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German Pages 216 Year 2014
WBG
Deutsch-Polnische Geschichte Band 2
WBG Deutsch-Polnische Geschichte Herausgegeben im Auftrag des Deutschen Polen-Instituts von Dieter Bingen Hans-Jürgen Bömelburg Peter Oliver Loew
Hans-Jürgen Bömelburg, Edmund Kizik
Altes Reich und Alte Republik Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1500–1806
Wissenschaft liche Buchgesellschaft Gefördert aus Mitteln der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2014 by WBG (Wissenschaft liche Buchgesellschaft), Darmstadt Covergestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Lektorat: Lothar Quinkenstein, Berlin; Kristine Althöhn, Mainz Satz: Wydawnictwo JAK Andrzej Choczewski, Krakau Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-24763-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72540-3 eBook (epub): 978-3-534-72541-0
Inhalt
Einleitung Eine Beziehungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (1506–1806) 7 I. Überblick
1. Römisch-deutsches Reich und Polen-Litauen: Strukturelle Parallelen und nachbarschaft liche Beziehungen 21 2. Menschen und Migrationen 33 3. Wirtschaftssysteme und Handelskontakte 43 4. Reformation, katholische Reform und religiöse deutsch-polnische Verflechtungen 50 5. Dynastien, Adel und höfische Kulturen 64 6. Die sächsisch-polnische Union 79 7. Brandenburg-Preußen und die Teilungen Polens 97 II. Fragen und Perspektiven
1. Mobilität und Kulturtransfer 117 2. Sprachlich-literarisch-kulturelle Verflechtungen 123 3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen 139 4. Juden in der deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte 153 5. Die Rolle und Relevanz des Nationalen 168 6. Finis Poloniae und Finis Germaniae (1772–1806) 187 Literaturverzeichnis Register 206
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Zur Deutsch-Polnischen Geschichte Die deutsch-polnische Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte reicht mehr als 1000 Jahre zurück und spielt sich in einem eineinhalb Millionen km² umfassenden Raum zwischen Rhein und Dnjepr ab. Dabei beanspruchten „deutsche“ und „polnische“ Titularverbände und Nationen teils identische Räume und Zentren. Gnesen und Posen waren die Geburtsstätten des polnischen Staates, aber auch preußisch-deutsche Städte des 19. Jahrhunderts, Breslau war ein piastischer Herrschaftssitz, aber im frühen 20. Jahrhundert auch die viertgrößte Stadt Deutschlands. Danzig, im 16. und 17. Jahrhundert die größte deutschsprachige Stadt, gehörte zur Krone Polen. In Lemberg wurden im 16. Jahrhundert die polnischsprachigen Stadteliten Deutsche genannt. Juden waren oft Teile einer deutsch wie polnisch geprägten Kultur. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart wanderten Millionen Menschen von West nach Ost und von Ost nach West, wobei sie sich häufig an ihre neuen Nachbarn assimilierten. Dies zeigt, wie eng deutsche und polnische Geschichte miteinander verbunden sind. Zugleich ist die deutsch-polnische Geschichte auch von Konfl ikten überlagert: Preußen und Österreich, zwei deutsche Staatsverbände, teilten Polen im späten 18. Jahrhundert auf – zusammen mit Russland. Die Fremdherrschaft durch Deutsche und wechselseitige territoriale Ansprüche vergifteten das Klima. Deutsche eroberten Polen im Zweiten Weltkrieg, entrechteten und ermordeten Millionen Menschen. Nach 1945 erhielt Polen die deutschen Ostgebiete und vertrieb einen Großteil der deutschen Bevölkerung. Trotzdem kam es einige Jahrzehnte später einer beispiellosen Annäherung zwischen beiden Nationen. Die Reihe „WBG Deutsch-Polnische Geschichte“ geht davon aus, dass diese Verflechtungen ein zentraler Bestandteil der europäischen Geschichte sind. Sie beschreibt sowohl politische Geschichte als auch kulturelle und wirtschaft liche Beziehungen und legt besonderen Wert auf Kontakt- und Austauschprozesse. Die Herausgeber
Einleitung Eine Beziehungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (1500–1806)
Die deutsch-polnische Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte in der Frühen Neuzeit ist von besonderer Bedeutung und Intensität. Sie spielt sich erstmals zwischen zwei Reichsverbänden ab, die nun jeweils die Bezeichnung „deutsch“ und „polnisch“ in ihren Namen tragen: dem Heiligen Römischen Reich „deutscher Nation“ – der Zusatz trat im späten 15. Jahrhundert zu dem älteren Reichstitel hinzu, oft auch kurz als „Altes Reich“ oder „römischdeutsches Reich“ bezeichnet – und der „Krone Polen“ (Korona polska) bzw. der „Polnischen Respublica“ (Rzeczpospolita Polska). Das auch im deutschen Fall ergänzte nationale Attribut, das den sakralen wie imperialen Anspruch der Reichsidee unterhöhlte, macht deutlich, dass nationale Zuordnungen im Humanismus eine neue historisch-gruppenbezogene Grundierung erfuhren und von einem Teil der intellektuellen Eliten in Konkurrenz zueinander formuliert wurden. Dabei war der jeweilige Herrschaftsraum beider Reiche strittig und wurde in konfliktreichen, aber friedlich ausgetragenen internationalen Diskussionen definiert: Deutschsprachige, in Krakau studierende Humanisten wie Konrad Celtis oder Heinrich Bebel konstruierten in Anlehnung an die antike Geographie des Ptolemäus eine Germania magna, die bis zur Weichsel reichte; polnische Gebildete wie der Posener Bischof Andrzej Krzycki oder Marcin Bielski entwickelten als Antwort eine polnische Nationalgeschichte, die alle Slawen umfasste und die Gebiete bis zur Oder, Elbe oder Weser beschrieb. Der frühneuzeitliche polnisch-litauische Verband reichte bis über den Dnjepr hinaus und gliederte sich große ostkirchliche orthodoxe Territorien ein, die als Teile eines angeblich indigen polnischen Herrschaftsverbandes mit antiker Legitimation angesehen wurden – die polnischen Adligen betrachteten sich als Erben der Sarmatia und Nachfahren der Sarmaten. Die polnischkatholischen Herrschaft sansprüche in ostkirchlichen Territorien schufen latente Konfl ikte. So entstanden im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts nationale Argumentationen, die gedruckt wurden und somit zukünft ig verfügbar waren.
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Einleitung
Beide Staatsverbände – auch das Alte Reich kann mit Georg Schmidt als Reichsstaat bezeichnet werden – weisen in der Frühen Neuzeit eine prinzipielle Gleichberechtigung auf: Ältere Ansprüche einer hierarchisch höheren Stellung des römisch-deutschen Reichs wurden von polnischer Seite konsequent abgelehnt. Mit der Integration des Großfürstentums Litauen in einen immer stärker polnisch geprägten Verband erstreckte sich Polen-Litauen auf über 800 000 km² (1582) und umfasste Teile des heutigen Lettlands, ganz Litauen und Belarus sowie einen großen Teil der heutigen Ukraine und des heutigen Russlands. In beiden Verbänden hatten die Herrscher ähnliche Probleme mit der Durchdringung des Raums unter den schwierigen Bedingungen frühneuzeitlicher Kommunikation: Um von der im Südwesten Kleinpolens liegenden Residenzstadt Krakau bis nach Polock oder Smolensk im Nordosten zu reisen, benötigte man vier Wochen, eine ähnliche Zeit beanspruchte die Reise von Basel bis ins pommersche Stolp. Solche Verbände waren kaum kommunikativ erfassbar und nicht zentral regierbar. Insbesondere die Peripherien waren nur begrenzt beherrschbar und in lockeren Reichslehnverbänden organisiert (Oberitalien, Burgund, Böhmen und Schlesien im Fall des römisch-deutschen Reichs, Preußen, Kurland und Livland im Falle Polen-Litauens). Der deutsche Reichstag und der polnisch-litauische Sejm erfüllten als Nachrichten- und Aushandlungsforen eine vergleichbare Funktion, wobei in beiden zentralen Ständeversammlungen auch die Nachbarn vertreten waren: Der Reichstag wurde im 16. Jahrhundert intensiv von polnischen Delegationen besucht, am Sejm nahmen neben brandenburgischen und habsburgischen Beobachtern auch die deutschsprachigen Eliten des Preußenlandes teil.1 Um 1500 und um 1800 sind deutliche Zäsuren erkennbar. Im frühen 16. Jahrhundert setzten sich neue, dauerhaftere und beschleunigte Kommunikationsformen durch: Frühkapitalistische Handelsnetzwerke erfassten nun auch den deutsch-polnischen Austauschraum, etwa die Bergwerksindustrie im Karpatengebiet (Familien Fugger, Boner, Thurzó) oder die Organisation des Handels mit Agrarprodukten an der Ostsee. Aus den deutschen Gebieten kommend, verbreitete sich das Druckwesen in den großen polnischen Städten, vor allem in Krakau und Danzig. Ein regelmäßiges Postsystem verband Städte wie Wien und Krakau und ermöglichte einen schnelleren Informationaustausch.
1 Es gibt in deutscher und polnischer Sprache keine Überblicksdarstellung über die deutsch-polnischen Beziehungen der Frühen Neuzeit, sondern nur problemorientierte Studien. Für weiterführende Informationen zu Polen-Litauen: Polen in der europäischen Geschichte, Bd. 2 Frühe Neuzeit [im Druck]; außerdem Wijaczka, Jacek: Stosunki polsko-niemieckie w XVI–XVIII wieku.
Eine Beziehungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (1506–1806)
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Die zentralen Ständeversammlungen gewannen bedeutende verfassungsrechtliche Kompetenzen: Der Sejm entstand seit 1493 und entwickelte sich zu einem periodischen Aushandlungsforum. Der frühneuzeitliche Reichstag formierte sich seit 1496 und definierte mit den Reichsständen die Machteliten. Die Jahre 1505/06 bilden keine Zäsur, können aber durch Th ronwechsel mit dauerhaften Konsequenzen (die formale Übernahme der Herrschaft durch Maximilians Enkel Karl V. in den burgundischen Niederlanden, der Herrschaftsantritt Sigismunds I. in Litauen und Polen) und durch verfassungsrechtliche Festschreibungen (die Konstitution Nihil novi gab dem Sejm in Polen legislative Kompetenzen) die neue Ära symbolisieren. Das Jahr 1806 dagegen kann sehr wohl als Zäsur betrachtet werden: Mit der Auflösung des Alten Reichs brach der letzte der frühneuzeitlichen Verbände Mitteleuropas zusammen, nachdem Polen-Litauen bereits kurz zuvor in drei Teilungen zwischen Preußen, Österreich und dem Russländischen Reich aufgeteilt worden war (1772, 1793, 1795). Damit verschwanden als „deutsch“ oder „polnisch“ bezeichnete Staatsverbände zugunsten eines preußischen, österreichischen oder russländischen Staates. Gerade die republikanische Öffentlichkeit in Deutschland und Polen sah hier Parallelen, beide Nationen definierten sich um 1800 als „Kulturnationen“ mit einer Reichsvergangenheit, die auch zukünftig Europa prägen sollten. Der Raum, in dem sich in der Frühen Neuzeit deutsch-polnische Geschichte abspielt, ist von erheblicher Größe und rechtfertigt den Ansatz einer verflochtenen Geschichte, denn deutsche und polnische Akteure bezogen sich nicht nur aufeinander, sondern agierten auch in den jeweils anderen Reichsgefügen. Der besagte Raum umfasst von Nord nach Süd: Erstens das seit den 1560er Jahren zeitweise und in seinem südöstlichen Teil (Kurland, Lettgallen) dauerhaft zu Polen-Litauen gehörige südliche Livland mit der Großstadt Riga, das Herzogtum Kurland und Lettgallen, heute die Kernregionen Lettlands. Hier kam es zu umfangreichen Austauschprozessen zwischen deutsch- und polnischsprachigen Adligen, wobei teilweise eine deutsch-polnische Kultur entstand (Familiennamen, Sprachwechsel, Mehrsprachigkeit). Als attraktiv für den Übergang zum Polnischen erwiesen sich einerseits die Karrierechancen am Warschauer Hof, andererseits das Leitbild einer „polnischen Freiheit“, das dem Adel eine dauerhafte Privilegierung versprach (teilweise verbunden mit einem Konfessionswechsel zum Katholizismus). Erst im 18. Jahrhundert bezeichnete eine aufgeklärte Öffentlichkeit, die sich auf das Ideal des wohlgeordneten Staates berief, diese „Freiheit“ als „Unordnung“ oder, mit einer Übernahme aus dem Französischen, als „Anarchie“. Hier kam es zu einem folgenschweren Missverständnis: Während der polnische Adel diese „Freiheiten“ und die „Unordnung“ als unvermeidliche Begleiterscheinungen von Partizipation
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Einleitung
und Demokratie auffasste, sahen die deutschen Bürger nur „Anarchie“ und „Niedergang“ bis zur sprichwörtlichen „polnischen Wirtschaft“ (→ S. 104). Zweitens zählten zu dem Austauschgebiet die litauischen Städte und ein Teil der Adels- und Gutsbesitzerfamilien, die intensive Kontakte nach Königsberg unterhielten. In den Städten im Großfürstentum Litauen lebten polnisch-, jiddisch- und deutschsprachige Bevölkerungen nebeneinander (Wilna/Vilnius, Kauen/Kaunas, auch in kleineren Städten wie Tauroggen/ Tauragė oder Keidanen/Kėdainai). Hier kam es zu Transferprozessen, wobei sich die deutschsprachige Stadtbevölkerung schrittweise sprachlich polonisierte und staatsrechtlich lituanisierte. Drittens bildete das Preußenland von Pommerellen bis zur Memel einen Kontakt- und Austauschraum. Die Region zerfiel in das „Preußen königlich polnischen Anteils“ (weiter „königliches“ oder „polnisches Preußen“, nach 1772 „Westpreußen“) und das östliche „Herzogtum“, ab 1701 „Königreich Preußen“. Die Stadtbevölkerung des Preußenlandes war mehrheitlich deutschsprachig, die bäuerliche und adlige Bevölkerung gemischt. In den Metropolen (Danzig, Elbing, Thorn) und kleinen Städten vollzogen sich wechselseitige Akkulturations- und Assimilationsprozesse. Insbesondere der Adel nahm die „polnischen Privilegien“ als ein attraktives Partizipationsmodell wahr und orientierte sich durch die Nähe der Hauptstadt Warschau stärker am polnischen Lebensstil. Viertens lebte in Schlesien, Großpolen und Hinterpommern seit der mittelalterlichen Ostsiedlung eine gemischte deutsch-polnische Bevölkerung. In der Frühen Neuzeit kam es hier zu Assimilationsprozessen an die Mehrheit, in Oberschlesien an die polnischsprachige, an der mittleren Oder an die deutschsprachige Bevölkerung. Durch neue, auch konfessionell motivierte Migrationen – die Auswanderung protestantischer Bevölkerungen infolge der habsburgischen Bedrückung und die Gründung neuer Städte auf der großpolnischen Seite der Grenze wie Lissa und Unruhstadt, die Einwanderung der katholischen Bamberger – entstanden auch neue deutsch-polnische Verflechtungen. Fünftens gab es in Kleinpolen und Rotreußen in den Städten und in einigen ländlichen Enklaven gemischte deutsch-polnische Bevölkerungen. Hier kam es in der Frühen Neuzeit auch aufgrund der fehlenden Konfessionsgrenze zu einer Assimilation der deutschen Minderheiten an die polnische Mehrheitsbevölkerung (Krakau, Lemberg, Kamieniec Podolski). Sechstens besitzen Böhmen, Ungarn und Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit Bedeutung für den deutsch-polnischen Kulturkontakt. In allen drei Regionen waren parallel deutsch- und polnischsprachige Eliten tätig, Polen etwa in Olmütz, wo sie Domkanoniker und Bischöfe stellten, oder in Ungarn und Siebenbürgen, wo Familien wie die Łaski im Gefolge der Jagiellonen sowie der Zápolyas und Báthorys bis ins späte 16. Jahrhundert Politik machten.
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Schließlich entstand durch die Teilungen Polens nach 1772 ein gänzlich neuer Kontaktraum, da nun deutschsprachige Beamte in preußischen und österreichischen Diensten nach Płock, Białystok oder Lemberg kamen. Die Tätigkeit deutschsprachiger Verwaltungen löste Konflikte sowie Exklusionsprozesse aus und mündete in eine Stereotypie langer Dauer. Bei der Auswahl der zu behandelnden Themen sind Auswahl und Konzentration unumgänglich: Nach einem Strukturvergleich beider Staatsverbände und einem Blick auf die Beziehungsgeschichte mit dem Schwerpunkt im 16. Jahrhundert (Kap. 1) geht es um die migrationsgeschichtlich in der Frühen Neuzeit bedeutsamen deutsch-polnischen Kulturkontaktzonen (Kap. 2). Durch frühkapitalistische Handelskontakte zogen pfälzische und elsässische Kaufleute nach Krakau und Kleinpolen oder Deutsche und Polen nach Thorn und Danzig. Davon zu trennen ist eine bäuerliche Migration: Das östliche Preußenland wurde nach den großen Kriegen zwischen 1460 und 1560 von Polen aus Masowien neu besiedelt. Für diese Region und die Bevölkerung sollte in späterer Zeit die Bezeichnung „Masuren“ geprägt werden. Das nördliche Großpolen, der Warthe- und der Netzebruch, die pommerellisch-hinterpommersche Grenze wie auch der ostpreußisch-masowische Grenzraum wurden erst im 17. und 18. Jahrhundert dichter besiedelt, was im Zeitalter der „Peuplierung“ eine Konkurrenz zwischen deutschen und polnischen Eliten um ansiedlungswillige Bauern auslösen konnte. Dabei siedelten deutschsprachige Grundherren polnische Bauern ebenso an, wie deutschsprachige Bauern von polnischen Herren geholt wurden; Bedeutung besaß nur der konfessionelle, nicht der sprachliche Faktor. Historische Siedlungsgebiete wie Migrationen führten dazu, dass in der Frühen Neuzeit sowohl polnischsprachige Menschen im Alten Reich lebten – insbesondere in Schlesien und im östlichen Pommern – als auch deutschsprachige Menschen in Polen-Litauen, insbesondere im „polnischen Preußen“ und im südwestlichen Großpolen. Aktuelle vergleichende Untersuchungen europäischer Genome zeigen, dass gerade Deutsche und Polen genetisch eng miteinander verwandt sind, eine Ursache liegt, neben älterem und jüngerem Bevölkerungsaustausch, in diesen frühneuzeitlichen Migrationen.2 Anschließend werden die eng miteinander verflochtenen Wirtschaftssysteme in den Blick genommen (Kap. 3), wobei aus Gründen der europäischen Relevanz die Akzente auf den oberdeutsch-kleinpolnischen Handelsbeziehungen und dem Wirtschaft ssystem Ostseeraum liegen. Auf eine nähere Behandlung etwa der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Schlesien bzw. Brandenburg und Großpolen musste leider verzichtet werden.
2 „Genanalyse: Europäer sind eine große Familie“. Spiegel-online, 08.05.2013.
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Einleitung
Auch religiöse Institutionen und Zentren müssen in ihrer Funktion als deutsch-polnische Begegnungsorte berücksichtigt werden (Kap. 4). Die Wittenberger Reformation strahlte früh nach Polen aus, da das Herzogtum Preußen sowie Livland rasch evangelisch wurden. Auch Angehörige polnischer Eliten traten zur neuen Kirche über, allerdings bremsten Verbote König Sigismunds I. die Bewegung. Eine herausragende Bedeutung besitzt Johannes a Lasco (Jan Łaski), der in Emden zum Reformator Ostfrieslands wurde und 1556 nach Polen zurückkehrte, um dort die Reformation zu verbreiten. Die entstehende reformierte Kirche Polens war stark von Schweizer Vorbildern geprägt, blieb allerdings eine Adelskirche. Kontakte zwischen deutschen und polnischen Calvinisten gab es an den protestantischen Gymnasien Danzigs, Elbings und Thorns, an der Universität Königsberg und an den schlesischen Gymnasien in Beuthen und Brieg. Durch die Ausstrahlung der Reformation in den deutschen Ländern und die wachsende Schwäche der polnischen Reformierten gewannen auch im polnischen Kontext die Lutheraner an Gewicht, der protestantische Klerus wurde an deutschsprachigen Universitäten ausgebildet und die evangelisch-lutherische Kirche immer stärker als „deutsche Konfession“ wahrgenommen. Die katholische Reform entfaltete sich als eine supranationale Bewegung, an der auch italienische Eliten einigen Anteil hatten. Zugleich verbanden sich etwa im Jesuitenorden deutsche und polnische Milieus: Kardinal Stanislaus (Stanisław) Hosius, der selbst aus dem Krakauer deutsch-polnischen Milieu stammte, gründete das erste polnisch-litauische Jesuitenkolleg im deutschsprachigen Braunsberg an der Ostsee im Bistum Ermland; es beherbergte deutsche wie polnische Jesuiten und deren Schüler. Auch am polnischen Hof hatten wichtige Jesuiten einen deutsch-polnischen Hintergrund, waren zweisprachig und im ermländischen und polnischen Milieu verankert. Durch herausragende Bischöfe und Domherren sowie als internationaler Karriereort spielte das sprachlich gemischte Bistum Ermland eine besondere Rolle. Ermländischer Domherr war der aus Thorn stammende Nicolaus Kopernikus, der das heliozentrische Weltbild entwickelte. Als Bischöfe waren im Ermland der Dichter und Diplomat Johannes Dantiscus, Stanislaus Hosius, der Historiker Martin (Marcin) Kromer oder im 18. Jahrhundert der bedeutende Aufk lärungsschriftsteller Ignacy Krasicki tätig. All diese Persönlichkeiten förderten einen deutsch-polnischen Kulturaustausch. Ähnliche Wirkung entfaltete in Schlesien das Bistum Breslau mit dem Residenzort Neisse, an dem Mitglieder der Familie Thurzó sowie der polnischen Wasadynastie als Bischöfe tätig waren. Die protestantischen und katholischen Milieus schufen spezifische Begegnungsorte und Austauschkanäle, über die deutsch- und polnischsprachige Eliten zusammenfanden. Die in den gemischtsprachigen Regionen tätigen
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protestantischen Pastoren wie die in der Mission tätigen Jesuitenpatres sollten zweisprachig sein, da Seelsorge und Missionierung in der Muttersprache erfolgten. Dabei dürfen wir jedoch für die Frühe Neuzeit keinesfalls die in der Epoche des Nationalismus verbreiteten Zuschreibungen von „polnischen Katholiken“ (Polak-katolik) und „deutschen Protestanten“ übernehmen, Konfessions- und Sprachgrenzen deckten sich nicht. Deutsch-polnische, gemischte Adelskulturen existierten in der Frühen Neuzeit in Kurland und Polnisch-Livland, im Preußenland, im südlichen Großpolen und in Schlesien (Kap. 5). Die schlesischen Piasten in Brieg und Liegnitz pflegten bis zu ihrem Aussterben 1675 auch ihre polnische Geschichte und polnische Traditionen – vielfach in deutscher Sprache.3 Kur- und livländische Familien wie die Denhof-Dönhoffs, die Hylzen-Hülsens, die Manteuffels, Platers und Tyzenhauz-Tiesenhausens spielten in der polnischen und deutschen Geschichte eine wichtige Rolle. Im litauisch-preußischen Kontext können ihnen die Baysen-Bażyńskis, die calvinistischen Radziwiłłs, die HuttenCzapskis und Prebendow-Przebendowskis an die Seite gestellt werden. Auch die Landesherren der polnischen Lehnsherzogtümer, die Hohenzollern in Königsberg, die Kettler und Biron in Kurland zählten zu einer deutsch-polnischen adligen Hofkultur. Exilkönig Stanisław Leszczyński residierte in Lothringen, neben seinen Verbindungen nach Paris spielte er als Reichsfürst eine Rolle; sein Hof besaß für den pfälzischen und rheinischen Adel Ausstrahlungskraft. Hier wird erkennbar, dass sich das Netzwerk adliger Kontakte über das gesamte Territorium beider Reichsverbände erstreckte. Ein besonderes und in der deutschen wie polnischen Historiographie vernachlässigtes Thema bildet die sächsisch-polnische Union 1697–1763 (Kap. 6). Die Personalunion intensivierte die Wirtschaftskontakte (hier wäre an Leipzig zu denken), verband die Hof- und Adelseliten und machte die beiden Residenzstädte Dresden und Warschau zu Orten einer deutsch-polnischen Soziabilität, zumeist übrigens in französischer Sprache. Polnische Adlige hielten sich in Dresden auf, ließen sich dort nieder und erwarben Ämter, sächsische Eliten bekleideten Positionen in Warschau. An den Residenzen mit ihrem internationalen Kunstgeschmack entstand ein Markt für Kunsthandwerker, Maler und Architekten. Die sächsisch-polnische kulturelle Verflechtung trug dazu bei, dass in der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791 das Haus Wettin als regierende Erbdynastie für den polnischen Thron festgeschrieben wurde. Eine deutsch-polnische Geschichte wäre ohne eine Berücksichtigung der preußischen negativen Polenpolitik des 18. Jahrhunderts und der Teilungen 3 Bahlcke, Joachim: Deutsche Kultur mit polnischen Traditionen. Die Piastenherzöge Schlesiens in der Frühen Neuzeit, in: Weber, Matthias (Hrsg.): Deutschlands Osten – Polens Westen, S. 83–112.
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Einleitung
Polens nicht vorstellbar (Kap. 7). An den Teilungen waren auf preußischer, österreichischer, aber auch russländischer Seite (deutschbaltische Diplomaten und Militärs) deutschsprachige Eliten beteiligt. Die in die annektierten Territorien versetzten preußischen und habsburgischen Beamten besaßen oft keine Landes- und Sprachkenntnisse, verachteten die neuen Untertanen und entwickelten eine neue ausgrenzende Stereotypie. Viele der Beamten nutzten ihre privilegierte Position, um sich auf Kosten der polnischen Untertanen zu bereichern. Insbesondere zwischen protestantischen preußischen Beamten und katholischen polnischen Eliten kam es zu Verteilungskämpfen und Schuldzuweisungen, ein Konflikt, dem das Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“ für eine organisatorische und moralisch-hygienische Unordnung entsprang, während die „deutsche Wirtschaft“ als Vorbild dargestellt wurde. Auf polnischer Seite entstanden gegenüber Preußen und Österreichern Wahrnehmungen einer „Fremdherrschaft“, womit die nationalen Frontstellungen des 19. Jahrhunderts vorgezeichnet waren. Der zweite Teil – „Fragen und Perspektiven“ – ermöglichte es, auch eher vernachlässigte Themen einer Beziehungsgeschichte zu behandeln. Gerade hier kann man über die Akzente streiten, so verzichteten die Autoren etwa auf ein Kapitel zu Wissen und Wissenschaft skontakten, weil dies für drei Jahrhunderte auf 15 Seiten nicht behandelbar schien, obwohl die Relevanz des Themas außer Frage steht. Auch fehlt ein eigener Abschnitt zu deutschen und polnischen Identitäten und Alteritäten. Beide Themen wurden in einzelne Abschnitte integriert und sind über das Register erschließbar. Diskutiert werden Fragen und Probleme eines Kulturtransfers, der gerade in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte durch ältere historiographische Hypotheken eines angeblichen „Kulturgefälles“ von West nach Ost belastet ist (Kap. 1). Neuere Forschungen relativieren dies stark, weisen auf das Süd-Nord-Gefälle hin, beschreiben inselhafte Kultur- und Wirtschaftszentren (für die Frühe Neuzeit in der Region Böhmen und Kleinpolen bzw. das Preußen polnischen Anteils) und innere Peripherien. Auch wird die Akteursperspektive betont, was neue Forschungsmöglichkeiten eröffnet. Ein äußerst ergiebiges, aber durch ältere gesellschaftsgeschichtliche Traditionen zu Unrecht marginalisiertes Forschungsfeld bilden die frühneuzeitlichen deutsch-polnischen Verflechtungen in Sprache und Literatur (Kap. 2). Für die adligen wie städtischen Eliten spielten zum Erwerb von Bildung, Wissen und Sprachkenntnissen Reisen und Universitätsbesuche eine große Rolle. Die polnischen Eliten bereisten seit dem frühen 16. Jahrhundert im Rahmen der grand tour (später „Kavalierstour“ genannt) neben Italien, Frankreich und den Niederlanden vor allem das römisch-deutsche Reich. Reiseziele waren die Städte am Rhein, im Zuge der konfessionellen
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Aufspaltung besuchten protestantische Adlige die Universitäten Frankfurt an der Oder, Wittenberg und Leipzig sowie die reformierten Zentren Altdorf, Basel, Heidelberg und Herborn. Katholische Adlige lernten um 1600 an den Jesuitenkollegs in Dillingen, Ingolstadt, Regensburg und im habsburgischen Linz. Mit den teilweise mehrjährigen Aufenthalten junger Menschen an deutschen Bildungseinrichtungen und Höfen ging auch das Erlernen der Sprache einher, bis ca. 1640 war Deutsch nach dem Lateinischen die am häufigsten erlernte Bildungssprache in Polen, die dann durch das Französische als lingua franca verdrängt wurde. Auf der anderen Seite lernten deutschsprachige Preußen und Schlesier Polnisch, Danziger Bürgersöhne wurden zum Erlernen des Polnischen nach Bromberg oder Posen geschickt. Auch die Tätigkeit deutschsprachiger Handwerker am Königshof in Krakau oder Warschau ging oft mit dem Erlernen des Polnischen einher. Die reichen literarischen Verflechtungen von der erstaunlichen polnischen Karriere des Till Eulenspiegel als Dyl Sowizdrzał (Sowiźrzał), über die Kochanowski- und Sarbiewski-Rezeption durch deutschsprachige Leser bis zu den deutsch-polnischen Lebensläufen eines Martin Opitz und Andreas Gryphius verdienen Beachtung. Zu selten wurde bisher von der deutschen Seite die Ausstrahlung einer frühneuzeitlichen polnischen Schrift- und Literatursprache auch auf deutschsprachige Leser wahrgenommen. Multikulturellen Austauschregionen, die durch ein starkes Regionalbewusstsein bis hin zu abgebrochenen Nationsbildungen (Preußen) geprägt waren, ist ein eigener Abschnitt gewidmet (Kap. 3). Deutsch-polnische Stadtkulturen gab es zahlreich zwischen Ostsee und Karpaten. Die größten Städte des 16. und 17. Jahrhunderts, Danzig, Krakau, Elbing, Thorn, Posen und Lemberg, besaßen durchweg – in unterschiedlichem Mischungsverhältnis – eine deutschpolnische Rechtsstruktur und zweisprachige Bevölkerungen. Prägend waren die Zentren des Buchdrucks Krakau und Danzig, wo Werke in Deutsch und Polnisch, ebenso Sprachlehrbücher, Sprachführer und Lexika gedruckt wurden. Die in der Frühen Neuzeit in Polen-Litauen an Bedeutung gewinnenden jüdischen Bevölkerungen müssen unter manchen Fragestellungen in eine deutsch-polnische Verflechtungsgeschichte integriert werden (Kap. 4). So besaßen jüdische Gemeinden eigene Kommunikationsnetze, die aus Zentren wie Krakau, Lublin oder Brody nach Prag, Frankfurt oder Worms reichten. Die zahlenmäßig kleinen Gemeinden im Alten Reich waren auf Ausbildungszentren in Polen-Litauen angewiesen: Die Vorfahren des Rabbi Judah Löw ben Bezalel stammten aus Worms, er wirkte als Rabbiner unter anderem in seiner Geburtsstadt Posen und in Prag, wo er 1609 starb. Es gibt viele solcher deutsch-polnischen rabbinischen Karrieren, wobei jüdische Bildung auch für die Eliten im Reich in Polen-Litauen erworben wurde, also ein Wissenstransfer von Ost nach West stattfand.
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Einleitung
Während einerseits ein deutscher wie ein polnischer Staatsverband existierten, ist andererseits zu diskutieren, was „deutsch“ und „polnisch“ in den jeweiligen Dokumenten und Kontexten bedeuteten und in welchen Zusammenhängen national argumentiert wurde (Kap. 5). Hier werden bereits frühneuzeitliche Nationalisierungsprozesse nachgezeichnet, zugleich aber auch die Bedeutung regionaler Identitäten und deutsch-polnischer Symbiosen betont. Zwar sprechen auch Danziger Quellen um 1600 durchaus von der „deutschen“ und „polnischen Nation“,4 doch wird die eigene Geschichte als deutsch-polnische Symbiose aufgefasst. Zwar ist die deutsch-polnische Sprachgrenze aufgrund der Unterschiede zwischen beiden Sprachsystemen auch im europäischen Vergleich relativ hart, doch wird in der Frühen Neuzeit weder auf deutscher noch auf polnischer Seite der Sprache eine entscheidende Bedeutung für die Herausbildung einer Nation zugeschrieben. Ein „Preuße“ (Prusak) – gleich ob deutsch- oder polnischsprachig – konnte bis Ende des 18. Jahrhunderts sehr wohl Teil polnischer staatsbürgerlicher Eliten sein, so wie ein schlesischer Piast sich als aus „polnischem Stamm“ und Fürst des römischdeutschen Reichs fühlen konnte. Am Ende steht schließlich ein vergleichender Blick auf die Auflösung und Aufteilung beider Staatsverbände (1772–1806), deren Parallelität bisher noch zu selten politisch beschrieben und kulturell gedeutet wurde (Kap. 6). Eine Erinnerungsgeschichte von Reich und polnisch-litauischer Republik wird nur angedeutet, da hier bereits neue Forschungsergebnisse vorliegen.5 Eine deutsch-polnische Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte der Frühen Neuzeit hat so in räumlicher wie thematischer Hinsicht eine Fülle von Fragestellungen zu behandeln, die von der Alltagsgeschichte des Zusammenlebens in Städten und Dörfern über Nachbarschaften und familiäre Beziehungen, ähnliche und doch abweichende kulturelle Praktiken, wenig stabile konfessionelle Mischungsverhältnisse und sprachliche Durchdringungsprozesse bis zur Eliten- und Verfassungsgeschichte zweier Staatsverbände reichen. In der tausendjährigen deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte ist das Besondere der Epoche, dass politisch-pragmatisch eine Parität zwischen beiden Staatsverbänden existierte, die von den Zeitgenossen akzeptiert wurde. Der polnische Adel sah sich als gleichwertiger Partner der Reichseliten an, mehr noch, er unterstrich seine Überlegenheit aufgrund seiner besonderen Freiheiten. Obwohl das 17. Jahrhundert eine kriegerische Epoche war, blieb die Grenze zwischen Altem Reich und Polen bis zu den Teilungen unverändert, ja
4 Bues, Almut (Hrsg.): Die Aufzeichnungen des Dominikaners Martin Gruneweg. 5 Hahn, Hans-Henning / Traba, Robert (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Band 3: Parallelen.
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die deutsch-polnische Grenze kann in der Frühen Neuzeit als eine der friedlichsten Grenzen in ganz Europa gelten. Die deutsch-polnischen Verflechtungen in diesem Zeitraum sind keinesfalls einzigartig, infolge der Verquickung von politischer Geschichte, Sprachbeziehungen und Kulturtransfer können sie in dieser Epoche mit den deutsch-französischen oder besser – wegen der besonderen Bedeutung des Konfessionellen in beiden Beziehungsgeschichten – mit den polnisch-russischen Beziehungen verglichen werden, die sich auf einem ähnlich großen Raum und ebenfalls mit besonderer Intensität abspielten.6 Wenn wir uns auf die deutschpolnischen Beziehungen konzentrieren, so tun wir dies deshalb, weil historiographisch, strukturell und sprachlich nach wie vor Rezeptionsbarrieren bestehen, die nicht leicht zu überwinden sind. Deutsche wie Polen haben hier Pfade vorgezeichnet – erinnert sei insbesondere an den Berliner Historiker Klaus Zernack mit seiner Konzeption der Beziehungsgeschichte und den Posener Germanisten Hubert Orłowski mit seiner Rezeptionsgeschichte. Dennoch ist das Vorhaben riskant, denn die doppelte Perspektive birgt auch Gefahren einer übermäßigen Parallelisierung. Gewonnen werden kann dabei aber ein neuer Blick auf die mitteleuropäische Geschichte, der für beide Nationalkulturen bereichernd ist und zu intensiveren vergleichenden Forschungen anregen sollte.
6 Zernack, Klaus: Polen und Russland.
I. Überblick
1. Römisch-deutsches Reich und Polen-Litauen: Strukturelle Parallelen und nachbarschaftliche Beziehungen
Bereits ein Blick auf die geographische Ausdehnung beider Reichsverbände legt eine Parallelisierung der frühneuzeitlichen deutschen und polnischen Geschichte nahe: Mit ca. 800 000–1 000 000 km² (das frühneuzeitliche Frankreich umfasste ca. 400 000 km²) erreichten das Heilige Römische Reich deutscher Nation und Polen-Litauen eine ähnliche räumliche Ausdehnung, die erhebliche Probleme in der Kommunikation zwischen den Zentren, den Regionen und den Peripherien aufwarf und die unter den damaligen Verkehrsverhältnissen nur eine begrenzte machtpolitische Durchdringung des Raumes zuließ. Manchmal wird eine Terminologie verwendet, die eine Entgegensetzung von deutschem „Reich“ und polnischer „Adelsrepublik“ suggeriert (die Folge einer Übersetzung des lat. respublica in die französische republique des nobles, aus der die deutsche Bezeichnung hervorging), diese Begrifflichkeit löst jedoch eher Missverständnisse aus. Bei beiden Staatsverbänden handelte es sich jeweils um eine konstitutionell begrenzte monarchia mixta mit einer gestuften ständischen Verfassung, in der insbesondere adlige Eliten, aber auch Geistlichkeit und städtisches Bürgertum Partizipationsmöglichkeiten besaßen.1 Terminologische Überschneidungen tauchten bereits zeitgenössisch gehäuft auf: So verwandten die deutschsprachigen Bevölkerungen im Preußen „königlich polnischen Anteils“ oder in Großpolen für den einheimischen Staatsverband ebenfalls die Bezeichnung „polnisches Reich“. Andererseits sprachen Verfassungstheoretiker bei beiden Verbänden von einer res publica (poln. rzeczpospolita) oder einer monarchia mixta. In der Korrespondenz der großen preußischen Städte Danzig, Thorn und Elbing wurden vielfältige Analogien zwischen dem Reich und Polen-Litauen beschworen, die Städte beanspruchten einen ähnlichen Status wie die Reichsstädte. In dieser Vielfalt und in den changierenden Bezeichnungen kommt der schwer klassifi zierbare
1 Eine klassische Studie: Schramm, Gottfried: Polen – Böhmen – Ungarn: Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung, S. 13–38.
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Charakter beider Verbände zum Ausdruck: Der Historiker Heinz Schilling spricht von einer „amöbenhaften, amorphen Gestalt“.2 Auch parallele politische Entwicklungen in der Frühen Neuzeit legen einen Vergleich nahe: Beide Verbände bildeten um 1500 gemischte Herrschaftsformen mit monarchisch-ständischen Institutionen politischer Entscheidungsfindung aus: Neben die gewählten Herrscher (König/Kaiser und König/Großfürst) traten regelmäßig tagende zentrale ständische Diskussionsund Aushandlungsforen in Form des Reichstags (1495) und des Sejms (1493). Beide Ständeversammlungen erhielten durch die Reichsreformen bzw. die polnisch-litauische Exekutionsbewegung neue Strukturen (Festlegung der Reichsstände und Reichskreise, Woiwodschaften entsandten jeweils zwei Landboten zum Sejm) und Verhandlungsformen (Abschiede). Dabei ist die parallele Entstehung beider zentraler Ständeversammlungen nicht zufällig: Politische Ereignisse (Türkengefahr) erzwangen die Ausbildung handlungsfähiger Gremien, die Beschlüsse treffen und Steuern erheben konnten. Polen galt als antemurale christianitatis, im Reich stilisierte sich vor allem Wien durch die zweimaligen Belagerungen zu einer „Vormauer der Christenheit“. Auch nahmen die habsburgischen und jagiellonischen Herrscher sehr wohl wahr, welche Modernisierungen beim Nachbarn stattfanden. Deutlich ist diese wechselseitige Rezeption bei der Einrichtung von Institutionen der höheren Rechtsprechung sichtbar. Als in der Krone Polen in den 1540er Jahren eine höhere, vom nur schleppend tätigen König und Hof losgelöste Gerichtsbarkeit gefordert wurde, berief man sich in der Publizistik neben den französischen parlaments auf das 1495 eingerichtete Reichskammergericht. Andrzej Frycz Modrzewski (Modrevius) schlug öffentlich vor, dass die Besetzung des zukünftigen höchsten polnischen Gerichts ähnlich wie beim Reichskammergericht vorgenommen werden sollte. Letztendlich sah die Wahlordnung für das polnische Krontribunal jedoch die Wahl von rotierenden Deputierten vor, während am Reichskammergericht dauerhaft bestellte Assessoren Recht sprachen.3 Für beide Staatsverbände galt eine historische Multizentralität: Im Reich traten an die Stelle der alten Kerngebiete Rheinland und Schwaben zunächst Böhmen, später die habsburgischen Erblande, aber auch Frankfurt und Speyer bzw. Wetzlar (Sitzorte des Reichskammergerichts) oder Regensburg als Sitz des Immerwährenden Reichstags. In Polen-Litauen wurde die seit dem 2 Schilling, Heinz: Das Alte Reich – ein teilmodernisiertes System als Ergebnis der partiellen Anpassung an die frühmoderne Staatsbildung in den Territorien und europäischen Nachbarländern, in: Schnettger, Matthias (Hrsg.): Imperium Romanum, S. 279–291, hier S. 288. 3 Bömelburg, Hans-Jürgen: Die Tradition einer multinationalen Reichsgeschichte in Mitteleuropa.
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14. Jahrhundert dominierende Region Kleinpolen mit der Metropole Krakau im 16. Jahrhundert von Masowien mit Warschau abgelöst, unter den letzten Jagiellonen erfüllte aber zeitweise auch der polnisch-litauische Grenzbereich in Podlachien und Hoch-Litauen (Aukštaiten) die Funktion einer königsnahen Region, während an der unteren Weichsel das Königliche Preußen mit Danzig zum wirtschaft lichen Zentrum wurde. Ein Dilemma in beiden Reichsverbänden blieb, dass die wirtschaft lichen, kommunikativen und geographischen Schlüsselregionen – Böhmen und das Königliche Preußen – sowie deren Metropolen – Prag und Danzig – aufgrund ihres Sonderstatus für politische Zentralfunktionen ungeeignet waren. Der umfangreiche Grenzstreifen entlang der ca. 1000 km langen Grenze zwischen römisch-deutschem Reich und der Krone Polen besaß für beide Reichsgefüge eine besondere Bedeutung. Hier lagen – in beiden Reichsverbänden – „reichsferne“ Territorien, in denen lokale oder regionale Eigenentwicklungen stattfanden. Die hinterpommerschen Herzogtümer, die Herrschaften Lauenburg und Bütow (polnische Territorien, aber in Lehnbesitz der pommerschen und brandenburgischen Fürsten), die Pfandherrschaft Draheim, die Neumark als Nebenterritorium Brandenburgs, die Herzogtümer Auschwitz und Zator und das bischöfl ich krakauische Fürstentum Sewerien/ Siewierz bildeten jeweils Herrschaftsgebiete an der Grenze, in denen eigene deutsch-polnische Strukturen, eine Zweisprachigkeit und Mehrkonfessionalität sowie spezifische Lehnsverhältnisse und Rechtsstrukturen entstanden. Das galt auch für die oberschlesischen Herzogtümer Oppeln, Ratibor, Pless und Teschen, Teile des Reichs, die jedoch häufig von böhmischen Standesherren regiert und vielfach mehrsprachig organisiert waren. Noch die slawischen Sorben der Lausitz profitierten von der sächsisch-polnischen Verbindung. Grundsätzlich gab dieser Grenzstreifen auch Untertanen, die mit der bisherigen Herrschaft und den eigenen Lebensperspektiven unzufrieden waren, neue Chancen: Zogen sie über die Grenze, war es kaum möglich, solche „entlaufenen Untertanen“ zurückzuführen. Da die Region dünn besiedelt war, boten Grundherren oft günstige Ansiedlungskonditionen entlang der Grenze mit langen Freijahren oder niedrigen Zinszahlungen. Anderskonfessionelle Minderheiten wie die schlesischen und böhmischen Protestanten nach 1620 oder die polnischen Antitrinitarier nach 1660 fanden hier Unterschlupf, für Handelsleute und Spezialisten besaß die Großstadt Danzig Anziehungskraft.4 4 Bömelburg, Hans-Jürgen: Grenzgesellschaft und mehrfache Loyalitäten. Die brandenburgisch-preußisch-polnische Grenze 1656–1772, in: Zeitschrift für OstmitteleuropaForschung 55 (2006), H. 1, S. 56–78; Detailstudie: Motsch, Christoph: Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat. Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Großpolen (1575–1805), Göttingen 2001.
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Das bessere Recht und die größeren Freiheiten an der Grenze erklären, warum der Grenzstreifen in der Frühen Neuzeit dichter besiedelt wurde. Insbesondere muss der friedliche, ja friedensstiftende Charakter dieser Grenze betont werden: Nach der Säkularisierung des Deutschen Ordens (1525) kam es – abgesehen von der brandenburgischen Beteiligung am schwedischen Einmarsch in Polen 1655–1657 – in 250 Jahren zu keinen deutschpolnischen militärischen Konflikten; ein im kriegerischen Europa der Frühen Neuzeit beinahe einzigartiges Phänomen. Die Ursache ist in den in beiden Reichen defensiv ausgerichteten militärischen Strukturen zu sehen: Weder die Reichsarmee noch die polnische Kronarmee führten Angriffskriege; mit ihrer finanziellen und logistischen Ausstattung wären sie dazu gar nicht in der Lage gewesen. Dabei gab es durchaus sich überkreuzende territoriale Prätensionen: So beanspruchte das Reich nach der Säkularisierung des Deutschen Ordens in Preußen das 16. Jahrhundert hindurch die Zugehörigkeit des Preußenlandes zum Reich, was von der polnischen Krone abgelehnt wurde. Dem können von den polnischen Eliten wie der Öffentlichkeit erhobene Ansprüche auf Schlesien im 16. und 17. Jahrhundert gegenübergestellt werden. Obwohl die staatsrechtliche Zuordnung zur Krone Böhmen und zum römisch-deutschen Reich geklärt war, gab es einen tief sitzenden historiographischen Traditionalismus, der auch in der Frühen Neuzeit noch besondere Verbindungen Schlesiens zur Polonia postulierte. Trotz solcher wechselseitigen Ansprüche war das Verhältnis in der deutsch-polnischen Kontaktzone jedoch durchweg friedlich – Bruch- und Konfl iktlinien verliefen in der Frühen Neuzeit anderswo in Europa. Eine deutsch-polnische Diplomatiegeschichte lässt sich für die Spanne zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert schwerlich fassen, denn die Akteure wechseln in beiden Reichsgefügen und der Charakter von Diplomatie verändert sich nachhaltig. Kann man im 16. Jahrhundert zu Zeiten Karls V. und der Jagiellonen eine Diplomatiegeschichte zwischen den monarchischen Höfen und dem Reichstag bzw. Sejm schreiben, so verlagert sich im 17. Jahrhundert durch den Souveränitätsgewinn der deutschen Territorien nach 1648 das Gewicht stärker auf eine habsburgisch-polnische oder brandenburgisch-polnische Beziehungsgeschichte, wobei auch die polnischen Aristokraten (Familien wie die Radziwiłłs, Sobieskis oder Pac’) als Akteure berücksichtigt werden müssen. Im 18. Jahrhundert kann man von sächsischpolnischen (→ Kap. 6) und preußisch-polnischen (→ Kap. 7) Beziehungen sprechen. Deshalb konzentriert sich der folgende Abschnitt auf die Beziehungen des 16. Jahrhunderts, wobei insbesondere Kanäle der Wissensvermittlung zwischen den beiden ständischen Arenen, zwischen Reichstag und Sejm, gewählt wurden. An diesen Kontakten waren nicht nur einzelne Diplomaten beteiligt, sondern auch ganze Gesandtschaften und größere Gruppen von
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Adligen, aber auch Bürgern, so dass sich hier ein breiteres Bild zeichnen lässt als bei der bloßen Analyse diplomatischer Berichte aus Wien, Prag, Krakau, Wilna oder Warschau. Als Ausgangspunkt unserer Überlegungen kann der Besuch einer polnischen Gesandtschaft auf dem Reichstag von 1486 in Frankfurt und Köln dienen. Dass dieser Auftritt für die Zeitgenossen eine Novität darstellte, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass in mehreren Berichten insbesondere die Kleidung der Gesandten beschrieben wurde. Auch die zunächst bestehenden Kommunikationsprobleme und zeremoniellen Unbestimmtheiten kamen deutlich zum Vorschein. Die polnische Gesandtschaft von 1486 trat in der Audienz vor Kaiser Friedrich III., König Maximilian und den anwesenden Kurfürsten und Fürsten in Köln in polnischer Sprache auf. Ihre Ansprache wurde von Johann Beckenschlager, dem aus Schlesien stammenden Erzbischof von Gran, konsekutiv ins Deutsche übersetzt. Anschließend bat man die Gesandten, den Versammlungsraum zu verlassen, um intern zu beraten, welche Antwort ihnen gegeben werden sollte. Dann rief man sie wieder herein, und der Bischof von Gran verkündete in „slawischer“ (es ist unklar, in welcher) Sprache den Bescheid der Versammlung. Diese komplizierte Prozedur der mehrfachen Übersetzung – mit allen Problemen, die dies für die Wiedergabe des zu Vermittelnden aufwarf - wäre überhaupt nicht erforderlich gewesen. Zur umfangreichen polnischen Gesandtschaft gehörten auch Personen, die das Deutsche oder Lateinische hervorragend beherrschten. Der Grund für die komplizierte Prozedur lag wohl darin, dass diese Gesandtschaft als etwas Neues und Unbekanntes wahrgenommen wurde.5 Die auch verwandtschaft lich verflochtenen habsburgischen und jagiellonischen Höfe waren an einer Verständigung interessiert, aber auch in Rivalität miteinander verbunden. Dabei konnte die osmanische Bedrohung als Argument für gemeinsame herrscherliche Anliegen dienen (Erhöhung des zentralen Steueraufkommens und Disziplinierung der Stände), hinter dem eventuell divergierende Interessen zurücktraten. Diese Konstellation – gemeinsame und/oder konkurrierende Interessen der Herrscherfamilien der Habsburger und Jagiellonen – sollte die politische Landschaft Ostmitteleuropas das 16. Jahrhundert hindurch bestimmen und stellte eine Rahmenbedingung für die Kontakte zwischen Altem Reich und Polen-Litauen dar. Offizielle Gesandtschaftssprache war das Lateinische. Die Durchsetzung eines verbindlichen humanistischen Lateins in der habsburgischen und polnischen Kanzlei um 1500 erleichterte die Kommunikation. Die rhetorische 5 Wijaczka, Jacek: Stosunki dyplomatyczne; Bömelburg, Hans-Jürgen: Die Wahrnehmung des Reichstags in Polen-Litauen, in: Lanzinner, Maximilian / Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Der Reichstag, S. 405–437.
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Ausgangsbasis der polnischen Gesandtschaften bildete durchweg die Betonung des gemeinsamen Anliegens, pro bono Reipublicae christianae einzutreten. Inhaltlich fand dies Ausdruck in der wiederholten Hervorhebung der „Türkengefahr“ und den Versuchen, eine gemeinsame „Türkenabwehr“ zu lancieren. Im Einzelfall ist jedoch jeweils nachzufragen, ob sich hinter diesen Akzenten nicht eine taktische Betonung der Gemeinsamkeiten verbarg, um in der Verhandlung von Einzelfragen eine günstigere Position einzunehmen. Das Problem der Verhandlungssprache tauchte in Zukunft in den Quellen nicht mehr auf. Der auf dem Freiburger Reichstag von 1498 als polnischer Gesandter (ein „großer Herr“) mit einem Hilfsersuchen gegen die Türken – nach dem Frankfurter Protokollanten ein „cleglich Anpringen“ – auft retende Mikołaj Rosenberg-Rozembarski fand durch die Form seiner lateinischen Ansprache, die in den nächsten Jahrhunderten in mehreren Kompendien mit Reichstagsreden gedruckt wurde, ein positives Echo.6 Allerdings gab es neben den besonderen Beziehungen zu den Habsburgern auch dynastische Faktoren, die die Jagiellonen mit mehreren Reichsständen verbanden: Insgesamt waren sechs Schwestern der vier 1492–1572 regierenden jagiellonischen Könige mit Reichsfürsten verheiratet, wodurch der polnische Hof insbesondere nach Sachsen, Ansbach, Brandenburg, Pommern und Braunschweig familiär-politische Beziehungen und Kommunikationskanäle besaß.7 Zwar fügten sich diese Verbindungen infolge der widerstreitenden Interessen der Reichsstände nicht zu einer „jagiellonischen Partei“ unter den Reichsständen zusammen, doch bot sich in einzelnen Situationen wiederholt die Chance, für politische Anliegen des polnischen Hofes auf dem Reichstag auch andere Reichsstände zu gewinnen, mit denen die Jagiellonen dynastisch verbunden waren. Anhand erhaltener Akten ist nachweisbar, dass der polnische Hof sowie einzelne Reichsstände versuchten, diese Kontakte zu einer informellen Zusammenarbeit auf dem Reichstag zu nutzen. Ein Beispiel: Als 1532 in Regensburg die Reichssteuern diskutiert werden sollten, schrieb Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach in der Instruktion für seinen Gesandten Balthasar von Rechenberg, dieser solle in der Frage der Reichsanschläge eventuell den polnischen Gesandten Dantiscus als Vermittler 6 „Ain grosser h. [Nikolaus von Rosenberg, aulicus] des kg. von Bolad Botschaft , mit vil dienern“ ist vor dem Rat in Nürnberg erschienen und in Freiburg eingetroffen, berichtet über „Türke vor Krakau“. Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe, Band 6: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg. Bearbeitet von Heinz Gollwitzer, Göttingen 1979, S. 644 (7.7.1498). Vgl. auch: „Die tete ein lateinisch oracion, gar ein cleglich anpringen.“ Frankfurter Protokollant, ebd., S. 657. 7 Überblick anhand des biographischen Lexikons von Małgorzata Duczmal: Jagiellonowie. Leksykon biograficzny, Kraków 1996.
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vorschlagen.8 Georg, ein Neffe des polnischen Königs Sigismund I., war durch längere Aufenthalte am böhmischen und ungarischen jagiellonischen Hof, durch seine Rolle als Erzieher König Ludwigs II. und Vermittler bei der Umwandlung Preußens in ein protestantisches polnisches Lehen sowie durch seine schlesischen Besitzungen (Jägerndorf) eng mit der jagiellonischen Politik verbunden. Insbesondere bei der Verteidigung Herzog Albrechts nach dessen Übertritt zum Protestantismus arbeitete die ansbachische Diplomatie mit den polnischen Gesandten zusammen. Grundsätzlich ist bei dem Besuch der Reichstage seit Anfang des 16. Jahrhunderts auch das Element der Gegenseitigkeit zu beachten: Kaiserliche oder königliche habsburgische Gesandtschaften aus dem Reich nahmen in etwa gleichem Umfang an den polnischen ständischen Generalversammlungen teil. So besuchten die habsburgischen Diplomaten Sigismund von Herberstein und Georg von Lookschau 1527/28 den polnischen Sejm in Petrikau (Piotrków), während der polnische Gesandte Piotr Opaliński kurz darauf an dem Reichstag in Regensburg teilnehmen sollte. Zwischen dem königlichen bzw. kaiserlichen Hof im Reich, den Tagungsorten der Reichstage und dem polnischen Hof bestanden vor der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine regelmäßigen Postverbindungen und Kommunikationswege. Keiner der Höfe hatte einen festen Sitz, auch erfolgte die Einberufung der Reichstage relativ kurzfristig. Bis diese Informationen über eine Entfernung von 1000 bis 2000 km nach Polen-Litauen oder an die habsburgischen Residenzen gelangten, konnten zwei bis drei Monate vergehen, zudem wurde der polnische Hof nicht unmittelbar von der Ausschreibung eines Reichstages unterrichtet, sondern erhielt die Einladungen oft aus zweiter Hand. Unter diesen Bedingungen hing die Nachrichtenübermittlung von den jeweiligen Aufenthaltsorten der Herrscher, der Organisation der Kanzlei und der Gesandtschaften sowie nicht zuletzt auch von Zufällen ab. Zwischen den 1480er Jahren und 1506 war der polnische Hof aus außenpolitischen Gründen wenig ortsfest und hielt sich häufig in Litauen auf. Dagegen ließen sich Hof und Kanzlei in der langen Regierungszeit Sigismunds I. (1507– 1547) in Krakau nieder. Nach 1547 nahm diese Präsenz in Krakau infolge persönlicher Vorlieben Sigismund Augusts wieder ab, und im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts pendelten Hof und Monarch zwischen Krakau, Warschau, den preußischen Städten und Litauen. Die Politik im Reich konzentrierte sich dagegen unter Maximilian I. am Oberrhein, später wegen des spanischen Engagements Karls V. in Brüssel. 8 Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Band 10: Der Reichstag in Regensburg und die Verhandlungen über einen Friedstand mit den Protestanten in Schweinfurt und Nürnberg 1532. Bearbeitet von Rosemarie Aulinger, 2 Teile, Göttingen 1992, S. 230.
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Es liegt auf der Hand, dass diese Verlagerungen, die die Herrschaftszentren teilweise für mehr als 1000 km voneinander entfernten, die Kommunikation gewaltig erschwerten. Als besonders günstig für eine schnelle Nachrichtenübermittlung erwiesen sich Kontakte in der Residenzstadt Krakau, da die Metropole insbesondere über die Agenten und Informationsnetze am Ort ansässiger Kaufleute (Familien Thurzó-Fugger, Boner) bereits um die Wende zum 16. Jahrhundert an das internationale Nachrichtennetz angebunden war und die Entfernung nach Wien sowie zu den oberdeutschen Tagungsorten der Reichstage (Nürnberg, Regensburg, Augsburg) in ein bis zwei Wochen überwunden werden konnte. Ein Aufenthalt in Warschau, in den bevorzugten Residenzen Sigismund Augusts im polnisch-litauischen Grenzbereich, verdoppelte und verdreifachte dagegen die Kommunikationswege und erschwerte insbesondere den Kontakt mit den Gesandtschaften auf den Reichstagen. In Litauen versorgte zudem in erster Linie die litauische Kanzlei den Monarchen mit dem nötigen Personal, die allerdings für Fragen der Reichspolitik wenig kompetent war. Ein Beispiel: Als im Januar 1566 die Instruktion für den Gesandten Franciszek Krasiński zum Reichstag in der königlichen Residenz in Knyszyn (Podlachien) entworfen wurde, konnte diese nicht fertiggestellt werden, da vor Ort die nötigen Akten insbesondere in der Frage der preußischen Angelegenheiten nicht vorhanden waren. Am 10. März wurde deshalb aus Wilna ein Supplementum in negotio Prutenico nach Wien geschickt, das den Gesandten jedoch erst nach der Audienz beim Kaiser erreichte und nur noch für die Rede vor den Reichsständen (29. April) verwandt werden konnte. Krakau erhielt seit 1558 einen Anschluss an das reguläre mitteleuropäische Postsystem durch die Einrichtung einer Postlinie über Wien und Graz nach Venedig, die, mit Stockungen und Unterbrechungen, zeitweise wöchentlich, später 14-tägig verkehrte. Seit 1583 wurde diese Postlinie auf Anordnung Stephan Báthorys bis an den jeweiligen Aufenthaltsort des königlichen Hofes verlängert, was die Nachrichtenverbindungen zum herrscherlichen Zentrum verbesserte.9 Allerdings sorgte diese Einrichtung regulärer Verbindungen nur phasenweise für Verbesserungen: Das 1596 zur königlichen Residenzstadt erhobene Warschau hatte bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts keinen regelmäßigen Anschluss an das internationale Postnetz. Eine Postlaufzeit von einem Monat aus den süd- und westdeutschen Regionen des Reichs bis an den polnischen Hof war für das ganze 16. Jahrhundert die Normalität. 9 400 lat poczty polskiej. Warszawa 1958, S. 14–25 (S. 16: Abdruck der Ordinatio postae Cracovia – Venetias); Zimowski, Lech: Geneza i rozwój komunikacji pocztowej na ziemiach polskich, Warszawa 1972, S. 78–81. Eine moderne Geschichte der polnischen Kommunikation ist ein Desiderat.
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Durchschnittliche Gesandtschaften waren bescheiden und bestanden etwa bei Rosenberg-Rozembarski zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus sechs bis acht Personen. Allerdings nahmen diese Größenordnungen bereits Mitte des Jahrhunderts deutlich zu: Den Reichstag in Worms 1544/45 besuchte der Gesandte Jan Firlej mit einer 20 Personen zählenden adligen Gefolgschaft, wobei hier wohl auch die in der inneren Politik Polen-Litauens verbreitete Praxis zur Geltung kam, mit einem möglichst umfangreichen Gefolge (orszak) politische Bedeutung zu demonstrieren. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist bei speziell aus Polen zusammengestellten Gesandtschaften von 20–60 Personen auszugehen. Diese Größe warf bei den hohen Lebenshaltungskosten an den Tagungsorten und der geringen finanziellen Ausstattung der Gesandtschaften Probleme auf. Mehrere Gesandtschaften gerieten in Geldnöte und mussten Ausrüstung und Pferde verkaufen, da die Versorgung nicht mehr gesichert war. Dies änderte sich nach 1515, als humanistisch gebildete Berufsdiplomaten agierten, die sich längere Zeit am Hof aufhielten. Als Beispiel genannt sei Johannes Dantiscus, der zwischen 1518 und 1532 über zehn Jahre als polnischer Gesandter am kaiserlichen Hof Karls V. tätig war und in dieser Funktion an den Reichstagen 1530 in Augsburg und 1532 in Regensburg teilnahm. Erwähnt werden muss auch Martin Kromer, der 1558–1564 am Hofe Ferdinands I. ansässig war und mehrere Reichstage besuchte. Diese Persönlichkeiten besaßen eine sehr gute Kenntnis der Reichspolitik, wobei allerdings die Kontakte zum kaiserlichen Hof gegenüber den Kenntnissen der kurfürstlichen und fürstlichen Interessen überwogen. Im Falle von Dantiscus, dessen gesamter Briefwechsel etwa 20 000 Dokumente umfasst, die inzwischen in Warschau in Kurzregesten erfasst sind (70% Latein, 20% Deutsch, 10% sonstige Sprachen),10 sind auch quantitative Aussagen möglich: Erhalten sind etwa 60 Briefe von und an Dantiscus, in denen dieser über die in Augsburg und in Regensburg ablaufenden Ereignisse informierte beziehungsweise Anfragen und weitere Informationen erhielt. Die mitunter ausführlichen, bis zu 20 Seiten umfassenden Briefe gingen nach Polen an Sigismund I., die Königin Bona Sforza, ausgewählte Personen der Kronkanzlei sowie preußische Bekannte von Dantiscus, aber auch an die internationalen humanistischen Eliten. Die polnischen Eliten waren somit über diese Reichstage gut informiert; neben der Preußen-, Ungarn-, Türken- und Ostmitteleuropapolitik, für die man sich in Polen interessierte, wurde auch über allgemeine Fragen der Reichspolitik berichtet. 10 Axer, Jerzy / Mańkowski, Jerzy: Korrespondenz von Johannes Dantiscus (1485–1548). Baltische und skandinavische Problematik, in: Merisalo, Outi / Sarasti-Wilenius, Raija (Hrsg.): Mare Balticum – Mare Nostrum. Latin in the Countries of the Baltic Sea (1500–1800), Jyväskylä 1994, S. 150–156; Edition: Corpus epistularum Ioannis Dantisci, hrsg. von Jerzy Axer und Anna Skolimowska. Warszawa 2004 ff.
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Zudem besaßen die Reichstage für die polnischen Eliten die Funktion von Nachrichtenbörsen. Der Königshof bat seine Gesandten zum Reichstag, im wöchentlichen Rhythmus ausführlich über alle in Erfahrung zu bringenden Neuigkeiten zu berichten und interessante Publikationen und Flugschriften nach Polen zu schicken. Sigismund August schrieb am 30. Mai 1566 an Franciszek Krasiński: „Die Nachrichten, die Ihr Uns übersandt habt, waren wir froh zu erhalten und Wir möchten, dass Ihr Uns oft und ausführlich schreibt.“11 Solange sich die Gesandten auf dem Reichstag aufhielten, wurde vielfach über diese die Post an die westeuropäischen Gesandtschaften abgewickelt, da die polnische Kanzlei von der zutreffenden Einschätzung ausging, dass während der Reichstage diese Kommunikationswege besonders zügig bedient wurden. Erhaltene Berichtsammlungen – zum Beispiel des Gesandten Łukasz Podoski vom Reichstag in Speyer 1570 – belegen, dass über zahlreiche Details der Reichspolitik informiert wurde, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Bedeutung der Reichstage als Forum, auf dem dynastische Verbindungen sondiert werden konnten.12 Ein Beispiel für solche Verhandlungsaufträge: „Mit den geehrten pommerschen Herzögen solltet Ihr ebenfalls verhandeln, damit, im Bewusstsein unserer engen Verwandtschaft und der zwischen uns bestehenden Verträge, wenn unsere Lage dies erfordert, ihre Heere mit unseren vereint werden gegen diejenigen, die daran denken, Uns und Unseren preußischen Landen den Krieg anzukündigen. Behaltet auch die verwandtschaft lichen Beziehungen mit dem geehrten Markgrafen, unserem Schwiegersohn und mit seiner Gemahlin, unserer geliebten Tochter, in Erinnerung, und sprecht über diese Angelegenheiten gesondert [...]. Versäumt es auch nicht, in derselben Angelegenheit mit Moritz, dem Kurfürsten von Sachsen zu sprechen sowie mit den Markgrafen Johann und Albert von Brandenburg.“13 Neben den offiziellen Gesandtschaften des polnischen Königs gab es auch andere Gruppen, die den Reichstag besuchten und in gewissem Maß als Teil einer polnischen Öffentlichkeit angesehen werden können. Zu erwähnen sind erstens die Gesandten der preußischen Herzöge und insbesondere des Herzogs 11 Akta poselskie i korrespondencye Franciszka Krasińskiego 1558–1576, bearbeitet von Ignacy Janicki, hrsg. von Władysław Krasiński, Kraków 1872, S. 129, 130. 12 Die Gesandtschaft von 1486 soll ein Bild einer Tochter des Königs von Polen bei sich gehabt und versucht haben, eine Verbindung mit Maximilian herbeizuführen. Heiratsverbindungen wurden auch 1495 diskutiert, vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Reichstag von Worms 1495. Bearbeitet von Heinz Angermeier, 2 Teile, Göttingen 1981, S. 778 f., 1367 f., 1378–1380 (Vermittler war Markgraf Friedrich von Brandenburg). 13 Instruktion Sigismund I. an Olbracht Łaski, Piotrków, 6. Februar 1548, in: Łaski, Stanisław: Prace naukowe i dyplomatyczne, Wilno 1864, S. CXL-CXLI.
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Albrecht von Brandenburg-Ansbach, die zwischen den 1520er und 1560er Jahren auf beinahe jedem Reichstag anwesend waren. Bei ihrer Beobachtung der Aktivitäten des Deutschen Ordens und den Bemühungen zur Lösung des Banns gegen Albrecht arbeiteten diese Beauftragten stets mit den polnischen Gesandtschaften zusammen. Über die enge Abstimmung und die gemeinsamen Schritte sind wir aus den Berichten und Briefen des preußischen Rats Asverus von Brandt gut informiert.14 Anwesend waren auf mehreren Reichstagen auch Agenten und Informatoren der preußischen Städte, in erster Linie Danzigs, die bei der Einforderung von Reichssteuern oder Vorladungen vor das Reichskammergericht ebenfalls die polnischen Gesandtschaften unterstützten. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erschienen auf Reichstagen schließlich Angehörige des preußischen Herrenstandes wie die Truchsessen zu Waldburg oder insbesondere die Dohnas, die den Reichsgrafentitel führten.15 Fabian von Dohna nahm – zeitweise in pfälzischen Diensten – an vier Reichstagen teil, sein Neffe Abraham trat auf dem Warschauer Sejm 1611 wie auch auf dem Regensburger Reichstag 1613 als brandenburgischer Gesandter auf. In der Forschung werden in Anlehnung an ältere Arbeiten preußische Reichstagsbesucher zumeist völlig losgelöst von den polnischen Teilnehmern behandelt. Diese Perspektive ist für die Beauftragten Herzogs Albrechts und der preußischen Städte unzutreffend, da diese sich politisch eng an die polnischen Gesandtschaften anlehnen mussten. Sie ist aber auch für die reformierten Dohnas kaum haltbar, da die Einbindung der Familie in die preußischpolnische Ständegesellschaft übersehen wird. So nahm Fabian von Dohna an zumindest sechs Sejmversammlungen teil.16 Sicherlich diskutabel ist, inwieweit sich die preußischen Teilnehmer als Polen ansahen. Bei Fabian von Dohna, der am pfälzischen Hof als „polnischer Ochs“ wahrgenommen wurde, existierten offenbar tief sitzende Ängste: „Aber ich habe von Jugend auf und alle 14 Die Briefe und Berichte des Rats und Gesandten Herzog Albrechts von Preussen Asverus von Brandt nebst den an ihn ergangenen Schreiben in dem königlichen Staatsarchiv zu Königsberg. H. 1–4. Hrsg. von Adalbert Bezzenberger, Königsberg 1904–1921; H. 5 bearbeitet von Erhard Sprengel, Hameln 1953; Wijaczka, Jacek: Asverus von Brandt. 15 Achatius von Dohna besuchte 1566 den Reichstag zu Augsburg, vgl. Die Selbstbiographie des Burggrafen Fabian zu Dohna (1550–1621), hrsg. von Christian Krollmann, Leipzig 1905, S. 4. Fabian von Dohna besuchte mehrfach den Reichstag in Regensburg (1576, 1594, 1598, 1603), vgl. ebd., S. 10, S. 89–91, S. 98 f. 16 Fabian von Dohna 1569 Lublin (ebd., S. 7), 1589 Warschau (ebd., S. 65), 1601 Warschau (ebd., S. 95), 1603 Warschau (zusammen mit Abraham, Friedrich und Achatius), 1605 Warschau (Gesandter der preußischen Stände, ebd., S. 100), 1606 Warschau (ebd.). – Abraham nahm 1611 als brandenburgischer Gesandter teil, vgl. Chroust, Anton: Abraham von Dohna. Sein Leben und sein Gedicht auf den Reichstag von 1613, München 1896, S. 66.
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die Zeit meines Lebens und noch ein solche hertzliche Furcht, Widerwillen, ja Schrecken für der Polnischen Nation gehabt, dass ich es nicht genugsamb kann aussprechen.“17 Wichtiger erscheint jedoch eine andere Fragestellung: Die preußischen Reichstagsbesucher waren auch Teil eines innerpolnischen Kommunikationssystems und gaben – insbesondere in ihren engen Kontakten mit reformierten polnischen und litauischen Adligen – ihre Informationen über die Reichspolitik dorthin weiter. „Zeitungen“ von den Reichstagsund Sejmverhandlungen, die sich bis heute in den Resten des Dohnaschen Familienarchivs in Berlin und Olsztyn erhalten haben, belegen dies.18 Eher passive Reichstagsgäste waren junge polnische Adlige, die sich zu Ausbildungszwecken an deutschen Universitäten aufhielten und von dort aus den Reichstag besuchten. Heidelberg, Altdorf und Ingolstadt, Zentren polnischer Studierender im Reich, lagen nicht weit von den Tagungsorten entfernt. Eine wechselseitige Übernahme von prozeduralen Mustern ist jedoch nicht nachweisbar. Dafür besaßen Sejm und Reichstag zu stark abweichende Strukturen, genannt seien nur auf polnischer Seite die Gesandtenstruktur mit Landboten, die Periodizität und die zeitliche Begrenzung bei den Sejmverhandlungen. Allerdings ist das wohl bekannteste Werk des polnischen politischen Denkens auch im Zusammenhang einer Beschäft igung mit dem Reichstag entstanden: Andrzej Frycz Modrzewskis Schrift über die Verbesserung des Staatswesens »De republica emendanda« (1551) entstand 1549/50 im Anschluss an dessen Aufenthalt auf dem Augsburger Reichstag und suchte gleichgewichtige ständisch-monarchische Verfassungsstrukturen zu entwickeln, die im Kern auf einer Synthese der polnischen wie der römischdeutschen Reichsverfassung aufsetzten. Aus der polnischen Perspektive zählte der Reichstag zu den Zentralorten europäischer Kommunikation, dem nach dem Heiligen Stuhl in Rom und dem Kaiserhof europaweit Bedeutung zukam. Dies galt so lange, wie der Jagiellonenhof und die Mehrheit der polnischen Eliten Interessen im Reich besaßen, die unabhängig von Rom oder Wien gewahrt werden wollten. Mit der Lockerung dieses Beziehungsgeflechts im Zuge der Konfessionalisierung und der wachsenden Bedeutung „ostpolnischer“ litauischer und ruthenischer aristokratischer Familien verlor der Reichstag im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts für Polen an Bedeutung.
17 Die Selbstbiographie des Burggrafen Fabian zu Dohna, S. 13, 26. 18 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, Dohna-Schlobitten, K. 3, Nr. 56, 57, 79, 81; Bömelburg, Hans-Jürgen: Lojalność w protestancko-kalwińskiej rodzinie stanu panów w Prusach Książęcych: Trzy pokolenia rodziny Dohnów (1540–1625), in: Axer, Jerzy (Hrsg.): Panorama lojalności, S. 46–62, hier S. 57.
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Die territoriale Entwicklung des römisch-deutschen Reichs sowie PolenLitauens stabilisierte sich im frühen 16. Jahrhundert und schuf in der deutschpolnischen Kontaktzone Grenzen, die bis ins 18. Jahrhundert unverändert blieben. Dabei verlief die politische Grenze zwischen beiden Verbänden nicht entlang der ethnischen Grenzen: Unter den habsburgischen Herrschern verfestigte sich die Zugehörigkeit Schlesiens zur Krone Böhmen und damit zum Reich, wodurch größere polnischsprachige Bevölkerungsgruppen Schlesiens ebenfalls ins Reich integriert wurden. Zugleich wurde nach der Inkorporation des Königlichen Preußens (1454/66) mit der Säkularisierung des Ordens im Preußenland auch das Herzogtum Preußen zum polnischen Lehnsherzogtum (1525); nach dem Zusammenbruch Altlivlands (1561) fielen schließlich Kur- und Livland an Polen-Litauen. Diese Prozesse hatten zur Folge, dass größere deutschsprachige Gesellschaften mit Adligen, Geistlichkeit, Bürgertum und – im Falle Preußens – auch deutschsprachigen Bauern Teile Polens wurden. In der Frühen Neuzeit stößt die Ermittlung der Bevölkerungszahlen und der ethnischen Verhältnisse auf erhebliche Quellenprobleme. Nach Schätzungen lebten in Polen-Litauen an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert 6,7–7 Millionen Menschen. Bis 1580 wuchs die Bevölkerung auf 7,5 Millionen, was eine Bevölkerungsdichte von 9 Personen/km² ergibt. Dabei lebte die Bevölkerungsmehrheit in der Krone Polen (15 Personen/km²), in Litauen dagegen lebten nur 5 Personen/km².19 Die deutschen Länder waren deutlich dichter besiedelt, auch wuchs dort im 16. Jahrhundert die Bevölkerung rascher: Um 1550 sollen im römisch-deutschen Reich 12 Millionen Menschen gelebt haben (29 Personen/km²), bis 1600 wuchs die Bevölkerung auf 16,2 Millionen (33 Personen/km², jeweils ohne Böhmen). Zudem lebten unter den 6,5 Millionen Untertanen der Habsburger außerhalb Österreichs ebenfalls um 1600 nicht ganz 2 Millionen Deutschsprachige in der Krone Böhmen und Westungarn. Die zeitgenössischen Chronisten bemerkten insbesondere einen deutlichen Bevölkerungszuwachs in Bayern, Schwaben und im Rheinland. Der schwäbisch-fränkische Theologe Sebastian Frank beklagte sich in seinem »Germaniae chronicon – Chronica des gantzen Teutschen Lands« (1539), es 19 Kuklo, Cezary: Demografia Rzeczypospolitej przedrozbiorowej, S. 212 f.
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gebe „aller welt volck genoug [...], und ist dennoch allezeit mit solchem überfluss besetzt, dass doerffer und stett zerinnen wellen“.20 Im frühneuzeitlichen Europa ist ein Gefälle in der Bevölkerungsdichte von Süd nach Nord und von West nach Ost zu erkennen, was insbesondere die Migration in die Territorien im östlichen Europa vielversprechend werden ließ, da dort ungenutzte oder nur extensiv ausgebeutete landwirtschaft liche Gebiete zur Verfügung standen. Der Norden dagegen war weniger interessant, auch deshalb, weil die europaweite Abkühlung in der „kleinen Eiszeit“ den Ackerbau in Grenzertragsregionen unattraktiv machte. Da die europäische Bevölkerung im 16. und erneut im 18. Jahrhundert stark wuchs, führte dies auch im deutsch-polnischen Kontext zu einer West-Ost-Migration, die sich erst um 1830/48 – dann auch aus politischen Gründen – in die bis heute vorherrschende Ost-West-Migration umkehrte. Polen wanderten dagegen in der Frühen Neuzeit kaum ins Alte Reich ein, deshalb gab es in den größeren deutschen Städten im Unterschied zum 19. und 20. Jahrhundert keine polnischsprachigen Bevölkerungen oder polnische Viertel. Eine Ausnahme bildeten nur Adlige, die sich zu Bildungsreisen im deutschen Sprachraum aufhielten, sowie konfessionelle Migranten. Die Unterschiede waren insbesondere zwischen dem dicht besiedelten Süd- und Westdeutschland, aber auch zwischen Böhmen und Schlesien auf der einen und dem dünner besiedelten Polen-Litauen auf der anderen Seite spürbar. Vor allem zwischen Süd- und Westdeutschland und Südpolen entwickelte sich eine Migration von West nach Ost, die durch die stabilen Rechtsverhältnisse und die lange Friedenszeit in der Krone Polen im späten 15. und 16. Jahrhundert begünstigt wurde. Die deutschen Zuwanderer, darunter auch größere jüdische Gruppen, ließen sich mit Vorliebe in den städtischen Zentren entlang des Handelsweges auf der Nordseite der Karpaten in Richtung Schwarzes Meer nieder. Die Städte auf der Linie Breslau – Krakau – Przemyśl – Lemberg garantierten den Zuwanderern eine schnelle Eingliederung in den Warenaustausch zwischen Westeuropa und dem Schwarzmeerraum. Von Krakaus 20 000–25 000 Einwohnern des 16. Jahrhunderts stammten ca. 20–25% aus ursprünglich deutschsprachigen Familien. Große Bedeutung besaß auch der Silber- und Salzbergbau in Böhmen, Oberungarn sowie in den bei Krakau gelegenen Orten Wieliczka und Bochnia. An der Migration in Richtung der polnisch-litauischen Territorien waren vor allem Menschen aus Böhmen, Schlesien, Franken, Schwaben und dem Rheinland beteiligt, das heißt aus den wirtschaft lich entwickelteren deutschen 20 Pfister, Christian (Hrsg.): Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500– 1800, S. 11.
2. Menschen und Migrationen
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Territorien. Die deutschsprachigen Eliten Krakaus oder Lembergs zu Beginn des 16. Jahrhunderts stammten von hier.21 Dagegen wichen im Norden der deutsch-polnischen Kontaktzone, in Pommern, Brandenburg, im Herzogtum Preußen und in der Neumark, die Lebensverhältnisse nicht von denen in Großpolen oder im Königlichen Preußen ab, im Gegenteil: Oft waren die Territorien auf der deutschen Seite spärlicher bevölkert, wirtschaft lich weniger entwickelt und in geringerem Maße mit Rohstoffen ausgestattet als auf der polnischen Seite. Die Zuwanderung Deutscher blieb relativ schwach und führte zumeist in den dünn besiedelten Grenzstreifen. Unter dem Patriziat und den bedeutendsten Vertretern der Krakauer Bürgerschaft war der Anteil von Zuwanderern aus Brandenburg, Mecklenburg oder Pommern gering. Auf der anderen Seite wanderten in die großen preußischen Städte (Danzig, Elbing, Thorn) Menschen aus den Hansestädten, aus den kleineren preußischen Orten und aus Masowien und Großpolen ein. Während man die frühneuzeitliche Mobilität von Eliten (Patriziat, Adel, Kunsthandwerker und Künstler) in den Quellen relativ detailliert beschrieben finden kann, sind generalisierende Aussagen über die ethnischen Verhältnisse in der gesamten Bevölkerung kaum zu machen. Für das 16. und den Anfang des 17. Jahrhunderts liegen fiskalische Dokumente vor, für Polen vor allem die Register der Hufensteuer, der Rauchfangsteuer, der Kopfsteuer und der Lustrationen der königlichen Güter. Diese Materialien erlauben jedoch nur in begrenztem Maße Schlüsse über die ethnischen Verhältnisse (mit Ausnahme der jüdischen Gemeinschaft). Oft werden in den Akten Fragen einer Ethnizität überhaupt nicht berührt, da diese damals kaum jemanden interessierten. Bestände, die eine genauere demographische Analyse für Mikrostudien ermöglichen und in denen die konfessionellen Verhältnisse dargelegt werden, das heißt Kirchenbücher über Heiraten, Taufen, Begräbnisse und die Kommunion Empfangende, sind für das 16. Jahrhundert selten. Dies betrifft protestantische Gotteshäuser wie auch katholische Kirchenbücher. In katholischen Pfarreien wurden solche Seelenregister erst deutlich nach den Bestimmungen des Konzils von Trient eingeführt und enthalten keine Angaben über die ethnischen Verhältnisse. Genauere Register stammen erst aus der Teilungszeit im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Überliefert sind sowohl polnische Verzeichnisse als auch Quellen der preußischen und österreichischen Teilungsmacht. Deshalb werden häufig Ergebnisse aus dem späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert in das 17. oder 18. Jahrhundert extrapoliert. Solche Studien 21 Noga, Zdzisław (Hrsg.): Elita władzy miasta Krakowa; Noga: Krakowska rada miejska w XVI wieku, S. 166–192; Dmitreva, Marina / Lambrecht, Karen (Hrsg.): Krakau, Prag und Wien.
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entstanden für konkrete Gegenwartszwecke und sollten ein historisch bedingtes Übergewicht von Deutschen oder Polen belegen, woraus dann wiederum Ansprüche abgeleitet wurden. Derartige Manipulationen oder Versuche, aus Namens- oder Konfessionsregistern beziehungsweise Berichten über die verwendete Sprache Aussagen über die Nationalität von Bevölkerungen zu machen, gehörten bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Praxis auch ausgewiesener Wissenschaft ler und zwingen heute zu einer umso sorgfältigeren Interpretation. Während sich in den deutschen Territorien das starke Bevölkerungswachstum des 16. Jahrhunderts dank hoher Geburtenraten vollzog, deuten die Zahlen für die polnischen Städte darauf hin, dass hier vor allem die Landflucht, und darunter auch die Migration aus dem Westen, die Städte wachsen ließ. In Polen trug im 16. Jahrhundert die Einwanderung deutscher Bevölkerung aus den deutschen Territorien sowie aus Böhmen und Ungarn maßgeblich zum Wachstum bei. Dieser Trend hielt, wenn auch mit abgeschwächter Dynamik, bis 1648 an. Er unterlag lediglich einer Konfessionalisierung: Katholiken wanderten in die kleinpolnischen katholischen Städte ein, Lutheraner gingen nach Großpolen und ins polnische Preußen. Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648 bedeutete einen Einschnitt, denn er beendete das demographische Wachstum in Deutschland. Die Verluste durch unmittelbare Kriegshandlungen, Seuchen und Hungersnöte werden auf 25–49% der Bevölkerung geschätzt. Man nimmt an, dass die deutsche Bevölkerung von über 17 Millionen auf zehn Millionen Menschen zurückging.22 In diese Verluste eingeschlossen sind auch Abwanderungen eines Teils der deutschen Bevölkerung nach Polen infolge der Kriegsnöte und des Drucks der Gegenreformation. Protestantische Böhmen und Schlesier wichen vor Krieg und Katholizismus über die Grenze nach Großpolen aus und gründeten dort, angelockt von günstigen Privilegien adliger Grundbesitzer, Städte und Siedlungen wie Rawicz (1638), Unruhstadt/Kargowa (1641) und Zaborowo (1644). Lissa, bereits seit dem 16. Jahrhundert ein Zentrum der Böhmischen Brüder in Großpolen, erlebte durch die Zuwanderung aus Böhmen und Schlesien einen Aufschwung. Die Ansiedlung in Polen wurde auch dadurch gefördert, dass die Grenze leicht überschreitbar und ein Besuch in den Heimatorten oder eine spätere Rückkehr jederzeit möglich waren.23 Daneben wanderten auch protestantische Eliten nach Polen aus: Dichter wie Martin Opitz und Andreas Gryphius gingen nach Thorn und Danzig 22 Pfister, Christian (Hrsg.): Bevölkerungsgeschichte, S. 10. 23 Deventer, Jörg: Nicht in die Ferne, nicht in die Fremde? Konfessionsmigration im schlesisch-polnischen Grenzraum im 17. Jahrhundert, in: Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Glaubensflüchtlinge, S. 95–118.
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(→ S. 128). In Danzig schrieben Autoren wie Johannes Mochinger. Königsberg im polnischen Lehnsherzogtum Preußen wurde zu einer Friedensinsel, in der in der Epoche Simon Dachs die Literatur blühte.24 Die Bevölkerung Polen-Litauens erreichte um 1648 mit ca. 10,5–11 Millionen Einwohnern ihren Höhepunkt. Danach wurde der Staatsverband durch die Kosakenaufstände, die Kriege mit Moskau, Schweden und dem Osmanischen Reich und deren tatarischen Verbündeten in vergleichbarem Maße wie das römisch-deutsche Reich im Dreißigjährigen Krieg zerstört. Die Bevölkerungsverluste erreichten 20–30%. Ähnlich wie in den Kriegen zuvor reagierten die Menschen auch hier mit Abwanderung, nun aber von Ost nach West: Vor und nach dem Niederbrennen des protestantischen Lissa durch katholische Truppen (1656) flohen Polen nach Westen, in die Neumark, nach Brandenburg und Schlesien. Während in den deutschen Territorien die Bevölkerungseinbußen des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wieder aufgeholt wurden, erlitt Polen-Litauen im Großen Nordischen Krieg (1700–1721), außerdem durch eine verheerende Pestepidemie 1708–1712, erneut hohe Verluste, die bis zu einem Drittel der Einwohnerzahl betrugen.25 Betroffen war auch das östliche Preußen, in das anschließend Menschen aus Masowien sowie Salzburger einwanderten. In Polen-Litauen wurde die Bevölkerungszahl von 1648 erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder erreicht (1771: 12,1 Millionen Menschen). Ein Ergebnis dieser demographischen Verluste und der Migration lag in der Veränderung der Sozial- und Religionsstruktur. Während im Vergleich zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Protestanten zu einer kleinen Minderheit zusammenschmolzen, wuchs der Anteil der jüdischen Bevölkerung. Nach den Bevölkerungslisten von 1764/65 lebten in PolenLitauen nun 750 000 Juden, ca. 8–10% der gesamten Bevölkerung. Nach dem ältesten Register jüdischer Bevölkerungen bildete in der Krone Polen Krakau das größte jüdische Zentrum; allerdings machten sich auch hier bereits die Privilegien de non tolerandis Judaeis bemerkbar, die Krakauer Juden wichen 1494 unter dem zunehmenden Druck in die Vorstadt Kazimierz aus. Zugleich fanden jüdische Bevölkerungen, die aus Böhmen und Schlesien verdrängt wurden, in Polen Zuflucht. Größere jüdische Siedlungen befanden sich in Posen, Gnesen, Lissa, Lemberg und Lublin, von Bedeutung waren auch die großpolnischen Gemeinden in Meseritz (Międzyrzecz), Inowrocław und Kalisz, im kleinpolnischen Sandomierz sowie in Chełm und Szczebrzeszyn 24 Garber, Klaus u.a. (Hrsg.): Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit; Beckmann, Sabine / Garber, Klaus (Hrsg.): Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils. 25 Kuklo, Cezary: Demografia, S. 212–213.
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in Rotreußen. Die raschen Urbanisierungsprozesse in Rotreußen, der Ukraine und Podolien führten dazu, dass in den dortigen Städten im 16. und 17. Jahrhundert umfangreiche jüdische Siedlungen entstanden, die vor Ort mit den ruthenischen Bevölkerungen und den auf den Handel spezialisierten Armeniern konkurrierten. Gehemmt wurde dieser Prozess durch die Aufstände der Kosaken (beginnend im Jahr 1648), die in zahllose Pogrome mündeten, da die Kosaken in den Juden wirtschaft liche Gegner, vor allem aber Verbündete des polnischen Adels sahen.26 Juden wanderten daraufhin stärker nach Litauen ab. Nach dem Kopfsteuerregister von 1588 lebten in der Krone Polen mindestens 75 000 Juden, konzentriert vor allem in den Städten Groß- und Kleinpolens. In ganz Polen-Litauen wird die jüdische Bevölkerung Ende des 16. Jahrhunderts auf mindestens 150 000, manchmal auch auf 200 000 Menschen geschätzt. Ihre Zahl wuchs bis 1764/65 auf ca. 750 000 Menschen an.27 Das deutlich höhere Wachstum der jüdischen Bevölkerung wird auf bessere hygienische Verhältnisse und eine geringere Kindersterblichkeit sowie auf eine Verheiratung bereits in jugendlichem Alter zurückgeführt.28 Gerade in den auch deutsch besiedelten Regionen blieb der Anteil jüdischer Bevölkerung allerdings niedrig. Dies ist eine Folge der besagten Landesund Stadtprivilegien, keine jüdischen Bevölkerungen dulden zu müssen, mit denen die deutschen Stadtbürger die jüdische Konkurrenz zurückdrängten.29 Im Königlichen Preußen und im Ermland lebten nur wenige Juden, da sie sich dort lediglich in adligen Gütern ansiedeln durften. Jüdische Kaufleute wurden in Danzig und den anderen preußischen Städten allein zu Zeiten der Jahrmärkte geduldet und mussten sich gesonderte Geleitbriefe erkaufen. Dauerhaft konnten sie sich in den preußischen Städten erst nach den Teilungen Polens ansiedeln. Deutsche und jüdische Stadtbürger erfüllten ähnliche Aufgaben: Sie waren in der handwerklichen Produktion tätig, vertrieben Textilien und Gewerbeprodukte und arbeiteten als Zwischenhändler. Eine langfristige sozioökonomische Entwicklung führte in der Frühen Neuzeit zu einer Verdichtung und Intensivierung der ländlichen Besiedlung. Hier kamen mehrere Faktoren zusammen: Grundherren versuchten, durch 26 Stampfer, Shaul: Jewish Population Patterns in Pre-Partition Lithuania and Some of Their Implications, in: Scripta Hierosolymitana 38 (1998). Studies in the History of the Jews in Old Poland in honor of Jacob Goldberg, S. 189–223; Stampfer, Shaul: What actually happened to the Jews of Ukraine in 1648?, in: Jewish History 17 (2003), 2, S. 207–227. 27 Kuklo: Demografia, S. 222. 28 Heyde, Jürgen: Jüdische Eliten in Polen zu Beginn der Frühen Neuzeit. 29 Vgl. das Themenheft des Kwartalnik Historii Żydów, H. 3/2003: Żydzi i mieszczanie w Polsce przedrozbiorowej / Jews and Burghers in the Republic of Nobles.
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eine „Peuplierung“ der eigenen Güter ihre Einnahmen zu erhöhen. Gerade jüngere Kinder aus Bauernfamilien oder an die Scholle gebundene Bauern suchten freien erblichen Besitz („Bauernflucht“). Lokatoren organisierten und förderten solche Siedlungsprozesse. Zu einem Thema einer deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte wird dieser Prozess, weil in der deutsch-polnischen Kontaktzone polnischsprachige Grundherren deutschsprachige Bauern ansiedelten, wie auch deutschsprachige Grundherren um polnischsprachige Bauern warben. Eine Ansiedlung wurde durch entsprechende Bedingungen unterstützt, das heißt durch einen günstigen Rechtsstatus der Neusiedler, durch lange Freijahre, religiöse Freiheiten und niedrige Zinsleistungen. Dies betraf auch anderskonfessionelle Gruppen und kann beispielhaft vorgestellt werden. 1777 verkündete der Starost von Konin, Józef Mycielski: „Thue jedermänniglich kund und zu wissen, insonderheit, wem daran gelegen: dass es schon längst mein Wunsch und Wille gewesen, meine Erb-Stadt Sambter in einen besseren Stand zu setzen. Um so viel mehr aber, da Gott dieselbe durchs Feuer in einen Ruin gesetzet, veranstallte ich die Verbesserung derselben durch Aufnahme unterschiedlicher Kauff- und Handels-Leute wie auch Proffessionisten. 1tens. Ein jeder Glaubens-Genosse soll die Freyheit seiner Religion laut eingeführter Reichs Constitution sich zu erfreuen und zu genießen haben, ohne einige Hindernis. [...] 8tens. Die gantze Synagoge befreye ich von der Zins-Abgabe, welches aufs Jahr zwey tausend pohlnische Gulden beträgt. Und dieses auf drey Jahr, und fängt an von dem Jahre 1776 von dem Tage St. Martini des Bischofs. 9tens. Ein jeder Wirth, welcher sich in meiner Synagoge etablirt, der soll im Stande seyn, ein von mir aufgebauttes Haus ohne Schulden zu erkauffen, oder eines zu erbauen, dabey aber im voraus noch ein gewisses haben, wodurch er seinen Unterhalt sich erwerben kann.“30 Solche Patente und Ansiedlungsbestimmungen in lateinischer, polnischer und deutscher Sprache finden sich in der Frühen Neuzeit zu Hunderten, sie enthalten verschiedene Erleichterungen für die Neusiedler und beschreiben oft auch Selbstverwaltungsrechte. Bemerkenswert ist, dass es im vorliegenden Fall dem Grundherrn gleichgültig war, welcher Religion und sicher auch Nation (daran dachte er gar nicht) die Ansiedler waren. In solche Siedlungsprozesse einbezogen waren – wie in dem gezeigten Beispiel – auch Juden. Es gibt ethnologische Zeugnisse, die die Motive für die Auswanderung ins östliche Europa beschreiben. Pfälzische und württembergische Auswanderer dichteten im 18. Jahrhundert: „Jetzund ist es ausgemacht, / daß der Marsch 30 Kossmann, Oskar: Deutsche in Polen. Siedlungsurkunden 16.–19. Jahrhundert, Viersen o.J. [1996], S. 270–273.
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geht nacher Polen; [...] tretet eure Reise an, / in das Polnisch Canaan. / Allhir ist es nimmer gut, / dort in Polen ist es besser, / fasset einen neuen Muth, / dort gibt es auch volle Fässer; / bey dem Bier und Branden-Wein / kann man auch vergnüget seyn. [...] Drum so hebe auf die Füß, / Springe über Stein und Erden, / In das Polnisch Canaan, / Wo man Honig gnug trifft an.“31 Gerade aus den dicht bevölkerten ländlichen Gegenden Württembergs und aus der Pfalz wanderten im 18. Jahrhundert Bauern nach Groß- und Zentralpolen aus. Die Migranten brachten vielfach Praktiken mit, die in die Neusiedlungsregionen transferiert wurden, etwa die Dorfverfassung mit einem Schulzen an der Spitze, die auch in polnische Dorfgemeinschaften übertragen wurde. Dies erfolgte nach dem Grundsatz „Das gute Recht verdrängt das schlechte Recht“: Polnischsprachige Bauern forderten im Kontext einer Ansiedlung deutschsprachiger Migranten von den Grundherren eine Besserstellung ein. Zudem wurden durch die Migration auch Neuerungen in der Agrartechnik übertragen. Einen besonderen Fall bilden die so genannten „Holländer“ oder „Holländereien“. Hierbei handelte es sich um besondere Rechtsformen einer Ansiedlung von Bauern vor allem in wassertechnisch schwer beherrschbaren, aber potentiell fruchtbaren sumpfigen Niederungsregionen. Die Bezeichnung rührt daher, dass im 16. Jahrhundert auch niederländische Glaubensflüchtlinge (vor allem Mennoniten) Ansiedlungskontrakte unterzeichneten. „Holländer“ (polnisch olędrzy), im Deutschen oft volksetymologisch zu „Hauländern“ umgeformt, waren Bauern, die sich (mit Freijahren und gegen Zinszahlung) vor allem entlang der Flüsse Weichsel und Bug niederließen. Dahinter verbirgt sich also keine ethnische Bezeichnung, „Holländer“ konnten niederländisch-, niederdeutsch- oder polnischsprachig sein. Sie brachten vor allem Entwässerungstechniken durch Mühlenanlagen sowie Erfahrungen im Dammbau mit. Eine stärkere polnischsprachige Einwanderung fand im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit statt, vor allem im südlichen Preußenland (Ostpreußen), und führte dazu, dass die Region immer stärker polnischsprachig wurde. Die polnischen Ansiedler kamen vor allem aus Masowien und wurden „Masowier“ (Mazurzy) genannt. Im Deutschen wurden daraus die „Masuren“, die ganze Region erhielt jedoch erst im 19. Jahrhundert die Benennung „Masuren“ oder „die masurischen Kreise“. Die zentralen Migrationsrichtungen blieben bis zu den Teilungen Polens unverändert. Im Jahre 1772 lebten in Polen-Litauen über 12 Millionen Menschen auf ca. 733 000 km². Im römisch-deutschen Reich lebten zu diesem Zeitpunkt 22 Millionen und in Preußen 8,7 Millionen Menschen. Durch die drei Teilungen 31 ebd., S. 285.
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1772, 1793 und 1795 erhielt Preußen 141 000 km² mit ca. 2,6 Millionen Einwohnern, die Habsburger erhielten 135 000 km² mit ca. 3,8 Millionen Menschen; der flächenmäßig (aber nicht hinsichtlich der Bevölkerungszahl) mit Abstand größte Anteil fiel an das Russländische Reich. Die deutschen Teilungsmächte gliederten nur im Königlichen Preußen und im Ermland deutschsprachige Bevölkerungen in ihre Staatsverbände ein, vor allem in den großen Städten Danzig, Elbing und Thorn und den sie umgebenden Landgebieten. Es gibt keine Möglichkeiten – wie bei den Juden –, die Größe der deutschen Bevölkerung in Polen-Litauen vor den Teilungen oder unmittelbar danach zu fassen, dasselbe gilt für die polnische Bevölkerung im Alten Reich. Möglich ist dies nur für die großen Städte im Königlichen Preußen: Auf der Basis von aggregierten Daten aus Danziger Kirchenbüchern lässt sich ermitteln, dass dort 1691–1695 im Schnitt 63 200 Menschen lebten, 1696–1700 63 700.32 Es handelt sich dabei um die Bevölkerung innerhalb der Stadt, hinzuzählen muss man noch 5000–7000 Einwohner der Vorstädte und der Danziger Dörfer, so dass dort um 1700 an die 70 000, weitgehend deutschsprachige, Einwohner lebten. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war Danzig nicht nur die größte Stadt Polen-Litauens, sondern auch die größte Metropole Mitteleuropas überhaupt, größer als Köln, Augsburg oder Prag.33 Danzig verlor diese Position als größte Stadt Polens erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an die sich dynamisch entwickelnde Hauptstadt Warschau, die um 1750 über 50 000 und um 1790 100 000 Einwohner zählte. Nach den Teilungen sank die Zahl im nun preußischen Warschau 1797/98 auf ca. 75 000 Einwohner. Trotz der preußischen Zählungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts ist die Zahl der deutschsprachigen Warschauer nicht bestimmbar. Zu ihnen zählte ein großer Teil der ca. 5000 (1775) und 6133 (1791) in Warschau gemeldeten Protestanten, aber es gab natürlich auch polnischsprachige Protestanten, ebenso deutschsprachige Katholiken.34 Den territorialen Veränderungen im Zuge der Teilungen folgten nach 1772 Versuche einer Ansiedlung deutschsprachiger Kolonisten. Die preußischen, österreichischen wie auch die russischen Behörden bemühten sich, mit dem Ziel einer Verbesserung der Wirtschaftsstruktur, deutschsprachige Siedler anzuwerben. Insbesondere im preußischen Fall sollte damit auch die 32 Baszanowski, Jan: Przemiany demograficzne w Gdańsku w latach 1601–1845 w świetle tabel ruchu naturalnego, Gdańsk 1995, S. 142–143, Tab. 2.9. 33 Kizik, Edmund: Danzig, in: Adam, Wolfgang / Westphal, Siegrid (Hrsg.): Handbuch kultureller Zentren der frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum, Berlin-Boston 2012, Band 1, S. 284 f. 34 Szymkiewicz, Samuel: Warszawa na przełomie XVIII i XIX w. w świetle pomiarów i spisów, Warszawa 1959, S. 135, Tab. 18.
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als unterentwickelt angesehene „polnische Wirtschaft“ angehoben werden (→ S. 104). Insgesamt blieben die Einwandererzahlen jedoch gering: In die von Preußen annektierten Territorien kamen trotz intensiver Anwerbungsversuche zwischen 1772 und 1806 nicht mehr als 30 000 Menschen, eine gleich große Zahl wurde durch die rigide preußische Ordnungspolitik zur Auswanderung genötigt oder abgeschoben (Mennoniten, Juden).35
35 Bömelburg, Hans-Jürgen: Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat, S. 421–461.
3. Wirtschaftssysteme und Handelskontakte
Die deutschen und polnischen Wirtschaftsstrukturen sind in der Frühen Neuzeit über zwei Handelswege miteinander verbunden: Erstens erfolgte im Ostseehandel auf dem Fluss- und Seeweg ein Austausch von Massengütern und Agrarprodukten. Zweitens wurden in der mitteleuropäischen Gebirgslandschaft zwischen Lemberg, der Zips, Kuttenberg (Kutná Hora) und Krakau vor allem Bergbauprodukte (Silber, Kupfer) für einen mitteleuropäischen Markt abgebaut, aus Podolien und Rotreußen importierte man infolge des Bevölkerungswachstums in Mitteleuropa Viehherden bis nach Sachsen und ins Rheinland. Durch die Grenzveränderungen im 15. und 16. Jahrhundert veränderten sich die Bedingungen für den Warenaustausch: Die Eingliederung des Königlichen Preußens mit Danzig und dem Kulmer Land (1466) gab der wirtschaft lichen Entwicklung Polens vom 16. bis zum 18. Jahrhundert erhebliche Impulse. Die Beherrschung der unteren Weichsel und die Zugehörigkeit der Hansehäfen in Danzig und Elbing zu Polen ermöglichte einen freien Zugang zum Ostseehandel und den Export überschüssiger Agrarprodukte und Güter der Waldwirtschaft über die Flößerei auf der Weichsel und über die Ostsee. Dem stand in Westeuropa ein wachsender Bedarf an Agrarerzeugnissen für die steigende Bevölkerung in den urbanisierten Zentren vor allem der Niederlande gegenüber. Die bäuerlichen Erträge in Zentralpolen und im Königlichen Preußen waren ausreichend hoch, um einen Export zu erlauben. In Danzig und den anderen preußischen Handelszentren verdreifachten sich schon im 15. Jahrhundert die Preise für Getreide, Mehl und das allgemein konsumierte Bier, während die Preise für Handwerkserzeugnisse geringer anstiegen. Ähnlich sah die Preisentwicklung in Krakau aus, wo man 1580 für Butter fünf Mal mehr zahlen musste als zu Beginn des Jahrhunderts, während sich Handwerkserzeugnisse nur um das 2,5fache verteuerten. Der Öffnung dieser Preisschere folgten im frühen 17. Jahrhundert Preissprünge gerade bei Lebensmitteln und Holz, die insbesondere den Produzenten in Ostmitteleuropa beträchtliche Gewinne bescherten, zumal sich auch die polnischen Städte, deren Bevölkerung nicht zuletzt infolge von Migration wuchs, am Konsum beteiligten. Die Preissteigerungen im Ostseeraum mündeten in eine stärkere Produktion für den Markt und erhöhte Exporte. Während 1470 über Danzig
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kaum 2200 Lasten Getreide (1 Last = 2190 kg) verschifft wurden, waren es 1490 schon 9500 Lasten. Zwischen 1530 und 1583 kam es zu einem beispiellosen Anstieg der Ausfuhr von 10 200 auf 62 800 Lasten. 36 Dies war nur dank des Aufbaus einer Infrastruktur in Polen möglich – die Landwirtschaft stellte sich stärker auf den Export ein, ausgebaut wurde ein für den Markt produzierendes Vorwerkssystem, bei dem Gesinde und Bauern Frondienste leisten mussten; entlang der gesamten Weichsel entstanden Getreidespeicher, in Danzig die Speicherinsel. Die hier im 16. Jahrhundert geschaffenen Strukturen prägten Polen-Litauen wie West- und Mitteleuropa bis ins 19. Jahrhundert, sie bedeuteten erstens die Entstehung eines Frühkapitalismus in Westeuropa, vor allem in den Niederlanden, und zweitens in Ostmitteleuropa den Ausbau eines Systems, das in der Forschung als „zweite Leibeigenschaft“ charakterisiert worden ist: Rechtlich verloren die Bauern teilweise ihre persönliche Freiheit, wurden an die Scholle gebunden und mussten auf den Vorwerken Frondienste leisten. Der Adel sicherte sich durch politischen Druck das Monopol an Landbesitz und wurde im 16. Jahrhundert zum größten Nutznießer des neuen wirtschaft lichen Systems. Seine Gewinne teilte er vor allem mit den Bürgern der Städte Danzig, Elbing, Thorn, Königsberg und Riga, die als Vermittler im überregionalen Handel auft raten. Der Wirtschaftsraum zwischen Augsburg und Nürnberg, Krakau und Lemberg sowie den ungarischböhmischen Zentren (Leutschau/Levoča/Lőcse, Kuttenberg, Prag) war im frühen 16. Jahrhundert durch den Bergbau und die gewerbliche Produktion geprägt. Rheinische, Augsburger und Nürnberger Handelshäuser unterhielten in Krakau Filialen und schickten Familienmitglieder dorthin – auf diesem Wege kamen die Fugger und Boner nach Krakau. Als Handelspartner der Fugger agierten in diesen Netzwerken die aus Oberungarn stammenden Thurzós. Insbesondere die Handelsbeziehungen zwischen Nürnberg und Krakau bzw. Posen waren im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert ausgesprochen eng.37 Während sich der Silber- und Kupferbergbau auf Böhmen und Oberungarn konzentrierte, wurden in Kleinpolen vor allem Blei und Salz abgebaut. Blei und das für die Färberei und die Glasproduktion wichtige Bleioxid (Massikot, Bleigelb) wurden vor allem in Olkusz abgebaut und von dort aus im 16. und frühen 17. Jahrhundert zu den Hütten in Böhmen und Sachsen
36 Samsonowicz, Henryk: Miejsce Gdańska w gospodarce europejskiej w XV w., in: Cieślak, Edmund (Hrsg.): Historia Gdańska, 5 Bde. Gdańsk, Sopot 1978-1997, Bd. 2, 1454–1655, S. 107, 110–115; Bogucka, Maria: Zmiany w handlu bałtyckim na przełomie XVI i XVII w., in: ebd., S. 445–464. 37 Simsch, Adelheid: Die Handelsbeziehungen zwischen Nürnberg und Posen im europäischen Wirtschaft sverkehr des 15. und 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1970.
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transportiert.38 Ungarisches Kupfer gelangte im 16. Jahrhundert über die Weichsel und Danzig nach Hamburg, später jedoch über Böhmen und die Elbe. Ein wichtiges gewerbliches Produkt stellte Salpeter dar, das als Ausgangsprodukt für die Sprengstoff produktion der Kontrolle durch den Sejm unterlag. Im Dreißigjährigen Krieg unterstützte König Sigismund III. die Habsburger unter anderem dadurch, dass er den Export von Salpeter nach Böhmen freigab. Polnisches, vor allem in den Bergwerken in Wieliczka und Bochnia gewonnenes Salz wurde auch in Böhmen und Schlesien vertrieben. An der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit spielten die mitteleuropäischen Gebirge mit ihren Gold-, Silber- und Kupfervorkommen für die europäische Münzproduktion eine Schlüsselrolle. Das böhmische und oberungarische Silber versorgte auch den polnischen Markt, 1526 und 1528 vereinheitlichte der Sejm die polnische Münzproduktion durch einen festgelegten Münzfuß, nach dem auch die preußischen Städte ihre Münzen schlugen. Die polnischen Goldmünzen (Dukaten) besaßen einen ähnlichen Münzfuß wie die böhmischen und ungarischen Dukaten (Florin), zwischen den Silbermünzen bestand ein vergleichbares Verhältnis. Mit der Überschwemmung des europäischen Rohstoffmarktes durch spanisches Silber aus Südamerika verlor dieses mitteleuropäische Bergbau- und Münzsystem nach und nach an Bedeutung. Erhalten blieben im 17. und 18. Jahrhundert in Polen vor allem der Salz- und Bleiabbau, jedoch besaßen Städte wie Prag oder Krakau nicht mehr die überregionale Ausstrahlung auf die europäische Wirtschaft wie noch um 1500. Die Beteiligung Kleinpolens am europäischen Fernhandel war deshalb nach 1550 rückläufig. Wichtig blieb in der ganzen Frühen Neuzeit der Viehhandel zwischen Südpolen und dem Alten Reich. Ochsen- und Rinderherden wurden aus Podolien, manchmal sogar aus der Walachei bis nach Sachsen und an den Rhein getrieben.39 Von besonderer Bedeutung waren der Jahrmarkt in Jarosław an der ruthenisch-polnischen Sprachgrenze und der Viehmarkt im schlesischen Brieg, wo jeweils die Herden ihre Besitzer wechselten. Nach zeitgenössischen Schätzungen wurden in Jarosław jährlich 40 000 Ochsen verkauft, von denen zu Beginn des 18. Jahrhunderts jährlich 20 000 Ochsen auf den Viehmarkt nach Brieg gelangten.40 38 Molenda, Danuta: Eksport polskiego ołowiu na rynki niemieckie w XVI i XVII w. – rola Gdańska, in: Kowecki, Jerzy / Tazbir, Janusz (Hrsg.): Ludzie, kontakty, kultura XVI– XVIII w., Warszawa 1997, S. 65–71. 39 Horn, Maurycy: Handel wołami na Rusi Czerwonej w pierwszej połowie XVII w., in: Roczniki Dziejów Społecznych i Gospodarczych, 24 (1962), S. 73–88; Baszanowski, Jan: Z dziejów handlu polskiego w XVI–XVIII w. Handel wołami, Gdańsk 1977. 40 Guldon, Zenon / Wijaczka, Jacek: Handel Polski ze Śląskiem i z Niemcami w pierwszej połowie XVII wieku, in: Wijaczka , Jacek (Hrsg.): Stosunki polsko-niemieckie, S. 179– 203, hier S. 191.
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Grundsätzlich lässt sich der deutsch-polnische Wirtschaft s- und Warenaustausch in der Frühen Neuzeit nicht quantifizieren. Während die Unterlagen für den Getreideexport über die Ostseehäfen erhalten sind, waren die Zollregister für den Handel über Land bereits in historischer Zeit unvollständig und verbrannten 1944 bei der Zerstörung Warschaus durch die Deutschen. Aus älteren Arbeiten und erhaltenen Teilüberlieferungen lässt sich nur die Struktur des Warenaustauschs, nicht jedoch das Volumen des Güterverkehrs ermitteln. Deutlich erkennbar ist, dass vor allem Agrarprodukte und Rohstoffe aus Polen ausgeführt, dagegen gewerbliche Waren und handwerkliche Produkte aus dem Reich eingeführt wurden. Massenhaft aus Polen ausgeführt wurden Häute, Pelze und Wachs, eingeführt vor allem schlesische Textilien, Papier und handwerkliche Metallprodukte, für die sich im Polnischen nach einem der wichtigsten Produktions- und Handelsorte der Begriff „Nürnberger Waren“ (norymberszczyzna) einbürgerte. Werkzeuge und Metallprodukte wie Sensen und Messer wurden auch aus Österreich und Böhmen importiert. Allein im Jahr 1534 kamen über die Zollstation Posen 71 000 Sensen nach Polen. Auf der Basis fragmentarischer Daten geht die Forschung davon aus, dass die Handelsbilanz zwischen dem Reich und Polen-Litauen im 16. und 17. Jahrhundert in etwa ausgeglichen war. Von den sich verbessernden terms of trade durch die steigenden Preise für die Agrarprodukte profitierte vor allem der polnische Adel: Geschätzt wurde, dass ein Adliger für dieselben Agrarerzeugnisse im letzten Jahrzehnt vor 1600 etwa 90% mehr Produkte erwerben konnte als zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Im späten 17. und im 18. Jahrhundert verschlechterte sich die Handelsbilanz zu Ungunsten Polens. Hierfür waren mehrere Faktoren verantwortlich: Erstens schottete das Monopol der Danziger Kaufleute die polnischen Händler von den Märkten im Ostseeraum ab. Das zentralpolnische städtische Bürgertum verfügte im 17. Jahrhundert nicht über die politischen, rechtlichen und finanziellen Instrumente, um mit dem ausländischen Handel und den günstig eingeführten Importprodukten konkurrieren zu können. Im 17. Jahrhundert gelangen Krakauer oder Warschauer Bürgerfamilien nicht mehr die Karrieren, wie sie im 16. Jahrhundert noch die Boners oder Baryczkas machten. Auch die Danziger und Elbinger Kaufleute verloren im späten 17. Jahrhundert ihre Position im Ostseehandel zugunsten von Niederländern und Engländern. Die Danziger und Elbinger Kaufleute beschränkten sich im Großen und Ganzen auf die Vermittlungstätigkeit in den eigenen Häfen, für die sie ein Monopol besaßen. Zweitens verloren auch im Handel über Land polnische Kaufleute an Bedeutung, da sie selten weiter als bis Breslau wirtschaft liche Beziehungen unterhielten. Einflussreich waren die Krakauer jüdischen Kaufleute, die in
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der Mitte des 17. Jahrhunderts bereits mehr als 10% des polnischen Handels mit Schlesien abwickelten.41 Erst die sächsisch-polnische Union (1697–1763) brachte einen Umschwung, da die auf Synergien ausgerichtete staatliche Wirtschaftspolitik (→ S. 81) den Absatz von polnischen Produkten in Sachsen ankurbelte. Polnisch-jüdische Kaufleute nutzten nun verstärkt Leipzig und die dortigen Messen als Drehscheibe im West-Ost-Handel. Diese ökonomische Struktur verfestigte sich noch im 18. Jahrhundert, als die deutschen Territorialstaaten westlich der polnischen Grenzen, vor allem Brandenburg-Preußen, eine strikt merkantilistische Warenpolitik einführten und den Import von Fertigprodukten aus dem Osten mit hohen Zöllen belegten. Die trotz der jeweils verschiedenen Entwicklungspfade in enger Verflechtung ablaufende Handelswirtschaft zwischen dem westlichen Europa und Ostmitteleuropa schuf ein System wechselseitiger Spezialisierungen: Polen konzentrierte sich durch den Ausbau der kultivierten Fläche und die Intensivierung der Landwirtschaft auf eine Produktionssteigerung bei Agrarprodukten, während sich in Westeuropa durch Investitionen eine diversifizierte gewerbliche Produktion entwickelte. Die polnischen Akteure, an erster Stelle der Adel, gewannen durch ihre wirtschaft liche Machtposition die Möglichkeit, eine stadtbürgerliche Konkurrenz auszuschalten (vgl. die einzelnen Bestimmungen des Sejms, die bürgerlichen Landerwerb verhinderten), eine Besteuerung der eigenen Erträge zu blockieren und so den Aufbau eines Fiskalstaats zu behindern. Im römisch-deutschen Reich verstärkte diese Strukturierung des Güteraustauschs die Vorstellung von Polen als dem „Speicher Europas“, der für die ostdeutschen Territorialstaaten (insbesondere Brandenburg-Preußen) Abschöpfungsmöglichkeiten bereithielt. Dass dieser Entwicklungsweg in Exklusionsprozesse und wirtschaftshistorische Sackgassen führte, war den damaligen Akteuren nicht bewusst. Das Bürgertum der preußischen Städte, vor allem Danzigs, konnte sich durch die Gewinne aus der Vermittlungstätigkeit beim Export der Agrarprodukte und eine abgesicherte Position der Städte in der Landesverfassung gegen eine Exklusion und Deklassierung zur Wehr setzen. Nur die Danziger Kaufleute durften die oft von jüdischen Faktoren in die Speicherstadt gebrachten Agrarprodukte aufkaufen und an niederländische oder englische Schiffe weiterverkaufen. Die adligen Akteure in Polen waren zwar mit der mächtigen Position der Danziger Bürger unzufrieden, konnten aber deren Position, die sich auf beträchtliche finanzielle Mittel und mächtige Festungswerke stützte, nicht 41 Kazusek, Szymon: Żydzi w handlu Krakowa w połowie XVII wieku, Kraków 2005, S. 265–314.
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erschüttern. Zugleich ermöglichten die Einnahmen aus dem Handel mit Agrarprodukten ein bequemes Leben und gaben die Möglichkeit, kunsthandwerkliche Produkte zu erwerben oder die eigenen Residenzen auszubauen. Einer der einflussreichsten polnischen Schriftsteller der Renaissance, der Calvinist Mikołaj Rej, führte aus, dass der Adel stolz darauf sei, dass „wir Polen mit wenig Arbeit und geringen Bemühungen ihre [der Ausländer] kunstvollen Arbeiten und ihre Mühen mit Leichtigkeit uns aneignen können“.42 Drei Generationen später, im Jahr 1632, konstatierte der Krakauer Domherr und Schriftsteller Szymon Starowolski: „Im Handwerk können unsere Leute nicht sehr gut arbeiten, aber seit alten Zeiten arbeiten sie mit fremden Handwerkern zusammen und nutzen ihre Dienste in nicht geringer Zahl.“43 Gerade aus dem deutschen Sprachraum, aber auch aus Italien und den Niederlanden kamen zahlreiche Kunsthandwerker, Maler und Architekten nach Polen, die wiederum Arbeitstechniken und handwerkliche Errungenschaften mitbrachten. Inwieweit diese ostmitteleuropäische Wirtschaft sform die bäuerliche Bevölkerung auszehrte, ist in der aktuellen Forschung umstritten. Einerseits muss darauf hingewiesen werden, dass es Bauernaufstände etwa in Süddeutschland, in Thüringen und im preußischen Samland (1525) gegeben hat, nicht aber in Zentralpolen. Gerade für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist die relativ günstige Lage der polnischen Bauern verbürgt, die teilweise auch von der Agrarkonjunktur profitieren konnten. Im späten 16. und vor allem im 17. Jahrhundert gibt es Hinweise darauf, dass der Adel die bäuerliche Bevölkerung gezielt ausbeutete. Anzelm Gostomski erklärte in seinem Hausväterbuch, es sei „die Arbeit der Bauern das größte Einkommen in Polen“.44 Der adlige Schriftsteller Hieronym Morsztyn verkündete dann nach 1600, wie er mit den Bauern umgehe, sei seine Angelegenheit, und im Falle einer Widersetzlichkeit solle das Haus des Bauern zugesperrt und dieser selbst am bloßen Leib mit der Peitsche bestraft werden. Der Topos einer bäuerlichen Unfreiheit in Polen verbreitete sich im 18. Jahrhundert in ganz Europa und wurde auch von deutschen bürgerlichen Reisenden (seltener von Adligen) beschworen. Wie die tatsächliche Lage der Bauern aussah, muss jedoch von Region zu Region differenziert betrachtet werden. Der „polnische Bauer“ spielte eine wichtige Rolle in Rückständigkeitsdiskursen über Polen,
42 Rej, Mikołaj: Spólne narzekanie wszej Korony na porządną niedbałość naszą, in: Rej, Mikołaj: Zwierciadło, Kraków 1568. 43 Simonis Starovolsci Polonia sive status Regni Poloniae descriptio, Coloniae 1632. 44 Gostomski, Anzelm: Gospodarstwo, hrsg. von Stanisław Inglot, Wrocław 1951, S. 115; Lipiński, Edward: Historia polskiej myśli społeczno-ekonomicznej do końca XVIII wieku, Wrocław 1975, S. 86.
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ist aber eher eine Gegenfolie aufgeklärter Autoren, die sich an den kritisierten Zuständen abarbeiteten, als eine wirtschaftshistorisch nachweisbare Realität. Im 18. Jahrhundert wurden die aufstrebenden Residenzstädte Dresden und Berlin, in denen sich zahlungskräft ige Personen befanden, für polnische Einwanderer und Wirtschaftsunternehmer zunehmend attraktiv. Ein solcher war Johann Ernst Gotzkowsky (Gockowski), der in seiner Autobiographie formulierte: „Mein Vater war ein Polnischer von Adel, und durchgehends als ein ehrlicher Mann bekannt.“45 Adam Gockowski war ein Kleinadliger aus der Region Konitz. Nach dem Tod seiner Eltern wuchs Johann Ernst Gotzkowsky in Dresden auf und kam 1724 zu seinem älteren Bruder nach Berlin. Er eröffnete eine Handelsfirma, stieg zu einem Hoflieferanten auf und zog im Auftrag Friedrichs II. Handwerker und Kunsthandwerker nach Berlin. Durch Lieferungen für den preußischen Hof erwarb er ein Vermögen. Er eröffnete in Berlin eine Porzellan- und Seidenmanufaktur, handelte im Auft rag des Hofes mit Kunstwerken (unter anderem kaufte er die Gemälde für die Galerie in Sanssouci) und baute mit der Zeit eine eigene Kunstsammlung auf.46 Im Siebenjährigen Krieg verhandelte Gotzkowsky mit den russischen Besatzungstruppen, führte eine Minderung der Kontributionen herbei, beteiligte sich aber auch an Getreidespekulationen mit russischen Generälen. Dies führte 1763 zu seinem Bankrott. Um seine Schulden bezahlen zu können, verkaufte er seine Gemäldesammlung, die die Zarin Katharina II. zum Grundstock der Eremitage in Petersburg bestimmte. Die Porzellanmanufaktur wurde von Friedrich II. aufgekauft und bildete den Anfang der Königlichen Porzellan Manufaktur (KPM), Gotzkowsky selbst starb verarmt.
45 Gotzkowsky, Johann Ernst: Geschichte eines patriotischen Kaufmannes. 1768, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 7, Berlin 1873, S. 6. Volltext: http:// opus.kobv.de/zlb/volltexte/2012/13843 (01.12.2012). 46 Frank, Christoph: Die Berliner Gemäldesammlungen Gotzkowsky, Eimbke und Stein, in: North, Michael (Hrsg.): Kunst sammeln und Geschmack im 18. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 11–194; Schepkowski, Nina Simone: Johann Ernst Gotzkowsky. Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin, Berlin 2009.
4. Reformation, katholische Reform und religiöse deutsch-polnische Verflechtungen
Kirchen und Bekenntnisse sind supranationale Institutionen und Verbände, die nur in seltenen Fällen mit staatlichen und nationalen Strukturen zusammenfallen. Jedoch gehören zu kirchlichen Strukturen auch Orte, an denen sich unterschiedliche sprachliche und nationale Gruppen vor allem in Bildungseinrichtungen begegnen, sich intellektuell, symbolisch und künstlerisch austauschen können und in denen in spezifischen Situationen auch nationale bzw. staatliche Interessen vertreten sind. Dies besitzt in der europäischen Frühmoderne eine besondere Relevanz, da den Konfessionen und Kirchen für die Bildung der schrift kundigen Eliten, die Kultur und die Politik eine höhere Bedeutung zukommt, als dies in der säkularen Moderne der Fall ist. Religiöse Eliten prägten die geistigen und kulturellen Diskurse Mitteleuropas und formulierten auch politische Agenden. Sie bestimmten Zielsetzungen in monarchischen Zentren und auch in frühneuzeitlichen Bildungseinrichtungen und Universitäten, die dem kirchlich-religiösen Raum zugeordnet waren. Deshalb muss eine deutsch-polnische Geschichte religiöse Begegnungsfelder besonders in den Blick nehmen. Kirchliche Institutionen und Strukturen wie Bistümer, Domkapitel, protestantische Synoden und katholische Ordenshäuser, katholische und protestantische Gymnasien sind vielfach einflussreiche Orte, an denen im östlichen Europa deutsch- und polnischsprachige Akteure zusammentrafen, sich austauschten und Texte und Druckwerke über die wechselseitige Wahrnehmung und Einschätzung verfassten. Eine zweite Vorbemerkung: Die frühneuzeitliche konfessionelle Spaltung in Mitteleuropa ist auch für die deutsch-polnische Geschichte von Bedeutung. Die an Polen angrenzenden deutschsprachigen Territorien (Pommern, das Preußenland, Livland, Brandenburg, Niederschlesien) wurden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts intensiv von der lutherischen Reformation erfasst. Rund um den Ostseeraum – aus Sicht des Heiligen Stuhls ein „Meer der Ketzer“ – bildeten sich deutsch geprägte protestantische kirchliche Strukturen aus, die in der preußischen Konsistorialverfassung oder der pommerschen Kirchenordnung (1534) festgeschrieben wurden. Einflüsse von dort reichten nach Wilna oder Krakau, wo deutschsprachige lutherische Gemeinden entstanden. Die polnischsprachige Bevölkerung blieb dagegen – mit Ausnahme
4. Reformation, katholische Reform und religiöse Verflechtungen
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der Eliten in einem kurzen Zeitraum zwischen den 1560er und 1590er Jahren – überwiegend katholisch. Unter den polnischen Protestanten dominierte zudem das reformierte (calvinistische) Bekenntnis, das weniger von der deutschen Kultur als vielmehr von schweizerischen, französischen und niederländischen Vorbildern geprägt war. Unter diesen Bedingungen spielten auch die im 17. und frühen 18. Jahrhundert wachsenden Konfessionsunterschiede für den deutsch-polnischen Austausch eine prägende Rolle. „Deutsches Luthertum“ und „polnischer Katholizismus“ entstehen als gedankliche Verkürzungen in der Frühen Neuzeit, gewinnen an Überzeugungskraft und münden schließlich in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert in einen in Polen-Litauen erst sehr spät einsetzenden Prozess einer „Spätkonfessionalisierung“, der sie scheinbar endgültig plausibel macht. Demgegenüber ist unbedingt zu betonen, dass es in der ganzen Epoche und auch im 18. Jahrhundert polnische Protestanten und deutsche Katholiken gab. Allerdings spielten beim polnischen Protestantismus des 18. Jahrhunderts wie beim (ost-)deutschen Katholizismus dieser Epoche jeweils auch Anleihen aus der Nachbarkultur eine erhebliche Rolle: Der polnische Protestantismus besaß im späten 17. und 18. Jahrhundert intensive Verbindungen in den deutschsprachigen Raum, der ostdeutsche Katholizismus ähnlich intensive Kontakte zu polnischen Diözesen, was hier wie dort zum Überdauern wichtig war. Die Reformation entstand um 1520 im sächsisch-thüringischen Raum, das erste europäische Territorium, auf dem sie sich 1525 durchsetzte, war jedoch das Herzogtum Preußen, dessen Etablierung mit dem Übertritt des letzten Hochmeisters Albrecht von Hohenzollern-Ansbach zum lutherischen Landesfürsten einen europaweiten Einschnitt bedeutete. Bereits im März 1523 richtete Luther ein eigenes Sendschreiben „an die Herren deutschen Ordens, daß sie falsche Keuschheit meiden“, und forderte sie zur Aufgabe des Zölibats und zum Übertritt auf. Am Weihnachtstage desselben Jahres hielt der samländische Bischof Georg von Polenz die erste evangelische Predigt im Dom zu Königsberg. Seine Verordnung, Luthers Schriften fleißig zu lesen, rief sogleich ein Gegenmandat des ermländischen Bischofs Mauritius Ferber an seinen Klerus hervor, worin er diesen eindringlich beschwor, der alten Kirche Gottes die Treue zu bewahren (Januar 1524).47 Herzog Albrecht war der Neffe bzw. Cousin der polnischen Könige Sigismund I. und Sigismund II. August. Die konfessionelle Spaltung wurde damit auch in die unmittelbare Verwandtschaft der Jagiellonenherrscher 47 Hubatsch, Walther / Gundermann, Iselin: Luther und die Reformation im Herzogtum Preußen. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz zum Lutherjahr 1983, Berlin 1983.
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getragen. Die Jagiellonen blieben katholisch, sie waren jedoch bestens vertraut mit Multikonfessionalität, die sie aus dem mehrheitlich orthodoxen Großfürstentum Litauen kannten. Noch der Bruder Sigismunds, Alexander (König 1501–1506), war mit der orthodoxen Helena, der Tochter des russischen Großfürsten, verheiratet. Insbesondere Sigismund August war als Herrscher tolerant, weshalb in Polen auch konfessionelle Bekenntnisse Zuflucht fanden, die im römisch-deutschen Reich verboten waren (Täufer, Antitrinitarier). Die Durchsetzung der Reformation in einem europäischen Territorium ist in dieser Form ein gemeinsames, deutsch-polnisches Phänomen. Nur dank der Unterstützung durch seinen Onkel und seinen Cousin, mit denen er sich mehrfach traf und das politische Vorgehen erörterte, konnte Herzog Albrecht sein lutherisches Territorium gegen Kaiser und Reich behaupten, die den Deutschen Orden als legitimen Landesherrn ansahen und die „Ketzerei“ bekämpften. In der diplomatischen Korrespondenz zwischen dem Reich und Polen-Litauen wurde das protestantische Herzogtum Preußen zu einem Stein des Anstoßes; auf den Reichstagen arbeitete der Gesandte Herzog Albrechts, Asverus von Brandt, eng mit polnischen Gesandtschaften zusammen. Beide zusammen verteidigten die neue politische Konstellation in Preußen gegen heftige Polemiken bis hin zu Kriegsaufrufen des Deutschen Ordens.48 Auch in der Kommunikation zwischen Wittenberg und Preußen wie in den frühen schrift lichen Reformationszeugnissen findet dieser deutschpolnische Zusammenhang seinen Niederschlag. Herzog Albrecht unterhielt eine Korrespondenz mit Martin Luther, der Briefe auch an die preußischen Protestanten schrieb. Luthers ältester Sohn Johannes (Hans) Luther sowie seine jüngste Tochter Margarethe lebten im Preußenland. Da die Heilige Schrift in der Reformation und der katholischen Reformbewegung eine besondere Bedeutung besaß, begann ein Wettlauf um die Übertragung der Bibel auch ins Polnische. Herzog Albrecht bemühte sich, angespornt unter anderem durch die Korrespondenz mit Luther und Melanchthon, eine polnische Bibelübersetzung anzuregen. Der in Königsberg tätige Prediger Jan Seklucjan erstellte eine 1551/52 gedruckte Übersetzung des Neuen Testaments ins Polnische. Die erste vollständige Bibelübersetzung entstand jedoch erst mit der Brester Bibel (1563) von calvinistischer Seite, es folgten sozianianische (antitrinitarische) Bibelübersetzungen, die ersten katholischen Bibeln in polnischer Sprache (1560–1577, 1599) sowie schließlich die vollständige lutherische „Danziger Bibel“ (1632). Daneben standen zahlreiche Drucke von protestantischen Katechismen und Postillen in polnischer Sprache, auf die die katholische Seite mit eigenen Bekenntnisschriften, Messbüchern und Heiligenlegenden antwortete. 48 Wijaczka, Jacek: Asverus von Brandt.
4. Reformation, katholische Reform und religiöse Verflechtungen
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Wie kultureller Transfer im konfessionellen deutsch-polnischen Kontext konkret funktionierte, wo aber auch Friktionen und Begrenzungen auftauchen, sei an einem Beispiel demonstriert: Holzstöcke, die zur Einfügung von Abbildungen in Druckwerke dienten, waren im 16. Jahrhundert teure und begehrte, weil künstlerisch wertvolle Objekte. Sie wurden deshalb wiederholt verwendet und waren mangels Holzschnitzern nicht an jedem Ort reproduzierbar. Die Holzstöcke, mit denen 1534 in Wittenberg die Luther-Bibel illustriert wurde, fanden zunächst in Prag für einen tschechischen Bibeldruck Verwendung („Melantrich-Bibel“) und wurden dann 1560 an die Krakauer Verleger Mikołaj und Stanisław Szarffenberg verkauft. Dort wurden sie zum Schmuck des ersten polnischen Bibeldrucks gebraucht, der katholischen „Leopolita“, einer Übersetzung von Jan Nycz aus Lemberg. Die polnische Bibelübersetzung richtete sich allerdings an katholische Leser, deshalb mussten antikatholische Elemente aus den Holzstöcken entfernt werden. So trug zum Beispiel das Tier, in der Johannes-Apokalypse eine Darstellung des Antichristen, in der protestantischen Fassung die päpstliche Tiara auf dem Kopf. Für den Zweck des katholischen Drucks von 1560 wurde die Tiara aus dem Holzstock herausgeschabt.49 Die Verbindung von Bekenntnis und nationalsprachigem Bibeldruck wird aus dem deutschen Luthertum nach Ostmitteleuropa und nach Polen übertragen. Alle Konfessionen in Polen-Litauen übernahmen dieses Modell und entwickelten eine eigene Schrift lichkeit. Konzepttransfer fand auch in Ost-West-Richtung statt. Jan Łaski, der Neffe des gleichnamigen Kronkanzlers und Erzbischofs Jan Łaski, im Deutschen meist Johannes a Lasco genannt, machte bereits 1524/25 die Bekanntschaft mit dem Schweizer Reformator Ulrich Zwingli und dem in Basel lebenden Humanisten Erasmus von Rotterdam. Als katholischer Propst in Gnesen nahm Łaski wiederholt am Sejm teil und verinnerlichte die Funktionsweisen konsensual-partizipativer Versammlungen. Am Ende der 1530er Jahre wandte er sich endgültig dem reformierten Bekenntnis zu, verkündete die neue Lehre und wurde ab 1540 zum Reformator Ostfrieslands. 1542–1548 übernahm er in Emden die Position eines Superintendenten und begründete mit der Einrichtung eines Kirchenrates und einer regelmäßigen halbjährlichen Zusammenkunft aller Prediger im so genannten coetus (Versammlung) die Strukturen einer synodalen Kirchenorganisation. Er suchte jedoch – und dies ist bezeichnend für die polnischen Reformatoren –, in der Theologie zwischen lutherischem und reformiertem Bekenntnis zu
49 Die Holzstöcke sind erhalten und wurden 2011 in einer Berliner Ausstellung gezeigt: Omilanowska, Małgorzata (Hrsg.): Tür an Tür, S. 272.
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vermitteln.50 1556 kehrte Łaski nach einem wenig erfolgreichen Aufenthalt in London nach Polen zurück und versuchte von Pinczów in der Region Lublin aus, einen polnischen Protestantismus zu begründen. 1570 schlossen sich schließlich im Konsens von Sandomierz (Consensus Sendomirensis) Lutheraner, Reformierte und die älteren Böhmischen Brüder zu einer gemeinsamen Bekenntnisunion zusammen.51 Das Modell von Kirchenrat und regelmäßigen Synoden, das auf Łaski zurückging und Modelle adlig-ständischer Aushandlungsformen und kirchlicher Konsensfi ndung verband, wurde auch hier eingeführt, ebenso übrigens in der anglikanischen Kirche Englands, von wo aus es nach Nordamerika gelangte. Die protestantischen Milieus stützten sich vor allem auf neue Bildungszentren, an denen das philologische reformatorische Ideal sola scriptura gepflegt wurde. Akademische Gymnasien entstanden auch im deutsch-polnischen Grenzraum in den preußischen Großstädten Elbing (1535), Danzig (1558) und Thorn (1568) sowie in Brieg (1569) und Beuthen an der Oder in Schlesien (1601). Dort erhielten die Söhne deutscher und polnischer protestantischer Eliten gemeinsam eine mehrsprachige Ausbildung. Als Modell wurde in den Gymnasien das Straßburger Ausbildungssystem von Johannes Sturm übernommen und weiterentwickelt – die Gymnasien unterhielten außerdem intensive Kontakte vor allem mit Basel und Heidelberg. Dies führte dazu, dass die preußisch-polnische Gelehrtenwelt intensiver in die europäischen Diskussionen eingebunden wurde. Eine Persönlichkeit wie der Danziger Philosoph Bartholomäus Keckermann ging zunächst zum Studium an die reformierte Universität Heidelberg und kehrte dann als Professor an das Danziger Gymnasium zurück. Seine lateinischsprachigen Schriften wurden europaweit rezipiert. Gerade Heidelberg etablierte sich zwischen 1590 und 1620 zu einem Bildungszentrum für polnische Reformierte. Die Durchsetzung des humanistischen Lateins erleichterte die Kontakte im protestantisch-humanistischen Milieu auch zwischen Deutschen und Polen. Insbesondere zwischen Basel als einem zeitgenössischen humanistischen Druckzentrum und den polnischen, häufig dem Protestantismus zuneigenden Humanisten bestand ein intensiver Gedankenaustausch, der sich in Besuchen und gemeinsamen Drucklegungen manifestierte.52
50 Strohm, Christoph (Hrsg.): Johannes a Lasco; Jürgens, Henning P. (Hrsg.): Johannes a Lasco in Ostfriesland. 51 Schramm, Gottfried: Der Polnische Adel und die Reformation, 1548–1607, Wiesbaden 1965. 52 Beispiele: Włodarski, Maciej: Dwa wieki kulturalnych i literackich powiązań polsko-bazylejskich 1433–1632.
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Basel mit dem Buchdrucker Johannes Oporinus und Leipzig mit der Lotterschen Druckerei besaßen für den deutsch-polnischen geistigen Austausch Bedeutung. Beide Orte wurden auch gerne von polnischen Studierenden aufgesucht. Solche Kontakte sind unter anderem durch Dedikationen nachweisbar – so widmete der rheinische Humanist Beatus Rhenanus „Johannes a Lasco Polonus“ ein Werk. Die Zufügung des Nationalattributs „Polonus“ oder „Germanus“ wurde von den Universitätsnationen übernommen, weist aber auch auf die erhöhte Bedeutung nationaler Zuschreibungen im Humanismus hin (vgl. S. 168). In den Druckzentren am Rhein war eine Publikation jenseits der Zensur möglich, die in Polen, aber auch in Sachsen, an der brandenburgischen Viadrina in Frankfurt an der Oder oder im orthodox lutherischen Königsberg manchen Druck verhinderte. Auch die »Narratio prima« von Georg Joachim Rheticus, in der erstmals die Entdeckung des heliozentrischen Systems durch den ermländischen Domherrn Nicolaus Kopernikus öffentlich bekannt gemacht wurde, erschien nach einem Erstdruck in Danzig (1540) mehrfach in Basel. Das Gleiche gilt für Modrzewskis »Commentariorum de Republica emendanda Libri quinque«, eine verfassungsrechtliche Schrift von epochaler Bedeutung, die die Verfassungsstrukturen gemischter Staatsverbände europaweit analysiert. Selbst katholische Autoren flohen vor der Zensur und schlechten Bedingungen der Distribution häufig ins Reich. Martin Kromers Werk »Über die Herkunft und die Geschichte der Polen« (»De origine et rebus gestis Polonorum libri XXX«), von Heinrich Pantaleon als »Mitnaechtischer voelckeren historien« ins Deutsche übersetzt, das zentrale Werk zum frühneuzeitlichen polnischen Selbstverständnis und zur nationalen Geschichte, wurde in Basel gedruckt und von dort aus in ganz Europa vertrieben. Das Werk enthielt auch ein Porträt König Sigismund Augusts und kann als offizielle Darstellung der polnischen Geschichte gelten. Sichtbar wird das zudem am Titelblatt, das einen polnischen Adler zeigt. Gegen die vordringende Reformation versuchte die katholische Kirche seit den 1550er Jahren (Konzil von Trient 1545–1563) eine katholische Reform ins Werk zu setzen. Die in der älteren Literatur als „Gegenreformation“, zuletzt eher als „katholische Reform“ bezeichnete Bewegung entwickelte sich im Alten Reich wie in Polen-Litauen, getragen von den verbliebenen katholischen Kirchenstrukturen. Da die katholische Reform in den deutschsprachigen Territorien – auch aufgrund der ungleich dramatischeren Lage der alten Kirche – ein bis zwei Jahrzehnte vor vergleichbaren Prozessen in Polen-Litauen einsetzte, besaßen ihre frühen Akteure in Polen häufig enge Verbindungen mit den deutschsprachigen katholischen Eliten und übernahmen von dort Modelle und Geistliche. Als der Jesuitenorden in Polen durch
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den ermländischen Bischof und Kardinal Stanislaus Hosius eingeführt wurde, taten in den ersten Kollegs zahlreiche deutschsprachige Jesuiten Dienst, die aus dem Alten Reich zu Hosius gesandt wurden oder die dieser in den Städten seines Bistums Ermland rekrutierte. Hosius (latinisiert aus Hosse/Hose) stammte, wie auch Kromer, aus dem zweisprachigen deutsch-polnischen Bürgertum der kleinpolnischen Städte und beherrschte von Kindheit an beide Sprachen. Sein Vater und sein Bruder wandten sich der lutherischen Lehre zu. Als Bischof unterhielt Hosius mit dem lutherischen Herzog Albrecht im benachbarten Herzogtum Preußen eine Korrespondenz und führte mit ihm auch persönlich theologische Gespräche. 1566 zum päpstlichen Legaten für Polen, 1570 zum Kardinal ernannt, ist er eine Schlüsselfigur der katholischen Reform in Ostmitteleuropa, die er in seinen letzten Lebensjahren von Rom aus organisierte. In seiner geistlichen Tätigkeit im Ermland benutzte er, wie sein Nachfolger Kromer, gleichberechtigt die deutsche und die polnische Sprache.53 Das erste Jesuitenkolleg in Polen-Litauen errichtete Hosius 1565 in Braunsberg am Frischen Haff an der Ostsee – einer deutschsprachigen Stadt im Ermland, um die bis dahin Protestanten und Katholiken heftig gestritten hatten. In den nächsten Jahrzehnten bauten die Jesuiten Braunsberg zu einer katholischen Stadt aus; im Kolleg erhielten bald mehrere Hundert Schüler eine humanistische und katholische Ausbildung. Ein dem Kolleg angegliedertes Konvikt beherbergte einen Teil der auswärtigen Jesuitenzöglinge, von denen die polnischen und litauischen Schüler auch nach Braunsberg geschickt wurden, um gleichzeitig die deutsche Sprache zu erlernen. Bedeutend wurde Braunsberg durch die Pläne des Heiligen Stuhls, von hier aus die protestantisch-deutsch-skandinavische Ostseewelt zu rekatholisieren. Der Generalsekretär des Jesuitenordens Antonio Possevino kam aufgrund persönlicher Eindrücke in Schweden zu der Überzeugung, dass zunächst in einem ausländischen Missionsseminar Priester für die nordischen Länder herangebildet werden müssten, bevor an Rekatholisierung gedacht werden könne. Braunsberg, wo er Ende Mai 1578 anlangte, schien ihm nicht nur wegen der Jesuitenanstalt, sondern auch wegen seiner Verkehrslage an der Ostsee geeignet. Seinen Vorschlägen folgte Gregor XIII., der am 10. Dezember 1578 zu Braunsberg (und Olmütz) ein Seminar begründete, in dem je 50 Missionszöglinge aus päpstlichen Mitteln unterhalten wurden, mehrheitlich skandinavische und baltische Katholiken. Schon nach zwei Jahren war diese Zahl in Braunsberg erreicht, der Ort mit seiner umfangreichen 53 Jähnig, Bernhart / Karp, Hans-Jürgen (Hrsg.): Stanislaus Hosius; Hipler, Franz: Die deutschen Predigten und Katechesen der ermländischen Bischöfe Hosius und Cromer, Köln 1885.
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Bibliothek und einer Druckerei wurde zu einem katholischen Zentrum im Nordosten in einem deutsch-polnischen Milieu. Dieses Zentrum zog Adlige und Bürgersöhne aus dem Ostseeraum und aus Preußen gerade mit seiner Offerte einer kostenlosen Bildung an. In Braunsberg mit seinen polnisch-deutsch-skandinavisch-litauischen Eliten in einer deutschsprachigen Stadt, die in lateinischer Sprache eine späthumanistisch-rhetorische Ausbildung erhielten, existierte eine spezifische Situation, in der durch den überwölbenden Katholizismus Inhalte und Missionsaufgaben vermittelt wurden. Die protestantischen Wasakönige sahen in der päpstlichen Ausbildungsstätte an der Ostsee, die von der katholischen Hauptlinie der Wasa unter Sigismund III. unterstützt wurde und in der schwedische katholische Eliten heranwuchsen, eine Bedrohung. König Gustav Adolf ließ 1626 die Stadt als ersten polnisch-preußischen Ort brandschatzen; die Bibliothek des Jesuitenkollegs wurde nach Uppsala verbracht. Das Jesuitenkolleg wurde 1629 wiedererrichtet und bildete ein deutsch-polnischlitauisches Bildungszentrum im südlichen Ostseeraum. Umgekehrt standen seit dem 17. Jahrhundert durchweg polnischsprachige Eliten an der Spitze des Bistums Ermland mit Sitz in Heilsberg. Die polnischsprachigen Bischöfe in Heilsberg und ein international besetztes Domkapitel in Frauenburg festigten eine mehrheitlich deutschsprachige Bevölkerung, die von Protestanten umgeben war, in ihrem katholischen Glauben. Das Ermland mit den Zentren Heilsberg (Sitz des Bischofs), Frauenburg (Domkapitel), Braunsberg und Rößel (Jesuitenkollegs) entwickelte sich so zu einer katholischen Konfessions- und Bildungslandschaft, deren Eliten oft mehrsprachig waren (→ S. 132). Das in Braunsberg ausgebildete katholische Milieu wurde seit den 1580er Jahren in Jesuitenkollegs der Jesuitenprovinz Litauen (zu der auch Masowien, Kujawien und das königliche Preußen zählten) übertragen, die im späten 16. und 17. Jahrhundert insbesondere in den konfessionell umkämpften Grenzregionen des Unionsstaates, in Preußen und in Litauen entstanden. In dieser jesuitischen Bildungslandschaft besaßen Braunsberg und andere deutsch-polnische Kollegs in der Kontaktzone (Danzig, Bromberg, Konitz, Graudenz) besondere Bedeutung als deutsch-polnische intellektuelle Zentren. Sie strahlten in die Kontaktzone aus, lösten aber auch lutherische Befürchtungen und eine protestantische Mobilisierung aus. Die Konstituierung der Reformation wie auch der katholischen Reform in Polen-Litauen vollzog sich so in deutsch-polnischem Austausch. Die führenden protestantischen Akteure waren mit der Reformation im römischdeutschen Reich vertraut, hatten vielfach dort langjährige seelsorgerische Erfahrungen erworben (Jan Łaski), entwickelten jedoch für Polen-Litauen aufgrund der dortigen konfessionellen Gemengelage ein vermittelndes reformatorisches Bekenntnis, das von Toleranz geprägt war und auf Religionsgespräche
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und einen Religionsfrieden setzte. So wurde etwa auch der Consensus Sendomiriensis von 1570 sofort nach seiner Verabschiedung ins Deutsche übersetzt und gedruckt. Insgesamt setzte sich die Reformation in Polen-Litauen vor allem in ihrer reformierten Spielart durch, die stark über die Schweiz (Zürich, Genf) vermittelt wurde. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die synodale Struktur in der reformierten Kirche, die auch ohne landesherrliche Kirchenverfassung stabile Grundlagen schuf, kam den Verhältnissen in Polen-Litauen entgegen und ermöglichte einen adligen Durchgriff auf Kirchenstrukturen. Die Übertritte infolge von humanistischen Bildungserlebnissen und Bildungsreisen erfolgten zum reformierten Bekenntnis, das Luthertum dagegen galt als Kirche der Städter. In der Warschauer Konföderation von 1573, einem Adelsbund, der Bedrückung aus konfessionellen Gründen untersagte, hieß es in dem zeitgleich mit der polnischen Fassung erschienenen deutschsprachigen Druck: „Und weil in diesem Unserem Königreich nicht ein geringes sondern großes Unvernehmen wegen Christlicher Religion / in Glaubenssachen entstanden / hieraus leicht zwischen disfals strittigen teilen schädliche empörungen / massen solche an anderen frembden Königreichen vor augen schweben / sich anspinnen und erheben köndten; haben Wir auch solchen in zeiten vorzubeugen der unumbgänglichen notturfft zu sein erachtet. 1. Verheischen und versprechen wir einander [...] das Wir Uns obschon ungleich in Geistlichen gewissens sachen gesint / des lieben Friedens untereinander befleissen / und wegen ubung dieser oder jener Religion / oder enderung des Gottesdiensts kein Menschen Blutt zu irgend einer zeit vergissen wollen.“54 Die hieraus resultierende tolerante Religionsverfassung stieß europaweit auf Beachtung, ja bildete neben dem Augsburger Religionsfrieden ein Referenzmodell. Vor diesem Hintergrund emigrierten insbesondere die in West- und Mitteleuropa, unter anderem auch im Alten Reich verfolgten Antitrinitarier, die die Dreifaltigkeitslehre ablehnten und nur an eine Gestalt Gottes glaubten, nach Polen. Deutschsprachige Antitrinitarier wie der in Nürnberg und Altdorf aufgewachsene Johannes Crell oder Martin Ruarus ließen sich in dem durch seinen Frieden europaweit ausstrahlenden Polen nieder – zum Zentrum wurde das kleinpolnische Raków, weshalb die Gemeinschaft auch „Polnische Brüder“ genannt wurde. Das antitrinitarische Milieu kann bereits durch seine italienischen, aber in Mitteleuropa sozialisierten Gründerfiguren, wie den 54 Auszüge aus: Die Warschauer Konföderation 1573, in: Themenportal Europäische Geschichte (2011), URL: http://www.europa.clio-online.de/2011/Article=506 (15.04.2013). Vgl. auch Korolko, Mirosław / Tazbir, Janusz (Hrsg.): Konfederacja warszawska 1573 roku wielka karta polskiej tolerancji, Warszawa 1980.
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italienischen Reformator Fausto Soccini, als international definiert werden. Aufgrund der Intensität der Reformation in Deutschland und der geographischen Nähe gab es viele deutschsprachige Mitglieder, die in universitären Zentren wie Altdorf studiert hatten. Gegen die rationalistische Theologie der Antitrinitarier gab es Polemiken anderer Konfessionen, die in ihnen Vertreter eines Denkens sahen, das an den Grundfesten des christlichen Bekenntnisses rüttelte. Auch in Polen gewannen diese Polemiken im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts die Oberhand. Deshalb wurden nach langjährigen Konflikten die Antitrinitarier 1637 in ihren Rechten eingeschränkt und 1660 – als angeblich Schuldige an den Kriegen 1655–1660 und mit den ausländischen Mächten Schweden, BrandenburgPreußen und Siebenbürgen im Bündnis stehend – zur Konversion gezwungen oder, falls sie diese verweigerten, ausgewiesen. Die Antitrinitarier gingen ins östliche Preußen (Königsberg, Johannisburg, Andreaswalde), in die Neumark und in die Niederlande, stießen aber in den ersten beiden Regionen auf Widerstände orthodoxer Lutheraner.55 Im Herzogtum Preußen fanden die „Polnischen Brüder“ Aufnahme, weil der Calvinist Bogusław Radziwiłł, ein Cousin des Großen Kurfürsten, in Königsberg als Gouverneur amtierte und ihnen wohlgesonnen war. Sie pachteten Land, einige machten auch in der Verwaltung Karriere. So projektierte Teofi l Crell-Spinowski Stadtbefestigungen, Samuel Przypkowski war in Königsberg als Sekretär tätig. Auch der 1689 in Königsberg verstorbene Schriftsteller Zbigniew Morsztyn hielt sich in Preußen auf. Viele „Polnische Brüder“ emigrierten jedoch in die Niederlande, wo einige eine technisch-naturwissenschaft liche Ausbildung erhielten und später zurückkehrten. Zu ihnen zählte der Geograph, Kartograph und Militärarchitekt Józef NaronowiczNaroński, der seit 1658 in Diensten des Großen Kurfürsten stand. Sein Werk war eine Serie von Karten des östlichen Preußen, die die örtliche Verwaltung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts benutzte. Er schuf auch Projekte für den Umbau von Gutshäusern und Residenzen sowie für die Weiterentwicklung des Kanalsystems und den Festungsbau. Mit Naroński arbeitete ein anderer polnischer Bruder zusammen: Samuel Suchodolski (von Suchodoletz); er ist vor allem als Autor des 18-teiligen Atlas »Iconographia oder Eigentlicher Grundriß der Curfürstlichen Herrschaft Potsdamb undt darzu gelegenen Ampt Saarmund und Wittbrützen« bekannt, der ersten so genau erarbeiteten Karte brandenburgischer Territorien. Insgesamt hinterließ er über 300 kartographische Arbeiten. Sein ältester Sohn Jan Władysław von Suchodoletz führte 55 Bömelburg, Hans-Jürgen: Konfession und Migration zwischen Brandenburg-Preußen und Polen-Litauen 1640–1772. Eine Neubewertung, in: Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Glaubensflüchtlinge, S. 119–144.
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die Werke fort. Er arbeitete als Ingenieur und Kartograph auch im Auftrag der ermländischen Bischöfe und erstellte 1732–1739 die Karte Preußens »Renum Borussiae, Episcopatus Warmiensis [...] cum territorio Dantiscano et iconographia urbis Regiomontis«.56 Allerdings war gerade im östlichen Preußen die lutherische Pfarrerschaft entschieden gegen die „Polnischen Brüder“ eingestellt und erschwerte ihnen das Leben. Viele wanderten deshalb ab. Die Familie eines der bekanntesten polnischen Antitrinitariers, Stanisław Lubieniecki, lebte in Hamburg und Amsterdam.57 Seine Söhne Theodor (auch Lubienietzki) und Christof arbeiteten als Maler in Hannover und Berlin. Theodor avancierte 1702 zum Rektor der Berliner Akademie der Künste und bildete dort mit dem Graudenzer Michael Probener und dem Danziger Bildhauer und Architekten Andreas Schlüter, der seit 1694 in Berlin lebte, eine „polnische Gruppe“. Grundsätzlich lockerten sich unter den „Polnischen Brüdern“, die in Kunst und Wissenschaft Karriere machten, die Verbindungen zu ihrer religiösen Gemeinschaft. Letztlich verschwand die Gruppe im Laufe des 18. Jahrhunderts – ihr Schicksal bildet ein interessantes Kapitel einer Vereinigung nonkonformistischer Christen, die einigen Einfluss hatte auf die europäische Bildungs- und Philosophiegeschichte.58 Eine andere Gruppe, die von der toleranten Religionsverfassung in PolenLitauen angezogen wurde, waren die nach 1620 aus dem Königreich Böhmen ausgewiesenen posthussitischen „Böhmischen Brüder“. Sie fanden vor allem in Großpolen und im Königlichen Preußen Zuflucht, wo erste Glaubensbrüder sich bereits nach dem Böhmischen Ständeaufstand 1547 niedergelassen hatten. Unter ihnen gab es sowohl tschechisch- als auch deutschsprachige Brüder. International bekannt war insbesondere der Theologe, Pädagoge und Publizist Jan Amos Comenius, der nach Studien in Herborn und Heidelberg zum Bischof der Unität der Böhmischen Brüder aufstieg und 1628 aus Mähren nach Lissa fliehen musste. Lissa war durch die starke Zuwanderung von Protestanten aus Schlesien zu diesem Zeitpunkt eine mehrheitlich deutschsprachige Stadt. Comenius war in Lissa und 1642–1648 in Elbing als Rektor der dortigen Gymnasien tätig. 56 Jäger, Eckhard: Prussia-Karten 1542–1810. Geschichte der kartographischen Darstellung Ostpreußens vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Entstehung der Karten, Kosten, Vertrieb, Weissenhorn 1982, S. 161–164. 57 Jordt-Jørgensen, Kai Eduard: Stanislaw Lubieniecki – zum Weg des Unitarismus von Ost nach West im 17. Jahrhundert, Göttingen 1968. 58 Williams, George Huntston: The Polish Brethren: Documentation of the History and Thought of Unitarianism in the Polish-Lithuanian Commonwealth and in the Diaspora 1601–1685, Missoula 1980; Williams, George Huntston: The Radical Reformation, Kirksville ³2000; Hewett, Phillip: Racovia: An Early Liberal Religious Community, Providence 2004.
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Auch die als Exulanten in Polen lebenden Böhmischen Brüder gerieten nach 1655, nach dem Einmarsch schwedischer Truppen, erneut zwischen die religiös-politischen Frontlinien. Comenius wurde 1655 wegen einer Panegyrik für Karl X. Gustav angegriffen, 1656 verheerten katholische Truppen die Stadt Lissa. Comenius floh in die Niederlande und verbrachte seinen Lebensabend in Amsterdam. Die in Polen verbleibenden Böhmischen Brüder gerieten immer mehr in die Rolle einer bedrückten konfessionellen Minderheit.59 Grundsätzlich ist die Geschichte der kleineren Konfessionen im polnischlitauischen Reichsverband der Frühen Neuzeit ein stark in eine europäische Reformations- und (oft erzwungene) Migrationsgeschichte eingebundener Prozess. Er besitzt jedoch zugleich auch eine deutliche deutsch-polnische Komponente, da zahlreiche Gruppen Teile deutscher bzw. polnischer Milieus waren oder sich als Folge religiösen Drucks und erzwungener Migration in den polnischen oder deutschen Territorien wiederfanden. Als Beispiel für die Migration einer deutschsprachigen religiösen Gemeinschaft nach Polen sind die aus den Niederlanden und Oberdeutschland in die Weichselniederung einwandernden Mennoniten zu nennen, die in der Frühen Neuzeit vor allem Gebiete an der unteren Weichsel pachteten und dort in eng abgeschlossenen Gemeinschaften lebten. Nach der preußischen Annexion dieser Territorien wurden die Mennoniten vor allem durch die Kantonspflicht und den Militärdienst, den sie aus religiösen Gründen ablehnten, bedrückt; Teile der mennonitischen Gemeinschaften wanderten die Weichsel aufwärts nach Zentralpolen oder nach Russland aus.60 Der schwedische Einmarsch in Polen-Litauen 1655 ist ein Wendepunkt in der ostmitteleuropäischen Religionsgeschichte. Seitdem organisierten sich in Polen-Litauen und auch im deutsch-polnischen Kontaktraum die Konfessionen immer deutlicher entlang staatlich-territorialer Grenzen. Polen (zumindest in den westlichen Territorien) und die Habsburgermonarchie wurden immer stärker zu rein katholischen Verbänden, Brandenburg-Preußen nun zu einer protestantischen Schutzmacht. In dem Maße, in dem sich im Herzogtum (ab 1701 im Königreich) Preußen der Protestantismus und in Polen-Litauen der Katholizismus als Staatsreligionen durchsetzten, waren die verbliebenen religiösen Minderheiten auf beiden Seiten auf eine Zusammenarbeit mit den bessergestellten „Mutterkirchen“ jenseits der Grenzen angewiesen: Polnische Protestanten wurden vor allem in Königsberg, Frankfurt/Oder oder im 18. Jahrhundert in Halle ausgebildet und die protestantischen Gemeinschaften in Polen benötigten finanzielle und politische 59 Dworzaczkowa, Jolanta: Bracia czescy w Wielkopolsce w XVI i XVII wieku, Warszawa 1997. 60 Kizik, Edmund: Menonici.
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Unterstützung von jenseits der Grenze. Diese schien zunächst durch die schwedische Wasamonarchie verkörpert, seit Mitte des 17. Jahrhunderts durch den brandenburg-preußischen Staat gesichert. Umgekehrt setzten die Katholiken in Brandenburg-Preußen auf die Hilfe der katholischen Kirchenorganisation in Polen und die Unterstützung der katholischen Brüder auf der anderen Seite der Grenze, um im östlichen Preußen überdauern zu können, und versuchten eine Aufnahme dieser Verbindungen auch in Friedensbestimmungen durchzusetzen, was 1660 im Frieden von Oliva gelang. Die Mechanismen dieser Polarisierung entlang staatlicher Grenzen schränkten die Wahrnehmung nichtstaatlicher Unterstützungsleistungen ein – für die Protestanten durch die Stadt Danzig, für die Katholiken durch das Bistum Ermland – und verhärteten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Frontstellungen. Katholiken in Brandenburg-Preußen und Protestanten in Polen-Litauen standen unter Beobachtung und sahen sich einem Konversionsdruck ausgesetzt. Kirchenvertreter suchten deshalb Unterstützung und in manchen Fällen (bei Vorwürfen der Gotteslästerung oder der so genannten „Proselytenmacherei“) Zuflucht bei den gleichkonfessionellen Nachbarn jenseits der Grenze. Dort wurden die Bedrückungen der Glaubensgenossen wiederum mit großem Aufwand publik gemacht. Das beste Beispiel sind die publizistischen Kampagnen, die dem „Thorner Tumult“ folgten (tumult toruński, in der protestantischen Tradition „Thorner Blutgericht“). Nach Ausschreitungen während und nach einer Fronleichnamsprozession am 16. Juli 1724 wurden Thorner Protestanten verhaftet. Daraufhin stürmten Protestanten den örtlichen Jesuitenkonvent und verwüsteten ihn, wobei sie unter anderem auch Marienbilder zerstörten, was in dem späteren Prozess als Gotteslästerung ausgelegt wurde. Der Bürgermeister Johann Gottfried Rösner sowie neun weitere Bürger wurden wegen Gotteslästerung und Aufruhr zum Tode verurteilt; die letzte protestantische Kirche in der Stadt wurde an Katholiken übertragen. Die Hinrichtung der Verurteilten (Konvertiten wurden begnadigt) löste im ganzen protestantischen Europa Proteste bis hin zu Kriegsdrohungen und eine Welle religiöser Polemiken aus. In Flugschriften und Zeitungen wurde die Hinrichtung der Protestanten auch bildlich dargestellt.61 Teilweise enthielt die Publizistik frühnationale Argumente. Einer der Akteure war der Theologe und Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski, der selbst aus einer böhmisch-polnisch-deutschen Familie stammte und ein 61 Schulze Wessel, Martin: Religiöse Intoleranz, grenzüberschreitende Kommunikation und die politische Geographie Ostmitteleuropas im 18. Jahrhundert, in: Requate, Jörg / Schulze Wessel, Martin (Hrsg.): Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2002, S. 63–78; Thomsen, Martina: Der Thorner Tumult 1724, S. 293–314.
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Enkel des Comenius war. Er spielte als Wissensträger und Vermittler sowie Berliner Hofprediger und zeitweiliger Vizepräsident der Berliner Societät der Wissenschaften im deutsch-polnischen Verhältnis eine große Rolle.62 In den Polemiken um die Thorner Ereignisse war Jablonski stets bemüht, Willkür und Grausamkeit des Rechtsspruchs herauszustellen, weshalb er die Vollstreckung des Urteils detailliert schilderte. So erwähnte er beispielsweise, dass das Urteil auf Lateinisch abgefasst war – auch dies nach Jablonski ein Zeichen polnischer Intoleranz, man hätte es den deutschsprachigen Verurteilten übersetzen müssen. Solche Darstellungen ermöglichten spätere Polarisierungen entlang nationaler Linien. Ein Ergebnis dieser Spätkonfessionalisierung entlang der preußischpolnischen Grenze war die Ausbildung nationalkonfessioneller Schemata (→ S. 182). Polen wurden immer stärker als katholisch wahrgenommen, hier entstand nun das Bild des „katholischen Polen“ (Polak-katolik), dem Intoleranz und Fanatismus zugeschrieben wurden. Dieses Stereotyp prägte die deutsche Polen-Wahrnehmung bis ins 20. Jahrhundert. Umgekehrt wurden Deutsche in Polen immer stärker als Lutheraner aufgefasst und stereotypisiert (luter war im Polnischen eine abfällige Bezeichnung für einen deutschen Protestanten). Andererseits entstanden gerade im 18. Jahrhundert auch neue Ansätze zu einem polnischen Protestantismus. Die polnisch-sächsische Personalunion führte zu einer lutherischen deutschsprachigen Einwanderung nach Warschau, doch waren Gottesdienste nur „privat“ in den Häusern von Gesandten der protestantischen Mächte möglich. Die von den nichtkatholischen Mächten erzwungenen Beschlüsse des Sejms 1768 brachten Veränderungen: 1778–1781 entstand mit Unterstützung König Stanisław Augusts die Dreifaltigkeitskirche, das erste protestantische Gotteshaus in Warschau. Gleiches galt auf der anderen Seite für den preußischen Katholizismus: Durch die Annexion Schlesiens (1740) war die Zahl der – oft auch polnischsprachigen – Katholiken stark gestiegen. Friedrich II. ließ deshalb zwischen 1747 und 1773 in Berlin die Hedwigskirche (heute Hedwigskathedrale) errichten, die 1773 vom ermländischen Bischof Ignacy Krasicki eingeweiht wurde (→ S. 105). Grundsätzlich bildete die nationalkonfessionelle Formierung jedoch ein Erbe der Spätkonfessionalisierung des 18. Jahrhunderts, die in der Aufk lärung auch mit nationalen Gehalten und einer Völkerstereotypie aufgeladen wurde. Ältere Ereignisse konnten nun national interpretiert werden. Es entstanden „deutsche Reformation“ und „polnische Gegenreformation“. Solche Zuschreibungen verdecken, dass die Kirchenorganisationen in der Frühen Neuzeit supranationale Bildungsinstitutionen darstellten, die gleichermaßen in die deutsche und polnische Bevölkerung ausstrahlten. 62 Bahlcke, Joachim / Korthaase, Werner (Hrsg.): Daniel Ernst Jablonski; Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Brückenschläge: Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufk lärung.
5. Dynastien, Adel und höfische Kulturen
Die mitteleuropäischen adligen und höfischen Kulturen überschritten territoriale Grenzen und waren durch einen Ehrkodex, eine eng verwandte Adelskultur und wechselseitige familiäre Verbindungen miteinander verwoben. Der deutsche und der polnische Adel zählten zu den größten Adelsgruppen in Europa, die bis in das 20. Jahrhundert ihre formierende und distinktive Kraft bewahrten. Innerhalb der frühneuzeitlichen europäischen Hoch- und Elitenkultur entfalteten adlige Residenzen und die dynastischen Höfe ihre Wirkung weit in die deutsche und polnische Gesellschaft hinein: Kulturelle Tendenzen im adligen Milieu beeinflussten breitere Bevölkerungsgruppen (Bürgertum, Intelligenz) und diff undierten sogar in die Volkskultur (Bekleidung, Moden, Esskultur, Geschmack). Vergleichend kann gefragt werden, ob diese Einflüsse in der polnischen „Adelsgesellschaft“, in der der Adel ca. 5–10% der Bevölkerung ausmachte, stärker waren als in der deutschen Geschichte mit einem Adelsanteil von ca. 1%, doch ist auch für die deutsche Gesellschaft die langfristige mentalitätsstiftende und stilbildende Kraft des Adels und seines Willens zum „Obenbleiben“ unumstritten. Grundsätzlich sind die Adelsgesellschaften der Frühen Neuzeit landschaft lich und national, die Hofkulturen dagegen territorial übergreifend und supranational organisiert. Die regional organisierten Adelsverbände sahen sich in einem Treueverhältnis zu einem Land und einer Krone und definierten sich als Abstammungsgemeinschaften, was sie im polnischen Fall zu einer „Adelsnation“ zusammenführen konnte. Demgegenüber war der deutsche Adel stärker regional und hierarchisch strukturiert und zerfiel durch rigide Standes- und Heiratsgrenzen in distinkte Gruppen. Die Unterschiede, die in der Struktur des deutschen und des polnischen Adels nicht zu übersehen sind, standen jedoch wechselseitigen Heiratsverbindungen nicht im Wege; in den Berührungszonen (Neumark, Pommern, Großpolen, Livland) waren sie gerade unter dem landsässigen Adel verbreitet. Die mitteleuropäischen Dynastien selbst, das Hofpersonal, die Beamten und die höfischen Künstler, stammten aus unterschiedlichen Milieus und Nationalkulturen und bildeten transnationale kulturelle Muster und Zeremonien aus. Die höfischen Umgangssprachen wichen vielfach von den jeweiligen Nationalsprachen ab: An den europäischen Höfen des 16. Jahrhunderts
5. Dynastien, Adel und höfische Kulturen
65
wurde häufig Italienisch oder Deutsch, im 17. und 18. Jahrhundert zumeist Französisch gesprochen. Die oberdeutschen Habsburger und die litauischen Jagiellonen waren um 1500 in Mitteleuropa durch biologische und politische Zufälle (u.a. durch das Aussterben und Ausscheiden anderer Familien wie der Luxemburger und Piasten) die politisch dominierenden Dynastien. Zwischen beiden Familien bestand im Spätmittelalter eine Konkurrenz und Rivalität insbesondere um die polnische, böhmische und ungarische Krone. Hier konnten sich zunächst die litauischen Jagiellonen besser durchsetzen (1386: Könige von Polen, 1471: Könige von Böhmen, 1490: Könige von Ungarn), vor allem weil sie unterhalb der Dynastie ständische Privilegien und Partizipationsrechte unangetastet ließen, während die Habsburger stärker administrative und monarchische Integrationskonzepte verfolgten. Andererseits wurden beinahe zeitgleich die Habsburger in Westmitteleuropa (Burgund, Flandern) und in Spanien um 1500 zur mächtigsten Dynastie. Dies ermöglichte 1515 auf dem Wiener Fürstentag einen Ausgleich zwischen beiden rivalisierenden Familien. Anwesend waren in Pressburg und Wien Kaiser Maximilian und die Jagiellonen Sigismund I., König von Polen und Großfürst von Litauen, und Wladislaw II., König von Böhmen und Ungarn. Die Machtsphären wurden in symbolisch aufgeladenen Verhandlungen abgesteckt und durch gemeinsame Eheversprechen bestätigt, ein klassisches Mittel vormoderner Politik. Die Eheversprechen und ein Familienpakt sahen vor, dass die Jagiellonin Anna Ferdinand (I.), den Enkel Kaiser Maximilians und künft igen römischen König und Kaiser, heiraten sollte. Die Habsburgerin Maria wurde dagegen mit dem Jagiellonen Ludwig verheiratet, dem späteren König von Böhmen und Ungarn. Sollte eine der Familien – die Habsburger oder die Jagiellonen – aussterben, sollte die andere in das gesamte Erbe eintreten, eine Bestimmung, die allerdings durch den Wahlcharakter der ostmitteleuropäischen Monarchien wie auch der Kaiserwürde im römisch-deutschen Reich von Anfang an vor allem ein Postulat darstellen musste. Diese „Wiener Doppelhochzeit“, die 1515 zwischen den kindlichen Ehepartnern symbolisch vollzogen wurde, ist auf mehreren Darstellungen verewigt, unter anderem auf einem Holzschnitt Albrecht Dürers. Anwesend waren in Preßburg und Wien auch Vertreter verschiedener europäischer Großmächte, die Reichseliten, die habsburgischen und jagiellonischen hofnahen Eliten, aber auch humanistische Schriftsteller wie Johannes Dantiscus und Conrad Celtis, die die Doppelhochzeit in Versen festhielten. Der Wiener Fürstentag wurde so zu einem europäischen Ereignis der Bildkunst und humanistischen Dichtung, die neulateinischen Gelegenheitsgedichte und -werke wurden wiederholt gedruckt.63 63 Baczkowski, Krzysztof: Zjazd wiedeński 1515.
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Aufgelöst wurde dieses habsburgisch-jagiellonische Bündnis durch externes Geschehen, nämlich den Eroberungszug der Osmanen und die ungarische Niederlage in der Schlacht bei Mohács im Jahre 1526, in der auch der böhmisch-ungarische König Ludwig fiel. Die Liaison hatte jedoch insofern langfristige Folgen, als nun eine Jagiellonin Stammmutter aller österreichischen Habsburger wurde und in der Folge wiederholt habsburgische Prinzessinnen mit polnischen – in männlicher oder weiblicher Linie jagiellonischen – Herrschern verheiratet wurden. Zwischen der verzweigten Jagiellonenfamilie und dem Hochadel im Reich hatte es bereits zuvor einflussreiche Eheverbindungen gegeben: 1475 heiratete die jagiellonische Prinzessin Jadwiga (Hedwig) den Wittelsbacher Georg den Reichen. Diese in der Landshuter Residenz in Oberbayern gefeierte „Landshuter Hochzeit“ war bereits in ihrer Zeit als ausgesprochen prächtig bekannt und ist gut dokumentiert, insbesondere wegen der dort konsumierten Güter – so sollen 323 Ochsen, 490 Kälber, 969 Schweine und 3295 Schafe und Lämmer aus Anlass der Hochzeitsfeier serviert worden sein. Die „Landshuter Hochzeit“ ging als eines der glänzendsten höfischen Spektakel in die Geschichte des 15. Jahrhunderts ein, sie ist jedoch nur ein Ereignis von vielen in der Geschichte der Verbindungen zwischen dem deutschen und polnischen Hochadel in der Periode zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert. Jagiellonische Prinzessinen galten den deutschen Fürstenhäusern wegen ihrer königlichen Herkunft und des damit verbundenen, auch internationalen Prestiges als interessante Heiratskandidatinnen: Jagiellonenprinzessinnen wurden nach Franken, Sachsen, Pommern, Brandenburg und BraunschweigWolfenbüttel verheiratet, die habsburgischen Prinzessinen wiederum an den polnischen Königshof vergeben. Für die Jagiellonen waren die Hohenzollern, Welfen, Greifen und Wettiner wie auch die Habsburger Partner im Reich. Töchter König Kasimirs IV. heirateten Reichsfürsten: Sophia ehelichte 1479 Markgraf Friedrich IV. von Ansbach; Anna 1491 Bogislav V., Herzog von Pommern; Barbara 1496 Georg den Bärtigen von Sachsen; schließlich Elisabeth 1515 Friedrich II. von Liegnitz. Auch in der nächsten Generation wurden diese Eheverbindungen fortgesetzt. Mehrere Töchter König Sigismunds I. heirateten Reichsfürsten: Hedwig 1535 Joachim II., den Kurfürsten von Brandenburg, und Sophia 1556 Heinrich d. Jüngeren, den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel.64 Schließlich heiratete der letzte männliche Jagiellone Sigismund II. August Elisabeth und Katharina, zwei Töchter Kaiser Ferdinands, beide Ehen blieben jedoch kinderlos. Die Jagiellonen waren so mit fast allen wichtigeren Fürstenfamilien des Reichs verwandtschaft lich verbunden, die Habsburger wiederum die 64 Gąsior, Agnieszka: Dynastische Verbindungen der Jagiellonen mit den deutschen Fürsten häusern, in: Omilanowska, Małgorzata (Hrsg.): Tür an Tür, S. 212–217.
5. Dynastien, Adel und höfische Kulturen
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nächsten Verwandten der Jagiellonen. Die Hintergründe dieser wechselseitigen Heiratspolitiken sind in den Machtlogiken frühneuzeitlicher familiärer Dynastien zu suchen: Durch Eheverbindungen mit konkurrierenden Familien suchte man die eigenen Machtoptionen zu stärken und höfische Nachrichtenkanäle aufzubauen. Zudem bemühte man sich, über eigene familiäre Verbündete weitere Machtpositionen in der Region zu besetzen: Über eine „jagiellonische Partei“ versuchte die polnische Diplomatie Einfluss auf die Verhandlungen der Reichstage zu nehmen (→ S. 26), die Habsburger ihrerseits bauten eine eigene Partei auf dem Sejm auf. Insbesondere das habsburgische Experiment scheiterte allerdings vollkommen: Als 1575/76 der siebenbürgische Großfürst Stephan Báthory anstelle Kaiser Maximilians II. auf den polnischen Thron gewählt wurde, wurde im Folgenden die habsburgische Partei, in deren Zentrum die Familie Zborowski stand, vom polnischen Hofe entfernt und Samuel Zborowski 1584 nach Verschwörungsvorwürfen hingerichtet. Auch die nächste habsburgische Thronkandidatur Erzherzog Maximilians III., unterstützt durch eine militärische Expedition, scheiterte 1587. Maximilian wurde gefangengenommen, jahrelang inhaftiert und musste auf den polnischen Thron verzichten. Neben dieser machtpolitischen Seite besitzen die zahlreichen Ehen zwischen dem deutschen und polnischen Hochadel gerade im 16. Jahrhundert auch eine kulturgeschichtliche Dimension: Mit den Frauen zog in der Regel auch ein weiblicher Hofstaat, das so genannte „Frauenzimmer“, mit an den neuen Lebensmittelpunkt, in dem Sprache und kulturelle Praktiken aus der alten Heimat weiter gepflegt wurden. Die in Wolfenbüttel lebende Jagiellonin Sophie unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit ihrer Schwester in Berlin, mit dem Krakauer Hof und mit ihren Schwestern Isabella, die den ungarischen Thronprätendenten Johannes Zápolya geheiratet hatte und in Siebenbürgen lebte, sowie Katharina Jagiellonica, die als Ehefrau des schwedischen Königs Johann III. Wasa auf Schloss Gripsholm bei Stockholm und in Turku residierte. In der auf Polnisch, Lateinisch und Deutsch geführten umfangreichen Korrespondenz werden politische und persönliche Nachrichten mitgeteilt, über Ereignisse in der Familie, am Hof, über den Stand der Ernten, sowie Geschenke ausgetauscht.65 Sophie hinterließ eine Bibliothek, aus der noch heute Exemplare in Wolfenbüttel verfügbar sind.66
65 Teile der Korrespondenz der weiblichen Mitglieder der Jagiellonenfamilie sind ediert und kommentiert in: Przeździecki, Aleksander: Jagiellonki polskie w XVI. wieku. Obrazy rodziny i dworu Zygmunta I. i Zygmunta Augusta Królów polskich, 5 Bände, Kraków 1868–1878. 66 Pirożyński, Jan: Die Herzogin Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel aus dem Hause der Jagiellonen (1522–1575) und ihre Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschpolnischen Kulturbeziehungen in der Renaissancezeit, Wiesbaden 1992.
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I. Überblick
Zu den Eheverbindungen, die zwischen den Jagiellonen und deutschen Fürstenhäusern an der Wende zur Frühen Neuzeit gestiftet wurden, zählte auch die 1479 in Frankfurt an der Oder geschlossene Ehe des hohenzollernschen Markgrafen Friedrich mit Prinzessin Sophie. Diese Ehe eröff nete für die Hohenzollern weitere politische Perspektiven in Ostmitteleuropa und steigerte das Ansehen der international noch wenig eingeführten Familie. Die insgesamt 18 Kinder lernten mehrheitlich auch Polnisch, profitierten von der jagiellonisch-hohenzollernschen Zusammenarbeit und machten am ungarischen Jagiellonenhof in Buda, an den schlesischen Höfen im deutsch-polnischen Überlappungsraum oder in verschiedenen Funktionen im Deutschen Orden Karriere. Auf dem erhaltenen so genannten Markgrafen-Fenster in St. Sebald in Nürnberg ist die gesamte Familie dargestellt.67 Einer der Söhne aus dieser Verbindung, Albrecht von BrandenburgAnsbach (1490–1568), wurde 1511 zum letzten Hochmeister des Deutschen Ordens gewählt. Bei dieser Wahl spielte das Verwandtschaftsverhältnis zu den Jagiellonen eine wichtige Rolle. Der Orden versprach sich davon eine Entschärfung des konfliktbeladenen Verhältnisses zu den übermächtigen polnischen und litauischen Nachbarn. Dies gelang dem jungen Albrecht zunächst nicht, er verstrickte sich im Gegenteil in den Konflikt mit Polen und Litauen, der 1519–1521 im „Reiterkrieg“ mit unentschiedenem Ausgang ausgetragen wurde. Da jedoch der ressourcenarme Ordensstaat dem Druck auf Dauer nicht standhalten konnte, suchte Albrecht einen Ausweg und fand ihn in den neuen Modellen der Epoche. Er wandte sich der Reformation zu, säkularisierte 1523/25 den Ordensstaat und wandelte ihn zu einem polnischen Lehnsherzogtum um, das er 1525 von seinem Onkel Sigismund im Krakauer Vertrag und in einer Huldigung annahm (vgl. das Umschlagbild). Albrecht stieg so selbst zum ersten Herzog in Preußen und zum wichtigsten Lehnsnehmer der polnischen Krone auf. Als solche beanspruchten er und sein Sohn einen Sitz im Senat, der oberen Kammer des Sejms. Um diese in der polnischen Tradition „preußische Huldigung“ genannte Lehnsnahme entzündeten sich in der Rückschau umfangreiche Diskussionen: Hätte die polnische Politik nicht im 16. Jahrhundert versuchen sollen, das Herzogtum zu integrieren – so fragten sich polnische Patrioten des 19. Jahrhunderts, die hier einen Wendepunkt hin zu den Teilungen des späten 18. Jahrhunderts sahen. Der Krakauer Historienmaler Jan Matejko stellte 1880– 1882 die Lehnsnahme mit einem knienden Albrecht in einem öffentlichen 67 Gąsior, Agnieszka: Eine Jagiellonin als Reichsfürstin in Franken; Gerstmeier, Markus: Das „Markgrafenfenster“ der St. Sebaldkirche zu Nürnberg, in: Asche, Matthias u.a. (Hrsg.): Die baltischen Lande im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Münster 2012, Band 4, S. 40–56.
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Akt dar, eine fragwürdige und symbolistische Vision der Ereignisse aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts, bei der die Skepsis den dargestellten Personen ins Gesicht geschrieben ist; Matejko selbst übrigens verewigte sich in der Figur des in Gedanken versunkenen Hofnarren. Tatsächlich wissen wir nur, dass die Huldigung am 10. April auf dem Krakauer Markt stattfand, wie dieser Vorgang im Detail ablief, ist unbekannt.68 Herzog Albrecht arbeitete intensiv mit der polnischen Außenpolitik zusammen, denn nur so konnte er die Stellung des neuen Herzogtums gegen die entschiedene Gegnerschaft des Deutschen Ordens festigen. Er arrangierte auch die Ehe seines Cousins Joachim II., des brandenburgischen Kurfürsten, mit der Jagiellonin Hedwig, einer Tochter Sigismunds I. Zeitweise spielte er mit dem Gedanken, an der Spitze polnischer, litauischer und preußischer Truppen in einen Kreuzzug gegen die Osmanen zu ziehen, eine von ihm zusammengestellte, prunkvoll ausgeführte und Sigismund August dedizierte „Kriegsordnung“ sollte seine militärstrategischen und taktischen Fähigkeiten untermauern.69 In Königsberg begründete Albrecht eine fürstliche Hofhaltung, baute das Ordensschloss um und gründete 1544 die später nach ihm benannte Universität, die so genannte Albertina. Er unterhielt intensive Kontakte mit seinem Onkel Sigismund und seinem Cousin Sigismund August auf dem polnischen Königsthron. Sigismund August besuchte ihn mehrfach, die beiden tauschten Briefe, Denkschriften und Geschenke aus. Albrecht gerierte sich als Förderer des Protestantismus und der Künste, als Beispiel für seine Tätigkeit als Kulturmäzen kann seine „Silberbibliothek“ genannt werden – kostbare Bücher ließ er am Königsberger Hof mit Silberblech einschlagen.70 Die Königsberger Universität wurde zu einem Begegnungsort deutschsprachiger, polnisch- und litauischsprachiger Studierender. Polnische Protestanten studierten dort vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gern. In Königsberg entwickelte sich ein polnischsprachiger Buchdruck. Am Königsberger Hof und an der Universität hielt sich mehrfach Jan Kochanowski auf (1551/52, 1555), dessen Konfession zu diesem Zeitpunkt unbekannt ist. Kochanowski soll für Albrecht bei seinem Aufenthalt im Jahr 1555 Werke verfasst haben, die zusammen mit anderen geistlichen Liedern auch ins 68 Bogucka, Maria / Zernack, Klaus: Um die Säkularisation des Deutschen Ordens in Preußen. Die Krakauer Huldigung, Braunschweig 1996. 69 Die Kriegsordnung des Markgrafen zu Brandenburg Ansbach und Herzogs zu Preussen Albrecht des Älteren, Königsberg 1555, Faksimile und Kommentar, hrsg. von Hans-Jürgen Bömelburg, Bernhard Chiari und Michael Thomae, 2 Bände, Braunschweig 2006. 70 Tondel, Janusz: Srebrna Biblioteka księcia Albrechta Pruskiego i jego żony Anny Marii, Warszawa 1994. Teile der Bibliothek werden heute in der Universitätsbibliothek Thorn aufbewahrt.
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Deutsche übersetzt wurden und das deutsche wie das polnische Kirchenlied beeinflussten.71 In Königsberg hielten sich zwischen 1550 und 1620 auch zahlreiche weitere polnische Studierende protestantischer Konfessionen auf. Genannt seien nur der Schriftsteller und Reformator Erazm Gliczner oder der Jurist und Theologe Jan Niemojewski. Der Zugang für die mehrheitlich reformierten polnischen Studenten wurde schwieriger, als nach 1628 unter dem langjährigen Rektorat des polnischstämmigen Theologen und Orientalisten Celestin Myślenta an der Universität Königsberg ein orthodoxes Luthertum sich durchsetzte. Insgesamt entstand in Königsberg in der Regierungszeit Herzog Albrechts eine kulturelle deutsch-polnische Synthese im Zeichen des Protestantismus, die für zwei bis drei Generationen Humanisten, Theologen und Philologen ins östliche Preußenland holte und dort ein höfisches und kulturelles Zentrum entstehen ließ. Dies war nur möglich, weil in der Region ein Ausgleich gelang, der sich auf die gemeinsamen Interessen von Hohenzollern und Jagiellonen stützen konnte.72 Albrechts Sohn Albrecht Friedrich sprach hervorragend Polnisch und leistete 1569 in Lublin gegenüber Sigismund August den Lehnseid. Er versuchte, nach der Huldigung einen ständigen Sitz im polnisch-litauischen Senat des neuen Reichstags nach der Lubliner Union einzunehmen, wurde aber von der katholischen Partei daran gehindert. Infolge wachsender „Melancholie“ wurde er 1577 unter Kuratel gestellt, seine Ehe blieb kinderlos.73 Deshalb wurde 1608 als nächster männlicher Verwandter der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund mit dem Herzogtum Preußen mitbelehnt; 1618 wurde er als Herzog in Preußen bestätigt. Durch diesen dynastiegeschichtlichen Zufall kam es zur Verbindung des Kurfürstentums Brandenburg und des Herzogtums Preußen in Personalunion unter einem hohenzollernschen Herrscher, wobei zunächst die Residenz des Kurfürsten-Herzogs zwischen Berlin und Königsberg wechselte. Erst Georg Wilhelm, der „Große Kurfürst“, ließ sich nach 1648 dauerhaft in Berlin nieder. Aus dieser Personalunion entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert der brandenburgisch-preußische Staat (→ S. 97). Auch im preußischen Adel des späten 16. und 17. Jahrhunderts gab es intensive deutsch-polnische Verflechtungen. Teile des deutschsprachigen Adels besuchten Schulen im westlichen „polnischen Preußen“, lernten Polnisch und machten Karrieren im preußisch-polnischen
71 Fieguth, Rolf (Hrsg.): Jan Kochanowski – Joannes Cochanovius (1530–1584). Materialien des Freiburger Symposiums 1984, Freiburg Fribourg 1987. 72 Die Testamente Herzog Albrechts aus den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts, hrsg. von Almut Bues und Igor Kąkolewski, Wiesbaden 1999. 73 Kąkolewski, Igor: Melancholia władzy. Problem tyranii w europejskiej kulturze politycznej XVI stulecia, Warszawa 2007.
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Kontext (Familien Dohna, von der Groeben, Lehndorff, Schlieben). Umgekehrt lernte der polnischsprachige Adel Deutsch und besuchte deutschsprachige Gymnasien und Universitäten (Familien Działyński, Kos). Aus diesem gemischten Milieu stammten Persönlichkeiten der europäischen Kulturgeschichte. Genannt sei etwa Otto Friedrich von der Groeben, der in brandenburgischen und polnischen Diensten stand, im Auftrag des Großen Kurfürsten eine Guinea-Expedition leitete und dort eine – kurzzeitig bestehende – brandenburgische Kolonie gründete. Oder Gerhard Ahasverus Graf von Lehndorff, ein protestantischer Zögling des Jesuitenkollegs Braunsberg, tätig als brandenburgischer Rat, polnischer Kammerherr und dänischer General. Seine Frau erbaute das Gutshaus in Steinort inmitten der masurischen Seen, das gegenwärtig im Rahmen eines deutsch-polnischen Denkmalschutzprojektes wieder hergerichtet werden soll.74 Als Problem erwiesen sich nach 1650 allerdings die sich verschärfenden konfessionellen Konflikte: Protestanten wurden in Polen immer weniger akzeptiert, Katholiken hatten in Preußen fast keine Aufstiegschancen. Das führte dazu, dass diese gemischt katholisch-protestantischen und deutsch-polnischen Eliten sich immer stärker mit Vorwürfen mangelnder Loyalität oder sogar des Verrats auseinandersetzen mussten. Einen zweiten, ebenso bedeutenden und stärker international ausstrahlenden deutsch-polnischen Transferort stellte der Hof der polnischen Wasakönige in Krakau und Warschau (1586–1668) dar. Die schwedische Wasa-Dynastie erwarb durch die familiäre Verbindung in weiblicher Linie mit den Jagiellonen Einflüsse in Polen-Litauen. Der spätere König Sigismund (Zygmunt III.) wurde als Sohn von König Johann III. von Schweden und Katharina Jagiellonica, der Schwester des polnischen Königs Sigismund II. August, geboren. Sigismund III. wurde 1587 zum polnischen König gewählt und war selbst – wegen der Expektanz auf den polnischen Thron – von seiner Mutter katholisch erzogen wurden. Er wuchs jedoch in der deutschen Hofsprache auf, die in Schweden Bedeutung besaß. Sigismunds Stellung in Polen war kompliziert: Als schwedischer Thronfolger – er erbte die Königswürde dort 1592 nach dem Tod seines Vaters – und deutscher Muttersprachler wurde er in Polen in mancher Hinsicht als Ausländer angesehen. Auch die Ehen mit zwei Habsburgerprinzessinnen, Anna und Constanze von Österreich, trugen dazu bei, dass die Wasahofhaltung in Krakau und Warschau deutschsprachig waren. Als Sigismund wegen seiner katholischen Konfession 1598 in Schweden abgesetzt wurde, flohen katholische Schweden und Einwohner der Ostseeprovinzen ebenfalls an den Warschauer Wasahof. 74 Hosäus, Wilhelm: Der Oberburggraf Ahasverus von Lehndorff (1637–1688), Dessau 1868; www.deutsch-polnische-stift ung.de (15.04.2013).
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All dies führte dazu, dass der Hof Sigismunds, der in Polen-Litauen 45 Jahre regierte, eine internationale Struktur besaß. Er hatte – mit Ausnahme der Versammlungen zum Sejm und zu anderen Anlässen – mit etwa 300 Bediensteten ca. ein Viertel des Umfangs der größten zeitgenössischen Höfe in Paris oder Madrid, er war jedoch größer als die Höfe der deutschen Landesfürsten. Tätig waren dort auch zahlreiche deutschsprachige Hofbeamte, Kammerjunker und Künstler.75 Auch die Kinder Sigismunds – Karl Ferdinand amtierte als Bischof von Breslau, Anna Katharina heiratete Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg – besaßen intensive Kontakte zu deutschsprachigen Eliten. Die begrenzte Bedeutung des Polnischen am königlichen Hof und die starke Präsenz ausländischer Bediensteter lösten auch Kritik und Abwehr aus. Hinzu trat die Erziehung Sigismunds nach einer strengen Hofetikette, die dem Herrscher gebot, Distanz und Umsicht an den Tag zu legen, was auch als Steifheit und Hochmut gebrandmarkt werden konnte. „Jakie żeście nam nieme diable przywieźli“ – „Was habt Ihr uns da für einen stummen Teufel gebracht!“, soll der einflussreiche Kanzler Jan Zamoyski auf die Bekanntschaft mit Sigismund reagiert haben – ein Diktum, das sich unter den polnischen Eliten rasch verbreitete. Auch die als „deutsch“ wahrgenommene Habsburgermonarchie mit den habsburgischen Königinnen in Warschau im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert wurde von polnischer Seite aus zunehmend kritisch gesehen: Die Habsburger drängten freiheitlich-ständische Einflüsse zurück (Böhmen, Ungarn), sie seien „stolz“ und „hochmütig“ und forderten für sich ein absolutum dominium, eine unumschränkte Herrschaft ein, so die in der polnischen adligen Öffentlichkeit verbreiteten Vorwürfe. Auch aus diesem Grunde scheiterten alle habsburgischen Kandidaturen um den polnischen Königsthron in der Frühen Neuzeit (1572/73, 1575, 1586), einen „hochmütigen Deutschen“ (pyszny Niemiec), der überdies noch zu einer strengen frühabsolutistischen Hofettikette neigte, wollten die freiheitlich orientierten ständischen Eliten in Polen-Litauen nicht auf dem Königsthron sehen. Unter dem Einfluss dieses negativen Habsburger-Bildes und des teilweise deutschen höfischen Umfelds in Warschau wuchs unter polnischen Publizisten eine Frontstellung gegen die als fremd wahrgenommenen Habsburger und Wasa. Sicherlich spielt bei dieser scharfen Kritik auch eine Elitenkonkurrenz eine Rolle. Deutschsprachige Adelseliten hatten unter Sigismund III. gute Chancen, politische Karrieren zu machen. In diesen Bereich gehört die bemerkenswerte Karriere der livländischen, deutschsprachigen Familie der DönhoffDenhofs, die mit der schwedischen Eroberung Livlands ihre dortigen Güter weitgehend verloren hatte. Am Hof in Warschau waren die Dönhoffs in der 75 Leitsch, Walter: Das Leben am Hof König Sigismund III. von Polen.
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ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch Kaspar Dönhoff vertreten, der zu einem der engsten Vertrauten Sigismunds wurde. Die unter den ersten beiden Wasakönigen in der privaten Sphäre des Hofes vorherrschende deutsche Sprache erleichterte Adaptation und Aufstieg. Erst nach 1645 – nach der Ankunft der Königin Ludwika Maria (im Deutschen Luisa Maria) Gonzaga – wurde der Wasahof französischsprachig.76 Bis dahin konnte der deutsch- und polnisch-, nicht aber französischsprachige Kaspar wiederholt zwischen monarchischen Wünschen, privaten Hofinteressen, öffentlichen Funktionsträgern und dem polnisch-litauischen Adel vermitteln. Allmählich stieg er am Hofe vom Königlichen Kammerherrn zum (titularischen) Woiwoden von Dorpat (1627) sowie schließlich zum Woiwoden von Sieradz (1634) auf, erwarb durch die Verleihung von acht Starosteien beträchtliche Einnahmequellen und ein umfangreiches Privatvermögen und wurde durch den Kaiser auf Bitten des polnischen Königs in den erblichen Reichsfürstenstand erhoben. Insbesondere in den letzten fünf Regierungsjahren Sigismunds III. besaß Kaspar als königlicher Vertrauter Einfluss auf die monarchische Politik. Nach Kaspars Tod 1645 übernahm dessen Großneffe Teodor als Königlicher Kammerherr die Funktion eines am Warschauer Hofe residierenden Familienmitglieds. Dessen Frau Katharina Franziska besaß als Hofdame der Königin Ludwika Maria – und nach deren Tod als Geliebte Königs Johann Kasimir Wasa – ebenfalls Einflüsse am Warschauer Hof. Aufstiegswege der Familie Dönhoff-Denhof in Polen-Litauen verliefen auch als Militärkarrieren. Von den 1580er Jahren bis zum frühen 18. Jahrhundert nahmen männliche Familienmitglieder an fast allen Einsätzen polnisch-litauischer Armeen teil. Dabei engagierten sich die Dönhoffs als Militärunternehmer an der Spitze eigener Infanterie- oder Kavallerieeinheiten: An der Belagerung von Smolensk 1617 nahm ein „Herr Dinolf [wahrscheinlich Theodor Dönhoff ] mit 200 Reitern und 600 Mann deutschen Fußvolks“ teil.77 Hermann Dönhoff fiel 1620 bei Cecora gegen osmanische Truppen,78 seine Brüder Magnus Ernst und Gerhard nahmen 1621 an der Schlacht von Chocim gegen die Osmanen teil. Henryk (Heinrich) Dönhoff, Oberst des Kronheeres auf ausländischem Fuß, gilt als einer der herausragenden polnischen Militärs des 17. Jahrhunderts. 76 Bömelburg, Hans-Jürgen: Die Dönhoffs. Der Aufstieg der Familie in Ostmitteleuropa vom Mittelalter bis zum frühen 18. Jahrhundert, in: Heck, Kilian / Thielemann, Christian (Hrsg.): Friedrichstein. Das Schloß der Grafen von Dönhoff in Ostpreußen, München / Berlin 2006, S. 12–29. 77 Ossoliński, Zbigniew: Pamiętnik. Bearbeitet von Jan Długosz, Warszawa 1983, S. 95. 78 „1620 im Monat October bey Ceycora wider den Feind der Christenheit, den Türken und Tataren rittermäßig streitend, mit vielen Wunden sein Leben tapfer geendet.“ Handschrift liche Aufzeichnungen Gerhard Dönhoffs (1632–1685) (Kopie), Familienarchiv Dönhoff, Wissen an der Sieg, Nr. 24, Bl. 6.
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Diese militärischen Karrieren stützten sich durch das gesamte 17. Jahrhundert auf spezifische Faktoren. Durch ihre Ausbildung und die Kavaliersreisen in die Niederlande besaßen die Dönhoffs militärisches Fachwissen, das neben den in Polen-Litauen verbreiteten Kenntnissen in der Führung von Kavallerieeinheiten auch eher rar gesäte Kenntnisse im Festungsbau, im Artillerie- und Belagerungswesen sowie in der Anwerbung und logistischen Versorgung von Truppeneinheiten umfasste. Die Herkunft aus Kurland und die deutschen Sprachkenntnisse erleichterten den Zugang zu dem rund um die Ostsee ansässigen Kleinadel (eine Quelle für den Offiziersnachwuchs) wie zum deutschen Söldnermarkt. Das mehrheitlich reformierte Bekenntnis der Dönhoffs begünstigte den Erwerb von militärischem Spezialwissen, das vor allem über die Niederlande und calvinistische Militäreliten (Niederländer, Schotten, Hugenotten) im nördlichen Ostmitteleuropa Verbreitung fand. Schließlich akzeptierten diese Militäreliten die Dönhoffs als Führer. In ihrem Habitus passten sich die polnisch-litauischen Dönhoffs dem sarmatischen Lebensstil an, mit dem sich der Adel – mythologisierend – auf das antike Reitervolk der Sarmaten bezog: Sie ließen sich, wie etwa Stanisław Ernst, in „sarmatischer Tracht“ mit kahlgeschorenem Kopf darstellen – überliefert auf einem Gemälde, das ihn mit der Familie Sieniawski zeigt, heute zu sehen im Warschauer Schloss Wilanów. Auch in der deutsch-polnischen Kontaktzone in Pommern und Schlesien entwickelte sich in der Frühen Neuzeit eine gemischte, deutsche und polnische Einflüsse verbindende Hofkultur. Kunsthistorisch und literarisch gut belegt ist zum Beispiel die Einbettung polnischer Traditionen in ein deutschsprachiges Umfeld bei den schlesischen Piasten.79 Als 1675 mit dem 15-jährigen Herzog Georg Wilhelm von Liegnitz, Brieg und Wohlau der letzte männliche Piast starb, hieß es in einer öffentlichen Gedenkschrift Daniel Caspar von Lohensteins: „Mit unserm Fürsten aber / leider! ist die Wurtzel des gantzen Fürstlichen Stammbaums ausgerissen! Das gantze Pyastische Fürsten-Haus ist in Staub verfallen [...]. Dieser Neun Hundert Jahr gewachsene und ein gut Theil Europens anehmlich überschattende Baum ist [...] umbgehauen. Das Königliche Geschlechte ist außgestorben / welches denen / Könige zu wählen / nicht zu empfangen gewohnten Sarmatern / Sechs Hundert Jahr fürtreffliche Könige / dem Lande Schlesien über Acht Hundert Jahr Lob-würdige Fürsten gegeben.“80 79 Bahlcke, Joachim: Deutsche Kultur mit polnischen Traditionen, in: Weber, Matthias (Hrsg.): Deutschlands Osten – Polens Westen, S. 83–111. 80 Daniel Caspar von Lohenstein: Lob-Schrifft / Deß Weyland Durchlauchtigen Fürsten und Herrn/ Herrn George Wilhelms/ Hertzogens in Schlesien/ zu Liegnitz/ Brieg und Wohlau/ Christ-mildesten Andenckens, Brieg 1676.
5. Dynastien, Adel und höfische Kulturen
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Abb. 1. Anonym, um 1724: Bildnis von Stanisław Ernst Denhof (erster von links) mit seiner Ehefrau Maria Sieniawska (erste von rechts) und den Schwiegereltern. Die Männer tragen die klassische polnische Nationaltracht, die Frauen sind nach westeuropäischer Mode gekleidet.
Erkennbar ist hier, wie stark die gemeinsame deutsch-polnische Vergangenheit als Legitimationsinstrument für die Herrschaft der Familie in Schlesien und als Distinktionsmerkmal eingesetzt wurde. Über den letzten männlichen Nachkommen der schlesischen Piasten berichtete der Chronist Friedrich Lucae, dass er „von Natur der polnischen Nation affectioniret“ gewesen sei. Joachim Bahlcke, der sich mit der piastischen Hofkultur beschäft igte, stellte fest: „Liest man die ‚Lob-Schrifft‘ Lohensteins und die Würdigungen anderer schlesischer Dichter, so drängt sich das Bild einer langjährigen friedlichen Symbiose der polnischen und deutschen Geschichte in Schlesien auf.“81 Ganz anders dagegen wurde diese Symbiose in der populären deutschsprachigen Belletristik des 19. Jahrhunderts dargestellt, etwa in Gustav Freytags vielgelesenen »Bildern aus der deutschen Vergangenheit« (1859–1867) oder dem als Konfirmationsgeschenk in mehreren Hunderttausend Exemplaren in 81 Bahlcke, Joachim: Deutsche Kultur mit polnischen Traditionen, in: Weber, Matthias (Hrsg.): Deutschlands Osten – Polens Westen, S. 85.
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deutschen Familien verbreiteten Roman »Soll und Haben« (1855). Die deutschpolnische Geschichte Schlesiens erschien nun im nationalen Zeitalter als eine Konfliktgeschichte, die Piastenfamilie wurde abgewertet beziehungsweise ihre polnische kulturelle Tradition und Geschichtspflege verschwiegen. Tatsächlich regierten die Piasten seit dem Hochmittelalter in verschiedenen Linien zahlreiche schlesische Fürstentümer; in der Frühen Neuzeit waren noch die Liegnitzer, Oppelner und Teschener Piasten übriggeblieben, die sich dem protestantischen Bekenntnis zuwandten, deshalb auch zur deutschen Sprache übergingen, sich aber den katholischen Habsburgern als den schlesischen Landesherren unterordnen mussten. Sie wahrten dennoch ihr Selbstverständnis als Piasti, Polonorum regum nepotes, als „Piasten, Nachkommen der polnischen Könige“, und pflegten an ihren Fürstenhöfen polnische Traditionen. 1572 kandidierte der Liegnitzer Herzog Heinrich XI. erfolglos für den polnischen Thron. Zugleich waren die Piasten Adressaten einer polnischen Schlesienpolitik. Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert gab es immer wieder Bestrebungen, Schlesien als sarmatisches Land und die Schlesier als sarmatische Brüder einzugliedern. Die Fassadengestaltung des Brieger Piastenschlosses und des Torhauses knüpfte mit der Darstellung der königlichen Vorfahren an die polnische Familientradition an. In historischen Werken und Theaterstücken wurde am Hof der schlesischen Piasten an die eigene, polnisch-deutsche Vergangenheit erinnert. Das von Andreas Gryphius 1660 verfasste Lust- und Gesangspiel »Piastus« beschreibt die Absetzung des grausamen Tyrannen Popiel, über den ebenfalls die Wandersage kursierte, er sei von Mäusen aufgefressen worden, und ließ die Einsetzung der guten Piasten folgen – polnische und deutsche Mythologie wurden so eng miteinander verwoben. Vergleicht man die schlesischen Piasten mit dem pommerschen Fürstenhaus der Greifen (ausgestorben 1637 mit Bogislav XIV.), so beriefen sich Letztere in ihrer Namengebung – die männlichen regierenden Familienmitglieder nannten sich durchweg „Bogislav“ – ebenfalls auf slawische, kaum aber auf polnische Wurzeln und Verbindungen. Auch hier gibt es eine Memoria, die aber nur teilweise auf die polnische Geschichte abhebt, stärker akzentuiert wird eine Herkunft, die die Herrscher als „einheimische“ und „slawische“ legitimieren soll. In der deutsch-polnischen Kontaktzone waren im 17. und 18. Jahrhundert in der Adelskultur Sargporträts weit verbreitet. Dabei handelt es sich um von anonymen Meistern, Wandermalern oder ganzen Malerzünften erstellte Porträts Verstorbener, die an der Kopfseite der Särge angebracht wurden und deshalb eine charakteristische fünf-, sechs- oder achteckige Gestalt besaßen. Nach dem Tod der Porträtierten gemalt, stellten sie die jeweilige Person (die Schultern sind meist nur angedeutet) in einer realistischen und auf Wiedererkennung abzielenden Form dar.
5. Dynastien, Adel und höfische Kulturen
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Abb. 2. Sargporträts von Alexander Unrug (1638-1668) und Christopher Unrug (1666–1723), lutherischen Adligen deutscher Herkunft . Die auf den Särgen angebrachten Bilder stellten ein herausragendes Element adliger Begräbnisriten in Polen dar. Während Alexander westeuropäisch gekleidet ist, wurde Christopher in „sarmatischem“ Gewand abgebildet.
Diese Sargporträts existierten in ganz Polen-Litauen, sie sind jedoch in dieser Häufung nur aus dem westlichen Großpolen überliefert, weil hier die Produktion besonders groß war. Verbreitet waren sie sowohl unter dem katholischen, dem unierten als auch unter dem lutherischen Adel. Die größte erhaltene Sammlung befindet sich in Meseritz (Międzyrzecz, 60 km östlich von Frankfurt/Oder), in der Grenzregion zwischen Großpolen und der Neumark. Dargestellt sind viele adlige Männer und Frauen aus den Familien von Prittwitz, von Unruh-Unrug u.a.82 Die Übernahme dieser Darstellungsform auch durch den lutherischen deutschsprachigen Adel wird in der Forschung als ein Beleg für die Attraktivität polnischer „sarmatischer“ Kulturmuster gesehen. Die starke Verbreitung in Großpolen kann auch durch die gerade in dieser Region sehr häufig auftretenden Maler und Malerzünfte erklärt werden. Die Porträts wurden bei den aufwändig inszenierten Begräbnisfeiern, die oft viele Wochen nach dem Tod stattfanden, zusammen mit dem Wappen am Sarg befestigt und auf einem castrum doloris (Trauerlager) aufgestellt. Die ältere Forschung ging davon aus, dass die Sargporträts nach der Beisetzung in 82 Die größte Ausstellung zu dem Thema fand in Poznań statt: Dziubkowa, Joanna (Hrsg.): Vanitas. Portret trumienny na tle sarmackich obyczajów pogrzebowych, Poznań 1996; Beispiele außerdem in: Omilanowska, Małgorzata (Hrsg.): Tür an Tür.
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den Kirchen aufgehängt wurden, gegenwärtig wird angenommen, dass sie in den leeren Familiengrüften als Familien- oder Ahnengalerie aufbewahrt und erst nach Instandhaltungsarbeiten im 19. Jahrhundert im Kircheninnern angebracht wurden,83 wo sie heute – sofern sie nicht in Museen gelangten – erhalten sind.
83 Kizik, Edmund: Śmierć w mieście hanzeatyckim w XV–XVIII w., S. 104 f.
6. Die sächsisch-polnische Union
Ein gesondertes Kapitel einer dynastisch-höfischen, aber auch einer gesellschaft lich-intellektuellen deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte bildet die zwischen 1697 und 1763 bestehende sächsisch-polnische Personalunion. Die sächsischen Kurfürsten wurden als August II. „der Starke“ und als August III. 1697 bzw. 1733 – parallel zu einem anderen Kandidaten – zu Königen von Polen-Litauen gewählt, konnten sich, gestützt auf sächsische (1697) bzw. russische Truppen (1733), politisch-militärisch durchsetzen und regierten die Territorien in Personalunion. In beiden Herrschaftsbereichen blieben die Institutionen bestehen, es gab keine verfassungsrechtlichen Verbindungen. Die Wettiner entwickelten im Kurfürstentum Sachsen und in Polen-Litauen jeweils einen Hof und eine Residenzarchitektur und versuchten trotz der verfassungsrechtlich getrennten Staatlichkeiten, die beiden Verbände einander anzunähern und wirtschaft liche wie administrative Synergien zum Zwecke der Herrschaftsstabilisierung und -erweiterung umzusetzen.84 August II. (als sächsischer Herrscher Friedrich August I.), der durch seine höfische Prachtentfaltung, eine instrumentell-zynische Macht- und Religionspolitik und eine riskante Diplomatie als eine der schillerndsten und umstrittensten Herrscherfiguren Europas gilt, konvertierte zunächst heimlich und dann 1697 öffentlich im Marienheiligtum in Deutsch-Piekar in Schlesien zum Katholizismus. Er hielt sich nach seiner Wahl häufig in Polen auf und entfesselte im Bündnis mit Russland und Dänemark den Großen Nordischen Krieg gegen Schweden (1700– 1721), der für Sachsen-Polen in die militärische Katastrophe führte. August II. verzichtete 1706 zugunsten des von Schweden unterstützten Gegenkönigs Stanisław Leszczyński auf die polnische Krone und zog sich nach Sachsen zurück. Nach der schwedischen Niederlage bei Poltava (1709) gewann er den polnischen Thron zurück, provozierte aber durch seine Machtpolitik mit Hilfe der sächsischen Armee polnischen Widerstand und bündische Zusammenschlüsse, die erst durch ein russisches Machtwort 1717 aufgelöst wurden. Nach einem friedlicheren letzten Regierungsjahrzehnt starb August in Warschau, sein Leichnam wurde in Krakau auf dem Wawel, sein Herz in Dresden beigesetzt.85 84 Rexheuser, Rex (Hrsg.): Die Personalunionen von Sachsen-Polen 1697–1763 und Hannover-England 1714–1837; Ausstellungskatalog: Unter einer Krone. 85 Es fehlt eine wissenschaft liche, Polen und Sachsen berücksichtigende Biographie. Am ausgewogensten: Staszewski, Jacek: August II Mocny, Wrocław 1998; in Bezug auf Polen
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Sein Sohn August III. (als sächsischer Herrscher Friedrich August II.) führte eine deutlich maßvollere und stetigere Politik, die vor allem eine Zusammenarbeit mit Russland anstrebte und von zwei langjährigen Favoriten, Aleksander Józef Sułkowski und Heinrich von Brühl, geleitet wurde.86 Die Außenpolitik Polen-Sachsens scheiterte an der erfolgreichen Kriegspolitik Preußens unter Friedrich II. August III. verbrachte die meiste Zeit in Dresden, lebte allerdings während des Siebenjährigen Krieges 1756–1763 mit seinem Hof in Warschau.87 Der Gegenspieler der Wettiner, der zweimal (1704–1708, 1733) gescheiterte polnische Gegenkönig Stanisław Leszczyński, ließ sich nach 1735 in Lothringen nieder. Unterstützt von seinem Schwiegersohn, dem französischen König Ludwig XV., wurde er mit der Verwaltung des Herzogtums Lothringen betraut und gründete in Nancy und Lunéville repräsentative Residenzen mit einer Hofhaltung, in der er adlige wie bürgerliche Kräfte um sich versammelte. Leszczyński ist bis heute in der Innenstadt von Nancy mit Straßennamen und Denkmälern präsent, als letzter lothringischer Herzog – die Provinz wurde anschließend Frankreich eingegliedert – spielt er in der regionalen Memoria bis heute eine wichtige Rolle. Seinen Hof errichtete er in der benachbarten Kleinstadt Lunéville, die bis heute vom „lothringischen Versailles“ der Palastanlage dominiert wird. Formal war Leszczyński als Herzog von Lothringen ein Fürst des Alten Reichs, er versammelte an seinem französischsprachigen Hof eine mitteleuropäische Adels- und Bürgergesellschaft, unter der auch der Reichsadel vertreten war.88 Einen langjährigen Briefaustausch gab es zwischen ihm und Friedrich II., der Leszczyński als aufgeklärten und gebildeten Herrscher schätzte.89 Doch zurück zur polnisch-sächsischen Union: Die unterschiedliche Größe beider Territorien – das Kurfürstentum Sachsen umfasste nur 5% der Fläche Polen-Litauens – bildete kein Problem, im Gegenteil – das wirtschaft lich entwickelte Sachsen mit seinen Manufakturen und Messen konnte im Idealfall Lösungen und Personal für eine administrative Modernisierung in PolenLitauen bereitstellen, so die von den Herrschern avisierte Lösung. Wirtschaftliche Synergien standen von Anfang an im Zentrum der Pläne der sächsischen
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unzureichend: Czok, Karl: August der Starke und seine Zeit. Kurfürst von Sachsen, König in Polen, München / Zürich 2006. Philipp, Albrecht: Sułkowski und Brühl und die Entstehung des Premierministeramtes in Kursachsen, Dresden 1920; Perłakowski, Adam: Kariera i upadek królewskiego faworyta. Aleksander Józef Sułkowski w latach 1695–1738, Kraków 2013. Staszewski, Jacek: August III. Muratori-Philip, Anne: Stanislas Leszczynski: Aventurier, philosophe et mécène des Lumières, Paris 2005. Correspondance de Stanislas Leszczynski avec Frédéric-Guillaume Ier et Frédéric II, hrsg. von Pierre Boyé, Paris / Nancy 1906.
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Könige. Verschiedene Entwürfe, „um Polen in Flohr“ zu setzen, bemühten sich seit 1698, die sächsische Gewerbeproduktion mit polnischen Rohprodukten und Rohstoffen zusammenzubringen. Sächsische Merkantilisten wie Paul Jacob Marperger formulierten in Wirtschaftstraktaten: „Wir haben aber in einem gewissen Projekt gewiesen, wie das Churfürstenthum Sachsen dermahlen, da sein allergnädigster Landesvater den Pohlnischen Thron besitzet / reciproce mit Polen, die Handlung daselbst besser nutzen, ja selbige gar zu einem gedeihlichen Stapel biß in Persien erstrecken könnte.“90 Ein stärkeres Problem stellte das Fehlen einer gemeinsamen Grenze dar – beide Territorien waren zunächst durch habsburgische, nach 1740 durch brandenburg-preußische Territorien in Schlesien bzw. der Lausitz getrennt und somit einer einseitigen Zollpolitik ausgeliefert. Während mit den habsburgischen Behörden noch Zolltarife auszuhandeln waren, erwies sich dies nach 1740 als nahezu unmöglich, da Brandenburg-Preußen an einer maximalen fiskalischen Abschöpfung der Nachbarn interessiert war und in Sachsen-Polen einen politischen Konkurrenten sah, dem es zu schaden galt. Leipzig entwickelte sich zu einer Handelsdrehscheibe. Marperger bemerkte, dass man in Leipzig „viel Polnisch Leder, Wachs, Lamm, Wolle, Juchten, etwas von Levantischen, Türkischen / und Ukrainischen Waren (welche sonderlich die polnischen Juden mitbringen)“ finde.91 Es wurde versucht, in PolenLitauen einen Absatzmarkt für sächsische Halb- oder Fertigprodukte zu schaffen, umgekehrt die sächsische Produktion durch Importe aus Polen-Litauen auszubauen. Sächsische Ingenieure sollten das Bergwerkswesen in Polen reformieren. Wirtschaft liche Impulse kamen aus den höfischen Zentren und Metropolen in Dresden, Warschau und Leipzig: Die Nachfrage der wachsenden Städte nach Luxusprodukten führte zur Entstehung von Manufakturen, die für Städte und Residenzen produzierten. Zudem versuchte die monarchische Verwaltung in Polen, durch eine stärker rationalisierte und bürokratisierte Güterverwaltung die Erträge der Tafelgüter und königlichen Domänen zu steigern. Administrativ erfahrene polnische und sächsische Beamte standen an der Spitze der so genannten „sächsischen Kammer“ (kamera saska), die durch Ausschaltung von Zwischenpächtern und die Einführung von Zinsverträgen die Erträge zu steigern versuchte.
90 Marperger, Paul Jacob: Abriß der Commercien und Manufacturen des Churfürstenthum Sachsens und seiner incorporirten Länder: sonderlich aber der Intention welche Se. Königliche Maj. in Pohlen [...] besagte, Commercia [...] in Aufnehmen zu bringen, biss hierher [...] geführet haben, Dresden 1718 [unpaginiert], zugänglich http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/content/pageview/10564 (19.04.2013). 91 ebd.
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Trotz Indigenatsgeboten – nur „Einheimische“ sollten in den jeweiligen staatlichen Ämtern ernannt werden – gelangten Sachsen in hohe polnische und Polen bzw. Litauer in hohe sächsische Ämter: In Polen bekleidete der sächsische Minister Jacob Heinrich Graf von Flemming wichtige Missionen, er war in erster Ehe mit der Gräfin Franciszka Sapieha verheiratet, dann mit der Tochter des litauischen Großkanzlers, Tekla Radziwiłł. Flemming verband eine enge politische Zusammenarbeit mit Jan Jerzy Przebendowski (1638–1729), beide Politiker stammten aus dem pommerschen-polnischen Grenzgebiet. Die Flemmings und Przebendowskis bauten eine Klientel in Polen-Litauen auf, indem sie Positionen in der Finanzverwaltung besetzten und in wichtige Familien (Sapieha, Radziwiłł, Czartoryski) einheirateten.92 Dresden und Warschau lagen weit voneinander entfernt und eine Abstimmung der politischen Ziele zwischen beiden Metropolen war schwierig. Zwar versuchten die Sachsenkönige, die Verbindungen durch eine tägliche Eilpost zu verbessern, doch waren die Entfernungen mit den verkehrstechnischen Mitteln des 18. Jahrhunderts nicht leicht zu überwinden. Die sächsischen Könige bemühten sich deshalb auch, in Westpolen bzw. in Ostsachsen/Lausitz neue Machtzentren zu schaffen, denn polnische Verfassungsgrundsätze schrieben dem Monarchen vor, dass Beschlüsse in polnischen Angelegenheiten nur vom eigenen Staatsterritorium aus getroffen werden durften. In günstiger Lage an der Poststrecke zwischen Warschau und Dresden fanden sich Städte wie Lissa und Fraustadt (Wschowa), in denen teilweise staatliche Institutionen zusammentraten. Parallel entstand eine Residenzlandschaft auf beiden Seiten der Grenze: In Reisen (Rydzyna) residierte die Familie Sułkowski, insbesondere der zeitweilige Favorit Augusts III. Józef Aleksander Sułkowski. Auf sächsischer Seite ließ in Pförten (Brody) Heinrich Graf Brühl eine Residenzanlage errichten. Durch die intensiven ökonomischen und politischen Kontakte zwischen sächsischen und polnischen Eliten kam es unter Intellektuellen, Schriftstellern und Publizisten gleichfalls zu Austausch- und Transferprozessen, über die insbesondere frühaufk lärerische Vorstellungen sich verbreiteten. Während im deutschsprachigen Kontext Tendenzen einer Aufk lärung seit dem frühen 18. 92 Zielińska, Teresa: Feldmarszałek Jakub Henryk Flemming w środowiskach magnatów polskich, in: Bartkiewicz, Kazimierz (Hrsg.): Polska-Saksonia w czasach unii (1697–1763). Próba nowego spojrzenia, Zielona Góra 1998, S. 115–128. Die umfangreiche Korrespondenz Przebendowskis wird gegenwärtig ediert: Listy Jana Jerzego Przebendowskiego podskarbiego wielkiego koronnego do Adama Mikołaja Sieniawskiego wojewody bełskiego i hetmana wielkiego koronnego z lat 1704–1725, hrsg. von Adam Perłakowski, Kraków 2007; Listy Jana Jerzego Przebendowskiego podskarbiego wielkiego koronnego do Jana Szembeka podkanclerzego i kanclerza wielkiego koronnego z lat 1711–1728, hrsg. von Adam Perłakowski, Kraków 2010.
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Jahrhundert zu wirken begannen, kamen solche Prozesse in Polen erst im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts allmählich in Schwung. Sächsisch-polnische Verbindungen beförderten dies, wobei sich allerdings die deutschen und polnischen Aufk lärungstraditionen erheblich unterschieden.93 Hinzuweisen ist hier auf die Entwicklung von Zeitschriften, die den allgemeinen und wachsenden Informationsbedarf zu decken suchten. Bereits mit der Anbahnung der Union erschienen erste kurzlebige Zeitschriften – so im August 1697 in Breslau der »Polnische Mercurius«, Anfang 1698 der wohl in Warschau oder Krakau gedruckte »Mercurius Polonicus« –, die zunächst vor allem an deutschsprachige Leser adressiert waren, die über polnische Angelegenheiten informiert werden wollten. Im zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts wurden in Danzig und Thorn gelehrte Zeitschriften aus den Bereichen Geschichte, Recht, Literatur und Naturwissenschaften verlegt, die deutsche Vorbilder aufgriffen. 1718/19 gab der Danziger Jurist und Historiker Gottfried Lengnich zehn Hefte seiner »Polnischen Bibliothek« heraus, versehen mit dem Vermerk, sie seien erschienen „zu Tannenberg, wo Vladislaus Jagyello die Creutz-Herren schlug“. Lengnich wurde erst durch Adam Naruszewicz als der wichtigste polnische Historiker abgelöst und spielt in der historiographischen Tradition eine bedeutende Rolle. Beinahe zeitgleich gab in Thorn Georg Peter Schultz die Wochenschrift »Das gelehrte Preussen« (1722–1724) heraus, in der auch Autoren von außerhalb der Thorner Stadtgrenzen publizierten, weiterhin dann 1728–1730 den »Preußischen Todes-Tempel«, der an die damals in Mode gekommenen Gespräche aus dem Jenseits anknüpfte. 1733/4 erschien unter Schultz’ Redaktion zwei Mal wöchentlich »Neues aus der Welt«, die erste Thorner Zeitung.94 Parallel gab Petrus Jaenichius ab 1726 die »Melethemata Thorunenia« heraus. Seit den 1730er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt des polnischen gelehrten Zeitschriftenwesens nach Warschau, wo polnisch-sächsische Zirkel eine Infrastruktur schufen und Publikationen verlegten. Auch ein Produkt dieser engen wirtschaft lich-kommunikativ-wissenschaft lichen Beziehungen ist das Zedlersche »Universal-Lexicon«, ein verlegerisches Großprojekt, das zwischen 1732 und 1754 in Leipzig in 64 Bänden und weiteren vier Supplementbänden erschien und das Wissen der zeitgenössischen Welt versammelte. Im deutschpolnischen Kontext ist das in deutscher Sprache erscheinende Zedlersche 93 Bal, Karol u.a. (Hrsg.): Frühaufk lärung in Deutschland und Polen; insbesondere zu den Differenzen der Formierung: Cieński, Marek: Formacja oświeceniowa w literaturze Polski i Niemiec, Warszawa 1992. 94 Salmonowicz, Stanisław: U progu Oświecenia w Toruniu. Jerzy Piotr Schultz (1680– 1748), historyk i politolog, in: Wiek Oświecenia (1978), S. 53–88.
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»Universal-Lexicon« auch deshalb einzigartig, weil es sowohl durch die Mitarbeit sächsischer Autoren, die Polen-Litauen gut kannten, als auch durch Beiträge polnischer Autoren ein umfangreiches Wissen über Polen-Litauen vermittelte. Die ausgesprochen fundierten Artikel zu Realia in Polen verbreiteten Kenntnisse über den östlichen Nachbarn im deutschen Sprachraum. Ein Programm zur Erneuerung der Wissenschaften in Polen entwarf Józef Andrzej Załuski 1728 erstmals in der Leipziger Zeitschrift »Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen« (1732 ins Polnische übersetzt, 1743 in Danzig ins Lateinische). Załuski setzte dieses Programm zusammen mit seinem Bruder Andrzej Stanisław in den 1740er und 1750er Jahren in Warschau um. Beide stützten sich dabei auf die internationale, 1747 gegründete und von beiden Mäzenen unterhaltene Załuski-Bibliothek, die erste moderne und für die Öffentlichkeit zugängliche Warschauer Bibliothek, sowie auf Kontakte mit deutsch- und französischsprachigen Gelehrten. Insbesondere fanden die Lehren des Hallenser Gelehrten Christian Wolff in Polen Interesse, die über sächsische, nach Warschau einwandernde Publizisten popularisiert wurden.95 Zu diesem Personenkreis zählten Johann Daniel Janocki-Jähnisch, Bibliothekar an der Załuski-Bibliothek, der Publizist und Übersetzer Christian Gottlieb Friese, der Drucker und Verleger Michael Gröll und der aus Leipzig stammende Arzt, Schriftsteller, Übersetzer und Publizist Lorenz Christoph Mizler de Kolof, ein Schüler des Aufk lärers Wolff.96 Im Folgenden sollen exemplarisch Mizler und Gröll vorgestellt werden. Mizler zählte bereits in Leipzig, wo er an der Gründung der Correspondierenden Societät der musicalischen Wissenschaften beteiligt und mit Johann Sebastian Bach befreundet war, zu den bekannten Persönlichkeiten. In Leipzig gab er die »Musikalische Bibliothek« (1736–1754) heraus, in der unter anderem die Spätwerke Bachs erschienen, und veröffentlichte eine Biographie Bachs.97 1743 wechselte Mizler als Erzieher in die Dienste des Krongroßkanzlers Jan Małachowski; unter seinen Zöglingen befand sich auch Stanisław Małachowski, der als Marschall des Vierjährigen Sejms 1788–1792 bedeutenden Anteil an der Formulierung der Maiverfassung von 1791 hatte. Seit 1749 lebte Mizler in Warschau und war dort als unermüdlicher Herausgeber, Popularisator und Wissenschaftsorganisator tätig. Die von ihm herausgegebenen Zeitschriften »Warschauer Bibliothek« (1754/55), »Acta Litteraria Regni Poloniae et Magni 95 Lemke, Heinz: Die Brüder Zaluski und ihre Beziehungen zu Gelehrten in Deutschland und Danzig, Berlin 1958; Jarzęcka, Joanna: Obraz życia umysłowego Rzeczypospolitej doby saskiej w świetle wybranych lipskich czasopism naukowych, 1710–1762, Warszawa 1987. 96 Klimowicz, Mieczysław: Deutsch-polnische literarische Grenzgebiete im 18. Jahrhundert. 97 Felbick, Lutz: Lorenz Christoph Mizler de Kolof; zum Lebenslauf Mizlers vgl. auch das von Felbick erstellte Kalendarium: http://www.mizler.de (1.09.2012).
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Ducatus Lithuaniae« (1756–1763) und die polnischsprachigen »Nowe Wiadomości ekonomiczne i uczone« (Neue wirtschaft liche und gelehrte Nachrichten, 1758–1764) enthielten Neuigkeiten aus der Wissenschaft und popularisierten politische und wirtschaft liche Konzepte.98 Bei der Herausgabe der »Acta Litteraria« wurde Mizler von Józef Aleksander Jabłonowski materiell unterstützt. Jabłonowski lebte seit 1768 in Leipzig und gründete dort 1769 die Fürstlich Jablonowskische Gesellschaft der Wissenschaften (Societas Jablonoviana), die bis heute existiert.99 1756 eröff nete Mizler in Warschau eine eigene Buchhandlung und die erste Druckerei in Warschau, die nicht von einem der katholischen Orden abhängig war. In seiner Drukarnia JKMci Mitzlerowska redigierte er zusammen mit Franciszek Bohomolec 1765–1777 die Zeitschrift »Monitor«, das zu diesem Zeitpunkt wichtigste Medium der polnischen Aufk lärung, in der Persönlichkeiten wie Krasicki und Naruszewicz publizierten. Der »Monitor« war nach dem Vorbild des englischen »Spectator« konzipiert, vertrat das Reformprogramm des königlichen Hofes um Stanisław August und karikierte die konservativen und intoleranten Auffassungen des Adels. Nicht geringere Verdienste für die polnische Aufk lärungskultur besaß der aus Dresden kommende, seit 1759 in Warschau tätige Buchhändler und Verleger Michael Gröll. Er war kein Intellektueller wie Mizler, unterhielt als Geschäftsmann zunächst Buchhandlungen in Leipzig und Dresden und baute sein Buchgeschäft in Polen aus; 1769 eröffnete Gröll neben der Buchhandlung den ersten Lesesaal und die erste Leihbibliothek in Warschau. 1769–1777 gab er in Warschau die Zeitschrift »Angenehme und nützliche Vergnügungen« (Zabawy Przyjemne i Pożyteczne) heraus, eine inoffizielle hofnahe Zeitschrift, die die Überzeugungen des Reformerkreises um die „Donnerstagsgespräche“ beim König wiedergab.100 Die bis 1795 in Warschau tätige Firma Grölls gab sich das Motto „Im Zeichen der nationalen Schriftsteller“ – der Schrift zug war von Medaillons eingerahmt, die Adam Naruszewicz und Matthias Sarbievius (vgl. S. 130f) zeigten. Im Druckhaus Grölls erschien der erste Druck der Verfassung vom 3. Mai 1791, 98 Klimowicz, Mieczysław: Polsko-niemieckie pogranicza literackie w XVIII wieku. Problemy uczestnictwa w dwóch kulturach. Wrocław 1998, S. 17–33; Kasprzyk, Jerzy: Zeitschriften der polnischen Aufk lärung und die deutsche Literatur, Gießen 1982. 99 Tomicka-Krumrey, Ewa: Jozef Aleksander Jablonowski. Ein aufgeklärter Sarmate. Zur Persönlichkeit des Mäzens, in: Scholze, Dietrich / Tomicka-Krumrey, Ewa (Hrsg.): Mit Wort und Tat. Deutsch-polnischer Kultur- und Wissenschaftsdialog seit dem 18. Jahrhundert, Leipzig 2001 (Veröffentlichung zum 225. Jahrestag der Societas Jablonoviana an der Universität Leipzig 1774–1999), S. 37–51. 100 Aleksandrowska, Elżbieta: Zabawy Przyjemne i Pożyteczne 1770–1777. Monografia bibliograficzna, Warszawa 1997.
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und der damals schon altehrwürdige Inhaber gab während des KościuszkoAufstands die »Warschauer Zeitung für Polens freie Bürger« (1794) in deutscher Sprache heraus, die für die deutschsprachigen Bürger der Hauptstadt bestimmt war. Der sächsisch-polnische Hof, die Residenzstädte in Dresden und Warschau wie auch die hochadligen Residenzen im Lande hatten in der sächsischen Epoche einen großen Bedarf an Hofkünstlern und -handwerkern, wobei Trends und Vermittlungsformen durch den königlich-kurfürstlichen Hof geschaffen wurden. Das betraf natürlich vor allem klassische Hofkünste wie Architektur, Musik oder Malerei. Die Könige ließen in Dresden und Warschau ihre Residenzen zu Repräsentationszentren ausbauen. Ziel war eine stärkere Anbindung der Eliten an die Monarchie und eine Festigung der Union. Dabei wirkten – und das wird in der deutschen Forschung selten wahrgenommen – auch polnische Architektureinflüsse in den sächsischen Bauten in Dresden. Warschau war im Großen Nordischen Krieg zerstört worden, außerdem hatte es durch Pestepidemien ein Drittel der Bevölkerung verloren. Nach 1713 begann der Königshof mit dem Wiederaufbau und richtete ein Sächsisches Bauamt ein, an dem auch führende Dresdner Architekten wie Matthäus Daniel Pöppelmann, dessen Sohn Carl Friedrich und Joachim Daniel von Jauch, der Direktor des Sächsischen Bauamtes in Warschau, beteiligt waren. Für die Bedürfnisse der sächsischen Herrscher wurde das frühbarocke Schloss von Tobiasz Morsztyn zum Sächsischen Palais umgebaut und erweitert (1724– 1748).101 Carl Friedrich Pöppelmann entwarf die Ostfront des Warschauer Königsschlosses zur Weichsel hin neu und verbrachte sein ganzes Leben am Sächsischen Bauamt in Warschau. August III. ließ den Sächsischen Garten ausbauen. Zusammen mit weiteren Palästen wie dem Brühlschen Palais entstand in Warschau in den 1740er und 1750er Jahren die Sächsische Achse (Oś Saska), die die Stadtentwicklung weg vom Weichseltal hin nach Westen öff nen sollte. Diese Anlage wurde im späten 18. Jahrhundert nicht fortgeführt, war aber für die weitere Stadtentwicklung wichtig und prägt bis heute mit dem Sächsischen Garten das Warschauer Zentrum. Insbesondere der lange Aufenthalt des Hofes und sächsischer Architekten in Warschau von 1756 bis 1763 verlieh dem Städtebau auch über die Dauer der Union hinaus Impulse. 1756 kam der Architekt und Gartengestalter Simon Gottlieb (Szymon Bogumił) Zug nach Warschau, der zahlreiche Gebäude und Gartenanlagen errichtete; unter anderem entwarf er den Park in Arkadia (bei Nieborów, westlich von Warschau) für die 101 Mossakowski, Stanisław: Tilman von Gameren, Leben und Werk, München 1994; Hentschel, Walter: Die sächsische Baukunst des 18. Jahrhunderts in Polen, Berlin 1967.
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Familie Radziwiłł und die klassizistische lutherische Dreifaltigkeitskirche in Warschau. Außerdem schuf Zug – inspiriert von englischen Vorbildern – zahlreiche frühromantische Gartenanlagen in Polen.102 Neben dem Italiener Domenico Merlini waren die aus Dresden stammenden Innenarchitekten Johann Christian Kamsetzer und der Gartenarchitekt Johann Christian Schuch (Jan Chrystian Szuch) mit der Anlage des ŁazienkiParks im Auftrag von König Stanisław August beschäftigt. Nimmt man noch den aus Thorn stammenden Ephraim Schröger (Efraim Szreger) und den Dresdner Friedrich Albert Lessel hinzu und vergisst des Weiteren nicht die zahlreichen weniger bekannten sächsisch-polnischen Kunsthandwerker, so wird die Dimension der sächsisch-polnischen Symbiose gerade auf dem Gebiet der bildenden Kunst deutlich. Symbiose ist auch deshalb hier ein passender Begriff, weil zahlreiche Sachsen in Warschau heimisch wurden – erwähnt sei nur, dass Schuch als Kompanieführer im Range eines Hauptmanns am Kościuszko-Aufstand teilnahm.103 Architektonische Projekte deutsch-polnischer Baumeister wurden nicht nur in Warschau und Dresden, sondern auch in anderen Städten und Residenzen durchgeführt. Der Schlesier Johann Christoph Glaubitz kam 1737 nach Wilna und prägte vor allem die Kirchenbau- und Palastarchitektur des Großfürstentums Litauen. Er errichtete die Johanneskirche an der Universität Wilna und die unierte Sophienkathedrale in Polock. Bemerkenswert ist, dass der Protestant Glaubitz in Polen-Litauen katholische und unierte Kirchen baute, nachdem seiner Tätigkeit in der Habsburgermonarchie unüberwindbare Hürden in den Weg gelegt worden waren. Weitere Architekten, Kunsthandwerker und bildende Künstler, die im Auftrag polnischer Aristokraten oder als Stadtbaumeister tätig waren, können Glaubitz an die Seite gestellt werden: So der im Auftrag der Czartoryskis in Puławy tätige Jakob Hempel, der im Dienste der Familie Wiśniowiecki tätige Bildhauer Christian Seyner oder der für die Familie Potocki und den königlichen Hof in der heutigen Westukraine (Residenz in Buczacz) tätige Bildhauer und Schnitzer Johann Georg Pinzel.104 Die deutschpolnischen Milieus waren heterogen zusammengesetzt, neben Künstlern und Kunsthandwerkern gab es Bedienstete und Kaufleute, 102 Kwiatkowski, Marek: Szymon Bogumił Zug, architekt polskiego oświecenia, Warszawa 1971. 103 Batowska, Natalia u.a.: Jan Christian Kamsetzer, architekt Stanisława Augusta, Warszawa 1978; Jaroszewski, Tadeusz S. / Rottermund, Andrzej: Jakub Hempel, Fryderyk Albrecht Lessel, Henryk Ittar, Wilhelm Henryk Minter, architekci polskiego klasycyzmu, Warszawa 1974. 104 Hornung, Zbigniew: Majster Pinsel Snycerz. Karta z dziejów polskiej rzeźby barokowej, Wrocław 1976.
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Soldaten, Handwerker und Apotheker, aber auch Bankiers und Bankrotteure wie Piotr Ferguson Tepper, entlaufenes Gesinde und mit Geldwechseln handelnde Glücksritter. Orte deutscher Soziabilität waren die Konditoreien und Kaffeehäuser, etwa die Konditorei Albert G. Lessel in Warschau. In polnischen Erinnerungen scheint diese Heterogenität manchmal auf, etwa wenn Kajetan Koźmian über den Lubliner Apotheker Stock berichtet: „ein Säufer, von dem die Redewendung ‚pijany jak Sztock‘ [betrunken wie Stock] stammt, ein Scharlatan, ein Betrüger, der mit einer großen Perücke herumlief, in schwarzen, altmodischen deutschen Kleidern“.105 Oder wenn es von der Witwe Mizlers heißt, sie habe nach dem Tod ihres Mannes die Zeitschriften gegen Schnaps als Makulatur verkauft.106 Mehrheitlich hätten die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts aber wohl Mizler zugestimmt, der 1775 zugleich das Autostereotyp der nach Polen kommenden Deutschen beschrieb: „Die Deutschen sind nützlicher für Polen als die Franzosen, die nämlich, wenn sie zu Wohlstand gekommen sind, in ihr Land zurückkehren. Dagegen wird der ehrliche und ausdauernde Deutsche zu einem wirklichen Bürger des Landes, von dem die Rzeczpospolita viel Nutzen haben kann.“107 Dies zeigt auch die 1766 aufgeführte satirische Komödie »Die Eheschließung nach dem Kalender« (Małżeństwo z kalendarza) von Franciszek Bohomolec, in der konservative adlige Vorstellungen karikiert werden. Der Adlige Staruszkiewicz möchte seine Tochter Eliza verheiraten, hat sich aber in den Kopf gesetzt, dass nur ein polnischer Edelmann in Frage kommt, während Eliza heimlich ein Auge auf den deutschen, im polnischen Heer dienenden Offizier Ernest geworfen hat. Als Kandidaten wählt der Vater Herrn Marnotrawski (dt.: Verschwender), einen verschuldeten und doppelzüngigen Adligen. Dessen wahre Natur wird jedoch aufgedeckt und schließlich erhält der edle und umsichtige Deutsche Ernest Eliza zur Frau. Das Lehrstück ist ein Beitrag der innerpolnischen Abrechnung mit der rückständigen Mentalität eines Teils des polnischen Adels, gegenüber dem ein positiver deutscher Held als Vorbild aufgebaut wird.108 Die sächsischen Neubürger Polens nahmen dieses Angebot einer Integration in die Eliten an – zahlreiche deutsche Neubürger beteiligten sich zum Beispiel am Kościuszko-Aufstand. So der damals bereits 74-jährige
105 Pamiętniki Kajetana Koźmiana, Poznań 1858, Band 1, S. 34. 106 Bentkowski, Feliks: Historia literatury polskiej. Warszawa / Wilno 1814, Band 2, S. 702. 107 Mizler, Lorenz: Brief[e] eines Gelehrten aus Wilna an einen bekannten Schriftsteller in Warschau, in: Bernacki, Ludwik: Teatr, dramat i muzyka za Stanisława Augusta. Źródła i materiały, Lwów 1925, Band 1, S. 56–122. 108 Klimowicz, Mieczysław: Oświecenie, S. 105–109.
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„Bürger Gröll“, der sich in die Liste der Aufständischen eintragen ließ; oder Theodor Musonius aus Lissa, der Sohn des dortigen reformierten Pastors und Herausgeber der »Vaterländischen Zeitung für Polens Bürger« (1791/92), der sich radikalen Strömungen unter den Aufständischen anschloss. Vom preußischen Militär festgenommen, starb er 1797 in der Festung Spandau. Ein anderer Teilnehmer des Aufstands war der junge Thorner Samuel Gottlieb (Bogumił) Linde, der spätere Verfasser des monumentalen »Wörterbuchs der polnischen Sprache« (»Słownik języka polskiego«, 6 Bände 1807–1814). Das Milieu der Warschauer Deutschen betrachtete Polen den autokratischen Teilungsmächten gegenüber als sein Vaterland, Christian Gottlieb Friese erklärte wiederholt in seiner deutschsprachigen Publizistik seinen polnischen Patriotismus. Werke wie Einstellungen vieler dieser deutschen polonophilen Neubürger gerieten jedoch auch infolge der Zensur in Vergessenheit und wurden erst unlängst wiederentdeckt. Auch in Dresden entstand parallel eine – im Vergleich zu Warschau kleinere – polnische Kolonie, die sich vor allem aus Adligen, Hofangestellten und königlichen Kammerjunkern zusammensetzte. Unterschieden werden können drei Einwanderungswellen: Eine erste gegen Ende des Großen Nordischen Krieges um 1720, eine zweite in den ersten beiden Regierungsjahrzehnten Augusts III. und schließlich eine letzte zwischen den 1790er Jahren und dem Wiener Kongress (1815), als erneut zwischen 1807 und 1813 beide Staatlichkeiten eng miteinander verbunden waren.109 Bereits unmittelbar nach 1697 tauchten in Dresden Anhänger der sächsischen Partei und Hofpersonal auf. So bestand beispielsweise die Königlich Pohlnische Capelle aus deutschen, italienischen und polnischen Musikern unter Leitung des polnischen Kapellmeisters Jacek Różycki. Nach ihm übernahm der Kapellmeister Johann Christoph Schmidt die Leitung; der für Sachsen-Polen negative Kriegsverlauf 1702 zwang jedoch zur Auflösung des Ensembles.110 In Dresden und in Sachsen wurden zeitweise auch politische Gegner Augusts II. festgehalten, zum Beispiel 1702/03 der polnische Großkanzler und ermländische Bischof Andrzej Chryzostom Załuski, der mit dem Hohenzollernkönig Friedrich I. eine geheime Korrespondenz geführt und diesem die sächsisch-russischen Bündnispläne verraten hatte. Ebenfalls hielt sich in Dresden der Sohn des damaligen Krongroßhetmans Hieronym Augustyn Lubomirski auf – Aleksander Jakub Lubomirski. Er stand als Geisel unter Aufsicht der langjährigen Mätresse Augusts II. Urszula Katarzyna von 109 Staszewski, Jacek: Polacy w osiemnastowiecznym Dreźnie, S. 91 f. 110 Patalas, Aleksandra: Różycki Jacek, in: Encyklopedia muzyczna PWM, Kraków 2004, Band Pe-R, S. 496–498; Żorawska-Witkowska, Alina: Muzyka na dworze Augusta II w Warszawie, Warszawa 1997, S. 71–129.
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Altembockum. Urszula Katarzyna, verheiratete Lubomirska, Reichsgräfin von Teschen, die aus einer livländisch-litauischen polonisierten Familie stammte, spielte als „Gräfin Teschen“ eine erhebliche Rolle am Dresdner Hof. Auf den Festungen Pleißenburg und Königstein wurden 1704–1706 zwei Söhne Johann Sobieskis festgehalten, Jakub Ludwik und Konstanty Władysław, die als Kandidaten für den polnischen Königsthron auft raten. Anlässlich der Hochzeit des Th ronfolgers Friedrich August mit der Habsburgerin Maria Josepha am 20. August 1719 wurden zahlreiche polnische Adelsfamilien nach Dresden eingeladen und mehr als ein Dutzend adlige Söhne als Kammerjunker am Hof aufgenommen. Diese Zahlen stiegen noch im Laufe der Jahre: Nach dem Sächsischen Hof- und Staatskalender waren im Jahre 1757 17 der 131 Kammerherren in Dresden und 18 der dortigen 99 Kammerjunker polnische Adlige. Zugleich waren ca. 30% der Offiziersanwärter im Dresdner Kadettenkorps Polen. Im polnischen Milieu am Dresdner Hof besaß Jan Jerzy Przebendowski, der 1711 in das Sächsische Geheime Kabinett aufgenommen wurde und zwischen Warschau und Dresden pendelte, besondere Bedeutung. Auch familiäre Verbindungen spielten eine Rolle. So arrangierte August II. für seine uneheliche, aus der Verbindung mit der Gräfin Cosel hervorgegangene Tochter Friederike Alexandrine eine Ehe mit Jan Kanty Moszczyński, der ähnlich wie Aleksander Józef Sułkowski zuvor als Page am Dresdner Hof gedient hatte. Für seine Mätresse Marianna Denhof organisierte er eine Ehe mit dem reichen Magnaten Jerzy Ignacy Lubomirski. Die so zwischen den sächsischen und polnischen Eliten im 18. Jahrhundert entstandenen Heiratsverbindungen und Bündnisse ermöglichten es den Familien, in beiden Staaten zu agieren. Sie stellten aber auch Instrumente herrscherlicher Politik dar, um die Eliten beider Staaten stärker anzunähern und eine sächsisch-polnische Partei zu schaffen. Neben den Flemmings, Lubomirskis und Przebendowskis spielte insbesondere das Bündnis zwischen der Familie Brühl und den Mniszechs eine Rolle. Die Söhne des Favoriten Augusts II., Heinrich Brühls, nämlich Friedrich Aloysius, Albert und Carl Adolph Brühl, erwarben das polnische Indigenat und Güter in Polen-Litauen. Brühls Tochter Maria Amalia war mit Kanzler Jerzy August Mniszech verheiratet, der zeitweise die höfische Politik in Warschau kontrollierte und koordinierte. Insgesamt gab es mehr als einhundert Eheverbindungen zwischen polnischen und sächsischen Familien. Die sich so herausbildenden Eliten waren durch eine höfische Soziabilität um den Königshof und politische Interessen miteinander verbunden. Hierzu zählten auch Freimaurerlogen; Fryderyk August Rutowski gründete in Dresden die erste Loge Aux trois aigles blancs, in Warschau waren französisch- und deutschsprachige Logen wie Aux trois frères (1757) tätig.
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Um diese Integration auf der Ebene der Eliten zu fördern, wurden von den Wettinern auch hohe Orden wie der Weiße-Adler-Orden gestiftet. Der Orden griff auf polnische politische Traditionen zurück (der weiße Adler als polnisches Staatswappen), wurde aber an polnische und sächsische Eliten verliehen: Seine Träger rekrutierten sich zu ca. 50% aus Polen, zu einem Drittel aus Sachsen. Ein Teil dieser polnischen Eliten ließ sich dauerhaft in Dresden nieder, wie die erwähnte ehemalige Geisel Aleksander Jakub Lubomirski. Er begleitete den Thronfolger auf dessen Kavalierstour und diente dem späteren König als sächsischer Heerführer. Die Aristokraten lebten mit ihrem Hof in Dresdner Palästen und ließen neue errichten: Sułkowski lebte in den 1730er Jahren im ehemaligen Flemmingschen Palast in der Pirnaischen Gasse, der zu den schönsten Barockanlagen Dresdens zählte, beziehungsweise im Schloss Übigau, das August II. ihm geschenkt hatte. Die Moszczyńskis errichteten 1741 in Dresden eine Barockanlage. Das polnische Milieu in Dresden ist nur schwach erforscht. Einen Einblick bietet der Reisebericht des späteren litauischen Großhetmans Michał Kazimierz Radziwiłł (1702–1762), der 1722 Dresden besuchte. Er nennt als wichtigste polnische Adressen in Dresden die Wohnungen Aleksander Jakub Lubomirskis, des Bischofs von Kamieniec Stanisław Józef Hozjusz, der Frau des litauischen Hetmans Emerencjanna Pociej und die Wohnung Małgorzata Elżbieta Przebendowskas (aus dem Hause Flemming), die nach der Trennung von ihrem Mann in Dresden lebte.111 Die adligen Eliten in Dresden waren von einer mehrere Hundert Köpfe zählenden Gruppe von Bediensteten, Lehrern, Hoff räulein und Klientelpersonen begleitet, die international zusammengesetzt war. Auch deshalb sind konkrete Zahlenangaben über die Anzahl der Polen kaum möglich. Um 1730–1740 umfasste diese Gruppe maximal etwa 1000 Personen, von denen einige den königlichen Hof begleiteten. Die katholische Gemeinde in Dresden wurde 1738 auf ca. 2000 Personen geschätzt, in demselben Jahr registrierte man 74 Taufen und 40 Begräbnisse.112 Die in Dresden verstorbenen Polen und andere Katoliken (Italiener, Franzosen) wurden auf dem 1721 geweihten katholischen Friedhof in der Friedrichstadt beigesetzt, wobei im lutherischen Dresden festgehalten war, „daß die Leichen in aller Stille ohne eigenen Conduct oder Procession auf diesen Begräbnißplatz geschaffet werden sollen“.113 Solche Begräbnisse waren 111 Dygdała, Jerzy: Młody magnat na drezdeńskim dworze Augusta Mocnego. Fragment europejskiej podróży Michała Kazimierza Radziwiłła z 1722 roku, in: Wijaczka, Jacek (Hrsg.): Stosunki polsko-niemieckie, S. 205–224. 112 Forwerk, Friedrich August: Geschichte und Beschreibung der katholischen Hof- und Pfarrkirche zu Dresden, Dresden 1851, S. 22. 113 ebd., S. 19.
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für Aristokraten nicht akzeptabel, deshalb wurden in Sachsen verstorbene Adlige in Polen beigesetzt. Die königlichen Feste, an denen auch die polnischen Eliten teilnahmen, die Caroussels, Bälle, Opern- und Theaterempfänge, die aus gedruckten Programmen bekannt sind,114 waren Teil des gesellschaft lichen Lebens. Im höfischen Milieu bestanden keine sprachlichen Grenzen, zumeist verständigte man sich auf Französisch, die polnischen Adligen sprachen vielfach auch Deutsch, manche Sachsen Polnisch. Man traf sich ebenfalls in Geheimgesellschaften und Freimaurerlogen. Die bekannte Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit (Société des Antisobres), die am runden Tisch im Dresdner Kurländer Palais tagte, ist nur ein Beispiel; zu ihren Gästen zählten Jerzy Dominik Lubomirski, Michał Bieliński, der Unterkanzler Jan Lipski, der Kronreferendar Antoni Sebastian Dembowski und ein Mitglied der Familie Sapieha.115 Außer dem durch Ämter mit dem Hof verbundenen Adel bildeten polnische Militärs in sächsischen Diensten eine größere Gruppe. August II. hatte sich bemüht, die Söhne polnischer Adliger für das Dresdner Kadettenkorps zu gewinnen; anfänglich kamen hier vor allem polnische Adlige lutherischen Bekenntnisses unter, wie die Unruhs, Nostitz’, Bronikowskis, Goltz’, mit der Zeit aber auch mehr Katholiken wie die Swinarskis. Im Sommer 1729 errichtete August II. nach einem Besuch in Berlin, wo er die preußischen „langen Kerls“ gesehen hatte, eine Grandmusketier-Kompagnie unter dem Kommando Alexander Jakub Lubomirskis.116 Einer der Kadetten dieser Kompagnie war Marcin Matuszewicz, der Erinnerungen hinterließ. 1733 wollte ein Teil der polnischen Rekruten nicht gegen Leszczyński kämpfen und die Einheit zerstreute sich – „die einen nach Hause, die anderen liefen nach ihrer Laune, wo es ihnen gefiel, auseinander“.117 Im Siebenjährigen Krieg presste das preußische Militär nach der Kapitulation der Festung Königstein 76 Offiziersanwärter in seine Armee und machte nur für polnische Kadetten eine Ausnahme. Unter den Zwangs-
114 Kurtze Beschreibung des von Ihre Majestät in Pohlen [...] 1722 in Dreßden gehaltene Carousell comique, Dresden 1722, zitiert nach Dygdała, Jerzy, S. 218, vgl. Anmerk. 111; außerdem: Keller, Katrin: Dwór sasko-polski w Dreźnie. Postacie i inscenizacja, in: Link-Lenczowski, Andrzej / Markiewicz, Mariusz (Hrsg.): Rzeczpospolita wielu narodów, S. 115–123; Czok, Karl: Am Hofe Augusts des Starken, Leipzig 1989, S. 102. 115 Staszewski, Jacek: Polacy, S. 116 f. 116 Staszewski, Jacek: Grandmuszkieterowie Augusta II. Nowa wersja, in: Staszewski, Jacek (Hrsg.): „Jak Polskę przemienić w kraj kwitnący ...“, S. 106–116. 117 Matuszewicz, Marcin: Diariusz życia mego, Band 1: 1714–1757, hrsg. von Bohdan Królikowski, Warszawa 1986, S. 43.
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rekrutierten befand sich jedoch auch Jerzy (Georg) Unruh, ein großpolnischer Lutheraner, dessen Bekundungen, er sei ein polnischer Adliger, man keinen Glauben geschenkt hatte.118 In der sächsischen Armee dienten polnische Adlige mehrheitlich in niederen Offizierschargen und kämpften mit geringen Erfolgen in den Kriegen gegen Preußen. Unter den interessanteren Persönlichkeiten wäre der spätere Generalmajor Józef Bielak zu erwähnen, ein muslimischer litauischer Tatare. Er wurde als Rittmeister des tatarischen Pulks unter General Czymbaj Murza Rudnicki dem sächsischen Hof zugeteilt. Adam von Oppeln-Bronikowski, ein Calvinist aus dem reformierten Zentrum Żychlin in Großpolen, stieg in der sächsischen Armee bis zum Generalsrang auf und nahm 1763 seinen Abschied. Aus der Familie von Oppeln-Bronikowski stammte eine ganze Reihe von Militärs, die sich im 18. Jahrhundert in polnischen, sächsischen und preußischen Diensten engagierten. Für die deutsch-polnischen kulturellen Beziehungen bemerkenswert sind Lebensweg und Werk des in Dresden als Sohn eines polnisch-sächsischen Offiziers geborenen Alexander von OppelnBronikowski, der sich nach einem Dienst in der preußischen Armee 1807 im polnischen Heer anwerben ließ und bis 1823 im Herzogtum Warschau und Königreich Polen diente. Anschließend arbeitete er in Dresden als freier Schriftsteller und publizierte im romantisch-historischen Zeitgeist zahlreiche auch international erfolgreiche und in mehrere Sprachen übersetzte Romane und historische Erzählungen. Er schrieb auf Deutsch, stützte sich aber weitgehend auf polnische Legenden und historische Motive, so in »Kasimir, der große Piast« (1826), »Der Mäusethurm am Goplo-See« (1827) oder »Olgierd und Olga oder Polen im ersten Jahrhundert« (1828–1832), die internationale Publikumserfolge waren.119 Ein Problem in Dresden wie in Warschau blieben konfessionelle Konflikte zwischen den lutherischen sächsischen und den katholischen polnischen Eliten. Zwar versuchten Aufk lärer zu vermitteln und Toleranzpostulate zu befördern, doch blieb eine Spätkonfessionalisierung außerhalb schmaler Schichten dominant. In Dresden hatten Katholiken – wie Protestanten in Warschau – einige Schwierigkeiten, einen Gottesdienst abzuhalten. Zunächst diente hierzu eine Kapelle im Jagdschloss Moritzburg, 1708 wurde der alte Opernsaal für katholische Messfeiern adaptiert. Dies bedeutete kein Ende der Probleme, denn bis zum königlichen Dekret vom 15. August 1718 bestand ein Betätigungsverbot für katholische Geistliche. Ein ähnliches Verbot für Protestanten existierte 118 Staszewski: Polacy, S. 138–140. 119 Kałążny, Jerzy: Fiktion und Geschichte. Alexander von Oppeln-Bronikowski und sein Geschichtserzählen, Poznań 1996.
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auch in Warschau. Nach 1718 waren in Dresden katholische Privatmessen für Personen in königlichen Diensten zugelassen, Messen und Gottesdienste der jeweiligen Minderheitenkonfession fanden vielfach in Privathäusern statt. Erst 1719 trat mit der Ehe zwischen Thronfolger Friedrich August und der Habsburgerin Maria Josepha ein Umschwung ein. 1739–1755 wurde neben dem Residenzschloss unter Leitung des italienischen, in Polen tätigen Architekten Gaetano Chiaveri die katholische Hofk irche errichtet. Die am 29. Juni 1751 geweihte Kirche knüpfte in ihrem Bildprogramm an sächsischdeutsche und polnische Heilige an. Dargestellt sind in Statuen der hl. Stanisław als polnischer Patron und der unter polnischen Jesuiten verehrte hl. Stanisław Kostka. Auf dem Kirchenschiff findet sich neben anderen eine Statue des hl. Kasimir, eines in Polen-Litauen verehrten und 1604 heiliggesprochenen Jagiellonenprinzen.120 Die sächsisch-polnische Personalunion endete 1763 mit der Wahl Stanisław August Poniatowskis auf den Königsthron, für die russische Unterstützung ausschlaggebend gewesen war. Die Wettiner verließen Warschau, in Polen blieben jedoch zahlreiche Beamte und sächsisch-polnische Parteigänger zurück. Der Gesandte August Franz Essen berichtete nach Dresden detailliert über die Entwicklung in Polen-Litauen, der neue sächsische Kurfürst Friedrich Christian und sein Bruder und langjähriger Regent Franz Xaver lehnten aber ein neues Engagement in Polen ab. 1765 erklärte Prinzregent Franz Xaver für den unmündigen Kurfürsten den Verzicht auf die polnische Königskrone zu Gunsten von Stanisław II. August Poniatowski. In Dresden saß dagegen kein polnischer Gesandter, auch die Zahl der in der Stadt ansässigen Polen war rückläufig. Die europaweit diskutierten Bestimmungen der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791 sahen in Artikel 7 die erbliche Thronfolge des Hauses Wettin nach dem Tode Stanisław Augusts vor. In der Verfassung hieß es: „Es erscheint unserer Umsichtigkeit angezeigt, die Thronfolge auf dem polnischen Thron nach folgendem Recht zu regeln: Wir setzen demzufolge fest, dass [...] der [...] regierende Kurfürst von Sachsen in Polen als König herrschen wird. Der älteste Sohn des herrschenden Königs soll nach seinem Vater auf den Thron nachfolgen.“121 Dies ist ein Beleg dafür, dass die sächsischen Herrscher zur damaligen Zeit keinesfalls so negativ wahrgenommen wurden, wie es die nationalistische Literatur und Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts manchmal darstellt. Angesichts der schwierigen außenpolitischen Lage akzeptierte jedoch Friedrich August 1791/2 die Annahme der Krone nur für den Fall, dass alle drei Teilungsmächte zustimmten. Er befürchtete, als König von Polen in kriegerische Auseinandersetzungen mit Österreich, Preußen und Russland 120 Forwerk, Friedrich August, vgl. Anmerk. 112. 121 Verfassungstext in deutscher Sprache verfügbar unter: http://www.verfassungen.eu/pl/ verf91-i.htm (19.04.2013).
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verwickelt zu werden, die bereits 1772 von Polen Gebietsabtretungen erzwungen hatten.122 Im Sommer 1792 emigrierten manche Polen nach Sachsen, denn man befürchtete Repressionen von russischer Seite. In Dresden oder Leipzig versammelten sich bekannte polnische Führer aus der Zeit des Vierjährigen Sejms, unter anderem Ignacy und Stanisław Potocki, die in Dresden ein Haus in der Straße Jägerhof 220 anmieteten und einen Aufstand vorbereiteten. Die Polen wurden von preußischen und russischen Spitzeln beobachtet; als 1794 der Kościuszko-Aufstand ausbrach, wurden sie von der Polizei in Listen erfasst und aus Dresden ausgewiesen.123 Die Dritte Teilung und die Auflösung Polen-Litauens hatten eine neue Welle von Flüchtlingen nach Sachsen zur Folge. Auch wirtschaft lich blieb in den 1790er Jahren das Verhältnis Sachsens zu Polen-Litauen eng: Die polnischlitauischen Kaufleute auf den Leipziger Messen machten zwei Drittel der ausländischen Besucher aus, die verbliebenen sächsisch-polnischen Eliten unterstützten polnische Unabhängigkeitsbestrebungen im Kościuszko-Aufstand und traten mehrfach in den späteren polnischen Legionen in französische Dienste. Beispielhaft hierfür kann der sächsisch-polnische Offizier Jan Henryk Dąbrowski stehen (auch Johann Heinrich Dombrowski), der aus einer deutschpolnischen Verbindung hervorging, seine Jugend in Hoyerswerda und Dresden verbrachte, Deutsch wie Polnisch und Französisch sprach und 1771–1792 in sächsischen Militärdiensten stand. Dąbrowski weckte durch seine militärischen Leistungen in den polnischen Legionen in der Armee Napoleons die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der polnischen Staatlichkeit. Da er Polnisch mit Fehlern und einem deutschen Akzent sprach, wurde er von Patrioten zunächst mit Misstrauen behandelt. Aus dem Liedgut der polnischen Legionen in Italien entstand die heutige Nationalhymne, die die Heldentaten der Legionen unter Dąbrowskis Kommando feiert (1797). In Deutschland eher durch die Anfangszeile „Noch ist Polen nicht verloren“ bekannt, trägt sie im Polnischen den Titel »Mazurek Dąbrowskiego« (Dąbrowskis Mazurka). Die sächsisch-polnische politische Verbindung wurde 1807–1813 durch – den inzwischen zum sächsischen König von Napoleons Gnaden aufgestiegenen – Friedrich August I., Großherzog von Warschau, erneuert. Friedrich August, der Polnisch sprach, regierte wie sein Großvater und Urgroßvater in Dresden und Warschau und führte auch nach französischem Vorbild eine Reformgesetzgebung in Polen ein (Code Napoléon).124 122 Kobuch, Agatha: Das Angebot der polnischen Königskrone an Kurfürst Friedrich August III. von Sachsen durch die Verfassung der Rzeczpospolita vom 3. Mai 1791, Berlin 1982. 123 Staszewski, Jacek: Polacy, S. 153–154. 124 Willaume, Juliusz: Fryderyk August jako książę warszawski (1807–1815), Poznań 1939.
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Nach den Niederlagen 1813/14 musste sich Friedrich August nach Sachsen zurückziehen. Aufgrund der politischen Schwäche Sachsens, dessen komplette Aufteilung 1814/15 verhandelt wurde, fanden polnische Emigranten in Sachsen nach 1815 und auch nach dem Novemberaufstand von 1830/31 keine günstigen Aufenthaltsbedingungen mehr, da sie trotz öffentlicher Sympathien einem politisch-polizeilichen Druck ausgesetzt waren. Die wirtschaft lichen Verbindungen zwischen Sachsen und Polen blieben noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebendig, etwa durch die Tätigkeit sächsischer Ingenieure im zentralpolnischen Bergbaugebiet.
7. Brandenburg-Preußen und die Teilungen Polens
Einleitend muss daran erinnert werden, dass der brandenburg-preußische Staatsverband nur in der Grenzlage zwischen Altem Reich und PolenLitauen territorial expandieren konnte. Nachdem die hohenzollernsche Linie in Königsberg 1603/18 ausgestorben war, hatten die brandenburgischen Kurfürsten 1605 die Herzogswürde erworben und waren in das Lehnsverhältnis zur Krone Polens eingetreten. Erst diese Personalunion Brandenburgs und Preußens unter den Hohenzollern, die im 17. Jahrhundert zwei fast gleich große Territorien von jeweils 39 000 bzw. 36 000 km² miteinander verband, hatte Brandenburg-Preußen zu einer im europäischen Maßstab wichtigen Mittelmacht werden lassen, die nun zwischen dem Rhein und der Memel über Besitzungen verfügte und in Mitteleuropa agieren konnte. Im kriegerischen 17. Jahrhundert gelang Brandenburg-Preußen der politische und militärische Aufstieg vor allem deshalb, weil der Staatsverband an der Nahtstelle zweier Verbände lag, die keine großen Armeen unterhielten und eine defensive Außenpolitik betrieben. Brandenburg-Preußen war so im Osten entlang seiner über 1000 km langen Ostgrenze zu Polen-Litauen vor Aggressionen gesichert und konnte Richtung Schweden und im Reich eine offensive Außenpolitik betreiben, ohne sich der Gefahr auszusetzen, machtpolitisch eingekreist zu werden. Der Aufstieg der Hohenzollern in Europa fand in einer Schaukelpolitik zwischen dem römisch-deutschen Reich und Polen-Litauen statt, wobei das Lehnsverhältnis zur polnischen Krone Brandenburg-Preußen mit Subsidienzahlungen und einer Bündnispflicht eng an die Politik des zehnmal größeren und in seinen Ressourcen überlegenen östlichen Nachbarn band. Dieses Lehnsverhältnis war enger gefasst als im Alten Reich, wo die Stände und insbesondere die Kurfürsten nach dem Westfälischen Frieden 1648 das kaum eingeschränkte Recht zu einer eigenen Außenpolitik besaßen und dem Kaiser als Reichsoberhaupt nur zeremoniell den Vortritt lassen mussten. Noch der Urgroßvater Friedrichs II., der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm, hatte am 6. Oktober 1641 in Warschau dem polnischen König Władysław IV. als Lehnsnehmer für das Herzogtum Preußen persönlich gehuldigt. In der Folge gelang es ihm nach einem mit hohem Einsatz an der Seite Schwedens
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gegen Polen-Litauen ausgefochtenen Koalitionskrieg und einem geschickten Bündniswechsel zur rechten Zeit, sich 1657 in den Verträgen von Wehlau und Bromberg aus dem Lehnsverhältnis zu lösen und in Preußen Souveränität zu erlangen. Zugleich engagierte sich Friedrich Wilhelm in polnischen Fragen und kandidierte 1668/69 und 1673/74 für den polnischen Königsthron, hatte als protestantischer Fürst aber keine Erfolgschancen. Der Große Kurfürst hatte ein politisches Testament für seine Nachfolger hinterlassen – von allen europäischen Staaten erhält Polen hier die größte Aufmerksamkeit; seinen Nachfolgern empfahl Friedrich Wilhelm dringend eine friedliche Politik guter Nachbarschaft . Das vom Herrscher 1667 eigenhändig verfasste Testament (in einer deutschen Sprache, die damals keinen orthographischen Regeln unterworfen war) enthält eine nuancierte Einschätzung: „Mitt dem konige in Pollen vndt der Republick, als den negsten Nachbahren, erstlich wegen der Chur Brandenburg, vndt dan auch wegen Preussen, haltet alzeitt gutte Nachbarschaft, vndt suchet der Republick gutte affection zuerhalten, Spahret auch hirahn keine kosten, den wan Ihr der Republick freundtschaft versicher[t] seidt, So wirdt die nuhmer erhaltene Souverenittet in Preussen Euch desto sicherer sein, vndt Ihr werdet selbige mitt besserer ruhe genissen konnen.“125 Friedrich Wilhelm ordnete Polen-Litauen ähnlich wie das Alte Reich gemäß den Regierungslehren der Zeit als „Republick“ ein, da die Stände Mitspracherechte in der Innen- und Außenpolitik besaßen und der Wahlkönig durch umfangreiche schrift liche Zusagen gebunden war. Die Freundschaft mit der großen Republik im Osten gebe den zersplitterten brandenburg-preußischen Territorien politische und militärische Sicherheit. Zugleich müsse die Souveränität in Preußen unbedingt bewahrt werden, denn der ältere Zustand der Lehnsabhängigkeit habe die Hohenzollern immer wieder zu Subsidienzahlungen und Hilfsleistungen gezwungen. Allerdings sollten im Falle von Konflikten, wie etwa eines schwedischen Angriffs auf Polen-Litauen, die Hohenzollern den Verbündeten unterstützen: „so seidt Ihr schuldig [...] derselben treulich zu assistiren, vndt beyzustehen, Den ahn Ihrer conservation vndt erhaltung beruhet Ewere vndt Ewerer Lande wohlfahrt hienebenst musset Ihr der Republick zu manutenirung Ihrer Alten freiheitt alzeitt beistehen, Auch keines weges durch promessen einigen avantagen dauon Separiren oder abwendig machen lassen, Euch auch stetz ahn die Republick halten, welche nummer außsterben thut, Dadurch erlanget Ihr auch das der konig alzeitt eine sonderbahre reflection auff Euch nehmen muß.“126 125 Politisches Testament des Großen Kurfürsten, 19. 5. 1667, zitiert nach: Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 188 f. 126 ebd.
7. Brandenburg-Preußen und die Teilungen Polens
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Das preußisch-polnische Verhältnis des 17. Jahrhunderts war stärker von Kooperation und Zusammenarbeit als von Konfl ikten gekennzeichnet. Die Königskrone konnte nur auf der Basis der souveränen Herrschaft in Preußen erworben werden. Im Reich wäre ein Königstitel von der Zustimmung der Habsburger abhängig gewesen und damit unvorstellbar. In Preußen, das von Polen-Litauen umgeben war, war eine Titelerhöhung möglich. Dies änderte sich im zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts unter dem pietistischen und zugleich gewalttätig-militaristischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. Mit der Spätkonfessionalisierung wuchs der Abstand zwischen dem protestantischen Brandenburg-Preußen und dem katholischen Polen-Litauen, wobei aus Berliner und Potsdamer Sicht der große Nachbar im Osten als katholisch-rückständig und unaufgeklärt galt. Dies mündete nun in Versuche, auch das wachsende Militärpotential der preußischen Armee als Druckmittel gegen Polen einzusetzen. In der Forschung wird die in wachsendem Maße destruktive und aggressive Machtpolitik Brandenburg-Preußens gegenüber Polen-Litauen seit den 1970er Jahren in den Begriff der „negativen Polenpolitik“ gefasst. Der Begriff stammt von dem – in Gießen und Berlin lehrenden – Osteuropahistoriker Klaus Zernack, der ihn vor allem für das Zusammenspiel zwischen einer destruktiven preußischen und russischen Politik prägte.127 Beide Mächte verband das Interesse, Polen-Litauen in einem Zustand politisch-militärischer Schwäche zu halten, und sie fanden aus dieser Perspektive auch immer wieder zu gemeinsamem Handeln zum Nachteil Polen-Litauens zusammen – bis hin zu den Teilungsbündnissen von 1772, 1793 und 1795. Ein festes Handlungsmuster lässt sich auch in den Bestrebungen der Nachbarstaaten und späteren Teilungsmächte erkennen, vermittels direkter Einflussnahme auf einzelne Adelsparteien in die Politik einzugreifen, Polen also nicht nur von außen, sondern auch von innen zu destabilisieren. Schließlich könnte man darauf verweisen, dass zumindest auf Seiten Preußens spätestens seit dem Regierungsantritt Friedrichs II. die Absicht, Gebietserwerbungen auf Kosten Polens zu machen, ein wiederholt explizit formuliertes Ziel der Politik war. Allerdings: Die griffige Formel von der „negativen Polenpolitik“ mag Vorstellungen von einer Geradlinigkeit oder gar Zwangsläufigkeit des mächtepolitischen Niedergangs Polen-Litauens seit dem Großen Nordischen Krieg wecken, denen die Forschung seit den Arbeiten Jacek Staszewskis häufig widersprochen hat.128 Auch nach 1716/17 bzw. 1721 war der Weg zu den Teilungen Polens im letzten Drittel des Jahrhunderts weder vorgezeichnet noch gar alternativlos. Immer wieder wurde das Zusammenspiel der späteren 127 Zernack, Klaus: Negative Polenpolitik. 128 Vgl. mehrere Skizzen bei Staszewski: „Jak Polskę przemienić w kraj kwitnący...“.
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Teilungsmächte durch Krisen in Frage gestellt: im Vorfeld des Polnischen Thronfolgekriegs von 1733–1736, in den Schlesischen Kriegen, zuletzt noch in der unmittelbaren Vorgeschichte der Ersten Teilung von 1772. Auch kann nicht davon die Rede sein, dass die späteren Teilungsmächte durchweg nach einem gemeinsamen anti-polnischen „Meisterplan“ gehandelt hätten, der sich in den Teilungen erfüllt hätte. Wenn Polen-Litauen die „Souveränitätskrise“ am Ende nicht bewältigen konnte, so hatte dies vielfältige Gründe. In seinem Testament beschwor Friedrich Wilhelm I. in charakteristischem Kauderwelsch 1722 seinen Sohn: „Mein Sucessor mus auch sehr wenigen [Angehörigen des preußischen Adels] permettieren in fremde lender zu reisen [...] dem die dar außer lande dienen seit versicherdt das sie bestendigst nies post walla sein.“129 Das polnische „veto nie pozwalam“ bedeutet „ich erlaube nicht“ und stand für den polnischen freiheitlichen Geist im östlichen Preußen, wo man im 17. Jahrhundert wiederholt gegen die fernen Hohenzollern opponiert hatte. Solche durch „polnische Einflüsse“ ausgelösten Bestrebungen bekämpfte Friedrich Wilhelm I. entschieden. Ein Echo dieser Angst des Königshauses vor der Freiheit findet sich noch ein halbes Jahrhundert später bei Friedrich II., der nach dem Siebenjährigen Krieg 1768 über den Adel des östlichen Preußen schrieb: „Ich hatte Grund, mit dem Adel dieses Königreichs während des letzten Krieges unzufrieden zu sein; sie gebärdeten sich eher als Russen denn als Preußen und waren im Übrigen zu allen Niederträchtigkeiten fähig, deren man die Polen anklagt.“130 Solche Aussagen könnte man vermehren; die Testamente der Hohenzollern sind von der Furcht durchzogen, der polnische Freiheitsbazillus könne Preußen anstecken. Friedrich II. „der Große“ ist die Zentralfigur der preußischen Polenwahrnehmung wie auch des polnischen Preußenbildes. Mit ihm veränderte sich das preußisch-polnische Verhältnis grundsätzlich, zumal er auch von allen preußischen Herrschern als Vorbild angesehen wurde. Zweitens führte Friedrichs Aufstieg zu einer deutschen Heldenfigur im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu, dass auch die deutsche Öffentlichkeit Polen immer stärker durch die „friderizianische Brille“ wahrnahm und Friedrichs Aussagen und propagandistischen Behauptungen zu Polen Glaubwürdigkeit zuschrieb. Dies änderte sich erst nach 1945, in der heutigen Wahrnehmung ist der preußische Herrscher umstritten.131 Persönlich machte Friedrich in seiner Kronprinzenzeit wiederholt mit dem sächsisch-polnischen Adel Bekanntschaft. Die Aufenthalte in Dresden 129 Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 228 f. 130 ebd, S. 588 ff. 131 Im Folgenden nach: Bömelburg, Hans-Jürgen: Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen.
7. Brandenburg-Preußen und die Teilungen Polens
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und im sächsischen Militärlager 1728 und 1730, der sächsisch-polnische Gegenbesuch in Berlin 1728 sowie Treffen mit Stanisław Leszczyński und dessen Entourage im östlichen Preußen (1735) führten dazu, dass Friedrich vor 1740 von Sachsen-Polen so viele persönliche Eindrücke erhielt wie von keiner anderen europäischen Macht. Sein Urteil war dezidiert negativ, denn er sah in Sachsen-Polen die Antithese eines mit Mühen von ihm angenommenen preußischen Herrschaftsstils und einer nur unter Konflikten verinnerlichten Staatsräson. 1735 formulierte er über seine Begegnung mit Leszczyński in einem Schreiben an Minister von Grumbkow: „König Stanislaus [...], seinem Wagen folgte ein Dutzend anderer, in denen polnische Herren und Damen saßen, häßliche Affen und häßliche Affenweibchen. [...] Das sind nicht Leute wie die, die Sie in Dresden gesehen haben, diese hier verstehen – mit wenigen Ausnahmen – nur polnisch und sind so schmutzig und schmierig, dass man Angst vor ihnen bekommt. Ich habe ihnen eine tadellose Ansprache gehalten [...].“132 Noch fast 50 Jahre später merkte er kritisch an, diese polnischen Adligen seien korrupt – bloße Tunichtgute. Der spätere König verwendete diese Eindrücke in seinem satirischen Werk über die Barer Konföderierten.133 Bereits die ersten überlieferten politischen Zeugnisse des 19-Jährigen entwickeln gegen Polen gerichtete Projekte. Im Brief an den Jugendfreund und Kammerjunker Karl Dubislav von Natzmer hieß es 1731: „[D]ie preußischen Länder sind so zerschnitten und getrennt, so dass ich glaube, dass notwendigste der Projekte, die man machen muss, ist es, sie aneinander anzunähern und an sie Teile anzuschließen [...]; solch einer ist das polnische Preußen, das immer zum Königreich gehört hat und das nur durch Kriege von ihm getrennt wurde, die der heutige Besitzer Polen gegen den Deutschen Orden geführt hat. [...] Wenn das Land erobert wäre, hätte man nicht nur eine gänzlich freie Passage von Pommern ins Königreich Preußen, sondern man fesselte auch die Polen und erreichte den Zustand, ihnen die Gesetze vorschreiben zu können.“134 Bei diesem Brief handelt es sich um die erste Textstelle, in der Friedrich – 41 Jahre vor der Annexion genau dieses Territoriums – eine Abtretung polnischer Gebiete an Preußen ins Auge fasst. Ziel bei allen Expansionsplänen war der Erwerb von Ruhm für seine Person, er sah sich auf den Spuren des Welteneroberers Alexander. 132 Kronprinz Friedrich an Grumbkow, Königsberg, 9.10.1735, zitiert nach: Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Grumbkow und Maupertuis, 1731–1759, hrsg. von Reinhold Koser, Leipzig 1898, S. 114–115. 133 Unterredung mit Tschernischew, 26.9.1768, in: Politische Correspondenz Friedrichs des Großen, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1879 ff., Band 27, S. 352; Barer Konföderierte: La guerre des confédérés. Poëme, in: Œuvres de Frédéric le Grand, hrsg. von Johann David Ermann Preuss. 30 Bände, Berlin 1846–1877, Band 14, S. 211–271. 134 Œuvres de Frédéric le Grand, vgl. Anmerk. 133, Band 16, S. 3–6.
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Als Herrscher entwickelte Friedrich II. seit 1740 eine politische Linie, die sich vor allem gegen die Habsburger und Sachsen-Polen wendete. In der deutschen Geschichtsschreibung ist diese antisächsische Politik Friedrichs oft nicht mit dessen antipolnischen Politiklinien zusammengebracht worden, da die sächsisch-polnische Union nicht ausreichend erforscht ist und als unterlegener Konkurrent lange Zeit kaum Aufmerksamkeit fand. Der Siebenjährige Krieg entstand aus einem „Präventivkrieg“ gegen Sachsen, den Friedrich mit dem Ziel entfesselte, Sachsen – ähnlich wie Schlesien – zu erobern und zu annektieren. Das Ziel, große Teile Sachsens und Polens zu annektieren, durchzieht alle Fassungen der »Politischen Testamente« Friedrichs. Das im Frieden niedergeschriebene politische Testament von 1752 – vier Jahre vor Kriegsbeginn – enthält erstmals konkrete Pläne zu einer Besetzung bzw. einem Erwerb Sachsens (nach den Einschätzungen Friedrichs „sehr einträglich“) und Teilen von Polen: „Von allen Provinzen Europas gibt es keine, die besser zu unserem Staat passten als Sachsen, Polnisch-Preußen und Schwedisch-Pommern, weil alle drei ihn abrunden.“135 An erster Stelle Sachsen, dann Polen. Während des Siebenjährigen Krieges plünderten preußische Truppen Sachsen systematisch aus. Als finanziell „sehr einträglich“ erwies sich eine gegen jegliches Kriegsrecht betriebene Münzverschlechterungspolitik: Friedrich ließ durch ein von Münzpächtern der Firma Ephraim Söhne und Daniel Itzig betriebenes Münzkonsortium in Leipzig und Dresden nicht nur preußische, sondern – auf der Basis der erbeuteten sächsischen und polnischen Münzstempel – auch minderwertige sächsische und polnische Münzen in großem Umfang nachprägen. In der Kabinettsordre vom 5. Februar 1757 heißt es, die Leipziger Münze solle „unter polnisch-sächsischem Stempel Tympfe wie auch halbe und ganze Schostak nebst anderer Scheidemünze prägen lassen“.136 Das neue, besonders minderwertige Geld durfte nicht in Preußen zirkulieren, sondern sollte nur im östlichen Europa, in Polen, Litauen und Ungarn vertrieben werden. Bis 1761 sollen die Münzpächter auf diese Weise ca. 50 Millionen Taler an Gold aus dem östlichen Europa und Sachsen herausgezogen und es der preußischen Münze nutzbar gemacht haben. Natürlich lösten die Münzverschlechterungen eine gigantische Inflation aus und schädigten die sächsischen und polnischen Untertanen in gewaltigem Ausmaß. Der sicherlich nicht friedrichkritische Reinhold Koser hat den Beitrag dieser Münzmanipulationen
135 Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 369–370. 136 Das Procedere ist detailliert dargestellt bei Hoensch, Jörg K.: Friedrichs II. Währungsmanipulationen im Siebenjährigen Krieg und ihre Auswirkungen auf die polnische Münzreform von 1765/66, in: Jahrbuch für Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 22 (1973), S. 110–175; Zitat nach Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden. Teil 3: Die Zeit Friedrichs des Großen, Band 1, Tübingen 1971, S. 239.
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zur Finanzierung des Siebenjährigen Krieges mit über 20% veranschlagt; neuere Studien kommen zu noch höheren Zahlen. Die polnischen Verluste werden auf 20–25 Millionen Reichstaler geschätzt, was etwa dem 20fachen der sehr niedrigen jährlichen polnischen Steuereinnahmen entsprach.137 Aus der Sicht der preußischen Propaganda wurden die sächsischen Eliten ähnlich wie die Polen beschrieben: Prunkliebend, eitel, verschwenderisch und faul (etwa Fürst Brühl). Dies fand durchaus Widerhall: Die angeblich im Palast Brühls aufgefundenen 2000 Paar Schuhe, 1500 Paar Stiefel, 1500 Perücken, 802 Schlafröcke, 500 Anzüge, 843 Tabakdosen und 67 Riechfläschchen demontierten das Bild des sächsischen Premierministers bis auf den heutigen Tag. Die deutschsprachige borussische Historiographie vor 1918 suchte die koordinierte antisächsisch-polnische Politik geheim zu halten; so wurden die politischen Testamente Friedrichs erst ab 1920 vollständig veröffentlicht. Fachhistoriker, die teilweise Zugang zu den Quellen hatten, wurden – wie der Göttinger Max Lehmann – von Berliner Mitarbeitern des Geheimen Staatsarchivs angegriffen.138 Die Teilungen Polen-Litauens entsprachen europaweit verbreiteten diplomatischen Modellen des 18. Jahrhunderts, aggressiv-expansionistische Konzepte ohne Kriege zum Schaden schwächerer Dritter umzusetzen.139 Gegenüber Polen wurde diese Strategie insbesondere von den beiden deutschen Großmächten betrieben. Bei Friedrich sind Teilungspläne seit 1731 belegt und kontinuierlich nachweisbar, in Wien spätestens seit dem Scheitern der Rückeroberung Schlesiens 1763 (Fürst Kaunitz, Joseph II.). Dabei sahen die österreichischen Pläne zunächst einen Ringtausch vor, Preußen sollte Teile Schlesiens zurückgeben und hätte sich dafür in Polen schadlos halten sollen. Diese Pläne wurden von Friedrich überspielt, der bereits sehr früh verharmlosende Bilder einer zukünftigen Teilung in die Welt setzte. 1752 hieß es in seiner Korrespondenz: „Ich glaube nicht, dass ein Waffengang das beste Mittel wäre, diese Provinz dem Königreich hinzuzufügen, und ich bin geneigt, Euch das zu sagen, was Victor Amadeus, König von Sizilien, Karl Emanuel zu sagen pflegte: ‚Mein Sohn, man muss Mailand verzehren wie eine 137 Koser, Reinhold: Die preußischen Finanzen im Siebenjährigen Krieg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 13 (1900), S. 153–217, 329–375; Blastenbrei, Peter: Der König und das Geld, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte N.F. 6 (1996), S. 55–82. 138 Hahn, Peter-Michael: Friedrich der Große und die deutsche Nation. Geschichte als politisches Argument, Stuttgart 2007, S. 39–40. 139 Bömelburg, Hans-Jürgen u.a. (Hrsg.): Die Teilungen Polen-Litauens. Ein neues Modell in der europäischen Außenpolitik (ca. 1760–1820), in: Kampmann, Christoph u.a. (Hrsg.): Neue Modelle im Alten Europa. Traditionsbruch und Innovation als Herausforderung in der Frühen Neuzeit, Wien 2012, S. 267–282.
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Artischocke, Blatt für Blatt‘.“140 Victor Amadeus lebte zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Jahre nicht mehr, seine Aussage ist nirgendwo überliefert und bis zu einem Gegenbeweis wohl als friderizianische Erfindung zu betrachten. Den Anstoß zur Ersten Teilung Polens gab Friedrichs Bruder Prinz Heinrich im Frühjahr 1771 bei einer diplomatischen Mission in Petersburg, wobei eine Absprache mit dem älteren Bruder gesichert ist. Eine preußische Initiative ist dabei plausibel, denn die russische Politik befand sich damals in einem Zweifrontenkrieg gegen das Osmanische Reich und gegen eine polnische Konföderation. Preußen erhielt das Königliche Preußen (34 900 km², 0,36 Mio. Menschen), Österreich Galizien (83 900 km², 2,67 Mio. Menschen). Die Zweite Teilung 1793 wurde von Ewald von Hertzberg, einem von Friedrich II. entdeckten und diesem auch nach dessen Tod in Verehrung zugetanen Diplomaten vorbereitet und unter Ausschluss Österreichs durchgeführt. Preußen erhielt Großpolen mit Posen (58 400 km², 1,14 Mio.). In der Dritten Teilung erhielt Preußen Masowien und Podlachien mit Warschau (43 000 km², 1,04 Mio.) und Habsburg 51 000 km² mit 1,1 Millionen Einwohnern.141 Europaweit ist das späte 18. Jahrhundert von einer ganzen Reihe ähnlicher Zusammenbrüche ehemals europäischer Mächte bestimmt (Niederlande, Schweden), so dass die Einzigartigkeit der Teilungen auf den Modus der rationalen Aufteilung nach strategischem Kalkül begrenzt bleibt. Die Erste Teilung wurde von Friedrich II. dezidiert im Sinne einer Kulturmission gerechtfertigt: „Wir werden den armen Irokesen die europäische Zivilisation bringen.“142 Diese Abwertung der Polen sollte die Teilung als wohltätigen Akt erscheinen lassen und muss als kolonialer Gestus interpretiert werden. Dabei wurde der Wert der Annexionen in Polen systematisch und in propagandistischer Absicht kleingeredet. An seinen Bruder Heinrich schrieb Friedrich im Juni 1772: „Ich habe dieses Preußen [...] gesehen; es ist eine sehr gute Erwerbung und sehr vorteilhaft, sowohl für die politische Situation des Staates wie für die Finanzen; aber um weniger Eifersucht zu erwecken, sage ich zu Jedem, der es hören will, ich hätte dort während meiner Reise nur Sand, Fichten, Nebel und Juden gesehen.“143 Alles deutet darauf hin, dass im Zuge dieser Kampagne auch das böse Stereotyp von der „polnischen Wirtschaft“ erfunden beziehungsweise in Umlauf gebracht wurde. Zumindest stammt der 140 Politisches Testament Friedrichs II. von 1752. Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 369–374. 141 Zu den Teilungen: Müller, Michael G.: Die Teilungen Polens; Bömelburg, Hans-Jürgen u.a. (Hrsg.): Die Teilungen Polen-Litauens, vgl. Anmerk. 139. 142 Zitiert nach Salmonowicz, Stanisław: Fryderyk II. Wrocław 1981, S. 116. 143 Politische Correspondenz, vgl. Anmerk. 133, Band 32, S. 249, Nr. 21.014 an Prinz Heinrich, 12.6.1772.
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älteste Nachweis aus dem friderizianischen Kabinett. In einer Ordre vom 2. Oktober 1781 an die Verwaltung in Westpreußen hieß es, als Steuerschulden aufliefen: „Das ist alles die liederliche polnsche [sic!] Wirtschaft der dortigen Edelleute Schuld, die sich nicht zur Ordnung gewöhnen wollen, darum müssen sie das so machen und durchaus keine Reste gestatten, vielmehr scharf dahinter her sein und den Edelleuten Exekution geben, bis sie alles bezahlet haben, denn ansonsten schicken sie das Geld doch nur nach Polen oder fressen alles auf [...]“.144 Mehrere Dutzend solcher Aussagen über „die Polen“ lassen sich bei Friedrich nachweisen. Die angebliche „polnische Wirtschaft“ wurde in der Moderne zu einem zentralen deutschen Stereotyp gegenüber dem östlichen Nachbarn, das in Sprichwörtern, in der Literatur, in Karikaturen und auf Postkarten dargestellt wurde. In die Literatur eingeführt hat den Begriff der Naturforscher Georg Forster, der als Professor in Wilna wiederholt in Briefen an deutsche Gelehrte über die angeblichen Zustände vor Ort berichtete.145 „Polnische Wirtschaft“ wurde andererseits aber auch zu einem ironisch verwendeten polnischen Autostereotyp, bei dem der deutsch-polnische Gegensatz von polnischer Seite immer mitgedacht wurde. In beiden Weltkriegen entwickelte es sich auf deutscher Seite zu einem Feindbild.146 Persönlich war Friedrich II. durchaus bereit, gegenüber Polen, die er schätzte und als „nützlich“ ansah, über solch eine Stereotypie hinwegzusehen. Seine wiederholten Begegnungen mit dem ermländischen Bischof und aufgeklärten Schriftsteller Ignacy Krasicki belegen dies. Krasicki erlebte als polnischer Untertan die Annexion 1772, verlor durch die Säkularisierung der Kirchengüter erhebliche Einnahmen und wurde gleichzeitig zu einem der vornehmsten preußischen Untertanen. Bereits 1772 wandte sich der – mit dem Vierfachen der Jahreseinnahmen – hoch verschuldete Krasicki in einer Eingabe an den preußischen König. Um seine bedrängte finanzielle Position zu verbessern und Auskunft über seine Befugnisse zu erhalten, reiste er im Dezember 1772 nach Berlin und erreichte in mehreren Audienzen eine teilweise Freigabe seiner Einnahmequellen, im Juni 1773 erhielt er ein königliches Geschenk in Höhe von 12 000 Reichstalern zur Begleichung der dringendsten Schulden.147 144 Kabinettsordre an Kammerdirektor von Korckwitz, 2.10.1781, zitiert nach: Bär, Max: Westpreußen unter Friedrich dem Großen, 2 Bände, Berlin 1909, Band 2, S. 439 f. 145 Althaus, Hans-Joachim: „Wie wäre da deutsche Wirthschaft möglich?“ Einige Überlegungen zu Georg Forsters Diktum „polnische Wirtschaft“, in: Orbis Linguarum. Legnickie Rozprawy Filologiczne, Band 7 (1997), S. 51–90. 146 Orłowski, Hubert: „Polnische Wirthschaft“. 147 Nach: Goliński, Zbigniew: Krasicki; Goliński, Zbigniew u.a. (Hrsg.): Korespondencja Ignacego Krasickiego. Z papierów Ludwika Bernackiego, 2 Bände, Wrocław 1958, Band 1, S. XLVI–XLVII.
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Diese Seite des Verhältnisses zwischen Friedrich II. und Krasicki kann als ein gegenseitiges Geben und Nehmen beschrieben werden: Der König reduzierte die Schulden des Bischofs, der ihn wiederum unterstützte, indem er seine Reputation bei den preußischen katholischen Untertanen etwa durch die Weihe der Berliner Hedwigskirche 1773 stärkte. Dazu ist die Anekdote überliefert, Friedrich habe Krasicki ironisch gebeten, ihm doch die Aufnahme in den Himmel zu ermöglichen, indem er ihn unter seinem weiten Mantel verberge. Der Bischof soll entgegnet haben, er täte dies sehr gerne, jedoch habe der König ihm diesen Mantel derart beschnitten, dass er leider nicht mehr darunter passe ...148 Daneben existierte eine zweite, stärker auf gegenseitige Anerkennung zwischen zwei erfahrenen Schriftstellern, Satirikern und Kunstkennern bezogene Seite ihrer Beziehung: Krasicki und Friedrich einte eine kritische Einstellung gegenüber religiöser Bigotterie und fehlender Reformbereitschaft. Krasickis Satire »Monachomachia Oder Der Moenchenkrieg« (1778) beschreibt einen Kampf zwischen Karmelitern und Dominikanern, die jeweils als ungebildet und abergläubisch gezeichnet werden. Als Schriftsteller hatte Krasicki auch beim deutschen Publikum Erfolg. Seine Märchennachdichtungen wurden noch zu seinen Lebzeiten ins Deutsche übersetzt. Krasicki verbrachte wiederholt den Winter in Berlin und wurde mehrfach für ein- bis zweiwöchige Besuche ins Potsdamer Stadtschloss eingeladen, hatte allerdings in Berlin zu warten, bis ihn der König zu sich bestellte. Im Januar 1781 beschrieb er einen Besuch bei Friedrich II.: „Wir saßen vier Stunden zusammen an der Tafel und das Großväterchen amüsierte sich so und kicherte so hemmungslos, dass wir uns wie die Kinder vergnügten. Wir erzählten uns Geschichten über dieses und jenes, auch Dubiecko, Nienadowa und Nostrzec [Güter der Familie Krasicki an den Flüssen Bug und San] kamen vor und diejenigen, die hinter der Tür standen, dachten vielleicht, es ginge um das Aequilibrium ganz Europas, was Friedrich selbst aussprach, und er machte sich darüber fürchterlich lustig und ich genauso; ach, wenn Ew. Liebden hier bei mir wären, wie wir uns hier vergnügen, wie wir Austern essen; Martin [Krasicki, ein Bruder des Bischofs] hat schon von den Austern einen aufgeschwollenen Bauch, so dass ich ihn kaum noch in der Kutsche mitnehmen konnte.“149 Die langen und opulenten Mahlzeiten des Königs waren berühmt und manchmal auch gefürchtet. Mit seinem Esprit und seinen Erzählungen gelang 148 In Polen überliefert durch Franciszek Ksawery Dmochowski, vgl. Goliński, Zbigniew: Krasicki, S. 209. 149 Brief Ignacy Krasickis an Antoni Krasicki, Berlin, 7.1.1781, zitiert nach: Krasicki, Ignacy: Utwory wybrane, bearbeitet von Zbigniew Goliński, 2 Bände, Warszawa 1980, Band 2, S. 12.
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es Krasicki offenbar, Friedrich in dieser Zeit in eine andere Welt zu entführen. Im Frühjahr bereitete sich der Bischof dann jeweils darauf vor, dem Monarchen im Feldlager bei Mockrau Gesellschaft zu leisten. In einem Brief bemerkte er ironisch: „Ich muss nach Graudenz zum König und dort mit ihm einige Tage biwakieren; schade, dass die Kreuzzüge schon vorbei sind, sonst würden sicher alle Bischöfe zu den Rittern gehen.“150 Allerdings: In seinen umfangreichen Briefen und Schriften, ebenso wie in Friedrichs Aufzeichnungen, fehlt ein Hinweis darauf, dass es sich um eine herzliche Beziehung handelte, vergleichbar etwa der engen Freundschaft, die Krasicki mit Ernst Ahasverus Graf Lehndorff unterhielt. Friedrichs Tod im August 1786 kommentierte Krasicki brieflich – nun sei endlich „die große Krise“ ausgebrochen. Kein Wort des Mitleids, kein Wort des Bedauerns. Die friderizianische Politik in der annektierten Provinz Westpreußen suchte die polnischen Eliten durch eine wirtschaft liche Benachteiligung (höhere Steuerlasten) zur Abwanderung zu zwingen. In der Instruktion für die Klassifi kationskommission hieß es 1772: „Die Adligen in diesen Provinzen was eigentlich würkliche oder Stockpolen sind sollen 10 proCent geben [...], die Evangelischen oder Deutsche [...] aber weniger und es könnte in dermaaßen geschehen als wenn ihr Acker schlechter sei.“151 Bei der Klassifi kation wurden diese Vorgaben noch härter ausgelegt, so dass die Unterschiede tatsächlich größer ausfielen. Ziel war die Abwanderung der polnischen Eliten, 1780 drückte sich Friedrich II. in einer Generalinstruktion so aus: „Die Polen, die dann hier nicht wohnen wollen, müssen ihre Güter verkaufen, und da muss man denn sehen, gute und bemittelte Leute aus dem Reiche und der Gegenden hereinzuziehen, denen S.K.M. sehr wohl erlauben wollen, dass sie Güter dorten kaufen können, weil die als gute Bürger ihnen lieber und immer besser sind, als das polnische Zeug.“152 Solche Anordnungen ließen sich dutzendfach zitieren. Sie verbreiteten und befestigten eine abwertende Einstellung gegenüber der polnischen Bevölkerung in den nachgeordneten Dienststellen. Befehle zum Umgang mit der polnischsprachigen Bevölkerung – „diesen sklavischen Leuten bessere Begriffe und Sitten beizubringen“; „solche mit der zeit mit Teutsche zu meliren“ – verinnerlichte die deutsche Beamtenschaft und leitete daraus ein Überlegenheitsgefühl ab. Dies mündete in ein entsprechendes Verhalten vor Ort. 150 ebd., S. 12, 46. 151 Protokoll Johann Rembert Rodens vom 11.5.1772, zitiert nach: Bömelburg, HansJürgen: Zwischen polnischer Ständegesellschaft , S. 240. 152 Kabinettsordre vom 18.06.1780, abgedruckt bei Bär, Max: Westpreußen, vgl. Anmerk. 144, Band 2, S. 398–405.
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Auch bei unvoreingenommenen Beobachtern wurde dieser Mechanismus im späten 18. Jahrhundert registriert. Johann Karl Graf von Hohenzollern, ein entfernter Verwandter Friedrichs aus der katholischen Hohenzollernlinie und Bischof von Kulm, beschwerte sich über das Auft reten der preußischen Beamten: „Auf der andern Seite hat mancher Beamte die Gewohnheit, die er angenommen, polnische Bauern und vielleicht auch andere Einsassen dieser Nation mit einer Verächtlichkeit [Hervorhebung i. Org.] zu begegnen, die sie einer Behandlung gegen das Vieh gleich setzt.“153 Insgesamt ist die preußische Politik gegenüber der polnischen Bevölkerung in den Teilungsgebieten stark exkludierend, sie unterschied sich aber nicht grundsätzlich von der österreichischen Politik in Galizien. Auch hier waren die Beamten angehalten, gegen die landsässigen polnischen Eliten vorzugehen und sie auf die Rolle zu reduzieren, die ihnen im österreichischen Gesamtstaat zukam. Weiterhin wurden die Adligen mit ihrem traditionellen Selbstverständnis und in ihren herkömmlichen Wirtschaftsweisen von der Zentralverwaltung als rückständig angesehen. Die Rüge Josephs II. während einer Inspektionsreise 1780 in Lemberg, man habe „zu viel Verständnis für all diese großen Herren gehabt“, steht hier unmittelbar neben Berliner Anweisungen an die westpreußische Kammer. Aus einem absolutistischen Staatsverständnis heraus ging die österreichische wie preußische Politik in beiden Regionen gegen die sujets mixtes vor, das heißt diejenigen Adligen, die über Galizien und Westpreußen hinaus auch noch in den verbliebenen polnischen Territorien über Grundbesitz verfügten. Barsche Anweisungen, die Güter zu verkaufen, zunächst nur kurz bemessene und immer wieder verlängerte Abzugsfristen sowie stärkere steuerliche Belastungen wurden sowohl in Galizien als auch in Westpreußen angewandt.154 Zu einem regelrechten Verdrängungsprozess kam es jedoch nur in Westpreußen. Aufgrund der zentralen Lage im preußischen Gesamtstaat und der Existenz eines protestantischen Adels standen hier deutsche adlige und bürgerliche Eliten bereit, die Güter erwerben sollten und konnten (nur in Westpreußen durften im preußischen Gesamtstaat vor 1806 auch Nichtadlige Güter erwerben). Im österreichischen Galizien war eine Verdrängungspolitik in diesem Ausmaß nicht möglich und nicht intendiert. Zwar stellte Gubernialrat Ernst Bogumil Kortum 1790 fest, dass ein beträchtlicher Teil des Landes in den Händen der Kammerverwaltung und von Beamten sei, doch ging es hierbei in erster Linie um die größeren Krongüter, die zu Domänenämtern 153 Schreiben des Grafen von Hohenzollern an das Ober-Schul-Kollegium, 12.9.1788, zitiert nach: Lehmann, Max / Granier, Hermann (Hrsg.): Preußen und die katholische Kirche seit 1640, 9 Bände, Leipzig 1878–1902, Band 6, S. 312–317. 154 Bömelburg, Hans-Jürgen: Inklusion und Exklusion.
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zusammengefasst wurden. Im Vergleich zu Westpreußen behauptete sich jedoch der polnische Großgrundbesitz in Galizien unter lediglich begrenzten Einbußen. Der wirtschaft liche und politische Konkurrenz- bzw. Verdrängungsprozess förderte in Westpreußen wie auch teilweise in Galizien auf Seiten des ortsansässigen Adels deutliche Frontstellungen. Der Justizrat in Bromberg August Carl Holsche beurteilte die Situation in Westpreußen so: „Nachdem die Provinz preußisch wurde, war der polnische Adel nicht mehr, was er gewesen, es mischte sich daher Bitterkeit in seinen Charakter, und Mistrauen gegen Deutsche, welches noch lange fortdauren wird. [...] An einer Uebereinstimmung des deutschen und polnischen Adels ist lange nicht zu denken, welches sich auf den Kreistagen und andern Versammlungen äußert.“155 Gesellschaft lich und kulturell führte der Zusammenprall zweier konkurrierender Eliten mit unterschiedlichen Bildungserfahrungen und Verwaltungskonzepten zu einer Vielzahl von Irritationen, bis hin zu veritablen Konflikten. Die ausufernde Schrift lichkeit der neu installierten Verwaltungen traf bei den alten Eliten auf Unverständnis. Der polnische Generalmajor Karl-Albrecht Schack von Wittenau fasste in einem Brief an den Thorner Bürgermeister den neuen Regierungsstil in Westpreußen 1773 so zusammen: „Ich glaube wohl, daß es denen alten Männern ihres Territorii so wie in dieser Gegend wunderlich vorkommt, so viele Ausschreiben und Befehle zu erhalten.“156 Umgekehrt lösten die traditionellen Formen adligen und ständischen Widerstands in ausgeformten lateinischen Schriftsätzen bei den galizischen wie den westpreußischen Beamten nur Geringschätzung aus. Deutsche Beamte in Galizien kritisierten: „Und diese Responsa, diese Gutachten, diese Vorstellungen, wie waren sie abgefasst? In einem Latein [...], in einer Sprache, die schon vor tausend Jahren begraben, und wenige von den Begriffen auszudrücken fähig ist, die unsere erweiterten Kenntnisse, und die Entstehung einer ganz neuen Ordnung der Dinge, nothwendig gemacht haben.“157 Erschwerend trat in Galizien die rücksichtslose Durchsetzung der deutschen Sprache als Amts- und Verwaltungssprache hinzu. In josephinischer Zeit wurde zum 1.1.1785 das Deutsche zur alleinigen Verwaltungssprache erklärt, obwohl die Deutschkenntnisse im Adel und in den Dominialverwaltungen
155 Holsche, August Carl: Der Netzedistrikt. Ein Beitrag zur Länder- und Völkerkunde mit statistischen Nachrichten, Königsberg 1793, S. 257. 156 Bömelburg, Hans-Jürgen: Zwischen polnischer Ständegesellschaft , S. 242. 157 Magna Charta von Galizien oder Untersuchung der Beschwerden des galicischen Adels pohlnischer Nation über die österreichische Regierung, hrsg. von Ernst Bogumil Kortum, Jassy 1790, S. 153 f.
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gering waren. Beamte, die das Deutsche nicht beherrschten, erhielten eine dreijährige Frist zum Erlernen. Adlige Gegenvorstellungen erläuterten die Folgen: „Die Kreisämter schreiben die Befehle in deutscher Sprache, die nicht verstanden und deshalb schlecht oder gar nicht ausgeführt werden.“158 Dieses Sprachproblem existierte in Westpreußen, in Pommerellen und im Kulmer Land zwar auch, doch waren hier funktionale deutsche Sprachkenntnisse wesentlich weiter verbreitet. In Galizien sollten die Ordnungsvorstellungen der österreichischen Regierung bis auf die Ebene der adligen Kleidung durchgesetzt werden. Im Besitznehmungspatent hieß es: „Es wäre sehr zu wünschen, das binnen Jahr und Tag kein Mensch mehr polnisch gekleidet erscheine, die Bauern ausgenommen.“ Auch sollten „alle in k.k. Diensten vorzustellende Personen als sub conditione sine qua non angehalten werden, die französische Kleidung anzunehmen“.159 Leicht einzusehen, dass solche Verordnungen sich gegen festverwurzelte Traditionen nicht durchsetzen konnten und auf Ablehnung und Widerstand stießen. In Galizien beschwerte sich der Adel kontinuierlich über eine ihm von den Beamten entgegengebrachte Geringschätzung. „Die Deutschen, die in den Behörden ihrer kaiserlichen Majestät Dienst tun, sehen es als ihre Pflicht an, die Polen und die Rechte der polnischen Republik verächtlich zu machen und sie ins Lächerliche zu ziehen; der Schmerz des Adels ist um so empfindlicher, als niemand von Ihnen vergessen hat, dass er gewaltsam von einem Polen zu einem Galizier gemacht wurde.“160 Weiterhin brachte der Adel vor, die auswärtigen Beamten hätten die Galizier als kulturloses Volk dargestellt, das erst zivilisiert werden müsse. Schließlich hätten die Beamten, um sich selbst unentbehrlich zu machen, das adlige Verhalten gegenüber den untertänigen Bauern in den schwärzesten Farben ausgemalt. Dieser Argumentationsfigur sollte im 19. Jahrhundert noch eine Karriere beschieden sein. Umgekehrt werden zumindest unter dem konservativen galizischen Adel um 1790 die Vorstellungen von „deutscher Wirtschaft“ zu einem deutlich negativ besetzten Begriff. Franciszek Karpiński, der in den 1770er Jahren als Gutspächter in Pokutien in Ostgalizien tätig war und insbesondere durch seine literarischen Werke – etwa »Die Klagen eines Sarmaten« (»Żale Sarmaty«) 158 Uwagi nad rządem galicyjskim. Przyczyny, dla których do tego stopnia nikczemności prowincja ta przeszła, a na koniec sposoby, jakimi by los tego kraju poprawić można. o.O. 1790, S. 39. 159 Edicta et mandata universalia regnis Galiciae et Lodomeriae [...], Leopoli [1773]–1783, Bd. 1, Nr. 1 [o.S.]. 160 Brief eines Nobilis possesionatus, 15.12.1789, zitiert nach: Tyrowicz, Marian: Galicja od pierwszego rozbioru do Wiosny Ludów 1772–1848. Wybór tekstów źródłowych, Wrocław 1956, S. 124.
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– bekannt wurde, spricht in seiner Autobiographie von den habsburgischen Beamten immer nur als von den „Deutschen“. So erwähnt er beispielsweise einen „überheblichen deutschen Direktor“, der mit den polnischen Adligen jedoch Tschechisch sprach! Für Karpiński gilt dieser Beamte, unabhängig von seinem nationalen Hintergrund, infolge eines Bündels negativ gewendeter Kriterien als „deutsch“.161 Ähnliche Zuweisungen sind im westpreußischen Adel, insbesondere infolge der schillernden und vieldeutigen Verwendung von „Preußen“ und „preußisch“, nicht bekannt. Dagegen funktionierte dort die Stereotypie von der „polnischen Wirtschaft“ bereits nach 1772 zur Ausgrenzung des katholischen polnischsprachigen Adels und der katholischen Kirche. In den in das russländische Imperium eingegliederten weißrussischen Gouvernements sind ähnliche national konnotierte Zuweisungen und eine exkludierende Stereotypie unbekannt. Diese Feststellung ist auch deshalb von Belang, weil neben Katharina II. eine Reihe von hohen russländischen Beamten einen deutschbaltischen Hintergrund hatte. Anders in Galizien und Westpreußen: Der Gegensatz zwischen zwei kulturell und politisch verschieden geprägten Eliten – die zugewanderten, sich aufgeklärt gerierenden Beamten lehnten die alteingesessenen, noch barock-katholisch geprägten Adelseliten als rückständig ab – mündete in Westpreußen wie in Galizien in einen Konfl ikt, in dem ein neues, national verortetes Begriffssystem an Gewicht gewann, das sich zudem auch auf eine aufk lärerische Theoriebildung stützen konnte (Figur des „Nationalcharakters“). Die konfessionellen Unterschiede waren nur in Westpreußen von Bedeutung, wo ein Gegensatz bestand zwischen protestantischen Beamten und katholischem Adel, während in Galizien beide Eliten katholisch waren. Möglicherweise ist das Fehlen des Begriffs „polnische Wirtschaft“ in Galizien auf diese weniger scharfe und weniger dauerhafte Abgrenzung zwischen den beiden Eliten zurückzuführen. Wo Eliten derselben Konfession aufeinandertrafen und infolge des einsetzenden Konnubiums bereits in der zweiten Generation die Grenzen zwischen „deutsch“ und „polnisch“ fließend wurden, konnte eine exkludierende Stereotypie nicht so schnell Karriere machen. Doch auch unter den preußischen Beamten, die im späten 18. Jahrhundert nun die Verwaltung in ganz West- und Zentralpolen leiteten, gab es kunstund kulturinteressierte Persönlichkeiten. Der Beamte und Schriftsteller E.T.A. Hoff mann war zunächst als Assessor in Posen tätig und heiratete dort die Polin Maria Tekla Rohrer-Trzcińska. Er beherrschte zumindest Grundlagen 161 Karpiński, Franciszek: Historia mego wieku i ludzi, z którymi żyłem, hrsg. von Roman Sobol, Warszawa 1987, S. 93, 95; weitere Zitate bei Bömelburg, Hans-Jürgen:Inklusion und Exklusion, S. 199.
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des Polnischen, war eher ein Gegner der Teilungen; in seinen Werken findet sich wiederholt die Figur des „edlen Polen“, auch die Thematik der polnischen Aufstände wird behandelt. Wegen seiner Karikaturen preußischer Beamter wurde er 1802 nach Płock strafversetzt, 1803 kam er durch Fürsprache Theodor Gottlieb von Hippels nach Warschau. Dort musste er als Regierungsbeamter u.a. auch der jüdischen Bevölkerung Familiennamen zuteilen. Zugleich nahm er am Warschauer Musikleben regen Anteil.162 Hier wird exemplarisch sichtbar, dass die Teilungen und die Expansion Preußens und Österreichs natürlich auch zahlreiche neue deutsch-polnische Begegnungen zur Folge hatten, die individuell ganz verschieden verliefen: Preußische und österreichische Beamte taten in polnischen Städten Dienst, polnische Adlige und Militärs orientierten sich in Richtung Berlin und Wien, wo um 1800 jeweils ein polnisches Milieu entstand. Solche individuellen Lebenswege können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die von preußischer Seite betriebene Annexion aller west- und zentralpolnischen Territorien – Warschau war um 1800 die zweitgrößte preußische Stadt, der preußische König hatte ca. 35-40% polnischsprachige Einwohner – scheiterte. Die rigide preußische Verwaltung, konfessionelle Konflikte und abweichende Ordnungsvorstellungen – preußische Obrigkeit versus polnische Freiheitskonzepte – mündeten in die Krise des Kościuszko-Aufstandes (1794), der durch den koordinierten Einsatz preußischen und russländischen Militärs niedergeschlagen wurde. 1806/07 begrüßten die polnischen Bürger Preußens die napoleonischen Truppen als Befreier. Damit scheiterte auch das hohenzollernsche Expansionsmodell zwischen römisch-deutschem Reich und Polen-Litauen, ein preußischer Staat für Deutsche und Polen war in Zukunft trotz mancher nostalgischer Stimmen aus dem polnischen Preußen ausgeschlossen. Ein sich abzeichnender „deutscher Beruf“ Preußens führte in eine Exklusion und Unterdrückung der polnischen Bestandteile der Monarchie. Insgesamt mündeten die Teilungen Polens – von ihren mehrheitlich deutschen Urhebern als machtpolitische Konfliktlösung ohne Krieg konzipiert – in eine von der polnischen Gesellschaft, die bereits im späten 18. Jahrhundert durch eine erweiterte adlig-öffentliche Soziabilität und Publizistik entstand, immer stärker als „Fremdherrschaft“ wahrgenommene Situation. Preußische und österreichische Beamte, die nun in Posen, Warschau, Płock, Białystok, Lemberg oder Krakau Dienst taten, erschienen in ihren administrativen Bemühungen zunehmend als Werkzeuge fremder Interessen. 162 Buddensieg, Hermann: E.T.A. Hoff mann und Polen, in: Mickiewicz-Blätter 4 (1959), H. 12, S. 145–191; Rohde, Markus: Zum kritischen Polenbild in E.T.A. Hoff manns „Das Gelübde“, in: E.T.A. Hoff mann-Jahrbuch (2001), S. 34–41.
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Fehlende Kommunikation, weiter anhaltende konfessionelle Gegensätze und eine Sprachpolitik, die das Deutsche durchsetzen wollte, bestärkten diese Wahrnehmung. Tatsächliche Modernisierungen und gesellschaft liche Reformen, etwa die Minderung bäuerlicher Lasten in dem in der Dritten Teilung von Preußen annektierten Neuostpreußen oder eine stärker kodifizierte und einheitliche Rechtspolitik im preußischen Allgemeinen Landrecht oder im österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (seit 1797 im annektierten Westgalizien probeweise in Kraft gesetzt), blieben vor diesem Hintergrund weitgehend wirkungslos. Die preußische und österreichische Expansion stellte so in Zentralpolen nur eine Episode dar, abgebrochen durch die militärischen Niederlagen gegen Napoleon und die 1815 festgeschriebene russländische Hegemonie in diesem Gebiet. Sie hatte jedoch erhebliche politische wie mentale Konsequenzen: Preußen wie Österreich konnten einen großen Teil der annektierten Gebiete mit einer mehrheitlich polnischen Bevölkerung das ganze 19. Jahrhundert hindurch behalten: Preußen besaß Westpreußen und Großpolen (Provinz Posen), Österreich Galizien. Mental verfestigte sich insbesondere in der preußischen protestantisch-deutschen Verwaltung die Vorstellung, man müsse in den angeblich „rückständigen“ polnischen Territorien eine koloniale „Hebungspolitik“ – so die Begrifflichkeit des 19. Jahrhunderts – durchsetzen. Die machtpolitische Expansion deutscher Staaten im späten 18. Jahrhundert schuf so schwer wiegende Hypotheken für die deutsch-polnischen Beziehungen in der Moderne.
II. Fragen und Perspektiven
1. Mobilität und Kulturtransfer
Kulturen im frühneuzeitlichen Europa stehen stets im Kontext von Migrations- und Transferprozessen: Die ein- oder auswandernden Menschen kamen oder gingen mit einem umfangreichen Gepäck von Wissen, Praktiken und Gütern, die am Bestimmungsort neu angepasst und eingesetzt wurden. Dies gilt auch und gerade für die deutsch-polnische Geschichte in der Frühen Neuzeit. Insbesondere in Mitteleuropa gab es in dieser Epoche keine autonomen kulturellen Räume, die nicht von Mobilität oder Austausch betroffen gewesen wären. Diese Migrations- und Transferprozesse sind jedoch bisher nur unzureichend untersucht, vor allem auch weil die ältere deutsche „Ostforschung“ – auf die Spitze getrieben im Nationalsozialismus – einen einseitigen Kulturtransfer von West nach Ost postulierte und entsprechend schematisch vorging. Am deutlichsten zu sehen ist dieses Paradigma in dem in drei voneinander abweichenden Auflagen (1940, 1942, 1957) erschienenen Sammelband »Deutsche Gestalter und Ordner im Osten« bzw. »Deutsch-Polnische Nachbarschaft« von Kurt Lück und Victor Kauder, dessen Autoren der deutschen Ostforschung und der deutschen Minderheit in Polen zuzurechnen sind und die deutsche Polenforschung 1920–1970 prägten.1 Hier wird die These aufgestellt, kulturelle Leistungen in Ostmitteleuropa seien das Ergebnis von Mobilität und Transferprozessen durch Deutsche. Gegen ein solches „Kulturträgertum“ wandte sich vehement die polnische Forschung: Im Polnischen findet der aus dem Deutschen übernommene Begriff kulturtregerstwo Verwendung, der ironisch-pejorativ das Postulat eines Kulturtransfers aus dem deutschen Raum bezweifelt. Kulturelle Transfers aus Deutschland wurden auf polnischer Seite grundsätzlich in Frage gestellt, indem einerseits auf westeuropäische Modelle in Italien, Frankreich und den Niederlanden verwiesen, andererseits solche Prozesse marginalisiert und ihre Träger polonisiert wurden. Zugleich wird aktuell zu Recht gefordert, dass
1 Lück, Kurt u.a. (Hrsg.): Deutsche Gestalter und Ordner im Osten, Posen 1940 (Ostdeutsche Forschungen, 12; Forschungen zur deutsch-polnischen Nachbarschaft im ost mitteleuropäischen Raum, 3), ²1942, 3. Auflage unter dem Titel: Deutsch-Polnische Nachbarschaft . Lebensbilder deutscher Helfer in Polen, Würzburg 1957.
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II. Fragen und Perspektiven
auch Transferprozesse und Migrationen von Ost nach West untersucht werden müssten.2 In den modernen deutschsprachigen Forschungen wird das Thema gerade wegen seiner ideologischen Belastung eher gemieden; erst die Reaktualisierung des Konzepts vor allem in der deutsch-französischen Forschung führte dazu, dass in den letzten 15 Jahren auch deutsch-polnische Transferprozesse wieder intensiver analysiert werden, aber noch bei weitem nicht durchgängig aufgearbeitet sind. Gegenwärtig werden unterschiedliche methodische Ansätze verwendet, die auf die französisch-deutsche Transferforschung zurückgehen oder aber auf angloamerikanische Überlegungen zu travelling concepts, die insbesondere den Übersetzungsprozess und deren Träger ins Zentrum der Untersuchung stellen. Hier muss stets ein gesamteuropäischer Raum im Blick bleiben, da anders die zentralen Transferwege mit Verkehrs- und Migrationsrouten wie Oberitalien – Nürnberg – Prag – Krakau oder Flandern – Amsterdam – Ostsee – Danzig nicht erfasst werden können. Stets gilt es auch, die Frage zu berücksichtigen, wie die Migrationen die Menschen an ihren neuen Lebensorten veränderten. Unterschieden wird in der Forschung zumeist zwischen „Akkulturation“ und „Assimilation“, wobei Akkulturation als ein umkehrbarer Prozess der Anpassung von wirtschaft lichen, politischen und kulturellen Praktiken an die Verhältnisse an den neuen Lebensorten beschrieben wird, „Assimilation“ dagegen die – in der Regel unumkehrbare – Übernahme einer anderen Verkehrssprache und fester Lebensgewohnheiten bedeutet. Akkulturations- und beginnende Assimilationsprozesse konnten durch eine Rekonfiguration familiärer Erinnerungen oder die Bewusstwerdung bzw. Konstruktion einer Verfolgungsgeschichte (→ S. 184) wieder rückgängig gemacht werden. Waren alle Gruppen einheitlicher Konfession, so setzte sich über Ausgleichsprozesse zumeist die Mehrheitsbevölkerung sprachlich durch, polnischsprachige Ansiedler etwa in Niederschlesien wurden deutschsprachig, deutschsprachige katholische Ansiedler in Großpolen polnischsprachig. Ein Beispiel: Die „Bamberger“ (bambrzy) wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Posener Ratsherren in Oberfranken angeworben und auf städtischen Gütern in Großpolen angesiedelt. Insgesamt waren es ca. 100 Familien ausschließlich römisch-katholischen Glaubens, etwa 500 Menschen. Im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert assimilierten sich die Bamberger immer mehr, behielten aber ihre deutschen Familiennamen und fränkischen 2 Dygo, Marian / Gawlas, Sławomir / Grala, Hieronym (Hrsg.): Modernizacja struktur władzy w warunkach opóźnienia; Czaja, Roman / Gawlas, Sławomir: Ziemie polskie wobec zachodu. Studia nad rozwojem średniowiecznej Europy, Warszawa 2006.
1. Mobilität und Kulturtransfer
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Volkstrachten. Während des Kulturkampfes protestierten sie als Katholiken gegen die zwangsweise Germanisierung ihrer polnischen Nachbarn und glichen sich immer stärker an die polnische katholische Mehrheitsbevölkerung an.3 Ähnliche Prozesse, für die die schrift liche Überlieferung allerdings spärlich ist, fanden unter dem deutschsprachigen katholischen Bürgertum der kleinpolnischen und rotreußischen Städte im 16. und 17. Jahrhundert statt. Deutschsprachige Zuwanderer und Handwerker, die zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert nach Krakau, Lemberg oder Kamieniec Podolski kamen, glichen sich in der Frühen Neuzeit sprachlich und kulturell an die polnische Mehrheitsbevölkerung an, obwohl das Magdeburger Recht wiederholt auf deutsche Rechtstraditionen verwies. Zurück blieb manchmal die Bezeichnung „deutsch“ auch für längst polnischsprachige Bevölkerungen sowie für die älteren Rechts- und Zunft traditionen.4 Erheblich weniger bekannt ist die schnelle Übernahme kaiserlicher Rechtssetzungen auch in den polnischen Städten: Bartłomiej Groicki übernahm bereits in seiner Übersetzung von 1559 Bestimmungen der „Carolina“ Karls V., wobei die Folgen sehr ambivalent waren: Neben rechtlichen Weiterentwicklungen fanden so auch die Verfahren in Hexenprozessen Eingang in polnisches Recht.5 Bei unterschiedlicher Konfession verliefen solche Assimilationsprozesse viel langsamer beziehungsweise fanden in abgeschlossener dörflicher Umgebung gar nicht statt. So entstanden in der Frühen Neuzeit die späteren deutsch-protestantischen Sprachinseln in Großpolen bzw. die polnisch-katholischen Sprachinseln in der Weichselniederung (Kreis Stuhm). Exemplarisch vorgestellt werden können Transferprozesse und Akkulturations- und Assimilationsvorgänge an konkreten Verfahren und Techniken sowie an individuellen Lebensläufen und Biographien. Unter Verfahren und Techniken gibt es „Klassiker“ einer deutsch-polnischen Transfergeschichte, etwa den Buchdruck, der in der deutschen Forschung häufig als „Verdienst deutscher Drucker in Polen“ dargestellt wurde. Dies gilt für die frühen Krakauer Drucker wie den Buchverleger Johann Haller, den ersten Drucker in Kyrillica Schweipolt Fiol (der Oktoich für die orthodoxe Liturgie wurde 1491 in Krakau gedruckt) oder den gerade um Drucke in polnischer Sprache verdienten Hieronymus Vietor (Wietor, Binder). Gefragt werden müsste aber auch hier viel stärker, ob es sich nicht um wechselseitige Prozesse
3 Paradowska, Maria: O historii Bambrów inaczej, Poznań 2003. 4 Stopka, Krzysztof: Die Stadt, in der die Polen Deutsche genannt wurden: Zwischenethnische Interaktion in Kam‘janec‘ Podil’s’kyj in der Darstellung armenischer Quellen aus der Zeit um 1600, in: Rohdewald, Stefan u.a. (Hrsg.): Litauen und Ruthenien, S. 67–110. 5 Groicki, Bartłomiej: Artykuły prawa magdeburskiego. Postępek około karania na gardle. Ustawa płacej u sądów, hrsg. von Karol Koranyi, Warszawa 1954.
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II. Fragen und Perspektiven
handelt, wenn etwa der Schlesier Vietor zunächst in Krakau studierte und dort eine Druckerei eröffnete, dann nach Wien wechselte, 1517 wieder an die Weichsel zurückkam und schließlich zum wichtigsten Krakauer Drucker avancierte.6 Solche wechselseitigen Transferprozesse sind zuletzt programmatisch für die sächsisch-polnische Union vorgestellt worden.7 Es fehlen jedoch für viele Bereiche methodisch avancierte Studien. Notwendig wäre die Untersuchung von Transferprozessen in Kirchenverfassung und kirchlicher Reform sowohl für die Protestanten (Jan Łaski, Ausstrahlung der Synodalverfassungen, StadtLand-Mobilität) als auch für die katholische Reform (Dreieck Rom/Hl. Stuhl – römisch-deutsches Reich – Polen-Litauen). Auch für das verbreitete Phänomen der Glaubensflüchtlinge könnte intensiver gefragt werden, was Mennoniten, Antitrinitarier oder die Lutheraner in Großpolen bei ihrer Migration mitbrachten und in welchen Fällen es zur Adaptation von Elementen aus der Kultur der Aufnahmegesellschaft kam. Zu fragen wäre aber zugleich, in welchen Situationen der Minderheitenstatus und gemeinschaft liche Sperren gegen eine Akkulturation hemmend bei einem Kulturtransfer wirkten.8 Auch für die Rezeption republikanischen Denkens und von monarchia-mixta-Konzepten zwischen polnischer und deutscher Respublica fehlen bislang Arbeiten, die Transferprozesse behandeln. Letztendlich zerfallen Transfer-, Akkulturations- und Assimilationsprozesse im Verlaufe der Migration in unendlich viele Geschichten und individuelle Biographien. Zwei seien hier exemplarisch vorgestellt: Der Kaufmannsgehilfe Martin Gruneweg stammte aus einer Danziger Kaufmannsfamilie, wurde jedoch mit 15 Jahren von Verwandten zum Erlernen der polnischen Sprache zu Handelspartnern nach Bromberg gegeben. Dort lernte er Polnisch und trat später in Warschau und Lemberg in die Dienste polnischer und armenischer Kaufleute; in den 1580er und 1590er Jahren bereiste er das ganze östliche Europa, trat später zum Katholizismus über und beschrieb als
6 Vgl. dazu die umfangreiche Bibliographie: Lawaty, Andreas / Mincer, Wiesław (Hrsg.): Deutsch-polnische Beziehungen in Geschichte und Gegenwart, Band 1, S. 354–362; Synthese: Kawecka-Gryczowa, Alodia: Z dziejów polskiej książki w okresie Renesansu. Studia i materiały, Warszawa 1975; zu Vietor: Świerk, Alfred: Hieronymus Vietor (Wietor). Ein Pionier des polnischen Buchdrucks im 16. Jahrhundert, in: Gutenberg-Jahrbuch (1976), S. 194–199. 7 Trepte, Hans-Christian: „West-Ost-West-Passagen“ – Migration und Kulturtransfer im 18. und 19. Jahrhundert. Das Beispiel Polen-Sachsen, http://www.bpb.de/veranstaltungen/ dokumentation/152253/west-ost-west-passagen-migration-und-kulturtransfer-im18-und-19-jahrhundert-das-beispiel-polen-sachsen?p=1&rl=0.43130281085001587 (21.04.2013). 8 So etwa Kizik, Edmund: Menonici.
1. Mobilität und Kulturtransfer
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Abb. 3. Daniel N. Chodowiecki, Ritter des Deutschen Ordens sowie Beratungen des polnischen Sejms im Jahre 1562 (Ansprache des Senators Rafał Leszczyński an König Sigismund August), Kupferstich aus einer Reihe von Illustrationen zur Geschichte Polens (1795). Die Vorfahren Daniel Chodowieckis – aus dem polnischen Adel stammende Calvinisten – waren zunächst in Thorn, später in Danzig ansässig.
Dominikanermönch in verschiedenen Klöstern seine Lebensgeschichte in deutscher Sprache.9 Grunewegs Darstellung ist sehr stark auch von sprachlich und religiös gefärbten Identitätsdiskursen geprägt. Zeit seines Lebens fühlte er sich sprachlich als Danziger Deutscher, entwickelte aber immer stärker auch eine katholische und polnische Identität. Gerade die Identitätsbildung als Deutschsprachiger ist überraschend und erfordert weitere Detailstudien; bisher ging die Forschung davon aus, dass dem Faktor Sprache in der Frühen Neuzeit im deutsch-polnischen Kontakt nur eine geringe Bedeutung zukam. Ist Gruneweg durch die Vielsprachigkeit seines Umfeldes und die engen Kontakte mit sprachbewussten Armeniern ein Sonderfall? 9 Bues, Almut (Hrsg.): Die Aufzeichnungen des Dominikaners Martin Gruneweg.
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II. Fragen und Perspektiven
Genau in die andere Richtung verlief die Migration von Daniel Nikolaus Chodowiecki. Als Sohn eines Danziger Kaufmanns und einer hugenottischen Mutter kam er nach Berlin und machte dort im späten 18. Jahrhundert eine glänzende Karriere als Kupferstecher und Illustrator. In seinen Arbeiten widmete er sich der preußischen Geschichte, griff aber auch polnische Themen auf und illustrierte zum Beispiel die »Geschichte Polens«.10 Wiederholt berief er sich auf seine polnischen Vorfahren, ja stilisierte sich dabei selbst zu einem „wirklichen Polen“, andererseits assimilierte er sich weitgehend an eine preußische Staatsgesinnung und vollzog damit einen Prozess, den viele polnischprotestantische, aber auch katholische Untertanen im Zuge einer Migration nach Berlin ganz ähnlich durchliefen (Gotzkowsky → S. 49). Bei Chodowiecki ist zu fragen, ob sich diese stark situativen Identitätszuschreibungen überhaupt zu einem Gesamtbild zusammenfassen lassen, zumal kaum schrift liche Zeugnisse vorliegen.
10 Hinrichs, Ernst / Zernack, Klaus (Hrsg.): Daniel Chodowiecki.
2. Sprachlich-literarisch-kulturelle Verflechtungen
Die multiethnischen Gesellschaften, die in Polen-Litauen lebten, nutzten in ihren Lebenswelten unterschiedliche Sprachen, manchmal auch mehrere zugleich: Polnisch, Ruthenisch (eine ältere Sprachstufe des heutigen Ukrainischen und Weißrussischen), Deutsch, Jiddisch, Litauisch und Lettisch. Eine geringere und nur innergemeinschaft liche Bedeutung hatten das Armenische und die von Tataren, Karäern und Armeniern gesprochenen Kipčak-Turksprachen. Hinzu kamen als Bildungs- und Schriftsprachen das Lateinische, das Altkirchenslawische und das Französische. Auch in der östlichen Hälfte des Alten Reichs bestanden vielfach mehrsprachige Lebenswelten: In Böhmen und Mähren sprachen die Bevölkerungen Deutsch und Tschechisch, in Schlesien und der Lausitz Deutsch, Polnisch, Tschechisch und Sorbisch und in Pommern Deutsch und Kaschubisch (Wendisch). Die überwölbenden Bildungs- und Schriftsprachen waren das Lateinische und das Französische, die neben dem Deutschen und Polnischen auch als Verständigungssprachen zwischen Deutschen und Polen taugten, wenn keiner die Sprache des Anderen beherrschte. Nur vier dieser Sprachen besaßen jedoch in Europa bereits im Spätmittelalter eine Funktion als Amts- und Kanzleisprachen, nämlich neben dem Lateinischen das Deutsche, das Ruthenische (im Großfürstentum Litauen) und das Tschechische (in den böhmischen Ländern). Das Polnische entwickelte sich trotz seiner überragenden Rolle im mündlichen Gebrauch erst im 16. Jahrhundert zu einer Amtssprache, das Litauische in der Frühen Neuzeit nur in der volkssprachigen religiösen Verkündigung in den ethnisch litauischen Territorien des nördlichen Ostpreußens und des heutigen litauischen Staates. In der litauischen Herrscherfamilie der Gediminen-Jagiellonen war König Alexander (1501–1506) der letzte Herrscher, der selbst noch Litauisch sprach. In der deutsch-polnischen Kontaktzone spielte das Deutsche als Kanzleiund Amtssprache vor allem in den beiden preußischen Territorien eine große Rolle. In dem seit 1466 zur Krone Polen gehörenden Königlichen Preußen und im Ermland wurde diese Tradition auch im frühen 16. Jahrhundert fortgeführt, denn die deutschsprachige Bevölkerung stellte auch die ritterlich-adlige Elite, den überwiegenden Teil der Stadtbevölkerung sowie einen bedeutenden, jedoch kaum präzise zu bestimmenden Teil der ländlichen Bevölkerung.
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II. Fragen und Perspektiven
Ähnlich sah die Situation in dem bis 1525 verbliebenen Ordensstaat aus, der unter der Bezeichnung „Herzogtum Preußen“ protestantisch überformt wurde. Erstmalige statistische Angaben aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zeigen, dass es zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert im Königlichen Preußen (im 18. Jahrhundert auch „Polnisches Preußen“ genannt) zu Polonisierungsprozessen vor allem unter dem Adel und der Bevölkerung der kleineren Städte gekommen war, während im Herzogtum Preußen die Eliten durchweg deutschsprachig waren. Die Ursache für diese gegenläufigen Prozesse ist in der Durchsetzung der lutherischen Konfession und damit der deutschen Kirchen- und Pfarrersprache im Herzogtum Preußen sowie der katholischen Konfession und damit der polnischen Kirchen- und Elitensprache im Königlichen Preußen zu sehen. Für den Adel besaß die polnische Adelskultur und die „sarmatische“ Lebensform große Attraktivität, während das Handels- und das im 18. Jahrhundert entstehende Bildungsbürgertum zum Deutschen als Umgangssprache tendierten. Die deutsche Amtssprache spielte neben dem Lateinischen nicht nur in Pommern, Brandenburg und Schlesien (in Oberschlesien neben dem Tschechischen) eine wichtige Rolle, sondern auch in Klein- und Großpolen sowie in dem 1526 mit der Krone vereinigten Masowien. Dies betraf in Polen nicht nur die jeweiligen Grenzregionen, sondern um 1500 auch die größeren und kleineren Städte im Inneren der polnischen Territorien, in denen ein deutschsprachiges Bürgertum lebte. Dies galt für große Städte wie Krakau, Posen oder Lublin und sogar im rotreußischen Lemberg, aber auch für viele kleinere Städte, genannt sei etwa Nowy Sącz (Neu Sandez). Die eingewanderten deutschsprachigen Bürger hatten seit dem 14. Jahrhundert das Deutsche als die ihnen geläufige Sprache in die Stadtkanzleien oder auch in die Kodifi kationen der Landrechte eingeführt, die eine Stütze in den differenzierten Rechtssystemen des Magdeburger Stadtrechts oder des Sachsenspiegels erhielten, während die polnische Sprache zu diesem Zeitpunkt noch keine ausdifferenzierte Rechtsterminologie besaß. Innerhalb der Stadtrechtskreise setzte sich das Magdeburger Stadtrecht in Groß- und Kleinpolen, in Litauen und in Rotreußen durch, wobei der Krakauer Oberhof vielfach als Appellationsinstanz funktionierte. Im Königlichen Preußen und in Masowien spielte das in deutscher Sprache verfasste Kulmer Recht (ius culmense) eine vergleichbare Rolle. Vor diesem Hintergrund wurden viele Rechtstermini aus dem Deutschen ins Polnische (und von da aus auch weiter ins Ruthenische) übernommen. Eine ähnliche Bedeutung des Deutschen als Rechtssprache lässt sich auch in Böhmen und Ungarn beobachten. Diese Einflüsse führten dazu, dass im Spätmittelalter und an der Wende zur Frühen Neuzeit eine große Anzahl deutscher Begriffe ins Polnische entlehnt wurde, insbesondere im Bereich des Handwerks (zum Beispiel blacha – Blech, mur – Mauer, cegła – Ziegel, dach – Dach, sznur – Schnur, warsztat – Werkstatt) sowie der Rechts- und
2. Sprachlich-literarisch-kulturelle Verflechtungen
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Verwaltungssprache (burmistrz – Bürgermeister, majster – Meister, rajca – Ratsherr, sołtys – Schultheiss/Schulze, wójt – Vogt). So fragte etwa auch der Danziger Martin Gruneweg, „worumme hie in Polen bey den Hantwerckeren schier alle instrumentt auff deutz genennt werden.“11 Auf kleinpolnischem Territorium südlich von Krakau tragen bis heute viele kleinere Ortschaften Namen, die aus dieser spätmittelalterlichen deutschen Besiedlung herrühren, zum Beispiel Rabsztyn (Rabstein), Czorsztyn (Schorstein) oder Frywałd (Freiwald). Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass der seit dem Ende des 14. Jahrhunderts nachgewiesene Begriff szlachta für den Adel von dem mittelhochdeutschen Begriff „Geschlecht“ abgeleitet ist, der über das tschechische šlehta vermittelt wurde. Ebenfalls aus dem Deutschen kommen die Bezeichnungen für die traditionell als altpolnisch angesehenen Gerichte bigos (Beiguss) oder żur (sur/sauer). Das Deutsche verzeichnet dagegen eine kleinere Zahl von Entlehnungen aus dem Polnischen. Hervorzuheben sind „Gurke“ (poln. ogórek) und insbesondere „Grenze“ (poln. granica). Zu erklären ist dies damit, dass vielfach ältere deutsche Termini existierten und nur in geringerem Maße auch Praktiken und Techniken von Ost nach West transferiert wurden, die Entlehnungen erforderlich machten. Linguisten haben berechnet, dass 77% der Entlehnungen aus dem Deutschen vor 1600 in das Polnische Eingang fanden.12 Die Bedeutung des Deutschen in den polnischen Städten wurde auch durch die Zuwanderung aschkenasischer Juden aus dem Alten Reich nach PolenLitauen gestützt, da sich Jiddischsprachige mit den deutschen Bevölkerungen im Alltag verständigen konnten und deutsche und jüdische Bevölkerungen in vielen Städten eine Bevölkerungsmehrheit besaßen (→ S. 153). Das gesprochene Polnisch entwickelte sich verzögert. Bis ins frühe 16. Jahrhundert bestanden lexikalische und phonetische Einflüsse des Tschechischen; die schrittweise Eingliederung der Böhmischen Krone in die Habsburgermonarchie nach 1526 beendete jedoch die Rezeption tschechischer Begriffe, während sich andererseits im 16. Jahrhundert in PolenLitauen eine moderne Schrift-, Hof- und Verwaltungssprache ausformte. Der Bedeutungszuwachs des Polnischen hatte verschiedene Ursachen: Einerseits spiegelte sich hierin das wachsende historische und nationale Selbstbewusstsein der Adelseliten wider, die das Polnische als Alltagssprache nutzten und weiterentwickelten und im 16. Jahrhundert einen immer stärkeren Einfluss auf 11 Bues, Almut (Hrsg.): Die Aufzeichnungen des Dominikaners Martin Gruneweg, Bd. 1, S. 189 [230]. 12 Hentschel, Gerd: Zur „Seuche“ des deutschen Lehnwortes im Polnischen und zu den „Selbstheilungskräften“ dagegen, in: Bochnakowa, Anna / Widlak, Stanisław (Hrsg.): Munus amicitiae. Studia linguistica in honorem Witoldi Mańczak septuagenarii, Universitas Iagiellonica, ser. Varia CCCLVI, Cracoviae 1995, S. 69–78.
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II. Fragen und Perspektiven
die Verfassungs- und Verwaltungsstrukturen Polen-Litauens gewannen. Diese Adelsbewegung richtete sich gegen das oft deutschsprachige Bürgertum. Vertreter der zeitgenössischen Eliten wie Jan Ostroróg, ein einflussreicher Berater König Kasimirs IV., sahen die Gegenwart des Deutschen als Kanzlei-, Amts- und Kirchensprache kritisch. In seiner in Latein verfassten Schrift »Monumentum pro comitiis generalibus regni« führte er aus: „Wer in Polen wohnen will, sollte lernen Polnisch zu sprechen“ (um 1476).13 Um 1500, als sehr einflussreiche Krakauer deutschsprachige Patrizier wie die Boners oder die Thurzós die Finanzen des polnischen Hofs organisierten, war solch ein Programm noch wenig realistisch. Mit dem Anwachsen der Einflüsse des Adels jedoch, der eine immer größere Rolle im politischen Leben einnahm und die Bedeutung des Bürgertums am königlichen Hof begrenzte, wurde mehr und mehr das Polnische als Amts- und Verwaltungssprache eingeführt. Die Oratorik im Sejm und in den adligen Landtagen entwickelte die polnische Sprache weiter, seit 1543 sind die Parlamentsbeschlüsse und -konstitutionen in polnischer Sprache formuliert und gedruckt. Der Emanzipationsprozess des Polnischen beschleunigte sich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erheblich. Dies ist deutlich an der wachsenden Bedeutung der Drucke in polnischer Sprache gegenüber denjenigen in lateinischer und deutscher Sprache zu beobachten. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entfielen auf 320 lateinische Drucke ungefähr 100 in polnischer Sprache. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts glich sich dieses Verhältnis in etwa aus: Auf 520 lateinische Publikationen kamen ca. 500 polnische. Zugleich setzte eine Verdrängung des Lateinischen zugunsten des Polnischen als Literatursprache ein. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts prägten und bestimmten namhafte Autoren wie Mikołaj Rej und Jan Kochanowski, jeweils Vertreter des Mitteladels, der die Adelsemanzipation trug, die Entwicklung einer polnischen Literatursprache. Dabei ist die Bedeutung protestantischer, teilweise deutschsprachiger Vorbilder bei dem Calvinisten Rej, der die erste polnischsprachige Postille verfasste, deutlich sichtbar und wird in der Forschung auch für Kochanowski postuliert. Protestantische Drucker und Autoren wie Jan Malecki und Jan Seklucjan druckten in Königsberg die ersten polnischsprachigen Katechismen (1545, 1547, 1556), Litaneien und polnischen Übersetzungen des Neuen Testaments, die wiederum in Warschau oder Krakau von Geistlichen, die nun katholische Katechismen und Bibelübersetzungen verfassten, rezipiert wurden. Populäre bürgerliche Gebrauchs- und Schwankliteratur, die zuvor in den Städten in deutscher Sprache kursierte, wurde ins Polnische übersetzt. Dazu zählten die Ulenspiegel- bzw. Eulenspiegel-Geschichten, die aus Straßburg 13 Pawiński, Adolf: Jana Ostroroga żywot i pismo o Naprawie Rzeczypospolitej, Warszawa 1884, S. 149–150 (XII: De concionibus lingua Almanorum).
2. Sprachlich-literarisch-kulturelle Verflechtungen
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Abb. 4. Titelblatt der polnischen Ausgabe der Abenteuer von Till Eulenspiegel, „Sowiźrzał krotochwilny i śmieszny“, Kraków [nach 1638], Holzschnitt. Eulenspiegel hält in der linken Hand eine „Eule“, in der rechten einen „Spiegel“. Die erste Ausgabe von Hieronimus Vietor (vor 1547) sowie die zweite (1562) sind nur in Fragmenten erhalten.
(erste Drucke 1510/11) vor allem nach Krakau gelangten und dort populär waren. Aus Till Eulenspiegel wurde im Polnischen Dyl Sowizdrzał (Sowiźrzał). Eine polnische Übersetzung, die der Drucker Hieronymus Vietor um 1540 herausbrachte, war so populär, dass sie mit zahlreichen Holzschnitten bis zum 18. Jahrhundert zwölf Mal gedruckt wurde. Etliche Fortsetzungen, Übernahmen und Zitate durch Schriftsteller belegen die Popularität der Figur, die der des deutschen Till in nichts nachstand und europaweit ähnlich wohl nur in den Niederlanden erreicht wird. Die polnische Forschung spricht sogar von einer eigenen Gattung, der „Eulenspiegelliteratur“ (literatura sowizdrzalska). Verständlich wird diese besondere Rezeption erst mit Blick auf das enge Zusammenleben von deutsch- und polnischsprachigen Stadtbürgern, die die Geschichten um Till in beiden Sprachen hörten, rezipierten, weiterfabulierten und übersetzten.14 14 Grześkowiak, Radosław / Kizik, Edmund: Sowiźrzał krotochwilny i śmieszny.
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II. Fragen und Perspektiven
Das Polnische wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einer attraktiven Kirchen- und Literatursprache mit überregionaler Ausstrahlung, die von Krakau bis Wilna und von Danzig bis Kiev gelesen, verstanden und nachgeahmt wurde. Zudem war das Polnische der Epoche so weit vereinheitlicht, literarisch kodifiziert und modern, dass die Texte überall in der Großregion rezipiert werden konnten und auch heute noch verständlich sind. Das Polnische wurde deshalb zu der frühneuzeitlichen slawischen lingua franca im ganzen östlichen Europa und besaß durch die Vereinheitlichung und die literarische Kodifizierung gegenüber dem Deutschen einen erheblichen Vorsprung. Die deutsche standardisierte Literatursprache entwickelte sich erst ein, zwei Jahrhunderte später. Eine vergleichbare Entwicklung setzte im Deutschen mit Barockautoren wie Martin Opitz und Andreas Gryphius ein, fand aber in breiterem Umfang erst im späten 18. Jahrhundert statt.15 Gerade die Biographie eines Autors wie Martin Opitz, der von 1633 bis 1639 in Thorn und Danzig lebte und dort zum königlich polnischen Sekretär und Hofhistoriographen Władysławs IV. aufstieg, zeigt die Verbindungen zwischen deutschen und polnischen literarischen Eliten. Opitz wurde von dem schlesischen Piasten Georg Rudolf von Liegnitz gefördert. Zusammen mit einem anderen Piasten, Johann Christian von Brieg, floh er 1633 vor den Ausschreitungen des Dreißigjährigen Krieges und der Gegenreformation ins polnische Preußen. Dort fand er Förderung vor allem von Johann Christians Tochter Sibylle Margarethe, verheiratete Gräfin Dönhoff. Deren Ehemann Gerhard Dönhoff-Denhof wiederum war einer der engsten Jugendfreunde des polnischen Königs, hatte diesen, als er noch Kronprinz gewesen war, auf dessen Auslandsreise nach West- und Südeuropa begleitet, für den König wichtige diplomatische Missionen ausgeführt und enge Kontakte zum Warschauer Hof aufgebaut. Dönhoff bahnte Opitz den Weg an den Königshof. In Thorn und Danzig beschäftigte Opitz sich auch mit der älteren polnischen, als „sarmatisch“ aufgefassten Geschichte und ließ sich auf Titelblättern und Kupferstichen mit seinen polnischen Ämtern darstellen, für die Zeitgenossen ein Beweis für die Zugehörigkeit des Poeten zu einer höfischen Elite.16 Gerhard Dönhoff-Denhof ist wiederum ein Beispiel dafür, dass Sprachkenntnisse stete Übung und lebenslanges Lernen erforderten: Gerhard, der die Privatkorrespondenz mit seiner ersten Frau Katarzyna Opalińska in polnischer Sprache führte, hatte nach seinem Sesshaftwerden auf dem Marienburger
15 Schramm, Gottfried: Rozłam wyznaniowy. 16 Vgl. die Umschrift auf dem Porträt, auf dem sich Opitz als Rat und Sekretär des polnischen Königs darstellt: „Nobiliss. Excell. Dn. Martinus Opitius, Regiae Maiestatis Poloniae a Consiliis et Secretis, omnium Europae Poetarum Facile Princeps“, vgl. auch Szyrocki, Marian: Martin Opitz, München ²1974.
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Abb. 5. Martin Opitz, Titelblatt einer Gelegenheitsdichtung aus dem Jahre 1637 aus Anlass der Hochzeit Władysław IV. König von Polen und Schweden mit Cäcilie Renate von Habsburg, der Tochter Kaiser Ferdinand II. Opitz war 1636 in Danzig als offizieller Historiograph am Königshaus tätig und widmete dem polnischen Herrscher Werke.
Ordensschloss – vor dessen Panorama er sich porträtieren ließ – gegen Ende seines Lebens Schwierigkeiten, Verhandlungen in polnischer Sprache zu bestreiten: Als er 1648 auf dem Sejm wegen zu niedriger Abgaben von seinen Dienstgütern angesprochen wurde, rief er mit einer Erklärung in fehlerhaftem Polnisch Gelächter und Widerspruch hervor.17 Die in Warschau ansässigen 17 Radziwiłł, Albrecht Stanisław: Memoriale rerum gestarum in Polonia, 1632–1656, hrsg. von Adam Przyboś und Roman Żelewski, 5 Bände, Wrocław [u.a.], 1968–1975, Band 4, S. 46.
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Dönhoffs verfügten dagegen über exzellente Sprachkenntnisse – Zygmunt und Stanisław Ernst galten als hervorragende Redner. Auch der bedeutendste deutschsprachige Barockdichter, Andreas Gryphius, verband in seiner Biographie deutsche und polnische Elemente. Im Alter von zwölf Jahren floh er wie viele protestantische Schlesier mit seinem Stiefvater ins polnische Fraustadt, konnte in Großpolen ein protestantisches Gymnasium besuchen und verfasste erste Werke. 1634–1636 lernte er am Akademischen Gymnasium Danzig, in den oberen Klassen einer Einrichtung auf universitärem Niveau. In Polen wurden 1637 seine »Lissaer Sonette« gedruckt. Nach Studienjahren vor allem in den Niederlanden kehrte Gryphius 1648 nicht in das katholisch gewordene Schlesien zurück, sondern ließ sich mehrere Jahre im toleranteren polnischen Fraustadt unweit der Grenze nieder und pendelte von dort nach Glogau. Die Biographien von Opitz und Gryphius sind klassische Beispiele verflochtener deutsch-polnischer Lebensläufe, die sich sprachlich allerdings ausschließlich im deutsch-lateinischen Milieu bewegten. Beide konnten kein Polnisch, ihre literarische Produktion wurde außerhalb des römisch-deutschen Reichs nur von deutschsprachigem Lesepublikum rezipiert. Die Reichweite der deutschen (und polnischen) Barockdichtung blieb deshalb auf die jeweiligen Nationalkulturen begrenzt, auch die schlesische deutschsprachige Barockdichtung wurde in der polnischsprachigen Bevölkerung kaum rezipiert. Gleiches gilt für die polnische Barockliteratur, die sich dynamisch weiterentwickelte, was in eine reiche Produktion und vor allem in eine exzellente Lyrik mündete. Auch polnische Barockautoren weisen vielfach polnisch-deutsche Biographien auf: Der Lyriker Mikołaj Sęp-Szarzyński studierte in Wittenberg und Leipzig. Daniel Naborowski studierte in Wittenberg und Basel, brachte dem polnischen Hochadligen Janusz Radziwiłł Deutsch und Französisch bei, begleitete ihn auf seinen Reisen durch das Alte Reich und Frankreich und übersetzte die Psalmenwerke Ambrosius Lobwassers ins Polnische. Zbigniew Morsztyn musste als Antitrinitarier 1662 Polen verlassen und lebte mehr als 25 Jahre im östlichen Preußen und in Königsberg. Einer der einflussreichsten Autoren des Barock, der Jesuit Matthias Sarbievius (Maciej Sarbiewski), wurde mit über mehr als 40 Ausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts überall in der katholischen europäischen Welt rezipiert. Sein erstes Werk erschien 1625 als »Lyricorum libri tres« (Drei Bücher der Lyrik) in Köln, insgesamt erlebte es in Köln sieben Auflagen. Das Geheimnis dieser breiten Rezeption lag allerdings auch in der Sprache begründet: Sarbiewski schrieb ausschließlich neulateinische Gedichte, die europaweit breite Resonanz fanden und auch im deutschen Sprachraum großen Erfolg hatten. Mit seinen lateinischen Werken musste er keine Sprachbarrieren
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überwinden, als „Matthias Sarbievius“ wirkte er als Musterautor und erwarb den Ehrentitel eines „neuen Horaz“. Dies zeigt, dass die Ausstrahlung der frühneuzeitlichen Literaturen trotz der schrittweisen Ausbildung von Literatursprachen an Grenzen gebunden blieb. Der Erfolg des Neulateiners Sarbievius ist in der deutschen und polnischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts ohne Beispiel. Erst die Rezeption Herders, Goethes und Schillers in Polen und generell im östlichen Europa besitzt eine vergleichbare Reichweite. In der Frühen Neuzeit ist das Polnische die bedeutendste slawische Literatur- und Kanzleisprache. Diese Bedeutung bewahrte sich bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, als allmählich das Russische diesen Platz einnahm. Die Weiterentwicklung des Polnischen als Verkehrs-, Umgangs- und Fachsprache führte dazu, dass die Mehrheitssprache schrittweise die anderen Sprachen aus dem städtischen Kanzlei- und Gerichtswesen verdrängte. In den Städten Kronpolens verlor vor allem das Deutsche – ebenso wie das Ruthenische im Großfürstentum Litauen und den ukrainischen Territorien – als Amts- und Wissenschaftssprache an Bedeutung. Häufig wurde es in den städtischen Kanzleien zunächst vom Lateinischen abgelöst, bevor sich dann in der nächsten Generation das Polnische mit zahlreichen lateinischen Einschüben und Fachbegriffen – so genannte Makkaronismen – durchsetzen konnte. Diese stilistische Eigentümlichkeit bewies die Gelehrsamkeit des Autors, konnte aber auch fehlende Begriffe im Polnischen ersetzen. Deutsche Begriffe finden sich im Polnischen nach 1600 nicht mehr in der Häufigkeit wie zuvor. Seit den 1530er Jahren begannen die Krakauer städtischen Eliten, ihre Testamente, neben dem bisher dominierenden Latein und Deutsch, auch auf Polnisch abzufassen. Auch die Kirchensprache veränderte sich: Seit 1537 wurde in dem wichtigsten städtischen Gotteshaus, der Marienkirche, wo bis dahin deutschsprachige Predigten dominierten, an Feiertagen des Vormittags in polnischer Sprache gepredigt, des Nachmittags in deutscher Sprache. In der weniger wichtigen Barbarakirche war die Reihenfolge umgekehrt. Im Laufe des 16. Jahrhunderts verlor so das Deutsche in Krakau allmählich an Bedeutung. Dieser Prozess verlief in der polnischen Hauptstadt relativ langsam, weil die Zuwanderung aus dem deutschen Sprachraum und das Aufkommen der Reformation unter den städtischen Eliten die Verbindungen zum Deutschen erhielten. Erst die Durchsetzung der Gegenreformation um 1600 unterhöhlte in Krakau die Rolle des Deutschen, das zunehmend als „Sprache der Häretiker“ galt. In anderen Städten Kleinpolens, Rotreußens und Litauens verlief dieser Prozess deutlich schneller: Das teilweise deutschsprachige Patriziat Lembergs ging im frühen 16. Jahrhundert zum Polnischen über, in Wilna lassen sich im
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II. Fragen und Perspektiven
frühen 17. Jahrhundert nur noch einzelne deutschsprachige Patrizierfamilien wie die Winholts oder die Rendorfs nachweisen.18 Im Königlichen Preußen und im Ermland verlief aufgrund der weitgehenden Autonomie dieser Gebiete der Übergang zum Polnischen deutlich langsamer. Das Deutsche blieb bis zum späten 16. Jahrhundert die Sprache der Landtagsversammlungen, dann ging man dort – auch unter dem Einfluss der Realunion nach 1569 – allmählich zum Lateinischen und zum Polnischen über. Die 1565 nach Graudenz beorderten königlich polnischen Gesandten, die die Höhe der Steuern feststellen wollten, glaubten dem dortigen Bürgermeister und den Ratsherren nicht, dass diese kein Polnisch beherrschten: „Und die deutsche Sprache als Ausrede benutzend gingen sie dickköpfig davon und wollten keine Abgaben zahlen“, hieß es in dem polnischen Bericht der Revisoren.19 Für den Adel war die Kenntnis des Polnischen eine Bedingung für eine politische Karriere und einen Aufstieg in der Beamtenhierarchie. Zugleich unterstrich man jedoch die Verbundenheit mit dem Deutschen, bei schon guter Kenntnis des Polnischen, als ein Element des regionalen Bewusstseins. Seit 1607 wurden die Abschiede des preußischen Generallandtags in lateinischer Sprache angefertigt. In den großen preußischen Städten blieb das Deutsche die Amtssprache, es verlor jedoch in den kleineren Städten, die unter dem Einfluss der Starosten und der Tätigkeit der Jesuiten schrittweise zum Katholizismus übergingen, an Bedeutung. Genau spiegelbildlich verlief dieser Prozess im Herzogtum Preußen: Zwar druckte die lutherische Amtskirche auch polnischsprachige Katechismen und stellte in den masurischen Gemeinden polnischsprachige Pastoren an, doch begünstigten die protestantische Umgebung und die deutschsprachigen Drucke eine Zweisprachigkeit, die bei den Stadtbürgern schließlich in den Übergang ins Deutsche mündete. Dennoch koexistierten in Städten wie Lötzen oder Osterode noch im frühen 19. Jahrhundert das Deutsche und das Polnische.20 Im polnischen Preußen wiederum verlief die Entwicklung entgegengesetzt: Während für den Adel die Kenntnis des Polnischen über die politische Karriere entscheiden konnte, bedeutete für die Kaufleute in Danzig und Elbing die Kenntnis des Polnischen eine zusätzliche Qualifi kation für den Handel. Gerade deshalb besaßen insbesondere die deutschsprachigen 18 Frick, David (Hrsg.): Wilnianie. Żywoty siedemnastowieczne, Warszawa 2008, S. 15f. 19 Hoszowski, Stanisław (Hrsg.): Lustracja Województw malborskiego i chełmińskiego 1565, Gdańsk 1961, S. 119 f. 20 Bömelburg, Hans-Jürgen: Sprache und Nation im Preußenland (1772/93–1870/78), in: Maier, Konrad (Hrsg.): Nation und Sprache in Nordosteuropa im 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2012, S. 313–333.
2. Sprachlich-literarisch-kulturelle Verflechtungen
133
Stadtbürger ein Interesse daran, bereits in den Schulen Polnisch zu lernen. Polnische Sprachlehrbücher erfreuten sich großen Interesses. In den »Viertzig Dialogi« Nicolaus Volckmars, eines Deutschen aus Hessen, die insgesamt 21 Auflagen erlebten, hieß es 1612 einleitend: „Wie sehr nötig und nützlich die Teutsche und Polnische Sprache sei, beide Kauffleuten und Handwerckern, Mann und Weibs Personen, grossen und kleinen, sonderlich an diesen Örtern, da beide Nationen gleichsam durcheinander gemengt sein, und stets mit einander zu thun haben, ist männiglichen besser bewust, als das es viel Beweisens bedürffte.“21 Oft wurden die Kinder zum Erlernen der jeweiligen Sprache zu Handelspartnern geschickt. 1574 übergab der Danziger Bürger Thomas Scheffer seinen Sohn dem Lemberger Kaufmann Kasper Zawierka, damit dieser dort Polnisch lernen konnte und nahm im Gegenzug den Stiefsohn Zawierkas auf.22 Eberhard Bötticher, später der Führer der lutherischen Partei in Danzig und Autor einer Chronik der Marienkirche, wurde als Zwölfjähriger nach Posen geschickt, wo er Polnisch sprechen musste: „den gar kein deutsch volck in dem selbigen hause war. Darum ich mich noth halben muste zur polnischen sprach gewohnen“. Nach eineinhalbjährigem Aufenthalt in Posen, „nach der ich aber zur notturft Polnisch gelernt hatte“, kehrte er in sein Elternhaus zurück. Auch die Motive zum Erlernen der polnischen Sprache beschreibt Bötticher präzise: „sintemal man derselbigen zu Dantzig im Handel nicht entbehren kann“.23 Bereits sein Vater hatte am Hof eines Adligen Polnisch gelernt. Ein anderer Danziger, der bereits erwähnte Martin Gruneweg, lernte 1574 in Bromberg Polnisch: „Den 19. Junii [...] ubergab mich die Mutter durch rhatt Rolof Löden Herr Stentzel Skrzetuwsken, einem Burger von Bromberge und gebornen Edelmane, das ich bey ihme die polnische sprache lehrtte. Er lies meiner mutter seinen sohn Gabriel an meine stelle, welcher voer ein jahr bey dem Willenbroche in der Jopen gasse gehwontt hette, auch wexel weise.“24 Sogar die reichen Bauern der Werdergebiete in der Weichselniederung entsandten ihre Söhne in ein polnischsprachiges Umfeld, worüber wir durch Testamente aus dem 17. Jahrhundert unterrichtet sind: So empfahl man zum Beispiel, dass ein Bauernsohn aus Güttland (Koźlin) bis zu seinem 15. Lebensjahr 21 Kizik, Edmund (Hrsg.): Nicolausa Volckmara Viertzig Dialogi, S. 8. 22 Archiwum Państwowe w Gdańsku, Sign. 300, 27/35, Bl. 295–295v. 23 Kizik, Edmund: Pamiętnik gdańszczanina Eberharda Böttichera, S. 141–164; Memorial oder Gedenckbuch durch mich Eberhard Bodcher für mich und die meynen zu langwerender gedechniß beschrieben Soli Deo Gloria..., AP Gdańsk Sign. 300, R/Ll, q. 31, Bl. 154r–156r. 24 Bues, Almut (Hrsg.): Die Aufzeichnungen des Dominikaners Martin Gruneweg, Band 1, S. 459–476.
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II. Fragen und Perspektiven
Lesen und Schreiben lernen solle sowie „auch ein Jahr in Polen getan werden, die Sprache zu lernen auf der Erbgeberin Unkosten“.25 Diese Praxis hält Abraham Hartwich fest, ein lutherischer Pastor aus Bärwalde, der in einer Beschreibung der Werder von 1722 bestätigt: „Ihre Sprache die sie reden, ist eigentlich deutsch, doch weil sie mit Pohlen offt zuschaffen haben, so gewehnen sie ihre Kinder mehrestheils zur Polnischen Sprache.“26 In den preußischen Städten, im Alten Reich vor allem in Schlesien, organisierte man Schulen mit polnischem Sprachunterricht. Den Bedarf an fachlichen Hilfen erfüllten zahlreiche Lehrbücher, Grammatiken, Gesprächsund Wörterbücher, deutsch-polnische Brief- und Wirtschaftsmusterbücher mit zwei- oder mehrsprachigen Vorbildern für eine eher ökonomische Fachkorrespondenz. Das älteste, nur in Fragmenten erhaltene Gesprächsbuch sind die um 1520 im Krakauer Verlagshaus Florian Ungler gedruckten »Colloquia puerilia«. Unter den interessantesten Publikationen wäre ein um 1524 in Wittenberg gedrucktes Lehrwerk zu nennen: »Eyn kurtze und gruntliche Vnderweisung beyder Sprachen zu reden und lesen Polnisch und Deutsch / Krotkie ij gruntowne Vkazanye ij nauka oboyey mowy mowić / ij czisc Polskye ij Nyemyeckye«. Es beginnt mit folgenden Sätzen zur Begrüßung: „Boże Day ssczescie wassij milosscij – Gott gebe Gluck ewer Liebe / Boze Day twe miłości dobre zaranie – Gotte gebe ewer Liebe eyn guten morgen.“27 Die Mehrzahl der Dialoge hat praktischen Charakter – etwa für den Handel mit Textilien: „Jako wiele maczie postavow sukna czarnego – Wie viel habt yhr Tucher Schwartz gewant.“ Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts stiegen Danzig und daneben Elbing und Thorn zu den Druckorten für polnische Sprachlehrbücher auf; Ausgaben erschienen auch in Schlesien und Königsberg. Insgesamt wurden allein in Danzig von der zweiten Hälfte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 27 Lehrbücher mit mindestens 83 Auflagen gedruckt. Nach einer nicht vollständigen Bibliographie über diese Art von Literatur erschienen allein im 16. Jahrhundert 29 Lehrbücher verschiedener Art nur zum Erlernen des Deutschen und Polnischen – im 17. Jahrhundert 55 Lehrbücher und im 18. Jahrhundert 57 Lehrbücher.28
25 Szafran, Przemysław: Żuławy Gdańskie w XVII wieku, Gdańsk 1981, S. 148, Anm. 87. 26 Hartwich, Abraham: Geographisch-historische Landes-Beschreibung derer dreyen im Pohlnischen Preussen liegenden Werdern, Königsberg 1722, S. 53. 27 Pirożyński, Jan: Ein unbekanntes polnisch-deutsches Gesprächsbüchlein aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Sammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, in: Wolfenbütteler Beiträge 4 (1981), S. 9–58. 28 Glück, Helmut / Schröder, Konrad: Deutschlernen.
2. Sprachlich-literarisch-kulturelle Verflechtungen
135
Abb. 6. Titelblatt des Danziger Polnischlehrbuches „Kleiner Lustgarten worinn gerade Gänge zur polnischen Sprache angewiesen werden; gepflantzet durch...“ von Johann Carl Woyna aus dem Jahre 1693 (weitere Ausgaben: 1697, 1712, 1746, 1756, 1791). Woyna, ein in Danzig ansässiger polnischer Adliger, war Lehrer, Übersetzer und einer von vielen Autoren für die populären deutsch-polnischen Sprachlehrbücher.
Die engen sprachlichen Verbindungen hatten auch weitere lebensweltliche Konsequenzen: So wurde im deutsch-polnischen Milieu im Preußenland und in Schlesien der Gebrauch der Vornamen wie die Schreibweise der Nachnamen der Praxis in der jeweiligen Sprache angepasst. Nicolaus Volckmar gibt folgendes Beispiel:
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II. Fragen und Perspektiven
Wie heißt unser newe Fuhrknecht?
A jako zowią naszego nowego woźnicę?
Er heißt Hans, Stentzel, Albrecht, Hiacynth,
Imię mu Jan, Stanisław, Wojciech, Jacek,
Steffen, Nickel, Lorentz, Egidius, Sebastian,
Szczepan, Mikołaj, Wawrzyniec, Idzi,
Peter, Paul, Ambrosius, Mattheus, Merten,
Sobiech, Piotr, Paweł, Broży [Ambroży],
Andres, Felix.
Maciek, Marcin, Jędrzej, Szczęsny.29
29
In Dokumenten in polnischer Sprache wurden polnische Vornamen benutzt, für deutsche Dokumente nahm man die deutschen Entsprechungen. Auch die Familiennamen wurden den Regeln der jeweiligen Sprache angepasst: Aus Sigismund Vogel, einem Maler am Hofe Sigismund Augusts, wurde Zygmunt Ptaszek, aus Hoff mann – Offman, Dworski, Dworzański. Im letzteren Fall wurde noch das Adelsprädikat -ski zugefügt. Umgekehrt übersetzten polnische Adlige im späten 18. Jahrhundert ihre polnischen Namen ins Deutsche und fügten ein „von“ hinzu, etwa die von dem Rohr-Trzciński, die Familie, aus der Maria Tekla Rohrer stammte, die Frau E.T.A. Hoffmanns. Die engen Verbindungen und das praktische Interesse an der polnischen Sprache mündeten in intensive deutsche Forschungen über den Wortschatz der polnischen Sprache vor allem im 18. Jahrhundert. Als hervorragender Kenner des Polnischen kann in der deutsch-polnischen Kontaktzone der Leipziger Universitätsprofessor Michael Abraham Trotz gelten, der mit Unterstützung der Brüder Załuski ein vierbändiges französisch-polnisch-deutsches Wörterbuch herausgab. Noch größere Bedeutung für die Entstehung einer polnischen Sprachwissenschaft besaß der aus Thorn stammende und zweisprachig aufgewachsene Samuel Gottlieb (Bogumił) Linde, der Schöpfer eines sechsbändigen Wörterbuchs der polnischen Sprache, das die Entwicklung des frühneuzeitlichen Polnisch nachzeichnet und immer wieder deutsche und französische Parallelen und Unterschiede vermerkt. Wie die Polen Deutsch, so lernten auch die Deutschen in der Frühen Neuzeit intensiv die polnische Sprache. Diese relative – und in der deutschpolnischen Verflechtungsgeschichte niemals wieder erreichte – Symmetrie verwundert nicht, bildeten doch deutschsprachige Bürger und Adlige einen erheblichen Teil der Untertanen des polnischen Königs, ganze Regionen, wie die Herzogtümer Preußen und Kurland, standen in einer Lehnsabhängigkeit. Auch Polen lernten Deutsch aus ähnlichen Nützlichkeitserwägungen. Der ermländische Bischof Martin Kromer schrieb in seinem populären Geographielehrbuch »Polonia sive de situ« von 1577: „Die Polen lernen die deutsche 29 Kizik, Edmund (Hrsg.): Nicolausa Volckmara Viertzig Dialogi, S. 218.
2. Sprachlich-literarisch-kulturelle Verflechtungen
137
Sprache wegen der zahlreichen Beziehungen und dem Handel mit den Deutschen.“30 Man sollte jedoch ergänzen, dass das Interesse, Deutsch zu lernen, auch andere Gründe hatte. In einem Brief vom 6. Juni 1641 ermahnte der Vater des jungen Adligen Jaś Ługowski den Erzieher: „ich möchte nicht, dass er aus Deutschland zurückkehrt, bevor er nicht gut Deutsch versteht und spricht. Bitte behalten Euer Liebden das in Ihrem Gedächtnis, dass er in seinen ersten Briefen utilitatem diese Sprache für den Königlichen Hof erlernt, denn ich ihn dort bald präsentieren und diese Sprache am Hofe semper floret.“31 Die Adligen reisten oft in die deutschsprachigen Länder und erlernten auf ihrer Kavalierstour das Deutsche. Sie sahen darin eine Investition im Hinblick auf eine spätere politische Karriere am Hof. Tatsächlich bediente man sich insbesondere am Wasahof, unter anderem wegen der engen dynastischen Verbindungen mit den Habsburgern, gerne und häufig der deutschen Sprache. So beherrschten die meisten polnischen Könige, auch wegen ihrer deutschsprachigen Mütter, häufig das Deutsche: Die wirkliche Ära des Deutschen als höfische Sprache bildete aber die Regierungszeit von Sigismund III. und Władysław IV. in den Jahren 1587–1648. Dies erleichterte Danziger Bürgersöhnen wie preußischen und kurländischen Adligen eine höfische Karriere (→ S. 71). Erst unter dem Einfluss Ludwika Maria Gonzagas, nacheinander Ehefrau von Władysław IV. und Johann Kasimir Wasa, setzte sich das Französische als Hofsprache durch. Zahlreiche französische Hofdamen der Königin heirateten nun polnische Hochadlige, unter ihnen Marie de la Grange d‘Arquien, die Frau des zukünft igen Königs Johann III. Sobieski, der selbst sehr gut Deutsch und Französisch sprach. Aber auch unter den beiden polnischen Königen aus dem Hause Wettin, August II. und August III., spielte das Deutsche neben dem Französischen am königlichen Hof eine wichtige Rolle. Mit den sächsischen Königen kamen zahlreiche sächsische Beamte, Drucker, Künstler und Architekten nach Warschau. Dies und die Intensivierung der gelehrten Beziehungen im 18. Jahrhundert förderten erneut Sprachkontakte. Schließlich sorgten umgekehrt die Teilungen und der Untergang des polnisch-litauischen Staates vorübergehend für ein neues Interesse am Polnischen. Die preußischen oder habsburgischen Eliten erkannten um 1800, dass Beamte 30 Marchwiński, R. (Hrsg.): Marcin Kromer, Polska, czyli o położeniu, ludności, obyczajach, urzędach i sprawach Królestwa Polskiego księgi dwie, tłum. S. Kazikowski, Olsztyn 1984, S. 55. 31 Muszyńska, Krystyna (Hrsg.): Jasia Ługowskiego podróże do szkół w cudzych krajach 1639–1643, Warszawa 1974, S. 323–324.
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II. Fragen und Perspektiven
ohne Kenntnis des Polnischen in den neu annektierten preußischen oder österreichischen Provinzen kaum sinnvoll arbeiten konnten. Erst die territorialen Veränderungen des Wiener Kongresses beendeten nach 1815 die überregionale Bedeutung des Polnischen, ein Prozess, der in den verbliebenen preußischen Teilungsgebieten besondere Wirkung besaß.
3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen
Eine Besonderheit der deutsch-polnischen Beziehungen liegt im Eigengewicht regionaler Spezifi ka und landschaft licher, ja sogar frühmodern-staatlicher und „protonationaler“ Entwicklungen in der deutsch-polnischen Kontaktzone an der Grenze zwischen Altem Reich und Polen-Litauen. In Regionen wie dem Preußenland oder in Schlesien entwickelten sich die Beziehungen zwischen deutsch- und polnischsprachigen Bevölkerungen jeweils unter dem Einfluss regionaler Faktoren. Auch Städte wie Danzig besaßen einen Lokalpatriotismus, in dem sich sowohl deutsche wie polnische Stadtbürger wiederfanden und mit dessen Hilfe überbrückendes städtisches Bewusstsein entwickelt werden konnte. Zugleich konnten konfessionelle Identitäten aber auch trennen, etwa im Thorn des 18. Jahrhunderts. Gesondert muss sicherlich die schlesische Entwicklung, in der die spätmittelalterliche böhmische Tradition und eine Trennung in deutschsprachige Oberschichten und polnischsprachige Bauern fortbestanden, betrachtet werden. Preußen: Deutsche und polnische Preußen (Prusacy) Im historischen Preußenland haben wir in der Frühen Neuzeit ein starkes regionales Eigenbewusstsein, das sich auf verschiedene Grundlagen stützte.32 Die preußischen Eliten konnten in Landesbeschreibungen und in der Geschichtsschreibung auf einen klar umrissenen Landesbegriff aus der Chronistik des Deutschen Ordens zurückgreifen, der nur nach Westen unentschieden blieb und Pommerellen, je nach Autor, einschloss oder ausgrenzte. Das „Land Preussen“, die „Prussia“ oder neulateinisch „Borussia“ bildete jedoch für alle Autoren einen klar definierten Begriff, der durch die ersten Prussia-Karten von Heinrich Zell (1542) und Caspar Hennenberger (»Tabula Prussiae«, 1576) verfestigt wurde.
32 Zum Folgenden: Bömelburg, Hans-Jürgen: Das preußische Landesbewußtsein im 16. und 17. Jahrhundert, in: Garber, Klaus u.a. (Hrsg.): Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit, S. 651–668; Bömelburg, Hans-Jürgen: Das Landesbewußtsein im Preußen königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit, in: Beckmann, Sabine / Garber, Klaus (Hrsg.): Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils, S. 39–60.
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II. Fragen und Perspektiven
Königliches Preußen Herzogliches Preußen Heiliges Römisches Reich Respublica
Memel
L I TA U E N
O s t s e e Tilsit Königsberg
Stolp Köslin
Kolberg Pommern
Neumark
Lauenburg Danzig
Frauenburg
Braunsberg Elbing Bütow Marienburg Heilsberg Ermland Pommerellen Marienburg Allenstein Marienwerder
Schneidemühl Bromberg
Gumbinnen Steinort
Culm
Graudenz Culmer Land Thorn
Białystok
Netze
Inowrazlaw Posen Od
er
We ich
sel
Gnesen
POLEN
Bug
Płock Warschau
0
50
100 km
Preußenland: Königlich-(polnisches) Preußen und Herzogliches Preußen
Caspar Schütz schrieb in seiner 1592 erschienenen »Historia Rerum Prussicarum«: „Das Land Preussen / wenn man eigentlich nach Ausweisung der Geographi davon reden will / ist also begräntzet / da es zwischen diesen Strömen / Der Weissel, Drebnitz, Ossa und Memel begriffen [...]. Aber heutiges tages wird auch dieser Strich über die Weissel / den man Pommerellen und Cassuben nennet / biß an die Ost See zu Preußen mit gerechnet.“33 In der internationalen Geographie wurde dieser Begriff durch den Danziger Philipp Clüver akzentuiert, der seiner Heimat in seiner seit den 1620er Jahren wiederholt aufgelegten Erdbeschreibung mehr als zwei Druckseiten widmete. Von dort aus wurde diese Darstellung Preußens in der niederländischen Kartographietradition zur Norm. Dies ermöglichte die historisch-geographische Konservierung eines verbindlichen preußischen Landesbegriffs auch in Zeitabschnitten, in denen de facto durch die divergierende Entwicklung beider Landesteile ein gemeinsamer Landesbegriff nicht mehr relevant war.34 33 Schütz, Caspar: Historia Rerum Prussicarum [...], Zerbst 1592, Bl. 1r. 34 Małłek, Janusz: Preußen und Polen.
3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen
141
Die Erhebung des östlichen Preußens zur Monarchie (1701) machte den Terminus plastischer; seit der Epoche Friedrichs II. können ein engerer (nur das historische Preußenland) und ein weiterer Preußenbegriff (alle „Staaten“ der preußischen Monarchie) unterschieden werden. Aber auch noch um 1800 existierte ein traditioneller Landesbegriff, der nur immer vieldeutiger wurde und situativ konkretisiert werden musste. Gefragt werden muss zudem, ob die polnischsprachigen Preußen (Prusacy) nicht zunehmend seit dem späten 18. Jahrhundert aus dieser preußischen Tradition ausschieden und zu welchem Zeitpunkt (1772, 1830/40er Jahre) diese Nationsbildung durch Trennung einsetzte.35 Preußen war die einzige Region des polnisch-litauischen Staatsverbandes, die bereits vor der Ausbildung einer polnischen Geschichtsschreibung eine eigene schrift liche humanistische Fixierung erfuhr. Eine einflussreiche Meistererzählung entwickelte sich, gestützt auf Enea Silvio Piccolominis »De situ et origine Pruthenum« (1450/56) und Erasmus Stella, zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Diese humanistischen Entwürfe wurden nach 1510 von den Landeseliten aufgegriffen und fortgeschrieben. Bekannt sind erstens Erweiterungen in einem geistlichen Umfeld mit der nicht erhaltenen, aber rekonstruierbaren Elbinger Dominikanerchronik und der umfangreichen »Cronika« des Dominikanermönchs Simon Grunau an der Spitze, zweitens zahlreiche Danziger Abschriften und Redaktionen sowie drittens seit den 1530er Jahren eine umfangreiche Königsberger Chronistik. Charakteristisch für dieses regionale Geschichtsbild sind einige Gemeinsamkeiten. Akzeptiert wurde in Preußen die Zuordnung des Landes zur „Sarmatia Europaea“. Caspar Hennenbergers Landesbeschreibung (1584) beginnt mit dem Satz: „Preussen / Pruthenia, oder Borussia / ist ein schönes und edles Land / in Sarmatia Europaea gelegen.“36 Ende des 16. Jahrhunderts, als die sarmatisch-polnische Geschichtskonstruktion allgemein bekannt war, bedeutete dies eine Akzeptanz von auch historisch besonders privilegierten Verbindungen zu den Sarmaten-Polen. Zugleich wurde die antagonistische Ausrichtung der späten Ordensgeschichtsschreibung zur polnischen Geschichte zurückgenommen und stattdessen die Zusammenarbeit zwischen polnischem König und den preußischen Ständen betont. Allerdings
35 Bömelburg, Hans-Jürgen: Zwischen Landesbewusstsein, polnischer Adelsrepublik und Hohenzollernmonarchie – politische Loyalitäten und Nationsbildung innerhalb des königlich preußischen bzw. westpreußischen Adels 1770–1870, in: Jaroszewicz, Mieczysław / Stępiński, Włodzimierz (Hrsg.): Szlachta – społeczeństwo – państwo między Warmią a Rugią w XVIII–XX wieku, Szczecin 1999, S. 23–40. 36 Hennenberger, Caspar: Kurtze und warhafft ige Beschreibung des Landes zu Preußen, Königsberg 1584, S. 1.
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II. Fragen und Perspektiven
blieb die eigenständige Tradition der preußischen Geschichte ungebrochen: Hennenberger geht von einer Indigenität der preußischen Bevölkerung aus, die eine eigene Religion, unabhängige Herrscher und einen klar umgrenzten Herrschaftsbereich besessen hätte. Insgesamt ist im 16. Jahrhundert die Konsolidierung einer durch den Buchdruck verbreiteten eigenständigen Geschichtskonstruktion unverkennbar. In mehr als zehn Druckauflagen sowie einer reichen Handschriftenproduktion wurde eine humanistisch eingekleidete preußische Geschichte entwickelt und popularisiert, die Norbert Kersken als frühneuzeitlichen nationalen Entwurf definierte, der auf folgenden Elementen aufbaue: „ein fest umschriebenes Territorium, ein Volk mit eigener Herkunftsvorstellung, eine innere Gliederung des Landes, eigenständige Rechtsnormen, ein eigenes weltanschauliches Orientierungssystem, eine souveräne Stellung in Bezug zu den Nachbarvölkern“.37 Deshalb kann man im preußischen Fall auch von einer abgebrochenen Nationsbildung sprechen. Seit der Wende zum 17. Jahrhundert mehrten sich in dem mit Polen integrierten Königlichen Preußen die Anzeichen, dass preußische und polnische Geschichte stärker miteinander verbunden wurden. In der politischen Kommunikation zwischen preußischen Ständen und polnischen Zentralinstanzen betonten Erstere ihre besondere Verbindung zu den jagiellonischen Königen. 1601 schrieben die preußischen Stände an Sigismund III.: „Welch eine Zuneigung, ja welch eine Liebe die Bürger des preußischen Landes stets in Erinnerung an die Zeitgenossen des altehrwürdigen Königs Władysław Jagiełło und an die vorzügliche polnische Nation bewahrten, kann man daran erkennen, dass – als unsere Vorfahren das Ordensjoch abwarfen und die Freiheit erwarben und Fürsten und angrenzende Könige sie mit günstigen Bedingungen bei sich aufnehmen wollten – diese die Polnische Krone und den verehrten König Kazimierz vor allen anderen erwählten.“38 Solch eine Jagiellonenverehrung, die bei den preußischen Städten auch taktische Aspekte besaß, wird ein halbes Jahrhundert später in der Feier von 1654 in Danzig, Elbing und Thorn aus Anlass des 200. Jahrestages der Abschüttelung des Ordensjoches deutlich. Stadtrat und Bürger begingen in Theateraufführungen und Gelegenheitsgedichten das Jubiläum, wobei Johann Kasimir als Jagiellone angesprochen wurde, der in der Freiheitstradition seiner Vorfahren stehe. 37 Kersken, Norbert: Aspekte des preußischen Geschichtsdenkens im 16. Jahrhundert, in: Arnold, Udo u.a. (Hrsg.): Preußische Landesgeschichte. Festschrift für Bernhart Jähnig zum 60. Geburtstag, Marburg 2001, S. 439–456. 38 Brief der preußischen Stände an Sigismund III., Elbing, 15. Februar 1601, in: Biblioteka Kórnicka PAN, rkps. 174, Promptuarium, S. 43.
3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen
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Abb. 7. Johann Donnet, Projekt einer Medaille zum 300. Jubiläum der Eingliederung Preußens und Danzigs in Polen, 1754, Kupferstich. Die Rückseite zeigt die miteinander verbundenen polnischen und preußischen Adler, die das Kreuz des Deutschen Ordens mit ihren Krallen treten, im Hintergrund das Panorama der Stadt Danzig. Die Prägung von fünf goldenen und 286 silbernen Medaillen mit diesem Motiv kosteten die Stadt 15853 Gulden.
Wenn die polnischen Könige als historische und erwählte Herrscher Preußens angesehen wurden, so besaß dies Konsequenzen für die Interpretation der eigenen Geschichte. Nahe lag es, diese enge Verbindung auch für die Vergangenheit stärker in den Vordergrund zu stellen. So beschrieb der Danziger Bürger Simon Siwerts in seiner 1646 fertiggestellten Chronik, die polnischen Herrscher besäßen ein historisches Recht auf die preußischen Länder. Dass Siwerts mit seiner Verbindung preußischer und polnischer Geschichtstraditionen nicht allein stand, zeigt auf der anderen Seite des konfessionellen Spektrums die zeitgleich entstandene und handschrift lich überlieferte Geschichtschronik des ermländischen Jesuiten Thomas Clagius: Die in 26 Abschnitte gegliederte Arbeit zur sarmatisch-polnisch-preußischen Frühgeschichte stellte Preußen als Teil Sarmatiens und zugleich als Territorium dar, in dem durch die ganze Geschichte mehrere Nationen und Kulturen zusammenlebten. Preußen sei eine „Mutter und Ernährerin der Völker“, eine „vagina nationum“, aus der Goten, Vandalen, Burgunder, Heneter-Veneter, Langobarden, Scythen, Anten und Galinder ihren Anfang genommen hätten.39 39 Bömelburg, Hans-Jürgen: Frühneuzeitliche Nationen, S. 398–402.
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II. Fragen und Perspektiven
Diese Akzentverschiebungen und Neuinterpretationen fanden nach 1670 Eingang in die gedruckte Geschichtsschreibung auf europäischem Niveau. Der an der Universität Königsberg und am Thorner akademischen Gymnasium tätige Christoph Hartknoch veröffentlichte zwischen 1675 und 1687 Schriften, die das zeitgenössische Wissen über die preußische Geschichte einer kritischen Analyse unterzogen und zusammenfassten. Als Ausgangspunkt nahm Hartknoch, der mehrere Jahre als Erzieher protestantischer Adliger in Litauen tätig gewesen war, die polnisch-litauische Geschichte. In der 1678 erstmals erschienenen »Respublica polonica«, einer rechtshistorischen Darstellung der polnischen Geschichte und Verfassung, wurde auf vor 1700 einmaliger Quellenbasis eine Geschichte der Entstehung und Ausbildung Polens geboten. Als Maßstäbe setzend kann insbesondere die vergleichende Berücksichtigung polnischer und deutscher Historiker gelten: Hartknoch führte aus, dass über die ältere polnische Geschichte in erster Linie deutsche Geschichtsquellen vorlägen, die zwar die polnischen Angelegenheiten perspektivisch verzerrend behandelten, aber doch bei vorsichtiger Lesart Erkenntnisse zur polnischen Verfassungsgeschichte ermöglichten. Bemerkenswert ist, dass Hartknoch seine Darstellung mit einer historischgeographischen Landesbeschreibung aller mit Polen-Litauen verbundenen Regionen beginnt, um dann die Verwaltungsgliederung des Staatsverbandes zu beschreiben; der zweite Teil liefert eine Verfassungsgeschichte. Dabei wird eine gemeinsame sarmatisch-slawische Vergangenheit aller Regionen des nördlichen Ostmitteleuropas in Anknüpfung an das polnische Sarmatia-Konzept konstruiert. Das europäische Sarmatien sei von einer gemischten Bevölkerung besiedelt, zu der Polen, Litauer und Preußen zählten: „Es steht fest, dass das europäische Sarmatien die Polen, Litauer und Preußen wie eine gemeinsame Mutter ernährt hat.“40 Zu diesen als eigenständige Regionen aufgefassten „sarmatischen Territorien“ zählen für Hartknoch Schlesien, die Lausitz, Brandenburg, Pommern, Preußen, Livland, dann in einem Kapitel die Rus’, Moskovien und Litauen sowie Masowien, Moldau, die Walachei und Podolien. In diesen großregionalen Geschichtsentwurf wird die preußische Geschichte integriert und durch etymologische Überlegungen abgestützt. Zugleich liegt ein Gegenbeispiel vor, das – literarisch verkleidet – eine autonome preußische Geschichtsparabel erzählt: Der spätere Königsberger Ratsherr und Bürgermeister Michael Kongehl veröffentlichte 1676 seinen Roman »Surbosia«, in dem der Schäfer Prutenio über die Entführung der Prinzessin Surbosia – ein Anagramm für Borussia – berichtet. Surbosia ist die Tochter des Prussarchus, des Königs von Hulmigeria, um deren Hand – gegen 40 Hartknoch, Christoph: Selectae dissertationis historicae de variis rebus Prussicis, o.O. 1679, S. 95.
3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen
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den Widerstand der Prinzessin – der negativ konnotierte Prinz Lettus (Lech) von Sarmatien wirbt. Als Retter tritt Irenando auf, der Sohn des Königs von Marginea (Germania). In diese bei Kenntnis der Regionalgeschichte leicht entschlüsselbare Handlung wird zudem noch die Bedrohung des Reichs durch die Invasion Ludwigs XIV. in „Germanien“ integriert. Am Ende bricht die Erzählung mit der Flucht des Prinzen Lettus von Sarmatien ab.41 Entkleidet man den Text seiner allegorischen Einfassung, so erscheint darunter die ältere humanistische Geschichtserzählung mitsamt ihren germanischen Versatzstücken, die auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fortexistierte. Der Roman wurde dem brandenburgischen Kurprinzen und späteren Herrscher Friedrich III. gewidmet, der sich 25 Jahre später als Friedrich I. zum ersten preußischen König krönte. Erkennbar wird hier die Umkehrbarkeit der regionalen Identitätskonstruktion: Da eine unabhängige Geschichtstradition bestand und im Druck fi xiert worden war, blieb diese reaktivierbar. In den preußischen Lebenswelten des 16. bis 18. Jahrhunderts wirkte die preußische Identitätskonstruktion anziehend auf adlige wie stadtbürgerliche Eliten, da das preußische Indigenat ökonomisch attraktiv war. Nach dem Landesrecht durften nur Inhaber des Indigenats Güter erwerben. Auch polnischsprachige Eliten bezeichneten sich regelmäßig selbst als „polnische Preußen“ (Prusacy). So äußerte Stanisław Działyński am 25. Juli 1667 in einer Landtagsdiskussion, „dann er nicht ein Kosack, sondern ein Prusack were“.42 Landeswappen, -siegel und -archiv bildeten Kristallisationspunkte einer regionalen Identität. Wie sah das Verhältnis zwischen preußischem Landesbewusstsein und der Zugehörigkeit zur Krone Polen aus – oder, um mit dem Schriftsteller Johannes Mochinger zu sprechen, zwischen Regni Sarmatici und Regionis nostrae Borussiacae? Die preußischen Stände des 16. und 17. Jahrhunderts gingen von einem „Landescorpus“ mit eigenen Rechten aus, das in erster Linie dem polnischen Monarchen unterstellt sei. Man kann versuchen, die Intensität dieses Landesbewusstseins oder Regionalismus zeitlich und räumlich zu differenzieren: Einen Einschnitt von verfassungsrechtlicher Qualität, der unter den preußischen Ständen sehr umstritten war, bildete die Lubliner Union (1569). Im Königlichen Preußen ging dieses Landesbewusstsein daraufhin zurück, man sah sich als Teil der Krone Polen, aus ökonomischen Gründen jedoch wurden Elemente dieser Identität immer bewahrt. Im 18. Jahrhundert kam es unter 41 Keller, Andreas: Die Preußische Nation und ihre literarische Genese: Grundzüge eines regionalen Geschichtsbewusstseins und die intentionale Vermittlung einer territorialen Identität in Michael Kongehls Roman Surbosia (1676), in: Garber, Klaus u.a. (Hrsg.): Kulturgeschichte Ostpreußens, S. 737–767. 42 AP Gdańsk, 300, 29/157, S. 312: Rezeß des Generallandtags Marienburg vom 25.07.1667.
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II. Fragen und Perspektiven
dem Einfluss der Landesgeschichte und einer Wiederentdeckung des historischen Landesrechts durch Gottfried Lengnich zu einer Renaissance des Landesbewusstseins.43 Grundsätzlich bildete das frühneuzeitliche preußische Regional- und Landesbewusstsein eine vermittelnde Instanz zwischen einer frühmodernen deutschen und polnischen Identitätskonstruktion. Die preußische Abstammung, Kultur und Geschichte konnte je nach Bedarf stärker „deutsch“ oder „polnisch“ akzentuiert werden, im mehrsprachigen Preußen stellte sich die Sprachenfrage weniger scharf und konnte durch Formelkompromisse (Latein als Landessprache) leichter überbrückt werden. Die breit ausgebildeten gelehrten Institutionen und Instanzen der Region konnten für solche Argumentationen das ältere Material neu zusammenstellen und vermittelnde Positionen untermauern. Das städtische Vaterland – ein gemeinsamer Ort für deutsche und polnische Bürger? Nach 1600 formulierte Martin Gruneweg zum Lobe seiner Vaterstadt Danzig: „An diesem allen was gedacht ist, gehets dem Preusser lande, in welchem Dantzik liggt, gar nichts ab, das Welschland nichtes sonderliches haben kan, welches Preussen mangeln sollte [...]. Was aber guttes in Pressen ist, das hat sich alles zu Dantzig als dem Hepte viele volkomlicher gesamlet, dan sonst an einem ortte.“44 Solch eine Hervorhebung der Vorzüge einer frühneuzeit lichen Stadt, das so genannte „Stadtlob“, bildete eine eigene literarische Gattung, die sich im 16. Jahrhundert dynamisch entwickelte. Insbesondere in Danzig, das über eine Öffentlichkeit und ein differenziertes Druckwesen verfügte, formte sich ein Vaterlandsbewusstsein, das Danzig als „Vaterland“ (patria) ansah. Es bezog sich auf die wirtschaft liche Prosperität der Stadt, auf die Topographie und internationale Vergleiche, insbesondere beschwor man oft eine Parallele zwischen Danzig und Venedig. Mit den Worten Maria Boguckas: „Wenn der Danziger Bürger das Wort ‚patria‘ aussprach, dachte er zuerst an die Stadt, dann an Preußen und (schließlich) an ganz Polen.“45 Diese verschiedenen Glieder einer städtischen Identität konnten in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, sich aber auch harmonisch verbinden. Noch einmal Gruneweg: „Mitt dieser Polnischen Nation hat sich Dantzig
43 Vgl. Anm. 207. 44 Bues, Almut (Hrsg.): Die Aufzeichnungen des Dominikaners Martin Gruneweg, Band 1, S. 269. 45 Vgl. dazu auch Dymnicka, Małgorzata / Opacki, Zbigniew (Hrsg.): Tożsamość, miejsca i ludzie. Gdańszczanie i ich miasto w perspektywie historyczno-socjologicznej, Warszawa 2003.
3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen
147
so verbunden, gleich were sie mitt ihr eine Nation. Solches komt nirgendts anders heer nur aus alter liebe und freintschafft. Warlichen, es haben unsere Vorfahren nicht gewust besseren Schutzherren zu finden als den Polnischen König.“46 Auch in der Danziger Malerei taucht das Motiv des Miteinanders zwischen Danzig und Polen im späten 16. und 17. Jahrhundert wiederholt auf. So etwa, wenn Izaak van den Blocke um 1608 Stadtbürgerinnen und polnische Adlige im vertraut-galanten Techtelmechtel darstellt.47 Wie stark sich ein solch städtisches Vaterlandsbewusstsein ausprägte, hing von den kommunikativen Strukturen in der Stadt ab. Danzig ist hier sicher das herausragende Beispiel, bereits die anderen preußischen Städte Elbing und Thorn (→ S. 182) entwickelten kein vergleichbares städtisches Vaterlandsbewusstsein. In großpolnischen oder schlesischen Städten (mit Ausnahme Breslaus) sind solche Prozesse kaum nachweisbar, insbesondere ist eine Deutsche und Polen überwölbende städtische Identität nur schwach ausgeprägt. Schlesien: Böhmische Staatlichkeit, deutschsprachige Eliten und polnische Bauern Im schlesischen Fall haben wir in der Frühen Neuzeit die Besonderheit, dass die Region bis 1740 zur Böhmischen Krone zählte, die wiederum einen Teil des habsburgischen Länder- und Kronenkonglomerats darstellte. Diese Struktur Schlesiens als Nebenland der Krone Böhmen ist in der späteren preußisch-deutschen Historiographie vielfach unterschlagen worden, aber für die frühneuzeitliche Struktur der Identitäten in der Region von hoher Bedeutung. Zugleich, jedoch vermittelt erst über die Krone Böhmen und die Habsburgischen Erblande, war Schlesien in der Frühen Neuzeit auch Teil des Alten Reichs. Weiterhin wird es aber historisch immer wieder als „piastischer Boden“ bezeichnet.48 Schließlich zerfiel Schlesien seinerzeit in eine ganze Reihe von Herzogtümern mit eigenen Rechtsstrukturen und Loyalitäten. Auch waren die Grenzen
46 Bues, Almut (Hrsg.): Die Aufzeichnungen des Dominikaners Martin Gruneweg, Band 1, S. 288. 47 Tylicki, Jacek: Rysunek gdański ostatniej ćwierci XVI i pierwszej połowy XVII wieku, Toruń 2005, S. 84. 48 Die Forschung hat dies korrigiert: Bahlcke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619), München 1994; Bahlcke, Joachim: Raumbeziehungen und Raumvorstellungen. Zur politischen Verortung Schlesiens im östlichen Mitteleuropa vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, in:Adel in Schlesien, Bd. 2, S. 17– 36; Reichsbewusstsein: Weber, Matthias: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der frühen Neuzeit, Köln 1992.
148
II. Fragen und Perspektiven
Brandenburg Guben
1685 – 1694 brand.-preuß.
Posen
Zaborowo
Schwiebus
Ode
r
Warthe
Kargowa/Unruhstadt
Niederlausitz
er
Pförten
Bob
Bautzen Zittau
Neiß e
(sächsisch)
Wohlau
Trachenbg.
Fsm. Liegnitz
Goschütz
a sn
Oberlausitz
R. POLEN
Pro
Fsm. Glogau St.-H. KG Lissa Beuthen a. d. Oder Fraustadt Sagan Rawitsch Sulau Glogau Fsm. St.-H. Fsm. Sagan Wohlau St.-H. Militsch
(sächsisch)
Cottbus
St.-H.
Fsm. Oels Wartenberg Fsm. Breslau Oels Namslau Jauer Breslau Kreuzburg Fsm. Schweidnitz-Jauer Brieg Kronstadt Fsm. Brieg Schweidnitz Grottkau
Petrikau
Liegnitz
Warthe
Tschenstochau
Neiße
er
Od
Gebiete Oppeln Münsterbg. des Hauses WürttemFsm. Münsterbg. berg-Oels Fsm. Neiße Glatz Oppeln-Ratibor St.-H. Fsm. der Fürsten Lobkowitz Neiße-Grottkau Beuthen des Hauses Liechtenstein Jägerndorf der Fürsten Auersperg Ratibor St.-H. Böhmen Krakau Fsm. des Bischofs von Breslau Freudenthal Loslau TroppauPless Weichsel Troppau freie Standesherrschaften Oderbg. Jägerndorf Bielitz Grenzen schlesischer Fürstentümer Teschen und freier Standesherrschaften Friedeck Fsm. Hauptorte der Fürstentümer und Teschen Mähren 0 25 50 km freien Standesherrschaften (St.-H.)
Schlesien um 1700 – territoriale und herrschaft liche Zersplitterung der Region
Schlesiens – im Vergleich zum Preußenland – eher unklar. Das Herzogtum Glatz war historisch kein Teil Schlesiens, dagegen die Fürstentümer Auschwitz und Zator und das Herzogtum Teschen im Südosten – Teile der Krone Polens! – sehr wohl. Im Norden war die Zugehörigkeit der Herrschaft Krossen zu Schlesien fraglich. Die dem Bischof von Breslau unterstellten Fürstentümer Neiße, Grottkau und Münsterberg besaßen eigene Strukturen und einen Sonderstatus in der Region. Noch im 17. und 18. Jahrhundert waren häufig neben der habsburgischen Zentralverwaltung böhmische hochadlige, reichsfürstliche oder aristokratische polnische Familien im Besitz dieser Herzogtümer (Lobkowitz, Lichtenstein, eine württembergische Nebenlinie, die Piasten, die Familie Sobieski in Ohlau). Eine schlesische Ständeversammlung wurde nach 1620 von den Habsburgern nur noch bei Huldigungen und aus repräsentativen Anlässen einberufen, konnte also als Kristallisationskern einer regionalen Identität kaum dienen. Bei näherem Hinsehen zerfiel Schlesien deshalb in eine Reihe von Teileinheiten mit jeweiligen Sonderidentitäten. Adlige Traditionsbildung
3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen
149
konnte regionale Brückenidentitäten entwickeln, die schlesisch, polnischdeutsch oder böhmisch-deutsch strukturiert waren. Durch diese mehrfach vermittelten Zugehörigkeiten ist ein starkes schlesisches Eigenbewusstsein in der Frühen Neuzeit nur in den Landesgeschichten der Historiographie nachweisbar, aber auch hier spiegeln sich Sonderidentitäten wider.49 In der »Descripcio tocius Silesie« von Bartholomäus Stein aus dem Jahre 1512 werden unterschiedliche Ebenen eines ethnisch-kulturellen WirBewusstseins „ganz Schlesiens“ vorgestellt. Stein unterscheidet zwischen einer etwa gleichgroßen polnischen und deutschen Hälfte, wobei die Oder Schlesien in einen überwiegend deutschen und einen überwiegend polnischen Teil trenne – diese Vorstellung war bereits in der »Historia Europae« des Enea Silvio Piccolomini ausgebildet. Stein führt aus, die Polen seien „bäurisch, roh, ohne gewerbliche Betriebsamkeit, ohne Geistesbildung [...], die Unsrigen dagegen, gleichsam als ob Bildung vom Westen herkäme, führen eine feinere Lebensweise, sind gewerbefleissig, haben offenere Köpfe“ und eine „gebildetere Sprache“. Schließlich vermutet der Autor, der Landesname Schlesien habe seinen Ursprung in dem altpolnischen Wort sle (źle = böse) und verweise auf die Wildheit der Ureinwohner.50 In Joachim Cureus’ »Schlesischer Chronica« werden diese Vorstellungen fortentwickelt und zu einer protonationalen Konzeption ausgebaut. Erst die Deutschen hätten in Schlesien „gute Künste und höfliche Sitten“ eingeführt; sie hätten „mit und neben der Religion / auch gutte ordnung und Policey in dieses Land gebracht“. Curäus vertrat weniger einen schlesischen Landespatriotismus als eine deutsche protonationale Konzeption.51 Insgesamt entwickelte die humanistisch-protestantische schlesische Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts das Selbstverständnis der schlesischen Landesbewohner vornehmlich aus der Abgrenzung von Deutschen und Polen. Solche Vorstellungen wurden im 19. und 20. Jahrhundert durch die deutschnationale schlesische Geschichtsschreibung aufgegriffen. Im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird dies abgemildert durch die Rekatholisierung und die Fortführung einer slawisch-polnisch-deutschen Erinnerungskonzeption um die Piasten als Herrscherfamilie (→ S. 75) – ein gemeinsames schlesisches Landes- oder Regionalbewusstsein aber blieb schwach entwickelt. Hierzu trug auch bei, dass Schlesien fast ausschließlich von deutschsprachigen Eliten konzeptionalisiert wurde. Die mehrheitlich polnischsprachige Landbevölkerung Oberschlesiens tritt vor dem 49 Adel in Schlesien, Band 1 und Band 2. 50 Stein, Bartholomäus: Descripcio tocius Silesie et civitates regie Vratislaviensis. Barthel Steins Beschreibung von Schlesien und seiner Hauptstadt Breslau, Breslau 1902. 51 Weber, Matthias: Zur Konzeption protonationaler Geschichtsbilder, S. 55–79.
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II. Fragen und Perspektiven
19. Jahrhundert nicht mit eigenen Vorstellungen hervor. Eine Brückenfunktion einer schlesischen Regionalidentität ist deshalb in der Frühen Neuzeit nur schwach erkennbar. Polnisch-Livland (Inflanty Polskie) In einer anderen Region des polnisch-litauischen Staatsverbandes, dem seit den 1560er Jahren ganz und nach 1629/35 teilweise inkorporierten „polnischen Livland“, kam es im 17. und 18. Jahrhundert zu einer anderen Verflechtung vor allem unter den adligen Eliten. Die seit der Zeit des livländischen Ordens deutschsprachigen Familien entwickelten im 17. und 18. Jahrhundert verschiedene Loyalitäten und Mehrfachidentitäten. Hofnahe livländische Eliten wie die Dönhoff-Denhof verbanden im 17. Jahrhundert livländische und polnische Traditionen. Durch die Gegenreformation kam es vielfach zur Konversion zum Katholizismus, zu einer Zweisprachigkeit sowie zur Ausprägung von polnischen wie deutschen Namensformen. Im 18. Jahrhundert wurden diese Gruppen im polnisch-sächsischen Kontext durch ihre Sprachkenntnisse und ihre Verbindungen zur Warschauer Hofgesellschaft immer wieder zu politisch einflussreichen Familien (Borch, Hülsen-Hylzen, Plater, Tiesenhausen-Tyzenhauz). In adligen Gelegenheitsschriften (etwa aus Anlass von Hochzeiten oder Begräbnissen) wurde nach 1660 auch eine eigene livländisch-polnische, regional-historische Perspektive hervorgehoben, die zwei- oder dreisprachig vergewissert wurde: Livland habe seine Freiheit unter der polnischen Krone erworben.52 Bezugsgröße war weiterhin der altlivländische Ständestaat, während Litauen in dieser Perspektive nicht auftauchte: Die livländischen Eliten hätten ihre Freiheit von den polnischen Herrschern erworben. Im 18. Jahrhundert entstand dann im Werk des Adligen Jan August Hylzen für die Region ein eigener polnisch-livländischer Geschichtsentwurf, der gesamtlivländische Loyalitäten fortführte, aber auch neue intermediäre livländisch-polnische Loyalitäten beschrieb.53 Insbesondere wurde nun der Katholizismus als einigendes Band zwischen „polnischen Livländern“ und Polen angesehen. Erhalten blieb die deutsche Familienmemoria, wobei aber 52 Pellucidissimi Annuli nuptialis [...] dn. Johanni Gedeon von der Bork, aulico cubiculario et vexillario curiae S.R.M. nec non Perillustri generosae et magnificae Dominae Dn. Elisabethae Helenae, nobilis et strenui [...] Dni. Gothardi von Plater S.R.M.P. ac S. Pie defuncti majoris dilectissimae olim fi liae. Złote Pierscienie [...] Holotis 1664 d. 25 Februarii. 53 Hylzen, Jan August: Inflanty w dawnych swych y wielorakich aż do wieku naszego, dziejach, y rewolucyach, Wilno 1750; analysiert bei Dybaś, Bogusław: Geschichtsdenken, Integration und Identität in Livland um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Zur livländischen Geschichte im historischen Werk Jan August Hylzens, in: Bahlcke, Joachim / Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Die Konstruktion der Vergangenheit, S. 81–97.
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3. Multikulturelle Austauschräume und regionale Entwicklungen
Grenze Polens Respublica Lehen und abhängige Gebiete
KGR. SCHWEDEN Finnland
Åbo
Finnischer Meerbusen
Åland-Inseln
Narwa Reval Estland
Peipus-See Z A R T U M / KAISERREICH RUSSLAND
Hapsal
Dagö
Fellin Ösel
Dorpat
Pleskau
Pernau
(bis 1645 dänisch)
Iwangorod
Wesenberg
Livland
(seit 1621 zum Kgr. Schweden)
Arensburg
Ostrow
O s t s e e
Rigaer Wolmar Meerbusen
Marienburg Wenden
Windau Pilten
Rositten
Riga
Kurland Mitau
Doblen
Düna
Polnisch-Livland (Lettgallen) Dünaburg
Libau
Dv
Birsen
Memel
Wornie/Varniai Niemen
Memel
ina
Polock
P O L E N - L I TA U E N Keidanen Wilna
Preußen Königsberg
0
50
100 km
Die baltischen Territorien im 17. Jahrhundert – aufgeteilt in einen schwedischen und einen polnisch-litauischen Einflussbereich
die protestantischen Generationen des 16. und 17. Jahrhunderts übersprungen und vergessen wurden. Solche adligen Erinnerungskonstruktionen schufen vermittelnde Identitäten, die auf den Adelsgütern in Polnisch-Livland, in der Region zwischen Rositten und Dünaburg, jeweils situativ deutsch oder polnisch akzentuiert werden konnten. Noch Katharina II. schrieb 1780 über ihre Reiseeindrücke in der annektierten Region: „Seit Ostrof gibt es überall Hügel und Hügelchen, zwischen denen es viele Seen gibt, was ein sehr angenehmes Land schafft:
152
II. Fragen und Perspektiven
überall hier leben alle durcheinander, Orthodoxe, Katholiken, Unierte, Juden etc. Russen, Polen, Finnen, Deutsche, Kurländer, es gibt nicht zwei Personen, die gleich gekleidet sind oder die korrekt und exakt die gleiche Sprache sprechen, es herrscht eine Mischung von Menschen und Sprachen wie beim Bau des Turms von Babel.“54 Es ist eine Forschungsaufgabe, diese Loyalitäten und situativen Identitäten genauer zu beschreiben. Regionale und lokale Loyalitäten und Identitätskonstruktionen schufen Räume, in denen deutsch- und polnischsprachige, katholische und protestantische Bevölkerungen zusammenarbeiten konnten. Diese Kontakte spielen in den deutsch-polnischen Beziehungen eine größere Rolle als etwa in der deutsch-französischen Geschichte und verdienen deshalb intensive Erforschung. Sicherlich ist hier das Preußenland das ergiebigste Beispiel, erforderlich ist es jedoch, die unterschiedlichen Nuancen des Preußenbegriffs (regional, gesamtstaatlich) sorgfältig voneinander abzugrenzen. Zu anderen Regionen fehlen Untersuchungen, die die Rolle regionaler vermittelnder Identitätskonstruktionen beleuchten.
54 Katharina II. an ihren Sohn Paul, 18.5.1780, zitiert nach: Lehtonen, Uno Ludwig: Die polnischen Provinzen Russlands unter Katharina II. in den Jahren 1772–1782. Versuch einer Darstellung der anfänglichen Beziehungen der russischen Regierung zu ihren polnischen Untertanen, Berlin 1907, S. 612.
4. Juden in der deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte
Für die jüdische Bevölkerung nahm das frühneuzeitliche Polen-Litauen in rechtlicher, wirtschaft licher und demographischer Hinsicht eine besondere Stellung ein. Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert entwickelte sich hier das bedeutendste jüdische Siedlungszentrum im christlichen Europa. Mehrheitlich kamen diese Juden aus dem römisch-deutschen Reich, von wo aus sie im Spätmittelalter (zumeist aus dem Rheinland) über die Zwischenstationen Böhmen (Prag) und Schlesien nach Polen-Litauen einwanderten. Ältere Theorien einer Einwanderung aus der Schwarzmeerregion (Chasarentheorie) wurden wissenschaft lich widerlegt. Sie ließen sich zunächst entlang des Fernhandelsweges von Nürnberg über Breslau, Krakau und Lemberg bis zu den Schwarzmeerhäfen wie Kaffa nieder, wichtigste Zentren waren Krakau, Posen, Lublin und Lemberg. Gerade Juden stellten deshalb in der Frühen Neuzeit einen erheblichen Teil derjenigen, die zwischen den deutschen und polnischen Territorien wanderten, zumal sie weiterhin Kontakte in ihre ehemaligen Wohnorte unterhielten, zeitweise dorthin zurückkehrten und im 18. Jahrhundert eine erste (Re-)Migration aus Polen in die deutschen Territorien (Brandenburg, Sachsen) einsetzte. Die Juden brachten aus dem deutschen Sprachraum einen Teil ihrer lebensweltlichen Kultur, aber auch deutsche Traditionen und insbesondere die jiddische Sprache mit, aus der sich das Ostjiddische in Abgrenzung zum wesentlich seltener gesprochenen Westjiddischen entwickelte. Über den Charakter des mit hebräischen Lettern geschriebenen Jiddischen gibt es differenzierte sprachwissenschaft liche Diskussionen. Konsens ist, dass sich das Ostjiddische auf der Basis eines mittelhochdeutschen rheinischen Substrats zu einer deutsch-hebräisch-slawischen Mischsprache entwickelte, wobei die Anteile des Hebräischen und Slawischen je nach Sprachebene und Region unterschiedlich hoch waren: So finden sich insbesondere im Bereich der religiösen und abstrakten Begrifflichkeit Hebraismen, aber in der Alltagssprache auch slawische und polnische Einflüsse, die auch auf der Ebene der Syntax zu Tage treten. Gegenwärtig wird diskutiert, ob das Ostjiddische nicht am zutreffendsten als germanisch-slawische Mischsprache charakterisiert werden kann.55 Über das Jiddische drangen 55 Fishman, Joshua A. (Hrsg.): Yiddish – the fi fteenth Slavic language. A study of partial lang uage shift from Judeo-Sorbian to German, Berlin 1991.
154
II. Fragen und Perspektiven
auch deutsche Begriffe ins Polnische ein, zugleich förderte der Gebrauch des Jiddischen in den polnischen Städten die Verbreitung des Deutschen als lingua franca innerhalb der Stadtbevölkerung. Im polnisch-litauischen Doppelreich genoss die jüdische Bevölkerung ein hohes Maß an anerkannter, nicht nur gemeindlicher, sondern auch personaler und überregionaler Autonomie. Sie war persönlich frei und in ihren wirtschaft lichen Entfaltungsmöglichkeiten kaum Einschränkungen unterworfen; diskriminierende Kleidungsvorschriften für Juden, die „Judenhüte“ oder, wie in Frankfurt, „gelbe Ringe“ tragen mussten, waren, obwohl 1538 vom Sejm gefordert, in Polen in der Praxis unbekannt. Die jüdische Bekleidung entwickelte sich unter dem Einfluss westeuropäischer Moden des Bürgertums (weiße, abnehmbare Kragen, schwarze Mäntel) und integrierte osteuropäische Elemente wie Fellmützen und Stiefel. In einigen Landesteilen war die Tätigkeit der Juden als Händler und Handwerker oder als Pächter von Schenken oder Gutseinkünften unverzichtbar für das Funktionieren der dortigen Ökonomie. So entstand eine enge funktionale Verflechtung zwischen der jüdischen Bevölkerung und ihrer nichtjüdischen Umwelt, die Jacob Goldberg auf die Formel brachte: „Es gibt keine polnische Geschichte ohne jüdische Geschichte und keine jüdische Geschichte ohne polnische Geschichte.“56 Für die Juden aus dem römisch-deutschen Reich, die dort in Ghettos und landjüdischen Gemeinden in räumlicher Einschränkung und Diskriminierung lebten, besaß die deutlich tolerantere polnisch-litauische Welt hohe Anziehungskraft.57 Für den Beginn der Frühen Neuzeit sind keine statistisch verwertbaren Angaben über die Zahl der in Polen und Litauen lebenden Juden verfügbar, Versuche von Schätzungen für das späte 16. Jahrhundert gehen sehr weit auseinander (30 000–150 000). Einen ersten Überblick über die Anzahl der Gemeinden und die demographische Verteilung der jüdischen Bevölkerung in Polen liefert das 1507 erstellte Register für die Krönungssteuer Sigismunds I. Die bedeutendsten Gemeinden waren nach dieser Liste Lemberg und Krakau, gefolgt von Posen und Lublin. Auch im 16. Jahrhundert dauerten im römisch-deutschen Reich die Vertreibungen an: 1499 wurden die Juden aus Karlsbad, 1502 aus der Prager 56 Vgl. Tagungsbericht Jews and Burghers in the Republic of Nobles. 29.09.2002-01.10.2002, Warschau, in: H-Soz-u-Kult, 02.04.2003, . (15.04.2013). 57 Allgemein: Heyde, Jürgen: Die Juden im frühneuzeitlichen Polen, in: Polen in der europäischen Geschichte, Bd. 2 Frühe Neuzeit [im Druck]; Weinryb, Bernard D.: The Jews of Poland. A Social and Economic History of the Jewish Community from 1100 to 1800, Philadelphia 1972; Polonsky, Anthony: The Jews in Poland and Russia. Vol. 1: 1350– 1881, Oxford / Portland (Ore.), 2010.
4. Juden in der deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte
155
Neustadt, 1504 aus Pilsen und am Ende des 16. Jahrhunderts aus den brandenburgischen Territorien vertrieben. Sie wandten sich vor allem nach Polen. Das 1578 angefertigte polnische Kopfsteuerregister zeigte, dass die jüdische Bevölkerung gewachsen war und sich in den großen Königsstädten konzentrierte. Alle genannten Städte besaßen das Magdeburger Stadtrecht – in ihren Grenzen lebten jüdische, deutsch- und polnischsprachige christliche Bürger neben- und miteinander. Allerdings gab es auch in Polen zwischen den christlichen Bürgern und Juden im 16. Jahrhundert ökonomische Konflikte: Das Magdeburger Stadtrecht sah keine jüdischen Gemeinden oder gar jüdische Stadtbürger vor, zwischen den christlichen Zünften und jüdischen Handwerkern herrschte ein scharfer Wettbewerb, der in städtische Bestrebungen mündete, die Juden aus den Städten auszusiedeln (Krakau, Posen).58 Diese Lage änderte sich allmählich nach der Union von Lublin von 1569. Zum einen wurden nun die ukrainischen Gebiete kolonisiert, wo neue jüdische Niederlassungen entstanden. Zum anderen ist in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Verdichtung des jüdischen Siedlungsnetzes zu beobachten. Juden ließen sich in neu gegründeten adligen Privatstädten nieder und wurden dabei von den „Muttergemeinden“ in den Königsstädten begleitet. So handelte die Posener Gemeinde in den 1620er Jahren mit dem Besitzer des nahe gelegenen Schwersenz (Swarzędz) Bedingungen für die Ansiedlung jüdischer Handwerker in der Stadt aus; eine ähnliche Rolle übernahm die Lemberger Gemeinde für die Gemeinde in Żółkiew (ukrain. Zovkva). Die jüdischen Siedlungsschwerpunkte lagen seit dem 17. Jahrhundert stärker in Zentralpolen, Rotreußen und den ukrainischen Territorien. In der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die bislang weitgehend spannungsfreie Entwicklung unterbrochen. Der Kosakenaufstand unter Bohdan Chmel’nyc’kyj (1648–1655), der mit Verfolgungen von Polen und Juden verbunden war, stellt in der jüdischen Erinnerung einen dramatischen Einschnitt dar. Zeitgenössische Berichte sprachen von bis zu 100 000 jüdischen Opfern. Prägend waren hier die Werke des Gelehrten Nathan ben Moses Hannover, der über Prag und die deutschen Territorien nach Venedig floh und dort sein hebräisches Werk »Yevhen Mezulah« verfasste, das später ins Französische und Deutsche übersetzt wurde (unter Betreuung Joachim Lelewels).59 Neuere 58 Rexheuser, Rex: Zurückdrängen oder Aussiedeln. Die Stadt Posen und ihre Juden 1518– 1538, in: Rexheuser, Rex: Kulturen und Gedächtnis, S. 13–38. 59 Jawen Mezula Schilderung des polnisch-kosakischen Krieges und der Leiden der Juden in Polen während der Jahre 1648–1653. Nach einer von Joachim Lelewel durchgesehenen französischen Übersetzung hrsg. von I. J. Benjamin, Hannover 1863.
156
II. Fragen und Perspektiven
Forschungen zeigen, dass bei Nathan Hannover die Opferzahlen deutlich überhöht waren.60 Diese Ereignisse erregten in ganz Europa Aufmerksamkeit und wurden auch in der deutschsprachigen Zeitungsöffentlichkeit intensiv verfolgt; erstmals seit Beginn der jüdischen Siedlung in Polen kam es zu einer größeren Abwanderung nach Westeuropa, wo sich nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges allmählich die Niederlassungsbedingungen wieder verbesserten. Obwohl Polen-Litauen noch bis ins erste Viertel des 18. Jahrhunderts in Kriege verwickelt war, konnte sich die jüdische Siedlung allmählich erholen. Die Bevölkerungszahl wuchs kontinuierlich, so dass Polen-Litauen zum weltweit größten jüdischen Siedlungszentrum wurde. Aufgrund der Angaben des Kopfsteuerzensus von 1764/65 kann die jüdische Bevölkerung bei der Ersten Teilung 1772 auf ca. 750 000 Personen geschätzt werden, was einem Anteil von 6–7% an der Gesamtbevölkerung entsprach. Die regionalen Schwerpunkte hatten sich aber deutlich verschoben. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebten noch 12% der polnisch-litauischen Juden in Großpolen, 17% in Kleinpolen, aber 44% in Rotreußen und der Ukraine sowie 27% im Großfürstentum Litauen. Während sich die jüdische Siedlung im 16. Jahrhundert in den Königsstädten konzentrierte, verlagerte sie sich im Zuge der Kolonisation auf Adelsbesitz zunehmend in aufstrebende Adelsstädte, die im 18. Jahrhundert auch überregional als Wirtschaftszentren Bedeutung erlangten (z.B. Lissa/Leszno unter den Leszczyńskis im Grenzgebiet zwischen Altem Reich und Polen, Rzeszów unter den Lubomirskis oder Brody in Rotreußen unter den Potockis). Die Dynamik der jüdischen Bevölkerung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert ist von großer Bedeutung für die gesamte kulturelle Entwicklung im damaligen Ostmitteleuropa.61 Die besondere Rolle, die die Juden bei der Entstehung gerade der adligen Privatstädte einnahmen, wird auch in deren architektonischer Anlage deutlich. Genannt sei das Beispiel der adligen Privatstadt Piaski Luterskie, 20 km südöstlich von Lublin gelegen: Die evangelische, dann katholische Kirche befand sich am Rand der städtischen Bebauung, im Zentrum befanden sich dagegen mehrere Synagogen sowie das Gemeindebad. In Piaski Luterskie lebten in der Frühen Neuzeit zunächst vor allem Protestanten (deshalb auch „lutherisches Piaski“); mit der teilweisen Rekatholisierung und der Abwanderung der Protestanten wuchs der jüdische Bevölkerungsanteil, bis er schließlich über 80% der Stadtbevölkerung 60 Stampfer, Shaul: What actually happened to the Jews of Ukraine in 1648?, vgl. Anmerk. 26, S. 207–227. 61 Hundert, Gershon D.: Jews in Poland-Lithuania in the Eighteenth Century. A Genealogy of Modernity, Los Angeles 2004.
4. Juden in der deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte
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ausmachte. Piaski war eine Kleinstadt, in der im späten 18. Jahrhundert vielleicht 2000 Menschen, vorwiegend Juden lebten. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Ort zu einem nationalsozialistischen Durchgangsghetto in die Vernichtungslager.62 Ganz anders sah die Stadtanlage in Kalisz im südlichen Großpolen aus, einer mittelalterlichen Lokationsstadt mit wichtigen kirchlichen Zentralbauten. Hier befanden sich neben dem königlichen Schloss die Stadtkirchen, ein Jesuitenkonvent, weitere Franziskaner- und Bernhardinerklöster sowie ein stärker abgegrenzter jüdischer Wohnbezirk mit der Synagoge. Erkennbar ist, dass in Südostpolen und den ukrainischen Territorien die jüdische Bevölkerung maßgeblich an der Besiedlung der städtischen Ansiedlungen beteiligt war und sie somit mitprägen konnte, während sie sich in den westlichen Territorien in ein bestehendes urbanistisches Netz integrieren musste. Wiederum anders – und dies ist unter den polnischen Städte eine Ausnahme – sah die Situation in Krakau aus. Dort wurde die jüdische Bevölkerung 1494 aus der Kernstadt vertrieben und siedelte sich im benachbarten Kazimierz an, in dem jedoch auch Christen lebten. In der Innenstadt Krakaus wurden nur wenige wohlhabende jüdische Familien toleriert. Krakau war die einzige Stadt in Polen-Litauen, in der man tatsächlich von der Einrichtung eines Ghettos – eines teilweise abgeschlossenen jüdischen Wohnbezirks – sprechen kann. Die wirtschaft liche Stagnation Krakaus im 17. und 18. Jahrhundert hing eng mit der rigiden Eingrenzung jüdischer Ansiedlungsfreiheit zusammen.63 Nach den Teilungen ist eine Tendenz der neuen russländischen, preußischen oder österreichischen Verwaltungen zu erkennen, die Freizügigkeit der jüdischen Bevölkerungen auch mit Blick auf die eigenen starren Wirtschaftsverfassungen zu beschneiden. Im Russländischen Reich wurde strikt zwischen Stadtbevölkerung und Bauern unterschieden. Ackerbürger in Kleinstädten waren in diesem System nicht vorgesehen; ähnlich galten in Preußen die Akzisesteuern nur für die Bevölkerung der Städte, in denen allein Handwerk zugelassen war. Dörfliche Handwerkszentren waren schwerlich in das System integrierbar und wurden durch Umzugsanweisungen vielfach aufgelöst. Diese rigide Wirtschaft sverfassung zwang die jüdische 62 Piechotkowie, Maria i Michał: Oppidum Judaeorum. Żydzi w przestrzeni miejskiej dawnej Rzeczypospolitej, Warszawa 2004, S. 75. 63 Wyrozumska, Bożena (Hrsg.): Żydzi w średniowiecznym Krakowie. Wypisy źródłowe z ksiąg miejskich krakowskich / The Jews in Medieval Cracow. Selected Records from Cracow Municipial Books, Kraków 1995; Małecki, Jan M. / Szkufik, Elżbieta (Hrsg.): Handel żydowski w Krakowie w końcu XVI i w XVII wieku. Wypisy z krakowskich rejestrów celnych z lat 1593–1683 / Jewish Trade in Cracow at the End of the XVI Century and in the XVII. Selected Records from Cracow Custom Registers 1593–1683, Kraków 1995.
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II. Fragen und Perspektiven
Bevölkerung vielfach zur Migration etwa in die größeren Städte, nun entstanden die Ghettos. Ähnlich wurde in Lemberg nach der österreichischen Annexion das jüdische Viertel in der Innenstadt verkleinert, außerhalb des Viertels lebende Juden mussten dorthin umziehen. Erst 1867/68 erhielten die Juden Ansiedlungsfreiheit in der ganzen Stadt. In den preußischen Teilungsgebieten wurden gerade die ärmeren Juden zunächst mit Polizeigewalt aus Westpreußen abgeschoben, da sie sich nicht in das preußische Wirtschaftssystem mit seinen städtischen Verbrauchssteuern integrieren ließen.64 Über die Region an der Netze schrieb etwa der preußische Finanzrat Johann Rembert Roden voller Empörung: „Hier ist es mir zu toll mit allen Juden! Will ich einen Chirurgen haben, kommt ein Jude, einen Tischler, ein Jude, Schlächter, Bäcker Juden, alle möglichen Handwerker sind Juden.“65 Was die Finanzverwaltung jedoch forderte – wie übrigens auch Roden –, nämlich die Verdrängung der Juden aus allen Handwerksberufen, war angesichts der großen jüdischen Bevölkerung ausgeschlossen. Bis 1792 wurden Juden sukzessive „weggeschafft“, das heißt über die preußischen Grenzen deportiert. Nach der Zweiten und Dritten Teilung Polens mussten neue Lösungen gefunden werden, Preußen arbeitete vor 1806 aber keine Politik gegenüber den großen jüdischen Bevölkerungen aus, erst 1812 folgte ein Emanzipationsedikt, das aber auf die östlichen Provinzen zunächst nicht angewandt wurde.66 Dieser Überblick über die Geschichte jüdischer Zentren in Polen zeigt mehrerlei. Am wichtigsten ist wohl die aus der deutschen Perspektive oft nicht wahrgenommene Tatsache, dass es im östlichen Europa mit wenigen Ausnahmen keine abgeschlossenen jüdischen Wohnbezirke oder gar Ghettos gab; die jüdische Bevölkerung lebte Tür an Tür mit ihren christlichen Nachbarn, manchmal standen Kirche und Synagoge in unmittelbarer Nachbarschaft, was andere Formen von Kooperation und Nebeneinander bedingte. Zweitens werden die jüdische Siedlungsstruktur und ihr herausgehobener Platz im Stadtzentrum in den Klein- und Mittelstädten deutlich erkennbar. Die Beziehungen zwischen christlichen Stadtbürgern und Juden blieben in der gesamten Frühen Neuzeit gespannt, zumal die christlichen Kirchen wiederholt offen antijüdisch Stellung bezogen („Ritualmord“-Prozesse). Dieses Verhältnis zwischen Christen und Juden ist auch Teil einer deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte, weil im frühneuzeitlichen Polen die Stadtbürger oft 64 Bömelburg, Hans-Jürgen: Zwischen polnischer Ständegesellschaft , S. 422–445. 65 Brief Rodens vom März 1773, zitiert nach: Vogeler, Eduard: Das Leben des Geheimen Oberfi nanzrats und ersten Präsidenten der Oberrechnungskammer Johann Rembert Roden. Ein Beitrag zur Geschichte Friedrichs des Großen und der Stadt Soest. II. Teil 1763–1781, Soest 1912, S. 75. 66 Schenk, Tobias: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763–1812), Berlin 2010.
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deutschsprachig waren. Deutschsprachige Bürger versuchten häufig, Juden aus der Stadt zu verdrängen oder in abgegrenzten Wohnbezirken zu isolieren, um die wirtschaft liche Konkurrenz zu verringern. Deshalb ließen sich Juden in Vorstädten nieder, die nicht dem Magistrat unterstanden – im Falle Danzigs zum Beispiel in Altschottland, das dem Bischof von Leslau/Włocławek unterstand, oder in den Siedlungen des Klosters Pelplin. Häufig frequentierte Handelswege für jüdische Händler führten nach Westeuropa. Hier besaßen vor allem die preußischen Städte mit dem Ausfuhrhafen Danzig große Bedeutung. Für die jüdischen Kaufleute brachte dies ganz eigene Probleme mit sich, denn die Städte im Königlichen Preußen hatten nach der Angliederung an das Königreich Polen versucht, die aus der Ordenszeit stammenden Beschränkungen gegen Juden aufrechtzuerhalten. Die überkommenen Niederlassungsverbote wurden offiziell nicht aufgehoben, aber mit Unterstützung des Königs und der Danziger Fernkaufleute konnten jüdische Kaufleute so genannte Geleitbriefe erwerben, die ihnen eine regelmäßige befristete Tätigkeit in der Stadt ermöglichten.67 Seit dem 17. Jahrhundert sind in Polen jüdische Zünfte belegt. Sie bildeten eine Berufsorganisation analog zu christlichen Zünften und Gewerken (= Transfer von Organisationssystemen). Auf Initiative der Stadtherren wurden an einigen Orten christliche Zünfte bewogen, jüdische Mitglieder zu akzeptieren; mitunter existierten auch gemeinsame, religionsübergreifende Zünfte. Yvonne Kleinmann hat auf das Statut der „Deutschen Zunft“ in Rzeszów zu Beginn des 18. Jahrhunderts hingewiesen, in welcher neben Katholiken auch Protestanten (Lutheraner und Calvinisten) sowie Juden organisiert waren.68 Die Entwicklung rabbinischer Gelehrsamkeit im frühneuzeitlichen Polen mit einer gesamteuropäischen Bedeutung hat mehrere Ursachen. Einerseits stießen jüdische Gelehrte in Zentren wie Frankfurt oder Prag immer stärker auf religiöse Beschränkungen und kulturelle Ausgrenzung. Dagegen konnten in Polen-Litauen die Gemeinden autonom funktionieren und besaßen eine höhere Steuerbasis. Dies führte zu einer Abwanderung der rabbinischen Eliten nach Polen. Als Beispiele können die Biographien von Moses ben Isaac Minz, der nach Pogromen in Süddeutschland nach Posen ging, oder von Rabbi Jakob Pollacks gelten. Letzterer stammte vermutlich aus Franken, war Rabbiner in Prag und kam um 1506 nach Krakau und Lublin, wo er eine neue Methode des Talmudstudiums förderte, den so genannten Pilpul (wörtlich: „Pfeffer“). Alle denkbaren Aspekte eines Falls sollten logisch diskutiert und abgewogen 67 Kizik, Edmund: Mieszczaństwo gdańskie wobec Żydów, S. 416–434. 68 Kleinmann, Yvonne: Normsetzung, Narration und religiöse Symbolik. Privilegien als Grundlage der Religionspolitik auf dem frühneuzeitlichen Latifundium Rzeszów, in: Kleinmann, Yvonne (Hrsg.): Kommunikation durch symbolische Akte, S. 249–269.
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werden. Damit verschob sich der Schwerpunkt von der Rechtsfindung auf die Textanalyse. Durch das Auffinden und Auflösen von Widersprüchen in den halachischen Quellen sollte ein vertieftes Verständnis ihrer rechtlichen wie religiösen Dimension vermittelt werden. Diese Lehrmethode wurde schnell vorherrschend in den polnischen Talmudakademien, war aber nie unumstritten. Weiterhin wesentlich für die Entfaltung jüdischer Gelehrsamkeit in Polen waren die im europäischen Vergleich deutlich größeren Wirkungsmöglichkeiten. Große jüdische Gemeinden waren in der Lage, jüdischen Gelehrten in verschiedenen Ämtern ein Betätigungsfeld zu bieten. Neben dem Amt des Gemeinderabbiners als Vorsitzenden des jüdischen Gerichts konnten nicht selten auch Posten für den Leiter der Talmudakademie sowie für weitere Gelehrte und Prediger geschaffen und finanziert werden. Dies war in den kleinen deutschen Gemeinden nicht möglich, so dass zahlreiche junge Thora- und Talmudschüler aus den deutschen Gemeinden nach Polen gingen beziehungsweise deutsche Gemeinden erfahrene polnische Rabbiner beriefen. Leider sind die Verflechtungen zwischen polnischem und deutschem rabbinischen Judentum prosopographisch und systematisch nicht erforscht. Gestützt auf die Arbeiten Jürgen Heydes können deshalb nur einige Beispiele genannt werden: Rabbi Jakob Pollack hatte zahlreiche Schüler vor allem in Lublin. Mit Rabbi Shlomo Szachna begann nicht nur die Tradition der Lubliner Jeshiva, sondern auch die überregionale Ausstrahlung der neuen Lehrform. Bei Rabbi Szachna studierten im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts Rabbi Moshe Isserles, der die Krakauer Talmudschule entwickelte (die von ihm begründete Remuh-Synagoge ist bis heute erhalten), und Rabbi Chaim ben Bezalel, der für die Entwicklung der hessischen Gemeinden eine große Rolle spielte und der ältere Bruder des berühmten Prager Rabbiners Judah Löw (†1609) war. Auch aufgrund dieser Verflechtungen kamen zahlreiche Studenten aus dem Reich (vor allem aus Prag) und Norditalien zum Studium nach Polen und Litauen. Nach ihrer Ausbildung kehrten sie als Rabbiner wieder in Gemeinden im Alten Reich zurück (= Transfer von Ost nach West).69 Nur durch diese Rabbinerausbildung in Polen gelang es den kleinen deutschen Gemeinden, ihre Bildungsstrukturen zu erhalten. Andererseits ging mit der Verbreitung des Buchdrucks im 16. Jahrhundert von West nach Ost ein kultureller Wandel einher, der ganz unterschiedliche Bereiche der jüdischen Gesellschaft erfasste. In Deutschland konnten im 15. und frühen 16. Jahrhundert wegen des Zunft verbots für Nichtchristen – eine Ausnahme bildete das humanistische Basel – kaum hebräische Bücher gedruckt werden; die Anfänge des hebräischen Buchdrucks liegen deshalb in 69 Heyde, Jürgen: Jüdische Eliten in Polen, S. 117–165.
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Italien. Über Prag kam der hebräische Buchdruck 1534 nach Krakau und später nach Lublin, wo jeweils ein Zentrum des hebräischen Buchdrucks in Polen entstand. Mit dem hebräischen Buchdruck wurde das kodifizierte Wissen zwar noch nicht wirklich erschwinglich, aber doch in weit größerem Umfang verfügbar. Rabbiner wie Moshe Isserles nutzten das neue Medium ganz bewusst, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Nicht vergessen werden darf eine weitere prägende Entwicklung: die Herausbildung eines historisch fundierten, territorialen Bewusstseins der polnisch-litauischen Judenheit, symbolisiert im Begriff Polin (hebräisch für Polen). Die Herausbildung von Polin als regionalem Sonderbewusstsein lässt sich zuerst im 16. Jahrhundert greifen – in diesem Begriff mischte sich die Abgrenzung von deutsch-jüdischer Kultur und die Aneignung nichtjüdischpolnischer Kulturelemente zu einer eigenen neuen Identitätskonstruktion.70 Auch im 17. und 18. Jahrhundert absolvierte die Mehrzahl der in den deutschsprachigen Territorien tätigen Rabbiner Ausbildungszeiten und Besuche in Polen oder stammte sogar von dort. Als Beispiele genannt seien der Prager Rabbiner Jesaja Horowitz, der bei Meir Lublin studierte, der Mährer Zwi Aschkenasi, der nach einer Tätigkeit in Hamburg Rabbiner in Opatów und Lemberg wurde, oder Jechiel Michel, der erste Rabbiner der Potsdamer Gemeinde (1760).71 Eine besondere Rolle spielten einige jüdische Eliten in der sächsisch-polnischen Union. Zunächst griffen die sächsischen Könige zur Finanzierung ihrer Politik auf Hofjuden zurück. Für August den Starken arbeitete vor allem der Bankier, Münzagent und Heereslieferant Berend Lehmann aus Halberstadt, der gleichzeitig der Begründer der Halberstädter und Dresdner jüdischen Gemeinde war. Lehmann besorgte Kredite, mit denen Jakob Heinrich von Flemming die Wahl Augusts zum polnischen König durchsetzen konnte. Als Pfand für seine Kredite erhielt er sächsische Herrschaften und polnische Städte überlassen. Durch seine (oft nicht erstatteten) Auslagen im Großen Nordischen Krieg verschuldete sich Lehmann so stark, dass er in immer größere finanzielle Schwierigkeiten geriet. Um den Bankrott abzuwenden, unternahm er im Jahre 1721 auf Berliner Anstiftung einen abenteuerlichen Versuch, eine Teilung Polens zu veranlassen, wo er große Außenstände hatte. Diese hoffte er in dem für Preußen vorgesehenen Teilgebiet eintreiben zu können. Auch Kaiser Karl VI. und Zar Peter der Große sollten von der Teilung profitieren, lehnten jedoch die Projekte ab. Lehmann musste 1728 Bankrott anmelden, 70 Heyde, Jürgen: Die Juden im frühneuzeitlichen Polen, in: Polen in der europäischen Geschichte, Bd. 2 Frühe Neuzeit [im Druck] 71 Heyde, Jürgen: Jüdische Eliten in Polen.
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konnte aber seine Stiftungen retten, die bis ins 20. Jahrhundert überdauerten.72 Er unterstützte und finanzierte die ersten deutschen Drucklegungen des Talmud in Frankfurt/Oder und Berlin, die auch der Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski, der selbst aus der protestantisch-jüdischen Stadt Lissa stammte, mit beförderte.73 Durch die Union zwischen Polen und Sachsen nahmen die wirtschaftlichen Verflechtungen deutlich zu. So wurden die Leipziger Messen für jüdische Händler zu einem bedeutenden Umschlagplatz des West-Ost-Handels. Es konnte gezeigt werden, dass am Ende des 18. Jahrhunderts die bedeutendsten Kaufleute auf den Leipziger Messen überwiegend Juden waren (→ S. 81).74 Intensive Handelsbeziehungen gab es vor allem zwischen Leipzig und Brody, von wo aus Waren in die gesamte Ukraine gelangten. In der Frühen Neuzeit gab es in Polen keine systematischen Missionsbemühungen der katholischen Kirche; vereinzelte Initiativen korrespondierten eher mit den konkurrierenden Anstrengungen evangelischer Missionare. Konversionen hatten somit individuelle Beweggründe oder waren die Folge örtlicher Verhältnisse.75 Das änderte sich im 18. Jahrhundert. Insbesondere die Hallenser Pietisten des 1728 gegründeten Institutum Judaicum entwickelten eine Missionstätigkeit unter den Juden Polens, die zunächst weitgehend erfolglos blieb, aber eine umfangreiche Überlieferung in Form von Reisetagebüchern initiierte.76 72 Strobach, Berndt: Privilegiert in engen Grenzen. Neue Beiträge zu Leben, Wirken und Umfeld des Halberstädter Hofjuden Berend Lehmann (1661–1730), 2 Bände, Berlin 2011 (ohne Berücksichtigung der polnischen Verbindungen); Kosińska, Urszula: Sondaż czy prowokacja? Sprawa Lehmanna z 1721 r., czyli o rzekomych planach rozbiorowych Augusta II., Warszawa 2009. 73 Leicht, Reimund: Daniel Ernst Jablonski und die Drucklegungen des Babylonischen Talmud in Frankfurt/Oder und Berlin (1697–1699, 1715–1722, 1734–1739), in: Bahlcke, Joachim / Korthaase, Werner (Hrsg.): Daniel Ernst Jablonski. 74 Reinhold, Josef: Polen/Litauen auf den Leipziger Messen des 18. Jahrhunderts, Weimar 1971; Freudenthal, Max: Leipziger Meßgäste. Die jüdischen Besucher der Leipziger Messen in den Jahren 1675 bis 1764, Frankfurt/Main 1928. 75 Goldberg, Jacob: Die getauften Juden in Polen-Litauen im 16.–18. Jahrhundert. Taufe, soziale Umschichtung und Integration, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 30 (1982), S. 54–98; Teter, Magdalena: Jewish conversions to Catholicism in the PolishLithuanian Commonwealth of the seventeenth and eighteenth centuries, in: Jewish History 17 (2003), S. 257–283. 76 Bochinger, Christoph: J. H. Callenbergs Institutum Judaicum et Muhammedicum und seine Ausstrahlung nach Osteuropa, in: Wallmann, Johannes / Sträter, Udo (Hrsg.): Halle und Osteuropa. Zur europäischen Ausstrahlung des hallischen Pietismus, Tübingen 1998, S. 331–348; Doktór, Jan: W poszukiwaniu żydowskich kryptochrześcijan. Dzienniki ewangelickich misjonarzy z ich wędrówek po Rzeczypospolitej w latach 1730–1747, Warszawa 1999.
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Erst im Umfeld chassidischer Frömmigkeitsbewegungen, die messianisch-suchende Züge annahmen und charismatische Führerfiguren aufbauten, änderten sich die Vorraussetzungen für eine Missionstätigkeit. Zwischen rabbinischen Gemeinden und Chassidim kam es zu Konflikten, die manche Chassidim zu Proselyten machte und in die Arme von christlichen Missionaren trieben. Im Kontext der deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte interessant ist die Bewegung um Jakub Frank. Frank wurde in Podolien geboren, verlebte seine Kindheit und Jugend in der osmanischen Walachei und studierte in Smyrna (Izmir). Aus dieser Zeit stammten auch die ersten Kontakte zu polnischen Sabbatianern, die sich nach seiner Ankunft in Polen 1755 um ihn scharten. Seine Lehre enthielt zahlreiche Anlehnungen an christliche Elemente (Erfahrung des Heiligen Geistes, Kreuz-Symbolik) und erhob den Anspruch, als „ganzheitliche Religion“ die bisherigen Trennlinien zu überwinden.77 Angesichts des scharfen Widerstands rabbinischer Kreise entschloss er sich 1756, seine bislang geheime Anhängerschaft offenzulegen und mit Unterstützung der katholischen Kirche die traditionellen Juden herauszufordern. Im Juli 1757 fand im podolischen Kamieniec eine Disputation statt zwischen den Anhängern Franks, die sich auf die zoharitische Überlieferung der Kabbala (deshalb auch „Zohariten“) als einzig glaubwürdige Auslegung der Bibel beriefen, und rabbinischen Gelehrten, in deren Folge es an mehreren Orten zu Talmudverbrennungen kam. Zwei Jahre später, im Sommer 1759, fand in Lemberg eine neue Disputation statt, diesmal zwischen Frankisten und katholischen Theologen, nach der ca. 1000 Anhänger Franks die Taufe annahmen. Jakub Frank selbst hatte sich bereits 1756 taufen lassen. Weil er sich auch nach der Konversion weiterhin als wiedergeborener Messias bezeichnete, wurde er 1759 in Warschau unter der Patenschaft König Augusts III. erneut getauft, jedoch 1760 wegen seiner synkretistischen Ansichten in Tschenstochau in Hausarrest genommen.78 Nach der Ersten Teilung Polens wurde Frank von russischen Offizieren frei gelassen, denen er eine Konversion von Juden zur Orthodoxie versprach, und siedelte zunächst nach Brünn und Wien über, wo er zeitweise die Gunst Maria Theresias besaß; schließlich ließ er sich 1786 in Offenbach am Main nieder. Seit 1788 lebte er dort im Isenburger Schloss, wo ihm eine eigene Hofhaltung gestattet war; in den Quellen taucht er auch als „Baron Offenbach“ auf. Da teils durch den Aufwand seiner Hofhaltung (in Offenbach lebten ca. 400 seiner Anhänger), teils durch die ihn besuchenden Wallfahrer der Stadt erhebliche 77 Maciejko, Paweł: The mixed multitude; Doktór, Jan: Jakub Frank. 78 Doktór, Jan: Zwischen Hoff nung und bitterer Enttäuschung. Zur wechselseitigen Wahrnehmung der Frankisten und ihrer jüdischen Umgebung, in: Kleinmann, Yvonne (Hrsg.): Kommunikation durch symbolische Akte, S. 191–206.
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Summen zuflossen, wurde er geduldet. Frank starb am 10. Dezember 1791 in Offenbach und wurde dort auf dem damaligen Friedhof beerdigt (heute: Wilhelmsplatz). Sein Grab diente noch Jahrzehnte später seinen Anhängern als Wallfahrtsort, bis der Friedhof schließlich 1866 eingeebnet wurde. Nach Franks Tod leitete seine Tochter Ewa Frank die Sekte. Als sie 1817 verstarb, gingen die verbliebenen Frankisten mehrheitlich im Katholizismus in Polen (über 20 000 Personen) oder in Deutschland auf, wurden jedoch von ihrer Umgebung als Kryptochristen lange Zeit misstrauisch verfolgt. Die Überlieferung zu Frank und seinen Anhängern ist vielfach durch gegnerische Anschuldigungen stark verfälscht worden. Der enge Bezug auf die Person Franks, seine Familie und seinen Hof erinnert im Prinzip an chassidische Gemeinschaften. Durch seine späten Jahre in Offenbach und die Fortführung der Gemeinschaft durch seine Tochter Ewa ist die Gruppe auch Teil einer deutsch-polnischen Migrations- und Verflechtungsgeschichte. Während Strömungen neben dem traditionalistischen Judentum in mystischen Sekten eine Modernisierung suchten, mündeten andere Impulse in eine innerjüdische Reformbewegung, die jüdische Aufk lärung Haskalah („Verstand“). Da jüdische Aufk lärer (Maskil, pl. Maskilim) seit den 1770er Jahren vor allem in Berlin mit dem einflussreichen Moses Mendelssohn an der Spitze tätig waren, dessen Lehre später von David Friedländer fortgeführt wurde, orientierte sich die polnisch-jüdische Aufk lärung an deutschjüdischen Vorbildern. Frühe Vertreter der Haskalah aus Polen suchten Berlin und Mendelssohn auf und strebten nach Bildungserlebnissen sowie einem Universitätsstudium in Deutschland, da in der Heimat die Opposition in den rabbinischen Gemeinden sehr stark war. Gut zu sehen sind diese Verflechtungen an einzelnen Werken und Biographien. Isaschar Falkensohn Behr publizierte 1772 in Mitau seine »Gedichte von einem pohlnischen Juden« in deutscher Sprache79 (sie wurden von Goethe verrissen) – der Autor lebte in seiner Jugend in Hasenpoth (Kurland), ging dann zum Medizinstudium nach Königsberg und Berlin und praktizierte zunächst in Kurland. Später trat er zur Orthodoxie über, konnte deshalb als Militärarzt im Russländischen Reich tätig werden und ließ sich schließlich in Kamieniec in Podolien nieder. Bekannter noch ist die Biographie Salomon Maimons, der als zweiter Sohn eines Rabbiners aufwuchs. Sein Vater und Großvater waren im Besitz eines Landguts in Erbpacht der Fürsten von Radziwiłł. Maimon beherrschte zunächst nur Jiddisch und Hebräisch sowie mündlich (nicht schrift lich) 79 Isaschar Falkensohn Behr: Gedichte von einem pohlnischen Juden, mit Behrs Lobgedicht auf Katharina II. und Goethes Rezension der „Gedichte“, hrsg. von Gerhard Lauer, St. Ingbert 2002.
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Polnisch. Er erlernte autodidaktisch Deutsch, indem er die lateinischen Buchstaben der Paginierung mancher hebräischer Bücher entzifferte und Wörter auf ein paar losen Seiten aus einem deutschen Buch mit dem Jiddischen verglich. 1776 reiste er zunächst nach Königsberg und wurde dort zunächst wegen seines gebrochenen Deutsch verspottet; er arbeitete intensiv an seinen Sprachkenntnissen und reiste dann nach Berlin weiter. Hier musste er sich zunächst in einer bewachten Unterkunft am Rosenthaler Platz niederlassen, da Berlin die Einreise mittelloser Juden nicht duldete. 1780 lernte Maimon Moses Mendelssohn kennen und übersetzte dessen »Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes« ins Hebräische. Später lernte er am Altonaer Gymnasium, hörte Vorlesungen bei Kant in Königsberg, verfasste eine Abhandlung über die Kantsche Philosophie und entwickelte eine eigene Philosophie. Schließlich schrieb er eine Autobiographie, in der er seinen Weg vom jüdischen Traditionalismus zu einem aufgeklärten Denken schildert – Karl Philipp Moritz hat sie herausgegeben.80 Für deutsche Aufk lärer zeigte ein Lebenslauf wie der Salomon Maimons, dass auch aus tiefster (religiöser und kultureller) Unmündigkeit heraus ein Weg zur Bildung möglich war. Dies machte diese Biographien attraktiv und sicherte zeitgenössisch Interesse. Lebensläufe wie die von Behr oder Maimon zeigen aber auch in ihrer Gebrochenheit die lebensweltlichen Probleme, die der Weg aus der traditionalen jüdischen Welt in die von antijüdischen Vorurteilen keineswegs freie Welt der Aufk lärung im späten 18. Jahrhundert mit sich brachte. Der Bildungserwerb und eine Akkulturation an christliche Kleidungs- und Lebensgewohnheiten schlossen die frühen Anhänger der Haskalah aus den jüdischen Gemeinden aus, eine weltliche „deutsche“ Akkulturation, die vielfach in Deutschland misstrauisch-ablehnend gesehen wurde,81 schuf in den Religionsgemeinden Barrieren. Die aufgeklärte Strömung unter den polnischen Juden wurde von den deutschen Teilungsmächten gefördert.82 Insbesondere die staatliche Politik im 1772 von Österreich annektierten Galizien strebte unter der Ägide Josephs II. eine Akkulturations- und Assimilationspolitik mit dem Ziel einer „Produktivisierung“ an – nach dem Vorbild der kleinen Gruppe deutschösterreichischer, vor allem deutsch-böhmischer Juden (1780–1790). Joseph II. entsandte Herz Homberg nach Galizien. Durch die Gründung deutschsprachiger jüdischer Normalschulen und die Aufhebung der traditionellen Religionsund Kulturautonomie sollten die Juden zu „nützlichen Staatsbürgern“ erzogen 80 Salomon Maimons Lebensgeschichte. Von ihm selbst erzählt, neu hrsg. von Zwi Batscha, Frankfurt/Main 1995. 81 Die Memoiren des Moses Wasserzug, hrsg. von Jacob Goldberg, Leipzig 2001. 82 Heyde, Jürgen: Zwischen Polen und Preußen.
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werden. Dies löste in Galizien Konflikte zwischen traditionellen Gemeinden und kleinen assimilationsbereiten Gruppen aus, die den Kontakt zur deutschsprachigen Kultur suchten.83 Unter anderem äußerte sich diese Assimilationspolitik in der Anpassung jüdischer Vornamen an die christliche Mehrheitskultur und die zwangsweise Vergabe und Zuteilung von Familiennamen durch österreichische und preußische Beamte. In Galizien durften nach dem „Patent über die Judennamen“ (1787) Juden ihre Familiennamen mit amtlicher Zustimmung frei wählen, ansonsten fand eine behördliche Zuteilung statt. Ähnlich ging die preußische Verwaltung um 1800 in Zentralpolen (Süd- und Neuostpreußen) vor. Unter russischer Verwaltung versuchten jüdische Familien das Dignität versprechende -ski, oder -cki zu erwerben (Białobłocki, Poznański) oder wählten Patronyme (Abramowicz, Jakubowicz usw.). Ein Problem war, dass die von Amts wegen zugeteilten Namen auch zu einem Stigma werden konnten. Die Migration polnischer Juden führte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert häufig nach Deutschland; so entwickelten sich die Berliner und Breslauer jüdischen Gemeinden (die größte beziehungsweise drittgrößte deutsche Gemeinde) vor allem infolge des Zuzugs aus Großpolen, Westpreußen und Ostoberschlesien. Die Königsberger jüdische Gemeinde wuchs durch Zuzug aus Westpreußen und Litauen. Alle größeren deutschen Gemeinden wuchsen im frühen 19. Jahrhundert durch Zuzug aus Polen.84 Die deutsch-jüdischen Aufk lärer bemühten sich um eine kulturelle Hebung der großen polnisch-jüdischen Gemeinschaften und verfassten zu diesem Zwecke Programme, etwa David Friedländer in seiner Schrift »Ueber die Verbesserung der Israeliten im Königreich Polen«, die 1819 in Berlin erschien. Polnische Haskalah-Anhänger publizierten vielfach in deutscher Sprache, die als „gereinigte“ und für die Wissenschaft geeignetere Version des Jiddischen angesehen wurde. Aufgeklärte jüdische Gelehrte begannen in Polen damit, in der Sprache der Aufk lärung und Bildung, also auf Deutsch, die Schrift auszulegen. Izaak Flatau gründete 1802 eine allgemein als dajtshe shul bekannte Reformsynagoge im preußischen Warschau, in der Predigten in deutscher Sprache gehalten wurden. Je weiter das 19. Jahrhundert aber fortschritt, desto mehr erfolgte der Übergang zum Polnischen: Die Zeitschrift »Dostrzegacz Nadwiślański/Der Beobachter an der Vayksel« wurde 1823/24 in polnischer und deutscher Sprache, aber mit hebräischen Lettern gedruckt. Insgesamt bildeten jüdische Migranten, Kaufleute und Vermittler wichtige Akteure vor allem in den deutsch-polnischen Wirtschafts- und Kulturkontakten der Frühen Neuzeit. Dies verdient eine separate Behandlung und konnte hier 83 Sadowski, Dirk: Haskala. 84 Heyde, Jürgen: Zwischen Polen und Preußen.
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nur skizzenhaft vorgestellt werden. Dringend bearbeitet werden müssten die deutsch-polnischen Rabbinerwanderungen. Zu diskutieren wäre etwa die Frage, inwieweit man diese jüdischen Gelehrten als „deutsch“ oder „polnisch“ ansehen kann. Unbestritten jedenfalls ist, dass die Juden im deutsch-polnischen Wirtschafts- und Kulturaustausch eine zentrale Rolle spielten. Dies wird auch in wachsendem Maße in der modernen deutschen, polnischen und jüdischen Erinnerungskultur anerkannt, müsste jedoch intensiver erforscht werden.
5. Die Rolle und Relevanz des Nationalen
Eine deutsch-polnische Geschichte setzt sich stets der Gefahr aus, die gesamte Darstellung entlang der zwei Entitäten „deutsche“ und „polnische Nation“ zu beschreiben, die damit als konstant und wenig flexibel erscheinen könnten. Demgegenüber muss unterstrichen werden, dass frühneuzeitliche Nationen sich von den mittelalterlichen nationes wie von den modernen Nationen wesentlich unterscheiden. Ihre Reichweite und Mobilisierungskraft ist gegenüber dem Mittelalter größer, wozu verbesserte Kommunikationsmittel (Buchdruck, Alphabetisierung, höhere Bildungsstandards) beitragen, gegenüber dem 19. und 20. Jahrhundert, in denen die Nationalisierung auch Bauern und Arbeiter erreichte, jedoch deutlich geringer. Die frühneuzeitliche Nation besteht im polnischen Fall aus dem Adel, in den Stadtbürger und unteradlige Schichten durch fehlende schrift liche Abgrenzung in Form einer Adelsmatrikel hineinwachsen konnten, im deutschen Fall aus einer Reichsöffentlichkeit im Humanismus des 16. oder der Reichspublizistik des 18. Jahrhunderts. Durch kurzzeitige Mobilisierungen mittels aufgeladener Fremd- und Feindbilder wie im protestantischen Deutschland des 16. Jahrhunderts gegen die von Spanien und Karl V. drohende katholische Knechtschaft, das „spanische Servitut“, in Polen in der katholischen Mobilisierung gegen nichtkatholische Invasoren während der „schwedischen Sintflut“ (potop szwedzki) im 17. Jahrhundert, konnten kurzfristig größere Gruppen einbezogen werden. Im Kern sind früneuzeitliche Nationen jedoch Elitenphänomene, die im deutschen Fall vielleicht 1–3%, im polnischen Fall durch die größere Gruppenbildung und die Soziabilität des Adels 5–6% der Gesellschaft erreichten.85 In der Frühen Neuzeit wurden Nationskonstrukte in Deutschland und Polen historisch vertieft, wozu der Humanismus mit seiner kategorial zwingenden Rückbindung alles Wertvollen an die Antike und die allmähliche Entstehung von Geschichtswissenschaft und Speichermedien wie Bibliotheken und Archive beitrugen. Der Humanismus mit seinem Wettkampfgedanken sorgte zudem für eine stärkere Bezogenheit der europäischen Nationen aufeinander, die sich 85 Hirschi, Caspar: Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005; Bömelburg, HansJürgen: Frühneuzeitliche Nationen, S. 419–429.
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konkurrierend durch Unterschiede und Vorrangansprüche voneinander abzugrenzen suchten. So wie deutsche Humanisten Barbarenvorwürfe der Italiener zurückwiesen, polemisierten Polen gegen Thesen deutscher Humanisten, Polen sei vom Reich abhängig und besitze gegenüber den taciteischen GermanenDeutschen eine geringere Dignität.86 Zugleich ist die Bedeutung des Nationalen in der Frühen Neuzeit in der Forschung umstritten. Einerseits wird manchmal behauptet, erst mit der Französischen Revolution sei ein Nationalismus entstanden, der breitere Schichten erreicht habe. Andererseits gehen viele europäische Nationen – die Niederländer, Deutschen oder Ukrainer – auf Konstrukte der Frühen Neuzeit zurück. Konzepte wie die polnische „Adelsnation“ bilden Charakteristika der Epoche. Zwischen diesen Polen ist die Frage nach der Relevanz des Nationalen anzusiedeln. Es ist zu fragen, in welcher Situation und mit welcher Reichweite Nationskonzepte und Nationalisierungstendenzen belegbar sind. Kaum eine Rolle spielte der Faktor Sprache: Die polnisch-litauischen wie die deutschen Eliten waren mehrsprachig und verständigten sich untereinander in lateinischer, später in französischer Sprache. Sprachnationalismus findet sich in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte kaum: Die deutschen barocken Sprachgesellschaften waren nicht in der deutsch-polnischen Kontaktregion tätig und Diskussionen um die Hofsprache flackerten nur gelegentlich auf (→ S. 175). Wer waren aber die Träger einer deutsch-polnischen Nationalisierung und in welchen Situationen erwiesen sie sich als ansprechbar? Ein frühneuzeitliches nationbuilding fand in deutsch-polnischer Abgrenzung zwischen 1480 und 1590 vor allem in Krakau statt, wo deutschsprachige patrizische Minderheiten Kontakte nach Süd- und Westdeutschland unterhielten87 und die Universität Krakau als eine der modernsten europäischen Universitäten zu einem Treff punkt deutscher und polnischer Humanisten wurde. Nach Krakau zog es aufgrund des hervorragenden Rufes der Universität in der Mathematik, Geographie und Astronomie (Kopernikus), der internationalen Infrastruktur und einer deutschen Burse (Contubernium Germanorum) Humanisten wie Konrad Celtis, Heinrich Bebel oder Johannes Aventinus. Durch den Druck der ptolemäischen Geographie und im Zuge universitärer Übungen zu dem Thema entstand hier ein frühneuzeitlicher Disput über die geographische Reichweite der Magna Germania und der Sarmatia. 86 Vgl. zur deutschen Nationskonstruktion: Schmidt, Georg (Hrsg.): Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa, München 2010; dort: Bömelburg, Hans-Jürgen: Polen und die deutsche Nation. 87 Ochs, Heidrun: Kontakte Krakauer Patrizier zu den elsässischen und pfalzgräfl ichen Städten, in: Noga, Zdzisław (Hrsg.): Elita władzy miasta Krakowa, S. 123–148.
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Beispielhaft kann dies an Celtis demonstriert werden, dessen Kontakte mit den polnischen Eliten belegt sind. Im Unterschied zu anderen Humanisten hielt er sich als reifer Mann in Krakau auf, er hinterließ ein umfangreiches Textkorpus und bezeichnete in seinen Gedichten Krakau als eine „sarmatische Stadt“. Zugleich ist jedoch in diesen Gedichten für die Region an der Weichsel stets eine Berufung auf die als ruhmeswürdig empfundene germanisch-deutsche Frühzeit der Region erkennbar. Hier wirkte die Rezeption antiker geographischer Vorstellungen (Ptolemäus) weiter, wonach die Gebiete westlich der Weichsel als Teil der Germania aufgefasst wurden. In Celtis’ bekannten »Quattuor libri amorum«, die teilweise an die (imaginierte?) Krakauer Geliebte Haselina gerichtet sind, entwirft ein Viertel der Gedichte ein Szenario an der Weichsel. Die geographisch in erster Linie durch ihre Grenzlage konkretisierte Region wurde als eine der vier mit den Himmelsrichtungen verbundenen Großregionen der Germania in Anspruch genommen und in antiker Tradition als von Kälte und Unwirtlichkeit geprägte barbarische Region angesehen, die von den germanisch-deutschen zivilisatorischen Leistungen befruchtet worden sei.88 So beschrieb Celtis in seiner Elegie »Ad Vistulam fluvium ortum et exitum eius« die Weichsel als Grenzlinie der Germania, wobei er sich rhetorisch ganz mit der deutschen Vergangenheit identifizierte: In der Beschreibung Preußens wurde dessen Bevölkerung als ein deutscher Stamm angesprochen, der nun aber treulos einem „sarmatischen Tyrannen“ diene und seinen „deutschen Herrn“ grundlos hasse.89 Das Land sei jedoch durch zivilisatorische Errungenschaften und die germanische Frühzeit deutsch geprägt: „Hier erbaute der Deutschherr, der einen hellen Mantel trägt, viele Städte und starke Burgen, um nämlich den Aufruhr der Skythen zu zügeln, wenn wildes Barbarentum zum Angriff bläst. (...) Einstmals aber war es [Danzig] nach dem Namen der Goten ‚Gedonum‘ benannt, und auch der berühmte ‚Codanische‘ Meerbusen trägt danach seinen Namen.“90 Den Krieg zwischen dem Deutschen Orden und Polen-Litauen beschrieb Celtis schließlich als einen deutsch-polnischen Krieg, in dem die „Feinde“ nach unglücklichem Verlauf den Sieg errungen hätten. Auch in »De situ et moribus Germaniae additiones« oder in den Entwürfen zu der geplanten »Germania generalis«, die im 16. Jahrhundert wiederholt
88 Konrad Celtis: Quattuor libri amorum secundum quattuor latera Germaniae. Germania Generalis Accedunt carmina aliorum ad libros amorum pertinentia, hrsg. von Felicitas Pindter, Leipzig 1934, S. 8–30. 89 Kühlmann, Wilhelm u.a. (Hrsg.): Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch, Frankfurt/Main 1997, S. 96–99. 90 ebd., S. 98.
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im Verbund mit den Ausgaben der taciteischen »Germania« gedruckt wurden, nahm Celtis für die Germania eine Ausdehnung bis zur Weichsel in Anspruch. In diesen Plänen und insbesondere in dem Projekt, in Anlehnung an Flavio Biondos »Italia illustrata« eine »Germania illustrata« zu schreiben, die auch eine Stammesgenealogie von Tuisco bis zu den deutschen Kaisern und Maximilian I. umfassen sollte, kam zugleich Polen nur in einer abgrenzenden Perspektive vor. 91 Mit diesem „kalten“ Blick auf die polnische Geschichte, die in erster Linie als eine gegnerische wahrgenommen wurde, stand Celtis nicht allein. Ähnlich dachten Humanisten wie Erasmus Stella oder Eobanus Hessus, die sich im Preußenland aufhielten, in Diensten der Ordensdiplomatie standen und mit polnischen Humanisten wie Johannes Dantiscus und Andrzej Krzycki Kontakte unterhielten. 1512 nahm Hessus am polnischen Reichstag in Piotrków teil und plädierte für eine Rückübertragung des westlichen Preußenlandes an den Orden. Preußen, „ein Reich auf den sarmatischen Fluren“, sei vom Orden „mit deutschem Blut“ erkauft worden; eine Rückgabe werde dem polnischen König „Anerkennung und beispiellosen Ruhm bei der deutschen Nation“ sowie die Herrschaft im „sarmatischen Erdkreis“ sichern. Ähnlich konstatierte der Bayer Aventinus – wohl auf der Basis einer einseitigen Interpretation seiner Krakauer Gewährsleute und Erfahrungen –, die ganze ältere Geschichte des östlichen Europa sei von den Deutschen geprägt.92 Das Spannungsverhältnis zu den zuwandernden deutschen Humanisten, die aus der Konstruktion der germanisch-deutschen Nationalgeschichte einen Nationalismus entwickelten, ist in Briefen spürbar. So berichtete Rudolf Agricola der Jüngere, Professor an der Krakauer Universität, in einem Brief an Joachim Vadian aus dem Jahre 1520 in abwertendem Ton über die zurückhaltende Einstellung des eingesessenen Krakauer Bürgertums mit deutschen Wurzeln, das sich an den Konflikten nicht beteilige, sondern sich jeweils auf die Seite des „Siegers“ schlage. Bei dem erwähnten Konflikt handelte es sich um den Krieg zwischen dem Deutschen Orden und dem polnischen König (1519/21), den Agricola in nationalen Dimensionen interpretiert.93 Es können also zwei lebensweltliche und politische Kontaktzonen zwischen deutschen Humanisten und polnischen Eliten unterschieden werden: zunächst die Metropole Krakau mit ihrer Infrastruktur aus Universität,
91 Müller, Michael G.: Die „Germania Generalis“ des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar, Tübingen 2001, S. 11–25 (9 Drucke). 92 Krause, Carl: Helius Eobanus Hessus. Sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur Cultur- und Gelehrtengeschichte des 16. Jahrhunderts, 2 Bände, Gotha 1879. 93 Bauch, Gustav: Rudolphus Agricola Junior. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus im deutsch-polnisch-ungarischen Osten, Breslau 1892.
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Domkapitel und königlichem Hof sowie zweitens die politischen Kontakte zwischen den Eliten im diplomatischen und militärischen Konflikt zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden. Dabei waren auch in Diensten des polnischen Hofes muttersprachlich deutsche Humanisten tätig, wie der bereits mehrfach erwähnte Danziger Diplomat Johannes Dantiscus. Auch die deutschsprachigen Bevölkerungen bezogen keineswegs entlang sprachlicher und kultureller Grenzen Stellung: Die städtischen Eliten des Königlichen Preußens unterstützten den polnischen Hof, unter den deutschsprachigen Bürgern Danzigs fand die von Celtis und Hessus propagierte Integration in eine deutsche Nation im 16. Jahrhundert keinen Widerhall. Polen und der gesamte jagiellonische Reichsverband kamen in internationalen und deutschen Deutungsmustern bis 1520 nur randständig vor. Diese Ausblendung wurde unter führenden polnischen Politikern und Intellektuellen in der Metropole Krakau als geschichtspolitische Herausforderung empfunden. Der Gnesener Erzbischof und polnische Primas Jan Łaski – einer der einflussreichsten Politiker im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts – beschrieb nach schwierigen Verhandlungen auf dem Laterankonzil in Briefen an den Krakauer Mediziner und Polyhistor Maciej von Miechów, dass sich in Rom eigene Positionen schwer vermitteln ließen, da die polnischen Leistungen international nicht bekannt seien. Die Lektüre der »Europa« und der »Asia« habe ihm deutlich gemacht, dass bei Enea Silvio Piccolomini immer dort, wo der Taten der Polen gedacht werde, diese zugunsten der Deutschen zurückgesetzt würden, da Piccolomini Jahre am habsburgischen Hof verbracht habe. Dagegen forcierte der polnische Primas Pläne einer Nationalgeschichte: Entsprechende Darstellungen sollten die Ehre des polnischen Königs wiederherstellen und eine Erinnerung schaffen. So entwickelte sich der polnische Nationsentwurf auf der Basis des Sarmatia-Begriffs, der einen autogenen Herrschaftsraum der Polen postulierte und sich ebenfalls auf eine ptolemäische Legitimation stützen konnte. Zwischen 1520 und 1560 entstand eine Folge von polnischen Geschichtsentwürfen und -beschreibungen, die schrittweise die Forderungen von Łaski einzulösen suchten und eine originäre polnische Nationalgeschichtsschreibung schufen. Dies war mit einigen Schwierigkeiten verbunden, denn die vorhumanistische polnische Geschichtsschreibung zeichnete unter dem Einfluss des umfangreichen Werks von Johannes Długosz ein kritisches Bild der Jagiellonen, das wenig anschlussfähig war. Die 1519 gedruckte Erstausgabe von Maciej von Miechóws »Chronica Polonorum«, deren Druck Łaski angeregt hatte, wurde deshalb zunächst eingezogen und in den entsprechenden Passagen korrigiert. Hinzugefügt wurden eine Familiengeschichte der Jagiellonen und ein Herrscherlob, verfasst von dem hofnahen elsässischen Humanisten Jodocus Ludovicus Decius – ein weiteres Beispiel für das Engagement deutschsprachiger
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Humanisten am polnischen Hof. Erst in dieser modifizierten Form konnte das Geschichtswerk 1521 als erste gedruckte Geschichte Polens erscheinen. Die in den 1550er und 1560er Jahren in drei Auflagen erschienene polnischsprachige Weltchronik Marcin Bielskis enthielt umfangreiche und von Ausgabe zu Ausgabe erweiterte Darstellungen zur polnischen Geschichte. Mit einer auf den Adel zugeschnittenen Sprache, exemplarischen Episoden und einem klaren didaktischen Anspruch entfaltete das Werk breite Wirkung. Eine wiederholte direkte Ansprache des Lesers, die Schilderung aus der kollektiven Wir-Perspektive und die ausgiebige Verwendung des Sarmatien- und PolenBegriffs schufen ein hohes Identifi kationspotential. In allen drei Ausgaben nahm die nationale Geschichte einigen Raum ein: In der Ausgabe 1551 umfasste die polnische Geschichte über 40% der Darstellung, so dass Bielskis Weltchronik die erste Geschichte Polens in polnischer Sprache darstellt. Hier liegt eine Parallele zur wenige Jahre zuvor (1544) erschienenen »Cosmographia« von Sebastian Münster, in der die Beschreibung der „Teutschen Nation“ einen ähnlichen Umfang besitzt. Ein zweites Korpus von Schlüsseltexten verfasste in den 1550er und 1560er Jahren der königliche Sekretär und ermländische Bischof Martin Kromer, der führende polnische Geschichtsscheiber der Frühen Neuzeit. Die außerordentliche Wirkung von Kromers »De origine et rebus gestis Polonorum libri XXX« und »Polonia« war bereits bei den Zeitgenossen unstrittig. Wir finden hier einen tief sitzenden historiographischen Konflikt, in dem sich deutsche und polnische Autoren wechselseitig Parteilichkeit vorwarfen. „Teutsche Scribenten nur einer Meynung“, hieß es bei Martin Kromer.94 Neben einer stabilen politischen Koexistenz zwischen römisch-deutschem Reich und Polen-Litauen entwickelten sich in beiden Reichsverbänden so konfl igierende Nations- und Identitätszuschreibungen, deren Reichweite unterschiedlich war. Im Reich bildeten im 16. Jahrhundert vor allem die Humanisten eine Multiplikatorengruppe, im 17. und 18. Jahrhundert sickerten solche Vorstellungen nur in Gelehrtenkreise ein. In Polen wirkten die Humanisten vor allem auf den Adel ein, in dessen mündlicher Kultur „Vaterland“ und „Nation“ im letzten Drittel des 16. Jahrhundert zu zentralen Begriffen wurden. Das Konstrukt „Deutsche“ und „deutsche Nation“ wurde hierbei zum Bezugspunkt polnischer Identitätszuschreibungen der Frühen Neuzeit und mündete schließlich auch in die nationale Verortung politischer 94 Mittnächtiger Völckeren Historien. In welcher viler Nationen als namlich der Polenderen, Slauven [...] Ursprung [...] durch den Hochgelerten Herren Martinum Chromer auß Poland zu Latein fleyßig beschrieben: Jetzmalen aber durch Heinrich Pantaleon [...] zu gutem gemeiner Teutscher nation auff das treülichest verteütschet, gemehret, und in truck verordnet, Basel 1562, S. 80.
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Ordnungsvorstellungen. Während den Deutschen ein Streben nach „tyrannischer“ absoluter Herrschaft eigen sei, zeichne die Polen das Streben nach „milder Herrschaft“ und einer Bewahrung der „polnischen Freiheiten“ aus – so die polnische Wahrnehmung auf der Basis der als „deutsch“ aufgefassten habsburgischen Politik in Ostmitteleuropa und der Durchsetzung eines bürokratischen Zentralismus in Böhmen und Ungarn im 17. und 18. Jahrhundert. Eine „teutsche Libertät“ existierte in frühneuzeitlichen polnischen Deutungsmustern nicht. Der reaktive, kritische und vielfach ablehnende Bezug auf tatsächliche oder angebliche Prätentionen und Ansprüche „deutscher Herren“ ist eine Konstante frühneuzeitlicher polnischer Vorstellungen. Schneidend scharf wurde diese Kritik, wenn zu nationalen Argumentationszlinien der konfessionelle Faktor hinzutrat. Der Protestant Joachim Cureus hatte in der ersten gedruckten Geschichte Schlesiens versucht, eine germanische Frühgeschichte zu etablieren und schlesische Ortsnamen auf germanische Wurzeln zurückzuführen. Dies verband er mit einer grundsätzlichen Infragestellung polnischer Geschichte und einer negativen Konnotierung slawischer Traditionen in der schlesischen Geschichte. Erst die Deutschen hätten „gute Künste und höfliche Sitten“ eingeführt. Martin Kromer schlug zurück: Cureus habe in seinen offensichtlich haltlosen und zusammengeschriebenen Schriften böswillig und verleumderisch das polnische Volk und dessen Geschichte angegriffen.95 Das Konfliktpotential humanistisch-rhetorisch aufgeladener Konstrukte einer germanisch-deutschen Germania magna bis zur Weichsel oder einer sarmatisch-polnischen Sarmatia magna bis zur Oder und Weser wird in dieser Polemik spürbar. Sie ist – in den Mustern der Kontroverse Cureus-Kromer – durch die Frühe Neuzeit von polnischen und schlesischen Autoren fortgeführt worden. In den Jahren zwischen 1500 und 1550 entstand eine beziehungsgeschichtliche Dimension, in der sich selbst als „polnisch“ defi nierende Humanisten und Intellektuelle nationale Konstrukte in abgrenzender Bezugnahme auf einen zunächst als „italienisch“ und dann vor allem als „deutsch“ verorteten Gegenpart entwickelten. Öffentlich wirksam wurden diese Vorstellungen in der polnischen Publizistik der drei Interregna zwischen 1572 und 1587. Kristallisationspunkte bildeten jeweils die habsburgischen Kandidaturen: Zwei Drittel der etwa 100 bekannten Texte durchzieht eine Positionierung gegen die als „deutsch“ aufgefassten Habsburger, die auf antideutschen und antiböhmischen Argumentationslinien aufbaut. Gewicht besaßen Exempellisten aus dem nationalen Geschichtskanon, in denen Fälle skizziert wurden, wo deutsche Eliten der polnischen Nation Schaden zugefügt hätten. Einsetzend mit der mythischen Herrscherin Wanda, die eher Selbstmord beging, als 95 Weber, Matthias: Zur Konzeption protonationaler Geschichtsbilder.
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einen Deutschen zu heiraten, und mit „schlechten“ piastischen Herrschern, die von ihren deutschen Frauen und deutschen Beratern missgeleitet worden seien, über den habsburgischen Ehekandidaten Wilhelm, der vor Jagiełło aus Krakau geflohen sei – stets hätten unter deutschem Einfluss stehende Herrscher und deren Hof polnische Interessen verraten. Die polnische Krone habe zahlreiche Territorien an deutsche Herrscher verloren – verwiesen wurde auf Schlesien. Angeführt wurde ebenfalls eine angeblich dauerhafte Rivalität zwischen der „Polonia“ und der „Germania“. Neu taucht in den Debatten der 1570er Jahre das Argument der abweichenden politischen Ordnung auf: Deutsche Herrscher tendierten dazu, adlige Freiheiten zu beschneiden und eine tyrannische Herrschaft zu installieren. Bei diesen Äußerungen wurde ein spezifischer Charakter der deutschen Nation aus der unterschiedlichen ständischen Zusammensetzung der Eliten konstruiert: Die Deutschen seien „Taktierer und Kaufleute“ und hätten für die polnische Ordnung und die adlige Dignität kein Verständnis.96 Zu beachten ist die Reichweite der polnischen Publizistik der 1570er und 1580er Jahre: Alle Adligen, die sich an den Wahlen beteiligten – geschätzt werden für die Interregna dieser Jahrzehnte 6000–7000 (1573), 12 000 (1575) sowie bis 20 000 (1587) Teilnehmer –, kamen mit der Publizistik in Berührung. Im Vergleich jedoch besaßen diese antideutschen und antiböhmischen Konstrukte nicht die Schärfe der konfessionell und kulturalistisch aufgeladenen antitürkischen und antimoskowischen Feindbilder in Polen. Es fehlte die Ebene der Ausgrenzung als „Barbaren“; lediglich der an die Deutschen gerichtete verfassungspolitische Vorwurf einer „tyrannischen Herrschaftsform“ wies Parallelen zu dem polnischen Moskaubild auf. Im 17. Jahrhundert wurden solche Nationskonstrukte zu konfessionell, dynastisch und verfassungsrechtlich geprägten Ordnungsvorstellungen von „deutsch“ und „Deutschland“ in Polen-Litauen und von „polnisch“ im römisch-deutschen Reich überführt. Hierbei spielten herrscherliche und konfessionelle Verflechtungen eine Rolle: Nach 1587 wurde Polen für mehr als ein halbes Jahrhundert durch einen mehrheitlich deutschsprachigen Wasahof regiert. Zugleich gewannen nach der Zurückdrängung der Reformation dezidiert nationalkatholische Perspektiven an Gewicht. Durch die Unbeliebtheit der Wasakönige und im Lichte der scharfen Hofk ritik verfestigte sich auch das negative Bild von der deutschen Nation insbesondere in der antihöfischen Opposition. Einen Höhepunkt erreichte diese Verbindung von konfessioneller und nationaler Ablehnung bei dem Bischof von Przemyśl Paweł Piasecki: Aus nationalkonfessionellen Gründen lehnte dieser den Protestantismus als „deutsche 96 Bömelburg, Hans-Jürgen: Frühneuzeitliche Nationen, S. 127–141.
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Ketzerei“ scharf ab. Zugleich erschienen Übernahmen aus dem deutschen Raum als untragbar, da die Andersartigkeit und Wankelmütigkeit der „deutschen Eidechsen“ (so wegen ihrer schwankenden Loyalitäten genannt) Gefahr bringe. Der Warschauer Wasahof sei dieser Gefahr bereits erlegen; neue Grundsätze seien dort mit der in der Nation unbeliebten deutschen Sprache eingezogen, was die öffentliche Meinung gegen den König aufbringe. Jedoch sei der „deutsche Protestantismus“ an der polnischen Treue zur alten Religion gescheitert. Bedrohlich seien weiterhin der Einfluss des Hauses Habsburg und dessen „tyrannische“ Ziele. Deshalb dürfe kein Deutscher zum König erwählt werden.97 Die Reichweite solcher immer wieder vorscheinender Positionen im 17. Jahrhundert ist schwer abzuschätzen, da die katholischen Eliten mehrheitlich in den habsburgischen Kaisern außenpolitische Bündnispartner sahen. Andererseits erschien Piaseckis Darstellung in vier Auflagen. Es handelt sich wohl um eine Minderheitenposition, die aber bei Bedarf – etwa bei den Königswahlen der Interregna – mehrheitsfähig wurde. So heißt es in der Krise nach dem schwedischen Einmarsch 1655: Die polnischen Eliten hätten die „polnische Freiheit“ – eine Gabe der Königin Polens, der Gottesmutter Maria – missachtet und sich dem „Joch der deutschen Herrschaft“ unterstellt. Auch die Schweden erscheinen hier als Teil abzulehnender deutscher Ordnungsvorstellungen, was durch die zahlreichen norddeutschen Söldner in schwedischen Diensten und die Verbreitung der deutschen Sprache am schwedischen Hof plausibel wird. Diese Nationskonstrukte formten auch die Vorstellungen von „Nationalkleidungen“. Konnte noch Celtis Nürnberger und Krakauer äußerlich nicht unterscheiden, so setzten sich unter dem polnischen Adel unter dem Eindruck ungarischer und osmanischer Vorbilder um 1600 Bekleidungsmoden durch, die zunehmend als polnische Nationaltracht aufgefasst wurden. Lange Mäntel wie der żupan oder kontusz mit breiten Schmuckgürteln wurden in Opposition zur „französischen“ oder „deutschen“ Hofmode als „polnisch“ aufgefasst. Der polnische Adlige rasierte sich den Kopf und trug einen üppigen Schnurrbart, während sich „der Deutsche“ den Bart rasierte, (Pluder-)Hosen und Perücken trug. Solche Zuweisungen mündeten in die frühneuzeitliche Volksstereotypie, in der häufig die unterschiedlichen männlichen Bekleidungen angeführt wurden – die Damenmode unterschied sich kaum.98 Die Wahrnehmung in der deutschen Öffentlichkeit wurde zudem durch publizistische Debatten im Umfeld der descriptio gentium-Literatur geprägt. Die im protestantischen Milieu von dem Tübinger Juristen Thomas Lansius herausgegebenen und stark konfessionell gefärbten »Orationes (...) de Principatu 97 ebd., S. 219–225. 98 Turnau, Irena: Ubiór narodowy w dawnej Rzeczypospolitej, Warszawa 1991.
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inter Provincias Europae« (1613), in denen in Rede und Gegenrede die Vorund Nachteile einer jeder Nation dargestellt werden, fanden aufgrund des wachsenden Interesses an einer vergleichenden europäischen Staatenkunde und Völkertypologie europaweit Resonanz und wurden auch in der sich neu entwickelnden Staatslehre rezipiert. Öffentliche Reaktionen in Polen lösten topoihafte Schilderungen aus, die polnische Landesnatur sei „elend & barbarisch, fürchterlich & kalt“ und jedem König bliebe nur ein Schatten seiner eigentlichen Bestimmung. Die Argumentation griff auf das Urteil des Juristen Henning Arnisaeus († 1636) zurück, der dem polnischen Monarchen eine in der Verfassungsstruktur untergeordnete Stellung zugeschrieben hatte.99 Gegen dieses Wiederaufleben des Barbarentopos in der Kritik an den polnischen Herrschern bildete sich in Polen die Texttradition einer „Verteidigung Polens“ aus, der namhafte deutsch- und polnischsprachige Autoren zugerechnet werden müssen. Eine erste Gegenrede findet sich bereits 1621 bei dem Absolventen des Danziger Akademischen Gymnasiums Jakob Gadebusch, mit dem erneut eine preußische Stimme zugunsten Polens intervenierte. Im Rückgriff auf Melanchthon verteidigte Gadebusch die Geschichte, die militärischen Tugenden und die auf Ausgleich angelegte polnische Verfassung gegen so genannte „Verleumder“. Eine solche Verteidigung konnte sich auf das Selbstbewusstsein der polnischen Eliten stützen, die angesichts der Religionskämpfe in Deutschland und im Jahrhundert des Entsatzes von Wien (1683) nicht verstanden, was deutsche Juristen kritisierten, und diese Kritik vehement ablehnten. Fortgeführt wurde die Diskussion durch konfligierende rechtshistorische Schulen in Deutschland und Polen nach 1650. Der Helmstädter Jurist Hermann Conring beschäftigte sich mit der polnischen Geschichte und gelangte auf der Basis älterer Quellen zur Reichsgeschichte zu einer ausgesprochen kritischen Bewertung der polnischen Frühgeschichte und zur Akzentuierung der These von der mittelalterlichen Abhängigkeit Polens vom Reich. Dabei stützte er sich auf die umfangreichen Wolfenbütteler und Helmstedter Bibliotheksbestände, die zu seiner Zeit außerhalb Polens weltweit umfangreichsten Sammlungen polnischer Geschichtswerke. Seit 1655 verfasste und inspirierte er mit schwedischen Geldern eine große Zahl anonymer Flugschriften und Drucke, die den schwedischen Einmarsch in Polen-Litauen mit militärischen und historischen Argumenten vor der mitteleuropäischen Öffentlichkeit zu rechtfertigen suchten. Aus diesen Schriften ergab sich ein Bild der polnischen Nation, das stark an deutsche humanistische Entwürfe erinnerte, die 150 Jahre zuvor formuliert worden waren: Das Frankenreich habe sich bis zur Weichsel erstreckt, 99 Bömelburg, Hans-Jürgen: Frühneuzeitliche Nationen, S. 272–273.
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Polen sei durch das ganze Hochmittelalter von Otto I. bis zu Friedrich II. vom Reich abhängig und dann Böhmen tributpflichtig gewesen. Schlesien habe bereits seit dem 12. Jahrhundert nicht mehr zur Krone Polen gehört. Weiterhin seien Preußen und der Deutsche Orden unter Kaiser Friedrich II. vom Reich abhängig geworden und nur durch spätere Vernachlässigung von Seiten der Reichspolitik an Polen gefallen. Schließlich habe die Einführung deutschen Rechts eine strukturelle Abhängigkeit des östlichen Europa vom Reich zur Folge gehabt – so Conring.100 Inhaltlich wurden hier Geschichtsbild und Verfassung Polens als Fehlentwicklungen abgelehnt. Neben aus der Sicht des Protestanten Conring verständlicher, scharfer Kritik an der Konfessionspolitik wurde erstmals der Vorwurf einer anarchischen Entwicklung in zentralen Verfassungsfragen laut, der die internationale Ordnung gefährde: Das polnische Staatswesen befinde sich in einem „höchstbetrübten und zerrütteten Zustande“, und wenn die Polen „nicht durch die Waffen den Schweden wieder unterwürffig gemacht werden, ihr gantzes Reich der Moscowiter, Cosacken, Tartarn und Türcken Wüterey wird zu Theil werden müssen“.101 Dieser Argumentationsfigur sollte im 18. Jahrhundert noch eine große Zukunft beschieden sein. Sie lässt sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit der Wahrnehmung des römischdeutschen Reiches als „Monstrum“ (Samuel Pufendorf) parallelisieren. Das umfangreiche Werk Conrings wog unter deutschen Juristen schwer. Als einer der Begründer einer deutschen Rechtsgeschichte und historischen Reichsverfassungslehre besaß Conring prägenden Einfluss. Durch einen breiten Schüler- und Bewundererkreis intensiv rezipiert und durch die Folioausgabe von 1730 bequem zugänglich, behielten Conrings Positionen zu Polen bis weit ins 18. Jahrhundert ihre Ausstrahlungskraft. In der deutschen Rechtsgeschichte und Reichspublizistik erwuchs daraus ein kritischpolemischer Blick auf Polen, das in Abhängigkeit von der Reichsgeschichte gesehen wurde. Unter den preußischen und polnischen Hörern Conrings lösten dessen Auffassungen jedoch mehrheitlich Kritik aus. Johannes Sachs, der aus dem großpolnischen Fraustadt stammte und als Schreiber in Thorn tätig war, veröffentlichte nach dem Studium bei Conring 1665 eine Polemik, in der er diesem Fehleinschätzungen vorwarf.102 Die patrizischen Eliten Danzigs erachteten
100 ebd., S. 320–326. 101 Conring, Hermann: Epistola oder Sendschreiben des Cyriaci Th rasymachi. Von der gerechten Kriegs-Armeatur der Cron Schweden wieder die Cron Polen / und von dem dadurch aus grosser Gefahr erretteten Teutschlande An Andream Nicanorem [...]. o.O. 1656, Bl. D1v–D2r. 102 Bömelburg, Hans-Jürgen: Frühneuzeitliche Nationen, S. 325.
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die Auseinandersetzung mit den Thesen Conrings als so bedeutend, dass sie eine grundsätzliche Widerlegung in Auft rag gaben. 1694 publizierte der dort ansässige Rechtshistoriker Johannes Schultz-Szulecki seine Schrift »Tractatus historico-politicus de Polonia nunquam tributaria«, die die humanistische Konstruktion einer unabhängigen polnischen Nationalgeschichte neu akzentuierte. Diese Darstellung endete mit dem Sieg Johann Sobieskis bei Wien, der die Gelegenheit bot, die Verteidigung nationaler Unabhängigkeit und europäischer Freiheit hervorzuheben sowie die polnischen Verdienste herauszustellen. Hier ist – spiegelbildlich zu Conring – der politische Auftragscharakter der gelehrten Arbeiten erkennbar.103 Doch war mit diesen Widerlegungen das Thema für die protestantische preußisch-polnische Historiographie nicht erledigt: Noch die Erstausgabe von Johannes Długoszs Geschichtswerk (1711/12), dessen Druck von der Stadt Danzig mitfinanziert wurde, zitierte Conrings Meinung über die polnischen Geschichtsschreiber und wollte dieses Urteil korrigieren. Samuel Friedrich Lauterbach formulierte 1727 drastisch, „Conring verachtet die Polnischen Historicos“, und wies darauf hin, dass Parteilichkeit auf beiden Seiten zu fi nden sei.104 In mancher Hinsicht besitzt die Kontroverse zwischen Conring und der gelehrten preußisch-polnischen Geschichtsschreibung in der zweiten Hälfte des 17. und den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ein Janusgesicht: Sie knüpfte an Auseinandersetzungen zwischen deutschen Humanisten und ihren polnischen Kontrahenten 150 Jahre zuvor an, zugleich nahm sie die deutschpolnischen Auseinandersetzungen des späten 18. und 19. Jahrhunderts vorweg, in denen der Vorwurf eines anarchischen Staatsaufbaus akzentuiert wurde, der schließlich in Kritik an „polnischer Unordnung“ mündete und zur Prägung des Begriffs „polnische Wirtschaft“ führte. Ein Unterschied ist allerdings nicht zu übersehen: In den Kontroversen des späten 17. Jahrhunderts standen auf beiden Seiten Protagonisten, die nicht durch ethnisch-sprachliche Determinanten beeinflusst wurden. Der Fraustädter, in Thorn tätige Sachs oder der aus Graudenz stammende Schultz waren protestantisch-deutschsprachige Untertanen des polnischen Königs. Herkunft und ethnische Zugehörigkeit hatten auf ihre Argumentation keinen Einfluss. Eine Polarisierung entlang ethnisch-sprachlicher Grenzen fand noch nicht statt. Diese Dispute verstellten zudem eine Wahrnehmung der verfassungsrechtlichen Ähnlichkeit zwischen Altem Reich und Polen-Litauen wie auch Einsichten in die Reproduktion ähnlicher Muster (kriegerische Tugenden, 103 ebd., S. 326–329. 104 ebd., S. 330.
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ewige Unbesiegtheit) in beiden Nationskonstrukten. Unter den deutschsprachigen Bevölkerungen jenseits der Reichsgrenze, im Preußenland, in Livland oder in Krakau, aber auch unter den polnischsprachigen Bevölkerungen in Schlesien besaß die Vorstellung von einer „deutschen“ oder „polnischen Nation“ nur geringe Anziehungskraft. Die immer deutlicher konturierten nationalen Bilder mündeten im 18. Jahrhundert in eine Stereotypie. Im deutschen Sprachraum zeichneten aus dem oberdeutschen Raum überlieferte „Völkertafeln“ aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, die in Gaststätten angebracht waren und populäre Wahrnehmungen wiedergaben, den „barbarischen Polen“. Während die Deutschen als „offenherzig“, „witzig“ und „unüberwindlich“ dargestellt werden, erscheinen die Polen als „bäurisch“, „hochwild“, den Verstand „gering achtend“ und als „Prasser“.105 Diese vergröbernde Darstellung mit ihren antiadligen Zügen wird zum Topos polnischer Rückständigkeit. Auch vor dem Hintergrund der differierenden gesellschaft lichen Schichtung (deutsche Bürger vs. polnischer Adel) verschärfte sich diese Stereotypie in der Entgegensetzung von „deutscher Ordnung“ und „polnischer Wirtschaft“, die allerdings erst im 19. Jahrhundert zu einem dominanten „Nationalcharakter“ ausgebaut wurde. Eine erhebliche Bedeutung spielte hierbei der Gegensatz entlang sozialer (Bürger vs. Adlige) und konfessioneller (Protestanten vs. Katholiken) Linien. Die Frage, wann ein deutsches oder polnisches nationales Bewusstsein, eine deutsche kollektive Identität unter den jeweiligen Minderheiten in Ostmitteleuropa entstand, ist in der Forschung unterschiedlich beantwortet worden. Die ältere deutschsprachige Forschung beschäft igte sich mit dieser Frage nicht. Sie ging bereits bei den deutschsprachigen Einwanderern des Hoch- und Spätmittelalters von einer objektiv vorgegebenen deutschen Nation aus, die als Tatsache anzusehen sei. Die sprachlich-kulturelle Prägung der Gruppe habe ihre „deutsche Identität“ zwingend mit sich gebracht, hätten ein Erich Maschke oder Theodor Schieder argumentiert.106 Auch die ältere polnische Forschung hat sich eine solche Frage nie gestellt, zu sehr war man zumindest seit der Frühen Neuzeit von einer Gleichsetzung von polnisch-katholisch und protestantisch-deutsch überzeugt. Die neuere polnische Forschung 105 Stanzel, Franz K. (Hrsg.): Europäischer Völkerspiegel. Imagologisch-ethnographische Studien zu den Völkertafeln des frühen 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1999. 106 Maschke, Erich: Preußen. Das Werden eines deutschen Stammesnamens, in: Maschke, Erich (Hrsg.): Domus Hospitalis Theutonicorum. Europäische Verbindungslinien der Deutschordensgeschichte. Gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1931–1963, Bonn 1970, S. 158–187; Schieder, Theodor: Deutscher Geist und ständische Freiheit im Weichsellande. Politische Ideen und politisches Schrift tum in Westpreußen von der Lubliner Union bis zu den polnischen Teilungen (1569–1772/93), Königsberg 1940.
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Abb. 8. Auszug aus der steirischen Völkertafel. Die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstandene Darstellung eines unbekannten Malers listet stereotype Charaktermerkmale verschiedener Völker auf.
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geht mit Henryk Samsonowicz davon aus, dass sich die Reichweite der polnischen Nation in der Frühen Neuzeit auf den gesamten Adel erweitert habe, betrachtet aber eine Zugehörigkeit der Bauern oder der polnischsprachigen Minderheiten in Schlesien zu einer polnischen „Nation“ auch angesichst der Überzeichnungen in der Volksrepublik Polen eher skeptisch. Heute sind der deutschen wie der polnischen Forschung ältere essentialistische Verortungen der deutschen und polnischen Bevölkerung als „deutsche“ oder „polnische Minderheiten“ fragwürdig geworden, denn für viele Epochen der älteren Geschichte ist solch eine Zuordnung unhaltbar. Vorstellungen einer „deutschen Identität“ sind für das 16. Jahrhundert in Krakau, Thorn oder Danzig ähnlich fragwürdig und ebenso wenig belegbar wie Konstruktionen einer „polnischen Identität“ für die polnischsprachigen Bevölkerungen Oberschlesiens.107 Ab wann kann man also von einer frühnationalen Identitätsbildung auf konfessioneller wie ethnischer Grundlage sprechen? Nachvollziehbar ist das am Beispiel von Thorn: Durchmustert man die Stadtgeschichte, so gerät zunächst seit den 1660er/1670er Jahren die Zurückdrängung der Reformierten durch ein Luthertum in den Blick, das ansatzweise auch in nationalen Kategorien dachte. Die evangelischen Thorner Katechismen enthalten nur Verzeichnisse der deutschsprachigen Pastoren seit der Reformation. Solche entstehenden sprachlich-nationalen Kategorienbildungen sind in der »Preußischen KirchenHistoria« des Thorner Gymnasialprofessors Christoph Hartknoch von 1686 feststellbar, in der lutherisches Bekenntnis und deutsche Sprache als zentrale Merkmale einer Sonderentwicklung des Preußenlandes erscheinen. Ein Schüler Hartknochs war der später nach dem Thorner Tumult hingerichtete Bürgermeister Johann Gottfried Rösner. Es liegen so Anhaltspunkte dafür vor, erste Momente einer „Profilierung einer deutsch-protestantischen Minderheit“ in die letzten vier Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts zu verlegen, aber auch um 1680 oder 1690 existierte in Preußen noch keine klare Trennungslinie. Auch hierfür könnte man Hartknoch als Kronzeugen zitieren, der sich als Bürger eines sarmatischen Reichsgefüges sah, zu dem auch der preußische Bestandteil zählte.108 Gefragt werden kann aber, inwieweit nicht durch die wachsenden konfessionellen Grenzlinien im frühen 18. Jahrhundert und die Radikalität konfessionellen Handelns auf beiden Seiten und die empfundene Ausgrenzung nun 107 Müller, Michael G.: Städtische Gesellschaft , S. 565–584. 108 Müller, Michael G.: „Die auf feyerlichen Vergleich gegründete Landes-Einrichtung“. Städtische Geschichtsschreibung und landständische Identität im Königlichen Preußen im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in: Bahlcke, Joachim / Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Die Konstruktion der Vergangenheit, S. 265–280.
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in Thorn eine solche Trennlinie entstand, die unter den dortigen Protestanten eine protestantisch-deutsche Minderheitenidentität begünstigte. Unter den Thorner Bürgern wuchs das Gefühl der Bedrohung. Man fürchtete die durchziehenden Truppen, wiederholt machten Gerüchte über die Übernahme der letzten großen protestantischen Stadtkirche durch die Katholiken die Runde (1716, 1724). Man müsste diese Gerüchte, ihre Verbreitungswege und die dahinter stehenden Ängste näher untersuchen, was bisher nicht geschehen ist. Es gab um 1720 gute Gründe – wenn man sich denn auf die Perspektive der Thorner Protestanten einlässt –, überall Bedrohungen zu wittern: Die Thorner Hauptkirchen, die Johanneskirche und die Jakobskirche, waren den Katholiken übergeben worden, 1717 wurden auf dem Reichstag die letzten ordentlich gewählten protestantischen Landboten aus dem Sejm ausgeschlossen. Der Thorner Tumult, die folgenden Strafmaßnahmen mit den Hinrichtungen, finanzielle Strafen, Sühneleistungen und die Öff nung des Stadtrats für katholische Ratsherren mussten aus der Sicht der protestantischen Stadtbevölkerung als drastischer Einschnitt erscheinen. Nach der Wegnahme der Marienkirche, der letzten großen protestantischen städtischen Kirche, existierte keine repräsentative Kirche mehr; offi ziell bestand ein Verbot, eine neue Kirche zu errichten, das zwar durch die Herrichtung des Artushofs als Gotteshaus und den mühsamen Weg zur Errichtung einer neuen Kirche (geweiht 1756) umgangen werden konnte, aber dennoch über Jahrzehnte ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Unsicherheit verfestigte. Die Einführung katholischer Ratsherren und die von katholischer Seite geforderte Parität schufen schwerwiegende zeremonielle und prozedurale Konflikte: Wie sollte die neue Sitzordnung aussehen, in welcher Sprache sollten die Sitzungen stattfinden – katholische Vertreter wie der Thorner Postmeister Jakub Kazimierz Rubinkowski forderten Polnisch –, in welcher Kirche welchen Bekenntnisses sollten vor zentralen städtischen Ereignissen Gottesdienste abgehalten werden? Die die Stadtpolitik prägenden protestantischen Ratsherren hielten sich offiziell mit Kommentaren zurück, erinnerten sich in Privatkorrespondenzen jedoch an die traumatische Dimension dieser Ereignisse. Christian Klosmann, in den 1720er Jahren Thorner Gesandter in Warschau und bis zu seinem Tod 1774 40 Jahre Ratsherr und mehrfach Bürgermeister, schrieb noch in den 1760er Jahren in einem Brief auf die Nachricht, eine königliche Kommission solle die Verhältnisse in Thron untersuchen: „ich bekenne mit aufrichtigen Hertzen, dass da ich solche Tyranney mich exponiren solte viel lieber alles aufgeben würde [...]. Zu der Commission können wir es nicht kommen lassen sie mag so schmeichelnd seyn wie sie wolle denn man wird nicht nur das
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II. Fragen und Perspektiven
Secretum von a. 1724 aufnehmen.“109 Als die preußischen Sonderrechte auf dem Sejm im Juni 1764 diskutiert wurden, berichtete der Thorner Gesandte in Warschau Samuel Luther Geret, der Sohn des Pfarrers und protestantischen Seniors Christoph Geret, der 1724 die Stadt auf königliche Anordnung verlassen musste: „Und da fiel ein ganzer Schwarm Senatoren und Landboten, welche beym Fürst-Primas waren mir auf den Hals und redeten was wir uns denn einbildeten. Ob wir mehr als die Städte in Polen vorstellen wollten, ob wir nicht der Republick unterworfen seyn wollten, und ob die Republick nicht das Recht hätte aus unserer Stadt ein Dorf zu machen. Man sollte sich der Rechte der Republick über die Stadt erinnern von 1724“.110 Gegen diese fortgesetzte Bedrohung entwickelten die städtischen protestantischen Eliten bis in die 1750er Jahre eine hinhaltende, öffentliche Stellungnahmen meidende Politik. Dies änderte sich in den 1760er Jahren, als polnische Interventionen in der Stadt in weite Ferne rückten. Nun finden sich auch in anonym gedruckten, protestantischen Schriften deutliche Aussagen eines nun national gefassten Antagonismus. In Samuel Luther Gerets Schrift »Die aus den Gräbern durchdringende Stimme derer vor zwey hundert und hundert funfzig Jahren verstorbenen wahren und ächten Preußen« heißt es einleitend: „[W]enn ich betrachte, dass wir Polen geworden sind und aufgehöret haben, Preußen zu seyn [...].“ Verantwortlich gemacht werden dafür die „unter schon verpolackten Preußen gebohren und erzogen“ Eliten, und weiter führt Geret aus: „Wir haben unsere Schönheit und Ordnung auch in Land und Städten auf solche Art verlohren.“ Mit „Ordnung“ wird hier auf eine zentrale Wahrnehmungsebene der frühnationalen deutschen Bürgerlichkeit Bezug genommen. Die nun anstehende Aufgabe sei es, „unser Staats-Gebäude von dem angebackten Polnischen Wust und Schmutz zu reinigen, aufzuputzen, zu erneuern und so wieder in völligem Glanz und Dauerhaftigkeit herzustellen“.111 Ein zweites Beispiel aus Gerets Publizistik, diesmal aus der 1795 erschienenen »Belehrenden historischen Nachricht« – Geret stand inzwischen als Bürgermeister an der Spitze der von den Hohenzollern annektierten Handelsstadt und konnte nun ohne Rücksichten formulieren: Eine historische Tatsache sei es, dass „die slawisch-polnischen Landschaften und 109 Archiwum Państwowe Toruń I, 4. Nr. 3359, Christian Klosman an Samuel Luther Geret, 16.9.1764. 110 Archiwum Państwowe Toruń, I, 4. Nr. 3359, S. 393: Samuel Luther Geret an den Rat der Stadt Thorn, 8.6.1764. 111 Geret, Samuel Luther: Die aus den Gräbern durchdringende Stimme derer vor zweyhundert und hundert funfzig Jahren verstorbenen wahren und ächten Preußen, zur Erwekung und Besserung an die jetztlebenden zu Polen ausgearteten Preußen [...], Mitau 1774, S. 5, 7, 19.
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Völkerschaften, [...] von dem wahren Preußen und dessen deutschen Bewohnern, aufs feyerlichste, abgesondert und getrennet“ worden seien. Und weiter dann: „Welch ein himmelweiter Unterschied, zwischen den Polen und den Preußen! Zwischen preußischen und polnischen Städten!“112 Hier sei „ein deutsches Volk, unvermischt mit einem benachbarten heterogenen Volk“ verblieben, in einer „von Deutschen und für Deutsche, zu allererst erbaute[n], aelteste[n] Stadt“. Und die Quintessenz: „Welcher eingebohrner, patriotischer, Thorner [...] ist nicht stolz darauf, das eigentliche, alte, aechte, deutsche Preußen, zu seinem eigenthümlichen Vaterlande zu haben und zu behalten [...]?“ Auf einer beigefügten Karte wird das „wahre alte deutsche Preußen“ klar von der benachbarten Region, „jetzt Südpreußen genannt, altslawischlachisches Land“, getrennt.113 Anhand dieser ausführlichen Passagen und der Häufung deutscher Selbstzuschreibungen kann man den deutschnationalen Gestus des Textes, der mit einer impliziten Abwertung von als „polnisch“ deklarierten Personen und Regionen einhergeht, nachvollziehen. Er ist jedoch um 1800 nur das Programm einer kleinen, radikal konfessionell-national geprägten Gruppe von Thorner Lutheranern, keinesfalls ein Spiegelbild deutschsprachiger Menschen in Polen. In Danzig lässt sich eine entsprechende Entwicklung keinesfalls beobachten. Das Ordnungsmodell „Nation“ bewies insgesamt eine erhebliche Ausstrahlung im östlichen Europa. Es stieß eine konkurrierende polnische Nationsbildung an, die sich antagonistisch zu deutschen Identitätsentwürfen positionierte. Beide Nationen beanspruchten einen autogenen deutschen Geschichtsraum (Germania Magna vs. Sarmatia) in ganz Ostmitteleuropa. In der – zu einem großen Teil lediglich imaginierten – militärischen und politischen Abwehr solcher Bestrebungen entwickelte die Ehrgemeinschaft des polnischen Adels ein herausgehobenes Verständnis einer ewig unbesiegten Gemeinschaft (Polonia nunquam tributaria). Von polnischer Seite wiederum wurde die deutsche Nation nicht als libertäres, sondern als bürokratisches und tendenziell „tyrannisches“ Ordnungsmodell beschrieben. Die deutschen Nationskonstrukte sahen dagegen in dem polnischen Nachbarn einen Prototyp für eine „unordentliche“, chaotische Verfassung. Nur in wenigen Bereichen (deutschsprachiger Adel in Ostmitteleuropa) wirkte diese auch vorbildgebend. Daraus entstand im 18. Jahrhundert eine 112 Geret, Samuel Luther: Belehrende historische Nachricht von dem eigentlichen wahren Jahrhunderte hindurch bestehenden Vaterlande der Stadt Thorn durch Natur und Diplome gesichert. Thorn 1795, S. 23, 26/27, 32; Benl, Rudolf: Drucklegung mit Hindernissen. Samuel Luther von Gerets „Belehrende historische Nachricht von dem [...] Vaterlande der Stadt Thorn“ und ihr Verleger, in: Arnold, Udo u.a. (Hrsg.): Preußische Landesgeschichte, vgl. Anmerk. 37, S. 457–470. 113 Arnold, Udo u.a. (Hrsg.): Preußische Landesgeschichte, vgl. Anmerk. 37, S. 45, 46.
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II. Fragen und Perspektiven
scharfe Stereotypie, in der die Teilungen Polens als Ergebnis der polnischen Unfähigkeit zu einer „ordentlichen Verfassung“ gesehen wurden. Die Reichweite dieser Vorstellungen beschränkte sich in der Frühen Neuzeit auf die humanistischen und gelehrten Eliten in beiden Reichsverbänden sowie in Polen auf den Adel („Adelsnation“) und im Alten Reich auf kleinere Gruppen des Bürgertums (keine Bauern!). Aufgrund der Homogenität des polnischen Adels war die Breitenwirkung in Polen größer, im deutschen Bürgertum wurden aufgrund kommunikativer Barrieren bis 1770 nur kleinere Kreise erreicht. Erst die preußische Politik bediente sich der nationalprotestantischen Konstrukte und popularisierte sie im späten 18. Jahrhundert. Sprachliche und nationale Argumente spielten in der Frühen Neuzeit nur eine begrenzte Rolle.
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Insgesamt stehen die Prozesse, die zu den Teilungen Polen-Litauens und der Auflösung des Alten Reichs führten, in einem viel engeren Zusammenhang, als dies in der deutschen wie polnischen Forschungsliteratur häufig wahrgenommen wird. Im Reich sprengte der österreichisch-preußische Dualismus nach 1740 die Reichsverfassung, in Polen-Litauen besaßen die Eingriffe der äußeren Mächte systemsprengende Kraft. Die jeweiligen Defensivverfassungen waren den offensiven Mächten des 18. Jahrhunderts nicht mehr gewachsen, die jetzt Militär, Steuerstaat und moderne Bürokratie zu neuen Beherrschungstechniken verbanden. Gemeinsam ist dem Ende beider Reiche, dass es durch Eingriffe von außen herbeigeführt und von oben ins Werk gesetzt wurde, das „Volk“ war – im Zeitalter der Volkssouveränität – an diesem Geschehen nicht beteiligt. Zeitgenossen sahen die Teilungen Polens auch als Menetekel für den Untergang des Reiches, ein Aspekt, der in der Forschung oft vergessen wurde.114 An der Ersten Teilung Polen-Litauens waren europäische Diplomaten und Militärs beteiligt, viele von ihnen aus dem deutschen Sprachraum, die in preußischen, österreichischen oder, als Deutschbalten, in russländischen Diensten standen. Die Erste Teilung wurde europaweit umfangreich diskutiert. Am bekanntesten und in der Art ihrer Reflexion herausgehoben ist die Berichterstattung im britischen »Annual Register«, dessen leitender Redakteur der Konservative Edmund Burke war. Obwohl die dort veröffentlichten Beiträge nicht gezeichnet sind, lassen sich die hier vertretenen Auffassungen auf jeden Fall auch Burke zuschreiben.115 Zu Beginn des Jahrgangs 1772 heißt es in der einleitenden Jahresübersicht »The history of Europe«, das Jahr habe durch die unerwartete und völkerrechtswidrige Teilung Polens eine bemerkenswerte Veränderung, ja Revolution
114 Cegielski, Tadeusz: Das Alte Reich und die Erste Teilung Polens; Müller, Michael G.: Das Ende zweier Republiken: Die Teilungen Polens und die Auflösung des alten Reichs, in: Lawaty, Andreas / Orłowski, Hubert (Hrsg.): Deutsche und Polen. Geschichte – Kultur – Politik, München 2003, S. 47–53. 115 Grundsätzlich: Müller, Michael G.: Die Teilungen Polens; Bömelburg, Hans-Jürgen u.a. (Hrsg.): Die Teilungen Polen-Litauens.
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ausgelöst, die Teilung sei „der erste große Einbruch in das moderne politische System Europas“ gewesen, vergleichbar nur mit dem Einfall der Mongolen und Tataren im Mittelalter; ähnlich wie dieser habe die Teilung die Barriere zwischen Asien und den deutschen Territorien niedergerissen und die „große westliche Republik“ als Ganzes in Frage gestellt.116 Zugleich wird auch von englischer Seite sofort die Parallele zum Alten Reich gezogen: Die Reichsterritorien seien, so führt der Beitrag aus, insbesondere von der preußischen Expansionspolitik bedroht.117 Zugleich wird auf die gesamteuropäischen Konsequenzen des Teilungsvorgangs hingewiesen, denn die russische Machtpolitik besitze nun keine natürliche Barriere mehr, die bis dato PolenLitauen gewesen sei, und könne sich nach Mitteleuropa ausdehnen.118 Im römisch-deutschen Reich verbreiteten sich die Nachrichten über die Teilung 1772 mit großer Geschwindigkeit, zumal auch polnische Abgesandte die Reichsöffentlichkeit zu erreichen suchten. Befürchtungen, die Teilungspolitik der Großmächte Österreich und Preußen könne auch auf das Reich übergreifen, wurden von der französisch beeinflussten Publizistik geschürt, die das „dritte Deutschland“ zu einer Anlehnung an Frankreich bewegen wollte. In den Quellen fassbar ist, dass die Höfe der Reichsstände in München, Mannheim, Trier oder Mainz eine Übertragung der österreichischpreußischen Entente auch auf das Reich und, im Konfliktfall oder bei geeigneter Gelegenheit, eine Aufteilung der kleineren Reichsterritorien fürchteten. Solche Ängste waren auch in der unabhängigen Reichspublizistik lebendig, ein Aufsatz in der in Frankfurt erscheinenden Frankfurter Kayserlichen ReichsOber-Post-Amts-Zeitung vom 13. Februar 1773 stellte fest, Österreich und Preußen könnten sofort Heere aufstellen und die Reichsterritorien aufteilen. Insbesondere bei den Wittelsbachern fürchtete man, da in Bayern die Frage der Erbfolge nach dem Tode des kinderlosen Max III. Joseph offen war, eine Übertragung „polnischer Muster“.119 Auch in anderen Wittelsbacher Territorien des Alten Reichs kursierten Ängste, man könne das Opfer preußisch-österreichischer Teilungen werden. Kurfürst Carl Theodor von Pfalz-Sulzbach, der Erbe Bayerns, äußerte diese Befürchtungen in einer Instruktion vom Oktober 1777 – einige Monate vor dem tatsächlichen Erbfall 1778 – auch schrift lich: „Sie werden alle meine Lande nehmen und mir Mannheim und Heidelberg lassen und eine Insel im Rhein,
116 The Annual Register, or a View of the History, Politics and Literature for the year 1772, London 1773, S. 1– 2. 117 ebd., S. 3. 118 ebd., S. 4. 119 Cegielski, Tadeusz: Das Alte Reich, S. 128.
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mit der sie mir den Königstitel geben können, damit ich zufrieden bin.“120 Tatsächlich forcierte die habsburgische Politik unter Leitung von Joseph II. 1778 eine Aufteilung Bayerns, die an der Intervention Preußens scheiterte und in den von beiden Seiten als Machtdemonstration geführten Bayerischen Erbfolgekrieg 1778/79 mündete. Es verdiente genauere Quellenstudien, die Frage zu beantworten, inwieweit bei diesem Sitzkrieg die Kontrahenten Verhandlungen über Teilungspläne führten und ob hier das Vorbild Polens im Raume stand. Konkret umgesetzt wurde die Aufteilung des Alten Reichs 20 Jahre später, diesmal als gemeinsames preußisch-französisches Teilungsgeschäft, an dem auch die süddeutschen Rheinbundstaaten einigen Anteil hatten. Jedoch taucht der Vergleich zwischen den Teilungen Polen-Litauens und der Auflösung des Alten Reichs bei den Zeitgenossen nicht häufig auf. Die Ursachen hierfür liegen auf mehreren Ebenen: In der Epoche der Französischen Revolution trat die Verwendung des – belasteten – Begriffs „Teilung“ zugunsten anderer Termini zurück. Die Annexionen und Erwerbungen des revolutionären Frankreichs bzw. Preußens wurden nicht als „Teilungen“ registriert, obwohl es sachliche Parallelen zu den Teilungsprozeduren gab. Sicherlich spielte dabei auch eine Rolle, dass die „Teilungsmächte“ im Alten Reich mit Ausnahme Frankreichs ebenfalls deutschsprachig waren und so keine Fremdherrschaftsvorstellungen mit Breitenwirkung entstanden. Die Entwicklung und Verabschiedung der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791 löste in ganz Europa, darunter auch in den deutschen Staaten, ein lebhaftes Echo aus. Die Verfassung wurde rasch ins Deutsche übersetzt und kursierte in Auszügen in deutschen Zeitungen.121 Gratulationen zum Verfassungswerk übermittelten neben den Regierungen Englands und der Vereinigten Niederlande auch diejenigen Österreichs und Preußens. Die Motivationen, die neue polnische Verfassung zu honorieren bzw. sie mit Schweigen zu übergehen, waren unterschiedlich gelagert. Am deutlichsten lässt sich dieses Abwägen am Beispiel Österreichs nachvollziehen: Kaiser Leopold II. ebenso wie sein Kanzler Wenzel von Kaunitz brachten der politischen Leistung der Maiverfassung in hofinternen Gesprächen und Korrespondenzen große Wertschätzung entgegen, doch sollte diese nicht ausschlaggebend für Österreichs Polenpolitik sein. Preußens Reaktion auf die
120 Aretin, Karl Otmar von: Tausch, Teilung und Länderschacher als Folgen des Gleichgewichtssystems der europäischen Großmächte. Die Polnischen Teilungen als europäisches Schicksal, in: Zernack, Klaus (Hrsg.): Polen und die polnische Frage in der Geschichte der Hohenzollernmonarchie 1701–1871, Berlin 1982, S. 53–68, hier S. 57. 121 Übersetzung ins Deutsche in: Jaworski, Rudolf (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung, S. 129–169.
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Maiverfassung fußte auf anderen Voraussetzungen: Zum Zeitpunkt der polnischen Staatsreform bestand das im März 1790 geschlossene preußisch-polnische Militärbündnis. Jedoch waren die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten abgekühlt, nachdem der Sejm im September 1790 die Integrität des polnischen Staatsterritoriums deklariert und damit signalisiert hatte, dass Polen nicht bereit war, Danzig und Thorn an Preußen abzutreten. Die preußische Politik versuchte nach wie vor aus wirtschaft lichen Gründen – vor allem ging es um die Kontrolle des Ostseehandels –, beide Städte zu annektieren.122 Friedrich Wilhelm II. wurde von der Verabschiedung des polnischen Regierungsstatuts am 3. Mai 1791 überrascht. Allerdings blieb ihm als Bündnispartner Polens nichts anderes übrig, als den Warschauer Verfassungsgebern zu gratulieren. Aufschlussreich war die Formulierung dieser Gratulation: Der preußische König begrüßte die Maiverfassung als „friedliche Revolution“ und setzte sie damit – wie viele seiner konservativen Zeitgenossen – positiv von der Französischen Revolution ab. Noch deutlicher äußerte sich die ideelle Wertschätzung der Regierungsreform durch den preußischen Hof in der »Abhandlung über äußere, innere und religiöse Staatsrevolutionen«, die Ewald Friedrich von Hertzberg anlässlich des Geburtstags Friedrich Wilhelms II. am 6. Oktober 1791 in der Preußischen Akademie der Wissenschaften verlas. Darin pries er das Regierungsstatut als maßvolle Reform im Gegensatz zur Radikalität des politischen Umsturzes in Frankreich und sagte ihr bei weiterer „Mäßigung im Innern und Äußeren“ Erfolg voraus.123 Gerade die Erkenntnis, dass sich Polen durch die Maiverfassung auf gutem Wege zu politischer und sozialer Stabilisierung befand und – mehr noch – sein reformierter Konstitutionalismus den aufgeklärten Absolutismus Preußens politisch und militärisch herauszufordern drohte, bewog den Berliner Hof dazu, sich schrittweise von Polen zu distanzieren. Stattdessen suchte die preußische Diplomatie erneut die Annäherung an Russland. Dieser Annäherung der beiden Großmächte konnte das preußisch-polnische Bündnis nur hinderlich sein. Die diplomatischen Unterredungen zwischen Preußen und Russland mündeten am 8. Juni 1792 in der Kündigung des preußischpolnischen Militärbündnisses und der Rücknahme der Verfassungsgarantie durch Friedrich Wilhelm II. Der zur Legitimation seines Handelns angeführte Grund, Polen habe eigenmächtig, das heißt ohne Zustimmung der preußischen 122 Kleinmann, Yvonne: Von der adligen Rzeczpospolita zur Staatsbürgergesellschaft? Der „Große Reichstag“ und die Verfassung vom 3. Mai 1791 (Politische Voraussetzungen, Gehalt und europäische Bedeutung), in: Polen in der europäischen Geschichte, Bd. 2 Frühe Neuzeit [im Druck]. 123 ebd.
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Garantiemacht eine neue Verfassung verabschiedet, stand im Widerspruch zu früheren positiven Stellungnahmen des preußischen Königs und trug ihm von liberalen Kritikern in Preußen den Vorwurf des Verrats ein. In Polen verstärkte dies die Wahrnehmung Preußens als eines grundsätzlich feindlichen und wortbrüchigen Nachbarn. Insbesondere die rheinischen und in den Niederlanden erscheinenden deutsch- und französischsprachigen Zeitungen würdigten die Verfassung als eine reformerische Leistung. Eine kritischere Lesart präsentierten liberale Zeitungen und Zeitschriften: So pries die liberale »Berlinische Monatsschrift« die polnische Verfassung zwar als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem aufgeklärten Staat, doch beklagte sie die mangelnde politische Partizipation der Stadtbürger und Bauern. Im anderen Extrem – doch dies war die Ausnahme – verurteilten konservative Publizisten die Maiverfassung als „Jakobinismus“. Diese Einschätzung wurde mit dem zweiten, nur zwischen Preußen und Russland ausgehandelten Teilungstraktat vom 23. Januar 1793 verbindlich. Die erneute Teilung wurde mit angeblichen französischen Einflüssen an der Weichsel gerechtfertigt, auf russländischer Seite war auch deutsches diplomatisches Personal beteiligt. So stand Johann Gottfried Seume zwischen 1792 und 1797 in zarischen Diensten und war als Sekretär des russischen Gesandten Otto Heinrich Igelström in Warschau unmittelbar an dem Geschehen beteiligt, das in die Zweite Teilung 1793 mündete.124 Auf diese erneute Teilung und die nur noch scheinbare Aufrechterhaltung eines polnischen Rumpfstaates reagierten die polnischen Eliten und vor allem Armeeangehörige mit Konspiration und Widerstand. Dieser brach im März 1794 unter Führung von Tadeusz Kościuszko offen aus. Kościuszko gehörte den jungen polnischen Reformern an, hatte 1776–1784 auf amerikanischer Seite als Offizier am Unabhängigkeitskrieg teilgenommen und war 1792 nach der Zweiten Teilung nach Sachsen geflohen. Der Aufstand wurde 1794 durch den Einmarsch preußischer und russischer Truppen niedergeschlagen, Kościuszko geriet in russische Gefangenschaft, aus der er 1796 frei gelassen wurde. Um den in Solothurn in der Schweiz im Exil lebenden Politiker und Militär entstand eine europaweite, auch in liberalen deutschen Kreisen ausgeprägte Verehrung, die in ihm den edlen Helden und reformorientierten Staatsmann sah und die sich in Theaterstücken wie Karl von Holteis »Der alte Feldherr« (1825) niederschlug. Die Verfassung wie der heldenhafte Widerstand der Polen bereiteten die positive Wahrnehmung der Polen in der Romantik vor. Mit der napoleonischen Expansion (1797: Frieden von Campo Formio, 1801: Anschluss des linken Rheinufers an Frankreich, 1803: Säkularisierung und Aufhebung kleinerer Reichsterritorien) wuchs in der immer mehr 124 Lawaty, Andreas: Revolution und Untergang.
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zusammenschrumpfenden deutschen Reichsöffentlichkeit die Wahrnehmung der eigenen Bedrohung. Neuere Untersuchungen zeigen denn auch, dass die Auflösung des historischen deutschen Reichsverbands 1803/06 nicht ohne Gegenwehr und Kritik verlief, wie das die ältere Forschung noch behauptet hat.125 In diesem Kontext wurde von Publizisten auch die Parallele zwischen dem Ende des römisch-deutschen Reichs und dem Ende Polens gezogen. Seume befürchtete, wie er in der Zueignung an den Leser zu »Mein Sommer 1805« schrieb, den Untergang der deutschen Nation und eine endgültige Eingliederung des Alten Reiches in das napoleonische Imperium. Zur Illustrierung griff er auf nicht lange zurückliegende Ereignisse zurück: „Wir sind, wenn wir so fortfahren, in der Gefahr, weggewischt zu werden wie die Sarmaten; und bald wird man in unsern Gerichten fremde Befehle in einer fremden Sprache bringen. Ob die Menschheit dabei gewinnt oder verliert, wer vermag das aus dem Buche des Schicksals zu sagen?“126 Unter „Sarmaten“ verstand die gebildete Öffentlichkeit Europas die adligen Eliten Polen-Litauens. In privaten Briefen ging Seume Ende des Jahres 1805 noch weiter. Er beschwor den Untergang der deutschen Nation aus eigener Schuld und zog auch hier eine Parallele zu Polen: „Nach dem, was ich sehe, geht es uns in kurzem wie Oestreich, muß uns so gehen; [...] Es ist eine allgemeine Ehrlosigkeit ohne Beispiel; nirgends ein Funke wahrer Nationalsinn. [...] Wir sind die Pohlen von A[nn]o 64–94.“127 Vor dem Hintergrund seiner Äußerung von 1797, dass „Polen sich wahrscheinlich nie wieder erheben wird“, stand dem deutschen Patrioten Seume 1805 die Gefahr eines Untergangs Deutschlands nach polnischem Muster drohend vor Augen.128 Nach Seume ist dieser Untergang selbstverschuldet. Deutsche wie Polen seien über die eigene „Egoisterey“ und Privilegienwirtschaft gestolpert, sie erwartet in Zukunft ein vergleichbares Schicksal, mit dem aus der Seumeschen Gedankenwelt heraus wohl der Verlust sprachlich-nationaler Identität gemeint war. Am Neujahrstag 1808 formulierte er: „Nach Jahrhunderten, ja sogar schon nach einem Jahrhundert werden wir Elsässer, Lothringer, Kurländer und Livländer gemeinsam mit den Polen sein, die in ihrem Elend schon alle nicht wissen, was für Landsleute sie sind, 125 Burgdorf, Wolfgang: Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806, München 2006. 126 Seume, Johann Gottfried: Mein Sommer 1805, in: Seume, Johann Gottfried: Werke in zwei Bänden, hrsg. von Jörg Drews, Frankfurt/Main 1993, Band 1, S. 552. 127 Brief von Mitte Dezember 1805 an Carl August Böttiger, in: Seume, Johann Gottfried: Briefe, hrsg. von Jörg Drews und Dirk Sangmeister, Frankfurt/Main 2002, S. 521–522. 128 Zur Frage der Vergleichbarkeit des Endes von Polen-Litauen und dem Alten Reich: Müller, Michael G.: Das Ende zweier Republiken, vgl. Anmerk. 114, S. 57–63.
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und zu welchem Volke man sie rechnet. Bei diesen hat dies der Wahnsinn des Adels bereits erreicht, bei uns wird er es in kurzer Zeit tun.“129 Den deutschen Patrioten Seume trieben solche Teilungs- und Versklavungsängste um, denn das Recht habe in Beziehungen zwischen den Staaten keine Wirkung mehr, das Völkerrecht sei dementsprechend nur noch Theorie: „Die fremden Länder hatten sie natürlich unter sich geteilt, ohne sich um Recht und Billigkeit zu kümmern, und indem sie der Zügellosigkeit ihrer Natur folgten.“130 Auch für die deutschen Staaten sah er um 1808 eine Teilung zwischen dem napoleonischen Frankreich und dem alexandrinischen Russländischen Reich voraus: „So dringt denn aus dem Norden schon eine harte Barbarei in Verbindung mit Sklaverei herein; vom Süden zwar eine etwas mildere Herrschaft, aber eine nicht weniger gefährliche und noch schmachvollere Knechtschaft. [...] wir sind nichts als Beute.“131 So viel zu Seume, der in dieser Parallelisierung der Teilungen Polens und der Aufteilung des Reichs die herausragende zeitgenössische Stimme ist. Soziales Ungerechtigkeitsempfi nden und bürgerlicher Nationalismus vermischten sich bei ihm mit modernen Ordnungsvorstellungen gegen die (Miss)Wirtschaft des „russischdeutschpolnischen Adelsgezücht[s] mit den Privilegien und allem alten Unsinn“.132 Aus dieser Perspektive werden die Aufteilung Polens und des Alten Reichs als Elitenversagen wahrgenommen, wobei das Geschehen in Polen den Deutschen als Warnung und Abschreckung drohend vor Augen gestellt wird. Mit den Teilungen Polens (1772–1795) und der Auflösung des römischdeutschen Reichs (1803/06) endet die frühneuzeitliche deutsch-polnische Verflechtungsgeschichte. Zugleich verschwindet damit die Konstellation zweier gleichberechtigter föderaler Staatsverbände, die verfassungsrechtlich und außenpolitisch die deutsch-polnische Geschichte der Frühmoderne charakterisiert. Hier muss ein Bruch verzeichnet werden: Je weiter das 19. Jahrhundert voranschreitet, desto nachdrücklicher behaupten deutsche (preußische, österreichische, sächsische, bayerische) Staatsmänner von ihren polnischen Pendants, diese hätten das eigene Staatswesen „verspielt“ und seien für den Niedergang Polens „verantwortlich“. Die Perspektive der Teilungsmächte wird also immer stärker zu der deutschen Perspektive, je mehr die Prussifizierung Deutschlands fortschreitet. 129 Seume, Johann Gottfried: Vorwort zu einem Bändchen, Bemerkungen und Konjekturen zu zahlreichen schwierigen Stellen des Plutarch, in: Seume, Johann Gottfried: Prosaschriften mit einer Einleitung von Werner Kraft , Darmstadt 1974, S. 1186. 130 ebd., S. 1180. 131 ebd., S. 1186. 132 Seume, Johann Gottfried: Apokryphen, in: Seume, Johann Gottfried: Werke, vgl. Anmerk. 126, Band 2, S. 85.
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Jedoch lebte die ältere Geschichte – deutsches „Reich“ oder polnische „Republik“ (Rzeczpospolita) – als zentraler Erinnerungsrahmen der Vergangenheit in der deutschen und polnischen Öffentlichkeit fort. So wie August Winkler mit dem treffenden Wort „Am Anfang war das Reich“ die Ausgangslage und zentrale Referenzebene für deutsches politisches Denken der Moderne beschreibt, so könnte „Am Anfang war die Republik“ die Grundlage polnischer Diskurse erfassen.133 Typologisch handelt es sich bei Reich und Rzeczpospolita um die Konstruktion einer eindeutigen Verbindungslinie, im Idealfall im Sinne einer genetischen Abstammung, zu der zentralen, mit Legitimation versehenen älteren Staatlichkeit, nämlich Rom. Reich und Rzeczpospolita blieben nach dem Ende beider Verbände in einzelnen Aspekten funktional ähnlich wie auch deutlich abweichend in Erinnerung. In Deutschland dominierte nach der etappenweisen Auflösung des Reichs durch die napoleonische Politik ein durchaus kritischer Blick auf die eigene Reichsvergangenheit. Er ist in zahlreichen Aussagen fassbar und wurde als „Flucht ins Geistige“ bezeichnet. So formulierte Friedrich Schiller 1801: „Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge, indem das politische Reich wankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet. Dem, der den Geist bildet, beherrscht, muß zuletzt die Herrschaft werden [...]. Ihm ist das Höchste bestimmt, und so wie er in der Mitte von Europens Völkern sich befindet, so ist er der Kern der Menschheit.“134 Eine ganz ähnliche Konstruktion findet sich auch in Polen: Jan Paweł Woronicz, der spätere Bischof von Krakau und Warschau und polnische Primas, prophezeite im gleichen Jahr 1801 bei der Beschreibung polnischer Erinnerungsstücke in Form eines nationalen Pantheons auf den Czartoryskischen Gütern in Puławy: „Dieser Grabhügel begräbt nicht euer Geschlecht! Troja ging unter, damit Rom geboren wurde.“135 Die polnischen und deutschen Erinnerungsgemeinschaften definierten sich nach 1800 jeweils als sprachliche und kulturelle Gemeinschaften mit einer Reichsvergangenheit, die als „Schläfernationen“ (Andreas Lawaty) zukünft ig zur Herrschaft bestimmt seien. Zurzeit lebe man in einer Epoche der Vergeistigung, so die deutsche Auffassung, in einer „Zeit der Bestrafung und Verbannung“ – so die polnische Wahrnehmung. 133 Bömelburg, Hans-Jürgen: Altes Reich und Rzeczpospolita (Polnisch-litauische Adelsrepublik). Hymne auf Vielfalt und Geschichte eines Niedergangs, in: Hahn, HansHenning / Traba, Robert (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, Band 3, S. 21–36. 134 Schiller, Friedrich: Deutsche Größe, in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Band 2.1, Gedichte 1799–1805, hrsg. von Norbert Oellers, Weimar 1983, S. 431ff. 135 Woronicz, Jan Paweł: Świątynia Sybilli, in: Woronicz, Jan Paweł: Pisma wybrane, hrsg. von Małgorzata Nesteruk und Zofia Rejman, Warszawa 1993, S. 210.
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In der deutschen Öffentlichkeit ist zugleich um 1810 eine frühe Abkehr vom Reich als einer überlebten, kraft losen Struktur nachweisbar. Als berühmtestes Beispiel darf der Götz von Berlichingen in den Mund gelegte Ausspruch gelten: „Das Reich geht mich nichts mehr an.“136 Eine geringere Reichweite, dafür jedoch besondere Autorität besaß Goethes Schilderung der Verhandlungspraxis des Reichskammergerichts als einer zentralen Aushandlungsinstanz des Reichs (entstanden retrospektiv nach 1810 und veröffentlicht in »Dichtung und Wahrheit«): „Was mir in Wetzlar begegnete, ist von keiner großen Bedeutung [...], weit entfernt von so großen Wirkungen, schleppte das Gericht [...] sich nur kümmerlich hin. Man begreift oft nicht, wie sich nur Männer finden konnten zu diesem undankbaren und traurigen Geschäft. [...] Ging man bei dieser Gelegenheit in die Reichsverfassung und die von derselben handelnden Schriften zurück, so war es auffallend, wie der monstrose Zustand dieses durchaus kranken Körpers, der nur durch ein Wunder am Leben erhalten ward, gerade den Gelehrten am meisten zusagte.“137 Diese Passage besaß Gewicht, da Goethe am Reichskammergericht in Wetzlar als Praktikant tätig war und deshalb als unbestechlicher Beobachter, als einer der letzten Insider der Gerichtspraxis galt. In Polen kann dem das Erinnerungsbild entgegengestellt werden, das Adam Mickiewicz in »Pan Tadeusz« (1834) von der Rechtspraxis des Litauischen Tribunals beschwor: Eine der Figuren, ein ehemaliger Amtsbote (woźny) des Tribunals, erlebt bei der Lektüre der Tagesordnung (vocanda) der Prozesse vor dem Tribunal eine Vision: „Also las und bedachte er alles: Ogiński mit Wizgird, / die Dominikaner mit Rymsza [...], und lesend spann er aus all diesen Namen / Ein Gedenken an große Vorgänge, an die Einzelheiten aller Prozesse, / und vor seinen Augen erschien das feierlich gekleidete Gericht [...].“138 Einerseits die Abqualifizierung einer morschen Reichspraxis als „monstros“, andererseits ein feierliches „Gedenken an große Vorgänge“ – unterschiedlicher akzentuiert konnte die Erinnerung bei den beiden jeweils als Nationaldichter verehrten Autoritäten Goethe und Mickiewicz kaum ausfallen. Die Erzählung von „monstrosen Verhältnissen“ und dem kraft losen Untergang entwickelte im deutschen Liberalismus wie auch nach 1848 in 136 Burgdorf, Wolfgang: „Das Reich geht mich nichts mehr an.“ Goethes Götz von Berlichingen, das Reich und die Reichspublizistik, in: Schnettger, Matthias (Hrsg.): Imperium Romanum, S. 27–52. 137 Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, in: Goethe, Johann Wolfgang von: Werke, Band 28, hrsg. im Auft rag der Großherzogin Sophie von Sachsen, Weimar 1890, S. 124–134. 138 Die Übersetzung folgt der Nachdichtung von Hermann Buddensieg: Mickiewicz, Adam: Pan Tadeusz oder die letzte Fehde in Litauen, München 1963, wählt aber an einigen Stellen präzisere Begriffe.
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der borussischen Geschichtsschreibung eine besondere Durchschlagskraft: „Das ehrwürdige, neun Jahrhunderte alte deutsche Reich verschwand wie ein Schatten, kein Säbel fuhr aus der Scheide, keine Kugel aus einem Karabiner, um es zu verteidigen“139 – so ein bayerisches Urteil. „Weil das deutsche Reich morsch und faul war und die Deutschen von Gott und von der Freiheit abgefallen waren, hat Gott das Reich zu Trümmern gehen lassen“140 – so Georg Büchner im »Hessischen Landboten«. Die Nation sei angesichts des kraft losen Unterganges des Reiches „stumm und kalt“ geblieben, hieß es bei Heinrich von Treitschke.141 Erkennbar ist die Gemeinsamkeit des abqualifizierenden Urteils aus regionalistischer, republikanischer und national-imperialer Perspektive. Zunächst sind die gegenüber dem Untergang des Reichs im Vergleich mit Polen kühlen Reaktionen in Deutschland durch eine Konkurrenz der Angebote erklärbar: Neben dem Reichspatriotismus standen ein Kulturnationalismus Schillerscher Prägung oder ein regionalstaatlicher Nationalismus preußischen, österreichischen oder rheinbündischen Zuschnitts zur Verfügung. Gerade im „dritten Deutschland“ saßen zahlreiche Gewinner der Reichsauflösung, die es auch an einer dezidierten Macht- und Symbolpolitik nicht fehlen ließen. Der „schwäbische Zar“, Kurfürst und bald schon König Friedrich von Württemberg demonstrierte dies handfest, indem er seinen neu gestalteten württembergischen Thronsessel mit kunstvoll bestickten Paramenten aus säkularisiertem Besitz von Reichsabteien und -klöstern bespannen ließ. „Die ‚Pfaffenbeute‘ wurde zur weichen Sitzfläche für den neuen Souverän.“142 Infolge der konfessionellen Gegensätze wie der umfangreichen staatlichen Profiteure weinte dem Alten Reich in München, Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt kaum jemand eine Träne nach. Im 19. Jahrhundert entstanden in Bayern oder Württemberg staatliche Konzepte einer bayerischen und württembergischen Nation, die durchaus Identifi kationspotential besaßen, Reichsvorstellungen jedoch programmatisch ablehnten. Gänzlich anders sah es natürlich in alten Reichsstädten wie Nürnberg aus, wo die Klage über den Verlust dominierte. In diese Reichsromantik mischte sich allerdings rasch eine nationale und utopische Perspektive: Johann Gottlieb Fichte formulierte in der letzten (14.) seiner 1807/08 in Berlin gehaltenen 139 Buchner, Andreas: Geschichte von Baiern, Band 10: Geschichte während der Regierung des Königs Maximilian I. 1799–1825, München 1855, S. 139. 140 Büchner, Georg: Der hessische Landbote. Darmstadt 1834. 141 Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Band 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden [1879], Leipzig 1913, S. 234. 142 Schindling, Anton: War das Scheitern des Alten Reichs unausweichlich?, in: Schilling, Heinz u.a. (Hrsg.): Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Essays. 29. Ausstellung des Europarates in Berlin und Magdeburg, Dresden 2006, S. 303–317, hier S. 315.
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»Reden an die deutsche Nation« pathetisch: „Es hängt von euch ab, ob ihr das Ende sein wollt, und die letzten, eines nicht achtungswürdigen und bei der Nachwelt gewiß sogar über die Gebühr verachteten Geschlechtes [...]; oder, ob ihr der Anfang sein wollt, und der Entwicklungspunkt einer neuen, über alle eure Vorstellungen herrlichen Zeit [...]. Bedenket, daß ihr die letzten seid, in deren Gewalt diese große Veränderung steht. Ihr habt doch noch die Deutschen als Eins nennen hören, ihr habt ein sichtbares Zeichen ihrer Einheit, ein Reich, und einen Reichsverband, gesehen [...], wie lange wird es noch dauern, daß keiner mehr lebe, der Deutsche gesehen, oder von ihnen gehört habe?“143 Von öffentlichkeitswirksamen Publizisten wie Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt oder Joseph Görres wurde diese nationale Perspektive wiederholt beschrieben – im Artikel 12 der nach dem Wartburgfest von 1817 niedergelegten burschenschaft lichen Grundsätze hieß es: „Die Sehnsucht nach Kaiser und Reich bleibt ungeschwächt in der Brust jedes deutschen Mannes und Jünglings und wird bleiben, solange die Erinnerung an Kaiser und Reich nicht verschwunden und das Gefühl der Nationalehre nicht ausgetilgt [...] ist.“144 Hier liegt eine Parallele zu den Romantikern in Polen, wo die Rzeczpospolita ebenfalls nationalisiert und zum alleinigen politischen und territorialen Maßstab einer imaginierten Nation gemacht wurde. Auff ällig ist im polnischen Diskurs insbesondere das Zurücktreten des Begriffs Respublica/ Rzeczpospolita: Dieser Terminus, mit dem die polnisch-litauische Staatlichkeit über drei Jahrhunderte mehrheitlich bezeichnet wurde, wird zwischen 1795 und 1825 im Vokabular der Eliten durch „Polen“ abgelöst. Daneben wird der pluralistisch nutzbare Vaterlands-Begriff (ojczyzna) durch die Akzentuierung einer mehrheitlich exklusiv als „polnisch“ gefassten Nation, die auch als Abstammungs- und Sprachgemeinschaft konstruiert wird, ersetzt. Grundsätzlich konnte sich diese polnische republikanische Erzählung, ähnlich wie das deutsche Bild vom Reich, auf intensiv rezipierte einheimische Autoritäten stützen. Eine Schwächung von Rzeczpospolita und Reich – hier treffen sich die polnischen und deutschen Erinnerungsbilder – sei nur durch Überfremdung von außen möglich geworden: Angeblich „fremde“ Herrscher wie die Wasa- und Sachsenkönige oder im Reich der „spanische“ Karl V. hätten den „Nationalgeist“ (duch narodowy) negativ beeinflusst. Und ähnlich wie die deutsche, kennt auch die polnische Nationalerzählung eine utopische 143 Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation, Hamburg 51978, S. 233. 144 Puschner, Uwe: Reichsromantik. Erinnerungen an das Alte Reich zwischen den Freiheitskriegen von 1813/14 und den Revolutionen von 1848/49, in: Schilling, Heinz u.a. (Hrsg.): Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, vgl. Anmerk. 142, S. 319–329, hier S. 325.
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gesamteuropäische Perspektive: „In 50 Jahren wird Europa eine Republik sein oder unter die Herrschaft der Kosaken übergehen“145 – so Joachim Lelewel (1786–1861), der „polnische Ranke“. Zugleich fand auf polnischer wie auf deutscher Seite eine sakrale Aufladung der nationalen Vergangenheit statt. Nach Mickiewiczs Vision in seinen »Büchern der polnischen Nation und der polnischen Pilgerschaft« „gab Gott den polnischen Königen und Rittern die Freiheit [...]; daraufhin nannten sich alle, die Ärmsten und die Reichsten, Brüder. Eine solche Freiheit hatte es zuvor niemals gegeben“.146 Diese Freiheit von göttlicher Gnade mache die Rzeczpospolita einzigartig unter den Staaten Europas. Parallel griff die deutsche Reichsromantik auf das durch die „heilige“, angeblich deutsche Reichsstruktur überwölbte und beherrschte Mittelalter zurück. Friedrich Ludwig Jahn beschrieb 1814 anlässlich eines Besuchs auf der Wartburg seine Sehnsucht nach einem Reich: „So werden wir nun endlich einmal an die Herrlichkeit des deutschen Gemüts glauben, die Ausländerei verdammen und unsere Volkstümlichkeit verstehen lernen. [...] Darum wollen wir mit freudigem Mute beten: ‚Unser Reich komme‘.“147 Erkennbar ist die Sakralisierung der Erinnerungsbilder auf beiden Seiten, wobei sich die Überhöhung des adligen Wahlaktes als Ergebnis göttlicher Vorsehung und das „heilige deutsche Mittelalter“ entsprachen. Nach 1989 fanden Rzeczpospolita und Reich als umstrittene Erinnerungsbilder in Polen und Deutschland eine neue Konjunktur – man denke nur an die wieder aufgenommene Traditionslinie durch die Benennung des neuen Staates als „Dritte Rzeczpospolita“, bis hin zu einer von nationalkonservativen Gruppen prätendierten „Vierten Rzeczpospolita“. In dieser Konjunktur rückten erneut die republikanisch-freiheitlichen Traditionsmuster der Rzeczpospolita in den Vordergrund; das 2006 staatlicherseits gegründete Museum der Geschichte Polens (Muzeum Historii Polski) beschloss in seinen Planungen, dass an zentraler Stelle die freiheitlichen Traditionen PolenLitauens dargestellt werden sollen. Zugleich wurden in Polen die vielfältigen eigenständigen regionalen und eigenstaatlichen Traditionen wiederentdeckt und auch öffentlich wiederbelebt. Parallel gab es in Deutschland eine Ausstellungs- und Publikationswelle zum 200. Jahrestag des Endes des Alten Reiches; zwei große Europarats145 Lelewel, Joachim: Polska, dzieje i rzeczy jej rozpatrywane, in: Lelewel, Joachim: Dzieła, Band 20, Poznań 1864, S. 531. 146 Mickiewicz, Adam: Księgi narodu polskiego i pielgrzymstwa polskiego, in: Mickiewicz, Adam: Dzieła, Band 7, Warszawa ²1998, S. 15. 147 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700–1815, München 42007, S. 516.
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-Ausstellungen in Magdeburg und im Deutschen Historischen Museum in Berlin zogen insgesamt über 440 000 Besucher an. Präsentiert wurden auch föderale und partizipative Elemente der Reichsgeschichte – die beiden Bilder in der polnischen und deutschen Öffentlichkeit werden sich also nach 200 Jahren wieder ähnlicher. Allerdings bleibt dies in den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten völlig unbemerkt, da keinerlei Vergleichshorizont besteht: Beide Erinnerungsbilder stehen mit dem Rücken zueinander. Nur ein Beispiel: Die der Frühen Neuzeit gewidmete Berliner Ausstellung zeigte unter der Überschrift »Das Reich im Europa der Mächte« die polnischen Kroninsignien aus der Dresdener Rüstkammer, verlor allerdings über die föderativ-partizipatorischen Parallelen des polnischen Falles kein Wort.148 In den deutschen wie polnischen Diskussionen um die Gestaltung der Europäischen Union wird jeweils der Vorbildcharakter von Reich und PolenLitauen für ein gemeinsames Europa betont; beide Verbände werden unabhängig voneinander zu Vorläufern eines europäischen Einigungsprozesses und der Europäischen Union stilisiert. Das Reich in seiner „zukunft strächtigen Doppelstaatlichkeit“,149 Polen in seiner partizipatorischen Breite – sie werden europäisch neu verortet, natürlich auch, um Legitimität und Aufmerksamkeit für beide Nationalgeschichten zu erzielen. Funktional sind beide Argumentationen parallelisierbar, sie werden allerdings erneut in ihrer Ähnlichkeit beim jeweiligen Nachbarn nicht wahrgenommen. Die beiden großen europäischen Reichsgeschichten erschienen in Mitteleuropa lange als Solitäre, ja als Sonderwege. So ist die Geschichte des Alten Reiches in der deutschen Reichsforschung lange Zeit betrachtet worden, so wurde in Polen die ältere Geschichte konzipiert. Nur im Blick auf beide Verbände sind die Gemeinsamkeiten sichtbar – defensive Reichsstrukturen geben sich als frühneuzeitlicher Entwicklungsweg zu erkennen. Innerhalb dieser Strukturen kann durch eine vergleichende deutsch-polnische Geschichte die jeweilige National- und Regionalgeschichte besser analysiert und vergleichend behandelt werden. So wäre mit guten Gründen zu sagen, gerade in einer solchen deutsch-polnischen Betrachtung der älteren Epochen lägen die Perspektiven wissenschaft licher Forschung in Mitteleuropa. 148 Schilling, Heinz u.a. (Hrsg.): Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, vgl. Anmerk. 142. 149 Burkhardt, Johannes: Europäischer Nachzügler oder institutioneller Vorreiter? Plädoyer für einen neuen Entwicklungsdiskurs zur konstruktiven Doppelstaatlichkeit des frühmodernen Reiches, in: Schnettger, Matthias (Hrsg.): Imperium Romanum, S. 297–316; Wyduckel, Dieter: Das Reich – Modell europäischer Gemeinschaft sbildung?, in: Wissenschaft liche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden 48 (1999), H. 4, S. 13–16.
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II. Fragen und Perspektiven
Die Frage „Was blieb von der Frühen Neuzeit?“ sollte also im deutschen wie polnischen Kontext nicht verkleinert werden, zumal Reaktualisierungen der Referenzepochen jederzeit möglich sind. Für die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte ist die Epoche vor allem deshalb besonders ergiebig, weil hier vor dem Hintergrund einer deutsch-polnischen Symmetrie intensive Verflechtungen, Transfer- und Austauschprozesse abliefen, die europaweit beispielhaft sind.
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Register von Personen, geographischen Bezeichnungen und Sachbegriffen Sachbegriffe sind kursiv gesetzt, bei den geographischen Bezeichnungen wurden „Deutsch land“ und „Polen“ nicht aufgenommen.
Agricola, Rudolf der Jüngere (1490–1521) 171 Akkulturation 10, 118, 120–122 Albrecht von Hohenzollern-Ansbach (von Preußen, 1490–1568) 27, 30f., 51f., 56, 68–70 Albrecht Friedrich von Preußen (1553–1618) 68, 70 Alexander, Kg. von Polen (1461–1506) 52, 123 Allenstein (poln. Olsztyn) 32 Altdorf b. Nürnberg 15, 32, 58, 59 Altembockum, Urszula Katarzyna (1680–1743) 89f. Alterität 48, 73, 112, 168, 189, 192f., Altlivland s. Livland Altschottland b. Danzig (poln. Stare Szkoty) 159 Amsterdam 60f., 118 Andreaswalde (poln. Kosinowo) 59 Anna Jagiellonica (1476–1503) 66 Anna Jagiellonica, Kg. von Böhmen und Ungarn (1503–1547) 65 Anna von Östereich (1573–1598), Kg. von Polen 71 Anna Katharina Wasa (1619–1651) 72 Ansbach 26f., 66 Arkadia, Landschaft spark 86 Armenier 38, 120f. Arndt, Ernst Moritz (1769–1860) 197 Arnisaeus, Henning (1575–1636) 177 Aschkenasi, Zwi (um 1660–1718) 161 Assimilation 10, 118, 120–122 Augsburg 28f., 32, 41, 44, 58 August II., Kg. von Polen (sächs. Kurfürst Friedrich August II. 1670–1733) 79–95, 137, 161 August III., Kg. von Polen (sächs. Kurfürst Friedrich August II. 1696–1763) 79–95, 137 Aukštaiten s. Hoch-Litauen
Auschwitz, Herzogtum (poln. Księstwo Oświęcimskie) 23, 149 Aventinus, Johannes (1477–1534) 169, 171 Bach, Johann Sebastian (1685–1750) 84 Bamberg 118 Bar 101 Barbara Jagiellonica, Herzogin von Sachsen (1478–1535) 66 Bärwalde (poln. Barwice) 134 Baryczka, Familie 46 Basel 8, 15, 53–55, 130, 160 Báthory, Familie 10 Bayern 33, 66, 188f., 196 Baysen-Bażyński, Familie 13 Bebel, Heinrich (1472–1518) 7, 169 Beckenschlager von Gran, Johann (1435– 1489) 25 Behr, Isaschar Falkensohn (1746–1817) 164f. Belarus s. Weißrussland Berlin 49, 60, 62f., 67, 70, 92, 101, 105f., 112, 122, 162, 164–166, 196, 199 Beuthen an der Oder (poln. Bytom Odrzański) 12, 54 Białystok 11, 112 Bielak, Józef (1741–1794) 93 Bieliński, Michał († 1746) 92 Bielski, Marcin (1495–1575) 7, 173 Bildung 14, 50, 54, 56–58, 60, 63, 123, 136f., 160f., 164f. Biondo, Flavio (1392–1462) 171 Biron, Familie 13 Bochnia 34 Bogislav X., Herzog von Pommern (1454–1523) 66 Bogislav XIV., Herzog von Pommern (1580–1637) 76 Böhmen 8, 10, 14, 22–24, 27, 33f., 36f., 44–46, 60, 65, 72, 123–125, 147, 149, 153, 173, 178
Register Bohomolec, Franciszek (1720–1784) 85, 88 Bona Sforza, Kg. von Polen (1494–1575) 26 Boner, Familie 8, 28, 44, 46, 126 Borch, Familie 150 Bötticher, Eberhard (1554–1617) 133 Brandenburg 8, 11, 23f., 26, 35, 37, 50, 55, 66, 97f., 124, 144, 153, 155 Brandt, Asverus von (1508/9–1559/60) 31, 52 Bratislava, s. Pressburg Braunsberg (poln. Braniewo) 12, 56f. Braunschweig 26, 66 Breslau (poln. Wrocław) 12, 34, 46, 83, 147, 149, 153, 166 Brieg (poln. Brzeg) 12f., 45, 54, 74, 76 Brody 15, 156, 162 Brody (Lausitz) s. Pförten Bromberg (poln. Bydgoszcz) 15, 57, 98, 120, 133 Bronikowski, Familie 92 Brühl, Albert (1743–1792) 90 Brühl, Carl Adolph (1742–1802) 90 Brühl, Friedrich Aloysius (1739–1793) 90 Brühl, Heinrich von (1700–1763) 80, 82, 90, 103 Brühl, Maria Amalia (1736–1772) 90 Brünn (tsch. Brno) 163 Brüssel 27 Büchner, Georg (1813–1837) 196 Buczacz (ukr. Bučač) 87 Buda (dt. Ofen) 68 Bug, Fluss 40, 106 Burgund 8, 65 Burke, Edmund (1729–1797) 187 Bütow 23 Bydgoszcz s. Bromberg Bytom Odrzański s. Beuthen a.d.Oder Bytów s. Bütow Cäcilie Renate von Habsburg, Kg. v. Polen 129 Carl Theodor von Pfalz-Sulzbach, Kurfürst (1724–1799) 188 Cecora (rum. Ţuţora) 73 Celtis, Konrad (1459–1508) 7, 65, 169–172, 176 Cieszyn s. Teschen Chaim ben Bezalel (1520–1588) 160 Chełm (ukr./russ. Cholm) 37 Chełmno s. Kulm Chiaveri, Gaetano (1689–1770) 94 Chmel‘nyc’kyj, Bohdan (1595–1657) 155 Chocim (ukr./russ. Chotyn) 73 Chodowiecki, Daniel Ernst (1726–1801) 121f. Chojnice s. Konitz Clagius, Thomas (1598–1664) 143 Clüver, Philipp (1580–1622) 140
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Comenius, Johann Amos (1592–1670) 60f., 63 Conring, Hermann (1606–1681) 177–179 Constanze von Österreich (1588–1631), Kg. v. Polen 71 Cosel, Gräfi n, eigentl. Anna Constantia von Brockdorff-Hoym (1680–1765) 90 Crell, Johannes (1590–1633) 58 Crell-Spinowski, Teofi l (um 1612 – nach 1669) 59 Cureus, Joachim (1532–1573) 149, 174 Czartoryski, Familie 82, 87, 194 Częstochowa s. Tschenstochau Czorsztyn (dt. Schorstein) 125 Dąbrowski, Jan Henryk (1755–1818) 95 Dach, Simon (1605–1659) 37 Dänemark 79 Dantiscus, Johannes (poln. Jan Dantyszek 1485–1545) 12, 26, 29, 65, 171f. Danzig (poln. Gdańsk) 8, 10–12, 15f., 21, 23, 31, 35–37, 41, 43–47, 54f., 57, 62, 83f., 118, 120–122, 125, 128–130, 132–135, 137, 139–143, 146f., 159, 170–172, 177–179, 182, 185, 189 Darmstadt 196 Decius, Justus Ludovicus (dt. Dietz, poln. Decjusz 1485–1545) 172 Dembowski, Antoni Sebastian (1682–1763) 92 Denhof, Marianna (um 1685–1730) 90 Denhof, Teodor (1620–†1678) 73 Denhof-Dönhoff s. Dönhoff Deutsch-Piekar (poln. Piekary Śląskie) 79 Dillingen 15 Długosz, Johannes (1415–1480) 172, 179 Dnjepr (ukr. Dnipro) 6f. Dohna, Familie 31f., 71 Dohna, Abraham von (1579–1631) 31 Dohna, Fabian von (1550–1621) 31 Dombrowski, Johann Heinrich, s. Dąbrowski Jan Henryk Dönhoff, Familie 13, 72–74, 129f., 150 Dönhoff, Gerhard (1590–1648) 73, 128–130 Dönhoff, Henryk (Heinrich) († um 1667) 73 Dönhoff, Hermann (1591–1620) 73 Dönhoff, Johann 143 Dönhoff, Kaspar (1587–1645) 73 Dönhoff, Katharina Franziska (um 1635–1695) 73 Dönhoff, Magnus Ernst (1581–1642) 73 Dönhoff, Sibylle Margarethe (1620–1657) 128 Dönhoff, Stanisław Ernst (1679–1728) 74f., 130
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Register
Dönhoff, Theodor († 1622) 73 Dönhoff, Zygmunt 130 Dorpat (estn. Tartu, russ. Derpt) 73 Draheim (poln. Stare Drawsko) 23 Dresden 13, 49, 79–82, 85–95, 100, 102, 161 Dünaburg (lett. Daugavpils, poln. Dyneburg) 152 Dürer, Albrecht (1471–1528) 65 Działyński, Familie 71 Działyński, Stanisław († 1677) 145 Elbe 7 Elbing (poln. Elbląg) 10, 12, 15, 21, 41, 43–46, 54, 60, 132, 134, 141f., 147 Elisabeth Jagiellonica, Herzogin von Liegnitz (1483–1517) 66 Elisabeth von Österreich, Kg. von Polen (1526–1545) 66 Elsass 11 Emden 12, 53 England 47, 54, 187–189 Ephraim, Familie 102 Erasmus von Rotterdam (1466/1469–1536) 53 Erinnerung 16, 76, 142–144, 150–152, 172, 195–199 Ermland (poln./lat. Warmia) 12, 38, 41, 55–57, 60, 62, 105, 123, 132 Essen, August Franz (1724–1792) 94 Ferber, Mauritius (1471–1537) 51 Ferdinand I., Kaiser (1503–1564) 29, 65f. Ferdinand II. Kaiser (1578–1637) Kaiser 129 Fichte, Johann Gottlieb (1762–1814) 196 Fiol, Schweipolt, (1479–1525/26) 119 Firlej, Jan (1521–1574) 29 Flatau, Izaak 166 Flemming, Jacob Heinrich Graf von (1667–1728) 82, 161 Forster, Georg (1754–1794) 104 Frank, Ewa (1754–1816) 164 Frank, Jakub (1726–1791) 163 Frank, Sebastian (1499–1542/3) 33 Franken 34, 66, 159 Frankfurt am Main 15, 22, 25, 159, 188 Frankfurt an der Oder 15, 55, 61, 68, 162 Frankreich 14, 22, 51, 80, 112, 130, 188f., 193 Franz Xaver, Kurfürst von Sachsen (1730–1806) 94 Frauenburg (poln. Frombork) 57 Fraustadt (poln. Wschowa) 82, 130, 178 Freiburg 26 Freytag, Gustav (1816–1895) 75f. Friedländer, David (1750–1834) 164, 166 Friedrich II. (1194–1250), Kaiser 68
Friedrich III. (1415–1493), Kaiser 25 Friedrich I. (1657–1713) Kg. von Preußen 89, 145 Friedrich II. „der Große“, Kg. von Preußen (1712–1786) 49, 63, 80, 97, 99–108, 141 Friedrich III., Kurfürst von Preußen s. Friedrich I. Friedrich IV. von Ansbach (1460–1536), Markgraf 66, 68 Friedrich II. von Liegnitz (1480–1547) 66 Friedrich I. (1754–1816), Kg. von Württemberg 196 Friedrich August I., Kg. von Sachsen (1750–1827) 94–96 Friedrich Christian von Sachsen (1722–1763) 94 Friedrich Wilhelm, der „Große Kurfürst“ (1620–1688) 70f., 97f. Friedrich Wilhelm I., Kg. von Preußen (1688–1740) 99f. Friedrich Wilhelm II., Kg. von Preußen (1744–1797) 190 Friese, Christian Gottlieb (1717–1795) 84, 89 Frombork s. Frauenburg Frywałd (dt. Freiwald) 125 Fugger, Familie 8, 28, 44 Gadebusch, Jakob (um 1600 – nach 1623) 177 Galizien 10, 38, 43, 104, 108–113, 119, 131, 155f., 165f. Gdańsk s. Danzig Genf 58 Georg der Bärtige von Sachsen (1471–1539) 66 Georg der Reiche von Bayern-Landshut (1455–1503) 66 Georg von Brandenburg-Ansbach (1484– 1543) 26f. Georg Rudolf von Liegnitz (1595–1653) 128 Georg Wilhelm von Liegnitz, Brieg und Wohlau (1660–1675) 74 Geret, Christoph (1686–1757) 184 Geret, Samuel Luther (1730–1797) 184f Giżycko s. Lötzen Glatz, Grafschaft (poln. Kłodzko) 149 Glaubitz, Johann Christoph (um 1700–1767) 87 Gliczner, Erazm (1535–1603) 70 Glogau (poln. Głogów) 130 Gnesen (poln. Gniezno) 6, 37, 53 Gockowski, Adam 49 Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832) 131, 164, 195 Goltz, Familie 92 Görres, Joseph (1776–1848) 197
Register Gostomski, Anzelm (1508–1588) 48 Gotzkowsky, Johann Ernst (Gockowski, 1710– 1775) 49, 122 Graudenz (poln. Grudziądz) 57, 60, 107, 132, 179 Graz 28 Gregor XIII. (1502–1585), Papst 56 Greifen, Familie 66, 76 Grodków s. Grottkau Groeben, Familie 71 Groeben, Otto Friedrich von der (1657–1728) 71 Groicki, Bartłomiej (ca. 1534–1605) 119 Gröll, Michael (1722–1798) 84–86, 89 Großpolen 10f., 13, 21, 35f., 38, 40, 60, 64, 77, 104, 113, 118–120, 124, 130, 147, 156f., 166 Grottkau (poln. Grodków) 149 Grudziądz s. Graudenz Grumbkow, Friedrich Wilhelm von (1678–1739) 101 Grunau, Simon (um 1470–1531) 141 Gruneweg, Martin (1562 – ca. 1618) 120f., 125, 133, 146f. Gryphius, Andreas (1616–1664) 15, 36, 76, 128–130 Gustav II. Adolf, Kg. von Schweden (1594–1632) 57 Güttland (poln. Koźliny) 133 Habsburger 8, 22, 25–27, 41, 45, 65–67, 71f, 76, 99, 102, 137, 174, 176 Halberstadt 161 Halle 61, 84, 162 Haller, Johann (1467–1525) 119 Hamburg 45, 60, 161 Hannover 60 Hannover, Nathan ben Moses (um 1610– 1683) 155f. Hartknoch, Christoph (1644–1687) 144, 182 Hartwich, Abraham (1663–1720) 134 Hasenpoth (lett. Aizpute) 164 Hedwig Jagiellonica von Bayern (1457–1502) 66 Hedwig Jagiiellonica, Kurfürstin von Brandenburg (1513–1573) 66, 69 Heidelberg 15, 32, 54, 60, 188 Heilsberg (poln. Lidzbark Warmiński) 57 Heinrich d. Jüngere, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel (1489–1568) 66 Heinrich XI., Herzog von Liegnitz (1539–1588) 76 Heinrich von Preußen (1726–1802) 104 Helena von Moskau, Kg. von Polen (1476–1503) 52 Helmstedt 177
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Hempel, Jakob (1762–1831) 87 Hennenberger, Caspar (1529–1600) 139, 141f. Herberstein, Sigismund von (1486–1566) 27 Herborn 15, 60 Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 131 Hertzberg, Ewald Friedrich von (1725–1795) 104, 190 Hessen 133, 160 Hessus, Eobanus (1488–1550) 171f. Hinterpommern 10, 11, 23 Hippel, Theodor Gottlieb von (1775–1843) 112 Hoch-Litauen (Aukštaiten) 23 Hoff mann, E.T.A. (1776–1822) 111f, 136 Hoff mann, Maria Tekla (geb. Rohr-Trzcińska, † 1822) 111, 136 Hohenzollern, Familie 13, 68, 70, 97–113 Hohenzollern, Johann Karl Graf von (1732–1803) 108 Holsche, August Carl (1749–1830) 109 Holteis, Karl von (1798–1882) 191 Homberg, Herz (1749–1841) 165 Horowitz, Jesaja (1565–1630) 161 Hosius, Stanisław (1504–1579) 12, 56 Hoyerswerda 95 Hozjusz, Stanisław Józef (1674–1738) 91 Hutten-Czapski, Familie 13 Hylzen, Jan August (1702–1767) 151 Hylzen-Hülsen, Familie 13, 150 Identität 14, 16, 161, 173, 180–182, 196f. Igelström, Otto Heinrich (1737–1823) 191 Ingolstadt 15, 32 Inowrocław (dt. Inowrazlaw, Hohensalza) 37 Isabella Jagiellonica (1519–1559) 67 Isserles, Moshe (um 1525–1572) 160f. Italien 8, 14, 48, 58, 95, 117f., 160f., 169 Itzig, Daniel (1723–1799) 102 Izmir (griech. Smyrna) 163 Jabłonowski, Józef Aleksander (1711–1777) 85 Jablonski, Daniel Ernst (1660–1747) 62f., 162 Jadwiga s. auch Hedwig Jaenichius, Petrus (1679–1738) 83 Jägerndorf (tsch. Krnov) 27 Jagiełło, s. Władysław Jagiełło Jagiellonen 10, 22, 24–27, 51f., 65–70, 123, 142, 172 Jahn, Friedrich Ludwig (1778–1852) 197f. Janocki-Jähnisch, Johann Daniel (1729– 1786) 84 Jarosław (dt. Jaroslau) 45 Jauch, Joachim Daniel von (1688–1754) 86 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg (1505–1571) 66, 69
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Register
Johann III. Sobieski, Kg. von Polen (1629– 1696) 90, 137, 179 Johann III. Wasa, Kg. von Schweden (1537–1592) 67, 71 Johann II. Kasimir Wasa, Kg. von Polen (1609–1672) 73, 137, 142 Johann von Brandenburg-Küstrin (1513– 1570) 30 Johann Christian von Brieg (1591–1639) 128 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg (1572–1619) 70 Johannisburg (poln. Pisz) 59 Joseph II., Kaiser (1741–1790) 103, 109, 165, 184 Juden 15, 37f., 42, 125, 153–167 Kaffa (auch Theodosia, heute ukr. Feodossija) 153 Kalisz (dt. Kalisch) 37, 157 Kamieniec Podolski (ukr. Kamjanez-Podilskyj) 10, 119, 163f. Kamsetzer, Johann Christian (1753–1795) 87 Kant, Immanuel (1724–1804) 165 Kargowa (dt. auch Unruhstadt, Karge) 10, 36 Karl Emanuel III., Kg. von Sizilien (1701– 1773) 103f. Karl Ferdinand Wasa (1613–1655) 72 Karl V., Kaiser (1500–1558) 9, 24, 27, 29, 119, 168, 197 Karl VI., Kaiser (1685–1740) 161 Karl X. Gustav, Kg. von Schweden (1622– 1660) 61 Karlsbad (tsch. Karlovy Vary) 154 Karlsruhe 196 Karpiński, Franciszek (1741–1825) 110 Kasimir IV., Kg. von Polen (1427–1492) 66, 126, 142 Kasimir, Heiliger (1458–1484) 94 Katharina von Österreich, Kg. von Polen (1533–1572) 66 Katharina Jagiellonica (1526–1583) 67, 71 Katharina II., Zarin (1729–1796) 49, 111, 152 Kaunas (poln./russ. Kowno, dt. auch Kauen) 10 Kaunitz, Wenzel Fürst von (1711–1794) 103, 189 Keckermann, Bartholomäus (1572–1608) 54 Keidanen (poln. Kiejdany, lit. Kėdainai) 10 Kettler, Herzöge von Kurland 13 Kiev (poln. Kijow, ukr. Kyjiw) 128 Kleinpolen 8, 10f., 14, 23, 38, 44f., 119, 124f., 131, 156 Kłodzko s. Glatz Klosmann, Christian (1697–1774) 183 Knyszyn 28
Kochanowski, Jan (1530–1584) 15, 69, 126 Köln 25, 41, 130 Kommunikation 8, 21, 25, 27f., 52, 67, 82, 142f., 168 Kongehl, Michael (1646–1710) 144f. Königsberg (poln. Królewiec, heute russ. Kaliningrad) 10, 12, 37, 44, 51f., 55, 59, 61, 69, 97, 126, 130, 134, 141, 144, 164–166 Konitz (poln. Chojnice) 49, 57 Kopernikus, Nicolaus (1473–1543) 12, 55, 169 Kortum, Ernst Bogumil (1742–1811) 108 Kos, Familie 71 Kosinowo s. Andreaswalde Kościuszko, Tadeusz (1746–1817) 86–88, 95, 112, 191 Kowno s. Kaunas Koźliny s. Güttland Koźmian, Kajetan (1771–1856) 88 Krakau (poln. Kraków) 8, 10–12, 15, 23, 25, 27f., 34f, 37, 43–46, 48, 50, 53, 67–71, 79, 83, 112, 118–120, 124–128, 131, 134, 153f., 156f., 159–161, 169–172, 176, 180, 182, 194 Krasicki, Ignacy (1735–1801) 12, 63, 85, 105– 107 Krasicki, Marcin 106 Krasiński, Franciszek (1525–1577) 28, 30 Krnov s. Jägerndorf Kromer, Martin (1512–1589) 12, 29, 55f., 136, 173f. Krossen (oder Crossen an der Oder, poln. Krosno Odrzańskie) 149 Krzycki, Andrzej (1482–1537) 171 Kujawien 57 Kulm (poln. Chełmno) 108 Kulmer Land 43, 110 Kurland 8f., 13, 33, 74, 136f., 164 Kuttenberg (tschech. Kutná Hora) 43f. Landshut 66 Lansius, Thomas (1577–1657) 176 Łaski, Familie 10 Łaski, Jan (1456–1531) 53, 172 Łaski, Jan (Johannes a Lasco, 1499–1560) 12, 53–55, 57, 120 Lauenburg (poln. Lębork) 23 Lausitz 23, 81f., 123, 144 Lauterbach, Samuel Friedrich (1662–1728) 179 Lębork s. Lauenburg Legnica s. Liegnitz Lehmann, Berend (1661–1730) 161f. Lehndorf, Familie 71 Lehndorff, Ernst Ahasverus (1727–1811) 107 Lehndorff, Gerhard Ahasverus (1637–1688) 71
Register Leipzig 13, 15, 47, 55, 81, 84f., 95, 102, 130, 162 Lelewel, Joachim (1786–1861) 155, 198 Lemberg (poln. Lwów, ukr. Lviv) 6, 10f., 15, 34f., 37, 43f., 53, 109, 112, 119f., 123, 131, 133, 153–155, 158, 161, 163 Lengnich, Gottfried (1689–1774) 83, 146 Leopold II., Kaiser (1747–1792) 189 Leslau s. Włocławek Lessel, Albert G. (ca. 1734–1800) 88 Lessel, Friedrich Albert (1767–1822) 87 Leszczyński, Familie 156 Leszczyński, Rafał (1526–1592) 121 Leszczyński, Stanisław (1677–1766) 13, 79f., 92, 101 Leszno s. Lissa Lettgallen, s. Polnisch-Livland Lettland 9 Leutschau (slowak. Levoča) 44 Liechtenstein, Familie 149 Lidzbark Warmiński, s. Heilsberg Liegnitz (poln. Legnica) 13, 74, 76 Linde, Samuel Bogumil (1771–1847) 89, 136 Linz 15 Lipski, Jan Alexander (1690–1746) 92 Lissa (poln. Leszno) 10, 36f., 60f., 82, 89, 130, 156, 162 Litauen 8–10, 27f., 33, 38, 52, 57, 65, 68, 87, 102, 123f., 131, 144, 151, 156, 166, 195 Literatur 48, 65, 69f., 74, 85, 93, 105f., 126, 128, 130f., 195 Livland 8f., 12f., 33, 50, 64, 72, 144, 150–152, 180 Lobkowitz, Familie 149 Lobwasser, Ambrosius (1515–1585) 130 Lohenstein, Daniel Caspar von (1635–1683) 74f. London 54 Lookschau, Georg von 27 Lothringen 13, 80 Lötzen (poln. heute Giżycko) 132 Löw, Judah ben Bezalel (ca. 1525–1609) 15, 160 Loyalität 71, 142–151 Lubieniecki, Christof (1659–1729) 60 Lubieniecki, Stanisław (1623–1675) 60 Lubieniecki, Theodor (1654–1718, auch Lubienietzki) 60 Lublin 15, 37, 70, 124, 153f., 159–161 Lublin, Meir (1558–1616) 161 Lubomirska, Urszula Katarzyna, Gräfi n von Teschen (1680–1743) 90 Lubomirski, Familie 156 Lubomirski, Aleksander Jakub (1695–1772) 89, 91f.
211
Lubomirski, Hieronym Augustyn (1647– 1706) 89 Lubomirski, Jerzy Dominik (ca. 1665–1727) 92 Lubomirski, Jerzy Ignacy (1687–1753) 90 Lucae, Friedrich (1644–1708) 75 Ludwig II., Kg. von Ungarn (1506–1526) 27, 65f. Ludwig XIV., Kg. von Frankreich (1638–1715) 145 Ludwig XV., Kg. von Frankreich (1710–1774) 80 Ludwika Maria (dt. Luisa Maria) Gonzaga, Kg. von Polen (1611–1667) 73, 137 Ługowski, Jaś (Jan) (um 1623–1651) 137 Lunéville 80 Luther, Johannes (Hans) (1526–1575) 52 Luther, Margarethe (1534–1570) 52 Luther, Martin (1483–1546) 51–53 Luxemburger, Familie 65 Lwów s. Lemberg Madrid 72 Maciej von Miechów (Matthias de Miechow 1457–1523) 172 Magdeburg 124, 155, 199 Mähren 60, 123 Mailand 103 Maimon, Salomon (1753–1800) 164f. Mainz 188 Małachowski, Jan (1698–1762) 84 Małachowski, Stanisław (1736–1809) 84 Malbork s. Marienburg Malecki, Jan (1490–1567) 126 Mannheim 188 Manteuffel, Familie 13 Maria von Habsburg, Kg. von Ungarn (1505–1558) 65 Maria de la Grange d’Arquien, Marysieńka, Kg. von Polen (1641–1716) 137 Maria Josepha, Kg. von Polen (1699–1757) 90, 94 Maria Theresia, Kaiserin (1717–1780) 163 Marienburg (poln. Malbork) 128f. Marperger, Paul Jacob (1656–1730) 81 Masowien (poln. Mazowsze) 11, 23, 35, 37, 40, 57, 104, 124, 144 Masuren (poln. Mazury) 11, 132 Matejko, Jan (1838–1893) 68f. Matuszewicz, Marcin (1714–1773) 92 Max III. Joseph, Kurfürst von Baden (1727–1777) 188 Maximilian I., Kaiser (1459–1519) 9, 25, 27, 65, 171 Maximilian II., Kaiser (1527–1576) 67
212
Register
Maximilian III., Erzherzog (1558–1618) 67 Mecklenburg 35 Mehrsprachigkeit 56f., 60, 67f., 70–73, 92, 95, 121, 123, 131, 146, 150, 152 Melanchthon, Philipp (1497–1560) 52, 177 Memel (poln. Niemen) 10, 97, 140 Mendelssohn, Moses (1729–1786) 164f. Mennoniten 42, 61, 120 Merlini, Domenico (1730–1797) 87 Meseritz (poln. Międzyrzecz) 37, 77 Michel, Jechiel (1722–1780) 161 Mickiewicz, Adam (1798–1855) 195, 198 Międzyrzecz s. Meseritz Migration 11, 23, 33–43, 49, 61, 63, 89, 96, 107, 117–122, 131, 153, 156, 158f., 163f., 166 Militär 73f., 90, 92f., 176 Minz, Moses ben Isaac (um 1420–1482) 159 Mitau (lett. Jelgava) 164 Mi(t)zler de Koloff, Lorenz Christoph (1711–1778) 84f., 88 Mniszech, Jerzy August (1715–1778) 90 Mochinger, Johannes (1603–1653) 37, 145 Mockrau (poln. Mokre) 107 Modrzewski (Modrevius), Andrzej Frycz (1503–1572) 22, 32, 55 Mohács 66 Moldau 144 Moritz von Sachsen (1521–1553) 30 Moritz, Karl Philipp (1756–1793) 165 Morsztyn, Hieronym (1581–1645) 48 Morsztyn, Tobias 86 Morsztyn, Zbigniew (1628–1689) 59, 130 Moszczyńska, Friederike Alexandrine (1709–1784) 90 Moszczyński, Familie 90f. Moszczyński, Jan Kanty († 1737) 90 München 188, 196 Münster, Sebastian (1488–1552) 173 Münsterberg (poln. Ziębice) 149 Musonius, Theodor (1769–1797) 89 Mycielski, Józef (1733–1789) 39 Myślenta, Celestin (1588–1653) 70 Naborowski, Daniel (1573–1640) 130 Nancy 80 Napoleon 95, 191f. Naroński, Józef Naronowicz (1610–1678) 59 Naruszewicz, Adam (1733–1796) 83, 85 Natzmer, Karl Dubislav von (1705–1738) 101 Neiße (poln. Nysa) 12, 149 Netze, Fluß (poln. Noteć) 11, 158 Neu-Sandez, s. Nowy Sącz Neumark 23, 35, 37, 64, 77 Nieborów 86
Niederlande 9, 14, 43f., 47f., 51, 59, 61, 74, 104, 117, 127, 130, 169, 189, 191 Niederschlesien 50, 118 Niemojewski, Jan (vor 1530–1598) 70 Nostitz, Familie 92 Noteć s. Netze Nowy Sącz (dt. Neu Sandez) 124 Nürnberg 28, 44, 46, 58, 68, 118, 153, 176, 196 Nycz, Jan (1532–1572) 53 Nysa s. Neiße Oberschlesien 10, 23, 150, 166 Oder (poln./tsch. Odra) 7, 10, 149, 174 Offenbach am Main 163 Ohlau (poln. Oława) 149 Oliva (poln. Oliwa) 62 Olkusz 44 Olmütz (tsch. Olomouc) 10, 56 Olsztyn s. Allenstein Opalińska, Katarzyna (1596–1636) 128 Opaliński, Piotr († 1551) 27 Opatów 161 Opitz, Martin (1597–1637) 15, 36, 128–130 Oporinus, Johannes (1507–1568) 55 Oppeln (poln. Opole) 23, 76 Oppeln-Bronikowski, Familie 93 Oppeln-Bronikowski, Adam von (1714–1778) 93 Oppeln-Bronikowski, Alexander von (1783–1834) 93 Osmanisches Reich 25, 37, 66, 69, 104, 175 Osterode (poln. Ostróda) 132 Österreich 6, 9, 11, 14, 35, 46, 94, 104, 109, 112f., 138, 165, 187–189 Ostfriesland 12, 53 Ostroróg, Jan (1436–1501) 126 Ostrov 152 Ostsee 8, 11f., 15, 43, 46, 50, 56f., 74, 118 Otto I., Kaiser (912–973) 178 Pac, Familie 24 Pantaleon, Heinrich (1522–1595) 55 Paris 13, 72 Pelplin 159 Peter I. der Große, Zar (1672–1725) 161 Petersburg s. Sankt Petersburg Petrikau (poln. Piotrków) 27, 171 Pfalz 11, 13, 40 Pförten (poln. Brody, powiat żarski) 82 Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1615–1690) 72 Piasecki, Paweł (1579–1649) 175f. Piaski (Luterskie) 156f.
Register Piasten, Familie 13, 16, 65, 74–76, 147, 149f., 175 Piccolomini, Enea Silvio (1405–1464) 141, 149, 172 Piekary Śląskie s. Deutsch-Piekar Pilsen 155 Pinczów 54 Pinzel, Johann Georg († 1761/62) 87 Piotrków s. Petrikau Pisz s. Johannisburg Plater, Familie 13, 150 Pless (poln. Pszczyna) 23 Płock 11, 112 Pociej, Emerencjanna († 1730) 91 Podlachien (auch Podlasien, poln. Podlasie) 23, 28, 104 Podolien (pol. Podole) 38, 43, 45, 144, 163 Podoski, Łukasz (1526–1584) 30 Pokutien (poln. Pokucie) 110 Polenz, Georg von (1478–1550) 51 Pollack, Jakob (um 1460–1541) 159f. Polnisch-Livland 9, 150–152 Połock 8, 87 Poltava 79 Pommerellen 10, 110, 139f. Pommern 11, 23, 26, 30, 35, 50, 64, 66, 74, 101f., 123f., 144 Pöppelmann, Carl Friedrich (1697–1750) 86 Pöppelmann, Matthäus Daniel (1662–1737) 86 Posen (poln. Poznań) 6, 15, 37, 44, 46, 104, 112, 118, 124, 133, 153f., 156, 159 Possevino, Antonio (1534–1611) 56 Potocki, Familie 87, 156 Potocki, Ignacy (1741–1809) 95 Potocki, Stanisław Kostka (1755–1821) 95 Potsdam 59, 106, 161 Prag (tsch. Praha) 15, 23, 25, 41, 44f., 53, 118, 153–155, 159–161 Prebendow-Przebendowski, Familie s. Przebendowski Pressburg (slowak. Bratislava) 65 Preußen (Staat) 6, 8f., 11, 13f., 24, 35, 41f., 47, 59, 61f., 70, 81, 94, 97–113, 122, 138, 157f., 161, 186–191 Preußenland 10–16, 21, 23f., 27, 31, 33, 35–41, 43, 50–52, 56f., 59–62, 68–71, 97–104, 123f., 132–147, 152, 159, 170–172, 178, 180, 182, 184–185 Prittwitz, Familie 77 Probener, Michael († 1701) 60 Przebendowska, Małgorzata Elżbieta (1664–1728) 91 Przebendowski, Familie 13, 82
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Przebendowski, Jan Jerzy (1638–1729) 82, 90 Przemyśl 34 Przypkowski, Samuel (1592–1670) 59 Ptaszek, Zygmunt (1764–1826) 136 Ptolemäus (um 100–160) 170, 172 Pufendorf, Samuel (1632–1694) 178 Puławy 87, 194 Rabsztyn (dt. Rabstein) 125 Radziwiłł, Familie 13, 24, 82, 87, 164 Radziwiłł, Bogusław (1620–1669) 59 Radziwiłł, Janusz (1579–1620) 130 Radziwiłł, Michał Kazimierz (1702–1762) 91 Radziwiłł, Tekla (1703–1747) 82 Raków 58 Ratibor (poln. Raciborz) 23 Rawicz (dt. Rawitsch) 36 Rechenberg, Balthasar von (1506–1567) 26 Recht 39f., 44, 94f., 113, 119, 124f., 145f., 154f., 178 Regensburg 15, 22, 26–29, 31 Regionalismus 16, 48, 139–152 Reisen s. Rydzyna Rej, Mikołaj (1505–1569) 48, 126 Rendorf, Familie 132 Reszel s. Rößel Rhein 6, 45, 55, 97, 188 Rheinland 22, 27, 33f., 43, 153, 191 Rhenanus, Beatus (1485–1547) 55 Rheticus, Georg Joachim (1514–1574) 55 Riga 9, 44 Roden, Johann Rembert (1724–1781) 158 Rom 32, 56, 120, 172 Rosenberg-Rozembarski, Mikołaj (ca. 1450–1506) 26, 29 Rositten (lett. Rēzekne, poln. Rzeżyca) 152 Rösner, Johann Gottfried (1658–1724) 62, 182 Rößel (poln. Reszel) 57 Rotreußen s. Galizien Różycki, Jacek (um 1635–1703) 89 Ruarus, Martin (1588/90–1657) 58 Rubinkowski, Jakub Kazimierz (1688–1749) 183 Rudnicki, Czymbaj Murza 93 Rus‘ 144 Russland 6, 8f., 14, 37, 41, 61, 79f., 94f., 113, 144, 157, 175, 188, 190f., 193 Rutowski, Fryderyk August (1702–1764) 90 Rydzyna (dt. Reisen) 82 Rzeszów 156, 159 Sachs, Johannes (1641–1671) 178f. Sachsen 13, 23f., 26, 43–45, 47, 55, 66, 79–96, 101–103, 153, 161f., 191, 197
214
Register
Samland 48 San 106 Sandomierz (dt. Sendomir) 37, 54, 58 Sankt Petersburg 48, 104 Sapieha, Familie 82, 92 Sapieha, Franciszka († 1760/64) 82 Sarbievius, Matthias (Maciej Sarbiewski, 1595–1640) 15, 85, 130f. Sarmatia-Begriff 7, 74–77, 124, 141f,. 144f., 169–174, 182 Schack von Wittenau, Karl-Albrecht von (1707–1786) 109 Scheffer, Thomas 133 Schiller, Friedrich (1759–1805) 131, 194, 196 Schlesien (poln. Śląsk) 8, 10–13, 15f., 23f., 27, 33f., 36f., 45, 47, 60, 63, 68, 74–76, 81, 102f., 123f., 130, 134f., 139, 144, 147–150, 153, 174f., 178, 180 Schlieben, Familie 71 Schlüter, Andreas (1660–1714) 60 Schmidt, Johann Christoph (1664–1728) 89 Schröger, Ephraim s. Szreger Schuch, Johann Christian s. Szuch Schultz (Szulecki), Johannes (1662–1704) 179 Schultz, Georg Peter (1680–1748) 83 Schütz, Caspar (1540–1594) 140 Schwarzes Meer 34, 153 Schweden 24, 37, 56f., 59, 61f., 71f., 79, 97, 104, 176–178 Schweiz 12, 51, 53, 58, 191 Schwersenz (poln. Swarzędz) 155 Seklucjan, Jan (1510–1578) 52, 126 Sęp-Szarzyński, Mikołaj (1550–1581) 130 Seume, Johann Gottfried (1763–1810) 191–193 Sewerien s. Siewierz Seyner, Christian 87 Siebenbürgen 10, 59, 67 Sieniawski, Familie 74f. Sieradz 73 Siewierz (dt. Sewerien) 23 Sigismund I., Kg. von Polen (1467–1548) 27, 29, 51f., 65f., 68f., 154 Sigismund II. August, Kg. von Polen (1520– 1572) 27f., 30, 51f., 55, 66, 69–71, 121 Sigismund III., Kg. von Polen (poln. Zygmunt III., 1566–1632) 45, 57, 71–73, 137, 142 Siwerts, Simon 143 Słupsk s. Stolp Smolensk 8, 73 Smyrna s. Izmir Sobieski, Familie 24, 149 Sobieski, Jakub Ludwik (1667–1737) 90
Sobieski, Konstanty Władysław (1680–1726) 90 Soccini, Fausto (1539–1604) 59 Solothurn 191 Sophia Jagiellonica (1464–1512) 66, 68 Sophia Jagiellonica (auch Zofia Jagiellonka, 1522–1575) 66f. Spandau 89 Spanien 65, 168 Speyer 22, 30 Sprache 14, 25, 50, 52f., 63–65, 89, 109f., 112, 121, 123–138, 152f., 165f., 169, 176, 183 Stanisław, Heiliger (1030–1079) 94 Stanisław August Poniatowski, Kg. von Polen (1732–1798) 63, 85, 87, 94 Stanisław Kostka, Heiliger (1550–1568) 94 Stare Drawsko s. Draheim Starowolski, Szymon (1588–1656) 48 Stein, Bartholomäus (um 1477 – um 1520) 149 Steinort (poln. Sztynort) 71 Stella, Erasmus (vor 1460–1521) 141, 171 Stephan Báthory, Kg. von Polen (1533–1586) 28, 67 Stereotype 10, 14, 22, 31f., 63, 72, 88, 101, 104f., 111, 113, 168, 176f., 179–182, 184–186 Stockholm 67 Stolp (poln. Słupsk) 8 Straßburg 54, 126 Stuhm (poln. Sztum) 119 Sturm, Johannes (1507–1589) 54 Stuttgart 196 Suchodoletz, Jan Władysław von (um 1687– 1751) 59f. Suchodolski, Samuel (von Suchodoletz, 1649– 1727) 59 Südamerika 45 Sułkowski, Aleksander Józef (1695–1762) 80, 82, 90f. Swarzędz s. Schwersenz Swinarski, Familie 92 Szachna, Shlomo (auch Shakhna Ben Joseph Shalom, † 1558) 160 Szarffenberg, Mikołaj (1519–1609) 53 Szarffenberg, Stanisław (ca. 1519–1584) 53 Szczebrzeszyn 37 Szreger, Efraim (1727–1783) 87 Sztum s. Stuhm Szuch, Jan Chrystian (1752–1813) 87 Tauroggen (lit. Tauragė) 10 Tepper, Piotr Ferguson (1713–1794) 88 Teschen (poln. Cieszyn) 23, 76, 149
Register Thorn (poln. Toruń) 10–12, 15, 21, 35f., 41, 44, 54, 62f., 83, 87, 89, 109, 121, 128, 134, 136, 139, 142, 144, 147, 178, 182–185, 189 Thüringen 48 Thurzó, Familiengeschlecht 8, 12, 28, 44, 126 Till Eulenspiegel Dyl Sowizdrzał) 15, 126f. Treitschke, Heinrich von (1834–1896) 196 Trient (ital. Trento, lat. Tridentum) 35, 55 Trier 188 Trotz, Michael Abraham (1689–1769) 136 Truchseß zu Waldburg, Familie 31 Tschenstochau (poln. Częstochowa) 163 Tübingen 176 Turku (schw. Åbo) 67 Tyzenhauz-Tiesenhausen, Familie 13, 150 Übigau 91 Ukraine 8, 38, 155–157, 162, 169 Ungarn 10, 27, 36, 44, 65, 68, 72, 102, 124, 174 Ungler, Florian († 1536) 134 Unruh-Unrug, Familie 77, 92 Unruh-Unrug, Alexander (1638–1668) 77 Unruh-Unrug, Christopher (1666–1723) 77 Unruh, Jerzy (Georg) 93 Unruhstadt s. Kargowa Uppsala 57 Vadian, Joachim (1484–1551) 171 van den Blocke, Izaak (um 1575–1628) 147 Venedig 28, 146, 155 Victor Amadeus II. (1666–1732), König von Sizilien 103f. Vietor, Hieronymus (poln. Wietor, um 1480– 1546/7) 119f., 127 Vilnius s. Wilna Vogel, Sigismund s. Ptaszek, Zygmunt Volckmar, Nicolaus (1566/73–1601) 133, 135f. Walachei 45, 144, 163 Warschau (poln. Warszawa) 9f., 13, 15, 23, 25, 27f., 31, 41, 46, 58, 63, 71–74, 79–90, 93–95, 97, 104, 112, 120, 126, 129, 137, 163, 166, 176f., 183f., 191, 194 Warthe (poln. Warta) 11 Wasa, Familie 12, 57, 62, 71–73, 137, 175f., 197 Wehlau (poln. Welawa, russ. Znamensk) 98 Weichsel (poln. Wisła) 40, 43f., 61, 140, 170f. Weißrussland 8 Welfen 66 Weser 7, 174 Westpreußen 10, 105–109, 111, 113, 158, 166
215
Wettiner 13, 66, 79–96 Wetzlar 22, 195 Wieliczka 34 Wien 8, 25, 28, 32, 65, 103, 112, 120, 163, 179 Wilna (poln. Wilno, lit. Vilnius) 10, 25, 28, 50, 87, 131 Winholt, Familie 132 Wiśniowiecki, Familie 87 Wissen 14, 24, 83f., 117, 131, 160–162, 168, 172, 177f. Wissenschaft 14, 50, 55f., 59f., 63, 69, 83–85, 159f., 166, 169f., 178 Wittelsbacher 188 Wittenberg 12, 15, 52f., 130, 134 Władysław I. Jagiełło (lit. Jogaila), Großfürst von Litauen, König von Polen (1352/62– 1434) 83, 142, 175 Wladislaw II., Kg. von Böhmen und Ungarn (1456–1516) 65 Władysław IV. Wasa, Kg. von Polen (1595–1648) 97, 128f., 137 Włocławek (dt. Leslau) 159 Wolfenbüttel 66f., 177 Wolff, Christian (1679–1754) 84 Worms 15, 29 Woronicz, Jan Paweł (1757–1829) 194 Woyna, Johann Carl († vor 1693) 135 Wrocław s. Breslau Wschowa s. Fraustadt Württemberg 22, 33f., 40, 196 Zaborowo 36 Załuski, Gebrüder 136 Załuski, Andrzej Chryzostom, Bischof (um 1650–1711) 89 Załuski, Andrzej Stanisław (1695–1758) 84 Załuski, Józef Andrzej (1702–1774) 84 Zamoyski, Jan (1542–1605) 72 Zápolya, Familie 10 Zápolya, Johannes (1487–1540) 67 Zator 23, 149 Zawierka, Kasper 133 Zborowski, Familie 67 Zborowski, Samuel († 1584) 67 Zell, Heinrich (vor 1533–1560) 139 Ziębice s. Münsterberg Zips (slow. Spiš, poln. Spisz) 43 Żółkiew (ukrain. Zovkva) 155 Zug, Simon Gottlieb (Szymon Bogumił 1733–1807) 86f. Zürich 58 Zwingli, Ulrich (1484–1531) 53 Żychlin 93
Bildnachweis Schloss Wilanów (S. 75); Vanitas. Portret trumienny na tle sarmackich obyczajów pogrzebowych, red. Joanna Dziubkowa, Poznań 1997 (S. 77); Deutsches Historisches Museum, Berlin / I. Desnica (S. 121); Sowiźrzał krotochwilny i śmieszny..., wyd. Radosław Grześkowiak i Edmund Kizik, Gdańsk 2005 (S. 127); Biblioteka Gdańska PAN (S. 129, 135); Archiwum Państwowe w Gdańsku (S. 143); Königschloss Warschau (S. 19, 115); Fragmente aus dem Gemälde „Die preußische Huldigung (1525)“ von Marcello Bacciarelli, aus einer Reihe von Bildern zur Geschichte Polens (1783–1786).
Das Heilige Römische Reich 1789
Schleswig Schleswig
N
Kiel
Helgoland
Nordsee
Holstein Lübeck
Cuxhaven
KGR. GROSSB R I TA N N I E N
R E P. D E R V E R E I N I G T E N NIEDERLANDE
Oldenburg
Den Haag
Utrecht
Lauenburg
Bremen
Ostsee
Danzig
(bis 1772 poln.)
Kurfsm. Hannover
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Marienwerder
Bromberg Thorn
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Osnabrück
Hannover Minden Braunschweig Detmold Halberstadt
Berlin
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(bis 1793 poln.)
Płock
Gnesen
Kurfsm. Brandenburg
Aller
Spirdingsee
Graudenz Stargard
d
O
Elbing Ermland
KGR. PREUSSEN
Westpreußen
Schwerin Hzm. MecklenburgStettin Schwerin Neustrelitz Elb
Bütow
Kolberg
Ostpreußen
(bis 1793 poln.)
Rügen
Stralsund Vorpommern Wolgast Rostock Wismar
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Amsterdam
Bentheim Arnheim
Hamburg
Lauenburg
Frankfurt
Magdeburg
Bu
Warschau
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Groningen
Fsm. Jever Stade OstfriesHzm. land Oldenburg
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Norwich
Königsberg
KGR. DÄNEMARK
Posen Schwiebus
KGR. POLEN
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Die polnisch-litauische Respublica im 17. Jahrhundert
Dagö
Krone Polen Lehen und abhängige Gebiete Großfürstentum Litauen 1657–1686 verlorene Gebiete Sachsen Herzogtum Preußen, 1525 –1657 poln. Lehen, ab 1657 souverän, 1701 Königreich
Peipus-See Ösel
Dorpat Dorpat
Rigaer Meerbusen
KGR. SCHWEDEN
Pleskau
Gotland Öland
Riga
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Libau Dünaburg Memel
Varniai
RUSSISCHES REICH
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