conditio sine qua non der Aufklärung. Wolfgang Schrader bemerkt treffend, dass für Reinhold Grundsatzphilosophie Aufklärung ist.15 Mit der Forderung nach allgemeingeltenden Prinzipien der Philosophie ist nicht nur ein aufklärerisches Programm verbunden, sondern auch die Erwartung, dass philosophische Meinungsverschiedenheiten immer seltener werden bis sie irgendwann ganz verschwinden. In einer Gemeinschaft von aufgeklärten Individuen gibt es keine unbeabsichtigten Meinungsverschiedenheiten. Dass durch den Aufklärungsprozess der Dissens unterbunden wird, ist eine Behauptung, die sich wie ein roter Faden durch Reinholds Werk zieht. In seinem offenen Brief an die in Jena zurückgelassenen Zuhörer aus dem Jahre 1794 schreibt Reinhold beispielsweise, seine Hörer sollten bedenken und nie vergessen, dass sich nur von der Elementarphilosophie 13 Beitrge I, S. III. 14 Reinhold, Fundament (1791), S. VI f., RGS 4.5 f. 15 Schrader 1983, S. 73.

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unter den redlichen Selbstdenkern diejenige Eintracht erwarten lasse, ohne welche dieselben, einander immer entgegenarbeitetende, die ihnen zukommende Lenkung der öffentlichen Überzeugung (opinion publique) sich selber vereiteln müssen – und durch welche ein Volk allein zu derjenigen bestimmten festen Überzeugung gelangen kann, die den Charakter der mit sich selbst einstimmigen gemeinschaftlichen Vernunft und des allgemeinen Willens hat.16

3. Die Allgemeingeltung der Allgemeingültigkeit Reinhold ist davon überzeugt, dass über das allgemeingültige Wahre Einverständnis erzielt werden kann. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und behauptet, dass nur über das allgemeingültige Wahre vollständiges und dauerhaftes Einverständnis erzielt werden kann. Das Einverständnis, das über falsche oder nur zufällig wahre (und also nicht allgemeingültige) Theoreme erzielt wird, ist lediglich partiell und nicht von langer Dauer: So lange also in der Philosophie der durch sich selbst bestimmte Satz nicht gefunden und aufgestellt ist, so lange kommt allen als ausgemacht angenommenen Sätzen der Charakter des ausgemachten nur in einer sehr uneigentlich und schwankenden Bedeutung zu; sie können so lange samt und sonders nur zuflliger weise richtig verstanden werden, und es gibt kein sicheres Mittel sie gegen versteckte Mißverständnisse zu sichern.17

Und an anderer Stelle heißt es: So lange die philosophierende Vernunft die gegebenen absoluten letzten Gründe durch ihre allmählichen Fortschritte noch nicht entdeckt hat, hält sie relativ letzte Gründe für die absoluten, bloß angenommene für die gegebenen; ein Mißverständnis, welches sich durch eine Uneinigkeit mit sich selbst, in den Streitigkeiten zwischen ihren Repräsentanten, und in der Verschiedenheit der angenommenen letzten Gründe die von denselben aufgestellt werden genugsam ankündiget.18

Wenn also hinsichtlich eines philosophischen Theorems Uneinigkeit herrscht, und wenn die Meinungsverschiedenheiten mit der Zeit nicht abnehmen, dann kann Reinhold zufolge davon ausgegangen werden, dass das Theorem nicht allgemeingültig ist. Allgemeingültigkeit ist eine notwendige Bedingung für langfristige Allgemeingeltung und langfristige 16 Reinhold, Zuhçrer (1794) S. 320. 17 Beitrge I, S. 355. 18 Beitrge II, S. 57.

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Allgemeingeltung ist ihrerseits ein Kriterium für Allgemeingültigkeit. Philosophischer Konsens weist auf notwendige Wahrheit hin. Obgleich Reinhold keine Konsenstheorie der Wahrheit à la Habermas19 vertritt, ist er der Ansicht, der Konsens hinsichtlich einer Theorie sei ein Zeichen dafür, dass sie notwendigerweise wahr ist. Solange also keine allgemeingültigen Theoreme entdeckt sind, ist der Streit unter den philosophischen Schulen unvermeidbar. Und wenn sich Philosophen eines Tages nicht mehr streiten, dann liegt das daran, dass sie allgemeingültige Theoreme gefunden haben. Allgemeingültigkeit ist eine notwendige, aber natürlich keine hinreichende Bedingung für Allgemeingeltung. Damit ein philosophisches System Allgemeingeltung beanspruchen kann, muss es Reinhold zufolge außerdem integrativ und auf der Höhe der Zeit sein: Es muss die richtigen Gesichtspunkte philosophisch einseitiger und darum zum Streit führender Meinungen aufnehmen und sie mit anderen, ebenso richtigen Gesichtspunkten entgegengesetzter Meinungen vermitteln. Der von Reinhold postulierte Zusammenhang von Allgemeingeltung und Allgemeingültigkeit setzt die Falschheit des Skeptizismus voraus. Eine Theorie kann als wahr gelten (und konsensfähig sein) ohne wahr zu sein. Vor dem Hintergrund des Skeptizismus ist es unzulässig vom Fürwahrhalten auf die Wahrheit zu schließen. Reinhold bedient sich aber genau dieses Schlusses. Wenn aber die Wahrheit, wie Reinhold sich ausdrückt, „auf Thatsachen“ beruht,20 dann ist es immer möglich, dass das für wahr Gehaltene falsch ist. Es ist also denkbar, dass wir einem kollektiven Irrtum aufsitzen und einer philosophischen Theorie das Wort reden, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmt. Aus Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, scheint Reinhold die vom Skeptizismus ausgehende Gefahr durchweg zu unterschätzen. 19 Habermas 1984, S. 160 Anm. 33, bevorzugt die Bezeichnung „Diskurstheorie der Wahrheit“. Es ist natürlich nicht jeder zufällig zustande gekommene Konsens ein Zeichen für Wahrheit, sondern nur der begründete Konsens: „Wenn wir unter ,Konsens’ jede zufällig zustande gekommene Übereinstimmung verstehen würden, könnte er offensichtlich als Wahrheitskriterium […] nicht dienen. Deshalb ist ,diskursive Einlösung’ ein normativer Begriff: die Übereinstimmung, zu der wir in Diskursen gelangen können, ist allein ein begrndeter Konsensus“ (Habermas 1984, S. 239). „Konsens“ nennt Habermas den Zustand der Übereinstimmung von Gesprächspartnern im Hinblick auf Geltungsansprüche, wobei diese Übereinstimmung normativen und epistemischen Voraussetzungen und Bedingungen genügen muss. 20 Beitrge II, S. 68.

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4. Systemwechsel und Konsens Reinhold ist der Elementarphilosophie nur sieben Jahre (1789 – 1796) lang treu. Zwei Jahre nach seinem Umzug von Jena nach Kiel, im Winter 1795/96, ist er von ihrer Unhaltbarkeit überzeugt und wird zum Verteidiger von Fichtes Wissenschaftslehre. Nach weiteren zwei Jahren, 1799, gibt er auch diese Position wieder auf und entwickelte einen „Zwischenstandpunkt“ zwischen Fichte und Jacobi. Er bleibt nur wenige Monate dieser Position treu. Zur Jahrhundertwende schließt er sich Bardilis Rationalem Realismus an. Im Jahre 1812 ändert er seinen philosophischen Standpunkt abermals und entwickelt eine Sprachphilosophie. Reinholds Bestreben, die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der nachkantischen Philosophie beizulegen, ist nicht nur die treibende Kraft hinter der Elementarphilosophie, die sich dazu auf den Satz des Bewusstseins stützt, sondern auch das Motiv für seine zahlreichen Systemwechsel. Das Ziel eines jeden Systemwechsels ist es, unvereinbar wirkende Positionen innerhalb der nachkantischen Philosophie miteinander auszusöhnen. Es handelt sich um Kompromissvorschläge, die dazu beitragen sollen, der nachkantischen Philosophie zur Allgemeingeltung und somit also auch zur Allgemeingültigkeit zu verhelfen. Der Kompromissvorschlag besteht im Aufzeigen eines den beiden streitenden Parteien noch unbekannten Mittelbegriffs. In einem Brief an Maimon von 1791 geht Reinhold sogar so weit zu sagen, dass Philosophie, die keinen Konsens über Prinzipien herbeiführt, ein „bloßes Gedankenspiel“ bleibt.21 In den Briefen ber die Kantische Philosophie etwa versucht Reinhold zwischen dem religiösen Glauben und der philosophierenden Vernunft zu vermitteln. Reinhold präsentiert Kants Idee des Vernunftglaubens an Gott und die Unsterblichkeit als etwas, das im Streit zwischen dem Klerus und der Philosophie vermitteln kann. Auch die Elementarphilosophie erwächst aus einem Vermittlungsversuch. Da Reinhold den Hauptkonflikt der vorkantischen Philosophie als Konflikt zwischen den eingeborenen Ideen des Rationalismus und den Sinneseindrücken des Empirismus auffasst, schlägt er den Begriff der Vorstellung als Mittelbegriff vor. Der Satz des Bewusstseins hat demnach die Aufgabe, den Streit zwischen Empiristen und Rationalisten beizulegen. 21 KA 3.224.

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Reinholds erste nach dem Umzug von Jena nach Kiel verfasste Schrift ist der Entwurf zu einem Einverstndnisse unter Wohlgesinnten ber die Hauptmomente der moralischen Angelegenheiten als Versuch eines Beytrages zur Luterung und Befestigung der çffentlichen Ueberzeugung. Die Schrift enthält Definitionen der ethischen Grundbegriffe. Sie sollte das Glaubensbekenntnis für einen zu gründenden „moralischen Bund“ darstellen. Reinhold wollte, dass die Mitglieder des moralischen Bundes ihr Einverständnis mit dem Entwurf dadurch bekunden, dass sie zu dessen Verbesserung und weiteren Verbreitung beitragen. Reinholds philosophische Konzeption während seiner größten Annäherung an Fichtes Wissenschaftslehre (1796 – 99) stellt einen weiteren Vermittlungsversuch dar. Das Ziel ist es, die Elementarphilosophie mit der Wissenschaftslehre auszusöhnen. Reinhold ist niemals völlig zur Wissenschaftslehre konvertiert, sondern hat vielmehr versucht, mit Hilfe der Wissenschaftslehre Probleme zu lösen, die innerhalb der Elementarphilosophie auftraten, sich aber mit deren Ressourcen nicht lösen lassen. Im März 1799 gibt Reinhold den „Halbfichteanismus“ auf und entwickelt einen Standpunkt zwischen Fichte und Jacobi. Ziel des „Zwischenstandpunkts“ ist es, die philosophische mit der natürlichen Erkenntnis auszusöhnen. Es soll neben dem idealistisch-theoretisch verstandenen Wissen (Fichte) der realistisch-moralisch verstandene Glaube ( Jacobi) geltend gemacht und beiden Erkenntnisleistungen ihr Ort zugewiesen werden. Reinhold propagiert einen irreduziblen Dualismus von Glauben und Wissen. Ziel des Zwischenstandpunkts ist es „diesen Glauben neben jenem Wissen, und von demselben praktisch unabhngig zu erhalten, ohne der spekulativen Unabhängigkeit jenes Wissens zu nahe zu treten.“22 In der Grundlegung einer Synonymik (1812) schließlich entwickelt Reinhold eine sprachanalytische Kritik an der zeitgenössischen Philosophie. Sein Bemühen ist es, mit Hilfe der Sprachanalyse einen Konsens unter den zeitgenössischen Philosophen herbeizuführen. Reinhold pflichtet Jacobi bei, der in Allwills Briefsammlung (1792) sagt: „Es fehlte 22 Reinhold, Sendschreiben (1799) S. 82. Reinhold erklärt, sein Zwischenstandpunkt sei kein „Coalitionssystem“, sondern der „dritte Standpunkt“ eines Menschen, „welcher, nachdem er die Unabhängigkeit des spekulativen Wissens und des lebendigen Glaubens von einander anerkannt hat, beyde mit einander vergleicht, zum Behuf dieser Vergleichung sich ber beyden schwebend erhält.“ (Reinhold, Sendschreiben (1799) S. 6 f.)

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nur an einer Kritik der Sprache, die eine Metakritik der Vernunft seyn würde, um uns Alle über Metaphysik Eines Sinnes werden zu lassen“23. Mittels der Sprachanalyse sollen die Meinungsverschiedenheiten der Philosophen als bloße Wortstreitigkeiten entlarvt und somit ein Konsens herbeigeführt werden.

5. Reinholds Epistemischer Objektivismus Nachdem die Bedeutung des Konsensbegriffs für Reinholds Elementarphilosophie und seine Systemwechsel erläutert wurde, soll nun auf seine Erkenntnistheorie des Dissens eingegangen werden. Reinhold ist der Auffassung, dass philosophische Meinungsverschiedenheiten Ausdruck unserer epistemischen Unvollkommenheit und Irrationalität sind. Wären wir vollständig rationale Wesen, gäbe es keine echten (d. h. unabsichtlichen) Meinungsverschiedenheiten. Diese Position firmiert unter der Bezeichnung „epistemischer Objektivismus“.24 Reinholds Bekenntnis zum epistemischen Objektivismus findet sich in nahezu allen seinen Schriften. Die vielleicht ausführlichste Behandlung erfährt das Thema zu Beginn des Aufsatzes „Über die Möglichkeit der Philosophie als strenge Wissenschaft“, der im ersten Band der Beytrge zur Berichtigung bisheriger Mißverstndnisse der Philosophen wieder abgedruckt ist. Dort erklärt Reinhold: Jeder redlich geführte Streit unter Philosophen setzt ein Mißverstndnis, entweder von der Seite des Angreifers, oder des Verteidigers, oder von beyden voraus. Der Eine kann sich von der Behauptung des Andern nicht überzeugen, entweder weil er dieselbe und ihre Gründe nicht verstanden hat; oder weil sie wirklich falsch ist. Ist das Letztere der Fall, und sind die Gründe, durch welche der Angreifer diese Falschheit beweist, wirklich wahr, so kann der Streit unmöglich fortdauern, ohne daß diese Gründe von dem Verteidiger mißverstanden wären. Man weiß nicht, daß man sich mißverstanden habe; bevor man nicht auf den Grund des Mißverständnisses gelangt. Dies ist nicht immer, und bei philosophischen Mißverständnissen sehr selten, der Fall; und daher endigen die Streitigkeiten der Philosophen gemeiniglich 23 Zitiert in Reinhold, Synonymik (1812) S. VII. 24 Die Bezeichnung „epistemischer Objektivismus“ stammt von Alvin Goldman 2010, S. 188. Roger White 2005, S. 445, bezeichnet den epistemischen Objektivismus als „uniqueness thesis“. Zu den zeitgenössischen Vertretern des epistemischen Objektivismus gehören Richard Feldman 2006 und 2007, Alvin Goldman 2010, Keith Lehrer 1976 und Roger White 2005.

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damit, daß nichts durch sie entschieden wird, und beyde Theile auf ihrer Meynung beharren.25

Reinhold behauptet, dass aufrichtige (d. h. nicht mutwillige) Meinungsverschiedenheiten zwischen Philosophen auf Missverständnissen beruhen. Diesen Missverständnissen liegt entweder eine unausgewogene oder unvollständige Phänomenbeschreibung oder aber eine fehlerhafte Interpretation der gegnerischen Position zugrunde.26 Wären wir völlig rational und fehlerunanfällig, gäbe es keine philosophischen Meinungsverschiedenheiten. Die Häufigkeit philosophischer Meinungsverschiedenheiten steht in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zum Entwicklungsgrad der philosophierenden Vernunft. In dem Maße, in dem wir uns epistemisch vervollkommnen, nimmt die Zahl der philosophischen Meinungsverschiedenheiten ab. Und was für philosophische Meinungsverschiedenheiten gilt, gilt für alle alethischen (im Unterschied zu ästhetischen, ethischen oder pragmatischen) Meinungsverschiedenheiten gleichermaßen. Alethische Meinungsverschiedenheiten sind das Resultat menschlicher Irrationalität. Auf Reinholds These, dass es Fortschritt in der Philosophie gibt und dass sich der Fortschritt anhand der Meinungsverschiedenheiten messen lässt, kann hier nicht näher eingegangen werden. Worauf stattdessen eingegangen wird, ist Reinholds epistemischer Objektivismus, die These also, dass, wenn wir nur vollständig rational wären, es keine echten (d. h. nicht absichtlichen) Meinungsverschiedenheiten gäbe. Meinungsverschiedenheiten sind irrational. Reinhold ist zwar nicht der erste Vertreter 25 Beitrge I, S. 341 f. 26 Beitrge I, S. 342: „So selten sich aber auch ein Mißverständnis in seinem Grunde äußert, (und daher auch so selten für ein Mißverständnis erkannt wird) so gewiß und so notwendig äußert sich jedes in seiner Folge durch Verschiedenheit der Überzeugung, durch Drang zur Widerlegung, mit einem Worte dadurch, daß man der Behauptung eines andern entweder unmittelbar, oder doch in ihren Folgesätzen, den Beifall zu versagen genötigt wird. Wird die Behauptung selbst und unmittelbar für unrichtig gehalten: so wird das Mißverständnis nicht selten bald genug gehoben, wenn der geleugnete Satz bewiesen, und durch den Beweis die Erklärung seines eigentlichen Sinnes gegeben wird. Allein wenn ein behaupteter Satz aus einem bloßen Mißverständnisse, und folglich in einem ganz andern Sinn, als in welchem er aufgestellt war, zugegeben, und nur eine seiner Folgerungen […] geleugnet wird; – dann wird der Streit endlos, die Parteyen sind in diesem Fall durch einen Satz getrennt, über den sie einig zu sein glauben, der eben darum zwischen ihnen unerörtert bleibt, und der sie, je weiter sie ihren Streit fortsetzen, desto weiter von einander entfernt“.

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des epistemischen Objektivismus, aber er ist zweifelsohne einer der dezidiertesten Vertreter dieser Position. Um die Plausibilität des epistemischen Objektivismus einzusehen, denken wir uns eine beliebige Proposition p. Alle Gründe oder Beweise, die für p sprechen, sprechen gleichzeitig gegen die entgegengesetzte Proposition, ~p. Ein Beweis für die These, dass ich mich in Los Angeles befinde, ist ein Beweis gegen die Behauptung, das ich mich in Wien aufhalte. Ein Beweis für die Existenz der Außenwelt ist ein Beweis gegen den Solipsismus. Ein Beweis für die Existenz von Dingen an sich ist ein Beweis gegen den empirischen Idealismus. Derselbe Sachverhalt oder dieselbe Überzeugung können unmöglich zwei miteinander unvereinbare Propositionen im gleichen Maße begründen. Und wenn es so scheint, als sprächen ein Sachverhalt oder eine Überzeugung sowohl für als auch gegen p, dann sprechen sie tatsächlich weder für noch gegen p. Und wenn nichts weder für noch wider p spricht, dann gibt es keinen epistemischen Grund, p bzw. ~p für wahr zu halten. Sollte ich aber dennoch p bzw. ~p für wahr halten, so handelt es sich um eine irrationale Überzeugung. Nehmen wir an, es sei ein Streit über die Wahrheit von p entbrannt. Beide Parteien beanspruchen für sich, gute Gründe zu haben für die Annahme, dass p wahr bzw. falsch ist. Nehmen wir außerdem an, dass die Streitparteien einander ihre Gründe darlegen. Nachdem kein Grund für und gegen p sprechen kann, legen die Gründe die Wahrheit von p nahe oder sie tun es nicht, tertium non datur. Wenn p durch die dargelegten Gründe Unterstützung erfährt, dann hat diejenige Partei recht, die p für wahr hält. Die Gegenpartei hat dann Unrecht und würde sich irrational verhalten, wenn sie weiterhin an der Wahrheit von p zweifelt. Und wenn die dargelegten Gründe gegen p sprechen, dann hat diejenige Partei Recht, die p für falsch erachtet. Wichtig ist, dass im Falle einer alethischen Meinungsverschiedenheit nur eine der beiden Parteien Recht haben kann. Wenn eine Meinungsverschiedenheit – auch nachdem alle Gründe und Argumente dargelegt wurden – noch fortbesteht, beruht sie auf einem Missverständnis oder ist mutwillig herbeigeführt. Anhaltende Meinungsverschiedenheiten sind das Ergebnis unserer Irrationalität.

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6. Verteidigung des epistemischen Objektivismus 1. Einwand: Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer kognitiven und epistemischen Fähigkeiten. Wenn ich beispielsweise mit einem Kind diskutiere, dann kann es vorkommen, dass wir verschiedene Standpunkte hinsichtlich ein und derselben Proposition einnehmen und sich auch nach längerer Diskussion kein Konsens herausbildet. Widerspricht diese Tatsache dem epistemischen Objektivismus? Reinhold würde, so denke ich, zugestehen, dass es rationale Meinungsverschiedenheiten zwischen kognitiv ungleich entwickelten Personen geben kann. Die These, dass anhaltende Meinungsverschiedenheiten irrational sind, gilt nur für epistemische Peers, für Personen also, die im Großen und Ganzen über ähnliche kognitive Fähigkeiten verfügen. 2. Einwand: Ob eine Überzeugung oder ein Sachverhalt eine andere Überzeugung begründen, ist unter anderem von den Hintergrundannahmen des Subjekts abhängig. Denn Überzeugungen werden mit Bezug auf Hintergrundannahmen und Evidenzen begründet. Denken wir beispielsweise an G. E. Moores (1993) Beweis der Existenz der Außenwelt: indem er seine Hände hochhebt, mit der rechten Hand eine bestimmte Geste macht und sagt „Hier ist eine Hand“, und dann hinzufügt, wobei er mit der linken Hand eine bestimmte Geste macht, „Hier ist noch eine“. Ob dies tatsächlich ein Beweis der Existenz der Außenwelt ist, hängt davon ab, ob man Moores Hintergrundannahmen teilt. Was für Moores Widerlegung des Außenweltskeptizismus gilt, gilt für alle philosophischen Argumente. Ob der naive Realismus durch Humes These von der Unsichtbarkeit der Kausalbeziehung widerlegt wird, hängt ebenso von philosophischen Hintergrundannahmen ab wie die Frage, ob der Solipzismus durch Descartes cogito-Argument widerlegt ist. Die Tatsache, dass philosophische Begründungen häufig auf unartikulierten Hintergrundannahmen beruhen, scheint gegen den epistemischen Objektivismus zu sprechen. Unterschiede hinsichtlich der Hintergrundannahmen können nämlich dazu führen, dass zwei völlig rationale Individuen auf der Grundlage derselben Evidenzen zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangen. Es scheint also, als beruhe der epistemische Objektivismus auf einer stark vereinfachten Konzeption von Begründung. Es ist zweifelsohne richtig, dass Hintergrundannahmen einen entscheidenden Beitrag zur epistemischen Begründung leisten und dass wir uns häufig unserer Hintergrundannahmen nicht bewusst sind. Doch diese

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Tatsache widerspricht nicht dem epistemischen Objektivismus. Denn die Hintergrundannahmen sind, sofern sie rational sind, wiederum von anderen Überzeugungen abhängig, hinsichtlich derer prinzipiell Einverständnis erzielt werden kann, sofern diese Überzeugungen dargelegt werden. Wenn aber alle für eine bestimmte Meinungsverschiedenheit relevanten Hintergrundannahmen aufgedeckt sind, dann verschwindet die Meinungsverschiedenheit oder aber sie verlagert sich und betrifft nicht mehr p selbst, sondern eine der Hintergrundannahmen für p. Es bleibt also festzuhalten, dass anhaltende Meinungsverschiedenheiten das Ergebnis unserer epistemischen Begrenztheit sind. Ein völlig rationales Wesen ist sich aller seiner Hintergrundannahmen bewusst und kann sie angemessen begründen. 3. Einwand: Nicht alle Gründe, die es rechtfertigen, eine bestimmte Proposition für wahr zu halten, sind von der Art, dass man sie diskursiv darlegen kann. Es gibt Gründe eine Proposition für wahr zu halten, die prinzipiell nicht artikuliert werden können. Beispiele für nicht oder nicht vollständig artikulierbare Gründe sind Intuitionen, Ahnungen und instinktive Gefühle. Unter der Voraussetzung, dass es prinzipiell nicht artikulierbare Gründe gibt, ist es möglich, dass sich Meinungsverschiedenheiten auch dann nicht beilegen lassen, wenn sich die Streitparteien epistemisch einwandfrei verhalten. Die Partei, der die diskursiv unzugänglichen Gründe bekannt sind, verhält sich rational, wenn sie sich von den von der Gegenpartei vorgebrachten Argumenten nicht beeindrucken lässt. Und die Streitpartei, der die unartikulierbaren Gründe unzugänglich sind, verhält sich ebenso rational, wenn sie sich nicht von Gründen beeinflussen lässt, die sich für sie nicht nachvollziehen lassen. Wenn es also private Evidenzen gibt, dann können langlebige Meinungsverschiedenheiten durchaus rational sein. Wie lässt sich der epistemische Objektivismus gegen diesen Einwand verteidigen? Der Vertreter des epistemischen Objektivismus kann im Anschluss an Wittgenstein die Möglichkeit privater Evidenzen leugnen. In den Philosophischen Untersuchungen schreibt Wittgenstein: Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schauen; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, dass Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, dass sich ein solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein

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Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann „gekürzt werden“; es hebt sich weg, was immer es ist.27

Worauf Wittgenstein mit dem Käferbeispiel hinweist ist Folgendes: Wenn es keine Vergleichsmöglichkeit gibt, wenn ich also nicht sehen kann, ob mein „Käfer“ dem des anderen gleicht, dann ist es irrelevant, ob unter dem Wort „Käfer“ dieses oder jenes Tier gefasst wird. Solange der Terminus „Käfer“ auf ein anderes unzugängliches Tier verweist, kann man nur von seinem eigenen Käfer sprechen. Das Wort „Käfer“ verliert dann aber seine Bedeutung für die Kommunikation und die Rechtfertigung. Epistemische Rechtfertigung, d. h. die Überprüfung von Behauptungen, findet nämlich im öffentlichen Raum statt, d. h. im Sprachspiel. Was für den privaten Ausdruck „Käfer“ gilt, gilt Wittgenstein zufolge für alle Empfindungsausdrücke. Wenn es unmöglich ist, das, was ich als „Zahnschmerzen“ bezeichne, mit dem zu vergleichen, was ein anderer als „Zahnschmerzen“ bezeichnet, dann verliert dieses Wort seine Relevanz für die Kommunikation und die epistemische Begründung. Um begründeterweise sagen zu können, dass ich Zahnschmerzen habe, muss es möglich sein zu überprüfen, ob meine „Zahnschmerzen“ nicht etwa Ohrenschmerzen sind. Die Quintessenz ist, dass es keine private Rechtfertigung gibt. Bei Reinhold finden sind interessanterweise Passagen, die an Wittgensteins Privatsprachenargument erinnern.28 In der späten Schrift Das menschliche Erkenntnisvermçgen erklärt Reinhold: Dass den usseren Erfahrungsbegriffen ursprüngliche, und eigentliche, den Inneren aber nur abgeleitete, und erborgte Bilder zu Geboth stehen, ist nicht der einzige Vortheil, den die ussere Erfahrung vor der Inneren voraus hat. Zwar besteht auch die Aeussere keineswegs nur aus sinnlichen Wahrnehmungen, sondern auch aus Begriffen des Sinnenfälligen. Aber durch diese Begriffe werden zwar die sinnlichen Wahrnehmungen vorausgesetzt; […] Bey der inneren Erfahrung hingegen, in ihrem Unterschiede von der Aeusseren, werden die Begriffe von den Gemüthzuständen nicht weniger durch die Wahrnehmungen und Erinnerungen dieser Zustände, als diese Wahrnehmungen und Erinnerungen durch jene Begriffe vorausgesetzt.29

Reinhold scheint hier darauf hinzuweisen, dass die Worte, die wir benutzen, um innere Gefühle und Empfindungen zu bezeichnen, in erster 27 Wittgenstein 1984, § 293. 28 Diesen Hinweis verdanke ich Alexander von Schönborn. 29 Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 105.

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Linie öffentlich zugängliche Sachverhalte bezeichnen. Es gibt keine private Sprache, eine Sprache, die Dinge beschreibt, die nur einem selbst zugänglich sind. In der gleichen Schrift lehnt Reinhold die Möglichkeit einer privaten Rechtfertigung ab. Philosophische Theoreme können nicht durch private Evidenzen gerechtfertigt werden, sondern bedürfen öffentlich zugänglicher Evidenzen: [B]ey jeder […] Untersuchung [des menschlichen Erkenntnisvermögens] muss sich, unabwendbar der Schein eines unmittelbaren Unterschiedes und Zusammenhanges zwischen der Sinnlichkeit, und dem Denkvermögen, einfinden, und der Wahn einer, ohne die Dazwischenkunft der Sprache möglichen und wirklichen, wortlosen, und daher auch begrifflosen, innerlichen Wahrnehmung von Beyden, und die Einbildung unmittelbarer Vorstellungen, Anschauungen und Beobachtungen der Gemüthszustände, welche gleichwohl ohne durch die Sprache vermittelt zu seyn auf keine Weise bekannt seyn könnten.30

Reinhold bezeichnet es als einen Wahn zu glauben, es gäbe wort- und begrifflose Wahrnehmungen und Vorstellungen. Mit der Möglichkeit begriffloser Vorstellungen fällt aber auch die Möglichkeit privater Evidenzen. Und wenn es keine privaten Evidenzen gibt, dann müssen sich alethische Meinungsverschiedenheiten zwischen rationalen Peers früher oder später auflösen. Anhaltende alethische Meinungsverschiedenheiten sind demnach das Ergebnis unserer epistemischen Unvollkommenheit und Irrationalität.31

Literaturverzeichnis Feldman, Richard (2006): „Epistemological Puzzles about Disagreement“, in: Stephen Hetherington (Hrsg.), Epistemology Futures. Oxford, S. 216 – 236. Feldman, Richard (2007): „Reasonable Religious Disagreements“, in: Louise M. Anthony (Hrsg.), Philosophers without Gods. Oxford, S. 194 – 214. Goldman, Alvin I. (2010): „Epistemic Relativism and Reasonable Disagreement“, in: Richard Feldman u. Ted Warfield (Hrsg.), Disagreement. Oxford, S. 187 – 215. Habermas, Jürgen (1984): „Wahrheitstheorien“, in: Vorstudien und Ergnzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M., S. 127 – 183. Lehrer, Keith (1976): „When Rational Disagreement is Impossible“, in: No s 10, S. 327 – 332. 30 Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermçgen (1816) S. 9. 31 Für wertvolle Anregungen und Hinweise danke ich Berthold Clewing, Marion Heinz und Violetta Stolz.

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Moore, George Edward (1993): „Proof of the External World“ [1939], in: Thomas Baldwin (Hrsg.), Selected Writings. London, S. 147 – 170. Schrader, Wolfgang H. (1983): „Systemphilosophie als Aufklärung“, in: Studia Leibnitiana 15, S. 72 – 81. White, Roger (2005): „Epistemic Permissiveness“, in: Philosophical Perspectives 19, S. 445 – 459. Wittgenstein, Ludwig (1984): Philosophische Untersuchungen [1953], in: Joachim Schulte (Hrsg.), Ludwig Wittgenstein Werkausgabe, Band 1. Frankfurt/M.

Reinhold on Being, Appearance and Ursein and some Consequences Rolf Ahlers Abstract: The paper investigates being, appearance and Ursein in Reinhold’s Bardili-phase, a time during which he critically positions himself over against Schelling and Hegel. The first part (1) highlights Bardili’s and Reinhold’s being, the basis of their “rational” or “objective realism”. From here (2) Reinhold criticizes Schelling’s “subjective idealism” as one of appearance and of philodoxy. The third part (3) investigates identity in Reinhold and Schelling: Schelling’s philosophy of identity is a philosophy of indifference. But since (4) Reinhold’s criterion of evaluation is a religiously connoted Urwahres, original truth, he is forced to redraft this criterion as a logical principle with its own inherent developmental logic that moves from hypothesis to conclusion. Reinhold formulates a position that is neither a dogmatism, nor a skepticism, but a combination of both. These maneuvers have consequences, specifically for Hegel.

The pivotal influence of the early German Idealist thinker Karl Leonhard Reinhold (1757 – 1823) is increasingly recognized. Reflections presented here on being, appearance and Ursein are central to Reinhold and his influence. My comments limit themselves to the longest period of his creative career, the period identified as “rational realism”. It starts toward the end of 1799 with an abrupt turn away from Fichte to Bardili and positions itself critically over against the Idealism of the young Critical Journalists of Jena, Schelling and Hegel. Reinhold does so in his Beytrge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts. Schelling and Hegel start their Critical Journal of Philosophy at the same time.1 The discussion of the time considered Reinhold’s 1

When the Philosophische Journal, edited by Fichte and Niethammer, fails in 1798, Fichte, pursuing the goal of a new critical journal, hopes to promote together with the brothers Schlegel and Schelling and with the whole Romantic circle the goal of realizing a new critical journal of philosophy. Rebuffed by the Romantics, however, for reasons I cannot here elaborate, Fichte turns to Reinhold. But Reinhold’s own controversy with Fichte not much later causes him to reject his own “Zwischenstandpunkt”, his “position between” Jacobi and Fichte, which he held for only a very brief period, and turns now to Bardili in his pursuit of an “objective” idealism. That both Schelling and Hegel, whom Schelling recruits as co-editor, pursue in their own Critical Journal of Philosophy the same

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Contributions to be of equal weight with Schelling’s and Hegel’s writings in their Critical Journal of Philosophy. The discussion was adversarial. Indeed, it became so heated that Reinhold characterized it as a “war of annihilation”! 2 Those are strong words for the gentle and level-headed Reinhold. He believes at this time he has discovered the true Idealism and he is its prophet.3 His writings, as well as those by Schelling and Hegel and those of the immediate literary environment make an important contribution to the transformation of the tradition of European metaphysics.

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kind of objective idealism as does Reinhold but do so in their critique of Reinhold is one of the ironies of the history of philosophy. See Hegel, Jenaer Kritische Schriften Hegel-AA 4, 533 ff. on the circumstances leading to the Kritisches Journal. Assumed here is Reinhold’s pivotal influence on Hegel despite this new positioning of literary fronts; since this is explained elsewhere, this issue is not detailed here. Reinhold, (1803a): “Über den Vertilgungskrieg zwischen der spekulirenden und der denkenden Philosophie”. The title is revealing: Jacobi used the concept “speculation” consistently with negative connotations, a consequence of his critique of reason in the Kantian mold. For Fichte and Schelling, however, speculation has an eminently positive connotation. Reinhold elevates “thinking” above “speculation”. Also the concept of “thinking” is gaining here in Reinhold’s position between 1800 and 1803 a new prominence, which it did not have in Kant: Kant consistently favored “Erkenntnis”=recognition, which can be empirically verified, over “thinking” which often occupies itself with unverifiable issues. For a very abridged perspective on the history of the concept of “speculation” see Ebbersmeyer (1995) on Kant cols. 1363 – 65, on Fichte’s, Schelling’s and Hegel’s use of “speculation” cols. 1365 – 67. Reinhold is pivotal for German Idealism for three reasons: “First(,) as paving the path for systematic reflectivity, the most important element of the genesis of Early Idealism. But his philosophy is secondly not only the initiator, but remained until 1820 also the constant critic of the developing philosophies of Fichte, Schelling and Hegel. Reinhold’s philosophy accompanies German Idealism to its most extreme periphery and its radical modification in post-speculative modernity. Third, Reinhold’s work is pivotal with his objective influence on further systematic developments since 1800” within German Idealism. Kersting, Westerkamp, (editors), (2008) p. 8. All translations are those of the author except where otherwise noted. Nouns and names, capitalized in contemporary German and also in German of two centuries ago, are not capitalized in English to conform to grammatical correctness of the German original and American English usage today. So with adjectives and verbs: Two hundred years ago and now, both are not capitalized, both in German and English. If, however, adjectives or verbs are capitalized in the original, deviating from the grammatical norm, the English rendition follows that deviation.

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The first part of my essay (1) focuses on Reinhold’s pronounced religious interest in an “original truth Urwahres and “original being”= Ursein in this Bardili-phase of his thought. These are only two of an extensive series of tangent concepts, all of them derivatives of concepts of the long history of metaphysics. This interest forms the basis of Reinhold’s objective Idealism. From this perspective he criticizes – the second (2) part – the subjectivism of Schelling (and of Hegel). Schelling’s philosophy, Reinhold argues with considerable consequences, is no more than a philosophy of error=Scheinphilosophie, indeed, it is philodoxy. This philosophy of error turns out – in part (3) three, in which we turn to the problematic of identity – as a philosophy of indifference. Since an “original truth”, clearly at least at the outset of this period is an ontological corrective to Kant’s agnostic thing in itself with consequent severe restrictions of philosophy to epistemology, 4 is basic to Reinhold, he must, however, reconceive it, among other reasons in order to protect himself against the accusation that his, and Bardili’s, new system constitute a massive dogmatism, a reincarnation of his older Elementarphilosophie. Reinhold finds the shield against that critique (4) in a developmental-logical relationship of hypothesis and conclusion. Some of the consequences of Reinhold’s Bardiliphase distinction between being and appearance are new tensions with Schelling – and less pronounced with Hegel. Another important consequence is Reinhold’s proposal of a series of other theories of which especially Hegel made use during his Jena years. Since Reinhold is a systematic thinker we also point to the continuity in Reinhold’s thought in distinction from the discontinuity otherwise stressed in his thinking. That discontinuity is not denied here but rather presupposed as undeniable. Throughout, the connections of Reinholdian issues discussed to Jacobi and Hegel must be highlighted, for during his Bardili phase both were central, although in different ways, to the debate in which Reinhold is now a dominant discussant. I proceed to the first part of my paper.

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An important book which investigates the reasons here discussed for the return to “speculative metaphysics” in the very vortex of the discussion surrounding Kant’s critique of just such speculation is by Baur, Dahlstrom (1999). Although von Schönborn’s excellent essay on Reinhold points to the pivotal function of Reinhold in that debate, the influence of Reinhold on the emergence of objective and absolute Idealism in Hegel during Hegel’s early and later Jena years is underemphasized. That is the period of Reinhold’s Bardili phase central to our debate.

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Reinhold’s religious interest during his Bardili phase During this “Bardili phase” of his thought, Reinhold begins to use such terms as “truth”, “original truth=das Urwahre”, “the complete principle truth”, “that which is true in itself” 5, which is “neither merely subjective nor objective nor in both ways Absolute”,6 “that which is true through itself”, and the “Other”.7 Other terms he uses are: “something higher” “trans-sensual real” 8, “essence = Wesen” or “Urwesen = original essence”, “being = Sein” and “Ursein=”original being“ 9, the “One” and “the originally One=das Ureine”, the “ground” or “original ground=Urgrund”, as well as “the unconditioned” which can be recognized by the “original light = Urlicht” 10 of reason. Since the beginning of his Bardili phase, 5 Reinhold, (1801a): “Was heißt philosophiren?” p. 70. 6 Reinhold, (1804): Briefwechsel, p. 3. 7 Reinhold, (1800a): “Schelling Review” p. 366. See also (1801c) “Denken als Denken” p.101. 8 Reinhold, (1801 f): “Erste Aufgabe der Philosophie” pp.15 f. 9 The word Ursein, left untranslated in its German original, is composed of the prefix “ur-” and the noun “Sein” = “being”. Many German words contain the prefix “ur-”: “Urgeschichte” = “primeval history”, “Ursache” = “cause”, “Ursprung” = “origin”, “Urstand” = “original state”, “Urwald” = “primeval forest untouched by civilization” and also “Ursein”. The English equivalent of “ur-”, “original” renders the meaning only imperfectly, but it is nonetheless probably the best translation. The prefix “ur-” is etymologically related to modern “Uhr=clock”, which refers to passing of time, so that the prefix “ur-” refers to a “time prior to the passing of time” a golden age from which all that springs which is transient and fallible. There are two versions of “Urzeit” = original time prior to time and “Uhrzeit” = time which the clock tells. The first, “Urzeit” is only inappropriately called “-zeit”, for prior to time there is eternity, not time, but popular Vorstellung calls it the “Urzeit” anyway. The German “Ursache” is generally translated as “cause” or “origin”, but its full meaning emerges in the translation: “governing principle”, the reflective modification of “original issue”. “Ursein” is in its ontological sense the “being” prior to both Sein =being and Schein= error or appearance. As we will see, Reinhold distinguishes between Sein=, Erscheinung=appearance, and Schein=error. Ursein is the criterion distinguishing between the valid appearance of being and its problematic or fake, or deceptive manifestation in mere or erroneous opinion. 10 The term “Urlicht der Vernunft” is taken over directly from Jacobi, see his 1st Sendschreiben an Fichte in (1799) Jacobi-W 1 p. 349:5. In his own (1799) “1st Sendschreiben an Lavater und Fichte”, pp. 318 f. Reinhold rejects subjective and affirms objective Idealism. Objective Idealism is based on “natural” in distinction to “speculative” reason, affirming the first, while rejecting “speculation”. Natural reason is immediate and original knowing and possesses validity.

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he understands his philosophy as grounded in this “originally true = Urwahres”, “Ursein” =original being, or “unconditioned real and…really unconditioned”. 11 I quote: This truth is that “which is True in itself and through itself; it is that through which all that is True has its truth; it is the originally True, which is True prior to Everything else, the Prius jat’ enowgm”.12 Philosophy is then in this theological, i. e. revelatory sense, the application or execution of this original trans-sensual ground. For philosophy is intimately tied to that ground. We note Reinhold stresses the “first task of philosophy” of his rational, not logical realism (Bardili is a logical realist) is only one single task that must be seen as a single principle. It is nothing less than “the manifestation of the original being in the essence of things, or the revelation of God in nature”.13 Executing this principle is no longer a practical task however, as in the “Zwischenposition”,14 the “position between Jacobi and Fichte”. True philosophizing is now a theoretical task. The “originally True” and “Absolute” is “true in and through it15 self”. It is that which is “exclusively possible and truly real”.16 “From it

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Unmediated knowing is identified by Reinhold with Jacobi as “faith” the “Original Light” knowing “Truth itself”. See on this passage Schrader, (1993) p. 87, and Lauth, (1974b) p. 250. Reinhold, (1801 f.): “Erste Aufgabe der Philosophie” p. 29. Reinhold, (1801a): “Was heißt philosophiren?” p. 71. See also his characterization of philosophy as the “ground…, origin, and the Prius jat’ enowgm.” Reinhold, (1802b): “Elemente der Phänomenologie” p. 109. Bardili used similar language, see his Grundriß (1800) pp. 241, 294. He defines in his Grundriß of 1800 God, the “world-principle”, as exclusively “in and through himself”, i. e., as completely independent, and he identifies “that which he has revealed of himself in my thinking (as) the indestructible modus of a being jat’ enowgm”. Bardili, (1800) p. 333. Jacobi had already in the first and then in all subsequent editions of his Spinozabriefe characterized “absolute thought” as understood by Spinoza in this way: “Absolute thought is the pure, immediate consciousness in general being, the being jat’ 1nowgm or of substance.” Jacobi-W (17851, 17892) p.105. Reinhold, (1802d): “Die Simplicität der Philosophie” p. 219. See Bondeli, (1995a) p. 370. Reinhold, (1799): “1st Sendschreiben an Lavater und Fichte” p. 308. He writes here to Fichte, whose position he had assumed not long ago: “For a few days now I am personally in Eutin. Each conversation with Jacobi clarifies for me more and more that I have to assume my position between Him and You.” Reinhold, (1799) p. 308. The “1st Sendschreiben” takes his “position between Jacobi and Fichte” on the basis of the faith and the negative theological element of not-knowability affirmed by both Jacobi and Fichte. He even says that he has

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and for it the […] logical certainty […] results in One and the same real certainty.” 17 This original truth is the “Prius jat’ enowgm”.18 Philosophy is the application or execution within changeable matter of the unchangeable original ground which manifests itself. In this process this changeable matter is hypothetically presupposed as the condition of the manifestation of the original substance which is always unconditional. 19 Thinking accomplishes the validation of this presupposition, being or nature or matter. For extended and changeable matter, which “has in God its essential being”, is “determined” only through applying and changing it in thought. There is nothing without determination. Thought, which is not extended, determines plural, “multifaceted” matter in all difference and specificity.20 The essence and identity of matter is specified in this differentiating determination. Its goal is the unity of thought and being

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been “united forever” with Jacobi’s position of faith, see p. 308, – a view he abandoned just as decisively shortly thereafter. Even eight months later Reinhold still describes in his first letter to Bardili of December 1799 our knowledge of the “Absolute” in Jacobian terms “as a dark intuition of what is true in itself (neither subjective nor objective nor in both ways).” Reinhold (1804) ReinholdBardili Briefwechsel p. 3. But already in his “2nd Sendschreiben to Fichte” dated “Kiel, Nov. 23, 1800” and printed in numbers 214 and 215 of the Erlanger Litteratur Zeitung [reprinted in Reinhold, (1801c) pp.113 – 134, Reinhold’s reply to Fichte’s devastating Bardili Review (1800), which was also printed in the Erlanger Litteratur Zeitung 30/31 of Oct. 1800,] Reinhold emphasizes his distance to both Jacobi and Fichte. Bardili’s “pure being”, Reinhold now stresses, is neither a “purely Objective” being, which any putative knower must dogmatically presuppose, nor is it “purely Subjective” in the sense of “your (i. e. Fichte’s) truly dogmatic idealism”. “Bardili’s perspective”, Reinhold concludes this weighty paragraph, “is not at all that position between Fichte’s and Jacobi’s position. I had to abandon forever the latter (i. e. Jacobian) perspective by learning to think that pure being from within the context of Bardili’s perspective. It is therefore neither subjective nor objective.” Reinhold, (1801c) p. 131. Reinhold, (1801c), “Denken als Denken?” pp. 100 f. Reinhold, (1801e), “Vorrede” p. ixf. See Onnasch, (2002) pp. 88 f. Reinhold, (1801a), “Was heißt philosophiren?” p. 71. See Onnasch, (2004), “Wahrheit”. Onnasch points to the antique roots of the concept of absolute truth, which saw a revival in German Idealism. It should be mentioned that Reinhold is even in his very early publication, the Hebrew Mysteries, acutely aware of these roots. He references them on every page. Reinhold stresses in particular the relevance of British Platonism for the Enlightenment. Reinhold, (1802a) “Phänomenologie” pp. 106 f. Reinhold, (1802a) “Phänomenologie” p. 106.

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(Plotinus,21 Hebrew Mysteries 22, Spinoza23, whom to study Reinhold came to Leipzig24) in the “original relationship” (Ur-Verhltnis) of “identity” and “non-identity”.25 21 Already Plotinus, who is frequently quoted by Reinhold as early as in his Hebrew Mysteries (1788), knew this identity of thought and being. See Kremer on that identity in Plotinus, (2008). 22 Hebrew Mysteries (1788) pp. 34 f. Reinhold wrote his second publication, the two lectures of his Hebrew Mysteries betweene the years 1784 and 1785 either at Leipzig or while living in Wieland’s house in Weimar, where he had gone after fleeing from Vienna to study Spinoza at the University of Leipzig. That second published work was most likely influenced by Spinoza’s Tractatus Theologico-Politicus. The Hebrew Mysteries were written to be presented at the Viennese Mason Lodge Zur Wahren Eintracht and to be published in the Viennese Journal fr Freymaurer, which had published other essays on ancient mysteries, among them also his own ber die Karibischen Mysterien in 1785. But the Austrian government closed down the lodge in 1786 and so most of the readers of the Journal were lost. He looked around in 1787 for a different publisher and found Georg Joachin Goeschen at Leipzig who published the little work anonymously under the pseudonym “Brother Decius”. The year of publication states 1788. But a review of the work appeared already in the October 25, 1787 issue of the Allgemeine Literatur Zeitung. So we will quote the work as having appeared in 1788. But it must have appeared in the fall of the previous year. 23 See Ethica (16771, 19984) pars 2, prop. 7: “The order and the interconnectedness of ideas is the same as the order and the interconnectedness of things.” Precisely this same 7th propositio is quoted by Jacobi in his Spinozabriefe Jacobi-W 1 p.100:19 – 21: see especially Supplement VII, Jacobi-W 1 pp. 247 – 265. 24 We know from the Jena theology professor Paulus (1761 – 1851), who put out a new Spinoza Opera edition (the first edition in the original Latin!) in two volumes in 1802 and 1803, that Reinhold came from Vienna to Leipzig and Weimar with the plan to write a doctoral dissertation on Spinoza, and/or that this plan took on form in the context of new conversation partners like Herder. Herder‘s Gott appeared in 1787, the year in which Reinhold’s Kantische Briefe appeared and also the year in which he was called to serve as philosophy professor in Jena. In this same year (1787) 1788 he also is successful in (again) publishing his Hebrew Mysteries in Leipzig at Göschen. After his move from Weimar, where he had lived in the house of Wieland, to Jena, Paulus visited Reinhold on June 27, 1787. The conversation turned around Kant, with whom Reinhold had intensively occupied himself in his just published Kantian Letters. But the conversation also turned around Spinoza! Immediately after that conversation Paulus jotted down in his travel diary the central points Reinhold wanted to develop in his dissertation on Spinoza: “Whatever we know are mere predicates. We do not know the subject itself. Whatever we perceive of it is only phenomenon for our representations. We can neither assert nor deny anything about the absolute subject. If we cannot differentiate anything in something, it is One. God is indivisible, but everything is modification of the absolute sub-

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The “originally true” (Urwahre) and the “unconditionally absolute”,26 “which is in and through itself”, is the “exclusively possible and real truth” 27 “from and for which will evolve the […] logical certainty of One Identical […] real certainty.”28 Self-grounding, i. e. not being conditioned by something else, the identity of possibility and reality and the mentality of existence conceived as necessary certainty are Spinizistic attributes of God.29 Certainty in thought has its ground in an absolutely

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ject, the sole substance.” Reinhold, (1773 – 1778): KA 1 p. 268, note to Wieland‘s letter number 65 of Sept. 23, 1787. Paulus presents here in a few sentences the key points of Reinhold’s understanding of Spinoza of 1787. This concept of the unity of God in Reinhold’s planned but never executed dissertation on Spinoza, is here, in Paulus’ notes, Spinozistically reformulated. It plays a central role in Reinhold‘s Bardili phase. I am indebted to Karianne Marx for this reference, as also to Alexander von Schönborn for clarification of the role of Spinoza in the very early Reinhold. Reinhold, (1803d): “Neue Auflösung der alten Aufgabe der Philosophie” p. 24. No earlier than here do the concepts of the difference between the relating of “identity” and “non-identity” appear, a use of concepts which anticipates Hegel’s use. In his “1st Sendschreiben” (1799), the first part of which is written in Eutin, Reinhold stresses his position is identical to the position of Jacobi’s believing not knowing. He points out he is “forever tied” p. 308 to this position, also represented by Fichte. He writes eight months later in his first letter to Bardili in a similar Jacobian style that our knowledge of the absolute is “a dark intuition of truth which is unconditionally absolute (not only Subjectively – or Objectively – or in both ways), Reinhold-Bardili Briefwechsel (1804), p. 3. But in his “2nd Sendschreiben an Fichte” (1801c) Reinhold stresses his distance both to Bardili as also to Jacobi: “Bardili‘s position is not at all that Zwischenstandpunkt = position between” Jacobi and Fichte which he had assumed before. Reinhold now stresses he had to leave Jacobi “forever”, because he had to “learn to think pure being from within the Bardilian” position, the absolute truth, “which is neither something Subjective nor something Objective.” p. 126. Reinhold has now completely distanced himself from Fichte. So Jacobi’s not knowing faith is now, in 1801, changed into knowing. But it is a knowing of the identity of the one being, in which knowledge participates. It is neither subjective, nor objective, neither skepticism nor dogmatism, but both. Reinhold, (1801c) “Was ist das Denken, als Denken?” pp. 100 f. His Fichtean background is visible here, but behind Fichte Spinoza. Reinhold, (1801e) “Vorrede” S. ix f. See Onnasch, (2002) pp. 188 f. Spinoza Ethica Part I, De Deo, Def. 1 “As rationally grounded in itself I understand that, whose essence involves existence or the nature of which cannot be conceived other than as existing”. See Part II, De Natura, et Origine Mentis, Proposition 1, “Thinking is an attribute of God, or God is a thinking being.” Part II, Proposition 7, “The structure and the interconnection of ideas is the same as the structure and the interconnection of things.”

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true being. The ontologically conceived originally One = (Ureine), which is always also the model for systematically coherent unity of thought, is truth itself, from which arises everything and in which also complete certainty has its ground. This has a neo-platonic tenor and is not Kantian, indeed, it is anti-Kantian. 30 Also the unity-plurality issue is here conceived in a neo-platonic and metaphysical mold. The One is identical not only with itself but also with itself in the Other and in difference. But Reinhold is no stranger at all to this new, Bardilian 31, Platonism 30 Kant distinguishes recognition, Erkenntnis, which is always limited to possible experience, and thinking, which deals with objects outside of experience, see KantAA (17812) CpR § 22 B pp 145 ff. But Kant also associates thinking with representation, Kant-AA (17812) CpR § 16 in the chapter on the synthetic unity of apperception, B pp. 131 ff. Bardili thinks in Grundriß (1800) pp. 2, 19, that Kant misses with this distinction the true task of thinking. Bardili understands thought to have an ontological object and to be ultimately identical with being. That is the point of the formula of identity as “thought as thought”. In Bardili’s perspective Kant misunderstands basically this dimension of thinking and Kant additionally contaminates thinking with empiricism through his association of thinking with representation. See Bondeli, (1995a), pp. 283 – 286. This is most likely the most important aspect of the new impetus toward Hegel provided by Reinhold to Idealism, a direction toward what is called in the literature the objective Idealism of Hegel. An important representative of this basic interest in objective thinking in Hegel, observing critically problematic developments since Hegel’s death, is today Christoph Halbig, see his study of (2002). 31 Bardili’s Grundriß (1800) is influenced by Leibniz, Plato and the Tübingen Gottfried Ploucquet. It is emphatically anti-Kantian. Its title is in English: “Outline of Primary Logic, cleansed of previous Logics in general and of the Kantian in particular; No Critique, but a Medicine for the Mind, useful primarily for Germany’s Critical Philosophy”. It is “dedicated to the Berlin Academy of Sciences, to Misters Herder, Schlosser, Eberhard, Saviors of the diseased German mind, and dedicated in particular to Friedrich Nikolai”. Herder, Schlosser, Eberhard and Nikolai are emphatic opponents of the philosophical tradition inaugurated by Kant and continued by Fichte and the young Schelling. If Schelling insists in his letter to Fichte of May 24, 1801 [see Jaeschke (1993) 2,1, p. 198], that Bardili’s Grundriß and Reinhold’s Contributions are in their polemical thrust no more than a series of “annihilating documents” and “absurd babbling of thinking as an objective activity”, he nonetheless recognizes that formulations such as the identity of “thought as thought” belong to the “center of Idealism”. But Schelling only senses affinity between the two combating sides. He concedes that he has not read carefully either Bardili or Reinhold. He fears to do injustice to the latter. Reinhold on his part, though, is despite his repeated adulation and praise for Bardili, nonetheless “repelled” and “outraged” [Reinhold (editor) Reinhold-Bardili Correspondence (1804) p. 4] by Bardili’s polemicism against the Kant-Fichte Idealism and instead affirms in Bardili the tradition of Plato and Neo-Platonism, a tradition in which Reinhold is well versed.

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and Neo-Platonism. His Hebrew Mysteries, written at Leipzig or Weimar in 1784 and 1785 for the Journal for Freemasons, use similar terminology32 and quote Plato, Plotinus, and especially the British Neo-Platonists in a systematically and philosophically conceived view of world history in which hypothetically the end of the meaning of creation and of history is anticipated in the self-recognition and self-revelation of the absolutely One.33 Now, at the beginning of the nineteenth century he urgently appeals to Fichte in his letter of Jan 23, 1800 to read Bardili’s Grundriß. He does so while still defining his position as that “between” Jacobi and Fichte.34 Bardili’s Outline of Primary Logic contains a “completely new understanding of transcendental Idealism”. He immediately accentuates this judgment: Bardili’s Outline is “actually a new invention” of Idealism “on a completely new path”.35 Now Reinhold does not simply capitulate to Bardili. True enough: Bardili’s Outline, although not without inner problems, a rather original proposal, is found by Reinhold on paths within his own philosophical journey, paths that lead across 32 Reinhold, (1788) Hebrische Mysterien, pp. 34 ff. 33 See Reinhold, Hebrische Mysterien, Assmann (1788): Assmann adds his own Preface (pp. 5 – 10), a Postscript (pp. 157 – 199), as well as an extensive scientific apparatus. Assmann also adds in his edition the small essay by Friedrich Schiller Die Sendung Moses in: Reinhold, Hebrische Mysterien (1788) pp. 129 – 156. At the very end of that essay Schiller appends a brief note. In it he states that Reinhold’s essay Hebrew Mysteries is the model of his own essay on The Mission of Moses. Reinhold‘s and Schiller‘ proposal of a systematically coherent philosophy of history has significantly influenced intellectual developments of the late 18th and 19th century, especially in Germany. Already in an earlier book Assmann pointed to those two essay by Reinhold and Schiller, see (1997) pp. 115 – 143. This draft by Reinhold of a philosophy of history has all the elements of later projects that follow in its footsteps, e. g. by Hegel: a systematic coherent draft of history, tying together an originating project of nature and culture which moves from beginning to meaningful end, guided by an overarching purpose, which manifests itself in a dialectical interaction between guidance for good and reason by the visionaries, the epoptai, as also by the disruption of purposeful progression of history through the deceit, irrationality and evil generally and especially of priests. Hegel’s cunning of history is here theodicecally anticipated. Reinhold has correctly been identified as the initiator of the “historical turn” in philosophy by the Kantian Karl Ameriks, see Ameriks (2004), (2006). 34 On the shift in Reinhold’s system see Schrader (1993) and Bondeli, (1995a). 35 Reinhold, (1800c), “Letter to Fichte” p. 69. In this letter Reinhold claims Bardili’s Outline has points of connection, in fact corresponds to Fichte’s Wissenschaftslehre. Bondeli’s judgment is that Bardili, although influenced by Leibniz and Plouquet, “is some kind of unique growth” (1995a) p. 277. See Schrader (1993) p. 94.

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bridges which he had not destroyed as he moves on to new territory with the zeal of a missionary. He identifies the new land before him even as a “continuation of the position of faith”36 he had left behind. So he points out that his new position is at least at the beginning an insistence on philosophical “not knowing”. A further bridge which ties his new position to the past are basic elements of Fichte’s “I-speculation”37, as also the insistence on grounding, i. e. justifying thinking, which was also a Fichtean concern. Behind these issues stand Platonism and Neoplatonism, which were also suffused with negative theological concerns about not knowing, and were speculative and very much dedicated to the need to justify a position. Reinhold insists on a continuity in his work in the context of a philosophically highly articulate religious or religious-philosophical interest. I propose here that this religious interest is the background of Reinhold’s complete opus, from his earliest Hebrew Mysteries to his last work, the Synonymik. This interest attracts Hegel at the latest during his early Jena period,38 although we must not forget 36 Reinhold Reinhold-Bardili Correspondence (1804) pp. 3 f., Dec. 20, 1799. See Bondeli, (1995a) pp. 273 ff. 37 See Reinhold, (1800c) “Letter to Fichte” Jan 23, 1800, p. 69: “Bardili is not really your – indeed not even Kant’s – opponent although he believes he is. For he neglects in his pursuit of the true uniqueness of his perspective, which he singularly and therefore also too narrowly pursues, the common elements which he shares with your own, and of which he is therefore not aware.” 38 Were Schelling and Hegel influenced by Bardili during their early Jena period? Klaus Düsing thinks this thesis is not plausible. See Düsing, (1976), especially pp. 154 f. I agree with Bondeli’s argument (1995a) pp. 279 f.: Bardili’s “ontologico-logical thinking”, characterized by the hypothesis of the “unity of formal and material thinking”, is similar to Hegel’s basic idea in his Science of Logic. Hegel’s preoccupation with Spinoza and with Neo-platonism was among other issues the reason for a certain openness for the Reinholdian-Bardilian departure. I have already referred to Spinoza’s theory of parallelism of thought and being. We now also know from the writings of Gustav Falke (1987), Volker Rühle (1989), and Jürgen Gawoll (1998), see also (1999), of Hegel’s intense and life-long study of Jacobi’s writings, especially of Jacobi’s Letters on Spinoza since his Tübingen Stift days. Jacobi quotes Spinoza’s 7th Propositio on the identity of thought and being in his Letters on Spinoza Jacobi-W 1 p. 100:19 – 21. See his Supplement VI. This whole supplement VI Jacobi-W 1, (17851, 17892) pp. 233 – 246 deals in toto with the issue of that “parallelism” of thought and being. Lessing, having revealed himself to Jacobi as a Spinozist, was especially interested in this issue: “I won’t let you be; you must clarify this parallelism […] Yet people always speak of Spinoza as if he were a dead dog.” See Jacobi Main Works (1994) p. 193. With this background in his own studies of Platonism, Neo-platonism, Jacobi’s Spinoza and his own study of Spinoza at Frankfurt

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the earlier enthusiasm of the Tübingen Stift students for Kant, Reinhold and Fichte but also Jacobi.39 I do not want here to point to the real and possible encounters prior to this time. That has been done often enough elsewhere. But we must also think of indirect bridges in Hegel’s development to this Neo-Platonic and philosophical-religious problematic. At Frankfurt Hegel had preoccupied himself intensively with different forms of the Neo-Platonic doctrine of the One.40 But over and above Hegel’s own development this religious and philosophical interest is also an important aspect of all of German Idealism. Ernst-Otto Onnasch (2004), Lu de Vos (1996) and others have stressed this in various writings. But behind Hegel stands Reinhold. Reinhold’s new, or rather renewed religiosity sees in Bardili’s philosophy of identity an objective and logical criterion of his critique of subjectivism.

2. Critique of Subjectivism and its Philosophy of Appearance The new perspective of rational, not logical realism positions itself over against the “region of appearance”. 41 Reinhold believes that a completely new epoch has commenced in philosophy at the beginning of the 19th century. He is its main spokesman. The Jena “philosophy of appearance”, also called “philodoxy”,42 opposed by him continues to move in the tra-

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– he had been asked by Paulus to participate in his new Spinoza edition –, Reinhold’s turn to Bardili since late 1799 becomes of interest to Hegel at Jena despite his critique of Reinhold. So we can affirm Bondeli’s judgment that Bardili’s (1800) Outline has influenced Hegel’s idea of his Logic. At the latest since 1802 the dialectical structure of the Logic is reinforced through Reinhold’s writings in the Beytrge. But the negative element in this conception of logic is missing in Bardili. In view of this aspect, “Hegel works out a kind of anti-logic to Bardili’s conception.” Bondeli, (1995a): p. 280 note 63. That element of negativity derives from Jacobi’s leap, and also from Reinhold’s conception of dialectics. Rosenkranz, (1969) p. 40 writes: “According to trustworthy sources, Hegel read and discussed with Hölderlin, Fink, Renz and other friends Plato (we still have some of his attempts to translate him), Kant, Jacobi’s Woldemar and Allwill, Letters on Spinoza and Hippel’s biographies in ascending order”. Onnasch (2002) stresses Neo-Platonic and Christian-Theological influence on Reinhold and Hegel. Reinhold, (1803b) “Systemwechsel” pp. 26 f. Reinhold, (1802b) “Philodoxie” pp. 186 – 201. See also Reinhold‘s (1800a) “Schelling Review” especially p. 376, where he speaks of the “Non plus Ultra of the amalgamation of thought and poetry”. See Bondeli, (1995b) p. 53.

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dition of Kant and Fichte. It is hardly able to adequately get a hold of reality because it de-finitizes and absolutizes finite subjectivity – this Jacobian argument reappears later in Hegel as the “bad infinite” – therewith missing the true absolute. The subject is “amalgamated” with the absolute. Reinhold belonged to that Fichtean-Schellingian-Hegelian tradition until his own epochal turn to Bardili. His points of orientation toward that new position were twofold: Jacobi’s critique of reason and Bardili’s logical realism, but behind them stand Plato, Leibniz, and others. Illustrating his concern by looking at Fichte, Reinhold identifies the problem in his first letter to Bardili as “pure self-activity or pure Iness”.43 The “ultimate and chief consequence of the Critique of Pure Reason”, Reinhold writes in the last sentence of the section on Kant’s Critique of Pure Reason of his programmatic essay on “The First Task of Philosophy as seen by its most Noteworthy Advocates”, “is that Truth is only subjective”. That means that “purely philosophically recognized truth, seen as pure truth but now recognized only as pure subjectivity, consists in the objectivity of truth recognized as error: from the perspective of this error philosophy can affirm pure truth only as statutory appearance, natural prejudice, [and] of the truth of appearance. This consequence is understandable on the basis of that pure subjectivity and can be deduced from it.”44 If objective truth is considered from within the Kantian assumptions, it turns out to be no more than the erroneous appearance of truth and prejudice, but this Kantian argument, which rejects an empirically not verified objective truth as erroneous, is here turned against Kant and 43 Bardili Reinhold Briefwechsel (1804) pp. 2 f. In this critique of the Fichtean-Schellingian subjectivism not only Jacobi became important for Reinhold, but also Jean Paul. See especially Jean Paul (1800a). See also Jean Paul’s letter to Jacobi of Feb. 21, (1800b): “The concept of the absolute I is according to his (i. e. Fichte’s) statement the absolute I itself and nothing else.” 44 Reinhold, (1801 f.), “Die erste Aufgabe der Philosophie” p. 20. See Schrader (1993) pp. 85 ff., see especially Reinhold, (1803b) “Systemwechsel” pp. 26 f. Reinhold, (1802b) “Philodoxie” pp. 186 – 201. See also Reinhold‘s (1800a) “Schelling Review” especially p. 376, where he speaks of the “Non plus Ultra of the amalgamation of thought and poetry”. See Bondeli, (1995b) S. 53. Bardili Reinhold Briefwechsel (1804) pp. 2 f. In this critique of the Fichtean-Schellingian subjectivism not only Jacobi became important for Reinhold, but also Jean Paul. See especially Jean Paul (1800a). See also Jean Paul’s letter to Jacobi of Feb. 21, (1800b): “The concept of the absolute I is according to his (i. e. Fichte’s) statement the absolute I itself and nothing else.” Reinhold, (1801 f.), “Die erste Aufgabe der Philosophie” p. 20. See Schrader (1993) pp. 85 ff., see especially p. 87.

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the Kantian tradition of subjectivity. It is now the “realm of illusion” or of “error”, Schein. The Kantian tradition, preoccupied with empirical verifiability (Kant) or the (finite) non-I (Fichte) is preoccupied with the “realm of error” or “realm of illusion”, and its truth is therefore erroneous or illusory truth = Scheinwahrheit. Against this tradition of subjectivity Reinhold, oriented by objective Truth, fields the realm of “appearance” = Erscheinung, appearance here understood as phenomenon. This realm consists of extended and changing “conditions” – in thought –, of the “manifestation” of the unconditioned original being.45 And so “appearance = Erscheinung” “is in no way error = Schein”. Error or illusion “confuses or mixes” or “amalgamates” appearance “with what is not extended and unchangeable, with the essential being, with the original image” or “archetype”.46 And this confusion creates illusion and error. The doctrine of manifestation – Jacobi frequently talks of revelation, 47 the equivalent of Hegel’s concrete general 48 – or appearance = 45 Reinhold, (1802a), “Phänomenologie” pp. 108 f. 46 Reinhold, (1802a), “Phänomenologie” pp. 108 f. 47 Jacobi-W 1, pp. 116:5 – 7: “Through faith we know that we have a body and that outside of us there are other thinking beings. It is a truthful, wondrous revelation.” We “feel” and “experience” our own and the bodies of others, and that “other” is neither mere empathy = Empfindung, nor thought. “In this way we have a revelation, which does not only command but rather coerces all and each human being to believe and to accept through faith eternal truths.” Jacobi-W 1, pp. 18 – 20. 48 Hegel’s important fragment “Faith and Being”, written at Frankfurt beginning 1798 (or not prior to 1797 according to Schüler), Hegel-W 1, pp. 250 – 254, works this ontologically coercive dimension of Spinoza’s “substance” into his theology of reconciliation. “Faith presupposes being” Hegel says here. That is Hegel’s equivalent of Jacobi’s provocative Spinozism: “Reason has the human being” Jacobi-W 1, pp. 158 – 170; 2, pp. 243 – 258. “So it is contradictory to say that in order to be able to believe one first has to convince oneself of being.” Hegel-W 1, p. 251. Or, stated differently, in theological terminology of reconciliation in “Faith and Being”: “Uniting is the activity. This activity, reflected as an object, is what is believed. In order to unite, the members of the antinomy have to be felt or recognized. But what is contradictory can be recognized as contradicting only if reconciliation has already happened. Reconciliation is the measure of the comparison. It is the criterion by means of which the contradicting members can be recognized as contradicting and as frustrated.” Hegel-W 1, p. 251. Of course Hegel’s “frustration” or Bedrfnis der Philosophie, is Jacobi’s “elastic spot” propelling thought upward. Jacobi-W 1, p. 30:13 f. The hen kai pan of Spinoza’s substance must have already reconciled all contradictions in the all in all before the contradictions of Verstand can be recognized as such. Reconciliation as such can only be felt and believed. To

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Erscheinungslehre is the “second task of philosophy, […] the elementary doctrine of phenomenology”. This doctrine has the foundational function to tie appearance to its “original image, its archetype, or essence as such”. In the essay on the “First Task of Philosophy”, which deals with the relationship of thought to the absolute and to truth in the second installment of the Contributions 49 Reinhold thinks Fichte provided in his Aenesidemus Review “the first indications on the uniqueness of Fichtean philosophy”.50 The characteristic center of the Fichtean departure lies in “philosophy’s global deduction of the reality of knowledge and of what can be known by absolute subjectivity”. 51 Reinhold therefore believes in the 2nd Sendschreiben, Fichte‘s Idealism is a “truly dogmatic Idealism” 52 ; indeed he, Fichte, and not Jacobi is the truly “obstinate dogmatist”. 53 The last sentence of this important essay on Jacobi54 summarizes his skeptical analysis of transcententalism, which Reinhold incorporated into his thought: Since Jacobi traces transcendentalism back to “mere subjectivity”, which was declared to be “the absolute and originally true”, we cannot really be surprised that transcendental philosophers built their thought on the foundation of that subject. “The creators of the pure doctrine of the I listened well to this explanation. They declared subjectivity loudly enough and expressly as the absolute and as the original truth.” 55

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know it is as contradictory as to know “God” as an object of knowledge is contradictory if he is truly God, i. e. the all in all generality: All objects of Verstand=understanding are contradictory if viewed by reason, Hegel says in § 27 of his Encyclopedia of 1830, Hegel-AA 20, p. 70:5 – 16. See to this problematic Gawoll, (1998) p. 136. On the fragment on Faith and Being see also Bondeli, (1995b); see also Baum (1986) pp. 55 ff. Reinhold, (1801 f) “Die erste Aufgabe der Philosophie” pp. 1 – 71. Reinhold, (1801 f) “Die erste Aufgabe der Philosophie” p. 48. Reinhold, (1801 f) “Die erste Aufgabe der Philosophie” p. 48. Reinhold, (1801d) “2nd Sendschreiben to Fichte” pp. 113 – 34, quote p. 125. Reinhold, (1801d) “2 nd Sendschreiben to Fichte” p. 124. Reinhold, (1801 f) “Die erste Aufgabe der Philosophie” pp. 1 ff. Reinhold, (1801) “Die erste Aufgabe der Philosophie” p. 34. See Schrader, (1993) p. 87. Jacobi had described himself in his Sendschreiben to Fichte of 1799 as the true discoverer and creator of idealism, which he characterized as “exclusive philosophy = Alleinphilosophie” which has its point in such an exclusive philosophy’s exclusion of “reality”. Over against this “exclusive philosophy”, which tolerates no authority outside of itself, he positioned his own “Non-philosophy = Unphilosophie” in such a way that they are tied together, like Cain and Abel, in a mutually exclusive bond: “At the moment of touching they permeate each other” and yet they are so different that they fight against

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Viewed from his new Bardilian posture, Reinhold’s abandoned position in proximity to Fichte is one of opinion or even poetry, “philodoxy”, and not a position of a genuine knowledge of truth. Schelling’s philosophy of identity must, viewed from his new perspective, hurl all truth – expressed later with words in Hegel‘s Phenomenology – into the abyss, the “night” of indifference, dominated by the “cognition naively reduced to vacuity”.56 But Hegel’s well-known critique of Schelling’s philosophy as a philosophy of indifference has, as I suggest here, its origins in Reinhold. I will turn to the topic of this critique immediately.57 Since not only Fichte, Jacobi, and Reinhold and many others are debating in the literature, but also Jean Paul58, a veritable “literary battle”59 develops, the (already mentioned) “battle of annihilation” (Reinhold) between “the two belligerent camps”, a battle, however, which is clearly pleasing all sharp wits – so the judgment of Jean Paul.60 There are multifaceted recriminations, accusations, and misunderstanding in that literary freefor-all. Bardili and Reinhold use the concept of identity, as do Schelling and Hegel. But what exactly is meant with this concept? Despite many misunderstandings, the disputes are not a battle of smoke and mirrors. I characterize the different use pointedly: Bardili and Reinhold are motivated by an identity of thinking and absolute and originating ground seen as self-grounding in order that in thought “among human beings” this absolute can become manifest or grounding in such a way that finite and real plurality and the concrete identity of extended things can be “re-

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each other “with the highest degree of antipathy”. He himself, Jacobi writes to Fichte, was as the discoverer of idealism “recognized by you at the door to your lecture hall long before it was opened. I waited for you and pronounced prophecies.” For he, Jacobi, has invented the “most pithy idealism” ( JacobiW 2, p. 310) in having shown that the “hovering, productive intuition” = schwebende productive Einbildungskraft ( Jacobi-W 2, 204:7 f.), the free I, is the “originator, the creator” ( Jacobi-W 2, p. 234:4) of nature, through which discovery alone the inner contradiction within Kant’s thought is overcome. Hegel (1807a) Phänomenologie Hegel-AA p. 9:17:27 – 29; Hegel (1807b) A. V. Miller transl. p. 9. See here especially Bondeli, (1995a) pp. 355 – 357: “Die Indifferenz als Differenzlosigkeit”. In this literary battle especially important are Jacobi, David Hume (1787) and Jean Paul Clavis Fichtiana (1800a). See also Bondeli, (1995a), pp. 317 ff.: “Der Grundmangel des subjektiven Denkens”. Onnasch, (2002) pp. 188 f. Jean Paul Letter to Jacobi (1799) December 23, in Jaeschke, (1993) p. 63.

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vealed” in all specificity and differentiation. The originating Ground and valid grounding in thought, understood in this way, are therefore not only tied together in this philosophy of identity: The originating ground has in that grounding process “returned and come home to itself”.61 But viewed from Reinhold‘s new perspective the tradition from Kant, Fichte and Schelling is interested in the identity of subject and object (of thought) in the sense of epistemological correspondence. And because this identity has its basis in the subject and not, as in Reinhold’s new paradigm, in objective truth, it leads to illusion and error. Reinhold and Bardili stand in the Platonic-Neoplatonic tradition which exerted strong influence on the development of Christian thought. Bardili‘s logical and Reinhold‘s rational Realism stand close to Christian-theological metaphysics. And they make no bones about that. To the contrary: Never are concepts and terms borrowed from that the general, religiously tinged cultural environment avoided. Bardili says in the 14th paragraph of his Grundriß, that thinking as thinking, “A”, is “eternally identical with itself and just the same.[…] Thought itself does not begin or end” prior to being applied.62 In this eternal identity there is neither beginning nor end. Nor is there time in this eternal identity. It is hardly possible to say that “thought as thought” has a beginning and an end. For it is “prior to time”.63 But pre-temporal hiddenness of the highest

61 Reinhold, (1802b) “Phänomenologie” pp. 104 – 185, quote p. 105. 62 Bardili Grundriß (1800) p. 69. 63 Arndt points to this process in his excellent study on dialectic (1994): p. 39 “In both cases (i. e. subjective self-reflection and pre-reflexive thought) the ground and validity of the work of reflection are tied to an immediacy which is unconditionally presupposed.” In Spinoza absolute substance is immediate, i. e. “that which is conceived out of itself, that is, whose concept does not need the concept of any other thing from which it is formed.” Ethica Part I, Def. 3. To understand this unconditional self-grounding is key to understand “immediacy”. It is axiomatically valid, not needing premises external to itself. Being valid it has power. As infinite it is indeterminate. Being without determination, it is immediate. Spinoza clarifies in his letter to Ludwig Meyer of April 20, 1663 his views on the indeterminate infinite: It is infinite “based on its ground”, understood as self-grounding, being axiomatically valid. Hence we can “only recognize but not represent it”, i. e. we know it intuitively. Spinoza Opera ed. Gebhard vol. VI 47 f. Spinoza does not use here the terms “intutitive immediacy” as the quality of “knowing” the infinite, but that is what he means. The phrase “quod solummodò intelligere, non verò imaginary”, Opera VI, 48, goes back to Aristotle’s notion of self-evidence of axiomatic validity. See Schmidt, (1975) 57 – 126. Jacobi uses a number of terms to describe the same, mainly

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original truth implies a) anonymous namelessness, b) unity of all, and c) a state prior to thought in the sense of the immediate64 participation of worldly “thinking” in original being prior to all thought.65 This “participation in” or “being with” of secondary or worldly thought in primary, i. e. original and originating thinking is the criterion of the beginning and of the application of the thinking process. It is omnipresent. For all thinking is determination and what is predetermined and immediate is also not thought. And determination is in Bardili and Reinhold application. Only in application begins and ends the process of thinking: Only now, in being applied, is the presupposed but not thought original being also carried out. In the application “among us human beings” this thinking knowledge of truth, “crashes into life” and in this entry into finite life this thinking becomes true knowledge. I quote precisely: In being applied to an object of thought (B) – this is clearly a spot vulnerable to the critique of “dualism” and “dogmatism” from Fichte, Jäsche, and others –, thinking (A), which is thought knowing truth, has gained “faith”, “intuition” or the “feeling” of “immediacy”. Jacobi is here a child of late 18th century sensualism in terms of which he interprets Spinoza. 64 Later Hegel, just as Reinhold in his Bardili phase, makes use of Jacobi’s concepts of immediacy, the pantheistically immediate certainty, and mediation, as well as scientific certification of mediation. These concepts are used by Hegel in order to describe the origination of this process, as well as its beginning and entering temporality. It is best and most succinctly described at the beginning of the Logic of 1812. 65 Reinhold evidences these three aspects in all of his writings. Their continuity can be traced: The Hebrew Mysteries (1784 – 1785) have their center in the hidden deity, which the epoptai, those who are initiated, cannot think but view intuitively, for this deity is nameless, (1784 – 1785) p. 41. Attempting to somehow characterize namelessness despite the inability to think it, the Pyramid of Sais carries the insignia: “I am all that is, was and will be. No mortal has lifted my veil (1784 – 1785) p. 42. But thinking it is called the “revelation” of eternity in time, so here eternity and time are connected. Reinhold quotes in the Hebrew Mysteries (1788) Clement of Alexandria pp. 40, 47 f. 63 – 127, Warburton pp. 34 ff., 41 and others such as Eusebius, pp. 36, 88. This philosophy without a Name then reappears later in Reinhold’s Fundamentschrift (1791). Reinhold says here: “The task of critical philosophy was able but is also forced to end with the absolute foundation of the issue of representation. But with just this foundation philosophy also stops being critical. For with just this foundation begins the Science of the Foundation of Philosophy Without a Name.” Reinhold, Fundament (1791) p. 104. Further, the Beytrge zur Berichtigung bisheriger Mißverstndnisse call in the same way for a “scientific philosophy without a name” (1794) p. iii. See Bondeli, Lazzari (2004). On the problematic of the hiddenness of truth through the veil in Reinhold see now Röhr (2005).

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in an “original division” = “Ur-Theilung”66 (C) a “matter”, through which development it “crashes into life”. Through this process that concept emerges, in which the “object” of thought, which, in being thought starts the life-giving process of thinking, is “abolished=zernichtet”, and will, since it is subjectively tainted, be destroyed.67 The Prius jat’ 1fow¶m of thinking as thinking does not emerge in this process, because this prius has neither beginning nor end. It is eternal. The thought of a specific object initiates the thinking process “in time”. All that is knowable is “abolished = vertilgt” or “destroyed = zernichtet” in this process – 66 Hölderlin’s Urtheil und Sein of 1795 is of great importance in the debate of that time. Reinhold’s use derives from that debate. This speculative use of Urteil becomes pivotal for Schelling and Hegel. The fact that Bardili’s and Reinhold’s highly speculative use of the term is hardly mentioned in the professional literature indicates a major vacuum in research. See Gabriel (2001), see esp. p. 441 – 443. See also Henrich (1965 – 66); Henrich, (1991) p. 47 – 80. 67 The verb “zernichten” or its passive adjectival version being “zernichtet” or its substantive form “Zernichtung” are used by Bardili in his Grundriß (1800) p. 67, and by Reinhold. That word is no longer used in contemporary German. It stands close to “vernichten” = destroying and “Vernichtung” = destruction. Similar terms, such as “Vertilgung” and “vertilgen”, “Zerstçrung” and “zerstçren”, and “vernichten” are widely used in early romantic literature. Solger depends on theological terminology of the destruction of finitude, which is created from nothing and therefore returns to nothing. Jean Paul criticizes Fichte as the destroyer of bodily existence as abstract self-embodiment in the Fichtean formula I=I. It is a key idea in Hegel: finitude is internally contradictory and therefore self-destructive. The Jacobian leap’s “bouncy” or “elastic spot” Jacobi (17851, 17892): p. 30 understands the abysmal self-destructive and contradictory realm of the finite and determined as providing the energy for the upward thrust to freedom and real thought. More precisely: The inner contradictoriness of finitude worked out by Verstand is the abyss across which Vernunft leaps. And for Reinhold the same reasons lead to the Aufhebung = elimination, see Reinhold, (1802a) “Elemente des Rationalen Rationalismus” p. 182: “In applying thinking as application of thinking to matter it is destroyed = aufgehoben as matter by thought; but simultaneously it is through that same application elevated out = herausgehoben as indestructible in thought.” Here we have in one sentence the double Hegelian use of Aufhebung as 1. destruction or negation and 2. as preservation or negation of the negation, but Reinhold neatly distinguishes Aufheben = destruction from Herausheben = elevating out. See Hühn, (2001), Arndt, (1994) p. 161: “Hegel agrees with the early romantic-early idealist view that reflectivity is limited to the finite realm and is therefore able at best negatively to refer to the absolute. This thought gains in Hegel a particular acuteness in his thought that the negativity of finitude mediates the absolute.” See Bondeli, (1994) p. 297 on “Vernichtung” = destruction in Bardili and Reinhold.

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similar to the way in which in Hegel’s Phenomenology the world of appearance is intellectually aufgehoben = negated by being transformed: es muß zugrundegehen and go into its “ground”.68 The reality of an object is thereby separated from its mere possibility. That means, we quote again from Bardili, that the “mere representation” of a possibility is separated from objectively correct knowledge.69 Subjective thinking is united with that which is objectively thought in a new identity in such a way that it distinguishes the real ground of the perceived object from only subjectively apprehended, and thus erroneous knowledge. With this distinction it provides adequate and real grounds for what is known. Hegel says that reflectivity must be painfully destroyed 70 in order to be able to be adequately grasped. 68 Sufficient grounds had in traditional metaphysics to be provided for the structure of reality to be reasonable. Kant had destroyed that assumption: He transfers legitimacy of reasonableness into the transcendental “grounds of possible experience” Kant, CpR Kant AA A 201/ B 246. Reinhold disputes, as here shown. the legitimacy of the way Schelling’s indifference, building on Fichte’s I=I, had produced no more than “apparent knowledge”. Reinhold departs here from Jacobi, who was the originator, as I had shown, of the idealistic principle of identity that migrated through Fichte’s I=I to Schelling’s indifference. Hegel correctly observes critically of Jacobi: “Jacobi conceives the principle of sufficient reason as pure principle of contradiction.” Hegel-AA 4:348:20, Hegel (1802b) p. 99. Hegel bases these critical remarks on Reinhold’s critique. See to this issue Stiening (2002a) pp. 202 f 69 Bardili (1800) Grundriß pp. 68 – 70. 70 The writings of the young and also mature Hegel attempt to recast theological issues – i. e. the painful but justifying death of Jesus and his resurrection, as e. g. expressed in I Cor. 15 – in terms of the debate of early Idealistic theories. The late pre-Jena writings from the Frankfurt period are full of terms such as “Schmerz” = pain “Leiden” = suffering and “Tod” = death, see Hegel-Werke 1:243, and “religion” and “love” can reunify, i. e. bring back to life, what reflective thinking has sundered apart. “Begreifen ist beherrschen” = conceiving is dominating. But religious reunification imparts new life: “Die Objekte beleben ist sie zu Gçttern machen”: To vivify objects is to turn them into gods, to “elevate them to God” Enz 1830 § 50. The last sentence of the Jena Faith and Knowledge of 1802 Hegel-AA 4:413 f. specifically discusses the “lack of objectivity” in Jacobi’s concept of “civil beauty” Hegel-AA 4:382, Jacobi’s basic subjectivism, which, with “longing egoism”, “hangs on to itself”. Of course Jacobi’s subjectivism became part of Hegel’s thought anyway: Hegel interprets Jacobi’s leap, central to that theological theme of Christian reconciliation in the death and resurrection, opposing Jacobi’s subjectivism, although the leap is central in this process. The subjectivist “Schmerz der Welt” = Weltschmerz of the JewishChristian God, which is not part of the world, negates that world. This Weltschmerz, – so in the Heidelberg Lectures on Natural Law and Philosophy of Right

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This “painful destruction” is a reformulation of Reinhold’s “Zernichtung” = destruction. But Hegel has here also had impulses both from Jacobi’s abyss 71 as of its Spinozistic substance and its “transition” to the absolute, subjective spirit and personality. The virtuous athlete dares his spectacular salto: The “abyss” of Nothing of the pantheistic-infinitely mediated and absolutely necessary substance must in Reinhold’s words “be destroyed”. For it is internally conflicted because appearance causes illusions and contradictions. The infinite mediation is mediated and thus “abolished” or “elevated” in its transition to spirit. As is the case in Reinhold’s argument, “finitude and mediation are destroyed”.72 The idea is the same, but Reinhold does not use the concepts immediacy and mediation. Hegel says in his Jacobi Review of 1817, which Jacobi quotes in his Letter to Neeb of May 30, 1817, the virtuous athlete has to make a “transition” from “the absolute substance to absolute spirit”, the absolutely free and spiritual subject. The athlete is forced to perform that “summersault in the air” by means of the “mediation which abolishes itself”. And through this mediation of the mediation he comes to stand “firmly and soundly on both feet” on the other side of the groundless abyss. So this is “not at all a leap head-first into the abyss” Jacobi protests in that letter to Neeb, and Hegel agrees. But why is the athlete “forced” into this daring feat? Because Spinoza’s Substance is “spiritless necessity” Hegel-AA (1817 – 1818), p. 263, § 169 – has the function to cause the mere world of appearance to “go under” or “go into its ground”=zugrundegehen. It must – so in 1802 – be destroyed in the “abyss of nothing” and in the “absolute pain” of the “speculative Good Friday”. For it has no truth in itself. But this negativity can be negated in the “pure concept”, which liberates from illusion and error in all that appears and which therefore “can and must resurrect” to the “happiest freedom” of speculative philosophizing. See Hegel-AA (1802), 4:413 f. Jacobi answers Hegel’s critique in great detail in his Three Letters to Köppen Jacobi-W (1803). 71 Hegel-AA (1817), 9:26. Hegel describes here Jacobi’s salto, i. e. the center of all of Jacobi’s philosophy: The “content” of the determined “finitude” is “consumed” in the absolutely empty “absolute” of the Spinozistic substance, which Jacobi calls the “Not, the absolutely undetermined, that which is thoroughly empty” (1799):214:26 f. Hegel identifies this same Spinozistic substance thus: “The being which is elevated to the position of the infinite is the pure abstraction of thinking, and this thinking of pure substance is not sensual intuition but rather intellectual or reason-intuition.” It is the “abyss into which all determination has been thrown and was thus destroyed.” Jacobi deduced from the equal abstraction of infinite substance and finitude the determination found in freedom. Hegel (1817), p. 9 f. 72 Hegel (1817), Jacobi Rezension, p. 390.

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and “spirit”, also present in the all-in-all substance, “protests powerfully against the idea that spiritless substance is all and that outside it is nothing.” But that means that this “spiritless substance” itself “is the elastic spring which elevates me by means of a firm and strong stepping on it”.73 So the impetus-providing bounce is the contradiction within Spinoza’s immediately accessible – because it is the hen kai pan – substance, which is therefore both the All, and also Nothing.74 Jacobi explains to Neeb in a letter of May 30, 1817 in this way the nature of his salto. He is forced to this “summersault in the air” by the “mediation which abolishes itself”. Hegel calls this abolishment, Bardili’s and Reinhold’s Zernichtung, the “negation of the negation”. And through this exercise he comes to stand “firmly and soundly on both feet” on the other side of the abyss of senseless and therefore totally vacuous assumptions.75 The eternally proceeding lack of determinacy – it moves from mediation to mediation to mediation ad infinitum, Spinoza’s infinite substance and Jacobi’s “senselessness” of an “infinite time, an infinite finitude”76, Bardili’s and Reinhold’s abstract, infinite reiteration, A=A=A=A, etc. 73 The previous quotations in: Jacobi Vorbericht (1819) Jacobi-W 1. p, 348:4 – 8. 74 We note that Hegel’s conception of a logic follows rather precisely these assumptions: a) The “first”, naive, i. e. unreflected posture of thought to objectivity in metaphysics (§§ 26 – 36 of 1830). This posture is not yet powered by the awareness of the metaphysics-contradicting assumptions within the tradition of metaphysics. This first posture is followed b) by the “second” posture toward objectivity (§§ 37 – 60 of 1830), which breaks down into the two parts of “empiricism’s” protest against metaphysical assumptions because of its inherent contradictions with reference to empirical evidence (§§ 37 – 39 of 1830); and “criticism’s” Kantian protest (§§ 40 – 60 of 1830), which was triggered by that protest. That second position is followed by c) the “third” posture of thought over against objectivity: Jacobian immediacy of the Spinozistic hen kai pan (§§ 61 – 78 of 1830), which is dominated by ancient, e. g. Platonic and Neo-platonic principles. Each of these three positions of thought toward objectivity is powered by the Jacobian “elastic” or “bouncy spot” of the awareness of internal contradictions in all of thoughtful assumptions, which turn out therefore, upon further reflection, to be thoughtless. That is the skeptical impulse in Jacobi, Reinhold and Hegel. Hegel just lays the groundwork here for his Encyclopedia Logic, which is but a summary of the longer Logic of 1812 – 16. The very first part of that Logic, the Seinslogik = Logic of Being, gains the impetus of its inner vitality, i. e. it “makes a beginning” with the principle of the identity of Being and Nothing (§§ 86 f. of 1830), which is an internally contradicted idea. This issue of beginning is equally indebted to Jacobi and also to Reinhold. 75 Jacobi (1825, 1827), p. 466 f. Jacobi quotes here Hegel (1817). 76 Jacobi-W 1, 251:19 f.

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ad infinitum – is halted by being guided in the application: Determinacy, rooted in the validity of the original ground of the originally true (Reinhold), negates willfulness, abstraction, indifference and Philodoxy. I need to explain this in Reinhold in greater detail.

3. Identity, Difference and Indifference The principle of identity is a process with these elements:77 First (philosophy of religion), Bardili and Reinhold identify the eternity of the prius jat’ 1fow¶m as “God” and as the true ground of all appearance. Doing this they integrate themselves into the western tradition of philosophy of religion. Its important center is the complex of theories known as Negative Theology. Speechless awe in the face of original truth lies at the heart of Reinhold’s Hebrew Mysteries. For second, (God-world, eternity-time), the God of the eternal and eternally reiterating identity with himself (A=A) is pre-temporal and pre-logical in the sense of being preverbal and pre-expressive. This eternal deity has neither beginning nor end, but is immediate or not mediated. Therefore it is also not thinkable. Jacobi says this deity is above all reason. The process of thought begins only with the entry into time and the realm of conceptuality and speech. Better formulated: It is possible to conceptualize identity as an original and originating principle only when it is thought, i. e. when it has entered or rather when it originates time as the beginning principle. Also present here is the dialectic of hypothesis and its movement toward the conclusion. In 1799 Reinhold does not yet see this clearly enough. In March and April of that year, while still adhering to his “position between Jacobi and Fichte”, which Bondeli calls the “continuation of (Jacobi’s)

77 See the excellent brief summary of the development of Reinhold’s systematic principle between 1800 and 1803 by Martin Bondeli, beginning with his “Substantilization of Philosophy of Subjectivity” in an absolute Being and culminating in the conception of a system around 1803. This development is grounded in “Bardili’s dialectical method of grounding, tracing back the hypothetical, first and conditioned assumption to the ultimate conclusion, or the ground of theoretical truth in such a way” that the actual, or the absolute ground of the “Ursein=original being” is distinguishable from the merely subjective conclusion of opinion in the form of the correspondence of thinking and being: This subjectivistic conclusion is Scheindenken=erroneous or illusory thought. Bondeli, (1998) pp. 166 f. .

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position of faith”78, he stresses in his Letter to Fichte that he participates “completely and with my whole heart” in Jacobi’s philosophy of “Not-Knowing” 79, for the process of thinking has not yet begun. But this position he abandoned not much later “forever”. Third, (Ur-Theilung = original division, Religious-Logic), an originating division = Ur-Theilung is made with the principating origination of time in such a way that an original division is made between abstract eternity and determinate time. The eternal is also the whole. But that means that it contains and is therefore not different from time, although its difference to time will simultaneously always be stressed. One must not contaminate Bardili’s and Reinhold’s new departure with the Aristotelian form-content problem, although of course there are plenty of reasons for the critique of “dualism”,80 which Reinhold later deemphasizes and ultimately addresses successfully. For this reason the formidable chorus of critique, foremost among them Fichte’s Bardili-Review, ultimately are off the mark with their critique of Reinhold’s ostensible “formulary method” and “form-matter dualism”.81 So the principle of thought, which is eternally identical to itself, is “originally divided” prior to all time. It is possible to repeat the formula “A in A through A” ad infinitum as an abstract “many”. The identity of this original division = Ur-Teilung implies such a division. This identity is pure unity because it is identical only with itself and therefore an abstract tautology. But the repetitive identification in an Other, B, is the application of thought in a “multiplicity” which aims at conceiving discrete and qualitative differentiation, which implies that qualitatively different stones or insects or plums or pears can be recognized generically as “many” objects only by “disregarding” this qualitative difference by “abstracting” from it.82 The foundational-logical judgment “this is a plum” is possible only by suspending (elevating) and eliminating or rejecting the abstract generality “fruit”, to which generality of course this intended object “plum” belongs. That suspension happens in the identification of the infinitely repeated essential quality of this singular plum “through” this essential original being in the “other” of this relative individuality with the logical copula “is”, 78 Bondeli, (1995a) pp. 273 f. 79 Reinhold, (1799) “1st Sendschreiben an Lavater und Fichte” p. 308. 80 See Ballauf, (1972). See on the question what Reinhold formulates correctly and what remains problematically “dualistic” during his Bardili phase Bondeli (1995a) pp. 295 – 300. 81 Fichte, (1800) Bardili Rezension p. 116. 82 Reinhold, (1801c) “Was ist das Denken, als Denken?” pp. 103 f.

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by which logical judgment it is returned to its actual essential ground: “This is a plum.” It is important to understand that the identity of the “originally true” essence, which in this process returns to itself, remains independent of the “other”, for it is independent, while the repetition in an other “C” represents a multiplicity that is dependent on that original essence.83 The ability to specify issues or objects in the realm of relativity and finitude as objectively “true” depends on the application of independent and essential truth by suspending its abstraction in the concrete event or object. This dialectical dependence of the finite on the infinite realm is well characterized by Reinhold in his Bardili Review. Here he distinguishes “infinity” in itself, or true infinity, from “mathematical infinity”, which is no infinity at all, but which rather perpetuates itself “finitely into infinity”.84 On the basis of this same distinction Reinhold therefore rightly criticizes Fichte: In Fichte’s thought there is no infinity 83 Reinhold, (1801c) “Was ist das Denken, als Denken?” pp. 102 f. See Bardili, (1800) p. 3. In the identity of the original truth with itself it is only “monstrated”, whereas its repetition “demonstrates” itself in an “other”. It is possible that Reinhold is here influenced by Jacobi’s use and critique of mathematical and logical “demonstration”. But if this is so, Reinhold further develops the thought in a way we see reflected in Hegel, where we find details on adequate grounding of real, specific objects through the mediation or negation of abstract generalities. Jacobi does not, as far as I know, use the concept “monstrating”. For Jacobi “demonstrating” is the proton pseudos of the reflexive understanding. This tendency is also an expression of slavish non-freedom, i. e. dependence on the “machine” of universal interdependence. The Jacobian use of the concept “machine”, a key Leibnizian concept the role of which in Jacobi cannot be discussed here, has significantly influenced German Idealism, first Fichte, but also Hegel. But higher Vernunft = reason acts in freedom, for humans are possessed by it in the manner of Luther’s de servo arbitrio – see Jacobi, (17851, 17892) 28:2 – 21, – and its uses transcend demonstrative Verstand, which humans possess and use as they use a tool – this idea and terminology of reason understood as a “tool= Werkzeug” has influenced Hegel. Adequate thought is for Jacobi possible only by a type of reason which is “possessed”: see the second supplement to his Sendschreiben to Fichte, which begins with the provocative words: “Does humanity have reason or does reason possess humanity?” (1799): 232. See also the identical question in the seventh supplement to the Spinozabriefe (17851, 17892) 259. On the influence of Leibniz on the discussion surrounding “machine” during the time we are discussing see now Justin Smith, (2011). The book arrived on my desk too late to incorporate its content here. Jacobi discusses Leibniz extensively, see e. g. his Spinozabriefe (17851, 17892) pp. 23 – 26, 32 – 34, 152 – 156, 230 – 245. 84 Reinhold, (1800b), Bardili Review p. 276. Reinhold distinguishes himself here from Bardili’s logic, who mathematizes it. See on this Bondeli, (1995) p. 293.

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or unconditioned at all: In your work, Reinhold says in his Letter to Fichte, of March and April 1799, we find only the striving “of finitude toward the infinite”.85 Reinhold’s critique of Fichte points to the central weakness not only in Fichte but also in other early Romantics: This weakness is the “impossibility of ever moving beyond the realm of mere things and penetrating the realm of the unconditioned […] It is damned to keep yearning for infinity. For the unconditioned, which alone could sate this yearning, will in principle not, and therefore never arrive.”86 So Manfred Frank states on the whole movement. Early Romanticism was in principle disillusioned and skeptical – a salient aspect of Jacobi’s and Reinhold’s distinction in his Bardili phase between unconditioned eternity and conditioned temporality. 87 Reinhold and Hegel understood and worked with that realism. It meant that Early Romanticism was far more disillusioned than the traditional interpretation of Early Ro85 Reinhold, (1799) “1st Sendschreiben an J. C. Lavater und J. G. Fichte”, p. 310. 86 Frank, (1997) p. 28, my emphasis. 87 Jacobi was the first Early Romantic thinker who distinguished the unconditioned or infinity, on which all of his philosophy of freedom was based, from conditioned finitude and time. Jacobi, who characterized himself as a “realist”, believed he could only be a successful realist on the basis of maintaining this distinction scrupulously and not mixing up time with eternity, the finite with the infinite, a false with true infinity. He criticized Fichte (and Spinoza) as “atheists” for not maintaining this distinction. He considered this mixing, which he called an “infinite time”, an oxymoron, a “concept that does not make sense” (17851, 17892) p. 259:14 f. Similarly, “the concept of creation in time”, – today we would point to Darwinism as a good example of such a creation – is just as thoughtless as the Spinozistic concept of “creation in infinity”, i. e. creativity ad infinitum (17851, 17892) p. 254:4 – 8. A mechanistic interpretation of nature using the etiological model of cause-and-effect, – Jacobi sees this at work in Spinoza – must not be confused with a genuinely grounding or principating or originating principle (17851, 17892) p. 255:5 – 8. See the excellent but tendentious Jacobi-interpretation by Sandkaulen, (2000) pp. 80, 94, 175. The title of her work, Ground and Cause, clearly focuses on a central distinction in Jacobi. She works out that distinction brilliantly. Nonetheless the purpose of the whole study is problematic. I cannot provide here a detailed explanation for this judgment, except to highlight two points: Her interest in Jacobi’s concept of a truly temporal time, for all its pithy analyses, is nonetheless motivated by what is called today a “postmodern” perspective, which in its frequent appeal to early Romanticism trivializes its true nature and purpose. The other main point is her twisting beyond all recognition Jacobi’s religious interests, and her sometimes surprisingly dogmatic polemic, e. g. against the theologian Hermann Timm’s Jacobi interpretation. See the review of Sandkaulen’s book by the philosopher Stiening (2002b).

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manticism has assumed up to this point and continues to assume88 especially in Anglo-Saxon intelligence. The infinite and unconditioned is never reached – this is highlighted in Hegel’s Sollenskritik = critique of the ought – and finitude remains a godless world whose desperation could not be propped up even with concrete walls. That became clear in 1989 but was in truth clear already two centuries earlier. Reinhold confirms here Jacobi’s atheism critique of Fichte and simultaneously anticipates Hegel critique of Fichte’s philosophy of striving that never arrives at its goal. It remains impotent and unworldly. Hegel distinguishes both in the Logic as also in the Encyclopedia Logic a “good” from a “bad infinity”. Bad infinity is identical with the ironic “perennial ought”.89 It is too weak to finitize, concretize or to determine itself. Therefore it floats infinitely in a state of indifferent sameness, willfulness or arbitrariness. It remains vague and abstract, for it is unable to negate its negativity or to advance beyond its infinite negativity.90 Reinhold addresses this issue well in the 5th issue of his Beytrge zur leichteren bersicht with the title 88 This is Frank’s correct diagnosis (1997) p. 28. 89 Hegel, (1812 – 1813) 79:36 – 80, 4; see also (1816 – 1831) 280 ff. See Hühn, (1997), see esp. pp. 130 – 133. 90 The whole quotation can be found in Hegel’s Logic: (1812 – 1813) p, 81: “The reason why it is impossible not to go beyond this going beyond,” Hegel says is this: “Only the bad infinity is present.[…] The bad infinite is the same as the perennial ought. It does indeed negate finitude, but it cannot really liberate from it. This becomes apparent in its own Other, because this infinite is no more than its relationship to its other finitude. Progress into infinity is therefore the perennial sameness, one and the same, boring alteration of this finitude with the infinite.” The complete complex of issues raised here can be traced, albeit not in the identical terminology, through Reinhold back to Jacobi. This is especially true for the concept “boredom”, used much by Hegel and pointedly but more sparingly by Jacobi, who took it over from Lessing. See Jacobi (17851, 17892): Lessing, Jacobi reports, was unable to conceive a deity which extends into infinity. 34:13 – 17: Lessing, “associated with that idea – of an infinitely progressing deity – such an infinite boredom, that he became deeply troubled by it.” Mendelssohn, who knew Lessing well as being always full of “weird” and “most exotic ideas” with which he loved to entertain at a Sunday afternoon Kaffeeklatsch in a salon, agrees with Jacobi in his Erinnerungen of this “boring idea of God”, which we could call “boring theology”: “It is identical with all that you say of him on p. 33 [(17851, 17892) 31: 1 – 3]. His concepts of the economy of the world-soul, of the entelechies of Leibniz, which are mere effects of the body, his weatherman mentality, his infinite boredom (about an infinitely extending deity) and similar other enthusiastic quirks, which light up momentarily, pelt down, and then disappear.” (17851, 17892) 179:10 – 16.

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“On a philosophy which is religion even in its very principle”.91 The idea to eternalize the finite and to deify the world, an idea he sees in the tradition from Kant to Fichte and Schelling, Reinhold accuses of “lacking consistency”. He traces this problem to theories that are proclaimed as “independent of that original source of all that is true and as well grounded and already proven truths”.92 But this means changing truth into the lie and to change Sein = being into groundless, i. e. vacuous Schein = appearance. This lack of persuasiveness derives, despite all clear parallels between his own and his adversaries’ projects, from Reinhold’s consistent interpretation of Schelling’s and Hegel’s “speculation” about identity as a subjectivism. “Identity” is in Reinhold markedly “religious”, as his reference to Malebranche indicates: Finite spirits perceive all in God, and “the primal images of things are communications within God”.93 Reinhold himself points to the same religious claim in his opponents, but nonetheless criticizes it as no more than an unpersuasive fake claim, because the identity of God as conceived by Schelling is “completely identical with the essence of nature”.94 So this philosophy of nature which is identical with a doctrine of God must from Reinhold’s perspective assume “here a skeptical, there a critical, and elsewhere a transcendental and elsewhere still an apodictic” structure. But in all this we are confronted with nothing more than a “knowing about our way of knowing”. But this is far removed from a “manifestation of God in nature”.95 Because of this unpersuasive unreasonableness it must, in Hegel’s later words, “be abolished” in the “abyss of nothing” of the “infinity” of the “pure concept”. For “only God is the true correspondence of the concept and reality” and all of nature has a concept, and a reality, which, however, lacks this truthful correspondence, and which is therefore inconsistently identical with itself. The disclosure of this inconsistency is also the disclosure of its own negativity which is negated in this disclosure. But this disclosure is the “action of the pure 91 Reinhold, (1803c) “Ueber die Philosophie, welche schon in ihrem Princip Religion ist” pp. 171 – 180. 92 Reinhold, (1803c) “Ueber die Philosophie, welche schon in ihrem Princip Religion ist” p. 171. 93 Reinhold, (1803c) “Ueber die Philosophie, welche schon in ihrem Princip Religion ist” p. 173. 94 Reinhold, (1803c) “Ueber die Philosophie, welche schon in ihrem Princip Religion ist” p. 173. 95 Reinhold, (1803c) “Ueber die Philosophie, welche schon in ihrem Princip Religion ist” p. 172.

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concept”.96 In this way Hegel can later come very close to Reinhold’s formulations. Reinhold said: “To recognize the manifestation of God, who is in his essence altogether incomprehensible, in nature as the essence, the original ground = Urgrund, and the final purpose of nature is in rational realism both the essence of philosophy and religion.”97 But that implies that prior to the clarification of that ultimate this identity of philosophy and religion is not apparent, and to declare nature as true in itself means affirming and not negating negativity. For this reason Hegel says in supplement 2 to § 24 of the Encyclopedia: “All finite things have an untruth in themselves, they have a concept and an existence, which, however, does not correspond to its concept. For that reason they must zugrundegehen = be abolished by going into the abyss of its internal contradictoriness98, by means of which destruction the incongruity of their concept and their existence becomes manifest.”99 The contrast to Schelling’s later, positive philosophy is clear, but this contrast is rooted in Schelling’s early philosophy of identity and its difference to Hegel’s perspective. I return to the main points in Reinhold’s understanding of identity: Up to this point I observed 1) a religious dimension in Reinhold’s philosophical understanding of identity focusing 2) on theories on the Godworld and eternity-time in such a way that 3) identity implies an Ur-Teilung = original division which has religious-logical dimensions. If these points have credibility, we are confronted 4) (Logic of development) with a genetic development of this thought.100 The theory of identity is a “genetic principle”. Bondeli also calls it a “developmental-logical” principle.101 It takes place as a process of thought which participates, however, in “objective” history, beginning with hypotheses and unfolding through var96 Hegel, (1970) 8 p. 86. 97 Reinhold, (1803c) “Ueber die Philosophie, welche schon in ihrem Princip Religion ist” p. 171. 98 Bardili said they must be “destroyed = zernichtet werden”. 99 Hegel, (1970) 8, p.86. 100 Karl Ameriks rightly pointed in several of his writings to this dimension in Reinhold as the initiator of the “historical turn” in the history of philosophy. See Ameriks (2004). But even more important is Ameriks‘ most important book up to this time on the subject of the Historical Turn (2006). In this later book not only Reinhold but also other discussants in the post-Kantian debate are presented in a most nuanced manner on the topic of the cradle of what later became known as “historicism”. Needless to say, the problem within this development is the main focus of these writings by the Kantian Ameriks. 101 Bondeli, (1995a) pp. 302 f.

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ious stages to its conclusion. So here we are confronted with history, more precisely with 5) philosophy of history. Historicality is both in reality and in thought, always a phenomenon of and in time, for infinity is both extra-temporal as well as pre- and trans-gnostic. So we need to summarize that time and finite reality are, as finite and temporal, possible to think only in the context of a higher trans-temporal eternity, the originally true. In this way Reinhold comes to criticize Schelling’s philosophy of “indifference” even in the writings of the early 19th century, when he had “abandoned forever” Jacobi’s position of not-knowing, as a philosophy of “perfected philodoxy”, because Schelling views the non-existence of that original truth above “I and nature” “expressly as the condition of all true recognition of nature and of the I”. By means of this exclusion of the higher truth Schelling would be able to recognize neither I nor nature. On top of that “nature is fashioned as the mere mirror image of the I”. So nature is degraded to an anthropopathic self-reduplication of the I. In the context of Schelling’s philosophy of indifference, thinking, as philodoxy = philosophy of mere opinion, is possible as no more than “mere appearance of truth”, or as an illusory truth.102 At the latest at this point the question of justification of the thinking process emerges: Reinhold attests Schelling a failure of the logical process moving from the incipient hypothesis to its verification in the conclusion. I now turn to this issue, the next and last part of my investigation.

4. Hypothesis and conclusion The religious theory of the “original truth” or of “original being”, which pointedly starts out with Jacobi’s not-knowing philosophy of faith but which goes beyond Jacobi to a philosophy of knowing103, works in creative new ways with Bardili’s Outline of the first Logic. Jacobi’s scientifically not graspable original truth is asserted not only by Jacobi, but also by Fichte and also Reinhold during his “interim position” = Zwischenposition as the foundation of his “organized not-knowing”104 and therefore it is asserted as a “non-philosophy”. In the meantime, however, the weather 102 Reinhold, (1802c) “Philodoxie” p. 188. 103 Reinhold, (1801a) “Was heißt philosophiren?” p. 67 – 69. 104 Reinhold, (1801c) “2nd Sendschreiben an Fichte” p. 124.

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conditions have changed dramatically, mainly because of Fichte’s Bardili Review. Jacobi promotes his not-knowing “in precisely the opposite sense”, Reinhold now writes to Fichte, “in which you and I with you once believed and confessed.”105 Jacobi, Reinhold states, thinks all thoughtful products of the human spirit are games fabricated for enjoyment and without knowledge of real objective truth of which humanity must always remain in the dark. And Jacobi believes, Reinhold continues, that you have drafted the most impressive scientific game, all without having even the slightest clue about truth itself. Jacobi‘s critique of reason “considers speculative knowing in principle, and therefore also what he deems the most consistent system, which you are erecting, as organized Not-knowing. So he is the skeptic, and you are opposite him the hard-core dogmatist.” 106 The reason for this judgment is clear: Jacobi had in his Sendschreiben diagnosed the whole movement of Idealism, beginning with Kant, as a “chimerism”, as an illusory science. And for that reason it is a “nihilism” equipped with an “aprioristic halo” which knows nothing of the truth and of God but on the contrary understands only philosophical speculation on the “law of identity”, the law of the identity “of I as the Non-I.” Nothing but this is declared to be God.107 Reinhold‘s diagnosis of speculative philosophy of identity of the Fichtean Schelling around 1800 as illusory knowing takes over Jacobi’s diagnosis in his “incomparable Sendschreiben”108 and incorporates it into his own thinking. In Reinhold’s interpretation, one can find in Fichte‘s and Schelling‘s “not-knowing” the scientific destruction of truth.109 So Reinhold 105 Reinhold, (1801c) “2nd Sendschreiben an Fichte” pp. 123 f. 106 Reinhold, (1801c) “2nd Sendschreiben an Fichte” pp. 123 f. 107 Jacobi (1799) Sendschreiben Jacobi-W 2, 215: 10 f; 214:3; 214:30. The words “aprioristic halo of nihilism” of Idealism can be found in Jacobi’s essay of (1802) ber das Unternehmen des Kritizismus Jacobi-W 2, 320:13. Here Jacobi diagnoses both Hume’s empiricism as also Idealism as two different forms of nihilism. Already in his David Hume. ber den Glauben (1787), even prior to the publication of Kant‘s Critique of Practical Reason, Jacobi had diagnosed Idealism as an unfounded science of the illusory nothing. Jacobi says here: In this nihilistic science those who hold it teach: “I am all and outside of me there is nothing in the real sense of the term.” David Hume, Jacobi-W 2, p. 61:14 f. 108 Reinhold, (1799) “1st Sendschreiben an J. C. Lavater und J. G. Fichte” p. 308. 109 The philosophical debate on being and nothing goes back to antiquity. See Kobusch, (1984) “Nichts, Nichtseiendes” p. 805. But the connection between “nothing” and “nihilism” is of early Idealist origin. See Kobusch, (1984) especially pp. 829 f., und Müller-Lauter, (1975) “Nihilismus” and Müller-Lauter, (1984) “Nihilismus”. The concept “Nihilism” is a neologism coined by J. H.

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turns Fichte’s sword, with which he had discredited Reinhold as a “hard-core dogmatist”, against Fichte himself, whose “not-knowing” speculation implies an atheism and nihilism. And Reinhold goes to work drafting a better science that takes its guidance from the original ground of all truth, while simultaneously – of necessity! – incorporating both dogmatism and also skepticism.110 In this way he devises his new theory in such a way that the problematic of only hypothetically presupposed assumptions at the beginning do not emerge in their truth until the end of the process of thought or only once the system is fully developed. As has already been observed with reference to Plato and Plotinus, the thesis of the not-knowability of the absolute is an important piece of negative theology,111 and, as we have also mentioned, Reinhold has been well aware of this tradition since his very early publication of Obereit, see Müller-Lauter, (1984) pp. 846 f. Jänisch, the Kant editor, differentiates (1796) a “conditioned” from an “unconditioned Idealism”. The Kantian Jänisch stresses Kant’s emphasis on the “complete unrealism of our knowledge”, p. 200, in so far as “in our knowledge of phenomena there is contained nowhere at all anything real in view of things-in-themselves p. 162. In view of Transcendental Idealism our knowledge is a “mere blind eye” p. 272, or “a glass on the outside of which is pasted […] a foreign image”, p. 276, see p. 199. Things in themselves are in this perspective “altogether nothing” for our knowledge, p. 276 f. This is then called by Jänisch “the principle of the unconditioned Transcendental-Idealistic nihilism”. Here appears also the abbreviated formula: “Idealististic Nihilism”, p. 274. Jänisch believes that this idea is contained already in Kant as a dangerous possibility, but only his “more than dogmatic pupils develop it”, pp. 193 ff. Jänisch does not quote any names. Neither Kant nor Fichte, whom he mentions very respectfully, is for him a nihilist. But Jacobi had come to this conclusion already in 1787 in his David Hume, indeed, already in his Spinozabriefe in 1785. 110 See Reinhold, (1803c) pp. 99 ff. Sixteenth Part of “New Solution to the Old Question of Philosophy” § 34, “Manifestation of essence, appearance and illusion. Dogmatism and Skepticism.” The “New Solution of the old question of philosophy” makes on the very first page of the 6th issue this note: “The Popular presentation of Rational Realism presented in Number 1 of issue V pointed to its consequences. We can now proceed to the description of the principles of rational realism. That means that we can proceed to the clarification of what had been presented in those aphorisms only as something still to be explicate and clarified. For this reason the following §.§. must be understandable also without those aphorisms, although they contain their continuation.” So this sixth and last installment dated “Kiel, Sept. 12. 1803”, contains the most mature principles of Reinhold’s Rational Realism. 111 See especially Kremer, (2008) pp. 9 – 29.

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the Hebrew Mysteries. But it is not helpful to merely assert the not-knowability of the absolute. At the very least, it is circular: Something is here asserted as absolute and true of which nothing can be known. As a working hypothesis however, such an assertion makes more sense. For this reason Reinhold must modify both Jacobi and Bardili if he hopes to show that Jacobi’s unphilosophic original truth,112 which he calls “Jacobi’s pure being, i. e. God’s being”113, is identical with Bardili’s philosophic-logical being. But this identification of necessity modifies both. In this process of modification two procedures become important which he had developed during his Fichtean period: 1. Fichte’s good circular argument is one, and 2. Reinhold empowers this good circle in a process of deduction and grounding. Now these are both Fichtean elements. Reinhold himself speaks of a “reformation” of philosophy. And this reformation leads to the hypothesis-conclusion dialectic. But also Plato’s dialectic of deduction, present for example in the metaphor of the line of the Republic, gains new prominence in this process. Also here steps, beginning with a presupposed possibility, lead progressively through a process of negation to the reality of a new position.114 Rein112 Reinhold, (1801c) “Was ist das Denken, als Denken?” p. 100 f. 113 Reinhold, (1801d) “2nd Sendschreiben an Fichte” p. 118. It is useful here to note that at the latest the new Jacobi edition used here, which itself is a product of the massive Fichte, Schelling and Hegel research during the last forty years, as also the significant book by Sandkaulen (2000) have revealed that Jacobi not only opposed Spinoza. He just as strenuously defends Spinoza. His philosophy of subjectivity emerges precisely out of this “Spinoza-Antispinoza”. I cannot elaborate. If Reinhold refers to “Jacobi’s pure being, i. e. God’s being”, this is Spinoza‘s Substance. See Jacobi Spinozabriefe (17851, 17892) I, 128:16 – 18; 274:13 f. On Jacobi‘s “Spinoza-Antispinoza” see Sandkaulen, (2000) pp. 13, 15, 24 f., 31, 42, 45 and passim. That most interpreters see in Jacobi’s writings only a critique of reason and not also and even mainly an attempt to provide a better foundation of reason is one of the main crudities in the history of philosophy. It dominates the image of Jacobi almost exclusively to this day on both sides of the Atlantic. We have seen recently some more balanced publications on Jacobi. Jacobi’s salto cannot really be seen as the suicidal philosophical leap “in to the arms of God’s mercy” (Schlegel [1796] end of Woldemar Review). Sandkaulen and a few others have begun to change this historical injustice. If thinkers such as Reinhold, Fichte, and Schelling cut their philosophical teeth on Jacobi, and if Hegel studied Jacobi all his life, as Gawoll maintains, it should not be beneath our dignity to also take him seriously. 114 Reinhold, (1802d) “Die Simplicität der Philosophie im Gegensatz mit der Duplicität der Philodoxie” p. 213: “In particular Plato considered what he called in his Republic ,dialectic‘, as the purely reasonable science, the science of objectivity, which is simultaneously doctrine of reason and doctrine of essence. In this sci-

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hold pointedly refers his hypothesis-conclusion dialectic to Plato, and in doing so he does not depart from Bardili, but rather sees him affirming his own efforts despite his differences with Bardili. For Bardili also stands in this Platonic tradition. Bardili’s logic is not “undialectical”.115 So we are able to point to a continuation in Reinhold’s thought also in this regard despite the dramatic shifts, which we do not deny here. The continuity is in evidence from the Platonic Hebrew Mysteries to Kant to Fichte, and to Jacobi and then to Bardili. This hypothesis-conclusion dialectic becomes central in Hegel’s mature system. It emerged at Jena. Hegel formulated in the Jena period after Schelling left in 1803 in Aphorism 46: “The principle of a system of philosophy is its conclusion.” Later, in the Encyclopedia, 116 he pointed to this ence reason proves itself by separating illusion from truth by tracing truth back to the originally true, and the essence of nature to the deity which manifests itself in it.” 115 Düsing claims (1976) pp. 95, note 75, 103, note 101 that Bardili’s logic is “undialectical”. See to this Bondeli, (1998) p. 165. 116 Hegel, (1830) Encyclopdie § 10 supplement 43 f. Hegel here criticizes “critical philosophy’s” “confused” attempt to know God and the essence of things, i. e. the “thing in itself” by first investigating the “tools” of knowledge. This is as confused as attempting to learn to swim by first learning on dry land how to swim, instead of jumping in “head first”, or learning to digest abstractly i. e. in textbooks about the digestive process prior to digesting. Hegel specifically mentions two issues in this quoting of Reinhold (1801b): “Vorläufige Zurückführung der Philosophie auf eigentliche Vernunftlehre”. The correct procedure is to begin hypothetically and problematically, and then to proceed to the Urwahres, i. e. what one hopes to verify, God or what Kant called the “thing in itself” by analytically applying thinking as thinking. I should mention that Reinhold’s critique of Kantian epistemology during his Bardili phase, as also Hegel, learned much from Jacobi’s critique of Kantian transcendentalism: The critique first investigating the “tool” of knowledge comes from Jacobi’s Woldemar (17791, 17962 ; 271:17 f.), from the Spinozabriefe (17851, 17892) (186:5) as does also the heady “head first” jumping (17851, 17892 ; 20:15 – 18) into the water to learn to swim by swimming, which Hegel elsewhere also points out in the digesting metaphor: The gastroenterologist must already be digesting in order to do his gastroenterological research. It is also an outrage for craniology, i. e. brain science or neurology, to propose that locating centers in the brain responsible for certain mental functions, is identical to thinking. See Hegel’s sarcastic remarks in aphorism number 98, Hegel-AA 5:507 f. on Dr. Gall, who lectured before a large group of paying (and some nonpaying) intellectuals at Jena for six days in the Gasthof von der Rose beginning Aug. 1, 1805, a lecture which professors Hegel and Schelver provocatively boycotted. Gall clearly advocated the new, still today reigning empirical approach to brain function.

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partial element of his system, referring to Reinhold. But he speaks already prior to the Encyclopedia, in Fragment number 46 from the earlier Jena years, described by Rosenkranz, of the origination problematic, which “must of course also be its conclusion”.117 This dialectic contains the stressed relationship between dogmatism and skepticism, for a merely asserted point is too dogmatic and any honest reflection of such a claim can only proceed skeptically. And if Reinhold’s critique of the “groundlessness of Kant’s philosophy” and of its transcendentalizing followers is to have any meaning at all, that philosophical thinking must attempt to find better and more solid grounds. This better foundation Reinhold finds neither in Jacobi’s “originally true” nor in Bardili’s philosophy of identity. He finds it in a combination of both, modifying both of these elements in the formulation of his own systematic conception. In this process he constantly draws on the tradition of negative theology, especially on Plato and the Platonic tradition of thought.

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Anhang: Werkstattbericht

Zum Stand der Arbeiten an den Reinhold-Kollegnachschriften innerhalb der „Gesammelten Schriften“ im Schwabe-Verlag Erich Fuchs Abstract: Among the student transcripts made of K. L. Reinhold’s lectures, the ones on Logic and Metaphysics and on Kant’s Critique of Pure Reason are of particular interest. They were first publicly presented at the 2007 Reinhold Conference in Montreal. In the meantime the committee of the Schwabe Verlag in Basel, who are preparing an edition of Reinhold’s Collected Writings, have decided to include in volume 12 one student transcript of each of the following lecture courses: Logic and Metaphysics (National Archives, Bremen), written down in the winter semester of 1792/93 by Johann Smidt, and Kant’s Critique of Pure Reason (Austrian National Archives, Vienna), written down in the summer semester of 1793 by Wilhelm Joseph Kalmann. The transcripts not included in this volume will be made available on an accompanying CD ROM.

Im Rahmen meiner Forschungen für die J. G. Fichte-Gesamtausgabe bin ich – auch durch andere Forscher unterstützt – auf Kollegnachschriften gestoßen, die K. L. Reinholds Hörer in Jena von dessen Vorlesungen über a) die Kritik der reinen Vernunft und b) über Logik und Metaphysik angefertigt haben. Auf der Reinhold-Tagung im Juni 2007 habe ich das Projekt einer Publikation dieser Kollegnachschriften näher vorgestellt.1 Der Herausgeber der Gesammelten Schriften Reinholds bei Schwabe (Basel), Martin Bondeli, hat einer Aufnahme eines Bandes der Kollegnachschriften zugestimmt, den Faustino Fabbianelli und ich bearbeiten. Über den Fortgang dieser Arbeiten soll hier berichtet werden. Von den Vorlesungen zur Kant’schen Kritik liegen uns Nachschriften von Kalmann und Krause vor, von den Vorlesungen über Logik und Metaphysik neben Kalmann und Krause auch eine dritte, zugleich die umfangreichste, von Johann Smidt. Mit dem wissenschaftlichen Kuratorium der Reinhold-Edition haben wir uns im Januar 2010 in Basel getroffen und dort vornehmlich aus Umfangsgründen beschlossen, dass wir zu jeder Vorlesung nur eine Nachschrift im vollen Wortlaut in Buchform publizieren werden: von 1

di Giovanni 2010, S. 291 – 314.

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Erich Fuchs

den Nachschriften zur Kritik die Nachschrift Kalmanns, von den Nachschriften über Logik und Metaphysik die von Johann Smidt. Das Kuratorium hat sich dem Urteil Martin Bondelis über die Kalmann-Nachschrift angeschlossen: Sie „ist ausführlich und besticht durch eine differenzierte und problembewusste Wiedergabe der Kant’schen Hauptgedanken aus der 2. Aufl. der KrV.“2 Schwieriger war die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Nachschriften zur Logik und Metaphysik. Die umfangreichste und die meisten sachlichen Informationen versprechende Nachschrift von Smidt hatte schon mehreren Transkriptionsversuchen widerstanden. Auch in Montreal war diesbezüglich noch meine Nachricht an die Fachwelt gewesen: „Die Handschrift von Johann Smidt bot zu große Schwierigkeiten, als daß wir mit einer vollständigen Entzifferung seiner Hieroglyphen in absehbarer Zeit fertig werden könnten. […] Da ist wohl das Interesse der Reinhold-Forschung abzuwarten, um abzuschätzen, ob sich die Mühe und der Zeitaufwand lohnt.“ Inzwischen hat mich die Rückmeldung, besonders des Spiritus rector M. Bondeli zu der Anstrengung animiert, die Smidt-Nachschrift vollständig zu transkribieren. Seit Ende Juni 2010 liegt sie – in einem zweiten revidierenden Durchgang bearbeitet – vor. Und ich meine, dass sich die Arbeit gelohnt hat, will aber der fachlichen Kompetenz der Beurteiler damit nicht vorgreifen. In Basel hatte ich den damals schon vollständig transkribierten LogikTeil der Smidt-Nachschrift vorgelegt und auch knapp seine Qualitäten charakterisiert. Aufgrund dieses Berichts ist beschlossen worden, in Band 12 der Gesammelten Schriften diese Smidt-Nachschriften zu publizieren. Mein Arbeitsergebnis habe ich inzwischen Faustino Fabbianelli übergeben, der diesem zu edierenden Material die endgültige Form geben wird. Es wird noch zu beraten sein, ob wir aus den inhaltlich parallelen Nachschriften ergänzende Passagen aufnehmen sollen. Die Entscheidung in dieser Frage wird schließlich auch davon abhängen, welcher Bandumfang uns letztlich zur Verfügung steht. Die Smidt-Nachschrift – so viel kann man jetzt sagen – ist eindeutig eine in der Vorlesung selbst mitgeschriebene Nachschrift. Es ist zur genaueren Bezeichnung die differenzierende Charakterisierung einer „Mitschrift“ verwendet worden, im Unterschied zu den zu Hause vervollständigten und ausgearbeiteten „Nachschriften“, wie z. B. denjenigen, die Schopenhauer von Fichtes Vorlesungen in Berlin hinterlassen 2

Aus dem Protokoll dieser Sitzung.

Zum Stand der Arbeiten an den Reinhold-Kollegnachschriften

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hat, die den Titelzusatz tragen „Zu Hause aus dem Gedächtniß nachgeschrieben“. Eine solche Mitschrift hat natürlich den Vorteil der lebendigen, frischen Authentizität, aber auch Nachteile: An etlichen Stellen zeigt sich, dass Smidt bei der Mitschrift der Texte, die Reinhold nicht diktiert, sondern wohl frei vorgetragen hat, entweder akustisch oder logisch oder vom Tempo des Vorgetragenen her überfordert war. Dies hat zur Folge, dass Sätze entweder nicht vollständig oder grammatisch nicht haltbar sind. Mehrfach hat Smidt auch eine oder mehrere Zeilen Leerraum gelassen, um vielleicht später das Verpasste nachzuholen. Diese Vervollständigung scheint er aber eher selten unternommen zu haben. Diese Schwachstellen könnten durch Ergänzungen aus der ebenfalls recht umfangreichen Krause-Nachschrift korrigiert werden, falls diese an der fraglichen Stelle tatsächlich Hilfe bieten sollte. Denn diese Nachschrift enthält ebenfalls wie die von Smidt zwischen die diktierten Paragraphen gesetzte Texte des freien Vortrags. Die Zahl der Paragraphen ist in beiden Mitschriften ungefähr gleich. (Die Krause-Nachschrift macht aber insgesamt eher den Eindruck einer redigierten, nachmals kopierten Abschrift, wie sie bekanntlich unter den Studierenden der damaligen Zeit kursierten. Bedürftige Studenten mit schöner Handschrift haben sich durch solche Kopierarbeit ein Zubrot verdient.) Andererseits ist schon mit dem Gesamtherausgeber und dem Verlag die Frage einer Lösung näher gebracht worden, wie man verhindern kann, dass die übrigen Nachschriften der Forschung entzogen bleiben. Es besteht schon weitgehend Übereinstimmung, dass die nicht im Druck zur Verfügung gestellten Texte auf einem elektronischen Datenträger (CDROM) dem Band 12 der „Gesammelten Schriften K. L. Reinhold“ beigelegt werden. Die endgültige Redaktion des Drucktextes der „Logik und Metaphysik-Nachschrift“ ist zusammen mit einer Einführung in den gesamten Band noch zu leisten. Diese Aufgabe habe ich gerne an meinen Freund Faustino Fabbianelli abgetreten. Abschließend sei an dem Abschnitt über den Skeptizismus bzw. Zweifel gezeigt, wie sich die Logik- und Metaphysik-Nachschriften Krauses, Kalmanns und Smidts unterscheiden. Dieser Vergleich könnte m. E. für die Reinhold-Forschung aufschlussreiche Folgerungen für die Entwicklung von Reinholds Konzeption der Elementarphilosophie erbringen, wenn man berücksichtigt, dass Smidts Nachschrift aus dem Winter-Semester 1792/93, die Kalmann’sche vielleicht aus dem fol-

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genden Sommersemester, die Krause’sche wahrscheinlich aus dem WS 1793/94 stammt. Allein die Menge des Textes, die von den drei Nachschreibern zu demselben Thema festgehalten wurde, gibt schon einen Anhaltspunkt, in welcher Weise sich die Nachschriften signifikant unterscheiden: Das Thema des Skeptizismus bzw. Zweifels behandelt Smidt auf fünf Seiten, Kalmann braucht dafür etwas mehr als eine Seite, Krauses Text ist noch kürzer. Zuletzt stelle ich an vier Beispielen aus den Abschnitten über den Skeptizismus im Detail die Unterschiede der Formulierungen vor:

Logik Smidt 67r Dem Zustande des Wissens[,] in welchem man sich durch das Beweisen Rechenschaft erwirbt, ist der Zustand des Zweifels entgegen gesetzt, wie der Gewißheit die Ungewißheit. Wir müssen allerdings Gründe haben, aber diese müssen unzureichend seyn, man muß sich bewußt seyn daß man nicht urtheilen kann. Zweifel heißt ein gegebenes Urtheil zurückhalten – Es ist aber in der Logik von einer besonderen Art des Zweifels die Rede. – Der Zweifel der noch Anlaß zu der Untersuchung gibt ob und in wiefern der Mensch hoffen könne[,] durch die Gabe seines Verstandes zur Wahrheit zu gelangen ‹ist› der Scepticismus – Scepticismus ist nicht Zweifel überhaupt sondern eine gewisse Art des Zweifels in der Philosophie. – Auch selbst die besondere Neigung und Findigkeit zu zweifeln, die bey verschiedenen Menschen in dem Temperament gegründet ist, heißt nicht Scepticismus. Diese Art der Ängstlichkeit verursacht freylich eine Menge Zweifel[,] aber dies ist nicht Scepticismus. Auch der logische Zirkel ist nicht Scepticismus. Er besteht in der Zurückhaltung j unseres Urtheils in allen den Fällen wo wir noch keine hinlängliche Untersuchung der Gründe des Urtheils vorgenommen haben[,] und ist nichts weniger als Scepticismus sondern der Gehorsam den jeder denkende Kopf gegen das allgemeine logische Gesetz ausübet, welches ihm zu jedem Urtheil Gründe aufzusuchen ge‹beut›. Es ist das allgemeine Gesetz des Denkens[,] das bey jeder Überzeugung einen Grund fordert. In Rücksicht auf die Bezweiflung eines philosophischen Systems, das man noch nicht geprüft hat, ist nicht Scepticismus – Soll der Scepticismus ein philosophischer Zweifel seyn, so muß [er] alle Merkmale der Philosophie an sich haben, er muß von Grundsätzen abgeleitet seyn, sich auf Grundsätze stützen –

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Scepticismus ist derjenige Zweifel aus Grundsätzen der die Wahrheit selbst betrifft[,] die die Übereinstimmung unserer Vorstellung mit dem Objecte angibt, die eigentlich die Erweislichkeit der Wahrheit glaubt – Der Skeptiker läugnet nicht die Wahrheit selb[st]. Erläugnet die Erweislichkeit der Wahrheit: und zwar versteht er unter W[ahrheit] die Übereinstimmung unserer Vorstellung mit [dem] reellen Gegenstande. Die[se] Wahrheit heißt subjectiv. Wir unterscheiden in unserem Bewußtseyn den Gegenstand der Vorstellung und die Vorstellung. Bisher sieht die Philosophie die Wahrheit in Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegenstande, ‹da nur dann nie› eine Übereinstimmung der V[orstellung] mit dem O[bject] Statt finden kann[,] wenn diese beyde verschieden sind – Das Object können wir nur in sofern mit der Vorstellung vergleichen wenn beydes in unserem Bewußtseyn vorkömmt[.] Das Object kann nur in unserem Bewußtseyn vorkommen in wiefern es gedacht wird. Die Wahrheit kann nichts anderes seyn als die Übereinstimmung einer Vorstellung mit dem O[bject] in wiefern es gedacht wird. Der Scepticismus bezweifelt ob unsere Vorstellung mit dem O[bject] übereinstimmt inwiefern dasselbe unabhängig von unserem Bewußtseyn ausser unserer Vorstellung etwas wirkliches ist. Das O[bject] in wiefern es im Bewußtseyn vorkömmt, gedacht wird, ist nichts anderes als ein O[bject] wie es vorgestellt wird. 67v Bey der subjectiven Wahrheit kömmt man nie aus [der] Vorstellung heraus – Die Übereinstimmung ‹unserer› V[orstellung] mit dem O[bject] in wiefern es unabhängig von unserer V[orstellung] etwas für sich selbst sey[,] müsse objective Wahrheit seyn sagt der Sceptiker. – Sehr frühzeitig machte man die Bemerkung daß die Beschaffenheiten der durch die Organe erstellten Dinge von der Beschaffenheit unserer Sinne abhängen, daß das ganz anders seyn würde, wenn unsere j Sinne anders wären. Wenn wir anders eingerichtete Sinne erhielten so würde uns die ganze Welt außer uns in einer ganz anderen Gestalt erscheinen. Die Organisation modificirt den Eindruck des Dings an sich. – Alles was durch unsere Org[anisation]: in unserer V[orstellung] beyge‹schrieben› wird, kann ihnen nicht zukommen – dies können wir nicht trennen[,] also können wir auch gar nichts davon sagen wie die Dinge an sich eingerichtet sind. – Aus dieser Vorstellung schließen die Philosophen da alle unsere Vorstellungen sich auf Eindrücke beziehen, da unsere sinnliche Vorstellung das erste sey aus der unser Verstand seine Betrachtung zieht, so kann diese

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nicht nicht ‹wahre› [seyn] eine jene sinnlichen – Er kann uns so wenig für die Beschaffenheit der Wahrheit bürgen wie der Sinn.

Vom Scepticismus § 222 Zweifel heißt ein gegebenes Urtheil darum zurückhalten, weil ebensoviele und ebensowichtige Wahrheitsgründe zu demselben fehlen als gegeben sind[.] § 223 Sceptisch wird der Zweifel genannt der aus philosophischen Grundsätzen entspringt und die objective Wahrheit betrifft. § 224 Subjectiv wird die Wahrheit genannt inwiefern man unter derselben die Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegenstande derselben soweit als er im Bewußtseyn vorkömmt versteht. Objectiv heißt sie inwiefern sie die Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegenstande seyn soll, der sich nicht anders denken läßt und nicht anders im Bewußtseyn vorkommen kann, als er wirklich gedacht wird und wirklich im Bewußtseyn vorkömmt. ___________ Schon die Eleatiker versuchten zu zeigen daß unsere Vorstellungen keineswegs mit den Dingen an sich übereinstimmten. Dies beweisen sie aus der Relativität des Zeugnißes der Sinne. Der Sinn kann uns kein anderes Zeugniß ablegen als es von der Beschränktheit unserer ‹Org [anisation]: abhängt. Die Eigenschaft zB welche Farbe heißt hängt nicht sowohl von der Beschränktheit der Dinge an sich als von der Beschränktheit unseres Auges ab und so dem übrigen Vollzug der Sinne. So wie das Auge durch den Eindruck modificirt wird, so modificirt auch unsere Organisation die Vorstellung. Den Dingen an sich kömmt nie bloß der Eindruck zu – Diese Modification in der wir die Dinge erhalten können wir nicht von dem Eindruck trennen, also können wir mit Sicherheit dies schließen, daß das Zeugniß unserer Augen bey den Dingen an sich uns gewiß nicht das richtige ist[.] j Die sinnlichen Vorstellungen sindn nun die Basis der übrigen Vorstellungen, und so können [es] die Scepticer aufs äußerste treiben und sagen unser Verstand könne unmöglich richtige Begriffe haben von unserem Sinn da diese das Material für ihn sammeln – Unser Verstand könne zwar Form und Methode sein bringe aber die Sache selbst nicht weiter.

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68r Aus diesem totalen Scepticismus ist früh bey den Griechen ein partialer Scepticismus entstanden. Platon schränkte sich darauf ein das Zeugniß der Sinne allein für täuschend zu erklären und dem Verstand die Zuverläßigkeit zu[zu]erkennen, Epikur im Gegentheil schrieb den Sinnen Wahrheit zu und hielt den Verstand für unzuverläßig. Platon hält ‹mit› Leibnitz den Verstand für das Vermögen die Dinge an sich zu erkennen, und die Vernunft [für] das Vermögen dies in Ordnung zu bringen – er hielt daher den Verstand und [die] Vernunft für das einzige Organ der Wahrheit. Ihr Geschäft in Rücksicht auf die Sinnlichkeit besteht darin daß sie das Zeugniß der Sinnlichkeit entwickeln, berichtigen, vollständig klar und deutlich machen. In Rücksicht auf die Moral ließ die Vernunft in nichts anderem bestehen als dem unaufhörlichen Kampf gegen das sinnliche Begehrungsvermögen – Die Sinnlichkeit sagte er könne als theoretisch nichts als Irrthum verbürgen; als praktisch nichts als das Böse wollen. Daher muß die Sinnlichkeit unterdrückt werden. – Die Sinnlichkeit ist hier als eine bloße Meinung vorgestellt, wenn man den richtigen Begriff von Sinnlichkeit hat kann man ihn leicht widerlegen[.] Denn Sinnlichkeit ist das Vermögen Stoff zu den Vorstellungen zu bekommen, ein Vermögen, welches sicht einmal der Verstand als das Vermögen zu verknüpfen denken läßt, da er die Sinnlichkeit voraussetzt. Dieser partiale Scepticismus des Plato ist eine Folge der misverstandenen Sinnlichkeit[.] Nichts gründlicher ist der Scepticismus des Epicur. Epicur der ein besserer Psychologe als Platon war, da jener es ihm in der Metaphysik zuvor that[,] bemerkte daß die Vorstellung der Dinge außer uns durch Eindrücke auf unsere Organe entstanden, daß also die Vft und Vorstellung der Dinge außer uns von der Einwirkung derselben auf unsere Organe abhange. Dies afficirt werden durch die Dinge außer uns nennt E[picur] Empfindung und behauptet daß die Empfindung das ächte Criterium der Wahrheit sey. Der Verstand hänge nach dem E[picur] ganz von demjenigen ab was die Empfindung ihm vorhielt. Vorstellungen die nichts enthalten was durch die Vft bestätigt wird nannte er phantastisch irrige Vorstellungen j und zu diesen rechnete er auch die Vorstellungen des reinen Verstandes. Die Sinnlichkeit sey also die Quelle der Wahrheit und der Verstand habe bloß den Antheil an der Wahrheit daß er der Ph[antasie] nie entgegenarbeite und die Vorstellung nach dem Zeugniß der Erfahrung ‹veredle› und berechtige. Inwiefern die Philosophen das Zeugniß der Erfahrung verlaßen entfernen sie sich von der Wahrheit – Er verwarf alle Vorstellung

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von unkörperlichen Gegenständen – Er bezeifelte die Wahrheit von allem dem was nicht unmittelbare Bestätigung durch die Sinnlichkeit erhält. 68v Allein wenn es zwar wahr ist daß der Verstand seine Materialien durch die Sinnlichkeit erhalten muß so ist doch eben so wahr daß die Gesetze die der Verstand bey seinen Operationen befolgen muß, keineswegs durch die Sinnlichkeit bestimmt sind daß die Handlungsweise des Verstand von seiner eigenen Thätigkeit abhängt, und hieran dachte E[pikur] gar nicht. Die Verknüpfung die der Verstand vornimmt, die Form desselben hängt von der ‹Spontaneität› des Geistes und nicht vom Eindruck ab. § 225 Der erste Keim des Scepticismus fand sich in der eleatischen Philosophie mit der richtigen Bewertung der Relativität und der Veränderlichkeit des Zeugnisses unserer sinnlichen Werkzeuge ein, und indem man die sinnlichen Vorstellungen auf alle Vorstellungen überhaupt bald mehr, bald weniger ausdehnte. § 226 Ein partialer Scepticismus wurde in Rücksicht auf die sinnliche Erkenntniß durch Plato, der durch Verstand allein; in Rücksicht auf die intellectuelle durch Epikur, der durch die Sinnlichkeit allein Wahrheit für möglich hielt, begünstigt, bis endlich Pyrrho die gänzliche Unerweißlichkeit aller realen Wahrheit behauptete. __________ Dieser Pyrrhonische Scepticismus ist in unseren Zeiten durch Hume zu seiner größten Vollständigkeit gebracht worden. 69r Die Benennung dogmatischer Scepticismus schien zwey Begriffe zu enthalten die einander ausschließen da der Sc: gegen allen Dogmatismus protestirt – Allein diese Benennung j enthält nichts widersprüchliches – Unter einem Dogma in der Philosophie wird ein ausgemachter ‹einseitiger› Satz verstanden. Die Philosophie ist dogmatisch insofern sie entweder solche Sätze aufstellt oder etwas daraus beweißt. Jeder Grundsatz = dem einen ausgemachten Satz ist ein Dogma – Bisher trennte sich beynahe alle Philosophie in Dogmatismus und Scepticismus – Dogmatiker hießen Denker, welche in der Metaphysik die Dinge an sich zu erkennen glaubten. Dogmatismus heißt dann ein System über die Dinge an sich – Dieser Dogmatismus zerfiel in Materialismus und Spiritualismus. Der Erste erklärte die Dinge an sich aus dem Dogma der Ausdehnung[,] dieser aus dem D[ogma] der Einfachheit. Die Sc[eptiker] waren den Dog[ma-

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tikern] insof[ern] entgegengesetzt weil sie voraussetzten die Dinge an sich ließen sich nicht erkennen, so also ließ sich auch keine objektive Wahrheit erkennen. Diese Sc[eptiker] sind keine Dogm[atiker] in Ansehung der Dinge an sich. Versteht man aber unter Dogma jeden ausgemachten phil[osophischen] Satz[,] so kann man die Sc[eptiker] freylich dogmatische Scept[iker]: nennen. Ihr Dogm[atismus] ist daß sich die objective Wahrheit nicht erkennen lasse. – Wenn es also einen Sc[eptiker] gäbe der von nichts Ausgemachtem ausginge so ist er kein philosophischer Sceptiker. § 227 Dogma heißt in der Philosophie jeder ausgemachte Satz, in wiefern also der philosophische Scepticismus auf Grundsätzen beruht, in sofern ist er dogmatisch. Dogmatiker heißen in der bisherigen Metaphysik die Philosophen welche das Wesen der Dinge an sich zu wissen glaubten und dasselbe entweder als Materialisten in der Ausdehnung oder als Spiritualisten in der Einfachheit der Substanz bestehen liessen, während die Sceptiker die Dinge an sich für unbegreiflich erklärten, und ‹allein› daraus schloßen, daß die objective Wahrheit die in der Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Dinge an sich, wie sie dafür hielten, befinde, unerweißlich wäre. __________ Der dogmatische Scepticismus wird in den populären und systematischen abgetheilt – . Erster gründet sich auf die Unentbehrlichkeit der Organe zu unserer Vorstellung. Er meynt er könne diese nur vermittelst seiner Organe erkennen. Jedes Ding ist aber in unserer Vorstellung anders wie ausser derselben. – Die Vorstellung besteht aber aus zweierley[:] erstens dem was die Dinge an sich dazu beytragen[,] zweitens das was durch unsere Organisation hinzu kömmt. Wollte man diese beyden von einander trennen, so würden alle Vorstellungen zernichtet. § 228 69v Der Scepticismus der die Zuverläßigkeit aller wissenschaftlichen Erkenntniß läugjnet zerfällt in den populären und systematischen. § 229 Der populäre gründet sich auf die misverstandene Lehre von der Unentbehrlichkeit der Organisation zu der Vorstellung. Sie behauptet daß wir weder die Beschaffenheiten der Dinge ausser uns noch unseres Gemüths ‹eigne Leistung› zu erkennen vermöchten, nicht die erstern, weil unsere Vorstellungen von jenen Beschaffenheiten eben so sehr von der Einrichtung unserer Organe, als von der Einwirkung der Dinge

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abhingen. Nicht das letztere weil es dasjenige, was in unseren Vorstellungen dem Gemüthe gehört, keineswegs von dem, was den Dingen gehört, zu trennen vermöchte. __________ Der systematische Scepticismus geht von dem Begriff der objektiven Wahrheit selbst aus von der sie behaupten daß sie unter der Übereinstimmung der Vorstellung mit den Dingen an sich verstanden wäre – Sie behaupten aber daß diese Übereinstimmung auf keine Weise angehe – dies beweisen sie dadurch daß unser Geist eine Vergleichung zwischen Dingen anstellen könne, die in seinem Bewußtseyn vorkommen, dies können aber die Dinge an sich nie – daher es denn auch keine obj[ective]: Wahrheit gibt – So stellt es D[avid] Hume vor. § 230 Die systematischen Sceptiker gehen von dem unrichtigen [Begriff] der objectiven Wahrheit aus, von der sie mit allen Philosophen vor Kant voraussetzen, sie bestünde in der Übereinstimmung der Vorstellung mit den Dingen an sich[.] § 231 Da es uns ganz unmöglich ist das Ding an sich mit dem vorgestellten, das heißt das Ding inwiefern es nicht in der Vorstellung vorkömmt, mit dem Dinge inwiefern es in der Vorstellung vorkömmt zu vergleichen, so läßt sich, behaupten diese Sceptiker jene Übereinstimmung, wenn sie auch möglich wäre auf keine Weise untersuchen und darthun. __________ 70r Der populäre Sc[epticismus] gründet sich auf die unrichtige Meynung daß er voraussetzt die Vorstellungen der Dinge außer uns seyen nichts anderes als die Eindrücke auf unser Gemüth aus denen sonach Begriffe entstünden – da aber die Vorstellung der Dinge einerseits Resultate aus der Einwirkung der Dinge an sich auf uns, andererseits aber doch die Modification die sie durch unsere Organisation ‹bekommen› j so haben wir schon andere Kenntniß der Dinge ausser uns als die schon alterirt, moderirt und also nicht mehr rein ist. Objective Wahrheit ist also für uns nicht erkennbar. Das ganze Räsonnement stürzt dahin wenn man den Grundsatz desselben läugnet. Nicht alle Vorstellungen entstehen aus Eindrücken – Die Dinge an sich liefern nur den Stoff zu der Vorstellung der eindrücke. Die ganze Erklärung des Ursprungs der Vorstellung die Locke und Hume

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‹hatten› ist unrichtig da sie Stoff und Form der V[orstellung] nicht unterscheiden. Ferner gehört die Veränderung der Modification die unsere Organisation zu den Eindrücken fügt gehört keineswegs dem Vorstellungsvermögen an. Dieses ist an nothwendige unveränderliche Gesetze gebunden, die wir gar wohl von allem durch Eindrücke gegebenen Stoff zu unterscheiden haben. – Alles was in unserem Vorstellungsvermögen nothwendig und allgemein erkannt [wird] kann nicht durch Eindrücke dahin gekommen seyn. Der ganze Begriff des populären Scepticismus stürzt allein ‹durch› die richtige Darstellung des Begriffs des Vorstellungsvermögens dahin. – Wahr ists, daß die Dinge an sich keineswegs so beschaffen sind wie wir sie uns vorstellen, daß wir nur überall auf eine Erscheinung rechnen dürfen. – Aber das absolutwahre in unseren Vorstellungen, das Unveränderliche in unseren Vorstellungen ziehen sie aus den Gesetzen des Vorstellungsvermögens. § 232 Der populäre Scepticismus setzt sehr unrichtig voraus daß alle Vorstellungen aus Eindrücken entstünden, welches nur allein von den empirischen Vorstellungen des äußern Sinnes gelten kann, welche und zwar nur in Rücksicht auf ihren Stoff aus dem Afficirtseyn der Sinnlichkeit vermittelst der Organe entspringen, wähend die Formen durch welche dieser Stoff zu Vorstellungen erhoben wird[,] durch das Vorstellungsvermögen hervorgebracht werden, und ihren Ursprung a priori im Gemüthe durch die Nothwendigkeit und Allgemeinheit welche sie mit sich führen unverkennbar ankündigen. __________ Bey jeder Vorstellung eines Dings außer uns kommen zufällige und nothwendige Merkmale vor. Die ersten rühren von Eindrücken her, haben im Stoffe seinen Grund – die anderen aber haben in der Form der Vorstellung ihren Grund nicht im Eindrucke. Der systematische Sceptiscismus ist für alle unwiderlegbar die die objective Wahrheit in der Übereinstimmung der Vorstellung mit den Dingen an sich bestehen lassen. Sie zeigen, daß die Vorstellung des Dings an sich nicht möglich sey. Ich kann nur von einem Object sprechen in wiefern es in einem Bewußtseyn vorkömmt, und Dinge an sich kommen nie im Bewußtseyn vor. 70v Das ganze Räsonnement fällt von selbst hinweg, sobald man einen richtigen Begriff von Wahrheit aufstellt. Die Wahrheit besteht in der Übereinstimmung der Vorstellung mit j dem vorgestellten Dinge in

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wiefern dasselbe so vorgestellt seyn muß wie es vorgestellt werden muß nach den nothwendigen und allgemeinen [Bedingungen] des menschlichen Geistes, wenn es ein Object der Erfahrung betrifft nach den Gesetzen der Erfahrung und hat in sofern historische Wahrheit – ‹was hingegen› die Gesetze des Verstandes, der Vernunft etc vorgestellt und hat insofern philosophische Wahrheit und das ist nun eine Wahrheit für Menschen. Jene kann nur in der Gottheit Statt haben. § 233 Der systematische Scepticismus fällt durch die Überzeugung dahin, daß Dinge an sich durch kein endliches Wesen vorstellbar sind, und daß daher auch die Wahrheit der Vorstellung eines solchen Wesens nicht in der Übereinstimmung der Vorstellung mit den Dingen an sich bestehen könne, sind in der Übereinstimmung derselben mit dem Vorgestellten, in wiefern dasselbe den ursprünglich nothwendigen und allgemeinen Gesetzen des Vorstellungsvermögens (philosophische Wahrheit) und wenn es ein Object der Erfahrung ist den Bedingungen der Erfahrung gemäß, historische Wahrheit vorgestellt wird. Diese Bedingungen der Erfahrung so wie jene Gesetze des Vorstellungsvermögens müssen in der Metaphysik genauer angegeben und bestimmt werden – alsdann sieht man beßer, nicht nur die Möglichkeit der objectiven Wahrheit überhaupt sondern auch in Rücksicht auf die wichtigsten Wahrheiten des Menschen besonders ein.

Logik Kalmann Von dem Zweifel § 202 Nicht jedes Zweifeln kann den Namen des skeptischen führen, nicht dasjenige, das in der Aengstlichkeit des Temperaments, in der Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, in Verzweiflung über mislungene Nachforschungen u: s: w: gegründet ist. § 203 Auch nicht der logische Zweifel oder die Fertigkeit, sein Urtheil bis zur reifen Untersuchung zurückzuhalten. § 204 Der Skepticismus besteht aus der, durch Grundsätze über die Gegenstände und die Vermögen der Erkenntniß bewirkten Ueberzeugung, daß über gewiße Gegenstände das Urtheilen unmöglich sey.

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§ 205 Der philosophische Skepticismus behauptet aus Grundsätzen die Unmöglichkeit der objectiven Wahrheit, welche aus der Uebereinstimmung zwischen der Erkenntniß und dem Gegenstande derselben besteht; während die subjective Wahrheit, die auch der Skeptiker annimmt, in der Ueber[62]einstimmung zwischen der Empfindung und dem Gedanken, folglich zwischen bloßen Vorstellungen enthalten ist. § 206 Der Skepticismus zerfällt in den populären und in den systematischen. Beyde heißen insofern dogmatisch, als es für sie ausgemacht ist, daß sich über objective Wahrheit nichts ausmachen laße. § 207 Der populäre Skepticismus gründet sich auf die misverstandne Lehre der Unentbehrlichkeit der Organisation zu den Vorstellungen und behauptet, daß wir weder die Beschaffenheit des außer uns, noch unsers eigenen Gemüths zu erkennen vermögten. Nicht das erstere, weil unsere Vorstellungen von jener Beschaffenheit eben so sehr von der Einrichtung unsrer Organe, als von der Einwirkung der Dinge außer uns abhängen – nicht das leztere, weil wir dasjenige, was in unsern Vorstellungen dem Gemüthe angehöre, von dem, was den Dingen außer uns gehöre, durchaus nicht zu trennen vermögten. – [63] § 208 In dieser Vorstellungsart wird unrichtig vorausgesezt, daß alle Vorstellungen aus den Eindrücken auf die Organe entspringen, welches doch nur von den empirischen Vorstellungen des äußern Sinnes in Rücksicht auf den Stoff derselben der Fall ist; während die reinen Vorstellungen, welche die nothwendigen und allgemeinen, im Vorstellungsvermögen gegründeten Merkmale der vorgestellten Gegenstände betreffen, von jenen Eindrücken unabhängig, und die Quellen der wißenschaftlichen Erkenntniß sind. § 209 Die systematischen Skeptiker gehen vom Begriffe der objectiven Wahrheit aus, von welcher sie mit allen Dogmatikern voraussetzen, daß dieselbe, wenn sie Statt fände, in der Uebereinstimmung zwischen Vorstellung und Ding an sich bestehen müßte. § 210 Da es aber ganz unmöglich wäre, das Ding an sich mit der Vorstellung, d: h: das Ding, in wiefern es in einer Vorstellung vorkommt, zu ver[64]gleichen: so ließe sich jene Uebereinstimmung, wenn sie auch möglich wäre, gleichwohl auf keine Weise untersuchen und darthun.

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§ 211 Dieser Skepticismus ist für alle diejenigen unwiderlegbar, welche die Dinge an sich als vorstellbar voraussetzen. Er ist aber schon dadurch widerlegt, daß, indem die Dinge an sich keinesweges Objecte unsrer Vorstellungen sind, auch keine Wahrheit in der Uebereinstimmung unsrer Vorstellungen mit denselben bestehen kann. Objective Wahrheit ist also die Uebereinstimmung der Vorstellung mit dem Objecte, inwiefern daßelbe nach den Gesetzen des Vorstellungsvermögens, und wenn es ein Gegenstand der Erfahrung ist, den Bedingungen deßelben gemäß vorgestellt ist. –

Logik Krause XIV. Capitel. Von dem Zweifel § 227 Zweifeln heißt ein gegebenes Urtheil zurückhalten, und findet in denjenigen Fällen statt, wo ungefähr eben so viele, und eben so wichtige Gründe für das Urtheil fehlen, als uns gegeben sind. § 228 Sceptisch heißt uns derjenige Zweifel, der a. aus philosophischen Principien entspringt. b. der nicht in dem Aufschieben, sondern im Aufgeben des Urtheils besteht. § 229 Der logische Zweifel, oder die Zurückhaltung des Urtheils bis zu der Erkenntniß und reifen Untersuchung der Gründe des Urtheils, ist, wenn er zur Fertigkeit geworden ist, eine Eigenschaft des gesunden Verstandes, und wird daher mit Unrecht ein Scepticismus genannt[.] § 230 Der philosophische Scepticismus, der aus der Beobachtung der Veränderlichkeit und Re[97]lativitaet des Zeugnißes der Sinne erfolgt, zeigte sich bereits in der alten Eleatischen Schule, und ist bis auf den heutigen Tag der gemeinste. § 231 Ein partialer Scepticismus wurde in der Academischen Schule aus der Trüglichkeit des Zeugnißes des Sinne in Rücksicht auf alle die Gegenstände gefolgert, zu deren Erkenntniß die Sinnlichkeit vorausgesetzt wird; in der Epicurischen Schule aber in Rücksicht auf alle die Gegenstände, die nicht durch das Zeugniß der Sinne, sondern durch bloße Vernunft erkannt werden müsten, wenn sie überhaupt erkennbar wären.

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§ 232 Der totale Scepticismus, welcher die Zuverläßigkeit aller wißenschaftlichen Erkenntniß überhaupt sie sey nun sinnlich, oder intellektuelle, läugnet, zerfällt in den populären, und in den systematischen. § 233 Der populäre Scepticismus gründet sich auf die mißverstandene Lehre von der Unentbehrlichkeit der organisation zu unsern Erkenntnißen, und behauptet, daß wir weder die Beschaffenheiten der Dinge außer uns, [98] noch auch unserer eigenen Seele zu erkennen vermögten; nicht die erstern, weil unsre Vorstellungen von jenen Beschaffenheiten eben so sehr von der Einrichtung unsrer sinnlichen Werkzeuge, als von der Einrichtung und der Beschaffenheit der Dinge außer uns abhiengen; nicht das leztere, weil wir dasjenige, was an unsern Vorstellungen der Seele angehört, von dem, was den Dingen außer uns eigenthümlich ist, durchaus nicht zu trennen vermögten. § 234 In allen diesen Vorstellungsarten wird der unrichtige Begriff von Wahrheit, der dieselbe in der Uebereinstimmung der Vorstellung mit dem Dinge an sich bestehen läßt, als ausgemacht vorausgesezt, und durch den Erweis der Unstatthaftigkeit dieser Voraussetzung wird der Scepticismus auf immer unmöglich gemacht.

Vergleich einzelner inhaltlich markanter Stellen Smidt § 222 Zweifel heißt ein gegebenes Urtheil darum zurückhalten, weil ebensoviele und ebensowichtige Wahrheitsgründe zu demselben fehlen als gegeben sind[.] Krause § 227 Zweifeln heißt ein gegebenes Urtheil zurückhalten, und findet in denjenigen Fällen statt, wo ungefähr eben so viele, und eben so wichtige Gründe für das Urtheil fehlen, als uns gegeben sind. Kalmann § 202 Nicht jedes Zweifeln kann den Namen des skeptischen führen, nicht dasjenige, das in der Aengstlichkeit des Temperaments, in der Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, in Verzweiflung über mislungene Nachforschungen u: s: w: gegründet ist.

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§ 203 Auch nicht der logische Zweifel oder die Fertigkeit, sein Urtheil bis zur reifen Untersuchung zurückzuhalten. *** Smidt § 223 Sceptisch wird der Zweifel genannt der aus philosophischen Grundsätzen entspringt und die objective Wahrheit betrifft. Krause § 228 Sceptisch heißt uns derjenige Zweifel, der a. aus philosophischen Principien entspringt. b. der nicht in dem Aufschieben, sondern im Aufgeben des Urtheils besteht. Kalmann § 204 Der Skepticismus besteht aus der, durch Grundsätze über die Gegenstände und die Vermögen der Erkenntniß bewirkten Ueberzeugung, daß über gewiße Gegenstände das Urtheilen unmöglich sey. *** Smidt § 230 Die systematischen Sceptiker gehen von dem unrichtigen [Begriff] der objectiven Wahrheit aus, von der sie mit allen Philosophen vor Kant voraussetzen, sie bestünde in der Übereinstimmung der Vorstellung mit den Dingen an sich[.] Krause § 230 Der philosophische Scepticismus, der aus der Beobachtung der Veränderlichkeit und Re[97]lativitaet des Zeugnißes der Sinne erfolgt, zeigte sich bereits in der alten Eleatischen Schule, und ist bis auf den heutigen Tag der gemeinste. […] § 234 In allen diesen Vorstellungsarten wird der unrichtige Begriff von Wahrheit, der dieselbe in der Uebereinstimmung der Vorstellung mit dem Dinge an sich bestehen läßt, als ausgemacht vorausgesezt, und durch den Erweis der Unstatthaftigkeit dieser Voraussetzung wird der Scepticismus auf immer unmöglich gemacht.

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Kalmann § 209 Die systematischen Skeptiker gehen vom Begriffe der objectiven Wahrheit aus, von welcher sie mit allen Dogmatikern voraussetzen, daß dieselbe, wenn sie Statt fände, in der Uebereinstimmung zwischen Vorstellung und Ding an sich bestehen müßte. *** Smidt § 225 Der erste Keim des Scepticismus fand sich in der eleatischen Philosophie mit der richtigen Bewertung der Relativität und der Veränderlichkeit des Zeugnisses unserer sinnlichen Werkzeuge ein, und indem man die sinnlichen Vorstellungen auf alle Vorstellungen überhaupt bald mehr, bald weniger ausdehnte. § 226 Ein partialer Scepticismus wurde in Rücksicht auf die sinnliche Erkenntniß durch Plato, der durch Verstand allein; in Rücksicht auf die intellectuelle durch Epikur, der durch die Sinnlichkeit allein Wahrheit für möglich hielt, begünstigt, bis endlich Pyrrho die gänzliche Unerweißlichkeit aller realen Wahrheit behauptete. Krause § 230 Der philosophische Scepticismus, der aus der Beobachtung der Veränderlichkeit und Re[97]lativitaet des Zeugnißes der Sinne erfolgt, zeigte sich bereits in der alten Eleatischen Schule, und ist bis auf den heutigen Tag der gemeinste. § 231. Ein partialer Scepticismus wurde in der Academischen Schule aus der Trüglichkeit des Zeugnißes des Sinne in Rücksicht auf alle die Gegenstände gefolgert, zu deren Erkenntniß die Sinnlichkeit vorausgesetzt wird; in der Epicurischen Schule aber in Rücksicht auf alle die Gegenstände, die nicht durch das Zeugniß der Sinne, sondern durch bloße Vernunft erkannt werden müsten, wenn sie überhaupt erkennbar wären. Kalmann –

Literaturverzeichnis Giovanni, George di (Hrsg.) (2010): Karl Leonhard Reinhold and the Enlightenment. Dordrecht u. a.

Über die Autoren Rolf Ahlers studied at Drew, Princeton, Munich, Hamburg and Heidelberg Universities. He received US government and other research grants. He taught at a number of universities in Europe and in the USA. Ahlers published three books and many articles. He lectured in cities in Europe, Canada and the USA. Karl Ameriks ist McMahon-Hank Professor of Philosophy, University of Notre Dame; Publikationen: Kant’s Theory of Mind; Kant and the Fate of Autonomy; Interpreting Kant’s Critiques; Kant and the Historical Turn. Herausgeber: Karl Leonhard Reinhold: Letters on the Kantian Philosophy; Forschungsschwerpunkte: Kant, Deutscher Idealismus. Manfred Baum ist seit 1993 Professor der Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal (seit 2005 im Ruhestand); 2. Vorsitzender der Kantgesellschaft e.V., Mitherausgeber der Kant-Studien. Buchpublikationen: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie; Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Mitherausgeber: Klaus Reich: Gesammelte Schriften. Sven Bernecker ist Professor für Philosophie an der University of California, Irvine und an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Erkenntnistheorie, Metaphysik, Philosophie des Geistes, Kant und Deutscher Idealismus. Monographien: Memory; The Metaphysics of Memory; Reading Epistemology. Herausgeber: The Routledge Companion to Epistemology (mit D. Pritchard); Knowledge (mit F. Dretske). Martin Bondeli ist Privatdozent für Philosophie an den Universitäten Bern und Fribourg. Verfasser von Büchern und Aufsätzen hauptsächlich zu Kant (u. a. Apperzeption und Erfahrung) und zum Deutschen Idealismus. Herausgeber der Gesammelten Schriften K. L. Reinholds. Daniel Breazeale is Distinguished Professor of Arts and Sciences at the University of Kentucky, co-founder of the North American Fichte Society, author of many articles on post-Kantian German philosophy,

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Über die Autoren

translator of four volumes of Fichte’s, and co-editor of ten volumes of papers on his philosophy. Faustino Fabbianelli ist Dozent am Dipartimento di Filosofia der Universität Parma. Er hat 1998 mit einer Dissertation über J. G. Fichtes praktische Philosophie an der Scuola Normale Superiore von Pisa promoviert. Er ist Hauptherausgeber der Karl Leonhard Reinhold-Korrespondenzausgabe der sterreichischen Akademie der Wissenschaften, die im Verlag Frommann-Holzboog erscheint. Erich Fuchs war 1973 – 2010 Mitarbeiter der Fichte-Kommission für die J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, ist seit 1996 Herausgeber (zusammen mit Reinhard Lauth) und Sekretär der Kommission. George di Giovanni is Professor of Philosophy at McGill University (Montréal). His more recent publications include Freedom and Religion in Kant and His Immediate Successors: The Vocation of Humankind, 1774 – 1800, and a new translation/edition of Hegel’s Greater Logic. He is currently working on a study of Hegel as critic of Romanticism. Jean-FranÅois Goubet ist Professor für Philosophie am Institut de Formation des Ma tres du Nord/Pas-de-Calais, Université d‘Artois. Marion Heinz ist Professorin für Philosophie an der Universität Siegen, Fellow des Sidney Sussex College Cambridge; Forschung und Veröffentlichungen zu: Philosophie der Aufklärung; Phänomenologie, Feministische Philosophie. Silvan Imhof promovierte über Fichtes Theorie der Subjektivität. Er arbeitet zu Kants Spätphilosophie im Rahmen des SNF-Forschungsprojekts Kants Begriff der Vorstellung im Spannungsfeld von Idealismus und Realismus und ist Mitarbeiter an der Edition der Gesammelten Schriften K. L. Reinholds. Marco Ivaldo ist Ordentlicher Professor für Moralphilosophie an der Universität Neapel und Mitherausgeber der Fichte-Studien. Schwerpunkte: Ethik, Religionsphilosophie, Transzendentalphilosophie, Deutsche Klassische Philosophie. Neueste Publikationen: Libert e moralit . A partire da Kant; Geschichte der Moralphilosophie.

Über die Autoren

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Alessandro Lazzari studierte Philosophie und Germanistik in Fribourg und München und ist gegenwärtig Forschungsmitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Institut der Universität Luzern. Forschungen und Veröffentlichungen zur frühen Kant-Rezeption und den Ursprüngen des Deutschen Idealismus. Petra Lohmann promovierte im Fach Philosophie, habilitierte im Fach Architekturtheorie, Forschungsschwerpunkte: Deutscher Idealismus und ästhetische Theorie um 1800. Karianne J. Marx studierte Philosophie und Geschichte an der Universiteit Utrecht und promovierte 2010 an der Vrije Universiteit in Amsterdam. Ihre Dissertation The Usefulness of the Kantian Philosophy erschien 2011 in der Reihe Reinholdiana. Jçrg Noller studierte Philosophie, Neuere deutsche Literatur und Neuere und neueste Geschichte in Tübingen, München, Notre Dame/IN und Chicago. Dissertation über das Freiheitsproblem im Ausgang von Kant. Seit 2010 Lehraufträge an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ernst-Otto Onnasch lehrt und erforscht die Geschichte der modernen Philosophie mit Schwerpunkt klassische deutsche Philosophie an der Universität Utrecht. Sabine Roehr ist Assistant Professor of Philosophy an der New Jersey City University, arbeitet z. Zt. an der Herausgabe eines Bandes zu Reinholds Gesammelten Schriften und an einer Übersetzung zu Schopenhauer. Alexander von Schçnborn retired 2011 after graduate teaching at Fordham University, University of Texas and University of Missouri. A Fellow of the DAAD, the Australian National University and the Max-Planck Institute, his Reinhold publications include Karl Leonhard Reinhold: Eine annotierte Bibliographie and over half a dozen articles. Pierluigi Valenza ist Professor für Religionsphilosophie am Institut für Philosophie der Universität La Sapienza, Rom. Er ist Direktor des Istituto E. Castelli und Mitglied des Kuratoriums der Gesammelten Schriften K. L. Reinholds.

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Über die Autoren

Dirk Westerkamp ist Professor für Theoretische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Forschung: Philosophie der Sprache und des Geistes, Ästhetik, Deutscher Idealismus. Bücher: Via negativa (2006); Die philonische Unterscheidung (2009); Sachen und Stze (in Vorbereitung). Gnter Zçller ist Professor für Philosophie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Gastprofessuren: Princeton University, Emory University, Seoul National University, McGill University und Chinese University of Hong Kong (2012). Ehemaliger Vizepräsident der North American Kant Society und Präsident der Internationalen J. G. FichteGesellschaft.

Personenregister Abel, J.F. 302f., 485 Abicht, J.H. 6, 285, 291, 293–299, 331 Abraham 60 Achelis, N. 40, 43 Apelt, K.O. 128 Aquin, T. von 419 Aristoteles 145, 418, 430 Assmann, J. 31f., 52–54, 59, 63, 480 Baggesen, J. 11, 44–47, 93f., 106, 167, 239, 241, 337 Bardili, C.G. 9, 13, 349, 366, 416f., 460, 471, 473–476, 478–483, 486–490, 492–496, 499–501, 503–505 Batscha, Z. 24f. Baum, M. 4, 138, 153, 485, 533 Baumgarten, A.G. 73, 153 Baumanns, P 45 Beattie, J. 388f. Bertieri, J. 14f. Bondeli, M. 1, 4f., 15, 20, 28, 32, 36, 71, 73, 84, 92, 115, 121, 125, 138, 169f., 193, 200, 211, 215, 217, 239, 248f., 252f., 267, 330f., 335, 341, 429, 475, 479–483, 485f., 488f., 493–495, 499, 504, 515f., 533 Breazeale, D. 3f., 91f., 149, 533 Cagliostro, A. 63 Camus, A. 117 Cassirer, E. 445 Cesa, C. 375 Cloeren, H.-J. 448 Creuzer, L. 113–115, 119 Crusius, C.A. 141f., 390 De Vos, L.

482

Deacon, T.W. 444 Descartes, R. 329, 335, 380, 465 Diez, I.C. 306–310, 313f., 316, 321, 323 Dostojewski, F. 117 Eberhard, J.A. 272, 384, 390, 479 Eichhorn, J.G. 323 Engel, F. 384 Erhard, J.B. 15, 135, 194, 208f., 240, 313, 331 Fabbianelli, F. 6, 14, 71, 92, 97, 112, 169, 193f., 210, 239, 285, 330, 341, 515–517, 534 Fauconnier, G. 446 Feder, J.G.H. 390 Feuerbach, L. 385 Fichte, J.G. 1–4, 7, 9, 11, 15, 31–33, 38–47, 56, 65f., 78, 91, 98–102, 106, 110–116, 118–121, 190, 235, 293f., 329–332, 341, 343–346, 349f., 353, 355, 358–361, 363, 365–367, 371, 373–375, 384, 392–394, 396, 398, 401f., 407, 414f., 441, 460f., 471f., 474–476, 478–490, 493–498, 500–504, 515f., 533f., 536 Fiedler, K.G. 40 Flatt, J.F. 302–308, 310–312, 314, 320, 323 Forberg, F.C. 143 Freud, S. 31, 52 Fries, J.F. 8, 14f., 383–387, 391, 393–408 Fuchs, E. 9, 11, 15, 34, 36, 329, 515, 534 Gärdenfors, P. 444f. Garve, C. 337

538

Personenregister

Gebhardt, F.H. 101, 118 Gerten, M. 92, 97, 110, 119, 169, 229, 251, 359, 448 Gide, A. 117 Grotius, H. 65 Gurwitsch, G. 344 Habermas, J. 128, 459 Hegel, G.W.F. 8f., 11, 301, 303–306, 310, 315f., 320f., 323, 368, 383–385, 393f., 409, 415, 418, 427–438, 441f., 444, 446–449, 471–473, 478–486, 488–492, 495–499, 503–505, 534 Heidegger, M. 117, 418 Herbart, J.F. 396 Herder, J.G. 11, 14f., 20, 26, 32, 84, 271, 477, 479 Heydenreich, K. H. 2, 143, 331 Heynes, C.G. 323 Hobbes, T. 65, 140 Hölderlin, F. 65, 310, 321, 323, 482, 489 Hommel, K.F. 40–42 Hooker, R: 419 Hume, D. 82, 114, 139–141, 200, 378, 388f., 391, 408, 429f., 436, 465, 486, 501f., 522, 524 Isaak

60

Jacobi, F.H. 7, 9, 11, 35f., 43f., 140, 281, 303, 310, 332, 349, 360f., 363, 365, 367, 380, 383, 385, 395, 407f., 430, 441, 460f., 471–478, 480–497, 500–505 Jakob 14, 60, 331, 383f., 393 Joseph II. 16 Kalmann, W.J. 515–518, 526, 529–531 Kant, I. 1–8, 12f., 15, 20, 26, 31, 33f., 37f., 42–44, 46f., 51, 63, 71–80, 82–88, 91–96, 100f., 106, 110, 113–115, 117–120, 125–138, 140, 142, 144, 147f., 150f., 153–163, 167–175, 178–182, 184, 187, 190, 193–212, 214–217, 220,

224, 240f., 248, 251–260, 264–267, 271–275, 277f., 280, 286, 289–291, 294–297, 301–312, 314–320, 323f., 329–333, 337f., 341–343, 346, 358–360, 368, 371–379, 383–387, 391–394, 398, 402–405, 407–409, 411f., 414–416, 421–423, 425, 427f., 430, 436, 443f., 454, 457, 460, 472f., 477, 479, 481–484, 486f., 490, 498, 501f., 504f., 515f., 524, 530, 533–536 Kersting, W. 99–101, 105, 107–109, 111, 116f., 169, 184, 472 Kierkegaard, S. 117 Klemme, H. F. 142, 201 Klemmt, A. 94, 229, 330, 341 Krause, K.Chr.F. 515, 517f., 528–531 Krug, W.T. 384f. Lauth, R. 11, 14, 45, 339, 344, 366, 409, 475, 534 Lazzari, A. 6, 46f., 71, 92, 103, 106, 115, 135, 169f., 175, 193f., 214, 226, 229, 239, 241, 251, 253, 271f., 341, 359, 411, 413, 488, 535 LeBrett, J.F. 311 Leibniz, G.W. 12, 14f., 21, 78, 139, 142, 144f., 147, 338, 387f., 390f., 479f., 483, 495, 497 Locke, J. 14f., 27, 140, 387–394, 419, 436, 447, 524 Loock, R. 427–429 Luther, M. 125, 150, 495 Maimon, S. 12, 144f., 248, 287, 331, 407, 460 Makó, P. 15 Malebranche, N. 14f., 419, 498 Martini, K.A. von 419 Marx, K. 5, 15, 20–22, 169, 229, 251, 264, 271f., 384, 478, 535 Mauchart, I.D. 315 Mendelssohn, M. 35f., 139, 390, 497 Melville, O. 117

Personenregister

Molina, L. de 125, 145–147 Moore, G.E. 465 Moses 44, 51–62, 390, 480 Musil, R. 117 Neeb, J. 491f. Nicolai, F. 38, 53, 310 Niethammer, F.I. 306–310, 313, 471 Onnasch, E.-O. 5f., 266, 301, 307f., 316, 476, 478, 482, 486, 505, 535 Oswald, J. 384, 388f. Paul, J. 15, 483, 486, 489 Pepermann, D.P. 14 Piché, C. 102f., 114, 120, 251 Platner, E. 15f., 84, 129, 391 Platon 321, 376, 418, 521 Plotin 476, 479, 502 Ploucquet, G. 302, 479 Rahn, H. 40 Rehberg, A.W. 2, 5f., 193, 204–210, 217, 251, 271–278, 280–282, 311 Reid, T. 388f. Reimarus, H.S. 390 Reinhold, E. 1–9, 11–28, 31–38, 42–47, 51–66, 71–88, 91–121, 125–145, 147–151, 153f., 159, 167–190, 193–195, 204, 209–220, 223f., 226–248, 251–267, 271–274, 276–282, 285, 287–293, 295–298, 301–304, 307–312, 314–316, 318–321, 323f., 329–339, 341–346, 349–368, 371–381, 383, 385–394, 403–427, 429–431, 435–442, 444, 446–449, 453–463, 465, 467f., 471–505, 515–517, 533–535 Rousseau, J.-J. 51, 56, 65, 88 Sartre, J.-P. 117, 279 Sauer, W. 14–16, 20, 407, 410, 418f. Scheler, M. 117, 206 Schelling, F.W.J. 1f., 7, 12, 15, 51, 220, 301, 303–306, 308, 310, 321–324, 368, 371–373, 375–377,

539

379, 384, 392, 394, 401, 406, 409, 415, 471–474, 479, 481–483, 486f., 489f., 498–501, 503f. Schikaneders, E. 63 Schiller, F. 31, 53–55, 59, 61f., 65, 190, 213, 218f., 480 Schleiermacher, F. 384f. Schmid, C.C.E. 2, 5, 7f., 15, 73, 76, 78, 135, 143, 169f., 179, 194, 204, 208–210, 241, 243, 246, 248, 251, 259, 313, 331, 386, 392–394, 405, 408 Schneider, P. 11, 17, 390 Schopenhauer, A. 375, 380, 516, 535 Schrader, W.H. 14, 457, 475, 480, 483, 485 Schultz, J. 271, 308, 310, 312, 317 Schulze, G.E. 142, 384f., 407, 441f. Selle, C.G. 141, 390 Smidt, J. 9, 112, 115f., 515–518, 529–531 Spinoza, B. de 3, 14f., 65f., 140, 303, 475, 477f., 481f., 484, 487f., 491f., 496, 503 Stolzenberg, J. 71f., 84, 371 Storr, G.C. 303f., 306f., 313f., 317, 320 Süskind, F.G. 303, 307, 313f., 316f. Tiedemann, D. 390 Tomasellos, M. 445 Trendelenburg, F.A. 79f., 385 Turner, M. 446 van Swieten, G. 418 Von Born, I. 16 von Schönborn, A. 8, 16, 92, 409, 414, 467, 473, 478, 535 von Sonnenfels, J. 418 Von Storchenau, S. 14 Wallwitz, G. 112–114 Weishaupt, A. 14, 22, 25f., 321, 391 Weißhuhn, F.A. 43 Wieland, Chr. M. 16, 477f. Wildfeuer, A. 43 Wittgenstein, L. 466f.

540

Personenregister

Wolff, Chr. 3, 12–14, 16–24, 27f., 139, 141f., 376, 390, 443

Zöller, G. 3, 11, 51, 61, 65f., 92, 102, 104f., 108–110, 112–114, 168f., 184, 219, 330, 341, 536